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ID1611821500

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    Plenarprotokoll 16/118 Abgabe einer Erklärung durch die Bundesre- gierung: Aufschwung, Teilhabe, Wohlstand – Chancen für den Arbeitsmarkt . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 4: Antrag der Abgeordneten Dirk Niebel, Dr. Heinrich L. Kolb, Dr. Karl Addicks, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Überschüsse der Bundesagentur für Arbeit an Beitragszahler zurückgeben – Beitrags- senkungspotenziale nutzen Rolf Stöckel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Laurenz Meyer (Hamm) (CDU/CSU) . . . . . . Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 4: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Errichtung ei- nes Sondervermögens „Kinderbetreu- ungsausbau“ 12138 D 12161 D 12163 A 12164 B 12167 B Deutscher B Stenografisc 118. Si Berlin, Donnerstag, d I n h a Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord- neten Peter Götz, Gerd Bollmann und Jörg van Essen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wahl des Abgeordneten Christoph Waitz als Mitglied im Beirat nach § 39 des Stasi-Un- terlagen-Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Absetzung der Tagesordnungspunkte 8, 13 und 26 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachträgliche Ausschussüberweisung . . . . . . Tagesordnungspunkt 3: 12137 A 12137 B 12137 B 12138 C 12138 D (Drucksache 16/6434) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Franz Müntefering, Bundesminister BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12138 D 12139 A undestag her Bericht tzung en 11. Oktober 2007 l t : Dirk Niebel (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ilse Falk (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Ludwig Stiegler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Jörg Rohde (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Brandner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU) . . . . . Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) . . . . . . . . . . . . 12144 C 12146 B 12148 A 12150 C 12152 C 12155 B 12157 A 12158 B 12160 B 12161 A (Drucksache 16/6596) . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Diana Golz Klaus Ernst, Dr. Martina Bunge, weiter . e, er 12164 C II Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Kinderbetreuungsausbau mit mehr Mitteln, Fachkräften und Quali- tät ausstatten – Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung 2010 einführen (Drucksache 16/6601) . . . . . . . . . . . . . . . . c) Antrag der Abgeordneten Ekin Deligöz, Grietje Bettin, Kai Gehring, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Angebot und Qualität der Kindertagesbetreuung schneller und verlässlicher ausbauen – Realisie- rung nicht erst 2013 (Drucksache 16/6607) . . . . . . . . . . . . . . . . d) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung über den Stand des Ausbaus für ein bedarfsge- rechtes Angebot an Kindertagesbetreu- ung für Kinder unter drei Jahren 2007 (Drucksache 16/6100) . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 5: Antrag der Abgeordneten Ina Lenke, Miriam Gruß, Sibylle Laurischk, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der FDP: Chancenge- rechtigkeit von Beginn an (Drucksache 16/6597) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Carsten Schneider (Erfurt) (SPD) . . . . . . . . . . Ina Lenke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Otto Fricke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Steffen Kampeter (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Otto Fricke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Diana Golze (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . Nicolette Kressl (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ingrid Fischbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Diana Golze (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . Krista Sager (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peer Steinbrück, Bundesminister BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Krista Sager (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Otto Fricke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ina Lenke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12164 C 12164 D 12165 A 12165 A 12165 B 12165 D 12166 A 12171 A 12172 C 12173 B 12175 C 12175 D 12176 A 12176 C 12178 B 12178 C 12180 D 12181 D Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anna Lührmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Caren Marks (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Miriam Gruß (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Johannes Singhammer (CDU/CSU) . . . . . . . Dieter Steinecke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 34: a) Erste Beratung des vom Bundesrat einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än- derung des Wohngeldgesetzes und des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (Drucksache 16/4019) . . . . . . . . . . . . . . . b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines … Ge- setzes zur Änderung des Jugendge- richtsgesetzes und anderer Gesetze (Drucksachen 16/6293, 16/6568) . . . . . . . c) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Zwei- ten Gesetzes zur Änderung des Regio- nalisierungsgesetzes (Drucksache 16/6310) . . . . . . . . . . . . . . . d) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Finanzierung der Beendigung des subventionierten Steinkohlenberg- baus zum Jahr 2018 (Steinkohlefinan- zierungsgesetz) (Drucksache 16/6566) . . . . . . . . . . . . . . . e) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Regelung der Weiterverwen- dung nach Einsatzunfällen (Einsatz- Weiterverwendungsgesetz – Einsatz- WVG) (Drucksache 16/6564) . . . . . . . . . . . . . . . f) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes über die Feststellung des Wirt- schaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 2008 (ERP-Wirtschafts- plangesetz 2008) (Drucksache 16/6565) . . . . . . . . . . . . . . . g) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung des Bundesversor- 12182 C 12184 C 12185 C 12186 C 12187 C 12189 A 12190 A 12190 A 12190 B 12190 B 12190 C 12190 C Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 III gungsgesetzes und anderer Vorschriften des Sozialen Entschädigungsrechts (Drucksache 16/6541) . . . . . . . . . . . . . . . . h) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Zwei- ten Gesetzes zur Änderung des Zwölf- ten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze (Drucksache 16/6542) . . . . . . . . . . . . . . . . i) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Abkommen vom 9. Februar 2007 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Australien über die Soziale Sicherheit von vorübergehend im Hoheitsgebiet des anderen Staates beschäftigten Personen („Ergänzungs- abkommen“) (Drucksache 16/6567) . . . . . . . . . . . . . . . . j) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Fi- nanzverwaltungsgesetzes und anderer Gesetze (Drucksache 16/6560) . . . . . . . . . . . . . . . . k) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Legehen- nenbetriebsregistergesetzes (Drucksache 16/6559) . . . . . . . . . . . . . . . . l) Antrag der Abgeordneten Cornelia Pieper, Uwe Barth, Patrick Meinhardt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Deutsche Forschungsflotte leistungsfä- hig erhalten – mittel- und langfristige Programme erarbeiten (Drucksache 16/4064) . . . . . . . . . . . . . . . . m) Bericht des Ausschusses für Bildung, For- schung und Technikfolgenabschätzung ge- mäß § 56 a der Geschäftsordnung: Tech- nikfolgenabschätzung (TA) TA-Projekt: Biobanken für die human- medizinische Forschung und Anwen- dung (Drucksache 16/5374) . . . . . . . . . . . . . . . . n) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Nationales Reformprogramm Deutsch- land 2005 bis 2008 Umsetzungs- und Fortschrittsbericht 2007 (Drucksache 16/4560) . . . . . . . . . . . . . . . . 12190 C 12190 D 12190 D 12190 D 12191 A 12191 A 12191 A 12191 B Zusatztagesordnungspunkt 6: a) Antrag der Abgeordneten Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Christoph Waitz, Christian Ahrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Notwendige Verbesse- rungen am Telemediengesetz jetzt ange- hen (Drucksache 16/5613) . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Horst Meierhofer, Michael Kauch, Angelika Brunkhorst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Verpackungsver- ordnung sachgerecht novellieren – Wei- chen stellen für eine moderne Abfall- und Verpackungswirtschaft in Deutsch- land (Drucksache 16/6598) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 35: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes über die Bereini- gung von Bundesrecht im Zuständig- keitsbereich des Bundesministeriums der Justiz (Drucksachen 16/5051, 16/6626) . . . . . . . b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Pflichtversicherungsgesetzes und anderer versicherungsrechtlicher Vor- schriften (Drucksachen 16/5551, 16/6627) . . . . . . . c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 28. Oktober 1993 zur Änderung des Eu- ropäischen Übereinkommens vom 30. September 1957 über die internatio- nale Beförderung gefährlicher Güter auf der Straße (ADR) (Drucksachen 16/6121, 16/6610) . . . . . . . d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit zu dem An- trag der Abgeordneten Dr. Harald Terpe, Birgitt Bender, Elisabeth Scharfenberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Bioethi- sche Grundsätze auch bei Arzneimitteln für neuartige Therapien sicherstellen (Drucksachen 16/4853, 16/5582) . . . . . . . 12191 C 12191 C 12191 D 12192 A 12192 B 12192 C IV Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 e) Beschlussempfehlung des Rechtsausschus- ses: Übersicht 8 über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht (Drucksache 16/6452) . . . . . . . . . . . . . . . . f) – m) Beschlussempfehlungen des Petitionsaus- schusses: Sammelübersichten 269, 270, 271, 272, 273, 274, 275 und 276 zu Peti- tionen (Drucksachen 16/6443, 16/6444, 16/6445, 16/6446, 16/6447, 16/6448, 16/6449, 16/6450) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 5: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Umwelt, Naturschutz und Reak- torsicherheit zu dem Antrag der Abgeordne- ten Hans-Josef Fell, Cornelia Behm, Winfried Hermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ein- führung eines Erneuerbare Energien Wär- megesetzes – EEW (Drucksachen 16/3826, 16/5361) . . . . . . . . . . Dirk Becker (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU) . . . . . . . . Hans-Kurt Hill (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Sigmar Gabriel, Bundesminister BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Josef Göppel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 6: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für die Angelegenheiten der Euro- päischen Union – zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/ CSU und SPD: Regierungskonferenz zur Änderung der vertraglichen Grundla- gen der Europäischen Union und Un- terrichtung der Bundesregierung ent- sprechend Ziffer VI der Vereinbarung zwischen Deutschem Bundestag und 12192 D 12192 D 12193 C 12193 D 12195 B 12196 C 12198 B 12199 A 12199 C 12201 A 12201 D der Bundesregierung über die Zusam- menarbeit in Angelegenheiten der Eu- ropäischen Union – zu dem Antrag der Abgeordneten Markus Löning, Dr. Werner Hoyer, Michael Link (Heilbronn), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: EU-Regierungs- konferenz schnell zum Erfolg führen – zu dem Antrag der Abgeordneten Rainder Steenblock, Jürgen Trittin, Omid Nouripour, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: EU-Regierungskonferenz – Für eine handlungsfähige und demokratische EU (Drucksachen 16/6399, 16/5882, 16/5888, 16/6632) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . Markus Löning (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gunther Krichbaum (CDU/CSU) . . . . . . . . . Dr. Diether Dehm (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Roth (Heringen) (SPD) . . . . . . . . . . Martin Zeil (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Silberhorn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kurt Bodewig (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Diether Dehm (DIE LINKE) . . . . . . . . Dr. Stephan Eisel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 7: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Reform des Verfahrens in Fami- liensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG- Reformgesetz – FGG-RG) (Drucksache 16/6308) . . . . . . . . . . . . . . . b) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines 12203 A 12203 C 12205 A 12206 B 12208 A 12209 D 12210 D 12212 B 12213 B 12214 D 12215 D 12217 B 12218 A 12219 C Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 V Gesetzes zur Klärung der Vaterschaft unabhängig vom Anfechtungsverfahren (Drucksache 16/6561) . . . . . . . . . . . . . . . . c) Erste Beratung des vom Bundesrat einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes über genetische Untersuchungen zur Klä- rung der Abstammung in der Familie (Drucksache 16/5370) . . . . . . . . . . . . . . . . Brigitte Zypries, Bundesministerin BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ute Granold (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . Jörn Wunderlich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christine Lambrecht (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Jürgen Koppelin, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Birgit Homburger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Missbilligung der Äuße- rungen des Bundesministers der Verteidi- gung Dr. Franz Josef Jung zum Abschuss von in Terrorabsicht entführten Flugzeu- gen (Drucksache 16/6490) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Bernd Siebert (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Jan Korte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . Olaf Scholz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gert Winkelmeier (fraktionslos) . . . . . . . . . . . Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12219 C 12219 C 12219 D 12221 A 12222 A 12223 C 12224 C 12225 C 12226 D 12228 B 12228 B 12229 A 12230 A 12231 D 12232 C 12234 B 12235 B 12236 A 12238 A Tagesordnungspunkt 9: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Jens Ackermann, Kerstin Andreae, Ingrid Arndt-Brauer und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes zur Verankerung der Generationengerech- tigkeit (Generationengerechtigkeitsge- setz) (Drucksache 16/3399) . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Diana Golze, Katja Kipping, Jan Korte, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Soziale Gerechtigkeit statt Generatio- nenkampf – Für eine nachhaltige Poli- tik des Sozialstaates im Interesse von Jung und Alt (Drucksache 16/6599) . . . . . . . . . . . . . . . Peter Friedrich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Daniel Bahr (Münster) (FDP) . . . . . . . . . . . . Jens Spahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Anna Lührmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Katja Kipping (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Dr. Carl-Christian Dressel (SPD) . . . . . . . . . . Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Katja Kipping (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lutz Heilmann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU) . . . . . . Tagesordnungspunkt 10: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Arbeit und Soziales – zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Schneider (Saarbrücken), Klaus Ernst, Dr. Lothar Bisky, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Zwangsverren- tung stoppen – Beschäftigungsmöglich- keiten Älterer verbessern 12236 A 12236 B 12236 C 12240 B 12241 B 12242 C 12243 D 12244 A 12245 B 12246 C 12247 C 12247 D 12248 A 12248 B 12248 C VI Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 – zu dem Antrag der Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Brigitte Pothmer, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zwangsverrentung von Langzeitarbeits- losen ausschließen (Drucksachen 16/5902, 16/5429, 16/6625) . . Anton Schaaf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Karl Schiewerling (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 11: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsbera- tungsrechts (Drucksachen 16/3655, 16/6634) . . . . . . . . . . Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mechthild Dyckmans (FDP) . . . . . . . . . . . . . Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Jörn Wunderlich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christoph Strässer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 12: Antrag der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Kerstin Andreae, Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Rechte der Ver- braucherinnen und Verbraucher beim Ver- kauf von Immobilienkrediten stärken (Drucksache 16/5595) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Carl-Ludwig Thiele (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Otto Bernhardt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 12250 A 12250 B 12251 C 12252 C 12254 C 12255 B 12256 C 12256 C 12257 C 12258 C 12260 A 12261 B 12262 A 12263 B 12263 C 12264 C 12266 A Dr. Hans-Ulrich Krüger (SPD) . . . . . . . . . . . Dr. Axel Troost (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 15: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Bildung, Forschung und Tech- nikfolgenabschätzung – zu dem Antrag der Abgeordneten Marcus Weinberg, Ilse Aigner, Michael Kretschmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Ernst Dieter Rossmann, Jörg Tauss, Nicolette Kressl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Bildungsbe- richterstattung fortführen und weiter- entwickeln – zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Pieper, Patrick Meinhardt, Uwe Barth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Bildungsberichterstattung in Deutschland und deren Weiterentwick- lung – zu dem Antrag der Abgeordneten Priska Hinz (Herborn), Kai Gehring, Krista Sager, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Bildungsforschung und Bildungsbe- richterstattung stärken (Drucksachen 16/5415, 16/5409, 16/5412, 16/6614) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 14: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Kultur und Medien zu dem An- trag der Abgeordneten Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Christoph Waitz, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der FDP: Klare Konzepte für den Bau des Berliner Schlosses (Drucksachen 16/5961, 16/6595) . . . . . . . . . . Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP) . . . . . . Tagesordnungspunkt 17: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Förderung der betrieblichen Al- tersversorgung (Drucksache 16/6539) . . . . . . . . . . . . . . . 12267 C 12269 A 12269 C 12270 B 12270 C 12272 A Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 VII b) Antrag der Abgeordneten Dr. Heinrich L. Kolb, Christian Ahrendt, Daniel Bahr (Münster), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Abgabenfreie Entgelt- umwandlung über 2008 hinaus fortfüh- ren und ausbauen (Drucksache 16/6433) . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 8: Antrag der Abgeordneten Irmingard Schewe- Gerigk, Birgitt Bender, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Beitragsfreie Entgeltumwandlung – Erst prüfen, dann entscheiden (Drucksache 16/6606) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 16: Beschlussempfehlung und Bericht des Innen- ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Petra Pau, Sevim Dağdelen, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Bleiberecht als Menschenrecht (Drucksachen 16/3912, 16/4827) . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 19: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Modernisierung des Rechts der landwirtschaftlichen Sozialversicherung (LSVMG) (Drucksache 16/6520) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unterrichtung durch den Präsidenten des Bundesrechnungshofes: Bericht nach § 99 der Bundeshaushaltsordnung über die Umsetzung und Weiterentwicklung der Organisationsreform in der land- wirtschaftlichen Sozialversicherung (Drucksache 16/6147) . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 18: Antrag der Abgeordneten Krista Sager, Kai Gehring, Priska Hinz (Herborn), weiterer Ab- geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Kooperation und Koordi- 12272 A 12272 A 12272 B 12272 C 12272 D nation im Europäischen Forschungsraum verbessern (Drucksache 16/6454) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 21: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Neunten Ge- setzes zur Änderung des Versicherungsauf- sichtsgesetzes (Drucksache 16/6518) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 20: a) Antrag der Abgeordneten Elke Hoff, Dr. Werner Hoyer, Dr. Karl Addicks, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Deutschland muss rüstungskon- trollpolitische Glaubwürdigkeit bewei- sen – Angepassten KSE-Vertrag dem Deutschen Bundestag zur Abstimmung vorlegen (Drucksache 16/6431) . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Winfried Nachtwei, Alexander Bonde, Jürgen Trittin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Angepassten Vertrag über Konventio- nelle Streitkräfte in Europa ratifizieren (Drucksache 16/6605) . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 9: Antrag der Abgeordneten Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Eckart von Klaeden, Anke Eymer (Lübeck), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Rolf Mützenich, Gert Weisskirchen (Wiesloch), Niels Annen, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Die Krise des KSE-Vertrages durch neue Impulse für konventionelle Abrüstung und Rüstungskontrolle in Europa beenden (Drucksache 16/6603) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 23: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetz- buch und anderer Gesetze (Drucksache 16/6540) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12273 A 12273 A 12273 B 12273 C 12273 C 12273 D VIII Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 Tagesordnungspunkt 22: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Abge- ordneten Cornelia Behm, Undine Kurth (Quedlinburg), Ulrike Höfken, Bärbel Höhn und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Dem Verlust an Agrobiodiversität entgegenwirken (Drucksachen 16/5413, 16/5752) . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 25: Antrag der Abgeordneten Klaus Brähmig, Jürgen Klimke, Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof), weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Annette Faße, Brunhilde Irber, Renate Gradistanac, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Messen und Geschäftsrei- sen als Chance für den Tourismusstandort Deutschland (Drucksache 16/5958) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 24: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Verkehr, Bau und Stadtentwick- lung zu dem Antrag der Abgeordneten Horst Friedrich (Bayreuth), Michael Kauch, Jan Mücke, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der FDP: Oldtimer von Feinstaub- Fahrverboten ausnehmen (Drucksachen 16/4060, 16/6327) . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 10: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Wohngeldrechts und zur Änderung anderer wohnungsrechtlicher Vorschriften (Drucksache 16/6543) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 12274 A 12274 B 12274 C 12275 A 12275 C 12277 A Anlage 2 Mündliche Frage 11 Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Speicherung von IP-Adressen und weiteren Daten von Nutzern der Internetseiten von Bundesministerien und nachgeordneten Einrichtungen unter anderem durch das Bundeskriminalamt, insbesondere vor dem Hintergrund des Berufungsurteils des Landgerichts Berlin gegen das Bundesjus- tizministerium Antwort Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär BMI (117. Sitzung, Tagesordnungspunkt 2) . . . . . . Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu den Anträgen: – Bildungsberichterstattung fortführen und weiterentwickeln – Bildungsberichterstattung in Deutschland und deren Weiterentwicklung – Bildungsforschung und Bildungsbericht- erstattung stärken (Tagesordnungspunkt 15) Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) . . . . . . . . . Cornelia Pieper (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Cornelia Hirsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Andreas Storm, Parl. Staatssekretär BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Klare Konzepte für den Bau des Berliner Schlosses (Tagesordnungspunkt 14) Renate Blank (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Petra Weis (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12277 C 12278 A 12279 D 12281 A 12281 D 12282 C 12284 A 12284 B Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 IX Dr. h. c. Wolfgang Thierse (SPD) . . . . . . . . . . Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der betrieblichen Altersversorgung – Antrag: Abgabenfreie Entgeltumwand- lung über 2008 hinaus fortführen und aus- bauen – Antrag: Beitragsfreie Entgeltumwandlung – Erst prüfen, dann entscheiden (Tagesordnungspunkt 17 und Zusatztagesord- nungspunkt 8) Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . . . . Gabriele Hiller-Ohm (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gerd Andres, Parl. Staatssekretär BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Bleiberecht als Menschenrecht (Tagesord- nungspunkt 16) Reinhard Grindel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Rüdiger Veit (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) . . . . . . . . Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12284 C 12285 B 12285 D 12286 B 12287 C 12289 A 12290 A 12291 C 12292 B 12292 D 12293 D 12294 C 12295 C 12296 D Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zur Modernisie- rung des Rechts der landwirtschaftlichen Sozialversicherung (LSVMG) – Unterrichtung: Bericht nach § 99 der Bun- deshaushaltsordnung über die Umsetzung und Weiterentwicklung der Organisations- reform in der landwirtschaftlichen Sozial- versicherung (Tagesordnungspunkt 19 a und b) Gitta Connemann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Marlene Mortler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD) . . . . . . . Dr. Edmund Peter Geisen (FDP) . . . . . . . . . . Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . . . Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gerd Andres, Parl. Staatssekretär BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Kooperation und Koordination im Europäischen Forschungsraum verbessern (Tagesordnungspunkt 18) Carsten Müller (Braunschweig) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . René Röspel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Cornelia Pieper (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Krista Sager (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Än- derung des Versicherungsaufsichtsgesetzes (Tagesordnungspunkt 21) Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU) . . . . . . . . 12297 B 12299 A 0000 A12300 B 12301 A 12301 D 12302 C 12303 B 12304 A 12305 D 12307 B 12308 D 12310 B 12311 B X Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . . . . Frank Schäffler (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Deutschland muss rüstungskontrollpoliti- sche Glaubwürdigkeit beweisen – Ange- passten KSE-Vertrag dem Deutschen Bun- destag zur Abstimmung vorlegen – Angepassten Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa ratifizieren – Die Krise des KSE-Vertrages durch neue Impulse für konventionelle Abrüstung und Rüstungskontrolle in Europa beenden (Tagesordnungspunkt 20 a und b und Zusatz- tagesordnungspunkt 9) Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Rolf Mützenich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Elke Hoff (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE) . . . . . . . . . Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und an- derer Gesetze (Tagesordnungspunkt 23) Michael Hennrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Anton Schaaf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Heinz-Peter Haustein (FDP) . . . . . . . . . . . . . Katja Kipping (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12312 B 12313 D 12314 B 12315 A 12316 A 12317 C 12318 C 12319 C 12320 A 12321 C 12324 A 12325 B 12326 B 12327 A Gerd Andres, Parl. Staatssekretär BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Dem Verlust an Agrobiodiversität entgegen- wirken (Tagesordnungspunkt 22) Johannes Röring (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Dr. Gerhard Botz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Gabriele Groneberg (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Edmund Peter Geisen (FDP) . . . . . . . . . . Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . . . Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Messen und Geschäftsreisen als Chance für den Tourismusstandort Deutsch- land (Tagesordnungspunkt 25) Klaus Brähmig (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU) . . . . . Brunhilde Irber (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ernst Burgbacher (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Oldtimer von Feinstaub-Fahrver- boten ausnehmen (Tagesordnungspunkt 24) Dr. Andreas Scheuer (CDU/CSU) . . . . . . . . . Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD) . . . . . . . . . . Patrick Döring (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lutz Heilmann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12327 C 12328 A 12329 B 12330 A 12330 C 12331 C 12332 B 12333 A 12334 A 12335 A 12336 C 12337 C 12338 B 12338 D 12340 A 12341 A 12342 B 12343 B Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 XI Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Wohngeldrechts und zur Änderung ande- rer wohnungsrechtlicher Vorschriften (Zusatz- tagesordnungspunkt 10) Gero Storjohann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Sören Bartol (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Joachim Günther (Plauen) (FDP) . . . . . . . . . Heidrun Bluhm (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karin Roth, Parl. Staatssekretärin BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .12344 B 12345 A 12346 A 12346 C 12347 B 12348 A Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 12137 (A) (C) (B) (D) 118. Si Berlin, Donnerstag, d Beginn: 9
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    1) Anlage 15 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 12277 (A) (C) (B) (D) rungspraxis auswirkt, wird zurzeit geprüft. Die Bundes- regierung nimmt keine Fangschaltungen vor (vergleiche Angelica der Abrechnung kostenpflichtiger Internetangebote und/ oder für statistische Zwecke protokolliert. In welcher Weise sich das Urteil des LG Berlin vom 6. September 2007 (Az. 23 S 3/07) auf diese Speiche- Schauerte, Hartmut CDU/CSU 11.10.2007 Schily, Otto SPD 11.10.2007 Dr. Schwall-Düren, SPD 11.10.2007 Anlage 1 Liste der entschuldi Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Beck (Bremen), Marieluise BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 11.10.2007 Bellmann, Veronika CDU/CSU 11.10.2007 von Bismarck, Carl Eduard CDU/CSU 11.10.2007 Deligöz, Ekin BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 11.10.2007 Dr. Faust, Hans Georg CDU/CSU 11.10.2007 Dr. Happach-Kasan, Christel FDP 11.10.2007 Kasparick, Ulrich SPD 11.10.2007 Kramme, Anette SPD 11.10.2007 Lämmel, Andreas G. CDU/CSU 11.10.2007 Lafontaine, Oskar DIE LINKE 11.10.2007 Dr. Lippold, Klaus W. CDU/CSU 11.10.2007 Merten, Ulrike SPD 11.10.2007 Dr. Müller, Gerd CDU/CSU 11.10.2007 Müller (Düsseldorf), Michael SPD 11.10.2007 Nitzsche, Henry fraktionslos 11.10.2007 Dr. Paech, Norman DIE LINKE 11.10.2007 Pflug, Johannes SPD 11.10.2007* Riester, Walter SPD 11.10.2007 Roth (Esslingen), Karin SPD 11.10.2007 Rupprecht (Tuchenbach), Marlene SPD 11.10.2007 Anlagen zum Stenografischen Bericht gten Abgeordneten * für die Teilnahme an der 117. Jahreskonferenz der Interparlamenta- rischen Union Anlage 2 Antwort des Parl. Staatssekretärs Peter Altmaier auf die Frage des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (117. Sitzung, Drucksache 16/6571, Frage 11): Welche Bundesministerien nebst nachgeordnetem Bereich speichern von Besuchern ihrer Internetseiten deren IP-Adres- sen, abgefragte Dateien oder Zugriffszeiten über die Dauer des jeweiligen Besuchs hinaus, wie etwa das Bundeskriminal- amt es bei 417 Interessenten für die „militante gruppe“ allein binnen drei Wochen im März/April 2007 tat, und wird die Bundesregierung derartige Fangschaltungen sowie etwaige si- cherheitsbehördliche Nachermittlungen über die Besucher – wie im genannten Fall des Bundeskriminalamts – nun kurz- fristig und vollständig unterbinden, nachdem das Landgericht Berlin mit Berufungsurteil vom 6. September 2007 (Az. 23 S 3/07) dem Bundesministerium der Justiz derlei rechtskräftig verboten hat? Die überwiegende Zahl der Ressorts und, soweit dies in der Kürze der Zeit ermittelt werden konnte, deren nachgeordnete Behörden speichern die IP-Adressen der Besucher ihrer Internetseiten bzw. lassen diese durch be- auftragte Unternehmen speichern. Dies geschieht grund- sätzlich nur temporär und ausschließlich aus IT-sicher- heitstechnischen und/oder statistischen Gründen. BMBF, BMAS, der Bundesrechnungshof und das BKA nehmen keine generelle Speicherung der IP-Adressen vor. Bei dem Bundesministerium der Justiz werden weder die IP- Adressen noch andere personenbezogene Daten der Per- sonen protokolliert, die die Internetseite des Bundesmi- nisteriums der Justiz aufrufen. Im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz werden IP-Adressen bei dem Bundesgerichtshof, dem Bundesfinanzhof, dem Bundesverwaltungsgericht, dem Bundespatentgericht und dem Deutschen Patent- und Markenamt für Zwecke Strothmann, Lena CDU/CSU 11.10.2007 Toncar, Florian FDP 11.10.2007 Wanderwitz, Marko CDU/CSU 11.10.2007 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich 12278 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) Antwortteil 1). Eine abschließende Bewertung des Ur- teils und den daraus zu ziehenden Konsequenzen hat in der Mehrzahl der Ressorts noch nicht stattgefunden. BMBF und BMJ haben die Erhebung von IP-Adressen infolge des Urteils gestoppt. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu den Anträgen: – Bildungsberichterstattung fortführen und weiterentwickeln – Bildungsberichterstattung in Deutschland und deren Weiterentwicklung – Bildungsforschung und Bildungsbericht- erstattung stärken (Tagesordnungspunkt 15) Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Der erste natio- nale Bildungsbericht und die Maßstäbe und Erwartungen der Fraktionen an die Fortsetzung dieses neuen Instru- ments der Bildungspolitik sind offensichtlich ein Gegen- stand der „indirekten Rede“. So war es bereits bei der ersten sogenannten Aussprache hierzu am 24. Mai 2007, übrigens fast ein Jahr nach Vorlage dieses ersten nationa- len Bildungsberichtes im Juni 2006. Das parlamentari- sche Instrument, Reden zu Protokoll geben zu können, sorgt aber immerhin dafür, dass man, bei allen Nuancen, wechselseitig davon lesen konnte, dass diese Initiative der damaligen SPD-geführten Bundesregierung und ih- rer Bildungsministerin Edelgard Bulmahn in allen Frak- tionen des Parlaments breit akzeptiert ist und für die Zu- kunft weiter fruchtbar gemacht werden soll. Diese „indirekte Rede“ über den ersten nationalen Bildungsbe- richt setzen wir jetzt mit der abschließenden Beratung der vorgelegten Anträge zur Bildungsberichterstattung in der gleichen Weise fort: Wir geben zu Protokoll. Auf nochmalige Auseinandersetzung mit den vorge- legten Anträgen möchte ich hier deshalb verzichten. Dieses kann nachgelesen werden in der zu Protokoll ge- gebenen Debatte vom 24. Mai 2007. Wir haben uns hierzu im Übrigen auch in der Ausschusssitzung ausge- tauscht. Mit ihrem Antrag, „Bildungsberichterstattung fortführen und weiterentwickeln“ legen die Koalitions- fraktionen ein Konzept vor, das die mit dem ersten natio- nalen Bildungsbericht gemachten Erfahrungen positiv aufgreift und den Regierungen des Bundes und der Län- der zusätzliche Forderungen mit auf den Weg gibt, die in der Fortführung dieser Arbeit Berücksichtigung finden müssen. Zur abschließenden Beratung unserer Anträge über die Bildungsberichterstattung möchte ich darüber hinaus die folgenden Punkte zu Protokoll geben: Erstens. Es war schon ein Dilemma, dass der gemeinsam von Bund und Ländern herausgegebene nationale Bildungsbericht erst ein Jahr nach seiner öffentlichen Vorstellung Gegen- stand der Parlamentsdebatte im Deutschen Bundestag gewesen ist und dass es nach meinem Wissen bisher gar keine Debatte in Länderparlamenten gegeben hat. Dieses muss mit dem 2008 vorzulegenden zweiten Bildungsbe- richt grundlegend verändert werden. Wir erwarten, dass sich die Bundesbildungsministerin mit diesem Bericht der Diskussion im Parlament stellt, dass dieser nationale Bildungsbericht eine seiner Bedeutung entsprechende Position im Parlamentsbetrieb bekommt und über die Einbringung und die Debatte in der Sache auf einen in das Land hineinreichenden Impuls für eine kritische und weiterführende Bestandsaufnahme gesetzt wird. Als dringende Bitte an die Bundesbildungsministerin gilt, ein solches Verfahren bereits mit der Erstellung des zweiten Bildungsberichtes zu vereinbaren und die Bil- dungsminister der Länder wie die Bundesregierung ins- gesamt hierauf einzuschwören. Nationale Bildungsbe- richte, die zu nachtschlafender Zeit im Parlament unter „ferner liefen“ abgehandelt werden, entwerten sich selbst, schädigen den gerade angestrebten notwendigen Impuls und verschenken im Übrigen die große Chance, die von allen eingeforderte nationale Bildungsoffensive tatsächlich voranzubringen. Wo kommen wir eigentlich hin, wenn die Nachricht von einem angestrebten Bil- dungsgipfel mehr Aufmerksamkeit findet als die fun- dierte wissenschaftliche Ausarbeitung und die Empfeh- lungen einer unabhängigen Expertenkommission, die dann noch einmal von den Ländern wie dem Bund auf einen Konsens in der Sache gebracht worden sind? Und das erstmals für alle Bereiche des Lernens im Sinne der neuen Philosophie des lebenslangen Lernens! Zweitens. Bildungsberichterstattung und Bildungsfor- schung gehören in der Sache zusammen. Als Sozialde- mokraten begrüßen wir es, dass die nationale Bildungs- forschung ausgebaut werden soll. Trotz der gestiegenen Anforderungen in der Forschung an Bildungszusammen- hängen bestehen weiterhin deutliche Lücken. Die nach der Föderalismusreform noch bestehenden Möglichkei- ten des Bundes in diesem Bereich sollten dazu genutzt werden, diese Lücken zu schließen. Die wissenschaftli- che Beobachtung im Bereich der frühkindlichen Bildung muss sich auch im Bildungsforschungsprogramm der Bundesregierung niederschlagen. Wir stehen hier voll zu den Vorschlägen, die die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in Bezug auf ein Gesamtkonzept zur Erfor- schung der frühkindlichen Bildung erst kürzlich gemacht hat. Zudem wird sich die SPD-Bundestagsfraktion dafür einsetzen, die wissenschaftliche Begleitforschung zum Ganztagsschulprogramm im Rahmen der Bildungsfor- schung fortzusetzen, über das Ende des Investitionspro- gramms im Jahr 2009 hinaus. Unseres Erachtens hat sich hier eine Form von Handlungsforschung aufgebaut, die wir – im engen Zusammenwirken von wissenschaftli- cher Analyse und handlungsorientierter Beratung – für das, was wir auch in anderen Bereichen der Erneuerung unseres Bildungssystems leisten müssen, dringend brau- chen. Einen Beitrag zur Handlungsorientierung verspre- chen wir uns auch von dem Großprojekt des Bildungs- panels. Es liegt in der Natur der Sache, dass eine solche Langzeitstudie nicht kurzfristig Erkenntnisse bringen kann. Mittelfristig sollte sie dies aber schon; denn gerade Verbesserungen an den Schnittstellen im Prozess des le- benslangen Lernens dulden keinen Aufschub. Unsere Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 12279 (A) (C) (B) (D) Bemühungen gehen deshalb dahin, nicht nur ein grund- ständiges Bildungspanel, sondern zum Prozess des lebenslangen Lernens auch Sonderpanels zu den konkre- ten Umbruchphasen respektive Schnittstellen aufzule- gen. Drittens. Auch wenn wir im Parlament nicht in die sachliche Aussprache zu den Ergebnissen des ersten vor- gelegten Bildungsberichtes eingestiegen sind, sollen hier dennoch ein paar grundsätzliche Erkenntnisse angespro- chen werden. Für uns Sozialdemokraten ist von beson- derem Interesse, dass Grundbildung für alle im Sinne von Mindestbildung und Chancengleichheit stärker in den Blick genommen wird. Wir haben in Deutschland noch einen zu hohen Grad von funktionalem Analphabe- tismus. Ein Anteil von über 10 Prozent der jungen Men- schen ohne Schulabschluss ist für ein hochentwickeltes Land nicht hinnehmbar. Die Zahl der jungen Menschen, die ohne Berufsabschluss bleibt, ist erschreckend hoch. 40 Prozent an sogenannten Studienabbrechern werfen die Frage nach der Leistungsfähigkeit unseres Hoch- schulsystems bei der Vermittlung von wissenschaftlicher Berufsqualifikation auf. Eine rückläufige Weiterbil- dungsbeteiligung im Widerspruch zu den Tendenzen in den erfolgreichen Bildungsnationen Europas wird schon mittelfristig massive Auswirkungen auf die Leistungsfä- higkeit der Wirtschaft und die Innovationsfähigkeit un- serer Gesellschaft insgesamt haben. Auf diese Fragen müssen sich Bildungsforschung, Bildungsberichterstat- tung und vor allem Bildungsreform unseres Erachtens konzentrieren. Wir wollen gerne anerkennen, dass es durchaus hoff- nungsvolle Entwicklungen gibt. Die Anerkennung des Rechtsanspruchs jedes Kindes auf frühkindliche Bildung ist von Renate Schmidt als Bundesfamilienministerin in der rot-grünen Regierungszeit eingeleitet worden. Wir können uns nur darüber freuen, dass die Nachfolge- ministerin aus dem konservativen Bereich diese Ideen aufgenommen hat und wir auch hier einen Konsens ge- funden haben. Was vor einiger Zeit noch unvorstellbar war, verdichtet sich auch im schulischen Bereich zu ei- ner raumgreifenden Bildungsreform: Nicht mehr die frühe Trennung in der weltweit fast einmaligen Mehr- gliedrigkeit unseres Schulsystems, sondern das längere gemeinsame Lernen werden zu Bildungsphilosophie und Praxis in Deutschland. Nicht zuletzt das Ganztagsschul- programm des Bundes, das von Gerhard Schröder und Edelgard Bulmahn gegen härteste Widerstände der kon- servativen Seite eingeführt worden ist, ist mittlerweile breiter Konsens. Wenn selbst Hessens Extremföderalist Koch sich, wie kürzlich auf dem Ganztagsschulkongress des Bundes geschehen, zum Fürsprecher des Programms zum Aufbau von Ganztagsschulen macht, ist schon vie- les erreicht. Und mit dem ersten Integrationsgipfel, der ein breites Handlungsprogramm speziell zur Förderung von zugewanderten Kindern und Jugendlichen gebracht hat, haben sich alle politischen und gesellschaftlichen Kräfte vieles vorgenommen, was unter der Lebenslüge, Deutschland sei kein Einwanderungsland, von konserva- tiver Seite viel zu lange zugedeckt wurde. Auch hier sind also offensichtlich Reformen im besten Sinne, nämlich für mehr Chancengleichheit und Bildung für alle auf dem Weg. Wir sind zuversichtlich, dass die nächsten Ausgaben des nationalen Bildungsberichtes hierzu die entsprechenden kritischen, aber wegweisenden weiteren Zwischenschritte und Perspektiven dokumentieren kön- nen. Viertens. Als Sozialdemokraten treten wir sehr enga- giert dafür ein, mit Blick auf den nationalen Bildungs- bericht die internationale Perspektive nicht auszublen- den. So wichtig es ist, eine umfassende, breit anerkannte nationale Bestandsaufnahme zu machen, so wenig kön- nen wir darauf verzichten, in den internationalen Ver- gleich in Bezug auf die Leistungsfähigkeit unseres Bildungssystems im Sinne des lebenslangen Lernens einzutreten. Wir müssen nun einmal anerkennen, dass die entscheidende Bewegung auch in der deutschen Bil- dungsdebatte nicht durch den Vergleich der Bundeslän- der, sondern durch den PISA-Vergleich der Kompe- tenzentwicklung im Rahmen der OECD und speziell im europäischen Vergleich entstanden ist. An dieser Stelle treten wir als Sozialdemokraten sehr engagiert dafür ein, nicht vor weiteren Vergleichen mit neuen Aufgabenfel- dern zurückzuschrecken. Das gilt unseres Erachtens für den Vergleich von Lehrerausbildung wie Lehrerqualifi- kation und es gilt auch für das sogenannte Hochschul- PISA. Der internationale Vergleich heißt gerade nicht, von besonderen nationalen Bedingungen und Kulturen abzusehen, aber sich diesen kritisch zu stellen und im Vergleich Ansprüche, Konzepte und Handlungsmöglich- keiten zu überprüfen. Auch deshalb haben wir von der SPD-Seite nicht verstanden, mit welcher Mischung aus Bigotterie und Hartnäckigkeit zum Beispiel konservative Kräfte die Hinweise des UN-Bildungsberichterstatters Muñoz abgewehrt haben. Es hätte uns doch in der Sache und vom Prinzip her gut angestanden, sich offen, selbst- kritisch, aber auch selbstbewusst mit einer solchen Sicht von außen auseinanderzusetzen. Um es noch einmal deutlich zu sagen: Nationale Bildungsberichterstattung darf gerade den Blick nicht nur auf sich selbst richten, sondern muss die gesamte Bestandsaufnahme der Ent- wicklung in Deutschland so vornehmen, dass Stärken und Schwächen im internationalen Vergleich, positive und negative Entwicklungen, zukünftige Problemlagen und Vorbilder zu deren Bewältigung im nationalen Rah- men aus dem internationalen Kontext heraus besser ver- standen, zielgerechter entwickelt und erfolgreicher um- gesetzt werden können. Wir sind zuversichtlich, dass die von Edelgard Bulmahn und den damaligen Regierungskräften aus SPD und Grünen angestoßene Entwicklung, hierzu auch durch eine nationale Bildungsberichterstattung beizutra- gen, nicht mehr angehalten werden kann, sondern im Konsens wie im konstruktiven Streit in Deutschland für die Zukunft zu fruchtbaren Ergebnissen führen wird. Cornelia Pieper (FDP): Mit dem nationalen Bil- dungsbericht „Bildung in Deutschland“ erfolgte im Jahr 2006 erstmalig eine eingehende Darstellung des Bil- dungssystems Deutschlands. Diesem echten Meilen- stein auf dem Weg zu mehr Transparenz gingen jedoch mühsame und langwierige Verhandlungen voraus. 12280 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) Mit dem Antrag „Vorlage eines nationalen Bildungs- berichts“ (Drucksache 14/7078) forderte die FDP-Frak- tion schon im Jahr 2001 die damalige rot-grüne Bundes- regierung dazu auf, das deutsche Bildungswesen unter die Lupe zu nehmen. Dem liberalen Antrag folgten ähn- lich lautende Initiativen der CDU und der Koalition von SPD und Grünen. Offensichtlich wurde, nachdem jahrelang die Augen vor der bittereren Realität verschlossen wurden, die drin- gende Notwendigkeit einer umfassenden empirischen Bestandsaufnahme von allen Seiten erkannt und dies auch per Antrag dokumentiert. Tatsächlich ist der Bericht „Bildung in Deutschland“ den hohen Erwartungen gerecht geworden. Er informiert über die Wirklichkeit in deutschen Kindertagesstätten, Klassenzimmern und Hörsälen. Mit dem ihm zugrunde liegenden problemorientierten Ansatz und der Möglich- keit, verlaufsbezogene Fragestellungen zu erörtern, ist der Bildungsbericht ein wertvolles Instrument zur Quali- tätsverbesserung von Bildung. Vor allem in einem föderalen Bildungsraum, wie wir ihn in Deutschland haben, bedarf es einer kontinuierli- chen Beleuchtung der Prozesse und Entwicklungen – be- sonders auf Ebene der Länder. Wir können und dürfen es nicht zulassen, dass das Licht, welches seitens der ver- gleichenden Bildungsstudien (hier wäre beispielsweise PISA-E zu nennen) die haarsträubenden Differenzen und das Bildungsgefälle zwischen Nord und Süd, Ost und West beleuchtet, einfach wieder ausgeknipst wird. Insbe- sondere der Bildungsföderalismus nötigt uns dazu, Ver- gleiche zur Orientierung und Beförderung des Wettbe- werbs anzustrengen. Ohne die öffentlichkeitswirksame Dokumentation der länderspezifischen Leistungsniveaus würde das deutsche Bildungswesen wieder im Dunkel der Vor-PISA-Ära versinken. Wer Wettbewerb zwischen den Bildungseinrichtungen will, muss auch für Transpa- renz der Leistungsergebnisse sorgen. Vor allem sollte die KMK ihrem neuen Auftrag nach der Föderalismusre- form als gesamtstaatlicher Koordinator von Bildung ge- recht werden und für bundesweit vergleichbare Schulab- schlüsse und eine bundeseinheitliche Lehrerausbildung sorgen. Der Europäische Qualifikationsrahmen (EQR) wird genau das von uns abverlangen. Betrachtet man die Anträge der Koalition und von Bündnis 90/DIE GRÜNEN, so kommt man zu dem Schluss, dass die Bedeutung der Bildungsforschung und Bildungsberichterstattung erkannt worden ist. Dem Antrag der Koalition und den darin enthaltenen Aussagen und Forderungen könnte man sich in wesentli- chen Teilen anschließen. Insbesondere die Betonung der Notwendigkeit einer politischen Unabhängigkeit bei der Bildungsberichterstattung erscheint mir sehr wichtig. Wenn wir tatsächlich mit dem Bildungsbericht ein In- strument der bildungspolitischen Steuerung, auch als Orientierungsrahmen für die Länder, entwickeln, dann dürfen hier ideologiegestützte und unfundierte Forderun- gen keinen Raum finden. Andernfalls wäre der Bericht nicht das Papier wert, auf dem er gedruckt ist. Leider thematisiert der Antrag von CDU/CSU und SPD die Er- gebnisse der Anhörung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technologiefolgenabschätzung nicht. Dadurch wird die Chance vertan, wichtige Hinweise der Sachverständigen für die künftige Ausgestaltung des Be- richts aufzunehmen. Das ist unser hauptsächlicher Kri- tikpunkt. Der Antrag der Grünen geht auf die Auswirkung und Bedeutung des Ausbaus der Bildungsforschung und die Umsetzung der Ergebnisse in bildungspolitischen Ent- scheidungen von Bund und Ländern im Rahmen des Artikels 91 b GG ein. Im Großen und Ganzen teilen wir die ausführliche Darstellung der veränderten Rahmenbe- dingungen und der sich hieraus ergebenden Notwendig- keiten. Allerdings belassen es die Grünen nicht hierbei, sondern ziehen mit der Forderung, den Autoren des Bil- dungsberichtes Handlungsempfehlungen abzuverlan- gen, die falschen Konsequenzen. Denn die Berichterstat- tung lebt gerade von der politischen Neutralität – sie soll die Bildungsrealität transparent machen. Man kann den verantwortlichen Wissenschaftlern nicht zumuten, die politischen Entscheidungen vorwegzunehmen. Die Poli- tik ist gefordert, die richtigen Entscheidungen auf der Grundlage der wissenschaftlichen Erkenntnisse zu tref- fen. Im Unterschied zum Antrag der Koalition geht unser Antrag auf die Folgerungen und Empfehlungen der An- hörung im Ausschuss ein. Wir wollen die, insbesondere von den Sachverständigen, als extrem wichtig erachteten Themen mit aufnehmen. Dementsprechend hält die FDP-Fraktion die Erörterung von Fragen der Lehreraus- und Weiterbildung, des Lernumfeldes und Lernverhal- tens, Pro-Kopf-Ausgaben für Bildung für sehr brisant. Auch die Entwicklung der Angebote im Rahmen des le- benslangen Lernens sollten stärker fokussiert werden, da wir hierbei durch große Defizite im internationalen Be- reich auffällig geworden sind. Nicht vergessen werden sollte die Analyse übergreifender Entwicklungen, wie zum Beispiel die Untersuchung der Bedeutung und Ent- wicklung der Eigenverantwortlichkeit und Autonomie oder die enorme Resonanz von Schulen in freier Träger- schaft im deutschen Bildungsraum. Gerade in der vor kurzem eingegangenen Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion FDP über „Entwicklung der Schulen in Freier Träger- schaft in Deutschland“ (Drucksache 16/6480) wurde die mangelhafte Kenntnis der Verantwortlichen über die Si- tuation freier Schulen deutlich. Dementsprechend leitete die Bundesregierung die erste Frage mit dem Satz ein: „In der deutschen Schulforschung wird den Privatschu- len bisher kaum Aufmerksamkeit geschenkt; insbeson- dere fehlen aussagekräftige Schulleistungsvergleiche zwischen staatlichen und privaten Schulen.“ Zu Bezu- schussung, Förderung, Schulgeld, rechtlichen Rahmen- bedingungen konnte die Bundesregierung auch keine Aussage treffen. Ein Indiz dafür, wie wichtig es ist, dass wir uns diesem Thema widmen. Wir begrüßen die Absicht, die Bildungsberichterstat- tung fortzuführen und weiterzuentwickeln. Dabei müs- sen wir jedoch darauf drängen, dass wesentliche Fragen im Rahmen der Erstellung des Berichts mit aufgenom- men werden. Andererseits warnen wir vor einer Politi- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 12281 (A) (C) (B) (D) sierung der Dokumentation. Mit dem FDP-Antrag wer- den die wesentlichen Probleme fokussiert, ohne dabei der Berichterstattung den politischen Stempel aufzudrü- cken. Deswegen bitte ich um Zustimmung zu unserer Initiative. Cornelia Hirsch (DIE LINKE): Vor über einem Jahr wurde die Föderalismusreform verabschiedet. Die dort beschlossene Gemeinschaftsaufgabe „Bildungsbericht- erstattung“ steckt aber immer noch in den Kinderschu- hen. Die Veröffentlichung des ersten Bildungsberichtes konnte keine wesentlichen Impulse zur Weiterentwick- lung des Bildungssystems erbringen. Die Vorbereitung des zweiten Bildungsberichtes wird nicht zu einer öf- fentlichen Debatte über Probleme und Herausforderun- gen des Bildungssystems genutzt. So darf das nicht wei- tergehen. Die Misere unseres Bildungssystems ist viel zu groß. Wir dürfen nicht akzeptieren, dass – wie es der UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Bildung, Vernor Muñoz, festgestellt hat – das Recht auf Bildung missachtet und zum Teil mit den Füßen getreten wird. Wenn die Bildungsberichterstattung dazu beitragen soll, Missstände im deutschen Bildungssystem zu beseitigen, dann muss sie grundlegend anders ausgerichtet werden. Im Zentrum der Bildungsberichterstattung muss die öffentliche Debatte stehen. Mit der Erarbeitung und Ver- öffentlichung der Bildungsberichte muss diese befördert werden. Gemeinsam mit den Betroffenen aus Kitas, Schulen und Hochschulen müssen sich Wissenschaftle- rinnen und Wissenschaftler sowie Politikerinnen und Po- litiker darüber verständigen, welche Ziele sie sich im Bildungssystem setzen und wie sie die vor ihnen liegen- den Herausforderungen angehen wollen. Dazu ist es un- erlässlich, dass zukünftige Bildungsberichte klare und konkrete Empfehlungen an die Politik beinhalten. Der erste Bildungsbericht machte deutlich, dass eine reine Darstellung der Fakten zu so gut wie keinen politi- schen Handlungen führt. Damals verweigerte die Bun- desregierung den Autorinnen und Autoren, konkrete Handlungsoptionen aus den Analysen zum Bildungssys- tem abzuleiten. Daneben muss der zweite Bildungsbericht einige we- sentliche inhaltliche Lücken schließen, die im ersten Be- richt noch zu konstatieren waren. Zum einen fehlt eine Darstellung der Lehrerinnen- und Lehrerbildung. Außer- dem muss die Situation chronisch kranker und behinder- ter junger Menschen durchgängig und im Gesamten be- leuchtet werden. Hinzu kommt das Thema „Privatisierung der Bil- dung“. In den vergangenen Tagen und Wochen wurden vermehrt Zahlen zu den Entwicklungen an Privatschulen veröffentlicht. Aber nicht nur institutionell ist eine mas- sive Zunahme privatwirtschaftlich organisierter Bildung festzustellen. Neben verstärkter Werbung an Schulen, dem sogenannten Schulsponsoring, gewinnt auch die private Nachhilfe an Bedeutung. Die Bundesregierung darf sich dieser Entwicklung nicht versperren und muss die Gefahr der zunehmenden sozialen Ungleichheit er- forschen lassen. Doch selbst mit solchen punktuellen Verbesserungen könnte das Instrument der Bildungsberichterstattung nicht über seine Begrenztheit hinwegtäuschen. Die Linke hält weiterhin daran fest, dass die Föderalismus- reform I insbesondere aus bildungspolitischer Perspek- tive ein fataler Schritt war. Wir begrüßen, dass das mitt- lerweile bis ins Bundesministerium für Bildung und For- schung hinein erkannt wird und auf mehr Einheitlichkeit im Bildungssystem gedrungen wird. Umso wichtiger ist deshalb, dass die Föderalismus- reform II das Bildungssystem erneut in den Blick nimmt. Grundlegende Fehler müssen hier korrigiert und darüber hinaus müssen auch neue Vorschläge diskutiert werden. Die Linke fordert, dass bei der Föderalismusreform II zum Ziel gesetzt wird, eine bessere finanzielle Ausstat- tung für alle Bildungsphasen zu erreichen. Notwendig hierfür ist, dass eine neue Gemeinschaftsaufgabe „Bil- dungsfinanzierung“ geschaffen wird. Nur wenn Bund und Länder zukünftig gemeinsam die Möglichkeit ha- ben, bildungspolitische Maßnahmen zu finanzieren, kön- nen durch die Bildungsberichte aufgezeigte Probleme auch gelöst werden. Ansonsten läuft die Bildungsbe- richterstattung ins Leere. Denn nur, wenn sich Vorhaben und Programme auch finanziell untersetzen lassen, wer- den sie mehr als nur unverbindliche Ankündigungen. Der Antrag der Koalitionsfraktionen greift all diese Fragen und Probleme nicht auf. Er schlägt ein reines „Weiter so!“ vor. Auf diese Weise lässt sich die Misere des Bildungssystems nicht verbessern. Die Linke lehnt den Antrag aus diesem Grund ab. Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Meine heutige Rede zur Bildungsberichterstat- tung erscheint mir wie ein Déjà-vu: Alle Kritikpunkte, die ich bei der ersten Lesung äußerte, sind bis jetzt nicht ausgeräumt. Der Koalitionsantrag zur Bildungsbericht- erstattung stellt uns nicht zufrieden. Wir freuen uns zwar, dass auch die Große Koalition eingesehen hat, dass sie den nationalen Bildungsbericht nicht erst auf Antrag der Opposition behandeln kann, sondern ihn dem Bundestag vorlegen muss. Bei regelmäßiger Befassung mit diesem Thema würde die Koalition dann ja vielleicht auch erkennen, dass einige ihrer Behauptungen nach den empirischen Ergebnissen nicht haltbar sind. So heißt es im Koalitionsantrag, der Bildungsstand in der Bevölke- rung sei kontinuierlich gestiegen. Leider stimmt dies für Deutschland nicht mehr, wie die jüngste OECD-Studie „Bildung auf einen Blick“ zeigt: Zum einen stagniert im Vergleich mit anderen OECD-Staaten der Anteil der Akademiker insgesamt, so dass wir hier von Rang 10 auf Rang 22 zurückgefallen sind. Zum anderen hat in der jüngeren Generation ein kleinerer Anteil der Menschen einen tertiären Bildungsabschluss als in der älteren Ge- neration. Geradezu lächerlich ist die Forderung der Koalitions- fraktionen, die neue Gemeinschaftsaufgabe weiterzuent- wickeln. Erst sorgen Sie mit Ihrer völlig verfehlten Fö- deralismusreform dafür, dass dem Bund nahezu sämtliche Bildungskompetenzen entzogen wurden, dann 12282 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) wollen Sie im Nachhinein wieder mehr Einwirkungs- möglichkeiten. Das ist unglaubwürdig. Wir Grünen meinen, dass nach wie vor ein Konstruk- tionsfehler des nationalen Bildungsberichts nicht beho- ben ist. Er besteht darin, dass Empfehlungen nicht er- wünscht sind und Ergebnisse des Berichts nicht debattiert werden. Geht es nach dem Willen der Großen Koalition ist dies auch in Zukunft nicht vorgesehen. Dem können wir nicht zustimmen. Wer wie die Bil- dungsministerin immer gerne das Wort der wissensba- sierten Steuerung vor sich her trägt, sollte sich anstren- gen, den nationalen Bildungsbericht zu einem echten Instrument der Steuerung zu machen. Dann darf man aber den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern nicht den Mund verbieten. Auch setzen wir uns dafür ein, dass die Schwerpunkt- setzung des jeweiligen Bildungsberichts nicht im stillen Kämmerlein festgelegt wird, sondern aus der Debatte mit den Akteurinnen und Akteuren im Bildungsbereich – also aus Wissenschaft, Parlamenten, Bildungsverwal- tung und -einrichtungen etc. – entsteht. Der nationale Bildungsbericht muss außerdem dem Deutschen Bun- destag zeitnah zur Auswertung vorgelegt werden. Die Länder sollten dieses Verfahren gegenüber den Landta- gen ebenfalls anwenden; aber das können wir hier nicht beschließen. Bund und Länder sollten dann gemeinsam Umsetzungsstrategien zu den im Bericht gemachten bil- dungspolitischen Empfehlungen erarbeiten. Über den Bildungsbericht hinaus ist noch einiges zur Bildungsforschung insgesamt zu sagen. Seit der missra- tenen Föderalismusreform lobt die Bundesbildungsmi- nisterin die Bundes(rest)kompetenz der Bildungsfor- schung in den Himmel. Dann erwarten wir aber auch, dass endlich das für den Herbst angekündigte Rahmen- programm zur Bildungsforschung vorgelegt wird. Ich bin gespannt, ob es der Herbst 2007 sein wird. Wir Grüne wollen die Bildungsforschung stärken und hierbei folgende Schwerpunkte setzen: Unterrichtsquali- tät an Schulen und pädagogische Konzepte bei der Ent- wicklung von Halbtags- zu Ganztagsschulen; Lehreraus- und -fortbildung sowie der Umgang mit heterogenen Lerngruppen. Mehr Forschung brauchen wir auch in den Bereichen informelles Lernen, Weiterbildung, Umset- zung des Bologna-Prozesses sowie Bildungszugang und Bildungserfolg von Menschen mit Migrationshinter- grund und aus sozial benachteiligten Familien. Aus grü- ner Sicht sollte sich Deutschland auch auf jeden Fall am sogenannten Lehrer-PISA der OECD beteiligen. Wir halten es außerdem für notwendig, zu evaluieren, wie die noch nicht abgeschlossenen Projekte der Bund-Länder- Kommission, BLK, in den Bundesländern weitergeführt wurden. Auch würden wir gerne wissen, welche neuen Modellversuche aus den Kompensationsmitteln für die Gemeinschaftsaufgabe „Bildungsplanung“ auf Länder- ebene finanziert werden. Bildungsforschung und Bildungsberichterstattung sind wichtig, sowohl als Grundlage für bildungspolitische Entscheidungen als auch für die Weiterentwicklung der Praxis in den Bildungseinrichtungen. Bildungsforschung und Bildungsberichterstattung können aber nur im ge- nannten Sinne wirken, wenn in ihrem Rahmen Hand- lungsoptionen aufgezeigt werden, eine öffentliche De- batte stattfindet und die Aufarbeitung sowie der Transfer der Forschungsergebnisse sichergestellt werden. Folg- lich: Wer Bildungsberichterstattung will, darf weder vor Handlungsempfehlungen noch vor Reformen Angst ha- ben. Dr. Andreas Storm, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Die Bun- desregierung setzt auf die Potenziale der Menschen in Deutschland. Kluge Köpfe und hervorragend qualifi- zierte Fachkräfte sind die Grundlage für Wohlstand und wirtschaftliche Stärke. Dynamische Aufholprozesse bei der Bildungsbeteiligung etwa in den asiatischen Schwel- lenländern, der demografische Wandel in Deutschland und ein sich abzeichnender Fachkräftemangel insbeson- dere in den sogenannten MINT-Berufen machen deut- lich: Alle Begabungen und Talente in unserem Land werden gebraucht. Niemand darf zurückgelassen wer- den, jeder braucht eine Chance auf Einstieg in Bildung und Aufstieg durch Bildung. Dies gilt in besonderer Weise für diejenigen, die aus den unterschiedlichsten Gründen Schwierigkeiten haben und Defizite abbauen müssen. Wir können es uns nicht leisten, vorhandene Po- tenziale für Bildung und Qualifizierung nicht zu nutzen. Deshalb hat die Bundesregierung auf ihrer Klausurta- gung in Meseberg wichtige Impulse für eine bessere Ausschöpfung aller Begabungsreserven beschlossen. Sie werden in einer Nationalen Qualifizierungsinitiative ge- bündelt, die das gesamte Spektrum unseres Bildungswe- sens umfasst: angefangen von der frühkindlichen Bil- dung über die Schule, die berufliche Bildung und das Studium bis hin zur kontinuierlichen Weiterbildung während des gesamten Berufslebens. Alle Beteiligten – Länder, Unternehmen, Sozialpart- ner, Verbände – sind aufgefordert, sich an diesem Pro- zess zu beteiligen. Auf der Grundlage des Kabinettsbe- schlusses zur Nationalen Qualifizierungsinitiative streben wir eine gemeinsame Strategie von Bund und Ländern an, die auf einem Qualifizierungsgipfel der Re- gierungschefs im Herbst 2008 auf den Weg gebracht werden soll. Um gemeinsame Zielsetzungen für die Weiterent- wicklung unseres Bildungswesens zu formulieren, müs- sen wir uns zunächst vergewissern, wo wir stehen. Der erste nationale Bildungsbericht „Bildung in Deutsch- land“, der im Juni 2006 im Auftrag des Bundesbildungs- ministeriums und der Kultusministerkonferenz durch un- abhängige Experten vorgelegt wurde, liefert hierfür eine unverzichtbare Grundlage. Zwei Merkmale des Berichts sind in diesem Zusammenhang besonders zu erwähnen: Zum einen erfolgt mit dem nationalen Bildungsbe- richt erstmals ein systematischer indikatorengestützter Überblick über alle Bereiche des deutschen Bildungswe- sens, von der frühkindlichen Bildung bis hin zur Weiter- bildung. Diese Betrachtung des Lernens im Lebenslauf, entlang der gesamten Bildungsbiografie, kennzeichnet auch die Nationale Qualifizierungsinitiative. