2) Die Redebeiträge werden in einem Nachtrag abgedruckt.
3) Die Redebeiträge werden in einem Nachtrag abgedruckt.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11207
(A) (C)
(B) (D)
Ich erkläre im Namen der Fraktion DIE LINKE, dass
unser Votum „Nein“ lautet.
den, obwohl die EU-Richtlinie dieses zulässt und dies
von anderen Ländern auch so umgesetzt wurde.
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
* für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver-
sammlung der OSZE
Anlage 2
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann
(DIE LINKE) zur Abstimmung: Sammelüber-
sicht 256 zu Petitionen (Drucksache 16/5916)
(Zusatztagesordnungspunkt 8 f)
Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
Andres, Gerd SPD 05.07.2007
Dreibus, Werner DIE LINKE 05.07.2007
Gehrcke, Wolfgang DIE LINKE 05.07.2007
Dr. Geisen, Edmund FDP 05.07.2007
Gruss, Miriam FDP 05.07.2007
Ibrügger, Lothar SPD 05.07.2007
Merten, Ulrike SPD 05.07.2007
Nitzsche, Henry fraktionslos 05.07.2007
Raidel, Hans CDU/CSU 05.07.2007*
Dr. Ramsauer, Peter CDU/CSU 05.07.2007
Reiche (Cottbus),
Steffen
SPD 05.07.2007
Roth (Esslingen),
Karin
SPD 05.07.2007
Dr. Schick, Gerhard BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
05.07.2007
Schily, Otto SPD 05.-07.2007
Stübgen, Michael CDU/CSU 05.07.2007
Dr. Tabillion, Rainer SPD 05.07.2007
Wächter, Gerhard CDU/CSU 05.07.2007
Dr. Wiefelspütz, Dieter SPD 05.07.2007
Zapf, Uta SPD 05.07.2007*
Zöller, Wolfgang CDU/CSU 05.07.2007
Anlagen zum Stenografischen Bericht
Anlage 3
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Grietje Bettin, Ekin Deligöz,
Kai Gehring, Katrin Göring-Eckardt, Claudia
Roth (Augsburg) und Britta Haßelmann (alle
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung
über den Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur
Regelung des Urheberrechts in der Informa-
tionsgesellschaft (Tagesordnungspunkt 7 a)
Die vorliegende Novelle zur Regelung des Urheber-
rechts in der Informationsgesellschaft vernachlässigt im-
mer noch in wesentlichen Punkten die Interessen von
Verbraucherinnen und Verbrauchern, Wissenschaftlerin-
nen und Wissenschaftlern sowie von Urheberinnen und
Urhebern. Das können wir trotz der wichtigen von uns
durchgesetzten Verbesserungen im Bereich der Geräte-
vergütung nicht ignorieren.
So fehlt immer noch ein durchsetzungsstarkes Recht
auf Privatkopie: Wer Werke rechtmäßig besitzt, muss
auch Sicherheitskopien davon machen dürfen. Es ergibt
keinen Sinn, dass Kopien von analogen Werken erlaubt
sind, bei digitalen aber nicht, weil der Rechteverwerter
durch die Anbringung von Kopierschutz de facto ent-
scheidet, ob man Kopien anfertigen darf oder nicht.
Ebenfalls fehlt eine Bagatellklausel. Wer für den pri-
vaten Gebrauch unerlaubt Kopien anfertigt, soll zwar
zivilrechtlich belangt werden dürfen (Schadenersatz und
Unterlassungerklärungen sind schon jetzt möglich); eine
strafrechtliche Verfolgung ist aber unverhältnismäßig.
Zudem sind die Staatsanwaltschaften ohnehin nicht in
der Lage, jede private Urheberrechtsverletzung zu ver-
folgen.
Weiterhin sind die Verlage gegenüber den Bibliothe-
ken zu stark privilegiert. Demnach haben Verlage das al-
leinige Recht zum elektronischen Kopienversand, sofern
sie die Bibliotheken über ihr Angebot in Kenntnis setzen
und dieses angemessen ist. Das verhindert Innovation
und ist wissenschaftsfeindlich, weil Verlage nicht moti-
viert werden, bessere Angebote als die Bibliotheken zu
schaffen. Für Studierende und Promovierende wird es
kaum bezahlbar sein, Verlagsangebote wahrzunehmen,
die jetzt schon bei über 30 Dollar pro Aufsatz liegen. Mit
einer Beschränkung des Versandes als ausschließlich
grafische Datei wäre man den Interessen der Verlage an-
gemessen entgegengekommen.
Eine ähnliche Bremse für die Wissenschaft ist die Re-
gelung zu den elektronischen Leseplätzen, die nur nach
Zahl der Bestandsexemplare von Werken bereitgestellt
werden dürfen. Außerdem können Leseplätze nicht in al-
len öffentlichen Bildungseinrichtungen angeboten wer-
11208 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007
(A) (C)
(B) (D)
Nicht zuletzt: Auch Filmschaffende haben Urheber-
rechte und müssen darüber verfügen können. Laut der
Novelle sollen sie kein Widerrufsrecht bei Verträgen
über unbekannte Nutzungsarten haben. Damit wird einer
ganzen Gruppe von Künstlerinnen und Künstlern die le-
gitime Mitbestimmung über ihre Werke verwehrt und sie
wird gegenüber anderen Urhebern schlechtergestellt.
Das ist nicht akzeptabel. Damit ein einzelner Urheber
nicht ganze Neuverwertungen lahmlegen kann, enthält
das Gesetz schon jetzt die Regelung, wonach die Urhe-
ber ihr Widerrufsrecht nicht wider Treu und Glauben
ausüben sollen. Diese muss auch auf den Filmbereich
übertragen werden.
Wir haben bei der Abstimmung mit den Fachaus-
schüssen mit „Nein“ gestimmt, Änderungsanträge einge-
bracht und werden weiterhin für Verbesserungen in den
genannten Bereichen eintreten.
Anlage 4
Erklärung nach § 31 GO
des Abgeordneten Volker Beck (Köln) (BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über
die Beschlussempfehlung zu dem Antrag:
Sport- und Freizeitschifffahrt in Deutschland
erleichtern (Drucksache 16/5770, Nr. 2) (Tages-
ordnungspunkt 19)
Ich erkläre im Namen der Fraktion des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN, dass unser Votum „Ja“ lautet.
sellschaft mbH, Amsterdamer Str. 19
nd 91, 1
2, 0, T
22
Nachtrag zum Plenarprotokoll 16/108
Swen Schulz (Spandau) (SPD) . . . . . . . . . . . .
Patrick Meinhardt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . .
Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . .
Krista Sager (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Anlage 6
Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung
des Antrags: Für die zügige Vorlage eines
qualifizierten Berichts über die Lage der Aus-
länderinnen und Ausländer in Deutschland
(Tagesordnungspunkt 14)
Reinhard Grindel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . .
Sebastian Edathy (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . .
Beschränkungen befreien
(Tagesordnungspunkt 19 und Zusatztagesord-
nungspunkt 11)
Renate Blank (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . .
Annette Faße (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Patrick Döring (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dorothée Menzner (DIE LINKE) . . . . . . . . . .
Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Anlage 8
Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung
des Antrags: Mehr Qualität und Exzellenz
durch mehr Chancengerechtigkeit und Gen-
der-Perspektiven in Wissenschaft und For-
11210 A
11211 C
11212 C
11213 C
11214 A
11215 A
11218 D
11220 C
11222 B
11223 D
11224 C
Deutscher B
Nachtrag
Stenografisch
108. Sitz
Berlin, Donnerstag,
I n h a l
Anlage 5
Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung
der Beschlussempfehlung und des Berichts zu
den Anträgen:
– Geistes- und Sozialwissenschaften stärken
– Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaf-
ten stärken
– Perspektiven für die Geistes- und Sozial-
wissenschaften verbessern
– Die Geistes- und Sozialwissenschaften in
Forschung und Lehre fördern
(Tagesordnungspunkt 15)
Johann-Henrich Krummacher
(CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
J
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A
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–11209 A
Sibylle Laurischk (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . 11216 C
undestag
zum
en Bericht
ung
den 5. Juli 2007
t :
osef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
r. Maria Böhmer, Staatsministerin
BK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
nlage 7
u Protokoll gegebene Reden zur Beratung:
Beschlussempfehlung und Bericht zu den
Anträgen:
– Attraktivität des Wassertourismus und
des Wassersports stärken
– Sport- und Freizeitschifffahrt in Deutsch-
land erleichtern
Antrag: Sportschifffahrt und Wassersport
wirksam fördern und von überflüssigen
11217 C
11218 A
schung (Tagesordnungspunkt 16)
II Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007
Anette Hübinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . .
Gesine Multhaupt (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . .
Uwe Barth (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . .
Krista Sager (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Anlage 9
Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung
des Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkom-
men vom 25. Juni 2003 zwischen der Europäi-
schen Union und den Vereinigten Staaten von
Amerika über Auslieferung, zu dem Abkom-
men vom 25. Juni 2003 zwischen der Europä-
ischen Union und den Vereinigten Staaten von
Amerika über Rechtshilfe, zu dem Vertrag
vom 14. Oktober 2003 zwischen der Bundes-
republik Deutschland und den Vereinigten
Staaten von Amerika über die Rechtshilfe in
Strafsachen, zu dem Zweiten Zusatzvertrag
vom 18. April 2006 zum Auslieferungsver-
trag zwischen der Bundesrepublik Deutsch-
land und den Vereinigten Staaten von Ame-
rika sowie zu dem Zusatzvertrag vom
18. April 2006 zum Vertrag zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und den Verei-
nigten Staaten von Amerika über die Rechts-
hilfe in Strafsachen (Tagesordnungspunkt 21)
Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen)
(CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Joachim Stünker (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . .
Mechthild Dyckmans (FDP) . . . . . . . . . . . . . .
Petra Pau (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . .
Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär
BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Anlage 10
Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung
des Antrags: Konsequenzen aus dem Entschä-
digungsfall Phoenix Kapitaldienst GmbH (Ta-
gesordnungspunkt 18)
Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU) . . . . . . . .
Dr. Hans-Ulrich Krüger (SPD) . . . . . . . . . . .
Frank Schäffler (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dr. Axel Troost (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . .
Christine Scheel (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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11225 A
11226 B
11228 B
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11230 C
11232 A
11233 C
11234 A
11235 A
11235 A
11236 B
11236 C
11238 B
11239 C
11240 A
11240 D
nlage 11
u Protokoll gegebene Reden zur Beratung
er Beschlussempfehlung und des Berichts:
Antrag: Entlastung der Bundesregierung
für das Haushaltsjahr 2005 – Vorlage der
Haushalts- und Vermögensrechnung des
Bundes (Jahresrechnung 2005)
Unterrichtung: Bemerkungen des Bundes-
rechnungshofes 2006 zur Haushalts- und
Wirtschaftsführung des Bundes (ein-
schließlich der Feststellungen zur Jahres-
rechnung 2005)
Tagesordnungspunkt 23)
ans-Joachim Fuchtel (CDU/CSU) . . . . . . .
ernhard Brinkmann (Hildesheim) (SPD) . . .
r. Claudia Winterstein (FDP) . . . . . . . . . . .
r. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . .
nja Hajduk (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
nlage 12
u Protokoll gegebene Reden zur Beratung
er Anträge:
Keine Leistungskürzungen bei der gesetz-
lichen Unfallversicherung
Die gesetzliche Unfallversicherung leis-
tungsstark und zukunftssicher gestalten
Tagesordnungspunkt 20 a und b)
erald Weiß (Groß-Gerau) (CDU/CSU) . . . .
olfgang Grotthaus (SPD) . . . . . . . . . . . . . .
einz-Peter Haustein (FDP) . . . . . . . . . . . . .
olker Schneider (Saarbrücken)
(DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
arkus Kurth (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
ranz Thönnes, Parl. Staatssekretär
BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
nlage 13
u Protokoll gegebene Reden zur Beratung
er Beschlussempfehlung und des Berichts zu
em Antrag: Den Wettbewerb stärken, den
insatz offener Dokumentenstandards und of-
ener Dokumentenaustauschformate fördern
Tagesordnungspunkt 24)
r. Martina Krogmann (CDU/CSU) . . . . . . .
r. Uwe Küster (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
artin Zeil (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
lla Lötzer (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . .
11242 B
11243 D
11245 C
11246 B
11246 D
11248 B
11250 C
11251 B
11252 B
11253 C
11254 B
11254 D
11256 A
11257 D
11258 D
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 III
Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Anlage 14
Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung
der Anträge:
– Ermäßigung der Visumgebühr für Men-
schen aus Belarus
– Ermäßigung der Visumgebühr für Bürge-
rinnen und Bürger aus Belarus
(Zusatztagesordnungspunkte 12 und 13)
Manfred Grund (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . .
Uta Zapf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Michael Link (Heilbronn) (FDP) . . . . . . . . . .
Dr. Norman Paech (DIE LINKE) . . . . . . . . . .
Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Anlage 15
Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung
des Antrags: Deutschland, Energieland der
Zukunft – Energieforschung und Wettbewerb
stärken (Tagesordnungspunkt 12)
Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land)
(CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dieter Grasedieck (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . .
Cornelia Pieper (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . .
Hans-Kurt Hill (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . .
Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11259 C
11260 C
11261 D
11262 D
11263 C
11264 A
11265 B
11266 B
11267 B
11269 C
11270 A
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11209
(A) )
(B) )
menschlicher Selbstverwirklichung. Im großen Prozess ten. Auch dieser Weg würde letztlich eher in die Verwir-
Anlage 5
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts zu den Anträgen:
– Geistes- und Sozialwissenschaften stärken
– Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften
stärken
– Perspektiven für die Geistes- und Sozialwis-
senschaften verbessern
– Die Geistes- und Sozialwissenschaften in
Forschung und Lehre fördern
(Tagesordnungspunkt 15)
Johann-Henrich Krummacher (CDU/CSU): Die
Vorstellung von Deutschland als „Land der Dichter und
Denker“ mag unter PISA- und sonstigen Studien etwas
gelitten haben. Doch umso mehr müssen wir darin auch
einen „Weckruf“ – oder noch besser: einen „Startschuss“ –
sehen, um mit neuer Energie den Kern des Begriffes
„Bildung“ zu stärken: nämlich zur Entfaltung der
menschlichen Fähigkeiten beizutragen. Und es ist wich-
tig, zu verstehen: ohne gute Dichter und Denker auch
keine guten Ingenieure und Erfinder.
Insbesondere die Geisteswissenschaften sind alles an-
dere als ein bloßer bildungsbürgerlicher Zeitvertreib.
Drei Aspekte verdeutlichen die elementare Rolle der
Geisteswissenschaften in der Gesellschaft:
Erstens. In den Geisteswissenschaften ist die gesell-
schaftseigene Grundlagenforschung beheimatet. Fakten-
kenntnis ist eine notwendige Bedingung für jede Ent-
wicklung. Aber sie alleine ist noch nicht hinreichend,
denn erst durch das – im übertragenen Sinne – „Dichten
und Denken“ kann aus einzelnen Informationsbaustei-
nen echtes Wissen entstehen. Oder anders formuliert:
Wissen entsteht erst aus der Vernetzung dieser Einzel-
bausteine, und die Geisteswissenschaften sorgen gleich-
sam für den Zusammenhalt.
Zweitens. Geisteswissenschaften liefern wichtiges
Fachwissen. Sie thematisieren soziale, kulturelle und re-
ligiöse Gegebenheiten und Vorstellungen – die anderer
Länder und Kulturkreise ebenso wie unsere eigenen.
Dies sind wiederum mächtige politische Wirkgrößen,
gerade in einer globalisierten Welt. Damit können die
Geisteswissenschaften einen entscheidenden Beitrag zur
Lösung aktueller Probleme und Herausforderungen leis-
ten. Wer Exportweltmeister bleiben will, benötigt Fach-
leute, die sich in der Welt auch sozial und kulturell aus-
kennen. Auch der Kampf gegen den internationalen
Terrorismus ist langfristig nicht nur militärisch, sondern
auch in Verbindung mit diesem Fachwissen zu gewin-
nen.
Drittens. Geisteswissenschaften rühren am Grund
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(D
Anlagen zum Stenografischen Bericht
er Evolution hat uns die Natur als Wesen geschaffen,
ie nicht nur eine Naturbestimmung erfüllen, sondern
wissen wollen“. Man könnte auch sagen: Dieses „Wis-
en-Wollen“ ist ein wesentlicher Teil der menschlichen
aturbestimmung. Der Heidelberger Philosoph Hans-
eorg Gadamer hat stets darauf hingewiesen, dass es die
orgegebenheit der menschlichen Natur in ihrer Frage-
ust und ihrer Wissensfähigkeit ist, die letztlich den
enschen ausmachen.
Das Besondere an den Geisteswissenschaften ist, dass
ier alle drei Aspekte gemeinsam auftreten. Keine an-
ere Wissenschaft vermag diese „Trinität“ in ähnlicher
ichte zu erreichen wie die Geisteswissenschaften. Und
enn dieser Geist auch die Sozialwissenschaften beflü-
elt, die ja quasi die Brücke zum menschlichen Umgang
m Alltag darstellen, dann sind wir auf dem richtigen
eg.
Auf diesem produktiven Weg bewegt sich auch der
ntrag „Geistes- und Sozialwissenschaften stärken“,
en Union und SPD gemeinsam auf den Weg gebracht
aben. Er verdeutlicht die Leistungen, nennt die Heraus-
orderungen und beschreibt – basierend auf den Unter-
uchungen des Wissenschaftsrates und anderer Organi-
ationen und Einrichtungen – konkrete Lösungs- und
eiterentwicklungsansätze. Das Ziel ist, die geistes- und
ozialwissenschaftliche Infrastruktur zu stärken, die
ichtigen förderpolitischen Maßnahmen zu ergreifen und
as öffentliche Bewusstsein sowie die öffentliche Wahr-
ehmung für die große Bedeutung der Geisteswissen-
chaften zu sensibilisieren. Unser Antrag versteht, dass
rkenntnis aus Wissen folgt. Damit unterscheidet sich
llerdings das Wissen vom bloßen „Meinen“, auch im
inne eines Werturteils. Leider kommt dieser entschei-
ende Unterschied in den anderen Anträgen nicht hinrei-
hend zum Tragen.
Gerade bei der Lektüre des Antrages der Linkspartei/
DS zeigt sich, dass dieser Unterschied offensichtlich
icht verstanden wurde. Schlimmer noch: Wer Wissen-
chaft und freie Geistesentfaltung in das Prokrustesbett
einer eigenen Vorstellungen zu pressen versucht, geht
icht nur von falschen praxeologischen Grundlagen aus,
ondern gefährdet auch das Potenzial dieser Geistesent-
altung, ganz abgesehen davon, dass der Antrag der
inkspartei/PDS schon in formaler Hinsicht weder mit
er – im breiten Konsens beschlossenen – Föderalismus-
eform noch mit der notwendigen Autonomie unserer
ochschulen und Forschungseinrichtungen in Einklang
u bringen ist. Gerade hier ist zu merken, wie wichtig
ie Stärkung der Geistes- und Sozialwissenschaften ist:
enn gerade die Geisteswissenschaften fördern auch die
ähigkeit zur Unterscheidung der Geister!
Auch der Antrag des Bündnisses 90/Die Grünen be-
ieht sich eher auf die Lehre und sogar die Lehrerausbil-
ung als auf die Geistes- und Sozialwissenschaften. Er
ielt auf die Länder und die Hochschulen, und er ver-
ischt dabei verschiedene Initiativen und Zuständigkei-
11210 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007
(A) )
(B) )
rung als zu einer Stärkung der Geistes- und
Sozialwissenschaften führen.
Der Antrag der FDP wiederum ist gut gemeint,
kommt aber irgendwie zu spät: Das Gros der Forderun-
gen ist mit der Förderinitiative „Freiraum für geisteswis-
senschaftliche Forschung“ bereits aufgegriffen, und auch
eine Evaluation der geisteswissenschaftlichen Zentren
ist angesichts der detaillierten Studie des Wissenschafts-
rates nicht mehr erforderlich.
Es ist zu merken: Unsere Initiative, der Antrag von
CDU/CSU und SPD, ist der richtige Weg zur Stärkung
der Geistes- und Sozialwissenschaften in Deutschland.
Darüber hinaus geht er Hand in Hand mit den Vorhaben
und Maßnahmen der Bundesregierung. Insbesondere
Frau Bundesministerin Dr. Annette Schavan gebührt hier
Dank und Anerkennung. Mit der Förderinitiative „Frei-
raum für geisteswissenschaftliche Forschung“ und ihrem
Kernelement, den internationalen Forschungskollegs,
sind die richtigen Weichen gestellt. Und unser Antrag
sorgt dafür, dass unser gemeinsames Bestreben, die
Geistes- und Sozialwissenschaften zu stärken, langfristig
Wurzeln schlägt. Wenn damit auch die Lust und der wis-
senschaftliche Eros befördert wird, der Nachdenklich-
keit Raum zu geben und Zusammenhänge besser zu ver-
stehen, dann tut dies allen Bürgerinnen und Bürgern gut.
Denn Klarheit ist ein Heilmittel gegen mancherlei Art
von Verwirrungen. Darum lade ich herzlich dazu ein, un-
seren Antrag zu unterstützen.
Swen Schulz (Spandau) (SPD): Die beste Nachricht
zu Beginn: Wir haben im Deutschen Bundestag über alle
Fraktionsgrenzen hinweg Einigkeit darüber, dass die
Geistes- und Sozialwissenschaften wichtig sind, dass sie
öffentliche Förderung und Unterstützung erhalten müs-
sen.
Häufig wird bei Wissenschaft und Innovationen nur
an Naturwissenschaften, Medizin und Technologie ge-
dacht. Aber die Geistes- und Sozialwissenschaften sind
ebenso bedeutend – für gesellschaftliche Innovation wie
auch für die Wirtschaft. So hat etwa Berlins Wirtschafts-
senator Harald Wolf vor kurzem Zahlen des Deutschen
Instituts für Wirtschaftsforschung zur sogenannten Krea-
tivwirtschaft in Berlin präsentiert. Danach gibt es einen
„Cluster Kommunikation“ mit einem Jahresumsatz von
über 20 Milliarden Euro und über 30 000 Beschäftigten.
TV- und Filmwirtschaft, Buch- und Pressemarkt, Wer-
bung, Musikbusiness, Markt- und Meinungsforschung,
Software, Multimedia, Internet, Kunst und Kultur, Ar-
chitektur und so weiter und so fort: Das alles ist ohne
Geistes- und Sozialwissenschaften undenkbar.
Und nachdem sich gerade die Geisteswissenschaften
lange Zeit in Krisengerede und fast schon Selbstmitleid
ergaben, kommt neues Selbstbewusstsein in die Debatte
über ihre Zukunft. Ein Anstoß hierzu gab sicherlich auch
die Stellungnahme des Wissenschaftsrates. Er hat die
Stärke der deutschen Geisteswissenschaften im interna-
tionalen Vergleich betont. Wir neigen ja sowieso dazu,
die Probleme in den Vordergrund zu stellen – da tut es
auch einmal gut, zu sagen: Die deutsche Wissenschaft ist
Weltspitze.
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Auch das Jahr der Geisteswissenschaften trägt dazu
ei, dass wir eine andere Qualität in der Debatte haben.
ine der Veranstaltungen im Wissenschaftsjahr trägt den
elbstbewussten Titel: „Zukunft? Geisteswissenschaf-
en!“ Vor einiger Zeit wären wohl Frage- und Ausru-
ungszeichen vertauscht gewesen und es hätte geheißen
Zukunft! Geisteswissenschaften?“.
In diesem Sinne befinden wir uns auf einem guten
eg, der Bund trägt das seine dazu bei; wir haben das
m Antrag der Koalition entsprechend fest- und fortge-
chrieben.
Nun ist natürlich andererseits noch nicht alles perfekt.
in ganz zentraler Punkt ist die Zukunft der sogenannten
leinen oder auch Orchideenfächer. Diese sind nicht
berall vertreten, und wo es sie gibt, haben sie wenig
ersonal, Ausstattung und Studierende. Trotzdem sind
ie wichtig auch für andere Disziplinen. Wir verzeichnen
ber an vielen Hochschulen den Trend, sich auf be-
timmte Fächer zu konzentrieren, entsprechende Profile
ufzubauen. Gleichzeitig wird von den Ländern Spar-
ruck ausgeübt. Darunter leiden dann häufig kleine,
icht so große und auffällige Disziplinen. So kann es ge-
chehen, dass Orchideen unversehens aus Deutschland
erschwinden, wenn an zwei oder drei Hochschulen der
achbereich geschlossen wird. Dadurch jedoch wird
etztlich der gesamten Wissenschaftslandschaft erhebli-
her Schaden zugefügt. Wir benötigen darum unbedingt
ine Kooperation, eine zwischen den beteiligten Stellen
bgestimmte Strategie, um einen solchen Wissenschafts-
AU abzuwenden.
Die Kollegin Sager hat in unserer letzten Debatte da-
on gesprochen, dass der Erhalt der kleinen Fächer ein
rüfstein für die Verantwortlichen sei. Ich will das unter-
treichen: Das müssen wir hinbekommen. Und wir wer-
en im Deutschen Bundestag darauf achten, was die
undesregierung da gemeinsam mit den Ländern, den
ochschulen und dem Wissenschaftsrat erreicht – den
andlungsauftrag erhält sie heute vom Bundestag.
Der Exzellenzwettbewerb hat in seiner ersten Runde
rhebliche Diskussionen darüber ausgelöst, ob darin die
eistes- und Sozialwissenschaften strukturell benachtei-
igt sein könnten. Die Ergebnisse der zweiten Runde
cheinen günstiger zu laufen.
Gleichwohl müssen wir aufmerksam bleiben, dass wir
it neuen Formen der Wissenschaftsförderung nicht an
en Geistes- und Sozialwissenschaften vorbei agieren.
s gibt da ganz tolle Initiativen, das Rahmenkonzept
Freiraum für geisteswissenschaftliche Forschung“ etwa
der die Einrichtung von Forschungskollegs. Wir müs-
en beständig aufpassen, dass nicht diejenigen, die die
Verwertbarkeit“ von Wissenschaft in den Vordergrund
tellen und damit Technologie meinen, die Geistes- und
ozialwissenschaften an den Rand drängen.
Wer an den Geistes- und Sozialwissenschaften spart,
egeht einen schweren Fehler, wer die Ökonomisierung
nd Technisierung der Wissenschaften betreibt, versün-
igt sich an der Zukunft.
Gerade die Geisteswissenschaften benötigen Frei-
aum. So sehr sie nützlich sind, so wenig ist das manch-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11211
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mal im Vorfeld erkennbar. Das ist wie die Grundlagen-
forschung auch in anderen Bereichen: Vielleicht bleibt
es l’art pour l’art, aber vielleicht wird es, an ganz unver-
muteten Stellen, bedeutend.
Eine zentrale Fragestellung schließt sich hier an: Wie
steht es eigentlich um die Hochschulen und die Lehre?
In ganz besonderem Maße finden Geistes- und Sozial-
wissenschaften an den Hochschulen statt und ist die For-
schung mit der Lehre verknüpft.
Mich macht die Umsetzung des Bolognaprozesses zu-
nehmend nachdenklich. Über das grundsätzliche Ziel
dürften wir hier weitgehende Übereinstimmung finden.
Ein europäischer Hochschulraum mit ausgeweiteten
Möglichkeiten für die Studierenden, an unterschiedliche
Hochschulen zu gehen – toll! Die Einführung eines be-
rufsqualifizierenden Abschlusses unterhalb der höheren
akademischen Weihen – sehr sinnvoll für viele Studie-
rende.
Doch wie sieht die Praxis aus? Mich macht etwa der
Philosoph und ehemalige Staatsminister Julian Nida-
Rümelin zweifeln. 2005 hatte er als Experte in unserer
Sachverständigenanhörung noch optimistisch in die Zu-
kunft der Geistes- und Sozialwissenschaften geblickt.
Nun schreibt er, dass er aufgrund jüngster Erfahrungen
skeptischer geworden sei. Es werde ein Wissenschafts-
begriff paradigmatisch, der den Geisteswissenschaften
weitgehend fremd sei. Die Verschulung der modulari-
sierten Studiengänge bedrohe die spezifische Wissen-
schaftskultur. Es dürfe nicht dazu kommen, dass die
deutschen und europäischen Geisteswissenschaften auf
das Niveau der US-amerikanischen Humanities absin-
ken. Wir müssen also – auch unter diesen Gesichtspunk-
ten – der Umsetzung des Bolognaprozesses unser Au-
genmerk widmen.
Neben der konzeptionellen Seite gibt es auch ein sehr
praktisches Problem beim Bolognaprozess: Insbeson-
dere die Geistes- und Sozialwissenschaften an den
Hochschulen benötigen zusätzliche Mittel, um nicht nur
die Anzahl der erforderlichen Studienplätze, sondern
auch die Qualität der Lehre zu erhöhen. Es ist ein Trug-
schluss, zu glauben, dass der Bolognaprozess gut wird,
wenn die Finanzminister der Länder Geld aus den Hoch-
schulen streichen, weil die Bachelor-Studierenden ja
kürzer an der Hochschule sind. Im Gegenteil kann nur
mit deutlich mehr Lehrpersonal die benötigte Qualität
und Attraktivität des Studiums erreicht werden. Der
Wissenschaftsrat hat vollkommen zu Recht aufgeschlüs-
selt, wie schwierig die Situation an den Hochschulen ge-
rade bei den Geisteswissenschaften ist. Das müssen wir
verbessern; und das können wir nur, wenn das die Län-
der gemeinsam mit dem Bund machen.
Dabei ist der Vorschlag einer Exzellenzinitiative für
die Lehre nach dem Vorbild des Wettbewerbs für die
Forschung durchaus überlegenswert. Allerdings kann es
dabei nicht bleiben, sondern wir müssen einen Prozess
einleiten, an dessen Ende die verbesserte Lehre an allen
Hochschulen für alle Studierenden steht – nicht nur für
Auserwählte.
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Das Thema und der Koalitionsantrag haben viele
spekte, von der Nachwuchsförderung zum Akade-
ienprogramm, über die Regionalstudien bis zur euro-
äischen Dimension; ich kann das jetzt nicht alles auf-
ühren.
Lassen Sie mich zum Schluss aber auf die gute Nach-
icht vom Beginn meiner Rede zurückkommen: In dieser
rage sind wir uns im Bundestag grundsätzlich einig.
rotzdem kam es leider nicht zu einem gemeinsamen
ntrag. Die Geistes- und Sozialwissenschaften haben
ie wichtige Aufgabe, Brücken zu bauen. Ich wünsche
ir, dass wir bei der weiteren Unterstützung der Geistes-
nd Sozialwissenschaften auch Brücken zwischen den
raktionen bauen und aufeinander zuzugehen.
Patrick Meinhardt (FDP): Ein Jahr der Geisteswis-
enschaften kann nicht schwarz, rot, grün oder gelb sein.
eswegen habe ich im Namen der FDP-Fraktion in mei-
er Rede am 1. Februar dieses Jahres hier im Deutschen
undestag klar Position bezogen: „Wir halten es für
innvoll, hier und heute über unsere Anträge zum Jahr
er Geisteswissenschaften zu debattieren, aber wir hal-
en es nicht für sinnvoll, mit unterschiedlichen Anträgen
as Jahr der Geisteswissenschaften zu eröffnen. Ein gu-
es Zeichen des richtigen Geistes ist es jetzt, einen ge-
einsamen Antrag zu formulieren.“
Schade, dass wir davon heute, über sechs Monate
ach Beginn des Jahres der Geisteswissenschaften, mei-
enweit entfernt sind – warum, wissen wir Liberale bis
eute nicht! Es ist hochgradig bedauerlich, dass offen-
ichtlich Scheuklappen verhindern, an den Stellen zu-
ammenzuarbeiten, an denen es sich geradezu aufdrängt.
abei war es weder hilfreich, dass die verehrten Kolle-
innen und Kollegen der Opposition in ihrem Antrag al-
es unterbringen wollten, was sie – Föderalismus hin,
öderalismus her – schon immer bildungs- und gesell-
chaftspolitisch sagen wollten, noch war es hilfreich,
ass die Regierungsfraktionen die schon sehr überhebli-
he Haltung eingenommen haben, dass man sich gerne
hrem Antrag anschließen könne. Der Geist des Mitei-
anders sieht wahrlich anders aus. An uns lag es nicht,
ass dieser gemeinsame Antrag nicht zustande gekom-
en ist. Da müssen sich schon andere an die Nase fas-
en. Wir Liberale haben die Initiative für mehr Gemein-
amkeit hier im Deutschen Bundestag ergriffen. Eines
teht fest: Eine Sternstunde des Parlamentes ist dies
icht. Wir Liberale würden es noch immer für gut halten,
enn diese Chance ergriffen würde.
Wir können nicht hinnehmen, dass in einer aktuellen
orsa-Umfrage dem Volk der Dichter und Denker nur
in „mäßiges Bildungsbewusstsein“ attestiert wird.
ichten wir den Fokus auf drei Schwerpunkte:
Erstens. Im Rahmen der Exzellenzinitiative des Bun-
es wurde deutlich, dass die Geistes- und Sozialwissen-
chaften aufgrund ihrer Struktur, ihres Selbstverständ-
isses und ihrer Arbeitsweise beim Wettstreit um die
ördermittel den Natur- und Ingenieurswissenschaften
nterlegen waren. Die Bilanz war ernüchternd, eigentlich
ogar schon erschütternd: Nur ein einziger von 17 Exzel-
nzclusters und nur vier von 18 Graduiertenschulen
11212 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007
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konnten sich durchsetzen. Jetzt, in der zweiten Förder-
runde, haben sich die Antragsskizzen bei den Graduier-
tenschulen und Exzellenzclusters relativ gleichmäßig
verteilt. Die Geistes- und Sozialwissenschaften sind
deutlich stärker als in der ersten Runde. Sie liegen bei
den Graduiertenschulen mit den Lebenswissenschaften
zusammen vor den beiden anderen Wissenschaftsgebie-
ten. Deswegen kann es nur eine Schlussfolgerung geben:
Bei künftigen interdisziplinären Wettbewerben und ge-
rade bei der Fortschreibung der Exzellenzinitiative müs-
sen die Eigenheiten der jeweiligen Wissenschaftsberei-
che berücksichtigt werden. Deswegen fordert die FDP in
ihrem Antrag, dass diese Fachbereiche sich auch Koope-
rationsvorhaben öffnen müssen, wenn sie im internatio-
nalen Wettbewerb bestehen wollen.
Zweitens. Für uns als Liberale ist es wichtig, dass wir
gerade auch die Kulturwissenschaften im öffentlichen
Bewusstsein verankern – ein Schwerpunkt, den nur wir
in unserem Antrag zum Jahr der Geisteswissenschaften
setzen und der eng damit zusammenhängt, dass die Kul-
tur- und Kreativwirtschaft die Zukunfts- und Wachs-
tumsbranche in Deutschland ist. Deswegen ist es ein
Fehler, dass sie nicht Bestandteil der Lissabonstrategie
ist. Allein in Deutschland haben wir in der Kultur- und
Kreativwirtschaft fast 1 Million Beschäftigte bei einem
Jahresumsatz von sage und schreibe 126 Milliarden
Euro. Nur wenn wir das Jahr der Geisteswissenschaften
richtig in seiner Wirkung erkennen, wird es auch diesen
dynamischen Entwicklungsbereich der Kulturwirtschaft
stärken.
Drittens. Das Jahr der Geisteswissenschaften muss
auch ein Jahr der humanistischen Bildung werden – ge-
rade der humanistischen Bildung. Wir haben in Deutsch-
land 740 000 Lateinschüler. Seit vier Jahren steigt diese
Zahl stetig, die letzte Steigerung betrug knapp 9 Prozent.
Solch eine für unser Land wichtige Renaissance der hu-
manistischen Bildung muss jedoch schulpolitisch durch
die richtigen Maßnahmen verstetigt werden. Was aber
macht die rot-tiefrote Koalition in Berlin? Sie stellt bei
35 000 Lehrern gerade einmal 174 Vollzeitlehrereinhei-
ten für den Lateinunterricht zur Verfügung und hat auch
noch massenweise offene Lateinlehrerstellen. Hier wird
sträflich einer guten gesellschaftlichen Entwicklung po-
litisch entgegengearbeitet.
Wir als FDP begrüßen es deswegen umso mehr, dass
mittlerweile Initiativen von Stiftungen und der Privat-
wirtschaft gegründet werden, die eine Förderung der
Geisteswissenschaften zum Ziel haben. Die Robert-
Bosch-Stiftung fördert vorbildlich mit ihrem Programm
„Denkwerk – Schüler, Lehrer und Geisteswissenschaft-
ler vernetzen sich“ die geisteswissenschaftliche Bildung
von Schülern. Darüber hinaus ist es das Ziel der Robert-
Bosch-Stiftung, Partnerschaften zwischen Wissenschaft-
lern, Lehrern und Schülern für gemeinsame Projekte zu
initiieren. Vielleicht ist es ja in der Zeit einer vermeint-
lich Großen Koalition ein beachtliches Zeichen, dass die
Bosch-Stiftung an der Martin-Luther-Universität in
Halle-Wittenberg seit Februar dieses Jahres das Projekt
sponsert: „Politische Rethorik – Überzeugungsarbeit und
Manipulation in Antike und Gegenwart“.
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Viele Naturwissenschaftler und Ingenieure sind nur
eswegen so gute Forscher, weil sie eine humanistische
ildung genossen haben. Latein- und auch Altgrie-
hischschulen schärfen den Geist, den Verstand und sen-
ibilisieren für den bewussteren Umgang mit unseren
ulturellen Traditionen. Gerade eine gute humanistische
ildung kann einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass
ir junge Menschen zu entscheidungsmutigen Persön-
ichkeiten mit einem ethischen Fundament entwickeln.
eshalb sollten wir auch das Jahr 2007 als Jahr der Geis-
eswissenschaften aktiv dafür nutzen, für die humanisti-
che Bildung zu werben. Ad multus annos! Auf weiter-
in viele gute Jahre!
Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Anfang 2006 hat der
issenschaftsrat Empfehlungen zur Entwicklung und
örderung der Geisteswissenschaften in Deutschland
orgelegt. 2007 nun ist zum Jahr der Geisteswissen-
chaften erklärt worden. Alles in allem sind dies zwei
ewichtige Anlässe, sich im Bundestag mit den Ent-
icklungsbedingungen und Perspektiven der Geistes-
issenschaften zu befassen.
Bei diesem Thema entwickeln Politikerinnen und
olitiker ganz offensichtlich einen besonderen Ehrgeiz.
mmerhin liegen dem Bundestag dazu vier Anträge vor.
iemand – weder aus Oppositions- noch aus Regie-
ungsfraktionen – wollte sich gegenseitig das Thema
berlassen. Was vorgelegt wurde, ist alles in allem schon
echt erstaunlich. Die Anträge weisen, wer hätte das ge-
acht, doch erhebliche Schnittmengen auf.
Nun mag dieser Umstand erstens darauf zurückzufüh-
en sein, dass sich alle an den Empfehlungen des Wis-
enschaftsrates entlanggearbeitet haben. Und in diesen
mpfehlungen gibt es insbesondere mit Blick auf For-
chungspotenzial und -leistung der Geisteswissenschaf-
en in diesem Land viel Positives zu lesen.
Zweitens stehen Debatten zu Geisteswissenschaften
mmer unter dem Verdacht, auch stark ideologisch ge-
rägt und politisch instrumentalisiert zu werden. Viel-
eicht sollten auch Hoheitsgebiete abgesteckt werden,
as die Antragsfülle ebenso begründen würde.
Drittens ist die Wissenschafts- und Forschungsförder-
olitik der Bundesregierung in den vergangenen Jahren
usgesprochen technologielastig und technikzentriert
onzipiert gewesen. In all diesen Programmen sind
eistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften marginali-
iert.
Selbst wenn prozentual beachtliche Steigerungsraten
ei der Förderung der Geisteswissenschaften verkündet
urden, nehmen sich 64 Millionen Euro Bundesmittel
öchst bescheiden gegenüber den Milliarden für techno-
ogieorientierte Wissenschaftsdisziplinen aus. Im Ge-
ensatz zu diesen sahen sich Geistes-, Kultur- und So-
ialwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler stets
inem hohen Rechtsfertigungsdruck ausgesetzt. Ihre
xistenzberechtigung wird zwar nicht offen und nicht
ffentlich bestritten. Dass sich ihre Ergebnisse zumeist
icht in Euro und konkreten Produkten messen lassen,
ringt sie aber in die Defensive, weil sie damit nicht in
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11213
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den Zeitgeist passen. Hinzu kommt, dass Schwächen
und Leerstellen bei den Geistes-, Sozial- und Kulturwis-
senschaften meist erst nach Jahrzehnten erkennbar wer-
den, weil sie in anderen Zeithorizonten wissenschaftlich
arbeiten und weil es erst mit zeitlichem Abstand erkenn-
bar wird, wo fehlende Erkenntnisse aus diesen Diszipli-
nen mit zu ungünstigen gesellschaftlichen Weichenstel-
lungen geführt haben. Vier Anträge können zumindest
als Indiz dafür angesehen werden, dass im politischen
Raum nun Handlungsdruck wahrgenommen wird.
Vor diesem Hintergrund erschien es den Politikerin-
nen und Politikern des Ausschusses für Bildung, For-
schung und Technikfolgenabschätzung dann auch durch-
aus sinnvoll, einmal darüber nachzudenken, ob sich aus
dem Geist der vier Anträge nicht auch ein Komprimat
als Kompromiss vereinbaren ließe. Irgendwie fühlte man
sich diesen – in den letzten Jahren doch arg gebeutelten –
Wissenschaftsdisziplinen verpflichtet. Also trafen wir
uns, um konkret an einem gemeinsamen Antrag zu ar-
beiten. Sich dabei nicht an Einzelheiten von Begrün-
dungs- und Feststellungsteilen zu verzetteln und damit
vielleicht die gemeinsame Chance auf Nebenschauplät-
zen zu zerreden, wurde schnell Konsens. Wir wollten
uns auf den Forderungsteil konzentrieren und gemein-
sam Verabredungen treffen, was nun im Interesse der
Geistes- und Sozialwissenschaften getan werden muss.
Auch dieses Herangehen lieferte immer noch genügend
inhaltliche Schnittmengen.
In den Fraktionen blieben zwei Problemkreise als
Diskussionsmasse:
Erstens. Wie kann dafür gesorgt werden, dass die
Kompetenzen von Bund, Ländern und Wissenschaftsein-
richtungen verfassungsrechtlich geachtet, aber gleichzei-
tig optimal zusammengeführt werden?
Zweitens. Wie kann die Hauptkritik des Wissen-
schaftsrates an den schlechten Lehr- und Studienbedin-
gungen infolge des Bolognaprozesses, der Einführung
von Bachelor- und Masterausbildung und der jahrelan-
gen Unterfinanzierung textlich integriert werden?
Aussichtslos erschien dieses Vorhaben nicht.
Noch bevor wir dazu in die Tiefe gehen konnten, kam
bereits aus den Untiefen der politischen Vorstellungswelt
von CSU und CDU das große „Njet“ – mits den Kom-
munisten mitanand moachen nia ned zsamma! War ja
noch schöner! Und so haben nach diesem Spruch
– weitab von Geisteswissenschaften – doch einmal wie-
der Ideologen gewonnen. Dass sich CDU/CSU-Politiker
immer noch an einen Beschluss aus buchstäblich dem
letzten Jahrhundert klammern, drückt für mich inhaltli-
chen und intellektuellen Notstand aus.
Was nützt dann das Lob aus der Eröffnungsveranstal-
tung zum Jahr der Geisteswissenschaften, dass man sich
ungewöhnlich schnell mit einem Positionspapier des
Wissenschaftsrates befasst habe? An der Situation von
Tausenden Studierenden, Lehrenden und Forschenden
wird sich auch künftig kaum etwas konkret ändern.
Denn nunmehr wird ein Antrag beschlossen, der ganz
zentrale Kritikpunkte aus den Empfehlungen des Wis-
senschaftsrates nicht berücksichtigt.
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Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das
ahr der Geisteswissenschaften ist eine gute Gelegen-
eit, deutlich zu machen, dass die Geisteswissenschaften
nverzichtbar sind. Ich bin – mit vielen anderen – der
berzeugung, dass der Bedarf an geistes- und sozialwis-
enschaftlichen Orientierungsleistungen in Zukunft noch
öher werden wird und dass wir deshalb gut daran tun,
ns diesen Fächern verstärkt zuzuwenden. Das Jahr der
eisteswissenschaften bietet aber auch einen Anlass zu
iner kritischen Bestandsaufnahme. Es darf gerade in
iesem Jahr nicht bei folgenlosen Sympathiebekundun-
en bleiben, sondern wir müssen zu handfesten Verbes-
erungen kommen. Und da muss man durchaus konsta-
ieren, dass die Bundesregierung tatsächlich bereits
inige Empfehlungen des Wissenschaftsrates umgesetzt
at – insbesondere die geplanten Kolleg-Forschergrup-
en –, was zu begrüßen ist. Allerdings gibt es trotzdem
rheblichen Handlungsbedarf. Ich will Ihnen nur zwei
eispiele nennen:
Wir brauchen einen viel stärkeren Blick auf die Be-
ingungen der geistes- und sozialwissenschaftlichen
ehre an den Hochschulen. Wenn der größte Teil der
ungen Leute, die wir von den Universitäten ins Berufs-
eben entlassen, geistes- und sozialwissenschaftliche
tudien absolvieren, dann kann es nicht sein, dass nur
ber die Leistungsfähigkeit in der Forschung gesprochen
ird und die Lehre immer weiter aus dem Blick gerät.
eswegen fordern wir in unserem Antrag auch einen
ualitätswettbewerb für gute Lehre. Die Anträge der
oalitionsfraktionen und der FDP äußern sich zur Ver-
esserung der Lehrbedingungen an den Hochschulen gar
icht. Das ist einer der Gründe, warum wir beide An-
räge ablehnen.
Bildungsministerin Annette Schavan hat wiederholt
rklärt, dass auch die kleinen geisteswissenschaftlichen
ächer, die sogenannten Orchideenfächer, zentrale Er-
enntnisse liefern und deshalb bewahrt werden müssten.
n der hochschulpolitischen Realität findet aber längst
in Sterben der kleinen Fächer statt. Viele Hochschulen
utzen ihre neu gewonnene Autonomie, die ich im Prin-
ip ausdrücklich begrüße, zu einer falsch verstandenen
rofilbildung. Sie bauen die kleinen Fächer zugunsten
on vermeintlich nützlicheren oder populäreren Fächern
b. Das Ergebnis ist, dass am Ende manche Fächer über-
ll ausgestorben sein werden, wenn wir nicht zu einem
oordinierten Vorgehen gelangen. Damit die gut gemein-
en Appelle der Ministerin nicht im föderalen Nirvana
erhallen, sollte sie Taten folgen lassen. Bund und Län-
er müssen zu verbindlichen Vereinbarungen darüber
ommen, an welchen Orten vorhandene Exzellenz in
en kleinen Fächern erhalten bzw. ausgebaut werden
oll. Um dies zu ermöglichen, müssen solche Vereinba-
ungen mit finanziellen Zuweisungen an die Hochschu-
en unterfüttert werden. Auch zur Problematik der klei-
en Fächer findet sich in den Anträgen der Koalition und
er FDP nichts Konkretes.
Wegen dieser Versäumnisse der Bundesregierung
ieht es leider so aus, als wenn das Jahr der Geisteswis-
enschaften am Ende eben doch nur ein Jahr der war-
en, aber unverbindlichen Worte bleiben wird.
11214 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007
(A) )
(B) )
Anlage 6
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Für die zügige Vor-
lage eines qualifizierten Berichts über die Lage
der Ausländerinnen und Ausländer in Deutsch-
land (Tagesordnungspunkt 14)
Reinhard Grindel (CDU/CSU): Von allen überflüs-
sigen Anträgen der Linkspartei ist das hier der mit Ab-
stand überflüssigste. Wenn man sich den Bericht der
Ausländerbeauftragten Marieluise Beck aus dem Jahre
2005 ansieht, dann stellt man fest, dass er zwei große
Hauptteile hatte. Ein Hauptteil beschäftigte sich mit der
Integration, der andere mit der Entwicklung des Rechts.
In beiden Bereichen haben wir gerade in diesen Wo-
chen wichtige Entscheidungen getroffen bzw. noch zu
treffen. Das Kabinett hat vorletzten Mittwoch den Be-
richt der Bundesregierung zu den Integrationskursen
verabschiedet und nächste Woche wird der Nationale In-
tegrationsplan vorgelegt. Der Bundestag hat vor drei
Wochen das neue Aufenthaltsrecht beschlossen. Morgen
wird es den Bundesrat passieren.
Diese wichtigen Entscheidungen muss die Integra-
tionsbeauftragte Maria Böhmer nun wirklich abwarten,
bevor sie ihren Bericht erstatten kann. Es wäre doch ge-
rade dann eine Missachtung des Parlaments, wenn die
Staatsministerin uns einen Bericht vorgelegt hätte, der
im Grunde mit der Drucklegung schon veraltet ist.
Der Bericht befasst sich eben nicht nur, wie die
Linkspartei behauptet, mit der Diskriminierung von
Flüchtlingen und Menschen ohne deutschen Pass. Wenn
man in den letzten Bericht von 2005 schaut, dann stellt
man fest, dass dort intensiv die Themen „Kommunale
Integrationsarbeit“ und „Migranten im Kindergarten“
behandelt werden. Es geht in dem Bericht um Arbeits-
marktintegration und die Rolle von Migranten im Sport.
Das sind alles zentrale Themen des Integrationsgipfels
und des Nationalen Integrationsplans, und es ist wirklich
abwegig, dass Sie hier kritisieren, dass Frau Böhmer ih-
ren Bericht hätte abgeben müssen, obwohl die Beratun-
gen des Nationalen Integrationsplans noch gar nicht ab-
geschlossen sind.
Lassen Sie mich deutlich hervorheben, dass sich der
Bericht der Staatsministerin vor allem in einem Punkt
unterscheiden wird: Er wird nämlich erstmals die Hal-
tung der gesamten Bundesregierung widerspiegeln und
nicht nur die Privatmeinung der Beauftragten. Der Be-
richt von Frau Beck hatte 604 Seiten. Wenn man alles
das einmal herausgefiltert hätte, was der damalige Bun-
desinnenminister Otto Schily nicht für richtig gehalten
hat, dann wäre von dem dicken Bericht nur eine dünne
Broschüre übriggeblieben.
Der Bericht von Staatsministerin Böhmer wird dage-
gen jedem Interessierten – Deutschen wie Ausländern –
eine Vorstellung davon vermitteln, wie die Bundesregie-
rung ganz konkret Integrationspolitik gestaltet.
Schon die organisatorische Ansiedlung, die die Be-
auftragte erfahren hat, zeigt doch den viel höheren Stel-
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enwert, der der Integrationspolitik seitens der Großen
oalition im Vergleich zu Rot-Grün beigemessen wird.
ie Beauftragte Frau Beck war angeklatscht an das Fa-
ilienministerium. Die Integrationsbeauftragte Maria
öhmer sitzt im Kanzleramt. Das ist ein wichtiges und
ichtiges Symbol. Integration, das ist in der jetzigen
undesregierung Chefsache. Das ist eine Querschnitts-
ufgabe, der sich die Beauftragte mit Unterstützung der
anzlerin widmet. Bei uns hat die konkrete Integrations-
olitik endlich den Stellenwert, den sie verdient.
Ich will die Gelegenheit nutzen, Maria Böhmer für
hre bisherige Arbeit recht herzlich zu beglückwün-
chen. Niemand hat es vor ihr geschafft, einen Integra-
ionsgipfel zustande zu bringen, der jetzt auch Vorbild-
harakter für die Bundesländer hat. Niemand hat ein so
eschlossenes Konzept erarbeitet, wie den Nationalen
ntegrationsplan, in dem eben nicht nur der Bund, son-
ern alle staatlichen Ebenen, auch die Länder und vor
llem gerade auch die Kommunen sowie die vielen Or-
anisationen im vorpolitischen Raum, sich durch Selbst-
erpflichtungen zu ihrem politischen Beitrag und ihrer
olitischen Verantwortung für die Integration der auslän-
ischen Mitbürger in unserem Land bekennen. Frau
öhmer hat die besondere Bedeutung der Rolle der Me-
ien für die Integration von Ausländern eingefordert und
uch hier erhebliche Leistungen von Fernsehsendern und
rintmedien erwirken können.
Es ist gerade auch das Verdienst der jetzigen Integra-
ionsbeauftragten, dass die Mittel für die Integrations-
urse im kommenden Jahr erheblich aufgestockt werden
nd wir damit nochmals eine ganz wesentliche qualita-
ive Verbesserung dieser wichtigen Kurse erreichen.
erzlichen Glückwunsch zu dieser hervorragenden Ar-
eit!
Deshalb habe ich auch überhaupt kein Verständnis,
enn einzelne Vertreter aus dem Bereich der muslimi-
chen und türkischen Verbände in diesen Tagen aus An-
ass des Integrationsgipfels und der Verabschiedung des
euen Zuwanderungsrechts Kritik an der Staatsministe-
in üben. Wir machen mit dem neuen Aufenthaltsrecht
ndlich Ernst mit dem Grundsatz „Fördern und For-
ern“. Es geht doch nicht um Sanktionen. Es geht uns
arum, dass alle ausländischen Mitbürger, die Integra-
ionsbedarf haben und gerade die, die bisher einen wei-
en Bogen um unsere Integrationsangebote gemacht ha-
en, jetzt endlich die Integrationskurse besuchen und
inen aktiven Beitrag für ein besseres Miteinander von
eutschen und Ausländern in unserer Gesellschaft leis-
en.
Das ist bitter nötig, denn ich will schon auf die neu-
ste Umfrage des ZDF und der Forschungsgruppe
ahlen verweisen, wonach 79 Prozent der Bundesbür-
er die Auffassung vertreten, dass die Muslime in unse-
em Land zu wenig für ihre Integration leisten. Darüber
arf man nicht einfach so hinweggehen, weil zur Inte-
ration nicht nur die Integrationsbereitschaft der Auslän-
er, sondern gerade auch die Aufnahmebereitschaft der
eutschen Mitbürger gehört. Deshalb habe ich kein Ver-
tändnis und halte es geradezu für kontraproduktiv,
enn jetzt einzelne Verbände erwägen, ob sie den Inte-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11215
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grationsgipfel in der kommenden Woche boykottieren,
weil sie mit unseren Beschlüssen zum Zuwanderungs-
recht nicht einverstanden sind. Ich sage ganz deutlich:
Eine Einstellung nach dem Motto „Entweder ihr be-
schließt, was wir wollen, oder wir reden nicht mehr mit
euch“ offenbart schon ein sehr problematisches Politik-
und Demokratieverständnis.
Ich warne diejenigen, die meinen, sie müssten jetzt
Stimmung machen, ganz ausdrücklich. Es darf nicht
sein, dass man ein Zerrbild vom neuen Ausländerrecht
zeichnet, dass man damit den ausländischen Mitbürgern
Angst macht und man sich anschließend beklagt, die
Ausländer in Deutschland fühlten sich von der Politik
nicht richtig angenommen.
Ich sage noch einmal: Die Große Koalition will eine
konsequente Integrationspolitik. Keine beliebige, keine,
die die Ausländer sich selbst überlässt, kein unverbindli-
ches Nebeneinander, das Parallelgesellschaften zemen-
tiert. Wir wollen ein konsequentes Miteinander, mit kla-
ren Regeln des Zusammenlebens, mit der Erwartung,
dass jeder seinen Beitrag leistet, dass Integration auch
gelingt.
