Protokoll:
16108

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 16

  • date_rangeSitzungsnummer: 108

  • date_rangeDatum: 5. Juli 2007

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  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 22:21 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 16/108 (Zu diesem Protokoll folgt ein Nachtrag) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 6: Antrag der Abgeordneten Rainer Brüderle, Paul K. Friedhoff, Gudrun Kopp, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: „Goldener Schnitt 2012“ verwirklichen (Drucksache 16/5901) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Glos, Bundesminister BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rainer Brüderle (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ludwig Stiegler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . – zu dem Antrag der Abgeordneten Detlef Parr, Joachim Günther (Plauen), Miriam Gruß, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Bekämp- fung des Dopings im Sport voran- treiben und Optimierungsmöglich- keiten ausschöpfen – zu dem Antrag der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Bekämpfung des Dopings im Sport (Drucksachen 16/4738, 16/4166, 16/5937) Klaus Riegert (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Detlef Parr (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Peter Danckert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Katrin Kunert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 11051 B 11051 C 11054 B 11056 D 11058 D 11061 D 11073 D 11074 A 11075 B 11076 D 11078 C Deutscher B Stenografisc 108. Si Berlin, Donnerstag I n h a Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord- neten Helga Kühn-Mengel und Dr. Rainer Stinner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Absetzung der Tagesordnungspunkte 13, 17 a, 22 und 35 a . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Begrüßung des Parlamentspräsidenten der Republik Namibia, Herrn Dr. Gurirab . . . . . Tagesordnungspunkt 3: Abgabe einer Erklärung durch die Bundesre- gierung: Aufschwung für Deutschland – Gute Zeiten entschlossen nutzen 11049 A 11049 B 11051 A 11063 D Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . Dr. Rainer Wend (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 11064 A 11066 B undestag her Bericht tzung , den 5. Juli 2007 l t : Dr. Reinhard Göhner (CDU/CSU) . . . . . . . . . Andrea Wicklein (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Laurenz Meyer (Hamm) (CDU/CSU) . . . . . . Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 4: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Be- kämpfung des Dopings im Sport (Drucksachen 16/5526, 16/5937) . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Sportausschusses 11068 A 11070 B 11071 D 11072 B 11073 D Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) . . . . . 11080 B 11082 A II Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 Joachim Günther (Plauen) (FDP) . . . . . . . . . . Fritz Rudolf Körper (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dagmar Freitag (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Katrin Kunert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Dagmar Freitag (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 35: b) Antrag der Abgeordneten Horst Friedrich (Bayreuth), Jan Mücke, Patrick Döring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Mehr Park- und Stellplätze für Lkw auf Bundesautobahnen (Drucksache 16/5278) . . . . . . . . . . . . . . . . c) Antrag der Abgeordneten Horst Friedrich (Bayreuth), Jan Mücke, Patrick Döring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Neues Verkehrssicherheits- konzept für Bundesautobahn 12 zusam- men mit dem Land Brandenburg um- setzen (Drucksache 16/5611) . . . . . . . . . . . . . . . . d) Antrag des Abgeordneten Patrick Döring, Hans-Michael Goldmann, Michael Kauch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Toxische Rückstände in Trans- port-Containern – Herausforderung für Arbeits- und Verbrauchersicherheit (Drucksache 16/5612) . . . . . . . . . . . . . . . . e) Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting- Uhl, Rainder Steenblock, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Antifoulingabkommen unverzüglich ra- tifizieren (Drucksache 16/5777) . . . . . . . . . . . . . . . . f) Antrag der Abgeordneten Heike Hänsel, Wolfgang Gehrcke, Monika Knoche, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN: Deutsche Kolumbien-Politik auf die Stärkung ziviler Friedensinitia- tiven und der sozialen, demokratischen und Menschenrechte ausrichten (Drucksache 16/5678) . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 7: a) Antrag der Abgeordneten Laurenz Meyer (Hamm), Dr. Heinz Riesenhuber, Veronika Bellmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abge- ordneten Dr. Rainer Wend, Martin 11084 A 11085 A 11086 B 11087 B 11088 C 11089 D 11090 A 11090 D 11090 D 11091 A 11091 A 11091 A Dörmann, Dr. Ditmar Staffelt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Die Zukunft der deutschen Luftfahrt- industrie sichern (Drucksache 16/5908) . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Hartwig Fischer (Göttingen), Eckart von Klaeden, Anke Eymer (Lübeck), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Brunhilde Irber, Gert Weisskirchen (Wiesloch), Niels Annen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Demokratische Entwicklung Simbabwes unterstützen – Arbeit der internationalen Nichtregierungsorgani- sationen ermöglichen (Drucksache 16/5907) . . . . . . . . . . . . . . . c) Antrag der Abgeordneten Heidrun Bluhm, Katrin Kunert, Dr. Gesine Lötzsch, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN: Humboldt-Forum statt Fassa- denschloss – Schlossplatz mit Zukunfts- orientierung (Drucksache 16/5922) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 36: a) Beratung der Fünften Beschlussempfeh- lung und des Berichts des Wahlprüfungs- ausschusses: zu 27 gegen die Gültigkeit der Wahl zum 16. Deutschen Bundestag eingegangenen Wahleinsprüchen (Drucksache 16/5700) . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU) . . . . b) Zweite und dritte Beratung des vom Bun- desrat eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur Änderung des Waffengesetzes (Drucksachen 16/1991, 16/5924) . . . . . . . c) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Internationalen Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13. April 2005 zur Bekämpfung nuklearterroristischer Handlungen (Drucksachen 16/5336, 16/5935) . . . . . . . d) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung des VN- Übereinkommens vom 13. April 2005 zur Bekämpfung nuklearterroristischer Handlungen (Drucksachen 16/5334, 16/5936) . . . . . . . e) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Europäischen Übereinkommen vom 26. Mai 2000 über die internationale Beförderung 11091 B 11091 C 11091 C 11091 D 11091 D 11093 A 11093 B 11093 C Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 III von gefährlichen Gütern auf Binnen- wasserstraßen (ADN) (Drucksachen 16/5389, 16/5789) . . . . . . . f) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 22. April 2005 zur Änderung des Über- einkommens vom 11. Oktober 1973 zur Errichtung des Europäischen Zentrums für mittelfristige Wettervorhersage (Drucksachen 16/5577, 16/5773) . . . . . . . g) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technolo- gie zu der Verordnung der Bundesregie- rung: Neunundsiebzigste Verordnung zur Änderung der Außenwirtschafts- verordnung (Drucksachen 16/5328, 16/5487 Nr. 2.1, 16/5709) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirt- schaft und Verbraucherschutz zu dem An- trag der Abgeordneten Cornelia Behm, Birgitt Bender, Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Land- wirtschaftliche Krankenversicherung ab 2009 weiter an Bundesmitteln zur land- wirtschaftlichen Krankenversicherung beteiligen (Drucksachen 16/5427, 16/5892) . . . . . . . i) Beschlussempfehlung des Rechtsaus- schusses: Übersicht 7 – über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfas- sungsgericht (Drucksache 16/5756) . . . . . . . . . . . . . . . . j) – r) Beschlussempfehlungen des Petitionsaus- schusses: Sammelübersichten 242, 243, 244, 245, 246, 247, 248, 249 und 250 zu Petitionen (Drucksachen 16/5741, 16/5742, 16/5743, 16/5744, 16/5745, 16/5746, 16/5747, 16/5748, 16/5749) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 8: a) – k) Beschlussempfehlungen des Petitionsaus- schusses: Sammelübersichten 251, 252, 253, 254, 255, 256, 257, 258, 259, 260 und 261 zu Petitionen (Drucksachen 16/5911, 16/5912, 16/5913, 16/5914, 16/5915, 16/5916, 16/5917, 16/5918, 16/5919, 16/5920, 16/5921) . . . . 11093 D 11094 A 11094 B 11094 C 11094 D 11094 D 11095 D Tagesordnungspunkt 17: b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Wolfgang Bosbach, Dr. Hans-Peter Uhl, Kristina Köhler (Wiesba- den), weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie den Abge- ordneten Fritz Rudolf Körper, Maik Reichel, Klaus Uwe Benneter, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Mikrozensusgesetzes 2005 und des Bevölkerungsstatistikge- setzes (Drucksachen 16/5239, 16/5923) . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 9: Wahlvorschläge der Fraktionen der CDU/ CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Wahl der vom Deutschen Bundestag zu benen- nenden Mitglieder des Wissenschaftlichen Beratungsgremiums gemäß § 39 a des Stasi- Unterlagen-Gesetzes (Drucksache 16/5883) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 4: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der FDP: Ergebnisse des Dritten Energie- gipfels der Bundesregierung Gudrun Kopp (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . . Hans-Kurt Hill (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Rolf Hempelmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dirk Becker (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Franz Obermeier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Dr. Axel Berg (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Andreas G. Lämmel (CDU/CSU) . . . . . . . . . Sigmar Gabriel, Bundesminister BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Philipp Mißfelder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Marco Bülow (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 5: Antrag der Abgeordneten Jürgen Koppelin, Ulrike Flach, Otto Fricke, weiterer Abgeord- 11096 D 11097 A 11097 B 11097 B 11099 B 11100 A 11101 A 11102 C 11104 A 11105 A 11106 C 11107 B 11108 C 11109 C 11111 D 11112 C IV Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 neter und der Fraktion der FDP: Mangelnder Ehrgeiz bei der Konsolidierung des Bun- deshaushalts (Drucksache 16/4606) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Otto Fricke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Steffen Kampeter (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . Carsten Schneider (Erfurt) (SPD) . . . . . . . . . . Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Steffen Kampeter (CDU/CSU) . . . . . . . . . Georg Fahrenschon (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bernhard Brinkmann (Hildesheim) (SPD) . . . Tagesordnungspunkt 6: a) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht zur technologischen Leistungs- fähigkeit Deutschlands 2007 – und – Stellungnahme der Bundesregierung (Drucksache 16/5823) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Johann-Henrich Krummacher, Ilse Aigner, Dorothee Bär, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Jörg Tauss, René Röspel, Dr. Ernst Dieter Rossmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: IKT 2020: Gezielte Forschungsförderung für zukunfts- trächtige Innovationen und Wachs- tumsfelder im Bereich der Informa- tions- und Kommunikationstechnologien (IKT) (Drucksache 16/5900) . . . . . . . . . . . . . . . . c) Antrag der Abgeordneten Priska Hinz (Herborn), Grietje Bettin, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Innovationsfähigkeit stärken durch Bil- dungs- und Forschungsoffensive (Drucksache 16/5899) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Annette Schavan, Bundesministerin BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Cornelia Pieper (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . René Röspel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11113 D 11113 D 11115 D 11117 A 11118 B 11119 D 11121 C 11122 B 11123 C 11124 D 11125 B 11126 B 11128 A 11128 A 11128 B 11128 C 11130 A 11131 A 11132 C 11134 A Ilse Aigner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulrike Flach (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Swen Schulz (Spandau) (SPD) . . . . . . . . . . . Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU) . . . . . . . Ulrike Flach (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jörg Tauss (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulrike Flach (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 7: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informations- gesellschaft (Drucksachen 16/1828, 16/5939) . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Ab- geordneten Sabine Leutheusser- Schnarrenberger, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Christian Ahrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Die Modernisierung des Urheberrechts muss fortgesetzt werden (Drucksachen 16/262, 16/5939) . . . . . . . . Brigitte Zypries, Bundesministerin BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) . Dr. Günter Krings (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP) . . . Jörg Tauss (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Carsten Müller (Braunschweig) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dirk Manzewski (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Norbert Geis (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 8: Große Anfrage der Abgeordneten Eva Bulling- Schröter, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dagmar Enkelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN: Nachhaltiger Schutz der Meeresumwelt (Drucksachen 16/3069, 16/4782) . . . . . . . . . . Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . Franz-Josef Holzenkamp (CDU/CSU) . . . . . Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . Angelika Brunkhorst (FDP) . . . . . . . . . . . . . . 11135 C 11136 D 11137 D 0000 A11139 C 11140 A 11141 D 11143 A 11144 A 11144 B 11144 C 11145 B 11146 D 11149 C 11150 C 11151 C 11152 C 11153 D 11154 D 11157 A 11158 B 11158 C 11159 C 11160 A 11161 B Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 V Holger Ortel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Heinz Schmitt (Landau) (SPD) . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 9: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Versicherungs- vertragsrechts (Drucksachen 16/3945, 16/5862) . . . . . . . . . . Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mechthild Dyckmans (FDP) . . . . . . . . . . . . . Marco Wanderwitz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dirk Manzewski (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Julia Klöckner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 10: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirt- schaft und Verbraucherschutz zu dem An- trag der Abgeordneten Ulrike Höfken, Bärbel Höhn, Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Schutz von Mensch und Umwelt bei Freisetzungsexperimenten gewährleis- ten (Drucksachen 16/4556, 16/5755) . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirt- schaft und Verbraucherschutz zu dem An- trag der Abgeordneten Ulrike Höfken, Bärbel Höhn, Cornelia Behm, Undine Kurth (Quedlinburg) und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Keine Freisetzung von gentechnisch veränder- ten Pflanzen auf dem Gelände des Insti- tuts für Pflanzengenetik und Kultur- pflanzenforschung in Gatersleben (Drucksachen 16/4904, 16/5893) . . . . . . . Dr. Max Lehmer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) . . . . . . . . Elvira Drobinski-Weiß (SPD) . . . . . . . . . . . . . Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . . 11162 B 11163 C 11164 D 11165 D 11166 A 11167 A 11168 B 11169 B 11170 B 11171 C 11172 D 11173 B 11174 A 11175 B 11175 C 11175 D 11177 C 11178 D 11179 D Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . René Röspel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 11: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Verbraucherinformation (Drucksachen 16/5723, 16/5928) . . . . . . . – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Ver- braucherinformation (Drucksachen 16/5404, 16/5928) . . . . . . . Ursula Heinen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Hans-Michael Goldmann (FDP) . . . . . . . . . . Elvira Drobinski-Weiß (SPD) . . . . . . . . . . . . Karin Binder (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD) . . . . . . Tagesordnungspunkt 25: Antrag der Abgeordneten Peter Rzepka, Ingo Schmitt (Berlin), Monika Grütters und weite- rer Abgeordneter: Flugverkehrskonzept für den Großraum Berlin überprüfen – Flug- hafen Berlin-Tempelhof offen halten (Drucksache 16/4813) . . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 10: Antrag der Abgeordneten Winfried Hermann, Wolfgang Wieland, Hans-Christian Ströbele, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Einstel- lung des Flugbetriebs in Tempelhof – Sinn- volle Nachnutzung des Flughafenareals (Drucksache 16/5897) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Rzepka (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Hellmut Königshaus (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Rzepka (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Dr. Karl Lamers (Heidelberg) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Petra Merkel (Berlin) (SPD) . . . . . . . . . . . . . 11180 C 11181 C 11182 D 11183 A 11183 B 11184 B 11185 D 11186 D 11187 D 11188 C 11189 D 11190 A 11190 A 11192 A 11193 A 11193 C 11194 A 11195 A VI Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 Roland Claus (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Hellmut Königshaus (FDP) . . . . . . . . . . . . Peter Rzepka (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ingo Schmitt (Berlin) (CDU/CSU) . . . . . . . . . Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 15: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Bildung, Forschung und Tech- nikfolgenabschätzung – zu dem Antrag der Abgeordneten Johann- Henrich Krummacher, Ilse Aigner, Michael Kretschmer, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Swen Schulz (Span- dau), Jörg Tauss, René Röspel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Geistes- und Sozialwissenschaften stär- ken – zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Pieper, Uwe Barth, Patrick Meinhardt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Geistes-, Sozial- und Kultur- wissenschaften stärken – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Cornelia Hirsch, Volker Schneider (Saarbrücken), weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der LINKEN: Perspektiven für die Geistes- und Sozialwissenschaften verbessern – zu dem Antrag der Abgeordneten Krista Sager, Kai Gehring, Priska Hinz (Her- born), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Die Geistes- und Sozialwis- senschaften in Forschung und Lehre fördern (Drucksachen 16/4161, 16/4153, 16/4154, 16/4406, 16/5931) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 14: Antrag der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Petra Pau, Ulla Jelpke, Jan Korte und der Fraktion der LINKEN: Für die zügige Vor- lage eines qualifizierten Berichts über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland (Drucksache 16/5788) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 11197 C 11197 D 11198 B 11199 A 11200 A 11200 D 11201 C 11202 B 11202 C Tagesordnungspunkt 19: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Verkehr, Bau und Stadtentwick- lung – zu dem Antrag der Abgeordneten Renate Blank, Dirk Fischer (Hamburg), Dr. Klaus W. Lippold, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Ab- geordneten Annette Faße, Hans-Joachim Hacker, Sören Bartol, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der SPD: Attrakti- vität des Wassertourismus und des Wassersports stärken – zu dem Antrag der Abgeordneten Patrick Döring, Hans-Michael Goldmann, Detlef Parr, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der FDP: Sport- und Freizeitschiff- fahrt in Deutschland erleichtern (Drucksachen 16/5416, 16/4061, 16/5770) . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 11: Antrag der Abgeordneten Detlef Parr, Joachim Günther (Plauen), Miriam Gruß, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Sportschifffahrt und Wassersport wirksam fördern und von überflüssigen Beschränkungen befreien (Drucksache 16/5609) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 16: Antrag der Abgeordneten Krista Sager, Irmingard Schewe-Gerigk, Kai Gehring, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Mehr Qualität und Exzellenz durch mehr Chan- cengerechtigkeit und Gender-Perspektiven in Wissenschaft und Forschung (Drucksache 16/5898) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 21: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 25. Juni 2003 zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika über Auslieferung, zu dem Ab- kommen vom 25. Juni 2003 zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika über Rechtshilfe, zu dem Vertrag vom 14. Oktober 2003 zwi- schen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika über die Rechtshilfe in Strafsachen, zu dem 11203 C 11203 D 11204 A Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 VII Zweiten Zusatzvertrag vom 18. April 2006 zum Auslieferungsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Ver- einigten Staaten von Amerika sowie zu dem Zusatzvertrag vom 18. April 2006 zum Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika über die Rechtshilfe in Straf- sachen (Drucksache 16/4377, 16/5825) . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 18: Antrag der Abgeordneten Frank Schäffler, Martin Zeil, Dr. Karl Addicks, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der FDP: Konse- quenzen aus dem Entschädigungsfall Phoe- nix Kapitaldienst GmbH (Drucksache 16/5786) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 23: Beschlussempfehlung und Bericht des Haus- haltsausschusses – zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen: Entlastung der Bundesre- gierung für das Haushaltsjahr 2005 – Vorlage der Haushalts- und Vermögens- rechnung des Bundes (Jahresrechnung 2005) – zu der Unterrichtung durch den Bundes- rechnungshof: Bemerkungen des Bun- desrechnungshofes 2006 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes (einschließlich der Feststellungen zur Jahresrechnung 2005) (Drucksachen 16/1122, 16/3200, 16/5774) . . . Tagesordnungspunkt 20: a) Antrag der Abgeordneten Volker Schneider (Saarbrücken), Klaus Ernst, Dr. Martina Bunge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN: Keine Leistungs- kürzungen bei der gesetzlichen Unfall- versicherung (Drucksache 16/5616) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Markus Kurth, Kerstin Andreae, Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Die gesetzliche Unfallversicherung leis- tungsstark und zukunftssicher gestalten (Drucksache 16/5896) . . . . . . . . . . . . . . . . 11204 B 11205 A 11205 A 11205 C 11205 D Tagesordnungspunkt 24: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag der Abgeordneten Laurenz Meyer (Hamm), Dr. Martina Krogmann, Hans-Joachim Fuchtel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Uwe Küster, Dr. Rainer Wend, Dr. h. c. Susanne Kastner, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der SPD: Den Wettbewerb stärken, den Einsatz offener Dokumentenstandards und offener Doku- mentenaustauschformate fördern (Drucksachen 16/5602, 16/5927) . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 12: Antrag der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Alexander Bonde, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abgeordneten Michael Link (Heil- bronn), Harald Leibrecht, Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Ermäßigung der Visumgebühr für Menschen aus Belarus (Drucksache 16/5905) . . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 13: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD: Ermäßigung der Visumgebühr für Bürgerinnen und Bürger aus Belarus (Drucksache 16/5909) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 12: Antrag der Abgeordneten Cornelia Pieper, Gudrun Kopp, Michael Kauch, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der FDP: Deutschland, Energieland der Zukunft – Energieforschung und Wettbewerb stärken (Drucksache 16/5729) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . Anlage 2 Erklärung der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE) zur Abstimmung: 11206 A 11206 B 11206 C 11206 C 11206 D 11207 A VIII Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 Sammelübersicht 256 zu Petitionen (Zusatzta- gesordnungspunkt 8 f) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Grietje Bet- tin, Ekin Deligöz, Kai Gehring, Katrin Göring-Eckardt, Claudia Roth (Augsburg) und Britta Haßelmann (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über den Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft (Tages- ordnungspunkt 7 a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 4 Erklärung des Abgeordneten Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag: Sport- und Freizeitschifffahrt in Deutschland erleichtern (Tagesordnungs- punkt 15) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachtrag 11207 B 11207 C 11207 C Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11049 (A) (C) (B) (D) 108. Si Berlin, Donnerstag Beginn: 9
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    2) Die Redebeiträge werden in einem Nachtrag abgedruckt. 3) Die Redebeiträge werden in einem Nachtrag abgedruckt. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11207 (A) (C) (B) (D) Ich erkläre im Namen der Fraktion DIE LINKE, dass unser Votum „Nein“ lautet. den, obwohl die EU-Richtlinie dieses zulässt und dies von anderen Ländern auch so umgesetzt wurde. Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung der OSZE Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE) zur Abstimmung: Sammelüber- sicht 256 zu Petitionen (Drucksache 16/5916) (Zusatztagesordnungspunkt 8 f) Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Andres, Gerd SPD 05.07.2007 Dreibus, Werner DIE LINKE 05.07.2007 Gehrcke, Wolfgang DIE LINKE 05.07.2007 Dr. Geisen, Edmund FDP 05.07.2007 Gruss, Miriam FDP 05.07.2007 Ibrügger, Lothar SPD 05.07.2007 Merten, Ulrike SPD 05.07.2007 Nitzsche, Henry fraktionslos 05.07.2007 Raidel, Hans CDU/CSU 05.07.2007* Dr. Ramsauer, Peter CDU/CSU 05.07.2007 Reiche (Cottbus), Steffen SPD 05.07.2007 Roth (Esslingen), Karin SPD 05.07.2007 Dr. Schick, Gerhard BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 05.07.2007 Schily, Otto SPD 05.-07.2007 Stübgen, Michael CDU/CSU 05.07.2007 Dr. Tabillion, Rainer SPD 05.07.2007 Wächter, Gerhard CDU/CSU 05.07.2007 Dr. Wiefelspütz, Dieter SPD 05.07.2007 Zapf, Uta SPD 05.07.2007* Zöller, Wolfgang CDU/CSU 05.07.2007 Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Grietje Bettin, Ekin Deligöz, Kai Gehring, Katrin Göring-Eckardt, Claudia Roth (Augsburg) und Britta Haßelmann (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über den Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informa- tionsgesellschaft (Tagesordnungspunkt 7 a) Die vorliegende Novelle zur Regelung des Urheber- rechts in der Informationsgesellschaft vernachlässigt im- mer noch in wesentlichen Punkten die Interessen von Verbraucherinnen und Verbrauchern, Wissenschaftlerin- nen und Wissenschaftlern sowie von Urheberinnen und Urhebern. Das können wir trotz der wichtigen von uns durchgesetzten Verbesserungen im Bereich der Geräte- vergütung nicht ignorieren. So fehlt immer noch ein durchsetzungsstarkes Recht auf Privatkopie: Wer Werke rechtmäßig besitzt, muss auch Sicherheitskopien davon machen dürfen. Es ergibt keinen Sinn, dass Kopien von analogen Werken erlaubt sind, bei digitalen aber nicht, weil der Rechteverwerter durch die Anbringung von Kopierschutz de facto ent- scheidet, ob man Kopien anfertigen darf oder nicht. Ebenfalls fehlt eine Bagatellklausel. Wer für den pri- vaten Gebrauch unerlaubt Kopien anfertigt, soll zwar zivilrechtlich belangt werden dürfen (Schadenersatz und Unterlassungerklärungen sind schon jetzt möglich); eine strafrechtliche Verfolgung ist aber unverhältnismäßig. Zudem sind die Staatsanwaltschaften ohnehin nicht in der Lage, jede private Urheberrechtsverletzung zu ver- folgen. Weiterhin sind die Verlage gegenüber den Bibliothe- ken zu stark privilegiert. Demnach haben Verlage das al- leinige Recht zum elektronischen Kopienversand, sofern sie die Bibliotheken über ihr Angebot in Kenntnis setzen und dieses angemessen ist. Das verhindert Innovation und ist wissenschaftsfeindlich, weil Verlage nicht moti- viert werden, bessere Angebote als die Bibliotheken zu schaffen. Für Studierende und Promovierende wird es kaum bezahlbar sein, Verlagsangebote wahrzunehmen, die jetzt schon bei über 30 Dollar pro Aufsatz liegen. Mit einer Beschränkung des Versandes als ausschließlich grafische Datei wäre man den Interessen der Verlage an- gemessen entgegengekommen. Eine ähnliche Bremse für die Wissenschaft ist die Re- gelung zu den elektronischen Leseplätzen, die nur nach Zahl der Bestandsexemplare von Werken bereitgestellt werden dürfen. Außerdem können Leseplätze nicht in al- len öffentlichen Bildungseinrichtungen angeboten wer- 11208 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 (A) (C) (B) (D) Nicht zuletzt: Auch Filmschaffende haben Urheber- rechte und müssen darüber verfügen können. Laut der Novelle sollen sie kein Widerrufsrecht bei Verträgen über unbekannte Nutzungsarten haben. Damit wird einer ganzen Gruppe von Künstlerinnen und Künstlern die le- gitime Mitbestimmung über ihre Werke verwehrt und sie wird gegenüber anderen Urhebern schlechtergestellt. Das ist nicht akzeptabel. Damit ein einzelner Urheber nicht ganze Neuverwertungen lahmlegen kann, enthält das Gesetz schon jetzt die Regelung, wonach die Urhe- ber ihr Widerrufsrecht nicht wider Treu und Glauben ausüben sollen. Diese muss auch auf den Filmbereich übertragen werden. Wir haben bei der Abstimmung mit den Fachaus- schüssen mit „Nein“ gestimmt, Änderungsanträge einge- bracht und werden weiterhin für Verbesserungen in den genannten Bereichen eintreten. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Volker Beck (Köln) (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag: Sport- und Freizeitschifffahrt in Deutschland erleichtern (Drucksache 16/5770, Nr. 2) (Tages- ordnungspunkt 19) Ich erkläre im Namen der Fraktion des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN, dass unser Votum „Ja“ lautet. sellschaft mbH, Amsterdamer Str. 19 nd 91, 1 2, 0, T 22 Nachtrag zum Plenarprotokoll 16/108 Swen Schulz (Spandau) (SPD) . . . . . . . . . . . . Patrick Meinhardt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Krista Sager (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Für die zügige Vorlage eines qualifizierten Berichts über die Lage der Aus- länderinnen und Ausländer in Deutschland (Tagesordnungspunkt 14) Reinhard Grindel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Sebastian Edathy (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Beschränkungen befreien (Tagesordnungspunkt 19 und Zusatztagesord- nungspunkt 11) Renate Blank (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Annette Faße (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Patrick Döring (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dorothée Menzner (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Mehr Qualität und Exzellenz durch mehr Chancengerechtigkeit und Gen- der-Perspektiven in Wissenschaft und For- 11210 A 11211 C 11212 C 11213 C 11214 A 11215 A 11218 D 11220 C 11222 B 11223 D 11224 C Deutscher B Nachtrag Stenografisch 108. Sitz Berlin, Donnerstag, I n h a l Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu den Anträgen: – Geistes- und Sozialwissenschaften stärken – Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaf- ten stärken – Perspektiven für die Geistes- und Sozial- wissenschaften verbessern – Die Geistes- und Sozialwissenschaften in Forschung und Lehre fördern (Tagesordnungspunkt 15) Johann-Henrich Krummacher (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . J D A Z – –11209 A Sibylle Laurischk (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . 11216 C undestag zum en Bericht ung den 5. Juli 2007 t : osef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . r. Maria Böhmer, Staatsministerin BK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . nlage 7 u Protokoll gegebene Reden zur Beratung: Beschlussempfehlung und Bericht zu den Anträgen: – Attraktivität des Wassertourismus und des Wassersports stärken – Sport- und Freizeitschifffahrt in Deutsch- land erleichtern Antrag: Sportschifffahrt und Wassersport wirksam fördern und von überflüssigen 11217 C 11218 A schung (Tagesordnungspunkt 16) II Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 Anette Hübinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Gesine Multhaupt (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Uwe Barth (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Krista Sager (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkom- men vom 25. Juni 2003 zwischen der Europäi- schen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika über Auslieferung, zu dem Abkom- men vom 25. Juni 2003 zwischen der Europä- ischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika über Rechtshilfe, zu dem Vertrag vom 14. Oktober 2003 zwischen der Bundes- republik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika über die Rechtshilfe in Strafsachen, zu dem Zweiten Zusatzvertrag vom 18. April 2006 zum Auslieferungsver- trag zwischen der Bundesrepublik Deutsch- land und den Vereinigten Staaten von Ame- rika sowie zu dem Zusatzvertrag vom 18. April 2006 zum Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Verei- nigten Staaten von Amerika über die Rechts- hilfe in Strafsachen (Tagesordnungspunkt 21) Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Joachim Stünker (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Mechthild Dyckmans (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Petra Pau (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Konsequenzen aus dem Entschä- digungsfall Phoenix Kapitaldienst GmbH (Ta- gesordnungspunkt 18) Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU) . . . . . . . . Dr. Hans-Ulrich Krüger (SPD) . . . . . . . . . . . Frank Schäffler (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Axel Troost (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Christine Scheel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A Z d – – ( H B D D A A Z d – – ( G W H V M F A Z d d E f ( D D M U 11225 A 11226 B 11228 B 11229 B 11230 C 11232 A 11233 C 11234 A 11235 A 11235 A 11236 B 11236 C 11238 B 11239 C 11240 A 11240 D nlage 11 u Protokoll gegebene Reden zur Beratung er Beschlussempfehlung und des Berichts: Antrag: Entlastung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 2005 – Vorlage der Haushalts- und Vermögensrechnung des Bundes (Jahresrechnung 2005) Unterrichtung: Bemerkungen des Bundes- rechnungshofes 2006 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes (ein- schließlich der Feststellungen zur Jahres- rechnung 2005) Tagesordnungspunkt 23) ans-Joachim Fuchtel (CDU/CSU) . . . . . . . ernhard Brinkmann (Hildesheim) (SPD) . . . r. Claudia Winterstein (FDP) . . . . . . . . . . . r. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . . nja Hajduk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . nlage 12 u Protokoll gegebene Reden zur Beratung er Anträge: Keine Leistungskürzungen bei der gesetz- lichen Unfallversicherung Die gesetzliche Unfallversicherung leis- tungsstark und zukunftssicher gestalten Tagesordnungspunkt 20 a und b) erald Weiß (Groß-Gerau) (CDU/CSU) . . . . olfgang Grotthaus (SPD) . . . . . . . . . . . . . . einz-Peter Haustein (FDP) . . . . . . . . . . . . . olker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . arkus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ranz Thönnes, Parl. Staatssekretär BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . nlage 13 u Protokoll gegebene Reden zur Beratung er Beschlussempfehlung und des Berichts zu em Antrag: Den Wettbewerb stärken, den insatz offener Dokumentenstandards und of- ener Dokumentenaustauschformate fördern Tagesordnungspunkt 24) r. Martina Krogmann (CDU/CSU) . . . . . . . r. Uwe Küster (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . artin Zeil (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . lla Lötzer (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 11242 B 11243 D 11245 C 11246 B 11246 D 11248 B 11250 C 11251 B 11252 B 11253 C 11254 B 11254 D 11256 A 11257 D 11258 D Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 III Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Ermäßigung der Visumgebühr für Men- schen aus Belarus – Ermäßigung der Visumgebühr für Bürge- rinnen und Bürger aus Belarus (Zusatztagesordnungspunkte 12 und 13) Manfred Grund (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Uta Zapf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Link (Heilbronn) (FDP) . . . . . . . . . . Dr. Norman Paech (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Deutschland, Energieland der Zukunft – Energieforschung und Wettbewerb stärken (Tagesordnungspunkt 12) Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dieter Grasedieck (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Cornelia Pieper (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Kurt Hill (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11259 C 11260 C 11261 D 11262 D 11263 C 11264 A 11265 B 11266 B 11267 B 11269 C 11270 A Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11209 (A) ) (B) ) menschlicher Selbstverwirklichung. Im großen Prozess ten. Auch dieser Weg würde letztlich eher in die Verwir- Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu den Anträgen: – Geistes- und Sozialwissenschaften stärken – Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften stärken – Perspektiven für die Geistes- und Sozialwis- senschaften verbessern – Die Geistes- und Sozialwissenschaften in Forschung und Lehre fördern (Tagesordnungspunkt 15) Johann-Henrich Krummacher (CDU/CSU): Die Vorstellung von Deutschland als „Land der Dichter und Denker“ mag unter PISA- und sonstigen Studien etwas gelitten haben. Doch umso mehr müssen wir darin auch einen „Weckruf“ – oder noch besser: einen „Startschuss“ – sehen, um mit neuer Energie den Kern des Begriffes „Bildung“ zu stärken: nämlich zur Entfaltung der menschlichen Fähigkeiten beizutragen. Und es ist wich- tig, zu verstehen: ohne gute Dichter und Denker auch keine guten Ingenieure und Erfinder. Insbesondere die Geisteswissenschaften sind alles an- dere als ein bloßer bildungsbürgerlicher Zeitvertreib. Drei Aspekte verdeutlichen die elementare Rolle der Geisteswissenschaften in der Gesellschaft: Erstens. In den Geisteswissenschaften ist die gesell- schaftseigene Grundlagenforschung beheimatet. Fakten- kenntnis ist eine notwendige Bedingung für jede Ent- wicklung. Aber sie alleine ist noch nicht hinreichend, denn erst durch das – im übertragenen Sinne – „Dichten und Denken“ kann aus einzelnen Informationsbaustei- nen echtes Wissen entstehen. Oder anders formuliert: Wissen entsteht erst aus der Vernetzung dieser Einzel- bausteine, und die Geisteswissenschaften sorgen gleich- sam für den Zusammenhalt. Zweitens. Geisteswissenschaften liefern wichtiges Fachwissen. Sie thematisieren soziale, kulturelle und re- ligiöse Gegebenheiten und Vorstellungen – die anderer Länder und Kulturkreise ebenso wie unsere eigenen. Dies sind wiederum mächtige politische Wirkgrößen, gerade in einer globalisierten Welt. Damit können die Geisteswissenschaften einen entscheidenden Beitrag zur Lösung aktueller Probleme und Herausforderungen leis- ten. Wer Exportweltmeister bleiben will, benötigt Fach- leute, die sich in der Welt auch sozial und kulturell aus- kennen. Auch der Kampf gegen den internationalen Terrorismus ist langfristig nicht nur militärisch, sondern auch in Verbindung mit diesem Fachwissen zu gewin- nen. Drittens. Geisteswissenschaften rühren am Grund d d „ s N G V l M h d D w g i W A d h f s s W s r d n s E a S d c P n s s n s f L d r H z d D F z d z m (C (D Anlagen zum Stenografischen Bericht er Evolution hat uns die Natur als Wesen geschaffen, ie nicht nur eine Naturbestimmung erfüllen, sondern wissen wollen“. Man könnte auch sagen: Dieses „Wis- en-Wollen“ ist ein wesentlicher Teil der menschlichen aturbestimmung. Der Heidelberger Philosoph Hans- eorg Gadamer hat stets darauf hingewiesen, dass es die orgegebenheit der menschlichen Natur in ihrer Frage- ust und ihrer Wissensfähigkeit ist, die letztlich den enschen ausmachen. Das Besondere an den Geisteswissenschaften ist, dass ier alle drei Aspekte gemeinsam auftreten. Keine an- ere Wissenschaft vermag diese „Trinität“ in ähnlicher ichte zu erreichen wie die Geisteswissenschaften. Und enn dieser Geist auch die Sozialwissenschaften beflü- elt, die ja quasi die Brücke zum menschlichen Umgang m Alltag darstellen, dann sind wir auf dem richtigen eg. Auf diesem produktiven Weg bewegt sich auch der ntrag „Geistes- und Sozialwissenschaften stärken“, en Union und SPD gemeinsam auf den Weg gebracht aben. Er verdeutlicht die Leistungen, nennt die Heraus- orderungen und beschreibt – basierend auf den Unter- uchungen des Wissenschaftsrates und anderer Organi- ationen und Einrichtungen – konkrete Lösungs- und eiterentwicklungsansätze. Das Ziel ist, die geistes- und ozialwissenschaftliche Infrastruktur zu stärken, die ichtigen förderpolitischen Maßnahmen zu ergreifen und as öffentliche Bewusstsein sowie die öffentliche Wahr- ehmung für die große Bedeutung der Geisteswissen- chaften zu sensibilisieren. Unser Antrag versteht, dass rkenntnis aus Wissen folgt. Damit unterscheidet sich llerdings das Wissen vom bloßen „Meinen“, auch im inne eines Werturteils. Leider kommt dieser entschei- ende Unterschied in den anderen Anträgen nicht hinrei- hend zum Tragen. Gerade bei der Lektüre des Antrages der Linkspartei/ DS zeigt sich, dass dieser Unterschied offensichtlich icht verstanden wurde. Schlimmer noch: Wer Wissen- chaft und freie Geistesentfaltung in das Prokrustesbett einer eigenen Vorstellungen zu pressen versucht, geht icht nur von falschen praxeologischen Grundlagen aus, ondern gefährdet auch das Potenzial dieser Geistesent- altung, ganz abgesehen davon, dass der Antrag der inkspartei/PDS schon in formaler Hinsicht weder mit er – im breiten Konsens beschlossenen – Föderalismus- eform noch mit der notwendigen Autonomie unserer ochschulen und Forschungseinrichtungen in Einklang u bringen ist. Gerade hier ist zu merken, wie wichtig ie Stärkung der Geistes- und Sozialwissenschaften ist: enn gerade die Geisteswissenschaften fördern auch die ähigkeit zur Unterscheidung der Geister! Auch der Antrag des Bündnisses 90/Die Grünen be- ieht sich eher auf die Lehre und sogar die Lehrerausbil- ung als auf die Geistes- und Sozialwissenschaften. Er ielt auf die Länder und die Hochschulen, und er ver- ischt dabei verschiedene Initiativen und Zuständigkei- 11210 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 (A) ) (B) ) rung als zu einer Stärkung der Geistes- und Sozialwissenschaften führen. Der Antrag der FDP wiederum ist gut gemeint, kommt aber irgendwie zu spät: Das Gros der Forderun- gen ist mit der Förderinitiative „Freiraum für geisteswis- senschaftliche Forschung“ bereits aufgegriffen, und auch eine Evaluation der geisteswissenschaftlichen Zentren ist angesichts der detaillierten Studie des Wissenschafts- rates nicht mehr erforderlich. Es ist zu merken: Unsere Initiative, der Antrag von CDU/CSU und SPD, ist der richtige Weg zur Stärkung der Geistes- und Sozialwissenschaften in Deutschland. Darüber hinaus geht er Hand in Hand mit den Vorhaben und Maßnahmen der Bundesregierung. Insbesondere Frau Bundesministerin Dr. Annette Schavan gebührt hier Dank und Anerkennung. Mit der Förderinitiative „Frei- raum für geisteswissenschaftliche Forschung“ und ihrem Kernelement, den internationalen Forschungskollegs, sind die richtigen Weichen gestellt. Und unser Antrag sorgt dafür, dass unser gemeinsames Bestreben, die Geistes- und Sozialwissenschaften zu stärken, langfristig Wurzeln schlägt. Wenn damit auch die Lust und der wis- senschaftliche Eros befördert wird, der Nachdenklich- keit Raum zu geben und Zusammenhänge besser zu ver- stehen, dann tut dies allen Bürgerinnen und Bürgern gut. Denn Klarheit ist ein Heilmittel gegen mancherlei Art von Verwirrungen. Darum lade ich herzlich dazu ein, un- seren Antrag zu unterstützen. Swen Schulz (Spandau) (SPD): Die beste Nachricht zu Beginn: Wir haben im Deutschen Bundestag über alle Fraktionsgrenzen hinweg Einigkeit darüber, dass die Geistes- und Sozialwissenschaften wichtig sind, dass sie öffentliche Förderung und Unterstützung erhalten müs- sen. Häufig wird bei Wissenschaft und Innovationen nur an Naturwissenschaften, Medizin und Technologie ge- dacht. Aber die Geistes- und Sozialwissenschaften sind ebenso bedeutend – für gesellschaftliche Innovation wie auch für die Wirtschaft. So hat etwa Berlins Wirtschafts- senator Harald Wolf vor kurzem Zahlen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung zur sogenannten Krea- tivwirtschaft in Berlin präsentiert. Danach gibt es einen „Cluster Kommunikation“ mit einem Jahresumsatz von über 20 Milliarden Euro und über 30 000 Beschäftigten. TV- und Filmwirtschaft, Buch- und Pressemarkt, Wer- bung, Musikbusiness, Markt- und Meinungsforschung, Software, Multimedia, Internet, Kunst und Kultur, Ar- chitektur und so weiter und so fort: Das alles ist ohne Geistes- und Sozialwissenschaften undenkbar. Und nachdem sich gerade die Geisteswissenschaften lange Zeit in Krisengerede und fast schon Selbstmitleid ergaben, kommt neues Selbstbewusstsein in die Debatte über ihre Zukunft. Ein Anstoß hierzu gab sicherlich auch die Stellungnahme des Wissenschaftsrates. Er hat die Stärke der deutschen Geisteswissenschaften im interna- tionalen Vergleich betont. Wir neigen ja sowieso dazu, die Probleme in den Vordergrund zu stellen – da tut es auch einmal gut, zu sagen: Die deutsche Wissenschaft ist Weltspitze. b E s t f „ W i s E k ü P s a s a d n s v F l c e a G v P s d B H H e G l s m d E „ o s „ s S b u d r (C (D Auch das Jahr der Geisteswissenschaften trägt dazu ei, dass wir eine andere Qualität in der Debatte haben. ine der Veranstaltungen im Wissenschaftsjahr trägt den elbstbewussten Titel: „Zukunft? Geisteswissenschaf- en!