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 12283 (A) (C) (B) (D) Zum anderen ist der nationale Bildungsbericht – ebenso wie internationale Leistungsvergleiche – ein zentrales Element der neuen Gemeinschaftsaufgabe von Bund und Ländern. Eine gute Bildungsberichterstattung bietet den Verantwortlichen in Bund und Ländern eine verbesserte Grundlage für bildungspolitische Entschei- dungen und für die Überprüfung ihrer tatsächlichen Aus- wirkungen. Bildungsmonitoring muss letztlich auch in bildungspolitisches Handeln münden. Genau dies ist nach der Vorlage des nationalen Bil- dungsberichts auch geschehen. Bund und Länder haben noch im Jahr des Erscheinens des ersten nationalen Bil- dungsberichts gemeinsame Schlussfolgerungen aus der Analyse gezogen, die Maßnahmen in ihren jeweiligen Zuständigkeiten umfassten. Die Bundesregierung hat in ihrer Stellungnahme zum Bildungsbericht dem Schwer- punktthema „Migration“ besondere Aufmerksamkeit ge- schenkt. Besonders hervorzuheben sind darin Maßnah- men innerhalb des Ausbildungspakts, in Programmen der beruflichen Bildung und Nachqualifizierung sowie die Unterstützung der Länder bei der individuellen Sprachförderung durch Bildungsforschung. Darüber hi- naus haben wir konkrete Aktivitäten im Hochschul- und Weiterbildungsbereich in Angriff genommen. Beispiele dafür sind der Hochschulpakt zur Sicherung der Ausbil- dungschancen der jungen Generation und die Entwick- lung einer Gesamtstrategie „Lernen im Lebenslauf“ mit Unterstützung des Innovationskreises Weiterbildung, die durch das neue Finanzierungsinstrument des Weiterbil- dungssparens flankiert wird. Ein falscher Weg wäre es hingegen, wenn die Verfas- ser des Bildungsberichtes gleichzeitig Handlungsemp- fehlungen aussprechen sollten. Hier bin ich ebenso wie die Autoren des Berichtes der Auffassung, dass es guter wissenschaftlicher Praxis entspricht, Beobachtung und Berichterstattung von Schlussfolgerungen und Empfeh- lungen zu trennen. Der Sprecher des Konsortiums hat in der öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung nachdrück- lich für eine Unterscheidung beider Aufgaben, also für eine Trennung zwischen Monitoring und Handlungsvor- schlägen, plädiert. Bei der Erstellung des Berichts wurde in vielerlei Hinsicht – etwa bei der disziplinübergreifenden Koope- ration und im methodischen Bereich – Neuland beschrit- ten. Im Schwerpunktkapitel des Berichtes erlaubt das neue Erfassungskonzept zum Migrationshintergrund eine erheblich aussagekräftigere Darstellung der Situa- tion von Migrantinnen und Migranten. Der Bericht 2006 zeigt, dass Bildungsbeteiligung und Bildungsstand der Bevölkerung insgesamt zugenommen haben; er belegt aber auch, dass andere Länder bei der Verbesserung ih- res Bildungssystems weiter sind. Ein Hauptproblem in Deutschland ist nach wie vor der enge Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft bzw. Migrationshintergrund und Bildungserfolg. Beim nächsten Bildungsbericht, der 2008 erscheint, können Auftraggeber und Autoren nun schon auf einigen Erfahrungen aufbauen. Die Orientierung am Konzept des „Lernens im Lebenslauf“ hat sich bewährt und wird beibehalten. Die umfassende Darstellung des Bildungs- wesens über die jeweiligen Institutionen und Verant- wortlichkeiten hinweg verdeutlicht, dass die Nahtstellen und Übergänge im Bildungssystem besondere Aufmerk- samkeit verdienen. BMBF und KMK haben sich deshalb darauf verständigt, den Schwerpunkt des nächsten Bil- dungsberichts dem Thema „Übergänge Schule – Berufs- bildung/Hochschulbildung – Arbeitsmarkt“ zu widmen. In anderen Bereichen wollen wir die Bildungsbericht- erstattung weiterentwickeln: Die Autoren streben für den kommenden Bericht eine stärkere Problemorientierung und die verstärkte Berücksichtigung aktueller Bezüge an. Sie greifen damit Ergebnisse der Anhörung des Aus- schusses für Bildung, Forschung und Technikfolgen- abschätzung Anfang dieses Jahres auf. Die Weiterent- wicklung der Indikatoren wird außerdem durch ein flankierendes Forschungsprojekt des BMBF gefördert, das insbesondere die Indikatorisierung von Bildungsver- läufen und die Darstellung der Übergänge im Bildungs- wesen verbessern soll. Die Bildungsberichterstattung markiert als Teil eines umfassenden Monitoringsystems die Hinwendung zu ei- ner neuen bildungspolitischen Steuerungsphilosophie. Über die Kernelemente dieses Paradigmenwechsels be- steht weitgehend Einigkeit: Im Wesentlichen handelt es sich um ein sinnvoll aufeinander abgestimmtes System von regelmäßigen Schulevaluationen, von nationalen und internationalen Leistungsuntersuchungen, einer un- abhängigen und wissenschaftlichen Bildungsbericht- erstattung. All dies setzt eine hoch leistungsfähige empi- rische Bildungsforschung voraus. Das BMBF wird deshalb die empirische Bildungsforschung durch ein Rahmenprogramm strukturell stärken und die verschie- denen Handlungsoptionen des BMBF im Bereich der in- stitutionellen Förderung, der Ressortforschung, der Pro- jekt- und Programmförderung – auch mit den Ländern – so bündeln, dass ein kontinuierlich wachsendes Potential entsteht. Zur strukturellen Stärkung der empirischen Bildungs- forschung werden Schwerpunkte gesetzt bei der Quali- tätsentwicklung und -sicherung der vom BMBF – bzw. gemeinsam vom BMBF und von den Ländern – geför- derten Bildungsforschung. Gezielte Maßnahmen zur Nachwuchsförderung sind sowohl im Kontext Bund- Länder-geförderter Projekte als auch – in Abstimmung mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft – durch spe- zielle Stipendienprogramme vorgesehen. Ein besonderes Augenmerk werden wir zudem der Förderung des inter- nationalen Austausches sowie der Verbesserung der Da- tengrundlagen und der Datenverfügbarkeit für die For- schung widmen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung wird ebenfalls in weiterhin enger Abstimmung mit den Ländern und der DFG die Voraussetzungen für die Eta- blierung eines wissenschaftsgetragenen, nationalen Bil- dungspanels schaffen, das uns erlaubt, empirisch tragfä- hige Erkenntnisse über Bildungsverläufe unter je spezifischen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen zu generieren. 12284 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) All diese Maßnahmen werden letztlich auch die Da- tenbasis für die Berichterstattung über „Bildung im Lebenslauf“ deutlich verbessern. Mit den Kooperations- möglichkeiten im Rahmen der neuen Gemeinschaftsauf- gabe und mit den bereits erreichten Fortschritten beim Monitoring unseres Bildungssystems sind wir auf einem guten Weg, den wir mit der Nationalen Qualifizierungs- initiative konsequent weiter beschreiten werden. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Klare Konzepte für den Bau des Berliner Schlosses (Tagesord- nungspunkt 14) Renate Blank (CDU/CSU): Als Berichterstatterin meiner Fraktion zum Thema „Wiederaufbau des Ber- liner Schlosses“ erachte ich eine Befassung des Plenums mit dem vorliegenden Antrag der FDP-Fraktion erst dann für sinnvoll, wenn der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung diesen Antrag beraten hat. Zudem ist eine sachgerechte Befassung aus kollegia- lem Respekt vor dem Haushaltsausschuss erst dann an- gezeigt, wenn sich auch dieser Ende Oktober damit be- schäftigt haben wird. Die eindeutigen Beschlüsse des Deutschen Bundesta- ges aus den Jahren 2002 und 2003 haben Gültigkeit und sind Grundlage des weiteren Verfahrens. Der für die städtebaulichen Aspekte des Projekts fe- derführend zuständige Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung wird sich in Kürze auch mit den Mo- dalitäten des Wettbewerbs beschäftigen. Insofern ist eine vorzeitige Debatte des FDP-Antrages sachlich nicht ge- rechtfertigt. Der FDP-Antrag wird daher von meiner Fraktion ab- gelehnt. Petra Weis (SPD): Als Berichterstatterin meiner Fraktion zum Thema „Wiederaufbau des Berliner Schlosses“ erachte ich eine Befassung des Plenums mit dem vorliegenden Antrag der FDP-Fraktion erst dann für sinnvoll, wenn der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung diesen Antrag beraten hat. Zudem ist eine sachgerechte Befassung aus kollegia- lem Respekt vor dem Haushaltsausschuss erst dann an- gezeigt, wenn sich auch dieser Ende Oktober damit be- schäftigt haben wird. Die eindeutigen Beschlüsse des Deutschen Bundesta- ges aus den Jahren 2002 und 2003 haben Gültigkeit und sind Grundlage des weiteren Verfahrens. Der für die städtebaulichen Aspekte des Projekts fe- derführend zuständige Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung wird sich in Kürze auch mit den Mo- dalitäten des Wettbewerbs beschäftigen. Insofern ist eine vorzeitige Debatte des FDP-Antrages sachlich nicht ge- rechtfertigt. Der FDP-Antrag wird daher von meiner Fraktion ab- gelehnt. Dr. h. c. Wolfgang Thierse (SPD): Worüber reden wir eigentlich? Und ist diese Debatte überhaupt notwen- dig? Der Bundestag hat 2002 und 2003 zwei Beschlüsse gefasst, und zwar mit großer Mehrheit. Diese Beschlüsse sind eindeutig und sie bleiben verbindlich für alle Betei- ligten und für den auszuschreibenden Wettbewerb. Diese Beschlüsse haben zwei wesentliche Inhalte: Erstens. Das Projekt „Humboldt-Forum“: Es ist eine faszinierende Idee, die außereuropäischen Kulturen in die Mitte der deutschen Hauptstadt zu holen und in eine Beziehung des Dialogs zur europäischen Kultur auf der Museumsinsel zu bringen. Dieses Projekt ist von exzep- tionellem Rang, es dürfte einzigartig in der Welt werden. Deswegen ist es gut und konsequent, dass Minister Wolfgang Tiefensee einen Realisierungsvorschlag vor- gelegt hat, der die allein öffentliche Finanzierung des Projektes vorsieht. Diese Finanzierung, dieser Vorschlag sind dem außerordentlichen Projekt angemessen, ich be- grüße sie sehr. Zweitens. Das zu errichtende Gebäude soll Ge- schichte vergegenwärtigen: Der Bundestag hat beschlos- sen, dass die drei Barockfassaden des Schlosses an der Nord-, West-, Südseite und ebenso der Schlüterhof wie- dererrichtet werden, das ganze Gebäude soll in der Ku- batur des Schlosses erbaut werden. Das sind die beiden wesentlichen Punkte unserer Bundestagsbeschlüsse. Und nun zitiere ich aus dem Entwurf des Auslobungs- textes zum Realisierungswettbewerb für das Projekt: Aufgabe des Wettbewerbs ist es, eine überzeugende städtebauliche und architektonische Gesamtkonzeption zur Unterbringung des Nutzungskonzepts Humboldt- Forum in einem Gebäude zu schaffen. Das Humboldt- Forum Berlin/Stadtschloss ist Ort für die Bildung im Sinne der Vermittlung und Auseinandersetzung von und mit der außereuropäischen Kunst und Kultur. Der Bau hat sich am Grundriss und den Höhenmaßen des ehema- ligen Berliner Schlosses unmittelbar vor dessen Zerstö- rung, 1950, zu orientieren. Dabei ist die Wiedererrich- tung der barocken Fassaden auf der Nord-, West- und Südseite sowie innerhalb des Schlüterhofes vorzusehen. Die Stereometrie des ehemaligen Schlosses ist mit Aus- nahme der Ostseite und des ehemaligen Eosanderhofes einzuhalten. Der Bereich des ehemaligen Apothekerflü- gels ist hiervon ausgenommen und bleibt, wie der nach Osten zur Spree gelegene Bereich, frei gestaltbar. Die ar- chitektonische Gestaltung des auf dem Schlossareal ge- planten Gebäudes, insbesondere das Verhältnis von Nut- zung und Innengestaltung, muss der kulturellen Nutzung des Humboldt-Forums ebenso wie der historischen Be- deutung des Ortes gerecht werden. Der Entwurf soll die Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 12285 (A) (C) (B) (D) geschichtlichen Brüche und Zeitschichten des Ortes Schlossareal erfahrbar machen. Des Weiteren wird mehrfach betont, dass die Wie- dererrichtung der barocken Fassaden verbindliche Vor- gabe der Auslobung sei, dass es darum gehe, die Rekon- struktion barocker Schlossfassaden mit einem Gebäude kultureller Nutzung zu verbinden, ja, dass auch eine Kuppel im Bereich des ehemaligen Hauptportals berück- sichtigt werden solle. Was ist daran zu kritisieren? Was ist daran unklar? Wozu also die Aufregung, werte Kollegen von der FDP? Sie sehen doch, dass im Auslobungstext der Auftrag un- serer Bundestagsbeschlüsse sich auf eindeutige Weise wiederfindet. Wir haben ein gemeinsames, jedenfalls mehrheitli- ches Interesse daran, dass dieser eindeutige Auftrag auf architektonisch, auf ästhetisch überzeugende Weise re- alisiert wird. In diesem Sinne hoffen wir, dass der Wett- bewerb baldmöglichst ausgeschrieben werden kann, dass auch manch skeptischer Haushaltspolitiker von der Faszination dieses Projektes ergriffen wird. Bleibt die Frage nach der Besetzung der Fachjury. Ich höre: Es ist nicht ganz leicht, diese Fachjury zu besetzen. Einerseits gibt es Ablehnung oder Skepsis gegenüber der Aufgabe, Historisches zu rekonstruieren und mit Modernem zu verbinden. Andererseits gibt es Respekt, ja vielleicht so- gar Angst vor der Größe und Schwierigkeit dieser Auf- gabe. Das ist ja durchaus verständlich. Ich höre aber auch: Manche prominente Architekten wollen nicht in die Jury, weil sie sich am Wettbewerb beteiligen wollen. Das ist doch ein wahrlich erfreulicher Ablehnungsgrund. Trotz dieser Besetzungsschwierigkeiten gilt: Die Jurybe- setzung darf nicht von Schlossgegnern dominiert wer- den. Das halte ich für schlicht selbstverständlich. Wenn immer wieder Zweifel an der Spendenbereit- schaft für die Schlossfassaden geäußert werden, Zweifel daran, dass die angekündigten 80 Millionen Euro auch tatsächlich erreicht werden, sage ich: Erst wenn das fas- zinierende Projekt wirklich in Gang gekommen ist, kann und wird seine Faszination auch ansteckende Wirkung entfalten können! Blicken wir nach Dresden: Beim Be- ginn des Wiederaufbaus der Frauenkirche waren längst nicht alle notwendigen Spendengelder gesammelt. Im Gegenteil: Erst nach Baubeginn nahm die Spenden- freude zu. Warum sollte das in Berlin ganz anders sein? Wir haben also keinen Grund zur Miesepetrigkeit, zu übertriebenem Misstrauen, zu hysterischer Aufregung. Deswegen ist der FDP-Antrag überflüssig. Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): Als Haushälterin will ich mich nur auf einen Punkt des Antrages konzen- trieren, um deutlich zu machen, wie die FDP gedenkt, mit Steuergeldern umzugehen. Dieser Punkt ist deshalb so bemerkenswert, weil die FDP in den Haushaltsbera- tungen sonst immer sehr akribisch darauf achtet, dass kein Cent zu viel für soziale Aufgaben des Staates aus- gegeben wird. Jedoch geht die FDP in der Schlossfrage ausgesprochen spendabel – besser gesagt: verschwende- risch – mit dem Geld der Steuerzahler um. Für das Schloss gibt es noch nicht einmal eine seriöse Planung, da explodieren schon die Kosten. Herr Tiefensee will plötzlich 72 Millionen Euro für die Erstausstattung des Gebäudes haben. Davon war bisher nie die Rede. Der Haushaltsausschuss hat die Finanzplanung für das Schloss als mangelhaft zurückgewiesen. Das Schloss soll – nach Aussagen der Bundesregierung – 480 Millionen Euro kosten. Das ist eine Luftbuchung für ein Luftschloss. Die Bundesregierung und die FDP ge- hen zum Beispiel davon aus, dass 80 Millionen Euro Spenden gesammelt werden. Ich zitiere Ihren Antrag: Diese Summe wird vom Förderverein Berliner Schloss e.V. erbracht werden, der bereits knapp 14 Mio. Euro Spenden bzw. verbindliche Spenden- zusagen gesammelt hat. Die Baukosten der Schlossfassade werden erforderlicherweise vom Bund vorfinanziert. Ich frage, woher wissen Sie, dass der Verein bereits 14 Millionen Euro Spenden gesammelt hat? Haben Sie Einsicht in die Bücher des Vereins bekommen? Ich habe die Bundesregierung gefragt, ob sie Einsicht in das Spendenkonto des Fördervereins Berliner Schloss e. V. genommen hat. Die Antwort war: Nein. Ich kenne kei- nen Menschen, der seriöse Belege über die bereits ge- sammelten Spenden des Vereins vorweisen könnte. Wenn Sie ein Haus bauen wollen und gehen zur Bank und können keinen Nachweis erbringen, dass Sie Ihren Eigenanteil erbringen können, dann schickt Sie der Bankangestellte wieder nach Hause. So ist das in der freien Marktwirtschaft. Die Bundesregierung legt dem Bundestag ein Finanzierungskonzept vor, in dem 80 Mil- lionen Euro Spenden fest eingeplant sind, ohne je Ein- sicht in die Unterlagen des Vereins genommen zu haben, der diese Spenden akquirieren soll. Das ist doch ein schöner Fall für den Bund der Steuerzahler. Bemerkens- wert ist auch die Vorstellung der FDP, dass, wenn die Spendengelder nicht kommen, der Staat einspringen soll. Die Linke lehnt den FDP-Antrag aus vielen Gründen ab, ich lehne ihn ab, weil wir jetzt nicht über die Anbrin- gung von Gardinen im Schlafzimmer des Königs nach- denken müssen, bevor wir nicht ein sauberes Finanzkon- zept haben. Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Als Berichterstatter meiner Fraktion zum Thema „Wieder- aufbau des Berliner Schlosses“ erachte ich eine Befas- sung des Plenums mit dem vorliegenden Antrag der FDP-Fraktion vom 4. Juli 2007 ebenfalls erst dann für sinnvoll, wenn auch der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Stadtentwicklung dazu beraten hat. Zudem liegt ein Antrag der Fraktion Die Linke vom 4. Juli 2007 mit dem Titel „Humboldtforum statt Fassa- denschloss – Schlossplatz mit Zukunftsorientierung“ vor, der bislang ebenfalls noch nicht im Ausschuss für Verkehr, Bau- und Stadtentwicklung beraten werden konnte. 12286 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) Ich halte es für darüber hinaus für angeraten, darauf zu warten, bis die Kolleginnen und Kollegen des Haus- haltsausschusses dieses wichtige Thema Ende Oktober ebenfalls beraten haben. Auch wenn meine Fraktion die Beschlüsse aus den Jahren 2002 und 2003 durchaus kritisch bewertet, so verbietet uns der Respekt vor parlamentarischen Be- schlüssen, diese immer wieder infrage zu stellen. Inhaltlich gäbe es dagegen viel zu der irritierenden und unvollständigen Informationspolitik des Bundes- ministeriums für Verkehr, Bau- und Stadtentwicklung, zu den drohenden Mehrkosten und zu den Anträgen der FDP und der Linken zu sagen. Dazu sollten wir uns je- doch mehr Zeit nehmen und uns diese vorzeitige Debatte ersparen. Meine Fraktion wird sich bei der Abstimmung über den Antrag der FDP-Fraktion der Stimme enthalten. Anlage 5 Zu Protokoll gegeben Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der betrieblichen Altersversorgung – Antrag: Abgabenfreie Entgeltumwandlung über 2008 hinaus fortführen und ausbauen – Antrag: Beitragsfreie Entgeltumwandlung – Erst prüfen, dann entscheiden Tagesordnungspunkt 17 und Zusatztagesord- nungspunk 8) Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Seit 2002 haben alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer grund- sätzlich einen Rechtsanspruch darauf, Teile ihres Ge- halts im Zuge der sogenannten Bruttoentgeltumwand- lung in die Altersvorsorge zu investieren. Außer Teilen des laufenden Gehalts können sie dafür auch Sonderzah- lungen wie das Urlaubs- oder Weihnachtsgeld und Ge- haltserhöhungen verwenden, die sie dann in Anwart- schaften auf Betriebsrenten umwandeln. Diese für die Altersvorsorge umgewandelten Entgelte sind Steuer- und sozialabgabenfrei. In kürzester Zeit hat diese für Ar- beitnehmerinnen und Arbeitnehmer und auch für die Ar- beitgeber finanziell attraktive Regelung zu einem deutli- chen Anstieg bei der Nutzung der betrieblichen Altersvorsorge geführt. Den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern muss durch ihren Betrieb die Möglichkeit gegeben werden, bis zu 4 Prozent der Beitragsbemessungsgrenze in der ge- setzlichen Rentenversicherung umzuwandeln. Dem Ar- beitgeber bleibt überlassen, in welchem Durchführungs- weg die Entgeltumwandlung stattfindet. Möglich ist dies in einer Pensionskasse oder einem Pensionsfonds, wie sie häufig bereits in den Betrieben bestehen. Der Arbeit- geber hat aber auch die Möglichkeit, die Entgeltum- wandlung als Betriebsrente in Form einer Direktversi- cherung anzubieten, was besonders für kleinere Unternehmen von Interesse ist. Der Gesetzgeber hat die Sozialabgabenfreiheit der Entgeltumwandlung ursprünglich bis Ende 2008 befris- tet, weil man nur einen Anstoß für den Aufbau betriebli- cher Altersvorsorgesysteme geben wollte. Im Koali- tionsvertrag hatten CDU/CSU und SPD vereinbart: „Im Jahr 2007 wird geprüft, welchen Verbreitungsgrad die betriebliche und private Altersvorsorge erreicht hat und wie die weitere Entwicklung des Ausbaus einzuschätzen ist. Wenn sich zeigt, dass durch die Förderung mit den bisherigen Instrumenten eine ausreichende Verbreitung der zusätzlichen Altersvorsorge nicht erreicht werden kann, ist über geeignete weitere Maßnahmen zu ent- scheiden.“ Grundlegende Zielsetzung der Regierungs- fraktionen ist, die Altersvorsorge der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf mehrere Säulen zu stellen und so- mit sicherer zu gestalten. Um die positive Entwicklung bei der betrieblichen Altersvorsorge zu unterstützen, ha- ben sich mittlerweile sowohl der Deutsche Gewerk- schaftsbund als auch die Bundesvereinigung der Deut- schen Arbeitgeberverbände für eine Fortführung der Sozialversicherungsfreiheit ausgesprochen. Heute schlägt die Koalition mit ihrem Gesetzentwurf zur Förderung der betrieblichen Altersversorgung vor, dass die steuer- und beitragsfreie Entgeltumwandlung über das Jahr 2008 hinaus unbefristet erhalten bleibt und dass zudem die Unverfallbarkeit für arbeitgeberfinanzierte Betriebs- rentenanwartschaften von 30 auf ein Alter von 25 Jahren abgesenkt wird. Die Ansprüche an die Sicherheit der betrieblichen Al- tersvorsorge im Zuge der Entgeltumwandlung sind zum Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer be- wusst hoch angesetzt worden. Eine vom Arbeitnehmer durch Entgeltumwandlung finanzierte Direktversiche- rung darf nicht durch den Arbeitgeber verpfändet, abge- treten oder beliehen werden. Die Alterssicherung muss durch den Arbeitnehmer auch dann fortgeführt werden können, wenn er das Unternehmen verlässt. Die Anwart- schaften können mit direkter Wirkung nach der Einzah- lung nicht verfallen und bleiben auch bei Kündigung er- halten. Damit unterscheidet sich die Entgeltumwandlung deutlich von Modellen, in denen der Arbeitgeber die Be- triebsrente finanziert (sogenannter interner Durchfüh- rungsweg). Dort erlangt der Arbeitnehmer die Unverfall- barkeit seiner Anwartschaften erst, wenn er mindestens fünf Jahre in dem Unternehmen beschäftigt und mindes- tens 30 Jahre alt ist. In kurzer Zeit ist die Entgeltumwandlung zu einem Renner bei der betrieblichen Altersvorsorge, der dritten Säule der Rente neben gesetzlicher und privater Renten- versicherung, geworden. 2002 haben nur 38 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Privatwirt- schaft in einem System betrieblicher Altersversorgung vorgesorgt, 2004 waren es bereits 46 Prozent, mittler- weile sind es über 50 Prozent. Rechnet man die Zusatz- versorgungssysteme im öffentlichen Dienst hinzu, haben über 65 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh- mer eine Betriebsrentenanwartschaft. Dieser Anstieg be- ruht zum Großteil auf der Teilnahme an der Bruttoentgelt- umwandlung. Die Beteiligung an der Entgeltumwandlung Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 12287 (A) (C) (B) (D) zeigt zudem, dass Geringverdiener und Frauen hierdurch in hohem Maße angesprochen werden, eine betriebliche Altersvorsorge aufzubauen. Würde – gemäß der derzeit noch gültigen Gesetzes- lage – die Sozialabgabenpflicht der Entgeltumwandlung ab 2009 wieder eingeführt werden, wäre zu befürchten, dass die positive Entwicklung der betrieblichen Alters- versorgung wieder ins Stocken gerät. Zudem gibt es erste Anzeichen aus den Betrieben, dass es dann zu einer Stor- nierungswelle von Entgeltumwandlungsverträgen kom- men könnte. Eine solche Entwicklung liefe völlig konträr zu der politischen Zielsetzung, zusätzlich zur gesetzli- chen Rente die zweite und dritte Säule der Alterssiche- rung in Deutschland kontinuierlich aufzubauen. Ein Rückschritt wäre politisch unverantwortlich. Der für die Einführung der Sozialabgabenpflicht der Entgeltumwandlung ins Feld geführt Einwand, dass die Sozialversicherungen die Einnahmeausfälle nicht ver- kraften könnten, ist in dieser pauschalen Form nicht stichhaltig: Für die Rentenversicherung gilt, dass den Einnahmeausfällen keine Rentenansprüche gegenüber stehen, das heißt, hier ergeben sich keine zusätzlichen fi- nanziellen Probleme. Allerdings führt die sozialabga- benfreie Entgeltumwandlung dazu, dass aus dem für die zusätzliche Altersvorsorge abgezweigten Einkommen keine Ansprüche in der gesetzlichen Rente erwachsen. Für die Kranken- und Pflegeversicherung bestehen Bei- tragsausfälle nur für eine Übergangszeit, da die Leistun- gen aus der betrieblichen Altersversorgung dann in vol- lem Umfang beitragspflichtig sein werden. Die Einnahmeausfälle in Kranken- und Pflegeversicherung betrugen übrigens im Jahr 2005 nur circa 2 Promille der Gesamtbeitragseinnahmen. Aktuell würden die Kran- ken- und die Pflegeversicherung etwas geringere Ein- nahmen haben. Die Entgeltumwandlung bietet Potenzial für den Auf- und Ausbau kapitalgedeckter Altersversor- gung und führt langfristig zu einem höheren Gesamtver- sorgungsniveau, aus welchem dann auch höhere Sozial- versicherungsbeiträge gezahlt werden, sodass Kranken- und Pflegeversicherung mit steigenden Einnahmen aus den Zahlungen der Rentnerinnen und Rentner rechnen können. Die Abschaffung der Sozialversicherungsfreiheit der Entgeltumwandlung würde nicht nur zu Vertragskündi- gungen seitens der Arbeitnehmer führen, sondern auch zu Ausweichreaktionen der Arbeitgeber. Diese werden verstärkt von der Entgeltumwandlung auf eine zulasten der Lohnentwicklung gehende rein arbeitgeberfinan- zierte Altersversorgung umsteigen, die dann weiterhin sozialversicherungsfrei bleibt. Würde diese Option ver- stärkt genutzt, dürften sich die erwarteten Zusatzeinnah- men für die Sozialversicherungen, die bei der Abschaffung der Sozialversicherungsfreiheit der Entgeltumwandlung erwartet werden, ohnehin nicht einstellen. Der Einwand, dass sich jeder auf das Auslaufen der Sozialversicherungsfreiheit 2008 einstellen konnte, übersieht, was sich in der Gesetzgebung in der Zwi- schenzeit geändert hat. Die Situation ist grundlegend da- durch verändert worden, dass mittlerweile auf eine Be- triebsrente volle Krankenkassen- und Pflegebeiträge erhoben werden. Würde künftig doppelt verbeitragt wer- den, ist die Entgeltumwandlung für den Aufbau einer Altersvorsorge finanziell völlig uninteressant. Die Perso- nalchefs der Betriebe wären sogar verpflichtet, dann ihre Beschäftigten ausdrücklich auf diesen Umstand hinzu- weisen. Mein Fazit ist: Die von der Sozialabgabenfreiheit der Entgeltumwandlung ausgehende Dynamik für den not- wendigen weiteren Aufbau einer zusätzlichen Altersver- sorgung ist evident. Die finanziellen Risiken für die So- zialversicherungen sind beherrschbar. Daher handelt die Große Koalition konsequent und richtig, indem die Bei- tragsfreiheit über 2008 hinaus verlängert wird. Gabriele Hiller-Ohm (SPD): In Deutschland haben zur Zeit über 17 Millionen Beschäftigte Ansprüche auf eine Betriebsrente. Von diesen 17 Millionen sind rund 9 Millionen Menschen aktive „Entgeltumwandler“ und damit direkt von dem vorliegenden Gesetzentwurf be- troffen. Sie können schon bald erleichtert aufatmen; denn mit der unbefristeten Verlängerung der Beitrags- freiheit der Entgeltumwandlung bleibt diese Form der zusätzlichen Altersvorsorge vor allem für Beschäftigte mit kleinen und mittleren Einkommen attraktiv. Ich bin sicher, dass sich die Gesetzesinitiative auf den Verbreitungsgrad betrieblicher Rentenanwartschaften unter den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten po- sitiv auswirken wird. Er ist unter der rot-grünen Koali- tion von 2001 bis Ende 2006 bereits von 52 auf 65 Pro- zent gestiegen. Der heute in den Bundestag eingebrachte Gesetzentwurf stellt sicher, dass die „Erfolgsgeschichte betriebliche Altersvorsorge“ weitergeht. Unter Rot-Grün haben wir mit der Stärkung der be- trieblichen Altersvorsorge als zusätzlichem Standbein neben der gesetzlichen Rente begonnen, in der Großen Koalition führen wir dies fort. Unter Rot-Grün haben wir ein Recht auf Entgeltumwandlung eingeführt und die Mitnahmemöglichkeiten für Betriebsrentenanwartschaf- ten von einem Arbeitgeber zum nächsten deutlich erwei- tert. In der Großen Koalition haben wir den Insolvenz- schutz der Betriebsrentenanwartschaften entscheidend verbessert und wollen mit dem heutigen Gesetzentwurf zwei weitere Pflöcke einschlagen: Wir verlängern ers- tens die Sozialabgabenfreiheit der Entgeltumwandlung in eine betriebliche Kasse und bestimmen zweitens, dass zukünftig schon ab einer Altersgrenze von 25 Jahren Be- triebsrentenansprüche unverfallbar sind, statt bisher erst ab 30 Jahren. Dies ist vor allem für junge Eltern wichtig. Mit dem Vorziehen der Altersgrenze wird eine Kinderpause in Zukunft seltener negative Auswirkungen auf den Erwerb eines Betriebsrentenanspruches haben. Damit setzen wir in Deutschland um, was auf EU-Ebene bisher leider nicht möglich war. Eine entsprechende Richtlinie fand nicht die ausreichende Zustimmung der Mitgliedstaaten. Deutschland kann hier jetzt Vorreiter sein, genau zur rechten Zeit, da seit dieser Woche ein überarbeiteter Vor- schlag der EU-Kommission vorliegt. 12288 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) Kommen wir zurück zu Beitragsbefreiung. Wie er- wähnt gibt es in Deutschland nach Schätzungen rund 9 Millionen aktive „Entgeltumwandler“. Sie können bis zu 4 Prozent der Beitragsbemessungsgrenze in der ge- setzlichen Rentenversicherung, also bis zu 2 520 Euro im Jahr, steuer- und sozialabgabenfrei in eine betriebli- che Rentenkasse einzahlen. Rund ein Drittel von ihnen ist seit der Einführung des Rechtes auf Entgeltumwand- lung 2001 neu dazugekommen. Die aktuelle Studie von TNS-Infratest aus dem Juni dieses Jahres spricht eine deutliche Sprache: Die Attrak- tivität der betrieblichen Altersvorsorge und ihr in den letzten Jahren wachsender Verbreitungsgrad lag sehr stark in der Sozialabgabenfreiheit der Entgeltumwand- lung begründet. Der Bericht des Institutes verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass diese Dynamik sich 2006 – wohl im Hinblick auf das nahende Ende der Bei- tragsfreiheit – stark abgeschwächt habe. So nahm die Zahl der Anwartschaften bei den Pensionskassen von 2004 auf 2005 um rund 830 000 zu, von 2005 auf 2006 waren es hingegen nur noch rund 170 000. Um die weitere Ausbreitung der betrieblichen Alters- vorsorge nicht zu gefährden oder gar einen Rückgang einzuleiten, ist es deshalb richtig, dass wir jetzt die Wei- chen für eine unbefristete Sozialabgabenfreiheit stellen. Und aus eben diesem Grund ist es auch nicht vertretbar, weiter mit der Verlängerung der Sozialabgabenfreiheit zu warten, wie es etwa die Grünen in ihrem Antrag zur heutigen Debatte fordern. Die Beschäftigten brauchen Planungssicherheit, und zwar so schnell wie möglich. Neben der Steuer- und Beitragsfreiheit sprechen wei- tere Vorteile für eine starke Förderung der betrieblichen Altersvorsorge: Sie ist eine einfache Form der zusätzli- chen Vorsorge, da die Arbeitgeber alle Formalitäten ab- nehmen. Sie ist finanziell attraktiv, da durch Gruppen- verträge eine Senkung der Verwaltungskosten erreicht wird und sich Arbeitgeber oft mit zusätzlichen Beiträgen beteiligen. Es gibt also viele gute Gründe, diese Förderung der betrieblichen Altersvorsorge über 2008 hinaus aufrecht- zuerhalten. Trotzdem wurde auch Kritik laut. Sie wird zum Beispiel vom Sozialverband Deutschland daran festgemacht, dass eine Befreiung von den Sozialabgaben die gesetzlichen Sozialkassen rund 2 Milliarden Euro pro Jahr kosten würde. Dies ist allerdings nur die halbe Wahrheit. Außerdem sind die Vorteile, die aus einer weiteren Förderung der betrieblichen Altersvorsorge entstehen, größer als die von den Kritikern aufgeführten Nachteile. Es ist nur die halbe Wahrheit, weil bereits heute Sozialabgaben gezahlt werden. Nicht in der Einzahlungsphase, aber in dem Au- genblick, in dem die Betriebsrente ausgezahlt wird. Seit 2004 bzw. 2005 werden hier die vollen Beitragssätze in die Kranken- und Pflegeversicherung fällig. Anders sieht es bei den Beiträge in Arbeitslosen- und Rentenkasse aus. Hier gibt es tatsächlich Ausfälle. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen: Weniger Beiträge ziehen weniger Ansprüche nach sich. In Bezug auf die Renten- versicherung bedeutet dies, dass derjenige, der seine Beiträge statt in die gesetzliche in eine betriebliche Al- tersvorsorge investiert, natürlich auch entsprechend we- niger Ansprüche an die gesetzliche Rente im Alter er- wirbt. Das bedeutet, dass die gesetzliche Kasse zu einem späteren Zeitpunkt entlastet wird. Genau genommen müssten also die heute fehlenden Einnahmen der Ren- tenkasse gegengerechnet werden mit den nicht in An- spruch genommenen Rentenansprüchen in der Auszah- lungsphase. Abgesehen von diesen Fakten sind die vom Sozial- verband befürchteten Fehlbeträge für die gesetzlichen Sozialkassen strittig. Denn niemand weiß, wie sich die Beschäftigten, die heute Entgeltumwandlung betreiben, bei einem Wegfall der Beitragsfreiheit verhalten würden. Eines ist sicher: Bei einer Verteuerung dieser Anlage- form um 21 Prozent werden sich sehr viele der Betroffe- nen um Alternativen bemühen. Möglicherweise stellen sie ihre Verträge auf rein arbeitgeberfinanzierte Betriebs- renten um, die ja weiterhin abgabenfrei bleiben, oder sie wechseln in eine private Altersvorsorge. Schlimmsten- falls verzichten sie ganz und gar auf eine zusätzliche Vorsorge. Die von Kritikern genannten jährlichen 2 Mil- liarden Euro Ausfälle für die Sozialkassen sind also mit großer Skepsis zu betrachten. Problematisch bleibt allerdings, dass das Gesamtrenten- niveau durch die Beitragsausfälle sinkt. Bei denjenigen, die in Form einer betrieblichen Altersvorsorge sparen, wird dieser Verlust allerdings mehr als ausgeglichen. Für diejenigen, die keine betriebliche Altersvorsorge anspa- ren können, müssen zum einen andere ergänzende Ange- bote, wie zum Beispiel der „Grund-Riester“, weiter aus- gebaut werden. Dies gilt insbesondere für niedrig verdienende Selbstständige. Auch der Ausbau der Bei- tragsgrundlage der gesetzlichen Rentenkasse ist zu dis- kutieren. Hier – und da gebe ich den Grünen recht – müssen weitere Maßnahmen folgen, die unsere Gesell- schaft nachhaltig vor Altersarmut schützen. Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten spielt bei der Befürwortung der Beitragsfreiheit ein Fak- tor eine ganz entscheidende Rolle: Von der Sozialabga- benfreiheit profitieren besonders Beschäftigte mit klei- nen und mittleren Einkommen. Ihnen nützt eine Befreiung von der Steuer in der Regel wenig, da sie ja keine oder aber nur sehr geringe Steuern zahlen. Die So- zialabgabenfreiheit bringt ihnen hingegen einen Vorteil von 21 Prozent. Auch die Gewerkschaften begrüßen deshalb in selte- ner Einigkeit mit den Arbeitgeberverbänden den vorlie- genden Gesetzentwurf. Der Deutsche Gewerkschafts- bund betont, dass durch das von Rot-Grün eingeführte Recht auf Entgeltumwandlung eine immer stärkere Co- Finanzierung von Betriebsrentenansprüchen durch Arbeitgeber stattfindet. In einem Arbeitspapier des DGB-Bundesvorstandes heißt es: „So konnten in Berei- chen wie zum Beispiel dem Einzelhandel, wo bislang betriebliche Altersversorgung bestenfalls für wenige Führungskräfte vorgesehen war, inzwischen auch die ‚Normalarbeitnehmer‘ Anspruch auf vom Arbeitgeber mitfinanzierte betriebliche Altersversorgung haben.“ Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 12289 (A) (C) (B) (D) In einem gemeinsamen Statement der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten und der Arbeitgeberverei- nigung Nahrung und Genuss e. V. wird die beitragsfreie Entgeltumwandlung als „wesentlicher Bestandteil für die Attraktivität der betrieblichen Altersvorsorge vor al- len Dingen für Arbeitnehmer mit kleineren Einkommen“ gewürdigt. Rund 60 Prozent der Beschäftigten im Ernäh- rungsgewerbe hätten deshalb heute eine betriebliche Al- tersvorsorge. Ich fasse zusammen: Mit dem Recht auf Entgeltum- wandlung hat die rot-grüne Bundesregierung die betrieb- liche Altersvorsorge aus der Nische geholt und für die breite Arbeitnehmerschaft attraktiv gemacht. Heute sind bereits zwei Drittel aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten Anwärter auf eine betriebliche Altersvor- sorge. Wir wollen, dass es noch mehr werden. Deshalb verlängern wir die Sozialabgabenfreiheit und sorgen da- für, dass die Einzahlung in eine Betriebsrente auch nach 2008 attraktiv bleibt. Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Erstens. „Besser spät als nie!“ Die Fähigkeit, Falsches zu korrigieren, ist der Großen Koalition anscheinend noch nicht vollkommen abhanden gekommen. Dazu gratuliere ich den Koali- tionsparteien! Noch im Frühjahr beharrte die Regierung darauf, die Betriebsrentenförderung auslaufen zu lassen. Nun, nach nicht einmal einem halben Jahr, hat sie die 180-Grad-Wendung vollzogen. Weil die Regierung damit auf eine seit langem von der FDP erhobene Forderung eingegangen ist, freue ich mich, für die FDP-Bundestagsfraktion sagen zu können: Wir unterstützen den hier in erster Lesung vorliegenden Gesetzentwurf nachdrücklich. Die betriebliche Altersvorsorge muss weiter ausge- baut werden, weil sie bei sinkendem Leistungsniveau der gesetzlichen Rente in unserer alternden Gesellschaft eine zentrale Rolle für die Lebensstandardsicherung im Alter hat. Die abgabenfreie Entgeltumwandlung ist das erfolgreichste und am besten angenommene Instrument der betrieblichen Altersvorsorge. Dies wurde seinerzeit auch vom Sozialbeirat so gesehen, der daher in seinem Gutachten zu Recht explizit gefordert hatte, dass die ab- gabenfreie Entgeltumwandlung nicht 2008 auslaufen darf. Auch der zweite Kernpunkt des Gesetzentwurfes, das Unverfallbarkeitsalter von 30 Jahren auf 25 Jahre abzu- senken, wird von uns unterstützt, weil diese Änderung gerade jungen Frauen und jungen Familien zugute- kommt. Viele arbeitgeberfinanzierte Rentenanwartschaf- ten gehen derzeit noch verloren, weil junge Frauen we- gen der Kindererziehung vor dem 30. Lebensjahr aus dem Unternehmen ausscheiden und damit ihre Anwart- schaften verlieren. Zweitens. Was muss darüber hinaus geschehen? Wir müssen den Menschen, insbesondere der doppelt belas- teten Sandwichgeneration, den Spielraum verschaffen, zusätzlich eine private und betriebliche Vorsorge aufzu- bauen. Und die betriebliche Altersvorsorge sollte über die Opting-out-Klausel zur Regel werden. Wir fordern darüber hinaus, dass die staatliche Förderung der Alters- vorsorge für alle Bürger – und nicht nur für Beamte und Pflichtversicherte – gewährt wird. Die bisherige Obergrenze der abgabefreien Entgelt- umwandlung in Höhe von 4 Prozent wird von der FDP als grundsätzlich ausreichend erachtet. Wünschenswert wäre darüber hinaus aber eine flexiblere Lösung für die abgabefreie Umwandlung auch von Gewinnbeteiligun- gen von Arbeitnehmern. Gerade weil Gewinnbeteiligun- gen unregelmäßiges Einkommen sind, sind sie – anders als das laufende Einkommen – nicht für laufende Kosten verplant, sondern bieten echten Spielraum für zusätzli- che Altersvorsorge. Allerdings müsste für diesen Fall die bislang geltende Obergrenze von 4 Prozent des Brutto- lohns aufgehoben werden, da Gewinnbeteiligungen we- gen des unregelmäßigen Anfalls mit einer konstanten Obergrenze nur schwer vereinbar sind. Deshalb möchten wir die Möglichkeit einräumen, in Jahren, in denen Ge- winnbeteiligungen zusätzlich genutzt werden sollen, von der 4-Prozent-Grenze abzuweichen. Drittens. Die FDP lehnt den Antrag der Grünen ab, und zwar aus folgenden Gründen: Erstens. Der Gesetzgeber muss jetzt deutlich machen, dass er die abgabenfreie Entgeltumwandlung auf Dauer fortführen will. Eine erneute zeitliche Begrenzung bringt neue Unsicherheiten mit sich, und diese Unsicherheiten machen das Instrument der Entgeltumwandlung un- attraktiv und verhindern eine weitere Ausbreitung der betrieblichen Altersvorsorge. Denn wenn in Zukunft – nach Ablauf einer neuen Befristung – die Beiträge der Entgeltumwandlung doch wieder aus verbeitragtem Ein- kommen gezahlt werden müssten, dann zahlen die Ent- geltumwandler wieder doppelte Krankenversicherungs- beiträge, und zwar zunächst in der Beitragsphase und danach in der Auszahlungsphase. Zweitens. Natürlich gibt es keinen vernünftigen Grund, warum nicht die Verbreitung der betrieblichen Altersvorsorge untersucht und auch nach Möglichkeiten gesucht werden soll, sie für Geringverdiener attraktiv zu gestalten. Aus unserer Sicht ist es besonders wichtig, die großen Vorteile, die die betriebliche Vorsorge den Versi- cherten durch die Abgabenfreiheit bietet, noch besser als bisher deutlich zu machen. Die FDP-Bundestagfraktion beobachtet im Übrigen sehr genau, ob die bestehenden Instrumente zur Förde- rung der betrieblichen und privaten Altersvorsorge für Geringverdiener ausreichend attraktiv sind. Wir haben dazu gerade erst eine Kleine Anfrage an die Bundesre- gierung gestellt. Drittens. Was die Wirkungen der Abgabenfreiheit auf die gesetzliche Rentenversicherung angeht, gilt, dass durch die Inanspruchnahme der Entgeltumwandlung in den nächsten Jahren weniger gesetzliche Rentenanwart- schaften aufgebaut werden. Wenn die gesetzliche Ren- tenversicherung dann um das Jahr 2030 in der stärksten demografischen Belastungsphase ist, wirken sich die re- duzierten Anwartschaften der Versicherten, die Entgelt- umwandlung betrieben haben, grundsätzlich entlastend auf die Rentenversicherung aus. 12290 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) Umgekehrt gilt: Wer keine abgabenfreie Entgeltum- wandlung betreibt, der baut auch weiterhin seine vollen gesetzlichen Anwartschaften auf. Daher stimmt das Ar- gument so pauschal nicht, dass unter der abgabenfreien Entgeltumwandlung sich die Anwartschaften aller Ver- sicherten gleichermaßen reduzieren. Zwar wird die Ent- wicklung des Rentenwerts in bestimmtem Umfang ge- bremst. Dies aber führt zu einer Entlastung der Beitragszahler, die gerade in den Jahren ab 2030 sehr wichtig sein wird, wenn eine Beitragshöhe von 22 Pro- zent Realität werden könnte. Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE): In dem im März 2006 von der Bundesregierung vorgeleg- ten Alterssicherungsbericht habe ich zur Frage der wei- teren Förderung der Sozialabgabenfreiheit der Entgelt- umwandlung auf Seite 208 eine interessante Passage gefunden. Darin stellt die Bundesregierung zur sozialab- gabenfreien Entgeltumwandlung Folgendes fest: Bei gleich bleibender Dynamik wie in den letzten Jahren dürfte die Zahl der „Entgeltumwandler“ bis 2008 noch erheblich anwachsen. Bei einer unbefris- teten Beitragsfreistellung käme es folglich zu einer deutlichen Erosion auf der Einnahmeseite der So- zialversicherung mit Druck auf die Beitragssätze. Es ist aber ausdrückliches Ziel der Bundesregie- rung, die Lohnnebenkosten möglichst zu senken. Außerdem ist zu bedenken, dass eine dauerhafte Förderung in der Sozialversicherung zu ungerech- ten Verteilungseffekten führt: Die aufgrund der Ent- geltumwandlung in der Rentenversicherung fehlen- den Beiträge führen dazu, dass die Renten auch derjenigen Versicherten niedriger ausfallen, die während ihres Erwerbslebens keine Entgeltum- wandlung betrieben haben (z. B. Geringverdiener) bzw. keine Entgeltumwandlung betreiben konnten (Rentner). Dem wäre fast nichts mehr hinzuzufügen, zumal auch der Bundesarbeitsminister noch am 20. März dieses Jah- res gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung großspurig erklärte: Wir verhalten uns gesetzestreu, denn wir haben bei der Rentenreform 2001 angekündigt, dass im De- zember 2008 die Sozialabgabenfreiheit für die Ein- zahlung per Entgeltumwandlung enden wird. Und weiter: Voraussetzung dafür sei, dass die neue Regelung nicht zu Lasten der Sozialkassen gehe. Nun ist Herr Müntefering für plötzliche Sinneswandel leider nicht gerade unbekannt. Insbesondere an Monta- gen – ich erinnere mich da an die Vorziehung der Rente mit 67 um sechs Jahre – überrascht er auch schon mal die eigenen Fachpolitiker mit neuen und nicht abgespro- chenen Einfällen. Da frage ich mich, ob ihm solche Ideen bevorzugt sonntags in der Badewanne einfallen. Jedenfalls diktierte er nur drei Monate später, am 25. Juni, einem Journalisten des Handelsblatts in den Notizblock: Ich habe die Bedingungen für die Förderung gründ- lich geprüft. Ich meine, wir sollten uns für sie ent- scheiden. Gründlich geprüft? Wirklich? Da muss man gar nicht Mathematiker sein, da reicht Volksschule Sauerland, um zu wissen: Kann nicht hinhauen; um Herrn Münteferings eigene Worte mal aufzugreifen. Die unbefristete Förde- rung der betrieblichen Altersvorsorge kann nun wirklich nicht hinhauen, nicht für die Rentenversicherung, nicht für die Arbeitslosenversicherung, nicht für die Pflege- versicherung, nicht für die Krankenversicherung und schon gar nicht für die Versicherten und Rentnerinnen und Rentner in unserem Land. Da wundert es auch nicht, dass im Alterssicherungs- bericht ebenfalls zu lesen ist, dass rund 53 Prozent der Befragten auf die Frage, warum sie noch keine betriebli- che Altersvorsorge abgeschlossen haben, angeben, dass sie dem Staat oder der Regierung nicht trauen, weil sich die Gesetze so oft ändern. Und ich kann nur sagen: Zu Recht. Zwar wird gerade die Entfristung, also die Ände- rung der Gesetzesgrundlage, gelobt, weil hierdurch nun Verlässlichkeit geschaffen werde, doch in Hinblick auf die gesetzliche Rentenversicherung sind derartige Forde- rungen nach Verlässlichkeit nicht zu hören. Dort werden tiefgreifende Änderungen beschlossen, die nun das Ar- gument für sogenannte kompensierende Maßnahmen lie- fern. Aber gerade das Argument der kompensierenden Maßnahmen ist bei der sozialabgabenfreien Entgeltum- wandlung nicht aufrechtzuerhalten; denn die sozialabga- benfreie Entgeltumwandlung führt bei allen Versicherten zu einer zusätzlichen Versorgungslücke im Alter, also auch bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die Entgeltumwandlung im Rahmen der betrieblichen Altersvorsorge betreiben. In ihrer Studie zur Ver- teilungswirkung der Entgeltumwandlung stellt die Ren- tenversicherung zu Recht fest, dass gerade bei Frauen die Beitragsfreiheit schon bei Verträgen ab dem 30. Le- bensjahr zu niedrigeren Alterseinkünften führen. Und: Wer älter als 40 Jahre ist, muss sich ebenfalls auf gerin- gere Einkünfte im Alter einstellen. Von einem sogenann- ten Nullsummenspiel, wie von der Bundesregierung gerne behauptet wird, kann also keine Rede sein. Gleichzeitig schmälert die Entgeltumwandlung nicht nur die ohnehin kläglichen Rentenanpassungen der heu- tigen Rentnerinnen und Rentner, sondern auch die der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die sich auf den Betriebsrentenkuhhandel einlassen. Niedrigere Ren- tenanpassungen und ein geringeres Rentenenniveau, treffen aber vor allem, Erwerbslose, Selbstständige oder Geringverdiener, die ohnehin rechtlich und faktisch von der sozialabgabenfreien Entgeltumwandlung keinen Ge- brauch machen können bzw. dürfen. Damit verschärfen sie nicht nur die Einkommensungleichheit im Alter, weil gerade diejenigen mit vergleichsweise hohen Ansprü- chen aus der GVR aufgrund ihres höheren Einkommens auch die Entgeltumwandlung stärker nutzen, sie beför- dern auch noch zugunsten eines kleinen Teils von Privi- legierten bewusst das Risiko steigender Altersarmut von Millionen von Menschen. Selbst der Kollege Brauksiepe Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 12291 (A) (C) (B) (D) von der CDU hat bei der Sozialabgabenfreiheit seine Be- denken angemeldet. So war im Tagesspiegel vom 2. Juli 2007 zu lesen: Die Tatsache, dass eine Förderung zugleich das all- gemeine Rentenniveau der kommenden Jahre senkt, ist ein gewichtiges Gegenargument Und weiter: Je stärker wir die betriebliche Vorsorge fördern, desto geringer wird auf der anderen Seite das ge- setzliche Rentenniveau ausfallen, und umgekehrt. Da liegt der Kollege Brauksiepe ausnahmsweise voll- kommen richtig. Wenn Sie hier also der Attraktivität der betrieblichen Altersvorsorge das Wort reden, können Sie eigentlich nur die Attraktivität für die Versicherungs- wirtschaft meinen, die mit Vertragsabschlüssen für Be- triebsrenten gutes Geld verdient, oder Sie können für die Arbeitgeber sprechen, denen Sie auf Kosten der Solidar- gemeinschaft den Beitrag zur Rentenversicherung nied- rig halten. Damit aber nicht genug. Viel perfider ist die eigentliche Strategie, die hinter der Verlängerung der so- zialabgabenfreien Entgeltumwandlung steckt: Die Höhe der Beitragsausfälle führt nicht nur in der Rentenversi- cherung zu Beitragsausfällen, sondern auch, wie Sie im Alterssicherungsbericht richtig festgestellt haben, in al- len anderen sozialen Sicherungssystemen zu weiteren Belastungen und somit zu höheren Beitragssätzen. Die Bundesregierung selbst spricht in ihrem Ge- setzesentwurf von Beitragsausfällen von bisher 2,2 bis 2,4 Milliarden Euro für die Sozialkassen. Allein hiervon entfallen 1,2 Milliarden Euro auf die gesetzliche Renten- versicherung, welche die Sozialabgabenfreiheit bei der betrieblichen Altersvorsorge in den letzten Jahren verur- sacht hat. Zudem gehen Sie, ohne dabei rot zu werden, von einem jährlichen Zuwachs der Beitragsausfälle in Höhe von 200 Millionen Euro aus. Sind Sie nicht mit dem Ziel angetreten, die sogenannten Lohnnebenkosten zu senken? Ein Blick in ihren Koalitionsvertrag sollte da genügen. Die für die Kranken- und Pflegeversicherung verant- wortliche Ministerin, Kollegin Ulla Schmidt, hat ja be- reits zusätzliche Steuermittel als Kompensation für die Beitragsausfälle eingefordert. Die Haushälter der Koali- tion werden es mit Schrecken vernommen haben. Der Bremer Ökonom und ehemalige Vorsitzende des Sozialbeirats der Bundesregierung, Winfried Schmähl, kommt in seiner Studie deshalb zum Ergebnis, dass die Entgeltumwandlung zu beitragssatzsteigernden Effek- ten von 0,4 bis 0,8 Prozentpunkten führt. Damit verju- beln Sie eben mal so die 0,3 bis 0,5 Prozentpunkte Ein- sparung, die Ihnen gereicht haben, um gegen alle Widerstände aus der Bevölkerung die Rente mit 67 durchzusetzen. Das Fazit Ihres Gesetzentwurfs ist aus unserer Sicht, dass die Weiterführung der beitragsfreien Entgeltum- wandlung über das Jahr 2008 hinaus aus sozialpoliti- schen und systematischen Gründen falsch und in keiner Weise zu rechtfertigen ist. Die sozialabgabenfreie Ent- geltumwandlung führt zu steigenden Beitragssätzen in der gesetzlichen Rentenversicherung, zu finanziellen Mehrbelastungen in der Arbeitslosen-, Kranken- und Pflegeversicherung, zu geringeren Rentenleistungen für alle Versicherten, benachteiligt Geringverdiener – und hier insbesondere Frauen und Erwerbslose. Gerade die Fachpolitiker der Großen Koalition wissen dies natürlich allzu gut. Beweisen Sie deshalb einmal Rückrat und fol- gen Sie Ihrem Fachwissen, statt zähneknirschend von oben nach unten durchgestellte Konzepte abzusegnen. Die Legislative sitzt in diesem Haus. Nehmen Sie die Gewaltenteilung einmal ernst. Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜ- NEN): 2002 wurde, zeitlich befristet bis 2008, die Möglich- keit einer sozialabgabenfreien Gehaltsumwandlung einge- führt. Damit sollten vorübergehende Anreize für eine Ausweitung der betrieblichen Altersvorsorge geschaffen werden. Versicherte und Betriebe sollten sich in dieser Zeit darauf einstellen könnten, dass mehr Eigenverantwortung zur Erreichung eines auskömmlichen Alterseinkommens erforderlich ist. Am 20. März wurde Bundesminister Franz Müntefering im Handelsblatt mit der Bemerkung zitiert: Um die Entgeltumwandlung zur betrieblichen Al- tersvorsorge auch nach dem Auslaufen der Abga- benfreiheit attraktiv zu halten, könne man über ein „Äquivalent“ reden, das aber nicht zulasten der So- zialversicherungen gehen dürfe. Weitere Überlegungen, wie bestimmte Versicherten- gruppen wie Familien mit Kindern gezielter gefördert werden könnten, fanden auch unsere Unterstützung. Nur ein Vierteljahr später war das alles Schnee von gestern. Ohne eine wirklich substanzielle Begründung verkün- dete Minister Müntefering, dass die beitragsfreie Ent- geltumwandlung unbefristet fortgesetzt werden soll frei nach dem Motto „Was kümmert mich mein dummes Ge- schwätz von gestern.“ Was war geschehen? Einfach ausgedrückt: Die Koali- tion und das Arbeitsministerium sind vor der geballten Macht der Lobbyisten aus Arbeitgeberverbänden, der Mehrheit des DGB und der Versicherungswirtschaft ein- geknickt. Die Ausweitung der Betriebsrenten wurde öffentlich als Erfolgsmodell verkauft. Tatsächlich sind die Erfolge der beitragsfreien Gehaltsumwandlung mit zusätzlich rund 2,5 Millionen Verträgen seit Anfang 2002 eher mä- ßig. Denn schließlich haben sowohl Arbeitgeber als auch Beschäftigte Vorteile, wenn sie einen Teil ihres Gehaltes sozialabgabenfrei umwandeln und damit eine betriebli- che Altersvorsorge aufbauen können. Die Kehrseite der Medaille sind regelmäßige Einnahmeverluste der Sozial- kassen. 2006 wurden dadurch den Sozialversicherungen Einnahmen in Höhe von 2,5 Milliarden Euro entzogen. Experten gehen von Beitragsausfällen in 2030 von 5 bis 20 Milliarden Euro jährlich aus. Die Bundesregierung macht Geschenke an Kernbelegschaften, die sie aber nicht aus ihrer eigenen Tasche bezahlt, sondern zulasten der Sozialversicherten. Die Senkung des Rentenniveaus infolge der unbefris- teten Entgeltumwandlung hat die Bundesregierung ge- 12292 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) flissentlich ignoriert. Es wird interessant sein, wie sie die dauerhafte Senkung des gesetzlich vorgeschriebenen Ni- veausicherungsziels im nächsten Rentenversicherungs- bericht mit Maßnahmevorschlägen ausgleichen wird. Bevor Sie dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bundes- regierung zustimmen, frage ich die Abgeordneten aus den Koalitionsfraktionen: Mit welchen Maßnahmen wird diese Regierung das sinkende Rentenniveau von Geringverdienenden und Menschen mit unsteten Er- werbsverläufen ausgleichen? Diese Gruppen sind die Verlierer Ihrer Geschenke an Kernbelegschaften. Zu den Verliererinnen zählen explizit auch Frauen. Ich fasse zusammen: Der Sinneswandel der Bundes- regierung ist weder nachvollziehbar noch durch detail- lierte Analyse zur Alterssicherung für die verschiedenen Einkommensgruppen begründet. Sie ignoriert nach wie vor die Gefahr von Altersarmut einzelner Bevölkerungs- gruppen. Das steigende Altersarmutsrisiko von Gering- verdienenden und von Menschen mit Lücken in der Er- werbsbiografie wird vernachlässigt, trotz qualifizierter Hinweise der OECD und des Instituts für Arbeitsmarkt und Beschäftigungspolitik. Die steigenden Steuereinnah- men werden nicht dazu genutzt, um hier gezielt Korrek- turen vorzunehmen. Wenn Sie, meine Damen und Herren von der Koali- tion, Verbesserungen für die betriebliche Altersvorsorge erreichen wollen, müssen Sie zuerst die Rahmenbedin- gungen verbessern. Bündnis 90/Die Grünen wird dieser sozial unausge- wogenen Maßnahme nicht zustimmen, die Frauen, Langzeitarbeitslose und Geringverdienende belastet und Gutverdienende, dauerhaft Beschäftigte belohnt. Gerd Andres (Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- nister für Arbeit und Soziales): Mit dem Gesetzentwurf zur Förderung der betrieblichen Altersversorgung schreiben wir die Sozialabgabenfreiheit bei der Entgelt- umwandlung über das Jahr 2008 fort, und zwar unbefris- tet und dauerhaft. Das ist das Ergebnis einer intensiven Prüfung. Dabei hat die Bundesregierung auch die Wech- sel- und Folgewirkungen sorgsam abgewogen. Neue Untersuchungen zeigen: Ende des vergangenen Jahres verfügten 17,3 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer über eine Betriebsrentenanwartschaft. Das entspricht einem Verbreitungsgrad von rund 65 Prozent bei den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Dazu kommt: Auch die dritte Säule der Altersvorsorge wird immer stabiler. Es gibt heute schon über neun Mil- lionen private Riester-Verträge. Das ist eine Erfolgsge- schichte, an die vor drei, vier Jahren noch niemand ge- glaubt hätte. Die von uns angestrebte Flächendeckung der Zusatz- rente ist aber – trotz der sehr positiven Zahlen – noch nicht erreicht. Um dieses Ziel zu erreichen, brauchen wir sichere und langfristig geltende Rahmenbedingungen. Diese Planungssicherheit brauchen vor allem auch die Tarifvertragsparteien. Schon in über 400 Tarifverträgen finden sich Regelungen zur Entgeltumwandlung. Wir haben die Argumente sorgsam abgewogen. Rich- tig ist, dass die Beitragsfreiheit zu Einnahmeausfällen in der Sozialversicherung führt. Richtig ist aber auch, dass ein Ende der Beitragsfreiheit in keinem Fall zu entspre- chenden Mehreinnahmen bei den Sozialversicherungen führen würde. Vielmehr ist es realistisch, dass die Bei- tragsausfälle wegen der bestehenden Ausweichmöglich- keiten dauerhaft bestehen bleiben würden. Und wichtig ist: Weder in der gesetzlichen Renten- noch in der Ar- beitslosenversicherung kommt es infolge der Beitrags- ausfälle zu einem Anstieg des Beitragssatzes. Bei der ge- setzlichen Kranken- und Pflegeversicherung muss berücksichtigt werden, dass die Betriebsrenten bei Aus- zahlung der vollen Beitragspflicht unterliegen und damit die Systeme langfristig stützen. Bei der Abwägung haben wir selbstverständlich auch berücksichtigt, dass die Beitragsfreiheit die Rentenan- passung dämpft. Dieser Effekt ist aber vergleichsweise gering. Im Verhältnis zu den mit der Entgeltumwandlung verbundenen Vorteilen kann und muss er in Kauf ge- nommen werden. Noch ein zweiter Regelungsbereich des Gesetzes ist wichtig: Die Absenkung des Unverfallbarkeitsalters bei den Betriebsrenten von 30 auf 25 Jahre. Mit dieser Rege- lung unterstützen wir nicht nur den frühzeitigen Aufbau einer Zusatzrente, sondern wir geben auch ein gleichstel- lungspolitisches Signal: Denn heute gehen viele arbeit- geberfinanzierte Betriebsrentenanwartschaften verloren, weil junge Frauen wegen der Kindererziehung vor dem 30. Lebensjahr aus den Unternehmen ausscheiden. Das wollen wir künftig verhindern. Die Altersvorsorge in Deutschland ruht auf den stabi- len Säulen – gesetzlich, betrieblich, privat. Zur Stärkung der betrieblichen Altersvorsorge stellt das vorliegende Gesetz die Weichen richtig. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Bleiberecht als Menschenrecht (Ta- gesordnungspunkt 16) Reinhard Grindel (CDU/CSU): Ich habe bei unserer letzten Debatte im Bundestag über das Thema „Bleibe- recht“ betont, dass die Große Koalition eine Regelung finden wird, die Humanität und Rechtsstaatlichkeit mit- einander verbindet, die eine Zuwanderung in die Sozial- systeme vermeidet und die für mehr und nicht weniger Integration sorgt. Dies alles haben wir erreicht: Mit dem neuen Aufent- haltsgesetz und § 104 a haben wir ein gesetzliches Blei- berecht beschlossen, das vielen Ausländern in unserem Land eine faire Zukunftsperspektive anbietet und das insbesondere dafür sorgt, dass Kinder und Jugendliche, für die Deutschland längst Heimat geworden ist, Bil- dungschancen nutzen können. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 12293 (A) (C) (B) (D) Dieses gesetzliche Bleiberecht ist eine richtige Fort- entwicklung der vorläufigen Altfallregelung, die die In- nenministerkonferenz im November 2006 getroffen hat. Dieses gesetzliche Bleiberecht verlangt Integrations- leistungen von den Ausländern, die sich darauf berufen wollen, und es verlangt Achtung vor geltendem Recht. Kurzum: Unsere Bleiberechtsregelung stellt eine ge- rechte Abwägung zwischen den Interessen unserer aus- ländischen Mitbürger und den Interessen unseres frei- heitlichen Rechtsstaats dar, und wir werden als Große Koalition uns diese Bleiberechtsregelung von der Op- position nicht schlechtreden lassen. Weil Grundlage dieser Debatte ein Antrag der Linken ist, können wir auch einmal schauen, wie das Bleibe- recht in der Praxis angewandt wird. In Bayern sind zum Stichtag 30. Juni 2007 – wir ha- ben bisher nur Zahlen für den IMK-Bleiberechtsbe- schluss – von 3 000 Anträgen 1 123 positiv beschieden worden – da gab es gleich eine Aufenthaltserlaubnis –, und in 1 197 Fällen ist die Duldung erstmal verlängert worden. Nur 337 Anträge – 13 Prozent – wurden abge- lehnt. In Baden-Württemberg, in Hessen und Nieder- sachsen ist das Bild ganz ähnlich. In Berlin, wo die Linkspartei mitregiert, sind auch 3 000 Anträge gestellt worden. Nur in 404 Fällen gab es eine Aufenthaltserlaubnis, aber in 420 Fällen – das sind über 50 Prozent der bisher entschiedenen Anträge – ist das Bleiberecht abgelehnt worden. Die anderen Anträge sind möglicherweise mit Blick auf die gesetzliche Rege- lung noch gar nicht bearbeitet worden. Insgesamt haben bereits 43 000 Ausländer entweder eine Aufenthaltserlaubnis oder zumindest eine Duldung zur Arbeitsplatzsuche erhalten. Über die Anträge von weiteren 25 000 Geduldeten ist bisher noch nicht ent- schieden worden. Die Linkspartei hat keinen Grund, irgendjemandem außerhalb Berlins Hartherzigkeit vorzuwerfen, übrigens schon gar nicht Bayern. Wahr ist auch, dass die Überschrift im Antrag der Linksfraktion falsch ist. Das Bleiberecht ist kein Men- schenrecht. Weder in UNO-Konventionen oder der Eu- ropäischen Menschenrechtskonvention werden sie ein Recht darauf finden, dass ein Ausländer von sich aus entscheiden dürfte, in welchem Staat er gerade leben möchte. Ein Bleibrecht – so haben wir es geregelt – ist nur dann vertretbar, wenn einem Ausländer und insbeson- dere seinen Kindern aus Gründen, die er selbst nicht zu vertreten hat, eine Rückkehr in sein ursprüngliches Her- kunftsland aus humanitären Gründen nicht zuzumuten ist. Das muss der Maßstab für das Bleiberecht sein. Genau gegen diese Grundsätze verstößt der Antrag der Linksfraktion. Sie schreibt sogar ganz offen in ihrem Antrag, dass ein Bleiberecht auch bei Täuschungen nicht ausgeschlossen sein soll. Da sagen ich: dass ein Auslän- der, der jahrelang getrickst und die Behörden getäuscht hat, der gegen seine Mitwirkungspflichten verstoßen und etwa die Beschaffung von Passersatzpapieren vereitelt hat, der dadurch hohe Sozialleistungen kassiert hat, dass solch ein Ausländer obendrein auch noch mit einem Bleiberecht für seine Gesetzesverstöße prämiert werden soll, das ist mit uns nicht zu machen. Gerade bei der Bleiberechtsregelung kam es darauf an, dass sie auch auf Akzeptanz in unserer heimischen Bevölkerung stößt, dass sie Integrationsbereitschaft nicht gefährdet. Deshalb war es richtig, dass wir in § 104 a Aufenthaltsgesetz vorsehen, dass derjenige kein Bleibe- recht erhält, der die Ausländerbehörde vorsätzlich über aufenthaltsrelevante Umstände getäuscht oder die Auf- enthaltsbeendigung vorsätzlich behindert hat. Ich finde auch, dass wir die Mitarbeiter der Auslän- derbehörden nicht demotivieren dürfen. Sie versuchen unter schwierigen Bedingungen, im Interesse unseres freiheitlichen Rechtsstaats Abschiebungen durchzuset- zen. Ihnen würden wir als Gesetzgeber in den Rücken fallen, wenn wir denjenigen ein Bleiberecht geben wür- den, die diese Beamten der Ausländerbehörden manch- mal jahrelang zum Narren gehalten haben. Was die Linksfraktion da will, ist völlig unvertretbar. Das gilt auch noch für einen anderen Punkt: Sie will das Bleiberecht, das ihr vorschwebt, auch nicht von Inte- grationsleistungen abhängig machen. Sie verzichtet auf Deutschkenntnisse, sie verzichtet auf den Nachweis ei- nes Arbeitsplatzes und sie verzichtet darauf, dass Aus- länder ihre Kinder auf eine Schule schicken. Damit ze- mentiert sie Parallelgesellschaften. Damit verhindert sie ein Miteinander von Deutschen und Ausländern. Damit vereitelt sie Integration. Damit dient sie niemandem: we- der den Deutschen noch den Ausländern. Aber es geht ihr in Wahrheit auch nicht um Bleibe- recht und Integration. Das zeigt sich daran, dass sie keine Altfallregelung mit einem festen Stichtag will, sondern eine permanente, ungesteuerte Zuwanderung durch Täuschen und Tricksen. Darauf läuft das hinaus, was sie hier vorschlägt: Sie weiß ganz genau, dass Schlepper und Schleuser darauf sofort reagieren, dass diese jede gesetzliche Neuregelung ausnutzen, die eine ungesteuerte Zuwanderung ermöglicht. Das ist doch die Erfahrung, die in Spanien und Italien nach den Legali- sierungskampagnen gemacht wurde. Ihr Antrag ist eine Einladung, eine Begünstigung für Schlepper und Schleu- ser. Ihr geht es nicht um Bleiberecht, ihr geht es um un- gesteuerte Zuwanderung. Das lehnen wir nicht nur ab, sondern die Intentionen, die hinter ihrem Antrag stehen, verurteilen wir. Rüdiger Veit (SPD): Der Antrag der Fraktion Die Linke stammt vom 18. Dezember des letzten Jahres und damit aus einer Zeit, als die Koalitionsfraktionen inten- siv über die Frage einer gesetzlichen Bleiberechtsrege- lung verhandelt haben. Diese haben wir dann in Gestalt der § 104 a und 104 b des Aufenthaltsgesetzes in der Bundestagssitzung am 26. April 2007 verabschiedet. Ich kann mich zur Bewertung weitgehend auf meinen dama- ligen Redebeitrag beziehen, den ich wie folgt noch ein- mal zusammenfasse: 12294 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) Dass es überhaupt zu einer gesetzlichen Bleiberechts- regelung gekommen ist, ist meines Erachtens schon für sich betrachtet ein großer Fortschritt. Denn wir sind da- mit nicht mehr allein abhängig vom Einvernehmen sämt- licher Innenminister der Länder, die in der Vergangen- heit mit ihren Konferenzen mehr oder eher weniger wirksame Bleiberechtsregelungen beschlossen haben – zuletzt in der Sitzung am 17. November 2006, auf die ja auch der Antrag der Fraktion Die Linke Bezug nimmt. Mit dieser gesetzlichen Regelung haben wir vor allem auch den bisherigen Teufelskreis für Geduldete durch- brochen. Denn früher hieß es: „Hast du keine Arbeit, be- kommst du keine Aufenthaltserlaubnis, hast du keine Aufenthaltserlaubnis, darfst du gar nicht erst arbeiten.