In diesem Sinne macht die Integrationsbeauftragte
Maria Böhmer eine sehr gute Arbeit. Das wird ihren Be-
richt zur Lage der Ausländer auch kennzeichnen. Wir
freuen uns auf diesen Bericht, und jeder ist dann herzlich
zu einer fairen Diskussion eingeladen.
Sebastian Edathy (SPD): Integration ist – das wis-
sen und betonen wir von der SPD-Bundestagsfraktion
seit langem – kein Randthema. Im Gegenteil: Integration
ist in einem Land, in dem nach jüngsten Erhebungen
etwa jeder fünfte Bürger einen Migrationshintergrund
hat, ein Kernthema. Es geht um eine zentrale Frage für
das Gelingen des gesellschaftlichen Miteinanders in
Deutschland.
Dies gilt umso mehr, weil über Jahre hinweg ver-
säumt wurde, ernsthaft darüber nachzudenken, dass ein
wachsender Bedarf an Integrationsmaßnahmen, vor al-
lem aber ein Bedarf an Integrationskonzepten besteht
und diesem Bedarf Rechnung zu tragen ist.
Erst die SPD-geführte Bundesregierung hat eine Re-
form des Staatsbürgerschaftsrechtes und die Schaffung
eines Integrations- und Zuwanderungsgesetzes ermög-
licht. Damit haben wir die richtigen Schlussfolgerungen
aus der Tatsache gezogen, dass unser Land – auch – ein
Einwanderungsland ist. Die sich daraus ergebenden
Chancen müssen wir nutzen, die Risiken minimieren.
Letzteres bedeutet: Wir müssen Sorge dafür tragen, dass
Integration gelingt – im Sinne der Ermöglichung von
gleichberechtigten Chancen auf Teilhabe am gesell-
schaftlichen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen
Leben. Genau davon lebt eine Demokratie. Eine Gesell-
schaft, die gespalten ist in Etablierte und Außenseiter,
kann nicht unseren Vorstellungen entsprechen.
Es freut mich, dass wir unseren jetzigen Koalitions-
partner von der Wichtigkeit dieser Thematik überzeugen
konnten. Und sehr wohlwollend haben wir zur Kenntnis
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enommen, dass die Bundeskanzlerin vor einem Jahr
rstmals zu einem Integrationsgipfel eingeladen hat.
Das Ergebnis des Gipfels war der Entschluss, sich mit
er Erstellung eines Nationalen Integrationsplanes zu
efassen. Dieser soll nun in Kürze vorgelegt werden –
in umfangreiches Unterfangen, welches Personal und
essourcen der Integrationsbeauftragten der Bundesre-
ierung gewiss in einem erheblichen Maße bindet, of-
enkundig sogar in einem Umfang, der eine zeitgleiche
nd fristgerechte Fertigstellung des alle zwei Jahre vor-
ulegenden Berichts zur Lage der Ausländerinnen und
usländer in Deutschland nicht ermöglicht.
Es ist natürlich richtig und wichtig, dass Frau Profes-
or Dr. Böhmer dem äußerst bedeutsamen Projekt eines
ationalen Integrationsplanes vordringlich Aufmerk-
amkeit und personellen Einsatz zukommen lässt. Sie
at erklärt, den 7. Bericht zur Lage der Ausländerinnen
nd Ausländer in der Bundesrepublik nicht, wie gesetz-
ich vorgesehen, innerhalb einer Zweijahresfrist dem
undestag zuzuleiten. Das hätte jetzt der Fall sein müs-
en, da der 6. Bericht aus dem Juni 2005 stammt. Frau
öhmer hat Ende April 2007 dem Bundestagspräsiden-
en mitgeteilt, dass der Bericht erst im ersten Quartal des
ahres 2008 vorgelegt wird.
Es mutet jedoch etwas seltsam an, wenn – wie ein
ermerk aus dem Amt von Frau Dr. Böhmer aus dem
ktober 2006 ergibt – diese Verschiebung bereits im
etzten Herbst geplant war und in diesem Vermerk zu-
leich die Absicht dokumentiert wurde, hierüber das
arlament erst – Zitat – „ab April 2007“ zu informieren.
Es ergeben sich zwei Fragen:
Erstens. Wenn die Verschiebung der Vorlage des Be-
ichtes an mangelnden Ressourcen liegen sollte, müsste
ann nicht sichergestellt werden, dass die Integrations-
eauftragte diese erhält? Mit anderen Worten: Wenn das
hema Integration an Wichtigkeit gewinnt, dann muss
as für die personelle Ausstattung des Amtes der Inte-
rationsbeauftragten Folgen haben!
Zweitens. Wenn die Verschiebung der Vorlage des
erichtes bereits im Oktober 2006 beschlossene Sache
ar, warum wurde dann das Parlament nicht unmittelbar
nformiert? Im Klartext: Wenn sich die Bundesregierung
icht in der Lage sieht, einen ihr vom Gesetzgeber ge-
tellten Auftrag umzusetzen, dann ist eine umgehende
nformation des Bundestages eine blanke Selbstver-
tändlichkeit!
Der Lagebericht ist ein wichtiges Dokument, um die
ituation von ausländischen Mitbürgerinnen und Mit-
ürgern in Deutschland zu bewerten. Er war in der Ver-
angenheit ein guter und hilfreicher Seismograf für die
eurteilung der Lage von Migrantinnen und Migranten
n Deutschland. Er nennt Erreichtes und Probleme, stellt
ntwicklungen dar und skizziert zukünftige Handlungs-
öglichkeiten.
Der Bericht tat dies bisher in nüchterner Art und
eise und setzte damit ein Gegengewicht gegen die oft
motional geführten Diskussionen über Ausländerpoli-
ik. Er griff inhaltlich die verschiedensten Bereiche des
11216 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007
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Lebens von Ausländerinnen und Ausländern in der Bun-
desrepublik auf: ihre Arbeitssituation, ihren Bildungs-
stand, ihre Einbindung in die deutsche Gesellschaft – um
nur einige Aspekte zu nennen. Er griff auch die relevan-
ten rechtlichen Entwicklungen auf nationaler wie euro-
päischer Ebene auf.
Die wissenschaftliche Tiefe, die den Bericht bisher
auszeichnete, sollte erhalten und die Breite der behan-
delten Themen in keinster Weise eingeschränkt werden.
Das, wie in dem von mir erwähnten Vermerk festge-
halten, der Bericht „200 Seiten plus einen Datenanhang
nicht überschreiten“ solle, halte ich für eine seltsame
Vorgabe. Die Notwendigkeit des Umfanges eines Doku-
ments ergibt sich doch wohl aus der Breite der behandel-
ten Materie und der notwendigen Intensität ihrer Darstel-
lung – und nicht umgekehrt!
Es wäre schade, wenn dieser wichtige Bericht nicht
nur verspätet vorgelegt würde, sondern auch qualitativ
suboptimal gestaltet werden sollte.
Mit dem demnächst vorliegenden Nationalen Integra-
tionsplan wird ein sehr wichtiges Dokument vorliegen.
Seit dem Integrationsgipfel 2006 haben Experten zu ver-
schiedenen Themen Ziele und Maßnahmen vereinbart.
Am 14. Juni 2007 haben die Innenminister der Bundes-
länder im Rahmen ihres halbjährlichen Zusammentreffens
ebenfalls recht bemerkenswerte Vorschläge zur Einarbei-
tung in den Nationalen Integrationsplan beschlossen.
Die Bundeskanzlerin wird für den 12. Juli 2007 er-
neut zu einem Integrationsgipfel ins Kanzleramt einla-
den. Dort stellt sie den Nationalen Integrationsplan vor.
Es muss uns jedoch klar sein: Absicht der Bundesre-
gierung sollte es sein, mit dem Integrationsplan denjeni-
gen die Hand zu reichen, die noch nicht ideal in unsere
Gesellschaft integriert sind.
Die Arbeit der Expertengruppen verheißt zunächst
Gutes. Viele für das Gelingen der Integration relevante
Themen wurden intensiv diskutiert, und verschiedene
Vorschläge zur Verbesserung der Integrationskurse oder
zur Erhöhung der Arbeitsmarktchancen von Menschen
mit Migrationshintergrund wurden gemacht.
Worauf wir jedoch auch achten müssen – und die der-
zeitige, offenkundig gewordene Überlastung von Frau
Professor Dr. Böhmer und ihrem Mitarbeiterstab deutet
mehr als deutlich darauf hin – ist, dass gegenüber dem
„Fordern“ das „Fördern“ nicht ins Hintertreffen gerät.
Das heißt, wir sollten darauf achten, dass in den bald
wieder anstehenden Haushaltsverhandlungen Mittel be-
reitgestellt werden, die die Ziele und Maßnahmen im In-
tegrationsplan auch umsetzbar machen.
Wenn wir etwa Verbesserungen der Integrationskurse
erreichen wollen, dann muss dies mit einer ausreichen-
den finanziellen Ausstattung einhergehen. Wenn – was
ich sehr richtig finde – Kindern mit Migrationshinter-
grund schon in Kindertageseinrichtungen Deutsch beige-
bracht werden soll, dann muss das Personal entspre-
chend geschult und gegebenenfalls erhöht werden.
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Ich wünsche mir, dass der Nationale Integrationsplan
icht nur ein Plan bleibt, sondern dass wir die Ziele ge-
einsam erreichen. Ich wünsche mir aber auch, dass
ich Frau Professor Dr. Böhmer der Relevanz und des
utzens des Lageberichts bewusst ist und diesen – künf-
ig bitte wieder fristgerecht – im bisherigen gründlichen
mfang vorlegt.
Auf Folgendes will ich abschließend noch hinweisen:
ntegrationspolitik heißt, nicht eine Politik der geballten
aust, sondern eine Politik der ausgestreckten Hand zu
estalten. Da wäre es schon hilfreich, wenn die Integra-
ionsbeauftragte und vielleicht auch die Bundeskanzlerin
in wenig mehr Einfluss auf den Bundesinnenminister
ähmen. Dieser hat jüngst vorgeschlagen, dass wir die
ingerabdrücke aller in Deutschland lebenden Auslände-
innen und Ausländer erheben sollen. Man muss sich das
inmal vor Augen führen: Wir sollen also die zum Teil
ahrzehnte bei uns lebenden ausländischen Mitbürger
uffordern, zum Anlegen einer neuen Datenbank ihre
ingerabdrücke abzugeben. Was hieße das? Das hieße,
inen Generalverdacht gegenüber den in Deutschland le-
enden Migrantinnen und Migranten auszusprechen.
as macht die SPD-Bundestagsfraktion auf keinen Fall
it. Solch ein unerhörter Vorschlag wäre besser unter-
lieben. Er konterkariert das, was unser aller Ziel sein
uss: Integration zu fördern und eine bisweilen vorhan-
ene Kultur des Misstrauens zu überwinden.
Sibylle Laurischk (FDP): Der zweite Integrations-
ipfel steht vor der Tür, und die Kanzlerin geht ihrer
riede-Freude-Eierkuchen-Stimmung verlustig. Einige
ingeladene Verbände haben ihre Teilnahme infrage ge-
tellt, weil die Bundesregierung in ihrem sogenannten
msetzungsgesetz von elf asyl- und aufenthaltsrechtli-
hen Richtlinien die Kultur des Misstrauens pflegt. Die-
er Schritt ist nachvollziehbar. Denn wer will schon den
ahmen für ein Gruppenfoto bilden, wenn gleichzeitig,
ozusagen durch die kalte Küche, massive Verschärfun-
en im Ausländerrecht serviert werden? Ich halte es
chon für zynisch, wenn Herr Schäuble das Gesetz im
undestag noch als integrationsfördernd lobt. Das setzt
em Ganzen doch die Krone auf. Denn dies muss am
orabend des zu erwartenden Beschlusses im Bundesrat
esagt werden: Dieses Umsetzungsgesetz verhindert Zu-
anderung, verschenkt damit deren Potenziale und at-
et den Geist des Misstrauens.
Offensichtlich hat die Ansiedelung von Frau Böhmer
m Kanzleramt nicht das gebracht, was man sich davon
ersprochen hat. Die Hardliner in den Bundes- und Lan-
esinnenministerien lassen sich nicht von ein paar Ar-
eitsgruppen im netten Kreis von ihren Haltungen ab-
ringen. Für sie sind Zuwanderer immer noch
otenzielle Bedrohungen, sei es für die innere Sicherheit
der für ihre liebgewordenen Ressentiments.
Es ist verständlich, dass sich die Verbände nun hinter-
angen fühlen. „Integration funktioniert nur mit Teil-
ahme, nicht mit Wegbleiben“, sagte der Sprecher von
errn Schäuble auf die Ankündigung des Fernbleibens.
in interessantes Leitmotiv nach einem Gesetzgebungs-
erfahren, das in Hinterzimmern ausgefeilscht wurde,
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11217
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bei dem man drei Sachverständigenanhörungen weitge-
hend ohne Anwesenheit der Bundesregierung durchge-
führt hat und deren Ergebnisse nicht einmal im Ansatz
berücksichtigt wurden. Dieses Wegbleiben haben alle
Beteiligten verstanden. Ich setzte dem entgegen: Integra-
tion funktioniert nur mit Zuhören, nicht mit Wegsehen.
Dabei sind die Erwartungen an den Nationalen Inte-
grationsplan allerorten so geschürt worden, dass man
schon das Gefühl bekommt, dies sei der Endpunkt und
mit den darin enthaltenen Selbstverpflichtungen sei
schon alles erledigt. Im Gegenteil: Integration ist ein
Prozess, der immer aufs Neue gestaltet werden muss.
Der Nationale Integrationsplan kann nur ein Anfang
sein, der gerade die staatlichen Akteure darauf aufmerk-
sam macht, dass Integration eine Querschnittsaufgabe
ist, die der Aufmerksamkeit aller bedarf und nicht nur
mit Sozialarbeitern und Ausländerämtern erledigt wer-
den kann.
Ein verlässliches Dokument für die Arbeit in diesem
Feld war immer der Ausländerbericht – umfangreiches,
auf wissenschaftlicher Grundlage erstelltes Material; es
wurden viele Erkenntnisse publiziert und viele Forde-
rungen aufgestellt, die wir heute vorantreiben, ohne die
notwendige Aufmerksamkeit im politischen und veröf-
fentlichten Raum gefunden zu haben. Diese Notwendig-
keit wird auch durch den Nationalen Integrationsplan
nicht ersetzt. Der Ausländerbericht darf schon gar nicht
zu „Marias Resterampe“ werden, zusammenstrickt aus
den nicht veröffentlichten Teilen des Integrationsplans.
Hier fordert die FDP die Staatsministerin auf, bei dem
bewährten Verfahren zu bleiben und eine klare Zustands-
beschreibung und Analyse der Situation der Ausländer
in Deutschland zu erstellen.
Allerdings geht auch Gründlichkeit vor Schnelligkeit.
Besser einen fundierten Plan nach bewährtem Muster als
ein unbrauchbares Dokument, nur um die Frist einzuhal-
ten. Diesbezüglich kann ich dem Antrag hier nicht fol-
gen.
Darüber hinaus bekleckert sich die Bundesregierung
in der Qualität ihrer Antworten und Berichte schon jetzt
nicht gerade mit Ruhm; wir möchten sie davor bewah-
ren, dieser langen Liste auch noch den Ausländerbericht
hinzuzufügen. Was da manchmal auf unsere Schreib-
tische flattert, sehe ich als die eigentliche Missachtung
des Parlaments an, wobei es sich um eine fortgesetzte
Missachtung handelt. Denn das ganze Verfahren des Na-
tionalen Integrationsplans ist eine einzige Missachtung
des Parlaments. Es gab eine bewusste Umgehung des
Deutschen Bundestages, nur um der Kanzlerin einige
mehr oder weniger gelungene Auftritte mit Migranten zu
verschaffen. Wir werden sehen, ob der Auftritt nächste
Woche den gewünschten Harmonieeffekt hat, oder ob
sich die Kanzlerin dort auch für die Politik der Regie-
rung rechtfertigen muss.
Eine Enquete-Kommission für Migration und Integra-
tion im Deutschen Bundestag hätte diesen jetzt spürba-
ren Legitimitätsverlust nicht. Sie wäre im Gegenteil eine
breite gesellschaftliche Aufstellung, die sich fundiert mit
den Themen und auch den Vorstellungen befasst, ohne in
das Korsett exekutiver Zwänge und großkoalitionärer In-
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zenierung eingezwängt zu sein. Lassen Sie uns diese
hance ergreifen! Nach dem nächsten Donnerstag wer-
en Sie sehen, wie notwendig das ist.
Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
EN): Es kommt darauf an, dass beim Integrationsgipfel
icht nur Sonntagsreden gehalten werden, sondern auch
ntsprechende Taten folgen. Wenn der Integrationsgipfel
er Bundesregierung mehr sein soll als „weiße Salbe“,
uss er auch als Messlatte an die tatsächliche Politik der
undesregierung angelegt werden. Integration ist für die
rüne Fraktion nicht von Rechtssicherheit für Migrantin-
en und Migranten zu trennen. Die Überlegung der Mi-
rantenverbände, sich nicht als integrationspolitisches
eigenblatt beim Integrationsgipfel benutzen zu lassen,
st nachvollziehbar.
Versteckt in einer angeblichen Umsetzung von elf
U-Richtlinien enthält das Zuwanderungsänderungsge-
etz zahlreiche rechtsstaatlich bedenkliche Verschärfun-
en im Ausländer- und Flüchtlingsrecht. Diese sind von
inem generellen Misstrauen gegenüber Migrantinnen
nd Migranten geprägt. Die Koalition hält mit aller Kraft
m Gedanken der Zuwanderungsbegrenzung fest. Dabei
immt sie bewusst familien- und integrationsfeindliche
egelungen in Kauf. Morgen besteht für die Bundeslän-
er, die es wirklich ernst meinen mit der Förderung von
ntegration, die letzte Chance, dieses integrationsfeindli-
he Gesetz im Bundesrat abzulehnen.
Während die Länder beim Integrationsgipfel betonen,
ie Sprachförderung verbessern zu wollen, sieht das
eue Gesetz vor, Menschen ohne Deutschkenntnisse ein-
ach gar nicht einreisen zu lassen. Das Recht auf eheli-
hes Zusammenleben wird von mündlichen und schrift-
ichen Sprachkenntnissen abhängig gemacht. Damit
erden keine Zwangsheiraten verhindert und nichts für
ie Integration getan. Kenntnisse der deutschen Sprache
nd der Rechte von Frauen können viel besser in
eutschland vermittelt werden – in den Integrationskur-
en, die mit dem Zuwanderungsgesetz 2005 geschaffen
urden.
Nun zum Antrag der Linksfraktion: Wir halten im Ge-
ensatz zur Linksfraktion nichts davon, die Integrations-
eauftragte zur sofortigen Vorlage ihres Lageberichtes
erpflichten zu wollen. Zwar wäre der im Turnus von
wei Jahren fällige Bericht im Juni 2007 dem Bundestag
orzulegen gewesen. Die Beauftragte hat aber gegen-
ber dem Bundestagspräsidenten mitgeteilt, dass sie we-
en der Arbeit um den Integrationsgipfel um eine Frist-
erlängerung für die Abgabe des Berichtes bittet. Der
undestagspräsident hat inzwischen geantwortet und um
ine baldmögliche Übermittelung des Berichtes gebeten.
Für unsere Fraktion gilt: Wir sind an einem qualitativ
ochwertigen und umfassenden Lagebericht interes-
iert. Dieses Ziel kann aber durch die Vorstellungen im
ntrag der Linksfraktion nicht erreicht werden – zumal
urch das Schreiben des Bundestagspräsidenten die zen-
rale Forderung des Antrags hinfällig geworden ist.
Der Lagebericht stellte bislang eine fundierte Quelle
ber die Situation von Migrantinnen und Migranten in
eutschland für Politik, Wissenschaft und Medien dar.
ies war sowohl zu Zeiten der Integrationsbeauftragten
11218 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007
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Cornelia Schmalz-Jacobsen als auch zu Zeiten von
Marieluise Beck so. Meine Fraktion würde es begrüßen,
wenn die Integrationsbeauftragte möglichst wenige Än-
derungen an der inhaltlichen Struktur vornehmen würde –
wie es ein mitgeschickter interner Vermerk ihres Hauses
an das Bundestagspräsidium vermuten lässt.
Dr. Maria Böhmer (Staatsministerin bei der Bundes-
kanzlerin): Lassen sie mich zunächst eine Vorbemer-
kung zum gegenwärtigen Integrationsprozess machen.
Erstens. In einer Woche wird die Bundeskanzlerin den
Nationalen Integrationsplan der Öffentlichkeit vorstel-
len. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik ha-
ben alle staatlichen Ebenen, die mit Fragen der Integra-
tion befassten Verbände, Migrantenorganisationen,
Gewerkschaften, Kirchen, Vertreter der Medien und des
Sports gemeinsam die Schwerpunkte der Integrations-
politik definiert. Insgesamt 367 Personen in zehn Ar-
beitsgruppen waren daran beteiligt. Sie haben sich auf
konkrete Maßnahmen geeinigt. Der Plan enthält darüber
hinaus 250 Selbstverpflichtungen.
Zweitens. Im Auftrag der Bundeskanzlerin habe ich
diesen Arbeitsprozess koordiniert. Es war eine gewaltige
Kraftanstrengung, aber es hat sich gelohnt. Der Dialog-
prozess und die Ergebnisse des Nationalen Integrations-
plans werden von allen außerordentlich positiv aufge-
nommen.
Damit eröffnen wir Menschen aus Zuwandererfami-
lien neue Chancen! Damit eröffnen wir Deutschland
neue Chancen!
Drittens. Damit wird deutlich: Deutschland ist Inte-
grationsland. Wir begreifen Integration als fortschreiten-
den Prozess in der Verantwortung aller. Er führt zur
gleichberechtigten Teilhabe, zum wechselseitigen Ver-
ständnis und zur Identifikation mit unserem Land. Ich
freue mich über alle, die zu diesem Prozess beitragen
wollen.
Viertens. Kein Beitrag dazu ist allerdings Ihre Klage
darüber, dass der gesetzlich vorgeschriebene Bericht der
Beauftragten noch nicht vorliegt. Dabei handelt es sich
um den durchsichtigen Versuch, der Beauftragten und
damit der Integrationspolitik der Bundesregierung Ver-
säumnisse nachweisen zu wollen. Es gibt bei dieser Bun-
desregierung keine Versäumnisse in der Integrationspoli-
tik, im Gegenteil.
Fünftens. Es ist selbstverständlich, dass gesetzliche
Regelungen befolgt werden. Es muss schon sehr gute
Gründe geben, wenn es Ausnahmen von Fristen gibt.
Das war in der Vergangenheit schon so. Aufgrund der
Neuausrichtung des Zuwanderungsrechts kam der letzte
Lagebericht, den meine Vorgängerin zu verantworten
hatte, mit einer Verspätung von zehn Monaten heraus.
Auch die Fraktion Die Linke hat sich in den Bundestags-
ausschüssen an der Diskussion in über den Bericht betei-
ligt, aber an der Überschreitung der Frist keinerlei Kritik
geübt.
Sechstens. Umso mehr verwundert es, dass sie es jetzt
monieren. Im Gegensatz zu früher lege ich Wert auf
Transparenz. Deshalb hatte ich dem Bundestagspräsi-
denten mitgeteilt, dass sich die Abgabe des Lageberichts
verschieben wird. Die Fraktion die Linke hat daraufhin
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eagiert, dass der Lagebericht schnellstmöglich vorge-
egt werden soll. Ich habe den Bundestagspräsidenten in-
wischen informiert, dass diesem Anliegen entsprochen
ird. Ihr Antrag ist damit gegenstandslos.
Hinzufügen möchte ich:
Siebtens. Das veränderte Zuwanderungsrecht und der
ationale Integrationsplan schaffen eine völlig neue
usgangslage. Davon kann der Lagebericht nun ausge-
en. Andernfalls wäre er mit seinem Erscheinen bereits
eraltet gewesen.
Ein später vorgelegter Bericht ist somit keine „Miss-
chtung des Parlaments“, ganz im Gegenteil: Nur so ist
s möglich, die parlamentarische Entscheidungsfindung
n der Zukunftsfrage Integration im nächsten Lagebe-
icht zu berücksichtigen – und nicht erst in zwei Jahren.
Achtens. Auch der Nationale Integrationsplan kann
adurch berücksichtigt werden. Er lässt sich keineswegs,
ie Sie in Ihrem Antrag behaupten, auf „Vorhaben der
undesregierung“ reduzieren. Hier handelt es sich um
inen Arbeitsprozess mit gesamtgesellschaftlicher Betei-
igung und von gesamtgesellschaftlicher Relevanz. In
usschüssen des Deutschen Bundestages wurde dazu
iederholt Stellung genommen.
Der Dialogprozess, den die Bundesregierung angesto-
en hat, ist einmalig. Er ist von allen Beteiligten aus Po-
itik und Gesellschaft als große Bereicherung empfunden
orden. Zahlreiche Arbeitsgruppen haben bereits wei-
ere Begegnungen geplant. Der Prozess wird von unse-
en Nachbarländern mit großer Aufmerksamkeit ver-
olgt.
Der Dialog ist mit der Vorstellung des Plans nicht be-
ndet. Ganz im Gegenteil: Er wird damit auf eine neue
rundlage gestellt. Der Nationale Integrationsplan
chreibt fest, worauf wir uns geeinigt haben, wo es vo-
angehen muss und was zu tun ist. Für die Umsetzungs-
hase setzte ich auf ein enges Zusammenwirken aller,
esonders aber das Parlament und das Engagement der
inzelnen Abgeordneten in ihren Wahlkreisen.
nlage 7
Zu Protokoll gegebene Reden
Zur Beratung:
– Beschlussempfehlung und Bericht zu den
Anträgen:
– Attraktivität des Wassertourismus und des
Wassersports stärken
– Sport- und Freizeitschifffahrt in Deutsch-
land erleichtern
– Antrag: Sportschifffahrt und Wassersport
wirksam fördern und von überflüssigen Be-
schränkungen befreien
(Tagesordnungspunkt 19 und Zusatztagesord-
nungspunkt 11)
Renate Blank (CDU/CSU): „Wer den Hafen nicht
ennt, in den er segeln will, für den ist kein Wind günstig.“
iese über 2 000 Jahre alten Worte des römischen Philoso-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11219
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phen Seneca können noch heute sinnbildlich Richtschnur
sein – auch wenn es um die Zukunft von Wassersport und
Wassertourismus in Deutschland geht. Um im Bild zu
bleiben: Diese Koalition hat sich nach dem Motto „Zu-
kunft hat, wer sie gestaltet“ schon in der Koalitionsverein-
barung über den „Hafen“ verständigt und will mit dem
vorliegenden Antrag „Attraktivität des Wassertourismus
und des Wassersports stärken“ den notwendigen günsti-
gen Rückenwind für einen wichtigen Bereich geben.
Denn kein Wirtschaftssektor wächst weltweit so schnell
wie der Tourismus. Der Tourismus ist wie keine andere
Branche auf eine schöne Natur und eine intakte Umwelt
angewiesen; daher hat ein natur- und umweltverträglicher
Tourismus in Deutschland eine Schlüsselfunktion für
nachhaltige Entwicklung. 2,8 Millionen Menschen arbei-
ten in Deutschland in der Tourismusbranche. Tourismus
gehört in Bezug auf den Umsatz, vor allem aber in Bezug
auf die Beschäftigungszahlen zu den wichtigen Branchen
in Deutschland.
Die Koalitionsfraktionen setzen sich für eine bessere
Nutzung des großen Potenzials, für die touristische Nut-
zung der deutschen Wassersportreviere auf Flüssen, Bin-
nenseen, vernetzten Wasserwegen und an der Nord- und
Ostsee ein. Die Bundesregierung wird zudem mit Maß-
nahmen beauftragt, die eine Vereinfachung und Deregu-
lierung zum Ziel haben. So sollen die Zulassungskriterien
und Prüfungsinhalte für Sportbootführerscheine grund-
sätzlich überprüft, unterschiedliche Führerscheine besser
aufeinander abgestimmt oder auch klare, übersichtliche
Vorgaben bei den bestehenden verbindlichen Ausrüs-
tungsstandards entwickelt werden. Nicht nur, aber auch in
strukturschwachen Regionen kann der Wassertourismus
wichtige Impulse für den gesamten Arbeitsmarkt geben.
Bereits heute betreiben über 6 Millionen Menschen Was-
sersport, der von Segeln, Surfen, Tauchen, Angeln bis
zum Kanu-, Motorboot- und Wasserskifahren reicht. Auch
Urlaub mit Hausbooten erfreut sich immer größerer Be-
liebtheit.
Ein Grund hierfür ist, dass immer mehr Gewässer
ohne einen Führerschein befahren werden können und
die Freigabe weiterer geeigneter Binnengewässer ge-
prüft wird. Wichtig ist ein verstärktes Marketing im In-
und Ausland, da sich unsere Tourismusregionen nicht
mehr allein mit innerdeutschen Regionen in Konkurrenz
befinden. Die Wettbewerber sind zunehmend auch jene
touristischen Destinationen zwischen Ostsee und
Schwarzem Meer, die mit dem EU-Beitritt viel näher lie-
gen als jemals zuvor. Diesem Wettbewerb wollen und
müssen wir uns stellen. Und wir haben meines Erachtens
auch gute Chancen, in diesem Wettbewerb nicht nur zu
bestehen, sondern ihn positiv im Sinne von mehr Be-
schäftigung und mehr wirtschaftlicher Wertschöpfung zu
nutzen.
Als Parlamentarier haben wir daher ein großes Inte-
resse daran, unseren nachhaltigen Inlandstourismus noch
weiter zu stärken, auch um das Klima zu schützen. Der
Wassertourismus hat sich zu einem eigenständigen An-
gebotssegment entwickelt, das in vielen Fällen sogar ein
bedeutender Standortfaktor ist, von dem wichtige Im-
pulse für neue Arbeitsplätze ausgehen. Eine Steigerung
der Attraktivität des Wassersport- und Tourismuslandes
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eutschland durch einen naturverträglichen Ausbau von
assersportmöglichkeiten bietet neben einer Verbesse-
ung des Erholungswertes für die Menschen auch die
hance für eine positive wirtschaftliche Entwicklung,
ber eben auch – und das halte ich für wichtig – für den
aturverträglichen Ausbau und für die weitere Schaffung
er verbesserten Durchgängigkeit von Gewässern für Fi-
che und Wasserlebewesen.
Gerade Natursportarten wie der Paddel- und Kanu-
port eignen sich sehr gut, viele Menschen durch ein-
rucksvolle Naturerlebnisse der Natur näherzubringen
nd für die Ziele des Umweltschutzes zu gewinnen.
ein Zweifel: In den letzten Jahren und Jahrzehnten ha-
en Freizeit und aktive Freizeitgestaltung als Ausgleich
um Berufsleben oder an dessen Stelle zunehmend an
edeutung gewonnen; die Sport- und Freizeitschifffahrt
at sich von einer ehemals exklusiven Beschäftigung
egüterter zu einem Breitensport entwickelt. Aktivitäten
uf dem Wasser begeistern mehr und mehr nicht nur Ur-
auber in fernen Regionen; auch in Deutschland erleben
mmer mehr deutsche und ausländische Touristen die
aszination der Nord- und Ostsee, der Binnenseen und
er Flüsse. 1,85 Millionen Deutsche sind in Sportverei-
en organisierte Wassersportler. 17,1 Millionen Deut-
che surfen, tauchen, segeln, angeln, fahren Kanu, Mo-
orboot oder Wasserski in ihrer Freizeit oder in ihrem
rlaub.
Rund 10 000 Kilometer lange Binnenwasserstraßen,
ahlreiche reizvolle Seen sowie rund 23 000 Quadratki-
ometer Seewasserstraßen an Nord- und Ostsee machen
eutschland zu einem interessanten Wassersport- und
rlaubsrevier in zentraler Lage Europas. Hinzu kommen
och viele Tausende Kilometer Fließgewässer, die nur
ür Kanus und Ruderboote befahrbar sind. Die Verbin-
ungen auf dem Wasserweg mit den europäischen Nach-
arn in Ost und West öffnen zusätzliche Märkte und
chaffen hervorragende Ausgangsbedingungen. Aller-
ings sind die vielfältigen Möglichkeiten zur touristi-
chen Nutzung des Wassers hierzulande bei Weitem
och nicht ausgeschöpft und der Öffentlichkeit zu wenig
ekannt – so das Ergebnis der Grundlagenuntersuchung
Wassertourismus in Deutschland“.
Ich bin dem ADAC, dem Bundesverband Wasser-
portwirtschaft und dem Deutschen Boots- und Schiff-
auer-Verband dankbar, dass sie sich mit einem Posi-
ionspapier zum Thema „Deregulierung im Bereich der
portschifffahrt und des Wassertourismus“ fachkundig
nd ausführlich zu Wort gemeldet haben. Das tut dem
einungsbildungsprozess gut.
Der Forderung des Positionspapiers nach verlässli-
hen Unfallstatistiken, der Entwicklung von Qualitäts-
tandards für die Ausbildung, der Weiterentwicklung
raktischer Prüfungsteile, der Bindung der Mindestaus-
üstung auch an das Fahrtgebiet, der Änderung der
rinkwasserverordnung, nach gemeinsamen Kampagnen
ur Schaffung eines Sicherheitsbewusstseins im Sport-
ootbereich, einer Kennzeichnungspflicht auch im See-
ereich sowie der Schaffung eines einheitlichen Sport-
chifffahrtsrechts tragen wir mit unserem Antrag
echnung.
11220 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007
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Wir müssen geltendes Recht kontinuierlich aktualisie-
ren und modernisieren unter Beachtung der Sicherheits-
erfordernisse. Eine eventuell einzuführende Kennzeich-
nungspflicht dient der Sicherheit und nicht, wie
befürchtet, einer steuerlichen Erhebung.
Zum FDP-Antrag „Sport- und Freizeitschifffahrt er-
leichtern“ möchte ich festhalten, dass beide Anträge
nicht sehr weit auseinander liegen. Die FDP-Fraktion hat
eine Reihe von Ansätzen, welche in den Koalitionsfrak-
tionen bereits seit längerem entwickelt worden sind, mit
ihrem Antrag aufgegriffen. Die Deregulierungsforderun-
gen im FDP-Antrag sind aber sehr weitreichend. Ob
diese realisierbar wären, ist die Frage. Unser Antrag hin-
gegen beinhaltet das politisch Machbare.
Die wichtigen Empfehlungen des Verkehrsgerichts-
tags in Goslar gilt es in die Entscheidungsfindung zur
Aktualisierung und Modernisierung der Gesetze und
Verordnungen einzubeziehen. Dies betrifft insbesondere
die Verbesserung der Befähigung der Bootsführer durch
eine reformierte Ausbildung, die Zusammenführung der
Rechtsvorschriften und die Stärkung der Eigenverant-
wortung durch verbesserte Informationen. Die zielge-
richtete Aktualisierung von Gesetzen bedarf einer kla-
ren, bisher noch fehlenden Datengrundlage in Form
einer Unfallstatistik, in der Unfälle mit Sportbooten ge-
sondert aufgeführt werden. Wir drängen deshalb konkret
darauf, gemeinsam mit Vereinen, Sport-, Wirtschafts-
und Ausbildungsverbänden eine öffentlichkeitswirk-
same Kampagne zur Erhöhung des Sicherheitsbewusst-
seins in der Sportschifffahrt zu initiieren. Dazu ist das
vorhandene Informationsmaterial zu überarbeiten und
zusammenzufassen. Die die Sportschifffahrt betreffen-
den Gesetze und Verordnungen sollen sinnvollerweise
jeweils sehr frühzeitig auf den Internetseiten des Bun-
desverkehrsministeriums unter der Rubrik „Wasser-
sport“ veröffentlicht werden. Bei der Erarbeitung der
Trinkwasserverordnung nach DIN 2001 sind die beson-
deren Bedingungen bei der Vercharterung von Booten zu
berücksichtigen. Durch die Zulassung privater Besichti-
ger werden die Wasser- und Schifffahrtsämter bei der Er-
teilung von Bootszeugnissen entlastet.
Wir wollen durch unseren Antrag dazu beitragen, die
Rechtsvorschriften über die Sport- und Freizeitschiff-
fahrt im Seebereich zusammenzuführen. Wir wollen die
Einbeziehung des Sachkundenachweises für pyrotechni-
sche Signalmittel in Form einer Einweisung in die Prü-
fungsinhalte für die amtlichen Sportbootführerscheine
prüfen lassen und unterstützen das wichtige freiwillige
Weiterbildungsangebot der Ausbildungsstätten. Vor dem
Hintergrund der durch das Energiesteuergesetz vom Juli
2006 eingetretenen Änderungen ist zu überprüfen, wie
eine Versorgung der Sportboote mit Dieseltreibstoff in
solchen Regionen erleichtert werden kann, in denen es
zu unzumutbaren Versorgungsengpässen gekommen ist.
Zur Sicherung einer dauerhaft positiven Entwicklung
wollen wir mit unserem Antrag zur notwendigen und
sinnvollen Optimierung beitragen. „Wir können den
Wind nicht ändern, aber wir können die Segel richtig set-
zen“, so der griechische Philosoph Aristoteles. Unser
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ntrag hat zweifellos das Zeug dazu – ich bitte um Zu-
timmung!
Annette Faße (SPD): Wir haben in den letzten Jah-
en im Bereich des Wassertourismus vieles angeschoben
nd erreicht. Die Grundlagenstudie „Wassertourismus in
eutschland“ aus dem Jahr 2003 hat uns erstmalig einen
berblick über die vielfältigen Bereiche des Wassertou-
ismus gegeben, die Potenziale untersucht und Hand-
ungsempfehlungen zur Gestaltung und Vermarktung
egeben. Wir haben festgestellt, dass sich der Wasser-
ourismus immer größerer Beliebtheit erfreut und die
ahl der Urlauber, die in deutschen Wassergebieten ih-
en Urlaub verbringen, stetig zunimmt. Wasseraffine
ktivitäten wie Strandsport, Kanufahrten, Segel- und
otorbootsport werden immer beliebter. Die Einführung
er Charterscheinregelung im Jahr 2000, die das führer-
cheinfreie Steuern von Charterbooten erlaubt, hat eben-
alls zu einer Förderung des Wassertourismus beigetra-
en. Nachweislich erwerben 75 Prozent der Kunden, die
in Charterboot gemietet haben, anschließend den Sport-
ootführerschein. Daran lässt sich die positive Wirkung
ieser Regelung für den gesamten Wassersport erken-
en.
Der Bund ist über die Unterhaltung und Instandhal-
ung der Bundeswasserstraßen in den Bereich eingebun-
en, schafft also eine der grundlegenden Voraussetzun-
en für den Wassersport. Die Bundesregierung investiert
n Bau, Betrieb und Unterhaltung des Wasserstraßennet-
es jährlich mindestens 1,5 Milliarden Euro.
Die Bedeutung des Wassertourismus spiegelt sich
benfalls in der Behandlung dieses Themenbereichs im
etzten tourismuspolitischen Bericht der Bundesregie-
ung wider, der 2003 veröffentlicht wurde. Dort wird er
eben dem Wanderurlaub, den Fahrradreisen und den
aturparks als einer der großen Trends der naturnahen
rlaubsformen aufgeführt. Explizit hingewiesen wird
uf die Vielzahl der touristisch reizvollen Binnen- und
üstengewässer. Deutschland besitzt ein rund
0 000 Kilometer langes zusammenhängendes Wasser-
egenetz, zahlreiche Seen sowie rund 23 000 Quadrat-
ilometer Seewasserstraßen. In diesen Wassersport-
ebieten betreiben über 6 Millionen Menschen
assersport: Sie surfen, tauchen, segeln, angeln, fahren
anu, Motorboot und Wasserski. Die Zahl der Boote
ird auf rund 400 000 geschätzt, rechnet man die Ruder-
nd Kanuboote ein, beläuft sich die Gesamtzahl auf etwa
50 000. Dazu kommen die circa 900 Fahrgastschiffe im
innenbereich sowie 34 Fahrgastkabinenschiffe. Die
otenziale des Wassertourismus und vor allem auch die
edeutung dieses Wirtschaftszweiges als Standortfaktor
ür viele Regionen ist in den letzten Jahren immer stär-
er in unser Bewusstsein gerückt.
Vor diesem Hintergrund haben wir erkannt, dass wir
en Bereich des Wassertourismus verstärkt fördern müs-
en. In diesem Zusammenhang sind dem Hohen Hause
n den letzten Jahren kontinuierlich Anträge vorgelegt
orden, die sich mit der Bedeutung, den Rahmenbedin-
ungen und dem Förderungspotenzial des Wassertouris-
us beschäftigen.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11221
(A) )
(B) )
Unser aktueller Koalitionsantrag „Attraktivität des
Wassertourismus und des Wassersports stärken“ be-
schäftigt sich mit einer der wichtigsten Fragen bezüglich
der Rahmenbedingungen, mit der Regulierung bzw. den
Deregulierungsmöglichkeiten für touristische Aktivitä-
ten auf, am und im Wasser.
Ich habe zu dem Thema zu Beginn dieses Jahres den
Workshop „Deregulierung“ durchgeführt. Zwei Tage
lang haben wir in einer Expertenrunde, die sich aus Ab-
geordneten, Vertretern des Bundesministeriums für Ver-
kehr, Bau und Stadtentwicklung und Fachleuten aus der
Praxis zusammensetzte, Fragen und Probleme des Was-
sersports diskutiert sowie Vorschläge erarbeitet, die dann
in diesen Antrag eingearbeitet wurden.
Wir fordern die Bundesregierung in unserem Antrag
„Attraktivität des Wassertourismus und des Wassersports
stärken“ auf, gemeinsam mit Vereinen, Sport-, Wirt-
schafts- und Ausbildungsverbänden eine öffentlichkeits-
wirksame Kampagne zur Erhöhung des Sicherheitsbe-
wusstseins in der Sportschifffahrt zu initiieren. Dazu ist
das vorhandene Informationsmaterial zu überarbeiten
und zusammenzufassen. Wir setzen hier explizit auf die
freiwillige Einhaltung von Sicherheitsempfehlungen und
sind der Auffassung, dass Aufklärung darüber, welche
Rettungsweste beispielsweise in welchen Gewässern an-
gebracht ist, ausreicht. Die Eigenverantwortung in der
Sportschifffahrt soll gestärkt werden. Das damit zusam-
menhängende Konzept der „guten Seemannschaft“ im
Wassersport beinhaltet unter anderem eine umfassende
Reiseplanung, eine Sicherheitseinweisung vor Fahrtan-
tritt sowie eine geeignete Ausrüstung der Boote. Die be-
reits bestehenden Vorgaben zu verbindlichen Ausrüs-
tungsstandards sollen zusammengeführt werden.
Wir fordern zudem das Bundesministerium für Ver-
kehr auf, alle die Sportschifffahrt betreffenden Gesetze
und Verordnungen klar und übersichtlich auf den Inter-
netseiten des Ministeriums darzustellen, weil es aus un-
serer Sicht wichtig ist, dass die Sportbootbesitzer, Ver-
mieter und andere Interessenten sich schnell und einfach
via Internet über bereits bestehende oder neue Vorgaben
informieren können. Dies ist insofern ein wichtiger
Schritt zu mehr Sicherheit, als dass es bisher keine zen-
trale Quelle gibt, um sich über aktuelle Vorgaben und
Veränderungen jeweils zeitnah ins Bild zu setzen. Die
besten Sicherheitsvorgaben verbessern die Sicherheit
nicht, wenn sie nicht bekannt sind.
Auch sollen die Rechtsvorschriften über die Sport-
und Freizeitschifffahrt im Seebereich zusammengeführt
werden. Das Ergebnis soll eine übersichtliche und leicht
zu handhabende Broschüre sein, die die jetzt existieren-
den und sich teilweise inhaltlich überschneidenden In-
formationsschriften ersetzen soll.
In unserem Antrag befürworten wir die Erstellung ei-
ner zentralen Unfalldatenbank, in der Unfälle mit Sport-
booten gesondert erfasst werden. Wir werden uns hier-
mit in die Lage versetzen, zukünftig Sicherheitsrisiken
oder auch besonders gefährliche Gebiete besser identifi-
zieren zu können und, sofern überhaupt notwendig, ziel-
gerichtet Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit in
den Wassergebieten erarbeiten zu können.
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Wir möchten zudem die Wasser- und Schifffahrtsäm-
er bei der Erteilung der Bootszeugnisse entlasten, weil
s gerade zu Saisonbeginn hier immer wieder zu Eng-
ässen kommt, die durch den Einsatz privater Besichti-
er vermieden werden können. Mit dem zeitlich be-
renzt gültigen Bootszeugnis weist der Besitzer die
ahrtauglichkeit des Bootes nach; zusätzlich muss in das
ootszeugnis jede Veränderung am Boot selbst eingetra-
en werden.
Ein zentrales Ziel des Antrags ist es, die vorhandenen
ragenkataloge, die zum Erwerb verschiedener Sport-
ootführerscheine und Funkzeugnisse in den Prüfungen
eantwortet werden müssen, deutlich zu vereinfachen.
och müssen die Prüflinge zwar lange Listen von Fra-
en zum Erwerb der jeweiligen Führerscheine Binnen
nd See abarbeiten, es wird aber im Vergleich dazu we-
ig Praxiskenntnis erwartet. Hier müssen aus unserer
icht die Weichen richtig gestellt werden. Es ist wichti-
er, ein Wendemanöver auf dem Wasser in der Dunkel-
eit zu beherrschen als die Kürzel zu verschiedensten
esetzen, Verordnungen und sonstigen Regelwerken
uflösen zu können. Zudem sollen die Prüfungsinhalte
er unterschiedlichen Führerscheine aufeinander abge-
timmt werden, damit gleichartige Prüfungsgegenstände
nerkannt werden können. Den Erwerb der entsprechen-
en Fahrerlaubnisse praxisorientiert zu gestalten und die
heoretischen Inhalte zu entschlacken, ist aus unserer
icht ein ganz wichtiger Aspekt der Förderung des Was-
ersports.
Die Förderung von Weiterbildungsangeboten der
usbildungsstätten soll von der Bundesregierung auf
leichem Niveau weitergeführt werden. Wir plädieren
uch in diesem Bereich für die Beibehaltung der Freiwil-
igkeit, da sich das Angebot von Fortbildungen auf frei-
illiger Basis bewährt hat.
Umstritten ist die Frage, ob es zielführend für die
teigerung der Sicherheit im Seebereich ist, eine Kenn-
eichnung der Schiffe einzuführen. Wir geben der Bun-
esregierung in diesem Antrag den Auftrag, dies zu
berprüfen. Hiermit soll kein bürokratischer Überbau
eschaffen werden, mit dessen Hilfe Gebühren generiert
erden können, wie dies zum Teil von den Sportboot-
erbänden befürchtet wird. Hintergrund dieses Prüf-
uftrages an die Bundesregierung ist die Forderung ein-
elner Verbände, ein zentral geführtes Register
inzurichten, dass beispielsweise dazu genutzt werden
ann, im Falle eines Unfalls auf See den Besitzer des
chiffes in kurzer Zeit zu ermitteln, die Arbeit der See-
otrettungsdienste zu erleichtern und die Tätigkeit der
ollzugsbehörden zu unterstützen. Sollte sich ergeben,
ass eine Kennzeichnungspflicht analog zum Binnenbe-
eich nicht notwendig ist, wird es sie auch nicht geben.
araus ergibt sich aber dann die Notwendigkeit, die ent-
prechenden Vorgaben für den Binnenbereich ebenfalls
u überprüfen.
Schließlich fordern wir die Bundesregierung auf, si-
herzustellen, dass die Versorgung der Sportboote mit
ieseltreibstoff gewährleistet ist. Hintergrund dieses
uftrags ist die Verabschiedung des Energiesteuergeset-
es vom 5. Juli 2006. Das Gesetz enthielt die Vorgabe,
11222 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007
(A) )
(B) )
dass ab April 2007 mineralölsteuerbefreiter Diesel an die
gewerbliche Güter- und Fahrgastschifffahrt eingefärbt
abgegeben werden soll. Die Freizeitschifffahrt soll wei-
terhin versteuerten und dementsprechend nicht einge-
färbten Treibstoff tanken. Da an den Bunkerstationen der
Berufsschifffahrt tendenziell nur noch eingefärbter Die-
sel ausgegeben wird, kann es in einigen Gebieten zu ei-
nem Engpass von Tankmöglichkeiten für die Wasser-
sportler kommen. Dies würde unserer sonstigen Absicht,
den Wassersport in Deutschland zu stärken, diametral
entgegenlaufen. Aus diesem Grund müssen eventuell
entstandene Engpässe untersucht und behoben werden.
Man erkennt an den zahlreichen unterschiedlichen
Anliegen, dass wir in den Koalitionsfraktionen einen
Antrag erarbeitet haben, der sich eng an den praktischen
Gegebenheiten und Engpässen des Wassertourismus ori-
entiert und im Ergebnis und der Umsetzung unserer For-
derungen dazu führen wird, die aktive Nutzung der Ge-
biete und deren Attraktivität weiter zu steigern.
Im Gegensatz dazu gehen zahlreiche Anliegen der
FDP an den realen Erfordernissen vorbei und orientieren
sich nicht an Machbarkeitsgesichtspunkten. Als Beispiel
möchte ich hier nur die Forderung nach der Zusammen-
legung der Führerscheine Binnen und See anführen. Ers-
tens besteht bereits die Möglichkeit, beide Prüfungen
gleichzeitig abzulegen, und zweitens ist es auch aus
sachlichen Erwägungen nicht zu empfehlen, die Führer-
scheine zusammenzulegen. Die FDP geht bei einem
kombinierten Führerschein davon aus, dass der Umfang
der Prüfung entscheidend verringert werden kann. Dies
ist aber nicht der Fall, weil sich die Prüfungsinhalte an
den Erfordernissen der Binnengewässer und der See
orientieren und sich deshalb deutlich voneinander unter-
scheiden. Wir möchten in unserem Antrag die Theorie
mit Augenmaß überarbeiten. Dies halte ich für den bes-
seren Weg.
Patrick Döring (FDP): Die Debatte, die wir heute
führen, ist ein gutes Beispiel für ein Phänomen, das der
Bielefelder Niklas Luhmann als „Autopoesis“ bezeich-
net hat – einfach gesagt: die Selbstbeschäftigung des
politischen Systems. Der Antrag der Koalitionsfraktion
ebenso wie unser Antrag hat in erster Linie Probleme
zum Gegenstand, die es ohne das Ministerium und seine
Mitstreiter gar nicht geben würde.
Der Wassersport kann guten Gewissens als eine der
sichersten Freizeitbeschäftigungen überhaupt bezeichnet
werden. Die Zahl der Unfälle ist im Mittel der letzten
20 Jahre konstant, während die Zahl der Boote von
100 000 auf 460 000 angestiegen ist. Im letzten Jahr ver-
letzten sich in der Sportschifffahrt nur elf Personen. Das
Risiko, beim Skifahren zu verunglücken, ist beispiels-
weise um ein Vielfaches größer als die Gefahr eines Un-
falls auf See. Auch das Risiko eines tödlichen Unglücks
ist gering – deutlicher niedriger als etwa beim Bergwan-
dern oder beim Moped- oder Motorradfahren. Im letzten
Jahr – das sagen neueste Zahlen der Bundesstelle – lag
die Zahl der Todesfälle bei Unfällen von Sportbooten im
Betrieb bei exakt Null. Bei den einzigen erfassten Todes-
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ällen handelte es sich um einen Badeunfall vor Anker
nd einen natürlichen, altersbedingten Todesfall.
Trotzdem hatte sich das Bundesverkehrsministerium
n den Kopf gesetzt, dass für die Sicherheit des Wasser-
ports mehr getan werden müsse. Auf eine Kleine An-
rage meiner Fraktion hin hat das Haus Tiefensee eine
genda der Grausamkeiten vorgestellt, die dazu geeig-
et gewesen wäre, das Segeln und Motorbootfahren end-
ültig zu einem „Bürokratiesport“ zu machen. Zu den
eprüften Vorhaben zählte zum Beispiel die Begrenzung
es bestehenden Sportbootführerscheins See auf be-
timmte Gewässer – und in der Folge wohl die Einfüh-
ung eines dritten Sportbootführerscheins. Hinzu kamen
läne für extreme Verschärfungen der Ausrüstungsvor-
chriften für Sportboote und die Kennzeichnungspflicht
ür Boote zur See. Und das war nur der Anfang!
Auch wenn das Ziel richtig ist, die Zahl der Unglücke
eiter zu senken, so muss dies doch zielgerichtet und
it Augenmaß erfolgen. Derzeit liegen keine differen-
ierten Statistiken vor, die Rückschlüsse auf die tatsäch-
iche Risikostruktur in der Sport- und Freizeitschifffahrt
nd damit auf die richtige Sicherheitsstrategie erlauben.
elbst die Bundesregierung hat zugegeben, dass sie über
assersportunfälle bislang keine vernünftigen Statisti-
en zur Verfügung hat – weshalb sich ja auch eine zen-
rale Unfalldatenbank in der Entwicklung befindet. Das
eißt: Wir wissen so gut wie gar nichts über die wenigen
erbliebenen Unfallrisiken. Mit den Worten der Bundes-
egierung: „Eine Einschätzung des Unfallrisikos ist ohne
nfallstatistiken nicht möglich.“ Wie auf dieser extrem
nsicheren Basis und angesichts der gegebenen hohen
icherheit der Sportschifffahrt neue Regulierungen ge-
echtfertigt werden können, wird wohl das Geheimnis
es Ministeriums bleiben.
Die FDP hat sich deshalb dafür stark gemacht, dass
er Bundestag dem Treiben des Ministeriums ein schnel-
es Ende macht – und ich bin außerordentlich froh, dass
ie Regierungsfraktionen unsere Vorlage zumindest in
eilen aufgenommen haben. Die Umsetzung der Vorha-
en des Verkehrsministers hätte ohne jede Not – man
ann es nicht oft genug sagen: Der Wassersport ist si-
her! – diesem Hobby und damit auch einer ganzen Tou-
ismusbranche immensen Schaden zugefügt.
Der Wassersport ist als eigenständiger Wirtschafts-
weig mit einem Umsatz von über 1,8 Milliarden Euro
nd in vielen Regionen – an den Küsten, aber auch in
luss- und Seeregionen – als Motor der Tourismuswirt-
chaft von großer Bedeutung. Meiner Ansicht nach ist
eshalb nicht mehr, sondern weniger Regulierung ange-
racht. Die Regelungen in der deutschen Sport- und
reizeitschifffahrt zur Erlangung eines Führerscheins
ind verwirrend und überkomplex und mindern deshalb
ie Attraktivität sowohl des Wassersports als auch des
amit verbundenen Tourismus. Im europäischen Ver-
leich hat Deutschland die mit Abstand strengsten Vor-
chriften, ohne dass dadurch ein deutlicher Sicherheits-
orteil gewonnen würde. Während zum Beispiel in
roßbritannien, Irland und Skandinavien keinerlei Füh-
erscheinpflicht besteht, müssen in Deutschland für
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11223
(A) )
(B) )
Boote mit mehr als 5 PS unterschiedliche Führerscheine
für die Binnen- und Seeschifffahrt erworben werden.
Diese und andere bürokratische Hemmnisse sind eine
überflüssige Hürde für den Einstieg in den Sport – und
Mitursache für die Nachwuchsprobleme in den letzten
Jahren. Deshalb wurde unter anderem in der Grundla-
genuntersuchung „Wassertourismus in Deutschland“, die
in diesem Haus ausdrücklich von allen Fraktion begrüßt
wurde, eine Deregulierung im Wassersport gefordert.