“ Vor einiger Zeit wären wohl Frage- und Ausru- ungszeichen vertauscht gewesen und es hätte geheißen Zukunft! Geisteswissenschaften?“. In diesem Sinne befinden wir uns auf einem guten eg, der Bund trägt das seine dazu bei; wir haben das m Antrag der Koalition entsprechend fest- und fortge- chrieben. Nun ist natürlich andererseits noch nicht alles perfekt. in ganz zentraler Punkt ist die Zukunft der sogenannten leinen oder auch Orchideenfächer. Diese sind nicht berall vertreten, und wo es sie gibt, haben sie wenig ersonal, Ausstattung und Studierende. Trotzdem sind ie wichtig auch für andere Disziplinen. Wir verzeichnen ber an vielen Hochschulen den Trend, sich auf be- timmte Fächer zu konzentrieren, entsprechende Profile ufzubauen. Gleichzeitig wird von den Ländern Spar- ruck ausgeübt. Darunter leiden dann häufig kleine, icht so große und auffällige Disziplinen. So kann es ge- chehen, dass Orchideen unversehens aus Deutschland erschwinden, wenn an zwei oder drei Hochschulen der achbereich geschlossen wird. Dadurch jedoch wird etztlich der gesamten Wissenschaftslandschaft erhebli- her Schaden zugefügt. Wir benötigen darum unbedingt ine Kooperation, eine zwischen den beteiligten Stellen bgestimmte Strategie, um einen solchen Wissenschafts- AU abzuwenden. Die Kollegin Sager hat in unserer letzten Debatte da- on gesprochen, dass der Erhalt der kleinen Fächer ein rüfstein für die Verantwortlichen sei. Ich will das unter- treichen: Das müssen wir hinbekommen. Und wir wer- en im Deutschen Bundestag darauf achten, was die undesregierung da gemeinsam mit den Ländern, den ochschulen und dem Wissenschaftsrat erreicht – den andlungsauftrag erhält sie heute vom Bundestag. Der Exzellenzwettbewerb hat in seiner ersten Runde rhebliche Diskussionen darüber ausgelöst, ob darin die eistes- und Sozialwissenschaften strukturell benachtei- igt sein könnten. Die Ergebnisse der zweiten Runde cheinen günstiger zu laufen. Gleichwohl müssen wir aufmerksam bleiben, dass wir it neuen Formen der Wissenschaftsförderung nicht an en Geistes- und Sozialwissenschaften vorbei agieren. s gibt da ganz tolle Initiativen, das Rahmenkonzept Freiraum für geisteswissenschaftliche Forschung“ etwa der die Einrichtung von Forschungskollegs. Wir müs- en beständig aufpassen, dass nicht diejenigen, die die Verwertbarkeit“ von Wissenschaft in den Vordergrund tellen und damit Technologie meinen, die Geistes- und ozialwissenschaften an den Rand drängen. Wer an den Geistes- und Sozialwissenschaften spart, egeht einen schweren Fehler, wer die Ökonomisierung nd Technisierung der Wissenschaften betreibt, versün- igt sich an der Zukunft. Gerade die Geisteswissenschaften benötigen Frei- aum. So sehr sie nützlich sind, so wenig ist das manch- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11211 (A) ) (B) ) mal im Vorfeld erkennbar. Das ist wie die Grundlagen- forschung auch in anderen Bereichen: Vielleicht bleibt es l’art pour l’art, aber vielleicht wird es, an ganz unver- muteten Stellen, bedeutend. Eine zentrale Fragestellung schließt sich hier an: Wie steht es eigentlich um die Hochschulen und die Lehre? In ganz besonderem Maße finden Geistes- und Sozial- wissenschaften an den Hochschulen statt und ist die For- schung mit der Lehre verknüpft. Mich macht die Umsetzung des Bolognaprozesses zu- nehmend nachdenklich. Über das grundsätzliche Ziel dürften wir hier weitgehende Übereinstimmung finden. Ein europäischer Hochschulraum mit ausgeweiteten Möglichkeiten für die Studierenden, an unterschiedliche Hochschulen zu gehen – toll! Die Einführung eines be- rufsqualifizierenden Abschlusses unterhalb der höheren akademischen Weihen – sehr sinnvoll für viele Studie- rende. Doch wie sieht die Praxis aus? Mich macht etwa der Philosoph und ehemalige Staatsminister Julian Nida- Rümelin zweifeln. 2005 hatte er als Experte in unserer Sachverständigenanhörung noch optimistisch in die Zu- kunft der Geistes- und Sozialwissenschaften geblickt. Nun schreibt er, dass er aufgrund jüngster Erfahrungen skeptischer geworden sei. Es werde ein Wissenschafts- begriff paradigmatisch, der den Geisteswissenschaften weitgehend fremd sei. Die Verschulung der modulari- sierten Studiengänge bedrohe die spezifische Wissen- schaftskultur. Es dürfe nicht dazu kommen, dass die deutschen und europäischen Geisteswissenschaften auf das Niveau der US-amerikanischen Humanities absin- ken. Wir müssen also – auch unter diesen Gesichtspunk- ten – der Umsetzung des Bolognaprozesses unser Au- genmerk widmen. Neben der konzeptionellen Seite gibt es auch ein sehr praktisches Problem beim Bolognaprozess: Insbeson- dere die Geistes- und Sozialwissenschaften an den Hochschulen benötigen zusätzliche Mittel, um nicht nur die Anzahl der erforderlichen Studienplätze, sondern auch die Qualität der Lehre zu erhöhen. Es ist ein Trug- schluss, zu glauben, dass der Bolognaprozess gut wird, wenn die Finanzminister der Länder Geld aus den Hoch- schulen streichen, weil die Bachelor-Studierenden ja kürzer an der Hochschule sind. Im Gegenteil kann nur mit deutlich mehr Lehrpersonal die benötigte Qualität und Attraktivität des Studiums erreicht werden. Der Wissenschaftsrat hat vollkommen zu Recht aufgeschlüs- selt, wie schwierig die Situation an den Hochschulen ge- rade bei den Geisteswissenschaften ist. Das müssen wir verbessern; und das können wir nur, wenn das die Län- der gemeinsam mit dem Bund machen. Dabei ist der Vorschlag einer Exzellenzinitiative für die Lehre nach dem Vorbild des Wettbewerbs für die Forschung durchaus überlegenswert. Allerdings kann es dabei nicht bleiben, sondern wir müssen einen Prozess einleiten, an dessen Ende die verbesserte Lehre an allen Hochschulen für alle Studierenden steht – nicht nur für Auserwählte. A m p f r F T A d m u F s D n B s d t d t m n l h s s D g l F s d c i n d m s s s n w F e R d s n F u s le (C (D Das Thema und der Koalitionsantrag haben viele spekte, von der Nachwuchsförderung zum Akade- ienprogramm, über die Regionalstudien bis zur euro- äischen Dimension; ich kann das jetzt nicht alles auf- ühren. Lassen Sie mich zum Schluss aber auf die gute Nach- icht vom Beginn meiner Rede zurückkommen: In dieser rage sind wir uns im Bundestag grundsätzlich einig. rotzdem kam es leider nicht zu einem gemeinsamen ntrag. Die Geistes- und Sozialwissenschaften haben ie wichtige Aufgabe, Brücken zu bauen. Ich wünsche ir, dass wir bei der weiteren Unterstützung der Geistes- nd Sozialwissenschaften auch Brücken zwischen den raktionen bauen und aufeinander zuzugehen. Patrick Meinhardt (FDP): Ein Jahr der Geisteswis- enschaften kann nicht schwarz, rot, grün oder gelb sein. eswegen habe ich im Namen der FDP-Fraktion in mei- er Rede am 1. Februar dieses Jahres hier im Deutschen undestag klar Position bezogen: „Wir halten es für innvoll, hier und heute über unsere Anträge zum Jahr er Geisteswissenschaften zu debattieren, aber wir hal- en es nicht für sinnvoll, mit unterschiedlichen Anträgen as Jahr der Geisteswissenschaften zu eröffnen. Ein gu- es Zeichen des richtigen Geistes ist es jetzt, einen ge- einsamen Antrag zu formulieren.“ Schade, dass wir davon heute, über sechs Monate ach Beginn des Jahres der Geisteswissenschaften, mei- enweit entfernt sind – warum, wissen wir Liberale bis eute nicht! Es ist hochgradig bedauerlich, dass offen- ichtlich Scheuklappen verhindern, an den Stellen zu- ammenzuarbeiten, an denen es sich geradezu aufdrängt. abei war es weder hilfreich, dass die verehrten Kolle- innen und Kollegen der Opposition in ihrem Antrag al- es unterbringen wollten, was sie – Föderalismus hin, öderalismus her – schon immer bildungs- und gesell- chaftspolitisch sagen wollten, noch war es hilfreich, ass die Regierungsfraktionen die schon sehr überhebli- he Haltung eingenommen haben, dass man sich gerne hrem Antrag anschließen könne. Der Geist des Mitei- anders sieht wahrlich anders aus. An uns lag es nicht, ass dieser gemeinsame Antrag nicht zustande gekom- en ist. Da müssen sich schon andere an die Nase fas- en. Wir Liberale haben die Initiative für mehr Gemein- amkeit hier im Deutschen Bundestag ergriffen. Eines teht fest: Eine Sternstunde des Parlamentes ist dies icht. Wir Liberale würden es noch immer für gut halten, enn diese Chance ergriffen würde. Wir können nicht hinnehmen, dass in einer aktuellen orsa-Umfrage dem Volk der Dichter und Denker nur in „mäßiges Bildungsbewusstsein“ attestiert wird. ichten wir den Fokus auf drei Schwerpunkte: Erstens. Im Rahmen der Exzellenzinitiative des Bun- es wurde deutlich, dass die Geistes- und Sozialwissen- chaften aufgrund ihrer Struktur, ihres Selbstverständ- isses und ihrer Arbeitsweise beim Wettstreit um die ördermittel den Natur- und Ingenieurswissenschaften nterlegen waren. Die Bilanz war ernüchternd, eigentlich ogar schon erschütternd: Nur ein einziger von 17 Exzel- nzclusters und nur vier von 18 Graduiertenschulen 11212 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 (A) ) (B) ) konnten sich durchsetzen. Jetzt, in der zweiten Förder- runde, haben sich die Antragsskizzen bei den Graduier- tenschulen und Exzellenzclusters relativ gleichmäßig verteilt. Die Geistes- und Sozialwissenschaften sind deutlich stärker als in der ersten Runde. Sie liegen bei den Graduiertenschulen mit den Lebenswissenschaften zusammen vor den beiden anderen Wissenschaftsgebie- ten. Deswegen kann es nur eine Schlussfolgerung geben: Bei künftigen interdisziplinären Wettbewerben und ge- rade bei der Fortschreibung der Exzellenzinitiative müs- sen die Eigenheiten der jeweiligen Wissenschaftsberei- che berücksichtigt werden. Deswegen fordert die FDP in ihrem Antrag, dass diese Fachbereiche sich auch Koope- rationsvorhaben öffnen müssen, wenn sie im internatio- nalen Wettbewerb bestehen wollen. Zweitens. Für uns als Liberale ist es wichtig, dass wir gerade auch die Kulturwissenschaften im öffentlichen Bewusstsein verankern – ein Schwerpunkt, den nur wir in unserem Antrag zum Jahr der Geisteswissenschaften setzen und der eng damit zusammenhängt, dass die Kul- tur- und Kreativwirtschaft die Zukunfts- und Wachs- tumsbranche in Deutschland ist. Deswegen ist es ein Fehler, dass sie nicht Bestandteil der Lissabonstrategie ist. Allein in Deutschland haben wir in der Kultur- und Kreativwirtschaft fast 1 Million Beschäftigte bei einem Jahresumsatz von sage und schreibe 126 Milliarden Euro. Nur wenn wir das Jahr der Geisteswissenschaften richtig in seiner Wirkung erkennen, wird es auch diesen dynamischen Entwicklungsbereich der Kulturwirtschaft stärken. Drittens. Das Jahr der Geisteswissenschaften muss auch ein Jahr der humanistischen Bildung werden – ge- rade der humanistischen Bildung. Wir haben in Deutsch- land 740 000 Lateinschüler. Seit vier Jahren steigt diese Zahl stetig, die letzte Steigerung betrug knapp 9 Prozent. Solch eine für unser Land wichtige Renaissance der hu- manistischen Bildung muss jedoch schulpolitisch durch die richtigen Maßnahmen verstetigt werden. Was aber macht die rot-tiefrote Koalition in Berlin? Sie stellt bei 35 000 Lehrern gerade einmal 174 Vollzeitlehrereinhei- ten für den Lateinunterricht zur Verfügung und hat auch noch massenweise offene Lateinlehrerstellen. Hier wird sträflich einer guten gesellschaftlichen Entwicklung po- litisch entgegengearbeitet. Wir als FDP begrüßen es deswegen umso mehr, dass mittlerweile Initiativen von Stiftungen und der Privat- wirtschaft gegründet werden, die eine Förderung der Geisteswissenschaften zum Ziel haben. Die Robert- Bosch-Stiftung fördert vorbildlich mit ihrem Programm „Denkwerk – Schüler, Lehrer und Geisteswissenschaft- ler vernetzen sich“ die geisteswissenschaftliche Bildung von Schülern. Darüber hinaus ist es das Ziel der Robert- Bosch-Stiftung, Partnerschaften zwischen Wissenschaft- lern, Lehrern und Schülern für gemeinsame Projekte zu initiieren. Vielleicht ist es ja in der Zeit einer vermeint- lich Großen Koalition ein beachtliches Zeichen, dass die Bosch-Stiftung an der Martin-Luther-Universität in Halle-Wittenberg seit Februar dieses Jahres das Projekt sponsert: „Politische Rethorik – Überzeugungsarbeit und Manipulation in Antike und Gegenwart“. d B c s k B w l D t s h W F v s g w w P I N r ü r d r s E s t i p l w p a k G s b w h l g z e E ö n b (C (D Viele Naturwissenschaftler und Ingenieure sind nur eswegen so gute Forscher, weil sie eine humanistische ildung genossen haben. Latein- und auch Altgrie- hischschulen schärfen den Geist, den Verstand und sen- ibilisieren für den bewussteren Umgang mit unseren ulturellen Traditionen. Gerade eine gute humanistische ildung kann einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass ir junge Menschen zu entscheidungsmutigen Persön- ichkeiten mit einem ethischen Fundament entwickeln. eshalb sollten wir auch das Jahr 2007 als Jahr der Geis- eswissenschaften aktiv dafür nutzen, für die humanisti- che Bildung zu werben. Ad multus annos! Auf weiter- in viele gute Jahre! Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Anfang 2006 hat der issenschaftsrat Empfehlungen zur Entwicklung und örderung der Geisteswissenschaften in Deutschland orgelegt. 2007 nun ist zum Jahr der Geisteswissen- chaften erklärt worden. Alles in allem sind dies zwei ewichtige Anlässe, sich im Bundestag mit den Ent- icklungsbedingungen und Perspektiven der Geistes- issenschaften zu befassen. Bei diesem Thema entwickeln Politikerinnen und olitiker ganz offensichtlich einen besonderen Ehrgeiz. mmerhin liegen dem Bundestag dazu vier Anträge vor. iemand – weder aus Oppositions- noch aus Regie- ungsfraktionen – wollte sich gegenseitig das Thema berlassen. Was vorgelegt wurde, ist alles in allem schon echt erstaunlich. Die Anträge weisen, wer hätte das ge- acht, doch erhebliche Schnittmengen auf. Nun mag dieser Umstand erstens darauf zurückzufüh- en sein, dass sich alle an den Empfehlungen des Wis- enschaftsrates entlanggearbeitet haben. Und in diesen mpfehlungen gibt es insbesondere mit Blick auf For- chungspotenzial und -leistung der Geisteswissenschaf- en in diesem Land viel Positives zu lesen. Zweitens stehen Debatten zu Geisteswissenschaften mmer unter dem Verdacht, auch stark ideologisch ge- rägt und politisch instrumentalisiert zu werden. Viel- eicht sollten auch Hoheitsgebiete abgesteckt werden, as die Antragsfülle ebenso begründen würde. Drittens ist die Wissenschafts- und Forschungsförder- olitik der Bundesregierung in den vergangenen Jahren usgesprochen technologielastig und technikzentriert onzipiert gewesen. In all diesen Programmen sind eistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften marginali- iert. Selbst wenn prozentual beachtliche Steigerungsraten ei der Förderung der Geisteswissenschaften verkündet urden, nehmen sich 64 Millionen Euro Bundesmittel öchst bescheiden gegenüber den Milliarden für techno- ogieorientierte Wissenschaftsdisziplinen aus. Im Ge- ensatz zu diesen sahen sich Geistes-, Kultur- und So- ialwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler stets inem hohen Rechtsfertigungsdruck ausgesetzt. Ihre xistenzberechtigung wird zwar nicht offen und nicht ffentlich bestritten. Dass sich ihre Ergebnisse zumeist icht in Euro und konkreten Produkten messen lassen, ringt sie aber in die Defensive, weil sie damit nicht in Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11213 (A) ) (B) ) den Zeitgeist passen. Hinzu kommt, dass Schwächen und Leerstellen bei den Geistes-, Sozial- und Kulturwis- senschaften meist erst nach Jahrzehnten erkennbar wer- den, weil sie in anderen Zeithorizonten wissenschaftlich arbeiten und weil es erst mit zeitlichem Abstand erkenn- bar wird, wo fehlende Erkenntnisse aus diesen Diszipli- nen mit zu ungünstigen gesellschaftlichen Weichenstel- lungen geführt haben. Vier Anträge können zumindest als Indiz dafür angesehen werden, dass im politischen Raum nun Handlungsdruck wahrgenommen wird. Vor diesem Hintergrund erschien es den Politikerin- nen und Politikern des Ausschusses für Bildung, For- schung und Technikfolgenabschätzung dann auch durch- aus sinnvoll, einmal darüber nachzudenken, ob sich aus dem Geist der vier Anträge nicht auch ein Komprimat als Kompromiss vereinbaren ließe. Irgendwie fühlte man sich diesen – in den letzten Jahren doch arg gebeutelten – Wissenschaftsdisziplinen verpflichtet. Also trafen wir uns, um konkret an einem gemeinsamen Antrag zu ar- beiten. Sich dabei nicht an Einzelheiten von Begrün- dungs- und Feststellungsteilen zu verzetteln und damit vielleicht die gemeinsame Chance auf Nebenschauplät- zen zu zerreden, wurde schnell Konsens. Wir wollten uns auf den Forderungsteil konzentrieren und gemein- sam Verabredungen treffen, was nun im Interesse der Geistes- und Sozialwissenschaften getan werden muss. Auch dieses Herangehen lieferte immer noch genügend inhaltliche Schnittmengen. In den Fraktionen blieben zwei Problemkreise als Diskussionsmasse: Erstens. Wie kann dafür gesorgt werden, dass die Kompetenzen von Bund, Ländern und Wissenschaftsein- richtungen verfassungsrechtlich geachtet, aber gleichzei- tig optimal zusammengeführt werden? Zweitens. Wie kann die Hauptkritik des Wissen- schaftsrates an den schlechten Lehr- und Studienbedin- gungen infolge des Bolognaprozesses, der Einführung von Bachelor- und Masterausbildung und der jahrelan- gen Unterfinanzierung textlich integriert werden? Aussichtslos erschien dieses Vorhaben nicht. Noch bevor wir dazu in die Tiefe gehen konnten, kam bereits aus den Untiefen der politischen Vorstellungswelt von CSU und CDU das große „Njet“ – mits den Kom- munisten mitanand moachen nia ned zsamma! War ja noch schöner! Und so haben nach diesem Spruch – weitab von Geisteswissenschaften – doch einmal wie- der Ideologen gewonnen. Dass sich CDU/CSU-Politiker immer noch an einen Beschluss aus buchstäblich dem letzten Jahrhundert klammern, drückt für mich inhaltli- chen und intellektuellen Notstand aus. Was nützt dann das Lob aus der Eröffnungsveranstal- tung zum Jahr der Geisteswissenschaften, dass man sich ungewöhnlich schnell mit einem Positionspapier des Wissenschaftsrates befasst habe? An der Situation von Tausenden Studierenden, Lehrenden und Forschenden wird sich auch künftig kaum etwas konkret ändern. Denn nunmehr wird ein Antrag beschlossen, der ganz zentrale Kritikpunkte aus den Empfehlungen des Wis- senschaftsrates nicht berücksichtigt. J h u Ü s h u G e d g s t e h p e B d L j l S ü w D Q K b n t e F k I e n z P v a a k t v d k d s r l n d s s m (C (D Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ahr der Geisteswissenschaften ist eine gute Gelegen- eit, deutlich zu machen, dass die Geisteswissenschaften nverzichtbar sind. Ich bin – mit vielen anderen – der berzeugung, dass der Bedarf an geistes- und sozialwis- enschaftlichen Orientierungsleistungen in Zukunft noch öher werden wird und dass wir deshalb gut daran tun, ns diesen Fächern verstärkt zuzuwenden. Das Jahr der eisteswissenschaften bietet aber auch einen Anlass zu iner kritischen Bestandsaufnahme. Es darf gerade in iesem Jahr nicht bei folgenlosen Sympathiebekundun- en bleiben, sondern wir müssen zu handfesten Verbes- erungen kommen. Und da muss man durchaus konsta- ieren, dass die Bundesregierung tatsächlich bereits inige Empfehlungen des Wissenschaftsrates umgesetzt at – insbesondere die geplanten Kolleg-Forschergrup- en –, was zu begrüßen ist. Allerdings gibt es trotzdem rheblichen Handlungsbedarf. Ich will Ihnen nur zwei eispiele nennen: Wir brauchen einen viel stärkeren Blick auf die Be- ingungen der geistes- und sozialwissenschaftlichen ehre an den Hochschulen. Wenn der größte Teil der ungen Leute, die wir von den Universitäten ins Berufs- eben entlassen, geistes- und sozialwissenschaftliche tudien absolvieren, dann kann es nicht sein, dass nur ber die Leistungsfähigkeit in der Forschung gesprochen ird und die Lehre immer weiter aus dem Blick gerät. eswegen fordern wir in unserem Antrag auch einen ualitätswettbewerb für gute Lehre. Die Anträge der oalitionsfraktionen und der FDP äußern sich zur Ver- esserung der Lehrbedingungen an den Hochschulen gar icht. Das ist einer der Gründe, warum wir beide An- räge ablehnen. Bildungsministerin Annette Schavan hat wiederholt rklärt, dass auch die kleinen geisteswissenschaftlichen ächer, die sogenannten Orchideenfächer, zentrale Er- enntnisse liefern und deshalb bewahrt werden müssten. n der hochschulpolitischen Realität findet aber längst in Sterben der kleinen Fächer statt. Viele Hochschulen utzen ihre neu gewonnene Autonomie, die ich im Prin- ip ausdrücklich begrüße, zu einer falsch verstandenen rofilbildung. Sie bauen die kleinen Fächer zugunsten on vermeintlich nützlicheren oder populäreren Fächern b. Das Ergebnis ist, dass am Ende manche Fächer über- ll ausgestorben sein werden, wenn wir nicht zu einem oordinierten Vorgehen gelangen. Damit die gut gemein- en Appelle der Ministerin nicht im föderalen Nirvana erhallen, sollte sie Taten folgen lassen. Bund und Län- er müssen zu verbindlichen Vereinbarungen darüber ommen, an welchen Orten vorhandene Exzellenz in en kleinen Fächern erhalten bzw. ausgebaut werden oll. Um dies zu ermöglichen, müssen solche Vereinba- ungen mit finanziellen Zuweisungen an die Hochschu- en unterfüttert werden. Auch zur Problematik der klei- en Fächer findet sich in den Anträgen der Koalition und er FDP nichts Konkretes. Wegen dieser Versäumnisse der Bundesregierung ieht es leider so aus, als wenn das Jahr der Geisteswis- enschaften am Ende eben doch nur ein Jahr der war- en, aber unverbindlichen Worte bleiben wird. 11214 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 (A) ) (B) ) Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Für die zügige Vor- lage eines qualifizierten Berichts über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutsch- land (Tagesordnungspunkt 14) Reinhard Grindel (CDU/CSU): Von allen überflüs- sigen Anträgen der Linkspartei ist das hier der mit Ab- stand überflüssigste. Wenn man sich den Bericht der Ausländerbeauftragten Marieluise Beck aus dem Jahre 2005 ansieht, dann stellt man fest, dass er zwei große Hauptteile hatte. Ein Hauptteil beschäftigte sich mit der Integration, der andere mit der Entwicklung des Rechts. In beiden Bereichen haben wir gerade in diesen Wo- chen wichtige Entscheidungen getroffen bzw. noch zu treffen. Das Kabinett hat vorletzten Mittwoch den Be- richt der Bundesregierung zu den Integrationskursen verabschiedet und nächste Woche wird der Nationale In- tegrationsplan vorgelegt. Der Bundestag hat vor drei Wochen das neue Aufenthaltsrecht beschlossen. Morgen wird es den Bundesrat passieren. Diese wichtigen Entscheidungen muss die Integra- tionsbeauftragte Maria Böhmer nun wirklich abwarten, bevor sie ihren Bericht erstatten kann. Es wäre doch ge- rade dann eine Missachtung des Parlaments, wenn die Staatsministerin uns einen Bericht vorgelegt hätte, der im Grunde mit der Drucklegung schon veraltet ist. Der Bericht befasst sich eben nicht nur, wie die Linkspartei behauptet, mit der Diskriminierung von Flüchtlingen und Menschen ohne deutschen Pass. Wenn man in den letzten Bericht von 2005 schaut, dann stellt man fest, dass dort intensiv die Themen „Kommunale Integrationsarbeit“ und „Migranten im Kindergarten“ behandelt werden. Es geht in dem Bericht um Arbeits- marktintegration und die Rolle von Migranten im Sport. Das sind alles zentrale Themen des Integrationsgipfels und des Nationalen Integrationsplans, und es ist wirklich abwegig, dass Sie hier kritisieren, dass Frau Böhmer ih- ren Bericht hätte abgeben müssen, obwohl die Beratun- gen des Nationalen Integrationsplans noch gar nicht ab- geschlossen sind. Lassen Sie mich deutlich hervorheben, dass sich der Bericht der Staatsministerin vor allem in einem Punkt unterscheiden wird: Er wird nämlich erstmals die Hal- tung der gesamten Bundesregierung widerspiegeln und nicht nur die Privatmeinung der Beauftragten. Der Be- richt von Frau Beck hatte 604 Seiten. Wenn man alles das einmal herausgefiltert hätte, was der damalige Bun- desinnenminister Otto Schily nicht für richtig gehalten hat, dann wäre von dem dicken Bericht nur eine dünne Broschüre übriggeblieben. Der Bericht von Staatsministerin Böhmer wird dage- gen jedem Interessierten – Deutschen wie Ausländern – eine Vorstellung davon vermitteln, wie die Bundesregie- rung ganz konkret Integrationspolitik gestaltet. Schon die organisatorische Ansiedlung, die die Be- auftragte erfahren hat, zeigt doch den viel höheren Stel- l K D m B r B a K p i s t c g I d a g v p d B d a P t k u t H b w s l n r e d d t t b e D t e W g r d g d d s w (C (D enwert, der der Integrationspolitik seitens der Großen oalition im Vergleich zu Rot-Grün beigemessen wird. ie Beauftragte Frau Beck war angeklatscht an das Fa- ilienministerium. Die Integrationsbeauftragte Maria öhmer sitzt im Kanzleramt. Das ist ein wichtiges und ichtiges Symbol. Integration, das ist in der jetzigen undesregierung Chefsache. Das ist eine Querschnitts- ufgabe, der sich die Beauftragte mit Unterstützung der anzlerin widmet. Bei uns hat die konkrete Integrations- olitik endlich den Stellenwert, den sie verdient. Ich will die Gelegenheit nutzen, Maria Böhmer für hre bisherige Arbeit recht herzlich zu beglückwün- chen. Niemand hat es vor ihr geschafft, einen Integra- ionsgipfel zustande zu bringen, der jetzt auch Vorbild- harakter für die Bundesländer hat. Niemand hat ein so eschlossenes Konzept erarbeitet, wie den Nationalen ntegrationsplan, in dem eben nicht nur der Bund, son- ern alle staatlichen Ebenen, auch die Länder und vor llem gerade auch die Kommunen sowie die vielen Or- anisationen im vorpolitischen Raum, sich durch Selbst- erpflichtungen zu ihrem politischen Beitrag und ihrer olitischen Verantwortung für die Integration der auslän- ischen Mitbürger in unserem Land bekennen. Frau öhmer hat die besondere Bedeutung der Rolle der Me- ien für die Integration von Ausländern eingefordert und uch hier erhebliche Leistungen von Fernsehsendern und rintmedien erwirken können. Es ist gerade auch das Verdienst der jetzigen Integra- ionsbeauftragten, dass die Mittel für die Integrations- urse im kommenden Jahr erheblich aufgestockt werden nd wir damit nochmals eine ganz wesentliche qualita- ive Verbesserung dieser wichtigen Kurse erreichen. erzlichen Glückwunsch zu dieser hervorragenden Ar- eit! Deshalb habe ich auch überhaupt kein Verständnis, enn einzelne Vertreter aus dem Bereich der muslimi- chen und türkischen Verbände in diesen Tagen aus An- ass des Integrationsgipfels und der Verabschiedung des euen Zuwanderungsrechts Kritik an der Staatsministe- in üben. Wir machen mit dem neuen Aufenthaltsrecht ndlich Ernst mit dem Grundsatz „Fördern und For- ern“. Es geht doch nicht um Sanktionen. Es geht uns arum, dass alle ausländischen Mitbürger, die Integra- ionsbedarf haben und gerade die, die bisher einen wei- en Bogen um unsere Integrationsangebote gemacht ha- en, jetzt endlich die Integrationskurse besuchen und inen aktiven Beitrag für ein besseres Miteinander von eutschen und Ausländern in unserer Gesellschaft leis- en. Das ist bitter nötig, denn ich will schon auf die neu- ste Umfrage des ZDF und der Forschungsgruppe ahlen verweisen, wonach 79 Prozent der Bundesbür- er die Auffassung vertreten, dass die Muslime in unse- em Land zu wenig für ihre Integration leisten. Darüber arf man nicht einfach so hinweggehen, weil zur Inte- ration nicht nur die Integrationsbereitschaft der Auslän- er, sondern gerade auch die Aufnahmebereitschaft der eutschen Mitbürger gehört. Deshalb habe ich kein Ver- tändnis und halte es geradezu für kontraproduktiv, enn jetzt einzelne Verbände erwägen, ob sie den Inte- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11215 (A) ) (B) ) grationsgipfel in der kommenden Woche boykottieren, weil sie mit unseren Beschlüssen zum Zuwanderungs- recht nicht einverstanden sind. Ich sage ganz deutlich: Eine Einstellung nach dem Motto „Entweder ihr be- schließt, was wir wollen, oder wir reden nicht mehr mit euch“ offenbart schon ein sehr problematisches Politik- und Demokratieverständnis. Ich warne diejenigen, die meinen, sie müssten jetzt Stimmung machen, ganz ausdrücklich. Es darf nicht sein, dass man ein Zerrbild vom neuen Ausländerrecht zeichnet, dass man damit den ausländischen Mitbürgern Angst macht und man sich anschließend beklagt, die Ausländer in Deutschland fühlten sich von der Politik nicht richtig angenommen. Ich sage noch einmal: Die Große Koalition will eine konsequente Integrationspolitik. Keine beliebige, keine, die die Ausländer sich selbst überlässt, kein unverbindli- ches Nebeneinander, das Parallelgesellschaften zemen- tiert. Wir wollen ein konsequentes Miteinander, mit kla- ren Regeln des Zusammenlebens, mit der Erwartung, dass jeder seinen Beitrag leistet, dass Integration auch gelingt. In diesem Sinne macht die Integrationsbeauftragte Maria Böhmer eine sehr gute Arbeit. Das wird ihren Be- richt zur Lage der Ausländer auch kennzeichnen. Wir freuen uns auf diesen Bericht, und jeder ist dann herzlich zu einer fairen Diskussion eingeladen. Sebastian Edathy (SPD): Integration ist – das wis- sen und betonen wir von der SPD-Bundestagsfraktion seit langem – kein Randthema. Im Gegenteil: Integration ist in einem Land, in dem nach jüngsten Erhebungen etwa jeder fünfte Bürger einen Migrationshintergrund hat, ein Kernthema. Es geht um eine zentrale Frage für das Gelingen des gesellschaftlichen Miteinanders in Deutschland. Dies gilt umso mehr, weil über Jahre hinweg ver- säumt wurde, ernsthaft darüber nachzudenken, dass ein wachsender Bedarf an Integrationsmaßnahmen, vor al- lem aber ein Bedarf an Integrationskonzepten besteht und diesem Bedarf Rechnung zu tragen ist. Erst die SPD-geführte Bundesregierung hat eine Re- form des Staatsbürgerschaftsrechtes und die Schaffung eines Integrations- und Zuwanderungsgesetzes ermög- licht. Damit haben wir die richtigen Schlussfolgerungen aus der Tatsache gezogen, dass unser Land – auch – ein Einwanderungsland ist. Die sich daraus ergebenden Chancen müssen wir nutzen, die Risiken minimieren. Letzteres bedeutet: Wir müssen Sorge dafür tragen, dass Integration gelingt – im Sinne der Ermöglichung von gleichberechtigten Chancen auf Teilhabe am gesell- schaftlichen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben. Genau davon lebt eine Demokratie. Eine Gesell- schaft, die gespalten ist in Etablierte und Außenseiter, kann nicht unseren Vorstellungen entsprechen. Es freut mich, dass wir unseren jetzigen Koalitions- partner von der Wichtigkeit dieser Thematik überzeugen konnten. Und sehr wohlwollend haben wir zur Kenntnis g e d b e R g f u z A s N s h u l B s B t J V O l g P r d b T d g B w i n s I s S b g B i E m W e t (C (D enommen, dass die Bundeskanzlerin vor einem Jahr rstmals zu einem Integrationsgipfel eingeladen hat. Das Ergebnis des Gipfels war der Entschluss, sich mit er Erstellung eines Nationalen Integrationsplanes zu efassen. Dieser soll nun in Kürze vorgelegt werden – in umfangreiches Unterfangen, welches Personal und essourcen der Integrationsbeauftragten der Bundesre- ierung gewiss in einem erheblichen Maße bindet, of- enkundig sogar in einem Umfang, der eine zeitgleiche nd fristgerechte Fertigstellung des alle zwei Jahre vor- ulegenden Berichts zur Lage der Ausländerinnen und usländer in Deutschland nicht ermöglicht. Es ist natürlich richtig und wichtig, dass Frau Profes- or Dr. Böhmer dem äußerst bedeutsamen Projekt eines ationalen Integrationsplanes vordringlich Aufmerk- amkeit und personellen Einsatz zukommen lässt. Sie at erklärt, den 7. Bericht zur Lage der Ausländerinnen nd Ausländer in der Bundesrepublik nicht, wie gesetz- ich vorgesehen, innerhalb einer Zweijahresfrist dem undestag zuzuleiten. Das hätte jetzt der Fall sein müs- en, da der 6. Bericht aus dem Juni 2005 stammt. Frau öhmer hat Ende April 2007 dem Bundestagspräsiden- en mitgeteilt, dass der Bericht erst im ersten Quartal des ahres 2008 vorgelegt wird. Es mutet jedoch etwas seltsam an, wenn – wie ein ermerk aus dem Amt von Frau Dr. Böhmer aus dem ktober 2006 ergibt – diese Verschiebung bereits im etzten Herbst geplant war und in diesem Vermerk zu- leich die Absicht dokumentiert wurde, hierüber das arlament erst – Zitat – „ab April 2007“ zu informieren. Es ergeben sich zwei Fragen: Erstens. Wenn die Verschiebung der Vorlage des Be- ichtes an mangelnden Ressourcen liegen sollte, müsste ann nicht sichergestellt werden, dass die Integrations- eauftragte diese erhält? Mit anderen Worten: Wenn das hema Integration an Wichtigkeit gewinnt, dann muss as für die personelle Ausstattung des Amtes der Inte- rationsbeauftragten Folgen haben! Zweitens. Wenn die Verschiebung der Vorlage des erichtes bereits im Oktober 2006 beschlossene Sache ar, warum wurde dann das Parlament nicht unmittelbar nformiert? Im Klartext: Wenn sich die Bundesregierung icht in der Lage sieht, einen ihr vom Gesetzgeber ge- tellten Auftrag umzusetzen, dann ist eine umgehende nformation des Bundestages eine blanke Selbstver- tändlichkeit! Der Lagebericht ist ein wichtiges Dokument, um die ituation von ausländischen Mitbürgerinnen und Mit- ürgern in Deutschland zu bewerten. Er war in der Ver- angenheit ein guter und hilfreicher Seismograf für die eurteilung der Lage von Migrantinnen und Migranten n Deutschland. Er nennt Erreichtes und Probleme, stellt ntwicklungen dar und skizziert zukünftige Handlungs- öglichkeiten. Der Bericht tat dies bisher in nüchterner Art und eise und setzte damit ein Gegengewicht gegen die oft motional geführten Diskussionen über Ausländerpoli- ik. Er griff inhaltlich die verschiedensten Bereiche des 11216 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 (A) ) (B) ) Lebens von Ausländerinnen und Ausländern in der Bun- desrepublik auf: ihre Arbeitssituation, ihren Bildungs- stand, ihre Einbindung in die deutsche Gesellschaft – um nur einige Aspekte zu nennen. Er griff auch die relevan- ten rechtlichen Entwicklungen auf nationaler wie euro- päischer Ebene auf. Die wissenschaftliche Tiefe, die den Bericht bisher auszeichnete, sollte erhalten und die Breite der behan- delten Themen in keinster Weise eingeschränkt werden. Das, wie in dem von mir erwähnten Vermerk festge- halten, der Bericht „200 Seiten plus einen Datenanhang nicht überschreiten“ solle, halte ich für eine seltsame Vorgabe. Die Notwendigkeit des Umfanges eines Doku- ments ergibt sich doch wohl aus der Breite der behandel- ten Materie und der notwendigen Intensität ihrer Darstel- lung – und nicht umgekehrt! Es wäre schade, wenn dieser wichtige Bericht nicht nur verspätet vorgelegt würde, sondern auch qualitativ suboptimal gestaltet werden sollte. Mit dem demnächst vorliegenden Nationalen Integra- tionsplan wird ein sehr wichtiges Dokument vorliegen. Seit dem Integrationsgipfel 2006 haben Experten zu ver- schiedenen Themen Ziele und Maßnahmen vereinbart. Am 14. Juni 2007 haben die Innenminister der Bundes- länder im Rahmen ihres halbjährlichen Zusammentreffens ebenfalls recht bemerkenswerte Vorschläge zur Einarbei- tung in den Nationalen Integrationsplan beschlossen. Die Bundeskanzlerin wird für den 12. Juli 2007 er- neut zu einem Integrationsgipfel ins Kanzleramt einla- den. Dort stellt sie den Nationalen Integrationsplan vor. Es muss uns jedoch klar sein: Absicht der Bundesre- gierung sollte es sein, mit dem Integrationsplan denjeni- gen die Hand zu reichen, die noch nicht ideal in unsere Gesellschaft integriert sind. Die Arbeit der Expertengruppen verheißt zunächst Gutes. Viele für das Gelingen der Integration relevante Themen wurden intensiv diskutiert, und verschiedene Vorschläge zur Verbesserung der Integrationskurse oder zur Erhöhung der Arbeitsmarktchancen von Menschen mit Migrationshintergrund wurden gemacht. Worauf wir jedoch auch achten müssen – und die der- zeitige, offenkundig gewordene Überlastung von Frau Professor Dr. Böhmer und ihrem Mitarbeiterstab deutet mehr als deutlich darauf hin – ist, dass gegenüber dem „Fordern“ das „Fördern“ nicht ins Hintertreffen gerät. Das heißt, wir sollten darauf achten, dass in den bald wieder anstehenden Haushaltsverhandlungen Mittel be- reitgestellt werden, die die Ziele und Maßnahmen im In- tegrationsplan auch umsetzbar machen. Wenn wir etwa Verbesserungen der Integrationskurse erreichen wollen, dann muss dies mit einer ausreichen- den finanziellen Ausstattung einhergehen. Wenn – was ich sehr richtig finde – Kindern mit Migrationshinter- grund schon in Kindertageseinrichtungen Deutsch beige- bracht werden soll, dann muss das Personal entspre- chend geschult und gegebenenfalls erhöht werden. n m s N t U I F g t e n F r e J a F e b D m b m d g F e s U c s R s g s B d V g w m i v d b b p o g n H E v (C (D Ich wünsche mir, dass der Nationale Integrationsplan icht nur ein Plan bleibt, sondern dass wir die Ziele ge- einsam erreichen. Ich wünsche mir aber auch, dass ich Frau Professor Dr. Böhmer der Relevanz und des utzens des Lageberichts bewusst ist und diesen – künf- ig bitte wieder fristgerecht – im bisherigen gründlichen mfang vorlegt. Auf Folgendes will ich abschließend noch hinweisen: ntegrationspolitik heißt, nicht eine Politik der geballten aust, sondern eine Politik der ausgestreckten Hand zu estalten. Da wäre es schon hilfreich, wenn die Integra- ionsbeauftragte und vielleicht auch die Bundeskanzlerin in wenig mehr Einfluss auf den Bundesinnenminister ähmen. Dieser hat jüngst vorgeschlagen, dass wir die ingerabdrücke aller in Deutschland lebenden Auslände- innen und Ausländer erheben sollen. Man muss sich das inmal vor Augen führen: Wir sollen also die zum Teil ahrzehnte bei uns lebenden ausländischen Mitbürger uffordern, zum Anlegen einer neuen Datenbank ihre ingerabdrücke abzugeben. Was hieße das? Das hieße, inen Generalverdacht gegenüber den in Deutschland le- enden Migrantinnen und Migranten auszusprechen. as macht die SPD-Bundestagsfraktion auf keinen Fall it. Solch ein unerhörter Vorschlag wäre besser unter- lieben. Er konterkariert das, was unser aller Ziel sein uss: Integration zu fördern und eine bisweilen vorhan- ene Kultur des Misstrauens zu überwinden. Sibylle Laurischk (FDP): Der zweite Integrations- ipfel steht vor der Tür, und die Kanzlerin geht ihrer riede-Freude-Eierkuchen-Stimmung verlustig. Einige ingeladene Verbände haben ihre Teilnahme infrage ge- tellt, weil die Bundesregierung in ihrem sogenannten msetzungsgesetz von elf asyl- und aufenthaltsrechtli- hen Richtlinien die Kultur des Misstrauens pflegt. Die- er Schritt ist nachvollziehbar. Denn wer will schon den ahmen für ein Gruppenfoto bilden, wenn gleichzeitig, ozusagen durch die kalte Küche, massive Verschärfun- en im Ausländerrecht serviert werden? Ich halte es chon für zynisch, wenn Herr Schäuble das Gesetz im undestag noch als integrationsfördernd lobt. Das setzt em Ganzen doch die Krone auf. Denn dies muss am orabend des zu erwartenden Beschlusses im Bundesrat esagt werden: Dieses Umsetzungsgesetz verhindert Zu- anderung, verschenkt damit deren Potenziale und at- et den Geist des Misstrauens. Offensichtlich hat die Ansiedelung von Frau Böhmer m Kanzleramt nicht das gebracht, was man sich davon ersprochen hat. Die Hardliner in den Bundes- und Lan- esinnenministerien lassen sich nicht von ein paar Ar- eitsgruppen im netten Kreis von ihren Haltungen ab- ringen. Für sie sind Zuwanderer immer noch otenzielle Bedrohungen, sei es für die innere Sicherheit der für ihre liebgewordenen Ressentiments. Es ist verständlich, dass sich die Verbände nun hinter- angen fühlen. „Integration funktioniert nur mit Teil- ahme, nicht mit Wegbleiben“, sagte der Sprecher von errn Schäuble auf die Ankündigung des Fernbleibens. in interessantes Leitmotiv nach einem Gesetzgebungs- erfahren, das in Hinterzimmern ausgefeilscht wurde, Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11217 (A) ) (B) ) bei dem man drei Sachverständigenanhörungen weitge- hend ohne Anwesenheit der Bundesregierung durchge- führt hat und deren Ergebnisse nicht einmal im Ansatz berücksichtigt wurden. Dieses Wegbleiben haben alle Beteiligten verstanden. Ich setzte dem entgegen: Integra- tion funktioniert nur mit Zuhören, nicht mit Wegsehen. Dabei sind die Erwartungen an den Nationalen Inte- grationsplan allerorten so geschürt worden, dass man schon das Gefühl bekommt, dies sei der Endpunkt und mit den darin enthaltenen Selbstverpflichtungen sei schon alles erledigt. Im Gegenteil: Integration ist ein Prozess, der immer aufs Neue gestaltet werden muss. Der Nationale Integrationsplan kann nur ein Anfang sein, der gerade die staatlichen Akteure darauf aufmerk- sam macht, dass Integration eine Querschnittsaufgabe ist, die der Aufmerksamkeit aller bedarf und nicht nur mit Sozialarbeitern und Ausländerämtern erledigt wer- den kann. Ein verlässliches Dokument für die Arbeit in diesem Feld war immer der Ausländerbericht – umfangreiches, auf wissenschaftlicher Grundlage erstelltes Material; es wurden viele Erkenntnisse publiziert und viele Forde- rungen aufgestellt, die wir heute vorantreiben, ohne die notwendige Aufmerksamkeit im politischen und veröf- fentlichten Raum gefunden zu haben. Diese Notwendig- keit wird auch durch den Nationalen Integrationsplan nicht ersetzt. Der Ausländerbericht darf schon gar nicht zu „Marias Resterampe“ werden, zusammenstrickt aus den nicht veröffentlichten Teilen des Integrationsplans. Hier fordert die FDP die Staatsministerin auf, bei dem bewährten Verfahren zu bleiben und eine klare Zustands- beschreibung und Analyse der Situation der Ausländer in Deutschland zu erstellen. Allerdings geht auch Gründlichkeit vor Schnelligkeit. Besser einen fundierten Plan nach bewährtem Muster als ein unbrauchbares Dokument, nur um die Frist einzuhal- ten. Diesbezüglich kann ich dem Antrag hier nicht fol- gen. Darüber hinaus bekleckert sich die Bundesregierung in der Qualität ihrer Antworten und Berichte schon jetzt nicht gerade mit Ruhm; wir möchten sie davor bewah- ren, dieser langen Liste auch noch den Ausländerbericht hinzuzufügen. Was da manchmal auf unsere Schreib- tische flattert, sehe ich als die eigentliche Missachtung des Parlaments an, wobei es sich um eine fortgesetzte Missachtung handelt. Denn das ganze Verfahren des Na- tionalen Integrationsplans ist eine einzige Missachtung des Parlaments. Es gab eine bewusste Umgehung des Deutschen Bundestages, nur um der Kanzlerin einige mehr oder weniger gelungene Auftritte mit Migranten zu verschaffen. Wir werden sehen, ob der Auftritt nächste Woche den gewünschten Harmonieeffekt hat, oder ob sich die Kanzlerin dort auch für die Politik der Regie- rung rechtfertigen muss. Eine Enquete-Kommission für Migration und Integra- tion im Deutschen Bundestag hätte diesen jetzt spürba- ren Legitimitätsverlust nicht. Sie wäre im Gegenteil eine breite gesellschaftliche Aufstellung, die sich fundiert mit den Themen und auch den Vorstellungen befasst, ohne in das Korsett exekutiver Zwänge und großkoalitionärer In- s C d N n e d m B g n g F i E s g e u a n R d I c d n f c l w d u D s w g b v z v ü g v B e h s A d t ü D D (C (D zenierung eingezwängt zu sein. Lassen Sie uns diese hance ergreifen! Nach dem nächsten Donnerstag wer- en Sie sehen, wie notwendig das ist. Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- EN): Es kommt darauf an, dass beim Integrationsgipfel icht nur Sonntagsreden gehalten werden, sondern auch ntsprechende Taten folgen. Wenn der Integrationsgipfel er Bundesregierung mehr sein soll als „weiße Salbe“, uss er auch als Messlatte an die tatsächliche Politik der undesregierung angelegt werden. Integration ist für die rüne Fraktion nicht von Rechtssicherheit für Migrantin- en und Migranten zu trennen. Die Überlegung der Mi- rantenverbände, sich nicht als integrationspolitisches eigenblatt beim Integrationsgipfel benutzen zu lassen, st nachvollziehbar. Versteckt in einer angeblichen Umsetzung von elf U-Richtlinien enthält das Zuwanderungsänderungsge- etz zahlreiche rechtsstaatlich bedenkliche Verschärfun- en im Ausländer- und Flüchtlingsrecht. Diese sind von inem generellen Misstrauen gegenüber Migrantinnen nd Migranten geprägt. Die Koalition hält mit aller Kraft m Gedanken der Zuwanderungsbegrenzung fest. Dabei immt sie bewusst familien- und integrationsfeindliche egelungen in Kauf. Morgen besteht für die Bundeslän- er, die es wirklich ernst meinen mit der Förderung von ntegration, die letzte Chance, dieses integrationsfeindli- he Gesetz im Bundesrat abzulehnen. Während die Länder beim Integrationsgipfel betonen, ie Sprachförderung verbessern zu wollen, sieht das eue Gesetz vor, Menschen ohne Deutschkenntnisse ein- ach gar nicht einreisen zu lassen. Das Recht auf eheli- hes Zusammenleben wird von mündlichen und schrift- ichen Sprachkenntnissen abhängig gemacht. Damit erden keine Zwangsheiraten verhindert und nichts für ie Integration getan. Kenntnisse der deutschen Sprache nd der Rechte von Frauen können viel besser in eutschland vermittelt werden – in den Integrationskur- en, die mit dem Zuwanderungsgesetz 2005 geschaffen urden. Nun zum Antrag der Linksfraktion: Wir halten im Ge- ensatz zur Linksfraktion nichts davon, die Integrations- eauftragte zur sofortigen Vorlage ihres Lageberichtes erpflichten zu wollen. Zwar wäre der im Turnus von wei Jahren fällige Bericht im Juni 2007 dem Bundestag orzulegen gewesen. Die Beauftragte hat aber gegen- ber dem Bundestagspräsidenten mitgeteilt, dass sie we- en der Arbeit um den Integrationsgipfel um eine Frist- erlängerung für die Abgabe des Berichtes bittet. Der undestagspräsident hat inzwischen geantwortet und um ine baldmögliche Übermittelung des Berichtes gebeten. Für unsere Fraktion gilt: Wir sind an einem qualitativ ochwertigen und umfassenden Lagebericht interes- iert. Dieses Ziel kann aber durch die Vorstellungen im ntrag der Linksfraktion nicht erreicht werden – zumal urch das Schreiben des Bundestagspräsidenten die zen- rale Forderung des Antrags hinfällig geworden ist. Der Lagebericht stellte bislang eine fundierte Quelle ber die Situation von Migrantinnen und Migranten in eutschland für Politik, Wissenschaft und Medien dar. ies war sowohl zu Zeiten der Integrationsbeauftragten 11218 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 (A) ) (B) ) Cornelia Schmalz-Jacobsen als auch zu Zeiten von Marieluise Beck so. Meine Fraktion würde es begrüßen, wenn die Integrationsbeauftragte möglichst wenige Än- derungen an der inhaltlichen Struktur vornehmen würde – wie es ein mitgeschickter interner Vermerk ihres Hauses an das Bundestagspräsidium vermuten lässt. Dr. Maria Böhmer (Staatsministerin bei der Bundes- kanzlerin): Lassen sie mich zunächst eine Vorbemer- kung zum gegenwärtigen Integrationsprozess machen. Erstens. In einer Woche wird die Bundeskanzlerin den Nationalen Integrationsplan der Öffentlichkeit vorstel- len. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik ha- ben alle staatlichen Ebenen, die mit Fragen der Integra- tion befassten Verbände, Migrantenorganisationen, Gewerkschaften, Kirchen, Vertreter der Medien und des Sports gemeinsam die Schwerpunkte der Integrations- politik definiert. Insgesamt 367 Personen in zehn Ar- beitsgruppen waren daran beteiligt. Sie haben sich auf konkrete Maßnahmen geeinigt. Der Plan enthält darüber hinaus 250 Selbstverpflichtungen. Zweitens. Im Auftrag der Bundeskanzlerin habe ich diesen Arbeitsprozess koordiniert. Es war eine gewaltige Kraftanstrengung, aber es hat sich gelohnt. Der Dialog- prozess und die Ergebnisse des Nationalen Integrations- plans werden von allen außerordentlich positiv aufge- nommen. Damit eröffnen wir Menschen aus Zuwandererfami- lien neue Chancen! Damit eröffnen wir Deutschland neue Chancen! Drittens. Damit wird deutlich: Deutschland ist Inte- grationsland. Wir begreifen Integration als fortschreiten- den Prozess in der Verantwortung aller. Er führt zur gleichberechtigten Teilhabe, zum wechselseitigen Ver- ständnis und zur Identifikation mit unserem Land. Ich freue mich über alle, die zu diesem Prozess beitragen wollen. Viertens. Kein Beitrag dazu ist allerdings Ihre Klage darüber, dass der gesetzlich vorgeschriebene Bericht der Beauftragten noch nicht vorliegt. Dabei handelt es sich um den durchsichtigen Versuch, der Beauftragten und damit der Integrationspolitik der Bundesregierung Ver- säumnisse nachweisen zu wollen. Es gibt bei dieser Bun- desregierung keine Versäumnisse in der Integrationspoli- tik, im Gegenteil. Fünftens. Es ist selbstverständlich, dass gesetzliche Regelungen befolgt werden. Es muss schon sehr gute Gründe geben, wenn es Ausnahmen von Fristen gibt. Das war in der Vergangenheit schon so. Aufgrund der Neuausrichtung des Zuwanderungsrechts kam der letzte Lagebericht, den meine Vorgängerin zu verantworten hatte, mit einer Verspätung von zehn Monaten heraus. Auch die Fraktion Die Linke hat sich in den Bundestags- ausschüssen an der Diskussion in über den Bericht betei- ligt, aber an der Überschreitung der Frist keinerlei Kritik geübt. Sechstens. Umso mehr verwundert es, dass sie es jetzt monieren. Im Gegensatz zu früher lege ich Wert auf Transparenz. Deshalb hatte ich dem Bundestagspräsi- denten mitgeteilt, dass sich die Abgabe des Lageberichts verschieben wird. Die Fraktion die Linke hat daraufhin r l z w N A h v a e i r d w B e l A w ß l w t r f e G s r p b e A k D (C (D eagiert, dass der Lagebericht schnellstmöglich vorge- egt werden soll. Ich habe den Bundestagspräsidenten in- wischen informiert, dass diesem Anliegen entsprochen ird. Ihr Antrag ist damit gegenstandslos. Hinzufügen möchte ich: Siebtens. Das veränderte Zuwanderungsrecht und der ationale Integrationsplan schaffen eine völlig neue usgangslage. Davon kann der Lagebericht nun ausge- en. Andernfalls wäre er mit seinem Erscheinen bereits eraltet gewesen. Ein später vorgelegter Bericht ist somit keine „Miss- chtung des Parlaments“, ganz im Gegenteil: Nur so ist s möglich, die parlamentarische Entscheidungsfindung n der Zukunftsfrage Integration im nächsten Lagebe- icht zu berücksichtigen – und nicht erst in zwei Jahren. Achtens. Auch der Nationale Integrationsplan kann adurch berücksichtigt werden. Er lässt sich keineswegs, ie Sie in Ihrem Antrag behaupten, auf „Vorhaben der undesregierung“ reduzieren. Hier handelt es sich um inen Arbeitsprozess mit gesamtgesellschaftlicher Betei- igung und von gesamtgesellschaftlicher Relevanz. In usschüssen des Deutschen Bundestages wurde dazu iederholt Stellung genommen. Der Dialogprozess, den die Bundesregierung angesto- en hat, ist einmalig. Er ist von allen Beteiligten aus Po- itik und Gesellschaft als große Bereicherung empfunden orden. Zahlreiche Arbeitsgruppen haben bereits wei- ere Begegnungen geplant. Der Prozess wird von unse- en Nachbarländern mit großer Aufmerksamkeit ver- olgt. Der Dialog ist mit der Vorstellung des Plans nicht be- ndet. Ganz im Gegenteil: Er wird damit auf eine neue rundlage gestellt. Der Nationale Integrationsplan chreibt fest, worauf wir uns geeinigt haben, wo es vo- angehen muss und was zu tun ist. Für die Umsetzungs- hase setzte ich auf ein enges Zusammenwirken aller, esonders aber das Parlament und das Engagement der inzelnen Abgeordneten in ihren Wahlkreisen. nlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden Zur Beratung: – Beschlussempfehlung und Bericht zu den Anträgen: – Attraktivität des Wassertourismus und des Wassersports stärken – Sport- und Freizeitschifffahrt in Deutsch- land erleichtern – Antrag: Sportschifffahrt und Wassersport wirksam fördern und von überflüssigen Be- schränkungen befreien (Tagesordnungspunkt 19 und Zusatztagesord- nungspunkt 11) Renate Blank (CDU/CSU): „Wer den Hafen nicht ennt, in den er segeln will, für den ist kein Wind günstig.“ iese über 2 000 Jahre alten Worte des römischen Philoso- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11219 (A) ) (B) ) phen Seneca können noch heute sinnbildlich Richtschnur sein – auch wenn es um die Zukunft von Wassersport und Wassertourismus in Deutschland geht. Um im Bild zu bleiben: Diese Koalition hat sich nach dem Motto „Zu- kunft hat, wer sie gestaltet“ schon in der Koalitionsverein- barung über den „Hafen“ verständigt und will mit dem vorliegenden Antrag „Attraktivität des Wassertourismus und des Wassersports stärken“ den notwendigen günsti- gen Rückenwind für einen wichtigen Bereich geben. Denn kein Wirtschaftssektor wächst weltweit so schnell wie der Tourismus. Der Tourismus ist wie keine andere Branche auf eine schöne Natur und eine intakte Umwelt angewiesen; daher hat ein natur- und umweltverträglicher Tourismus in Deutschland eine Schlüsselfunktion für nachhaltige Entwicklung. 2,8 Millionen Menschen arbei- ten in Deutschland in der Tourismusbranche. Tourismus gehört in Bezug auf den Umsatz, vor allem aber in Bezug auf die Beschäftigungszahlen zu den wichtigen Branchen in Deutschland. Die Koalitionsfraktionen setzen sich für eine bessere Nutzung des großen Potenzials, für die touristische Nut- zung der deutschen Wassersportreviere auf Flüssen, Bin- nenseen, vernetzten Wasserwegen und an der Nord- und Ostsee ein. Die Bundesregierung wird zudem mit Maß- nahmen beauftragt, die eine Vereinfachung und Deregu- lierung zum Ziel haben. So sollen die Zulassungskriterien und Prüfungsinhalte für Sportbootführerscheine grund- sätzlich überprüft, unterschiedliche Führerscheine besser aufeinander abgestimmt oder auch klare, übersichtliche Vorgaben bei den bestehenden verbindlichen Ausrüs- tungsstandards entwickelt werden. Nicht nur, aber auch in strukturschwachen Regionen kann der Wassertourismus wichtige Impulse für den gesamten Arbeitsmarkt geben. Bereits heute betreiben über 6 Millionen Menschen Was- sersport, der von Segeln, Surfen, Tauchen, Angeln bis zum Kanu-, Motorboot- und Wasserskifahren reicht. Auch Urlaub mit Hausbooten erfreut sich immer größerer Be- liebtheit. Ein Grund hierfür ist, dass immer mehr Gewässer ohne einen Führerschein befahren werden können und die Freigabe weiterer geeigneter Binnengewässer ge- prüft wird. Wichtig ist ein verstärktes Marketing im In- und Ausland, da sich unsere Tourismusregionen nicht mehr allein mit innerdeutschen Regionen in Konkurrenz befinden. Die Wettbewerber sind zunehmend auch jene touristischen Destinationen zwischen Ostsee und Schwarzem Meer, die mit dem EU-Beitritt viel näher lie- gen als jemals zuvor. Diesem Wettbewerb wollen und müssen wir uns stellen. Und wir haben meines Erachtens auch gute Chancen, in diesem Wettbewerb nicht nur zu bestehen, sondern ihn positiv im Sinne von mehr Be- schäftigung und mehr wirtschaftlicher Wertschöpfung zu nutzen. Als Parlamentarier haben wir daher ein großes Inte- resse daran, unseren nachhaltigen Inlandstourismus noch weiter zu stärken, auch um das Klima zu schützen. Der Wassertourismus hat sich zu einem eigenständigen An- gebotssegment entwickelt, das in vielen Fällen sogar ein bedeutender Standortfaktor ist, von dem wichtige Im- pulse für neue Arbeitsplätze ausgehen. Eine Steigerung der Attraktivität des Wassersport- und Tourismuslandes D W r C a n d s s d u K b z B h B a l i F d n s t U z l D U n f d b s d s n b „ s b t S u M c s p r T z b b s R (C (D eutschland durch einen naturverträglichen Ausbau von assersportmöglichkeiten bietet neben einer Verbesse- ung des Erholungswertes für die Menschen auch die hance für eine positive wirtschaftliche Entwicklung, ber eben auch – und das halte ich für wichtig – für den aturverträglichen Ausbau und für die weitere Schaffung er verbesserten Durchgängigkeit von Gewässern für Fi- che und Wasserlebewesen. Gerade Natursportarten wie der Paddel- und Kanu- port eignen sich sehr gut, viele Menschen durch ein- rucksvolle Naturerlebnisse der Natur näherzubringen nd für die Ziele des Umweltschutzes zu gewinnen. ein Zweifel: In den letzten Jahren und Jahrzehnten ha- en Freizeit und aktive Freizeitgestaltung als Ausgleich um Berufsleben oder an dessen Stelle zunehmend an edeutung gewonnen; die Sport- und Freizeitschifffahrt at sich von einer ehemals exklusiven Beschäftigung egüterter zu einem Breitensport entwickelt. Aktivitäten uf dem Wasser begeistern mehr und mehr nicht nur Ur- auber in fernen Regionen; auch in Deutschland erleben mmer mehr deutsche und ausländische Touristen die aszination der Nord- und Ostsee, der Binnenseen und er Flüsse. 1,85 Millionen Deutsche sind in Sportverei- en organisierte Wassersportler. 17,1 Millionen Deut- che surfen, tauchen, segeln, angeln, fahren Kanu, Mo- orboot oder Wasserski in ihrer Freizeit oder in ihrem rlaub. Rund 10 000 Kilometer lange Binnenwasserstraßen, ahlreiche reizvolle Seen sowie rund 23 000 Quadratki- ometer Seewasserstraßen an Nord- und Ostsee machen eutschland zu einem interessanten Wassersport- und rlaubsrevier in zentraler Lage Europas. Hinzu kommen och viele Tausende Kilometer Fließgewässer, die nur ür Kanus und Ruderboote befahrbar sind. Die Verbin- ungen auf dem Wasserweg mit den europäischen Nach- arn in Ost und West öffnen zusätzliche Märkte und chaffen hervorragende Ausgangsbedingungen. Aller- ings sind die vielfältigen Möglichkeiten zur touristi- chen Nutzung des Wassers hierzulande bei Weitem och nicht ausgeschöpft und der Öffentlichkeit zu wenig ekannt – so das Ergebnis der Grundlagenuntersuchung Wassertourismus in Deutschland“. Ich bin dem ADAC, dem Bundesverband Wasser- portwirtschaft und dem Deutschen Boots- und Schiff- auer-Verband dankbar, dass sie sich mit einem Posi- ionspapier zum Thema „Deregulierung im Bereich der portschifffahrt und des Wassertourismus“ fachkundig nd ausführlich zu Wort gemeldet haben. Das tut dem einungsbildungsprozess gut. Der Forderung des Positionspapiers nach verlässli- hen Unfallstatistiken, der Entwicklung von Qualitäts- tandards für die Ausbildung, der Weiterentwicklung raktischer Prüfungsteile, der Bindung der Mindestaus- üstung auch an das Fahrtgebiet, der Änderung der rinkwasserverordnung, nach gemeinsamen Kampagnen ur Schaffung eines Sicherheitsbewusstseins im Sport- ootbereich, einer Kennzeichnungspflicht auch im See- ereich sowie der Schaffung eines einheitlichen Sport- chifffahrtsrechts tragen wir mit unserem Antrag echnung. 11220 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 (A) ) (B) ) Wir müssen geltendes Recht kontinuierlich aktualisie- ren und modernisieren unter Beachtung der Sicherheits- erfordernisse. Eine eventuell einzuführende Kennzeich- nungspflicht dient der Sicherheit und nicht, wie befürchtet, einer steuerlichen Erhebung. Zum FDP-Antrag „Sport- und Freizeitschifffahrt er- leichtern“ möchte ich festhalten, dass beide Anträge nicht sehr weit auseinander liegen. Die FDP-Fraktion hat eine Reihe von Ansätzen, welche in den Koalitionsfrak- tionen bereits seit längerem entwickelt worden sind, mit ihrem Antrag aufgegriffen. Die Deregulierungsforderun- gen im FDP-Antrag sind aber sehr weitreichend. Ob diese realisierbar wären, ist die Frage. Unser Antrag hin- gegen beinhaltet das politisch Machbare. Die wichtigen Empfehlungen des Verkehrsgerichts- tags in Goslar gilt es in die Entscheidungsfindung zur Aktualisierung und Modernisierung der Gesetze und Verordnungen einzubeziehen. Dies betrifft insbesondere die Verbesserung der Befähigung der Bootsführer durch eine reformierte Ausbildung, die Zusammenführung der Rechtsvorschriften und die Stärkung der Eigenverant- wortung durch verbesserte Informationen. Die zielge- richtete Aktualisierung von Gesetzen bedarf einer kla- ren, bisher noch fehlenden Datengrundlage in Form einer Unfallstatistik, in der Unfälle mit Sportbooten ge- sondert aufgeführt werden. Wir drängen deshalb konkret darauf, gemeinsam mit Vereinen, Sport-, Wirtschafts- und Ausbildungsverbänden eine öffentlichkeitswirk- same Kampagne zur Erhöhung des Sicherheitsbewusst- seins in der Sportschifffahrt zu initiieren. Dazu ist das vorhandene Informationsmaterial zu überarbeiten und zusammenzufassen. Die die Sportschifffahrt betreffen- den Gesetze und Verordnungen sollen sinnvollerweise jeweils sehr frühzeitig auf den Internetseiten des Bun- desverkehrsministeriums unter der Rubrik „Wasser- sport“ veröffentlicht werden. Bei der Erarbeitung der Trinkwasserverordnung nach DIN 2001 sind die beson- deren Bedingungen bei der Vercharterung von Booten zu berücksichtigen. Durch die Zulassung privater Besichti- ger werden die Wasser- und Schifffahrtsämter bei der Er- teilung von Bootszeugnissen entlastet. Wir wollen durch unseren Antrag dazu beitragen, die Rechtsvorschriften über die Sport- und Freizeitschiff- fahrt im Seebereich zusammenzuführen. Wir wollen die Einbeziehung des Sachkundenachweises für pyrotechni- sche Signalmittel in Form einer Einweisung in die Prü- fungsinhalte für die amtlichen Sportbootführerscheine prüfen lassen und unterstützen das wichtige freiwillige Weiterbildungsangebot der Ausbildungsstätten. Vor dem Hintergrund der durch das Energiesteuergesetz vom Juli 2006 eingetretenen Änderungen ist zu überprüfen, wie eine Versorgung der Sportboote mit Dieseltreibstoff in solchen Regionen erleichtert werden kann, in denen es zu unzumutbaren Versorgungsengpässen gekommen ist. Zur Sicherung einer dauerhaft positiven Entwicklung wollen wir mit unserem Antrag zur notwendigen und sinnvollen Optimierung beitragen. „Wir können den Wind nicht ändern, aber wir können die Segel richtig set- zen“, so der griechische Philosoph Aristoteles. Unser A s r u D Ü r l g t Z r A M d s f g e b d n t d g i z e l r n N U a K 1 w k g W K w u 7 B P B f k d s i w g m (C (D ntrag hat zweifellos das Zeug dazu – ich bitte um Zu- timmung! Annette Faße (SPD): Wir haben in den letzten Jah- en im Bereich des Wassertourismus vieles angeschoben nd erreicht. Die Grundlagenstudie „Wassertourismus in eutschland“ aus dem Jahr 2003 hat uns erstmalig einen berblick über die vielfältigen Bereiche des Wassertou- ismus gegeben, die Potenziale untersucht und Hand- ungsempfehlungen zur Gestaltung und Vermarktung egeben. Wir haben festgestellt, dass sich der Wasser- ourismus immer größerer Beliebtheit erfreut und die ahl der Urlauber, die in deutschen Wassergebieten ih- en Urlaub verbringen, stetig zunimmt. Wasseraffine ktivitäten wie Strandsport, Kanufahrten, Segel- und otorbootsport werden immer beliebter. Die Einführung er Charterscheinregelung im Jahr 2000, die das führer- cheinfreie Steuern von Charterbooten erlaubt, hat eben- alls zu einer Förderung des Wassertourismus beigetra- en. Nachweislich erwerben 75 Prozent der Kunden, die in Charterboot gemietet haben, anschließend den Sport- ootführerschein. Daran lässt sich die positive Wirkung ieser Regelung für den gesamten Wassersport erken- en. Der Bund ist über die Unterhaltung und Instandhal- ung der Bundeswasserstraßen in den Bereich eingebun- en, schafft also eine der grundlegenden Voraussetzun- en für den Wassersport. Die Bundesregierung investiert n Bau, Betrieb und Unterhaltung des Wasserstraßennet- es jährlich mindestens 1,5 Milliarden Euro. Die Bedeutung des Wassertourismus spiegelt sich benfalls in der Behandlung dieses Themenbereichs im etzten tourismuspolitischen Bericht der Bundesregie- ung wider, der 2003 veröffentlicht wurde. Dort wird er eben dem Wanderurlaub, den Fahrradreisen und den aturparks als einer der großen Trends der naturnahen rlaubsformen aufgeführt. Explizit hingewiesen wird uf die Vielzahl der touristisch reizvollen Binnen- und üstengewässer. Deutschland besitzt ein rund 0 000 Kilometer langes zusammenhängendes Wasser- egenetz, zahlreiche Seen sowie rund 23 000 Quadrat- ilometer Seewasserstraßen. In diesen Wassersport- ebieten betreiben über 6 Millionen Menschen assersport: Sie surfen, tauchen, segeln, angeln, fahren anu, Motorboot und Wasserski. Die Zahl der Boote ird auf rund 400 000 geschätzt, rechnet man die Ruder- nd Kanuboote ein, beläuft sich die Gesamtzahl auf etwa 50 000. Dazu kommen die circa 900 Fahrgastschiffe im innenbereich sowie 34 Fahrgastkabinenschiffe. Die otenziale des Wassertourismus und vor allem auch die edeutung dieses Wirtschaftszweiges als Standortfaktor ür viele Regionen ist in den letzten Jahren immer stär- er in unser Bewusstsein gerückt. Vor diesem Hintergrund haben wir erkannt, dass wir en Bereich des Wassertourismus verstärkt fördern müs- en. In diesem Zusammenhang sind dem Hohen Hause n den letzten Jahren kontinuierlich Anträge vorgelegt orden, die sich mit der Bedeutung, den Rahmenbedin- ungen und dem Förderungspotenzial des Wassertouris- us beschäftigen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11221 (A) ) (B) ) Unser aktueller Koalitionsantrag „Attraktivität des Wassertourismus und des Wassersports stärken“ be- schäftigt sich mit einer der wichtigsten Fragen bezüglich der Rahmenbedingungen, mit der Regulierung bzw. den Deregulierungsmöglichkeiten für touristische Aktivitä- ten auf, am und im Wasser. Ich habe zu dem Thema zu Beginn dieses Jahres den Workshop „Deregulierung“ durchgeführt. Zwei Tage lang haben wir in einer Expertenrunde, die sich aus Ab- geordneten, Vertretern des Bundesministeriums für Ver- kehr, Bau und Stadtentwicklung und Fachleuten aus der Praxis zusammensetzte, Fragen und Probleme des Was- sersports diskutiert sowie Vorschläge erarbeitet, die dann in diesen Antrag eingearbeitet wurden. Wir fordern die Bundesregierung in unserem Antrag „Attraktivität des Wassertourismus und des Wassersports stärken“ auf, gemeinsam mit Vereinen, Sport-, Wirt- schafts- und Ausbildungsverbänden eine öffentlichkeits- wirksame Kampagne zur Erhöhung des Sicherheitsbe- wusstseins in der Sportschifffahrt zu initiieren. Dazu ist das vorhandene Informationsmaterial zu überarbeiten und zusammenzufassen. Wir setzen hier explizit auf die freiwillige Einhaltung von Sicherheitsempfehlungen und sind der Auffassung, dass Aufklärung darüber, welche Rettungsweste beispielsweise in welchen Gewässern an- gebracht ist, ausreicht. Die Eigenverantwortung in der Sportschifffahrt soll gestärkt werden. Das damit zusam- menhängende Konzept der „guten Seemannschaft“ im Wassersport beinhaltet unter anderem eine umfassende Reiseplanung, eine Sicherheitseinweisung vor Fahrtan- tritt sowie eine geeignete Ausrüstung der Boote. Die be- reits bestehenden Vorgaben zu verbindlichen Ausrüs- tungsstandards sollen zusammengeführt werden. Wir fordern zudem das Bundesministerium für Ver- kehr auf, alle die Sportschifffahrt betreffenden Gesetze und Verordnungen klar und übersichtlich auf den Inter- netseiten des Ministeriums darzustellen, weil es aus un- serer Sicht wichtig ist, dass die Sportbootbesitzer, Ver- mieter und andere Interessenten sich schnell und einfach via Internet über bereits bestehende oder neue Vorgaben informieren können. Dies ist insofern ein wichtiger Schritt zu mehr Sicherheit, als dass es bisher keine zen- trale Quelle gibt, um sich über aktuelle Vorgaben und Veränderungen jeweils zeitnah ins Bild zu setzen. Die besten Sicherheitsvorgaben verbessern die Sicherheit nicht, wenn sie nicht bekannt sind. Auch sollen die Rechtsvorschriften über die Sport- und Freizeitschifffahrt im Seebereich zusammengeführt werden. Das Ergebnis soll eine übersichtliche und leicht zu handhabende Broschüre sein, die die jetzt existieren- den und sich teilweise inhaltlich überschneidenden In- formationsschriften ersetzen soll. In unserem Antrag befürworten wir die Erstellung ei- ner zentralen Unfalldatenbank, in der Unfälle mit Sport- booten gesondert erfasst werden. Wir werden uns hier- mit in die Lage versetzen, zukünftig Sicherheitsrisiken oder auch besonders gefährliche Gebiete besser identifi- zieren zu können und, sofern überhaupt notwendig, ziel- gerichtet Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit in den Wassergebieten erarbeiten zu können. t e p g g F B g F b b N g u n S g h G a d s a d t S s A g a l w S z d ü g w v a z e k S n V d r D s z c D A z (C (D Wir möchten zudem die Wasser- und Schifffahrtsäm- er bei der Erteilung der Bootszeugnisse entlasten, weil s gerade zu Saisonbeginn hier immer wieder zu Eng- ässen kommt, die durch den Einsatz privater Besichti- er vermieden werden können. Mit dem zeitlich be- renzt gültigen Bootszeugnis weist der Besitzer die ahrtauglichkeit des Bootes nach; zusätzlich muss in das ootszeugnis jede Veränderung am Boot selbst eingetra- en werden. Ein zentrales Ziel des Antrags ist es, die vorhandenen ragenkataloge, die zum Erwerb verschiedener Sport- ootführerscheine und Funkzeugnisse in den Prüfungen eantwortet werden müssen, deutlich zu vereinfachen. och müssen die Prüflinge zwar lange Listen von Fra- en zum Erwerb der jeweiligen Führerscheine Binnen nd See abarbeiten, es wird aber im Vergleich dazu we- ig Praxiskenntnis erwartet. Hier müssen aus unserer icht die Weichen richtig gestellt werden. Es ist wichti- er, ein Wendemanöver auf dem Wasser in der Dunkel- eit zu beherrschen als die Kürzel zu verschiedensten esetzen, Verordnungen und sonstigen Regelwerken uflösen zu können. Zudem sollen die Prüfungsinhalte er unterschiedlichen Führerscheine aufeinander abge- timmt werden, damit gleichartige Prüfungsgegenstände nerkannt werden können. Den Erwerb der entsprechen- en Fahrerlaubnisse praxisorientiert zu gestalten und die heoretischen Inhalte zu entschlacken, ist aus unserer icht ein ganz wichtiger Aspekt der Förderung des Was- ersports. Die Förderung von Weiterbildungsangeboten der usbildungsstätten soll von der Bundesregierung auf leichem Niveau weitergeführt werden. Wir plädieren uch in diesem Bereich für die Beibehaltung der Freiwil- igkeit, da sich das Angebot von Fortbildungen auf frei- illiger Basis bewährt hat. Umstritten ist die Frage, ob es zielführend für die teigerung der Sicherheit im Seebereich ist, eine Kenn- eichnung der Schiffe einzuführen. Wir geben der Bun- esregierung in diesem Antrag den Auftrag, dies zu berprüfen. Hiermit soll kein bürokratischer Überbau eschaffen werden, mit dessen Hilfe Gebühren generiert erden können, wie dies zum Teil von den Sportboot- erbänden befürchtet wird. Hintergrund dieses Prüf- uftrages an die Bundesregierung ist die Forderung ein- elner Verbände, ein zentral geführtes Register inzurichten, dass beispielsweise dazu genutzt werden ann, im Falle eines Unfalls auf See den Besitzer des chiffes in kurzer Zeit zu ermitteln, die Arbeit der See- otrettungsdienste zu erleichtern und die Tätigkeit der ollzugsbehörden zu unterstützen. Sollte sich ergeben, ass eine Kennzeichnungspflicht analog zum Binnenbe- eich nicht notwendig ist, wird es sie auch nicht geben. araus ergibt sich aber dann die Notwendigkeit, die ent- prechenden Vorgaben für den Binnenbereich ebenfalls u überprüfen. Schließlich fordern wir die Bundesregierung auf, si- herzustellen, dass die Versorgung der Sportboote mit ieseltreibstoff gewährleistet ist. Hintergrund dieses uftrags ist die Verabschiedung des Energiesteuergeset- es vom 5. Juli 2006. Das Gesetz enthielt die Vorgabe, 11222 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 (A) ) (B) ) dass ab April 2007 mineralölsteuerbefreiter Diesel an die gewerbliche Güter- und Fahrgastschifffahrt eingefärbt abgegeben werden soll. Die Freizeitschifffahrt soll wei- terhin versteuerten und dementsprechend nicht einge- färbten Treibstoff tanken. Da an den Bunkerstationen der Berufsschifffahrt tendenziell nur noch eingefärbter Die- sel ausgegeben wird, kann es in einigen Gebieten zu ei- nem Engpass von Tankmöglichkeiten für die Wasser- sportler kommen. Dies würde unserer sonstigen Absicht, den Wassersport in Deutschland zu stärken, diametral entgegenlaufen. Aus diesem Grund müssen eventuell entstandene Engpässe untersucht und behoben werden. Man erkennt an den zahlreichen unterschiedlichen Anliegen, dass wir in den Koalitionsfraktionen einen Antrag erarbeitet haben, der sich eng an den praktischen Gegebenheiten und Engpässen des Wassertourismus ori- entiert und im Ergebnis und der Umsetzung unserer For- derungen dazu führen wird, die aktive Nutzung der Ge- biete und deren Attraktivität weiter zu steigern. Im Gegensatz dazu gehen zahlreiche Anliegen der FDP an den realen Erfordernissen vorbei und orientieren sich nicht an Machbarkeitsgesichtspunkten. Als Beispiel möchte ich hier nur die Forderung nach der Zusammen- legung der Führerscheine Binnen und See anführen. Ers- tens besteht bereits die Möglichkeit, beide Prüfungen gleichzeitig abzulegen, und zweitens ist es auch aus sachlichen Erwägungen nicht zu empfehlen, die Führer- scheine zusammenzulegen. Die FDP geht bei einem kombinierten Führerschein davon aus, dass der Umfang der Prüfung entscheidend verringert werden kann. Dies ist aber nicht der Fall, weil sich die Prüfungsinhalte an den Erfordernissen der Binnengewässer und der See orientieren und sich deshalb deutlich voneinander unter- scheiden. Wir möchten in unserem Antrag die Theorie mit Augenmaß überarbeiten. Dies halte ich für den bes- seren Weg. Patrick Döring (FDP): Die Debatte, die wir heute führen, ist ein gutes Beispiel für ein Phänomen, das der Bielefelder Niklas Luhmann als „Autopoesis“ bezeich- net hat – einfach gesagt: die Selbstbeschäftigung des politischen Systems. Der Antrag der Koalitionsfraktion ebenso wie unser Antrag hat in erster Linie Probleme zum Gegenstand, die es ohne das Ministerium und seine Mitstreiter gar nicht geben würde. Der Wassersport kann guten Gewissens als eine der sichersten Freizeitbeschäftigungen überhaupt bezeichnet werden. Die Zahl der Unfälle ist im Mittel der letzten 20 Jahre konstant, während die Zahl der Boote von 100 000 auf 460 000 angestiegen ist. Im letzten Jahr ver- letzten sich in der Sportschifffahrt nur elf Personen. Das Risiko, beim Skifahren zu verunglücken, ist beispiels- weise um ein Vielfaches größer als die Gefahr eines Un- falls auf See. Auch das Risiko eines tödlichen Unglücks ist gering – deutlicher niedriger als etwa beim Bergwan- dern oder beim Moped- oder Motorradfahren. Im letzten Jahr – das sagen neueste Zahlen der Bundesstelle – lag die Zahl der Todesfälle bei Unfällen von Sportbooten im Betrieb bei exakt Null. Bei den einzigen erfassten Todes- f u i s f A n g g d s r P s f w m z l u S W k t h v r U u S r d d l d T b k c r z u F s d b F s d d g s v G r (C (D ällen handelte es sich um einen Badeunfall vor Anker nd einen natürlichen, altersbedingten Todesfall. Trotzdem hatte sich das Bundesverkehrsministerium n den Kopf gesetzt, dass für die Sicherheit des Wasser- ports mehr getan werden müsse. Auf eine Kleine An- rage meiner Fraktion hin hat das Haus Tiefensee eine genda der Grausamkeiten vorgestellt, die dazu geeig- et gewesen wäre, das Segeln und Motorbootfahren end- ültig zu einem „Bürokratiesport“ zu machen. Zu den eprüften Vorhaben zählte zum Beispiel die Begrenzung es bestehenden Sportbootführerscheins See auf be- timmte Gewässer – und in der Folge wohl die Einfüh- ung eines dritten Sportbootführerscheins. Hinzu kamen läne für extreme Verschärfungen der Ausrüstungsvor- chriften für Sportboote und die Kennzeichnungspflicht ür Boote zur See. Und das war nur der Anfang! Auch wenn das Ziel richtig ist, die Zahl der Unglücke eiter zu senken, so muss dies doch zielgerichtet und it Augenmaß erfolgen. Derzeit liegen keine differen- ierten Statistiken vor, die Rückschlüsse auf die tatsäch- iche Risikostruktur in der Sport- und Freizeitschifffahrt nd damit auf die richtige Sicherheitsstrategie erlauben. elbst die Bundesregierung hat zugegeben, dass sie über assersportunfälle bislang keine vernünftigen Statisti- en zur Verfügung hat – weshalb sich ja auch eine zen- rale Unfalldatenbank in der Entwicklung befindet. Das eißt: Wir wissen so gut wie gar nichts über die wenigen erbliebenen Unfallrisiken. Mit den Worten der Bundes- egierung: „Eine Einschätzung des Unfallrisikos ist ohne nfallstatistiken nicht möglich.“ Wie auf dieser extrem nsicheren Basis und angesichts der gegebenen hohen icherheit der Sportschifffahrt neue Regulierungen ge- echtfertigt werden können, wird wohl das Geheimnis es Ministeriums bleiben. Die FDP hat sich deshalb dafür stark gemacht, dass er Bundestag dem Treiben des Ministeriums ein schnel- es Ende macht – und ich bin außerordentlich froh, dass ie Regierungsfraktionen unsere Vorlage zumindest in eilen aufgenommen haben. Die Umsetzung der Vorha- en des Verkehrsministers hätte ohne jede Not – man ann es nicht oft genug sagen: Der Wassersport ist si- her! – diesem Hobby und damit auch einer ganzen Tou- ismusbranche immensen Schaden zugefügt. Der Wassersport ist als eigenständiger Wirtschafts- weig mit einem Umsatz von über 1,8 Milliarden Euro nd in vielen Regionen – an den Küsten, aber auch in luss- und Seeregionen – als Motor der Tourismuswirt- chaft von großer Bedeutung. Meiner Ansicht nach ist eshalb nicht mehr, sondern weniger Regulierung ange- racht. Die Regelungen in der deutschen Sport- und reizeitschifffahrt zur Erlangung eines Führerscheins ind verwirrend und überkomplex und mindern deshalb ie Attraktivität sowohl des Wassersports als auch des amit verbundenen Tourismus. Im europäischen Ver- leich hat Deutschland die mit Abstand strengsten Vor- chriften, ohne dass dadurch ein deutlicher Sicherheits- orteil gewonnen würde. Während zum Beispiel in roßbritannien, Irland und Skandinavien keinerlei Füh- erscheinpflicht besteht, müssen in Deutschland für Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11223 (A) ) (B) ) Boote mit mehr als 5 PS unterschiedliche Führerscheine für die Binnen- und Seeschifffahrt erworben werden. Diese und andere bürokratische Hemmnisse sind eine überflüssige Hürde für den Einstieg in den Sport – und Mitursache für die Nachwuchsprobleme in den letzten Jahren. Deshalb wurde unter anderem in der Grundla- genuntersuchung „Wassertourismus in Deutschland“, die in diesem Haus ausdrücklich von allen Fraktion begrüßt wurde, eine Deregulierung im Wassersport gefordert. Die Studie empfahl insbesondere auch eine Vereinfa- chung und Zusammenfassung der Bootsführerscheine, um die Zugangshürden zu senken und dieses Hobby für Menschen aller Generationen attraktiver zu machen. Die FDP hat diese und andere Forderungen in ihrem Antrag aufgenommen. Ich bedaure es außerordentlich, dass der Koalition der Mut gefehlt hat, auch diese Anregungen aufzunehmen. Dabei bedeutet der Verzicht auf strikte Regulierung keinen Verlust an Sicherheit. Im Gegenteil produzieren zu restriktive Regeln bisweilen sogar kontraproduktive Effekte: So sind Boote mit weniger als 5 PS in riskanten Situationen gefährlich untermotorisiert, werden aber durch die Eigner nicht aufgerüstet, um der Führerschein- pflicht auszuweichen. Die Folge: Die Motorleistung ist zu gering, um Gefahrensituationen auszuweichen. Auch hat eine internationale Studie zu Führerscheinregelungen in 30 Ländern deutlich aufgezeigt, dass es keinen direk- ten Zusammenhang zwischen den Führerscheinvor- schriften und der Unfallhäufigkeit gibt. Dies wird auch durch die Erfahrungen mit den Charterregelungen in Deutschland bewiesen. Es ist kein Unterschied zu erken- nen, ob hier jemand mit oder ohne Führerschein unter- wegs ist. Daran sieht man zweierlei: erstens dass es vor allem auf praktische Erfahrungen ankommt, wie sie zum Bei- spiel den Charterern durch eine direkte Einweisung ver- mittelt werden, und zweitens dass man sich auf das Verantwortungsbewusstsein der Bootsnutzer verlassen kann. Denn es ist ein falsches, in Ministerialkreisen aber anscheinend weit verbreitetes Gerücht, dass Segler und Motorbootfahrer kein Interesse an ihrer Sicherheit hätten und deshalb auf Schritt und Tritt – oder vielmehr „auf Knoten und Schoten“ – von der Politik kontrolliert und beschützt werden müssten. Von diesem Denken haben sich die Regierungsfrak- tionen leider auch nicht ganz frei machen können. Bei aller guten Absicht, die Ihrem Antrag zugrunde liegt – in den entscheidenden Punkten vermisse ich den Mut zu ei- ner Deregulierungspolitik, wie wir sie dem Hohen Haus mit unserem Antrag vorgeschlagen haben. Stattdessen begehen Sie sogar noch einen weiteren Sündenfall, wenn Sie das Verkehrsministerium beauftra- gen, die Einführung einer Kennzeichnungspflicht für Sportboote zur See zu prüfen. Angesichts der Neigungen des Hauses Tiefensee bin ich mir leider recht sicher, wel- chen Ausgang diese Prüfung nehmen wird. Dabei hätten die Fakten eine entschiedene Ablehnung einer Kenn- zeichnung allemal gerechtfertigt. Die bestehende inter- nationale Kennzeichnungspflicht – Bootsname, Flagge und Heimathafen – war und ist vollkommen ausrei- c l S d e m z k s E h v p B z f d g t r n g p r d w A m d k d f d r S A a e d d v r w P v s g Z E f h t d d (C (D hend. Auch zur Aufklärung zum Beispiel von Vergehen eistet die Kennzeichnung keinen Beitrag – schon weil portboote in der ganz überwiegenden Zahl der Fälle eutlich schwächer motorisiert sind als Polizeiboote und s daher anders als im Straßenverkehr kaum eine Flucht- öglichkeit gibt. Auch bei Diebstählen bringt die Kenn- eichnungspflicht keine Verbesserung, zumal die Auf- lärungsquote hier bereits jetzt bei 60 Prozent liegt und elbst die einschlägigen Versicherungsunternehmen die inführung einer Kennzeichnungspflicht für überflüssig alten. Hinzu kommt, dass für Yachten mit einer Länge on mehr als 15 Metern ohnehin eine Registrierungs- flicht gilt – die auch von vielen Eigentümern kleinerer oote erfüllt wird, da dies Voraussetzung ist, um ein eitlich unbegrenztes Flaggenzertifikat zu erhalten, das ür Auslandsreisen erforderlich ist. Warum angesichts ieser Fakten die Kennzeichnungspflicht auch nur erwo- en wird, ist mir ein Rätsel. Mit den Gründen des Minis- eriums könnte man auch Kennzeichnungen für Fahr- äder und Kettcars verlangen. Ich bitte Sie, das jetzt icht als Anregung zu verstehen! Es verwundert deshalb nicht, wenn in Seglerkreisen emutmaßt wird, dass dies nur als Grundlage für weitere olitische Maßnahmen – Steuern, Abgaben und Regulie- ungen – dienen soll. Von daher wäre ein Verzicht auf ie Kennzeichnung ein Schritt zur Vertrauensbildung ge- esen. Dies hat die Koalition leider versäumt. Auch in anderen Fragen ist der von Ihnen vorgelegte ntrag in meinen Augen zu unentschlossen. So hätte ich ir zum Beispiel gewünscht, dass dem Ministerium bei er Weiterentwicklung der Ausrüstungsstandards ein onkreterer Arbeitsauftrag gegeben worden wäre – mit er deutlichen Maßgabe, dass keine Regelungen getrof- en werden, die über die international vereinbarten Stan- ards hinausgehen. Auch verwundert mich, dass es in Ih- em Antrag keine Aussage zur Begrenzung des portbootführerscheins See gibt. Hier wäre eine klare nsage an den Minister und die Ministerialbürokratie ngezeigt gewesen. Ich kann nur hoffen, dass diese Un- ntschlossenheit und die Lücken Ihres Antrages nicht och noch für weitere Regulierungen ausgenutzt wer- en! Von daher können wir Liberale den von der Koalition orgelegten Antrag nur ablehnen, obwohl Sie einige ichtige Schritte vorgeschlagen haben – zum Beispiel as die Zulassung privater Besichtiger und eine stärkere raxisorientierung der Ausbildung anbelangt. Aber in ielen wichtigen Punkten lassen Sie Mut und Entschlos- enheit vermissen. Wir Liberalen setzen unseren Antrag für mehr Dere- ulierung in der Sportschifffahrt dagegen – mit dem iel, dass man dereinst auch in Deutschland wieder mit rnest Hemingway sagen kann: „Das Meer, der letzte reie Ort der Welt!