“ Nach diesen Vorschriften kann bisher lediglich gedulde- ten ausländischen Mitbürgern eine Aufenthaltserlaubnis auch dann erteilt werden, wenn sie in der Zeit bis zum 31. Dezember des Jahres 2009 ihren Lebensunterhalt – jedenfalls überwiegend – durch eigene Erwerbstätig- keit sicherstellen können. Vor allem in diesem Punkt geht die beschlossene gesetzliche Regelung deutlich weiter als die bisherigen Beschlüsse der Innenminister- konferenzen. Ich will aber auch bei dieser Gelegenheit nicht ver- hehlen, dass ich mir durchaus eine noch großzügigere Bleiberechtsregelung hätte vorstellen können. Dies gilt vor allem für die meines Erachtens zu langen Mindest- aufenthaltszeiten von acht für Einzelpersonen bzw. sechs Jahren bei Familien, dies gilt für die zu niedrig gewählte Grenze beim Ausschlusskriterium der Strafbarkeit (50 bzw. 90 Tagessätze), dies gilt für den Regelausschluss aller Familienmitglieder, wenn nur ein Familienmitglied solche Straftaten begangen hat. Dies gilt vor allem auch für die viel zu lange Mindestaufenthaltsdauer von sechs Jahren für Kinder und Jugendliche, die ohne Eltern min- derjährig nach Deutschland eingereist sind. Was uns mit diesem Gesetz leider auch nicht gelungen ist, ist die generelle Abschaffung der sogenannten Ketten- duldungen beispielsweise durch eine entsprechende Neufassung des § 25 Abs. 4 und Abs. 5 AufenthG. Sie sehen also – dies gilt auch und gerade für die Fraktion der Antragsteller –, bei den von Ihnen ange- sprochenen Problemen sind wir als Sozialdemokraten durchaus sensibel und hätten selbst gerne mehr erreicht. Mehr war nun allerdings mit unserem derzeitigen Ko- alitionspartner – leider – nicht möglich. Aber ich will selbstkritisch auch einmal daran erin- nern, dass wir das, was uns jetzt mit den Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU und mit Innenminister Schäuble gelungen ist, in der früheren rot-grünen Koali- tion nicht zustande gebracht haben. Nunmehr gilt es abzuwarten, wie sich dieses Gesetz, das ja erst seit dem 27. August dieses Jahres in Kraft ist, in der Praxis bewährt. Die dazugehörigen vorläufigen Anwendungshinweise des Bundesministeriums des In- neren liegen gerade erst vor. Nach den letzten mir zugänglichen Zahlen per 30. Juni 2007 haben durch die Bleiberechtsregelung der Innenministerkonferenz vom 17. November 2006 knapp 15 000 Menschen eine Aufenthaltserlaubnis und rund 28 000 eine Duldung zum Zwecke der Arbeitsaufnahme erhalten. Ich hoffe sehr, dass es gelingt, mit der weitergehenden gesetzlichen Regelung noch wesentlich mehr von unse- ren ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern – und vor allem den Kindern und Jugendlichen – eine dauer- hafte Perspektive durch einen gesicherten Aufenthalt in Deutschland zu bieten. Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Die Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäi- schen Union durch die Bundesregierung und der Kom- promiss der Innenministerkonferenz zum Bleiberecht ist in vielerlei Hinsicht problematisch. Die Zuwanderung insgesamt bedarf der Erörterung. Ein umfassendes Kon- zept zur Zuwanderungssteuerung fehlt nach wie vor. Allerdings hilft es nicht weiter, wenn die Fraktion Die Linke nun fordert, auf jegliche Zuwanderungssteuerung zu verzichten. Die Linke lehnt in ihrem vorliegenden Antrag Sprachkenntnisse als Einreisebedingung ab. Sie verlangt, dass die Täuschung deutscher Behörden über die persönliche Identität den Betreffenden nicht vorge- worfen werden darf. Die Linke spricht sich dafür aus, dass durch Migration und Integration entstehende Kos- ten für die Gesellschaft nicht mehr thematisiert werden sollen. Ein Arbeitsplatz soll keine Voraussetzung für die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung sein. Die Linke möchte, dass über „Zuwanderung in Sozialsysteme“ nicht einmal mehr gesprochen werden darf. Die Linke erweist damit den Bemühungen um Aus- länderintegration einen Bärendienst. Nachdrücklicher als durch diesen Antrag können ausländerfeindliche Vor- urteile kaum bekräftigt werden. Der Antrag würde an je- dem Stammtisch zu der Parole führen: Das haben wir ja schon immer gewusst. Wer im Kontext mit dem deut- schen Ausländerrecht wiederholt von „Entrechtung“ spricht, muss sich vorwerfen lassen, die deutsche Rechtsordnung systematisch zu diffamieren. Das passt sehr gut zur Alt-Stasi-Partei „Linke“. Die Linke tut so, als müsse nur der Zugang zu den Geldquellen des deutschen Sozialsystems geöffnet wer- den, dann wären alle Probleme gelöst. Ein solches Men- schenbild ist nicht einmal im 19. Jahrhundert aktuell ge- wesen. Aus Sicht der FDP ist Arbeit viel mehr als nur die Notwendigkeit, den eigenen Lebensunterhalt zu verdie- nen. Arbeit ist ein entscheidender Integrationsfaktor. Sie ermöglicht den Zuwanderern, finanziell auf eigenen Bei- nen zu stehen, fördert so das Selbstwertgefühl nicht nur des Berufstätigen, sondern auch der Familienangehöri- gen. Sie ermöglicht soziale Kontakte und schafft Akzep- tanz in der Bevölkerung. Dies ist auch im Interesse der Gesellschaft als Ganzes. Allerdings muss die Arbeitser- laubnis ohne Restriktion mit dem Bleiberecht gekoppelt erteilt werden bzw. müssen im Vorfeld die Hürden für den Arbeitsmarktzugang beseitigt werden. Ansonsten ist Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 12295 (A) (C) (B) (D) das Erfordernis, selbst für den Lebensunterhalt sorgen zu können, nicht praktikabel. Der sofortige Zugang zum Arbeitsmarkt muss ge- währleistet sein und darf nicht durch Überbürokratisie- rung verhindert werden. Hier bleibt die Bundesregierung weit hinter dem Nötigen und Möglichen zurück. Die Möglichkeit für langjährig Geduldete, den eigenständi- gen Lebensunterhalt zu bestreiten, ist deshalb sehr wohl ein wichtiges Kriterium der Bleiberechtsregelung. Dies dient der Sicherstellung, dass keine Überinanspruch- nahme der Sozialleistungen oder Missbrauch erfolgt; es dient aber auch der Integration. Unseres Erachtens ist es zudem sehr wohl relevant, dass geduldete Ausländer die Behörden nicht täuschen oder behindern, was ihren aufenthaltsrechtlichen Status anbelangt. Rechtstreue und die erfolgreiche Integration müssen die entscheidenden Kriterien für die Erteilung eines Bleiberechts sein, nachgewiesen unter anderem durch eigenständig gesicherten Lebensunterhalt, deut- sche Sprachkompetenz und Akzeptanz im persönlichen, sozialen Umfeld. Ebenso wie für die Frage der Rechts- treue und die der Integration in den Arbeitsmarkt gilt das Mitwirkungserfordernis auch für die deutsche Sprach- kompetenz. Die Linke tut so, als wäre es für Menschen, die in Deutschland bleiben wollen, eine Zumutung, die deut- sche Sprache zu lernen. Tatsächlich ist es umgekehrt. Wer wirklich hier bleiben will, wird selbstverständlich auch die deutsche Sprache lernen wollen, müssen und können. Dabei ist immer auch darauf hinzuweisen, dass das auch ohne Betreuung in staatlichen Kursen möglich ist – und dafür gibt es viele gute Beispiele. Generell denke ich, dass wir Integration nicht zu- nächst als eine Bringschuld des Staates ansehen sollten, sondern die aktive Mitwirkung der Zuwanderer einfor- dern. Fördern und Fordern, klare Vorgaben und Perspek- tiven sind wesentlicher Bestandteil einer abgewogenen Ausländerpolitik. Die Linken erwecken mit ihrem An- trag den Eindruck, Geduldete könnten sich allein da- durch, dass sie sich fünf oder gar nur drei Jahre hierzu- lande aufgehalten haben, ohne aktiv etwas für ihre Integration zu tun, einen Anspruch auf ein Bleiberecht erwirken. Das weckt falsche Hoffnungen. Bundespräsident Köhler hat sich im Sommer aus- drücklich für eine Öffnung des deutschen Ausländer- rechts ausgesprochen – zu Recht. Die FDP teilt die Auf- fassung des Bundespräsidenten, dass unser Land mit Weltoffenheit besser fährt. Deutschland ist darauf ange- wiesen, als Standort für ausländische Mitarbeiter, For- scher und Entwickler sowie Unternehmer attraktiv zu bleiben. Die Einstellung von ausländischen Hochqualifi- zierten sorgt für weitere Investitionen in Arbeitsplätze und ist für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unterneh- men essentiell. Um die Arbeitsmigration sinnvoll zu steuern, hat die FDP hier konkrete Vorschläge gemacht, die auch von den Gewerkschaften und den Unternehmen dringend angemahnt werden. Wir brauchen eine Zuwan- derungssteuerung mit nachvollziehbaren Kriterien. Integrationspolitik muss werteorientiert sein. Zuwan- derer sind zu fördern, aber selbst auch klar gefordert. Die deutsche Sprache, Demokratie und Rechtsstaat, die Grund- und Menschenrechte sind das für alle geltende Fundament unserer Gesellschaft. Sie sind aber auch eine attraktive Zielsetzung für Integration. Hier bedarf es so- wohl deutlich ausgeweiteter Angebote und Anreize sei- tens des Staates als auch verständlicher Richtsätze, um ein klares Erwartungsbild an die Migranten aufzuzeigen. Die Linke will das Gegenteil. Sie will die Akzeptanz von Ausländern in Deutschland erschweren, die Sozial- systeme sprengen, die inneren Spannungen erhöhen und die deutsche Gesellschaft desintegrieren, indem sie fal- sche Erwartungen weckt und statt Engagement nur An- spruchsdenken fördert. Wir Liberalen wollen dagegen Chancen eröffnen: Wir wollen eine neue Kultur des Willkommens, die nicht fal- sche Versprechungen auf Kosten anderer Leute macht, sondern Chancen und Perspektiven eröffnet. Wir wollen, dass die Menschen, die zu uns kommen, sich ihre Zu- kunft selbst erarbeiten können. Wir wollen, dass sie hier willkommen sind. Der Antrag der Linken würde genau das Gegenteil bewirken. Wir lehnen ihn klar und nachdrücklich ab. Ulla Jelpke (DIE LINKE): Den vorliegenden Antrag haben wir im Frühjahr eingebracht, um für eine humane Bleiberechtsregelung im Aufenthaltsgesetz zu sorgen. Die Koalitionsfraktionen haben unterdessen beides verhindert: Die nun geltende Regelung im § 104 Aufent- haltsgesetz ist nicht human, und sie ist keine Bleibe- rechtsregelung. Sie konnten sich nur zu einer inhumanen Altfallregelung durchringen. Sie ist inhuman, weil sie nur solchen Geduldeten ein Aufenthaltsrecht gewähren will, die ökonomisch nütz- lich sind und den repressiven Integrationsvorstellungen der Bundesregierung entsprechen. Deshalb wurden Be- dingungen gestellt, ohne die es kein Bleiberecht gibt: Erstens. Der bisher geduldete Aufenthalt muss mindes- tens sechs bzw. acht Jahre lang gewesen sein. Dadurch sind 100 000 Geduldete von vornherein ausgeschlossen. Zweitens. Nach jahrelangem Arbeitsverbot müssen die Betroffenen auf einmal ein Haushaltseinkommen erzie- len, das über den Sätzen für Hartz IV liegt. Drittens müs- sen die Antragsteller die Mitwirkungspflichten bei Iden- titätsfeststellung und Passbeschaffung erfüllt haben. Damit haben Sie einen Gummiparagrafen geschaffen, denn nirgendwo ist eindeutig definiert, wann Verstöße gegen die Mitwirkung nun definitiv ein Ausschlussgrund sind und wann nicht. Viertens haben Sie all jene vom Bleiberecht ausgeschlossen, die sich geringfügige Straf- taten haben zuschulden kommen lassen oder unter Gene- ralverdacht stehen, Bezüge zu extremistischen oder ter- roristischen Gruppen zu haben. Per Sippenhaft sind die Familien der Betroffenen ebenfalls ausgeschlossen. Dennoch haben Sie sich in der Öffentlichkeit als Sa- mariter gegeben. Doch um die Geduldeten und ihre Be- dürfnisse und Interessen geht es Ihnen gar nicht. Die Union hat ohne jeden nachvollziehbaren Sachzusam- 12296 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) menhang die Altfallregelung mit Verschärfungen im Asyl- und Aufenthaltsrecht verknüpft. Ein Beispiel: Der Bezug um 40 Prozent verminderter Sozialleistungen ist von drei auf vier Jahre verlängert worden. Wie diese Menschen leben müssen, ist unzumutbar! Beschämend in diesem Zusammenhang ist aber auch das Verhalten der SPD-Fraktion und ihres Verhandlungs- führers Rüdiger Veit. Sie haben eine völlig unzurei- chende Altfallregelung mit Zugeständnissen erkauft, die die Lebenslage vieler Zehntausend Menschen extrem verschlechtert. Damit meine ich nicht nur die Änderung am Asylbewerberleistungsgesetz, sondern auch die Neu- regelung des Familiennachzugs. Dem Bundestag lagen qualifizierte Vorschläge für eine wirkliche Bleiberechts- regelung vor, die von Flüchtlingsorganisationen unter- stützt werden und an denen Sie sich hätten orientieren können. Aber stattdessen haben wir nun eine Altfallrege- lung, die wieder nur einem kleinen Teil der langjährig Geduldeten hilft. Die Skepsis der Linksfraktion ist wohl begründet. Die letzten Zahlen zur Umsetzung der IMK-Altfallregelung sprechen eine deutliche Sprache. Zum 30. Juni haben über 71 000 Personen einen Antrag auf Aufenthaltser- laubnis gestellt, von 170 000 Geduldeten insgesamt. We- niger als 15 000 haben eine Aufenthaltserlaubnis erhal- ten. Das freut mich für diese 15 000, aber das ist deutlich zu wenig! Weitere 30 000 haben eine Duldung erhalten, um sich einen Arbeitsplatz suchen zu können. Sie werden nun eine sogenannte „Aufenthaltserlaub- nis auf Probe“ erhalten. Damit verbessert sich ihr Status nur unwesentlich. Wohnsitzbeschränkende Auflagen gelten weiter, solange sie keinen Arbeitsplatz haben. Der Druck auf die Betroffenen ist also weiter enorm hoch. Gleichzeitig sind die Aussichten auf einen niedrigquali- fizierten Job, mit dem sich eine Familie ohne ergänzende Sozialhilfe ernähren lässt, enorm schlecht. Falls sie eine solche Arbeit bekommen, haben die Arbeitgeber ein dauerndes Druckmittel in der Hand – den drohenden Verlust der Aufenthaltserlaubnis bei Kündigung. Um es noch einmal auf den Punkt zu bringen: Von den beiden bestehenden Altfallregelungen werden viel zu wenig Betroffene begünstigt. Die Hürden sind zu hoch, für alte und kranke Menschen unerreichbar. Und vor allem: Das Versprechen, das Problem der Kettendul- dungen aus der Welt zu schaffen, haben Sie damit nicht eingelöst. Dafür hätte es weitreichender und mutiger Schritte bei der Reform des humanitären Aufenthalts- rechts gebraucht. Zu diesen Schritten waren Sie politisch nicht willens. Eine Lösung im Sinne der Betroffenen steht weiterhin aus. Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Auch bei einer erneuten Beratung des Themas bleibe ich dabei: Die von der Koalition im Rahmen des EU-Richtlinienumsetzungsgesetzes beschlossene Alt- fallregelung ist deutlich zu restriktiv. Denn sie hat im Wesentlichen die einschränkenden Bedingungen des Be- schlusses der Innenministerkonferenz übernommen. Da- mit wurde das Problem der Kettenduldungen nicht gelöst und Integrationschancen vertan. Eine Reihe von Voraussetzungen für die Erlangung eines Aufenthaltstitels nach der Altfallregelung sind überdies so unpräzise – und damit auch rechtsstaatlich bedenklich formuliert – dass kaum prognostiziert wer- den kann, wann es zu positiven Entscheidungen kom- men wird und wann nicht. Überdies wird das Problem dadurch verschärft, dass die vorgeschlagenen Regelun- gen extrem unübersichtlich sind. Schließlich ist es ganz besonders bedenklich, dass im geänderten Zuwande- rungsgesetz das Bestehen einer nach Art. 6 Grundgesetz schützenswerten Familie nicht primär zum Anlass für positive Regelungen genommen wurde, sondern Fami- lienmitglieder in völlig unangemessener Weise in eine Form der Sippenhaft genommen werden. Hier möchte ich insbesondere auf die Regelung in § 104 b Aufent- haltsgesetz hinweisen, nach der der Jugendliche bleiben kann, die Eltern aber ausreisen müssen. Eine wirklich humanitäre Lösung und eine Beendigung des Zustandes der Kettenduldung lassen sich damit mit dem Regie- rungsvorschlag nicht erreichen. Daher lehnen wir ihn ab. Angesichts der Erfahrungen mit der Anwendung der den Bleiberechtsbeschluss umsetzenden Länderanord- nungen besteht die ernsthafte Gefahr, dass das Ziel des Entwurfs, langjährig im Bundesgebiet geduldeten und integrierten Ausländern eine dauerhafte Perspektive im Bundesgebiet zu eröffnen, durch intensive Anwendung der Ausschlussgründe in sein Gegenteil verkehrt wird. Ein Beleg für diese Befürchtung ist der Bericht des Bun- desinnenministeriums zur Umsetzung des Bleiberechts- beschlusses vom 7. Mai 2007, wonach von den 58 259 gestellten Anträgen 5 004 positiv entschieden, jedoch 3 402 überwiegend aufgrund von Ausschlussgründen zurückgewiesen wurden. Es sollte der Koalition zu den- ken geben, dass die Zahl der zurückgewiesenen Anträge nicht deutlich unterhalb der der positiven Entscheidun- gen liegt, obwohl es sich in beiden Fällen um faktisch in- tegrierte Personen handelt, deren rechtliche Integration Ziel des Bleiberechtsbeschlusses ist. Unsere Kritikpunkte an den Bedingungen der gesetz- lichen Bleiberechtsregelung nochmals zusammenge- fasst: Die geforderte Mindestaufenthaltszeit – acht Jahre bzw. sechs Jahre bei Familien mit Kindern – ist zu lang und wird von fast der Hälfte der Geduldeten nicht erfüllt. Darüber hinaus gibt es einen langen Katalog von Be- dingungen: von Deutschkenntnissen über den Grundsatz der Erwerbstätigkeit bis zur Straflosigkeit. Beim letzten Punkt sieht die Bundesregierung sogar eine Art Sippen- haft vor: Hat ein Familienmitglied Straftaten begangen, werden auch alle anderen vom Bleiberecht ausgeschlos- sen. Besonders problematisch: Die Ausländerbehörde darf nicht „getäuscht“ worden sein und Mitwirkungspflichten bei der eigenen Aufenthaltsbeendigung dürfen nicht ver- letzt worden sein. Beides unterstellen viele Ausländerbe- hörden bei fast allen langjährig Geduldeten und sie ver- stehen unter „vorsätzlicher Verzögerung“ nicht selten bereits die Beschreitung des Rechtsweges. Ausländerbe- hörden erhalten mit der vorgesehenen Regelung also die Möglichkeit, nahezu jeden Antrag abzulehnen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 12297 (A) (C) (B) (D) Erwerbsunfähige – Kranke, Behinderte – und Alte werden faktisch vom Bleiberecht ausgeschlossen, denn für sie müssen Lebensunterhalt, Betreuung und Pflege ohne staatliche Hilfe sichergestellt sein. Das ist praktisch unerfüllbar, weil sich kaum eine Krankenkasse finden wird, die bereit ist, sie aufzunehmen. Gut integrierten Schülerinnen und Schülern im Alter von 14 bis 18 Jahren bietet die Bundesregierung ein ei- genständiges Aufenthaltsrecht an – unter der Bedingung, dass die Eltern ausreisen. Das ist zynisch, familienfeind- lich und zudem unrealistisch. Die Länder können entscheiden, dass diejenigen, die eine Aufenthaltserlaubnis zur Arbeitssuche erhalten ha- ben, weiterhin nur Lebensmittelpakete nach dem Asyl- bewerberleistungsgesetz erhalten. Aus unserer Sicht ist zweierlei erforderlich, um dem Problem der Kettenduldung zu begegnen. Zum einen brauchen wir eine großzügige Altfallregelung mit Bedin- gungen, die der Großteil der Geduldeten tatsächlich er- füllen kann. Zum anderen brauchen wir grundsätzliche Verbesserungen bei der Ermöglichung des Aufenthalts aus humanitären Gründen, damit auch in Zukunft – jen- seits von Stichtagen – der Übergang von der Duldung zur Aufenthaltserlaubnis erreicht werden kann. Zu bei- den Ansätzen hat die grüne Bundestagsfraktion frühzei- tig Anträge eingebracht, die aber – entgegen mancher Äußerungen in der Presse – dann bei den entscheidenden Abstimmungen von den Koalitionsabgeordneten abge- lehnt wurden. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Rechts der landwirtschaftlichen Sozial- versicherung (LSVMG) – Unterrichtung: Bericht nach § 99 der Bun- deshaushaltsordnung über die Umsetzung und Weiterentwicklung der Organisations- reform in der landwirtschaftlichen Sozial- versicherung (Tagesordnungspunkt 19 a und b) Gitta Connemann (CDU/CSU): Soziale Sicherheit für die Menschen im ländlichen Raum – dafür steht die landwirtschaftliche Sozialversicherung, über die wir heute debattieren. Sie ist das berufsständische Siche- rungssystem, das unsere Land- und Forstwirte, unsere Gärtner und ihre Familien gegen Unfall, Krankheit, Ge- brechen und Alter absichert. Die landwirtschaftliche Sozialversicherung hat sich in der Vergangenheit hervor- ragend bewährt. Zugleich konnte ein rasanter Struktur- wandel bislang sozial abgefedert werden. Die Herausforderungen werden aber größer. Mit Aus- nahme des Gartenbaus nimmt die Zahl der landwirt- schaftlichen Betriebe von Jahr zu Jahr ab. Die Zahl der versicherten Beitragszahler wird geringer und die Zahl der Empfänger steigt überproportional. Damit wächst die Kostenbelastung der aktiv wirtschaftenden Land- wirte und ihre Sorge. Denn gerade die die Sicherheit der Versorgung im Alter ist für unsere Bäuerinnen und Bau- ern, die Altenteiler, ein hochsensibles Thema, das mit Ängsten verbunden ist. Es besteht Handlungsbedarf. Für diese Feststellung brauchte es nicht des aktuellen Berichts des Bundesrech- nungshofes. Ich bin dankbar, dass sich die Bundesregie- rung unter Führung von Herrn Minister Seehofer der Aufgabe gestellt hat, die landwirtschaftliche Sozialversi- cherung zukunftsfest zu machen. Nach vielen Jahren, in denen einerseits die Bundes- mittel, etwa für die landwirtschaftliche Unfallversiche- rung, gekürzt worden sind und andererseits systemsi- chernde Vorschläge des Berufsstandes außer Acht gelassen worden sind, kann dieser Kraftakt nicht hoch genug bewertet werden. Es besteht Einigkeit: Das Ge- setz zur Modernisierung des Rechts der landwirtschaftli- chen Sozialversicherung muss 2008 in Kraft treten. Mit dem jetzt vorgelegten Gesetzentwurf wollen wir erreichen, dass die agrarsozialen Sicherungssysteme sta- bilisiert und an den nach wie vor anhaltenden Struktur- wandel angepasst werden. Nur so lassen sich stabile Bei- träge erreichen. Der Gesetzentwurf sieht zahlreiche Maßnahmen vor, die organisatorische Änderungen in der landwirtschaftlichen Sozialversicherung beinhalten. Auch im Leistungs- und Beitragsbereich der landwirtschaftli- chen Unfallversicherung wird es zu Änderungen kom- men. Letztere Änderungen werden vom landwirtschaftli- chen Berufsstand mitgetragen, dem ich an dieser Stelle höchstes Lob zollen und Dank sagen möchte. Ich kenne keine andere Branche, die schon so frühzeitig betrieblich durchaus schmerzhafte Änderungen des Leistungsrechts angemahnt hat, um mittelfristig spürbare finanzielle Ein- sparungen im Bereich der landwirtschaftlichen Unfall- versicherung zu erreichen. Bereits im Februar 2004 ha- ben Deutscher Bauernverband und Gesamtverband der Deutschen Land- und Forstwirtschaftlichen Arbeitgeber- verbände Maßnahmen gefordert, die jetzt zum überwie- genden Teil in dieses Gesetz mit eingeflossen sind. Über weitere Vorschläge – etwa über den Vorschlag einer ren- tenentschädigungspflichtigen Minderung der Erwerbsfä- higkeit erst ab 30 Prozent anstelle von bisher 20 Prozent und den Wegfall des Rentenbezuges ab Erreichen der Regelaltersrente – wird im Lauf des Gesetzgebungsver- fahrens zu sprechen sein. Der Berufsstand hat damit frü- her als alle anderen seine Hausaufgaben gemacht. Die Landwirtschaft, die sich so vorbildlich einge- bracht hat, hat verdient, dass sich der Bund seiner Ver- antwortung ihr gegenüber bekennt. Und das hat er mit seinen Haushaltsplanungen für 2008 getan. Denn im Entwurf für den Haushalt des Bundesminis- teriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucher- schutz für das Jahr 2008 sind einerseits 100 Millionen Euro als Beitragszuschuss für die landwirtschaftliche Unfallversicherung vorgesehen. Gleichzeitig sollen ins- gesamt 400 Millionen Euro zusätzlich aus Vermögens- verkäufen zur Verfügung gestellt werden, um die Emp- 12298 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) fänger von kleineren Unfallrenten im Rahmen einer zeitlich begrenzten Aktion abzufinden. Weitere 250 Mil- lionen Euro sind von den landwirtschaftlichen Berufsge- nossenschaften aus dem Vermögen aufzubringen. Ziel ist es, den Rentenaufwand dauerhaft um 100 Millionen Euro zu senken. Das Interesse an dieser Abfindung ist zu Recht hoch. Denn bei vielen wird sich, quer durch alle Altersgrup- pen, die Abfindungsregelung rechnen. Allerdings ist die Feststellung immer für den Einzelfall unter entsprechen- der Flankierung von landwirtschaftlichen Berufsverbän- den und Berufsgenossenschaften zu treffen. Damit es nicht zu Schlechterstellungen kommt, ist im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens zu prüfen, ob die parallele Weitergeltung der Abfindungsregelungen des SGB VII dazu führen kann, dass die Abfindungssumme insbeson- dere in den ersten 15 Jahren nach dem Unfall nach den Regeln der Sonderaktion niedriger ausfällt als nach Nor- malrecht. Zum anderen beziehen sich die Werte der Ab- findungstabellen auf Sterbetafeln der 60er-Jahre. Für den Fall, dass im Rahmen einer Reform des Rechts der ge- setzlichen Unfallversicherung dann aktuelle Sterbetafeln und damit zwangsläufig bessere Kapitalisierungsfakto- ren zur Anwendung kämen, müsste gegebenenfalls auch über die Aufnahme einer einschlägigen Vorbehaltsklau- sel nachgedacht werden. Aus meiner Sicht ist es absolut begrüßenswert, dass die landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften ver- pflichtet werden sollen, ihre Beitragsmaßstäbe, wohlge- merkt bei regionaler Festsetzung, flächendeckend am Unfallrisiko zu orientieren. Die Landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften Niedersachsen-Bremen und Nord- rhein-Westfalen haben diesen Schritt schon vollzogen. Andere, zum Beispiel die Landwirtschaftlichen Berufs- genossenschaften Schleswig/Holstein und Hamburg, Hessen-Rheinland-Pfalz und Saarland, Niederbayern/ Oberpfalz und Schwaben sowie Baden-Württemberg werden in absehbarer Zeit folgen. Diese Anwendung risikoorientierter Beitragsmaß- stäbe in ganz Deutschland ist aus meiner Sicht eine we- sentliche Gerechtigkeitsvoraussetzung für den geplanten partiellen Lastenausgleich zwischen den landwirtschaft- lichen Berufsgenossenschaften. Strukturell benachtei- ligte landwirtschaftliche Berufsgenossenschaften, die hohe Kosten für Altrenten tragen müssen, sollen entlas- tet werden. Grundsätzlich ist es richtig, mithilfe einer Lastenver- teilung unter den landwirtschaftlichen Berufsgenossen- schaften bundesweite Solidarität herzustellen. Solidarität bedeutet aber immer auch, Lastenverschiebungen inner- halb des Systems vorzunehmen. Innerhalb des Systems würde dies zu Lastenverschiebungen beispielsweise vom Norden und vom Osten in den Süden. Die Selbstverwal- tung hat hier sicherlich einen hohen Grad an solidari- scher Verantwortung. Auch die landwirtschaftlichen Be- rufsgenossenschaften im Norden sind aufgrund der bundespolitischen Forderung nach mehr innerlandwirt- schaftlicher Solidarität nicht grundsätzlich abgeneigt. Über die inhaltliche Ausgestaltung muss jedoch schon allein deswegen noch beraten werden, weil verlässliche Berechnungen nicht bekannt sind. Modellberechnungen durch das BMELV, aus dem sich die Auswirkungen des mit den derzeitigen Parametern vorgesehenen Aus- gleichsverfahrens ergeben – es geht um die Frage, ob die Zielsetzung des Gesetzgebers damit erreicht wird –, wurden bisher nicht vorgelegt. Es fehlt die nachvollziehbare Definition des Eigenan- teils einer jeden landwirtschaftlichen Berufsgenossen- schaft sowie auch die Parameter der Altlastverteilung, eines Ausgleichsverfahrens im engeren Sinne. Analog der Bestrebungen im Bereich der gewerblichen Berufs- genossenschaften sollte dies der Selbstverwaltung des LSV-Spitzenverbandes unter Setzung einer angemesse- nen Frist überlassen werden. Das wäre nun wirklich eine wichtige und zentrale Aufgabe eines bundesweit zustän- digen Gremiums. Es darf nicht dabei bleiben, dass die Verteilung der Altlast nach beitragsbelastbaren Flächenwerten erfolgt, die auf die Lage jeder einzelnen Parzelle abstellt. Dies ist nämlich mit den derzeit vorhandenen Daten der LSV- Verwaltungsgemeinschaften nicht möglich. Hierzu wäre die aus wirtschaftlichen Gründen bisher stets zurückge- wiesene Einführung eines Flurstückkatasters erforder- lich. Vor allem scheint mir die Festlegung der von den ein- zelnen LBGen zu tragenden Neulast mit dem zweifachen der Jahresrenten der letzten 5 Jahre eher willkürlich zu sein; sie überstrapaziert den solidarischen Altlastenaus- gleich. Ich möchte dies am Beispiel des Gartenbaus beispiel- haft deutlich machen. Die Situation dort unterscheidet sich erheblich von der in der übrigen Land- und Forst- wirtschaft. Dies gilt nicht nur für den Kreis der Versi- cherten, sondern auch für die Zahl der versicherten Unternehmen. So ist die Zahl der versicherten Unterneh- men in den letzten zehn Jahren entgegen der sonstigen Entwicklung erheblich gestiegen. Im Übrigen sind bei den Sozialversicherungsträgern für den Gartenbau er- heblich mehr Arbeitnehmer als Unternehmer versichert. Viele der jetzt debattierten Änderungen sind bereits um- gesetzt. Es gibt einen bundeseinheitlichen Träger sowie einen bundesweit einheitlichen Beitragsmaßstab. Der Gartenbau soll nun nach dem vorliegenden Entwurf wie ein regionaler Träger in den innerlandwirtschaftlichen Solidaritätsausgleich einbezogen werden. Angesichts der zu erwartenden erheblichen finanziellen Zusatzlast, die sich zwingend auf die Beiträge niedergeschlagen muss, wird diese Einbeziehung abgelehnt. Ich kann dies persönlich nachvollziehen. Denn hier kann der Eindruck entstehen, dass die Gartenbaubetriebe nach Vorleistung erneut zur Kasse gebeten werden sollen. Es gibt also durchaus noch Klärungs- und Abstim- mungsbedarf. Die Betroffenen müssen die Möglichkeit haben, sich zu äußern. Deshalb ist es auch gut und ver- nünftig, wie geplant eine Anhörung durchzuführen. Denn so können offene Fragen, auch strittige Punkte er- örtert werden. Die Große Koalition zeigt damit mehr Weisheit und auch Demokratieverständnis als die dama- lige Bundesministerin Renate Künast. Unter ihrer Ägide wurde 2001 eine Organisationsreform in der landwirt- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 12299 (A) (C) (B) (D) schaftlichen Sozialversicherung beschlossen – hemdsär- melig, ohne vorherige Anhörung. Das ist nicht unser Stil. Wir setzen auf den konstruktiven Dialog mit unse- rem Berufsstand, seinen Verbänden, den Sozialversiche- rungsträgern und ihren Mitarbeitern. Denn wie schon Joseph Joubert wusste: Nicht Sieg sollte der Sinn der Diskussion sein, sondern Gewinn. Marlene Mortler (CDU/CSU): Die landwirtschaftli- che Unfallversicherung muss dringend reformiert wer- den. Das war unsere langjährige Forderung als Union in der Opposition. Nun ist es soweit. Heute haben wir die erste Lesung. Aber bis hierhin war es ein langer Weg. Die ersten Eckpunkte wurden in der Koalitionsvereinba- rung von Schwarz-Rot gelegt. Die wichtigsten Ziele sind eine angemessene Beitragsbelastung der landwirtschaft- lichen Betriebe und innerlandwirtschaftliche Solidarität. Uns ist klar, dass diese beiden Punkte am besten durch die Schaffung eines Bundesträgers erfüllt werden könn- ten. Schon im Koalitionsvertrag haben wir darauf hinge- wiesen: Sollte die Schaffung eines Bundesträgers nicht möglich sein, ist ein anderer Mechanismus zur Stärkung der innerlandwirtschaftlichen Solidarität erforderlich. Ich danke an dieser Stelle Horst Seehofer. Er hat mit beispielhaftem Geschick dieses Gesetz auf den Weg ge- bracht. Und ich sage ausdrücklich: Diese Reform hat ih- ren Namen auch wirklich verdient. Trotzdem wird bis zum heutigen Tag über Vorteile, über Nachteile, über mehr Einfluss, über mehr Gerechtigkeit, über mehr Geld, über mehr Kontrollen diskutiert. Wir haben uns nicht beirren lassen und immer wieder das große Ganze im Blick behalten. Zunächst mussten viele grundsätzli- che Fragen geklärt werden, zum Beispiel: Kann das Sys- tem nicht auf eine private Versicherungsbasis gestellt werden? Die Antwort der privaten Versicherungswirt- schaft lautet: Mit der alten Last können wir es nicht billi- ger machen und ohne alte Last nicht besser. Die zweite Frage: Welche finanziellen Auswirkungen hätte die Umstellung des LUV-Systems auf ein kapital- gedecktes Sicherungssystem? Das Ergebnis eines aus- führlichen wissenschaftlichen Gutachtens war: Es wird für beide, für den Bund, aber insbesondere auch für die Versicherten sehr teuer. Ein kostenentlastender Effekt stellt sich zudem nur äußerst mittel- bis eher langfristig ein. Also schied auch diese Möglichkeit aus. Dritte Frage – und damit waren wir wieder am Aus- gangspunkt –: Wie können wir unser umlagenfinanzier- tes Versicherungssystem zukunftsfest machen? Wie kön- nen wir es sinnvoll reformieren? Sinnvoll heißt für mich: Wie können die landwirtschaftlichen Betriebe beitrags- mäßig entlastet werden? Denn Jahr für Jahr gibt es im- mer weniger Beitragszahler auf der einen und immer mehr Leistungsempfänger auf der anderen Seite. Der entscheidende Kern unserer Reform ist eine Ab- findungsaktion von Unfallrenten. Das heißt, jeder Bezie- her einer Unfallrente, auch Arbeitnehmer deren MDE unter 50 Prozent liegt, kann einen Antrag auf einmalige Abfindung stellen. Durch das Herauskaufen der Unfall- renten soll der Rentenbestand – also die sogenannte alte Last – um 100 Millionen von 400 auf 300 Millionen Euro reduziert werden. Damit diese Aktion voll und schnell greifen kann, ist es wichtig, dass das Gesetz zum 1. Januar 2008 pünkt- lich in Kraft tritt. Denn die Abfindungsaktion ist auf die Jahre 2008 und 2009 begrenzt. Nur für diesen Zeitraum und nur in diesen beiden Jahren gibt es mehr Geld vom Bund, in Höhe von jeweils 200 Millionen Euro. Das ist nicht selbstverständlich. Ich danke an dieser Stelle Horst Seehofer ein zweites Mal. Er ist der Bundes- minister, der die Bundesmittel für die landwirtschaftli- che Unfallversicherung in seiner Amtszeit nicht gekürzt hat. Im Gegenteil: Er nimmt zusätzliches Geld in die Hand für eine tragfähige Reform. Aber nicht nur der Bund nimmt zusätzliches Geld in die Hand, sondern auch die regionalen Berufsgenossenschaften sind gefor- dert. Wird zum Beispiel eine Unfallrente mit 16 250 Euro abgefunden, dann stammen 10 000 Euro vom Bund und 62,5 Prozent – in diesem Fall 6 250 Euro – muss die je- weilige Unfallversicherung drauflegen. Uns ist bewusst, dass es der einen Berufsgenossenschaft sehr leicht fallen wird und der anderen Berufsgenossenschaft sehr, sehr schwer fallen wird weiteres, eigenes „freies“ Geld auf- zubringen. Deshalb ist die nächste entscheidende Frage: Was müssen wir tun, damit die neue alte Last nicht wieder an- wächst und der positive Effekt der Abfindungsaktion schon nach ein paar Jahren verpufft ist? Das heißt, wir brauchen weitere Stellschrauben, um Einsparungen in der Unfallversicherung zu erzielen. Hier gibt es zwei Möglichkeiten. Zum einen im Leistungsbereich und zum anderen bei den Verwaltungskosten. Aus meiner Sicht reichen die Stellschrauben im Leistungsbereich längst nicht aus. Wir werden zwar die Selbstbeteiligung bei der Betriebs- und Haushaltshilfe einführen. Wir werden au- ßerdem die Wartezeit bei Unfallrenten von derzeit 13 auf 26 Wochen erweitern. Aber zu einer ehrlichen Diskus- sion gehört es, aufzuzeigen, dass zum Beispiel über ein Drittel des jährlich entstehenden Neurentenvolumens auf Altenteilerrenten entfallen. Wollen wir also auf Dauer zu einer echten Kostenent- lastung kommen, müssen wir den Vorschlag intensiv auf den Ausgabenblock mit dem größten Einsparpotential schauen. Was spricht also dagegen, dass man Altentei- lern, die bereits über Altersrenten und Austragsleistun- gen abgesichert sind, bei einem neu eintretenden Berufs- unfall keine Rente mehr gewährt? Ich will aber klarstellen: In bestehende Rentenverhältnisse soll kei- nesfalls eingegriffen werden. Andererseits erhalten Al- tenteiler schon nach geltendem Recht eine deutlich redu- zierte Unfallrente. Damit wird auch nur noch der abstrakte Gesundheitsschaden ausgeglichen. Zum Lastenausgleich. Bei diesem Punkt gibt es nach meiner Meinung die größten Missverständnisse. Fakt ist: Seit 1963 erhalten landwirtschaftliche Berufsgenossen- schaften jährlich Bundesmittel zur Beitragssenkung. 1980 hat man mit Zustimmung aller Berufsgenossen- schaften den sogenannten 79er-Schlüssel eingeführt. Auf 12300 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) Heute übertragen heißt das: Von den zurzeit gewährten Bundesmitteln in Höhe von 200 Millionen Euro werden 14 Millionen umverteilt. Sie werden deshalb umverteilt, weil es regional unterschiedliche Strukturen gibt. Ob kleinere Betriebe, größere Betriebe, mehr Strukturwan- del, weniger Strukturwandel: Unterbelastete LBGen werden also belastet und überbelastete LBGen werden entlastet. Das ist bis heute so gewollt und akzeptiert. Spätestens ab 2010, wenn es nur noch 100 Millionen Bundesmittel gibt, kann dieser Mechanismus nicht mehr voll greifen. Das heißt, wir brauchen eine Anschlussre- gelung für den sogenannten 79er-Schlüssel. Denn statt 14 Millionen hätten wir nur noch 7 Millionen Euro Um- verteilungsmasse. Das LSVMG sieht deshalb rund 3,2 Prozent des gesamten Umlagevolumens für die soli- darische Umverteilung vor. Noch eines muss ich klarstellen: Die Einführung des Lastenausgleichs hat mit der Umstellung der Beitrags- maßstäbe überhaupt nichts zu tun. Das ist alleine Sache der regionalen Träger. Ein Bundesträger hätte viel gra- vierendere Auswirkungen. Allerdings begrüße ich es, dass der Gesetzentwurf vorsieht, dass die einzelnen LBGen ihre Beitragsmaßstäbe verändern. Es soll zwar kein bundeseinheitlicher Beitragsmaßstab geschaffen werden, aber die Berufsgenossenschaften müssen zwin- gend dafür sorgen, dass sie ihre Maßstäbe wesentlich ri- sikogerechter ausgestalten. Ich fordere alle Berufsgenos- senschaften auf, ihre Hausaufgaben bis spätestens Ende des Jahres 2008 zu machen. Ein Bundesträger muss nicht automatisch besser und wirtschaftlicher arbeiten. Aber im Bericht des Bundes- rechnungshofs zur Organisationsreform in der LSV vom 17. Juli 2001 wird klar: Keiner der verbliebenen Träger hat seine Aufgaben so gut gemacht, dass wir zufrieden sein könnten. Deshalb ist unsere Antwort: Wenn kein Bundesträger durchzusetzen ist, brauchen wir einen ge- meinsamen Spitzenverband, auf den weitere Aufgaben konzentriert werden müssen. Das sind vor allem Zentral- und Querschnittsaufgaben. Und der Nutzen der ange- strebten Synergieeffekte muss am Ende den landwirt- schaftlichen Betrieben zugute kommen. Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Der Bundes- rechnungshofbericht über die Umsetzung der Organisa- tionsreform der landwirtschaftlichen Sozialversicherung zeigt einen deutlichen Handlungsbedarf auf. Mit dem Gesetz zur Modernisierung des Rechts der landwirt- schaftlichen Sozialversicherung ziehen wir die Konse- quenzen daraus, soweit es uns möglich ist. Ich betone: soweit es uns als Bund möglich ist. Notwendig wäre eine weitreichende Reform. Es ist ja kein Geheimnis, dass ich weiterhin einen Bundesträger als die beste Lösung ansehe. Es gab dazu sowohl von den Ministerien als auch von uns Abgeordneten etliche Gespräche. So gut es ist, dass wir hier auf Bundesebene alle an einem Strang ziehen, so bedauerlich ist es, dass die Länder sich einfach querstellen und sogar Vorschläge im Bundesrat auf den Tisch legten, die hinter die Reform von 2001 zurückfallen. Wir wollen die landwirtschaftliche Sozialversiche- rung für die Zukunft erhalten. Das geht aber nur, wenn alle ihre Hausaufgaben machen. Der Bund hat seine Ver- antwortung immer wahrgenommen. Sie wissen, dass wir in der Vergangenheit erhebliche Anstrengungen dazu ge- leistet haben. Ich will nur darauf verweisen, dass wir zweimal Bundesvermögen veräußert haben, um die Bei- träge stabil zu halten. Und wir stehen dazu, dass der Bund seine finanzielle Unterstützung fortsetzen wird, al- lerdings nur, wenn diese Mittel sparsam und wirtschaft- lich verwendet werden. Eine Blockade von Trägern oder von den Ländern gefährdet den Bundeszuschuss. Ich weiß, dass manche Länder die Position vertreten, eigentlich passe ja alles, nur der Bundeszuschuss sei zu niedrig. Es gibt auch immer noch Menschen, die glau- ben, die Welt sei eine Scheibe. Es ist endlich einmal an der Zeit, dass die Länder anerkennen, dass sie in der Pflicht sind. Wir müssen nicht nur unserem Haushaltsausschuss begründen können, warum wir in den nächsten zwei Jah- ren 400 Millionen Euro zusätzlich für die Abfindungsak- tion ausgeben wollen, sondern besonders allen Steuer- zahlern. Schauen Sie in den Bundesrechnungshofbericht, er lässt nur eine Schlussfolgerung zu: Bundesmittel wird es in Zukunft nur geben, wenn wir eine effektive Organi- sation hinkriegen. Wir brauchen einen deutlichen Schritt nach vorne. Das, was dem Bundesrat an Empfehlungen vor seiner Sitzung morgen vorliegt, ist ein Schritt zurück. Die Län- der, die eine effektive Organisation verhindern, müssen sich über eines klar sein: Sie müssen dann aber auch die Scherben zusammenkehren. Wir haben mit dem LSV-Modernisierungsgesetz ei- nen Vorschlag auf dem Tisch liegen, der gerade für die Unfallversicherung eine deutliche Stabilisierung für die Zukunft bringen kann. Die Abfindungsaktion wird die Kosten für die Zukunft nachhaltig reduzieren. Dasselbe gilt für die Veränderungen im Leistungsbereich, die aus meiner Sicht tragbar sind. Weitere Vorschläge zum Leistungsrecht sind an uns herangetragen worden. Wir werden dies in der Anhörung und in den Ausschussberatungen prüfen. Aber auch hier liegen Vorschläge auf dem Tisch, die eine Kostenverla- gerung auf den Bund bedeuten. Ich bin für vieles offen, aber solchen Vorschlägen werden wir nicht zustimmen. Handlungsbedarf besteht auch wegen der eklatanten Beitragsunterschiede zwischen den verschiedenen Trä- gern für vergleichbare Betriebe. Auch dazu enthält unser Gesetzentwurf Vorschläge, die wir sicher noch ausführ- lich diskutieren werden. Es gibt also die Notwendigkeit und den Spielraum für mehr Solidarität innerhalb der Landwirtschaft – die Notwendigkeit vor allem deshalb, weil erst dann, wenn diese Spielräume genutzt sind, die Solidarität der Steuerzahler eingefordert werden kann. Wir werden auch über die Organisation weiter disku- tieren müssen. Wir wollen die Interessen des Bundes, der betroffenen Landwirte und Gärtner sowie des Perso- nals wahren. Dazu sind Änderungen möglich. Aber eines wird sich nicht ändern: Wir haben ein Paket vorliegen, Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 12301 (A) (C) (B) (D) das nicht aufgeschnürt wird. Die Abfindungsaktion und den Lastenausgleich gibt es nur mit der Organisationsre- form. Wir wollten eigentlich eine weitergehende Reform machen. Das ist leider nicht möglich. Politik ist die Kunst des Möglichen. Das Mögliche machen wir. Dr. Edmund Peter Geisen (FDP): Gerne hätte ich mit Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Regie- rungskoalition, heute hier zur normalen Tageszeit über den Gesetzentwurf zur Modernisierung der landwirt- schaftlichen Sozialversicherung, LSV, diskutiert. Ich nehme an, es war Absicht, die Tagesordnung so zu ge- stalten, dass keine direkte Aussprache stattfindet. Denn: Betrachtet man das Meinungsbild innerhalb der Koali- tionsfraktionen oder zwischen Bund und Ländern zum Thema LSV, so könnte es dissonanter nicht sein. Nur eins ist allen gemeinsam: die Unzufriedenheit mit dem vorliegenden Entwurf. Die versprochene grundlegende Reform wird zur Scheinreform, ausgekungelt und möglichst hinter ver- schlossenen Türen auf den Weg gebracht, damit der Ko- alitionsfrieden nicht leiden möge. Selbst die verfas- sungsrechtliche Frage der „Zustimmungspflichtigkeit“ wird zum politischen Spielball. Und am Ende will keiner für diesen Murks verantwortlich gewesen sein. So sieht schwarz-rote Agrarsozialpolitik unter dem „Obersozial- politiker“, Zitat Bild-Zeitung, Horst Seehofer aus. Zwei Jahre sind vorbei. Es ist ein Trauerspiel, mit an- sehen zu müssen, wie diese schwarz-rote Koalition mit groß angekündigten Reformvorhaben umgeht. Verläss- lichkeit und Planungssicherheit sind Fremdworte. Ge- genseitige Blockade und Handlungsunfähigkeit prägen das Bild. Die FDP-Fraktion plädiert seit Anbeginn der Legisla- turperiode für ein echtes Reformkonzept: die Umstel- lung der landwirtschaftlichen Unfallversicherung auf ein kapitalgedecktes Finanzierungssystem. Sie hat dafür zwar Kritik seitens aller anderen Fraktionen einstecken müssen, gleichzeitig aber von den Betroffenen und deren Verbänden viel Unterstützung erfahren. Man muss sich in dieser Debatte einmal die Frage stellen, um was es eigentlich bei diesem Gesetz geht. Es geht eben nicht in erster Linie darum, ob der Bund oder die Länder mehr Einfluss erhalten, ob Bundesträger oder Spitzenkörperschaft, ob Lastenausgleich 2010 oder 2011. Das sind doch reine Ablenkungsmanöver einer Koalition, die handlungsunfähig ist. Es geht ganz einfach darum, die landwirtschaftliche Sozialversicherung zukunftsfest zu machen. Und das er- reichen Sie angesichts des dramatischen Strukturwan- dels in der Landwirtschaft weder mit einer 20-prozenti- gen Reduzierung der Verwaltungsausgaben noch mit einer teuren ineffektiven Abfindungsaktion und schon gar nicht mit einer Minireform im Leistungskatalog. Das erreichen Sie nur, wenn Sie wirklich reformieren und konsequent das gesamte System umstellen. Selbstverständlich ist die FDP gerne bereit, konstruk- tiv an notwendigen Anpassungen bei der Organisation, der Beitragsbemessung oder dem Leistungskatalog mit- zuarbeiten. Nur, den Landwirten Sand in die Augen zu streuen und dies als Lösung für die strukturbedingten Probleme zu präsentieren, das geht nicht. Da macht die FDP nicht mit. Die Reformschwäche von Minister Seehofer geht so- wohl zulasten der Landwirte als auch zulasten des Haus- halts – und damit aller Steuerzahler. Die Abfindungsak- tion für Kleinstrenten ist aus meiner Sicht reine Geldverschwendung. In den nächsten beiden Jahren sol- len 800 Millionen Euro in ein längst nicht mehr finan- zierbares System gesteckt werden, und danach wundern sich alle, wenn sie 2010 erneut vor leeren Kassen stehen. Selbst der agrarpolitische Sprecher der CDU/CSU-Ko- alition schließt ein Scheitern nicht mehr aus. Die FDP setzt sich stattdessen mit ihrem Vorschlag für einen nachhaltigen, zukunftsfesten Umgang mit Steuermitteln ein. Wie brisant das Thema inzwischen ist, zeigt nicht zu- letzt der umfangreiche Empfehlungskatalog der Bundes- ratsausschüsse, der 48 Änderungsvorschläge bzw. Emp- fehlungen umfasst. Drei konkrete Punkte möchte ich aufgreifen: Erstens: fehlende Planungssicherheit. Die Länder for- dern die gesetzliche Verankerung der zugesagten jährli- chen Bundesmittel für die landwirtschaftliche Unfallver- sicherung. Zweitens: fehlender Vertrauensschutz. Die Länder for- dern, die Diskriminierung der landwirtschaftlichen Kran- kenkassen bei der Teilhabe an Bundesmitteln für versiche- rungsfremde Leistungen aufzuheben. Drittens: fehlende Verfassungsmäßigkeit. Die Länder fordern, ihre Belange und Interessen ausreichend zu be- rücksichtigen und einzuarbeiten. Andernfalls sei die An- rufung des Vermittlungsausschusses unausweichlich. Auf Anregung der FDP-Fraktion wird eine Anhörung zu diesem Gesetzentwurf stattfinden. Wir sind es leid, dass die Landwirte unter Schwarz-Rot immer wieder mit faulen Kompromissen leben müssen. An diesem ver- gleichbar kleinen Reformvorhaben zeigt sich die ganze Schwäche der sogenannten Großen Koalition. Noch ist dieses Gesetz nicht verabschiedet. Am besten wäre, es ganz einzustampfen. Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Für die Frak- tion Die Linke sind auch im Zusammenhang mit der landwirtschaftlichen Sozialversicherung zwei Fragen entscheidend: Erstens. Leistet sie die Absicherung, die gebraucht wird? Zweitens. Sind die Beiträge auch für die bezahl- bar, die auf diese Leistung angewiesen sind? Im vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung geht es aber zunächst leider eben nicht darum, wie diese wichtigen Fragen geregelt werden, sondern wie so oft werden zunächst „nur“ Strukturfragen geregelt. Aber über solche Strukturentscheidungen werden natürlich 12302 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) Züge auf die Schiene gestellt. Deshalb lohnt es sich schon zu prüfen, wo die Reise hingehen soll. Zunächst wird die Errichtung eines gemeinsamen Spitzenverbandes für die gesamte landwirtschaftliche Sozialversicherung als Körperschaft des öffentlichen Rechts vorgeschlagen, weil das eigentliche Ziel eines bundeseinheitlichen Trägers nicht erreicht wurde. Da- für gibt es durchaus auch triftige Gründe. Die bisherige Anzahl der Träger der LSV von neun bleibt erhalten. Die bisherigen Erfahrungen mit der Umorganisation der landwirtschaftlichen Sozialversicherung sind er- nüchternd. Bundesrechnungshof und Bundesregierung stimmen in der Bewertung des ersten Gesetzes zur Or- ganisationsreform in der landwirtschaftlichen Sozial- versicherung vom 17. Juli 2001 überein: Diese Reform ist gescheitert. Der Bundesrechnungshof hatte übrigens daraus schlussfolgernd eine radikale Verminderung der Träger auf nur noch vier bundesweit zentral organi- sierte vorgeschlagen. Die Bundesregierung schafft da- gegen eine zusätzliche Struktur, den Spitzenverband. Wie damit die Wirtschaftlichkeit und Effektivität des Systems verbessert werden kann, muss zumindest hin- terfragt werden! Ich gehe davon aus, dass wir in eini- gen Jahren erneut ein Gesetz zur Organisationsreform diskutieren, weil dieses Zwischengesetz nicht zum Ziel führt. Verstehen Sie mich nicht falsch: Die Zentralisie- rungsidee des Bundesrechnungshofes ist nicht wirklich innovativ und ob sie der Komplexität der Probleme ge- recht wird, darf ebenso bezweifelt werden. Solange wir Strukturfragen als Alibidebatte diskutieren, weil wir an die eigentlichen Probleme wie Beitragsgerechtigkeit nicht konsequent genug herangehen, werden wir keine tragfähige Lösung finden. Dabei gibt es gute Beispiele dafür, wie es gehen könnte. Eine bundesweite vergleichsweise effiziente und funktionierende Unfallversicherung im Agrarsektor existiert zum Beispiel mit der Gartenbau-Berufsgenos- senschaft. Ihre Bezuschussung durch den Bund ist sogar vergleichsweise gering! Lösungen, die vom Bundesrech- nungshof angemahnt wurden, sind dort schon umgesetzt. Die Gartenbau-Berufsgenossenschaft hat sich in jünge- rer Zeit mit eigenen Vorschlägen in die Debatte um die Reform der Sozialversicherung eingebracht. Sicher hat auch sie nicht den Königsweg zur Reform zu bieten, aber es finden sich einige Aspekte in der Organisation und Arbeit der Gartenbau-BG, die es wert sind, in die Debatte um die LSV insgesamt Eingang zu finden. Meine Fraktion ist jedenfalls für eine sorgfältige Prüfung dieser Erfahrungen. Vor allem die Fragen zur Zentrali- sierung von Teilaufgaben, zur Beitragsgerechtigkeit für die Mitglieder und zur Risikoorientierung sind aus unse- rer Sicht von Bedeutung. In der Unfallprävention sind dabei ebenfalls Fortschritte zu erreichen, die weiter ge- hen als wir sie aus der Landwirtschaft kennen. Und Prä- vention ist meistens allemal billiger als Schadensregula- tion. Eine umfassende Evaluierung der existierenden Berufsgenossenschaften wäre dringend erforderlich, denn der Bundesrechnungshof hat vorwiegend aus be- triebswirtschaftlichem Blickwinkel evaluiert – wir brau- chen aber den volkswirtschaftlichen Blickwinkel. Das heißt aus meiner Sicht, dass die angepeilte 100-Mil- lionen-Euro-Senkung des Bundeszuschusses eben nicht zum alleinigen politischen Mantra werden darf. Der Strukturwandel, die sehr unterschiedlichen Betriebsfor- men und -größen und die Spezialisierungen der Land- wirtschaftsbetriebe machten es nicht einfacher. Die da- mit verbundenen sehr unterschiedlichen Risiken müssen besser berücksichtigt werden, ohne die Solidarität mit denen aufzukündigen, die auf diese soziale Absicherung angewiesen sind. Das ist jedenfalls für Die Linke ein we- sentliches Kriterium in der Debatte. Das trifft übrigens auch auf die Personalvertretungs- rechte der Beschäftigten der Versicherungsträger zu. Sie müssen in alle ihre Belange betreffenden Entscheidun- gen frühzeitig und selbstverständlich wirkungsvoll ein- bezogen werden. Dazu haben sie Vorschläge gemacht, die ernsthaft diskutiert werden müssen. Und um es zum Schluss noch einmal klar zu sagen: Eine Strukturreform, die sich am Ende auf ein Arbeits- platzabbauprogramm bei den Trägern reduziert, wie zum Beispiel auch in der Agrarressortforschung, werden wir auf keinen Fall mitmachen. Solche Reformen lösen keine Probleme, sondern schaffen nur neue, wenn auch vielleicht an anderer Stelle. Der Politik dürfen sie nir- gendwo gleichgültig sein. Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es ist ein richtiges Trauerspiel, dass Minister Seehofer und die schwarz-rote Koalition entgegen ursprünglichen An- kündigungen auf die Einführung eines Bundesträgers für die acht regionalen Träger der drei LSV-Zweige verzich- ten. Denn der Bundesträger ist angesichts des fortgesetz- ten Strukturwandels in der Landwirtschaft und der steti- gen Abnahme an Versicherten unbedingt notwendig, um eine effiziente Sozialversicherung gewährleisten zu kön- nen. Aus demselben Grund macht die Errichtung des ge- meinsamen Spitzenverbandes sicher Sinn. Aber dies kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass dies nur eine Minimallösung ist, die den Bundesträger nicht ersetzen kann! Außerdem kommt bei dieser Lösung der Garten- bau unzumutbar schlecht weg. Denn die in der Garten- bau-BG versicherten Betriebe, die etwa ein Drittel der Versicherten in der LUV stellen, sind in den Gremien deutlich unterrepräsentiert! Das kann nicht so bleiben. Außerdem muss der Gartenbau zukünftig im Namen des Spitzenverbandes auftauchen, damit wahrgenommen wird, dass auch der Gartenbau Teil der LSV ist. Eine Möglichkeit wäre die Bezeichnung „Spitzenverband der Sozialversicherung für Landwirtschaft und Gartenbau“. Das Angebot zur Abfindung von Bestandsrenten tragen wir im Grundsatz mit. Was in diesem Zusammen- hang aber sehr zu kritisieren ist, ist die Art der Finan- zierung. Es ist eine grobe Missachtung der Haushalt- wahrheit und -klarheit, dass die vorgesehenen Zuschüsse von 400 Millionen Euro im Bundeshaushalt nur als Fuß- note vermerkt werden, aber nicht bei den Ausgaben mit einberechnet werden. Außerdem ist es nicht in Ordnung, dass sich die LUVen zwar mit 250 Millionen Euro an der Finanzierung beteiligen sollen, der Bund die erhofften Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 12303 (A) (C) (B) (D) Einsparungen aber ab 2010 komplett selber einstreichen will. Hier sollten die LUVen entsprechend ihrem Finan- zierungsanteil beteiligt werden! Was die Weiterentwicklung der Beitragsmaßstäbe be- trifft, so ist es sinnvoll, das Unfallrisiko im Beitragsmaß- stab zu berücksichtigen. Darüber hinaus wäre es aber nö- tig, eine einheitliche Beitragsbemessung auf Grundlage des kalkulatorischen Arbeitskräftebedarfs einzuführen. Damit würde eine Voraussetzung zur Schaffung eines Bundesträgers in der LUV geschaffen! Auch die Einführung eines Lastenausgleichs zwi- schen den LUVen ab 2010 ist grundsätzlich sinnvoll. Al- lerdings gilt auch hier: Es wäre erheblich wirksamer und einfacher, die regionalen Träger zu einem Bundesträger zu fusionieren, um das Ziel des Lastenausgleichs zu er- reichen. Außerdem ist es nicht in Ordnung, die Gartenbau-BG an diesem Lastenausgleich zu beteiligen, da es sich hier nur zu einem geringen Teil um landwirtschaftliche Be- triebe handelt. In der Gartenbau-BG ist der Lastenaus- gleich bereits hergestellt. Noch ein paar Worte zur Forderung des DBV nach gesetzlicher Absicherung der Zuschüsse an die LUV: Diese Forderung ist im Grunde berechtigt. Warum sollen die Zuschüsse zur LUV nicht wie die zur LKV und zur AdL auf Basis gesetzlicher Regelungen gezahlt werden? Allerdings müssen wir nüchtern feststellen, dass bisher die kalkulatorischen Grundlagen fehlen, um beziffern zu können, wie hoch dieser Zuschuss zur Finanzierung des überdurchschnittlichen Rentenbestandes denn sein müsste. Deswegen ist eine gesetzliche Absicherung bis- her nicht möglich. Es wäre Aufgabe der Bundesregie- rung, diese Grundlagen zu schaffen. Auch das hat Minis- ter Seehofer bisher nicht geleistet! Seine Bilanz in Sachen Agrarsozialversicherung ist bisher äußerst be- scheiden! Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister für Arbeit und Soziales: Die landwirtschaftliche Sozialversicherung ist ein wichtiger Bestandteil der So- zialversicherung in Deutschland und von grundlegender Bedeutung für die betroffenen Versicherten. Wir wollen das eigenständige System erhalten. Darauf haben wir uns im Koalitionsvertrag verständigt. Klar war aber auch: Aufgrund des Strukturwandels in der Landwirtschaft stehen wir vor der Aufgabe, das Sys- tem zu stabilisieren. Der Bund hat zurzeit auch zu ge- ringe Einwirkungsmöglichkeiten auf die Träger der landwirtschaftlichen Sozialversicherung, obwohl er er- hebliche finanzielle Mittel an die landwirtschaftliche So- zialversicherung gibt. Bereits im Jahr 2001 haben wir die Organisation der landwirtschaftlichen Sozialversicherung reformiert. Jetzt hat sich gezeigt: Der Lösungsansatz war richtig, aber nicht ausreichend. Das hat auch der Bundesrechnungs- hof bestätigt. Dem Vorschlag des Bundesrechnungshofes – Schaffung eines Bundesträgers – wollen wir aber nicht folgen. Die Ziele können wir weitgehend auch mit der Weiterentwicklung des Instrumentariums aus dem Ge- setz zur Organisationsreform in der landwirtschaftlichen Sozialversicherung aus 2001 erreichen: Mit dem Gesetz zur Modernisierung des Rechts der landwirtschaftlichen Sozialversicherung (LSVMG) übertragen wir einem neuen gemeinsamen Spitzenver- band die Befugnis, verbindliche Entscheidungen für die Träger zu treffen. Daneben erledigt der neue Spitzenver- band originäre Verbandsaufgaben. Dadurch können wir die Wirtschaftlichkeit des Systems deutlich steigern. Das Ergebnis soll messbar sein: Die LSV-Träger sollen bis zum Jahr 2014 20 Prozent der Verwaltungskosten ein- sparen. Doch eine Stabilisierung des Systems kann nicht nur durch effektive und moderne Organisationsstrukturen er- folgen. Deshalb setzen wir auch im Leistungsrecht den Hebel an, indem wir die Ausgabenstruktur der landwirt- schaftlichen Berufsgenossenschaften neu ausrichten. Nur so schaffen wir die notwendigen Spielräume auf der Einnahmeseite und vermeiden Beitragserhöhungen für die Landwirte. Den Kernpunkt der Maßnahmen bildet die Abfin- dungsaktion für die Altrenten. Ziel ist die dauerhafte Ab- findung von Kleinrenten. Hierfür sollen zusätzliche Bundesmittel in einem Umfang von 2 mal 200 Millionen Euro – verteilt auf zwei Jahre – zur Verfügung gestellt werden. Wichtig ist: Wir reden dabei nicht von einer Zwangsabfindung, sondern von einem Angebot, das für alle Beteiligten von Vorteil ist. Vorteilhaft für die Versi- cherten: Denn ihnen bietet sich die Möglichkeit, mit dem Abfindungsbetrag betriebliche Investitionen zu tätigen oder sonstige Entscheidungen zur Stärkung ihrer wirt- schaftlichen Existenz zu treffen. Vorteilhaft ist es für die Landwirte als Beitragszahler: Denn über 60 Prozent der Ausgaben für Renten entfallen auf Kleinrenten. Mit der Abfindungsaktion können wir die Ausgabenstruktur nachhaltig verändern. Dies wirkt sich günstig auf die Beitragsbelastung aus. Und vorteilhaft ist es auch für die Versicherungsträger: Denn sie werden von der jahrzehn- telangen Verwaltung der Renten entlastet. Zugleich wollen wir mit dem Gesetzentwurf die Soli- darität innerhalb der landwirtschaftlichen Unfallversi- cherungsträger stärken. In der Landwirtschaft bestehen regional unterschiedliche strukturelle Gegebenheiten, und auch der Strukturwandel verläuft nicht einheitlich. Dem wurde bisher bei der Verteilung des Bundeszu- schusses Rechnung getragen. Dies reicht nicht mehr aus. Wir wollen daher ein partielles Lastenausgleichsver- fahren einführen. Das bedeutet: Wer deutlich stärker als andere belastet ist, erhält für einen Teil dieser Last die Unterstützung der Solidargemeinschaft aller landwirt- schaftlichen Träger. Auch damit leisten die Unfallversi- cherungsträger einen eigenen Beitrag zur Stabilisierung der landwirtschaftlichen Unfallversicherung. Eines will ich noch feststellen: Ein solidarischer Las- tenausgleich innerhalb der landwirtschaftlichen Unfall- versicherungsträger ist für mich das Pendant zur solida- rischen Unterstützung von außen durch Bundeszuschuss. Das LSVMG steht im Gesamtkontext der Reform der sozialen Sicherungssysteme. Wir machen damit die landwirtschaftliche Sozialversicherung zuverlässig und zukunftsfest. 12304 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Kooperation und Koordination im Europäischen Forschungs- raum verbessern (Tagesordnungspunkt 18) Carsten Müller (Braunschweig) (CDU/CSU): Das mit der Überschrift des vorliegenden Antrages formu- lierte Ziel begrüße ich ausdrücklich. Die Bereiche Wis- senschaft, Forschung und Innovation bilden das Funda- ment für Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit im globalen Umfeld. Allerdings muss ich den Antragstel- lern mitteilen, dass der Antrag selbst nichts wirklich Neues oder Revolutionäres enthält. Das hatte ich ehrlich gesagt auch nicht erwartet. Insbesondere bleibt völlig unklar, was Bündnis 90/ Die Grünen während ihrer Zeit in der Regierungsverant- wortung gemacht haben. In den Bereichen Wissenschaft, Forschung und Entwicklung, offensichtlich nicht allzu viel. Denn anders ist kaum erklärlich, wie zum Beispiel der Abschnitt über das Erreichen der Lissabon-Ziele hin- sichtlich privater Investitionen für Forschung in den An- trag kommt. Es wird dargestellt, dass die privaten Aus- gaben, die immerhin zwei Drittel des 3-Prozent-Ziels ausmachen sollen, seit dem Jahr 2000 stagnieren. Die Zahlen sprechen für sich und gegen die Leistungen von Rot-Grün. Zur Frage nach der Verantwortung muss nichts weiter ausgeführt werden. Es reicht eben einfach nicht aus, wortreiche Programme und Initiativen zu entwerfen, die für die Realität jedoch nicht geeignet sind bzw. keinerlei Nutzen für private Geldgeber und die Wirtschaft haben. Nur mit dieser realitätsfernen Wahrnehmung lässt sich eine ganz besonders erwähnenswerte Forderung des An- trages erklären. Ich zitiere: Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregie- rung auf, Strategien zu entwickeln, wie private Finanzierungsbeteiligungen oder Nutzungsentgelte für große europäische Forschungsinfrastrukturpro- jekte erschlossen werden können, ohne dass die Unternehmen wesentlichen Einfluss auf die Aus- richtung der Forschungseinrichtung gewinnen. Zu dieser Forderung muss eigentlich nichts gesagt werden, außer dass sie eben nicht umsetzbar und fast schon unanständig ist. Auf diese Art funktioniert eine fruchtbare Zusammenarbeit von Wissenschaft und For- schung mit privaten Geldgebern auf jeden Fall nicht. Ich lasse mich aber natürlich vom Gegenteil überzeugen und würde mir gerne denjenigen zeigen lassen, der große Summen so selbstlos, ohne Einfluss auf die Verwendung zu haben, zur Verfügung stellt. Nicht nachvollziehbar ist in diesem Zusammenhang zudem folgende im Antrag getroffene Aussage. Ich zi- tiere: Besonders bedenklich ist es, dass sich die Industrie bisher selbst dann nicht engagiert, wenn die ent- sprechenden Einrichtungen für sie von unmittelba- rem Nutzen sind. Hierzu würde ich sehr gerne einmal ein entsprechen- des und fundiertes Beispiel kennenlernen. Oder wird der vermeintliche Nutzen für die Industrie direkt von den Grünen mit der ihnen eigenen marktwirtschaftlichen Be- trachtungsweise definiert? Die Erreichung der Lissabon-Ziele macht, auch wenn es noch nicht alle begriffen haben, enorme Anstrengun- gen auf nationaler wie auch auf europäischer Ebene not- wendig. Besonders wichtig sind hierbei die Stärkung des Erkenntnis- und Technologietransfers und der Übergang von Forschungsergebnissen in die anwendungsorien- tierte Wertschöpfungskette. Unmittelbar nach der Regie- rungsübernahme ist die unionsgeführte Bundesregierung diese Herausforderung offensiv angegangen. Darüber hi- naus müssen zusätzlich die Versäumnisse der Vorgänger- regierung aufgeholt werden. Wie im Antrag ausgeführt, hat sich die EU schon im Jahr 2000 auf die Schaffung des Europäischen For- schungsraumes zur besseren Kooperation und Koordina- tion der nationalen Forschungspolitiken verständigt. Es geht hierbei jedoch nicht nur um verbesserte Koopera- tion und Koordination, sondern ebenfalls um die Erhö- hung der finanziellen Aufwendungen für Forschung und Entwicklung in Europa. Diese sollen gemäß der Lissa- bon-Strategie bis zum Jahr 2010 auf 3 Prozent des BIP steigen. Zugegebenermaßen ist dies ein sehr ehrgeiziges, aber durchaus erreichbares Ziel. Insbesondere vor dem Hin- tergrund der Ausgaben anderer großer Wirtschaftsnatio- nen für Forschung und Entwicklung ist es notwendig, in Europa Schritt zu halten. Die unionsgeführte Bundesre- gierung hat sich diesem Ziel ebenfalls verschrieben. Dies wird auch deutlich, wenn man sich die von der Regierungskoalition auf den Weg gebrachten, finanziell hervorragend ausgestatteten, sinnvoll ausgestalteten und vor allem am Bedarf orientierten nationalen Programme im Rahmen der Hightechstrategie ansieht. Alles in allem sind dies wichtige Impulse für den Standort Deutschland, aber auch für den Europäischen For- schungsraum. Zudem hat sich Deutschland während der Ratspräsi- dentschaft als auch davor, im Rahmen des 7. For- schungsrahmenprogramms – 7. FRP –, besonders stark in die Themenbereiche Wissenschaft, Forschung und Entwicklung eingebracht. Dies zeigt sich zum einen an der finanziellen Ausstattung des 7. FRP und an der Aus- wahl der diesbezüglichen Themen. Die Schwerpunkte in den Bereichen Wissenschaft und Forschung stehen also bereits fest und müssen nicht noch, wie im außerge- wöhnlich ausführlichen Vorspann des Antrages ausge- führt, in ausufernden Diskussionen festgelegt werden. Die erstmalige Etablierung des Europäischen For- schungsrates nimmt hierbei eine besonders herausra- gende Stellung ein. Zum anderen erkennt man das En- gagement der unionsgeführten Bundesregierung an den großen Fortschritten, was die Planungen bezüglich der Einrichtung eines Europäischen Technologieinstitutes – ETI – angeht. Gerade in diesem Bereich konnte die Bundesregierung während der deutschen Ratspräsident- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 12305 (A) (C) (B) (D) schaft, unterstützt vom Deutschen Bundestag, wichtige Weichenstellungen vornehmen. Entgegen der Annahme in diesem Antrag von Bünd- nis 90/Die Grünen, zielt gerade die von der Bundesregie- rung gewünschte Ausgestaltung des ETI auf eine verbes- serte Kooperation und Koordination im Europäischen Forschungsraum. Das die Innovationsfähigkeit des EFR durch die vorgesehenen exzellenten Forschungs- und In- novationsnetzwerke verbessert wird, ist zu begrüßen. Es ist mir deshalb unverständlich und vor allem ist es wi- dersprüchlich, im Antrag auf der einen Seite verbesserte Kooperation und Koordination zur fordern und auf der anderen Seite das ETI, welches genau dies befördern soll, kategorisch abzulehnen. Eine langfristige und sinn- volle Strategie für den Europäischen Forschungsraum sieht meiner Ansicht nach anders aus. Ich würde deshalb den Antragstellern empfehlen, sich einmal das von der Bundesregierung vorgelegte Kom- promisspapier sowie den entsprechenden Antrag von CDU/CSU und SPD anzusehen. Von einer Parallelstruk- tur kann in diesem Fall keine Rede sein. Vielmehr soll die Einrichtung des ETI gerade die derzeit bestehenden Kooperationsstrukturen ergänzen. Damit kommen wir auch dem maßgeblichen Anliegen des Europäischen Forschungsraumes nach, der Schaffung europäischer Forschungsinfrastrukturen sowie der Vernetzung beste- hender Einrichtungen. Dadurch werden auch grenzüber- schreitende Netzwerke und Forschungsverbünde ge- stärkt werden. Wie die Antragsteller in diesem Zusammenhang da- rauf kommen, dass bestehende Initiativen und Pro- gramme geschwächt werden würden, kann ich nicht nachvollziehen. Wie schon erwähnt, das Lesen des Re- gierungsvorschlages sowie ein Studium des Koalitions- antrages könnten hier für die nötige Klarheit sorgen. Zu- mindest wird daraus deutlich, dass die jetzige Bundesregierung, im Vergleich zur Vorgängerregierung beispielsweise mit der Antidiskriminierungsrichtlinie oder der Feinstaubrichtlinie, eine fachlich durchdachte und praxisnahe Initiative auf europäischer Ebene startet. Einige Anmerkungen möchte ich noch zu dem eben- falls umschweifend angesprochenen Themenbereich des Wissenschaftlernachwuchses machen: Fakt ist, dass in Europa in den kommenden Jahren rund 700 000 Forscherinnen und Forscher fehlen wer- den. Um jedoch unseren Forschungsstandort zu sichern, muss dieser dringend notwendige Bedarf an Nachwuchs- kräften, insbesondere in den Technik- und Naturwissen- schaften, offensiv gewonnen werden. Dazu muss bereits frühzeitig in der Schule angesetzt werden. Nur dann ist die Begeisterung des Nachwuchses für Technik und die Naturwissenschaften und somit auch für eine berufliche Karriere in diesen Bereichen zu wecken. Ein Beginn erst während des Studiums, wie von Bündnis 90/Die Grünen gefordert, ist bei Weitem zu spät. Die Maßnahmen der unionsgeführten Bundesregie- rung waren bisher erfolgreich. Bei den naturwissen- schaftlichen Abschlüssen gab es im Jahr 2006 ein Plus von 9 Prozent, im Bereich Informatik sogar von 13 Pro- zent und bei den Ingenieurwissenschaften ein Plus von 4 Prozent. Mit ihren Initiativen, beispielsweise in der Begabten- und Talentförderung, dem Hochschulpakt, der Exzellenzförderung oder auch der bundesweiten Initia- tive „Tectoyou“ hat die Bundesregierung daran großen Anteil. Hinsichtlich der Anzahl weiblicher Absolventen sind jedoch noch weitere Verbesserungen notwendig, um auch hier, trotz bereits steigender Zahlen, höhere Absol- ventinnenzahlen zu erreichen. Eine richtige, weil bereits früh ansetzende Maßnahme ist der jährlich stattfindende „Girls´ Day“, der speziell Mädchen und junge Frauen für technische und naturwissenschaftliche Berufe motivie- ren soll. Vor allem technische Unternehmen, Betriebe mit technischen Abteilungen und Ausbildungen, Hoch- schulen und Forschungszentren öffnen am „Girls´ Day“ ihre Türen für Schülerinnen der Klassen 5 bis 10. Die stetig steigenden Veranstaltungs- und Teilnehmerinnen- zahlen machen dessen Erfolg sichtbar. Im Jahr 2007 ha- ben bereits 8 113 Unternehmen und Organisationen und 137 489 Teilnehmerinnen daran teilgenommen. Die Antragsteller fordern ebenfalls eine Öffnung des Arbeitsmarktes für Wissenschaftler aus den mittel- und osteuropäischen EU-Mitgliedstaaten, ohne dass es aller- dings zum Ausbluten des dortigen Wissenschaftsberei- ches kommt. Wie das funktionieren soll, erschließt sich nicht ohne Weiteres. Zum einen haben die entsprechen- den Staaten wie auch wir großen Bedarf an Wissen- schaftlern, zum anderen ist der Unterschied der Lebens- verhältnisse in vielen Fällen noch zu groß, sodass es automatisch zu einer Wanderungsbewegung kommen würde. Selbstverständlich müssen wir auch darüber sprechen, wie wir die verhältnismäßig hohen Abbrecherquoten an unseren Universitäten und Fachhochschulen in den Griff bekommen. Allerdings darf dies auf keinen Fall, wie oft aus gewissen Richtungen mehr oder weniger offen ge- fordert, zu Gleichmacherei und zur Vernachlässigung des Leistungsprinzips führen. Auch während der Quali- fikation existiert bereits das Exzellenzprinzip. Alles in allem muss ich festhalten, dass sich Bündnis 90/Die Grünen diesen ausschweifenden Antrag aufgrund der weitgehenden Inhaltsleere durchaus hätte sparen können. Zu begrüßen wäre es gewesen, wenn die- ser Antrag zum Beispiel im Jahr 1999 oder 2000 einge- bracht worden wäre. Damals hätte man ihm mit Sicher- heit eine gewisse Innovationsfreudigkeit nicht absprechen können. Heute jedoch kann die CDU/CSU- Bundestagsfraktion diesem überholten Antrag nicht zu- stimmen. René Röspel (SPD): Vor der diesjährigen Sommer- pause haben wir im Ausschuss für Bildung und For- schung das Grünbuch der Europäischen Kommission „Der Europäische Forschungsraum: Neue Perspektiven“ diskutiert. Dabei ging es um die Frage, wie man den Eu- ropäischen Forschungsraum, der Teil der Lissabon-Stra- tegie von 2000 ist, vertiefen und erweitern kann. Die Hauptaussagen des Grünbuchs werden nicht nur von uns Politikern, sondern auch in der Wissenschaft debattiert. 