Die Studie empfahl insbesondere auch eine Vereinfa-
chung und Zusammenfassung der Bootsführerscheine,
um die Zugangshürden zu senken und dieses Hobby für
Menschen aller Generationen attraktiver zu machen. Die
FDP hat diese und andere Forderungen in ihrem Antrag
aufgenommen. Ich bedaure es außerordentlich, dass der
Koalition der Mut gefehlt hat, auch diese Anregungen
aufzunehmen.
Dabei bedeutet der Verzicht auf strikte Regulierung
keinen Verlust an Sicherheit. Im Gegenteil produzieren
zu restriktive Regeln bisweilen sogar kontraproduktive
Effekte: So sind Boote mit weniger als 5 PS in riskanten
Situationen gefährlich untermotorisiert, werden aber
durch die Eigner nicht aufgerüstet, um der Führerschein-
pflicht auszuweichen. Die Folge: Die Motorleistung ist
zu gering, um Gefahrensituationen auszuweichen. Auch
hat eine internationale Studie zu Führerscheinregelungen
in 30 Ländern deutlich aufgezeigt, dass es keinen direk-
ten Zusammenhang zwischen den Führerscheinvor-
schriften und der Unfallhäufigkeit gibt. Dies wird auch
durch die Erfahrungen mit den Charterregelungen in
Deutschland bewiesen. Es ist kein Unterschied zu erken-
nen, ob hier jemand mit oder ohne Führerschein unter-
wegs ist.
Daran sieht man zweierlei: erstens dass es vor allem
auf praktische Erfahrungen ankommt, wie sie zum Bei-
spiel den Charterern durch eine direkte Einweisung ver-
mittelt werden, und zweitens dass man sich auf das
Verantwortungsbewusstsein der Bootsnutzer verlassen
kann. Denn es ist ein falsches, in Ministerialkreisen aber
anscheinend weit verbreitetes Gerücht, dass Segler und
Motorbootfahrer kein Interesse an ihrer Sicherheit hätten
und deshalb auf Schritt und Tritt – oder vielmehr „auf
Knoten und Schoten“ – von der Politik kontrolliert und
beschützt werden müssten.
Von diesem Denken haben sich die Regierungsfrak-
tionen leider auch nicht ganz frei machen können. Bei
aller guten Absicht, die Ihrem Antrag zugrunde liegt – in
den entscheidenden Punkten vermisse ich den Mut zu ei-
ner Deregulierungspolitik, wie wir sie dem Hohen Haus
mit unserem Antrag vorgeschlagen haben.
Stattdessen begehen Sie sogar noch einen weiteren
Sündenfall, wenn Sie das Verkehrsministerium beauftra-
gen, die Einführung einer Kennzeichnungspflicht für
Sportboote zur See zu prüfen. Angesichts der Neigungen
des Hauses Tiefensee bin ich mir leider recht sicher, wel-
chen Ausgang diese Prüfung nehmen wird. Dabei hätten
die Fakten eine entschiedene Ablehnung einer Kenn-
zeichnung allemal gerechtfertigt. Die bestehende inter-
nationale Kennzeichnungspflicht – Bootsname, Flagge
und Heimathafen – war und ist vollkommen ausrei-
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hend. Auch zur Aufklärung zum Beispiel von Vergehen
eistet die Kennzeichnung keinen Beitrag – schon weil
portboote in der ganz überwiegenden Zahl der Fälle
eutlich schwächer motorisiert sind als Polizeiboote und
s daher anders als im Straßenverkehr kaum eine Flucht-
öglichkeit gibt. Auch bei Diebstählen bringt die Kenn-
eichnungspflicht keine Verbesserung, zumal die Auf-
lärungsquote hier bereits jetzt bei 60 Prozent liegt und
elbst die einschlägigen Versicherungsunternehmen die
inführung einer Kennzeichnungspflicht für überflüssig
alten. Hinzu kommt, dass für Yachten mit einer Länge
on mehr als 15 Metern ohnehin eine Registrierungs-
flicht gilt – die auch von vielen Eigentümern kleinerer
oote erfüllt wird, da dies Voraussetzung ist, um ein
eitlich unbegrenztes Flaggenzertifikat zu erhalten, das
ür Auslandsreisen erforderlich ist. Warum angesichts
ieser Fakten die Kennzeichnungspflicht auch nur erwo-
en wird, ist mir ein Rätsel. Mit den Gründen des Minis-
eriums könnte man auch Kennzeichnungen für Fahr-
äder und Kettcars verlangen. Ich bitte Sie, das jetzt
icht als Anregung zu verstehen!
Es verwundert deshalb nicht, wenn in Seglerkreisen
emutmaßt wird, dass dies nur als Grundlage für weitere
olitische Maßnahmen – Steuern, Abgaben und Regulie-
ungen – dienen soll. Von daher wäre ein Verzicht auf
ie Kennzeichnung ein Schritt zur Vertrauensbildung ge-
esen. Dies hat die Koalition leider versäumt.
Auch in anderen Fragen ist der von Ihnen vorgelegte
ntrag in meinen Augen zu unentschlossen. So hätte ich
ir zum Beispiel gewünscht, dass dem Ministerium bei
er Weiterentwicklung der Ausrüstungsstandards ein
onkreterer Arbeitsauftrag gegeben worden wäre – mit
er deutlichen Maßgabe, dass keine Regelungen getrof-
en werden, die über die international vereinbarten Stan-
ards hinausgehen. Auch verwundert mich, dass es in Ih-
em Antrag keine Aussage zur Begrenzung des
portbootführerscheins See gibt. Hier wäre eine klare
nsage an den Minister und die Ministerialbürokratie
ngezeigt gewesen. Ich kann nur hoffen, dass diese Un-
ntschlossenheit und die Lücken Ihres Antrages nicht
och noch für weitere Regulierungen ausgenutzt wer-
en!
Von daher können wir Liberale den von der Koalition
orgelegten Antrag nur ablehnen, obwohl Sie einige
ichtige Schritte vorgeschlagen haben – zum Beispiel
as die Zulassung privater Besichtiger und eine stärkere
raxisorientierung der Ausbildung anbelangt. Aber in
ielen wichtigen Punkten lassen Sie Mut und Entschlos-
enheit vermissen.
Wir Liberalen setzen unseren Antrag für mehr Dere-
ulierung in der Sportschifffahrt dagegen – mit dem
iel, dass man dereinst auch in Deutschland wieder mit
rnest Hemingway sagen kann: „Das Meer, der letzte
reie Ort der Welt!“
Dorothée Menzner (DIE LINKE): Freizeit und Er-
olung haben für unser aller Leben eine große Bedeu-
ung, natürlich auch diejenigen Aktivitäten, die sich auf
em oder am Wasser abspielen. Wie überall gibt es in
iesem Bereich aber auch Probleme, die mit politischem
11224 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007
(A) )
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Sachverstand und Augenmaß gelöst werden müssen. Wir
erleben das ja gerade am Berliner Landwehrkanal. Jah-
relanges Ignorieren des schlechten Zustandes der Bö-
schungen durch die Behörden führte dazu, dass diese
auch für Tourismus und Freizeit wichtige innerstädtische
Bundeswasserstraße nun gesperrt wurde. Jetzt soll zur
Wiederherstellung der Verkehrssicherheit eine ganze
Anzahl Bäume gefällt werden. Doch die Anwohner wol-
len ihre grüne Oase nicht verlieren.
Die geplante Holzaktion des Wasserstraßenamtes,
noch dazu im umweltbewussten Kreuzberg, führte zu
geharnischten Protesten der Bürger. Mit Recht, wie ich
meine. War zuerst noch von mehr als 200 Bäumen die
Rede, die gefällt werden sollten, wurde deren Anzahl
nach den Protesten auf derzeit 41 reduziert.
Was mich an dieser Geschichte besonders stört, ist die
Tatsache, dass durch das unklare Gebaren der zuständi-
gen Behörden bis zu 500 Arbeitsplätze bei Berliner Ree-
dereien aufs Spiel gesetzt wurden, weil der Kanal im
Moment nicht befahren werden darf. Und gab es denn
keine vernünftigere politische Option als die, Baum-
schützer und Fahrgastschifffahrt gegeneinander auszu-
spielen?
Sie sehen am Beispiel Landwehrkanal: Wasser ist
nicht nur unser kostbarstes Lebensmittel, sondern auch
ein kostbarer Erholungsfaktor.
Es ist nicht nur Genuss, mit einem Dampfer über die
Flüsse zu schippern; viele Menschen werden auch gern
selbst aktiv, sei es mit einem Paddel- oder Ruderboot,
mit kleinem Außenborder oder mit einer größeren
Yacht – was der Geldbeutel so hergibt. Bei dieser Art
Vergnügen müssen aber Aspekte des sicheren Führens
von Booten so berücksichtigt werden, dass die Interes-
sen aller gewahrt bleiben. Deshalb können wir dem
Wunsch der FDP, den führerscheinfreien Einstieg für
Boote über 5 PS zuzulassen, absolut nicht zustimmen.
Während sich auf den Autobahnen allmählich die Er-
kenntnis durchsetzt, dass ein Tempolimit sinnvoll wäre,
soll als Ersatz dafür die Raserei auf den Gewässern fol-
gen? Ohne uns.
Meine Fraktionskollegin Eva Bulling-Schrödter hat
bei der Behandlung der Anträge im Umweltausschuss
besonders darauf hingewiesen, dass schnelle Boote nicht
nur eine Gefahrenquelle darstellen, sondern auch erheb-
liche Lärmbelästigungen für Erholungsuchende auf dem
oder am Wasser erzeugen können. Nach unserer Auffas-
sung sollte der verantwortungsvolle Umgang mit Booten
und Schiffen ein Mindestmaß an Ausbildung mit einer
weitreichend einheitlichen Fahrerlaubnis für Wasserstra-
ßen voraussetzen.
Inzwischen konnten wir auch in Deutschland und
nicht nur auf den Kanälen Frankreichs und Englands die
Erfahrung machen, dass Führer von Hausbooten zuwei-
len überfordert, ja sogar in Unfälle verwickelt sind. Ge-
legentlich kommt es durch sie auch zum Blockieren
wichtiger Schleusenanlagen. Auf all dies hatte Eva
Bulling-Schröter den Umweltausschuss aufmerksam ge-
macht. Ihre Anmerkungen fanden jedoch keinen Wider-
hall in den Anträgen.
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Die Fraktion Die Linke teilt das Anliegen, die Attrak-
ivität von Wassertourismus und Wassersport zu erhö-
en. Doch die vorliegenden Anträge werden dem nicht
erecht. Wir wollen keine PS-Protzerei unerfahrener
öchtegernkapitäne auf dem Wasser, wie die FDP vor-
chlägt. Deshalb stimmen wir gegen ihren Antrag.
Meine Fraktion könnte eigentlich dem gut gemeinten
ntrag der CDU/CSU folgen. Doch er beantwortet un-
ere Fragen zur Verkehrssicherheit auf dem Wasser, zur
rleichterung der Ausbildung und zur finanziellen För-
erung nicht ausreichend. Er erscheint uns noch zu un-
usgegoren; wir werden uns daher der Stimme enthalten.
Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Fahr-
ast- und Fährschifffahrt, Fluss- und Hochseekreuzfahrt,
egeln, Kanu fahren, Wasserski, aber auch Tauchen:
iese Aufzählung stellt lediglich einen Ausschnitt aus
er Vielfalt des Wassersports und des Wassertourismus
ar. Doch so unterschiedlich die touristischen und sport-
ichen Möglichkeiten auf, im und unter Wasser sind, so
indeutig ist das wachsende Interesse an ihnen.
Es ist wichtig und richtig, auf das wachsende Inte-
esse und die zunehmende Konkurrenz aus den Nachbar-
ändern zu reagieren. Generell unterstützen Bündnis 90/
ie Grünen eine zügige Vereinfachung der jetzigen Re-
elungen. Die Vielzahl der existierenden Vorschriften ist
ür sportlich oder touristisch Aktive kaum noch zu Über-
licken.
So ist die Forderung der FDP, die Charterscheinrege-
ung auf gefährdungsarme Gewässer auszudehnen, zu
egrüßen. Zulassungskriterien und Prüfungsinhalte für
en Erwerb des Sportbootführerscheins gehören auf den
rüfstand. Die Vielzahl von Sportbootführerscheinen
nd auch die Überschneidungen der Ausbildungsanfor-
erungen sind unnötig und sollten begrenzt werden. Un-
erständlich bleibt die Forderung Sportbootführer-
cheine Binnen und See. Die Vereinheitlichung macht
ufgrund ihrer unterschiedlichen Anforderungen keinen
inn. Auch die propagierte Änderung der 5-PS-Rege-
ung ist ein Schnellschuss. Zeigt doch die aktuelle Situa-
ion am Landwehrkanal, welchen Schaden ein erhöhter
ellenschlag anrichten kann.
Der nun zusätzlich in die Debatte eingebrachte An-
rag der FDP mit weiteren Vorschlägen der Deregulie-
ung verfestigt den Eindruck der Einseitigkeit, obwohl
ich auch in diesem Antrag unterstützenswerte Punkte
inden. Es ist sicherlich richtig, über eine Vereinfachung
m Führerscheinwesen im Seebereich nachzudenken.
Allein die letzten Forderungen des Antrages zeigen
eutlich, wie wenig verankert der Gedanke naturverträg-
ichen Wassertourismus innerhalb der FDP ist.
Und während die FDP über das Ziel der Deregulie-
ung in Teilen hinausschießt, verharrt die große Koali-
ion in Selbstverständlichkeiten. Leider wird das Ver-
prechen, die Attraktivität des Wassertourismus und des
assersports stärken zu wollen, nicht eingelöst.
Eines scheint leider nicht aufgefallen zu sein: Die
rundlage für die Faszination der wasserverbundenen
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11225
(A) )
(B) )
Aktivität liegt in der Natur. Das Naturerlebnis ist we-
sentlich für die Attraktivität dieser Form der Freizeitge-
staltung. Ein gutes Beispiel für das notwendige Zusam-
menspiel von Naturschutz und Tourismus findet sich
gerade in meiner Heimatregion. Die vom Kasseler Dün-
gemittelkonzern Kali und Salz geplante Einleitung von
jährlich bis zu 700 000 Kubikmeter Salzlauge zusätzlich
in die Werra stößt auf immer breiteren Widerstand. Be-
reits heute gilt die Werra als kritisch belastet. Die Reak-
tionen von Angelvereinen und touristischen Unterneh-
men entlang der Werra zeigen, dass Umweltzerstörung
Wachstum und Beschäftigung in diesen Bereichen be-
droht. Der nachhaltige Schutz der Umwelt liegt im urei-
gensten Interesse der Touristiker und Wassersportler.
Auch wir wollen die Potenziale des Wassertourismus
ausschöpfen – aber naturverträglich.
Anlage 8
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Mehr Qualität und
Exzellenz durch mehr Chancengerechtigkeit
und Gender-Perspektiven in Wissenschaft und
Forschung (Tagesordnungspunkt 16)
Anette Hübinger (CDU/CSU): In den vergangenen
20 Jahren ging von der politischen Ebene eine Reihe von
gleichstellungspolitischen Maßnahmen aus, die erste
gute Erfolge brachten: Heute sind die Hälfte aller Studi-
enanfänger in Deutschland Frauen. Jedoch besteht in der
deutschen Hochschul- und Forschungslandschaft nach
wie vor eine deutliche Schräglage hinsichtlich des An-
teils der Frauen in Wissenschaft und Forschung. Hoch-
schulabsolventinnen gehen auf dem Weg zu einer wis-
senschaftlichen Karriere geradezu verloren. 2004 waren
39 Prozent aller Promovierten Frauen. Unter den Habili-
tierten waren es nur 23 Prozent, bei den Professuren
14 Prozent und bei den C4-Professuren waren sie nur
noch mit 9 Prozent vertreten. Auch in außeruniversitären
Forschungseinrichtungen ist der Anteil der Frauen an
Führungspositionen mit 7 Prozent sehr niedrig. Dies gilt
auch für die industrielle Forschung: Hier sind Frauen nur
mit 12 Prozent repräsentiert. Diese Schräglage muss ab-
gebaut werden. Denn unser Land, dessen Kapital vor al-
lem die Menschen sind, kann und darf es sich nicht leis-
ten, dass dieses Kapital nur zu einem Teil genutzt wird
und das Potenzial der Frauen nicht im vollen Ausmaß
zum Tragen kommt.
Die CDU/CSU-Fraktion nimmt daher mit Interesse
zur Kenntnis, dass die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
sich mit dem Antrag den Themen „Frauen in der Wis-
senschaft“ und „Gender-Forschung“ widmet. Es freut
mich, Ihnen mitteilen zu können, dass die CDU/CSU-
Fraktion sich mit dem wichtigen und zentralen Thema
der Förderung der Frauen in der Wissenschaft bereits
seit längerem intensiv auseinandersetzt. Gerade in der
letzten Sitzungswoche führte die Gruppe der Frauen der
CDU/CSU-Fraktion ein Expertengespräch zum Thema
„Frauenkarrieren in der Wissenschaft – Förderungsmög-
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ichkeiten“ mit Rektorinnen deutscher Hochschulen und
undesministerin Dr. Annette Schavan durch.
Die Ursachen für die Marginalisierung von Frauen in
er Wissenschaft sind zahlreich und komplex. Ein zen-
rales und grundlegendes Problem ist nach wie vor die
ereinbarkeit von Familie und wissenschaftlicher Tätig-
eit bzw. Studium. Um junge Frauen nicht vor die Wahl
arriere oder Kind zu stellen, ist der Ausbau von Kin-
erbetreuungsplätzen an den Hochschulen für Studie-
ende und Wissenschaftlerinnen mit Kind entschieden
oranzutreiben. Es ist von bedeutender Wichtigkeit,
rauen – auch schon im Studium – aufzuzeigen, dass es
ege gibt, Karriere und Familien zu vereinbaren. Dazu
ehört auch die Förderung von „Dual-Careers“. Um der
ituation von Frauen mit Kindern gerecht zu werden, ist
s zudem wichtig, Spielräume bei der Vergabe von Sti-
endien bezüglich Altershöchstgrenze und Länge der
örderung einzuräumen.
Die im deutschen Hochschulsystem bis heute fort-
ährend bestehenden Vorurteile gegenüber Wissen-
chaftlerinnen – mit oder ohne Kinder – können leider
icht ohne Weiteres durch Gesetzesinitiativen beseitigt
erden. Dies ist ein längerer Prozess, der von der Seite
er Politik durch Appelle und Mahnungen begleitet wer-
en sollte.
Um Frauen im deutschen Wissenschaftssystem nach-
altig zu fördern, ist es notwendig, durch konkrete Maß-
ahmen die Anzahl der Frauen an den Professuren zu
teigern – also von oben nach unten zu agieren. Die
DU/CSU-Fraktion begrüßt deshalb ausdrücklich den
lan der Bundesregierung, 200 Förderprofessuren für
rauen einzuführen. Ein umfassender und tief greifender
andel der Strukturen kann jedoch nur erreicht werden,
enn gleichzeitig eine nachhaltige Förderung von unten
rfolgt. Es muss gelingen, dass bei der erfreulich hohen
ahl der Studienanfängerinnen und Hochschulabsolven-
innen deutlich mehr als bisher nicht nur promovieren,
ondern sich auch habilitieren oder den Weg über eine
uniorprofessur wählen, um eine wissenschaftliche Kar-
iere einzuschlagen. Es muss somit vor allem eine För-
erung von unten erfolgen. Deshalb ist zu prüfen, ob es
u einer Neuauflage des im letzten Jahr ausgelaufenen
ochschulwissenschaftsprogramms zur Weiterentwick-
ung von Hochschulen und Wissenschaft sowie für
hancengleichheit für Frauen in Forschung und Lehre
ommen kann. Von großer Bedeutung ist eine gezielte
nd spezielle Förderung von Doktorandinnen, die über
tipendien, aber auch vor allem über Promotionsstellen,
n den Hochschulen erfolgen sollte. Denn durch die Ein-
indung von jungen Wissenschaftlerinnen in den akade-
ischen Betrieb wird diesen ermöglicht, wichtige und
nerlässliche Kontakte zu knüpfen sowie eigene Netz-
erke aufzubauen, die für die weitere wissenschaftliche
arriere unerlässlich sind.
In diesem Zusammenhang sind auch die Mentoring-
rogramme von großer Wichtigkeit, die im Antrag der
raktion Bündnis 90/Die Grünen keine Berücksichti-
ung finden. Um junge Wissenschaftlerinnen auf ihrem
eg zu unterstützen, ist eine Kombination von Qualifi-
ierungs- und Mentoring-Programmen zu erstreben.
11226 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007
(A) )
(B) )
Für die CDU/CSU-Frakion heißt Frauenförderung
Qualitätsförderung. Spezielle Förderprogramme können
dies nachhaltig bewirken. Durch die Implementierung
von Quoten von oben kann ein durchgreifender und un-
erlässlicher Wandel in den Strukturen des deutschen
Wissenschaftssystems nicht erreicht werden. Dieser
muss vor allem von unten erfolgen, es muss zu einem
grundlegenden Umdenken der Einstellungen kommen.
Die steigende Zahl der Studierenden in den nächsten
Jahren bringt mit sich, dass auch der Bedarf an Hoch-
schullehrern steigen wird. Dies stimmt optimistisch und
ist eine gute Chance, mehr Frauen in Professuren und
Assistentinnenstellen zu bringen. Die Bundesregierung
hat bereits einige Maßnahmen zur Förderung von Frauen
in der Wissenschaft in die Wege geleitet: Mit dem be-
schlossenen Hochschulpakt wird auch das Ziel verfolgt,
durch Fördermittel den Anteil der Frauen bei Professu-
ren und sonstigen Stellen auszubauen. Ferner wurde die
zulässige Befristungsdauer in der wissenschaftlichen
Qualifikationsphase für jedes Kind um zwei Jahre ver-
längert. Auch in der anstehenden BAföG-Reform wird
durch die Einführung eines Kinderbetreuungszuschlags
einer gezielten Familienförderung Rechnung getragen.
Die große Bedeutung der Gender-Forschung und die
Chancen, die sich aus ihr für Wissenschaft, Wirtschaft
und Politik ergeben, wird – wie auch die Bundesministe-
rin Dr. Annette Schavan in ihrer Rede auf der Tagung
„Gender in der Forschung – Innovation durch Chancen-
gleichheit“ im April dieses Jahres in Berlin unterstrichen
hat – durch die Bundesregierung in ihrer Bildungs- und
Forschungspolitik berücksichtigt. Hier liegt ein unent-
decktes und erhebliches Forschungspotenzial.
Die CDU/CSU-Fraktion wird sich auch weiterhin mit
den Themen „Förderung der Frauen in der Wissen-
schaft“ und „Genderforschung“ intensiv auseinanderset-
zen. Es liegt noch ein beträchtliches Stück Weg vor uns,
bis Wissenschaftlerinnen in der deutschen Hochschul-
und Wissenschaftslandschaft in dem Maße ihre Exzel-
lenz und ihr Potenzial entfalten können, wie es ihnen zu-
steht und wie es der Wissenschafts- und Wirtschafts-
standort Deutschland braucht. Wir sind jedoch auf dem
richtigen Weg.
Gesine Multhaupt (SPD): „Nach wie vor ist die
Luft in den höheren Rängen der Berufshierarchien für
Frauen dünn. Die zurückgebliebenste aller Provinzen je-
doch, dort wo der Fortschritt gewissermaßen auf der
Stelle tritt, ist die Universität.“ In diesem Zitat be-
schreibt Frau Professorin Dr. Jutta Limbach, ehemalige
Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts und heutige
Leiterin des Goethe-Instituts, die weibliche Dürre in der
Professorenschaft sehr treffend. Gleichzeitig ist es ein
Alarmsignal, das nur eine Antwort zulässt: Mehr Frauen
in Wissenschaft und Forschung!
Seit nunmehr 15 Jahren steht das Thema Chancen-
gleichheit für Frauen in der Wissenschaft regelmäßig auf
der Tagesordnung. Bund und Länder haben Anstrengun-
gen unternommen, um Wissenschaftlerinnen zu fördern
und junge Frauen an frauenferne Berufe und Studien-
gänge heranzuführen. An den Universitäten wurden För-
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errichtlinien erarbeitet, die nur langsam erste Blüten
reiben. Dabei ist die Sensibilität für diesen Problem-
reis insgesamt in den letzten Jahren deutlich gewach-
en. Frauen weisen heute oftmals bessere Bildungsab-
chlüsse und bessere schulische Leistungen auf als
änner. Im Vergleich zu den Männern erreichen mehr
rauen die allgemeine Hochschulreife. Das sind erste
rfolge.
Dennoch ist und bleibt die Zwischenbilanz äußerst
nbefriedigend. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
eschreibt in ihrem Antrag zu Recht, dass Frauen an
ochschulen nicht im Gleichschritt mit ihren männli-
hen Kollegen die Karriereleiter aufsteigen. Auch in der
ECD-Statistik belegt Deutschland regelmäßig einen
er hinteren Plätze, wenn es um den Anteil von Frauen
n der Hochschulkarriere geht. Im europäischen Ver-
leich liegen wir bei der Besetzung von Führungsposi-
ionen und Professuren weit hinter unseren Nachbarlän-
ern.
Auch volkswirtschaftlich ist es ein Verlust, wenn
eutsche Frauen nicht mit der gleichen Selbstverständ-
ichkeit, wie dies ihre Kolleginnen in Frankreich, Bel-
ien oder Spanien tun, ihre Karriere fortsetzen, weil sie
ies nicht mit ihrer Familie unter einen Hut bringen. Vor
iesem Hintergrund ist die Aufgabe, die vor uns liegt
lar: Wir müssen unsere nationalen Anstrengungen ver-
tärken, damit der Anteil von Frauen in der Wissenschaft
uf allen Qualifikationsebenen stetig wachsen kann.
ies gilt ganz besonders auch für alle frauenfernen
achbereiche.
Aufgrund der geregelten Zuständigkeitsaufteilung
wischen Bund und Ländern sind die Angelegenheiten
er Hochschulen alleinige Aufgabe der Länder. Daher
ragen die Länder die Verantwortung für Initiativen und
aßnahmen zur Chancengleichheit an den Hochschu-
en. Ein Blick in die Bundesländer zeigt mehr als deut-
ich, dass die Maßnahmen und Erfolge sehr unterschied-
ich sind. Einige Länder müssen ihrer Verantwortung für
ehr Chancengleichheit erst noch gerecht werden.
In Berlin beispielsweise entwickelt sich die Gender-
ituation insgesamt sehr positiv. Berlin nimmt eine Spit-
enposition beim Länderranking nach Gleichstellungsas-
ekten ein. Die Stadt hatte bereits 2004 einen Frauenan-
eil von 22 Prozent bei den Habilitationen und
3 Prozent bei den weiblichen Professuren. Der Anteil
n Professorinnen an Fachhochschulen liegt heute um
0 Prozent höher als im Bundesdurchschnitt. Bei Neube-
ufungen konnte Berlin im letzten Jahr erstmalig einen
nteil von 30 Prozent erreichen. Bei den Juniorprofessu-
en lag Berlin 2005 bei 39,2 Prozent und hat damit die
ereinbarung von 40 Prozent, die ursprünglich von der
und-Länder-Kommission angestrebt wurde, nahezu er-
eichen können. Berlin sieht eine gezielte Förderung von
achwuchswissenschaftlerinnen in wenig feminisierten
ächern durch vorgezogene Nachfolgeberufungen auf
rofessuren vor.
In Fächern mit einer vergleichsweise sehr geringen
rauenquote wie Mathematik, Natur- und Ingenieurwis-
enschaften sollen in den Jahren von 2008 bis 2010
achfolgeberufungen auf Professuren um drei Jahre vor-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11227
(A) )
(B) )
gezogen werden, unter Umständen auch mit Juniorpro-
fessorinnen, die dann nach Ablauf der drei Jahre die frei
werdende Professur übernehmen.
Mit dem C1/C2 Programm, welches bereits 1991 auf-
gelegt wurde, konnte eine äußerst erfolgreiche Qualifi-
zierungsmöglichkeit für Wissenschaftlerinnen geschaf-
fen werden. So sind beispielsweise von den ersten
20 Wissenschaftlerinnen der TU fünf Frauen noch wäh-
rend ihrer Vertragszeit auf C4-Professuren berufen wor-
den, sechs haben C3-Professuren angenommen, drei sind
an Forschungsinstitute gegangen, weitere drei verlänger-
ten ihre Verträge aufgrund von Erziehungszeiten.
In Berlin werden die Mittel an Hochschulen seit 2001
teilweise leistungsbezogen zugewiesen. Bei den Parame-
tern für die Mittelzuweisung sind neben den Anteilen für
Lehre und Forschung auch Gleichstellungskriterien ex-
plizit mit 5 Prozent festgeschrieben.
Auch in Bremen sollen mit dem jüngst verabschiede-
ten Koalitionsvertrag quantitative bereichsbezogene
Zielvorgaben mit den Hochschulen festgelegt werden.
Die Frauenquotierung in der Normalförderung liegt bei
mindestens 30 Prozent. Bei der Stipendienvergabe sind
mindestens 50 Prozent vorgesehen. Die Professorinnen-
zahl an der Universität Bremen lag Ende vergangenen
Jahres bei 16 Prozent und damit auch zwei Prozent-
punkte über dem Bundesdurchschnitt. Bis 2008 wird die
Zielzahl von 20 Prozent Professorinnen angestrebt.
Dank guter Diskussionen und zielgerichteter Maß-
nahmen sind wir in Gleichstellungsfragen in Berlin und
Bremen schon etwas besser aufgestellt. Wie bereits er-
wähnt, gibt es leider auch Bundesländer, die ihrer Ver-
antwortung erst noch oder erst wieder gerecht werden
müssen. So hat das Landesamt für Daten und Statistik im
Mai 2007 festgestellt, dass der Frauenanteil an nord-
rhein-westfälischen Hochschulen im Vergleich zum Vor-
jahr von 25,3 Prozent um 5 Prozentpunkte auf
20,3 Prozent zurückging. Insgesamt ist die Zahl der ab-
geschlossenen Habilitationen und Einstellungen von Ju-
niorprofessuren im Jahr 2006 um 1,9 Prozent niedriger
als 2005. Dieses ist ein Alarmsignal.
Mit dem seit Januar 2007 geltenden sogenannten
„Hochschulfreiheitsgesetz“ übernimmt die Landesregie-
rung bei der Gleichstellung nur noch die Rechtsaufsicht
in gravierenden Ausnahmefällen. Es gibt somit keine
verbindlichen Zielvereinbarungen zur Erhöhung des
Frauenanteils an den Universitäten. Die Gleichstellungs-
arbeit ist in die Hochschulen verlagert. Nordrhein-West-
falen hat mit dem neuen Gesetz die leistungsbezogene
Mittelvergabe nach Gleichstellungskriterien von 20 auf
7,5 Prozent gekürzt.
Das neue System sieht keine weiteren Anreize zur
Förderung von Frauen vor. Die Eigenständigkeit der
Hochschulen führt weiterhin dazu, dass die Gleichstel-
lungsbeauftragten Kompetenzen verlieren, weil der
rechtsverbindliche Charakter nicht mehr vorhanden ist.
Während das ehemalige Hochschulwissenschaftspro-
gramm vollständig ausgeschöpft wurde, lehnt die Lan-
desregierung eine weitere Kofinanzierung ab. Mit der
Einstellung der Frauenförderung und des Lise-Meitner-
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rogramms als eigenständigen integralen Bestandteil ih-
er Forschungspolitik hat die Landesregierung hier kein
erantwortungsbewusstsein bewiesen.
Trotz der Zuständigkeit der Länder leistet der Bund
uf verschiedenen Aktionsfeldern wichtige Beiträge zur
erbesserung der Chancen von Frauen in Bildung und
orschung. Beispielsweise wird das Interesse von Mäd-
hen für technische, handwerkliche, informationstechni-
che und naturwissenschaftliche Ausbildungs- und Stu-
ienfächer durch verschiedene Projekte gefördert. Als
in sehr erfolgreiches Beispiel möchte ich den Girls’
ay erwähnen.
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung
öchte in einem neuen Programm in Zusammenarbeit
it den Hochschulen Berufungen von Frauen fördern.
azu sollen nach Vorstellung des Ministeriums Profes-
uren von Frauen für einen begrenzten Zeitraum von bis
u fünf Jahren unterstützt werden, wenn die Hochschu-
en ein entsprechendes Konzept vorlegen, um eine zu-
ätzliche vorgezogene Berufung neben einer bereits be-
tehenden Professur zu ermöglichen. Die Strukturierung
ieses Programms erfordert jedoch noch eine enge Ab-
timmung mit den Ländern, weil auch hier eine anteilige
inanzierung vorgesehen ist. Darüber hinaus wird der
und Chancengerechtigkeitspolitik durch eine verstärkte
orschung flankieren. Die ersten Projekte werden dem-
ächst bewilligt.
Gestatten Sie mir an dieser Stelle jedoch auch ein kri-
isches Wort an Frau Bundesministerin Schavan zu rich-
en. Den Medien habe ich entnommen, dass Sie ebenfalls
öllig unzufrieden mit der derzeitigen Bilanz sind. Be-
or Sie konkrete Ratschläge geben werden – so konnten
ir beispielsweise im Handelsblatt lesen –, werden Sie
ie Entwicklung der nächsten Jahre sehr genau beobach-
en.
Verehrte Frau Bundesministerin Schavan, möglicher-
eise sind es keine Ratschläge, auf die Frauen an den
ochschulen warten. Die nicht gerade positive Entwick-
ung in einzelnen Bundesländern muss uns alarmieren
nd lässt nach meiner festen Überzeugung nur eine Ant-
ort zu: Wir müssen handeln.
Meine Partei wird sich auf Bundes- und Länderebene
uch weiterhin verstärkt dafür einsetzen, dass wir In-
trumente einsetzen, um den Anteil der Frauen in Wis-
enschaft und in Führungspositionen an Hochschulen
owie außeruniversitären Forschungseinrichtungen aus-
ubauen. Die Bundesregierung und die Länder sind auf-
efordert, ihrer Verantwortung im Sinne der Chancen-
leichheit gerecht zu werden. Wir unterstützen
aßnahmen, die auf allen Qualifikationsebenen zu einer
erstärkung des Frauenanteils in der Wissenschaft füh-
en. Ich möchte einige Beispiele nennen.
Wir unterstützen die Bundesregierung bei ihrer neuen
nitiative, die das ausgelaufene Hochschulwissen-
chaftsprogramm „Chancengleichheit“ im Umfang von
5 Millionen Euro jährlich ersetzen soll.
Wir unterstützen Maßnahmen, die Mädchen und
unge Frauen ermutigen, sich für Berufe und Studien-
änge zu entscheiden, die heute noch als männerdomi-
11228 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007
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niert gelten. Hier muss das Beratungsangebot für
Schülerinnen und Studierende ausgeweitet werden.
Mentorinnenprogramme waren bisher sehr sinnvoll und
sollten weitergeführt werden.
Die erfolgreich wirkenden Förder- und Stipendien-
programme, die von einigen Bundesländern abgeschafft
wurden, sind wieder einzurichten. Öffentlich geförderte
Programme sind mit verbindlichen Auflagen zu verse-
hen, die vorschreiben, dass Haushaltsmittel von Bund
und Ländern stärker an die Frauenförderung und insbe-
sondere die stärkere Förderung von Naturwissenschaft-
lerinnen gekoppelt werden.
Die sehr erfolgreiche Einrichtung von Juniorprofessu-
ren als wirksames Instrument der Nachwuchs- und Frau-
enförderung sind zum Gegenstand der Zielvereinbarun-
gen mit den Universitäten zu machen. Nicht zuletzt
fordern wir Maßnahmen ein, die zur Verbesserung der
Vereinbarkeit von Beruf und Familie führen, um die
Frauen bei der Karriereplanung zu unterstützen. Gender-
Mainstreaming ist kein Relikt aus den 70er-Jahren des
letzten Jahrhunderts. Meine Fraktion und Partei tritt
nach wie vor für eine menschliche Gesellschaft ein. De-
ren Voraussetzung ist es, dass Frauen und Männer auch
tatsächlich gleichen Einfluss und gleiche Chancen ha-
ben. Das gilt auch und insbesondere für die Wissen-
schaft.
Den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen soll-
ten wir in den entsprechenden Fachausschüssen vertieft
diskutieren. Ich plädiere daher für eine Überweisung.
Uwe Barth (FDP): Der Antrag der Grünen kann viel-
leicht manches, aber eines kann er sicherlich nicht: Die
Chancen der Frauen in der Wissenschaft werden durch
diesen Antrag nicht verbessert.
Ich sehe, ehrlich gesagt, auch nicht die Notwendigkeit
einer Quotierung von Frauen im Bereich der Forschung
und Wissenschaft. Frauen sind schon jetzt integraler Be-
standteil im System der Wissenschaft und Forschung.
Sie sind präsent und treten an prominenter Stelle auf. Ich
erinnere in diesem Zusammenhang an die Hochschulrek-
torenkonferenz, an deren Spitze mit der Präsidentin Frau
Prof. Wintermantel und der Generalsekretärin Frau
Dr. Gaethgens zwei hochqualifizierte Frauen stehen, die
diese herausragenden Positionen nicht aufgrund einer
Quotenregelung, sondern ausschließlich aufgrund ihrer
herausragenden Qualifikation einnehmen. Mit Gesine
Schwan, der Präsidentin der Europa-Universität Via-
drina in Frankfurt/Oder, hat vor einigen Jahren eine Frau
für das höchste Amt in unserem Land, das des Bundes-
präsidenten, kandidiert. Und die Tatsache, dass mit Frau
Dr. Merkel das erste Mal eine Frau das höchste Regie-
rungsamt in unserem Land innehat, verdankt die Bun-
deskanzlerin keiner Quotenregelung, sondern ihrer eige-
nen Qualifikation.
In Ihrem eigenen Antrag geben Sie sogar zu, dass die
Mehrzahl der Absolventen an deutschen Hochschulen
mittlerweile weiblich ist. Damit das hier nicht falsch ver-
standen wird: Ich freue mich außerordentlich darüber,
dass das so ist. Diese Entwicklung ist aber gerade nicht
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ie Folge einer „erfolgreichen Gleichstellungspolitik“,
ie es die Grünen immer wieder gerne und nun auch in
hrem Antrag zu erklären versuchen. Sie wissen genau,
ass der Einzug der Frauen an Deutschlands Hochschu-
en durch die einst für die Arbeiterkinder intendierte Öff-
ung der Hochschulen in den 1970er-Jahren eingeleitet
urde. Das war so weder geplant noch beabsichtigt.
Der Antrag der Grünen wird Frauen nicht voranbrin-
en. Vielmehr ist zu befürchten, dass durch die eher un-
ahrscheinliche Verabschiedung dieses Papiers die
hancen der Frauen gehemmt werden. Ihre Zielsetzung,
ass ein 50-prozentiger Frauenanteil einen Wert „an
ich“ darstellt, können Sie vielleicht auf Ihren Grünen-
arteitagen verkünden. Doch der Wissenschaftsbetrieb
st mit solch populistischen Schauveranstaltungen nicht
u vergleichen. Dort lässt sich die Frauenquote nicht
ermitteln. Es besteht auch gar keine Notwendigkeit da-
ür. In Kalifornien – insbesondere der wissenschaftlich
ochinteressanten San Francisco Bay Area – wurde die
ositive Diskriminierung (ban on positive action) per
esetz verboten. Dem Engagement von Frauen im Wis-
enschaftsbetrieb hat das nicht geschadet. Die UC
erkeley weist mit 12 000 weiblichen Hochschulange-
örigen deutlich mehr Frauen als Männer (10 000) auf.
erade diese Beispiele zeigen, dass Frauen nicht wegen
iner Quote an der Wissenschaft partizipieren, sondern
egen ihrer Qualifikationen, weil sie eben hervorra-
ende Wissenschaftler sind. Eine Quote würde gerade
iesen Frauen zum Nachteil gereichen. Sie würden ab-
estempelt, nicht wegen ihrer Qualifikationen, sondern
egen ihres Geschlechts die jeweilige Position zu be-
leiden. Die Quote würde letztendlich zu einer Diskrimi-
ierung dahingehend führen, dass den Frauen jedwedes
now-how abgesprochen würde.
Die Maßnahmen, die die Grünen vorschlagen sind
icht nur nicht notwendig, sie verhindern sogar, dass die
esteckten Ziele erreicht werden. Die Grünen setzen
priori vorweg, dass die Gleichverteilung von Mann
nd Frau über alle Gesellschaftsbereiche hinweg und im
issenschaftsbereich im Besonderen erstrebenswert und
on Vorteil ist. Erfolgt die „Steigerung des Anteils von
rauen am wissenschaftlichen Personal auf allen Hie-
archieebenen“ nicht, so sollen „Negativsanktionen“ die
onsequenz sein, so der Antrag.
Lassen Sie mich an einem Beispiel verdeutlichen, wie
chädlich diese Idee ist. Hier in Berlin gibt es die „Alice
alomon Fachhochschule“. Diese Fachhochschule wird
on einer Rektorin geleitet. Das wissenschaftliche Per-
onal ist überwiegend weiblich und der Anteil der Stu-
entinnen an allen Studierenden ist überproportional
och. Der „Alice Salomon Fachhochschule“ dürfte es
lso schwer fallen, den Frauenanteil noch weiter zu stei-
ern. Sie hätte damit Schwierigkeiten, sich für Förder-
aßnahmen zu qualifizieren. Als weiteres Beispiel
öchte ich die Technische Universität Berlin nennen.
iese unternimmt alles erdenklich Mögliche, um die
rauenquote zu erhöhen. Im Vergleich zur „Alice
alomon Fachhochschule“ hat sie aber wohl kaum eine
hance. Ist sie deshalb eine schlechtere Hochschule?
ein, sicherlich nicht.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11229
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Dies alles zeigt sehr genau, dass die Grünen den
Frauen in unserer Gesellschaft letztendlich nichts zu-
trauen. Sie glauben nicht daran, dass Frauen ihren eige-
nen, selbstbestimmten Weg auf der wissenschaftlichen
Karriereleiter nehmen können. Stattdessen legen Sie
heute dem Deutschen Bundestag einen Antrag zur Ab-
stimmung vor, der nicht nur bürokratisch völlig über-
frachtet ist, sondern das Verfahren bei der Forschungs-
förderung über alle Maßen weiter verkompliziert. Sie
nehmen dabei billigend in Kauf, dass die Mittelvergabe
noch zeitaufwendiger und intransparenter wird.
Weiterhin wollen Sie mit Ihrem Antrag die Autono-
mie der Hochschulen weiter beschneiden und die Uni-
versitäten bevormunden. Damit behindern Sie sowohl
Wissenschaft als auch Forschung. Damit schaden Sie
nicht nur Wissenschaftlerinnen und Forscherinnen, Sie
schaden damit der gesamten Wissenschafts- und For-
schungslandschaft in unserem Land.
Unbestritten in diesem Haus ist jedoch, davon gehe
ich aus, dass auch die deutschen Hochschulen neue
Wege gehen müssen. Denn beim internationalen Wettbe-
werb um die besten Köpfe zählt nicht nur die Höhe des
gebotenen Einkommens, die Ausstattung des Labors
oder die Größe des zur Verfügung gestellten Teams.
Auch – und da sind uns manche Länder um einiges vo-
raus – kommt es auf die vorgehaltenen Angebote zur In-
tegration der Wissenschaftlerfamilie an. Neben hervorra-
genden Krippen- und Kitaangeboten sowie guten
Schulen zählt eben auch, wie sich die Hochschule um
den Lebenspartner oder die Lebenspartnerin und dessen
bzw. deren Perspektive kümmert. Während Double-
career-Lösungen bei der Berufung von Topwissenschaft-
lern an den herausragenden Forschungsuniversitäten der
USA eine Selbstverständlichkeit sind, findet man sie an
deutschen Hochschulen praktisch nicht, und dies, weil
die bürokratisch überformten Berufungsverfahren und
andere Restriktionen, denen die Hochschulen hierzu-
lande unterworfen sind, derlei pragmatische und fami-
lienpolitisch wirksame Maßnahmen verhindern. Das
muss geändert werden!
In diesem Sinne ist auch die Politik gefordert, mit un-
bürokratischen familienfreundlichen Maßnahmen die
Stellung der deutschen Universitäten im internationalen
Wettbewerb zu verbessern. Nicht neue Regelungen, son-
dern neuer Mut zu weniger Regelungen wird uns auf die-
sem Weg voranbringen.
Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Mit dem Antrag von
Bündnis 90/Die Grünen zu „Mehr Qualität und Exzel-
lenz durch Chancengerechtigkeit und Gender-Perspekti-
ven in Wissenschaft und Forschung“ verbindet sich eine
ganz grundsätzliche Fragestellung: Welches Verständnis
von Innovation legen die Regierungsfraktionen von
Union und SPD ihrer Wirtschafts- und Wissenschaftspo-
litik eigentlich zugrunde? Ziele der aktuellen Politik, die
auch von Bündnis 90/Die Grünen nicht grundsätzlich in-
frage gestellt werden, sind mehr Wettbewerbsfähigkeit
und mehr Exzellenz in Wirtschaft und Wissenschaft.
Über diverse Förderprogramme werden Milliarden in
Spitzenforschung und Erkenntnistransfer gepumpt! Die
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inke hat die einseitige technologie- und marktzentrierte
usrichtung dieser Förderpolitik der Regierungsfraktio-
en stets kritisiert.
Aber ich bleibe doch einmal für einen Moment in Ih-
er Innovationslogik. Wieso lassen Sie ausgerechnet in
issenschaft und Forschung in so hohem Maße innova-
ive Potenziale ungenutzt?
Weshalb wird Tausenden hochqualifizierten und
ochmotivierten Frauen der Zugang, die Teilhabe und
ie Mitwirkung an kreativen Prozessen verwehrt?
Da wird in diesen Tagen beispielsweise insbesondere
m Bereich von Wirtschaft und Wissenschaft ein gewal-
iger Fachkräftemangel an Ingenieuren beklagt. Pro Jahr
ehlen rund 20 000 Ingenieure. Aber die Zahl eingestell-
er Frauen bleibt seit zehn Jahren konstant. Unter männ-
ichen Ingenieuren sind nur 7 Prozent ohne Arbeit, unter
eiblichen dagegen 20 Prozent. Zwei Drittel der Ingeni-
urinnen mit Uniabschluss und die Hälfte derjenigen mit
achhochschulabschluss finden keine Anstellung im Be-
uf. In der Industrieforschung sind Forscherinnen nur
it 12 Prozent vertreten.
Statt diesen endlich Berufs- und damit neue Lebens-
erspektiven zu ermöglichen, wollen sie die Lücke kurz-
ristig durch Zuwanderung hochqualifizierter ausländi-
cher Fachkräfte verkleinern.
Nur um das klarzustellen: Die Linke ist für Zuwande-
ung. Aber die Misere des Fachkräftemangels ist mit Ab-
eichungen in allen Forschungs- und Wissenschaftsdis-
iplinen festzustellen. Frauen sind in höherdotierten
rofessuren sowie in Führungspositionen in Wirtschaft
nd Wissenschaft unglaublich unterrepräsentiert. Die
inke sagt: In der Wirtschafts-, Wissenschafts- und For-
chungspolitik der Bundesregierung klaffen gewaltige
idersprüche!
Vier grundlegende Probleme müssen Gegenstand ei-
er neuen Politik sein:
Erstens: Eine Wissenschafts-, Forschungs- und Wirt-
chaftspolitik muss sich daran messen lassen, ob sie ge-
echt ist. Ihre Politik ist ungerecht, weil Sie Frauen trotz
leicher Befähigung um ihr Recht auf Beschäftigung
zw. akademische Laufbahnen und um ihr Recht auf
leiche Bezahlung bringen. Herr Professor Strohschnei-
er vom Wissenschaftsrat spricht völlig zutreffend von
Exklusionsmechanismen“.
Zweitens: Eine gute Wissenschaftspolitik setzt sich
icht nur gegen die Benachteiligung von Frauen in Wis-
enschaft und Forschung ein, sondern sorgt auch dafür,
ass kreatives Potenzial und hochwertiges Forschen
icht länger verloren gehen. Von den Forscherinnen ha-
en rund 26 Prozent ihr Projekt interdisziplinär ausge-
ichtet. Von den Forschern dagegen nur 15 Prozent. Aus
er Innovationsforschung aber ist bekannt, dass vor al-
em aus den interdisziplinär angelegten Forschungspro-
ekten bahnbrechende Erkenntnisse erwartet werden.
amit werden auch die klassischen Fächertrennungen
nd Disziplingrenzen, die eben über 200 Jahre vor allem
on Männern geprägt wurden, überwunden! Eine Wis-
enschafts- und Forschungspolitik, die den Gender-As-
11230 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007
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pekt ernst nimmt, verspricht also bisher unentdeckte
Blickwinkel innovativer Entwicklung zu erschließen.
Neue Felder, neue Ideen, neue Ansätze bleiben uns
vorenthalten, weil Sie, sehr geehrte Damen und Herren
auf den Regierungsbänken, die spezifischen Fähigkeiten
und die Lebensrealitäten von forschenden Frauen nicht
integrieren! Um nochmals an ihre Logik anzuknüpfen:
Sie verpassen damit auch Märkte!
Oder, um aus dieser Logik auszubrechen: Ohne den
Blick für Gender-Fragen leidet die Qualität von Wissen-
schaft und Forschung. Hier muss ein System der Projekt-
förderung ansetzen. Fördermittel haben erhebliche
Macht, wenn es um die Bestimmung und Bearbeitung
neuer Themen und Gegenstände der Forschung geht.
Gender muss zu wissenschaftlicher Normalität werden.
Gender-Forschung muss bereits im Curriculum, also in
die Lehrziele eines Studienganges integriert werden,
weil die Sensibilität und das Verständnis geweckt wer-
den müssen. Und letztlich bedarf es auch eines stringen-
ten Ansatzes auf EU-Ebene. Dort wurden frühere An-
sätze im 7. Forschungsrahmenprogramm abgeschwächt,
teilweise – wie der Gender-Action-Plan – nicht fortge-
setzt. Gender fehlt in den Evaluierungskriterien.
Drittens: Eine gerechte Wissenschafts-, Forschungs-
und Wirtschaftspolitik muss zu einer grundlegenden
Veränderung der Wissenschaftskultur führen. Sie muss
den offenen, aber vielmehr noch den feinsinnig verdeck-
ten Formen der Ausgrenzung und Benachteiligung von
Frauen konsequent entgegentreten. Nur die verstärkte
Einstellung von Frauen zu fördern, hat über die Jahre un-
befriedigende Ergebnisse gebracht. Frauen treten nach
wie vor viel seltener als Männer auf besser bezahlten
und auf einflussreichen Positionen in Erscheinung. Das
mag auch an der Höhe der Förderzuschüsse gelegen ha-
ben. Immer mehr reift die Erkenntnis, dass es ohne Quo-
ten, wie sie Herr Professor Winnacker nach Beendigung
seiner Amtszeit als Präsident der Deutschen Forschungs-
gemeinschaft (DFG) ein wenig entnervt forderte, nicht
gehen wird. Und zugleich müssen Sanktionen, also Mit-
telabzug bei zu geringen Beschäftigungsanteilen von
Frauen, das finanzielle System der Frauenförderung un-
terstützen.
Viertens: Eine echte Innovationspolitik braucht einen
lebensweltlichen, einen sozialen Kontext. Forscherlauf-
bahnen werden bisher zulasten von Familien oder Fami-
liengründung durchlaufen. Familienfreundlichkeit darf
sich allerdings nicht auf bessere Kinderbetreuung be-
schränken. Diese wird ohnehin fast immer nur auf Frau-
enförderung bezogen. Dabei bringt sie auch Männern in
der Familie Entlastung. Die Bedürfnisse der ganzen jun-
gen Familie sind zu berücksichtigen.
Wissenschaftlerin oder Wissenschaftler zu werden,
darf nicht von Absage an normale, gesellschaftlich übli-
che Lebensverhältnisse von Menschen begleitet werden.
Karriereplanung, geregeltes Einkommen, Urlaub, be-
grenzte Arbeitszeiten, Wochenenden, soziale Kontakte
und eben Kinder gehören dazu. Was haben Menschen für
gesellschaftliche Kompetenzen und Persönlichkeiten,
die durch Selbstaufgabe ihrer Lebensansprüche beruflich
erfolgreich geworden sind?
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Wissenschaft und Forschung stehen nicht über der
esellschaft. Sie sind Bestandteil ebenso, wie sie ganz
aßgebliche Impulse für ihre Verbesserung setzen kön-
en. Und alle zusammen werden an Innovationskraft ge-
innen, wenn Männer und Frauen gleichberechtigt da-
an mitwirken!
Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Be-
und über Wissenschaftlerinnen und Gender-Aspekte in
er Forschung ist eindeutig und deprimierend zugleich:
n Fragen der Gleichstellung hinkt der deutsche For-
chungs- und Wissenschaftsbetrieb international weit
interher. Von echter Chancengleichheit kann keine
ede sein. Auch finden sich kaum systematisch in For-
chungsprojekte integrierte Gender-Perspektiven. Der
nteil von Frauen in den akademischen Qualifizierungs-
nd Karrierestufen der inner- und außeruniversitären
inrichtungen ist im internationalen Vergleich erschre-
kend gering. Die Durchlässigkeit akademischer Karriere-
ege für Frauen hat sich trotz allem rhetorisch bekundeten
eränderungswillen und zahlreicher Förderprogramme
n den letzten Jahren nur marginal verbessert. Aktuell
und das ist gleichstellungspolitisch in der Tat skanda-
ös – liegt die Chance eines männlichen Hochschulabsol-
enten auf eine spätere Professur immer noch fünf Mal
öher als die einer Hochschulabsolventin.
Wissenschaftlerinnen bleiben in der deutschen For-
chungs- und Wissenschaftslandschaft also nach wie vor
eutlich unterrepräsentiert. In jüngster Zeit haben insbe-
ondere die Wissenschaftsorganisationen diesen Missstand
ufgegriffen und öffentlich thematisiert. Immer stärker
ückt ins Bewusstsein, welche Dimension die Ge-
chlechterdiskriminierung hat: Diskriminierende Struk-
uren, Verhaltensweisen und Vorurteile bedeuten einen
rastischen Verlust an Innovationsfähigkeit und Reputa-
ion für den deutschen Wissenschaftsstandort. Das Fest-
alten an diesem Gleichstellungsdefizit läuft auf eine
norme Potenzialverschwendung hinaus. Wir bleiben
eutlich unter unserem Leistungsvermögen. Unser Wis-
enschaftssystem ist nicht nur extrem ungerecht gegen-
ber den vielen gut ausgebildeten Frauen, die durchaus
as Zeug dazu hätten, gute Wissenschaftlerinnen zu wer-
en; angesichts des demografischen Wandels und vor
em Hintergrund einer globalisierten wissensbasierten
konomie vergeben wir fahrlässig Entwicklungschan-
en und sind im internationalen Wettbewerb schlecht
ositioniert.