“ Dorothée Menzner (DIE LINKE): Freizeit und Er- olung haben für unser aller Leben eine große Bedeu- ung, natürlich auch diejenigen Aktivitäten, die sich auf em oder am Wasser abspielen. Wie überall gibt es in iesem Bereich aber auch Probleme, die mit politischem 11224 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 (A) ) (B) ) Sachverstand und Augenmaß gelöst werden müssen. Wir erleben das ja gerade am Berliner Landwehrkanal. Jah- relanges Ignorieren des schlechten Zustandes der Bö- schungen durch die Behörden führte dazu, dass diese auch für Tourismus und Freizeit wichtige innerstädtische Bundeswasserstraße nun gesperrt wurde. Jetzt soll zur Wiederherstellung der Verkehrssicherheit eine ganze Anzahl Bäume gefällt werden. Doch die Anwohner wol- len ihre grüne Oase nicht verlieren. Die geplante Holzaktion des Wasserstraßenamtes, noch dazu im umweltbewussten Kreuzberg, führte zu geharnischten Protesten der Bürger. Mit Recht, wie ich meine. War zuerst noch von mehr als 200 Bäumen die Rede, die gefällt werden sollten, wurde deren Anzahl nach den Protesten auf derzeit 41 reduziert. Was mich an dieser Geschichte besonders stört, ist die Tatsache, dass durch das unklare Gebaren der zuständi- gen Behörden bis zu 500 Arbeitsplätze bei Berliner Ree- dereien aufs Spiel gesetzt wurden, weil der Kanal im Moment nicht befahren werden darf. Und gab es denn keine vernünftigere politische Option als die, Baum- schützer und Fahrgastschifffahrt gegeneinander auszu- spielen? Sie sehen am Beispiel Landwehrkanal: Wasser ist nicht nur unser kostbarstes Lebensmittel, sondern auch ein kostbarer Erholungsfaktor. Es ist nicht nur Genuss, mit einem Dampfer über die Flüsse zu schippern; viele Menschen werden auch gern selbst aktiv, sei es mit einem Paddel- oder Ruderboot, mit kleinem Außenborder oder mit einer größeren Yacht – was der Geldbeutel so hergibt. Bei dieser Art Vergnügen müssen aber Aspekte des sicheren Führens von Booten so berücksichtigt werden, dass die Interes- sen aller gewahrt bleiben. Deshalb können wir dem Wunsch der FDP, den führerscheinfreien Einstieg für Boote über 5 PS zuzulassen, absolut nicht zustimmen. Während sich auf den Autobahnen allmählich die Er- kenntnis durchsetzt, dass ein Tempolimit sinnvoll wäre, soll als Ersatz dafür die Raserei auf den Gewässern fol- gen? Ohne uns. Meine Fraktionskollegin Eva Bulling-Schrödter hat bei der Behandlung der Anträge im Umweltausschuss besonders darauf hingewiesen, dass schnelle Boote nicht nur eine Gefahrenquelle darstellen, sondern auch erheb- liche Lärmbelästigungen für Erholungsuchende auf dem oder am Wasser erzeugen können. Nach unserer Auffas- sung sollte der verantwortungsvolle Umgang mit Booten und Schiffen ein Mindestmaß an Ausbildung mit einer weitreichend einheitlichen Fahrerlaubnis für Wasserstra- ßen voraussetzen. Inzwischen konnten wir auch in Deutschland und nicht nur auf den Kanälen Frankreichs und Englands die Erfahrung machen, dass Führer von Hausbooten zuwei- len überfordert, ja sogar in Unfälle verwickelt sind. Ge- legentlich kommt es durch sie auch zum Blockieren wichtiger Schleusenanlagen. Auf all dies hatte Eva Bulling-Schröter den Umweltausschuss aufmerksam ge- macht. Ihre Anmerkungen fanden jedoch keinen Wider- hall in den Anträgen. t h g M s A s E d a g S D d d l e r l D g f b l b d P u d v s a S l t W t r s f i d l r t s W G (C (D Die Fraktion Die Linke teilt das Anliegen, die Attrak- ivität von Wassertourismus und Wassersport zu erhö- en. Doch die vorliegenden Anträge werden dem nicht erecht. Wir wollen keine PS-Protzerei unerfahrener öchtegernkapitäne auf dem Wasser, wie die FDP vor- chlägt. Deshalb stimmen wir gegen ihren Antrag. Meine Fraktion könnte eigentlich dem gut gemeinten ntrag der CDU/CSU folgen. Doch er beantwortet un- ere Fragen zur Verkehrssicherheit auf dem Wasser, zur rleichterung der Ausbildung und zur finanziellen För- erung nicht ausreichend. Er erscheint uns noch zu un- usgegoren; wir werden uns daher der Stimme enthalten. Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Fahr- ast- und Fährschifffahrt, Fluss- und Hochseekreuzfahrt, egeln, Kanu fahren, Wasserski, aber auch Tauchen: iese Aufzählung stellt lediglich einen Ausschnitt aus er Vielfalt des Wassersports und des Wassertourismus ar. Doch so unterschiedlich die touristischen und sport- ichen Möglichkeiten auf, im und unter Wasser sind, so indeutig ist das wachsende Interesse an ihnen. Es ist wichtig und richtig, auf das wachsende Inte- esse und die zunehmende Konkurrenz aus den Nachbar- ändern zu reagieren. Generell unterstützen Bündnis 90/ ie Grünen eine zügige Vereinfachung der jetzigen Re- elungen. Die Vielzahl der existierenden Vorschriften ist ür sportlich oder touristisch Aktive kaum noch zu Über- licken. So ist die Forderung der FDP, die Charterscheinrege- ung auf gefährdungsarme Gewässer auszudehnen, zu egrüßen. Zulassungskriterien und Prüfungsinhalte für en Erwerb des Sportbootführerscheins gehören auf den rüfstand. Die Vielzahl von Sportbootführerscheinen nd auch die Überschneidungen der Ausbildungsanfor- erungen sind unnötig und sollten begrenzt werden. Un- erständlich bleibt die Forderung Sportbootführer- cheine Binnen und See. Die Vereinheitlichung macht ufgrund ihrer unterschiedlichen Anforderungen keinen inn. Auch die propagierte Änderung der 5-PS-Rege- ung ist ein Schnellschuss. Zeigt doch die aktuelle Situa- ion am Landwehrkanal, welchen Schaden ein erhöhter ellenschlag anrichten kann. Der nun zusätzlich in die Debatte eingebrachte An- rag der FDP mit weiteren Vorschlägen der Deregulie- ung verfestigt den Eindruck der Einseitigkeit, obwohl ich auch in diesem Antrag unterstützenswerte Punkte inden. Es ist sicherlich richtig, über eine Vereinfachung m Führerscheinwesen im Seebereich nachzudenken. Allein die letzten Forderungen des Antrages zeigen eutlich, wie wenig verankert der Gedanke naturverträg- ichen Wassertourismus innerhalb der FDP ist. Und während die FDP über das Ziel der Deregulie- ung in Teilen hinausschießt, verharrt die große Koali- ion in Selbstverständlichkeiten. Leider wird das Ver- prechen, die Attraktivität des Wassertourismus und des assersports stärken zu wollen, nicht eingelöst. Eines scheint leider nicht aufgefallen zu sein: Die rundlage für die Faszination der wasserverbundenen Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11225 (A) ) (B) ) Aktivität liegt in der Natur. Das Naturerlebnis ist we- sentlich für die Attraktivität dieser Form der Freizeitge- staltung. Ein gutes Beispiel für das notwendige Zusam- menspiel von Naturschutz und Tourismus findet sich gerade in meiner Heimatregion. Die vom Kasseler Dün- gemittelkonzern Kali und Salz geplante Einleitung von jährlich bis zu 700 000 Kubikmeter Salzlauge zusätzlich in die Werra stößt auf immer breiteren Widerstand. Be- reits heute gilt die Werra als kritisch belastet. Die Reak- tionen von Angelvereinen und touristischen Unterneh- men entlang der Werra zeigen, dass Umweltzerstörung Wachstum und Beschäftigung in diesen Bereichen be- droht. Der nachhaltige Schutz der Umwelt liegt im urei- gensten Interesse der Touristiker und Wassersportler. Auch wir wollen die Potenziale des Wassertourismus ausschöpfen – aber naturverträglich. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Mehr Qualität und Exzellenz durch mehr Chancengerechtigkeit und Gender-Perspektiven in Wissenschaft und Forschung (Tagesordnungspunkt 16) Anette Hübinger (CDU/CSU): In den vergangenen 20 Jahren ging von der politischen Ebene eine Reihe von gleichstellungspolitischen Maßnahmen aus, die erste gute Erfolge brachten: Heute sind die Hälfte aller Studi- enanfänger in Deutschland Frauen. Jedoch besteht in der deutschen Hochschul- und Forschungslandschaft nach wie vor eine deutliche Schräglage hinsichtlich des An- teils der Frauen in Wissenschaft und Forschung. Hoch- schulabsolventinnen gehen auf dem Weg zu einer wis- senschaftlichen Karriere geradezu verloren. 2004 waren 39 Prozent aller Promovierten Frauen. Unter den Habili- tierten waren es nur 23 Prozent, bei den Professuren 14 Prozent und bei den C4-Professuren waren sie nur noch mit 9 Prozent vertreten. Auch in außeruniversitären Forschungseinrichtungen ist der Anteil der Frauen an Führungspositionen mit 7 Prozent sehr niedrig. Dies gilt auch für die industrielle Forschung: Hier sind Frauen nur mit 12 Prozent repräsentiert. Diese Schräglage muss ab- gebaut werden. Denn unser Land, dessen Kapital vor al- lem die Menschen sind, kann und darf es sich nicht leis- ten, dass dieses Kapital nur zu einem Teil genutzt wird und das Potenzial der Frauen nicht im vollen Ausmaß zum Tragen kommt. Die CDU/CSU-Fraktion nimmt daher mit Interesse zur Kenntnis, dass die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sich mit dem Antrag den Themen „Frauen in der Wis- senschaft“ und „Gender-Forschung“ widmet. Es freut mich, Ihnen mitteilen zu können, dass die CDU/CSU- Fraktion sich mit dem wichtigen und zentralen Thema der Förderung der Frauen in der Wissenschaft bereits seit längerem intensiv auseinandersetzt. Gerade in der letzten Sitzungswoche führte die Gruppe der Frauen der CDU/CSU-Fraktion ein Expertengespräch zum Thema „Frauenkarrieren in der Wissenschaft – Förderungsmög- l B d t V k K d r v F W g S e p F w s n w d d h n s C P F W w e Z t s J r d z H l C k u S a b m u w K P F g W z (C (D ichkeiten“ mit Rektorinnen deutscher Hochschulen und undesministerin Dr. Annette Schavan durch. Die Ursachen für die Marginalisierung von Frauen in er Wissenschaft sind zahlreich und komplex. Ein zen- rales und grundlegendes Problem ist nach wie vor die ereinbarkeit von Familie und wissenschaftlicher Tätig- eit bzw. Studium. Um junge Frauen nicht vor die Wahl arriere oder Kind zu stellen, ist der Ausbau von Kin- erbetreuungsplätzen an den Hochschulen für Studie- ende und Wissenschaftlerinnen mit Kind entschieden oranzutreiben. Es ist von bedeutender Wichtigkeit, rauen – auch schon im Studium – aufzuzeigen, dass es ege gibt, Karriere und Familien zu vereinbaren. Dazu ehört auch die Förderung von „Dual-Careers“. Um der ituation von Frauen mit Kindern gerecht zu werden, ist s zudem wichtig, Spielräume bei der Vergabe von Sti- endien bezüglich Altershöchstgrenze und Länge der örderung einzuräumen. Die im deutschen Hochschulsystem bis heute fort- ährend bestehenden Vorurteile gegenüber Wissen- chaftlerinnen – mit oder ohne Kinder – können leider icht ohne Weiteres durch Gesetzesinitiativen beseitigt erden. Dies ist ein längerer Prozess, der von der Seite er Politik durch Appelle und Mahnungen begleitet wer- en sollte. Um Frauen im deutschen Wissenschaftssystem nach- altig zu fördern, ist es notwendig, durch konkrete Maß- ahmen die Anzahl der Frauen an den Professuren zu teigern – also von oben nach unten zu agieren. Die DU/CSU-Fraktion begrüßt deshalb ausdrücklich den lan der Bundesregierung, 200 Förderprofessuren für rauen einzuführen. Ein umfassender und tief greifender andel der Strukturen kann jedoch nur erreicht werden, enn gleichzeitig eine nachhaltige Förderung von unten rfolgt. Es muss gelingen, dass bei der erfreulich hohen ahl der Studienanfängerinnen und Hochschulabsolven- innen deutlich mehr als bisher nicht nur promovieren, ondern sich auch habilitieren oder den Weg über eine uniorprofessur wählen, um eine wissenschaftliche Kar- iere einzuschlagen. Es muss somit vor allem eine För- erung von unten erfolgen. Deshalb ist zu prüfen, ob es u einer Neuauflage des im letzten Jahr ausgelaufenen ochschulwissenschaftsprogramms zur Weiterentwick- ung von Hochschulen und Wissenschaft sowie für hancengleichheit für Frauen in Forschung und Lehre ommen kann. Von großer Bedeutung ist eine gezielte nd spezielle Förderung von Doktorandinnen, die über tipendien, aber auch vor allem über Promotionsstellen, n den Hochschulen erfolgen sollte. Denn durch die Ein- indung von jungen Wissenschaftlerinnen in den akade- ischen Betrieb wird diesen ermöglicht, wichtige und nerlässliche Kontakte zu knüpfen sowie eigene Netz- erke aufzubauen, die für die weitere wissenschaftliche arriere unerlässlich sind. In diesem Zusammenhang sind auch die Mentoring- rogramme von großer Wichtigkeit, die im Antrag der raktion Bündnis 90/Die Grünen keine Berücksichti- ung finden. Um junge Wissenschaftlerinnen auf ihrem eg zu unterstützen, ist eine Kombination von Qualifi- ierungs- und Mentoring-Programmen zu erstreben. 11226 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 (A) ) (B) ) Für die CDU/CSU-Frakion heißt Frauenförderung Qualitätsförderung. Spezielle Förderprogramme können dies nachhaltig bewirken. Durch die Implementierung von Quoten von oben kann ein durchgreifender und un- erlässlicher Wandel in den Strukturen des deutschen Wissenschaftssystems nicht erreicht werden. Dieser muss vor allem von unten erfolgen, es muss zu einem grundlegenden Umdenken der Einstellungen kommen. Die steigende Zahl der Studierenden in den nächsten Jahren bringt mit sich, dass auch der Bedarf an Hoch- schullehrern steigen wird. Dies stimmt optimistisch und ist eine gute Chance, mehr Frauen in Professuren und Assistentinnenstellen zu bringen. Die Bundesregierung hat bereits einige Maßnahmen zur Förderung von Frauen in der Wissenschaft in die Wege geleitet: Mit dem be- schlossenen Hochschulpakt wird auch das Ziel verfolgt, durch Fördermittel den Anteil der Frauen bei Professu- ren und sonstigen Stellen auszubauen. Ferner wurde die zulässige Befristungsdauer in der wissenschaftlichen Qualifikationsphase für jedes Kind um zwei Jahre ver- längert. Auch in der anstehenden BAföG-Reform wird durch die Einführung eines Kinderbetreuungszuschlags einer gezielten Familienförderung Rechnung getragen. Die große Bedeutung der Gender-Forschung und die Chancen, die sich aus ihr für Wissenschaft, Wirtschaft und Politik ergeben, wird – wie auch die Bundesministe- rin Dr. Annette Schavan in ihrer Rede auf der Tagung „Gender in der Forschung – Innovation durch Chancen- gleichheit“ im April dieses Jahres in Berlin unterstrichen hat – durch die Bundesregierung in ihrer Bildungs- und Forschungspolitik berücksichtigt. Hier liegt ein unent- decktes und erhebliches Forschungspotenzial. Die CDU/CSU-Fraktion wird sich auch weiterhin mit den Themen „Förderung der Frauen in der Wissen- schaft“ und „Genderforschung“ intensiv auseinanderset- zen. Es liegt noch ein beträchtliches Stück Weg vor uns, bis Wissenschaftlerinnen in der deutschen Hochschul- und Wissenschaftslandschaft in dem Maße ihre Exzel- lenz und ihr Potenzial entfalten können, wie es ihnen zu- steht und wie es der Wissenschafts- und Wirtschafts- standort Deutschland braucht. Wir sind jedoch auf dem richtigen Weg. Gesine Multhaupt (SPD): „Nach wie vor ist die Luft in den höheren Rängen der Berufshierarchien für Frauen dünn. Die zurückgebliebenste aller Provinzen je- doch, dort wo der Fortschritt gewissermaßen auf der Stelle tritt, ist die Universität.“ In diesem Zitat be- schreibt Frau Professorin Dr. Jutta Limbach, ehemalige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts und heutige Leiterin des Goethe-Instituts, die weibliche Dürre in der Professorenschaft sehr treffend. Gleichzeitig ist es ein Alarmsignal, das nur eine Antwort zulässt: Mehr Frauen in Wissenschaft und Forschung! Seit nunmehr 15 Jahren steht das Thema Chancen- gleichheit für Frauen in der Wissenschaft regelmäßig auf der Tagesordnung. Bund und Länder haben Anstrengun- gen unternommen, um Wissenschaftlerinnen zu fördern und junge Frauen an frauenferne Berufe und Studien- gänge heranzuführen. An den Universitäten wurden För- d t k s s M F E u b H c O d i g t d d l g d d k s a D F z d t M l l l m S z p t 1 a 3 r A r V B r N F P F s N (C (D errichtlinien erarbeitet, die nur langsam erste Blüten reiben. Dabei ist die Sensibilität für diesen Problem- reis insgesamt in den letzten Jahren deutlich gewach- en. Frauen weisen heute oftmals bessere Bildungsab- chlüsse und bessere schulische Leistungen auf als änner. Im Vergleich zu den Männern erreichen mehr rauen die allgemeine Hochschulreife. Das sind erste rfolge. Dennoch ist und bleibt die Zwischenbilanz äußerst nbefriedigend. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen eschreibt in ihrem Antrag zu Recht, dass Frauen an ochschulen nicht im Gleichschritt mit ihren männli- hen Kollegen die Karriereleiter aufsteigen. Auch in der ECD-Statistik belegt Deutschland regelmäßig einen er hinteren Plätze, wenn es um den Anteil von Frauen n der Hochschulkarriere geht. Im europäischen Ver- leich liegen wir bei der Besetzung von Führungsposi- ionen und Professuren weit hinter unseren Nachbarlän- ern. Auch volkswirtschaftlich ist es ein Verlust, wenn eutsche Frauen nicht mit der gleichen Selbstverständ- ichkeit, wie dies ihre Kolleginnen in Frankreich, Bel- ien oder Spanien tun, ihre Karriere fortsetzen, weil sie ies nicht mit ihrer Familie unter einen Hut bringen. Vor iesem Hintergrund ist die Aufgabe, die vor uns liegt lar: Wir müssen unsere nationalen Anstrengungen ver- tärken, damit der Anteil von Frauen in der Wissenschaft uf allen Qualifikationsebenen stetig wachsen kann. ies gilt ganz besonders auch für alle frauenfernen achbereiche. Aufgrund der geregelten Zuständigkeitsaufteilung wischen Bund und Ländern sind die Angelegenheiten er Hochschulen alleinige Aufgabe der Länder. Daher ragen die Länder die Verantwortung für Initiativen und aßnahmen zur Chancengleichheit an den Hochschu- en. Ein Blick in die Bundesländer zeigt mehr als deut- ich, dass die Maßnahmen und Erfolge sehr unterschied- ich sind. Einige Länder müssen ihrer Verantwortung für ehr Chancengleichheit erst noch gerecht werden. In Berlin beispielsweise entwickelt sich die Gender- ituation insgesamt sehr positiv. Berlin nimmt eine Spit- enposition beim Länderranking nach Gleichstellungsas- ekten ein. Die Stadt hatte bereits 2004 einen Frauenan- eil von 22 Prozent bei den Habilitationen und 3 Prozent bei den weiblichen Professuren. Der Anteil n Professorinnen an Fachhochschulen liegt heute um 0 Prozent höher als im Bundesdurchschnitt. Bei Neube- ufungen konnte Berlin im letzten Jahr erstmalig einen nteil von 30 Prozent erreichen. Bei den Juniorprofessu- en lag Berlin 2005 bei 39,2 Prozent und hat damit die ereinbarung von 40 Prozent, die ursprünglich von der und-Länder-Kommission angestrebt wurde, nahezu er- eichen können. Berlin sieht eine gezielte Förderung von achwuchswissenschaftlerinnen in wenig feminisierten ächern durch vorgezogene Nachfolgeberufungen auf rofessuren vor. In Fächern mit einer vergleichsweise sehr geringen rauenquote wie Mathematik, Natur- und Ingenieurwis- enschaften sollen in den Jahren von 2008 bis 2010 achfolgeberufungen auf Professuren um drei Jahre vor- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11227 (A) ) (B) ) gezogen werden, unter Umständen auch mit Juniorpro- fessorinnen, die dann nach Ablauf der drei Jahre die frei werdende Professur übernehmen. Mit dem C1/C2 Programm, welches bereits 1991 auf- gelegt wurde, konnte eine äußerst erfolgreiche Qualifi- zierungsmöglichkeit für Wissenschaftlerinnen geschaf- fen werden. So sind beispielsweise von den ersten 20 Wissenschaftlerinnen der TU fünf Frauen noch wäh- rend ihrer Vertragszeit auf C4-Professuren berufen wor- den, sechs haben C3-Professuren angenommen, drei sind an Forschungsinstitute gegangen, weitere drei verlänger- ten ihre Verträge aufgrund von Erziehungszeiten. In Berlin werden die Mittel an Hochschulen seit 2001 teilweise leistungsbezogen zugewiesen. Bei den Parame- tern für die Mittelzuweisung sind neben den Anteilen für Lehre und Forschung auch Gleichstellungskriterien ex- plizit mit 5 Prozent festgeschrieben. Auch in Bremen sollen mit dem jüngst verabschiede- ten Koalitionsvertrag quantitative bereichsbezogene Zielvorgaben mit den Hochschulen festgelegt werden. Die Frauenquotierung in der Normalförderung liegt bei mindestens 30 Prozent. Bei der Stipendienvergabe sind mindestens 50 Prozent vorgesehen. Die Professorinnen- zahl an der Universität Bremen lag Ende vergangenen Jahres bei 16 Prozent und damit auch zwei Prozent- punkte über dem Bundesdurchschnitt. Bis 2008 wird die Zielzahl von 20 Prozent Professorinnen angestrebt. Dank guter Diskussionen und zielgerichteter Maß- nahmen sind wir in Gleichstellungsfragen in Berlin und Bremen schon etwas besser aufgestellt. Wie bereits er- wähnt, gibt es leider auch Bundesländer, die ihrer Ver- antwortung erst noch oder erst wieder gerecht werden müssen. So hat das Landesamt für Daten und Statistik im Mai 2007 festgestellt, dass der Frauenanteil an nord- rhein-westfälischen Hochschulen im Vergleich zum Vor- jahr von 25,3 Prozent um 5 Prozentpunkte auf 20,3 Prozent zurückging. Insgesamt ist die Zahl der ab- geschlossenen Habilitationen und Einstellungen von Ju- niorprofessuren im Jahr 2006 um 1,9 Prozent niedriger als 2005. Dieses ist ein Alarmsignal. Mit dem seit Januar 2007 geltenden sogenannten „Hochschulfreiheitsgesetz“ übernimmt die Landesregie- rung bei der Gleichstellung nur noch die Rechtsaufsicht in gravierenden Ausnahmefällen. Es gibt somit keine verbindlichen Zielvereinbarungen zur Erhöhung des Frauenanteils an den Universitäten. Die Gleichstellungs- arbeit ist in die Hochschulen verlagert. Nordrhein-West- falen hat mit dem neuen Gesetz die leistungsbezogene Mittelvergabe nach Gleichstellungskriterien von 20 auf 7,5 Prozent gekürzt. Das neue System sieht keine weiteren Anreize zur Förderung von Frauen vor. Die Eigenständigkeit der Hochschulen führt weiterhin dazu, dass die Gleichstel- lungsbeauftragten Kompetenzen verlieren, weil der rechtsverbindliche Charakter nicht mehr vorhanden ist. Während das ehemalige Hochschulwissenschaftspro- gramm vollständig ausgeschöpft wurde, lehnt die Lan- desregierung eine weitere Kofinanzierung ab. Mit der Einstellung der Frauenförderung und des Lise-Meitner- P r V a V F c s d e D m m D s z l s s d s F B F n t t v v w d t w H l u w a s s s z g g M V r I s 1 j g (C (D rogramms als eigenständigen integralen Bestandteil ih- er Forschungspolitik hat die Landesregierung hier kein erantwortungsbewusstsein bewiesen. Trotz der Zuständigkeit der Länder leistet der Bund uf verschiedenen Aktionsfeldern wichtige Beiträge zur erbesserung der Chancen von Frauen in Bildung und orschung. Beispielsweise wird das Interesse von Mäd- hen für technische, handwerkliche, informationstechni- che und naturwissenschaftliche Ausbildungs- und Stu- ienfächer durch verschiedene Projekte gefördert. Als in sehr erfolgreiches Beispiel möchte ich den Girls’ ay erwähnen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung öchte in einem neuen Programm in Zusammenarbeit it den Hochschulen Berufungen von Frauen fördern. azu sollen nach Vorstellung des Ministeriums Profes- uren von Frauen für einen begrenzten Zeitraum von bis u fünf Jahren unterstützt werden, wenn die Hochschu- en ein entsprechendes Konzept vorlegen, um eine zu- ätzliche vorgezogene Berufung neben einer bereits be- tehenden Professur zu ermöglichen. Die Strukturierung ieses Programms erfordert jedoch noch eine enge Ab- timmung mit den Ländern, weil auch hier eine anteilige inanzierung vorgesehen ist. Darüber hinaus wird der und Chancengerechtigkeitspolitik durch eine verstärkte orschung flankieren. Die ersten Projekte werden dem- ächst bewilligt. Gestatten Sie mir an dieser Stelle jedoch auch ein kri- isches Wort an Frau Bundesministerin Schavan zu rich- en. Den Medien habe ich entnommen, dass Sie ebenfalls öllig unzufrieden mit der derzeitigen Bilanz sind. Be- or Sie konkrete Ratschläge geben werden – so konnten ir beispielsweise im Handelsblatt lesen –, werden Sie ie Entwicklung der nächsten Jahre sehr genau beobach- en. Verehrte Frau Bundesministerin Schavan, möglicher- eise sind es keine Ratschläge, auf die Frauen an den ochschulen warten. Die nicht gerade positive Entwick- ung in einzelnen Bundesländern muss uns alarmieren nd lässt nach meiner festen Überzeugung nur eine Ant- ort zu: Wir müssen handeln. Meine Partei wird sich auf Bundes- und Länderebene uch weiterhin verstärkt dafür einsetzen, dass wir In- trumente einsetzen, um den Anteil der Frauen in Wis- enschaft und in Führungspositionen an Hochschulen owie außeruniversitären Forschungseinrichtungen aus- ubauen. Die Bundesregierung und die Länder sind auf- efordert, ihrer Verantwortung im Sinne der Chancen- leichheit gerecht zu werden. Wir unterstützen aßnahmen, die auf allen Qualifikationsebenen zu einer erstärkung des Frauenanteils in der Wissenschaft füh- en. Ich möchte einige Beispiele nennen. Wir unterstützen die Bundesregierung bei ihrer neuen nitiative, die das ausgelaufene Hochschulwissen- chaftsprogramm „Chancengleichheit“ im Umfang von 5 Millionen Euro jährlich ersetzen soll. Wir unterstützen Maßnahmen, die Mädchen und unge Frauen ermutigen, sich für Berufe und Studien- änge zu entscheiden, die heute noch als männerdomi- 11228 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 (A) ) (B) ) niert gelten. Hier muss das Beratungsangebot für Schülerinnen und Studierende ausgeweitet werden. Mentorinnenprogramme waren bisher sehr sinnvoll und sollten weitergeführt werden. Die erfolgreich wirkenden Förder- und Stipendien- programme, die von einigen Bundesländern abgeschafft wurden, sind wieder einzurichten. Öffentlich geförderte Programme sind mit verbindlichen Auflagen zu verse- hen, die vorschreiben, dass Haushaltsmittel von Bund und Ländern stärker an die Frauenförderung und insbe- sondere die stärkere Förderung von Naturwissenschaft- lerinnen gekoppelt werden. Die sehr erfolgreiche Einrichtung von Juniorprofessu- ren als wirksames Instrument der Nachwuchs- und Frau- enförderung sind zum Gegenstand der Zielvereinbarun- gen mit den Universitäten zu machen. Nicht zuletzt fordern wir Maßnahmen ein, die zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie führen, um die Frauen bei der Karriereplanung zu unterstützen. Gender- Mainstreaming ist kein Relikt aus den 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts. Meine Fraktion und Partei tritt nach wie vor für eine menschliche Gesellschaft ein. De- ren Voraussetzung ist es, dass Frauen und Männer auch tatsächlich gleichen Einfluss und gleiche Chancen ha- ben. Das gilt auch und insbesondere für die Wissen- schaft. Den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen soll- ten wir in den entsprechenden Fachausschüssen vertieft diskutieren. Ich plädiere daher für eine Überweisung. Uwe Barth (FDP): Der Antrag der Grünen kann viel- leicht manches, aber eines kann er sicherlich nicht: Die Chancen der Frauen in der Wissenschaft werden durch diesen Antrag nicht verbessert. Ich sehe, ehrlich gesagt, auch nicht die Notwendigkeit einer Quotierung von Frauen im Bereich der Forschung und Wissenschaft. Frauen sind schon jetzt integraler Be- standteil im System der Wissenschaft und Forschung. Sie sind präsent und treten an prominenter Stelle auf. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Hochschulrek- torenkonferenz, an deren Spitze mit der Präsidentin Frau Prof. Wintermantel und der Generalsekretärin Frau Dr. Gaethgens zwei hochqualifizierte Frauen stehen, die diese herausragenden Positionen nicht aufgrund einer Quotenregelung, sondern ausschließlich aufgrund ihrer herausragenden Qualifikation einnehmen. Mit Gesine Schwan, der Präsidentin der Europa-Universität Via- drina in Frankfurt/Oder, hat vor einigen Jahren eine Frau für das höchste Amt in unserem Land, das des Bundes- präsidenten, kandidiert. Und die Tatsache, dass mit Frau Dr. Merkel das erste Mal eine Frau das höchste Regie- rungsamt in unserem Land innehat, verdankt die Bun- deskanzlerin keiner Quotenregelung, sondern ihrer eige- nen Qualifikation. In Ihrem eigenen Antrag geben Sie sogar zu, dass die Mehrzahl der Absolventen an deutschen Hochschulen mittlerweile weiblich ist. Damit das hier nicht falsch ver- standen wird: Ich freue mich außerordentlich darüber, dass das so ist. Diese Entwicklung ist aber gerade nicht d w i d l n w g w C d s P i z v f h P G s B h G e w g d g w k n K n g a u W v F r K s S v s d h a g m m D F S C N (C (D ie Folge einer „erfolgreichen Gleichstellungspolitik“, ie es die Grünen immer wieder gerne und nun auch in hrem Antrag zu erklären versuchen. Sie wissen genau, ass der Einzug der Frauen an Deutschlands Hochschu- en durch die einst für die Arbeiterkinder intendierte Öff- ung der Hochschulen in den 1970er-Jahren eingeleitet urde. Das war so weder geplant noch beabsichtigt. Der Antrag der Grünen wird Frauen nicht voranbrin- en. Vielmehr ist zu befürchten, dass durch die eher un- ahrscheinliche Verabschiedung dieses Papiers die hancen der Frauen gehemmt werden. Ihre Zielsetzung, ass ein 50-prozentiger Frauenanteil einen Wert „an ich“ darstellt, können Sie vielleicht auf Ihren Grünen- arteitagen verkünden. Doch der Wissenschaftsbetrieb st mit solch populistischen Schauveranstaltungen nicht u vergleichen. Dort lässt sich die Frauenquote nicht ermitteln. Es besteht auch gar keine Notwendigkeit da- ür. In Kalifornien – insbesondere der wissenschaftlich ochinteressanten San Francisco Bay Area – wurde die ositive Diskriminierung (ban on positive action) per esetz verboten. Dem Engagement von Frauen im Wis- enschaftsbetrieb hat das nicht geschadet. Die UC erkeley weist mit 12 000 weiblichen Hochschulange- örigen deutlich mehr Frauen als Männer (10 000) auf. erade diese Beispiele zeigen, dass Frauen nicht wegen iner Quote an der Wissenschaft partizipieren, sondern egen ihrer Qualifikationen, weil sie eben hervorra- ende Wissenschaftler sind. Eine Quote würde gerade iesen Frauen zum Nachteil gereichen. Sie würden ab- estempelt, nicht wegen ihrer Qualifikationen, sondern egen ihres Geschlechts die jeweilige Position zu be- leiden. Die Quote würde letztendlich zu einer Diskrimi- ierung dahingehend führen, dass den Frauen jedwedes now-how abgesprochen würde. Die Maßnahmen, die die Grünen vorschlagen sind icht nur nicht notwendig, sie verhindern sogar, dass die esteckten Ziele erreicht werden. Die Grünen setzen priori vorweg, dass die Gleichverteilung von Mann nd Frau über alle Gesellschaftsbereiche hinweg und im issenschaftsbereich im Besonderen erstrebenswert und on Vorteil ist. Erfolgt die „Steigerung des Anteils von rauen am wissenschaftlichen Personal auf allen Hie- archieebenen“ nicht, so sollen „Negativsanktionen“ die onsequenz sein, so der Antrag. Lassen Sie mich an einem Beispiel verdeutlichen, wie chädlich diese Idee ist. Hier in Berlin gibt es die „Alice alomon Fachhochschule“. Diese Fachhochschule wird on einer Rektorin geleitet. Das wissenschaftliche Per- onal ist überwiegend weiblich und der Anteil der Stu- entinnen an allen Studierenden ist überproportional och. Der „Alice Salomon Fachhochschule“ dürfte es lso schwer fallen, den Frauenanteil noch weiter zu stei- ern. Sie hätte damit Schwierigkeiten, sich für Förder- aßnahmen zu qualifizieren. Als weiteres Beispiel öchte ich die Technische Universität Berlin nennen. iese unternimmt alles erdenklich Mögliche, um die rauenquote zu erhöhen. Im Vergleich zur „Alice alomon Fachhochschule“ hat sie aber wohl kaum eine hance. Ist sie deshalb eine schlechtere Hochschule? ein, sicherlich nicht. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11229 (A) ) (B) ) Dies alles zeigt sehr genau, dass die Grünen den Frauen in unserer Gesellschaft letztendlich nichts zu- trauen. Sie glauben nicht daran, dass Frauen ihren eige- nen, selbstbestimmten Weg auf der wissenschaftlichen Karriereleiter nehmen können. Stattdessen legen Sie heute dem Deutschen Bundestag einen Antrag zur Ab- stimmung vor, der nicht nur bürokratisch völlig über- frachtet ist, sondern das Verfahren bei der Forschungs- förderung über alle Maßen weiter verkompliziert. Sie nehmen dabei billigend in Kauf, dass die Mittelvergabe noch zeitaufwendiger und intransparenter wird. Weiterhin wollen Sie mit Ihrem Antrag die Autono- mie der Hochschulen weiter beschneiden und die Uni- versitäten bevormunden. Damit behindern Sie sowohl Wissenschaft als auch Forschung. Damit schaden Sie nicht nur Wissenschaftlerinnen und Forscherinnen, Sie schaden damit der gesamten Wissenschafts- und For- schungslandschaft in unserem Land. Unbestritten in diesem Haus ist jedoch, davon gehe ich aus, dass auch die deutschen Hochschulen neue Wege gehen müssen. Denn beim internationalen Wettbe- werb um die besten Köpfe zählt nicht nur die Höhe des gebotenen Einkommens, die Ausstattung des Labors oder die Größe des zur Verfügung gestellten Teams. Auch – und da sind uns manche Länder um einiges vo- raus – kommt es auf die vorgehaltenen Angebote zur In- tegration der Wissenschaftlerfamilie an. Neben hervorra- genden Krippen- und Kitaangeboten sowie guten Schulen zählt eben auch, wie sich die Hochschule um den Lebenspartner oder die Lebenspartnerin und dessen bzw. deren Perspektive kümmert. Während Double- career-Lösungen bei der Berufung von Topwissenschaft- lern an den herausragenden Forschungsuniversitäten der USA eine Selbstverständlichkeit sind, findet man sie an deutschen Hochschulen praktisch nicht, und dies, weil die bürokratisch überformten Berufungsverfahren und andere Restriktionen, denen die Hochschulen hierzu- lande unterworfen sind, derlei pragmatische und fami- lienpolitisch wirksame Maßnahmen verhindern. Das muss geändert werden! In diesem Sinne ist auch die Politik gefordert, mit un- bürokratischen familienfreundlichen Maßnahmen die Stellung der deutschen Universitäten im internationalen Wettbewerb zu verbessern. Nicht neue Regelungen, son- dern neuer Mut zu weniger Regelungen wird uns auf die- sem Weg voranbringen. Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Mit dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen zu „Mehr Qualität und Exzel- lenz durch Chancengerechtigkeit und Gender-Perspekti- ven in Wissenschaft und Forschung“ verbindet sich eine ganz grundsätzliche Fragestellung: Welches Verständnis von Innovation legen die Regierungsfraktionen von Union und SPD ihrer Wirtschafts- und Wissenschaftspo- litik eigentlich zugrunde? Ziele der aktuellen Politik, die auch von Bündnis 90/Die Grünen nicht grundsätzlich in- frage gestellt werden, sind mehr Wettbewerbsfähigkeit und mehr Exzellenz in Wirtschaft und Wissenschaft. Über diverse Förderprogramme werden Milliarden in Spitzenforschung und Erkenntnistransfer gepumpt! Die L A n r W t h d i t f t l w e F r m p f s r w z P u L s W n s r g b g d „ n s d n b r d l j D u v s (C (D inke hat die einseitige technologie- und marktzentrierte usrichtung dieser Förderpolitik der Regierungsfraktio- en stets kritisiert. Aber ich bleibe doch einmal für einen Moment in Ih- er Innovationslogik. Wieso lassen Sie ausgerechnet in issenschaft und Forschung in so hohem Maße innova- ive Potenziale ungenutzt? Weshalb wird Tausenden hochqualifizierten und ochmotivierten Frauen der Zugang, die Teilhabe und ie Mitwirkung an kreativen Prozessen verwehrt? Da wird in diesen Tagen beispielsweise insbesondere m Bereich von Wirtschaft und Wissenschaft ein gewal- iger Fachkräftemangel an Ingenieuren beklagt. Pro Jahr ehlen rund 20 000 Ingenieure. Aber die Zahl eingestell- er Frauen bleibt seit zehn Jahren konstant. Unter männ- ichen Ingenieuren sind nur 7 Prozent ohne Arbeit, unter eiblichen dagegen 20 Prozent. Zwei Drittel der Ingeni- urinnen mit Uniabschluss und die Hälfte derjenigen mit achhochschulabschluss finden keine Anstellung im Be- uf. In der Industrieforschung sind Forscherinnen nur it 12 Prozent vertreten. Statt diesen endlich Berufs- und damit neue Lebens- erspektiven zu ermöglichen, wollen sie die Lücke kurz- ristig durch Zuwanderung hochqualifizierter ausländi- cher Fachkräfte verkleinern. Nur um das klarzustellen: Die Linke ist für Zuwande- ung. Aber die Misere des Fachkräftemangels ist mit Ab- eichungen in allen Forschungs- und Wissenschaftsdis- iplinen festzustellen. Frauen sind in höherdotierten rofessuren sowie in Führungspositionen in Wirtschaft nd Wissenschaft unglaublich unterrepräsentiert. Die inke sagt: In der Wirtschafts-, Wissenschafts- und For- chungspolitik der Bundesregierung klaffen gewaltige idersprüche! Vier grundlegende Probleme müssen Gegenstand ei- er neuen Politik sein: Erstens: Eine Wissenschafts-, Forschungs- und Wirt- chaftspolitik muss sich daran messen lassen, ob sie ge- echt ist. Ihre Politik ist ungerecht, weil Sie Frauen trotz leicher Befähigung um ihr Recht auf Beschäftigung zw. akademische Laufbahnen und um ihr Recht auf leiche Bezahlung bringen. Herr Professor Strohschnei- er vom Wissenschaftsrat spricht völlig zutreffend von Exklusionsmechanismen“. Zweitens: Eine gute Wissenschaftspolitik setzt sich icht nur gegen die Benachteiligung von Frauen in Wis- enschaft und Forschung ein, sondern sorgt auch dafür, ass kreatives Potenzial und hochwertiges Forschen icht länger verloren gehen. Von den Forscherinnen ha- en rund 26 Prozent ihr Projekt interdisziplinär ausge- ichtet. Von den Forschern dagegen nur 15 Prozent. Aus er Innovationsforschung aber ist bekannt, dass vor al- em aus den interdisziplinär angelegten Forschungspro- ekten bahnbrechende Erkenntnisse erwartet werden. amit werden auch die klassischen Fächertrennungen nd Disziplingrenzen, die eben über 200 Jahre vor allem on Männern geprägt wurden, überwunden! Eine Wis- enschafts- und Forschungspolitik, die den Gender-As- 11230 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 (A) ) (B) ) pekt ernst nimmt, verspricht also bisher unentdeckte Blickwinkel innovativer Entwicklung zu erschließen. Neue Felder, neue Ideen, neue Ansätze bleiben uns vorenthalten, weil Sie, sehr geehrte Damen und Herren auf den Regierungsbänken, die spezifischen Fähigkeiten und die Lebensrealitäten von forschenden Frauen nicht integrieren! Um nochmals an ihre Logik anzuknüpfen: Sie verpassen damit auch Märkte! Oder, um aus dieser Logik auszubrechen: Ohne den Blick für Gender-Fragen leidet die Qualität von Wissen- schaft und Forschung. Hier muss ein System der Projekt- förderung ansetzen. Fördermittel haben erhebliche Macht, wenn es um die Bestimmung und Bearbeitung neuer Themen und Gegenstände der Forschung geht. Gender muss zu wissenschaftlicher Normalität werden. Gender-Forschung muss bereits im Curriculum, also in die Lehrziele eines Studienganges integriert werden, weil die Sensibilität und das Verständnis geweckt wer- den müssen. Und letztlich bedarf es auch eines stringen- ten Ansatzes auf EU-Ebene. Dort wurden frühere An- sätze im 7. Forschungsrahmenprogramm abgeschwächt, teilweise – wie der Gender-Action-Plan – nicht fortge- setzt. Gender fehlt in den Evaluierungskriterien. Drittens: Eine gerechte Wissenschafts-, Forschungs- und Wirtschaftspolitik muss zu einer grundlegenden Veränderung der Wissenschaftskultur führen. Sie muss den offenen, aber vielmehr noch den feinsinnig verdeck- ten Formen der Ausgrenzung und Benachteiligung von Frauen konsequent entgegentreten. Nur die verstärkte Einstellung von Frauen zu fördern, hat über die Jahre un- befriedigende Ergebnisse gebracht. Frauen treten nach wie vor viel seltener als Männer auf besser bezahlten und auf einflussreichen Positionen in Erscheinung. Das mag auch an der Höhe der Förderzuschüsse gelegen ha- ben. Immer mehr reift die Erkenntnis, dass es ohne Quo- ten, wie sie Herr Professor Winnacker nach Beendigung seiner Amtszeit als Präsident der Deutschen Forschungs- gemeinschaft (DFG) ein wenig entnervt forderte, nicht gehen wird. Und zugleich müssen Sanktionen, also Mit- telabzug bei zu geringen Beschäftigungsanteilen von Frauen, das finanzielle System der Frauenförderung un- terstützen. Viertens: Eine echte Innovationspolitik braucht einen lebensweltlichen, einen sozialen Kontext. Forscherlauf- bahnen werden bisher zulasten von Familien oder Fami- liengründung durchlaufen. Familienfreundlichkeit darf sich allerdings nicht auf bessere Kinderbetreuung be- schränken. Diese wird ohnehin fast immer nur auf Frau- enförderung bezogen. Dabei bringt sie auch Männern in der Familie Entlastung. Die Bedürfnisse der ganzen jun- gen Familie sind zu berücksichtigen. Wissenschaftlerin oder Wissenschaftler zu werden, darf nicht von Absage an normale, gesellschaftlich übli- che Lebensverhältnisse von Menschen begleitet werden. Karriereplanung, geregeltes Einkommen, Urlaub, be- grenzte Arbeitszeiten, Wochenenden, soziale Kontakte und eben Kinder gehören dazu. Was haben Menschen für gesellschaftliche Kompetenzen und Persönlichkeiten, die durch Selbstaufgabe ihrer Lebensansprüche beruflich erfolgreich geworden sind? G m n w r f d I s h R s A u E c w V i – l v h s d s a r s t d t h e d s ü d d d Ö c p d k r t W b m H g l N (C (D Wissenschaft und Forschung stehen nicht über der esellschaft. Sie sind Bestandteil ebenso, wie sie ganz aßgebliche Impulse für ihre Verbesserung setzen kön- en. Und alle zusammen werden an Innovationskraft ge- innen, wenn Männer und Frauen gleichberechtigt da- an mitwirken! Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Be- und über Wissenschaftlerinnen und Gender-Aspekte in er Forschung ist eindeutig und deprimierend zugleich: n Fragen der Gleichstellung hinkt der deutsche For- chungs- und Wissenschaftsbetrieb international weit interher. Von echter Chancengleichheit kann keine ede sein. Auch finden sich kaum systematisch in For- chungsprojekte integrierte Gender-Perspektiven. Der nteil von Frauen in den akademischen Qualifizierungs- nd Karrierestufen der inner- und außeruniversitären inrichtungen ist im internationalen Vergleich erschre- kend gering. Die Durchlässigkeit akademischer Karriere- ege für Frauen hat sich trotz allem rhetorisch bekundeten eränderungswillen und zahlreicher Förderprogramme n den letzten Jahren nur marginal verbessert. Aktuell und das ist gleichstellungspolitisch in der Tat skanda- ös – liegt die Chance eines männlichen Hochschulabsol- enten auf eine spätere Professur immer noch fünf Mal öher als die einer Hochschulabsolventin. Wissenschaftlerinnen bleiben in der deutschen For- chungs- und Wissenschaftslandschaft also nach wie vor eutlich unterrepräsentiert. In jüngster Zeit haben insbe- ondere die Wissenschaftsorganisationen diesen Missstand ufgegriffen und öffentlich thematisiert. Immer stärker ückt ins Bewusstsein, welche Dimension die Ge- chlechterdiskriminierung hat: Diskriminierende Struk- uren, Verhaltensweisen und Vorurteile bedeuten einen rastischen Verlust an Innovationsfähigkeit und Reputa- ion für den deutschen Wissenschaftsstandort. Das Fest- alten an diesem Gleichstellungsdefizit läuft auf eine norme Potenzialverschwendung hinaus. Wir bleiben eutlich unter unserem Leistungsvermögen. Unser Wis- enschaftssystem ist nicht nur extrem ungerecht gegen- ber den vielen gut ausgebildeten Frauen, die durchaus as Zeug dazu hätten, gute Wissenschaftlerinnen zu wer- en; angesichts des demografischen Wandels und vor em Hintergrund einer globalisierten wissensbasierten konomie vergeben wir fahrlässig Entwicklungschan- en und sind im internationalen Wettbewerb schlecht ositioniert. Ungünstige Karrierebedingungen von Frauen haben em Wissenschaftsbetrieb hierzulande negative Kriti- en eingebracht, nicht nur von internationalen Gutachte- innen und Gutachtern im Rahmen der Exzellenzinitia- ive. Auch auf europäischer Ebene gerät das deutsche issenschafts- und Forschungssystem ins Hintertreffen ei der geschlechterparitätischen Besetzung von Gre- ien und Entscheidungspanels. Zunehmend verlieren ochschulen aufgrund von unattraktiven Arbeitsbedin- ungen und unmodernen Berufsbildern im internationa- en Wettbewerb hochqualifizierten wissenschaftlichen achwuchs an Unternehmen und andere Bereiche. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11231 (A) ) (B) ) Dabei hakt es im Wissenschaftsbetrieb nicht nur an der mangelnden Vereinbarkeit von Erwerbs- und Fami- lienleben. Insgesamt weisen Studien nach, dass Männer nach wie vor stärker gefördert werden, Frauen mehr leis- ten müssen, um in ihrer Kompetenz anerkannt zu wer- den, und Karriereverläufe von intransparenten und infor- mellen Faktoren geprägt sind, die oft Frauen benachteiligen. Da nutzt es wenig, dass Frauen mittler- weile so hervorragend ausgebildet sind wie nie zuvor und der Pool an hochqualifizierten Akademikerinnen wächst. Vor allem an der Schwelle zur Promotion und noch stärker zur Habilitation scheiden sie aus dem Wis- senschaftssystem aus. Dies gilt ganz besonders für Dis- ziplinen mit einem hohen Anteil von Studentinnen wie die geisteswissenschaftlichen Fächer. Aussichtsreiche potenzielle Nachwuchswissenschaftlerinnen wirken folglich nicht nur in dem Maße am wissenschaftlichen Erkenntnis- und Innovationsprozess mit, wie es möglich und angemessen wäre. Ihr Kreativitäts-, Ideen- und In- novationspotenzial geht dem deutschen Wissenschafts- und Forschungsbetrieb verloren. Klar ist: Der Geschlechterdiskriminierung im Wissen- schaftssystem ist mit unverbundenen Einzelmaßnahmen nicht beizukommen. Zwar ist es sehr vernünftig und richtig, wenn Bundesministerin Annette Schavan mit den Ländern nun nach Wegen sucht, 200 vorgezogene Professuren für Frauen einzurichten. Kompliziert wird dieses Unterfangen nach der Föderalismusreform allzu- mal. Doch eine solche Einzelinitiative reicht bei weitem nicht aus. Eine Verdoppelung des Frauenanteils in der Wissenschaft innerhalb der nächsten zehn Jahre, wie es Ministerin Schavan im März angekündigt hat, erreichen wir so jedenfalls nicht. Um hier endlich entscheidende Schritte voranzukommen, bedarf es neben politischer Willensbekundungen einer gemeinsamen Strategie von Bund und Ländern, mehr Verbindlichkeit in quantitati- ven Zielvorgaben und eine Verstetigung erfolgreicher In- strumente, wie es zum Beispiel die Juniorprofessur war. Schon für eine gemeinsame Strategiebildung von Bund und Ländern fehlt es aber an den Vorraussetzungen. Schließlich weiß die Bundesregierung nicht einmal, wel- che Länder in welcher Form aktuell gleichstellungspoli- tische Maßnahmen durchführen. Sie konnte weder im November letzten Jahres noch im April diesen Jahres nach Kleinen Anfragen der Opposition darüber Auskunft geben. Um hier endlich den Durchbruch zu erlangen, werden insbesondere seitens der Wissenschaftsorganisationen vermehrt verbindliche gleichstellungspolitische Regeln gefordert und über Quoten diskutiert. Der damalige DFG-Präsident Ernst-Ludwig Winnacker griff in seinem Jahresbericht 2006 die Forderung nach Quoten auf. Der Präsident der Leibniz-Gemeinschaft, Ernst Theodor Reitschel, bekräftigte dies im April auf der im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft durchgeführten Konferenz „Gender in der Forschung – Innovation durch Chancengleichheit“ des Bundesministeriums für Bil- dung und Forschung. Dem liegt offenbar die Erkenntnis zugrunde, dass wir mit bloßen Appellen und gut gemein- ten Absichtserklärungen nicht weiterkommen. Gleich- stellungspolitische Vorgaben werden bislang viel zu we- n Z e m f t g t F c v c g a n F d w d s 4 F r i k k s b s g c H t h h z p m k l u d s M g t u n e d a z w N n u (C (D ig an tatsächliche, überprüfbare quantitative ielmarken geknüpft. Alles andere ist offenbar ineffizi- nt. Quantitative Vorgaben müssen über positive Anreiz- echanismen und finanzielle Steuerungselemente be- ördert werden und bei Nichteinhaltung negative Sank- ionsmaßnahmen nach sich ziehen. Ziel muss eine leichstellungsorientierte Personalpolitik in den Institu- ionen und die nachweisliche Steigerung des Anteils von rauen am wissenschaftlichen Personal auf allen Hierar- hieebenen sein. Eine Grundlage für verbindliche Ziel- ereinbarungen bietet das Kaskadenmodell. Entspre- hend dem Kaskadenmodell muss so lange, bis eine leichberechtigte Vertretung von Männern und Frauen uf allen Hierarchieebenen umgesetzt ist, auf der jeweils ächst höheren Führungsebene ein jeweils so hoher rauenanteil erreicht werden, wie auf der vorangehen- en Ebene beschäftigt ist. Dabei muss auch angestrebt erden, dass der Anteil jeden Geschlechts auf Entschei- ungsebenen und in Evaluationsgremien von For- chungseinrichtungen und Hochschulen mindestens 0 Prozent erreicht. Und auch der Innovationsschub, welcher von Gender- orschung ausgehen kann, muss stärker ins Bewusstsein ücken. Die Marginalisierung von Gender-Perspektiven n der Forschung hat zur Folge, dass der qualitative Er- enntnisgewinn von Gender-Forschung viel zu wenig er- annt und als Innovationspotenzial genutzt wird. Wis- enschaft ohne Gender-Perspektive ist defizitär, weil sie lind gegenüber unterschiedlichen Lebenssituationen ist. Anstatt seinen Einfluss dort geltend zu machen, wo er elbst Forschungs- und Institutionenförderung betreibt, ibt der Bund, wenn überhaupt, nur unverbindliche wei- he Kriterien vor. Exzellenzinitiative, Hochschulpakt, ightechstrategie, Ressortforschung, das Jahr der Geis- eswissenschaften, Gender-Budgetting im Forschungs- aushalt – überall hätte der Bund die Möglichkeit ge- abt, das Thema Gleichstellung und Gender-Forschung um Leitgedanken zu machen und im Sinne eines über- rüfbaren Förderkriteriums auszugestalten. Von syste- atischer Implementierung kann in diesen Feldern aber eine Rede sein. Unterdessen läuft die Zeit davon. An den Hochschu- en werden bis 2020 aufgrund des Generationenwechsels mfängliche Neubesetzungen von Professuren notwen- ig werden. Im Bereich der ingenieur- und naturwissen- chaftlichen Fächer droht perspektivisch ein eklatanter angel an Nachwuchswissenschaftlerinnen. Forderun- en, den in den letzten Tagen vermehrt öffentlich disku- ierten Fachkräftemangel durch eine Bildungsoffensive nd insbesondere die Förderung von Frauen in den Inge- ieurs- und Naturwissenschaften wettzumachen, müssen ine größere Rolle spielen. Angesichts der Altersstruktur es Wissenschaftspersonals an den Hochschulen, aber uch mit Blick auf die Entwicklung der Studierenden- ahlen bleibt lediglich ein schmales Zeitfenster für die irksame Förderung des weiblichen wissenschaftlichen achwuchses. Wenn wir dieses Window of Opportunity icht jetzt entschieden nutzen und die wissenschafts- nd hochschulpolitischen Weichenstellungen vorneh- 11232 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 (A) ) (B) ) men, ist die Chance einer effektiven Steigerung des Frauenanteils in der Wissenschaft für weitere Jahrzehnte vertan. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 25. Juni 2003 zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika über Auslieferung, zu dem Abkommen vom 25. Juni 2003 zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika über Rechtshilfe, zu dem Vertrag vom 14. Oktober 2003 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinig- ten Staaten von Amerika über die Rechtshilfe in Strafsachen, zu dem Zweiten Zusatzvertrag vom 18. April 2006 zum Auslieferungsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika sowie zu dem Zusatzvertrag vom 18. April 2006 zum Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutsch- land und den Vereinigten Staaten von Amerika über die Rechtshilfe in Strafsachen (Tagesord- nungspunkt 21) Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (CDU/ CSU): Der Gesetzentwurf der Bundesregierung mit dem langen Titel schafft die Voraussetzungen für die Rati- fikation von drei bilateralen Verträgen, die die Bundes- republik Deutschland mit den Vereinigten Staaten von Amerika über die Rechtshilfe in Strafsachen und zum Auslieferungsrecht in den Jahren 2003 und 2006 ge- schlossen hat. Gleichzeitig wird mit dem Gesetz der Bin- dung Deutschlands an zwei Abkommen zugestimmt, die die Europäische Union als Reaktion auf die Anschläge vom 11. September 2001 mit den USA über die Rechts- hilfe in Strafsachen und die Auslieferung am 25. Juni 2003 geschlossen hat. Der Gesetzentwurf hat, was für Zustimmungsgesetze zu Verträgen mit derart technischem Inhalt eher unge- wöhnlich ist, sowohl im Deutschen Bundestag als auch in der Folge davon in der Öffentlichkeit für einige Auf- merksamkeit gesorgt. Bevor ich zum Inhalt der Verträge komme, möchte ich einige grundsätzliche Bemerkungen zum Verfahren machen. Die parlamentarische Beteiligung zu den Abkommen und Verträgen ist erforderlich, weil Art. 59 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz die Zustimmung durch ein förmliches Ge- setz vorschreibt. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung im 68. Band, Seite 1 ff. auf Seite 88 zum Zustimmungserfordernis des Art. 59 Absatz 2 Satz 1 Grundgesetz ausgeführt, dass dieses den Sinn habe, „langfristige oder gar grundsätzlich unauflösliche Bindungen völkerrechtlicher Art nicht ohne Zustim- mung des Bundestages eintreten zu lassen.“ Daher ist es richtig, dass wir den Gesetzentwurf im Rechtsausschuss nicht einfach „durchgewunken“ haben, sondern die in- haltliche Auseinandersetzung mit dem Gesetzentwurf u i s u d d s s d c f z s F d s r S s A B s K W W k z s a m d h r n D ü K t D b R R g s d l l a d n R d v p f m s r (C (D nd den Inhalten der Verträge gesucht und offene Fragen n Sitzungen des Rechtsausschusses und des Unteraus- chusses Europarecht geklärt haben. Dabei hat es sich m einen üblichen parlamentarischen Vorgang gehan- elt, einen vorgelegten Gesetzentwurf zu erörtern, bevor arüber abgestimmt wird. Denn, und auch das sei in die- em Zusammenhang festgehalten, die auswärtige Gewalt teht bei völkerrechtlichen Verträgen der Exekutive und er Legislative gemeinsam zu. Zu dem umfangreichen Vertragswerk hatte ich sachli- he Fragen, zu denen ich von der Bundesregierung zu- riedenstellende Antworten enthalten habe. Sie betrafen um einen die Frage, wie ein in die USA zur Strafvoll- treckung Ausgelieferter dort eine in eine lebenslange reiheitsstrafe umgewandelte Todesstrafe verbüßt: Fin- et die Vollstreckung der Strafe im „Todeszellentrakt“ tatt oder im normalen Strafvollzug? Die Bundesregie- ung hat mir geantwortet, dass die Vollstreckung der trafhaft in sogenannten Todeszellen nicht zu erwarten ei. Die andere Frage, ob Rechtshilfe für Verfahren vor usnahmegerichten in den USA gewährt werde, hat die undesregierung mit einem klaren Nein beantwortet. Bündnis 90/Die Grünen glaubten die Debatte um die- en Gesetzentwurf mit einem Entschließungsantrag als ritik gegen die USA instrumentalisieren zu müssen. er aber, wie Bündnis 90/Die Grünen, in unlauterer eise diesen Gesetzentwurf sowie die Verträge und Ab- ommen mit der Zusammenarbeit von Geheimdiensten u verquicken und zu einem Tribunal gegen die rechts- taatswidrigen Praktiken der USA im Gefangenenlager uf Guantánamo und der „extraordinary renditions“ zu achen versucht, kann nicht erwarten, bei einem so urchsichtigen Manöver auch noch Unterstützung zu er- alten. Wir führen heute keine außen-, sondern eine echtspolitische Debatte. Worum aber geht es bei diesen Verträgen? Da ist zu- ächst der Vertrag vom 14. Oktober 2003 zwischen eutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika ber die Rechtshilfe in Strafsachen, der noch nicht in raft getreten ist. Gegenstand des Vertrages ist die sons- ige Rechtshilfe in strafrechtlichen Angelegenheiten. er Rechtshilfeverkehr zwischen beiden Staaten findet islang vertragslos statt, rechtliche Verpflichtungen zur echtshilfe bestehen nicht. Auf der Grundlage des echtshilfevertrages können künftig alle Formen der ge- enseitigen Unterstützung bei der Strafverfolgung zwi- chen Deutschland und den USA stattfinden. Dazu zählt ie Zustellung von Urkunden ebenso wie die Überstel- ung von Häftlingen zur Zeugenaussage oder die Über- assung von Beweismitteln. Art. 3 des Vertrages sieht ber auch vor, dass Rechtshilfe aus ordre-public-Grün- en verweigert werden kann. So gäbe es für Deutschland ach dem Rechtshilfevertrag keine Verpflichtung, echtshilfe zu leisten, wenn Bedenken im Raum stün- en, dass übermittelte Informationen rechtsstaatswidrig erwendet würden. Es besteht zwischen den Vertrags- arteien auch Einvernehmen darüber, dass ein Rechtshil- eersuchen abgelehnt werden kann, wenn die Beweis- ittel vor einem Ausnahmegericht genutzt werden ollen. Dies entspricht im Übrigen nach dem Ausliefe- ungsvertrag vom 20. Juni 1978 zwischen der Bundesre- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11233 (A) ) (B) ) publik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika bereits der bisherigen Rechtslage. Artikel 12 jenes Auslieferungsvertrages bestimmt, dass es Auslie- ferungen für Verfahren vor Ausnahmegerichten nicht ge- ben darf. Wer nun dennoch weiterhin Zweifel streut und den Rechtshilfeverkehr in Strafsachen mit den Militärkommis- sionen auf Guantánamo bzw. die Auslieferung zu Straf- verfolgungszwecken mit den „extraordinary renditions“ vermischt, der vergleicht nicht nur Äpfel mit Birnen, sondern er wird dem sachlichen Anliegen, um das es zu- mindest mir in den Beratungen gegangen ist, auch nicht gerecht. Die Fälle el-Masri und Kurnaz, die wir im Untersu- chungsausschuss behandeln, haben nichts mit Rechts- hilfe oder Auslieferung zu tun. Sie geschahen außerhalb vertraglicher oder sonstiger Bestimmungen des Rechts- hilfeverkehrs. Im Weiteren geht es um den Zusatzvertrag zum Ver- trag vom 14. Oktober 2003 zwischen der Bundesrepu- blik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Ame- rika über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 18. April 2006. Er dient der Änderung des bilateralen Rechtshilfe- vertrages und übernimmt Regelungen aus dem Abkom- men zwischen der EU und den USA vom 25. Juni 2003 über Rechtshilfe. Dieses Abkommen regelt nur Teil- bereiche des Rechtshilferechts wie beispielsweise die Ermittlung von Bankinformationen oder die Bildung gemeinsamer Ermittlungsteams. Die Möglichkeit, ge- meinsame Ermittlungsgruppen einzurichten, bezieht sich im Übrigen allein auf Strafverfolgungsorgane, wie dies etwa nach den Anschlägen vom 11. September 2001 bereits praktiziert wurde. Da der im Jahr 2003 abge- schlossene Vertrag dazu keine entsprechenden Regelun- gen enthält, sind diese Ergänzungen oder Änderungen des ursprünglichen Vertragstextes erforderlich, damit Deutschland seine mitgliedstaatliche Verpflichtung aus dem europäisch-amerikanischen Abkommen erfüllt. Gleiches gilt schließlich auch für den Zweiten Zusatz- vertrag vom 18. April 2006 zum Auslieferungsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Ver- einigten Staaten von Amerika vom 20. Juni 1978. Auch hier werden die bilateralen Vertragsbestimmungen an die Regelungen des am 25. Juni 2003 unterzeichneten Ab- kommens zwischen der EU und den USA über Ausliefe- rung angeglichen. Mit diesem Vertrag werden unter an- derem die Regelungen zur Auslieferung bei drohender Todesstrafe geändert. Klar ist: Auch in Zukunft gibt es keine Auslieferung von Deutschland an die USA, wenn der betroffenen Person dort die Verhängung der Todes- strafe droht. Dies wäre mit unserer Verfassung nicht vereinbar. Nach der gegenwärtigen Rechtslage muss in solchen Fällen bei den USA eine ausdrückliche Zusiche- rung eingeholt werden, dass die Todesstrafe nicht ver- hängt oder vollstreckt wird. Künftig ist es ausreichend, wenn Deutschland bei der Bewilligung der Auslieferung eine derartige Bedingung stellt. Der um Auslieferung er- suchende Staat ist dann an diese Bedingung gebunden und die Todesstrafe darf weder verhängt noch vollstreckt werden. Teilt er mit, dass er die Bedingung nicht akzep- t D b w l n s B s s d l R u w h B b c d E te k n B k m t i c S g t g s t g S d A ü s h e r d Z U b B m s (C (D iert, darf das Auslieferungsersuchen abgelehnt werden. ies stellt eine Verfahrenserleichterung gegenüber der isherigen Praxis dar. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung regelt also ichtige Bereiche des Rechtshilfeverkehrs und des Aus- ieferungsrechts zwischen Deutschland und den Verei- igten Staaten von Amerika in sinnvoller Weise. Wir chaffen damit vertragliche Grundlagen sowie präzisere estimmungen für die Rechtsanwender in der Praxis und orgen so für Rechtssicherheit, weshalb ich um Ihre Zu- timmung bitte. Die Debatte hat aber auch gezeigt, dass ie Verträge und Abkommen nicht geeignet sind, die aufende Arbeit des 1. Untersuchungsausschusses im echtsausschuss durch eine Vermischung von Fakten nd subjektiven Wertungen zu überholen. Joachim Stünker (SPD): Mit dem Gesetz ratifizieren ir zwei Abkommen über Auslieferung und über Rechts- ilfe zwischen der Europäischen Union und den USA. eide Abkommen ergänzen seit Jahrzehnten bestehende ilaterale Verträge und regeln im Übrigen nur Teilberei- he des Auslieferungs- bzw. Rechtshilferechts. Ziel ist es, en Auslieferungsverkehr zwischen den USA und den U-Staaten durch Regelvereinheitlichungen zu erleich- rn und den Rechtshilfeverkehr vor allem bei der Be- ämpfung der grenzüberschreitenden organisierten Krimi- alität und des Terrorismus zu verbessern, so zum eispiel durch Vereinfachung der Erteilung von Bankaus- ünften, die Videovernehmung oder bei gemeinsamen Er- ittlungsgruppen. Der Vertrag über Rechtshilfe in Strafsachen verpflich- et die Vertragsparteien, so weit wie möglich Rechtshilfe n strafrechtlichen Ermittlungsverfahren und in Strafsa- hen inklusive Verfahren wegen Zoll-, Abgaben- und teuerstraftaten zu leisten. Der Zusatzvertrag zum Rechtshilfevertrag enthält er- änzende Regelungen zur Ermittlung von Bankinforma- ionen, zur Vernehmung per Videokonferenz sowie zu emeinsamen Ermittlungsgruppen. Zudem sind Vor- chriften zum Schutz sicherheitsempfindlicher Informa- ionen sowie zu den Entscheidungskriterien bei Vorlie- en von Auslieferungs- und Übergabeersuchen mehrerer taaten enthalten. Die vorstehende Aufzählung zeigt, dass es sich um en Rechtshilfeverkehr mit den Vereinigten Staaten von merika vor dem Hintergrund einer jahrzehntelang ge- bten und erprobten Praxis handelt. Ergänzend und klar- tellend ist darauf hinzuweisen: Schon nach dem beste- enden Auslieferungsvertrag aus dem Jahre 1978 darf ine ausgelieferte Person nicht von einem Ausnahmege- icht verurteilt werden. Diese Bestimmung bleibt durch as EU-US-Abkommen unverändert und gilt auch in der ukunft. Die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und den SA im Bereich der Rechtshilfe und Auslieferung ist islang vertrauensvoll verlaufen. Zusicherungen, die im ereich der Todesstrafenproblematik oder bei terroris- usrelevanten Verfahren regelmäßig abgegeben werden, ind stets verlässlich eingehalten worden. 11234 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 (A) ) (B) ) Mechthild Dyckmans (FDP): Die internationale Rechtshilfe in Strafsachen ist auch für Juristen ein nur schwer zur durchdringendes Rechtsgebiet. Auch sie müssen sich erst einmal in dem Geflecht aus innerstaatli- chen Gesetzen und zwischenstaatlichen und multilatera- len Verpflichtungen und Übereinkommen zurechtfinden. In Deutschland gilt zunächst das Gesetz über die interna- tionale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG), das die inner- staatlichen Befugnisse und das anzuwendende Verfahren näher ausgestaltet. Regelungen in völkerrechtlichen Ver- einbarungen mit anderen Staaten gehen diesem Gesetz jedoch vor. Dies zeigt, welch besondere Bedeutung den bi- und multilateralen Übereinkommen im Bereich der Rechtshilfe in Strafsachen zukommt. Wir entscheiden heute über ein Gesetz zu einzelnen Verträgen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika über Rechts- hilfe in Strafsachen und über Auslieferungen zwischen den beiden Staaten. Die Verhandlungen über die uns vor- liegenden Entwürfe haben viele Jahre gedauert. Erst 2003 konnte ein Vertrag von beiden Staaten unterzeich- net werden. Aufgrund von Abkommen, die die Europäi- sche Union mit den USA in derselben Materie ebenfalls 2003 ausgehandelt hat, wurde eine Anpassung notwen- dig, die im Jahre 2006 vereinbart werden konnte. Die Verträge und Abkommen regeln unter anderem, wie zu verfahren ist, wenn es darum geht, Dokumente zu be- schlagnahmen, Zeugen zu vernehmen, Urkunden auszu- tauschen, nach Verdächtigen zu fahnden oder Personen auszuliefern. Der größte Unterschied zu dem Verfahren nach dem deutschen IRG besteht darin, dass die deut- schen Behörden nicht mehr nur Rechtshilfe leisten kön- nen. Sie sind jetzt verpflichtet, dies zu tun, und zwar grundsätzlich auch dann, wenn die Strafverfolgung in den USA eine Handlung betrifft, die nach deutschem Recht nicht strafbar ist. Dies ist umso bedeutender, je mehr man sich bewusst macht, dass Rechtshilfemaßnah- men und Auslieferungen intensiv in die Grundrechte der Betroffenen, insbesondere die der Art. 2 Abs. 2, Art. 10 Abs. l und Art. 13 GG eingreifen können. Deswegen haben wir uns im Rechtsausschuss sehr in- tensiv mit der Frage befasst, ob die Verträge in ausrei- chendem Maße sicherstellen, dass ein Rechtshilfeersu- chen dann verweigert werden kann, wenn Zweifel an der Rechtsstaatskonformität einzelner Verfahren bestehen. Art. 3 des Rechtshilfevertrages sieht hierzu vor, dass die Rechtshilfe verweigert werden kann, wenn die Erledi- gung des Ersuchens die Souveränität, die Sicherheit oder andere wesentliche Interessen des ersuchten Staates be- einträchtigen würde. Aus Gründen des Ordre public kann die Rechtshilfe also verweigert werden. In der Be- gründung heißt es dazu, es bestehe Einvernehmen da- rüber, dass eine Ablehnung eines Rechtshilfeersuchens möglich sei, wenn die Beweismittel für ein Verfahren vor einem Ausnahmegericht genutzt werden sollen. Aus Sicht der FDP-Bundestagsfraktion bedarf die Si- cherung unserer Werte jedoch einer näheren Bestim- mung, Dies ist in den Verträgen nicht hinreichend kon- kret erfolgt. Vor dem Hintergrund der Diskussionen aus jüngster Zeit über den richtigen Weg der Terrorismusbe- kämpfung und die richtige Ausbalancierung des Verhält- n S F R B R V W c d d e m F d T F l R n v n d k d n f w v e V Z l T d g r g V w K s E s w c w w i t t d d S A z ü (C (D isses von Freiheit und Bürgerrechten einerseits und den icherheitsinteressen der Staaten andererseits hat die DP-Bundestagsfraktion daher im federführenden echtsausschuss eine Erklärung vorgetragen, in der die undesregierung aufgefordert wird, die Gewährung von echtshilfe abzulehnen, wenn erkennbar ist, dass das erfahren, für das Informationen und Beweismittel im ege der Rechtshilfe erbeten werden, nicht rechtsstaatli- hen Grundsätzen entspricht. Das bedeutet insbesondere, ass die Bundesrepublik Deutschland in Fällen, in denen ie Gewährung von Auslieferung und Rechtshilfe – sei s durch Überlassen von Beweismitteln, Zeugenverneh- ung, Durchbeförderung von Zeugen oder in welcher orm auch immer – zur Verhängung der Todesstrafe, zu eren Vollstreckung, zur Vollstreckung der Haft in einer odeszelle oder zur Vollstreckung einer lebenslangen reiheitsstrafe, ohne dass für den Inhaftierten die Mög- ichkeit die Wiedererlangung der Freiheit und damit der esozialisierung in die Gesellschaft besteht, Rechtshilfe ur erbringen wird, wenn die Vereinigten Staaten sich erpflichten, die von der Bundesrepublik erbetene Hilfe icht – auch nicht mittelbar – in einer Weise zu verwen- en, die zu den oben genannten Verfahren beitragen ann. Andernfalls hat die Bundesrepublik Deutschland as Rechtshilfeersuchen bzw. die Auslieferung abzuleh- en. Wir haben die Bundesregierung darüber hinaus aufge- ordert, die Gewährung von Rechtshilfe zu verweigern, enn sich die Vereinigten Staaten von Amerika nicht erpflichten, die von der Bundesrepublik Deutschland rbetene Hilfe nicht – auch nicht mittelbar – in einem erfahren vor einem Ausnahmegericht zu verwenden. udem soll es unzulässig sein, dass Mitarbeiter von aus- ändischen Geheimdiensten in diesen Fällen auf dem erritorium der Bundesrepublik Deutschland tätig wer- en. Ich hätte mir gewünscht, dass wir uns fraktionsüber- reifend darauf hätten einigen können, die Bundesregie- ung aufzufordern, die Verträge in diesem Sinne auszule- en und anzuwenden. Denn es reicht nicht aus, dass die erträge Klauseln enthalten, unter die die von uns ge- ünschten Ausnahmen subsumiert werden könnten. Zur larstellung und zur Vermeidung von Missverständnis- en halten wir es für geboten, auf die Ausnahmen im inzelnen hinzuweisen und damit den Willen des Ge- etzgebers deutlich zu machen. So kann sichergestellt erden, dass die zuständigen Behörden in den entspre- henden Einzelfällen Rechtshilfe auch tatsächlich ver- eigern. Weil die Verträge in diesem Sinne auslegbar und an- endbar sind, wird die FDP-Bundestagsfraktion ihnen hre Zustimmung geben. Denn auch Deutschland profi- iert davon, wenn die Vereinigten Staaten sich verpflich- en, unseren Behörden Rechtshilfe zu leisten. Entschei- end ist aber aus Sicht der FDP-Bundestagsfraktion, ass wir uns mit den Vereinigten Staaten auf für beide eiten verbindliche Vorgaben für die Rechtshilfe und die uslieferung und damit gleichzeitig auch auf die Gren- en einigen konnten, die im Rechtshilfeverfahren nicht berschritten werden dürfen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11235 (A) ) (B) ) Petra Pau (DIE LINKE): Erstens. Das Gesetz, das zur Rede steht, betrifft Abkommen und Verträge zwischen den USA und der EU. Konkret geht es um die Modalitä- ten, unter denen Bürgerinnen und Bürger wechselseitig ausgeliefert werden können, wenn sie strafrechtlich ver- folgt werden, und es geht um Vereinbarungen zur gegen- seitigen Rechtshilfe, etwa zu Fahndungszwecken. Klare Vereinbarungen erhöhen die Rechtssicherheit. Positiv ist auch, dass niemand in die USA ausgeliefert werden muss, falls ihm dort die Todesstrafe droht, und ebenso, dass über EU-Bürger, die in den USA angeklagt sind, keine Informationen zu übermitteln sind, die dort zur To- desstrafe führen könnten. All das begrüßt die Fraktion Die Linke. Zweitens. Wir werden dem Gesetz dennoch nicht zu- stimmen. Dafür gibt es vor allem zwei Gründe. Erstens. Laut Abkommen dürfen nur Personen ausgeliefert wer- den, die einer Tat verdächtigt werden, die sowohl in den USA als auch in der EU strafbar ist. Bei der Rechtshilfe gilt dieser Grundsatz nicht. Das halten wir für falsch. Zweitens; das ist der Hauptgrund für das Nein der Frak- tion Die Linke. Es muss klipp und klar vereinbart wer- den, dass EU-Bürgerinnen und EU-Bürger, ja Bürgerin- nen und Bürger überhaupt, in den USA ein gerechtes und faires Verfahren vor einem rechtmäßigen Gericht er- halten. Spätestens seit dem 11. September 2001 wird in den USA mit Verdächtigen auch anders verfahren. Das ist nicht hinnehmbar. Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN): Die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Vereinigten Staaten von Amerika haben nach langjähri- gen Verhandlungen Verträge über die Rechtshilfe in Strafsachen und die Auslieferung geschlossen. Hinzu ge- kommen sind zwei Abkommen der Europäischen Union mit den Vereinigten Staaten von Amerika, die Anpassun- gen der bilateralen Verträge notwendig machten. Durch eine umfassende Regelung des Auslieferungs- verkehrs und von Fragen der Rechtshilfe soll die Zusam- menarbeit der Strafverfolgungsorgane der Mitgliedstaa- ten der Europäischen Union und der Vereinigten Staaten von Amerika erleichtert und so zur Leistungsfähigkeit der Justiz bei der Ermittlung, Verfolgung und Bekämp- fung von Straftaten beigetragen werden. Die Abkommen und Verträge begründen grundsätz- lich eine rechtliche Verpflichtung zur gegenseitigen Rechtshilfe und regeln Fragen der Auslieferung. Nur in Ausnahmefällen, die in den Abkommen und Verträgen benannt sind, dürfen die Vertragspartner die Rechtshilfe mit Bedingungen versehen oder sie verweigern. Die in den Abkommen der Europäischen Union und in den Verträgen der Bundesrepublik Deutschland mit den Vereinigten Staaten benannten Hilfeersuchen und Verfahren beziehen sich ausschließlich auf strafrechtli- che und ihnen gleichgestellte verwaltungsrechtliche Ver- folgungsmaßnahmen US-amerikanischer und deutscher Strafverfolgungsbehörden. Ihre Grundlage ist die beider- seitige Überzeugung, dass Auslieferung und Rechtshilfe nur und ausschließlich im Rahmen rechtsstaatlicher natio- nalstaatlicher gesetzlicher Regelungen stattfinden wer- den. K g C d k d d d d i d R n f a z s s tu B I G F d d G e n M h M g w n M k s m K t m d h g u d S g a z g u (C (D Verschiedene Maßnahmen der Vereinigten Staaten im ampf gegen den internationalen Terrorismus rechtferti- en aber erhebliche Zweifel an ihrem rechtsstaatlichen harakter. Dies stellt sich als ein ernsthaftes Problem für en zukünftigen vertraglich geregelten Strafrechtsver- ehr mit den USA dar. Der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für ie Förderung und den Schutz der Menschenrechte bei er Bekämpfung des Terrorismus, Martin Scheinin, hat azu im Juni ausführlich Stellung genommen. Sein Man- at umfasst die Überprüfung der Gesetze der USA und hrer Umsetzung an internationalen Vertragsstandards es Internationalen Pakts über bürgerliche und politische echte, ICCRR, und der Konvention der Vereinten Natio- en gegen Folter, CAT. Dazu hat Sonderberichterstatter Scheinin Folgendes estgestellt: Erstens. Die Gefangenen in Guantánamo Bay werden ls ausländische gesetzwidrige feindliche Kämpfer qualifi- iert. Dies ist völkerrechtlich unzulässig. Diese Menschen ind freizulassen oder vor ein ordentliches Strafgericht zu tellen. Die Gefangenen haben nach dem Combatant Sta- s Review Tribunal und dem Administrative Review oard keine Möglichkeit, auf ihre Rechte nach dem CCRR zu bestehen. Zu den Verstößen zählen willkürliche efangenhaltung, keinerlei gerichtliche Überprüfung der reiheitsentziehung, kein faires Verfahren, die Entziehung er Habeas-Corpus-Rechte, selbst wenn Gefangene vor or- entlichen amerikanischen Gerichten zugelassen werden. leiches gilt für circa 700 Menschen in Afghanistan und twa 18 000 Menschen im Irak in amerikanischen Gefäng- issen. Zweitens. Die per Präsidentenerlass 2001 errichteten ilitärkommissionen sind 2006 vom Obersten Gerichts- of der USA für verfassungswidrig erklärt worden. Der ilitary Commission Act 2006 des Kongresses hat die leichen Kommissionen mit vergleichbarer Struktur iedererrichtet. Danach können auch Zivilisten, die ichtmilitärischer Verbrechen beschuldigt werden, vor ilitärgerichten landen. Vor diesen gilt das Rückwir- ungsverbot nicht. Es bestehen weitere erhebliche men- chenrechtliche Vorbehalte auch gegen die neuen Kom- issionen. Eine Objektivität und Unabhängigkeit der ommissionen ist nicht gegeben. Es können Beweismit- el verwendet werden, die unter Zwang zustande gekom- en sind. Auch bei Freispruch erfolgt nicht automatisch ie Freilassung. Drittens. Vernehmungen von Gefangenen werden bis eute von der Central Intelligence Agency unter Verstoß egen das Verbot der Folter und jeder grausamen und nmenschlichen und erniedrigenden Behandlungen urchgeführt. Auch nach dem neuesten gültigen United tates Army Field Manual ist es nicht verboten, Gefan- ene zu schlagen und folterähnlichen Stresssituationen uszusetzen, die völkerrechtliche Mindestnormen verlet- en. Viertens. Gefangene werden auf geheimen Wegen an eheime Orte verlegt, wo sie jahrelang ohne Anklage nd Verfahren gehalten und unmenschlich behandelt 11236 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 (A) ) (B) ) werden, „alternative set of procedures“. Dies hat Präsi- dent Bush am 6. September 2006 persönlich bestätigt. Angesichts dieser besorgniserregenden Entwicklung des US-amerikanischen Strafrechtssystems wäre es not- wendig gewesen, in einem Begleitantrag auf diese Ent- wicklung kritisch hinzuweisen und klarzustellen, dass Auslieferungen und Rechtshilfe in solche US-amerikani- sche Strukturen nach deutschem Recht nicht möglich sind. Ja noch mehr: Es ist zu fordern, dass Ausgelieferte und Maßnahmen der Rechtshilfe nach Verbringung in den Machtbereich der Behörden der USA nicht aus dem noch bestehenden rechtsstaatlich funktionierenden Straf- rechtssystems in die beschriebenen völkerrechtswidrigen Strukturen übertragen werden können. Die Koalition hat sich diesem berechtigen Ansinnen verweigert. Statt klar Stellung zu beziehen, schweigt sie lieber zu Guantánamo, den Folterpraktiken und illegalen Entführungen. Angesichts der Tatsache, dass die Staats- anwaltschaft in München inzwischen US-amerikanische Beamte wegen Entführung weltweit mit internationalem Haftbefehl sucht, ist das Schweigen der Koalition nur als ein Kotau vor der jetzigen Regierung Bush und seiner Administration zu verstehen. Das Recht und die Men- schenrechte bleiben dabei auf der Strecke. Strikt zurückzuweisen ist der Vorwurf aus den Reihen der Union, wir Grüne hätten nur ein Tribunal gegen Guantánamo im Sinn. Das System Guantánamo hätte wahrhaft ein internationales Tribunal verdient. Der Begleitantrag meiner Fraktion will jedoch ledig- lich das Ermessen der Bundesregierung in Ausliefe- rungsfällen und bei Rechtshilfe menschenrechtlich und völkerrechtskonform binden. Wir reklamieren nur, die Grundnormen des deutschen ordre public auf den jetzt vertraglich geregelten Strafrechtsverkehr mit den USA in Erinnerung zu rufen und dabei die Strukturen in den USA konkret zu benennen, die dies notwendig machen. Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz: Deutschland und die USA pflegen seit langem enge Beziehungen. Je intensiver und vielfältiger die Kontakte zwischen beiden Staaten sind, desto mehr kommt auch der grenzüberschreitenden Strafverfolgung besondere Bedeutung zu. Hierzu brau- chen wir eine verlässliche Rechtsgrundlage, die es bei- den Seiten erlaubt, die Zusammenarbeit unter Beachtung ihrer jeweiligen verfassungsrechtlichen Grundsätze zu gestalten. Mit der Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs wird das Parlament insgesamt fünf Verträgen und Abkommen über Auslieferung und Rechtshilfe zustimmen. Ziel ist es, nicht nur die strafrechtliche Zusammenarbeit zwi- schen Deutschland und den USA auf eine völkerrecht- lich verbindliche Grundlage zu stellen, sondern auch, zwischen den USA und den EU-Mitgliedstaaten im Be- reich von Rechtshilfe und Auslieferung harmonisierte vertragliche Grundlagen zu schaffen. Nicht zuletzt He- rausforderungen der Bekämpfung des Terrorismus und der organisierten Kriminalität erfordern eine solche enge Kooperation. d n k A d a G R i t e w d E t k v s g e v r A f U g i t a S w E g g u N m b s S h D L g G le (C (D Im Bereich der Auslieferung besteht bereits seit 1978 er deutsch-amerikanische Auslieferungsvertrag, der unmehr geringfügig geändert wird. Auch künftig wird eine Auslieferung erfolgen, wenn der Verfolgte vor ein usnahmegericht gestellt werden soll oder ihm die To- esstrafe drohen sollte. Im Bereich der Rechtshilfe arbeiten deutsche und merikanische Behörden bislang ohne vertragliche rundlage zusammen. Rechtsgrundlage für unsere echtshilfe an die USA ist das deutsche Gesetz über die nternationale Rechtshilfe in Strafsachen. Der Rechtshilfevertrag schafft nunmehr für beide Sei- en verbindliche Regeln für die Rechtshilfe. Der Vertrag nthält auch klare Vorgaben dafür, wie die weitere Ver- endung von Informationen beschränkt werden kann, ie man im Wege der Rechtshilfe übermittelt. Sollten im inzelfall unsere rechtsstaatlichen Grundsätze die Leis- ung von Rechtshilfe nicht zulassen, wird auch nach In- rafttreten des Vertrags die Leistung von Rechtshilfe erweigert werden. Für die mit größter Sorgfalt anzu- tellende Prüfung, ob und ggf. unter welchen Bedingun- en Rechtshilfe möglich ist, bietet der Vertrag nunmehr ine eindeutige und verbindliche Grundlage. Ich bin mir sicher, dass mit diesem Gesetz die bislang ertrauensvolle Zusammenarbeit mit den USA im Be- eich der Strafverfolgung weiter verbessert wird. nlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Konsequenzen aus dem Entschädigungsfall Phoenix Kapitaldienst GmbH (Tagesordnungspunkt 18) Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU): Der Insolvenz- all Phoenix verursachte in den letzten Jahren erhebliche nruhe auf dem deutschen Finanzmarkt. Er ist einer der rößten Anlagebetrugsskandale in Deutschland, bei dem nsbesondere Kleinanleger über Jahre hinweg systema- isch betrogen wurden. Es wurde Anlegern, mehrheitlich us den neuen Bundesländern, über Jahre hinweg cheingewinne vorgegaukelt, die niemals vorhanden aren. Gleichzeitig wurde mit einer Absicherung aller inzahlungen bis maximal 20 000 Euro durch den Einla- en-Sicherungsfonds der Wertpapierunternehmen, EdW, eworben. Viele Kleinanleger ließen sich davon blenden nd sind nun von dem Verlust ihrer Einlagen betroffen. eben einer angemessenen Entschädigung der Anleger üssen aber auch die Interessen der Finanzdienstleister erücksichtigt werden, die dem Sicherungsfonds ange- chlossen sind und die Entschädigung zu zahlen haben. ie dürfen nicht übergebührlich belastet werden. Es darf ier nicht zu einer Beschädigung des Finanzplatzes eutschland kommen. Daher wollen wir die gesetzliche ücke im Einlagensicherungs- und Anlegerentschädi- ungsgesetz schließen. Was ist genau passiert? Die Phoenix Kapitaldienst mbH hatte seit Mitte der 90er-Jahre von rund 30 000 An- gern insgesamt 675 Millionen Euro eingesammelt. Das Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11237 (A) ) (B) ) ergibt durchschnittlich etwa 22 500 Euro pro Anleger. Die Gesellschaft legte aber nur einen geringen Teil der eingesammelten Gelder ordentlich an. Den Rest ver- spekulierte sie mit riskanten Termingeschäften und häufte so erhebliche Verluste an. Statt die Anleger zu in- formieren, bemühte sich das Unternehmen, durch ver- stärkte Akquisition neue Kundengelder zu gewinnen. Ein Schneeballsystem setzte ein. Der Anlagebetrug konnte erst im März 2005 aufgedeckt werden. Die BaFin untersagte daraufhin den Geschäftsbetrieb und bestellte beim Amtsgericht Frankfurt am Main den Insolvenzver- walter. Einige der verantwortlichen Geschäftsführer der Gesellschaft sind mittlerweile wegen Betruges rechts- kräftig verurteilt worden. Sie sehen, wie viel kriminelle Energie in der Gesellschaft steckte. Momentan laufen nun das Insolvenzverfahren der Phoenix und das Entschädigungsverfahren durch den EdW. Der Insolvenzverwalter konnte nur noch rund 230 Millionen Euro an Vermögenswerten sicherstellen. Diese sollen nach seinem Vorschlag für einen Insolvenz- plan an die Anleger ausgeschüttet werden. Dieses Ver- fahren kann jedoch erst beginnen, wenn Anleger und Gläubiger den Plan angenommen haben, das Insolvenz- gericht ihn bestätigt hat und er so rechtskräftig geworden ist. Gegen diesen Plan kündigte aber Anfang Mai der so- genannte Phoenix-Rechtsverfolgungspool GbR, ein Ver- bund von einigen Finanzdienstleistern und Maklern, Wi- derstand an. Ursprünglich gehörte dieser Verbund gar nicht zu den Gläubigern, er kaufte sich erst kürzlich mit einem Forderungsanteil von rund 1 000 Euro ein. Seiner Meinung nach würde der Insolvenzplan nur unnötige Kosten verursachen. Außerdem sei die Frage diverser Treuhandkonten noch ungeklärt. Das Verfahren ist da- durch momentan blockiert. Mit der Ausschüttung der Vermögenswerte würden zunächst nur etwa 30 Prozent der Forderungen der Anle- ger bedient werden. Für weitere Zahlungen müssen sie nun auf den EdW hoffen. Dieser kann aber erst nach Ab- schluss des Insolvenzplanverfahrens einspringen. Das Problem ist hier der völlig unterfinanzierte EdW. Mit den vorhandenen Mitteln ließen sich die Entschädi- gungszahlungen an die Anleger überhaupt nicht befriedi- gen. Nach bisherigen Berechnungen sind über 400 Mil- lionen Euro Schadensersatz zu zahlen, aber nur 5 Millionen Euro befinden sich in den Kassen. Daher muss das Geld bei den Mitgliedern des Sicherungsfonds in Form von Sonderzahlungen eingefordert werden. Da- gegen sträuben sich nun die Mitglieder. Der Rechtsver- folgungspool ist nun einer der ersten, die sich mit juristi- schen Mitteln einer möglichen Zahlung entziehen wollen. Die Bundesregierung will nun den geschädigten An- legern helfen. Die zeitliche Differenz zwischen den Zah- lungen an die Anleger und dem Geldeingang durch die Fondsmitglieder soll über einen Rahmenkredit der KfW überbrückt werden. Der Bund will für dieses Darlehen bürgen, vorbehaltlich der Feststellung des Haushaltes für 2008 voraussichtlich im September dieses Jahres. Über die Kreditkonditionen wird noch verhandelt. V i i t d e B g a d 7 s i s t d d c g l e g f n d l h w G s e s r d e W k d w E E s e w e s f P p s g u D e g (C (D Nun, wir haben als Geschädigte durch den Phoenix- orfall bisher ja nur die Anleger betrachtet. Nun komme ch aber auf eine weitere Gruppe zu sprechen, die stark n Bedrängnis geraten ist – die anderen Finanzdienstleis- er. Nach Abschluss des Insolvenzplanverfahrens wer- en sie zu einer Sonderzahlung verpflichtet, die sie in ine Existenzgefährdung bringen kann. Zwar will das MF vor Versand der Bescheide jeden einzeln auf An- emessenheit prüfen, doch ist die ganze Situation mehr ls problematisch. Bei einer voraussichtlichen Entschä- igungsleistung von 400 Millionen Euro hätte jedes der 50 Unternehmen der EdW-Haftungsgemeinschaft durch- chnittlich mehr als 530 000 Euro zu zahlen. Bei einer ndividuellen Anpassung der Beiträge durch das BMF ind im Einzelfall deutlich höhere Belastungen zu erwar- en. Die Tilgungs- und Zinszahlungen für den KfW-Kre- it werden auf die EdW-Mitglieder umgelegt, was schon ie Form einer Sondersteuer innehat. Die wirtschaftli- hen Folgen wären unabsehbar. Jedes zehnte EdW-Mit- lied fordert mittlerweile wegen der drohenden Zah- ungsunfähigkeit eine Ausnahmeregelung. Die Existenz iner ganzen Branche steht auf der Kippe! Weiterhin ist zu beachten, dass die meisten EdW-Mit- lieder, die zu Beitragszahlungen an diesen Sicherungs- onds verpflichtet werden, diesen gar nicht in Anspruch ehmen können. Von den aktuell nur noch 750 Mitglie- ern besteht die Masse aus kleinen und mittleren Dienst- eistern wie Börsenmaklern. Diese haben selbst über- aupt keinen Zugriff auf die Kundengelder, denn diese erden von einer unabhängigen Depotbank verwahrt. eht nun einer dieser Finanzproduktanbieter in die In- olvenz, so würde der Sicherungsfonds gar nicht für ihn inspringen, da die Kundendepots ja nicht betroffen ind. Der Anbieter muss aber trotzdem in dieses Siche- ungssystem einzahlen und muss im Entschädigungsfalle afür bluten. Viele Finanzdienstleister ziehen deshalb ine Abwanderung ins Ausland in Betracht. EdW-Mitglieder sollten nur Finanzdienstleister und ertpapierhandelsunternehmen sein. Die Beiträge, man ann sie als Sonderausgaben zu Finanzierungszwecken eklarieren, sind verfassungsrechtlich nur statthaft, enn sie eine wirkliche, spezifische Sachnähe zu der ntschädigungseinrichtung haben. Bei bestimmten dW-Mitgliedern, wie auch Phoenix, ist diese spezifi- che Sachnähe überhaupt nicht vorhanden. Deshalb wird ine Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht er- ägt. Hier zeigt sich, dass bei der Gründung des EdW ine Gruppenbildung betrieben wurde, die die unter- chiedlichen Geschäftsstrukturen der dort zusammenge- assten Berufsbranchen gar nicht berücksichtigt. Das roblem ist die recht unscharfe Definition eines Wertpa- ierdienstleisters, theoretisch müssten auch die Univer- albanken dazugezählt werden. Sie können sich also vorstellen, was alles in den EdW estopft worden ist, daran sieht man die Inhomogenität nd fehlende Tragfähigkeit des EdW. Sie sehen, meine amen und Herren Abgeordnete, das ganze System ist ine erfolglose Feigenblattkonstruktion. Die Kollegen von der FDP haben nun den Antrag ein- ebracht, das ganze System der Einlagensicherung zu 11238 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 (A) ) (B) ) reformieren. Sie forderte die Regierung auf, einen Ge- setzentwurf zur Novellierung des Einlagensicherungs- gesetzes vorzulegen. Die FDP empfiehlt, dass die ver- schiedenen Absicherungsinstitute zu einer gemeinsamen Einrichtung zusammengefasst werden. Langfristig mag das richtig und auch nötig sein, für die Lösung des Phoe- nix-Problems bringt das momentan aber gar nichts. Phoenix