12306 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) Denn die Anmerkungen sollen später in ein Weißbuch münden, welches in der ersten Hälfte 2008 in Brüssel verabschiedet werden soll. Das Weißbuch wird die Grundlage für das 8. Forschungsrahmenprogramm dar- stellen. Im Grünbuch werden die Mitgliedstaaten aufge- fordert „[…] breit angelegte Erörterungen auf nationaler und regionaler Ebene [zur Stärkung des Europäischen Forschungsraumes] einzuleiten“. (Seite 27) Den Antrag der Grünen können wir als weitere Gelegenheit wahr- nehmen, dieser Aufforderung nachzukommen. Die europäische Forschungslandschaft ist komplex. Auf zehn Seiten versucht der Grünen-Antrag alle we- sentlichen Aspekte und Strukturen der Europäischen Forschungslandschaft anzureißen. Viele Punkte des An- trages kann man begrüßen, sind schon Regierungshan- deln oder sicher in diesem Haus unstrittig. Andere Punkte müssten aber noch einmal diskutiert werden. Auf diese werde ich jetzt kurz eingehen. In dem uns vorlie- genden Antrag wird das Europäische Technologieinstitut (EIT) abgelehnt. Über diese Institution haben wir bereits öfters im Ausschuss und Plenum gesprochen, zuletzt vor der Sommerpause. Grundsätzlich teile ich viele der Be- denken gegen das EIT. Doch wie ich bereits bei meiner letzten Rede zum EIT am 21. Juni dargelegt habe, war dieses europäische Projekt nicht mehr aufzuhalten. Die Bundesregierung hat in der Zeit Ihres EU-Vorsitzes mit ihrem damaligen Kompromissvorschlag eine für alle Mitgliedstaaten akzeptable Lösung gefunden. Das Euro- päische Parlament hat mittlerweile am 26. September den Kommissionsvorschlag für die Schaffung des EIT ebenfalls gebilligt. Insofern stimmt Ihre Aussage, das Europäische Parlament würde das Projekt ablehnen, nicht. Auch wenn die Finanzierung immer noch auf tö- nernen Füßen steht und die Sinnhaftigkeit der Institution sich erst noch zeigen muss, so ist die Entscheidung für ein EIT endgültig gefallen. Das entbindet uns nationale Parlamentarier aber nicht von der weiteren kritischen Begleitung. Spätestens die Evaluierung bis 2012 wird zeigen, ob das EIT die Erwartungen des signifikanten Mehrwerts erfüllen kann. Der Forderung der Grünen aber kann die Bundesregierung nicht entsprechen. Ein weiterer Abschnitt in Ihrem Antrag beschäftigt sich mit Ethik und Forschung auf europäischer Ebene. Sie schreiben auf Seite zwei des Antrages „Eine ethisch verantwortliche europäische Forschung braucht die of- fene gesellschaftliche Debatte über die Grenzen der Na- tionalstaaten hinweg.“ Prinzipiell ist eine gesellschaftli- che Debatte über Grenzen hinweg, ob nun national oder anderer Art, immer zu begrüßen. Die Darstellung und Konfrontation verschiedener Positionen und der Ver- such, zu mehrheitsfähigen Problemlösungen zu gelan- gen, ist immer bereichernd. Debatten werden aber nor- malerweise nicht nur der Debatte wegen geführt – sie sollen Konsequenzen haben. Bleiben sie hingegen fol- genlos, stellen sich Politikverdrossenheit und Enttäu- schung ein. Für den Bereich der ethischen Fragen bedeu- ten Konsequenzen dann aber, dass Kompromisse auf europäischer Ebene für alle Mitgliedstaaten bindend sein müssten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass beispielsweise ein europäisches Gremium darüber entscheidet, in welchem Umfang und mit welchen Grenzen in Deutschland ethisch problematische Forschung möglich sein sollte. Mal davon abgesehen, dass bereits die Auswahl der Ver- treter der deutschen Position sehr kompliziert werden würde. Welche Aufgabe hätte denn der Bundestag in ethischen Grundsatzdebatten noch? Beim Deutschen Ethikrat haben die Grünen noch vor einer Entparlamen- tarisierung gewarnt, nun kann man den Eindruck bekom- men, sie forderten selbst eine Verschiebung der Debatte auf die EU-Ebene. Beim Thema Ethik ist es bereits auf nationaler Ebene schwierig, einen Kompromiss zu fin- den. Eine klare ethische Positionierung aller EU-Staaten und nationaler Öffentlichkeiten kann ich mir deshalb derzeit beim besten Willen nicht vorstellen. Wir haben und werden uns bei ethischen Fragen in der Forschung noch lange nicht auf eine gemeinsame europäische Posi- tion verständigen können. Ein weiterer Punkt, den ich ansprechen möchte, betrifft die stärkere europäische Koordinierung von nationalen Forschungsprogrammen. Als Ziel wird dazu im Antrag genannt „[…] dass es dabei aus europäischer Perspektive weder zu unsinnigen Doppelungen noch zu Lücken in den jeweiligen Forschungsbemühungen kommt“. Gegen Dop- pelungen anzugehen macht sicherlich Sinn. Aber was ge- nau sind „unsinnige“ Doppelungen? Es kann durchaus sinnvoll sein, parallel Forschungen durchzuführen. Die diesjährige Vergabe des Nobelpreises für Physik an den Deutschen Peter Grünberg und den Franzosen Albert Fert ist sicherlich das beste Beispiel für positive Doppelung von Forschung! Beide haben unabhängig voneinander, der eine in Jülich, der andere in Paris, am Magnetoeffekt ge- forscht. Das Ergebnis dieses Wettstreits findet sich mitt- lerweile in Form von Festplatten in jedem Computer wie- der. „Doppelungen“ können also Ansporn sein im Sinne von belebender Konkurrenz oder auch der Versuch, das gleiche Ziel auf anderem Wege zu erreichen. Lassen Sie mich noch ein paar weitere Worte zum Be- reich der europäischen Koordinierung von nationalen Forschungsprogramme sagen. Es macht natürlich Sinn zu wissen, wo die Schwerpunkte der anderen nationalen Forschungsprogramme liegen, in welchen Bereichen eine Kooperation möglich ist und welche Bereiche viel- leicht europaweit vernachlässigt werden. Eine prinzipielle Öffnung der einzelnen nationalen Forschungsprogramme für alle Mitglied Staaten er- scheint mir dabei aber problematisch. Nicht nur die Ko- ordination könnte dadurch, wie im Antrag erwähnt, schwieriger werden. Ich sehe viel mehr – und mit dieser Meinung stehe ich nicht allein – die Gefahr von „Tritt- brettfahrern“. Denn es existieren leider große Unter- schiede zwischen den staatlichen Ausgaben für For- schung und Entwicklung in den einzelnen europäischen Mitgliedsstaaten. Dass sich einzelne Länder ihre For- schungsanstrengungen durch deutsche Programme be- zahlen lassen, kann nicht das Ziel eines vereinigten Eu- ropäischen Forschungsraumes sein. Vielmehr müssen die einzelnen Mitgliedsstaaten eigene Anstrengungen unternehmen, mehr in Forschung und Entwicklung zu investieren. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 12307 (A) (C) (B) (D) Eine weitere Forderung der Grünen sind die verstärkte Bereitstellung von Mitteln für wissenschaftliche Infra- struktur in den neuen EU-Mitgliedsländern. Die östlichen EU-Neumitglieder mögen aufgrund ihrer Historie eine schlechter ausgebaute Forschungsinfrastruktur haben. Langfristig muss es deshalb das Ziel sein, dass exzellenten Köpfen, egal aus welchem EU-Land, die passende Infra- struktur zur Verfügung steht. Entscheidend für die Überle- gungen zur Ansiedlung neuer Forschungsinfrastruktur darf dabei aber nicht die Geografie, sondern der wissen- schaftliche Nutzen des Standortes sein. Und dieser muss nicht zwangsläufig in den neuen Mitgliedstaaten liegen. Das muss aber nicht automatisch bedeuten, dass man nur in Bestehendes investiert, sondern auch offen ist für die Entwicklung von Potenzialen. Soweit einige Anmerkungen zum Antrag. Lassen Sie mich als Fazit aber noch sagen: Es ist eindeutig, dass wir auf die forschungspolitischen Fragen des 21. Jahrhun- derts nicht mehr allein nationalstaatlich antworten kön- nen. Großprojekte wie der X-FEL bei Hamburg oder Forschungsbereiche wie die Klimaforschung können nur gemeinsam erfolgreich angegangen werden. Als logi- sche europäische Konsequenz daraus führt an einem ge- meinsamen europäischen Forschungsraum kein Weg vorbei! Bis zur Vollendung haben wir aber noch viele Schritte vor uns! Im Forschungsland Deutschland – ich denke, bei zwei von drei diesjährigen Nobelpreisträgern in naturwissenschaftlichen Kategorien darf man dies wohl voller Überzeugung sagen – tun wir gut daran, uns auch weiterhin an diesen Diskussionen und der Gestal- tung aktiv zu beteiligen. Der uns jetzt vorliegende An- trag der Grünen bietet uns dafür, bei all seinen Defiziten, eine gute Diskussionsgrundlage. Cornelia Pieper (FDP): Ich teile die Auffassung meiner Kollegen aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- nen, die eine Verbesserung der Kooperation und Koordi- nation im europäischen Forschungsraum fordern. Seit- dem in der sogenannten Lissabon-Strategie das Ziel formuliert wurde, Europa bis zum Jahr 2010 zur dyna- mischsten wissensbasierten Wirtschaftsregion der Welt zu entwickeln, sind nunmehr sieben Jahre vergangen. Heute, im Landeanflug sozusagen, ist es durchaus rich- tig, danach zu fragen, ob uns eine Punktlandung in drei Jahren gelingen wird. Ich gebe zu, damals wie heute ver- folgen wir ein ambitioniertes Ziel, das aber die Zustim- mung aller im Bundestag vertretenen Parteien fand. Ich stellte gestern im Ausschuss Frau Dr. Schavan die zen- trale Frage, ob sie glaubt, dass wir bei weiter steigendem Wirtschaftswachstum das 3-Prozent-Ziel erreichen wer- den. Die Kollegen im Ausschuss haben es gehört. Frau Schavan ist der Auffassung, dass die Bundesregierung in ihren einzelnen Forschungshaushalten dieses Ziel bis 2010 realisieren wird. Heute, nach sieben Jahren, müssen wir feststellen: Europa hat mit anderen Wirtschaftsräumen der Welt nicht Schritt halten können. Die FuE-Wachstumsraten bleiben hinter denen Asiens oder der USA zurück, die Beschäftigungsziele werden nicht erreicht, und dem Ziel, 3 Prozent des BIP in Forschung und Entwicklung zu investieren, sind wir immer noch nicht näher gekom- men. Das ist außerordentlich bedauerlich, zumal der Zu- wachs nicht einmal reicht, um den Status quo herzustel- len. Ich habe schon sehr oft gesagt, dass wir auch auf Regierungsseite unsere Schlagkraft stärken müssen. Und das geht eben doch besser, wenn die Verantwortung in einem Innovationsministerium liegt. Die Schlüsselzahlen 2007 zu Wissenschaft, Technolo- gie und Innovation in der EU zeigen, dass die FuE-Inten- sität – Ausgaben für Forschung und Entwicklung als Prozentanteil des BIP – in Europa, trotz des Lissabon- Prozesses, seit Mitte der 90er-Jahre unverändert bei 1,84 Prozent des BIP geblieben ist. Und das, obwohl Frankreich – plus 1,02Prozent–, Deutschland – plus 0,76 Prozent – und Großbritannien – plus 0,7 Prozent – ihre FuE-Ausgaben steigern konnten. Dagegen haben al- lein die USA – plus 1,08 – ihr Engagement im Bereich FuE deutlich verstärkt und damit zur Entstehung einer Welt beigetragen, in der das Wissen gleichmäßiger ver- teilt ist als jemals zuvor. Europa konnte auch das Investi- tionsdefizit im Bereich FuE gegenüber den Vereinigten Staaten in den vergangenen Jahren nicht abbauen. Sie können das auch im FuE-Bericht der Europäi- schen Kommission nachlesen. Europäische Unterneh- men geben nicht einmal halb soviel Geld für Forschung aus wie ihre Konkurrenten in anderen Teilen der Welt. Die 1 000 größten europäischen Investoren gaben im vergangenen Jahr 121,1 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung aus. Bei den 1 000 größten außerhalb der EU waren es 250,5 Milliarden Euro. Der Bericht kommt zu dem Schluss, dass sich die Kluft zwischen der EU und anderen Weltregionen weiter vergrößert. Immer- hin, wenn auch um einen Platz abgeschlagen, gehört Daimler auf Platz fünf zu den größten in FuE investie- renden Unternehmen. Innerhalb Europas nimmt Daimler Platz eins ein. Deutsche Unternehmen belegen Platz drei – Siemens –, Platz fünf – VW –, Platz sieben – Bosch – und Platz acht – BMW. In diesem Zusammenhang möchte ich auch auf das Grünbuch zum Europäischen Forschungsraum, EFR, verweisen. Es hat eine breite Debatte über die künftigen Orientierungen für den EFR in Gang gesetzt. Die Ent- wicklung macht deutlich, dass aus mindestens fünf Gründen dringender Handlungsbedarf besteht: Die EU ist Teil einer globalisierten Welt, in der das Wissen gleichmäßiger verteilt ist als jemals zuvor. Der starke Wettbewerb auf dieser Ebene verlangt von der EU, dass sie sich anpasst und dass sie den EFR für den Rest der Welt attraktiver macht. Im Jahr 2005 wurden in der EU der 27 lediglich 1,84 Prozent des BIP für FuE aufgewendet, womit das Ausgabenniveau nach wie vor unter dem in den USA, in Japan oder in Südkorea liegt. Die neuen, aufstrebenden Volkswirtschaften wie China holen rasch auf. Sollten sich die derzeitigen Trends fortsetzen, wird China – was die FuE-Intensität anbelangt – bis 2009 zur EU aufge- schlossen haben. Auch Deutschland ist dem 3-Prozent- Ziel immer noch nicht näher gekommen. Mehr als 85 Prozent der Differenz zwischen der FuE- Intensität in der EU und der FuE-Intensität bei ihren 12308 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) wichtigsten Wettbewerbern hat ihren Grund in den Un- terschieden in der FuE-Finanzierung durch die Unter- nehmen. Die im Vergleich zu den USA geringe Höhe der FuE-Ausgaben des privaten Sektors in Europa ist in ers- ter Linie auf Unterschiede in der Industriestruktur und auf die geringere Größe der Hightechindustrie in der EU zurückzuführen. Was die Forschungsexzellenz anbelangt, ist festzu- stellen, dass obwohl die EU weltweit der größte Produ- zent von wissenschaftlichem Wissen ist, die Wirkung der europäischen Wissenschaft geringer ist, als die der Wis- senschaft der USA. In allen wissenschaftlichen Diszipli- nen hinkt Europa hinter den Vereinigten Staaten her, so- wohl was die Zitationshäufigkeit, als auch was die Zahl der häufig zitierten Publikationen anbelangt. Auch sind die Universitäten der EU stark unterrepräsentiert in der Spitzengruppe eines Rankings, das auf der Grundlage bi- bliometrischer Indikatoren der weltweit größten Univer- sitäten erstellt wurde. Ferner ist die Verknüpfung zwi- schen Technologie – patentierten Erfindungen – und der Wissenschaftsbasis in der EU wesentlich schwächer als in den USA. Europa tut sich schwer damit, sich in den neuen Hightechindustrien gut zu positionieren. Wenngleich Investitionen des privaten Sektors für Forschung und Entwicklung von zentraler Bedeutung sind, sollte dem öffentlichen Sektor künftig eine wich- tige Rolle zufallen. Die öffentliche Hand muss in der EU weiter in FuE investieren, damit sich die FuE-Aktivitä- ten der Privatwirtschaft weiterentwickeln. Andererseits müssen wir das enge Zusammenwirken von Wissen- schaft und Forschung durch Public-Private-Partnership deutlich besser im Auge behalten Hier gibt es noch große Spielräume. Die Konkurrenzfähigkeit unserer Forschungs- und Entwicklungskompetenzen können wir nur durch eine Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit des gesamten FuE- Systems erhöhen. Das setzt voraus, dass wir den Mut zu einem Wissenschaftsfreiheitsgesetz haben. Das könnte die Voraussetzungen für eine enge FuE-Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Hochschulen, der Schaffung von Wissenschaftsclustern und letztendlich auch für ei- nen Wissenschaftstarifvertrag schaffen. Im Rahmen der erneuerten Lissabon-Strategie sind die Mitgliedstaaten neue, weit reichende Verpflichtun- gen eingegangen, indem sie Zielvorgaben für die künf- tige FuE-Intensität gemacht haben. Der für Unternehmens- und Industriepolitik zustän- dige Vizepräsident der Kommission Günter Verheugen betonte in diesem Zusammenhang, es sei wichtig, den strukturellen Wandel nicht als Bedrohung, sondern als Möglichkeit zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit zu sehen: In Europa muss sich eine wirklich wissensba- sierte und innovationsfreundliche Gesellschaft heraus- bilden, die die Innovation nicht fürchtet, sondern will- kommen heißt, sie nicht behindert, sondern fördert. Verheugen rief dazu auf, Innovation als gesellschaftli- chen Grundwert zu etablieren. Die Realität bei uns zu Lande zeigt jedoch: Das Gen- technikgesetz behindert nach wie vor die Entwicklung der Grünen Gentechnik; es gibt keinen Durchbruch bei der Stammzellenforschung durch den Abbau gesetzli- cher Hemmschwellen. Jeder zweite Student in höheren Semestern sieht seine Zukunft heute im Ausland. So- lange das im EU-Ausland ist, mag es ja noch in die Lissabon-Strategie passen, aber immer mehr sehen ihre Chancen in den USA, in den Staaten Osteuropas und in Asien. Wie sehen wichtige Leitlinien überhaupt aus? Es geht um die Einrichtung innovationsfreundlicher Bildungs- systeme. Davon sind wir noch weit entfernt. Es geht um die Gründung eines Europäischen Technologieinstituts, das europaweit Forschungsnetzwerke bildet, und es wird ja jetzt auch kommen. Der Antrag der Grünen will aber genau das verhin- dern. Es soll ein gemeinsamer Arbeitsmarkt für Forscher aufgebaut werden. Gerade hier war die Gesetzgebung dieser Bundesregierung – ich denke da in erster Linie an die Zuwanderung – nicht gerade förderlich. Die Verbin- dungen zwischen Forschung und Wirtschaft sollen inten- siviert werden. Hier wurde der zaghafte Versuch einer kleinen Lösung für die Forschungsprämie unternommen und nach Anmahnung durch die FDP noch um die Kom- ponente „gemeinnützige Forschungseinrichtungen“ er- weitert. Wir brauchen aber den großen Wurf für alle for- schenden Unternehmen in Deutschland. Überarbeitete Regeln zu staatlichen EU-Beihilfen für Forschung und Entwicklung sowie für Innovationen bessere FuE-Steu- eranreize müssen Realität werden. Hier scheint ja Bewe- gung in die Diskussion gekommen zu sein, zumal einige europäische Länder diesen Weg schon erfolgreich be- schreiten. Die Zukunft ist nur mit und nicht gegen Europa zu ge- stalten. Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Seit dem sogenannten Millenniumsgipfel im März des Jahres 2000 in Lissabon werden in der Europäischen Union Wissenschaft, For- schung und Entwicklung sowie Wissenstransfer über ei- nen gemeinsamen Nenner definiert und strukturiert. Bis 2010 soll der „wettbewerbsfähigste und dynamischste wissensbasierte Wirtschaftsraum der Welt“ entstehen. Alles, was nicht dieser Zielstellung dient, ist nachrangig und wird auch so behandelt. Die Linke hat diesen kon- zeptionellen Ansatz bereits mehrfach als einseitig kriti- siert. Im Mittelpunkt dieses maßgeblich aus öffentlichen Mitteln gespeisten Forschungsförderrahmens, dessen Bestandteile das rund 50 Milliarden Euro schwere 7. Forschungsrahmenprogramm (FP7) und die Schaf- fung eines Europäischen Forschungsraums sind, steht nahezu ausschließlich wirtschaftliches Verwertungsinte- resse. Welche Forschung eine Gesellschaft braucht, um Menschen bessere Lebens- und Beschäftigungsbedin- gungen zu sichern und damit auch als Gesellschaft zivili- satorischen und kulturellen Fortschritt zu erhalten, taucht immer nur dann auf, wenn es Schnittmengen mit wirtschaftlichen Interessen gibt. Dabei muss gerade For- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 12309 (A) (C) (B) (D) schung wesentliche Beiträge leisten, wie man langfristig den großen globalen Konflikten und Herausforderungen sowie gesellschaftlichen Widersprüchen begegnen könnte. Eine entsprechende öffentliche Forschungsförderung sollte sich diesem Anspruch selbstbewusst stellen. Die „Freiheit von Forschung und Lehre“ muss im Mittel- punkt stehen und nicht die Ausrichtung auf Themen, die sich ökonomisch verwerten lassen. So melden sich gegenwärtig mehr und mehr Wissenschaftler und Wis- senschaftlerinnen zu Wort; die diese Entwicklung kriti- sieren. Sie wenden sich ausdrücklich gegen eine Ökono- misierung der Wissenschaftslandschaft und gegen das Konzept, sich bei der Hochschulsteuerung an Unterneh- men zu orientieren. Das Grünbuch „Der Europäische Forschungsraum: Neue Perspektiven“ und der zuständige EU-Kommissar für Wissenschaft und Forschung, Jan Potocnik, stehen allerdings ganz klar für die in Lissabon definierte Grundausrichtung, einen europäischen Binnenmarkt für die Forschung zu schaffen. Die Linke hält diese strategi- sche Ausrichtung für einen gravierenden Fehler. Daraus leitet sich ab, und das kritisieren wir Linke gleichermaßen, dass sich europäische Forschungs- und Technologieförderung vor allem aus einem Block- und Konkurrenzdenken gegen andere Wissenschafts- und Technologieregionen und -mächte definiert. Häufig ge- nannt werden in diesem Zusammenhang die USA oder die aufholenden Asiaten wie China oder Indien. Ein ko- operativer globaler Ansatz wird ausdrücklich nicht ver- folgt. Es geht in jedem Falle um einen maximalen Mehr- wert für die europäische Wirtschaft. So ist es wenig verwunderlich, wenn die Optimierung der Forschungsprioritäten – beispielsweise bei den im 7. Forschungsrahmenprogramm geförderten gemeinsa- men Technologieplattformen – den Schwerpunkt auf Themen legt, die sich aus den Interessen der Industrie er- geben. Dazu gehören unter anderem die „Technologie- initiative Clean Sky“ oder auch ARTEMIS – die „Tech- nologieinitiative für eingebettete IKT-Systeme“. Die EU lässt sich mit „Clean Sky“ die Luft- und Raumfahrtfor- schung in den nächsten Jahren rund 800 Millionen Euro kosten; die eingebetteten Computersysteme werden von der öffentlichen Hand mit rund 420 Millionen Euro sub- ventioniert. Alle Technologieinitiativen werden aber von Unternehmen geleitet. Auch die Entwicklung und Stärkung von Forschungs- einrichtungen richtet sich vorrangig nach ihrer themati- schen, materiellen, personellen und finanziellen Dienst- leistungsfunktion gegenüber der Industrie und dem daraus abgeleiteten spezifischen Bedarf an Wissens- transfer. Ein Beispiel dazu: Zum Fahrplan des Europäi- schen Strategieforums zu Forschungsinfrastrukturen, ESFRI, gehört das Projekt IFMIF, International Fusion Material Irradiation Facility. Es soll Materialforschung für zukünftige Fusionsreaktoren, sprich nukleare Ener- gieforschung, betreiben. Erwartete Kosten: Rund 850 Mil- lionen Euro. Diese wenigen Beispiele zeigen, dass es zwangsläufig zu einer dramatischen Ausblendung von Themen aus dem geistes-, kultur- und sozialwissenschaftlichen Be- reich kommen muss. Diese Wissenschaftsdisziplinen werden häufig auf Akzeptanzforschung zur Einführung und Umsetzung von umstrittenen Technologien redu- ziert. So stellt das Sicherheitsforschungsprogramm die Entwicklung von Detektionstechnologien zur Bekämp- fung von Terrorangriffen in den Vordergrund. Ängste vor einem aufgeweichten Datenschutz oder einge- schränkten Bürgerrechten werden hier als zu überwin- dende Hürden definiert, für die Konzepte zum „Dialog mit den Bürgern“ präsentiert werden sollen. Dass Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften in der europäischen Forschungsförderung ins Hintertreffen geraten ist zumindest insoweit widersprüchlich, als die Kommission zwischen April und August 2007 ausge- sprochen interessante Handlungsrichtlinien veröffent- licht hat, die auf ethische Spannungsfelder in verschie- denen Forschungsfeldern Bezug nehmen. Vor diesem Hintergrund hält es die Linke für notwendig, eine eigen- ständige und unabhängige Forschungskritik zu entwi- ckeln und diese Risikobegleitforschung auch angemes- sen zu finanzieren. Die Linke kann die Europäische Kommission daher nur nachdrücklich auffordern, die eigene Position umzu- setzen und sowohl in der Spitze als auch der Breite der Systeme zu fördern. Auch die Einbindung von gesell- schaftlichen Akteuren bei der Auswahl forschungspoliti- scher Schwerpunkte muss offensiver verfolgt werden. Bisher werden in der Europäischen Gemeinschaft parti- zipative Verfahren nur am Rande aufgeworfen. Sieht man einmal von der Grundkritik an der Ausrich- tung des europäischen Forschungsraumes ab, wirft das Grünbuch aber auch wichtige und richtige Probleme auf. Dazu gehören unzureichende Forschungsinvestitionen, die Fragmentierung der Forschung, die Kritik an den Mobilitätshindernissen für Forscher und Forscherinnen, ihre schlechten Arbeitsbedingungen und sehr begrenzten Laufbahnaussichten sowie nicht zuletzt die Unterreprä- sentanz von Frauen in der Wissenschaft. Vergleicht man nun diese Überlegungen aus dem Grünbuch mit der nationalen Forschungsförderung in Deutschland, dann zeigt sich eine ganze Reihe von Wi- dersprüchen. Offensichtlich versuchen punktuell nicht nur 16 Bun- desländer Alleinstellungsmerkmale gegen das EU-Kon- zept zu realisieren, sondern auch die Forschungspolitik der Bundesregierung erschwert unnötig eine Harmoni- sierung der Forschungsbedingungen in Europa. Das zei- gen zum Beispiel die Föderalismusreform, die angekün- digte Abschaffung des Hochschulrahmengesetzes, das Wissenschaftszeitvertragsgesetz und das jüngst von der Kanzlerin gelobte Wissenschaftsfreiheitsgesetz, das im kommenden Frühjahr das Licht der Welt erblicken soll. Doch eine leistungsfähige Forschung wird in Deutsch- land und Europa auf lange Sicht nur zu sichern sein, wenn den Beschäftigten nicht nur Mitsprache in betrieb- lichen, sondern auch in wissenschaftlichen Fragen ein- 12310 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) geräumt wird. Rechtliche Mindeststandards sollten im Rahmen eines sektoralen sozialen Dialogs europaweit fi- xiert werden. Die Linke unterstützt daher alle Forderun- gen, die die „Empfehlungen der Europäischen Kommis- sion zur Charta für Forscher und einen Verhaltenscodex für die Einstellung von Forschern“ aus dem Jahre 2005 als verbindliche Grundlage bestimmen wollen. Die Bundesregierung sollte mit den Bundesländern vereinbaren, das attraktivere Nachwuchsmodell der EU umzusetzen und damit die Promotion durchgängig als erste Phase wissenschaftlichen Arbeitens anzuerkennen. Deutsche Sonderwege auf nationaler, bundesstaatlicher und hochschul- bzw. wissenschaftseinrichtungsbezoge- ner Ebene erschweren zusätzlich die Begründung trans- parenter und attraktiver Beschäftigungsbedingungen für alle beteiligten Beschäftigungsgruppen – nicht nur für Spitzenwissenschaftler und -wissenschaftlerinnen. Diese sind ohne Engagement ihrer Mitarbeiter gar nicht in der Lage, Spitzenforschung zu realisieren. Die Linke betrachtet es zudem als entscheidenden Rückschritt, dass innerhalb des 7. Forschungsrahmen- programms kein Gender-Action-Plan integriert wurde. Diesbezüglich ist einiges in Deutschland im letzten Jahr positiv in Bewegung gekommen, gerade bei den großen Forschungsorganisationen. Die Bundesregierung sollte daher die verbindliche Erfüllung von Gleichstellungskri- terien an die Vergabe von Forschungsmitteln knüpfen. Abschließend sei betont: Die Linke hält das Grün- buch für eine wichtige Chance, europäische Forschungs- förderung kritisch zu überprüfen. Lassen Sie uns nun endlich die Weichen für eine verbesserte Forschungspo- litik und damit für künftige Rahmenprogramme der EU stellen. Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die grüne Fraktion ist der Ansicht, dass wir uns in der For- schungspolitik in stärkerem Maße, als dies bisher der Fall ist, mit der europäischen Ebene beschäftigen müs- sen und die europäische Koordinierung und Kooperation zu stärken haben. Deshalb debattieren wir heute unseren Antrag, mit dem wir in die Debatte um die Weiterentwicklung des europäischen Forschungsraumes einsteigen wollen. Die Europäische Kommission hat zu diesem Thema ein Grünbuch vorgelegt, das vielfältige Anforderungen und Handlungsbedarfe identifiziert. Ich möchte hier nur auf wenige zentrale Aspekte eingehen – wir werden das Thema in der Folge im Ausschuss dann noch erschöp- fend behandeln. Am offensichtlichsten zeigt sich der Mehrwert einer europäischen Dimension wahrscheinlich bei der Schaf- fung einer leistungsfähigen Forschungsinfrastruktur im Bereich von Großanlagen. Gerade bei deren Einrichtung hat die Planung auf europäischer Ebene den Vorteil, dass mehrere Länder ihre Mittel bündeln können und so ein effizienterer Einsatz der Mittel und letztlich bessere und vielfältigere Möglichkeiten für die Forscherinnen und Forscher eröffnet werden. Eine gesamteuropäische Pla- nung bietet den Vorteil, dass einzelstaatliche Versuche, sich mit der Errichtung von Großprojekten zu profilie- ren, in europäisch koordinierte Bahnen gelenkt werden und so ineffiziente Doppelungen und Lücken der Infra- struktur vermieden werden. Hinzu kommt, dass vorbild- hafte paneuropäische Infrastrukturen auch die Öffnung des europäischen Forschungsraumes zur Welt befördern, weil sie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus anderen Teilen der Welt anziehen. Allerdings ist bisher bei vielen Vorhaben der neuen „ESFRI-Roadmap“ noch nicht klar, wie sie finanziert werden können. Besonders bedenklich ist es, dass sich die Wirtschaft bisher selbst dann nicht engagiert, wenn die entsprechenden Einrich- tungen für sie von unmittelbarem Nutzen sind. Zweitens sind die Forschungsrahmenprogramme ein zentrales Element zur Verwirklichung eines europäi- schen Forschungsraumes. Mit dem inzwischen gestarte- ten 7. Forschungsrahmenprogramm sind die finanziellen Mittel erhöht worden, wenn auch nicht so deutlich, wie es wünschenswert gewesen wäre. Außerdem sind wei- tere innovative Maßnahmen eingeführt worden, zum Beispiel der Europäische Forschungsrat, mit dem exzel- lente Grundlagenforschung eine echte gesamteuropäi- sche Ausrichtung erhält. Es geht in der Zukunft darum, sicher stellen, dass wir für eine kontinuierliche Verbesserung und den Ausbau der Forschungsrahmenprogramme Sorge tragen. Außer- dem muss es gelingen, den bürokratischen Aufwand bei der Beantragung von Mitteln weiter zu reduzieren, so dass auch kleine Hochschulen, kleinere Forschungsein- richtungen und kleine und mittelständische Unterneh- men bessere Chancen auf eine erfolgreiche Beteiligung haben. Drittens muss sich der europäische Forschungsraum durch die Mobilität der Forscherinnen und Forscher aus- zeichnen. Ein besonders schwerwiegendes Hindernis für die Mobilität von Forscherinnen und Forschern ist die Tatsache, dass häufig die Portabilität von Sozialversi- cherungsansprüchen nicht gegeben oder sehr unüber- sichtlich und schwierig ausgestaltet ist. Ziel muss es sein, hier zu vernünftigen europäischen Regelungen zu gelangen, um der besonderen Bedeutung des Wissen- schaftssektors und den erhöhten Mobilitätsanforderun- gen an die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ge- recht zu werden. Wie dies gelingen kann, ist derzeit noch nicht klar, und hier wird sicherlich noch einiges an Ar- beit und Beratungsbedarf auf uns zukommen. Es ist uns aber auch wichtig, zu betonen, dass der eu- ropäische Forschungsraum keineswegs eine Angelegen- heit sein soll, die alleine von der Kommission betrieben wird. An einigen Stellen des Grünbuches hat man aber den Eindruck, dass die Kommission zu stark auf einen „top down“-Ansatz setzt. Nach unserer Überzeugung wäre es zum Beispiel kontraproduktiv, wenn man natio- nale Forschungsförderungsprogramme grundsätzlich für Bewerber aus anderen europäischen Staaten öffnen würde. Stattdessen sollte man hier lieber auf dezentrale Koordinierung und freiwillige Kooperation der Mit- gliedstaaten und der Forschungsinstitute setzen, wie dies ja auch von vielen Wissenschaftlerinnen und Wissen- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 12311 (A) (C) (B) (D) schaftlern in ihren Reaktionen auf das Grünbuch geäu- ßert wird. Im Übrigen sollte nach Auffassung der grünen Frak- tion ein Markenzeichen des europäischen Forschungs- raumes in einer starken Präsenz von Forschung und For- schungspolitik in der europäischen Gesellschaft liegen. Ein wirklicher europäischer Forschungsraum kann nur gelingen, wenn sich eine demokratische europäische Öf- fentlichkeit mit den Richtungen, Zielen und Bedingun- gen von Forschung auseinandersetzt. Zentral sind dabei offene Debatten über die wissenschaftlichen Schwer- punkte, über Chancen aber auch Normen und Grenzen für die Forschung. Eine erfolgreiche und verantwor- tungsvolle europäische Forschung braucht die offene ge- sellschaftliche Debatte über die Grenzen der National- staaten hinweg. Wir treten dafür ein, dass das nationale Parlament sich sehr entschieden in den weiteren Entscheidungspro- zess einbringt und die Weiterentwicklung des europäi- schen Forschungsraumes konstruktiv und kritisch be- gleitet. Ich freue mich deshalb auf unsere weiteren Beratungen auf der Grundlage des Grünbuches und un- seres Antrages. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Neunten Ge- setzes zur Änderung des Versicherungsauf- sichtsgesetzes (Tagesordnungspunkt 21) Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU): Das Bun- desverfassungsgericht erklärte im Juli 2005 Teile des bestehenden Versicherungsaufsichtsgesetzes für ver- fassungswidrig. Neu geregelt werden sollte die Be- standsübertragung durch Versicherungsvereine auf Ge- genseitigkeit und die Überschussbeteiligungen in der Lebensversicherung. Unabhängig von diesem Urteil des Bundesverfassungsgerichts war es notwendig, die Versi- cherungsaufsicht an internationale Standards anzupas- sen. Als Ergebnis liegt nun der Gesetzesentwurf der Neunten Novelle zum Versicherungsaufsichtsgesetz vor. Wir als Unionsfraktion bewerten den Gesetzesent- wurf grundsätzlich positiv. Das Versicherungsaufsichts- gesetz wird im Sinne des Bundesverfassungsgerichts ge- ändert. Des Weiteren wird die Versicherungswirtschaft auf die kommenden Aufsichtsstandards im Rahmen der europäischen Solvency-II-Regelungen vorbereitet. Da- bei werden erhöhte Anforderungen an Entscheidungs- prozesse und das Risikomanagement in Versicherungs- unternehmen gestellt. Der Übergang von bisher zu starren Regelungen zu einer prinzipienbasierten Aufsicht gibt den Unternehmen jetzt größeren Handlungsspiel- raum und steigert die Wettbewerbsfähigkeit. Das stärkt den Versicherungsstandort Deutschland nachhaltig! Einen Punkt in der Novelle sehen wir in der Union al- lerdings kritisch. Die Regelungen für deutsche Pensions- fonds sind nach wie vor zu eng. Schon in der Siebten Novelle zum Versicherungsaufsichtsgesetz wurde dieser Punkt verhandelt, allerdings dann doch zurückgestellt. Nun steht er wieder auf der Tagesordnung. Die größten deutschen Unternehmen, also alle DAX-30-Unterneh- men und ein bedeutender Teil der größten mittelständi- schen Unternehmen, planen Folgendes: Sie wollen die betriebliche Altersvorsorge ihrer Mitarbeiter in eigen- ständige Pensionsfonds auslagern und absichern. Die Basis war das von der rot-grünen Regierung im Jahr 2001 verabschiedete Altersvermögensgesetz. Allerdings haben nur vier Betriebe bisher überhaupt Pensionsfonds gegründet. Das spricht nicht unbedingt für die aktuellen Regelungen. In der Tat beurteilen die Unternehmen das geltende Recht als zu einschränkend. Daher weicht ein Großteil von ihnen momentan auf Treuhandgesellschaf- ten aus, die sogenannten CTAs, Contractual Trust Arran- gements. Das Problem hierbei ist aber, dass diese Gesell- schaften weder einer Aufsicht noch einer Absicherung unterliegen. Pensionsfonds hingegen sichern Betriebsrentenan- sprüche dreifach ab: Erstens. Sie sind zu 100 Prozent durch Fondskapital gedeckt. Zweitens. Eine zeitweilige Unterdeckung, beispiels- weise bei großen Schwankungen am Aktienmarkt, ist über den Pensionssicherungsverein, PSV, abgesichert. Drittens. Für alle Fälle müssen die Trägerunterneh- men haften. Dies wurde mit der Siebten VAG-Novelle eingeführt. Es gibt hier nur einen strittigen Punkt: Die Deckungs- regeln sind zu rigide. Das benachteiligt eindeutig die Unternehmen, die in Deutschland einen Pensionsfonds gründen möchten. Aktuell kann die Unterdeckung dieser Fonds bei nur maximal 5 Prozent liegen, Das bedeutet, wenn die Differenz zwischen Pensionsansprüchen und Fondsvermögen die Grenze von 5 Prozent überschreitet, so muss die Trägergesellschaft sofort einspringen und ausgleichen. Besonders diese Ausgleichspflicht erfordert von den Trägerunternehmen kurzfristig eine sehr hohe Liquidität. Mehr noch, sie sind sogar gezwungen, per- manent Liquidität bereitzustellen. Findet sich kein Kom- promiss, so besteht die Gefahr, dass die hier gewünsch- ten Pensionsfonds nicht hier, sondern im Ausland aufgelegt werden. Unsere europäischen Nachbarländer stehen auch schon in den Startlöchern und bieten sich ganz offen als künftige Standorte für Pensionsfonds an. Wollten wir nicht gerade die großen, international täti- gen Unternehmen bewegen, ihre gesamten Betriebsren- tenansprüche über deutsche Pensionsfonds zu decken, um damit den Standort Deutschland zu stärken? Ich bin der Meinung, dass die Unterdeckungsgrenze in Pensionskassen auf 10 Prozent angehoben werden sollte. Auch ein sofortiger Ausgleich wird von den Ex- perten, auch der Bundesanstalt für Finanzdienstleis- tungsaufsicht, als nicht unbedingt zwingend erachtet. Ein Korridor von 10 Prozent der Rückstellungen ent- spricht internationalen Regelungen. Im Falle einer Un- terdeckung und einer Gefährdung der Erfüllbarkeit des Pensionsplans müsste mit der Bundesanstalt für Finanz- dienstleistungsaufsicht ein konkreter und realisierbarer 12312 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) Sanierungsplan erstellt und durchgeführt werden. Dies würde auch der EU-Pensionsfondsrichtlinie entsprechen, die bereits im Rahmen der Siebten VAG-Novelle umge- setzt wurde. Das Bundesministerium für Finanzen bringt im Zu- sammenhang mit einer Lockerung der Bedeckungsre- geln immer wieder das Argument von möglichen Steuer- ausfällen. Ich kann dem aber nicht zustimmen: Warum? Jede Zuführung zu Rückstellungen für die betriebliche Altersvorsorge ist eine Verbindlichkeit des Trägerunter- nehmens. Sie mindert somit den Gewinn und folglich auch die Steuern, genau wie die Bewertungsdifferenz, die durch Übertragung von Pensionsansprüchen auf Pen- sionsfonds entsteht und über zehn Jahre abgeschrieben werden muss. Auch die rigide Nachschusspflicht wird natürlich nur durch steuerabzugsfähige Nachschüsse er- füllt. Die Steuerfrage kann hier also keine Rolle spielen. Insgesamt muss deutlich werden: Wir wollen flexib- lere Deckungsregeln im Aufsichtssystem. Wir wollen aber keine Änderungen oder besondere Vorteile im Steu- errecht. Lassen sie mich abschließend noch kurz einen Punkt vorbringen: Es geht um die sogenannten Rückstellungen für Beitragsrückerstattungen. Die Bildung dieser Rück- stellungen ist nur zulässig, wenn sie ausschließlich für die Beitragsrückerstattung verwendet wird. Das Han- dels- und das Steuerrecht verlangen dies. Ich kann mir vorstellen, dass in bestimmten Fällen jedoch eine Ent- nahme aus diesen Rückstellungen gerechtfertigt er- scheint. Dies wäre beispielsweise der Fall, wenn der Ver- sicherer zu erhöhten garantierten Leistungen verpflichtet wird, die er an die Versicherten zu zahlen hätte. So kann eine Verlustabdeckung abgesichert werden. Die aus- schließliche Verwendung dieser Rückstellungen für Leistungen an Versicherte bleibt schließlich gewahrt. Darüber hinaus muss auch immer die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht zustimmen. Ich halte das für eine sinnvolle Ergänzung zur Novelle des Versiche- rungsaufsichtsgesetzes. Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Das Bundes- verfassungsgericht hat in einem Urteil vom 26. Juli 2005 § 14 des Versicherungsaufsichtsgesetzes, VAG, für ver- fassungswidrig erklärt. Mit der vorliegenden Novellie- rung des Versicherungsaufsichtsgesetzes kommen wir dem Auftrag des Bundesverfassungsgerichts nach, bis zum 31. Dezember 2007 eine verfassungsmäßige Neure- gelung der Übertragung von Versicherungsbeständen zu erarbeiten. Im Zuge der vorgelegten Novellierung der Versiche- rungsaufsicht unterziehen wir das Verhältnis der Auf- sichtsbehörde zu den Versicherungsunternehmen einer kritischen Revision und weiteren Verbesserungen. Dabei passen wir es an Veränderungen internationaler Stan- dards für die Finanzaufsicht an, insbesondere hinsicht- lich des internen Risikomanagements der Unternehmen. Unsere Neuregelung sieht darüber hinaus vor, das Ver- fahren der Mindestüberschussbeteiligung der Versicher- ten in der Lebensversicherung im Interesse des Verbrau- cherschutzes zu vereinfachen. Diese Klarstellungen liegen im Interesse der Verbrau- cherinnen und Verbraucher, die auf klare Vorschriften für die Produkte der Versicherungswirtschaft, deren Vertrieb und Übertragung sehr großen Wert legen, um ihre privaten Vermögensverhältnisse eigenverantwort- lich und mit hoher Rendite gestalten zu können. Auch die Versicherungswirtschaft, die nach der Kre- ditwirtschaft das zweitgrößte Kapitalsammelbecken un- serer Volkswirtschaft darstellt, braucht Klarheit hinsicht- lich der aufsichtsrechtlichen Anforderungen an ihre Produkte. Klarheit und Kalkulierbarkeit in den Detailre- gelungen des Versicherungsvertrages können dazu bei- tragen, attraktive Produkte anzubieten und die starke Stellung der deutschen Versicherungswirtschaft im euro- päischen Wettbewerb zu verteidigen und auszubauen. Denn es kann im Wettbewerb mit anderen Unternehmen einen großen Vorteil darstellen, wenn man potenziellen Kunden klare Informationen über wichtige Rahmenda- ten eines Versicherungsvertragsverhältnisses geben kann, beispielsweise über Bestandsübertragungen, Prä- mienberechnung oder Überschussermittlungsverfahren. Die vorliegende Novelle trägt mit den Neuregelungen zu Bestandsübertragungen und Überschussermittlungen zur Etablierung eines voll entwickelten Finanzdienstleis- tungsmarktes im europäischen Rechtsraum mit einem funktionierenden Aufsichtsregime und einem Höchst- maß an Rechtssicherheit für die Kundinnen und Kunden der Versicherungsunternehmen bei. Sie schließt dabei noch bestehende Regelungslücken in diesen Bereichen, wie wir dies schon im Bereich der Rückversicherung, beim Schutz der Versicherten im Falle von Unterneh- menskrisen und für die Aufsicht über Versicherungshol- dinggesellschaften getan haben. Folgende Maßnahmen haben wir im Einzelnen vorge- sehen, um unser Ziel der Wahrung der Belange der Ver- sicherten und der Erfüllbarkeit der Verträge sicherzustel- len: Das Bundesverfassungsgericht hat strenge Vorschrif- ten vorgegeben, nach denen ein Versicherungsunterneh- men alle oder einen Teil seiner Versicherungsverträge auf ein anderes Versicherungsunternehmen übertragen kann. Solche Bestandsübertragungen müssen durch die zuständige Aufsichtsbehörde BaFin genehmigt werden. Allein ausschlaggebendes Kriterium für eine Genehmi- gung war bislang die Frage, ob die finanzielle Sicherheit der Versicherungsverträge gewahrt blieb. Dieses Kriterium entwickeln wir mit dem vorliegen- den Entwurf weiter, indem wir die aufsichtsrechtliche Genehmigung der Bestandsübertragung nur dann erlau- ben, wenn die Belange der Versicherten in vollem Um- fang gewahrt bleiben – ein wichtiger Beitrag zur Kon- kretisierung unseres Ziels des Verbraucherschutzes. Bei Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit sichern wir beispielsweise im Falle einer Bestandsübertragung den Anspruch der Mitglieder auf Zahlung eines angemesse- nen Entgelts. Soweit erforderlich, übertragen wir diese Maßstäbe auch auf andere Versicherungsverträge mit Überschuss- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 12313 (A) (C) (B) (D) beteiligung, beispielsweise die Altersrückstellung in der Krankenversicherung. Die Vermögenswerte, die durch die Prämienzahlun- gen der Versicherten entstanden sind und der Erwirt- schaftung von Überschüssen dienen, müssen auch bei ei- nem Übergang eines Versicherungsvertrages auf ein anderes Versicherungsunternehmen in gleichem Umfang erhalten bleiben. Diese gesetzliche Regelung der Über- schussbeteiligung in der Lebensversicherung wird be- gleitet durch das Gesetz zur Reform des Versicherungs- vertragsrechts, das wir am 5. Juli 2007 beschlossen haben. Der Schutz der Verbraucher stand auch bei einem As- pekt im Vordergrund, den wir im Versicherungsvertrags- gesetz im Sinne der Versicherten geregelt haben. Viele Versicherungsunternehmen hatten Prämienzahlung und Vertragsabschlusskosten – die sogenannte Zillmerung – sowie negative Erträge und Überschüsse verrechnet, zum Nachteil der Versicherungskunden, deren Prämien- zahlungen sich dadurch reduzierten. Die Vorschriften zur Ermittlung der Mindestüber- schussbeteiligung regeln wir hingegen mit dem vorlie- genden Gesetzentwurf neu. Im Laufe der Zeit ergaben sich Unterschiede in der Berechnung der Mindestüber- schussbeteiligung für „regulierte“ Verträge, denen ein genehmigter sogenannter Technischer Geschäftsplan zu- grunde liegt, und „deregulierte“ Verträge. Dies führte dazu, dass einzelne Verträge zulasten anderer systema- tisch und einseitig mit Risiken anderer Verträge belastet werden. Diese unterschiedlichen Verfahren wollen wir vereinheitlichen. Künftig können Verluste nur noch begrenzt mit Ge- winnen verrechnet werden. Die Bundesanstalt für Fi- nanzdienstleistungsaufsicht verfügt mit den von den Ver- sicherungsunternehmen vorzulegenden Berichten über das geeignete Kontrollinstrument, um die Einhaltung dieser „Saldierungsbegrenzung“ seitens der Unterneh- men zu überwachen. Wir versprechen uns davon eine deutliche Vereinfachung der bislang geltenden Regelun- gen der Berechnung der Mindestüberschussbeteiligung der Versicherten. Auch die international zu beobachtende Entwicklung von der regelbasierten hin zu einer stärker prinzipienba- sierten Finanzaufsicht bilden wir mit der Novellierung des Versicherungsaufsichtsrechts ab. Dieser Übergang weg von einem regelgebundenen Aufsichtsregime er- höht auch in der Versicherungswirtschaft die Anforde- rungen an die Entscheidungsprozesse innerhalb der Unternehmen. Um eine ordnungsgemäße Geschäftsorga- nisation innerhalb der Unternehmen der Versicherungs- wirtschaft zu gewährleisten, sieht die Neuregelung die Entwicklung einer Risikostrategie sowie interne Steue- rungs- und Kontrollsysteme einschließlich einer internen Revision vor. Dies gilt natürlich auch für Unternehmens- gruppen, deren Risikomanagement Aufschluss darüber geben muss, wie sich die Verteilung der Risiken auf Gruppenebene darstellt. Die interne Berichterstattung erlaubt eine Einschät- zung des Risikos der Unternehmen, der Sensibilität des Unternehmens gegenüber Änderungen des Umfeldes so- wie eine realistische Beurteilung der aus derartigen Än- derungen erwachsenden neuen Risikosituation und er- möglicht so der Geschäftsleitung, gegebenenfalls eine Änderung der Geschäftspolitik oder andere geeignete Korrekturmaßnahmen, zum Beispiel zur Risikominde- rung, einzuleiten. Um eine praktikable Umsetzung zu ermöglichen und insbesondere kleinere Versicherungsunternehmen von bürokratischen Pflichten zu entlasten, gelten für Pen- sionskassen und kleinere Versicherungsvereine verein- fachte Kontrollanforderungen. Zudem eröffnen wir die Möglichkeit, sich von bestimmten Anforderungen, wie der Ausfertigung eines Risikoberichts, freistellen zu las- sen, wenn der Aufwand für die betroffenen Unterneh- men unverhältnismäßig groß wäre. Vorteil einer Regelung zu diesem frühen Zeitpunkt ist es, dass damit die Versicherungswirtschaft Zeit erhält, sich auf die kommenden Aufsichtsstandards des euro- päischen Solvency-II-Regimes vorzubereiten. Damit machen wir einen weiteren Schritt zur Entwicklung und Vollendung eines europäischen Binnenmarktes für Fi- nanzdienstleistungen. Wir hoffen, dass wir mit den vorgesehenen Neuerun- gen unsere Ziele der Neuregelung der Übertragung von Versicherungsbeständen, des internen Risikomanage- ments der Versicherungsunternehmen sowie der Min- destüberschussbeteiligung erreichen. Damit nutzen wir unsere aufsichtsrechtlichen Gestaltungsspielräume, um wirksame Sicherungsmaßnahmen zu ergreifen, die die Kunden der Versicherungsunternehmen schützen. In Ge- sprächen mit Bürgerinnen und Bürgern mache ich aller- dings auch immer deutlich, dass staatliche Aufsichtsre- gelungen persönliche Verantwortlichkeit nur ergänzen, nicht aber ersetzen können. Denn unsere Regelungen entheben sie nicht der Pflicht, im eigenen Interesse die Risikowahrscheinlich- keiten zu kalkulieren und zur Ordnung ihrer Vermögens- verhältnisse die richtigen Versicherungsprodukte zu wählen. Wachsame Aufsichtsbehörden und kluges Risi- komanagement seitens der Unternehmen bedeuten nicht, dass sich Risiken komplett ausschalten oder versiche- rungsrechtlich auffangen lassen. Ihnen und allen Bürge- rinnen und Bürgern wünsche ich gute Entscheidungen, um das Verhältnis von Risiko und Chancen auch in Zu- kunft zu optimieren. Frank Schäffler (FDP): Die Große Koalition ist in der Finanzmarktgesetzgebung eine Koalition der ver- passten Chancen. Dies sieht man in allen abgeschlosse- nen bzw. laufenden Gesetzgebungsverfahren. Ob REITS, ob Private Equity oder Investmentgesetz, um nur einige zu nennen: Immer machen Sie nur einen halben Schritt, nie geben Sie dem Finanzplatz Deutschland die Chance, im internationalen Wettbewerb den Platz einzunehmen, der ihm gebührt. Stattdessen misstrauen Sie dem Markt, beschließen staatliche Eingriffe und werfen der Finanz- branche Steine in den Weg. 12314 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) Das vorliegende Gesetzgebungsverfahren bildet da keine Ausnahme. Natürlich setzt der Gesetzentwurf die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zu Bestands- übertragungen und zur Überschussbeteiligung in der Le- bensversicherung um; dagegen ist nichts zu sagen. Ent- scheidend ist jedoch, was wiederum nicht im Gesetz steht. Sie haben seitens der Koalition – auch wenn der Gesetzentwurf im Bundesfinanzministerium erarbeitet wurde, so ist er ja doch vom Kabinett insgesamt abge- segnet worden – das Thema „Flexibilisierung der Bede- ckungsvorschriften für Pensionsfonds“ erneut nicht auf- gegriffen. Dies ist umso bedauerlicher, als wir in den Ausschussberatungen zur achten VAG-Novelle festge- halten hatten, dass das Thema bei der neunten Novelle aufgegriffen werden sollte. Da der Regierungsentwurf eine Flexibilisierung nun nicht vorsieht, ist es unsere Aufgabe im parlamentari- schen Verfahren, diese Regelung noch ins Gesetz einzu- fügen. Ich bin zuversichtlich, dass der in der Anhörung zur Verfügung stehende Sachverstand uns erneut über- deutlich machen wird, dass wir hier im Interesse der in- ternationalen Wettbewerbsfähigkeit der inländischen Pensionsfonds handeln müssen. Die Union hat hier ent- sprechende Bereitschaft signalisiert; es wäre nun an der Zeit, dass sie auch die SPD davon überzeugt. Lassen Sie seitens der Union den Finanzplatz Deutschland nicht länger „links“ bei der SPD liegen, sondern geben Sie das Tempo vor. Die zuständigen Bundesratsausschüsse haben sich in ihren Empfehlungen übrigens ebenfalls für eine entspre- chende Änderung des Gesetzentwurfs ausgesprochen, um Wettbewerbsnachteile für inländische Pensions- fonds zu beseitigen. Beim Thema Solvency II gibt es einen Punkt, bei dem sich alle Fraktionen einig sind. Soweit wir uns mit den Auswirkungen von Solvency II beschäftigen, darf es nicht dazu kommen, dass kleinere Unternehmen einem unverhältnismäßigen Aufwand ausgesetzt werden. Da- rauf sollten wir gemeinsam achten. Darüber hinaus soll- ten wir bei der Rückstellung für Beitragsrückerstattung eine Konkretisierung vornehmen, wann Mittel entnom- men werden können, um die gegenüber den Versiche- rungsnehmern ausgesprochenen Garantien sicherzustel- len. Dies ist deshalb so wichtig, weil die Rückstellungen für Beitragsrückerstattung mit 42 Milliarden Euro mehr als 80 Prozent der Eigenmittel der deutschen Lebensver- sicherungsunternehmen umfassen. Die Branche und die Bundesratsausschüsse haben hierzu im Einklang mit dem Solvency-II-Richtlinienentwurf entsprechende Vor- schläge gemacht, die wir aufgreifen sollten. Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Der vorliegende Ge- setzentwurf der Bundesregierung zur Neunten Novelle des Versicherungsaufsichtsgesetzes findet im Grundsatz die Unterstützung meiner Fraktion. So sehen wir in der Neuregelung des § 14 einen Schritt, der die Rechte der Versicherten stärkt. Aller- dings bedurfte es erst eines Urteils des Bundesverfas- sungsgerichtes, das die Bundesregierung zwang hier tä- tig zu werden. Zu kritisieren ist auch, dass die Bundesregierung erst auf den letzten Drücker tätig wurde. Denn immerhin wurde dieser Passus bereits Mitte 2005 für verfassungswidrig erklärt. Spätestens mit der Achten Novelle des VAG hätte bereits die Möglich- keit bestanden diese Rechtsunsicherheit für die Versi- cherten zu beenden. Desgleichen unterstützen wir die Festlegung der An- forderungen an das Risikomanagement der Versiche- rungsunternehmen, womit die zu erwartenden Solven- cy-II-Regeln vorweg in nationales Recht umgesetzt wer- den sollen. Maßnahmen, wie die Pflicht zur Vorlage des internen Risikoberichts und die Ausdehnung anderer Be- richtspflichten gegenüber der staatlichen Aufsicht oder die Sicherstellung der bevorzugten Behandlung von An- sprüchen der Versicherten im Insolvenzfall finden ohne Zweifel unsere Unterstützung. Wenn Ihre Politik des Rentenklaus in der gesetzlichen Rentenversicherung schon diejenigen, die es sich leisten können (!) in die Arme der Versicherungskonzerne treibt, dann muss wenigstens ausreichend dafür Sorge getragen werden, dass der Umgang mit den Geldern der Versicherten nicht völlig den kurzfristigen Renditeinte- ressen der Versicherer überlassen wird. Allerdings gilt es, in Anbetracht der Komplexität, die das gesamte Solvency-II-Regelwerk mit sich bringen wird, auch darauf zu achten, dass damit kleine Versiche- rungsunternehmen, wie etwa regionale Haftpflichtversi- cherer, nicht überfordert werden. Solvency II darf kein Beitrag zur weiteren Monopolisierung des Versiche- rungsmarktes sein! Daher begrüßen wir es, dass Versi- cherungsunternehmen, die nur in Teilbereichen des Ver- sicherungsmarktes tätig sind, nicht die ganze Bürde der Anforderungen aufgezwungen wird. Gebetsmühlenartig bemühen die Finanzpolitiker von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen im- mer wieder die Floskel von der Sicherung und dem Aus- bau des Finanzplatzes Deutschland, um neue Finanz- instrumente und Anlageformen hier zu Lande zu etablieren. Deren volkswirtschaftlicher Nutzen ist oft mehr als fragwürdig und die Staatseinnahmen werden dadurch in Milliardenhöhe belastet (Zulassung von Hedge-Fonds, REITs, Steuergeschenke für Private Equity Fonds etc.). Geht es hingegen um das Setzen von aufsichtsrechtlichen Standards, die tatsächlich das Ver- trauen von Anlegern, vor allem aber von Versicherten stärken, dann tut sich manch einer von Ihnen doch recht schwer damit. So habe ich während der gestrigen Sit- zung des Finanzausschusses doch mit einiger Verwunde- rung vernommen, dass aus den Reihen von CDU/CSU und FDP Stimmen laut wurden, Pensionsfonds eine deutlich größere Unterdeckung ihrer Verpflichtungen zu ermöglichen. Da müssen Sie sich schon die Frage gefal- len lassen, weshalb sich die Attraktivität deutscher Pen- sionsfonds für Versicherte erhöhen soll, wenn zugleich das Risiko für die Fondseinlagen erhöht wird? Welche Lehren ziehen Sie eigentlich aus den seit Monaten an- haftenden Turbulenzen auf dem Finanzmarkt und dem Beinahe-Kollaps des britischen Versicherers „Equitable Life“? Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 12315 (A) (C) (B) (D) Die Linke wird sich jedenfalls für eine wirksame Ver- sicherungsaufsicht und gegen jegliche Ausweitung spe- kulativen Agierens auf den Versicherungs- und Finanz- märkten aussprechen. Nur so kann das Vertrauen der Versicherten gewahrt, die Finanzmarktstabilität gewähr- leistet und – wenn Sie so wollen – dem Finanzplatz Deutschland auf mittlere und lange Sicht Vertrauen ver- schafft werden. Wir fordern die Bundesregierung auf, sich auf EU-Ebene bei der Umsetzung von Solvency II an den Interessen der Versicherten zu orientieren und da- für Sorge zu tragen, dass Versicherungsunternehmen die Anlage der ihnen anvertrauten Gelder in Hedge-Fonds und anderen hochspekulativen Anlagegeschäften ver- wehrt bleibt. Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Versicherungsaufsichtsgesetz beschäftigt uns kurz nach der Achten Novelle erneut. Hauptinhalt der Neun- ten Novelle zum Versicherungsaufsichtsgesetz ist eine Umsetzung des Bundesverfassungsgerichtsurteils vom 26. Juli 2005. In diesem Urteil wurden die Übertragun- gen von Versicherungsbeständen, wie sie bislang im Ver- sicherungsaufsichtsgesetz geregelt wurden, für verfas- sungswidrig erklärt. Das Bundesverfassungsgericht verlangt, dass die Be- lange der Versicherten von der Aufsichtsbehörde umfas- send festzustellen und ungeschmälert in die Entschei- dung über die Genehmigung und die dabei vorzunehmende Abwägung einzubringen sind. Bei Le- bensversicherungen muss gesichert sein, dass die durch Prämienzahlungen der Versicherungsnehmer beim Versi- cherer geschaffenen Vermögenswerte im Fall von Be- standsübertragungen als Quellen für die Erwirtschaftung von Überschüssen erhalten bleiben und den Versicherten in gleichem Umfang zugute kommen wie ohne Aus- tausch des Schuldners. Bei Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit muss auch der Anspruch der Mitglieder auf Zahlung eines angemessenen Entgelts gewahrt blei- ben. Grundsätzlich befürworten wir die vorgeschlagenen Änderungen in dem Regierungsentwurf. Wichtig ist aber nun, bei der Bestandsübertragung zu überprüfen, wie der Übergang der Rechte und Pflichten des übertragenden Unternehmens auf das übernehmende Unternehmen vollzogen wird. Besonders vor dem Hintergrund der Diskussion über den Verkauf von Immobilienkrediten ist eine sehr genaue Überprüfung der gesetzlichen Regelun- gen zur Wahrung der Verbraucherinteressen notwendig. Wenn nun ein Versicherungsnehmer ein Produkt ab- geschlossen hat, das besondere Anlagestrategien ver- folgt, wie beispielsweise besonders ethische, ökologisch oder soziale Kapitalanlagen und das zu übernehmende Unternehmen diese nicht anbietet; dann sollte nach einer Lösung gesucht werden, die auch gegebenenfalls ein Sonderkündigungsrecht für die Versicherungsnehmer vorsieht. Das Urteil der verfassungsrechtlichen Anforderun- gen an die Lebensversicherer ist zum Großteil schon in dem Versicherungsvertragsgesetz umgesetzt worden. Die Berechnung, die Saldierung von Verlusten und Ge- winnen für die Überschussberechnung obliegt aber der Aufsichtsbehörde und unterliegt daher dem Versiche- rungsaufsichtsänderungsgesetz. Einer geäußerten Kri- tik, die die Bestandsübertragung bei Verträgen mit Über- schussbeteiligung betrifft, ist unseres Erachtens Rechnung zu tragen. Bei Versicherungsverträgen mit Überschussbeteiligung ist bei Übertragung sicherzustel- len, dass der Wert der Überschussbeteiligung des auf- nehmenden und des abgebenden Versicherungsunterneh- mens jeweils gleich bleibt. Dabei sollen auch die den Verträgen bereits zugewiesenen Bewertungsreserven nach dem Zeitwert einbezogen werden. Interessant bei der Neunten Novelle ist auch der Übergang zu einer mehr prinzipienbasierten Aufsicht über die Versicherungswirtschaft, gerade im Hinblick auf die geplanten europäischen Aufsichtsstandards für die Versicherungswirtschaft Solvency II. Da wird die Entwicklung, wie sie mit Basel II bei den Banken statt- gefunden hat, auf den Versicherungssektor übertragen. Hierbei möchten wir die Zusammenhänge von der durch das Versicherungsaufsichtsänderungsgesetz veranlass- ten Änderungen in Betracht auf Solvency II näher disku- tieren. Die weiteren Verhandlungen zu Solvency II fin- den auch erst nach Abschluss der Neunten VAG-Novelle statt, so dass wir die Debatte zu dem Versicherungsauf- sichtsgesetz auch vor dem Hintergrund der europäischen Harmonisierungsbestrebungen führen können. Ein wichtiger Punkt bei der prinzipienbasierten Auf- sicht ist, wie die Aufsichtsbehörde durch die neu formu- lierten Anforderungen an das Risikomanagement der Versicherungsunternehmen das Risikoergebnis kontrol- lieren kann. In dem jetzt vorliegenden Regierungsent- wurf wird die Implementierung eines angemessenen Risikomanagementsystems bzw. einer angemessenen Risikosteuerung verlangt. Allerdings stellt der Entwurf der Bundesregierung nur auf die Implementierung der Risikosysteme und ihrer Funktionsfähigkeit ab, verlangt aber keine explizite Nennung des Risikoergebnisses. Hier stellt sich die Frage, ob dies genügt, um den beauf- sichtigenden Institutionen einen effektiven Überblick zu verschaffen. Im Rahmen der Diskussion um die Achten Novelle des Versicherungsaufsichtsgesetzes wurde bereits über die Frage der Unterdeckung bei Pensionsfonds gespro- chen. Damals wurde zugesichert, dass dies im Rahmen der Neunten Novelle überprüft werden soll. Neben den bereits im Gesetz enthaltenen Punkten werden wir uns also mit dieser Thematik befassen. Das ist auch richtig so. Als eine wichtige Säule der Altersvorsorge sollte die betriebliche Altersvorsorge durch Pensionsfonds erleich- tert werden, und zwar auch mit Standort in Deutschland. Das entsprechende Altersvermögensgesetz trat am 1. Ja- nuar 2002 in Kraft. Pensionsfonds sind in Deutschland aber noch nicht verbreitet. Wichtig wird es für diese Dis- kussion sein, dass wir klären, ob und wenn ja, in welcher Höhe eine Neuregelung Steuerausfälle verursachen würde, und wie die Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher an Sicherheit bei ihrer Altersversorgung ge- währleistet werden können. 