Ungünstige Karrierebedingungen von Frauen haben
em Wissenschaftsbetrieb hierzulande negative Kriti-
en eingebracht, nicht nur von internationalen Gutachte-
innen und Gutachtern im Rahmen der Exzellenzinitia-
ive. Auch auf europäischer Ebene gerät das deutsche
issenschafts- und Forschungssystem ins Hintertreffen
ei der geschlechterparitätischen Besetzung von Gre-
ien und Entscheidungspanels. Zunehmend verlieren
ochschulen aufgrund von unattraktiven Arbeitsbedin-
ungen und unmodernen Berufsbildern im internationa-
en Wettbewerb hochqualifizierten wissenschaftlichen
achwuchs an Unternehmen und andere Bereiche.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11231
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Dabei hakt es im Wissenschaftsbetrieb nicht nur an
der mangelnden Vereinbarkeit von Erwerbs- und Fami-
lienleben. Insgesamt weisen Studien nach, dass Männer
nach wie vor stärker gefördert werden, Frauen mehr leis-
ten müssen, um in ihrer Kompetenz anerkannt zu wer-
den, und Karriereverläufe von intransparenten und infor-
mellen Faktoren geprägt sind, die oft Frauen
benachteiligen. Da nutzt es wenig, dass Frauen mittler-
weile so hervorragend ausgebildet sind wie nie zuvor
und der Pool an hochqualifizierten Akademikerinnen
wächst. Vor allem an der Schwelle zur Promotion und
noch stärker zur Habilitation scheiden sie aus dem Wis-
senschaftssystem aus. Dies gilt ganz besonders für Dis-
ziplinen mit einem hohen Anteil von Studentinnen wie
die geisteswissenschaftlichen Fächer. Aussichtsreiche
potenzielle Nachwuchswissenschaftlerinnen wirken
folglich nicht nur in dem Maße am wissenschaftlichen
Erkenntnis- und Innovationsprozess mit, wie es möglich
und angemessen wäre. Ihr Kreativitäts-, Ideen- und In-
novationspotenzial geht dem deutschen Wissenschafts-
und Forschungsbetrieb verloren.
Klar ist: Der Geschlechterdiskriminierung im Wissen-
schaftssystem ist mit unverbundenen Einzelmaßnahmen
nicht beizukommen. Zwar ist es sehr vernünftig und
richtig, wenn Bundesministerin Annette Schavan mit
den Ländern nun nach Wegen sucht, 200 vorgezogene
Professuren für Frauen einzurichten. Kompliziert wird
dieses Unterfangen nach der Föderalismusreform allzu-
mal. Doch eine solche Einzelinitiative reicht bei weitem
nicht aus. Eine Verdoppelung des Frauenanteils in der
Wissenschaft innerhalb der nächsten zehn Jahre, wie es
Ministerin Schavan im März angekündigt hat, erreichen
wir so jedenfalls nicht. Um hier endlich entscheidende
Schritte voranzukommen, bedarf es neben politischer
Willensbekundungen einer gemeinsamen Strategie von
Bund und Ländern, mehr Verbindlichkeit in quantitati-
ven Zielvorgaben und eine Verstetigung erfolgreicher In-
strumente, wie es zum Beispiel die Juniorprofessur war.
Schon für eine gemeinsame Strategiebildung von Bund
und Ländern fehlt es aber an den Vorraussetzungen.
Schließlich weiß die Bundesregierung nicht einmal, wel-
che Länder in welcher Form aktuell gleichstellungspoli-
tische Maßnahmen durchführen. Sie konnte weder im
November letzten Jahres noch im April diesen Jahres
nach Kleinen Anfragen der Opposition darüber Auskunft
geben.
Um hier endlich den Durchbruch zu erlangen, werden
insbesondere seitens der Wissenschaftsorganisationen
vermehrt verbindliche gleichstellungspolitische Regeln
gefordert und über Quoten diskutiert. Der damalige
DFG-Präsident Ernst-Ludwig Winnacker griff in seinem
Jahresbericht 2006 die Forderung nach Quoten auf. Der
Präsident der Leibniz-Gemeinschaft, Ernst Theodor
Reitschel, bekräftigte dies im April auf der im Rahmen
der deutschen EU-Ratspräsidentschaft durchgeführten
Konferenz „Gender in der Forschung – Innovation durch
Chancengleichheit“ des Bundesministeriums für Bil-
dung und Forschung. Dem liegt offenbar die Erkenntnis
zugrunde, dass wir mit bloßen Appellen und gut gemein-
ten Absichtserklärungen nicht weiterkommen. Gleich-
stellungspolitische Vorgaben werden bislang viel zu we-
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ig an tatsächliche, überprüfbare quantitative
ielmarken geknüpft. Alles andere ist offenbar ineffizi-
nt.
Quantitative Vorgaben müssen über positive Anreiz-
echanismen und finanzielle Steuerungselemente be-
ördert werden und bei Nichteinhaltung negative Sank-
ionsmaßnahmen nach sich ziehen. Ziel muss eine
leichstellungsorientierte Personalpolitik in den Institu-
ionen und die nachweisliche Steigerung des Anteils von
rauen am wissenschaftlichen Personal auf allen Hierar-
hieebenen sein. Eine Grundlage für verbindliche Ziel-
ereinbarungen bietet das Kaskadenmodell. Entspre-
hend dem Kaskadenmodell muss so lange, bis eine
leichberechtigte Vertretung von Männern und Frauen
uf allen Hierarchieebenen umgesetzt ist, auf der jeweils
ächst höheren Führungsebene ein jeweils so hoher
rauenanteil erreicht werden, wie auf der vorangehen-
en Ebene beschäftigt ist. Dabei muss auch angestrebt
erden, dass der Anteil jeden Geschlechts auf Entschei-
ungsebenen und in Evaluationsgremien von For-
chungseinrichtungen und Hochschulen mindestens
0 Prozent erreicht.
Und auch der Innovationsschub, welcher von Gender-
orschung ausgehen kann, muss stärker ins Bewusstsein
ücken. Die Marginalisierung von Gender-Perspektiven
n der Forschung hat zur Folge, dass der qualitative Er-
enntnisgewinn von Gender-Forschung viel zu wenig er-
annt und als Innovationspotenzial genutzt wird. Wis-
enschaft ohne Gender-Perspektive ist defizitär, weil sie
lind gegenüber unterschiedlichen Lebenssituationen ist.
Anstatt seinen Einfluss dort geltend zu machen, wo er
elbst Forschungs- und Institutionenförderung betreibt,
ibt der Bund, wenn überhaupt, nur unverbindliche wei-
he Kriterien vor. Exzellenzinitiative, Hochschulpakt,
ightechstrategie, Ressortforschung, das Jahr der Geis-
eswissenschaften, Gender-Budgetting im Forschungs-
aushalt – überall hätte der Bund die Möglichkeit ge-
abt, das Thema Gleichstellung und Gender-Forschung
um Leitgedanken zu machen und im Sinne eines über-
rüfbaren Förderkriteriums auszugestalten. Von syste-
atischer Implementierung kann in diesen Feldern aber
eine Rede sein.
Unterdessen läuft die Zeit davon. An den Hochschu-
en werden bis 2020 aufgrund des Generationenwechsels
mfängliche Neubesetzungen von Professuren notwen-
ig werden. Im Bereich der ingenieur- und naturwissen-
chaftlichen Fächer droht perspektivisch ein eklatanter
angel an Nachwuchswissenschaftlerinnen. Forderun-
en, den in den letzten Tagen vermehrt öffentlich disku-
ierten Fachkräftemangel durch eine Bildungsoffensive
nd insbesondere die Förderung von Frauen in den Inge-
ieurs- und Naturwissenschaften wettzumachen, müssen
ine größere Rolle spielen. Angesichts der Altersstruktur
es Wissenschaftspersonals an den Hochschulen, aber
uch mit Blick auf die Entwicklung der Studierenden-
ahlen bleibt lediglich ein schmales Zeitfenster für die
irksame Förderung des weiblichen wissenschaftlichen
achwuchses. Wenn wir dieses Window of Opportunity
icht jetzt entschieden nutzen und die wissenschafts-
nd hochschulpolitischen Weichenstellungen vorneh-
11232 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007
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men, ist die Chance einer effektiven Steigerung des
Frauenanteils in der Wissenschaft für weitere Jahrzehnte
vertan.
Anlage 9
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu
dem Abkommen vom 25. Juni 2003 zwischen
der Europäischen Union und den Vereinigten
Staaten von Amerika über Auslieferung, zu
dem Abkommen vom 25. Juni 2003 zwischen
der Europäischen Union und den Vereinigten
Staaten von Amerika über Rechtshilfe, zu dem
Vertrag vom 14. Oktober 2003 zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und den Vereinig-
ten Staaten von Amerika über die Rechtshilfe in
Strafsachen, zu dem Zweiten Zusatzvertrag
vom 18. April 2006 zum Auslieferungsvertrag
zwischen der Bundesrepublik Deutschland und
den Vereinigten Staaten von Amerika sowie zu
dem Zusatzvertrag vom 18. April 2006 zum
Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutsch-
land und den Vereinigten Staaten von Amerika
über die Rechtshilfe in Strafsachen (Tagesord-
nungspunkt 21)
Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (CDU/
CSU): Der Gesetzentwurf der Bundesregierung mit dem
langen Titel schafft die Voraussetzungen für die Rati-
fikation von drei bilateralen Verträgen, die die Bundes-
republik Deutschland mit den Vereinigten Staaten von
Amerika über die Rechtshilfe in Strafsachen und zum
Auslieferungsrecht in den Jahren 2003 und 2006 ge-
schlossen hat. Gleichzeitig wird mit dem Gesetz der Bin-
dung Deutschlands an zwei Abkommen zugestimmt, die
die Europäische Union als Reaktion auf die Anschläge
vom 11. September 2001 mit den USA über die Rechts-
hilfe in Strafsachen und die Auslieferung am 25. Juni
2003 geschlossen hat.
Der Gesetzentwurf hat, was für Zustimmungsgesetze
zu Verträgen mit derart technischem Inhalt eher unge-
wöhnlich ist, sowohl im Deutschen Bundestag als auch
in der Folge davon in der Öffentlichkeit für einige Auf-
merksamkeit gesorgt. Bevor ich zum Inhalt der Verträge
komme, möchte ich einige grundsätzliche Bemerkungen
zum Verfahren machen.
Die parlamentarische Beteiligung zu den Abkommen
und Verträgen ist erforderlich, weil Art. 59 Abs. 2 Satz 1
Grundgesetz die Zustimmung durch ein förmliches Ge-
setz vorschreibt. Das Bundesverfassungsgericht hat in
seiner Entscheidung im 68. Band, Seite 1 ff. auf Seite 88
zum Zustimmungserfordernis des Art. 59 Absatz 2
Satz 1 Grundgesetz ausgeführt, dass dieses den Sinn
habe, „langfristige oder gar grundsätzlich unauflösliche
Bindungen völkerrechtlicher Art nicht ohne Zustim-
mung des Bundestages eintreten zu lassen.“ Daher ist es
richtig, dass wir den Gesetzentwurf im Rechtsausschuss
nicht einfach „durchgewunken“ haben, sondern die in-
haltliche Auseinandersetzung mit dem Gesetzentwurf
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nd den Inhalten der Verträge gesucht und offene Fragen
n Sitzungen des Rechtsausschusses und des Unteraus-
chusses Europarecht geklärt haben. Dabei hat es sich
m einen üblichen parlamentarischen Vorgang gehan-
elt, einen vorgelegten Gesetzentwurf zu erörtern, bevor
arüber abgestimmt wird. Denn, und auch das sei in die-
em Zusammenhang festgehalten, die auswärtige Gewalt
teht bei völkerrechtlichen Verträgen der Exekutive und
er Legislative gemeinsam zu.
Zu dem umfangreichen Vertragswerk hatte ich sachli-
he Fragen, zu denen ich von der Bundesregierung zu-
riedenstellende Antworten enthalten habe. Sie betrafen
um einen die Frage, wie ein in die USA zur Strafvoll-
treckung Ausgelieferter dort eine in eine lebenslange
reiheitsstrafe umgewandelte Todesstrafe verbüßt: Fin-
et die Vollstreckung der Strafe im „Todeszellentrakt“
tatt oder im normalen Strafvollzug? Die Bundesregie-
ung hat mir geantwortet, dass die Vollstreckung der
trafhaft in sogenannten Todeszellen nicht zu erwarten
ei. Die andere Frage, ob Rechtshilfe für Verfahren vor
usnahmegerichten in den USA gewährt werde, hat die
undesregierung mit einem klaren Nein beantwortet.
Bündnis 90/Die Grünen glaubten die Debatte um die-
en Gesetzentwurf mit einem Entschließungsantrag als
ritik gegen die USA instrumentalisieren zu müssen.
er aber, wie Bündnis 90/Die Grünen, in unlauterer
eise diesen Gesetzentwurf sowie die Verträge und Ab-
ommen mit der Zusammenarbeit von Geheimdiensten
u verquicken und zu einem Tribunal gegen die rechts-
taatswidrigen Praktiken der USA im Gefangenenlager
uf Guantánamo und der „extraordinary renditions“ zu
achen versucht, kann nicht erwarten, bei einem so
urchsichtigen Manöver auch noch Unterstützung zu er-
alten. Wir führen heute keine außen-, sondern eine
echtspolitische Debatte.
Worum aber geht es bei diesen Verträgen? Da ist zu-
ächst der Vertrag vom 14. Oktober 2003 zwischen
eutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika
ber die Rechtshilfe in Strafsachen, der noch nicht in
raft getreten ist. Gegenstand des Vertrages ist die sons-
ige Rechtshilfe in strafrechtlichen Angelegenheiten.
er Rechtshilfeverkehr zwischen beiden Staaten findet
islang vertragslos statt, rechtliche Verpflichtungen zur
echtshilfe bestehen nicht. Auf der Grundlage des
echtshilfevertrages können künftig alle Formen der ge-
enseitigen Unterstützung bei der Strafverfolgung zwi-
chen Deutschland und den USA stattfinden. Dazu zählt
ie Zustellung von Urkunden ebenso wie die Überstel-
ung von Häftlingen zur Zeugenaussage oder die Über-
assung von Beweismitteln. Art. 3 des Vertrages sieht
ber auch vor, dass Rechtshilfe aus ordre-public-Grün-
en verweigert werden kann. So gäbe es für Deutschland
ach dem Rechtshilfevertrag keine Verpflichtung,
echtshilfe zu leisten, wenn Bedenken im Raum stün-
en, dass übermittelte Informationen rechtsstaatswidrig
erwendet würden. Es besteht zwischen den Vertrags-
arteien auch Einvernehmen darüber, dass ein Rechtshil-
eersuchen abgelehnt werden kann, wenn die Beweis-
ittel vor einem Ausnahmegericht genutzt werden
ollen. Dies entspricht im Übrigen nach dem Ausliefe-
ungsvertrag vom 20. Juni 1978 zwischen der Bundesre-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11233
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publik Deutschland und den Vereinigten Staaten von
Amerika bereits der bisherigen Rechtslage. Artikel 12
jenes Auslieferungsvertrages bestimmt, dass es Auslie-
ferungen für Verfahren vor Ausnahmegerichten nicht ge-
ben darf.
Wer nun dennoch weiterhin Zweifel streut und den
Rechtshilfeverkehr in Strafsachen mit den Militärkommis-
sionen auf Guantánamo bzw. die Auslieferung zu Straf-
verfolgungszwecken mit den „extraordinary renditions“
vermischt, der vergleicht nicht nur Äpfel mit Birnen,
sondern er wird dem sachlichen Anliegen, um das es zu-
mindest mir in den Beratungen gegangen ist, auch nicht
gerecht.
Die Fälle el-Masri und Kurnaz, die wir im Untersu-
chungsausschuss behandeln, haben nichts mit Rechts-
hilfe oder Auslieferung zu tun. Sie geschahen außerhalb
vertraglicher oder sonstiger Bestimmungen des Rechts-
hilfeverkehrs.
Im Weiteren geht es um den Zusatzvertrag zum Ver-
trag vom 14. Oktober 2003 zwischen der Bundesrepu-
blik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Ame-
rika über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 18. April
2006. Er dient der Änderung des bilateralen Rechtshilfe-
vertrages und übernimmt Regelungen aus dem Abkom-
men zwischen der EU und den USA vom 25. Juni 2003
über Rechtshilfe. Dieses Abkommen regelt nur Teil-
bereiche des Rechtshilferechts wie beispielsweise die
Ermittlung von Bankinformationen oder die Bildung
gemeinsamer Ermittlungsteams. Die Möglichkeit, ge-
meinsame Ermittlungsgruppen einzurichten, bezieht sich
im Übrigen allein auf Strafverfolgungsorgane, wie dies
etwa nach den Anschlägen vom 11. September 2001
bereits praktiziert wurde. Da der im Jahr 2003 abge-
schlossene Vertrag dazu keine entsprechenden Regelun-
gen enthält, sind diese Ergänzungen oder Änderungen
des ursprünglichen Vertragstextes erforderlich, damit
Deutschland seine mitgliedstaatliche Verpflichtung aus
dem europäisch-amerikanischen Abkommen erfüllt.
Gleiches gilt schließlich auch für den Zweiten Zusatz-
vertrag vom 18. April 2006 zum Auslieferungsvertrag
zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Ver-
einigten Staaten von Amerika vom 20. Juni 1978. Auch
hier werden die bilateralen Vertragsbestimmungen an die
Regelungen des am 25. Juni 2003 unterzeichneten Ab-
kommens zwischen der EU und den USA über Ausliefe-
rung angeglichen. Mit diesem Vertrag werden unter an-
derem die Regelungen zur Auslieferung bei drohender
Todesstrafe geändert. Klar ist: Auch in Zukunft gibt es
keine Auslieferung von Deutschland an die USA, wenn
der betroffenen Person dort die Verhängung der Todes-
strafe droht. Dies wäre mit unserer Verfassung nicht
vereinbar. Nach der gegenwärtigen Rechtslage muss in
solchen Fällen bei den USA eine ausdrückliche Zusiche-
rung eingeholt werden, dass die Todesstrafe nicht ver-
hängt oder vollstreckt wird. Künftig ist es ausreichend,
wenn Deutschland bei der Bewilligung der Auslieferung
eine derartige Bedingung stellt. Der um Auslieferung er-
suchende Staat ist dann an diese Bedingung gebunden
und die Todesstrafe darf weder verhängt noch vollstreckt
werden. Teilt er mit, dass er die Bedingung nicht akzep-
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iert, darf das Auslieferungsersuchen abgelehnt werden.
ies stellt eine Verfahrenserleichterung gegenüber der
isherigen Praxis dar.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung regelt also
ichtige Bereiche des Rechtshilfeverkehrs und des Aus-
ieferungsrechts zwischen Deutschland und den Verei-
igten Staaten von Amerika in sinnvoller Weise. Wir
chaffen damit vertragliche Grundlagen sowie präzisere
estimmungen für die Rechtsanwender in der Praxis und
orgen so für Rechtssicherheit, weshalb ich um Ihre Zu-
timmung bitte. Die Debatte hat aber auch gezeigt, dass
ie Verträge und Abkommen nicht geeignet sind, die
aufende Arbeit des 1. Untersuchungsausschusses im
echtsausschuss durch eine Vermischung von Fakten
nd subjektiven Wertungen zu überholen.
Joachim Stünker (SPD): Mit dem Gesetz ratifizieren
ir zwei Abkommen über Auslieferung und über Rechts-
ilfe zwischen der Europäischen Union und den USA.
eide Abkommen ergänzen seit Jahrzehnten bestehende
ilaterale Verträge und regeln im Übrigen nur Teilberei-
he des Auslieferungs- bzw. Rechtshilferechts. Ziel ist es,
en Auslieferungsverkehr zwischen den USA und den
U-Staaten durch Regelvereinheitlichungen zu erleich-
rn und den Rechtshilfeverkehr vor allem bei der Be-
ämpfung der grenzüberschreitenden organisierten Krimi-
alität und des Terrorismus zu verbessern, so zum
eispiel durch Vereinfachung der Erteilung von Bankaus-
ünften, die Videovernehmung oder bei gemeinsamen Er-
ittlungsgruppen.
Der Vertrag über Rechtshilfe in Strafsachen verpflich-
et die Vertragsparteien, so weit wie möglich Rechtshilfe
n strafrechtlichen Ermittlungsverfahren und in Strafsa-
hen inklusive Verfahren wegen Zoll-, Abgaben- und
teuerstraftaten zu leisten.
Der Zusatzvertrag zum Rechtshilfevertrag enthält er-
änzende Regelungen zur Ermittlung von Bankinforma-
ionen, zur Vernehmung per Videokonferenz sowie zu
emeinsamen Ermittlungsgruppen. Zudem sind Vor-
chriften zum Schutz sicherheitsempfindlicher Informa-
ionen sowie zu den Entscheidungskriterien bei Vorlie-
en von Auslieferungs- und Übergabeersuchen mehrerer
taaten enthalten.
Die vorstehende Aufzählung zeigt, dass es sich um
en Rechtshilfeverkehr mit den Vereinigten Staaten von
merika vor dem Hintergrund einer jahrzehntelang ge-
bten und erprobten Praxis handelt. Ergänzend und klar-
tellend ist darauf hinzuweisen: Schon nach dem beste-
enden Auslieferungsvertrag aus dem Jahre 1978 darf
ine ausgelieferte Person nicht von einem Ausnahmege-
icht verurteilt werden. Diese Bestimmung bleibt durch
as EU-US-Abkommen unverändert und gilt auch in der
ukunft.
Die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und den
SA im Bereich der Rechtshilfe und Auslieferung ist
islang vertrauensvoll verlaufen. Zusicherungen, die im
ereich der Todesstrafenproblematik oder bei terroris-
usrelevanten Verfahren regelmäßig abgegeben werden,
ind stets verlässlich eingehalten worden.
11234 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007
(A) )
(B) )
Mechthild Dyckmans (FDP): Die internationale
Rechtshilfe in Strafsachen ist auch für Juristen ein nur
schwer zur durchdringendes Rechtsgebiet. Auch sie
müssen sich erst einmal in dem Geflecht aus innerstaatli-
chen Gesetzen und zwischenstaatlichen und multilatera-
len Verpflichtungen und Übereinkommen zurechtfinden.
In Deutschland gilt zunächst das Gesetz über die interna-
tionale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG), das die inner-
staatlichen Befugnisse und das anzuwendende Verfahren
näher ausgestaltet. Regelungen in völkerrechtlichen Ver-
einbarungen mit anderen Staaten gehen diesem Gesetz
jedoch vor. Dies zeigt, welch besondere Bedeutung den
bi- und multilateralen Übereinkommen im Bereich der
Rechtshilfe in Strafsachen zukommt.
Wir entscheiden heute über ein Gesetz zu einzelnen
Verträgen zwischen der Bundesrepublik Deutschland
und den Vereinigten Staaten von Amerika über Rechts-
hilfe in Strafsachen und über Auslieferungen zwischen
den beiden Staaten. Die Verhandlungen über die uns vor-
liegenden Entwürfe haben viele Jahre gedauert. Erst
2003 konnte ein Vertrag von beiden Staaten unterzeich-
net werden. Aufgrund von Abkommen, die die Europäi-
sche Union mit den USA in derselben Materie ebenfalls
2003 ausgehandelt hat, wurde eine Anpassung notwen-
dig, die im Jahre 2006 vereinbart werden konnte. Die
Verträge und Abkommen regeln unter anderem, wie zu
verfahren ist, wenn es darum geht, Dokumente zu be-
schlagnahmen, Zeugen zu vernehmen, Urkunden auszu-
tauschen, nach Verdächtigen zu fahnden oder Personen
auszuliefern. Der größte Unterschied zu dem Verfahren
nach dem deutschen IRG besteht darin, dass die deut-
schen Behörden nicht mehr nur Rechtshilfe leisten kön-
nen. Sie sind jetzt verpflichtet, dies zu tun, und zwar
grundsätzlich auch dann, wenn die Strafverfolgung in
den USA eine Handlung betrifft, die nach deutschem
Recht nicht strafbar ist. Dies ist umso bedeutender, je
mehr man sich bewusst macht, dass Rechtshilfemaßnah-
men und Auslieferungen intensiv in die Grundrechte der
Betroffenen, insbesondere die der Art. 2 Abs. 2, Art. 10
Abs. l und Art. 13 GG eingreifen können.
Deswegen haben wir uns im Rechtsausschuss sehr in-
tensiv mit der Frage befasst, ob die Verträge in ausrei-
chendem Maße sicherstellen, dass ein Rechtshilfeersu-
chen dann verweigert werden kann, wenn Zweifel an der
Rechtsstaatskonformität einzelner Verfahren bestehen.
Art. 3 des Rechtshilfevertrages sieht hierzu vor, dass die
Rechtshilfe verweigert werden kann, wenn die Erledi-
gung des Ersuchens die Souveränität, die Sicherheit oder
andere wesentliche Interessen des ersuchten Staates be-
einträchtigen würde. Aus Gründen des Ordre public
kann die Rechtshilfe also verweigert werden. In der Be-
gründung heißt es dazu, es bestehe Einvernehmen da-
rüber, dass eine Ablehnung eines Rechtshilfeersuchens
möglich sei, wenn die Beweismittel für ein Verfahren
vor einem Ausnahmegericht genutzt werden sollen.
Aus Sicht der FDP-Bundestagsfraktion bedarf die Si-
cherung unserer Werte jedoch einer näheren Bestim-
mung, Dies ist in den Verträgen nicht hinreichend kon-
kret erfolgt. Vor dem Hintergrund der Diskussionen aus
jüngster Zeit über den richtigen Weg der Terrorismusbe-
kämpfung und die richtige Ausbalancierung des Verhält-
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isses von Freiheit und Bürgerrechten einerseits und den
icherheitsinteressen der Staaten andererseits hat die
DP-Bundestagsfraktion daher im federführenden
echtsausschuss eine Erklärung vorgetragen, in der die
undesregierung aufgefordert wird, die Gewährung von
echtshilfe abzulehnen, wenn erkennbar ist, dass das
erfahren, für das Informationen und Beweismittel im
ege der Rechtshilfe erbeten werden, nicht rechtsstaatli-
hen Grundsätzen entspricht. Das bedeutet insbesondere,
ass die Bundesrepublik Deutschland in Fällen, in denen
ie Gewährung von Auslieferung und Rechtshilfe – sei
s durch Überlassen von Beweismitteln, Zeugenverneh-
ung, Durchbeförderung von Zeugen oder in welcher
orm auch immer – zur Verhängung der Todesstrafe, zu
eren Vollstreckung, zur Vollstreckung der Haft in einer
odeszelle oder zur Vollstreckung einer lebenslangen
reiheitsstrafe, ohne dass für den Inhaftierten die Mög-
ichkeit die Wiedererlangung der Freiheit und damit der
esozialisierung in die Gesellschaft besteht, Rechtshilfe
ur erbringen wird, wenn die Vereinigten Staaten sich
erpflichten, die von der Bundesrepublik erbetene Hilfe
icht – auch nicht mittelbar – in einer Weise zu verwen-
en, die zu den oben genannten Verfahren beitragen
ann. Andernfalls hat die Bundesrepublik Deutschland
as Rechtshilfeersuchen bzw. die Auslieferung abzuleh-
en.
Wir haben die Bundesregierung darüber hinaus aufge-
ordert, die Gewährung von Rechtshilfe zu verweigern,
enn sich die Vereinigten Staaten von Amerika nicht
erpflichten, die von der Bundesrepublik Deutschland
rbetene Hilfe nicht – auch nicht mittelbar – in einem
erfahren vor einem Ausnahmegericht zu verwenden.
udem soll es unzulässig sein, dass Mitarbeiter von aus-
ändischen Geheimdiensten in diesen Fällen auf dem
erritorium der Bundesrepublik Deutschland tätig wer-
en.
Ich hätte mir gewünscht, dass wir uns fraktionsüber-
reifend darauf hätten einigen können, die Bundesregie-
ung aufzufordern, die Verträge in diesem Sinne auszule-
en und anzuwenden. Denn es reicht nicht aus, dass die
erträge Klauseln enthalten, unter die die von uns ge-
ünschten Ausnahmen subsumiert werden könnten. Zur
larstellung und zur Vermeidung von Missverständnis-
en halten wir es für geboten, auf die Ausnahmen im
inzelnen hinzuweisen und damit den Willen des Ge-
etzgebers deutlich zu machen. So kann sichergestellt
erden, dass die zuständigen Behörden in den entspre-
henden Einzelfällen Rechtshilfe auch tatsächlich ver-
eigern.
Weil die Verträge in diesem Sinne auslegbar und an-
endbar sind, wird die FDP-Bundestagsfraktion ihnen
hre Zustimmung geben. Denn auch Deutschland profi-
iert davon, wenn die Vereinigten Staaten sich verpflich-
en, unseren Behörden Rechtshilfe zu leisten. Entschei-
end ist aber aus Sicht der FDP-Bundestagsfraktion,
ass wir uns mit den Vereinigten Staaten auf für beide
eiten verbindliche Vorgaben für die Rechtshilfe und die
uslieferung und damit gleichzeitig auch auf die Gren-
en einigen konnten, die im Rechtshilfeverfahren nicht
berschritten werden dürfen.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11235
(A) )
(B) )
Petra Pau (DIE LINKE): Erstens. Das Gesetz, das zur
Rede steht, betrifft Abkommen und Verträge zwischen
den USA und der EU. Konkret geht es um die Modalitä-
ten, unter denen Bürgerinnen und Bürger wechselseitig
ausgeliefert werden können, wenn sie strafrechtlich ver-
folgt werden, und es geht um Vereinbarungen zur gegen-
seitigen Rechtshilfe, etwa zu Fahndungszwecken. Klare
Vereinbarungen erhöhen die Rechtssicherheit. Positiv ist
auch, dass niemand in die USA ausgeliefert werden
muss, falls ihm dort die Todesstrafe droht, und ebenso,
dass über EU-Bürger, die in den USA angeklagt sind,
keine Informationen zu übermitteln sind, die dort zur To-
desstrafe führen könnten. All das begrüßt die Fraktion
Die Linke.
Zweitens. Wir werden dem Gesetz dennoch nicht zu-
stimmen. Dafür gibt es vor allem zwei Gründe. Erstens.
Laut Abkommen dürfen nur Personen ausgeliefert wer-
den, die einer Tat verdächtigt werden, die sowohl in den
USA als auch in der EU strafbar ist. Bei der Rechtshilfe
gilt dieser Grundsatz nicht. Das halten wir für falsch.
Zweitens; das ist der Hauptgrund für das Nein der Frak-
tion Die Linke. Es muss klipp und klar vereinbart wer-
den, dass EU-Bürgerinnen und EU-Bürger, ja Bürgerin-
nen und Bürger überhaupt, in den USA ein gerechtes
und faires Verfahren vor einem rechtmäßigen Gericht er-
halten. Spätestens seit dem 11. September 2001 wird in
den USA mit Verdächtigen auch anders verfahren. Das
ist nicht hinnehmbar.
Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN): Die
Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der
Vereinigten Staaten von Amerika haben nach langjähri-
gen Verhandlungen Verträge über die Rechtshilfe in
Strafsachen und die Auslieferung geschlossen. Hinzu ge-
kommen sind zwei Abkommen der Europäischen Union
mit den Vereinigten Staaten von Amerika, die Anpassun-
gen der bilateralen Verträge notwendig machten.
Durch eine umfassende Regelung des Auslieferungs-
verkehrs und von Fragen der Rechtshilfe soll die Zusam-
menarbeit der Strafverfolgungsorgane der Mitgliedstaa-
ten der Europäischen Union und der Vereinigten Staaten
von Amerika erleichtert und so zur Leistungsfähigkeit
der Justiz bei der Ermittlung, Verfolgung und Bekämp-
fung von Straftaten beigetragen werden.
Die Abkommen und Verträge begründen grundsätz-
lich eine rechtliche Verpflichtung zur gegenseitigen
Rechtshilfe und regeln Fragen der Auslieferung. Nur in
Ausnahmefällen, die in den Abkommen und Verträgen
benannt sind, dürfen die Vertragspartner die Rechtshilfe
mit Bedingungen versehen oder sie verweigern.
Die in den Abkommen der Europäischen Union und
in den Verträgen der Bundesrepublik Deutschland mit
den Vereinigten Staaten benannten Hilfeersuchen und
Verfahren beziehen sich ausschließlich auf strafrechtli-
che und ihnen gleichgestellte verwaltungsrechtliche Ver-
folgungsmaßnahmen US-amerikanischer und deutscher
Strafverfolgungsbehörden. Ihre Grundlage ist die beider-
seitige Überzeugung, dass Auslieferung und Rechtshilfe
nur und ausschließlich im Rahmen rechtsstaatlicher natio-
nalstaatlicher gesetzlicher Regelungen stattfinden wer-
den.
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Verschiedene Maßnahmen der Vereinigten Staaten im
ampf gegen den internationalen Terrorismus rechtferti-
en aber erhebliche Zweifel an ihrem rechtsstaatlichen
harakter. Dies stellt sich als ein ernsthaftes Problem für
en zukünftigen vertraglich geregelten Strafrechtsver-
ehr mit den USA dar.
Der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für
ie Förderung und den Schutz der Menschenrechte bei
er Bekämpfung des Terrorismus, Martin Scheinin, hat
azu im Juni ausführlich Stellung genommen. Sein Man-
at umfasst die Überprüfung der Gesetze der USA und
hrer Umsetzung an internationalen Vertragsstandards
es Internationalen Pakts über bürgerliche und politische
echte, ICCRR, und der Konvention der Vereinten Natio-
en gegen Folter, CAT.
Dazu hat Sonderberichterstatter Scheinin Folgendes
estgestellt:
Erstens. Die Gefangenen in Guantánamo Bay werden
ls ausländische gesetzwidrige feindliche Kämpfer qualifi-
iert. Dies ist völkerrechtlich unzulässig. Diese Menschen
ind freizulassen oder vor ein ordentliches Strafgericht zu
tellen. Die Gefangenen haben nach dem Combatant Sta-
s Review Tribunal und dem Administrative Review
oard keine Möglichkeit, auf ihre Rechte nach dem
CCRR zu bestehen. Zu den Verstößen zählen willkürliche
efangenhaltung, keinerlei gerichtliche Überprüfung der
reiheitsentziehung, kein faires Verfahren, die Entziehung
er Habeas-Corpus-Rechte, selbst wenn Gefangene vor or-
entlichen amerikanischen Gerichten zugelassen werden.
leiches gilt für circa 700 Menschen in Afghanistan und
twa 18 000 Menschen im Irak in amerikanischen Gefäng-
issen.
Zweitens. Die per Präsidentenerlass 2001 errichteten
ilitärkommissionen sind 2006 vom Obersten Gerichts-
of der USA für verfassungswidrig erklärt worden. Der
ilitary Commission Act 2006 des Kongresses hat die
leichen Kommissionen mit vergleichbarer Struktur
iedererrichtet. Danach können auch Zivilisten, die
ichtmilitärischer Verbrechen beschuldigt werden, vor
ilitärgerichten landen. Vor diesen gilt das Rückwir-
ungsverbot nicht. Es bestehen weitere erhebliche men-
chenrechtliche Vorbehalte auch gegen die neuen Kom-
issionen. Eine Objektivität und Unabhängigkeit der
ommissionen ist nicht gegeben. Es können Beweismit-
el verwendet werden, die unter Zwang zustande gekom-
en sind. Auch bei Freispruch erfolgt nicht automatisch
ie Freilassung.
Drittens. Vernehmungen von Gefangenen werden bis
eute von der Central Intelligence Agency unter Verstoß
egen das Verbot der Folter und jeder grausamen und
nmenschlichen und erniedrigenden Behandlungen
urchgeführt. Auch nach dem neuesten gültigen United
tates Army Field Manual ist es nicht verboten, Gefan-
ene zu schlagen und folterähnlichen Stresssituationen
uszusetzen, die völkerrechtliche Mindestnormen verlet-
en.
Viertens. Gefangene werden auf geheimen Wegen an
eheime Orte verlegt, wo sie jahrelang ohne Anklage
nd Verfahren gehalten und unmenschlich behandelt
11236 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007
(A) )
(B) )
werden, „alternative set of procedures“. Dies hat Präsi-
dent Bush am 6. September 2006 persönlich bestätigt.
Angesichts dieser besorgniserregenden Entwicklung
des US-amerikanischen Strafrechtssystems wäre es not-
wendig gewesen, in einem Begleitantrag auf diese Ent-
wicklung kritisch hinzuweisen und klarzustellen, dass
Auslieferungen und Rechtshilfe in solche US-amerikani-
sche Strukturen nach deutschem Recht nicht möglich
sind. Ja noch mehr: Es ist zu fordern, dass Ausgelieferte
und Maßnahmen der Rechtshilfe nach Verbringung in
den Machtbereich der Behörden der USA nicht aus dem
noch bestehenden rechtsstaatlich funktionierenden Straf-
rechtssystems in die beschriebenen völkerrechtswidrigen
Strukturen übertragen werden können.
Die Koalition hat sich diesem berechtigen Ansinnen
verweigert. Statt klar Stellung zu beziehen, schweigt sie
lieber zu Guantánamo, den Folterpraktiken und illegalen
Entführungen. Angesichts der Tatsache, dass die Staats-
anwaltschaft in München inzwischen US-amerikanische
Beamte wegen Entführung weltweit mit internationalem
Haftbefehl sucht, ist das Schweigen der Koalition nur als
ein Kotau vor der jetzigen Regierung Bush und seiner
Administration zu verstehen. Das Recht und die Men-
schenrechte bleiben dabei auf der Strecke.
Strikt zurückzuweisen ist der Vorwurf aus den Reihen
der Union, wir Grüne hätten nur ein Tribunal gegen
Guantánamo im Sinn. Das System Guantánamo hätte
wahrhaft ein internationales Tribunal verdient.
Der Begleitantrag meiner Fraktion will jedoch ledig-
lich das Ermessen der Bundesregierung in Ausliefe-
rungsfällen und bei Rechtshilfe menschenrechtlich und
völkerrechtskonform binden. Wir reklamieren nur, die
Grundnormen des deutschen ordre public auf den jetzt
vertraglich geregelten Strafrechtsverkehr mit den USA
in Erinnerung zu rufen und dabei die Strukturen in den
USA konkret zu benennen, die dies notwendig machen.
Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin der Justiz: Deutschland und die USA
pflegen seit langem enge Beziehungen. Je intensiver und
vielfältiger die Kontakte zwischen beiden Staaten sind,
desto mehr kommt auch der grenzüberschreitenden
Strafverfolgung besondere Bedeutung zu. Hierzu brau-
chen wir eine verlässliche Rechtsgrundlage, die es bei-
den Seiten erlaubt, die Zusammenarbeit unter Beachtung
ihrer jeweiligen verfassungsrechtlichen Grundsätze zu
gestalten.
Mit der Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs wird
das Parlament insgesamt fünf Verträgen und Abkommen
über Auslieferung und Rechtshilfe zustimmen. Ziel ist
es, nicht nur die strafrechtliche Zusammenarbeit zwi-
schen Deutschland und den USA auf eine völkerrecht-
lich verbindliche Grundlage zu stellen, sondern auch,
zwischen den USA und den EU-Mitgliedstaaten im Be-
reich von Rechtshilfe und Auslieferung harmonisierte
vertragliche Grundlagen zu schaffen. Nicht zuletzt He-
rausforderungen der Bekämpfung des Terrorismus und
der organisierten Kriminalität erfordern eine solche enge
Kooperation.
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Im Bereich der Auslieferung besteht bereits seit 1978
er deutsch-amerikanische Auslieferungsvertrag, der
unmehr geringfügig geändert wird. Auch künftig wird
eine Auslieferung erfolgen, wenn der Verfolgte vor ein
usnahmegericht gestellt werden soll oder ihm die To-
esstrafe drohen sollte.
Im Bereich der Rechtshilfe arbeiten deutsche und
merikanische Behörden bislang ohne vertragliche
rundlage zusammen. Rechtsgrundlage für unsere
echtshilfe an die USA ist das deutsche Gesetz über die
nternationale Rechtshilfe in Strafsachen.
Der Rechtshilfevertrag schafft nunmehr für beide Sei-
en verbindliche Regeln für die Rechtshilfe. Der Vertrag
nthält auch klare Vorgaben dafür, wie die weitere Ver-
endung von Informationen beschränkt werden kann,
ie man im Wege der Rechtshilfe übermittelt. Sollten im
inzelfall unsere rechtsstaatlichen Grundsätze die Leis-
ung von Rechtshilfe nicht zulassen, wird auch nach In-
rafttreten des Vertrags die Leistung von Rechtshilfe
erweigert werden. Für die mit größter Sorgfalt anzu-
tellende Prüfung, ob und ggf. unter welchen Bedingun-
en Rechtshilfe möglich ist, bietet der Vertrag nunmehr
ine eindeutige und verbindliche Grundlage.
Ich bin mir sicher, dass mit diesem Gesetz die bislang
ertrauensvolle Zusammenarbeit mit den USA im Be-
eich der Strafverfolgung weiter verbessert wird.
nlage 10
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Konsequenzen aus
dem Entschädigungsfall Phoenix Kapitaldienst
GmbH (Tagesordnungspunkt 18)
Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU): Der Insolvenz-
all Phoenix verursachte in den letzten Jahren erhebliche
nruhe auf dem deutschen Finanzmarkt. Er ist einer der
rößten Anlagebetrugsskandale in Deutschland, bei dem
nsbesondere Kleinanleger über Jahre hinweg systema-
isch betrogen wurden. Es wurde Anlegern, mehrheitlich
us den neuen Bundesländern, über Jahre hinweg
cheingewinne vorgegaukelt, die niemals vorhanden
aren. Gleichzeitig wurde mit einer Absicherung aller
inzahlungen bis maximal 20 000 Euro durch den Einla-
en-Sicherungsfonds der Wertpapierunternehmen, EdW,
eworben. Viele Kleinanleger ließen sich davon blenden
nd sind nun von dem Verlust ihrer Einlagen betroffen.
eben einer angemessenen Entschädigung der Anleger
üssen aber auch die Interessen der Finanzdienstleister
erücksichtigt werden, die dem Sicherungsfonds ange-
chlossen sind und die Entschädigung zu zahlen haben.
ie dürfen nicht übergebührlich belastet werden. Es darf
ier nicht zu einer Beschädigung des Finanzplatzes
eutschland kommen. Daher wollen wir die gesetzliche
ücke im Einlagensicherungs- und Anlegerentschädi-
ungsgesetz schließen.
Was ist genau passiert? Die Phoenix Kapitaldienst
mbH hatte seit Mitte der 90er-Jahre von rund 30 000 An-
gern insgesamt 675 Millionen Euro eingesammelt. Das
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11237
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(B) )
ergibt durchschnittlich etwa 22 500 Euro pro Anleger.
Die Gesellschaft legte aber nur einen geringen Teil der
eingesammelten Gelder ordentlich an. Den Rest ver-
spekulierte sie mit riskanten Termingeschäften und
häufte so erhebliche Verluste an. Statt die Anleger zu in-
formieren, bemühte sich das Unternehmen, durch ver-
stärkte Akquisition neue Kundengelder zu gewinnen.
Ein Schneeballsystem setzte ein. Der Anlagebetrug
konnte erst im März 2005 aufgedeckt werden. Die BaFin
untersagte daraufhin den Geschäftsbetrieb und bestellte
beim Amtsgericht Frankfurt am Main den Insolvenzver-
walter. Einige der verantwortlichen Geschäftsführer der
Gesellschaft sind mittlerweile wegen Betruges rechts-
kräftig verurteilt worden. Sie sehen, wie viel kriminelle
Energie in der Gesellschaft steckte.
Momentan laufen nun das Insolvenzverfahren der
Phoenix und das Entschädigungsverfahren durch den
EdW. Der Insolvenzverwalter konnte nur noch rund
230 Millionen Euro an Vermögenswerten sicherstellen.
Diese sollen nach seinem Vorschlag für einen Insolvenz-
plan an die Anleger ausgeschüttet werden. Dieses Ver-
fahren kann jedoch erst beginnen, wenn Anleger und
Gläubiger den Plan angenommen haben, das Insolvenz-
gericht ihn bestätigt hat und er so rechtskräftig geworden
ist. Gegen diesen Plan kündigte aber Anfang Mai der so-
genannte Phoenix-Rechtsverfolgungspool GbR, ein Ver-
bund von einigen Finanzdienstleistern und Maklern, Wi-
derstand an. Ursprünglich gehörte dieser Verbund gar
nicht zu den Gläubigern, er kaufte sich erst kürzlich mit
einem Forderungsanteil von rund 1 000 Euro ein. Seiner
Meinung nach würde der Insolvenzplan nur unnötige
Kosten verursachen. Außerdem sei die Frage diverser
Treuhandkonten noch ungeklärt. Das Verfahren ist da-
durch momentan blockiert.
Mit der Ausschüttung der Vermögenswerte würden
zunächst nur etwa 30 Prozent der Forderungen der Anle-
ger bedient werden. Für weitere Zahlungen müssen sie
nun auf den EdW hoffen. Dieser kann aber erst nach Ab-
schluss des Insolvenzplanverfahrens einspringen.
Das Problem ist hier der völlig unterfinanzierte EdW.
Mit den vorhandenen Mitteln ließen sich die Entschädi-
gungszahlungen an die Anleger überhaupt nicht befriedi-
gen. Nach bisherigen Berechnungen sind über 400 Mil-
lionen Euro Schadensersatz zu zahlen, aber nur
5 Millionen Euro befinden sich in den Kassen. Daher
muss das Geld bei den Mitgliedern des Sicherungsfonds
in Form von Sonderzahlungen eingefordert werden. Da-
gegen sträuben sich nun die Mitglieder. Der Rechtsver-
folgungspool ist nun einer der ersten, die sich mit juristi-
schen Mitteln einer möglichen Zahlung entziehen
wollen.
Die Bundesregierung will nun den geschädigten An-
legern helfen. Die zeitliche Differenz zwischen den Zah-
lungen an die Anleger und dem Geldeingang durch die
Fondsmitglieder soll über einen Rahmenkredit der KfW
überbrückt werden. Der Bund will für dieses Darlehen
bürgen, vorbehaltlich der Feststellung des Haushaltes für
2008 voraussichtlich im September dieses Jahres. Über
die Kreditkonditionen wird noch verhandelt.
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Nun, wir haben als Geschädigte durch den Phoenix-
orfall bisher ja nur die Anleger betrachtet. Nun komme
ch aber auf eine weitere Gruppe zu sprechen, die stark
n Bedrängnis geraten ist – die anderen Finanzdienstleis-
er. Nach Abschluss des Insolvenzplanverfahrens wer-
en sie zu einer Sonderzahlung verpflichtet, die sie in
ine Existenzgefährdung bringen kann. Zwar will das
MF vor Versand der Bescheide jeden einzeln auf An-
emessenheit prüfen, doch ist die ganze Situation mehr
ls problematisch. Bei einer voraussichtlichen Entschä-
igungsleistung von 400 Millionen Euro hätte jedes der
50 Unternehmen der EdW-Haftungsgemeinschaft durch-
chnittlich mehr als 530 000 Euro zu zahlen. Bei einer
ndividuellen Anpassung der Beiträge durch das BMF
ind im Einzelfall deutlich höhere Belastungen zu erwar-
en. Die Tilgungs- und Zinszahlungen für den KfW-Kre-
it werden auf die EdW-Mitglieder umgelegt, was schon
ie Form einer Sondersteuer innehat. Die wirtschaftli-
hen Folgen wären unabsehbar. Jedes zehnte EdW-Mit-
lied fordert mittlerweile wegen der drohenden Zah-
ungsunfähigkeit eine Ausnahmeregelung. Die Existenz
iner ganzen Branche steht auf der Kippe!
Weiterhin ist zu beachten, dass die meisten EdW-Mit-
lieder, die zu Beitragszahlungen an diesen Sicherungs-
onds verpflichtet werden, diesen gar nicht in Anspruch
ehmen können. Von den aktuell nur noch 750 Mitglie-
ern besteht die Masse aus kleinen und mittleren Dienst-
eistern wie Börsenmaklern. Diese haben selbst über-
aupt keinen Zugriff auf die Kundengelder, denn diese
erden von einer unabhängigen Depotbank verwahrt.
eht nun einer dieser Finanzproduktanbieter in die In-
olvenz, so würde der Sicherungsfonds gar nicht für ihn
inspringen, da die Kundendepots ja nicht betroffen
ind. Der Anbieter muss aber trotzdem in dieses Siche-
ungssystem einzahlen und muss im Entschädigungsfalle
afür bluten. Viele Finanzdienstleister ziehen deshalb
ine Abwanderung ins Ausland in Betracht.
EdW-Mitglieder sollten nur Finanzdienstleister und
ertpapierhandelsunternehmen sein. Die Beiträge, man
ann sie als Sonderausgaben zu Finanzierungszwecken
eklarieren, sind verfassungsrechtlich nur statthaft,
enn sie eine wirkliche, spezifische Sachnähe zu der
ntschädigungseinrichtung haben. Bei bestimmten
dW-Mitgliedern, wie auch Phoenix, ist diese spezifi-
che Sachnähe überhaupt nicht vorhanden. Deshalb wird
ine Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht er-
ägt. Hier zeigt sich, dass bei der Gründung des EdW
ine Gruppenbildung betrieben wurde, die die unter-
chiedlichen Geschäftsstrukturen der dort zusammenge-
assten Berufsbranchen gar nicht berücksichtigt. Das
roblem ist die recht unscharfe Definition eines Wertpa-
ierdienstleisters, theoretisch müssten auch die Univer-
albanken dazugezählt werden.
Sie können sich also vorstellen, was alles in den EdW
estopft worden ist, daran sieht man die Inhomogenität
nd fehlende Tragfähigkeit des EdW. Sie sehen, meine
amen und Herren Abgeordnete, das ganze System ist
ine erfolglose Feigenblattkonstruktion.
Die Kollegen von der FDP haben nun den Antrag ein-
ebracht, das ganze System der Einlagensicherung zu
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reformieren. Sie forderte die Regierung auf, einen Ge-
setzentwurf zur Novellierung des Einlagensicherungs-
gesetzes vorzulegen. Die FDP empfiehlt, dass die ver-
schiedenen Absicherungsinstitute zu einer gemeinsamen
Einrichtung zusammengefasst werden. Langfristig mag
das richtig und auch nötig sein, für die Lösung des Phoe-
nix-Problems bringt das momentan aber gar nichts.
Phoenix muss in dem bestehenden System abgewickelt
werden. Angesichts der Struktur im deutschen Banken-
markt – das 3-Säulen-System – ist eine Neuordnung des
Einlagensicherungssystems nicht unproblematisch. Ein-
griffe könnten das Vertrauen in den Finanzplatz beschä-
digen. Die Schaffung eines einheitlichen Sicherungssys-
tems würde nicht zwingend zu einer Verbesserung
führen. Bei einem Zusammenführen aller Einrichtungen
könnte das System eine Größe erreichen, der das Ma-
nagement, die Risikokontrolle und das Zusammenführen
von Informationen über Krisenlagen zu komplex und un-
durchsichtig werden lässt. Das würde das ganze System
eher schwächen als stärken. Es bestünde dann die Ge-
fahr, dass künftige Krisen zu spät erkannt werden.
Sinnvoller wäre eine Art Überlaufsystem oder Rück-
versicherung der Sicherungseinrichtung. Hier bedarf es
allerdings noch einer weiteren Prüfung der Vereinbarkeit
der Systeme und ihrer Statuten. Weiterhin wären eine
effizientere Risikokontrolle und eine Überarbeitung der
Beitragsbemessung zu diskutieren. Eine Neuordnung
des Systems kann aber nur langfristig erfolgen. Übereilte
Schritte, wie von der FDP gefordert, sind aber auf jeden
Fall der falsche Weg!
Dr. Hans-Ulrich Krüger (SPD): Die in Insolvenz
geratene Phoenix Kapitaldienste GmbH ist der traurige
Anlass der heutigen Debatte. Hintergrund sind die krimi-
nellen Machenschaften der Phoenix Kapitaldienste, wel-
che zu einem der schlimmsten Anlegerbetrugskandale in
Deutschland geführt haben. Durch ein ausgeklügeltes
Schneeballsystem sind nahezu 30 000 Anleger mit vor-
getäuschten Finanzgeschäften um ihre Einlagen gebracht
worden. Der Gesamtschaden wird auf circa 650 Millio-
nen Euro veranschlagt, wobei die Entschädigungszah-
lungen der Entschädigungseinrichtung der Wertpapier-
handelsunternehmen – kurz: EdW – wohl mehr als
180 Millionen Euro betragen werden. Diese Entschädi-
gungszahlungen der EdW sind nun auch Gegenstand des
Antrages der FDP.
Fakt ist, dass die EdW mit einem Kassenbestand
– Stand 31. Dezember 2006 – von gut 5 Millionen Euro
Entschädigungszahlungen von gut 180 Millionen Euro
leisten muss. Klar, dass dies Lösungen erfordert und eine
Diskussion über das bestehende System der Einlagen-
sicherung und Anlegerentschädigung ausgelöst hat.
Nur der Ansatz, den die FDP mit ihrem Antrag ver-
folgt, ist nicht geeignet, das Problem der Anlegerent-
schädigung umfassend zu lösen. In diesem Zusammen-
hang von Mitverantwortung des Bundes zu sprechen, ist
nicht nur falsch, sondern geht an der Sache klar vorbei.
Wie verzwickt die kriminellen Machenschaften wa-
ren, zeigt ja schon allein, dass ein so renommiertes Wirt-
schaftsprüfungsunternehmen wie Ernst & Young im
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uftrag der BaFin für die Jahre 2002 und 2003 eine Son-
erprüfung bei der Phoenix Kapitaldienste GmbH durch-
eführt hat und keinerlei Auffälligkeiten erkennen
onnte, obwohl nach derzeitiger Kenntnis die Scheinge-
chäfte bereits seit Mitte/Ende der 90er-Jahre betrieben
urden.
Als Reaktion auf diese Insolvenz möchte nun die FDP
ls Lösung, das bestehende und das – das darf ich neben-
ei erwähnen – auch bewährte System der Einlagen-
icherung komplett umgestalten, ein funktionierendes
nd bewährtes System übrigens, dass heute unter ande-
em aus folgenden Einrichtungen besteht: Zum einen ha-
en wir das Sicherungssystem des privaten Bankgewer-
es. Dieses sichert dem Einleger Ansprüche im
ntschädigungsfall von bis zu 30 Prozent des für die Ein-
gensicherung relevanten haftenden Eigenkapitals eines
reditinstituts. Der Einlagensicherungsfonds wirkt zudem
ber die gesetzliche Mindestabsicherung in Höhe von
0 000 Euro hinaus.
Des Weiteren haben wir das Sicherungssystem der öf-
entlich-rechtlichen Banken. Hier besteht neben der
esetzlichen Entschädigungseinrichtung des Bundesver-
andes der Öffentlichen Banken Deutschlands ein Ein-
agensicherungsfonds, der zur Anschlussdeckung der
ber den Schutzumfang der EdVÖB – Entschädigungs-
inrichtung des Bundesverbandes der Öffentlichen Ban-
en Deutschlands – hinausgehenden Einlagen dient.
Zum anderen haben wir noch das Sicherungssystem
m Sparkassensektor. Hier wird die Einlagensicherung
urch die Institutssicherung gewährleistet. Bei der Spar-
assen-Finanzgruppe, also den Sparkassen, den öffent-
ich-rechtlichen Bausparkassen und den Landesbanken,
esteht ein Haftungsverbund, der im Bedarfsfall für die
orderungen gegenüber den einzelnen Bereichen auf-
ommt.
Die FDP will nun unter anderem, dass die verschiede-
en Institute zu einer gemeinsamen Entschädigungsein-
ichtung für alle Institute zusammengefasst werden. Ich
rage mich: Was will sie damit bezwecken?