muss in dem bestehenden System abgewickelt werden. Angesichts der Struktur im deutschen Banken- markt – das 3-Säulen-System – ist eine Neuordnung des Einlagensicherungssystems nicht unproblematisch. Ein- griffe könnten das Vertrauen in den Finanzplatz beschä- digen. Die Schaffung eines einheitlichen Sicherungssys- tems würde nicht zwingend zu einer Verbesserung führen. Bei einem Zusammenführen aller Einrichtungen könnte das System eine Größe erreichen, der das Ma- nagement, die Risikokontrolle und das Zusammenführen von Informationen über Krisenlagen zu komplex und un- durchsichtig werden lässt. Das würde das ganze System eher schwächen als stärken. Es bestünde dann die Ge- fahr, dass künftige Krisen zu spät erkannt werden. Sinnvoller wäre eine Art Überlaufsystem oder Rück- versicherung der Sicherungseinrichtung. Hier bedarf es allerdings noch einer weiteren Prüfung der Vereinbarkeit der Systeme und ihrer Statuten. Weiterhin wären eine effizientere Risikokontrolle und eine Überarbeitung der Beitragsbemessung zu diskutieren. Eine Neuordnung des Systems kann aber nur langfristig erfolgen. Übereilte Schritte, wie von der FDP gefordert, sind aber auf jeden Fall der falsche Weg! Dr. Hans-Ulrich Krüger (SPD): Die in Insolvenz geratene Phoenix Kapitaldienste GmbH ist der traurige Anlass der heutigen Debatte. Hintergrund sind die krimi- nellen Machenschaften der Phoenix Kapitaldienste, wel- che zu einem der schlimmsten Anlegerbetrugskandale in Deutschland geführt haben. Durch ein ausgeklügeltes Schneeballsystem sind nahezu 30 000 Anleger mit vor- getäuschten Finanzgeschäften um ihre Einlagen gebracht worden. Der Gesamtschaden wird auf circa 650 Millio- nen Euro veranschlagt, wobei die Entschädigungszah- lungen der Entschädigungseinrichtung der Wertpapier- handelsunternehmen – kurz: EdW – wohl mehr als 180 Millionen Euro betragen werden. Diese Entschädi- gungszahlungen der EdW sind nun auch Gegenstand des Antrages der FDP. Fakt ist, dass die EdW mit einem Kassenbestand – Stand 31. Dezember 2006 – von gut 5 Millionen Euro Entschädigungszahlungen von gut 180 Millionen Euro leisten muss. Klar, dass dies Lösungen erfordert und eine Diskussion über das bestehende System der Einlagen- sicherung und Anlegerentschädigung ausgelöst hat. Nur der Ansatz, den die FDP mit ihrem Antrag ver- folgt, ist nicht geeignet, das Problem der Anlegerent- schädigung umfassend zu lösen. In diesem Zusammen- hang von Mitverantwortung des Bundes zu sprechen, ist nicht nur falsch, sondern geht an der Sache klar vorbei. Wie verzwickt die kriminellen Machenschaften wa- ren, zeigt ja schon allein, dass ein so renommiertes Wirt- schaftsprüfungsunternehmen wie Ernst & Young im A d g k s w a b s u r b b E la K ü 2 f g b l ü e k i d k l b F k n r f r a z h n S F B n e m t d s n d m (C (D uftrag der BaFin für die Jahre 2002 und 2003 eine Son- erprüfung bei der Phoenix Kapitaldienste GmbH durch- eführt hat und keinerlei Auffälligkeiten erkennen onnte, obwohl nach derzeitiger Kenntnis die Scheinge- chäfte bereits seit Mitte/Ende der 90er-Jahre betrieben urden. Als Reaktion auf diese Insolvenz möchte nun die FDP ls Lösung, das bestehende und das – das darf ich neben- ei erwähnen – auch bewährte System der Einlagen- icherung komplett umgestalten, ein funktionierendes nd bewährtes System übrigens, dass heute unter ande- em aus folgenden Einrichtungen besteht: Zum einen ha- en wir das Sicherungssystem des privaten Bankgewer- es. Dieses sichert dem Einleger Ansprüche im ntschädigungsfall von bis zu 30 Prozent des für die Ein- gensicherung relevanten haftenden Eigenkapitals eines reditinstituts. Der Einlagensicherungsfonds wirkt zudem ber die gesetzliche Mindestabsicherung in Höhe von 0 000 Euro hinaus. Des Weiteren haben wir das Sicherungssystem der öf- entlich-rechtlichen Banken. Hier besteht neben der esetzlichen Entschädigungseinrichtung des Bundesver- andes der Öffentlichen Banken Deutschlands ein Ein- agensicherungsfonds, der zur Anschlussdeckung der ber den Schutzumfang der EdVÖB – Entschädigungs- inrichtung des Bundesverbandes der Öffentlichen Ban- en Deutschlands – hinausgehenden Einlagen dient. Zum anderen haben wir noch das Sicherungssystem m Sparkassensektor. Hier wird die Einlagensicherung urch die Institutssicherung gewährleistet. Bei der Spar- assen-Finanzgruppe, also den Sparkassen, den öffent- ich-rechtlichen Bausparkassen und den Landesbanken, esteht ein Haftungsverbund, der im Bedarfsfall für die orderungen gegenüber den einzelnen Bereichen auf- ommt. Die FDP will nun unter anderem, dass die verschiede- en Institute zu einer gemeinsamen Entschädigungsein- ichtung für alle Institute zusammengefasst werden. Ich rage mich: Was will sie damit bezwecken? Zum einen würde bei einer Zusammenlegung ein bü- okratischer Apparat entstehen, der den Informations- ustausch, die Risikokontrolle und das Management viel u komplex und undurchsichtig machen würde. Dies ätte zur Folge, dass eine effiziente Risikoüberwachung icht funktionieren würde. Zum anderen würde die icherungseinrichtung letztendlich nur noch auf die unktion einer – wie es der Bundesverband Deutscher anken zutreffend nennt – Paybox reduziert. Das kön- en wir schon aus volkswirtschaftlicher Sicht nicht rnsthaft wollen. Das Ziel eines effizienten Sicherungssystems zur Ver- eidung weiterer Schadensfälle muss es daher sein, auf- retende Risiken frühzeitig zu erkennen, um angemessen arauf reagieren zu können. Lediglich finanzielle Res- ourcen zusammenlegen zu wollen, kann auf Dauer icht erfolgreich sein. Des Weiteren höre ich immer wieder von Mitgliedern er EdW – zurzeit gibt es circa 750 – als weiteres Argu- ent für einen „zentralen“ Zusammenschluss, dass das Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11239 (A) ) (B) ) bestehende System der mitgliedschaftlichen Zusammen- legung ihrer Entschädigungseinrichtungen verfassungs- widrig sei. Falls es überhaupt verfassungsrechtliche Bedenken geben sollte, muss man in diesem Zusammen- hang selbstverständlich auch die Frage stellen – was der vorliegende Antrag natürlich nicht macht –, wer bzw. welcher Anleger schutzbedürftiger ist. Ist der klassische „Zocker“, der sein Kapital mit der Aussicht der höchst- möglichen Rendite bei dubiosen Wertpapierhandels- unternehmen anlegt, genauso schutzbedürftig wie der Kleinsparer, der bei seiner Hausbank in Bundesschatz- briefen oder Ähnliches investiert? Im Übrigen sind die Risiken, die bei der Einlagen- und Institutssicherung einerseits und bei der Anlegerent- schädigung andererseits abgesichert werden, völlig unterschiedlich. Wie man weiß, werden bei den Wertpa- pierhandelsunternehmen Schadensfälle durch Kriminali- tätsrisiken ausgelöst; bei der Einlagen- und Instituts- sicherung sind es dahin gehend Kreditrisiken. Gerade eine Zusammenfassung aller Institute in einer gemeinsa- men Entschädigungseinrichtung würde daher wegen Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz verfassungs- rechtlichen Bedenken begegnen. Auf diese Problematik geht der vorliegende Antrag natürlich nicht ein und daher auch fehl. Ein Zusammen- schluss würde also nicht nur erhebliche verfassungs- rechtliche Bedenken auslösen, sondern eine Bürokratie erfordern, die der Sache nicht Herr werden würde. Inso- fern haben die Damen und Herren von der FDP die Sachlage nicht erkannt. Wichtigstes Ziel muss es vielmehr sein, das Vertrauen und die Stabilität in den Finanzplatz Deutschland zu er- halten und zu stärken, ein Vertrauen übrigens, zu dem die kreditwirtschaftlichen Sicherungssysteme – wie be- reits dargestellt – bisher maßgeblich beigetragen haben. Damit dies auch so bleibt, kommt es in erster Linie nicht darauf an, immer mehr Summen in entsprechende Einla- gensicherungen einzubringen, sondern solche betrügeri- schen Insolvenzen – wie wir sie bei Phoenix Kapital- dienste GmbH erlebt haben – frühzeitig zu erkennen und damit einen Schaden auszuschließen bzw. äußerst gering zu halten. Vorrangiges Ziel unserer Überlegung muss daher der Präventionsgedanke sein, um weitere Schadensfälle zu vermeiden. Hier kommt es meines Erachtens ganz er- heblich darauf an, mit entsprechendem Know-how und Personal eine wirkungsvolle Risikokontrolle durch die Sicherungseinrichtungen herzustellen. Darüber hinaus müssen die Sicherungseinrichtungen entsprechende Sanktionsbefugnisse erhalten, wenn Institute Risiken er- kennen lassen. Auch sollte man darüber nachdenken, ob es nicht Sinn macht, eine „Vertrauensschadensversiche- rung“ einzuführen und die Beiträge exakt nach der Höhe des verursachten Risikos zu erheben. Fakt ist: Nur durch eine funktionierende Prävention können Insolvenzen durch Anlegerbetrügereien, wenn nicht immer vermieden, so aber doch von der Schadens- summe gesehen beschränkt werden. Es bleibt festzuhal- ten, dass die Forderungen im vorliegenden Antrag der FDP nicht geeignet sind, die entstandenen Anlagebe- t g E n K f i d s s Z s k G l u s g g 2 h s m m N d F U u t f t b z w t h m r te E a s o N v la is a e k n f n d (C (D rugsfälle im Vorfeld zu vermeiden und im Entschädi- ungsverfahren in den Griff zu kriegen. Im Gegenteil: s verwundert mich schon, dass gerade die FDP hier ach einer aufgeblähten und bürokratischen „Über“- ontrollbehörde, also nach mehr Staat, verlangt. Inso- ern verstehe ich ihren heutigen Antrag auch nicht, da sie m Mai 1998 noch unter ihrer Regierungsverantwortung as Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsge- etz mit eingebracht und beschlossen hat. Wenn denn der FDP-Antrag gerade dahin gehend ver- tanden werden soll, dass nunmehr ein zusätzlicher ahlmeister außerhalb des aktuell gültigen Sicherungs- ystems – EdW – gesucht wird, so kann ich der FDP eine lare und deutliche Absage erteilen. Auf der einen Seite ewinne zu privatisieren und auf der anderen Seite Ver- uste – die dann der Staat und somit jeder Einzelne von ns zu tragen hätte – zu sozialisieren, ist mit der deut- chen Sozialdemokratie nicht zu machen. Frank Schäffler (FDP): Das Thema „Entschädi- ungsfall Phoenix GmbH“ brennt den betroffenen Anle- ern und Finanzdienstleistern auf den Nägeln. Im Jahr 005 wurde der Entschädigungsfall festgestellt, und bis eute haben Anleger und die Zwangsmitglieder der Ent- chädigungseinrichtung der Wertpapierhandelsunterneh- en, EdW, keine Gewissheit, wann sie ihr Geld bekom- en bzw. welche Sonderbeiträge auf sie zukommen. och schlimmer ist, dass jederzeit ein erneuter Entschä- igungsfall auftreten kann, mit ebenso verheerenden olgen für Anleger und Unternehmen. Deshalb ist die ntätigkeit der Bundesregierung nicht hinzunehmen, nd deshalb hat die FDP-Fraktion den vorliegenden An- rag gestellt. Es ist nicht hinnehmbar, dass Sie sich ein- ach in die Sommerpause retten, ohne sich zu Ihren wei- eren Plänen zu äußern. Deshalb fordere ich Sie auf, ekennen Sie hier Farbe, sagen Sie, welche Konsequen- en Sie aus dem Fall Phoenix ziehen wollen. Sagen Sie, ie der geplante Kredit der KfW an die EdW ausgestal- et werden soll. Halten Sie die Betroffenen nicht länger in! Die FDP-Fraktion hat die Bundesregierung bereits ehrfach zum Handeln aufgefordert. Die Bundesregie- ung hat sich aber nur hinhaltend geäußert und für frühes- ns das nächste Jahr einen Entwurf für eine Änderung des inlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsgesetzes ngekündigt. So lange können wir nicht warten. Wir müs- en jetzt handeln, denn unser Finanzplatz ist aufgrund der ffenen Lösung der Entschädigungsproblematik blockiert. eugründungen werden faktisch verhindert, im Gegenteil erlieren wir Finanzdienstleister, da Unternehmen ihre Er- ubnis zurückgeben bzw. ins Ausland abwandern. Dies t nicht vorwerfbar, denn wer sich jetzt aus der EdW ver- bschiedet, muss nicht zahlen, wenn die Sonderbeiträge rhoben werden. Das Problem ist dabei jedoch, dass viele leine und mittelständische Unternehmen, die ihren Sitz icht so leicht verlagern können, zurückbleiben und sich ür diese dann die Sonderbeiträge erhöhen. Die FDP-Fraktion hat in dem vorliegenden Antrag ei- en Lösungsweg aufgezeigt. Lassen Sie uns die bestehen- en Entschädigungseinrichtungen zusammenlegen, damit 11240 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 (A) ) (B) ) es ein zahlungskräftiges Anlegerentschädigungssystem gibt. Das ist im Sinne der Finanzdienstleister, die dann nicht mehr durch Sonderbeiträge in ihrer Existenz gefähr- det werden, und es ist auch im Sinne der Anleger, die dann in künftigen Fällen frühzeitig ihre Entschädigung er- halten können. Um die Lösung des Falls Phoenix zu er- leichtern, wollen wir, dass ein Anspruchsübergang auf die EdW bei Haftung Dritter in das Gesetz aufgenommen wird. Wenn wir dies nicht regeln, bevor die Auszahlungen der EdW beginnen, kann die EdW Dritte, die den Fall Phoenix mit verursacht haben, nicht in Anspruch nehmen. Die Kollegen der Koalition, insbesondere der SPD, meinen ja, die Finanzdienstleister müssten den Fall Phoenix unter sich ausmachen. Dabei verkennen sie je- doch, dass der Bund eine Mitverantwortung trägt. Diese ergibt sich aus dem Aufsichtsversagen von Bundesan- stalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, BaFin, und EdW, ohne das der Fall Phoenix nicht diese Ausmaße ange- nommen hätte, und daraus, dass der Bundesgesetzgeber durch das Einlagensicherungs- und Anlegerentschädi- gungsgesetz, EAEG, mit der EdW eine Einrichtung ge- schaffen hat, die selbst nicht tragfähig ist. Legen Sie nicht länger die Hände in den Schoß, son- dern legen Sie endlich einen Gesetzentwurf vor! Dr. Axel Troost (DIE LINKE): Sie werben unabläs- sig für den „Freien Markt“. Dahinter steht die Vorstel- lung, dass aufgeklärte Verbraucher rational auf Märkten verschiedene Angebote prüfen und dasjenige auswählen, das am besten ihren Präferenzen entspricht. Schon im- mer gab und gibt es dagegen von kritischen Wirtschafts- wissenschaftlern den Einwand, dass diese Vorstellung eine reine Fiktion ist und Märkte in Wirklichkeit anders funktionieren, dass Märkte in der Realität oft durch ein Informationsgefälle zwischen Anbietern und Nachfra- gern charakterisiert sind und dass auf Märkten auch Machtfragen eine Rolle spielen. Deswegen fand ich Ihren Antrag ausgesprochen inte- ressant. Ich betone: interessant, nicht richtig. Interessant ist er, weil sich Marktliberale hier einmal mit Märkten befassen müssen, wie sie in der Realität existieren, weil Sie sich von Ihrer Fiktion des „Freien Marktes“ verab- schieden müssen. Prompt verstricken Sie sich in Widersprüche. Sie kri- tisieren, dass die BaFin versagt habe. Aber es muss auch gesehen werden: Die – von der Anbieterseite getragene – Entschädigungseinrichtung der Weltpapierhandelsunter- nehmen, EdW, hat in ihrer Kontrollaufgabe versagt. Diese Entschädigungseinrichtung ist zudem vollkom- men unterfinanziert. Und wir müssen sehen: Auch die Nachfrager haben sich vermutlich das eine oder andere Mal von hohen Renditeversprechungen blenden lassen und sind nicht – wie vom aufgeklärten Verbraucher ei- gentlich zu erwarten – bei paradiesischen Versprechun- gen stutzig geworden. Deswegen muss das Problem umfassender angegan- gen werden, als es im Antrag der FDP-Fraktion durch- scheint. Phönix könnte als bedauerlicher Einzelfall be- trachtet werden, würde man in diesem unserem Kreise n r w w m s t n m g z s Ä c i p e s n ü g l c w r Y n s w m o g v d P d w g s d w p s e t s D n h n n n k d r (C (D icht regelmäßig die Erfahrung machen, dass aufsichts- echtliche und vollzugspraktische Schwierigkeiten bis- eilen sehenden Auges in Kauf genommen und ignoriert erden, um den interessierten Lobbygruppen schnellst- öglich Vollzug melden zu können. Als jüngstes Bei- piel ist hier etwa die kritische Einschätzung der Vertre- erin der BaFin in der Anhörung zum REIT-Gesetz zu ennen. Obwohl diese unmissverständlich deutlich achte, dass die vorgesehene Überwachung der Beteili- ungsverhältnisse in der Praxis kaum zufriedenstellend u bewerkstelligen sein wird, hat das verabschiedete Ge- etz an dieser Stelle gegenüber dem Entwurf keinerlei nderung mehr erfahren. Nach dem Motto „Jetzt ma- hen wir erst mal, und was am Schluss dabei rauskommt, nteressiert erst mal nicht“ wird der viel zitierte Finanz- latz Deutschland zwar um viele „innovative“ Produkte rweitert, zugleich aber zum Minenfeld der finanzpoliti- chen Unwägbarkeiten umgekrempelt. Auch hier muss ach meiner Meinung angesetzt werden! Im Falle der EdW bleibt, auch nach der Anhörung ber den Fall Phönix hinaus, weiterhin die Kernfrage un- elöst. Diese lautet: Müssen Anleger, die solchen Ver- ockungen erlegen sind, überhaupt, und wenn ja, in wel- hem Umfang und in welcher Form, entschädigt erden? So weist auch der Vorsitzende des Aufsichts- ates der Partners Vermögensmanagement in München, orck Otto, darauf hin, dass leichtgläubige oder krimi- elle Spekulanten quasi gefahrlos in dubiose und hoch pekulative Anlagemodelle investieren können, ohne ein irkliches Risiko einzugehen. Auch dieses Problem uss sehr sorgfältig diskutiert werden. Hingegen ist für die Linke die Frage weniger wichtig, b Ansprüche gegenüber Dritten auf die EdW übertra- en werden müssen oder nicht. Hier hat Herr Eschmann on der BaFin in der Anhörung deutlich gemacht, dass ies Aufgabe des Insolvenzverwalters ist, der im Falle hönix dieser Pflicht auch nachkomme. Sollten sich bei er intensiveren Behandlung dieser Thematik allerdings eitere Gesichtspunkte ergeben, die eine solche Übertra- ung der Ansprüche als vorteilhaft erscheinen lassen, so ind wir auch einer solchen Regelung gegenüber offen. Hauptkonsequenz ist für uns aber: Unabhängig von en jeweiligen sozioökonomischen Folgewirkungen ird die Linke auch in Zukunft keinerlei Kapitalmarkt- olitik unterstützen, bei der es den Aufsichtsbehörden, ei es durch eine unzureichende Gesetzeslage oder durch ine unzureichende Personal- und Sachmittelausstat- ung, unmöglich gemacht wird, ihren Aufgaben gewis- enhaft nachzukommen. Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ie Phoenix Kapitaldienst GmbH hat 30 000 Anlegerin- en und Anleger um ihr Erspartes betrogen. Obwohl es ier – anders als zum Beispiel bei der Göttinger Gruppe – icht um den grauen Kapitalmarkt geht, haben diese och keinen Euro Entschädigung gesehen. Sie werden ach zwei Jahren immer noch weiter vertröstet. Das ann nur bedeuten, dass der Anlegerschutz – den wir in iesem Bereich ja durchaus haben – einfach nicht aus- eicht. Das hat uns die Parlamentarische Staatssekretärin Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11241 (A) ) (B) ) im BMF, Frau Dr. Hendricks, bei der Finanzausschuss- Diskussion im April schon bestätigt. Wie sieht dieser Anlegerschutz jetzt aus? Einerseits soll eine Überwachung durch die BaFin Schadensfälle großen Ausmaßes präventiv verhindern. Kommt es den- noch zum Schadensfall für die Anlegerinnen und Anle- ger, muss laut europäischer Richtlinie eine finanzstarke und effektive Anlegerentschädigungseinrichtung zumin- dest 90 Prozent der Einlagen bei einer Deckelung von 20 000 Euro pro Anleger ersetzen. Und hier hakt es im konkreten Fall. Der Phoenix-Skandal hat gravierende konzeptionelle Schwächen dieses theoretisch sinnvollen Anlegerschutz- konstruktes offenbart. Der Entschädigungseinrichtung der Wertpapierhandelsunternehmen, EdW, mangelt es an der notwendigen Finanzstärke, weil die Anzahl der EdW-Mitglieder relativ gering ist und es sich außerdem um eher kleine Unternehmen handelt. So stehen den Ent- schädigungsansprüchen der Anlegerinnen und Anleger von etwa 180 Millionen Euro nur verfügbare Mittel der EdW von etwa 5 Millionen Euro – Stand 31. Dezember 2006 – gegenüber. Ein krasses Missverhältnis! Die ent- standene Lücke soll durch Sonderbeiträge derjenigen Fi- nanzdienstleister geschlossen werden, die der EdW bei Einforderung der Sonderbeiträge – und nicht etwa zum Zeitpunkt des Schädigungsfalles – angehören. Dieses System ist ganz klar unzulänglich und muss dringend verbessert werden. Die Bundesregierung muss schnell einen Vorschlag zur Verbesserung des Einlagensiche- rungs-und Anlegerentschädigungsgesetzes, EAEG, vor- legen. Bei der Debatte darf es jedoch nicht einseitig um die betroffenen Finanzdienstleister und ihre Belastung durch Sonderbeitragszahlungen gehen. Vielmehr muss eine Novellierung des EAEG auch und insbesondere die Rechte der Anlegerinnen und Anleger stärken. Schließ- lich ist das der übergeordnete Zweck einer Entschädi- gungseinrichtung, selbst wenn dieser Zweck natürlich die Leistungsfähigkeit der entschädigenden Mitglieder voraussetzt. So muss beispielsweise das Zusammenspiel zwischen dem Insolvenzverfahren und den Entschädigungszahlun- gen anlegerfreundlich gestaltet werden. Insolvenzver- fahren des EdW-Mitgliedes und Entschädigungsverfah- ren der EdW sind grundsätzlich separat zu sehen. Andererseits gibt es eine enge Verknüpfung, weil keine Auszahlung der EdW vor rechtswirksamer Feststellung des Insolvenzplanes erfolgen kann. Das ist aus Praktika- bilitätsgründen nachvollziehbar, weil dadurch die Summe der Auszahlung leichter feststellbar und die rechtliche Handhabung einfach ist. Denn die Höhe der Entschädigungszahlung mindert sich um den Betrag, welcher im Zuge der Insolvenz an die geschädigten An- leger in ihrer Eigenschaft als Gläubiger ausgezahlt wird. Leidtragende dieser Vorgehensweise sind aber die Anle- gerinnen und Anleger, denn die Auszahlung verzögert sich entsprechend. Durch die Abhängigkeit vom vorher- gehenden Insolvenzverfahren können beispielsweise Ge- richtsverfahren einzelnder Gläubiger den Auszahlungs- zeitpunk stark verzögern. So hat im Phoenix-Fall der g v v 2 E e k B E d 2 d m S v A F g e d k d f l b h l n R s d te u t t t E k t w g P m l s g F f A s K s A n s g g k (C (D rößte Gläubiger aktuell Beschwerde gegen den Insol- enzplan eingelegt und die Auszahlung damit vorerst erhindert. Anlegerinnen und Anleger warten nun seit 005 auf die Entschädigungszahlung. Das novellierte AEG muss an dieser Stelle eine deutliche Regelung nthalten, um Vorgaben der Insolvenzordnung in Ein- lang mit einer zügigen Entschädigungszahlung an die etroffenen zu bringen. Auch die Frage, ob Scheingewinne im Rahmen der ntschädigung gemäß EAEG ersatzfähig sind, bedarf er gesetzlichen Klärung. Seitdem die BaFin im März 005 den Entschädigungsfall feststellte, verzögerte sich ie Auszahlung unter anderem deshalb, weil es bei kri- inellen Betrugsfällen schwierig ist, den ersatzfähigen chaden zu beziffern. Fraglich ist dann nämlich, ob die orgetäuschten und real nie existierenden Gewinne den nlegern zu ersetzen sind oder nicht. Für den Phoenix- all wurde dazu ein wissenschaftliches Gutachten heran- ezogen, welches Scheingewinne für nicht ersatzfähig rklärt. Dieses Gutachten wird dann zum Maßstab für en Umfang der vorzunehmenden Entschädigung er- lärt. Ein so wesentlicher Aspekt bei der Auszahlung an ie Geschädigten muss jedoch durch den Gesetzgeber estgelegt werden. Die derzeitige Rechtsunsicherheit zu- asten der Anlegerinnen und Anleger ist nicht hinnehm- ar. Was die Konzeption der EdW als solche anbelangt, so at die Bundesregierung bereits eingeräumt, dass Unzu- änglichkeiten bestehen. Um die aktuell betroffenen Fi- anzdienstleister durch Sonderbeiträge nicht an den and der Insolvenz zu drängen, unterstützen wir den Vor- chlag, die Liquidität der EdW etwa durch ein Darlehen er Kreditanstalt für Wiederaufbau, KfW, zu gewährleis- n. Diese Bemühungen ersetzen aber keinesfalls eine mfassende Reformierung der Entschädigungseinrich- ung im Wertpapierdienstleistungsbereich. Dabei ist un- er Rücksichtnahme auf das bewährte Drei-Säulen-Sys- em des deutschen Bankwesens eine angemessene inrichtung zu bilden, die finanzkräftig genug ist, um ünftige Schadensfälle abdecken zu können. Gleichzei- ig müssen auch bei der Entschädigungseinrichtung so- ie der BaFin geeignete Kontrollmechanismen vorlie- en, um Betrugsfälle solcher Dimension, wie es bei hoenix der Fall war, frühzeitig zu unterbinden und da- it den Schaden präventiv zu verhindern. Zur finanziellen Stabilisierung einer reformierten An- egerentschädigungseinrichtung kann auch der automati- che Übergang von Forderungen der Geschädigten ge- en Dritte beitragen. Eine gesetzlich angeordnete orderungsabtretung an die EdW würde immer dann er- olgen, sobald die Geschädigten ihrerseits von der EdW uszahlung erhalten. Diese Forderung erkennen wir als innvoll an, zumal sie sich bereits in vergleichbaren onstellationen – wie etwa im Versicherungsvertragsge- etz – bewährt hat. Dennoch ist zu beachten, dass eine btretung der Ansprüche des geschädigten Anlegers icht in voller Höhe erfolgen kann. Zu bedenken ist in- oweit, dass Anlegerinnen und Anleger schließlich ge- en Dritte, die ihren Schaden mit verursacht haben, ge- ebenenfalls ihre gesamten Verluste geltend machen önnen. Von der EdW hingegen erhalten die Anleger 11242 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 (A) ) (B) ) maximal 20 000 Euro. Eine Abtretung kraft Gesetzes muss daher so ausgestaltet sein, dass den Anlegerinnen und Anlegern durch den Übergang ihrer Forderungen auf die Entschädigungseinrichtung kein Nachteil er- wächst. Insgesamt teilen wir das Anliegen des Antrags. Es be- darf dringend einer Novellierung des EAEG, um künf- tige Fälle vergleichbaren Ausmaßes zu verhindern, die dem Finanzplatz Deutschland schaden. Wir werden uns weiterhin aktiv dafür einsetzen, dass dabei sowohl die Rechte der Anlegerinnen und Anleger als auch die Leis- tungsfähigkeit der Finanzdienstleister angemessen be- rücksichtigt werden. Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: – Antrag: Entlastung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 2005 – Vorlage der Haushalts- und Vermögensrechnung des Bundes (Jahresrechnung 2005) – – Unterrichtung: Bemerkungen des Bundes- rechnungshofes 2006 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes (einschließ- lich der Feststellungen zur Jahresrechnung 2005) (Tagesordnungspunkt 23) Hans-Joachim Fuchtel (CDU/CSU): Aus der Sicht unserer Enkel dürfte das Haushaltsergebnis 2005 später einmal als Beitrag zur Belastung der künftigen Generatio- nen eingeordnet werden. Zur Erinnerung: Rot-Grün war bei der Bundestagswahl 1998 mit dem Versprechen ange- treten, weniger Schulden zu machen. Es ist ein Haushalts- ergebnis, dass weit weg ist von den hohen Zielen: Hans Eichel wurde in den Jahren 1999 und 2000 nicht müde, davon zu sprechen. Er wollte das Defizit auf null drücken. Die Realität ist anders. Nun ist das Haushaltsjahr 2005 Gegenstand unserer Debatte und es liegt eine Nettoneu- verschuldung in Höhe von 31,2 Milliarden Euro vor. Die als Soll angesetzten 22 Milliarden Euro reichten nicht aus. Vielmehr musste von dem Haushaltsausschuss eine Ent- sperrung von Kreditermächtigung in Höhe von 13 Milliarden Euro erklärt werden, wovon 9,2 Milliarden Euro in Anspruch genommen wurden. Die Nettokre- ditaufnahme übersteigt um 8,3 Milliarden Euro die Inves- titionsausgaben von 22,9 Milliarden Euro. Somit wurde die verfassungsrechtliche Kreditobergrenze des Art. 115 GG im Haushaltsvollzug überschritten. Durch die aber- malige Überschreitung der Regelkreditobergrenze ist die Wirksamkeit der verfassungsrechtlichen Regelung zu hin- terfragen. Deswegen wird mit Spannung die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts am kommenden Montag, den 9. Juli, erwartet. Auffällig in diesem Haushaltsjahr ist die Unausgeglichenheit – man muss hier wohl von einer „Schieflage“ sprechen – zwischen den konsumtiven Aus- gaben und den Ausgaben für Investitionen. Der Anteil der I b d r g r s m s b „ a s b te g B d n d h u c s f A l g a 1 d p E d F i M d d k d s E L s d l d a a b a B n (C (D nvestitionen lag lediglich bei 9 Prozent der Gesamtausga- en; mehr als die Hälfte der Ausgaben entfällt allein auf ie Sozialausgaben. Es wird deutlich: hier laufen struktu- elle Defizite auf, die mit strukturellen Reformen ange- angen werden müssen. Verbesserungen aus konjunktu- ellen Gründen dürfen den Blick für die Notwendigkeit truktureller Reformen nicht verstellen! Die Steuereinnah- en von 190,1 Milliarden Euro wurden von den Zuschüs- en für das soziale Sicherungssystem, den Personalausga- en und den Zinsen mit insgesamt 196,8 Milliarden Euro aufgefressen“. Die fehlenden Steuereinnahmen sind vor llem auf das fehlende wirtschaftliche Wachstum und die teigende Arbeitslosigkeit zurückzuführen. Eindeutig ha- en sich die Ausgaben nicht nach den Einnahmen gerich- t, was die offensichtliche Schwäche der damaligen rot- rünen Finanzpolitik zeigt. Ein dominierendes Thema der emerkung des Bundesrechnungshofes ist daher zurecht ie Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und Einführung euer Instrumente. 2005 hat insoweit eine Sondersituation, als es ein Jahr es Umbruchs war. Für jeden war klar, dass dies haus- altspolitische Risiken mit sich bringt. Die Arbeitslosen- nd Sozialhilfe für Erwerbsfähige wurde zu einer staatli- hen Fürsorgeleistung, der Grundsicherung für Arbeits- uchende mit dem Arbeitslosengeld II, zusammenge- asst. Damit wurde ein Systemwechsel im Bereich der rbeitsmarktforderung vorgenommen, welcher vor al- em auch unter finanziellen Aspekten eine Kraftanstren- ung erforderte. Überplanmäßige Ausgaben in Höhe von 11,76 Milli- rden Euro und außerplanmäßige Ausgaben in Höhe von ,06 Milliarden Euro waren die Folge. Signifikant sind aher auch die überplanmäßigen Ausgaben des Einzel- lans Arbeit und Soziales in Höhe von 10,9 Milliarden uro. Allein für die Einführung des Arbeitslosengel- es II wurden 10,4 Milliarden Euro zusätzlich benötigt. estzuhalten bei der Bewertung der vorgelegten Daten st, dass der geplante Finanzplan für den Bund keine ehrausgaben bei der Einführung des Arbeitslosengel- es II vorsah, da die Ausgaben durch den von der Bun- esagentur für Arbeit zu zahlenden Aussteuerungsbetrag ompensiert werden sollte. Diese Entscheidung war ein- eutig eine Fehleinschätzung! Hier wurde keine realisti- che Kalkulation vorgenommen. Der Bund wendete im Jahr 2005 rund 35 Milliarden uro für die Grundsicherung von rund sieben Millionen eistungsbeziehern auf. Ein Grund dafür liegt in dem tarken Anstieg der Zahl der Bedarfsgemeinschaften und er Höhe der durchschnittlichen Geldleistungen. Kol- ege Struck hat zwischenzeitlich bekanntlich eingeräumt, ass man von einem anderen Verhalten der Betroffenen usgegangen ist. Der Bundesrechnungshof hat sich bei der Mitwirkung n der Korrektur der Gesetzgebung Verdienste erwor- en, in dem er bei Hartz IV folgende Schwachstellen nalysierte: Im Rahmen der Umsetzung des SGB II haben die undesagentur und die kommunalen Träger eine völlig eue Organisationsform aufgebaut. Es wurden soge- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11243 (A) ) (B) ) nannte Argen gebildet. Bei dieser Zusammenarbeit ist klar die Verantwortlichkeiten und die Entscheidungsbe- fugnisse bei den Argen, um das operative Geschäft zu verbessern. Eine gesetzliche Ermächtigung für den Er- lass allgemeiner Verwaltungsvorschriften für Grundsi- cherungsleistungen wird zur Sicherstellung einheitlicher Vollzugsmaßstäbe gefordert. Der uneinheitliche Vollzug entsteht durch die Besonderheit der dezentralen Struktur. Das bedeutet, dass jede Arge selbst entscheiden kann. Hier muss an der einheitlichen Umsetzung nach wie vor gearbeitet werden, obwohl eine Verbesserung seit Ein- führung deutlich zu erkennen ist. Zudem wird der Abschluss einer Zielvereinbarung zwischen BMAS und BA zur Sicherung der Qualität der Aufgabenerledigung vom Bundesrechnungshof gefor- dert. Dies wurde Anfang Februar diesen Jahres für den Bereich der Argen und Agenturen in getrennter Träger- schaft vereinbart (SGB-II-Zielvereinbarung). Ein Ziel ist die Verringerung der Hilfebedürftigkeit durch eine bes- sere Effizienz bei der Vermittlung und eine bessere Inte- gration in den Arbeitsmarkt, um damit die Ausgaben für die Leistungen für die Sicherung des Lebensunterhalts um mindestens 3,5 Prozent zu senken. Weiterhin wird gefordert, dass die Aufsicht des BMAS gestärkt wird. Dieses Problem sind wir bereits aktiv angegangen, indem wir zusätzliche Stellen für eine Prüfgruppe bewilligt haben. Insgesamt 40 Stellen. Die Effizienz dieser Gruppe wird sich jetzt zeigen. Dem Mi- nister wurden die Instrumente an die Hand gegeben. Wir erwarten, dass er sie umsetzt! Für die Ein-Euro-Jobs wurden 2005 zusätzlich zu den Alg-II-Leistungen rund 1,1 Milliarden Euro aufgewen- det. Die Hinweise auf die ineffiziente Ich-AG wurden zwischenzeitlich aufgegriffen. Warum nicht gleich so? Das hätte den Steuerzahlern mehrere Milliarden erspart, wie übrigens ebenfalls beim „Jump-Programm“, das we- nig bewirkt, aber mehrere Milliarden gekostet hat. Inef- fiziente Programme müssen bei Feststellung der Ineffizi- enz schneller beendet werden. Das sollte uns eine Lehre für die Zukunft sein! Weitere Brisanz liegt bei der Rente. Leistungen des Bundes an die Rentenversicherung betrugen 2005 77,5 Milliarden Euro. Die Ausgaben der gesetzlichen Rentenversicherung waren insgesamt 237,9 Milliarden Euro. Das bedeutet, dass der Bund im Jahr 2005 fast ein Drittel der Rentenversicherungsausgaben getragen hat. Die Zahlungen des Bundes an die Rentenversicherung sind innerhalb der Sozialleistungen der größte Ausga- benblock. Etwa 30 Prozent der Gesamtausgaben entfal- len auf den Rentenbereich. Das Haushaltsergebnis be- weist, dass es zur Rente mit 67 schlichtweg keine Alternative gibt. Der Bundesrechnungshof hatte Grund zu weiteren Beanstandungen bei folgenden Ressorts: Markante Gründe gab es beim Bundesministerium Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Der Bund zahlte für ein neues Bahn-Funknetz mehr als 20 Millionen Euro zuviel. Der Bund hat für seine Kostenbeteiligung eine a w n s L v n u g g I 1 n g 6 n h G t a s w c t 2 h f g 1 k C h m z a b m l d E n u f w T h t n t S d d h B (C (D ndere Nutzung des Netzes unterstellt, als realisiert urde. Die unzureichende Vorbereitung von Straßenbaumaß- ahmen verursachte Mehrausgaben beim Bund in zwei- telliger Millionenhöhe: die Straßenbauverwaltung der änder bereitete große Baumaßnahmen mit Ausgaben on zusammen 1,5 Milliarden Euro nicht mit der gebote- en Sorgfalt vor. Es kam daher zu gestörten Bauabläufen nd zu umfangreichen Nachträgen. Wie immer ist das Bundesministerium der Verteidi- ung nicht unerheblich beteiligt. Neueinstellungen zum ehobenen Verwaltungsdienst übersteigen den Bedarf. n den Jahren 2005 und 2006 wurden insgesamt 13 Nachwuchskräfte für die Laufbahn des gehobenen ichttechnischen Verwaltungsdienstes über Bedarf ein- estellt. Dadurch entstanden Mehrausgaben von rund ,3 Millionen Euro. Weh tun auch die Monitas gegenüber dem Bundesmi- isterium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- eit: Lieferung zu teurer Informationstechnik auf der rundlage eines IT-Dienstleistungsvertrages. Das Minis- erium hat den größten Teil seiner Hard- und Software uf der Grundlage eines IT-Dienstleistungsvertrages be- chafft, ohne die Leistungen auszuschreiben. Zudem urde aufgrund einer methodisch falschen Untersu- hung der Wirtschaftlichkeit die IT-Ausstattung gemie- et, obwohl es funktional gleichwertige Geräte über 0 Prozent günstiger oder für fast 500 000 Euro weniger ätte kaufen können. Es wurden für vier Jahre die Geräte ür insgesamt 2,3 Millionen Euro gemietet. Nach den eltenden Rahmenverträgen des Bundes hätten für ,8 Millionen Euro gleichwertige Geräte gekauft werden önnen. Abschließend bedanke ich mich im Namen der CDU/ SU für die umfangreiche Arbeit des Bundesrechnungs- ofes. Der Rechnungsprüfungsausschuss setzt sich da- it gründlich auseinander. Am Ende bleibt mir nur noch u sagen, dass die CDU/CSU zwar die Entlastung erteilt, llerdings nur schweren Herzens! Bernhard Brinkmann (Hildesheim) (SPD): Wir ha- en heute zu entscheiden über den Antrag des Bundes- inisters der Finanzen, der Bundesregierung auf Grund- age der Jahresrechnung 2005 für dieses Haushaltsjahr ie Entlastung zu erteilen. Wichtigste Grundlage dieser ntscheidung sind die Bemerkungen des Bundesrech- ungshofs, der diese Rechnung sowie die Wirtschaftlichkeit nd Ordnungsmäßigkeit der Haushalts- und Wirtschafts- ührung geprüft hat. Für die Entlastung wesentliche Ab- eichungen hat der Rechnungshof nicht festgestellt. rotz erheblicher Mindereinnahmen und Mehrausgaben at das Bundesministerium der Finanzen keinen Nach- ragshaushalt vorgelegt. Aus Sicht des Bundesrech- ungshofes war der Verzicht auf die Vorlage eines Nach- ragshaushaltes haushaltsrechtlich nicht zu beanstanden. o hat denn auch der Bundesrat bereits im Februar 2007 ie Entlastung erteilt. Auf der Grundlage der Beratungen es Rechnungsprüfungsausschusses empfiehlt der Haus- altsausschuss dem Deutschen Bundestag, den gleichen eschluss zu fassen. So weit der formale Rahmen. 11244 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 (A) ) (B) ) Inhaltlicher Schwerpunkt der Beratungen des Rech- nungsprüfungsausschusses war allerdings nicht dieser Rahmen, sondern das waren die Einzelfeststellungen des Bundesrechnungshofes zur Arbeit der Bundesverwal- tung quer durch alle Ressorts. In sechs Sitzungen hat sich der Rechnungsprüfungsausschuss unter meinem Vorsitz mit den Bemerkungen beschäftigt, weitere Auf- arbeitung und Überprüfungen sowie konkrete Maßnah- men von den Ressorts verlangt. Damit wird auch ein we- sentlicher Beitrag dazu geleistet, dass die Bemerkungen des Bundesrechnungshofes Konsequenzen haben und zu Verhaltensänderungen führen. Ein Schwerpunkt der fachlichen Feststellungen des Rechnungshofes und der Beratungen im Rechnungsprü- fungsausschuss lag bei der Umsetzung des Hartz-IV- Gesetzes. Hier sind im vergangenen Jahr – nicht zuletzt aufgrund von Anregungen des Hofes – eine Reihe von Optimierungsmaßnahmen ergriffen worden. Die Reform ist getragen vom Grundsatz des Forderns und Förderns. Ein zentraler Aspekt ist dabei der Abschluss von Ein- gliederungsvereinbarungen. Wichtig ist, dass diese schnell und in möglichst vielen Fällen abgeschlossen werden. Die erheblichen Anstrengungen, die die Bun- desagentur für Arbeit in dieser Hinsicht unternimmt, müssen fortgesetzt werden. Der Rechnungsprüfungsaus- schuss wird sich im kommenden Jahr weiter mit der Ma- terie befassen. Hervorzuheben ist, dass die Beschlussfassung des Rechnungsprüfungsausschusses in diesem wie auch in den anderen Bereichen zumeist einstimmig erfolgt ist. Den Ausschussberatungen gingen immer gründliche und durchaus auch sehr kritische Erörterungen der jeweiligen Berichterstatter mit den Ministerien und dem Bundes- rechnungshof voraus. Der Bundesregierung werden da- mit durch das Parlament klare Signale gegeben. Diese Signale werden mit der heutigen Beschlussfassung un- terstützt, wenn in der Beschlussempfehlung die Bundes- regierung ausdrücklich zu Maßnahmen zur Steigerung der Wirtschaftlichkeit unter Berücksichtigung der Ent- scheidungen des Ausschusses und zur fristgerechten Er- füllung ihrer Berichtspflichten aufgefordert wird. Die Prüfungen des Bundesrechnungshofes zeigen, dass es zu Fehlern quer durch alle Ministerien gekom- men ist, es aber keine Konzentration von Defiziten, Nachlässigkeiten und fehlender Personalaufsicht und -führung in einzelnen Häusern gibt. Wichtig ist mir auch festzuhalten, dass die Fehler- beschreibungen des Bundesrechnungshofes nicht verall- gemeinert und auf die gesamte Verwaltung übertragen werden dürfen. Die Bundesverwaltung arbeitet insge- samt – auch im internationalen Vergleich – gut. Auf 2 bis 3 Milliarden Euro beläuft sich regelmäßig das Volumen dessen, was der Bundesrechnungshof an Vorschlägen für Minderausgaben und Mehreinnahmen unterbreitet – eine gewaltige Summe, aber doch beschei- den im Vergleich zu den strukturellen Problemen und der Schuldenlast des Gesamthaushalts. Auch hierzu geben die Bemerkungen des Bundesrechnungshofes nüchtern, aber unmissverständlich Auskunft: B w D E D r d a 7 r f R Z u 4 d a d n h l d i B n A B w m g o i s s d g m I F s d s D W d m v m m E a s (C (D Ende 2005 erreichte die Gesamtverschuldung des undes einen Stand von rund 888 Milliarden Euro und ar damit rund 28 Milliarden Euro höher als im Vorjahr. ie Gesamtausgaben lagen bei knapp 260 Milliarden uro und die Einnahmen bei gut 228 Milliarden Euro. er Schuldenstand hat also fast das 3,9-Fache dessen er- eicht, was der Bund in diesem Jahr eingenommen hat. Dabei machten die Sozialausgaben mit 133 Milliar- en Euro 2005 erstmals mehr als die Hälfte der Gesamt- usgaben des Bundes aus. Der größte Anteil – über 7 Milliarden Euro – floss dabei an die Rentenversiche- ung. Die Leistungen des Bundes betragen mittlerweile ast ein Drittel der Gesamtausgaben der gesetzlichen entenversicherung. Der zweite große Ausgabenblock sind danach die insausgaben. Dank niedriger Zinssätze liegen sie zwar nter dem bisherigen Höchststand, der 1999 mit über 1 Milliarden Euro erreicht worden ist. Sie machen aber ennoch einen Anteil von über 14 Prozent der Gesamt- usgaben aus. Somit sind fast zwei Drittel des Haushaltsvolumens urch Zins- und Sozialausgaben gebunden. Die Zahlen, die die Bemerkungen des Bundesrech- ungshofes zu weiteren Perspektiven enthalten, muss ich ier nicht mehr nennen: Die Aussichten haben sich deut- ich aufgehellt! Dennoch besteht massiver Handlungs- ruck, den Haushalt weiter zu konsolidieren. Notwendig st die Überprüfung aller staatlichen Leistungen auf ihre egründung und finanzielle Rechtfertigung. Sie sind nur och auf den wirklich wesentlichen und zukunftsfähigen ufgabenfeldern leistbar. Der spätestens für 2011 angestrebte ausgeglichene undeshaushalt sollte es uns ermöglichen, den Blick eiter in die Zukunft zu richten und zu prüfen, wie wir it der Verschuldung in Zukunft umgehen wollen. Die eltende verfassungsrechtliche Regelung der Kredit- bergrenze in Art. 115 Abs. 1 des Grundgesetzes hat sich n der Vergangenheit als weitgehend wirkungslos erwie- en, den Schuldenanstieg im Bundeshaushalt zu brem- en. Dafür sind vor allem folgende Faktoren ursächlich: er sehr weit gefasste haushaltsrechtliche Investitionsbe- riff, der zum Beispiel auch den Erwerb von Unterneh- ensbeteiligungen, die Vergabe von Darlehen sowie die nanspruchnahme aus Gewährleistungen zulässt; das ehlen einer Verpflichtung zur echten Schuldentilgung owie schließlich die Möglichkeit, bei einer Gefährdung es gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts ohne verfas- ungsrechtliche Schranke Kredite aufnehmen zu können. Auch vor dem Hintergrund der Verpflichtungen eutschlands aus dem Europäischen Stabilitäts- und achstumspakt bleibt die nachhaltige Konsolidierung er öffentlichen Finanzen eine zentrale Aufgabe. Wir üssen deshalb überlegen, wie wir zu einer wirkungs- olleren normativen Begrenzung der Verschuldung kom- en. Im Zuge der Föderalismusreform l wurde die ge- einsame Verpflichtung von Bund und Ländern für die inhaltung der Haushaltsdisziplin in das Grundgesetz ufgenommen. Vor diesem Hintergrund hat der Aus- chuss die Beteiligten aufgefordert, die bisherigen Rege- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11245 (A) ) (B) ) lungen durch verbindliche Vorgaben dahin gehend zu ergänzen, dass Haushaltskrisen vermieden und die ge- meinschaftsrechtlichen Stabilitätskriterien innerstaatlich wirksam umgesetzt werden. In der jetzt angelaufenen Föderalismusreform II muss die Frage einer wirkungs- volleren normativen Begrenzung der Nettokreditaufnah- memöglichkeiten angegangen werden. Die Schweiz hat in einer sehr angespannten, von ho- hen Defiziten und einem rasanten Anstieg der Verschul- dung gekennzeichneten Haushaltslage 2001 einen sehr mutigen Schritt vollzogen und mit einer Verfassungsän- derung die Höhe der Staatsausgaben an die Höhe der Einnahmen gebunden. Über