12316 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Deutschland muss rüstungskontrollpoliti- sche Glaubwürdigkeit beweisen – Angepass- ten KSE-Vertrag dem Deutschen Bundestag zur Abstimmung vorlegen – Angepassten Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa ratifizieren – Die Krise des KSE-Vertrages durch neue Impulse für konventionelle Abrüstung und Rüstungskontrolle in Europa beenden (Tagesordnungspunkt 20 a und b, Zusatztages- ordnungspunkt 9) Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg (CDU/ CSU): Zweifelsohne hat sich der unmittelbar nach dem Ende des Kalten Krieges allgemein herrschende abrüs- tungspolitische Enthusiasmus in den letzten Jahren in gewissem Maße erschöpft. Dachte man in den Jahren nach dem Fall der Berliner Mauer, nun sei entsprechen- der Raum gegeben für umfassende und globale abrüs- tungspolitische Initiativen, so mussten wir in den folgen- den Jahren feststellen, dass die Welt durch den Untergang des Kommunismus zwar ein bedeutendes Stück freier, aber nicht in jeder Hinsicht stabiler gewor- den ist. Nun finden wir uns wieder auf dem knarzenden Bo- den der Tatsachen. Neue Bedrohungen und ein damit verbundenes anhaltendes Gefühl von asymmetrischer Gefahr und Unsicherheit in den internationalen Bezie- hungen haben unter anderem dazu geführt, dass die Staa- ten in ihrer Gesamtheit, aber vor allem die alten und neuen aufstrebenden Großmächte nicht bereit sind, in dem Sinne auf den Erhalt und Aufbau ihrer Waffenarse- nale in dem Maße zu verzichten, wie wir es uns in die- sem hohen Hause vielleicht wünschten. Der Staatengemeinschaft sind zudem neue abrüs- tungspolitische Herausforderungen entstanden: Die Pro- liferation waffentauglicher Nukleartechnologie an Staa- ten wie an nichtstaatliche terroristische Akteure ist in diesem Zusammenhang hervorzuheben. Die Ambitionen Irans, den gesamten Brennstoffkreislauf zu beherrschen und die damit verbundenen Möglichkeit, atomare Waf- fensysteme zu entwickeln, stellen in diesem Zusammen- hang mit Sicherheit die dringendste Herausforderung für die Weltgemeinschaft dar. Lediglich angesichts der Diskussionen um die von Russland angedrohte Aussetzung des KSE-Vertrages von einer erschütternden Krise der internationalen Abrüs- tungs- und Rüstungskontrollregime zu reden, wäre – bei aller berechtigten Sorge – doch etwas pathetisch. Interna- tionale Kooperation mit Russland ist teilweise schwieri- ger geworden, doch sie besteht im Interesse aller Betei- ligten fort. Eher führt das rüstungskontrollpolitische Gesamtbild zum Krisenszenario. Auch um die abrüstungspolitischen Kooperation zwi- schen der NATO und Russland ist es tatsächlich äußerst schwierig, aber weniger desaströs bestellt, wie dies teil- weise suggeriert wird. Dies gilt übrigens auch für die ab- rüstungspolitischen Bemühungen zwischen Russland und den USA. Die weitgehend unbeachtet gebliebene Tatsache, dass Russland und die USA beim bilateralen Gipfel von Kennebunkport die baldige Aufnahme von Gesprächen über eine Nachfolgeregelung des Ende 2009 auslaufenden START-I-Vertrages vereinbart haben, darf in diesem Kontext genannt werden. Ziel dieser Gesprä- che soll es sein, die Anzahl der strategischen Atomwaf- fen auf das tiefstmögliche Maß zu verringern. Auch in Fragen der Nichtverbreitung findet nach wie vor umfas- sende Kooperation statt. Anzeichen für eine unüber- windbare Krise sind demnach trotz des russischen Thea- terdonners faktisch noch nicht festzustellen. Soviel Nüchternheit sollten wir uns trotz aller Sorge um die hier zu behandelnde Thematik gönnen. Präsident Putins Ankündigung, die Verpflichtungen des bisherigen KSE-Vertrages ab dem 12. Dezember auszusetzen, verändert nicht die Sicherheitslage in Eu- ropa, sie verändert nicht die strategische Lage, aber sie berührt doch in gewisser Weise das besondere fragile Vertrauensverhältnis zwischen Russland und der NATO, welches durch den KSE-Vertrag und die Nachfolgever- handlungen über den angepassten KSE-Vertrag geschaf- fen wurde. Es ist aber in diesem Zusammenhang äußerst bedenk- lich, dass das grundlegende Vertragswerk über konven- tionelle Abrüstung, Sicherheit und Rüstungskontrolle in Europa von russischer Seite zur Disposition gestellt wird. Trotz aller Mängel und Unzulänglichkeiten kommt dem bisherigen KSE-Vertrag doch eine hohe Symbol- kraft zu und es muss in unserem Interesse liegen, dass er in Kraft bleibt und weiterentwickelt wird. Putin muss sich allerdings an der Erwartbarkeit der eigenen russischen Schritte messen lassen. Nicht erst seit der Münchner Sicherheitskonferenz sendet der Kreml unmissverständlich missverständliche Signale aus, die in unterschiedlichen, nicht immer homöopathischen Dosen auf die wohlberechneten Befindlichkeiten der unter- schiedlichen NATO-Staaten einwirken. Die von Moskau verfolgte Politik der rhetorischen Eskalation legt zudem den Verdacht nahe, dass Russland den hohen Eigenwert des KSE-Prozesses unterschätzt und stattdessen den Ver- trag ganz offensichtlich als taktische Masse benutzt, um europäische Friktionspotenziale zu wecken und weiter- gehende, sachfremde Interessen zu verfolgen. Unterschwellig vorhandene, diffuse Bedrohungs- ängste – dies gilt wiederum im besonderen Maße für Deutschland – sollen durch wolkige Einlassungen und Drohungen unterfüttert werden. In diesem Sinne ent- spricht auch das von mir eingangs kritisierte allzu leicht- fertige Reden über sicherheitspolitische Krisen und ein neues Wettrüsten mutmaßlich durchaus dem Kalkül der- jenigen, die den KSE-Vertrag zur Disposition stellen. Dieses Verhalten sehe ich nach wie vor als durchsichtig und als nicht akzeptabel an. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 12317 (A) (C) (B) (D) Gleichwohl und erneut: Der KSE-Prozess befindet sich in einer kritischen Phase. In dieser Situation ist Deutschland als wichtiger Förderer und Impulsgeber des KSE-Prozesses besonders gefordert, den Ratifizierungs- prozess nach Kräften zu unterstützen und zu befördern. Wir begrüßen die bisher erfolgten Anstrengungen der Bundesregierung, den Dialog innerhalb der KSE-Unter- zeichnerstaaten voranzutreiben. Deutschland kann und muss den KSE-Prozess mit kreativen Ansätzen und ho- hem Engagement befördern. Um dieses Ziel zu verfol- gen gilt es nun, insbesondere den offenen und zielfüh- renden Dialog mit Russland weiterzuverfolgen. Hierin liegt eines der Kernanliegen dieses Antrages, aufwei- chen ich hier eingehen will. Mit dem vorliegenden Antrag wollen die Fraktionen von CDU/CSU und SPD ein deutliches Bekenntnis zum KSE-Vertrag und dessen Nachfolgeregelungen ablegen. Dieses Bekenntnis schließt allerdings das in Istanbul vereinbarte Junktim über den russischen Abzug aus Mol- dawien und Georgien ein. Ein Abrücken von eingegan- genen internationalen Verpflichtungen oder eine weitere Instrumentalisierung des Vertragswerkes für das Errei- chen anderer Ziele durch einzelne Vertragsstaaten muss hingegen ausgeschlossen werden. Die Bundesregierung muss verdeutlichen, dass sich der wichtige KSE-Vertrag nicht als Verhandlungsmasse eignet. Je deutlicher und einmütiger dies insbesondere gegenüber der russischen Führung kommuniziert wird, desto besser und zielfüh- render. In diesem Sinne muss auch die angedachte Möglich- keit eines schrittweisen parallelen Ratifizierungsprozes- ses des A-KSE, den wir begrüßen würden, an die konse- quente Erfüllung der genannten Bedingungen gebunden sein. Russland hat auch diesen Vorschlag reserviert aufge- nommen, obwohl dieser ein wesentliches Entgegenkom- men bedeutet. Moskau wäre gut beraten, die Initiative aufzugreifen und seinerseits Zeichen der Konstruktivität zu setzen. Um den Lösungsansatz zu ermöglichen ist die russische Seite zudem aufgefordert, umgehend von ihrer angekündigten Aussetzung der Anwendung des gültigen KSE-Vertrages Abstand zu nehmen. Der konstruktive und von den USA mitgetragene Vorschlag eines schritt- weisen Prozesses darf nicht als Carte blanche für Russ- land missverstanden werden. Wir würdigen die hohe Symbolkraft des KSE-Vertra- ges und sehen ihn auch weiterhin und ungeachtet aller Schwierigkeiten als zentrales Instrument an, um die rüs- tungspolitische Vertrauensbildung in Europa zu befesti- gen und weiterzuentwickeln. Die Bundesregierung bleibt aufgefordert, auf alle Mitgliedstaaten des KSE- Vertrages einzuwirken, ein Scheitern des KSE-Prozesses zu vermeiden. Als Förderer des KSE-Prozesses und wichtiger NATO-Staat muss Deutschland ein hohes Inte- resse daran haben, langfristig auch die NATO-Mitglieder in das Vertragswerk miteinzubeziehen, die bisher noch nicht zu den Unterzeichnerstaaten gehören. Letztlich gilt es jedoch in erster Linie auf die russi- sche Seite einzuwirken, ihren eingegangenen internatio- nalen Verpflichtungen nachzukommen. Dies betrifft ebenso die Wahrnehmung der Vertragspflichten des bis- herigen KSE-Vertrages wie auch die Erfüllung der Istan- bul-Commitments. Der Bundesregierung kommt daher auch die Aufgabe zu, Moskau auch im Rahmen des in- tensiven deutsch-russischen Dialoges von der langfristi- gen und allseitigen Bedeutung des A-KSE-Prozesses für das bilaterale Verhältnis der beiden Länder zu überzeu- gen. Dr. Rolf Mützenich (SPD): Das KSE-Regime befin- det sich in einer tiefen Krise, nachdem der russische Prä- sident Wladimir Putin am 14. Juli 2007 die Aussetzung des Vertrags ab dem 12. Dezember 2007 angekündigt hat. Zuvor blieben sowohl die Dritte Überprüfungskon- ferenz vom 30. Mai bis 2. Juni 2006 wie eine auf Antrag Russlands einberufene außerordentliche Konferenz aller KSE-Vertragsstaaten vom 12. bis 15. Juni 2007 in Wien ohne Ergebnis. Mit seiner Drohung, das KSE-Vertragssystem notfalls gänzlich infrage zu stellen, bringt Wladimir Putin die westlichen Staaten in Zugzwang. Sie müssen nun ent- scheiden, was ihnen dieser „Eckpfeiler der europäischen Sicherheit“ und die vertraglich vereinbarte Rüstungs- kontrolle insgesamt künftig wert sind. Der russische Vorstoß kam dabei nicht überraschend, sondern kündigte sich schon seit längerem an. Schon seit Jahren kritisiert Russland die westliche KSE-Politik. Dennoch: Rüs- tungskontrollpolitik darf nicht zum Spielball national- staatlicher Interessen gemacht werden. Worum geht es? Der KSE-Vertrag legt Obergrenzen für die Zahl der Waffensysteme vom Ural bis zum Atlan- tik fest. Ziel war es zunächst, das Ungleichgewicht kon- ventioneller Streitkräfte der Vertragspartner abzubauen und Überraschungsangriffe unmöglich zu machen. In dem am 19. November 1990 unterzeichneten KSE-Ver- trag einigten sich die Staaten des damaligen Warschauer Paktes und der NATO auf Grenzen für Waffenpotenziale wie Kampfpanzer, Artilleriesysteme oder Kampfhub- schrauber. Über 60 000 schwere Waffen wurden unter internationaler Aufsicht zerstört. Die veränderte Sicherheitslage nach Ende des War- schauer Pakts und der NATO-Erweiterung führte dann 1999 in Istanbul zu einem „angepassten KSE-Vertrag“, A-KSE, mit insgesamt 30 Vertragsstaaten. Kern der An- passung waren nationale und territoriale Truppenober- grenzen, die nur nach Konsultationen mit den Partnern geändert werden können. Alle KSE-Mitglieder unter- zeichneten zwar den A-KSE-Vertrag 1999, doch in Kraft getreten ist er bis heute nicht. Nur vier der 30 KSE-Staa- ten – Russland, Weißrussland, Kasachstan und die Uk- raine – haben ihn ratifiziert. Die NATO-Staaten binden ihre Ratifizierung an die Einhaltung der sogenannten „Istanbuler Verpflichtun- gen“, die besagen, dass Russland seine Truppen aus Ge- orgien und dem Gebiet Transnistrien in Moldawien voll- ständig abziehen müsse. Russland hingegen akzeptiert diese Argumentation nicht. Dem zeitlichen Junktim hat Russland nie zugestimmt. Zudem hat Moskau den Ab- zug zwar politisch, aber nicht rechtlich verbindlich zu ei- nem bestimmten Termin zugesagt. Darüber hinaus hat es seine Abzugsverpflichtungen mittlerweile zum größten 12318 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) Teil erfüllt. So hat sich die russische Seite mit Georgien auf einen Stationierungsvertrag und den Abzug seiner Truppen bis Ende 2008 geeinigt und diesen bereits groß- teils umgesetzt. In Moldawien gebe es nur noch wenige Hundert Soldaten, die ein Munitions- und Waffendepot bewachen, das keinesfalls unbeaufsichtigt bleiben könne. Diese Argumentation lässt sich nicht vollständig von der Hand weisen. Ich finde, dass man die Bemühungen Russlands um die Umsetzung der in Istanbul eingegan- genen Verpflichtungen und die bislang erzielten Ergeb- nisse durchaus würdigen sollte. Man sollte auch andere Befürchtungen Moskaus ernst nehmen. Die Debatte um einen NATO-Beitritt von Georgien und der Ukraine trägt ebenso dazu bei wie das geplante US-Raketenabwehr- system in Polen und Tschechien. Dabei ist klar: Der Vor- stoß Putins stellt eine unzulässige Vermengung zwischen der Raketenabwehr und dem KSE-Vertrag dar. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun und sollte getrennt voneinander behandelt werden. Ich bin der festen Überzeugung, dass es gelingen kann, den A-KSE zu ratifizieren und das KSE-Regime zu retten. Dies erfordert allerdings Bewegung auf beiden Seiten. Ich appelliere deshalb an die russische Regie- rung, dass sie den diplomatischen Bemühungen den not- wendigen Raum gibt und die angekündigte Suspendie- rung des KSE-Vertrages überdenkt. Ich fordere aber auch von den USA und den NATO-Partnern, auf die rus- sische Regierung einzuwirken und miteinander in einen konstruktiven Dialog für ein rasches Inkrafttreten des A-KSE einzutreten. Dabei muss im NATO-Russland-Rat auch über die rüstungskontrollpolitischen Folgen des US-Raketenschirms diskutiert werden. Ein Ausweg aus der festgefahrenen Situation könnte darin liegen, dass auf westlicher Seite bereits jetzt eine Gruppe von Staaten den A-KSE-Vertrag auf Vorrat rati- fiziert, um die Hinterlegung der Ratifikationsurkunden bei weiteren Fortschritten schnell vornehmen zu können. Gleichzeitig müsste die russische Seite die noch offenen Istanbuler Verpflichtungen zügig umsetzen und das an- gekündigte Moratorium aussetzen. Darüber muss drin- gend diskutiert und verhandelt werden. Ich bin deshalb Außenminister Frank-Walter Steinmeier sehr dankbar, dass er vor wenigen Tagen in Bad Saarow alle KSE-Vertragsstaaten sowie die balti- schen Staaten und Slowenien zu einem informellen Tref- fen zum Erhalt und Fortbestand des KSE-Regimes ein- geladen hat, um über diese Fragen zu diskutieren. Dabei konnten ein erster Überblick gewonnen, bestehende Dif- ferenzen benannt und mögliche Lösungsansätze disku- tiert werden. Konventionelle Rüstungskontrolle hat sicherlich in Europa nicht mehr die Bedeutung, die ihr während des Ost-West-Konflikts zukam. Gleichwohl wäre ein Schei- tern des KSE-Regimes verhängnisvoll und ein schwerer Rückschlag für die Vertrauensbildung in Europa. Es gibt aus deutscher und europäischer Sicht viele gute Gründe, am KSE-Regime festzuhalten. Es beschränkt effektiv die Militärpotenziale, es ist Grundlage für den Vertrag über den „Offenen Himmel“, der gegenseitige Inspektions- flüge erlaubt, und für die Wiener Vereinbarungen zum jährlichen Austausch militärischer Daten unter den OSZE-Staaten. Es liegt deshalb im Interesse Deutschlands und Euro- pas, dass Russland auch weiterhin in das KSE-System eingebunden und der KSE-Vertrag als Eckpfeiler euro- päischer Sicherheit erhalten bleibt. Die Verhandlungen sollten darüber hinaus durch weitere abrüstungspoliti- sche Initiativen ergänzt werden. Angesichts der weitge- henden inhaltlichen Deckungsgleichheit der Anträge zum KSE-Regime möchte ich zum Schluss zu überlegen geben, die Anträge zu einem gemeinsamen interfraktio- nellen Antrag zusammenzufassen. Elke Hoff (FDP): Am 12. Dezember 2007 soll die russische Suspendierung des Vertrages über Konventio- nelle Streitkräfte in Europa in Kraft treten. Sollte diese Entscheidung des russischen Präsidenten Wladimir Putin nicht doch noch abgewendet werden können, steht die konventionelle Rüstungskontrolle in Europa vor dem Aus. Denn eine russische Suspendierung wäre de facto auch das Ende des KSE-Vertrages. Ein Wegfall dieses tragenden Pfeilers der Stabilität und Sicherheit in Europa steht im vollkommenen Wider- spruch zu den sicherheitspolitischen Interessen der Bun- desrepublik und aller anderen Mitgliedstaaten. Deshalb ist es von entscheidender Bedeutung, dass die Vertrags- staaten gemeinsam einen Kompromiss finden, der den Ausstieg Moskaus aus der konventionellen Rüstungs- kontrolle noch abwenden kann. Doch ich habe wenig Hoffnung, dass dies ohne ein glaubwürdiges und belastbares Signal vonseiten der NATO-Mitgliedstaaten gelingen kann. Denn selbst nach der von Bundesaußenminister Steinmeier erst vor zwei Wochen so eifrig wie informell in Bad Saarow einberu- fenen Konferenz mit Vertretern aus 33 KSE-Mitglied- staaten, tritt die Vertragsgemeinschaft weiter auf der Stelle. Nichts war zu hören von substanziellen Fort- schritten oder gar einem Durchbruch in Sachen KSE- Vertrag. Die Zeit für die Rettung der konventionellen Rüstungskontrolle in Europa läuft damit langsam, aber sicher ab. Wir dürfen hier nicht länger zusehen. Deutsch- land muss als wichtiger NATO-Staat in dieser Krise end- lich Vorreiter und Brückenbauer sein. Wladimir Putin hat seine Entscheidung zur Suspen- dierung des KSE-Vertrages immer wieder mit Verweis auf die Stationierung einer US-Raketenabwehr auf euro- päischem Boden begründet. Aber in Wirklichkeit hat die Debatte um den US-Raketenabwehrschirm dem russi- schen Präsidenten nur ein zweites Mal – nach der Dro- hung, den INF-Vertrag zu kündigen – als Vorwand ge- dient, um der russischen Unzufriedenheit mit internationalen Abrüstungsvereinbarungen nachhaltig wie eindrucksvoll Ausdruck zu verleihen. Denn tatsäch- lich schwelt der Konflikt um die ausstehende Ratifizie- rung des angepassten KSE-Vertrages schon seit dem Jahr 2000: Die NATO-Mitgliedstaaten machten vor dem Hin- tergrund des Tschetschenienkrieges die von Moskau 1999 parallel zum A-KSE-Vertrag unterzeichneten soge- nannten Istanbuler Verpflichtungen – besonders den rus- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 12319 (A) (C) (B) (D) sischen Truppenabzug aus Georgien und Moldau – zur Vorbedingung für ihre Ratifizierung des A-KSE-Vertra- ges. Russland hat diese Vorbedingung nie anerkannt. Seitdem steht der Ratifizierungsprozess still. Die Entscheidung von Präsident Putin zum De-facto- Ausstieg aus dem KSE-Vertrag hat nun die konventio- nelle Rüstungskontrolle in eine existenzielle Krise ge- stürzt und die NATO-Mitgliedstaaten unter Zeitdruck gesetzt. Eine Rettung des Vertragswerks kann nur er- reicht werden, wenn die NATO-Staaten mit Russland zu einem konstruktiven, lösungsorientierten Dialog zurück- finden. Hierfür bedarf es eines glaubwürdigen Signals, dass die NATO-Staaten auch weiterhin am A-KSE-Ver- trag festhalten und dass ihre harte Haltung bei den Istan- buler Verpflichtungen keine Verzögerungstaktik gegen- über einem unliebsamen Rüstungskontrollinstrument ist. Besonders die Vereinigten Staaten müssen hier von der Bundesregierung an ihre Verantwortung und Leitbild- funktion erinnert werden. Dies muss aber geschehen, ohne den russischen Muskelspielen – die hier zweifellos eine nicht unbeträchtliche Rolle spielen – zu sehr entge- genzukommen. Auch wenn Russland die Istanbuler Verpflichtungen bislang nicht erfüllt hat, ist mit dem russisch-georgi- schen Abkommen vom 31. März 2006 über den Abzug der russischen Streitkräfte aus Georgien ein wichtiger Schritt zur Erfüllung der Istanbuler Verpflichtungen ge- tan worden. Denn in Moldau wird lediglich nur noch über den Abtransport alter russischer Munition gestrit- ten. Daher sollten die NATO-Mitgliedstaaten ihrerseits vor dem Hintergrund des drohenden russischen Aus- stiegs aus dem KSE-Regime Beweglichkeit und Kom- promissbereitschaft demonstrieren. Die FDP-Bundestagsfraktion fordert deshalb mit dem vorliegenden Antrag die Bundesregierung auf, den A- KSE-Vertrag dem Deutschen Bundestag zur Abstim- mung vorzulegen und damit ein starkes glaubwürdiges Signal setzen, dass Deutschland weiterhin – trotz dieser Krisensituation – am A-KSE-Vertrag festhält. Eine Zu- stimmung des Deutschen Bundestages ermöglicht es, dass die Ratifizierungsurkunde für den A-KSE-Vertrag bereits ausgestellt und die Ratifizierung damit weitestge- hend vorbereitet werden kann. So kann die deutsche Ra- tifizierung umgehend durch die Hinterlegung der Ratifi- zierungsurkunde wirksam werden, wenn Russland die letzten Truppen aus Georgien abzieht. Ein solches Vor- gehen von Deutschland, als Vorreiter unter den NATO- Mitgliedstaaten, kann den Spagat schaffen, der wieder Bewegung in den Ratifizierungsprozess des A-KSE-Ver- trages bringt: Dieser Spagat bedeutet, ein glaubwürdiges Signal zu senden, dass am A-KSE-Vertrag festgehalten wird, und darüber hinaus den Konsens der NATO-Staaten zu wah- ren, nicht vor Erfüllung der Istanbuler Verpflichtungen den A-KSE-Vertrag zu ratifizieren. Sollten die anderen NATO-Mitgliedstaaten dem Beispiel der Bundesregie- rung folgen, könnte dies der Schritt zur Rettung des KSE-Regimes sein. Mit dem von der FDP-Fraktion vorgeschlagenen Vor- gehen ist es möglich, unverzüglich nach einem endgülti- gen russischen Truppenabzug aus Georgien die Ratifika- tionsurkunden zu hinterlegen und den A-KSE-Vertrag umgehend in Kraft treten zu lassen. Eine solche „wei- testgehende Vorbereitung“ der Ratifizierung des A-KSE- Vertrages schafft eine konkrete Zukunftsperspektive für das KSE-Regime. Deshalb fordere ich die Bundesregie- rung auf, unserem Antrag zu folgen und dem Deutschen Bundestag den A-KSE-Vertrag endlich zur Abstimmung vorzulegen und bei den NATO-Partnern für einen eben- solchen Schritt zu werben. Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE): Die Deregulie- rung der internationalen Beziehungen schreitet voran. Am sichtbarsten wird dies sicherlich am Krieg gegen den Terrorismus der USA, der fast vorbehaltlos von den NATO-Staaten und auch der Bundesregierung unter- stützt wird. Allenthalben werden völkerrechtliche Schranken abgebaut, werden internationale Verträge auf- gekündigt oder nach Gutdünken der Mächtigen umdefi- niert. Vertrauensbildende Maßnahmen, einst Grundpfei- ler friedlicher Diplomatie, werden durch das Recht des Stärkeren abgelöst. Statt Rüstungskontrolle und Abrüstung bestimmen heutzutage Rüstungsmodernisierung und Aufrüstung die Agenda. Das NATO-Bündnis, allen voran die USA, ist für mehr als zwei Drittel der weltweiten Rüstungsausga- ben verantwortlich. Die NATO-Mitgliedstaaten exportie- ren modernstes Kriegsgerät im Wert mehrerer Milliarden an andere Staaten und treiben die Aufrüstungsspirale weiter an. Führende Mitgliedstaaten betreiben nach wie vor eher eine Konfrontationspolitik und nehmen dafür die Aushöhlung und Schwächung bestehender Kontroll- regime in Kauf. So ist die NATO in keiner Weise bereit, die Vorgaben des Nichtverbreitungsvertrags zu befolgen. Die USA, aber auch die NATO wollen nach einer sym- bolischen Ruhepause nach der Aufkündigung des ABM- Vertrags nun den Raketenabwehrschirm aufbauen, um sich vor den negativen Konsequenzen ihrer Aufrüstungs- politik zu schützen. Hier muss die Reißleine gezogen werden. Wir brauchen einen neuen tragfähigen Ansatz in der Abrüstungs- und Rüstungskontrollpolitik. Es muss um den Abbau der Rüstungspotenziale gehen. Den ver- trauensbildenden Maßnahmen muss wieder mehr Raum gegeben werden; sie müssen wieder verstärkt gefördert werden. Vor diesem Hintergrund ist die Sorge der Bundesre- gierung um den Fortbestand des KSE-Vertrags und ihre Empörung über die Ankündigung der russischen Regie- rung im Juli, den KSE-Vertrag zum 12. Dezember auszu- setzen, geradezu verlogen. Wo war die Bundesregierung, als es acht Jahre lang darum ging, im Westen für eine Unterzeichnung des Anpassungsvertrags zum KSE-Ver- trag zu werben? Es ist ein Zeichen mangelnder Weitsicht der Bundesregierung, dass nicht bereits nach der Unter- zeichnung des Anpassungsvertrages wenigstens dem Deutschen Bundestag ein Ratifikationsgesetz vorgelegt wurde. Die Liste der Versäumnisse der Bundesregierung ließe sich für andere Rüstungskontroll- und Abrüstungs- bereiche durchdeklinieren: das Verhalten in der Nuclear 12320 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) Suppliers Group angesichts des Nukleardeals zwischen den USA und Indien, das Festhalten an der nuklearen Teilhabe oder die Duldung einer Modernisierung der amerikanischen Atomsprengköpfe. Wo war die Bundes- regierung 2003, als es darum ging, die Pläne für eine Ausweitung des US-amerikanischen Raketenabwehrsys- tems nach Europa zu unterbinden? „Zu spät, zu wenig“, so kann man die Rüstungskon- trollpolitik der Bundesregierung beschreiben. Außenmi- nister Steinmeier betont zwar bei jeder sich ihm bieten- den Gelegenheit, wie zuletzt auch im Bundestag, wie wichtig ihm Abrüstung und Rüstungskontrolle sind – al- lerdings vor allem der anderen Staaten. Natürlich darf das Verhalten der russischen Regierung nicht beschönigt werden. Der grundfalsche Kurs der NATO-Staaten, Russland bei den strategischen militäri- schen rüstungskontrollpolitischen Entscheidungen für Europa nicht auf Augenhöhe in die Diskussion einzubin- den und Rücksicht auf russische Bedenken zu nehmen, hat zu ebenso falschen Entscheidungen der russischen Seite geführt. Fakt ist, die Auseinandersetzung um den KSE-Vertrag ist vor allem ein Symptom der allgemei- nen, vom Westen mitverschuldeten Krise in der Rüs- tungskontrolle. Um die eigentliche strukturelle Krise der Rüstungs- kontrolle zu überwinden, muss man allerdings vermei- den, den KSE-Vertrag zu mystifizieren. Die Realität sieht längst anders aus. Die im Anpassungsvertrag neu vereinbarten Truppenobergrenzen stellen keine Ein- schränkung für die NATO dar. Die globale militärische Interventionsfähigkeit der USA bzw. der NATO wird durch die Regelungen in keiner Weise berührt. Den US- Truppen reichen permanente Materiallager als Sprung- brett in die Kriegsgebiete aus. Wir brauchen stattdessen ein weiterführendes und den geänderten Bedingungen angepasstes Konzept zur konventionellen Rüstungskon- trolle in Europa, welches auch die qualitative Dimension berücksichtigt und neue Rüstungstechnologien mit ein- bezieht. Gleichzeitig gilt aber auch: Die für den Weltfrieden wichtige Rüstungskontrolle kann keine weiteren Krisen gebrauchen. Der KSE-Vertrag schaffte eine weltweit ein- malige Transparenz über die Stationierung von Streitkräf- ten in einer Region und zählt aufgrund des Verifikations- systems zu einem der wichtigsten vertrauensbildenden Maßnahmen. Es ist wichtig, dass beim KSE-Vertrag der Schalter doch noch umgelegt wird. Dies sollte zudem das Startsignal für weitergehende Verhandlungen über kon- ventionelle Abrüstung im OSZE-Rahmen sein. Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der russische Präsident Putin hat am 14. Juli angekün- digt, dass Russland mit Wirkung vom 12. Dezember die- ses Jahres die Anwendung des KSE-Vertrages und des Flankendokuments von 1996 aussetzen werde. Unsere Fraktion bedauert das zutiefst und fordert Russland auf, auf eine Aussetzung des KSE-Vertrages zu verzichten. Der KSE-Vertrag ist eines der zentralen Instrumente der Rüstungskontrolle und Vertrauensbildung in Europa. Wer die Anwendung des KSE-Vertrages aussetzt, setzt damit auch das Zeichen, dass für ihn die Zeit der koope- rativen Sicherheitspolitik ausläuft. Das kann und darf nicht im Interesse Russlands und Europas sein. Wenn Putin, wie jüngst geschehen, von der „Wieder- auferstehung“ der russischen Armee redet, mag man das als Innenpolitik oder Wahlkampfmanöver abtun. Wir fürchten, das ist mehr. Die politische und militärische Führung Russlands hat in den vergangenen Monaten wiederholt Signale gesendet, dass sie gewillt ist, zu einer konfrontativeren Politik gegenüber dem Westen zurück- zukehren. Die verbale und ideologische Aufrüstung ist vor dem Hintergrund der geplanten Stationierung ameri- kanischer Raketenabwehrsysteme in Polen und Tsche- chien sowie dem immer weiteren Heranrücken der NATO an Russland in vollem Gange. Auch im militäri- schen Bereich hat die russische Führung in den vergan- genen Wochen die Muskeln demonstrativ spielen lassen. Solche Drohgebärden sind kontraproduktiv. Sie kön- nen das fragile Gebäude der Rüstungskontrolle und Ab- rüstung weiter zum Einsturz bringen. Es ist kein Ge- heimnis, dass es in den USA, bei europäischen NATO- Partnern und in der Bundesregierung durchaus Kräfte gibt, die die vertragliche Rüstungskontrolle und Abrüs- tung als Fessel empfinden und abstreifen wollen. Die im Dezember 2001 erfolgte ersatzlose Aufkündigung des ABM-Vertrags vonseiten der Bush-Administration war dabei ein Dammbruch. Putin hat sich diesem Ansinnen nicht widersetzt. Im 2002 geschlossenen Moskauer Ver- trag über den Abbau strategischer Offensivwaffen haben Bush und Putin auf ein Verifikationssystem verzichtet. Die USA haben im Mai dieses Jahres angekündigt, den 1991 unterzeichneten START-Vertrag 2009 auslaufen zu lassen. Russland hat signalisiert, dass es damit keine nennenswerten Probleme hat und sich mit einem weni- ger formalisierten Folgeabkommen abfinden könnte. Die Drohungen aus Russland, gegebenenfalls auch den Mittelstreckenraketenvertrag aus dem Jahr 1987 zu kündigen, haben auf amerikanischer Seite niemanden beeindruckt. Dort ist man anscheinend bereit, die Auf- kündigung dieses historischen Vertrages in Kauf zu neh- men. Das Risiko für die USA wäre – im Gegensatz zu Europa – minimal. Abrüstungspolitisch bewegen wir uns damit in Richtung der Vor-Gorbatschow-Ära. Dies kann nicht das Interesse Deutschlands und der EU sein. Wir dürfen nicht zulassen, dass die multilaterale Rüstungs- kontrolle an die Wand gefahren wird. Der Antrag der Regierungsfraktionen verspricht, die Krise des KSE-Vertrages durch neue Impulse beenden zu wollen. Diese Impulse bleiben Sie schuldig. Sie schieben den Schwarzen Peter Russland zu. Wir sollten nicht so tun, als wäre der KSE-Vertrag erst per Dekret aus Moskau in die Krise geraten. Wir sollten nicht so tun, als hätte es die NATO-Erweiterung 2004 nicht gege- ben und als würden Georgien und die Ukraine nicht an der Pforte der NATO auf Einlass warten. Wir sollten auch nicht so tun, als würden Militärbasen in Rumänien und Bulgarien oder die Stationierung von Raketenab- wehrsystemen in Europa russische Sicherheitsinteressen nicht berühren. Der Westen hat durch das Verschleppen der A-KSE-Ratifizierung an der Krise des KSE-Regimes Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 12321 (A) (C) (B) (D) eine nicht unwesentliche Mitverantwortung. Wir müssen einen wesentlichen Teil der Kritik Russlands ernst neh- men und nach Wegen suchen, wie wir zu einer vertrau- ensvollen Zusammenarbeit zurückkehren können. Es mag im Jahr 2000 gute Gründe gegeben haben, warum man bei der NATO auf die vorherige Erfüllung der sogenannten Istanbul-Verpflichtungen beharrt hat. Die Lage hat sich in den vergangenen sieben Jahren, zum Beispiel durch den 11. September oder durch die NATO-Erweiterung in vielfacher Hinsicht substanziell verändert. Russland hat Schritte zur Erfüllung der Istan- bul-Verpflichtungen in die Wege geleitet. Die müssen umgesetzt und abgeschlossen werden. Die grundsätzli- che Blockadehaltung der NATO ist für uns nicht mehr nachvollziehbar. An der restlichen Implementierung der Istanbul-Ver- pflichtungen darf die Ratifizierung des A-KSE-Vertrages nicht scheitern. Wir sind der Auffassung, der Vertrag muss jetzt unverzüglich ohne Wenn und Aber ratifiziert werden. Gleichzeitig sollte ein Prozess in die Wege ge- leitet werden, wie die seit 1999 neu hinzugekommenen Fragen der konventionellen Rüstungskontrolle im ge- genseitigen Einvernehmen gelöst werden können. Wir können die Rüstungsobergrenzen ohne Sicherheitsver- lust weiter senken und auf andere Waffenkategorien aus- weiten. Der NATO-Russland-Rat und die OSZE haben ihr Kooperationspotenzial im Rüstungskontrollbereich noch nicht ausgeschöpft. Wir haben zur Kenntnis genommen, dass Außenmi- nister Steinmeier in den vergangenen Monaten Schritte unternommen hat, um den Streit um die Ratifizierung des A-KSE-Vertrags zu entschärfen und den Dialog in Gang zu halten. Wir haben den Eindruck: Dem Außen- minister und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist es ernst. Sie sind daran interessiert, den A-KSE zum Erfolg zu führen. Unsere Unterstützung haben Sie. Gleichzeitig haben wir Zweifel, ob die Unionsfraktio- nen tatsächlich an einem Erfolg des Außenministers in- teressiert sind. Zum wiederholten Male versagt die Union dem Außenminister und dem Koalitionspartner in Abrüstungsfragen die Unterstützung. Wer die Bundesre- gierung nicht dabei unterstützt, unverzüglich den Ratifi- zierungsprozess einzuleiten, nimmt das Scheitern des KSE-Regimes billigend in Kauf. Was die Regierungs- koalition als Antrag vorlegt, ist daher ein Armutszeug- nis. Viel deutlicher kann man den Außenminister nicht im Regen stehen lassen. Der Vorschlag der FDP, den Vertrag in Deutschland zu ratifizieren, die Ratifizierungsurkunde aber nicht zu hinterlegen, ist nicht neu. Vor sieben Jahren wäre das eine gute, vor sieben Monaten eine noch denkbare Op- tion gewesen. Heute, so befürchte ich, hilft uns dieser Trippelschritt nicht mehr weiter. Für solche Spielchen ist keine Zeit mehr. Entweder wird der A-KSE-Vertrag schnellstmöglich ratifiziert und weiterentwickelt, oder das KSE-Regime wird in wenigen Monaten der Ge- schichte angehören und zu Grabe getragen – mit allen Unwägbarkeiten für die Rüstungskontrolle insgesamt. Der angepasste KSE-Vertrag schafft bessere Verifika- tionsbedingungen, senkt die Obergrenzen und ermög- licht zum Beispiel auch den überfälligen Beitritt anderer europäischer Staaten. Die Ratifizierung des angepassten KSE-Vertrages war in Russland 2004 nicht unumstritten. Sie war ein Vertrauensvorschuss an den Westen, den wir jetzt, in dieser kritischen Phase, erwidern sollten. Gehen wir einen großen Schritt auf Russland zu. Stärken wir dem deutschen Außenminister bei dieser schwierigen Mission den Rücken. Lassen Sie uns in Deutschland den A-KSE-Vertrag unverzüglich ratifizieren und damit auch ein Zeichen für andere NATO-Partner setzen. Sorgen wir dafür, dass das System der konventionellen Rüstungs- kontrolle in Europa erhalten und weiter ausgebaut wird. Dafür werben wir in unserem Antrag. Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze (Tagesordnungspunkt 23) Michael Hennrich (CDU/CSU): Heute findet die erste Lesung des Gesetzes zur Änderung des Vierten Bu- ches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze statt. Der Gesetzentwurf zielt vor allem auf Veränderungen in drei Problembereichen: Zum einen gehen wir mit den vorgesehenen Änderun- gen im Verfahrensrecht weitere Schritte auf eines der Ziele unserer Koalition zu, den Bürokratieabbau. Damit tragen wir zu vereinfachten Arbeitsabläufen für alle Be- troffenen bei. Des Weiteren sollen offene Fragen in Bezug auf die Verwaltungspraxis der Träger der Rentenversicherung geklärt werden. Schließlich setzen wir mit dem Gesetzentwurf die Ka- binettsentscheidung vom 13. Dezember 2006 um und verteilen die Erstattungslasten zwischen dem Bund und den fünf „neuen“ Ländern aus dem Anspruchs- und An- wartschaftsüberführungsgesetz neu. Die Bundesregierung arbeitet für die Änderung des Sozialversicherungsgesetzes eng mit den Vertretern der Arbeitgeberverbände und der Sozialversicherungsträger zusammen. Damit wird sichergestellt, dass das Recht auf der Höhe der Zeit bleibt, also dass die Änderungen auf die derzeitigen Erfordernisse in den Betrieben und bei den Sozialversicherungsträgern zugeschnitten sind. Die- ser Dialog trägt wesentlich dazu bei, dass das Sozialver- sicherungsänderungsgesetz ein Erfolg wird, indem Arbeitsabläufe passgenau vereinfacht oder zusammen- gefasst werden. Dafür möchte ich den Arbeitgeberver- bänden und den Sozialversicherungsträgern an dieser Stelle herzlich danken. Danken für die gute und kon- struktive Zusammenarbeit, die keine Selbstverständlich- keit ist, sondern Beharrlichkeit und Ausdauer erfordert und ein kontinuierliches Aufeinanderzugehen um der Sache willen. Der Normenkontrollrat spricht in diesem Zusammenhang sogar davon, dass dieser kontinuierliche 12322 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) Dialog der Bundesregierung mit den Arbeitgeberverbän- den und Sozialversicherungsträgern richtungweisend ist. Lassen Sie uns daran auch in Zukunft festhalten! Um die drei angesprochenen Ziele des Gesetzent- wurfs zu erreichen, haben wir neben all den technischen Veränderungen viele kleine Anpassungen vorgenom- men. Diese Kleinarbeit auf dem Weg zu unserem Ziel Bürokratieabbau ist nicht populistisch verkäuflich, da sie von der Allgemeinheit nicht hoch angesehen wird. Sie werden selten jemanden finden, der Ihnen dafür dankbar auf die Schulter klopfen wird. Und dennoch ist diese Kleinarbeit wichtig, da die Ergebnisse der in diesem Ge- setzentwurf vorgenommenen Änderungen konkrete Ver- besserungen für die jeweils Betroffenen mit sich brin- gen. Auf einige davon gehe ich im Folgenden genauer ein. Die Zusammenfassung der Vorschriften im Bereich des Sozialversicherungsausweises und die Aufhebung der Sozialversicherungsausweisverordnung begrüße ich ausdrücklich. Diese Neuerungen tragen wesentlich zu ei- ner größeren Übersichtlichkeit und damit vor allem zu einer Entlastung der Arbeitgeber bei. Auch der Bundes- verband der Arbeitgeber und der Zentralverband des Deutschen Handwerks stimmen hier mit uns überein und begrüßen die geplanten Änderungen. Ein besonders zukunftsträchtiges Zeichen sehe ich in der Vollautomatisierung des Melde- und Beitragsverfah- rens sowie der vollautomatischen Rückmeldung an die Arbeitgeber. Diese technischen Neuerungen stellen we- sentliche Erleichterungen dar, kann die Information doch einmal eingegeben und ohne weiteren Aufwand weiter verwendet werden. An sich wurde das Verfahren schon zum 1. Januar 2006 eingeführt, aber erst mit dem Sozial- versicherungsänderungsgesetz wird durch die verbindli- che Genehmigung von entsprechenden Datensätzen die Voraussetzung für eine komplette Umstellung der Ar- beitgeber vom Papier- auf das elektronische Verfahren geschaffen. Schätzungen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zufolge können mit dieser Maß- nahme rund 7 Millionen Euro jährlich eingespart wer- den. Durch die zum 1. Januar 2009 geplante zentrale Mel- destelle für alle berufsständischen Versorgungseinrich- tungen müssen die Unternehmen die Unterlagen zukünf- tig auch nicht mehr in Papierform an mehr als 80 verschiedene Einrichtungen schicken. Damit sollte der Bearbeitungsaufwand sowohl für die Arbeitgeber als auch für die Versorgungseinrichtungen reduziert werden. Das Ministerium spricht hier daher von Einsparungen in Höhe von rund 45,36 Millionen Euro. Diese und weitere Änderungen der Informations- pflicht werden daher auch ausdrücklich vom Normen- kontrollrat gelobt, und es wird von einer Entlastung ge- sprochen. Die für mich zentrale Verbesserung des hier vorlie- genden Entwurfs des Sozialversicherungsänderungsge- setzes sind die Änderungen in Bezug auf die Familienan- gehörigen im Handwerk. Endlich kam es hier zu einer Klärung des Status derselben. Dies ist ein Ergebnis aus der Zusammenarbeit mit dem Zentralverband des Deut- schen Handwerks und anderen sowie des kontinuierli- chen Einsatzes der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für dieses Ergebnis. Bisher haben die Familienangehörigen in Handwerksbetrieben zwar meist Sozialversicherungs- beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung einge- zahlt, damit jedoch nicht automatisch einen Anspruch auf Leistungen erhalten. Begründet liegt das in der Ein- stufung der Familienangehörigen durch die Sozialversi- cherungsträger als Unternehmer und nicht als Arbeitneh- mer. Bereits mit dem Vierten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (Hartz IV) konnte hier ein Teilerfolg errungen werden: Für diejenigen, die ab dem 1. Januar 2005 erstmalig der Einzugsstelle als Arbeitnehmer gemeldet wurden, wurde das automati- sche Feststellungsverfahren durchgeführt. Damit findet für diese zugleich auch die leistungsrechtliche Bindung der anderen Sozialversicherungsträger statt. Es blieb je- doch dabei, dass Altfälle nur durch Klagen und langwie- rige Verfahren zu ihrem Recht kommen konnten, und bei den Neufällen waren nur die Ehegatten automatisch be- rücksichtigt, für Kinder musste ein gesonderter Antrag gestellt werden. Mit dem hier vorliegenden Gesetzentwurf kommt es für die Familienangehörigen von Handwerkern nun zu weiteren Verbesserungen: Zum einen wird das automatische Feststellungsver- fahren ausgeweitet und damit auf Ehegatten und Kinder zugleich angewendet. Die Prüfung wird dabei über die Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung erfol- gen. Damit erhalten dann endlich alle im Handwerksbe- trieb angestellten Familienangehörigen für ihre Zahlun- gen in die Sozialversicherung im Bedarfsfall auch die damit verbundenen Leistungen. Zum anderen wurde die Regelung hinsichtlich der be- reits gezahlten Beiträge von Familienangehörigen zur gesetzlichen Rentenversicherung geändert. Diese gelten in Zukunft als zu Recht entrichtete Pflichtbeiträge, wo- durch eine Schlechterstellung der in Handwerksbetrie- ben angestellten Familienangehörigen gegenüber dem tatsächlich Pflichtversicherten verhindert wird. Eine Er- stattung der gezahlten Beiträge zur gesetzlichen Renten- versicherung findet zwar nicht statt, aber die Beiträge bleiben zukünftig als solche erhalten. Auch an dieser Stelle ist der Dialog hervorzuheben, der hier mit dem Zentralverband des Deutschen Hand- werks, den Unternehmerfrauen des Handwerks und an- deren geführt wurde und letzten Endes zu mehr Rechts- sicherheit durch diese für die Betroffenen in der Praxis relevanten Verbesserungen führen wird. Daher auch an dieser Stelle herzlichen Dank an all diejenigen, die zu diesem Ergebnis beigetragen haben. Ein Ergebnis, das eine erhebliche und nachhaltige Verbesserung für Hand- werkerfamilien bringt, da nun endlich ein automatisches Feststellungsverfahren durchgeführt wird und somit die soziale Absicherung rechtssicher geregelt wird. Und auch hier die Aufforderung: Weiter so! Auf zwei weitere konkrete Beispiele aus dem Gesetz möchte ich noch eingehen, zwei für die Allgemeinheit wohl nur kleine Beispiele, die für die jeweils Betroffe- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 12323 (A) (C) (B) (D) nen jedoch wichtige Veränderungen mit sich bringen: Für gehörlose bzw. hörbehinderte Menschen eine Bes- serstellung und für Unternehmen eine weitere Vereinfa- chung. Im Sozialversicherungsänderungsgesetz ist vorgese- hen, dass gehörlose bzw. hörbehinderte Menschen bei der Inanspruchnahme von Sozialleistungen einen Dolmet- scher beanspruchen können. Damit wird es in Zukunft über die Kostenübernahme keinen Streit mehr geben, da diese in Höhe der Sätze des Justizvergütungs- und -ent- schädigungsgesetzes (JVEG) vorgenommen werden soll. Konkret heißt das, dass für einen Dolmetschereinsatz bei der Ausführung von Sozialleistungen die Kosten dafür mindestens in der Höhe erstattet werden, die bei einem vorgelagerten Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren ent- stehen würden. Damit werden gehörlose und hörbehin- derte Menschen beim Dolmetschereinsatz anlässlich der Ausführung von Sozialleistungen in Zukunft genauso ge- stellt wie in Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren. Die Regelung dient dabei sowohl der Gleichbehandlung als auch dem Abbau von Bürokratie und damit der Reduzie- rung von Kosten. Das andere Beispiel, auf das ich eingehen wollte, sind die Krankengeldzuschüsse – ein kleines, aber oft leidi- ges Thema für Unternehmen. Leidig vor allem dann, wenn durch Tarifverträge vereinbart wurde, das Kran- kengeld durch einen Arbeitgeberzuschuss auf 100 Pro- zent des vorherigen Nettoentgelts aufzustocken. Denn schon allein die Fortzahlung von Kleinstbeträgen, wie die Erstattung von Kontoführungsgebühren oder Zu- schüssen zu vermögenswirksamen Leistungen, war bis- her beitragspflichtig. Der dadurch entstehende Berech- nungs-, Melde- und Nachweisaufwand steht jedoch zur Beitragshöhe oft in keinem vertretbaren Verhältnis. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll daher künftig eine Bagatellgrenze von 50 Euro pro Monat laut § 23 c SGB IV eingeführt werden. Schätzungen des Ministe- riums für Arbeit und Soziales gehen dabei von einer Ent- lastung der Arbeitgeber von rund 32,4 Millionen Euro aus. Der heute zum ersten Mal ins Plenum eingebrachte Gesetzentwurf ist, wie Sie an der von mir vorgenomme- nen Auswahl sehen, eine Ansammlung von vielen klei- nen Änderungen. Der Bundesrat hat sich mit diesem Gesetzentwurf be- reits am 21. September 2007 in erster Lesung befasst und stimmte dem Entwurf grundsätzlich zu. Die Bundes- regierung hat die Übernahme der meisten Anregungen zugesagt. Kritisch gesehen wurden zwei Vorschläge des Bundesrates: Zum einen wurde die vorgeschlagene Streichung zur Regelung der Kommunikationshilfegewährung abge- lehnt, da durch den damit einhergehenden Bürokratieab- bau Kosten gespart werden und nicht eine große finan- ziellen Mehrbelastung für die Länder, wie vom Bundesrat geäußert, erwartet wird. Außerdem ist anzu- merken, dass der Bedarf an sich gering ist und die Län- der – sollte der Bedarf doch ansteigen – die Möglichkeit zu gesonderten Vergütungsvereinbarungen laut § 14 JVEG haben. Zum anderen wurde die Verhängung von Säumniszu- schlägen mit der Begründung abgelehnt, dass mit den Änderungsvorschlägen nichts geregelt wird, was nicht bereits durch die höchstrichterliche Rechtsprechung ab- gedeckt wäre. Das Bundessozialgericht sprach sich be- reits in einem Urteil aus dem Jahr 2004 grundsätzlich für Säumniszuschläge aus und sieht auch die säumniszu- schlagsfreie Dreimonatsfrist als angemessen an. Letztere entspricht auch der seit Jahren üblichen Verwaltungspra- xis, welcher zu insgesamt 85 Prozent bzw. 95 Prozent bei Schuldnern auf Bundesebene mit steigender Tendenz nachgekommen wird. Geprüft werden sollen noch die Vorschläge zur Anhe- bung der Hinzuverdienstgrenze für Rentner und die Aus- weitung der Vertrauensschutzregelung für Versicherte mit einer Vorruhestandsversicherung. Bei beiden Punk- ten stehen wir mit unserem Koalitionspartner im Ge- spräch und werden in den nächsten Wochen die Ände- rungsmöglichkeiten und -wünsche veröffentlichen. Als Reaktion auf die vielen konstruktiven Vorschläge des Bundesrates und zahlreiche weitere Anregungen wird die Bundesregierung daher voraussichtlich dem- nächst einen Änderungsantrag im Bundestag einbringen. Hierzu werden noch viele offene Gespräche stattfinden, und es ist klar, dass auch beim Entwurf des Sozialversi- cherungsänderungsgesetz gilt, dass noch kein Gesetz den Bundestag so verlassen hat, wie es als Entwurf ein- gebracht wurde. In der nächsten Sitzungswoche wird der Gesetzentwurf zunächst im Ausschuss für Arbeit und Soziales beraten. Es ist geplant, dass die zweite und dritte Lesung des Sozialversicherungsänderungsgesetzes vor dem 16. November stattfinden wird, damit das Ge- setz pünktlich zum 1. Januar 2008 in Kraft treten kann. Mit diesem Gesetzentwurf werden viele Einzelpro- bleme gelöst und wird in Kleinarbeit Abhilfe durch Ver- einfachungen geschaffen. Daher freue ich mich für alle betroffenen Personengruppen, so vor allem über die Klarstellung für Familienangehörige von Handwerkern hinsichtlich ihrer sozialen Sicherung und auch über die Hilfen für gehörlose und hörbehinderte Menschen, je- doch auch generell über die Verbesserungen für unsere Unternehmen. Der hier vorliegende Entwurf des Sozialversiche- rungsänderungsgesetzes ist ein wesentlicher Beitrag zum Bürokratieabbau. Besonders bemerkenswert ist hierbei, dass unsere Unternehmen durch den geplanten Bürokra- tieabbau voraussichtlich Kosten in Höhe von rund 200 Millionen Euro einsparen können. 200 Millionen Euro, die auf Erleichterungen und Vereinfachungen be- ruhen und damit keine Abschöpfung darstellen, sondern eine wirkliche Einsparung. Und daher auch 200 Millio- nen Euro, die für Wachstum und Beschäftigung genutzt werden können, auf dass auch in Zukunft die Wirtschaft weiter wächst und die Arbeitslosigkeit weiter sinkt. Dieser Gesetzentwurf zeigt deutlich, dass man mit vielen kleinen Schritten einiges erreichen kann und dass wir dabei auf einem guten Wege sind. 12324 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) Anton Schaaf (SPD): Der vorliegende Gesetzent- wurf ist ein typisches Beispiel für ein sogenanntes Om- nibusgesetz. In einem solchen Gesetz werden Regelun- gen untergebracht, die für die Verfahren und Arbeitsabläufe der jeweiligen Verwaltungen und Unter- nehmen wichtig sind, aber dennoch – wegen des hohen Aufwands – jeweils keinen eigenen Gesetzentwurf rechtfertigen. Der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze beinhaltet daher zahlreiche Regelungen zum Verfahrensrecht der Sozialversicherung. Es erfolgen Anpassungen an die be- triebliche Praxis in den Unternehmen und bei den So- zialversicherungsträgern. Arbeitsabläufe werden verein- facht und zusammengefasst. Überflüssig gewordene Vorschriften werden aufgehoben. Das gesamte Maßnah- menpaket entlastet die Unternehmen von Bürokratie und damit von Kosten in einer Höhe von rund 190 Millionen Euro. Darüber hinaus sieht der Gesetzentwurf Änderungen im Rentenversicherungsrecht und anderen Bereichen des Sozialversicherungsrechts vor, mit denen Klarstellungen für die Verwaltungspraxis erfolgen. Diese betreffen unter anderem das Auslandsrentenrecht für Hinterbliebene, den Zeitpunkt der Rentenauskunft, das Rentensplitting sowie die Alterssicherung der Landwirte. Ferner werden in Zukunft bei der Altersteilzeit die Erstattung für Auf- stockungsleistungen für arbeitslos Gemeldete und Emp- fänger von ALG II vereinheitlicht. Ich möchte allerdings auf jene Neuerungen eingehen, die mir politisch wichtig sind: Erstens werden in Zukunft bereits gezahlte Arbeit- nehmerbeiträge zur Sozialversicherung vor einer nach- träglichen Rückforderung durch einen Insolvenzverwal- ter geschützt. Zweitens werden die finanziellen Ausgaben der neuen Länder für die Zusatz- und Sonderversorgungs- systeme der Rentner deutlich gesenkt. Drittens prüft die Bundesregierung Vorschläge, die der Bundesrat zum vorliegenden Gesetzentwurf gemacht hat. Die Aufnahme dieser Vorschläge ist zu begrüßen, weil sie deutliche Verbesserungen für Rentenversicherte und Rentenbezieher mit sich bringen. Dazu gehören die Anpassung der Hinzuverdienstgrenze bei einer vorge- zogenen Rente an die Entgeltgrenze für geringfügige Beschäftigung in Höhe von 400 Euro und ergänzende Regelungen zum Sozialversicherungsschutz für Vorru- hestandsgeldbezieher. Der Gesetzentwurf stellt mit einer Ergänzung des § 28 e Abs. 1 SGB IV klar, dass Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung im Insolvenzfall zum Vermögen des Arbeitnehmers gehören und damit bei den Sozialver- sicherungsträgern verbleiben. Bisher können im Insolvenzfall Beiträge für einen Zeitraum von bis zu zehn Jahren von den Sozialversiche- rungsträgern zurückgefordert werden. Geschätzte 800 Millionen Euro jährlich gehen damit den Sozialver- sicherungen verloren. Zusätzlich verzichtet der Fiskus auf 120 Millionen Euro Einkommens- und Umsatz- steuer. Die entgangenen Beiträge müssen letztendlich von der Versichertengemeinschaft aufgebracht werden, denn die Ansprüche aus den Versicherungen – insbesondere der Rentenversicherung – bleiben für die Versicherten selbstverständlich bestehen. Dies kann im Extremfall zu der paradoxen Situation führen, dass einer langen Erwerbsbiografie keine ent- sprechenden Beiträge an die Rentenversicherung gegen- überstehen. Dies gilt auch für die anderen Zweige der Sozialversicherung. Die einschlägigen Interessenverbände warnen davor, eine gesetzliche Änderung vorzunehmen. Sie wollen verfügbare finanzielle Mittel – die Sozialversicherungs- beiträge gehören nach dieser Argumentation dazu – zur Abwendung des Konkurses verwenden. Demnach be- drohen nicht zurückgeforderte Sozialversicherungsbei- träge die Existenz der betroffenen Unternehmen. Belast- bare Statistiken, die diesen Zusammenhang bestätigen, konnten bisher allerdings nicht vorgelegt werden. Zu- meist jedoch werden die entsprechenden Verfahren oh- nehin mangels Masse eingestellt. Die zurückgeflossenen Sozialversicherungsbeiträge dienen deshalb eher dazu, die Gebühren für die Insolvenzverwaltung zu decken. Die jetzt gefundene Regelung ist nicht optimal, kann aber einen Teil des Schadens für die Sozialversicherung abwenden. Wünschenswert aus meiner Sicht ist aller- dings eine Lösung, die auch von den Arbeitgebern ge- leistete Sozialversicherungsbeiträge in Zukunft vor ei- nem Zugriff schützt. Des Weiteren soll die finanzielle Entlastung der neuen Bundesländer durch den vorliegenden Gesetzent- wurf nicht unerwähnt bleiben. Bisher tragen die neuen Länder zwei Drittel und der Bund zu einem Drittel die Lasten, die für die Rentenversicherung durch Aufwen- dungen für die Zusatzversorgungssysteme (Zusatz- und Sonderversorgungssysteme der DDR) entstehen. In § 15 Abs. 2 des Anspruchs- und Anwartschaftsüberfüh- rungsgesetz (AAÜG) wird nun festgelegt, dass eine stufenweise Anhebung des Finanzierungsanteils des Bundes im Jahr 2008 auf 36 Prozent, im Jahre 2009 auf 38 Prozent und ab 2010 auf 40 Prozent vorgesehen ist. Dies führt zu Mehrbelastungen des Bundes in Höhe von ca. 65 Millionen Euro im Jahr 2008, circa 113 Millio- nen Euro im Jahr 2009 und circa 162 Millionen Euro jährlich ab dem Jahr 2010. Die neuen Bundesländer müssen dann entsprechend weniger ausgeben und wer- den damit deutlich entlastet. Darüber hinaus erscheint im Anschluss an die Anhe- bung des Rentenalters durch das RV-Altersgrenzenan- passungsgesetz eine bessere Einbeziehung des Vorruhe- stands in das Regelwerk notwendig. Ursprünglich sollte das Rentenalter für langjährig Versicherte von 63 auf 62 Jahre abgesenkt werden. In Anlehnung daran sehen die bis dahin abgeschlossenen Vereinbarungen einen Vorruhestandsgeldbezug bis zum Alter von 62 Jahren vor. Der mit dem RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz beschlossene Verbleib der Altersgrenze bei der Rente für Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 12325 (A) (C) (B) (D) langjährig Versicherte bei 63 Jahren stellt die Versicher- ten deshalb vor ein Problem. Durch die neue Regelung kann in Zukunft eine Ver- sorgungslücke von bis zu einem Jahr zwischen Vorruhe- stand und Rente entstehen. Besonders gravierend wäre der Wegfall der Versicherungspflicht in der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung durch das Ende des Vorruhestandsgeldbezugs. Die Bundesregierung lehnt es allerdings ab, den im RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz verankerten Vertrau- ensschutz für die Altersteilzeit auf Vorruhestandsverein- barungen, die vor dem 1. Januar 2007 abgeschlossen wurden, auszudehnen. Sie prüft aber Möglichkeiten, auch in Zukunft den Sozialversicherungsschutz nach Auslaufen eines Vorruhestandsgeldbezugs zu gewähr- leisten. Eine denkbare Lösung ist der Verbleib der Al- tersgrenze bei 62 Jahren für eine klar einzugrenzende Personengruppe – in Abhängigkeit von Geburtsjahrgang und Zeitpunkt der Vorruhestandsvereinbarung. Zwar können Arbeitnehmer und Arbeitgeber heute mit der neuen Rechtslage die Vorruhestandsvereinbarun- gen an die neue Altersgrenze von 63 Jahren anpassen. Für bereits abgeschlossene Vereinbarungen muss es aber eine verbindliche Regelung geben, um die Rechts- und Planungssicherheit für die Versicherten zu gewährleis- ten. Der Bundesrat empfiehlt ebenfalls eine prüfenswerte Verbesserung des Hinzuverdienstes bei Bezug einer vor- gezogenen Rente. Meines Erachtens ist eine solche Re- gelung wünschenswert und längst überfällig. Denn die Festsetzung der gültigen Hinzuverdienstgrenze bei Be- zug einer vorgezogenen Altersvollrente oder einer vollen Erwerbsminderungsrente auf ein Siebtel der Bezugs- größe – in 2007 sind dies 350 Euro – ist für viele Rent- nerinnen und Rentner kaum nachvollziehbar. Sie orien- tieren sich an der Geringfügigkeitsgrenze von 400 Euro und gehen davon aus, dass sie neben der Rente eine ge- ringfügige Beschäftigung ausüben dürfen. Was bisher zur Folge hat, dass bei mehrmaligem Überschreiten der 350-Euro-Grenze die Rente in der Regel ganz oder teil- weise zurückgefordert wird. Mit der Vereinheitlichung der Hinzuverdienstgrenze werden in Zukunft solche von niemandem ernsthaft ge- wollten Ergebnisse vermieden. Und sie bedeutet auch eine erhebliche Verwaltungsvereinfachung für die Ren- tenversicherungsträger, weil aufwendige Überprüfun- gen und Rückforderungen entfallen. Wir entwickeln unser Sozialrecht weiter. Das vorlie- gende Gesetz trägt dazu bei und dokumentiert unser Be- mühen, auch in Zukunft mit den gesellschaftlichen und ökonomischen Entwicklungen Schritt zu halten und mehr noch diese auch in unserem Sinne zu gestalten. Heinz-Peter Haustein (FDP): Der vorliegende Ge- setzentwurf zielt darauf ab, eine ganze Reihe von Rege- lungen im Sozialversicherungsrecht zu ändern, um Ver- fahren und Abläufe zu vereinfachen und anzupassen. Insofern begrüßt die FDP den Schritt der Regierung, mit der vorliegenden Initiative aktiv geworden zu sein. Die Vielzahl der in Rede stehenden Regelungen und Vor- schriften verbietet an dieser Stelle eine abschließende Behandlung. Auf einige wenige Sachverhalte möchte ich jedoch gezielt eingehen. Zunächst offeriert der Entwurf etliche aus unserer Sicht unproblematische Regelungen: So ist die Streichung der Übergangsvorschriften im sogenannten Statusfeststellungs- verfahren ebenso richtig wie die Zusammenfassung der Vorschriften zum Sozialversicherungsausweis, der nun von der Rentenversicherung ausgestellt werden soll, unter Genehmigungsvorbehalt des Ministeriums. Auch die Klarstellung zum Melde- und Beitragsverfahren, in dem die Rückmeldungen an die Arbeitgeber künftig ebenfalls vollautomatisiert abgewickelt werden sollen, ist aus un- serer Sicht ein sinnvoller Schritt. Auch das Meldeverfahren für Versicherte in den be- rufsständischen Versorgungseinrichtungen soll laut dem Entwurf zukünftig richtigerweise in das Meldeverfahren zur Sozialversicherung integriert werden. Die Festle- gung eines einheitlichen Zeitpunktes zur Übermittlung der Beitragsnachweise, der nun als Kompromiss zwi- schen Arbeitgebern und Einzugsstellen auf „zwei Ar- beitstage vor Fälligkeit“ fixiert werden soll, ist so hin- nehmbar. Dies alles und andere der vorgesehenen Regelungen – ich will und kann hier nicht den ganzen Entwurf abar- beiten – sind aus Sicht der FDP völlig unstrittig. Noch einmal sorgfältig überdenken sollte man jedoch unserer Meinung nach insbesondere zwei der beabsichtigten Neuerungen: Zum Ersten sollen laut dem Gesetzentwurf künftig die zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichteten Beiträge nur noch für die jeweils letzten vier Jahre an den Beitragszahler rückerstattet werden, falls sich he- rausstellen sollte, dass dieser gar nicht versicherungs- pflichtig war. Der Status quo hingegen sieht für den Fall der Feststellung der fehlenden Versicherungspflicht vor, dass die Beiträge umfassend rückerstattet werden. Zwar besteht bei der Arbeitslosenversicherung im Falle der Feststellung der fehlenden Versicherungspflicht bereits heute lediglich die Verpflichtung zur Rückerstattung der Beiträge der letzten vier Jahre. Das dies jedoch ein Prä- judiz dafür sein soll, in der gesetzlichen Rentenversiche- rung ebenso zu verfahren und nicht eine Angleichung in anderer Richtung vorzunehmen, sollte nicht ohne jede weitere Diskussion so stehengelassen werden. Gerade vor dem Hintergrund der Streitfälle der Ver- gangenheit bei im Betrieb mitarbeitenden Familienange- hörigen und hinsichtlich der für den Einzelnen erhebli- chen Summen, die über Jahre bei fehlerhafter Beitragszahlung zusammenkommen können, sollte noch einmal darüber nachgedacht werden, in welcher Rich- tung man hier eine Angleichung der Verfahren vorneh- men möchte. Wir müssen eine Antwort auf die Frage fin- den, ob wir jemandem, der nicht der Versicherungspflicht unterliegt und keinerlei Anspruch auf Versicherungsleis- tungen hat, wirklich erklären wollen, dass er möglicher- weise über Jahre hinweg Beiträge gezahlt hat, von denen er nicht mit einem Cent etwas hat, weder bezüglich eines Versicherungsanspruchs noch in Form einer Rückerstat- 12326 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) tung. Da selbst die zurückgezahlten Beiträge ohne Ver- zinsung erstattet werden, besteht schon darin eine Be- nachteiligung der Betroffenen, die gegenüber einer kapitalgedeckten Altersvorsorge deutliche Nachteile hat. Es ist zu klären, inwieweit die Sozialversicherungs- träger die Folgen und Konsequenzen von Irrtümern bei der Feststellung der Versicherungspflicht legitimerweise einseitig auf die Betroffenen abwälzen dürfen. Aus unse- rer Sicht ist in dieser Frage mit äußerster Sensibilität vorzugehen. Die FDP hat bereits in der letzten Legisla- turperiode einen Antrag in den Bundestag eingebracht, der vorsah, dass Betroffene, die jahrelang im Glauben an die Sozialversicherungspflicht Beiträge zahlten und bei denen sich dann herausstellte, dass keine Versicherungs- pflicht gegeben ist, ein Wahlrecht erhalten. Die Betroffe- nen müssen die Möglichkeit haben, zu wählen zwischen der Inanspruchnahme der Versicherungsleistung einer- seits, derer sie sich jahrelang sicher waren, und der Rückerstattung der Beiträge andererseits. Im Sinne einer Angleichung der Verfahren könnte durchaus in der ande- ren Richtung verfahren werden. Die Festlegung auf die Lösung zuungunsten der Betroffenen sollten wir noch einmal überdenken, wie ich meine. Zum Zweiten muss die beabsichtigte Neuverteilung der Erstattungslasten des Bundes nach dem Anwart- schafts-Überführungsgesetz betrachtet werden. Bislang trugen die Länder zwei Drittel der Lasten, der Bund trug ein Drittel. Die stufenweise Erhöhung des Bundesanteils auf 40 Prozent im Jahr 2010 zieht die Frage nach sich, warum es hier zu einer Entlastung der Länder kommen soll. Darüber hinaus kritisiert der Bundesrat in seiner Stellungnahme eine Reihe anderer Neuregelungen, zum Beispiel, dass auch die Landesaufsichtsbehörden die aufbereiteten Gesamtdaten von den Rentenversiche- rungsträgern erhalten sollen. Auch die vorgesehene Übernahme von Kosten für gehörlose und hörbehinderte Menschen im Sozialleistungsverfahren bemängelt die Länderkammer angesichts der Tatsache, dass bislang je- der ausdrückliche Hinweis auf die Höhe der zu erstatten- den Kosten im SGB I fehlt. Es wird also im weiteren Verlauf des parlamentarischen Verfahrens noch genug über den vorgelegten Gesetzentwurf zu reden sein. Katja Kipping (DIE LINKE): Das Sozialgesetz- buch IV enthält gemeinsame Vorschriften für die Sozial- versicherungen und regelt insbesondere Verfahren, die für alle Zweige der Sozialversicherung gelten. Mit dem neuerlichen Gesetzentwurf der Bundesregierung sollen diese zunächst an „Erfordernisse der betrieblichen Pra- xis“ sowie bei den Trägern der Sozialversicherungen an- gepasst werden. Insgesamt sind für das SGB IV 14 Änderungen vor- gesehen. Zum Teil dienen die Vorschriften der Klarstel- lung von gewünschten Verfahrensabläufen, die entweder Vereinfachung für die Arbeitgeber oder die Sozialver- sicherungsträger darstellen. Für die Versicherten sind folgende Neuregelungen relevant: Erstens. Zu Unrecht geleistete Beiträge zur gesetzli- chen Rentenversicherung konnten bislang rückwirkend erstattet werden. Nunmehr sollen nach Ablauf einer Ver- jährungsfrist von vier Jahren diese Beiträge als Pflicht- beiträge gewertet werden. Eine Erstattung ist nicht mehr möglich. Zweitens. Es wird klargestellt, dass im Insolvenzfall die Arbeitnehmerbeiträge als Besitzstand des Arbeitneh- mers gelten. Außerdem werden weitere 18 Änderungen in anderen Gesetzen vollzogen, die teilweise den redaktionellen Charakter oder Verfahrensfragen klären bzw. vereinfa- chen sollen. Als bedeutsam erachte ich hier folgende As- pekte: Erstens. Nach dem Anspruchs- und Anwartschafts- überführungsgesetz übernehmen der Bund und die neuen Länder die vollständige Erstattung von Rentenkosten, die auf der Überführung von Zusatz- und Sonderversor- gungssysteme in der DDR beruhen. Die Aufteilung der Kosten zwischen Bund und neuen Ländern wird zuguns- ten der neuen Länder geändert. Der Bund trägt derzeit ein Drittel der Kosten und steigert seinen Anteil stufen- weise auf 40 Prozent im Jahr 2010. Zweitens. Bei einer Anpassung des Auslandsrenten- rechts bei Hinterbliebenenrenten wird die großzügigere Regelung des EU-Gemeinschaftsrechts übernommen. Bislang wurden Renten für Hinterbliebene bei gewöhnli- chem Aufenthalt im Ausland für drittstaatsangehörige Hinterbliebene nur in Höhe von 70 Prozent ausgezahlt, während das EU-Gemeinschaftsrecht die volle Leis- tungsgewährung vorsieht. Drittens. Die Prüfrechte zur Prüfung von Erstattungs- ansprüchen von Werkstätten für behinderte Menschen und ähnliche Einrichtungen werden auf Ersuchen des Bundesrechnungshofs ausgeweitet. Viertens. Im landwirtschaftlichen Bereich ist die Hof- übergabe immer die Voraussetzung für den Rentenbe- zug. Nunmehr soll die Möglichkeit der Hofabgabe unter Ehegatten erleichtert werden, mit dem Ziel ein früheres Renteneintrittsalter zu ermöglichen. Eine Hofabgabe an den anderen Ehegatten soll – schon – dann möglich sein, wenn der den Hof übernehmende Ehegatte ein Lebensal- ter erreicht hat, ab dem er frühestens eine vorzeitige Al- tersrente beziehen könnte, nach Ablauf der Übergangs- zeit wäre dies das 57. Lebensjahr. Für mich ist klar erkennbar, dass ein Großteil der Än- derungen vor allem dazu dient, Vereinfachung und Kos- tenminimierung bei Verwaltungsabläufen herbeizufüh- ren. Das ist prinzipiell zu begrüßen, ebenso wie der Insolvenzfall oder die stärkere Kostenbeteiligung des Bundes an Rentenansprüchen nach dem Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz, auch wenn natürlich der Aspekt Rentenüberleitung ausführlicher und grund- sätzlicher in Bezug auf das Leistungsrecht behandelt werden sollte. Ob negative Auswirkungen auf die Versi- cherten eintreten, das bleibt allerdings abzuwarten. Zudem sehe ich die beabsichtigte Änderung des § 73 SGB IV zu über- und außerplanmäßigen Ausgaben kri- tisch. Es ist vorgesehen, diese Entscheidung dem Ver- waltungsrat zu übertragen. Das widerspricht in meinen Augen einer flexiblen und situationsgerechten Handha- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 12327 (A) (C) (B) (D) bung des Haushaltsrechtes. In der Regel tagen Verwal- tungsräte in recht großen zeitlichen Abständen, sodass zusätzliche Treffen anberaumt werden müssten, die für die Krankenkassen natürlich einen erheblichen zusätzli- chen Verwaltungsaufwand sowie Mehrkosten verursa- chen. Deutlich günstiger wäre es, auch diese Bewilligun- gen beim Vorstand zu belassen, da diesem ohnehin die finanzrelevanten Aufgaben obliegen. Aus den genannten Gründen kann meine Fraktion diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Gesetzentwurf enthält eine Vielzahl verfahrenstechni- scher Regelungen und rechtlicher Anpassungen, die im Sinne einer Harmonisierung des Sozialrechts zu begrüßen sind. Problematisch sind solche Verfahrensänderungen, wenn sie die Selbstbestimmungs- und Widerspruchs- rechte der betroffenen Leistungsempfänger beschneiden. Deshalb kritisieren Bündnis 90/Die Grünen ausdrück- lich die Pläne der Bundesregierung, Rentenversicherten das Recht auf Erstattung von zu Unrecht entrichteten Bei- trägen zu nehmen. Durch die geplante automatische Um- wandlung zu Unrecht gezahlter Beiträge in Anwartschaf- ten nach Ablauf der Verjährungsfrist von vier Jahren wird den Antragstellern außerdem ihr Widerspruchsrecht ge- nommen. Denn Bescheide, die die Unrechtmäßigkeit der Beiträge feststellen, werden durch diese Regelung hinfäl- lig. Auf diese Weise hebelt die Bundesregierung elemen- tare Verfahrensrechte für viele Millionen Versicherte aus. Wir vermissen außerdem Erläuterungen seitens der Bundesregierung über die finanziellen Auswirkungen dieser Regelung sowohl für die Versicherten als auch für die Rentenversicherung. Kein Verständnis haben wir für die Ablehnung der Bundesländer zu den Plänen der Bundesregierung, die Kostenberechnung von Gebärdensprachdolmetschern und Kommunikationshelfern bei der Ausführung von Sozial- leistungen auf festere Füße zu stellen. Diese sollen an die Regelungen im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren angepasst werden. Ich begrüße ganz ausdrücklich dieses Vorhaben der Bundesregierung. Gehen Menschen mit Hörbehinderungen heute zum Arzt, so ist die Kostener- stattung bzw. Refinanzierung für eine Gebärdensprach- dolmetschung alles andere als unproblematisch. Auch die Rahmenvereinbarungen mit den Krankenkassen ent- sprechen bei Weitem nicht dem Standard, den wir schon in anderen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens er- reicht haben. Das Behindertengleichstellungsgesetz ge- bietet einen barrierefreien Zugang für Menschen mit Behinderungen zu den Sozialleistungen sowie eine aus- kömmliche Vergütung der Dolmetschung. Die geplante Änderung durch die Bundesregierung ist daher unum- gänglich. Die vorgesehene Änderung der Zuständigkeit für die Verordnungsermächtigungen des Behindertengleichstel- lungsgesetzes vom Bundesministerium des Innern auf das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ist ein richtiger und nachvollziehbarer Schritt in die richtige Richtung. Das Bundesministerium für Arbeit und Sozia- les hat den höheren Sachbezug zu den Themen der Men- schen mit Behinderungen. Ganz ausdrücklich warne ich jedoch davor, die Zuständigkeiten des Behinderten- gleichstellungsgesetzes zu einseitig auf das Bundesmi- nisterium für Arbeit und Soziales zu konzentrieren. Bar- rierefreiheit betrifft fast alle Ressorts der einzelnen Ministerien und muss im Sinne eines Disability Main- streaming ministeriumsübergreifend mitgedacht werden. Finanzpolitisch fragwürdig sind außerdem die ge- planten Änderungen zu den Kostenerstattungsregelun- gen des Anspruchs- und Anwartschaftsrechtes zwischen Bund und neuen Bundesländern. Hierzu ist festzustellen, dass die finanzielle Lage des Bundes auch nicht besser als die der Länder ist. Im Gesetzentwurf findet sich keine Erläuterung zur Grundlage dieser Entscheidung. Verwiesen wird lediglich auf eine Kabinettsentscheidung vom 13. Dezember 2006. Wir fordern die Bundesregie- rung auf, die Gründe für diese Änderung offenzulegen. Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister für Arbeit und Soziales: Mit dem Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und an- derer Gesetze geht die Bundesregierung konsequent wei- ter den Weg, bürokratische Hemmnisse für die deutsche Wirtschaft im Bereich der Sozialversicherung abzu- bauen. Mit den vorgeschlagenen Maßnahmen werden die Kosten für die deutsche Wirtschaft um rund 200 Mil- lionen Euro pro Jahr reduziert. Der Standort Deutsch- land wird weiter gestärkt. Dabei werden die Möglichkeiten moderner Datenver- arbeitung für die Übermittlung von Daten konsequent genutzt, zum Beispiel für die Beitragsabrechnung der Versicherten in berufsständischen Versorgungswerken. Bisher senden die Unternehmen für ihre Versicherten an 85 Versorgungseinrichtungen umfangreiche Daten auf Papier. Zukünftig werden nun alle notwendigen Daten automatisiert an eine Annahmestelle der Versorgungs- einrichtungen übermittelt. Von dort werden die Daten an die zuständige Versorgungseinrichtung weitergeleitet. Genutzt werden dabei Techniken, die sich auch im Melde- und Beitragsverfahren für die Sozialversiche- rung bewährt haben. Ein weiteres Beispiel ist die Vereinheitlichung des Abgabezeitpunktes für die Beitragsmeldungen zur So- zialversicherung. Gab es bisher für die Übermittlung eine Frist von vier bis zwei Tagen je nach Satzung der Einzugsstelle, ist zukünftig die Frist auf spätestens zwei Tage vor Fälligkeit der Beiträge gesetzlich festgelegt. Dadurch werden in erheblichem Umfang Mahnverfahren und Säumniszuschläge für verspätete Übermittlungen bzw. zusätzliche Meldungen eingespart. Über diese direkten Entlastungen der Wirtschaft hi- naus, werden mit dem Gesetz auch zahlreiche kleinere Maßnahmen umgesetzt, die für die betroffenen Personen wichtig sind. Ich nenne hier beispielhaft die Meldung von im eigenen Unternehmen beschäftigten Kindern zur Feststellung ihres Versichertenstatus – ein Anliegen, das besonders den Handwerksbetrieben am Herzen liegt. 12328 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) Außerdem wird klargestellt, dass in Insolvenzfällen die Insolvenzverwalter die Meldepflichten des Arbeitge- bers zu übernehmen haben. Damit wird sichergestellt, dass den entlassenen Versicherten zumindest in Bezug auf ihre Zeiten im Versichertenkonto keine Nachteile mehr entstehen. Diese Beispiele machen deutlich: Das Gesetz zur Än- derung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und ande- rer Gesetze ist mehr als ein Artikelgesetz mit vielen technischen Einzelregelunge. Sondern: Es handelt sich dabei um ein Gesetz, das mit seinen vielen Einzelrege- lungen die tägliche Arbeit in den Unternehmen bei den Sozialversicherungsträgern spürbar erleichtern wird und darüber hinaus die Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern spürbar schützt, um ein Gesetz, das gut zu einer modernen sozialen Marktwirtschaft passt. Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Dem Verlust an Agrobiodiversität ent- gegenwirken (Tagesordnungspunkt 22) Johannes Röring (CDU/CSU): Der vor uns lie- gende Antrag von Bündnis 90/Die Grünen zur Agrobio- diversität ist geprägt von Wunschvorstellungen und Träumereien, die mit der Realität allerdings nichts zu tun haben. Um Irritationen zu vermeiden, lassen Sie mich zunächst konstatieren, dass es auch für mich eine wich- tige Rolle spielt, wie wir mit der Natur umgehen, dass biologische Vielfalt und Naturschutz eine große Bedeu- tung bei der Arbeit in der Natur haben. Die Menschen und Beschäftigten in der Agrarbranche wissen dies und handeln nach den Vorgaben der guten fachlichen Praxis, um die Interessen von Natur und Mensch zu achten. Doch lässt der aktuelle Antrag tatsächlich eher den Schluss zu, dass von den Grünen Fakten ignoriert wer- den und man eher Träumereien hinterherläuft, die mit den aktuellen Gegebenheiten nicht in Einklang zu brin- gen sind. Zugespitzt kann man auch sagen, dass dieser Antrag eine Generalkritik an der zukunftsgerichteten, modernen Landwirtschaft und dem Industriestandort Deutschland ist. Zunächst sollte man sich die Frage stellen, was über- haupt Biodiversität ist und inwieweit sie konkret be- schreib- und messbar ist. Wissenschaftlich gesprochen ist unter dem Begriff Biodiversität zum einen die Vielfalt unterschiedlicher Tier- und Pflanzenarten zu fassen, zum zweiten gehört die Vielfalt innerhalb der Arten, also die genetische Unterschiedlichkeit innerhalb der Arten und ihrer Populationen dazu, und den dritten Aspekt der Bio- diversität bildet die Vielfalt der Lebensräume und Lebens- gemeinschaften. Schließlich zählen auch alle zwischen den genannten Ebenen auftretenden Wechselwirkungen dazu. In Ihrem Antrag wagen Sie nun einen Vergleich mit der Biodiversität des 19. Jahrhunderts und sprechen da- bei von der unglaublichen Fülle an Arten und Sorten, die damals im Gegensatz zu heute existierte, und klagen da- bei die über Probleme der Nutzung durch den Menschen. Dabei scheinen Sie vergessen zu haben, dass viele Tier- und Pflanzenarten erst durch menschliches Handeln in Deutschland heimisch geworden sind. Bei Ausbleiben einer menschlichen Nutzung würde die Zusammenset- zung der Tier- und Pflanzengesellschaften dagegen im Wesentlichen von Boden und Klima bestimmt. Wäre also in der Vergangenheit keine landwirtschaftliche Nut- zung durch den Menschen erfolgt, dann würde in weiten Teilen Deutschlands bis heute ein vergleichsweise arten- armer Eichen- und Buchenwald vorherrschen. Erst durch die Nutzung der Flächen, durch Rodung, Beweidung und Ackerbau, sind neue Lebensräume entstanden, die von weiteren, vielfach auch gebietsfremden Arten besiedelt werden konnten. In vielen Teilen des Landes würden heute noch Schafe über sumpfige Moorlandschaften zie- hen und die Menschen dort verhungern, wenn man nicht aktiv die Natur um- und mitgestaltet hätte. Wir leben in einer Welt, in der sich das Bevölkerungs- wachstum in besorgniserregender Weise erhöht, wir also auf den vorhandenen Flächen mehr anbauen müssen, um immer mehr Menschen satt machen zu können. Diese Entwicklung ist schon seit langem bekannt, weshalb ich auch gerne aus den offiziellen Dokumenten der Verein- ten Nationen zur Agenda 2010 der Rio-Konferenz von 1992 zitieren möchte: Im Jahr 2025 werden 83 Prozent der Weltbevölke- rung, die bis dahin auf voraussichtlich 8,5 Milliar- den gestiegen sein wird, in den Entwicklungslän- dern leben. Es ist allerdings fraglich, ob die Kapazität der vorhandenen Ressourcen und Tech- nologien ausreichen wird, um die Bedürfnisse die- ser ständig weiter wachsenden Bevölkerung in bezug auf Nahrungsmittel und andere landwirt- schaftliche Produkte zu befriedigen. Die Landwirt- schaft muß dieser Herausforderung in erster Linie dadurch begegnen, daß sie die Produktion auf be- reits bewirtschafteten Flächen steigert; … Vorrang muß dabei die Erhaltung und die Steigerung der Leistungsfähigkeit der ertragreicheren landwirt- schaftlichen Nutzflächen haben, denn nur so kann eine wachsende Bevölkerung ausreichend versorgt werden. In Anbetracht der dramatischen Entwicklung der Weltbevölkerung von 1,6 Milliarden Menschen im Jahr 1900, über circa 2,5 Milliarden 1950 und aktuell etwa 6,5 Milliarden mussten vielfältige Anstrengungen unter- nommen werden, die Produktivität der Agrarflächen zu steigern. Durch die damit verbundenen Eingriffe – Ent- wässerung, Bewässerung, Bodenbearbeitung, Nährstoff- zufuhr, Pflanzenschutz, Konzentration auf ertragreiche Sorten – ist es möglich geworden, dass heute effizienter und effektiver als zu Beginn des vorigen Jahrhunderts gearbeitet werden kann. Aktuelle Daten bestätigen, dass die optimale Ressourceneffizienz und Nettoenergiege- winne nur dann erzielbar sind, wenn nicht etwa extensiv, sondern mit bedarfsgerechter Düngung und ebensol- chem Pflanzenschutz gewirtschaftet wird. Man kann nur noch einmal betonen: Eine nachhaltige Landwirtschaft ist geprägt durch ihre Intensivität. Die im Antrag vorge- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 12329 (A) (C) (B) (D) brachten Kritikpunkte an der Düngung und dem Pflan- zenschutz sind damit als obsolet zu betrachten. Abschließend möchte ich betonen, dass es nicht nur angesichts der weiter wachsenden Weltbevölkerung, sondern auch durch die zunehmende Nachfrage nach nachwachsenden Rohstoffen und der ebenso steigenden weiteren Beanspruchung der Fläche durch Versiegelung und sonstige Nutzungen kein Ziel sein kann, die vom Menschen verursachte damalige Artenvielfalt auf Pro- duktionsflächen heute zum Ziel von Visionen zu ma- chen. Eine solche Zielstellung missachtet nicht nur die Entstehung und Herkunft dieser „Vielfalt“, sondern auch die heutigen grundlegenden Anforderungen einer insge- samt nachhaltigen Entwicklung. Denn folgen wir den Il- lusionen dieses vorliegenden Antrags hinsichtlich der Ausweitung des Ausbau der ökologischen Landwirt- schaft müssten wir feststellen, dass beispielsweise beim Anbau von Weizen die mehr als doppelt so große An- baufläche wie bei der konventionellen Landwirtschaft notwendig wäre und damit neue Flächen erschlossen werden müssten, auch jetzige Naturschutzflächen. Die Forderungen nach einer Extensivierung der land- wirtschaftlichen Produktionsmethoden ist folglich ein- hergehend mit einem erhöhten Anbauflächenbedarf, der bei den uns nur begrenzt verfügbaren Flächen zwangs- läufig und unausweichlich zulasten der Flächen gehen muss, die heute noch uneingeschränkt als Naturschutz- gebiete existieren. Unsere Aufgabe muss folgerichtig nicht eine weitere Extensivierung, sondern eine Effi- zienzsteigerung sein. Wir sehen also, dass dieser Antrag inhaltlich an allen Realitäten vorbeigeht und wir daher guten Gewissens diesen Antrag von Bündnis 90/Die Grünen ablehnen können. Dr. Gerhard Botz (SPD): Das Thema Biodiversität – einfacher gesagt: die Grundlage und Vielfalt unseres menschlichen Daseins – steht nicht oft im Mittelpunkt unserer Reden. Wenn man sich einmal die Zeit nimmt und intensiv darüber nachdenkt, wie Prozesse auf unse- rer Erde vonstatten gehen, erkennt man die Bedeutung des Themas als lebensnotwendig und lebenserhaltend und die Verpflichtung und Verantwortung, die wir bei diesem Thema haben. Die Gefährdung der biologischen Vielfalt ist nicht einfach nur ein Verlust an Arten von Pflanzen und Tie- ren, sondern über diesen Verlust gerät auch unser ganzes Ökosystem ins Wanken; dessen sollten wir uns bewusst sein. Über die biologische Vielfalt werden solche Öko- systemleistungen wie Bestäubung, Bodenbildung, Nähr- stoff- und Wasserkreisläufe, Klimaregulierung etc. ent- scheidend gesteuert. Wir sind abhängig von den Dienstleistungen der Natur – von sauberer Luft, reinem Trinkwasser, fruchtbaren Böden –, und wir gefährden unsere eigene Existenzgrundlage, wenn wir den Reich- tum der Arten, deren Lebensräume und die genetischen Ressourcen zu stark einschränken. Darum ist es richtig, den Schutz der Artenvielfalt ein- zufordern. Vor dem Hintergrund der stetig steigenden Weltbevölkerung, der Aufholprozesse der Entwicklungs- länder und des ständig steigenden Bedarfs an Rohstoffen und Lebensmitteln ist das wahrlich keine einfache Auf- gabe. Doch wenn wir uns dieser Aufgabe nicht stellen, wer dann? Heute stehen wir nicht nur vor der Frage, wie wir die Biodiversität erhalten wollen, sondern, wie wir sie überhaupt erhalten können. Denn mit dem Klima- wandel wird sich eine Änderung der Biodiversität ein- stellen, auf die wir keinen Einfluss mehr haben. Be- stimmte Pflanzen- und Tierarten werden einfach aussterben, weil sie die dann herrschenden klimatischen Verhältnisse nicht mehr vertragen. Noch haben wir es in der Hand, etwas zu unternehmen. Der Begriff Agrobiodiversität grenzt den Begriff der Biodiversität auf den Bereich der Land-, Forst- und Nah- rungsgüterwirtschaft ein. Er steht hauptsächlich für Er- nährungssicherheit. Eine Möglichkeit, positiven Einfluss auf die Agrobiodiversität zu nehmen, die Vielfalt der Pflanzen- und Tierarten zu erhöhen und ökologische Dienstleistungen zu vollbringen, ist der Anbau von Bäu- men auf landwirtschaftlichen Nutzflächen, die soge- nannte Agroforstwirtschaft. Pflanzungen mit Wertholz- bäumen, Nutztierhaltung oder ackerbauliche Nutzung zwischen Baumreihen sind Formen der Agroforstwirt- schaft, die für den Naturschutz und die Agrobiodiversität einen besonders wertvollen Beitrag liefern. Es wird nicht nur die Biodiversität erhöht, sondern es werden auch die Folgen von Wind- und Wassererosion gemindert. Das CO2-Bindevermögen der landwirtschaftli- chen Nutzfläche wird gesteigert und die Humusproduk- tion des Bodens verbessert, wodurch eine Reduzierung des Düngemitteleinsatzes möglich ist. Durch verbesserte Schattenwirkung innerhalb der Schläge ergeben sich posi- tive Auswirkungen auf Bodenwasserhaushalt und Ertrag. Dies alles kann einen besonders vielschichtigen und lang- fristigen Ansatz zur Agrobiodiversität liefern. Die Agroforstwirtschaft ist also in der Lage, eine Schlüsselrolle für eine nachhaltige Landwirtschaft zu übernehmen. Sie kann auch eine sichere Versorgung nachfolgender Generationen mit Lebensmitteln und landwirtschaftlichen Rohstoffen ermöglichen, ohne die Aspekte der Agrobiodiversität aus den Augen zu verlie- ren. Die wachsende Nachfrage nach Biomasse für die energetische Nutzung wird zurzeit hauptsächlich über Raps oder Mais realisiert. Es besteht daher die berech- tigte Befürchtung, dass Monokulturen unsere landwirt- schaftlichen Nutzflächen dominieren. Im Vergleich dazu leistet der Anbau von Energieholz in Kurzumtriebsplan- tagen durch längere Umtriebszeiten einen wesentlich größeren Beitrag zur Agrobiodiversität. Forschungsar- beiten und Modellvorhaben müssen sich in diese Rich- tung orientieren. Den heute vorliegenden Antrag der Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen mit dem Titel „Dem Verlust an Agro- biodiversität entgegenwirken“ werden wir ablehnen. Zwar ist er inhaltlich tragbar, an einigen Stellen jedoch überholt. Bereits im Mai dieses Jahres wurde im Bun- destag ein Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD zu Maßnahmen zur Erhaltung der Artenvielfalt ver- abschiedet. Der darin geforderte nationale Strategieplan 12330 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) zur biologischen Vielfalt der Bundesregierung steht kurz vor dem Abschluss. Er enthält ein breites Spektrum an Maßnahmen und Instrumenten zum Schutz und Erhalt der biologischen Vielfalt in Deutschland und für entspre- chende Schritte auf europäischer und globaler Ebene. Die Große Koalition hat auch an dieser Stelle ihre Haus- aufgaben gemacht und wird diese wichtige Zielstellung weiter verfolgen. Gabriele Groneberg (SPD): Wenn wir uns heute mit dem Verlust der Agrobiodiversität beschäftigen, dann handelt es sich hier um ein Problem von zentraler entwicklungspolitischer Bedeutung. Circa 80 Prozent der biologischen Vielfalt, des natür- lichen Vorkommens an genetischen und biologischen Ressourcen weltweit liegen in Entwicklungsländern. Die landwirtschaftliche Vielfalt von Nutztieren und -pflan- zen ist Teil dieser biologischen Vielfalt. Der Erhalt die- ses Artenreichtums ist für die Entwicklungsländer exis- tenziell; denn Agrobiodiversität dient direkt der Ernährungssicherung. Es ist wichtig, die natürliche Ar- tenvielfalt, aber auch die Ergebnisse jahrtausendealter Züchtungsarbeit in Entwicklungsländern sowie das tra- ditionelle Wissen im Nutzpflanzenbereich zu erhalten. Landwirtschaftlich nutzbarer Artenreichtum wird die Entwicklungsländer weniger verletzlich machen gegen- über den Folgen des Klimawandels und erhöht ihre An- passungsfähigkeit gegenüber sich verändernden Um- weltbedingungen. Was ich damit meine, möchte ich an einem Beispiel erläutern: Das für seine formschönen Hörner bekannte Ankole-Rind in Uganda könnte innerhalb der nächsten Jahrzehnte aussterben, weil die Bauern lieber auf Rin- derarten mit höheren Milcherträgen zurückgreifen. Wäh- rend einer Dürreperiode stellte sich allerdings der Vorteil des einheimischen Rinds heraus. Die Bauern konnten mit den widerstandsfähigen Ankole-Rindern weite Stre- cken bis zur nächsten Wasserquelle zurücklegen. Die Bauern mit den importierten Rindern haben ihre gesamte Herde verloren. Dass in dem vorliegenden Antrag dieser Aspekt be- tont wird, kann ich zwar als Entwicklungspolitikerin be- grüßen. Dies habe ich auch in meiner Stellungnahme am 24. Mai 2007 deutlich zum Ausdruck gebracht. Aller- dings frage ich mich, warum Sie sich nicht mit der natio- nalen Strategie zur biologischen Vielfalt der Bundesre- gierung auseinandergesetzt haben. Im Übrigen haben wir mit der Verabschiedung des Koalitionsantrages im Mai 2007 zu Maßnahmen gegen den Artenrückgang und das Artensterben im Grunde dazu das Wesentliche gesagt, und auch deshalb hätten Sie Ihren Antrag zurückziehen können. Wenn Sie sich mit der Strategie zur biologischen Viel- falt der Bundesregierung beschäftigen, werden Sie schnell feststellen, dass die Große Koalition durchaus begriffen hat, dass das Thema Biodiversität in dieser Vielschichtigkeit zu erfassen ist und anspruchsvolle und auch umsetzbare Ziele zu definieren sind. Dies gilt so- wohl für den Erhalt der biologischen Vielfalt in allen Agrarökosystemen als auch für den Bereich Biodiversi- tät und Armutsbekämpfung. All dies wird auch in dieser Strategie dargelegt. Vor dem Hintergrund des ersten Millenniumsentwick- lungsziels, die Anzahl der Menschen, die Hunger leiden in der Welt, bis 2015 zu halbieren, sehen wir den Schutz und die nachhaltige Nutzung der Biodiversität als inte- grale Bestandteile einer wirtschaftlich, sozial und ökolo- gisch nachhaltigen Entwicklungspolitik an. Wir brauchen eine enge Kooperation mit den Ent- wicklungsländern, um eine gemeinsame Lösung zu erar- beiten. Angesichts unserer Rolle als Gastgeber für die neunte Vertragsstaatenkonferenz zum Schutz der biolo- gischen Vielfalt in Bonn im nächsten Jahr wäre es wün- schenswert, wenn Sie sich dazu entscheiden könnten, die Strategie zur biologischen Vielfalt der Bundesregierung, die wir entwickelt haben, offensiv mitzuvertreten. Dr. Edmund Peter Geisen (FDP): Die Landwirt- schaft ist unverzichtbarer Partner für den Erhalt der Bio- diversität in Deutschland. Eine besondere Rolle spielt dabei die Agrobiodiversität. Zu ihrer Sicherung ist eine ökologisch, ökonomisch und sozialverträgliche Nut- zung unabdingbar. In engem Zusammenhang zur Agro- biodiversität steht die Vielfalt von Bewirtschaftungs- und Produktionsformen. Anders als bei der biologischen Vielfalt, sind viele Bestandteile der Agrobiodiversität ausschließlich auf menschliche Aktivität angewiesen. Die Agrobiodiversität ist der Grundstein für die Siche- rung der menschlichen Ernährung und trägt gleichzeitig zum Erhalt der Ökosysteme bei. Das bedeutet, dass eine hohe Agrobiodiversität die zukünftigen Lebensgrundla- gen des Menschen sichert, unter anderem dadurch, dass ein breiter Genpool erhalten bleibt. Von den vorkom- menden rund 340 000 Pflanzenarten werden derzeit nur 7 000 vom Menschen genutzt. Weltweit gesehen brauchen wir beides: Wir brauchen den Naturschutz, den Schutz von biologisch bedeutsamen Flächen, Biotopen und Nationalparks. Wir brauchen aber auch die Landwirtschaft zur Produktion unserer Nah- rungsmittel sowie zur Produktion nachwachsender Roh- stoffe für die stoffliche und inzwischen insbesondere für die energetische Produktion. Jede Strategie zum Erhalt der biologischen Vielfalt muss die Ursachen für das Aussterben von Arten be- kämpfen und artenreiche Regionen schützen. 3 Prozent der weltweit beschriebenen Arten kommen in Deutsch- land vor. Das klingt sehr wenig, ist aber sehr viel. Es ist eine große Aufgabe, diesen Schatz zu schützen. Arten- vielfalt bedeutet Informationsvielfalt. Das Aussterben des Mammuts in Europa war eine Folge des Klimawandels. Es war unvermeidlich. Der Klimawandel ist allgegenwärtig und ist keine Erfindung des 21. Jahrhunderts. Der vom Menschen verursachte Anteil des Klimawandels muss weiter bekämpft werden, muss gemindert werden. Aber die durch den Klimawan- del hervorgerufene Veränderung des Artenspektrums werden wir nicht aufhalten können. Wir können höchs- tens versuchen, frühzeitig durch Anpassungsstrategien die Folgen zu mildern. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 12331 (A) (C) (B) (D) Es gibt einen Rückgang an Arten, der über diese un- vermeidbare Änderung des Artenspektrums hinausgeht. Wir haben in Deutschland 48 000 Tierarten und 28 000 Pflanzenarten. 520 Tierarten sowie 512 Pflanzen- und Pilzarten sind ausgestorben. Der Präsident des Um- weltbundesamtes hat recht: Der Wandel des Artenspek- trums in Deutschland ist nicht dramatisch. Für Deutsch- land können wir verzeichnen, dass wir bei dichter Besiedlung und hoher Intensität der landwirtschaftlichen Bewirtschaftung keinen großen Artenschwund haben. Der öffentliche Eindruck eines Artenrückgangs geht mit der Entfremdung der Menschen von der Natur einher. Wer nur Unter den Linden spazieren geht, weiß eben nicht, wie artenreich unsere Wälder sind. Die Zerstörung von Lebensräumen ist Hauptursache für den Rückgang der Artenzahl. Angesichts der Tatsache, dass die Weltbevölkerung 1800 bei 1 Milliarde Menschen lag und nun 6 Milliarden beträgt, ist es normal und rich- tig, dass wir Flächen verstärkt landwirtschaftlich nutzen und die Intensität der landwirtschaftlichen Nutzung er- höht haben. 1800 wurden in Deutschland 7 Doppelzent- ner Weizen auf 1 Hektar geerntet. Nun sind es über 90 Doppelzentner. Auf diese Intensivierung der Land- wirtschaft können wir nicht verzichten. Von daher können wir auch dem Antrag der Grünen nicht zustimmen. Denn er steht im krassen Widerspruch zur Forderung einer weltweit ausreichenden Nahrungs- mittelversorgung und einer weitreichenden Energiepro- duktion aus nachwachsenden Rohstoffen zugunsten des Klimaschutzes. Auf Deutschland bezogen können wir sagen: Vieles ist auf einem guten Weg. Probleme bereiten die zuneh- mende Flächeninanspruchnahme, das Zerschneiden von Naturräumen und das Eindringen fremder Arten. Aber weltweit betrachtet ist die Situation dramatisch anders. Die Bedrohung der Artenvielfalt wächst: Das an- haltende Bevölkerungswachstum erfordert vermehrte Anstrengungen bei der Armutsbekämpfung und damit auch eine vermehrte und intensivere Flächennutzung. Zunehmend mehr Menschen haben keinen Zugang zu gesundem Trinkwasser. Die Übernutzung der Fischbe- stände bedroht die Biodiversität in den Meeren. Und selbst wir in der EU schaffen es noch nicht einmal, den illegalen Fischfang in der Ostsee einzuschränken. Der weitere Verlust von Wäldern, unter anderem bedingt durch den fortgesetzten illegalen Holzeinschlag, hat Auswirkungen auf das Klima. Das gilt auch für die zu- nehmende Flächenkonkurrenz zwischen Nahrungsmit- telproduktion und Erzeugung von Biomasse für die ener- getische Nutzung. Wie diesen Herausforderungen international begegnet werden kann, ist noch weitgehend offen. Die FDP for- dert die Bundesregierung auf, schnellstens Lösungsan- sätze zu erarbeiten, wie sie dem Verlust der Agrobio- diversität gedenkt entgegenzuwirken. Die FDP wird sich diesbezüglich mit einer Kleinen Anfrage zur Wildpflan- zen-Gendatenbank in die parlamentarische Debatte ein- bringen. Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Bereits Ende Mai haben wir uns mit der Agrobiodiversität befasst. Leider ging der gute Antrag der Kolleginnen und Kolle- gen der grünen Fraktion während der Debatte zum schwarz-roten Placebo-Antrag zur Biodiversitätsstrate- gie etwas unter. Das ist schade, denn die Artenvielfalt auf und neben dem Acker sowie in den Ställen ist min- destens genauso wichtig wie die Biodiversität in der Na- tur. Und mindestens ebenso gefährdet! Im Antrag wird auf das in der Öffentlichkeit kaum be- achtete Problem des Artenrückgangs bei Nutzpflanzen und Nutztieren hingewiesen. Dabei hat dieser Verlust der Artenvielfalt schwerwiegende Konsequenzen: Er bedeu- tet Verlust an genetischem Anpassungspotenzial. Damit wird unter anderem die Ernährungssicherung unserer Zukunft gefährdet. Wir brauchen eine große Vielfalt der Rassen, Sorten und Ökosysteme, um die zukünftigen Herausforderungen der Land- und Forstwirtschaft be- wältigen zu können. Die Herausforderungen werden durch den Klimawandel und dessen Auswirkungen auf die Agrarökosysteme eher größer als kleiner. Doch dieser Rückgang an Agrobiodiversität passiert nicht so einfach von allein. Schauen wir also genauer hin: Er ist vor allem die Folge eines rücksichtslosen Kampfes um eine weltweite Konzentration von Wirt- schaftsmacht in immer weniger Händen, und es geht um Marktanteile! Wir als Linke haben dabei ein besonders kritisches Auge auf die Machenschaften der weltweit agierenden Agrarkonzerne. Der Saatgutmarkt wird zum Beispiel un- terdessen von fünf großen Unternehmen beherrscht. Diese interessieren sich für den Erhalt der Sortenvielfalt nur dann, wenn es ihren eigenen Interessen entspricht – als Ressource für noch mehr Profit und noch mehr Marktmacht! Ein freier Zugang aller Bäuerinnen und Bauern zum Saatgut ist in ihrer Welt nicht wichtig. Ein- zig die profitorientierte Vermarktung weniger Sorten ist von Bedeutung und wird durch das Patentrecht gesi- chert. Patente auf Tiere und Pflanzen schützen aber nur die Interessen der Agrarkonzerne. Sie eignen sich privat den natürlichen Reichtum an. Er gehört aber uns allen! Da- her ist der Patentschutz nicht im Interesse der Bäuerin- nen und Bauern, der Landwirtinnen und Landwirte und der Verbraucherinnen und Verbraucher! Deshalb ist für meine Fraktion Die Linke ganz klar: Patente auf Lebewesen sind absurd, und wir lehnen sie ab! Der öffentliche Zugang zu den natürlichen Ressour- cen muss gewährleistet bleiben. Das dient gleichzeitig auch dem Schutz der Artenvielfalt in Natur und Land- wirtschaft! Agrobiodiversität und die Debatte darüber dürfen aus Sicht meiner Fraktion auf keinen Fall dazu führen, dass nun die Agrogentechnik hoffähig gemacht wird. Diese erhöht nicht, sondern gefährdet die Artenvielfalt! Beson- ders problematisch ist die Nutzung dieser Risikotechno- logie in der Nähe von Genbanken, in denen Sorten durch Anbau konserviert werden. Daher tritt Die Linke auch konsequent gegen die Nutzung der Agrogentechnik in 12332 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) der Nähe der Genbank für Kulturpflanzen in Gatersleben ein. Darüber gab es in diesem Jahr ja schon mehrere De- batten. Man kann vielleicht über die Höhe des Kontami- nationsrisikos streiten. Aber es ist nicht zu verstehen, warum es ausgerechnet an diesem Ort überhaupt einge- gangen werden muss. Denn zumindest den Risikofaktor „menschliches Versehen“ wird man niemals ausschlie- ßen können. Die Grünen führen in ihrem Antrag aus, die Aufhe- bung der obligatorischen Flächenstilllegung könnte ein weiteres Artensterben der Agrarökosysteme zu Folge ha- ben. Diese Gefahr sehen wir in der Tat auch. Allerdings muss diese Diskussion auch im Zusammenhang mit dem aktuell steigenden Bedarf an nachwachsenden Rohstof- fen, insbesondere für die energetische Nutzung, geführt werden. Der damit verbundene steigende Flächenbedarf ist unbestritten. Außerdem ist der Anbau von Biomasse nicht automatisch, aber eben in vielen Fällen energie- und klimapolitisch sinnvoll. Andererseits ist auch nicht jede Flächenstilllegung automatisch naturschutzfachlich wertvoll. Daher begrüßt Die Linke das Aussetzen der obligato- rischen Flächenstilllegung. Gleichzeitig machen wir uns Gedanken um den Ersatz der damit wieder reduzierten Rückzugsräume für bedrohte Pflanzen- und Tierarten im Agrarökosystem. Wir fordern, das Aussetzen der Flä- chenstilllegung durch eine Verstärkung anderer Agrar- umweltmaßnahmen und ökologisch sinnvoller Markt- anreizprogramme zu begleiten. Ziel muss unter anderem der Erhalt oder die Verbesserung der Agrobiodiversität sein. Darüber haben wir gestern im Agrarausschuss ja bereits gesprochen. Es wäre zum Beispiel denkbar, die ökologisch sinnvolle Gestaltung von Ackerseitenrändern als gesellschaftlich sinnvolle Arbeit der landwirtschaftli- chen Betriebe zum Erhalt der Kulturlandschaft noch konsequenter zu fördern. Die Agrobiodiversität ist öffentlich kaum beachtet, obwohl sie im Interesse der gesamten Gesellschaft liegt. Sie bietet unsere genetische Rückversicherung für zu- künftige Herausforderungen in der Landwirtschaft – ich nenne hier beispielhaft Tierseuchen, Trockenheit, Kälte, Standortangepasstheit – und ist andererseits Zeugnis un- serer jahrhundertealten landwirtschaftlichen Geschichte. Damit ist die Artenvielfalt unserer Nutztiere und -pflan- zen auch ein Wert an sich – ökologisch und kulturhisto- risch gleichermaßen. In diesem Sinne stimmen wir dem grünen Antrag zu, auch wenn wir nicht jeden einzelnen Vorschlag mit der gleichen Vehemenz unterstützen. Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ar- tenvielfalt ist Ernährungssicherheit. Dies ist der Leitge- danke unseres Antrages zur Agrobiodiversität. Heute beruht ein Großteil der Welternährung nur noch auf einer kleinen Zahl von Kulturpflanzenarten. Die Zahl der Nutztierrassen ist auf einen Bruchteil der aus dem vorletzten Jahrhundert bekannten Vielfalt zurückge- gangen. Die Fruchtfolgen konzentrieren sich auf immer weniger ertragsstarke Sorten. Diese ertrags- und leis- tungsstarken Sorten und Rassen werden zudem intensiv angebaut und in Großanlagen gehalten. Eine solche Landwirtschaft aber ist gefährdet. Schädlinge und Krankheiten haben auf diese Weise ein leichtes Spiel. Schädlingskalamitäten und Seuchenzüge, die große wirt- schaftliche Schäden verursachen, gehören heute zum Alltag der „modernen“ Landwirtschaft. Es gehört nicht viel Fantasie dazu, um zu erkennen, wie leicht dieses sensible Gefüge überdehnt und die Ernährung der Welt- bevölkerung in Gefahr geraten kann. Im Agrarausschuss haben uns die Kollegen von der Union entgegengehalten, die Agrobiodiversität zu erhal- ten hieße, so zu wirtschaften wie im 19. Jahrhundert. So könne man die Welt heute nicht mehr ernähren. Diese Polemik zeigt, dass Sie das Anliegen unseres Antrages – den Erhalt des Genreservoirs zur Absicherung zukünf- tiger Ernten – nicht wirklich verstanden haben. Staatssekretär Müller ist da schon weiter. Er ließ im Oktober letzten Jahres erklären: „Unsere Verantwortung gegenüber den nach uns folgenden Generationen gebie- tet es, den großen Reichtum und die unermessliche Viel- falt der Nutzpflanzen, wie sie von Generationen von Bauern und Züchtern weltweit über Jahrhunderte aus Wildpflanzen entwickelt worden sind, als Nutzungs- potenzial für weitere züchterische Fortschritte und neu- artige Verwendungen von Pflanzen zu erhalten.“ Tref- fender kann man es nicht ausdrücken. Ja, wir brauchen neue Sorten, die standortangepasst gute Erträge bringen, um die Welt mit Nahrung und nachwachsenden Rohstoffen zu versorgen. Es besteht auch gar kein Widerspruch zwischen der Züchtung er- tragreicher Sorten und dem Erhalt der Agrobiodiversität. Vielmehr ist die Agrobiodiversität mit ihren großen Gen- pools Voraussetzung für die Züchtungsforschung. Aber es geht nicht nur darum, die Arten- und Sorten- vielfalt in Saatgutbanken zu erhalten. Wir wollen, dass sie auch angebaut und zur Bereicherung unseres Speise- zettels genutzt werden. Und das ist kein Zurück ins Ges- tern, sondern wir sind gut beraten, wenn wir die Zahl der genutzten Kulturpflanzenarten und -sorten vergrößern. Das gibt den Landwirten die Möglichkeit, die Fruchtfol- gen auszuweiten, was sowohl unter phytosanitären As- pekten als auch im Interesse des Erhalts der Boden- fruchtbarkeit nur sinnvoll sein kann. Wenn wir über Agrobiodiversität reden, dürfen wir nicht nur Kulturpflanzen im Blick haben, sondern müs- sen wir auch die Ackerbegleitflora und -fauna sehen. Die EU hat sich zum Ziel gesetzt, den Artenrückgang bis 2010 zu stoppen. Dazu gehört auch die Artenvielfalt in unseren Agrarökosystemen, einschließlich Ackerkraut- diestel, Brauner Bär und Rebhuhn. Zu erreichen ist das nur durch den Ausbau von Agrar- und Waldumweltmaß- nahmen, eine bessere Förderung des Ökolandbaus, die Verminderung chemisch-synthetischer Pestizide und ei- nen verbindlichen Anteil an Strukturelementen anstelle der Flächenstilllegung. Auch qualifizierte Cross-Com- pliance-Regelungen und eine mittelständische Züch- tungsforschung, die ihre Kraft nicht auf wenige gentech- nisch veränderte Sorten, sondern auf Vielfalt und die Herausforderungen der Zukunft konzentriert, können ei- nen Beitrag zum Erhalt der Biodiversität leisten. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 12333 (A) (C) (B) (D) Die vielfältigen, artenreichen Kulturlandschaften, die mit diesen Maßnahmen entstehen, sind genau diejeni- gen, die die Menschen in unserem Land schätzen. Kein Mensch liebt ausgeräumte Agrarlandschaften, in denen die Schläge fast bis zum Horizont reichen. Auch dies sollte für Sie ein Grund sein, unseren Antrag zu unter- stützen. Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Messen und Ge- schäftsreisen als Chance für den Tourismus- standort Deutschland (Tagesordnungspunkt 25) Klaus Brähmig (CDU/CSU): Deutschland verfügt im internationalen Bereich über ein hohes Ansehen als Kongress- und Tagungsziel. Durch seine Professionali- tät, seine Zuverlässigkeit, der Gewährleistung eines si- cheren Umfeldes sowie durch die gute Tagungs- und Verkehrsinfrastruktur kann sich Deutschland an vorders- ter Stelle der attraktiven Tourismusstandorte behaupten. Auch das große Potenzial von über 1 000 außergewöhn- lichen Tagungsstätten wie etwa Schlösser, Burgen, Mu- seen, Industriedenkmäler, Freizeitparks und modernste Tagungszentren wird immer stärker genutzt. So liegt Deutschland nach einer Studie des International Asso- ciation Meeting Market 2005 im internationalen Ver- gleich nach den USA auf Rang zwei der beliebtesten Kongress- und Tagungsstandorte. Trotz neuester Kom- munikationstechnik ist die Bedeutung des Kongresswe- sens nach wie vor sehr hoch, insbesondere für den Wis- sens- und Know-how-Transfer. Kongresse und Tagungen sind für die Kommunika- tion von Angesicht zu Angesicht und den interdisziplinä- ren Informationsaustausch unverzichtbar. Zudem lässt sich Sozialkompetenz nicht über das Internet vermitteln. Damit wird der deutschen Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft importiertes Wissen vor Ort kostengünstig zugänglich gemacht und ein wichtiger Beitrag zur Siche- rung des Informations- und Wissensvorsprungs Deutsch- lands geleistet. Gleichzeitig kann sich Deutschland mit seinem eigenen Know-how präsentieren und seine füh- rende Position als Exportweltmeister sichern. Der Mes- sen- und Dienstreisensektor ist neben den Urlaubsreisen von großer wirtschaftlicher Bedeutung. Jeder dritte Ar- beitsplatz in der Tourismuswirtschaft ist direkt oder indi- rekt vom Tagungs- und Kongressreiseverkehr abhängig. Die Zahlen der Geschäftsreisenanalyse 2006 des Verban- des Deutsches Reisemanagement, VDR, belegen diese Tatsachen. Im Jahr 2005 lag die Anzahl von Geschäfts- reisenden bei rund 150 Millionen. Davon sind 35 Pro- zent Besucher von Messen, Kongressen, Firmenevents, Schulungen und Seminaren. Zudem profitiert die deutsche Tourismuswirtschaft in erheblichem Maße von Geschäftsreisenden, die insbe- sondere auch in der Nebensaison und unter der Woche für die Auslastung der Beherbergungsbetriebe und der Gaststätten sorgen. Reisende aus dem Ausland verbin- den oft ihre Kongress- und Messebesuche mit privaten Reisen in Deutschland. Geschäftsreisende geben dabei durchschnittlich doppelt so viel Geld aus wie reine Ur- laubsgäste. Dabei profitiert der Einzelhandel enorm. Doch stellen Geschäftsreisen nicht nur eine wirtschaftli- che Notwendigkeit dar, sondern auch einen Kostenfak- tor. Es besteht hinsichtlich der verwaltungstechnischen Abläufe bei der Organisation von Dienstreisen ein er- hebliches Effektivitäts- und Einsparpotenzial. Mit unserem Antrag möchten wir die Rahmenbedin- gungen für Messen und Geschäftsreisen weiter verbes- sern, um den Wirtschafts- und Tourismusstandort Deutschland weiter zu entwickeln und weiter wettbe- werbsfähig, in der immer stärker werdenden internatio- nalen Konkurrenz zu etablieren. Deshalb fordern wir insbesondere den Abbau bürokratischer Hemmnisse und die Vereinfachung bürokratischer Abläufe. Statistik-, Nachweis-, Dokumentations- und Buchführungspflich- ten, denen Unternehmen bei Geschäftreisen unterliegen, müssen geprüft werden. Zudem fordern wir die Überprü- fung der aktuelle Situation im Hinblick auf die Bearbei- tung von Visa-Anträgen für Aussteller und Geschäftrei- sende im Rahmen der Schengen-Regelung und inwieweit diese Bedingungen praktikabler gestaltet wer- den können. Die Bewerbung Deutschlands als Kongress- und Ta- gungsstandort muss von der Deutschen Zentrale für Tou- rismus, DZT, stärker als bisher auf Geschäftsreisende ausgerichtet werden. Dabei kann bei der Vermarktung mit den Namen großer Dichter, Denker, Erfinder und Schriftsteller geworben werden. Hier gibt es oft Image- vorteile gegenüber der Vermarktung als reinem Urlaubs- ziel. Als Reisemotiv stehen bei Tagungen und Kongres- sen auch die fachlichen Themen und Inhalte der Veranstaltungen sowie die Möglichkeit des Erfahrungs- austausches im Vordergrund. Zudem besticht Deutsch- land mit seinen sehr interessanten und attraktiven The- menjahren. Kulinarisches Deutschland heißt im diesem Jahr das Motto und beweist eindrucksvoll, dass Deutsch- lands Spezialitäten die Gourmets der Welt begeistern können. Unser Preis-Leistungs-Verhältnis braucht auch mit keinem Land dieser Welt einen Vergleich zu scheuen. Ein weiterer wichtiger Aspekt für den Kongress- und Tagungsstandort Deutschland ist eine gut ausgebaute und moderne Infrastruktur. Für Besucher von Messen und Kongressen sind öffentliche Verkehrsmittel in den großen Messestädten Deutschlands, wie Berlin, Dresden Frankfurt, Hannover und andere, die schnellste und ein- fachste Art sich zu bewegen. Eine effektive Vereinfa- chung der öffentlichen aber auch privaten Verkehrsinfra- struktur kann durch die mehrsprachige Gestaltung der Verkehrszeichen und Hinweistafeln, zumindest an gro- ßen Messestandorten, erreicht werden. Die Länder und Kommunen müssen aufgefordert werden, diese loh- nende Maßnahme umzusetzen. Wir fordern die Bundesregierung auf, sich für unsere Forderungen einzusetzen, damit Deutschland nicht nur weltweit wettbewerbsfähig, sondern auch weiterhin an der Spitzenposition der attraktivsten Messe- und Kon- gressstandorte international bleibt. Um dieses Ziel zu er- 12334 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) reichen, muss Deutschland seine weltoffene, tolerante und gastfreundliche Art bewahren, getreu dem Motto des DZT „Deutschland – Das Reiseland“. Anita Schäfer (Saalstadt) (CDUCSU): Die Bedeu- tung von Messen und Geschäftsreisen für den Touris- musstandort Deutschland steigt. Das führt der vorlie- gende Antrag der Koalitionsfraktionen ganz deutlich aus. Die Zahlen sprechen für sich, und sie unterstreichen nachhaltig, dass die Relevanz der Geschäftsreisen und insbesondere der Messen für unsere Wirtschaft und den Standort Deutschland nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Da ist zum Einen der große Komplex der Geschäfts- reisen. Gerade für eine Handels- und Exportnation wie Deutschland ist es ein unabdingbares Muss, die Infra- struktur und die Rahmenbedingungen hierzu auf dem bestmöglichen Stand zu halten. Vor diesem Hintergrund sind vielfältige Maßnahmen möglich und nötig. Der An- trag führt hier etliche auf, zum Beispiel im Bereich von Verkehrsdienstleistungen. Der andere Komplex, auf den ich mich konzentrieren möchte, ist der Bereich des Messetourismus; dabei nicht in seiner Bedeutung für die großen Messestandorte, son- dern vielmehr hinsichtlich seiner regionalen Relevanz. Wir verfügen in der Bundesrepublik mit zahlreichen Messen und Ausstellungen über ein erhebliches Poten- zial, um innovative Produkte, zukunftsweisende Techno- logien und überzeugende Dienstleistungen unserer Unternehmen der Öffentlichkeit zu präsentieren. Die Messen und Ausstellungen geben als wichtige Leis- tungsschauen ein sehr anschauliches Beispiel für die Wirtschaftskraft unseres Landes. Sie sind damit zugleich ein starker und wirkungsvoller Magnet für Geschäftsrei- sende wie auch Verbraucher. Zu den rund 150 internationalen Messen kommt ein dichtes Netz regionaler Fach- und Verbraucherausstel- lungen. Dabei ist eine zunehmende Verknüpfung von Messe- und Kongressaktivitäten zu beobachten. Messe- begleitende Kongresse und Tagungen haben jährlich etwa 400 000 Besucher. Zusammen werden knapp 1,9 Millionen Teilnehmer gezählt. Als ein Schlüsselbe- reich in der deutschen Dienstleistungswirtschaft sind Messen und nationale wie internationale Wirtschaftsaus- stellungen gerade für die kleinen Standorte damit ein un- erhört wichtiges Mittel der Eigendarstellung. Eines der Hauptziele von Messeausstellern ist die Neukundengewinnung. Das äußern immer wieder mehr als 90 Prozent der ausstellenden Unternehmen. Für die Messestandorte sind das einerseits Messebesucher, die als Geschäftsreisende direkt die Gastronomie und Frem- denverkehrsbetriebe nutzen und die in ihren Parallelpro- grammen zum Messebesuch die Freizeit- und Touristik- angebote der Region nachfragen und in Anspruch nehmen. Andererseits bedeutet diese Messezielsetzung aber zugleich auch eine Ansprache von immer wieder neuen Geschäftsreisenden, die insbesondere für die klei- nen Standorte auch zu Multiplikatoren und Werbeträgern für die Region werden. Gerade in diesem Bereich eröff- nen sich positive Imagewirkungen für die Regionen auch über die Ansprache weiterer Zielgruppen und damit die Möglichkeit zu einer nachhaltigen Vermarktung als Tou- rismusregion. Die positiven Effekte des Messetourismus hinsichtlich des Umsatzes, der Beschäftigung, der Aus- lastung etc. liegen damit auf der Hand. An kleineren Messestandorten sind sie für die regionale Wirtschaft aber von proportional wesentlich größerer Bedeutung. Daher ist mir unsere Forderung, eine stärkere Wer- bung und bessere Vermarktung von Messen und Ge- schäftsreisen durch die DZT zu prüfen, ein besonders wichtiges Anliegen, weil neben der Chance zur Stärkung des Tourismusstandortes auch eine Standortstärkung ei- ner Stadt und Region erreicht werden kann. In den vergangenen Jahren hat sich neben der insge- samt wachsenden Bedeutung des Messetourismus aber auch gezeigt, dass die Zahlen der Teilnehmer und Aus- steller bei den verschiedenen Messen und Ausstellungen rückläufig gewesen sind. Darauf müssen wir reagieren. Als Beispiel für diese Entwicklung möchte ich Ihnen kurz die Situation der Messe- und Veranstaltungs GmbH in meinem Wahlkreis in Pirmasens schildern. Dies liegt an der Grenze zu Frankreich und ist mit der Nähe zu Lu- xemburg auch gut erreichbar von einem internationalen Handelsplatz. Es handelt sich dabei um den größten Messestandort in Rheinland-Pfalz, der in den 60er- und 70er-Jahren der größte Standort für die Messen der Schuhindustrie war. Mit dem Zusammenbruch dieser Monopolindustrie musste die Messe neue Wege gehen. Aufgabe der Mes- severantwortlichen war und ist eine neue Positionierung als Veranstaltungsort. Wenn durch attraktive Messen oder Kongresse Geschäftsreisende in eine Stadt oder in eine Region kommen, profitiert nicht allein die Messe davon, sondern die Besucher tragen zur Wertschöpfung bei und stärken somit auch die Tourismuswirtschaft. Die Pirmasenser Messe zeichnet sich heute nicht al- lein durch zahlreiche regionale Ausstellungen, sondern auch durch nationale und internationale Messen aus. Hierzu haben die Verantwortlichen beispielsweise neue Messen entwickelt. Vorstellbar wäre aber auch die Bün- delung von Spezialthemen, zum Beispiel eine Messe „Junge Designer aus drei Ländern“ oder „Wellness im Dreiländereck“, aber auch neue Ansätze wie zum Bei- spiel ein Wettbewerb für Hotel- und Kongressinvestitio- nen in Kooperation mit der Messe. Doch eine neue inhaltliche Ausrichtung von Messen reicht nicht allein. Der Messebesucher oder der Ge- schäftsreisende will nicht nur eine interessante Veran- staltung erleben, sondern er will auch ohne große Mühe zum Ort kommen. Als ausländischer Gast will er in sei- ner Sprache oder zumindest in einer gängigen internatio- nalen Sprache informiert werden. Damit diese Voraus- setzungen gegeben sind, ist auch die Unterstützung vonseiten der Bundesregierung nötig, wie wir es in unse- rem Antrag formuliert haben. Es gibt – wenn ich damit auf einige Einzelheiten in unserem Antrag zurückkommen darf – um die Stadt Pirmasens herum beispielsweise noch keine internatio- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 12335 (A) (C) (B) (D) nalen Schilder. Es gibt keinen Shuttletransport vom Hauptbahnhof zur Messe oder vom 20 Kilometer ent- fernten Flughafen Zweibrücken nach Pirmasens. Das sind Faktoren, die sich in der Vergangenheit bei den klei- neren Messen, aber auch bei der alle zwei Jahre stattfin- denden Verbrauchermesser „hageha“ als nachteilig er- wiesen haben. Diese Messe zieht Besucher aus Frankreich, Luxemburg und dem Saarland an. Es ist eine der größten Verbraucherausstellungen in Rheinland- Pfalz. Die Lage von Pirmasens in unmittelbarer Nähe zum Elsass, Lothringen, Luxemburg, Saarland und Ba- den-Württemberg sorgt für ein großes Einzugsgebiet und viele Besucher, die aber noch zahlreicher wären, wenn die Bedingungen im Umfeld besser wären. Dazu gehört eine bessere Verkehrsanbindung mit der Bahn und den Bussen, aber auch der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur. Wenn die Rahmenbedingungen für Messen und Ge- schäftsreisen durch die Bundesregierung verbessert wer- den, stärken wir auch den Tourismusstandort Deutsch- land. Auf diese Weise kann auch insbesondere aus kleineren Städten oder ländlich strukturierten Regionen touristisches Potenzial entwickelt werden. Davon profi- tiert die Wirtschaft und damit natürlich unser ganzes Land. Brunhilde Irber (SPD): Einmal mehr haben die Deutschen im vergangenen Jahr den Tourismuswettbe- werb als Reiseweltmeister beendet. Deutsche Urlauber haben für Auslandsreisen über 60 Milliarden Euro aus- gegeben. Umgekehrt haben unsere ausländischen Gäste jedoch nur 26 Milliarden Euro nach Deutschland ge- bracht. Zwar gilt nach wie vor: Deutschland ist für Kongresse und Tagungen der beliebteste Messestandort in Europa, und darauf können wir stolz sein. Dennoch glaube ich fest daran, dass wir unseren Standort attraktiver gestal- ten können, indem wir entsprechende gesetzliche Rah- menbedingungen schaffen. An diesem Punkt setzt der vorliegende Antrag der CDU/CSU und der SPD „Mes- sen und Geschäftsreisen als Chance für den Tourismus- Standort Deutschland“ an. Für den Wirtschafts- und Tourismusstandort Deutsch- land haben Messen und Geschäftsreisen eine unschätz- bare Bedeutung. 2006 haben ausländische und deutsche Geschäftsreisende in Deutschland gemeinsam 82,6 Mil- lionen Geschäftsreisen mit Übernachtungen unternom- men; dabei wurden über 60 Milliarden Euro mit (Tages-) Geschäftsreisen umgesetzt. Laut der Studie „Internatio- nal Association Meetings Market“ der International Congress and Convention Association, ICCA, sind wir bei Tagungen und Kongressen weltweit die Nummer zwei hinter den USA. Über 1,85 Millionen Veranstaltun- gen mit knapp 90 Millionen Teilnehmern wurden organi- siert und durchgeführt. Hinzu kommt eine große Zahl von Regionalmessen. Laut der aktuellen VDR-Ge- schäftsreiseanalyse planen neun von zehn Unternehmen für das Jahr 2008 gleich viele oder sogar mehr Ge- schäftsreisen. Jeder dritte Beschäftigte unternahm min- destens eine Geschäftsreise. Die Tendenz ist steigend, das Tourismussegment der Geschäftsreisen boomt. Auch benachbarte Wirtschaftsbereiche profitieren von den Geschäftsreisenden, die außerhalb der Hauptur- laubszeiten und unter der Woche dafür sorgen, dass Ho- tels und Gaststätten ausgelastet sind. Jeder fünfte Beher- bergungsbetrieb rechnet sogar mit einem Zuwachs der Hotelübernachtungen im kommenden Jahr. Deutschland ist für Geschäftsreisende nicht zuletzt deshalb attraktiv, weil in Deutschland die Zimmerpreise durchschnittlich halb so hoch sind wie in den Metropolen Moskau, Genf, Paris, London oder Rom. Laut „European Travel Moni- tor“ liegt bundesweit der durchschnittliche Anteil der Geschäftsreisen bei 30 Prozent und derjenige der Pri- vatreisen bei 70 Prozent. Aber ausländische Tagungsteil- nehmer verbinden oft ihre Geschäftsreisen mit privaten Reisen in Deutschland. 2006 gaben sie mit 148 Euro pro Tag durchschnittlich doppelt so viel Geld aus wie reine Urlaubsgäste. Daher ist es richtig, dass wir in unserem Antrag die stärkere Ausrichtung der Auslandswerbung der Deutschen Zentrale für Tourismus, DZT, auf Ge- schäftsreisende verlangen. Wenn wir unseren Aufwärts- trend nicht unterbrechen wollen, brauchen wir eine effi- zientere Bearbeitung von Visa-Anträgen für Aussteller und Geschäftsreisende und eine damit einhergehende eu- ropaweite Harmonisierung der langwierigen Antragsver- fahren. Übrigens: Für uns sind die touristischen Organisatio- nen in Deutschland wichtige Partner bei der Planung und Einführung neuer Richtlinien oder Bestimmungen. Des- halb haben wir bereits in den rot-grünen Jahren das Bud- get der DZT erhöht. Auch in der schwarz-roten Koali- tion ist es uns gelungen, in den Bundeshaushalt 2008 eine erneute Anhebung der Bundeszuwendung an die DZT um 500 000 Euro auf 25,5 Millionen Euro durchzu- setzen. In den nächsten Jahren ist ebenfalls eine kontinu- ierliche Erhöhung dieser Bundeszuwendung um eine halbe Million pro Jahr geplant, da wir als SPD um die Bedeutung der Werbetätigkeit der DZT für das deutsche Wirtschaftswachsturn wissen. Mit ihrer Kampagne „Die Welt zu Gast bei Freunden“ und der Standortinitiative „Deutschland – Land der Ideen“ wurden weltweit 3,5 Milliarden Menschen erreicht. Da Deutschland in er- heblichem Maße vom Imagegewinn der Fußballwelt- meisterschaft profitiert hat, wirbt die DZT im Ausland aktuell unter dem neuen Slogan „Deutschland. Einfach freundlich“ auch mit einem neuen Logo, das die Natio- nalfarben Schwarz-Rot-Gold in Form eines Balls zeigt und damit das positive Image der Fußball-WM aufgreift. Geschäftsreisen sichern weit über eine halbe Million Arbeitsplätze in Deutschland. Jeder dritte Arbeitsplatz der deutschen Tourismuswirtschaft ist direkt oder indirekt vom Tagungs- und Kongressreiseverkehr abhängig. Deutschlandweit ist heute jeder dritte Hotelgast Tagungs- oder Kongressteilnehmer. Kein Wunder, denn 2006 haben deutsche Unternehmen für die Geschäftsreisen ihrer Mit- arbeiter stolze 47,4 Milliarden Euro ausgegeben. Damit wird eines ganz deutlich: Wirtschaftswachstum hängt we- sentlich vom deutschen Geschäftsreisetourismus ab. Mit 2,8 Millionen Arbeitsplätzen im vor- und nachgelagerten Bereich und mehr als 110 000 Ausbildungsplätzen ist der Tourismus eine boomende Branche für Beschäftigung. Offizielle Schätzungen gehen von circa 300 000 neuen 12336 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) Arbeitsplätzen bis 2015 in Deutschland aus. Besonders freue ich mich über die gestiegene Ausbildungsbereit- schaft im Gastgewerbe. Auch die Einführung des Ausbil- dungsberufs „Kaufmann/Kauffrau für Tourismus und Freizeit“ zeigt, dass die Tourismusbranche ihrer gesell- schaftlichen Verantwortung bewusst ist. In diesem Zu- sammenhang appellieren wir an die Verantwortlichen in den Ländern, die Qualität im Dienstleistungsbereich durch entsprechende Ausbildungsangebote, insbesondere die Aufnahme des Schwerpunktes „Geschäftsreisema- nagement“ und die Förderung von Fremdsprachenkennt- nissen, zu verbessern. Die Welttourismusorganisation prognostiziert bis 2020 ein Wachstum der weltweiten Touristenankünfte in Deutschland von über 4 Prozent. Eine Wachstumspro- gnose der DZT für 2015 besagt, dass Deutschland mit erfolgreichem Marketing 58 Millionen Übernachtungen aus dem Ausland erzielen könnte. Das wären etwa 16 Millionen mehr als heute ohne Camping. Wenn auch ländliche Regionen von diesen positiven Trends profitie- ren könnten, wäre dies ein wichtiger wirtschaftlicher Im- puls. Die SPD ist sich ihrer Verantwortung für den Mittel- stand äußerst bewusst. Laut der Geschäftsreiseanalyse 2007 des Verbandes Deutsches Reisemanagement e. V., VDR, wenden sich immer mehr Unternehmen ange- sichts steigender Energie- und Reisekosten als Form der Geschäftsreisevermeidung Video- und Telefonkonferen- zen zu. In der überwiegend mittelständisch geprägten deutschen Tourismuswirtschaft sind Kostensteigerun- gen für Geschäftsreisen um 24 Prozent wie im letzten Jahr oftmals nicht finanzierbar. Im Rahmen unserer Mit- telstandspolitik setzen wir uns daher in diesem Antrag für Verbesserungen im Reisemanagement und für den Abbau von bürokratischen Hemmnissen im Bereich der Statistik-, Nachweis-, Dokumentations- und Buchfüh- rungspflichten ein. Ich habe diesen Antrag von Anfang an mit Initiative und großem Enthusiasmus vorangetrieben. Ich gebe zu, dass ich an der einen oder anderen Stelle weitergehende Vorschläge und präzisere Forderungen eingebracht habe, die leider nicht realisierbar waren. Weitergehenden Handlungsbedarf sehe ich beispielsweise im zu kompli- zierten Steuersystem für Geschäftsreisen, in den exzessi- ven Aufbewahrungsfristen für Reisekostenabrechnungen oder in der Unterscheidung von Dienstreise, Einsatz- wechseltätigkeit und Fahrtätigkeit. Auch eine Neudefini- tion des Begriffs „regelmäßige Arbeitsstätte“ ist überfäl- lig. Man kann auf seinem Standpunkt stehen, aber man sollte nicht darauf sitzen. Das wusste bereits Erich Kästner. So ist dieser Antrag zwar eine Kompromisslösung. Ich denke aber, dass da- mit ein Schritt in die richtige Richtung getan wird, um die herausragende Stellung des Messestandortes Deutschland im internationalen Ranking weiter auszu- bauen. Einig waren wir mit dem Koalitionspartner in dem Wunsch, das Reiseland Deutschland zu stärken. Dazu gehören neben bereits Erwähntem der Ausbau der Infra- struktur mit mehrsprachigen Hinweistafeln an großen Messestandorten wie zum Beispiel Hannover, Frankfurt a. M. und Köln. Außerdem sollen die Deutsche Bahn und andere Verkehrsanbieter ihre Verkehrsmittel und Bahnhöfe so weit wie möglich barrierefrei gestalten. Schließlich ist auch beim Ausbau der Verkehrswege da- rauf zu achten, dass Umsteigezeiten möglichst gering gehalten werden. Wir wollen mit diesem Antrag ein positives Zeichen für den Messe- und Kongressstandort Deutschland in Europa setzen und mit attraktiven Angeboten das Seg- ment „Geschäftsreisen“ weiter fördern. Auch bin ich mir sicher, dass sich die wirtschaftliche Entwicklungsdyna- mik der neuen EU-Länder positiv auf den Markt für Ge- schäftsreisende auswirken wird. Ernst Burgbacher (FDP): Der Antrag der Regie- rungsfraktionen, Messe- und Geschäftsreisen als Chance für den Tourismusstandort Deutschland zu begreifen und zu fördern, ist begrüßenswert. Messen und Geschäftsrei- sen stellen eine große Chance, aber auch eine große He- rausforderung für den Tourismusstandort Deutschland dar. Im Jahr 2006 gaben deutsche Unternehmen für Ge- schäftsreisen mehr als 47 Milliarden Euro aus, was einen Anstieg um 3 Prozent im Vergleich zu den Ausgaben im Jahr 2005 bedeutet. Jede dritte Übernachtung und jeder zweite Euro in der Kasse der deutschen Hotellerie stammt aus Geschäftsreisen. Die Anzahl der Reisenden ist ebenfalls um 5 Prozent gegenüber dem Vorjahr auf fast 158 Millionen Reisende gestiegen. Diese Geschäfts- reisen führen zu fast 52 Millionen Hotelübernachtungen. Allerdings waren die Gesamtausgaben für Geschäfts- reisen in Deutschland von 54,1 Milliarden Euro in 2003 auf 44,0 Milliarden Euro in 2004 deutlich zurückgegan- gen. Welche Möglichkeiten gibt es hier, die Geschäftrei- sen noch attraktiver für Unternehmen zu machen? Es fallen die hohen – oftmals staatlichen – Kostentrei- ber einer (Geschäfts-) Reise auf. Knapp 54 Prozent der Reiseausgaben entfielen 2006 auf die Verkehrsträger. Dabei sind die Ausgaben für die Flugtickets mit 30 Prozent der Geschäftsreisekosten und insgesamt 14,4 Milliarden Euro der größte Einzelposten der Kos- ten. Flugreisen befinden sich laut VDR-Geschäftsreise- analyse 2007 weiter im Aufwind, eine einseitige Belas- tung des Luftverkehrs würde sich hier negativ auswirken und wäre nachteilig für den Geschäftsreisesektor und die damit verbundenen Arbeitsplätze. Außerdem suchen im- mer mehr Unternehmen – darunter vor allem kleinere und mittlere Unternehmen – aufgrund der Reisekosten Alternativen zu Geschäftsreisen. Alternativen werden vor allem in Telefon- und Videokonferenzen gesehen. Die Anwendung anderer Formen der Kommunikation zeigt, dass die Unternehmen ein Interesse daran haben, möglichst wirtschaftlich mit ihrer Zeit und ihren Res- sourcen umzugehen. Bereits 65 Prozent der Unterneh- men praktizieren diese Art der Reisevermeidung. Jedoch haben auch diese Wege ihre Grenzen. So betonte auch der Präsident des VDR Michael Kirnberger die Bedeu- tung der Geschäftsreisen für die deutschen Unterneh- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 12337 (A) (C) (B) (D) men. Um überall auf der Welt Geschäfte machen zu kön- nen, ist die deutsche Wirtschaft auf die Mobilität ihrer Mitarbeiter angewiesen. Gerade für ein exportorientier- tes Land wie Deutschland sind Geschäftsreisen unab- dingbar für Wirtschaftswachstum und Arbeitsplatz- sicherheit. Viele bürokratische Hemmnisse, wie beispielsweise die zehnjährige Aufbewahrungsfrist der Reisekostenab- rechnung – § 147 AO – oder die unterschiedlichen Ver- pflegungspauschalen, bewirken einen hohen Aufwand und somit weitere unnötige Kosten. Sicherlich ist im Zuge der immer noch vorhandenen Terrorgefahr verstärkt auf die Sicherheit an Flughäfen zu achten, denn gerade auch die Sicherheitsmaßnahmen machen Deutschland für ausländische Gäste so attraktiv. Ohne Zweifel darf nicht an geeigneten und notwendigen Sicherheitsmaßnahmen gespart werden. Jedoch dürfen Sicherheitsmaßnahmen den Firmen und Reisenden nicht die Mobilität nehmen oder diese unverhältnismäßig ver- teuern. Die Sicherheitsgebühr, die nach den Anschlägen vom 11. September 2001 veranschlagt wurde, ließ die Flugpreise um 5 Prozent steigen. Gebühren und bürokratische Hemmnisse stellen die größten Kostentreiber dar. Großunternehmen stellen in der Regel mehrere Mitarbeiter ein, um den erhöhten bü- rokratischen Aufwand zu bewältigen. Kleinere Unter- nehmer sind jedoch dazu nicht in der Lage und sind folg- lich mit diesen Pflichten überlastet. Während das Reisebudget und die Zahl der Reisenden 2006 im Mittel- stand im Schnitt um 4 Prozent stiegen, kamen die großen Unternehmen mit 5 Prozent weniger aus, obwohl deren Mitarbeiter viel häufiger Geschäftsreisen unternehmen. Aus diesem Grunde sollte vorrangig die Entbürokrati- sierung das Ziel sein. Denn nur so lassen sich die Kosten der Flug- und somit auch der Geschäftsreise senken. Ge- mäß der Ziffer 9 des Koalitionsvertrages ist der Bürokra- tieabbau ein wesentliches Ziel der Bundesregierung. Ein guter Schritt in diese Richtung wäre die Entbürokratisie- rung bei Geschäftsreisen. Der internationale Tourismus muss weiter gefördert werden, und es müssen attraktive Angebote für ausländi- sche Messeteilnehmer entwickelt werden. Vor allem die neuen Quellmärkte der Wirtschaftsmächte China, Indien und die EU-Osterweiterung bieten Chancen. Gleich- zeitig gilt es, Deutschland als internationalen Messe- standort in Europa zu stärken. Dazu zählt neben der Vernetzung der Verkehrswege und -mittel auch die mehrsprachige Gestaltung der Beschilderung der Ver- kehrszeichen und Hinweistafeln. Um eine möglichst hohe Mobilität und unkomplizierte Einreise ausländi- scher Geschäftsreisender zu ermöglichen, muss eine zü- gigere Visavergabe erfolgen. Der Geschäftsreisemarkt wirkt stabilisierend auf die wirtschaftliche Lage. Er ist saisonunabhängig und weit- gehend krisenfest, weil Mobilität meistens eine wichtige Voraussetzung für Wachstum ist. Die CDU/CSU-Fraktion hatte bereits in der vergange- nen Legislaturperiode einen Antrag „Rahmenbedingun- gen für Geschäftsreisen verbessern“ vorgelegt, der aller- dings von der damaligen rot-grünen Regierungsmehrheit abgelehnt wurde. Es ist erfreulich, dass die SPD sich nun auch für die Stärkung des Geschäftsreisesektors einsetzt. Dem vorliegenden Antrag der Regierungsfraktionen kann die FDP in vielen Punkten zustimmen. Ich biete gerne an, im Ausschuss ausführlich zu diskutieren und eventuell einen gemeinsamen Antrag zu formulieren. Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): Es ist unstrittig: Mes- sen und Geschäftsreisen sichern zahlreiche Arbeitsplätze in der Tourismuswirtschaft, vor allem in höherpreisigen Hotels außerhalb von Ferien und Wochenenden, in den First- und Businessklassen der Flugzeuggesellschaften und der ersten Klasse der Bahn. Wenn die Welt nur aus Tourismus bestehen würde, hätte der Antrag meiner Kol- leginnen und Kollegen aus dem Tourismusausschuss von CDU/CSU und SPD seine Berechtigung. Ich meine aber, auch wir Tourismuspolitiker müssen über den Tellerrand blicken. Deswegen sollte für Geschäftsreisen das Motto gelten: So viel wie nötig und so effektiv, kostengünstig und ökologisch wie möglich. Davon ist im Antrag der Koalition nichts zu finden, hier geht es trotz der schon ohne Zutun der Bundesregierung wachsenden Branche um noch mehr Geschäftsreisen ohne Rücksicht auf die Auswirkungen auf Klima und Umwelt. Unter der Überschrift „Schmutzbilanz mit Folgen“ zeigt die Wirtschaftswoche in einem Artikel vom 24. September 2007 auf, dass die Wirtschaft in ihrem Denken schon ein ganzes Stück weiter ist als die Verfas- serinnen und Verfasser dieses Antrages. Rund ein Drittel der 500 VDR-Mitglieder – VDR steht für Verband Deut- sches Reisemanagement – beschäftigt sich nach einer Umfrage des Verbandes mit Klimaschutzproblemen, ein Viertel diskutiert darüber, in die CO2-Kompensation von Dienstreisen einzusteigen. Die internationale Travel-Ma- nagement-Vereinigung ACTE hält im Schnitt 40 Prozent aller Dienstreisen für verzichtbar, wenn stattdessen kon- sequent Video-, Web- und Telefonkonferenzen genutzt würden. Um nicht missverstanden zu werden: Auch die Linke weiß, dass das sich Versammeln an einem Ort – und sei aus geschäftlichen oder dienstlichen Gründen – mehr ist als das Austauschen von Informationen. Und wenn Dienst- und Geschäftsreisen noch stärker in mittel- ständischen Landhotels – möglichst außerhalb der Sai- son – stattfinden, wissen auch wir die positiven Effekte für die Wirte und die Beschäftigten zu würdigen. Zunehmend mehr Unternehmen nutzen die Bahn statt Inlandsflüge, schaffen sich schadstoffarme Autos an bzw. mieten solche für Dienstreisen, leisten für Flüge Kompensationszahlungen an „Atmosfair“ und andere Organisationen, weisen für ihre Geschäftsreisenden per- sönliche CO2-Bilanzen aus und schaffen Synergien durch Fahrgemeinschaften. Damit wird nicht nur ein Beitrag für die Umwelt geleistet. Die Unternehmen sen- ken Kosten und fördern die Gesundheit Ihrer Beschäftig- ten durch Reduktion von nicht gerade stressarmen Rei- sen. Von all dem ist im Koalitionsantrag nicht die Rede. Stattdessen soll die Bundesregierung in einem Sammel- surium von Einzelpunkten und Prüfaufträgen aufgefor- 12338 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) dert werden, Messen- und Geschäftsreisen weiter voran- zubringen. Begrüßenswert ist, dass die Koalition bei diesem Antrag auch an die Barrierefreiheit denkt. Aber wie und warum nur im Zusammenhang mit Geschäfts- reisen? Laut Koalition soll die Bundesregierung bei allen baulichen Einrichtungen des Bundes auf Barrierefreiheit achten. Das ist schön, aber bereits gesetzlich im Bundes- gleichstellungsgesetz und Baugesetzbuch geregelt. An- statt zu fordern, dass die Bundesregierung auch die Län- der und Kommunen darauf hinweist sollte der Bundestag die Pflicht auf Barrierefreiheit für alle Neubauten ver- bindlich im Baugesetzbuch verankern. Gleiches gilt auch hinsichtlich der Barrierefreiheit bei der Bahn und anderen Bereichen des Personentransports. Schon jetzt erklärt die Bundesregierung sich bei diesbe- züglichen Forderungen regelmäßig für nicht zuständig, obwohl der Bund ja noch Eigentümer der Bahn ist und nicht wenig Geld für den ÖPNV zur Verfügung stellt. Statt Privatisierungen voranzutreiben, sollte die Bundes- regierung hier Ihren Pflichten als Eigentümer gerecht werden – zum Wohle von Geschäfts- und Privatreisen- den und allen anderen Bürgerinnen und Bürgern. Auch die Frage der Förderung von Sprachkompetenz von den in der Tourismuswirtschaft tätigen Menschen oder die Frage der Bearbeitung von Visa-Anträgen ist keine spe- zifische Frage des Geschäftsreisetourismus. Völlig ausgeblendet ist im Koalitionsantrag die Frage der Dienstreisen von uns selbst, der Bundesregierung und den in Bundesbehörden Beschäftigten. Wie viele un- nötige Dienst- und Heimreisen gibt es allein durch die doppelten Dienstsitze aller Bundesministerien in Berlin und Bonn? Der überfällige Umzug aller Bundesministe- rien nach Berlin würde das Steuersäckel und die Umwelt erheblich entlasten. Auch das darüber hinausgehende Dienstreisemanagement der Bundesbehörden muss kri- tisch hinterfragt werden, und vielleicht sollten wir Abge- ordnete künftig nicht nur unsere Nebeneinkünfte son- dern auch unsere persönliche CO2-Bilanz offenlegen? Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Markt für Tagungen und Kongresse stellt ein bedeu- tendes wirtschaftliches Segment dar. Laut einer Analyse des VDR, des Verbandes Deutsches Reisemangement, wurden im Jahr 2006 157,8 Millionen Geschäftsreisen von Unternehmen mit mehr als zehn Mitarbeitern durch- geführt. Jede Stunde beginnen in Deutschland durch- schnittlich 17 200 Geschäftsreisen. Der Anteil der Geschäftsreisen stellt aber auch einen erheblichen Teil des Personenverkehrs dar. Dementspre- chend ergeben sich gravierende Folgen für die Umwelt. Klimawandel, Umweltaspekte, aber auch die Erhöhung der Benzinpreise und die Kerosinsteuerdiskussion füh- ren dazu, dass Unternehmen anfangen, ihre Geschäfts- reisegewohnheiten zu überdenken. Wir begrüßen diese Entwicklung und setzen uns für einen umweltverträgli- chen, barrierefreien, erfolgreichen, aber auch effizienten Geschäftsreisetourismus ein. Der nationale Tagungs- und Kongressmarkt ist vor al- lem ein Markt in den großen Metropolen: Berlin, Mün- chen, Hamburg, Leipzig, Frankfurt seien an dieser Stelle nur beispielhaft genannt, alles Orte mit einer guten in- nerstädtischen Infrastruktur und Verkehrsanbindung. Hier funktioniert der Geschäftstourismus vor allem durch außergewöhnliche Veranstaltungsstätten und zu- sammen mit kulturellen Angeboten. Unser vielseitiges Kultur- und Naturgut bietet einen gewissen Mehrwert. Diesen Mehrwert gilt es zu erhalten und nicht durch Kürzungen von öffentlichen Mitteln zu vernichten. Lei- der vermisse ich diesen Aspekt gänzlich in Ihrem An- trag. Wir machen uns im Bereich des Geschäftsreisetouris- mus stark für regionale, nachhaltige und qualitativ hoch- wertige Angebote mit einer guten Kunden- und Service- orientierung. Eine Konzentration auf wenige Metropolen gilt es zu verhindern. Nur so kann auch zukünftig bran- chenübergreifend eine Vielzahl von Arbeitsplätzen in den ländlichen Räumen gesichert werden. Es gilt, verstärkt vor Ort und in den Regionen Netz- werke und Kooperationen zwischen Industrie und Tou- rismusverbänden zu bilden, um daraus neue Projekte für den Geschäftsreisetourismus zu entwickeln. Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Oldtimer von Fein- staub-Fahrverboten ausnehmen (Tagesord- nungspunkt 24) Dr. Andreas Scheuer (CDU/CSU): Seit der Erfin- dung des Motorwagens durch Karl Benz im Jahr 1886 gehört das Automobil zu unserem Leben, und in Deutschland haben wir aus dieser Innovation viel ge- macht. Ein Blick auf das erste Automobil und ein heuti- ges Modell zeigt: Es hat sich in der technischen Ent- wicklung viel getan. Oldtimer sind Zeitzeugen dieser Entwicklung sie haben den heutigen technischen Entwicklungsstand erst ermöglicht. Dies trifft in beson- derem Maße auch für die Standards der Automobilindus- trie zur Emissionsvermeidung zu. Sie sind Qualitäts- merkmal und Verkaufsargument für die heutigen Modelle – Modelle, die in 30 Jahren auch Oldtimer sein können. Die Geschichte des Automobils ist auch durch den Widerspruch von Begeisterung für Technik und Komfort und Nebenwirkungen gekennzeichnet. Emissionen bil- deten zu allen Zeiten Anlass für öffentliche Diskussio- nen und sind Gegenstand einer stetigen Verschärfung der Rahmenbedingungen. Neu ist die Qualität, mit der wir die Diskussion führen. Die Folgen für das Klima und die Gesundheit rücken in den Vordergrund der Verkehrspoli- tik. Wir debattieren über die Folgen von verkehrsbeding- ten Emissionen in unseren Verkehrszentren, den Städten. Jede Maßnahme, die hier begrenzend wirkt, wird unsere Zustimmung finden, wenn sie die Realitäten und Not- wendigkeiten anerkennt und geeignet ist, spürbare Ver- besserungen herbeizuführen. Hierüber besteht grund- sätzlich Einigkeit in der Politik und bei den Verbänden. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 12339 (A) (C) (B) (D) Mit der Umsetzung der EU-Richtlinie in nationales Recht wurde die Zuständigkeit der Umsetzung der Vor- gaben den Ländern zugewiesen. In welchem Umfang die Kennzeichnung zur Einführung von Umweltzonen führt, liegt im Ermessen der jeweiligen Kommune bzw. Lan- desbehörde. Dies gilt ebenso für die Erteilung genereller oder einzelner Ausnahmeregelungen. Übergangsfristen sind nicht vorgesehen. Feinstaubfahrverbote bedrohen Mittelständer, Busunternehmer, Anlieger, Wohnmobil- besitzer und eben auch Oldtimer. Wir Deutsche versu- chen wieder einmal unserem Ruf als „Saubermänner“ Europas gerecht zu werden: von Null auf Hundert in ei- nem Atemzug. Doch wie sieht das Ergebnis ein halbes Jahr nach un- serer ersten Debatte nach dem Inkrafttreten der Kenn- zeichnungsverordnung aus? In Deutschland werden der- zeit für 21 Städte Umweltzonen geplant. Andere Städte haben die Entscheidung zurückgestellt. Nicht ein einzi- ges feinstaubbedingtes Umweltfahrverbot wurde in die- sem Jahr ausgesprochen. Blüten trieben bei uns die Vorschläge für Ausnahme- regelungen von feinstaubbedingten Fahrverboten. Sie waren so vielgestaltig, wie unser Land nur sein kann. Verunsicherung bei den Bürgern, den Unternehmen und Verbänden war die Folge. Zahlreiche Anfragen haben mein Büro und die Büros meiner Kollegen hierzu er- reicht. Selbst die entscheidungsbegünstigten Länder und Kommunen waren in ihrem Gestaltungsrecht verunsi- chert. Von den Möglichkeiten einer Allgemeinverfügung machten die wenigsten Gebrauch. Auch hier wuchs der Wunsch nach bundesweit einheitlicher Ausgestaltung der Ausnahmen. Besonders den Berliner Oldtimerfahrern wird noch die Titelseite der „Berliner Morgenpost“ vom 21. März 2007 in Erinnerung sein. Der hier aufgeführte Katalog für Ausnahmen und Kosten von Umweltfahrverboten dürfte die unrühmliche Spitze in der Debatte darstellen. Mit umfangreichen Nachweispflichten für die technische Unmöglichkeit der Nachrüstung, Kostenpflichten für den Verwaltungsaufwand, Fahrtenbüchern und Kilome- terbegrenzungen waren diese Regelungsvorschläge des rot-roten Senats in Berlin an Bürgerfeindlichkeit und Bürokratie-Irrsinn kaum noch zu übertreffen. Eine bundesweit einheitliche Ausnahmeregelung ist im Vergleich zu den vielgestaltigen Vorschlägen für die Bürgerinnen und Bürger klar verständlich. Sie erfordert keine Zeit, keinen Papieraufwand, keine Verwaltungs- kosten, sie fördert im besten Fall die Tourismusbranche. Kurzum: Sie ist am Bürger und den tatsächlichen Gege- benheiten orientiert – sie ist vernünftig. Dieser Antrag sieht eine solche Lösung für Oldtimer vor. Die Diskussion zeigte wiederholt, dass wir bei Old- timern von unterschiedlichen Sachverhalten sprechen. An die Adresse meiner Kollegen gerichtet darf ich des- halb in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass der Begriff des Oldtimers eng gefasst ist. Es sind Fahr- zeuge in einem guten technischen und orginalgetreuen Erhaltungszustand, die älter als 30 Jahre sind. In Deutschland gibt es insgesamt 470 000 Fahrzeuge über 25 Jahre. 153 000 Fahrzeuge besitzen das H-Kennzei- chen. Oldtimer sind ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Rund 6 Milliarden werden auf diesem Gebiet jährlich in Deutschland umgesetzt. Die wiederholte Herabsetzung und Gleichsetzung der Fahrzeuge mit gewöhnlichen Altfahrzeugen seitens ein- zelner Vertreter des Bundesministeriums für Umwelt wie auch einzelner Kollegen wird weder diesem technischen Kulturgut noch dem privaten Engagement ihrer Halter gerecht. Sie geht schlicht am Thema vorbei. Für die Hal- ter und Fahrer sind Oldtimer nicht nur Liebhaberei, son- dern auch eine Verpflichtung aus Begeisterung und Inte- resse am technischen Kulturgut Automobil. Wir reden hier nicht von Prosecco-Gesellschaft oder Protzkisten, wie leider manche vorschnell und inkompetent urteilen. Tatsache ist: Die Fahrleistung eines Oldtimers beträgt im Durchschnitt jährlich weniger als 1 500 km, der Durch- schnittswert von Oldtimern in Deutschland liegt unter 15 000 Euro, und in diese Statistik sind die 300SL-Flü- geltürer genauso eingerechnet wie der VW Käfer oder der Fiat 500. Über 90 Prozent der Besitzer sind Ange- stellte. Wir haben uns in den Diskussionen mit unserem Koalitionspartner und in den parlamentarischen Beratun- gen deshalb aktiv für eine bürgernahe und sachgerechte bundesweit einheitliche Lösung eingesetzt. An dieser Stelle gilt mein besonderer Dank meinem Kollegen Jens Koppen. Seinem Engagement haben wir einen Antrags- entwurf zu verdanken, der in der Koalition zur Diskussion gestellt wurde. Über die darin geforderten bundesweit ein- heitlichen Ausnahmeregelungen für benzinbetriebene Fahrzeuge, Oldtimer, Anlieger und ortsansässige oder auftragsgebundene klein- und mittelständische Unter- nehmer sowie eine Übergangsfrist von fünf Jahren konnte mit den Kollegen von der SPD jedoch keine Eini- gung erzielt werden. Wir sind als CDU/CSU nach wie vor bereit, nicht nur für die Oldtimer dies bundeseinheit- lich zu regeln. Wir wollen Politik bürgerfreundlich und praxisnah gestalten. Ich begrüße daher ausdrücklich die Zustimmung der unionsgeführten Bundesländer im Bundesrat am 21. September 2007 zum Antrag Hessens, Oldtimer von den feinstaubbedingten Fahrverboten auszunehmen. Einer Symbolpolitik des Bundesministeriums für Um- welt auf dem Rücken der Halter, Fahrer und all jener, die Freude an Oldtimern haben, konnte erfolgreich eine Ab- sage erteilt werden. Bei einem Anteil von 0,07 Prozent am Verkehr ist der Effekt feinstaubbedingter Fahrver- bote fragwürdig. Wir sind deshalb froh über die Ent- scheidung des unionsdominierten Bundesrates und ge- hen fest davon aus, dass Bundesminister Gabriel sich an diesen Beschluss des Bundesrates hält. Deshalb ist die- ser FDP-Antrag überholt und der Sachverhalt geklärt. Ich möchte aber nicht verschweigen, dass ich mich trotz- dem über diese Initiative freue. Selbst das rot-rote Berlin kommt nunmehr zur Ver- nunft. Die linke Umweltsenatorin Lompscher hat in der „Berliner Morgenpost“ vom heutigen Donnerstag Män- gel der Regelung eingeräumt und Nachbesserungen an- gekündigt. Wenn auch spät, kommen vielleicht linke Politiker dann mal zur Vernunft, wenigstens punktuell. 12340 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) Mal sehen, was diese Ankündigung in der Realität be- deutet. Für die Oldtimer wurde eine bundeseinheitliche Re- gelung durch den Bundesrat jetzt erreicht, der Flecken- teppich in Deutschland wurde somit verhindert, der FDP-Antrag hier ist hinfällig. Wir sind froh darüber, dass wir in Deutschland einen Anschlag auf das automo- bile Kulturgut Oldtimer verhindert haben. Die Diskussion zu einem Sachverhalt aus der Praxis zeigt mir, wie Europa an der Realität vorbeigehen kann. Die zugrunde liegende EU-Richtlinie ist daher aus mei- ner Sicht völlig überzogen, praxis- und bürgerfern. Zu- dem widerspricht sie dem Prinzip der Subsidiarität. Be- reits jetzt sind weitere Untersuchungen und Grünbücher in der Schublade, mit denen die EU sich erneut in die kommunale Selbstverwaltung einmischen will. Hier müssen wir im Interesse unserer Bürgerinnen und Bür- ger wie auch der Wirtschaft aufpassen. Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD): Wir alle wollen und brauchen saubere Luft zum Leben. Damit die Luft in Europa sauberer wird und gesundheitsschädliche Fein- stäube reduziert werden, hat die EU das Instrument der Luftreinhaltepläne eingerichtet. Der Umweltausschuss des Europäischen Parlaments hat in dieser Woche schärfere Grenzwerte für Feinstaub be- schlossen. Die Kommission erwartet, dass durch die Ver- schärfung die Zahl der Todesfälle durch Luftverschmut- zung von jährlich 370 000 auf 230 000 sinken kann. Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat ent- schieden, dass die Anwohner stark befahrener Straßen die Kommunen verklagen dürfen, wenn die EU-Grenz- werte für Feinstaubbelastung überschritten werden. Denn seit 2005 dürfen in Deutschland die geltenden Grenzwerte für Feinstaub nur an 35 Tagen im Jahr über- schritten werden; viele deutsche Großstädte können das nicht gewährleisten. Die Kommunen sind aber in der Verantwortung, mit Aktionsplänen dieses Ziel zu errei- chen. Mit der Feinstaubverordnung können Kommunen Umweltzonen einrichten und Fahrzeugen mit zu hohem Schadstoffausstoß ein Fahrverbot für diese Zonen ertei- len. Grundsätzlich sind von diesen Fahrverboten ältere Fahrzeuge, zum Beispiel Autos mit altem Dieselmotor – EURO 1 und schlechter – und Benziner ohne Kataly- sator oder Kat-Fahrzeuge der ersten Generation, betrof- fen, es sei denn, sie werden mit einem Katalysator oder Rußfilter nachgerüstet. Oldtimer sind Autos, die älter als dreißig Jahre sind. Oldtimer können gewöhnlich nicht nachgerüstet werden. Der FDP-Antrag will deshalb eine bundesweite Aus- nahme für Oldtimer von den Feinstaubfahrverboten. Das Subsidiaritätsprinzip ist ein Grundprinzip der Eu- ropäischen Union. Es entspricht dem Subsidiaritätsprin- zip, dass Probleme, die auf untergeordneten Ebenen ge- regelt und gelöst werden können, auch dort geregelt werden sollen. Die Kommunen, die in der Verantwor- tung für die Einhaltung ihrer Luftreinhaltepläne stehen, können regionale Begebenheiten, landschaftliche Beson- derheiten und spezielle Probleme am besten beurteilen und die entsprechenden Konsequenzen ziehen. Unserer Meinung nach ist die Entscheidung, wer wann welche zusätzliche Ausnahmeerlaubnis erhält, bestens bei der jeweiligen Kommune aufgehoben. Ausnahmen – zum Beispiel für Oldtimer, damit das Brauchtum ausgeübt werden kann – können auf kommunaler Ebene hinrei- chend gut getroffen werden. Die Bundesländer haben in der Sitzung des Bundesra- tes am 21. September dem Antrag aus Hessen zuge- stimmt und eine generelle Ausnahme von Oldtimern be- schlossen. Ich gehe davon aus, dass die Bundesregierung den Wunsch der Länder berücksichtigen wird. Denn es ist dringlich, dass die Kennzeichnungsverordnung in Kraft treten kann und die Kommunen die Maßnahmen zur Luftreinhaltung umsetzen können. Wir haben in unserem Entschließungsantrag der Ko- alitionsfraktionen vorgeschlagen, die gefundene Rege- lung nach zwei Jahren zu evaluieren. Nach zwei Jahren werden wir uns erneut damit beschäftigen, ob die Kom- munen in dem von ihnen gewünschten Rahmen in der Lage waren, das Ziel einer sauberen Luft zu erreichen. Die Länder setzen damit die Maßstäbe und dürfen die gesundheitlichen Aspekte nicht vernachlässigen. Oldtimer sind auch für mich ein Kulturgut. Oldtimer gehören in unserem Automobilland zur Geschichte. Auch in Zukunft soll der Oldtimerfan sein Hobby pfle- gen und sein schönes Auto fahren dürfen. Die Frage ist, ob hochbelastete Städte bundesweite Ausnahmeregelun- gen brauchen oder ob es ausgereicht hätte, die vorhande- nen Möglichkeiten auf kommunaler Ebene auszuschöp- fen, um Oldtimertreffen, Autokorsos oder gelegentliche Fahrten in die Zentren zu ermöglichen. Unsere Intention war, diese Frage nicht von oben für alle Regionen zu ent- scheiden, sondern die entsprechende Wahlmöglichkeit vor Ort zu erhalten. Das Problem, das ich bei der bundesweiten Ausnah- meregelung für Oldtimer sehe, ist, dass eine Regel ein- geführt wird und mit ihr eine Fülle von Ausnahmen. Zwar gilt das deutsche Sprichwort: Keine Regel ohne Ausnahme. Ich gebe aber zu bedenken, dass mit jeder zugelassenen Ausnahme bei denjenigen, die nicht von der Regel befreit wurden, Gefühle von Unverständnis und Benachteiligung aufkommen. Es kommt die Frage auf: Wieso dürfen die und ich nicht? Zum Beispiel ist der Handwerker, der seinen 15 Jahre alten Firmenwagen nicht nachrüsten kann, gezwungen, ein neues Fahrzeug anzuschaffen. Er könnte sich aller- dings auch einen Oldtimer anschaffen und dürfte dann weiter in der Umweltzone ausliefern. Beides kann er sich vielleicht aber nicht leisten. Seine wirtschaftliche Existenz steht auf dem Spiel. Sicherlich gibt es viele Ar- gumente, die in einzelnen Fällen für eine Befreiung vom Fahrverbot sprechen können. Einzelentscheide und Här- tefallausnahmen wird es ja auch geben. Eine generelle Ausnahme für mittelständische Unternehmer gibt es aber nicht. Die Forderung nach Ausnahmen für Wirtschafts- verkehre wird aber von der Wirtschaft erhoben. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 12341 (A) (C) (B) (D) Es gibt viele Weiterentwicklungen des deutschen Sprichwortes mit der Regel und den Ausnahmen. Eine Variante lautet: Die Ausnahme belästigt die Regel, bis sie selber Regel ist. Es gibt noch andere Interessengrup- pen, die Ausnahmen von den Fahrverboten fordern, zum Beispiel die Wohnmobilfahrer. Die haben auch nachvoll- ziehbare Argumente dafür, dass sie nicht außerhalb der Umweltzone parken wollen. Die EU fordert Ausnahmen für Touristen, denn eine Urlaubsreise mit dem Auto durch unterschiedliche Umweltzonen bringt wenig Ver- gnügen. Eine Ausnahme folgt der Ausnahme folgt der Ausnahme, und der Sinn der Regel, nämlich der Gesund- heitsschutz, stellt sich hinten an. Individuelle und öffentliche Interessen sind gegenei- nander abzuwägen. Ich hoffe, dass die Länder in dem von ihnen gewünschten Rahmen, den öffentlichen Inter- essen der Luftreinhaltung und damit dem Schutz der Menschen vor krankmachenden Schadstoffen genügen werden. Dies werden wir nach zwei Jahren prüfen. Die gefährlich hohe Feinstaubbelastung in den Bal- lungsräumen einzudämmen, ist unser aller Interesse. Den Erfolg der Luftreinhalte- und Aktionspläne lässt sich an den Feinstaubwerten messen. Die Grenzwerte der EU sind der Maßstab unseres Handelns. Die Kom- munen müssen sich anstrengen. Im Mittelpunkt steht die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger. Patrick Döring (FDP): Ich bin mir sicher, die große Zahl der hier Anwesenden schätzt William Shakespeare außerordentlich. Da nehme ich mich nicht aus. Und wir erwarten sicherlich alle mit großer Spannung die Verfil- mung eines seiner vortrefflichsten Stücke, das in diesen Tagen in die deutschen Kinos kommt. Aber bei aller Liebe zu Shakespeares Komödien: Die jüngsten Auffüh- rungen von Viel Lärm um Nichts und Wie es euch gefällt, die ich in diesem Hohen Hause in den letzten Monaten erleben durfte, fand ich eher missraten. Auch das Drama, das die Koalition in der Diskussion um die Ausnahme von Oldtimern von den Feinstaub- Fahrverboten aufgeführt hat, bekommt zu Recht schlechte Kritiken. Die Autoren und Regisseure der Ko- alition haben an dem kleinen Dramolett zwar lange gear- beitet, aber das Ergebnis ist nicht sehr sehenswert. Aus gutem Grund wird der letzte Akt jetzt in der Nachtvor- stellung aufgeführt. Es ist verständlich, dass man diesem Stück eher keine Zuschauer wünscht. Monatelang wurde da diskutiert und unser Antrag mit der Bitte aufgeschoben, man brauche die Zeit, um eine vernünftige Lösung zu finden. Der Berg kreißte – und gebar einmal mehr eine Maus. Die von der Koalition vorgelegte Entschließung ist ein Zeugnis der Ohnmacht. Die Vernunft wurde offensichtlich wieder einmal dem Prinzip geopfert: Anstatt eine klare Entscheidung zu fäl- len, sollte die Diskussion für weitere zwei Jahre aufge- schoben werden, um dann die Auswirkungen der Ver- ordnung zu überprüfen. Für viele Betroffene wäre es dann freilich schon zu spät gewesen. Wir können daher von Glück sagen, dass im Bundes- rat die Länder mit vereinter Kraft diesen Unsinn verhin- dert haben und, in Übereinstimmung mit dem von uns hier vorgelegten Antrag, auf einer Ausnahme für die Oldtimer bestanden. Ich erwarte nun mit Spannung die Umsetzung durch die Regierung. Hier darf es keine Halbheiten geben. Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie hät- ten es einfacher haben können. Von Anfang an war klar, dass die Einbeziehung der Oldtimer in die Fahrverbote unverhältnismäßig sein würde. Hätten Sie Ihren Willen durchgesetzt, der Schaden wäre immens gewesen: Der- zeit sind in Deutschland 21 Fahrverbotszonen in Pla- nung – und nach dem Feinstauburteil des Bundesverwal- tungsgerichtes werden es sicherlich bald noch mehr sein. Sie hätten dieses großartige Hobby, durch das einzigar- tige Fahrzeuge und damit auch ein kulturelles Erbe be- wahrt werden, quasi unmöglich gemacht. Bei jeder Fahrt wäre von dem Fahrer verlangt worden, sich zu erkundi- gen, ob und wo Fahrverbote bestehen und sich gegebe- nenfalls eine Ausnahmegenehmigung zu besorgen. Auch hätte das Verbot schwere Folgen für Wirtschaft und Tourismus gehabt. Fahrverbote wären nicht nur das Ende für Oldtimer-Rundfahrten gewesen, sondern hätten auch eine Branche gefährdet, die europaweit jedes Jahr Milliarden Euro in den Bereichen Versicherungen, Fahr- zeughandel, Reparatur und Restaurierung von Oldtimern umsetzt. Es wäre ein Leichtes gewesen, all dies durch die An- nahme unseres Antrages gleich zu verhindern. Stattdes- sen brauchte es erst eine Entschließung des Bundesrates, um der Regulierungswut der schwarz-roten Bundesre- gierung Einhalt zu gebieten. Der Anteil der Oldtimer an den Feinstaubemissionen in Deutschland ist denkbar ge- ring. Nach einer Studie des Fraunhofer-Institutes ma- chen Pkw ohnehin nur insgesamt 4 Prozent des Feinstau- baufkommens aus. Und der Anteil der Oldtimer an der Zahl der Personenwagen liegt bei gerade einmal 0,4 Pro- zent. Noch geringer ist ihr Anteil an der jährlichen Stre- ckenleistung. Es ist daher geradezu lächerlich, die Ent- scheidung, ob Oldtimer ausgenommen werden sollen, zu einer Frage der Volksgesundheit zu machen. Man muss sich tatsächlich fragen, warum Teile der Koalition – vor allem aufseiten der Sozialdemokratie – so nachdrücklich darauf beharren, die Oldtimer aus un- seren Städten zu verbannen. Anstatt Ihre Energien darauf zu verschwenden, den Menschen das Leben schwer zu machen, sollten Sie sich besser um wirkliche Lösungen bemühen. Das Feinstaubproblem wird jedenfalls nicht gelöst, indem man ein paar Autoklassiker aus den Innenstädten verbannt. Letztlich braucht es ein Gesamtkonzept und auch überregionale Ansätze. Doch hier machen Sie es sich sehr einfach und lassen die Kommunen mit ihren Problemen im Regen stehen. Anstatt Oldtimer aus den Städten auszusperren, soll- ten Sie noch einmal über die Beschaffenheit der Grenz- werte nachdenken. Die Jahresgrenzwerte müssen schär- fer, die Tageswerte aber flexibler werden. Sonst werden wir weiterhin die paradoxe Situation haben, dass in eini- gen Kommunen mit einer permanent hohen Feinstaub- 12342 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) konzentration, die aber die Grenzwerte nur selten über- schreitet, nichts geschieht, während auf der anderen Seite Städte an den Pranger gestellt werden, die nur an wenigen Tagen im Jahr ein dann aber sehr hohes Fein- staubaufkommen haben. Das Europäische Parlament hat hier schon vorgedacht. Die Bundesregierung hat diese Initiative aber leider bisher abgelehnt. Ich empfehle Ih- nen dennoch gerne den Beschluss des europäischen Um- weltausschusses als Lektüre. Anstatt die Jagd auf Oldtimer zu eröffnen, sollten Sie endlich die 1. Bundesimmissionsschutz-Verordnung no- vellieren, um auch Grenzwerte für die Millionen kleiner Holzfeuerungsanlagen einzuführen. Denn diese stoßen insgesamt etwa genauso viel Feinstaub aus wie die Mo- toren von Lkw, Pkw und Motorrädern zusammen. Anstatt den Autoklassikern das Grab zu schaufeln, sollten Sie ein integriertes Konzept, zusammen mit Län- dern und Kommunen, aber auch den europäischen Nach- barn, entwickeln. Nur wenn wir die zahlreichen Fein- staubquellen in den Griff bekommen, können wir das Problem lösen. Nichts von alledem haben Sie bisher getan. Stattdes- sen erschöpft sich Ihre politische Arbeit in Aktionismus und Symbolpolitik. Den Schaden haben die Menschen in Deutschland, denen nicht effektiv geholfen wird – oder deren Interessen Sie für den öffentlichen Effekt opfern. Es ist wahrlich ein Trauerspiel, das die Koalition hier aufgeführt hat, und es wird leider wohl auch nicht das letzte sein, das Schwarz-Rot uns auf dieser Bühne dar- bieten wird. Es bleibt abzuwarten, wie Ihr Publikum dies goutiert. Im vorliegenden Fall können wir von Glück sa- gen, dass durch den Bundesrat das größte Unglück ver- hindert wurde. Ein gutes Licht auf die Politik dieser Re- gierung wirft dies freilich nicht. Lutz Heilmann (DIE LINKE): Der Bundestag debat- tiert heute zum zweiten Mal über Oldtimer. Es geht um die Frage, ob Oldtimer generell in Umweltzonen fahren dürfen oder nicht. Wohlgemerkt: Es geht nicht darum, Oldtimern die Teilnahme am gesamten Straßenverkehr zu verbieten. Genau diesen Eindruck vermitteln aber die Oldtimer-Lobby und ihr Sprachrohr, die FDP. Auch wird der Anschein erweckt, die spezialisierten Werkstätten stehen vor dem Ruin. Dem ist aber nicht so – und das will meines Wissens auch niemand, auch Die Linke nicht, obwohl der durch- schnittliche Oldtimer-Besitzer nicht gerade zu unserer klassischen Wählerschicht gehört. Dies weiß ich aus ei- genem Erleben, als Tankstellenkassierer bediente ich früher eine Reihe von Oldtimer-Fahrern. Ein Oldtimer ist eben nicht als Alltagsfahrzeug ge- dacht, sondern nur als zusätzliches „Liebhaber-Stück“ für gelegentliche Ausfahrten vorgesehen. Das muss man sich erst mal leisten können. Deshalb nährt die FDP mit ihrem Antrag den gelegentlich geäußerten Vorwurf, sie sei die Partei der Besserverdienenden. Mit diesem An- trag wird einseitige Klientelpolitik betrieben. Umwelt- und Gesundheitsschutz sind bei der FDP anscheinend nur Lippenbekenntnisse. Denn genau darum geht es – um den Gesundheits- schutz der Bevölkerung in den Innenstädten. Dafür wer- den nach Auskunft der Bundesregierung derzeit 21 Um- weltzonen vorbereitet. Dadurch wird die extrem gesundheitsgefährdende Feinstaubbelastung gesenkt. Der EU-Grenzwert wird in vielen Städten, insbesondere an Hauptverkehrsstraßen, sehr häufig – zu häufig – über- schritten. Auch für das hochgiftige Stickstoffdioxid gilt ab 2010 ein strenger Grenzwert, der bislang vielerorts überschritten wird. Mit Umweltzonen werden also nicht Oldtimerfahrer schikaniert, sondern die Bevölkerung in den Innenstäd- ten vor Gesundheitsgefahren geschützt. Oldtimer sind dabei nicht vernachlässigbar, sondern eine nicht uner- hebliche Quelle von Luftverschmutzung. Obwohl sie nur 0,4 Prozent an der gesamten Pkw-Flotte Deutschlands ausmachen, sind Oldtimer für 3 Prozent der Stickoxid- emissionen verantwortlich. Ihr Schadstoffausstoß liegt um bis zum 60-Fachen über einem Neuwagen. Deswegen gibt es für Oldtimer keine generelle Be- freiung – und das ist auch gut so! Es ist aber nun nicht so, dass Oldtimer gar nicht in den Umweltzonen fahren dürfen. Denn die Kommunen können und sollen selber entscheiden, inwieweit sie Old- timern und anderen Betroffenen – dazu gleich mehr – Ausnahmen erteilen. Berlin als Vorbild und Vorreiter wird als erste Kom- mune ab dem 1. Januar 2008 eine Umweltzone einrich- ten. Stuttgart und andere Städte Baden-Württembergs wollten ursprünglich früher loslegen, mussten ihren Starttermin aber immer wieder verschieben. Man könnte einen gängigen Werbeslogan deshalb etwas abwandeln in „Baden-Württemberg – wir können alles außer Um- weltzone“. Vielleicht haben sie aber nur auf die Bestimmungen Berlins gewartet, um sie zu übernehmen? Berlin jeden- falls hat eine großzügige Regelung für Oldtimer geschaf- fen. Klar können sie weiter für Hochzeitsfahrten oder Ähnliches genutzt werden. Klar erhalten auch private Oldtimer eine unbefristete Ausnahmegenehmigung. Da- mit dürfen sie pro Jahr 700 Kilometer in der Umwelt- zone fahren. Diese erstreckt sich nun nicht auf ganz Berlin, son- dern nur auf den S-Bahn-Ring. Wenn man da einmal rein- oder durchfährt, sind das fünf bis zehn Kilometer. Oldtimer können also weiterhin gelegentlich über die „Linden“ fahren und ihre Werkstätten besuchen. Und Oldtimerbesitzer, die in der Umweltzone wohnen, müs- sen ihren Wagen weder verkaufen noch außerhalb der Umweltzone parken. Deswegen frage ich mich: Warum diskutieren wir ausgerechnet über Oldtimer in Umweltzonen? Kritisch ist nicht der Freizeitverkehr mit Oldtimern. Die wirklich problematischen Fälle sind Arbeitnehmerinnen und Ar- beitnehmer, die aufs eigene Auto angewiesen sind. Er- freulicherweise hat sich durch die nachträgliche Rege- lung für G-Kats der Kreis der Betroffen erheblich reduziert. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 12343 (A) (C) (B) (D) Auch der Wirtschaftsverkehr, dessen Lkw und Trans- porter oft veraltet sind, ist ein Problem. In beiden Fällen hat Berlin ebenfalls sinnvolle Ausnahmeregelungen ge- schaffen. Klar ist aber auch, dass nicht allen eine Aus- nahme erteilt werden kann. Dann könnte man die Um- weltzone gleich sein lassen. In der Bundesregierung und insbesondere beim klei- neren Koalitionspartner wird ja viel über „fordern und fördern“ gestritten. Ich würde mir wünschen, dass die Bundesregierung auch im Gesundheitsschutz dem För- dern mehr Gewicht gegeben hätte. Denn wenn man Menschen zu Einschränkungen zwingt – Fahrverbote sind in der Tat eine Einschränkung –, dann sollte man ih- nen auch Alternativen anbieten. Da der Gesundheitsschutz eine öffentliche Aufgabe ist, sollte er nicht nur denjenigen angelastet werden, die alte Fahrzeuge haben. Nein, die Bundesregierung ist gegenüber der EU für die Einhaltung der Grenzwerte mitverantwortlich. Deshalb hätte sie die steuerliche För- derung der Umrüstung von Fahrzeugen mit Dieselrußfil- tern deutlich großzügiger gestalten müssen. Die sehr ent- täuschenden Zahlen bislang erfolgter Umrüstungen belegen, dass 330 Euro viel zu wenig sind. Auch für den Wirtschaftsverkehr sollten Förderpro- gramme – so weit möglich zur Nachrüstung, ansonsten zur Flottenerneuerung – aufgelegt werden. Der Schutz der Gesundheit der Menschen geht alle an, nicht nur Einzelne! Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir haben über den Antrag der FDP ja schon einmal An- fang März 2007 debattiert. Ich habe damals – wie andere meiner Kolleginnen und Kollegen – eine Kennzeich- nungsverordnung begrüßt, die am 1. März 2007 in Kraft getreten war, heute aber schon wieder der Vergangenheit angehört. Was war geschehen? Es hatte handwerkliche Fehler gegeben, zu spät war aufgefallen, dass ein nicht unerheb- licher Teil von Fahrzeugen mit älteren Kats – nach US- Norm – ohne Plakette bleiben würde und so nicht in der Umweltzone fahren dürfe. Fahrzeuge mit Katalysatoren der ersten Generation – G-Kat, Kats nach US-Norm – haben jedoch keine schlechteren Abgaswerte als Euro-1- Fahrzeuge, die nach der ersten Version der Verordnung die grüne Plakette erhalten. Schon Anfang März hatte die Bundesregierung angekündigt, dies zu korrigieren. Bundesumweltminister Gabriel hat am 4. Juli 2007 eine entsprechende Änderung der Plakettenverordnung ins Kabinett eingebracht. Die FDP hat mit ihrem Antrag für die Oldtimer eine generelle Ausnahmeregelung von den Fahrbeschränkun- gen gefordert. So sollten alle Oldtimer mit H-Kennzei- chen sowie möglichst auch jene mit dem „roten 07er- Kennzeichen“ pauschal von der Verordnung ausgenom- men werden. Wir haben dieses Anliegen in der ersten Lesung abgelehnt. Denn es ist sachlich und mit Blick auf eine vorsorgende Luftreinhaltung nicht einzusehen, dass alten Diesel-Oldtimern erlaubt sein soll, ein Mehrfaches an Feinstaub auszustoßen als andere Fahrzeuge. Aus der Beschlussempfehlung – 16/6327 – des Verkehrsauschus- ses lässt sich entnehmen, dass auch die Mehrheit der Ab- geordneten einen Freifahrtschein für Oldtimer ablehnt. Das ist auch richtig so. Vor dem Hintergrund der Entscheidung des Bundes- verwaltungsgerichtes in Leipzig sind Kommunen drin- gend aufgefordert, die Belastung der Bevölkerung mit Feinstaub wirksam einzudämmen. Das Feinstauburteil von Leipzig erinnert die Städte und Gemeinden nicht nur an ihre Verantwortung, sondern es zieht sie zur Verant- wortung. Das Bundesverwaltungsgericht hat am 27. Sep- tember 2007 höchstrichterlich entschieden, dass Anwoh- ner von besonders mit Feinstaub belasteten Straßen ihr Recht auf saubere Atemluft gerichtlich durchsetzen kön- nen. Kommunen könnten sich nicht auf das Fehlen eines Aktionsplans zur Luftreinhaltung berufen, entschieden die Richter. Sie müssen vielmehr dafür sorgen, dass ein wirksames Aktionsprogramm auch realisiert wird. Denn schon 2002 wurde mit den rot-grünen Vorgaben im Bundes-Immissionsschutzgesetz und der dazugehöri- gen Verordnung den Kommunen eine Vielzahl von Instrumenten zur Verfügung gestellt, mit denen sie ge- gen die Emissionsquellen vorgehen können. Auch die Ermächtigungsgrundlagen für Verkehrsverbote oder -be- schränkungen stammen aus dem Regelwerk von 2002. Bis dahin waren Verkehrsbeschränkungen wegen Luft- verunreinigungen stets nur symbolische Politik. Wir Grünen haben diese falsche Praxis beendet. Wir haben damals im Bundes-Immissionsschutzgesetz zwei neue Ermächtigungsgrundlagen für Verkehrsbeschrän- kungen wegen Luftverunreinigungen geschaffen – § 40 Abs. 1 und Abs. 2 BimSchG. Damit wurden Kommunen zu Verkehrsverboten und -beschränkungen ermächtigt, die in Luftreinhalte- oder Aktionsplänen vorgesehen sind und ihnen wurde gestattet, unabhängig von den planerischen Instrumenten Verkehrsbeschränkungen und -verbote zu erlassen, wenn der Verkehr zur Überschreitung von Im- missionswerten beiträgt. Die Planung der Umweltzonen ist ein wesentliches Instrument der Kommunen, die Grenzwertüberschrei- tungen in den Griff zu bekommen. Symbolische Politik ist es aus unserer Sicht jedoch, Umweltzonen mit Fahr- beschränkungen anzukündigen und einzurichten und zu- gleich so viele Ausnahmetatbestände zu schaffen, dass die Idee der Umweltzone wieder ad absurdum geführt wird. Im Jahr 2002 hatten Bundestag und Bundesrat der 22. BImSchV zugestimmt. Doch schon mit Näherrücken des Termins und erst recht aufgrund der Feinstaubmes- sungen vor 2005 änderte sich die Haltung in vielen Län- dern und Kommunen. Es war schnell klar: Viele Bal- lungsräume würden die Grenzwerte reißen. Doch statt sich um wirksame Maßnahmen zu kümmern, forderten einzelne Länder nun eine Revision der EU-Vorgaben. Ziel: Grenzwerte, die man nicht einhalten kann, müssen eben angehoben werden. Es soll hier nicht ungesagt blei- ben, dass viele Länder und Kommunen rechtzeitig Luft- reinhaltepläne und Aktionspläne auf den Weg gebracht haben. 12344 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) Was die Umweltzonen und Oldtimer angeht, so hat uns doch Herr Koch aus Hessen überrascht: Er hat sein Herz für das Kulturgut Oldtimer entdeckt und flugs im September 2007 im Bundesrat den Antrag gestellt, die Oldtimer in den Ausnahmekatalog der Verordnung auf- zunehmen. Das Land Hessen war mit seinem Ände- rungsantrag zur Kennzeichnungsverordnung erfolgreich, und der Bundesrat stimmt der Verordnung mit dieser Än- derung zu. Mit dem Nachbessern an der Verordnung wa- ren die Oldtimer-Lobbyisten auf den Plan getreten und haben offenbar ganze Arbeit geleistet. Jetzt stellt sich die Frage, ob die Bundesregierung respektive der Umwelt- minister diese Bundesratsentscheidung hinnimmt oder daran die ganze Verordnung scheitern lässt und wieder auf Anfang geht. Dies würde natürlich bedeuten, dass damit die Rechtsgrundlage für die Umweltzonen ab 2008 infrage steht. Eine weitere Verzögerung können sich Bund und Länder im Kampf gegen den Feinstaub jedoch nicht leisten. Wir waren dafür, pragmatische Regelungen für Old- timer-Veranstaltungen in Städten zu finden, und ange- sichts der überschaubaren Zahl von Oldtimer waren wir für begrenzte Sondergenehmigungen, aber eine generelle Ausnahme halten wir auch nach der Bundesratsentschei- dung nicht für sachgerecht. Schließlich ruft dies auch an- dere Betroffeneninteressen für weitere Ausnahmetatbe- stände auf den Plan. Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Wohngeldrechts und zur Änderung anderer wohnungsrechtlicher Vor- schriften (Zusatztagesordnungspunkt 10) Gero Storjohann (CDU/CSU): Seit 40 Jahren wer- den durch das Wohngeld die Wohnkosten einkommens- schwacher Mieter und selbst nutzender Eigentümer be- zuschusst. Diese Leistung unseres Sozialstaates hat sich bewährt und ist für sozial schwache Bürger unverzicht- bar. Die Wohngeldberichte der Bundesregierung belegen das ein ums andere Mal. Der Wohngeldbericht der Bundesregierung aus 2002 hat erhebliche Vollzugsprobleme bei der Bewilligung von Wohngeldleistungen offenbart. Lange Bearbeitungs- zeiten und komplizierte Berechnungsverfahren wurden von den Betroffenen beklagt, sowohl auf der Seite der Wohngeldempfänger als auch aufseiten der Mitarbeiter der Bewilligungsstellen. Dies bildete den Rahmen für die Koalitionsvereinba- rung zwischen CDU/CSU und SPD in Bezug auf die Weiterentwicklung des Wohngeldgesetzes. Daher zitiere ich den Text an dieser Stelle ausdrücklich: „Das Wohn- geld wird weiterhin der sozialen Absicherung des Woh- nens dienen. Wohngeld ist eine Fürsorgeleistung. Bund und Länder werden das Wohngeldrecht zügig mit dem Ziel einer deutlichen Vereinfachung überprüfen“. So steht es im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD. Mit dem heutigen Entwurf eines Gesetzes zur Neu- regelung des Wohngeldrechts und zur Änderung anderer wohnungsrechtlicher Vorschriften setzt die Große Koali- tion dieses Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag um. Es ist jedoch ein weiterer Aspekt hinzugetreten: Von der Hartz-IV-Gesetzgebung wurde auch das Wohngeld umfassend betroffen. So wurden Transferleistungsemp- fänger durch dieses Gesetz, vom Wohngeld ausgeschlos- sen. Damit wurde deutlich gemacht, dass es sich hierbei um zwei eigenständige soziale Sicherungsinstrumente handelt. Real wurde das Wohngeld auf einen Kernbe- reich von Leistungsempfängern zurückgeführt. Dieser Kernbereich umfasst im Wesentlichen Menschen mit niedrigem Arbeitseinkommen bzw. mit niedriger Rente. Durch die Vollkostenübernahme für das Wohnen bei ALG-II-Empfängern im Rahmen der Grundsicherung ist ein großer Teil der Wohngeldempfänger entfallen. Zwischenzeitlich sind Schnittstellenprobleme zwi- schen den Leistungssystemen identifiziert und auch An- zeichen für Fehlanreize aufgetreten. So haben sich zum Beispiel Vollzugsschwierigkeiten zwischen Wohngeld- stellen und den für die Grundsicherung für Arbeit- suchende zuständigen Stellen bei der Gewährung von SGB-Il-Leistungen und Wohngeld aufgetan. Ziel des vorliegenden Gesetzentwurfs ist es daher, den Verwaltungsaufwand im Vollzug zu vermindern und Schnittstellen mit den Transferleistungsgesetzen zu ver- einfachen. Darüber hinaus sollen die Wohngeldmittel noch effizienter verwendet werden. Weiteres Ziel des von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwur- fes ist es, die Normen sowohl für Antragsteller als auch für die Bearbeiter einfacher und besser verständlich zu machen. Dem setzt das komplizierte deutsche Steuer- recht jedoch natürliche Grenzen. Die Große Koalition leistet mit diesem Gesetzentwurf auch einen Beitrag zum Bürokratieabbau in Deutschland; er ist sicher nicht ent- scheidend, aber ein weiterer Baustein unser Ziele bei diesem Thema. Was sieht das Gesetz im Einzelnen vor? Lassen Sie mich die wichtigsten Neuerungen kurz darstellen. Durch das Gesetz wird der wohngeldrechtliche Haus- haltsbegriff fortentwickelt. Alle Mitglieder einer Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft werden fortan in diesen nach dem Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen einbe- zogen werden. Dadurch entfällt die für die Verwaltung äußerst kompliziert durchzuführende Vergleichsberech- nung. Auch wird dadurch die bisherige Regelung der vo- rübergehenden Abwesenheit hinfällig. Die Arbeit der Verwaltung bei Berechnung des jeweiligen Wohngeldan- spruchs wird damit erheblich erleichtert. Des Weiteren wird durch den Gesetzentwurf die für die Höhe des Wohngeldes maßgebliche Differenzierung in vier Baualterklassen wegfallen. Auch hier musste die Verwaltung in der Vergangenheit immer umständliche Berechnungen anstellen. Dies wird durch das neue Ge- setz jetzt bereinigt. Erhebliche Verbesserungen bringt der Gesetzentwurf auch für die Bezieher von Wohngeld. So haben wir die Rückforderung des Wohngeldes von den Erben erheb- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 12345 (A) (C) (B) (D) lich erleichtert. Ferner werden durch das Gesetz die ge- samtschuldnerische Haftung aller Haushaltsmitglieder und die Erweiterung der Aufrechnungs- und Verrech- nungsmöglichkeiten bei überzahltem Wohngeld einge- führt. Der Bundesrat hat mit seiner Stellungnahme eine Vielzahl von Anregungen gegeben, bei denen die Bun- desregierung bereits eine Zustimmung oder entspre- chende Anpassung im parlamentarischen Verfahren empfiehlt. Auch wir werden die vom Bundesrat aufge- worfenen Fragen eingehend prüfen. Uns ist klar, dass zum wichtigen Punkt der Beibehaltung der sachfremd im Wohngeldgesetz verankerten Ausgleichsregelung für grundsicherungsbedingte Mehrkosten die Wünsche von Bundesrat und der Vorschlag der Bundesregierung noch nicht zusammenpassen. Deshalb müssen wir wohl den inhaltlichen Zusammenhang zum parallel zu beratenden Entwurf eines Zweiten SGB-XII-Änderungsgesetzes be- rücksichtigen. Ich sehe der Ausschussberatung mit Interesse entge- gen und wünsche mir, dass Wohngeld auch in Zukunft ein wirksames Instrument des verantwortungsvollen So- zialstaates bleibt. Sören Bartol (SPD): Die zeitnahe Überarbeitung des Wohngeldgesetzes mit dem Ziel einer deutlichen Verein- fachung hatten CDU/CSU und SPD im Koalitionsver- trag festgelegt; dieses Vorhaben wird mit dem vorliegen- den Gesetzentwurf umgesetzt. Dieser Gesetzentwurf ist ein dringend notwendiger Schritt zur Entbürokratisierung, der Verwaltungsauf- wand vermindert, Schnittstellen mit Transferleistungsge- setzen des SGB II vereinfacht, Wohngeldmittel noch ef- fizienter verwendet und Regelungen für Bürgerinnen und Bürger verständlicher gestaltet. Es ist ein wichtiger Gesetzentwurf, auch weil er zugleich eine Aktualisie- rung diverser Bereiche und Begrifflichkeiten an eine veränderte gesellschaftspolitische Realität vornimmt. Dazu zählen unter anderem die Fortentwicklung des wohngeldrechtlichen Haushaltsbegriffs, die Einführung der gesamtschuldnerischen Haftung aller Haushaltsmit- glieder sowie die Erweiterung der Aufrechnungsmög- lichkeit bei überzahltem Wohngeld und des Datenab- gleichs. Vorgesehen ist außerdem der Wegfall der für die Höhe des Wohngeldes maßgeblichen Differenzierung in vier Baualtersklassen, den ich entgegen der Auffassung des Bundesrats ausdrücklich begrüße. Zum einen vereinfacht dies das Verwaltungsproze- dere, zum ändern trägt man damit der Entwicklung Rechnung, dass der Wert vieler Altbauten in den letzten Jahren durch Renovierungen und Sanierungen erheblich gestiegen ist. Bislang wurde in den Berechnungen allein auf das Baujahr abgestellt. Im vorliegenden Gesetzent- wurf – § 12 WoGG-E – sind die Höchstbeträge nun der bisherigen Bauklasse IV aus der Tabelle des geltenden § 8 WoGG entnommen: Eine Leistungsverbesserung, die ich – auch vor dem Hintergrund des Wohn- und Mieten- berichts 2006 der Bundesregierung – für richtig halte. Für weit genug gehend halte ich sie nicht. Man muss an dieser Stelle klar sagen: Der Weisheit letzter Schluss kann der Gesetzentwurf in der vorliegenden Form nicht sein. Zwar dient die Neuformulierung des Wohngeldgeset- zes in erster Linie der Verwaltungsvereinfachung, und diesem Anspruch wird sie in der Tat gerecht; den seit 2002 zu konstatierenden eklatanten Preisanstieg im Be- reich der Nebenkosten aber lässt sie außer Betracht. Mittel- und langfristig haben wir mit dem CO2-Ge- bäudesanierungsprogramm eine adäquate und nachhal- tige Antwort auf steigende Energiekosten gefunden. Durch die energetische Sanierung von Wohnungen und Häusern werden die Belastungen von Mietern und Ei- genheimbesitzern erheblich reduziert. Um etwa 40 Pro- zent konnte der Heizenergieverbrauch je Quadratmeter Wohnfläche in den letzten 20 Jahren mit entsprechenden Maßnahmen bereits gesenkt und der CO2-Ausstoß ver- ringert werden. Deshalb hatten wir das CO2-Gebäudesa- nierungsprogramm für 2006 um 350 Millionen Euro auf 1,5 Milliarden Euro aufgestockt. Allein in diesem Jahr konnten mit dem Programm 265 000 Wohnungen und Gebäude saniert und 900 000 Tonnen Kohlendioxid ver- mieden werden. Durch erneuerte Fassaden und Fenster, eine verbesserte Wärmedämmung und modernisierte Heizungen lassen sich bis zu 25 Prozent Energie sparen. So können die finanziellen Belastungen der Haushalte erheblich gesenkt werden. Energieeffizienz wird künftig auch bei der Woh- nungsauswahl ein zentrales Kriterium sein: Ab 2008 wird der Energieausweis zu einem wichtigen Instrument für Mieterinnen und Mieter, das zu Transparenz und län- gerfristig zu weiteren Gebäudesanierungen führen wird. Aber natürlich benötigt die Sanierung unseres kom- pletten Gebäudebestandes Zeit; denn längst nicht alle Wohngeldempfänger wohnen in energetisch sanierten Häusern. Vor dem Hintergrund von Preissteigerungen in Höhe von 30 Prozent bei Heizung und Warmwasser im Vergleich zu 2002 sollte daher auch eine Weiterentwick- lung des Wohngeldes Gegenstand der parlamentarischen Beratungen sein. Hierbei sollte es auch darum gehen, mögliche Instru- mente zur Schließung der Gerechtigkeitslücke zwischen den Unterkunftskosten nach § 22 SGB II und dem Wohngeld zu prüfen. Denn es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die jetzige Gesetzeslage wohngeldberech- tigte Haushalte gegenüber Empfängern von ALG II, bei denen eine Vollbruttokostenerstattung der Miete inklu- sive der Nebenkosten erfolgt, benachteiligt. Wenn also das Wohngeld seiner Intention, einkom- mensschwache Haushalte, die ihren Lebensunterhalt aus eigener Hand bestreiten, angesichts der Mietbelastung jedoch an ihre finanziellen Grenzen stoßen, vor einer Überforderung zu schützen, auch in Zukunft gerecht werden will, sollten wir nicht nur über eine Anpassung der Miethöchstbeträge an die aktuellen Entwicklungen des Wohnungsmarktes und entsprechende Änderungen der Wohngeldleistungstabellen diskutieren. Angesichts der immens gestiegenen Nebenkosten wäre hier eine Regelung in Betracht zu ziehen, bei der 12346 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) auch warme Nebenkosten zu den zuschussfähigen Wohnkosten zählen können. Dabei muss es um eine nicht nur sozial-, sondern ebenfalls energiepolitisch sinnvolle Lösung gehen. In welchem Rahmen dies konkret erfolgen könnte, ist noch zu eruieren. Möglich wäre etwa die Festschreibung von Höchstgrenzen nach einem vom Energiebedarf aus- gehenden Berechnungssystem. Wir brauchen ein starkes, der veränderten Entwick- lung angepasstes Wohngeld, wenn es auch in Zukunft ein funktionierendes Element unserer Wohnungspolitik sein soll, das einkommensschwachen Haushalten ein angemessenes und familiengerechtes Wohnen ermög- licht. Das gilt umso mehr, wenn wir Menschen aus dem ALG-Il-Bezug herausholen wollen. Joachim Günther (Plauen) (FDP): Der heute in ers- ter Lesung zu behandelnde Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Wohngeldes war zwischen den Regie- rungsparteien im Koalitionsvertrag vereinbart und somit keine größere Überraschung. Allerdings überrascht der Inhalt schon; denn die Koalitionsparteien hatten sich in diesem Zusammenhang nicht nur darauf verständigt, das Wohngeldgesetz zu entschlacken und zu vereinfachen, sondern es sollte auch – so hatte ich es jedenfalls ver- standen – durch die materielle Verbesserung des Wohn- geldes auf die in den letzten Jahren erheblich gestiege- nen Wohnkostensteigerungen, insbesondere durch die extrem gestiegenen Energiekosten, reagiert werden. Ich will die Kostensteigerungen seit 2001 noch einmal nen- nen, damit klar ist, dass es hier nicht um Bagatellbeträge geht: Die Kosten für Strom sind um 23,8, für Gas um 30,3 und für Öl um 53,3 Prozent gestiegen. Das führt im Extremfall dazu, dass die Betriebskosten die Kaltmiete weit übersteigen und das Wohngeld damit seine Wirkung komplett verfehlt. Es ist also einerseits zu loben, dass mit dem Entwurf Erleichterungen und Vereinfachungen geschaffen wur- den, zum Beispiel durch den Wegfall der für die Höhe des Wohngeldes maßgeblichen Differenzierung in vier Baualtersklassen oder durch die Klarstellung wohnungs- rechtlicher Begriffe sowie der Abgrenzung zu Transfer- leistungen für ALG-II-Empfänger. Andererseits wird aber die tatsächliche Mietkostenentwicklung nicht be- rücksichtigt. Das entspricht nicht dem eigentlichen An- liegen des Wohngeldes. Der Koalitionsvertrag beschreibt dieses Anliegen, indem er besagt, dass das Wohngeld der sozialen Absicherung des Wohnens diene. Ich teile diese Auffassung, finde im Entwurf aber keine entsprechende Umsetzung. Die Bundesregierung hat zwar im Wohn- geld- und Mietenbericht 2006 sowie in einer Antwort auf Fragen der Fraktionen der FDP, der Grünen und der Lin- ken durchaus richtig erkannt, dass die Belastungen für Geringverdiener mit einem Wohngeldanspruch insbe- sondere durch die warmen Betriebskosten extrem gestie- gen sind. Sie hat diese Erkenntnisse aber nicht in erfor- derlichem Maße in den hier vorliegenden Entwurf einfließen lassen. Zum Beispiel macht allein der Wegfall der Baualtersklassen eine Anhebung der Höchstbeträge nicht entbehrlich. Aus meiner Sicht ist es nicht hinnehmbar, dass Bezie- her von Arbeitslosengeld II Unterkunftskosten und Heiz- kosten fast vollständig vom Staat ersetzt bekommen, während Bezieher von Wohngeld nur einen Zuschuss zur Grundmiete und zu den kalten Betriebskosten erhalten. Da insbesondere die hohen Energiekosten bei den Be- triebskosten zu Buche schlagen, ergibt sich hier klar eine Gerechtigkeitslücke. Über dieses Thema wird in den fol- genden Debatten sicherlich noch zu reden sein. Heidrun Bluhm (DIE LINKE): Kommen wir gleich auf den Punkt: Seit dem 1. Januar 2001 ist das Wohngeld nicht mehr erhöht worden. Seit 2001 sind die Mieten ohne Nebenkosten um 6,5 Prozent gestiegen. Die Ge- bühren für Wasser, Abwasser und Müll sind in diesem Zeitraum um über 10 Prozent, die Kosten für Strom um 23,8 Prozent, für Gas um 30,3 Prozent und für Öl um 53,3 Prozent gestiegen. Für diese Preissteigerungen gibt es bis heute keinen Ausgleich und keinen Zuschlag zum Wohngeld. Die Heizkosten werden überhaupt nicht be- rücksichtigt. Der von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwurf zur Neuregelung des Wohngeldgesetzes ist keine Wohngeldreform, die diesen Namen wirklich verdient. Die Grundsatzfrage nach der längst überfälli- gen Erhöhung des staatlichen Zuschusses zum Wohnen wird vollständig ausgeklammert. Die Bundesregierung muss ihre Zusagen aus dem Koalitionsvertrag ernst neh- men und ihren Feststellungen aus dem soeben veröffent- lichten Wohngeld- und Mietenbericht 2006 Taten folgen lassen. Heute müssen knapp 60 Prozent aller Wohngeld- bezieher tatsächlich eine höhere Miete zahlen, als bei der Wohngeldberechnung zugrunde gelegt wird. Hier wird nicht auf die tatsächlich gezahlte Miete abgestellt, son- dern es gelten Höchstbeträge, je nach Wohnungsstan- dard, Baujahr und Wohnort, die im Wohngeldgesetz festgelegt sind. Der Wegfall der Differenzierung der vier Baualtersklassen bringt für Wohngeldempfänger insbe- sondere in Altbauwohnungen einen spürbaren Vorteil. Dagegen ist der Versuch, wohnungsbezogene Leistun- gen aufeinander abzustimmen, beim besten Willen nicht erkennbar. Im Gegensatz zu Haushalten, die Anspruch auf ALG II haben, bleiben bei Wohngeldempfängern die Heizkosten völlig unberücksichtigt. Auch der jetzt vor- gelegte Gesetzentwurf macht keinen Versuch, diese Ge- rechtigkeitslücke zu schließen. Seit Einführung der Hartz-Gesetze sank nach Anga- ben des Städtetages die Zahl der Wohngeldbezieher von 2,3 Millionen um zwei Drittel auf rund 680 000 Men- schen. Die Zahl der Geringverdiener, die als sogenannte „Aufstocker“ Unterkunftskosten erhalten, stieg dagegen zwischen September 2005 und März 2007 um 20 Pro- zent auf inzwischen 1,15 Millionen. Damit Niedrigein- kommensbezieher/innen nicht zu Bedürftigen nach dem SGB II werden, fordern wir eine deutliche Erhöhung des Wohngeldes um mindestens 15 Prozent sowie die Anhe- bung der Einkommensgrenzen für Wohngeldbezieher/in- nen. Außerdem müssen Heizkosten und Warmwasser endlich im Wohngeld berücksichtigt werden. Hierzu befindet sich bereits ein Antrag meiner Fraktion im par- lamentarischen Verfahren. Die Fortentwicklung des wohngeldrechtlichen Haushaltsbegriffs ist durchaus zu Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 12347 (A) (C) (B) (D) begrüßen, da so auch andere Haushaltsmitglieder als Fa- milienangehörige in den Genuss von Wohngeld kommen und veränderten Lebensformen Rechnung getragen wird. Allerdings führt die vorgeschlagene Formulierung auch nach Einschätzung des Bundesrates zu einer Schlechterstellung von Behinderten, die in einer Wohn- gemeinschaft leben, gegenüber Behinderten als Be- wohner von Alten- und Pflegeheimen. Für Wohn- gemeinschaftsmitglieder und Verwaltung wird hoher zusätzlicher organisatorischer Aufwand durch notwen- dige wiederholte Antragsstellungen wegen Änderung des Gesamteinkommens bei Tod oder Auszug eines Hausgemeinschaftsmitgliedes verursacht. Auch die hier- mit verbundene gesamtschuldnerische Haftung aller Haushaltsmitglieder bei Wohngemeinschaften ist skep- tisch zu sehen. Zukünftig soll nur eine Person der Wohngemeinschaft Wohngeld für die Gruppe in Anspruch nehmen können, sofern sich die Gruppe gemeinsam versorgt. Nach § 4 des Wohngeldgesetzentwurfs würde sich das Wohngeld allerdings nach dem Gesamteinkommen aller Mitglieder der Wohngemeinschaft richten, und bei der Berechnung des Wohngeldes wären sämtliche Haushaltsmitglieder zu berücksichtigen. Dadurch wären dann bei einer Erstat- tung von Wohngeld neben der wohngeldberechtigten Person auch die anderen Haushaltsmitglieder als Ge- samtschuldner haftbar zu machen. Die Tragweite der er- weiterten Rücküberweisung und Erstattung im Todesfall kann auf die Schnelle nicht abgeschätzt werden. Hier ist Sorge zu tragen, dass die überlebenden Haushaltsmit- glieder nicht in eine finanziell prekäre Situation geraten. Aus Sicht meiner Fraktion verbleiben zu viele Kritik- punkte und Änderungsbedarfe, als dass dieser Gesetz- entwurf still und leise, bei Nacht und Nebel, durch das Parlament gehen könnte. Daher wird in der Fraktion Die Linke die Ansetzung einer Anhörung zum Wohn- geldrecht prüfen und setzt dabei auf breite parlamentari- sche Unterstützung. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Bundesregierung setzt mit dem vorliegenden Gesetzent- wurf unter dem Deckmantel der Verwaltungsvereinfa- chung konsequent ihre Politik gegen moderne Wohn- und Lebensformen fort. Quasi in einer Nacht- und Nebel- aktion erscheint kurzfristig auf Drängen der Koalition ein Gesetz auf der Tagesordnung, das in der Konsequenz Menschen in nichtehelichen Lebensgemeinschaften und Wohngemeinschaften nötigt, eine vergleichsweise teu- rere Einzelwohnung zu beziehen, sofern sie aufgrund ih- rer Einkommenssituation Wohngeld in Anspruch neh- men müssen. Künftig sollen für die Wohngeldberechnung nicht mehr die zum Haushalt zählenden Familienmitglieder, sondern alle „Haushaltsmitglieder“ herangezogen wer- den. Wohn-und Wirtschaftsgemeinschaften sollen per definitionem zu dieser gehören. Zukünftig werden alle Wohngemeinschaften von der Alten-WG, der Studenten- WG bis zur Berufstätigen-WG bei neuen Mitbewohnern deren Einkommen prüfen müssen. Bei nicht abschätzba- ren Armutsrisiken wie Krankheit oder Arbeitslosigkeit werden sie künftig mit in die Haftung genommen. Dies widerspricht dem Geist dieser modernen Wohnformen, in denen sich nicht familiär gebundene Individuen oft- mals nur aus Gründen der Zweckmäßigkeit zu einer Wohngemeinschaft zusammenschließen. Dass es sich hierbei nicht um eine Randgruppe handelt, beweist eine Erhebung des Statistischen Bundesamtes: Hiernach le- ben 10 Prozent aller Alleinstehenden – dies sind rund 1,5 Millionen Personen – mit anderen Personen unter ei- nem Dach. Die Strategie der Zerschlagung von modernen Wohn- formen ist nicht neu. Schon beim Arbeitslosengeld II hatten SPD und CDU ab 1. August 2006 per „Fortent- wicklungsgesetz“ die Umkehr der Beweislast bei nicht- eheähnlichen Lebensgemeinschaften eingeführt. Seither gilt immer schon dann die Vermutung der Bedarfsge- meinschaft, wenn Partner länger als ein Jahr zusammen- leben. In diesem Falle wird im SGB II das Vorliegen einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft ver- mutet. Diese kann allerdings noch widerlegt werden. Nach dem Willen der Bundesregierung soll das beim Wohngeld nicht mehr möglich sein. Mit der geplanten Reform des Wohngeldes geht die Bundesregierung über das im SGB II geltende Prinzip der Verantwortungsge- meinschaft hinaus. Hier sollen bei der Berechnung des Wohngeldes auch die Personen mit ihrem Einkommen als Haushaltsmitglied berücksichtigt werden, die mit ei- ner wohngeldberechtigten Person in einer „Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft“ leben. Hierdurch verfehlt die Bundesregierung nicht nur ihr selbst gesetztes Ziel der Harmonisierung mit den Regelungen im SGB II. Sie er- weitert auch den Kreis der mit ihrem Einkommen zu be- rücksichtigenden Personen um Wohngemeinschaften, bei denen kein wechselseitiger Wille besteht, Verantwor- tung füreinander zu tragen. Die erwarteten Kosteneinsparungen durch nicht ge- zahltes Wohngeld werden eher kurzfristiger Natur sein. Denn Personen mit keinem oder nur geringem Einkom- men werden faktisch genötigt, in Einzelwohnungen zu ziehen, um an Transferzahlungen zu gelangen. Dies dürfte unter dem Strich, in der Regel teurer für Bund, Länder und Kommunen sein. Außerdem wird der Bedarf an Wohnungen für Einzelhaushalte steigen und einen Preisanstieg auf diesem Teilmarkt zur Folge haben, was sich mittelfristig wiederum negativ auf die Kosten für Transferleistungen auswirkt. Der Gesetzesentwurf sieht keine Erhöhung des Wohn- geldes vor. Seit der letzten Erhöhung zum 1. Januar 2001 sind in vielen Regionen Deutschlands die Mieten und Nebenkosten gestiegen. Wenn das Wohngeldgesetz wei- terhin seine Funktion der wirtschaftlichen Sicherung an- gemessenen Wohnens behalten soll, ist eine Anpassung an die gegebene Kostenentwicklung unerlässlich. Zu- dem verpasst die Bundesregierung mit ihrer Initiative die Chance, die aufgetretenen Fehlentwicklungen im Bezug von Arbeitslosengeld II zu korrigieren. Die Zahl der so- genannten Aufstocker ist seit Einführung des Arbeits- losengeldes II kontinuierlich gestiegen. Heute beziehen rund 1,1 Millionen Erwerbstätige zusätzlich zu ihrem Erwerbseinkommen Arbeitlosengeld II. Davon erhalten 12348 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) aufgrund der Entwicklungen im Niedriglohnsektor rund 275 000 Bedarfsgemeinschaften ausschließlich Kosten der Unterkunft, die zum Großteil von den Kommunen fi- nanziert werden. Bündnis 90/Die Grünen fordern die Bundesregierung auf, durch eine konsequente Auswei- tung von Mindestlöhnen und eine längst fällige Anpas- sung der Wohngeldhöhe gegenzusteuern, damit das Wohngeld wieder als vorrangiges Sicherungssystem fun- gieren kann. Karin Roth, Parl. Staatssekretärin beim Bundesmi- nister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Das Wohngeld ist ein bewährtes Instrument unserer sozialen Wohnungspolitik. Es unterstützt einkommensschwache Haushalte dabei, sich am Wohnungsmarkt mit angemes- senem und familiengerechtem Wohnraum zu versorgen. Durch die letzte große Reform im Wohngeld und das Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeits- markt, wurden Transferleistungsempfänger vom Wohn- geld ausgeschlossen. Deren angemessene Kosten der Unterkunft einschließlich der Heizkosten werden seit 2005 bei der jeweiligen Transferleistung berücksichtigt. In der Umsetzung zeigten sich an einigen Schnittstellen des Wohngeldgesetzes mit den Transferleistungsgesetzen Vollzugsschwierigkeiten, insbesondere mit dem Arbeits- losengeld II. Das Wohngeldrecht soll deshalb weiter ver- einfacht werden. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf er- füllen wir den Auftrag aus dem Koalitionsvertrag, das Wohngeldrecht mit dem Ziel einer deutlichen Vereinfa- chung zu überprüfen. Lassen Sie mich zwei Beispiele für die Vereinfachungen nennen: Die bisherige Unterteilung in vier Baualtersklassen soll abgeschafft werden. Für alle Gebäude sollen statt- dessen künftig einheitliche Höchstbeträge für die be- rücksichtigungsfähige Miete oder Belastung gelten. Da- durch werden Mieter und Vermieter entlastet, weil sie das Jahr der Bezugsfertigkeit und die Ausstattung des Gebäudes nicht mehr mitteilen müssen. Die entspre- chenden Informationspflichten fallen also weg. Diese Vereinfachung baut aber nicht nur für Bürger und Wohn- geldstellen spürbar Bürokratie ab. Sie hat gleichzeitig auch höhere Wohngeldleistungen für viele Haushalte zur Folge und ist für uns deshalb ein ganz zentrales Element der Novelle. Viele der Haushalte mit einer Baualtersklasse vor 1992 – das waren im Jahr 2005 circa 74 Prozent aller Wohngeldhaushalte – werden bessergestellt, weil auch für sie künftig allein die höchste Baualtersklasse gelten soll. sellschaft mbH, Amsterdamer Str. 19 nd 91, 1 2, 0, T 22 118. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 11. Oktober 2007 Inhalt: Redetext Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3 Anlage 4 Anlage 5 Anlage 6 Anlage 7 Anlage 8 Anlage 9 Anlage 10 Anlage 11 Anlage 12 Anlage 13 Anlage 14 Anlage 15
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Karl Schiewerling