Zum einen würde bei einer Zusammenlegung ein bü-
okratischer Apparat entstehen, der den Informations-
ustausch, die Risikokontrolle und das Management viel
u komplex und undurchsichtig machen würde. Dies
ätte zur Folge, dass eine effiziente Risikoüberwachung
icht funktionieren würde. Zum anderen würde die
icherungseinrichtung letztendlich nur noch auf die
unktion einer – wie es der Bundesverband Deutscher
anken zutreffend nennt – Paybox reduziert. Das kön-
en wir schon aus volkswirtschaftlicher Sicht nicht
rnsthaft wollen.
Das Ziel eines effizienten Sicherungssystems zur Ver-
eidung weiterer Schadensfälle muss es daher sein, auf-
retende Risiken frühzeitig zu erkennen, um angemessen
arauf reagieren zu können. Lediglich finanzielle Res-
ourcen zusammenlegen zu wollen, kann auf Dauer
icht erfolgreich sein.
Des Weiteren höre ich immer wieder von Mitgliedern
er EdW – zurzeit gibt es circa 750 – als weiteres Argu-
ent für einen „zentralen“ Zusammenschluss, dass das
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11239
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bestehende System der mitgliedschaftlichen Zusammen-
legung ihrer Entschädigungseinrichtungen verfassungs-
widrig sei. Falls es überhaupt verfassungsrechtliche
Bedenken geben sollte, muss man in diesem Zusammen-
hang selbstverständlich auch die Frage stellen – was der
vorliegende Antrag natürlich nicht macht –, wer bzw.
welcher Anleger schutzbedürftiger ist. Ist der klassische
„Zocker“, der sein Kapital mit der Aussicht der höchst-
möglichen Rendite bei dubiosen Wertpapierhandels-
unternehmen anlegt, genauso schutzbedürftig wie der
Kleinsparer, der bei seiner Hausbank in Bundesschatz-
briefen oder Ähnliches investiert?
Im Übrigen sind die Risiken, die bei der Einlagen-
und Institutssicherung einerseits und bei der Anlegerent-
schädigung andererseits abgesichert werden, völlig
unterschiedlich. Wie man weiß, werden bei den Wertpa-
pierhandelsunternehmen Schadensfälle durch Kriminali-
tätsrisiken ausgelöst; bei der Einlagen- und Instituts-
sicherung sind es dahin gehend Kreditrisiken. Gerade
eine Zusammenfassung aller Institute in einer gemeinsa-
men Entschädigungseinrichtung würde daher wegen
Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz verfassungs-
rechtlichen Bedenken begegnen.
Auf diese Problematik geht der vorliegende Antrag
natürlich nicht ein und daher auch fehl. Ein Zusammen-
schluss würde also nicht nur erhebliche verfassungs-
rechtliche Bedenken auslösen, sondern eine Bürokratie
erfordern, die der Sache nicht Herr werden würde. Inso-
fern haben die Damen und Herren von der FDP die
Sachlage nicht erkannt.
Wichtigstes Ziel muss es vielmehr sein, das Vertrauen
und die Stabilität in den Finanzplatz Deutschland zu er-
halten und zu stärken, ein Vertrauen übrigens, zu dem
die kreditwirtschaftlichen Sicherungssysteme – wie be-
reits dargestellt – bisher maßgeblich beigetragen haben.
Damit dies auch so bleibt, kommt es in erster Linie nicht
darauf an, immer mehr Summen in entsprechende Einla-
gensicherungen einzubringen, sondern solche betrügeri-
schen Insolvenzen – wie wir sie bei Phoenix Kapital-
dienste GmbH erlebt haben – frühzeitig zu erkennen und
damit einen Schaden auszuschließen bzw. äußerst gering
zu halten.
Vorrangiges Ziel unserer Überlegung muss daher der
Präventionsgedanke sein, um weitere Schadensfälle zu
vermeiden. Hier kommt es meines Erachtens ganz er-
heblich darauf an, mit entsprechendem Know-how und
Personal eine wirkungsvolle Risikokontrolle durch die
Sicherungseinrichtungen herzustellen. Darüber hinaus
müssen die Sicherungseinrichtungen entsprechende
Sanktionsbefugnisse erhalten, wenn Institute Risiken er-
kennen lassen. Auch sollte man darüber nachdenken, ob
es nicht Sinn macht, eine „Vertrauensschadensversiche-
rung“ einzuführen und die Beiträge exakt nach der Höhe
des verursachten Risikos zu erheben.
Fakt ist: Nur durch eine funktionierende Prävention
können Insolvenzen durch Anlegerbetrügereien, wenn
nicht immer vermieden, so aber doch von der Schadens-
summe gesehen beschränkt werden. Es bleibt festzuhal-
ten, dass die Forderungen im vorliegenden Antrag der
FDP nicht geeignet sind, die entstandenen Anlagebe-
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rugsfälle im Vorfeld zu vermeiden und im Entschädi-
ungsverfahren in den Griff zu kriegen. Im Gegenteil:
s verwundert mich schon, dass gerade die FDP hier
ach einer aufgeblähten und bürokratischen „Über“-
ontrollbehörde, also nach mehr Staat, verlangt. Inso-
ern verstehe ich ihren heutigen Antrag auch nicht, da sie
m Mai 1998 noch unter ihrer Regierungsverantwortung
as Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsge-
etz mit eingebracht und beschlossen hat.
Wenn denn der FDP-Antrag gerade dahin gehend ver-
tanden werden soll, dass nunmehr ein zusätzlicher
ahlmeister außerhalb des aktuell gültigen Sicherungs-
ystems – EdW – gesucht wird, so kann ich der FDP eine
lare und deutliche Absage erteilen. Auf der einen Seite
ewinne zu privatisieren und auf der anderen Seite Ver-
uste – die dann der Staat und somit jeder Einzelne von
ns zu tragen hätte – zu sozialisieren, ist mit der deut-
chen Sozialdemokratie nicht zu machen.
Frank Schäffler (FDP): Das Thema „Entschädi-
ungsfall Phoenix GmbH“ brennt den betroffenen Anle-
ern und Finanzdienstleistern auf den Nägeln. Im Jahr
005 wurde der Entschädigungsfall festgestellt, und bis
eute haben Anleger und die Zwangsmitglieder der Ent-
chädigungseinrichtung der Wertpapierhandelsunterneh-
en, EdW, keine Gewissheit, wann sie ihr Geld bekom-
en bzw. welche Sonderbeiträge auf sie zukommen.
och schlimmer ist, dass jederzeit ein erneuter Entschä-
igungsfall auftreten kann, mit ebenso verheerenden
olgen für Anleger und Unternehmen. Deshalb ist die
ntätigkeit der Bundesregierung nicht hinzunehmen,
nd deshalb hat die FDP-Fraktion den vorliegenden An-
rag gestellt. Es ist nicht hinnehmbar, dass Sie sich ein-
ach in die Sommerpause retten, ohne sich zu Ihren wei-
eren Plänen zu äußern. Deshalb fordere ich Sie auf,
ekennen Sie hier Farbe, sagen Sie, welche Konsequen-
en Sie aus dem Fall Phoenix ziehen wollen. Sagen Sie,
ie der geplante Kredit der KfW an die EdW ausgestal-
et werden soll. Halten Sie die Betroffenen nicht länger
in!
Die FDP-Fraktion hat die Bundesregierung bereits
ehrfach zum Handeln aufgefordert. Die Bundesregie-
ung hat sich aber nur hinhaltend geäußert und für frühes-
ns das nächste Jahr einen Entwurf für eine Änderung des
inlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsgesetzes
ngekündigt. So lange können wir nicht warten. Wir müs-
en jetzt handeln, denn unser Finanzplatz ist aufgrund der
ffenen Lösung der Entschädigungsproblematik blockiert.
eugründungen werden faktisch verhindert, im Gegenteil
erlieren wir Finanzdienstleister, da Unternehmen ihre Er-
ubnis zurückgeben bzw. ins Ausland abwandern. Dies
t nicht vorwerfbar, denn wer sich jetzt aus der EdW ver-
bschiedet, muss nicht zahlen, wenn die Sonderbeiträge
rhoben werden. Das Problem ist dabei jedoch, dass viele
leine und mittelständische Unternehmen, die ihren Sitz
icht so leicht verlagern können, zurückbleiben und sich
ür diese dann die Sonderbeiträge erhöhen.
Die FDP-Fraktion hat in dem vorliegenden Antrag ei-
en Lösungsweg aufgezeigt. Lassen Sie uns die bestehen-
en Entschädigungseinrichtungen zusammenlegen, damit
11240 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007
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es ein zahlungskräftiges Anlegerentschädigungssystem
gibt. Das ist im Sinne der Finanzdienstleister, die dann
nicht mehr durch Sonderbeiträge in ihrer Existenz gefähr-
det werden, und es ist auch im Sinne der Anleger, die
dann in künftigen Fällen frühzeitig ihre Entschädigung er-
halten können. Um die Lösung des Falls Phoenix zu er-
leichtern, wollen wir, dass ein Anspruchsübergang auf die
EdW bei Haftung Dritter in das Gesetz aufgenommen
wird. Wenn wir dies nicht regeln, bevor die Auszahlungen
der EdW beginnen, kann die EdW Dritte, die den Fall
Phoenix mit verursacht haben, nicht in Anspruch nehmen.
Die Kollegen der Koalition, insbesondere der SPD,
meinen ja, die Finanzdienstleister müssten den Fall
Phoenix unter sich ausmachen. Dabei verkennen sie je-
doch, dass der Bund eine Mitverantwortung trägt. Diese
ergibt sich aus dem Aufsichtsversagen von Bundesan-
stalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, BaFin, und EdW,
ohne das der Fall Phoenix nicht diese Ausmaße ange-
nommen hätte, und daraus, dass der Bundesgesetzgeber
durch das Einlagensicherungs- und Anlegerentschädi-
gungsgesetz, EAEG, mit der EdW eine Einrichtung ge-
schaffen hat, die selbst nicht tragfähig ist.
Legen Sie nicht länger die Hände in den Schoß, son-
dern legen Sie endlich einen Gesetzentwurf vor!
Dr. Axel Troost (DIE LINKE): Sie werben unabläs-
sig für den „Freien Markt“. Dahinter steht die Vorstel-
lung, dass aufgeklärte Verbraucher rational auf Märkten
verschiedene Angebote prüfen und dasjenige auswählen,
das am besten ihren Präferenzen entspricht. Schon im-
mer gab und gibt es dagegen von kritischen Wirtschafts-
wissenschaftlern den Einwand, dass diese Vorstellung
eine reine Fiktion ist und Märkte in Wirklichkeit anders
funktionieren, dass Märkte in der Realität oft durch ein
Informationsgefälle zwischen Anbietern und Nachfra-
gern charakterisiert sind und dass auf Märkten auch
Machtfragen eine Rolle spielen.
Deswegen fand ich Ihren Antrag ausgesprochen inte-
ressant. Ich betone: interessant, nicht richtig. Interessant
ist er, weil sich Marktliberale hier einmal mit Märkten
befassen müssen, wie sie in der Realität existieren, weil
Sie sich von Ihrer Fiktion des „Freien Marktes“ verab-
schieden müssen.
Prompt verstricken Sie sich in Widersprüche. Sie kri-
tisieren, dass die BaFin versagt habe. Aber es muss auch
gesehen werden: Die – von der Anbieterseite getragene –
Entschädigungseinrichtung der Weltpapierhandelsunter-
nehmen, EdW, hat in ihrer Kontrollaufgabe versagt.
Diese Entschädigungseinrichtung ist zudem vollkom-
men unterfinanziert. Und wir müssen sehen: Auch die
Nachfrager haben sich vermutlich das eine oder andere
Mal von hohen Renditeversprechungen blenden lassen
und sind nicht – wie vom aufgeklärten Verbraucher ei-
gentlich zu erwarten – bei paradiesischen Versprechun-
gen stutzig geworden.
Deswegen muss das Problem umfassender angegan-
gen werden, als es im Antrag der FDP-Fraktion durch-
scheint. Phönix könnte als bedauerlicher Einzelfall be-
trachtet werden, würde man in diesem unserem Kreise
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icht regelmäßig die Erfahrung machen, dass aufsichts-
echtliche und vollzugspraktische Schwierigkeiten bis-
eilen sehenden Auges in Kauf genommen und ignoriert
erden, um den interessierten Lobbygruppen schnellst-
öglich Vollzug melden zu können. Als jüngstes Bei-
piel ist hier etwa die kritische Einschätzung der Vertre-
erin der BaFin in der Anhörung zum REIT-Gesetz zu
ennen. Obwohl diese unmissverständlich deutlich
achte, dass die vorgesehene Überwachung der Beteili-
ungsverhältnisse in der Praxis kaum zufriedenstellend
u bewerkstelligen sein wird, hat das verabschiedete Ge-
etz an dieser Stelle gegenüber dem Entwurf keinerlei
nderung mehr erfahren. Nach dem Motto „Jetzt ma-
hen wir erst mal, und was am Schluss dabei rauskommt,
nteressiert erst mal nicht“ wird der viel zitierte Finanz-
latz Deutschland zwar um viele „innovative“ Produkte
rweitert, zugleich aber zum Minenfeld der finanzpoliti-
chen Unwägbarkeiten umgekrempelt. Auch hier muss
ach meiner Meinung angesetzt werden!
Im Falle der EdW bleibt, auch nach der Anhörung
ber den Fall Phönix hinaus, weiterhin die Kernfrage un-
elöst. Diese lautet: Müssen Anleger, die solchen Ver-
ockungen erlegen sind, überhaupt, und wenn ja, in wel-
hem Umfang und in welcher Form, entschädigt
erden? So weist auch der Vorsitzende des Aufsichts-
ates der Partners Vermögensmanagement in München,
orck Otto, darauf hin, dass leichtgläubige oder krimi-
elle Spekulanten quasi gefahrlos in dubiose und hoch
pekulative Anlagemodelle investieren können, ohne ein
irkliches Risiko einzugehen. Auch dieses Problem
uss sehr sorgfältig diskutiert werden.
Hingegen ist für die Linke die Frage weniger wichtig,
b Ansprüche gegenüber Dritten auf die EdW übertra-
en werden müssen oder nicht. Hier hat Herr Eschmann
on der BaFin in der Anhörung deutlich gemacht, dass
ies Aufgabe des Insolvenzverwalters ist, der im Falle
hönix dieser Pflicht auch nachkomme. Sollten sich bei
er intensiveren Behandlung dieser Thematik allerdings
eitere Gesichtspunkte ergeben, die eine solche Übertra-
ung der Ansprüche als vorteilhaft erscheinen lassen, so
ind wir auch einer solchen Regelung gegenüber offen.
Hauptkonsequenz ist für uns aber: Unabhängig von
en jeweiligen sozioökonomischen Folgewirkungen
ird die Linke auch in Zukunft keinerlei Kapitalmarkt-
olitik unterstützen, bei der es den Aufsichtsbehörden,
ei es durch eine unzureichende Gesetzeslage oder durch
ine unzureichende Personal- und Sachmittelausstat-
ung, unmöglich gemacht wird, ihren Aufgaben gewis-
enhaft nachzukommen.
Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
ie Phoenix Kapitaldienst GmbH hat 30 000 Anlegerin-
en und Anleger um ihr Erspartes betrogen. Obwohl es
ier – anders als zum Beispiel bei der Göttinger Gruppe –
icht um den grauen Kapitalmarkt geht, haben diese
och keinen Euro Entschädigung gesehen. Sie werden
ach zwei Jahren immer noch weiter vertröstet. Das
ann nur bedeuten, dass der Anlegerschutz – den wir in
iesem Bereich ja durchaus haben – einfach nicht aus-
eicht. Das hat uns die Parlamentarische Staatssekretärin
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im BMF, Frau Dr. Hendricks, bei der Finanzausschuss-
Diskussion im April schon bestätigt.
Wie sieht dieser Anlegerschutz jetzt aus? Einerseits
soll eine Überwachung durch die BaFin Schadensfälle
großen Ausmaßes präventiv verhindern. Kommt es den-
noch zum Schadensfall für die Anlegerinnen und Anle-
ger, muss laut europäischer Richtlinie eine finanzstarke
und effektive Anlegerentschädigungseinrichtung zumin-
dest 90 Prozent der Einlagen bei einer Deckelung von
20 000 Euro pro Anleger ersetzen. Und hier hakt es im
konkreten Fall.
Der Phoenix-Skandal hat gravierende konzeptionelle
Schwächen dieses theoretisch sinnvollen Anlegerschutz-
konstruktes offenbart. Der Entschädigungseinrichtung
der Wertpapierhandelsunternehmen, EdW, mangelt es an
der notwendigen Finanzstärke, weil die Anzahl der
EdW-Mitglieder relativ gering ist und es sich außerdem
um eher kleine Unternehmen handelt. So stehen den Ent-
schädigungsansprüchen der Anlegerinnen und Anleger
von etwa 180 Millionen Euro nur verfügbare Mittel der
EdW von etwa 5 Millionen Euro – Stand 31. Dezember
2006 – gegenüber. Ein krasses Missverhältnis! Die ent-
standene Lücke soll durch Sonderbeiträge derjenigen Fi-
nanzdienstleister geschlossen werden, die der EdW bei
Einforderung der Sonderbeiträge – und nicht etwa zum
Zeitpunkt des Schädigungsfalles – angehören. Dieses
System ist ganz klar unzulänglich und muss dringend
verbessert werden. Die Bundesregierung muss schnell
einen Vorschlag zur Verbesserung des Einlagensiche-
rungs-und Anlegerentschädigungsgesetzes, EAEG, vor-
legen.
Bei der Debatte darf es jedoch nicht einseitig um die
betroffenen Finanzdienstleister und ihre Belastung durch
Sonderbeitragszahlungen gehen. Vielmehr muss eine
Novellierung des EAEG auch und insbesondere die
Rechte der Anlegerinnen und Anleger stärken. Schließ-
lich ist das der übergeordnete Zweck einer Entschädi-
gungseinrichtung, selbst wenn dieser Zweck natürlich
die Leistungsfähigkeit der entschädigenden Mitglieder
voraussetzt.
So muss beispielsweise das Zusammenspiel zwischen
dem Insolvenzverfahren und den Entschädigungszahlun-
gen anlegerfreundlich gestaltet werden. Insolvenzver-
fahren des EdW-Mitgliedes und Entschädigungsverfah-
ren der EdW sind grundsätzlich separat zu sehen.
Andererseits gibt es eine enge Verknüpfung, weil keine
Auszahlung der EdW vor rechtswirksamer Feststellung
des Insolvenzplanes erfolgen kann. Das ist aus Praktika-
bilitätsgründen nachvollziehbar, weil dadurch die
Summe der Auszahlung leichter feststellbar und die
rechtliche Handhabung einfach ist. Denn die Höhe der
Entschädigungszahlung mindert sich um den Betrag,
welcher im Zuge der Insolvenz an die geschädigten An-
leger in ihrer Eigenschaft als Gläubiger ausgezahlt wird.
Leidtragende dieser Vorgehensweise sind aber die Anle-
gerinnen und Anleger, denn die Auszahlung verzögert
sich entsprechend. Durch die Abhängigkeit vom vorher-
gehenden Insolvenzverfahren können beispielsweise Ge-
richtsverfahren einzelnder Gläubiger den Auszahlungs-
zeitpunk stark verzögern. So hat im Phoenix-Fall der
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rößte Gläubiger aktuell Beschwerde gegen den Insol-
enzplan eingelegt und die Auszahlung damit vorerst
erhindert. Anlegerinnen und Anleger warten nun seit
005 auf die Entschädigungszahlung. Das novellierte
AEG muss an dieser Stelle eine deutliche Regelung
nthalten, um Vorgaben der Insolvenzordnung in Ein-
lang mit einer zügigen Entschädigungszahlung an die
etroffenen zu bringen.
Auch die Frage, ob Scheingewinne im Rahmen der
ntschädigung gemäß EAEG ersatzfähig sind, bedarf
er gesetzlichen Klärung. Seitdem die BaFin im März
005 den Entschädigungsfall feststellte, verzögerte sich
ie Auszahlung unter anderem deshalb, weil es bei kri-
inellen Betrugsfällen schwierig ist, den ersatzfähigen
chaden zu beziffern. Fraglich ist dann nämlich, ob die
orgetäuschten und real nie existierenden Gewinne den
nlegern zu ersetzen sind oder nicht. Für den Phoenix-
all wurde dazu ein wissenschaftliches Gutachten heran-
ezogen, welches Scheingewinne für nicht ersatzfähig
rklärt. Dieses Gutachten wird dann zum Maßstab für
en Umfang der vorzunehmenden Entschädigung er-
lärt. Ein so wesentlicher Aspekt bei der Auszahlung an
ie Geschädigten muss jedoch durch den Gesetzgeber
estgelegt werden. Die derzeitige Rechtsunsicherheit zu-
asten der Anlegerinnen und Anleger ist nicht hinnehm-
ar.
Was die Konzeption der EdW als solche anbelangt, so
at die Bundesregierung bereits eingeräumt, dass Unzu-
änglichkeiten bestehen. Um die aktuell betroffenen Fi-
anzdienstleister durch Sonderbeiträge nicht an den
and der Insolvenz zu drängen, unterstützen wir den Vor-
chlag, die Liquidität der EdW etwa durch ein Darlehen
er Kreditanstalt für Wiederaufbau, KfW, zu gewährleis-
n. Diese Bemühungen ersetzen aber keinesfalls eine
mfassende Reformierung der Entschädigungseinrich-
ung im Wertpapierdienstleistungsbereich. Dabei ist un-
er Rücksichtnahme auf das bewährte Drei-Säulen-Sys-
em des deutschen Bankwesens eine angemessene
inrichtung zu bilden, die finanzkräftig genug ist, um
ünftige Schadensfälle abdecken zu können. Gleichzei-
ig müssen auch bei der Entschädigungseinrichtung so-
ie der BaFin geeignete Kontrollmechanismen vorlie-
en, um Betrugsfälle solcher Dimension, wie es bei
hoenix der Fall war, frühzeitig zu unterbinden und da-
it den Schaden präventiv zu verhindern.
Zur finanziellen Stabilisierung einer reformierten An-
egerentschädigungseinrichtung kann auch der automati-
che Übergang von Forderungen der Geschädigten ge-
en Dritte beitragen. Eine gesetzlich angeordnete
orderungsabtretung an die EdW würde immer dann er-
olgen, sobald die Geschädigten ihrerseits von der EdW
uszahlung erhalten. Diese Forderung erkennen wir als
innvoll an, zumal sie sich bereits in vergleichbaren
onstellationen – wie etwa im Versicherungsvertragsge-
etz – bewährt hat. Dennoch ist zu beachten, dass eine
btretung der Ansprüche des geschädigten Anlegers
icht in voller Höhe erfolgen kann. Zu bedenken ist in-
oweit, dass Anlegerinnen und Anleger schließlich ge-
en Dritte, die ihren Schaden mit verursacht haben, ge-
ebenenfalls ihre gesamten Verluste geltend machen
önnen. Von der EdW hingegen erhalten die Anleger
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maximal 20 000 Euro. Eine Abtretung kraft Gesetzes
muss daher so ausgestaltet sein, dass den Anlegerinnen
und Anlegern durch den Übergang ihrer Forderungen
auf die Entschädigungseinrichtung kein Nachteil er-
wächst.
Insgesamt teilen wir das Anliegen des Antrags. Es be-
darf dringend einer Novellierung des EAEG, um künf-
tige Fälle vergleichbaren Ausmaßes zu verhindern, die
dem Finanzplatz Deutschland schaden. Wir werden uns
weiterhin aktiv dafür einsetzen, dass dabei sowohl die
Rechte der Anlegerinnen und Anleger als auch die Leis-
tungsfähigkeit der Finanzdienstleister angemessen be-
rücksichtigt werden.
Anlage 11
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts:
– Antrag: Entlastung der Bundesregierung
für das Haushaltsjahr 2005 – Vorlage der
Haushalts- und Vermögensrechnung des
Bundes (Jahresrechnung 2005) –
– Unterrichtung: Bemerkungen des Bundes-
rechnungshofes 2006 zur Haushalts- und
Wirtschaftsführung des Bundes (einschließ-
lich der Feststellungen zur Jahresrechnung
2005)
(Tagesordnungspunkt 23)
Hans-Joachim Fuchtel (CDU/CSU): Aus der Sicht
unserer Enkel dürfte das Haushaltsergebnis 2005 später
einmal als Beitrag zur Belastung der künftigen Generatio-
nen eingeordnet werden. Zur Erinnerung: Rot-Grün war
bei der Bundestagswahl 1998 mit dem Versprechen ange-
treten, weniger Schulden zu machen. Es ist ein Haushalts-
ergebnis, dass weit weg ist von den hohen Zielen: Hans
Eichel wurde in den Jahren 1999 und 2000 nicht müde,
davon zu sprechen. Er wollte das Defizit auf null drücken.
Die Realität ist anders. Nun ist das Haushaltsjahr 2005
Gegenstand unserer Debatte und es liegt eine Nettoneu-
verschuldung in Höhe von 31,2 Milliarden Euro vor. Die
als Soll angesetzten 22 Milliarden Euro reichten nicht aus.
Vielmehr musste von dem Haushaltsausschuss eine Ent-
sperrung von Kreditermächtigung in Höhe von
13 Milliarden Euro erklärt werden, wovon 9,2 Milliarden
Euro in Anspruch genommen wurden. Die Nettokre-
ditaufnahme übersteigt um 8,3 Milliarden Euro die Inves-
titionsausgaben von 22,9 Milliarden Euro. Somit wurde
die verfassungsrechtliche Kreditobergrenze des Art. 115
GG im Haushaltsvollzug überschritten. Durch die aber-
malige Überschreitung der Regelkreditobergrenze ist die
Wirksamkeit der verfassungsrechtlichen Regelung zu hin-
terfragen. Deswegen wird mit Spannung die Entscheidung
des Bundesverfassungsgerichts am kommenden Montag,
den 9. Juli, erwartet. Auffällig in diesem Haushaltsjahr ist
die Unausgeglichenheit – man muss hier wohl von einer
„Schieflage“ sprechen – zwischen den konsumtiven Aus-
gaben und den Ausgaben für Investitionen. Der Anteil der
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nvestitionen lag lediglich bei 9 Prozent der Gesamtausga-
en; mehr als die Hälfte der Ausgaben entfällt allein auf
ie Sozialausgaben. Es wird deutlich: hier laufen struktu-
elle Defizite auf, die mit strukturellen Reformen ange-
angen werden müssen. Verbesserungen aus konjunktu-
ellen Gründen dürfen den Blick für die Notwendigkeit
truktureller Reformen nicht verstellen! Die Steuereinnah-
en von 190,1 Milliarden Euro wurden von den Zuschüs-
en für das soziale Sicherungssystem, den Personalausga-
en und den Zinsen mit insgesamt 196,8 Milliarden Euro
aufgefressen“. Die fehlenden Steuereinnahmen sind vor
llem auf das fehlende wirtschaftliche Wachstum und die
teigende Arbeitslosigkeit zurückzuführen. Eindeutig ha-
en sich die Ausgaben nicht nach den Einnahmen gerich-
t, was die offensichtliche Schwäche der damaligen rot-
rünen Finanzpolitik zeigt. Ein dominierendes Thema der
emerkung des Bundesrechnungshofes ist daher zurecht
ie Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und Einführung
euer Instrumente.
2005 hat insoweit eine Sondersituation, als es ein Jahr
es Umbruchs war. Für jeden war klar, dass dies haus-
altspolitische Risiken mit sich bringt. Die Arbeitslosen-
nd Sozialhilfe für Erwerbsfähige wurde zu einer staatli-
hen Fürsorgeleistung, der Grundsicherung für Arbeits-
uchende mit dem Arbeitslosengeld II, zusammenge-
asst. Damit wurde ein Systemwechsel im Bereich der
rbeitsmarktforderung vorgenommen, welcher vor al-
em auch unter finanziellen Aspekten eine Kraftanstren-
ung erforderte.
Überplanmäßige Ausgaben in Höhe von 11,76 Milli-
rden Euro und außerplanmäßige Ausgaben in Höhe von
,06 Milliarden Euro waren die Folge. Signifikant sind
aher auch die überplanmäßigen Ausgaben des Einzel-
lans Arbeit und Soziales in Höhe von 10,9 Milliarden
uro. Allein für die Einführung des Arbeitslosengel-
es II wurden 10,4 Milliarden Euro zusätzlich benötigt.
estzuhalten bei der Bewertung der vorgelegten Daten
st, dass der geplante Finanzplan für den Bund keine
ehrausgaben bei der Einführung des Arbeitslosengel-
es II vorsah, da die Ausgaben durch den von der Bun-
esagentur für Arbeit zu zahlenden Aussteuerungsbetrag
ompensiert werden sollte. Diese Entscheidung war ein-
eutig eine Fehleinschätzung! Hier wurde keine realisti-
che Kalkulation vorgenommen.
Der Bund wendete im Jahr 2005 rund 35 Milliarden
uro für die Grundsicherung von rund sieben Millionen
eistungsbeziehern auf. Ein Grund dafür liegt in dem
tarken Anstieg der Zahl der Bedarfsgemeinschaften und
er Höhe der durchschnittlichen Geldleistungen. Kol-
ege Struck hat zwischenzeitlich bekanntlich eingeräumt,
ass man von einem anderen Verhalten der Betroffenen
usgegangen ist.
Der Bundesrechnungshof hat sich bei der Mitwirkung
n der Korrektur der Gesetzgebung Verdienste erwor-
en, in dem er bei Hartz IV folgende Schwachstellen
nalysierte:
Im Rahmen der Umsetzung des SGB II haben die
undesagentur und die kommunalen Träger eine völlig
eue Organisationsform aufgebaut. Es wurden soge-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11243
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nannte Argen gebildet. Bei dieser Zusammenarbeit ist
klar die Verantwortlichkeiten und die Entscheidungsbe-
fugnisse bei den Argen, um das operative Geschäft zu
verbessern. Eine gesetzliche Ermächtigung für den Er-
lass allgemeiner Verwaltungsvorschriften für Grundsi-
cherungsleistungen wird zur Sicherstellung einheitlicher
Vollzugsmaßstäbe gefordert. Der uneinheitliche Vollzug
entsteht durch die Besonderheit der dezentralen Struktur.
Das bedeutet, dass jede Arge selbst entscheiden kann.
Hier muss an der einheitlichen Umsetzung nach wie vor
gearbeitet werden, obwohl eine Verbesserung seit Ein-
führung deutlich zu erkennen ist.
Zudem wird der Abschluss einer Zielvereinbarung
zwischen BMAS und BA zur Sicherung der Qualität der
Aufgabenerledigung vom Bundesrechnungshof gefor-
dert. Dies wurde Anfang Februar diesen Jahres für den
Bereich der Argen und Agenturen in getrennter Träger-
schaft vereinbart (SGB-II-Zielvereinbarung). Ein Ziel ist
die Verringerung der Hilfebedürftigkeit durch eine bes-
sere Effizienz bei der Vermittlung und eine bessere Inte-
gration in den Arbeitsmarkt, um damit die Ausgaben für
die Leistungen für die Sicherung des Lebensunterhalts
um mindestens 3,5 Prozent zu senken.
Weiterhin wird gefordert, dass die Aufsicht des
BMAS gestärkt wird. Dieses Problem sind wir bereits
aktiv angegangen, indem wir zusätzliche Stellen für eine
Prüfgruppe bewilligt haben. Insgesamt 40 Stellen. Die
Effizienz dieser Gruppe wird sich jetzt zeigen. Dem Mi-
nister wurden die Instrumente an die Hand gegeben. Wir
erwarten, dass er sie umsetzt!
Für die Ein-Euro-Jobs wurden 2005 zusätzlich zu den
Alg-II-Leistungen rund 1,1 Milliarden Euro aufgewen-
det.
Die Hinweise auf die ineffiziente Ich-AG wurden
zwischenzeitlich aufgegriffen. Warum nicht gleich so?
Das hätte den Steuerzahlern mehrere Milliarden erspart,
wie übrigens ebenfalls beim „Jump-Programm“, das we-
nig bewirkt, aber mehrere Milliarden gekostet hat. Inef-
fiziente Programme müssen bei Feststellung der Ineffizi-
enz schneller beendet werden. Das sollte uns eine Lehre
für die Zukunft sein!
Weitere Brisanz liegt bei der Rente. Leistungen des
Bundes an die Rentenversicherung betrugen 2005
77,5 Milliarden Euro. Die Ausgaben der gesetzlichen
Rentenversicherung waren insgesamt 237,9 Milliarden
Euro. Das bedeutet, dass der Bund im Jahr 2005 fast ein
Drittel der Rentenversicherungsausgaben getragen hat.
Die Zahlungen des Bundes an die Rentenversicherung
sind innerhalb der Sozialleistungen der größte Ausga-
benblock. Etwa 30 Prozent der Gesamtausgaben entfal-
len auf den Rentenbereich. Das Haushaltsergebnis be-
weist, dass es zur Rente mit 67 schlichtweg keine
Alternative gibt.
Der Bundesrechnungshof hatte Grund zu weiteren
Beanstandungen bei folgenden Ressorts:
Markante Gründe gab es beim Bundesministerium
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Der Bund zahlte für
ein neues Bahn-Funknetz mehr als 20 Millionen Euro
zuviel. Der Bund hat für seine Kostenbeteiligung eine
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ndere Nutzung des Netzes unterstellt, als realisiert
urde.
Die unzureichende Vorbereitung von Straßenbaumaß-
ahmen verursachte Mehrausgaben beim Bund in zwei-
telliger Millionenhöhe: die Straßenbauverwaltung der
änder bereitete große Baumaßnahmen mit Ausgaben
on zusammen 1,5 Milliarden Euro nicht mit der gebote-
en Sorgfalt vor. Es kam daher zu gestörten Bauabläufen
nd zu umfangreichen Nachträgen.
Wie immer ist das Bundesministerium der Verteidi-
ung nicht unerheblich beteiligt. Neueinstellungen zum
ehobenen Verwaltungsdienst übersteigen den Bedarf.
n den Jahren 2005 und 2006 wurden insgesamt
13 Nachwuchskräfte für die Laufbahn des gehobenen
ichttechnischen Verwaltungsdienstes über Bedarf ein-
estellt. Dadurch entstanden Mehrausgaben von rund
,3 Millionen Euro.
Weh tun auch die Monitas gegenüber dem Bundesmi-
isterium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
eit: Lieferung zu teurer Informationstechnik auf der
rundlage eines IT-Dienstleistungsvertrages. Das Minis-
erium hat den größten Teil seiner Hard- und Software
uf der Grundlage eines IT-Dienstleistungsvertrages be-
chafft, ohne die Leistungen auszuschreiben. Zudem
urde aufgrund einer methodisch falschen Untersu-
hung der Wirtschaftlichkeit die IT-Ausstattung gemie-
et, obwohl es funktional gleichwertige Geräte über
0 Prozent günstiger oder für fast 500 000 Euro weniger
ätte kaufen können. Es wurden für vier Jahre die Geräte
ür insgesamt 2,3 Millionen Euro gemietet. Nach den
eltenden Rahmenverträgen des Bundes hätten für
,8 Millionen Euro gleichwertige Geräte gekauft werden
önnen.
Abschließend bedanke ich mich im Namen der CDU/
SU für die umfangreiche Arbeit des Bundesrechnungs-
ofes. Der Rechnungsprüfungsausschuss setzt sich da-
it gründlich auseinander. Am Ende bleibt mir nur noch
u sagen, dass die CDU/CSU zwar die Entlastung erteilt,
llerdings nur schweren Herzens!
Bernhard Brinkmann (Hildesheim) (SPD): Wir ha-
en heute zu entscheiden über den Antrag des Bundes-
inisters der Finanzen, der Bundesregierung auf Grund-
age der Jahresrechnung 2005 für dieses Haushaltsjahr
ie Entlastung zu erteilen. Wichtigste Grundlage dieser
ntscheidung sind die Bemerkungen des Bundesrech-
ungshofs, der diese Rechnung sowie die Wirtschaftlichkeit
nd Ordnungsmäßigkeit der Haushalts- und Wirtschafts-
ührung geprüft hat. Für die Entlastung wesentliche Ab-
eichungen hat der Rechnungshof nicht festgestellt.
rotz erheblicher Mindereinnahmen und Mehrausgaben
at das Bundesministerium der Finanzen keinen Nach-
ragshaushalt vorgelegt. Aus Sicht des Bundesrech-
ungshofes war der Verzicht auf die Vorlage eines Nach-
ragshaushaltes haushaltsrechtlich nicht zu beanstanden.
o hat denn auch der Bundesrat bereits im Februar 2007
ie Entlastung erteilt. Auf der Grundlage der Beratungen
es Rechnungsprüfungsausschusses empfiehlt der Haus-
altsausschuss dem Deutschen Bundestag, den gleichen
eschluss zu fassen. So weit der formale Rahmen.
11244 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007
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Inhaltlicher Schwerpunkt der Beratungen des Rech-
nungsprüfungsausschusses war allerdings nicht dieser
Rahmen, sondern das waren die Einzelfeststellungen des
Bundesrechnungshofes zur Arbeit der Bundesverwal-
tung quer durch alle Ressorts. In sechs Sitzungen hat
sich der Rechnungsprüfungsausschuss unter meinem
Vorsitz mit den Bemerkungen beschäftigt, weitere Auf-
arbeitung und Überprüfungen sowie konkrete Maßnah-
men von den Ressorts verlangt. Damit wird auch ein we-
sentlicher Beitrag dazu geleistet, dass die Bemerkungen
des Bundesrechnungshofes Konsequenzen haben und zu
Verhaltensänderungen führen.
Ein Schwerpunkt der fachlichen Feststellungen des
Rechnungshofes und der Beratungen im Rechnungsprü-
fungsausschuss lag bei der Umsetzung des Hartz-IV-
Gesetzes. Hier sind im vergangenen Jahr – nicht zuletzt
aufgrund von Anregungen des Hofes – eine Reihe von
Optimierungsmaßnahmen ergriffen worden. Die Reform
ist getragen vom Grundsatz des Forderns und Förderns.
Ein zentraler Aspekt ist dabei der Abschluss von Ein-
gliederungsvereinbarungen. Wichtig ist, dass diese
schnell und in möglichst vielen Fällen abgeschlossen
werden. Die erheblichen Anstrengungen, die die Bun-
desagentur für Arbeit in dieser Hinsicht unternimmt,
müssen fortgesetzt werden. Der Rechnungsprüfungsaus-
schuss wird sich im kommenden Jahr weiter mit der Ma-
terie befassen.
Hervorzuheben ist, dass die Beschlussfassung des
Rechnungsprüfungsausschusses in diesem wie auch in
den anderen Bereichen zumeist einstimmig erfolgt ist.
Den Ausschussberatungen gingen immer gründliche und
durchaus auch sehr kritische Erörterungen der jeweiligen
Berichterstatter mit den Ministerien und dem Bundes-
rechnungshof voraus. Der Bundesregierung werden da-
mit durch das Parlament klare Signale gegeben. Diese
Signale werden mit der heutigen Beschlussfassung un-
terstützt, wenn in der Beschlussempfehlung die Bundes-
regierung ausdrücklich zu Maßnahmen zur Steigerung
der Wirtschaftlichkeit unter Berücksichtigung der Ent-
scheidungen des Ausschusses und zur fristgerechten Er-
füllung ihrer Berichtspflichten aufgefordert wird.
Die Prüfungen des Bundesrechnungshofes zeigen,
dass es zu Fehlern quer durch alle Ministerien gekom-
men ist, es aber keine Konzentration von Defiziten,
Nachlässigkeiten und fehlender Personalaufsicht und
-führung in einzelnen Häusern gibt.
Wichtig ist mir auch festzuhalten, dass die Fehler-
beschreibungen des Bundesrechnungshofes nicht verall-
gemeinert und auf die gesamte Verwaltung übertragen
werden dürfen. Die Bundesverwaltung arbeitet insge-
samt – auch im internationalen Vergleich – gut.
Auf 2 bis 3 Milliarden Euro beläuft sich regelmäßig
das Volumen dessen, was der Bundesrechnungshof an
Vorschlägen für Minderausgaben und Mehreinnahmen
unterbreitet – eine gewaltige Summe, aber doch beschei-
den im Vergleich zu den strukturellen Problemen und der
Schuldenlast des Gesamthaushalts. Auch hierzu geben
die Bemerkungen des Bundesrechnungshofes nüchtern,
aber unmissverständlich Auskunft:
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Ende 2005 erreichte die Gesamtverschuldung des
undes einen Stand von rund 888 Milliarden Euro und
ar damit rund 28 Milliarden Euro höher als im Vorjahr.
ie Gesamtausgaben lagen bei knapp 260 Milliarden
uro und die Einnahmen bei gut 228 Milliarden Euro.
er Schuldenstand hat also fast das 3,9-Fache dessen er-
eicht, was der Bund in diesem Jahr eingenommen hat.
Dabei machten die Sozialausgaben mit 133 Milliar-
en Euro 2005 erstmals mehr als die Hälfte der Gesamt-
usgaben des Bundes aus. Der größte Anteil – über
7 Milliarden Euro – floss dabei an die Rentenversiche-
ung. Die Leistungen des Bundes betragen mittlerweile
ast ein Drittel der Gesamtausgaben der gesetzlichen
entenversicherung.
Der zweite große Ausgabenblock sind danach die
insausgaben. Dank niedriger Zinssätze liegen sie zwar
nter dem bisherigen Höchststand, der 1999 mit über
1 Milliarden Euro erreicht worden ist. Sie machen aber
ennoch einen Anteil von über 14 Prozent der Gesamt-
usgaben aus.
Somit sind fast zwei Drittel des Haushaltsvolumens
urch Zins- und Sozialausgaben gebunden.
Die Zahlen, die die Bemerkungen des Bundesrech-
ungshofes zu weiteren Perspektiven enthalten, muss ich
ier nicht mehr nennen: Die Aussichten haben sich deut-
ich aufgehellt! Dennoch besteht massiver Handlungs-
ruck, den Haushalt weiter zu konsolidieren. Notwendig
st die Überprüfung aller staatlichen Leistungen auf ihre
egründung und finanzielle Rechtfertigung. Sie sind nur
och auf den wirklich wesentlichen und zukunftsfähigen
ufgabenfeldern leistbar.
Der spätestens für 2011 angestrebte ausgeglichene
undeshaushalt sollte es uns ermöglichen, den Blick
eiter in die Zukunft zu richten und zu prüfen, wie wir
it der Verschuldung in Zukunft umgehen wollen. Die
eltende verfassungsrechtliche Regelung der Kredit-
bergrenze in Art. 115 Abs. 1 des Grundgesetzes hat sich
n der Vergangenheit als weitgehend wirkungslos erwie-
en, den Schuldenanstieg im Bundeshaushalt zu brem-
en. Dafür sind vor allem folgende Faktoren ursächlich:
er sehr weit gefasste haushaltsrechtliche Investitionsbe-
riff, der zum Beispiel auch den Erwerb von Unterneh-
ensbeteiligungen, die Vergabe von Darlehen sowie die
nanspruchnahme aus Gewährleistungen zulässt; das
ehlen einer Verpflichtung zur echten Schuldentilgung
owie schließlich die Möglichkeit, bei einer Gefährdung
es gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts ohne verfas-
ungsrechtliche Schranke Kredite aufnehmen zu können.
Auch vor dem Hintergrund der Verpflichtungen
eutschlands aus dem Europäischen Stabilitäts- und
achstumspakt bleibt die nachhaltige Konsolidierung
er öffentlichen Finanzen eine zentrale Aufgabe. Wir
üssen deshalb überlegen, wie wir zu einer wirkungs-
olleren normativen Begrenzung der Verschuldung kom-
en. Im Zuge der Föderalismusreform l wurde die ge-
einsame Verpflichtung von Bund und Ländern für die
inhaltung der Haushaltsdisziplin in das Grundgesetz
ufgenommen. Vor diesem Hintergrund hat der Aus-
chuss die Beteiligten aufgefordert, die bisherigen Rege-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11245
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lungen durch verbindliche Vorgaben dahin gehend zu
ergänzen, dass Haushaltskrisen vermieden und die ge-
meinschaftsrechtlichen Stabilitätskriterien innerstaatlich
wirksam umgesetzt werden. In der jetzt angelaufenen
Föderalismusreform II muss die Frage einer wirkungs-
volleren normativen Begrenzung der Nettokreditaufnah-
memöglichkeiten angegangen werden.
Die Schweiz hat in einer sehr angespannten, von ho-
hen Defiziten und einem rasanten Anstieg der Verschul-
dung gekennzeichneten Haushaltslage 2001 einen sehr
mutigen Schritt vollzogen und mit einer Verfassungsän-
derung die Höhe der Staatsausgaben an die Höhe der
Einnahmen gebunden. Über einen Konjunkturzyklus
hinweg dürfen die Ausgaben nicht größer sein als die
Einnahmen. Die maximale Höhe der Ausgaben in einer
Periode darf die um einen Konjunkturfaktor bereinigten
erwarteten Einnahmen nicht übersteigen. Wächst die
Wirtschaft überdurchschnittlich, liegt der Ausgabenpla-
fond unter den Einnahmen, und es wird ein Überschuss
erwirtschaftet. Umgekehrt lässt die Formel in Zeiten
niedrigen Wachstums ein Defizit zu, es dürfen die Aus-
gaben die Einnahmen übersteigen. Hausüberschuss oder
Defizite werden in einem Ausgleichskonto verrechnet.
Überschreitungen des Ausgabenplafonds werden nur bis
zu einer Höhe von 6 Prozent der Ausgaben des letzten
Rechnungsjahres toleriert, darüber hinausgehende Über-
schreitungen müssen binnen drei Jahren abgebaut wer-
den.
Die Schuldenbremse verfolgt zwei Ziele: Ihr Haupt-
ziel ist es, chronische, strukturelle Bundeshaushaltsde-
fizite zu verhindern. Daneben soll sie – als zweites Ziel –
die Finanzpolitik konjunkturverträglich machen – dies,
indem in schlechten Konjunkturlagen Defizite zugelas-
sen werden, während in der Hochkonjunktur Über-
schüsse erwirtschaftet werden müssen. Über den ganzen
Konjunkturzyklus hinweg führt das zu einem ausgegli-
chenen Bundeshaushalt.
Natürlich hat das schweizerische Modell eine Reihe
theoretischer und praktischer Probleme. Ich nenne nur
die Behandlung längerer konjunktureller Schwächepha-
sen, die Festlegung des Prozentsatzes und des Zeitraums,
in dem ein Negativsaldo im Ausgleichskonto abgebaut
werden muss, und natürlich die Prognose des Konjunk-
turverlaufs und die Bestimmung des Konjunkturfaktors,
der darüber entscheidet, in welcher Höhe Mehr- oder
Minderausgaben über den Einnahmestand möglich sind.
Das Modell wird sich auch nicht eins zu eins auf
Deutschland übertragen lassen. Entscheidend ist, dass
der Wille zu grundsätzlich ausgeglichenen Bundeshaus-
halten künftig eine stärkere Stütze in der Verfassung fin-
det. Der Bundesminister der Finanzen jedenfalls findet
meine Unterstützung bei entsprechenden Plänen.
Abschließend möchte ich noch auf einen Aspekt ein-
gehen, der gleichfalls einen längeren Diskussions- und
Vorbereitungsprozess erfordert: die Modernisierung des
staatlichen Haushalts- und Rechnungswesens. Hier ist
zwar bei der Flexibilisierung der Haushaltsführung eini-
ges erreicht worden, betriebswirtschaftliche Ansätze
werden jedoch nach wie vor zu wenig berücksichtigt.
Kostentransparenz und der Einsatz effektiver Steue-
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ungsmodelle – für die Politik im übergreifenden, wie
ür die Spitze der Exekutive im kleinteiligeren Sinne –
onnten nicht durchgreifend verbessert werden. Deshalb
egrüße ich, dass das Bundesministerium der Finanzen
ine entsprechende Projektgruppe mit den Prüfungs-
chwerpunkten „stärkere Ergebnis- und Wirkungsorien-
ierung des Haushalts“ sowie „mögliche Umstellung auf
in doppisches Rechnungs- und Haushaltswesen“ einge-
etzt hat.
Strukturelle Anpassungen und Verbesserungen und
ine nicht nachlassende Aufmerksamkeit im Kleinen wie
m Großen bleiben also auf der Tagesordnung.
Der Rechnungsprüfungsausschuss wird dies weiter-
in nicht nur begleiten, sondern aktiv befördern.
Dr. Claudia Winterstein (FDP): Der Bundesrech-
ungshof hat im allgemeinen Teil seiner Bemerkungen
um Haushaltsjahr 2005 einige Feststellungen getroffen,
ie ich an dieser Stelle aufgreifen möchte.
Der Bundeshaushalt 2005, noch von Rot-Grün be-
chlossen, war ein besonders drastisches Beispiel haus-
altspolitischer Unfähigkeit. Die Einnahmen lagen um
,6 Milliarden unter dem veranschlagten Soll, dafür la-
en die Ausgaben um 5,5 Milliarden über dem Soll. Die
ettokreditaufnahme lag mit 31,2 Milliarden Euro satte
,3 Milliarden über den Investitionen – wie bereits 2004
ar auch dieser Haushalt verfassungswidrig.
Nun könnte man nach dem Motto „Was gewesen, ist
ewesen“ diese Aufzählung für überflüssig halten, wenn
a nicht erstaunliche Parallelen zum aktuellen Haushalt
ären. Die höheren Ausgaben im Haushalt 2005 ent-
tanden vor allem durch Fehleinschätzungen der damali-
en Regierung beim Arbeitsmarkt. Mehrausgaben von
0,4 Milliarden wurden beim Arbeitslosengeld II fällig.
nd an dieser Stelle macht Schwarz-Rot den gleichen
ehler wie Rot-Grün. Auch im aktuellen Haushalt 2007
st abzusehen, dass die eingestellten Gelder für das
LG II nicht reichen werden. Und das, obwohl der Ar-
eitsmarkt sich wesentlich positiver darstellt als noch
005.
Das Ministerium heißt jetzt anders, der Minister heißt
etzt anders – aber das Rechnen hat die SPD offenbar im-
er noch nicht gelernt. Auch im Finanzministerium
cheint man angesichts einer gesamtstaatlichen Schul-
enlast von unvorstellbaren 1,5 Billionen Euro, von de-
en allein auf den Bund über 900 Milliarden entfallen,
en Schuss immer noch nicht gehört zu haben. Stattdes-
en rühmt man sich, mit dem Haushalt 2006 das
aastricht-Defizitkriterium erstmals unter 3 Prozent des
ruttoinlandsproduktes gedrückt zu haben. Damit ist
ber erst ein Teil des sowieso butterweich gewordenen
tabilitätspaktes erfüllt: Die Gesamtverschuldung des
taates liegt mit 67 Prozent des BIP immer noch deut-
ich über der erlaubten Grenze von 60 Prozent. Diese
ird nach den aktuellen Steinbrück-Plänen noch nicht
al im Jahre 2011 erreicht sein.
Davon abgesehen gibt es weiterhin große, bisher un-
eklärte Risiken im Haushalt. Ich nenne nur die fehlende
11246 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007
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GKV-Finanzierung oder die Kosten für die Kinderbe-
treuung als Beispiele.
Ich möchte jetzt den Blick weiter auf die Zukunft der
Haushaltspolitik richten: Der Bundesrechnungshof nennt
in dem Bericht die zentralen Probleme auf der Ausga-
benseite: Die konsumtiven Ausgaben übertreffen deut-
lich die Investitionen. Mehr als die Hälfte der Gelder
entfällt auf soziale Ausgaben. Bei den Zinsausgaben,
dem zweitgrößten Ausgabenblock nach den Sozialaus-
gaben, besteht die akute Gefahr, dass durch das stei-
gende Zinsniveau und weitere Verschuldung in diesem
Bereich noch mehr Ausgaben anwachsen.
Umso unverständlicher ist die aktuelle Haushalts-
politik der Bundesregierung angesichts sprudelnder
Steuereinnahmen. Selten waren die Voraussetzungen so
günstig wie jetzt, um die Staatsfinanzen auf eine zu-
kunftsfähige Grundlage zu stellen. Jetzt ist die Zeit, um
den Haushalt nachhaltig zu konsolidieren. Es gibt hierfür
auf der Ausgabenseite noch genug Möglichkeiten.
Und jetzt ist auch die Zeit, um generelle Regeln auf-
zustellen, damit der ausufernden Staatsverschuldung
endlich ein Riegel vorgeschoben wird. Am 9. Juli wird
das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidung zur
Klage von CDU und FDP gegen den Haushalt 2004 be-
kannt geben. Ich hoffe, dass das Gericht einige Hinweise
zur Begrenzung der Verschuldung geben wird, welche
die Politik aufgreifen muss.
Der jetzige Plan der Regierung, überhaupt erst bis
2011 zu einem ausgeglichenen Haushalt zu kommen, ist
vor diesem Hintergrund mehr als enttäuschend. Wieder
einmal erliegt eine Regierung der Verführung des Gel-
des. Da muss die in Sonntagsreden gern propagierte
Haushaltskonsolidierung hinten anstehen. Statt Sparkurs
gibt es neue Ausgaben – und neue Schulden.
Der Bundesrechnungshof spricht in dem Bericht die
richtigen Maßnahmen an. Wir brauchen eine strukturelle
Reform der Ausgabenseite und schärfere Regelungen in
Art. 115 des Grundgesetzes, um der Schuldenmacherei
endlich einen Riegel vorzuschieben.
Diese wichtigen Reformen müssen jetzt angegangen
werden; wenn die Konjunktur erst wieder zu schwächeln
beginnt, ist es zu spät.
Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): Die Bundesre-
gierung ist trotz knapper Kassen und hoher Schulden
nicht willens, eine ordnungsgemäße Haushaltsführung
zu gewährleisten. Die Bundesregierung organisiert ihre
Arbeit nicht effizient und neigt zur Verschwendung von
Steuermitteln. Dafür einige Beispiele:
Erstes Beispiel. Die Bundesregierung betreibt eine
Bundeshauptstadt Bonn, obwohl dazu keine Notwendig-
keit besteht. Auch wenn viele das nicht für möglich hal-
ten: Immer noch befindet sich ein großer Teil der Bun-
desministerien in Bonn. Die Pendelei der Beamten
zwischen Bonn und Berlin ist teuer: Allein im Jahr 2006
wurden 11 Millionen Euro von Ministerialbeamtinnen
und -beamten verflogen. 2005 buchte der Bund
125 000 dienstliche Flüge – insgesamt mehr als 60 Millio-
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en Flugkilometer oder 1 500 Erdumrundungen. Nicht
essbar sind die Zeitverluste und vor allem die Verluste
urch schlechtere Arbeits- und Entscheidungsergeb-
isse durch die Aufteilung der Regierung auf zwei
tandorte.
Zweites Beispiel. Das Bundesinnenministerium hat
ich für eine Nettokaltmiete von über einer halben Mil-
ion Euro pro Monat 1998 im Berliner Spree-Bogen ein-
emietet. Die Bundesregierung fand die Miete so un-
laublich günstig, dass sie gleich einen Vertrag für
0 Jahre unterschrieb. Pro Quadratmeter sind jeden Mo-
at 20 Euro fällig – doppelt so viel wie der derzeitige
arktpreis. Jetzt will das Ministerium sich in Berlin ein
eues Gebäude bauen – ohne zu wissen, unter welchen
edingungen und zu welchen Kosten der laufende Miet-
ertrag vorzeitig kündbar ist, und ohne ernsthafte Prü-
ung, ob die Unterbringung des Ministeriums im Ge-
äude des Ministeriums des Innern der DDR in der
erliner Mauerstraße oder im Gebäude des zu schließen-
en Flughafens Tempelhof möglich ist.
Drittes Beispiel. Auf mögliche Steuereinnahmen von
inkunftsmillionären wird verzichtet. Nahezu grotesk
estaltet sich die Besteuerung von Einkunftsmillionären.
ach einer bundeseinheitlichen Verordnung soll dieser
ersonenkreis regelmäßig von den Finanzämtern geprüft
erden. Im Bundesdurchschnitt führten die Finanzämter
ber jährlich nur bei jedem siebten Einkunftsmillionär
ine Sonderprüfung durch – und dies, obwohl jede Son-
erprüfung dem Staat Mehreinnahmen von durchschnitt-
ich 135 000 Euro bringt.
Viertes Beispiel. Für Rüstungsausgaben werden Steu-
rgelder verschleudert. Die Geschichte der Entwicklung
er Panzerabwehrrakete PARS 3 LR begann im Jahre
982. Damals gab es noch die Sowjetunion und den
arschauer Pakt, die über reichlich Panzer verfügten.
ARS 3 LR ist nur für die Bekämpfung von Panzern ge-
acht. Die Entwicklungspartner Frankreich und Großbri-
annien sind Ende der 1990er-Jahre aus dem Projekt aus-
estiegen. Frankreich und Großbritannien hatten
rkannt, dass das Projekt Teil eines nicht mehr gültigen
edrohungsszenarios ist und nach dem Mauerfall über-
lüssig geworden war. Deutschland machte weiter. Al-
ein die Entwicklung von PARS 3 LR kostete Deutsch-
and eine halbe Milliarde Euro. Die Auslieferung der
aketen soll 2010 beginnen und 2014 abgeschlossen
ein. Ein einziger PARS-3-LR-Schuss wird 1,3 Millio-
en Euro kosten. Hauptauftragnehmer für die Herstel-
ung von PARS 3 LR ist ein süddeutsches Unternehmen,
as EADS und Diehl gehört. Es handelt sich also um
ine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für die süddeutsche
aketenindustrie.
Das waren nur vier Beispiele, die den sorglosen und
erschwenderischen Umgang der Bundesregierung mit
teuermitteln zeigen. Die Liste solcher Beispiele könnte
hne Schwierigkeiten fortgesetzt werden. Die Linke
ird deshalb einer Entlastung der Bundesregierung nicht
ustimmen.
Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der
echnungsprüfungsausschuss und der Haushaltsaus-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11247
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schuss haben der Bundesregierung die Entlastung für
den Bundeshaushalt 2005 erteilt. Damit folgten sie der
Empfehlung des Bundesrechnungshofes, der keine we-
sentlichen Einwände gegen die Ordnungsmäßigkeit der
Haushalts- und Wirtschaftsführung hervorbrachte.
Das Haushaltsjahr 2005 unterschied sich in zweierlei
Hinsicht von der gegenwärtigen Situation. Zum einen
übergab die rot-grüne Bundesregierung den Staffelstab
in der zweiten Jahreshälfte an die schwarz-rote Bundes-
regierung, zum anderen bewegte sich der Haushalt in ei-
nem deutlich schlechteren konjunkturellen Umfeld, als
wir es heute vorfinden. Die wirtschaftliche Entwicklung
erreichte im Jahr 2003 mit einem negativen Wachstum
von 0,2 Prozent ihren Tiefpunkt, bereits für 2004 war je-
doch wieder ein Aufwärtstrend erkennbar, der sich im
Rahmen der Erwartungen um Beginn der Haushaltsauf-
stellung 2005 bewegte. Daher wurde für das Jahr 2005
mit einem Wachstum von knapp unter 2 Prozent eine
Verstetigung dieser Entwicklung erwartet. Leider waren
diese Hoffnungen verfrüht: Erst im Jahre 2006 erholte
sich die Wirtschaft mit einem Wachstum von 2,7 Pro-
zent, während 2005 weniger als l Prozent zu verzeichnen
war.
Diese Entwicklung blieb nicht ohne Wirkung im
Haushaltsvollzug 2005: Einerseits fielen die Einnahmen
infolge der konjunkturellen Entwicklung geringer aus als
geplant, während die Ausgaben über dem Haushaltsan-
satz lagen. Gleichzeitig ignorierte die schwarz-rote Re-
gierung die Haushaltsentwicklung 2005 und nahm sich
stattdessen noch einmal einen kräftigen Schluck aus der
Pulle am Ende des Jahres. Dies führte dazu, dass gegen-
über dem Haushaltsansatz die Einnahmen insgesamt
3,6 Milliarden Euro niedriger und die Ausgaben
5,5 Milliarden Euro höher ausfielen. Statt einer geplan-
ten Nettokredilaufnahme in Höhe von 22 Milliarden
Euro wurden neue Kredite in Höhe von mehr als
31 Milliarden Euro aufgenommen. Der leichte Anstieg
der Investitionsausgaben um 200 Millionen Euro auf
22,9 Milliarden Euro stellte nicht einmal mehr eine kos-
metische Verbesserung dar. Die Nettokreditaufnahme
überstieg 2005 zum vierten Mal in Folge die Summe der
Investitionsausgaben und damit die Regelkreditgrenze
des Art. 115 GG. Die Verschuldung des Bundes und sei-
ner Sondervermögen stieg bis Ende 2005 auf rund
890 Milliarden Euro.
Meine Damen und Herren, das Haushaltsjahr 2005
war kein gutes Jahr. Sowohl die wiederholte Verletzung
der Regelkreditgrenze des Art. 115 GG als auch die Ver-
letzung der Maastrichtkriterien sind kein Ruhmesblatt.
Jedoch sollten wir nicht in einfachen Frohsinn verfallen,
weil diese Zeiten vorüber sind und nun wirtschaftlich ro-
sigere Zeiten ins Haus stehen und die Steuereinnahmen
sprudeln. Wir sollten nicht wie Lemminge dieser guten
Entwicklung blind hinterherlaufen, sondern diese guten
Zeiten nutzen, um uns für schlechtere zu wappnen. Die
Große Koalition hat diese sich ihr im Haushaltsjahr 2006
gebotene Möglichkeit leider ungenutzt verstreichen las-
sen. Immerhin war 2006 im Vergleich der vergangenen
14 Jahre das Jahr mit dem zweithöchsten Wirtschafts-
wachstum. Gleichzeitig sind die Steuereinnahmen ge-
genüber dem Vorjahr um 7 Prozent in die Höhe ge-
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chnellt. Trotz dieser ausgezeichneten Eckdaten plante
chwarz-Rot für das Jahr 2006 die Aufnahme neuer Kre-
ite in Höhe von über 38 Milliarden Euro. Dies lag weit
ber dem Abschluss des Haushaltsjahres 2005 in Höhe
on rund 31 Milliarden Euro, für den wir die Entlastung
rteilt haben. Zusätzlich wurde 2006 zur Finanzierung
aufender Ausgaben Bundesvermögen in Höhe von
,6 Milliarden Euro unwiderruflich veräußert.
Nach dem Lehrbuch der Finanzwissenschaft hätten in
iner solch guten wirtschaftlichen Situation, wie wir sie
006 vorgefunden haben, keine neuen Kredite aufge-
ommen und kein Bundesvermögen zur Finanzierung
aufender Ausgaben veräußert werden dürfen. Vielmehr
ätte der Aufschwung genutzt werden müssen, um Kre-
ite zurückzuzahlen und Schulden zu tilgen. Selbstver-
tändlich ist mir aber bewusst, dass wir nicht in einer
ehrbuchwelt leben. Daher mache ich es mir auch nicht
o einfach, sondern erkenne an, dass der Bundeshaushalt
eiterhin ein erhebliches, strukturelles Defizit aufweist.
ieses kann nicht schlagartig, sondern nur innerhalb ei-
es angemessenen Übergangszeitraums abgebaut wer-
en, weshalb auch 2006 neue Kredite notwendig waren.
ngemessen ist aber keinesfalls, wenn trotz Wirtschafts-
ufschwung und Steuermehreinnahmen gegenüber 2005
n Höhe von 13 Milliarden Euro die Nettokreditauf-
ahme im Ist 2006 nur 3,3 Milliarden Euro unter dem
iveau 2005 liegt. Bei einer solchen Politik kann ich nur
eststellen: Die erste Chance, um die Haushaltskonsoli-
ierung in Angriff zu nehmen, wurde verpasst!
Mir geht es hier nicht darum, Noten zu verteilen; die
efassung mit der Entlastung eines Bundeshaushalts
ollte immer auch dazu dienen, Lehren zu ziehen, um zu-
ünftig Fehler zu vermeiden. Aus den Erfahrungen der
üngeren Vergangenheit können wir festhalten, dass we-
er die Regelkreditgrenze des Art. 115 GG noch die Vor-
aben des Vertrages von Maastricht genügend politi-
chen und gesellschaftlichen Druck erzeugt haben, dass
er in Teilen vorhandene politische Wille zur Haushalls-
onsolidierung sich durchsetzen konnte. Nun können Sie
ir natürlich entgegenhalten, dass doch der gerade be-
anntgegebene Entwurf des Haushalts 2008 und der mit-
elfristigen Finanzplanung 2007 bis 2011 das Gegenteil
eweisen. Da kann ich nur sagen: Leider ist dies gerade
icht der Fall. Zwar würde ich mich selbstverständlich
reuen, wenn wir sowohl im Staatshaushalt als auch im
undeshalt zukünftig wieder ohne neue Kredite auskom-
en. Jedoch muss ich ebenso feststellen, dass gerade
ieses Beispiel eher ein Indiz für den von mir angespro-
henen schwachen Willen zur Haushaltskonsolidierung
st. Noch im November des letzten Jahres haben sich die
inanzminister von Bund und Ländern im Finanzpla-
ungsrat darauf geeinigt, dass die Ausgaben durch-
chnittlich um 1 Prozent steigen dürfen. In der Interpre-
ation der schwarz-roten Bundesregierung bedeutet dies
in halbes Jahr später: Wir erhöhen die Ausgaben im
ahr 2008 gegenüber 2007 um fast 5 Prozent. Die Steu-
reinnahmen werden im nächsten Jahr noch einmal
7 Milliarden Euro höher sein als dieses Jahr, und was
ietet uns die Regierung als Konsolidierungsbeitrag an?
ie Nettokreditaufnahme sinkt um magere 6,7 Milliar-
en Euro. Und ob 2011 tatsächlich die Null erreicht
11248 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007
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wird, ist völlig offen. Bis dahin sind es noch vier lange
Jahre, und wir wissen, wie schnell die Hoffnung des Jah-
res 2000 auf eine Nettokreditaufnahme von Null einer
bitteren Realität gewichen ist. Nicht 2011, sondern 2009
muss daher die Zielmarke für den ausgeglichen Haushalt
sein.
Was wir lernen, ist daher, dass nicht eine unverbindli-
che Ankündigungspolitik, sondern kluge verbindliche
Regeln uns bei der Haushaltskonsolidierung helfen. Da-
bei geht es nicht darum, einem simplen Verschuldungs-
verbot das Wort zu reden, ein Staatshaushalt ist kein
Kaufmannsladen. Dennoch gilt auch für den Staatshaus-
halt, dass die Höhe der Einnahmen die Höhe der Ausga-
ben bestimmt, Kredite sind sinnvoll, wenn sie zur Abfe-
derung einer Rezessionsphase eingesetzt und in der
nächsten wirtschaftlichen Aufschwungphase zurückge-
zahlt werden, oder wenn sie zur Finanzierung von Netto-
investitionen dienen. Privatisierungserlöse sind von den
Investitionsausgaben in Abzug zu bringen.
Ich möchte Ihnen hier nur diese Eckpunkte für ein
wirksames Instrument zur Begrenzung der Verschuldung
nennen. Wie ich Ihnen darlegen konnte, drängt die Zeit,
dass ein solches Instrument zum Einsatz kommt. Mit
dem von Bündnis 90/Die Grünen entwickelten Zukunfts-
haushaltsgesetz, welches die notwendigen verfassungs-
und einfachgesetzlichen Änderungen enthält, haben wir
ein solches Instrument, welches noch in diesem Jahr ver-
abschiedet und bereits 2008 wirksam werden könnte. Es
liegt an Ihnen zu zeigen, wie ernst es Ihnen mit der
Rückführung der Verschuldungsquote ist.
Anlage 12
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Anträge:
– Keine Leistungskürzungen bei der gesetzli-
chen Unfallversicherung
– Die gesetzliche Unfallversicherung leistungs-
stark und zukunftssicher gestalten
(Tagesordnungspunkt 20 a und b)
Gerald Weiß (Groß-Gerau) (CDU/CSU): Die Große
Koalition will eine moderne Unfallversicherung schaf-
fen. Das haben wir im Koalitionsvertrag vom
11. November 2005 vereinbart. Im Rahmen unserer Re-
form wollen und werden wir die Unfallversicherung zu-
kunftssicher machen. Der Koalitionsvertrag beschreibt
unsere wesentlichen Ziele: Straffung der Organisation,
die Schaffung leistungsfähiger Unfallversicherungsträ-
ger und ein zielgenaueres Leistungsrecht.
Unsere Bundesländer üben die Aufsicht über die Un-
fallversicherungen aus. Deshalb macht die Beratung ei-
ner umfassenden Reform der gesetzlichen Unfallversi-
cherung ohne die Bundesländer keinen Sinn. So war es
richtig und konsequent, dass der Koalitionsvertrag die
Bildung einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe vorsah. Die
Bundesregierung und die Landesregierungen sollten ihre
Kompetenzen und Erfahrungen bündeln und in den
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ienst einer umfassenden Reform stellen. Die Beratun-
en der Bund-Länder-Arbeitsgruppe haben eine Reihe
on neuen Erkenntnissen gebracht, die mit Sicherheit in
as Gesetzgebungsverfahren einfließen werden. Sie wer-
en die Beratungen im Bundesrat beschleunigen.
Der Deutsche Bundestag wird sich formal erst dann
it der Reform beschäftigen, wenn ein Gesetzentwurf
er Bundesregierung eingebracht wird. Aber die Diskus-
ion um die Weiterentwicklung der gesetzlichen Unfall-
ersicherung hat natürlich längst begonnen.
Der Koalitionsvertrag sieht vor, dass der Gesetzent-
urf zur Reform der gesetzlichen Unfallversicherung bis
ur Mitte der Wahlperiode vorgelegt werden soll. Dieser
itte der Wahlperiode nähern wir uns, und ich bin über-
eugt davon, dass in absehbarer Zeit zumindest ein erster
esetzentwurf vorliegt.
Der Staat setzt mit seinen Gesetzen die Rahmenbedin-
ungen. Aber diese Rahmenbedingungen wären nichts
hne die Selbstverwaltung, die diesen Rahmen ausfüllt.
ie Selbstverwaltung in der gesetzlichen Unfallversi-
herung hat sich über die Jahrzehnte hinweg als segens-
eich für dieses Land, seine Unternehmen und seine
rbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erwiesen. Die
elbstverwaltung ist das erfolgreiche Gegenmodell zur
taatsbürokratie. Sicher haben wir engagierte Staatsdie-
er! Doch nichts kann das Engagement eines erfahrenen
nternehmers ersetzen, der über viele Jahre die Pro-
leme des Arbeitsschutzes aus seinem eigenen Unter-
ehmen kennt. Ein Unternehmer, der mit Leidenschaft
ür praktikable Lösungen eintritt, ist zugleich ein we-
entlich besserer Ansprechpartner für diejenigen Unter-
ehmer, die in dem einen oder anderen Fall andere
orstellungen von geeigneten Vorschriften ihrer Berufs-
enossenschaft haben. Das Gespräch von Unternehmer
u Unternehmer kann kein noch so engagierter Staatsbe-
mter ersetzen.
Gleiches gilt für die Vertreter der Arbeitnehmerseite,
eren jahrelange Erfahrung im eigenen Unternehmen
en Blick für die Gefährdungen der Arbeitnehmerinnen
nd Arbeitnehmer geschärft hat. Aus persönlicher Be-
roffenheit heraus und aus Verantwortung für ihre Kolle-
innen und Kollegen streiten sie für einen Arbeitsschutz
uf der Höhe der Zeit.
Für dieses Zusammenwirken von Arbeitnehmer- und
rbeitgebervertretern müssen wir dankbar sein. Denn
hr Engagement ermöglicht uns ein hohes Niveau eines
rbeitsschutzes, das sich für die Gesundheit der Arbeit-
ehmerinnen und Arbeitnehmer und die Kostenbilanz
er Unternehmen günstiger erwiesen hat als jede denk-
are staatliche Lösung.
Wenn wir also eine solche Reform angehen, muss die
olitik Vorgaben machen, aber zugleich ist es unbedingt
otwendig, dass wir den Erfahrungsschatz der Selbstver-
altung in unsere Reform einbeziehen. Verkehrt wäre
s, die Vertreterinnen und Vertreter der Selbstverwaltung
icht ernst zu nehmen und sie zu frustrieren. Als Politi-
er müssen wir uns im Klaren sein, dass wir diese Re-
orm nicht für uns, sondern für diejenigen machen, für
ie die Vertreter der Selbstverwaltung stehen: für die
nternehmen und ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
ehmer.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11249
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Die große Reform der gesetzlichen Unfallversiche-
rung teilt sich in zwei Abschnitte: die Organisations-
reform und die Reform des Leistungsrechts.
Die Organisationsreform ist nicht nur die Sache des
Gesetzgebers. Wie kommunizierende Röhren müssen
Legislative und Selbstverwaltung zusammenwirken. Die
Bundesregierung, die Landesregierungen und der Bun-
destag tragen die gesamtgesellschaftliche Verantwortung
und müssen die Richtungen vorgeben. Aber ohne die ak-
tive Mitwirkung der Selbstverwaltung wird diese Re-
form kein Erfolgsmodell.
Noch bevor das Gesetzgebungsverfahren begonnen
hat, gab es den ersten großen Erfolg dieser Reform: Die
Selbstverwaltung einigte sich in einem bemerkenswerten
Kraftakt auf eine Reduzierung der Anzahl der Berufsge-
nossenschaften. Dies war und ist dringend notwendig.
Ehemals gab es 35 Berufsgenossenschaften. Das waren
zu viele. Schon seit Jahren forderte die Politik eine Re-
duzierung dieser Anzahl. Die Reduzierung der Anzahl
der Berufsgenossenschaften auf heute 26 verringert die
Verwaltungskosten und führt zu fruchtbringenden Syner-
gieeffekten. Es hat sich als richtig erwiesen, dass die
Politik im Zusammenhang mit dieser Reform hart auf-
getreten ist und eine Reduzierung auf sechs Berufsge-
nossenschaften gefordert hat. In der Sache war dies zu
weitgehend, aber es hat Fusionsprozesse in der Selbst-
verwaltung beschleunigt. Nachdem die Selbstverwal-
tung neun Berufsgenossenschaften vorgeschlagen hatte,
übernahm die Große Koalition diese Zahl. Dies zeigt,
dass wir das Urteil der Selbstverwaltung hoch schätzen.
Deshalb wundere ich mich über den Antrag der Lin-
ken. Sie sprechen sich gegen einen unverhältnismäßigen
Eingriff in die Selbstverwaltung der Berufsgenossen-
schaften aus und fordern zum Verzicht auf die Fest-
schreibung einer bestimmten Anzahl von Berufsgenos-
senschaften auf. Es ist doch gerade diese Anzahl der
Berufsgenossenschaften, die die Selbstverwaltung vor-
geschlagen hat, und wir übernehmen sie.
Was für die Berufsgenossenschaften gilt, gilt auch für
die Unfallkassen. Ihre Anzahl muss verringert werden.
Die aktuelle Erfahrung zeigt: Gerade auch bei den Un-
fallkassen fällt die Reduzierung nicht gerade leicht. So
mancher Unfallkasse gelingt es, die betreffenden Lan-
despolitiker für sich einzunehmen. Hinzu kommt eine
zumindest umstrittene Rechtslage. Es ist die Frage, wie
weit der reformierte Föderalismus den Eingriff des Bun-
des in die Länderhoheit ermöglicht. So könnte sich die
eine oder andere Feuerwehrunfallkasse einer Fusion ent-
ziehen. Aber ich appelliere an die Bundesländer – auch
wenn es im Einzelfall schwer fällt –, die Zeichen der
Zeit zu erkennen.
Die Strukturen der Wirtschaft verändern sich unabläs-
sig. Wirtschaftszweige wachsen an, andere Wirtschafts-
zweige schrumpfen dramatisch. Letzteres gilt zum Bei-
spiel für die Bauwirtschaft. Dort hat sich die Anzahl der
Mitarbeiter innerhalb von zehn bis 15 Jahren fast hal-
biert. Zugleich blieben aber die Altlasten unverändert.
Die Rentenzahlungen an ehemals verunglückte Bau-
arbeiter müssen weiterhin von der Bauwirtschaft aufge-
bracht werden, und dies mit der Hälfte der Mitarbeiterin-
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en und Mitarbeiter. Damit steigt die Belastung pro
rbeitnehmer natürlich deutlich an. Dementsprechend
lagt die Bauindustrie. Auch die anderen Branchen er-
ennen diese Belastung an und waren bereits in den ver-
angenen Jahren bereit, über einen Lastenausgleich der
auwirtschaft unter die Arme zu greifen.
Mit dieser Reform müssen wir einen Lastenausgleich
inführen, der in der Lage ist, die Herausforderungen der
ich wandelnden Wirtschaft zu bewältigen. Auch bei der
ewältigung dieser Aufgabe hat uns die Selbstverwal-
ung einen großen Dienst erwiesen. Mit dem Konzept
es Überaltlastenausgleichs hat sie ein flexibles und
reffsicheres Modell entwickelt. Dieses Modell ist kom-
liziert, schwer zu erklären und dennoch zielführend.
ir werden es deshalb übernehmen.
Allerdings hat uns die Selbstverwaltung die Aufgabe
es Feintunings überlassen. Diese Aufgabe kann die
elbstverwaltung nicht selbst lösen. Hier ist die Politik
efragt, und sie wird diese Aufgabe übernehmen. Im
runde geht es um die Frage, woran sich der Vertei-
ungsschlüssel orientiert: an der Lohnsumme oder am
ranchenspezifischen Unfallrisiko. Diese Frage ist zwi-
chen den betroffenen Branchen heftig umstritten. Kein
under, denn schließlich geht es um die Frage, wieviel
ie Solidarität das einzelne Unternehmen kostet bzw. um
ieviel die Solidarität das einzelne Unternehmen entlas-
et. Wir erhalten in dieser Angelegenheit sehr viele Zu-
chriften. Nach meiner persönlichen Auffassung sollte
ie Lösung in der Mitte liegen: 50 Prozent Lohnsumme,
0 Prozent Unfallrisiko. Um dies zu entscheiden, sollte
er Ausschuss für Arbeit und Soziales mit den Betroffe-
en eine Anhörung durchführen. Anschließend muss das
arlament eine Entscheidung fällen.
Übrigens: Zu diesem komplexen Thema äußert sich
er Antrag der Linken überhaupt nicht. So versuchen Sie
ich aus einem heftigen Konflikt herauszuhalten, aber
ls verantwortungsbewusste politische Kraft muss man
ier schlicht Stellung beziehen.
Die Unfallversicherung in Deutschland muss geführt
erden. Seit Monaten wird heftig darum gerungen, wie
ie Spitze der Unfallversicherung in Deutschland ausse-
en soll. Zwei Konzepte bieten sich an: die Körperschaft
nd die Vereinslösung.
Bei der Körperschaft haben wir – davon bin ich über-
eugt – einen stärkeren Einfluss des Staates. Die Ver-
inslösung wiederum stärkt die Selbstverwaltung und
ird von dieser auch bevorzugt.
Am 31. Mai 2007 fusionierten in Darmstadt der
VBG und die BUK zur Deutschen Unfallversicherung.
ie Fusion erfolgte mit der Unterstützung von
00 Prozent bzw. 93 Prozent der Delegierten. Mit dieser
usion im Rahmen eines Vereins macht die Selbstver-
altung der Politik das Angebot, diesen Verein als
pitze der Unfallversicherung fungieren zu lassen.
In den letzten Monaten erlebten wir eine ausführliche
erfassungsrechtliche Diskussion der Frage, ob der Ver-
in oder die Körperschaft geboten sei. Es gab umfas-
ende juristische Dialoge, ob im Rahmen der Beleihung
11250 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007
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beim Verein eine ausreichende staatliche Aufsicht ver-
wirklicht werden kann.
All diese juristischen Ansätze kürzen sich gegenseitig
weg. Letztlich muss sich die Politik für ein geeignetes
Modell entscheiden. Ich begrüße ausdrücklich, dass sich
inzwischen eine Mehrheit der Bundesländer für die Ver-
einslösung ausspricht. Dies deckt sich auch mit der über
alle Flügel abgestimmten Position der CDU/CSU-Frak-
tion.
Deshalb will ich die Gelegenheit nutzen, um noch-
mals ausdrücklich für die Vereinslösung zu werben. Wir
haben der Selbstverwaltung viel zu verdanken, und die
bewährte Selbstverwaltung soll das Geschehen in der
Unfallversicherung auch in der Zukunft prägen. Dazu
brauchen wir das Engagement und die Leidenschaft die-
ser Menschen. Gerade dies würden wir verlieren, wenn
wir ihnen einen wichtigen Teil ihrer Souveränität neh-
men würden. Lassen Sie uns das Angebot der Selbstver-
waltung aufgreifen und uns für den Verein entscheiden.
Ein Unternehmen kann sich für die Anmeldung seiner
Arbeitnehmer bei der zuständigen Berufsgenossenschaft
bis zu sechs Wochen Zeit nehmen. Dies ist eine unter-
nehmensfreundliche Lösung, die im Grundsatz akzepta-
bel ist und in den meisten Fällen nicht missbraucht wird.
Allerdings lädt diese Regelung auch zum Missbrauch
ein. Dies kann man vor allem beim Bau feststellen.
Wenn ein Schwarzarbeiter auf dem Bau verunglückt,
übernimmt die Kosten zunächst die Berufsgenossen-
schaft, treibt die Kosten jedoch beim Unternehmen ein,
das den Schwarzarbeiter beschäftigt hat. Die Unterneh-
men vermeiden diese Kostenübernahme, indem sie den
verunfallten Schwarzarbeiter nachträglich bei der Be-
rufsgenossenschaft anmelden.
Seit langem wird in Fachkreisen darüber nachge-
dacht, wie dieses Problem zu lösen ist. Die Bundesländer
haben in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe deutlich ge-
macht, dass sie dieses Problem anpacken wollen. Sie ha-
ben Vorstellungen entwickelt, die Fristen beim Melde-
verfahren deutlich zu verändern. Hier gibt es sicher noch
Gesprächsbedarf, vor allem mit den Vertretern der Ar-
beitgeberseite. Doch ich denke, wir sollten dieses Pro-
blem im Rahmen der Organisationsreform lösen.
Der Grundgedanke, der die bislang entworfene Re-
form des Leistungsrechts prägt, ist zunächst faszinie-
rend: Die Aufteilung zwischen dem erlittenen Gesund-
heitsschaden und die vermutlichen Erwerbseinbußen.
Dieser Ansatz verspricht einen zielgenaueren Schadens-
ausgleich. Allerdings haben die Beratungen mit den
Praktikern gezeigt, wie schwierig dies in der Praxis um-
zusetzen ist. Wie kalkuliere ich den beruflichen Lebens-
weg eines verunfallten Arbeitnehmers? Wie kalkuliere
ich das Einkommen, das ihm durch den Unfall entgan-
gen ist? In der Praxis kann dies zu einem erheblichen
Verwaltungsaufwand führen, und es besteht die Gefahr,
dass Entscheidungen ständig durch Gerichte überprüft
und eventuell revidiert werden.
Hinzu kommt eine Vielzahl von Detailfragen, die im
Sinne der Sache gründlich durchleuchtet werden müs-
sen.
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Den Antrag der Linken werden wir ablehnen! Ein
rund für die Ablehnung besteht in der Aufforderung,
ie Anzahl der Berufsgenossenschaften nicht festzu-
chreiben, weil dies einen unverhältnismäßigen Eingriff
n die Selbstverwaltung bedeuten würde. Dabei ent-
pricht die Festlegung auf neun Berufsgenossenschaften
erade der Entscheidung der Selbstverwaltung.
Den Antrag der Grünen werden wir ablehnen. Hierfür
enne ich zwei Gründe: Wir brauchen die Selbstverwal-
ung nicht mehr aufzufordern, ein Konzept für einen Alt-
astenfond zu entwickeln. Die Selbstverwaltung hat das
onzept des Überaltlastenausgleichs vorgelegt. Wir
üssen dem Hauptverband der Berufsgenossenschaften
nd dem Bundesverband der Unfallkassen den Zusam-
enschluss als Verein nicht erst ermöglichen. Dies ha-
en sie am 31. Mai 2007 in Darmstadt vollzogen. Es
eht darum, dass die Deutsche Gesetzliche Unfallversi-
herung künftig im Rahmen der sogenannten Vereinslö-
ung wirken kann.
Wolfgang Grotthaus (SPD): Die Überschrift des
ntrages der Fraktion Die Linke vermittelt den Ein-
ruck, dass die Bundesregierung bei der Reform der Un-
allversicherung ein „Leistungskürzungsgesetz“ vorle-
en will. Hier scheint Die Linke schon mehr zu wissen,
enn es gibt bisher weder die Einbringung eines Gesetz-
ntwurfes ins Kabinett, noch die Vorlage eines Referen-
enentwurfs.
Richtig ist, dass es einen Arbeitsentwurf gibt, der auf
er Bund-Länder-Ebene diskutiert wird. Und richtig ist,
ass die Bundesregierung für diese Arbeit auf der Bund-
änder-Ebene als Zielsetzung die Straffung der Organi-
ation formuliert hat und dabei die Realisierung leis-
ungsfähiger Unfallversicherungsträger sowie ein ziel-
nd passgenaues Leistungsrecht anstrebt.
Dieses Ziel dürfte eigentlich keine kontroverse De-
atte in diesem Hohen Haus verursachen. Dies haben
uch die Selbstverwaltungsorgane der Berufsgenossen-
chaften und Unfallkassen erkannt und sind sich darüber
inig geworden. Sie haben sich in einem vorbildlichen
iskussions- und Einigungsprozess innerhalb ihrer
elbstverwalteten Strukturen darauf verständigt, anstelle
on zurzeit 26 Berufsgenossenschaften, BGen, durch
usionen auf eine Zahl von neun Berufsgenossenschaf-
en zu kommen.
An dieser Stelle möchte ich den Verantwortlichen
ank für ihr Engagement bei der Neustrukturierung der
Gen sagen. Das Ergebnis zeigt, dass die Selbstverwal-
ung funktioniert und das Eingreifen der Politik nicht nö-
ig ist.
Zwei Problembereiche im „organisatorischen Teil“
ind noch offen, und zwar: Wie stellt sich der Zusam-
enschluss der BGen und der öffentlichen Unfallkassen
emnächst auf? Gemeint ist: Wird es eine Körperschaft
es öffentlichen Rechts sein, oder kann die neue Organi-
ation auch als eingetragener Verein arbeiten? Wird die
olidarität in Bezug auf den Altlastenausgleich der
Gen gesetzlich geregelt werden müssen? Hier muss
nd wird es politische Lösungen geben!
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11251
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Natürlich, insbesondere beim Solidaritätsausgleich
hat jede einzelne Berufsgenossenschaft Eigeninteressen,
die sie im Zuge der noch nicht abgeschlossen Reform
unter anderem auch im Bereich der politischen Adminis-
tration vorzutragen weiß. Wir sind aber aufgrund vieler
Gespräche sehr zuversichtlich, hier eine größtmögliche
Übereinstimmung zwischen den BGen zu erreichen.
Im Bereich des „Leitungsteils“ gibt es für uns nur
eine Richtung: Es darf zu keinen Leistungskürzungen
kommen! Die von einem Unfall betroffenen Menschen
dürfen nicht schlechter gestellt werden. Es muss aber
darüber nachgedacht werden, ob nicht eine größere Ziel-
genauigkeit erreicht werden kann. Auch muss die Frage
erlaubt sein, ob es richtig ist, dass derjenige, der 20 Pro-
zent oder 40 Prozent durch einen Unfall leistungsgemin-
dert ist, sehr oft besser gestellt ist als derjenige, der eine
hundertprozentige Leistungsminderung hat.
Vorschläge, wie dies zufriedenstellender geregelt wer-
den könnte, liegen auf dem Tisch. Die Beratungen dazu
laufen; aber ich sage es noch einmal eindeutig: Dabei
geht es nicht um Leistungskürzungen!
Abschließend möchte ich von dieser Stelle auch die
Arbeit des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales
würdigen und gleichzeitig eine Bitte formulieren: Es ist
sehr wichtig, sich intensiv Gedanken darüber zu machen,
wie der Rehabilitationsgedanke noch stärker in den Vor-
dergrund gestellt werden kann.
Rehabilitation der Verunfallten, schnellste Genesung
und die Wiedereingliederung in den Beruf sollte noch
stärker in den Vordergrund der Diskussion gestellt wer-
den. Damit wird den Menschen mehr geholfen als mit ei-
ner aus meiner Sicht bald abzuschließenden Diskussion
über Organisation- und Verwaltungskosten.
Bevor wir nicht einen Referentenentwurf aus dem
BMAS haben und tatsächlich nachvollziehen können,
welche Detailplanung das Ministerium in welcher Form
umgesetzt hat, ist die Debatte hier im Plenum eine De-
batte „in den blauen Dunst“. Wir können hier nur darstel-
len, welche politische Richtung wir verfolgen. Da nun
beide Antragsstellerfraktionen noch keine diskussionsfä-
higen Unterlagen haben, betrachten wir beide Anträge
als einen politischen Schnellschuss. Wir werden sie des-
halb beide ablehnen.
Heinz-Peter Haustein (FDP): Es geht hier heute um
die gesetzliche Unfallversicherung und damit um einen
Zweig der Sozialversicherung, der – wenn auch in gerin-
gerem Umfang als andere Sozialversicherungen für – die
hohen Lohnnebenkosten verantwortlich ist. Wer ernst-
haft um einen Beschäftigungsanstieg in Deutschland
bemüht ist – und das sollte schließlich unser aller Bestre-
ben sein –, muss den Zusammenhang zwischen Lohn-
nebenkosten und Beschäftigung bei einer Reform der
Unfallversicherung im Auge behalten. Das Ziel muss
sein, die Beiträge zur GUV – zumindest langfristig – zu
senken.
Es liegen hier zwei Anträge vor, die beide diesen An-
forderungen nicht gerecht werden. Lassen Sie mich kurz
darauf eingehen:
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Der Antrag von der Linken ist eine Enttäuschung für
ll diejenigen, die auf Verbesserungen bei der GUV hof-
en. Er reicht kaum über die Forderung, es dürfe auf kei-
en Fall zu Leistungsabsenkungen kommen, hinaus. Das
st nicht besonders originell, leider gar nicht innovativ
nd auch nicht der Sache dienlich, sondern wieder ein-
al nur die alte Sozialkampfverhindererrhetorik. Die
inke warnt vor einem „verantwortungslosen Schnell-
chuss“. Seit fast zwei Jahren – Stichwort: Koalitions-
ertrag – kündigt Schwarz-Rot für diesen Herbst eine
eform der Unfallversicherung an. Von „Schnellschuss“
ag ich da nicht reden. Seit gestern wissen wir, dass die
egierung sich nicht einmal darüber einig ist, wie die
eform des Leistungsrechts aussehen soll und dass man
ieber noch einmal weiterredet. Das Problem ist also
icht, dass hier unüberlegt aus der Hüfte geschossen
ird, sondern dass die Regierung unfähig ist, sich auf
in Konzept zu verständigen. Dabei duldet die Reform
er GUV keinen Aufschub, wie wir schon an den
chwierigkeiten der Baubranche und den hohen Altlas-
en sehen. Darauf komme ich gleich zurück. Den Antrag
er Linken kann man nur ablehnen.
Der Antrag der Grünen setzt sich immerhin inhaltlich
it der Unfallversicherung auseinander. Einzelne Punk-
e wie beispielsweise deren Kritik an der sogenannten
oratoriumslösung sind aus unserer Sicht richtig. Es
ann nicht sein, dass zwischenzeitlich privatisierte Un-
ernehmen der öffentlichen Hand auch weiterhin bei den
ffentlichen Unfallkassen versichert sind, wo sie sich
icht an den Kosten der Altlasten beteiligen müssen. Da-
urch sind private Wettbewerber im Nachteil, die durch
ie Beteiligung an den Altlasten höhere Lohnnebenkos-
en zu tragen haben. Diese Regelung darf aus liberaler
icht auf keinen Fall fortbestehen. Natürlich müssen pri-
atrechtlich organisierte Unternehmen wie andere Un-
ernehmen der Privatwirtschaft auch den Berufsgenos-
enschaften zugeordnet werden. Auch die Trennung in
esundheitsschaden und Erwerbsminderungsschaden
ird von Grünen und FDP gemeinsam begrüßt.
Insgesamt aber fehlt auch dem Antrag der Grünen die
rkennbare Linie, die deutlich macht, wie die Unfallver-
icherung künftig zu gestalten ist. Man möchte zwar bei
en Grünen der Selbstverwaltung den Auftrag zur Ent-
icklung eines Konzepts für die Altlasten geben. Eine
igene Vorstellung von der notwendigen Gestaltung des
astenausgleichs scheinen die Grünen jedoch nicht zu
aben. Hinsichtlich der Reform des Leistungsrechts nä-
ern sie sich dann stark der Position der Linken an.
ehrfach wird betont, es dürfe nicht zu Einkommens-
erlusten kommen, es dürfe keine Schlechterstellung ge-
en, es dürfe keine Verringerung geben.
Es ist immer einfach, den Menschen zu erklären: Bei
uch bleibt alles wie es ist, nichts wird schlechter. Das
st aber nicht die Aufgabe der Politik. Wir müssen, wenn
ir an Verbesserungen der gesetzlichen Unfallversiche-
ung interessiert sind, anders an die Sache herangehen
nd uns fragen: Wo gibt es Fehlentwicklungen, denen
ir entgegentreten müssen? Den Antrag der Grünen leh-
en wir ab.
11252 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007
(A) )
(B) )
Um bei dem Beispiel der Trennung in Gesundheits-
schaden und Erwerbsschaden zu bleiben, möchte ich
ganz klar sagen: Die FDP tritt für den Wechsel von der
abstrakten zur konkreten Betrachtungsweise ein. Es geht
hier um eine Frage der Gerechtigkeit. Die Liberalen wol-
len eine zielgenaue Leistung. Wir müssen der Entwick-
lung entgegentreten, dass Geringverletzte eine Leistung
beziehen, obwohl sie in einem anderen Beruf oder an ei-
nem anderen Arbeitsplatz regulär weiter beschäftigt sind
und auf diese Weise finanziell besser gestellt sind als vor
dem Unfall, während Schwerverletzte, die nach einem
Unfall nicht länger erwerbsfähig sind, zum Teil nach
dem Schicksalsschlag Arbeitsunfall erhebliche Einkom-
mensverluste zu schultern haben. Die FDP will hier zu
einer Verbesserung kommen, die allen, die einen Unfall
erlitten haben, die Einkommenseinbußen ausgleicht, die
sie tatsächlich – im konkreten Fall – zu tragen haben.
Die Leistungen müssen wieder dahin, wo sie gebraucht
werden, zu den Bedürftigen. Der Geringverletzte soll
auch weiterhin eine Rente erhalten, aber das Prinzip
kann doch nur sein: Eine Erwerbsminderungsrente wird
gezahlt für eine Erwerbsminderung. Natürlich, das ver-
schweige ich nicht, führt das zu einer anderen Gewich-
tung der Leistungen. Aber die FDP will nicht in populis-
tischer Manier allen alles versprechen. Wir wollen
tragfähige Lösungen für die Zukunft. Die Kritiker wen-
den dagegen ein, durch die konkrete Berechnung ent-
stehe ein neuer Verwaltungsaufwand. Ja, sage ich, das
stimmt. Aber der Aufwand ist mehr als gerechtfertigt,
wenn man zu einer Systemverbesserung kommen will.
Die FDP hat die letzten Monate genutzt. Linke und
Grüne stellen hier Anträge zur Debatte, mit denen sie auf
Regierungsvorschläge eingehen, die noch nicht einmal
ins parlamentarische Verfahren eingebracht sind, ja
– wie wir gestern erfahren haben – noch nicht einmal im
Ministerium konsensfähig sind. Neues, gar für die Zu-
kunft Richtungsweisendes, finde ich darin nicht.
Wir haben uns in den letzten Monaten mit allen Betei-
ligten ausgetauscht, Probleme und Fehlentwicklungen
identifiziert und sachgerechte Lösungen entwickelt, um
den bekannten Problemen entgegenzutreten: ob konkrete
Betrachtungsweise, Moratoriumslösung, Neugestaltung
des Lastenausgleichs oder Kapitalabfindung bei Gering-
verletzten, etc. Wir haben Leitlinien für ein Konzept
entwickelt, das Konsequenzen zieht aus dem Struktur-
wandel der Wirtschaft, das dem Ziel der Verwaltungs-
verschlankung dient und die knappen Ressourcen dort-
hin bringt, wo sie benötigt werden, bei den Bedürftigen.
Wir werden unseren Antrag rechtzeitig nach der Som-
merpause in den Deutschen Bundestag einbringen und
dem Regierungsvorschlag, so sich Schwarz-Rot über-
haupt noch einigen kann, ein schlüssiges Konzept entge-
genstellen.
Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE): Es
war absehbar, und doch war es ein langer, qualvoller
Prozess, bis das Bundesarbeitsministerium am Mittwoch
endlich bekannt gab, was die Spatzen längstens von den
Dächern pfiffen: Die von der Bundesregierung geplante
Reform der gesetzlichen Unfallversicherung liegt wegen
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oalitionsinterner Differenzen vorläufig auf Eis. Und
enn der Sprecher des Arbeitsministeriums diesen für
ie Koalition unangenehmen Sachverhalt zu beschöni-
en versucht, indem er davon spricht, es habe noch nicht
inmal einen Referentenentwurf gegeben, huscht einem
chon ein Lächeln über das Gesicht. Ja, es gab keinen
eferentenentwurf, aber das hatte ja auch niemand be-
auptet. Dafür gab es einen Arbeitsentwurf und bei des-
en Qualität habe ich jedes Verständnis dafür, dass das
inisterium versucht, dessen Existenz zu verschweigen.
Mit der groß angekündigten Reform wird es erst ein-
al nichts, und das ist gut so. Selten ist in einem Projekt
ründlichkeit und Sorgfalt so der Schnelligkeit geopfert
orden. Der Verdacht drängt sich auf, dass Sie das
hema aus der Landtagswahl 2008 heraushalten wollten.
er will schon höchst unpopuläre Kürzungen vor seinen
ählern rechtfertigen müssen? Ein unrealistischer und
us politischen Erwägungen diktierter knapper Zeitplan
ar Ihnen wichtiger als Qualität und Gründlichkeit.
Eine gründliche Beratung in den Gremien des Deut-
chen Bundestages wäre auch nicht gewährleistet gewe-
en. „Lernende Gesetzgebung“ nennen Sie das ja immer
ieder, wenn Sie ihren handwerklichen Murks schon
ach kürzester Zeit „nacharbeiten“ müssen. Ein System-
echsel, wie Sie ihn anstreben, bedarf aber angesichts
er besonderen Tragweite eine gründliche Diskussion
it Fachexperten der Unfallversicherung und der Sozial-
artner.
Fragt sich nur, ob Herr Staatssekretär Tiemann über-
aupt fähig ist, einen solchen Dialog zu führen. Aus den
reffen der Bund-Länder-Arbeitsgruppe war hinter vor-
ehaltener Hand viel Kritik am Auftreten des Herrn
taatssekretärs zu hören. Nassforsches Auftreten ersetzt
icht fehlende Qualität des Arbeitsentwurfs, Herr Staats-
ekretär. Wer so handelt, der trägt die Verantwortung für
en Totalschaden dieses Reformversuchs. Herr Tiemann,
ehmen Sie Ihren Hut und ihren unausgegorenen Re-
ormentwurf gleich mit!
Aber worum geht es eigentlich bei dem von Ihnen
erursachten Chaos? Schauen wir doch noch einmal in
en Koalitionsvertrag:
Wesentliche Ziele sind die Straffung der Organisa-
tion, die Schaffung leistungsfähiger Unfallversiche-
rungsträger und ein zielgenaueres Leistungsrecht.
agegen ist zunächst nichts einzuwenden.
Bei dem, was das Arbeitsministerium bisher vorge-
egt hat, bekommt man aber eher den Eindruck, dass ge-
ade die geplante Leistungsrechtsreform nicht besser,
ondern nur anders ungerecht ausgestaltet wurde. Was
ordergründig als zielgenaues Konzept angepriesen
ird, läuft in Wirklichkeit auf einen Raubzug gegen ver-
etzte und erkrankte Menschen hinaus: Durch einen Ar-
eitsunfall verursachte Einkommenseinbußen von bis zu
0 Prozent werden grundsätzlich nicht entschädigt. Den
erlust eines Daumens, extreme Lärmschwerhörigkeit
der chronische Hauterkrankungen wollen Sie künftig
it einer monatlichen Pauschale von 50 Euro abfinden.
er eingetretene Erwerbsschaden wird dabei nicht be-
ücksichtigt.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11253
(A) )
(B) )
Die vorgesehenen Veränderungen beim Jahresarbeits-
verdienst als zentraler Bezugsgröße im Unfallentschädi-
gungsrecht werden für Geringverdienende und Allein-
erziehende ganz erhebliche negative Auswirkungen
haben. Künftig wird es für die Versicherten schwieriger
werden, die durch einen Unfall verursachten gesundheit-
lichen Spätfolgen nachzuweisen. Die dann notwendigen
Neuberechnungen werden so unnötig verkompliziert.
Dies kann nicht im Sinne der Versicherten, aber auch
nicht der Unfallversicherungsträger sein.
Fazit: Die Trennung von Erwerbs- und Gesundheits-
schaden führt weder zu mehr Gerechtigkeit noch zu einer
stärkeren Zielgenauigkeit. Mit den jetzt zurückgezogenen
Reformplänen hätten drei von vier Arbeitnehmern, die ei-
nen Arbeitsunfall erleiden, netto weniger Geld in ihren
Taschen gehabt. Wieder einmal sägt der angeblich sozial-
demokratische Arbeitsminister an den Fundamenten unse-
res Sozialversicherungssystems. Die wenigen Verbesse-
rungen, wie etwa für schwer Verletzte, gleichen dies nicht
aus. Sie hießen sich bereits jetzt im geltenden Leistungs-
recht verwirklichen.
Weniger strittig ist die Frage der Organisationsreform.
Auch wenn bei den Beteiligten eine weitestgehende
Übereinstimmung der Reformziele im Organisations-
recht besteht, erscheint für uns der geforderte Einsparef-
fekt von 20 Prozent allein bei den Verwaltungskosten al-
lerdings als völlig überzogen. Was die Zahl und Frist der
geplanten Fusionen anbelangt, staunt man schon, was
Sie den gewerblichen Berufsgenossenschaften abverlan-
gen wollen. Sie sollen die Trägerzahl drastisch reduzie-
ren, gleichzeitig machen Bund und Länder keinerlei An-
stalten, dies in ihrem Bereich ebenfalls zu tun. Die
öffentlichen Träger würden besser mit gutem Beispiel
vorangehen.
Zudem kritisieren wir die Pläne der Bundesregierung,
den neuen Spitzenverband unter die Rechtsaufsicht des
Arbeitsministeriums zu stellen. Was wir nicht brauchen,
ist ein weiterer Verband, der am Gängelband des Bundes
gehalten wird. Es kann doch nicht sein, dass die Selbst-
verwaltung die Prozesse selbst gestalten soll und dann
zur Belohnung unter die Rechtsaufsicht des Arbeitsmi-
nisteriums gestellt wird!
Statt ihrer unverantwortlichen Schnellschüsse fordert
Die Linke mit ihrem Antrag, die Reform des Organisa-
tionsrechts vom Leistungsrecht vollständig abzukop-
peln. Angesichts der Komplexität des Sachverhaltes,
sind eine angemessene Zeitspanne einzuplanen sowie in-
tensive Beratungen mit allen betroffenen Akteuren zu
führen. Bei der Reform ist darauf zu verzichten, eine
feste Zahl an Berufsgenossenschaften und Unfallkassen
als Zielgröße festzuschreiben. Die Berufsgenossenschaf-
ten wissen selbst am besten, wo es Sinn macht, über wei-
tere Zusammenschlüsse nachzudenken. Der Eingriff der
Politik in die Selbstverwaltung wirkt hier nur kontrapro-
duktiv. Machen Sie es sich einfach und erkennen Sie den
neuen Spitzenverband Deutsche Gesetzliche Unfallver-
sicherung als autonomen Dachverband der Träger der
gesetzlichen Unfallversicherung an. Bei der Reform des
Leistungsrechts muss der Bedarf der Betroffenen und
nicht der Wille zur Einsparung handlungsleitend sein.
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icht zuletzt fordern wir substanzielle Verbesserungen
ei der Anerkennung von Berufskrankheiten und eine
bsenkung der Hürden bei der Anerkennung von Be-
ufskrankheiten.
Zu dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen ist nur ei-
es zu sagen: Wie Sie hier ungefiltert Positionen der Ar-
eitgeber übernehmen, das hätte die FDP nicht besser
achen können.
Abschließend ein freundlicher Rat an den angeblich
oten Teil der Koalition: Verlieren Sie nicht weiteres so-
ialpolitisches Vertrauen und stoppen Sie diese Kamika-
ereform. Qualität und Gründlichkeit muss vor Schnel-
igkeit gehen. Überarbeiten Sie Ihren Entwurf mit aller
orgfalt, machen Sie kein Einspargesetz daraus, dann
ird Ihnen das nächste Mal eine solch peinliche Debatte
rspart bleiben.
Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die
raktion des Bündnisses 90/Die Grünen sieht die Not-
endigkeit einer Neuordnung im System der gesetzli-
hen Unfallversicherung. Der sektorale Wandel auf dem
rbeitsmarkt hat zu Gewichtsverschiebungen zwischen
en Branchen und damit auch zu einer Verschiebung des
nteils ihrer Versicherten geführt. Sinnvoll ist daher
ine Reorganisation der Struktur der Unfallversiche-
ungsträger nach dem Grundsatz risikogerechter Bei-
räge ebenso wie die Einführung zielgenauer und zeitnah
usgezahlter Leistungen für die Unfallopfer. Die mit der
eform des Leistungsrechts angestrebte Aufspaltung der
isherigen Unfallrente in einen Gesundheits- und einen
rwerbsschadensausgleich betrachten wir deshalb eben-
alls dem Grunde nach als folgerichtig. Allerdings wird
ie notwendige Zielgenauigkeit mit den bisher vorlie-
enden Vorschlägen der Bundesregierung verfehlt. Da-
er wird der Ruf nach einer Verschiebung der Reform
es Leistungsrechts immer lauter.
Keinesfalls darf es zu Leistungsverschlechterungen
ür die Unfallopfer kommen! Genau dies ist aber beim
etzt vorliegenden Arbeitsentwurf der Fall. Dies gilt ins-
esondere für geringer Verletzte mit einem Grad der
chädigungsfolgen von 30 Prozent und 40 Prozent. Sie
achen rund 90 Prozent aller Rentenempfänger aus!
icht akzeptable Leistungseinschränkungen gibt es auch
ei der geplanten Erwerbsminderungsrente. Alle Versi-
herten, die nach dem Versicherungsfall eine geringere
rwerbseinbuße als 10 Prozent des Jahresarbeitsver-
ienstes haben, gehen leer aus.
Völlig unzureichend gelöst ist, wie bei der geplanten
rwerbsminderungsrente unstete Erwerbsverläufe und
eringfügige Beschäftigungen Berücksichtigung finden
önnen. Die Bundesregierung legt völlig lebensfremd
in idealtypisches Modell kontinuierlicher Erwerbsver-
äufe zugrunde. In der heutigen Zeit sind solche Er-
erbsverläufe keinesfalls mehr die Regel, sondern stel-
en zunehmend eine Ausnahme dar. Wir fordern deshalb
n unserem Antrag, dass sich die Entschädigungssum-
en, wie auch bei der jetzigen Unfallrente, an einem
Mindestjahresarbeitsverdienst“ orientieren müssen.
11254 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007
(A) )
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Leistungseinschränkungen sind auch bei den Renten-
anwartschaften zu befürchten. Die klassische Alters-
rente wird zunehmend durch eine betriebliche und pri-
vate Vorsorge ergänzt. Soll die Erwerbsminderungsrente
wie geplant nur bis zur Altersrente ausgezahlt werden,
dann müssen auch hier kompensatorische Zahlungen,
zum Beispiel analog der Riesterrente vorgenommen
werden.
Dies sind nur einige Beispiele für geplante Leistungs-
verschlechterungen zulasten der Unfallopfer. Es besteht
noch erheblicher Reparaturbedarf am Reformprojekt.
Inzwischen gibt es auch Stimmen in der Union, die
eine Verschiebung der Reform des Leistungsrechts for-
dern, so zum Beispiel der Vorsitzende des Ausschusses
für Arbeit und Soziales, Gerald Weiß, im Gleichklang
mit der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände,
die eine Erhöhung der Kosten für Leistungen an die Un-
fallgeschädigten kritisiert. Mit ihren im Arbeitsentwurf
zum Leistungsrecht vorgelegten Vorschlägen hat es die
Bundesregierung geschafft, sowohl die Leistungen für
die Unfallopfer zu verschlechtern als auch die Ausgaben
in die Höhe zu treiben. Die Rede ist von 400 bis
500 Millionen Euro Mehrkosten.
Die Kritik der Arbeitgeber und der Union an den
Mehrkosten greift jedoch zu kurz. Ein Großteil der
Mehraufwendungen beruht auf zusätzlichen Ausgaben
für Rehabilitationsleistungen und einmaligen Kapitalab-
findungen für den Gesundheitsschadensausgleich. Wir
begrüßen überwiegend diese Mehrausgaben, da die er-
höhten Aufwendungen für die Rehabilitation der Un-
fallopfer bei längerfristiger Betrachtung zu einer Entlas-
tung bei den Renten führen werden. Außerdem erhöht
eine zeitnahe Entschädigung des Gesundheitsschadens
den Anreiz zur Prävention. Lasten werden nicht auf die
Zukunft verschoben, sodass die Finanzierungsverant-
wortung der Verursacher und damit auch der Anreiz zur
Prävention gestärkt werden. Wir fordern deshalb, dass
sich eine Reform der gesetzlichen Unfallversicherung
nicht an kurzfristigen betriebswirtschaftlichen Interessen
orientiert. Sie muss für alle Beteiligten, auch für die Un-
ternehmen, eine langfristig stabile Lösung darstellen.
Franz Thönnes, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
minister für Arbeit und Soziales: Wir sprechen heute
über zwei Entschließungsanträge zur gesetzlichen
Unfallversicherung. Hintergrund ist das Vorhaben der
Bundesregierung, das Unfallversicherungssystem zu re-
formieren. Die gesetzliche Unfallversicherung ist ein
Kernstück innerhalb der deutschen Sozialversicherung.
Das soll auch so bleiben – auch in Zukunft.
Das System hat aber auch Defizite: Es leistet keinen
zielgenauen Ausgleich des Erwerbsschadens und des
Gesundheitsschadens. Es produziert auch Ungerechtig-
keiten: Es motiviert nicht zur beruflichen Rehabilitation.
Deswegen ist das System zu reformieren. Das tut die
Bundesregierung gemeinsam mit der Selbstverwaltung.