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)


    Ich komme jetzt zum Schluss. – Das heißt, dass die

    Bereitschaft zu Korrekturen immer gegeben sein muss
    und auch gegeben ist. Die Grundsätze, durch die dieses
    System getragen wird, müssen aber klar sein.

    Herzlichen Dank.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)




Rede von Katrin Dagmar Göring-Eckardt
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Klaus Ernst hat jetzt das Wort für die Fraktion Die

Linke.

(Beifall bei der LINKEN)



  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Klaus Ernst


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)


    Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-

    gen! Herr Schiewerling, eines müssen Sie mir jetzt er-
    klären, weil ich die Logik einfach nicht verstehe.


    (Wolfgang Grotthaus [SPD]: Sie verstehen keine Logik!)


    Sie stellen sich hier hin und sagen, Sie seien gegen die
    Frühverrentung von Menschen. Gleichzeitig sind Sie
    aber dafür, dass man Menschen mit 63 Jahren – Frauen
    gegebenenfalls mit 60 Jahren – in die Rente zwingt. Was
    ist das anderes als eine Frühverrentung? Es werden doch
    Menschen in die Rente geschickt, ohne dass sie das wol-
    len. Das hat keine Logik mehr.

    Im Übrigen zu Ihrer Rechnung: Ich weiß nicht, wie
    Sie rechnen, aber ich kann Ihnen sagen, wie wir rechnen,
    und ich glaube, diese Rechnung ist nicht zu widerlegen.

    Schauen Sie sich einmal an, was ein 63-jähriger Emp-
    fänger von Arbeitslosengeld II erhält. Es sind 670 Euro.
    Wenn er im Vergleich dazu Rente in Höhe von 1 000 Euro
    erhält, hat er tatsächlich natürlich mehr. Selbst bei einem
    Abschlag von 7,2 Prozent hätte er noch 928 Euro. Inso-
    fern stimmt es natürlich, dass er mehr hätte. Er ist aber
    länger Rentner; das hoffen wir zumindest. Herr
    Schiewerling, wenn er zehn Jahre lang Rentner ist, dann
    schaut die Rechnung anders aus. Dadurch, dass er Ab-
    schläge hinnehmen muss, erhält er in zehn Jahren
    8 640 Euro weniger. Demgegenüber stehen die 6 192 Euro,
    die er vorher mehr hatte, wenn er früher in Rente geht.
    Insgesamt hat er also weit über 2 000 Euro weniger.

    Ich sage Ihnen: Genau das machen Sie mit den Bezie-
    hern von Arbeitslosengeld II. Es wundert mich natürlich,
    dass der vorliegende Gesetzentwurf ausgerechnet von
    den Sozialdemokraten mit verursacht wurde.


    (Zurufe von der SPD: Oh!)


    Dieser Gesetzentwurf führt dazu, dass Empfänger von
    Arbeitslosengeld II, die schon dadurch benachteiligt
    sind, dass sie keinen Job haben und dass ihr Vermögen
    angerechnet wird – Sie kennen das –, insbesondere dann,
    wenn sie lange versichert waren – 35 Jahre –, in die
    Rente gezwungen werden, ohne dass sie das wollen.
    Kollege Schaaf, man kann jetzt natürlich über den Titel
    streiten. Aber es ist faktisch Zwangsverrentung, wenn
    Leute, ohne dass sie es wollen, in Rente geschickt wer-
    den. Was ist das anderes als Zwangsverrentung? Freiwil-
    lig ist das nicht, Kollege Schaaf.


    (Beifall bei der LINKEN)


    Eines möchte ich auch noch einmal deutlich machen.
    Ich freue mich ja, dass die Sozialdemokratie zurzeit da-
    rüber nachdenkt, was an ihrer Agenda falsch war. Ich
    freue mich, dass sie über die Verlängerung der Bezugs-
    dauer des Arbeitslosengeldes I nachdenkt. Ich freue
    mich auch, dass sie über die Rente mit 67 nachdenkt. Ich
    frage mich nur immer, wozu das Nachdenken bei euch
    führt. Ihr denkt ja nicht allein nach; auch euer Minister






    (A) (C)



    (B) (D)


    Klaus Ernst
    denkt nach, und er denkt leider immer in die andere
    Richtung.


    (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Widerspruch bei der SPD)


    Ich hoffe, dass ihr diesbezüglich eine Einigung in der so-
    zialdemokratischen Partei findet –


    (Rolf Stöckel [SPD]: Populismus!)


    – ja, das, was wir sagen, ist immer Populismus, und ihr
    seid die blühende Weisheit; das ist ja bekannt – und we-
    nigstens diesen einen Punkt – da fällt euch ja kein Za-
    cken aus der Krone – so regelt, dass ihr wieder ein wenig
    Ansehen bei den Bürgern dieses Landes habt. Wenn ihr
    euch eure Umfragen anschaut, dann seht ihr, dass sie im
    Keller sind.


    (Wolfgang Grotthaus [SPD]: Schön, dass ihr euch Sorgen darüber macht!)


    Ich habe Verständnis dafür und es ist richtig, dass ihr
    jetzt darüber nachdenkt, was an der Agenda 2010 falsch
    war; das ist in Ordnung. Aber dann nehmt doch, bitte
    schön, die Punkte, die wirklich nicht so besonders teuer
    sind, in Angriff. Weniger als 200 000 Leute zwischen 60
    und 65 Jahren haben im Sommer 2007 Arbeitslosen-
    geld II bezogen. Wenn ihr euch jetzt entschließt, diese
    kleine Gruppe von Menschen, die von dieser Regelung
    unmittelbar negativ betroffen ist, ohne Abschläge in
    Rente gehen zu lassen, dann habt ihr innerhalb von zwei
    Jahren wenigstens einmal etwas Vernünftiges gemacht.


    (Beifall bei der LINKEN – Rolf Stöckel [SPD]: Unsinn!)


    Ich gehe aber davon aus, dass dieses Denken nicht au-
    tomatisch zum richtigen Ergebnis führt. Wir werden
    euch daran messen. Nur wenn es eine starke Linke gibt,
    wird die Sozialdemokratie wieder ansatzweise sozialde-
    mokratisch werden.


    (Beifall bei der LINKEN)