Ein paar Anmerkungen zu den Anträgen, die wir
heute debattieren. Die Fraktion Die Linke teilt unser
Ziel, lehnt aber alle wesentlichen Änderungsvorschläge
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b. Zudem sollen Organisations- und Leistungsreform
ntkoppelt werden. Das ist nicht zukunftsorientiert!
Auch die Fraktion der Grünen sieht die Notwendig-
eit zur Reform. Im Kern will sie jedoch beim Bisheri-
en bleiben. Auch das ist nicht zukunftsorientiert!
Wir sind bereits auf einem guten Weg. Seit wenigen
ochen gibt es nur noch einen Spitzenverband für den
ewerblichen und den öffentlichen Bereich: Die Deut-
che Gesetzliche Unfallversicherung – ein richtiger und
ichtiger Schritt.
An dieser Stelle möchte ich der Selbstverwaltung ein
roßes Lob sagen, auch für das Tempo, mit dem sie das
eschafft hat. Meinen Glückwunsch der Selbstverwal-
ung auch für ihr Konzept, um aus heute 25 gewerbli-
hen Berufgenossenschaften zukünftig neun und aus
eute 31 öffentlichen Unfallkassen zukünftig 16 zu ma-
hen. Das alles zeigt, welche Kraft in der Selbstverwal-
ung steckt. Ich bin überzeugt, das alles wird helfen,
uch Antworten auf die Herausforderungen der Altlasten
u finden.
Ob wir am Ende bei der Organisationsreform zu einer
elastbaren Vereinsregelung mit hoher Verantwortung
der zu einer schlanken Körperschaft mit Rechtsset-
ungsbefugnis kommen werden – das gilt es zu entschei-
en.
Wenn das Prinzip „Reha vor Rente“ gilt – und ich
enke es gilt für uns alle –, dann ist es nicht nur eine
thische und moralische Frage, sondern auch die richtige
ntwort auf Teilhabe am Arbeitsleben und auf die de-
ografische Herausforderung in unserer Gesellschaft. In
er Folge ist somit konsequenterweise auch über eine
innvolle Unterscheidung zwischen Erwerbs- und Ge-
undheitsschaden zu sprechen.
Abschließend noch ein paar Worte zum Zeitplan, um
rreführende Medienmeldungen geradezurücken: Wir
aben uns vorgenommen: Wir wollen die gesetzliche
nfallversicherung in dieser Hälfte der Legislatur-
eriode reformieren. Dieser Zeitpunkt ist noch nicht er-
eicht. Sorgfalt und Abwägung haben somit noch ausrei-
hend Raum. Wir werden auch im weiteren Prozess wie
islang die Experten der Unfallversicherung, der Sozial-
artner und die Fachleute aus den Landesregierungen
nd die Fachwelt beteiligen.
Es bleibt dabei: Die Bundesregierung wird eine gute
nd zukunftsorientierte Reform machen. – ohne Eile und
ründlich.
nlage 13
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts zu dem Antrag: Den Wettbewerb stär-
ken, den Einsatz offener Dokumentenstan-
dards und offener Dokumentenaustauschfor-
mate fördern (Tagesordnungspunkt 24)
Dr. Martina Krogmann (CDU/CSU): In diesem An-
rag der Koalition geht es um eine der zentralen Fragen
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11255
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für die Informations- und Wissensgesellschaft. Es geht
darum, wie wir es schaffen, Zugang zu Informationen
und zu Wissen für alle zu gewährleisten. Der Zugang
muss diskriminierungsfrei und zukunftssicher sein. Es
darf keine künstlichen Einschränkungen geben, die un-
sere Innovationskraft lahmen oder unnötige Kosten ver-
ursachen. Deshalb will die Große Koalition das Be-
wusstsein von Verwaltung, Wirtschaft und Bürgern für
die Bedeutung offener Dokumentenstandards fördern
und fordert die Bundesregierung auf, wo immer es mög-
lich ist, international akzeptierte, offene Dokumenten-
standards einzusetzen, die Wirtschaft bei der Entwick-
lung und Nutzung offener Standards zu unterstützen und
an der Neu- und Fortentwicklung offener Standards und
Dokumentenaustauschformate mitzuwirken.
In der Informationsgesellschaft wird Wissen zum
wertvollsten Rohstoff. Dieses Wissen liegt heute in den
meisten Fällen in elektronisch gespeicherter Form vor.
Für die Verarbeitung und die Übertragung, für die Spei-
cherung und die Archivierung unserer Daten kommen
verschiedenste Dokumentenstandards zum Einsatz – und
genau hier offenbart sich ein grundsätzliches Unterschei-
dungskriterium, das zu einem wettbewerbsentscheiden-
den Faktor werden kann: Auf der einen Seite gibt es pro-
prietäre Dateiformate. Diese sind oft nicht oder nur
ungenügend dokumentiert oder sogar mit prohibitiven
Patenten oder überzogenen Lizenzgebühren belastet.
Auf der anderen Seite gibt es offene Standards in diver-
sen Abstufungen, die sich grundsätzlich durch transpa-
rente Spezifikationen und Interoperabilität auszeichnen.
Anschaulichster Beweis für die Überlegenheit offener
Dokumentenstandards ist das Internet. Ob HTML-Seiten
oder komplexere XML-basierte Formate – jeder kann
weltweit und ohne Beschränkung auf ein bestimmtes Be-
triebssystem oder eine bestimmte Anwendungssoftware
auf diese Dokumente zugreifen und anhand der öffent-
lich zugänglichen Dokumentation auch selbst welche er-
stellen. Diese Offenheit und Transparenz spielten beim
Siegeszug des Internets eine zentrale Rolle. Darüber hi-
naus kann jeder neue Applikationen programmieren, die
diese Dateiformate lesen und schreiben – selbstverständ-
lich ohne Lizenzgebühren an irgendwelche Patentinha-
ber zahlen zu müssen. Davon profitieren natürlich in
erster Linie die kleinen und mittelständischen Software-
entwickler. So sind sie sicher vor willkürlicher Diskrimi-
nierung durch die Großen und können ihre Ressourcen
produktiver einsetzen.
Offene Standards optimieren die Effizienz beim elek-
tronischen Datenaustausch – denken Sie zum Beispiel
nur daran, wie zügig und komfortabel der Umgang mit
PDF-Dateien ist. Der gesamte Workflow wird verein-
facht und die Abläufe beschleunigt.
Offene Standards bringen dem Verbraucher Vorteile:
Sie sind sicherer, transparenter und zuverlässiger.
Offene Standards bedeuten Wettbewerb, Wahlfreiheit
und Innovation. Offene Standards verhindern die Entste-
hung von Monopolen und Abhängigkeitsverhältnissen,
den berüchtigten Lock-in-Effekten.
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Womit wir bei der größten Gefahr wären, die von pro-
rietären Speicherformaten ausgeht: sie können schnell
ur „Sackgasse“ werden, sodass ein Zugriff auf archi-
ierte Dokumente nicht mehr ohne weiteres möglich ist.
n den Anfangszeiten der IT waren praktisch alle kom-
lexeren Dateiformate proprietär und zueinander inkom-
atibel. Einige der Hersteller der ersten Anwendungen
ür Datenbanken oder Tabellenkalkulation existieren
eute gar nicht mehr und die mit diesen Anwendungen
rstellten Dateien können nur unter erheblichem Auf-
and gelesen werden. Wer mal versucht hat, Dokumente
u öffnen, die älter als zehn Jahre sind, weiß vielleicht,
ovon ich rede. Wir laufen also Gefahr, dass wir unsere
espeicherten Informationen in Zukunft nicht mehr voll-
tändig abrufen können oder zeit- und kostenintensive
onvertierungsmaßnahmen erforderlich werden. Auch
eshalb gibt es zu offenen Dokumentenstandards keine
lternative.
Wer Daten in proprietären Formaten speichert, geht
in erhebliches wirtschaftliches Risiko ein: Die immer
chneller werdenden Innovationszyklen in der Software-
ranche führen dazu, dass Dokumente unter Umständen
chon nach wenigen Jahren nicht mehr ohne weiteres
esbar sind. Das darf gerade auch bei dem elektronischen
rchivgut der öffentlichen Hand nicht passieren!
Offene Dokumentenstandards sichern den Zugriff auf
ie gespeicherte Information, nicht nur für heute, son-
ern auch in Zukunft! Gerade bei Großprojekten in
-Government und Verwaltung spielen sie daher eine
entrale Rolle. Mit diesem Antrag wollen wir sicherstel-
en, dass Kommunikation und Datenhaltung in diesen
ichtigen Bereichen entwicklungsoffen und flexibel im-
lementiert werden.
Nur zur Klarstellung: Es geht bei diesem Antrag nicht
m Open Source. Niemand soll gezwungen werden, den
uellcode seiner Software offenzulegen. Es geht einzig
nd allein um die offene Spezifikation und Dokumenta-
ion der Formate, in denen die Informationen abgespei-
hert werden – dies weiß jeder, der sich mit der Materie
eschäftigt hat. Die Nutzungsbedingungen sollen dabei
en Vorgaben der international anerkannten und dafür
uständigen Standardisierungsorganisationen genügen,
amit eine faire und diskriminierungsfreie Verwendung
rmöglicht wird. Wir wenden uns gegen künstlich ge-
chaffene Inkompatibilitäten, denn sie hemmen Innova-
ion und Fortschritt.
Ebenso wenig wollen wir hier bestimmte Standards
estschreiben oder gegenüber anderen bevorzugen –
iese Aufgabe kann nur im freien Wettbewerb der unter-
chiedlichen Standards am Markt gelöst werden.
Der Zugang zu Informationen muss so frei und ein-
ach wie möglich sein. Mit diesem Antrag will die große
oalition die Zirkulation von Wissen – dem entschei-
enden Wertschöpfungsfaktor in der Informationsgesell-
chaft – vereinfachen und fördern. Offene Dokumenten-
tandards und -austauschformate sind der richtige Weg
azu.
11256 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007
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Dr. Uwe Küster (SPD): Was man schwarz auf weiß
besitzt, kann man getrost nach Hause tragen. Wer hat das
nicht früher von seinen Lehrern in der Schule gehört.
Was sagt dieser Spruch aus? Er besagt: Wir verfügen da-
mit über langfristig gesichertes Wissen. Dieses Wissen
ist langfristig abrufbar. Diese Informationen können von
einer Vielzahl beliebiger Personen zu beliebiger Zeit ab-
gerufen und gelesen werden. Vorausgesetzt, sie beherr-
schen Schrift und Sprache. Wir können Bücher, die vor
200 Jahren geschrieben wurden, heute immer noch le-
sen!
Doch gilt diese Volksweisheit auch noch im Compu-
terzeitalter? Heute müssen wir auf andere Formen der
Manifestation unseres Wissen vertrauen: Nämlich der
elektronischen Speicherung von Daten und ihre Lesbar-
keit auf lange Zeit. Die Technik bei Hard- und Software
schreitet so rasant voran, dass die PCs und ihre Anwen-
dersoftware, mit denen wir begonnen haben, schon
längst so veraltet sind wie das Bewirtschaften von
Äckern mit Pferd und Pflug. Wir erleben heute, dass
Neuerungen in der Computerwelt immer kürzere Halb-
wertzeiten haben. Programme werden immer komplexer
und werden in immer kürzeren Zeitabständen durch neue
Programme mit größerem Funktionsumfang ersetzt. Das
hat auch Auswirkungen auf die Datenformate. Wie ver-
hält es sich da mit unseren alten Daten, die wir vor fünf
oder zehn Jahren gespeichert haben? Können unsere ge-
genwärtig genutzten Hightechsysteme noch etwas mit
der guten alten Floppy-Disk anfangen? Sind die mehr-
fach konvertierten Daten nach der fünfzigsten Konver-
tierung ebenso lesbar, wie das Original es war? Wie kön-
nen wir uns Sicherheit verschaffen? Wie können auch
noch unsere Ururenkel Daten lesen, die wir geschrieben
und elektronisch gespeichert haben? Wie verschärft sich
das Problem in der Zukunft, wenn alles so weiter läuft
wie bisher?
Das Textprogramm, mit dem wir vor zehn Jahren ge-
arbeitet haben, gibt es schlichtweg nicht mehr. Damit ist
es nahezu unmöglich, die Texte von damals wieder zu
lesen.
Was wir als Problem im privaten Bereich im Kleinen
erleben, muss im staatlichen Bereich des eGovernment
verhindert werden. Die hier benutzten elektronischen
Dokumente müssen jahrzehntelang lesbar sein. Die
heute notwendige nachträgliche Konvertierung in ein
spezielles, langzeitstabiles Dokumentenformat ist kos-
tenintensiv und birgt die Gefahr eines unbeabsichtigten
Informations- und Funktionsverlustes. Ein funktionie-
rendes eGovernment kommt deshalb ohne die Nutzung
offener Standards nicht mehr aus. Ohne offene Doku-
mentenstandards würde das eGovernment sehr schnell
an seine finanziellen und technischen Grenzen stoßen.
Die Bundesverwaltung verwendet fast ausschließlich
– derzeit circa zu 95 Prozent – die Microsoft Office Soft-
ware-Suite. Die zugehörigen Dokumentenformate sind
„geschlossen“, das heißt, nicht vollständig oder nicht re-
gelmäßig veröffentlicht und ausschließlich durch den
Softwarehersteller kontrolliert. Hieraus resultiert die un-
gewollte Abhängigkeit. Die Entwicklung unabhängiger
Software zur Bearbeitung von Microsoft Office-Doku-
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enten ist unter anderem aus diesem Grund schwierig.
eiterhin behindert die heute weit verbreitete Nutzung
on aktiven Inhalten in Dokumenten die Interoperabili-
ät. Diese Probleme entstehen bereits, wenn man Texte
wischen verschiedenen Office Versionen von Microsoft
ustauscht. Es besteht nahezu keine Möglichkeit, auf
lternative Produkte auszuweichen. Faktisch besteht
ine Softwaremonokultur. Softwaremonokulturen sind
issbrauchsgefährdet und ganze Volkswirtschaften kön-
en durch gezielte Angriffe erheblich geschädigt wer-
en. Diese Gefahr hat auch die Bundesregierung er-
annt.
Im Bereich der Telekommunikation und der Energie-
irtschaft haben wir eine erhebliche Sensibilität für die
efahren von Monopolen entwickelt und sind mit erheb-
ichem Aufwand dabei, ihnen zu begegnen. Diese Sensi-
ilität müssen wir im Bereich der Softwaremonopole
rst noch entwickeln.
Ich kann meiner geschätzten Kollegin Martina Krogmann
ur zustimmen, die an anderer Stelle so treffend formu-
ierte – ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten das
lenarprotokoll der 99. Sitzung am 23. Mai 2007:
Genauso ist es in unserem Interesse, dass wir starke
Wettbewerber haben. Denn nur dann können wir
das Wertschöpfungspotential dieser dynamischen
Branche für Innovationen und sichere Arbeitsplätze
in unserem Land nutzen.
Diesen Wettbewerb wünsche ich mir auch im Bereich
er Anwendungssoftware und hier insbesondere auch im
ereich der Office-Pakete. Um Wettbewerb im Bereich
er elektronischen Dokumente sicherzustellen, ist die
utzung offener Dokumentenstandards unumgänglich.
Auch hier möchte ich meiner überaus weitsichtigen
ollegin Krogmann beipflichten, die sich in ihrer Pres-
emitteilung vom 1. Juni 2007 zu diesem Antrag so zu-
reffend äußerte: Hierin heißt es wörtlich:
Für den Verbraucher wird mit offenen Standards die
Möglichkeit geschaffen, zwischen verschiedenen
Produkten zu wählen. Wahlfreiheit schafft Konkur-
renz und beflügelt somit Wettbewerb und Innova-
tion. Die öffentliche Hand hat die politische Verant-
wortung, sich für die Schaffung offener Märkte
einzusetzen.
Nach dem Antrag sollen Standards als offen be-
trachtet werden, wenn sie den Austausch zwischen
verschiedenen Plattformen und Applikationen er-
möglichen und ausreichend dokumentiert sind. Die
Schnittstellen müssen offen gelegt, ihre Nutzung
muss frei von geistigem Eigentum sein und die
technischen Spezifikationen auch umsetzbar sein.
Die CDU/CSU Fraktion wollte sich dieser Definition
n dem Antrag leider nicht anschließen. Was nicht nur
on mir bedauert wird. Ich bedaure dies auch deshalb,
eil die Bundesregierung in ihrer Definition über offene
okumentenformate im Kern exakt die gleiche Position
ertritt. Nach der Definition der Bundesregierung besit-
en offene Dokumentenformate folgende Eigenschaften:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11257
(A) )
(B) )
Offene Dokumentenformate sind unabhängig. Ein
offenes Dokumentenformat ist standardisiert und
kann von jedermann in seine Office-Software imp-
lementiert und in beliebiger Weise unentgeltlich
und ohne Einschränkung durch Schutzrechte ge-
nutzt werden. Der Nutzer ist nicht von einem be-
stimmten Software-Produkt abhängig.
Offene Dokumentenformate werden in einem offe-
nen Prozess entwickelt. Die Festigung des Stan-
dards erfolgt durch eine Vielzahl interessierter Par-
teien, zum Beispiel Software-Hersteller,
signifikante Anwendergruppen und unabhängige
Experten. Der Zugang zu diesem Prozess ist jedem
Interessierten möglich. Die Entscheidungsprozesse
sind transparent.
Offene Dokumentenformate sind ausreichend do-
kumentiert. Jeder kann die Dokumentation erhalten
und die Formate in eigene Produkte einfügen. Für
die Dokumentation kann ein einmaliges, angemes-
senes Entgelt erhoben werden.
Auch die Opposition teilt diese Definition, wie sie in
ihren Änderungsanträgen deutlich gemacht hat.
In den vergangenen Tagen hat es eine lebhafte Dis-
kussion und auch Irritationen um die Definition des Be-
griffs „Offener Standard“ gegeben. Ich bin seitdem von
mehreren mittelständischen Softwareunternehmen ange-
rufen worden. Sie haben mich darauf hingewiesen, wie
wichtig für sie offene Standards im Sinne der von mir
gerade zitierten Definition sind. Dies gilt nicht nur im
Bereich der Dokumentenstandards, sondern generell für
den Bereich von Standards. Bei diesen Unternehmen
möchte ich mich ausdrücklich bedanken und hinzufü-
gen: Unser Antrag soll den Interessen der mittelständi-
schen Softwareindustrie dienen und nicht den Marktinte-
ressen eines Monopolisten. Mit unserem Antrag leisten
wir einen Beitrag zur Verbesserung der Rahmenbedin-
gungen für mehr Chancengleichheit und Wettbewerb.
Ich möchte an dieser Stelle nicht in den Glaubenskrieg
der Definition offener Standards eintreten, weil ich über-
zeugt bin, dass wir alle mit der von der Regierung ge-
wählten Definition ausgesprochen gut leben können. Wir
sollten aber eine andere Forderung aus unserem Antrag
nicht aus den Augen verlieren:
Für alle Beteiligten muss der Austausch von Doku-
menten und Daten zwischen Behörden, Unterneh-
men und Bürgern ohne große technische Hinder-
nisse möglich sein. Die öffentliche Verwaltung
muss besonderen Wert darauf legen, niemanden
von der Beteiligung an einem elektronischen Ver-
fahren aufgrund der Nutzung eines bestimmten Pro-
duktes auszuschließen.
Diese Forderung haben wir im Bereich des eGovern-
ment noch nicht vollständig umgesetzt. Wir können in
diesem Bereich noch einiges verbessern. Ich möchte an
die elektronische Steuererklärung „Elster“ erinnern, die
von den Bürgerinnen und Bürgern nur unter einem Mi-
crosoft-Betriebssystem nutzbar ist. Eine plattformunab-
hängige Version ist schon vor Jahren in Aussicht gestellt
worden. Es ist aber nicht abzusehen, wann diese verfüg-
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ar sein wird. Solche selbst erzeugten Abhängigkeiten
ilt es zukünftig bereits in der Planungsphase zu verhin-
ern und dort wo sie bereits vorhanden sind, müssen wir
ie abbauen. Ich habe leider den Eindruck, dass diesem
roblemkreis trotz vielfältiger Bemühungen und Fort-
chritte noch nicht die notwendige Aufmerksamkeit ge-
idmet wird. Vielmehr wird es als ein typisches „Spe-
ialistenproblem“ abgetan, um das sich andere kümmern
ollen.
Ich habe kürzlich folgende Bemerkung gehört: „Wa-
um brauchen wir überhaupt einen offenen Standard, wir
aben doch sowieso alle Word?“ Eine solche Bemer-
ung macht zunächst einmal sprachlos, beschreibt aber
enau den Kern unseres Problems. Die Monopolstellung
st schon so in den Köpfen manifestiert und akzeptiert,
ass das Monopol mit einem offenen Standard gleichge-
tellt wird. Tatsächlich ist das Word-Format weit von ei-
em offenen Standard entfernt: Es ist alles andere als ein
ffener Standard! Darum fordern wir die Regierung in
nserem Antrag auf, das Bewusstsein von Bürgerinnen
nd Bürgen, insbesondere aber auch in der eigenen Ver-
altung, für die Bedeutung international akzeptierter,
ffener Dokumentenstandards umfassend zu fördern.
ediglich die Bedeutung im Bewusstsein zu haben, ist
iel zu wenig. Reden und Anträge zu formulieren alleine
enügt nicht. Den Worten müssen Taten folgen. Es ist
etzt Aufgabe der Regierung, dies umzusetzen. Deshalb
ordern wir die Regierung in unserem Antrag auf, für die
ereiche, in denen herstellerabhängige Dokumentenfor-
ate de facto dominieren, aber international akzeptierte,
ffene Dokumentenformate existieren, Migrationspfade
in zu diesen Formaten aufzuzeigen und mittelfristig die
igration durchzuführen.
Lassen Sie mich hier ein Wort an die FDP richten. Sie
aben in der Beratung unseres Antrags im Ausschuss für
irtschaft und Technologie gefordert, diese Aufforde-
ung an die Regierung fallen zu lassen, weil sie unter
mständen zu erheblichen finanziellen Mehrbelastun-
en führen würde.
Das genaue Gegenteil trifft zu: Wenn wir auf diese
orderung verzichten würden, wäre unser Antrag ein
ahnloser Tiger. Die bestehende Monopolsituation
ürde sich auf nicht absehbare Zeit weiter verfestigen.
onopolisten sind nicht Mutter Teresa. Sie verhalten
ich schlicht marktkonform, wenn sie ihre Gewinne ma-
imieren und Konkurrenten aus dem Marktgeschehen
eraushalten. Monopole zwingen uns in ungewollte Ab-
ängigkeiten und führen für uns Nutzer zu hohen Kos-
en. Potenzielle Wettbewerber haben keinerlei Chancen.
Ein Teufelskreis mit fatalen Folgen! Durchbrechen
ir diesen Teufelskreis! Kämpfen wir gemeinsam gegen
as „digitale Vergessen“! Lassen Sie uns unser Wissen
nd unsere Dokumente zukunftssicher machen! Lassen
ie uns offene Dokumentenstandards verbindlich ma-
hen!
Martin Zeil (FDP): Wie die schwarz-rote Koalition
ichtig festgestellt hat, haben Informations- und Kom-
unikationstechnologien im Alltag der meisten Men-
chen eine nicht mehr wegzudenkende Bedeutung er-
11258 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007
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langt. Die Globalisierung und die damit einhergehende
immer intensivere Vernetzung unserer Gesellschaft
sowie immer umfangreichere Produkte und Dienstleis-
tungen machen eine immer bessere Ausstattung mit
Informations- und Kommunikationstechnologien erfor-
derlich. Um die internationale Wettbewerbsfähigkeit
Deutschlands aufrechtzuerhalten ist es notwendig, dass
man sich Weiterentwicklungen nicht in den Weg stellt,
sondern sie begleitet, um die Implementierung ohne Pro-
bleme durchzuführen.
Die Informations- und Kommunikationsbranchen
sind ein wichtiger Innovations- und Wachstumsfaktor in
Deutschland. Sie sind ein unerlässlicher Faktor für den
Strukturwandel, für die Innovationskraft und für die not-
wendige volkswirtschaftliche Produktivitätssteigerung
in Deutschland. Sie versorgen große Teile Deutschlands
mit innovativer Infrastruktur und leisten damit einen
wichtigen Beitrag für Beschäftigung und künftigen
Wohlstand. Dies dient der Stärkung der Wettbewerbsfä-
higkeit des Standortes Deutschland. Die Bedeutung des
Informations- und Kommunikationsmarktes lässt sich
auch an dem erwarteten Marktvolumen ablesen, das in
der deutschen Informations- und Telekommunikations-
branche in diesem Jahr schätzungsweise 150 Milliarden
Euro betragen wird.
Schon allein aus diesem Grund sind ein transparenter,
verlässlicher und effektiver Rechtsrahmen in Deutsch-
land sowie Harmonisierungen auf europäischer Ebene
zwingend erforderlich, um dem Standort Deutschland
auf dem hoffentlich bald beschrittenen Weg zurück an
die Spitze keine unnötigen Steine in den Weg zu legen.
Dazu gehört auch, dass man sich bei der geplanten Ein-
führung von zum Beispiel offenen Standards erst einmal
über die Definition dieser im Klaren ist. Die halbherzige
Einführung von neuen Standards und die damit einher-
gehenden Prozesse, ohne sich in der Materie auszuken-
nen, geschweige denn sich mit den umfangreichen Dis-
kussionen zu den Definitionen auseinanderzusetzen,
führen zu keinen zufriedenstellenden Ergebnissen. Auch
wenn die Regierungskoalition mit ihrem Antrag eine
richtige Richtung einschlägt, so lässt die Ausgestaltung
doch sehr zu wünschen übrig.
Es ist sehr verwunderlich, dass sich die Regierungs-
koalition trotz unseres Antrages bisher nicht im Stande
gesehen hat, zu den Definitionsvorschlägen des
European Interoperability Framework for Pan-European
eGovernment Services der Europäischen Kommission
Stellung zu nehmen. Hier findet sich ein detaillierter
Ausgestaltungsvorschlag, der aber anscheinend bei der
Regierung nicht beachtet wird. Der schwammige Ver-
weis auf internationale Standardisierungsorganisationen
allein genügt nicht, man drückt sich dabei nur vor einer
Definition dessen, was die Regierungskoalition selbst
einführen will. Wenn man eine Systemänderung in ei-
nem solchen Umfang durchführen möchte, dann sollte
eine eindeutige und klare Definition am Beginn der Be-
mühungen stehen, damit jeder weiß, worüber geredet
wird. Wie eine solche Definition ausgestaltet sein kann,
können Sie dem Änderungsantrag der FDP-Fraktion ent-
nehmen, der unter Bezug auf die EU-Kommission eine
klare Definition von offenen Standards beinhaltet.
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Die direkte Forderung, die Migration hin zu offenen
tandards mittelfristig durchzuführen, ist so nicht akzep-
abel. Dies sage ich nicht etwa, weil ich der Nutzung von
ffenen Standards ablehnend gegenüber stünde, sondern
or allem deswegen, weil noch nicht einmal ein grober
berblick über die anfallenden Kosten besteht. Es gab
isher noch keinerlei Evaluierungen oder Kostenplanun-
en seitens der Koalition. Wir reden hier schließlich
icht von der Umstellung eines Computers mit ein paar
ateien, sondern über die Dokumente des Bundes und
er Länder. Dies sind sicherlich Milliarden, wenn nicht
ogar Billionen Dokumente, deren Umwandlung sicher
icht gratis ist und mit erheblichen Aufwand bei der
mstellung von zum Beispiel Software, Arbeitsprozes-
en usw. einhergeht. Jeder, der mal erlebt hat, wie zum
eispiel in einem Unternehmen eine Softwareänderung
urchgeführt wurde, weiß, was für ein enormer Aufwand
amit einhergeht. Prozesse, Hardware, Abläufe, Richtli-
ien usw., alles muss geändert und für das neue System
ngepasst werden. Dies erfordert eine genaue vorherige
lanung.
Womit wir beim nächsten Punkt wären. Sie verpflich-
en mit dem Antrag indirekt auch alle Unternehmen oder
onstigen Organisationen, die mit der öffentlichen Hand
usammenarbeiten, auf die neuen Standards umzustei-
en. Die Belastungen für die einzelnen Unternehmen
ind dabei noch in keinster Weise berücksichtigt worden.
uch darüber hätten Sie sich eigentlich Gedanken ma-
hen sollen!
Ich kann hier nur eindringlich davor warnen, wieder
in Kosten-Fass ohne Boden aufzumachen, bevor man
ich nicht intensiv mit dem Umfang und den Kosten be-
asst hat. Ein gutes Ziel wird wieder mal unausgereift in
inen Antrag gegossen, ohne dass man sich über die Fol-
en im Klaren ist.
Ulla Lötzer (DIE LINKE): Wir behandeln den Antrag
er Koalitionsfraktionen zu offenen Dokumentenstan-
ards mitten in der Nacht. Allein dieser Fakt zeigt schon,
elchen Stellenwert Union und SPD ihrem eigenen An-
rag beimessen. Und es zeigt, wie ernst sie es mit der
örderung von offenen Standards meinen!
Wahrscheinlich hoffen die Koalitionsfraktionen da-
auf, dass um diese Uhrzeit niemand mehr so genau
achschaut, was da eigentlich gefördert werden soll.
chließlich hätten Sie ihren Antrag genauso gut „Wett-
ewerb einschränken! Microsoft-Standards fördern“ be-
iteln können.
Sicherlich – im Großen und Ganzen liest sich der An-
rag der Koalitionsfraktionen gut. Eine Förderung von
ffenen Dokumentenstandards ist schon lange überfällig.
olche Standards schaffen Arbeitserleichterungen durch
mfassende Kompatibilität. Außerdem wird durch sie
rundsätzlich einer Monopolisierung vorgebeugt und ein
ettbewerb bei IT-Anwendungen ermöglicht. Ich kann
er Koalition ausdrücklich recht geben, wenn sie in ih-
em Antrag die Vorteile offener Dokumentenstandards
eschreibt.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11259
(A) )
(B) )
Aber der Teufel steckt wie immer im Detail; in die-
sem Falle in Abs. 13 des Feststellungsteils. Dort erläu-
tern Union und SPD, was sie unter offenen Standards
verstehen. Im ursprünglichen Entwurf hieß es unter an-
derem, die Nutzung offener Standards müsse „zu fairen
und diskriminierungsfreien Konditionen lizenziert wer-
den“. „Fair und diskriminierungsfrei“ spielte auf den
englischen Fachbegriff „Reasonable And Non-Discrimi-
natory“ – RAND – an. RAND-Standards sind Standards,
für deren Nutzung in der Regel Lizenzgebühren bezahlt
oder sonstige hinderliche Bedingungen erfüllt werden
müssen. Solche Standards sind mit den Geschäftsmodel-
len von Anbietern „freier Software“ unkompatibel. Und
RAND-Standards sind vor allem keine offenen Stan-
dards – auch wenn Softwaremonopolisten versuchen,
uns etwas anderes zu erzählen.
Obwohl dieses teuflische Detail im ursprünglichen
Antragsentwurf so gut versteckt war, haben es alle Op-
positionsfraktionen erkannt und Änderungsanträge
gestellt. Aktivisten aus der Freie-Softwareszene und mit-
telständische Softwareunternehmer haben Alarm ge-
schlagen und auf die möglichen Folgen aufmerksam ge-
macht. Und was macht die große Koalition? Sie hat die
kritische Stelle durch eine genauso schlechte Formulie-
rung ersetzt.
Jetzt heißt es in Abs. 13: „Die Ausgestaltung der Nut-
zungsbedingungen soll den Vorgaben der internationalen
Standardisierungsorganisationen entsprechen.“ Mit die-
sem Satz soll das Gefühl vermittelt werden, man orien-
tiere sich an unabhängigen, internationalen Gremien und
werde so allen verschiedenen Interessengruppen gerecht.
Das ist nicht der Fall!
Es gibt keine einheitliche, akzeptable Definition von
offenen Standards bei den drei führenden Standardisie-
rungsorganisationen IEC, ISO und ITU. Allerdings ha-
ben sich diese Organisationen vor kurzem auf eine
gemeinsame Patentpolitik bei internationalen (!) Stan-
dards geeinigt. Die Einigung sieht ausdrücklich vor, dass
bei patentierten Bestandteilen von Standards RAND-
Lizenzen verwendet, also Nutzungsgebühren verlangt
werden können. Was hat die große Koalition also ge-
macht? Sie hat einen Änderungsantrag zu ihrem eigenen
Antrag geschrieben, der eine Formulierung durch eine
gleichbedeutende ersetzt. Diese Arbeit hätten sie sich ei-
gentlich sparen können.
Die Koalition behauptet, sie würde mit ihrem Antrag
einen Ausgleich zwischen Anbietern freier Software und
Softwaremonopolisten schaffen. Das stimmt nicht! Den
Vorschlag der Linken, im Antragstext wenigstens
explizit klarzustellen, dass die Anwendung der Stan-
dards unabhängig vom Geschäftsmodell möglich sein
soll, haben die Koalitionsfraktionen abgelehnt. Damit
haben sie klargestellt, dass es ihnen um eine einseitige
Bevorzugung von Microsoft gegenüber den Geschäfts-
modellen von Anbietern freier Software geht.
Eine Förderung von offenen Standards ist dringend
geboten. Und gerade deshalb muss der vorliegende An-
trag abgelehnt werden. Mit ihm werden keine offenen
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tandards gefördert, sondern gebührenpflichtige Bezahl-
tandards.
Die Linke wird diesen Kniefall vor den Microsoft-
obbyisten nicht mitmachen.
Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): 1086,
lso vor tatsächlich sehr langer Zeit, ließ Wilhelm der
roberer die Besitzverhältnisse in England erfassen und
m „Domesday Book“ aufschreiben. Der Titel des Bu-
hes nimmt Bezug auf den Tag des jüngsten Gerichts –
s sollte angedeutet werden, dass der Inhalt gültig bleibt,
olange es Menschen gibt.
Bis heute ist das Buch gut erhalten und in den briti-
chen National Archives aufbewahrt. 1986 wurde das
uch für 2,5 Millionen Pfund in einer auf Videodiscs ge-
peicherten Multimedia-Show gewürdigt. Leider aber
ar es schon 2003 nicht mehr möglich, die Show anzu-
ehen – die Produktion der Videodisc-Abspielgeräte war
ingestellt worden, die verwendeten Dateiformate wer-
en von keiner Software mehr unterstützt.
Dieser geschichtliche Ausflug zeigt uns, welche Mög-
ichkeiten offene Standards bieten können. Um eine sol-
he Multimediashow der Nachwelt zu erhalten, hätte
an gut dokumentierte, offen zugängliche und breit ab-
estützte Standards gebraucht, mit denen sich Struktur
nd Aussehen von Dateien beschreiben lassen – dann
ätte die Show zukunftsfähig in ein neues langlebiges
ormat migriert werden können.
Offene Standards sind unserer Ansicht nach der rich-
ige Weg, um Dokumente den Lesern und Nutzern auch
ür die Zukunft zu erhalten: Produkte, die auf offenen
tandards basieren, sind nicht abhängig vom wirtschaft-
ichen Erfolg oder Misserfolg eines einzelnen Herstel-
ers. Sie sind investitionssicher und können kostengüns-
ig in vorhandene Systeme implementiert werden.
Deshalb liegt in zweiter Lesung ein Antrag der Koali-
ion vor, die vorgibt, dies ändern zu wollen. Eigentlich
äre diese Initiative ein äußerst begrüßenswerter Vor-
toß. Auch wenn der angesetzte Zeitpunkt dieser Debatte
zu nachtschlafender Zeit – einen anderen Eindruck er-
eckt: Offene Standards gehören zu den Grundpfeilern
iner funktionierenden Wissensgesellschaft.
Sie erleichtern den Wissenstransfer in der Gesell-
chaft. Kleinen und mittleren Unternehmen wird der
ugang zu Informationsmärkten erleichtert und der
ettbewerb im Bereich der Informations- und Kommu-
ikationstechnologien wird durch Herstellerunabhängig-
eit gestärkt.
Durch die Entwicklung des Internets in den letzten
ahren wird uns deutlich, wie sinnvoll offene Standards
ind. Der HTML-Standard hat die Nutzung vereinfacht,
ie Verbreitung beschleunigt und letztendlich dem welt-
eiten Netz zu Popularität und Wachstum verholfen.
Das Ärgerliche ist: die große Koalition gibt mit ihrem
ntrag lediglich vor, offene Standards zu fördern. Tat-
ächlich aber verkauft sie eine Hülle, hinter der sich eine
ittelstands- und wissenschaftsfeindliche Privilegierung
er Softwaregiganten verbirgt.
11260 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007
(A) )
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Der Teufel steckt hier im Detail – ein einziger Halb-
satz des Antrags macht die vorgetäuschte Intention des
Antrags zunichte. Dort heißt es:
Die Schnittstellen müssen offen gelegt, die techni-
schen Spezifikationen auch umsetzbar sein. Die
Ausgestaltung der Nutzungsbedingungen soll dabei
den Vorgaben der internationalen Standardisie-
rungsorganisationen entsprechen.
Die internationalen Organisationen haben jedoch un-
terschiedliche Vorgaben für die Nutzung von Standards;
einige akzeptieren lizenzpflichtige Standards. Damit de-
finieren sie einfach neu, welche Standards das Etikett
„offen“ erhalten. Das diese tatsächlich gar nicht „offen“
sind, wird erst auf den zweiten Blick deutlich. Mit dieser
Definition sind offene Standards so weit gefasst, dass da-
mit gebührenpflichtige, patentierte Standards nicht aus-
geschlossen sind.
Offene Standards zeichnen sich aber gerade dadurch
aus, dass sie eben nicht als geistiges oder geldwertes Ei-
gentum eines einzelnen Unternehmens gelten. Offene
Standards sind von verschiedenen Akteuren aus dem IT-
Bereich entwickelt und sind öffentlich zur Verfügung ge-
stellt. Denn nur diese Vorraussetzungen bringen den ent-
scheidenden Mehrwert für unsere Wirtschaft und Gesell-
schaft. Nur dann weisen offene Standards eine höhere
Kompatibilität auf. Nur dann sind sie lizenzfrei, nur
dann sind sie gebührenfrei anwendbar und nur dann ist
die Fortentwicklung im offenen Beratungsprozess durch
alle interessierten Parteien gewährleistet.
Das Europäische Interoperabilitätsrahmenwerk der
Europäischen Kommission hat eine Definition offener
Standards festgelegt, die all diese Bedingungen erfüllt.
Doch die Koalition geht lieber einen deutschen Sonder-
weg. Sie definiert einfach um, was als offener Standard
gelten soll. Die grundsätzliche Intention ihres Antrags ist
dadurch zunichte gemacht.
Das ist so, als würde man umweltfreundliche Autos
fördern wollen, indem man Benzinschluckern wie die
großen Sportgeländewagen – Q7, X5, Touareg und wie
sie alle heißen – das Label „umweltfreundlich“ gewährt.
Auch wenn diese gerne mal 12 Liter auf 100 km schlu-
cken und eine miserable CO2-Bilanz aufweisen. Ebenso
verhält sich das mit der Umdefinition offener Standards
im uns vorliegenden Antrag. Es handelt sich um eine Ir-
reführung sondergleichen.
Die große Koalition vergibt hier ohne Not die gewal-
tige Chance, große Verbesserungen für die kleinen und
mittelständischen Unternehmen, für Wissenschaft und
Forschung, für Bibliotheken und die Verwaltung durch
die Förderung offener Standards zu schaffen.
Nichts dergleichen aber tut sie mit diesem Antrag!
Stattdessen stärkt sie die Monopolisten und schützt sie
vor innovativen Konkurrenten. Dieser Antrag ist eine
unglaubliche Dienstleistung für allseits bekannte Lobby-
isten.
Die Koalition möchte in das bestehende Marktmodell
nicht eingreifen; das aber geschieht hiermit. Anbieter
freier Software werden diskriminiert, da sie keine Mittel
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ereitstellen können, um Standards zu lizenzieren. Daher
ürden wir es vorziehen, die Koalition würde es sein
assen mit diesem Antrag, denn er gibt etwas vor, was er
icht halten kann.
Wir haben unsere Verhandlungsbereitschaft mehrmals
ignalisiert und ihnen verschiedene andere Definitionen
offener Standards“ vorgeschlagen. Alle wurden von Ih-
en abgelehnt.
Das zeigt, dass Ihnen der Mittelstand völlig egal ist.
ie wollen die großen Player im Markt stärken. Dann
itte seien sie so ehrlich und betiteln sie Ihren Antrag
uch entsprechend. Wie wäre es mit „Microsoft im Soft-
aremarkt stärken“?
Aus den genannten Gründen haben wir dem Antrag
nsere Zustimmung verwehrt.
nlage 14
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Anträge:
– Ermäßigung der Visumgebühr für Men-
schen aus Belarus
– Ermäßigung der Visumgebühr für Bürge-
rinnen und Bürger aus Belarus
(Zusatztagesordnungspunkte 12 und 13)
Manfred Grund (CDU/CSU): Die autoritäre Herr-
chaft Präsident Lukaschenkos dauert seit 1994 an. Vor
twas mehr als einem Jahr ließ er sich für eine weitere
mtszeit als Staatschef bestätigen. Dies geschah im
ahmen von Wahlen, die von den Wahlbeobachtern der
SZE, zu denen auch ich gehört habe, als undemokra-
isch und manipuliert bewertet wurden.
Fast eine ganze Generation junger Belarussen hat bis-
ang kein anderes politisches System kennengelernt als
as Regime Lukaschenkos. In diesem Regime wird die
einungsfreiheit unterdrückt. Unabhängige Medien
xistieren nicht mehr. Politische Gegner sind ver-
chwunden oder zu Haftstrafen verurteilt worden. Präsi-
entschaftskandidat Alexander Kozulin befindet sich
ach wie vor im Gefängnis, allen internationalen Protes-
en zum Trotz.
Menschenrechte werden missachtet. Es fehlt an De-
okratie, Rechtstaatlichkeit und Pluralismus. Auch die
ivilgesellschaft ist entsprechend unterentwickelt. Das
egime rechtfertigt sich mit einer antiwestlichen Propa-
anda und versucht, Belarus von äußeren Einflüssen ab-
uschotten.
Die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen wird
ehindert, wenn nicht unmöglich gemacht. Davon be-
roffen ist unter anderem auch die politische Bildungs-
rbeit der parteinahen Stiftungen in Deutschland. Die
öglichkeiten, auf die Bildungs- und Informations-
hancen in Belarus Einfluss zu nehmen, sind begrenzt.
Umso wichtiger ist es, dass gerade junge Belarussen
ie Chance erhalten, durch Auslandsreisen in westliche
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11261
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Länder eigene Eindrücke von demokratischen und rechts-
staatlichen Verhältnissen zu gewinnen. Heute müssen
wir uns fragen, mit welchen Erfahrungen, welchen Ideen
und Werten die kommende Generation von Belarussen
heranwächst, eine Generation, die in absehbarer Zeit die
politische Verantwortung für ihr Land tragen wird – Ver-
antwortung als Bürger und Wähler und in politischen,
wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Funktionen.
Darüber wird sich die Zukunft von Belarus maßgeb-
lich mit entscheiden und damit auch eine Frage von Sta-
bilität und Sicherheit an den heutigen Außengrenzen der
EU. Deshalb liegt die Eröffnung von Reisemöglichkei-
ten für junge Belarussen grundsätzlich im übergeordne-
ten Interesse auch Deutschlands und der EU. In diesem
Ziel sind sich Vertreter aller Fraktionen einig.
Hinzu kommt ein weiteres Motiv, das ich nicht uner-
wähnt lassen will. Dies betrifft die Besuchs-, Erholungs-
und Behandlungsmöglichkeiten für Tschernobylkinder,
an denen wir festhalten möchten.
Die bisherige Visapolitik hat diesen Zielen durchaus
Rechnung getragen. Pro Kopf der Bevölkerung wurden
in Belarus im vergangenen Jahr mehr als drei Mal so
viele Schengenvisa ausgestellt wie beispielsweise in der
Ukraine.
Jedoch wurden zu Beginn dieses Jahres die Gebühren
für Schengenvisa von 35 auf 60 Euro erhöht. Gemessen
am durchschnittlichen Monatseinkommen in Belarus er-
reichen sie damit ein Niveau, das die Reisemöglichkei-
ten vieler Bürger allein aus finanziellen Gründen deut-
lich beeinträchtigt.
Die beiden Anträge, die Ihnen heute vorliegen, zielen
darauf, diese Hürde nach Möglichkeit abzubauen. Es
geht nicht darum, die Erlangung von Visa tatsächlich zu
erleichtern, indem die Kriterien für die Vergabe geändert
oder relativiert werden sollten, sondern es geht um die
Möglichkeit Gebühren zu ermäßigen, wenn diese Krite-
rien erfüllt sind. In diesem Ziel sind wir uns einig.
Mit anderen Ländern Osteuropas wurden oder werden
Visaerleichterungsabkommen ausgehandelt. Doch in
Belarus hat die Regierung bislang wenig ernsthaftes In-
teresse an Reiseerleichterungen für ihre Bürger gezeigt.
Für uns stellt sich damit die Frage, ob wir Lukaschenko
nicht unfreiwillig unterstützen, wenn wir in diesem Fall
nicht auch zu einseitigen Schritten bereit sind.
Die vorliegenden Anträge versuchen, eine Antwort
auf dieses Problem zu geben. Ihre Formulierungen sind
über weite Strecken das Produkt interfraktioneller Ab-
stimmungen und deshalb identisch. In den Intentionen
stimmen wir mit dem Antrag der Fraktionen des Bünd-
nisses 90/Die Grünen und der FDP überein. Wenn wir
ihm in dieser Form trotzdem die Zustimmung versagen
müssen, so hat dies rechtliche Gründe:
In beiden Anträgen wird auf die Entscheidung des
EU-Ministerrates vom 1. Juni 2006 verwiesen, die ein-
zelfallbezogene Gebührenermäßigung für Schengenvisa
zulässt. Zugleich wird auf die weiter gehenden Regelun-
gen der deutschen Aufenthaltsverordnung Bezug ge-
nommen, nach der Ermäßigungen für ganze Personen-
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ruppen möglich wären. Aber diese Regelungen gelten
icht unabhängig von den EU-Bestimmungen. Das Pro-
lem, das der Antrag der Fraktionen von Bündnis 90/Die
rünen und der FDP aufwirft, liegt darin, dass dieser
orbehalt nicht berücksichtigt wird.
In der vorliegenden Fassung bezieht sich dieser An-
rag auf die Einzelfallregelung des Ratsbeschlusses, um
ann aber zur Ermäßigung oder Befreiung von Gebühren
ür ganze Personengruppen aufzufordern. Insbesondere
st vorgesehen, die Visumgebühr generell zu ermäßigen,
enn Antragsteller nur über geringe Einkommen verfü-
en. Unabhängig von der Frage der politischen Opportu-
ität oder Inopportunität einer solchen Regelung sind
ir der Überzeugung, dass dieses Paradoxon einer pau-
chalen Einzelfallermäßigung mit den Rechtsgrundlagen
icht zu vereinbaren ist.
Deshalb haben wir einen abgewandelten Antrag vor-
elegt. Darin haben wir erstens die Forderung gestri-
hen, pauschal die Gebühren für alle Personen mit nied-
igen Einkommen zu ermäßigen. Zweitens haben wir die
idersprüchlich erscheinende Formulierung, nach der
ie unter Abschnitt II Punkt 2 genannten Personengrup-
en „im jeweiligen Einzelfall“ von Gebühren befreit
erden sollen, durch die in unseren Augen rechtskonfor-
ere Aufforderung ersetzt, solche Personen besonders
u berücksichtigen. Drittens möchten wir auch noch die
ngehörigen kirchlicher Organisationen mit einbezogen
ehen. Ich gehe aber davon aus, dass dies kein strittiger
unkt gewesen wäre.
Unser Antrag greift die gemeinsam abgestimmten
ormulierungen auf, passt die Forderungen aber an die
estehende Rechtslage an. Es wäre mein Wunsch, dass
ir in dieser Frage eine Klärung herbeiführen könnten,
ie vielleicht doch noch den Weg zu einer gemeinsamen
ntschließung bereiten könnte.
Ute Zapf (SPD): Der Bundestag beobachtet seit Jah-
en die Entwicklung in Belarus sehr aufmerksam und hat
ich schon oft mit Anträgen zu Belarus beschäftigt. Wir
aben hier eine kleine, aber sehr aktive Parlamentarier-
ruppe, in der sich äußerst engagierte Kolleginnen und
ollegen mit Belarus beschäftigen.
Der deutsche Botschafter in Minsk unterstützt uns
ehr bei der Arbeit und ist seinerseits bemüht um einen
ialog auf allen Ebenen: der Regierung, der Administra-
ion und nicht zuletzt der Opposition und der Zivilgesell-
chaft.
Unser gemeinsames Ziel sind Fortschritte für die De-
okratie und die Gesellschaft in Belarus. Dazu gehört
uch die Unterstützung zahlreicher Projekte, die durch
ie Bundesregierung, insbesondere durch das BMZ, fi-
anziert und durch das Institut für Bildung und Begeg-
ung in Dortmund und Minsk koordiniert werden. Mit
iesen Projekten unterstützen wir Belarus humanitär,
as die Folgen des Unfalls von Tschernobyl anbelangt.
ir unterstützen soziale und Bildungsprojekte, wir
nüpfen und verdichten aber auch Kontakte und Bezie-
ungen zwischen der deutschen und der belarussischen
ivilgesellschaft.
11262 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007
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Gerade die Arbeit dieser zivilgesellschaftlichen Pro-
jekte befindet sich auf einer Gratwanderung. Sie sind
immer bedroht von Behinderungen durch die Adminis-
tration, die jede eigenständige Regung in der Gesell-
schaft ängstlich beobachtet.
In den letzten Jahren, insbesondere im Vorfeld der
Präsidentenwahlen vom März 2006, hat sich die Situa-
tion in vieler Hinsicht verschlechtert. Die Arbeitsmög-
lichkeiten für die Presse wurden dramatisch verschlech-
tert. Unabhängige Zeitungen können nicht mehr über die
üblichen Verteilersysteme verteilt werden. In der Folge
mussten viele schließen.
Eigenständige Journalisten und Oppositionspolitiker
werden politisch verfolgt und mit fadenscheinigen Be-
gründungen ins Gefängnis gesteckt. Einige Journalisten
sind seit Jahren verschwunden, und die belarussischen
Behörden zeigen kein ernsthaftes Interesse an einer Auf-
klärung der Fälle.
Die Europäische Humanistische Universität wurde
geschlossen; demokratieorientierte Studenten wurden
unter Druck gesetzt. Gerade vor diesem Hintergrund ist
es unser Interesse, die Kontakte und die Gesprächsmög-
lichkeiten der deutschen und der belarussischen Zivilge-
sellschaft zu verstärken und auszubauen. Diesem Ziel
dient unser Antrag.
Er will einige Härten der Visabeschlüsse im Rahmen
von Schengen ausgleichen. Die belarussische Zivilge-
sellschaft ist von den Beschlüssen, insbesondere von der
Erhöhung der Visumgebühren, betroffen, und wir wollen
das zum Teil ausgleichen. Im Fall anderer Staaten wie
der Ukraine gibt es Sonderabkommen zwischen der Eu-
ropäischen Union und dem jeweiligen Land. Mit Belarus
ist das aufgrund seiner isolierten Lage in Europa nicht
möglich.
Wir müssen aber verhindern, dass darunter die Fal-
schen, nämlich die Zivilgesellschaft und insbesondere
die jungen Menschen in Belarus leiden müssen. Diesem
Ziel soll unser Beschluss dienen.
Dabei kommt es darauf an, den Spielraum zu nutzen,
den wir haben, um gerade den Menschen in Belarus zu
helfen, die die Verbreitung der europäischen Idee wol-
len. Besonders jungen Menschen sollten wir die Chance
geben, uns, unsere Gesellschaft, unser politisches Sys-
tem direkt kennenzulernen.
Wir müssen das im Rahmen des Schengenabkom-
mens tun, das uns die Hände bindet.
Belarus hat seine Hausaufgaben noch nicht gemacht,
denn es erfüllt nicht die Verpflichtungen, die es als
OSZE-Mitglied selbst unterzeichnet hat. Dennoch waren
in letzter Zeit einige Fortschritte zu sehen. Zum Beispiel
konnte im Rahmen der ad hoc Working Group on Bela-
rus im März dieses Jahres ein Seminar durchgeführt wer-
den, bei dem Vertreter des belarussischen Parlamentes
erstmals seit langem wieder einen offenen Dialog mit
Vertretern der Zivilgesellschaft und der politischen Op-
position geführt haben.
Es gibt eine Hoffnung, dass die Europäische Kom-
mission in Minsk eine Vertretung eröffnen kann. Zumin-
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est gibt es entsprechende Signale aus Belarus. Hoffen
ir, dass es dazu kommen wird. Auch das wäre ein
chritt in Richtung einer Annäherung an die Europäi-
che Union.
Wir – damit meine ich die Europäische Union, nicht
ur Deutschland – sind für Belarus ein wichtiger Han-
elspartner. Damit können wir auch Druck auf die Re-
ierung und die Administration ausüben.
Die EU hat im letzten November Belarus weitrei-
hende Vorschläge unterbreitet. Kern des Angebots war,
as Belarus sich an der europäischen Nachbarschaftspo-
itik beteiligen könne und damit in den Genuss eines
artnerschaftsverhältnisses mit der EU kommen könnte.
avon würde die gesamte belarussische Gesellschaft
rofitieren. Es hätte Reiseerleichterungen für die bela-
ussischen Bürger zur Folge. Es würde die Chancen ei-
es wirtschaftlichen Aufschwungs aufgrund von Handel
nd Kooperation erhöhen. Die medizinische Versorgung
önnte verbessert werden.
Dazu muss Belarus aber auch der EU entgegenkom-
en, sich den Standards der EU sichtbar, substanziell
nd nachhaltig annähern. Dazu gehört unter anderem die
espektierung der Rechte der Bürgerinnen und Bürger
uf freie und demokratischen Wahlen, die Respektierung
er Rechte auf unabhängige Informationen und Mei-
ungsfreiheit, die Respektierung der Versammlungsfrei-
eit, die Freilassung aller politischen Gefangenen, der
inderheitenschutz, und die Abschaffung der Todes-
trafe.
Belarus hat diese Prinzipien als OSZE-Mitglied aner-
annt und hat hier eine Bringschuld. Ich will diesen Pro-
ess weiter durch einen möglichst breiten, auch offenen
nd konsequenten Dialog mit den politischen Kräften in
elarus fördern.
Ich hoffe, dass wir im parlamentarischen Verfahren zu
inem von einer möglichst breiten Mehrheit getragenen
ntrag kommen. Das war leider bisher nicht möglich, da
n vielen Köpfen noch das Ukrainetrauma der Visumver-
abe kreist. Der politische Mehrwert wäre meiner An-
icht nach höher, wenn wir zu einem gemeinsamen An-
rag kommen könnten.
Michael Link (Heilbronn) (FDP): Bereits zu Beginn
es vergangenen Jahres haben wir im Zusammenhang
it den dort anstehenden Präsidentschaftswahlen über
nseren östlichen EU-Nachbarn Belarus debattiert. Da-
ei herrschte in der Analyse des Zustands des Landes
eitgehende Einigkeit in diesem Hause: Seit seinem
mtsantritt im Jahre 1994 führte Alexander
ukaschenko wieder diktatorische Verhältnisse sowjeti-
cher Prägung ein. Freiheitsrechte wie die Meinungs-
nd Versammlungsfreiheit werden mit Füßen getreten.
mmer wieder werden wir mit Nachrichten konfrontiert,
ass Journalisten, Studenten und Oppositionelle aus po-
itischen Gründen verhaftet und körperlich misshandelt
erden. Verschiedene Vorgänge vor und nach den Wah-
en im März letzten Jahres förderten entsprechende Be-
ege zutage. Die Hoffnung auf mehr Demokratie für das
and wurde ein weiteres Mal enttäuscht. So wurden die
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11263
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Wahlen unter anderem von der Ankündigung des Ge-
heimdienstes begleitet, gegen Gegner der Regierung mit
lebenslanger Haft und sogar Todesstrafen vorzugehen.
Völlig zu Recht bezeichnete Aljaksandr Milinkewitsch
diesen Urnengang als eine Farce. Dies dürfen wir nicht
vergessen!
So vergessen wir auch nicht Alexander Kasulin. Der
ehemalige Präsidentschaftskandidat wurde zu fünfein-
halb Jahren Gefängnis verurteilt. Alexander Kasulin
wurde allein wegen der Wahrnehmung seines Rechts auf
freie Meinungsäußerung, Versammlungs- und Vereini-
gungsfreiheit inhaftiert („Frankfurter Rundschau“,
19. Juni). Nicht weiter verwunderlich ist dabei auch,
dass Lukaschenko nun auch eine „strategische Partner-
schaft“ mit Herrn Ahmadinedschad eingegangen ist
(„Die Welt“, 23. Mai). Fast ist man versucht, zu sagen:
„Gleich und gleich gesellt sich gern! Anatoli Lebedko
hat recht, wenn er sagt, dass das, was diese „Herrschaf-
ten“ miteinander verbindet, die Ablehnung unserer ge-
meinsamen pluralistischen europäischen Werte ist.
Es ist unsere Pflicht, dass wir den demokratischen
und zivilgesellschaftlichen Kräften Weißrusslands un-
sere volle Unterstützung garantieren. Kontraproduktiv
ist hierbei aus unserer Sicht der Entschluss der Justiz-
und Innenminister der EU, die Visumgebühren für
Schengenvisa zum 1. Januar dieses Jahres zu erhöhen.
Denn für die Bürger Weißrusslands bedeutet dies, dass
hiermit ein weiteres Freiheitsrecht zumindest einge-
schränkt und für viele Menschen schlicht unbezahlbar
wird. Im Übrigen ist es auch bedauerlich, dass das Man-
dat des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen für
Belarus (sowie für Kuba) nicht verlängert worden ist,
zur Freude von Herrn Lukaschenko.
Auch ist es paradoxerweise indirekt in Lukaschenkos
Sinne, dass es mit der Erhöhung der Visagebühren für
zahlreiche Weißrussen letztendlich unmöglich wird, aus-
zureisen und sich mit Menschen der Europäischen Union
auszutauschen. So kann das selbsternannte „Väterchen“
sein Volk weiterhin monopolistisch ausrichten und mit
seiner Ideologie versorgen. Ohne die Möglichkeit zum
eigenen Augenschein über den Westen sind die Weißrus-
sen so alleine der verzerrten Wahrnehmung des Westens
in den gleichgeschalteten Medien ausgesetzt.
Leider werden von den erhöhten Visagebühren in ers-
ter Linie junge Menschen betroffen sein. Dabei ist es ge-
rade die junge Generation in Belarus, die für den Aufbau
und die Fortentwicklung einer Zivilgesellschaft ent-
scheidend ist: durch den Kontakt mit der Außenwelt, mit
Gleichgesinnten oder schlicht der Erweiterung des eige-
nen Horizonts.
In seinem Grußwort an das weißrussische Volk vom
25. März dieses Jahres brachte es Kommissionspräsident
Jose Manuel Barroso mit der Idee des vereinten Europa
und seiner über fünf Jahrzehnte erzielten Errungenschaf-
ten auf den Punkt: „Jene Errungenschaften sind untrenn-
bar mit den tief verwurzelten demokratischen Werten der
Demokratie, der Menschenrechte und der Rechtsstaat-
lichkeit verknüpft.“ Und Belarus befindet sich in dieser
Hinsicht leider noch auf einem langen Weg.
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Die europäische Nachbarschaftspolitik ist ein Bau-
tein zur Unterstützung der demokratischen Opposition
owie der weißrussischen Zivilgesellschaft. Kernziele
er grenzübergreifenden Zusammenarbeit an den Au-
engrenzen der Union sind: Förderung einer nachhalti-
en Entwicklung auf beiden Seiten der EU-Außengren-
en, Verringerung der Unterschiede im Lebensstandard
n diesen Grenzen, Bewältigung der Herausforderungen
nd Nutzung der Chancen, die sich aus der Nachbar-
chaft zur Europäischen Union ergeben.
Zentral ist für mich dabei die Förderung lokaler
renzübergreifender sogenannter „people-to-people“-
aßnahmen. Hier sollen zusätzlich zu den Maßnahmen
uf nationaler und regionaler Ebene Möglichkeiten ge-
chaffen werden, die direkten Kontakte zwischen den
enschen und Zivilgesellschaften auszubauen. Eine Er-
öhung der Visagebühren ist dabei kontraproduktiv!
Wir fordern die Bundesregierung auf, nicht nur einen
ppell zur wohlwollenden Behandlung der Visaanträge
u formulieren – dies ist nicht ausreichend –, sondern
arauf hinzuwirken, junge Menschen, Künstler und An-
ehörige von Menschrechtsorganisationen generell von
er Visumgebühr zu befreien. Wir haben bereits in zwei
nträgen den demokratischen Kräften in Belarus unsere
nterstützung zugesichert. In diesem Fall könnten wir
ie Unterstützung konkret umsetzen. Jetzt müssen unse-
en Worten endlich Taten folgen.
Dr. Norman Paech (DIE LINKE): Vor gut einem
ahr haben wir in diesem Hause über die Unterstützung
er Demokratiebewegung in Belarus debattiert. Wir wa-
en uns damals in vielen Punkten einig: in der Verteidi-
ung des Demonstrationsrechts, in der Kritik an den
erhaftungen friedlicher Demonstranten und der Sus-
endierung kritischer Studentinnen and Studenten von
niversitäten und Schulen.
Uneins waren wir in der Frage, wie die Demokratie-
ewegung in Belarus zu unterstützen sei. Unsere Frak-
ion hat sich damals wie heute für den Weg des Dialogs
usgesprochen, nicht den Weg der Sanktionen, wie ihn
er Antrag von FDP und Grünen forderte.
Heute müssen wir sagen: Der damals eingeschlagene
eg der Sanktionen ist gescheitert. Das Ziel der Sank-
ionen, die Administration des Präsidenten Lukaschenko
u mehr Demokratie zu bewegen, die Möglichkeiten der
pposition zu verbessern, ist nicht eingetreten, im Ge-
enteil: Die Situation in Belarus ist heute verhärteter
enn je.
Die Linke hat sich für die Rechte der Opposition en-
agiert, im Bundestag und in bilateralen Gesprächen.
ir wollten eine solche Verhärtung vermeiden durch
ine Einbindung des Landes in den europäischen Dialog.
ehr Kontakte, mehr Gespräche, mehr Reisen, mehr
erträge mit der Regierung, der Opposition und den ge-
ellschaftlichen Gruppen – das war das Konzept der Lin-
en.
In dem heute vorliegenden Antrag ist weder eine Be-
ertung des damals eingeschlagenen Kurses der Sank-
11264 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007
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tionen zu finden noch irgendeine Art des Konzepts zur
Unterstützung der Demokratiebewegung.
Stattdessen fordert der Antrag, die Visagebühren für
einen begrenzten Personenkreis zu ermäßigen bzw. ganz
darauf zu verzichten. Gegen die Senkung bzw. den Er-
lass von Visagebühren hat die Linke nichts einzuwen-
den. Wir wünschen uns einen Austausch von Schülerin-
nen und Schülern, Studentinnen und Studenten, und
würden es begrüßen, wenn die kulturellen und künstleri-
schen Beziehungen ebenso wie die internationalen De-
batten von Menschenrechtsorganisationen lebendiger
werden könnten.
Mit der Erleichterung, ein Visum zu erhalten, bei
gleichzeitigem Festhalten an einer Politik der Isolation
wird jedoch für die Menschen in Belarus nicht viel zu er-
reichen sein. Die Kombination von Erleichterung des
Reisens und politischem Dialog mit der weißrussischen
Regierung hätte eine bessere Chance, die Beziehungen
zu normalisieren.
Dem Antrag fehlt es an einer Bilanz, und er hält an ei-
ner gescheiterten Politik fest. Gegen Erleichterungen im
Visaverfahren, wie in dem Antrag gefordert, haben wir
nichts einzuwenden. Wir sind allerdings der Auffassung,
dass diese als ein Angebot an die Regierung formuliert
werden sollten und nicht als Kampfansage. In dieser Ab-
wägung werden wir uns der Stimme enthalten.
Marieluise Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In
Belarus herrscht das restriktivste autokratische Regime
in Europa. Es gibt keine freien Wahlen, Versammlungs-
und Meinungsfreiheit werden nicht gewährt, oppositio-
nelle Politiker werden systematisch verfolgt und zu ho-
hen Haftstrafen verurteilt. Alle elektronischen Medien
unterliegen der direkten Kontrolle der Präsidialadminis-
tration, unabhängige Zeitungen dürfen nicht vertrieben
werden und existieren damit faktisch nicht mehr. Wie
auch in Russland wurden NGO- und Extremismusge-
setze erlassen, die mit ihrer schwammigen Formulierung
zur Verfolgung kritischer Stimmen dienen und zivilge-
sellschaftliches Engagement im Keim ersticken sollen.
Deshalb war es gut, dass der Bundestag sich aus An-
lass der Präsidentenwahlen mit zwei Anträgen zu Bela-
rus befasste und sich fast einmütig zur Unterstützung der
weißrussischen Opposition in Belarus verpflichtete. Und
es war wohltuend, dass die Bundeskanzlerin und Kom-
missionspräsident Barroso in ihren Reden zu den Feier-
lichkeiten der Römischen Verträge am 25. März 2007
den demokratischen Kräften in Belarus ebenfalls ihre
Unterstützung zusagten. Das war überfällig, denn allzu
lang war Belarus nur ein schwarzes Loch in der europäi-
schen Nachbarschaftspolitik. Der EU fehlte schlichtweg
ein Konzept im Umgang mit der letzten Diktatur Euro-
pas.
In seiner kürzlichen Erklärung zur Weiterentwicklung
der europäschen Nachbarschaftspolitik betont Außenmi-
nister Steinmeier die Bedeutung des zivilgesellschaftli-
chen Austausches für die Transformationsstaaten in Ost-
europa. Und tatsächlich haben wir mit dem freien
Reiseverkehr, mit der Begegnung und dem Kontakt zwi-
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chen Menschen das wirksamste Instrument der EU in
er Hand, um eine Öffnung von Belarus zu fördern. Frei-
eit ist verführerisch. Das wissen autoritäre Herrscher
ie Lukaschenko – und wir sollten ihm nicht dabei be-
ilflich sein, seine Menschen einzusperren. Wichtig ist
ie Möglichkeit zu reisen vor allem für die jungen Men-
chen des Landes; denn sie sind die zukünftigen Eliten,
nd nach nunmehr 13 Jahren autoritärer Herrschaft
ächst in diesem Lande eine „Generation Lukaschenko“
eran, die zeitlebens der Propaganda und Indoktrination
es Regimes ausgesetzt war.
Ohne es zu wollen, hat die EU mit der Erhöhung der
isumgebühren für den Schengenraum zum 1. Januar
007 auf 60 Euro den Austausch der Menschen aber zu-
ätzlich erschwert und schränkt auf diese Weise den Be-
egungsspielraum für weißrussische Bürgerinnen und
ürger ein. Ein Visum kostet nun fast ein Drittel eines
elarussischen Monatseinkommens und ist damit für
iele unerschwinglich.
Die vielfältigen Kontakte, die es Jahr für Jahr zwi-
chen deutschen und belarussischen Familien gibt, weil
erienkinder zur gesundheitlichen Erholung nach
eutschland kommen, sind über diese zusätzlichen Kos-
en gefährdet. Ich weiß von Kollegen aus dem Bundes-
ag, dass sie bei den Sponsoren „betteln“ gehen, um
iese Kontakte nicht an den erhöhten Kosten der Visum-
ebühren scheitern zu lassen.
Es ist im Übrigen sehr vielsagend, dass nach der Ge-
ührenerhöhung für die GUS-Staaten Russland und die
kraine die Gebühren nach Antrag derer Regierungen
ei 35 Euro geblieben sind. Die Regierung Lukaschenko
at einen solchen Antrag nicht gestellt – sie hat nämlich
ein Interesse, dass die Bürgerinnen und Bürger durch
as Reisen mit der Erfahrung von Freiheit nach Belarus
urückkehren. Belarus ist damit das einzige Land an der
stgrenze der EU, das nun diese hohen Gebühren ent-
ichten muss.
Ich möchte mich an dieser Stelle explizit für die au-
erordentlich kollegiale Haltung des Generalsekretärs
ofalla bedanken, der durch eine gemeinsame Reise
uch mir wieder den Zugang nach Belarus eröffnet hat.
uf dieser gemeinsamen Reise konnten wir lernen, dass
rankreich sehr klug die Politik des Einsperrens aushe-
elt: Alle jungen Menschen bis 25, die ein Visum für
rankreich beantragen, sind von den Kosten freigestellt.
ir fanden dieses Vorgehen eine kluge Idee und wollten
ie auch für die deutschen Konsulate umsetzen. Aber of-
ensichtlich ist der Graben zwischen Außen- und Innen-
olitikern immer noch so groß, dass es zu meinem gro-
en Bedauern zu einer klaren und eindeutigen Regelung
n einem interfraktionellen Antrag letztlich doch nicht
ekommen ist.
Dieser Konflikt ist uns Außenpolitikern allen be-
annt. Wir erleben auf unseren Reisen immer wieder,
ass der Austausch und die Begegnung gerade in Bezug
uf Bürgerinnen und Bürger aus autoritären Staaten das
lügste subversive Instrumentarium ist, um Freiheit suk-
essive einsickern zu lassen. Die Innenpolitiker denken
n die Sicherheit – und das ist auch gut so. Aber zu unse-
er Sicherheit gehört auch, dass autoritäre Staaten sich
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zu demokratischen entwickeln. Freiheit als Exportschla-
ger, das ist Interessen- und Sicherheitspolitik.
Insofern ist es absurd, dass die Innenpolitiker der
Koalitionsfraktionen die ursprüngliche Idee so kleinge-
kocht haben, dass von einer klaren Entscheidung für die
Befreiung von den Kosten als Gegenstand eines inter-
fraktionellen Antrages nichts weiter als eine windelwei-
che „Kann-Bestimmung“ übrig geblieben ist. In den
Botschaften und Konsulaten sitzen keine Unmenschen;
aber aus der Praxis wissen wir, dass sie die Angst im Na-
cken haben, zu liberal entschieden zu haben. Deswegen
wäre die Erklärung eines klaren Willens des Parlaments
für alle Seiten hilfreich gewesen.
Ich möchte mich in diesem Zusammenhang herzlich
bei der FDP bedanken, die nach wochenlangen Verhand-
lungen und dem letztendlichen Nichtzustandekommen
einer interfraktionellen Initiative mit der Koalition wei-
terhin zu einem gemeinsamen Antrag mit den Grünen im
ursprünglichen Sinne bereit war.
Und vielleicht geschehen ja noch kleine Wunder. Die
Anträge gehen nun in die Ausschüsse, und damit gibt es
noch einmal einen Ort der Beratung. Vielleicht wird
dann wenigstens im Jahre 2008 der Austausch etwa für
Tschernobylkinder ohne die zusätzliche Last von
60 Euro Visumgebühren auskommen können.
Anlage 15
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Deutschland, Ener-
gieland der Zukunft – Energieforschung und
Wettbewerb stärken (Tagesordnungspunkt 12)
Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) (CDU/CSU): Der
Antrag der FDP „Deutschland, Energieland der Zukunft“
weist nachdrücklich darauf hin, dass Forschung und Ent-
wicklung für den derzeit stattfindenden Strukturwandel
in der Energiewirtschaft unerlässlich sind und deutlich
verstärkt werden müssen; denn sicherlich liegt nach sie-
ben Jahren Rot-Grün hier immer noch einiges im Argen.
Es ist daher folgerichtig, dass die FDP wirksame und
zielgerichtete Aktionen im Bereich der Energiefor-
schung einfordert, um die Zukunft unseres Landes im
globalen Wandel erfolgreich zu meistern. Der Zielset-
zung kann ich von daher uneingeschränkt zustimmen.
Antrag mit Lücken – Energieforschung aus einem
Guss: Sie verweisen zum Beispiel zu Recht auf die Pro-
bleme der zwischen vier Ministerien zersplitterten Zu-
ständigkeit der Bundesregierung im Energieforschungs-
bereich. Viele Köche verderben den Brei, sagt der
Volksmund, und trotzdem dauert dieser widrige Zustand
weiter an. Leider erschöpfen Sie sich im Antrag hier in
der Beschreibung des Problems. Als Opposition haben
wir hier vor zwei Jahren bereits die Bündelung der Zu-
ständigkeit in einem Ministerium gefordert; denn wir
brauchen dringend eine Energieversorgung aus einem
Guss. Das erspart uns vielfältige gegenseitige Blocka-
den; denn wir brauchen Strukturen, bei denen das Mit-
einander für eine gute Zukunft des Ganzen Oberhand
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ewinnt über lähmende Interessenkonfrontationen zum
chaden aller hinweg. Deshalb brauchen wir aber keine
öllige Neuausrichtung unserer Energieforschung. Alles
mzuwerfen, nur weil in einigen, wenn auch wichtigen
ereichen die Hausaufgaben nicht gemacht wurden,
äre übertrieben und hieße, das Kind mit dem Bade aus-
uschütten. Damit wäre keinem gedient. Gerade die Er-
olge der jüngsten Vergangenheit geben doch Anlass zu
erechtigter Hoffnung, dass wir auf einen guten Weg
ommen. Ich denke da insbesondere an unsere High-
echstrategie der Bundesregierung.
Schavan macht zukunftsfähige Energieforschung:
nsere Bundesforschungsministerin Annette Schavan
at nicht nur erkannt, wohin es gehen muss, sie hat sich
uch schon – so gut das in einer Koalition eben geht –
uf den Weg gemacht und wertvolle Initiativen ergriffen.
s spricht doch für sich, dass so wichtige Forschungsbe-
eiche wie „Der Schutz des Klimas und eine nachhaltige
nergieversorgung“ besonders von dem zusätzlichen
eld profitieren sollen, das diese Bundesregierung
endlich, muss man sagen – zusätzlich für Forschung
nd Entwicklung zur Verfügung stellt. Das sind die zen-
ralen Aufgaben, denen wir uns stellen und in denen die
orschung weiter gestärkt wird. Die SPD zieht gemein-
am mit an diesem Strang. Die Haushaltsmittel für die
orsorgeforschung in den Bereichen Klima, Energie und
mwelt steigen deshalb im Jahr 2008 um 16 Prozent auf
ehr als 335 Millionen Euro. Mit der Hightechstrategie
um Klimaschutz, die am 16. Oktober auf dem zweiten
limaforschungsgipfel vorgestellt werden soll, will Frau
inisterin Schavan darüber hinaus zusätzliches Geld aus
er Wirtschaft mobilisieren. Kern der Strategie ist das
artnerschaftliche Zusammenarbeiten von Wirtschaft
nd Wissenschaft, das fruchtbare Zusammenwirken von
nternehmen und öffentlicher Hand.
Erfolge nicht kleinreden: Es sind nicht nur die neuen
rogramme, die sich sehen lassen können. Die deutsche
nergieforschung hat durchaus Erfolge aus den vergan-
enen Jahrzehnten vorzuweisen. Nehmen wir zum Bei-
piel die Dämmstoffforschung. Es ist doch kein Wunder,
enn nach Jahren der Diskussion über die vorhandenen
nergiesparpotenziale im Gebäudebestand immer lauter
er Ruf staatlicher Unterstützung ertönt. Denn dort, wo
nergieforschung helfen kann, Energie effizient zu spa-
en, dürfen wir die Ergebnisse der Forschung nicht
leinreden oder so tun, als wären wir hier völlig auf dem
olzweg. Wenn es sich lohnt, dann müssen wir handeln.
uch bei den erneuerbaren Energien sind Erfolge in
ussicht. Die Entwicklung der Biomasse und die Geo-
hermie sind Beispiele für vielversprechende Energiefor-
en, die das Potenzial für die kontinuierliche Strombe-
eitstellung haben. Hier müssen wir die Forschung,
nsbesondere die angewandte Forschung, weiter stützen,
amit wir auch morgen noch mit begehrten Produkten
it hoher Wertschöpfung im Inland auf wichtigen Märk-
en präsent sein werden. Ich denke hier insbesondere an
en Energieanlagenbau.
Wir sollten und wir müssen – das ist unsere Verant-
ortung – wertvolle Ergebnisse zukunftsorientierter
nergieforschung zum Nutzen aller zur Anwendung in
eutschland bringen. Dass wir dabei sorgfältig abwägen
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müssen zwischen den Zielen des Klimaschutzes, der
Versorgungssicherheit, der Wirtschaftlichkeit, des Um-
weltschutzes und der sozialen Verträglichkeit, versteht
sich von selbst. Deshalb haben Sie völlig recht, wenn Sie
in Ihrem Antrag fordern, dass wir die kerntechnische
Forschung nicht weiter so stiefmütterlich behandeln dür-
fen wie bisher. Da laufen sie weit offene Türen ein.
Wenn wir die Bedrohung durch den von Menschen ge-
machten Klimawandel ernst nehmen, dann können wir
selbstverständlich die Kernenergie nicht vernachlässi-
gen. Das hat doch der Energiegipfel am Dienstag dieser
Woche nur allzu deutlich gemacht. Wir können diese
Schlüsseltechnologie für die Zukunft heute nicht aufge-
ben. Wir dürfen uns auch der weltweiten Entwicklung
und der Entwicklung in unseren Nachbarländern nicht
weiter verschließen. Wenn wir eine führende Industrie-
nation bleiben wollen, dann müssen wir uns alle gemein-
sam hier wieder öffnen.
Die Kernenergie steht heute in Deutschland für über
75 Prozent der CO2-freien Stromerzeugung und in der
Welt für fast 50 Prozent. Sie zu beenden, ist klimapoli-
tisch widersinnig, und auf die Forschung zu verzichten
wäre fahrlässig; denn Forschung für das Klima heißt
Forschung an allen CO2-freien Energieerzeugungen,
Steigerung der Effizienz bei den fossilen Energieträgern
und Entwicklung neuer Verfahren, wie zum Beispiel der
CO2-Abscheidung und -Speicherung. Deshalb müssen
wir weiterhin und verstärkt die Kernforschung vorantrei-
ben. Sicherheitstechnische Fragen, Fragen zu neuen Re-
aktorkonzepten und Fragen der Endlagerung müssen be-
trachtet werden. Wir können es uns nicht leisten, uns in
Deutschland bei zukunftsweisenden Technologien dau-
erhaft auszuklinken und uns in diesem wichtigen Be-
reich der Daseinsvorsorge vom Rest der Welt abzukop-
peln. Rund um Deutschland werden Kernkraftwerke
gebaut, die Laufzeiten bestehender Kernkraftwerke auf
60 Jahre verlängert, vor langer Zeit stillgelegte Reakto-
ren wieder in Betrieb genommen. Wir haben heute eine
völlig andere Situation als zum Zeitpunkt des Ausstiegs-
beschlusses. Nicht nur deshalb müssen wir auch die
Energieforschung in diesem Bereich wieder anders
handhaben als noch unter Rot-Grün. Das betrifft sicher-
lich auch die Anpassung der Forschungsmöglichkeiten
unserer Forscher an die im Grundgesetz garantierten
Freiheitsrechte. Mit willkürlichen Forschungsverboten
für unsere Wissenschaftler werden wir die Zukunft für
unser Land nur schwerlich gut gestalten können. Ich bin
überzeugt, dass hier auch die SPD letztlich mitziehen
wird, sich ihrer Verantwortung für die Zukunft unseres
Landes nicht entzieht.
Angesichts der vielen Gemeinsamkeiten mit diesem
Antrag können wir ihn hoffnungsfroh in die Ausschüsse
überweisen. Vielleicht gelingt es uns ja in einer gemein-
samen Anstrengung über alle Fraktionen hinweg, hie-
raus eine Initiative zu formen, die die Energieforschung
in Deutschland und unser Land gleichermaßen voran-
bringt. Wir jedenfalls wären bereit dazu.
Dieter Grasedieck (SPD): In dieser Woche berichte-
ten die Zeitungen: Brand im Atomkraftwerk Krümmel
und im Atomkraftwerk Brunsbüttel. Die Atomaufsicht
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ordert, die Redaktoren endgültig abzuschalten. – Klaus
öpfer erteilt Atomenergie als Lösung für Klimapro-
leme klare Absage. – CO2 durch Atomkraft. Laut Ox-
ord Research entsteht bei der Gewinnung des Kern-
rennstoffs und seiner Entsorgung in den kommenden
ahren CO2 wie bei Gaskraftwerken.
Jetzt schreiben Sie in Ihrem FDP-Antrag: Der Ener-
iebedarf wird begleitet von einem enormen Anstieg der
nergiepreise und einer wachsenden Importabhängigkeit
eutschlands. Wer diese Abhängigkeit verringern will,
chafft das nicht mit Uran, Öl oder Gas. Das sind alles
mporte aus Asien oder Russland. Die FDP sieht dem-
ach eine Neuausrichtung in Energiefragen vor; denn
mportabhängigkeit wird zum Beispiel reduziert durch
rneuerbare Energien. Die Importabhängigkeit wird wei-
erhin durch Steinkohle und Braunkohlekraftwerke redu-
iert. Ich befürworte deshalb unsere Steinkohleförderung
ach 2018.
Aber hier war die Enttäuschung natürlich groß: Der
DP-Antrag bezieht sich nur auf die Laufzeitverlänge-
ung der Kernkraftwerke. Sie haben nicht berücksichtigt,
ass auch die Uranvorräte endlich sind. Interessant ist
uch der Bericht der „Financial Times“. In ihm wird da-
auf hingewiesen, dass die Uranpreise enorm gestiegen
ind. Im Januar 2004 kostete ein Pfund Uran noch 7 US-
ollar, heute über 20 US-Dollar. Mit weiteren Preis-
nsteigerungen ist zu rechnen, so die Zeitung.
Sie fordern kerntechnische Sicherheitsforschung. Un-
ere Koalition fördert schon seit Jahren die Sicherheits-
orschung im Bereich der Nuklearenergie, und zwar kon-
tant mit rund 120 Millionen Euro.
Wir Sozialdemokraten stellen fest, dass sich die Bun-
esregierung und die Atomkraftwerksbetreiber im Jahr
000 vertraglich auf einen Atomkonsens geeinigt haben.
uf Vertragspartner sollte man sich verlassen können.
Sie fordern weiterhin in Ihrem Antrag Nachhaltigkeit
n der Forschung. Ist es nachhaltig, wenn man weiß, dass
s keine Lösung für die Endlagerung des radioaktiven
bfalls gibt? Da kann ich nur unseren früheren Umwelt-
inister Professor Töpfer unterstützen: Unsere Ur-Uren-
el brauchen eine zukunftssichere Energieerzeugung.
ie sind durch die jetzigen Atomprobleme genug belas-
et.
Unsere Bundesregierung hat ein Energiekonzept
auch darüber berichteten die Zeitungen in den letzten
wei Wochen –: Das erste CO2-freie Kraftwerk in der
elt ist in Brandenburg geplant; Bundeskanzlerin
erkel und Ministerpräsident Platzeck legen den Grund-
tein. Neue Solarzellen werden von vier Großunterneh-
en erforscht und entwickelt; die Bundesregierung stellt
ördergeld zur Verfügung. Über 5 Prozent des in Deutsch-
nd erzeugten Stroms stammt aus Windenergie; 2020
ollen es 20 Prozent in Europa sein. In den letzten drei
ahren wurden rund 20 000 Arbeitsplätze durch das
O2-Gebäudesanierungsprogramm geschaffen. Die Ge-
äudesanierung soll bis 2013 von 1,4 Milliarden Euro
uf 3,5 Milliarden Euro erhöht werden. Das sind Schlag-
eilen, die ein konsequentes Konzept der Koalition auf-
eigen. All das sind erfolgreiche Wege in eine neue, si-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11267
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chere Zukunft. Unsere wirklichen Exportschlager, die
erneuerbaren Energien und moderne Kraftwerkstechno-
logien, werden weiterentwickelt.
Der Weltmarktanteil der deutschen Produktion von
Windkraftanlagen liegt bei 40 Prozent. 60 Prozent unse-
rer Produktion von Windkraftanlagen werden ausge-
führt.
Wir schützen die Umwelt aber auch im Bereich der
fossilen Energieträger. Deutsche Kraftwerke mindern
den CO2-Ausstoß. Die Wirkungsgrade bei Steinkohle-
kraftwerken sind auf 48 Prozent gesteigert worden; bei
der Braunkohle erreichen wir 43 Prozent. Durch Kraft-
Wärme-Kopplung erhalten wir einen Wirkungsgrad von
70 Prozent.
CO2 wird seit 2001 auch durch das CO2-Gebäude-
sanierungsprogramm reduziert. 35 Prozent des Energie-
verbrauchs entstehen durch die Beheizung von Gebäu-
den. Durch unser neues Maßnahmenpaket „ökologisches
Bauen“ schützen wir die Umwelt durch reduzierten CO2-
Ausstoß.
Wir fördern natürlich nicht nur den Export oder die
Entwicklung solcher Technologien. Wir wollen auch die
eigentliche Stärke der deutschen Wirtschaft fördern und
ausbauen. Hier stehen für uns die kleinen und mittleren
Betriebe im Vordergrund. Klein- und Mittelbetriebe ar-
beiten kreativ und flexibel. Sie schaffen im Übrigen un-
sere neuen Arbeitsplätze in Deutschland.
Die SPD setzt deshalb auf erneuerbare Energien so-
wie auf effiziente Gas- und auf Kohlekraftwerke.
Cornelia Pieper (FDP): Die Zukunft Deutschlands
als Technologieführer und seiner Wohlstandsgesellschaft
hängt im hohen Maße von einer Neuausrichtung der
Energie- und Energieforschungspolitik ab. Die Fakten
sprechen für sich: ein weltweit steigender Energiebedarf.
Bis 2050 wird er sich verfünffachen. Bereits 2030 wer-
den die heutigen Entwicklungsländer mehr als die Hälfte
des Weltenergieverbrauchs für sich beanspruchen. China
wird bis dahin einen „Öldurst“ haben der den Westeuro-
päern nicht viel übrig lässt.
Energiepreise werden steigen, und die Importabhän-
gigkeit Deutschlands wird wachsen, bei gleichzeitiger
Zunahme politischer Instabilitäten und unkalkulierbarer
Kriege vor allem im Nahen Osten, aber auch bei anderen
Gas- und Öllieferanten. Hinzu kommt: Den Klimawan-
del und die Reduzierung von selbst produzierten Treib-
hausgasen werden wir nur mit einer konsequenten
Klima- und Energieforschungspolitik bestehen.
Deutschland hat zu Recht die EU-Ratspräsidentschaft
genutzt, Klima- und Energieforschung zu Schwer-
punktthemen zu machen. Was muss jedoch auf nationa-
ler Ebene von der deutschen Politik getan werden?
Wer heute noch glaubt, wir könnten unsere Probleme
allein durch Energiesparen und die Nutzung erneuerba-
rer Energien allein lösen, ist naiv. Wollen wir die stabile
Energieversorgung und unseren Lebensstandard halten
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nd dabei zugleich die Klimaschutzziele erreichen, brau-
hen wir alle Energieoptionen.
Derzeit versucht die Bundesregierung, sich an einer
ntscheidung über die Nutzung der Kernenergie „vor-
eizumogeln“. Noch heute wird die Politik des Ausstie-
es aus der Kernkraft der rot-grünen Bundesregierung
ortgesetzt. Doch was ist, wenn im Jahr 2021 das letzte
ernkraftwerk stillgelegt wird? Die Umweltminister von
und und Ländern haben bei ihrer Frühjahrskonferenz in
ad Sassendorf – Kreis Soest – zwar keinen Kompro-
iss in der Frage der Verlängerung der Restlaufzeit der
eutschen Kernkraftwerke erzielt. Immerhin sprachen
ich aber zehn Bundesländer – auch aus Gründen des
limaschutzes – dafür aus, die Kernenergie in Deutsch-
and länger zu nutzen. Durch den Verzicht auf die weit-
ehend CO2-freie Kernenergie entstehen Versorgungsri-
iken und vor allem für die Verbraucher unzumutbare
osten.
Meine Kernbotschaft ist: Deutschland braucht eine
ationale Energieoffensive ohne Scheuklappen. Wir
üssen alle an einem Strang ziehen. Wissenschaft, Wirt-
chaft und Politik müssen näher zusammenrücken. Nur
o können wir die Herausforderung meistern. Ich fordere
ie Bundeskanzlerin auf, eine wirkliche nationale Ener-
ieforschungsinitiative zu starten, ein Milliardenpro-
ramm für die Klima- und Energieforschung aufzulegen
nd dabei nicht nur die bereits eingestellten Haushalts-
ittel bis 2011 fortzuschreiben. Das von Ihnen angekün-
igte 2-Milliarden-Programm bis 2011 muss „on top“
erstanden werden. Das wäre auch ein Beitrag zum errei-
hen des 3-Prozent-Ziels von Lissabon.
Noch wird ein ganzheitlicher Ansatz durch das Fest-
alten der Bundesregierung am Ausstieg aus der Nut-
ung der Kernenergie und Moratorien zur Weiterführung
on Forschungsarbeiten zur sicheren Endlagerung von
erntechnischen Rückständen behindert. Der Standort
eutschland kann nur wettbewerbsfähig bleiben, wenn
eben fossilen Energieträgern und erneuerbaren Ener-
ien bis weit in die zweite Hälfte des Jahrhunderts auf
ie Kernkraft gesetzt wird. Wir brauchen den Ausstieg
us dem Ausstieg. Auch Länder wie Schweden und
roßbritannien, die sich politisch schon einmal von der
erntechnik verabschiedet hatten, planen erneut umfas-
ende Investitionen in die Kernenergie.
Die Tatsache, dass sich deutsche Forschungszentren
ls öffentliche Einrichtungen aufgrund einer Verordnung
er letzten rot-grünen Bundesregierung nicht mit sicher-
eitstechnischen Fragen zu neuen innovativen Reaktor-
onzepten befassen dürfen, ist ein Zeichen für die Unei-
igkeit in der rot-schwarzen Regierung in dieser Frage.
llein die Reaktion des SPD-Bundestagsabgeordneten
örg Tauss auf die Forderung, die Sicherheitsforschung
icht zu beenden, sondern auszubauen, dokumentiert
iese Uneinigkeit in Berlin. Er sagte, Schwerpunkt bleibe
ie Fusionsforschung und kein kerntechnisches Aben-
euer.
Für mich ist es das eigentliche kerntechnische Aben-
euer, wenn Länder wie zum Beispiel Russland, die
kraine, Tschechien und Indien veraltete Kerntechnik
eiter nutzen und wir am Ende Kernenergie aus veralte-
11268 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007
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ten Anlagen importieren müssen, weil wir die eigenen
Kernkraftwerke abstellen und die Forschung im eigenen
Land nicht zulassen. Deutschland muss in der Kern- und
Sicherheitsforschung auf hohem Niveau bleiben, um
hohe Sicherheitsstandards weltweit durchzusetzen.
Die Bundesregierung muss endlich die politischen
Rahmenbedingungen für eine Energieforschungsoffen-
sive schaffen. Das bedeutet vordringlich, erstens die Si-
cherheitslücke zu schließen, die sich aus einem doppel-
ten Ausstieg – zum einen aus der Sicherheitsforschung
und zum anderen aus der Abschaltung der Kernkraft-
werke – ergibt; zweitens den Erlass der rot-grünen Bun-
desregierung von 2001 außer Kraft zu setzen, der deut-
sche Wissenschaftler in die „Sippenhaft“ nimmt, die mit
öffentlichen grundfinanzierten Mitteln weiter kerntech-
nische Sicherheitsforschung an innovativen Reaktorsys-
temen betreiben – das ist eine „moralische Kriminalisie-
rung“ und hat nichts mit der Forschungsfreiheit zu tun,
die die Bundesregierung eigentlich propagiert –; drittens
die Abwanderung deutscher Wissenschaftler durch einen
attraktiven Wissenschaftstarifvertrag zu stoppen und
Bundesmittel als Anreiz für eine verstärkte Zusammen-
arbeit von Universitäten und Forschungseinrichtungen
zur Verfügung zu stellen, sowie zur Einrichtung neuer
kerntechnischer Lehrstühle aufzurufen, wie in der
RWTH Aachen durch Innovationsminister Pinkwart ge-
schehen, und viertens die Beteiligung deutscher Wissen-
schaftler an europäischen und internationalen Program-
men zu ermöglichen. Auf keinen Fall darf Deutschland
aus dem EURATOM-Vertrag aussteigen.
Die Energieforschung ist ein strategisches Instrument
für eine zukunftsweisende deutsche Wirtschafts- und
Energiepolitik. Die Gesamtverantwortung hierfür muss
in Zukunft wieder in einer Hand liegen und im Bundes-
ministerium für Bildung und Forschung, dem künftigen
Zukunfts- und Innovationsministerium, gebündelt wer-
den. Nur so kann gleichzeitig auch für eine ausreichende
finanzielle Ausstattung der institutionellen Forschung,
der Forschungsprogramme und Forschungsprojekte ge-
sorgt werden, die der Bedeutung der Forschungsfelder
gerecht wird.
Die von der Wirtschaft finanzierte Forschung und
Entwicklung – zwei Drittel der deutschen Forschungs-
mittel – beschäftigt sich primär mit solchen Projekten,
deren Ergebnisse eine relativ zeitnahe Amortisation der
Forschungsinvestitionen erlauben und somit von den
Unternehmen selbst getragen werden können. Die for-
schenden Unternehmen sollten sich verstärkt an der öf-
fentlich finanzierten Forschung an den Hochschulen und
außeruniversitären Forschungseinrichtungen mit ihren
anwendungsbezogenen Projekten beteiligen, um so neue
Ergebnisse der Energieforschung rascher aufzunehmen
und umzusetzen. Dabei kommt dem Engagement von
Anlagenbauern und -betreibern bei Demonstrationspro-
jekten eine besondere Bedeutung zu. Wissenschaft und
Wirtschaft müssen alles tun, um zu gemeinsamen Inno-
vationsstrategien zu kommen. Im Rahmen der Gemein-
schaftsforschung können Universitäten und Forschungs-
einrichtungen mit der Wirtschaft projektbezogen
zusammenarbeiten. Hierfür sollte das Instrument der
Forschungsprämie verstärkt genutzt werden.
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Deutschland muss zum Energieland der Zukunft wer-
en. Eine sichere Beherrschung verschiedenartigster
nergietechnologien der Gewinnung, des Transports, der
peicherung, der Umwandlung und der rationellen Ver-
endung von Energie ist nicht nur Ausdruck der Leis-
ungsfähigkeit der Hochtechnologienation Deutschland.
ie ist Ausdruck ihrer Fähigkeit, einen wirksamen Bei-
rag zur dauerhaften Sicherung der eigenen Energiever-
orgung, aber auch der in Europa und in der Welt zu leis-
en.
Bis zu einem möglichen großtechnischen Einsatz
on Fusionskraftwerken, der zur Mitte des Jahrhun-
erts erwartet wird, ist die Option „Kernenergie“ zur
nergiesicherung durch begleitende Forschung zu er-
alten. Deutsche Forscher dürfen von international be-
riebenen Arbeiten wie am Projekt „Generation IV“
icht ausgeschlossen werden. Das 7. Rahmenpro-
ramm der Europäischen Union für den Bereich der
orschung und technologischen Entwicklung und das
örderungsrahmenprogramm der Europäischen Atom-
emeinschaft – EURATOM – zeigen den Weg auf.
Auch wenn die Bundestagsabgeordnete Bärbel Höhn
üngst ein Moratorium zum Bau von Kohlekraftwerken
efordert hat, ist vor dem Hintergrund einer noch lange
eit andauernden Nutzung fossiler Energieträger die
eiterentwicklung konventioneller Kraftwerkstechniken
on entscheidender Bedeutung. Allein die Erhöhung des
irkungsgrades dieser Kraftwerke um 1 Prozent ent-
pricht der erzeugten Energie von 1 000 Windenergiean-
agen, dem fünffachen aller in Deutschland installierten
otovoltaikanlagen oder eines neuen Großkraftwerks.
uch neue Kraftwerksprozesse wie Kohlevergasung las-
en beachtlich gesteigerte Wirkungsgrade erwarten.
ünftige kombinierte Gas-Dampfturbinenkraftwerke
önnten ihren elektrischen Wirkungsgrad von heute
8 Prozent auf 62 Prozent erhöhen. Mit Blick auf den Kli-
aschutz ist die Entwicklung von hocheffizienten Kraft-
erken mit CO2-Abscheidung unter Einbeziehung geolo-
isch sicherer Speicherung von CO2 voranzutreiben. In
nbetracht der großen Bedeutung, die fossile Energieträ-
er auch zukünftig in der Energieversorgung haben wer-
en, stellen CO2-Abscheidung, -Transport und -Speiche-
ung eine Option dar, die es hinsichtlich ihres Beitrags zu
inem umfassenden Klimaschutz zu analysieren und wei-
erzuentwickeln gilt.
Zur gesicherten Entsorgung nuklearer Spaltprodukte
Aufbereitung und Entsorgung abgebrannter Brennele-
ente – ist es dringend geboten, die Forschungsarbeiten
ur Endlagerung konsequent fortzuführen. Das beste-
ende Moratorium zur Erforschung der Tauglichkeit und
angzeitsicherheit von Salzstöcken im Forschungsberg-
erk Gorleben ist sofort zu beenden, und die verbleiben-
en Arbeiten sind zügig fortzuführen. Bei der Bewer-
ung der Eignung von Ton- und Granitlagerstätten als
ögliche Endlager ist auf internationale Erfahrungen zu-
ückzugreifen, bevor eigene Arbeiten in Deutschland
erstärkt werden.
Die Fusionsforschung ist unverzichtbar für die Lö-
ung globaler Energieprobleme. Diesen Befund hebt
uch eine internationale Expertenkommission in ihren
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11269
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Empfehlungen zum Programm „Kernfusion“ der Helm-
holtz-Zentren hervor. Die Forschungs- und Entwick-
lungsprojekte sind sowohl in Deutschland als auch in
Europa zielgerichtet fortzuführen. Die Fusionsforschung
hat inzwischen ein Stadium erreicht, das es erlaubt, mit
dem Bau eines Experimentalreaktors ITER als einer Vor-
stufe zu einem Fusionskraftwerk in Frankreich zu begin-
nen. Mit der deutschen Förderung der Fusionsforschung
im internationalen Maßstab muss das Ziel verfolgt wer-
den, einen Prototyp eines Fusionsreaktors zu bauen.
Dabei ist das Fusionsforschungsprojekt WENDEL-
STEIN 7-X der deutsche Beitrag zum Nachweis der
Funktionsfähigkeit des Stellaratorprinzips.
Ich fordere die Bundesregierung dazu auf, die Wei-
chen dafür zu stellen, dass die politisch begründete Ver-
kürzung der Laufzeiten der Kernkraftwerke ausgesetzt
wird.
Im Gegenzug sollten die Energieunternehmen stärker
in die Energieforschung investieren, um so einen wirksa-
men Beitrag zur Sicherung des Wirtschaftsstandortes
Deutschland zu leisten und sich selbst fit für die Zukunft
zu machen. Deutschland stellt jährlich lediglich 500 Mil-
lionen Euro an öffentlichen Haushaltsmitteln für die
Energieforschung zur Verfügung. Das reicht aber nicht
aus, um zukünftig seine Technologieführerschaft zu be-
haupten. Unsere europäischen Nachbarn haben die Wei-
chen dafür längst gestellt. Großbritannien hat über „Pu-
blic Private Partnership“ mit der Energiewirtschaft
1 Milliarde Pfund für die Energieforschung mobilisiert.
Auch wir in Deutschland brauchen mehr Geld für die
Forschung. Über öffentliche Mittel allein ist das aber
nicht zu leisten. Auch die Wirtschaft muss sich verstärkt
daran beteiligen. Deshalb schlägt die FDP-Bundestags-
fraktion heute vor, die Gründung einer Deutschen Stif-
tung Energieforschung voranzutreiben.
In einem ersten Schritt soll die Bundesregierung die
Laufzeit der Kernkraftwerke in Deutschland verlängern,
bis erneuerbare Energien in ausreichendem Umfang zur
Verfügung stehen oder eine Nutzung von Technologien
zur CO2-armen Kohleverstromung im großtechnischen
Maßstab beginnen kann. Parallel zum Weiterbetrieb der
laufenden Kernkraftwerke sind erneuerbare Energien
und andere geeignete Klimaschutztechnologien mit aller
Entschlossenheit weiter auszubauen. Hierfür sind die im
Atomgesetz festgeschriebenen Abschaltkriterien solange
auszusetzen.
Zugleich sollte auf eine freiwillige Selbstverpflichtung
der Kernkraftwerke betreibenden Energieunternehmen
hingewirkt werden, die sich dem Ziel der Gründung einer
Deutschen Stiftung Energieforschung mit dem Zweck,
eine verstärkte finanzielle Förderung von Forschung,
Entwicklung und Erprobung von Energiesystemen, die
auf die Vermeidung von Treibhausgasen ausgerichtet sind
sowie der Effizienzverbesserung bei Gewinnung und
Nutzung von Strom, Wärme oder Kälte abzusichern, ver-
pflichtet fühlt.
Die Bundesregierung sollte dabei die Grundlagen für
die Gründung einer Deutschen Stiftung Energiefor-
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chung als Stiftung bürgerlichen Rechts gemeinsam mit
en Energieerzeugern schaffen.
Ein Großteil der Erträge der Stiftung soll ausschließ-
ich dem Zweck der Förderung von Forschung und Ent-
icklung für innovative Energietechnologien dienen.
Hans-Kurt Hill (DIE LINKE): Die FDP entdeckt
eutschland als Energieland denkbar spät – doch besser
pät als nie. Deutschland ist seit Jahren Energieland
ummer eins, was die Zukunftsenergien angeht, und
immt eine Vorreiterrolle ein, was den Ausstieg aus der
efährlichen und rückwärtsgewandten Atomkraft an-
eht.
Die Liberalen haben die Erfolgsstory „erneuerbare
nergie“ immer bekämpft. Stattdessen bejubeln sie die
tomkraft mit ideologischem Eifer und einer naiven
echnikgläubigkeit. Hohe Energiepreise, liebe Kollegin-
en und Kollegen der FDP, sind Ihrem neoliberalen
arktdenken geschuldet. Wer Allgemeinwohlaufgaben
ie die Energieversorgung ausschließlich den freien
arktkräften überlässt, muss sich nicht über hohe
tromrechnungen wundern. Die Geister, die Sie riefen
nd jetzt nicht wieder loswerden, sind die Energiekar-
elle.
Doch tatsächlich fordern die Liberalen neue For-
chungsgelder für die Atomkraft – hinter dem Deckman-
l der Sicherheit versteht sich, wohlwissend, dass anste-
ende Probleme wie Endlagerung und Terrorgefahr kaum
sbar sind. Die Strahlentechnik wurde über 30 Jahre mit
illiardenmitteln subventioniert und hat nie den Schritt in
ie Wirtschaftlichkeit geschafft. Ohne staatliche Finanz-
pritzen baut selbst heute niemand einen Atommeiler.
ass Atomstrom jetzt scheinbar so billig ist, liegt daran,
ass die hoch subventionierten Anlagen längst abge-
chrieben sind. Die Konzerne kassieren so 300 Millionen
uro pro Reaktor und Jahr. Die Stromkunden gehen aber
er aus.
Besonders peinlich ist in diesem Zusammenhang,
ass die FDP in ihrem Antrag Finnland als Beispiel für
en Ausbau der Atomenergie benennten. Der in Bau be-
indliche Reaktor krankt schon jetzt an technischen
ängeln. Die Fertigstellung wird sich mindestens um
wei Jahre verzögern, und er ist schon jetzt um eine Mil-
iarde Euro teurer als geplant.
Es ist unglaublich: Die angeblich so sicheren deut-
chen Atomkraftwerke fliegen uns schon bei schlichten
ehlern im Stromnetz um die Ohren, aber die FDP will
ehr Geld für Atomstrom. Atomenergie ist keine Über-
angstechnologie, sondern eine Verhinderungsstrategie.
ie frisst die Mittel, die wir für den Ausbau der erneuer-
aren Energien dringend brauchen. Für das zunehmende
ngebot von Wind- und Solarstrom brauchen wir
chnell regelbare und dezentrale Kraftwerke und keine
rägen Grundlast-Atommeiler.
Es ist notwendig, die Energieforschung konsequent
uf Energieeffizienztechniken, die erneuerbaren Ener-
ien und moderne Speichertechnologien auszurichten.
ie gefährliche Atomkraft ist genauso eine Scheinlö-
ung wie Kernfusion oder die Verklappung von CO2.
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Entscheiden sie sich endlich für die Zukunftsenergien,
sonst findet die Zukunft im Energieland Deutschland
ohne die FDP statt.
Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Der Antrag der FDP weist direkt zurück in die Vergan-
genheit. Die FDP setzt auf Atomenergie und auf Atom-
kraftforschung, ganz so, als ob sie sich noch in den 50er-
Jahren befindet. Genscher und Lambsdorf dürften sich
an ihre Jugend erinnert fühlen, wenn sie diesen Antrag
lesen. Aber wahrscheinlich haben sie das längst unter Ju-
Wieso spricht sich die FDP nicht für neue Atomkraft-
werke in Deutschland aus? Neue Atomkraftwerke erfor-
schen, aber nicht bauen: Das ist mindestens inkonse-
quent, meine Damen und Herren von der FDP. Ganz
sicher ist es aber keine intelligente Technologiepolitik,
die knappen Forschungsmittel auf eine Technologie zu
konzentrieren, die man hierzulande gar nicht anwenden
will.
Weltweit sind etwa 80 Prozent der Energiefor-
schungsmittel in die Entwicklung der Atomenergie ge-
flossen. Der Erfolg könnte kaum geringer sein. Global
Die Atomeuphorie, die die FDP hier heraufbe-
schwört, ist längst in der Mottenkiste der Energiege-
schichte verstaubt. Die von der FDP beschworene Aus-
weitung der Atomenergiekapazitäten gibt es nicht. Die
geplanten neuen Atomkraftwerke werden in den meisten
Ländern nicht einmal die wegfallenden alten Kapazitä-
ten ersetzen können. Letztes Jahr ging die Zahl der
Atomkraftwerke weltweit sogar zurück. Atomkraft-
werksneubauten sind weder in Schweden noch in Bel-
gien geplant, auch wenn der Antrag diesen Eindruck er-
wecken will.
Mit keinem Wort geht der Antrag auf das Problem
ein, dass es beim Uran bereits zu Verknappungen kommt
und die Uranpreise daher explodiert sind. Stattdessen er-
zählt die FDP die alte Mär von den sichersten Atom-
kraftwerken der Welt, die in Deutschland ständen. Es ist
Unsinn – die FDP müsste das wissen –, zu behaupten,
dass die alten Meiler in Biblis, Neckarwestheim und
Brunsbüttel die sichersten Atomkraftwerke der Welt
seien. Das behauptet nicht einmal Wirtschaftsminister
Glos. Da ist das Ausland zum Teil schon deutlich weiter.
Eines der sichersten Atomkraftwerke der Welt steht übri-
gens in Forsmark, so behauptete selbst noch Monate
nach dem Fast-Gau der Betreiber Vattenfall.
Aus dem Antrag der FDP können wir entnehmen,
dass sie keine sicherheitstechnischen Bedenken gegen
den Weiterbetrieb selbst der ältesten Atomkraftwerke
hat. Diese Technologiegläubigkeit war immer schon
fragwürdig. Spätestens seit dem 11. September stellt sich
die Frage, ob die FDP eine Risikoverdrängungsstrategie
fährt. Die Terrorgefahr ist auch für Atomkraftwerke ge-
geben. Das weiß die FDP. Sie weiß auch, dass unsere
Atomkraftwerke nicht sicher gegen Anschläge sind.
Gerade die ältesten Atomkraftwerke sind besonders
schlecht geschützt. Aber das passt halt nicht in die ener-
giepolitische Grundvorstellung der FDP.
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ur Deckung des Energiebedarfs bei. Das ist ein Armuts-
eugnis. Der geringe Beitrag der Atomenergie steht in
einem Verhältnis zu den Forschungsinvestitionen.
och heute gibt die Bundesrepublik Deutschland viel
ehr Geld alleine für die Entsorgung alter Forschungs-
eaktoren aus als für die Erforschung neuer Energien.
er geringe Beitrag der Atomenergie steht im Übrigen
uch in keinem Verhältnis zu den Risiken, die mit über
00 Atomkraftwerken weltweit verbunden sind.
Die FDP will die Laufzeiten verlängern und einen
eil der zusätzlichen Konzerngewinne in eine Stiftung
nvestieren. Dies ist schon daher abzulehnen, weil eine
erlängerung der Laufzeiten nicht zu verantworten
äre. Abgesehen davon stellt sich die Frage, wie das
eld den Konzernen abgezwackt werden soll. Interes-
anterweise steht auf dem fünfseitigen Antrag der FDP
ierzu nichts drin. Hier stellt sich schon die Frage, wieso
ie FDP für ihren eigenen Vorschlag kein Konzept hat.
Wenn die FDP zu Recht mehr Geld für sinnvolle
nergieforschung ausgeben will, dann sollte sie es auch
ort einsparen, wo das Geld nutzlos zum Fenster heraus-
eworfen wird. Die FDP sollte einmal – ganz im Sinne
er Steuerzahler – ihren Blick nach Greifswald richten.
ort wird gerade ein Fusionsforschungsreaktor errichtet.
ie Kosten und die Bauzeit laufen vollkommen aus dem
uder. Die Bauzeit wird absehbar um mindestens zehn
ahre überschritten, und der Fehlbetrag liegt schon jetzt
lleine für die Bundesmittel deutlich über 100 Millionen
uro. Die einzige Antwort der FDP auf diese Misswirt-
chaft ist, dass sie noch mehr Geld für die Kernfusion
usgeben will. Stattdessen sollte die FDP sich dafür ein-
etzen, dass die Mittel aus der Kernfusion deutlich ge-
ürzt werden und dem Mittelstand bei den erneuerbaren
nergien zugutekommt. Dort wurden in den letzten Jah-
en über 200 000 Arbeitsplätze geschaffen, gerade weil
ie Anträge der FDP zur Energie- und Forschungspolitik
eit 1998 nicht mehr aufgegriffen wurden.
gendsünden abgehakt. t
rägt die Atomenergie gerade mal mit etwa 2,5 Prozent
108. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007
Inhalt:
Redetext
Anlagen zum Stenografischen Bericht
Anlage 1
Anlage 2
Anlage 3
Anlage 4
Nachtrag zum Plenarprotokoll 16/108
108. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007
I n h a l t :
Anlagen zum Stenografischen Bericht
Anlage 5
Anlage 6
Anlage 7
Anlage 8
Anlage 9
Anlage 10
Anlage 11
Anlage 12
Anlage 13
Anlage 14
Anlage 15