einen Konjunkturzyklus hinweg dürfen die Ausgaben nicht größer sein als die Einnahmen. Die maximale Höhe der Ausgaben in einer Periode darf die um einen Konjunkturfaktor bereinigten erwarteten Einnahmen nicht übersteigen. Wächst die Wirtschaft überdurchschnittlich, liegt der Ausgabenpla- fond unter den Einnahmen, und es wird ein Überschuss erwirtschaftet. Umgekehrt lässt die Formel in Zeiten niedrigen Wachstums ein Defizit zu, es dürfen die Aus- gaben die Einnahmen übersteigen. Hausüberschuss oder Defizite werden in einem Ausgleichskonto verrechnet. Überschreitungen des Ausgabenplafonds werden nur bis zu einer Höhe von 6 Prozent der Ausgaben des letzten Rechnungsjahres toleriert, darüber hinausgehende Über- schreitungen müssen binnen drei Jahren abgebaut wer- den. Die Schuldenbremse verfolgt zwei Ziele: Ihr Haupt- ziel ist es, chronische, strukturelle Bundeshaushaltsde- fizite zu verhindern. Daneben soll sie – als zweites Ziel – die Finanzpolitik konjunkturverträglich machen – dies, indem in schlechten Konjunkturlagen Defizite zugelas- sen werden, während in der Hochkonjunktur Über- schüsse erwirtschaftet werden müssen. Über den ganzen Konjunkturzyklus hinweg führt das zu einem ausgegli- chenen Bundeshaushalt. Natürlich hat das schweizerische Modell eine Reihe theoretischer und praktischer Probleme. Ich nenne nur die Behandlung längerer konjunktureller Schwächepha- sen, die Festlegung des Prozentsatzes und des Zeitraums, in dem ein Negativsaldo im Ausgleichskonto abgebaut werden muss, und natürlich die Prognose des Konjunk- turverlaufs und die Bestimmung des Konjunkturfaktors, der darüber entscheidet, in welcher Höhe Mehr- oder Minderausgaben über den Einnahmestand möglich sind. Das Modell wird sich auch nicht eins zu eins auf Deutschland übertragen lassen. Entscheidend ist, dass der Wille zu grundsätzlich ausgeglichenen Bundeshaus- halten künftig eine stärkere Stütze in der Verfassung fin- det. Der Bundesminister der Finanzen jedenfalls findet meine Unterstützung bei entsprechenden Plänen. Abschließend möchte ich noch auf einen Aspekt ein- gehen, der gleichfalls einen längeren Diskussions- und Vorbereitungsprozess erfordert: die Modernisierung des staatlichen Haushalts- und Rechnungswesens. Hier ist zwar bei der Flexibilisierung der Haushaltsführung eini- ges erreicht worden, betriebswirtschaftliche Ansätze werden jedoch nach wie vor zu wenig berücksichtigt. Kostentransparenz und der Einsatz effektiver Steue- r f k b e s t e s e i h n z d s h 3 g N 8 w g d w s g 1 U F i A b 2 j m s d n d s M B a S S l w m g (C (D ungsmodelle – für die Politik im übergreifenden, wie ür die Spitze der Exekutive im kleinteiligeren Sinne – onnten nicht durchgreifend verbessert werden. Deshalb egrüße ich, dass das Bundesministerium der Finanzen ine entsprechende Projektgruppe mit den Prüfungs- chwerpunkten „stärkere Ergebnis- und Wirkungsorien- ierung des Haushalts“ sowie „mögliche Umstellung auf in doppisches Rechnungs- und Haushaltswesen“ einge- etzt hat. Strukturelle Anpassungen und Verbesserungen und ine nicht nachlassende Aufmerksamkeit im Kleinen wie m Großen bleiben also auf der Tagesordnung. Der Rechnungsprüfungsausschuss wird dies weiter- in nicht nur begleiten, sondern aktiv befördern. Dr. Claudia Winterstein (FDP): Der Bundesrech- ungshof hat im allgemeinen Teil seiner Bemerkungen um Haushaltsjahr 2005 einige Feststellungen getroffen, ie ich an dieser Stelle aufgreifen möchte. Der Bundeshaushalt 2005, noch von Rot-Grün be- chlossen, war ein besonders drastisches Beispiel haus- altspolitischer Unfähigkeit. Die Einnahmen lagen um ,6 Milliarden unter dem veranschlagten Soll, dafür la- en die Ausgaben um 5,5 Milliarden über dem Soll. Die ettokreditaufnahme lag mit 31,2 Milliarden Euro satte ,3 Milliarden über den Investitionen – wie bereits 2004 ar auch dieser Haushalt verfassungswidrig. Nun könnte man nach dem Motto „Was gewesen, ist ewesen“ diese Aufzählung für überflüssig halten, wenn a nicht erstaunliche Parallelen zum aktuellen Haushalt ären. Die höheren Ausgaben im Haushalt 2005 ent- tanden vor allem durch Fehleinschätzungen der damali- en Regierung beim Arbeitsmarkt. Mehrausgaben von 0,4 Milliarden wurden beim Arbeitslosengeld II fällig. nd an dieser Stelle macht Schwarz-Rot den gleichen ehler wie Rot-Grün. Auch im aktuellen Haushalt 2007 st abzusehen, dass die eingestellten Gelder für das LG II nicht reichen werden. Und das, obwohl der Ar- eitsmarkt sich wesentlich positiver darstellt als noch 005. Das Ministerium heißt jetzt anders, der Minister heißt etzt anders – aber das Rechnen hat die SPD offenbar im- er noch nicht gelernt. Auch im Finanzministerium cheint man angesichts einer gesamtstaatlichen Schul- enlast von unvorstellbaren 1,5 Billionen Euro, von de- en allein auf den Bund über 900 Milliarden entfallen, en Schuss immer noch nicht gehört zu haben. Stattdes- en rühmt man sich, mit dem Haushalt 2006 das aastricht-Defizitkriterium erstmals unter 3 Prozent des ruttoinlandsproduktes gedrückt zu haben. Damit ist ber erst ein Teil des sowieso butterweich gewordenen tabilitätspaktes erfüllt: Die Gesamtverschuldung des taates liegt mit 67 Prozent des BIP immer noch deut- ich über der erlaubten Grenze von 60 Prozent. Diese ird nach den aktuellen Steinbrück-Plänen noch nicht al im Jahre 2011 erreicht sein. Davon abgesehen gibt es weiterhin große, bisher un- eklärte Risiken im Haushalt. Ich nenne nur die fehlende 11246 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 (A) ) (B) ) GKV-Finanzierung oder die Kosten für die Kinderbe- treuung als Beispiele. Ich möchte jetzt den Blick weiter auf die Zukunft der Haushaltspolitik richten: Der Bundesrechnungshof nennt in dem Bericht die zentralen Probleme auf der Ausga- benseite: Die konsumtiven Ausgaben übertreffen deut- lich die Investitionen. Mehr als die Hälfte der Gelder entfällt auf soziale Ausgaben. Bei den Zinsausgaben, dem zweitgrößten Ausgabenblock nach den Sozialaus- gaben, besteht die akute Gefahr, dass durch das stei- gende Zinsniveau und weitere Verschuldung in diesem Bereich noch mehr Ausgaben anwachsen. Umso unverständlicher ist die aktuelle Haushalts- politik der Bundesregierung angesichts sprudelnder Steuereinnahmen. Selten waren die Voraussetzungen so günstig wie jetzt, um die Staatsfinanzen auf eine zu- kunftsfähige Grundlage zu stellen. Jetzt ist die Zeit, um den Haushalt nachhaltig zu konsolidieren. Es gibt hierfür auf der Ausgabenseite noch genug Möglichkeiten. Und jetzt ist auch die Zeit, um generelle Regeln auf- zustellen, damit der ausufernden Staatsverschuldung endlich ein Riegel vorgeschoben wird. Am 9. Juli wird das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidung zur Klage von CDU und FDP gegen den Haushalt 2004 be- kannt geben. Ich hoffe, dass das Gericht einige Hinweise zur Begrenzung der Verschuldung geben wird, welche die Politik aufgreifen muss. Der jetzige Plan der Regierung, überhaupt erst bis 2011 zu einem ausgeglichenen Haushalt zu kommen, ist vor diesem Hintergrund mehr als enttäuschend. Wieder einmal erliegt eine Regierung der Verführung des Gel- des. Da muss die in Sonntagsreden gern propagierte Haushaltskonsolidierung hinten anstehen. Statt Sparkurs gibt es neue Ausgaben – und neue Schulden. Der Bundesrechnungshof spricht in dem Bericht die richtigen Maßnahmen an. Wir brauchen eine strukturelle Reform der Ausgabenseite und schärfere Regelungen in Art. 115 des Grundgesetzes, um der Schuldenmacherei endlich einen Riegel vorzuschieben. Diese wichtigen Reformen müssen jetzt angegangen werden; wenn die Konjunktur erst wieder zu schwächeln beginnt, ist es zu spät. Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): Die Bundesre- gierung ist trotz knapper Kassen und hoher Schulden nicht willens, eine ordnungsgemäße Haushaltsführung zu gewährleisten. Die Bundesregierung organisiert ihre Arbeit nicht effizient und neigt zur Verschwendung von Steuermitteln. Dafür einige Beispiele: Erstes Beispiel. Die Bundesregierung betreibt eine Bundeshauptstadt Bonn, obwohl dazu keine Notwendig- keit besteht. Auch wenn viele das nicht für möglich hal- ten: Immer noch befindet sich ein großer Teil der Bun- desministerien in Bonn. Die Pendelei der Beamten zwischen Bonn und Berlin ist teuer: Allein im Jahr 2006 wurden 11 Millionen Euro von Ministerialbeamtinnen und -beamten verflogen. 2005 buchte der Bund 125 000 dienstliche Flüge – insgesamt mehr als 60 Millio- n m d n S s l g g 3 n M n B v f b B d E g N P w a e d l e d 1 W P d t g e B f l l R s n l d e R v S o w z R (C (D en Flugkilometer oder 1 500 Erdumrundungen. Nicht essbar sind die Zeitverluste und vor allem die Verluste urch schlechtere Arbeits- und Entscheidungsergeb- isse durch die Aufteilung der Regierung auf zwei tandorte. Zweites Beispiel. Das Bundesinnenministerium hat ich für eine Nettokaltmiete von über einer halben Mil- ion Euro pro Monat 1998 im Berliner Spree-Bogen ein- emietet. Die Bundesregierung fand die Miete so un- laublich günstig, dass sie gleich einen Vertrag für 0 Jahre unterschrieb. Pro Quadratmeter sind jeden Mo- at 20 Euro fällig – doppelt so viel wie der derzeitige arktpreis. Jetzt will das Ministerium sich in Berlin ein eues Gebäude bauen – ohne zu wissen, unter welchen edingungen und zu welchen Kosten der laufende Miet- ertrag vorzeitig kündbar ist, und ohne ernsthafte Prü- ung, ob die Unterbringung des Ministeriums im Ge- äude des Ministeriums des Innern der DDR in der erliner Mauerstraße oder im Gebäude des zu schließen- en Flughafens Tempelhof möglich ist. Drittes Beispiel. Auf mögliche Steuereinnahmen von inkunftsmillionären wird verzichtet. Nahezu grotesk estaltet sich die Besteuerung von Einkunftsmillionären. ach einer bundeseinheitlichen Verordnung soll dieser ersonenkreis regelmäßig von den Finanzämtern geprüft erden. Im Bundesdurchschnitt führten die Finanzämter ber jährlich nur bei jedem siebten Einkunftsmillionär ine Sonderprüfung durch – und dies, obwohl jede Son- erprüfung dem Staat Mehreinnahmen von durchschnitt- ich 135 000 Euro bringt. Viertes Beispiel. Für Rüstungsausgaben werden Steu- rgelder verschleudert. Die Geschichte der Entwicklung er Panzerabwehrrakete PARS 3 LR begann im Jahre 982. Damals gab es noch die Sowjetunion und den arschauer Pakt, die über reichlich Panzer verfügten. ARS 3 LR ist nur für die Bekämpfung von Panzern ge- acht. Die Entwicklungspartner Frankreich und Großbri- annien sind Ende der 1990er-Jahre aus dem Projekt aus- estiegen. Frankreich und Großbritannien hatten rkannt, dass das Projekt Teil eines nicht mehr gültigen edrohungsszenarios ist und nach dem Mauerfall über- lüssig geworden war. Deutschland machte weiter. Al- ein die Entwicklung von PARS 3 LR kostete Deutsch- and eine halbe Milliarde Euro. Die Auslieferung der aketen soll 2010 beginnen und 2014 abgeschlossen ein. Ein einziger PARS-3-LR-Schuss wird 1,3 Millio- en Euro kosten. Hauptauftragnehmer für die Herstel- ung von PARS 3 LR ist ein süddeutsches Unternehmen, as EADS und Diehl gehört. Es handelt sich also um ine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für die süddeutsche aketenindustrie. Das waren nur vier Beispiele, die den sorglosen und erschwenderischen Umgang der Bundesregierung mit teuermitteln zeigen. Die Liste solcher Beispiele könnte hne Schwierigkeiten fortgesetzt werden. Die Linke ird deshalb einer Entlastung der Bundesregierung nicht ustimmen. Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der echnungsprüfungsausschuss und der Haushaltsaus- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11247 (A) ) (B) ) schuss haben der Bundesregierung die Entlastung für den Bundeshaushalt 2005 erteilt. Damit folgten sie der Empfehlung des Bundesrechnungshofes, der keine we- sentlichen Einwände gegen die Ordnungsmäßigkeit der Haushalts- und Wirtschaftsführung hervorbrachte. Das Haushaltsjahr 2005 unterschied sich in zweierlei Hinsicht von der gegenwärtigen Situation. Zum einen übergab die rot-grüne Bundesregierung den Staffelstab in der zweiten Jahreshälfte an die schwarz-rote Bundes- regierung, zum anderen bewegte sich der Haushalt in ei- nem deutlich schlechteren konjunkturellen Umfeld, als wir es heute vorfinden. Die wirtschaftliche Entwicklung erreichte im Jahr 2003 mit einem negativen Wachstum von 0,2 Prozent ihren Tiefpunkt, bereits für 2004 war je- doch wieder ein Aufwärtstrend erkennbar, der sich im Rahmen der Erwartungen um Beginn der Haushaltsauf- stellung 2005 bewegte. Daher wurde für das Jahr 2005 mit einem Wachstum von knapp unter 2 Prozent eine Verstetigung dieser Entwicklung erwartet. Leider waren diese Hoffnungen verfrüht: Erst im Jahre 2006 erholte sich die Wirtschaft mit einem Wachstum von 2,7 Pro- zent, während 2005 weniger als l Prozent zu verzeichnen war. Diese Entwicklung blieb nicht ohne Wirkung im Haushaltsvollzug 2005: Einerseits fielen die Einnahmen infolge der konjunkturellen Entwicklung geringer aus als geplant, während die Ausgaben über dem Haushaltsan- satz lagen. Gleichzeitig ignorierte die schwarz-rote Re- gierung die Haushaltsentwicklung 2005 und nahm sich stattdessen noch einmal einen kräftigen Schluck aus der Pulle am Ende des Jahres. Dies führte dazu, dass gegen- über dem Haushaltsansatz die Einnahmen insgesamt 3,6 Milliarden Euro niedriger und die Ausgaben 5,5 Milliarden Euro höher ausfielen. Statt einer geplan- ten Nettokredilaufnahme in Höhe von 22 Milliarden Euro wurden neue Kredite in Höhe von mehr als 31 Milliarden Euro aufgenommen. Der leichte Anstieg der Investitionsausgaben um 200 Millionen Euro auf 22,9 Milliarden Euro stellte nicht einmal mehr eine kos- metische Verbesserung dar. Die Nettokreditaufnahme überstieg 2005 zum vierten Mal in Folge die Summe der Investitionsausgaben und damit die Regelkreditgrenze des Art. 115 GG. Die Verschuldung des Bundes und sei- ner Sondervermögen stieg bis Ende 2005 auf rund 890 Milliarden Euro. Meine Damen und Herren, das Haushaltsjahr 2005 war kein gutes Jahr. Sowohl die wiederholte Verletzung der Regelkreditgrenze des Art. 115 GG als auch die Ver- letzung der Maastrichtkriterien sind kein Ruhmesblatt. Jedoch sollten wir nicht in einfachen Frohsinn verfallen, weil diese Zeiten vorüber sind und nun wirtschaftlich ro- sigere Zeiten ins Haus stehen und die Steuereinnahmen sprudeln. Wir sollten nicht wie Lemminge dieser guten Entwicklung blind hinterherlaufen, sondern diese guten Zeiten nutzen, um uns für schlechtere zu wappnen. Die Große Koalition hat diese sich ihr im Haushaltsjahr 2006 gebotene Möglichkeit leider ungenutzt verstreichen las- sen. Immerhin war 2006 im Vergleich der vergangenen 14 Jahre das Jahr mit dem zweithöchsten Wirtschafts- wachstum. Gleichzeitig sind die Steuereinnahmen ge- genüber dem Vorjahr um 7 Prozent in die Höhe ge- s S d ü v e l 6 e 2 n l h d s L s w D n d A a i n N f d B s k j d g s d k m k t b n f B m d c i F n s t e J e 1 b D d (C (D chnellt. Trotz dieser ausgezeichneten Eckdaten plante chwarz-Rot für das Jahr 2006 die Aufnahme neuer Kre- ite in Höhe von über 38 Milliarden Euro. Dies lag weit ber dem Abschluss des Haushaltsjahres 2005 in Höhe on rund 31 Milliarden Euro, für den wir die Entlastung rteilt haben. Zusätzlich wurde 2006 zur Finanzierung aufender Ausgaben Bundesvermögen in Höhe von ,6 Milliarden Euro unwiderruflich veräußert. Nach dem Lehrbuch der Finanzwissenschaft hätten in iner solch guten wirtschaftlichen Situation, wie wir sie 006 vorgefunden haben, keine neuen Kredite aufge- ommen und kein Bundesvermögen zur Finanzierung aufender Ausgaben veräußert werden dürfen. Vielmehr ätte der Aufschwung genutzt werden müssen, um Kre- ite zurückzuzahlen und Schulden zu tilgen. Selbstver- tändlich ist mir aber bewusst, dass wir nicht in einer ehrbuchwelt leben. Daher mache ich es mir auch nicht o einfach, sondern erkenne an, dass der Bundeshaushalt eiterhin ein erhebliches, strukturelles Defizit aufweist. ieses kann nicht schlagartig, sondern nur innerhalb ei- es angemessenen Übergangszeitraums abgebaut wer- en, weshalb auch 2006 neue Kredite notwendig waren. ngemessen ist aber keinesfalls, wenn trotz Wirtschafts- ufschwung und Steuermehreinnahmen gegenüber 2005 n Höhe von 13 Milliarden Euro die Nettokreditauf- ahme im Ist 2006 nur 3,3 Milliarden Euro unter dem iveau 2005 liegt. Bei einer solchen Politik kann ich nur eststellen: Die erste Chance, um die Haushaltskonsoli- ierung in Angriff zu nehmen, wurde verpasst! Mir geht es hier nicht darum, Noten zu verteilen; die efassung mit der Entlastung eines Bundeshaushalts ollte immer auch dazu dienen, Lehren zu ziehen, um zu- ünftig Fehler zu vermeiden. Aus den Erfahrungen der üngeren Vergangenheit können wir festhalten, dass we- er die Regelkreditgrenze des Art. 115 GG noch die Vor- aben des Vertrages von Maastricht genügend politi- chen und gesellschaftlichen Druck erzeugt haben, dass er in Teilen vorhandene politische Wille zur Haushalls- onsolidierung sich durchsetzen konnte. Nun können Sie ir natürlich entgegenhalten, dass doch der gerade be- anntgegebene Entwurf des Haushalts 2008 und der mit- elfristigen Finanzplanung 2007 bis 2011 das Gegenteil eweisen. Da kann ich nur sagen: Leider ist dies gerade icht der Fall. Zwar würde ich mich selbstverständlich reuen, wenn wir sowohl im Staatshaushalt als auch im undeshalt zukünftig wieder ohne neue Kredite auskom- en. Jedoch muss ich ebenso feststellen, dass gerade ieses Beispiel eher ein Indiz für den von mir angespro- henen schwachen Willen zur Haushaltskonsolidierung st. Noch im November des letzten Jahres haben sich die inanzminister von Bund und Ländern im Finanzpla- ungsrat darauf geeinigt, dass die Ausgaben durch- chnittlich um 1 Prozent steigen dürfen. In der Interpre- ation der schwarz-roten Bundesregierung bedeutet dies in halbes Jahr später: Wir erhöhen die Ausgaben im ahr 2008 gegenüber 2007 um fast 5 Prozent. Die Steu- reinnahmen werden im nächsten Jahr noch einmal 7 Milliarden Euro höher sein als dieses Jahr, und was ietet uns die Regierung als Konsolidierungsbeitrag an? ie Nettokreditaufnahme sinkt um magere 6,7 Milliar- en Euro. Und ob 2011 tatsächlich die Null erreicht 11248 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 (A) ) (B) ) wird, ist völlig offen. Bis dahin sind es noch vier lange Jahre, und wir wissen, wie schnell die Hoffnung des Jah- res 2000 auf eine Nettokreditaufnahme von Null einer bitteren Realität gewichen ist. Nicht 2011, sondern 2009 muss daher die Zielmarke für den ausgeglichen Haushalt sein. Was wir lernen, ist daher, dass nicht eine unverbindli- che Ankündigungspolitik, sondern kluge verbindliche Regeln uns bei der Haushaltskonsolidierung helfen. Da- bei geht es nicht darum, einem simplen Verschuldungs- verbot das Wort zu reden, ein Staatshaushalt ist kein Kaufmannsladen. Dennoch gilt auch für den Staatshaus- halt, dass die Höhe der Einnahmen die Höhe der Ausga- ben bestimmt, Kredite sind sinnvoll, wenn sie zur Abfe- derung einer Rezessionsphase eingesetzt und in der nächsten wirtschaftlichen Aufschwungphase zurückge- zahlt werden, oder wenn sie zur Finanzierung von Netto- investitionen dienen. Privatisierungserlöse sind von den Investitionsausgaben in Abzug zu bringen. Ich möchte Ihnen hier nur diese Eckpunkte für ein wirksames Instrument zur Begrenzung der Verschuldung nennen. Wie ich Ihnen darlegen konnte, drängt die Zeit, dass ein solches Instrument zum Einsatz kommt. Mit dem von Bündnis 90/Die Grünen entwickelten Zukunfts- haushaltsgesetz, welches die notwendigen verfassungs- und einfachgesetzlichen Änderungen enthält, haben wir ein solches Instrument, welches noch in diesem Jahr ver- abschiedet und bereits 2008 wirksam werden könnte. Es liegt an Ihnen zu zeigen, wie ernst es Ihnen mit der Rückführung der Verschuldungsquote ist. Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Keine Leistungskürzungen bei der gesetzli- chen Unfallversicherung – Die gesetzliche Unfallversicherung leistungs- stark und zukunftssicher gestalten (Tagesordnungspunkt 20 a und b) Gerald Weiß (Groß-Gerau) (CDU/CSU): Die Große Koalition will eine moderne Unfallversicherung schaf- fen. Das haben wir im Koalitionsvertrag vom 11. November 2005 vereinbart. Im Rahmen unserer Re- form wollen und werden wir die Unfallversicherung zu- kunftssicher machen. Der Koalitionsvertrag beschreibt unsere wesentlichen Ziele: Straffung der Organisation, die Schaffung leistungsfähiger Unfallversicherungsträ- ger und ein zielgenaueres Leistungsrecht. Unsere Bundesländer üben die Aufsicht über die Un- fallversicherungen aus. Deshalb macht die Beratung ei- ner umfassenden Reform der gesetzlichen Unfallversi- cherung ohne die Bundesländer keinen Sinn. So war es richtig und konsequent, dass der Koalitionsvertrag die Bildung einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe vorsah. Die Bundesregierung und die Landesregierungen sollten ihre Kompetenzen und Erfahrungen bündeln und in den D g v d d m d s v w z M z G g o D c r A S S n U b n f s n V g z a d d u t g a A i A n d b P n w e n k f d U n (C (D ienst einer umfassenden Reform stellen. Die Beratun- en der Bund-Länder-Arbeitsgruppe haben eine Reihe on neuen Erkenntnissen gebracht, die mit Sicherheit in as Gesetzgebungsverfahren einfließen werden. Sie wer- en die Beratungen im Bundesrat beschleunigen. Der Deutsche Bundestag wird sich formal erst dann it der Reform beschäftigen, wenn ein Gesetzentwurf er Bundesregierung eingebracht wird. Aber die Diskus- ion um die Weiterentwicklung der gesetzlichen Unfall- ersicherung hat natürlich längst begonnen. Der Koalitionsvertrag sieht vor, dass der Gesetzent- urf zur Reform der gesetzlichen Unfallversicherung bis ur Mitte der Wahlperiode vorgelegt werden soll. Dieser itte der Wahlperiode nähern wir uns, und ich bin über- eugt davon, dass in absehbarer Zeit zumindest ein erster esetzentwurf vorliegt. Der Staat setzt mit seinen Gesetzen die Rahmenbedin- ungen. Aber diese Rahmenbedingungen wären nichts hne die Selbstverwaltung, die diesen Rahmen ausfüllt. ie Selbstverwaltung in der gesetzlichen Unfallversi- herung hat sich über die Jahrzehnte hinweg als segens- eich für dieses Land, seine Unternehmen und seine rbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erwiesen. Die elbstverwaltung ist das erfolgreiche Gegenmodell zur taatsbürokratie. Sicher haben wir engagierte Staatsdie- er! Doch nichts kann das Engagement eines erfahrenen nternehmers ersetzen, der über viele Jahre die Pro- leme des Arbeitsschutzes aus seinem eigenen Unter- ehmen kennt. Ein Unternehmer, der mit Leidenschaft ür praktikable Lösungen eintritt, ist zugleich ein we- entlich besserer Ansprechpartner für diejenigen Unter- ehmer, die in dem einen oder anderen Fall andere orstellungen von geeigneten Vorschriften ihrer Berufs- enossenschaft haben. Das Gespräch von Unternehmer u Unternehmer kann kein noch so engagierter Staatsbe- mter ersetzen. Gleiches gilt für die Vertreter der Arbeitnehmerseite, eren jahrelange Erfahrung im eigenen Unternehmen en Blick für die Gefährdungen der Arbeitnehmerinnen nd Arbeitnehmer geschärft hat. Aus persönlicher Be- roffenheit heraus und aus Verantwortung für ihre Kolle- innen und Kollegen streiten sie für einen Arbeitsschutz uf der Höhe der Zeit. Für dieses Zusammenwirken von Arbeitnehmer- und rbeitgebervertretern müssen wir dankbar sein. Denn hr Engagement ermöglicht uns ein hohes Niveau eines rbeitsschutzes, das sich für die Gesundheit der Arbeit- ehmerinnen und Arbeitnehmer und die Kostenbilanz er Unternehmen günstiger erwiesen hat als jede denk- are staatliche Lösung. Wenn wir also eine solche Reform angehen, muss die olitik Vorgaben machen, aber zugleich ist es unbedingt otwendig, dass wir den Erfahrungsschatz der Selbstver- altung in unsere Reform einbeziehen. Verkehrt wäre s, die Vertreterinnen und Vertreter der Selbstverwaltung icht ernst zu nehmen und sie zu frustrieren. Als Politi- er müssen wir uns im Klaren sein, dass wir diese Re- orm nicht für uns, sondern für diejenigen machen, für ie die Vertreter der Selbstverwaltung stehen: für die nternehmen und ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeit- ehmer. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11249 (A) ) (B) ) Die große Reform der gesetzlichen Unfallversiche- rung teilt sich in zwei Abschnitte: die Organisations- reform und die Reform des Leistungsrechts. Die Organisationsreform ist nicht nur die Sache des Gesetzgebers. Wie kommunizierende Röhren müssen Legislative und Selbstverwaltung zusammenwirken. Die Bundesregierung, die Landesregierungen und der Bun- destag tragen die gesamtgesellschaftliche Verantwortung und müssen die Richtungen vorgeben. Aber ohne die ak- tive Mitwirkung der Selbstverwaltung wird diese Re- form kein Erfolgsmodell. Noch bevor das Gesetzgebungsverfahren begonnen hat, gab es den ersten großen Erfolg dieser Reform: Die Selbstverwaltung einigte sich in einem bemerkenswerten Kraftakt auf eine Reduzierung der Anzahl der Berufsge- nossenschaften. Dies war und ist dringend notwendig. Ehemals gab es 35 Berufsgenossenschaften. Das waren zu viele. Schon seit Jahren forderte die Politik eine Re- duzierung dieser Anzahl. Die Reduzierung der Anzahl der Berufsgenossenschaften auf heute 26 verringert die Verwaltungskosten und führt zu fruchtbringenden Syner- gieeffekten. Es hat sich als richtig erwiesen, dass die Politik im Zusammenhang mit dieser Reform hart auf- getreten ist und eine Reduzierung auf sechs Berufsge- nossenschaften gefordert hat. In der Sache war dies zu weitgehend, aber es hat Fusionsprozesse in der Selbst- verwaltung beschleunigt. Nachdem die Selbstverwal- tung neun Berufsgenossenschaften vorgeschlagen hatte, übernahm die Große Koalition diese Zahl. Dies zeigt, dass wir das Urteil der Selbstverwaltung hoch schätzen. Deshalb wundere ich mich über den Antrag der Lin- ken. Sie sprechen sich gegen einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Selbstverwaltung der Berufsgenossen- schaften aus und fordern zum Verzicht auf die Fest- schreibung einer bestimmten Anzahl von Berufsgenos- senschaften auf. Es ist doch gerade diese Anzahl der Berufsgenossenschaften, die die Selbstverwaltung vor- geschlagen hat, und wir übernehmen sie. Was für die Berufsgenossenschaften gilt, gilt auch für die Unfallkassen. Ihre Anzahl muss verringert werden. Die aktuelle Erfahrung zeigt: Gerade auch bei den Un- fallkassen fällt die Reduzierung nicht gerade leicht. So mancher Unfallkasse gelingt es, die betreffenden Lan- despolitiker für sich einzunehmen. Hinzu kommt eine zumindest umstrittene Rechtslage. Es ist die Frage, wie weit der reformierte Föderalismus den Eingriff des Bun- des in die Länderhoheit ermöglicht. So könnte sich die eine oder andere Feuerwehrunfallkasse einer Fusion ent- ziehen. Aber ich appelliere an die Bundesländer – auch wenn es im Einzelfall schwer fällt –, die Zeichen der Zeit zu erkennen. Die Strukturen der Wirtschaft verändern sich unabläs- sig. Wirtschaftszweige wachsen an, andere Wirtschafts- zweige schrumpfen dramatisch. Letzteres gilt zum Bei- spiel für die Bauwirtschaft. Dort hat sich die Anzahl der Mitarbeiter innerhalb von zehn bis 15 Jahren fast hal- biert. Zugleich blieben aber die Altlasten unverändert. Die Rentenzahlungen an ehemals verunglückte Bau- arbeiter müssen weiterhin von der Bauwirtschaft aufge- bracht werden, und dies mit der Hälfte der Mitarbeiterin- n A k k g B e s B t d t p W d S g G l b s W d w t s d 5 d n P d s a h w d h u z e w H D 1 F w S v e s (C (D en und Mitarbeiter. Damit steigt die Belastung pro rbeitnehmer natürlich deutlich an. Dementsprechend lagt die Bauindustrie. Auch die anderen Branchen er- ennen diese Belastung an und waren bereits in den ver- angenen Jahren bereit, über einen Lastenausgleich der auwirtschaft unter die Arme zu greifen. Mit dieser Reform müssen wir einen Lastenausgleich inführen, der in der Lage ist, die Herausforderungen der ich wandelnden Wirtschaft zu bewältigen. Auch bei der ewältigung dieser Aufgabe hat uns die Selbstverwal- ung einen großen Dienst erwiesen. Mit dem Konzept es Überaltlastenausgleichs hat sie ein flexibles und reffsicheres Modell entwickelt. Dieses Modell ist kom- liziert, schwer zu erklären und dennoch zielführend. ir werden es deshalb übernehmen. Allerdings hat uns die Selbstverwaltung die Aufgabe es Feintunings überlassen. Diese Aufgabe kann die elbstverwaltung nicht selbst lösen. Hier ist die Politik efragt, und sie wird diese Aufgabe übernehmen. Im runde geht es um die Frage, woran sich der Vertei- ungsschlüssel orientiert: an der Lohnsumme oder am ranchenspezifischen Unfallrisiko. Diese Frage ist zwi- chen den betroffenen Branchen heftig umstritten. Kein under, denn schließlich geht es um die Frage, wieviel ie Solidarität das einzelne Unternehmen kostet bzw. um ieviel die Solidarität das einzelne Unternehmen entlas- et. Wir erhalten in dieser Angelegenheit sehr viele Zu- chriften. Nach meiner persönlichen Auffassung sollte ie Lösung in der Mitte liegen: 50 Prozent Lohnsumme, 0 Prozent Unfallrisiko. Um dies zu entscheiden, sollte er Ausschuss für Arbeit und Soziales mit den Betroffe- en eine Anhörung durchführen. Anschließend muss das arlament eine Entscheidung fällen. Übrigens: Zu diesem komplexen Thema äußert sich er Antrag der Linken überhaupt nicht. So versuchen Sie ich aus einem heftigen Konflikt herauszuhalten, aber ls verantwortungsbewusste politische Kraft muss man ier schlicht Stellung beziehen. Die Unfallversicherung in Deutschland muss geführt erden. Seit Monaten wird heftig darum gerungen, wie ie Spitze der Unfallversicherung in Deutschland ausse- en soll. Zwei Konzepte bieten sich an: die Körperschaft nd die Vereinslösung. Bei der Körperschaft haben wir – davon bin ich über- eugt – einen stärkeren Einfluss des Staates. Die Ver- inslösung wiederum stärkt die Selbstverwaltung und ird von dieser auch bevorzugt. Am 31. Mai 2007 fusionierten in Darmstadt der VBG und die BUK zur Deutschen Unfallversicherung. ie Fusion erfolgte mit der Unterstützung von 00 Prozent bzw. 93 Prozent der Delegierten. Mit dieser usion im Rahmen eines Vereins macht die Selbstver- altung der Politik das Angebot, diesen Verein als pitze der Unfallversicherung fungieren zu lassen. In den letzten Monaten erlebten wir eine ausführliche erfassungsrechtliche Diskussion der Frage, ob der Ver- in oder die Körperschaft geboten sei. Es gab umfas- ende juristische Dialoge, ob im Rahmen der Beleihung 11250 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 (A) ) (B) ) beim Verein eine ausreichende staatliche Aufsicht ver- wirklicht werden kann. All diese juristischen Ansätze kürzen sich gegenseitig weg. Letztlich muss sich die Politik für ein geeignetes Modell entscheiden. Ich begrüße ausdrücklich, dass sich inzwischen eine Mehrheit der Bundesländer für die Ver- einslösung ausspricht. Dies deckt sich auch mit der über alle Flügel abgestimmten Position der CDU/CSU-Frak- tion. Deshalb will ich die Gelegenheit nutzen, um noch- mals ausdrücklich für die Vereinslösung zu werben. Wir haben der Selbstverwaltung viel zu verdanken, und die bewährte Selbstverwaltung soll das Geschehen in der Unfallversicherung auch in der Zukunft prägen. Dazu brauchen wir das Engagement und die Leidenschaft die- ser Menschen. Gerade dies würden wir verlieren, wenn wir ihnen einen wichtigen Teil ihrer Souveränität neh- men würden. Lassen Sie uns das Angebot der Selbstver- waltung aufgreifen und uns für den Verein entscheiden. Ein Unternehmen kann sich für die Anmeldung seiner Arbeitnehmer bei der zuständigen Berufsgenossenschaft bis zu sechs Wochen Zeit nehmen. Dies ist eine unter- nehmensfreundliche Lösung, die im Grundsatz akzepta- bel ist und in den meisten Fällen nicht missbraucht wird. Allerdings lädt diese Regelung auch zum Missbrauch ein. Dies kann man vor allem beim Bau feststellen. Wenn ein Schwarzarbeiter auf dem Bau verunglückt, übernimmt die Kosten zunächst die Berufsgenossen- schaft, treibt die Kosten jedoch beim Unternehmen ein, das den Schwarzarbeiter beschäftigt hat. Die Unterneh- men vermeiden diese Kostenübernahme, indem sie den verunfallten Schwarzarbeiter nachträglich bei der Be- rufsgenossenschaft anmelden. Seit langem wird in Fachkreisen darüber nachge- dacht, wie dieses Problem zu lösen ist. Die Bundesländer haben in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe deutlich ge- macht, dass sie dieses Problem anpacken wollen. Sie ha- ben Vorstellungen entwickelt, die Fristen beim Melde- verfahren deutlich zu verändern. Hier gibt es sicher noch Gesprächsbedarf, vor allem mit den Vertretern der Ar- beitgeberseite. Doch ich denke, wir sollten dieses Pro- blem im Rahmen der Organisationsreform lösen. Der Grundgedanke, der die bislang entworfene Re- form des Leistungsrechts prägt, ist zunächst faszinie- rend: Die Aufteilung zwischen dem erlittenen Gesund- heitsschaden und die vermutlichen Erwerbseinbußen. Dieser Ansatz verspricht einen zielgenaueren Schadens- ausgleich. Allerdings haben die Beratungen mit den Praktikern gezeigt, wie schwierig dies in der Praxis um- zusetzen ist. Wie kalkuliere ich den beruflichen Lebens- weg eines verunfallten Arbeitnehmers? Wie kalkuliere ich das Einkommen, das ihm durch den Unfall entgan- gen ist? In der Praxis kann dies zu einem erheblichen Verwaltungsaufwand führen, und es besteht die Gefahr, dass Entscheidungen ständig durch Gerichte überprüft und eventuell revidiert werden. Hinzu kommt eine Vielzahl von Detailfragen, die im Sinne der Sache gründlich durchleuchtet werden müs- sen. G d s i s g n t l K m u m b g c s A d f g d e t d d L s t u b a s e D s v F t D B t t s m d d s S B u (C (D Den Antrag der Linken werden wir ablehnen! Ein rund für die Ablehnung besteht in der Aufforderung, ie Anzahl der Berufsgenossenschaften nicht festzu- chreiben, weil dies einen unverhältnismäßigen Eingriff n die Selbstverwaltung bedeuten würde. Dabei ent- pricht die Festlegung auf neun Berufsgenossenschaften erade der Entscheidung der Selbstverwaltung. Den Antrag der Grünen werden wir ablehnen. Hierfür enne ich zwei Gründe: Wir brauchen die Selbstverwal- ung nicht mehr aufzufordern, ein Konzept für einen Alt- astenfond zu entwickeln. Die Selbstverwaltung hat das onzept des Überaltlastenausgleichs vorgelegt. Wir üssen dem Hauptverband der Berufsgenossenschaften nd dem Bundesverband der Unfallkassen den Zusam- enschluss als Verein nicht erst ermöglichen. Dies ha- en sie am 31. Mai 2007 in Darmstadt vollzogen. Es eht darum, dass die Deutsche Gesetzliche Unfallversi- herung künftig im Rahmen der sogenannten Vereinslö- ung wirken kann. Wolfgang Grotthaus (SPD): Die Überschrift des ntrages der Fraktion Die Linke vermittelt den Ein- ruck, dass die Bundesregierung bei der Reform der Un- allversicherung ein „Leistungskürzungsgesetz“ vorle- en will. Hier scheint Die Linke schon mehr zu wissen, enn es gibt bisher weder die Einbringung eines Gesetz- ntwurfes ins Kabinett, noch die Vorlage eines Referen- enentwurfs. Richtig ist, dass es einen Arbeitsentwurf gibt, der auf er Bund-Länder-Ebene diskutiert wird. Und richtig ist, ass die Bundesregierung für diese Arbeit auf der Bund- änder-Ebene als Zielsetzung die Straffung der Organi- ation formuliert hat und dabei die Realisierung leis- ungsfähiger Unfallversicherungsträger sowie ein ziel- nd passgenaues Leistungsrecht anstrebt. Dieses Ziel dürfte eigentlich keine kontroverse De- atte in diesem Hohen Haus verursachen. Dies haben uch die Selbstverwaltungsorgane der Berufsgenossen- chaften und Unfallkassen erkannt und sind sich darüber inig geworden. Sie haben sich in einem vorbildlichen iskussions- und Einigungsprozess innerhalb ihrer elbstverwalteten Strukturen darauf verständigt, anstelle on zurzeit 26 Berufsgenossenschaften, BGen, durch usionen auf eine Zahl von neun Berufsgenossenschaf- en zu kommen. An dieser Stelle möchte ich den Verantwortlichen ank für ihr Engagement bei der Neustrukturierung der Gen sagen. Das Ergebnis zeigt, dass die Selbstverwal- ung funktioniert und das Eingreifen der Politik nicht nö- ig ist. Zwei Problembereiche im „organisatorischen Teil“ ind noch offen, und zwar: Wie stellt sich der Zusam- enschluss der BGen und der öffentlichen Unfallkassen emnächst auf? Gemeint ist: Wird es eine Körperschaft es öffentlichen Rechts sein, oder kann die neue Organi- ation auch als eingetragener Verein arbeiten? Wird die olidarität in Bezug auf den Altlastenausgleich der Gen gesetzlich geregelt werden müssen? Hier muss nd wird es politische Lösungen geben! Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11251 (A) ) (B) ) Natürlich, insbesondere beim Solidaritätsausgleich hat jede einzelne Berufsgenossenschaft Eigeninteressen, die sie im Zuge der noch nicht abgeschlossen Reform unter anderem auch im Bereich der politischen Adminis- tration vorzutragen weiß. Wir sind aber aufgrund vieler Gespräche sehr zuversichtlich, hier eine größtmögliche Übereinstimmung zwischen den BGen zu erreichen. Im Bereich des „Leitungsteils“ gibt es für uns nur eine Richtung: Es darf zu keinen Leistungskürzungen kommen! Die von einem Unfall betroffenen Menschen dürfen nicht schlechter gestellt werden. Es muss aber darüber nachgedacht werden, ob nicht eine größere Ziel- genauigkeit erreicht werden kann. Auch muss die Frage erlaubt sein, ob es richtig ist, dass derjenige, der 20 Pro- zent oder 40 Prozent durch einen Unfall leistungsgemin- dert ist, sehr oft besser gestellt ist als derjenige, der eine hundertprozentige Leistungsminderung hat. Vorschläge, wie dies zufriedenstellender geregelt wer- den könnte, liegen auf dem Tisch. Die Beratungen dazu laufen; aber ich sage es noch einmal eindeutig: Dabei geht es nicht um Leistungskürzungen! Abschließend möchte ich von dieser Stelle auch die Arbeit des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales würdigen und gleichzeitig eine Bitte formulieren: Es ist sehr wichtig, sich intensiv Gedanken darüber zu machen, wie der Rehabilitationsgedanke noch stärker in den Vor- dergrund gestellt werden kann. Rehabilitation der Verunfallten, schnellste Genesung und die Wiedereingliederung in den Beruf sollte noch stärker in den Vordergrund der Diskussion gestellt wer- den. Damit wird den Menschen mehr geholfen als mit ei- ner aus meiner Sicht bald abzuschließenden Diskussion über Organisation- und Verwaltungskosten. Bevor wir nicht einen Referentenentwurf aus dem BMAS haben und tatsächlich nachvollziehen können, welche Detailplanung das Ministerium in welcher Form umgesetzt hat, ist die Debatte hier im Plenum eine De- batte „in den blauen Dunst“. Wir können hier nur darstel- len, welche politische Richtung wir verfolgen. Da nun beide Antragsstellerfraktionen noch keine diskussionsfä- higen Unterlagen haben, betrachten wir beide Anträge als einen politischen Schnellschuss. Wir werden sie des- halb beide ablehnen. Heinz-Peter Haustein (FDP): Es geht hier heute um die gesetzliche Unfallversicherung und damit um einen Zweig der Sozialversicherung, der – wenn auch in gerin- gerem Umfang als andere Sozialversicherungen für – die hohen Lohnnebenkosten verantwortlich ist. Wer ernst- haft um einen Beschäftigungsanstieg in Deutschland bemüht ist – und das sollte schließlich unser aller Bestre- ben sein –, muss den Zusammenhang zwischen Lohn- nebenkosten und Beschäftigung bei einer Reform der Unfallversicherung im Auge behalten. Das Ziel muss sein, die Beiträge zur GUV – zumindest langfristig – zu senken. Es liegen hier zwei Anträge vor, die beide diesen An- forderungen nicht gerecht werden. Lassen Sie mich kurz darauf eingehen: a f n i u m L s v R m R R l n w e d S t d m t M k t ö n d d t S v t s G w e s d w e L h h M v b E i w r u w n (C (D Der Antrag von der Linken ist eine Enttäuschung für ll diejenigen, die auf Verbesserungen bei der GUV hof- en. Er reicht kaum über die Forderung, es dürfe auf kei- en Fall zu Leistungsabsenkungen kommen, hinaus. Das st nicht besonders originell, leider gar nicht innovativ nd auch nicht der Sache dienlich, sondern wieder ein- al nur die alte Sozialkampfverhindererrhetorik. Die inke warnt vor einem „verantwortungslosen Schnell- chuss“. Seit fast zwei Jahren – Stichwort: Koalitions- ertrag – kündigt Schwarz-Rot für diesen Herbst eine eform der Unfallversicherung an. Von „Schnellschuss“ ag ich da nicht reden. Seit gestern wissen wir, dass die egierung sich nicht einmal darüber einig ist, wie die eform des Leistungsrechts aussehen soll und dass man ieber noch einmal weiterredet. Das Problem ist also icht, dass hier unüberlegt aus der Hüfte geschossen ird, sondern dass die Regierung unfähig ist, sich auf in Konzept zu verständigen. Dabei duldet die Reform er GUV keinen Aufschub, wie wir schon an den chwierigkeiten der Baubranche und den hohen Altlas- en sehen. Darauf komme ich gleich zurück. Den Antrag er Linken kann man nur ablehnen. Der Antrag der Grünen setzt sich immerhin inhaltlich it der Unfallversicherung auseinander. Einzelne Punk- e wie beispielsweise deren Kritik an der sogenannten oratoriumslösung sind aus unserer Sicht richtig. Es ann nicht sein, dass zwischenzeitlich privatisierte Un- ernehmen der öffentlichen Hand auch weiterhin bei den ffentlichen Unfallkassen versichert sind, wo sie sich icht an den Kosten der Altlasten beteiligen müssen. Da- urch sind private Wettbewerber im Nachteil, die durch ie Beteiligung an den Altlasten höhere Lohnnebenkos- en zu tragen haben. Diese Regelung darf aus liberaler icht auf keinen Fall fortbestehen. Natürlich müssen pri- atrechtlich organisierte Unternehmen wie andere Un- ernehmen der Privatwirtschaft auch den Berufsgenos- enschaften zugeordnet werden. Auch die Trennung in esundheitsschaden und Erwerbsminderungsschaden ird von Grünen und FDP gemeinsam begrüßt. Insgesamt aber fehlt auch dem Antrag der Grünen die rkennbare Linie, die deutlich macht, wie die Unfallver- icherung künftig zu gestalten ist. Man möchte zwar bei en Grünen der Selbstverwaltung den Auftrag zur Ent- icklung eines Konzepts für die Altlasten geben. Eine igene Vorstellung von der notwendigen Gestaltung des astenausgleichs scheinen die Grünen jedoch nicht zu aben. Hinsichtlich der Reform des Leistungsrechts nä- ern sie sich dann stark der Position der Linken an. ehrfach wird betont, es dürfe nicht zu Einkommens- erlusten kommen, es dürfe keine Schlechterstellung ge- en, es dürfe keine Verringerung geben. Es ist immer einfach, den Menschen zu erklären: Bei uch bleibt alles wie es ist, nichts wird schlechter. Das st aber nicht die Aufgabe der Politik. Wir müssen, wenn ir an Verbesserungen der gesetzlichen Unfallversiche- ung interessiert sind, anders an die Sache herangehen nd uns fragen: Wo gibt es Fehlentwicklungen, denen ir entgegentreten müssen? Den Antrag der Grünen leh- en wir ab. 11252 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 (A) ) (B) ) Um bei dem Beispiel der Trennung in Gesundheits- schaden und Erwerbsschaden zu bleiben, möchte ich ganz klar sagen: Die FDP tritt für den Wechsel von der abstrakten zur konkreten Betrachtungsweise ein. Es geht hier um eine Frage der Gerechtigkeit. Die Liberalen wol- len eine zielgenaue Leistung. Wir müssen der Entwick- lung entgegentreten, dass Geringverletzte eine Leistung beziehen, obwohl sie in einem anderen Beruf oder an ei- nem anderen Arbeitsplatz regulär weiter beschäftigt sind und auf diese Weise finanziell besser gestellt sind als vor dem Unfall, während Schwerverletzte, die nach einem Unfall nicht länger erwerbsfähig sind, zum Teil nach dem Schicksalsschlag Arbeitsunfall erhebliche Einkom- mensverluste zu schultern haben. Die FDP will hier zu einer Verbesserung kommen, die allen, die einen Unfall erlitten haben, die Einkommenseinbußen ausgleicht, die sie tatsächlich – im konkreten Fall – zu tragen haben. Die Leistungen müssen wieder dahin, wo sie gebraucht werden, zu den Bedürftigen. Der Geringverletzte soll auch weiterhin eine Rente erhalten, aber das Prinzip kann doch nur sein: Eine Erwerbsminderungsrente wird gezahlt für eine Erwerbsminderung. Natürlich, das ver- schweige ich nicht, führt das zu einer anderen Gewich- tung der Leistungen. Aber die FDP will nicht in populis- tischer Manier allen alles versprechen. Wir wollen tragfähige Lösungen für die Zukunft. Die Kritiker wen- den dagegen ein, durch die konkrete Berechnung ent- stehe ein neuer Verwaltungsaufwand. Ja, sage ich, das stimmt. Aber der Aufwand ist mehr als gerechtfertigt, wenn man zu einer Systemverbesserung kommen will. Die FDP hat die letzten Monate genutzt. Linke und Grüne stellen hier Anträge zur Debatte, mit denen sie auf Regierungsvorschläge eingehen, die noch nicht einmal ins parlamentarische Verfahren eingebracht sind, ja – wie wir gestern erfahren haben – noch nicht einmal im Ministerium konsensfähig sind. Neues, gar für die Zu- kunft Richtungsweisendes, finde ich darin nicht. Wir haben uns in den letzten Monaten mit allen Betei- ligten ausgetauscht, Probleme und Fehlentwicklungen identifiziert und sachgerechte Lösungen entwickelt, um den bekannten Problemen entgegenzutreten: ob konkrete Betrachtungsweise, Moratoriumslösung, Neugestaltung des Lastenausgleichs oder Kapitalabfindung bei Gering- verletzten, etc. Wir haben Leitlinien für ein Konzept entwickelt, das Konsequenzen zieht aus dem Struktur- wandel der Wirtschaft, das dem Ziel der Verwaltungs- verschlankung dient und die knappen Ressourcen dort- hin bringt, wo sie benötigt werden, bei den Bedürftigen. Wir werden unseren Antrag rechtzeitig nach der Som- merpause in den Deutschen Bundestag einbringen und dem Regierungsvorschlag, so sich Schwarz-Rot über- haupt noch einigen kann, ein schlüssiges Konzept entge- genstellen. Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE): Es war absehbar, und doch war es ein langer, qualvoller Prozess, bis das Bundesarbeitsministerium am Mittwoch endlich bekannt gab, was die Spatzen längstens von den Dächern pfiffen: Die von der Bundesregierung geplante Reform der gesetzlichen Unfallversicherung liegt wegen k w d g e s R h s M m G w T W W a w s s w n w d m p h T g S n s d n f v d D l r s v w l b 1 V o m D r (C (D oalitionsinterner Differenzen vorläufig auf Eis. Und enn der Sprecher des Arbeitsministeriums diesen für ie Koalition unangenehmen Sachverhalt zu beschöni- en versucht, indem er davon spricht, es habe noch nicht inmal einen Referentenentwurf gegeben, huscht einem chon ein Lächeln über das Gesicht. Ja, es gab keinen eferentenentwurf, aber das hatte ja auch niemand be- auptet. Dafür gab es einen Arbeitsentwurf und bei des- en Qualität habe ich jedes Verständnis dafür, dass das inisterium versucht, dessen Existenz zu verschweigen. Mit der groß angekündigten Reform wird es erst ein- al nichts, und das ist gut so. Selten ist in einem Projekt ründlichkeit und Sorgfalt so der Schnelligkeit geopfert orden. Der Verdacht drängt sich auf, dass Sie das hema aus der Landtagswahl 2008 heraushalten wollten. er will schon höchst unpopuläre Kürzungen vor seinen ählern rechtfertigen müssen? Ein unrealistischer und us politischen Erwägungen diktierter knapper Zeitplan ar Ihnen wichtiger als Qualität und Gründlichkeit. Eine gründliche Beratung in den Gremien des Deut- chen Bundestages wäre auch nicht gewährleistet gewe- en. „Lernende Gesetzgebung“ nennen Sie das ja immer ieder, wenn Sie ihren handwerklichen Murks schon ach kürzester Zeit „nacharbeiten“ müssen. Ein System- echsel, wie Sie ihn anstreben, bedarf aber angesichts er besonderen Tragweite eine gründliche Diskussion it Fachexperten der Unfallversicherung und der Sozial- artner. Fragt sich nur, ob Herr Staatssekretär Tiemann über- aupt fähig ist, einen solchen Dialog zu führen. Aus den reffen der Bund-Länder-Arbeitsgruppe war hinter vor- ehaltener Hand viel Kritik am Auftreten des Herrn taatssekretärs zu hören. Nassforsches Auftreten ersetzt icht fehlende Qualität des Arbeitsentwurfs, Herr Staats- ekretär. Wer so handelt, der trägt die Verantwortung für en Totalschaden dieses Reformversuchs. Herr Tiemann, ehmen Sie Ihren Hut und ihren unausgegorenen Re- ormentwurf gleich mit! Aber worum geht es eigentlich bei dem von Ihnen erursachten Chaos? Schauen wir doch noch einmal in en Koalitionsvertrag: Wesentliche Ziele sind die Straffung der Organisa- tion, die Schaffung leistungsfähiger Unfallversiche- rungsträger und ein zielgenaueres Leistungsrecht. agegen ist zunächst nichts einzuwenden. Bei dem, was das Arbeitsministerium bisher vorge- egt hat, bekommt man aber eher den Eindruck, dass ge- ade die geplante Leistungsrechtsreform nicht besser, ondern nur anders ungerecht ausgestaltet wurde. Was ordergründig als zielgenaues Konzept angepriesen ird, läuft in Wirklichkeit auf einen Raubzug gegen ver- etzte und erkrankte Menschen hinaus: Durch einen Ar- eitsunfall verursachte Einkommenseinbußen von bis zu 0 Prozent werden grundsätzlich nicht entschädigt. Den erlust eines Daumens, extreme Lärmschwerhörigkeit der chronische Hauterkrankungen wollen Sie künftig it einer monatlichen Pauschale von 50 Euro abfinden. er eingetretene Erwerbsschaden wird dabei nicht be- ücksichtigt. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11253 (A) ) (B) ) Die vorgesehenen Veränderungen beim Jahresarbeits- verdienst als zentraler Bezugsgröße im Unfallentschädi- gungsrecht werden für Geringverdienende und Allein- erziehende ganz erhebliche negative Auswirkungen haben. Künftig wird es für die Versicherten schwieriger werden, die durch einen Unfall verursachten gesundheit- lichen Spätfolgen nachzuweisen. Die dann notwendigen Neuberechnungen werden so unnötig verkompliziert. Dies kann nicht im Sinne der Versicherten, aber auch nicht der Unfallversicherungsträger sein. Fazit: Die Trennung von Erwerbs- und Gesundheits- schaden führt weder zu mehr Gerechtigkeit noch zu einer stärkeren Zielgenauigkeit. Mit den jetzt zurückgezogenen Reformplänen hätten drei von vier Arbeitnehmern, die ei- nen Arbeitsunfall erleiden, netto weniger Geld in ihren Taschen gehabt. Wieder einmal sägt der angeblich sozial- demokratische Arbeitsminister an den Fundamenten unse- res Sozialversicherungssystems. Die wenigen Verbesse- rungen, wie etwa für schwer Verletzte, gleichen dies nicht aus. Sie hießen sich bereits jetzt im geltenden Leistungs- recht verwirklichen. Weniger strittig ist die Frage der Organisationsreform. Auch wenn bei den Beteiligten eine weitestgehende Übereinstimmung der Reformziele im Organisations- recht besteht, erscheint für uns der geforderte Einsparef- fekt von 20 Prozent allein bei den Verwaltungskosten al- lerdings als völlig überzogen. Was die Zahl und Frist der geplanten Fusionen anbelangt, staunt man schon, was Sie den gewerblichen Berufsgenossenschaften abverlan- gen wollen. Sie sollen die Trägerzahl drastisch reduzie- ren, gleichzeitig machen Bund und Länder keinerlei An- stalten, dies in ihrem Bereich ebenfalls zu tun. Die öffentlichen Träger würden besser mit gutem Beispiel vorangehen. Zudem kritisieren wir die Pläne der Bundesregierung, den neuen Spitzenverband unter die Rechtsaufsicht des Arbeitsministeriums zu stellen. Was wir nicht brauchen, ist ein weiterer Verband, der am Gängelband des Bundes gehalten wird. Es kann doch nicht sein, dass die Selbst- verwaltung die Prozesse selbst gestalten soll und dann zur Belohnung unter die Rechtsaufsicht des Arbeitsmi- nisteriums gestellt wird! Statt ihrer unverantwortlichen Schnellschüsse fordert Die Linke mit ihrem Antrag, die Reform des Organisa- tionsrechts vom Leistungsrecht vollständig abzukop- peln. Angesichts der Komplexität des Sachverhaltes, sind eine angemessene Zeitspanne einzuplanen sowie in- tensive Beratungen mit allen betroffenen Akteuren zu führen. Bei der Reform ist darauf zu verzichten, eine feste Zahl an Berufsgenossenschaften und Unfallkassen als Zielgröße festzuschreiben. Die Berufsgenossenschaf- ten wissen selbst am besten, wo es Sinn macht, über wei- tere Zusammenschlüsse nachzudenken. Der Eingriff der Politik in die Selbstverwaltung wirkt hier nur kontrapro- duktiv. Machen Sie es sich einfach und erkennen Sie den neuen Spitzenverband Deutsche Gesetzliche Unfallver- sicherung als autonomen Dachverband der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung an. Bei der Reform des Leistungsrechts muss der Bedarf der Betroffenen und nicht der Wille zur Einsparung handlungsleitend sein. N b A r n b m r z z l S w e F w c A d A e r t a R b E f d g h d f j b S m N b c E d E g k e l w l i m „ (C (D icht zuletzt fordern wir substanzielle Verbesserungen ei der Anerkennung von Berufskrankheiten und eine bsenkung der Hürden bei der Anerkennung von Be- ufskrankheiten. Zu dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen ist nur ei- es zu sagen: Wie Sie hier ungefiltert Positionen der Ar- eitgeber übernehmen, das hätte die FDP nicht besser achen können. Abschließend ein freundlicher Rat an den angeblich oten Teil der Koalition: Verlieren Sie nicht weiteres so- ialpolitisches Vertrauen und stoppen Sie diese Kamika- ereform. Qualität und Gründlichkeit muss vor Schnel- igkeit gehen. Überarbeiten Sie Ihren Entwurf mit aller orgfalt, machen Sie kein Einspargesetz daraus, dann ird Ihnen das nächste Mal eine solch peinliche Debatte rspart bleiben. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die raktion des Bündnisses 90/Die Grünen sieht die Not- endigkeit einer Neuordnung im System der gesetzli- hen Unfallversicherung. Der sektorale Wandel auf dem rbeitsmarkt hat zu Gewichtsverschiebungen zwischen en Branchen und damit auch zu einer Verschiebung des nteils ihrer Versicherten geführt. Sinnvoll ist daher ine Reorganisation der Struktur der Unfallversiche- ungsträger nach dem Grundsatz risikogerechter Bei- räge ebenso wie die Einführung zielgenauer und zeitnah usgezahlter Leistungen für die Unfallopfer. Die mit der eform des Leistungsrechts angestrebte Aufspaltung der isherigen Unfallrente in einen Gesundheits- und einen rwerbsschadensausgleich betrachten wir deshalb eben- alls dem Grunde nach als folgerichtig. Allerdings wird ie notwendige Zielgenauigkeit mit den bisher vorlie- enden Vorschlägen der Bundesregierung verfehlt. Da- er wird der Ruf nach einer Verschiebung der Reform es Leistungsrechts immer lauter. Keinesfalls darf es zu Leistungsverschlechterungen ür die Unfallopfer kommen! Genau dies ist aber beim etzt vorliegenden Arbeitsentwurf der Fall. Dies gilt ins- esondere für geringer Verletzte mit einem Grad der chädigungsfolgen von 30 Prozent und 40 Prozent. Sie achen rund 90 Prozent aller Rentenempfänger aus! icht akzeptable Leistungseinschränkungen gibt es auch ei der geplanten Erwerbsminderungsrente. Alle Versi- herten, die nach dem Versicherungsfall eine geringere rwerbseinbuße als 10 Prozent des Jahresarbeitsver- ienstes haben, gehen leer aus. Völlig unzureichend gelöst ist, wie bei der geplanten rwerbsminderungsrente unstete Erwerbsverläufe und eringfügige Beschäftigungen Berücksichtigung finden önnen. Die Bundesregierung legt völlig lebensfremd in idealtypisches Modell kontinuierlicher Erwerbsver- äufe zugrunde. In der heutigen Zeit sind solche Er- erbsverläufe keinesfalls mehr die Regel, sondern stel- en zunehmend eine Ausnahme dar. Wir fordern deshalb n unserem Antrag, dass sich die Entschädigungssum- en, wie auch bei der jetzigen Unfallrente, an einem Mindestjahresarbeitsverdienst“ orientieren müssen. 11254 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 (A) ) (B) ) Leistungseinschränkungen sind auch bei den Renten- anwartschaften zu befürchten. Die klassische Alters- rente wird zunehmend durch eine betriebliche und pri- vate Vorsorge ergänzt. Soll die Erwerbsminderungsrente wie geplant nur bis zur Altersrente ausgezahlt werden, dann müssen auch hier kompensatorische Zahlungen, zum Beispiel analog der Riesterrente vorgenommen werden. Dies sind nur einige Beispiele für geplante Leistungs- verschlechterungen zulasten der Unfallopfer. Es besteht noch erheblicher Reparaturbedarf am Reformprojekt. Inzwischen gibt es auch Stimmen in der Union, die eine Verschiebung der Reform des Leistungsrechts for- dern, so zum Beispiel der Vorsitzende des Ausschusses für Arbeit und Soziales, Gerald Weiß, im Gleichklang mit der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände, die eine Erhöhung der Kosten für Leistungen an die Un- fallgeschädigten kritisiert. Mit ihren im Arbeitsentwurf zum Leistungsrecht vorgelegten Vorschlägen hat es die Bundesregierung geschafft, sowohl die Leistungen für die Unfallopfer zu verschlechtern als auch die Ausgaben in die Höhe zu treiben. Die Rede ist von 400 bis 500 Millionen Euro Mehrkosten. Die Kritik der Arbeitgeber und der Union an den Mehrkosten greift jedoch zu kurz. Ein Großteil der Mehraufwendungen beruht auf zusätzlichen Ausgaben für Rehabilitationsleistungen und einmaligen Kapitalab- findungen für den Gesundheitsschadensausgleich. Wir begrüßen überwiegend diese Mehrausgaben, da die er- höhten Aufwendungen für die Rehabilitation der Un- fallopfer bei längerfristiger Betrachtung zu einer Entlas- tung bei den Renten führen werden. Außerdem erhöht eine zeitnahe Entschädigung des Gesundheitsschadens den Anreiz zur Prävention. Lasten werden nicht auf die Zukunft verschoben, sodass die Finanzierungsverant- wortung der Verursacher und damit auch der Anreiz zur Prävention gestärkt werden. Wir fordern deshalb, dass sich eine Reform der gesetzlichen Unfallversicherung nicht an kurzfristigen betriebswirtschaftlichen Interessen orientiert. Sie muss für alle Beteiligten, auch für die Un- ternehmen, eine langfristig stabile Lösung darstellen. Franz Thönnes, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister für Arbeit und Soziales: Wir sprechen heute über zwei Entschließungsanträge zur gesetzlichen Unfallversicherung. Hintergrund ist das Vorhaben der Bundesregierung, das Unfallversicherungssystem zu re- formieren. Die gesetzliche Unfallversicherung ist ein Kernstück innerhalb der deutschen Sozialversicherung. Das soll auch so bleiben – auch in Zukunft. Das System hat aber auch Defizite: Es leistet keinen zielgenauen Ausgleich des Erwerbsschadens und des Gesundheitsschadens. Es produziert auch Ungerechtig- keiten: Es motiviert nicht zur beruflichen Rehabilitation. Deswegen ist das System zu reformieren. Das tut die Bundesregierung gemeinsam mit der Selbstverwaltung. Ein paar Anmerkungen zu den Anträgen, die wir heute debattieren. Die Fraktion Die Linke teilt unser Ziel, lehnt aber alle wesentlichen Änderungsvorschläge a e k g W g s w g g t c h c t a z b o z d d e A m d s s i h U p r c b p u u g A t (C (D b. Zudem sollen Organisations- und Leistungsreform ntkoppelt werden. Das ist nicht zukunftsorientiert! Auch die Fraktion der Grünen sieht die Notwendig- eit zur Reform. Im Kern will sie jedoch beim Bisheri- en bleiben. Auch das ist nicht zukunftsorientiert! Wir sind bereits auf einem guten Weg. Seit wenigen ochen gibt es nur noch einen Spitzenverband für den ewerblichen und den öffentlichen Bereich: Die Deut- che Gesetzliche Unfallversicherung – ein richtiger und ichtiger Schritt. An dieser Stelle möchte ich der Selbstverwaltung ein roßes Lob sagen, auch für das Tempo, mit dem sie das eschafft hat. Meinen Glückwunsch der Selbstverwal- ung auch für ihr Konzept, um aus heute 25 gewerbli- hen Berufgenossenschaften zukünftig neun und aus eute 31 öffentlichen Unfallkassen zukünftig 16 zu ma- hen. Das alles zeigt, welche Kraft in der Selbstverwal- ung steckt. Ich bin überzeugt, das alles wird helfen, uch Antworten auf die Herausforderungen der Altlasten u finden. Ob wir am Ende bei der Organisationsreform zu einer elastbaren Vereinsregelung mit hoher Verantwortung der zu einer schlanken Körperschaft mit Rechtsset- ungsbefugnis kommen werden – das gilt es zu entschei- en. Wenn das Prinzip „Reha vor Rente“ gilt – und ich enke es gilt für uns alle –, dann ist es nicht nur eine thische und moralische Frage, sondern auch die richtige ntwort auf Teilhabe am Arbeitsleben und auf die de- ografische Herausforderung in unserer Gesellschaft. In er Folge ist somit konsequenterweise auch über eine innvolle Unterscheidung zwischen Erwerbs- und Ge- undheitsschaden zu sprechen. Abschließend noch ein paar Worte zum Zeitplan, um rreführende Medienmeldungen geradezurücken: Wir aben uns vorgenommen: Wir wollen die gesetzliche nfallversicherung in dieser Hälfte der Legislatur- eriode reformieren. Dieser Zeitpunkt ist noch nicht er- eicht. Sorgfalt und Abwägung haben somit noch ausrei- hend Raum. Wir werden auch im weiteren Prozess wie islang die Experten der Unfallversicherung, der Sozial- artner und die Fachleute aus den Landesregierungen nd die Fachwelt beteiligen. Es bleibt dabei: Die Bundesregierung wird eine gute nd zukunftsorientierte Reform machen. – ohne Eile und ründlich. nlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Den Wettbewerb stär- ken, den Einsatz offener Dokumentenstan- dards und offener Dokumentenaustauschfor- mate fördern (Tagesordnungspunkt 24) Dr. Martina Krogmann (CDU/CSU): In diesem An- rag der Koalition geht es um eine der zentralen Fragen Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11255 (A) ) (B) ) für die Informations- und Wissensgesellschaft. Es geht darum, wie wir es schaffen, Zugang zu Informationen und zu Wissen für alle zu gewährleisten. Der Zugang muss diskriminierungsfrei und zukunftssicher sein. Es darf keine künstlichen Einschränkungen geben, die un- sere Innovationskraft lahmen oder unnötige Kosten ver- ursachen. Deshalb will die Große Koalition das Be- wusstsein von Verwaltung, Wirtschaft und Bürgern für die Bedeutung offener Dokumentenstandards fördern und fordert die Bundesregierung auf, wo immer es mög- lich ist, international akzeptierte, offene Dokumenten- standards einzusetzen, die Wirtschaft bei der Entwick- lung und Nutzung offener Standards zu unterstützen und an der Neu- und Fortentwicklung offener Standards und Dokumentenaustauschformate mitzuwirken. In der Informationsgesellschaft wird Wissen zum wertvollsten Rohstoff. Dieses Wissen liegt heute in den meisten Fällen in elektronisch gespeicherter Form vor. Für die Verarbeitung und die Übertragung, für die Spei- cherung und die Archivierung unserer Daten kommen verschiedenste Dokumentenstandards zum Einsatz – und genau hier offenbart sich ein grundsätzliches Unterschei- dungskriterium, das zu einem wettbewerbsentscheiden- den Faktor werden kann: Auf der einen Seite gibt es pro- prietäre Dateiformate. Diese sind oft nicht oder nur ungenügend dokumentiert oder sogar mit prohibitiven Patenten oder überzogenen Lizenzgebühren belastet. Auf der anderen Seite gibt es offene Standards in diver- sen Abstufungen, die sich grundsätzlich durch transpa- rente Spezifikationen und Interoperabilität auszeichnen. Anschaulichster Beweis für die Überlegenheit offener Dokumentenstandards ist das Internet. Ob HTML-Seiten oder komplexere XML-basierte Formate – jeder kann weltweit und ohne Beschränkung auf ein bestimmtes Be- triebssystem oder eine bestimmte Anwendungssoftware auf diese Dokumente zugreifen und anhand der öffent- lich zugänglichen Dokumentation auch selbst welche er- stellen. Diese Offenheit und Transparenz spielten beim Siegeszug des Internets eine zentrale Rolle. Darüber hi- naus kann jeder neue Applikationen programmieren, die diese Dateiformate lesen und schreiben – selbstverständ- lich ohne Lizenzgebühren an irgendwelche Patentinha- ber zahlen zu müssen. Davon profitieren natürlich in erster Linie die kleinen und mittelständischen Software- entwickler. So sind sie sicher vor willkürlicher Diskrimi- nierung durch die Großen und können ihre Ressourcen produktiver einsetzen. Offene Standards optimieren die Effizienz beim elek- tronischen Datenaustausch – denken Sie zum Beispiel nur daran, wie zügig und komfortabel der Umgang mit PDF-Dateien ist. Der gesamte Workflow wird verein- facht und die Abläufe beschleunigt. Offene Standards bringen dem Verbraucher Vorteile: Sie sind sicherer, transparenter und zuverlässiger. Offene Standards bedeuten Wettbewerb, Wahlfreiheit und Innovation. Offene Standards verhindern die Entste- hung von Monopolen und Abhängigkeitsverhältnissen, den berüchtigten Lock-in-Effekten. p z v I p p f h e w z w g s K d A e s b s l A d d E z l w p u Q u t c b d z d e s t f d s f K d s s d (C (D Womit wir bei der größten Gefahr wären, die von pro- rietären Speicherformaten ausgeht: sie können schnell ur „Sackgasse“ werden, sodass ein Zugriff auf archi- ierte Dokumente nicht mehr ohne weiteres möglich ist. n den Anfangszeiten der IT waren praktisch alle kom- lexeren Dateiformate proprietär und zueinander inkom- atibel. Einige der Hersteller der ersten Anwendungen ür Datenbanken oder Tabellenkalkulation existieren eute gar nicht mehr und die mit diesen Anwendungen rstellten Dateien können nur unter erheblichem Auf- and gelesen werden. Wer mal versucht hat, Dokumente u öffnen, die älter als zehn Jahre sind, weiß vielleicht, ovon ich rede. Wir laufen also Gefahr, dass wir unsere espeicherten Informationen in Zukunft nicht mehr voll- tändig abrufen können oder zeit- und kostenintensive onvertierungsmaßnahmen erforderlich werden. Auch eshalb gibt es zu offenen Dokumentenstandards keine lternative. Wer Daten in proprietären Formaten speichert, geht in erhebliches wirtschaftliches Risiko ein: Die immer chneller werdenden Innovationszyklen in der Software- ranche führen dazu, dass Dokumente unter Umständen chon nach wenigen Jahren nicht mehr ohne weiteres esbar sind. Das darf gerade auch bei dem elektronischen rchivgut der öffentlichen Hand nicht passieren! Offene Dokumentenstandards sichern den Zugriff auf ie gespeicherte Information, nicht nur für heute, son- ern auch in Zukunft! Gerade bei Großprojekten in -Government und Verwaltung spielen sie daher eine entrale Rolle. Mit diesem Antrag wollen wir sicherstel- en, dass Kommunikation und Datenhaltung in diesen ichtigen Bereichen entwicklungsoffen und flexibel im- lementiert werden. Nur zur Klarstellung: Es geht bei diesem Antrag nicht m Open Source. Niemand soll gezwungen werden, den uellcode seiner Software offenzulegen. Es geht einzig nd allein um die offene Spezifikation und Dokumenta- ion der Formate, in denen die Informationen abgespei- hert werden – dies weiß jeder, der sich mit der Materie eschäftigt hat. Die Nutzungsbedingungen sollen dabei en Vorgaben der international anerkannten und dafür uständigen Standardisierungsorganisationen genügen, amit eine faire und diskriminierungsfreie Verwendung rmöglicht wird. Wir wenden uns gegen künstlich ge- chaffene Inkompatibilitäten, denn sie hemmen Innova- ion und Fortschritt. Ebenso wenig wollen wir hier bestimmte Standards estschreiben oder gegenüber anderen bevorzugen – iese Aufgabe kann nur im freien Wettbewerb der unter- chiedlichen Standards am Markt gelöst werden. Der Zugang zu Informationen muss so frei und ein- ach wie möglich sein. Mit diesem Antrag will die große oalition die Zirkulation von Wissen – dem entschei- enden Wertschöpfungsfaktor in der Informationsgesell- chaft – vereinfachen und fördern. Offene Dokumenten- tandards und -austauschformate sind der richtige Weg azu. 11256 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 (A) ) (B) ) Dr. Uwe Küster (SPD): Was man schwarz auf weiß besitzt, kann man getrost nach Hause tragen. Wer hat das nicht früher von seinen Lehrern in der Schule gehört. Was sagt dieser Spruch aus? Er besagt: Wir verfügen da- mit über langfristig gesichertes Wissen. Dieses Wissen ist langfristig abrufbar. Diese Informationen können von einer Vielzahl beliebiger Personen zu beliebiger Zeit ab- gerufen und gelesen werden. Vorausgesetzt, sie beherr- schen Schrift und Sprache. Wir können Bücher, die vor 200 Jahren geschrieben wurden, heute immer noch le- sen! Doch gilt diese Volksweisheit auch noch im Compu- terzeitalter? Heute müssen wir auf andere Formen der Manifestation unseres Wissen vertrauen: Nämlich der elektronischen Speicherung von Daten und ihre Lesbar- keit auf lange Zeit. Die Technik bei Hard- und Software schreitet so rasant voran, dass die PCs und ihre Anwen- dersoftware, mit denen wir begonnen haben, schon längst so veraltet sind wie das Bewirtschaften von Äckern mit Pferd und Pflug. Wir erleben heute, dass Neuerungen in der Computerwelt immer kürzere Halb- wertzeiten haben. Programme werden immer komplexer und werden in immer kürzeren Zeitabständen durch neue Programme mit größerem Funktionsumfang ersetzt. Das hat auch Auswirkungen auf die Datenformate. Wie ver- hält es sich da mit unseren alten Daten, die wir vor fünf oder zehn Jahren gespeichert haben? Können unsere ge- genwärtig genutzten Hightechsysteme noch etwas mit der guten alten Floppy-Disk anfangen? Sind die mehr- fach konvertierten Daten nach der fünfzigsten Konver- tierung ebenso lesbar, wie das Original es war? Wie kön- nen wir uns Sicherheit verschaffen? Wie können auch noch unsere Ururenkel Daten lesen, die wir geschrieben und elektronisch gespeichert haben? Wie verschärft sich das Problem in der Zukunft, wenn alles so weiter läuft wie bisher? Das Textprogramm, mit dem wir vor zehn Jahren ge- arbeitet haben, gibt es schlichtweg nicht mehr. Damit ist es nahezu unmöglich, die Texte von damals wieder zu lesen. Was wir als Problem im privaten Bereich im Kleinen erleben, muss im staatlichen Bereich des eGovernment verhindert werden. Die hier benutzten elektronischen Dokumente müssen jahrzehntelang lesbar sein. Die heute notwendige nachträgliche Konvertierung in ein spezielles, langzeitstabiles Dokumentenformat ist kos- tenintensiv und birgt die Gefahr eines unbeabsichtigten Informations- und Funktionsverlustes. Ein funktionie- rendes eGovernment kommt deshalb ohne die Nutzung offener Standards nicht mehr aus. Ohne offene Doku- mentenstandards würde das eGovernment sehr schnell an seine finanziellen und technischen Grenzen stoßen. Die Bundesverwaltung verwendet fast ausschließlich – derzeit circa zu 95 Prozent – die Microsoft Office Soft- ware-Suite. Die zugehörigen Dokumentenformate sind „geschlossen“, das heißt, nicht vollständig oder nicht re- gelmäßig veröffentlicht und ausschließlich durch den Softwarehersteller kontrolliert. Hieraus resultiert die un- gewollte Abhängigkeit. Die Entwicklung unabhängiger Software zur Bearbeitung von Microsoft Office-Doku- m W v t z a a e m n d k w G l b e n l P d B d N K s t i v w D v z (C (D enten ist unter anderem aus diesem Grund schwierig. eiterhin behindert die heute weit verbreitete Nutzung on aktiven Inhalten in Dokumenten die Interoperabili- ät. Diese Probleme entstehen bereits, wenn man Texte wischen verschiedenen Office Versionen von Microsoft ustauscht. Es besteht nahezu keine Möglichkeit, auf lternative Produkte auszuweichen. Faktisch besteht ine Softwaremonokultur. Softwaremonokulturen sind issbrauchsgefährdet und ganze Volkswirtschaften kön- en durch gezielte Angriffe erheblich geschädigt wer- en. Diese Gefahr hat auch die Bundesregierung er- annt. Im Bereich der Telekommunikation und der Energie- irtschaft haben wir eine erhebliche Sensibilität für die efahren von Monopolen entwickelt und sind mit erheb- ichem Aufwand dabei, ihnen zu begegnen. Diese Sensi- ilität müssen wir im Bereich der Softwaremonopole rst noch entwickeln. Ich kann meiner geschätzten Kollegin Martina Krogmann ur zustimmen, die an anderer Stelle so treffend formu- ierte – ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten das lenarprotokoll der 99. Sitzung am 23. Mai 2007: Genauso ist es in unserem Interesse, dass wir starke Wettbewerber haben. Denn nur dann können wir das Wertschöpfungspotential dieser dynamischen Branche für Innovationen und sichere Arbeitsplätze in unserem Land nutzen. Diesen Wettbewerb wünsche ich mir auch im Bereich er Anwendungssoftware und hier insbesondere auch im ereich der Office-Pakete. Um Wettbewerb im Bereich er elektronischen Dokumente sicherzustellen, ist die utzung offener Dokumentenstandards unumgänglich. Auch hier möchte ich meiner überaus weitsichtigen ollegin Krogmann beipflichten, die sich in ihrer Pres- emitteilung vom 1. Juni 2007 zu diesem Antrag so zu- reffend äußerte: Hierin heißt es wörtlich: Für den Verbraucher wird mit offenen Standards die Möglichkeit geschaffen, zwischen verschiedenen Produkten zu wählen. Wahlfreiheit schafft Konkur- renz und beflügelt somit Wettbewerb und Innova- tion. Die öffentliche Hand hat die politische Verant- wortung, sich für die Schaffung offener Märkte einzusetzen. Nach dem Antrag sollen Standards als offen be- trachtet werden, wenn sie den Austausch zwischen verschiedenen Plattformen und Applikationen er- möglichen und ausreichend dokumentiert sind. Die Schnittstellen müssen offen gelegt, ihre Nutzung muss frei von geistigem Eigentum sein und die technischen Spezifikationen auch umsetzbar sein. Die CDU/CSU Fraktion wollte sich dieser Definition n dem Antrag leider nicht anschließen. Was nicht nur on mir bedauert wird. Ich bedaure dies auch deshalb, eil die Bundesregierung in ihrer Definition über offene okumentenformate im Kern exakt die gleiche Position ertritt. Nach der Definition der Bundesregierung besit- en offene Dokumentenformate folgende Eigenschaften: Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11257 (A) ) (B) ) Offene Dokumentenformate sind unabhängig. Ein offenes Dokumentenformat ist standardisiert und kann von jedermann in seine Office-Software imp- lementiert und in beliebiger Weise unentgeltlich und ohne Einschränkung durch Schutzrechte ge- nutzt werden. Der Nutzer ist nicht von einem be- stimmten Software-Produkt abhängig. Offene Dokumentenformate werden in einem offe- nen Prozess entwickelt. Die Festigung des Stan- dards erfolgt durch eine Vielzahl interessierter Par- teien, zum Beispiel Software-Hersteller, signifikante Anwendergruppen und unabhängige Experten. Der Zugang zu diesem Prozess ist jedem Interessierten möglich. Die Entscheidungsprozesse sind transparent. Offene Dokumentenformate sind ausreichend do- kumentiert. Jeder kann die Dokumentation erhalten und die Formate in eigene Produkte einfügen. Für die Dokumentation kann ein einmaliges, angemes- senes Entgelt erhoben werden. Auch die Opposition teilt diese Definition, wie sie in ihren Änderungsanträgen deutlich gemacht hat. In den vergangenen Tagen hat es eine lebhafte Dis- kussion und auch Irritationen um die Definition des Be- griffs „Offener Standard“ gegeben. Ich bin seitdem von mehreren mittelständischen Softwareunternehmen ange- rufen worden. Sie haben mich darauf hingewiesen, wie wichtig für sie offene Standards im Sinne der von mir gerade zitierten Definition sind. Dies gilt nicht nur im Bereich der Dokumentenstandards, sondern generell für den Bereich von Standards. Bei diesen Unternehmen möchte ich mich ausdrücklich bedanken und hinzufü- gen: Unser Antrag soll den Interessen der mittelständi- schen Softwareindustrie dienen und nicht den Marktinte- ressen eines Monopolisten. Mit unserem Antrag leisten wir einen Beitrag zur Verbesserung der Rahmenbedin- gungen für mehr Chancengleichheit und Wettbewerb. Ich möchte an dieser Stelle nicht in den Glaubenskrieg der Definition offener Standards eintreten, weil ich über- zeugt bin, dass wir alle mit der von der Regierung ge- wählten Definition ausgesprochen gut leben können. Wir sollten aber eine andere Forderung aus unserem Antrag nicht aus den Augen verlieren: Für alle Beteiligten muss der Austausch von Doku- menten und Daten zwischen Behörden, Unterneh- men und Bürgern ohne große technische Hinder- nisse möglich sein. Die öffentliche Verwaltung muss besonderen Wert darauf legen, niemanden von der Beteiligung an einem elektronischen Ver- fahren aufgrund der Nutzung eines bestimmten Pro- duktes auszuschließen. Diese Forderung haben wir im Bereich des eGovern- ment noch nicht vollständig umgesetzt. Wir können in diesem Bereich noch einiges verbessern. Ich möchte an die elektronische Steuererklärung „Elster“ erinnern, die von den Bürgerinnen und Bürgern nur unter einem Mi- crosoft-Betriebssystem nutzbar ist. Eine plattformunab- hängige Version ist schon vor Jahren in Aussicht gestellt worden. Es ist aber nicht abzusehen, wann diese verfüg- b g d s P s w z s r h k g i d s n o u u w o L v g j f B m o h M h W r U g F z w M s x h h t w d u S c r m s (C (D ar sein wird. Solche selbst erzeugten Abhängigkeiten ilt es zukünftig bereits in der Planungsphase zu verhin- ern und dort wo sie bereits vorhanden sind, müssen wir ie abbauen. Ich habe leider den Eindruck, dass diesem roblemkreis trotz vielfältiger Bemühungen und Fort- chritte noch nicht die notwendige Aufmerksamkeit ge- idmet wird. Vielmehr wird es als ein typisches „Spe- ialistenproblem“ abgetan, um das sich andere kümmern ollen. Ich habe kürzlich folgende Bemerkung gehört: „Wa- um brauchen wir überhaupt einen offenen Standard, wir aben doch sowieso alle Word?“ Eine solche Bemer- ung macht zunächst einmal sprachlos, beschreibt aber enau den Kern unseres Problems. Die Monopolstellung st schon so in den Köpfen manifestiert und akzeptiert, ass das Monopol mit einem offenen Standard gleichge- tellt wird. Tatsächlich ist das Word-Format weit von ei- em offenen Standard entfernt: Es ist alles andere als ein ffener Standard! Darum fordern wir die Regierung in nserem Antrag auf, das Bewusstsein von Bürgerinnen nd Bürgen, insbesondere aber auch in der eigenen Ver- altung, für die Bedeutung international akzeptierter, ffener Dokumentenstandards umfassend zu fördern. ediglich die Bedeutung im Bewusstsein zu haben, ist iel zu wenig. Reden und Anträge zu formulieren alleine enügt nicht. Den Worten müssen Taten folgen. Es ist etzt Aufgabe der Regierung, dies umzusetzen. Deshalb ordern wir die Regierung in unserem Antrag auf, für die ereiche, in denen herstellerabhängige Dokumentenfor- ate de facto dominieren, aber international akzeptierte, ffene Dokumentenformate existieren, Migrationspfade in zu diesen Formaten aufzuzeigen und mittelfristig die igration durchzuführen. Lassen Sie mich hier ein Wort an die FDP richten. Sie aben in der Beratung unseres Antrags im Ausschuss für irtschaft und Technologie gefordert, diese Aufforde- ung an die Regierung fallen zu lassen, weil sie unter mständen zu erheblichen finanziellen Mehrbelastun- en führen würde. Das genaue Gegenteil trifft zu: Wenn wir auf diese orderung verzichten würden, wäre unser Antrag ein ahnloser Tiger. Die bestehende Monopolsituation ürde sich auf nicht absehbare Zeit weiter verfestigen. onopolisten sind nicht Mutter Teresa. Sie verhalten ich schlicht marktkonform, wenn sie ihre Gewinne ma- imieren und Konkurrenten aus dem Marktgeschehen eraushalten. Monopole zwingen uns in ungewollte Ab- ängigkeiten und führen für uns Nutzer zu hohen Kos- en. Potenzielle Wettbewerber haben keinerlei Chancen. Ein Teufelskreis mit fatalen Folgen! Durchbrechen ir diesen Teufelskreis! Kämpfen wir gemeinsam gegen as „digitale Vergessen“! Lassen Sie uns unser Wissen nd unsere Dokumente zukunftssicher machen! Lassen ie uns offene Dokumentenstandards verbindlich ma- hen! Martin Zeil (FDP): Wie die schwarz-rote Koalition ichtig festgestellt hat, haben Informations- und Kom- unikationstechnologien im Alltag der meisten Men- chen eine nicht mehr wegzudenkende Bedeutung er- 11258 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 (A) ) (B) ) langt. Die Globalisierung und die damit einhergehende immer intensivere Vernetzung unserer Gesellschaft sowie immer umfangreichere Produkte und Dienstleis- tungen machen eine immer bessere Ausstattung mit Informations- und Kommunikationstechnologien erfor- derlich. Um die internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands aufrechtzuerhalten ist es notwendig, dass man sich Weiterentwicklungen nicht in den Weg stellt, sondern sie begleitet, um die Implementierung ohne Pro- bleme durchzuführen. Die Informations- und Kommunikationsbranchen sind ein wichtiger Innovations- und Wachstumsfaktor in Deutschland. Sie sind ein unerlässlicher Faktor für den Strukturwandel, für die Innovationskraft und für die not- wendige volkswirtschaftliche Produktivitätssteigerung in Deutschland. Sie versorgen große Teile Deutschlands mit innovativer Infrastruktur und leisten damit einen wichtigen Beitrag für Beschäftigung und künftigen Wohlstand. Dies dient der Stärkung der Wettbewerbsfä- higkeit des Standortes Deutschland. Die Bedeutung des Informations- und Kommunikationsmarktes lässt sich auch an dem erwarteten Marktvolumen ablesen, das in der deutschen Informations- und Telekommunikations- branche in diesem Jahr schätzungsweise 150 Milliarden Euro betragen wird. Schon allein aus diesem Grund sind ein transparenter, verlässlicher und effektiver Rechtsrahmen in Deutsch- land sowie Harmonisierungen auf europäischer Ebene zwingend erforderlich, um dem Standort Deutschland auf dem hoffentlich bald beschrittenen Weg zurück an die Spitze keine unnötigen Steine in den Weg zu legen. Dazu gehört auch, dass man sich bei der geplanten Ein- führung von zum Beispiel offenen Standards erst einmal über die Definition dieser im Klaren ist. Die halbherzige Einführung von neuen Standards und die damit einher- gehenden Prozesse, ohne sich in der Materie auszuken- nen, geschweige denn sich mit den umfangreichen Dis- kussionen zu den Definitionen auseinanderzusetzen, führen zu keinen zufriedenstellenden Ergebnissen. Auch wenn die Regierungskoalition mit ihrem Antrag eine richtige Richtung einschlägt, so lässt die Ausgestaltung doch sehr zu wünschen übrig. Es ist sehr verwunderlich, dass sich die Regierungs- koalition trotz unseres Antrages bisher nicht im Stande gesehen hat, zu den Definitionsvorschlägen des European Interoperability Framework for Pan-European eGovernment Services der Europäischen Kommission Stellung zu nehmen. Hier findet sich ein detaillierter Ausgestaltungsvorschlag, der aber anscheinend bei der Regierung nicht beachtet wird. Der schwammige Ver- weis auf internationale Standardisierungsorganisationen allein genügt nicht, man drückt sich dabei nur vor einer Definition dessen, was die Regierungskoalition selbst einführen will. Wenn man eine Systemänderung in ei- nem solchen Umfang durchführen möchte, dann sollte eine eindeutige und klare Definition am Beginn der Be- mühungen stehen, damit jeder weiß, worüber geredet wird. Wie eine solche Definition ausgestaltet sein kann, können Sie dem Änderungsantrag der FDP-Fraktion ent- nehmen, der unter Bezug auf die EU-Kommission eine klare Definition von offenen Standards beinhaltet. S t o v Ü b g n D d s n U s B d d n a P t s z g s A c e s f e g d d w t F r n S b t t o S u g W d r b (C (D Die direkte Forderung, die Migration hin zu offenen tandards mittelfristig durchzuführen, ist so nicht akzep- abel. Dies sage ich nicht etwa, weil ich der Nutzung von ffenen Standards ablehnend gegenüber stünde, sondern or allem deswegen, weil noch nicht einmal ein grober berblick über die anfallenden Kosten besteht. Es gab isher noch keinerlei Evaluierungen oder Kostenplanun- en seitens der Koalition. Wir reden hier schließlich icht von der Umstellung eines Computers mit ein paar ateien, sondern über die Dokumente des Bundes und er Länder. Dies sind sicherlich Milliarden, wenn nicht ogar Billionen Dokumente, deren Umwandlung sicher icht gratis ist und mit erheblichen Aufwand bei der mstellung von zum Beispiel Software, Arbeitsprozes- en usw. einhergeht. Jeder, der mal erlebt hat, wie zum eispiel in einem Unternehmen eine Softwareänderung urchgeführt wurde, weiß, was für ein enormer Aufwand amit einhergeht. Prozesse, Hardware, Abläufe, Richtli- ien usw., alles muss geändert und für das neue System ngepasst werden. Dies erfordert eine genaue vorherige lanung. Womit wir beim nächsten Punkt wären. Sie verpflich- en mit dem Antrag indirekt auch alle Unternehmen oder onstigen Organisationen, die mit der öffentlichen Hand usammenarbeiten, auf die neuen Standards umzustei- en. Die Belastungen für die einzelnen Unternehmen ind dabei noch in keinster Weise berücksichtigt worden. uch darüber hätten Sie sich eigentlich Gedanken ma- hen sollen! Ich kann hier nur eindringlich davor warnen, wieder in Kosten-Fass ohne Boden aufzumachen, bevor man ich nicht intensiv mit dem Umfang und den Kosten be- asst hat. Ein gutes Ziel wird wieder mal unausgereift in inen Antrag gegossen, ohne dass man sich über die Fol- en im Klaren ist. Ulla Lötzer (DIE LINKE): Wir behandeln den Antrag er Koalitionsfraktionen zu offenen Dokumentenstan- ards mitten in der Nacht. Allein dieser Fakt zeigt schon, elchen Stellenwert Union und SPD ihrem eigenen An- rag beimessen. Und es zeigt, wie ernst sie es mit der örderung von offenen Standards meinen! Wahrscheinlich hoffen die Koalitionsfraktionen da- auf, dass um diese Uhrzeit niemand mehr so genau achschaut, was da eigentlich gefördert werden soll. chließlich hätten Sie ihren Antrag genauso gut „Wett- ewerb einschränken! Microsoft-Standards fördern“ be- iteln können. Sicherlich – im Großen und Ganzen liest sich der An- rag der Koalitionsfraktionen gut. Eine Förderung von ffenen Dokumentenstandards ist schon lange überfällig. olche Standards schaffen Arbeitserleichterungen durch mfassende Kompatibilität. Außerdem wird durch sie rundsätzlich einer Monopolisierung vorgebeugt und ein ettbewerb bei IT-Anwendungen ermöglicht. Ich kann er Koalition ausdrücklich recht geben, wenn sie in ih- em Antrag die Vorteile offener Dokumentenstandards eschreibt. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11259 (A) ) (B) ) Aber der Teufel steckt wie immer im Detail; in die- sem Falle in Abs. 13 des Feststellungsteils. Dort erläu- tern Union und SPD, was sie unter offenen Standards verstehen. Im ursprünglichen Entwurf hieß es unter an- derem, die Nutzung offener Standards müsse „zu fairen und diskriminierungsfreien Konditionen lizenziert wer- den“. „Fair und diskriminierungsfrei“ spielte auf den englischen Fachbegriff „Reasonable And Non-Discrimi- natory“ – RAND – an. RAND-Standards sind Standards, für deren Nutzung in der Regel Lizenzgebühren bezahlt oder sonstige hinderliche Bedingungen erfüllt werden müssen. Solche Standards sind mit den Geschäftsmodel- len von Anbietern „freier Software“ unkompatibel. Und RAND-Standards sind vor allem keine offenen Stan- dards – auch wenn Softwaremonopolisten versuchen, uns etwas anderes zu erzählen. Obwohl dieses teuflische Detail im ursprünglichen Antragsentwurf so gut versteckt war, haben es alle Op- positionsfraktionen erkannt und Änderungsanträge gestellt. Aktivisten aus der Freie-Softwareszene und mit- telständische Softwareunternehmer haben Alarm ge- schlagen und auf die möglichen Folgen aufmerksam ge- macht. Und was macht die große Koalition? Sie hat die kritische Stelle durch eine genauso schlechte Formulie- rung ersetzt. Jetzt heißt es in Abs. 13: „Die Ausgestaltung der Nut- zungsbedingungen soll den Vorgaben der internationalen Standardisierungsorganisationen entsprechen.“ Mit die- sem Satz soll das Gefühl vermittelt werden, man orien- tiere sich an unabhängigen, internationalen Gremien und werde so allen verschiedenen Interessengruppen gerecht. Das ist nicht der Fall! Es gibt keine einheitliche, akzeptable Definition von offenen Standards bei den drei führenden Standardisie- rungsorganisationen IEC, ISO und ITU. Allerdings ha- ben sich diese Organisationen vor kurzem auf eine gemeinsame Patentpolitik bei internationalen (!) Stan- dards geeinigt. Die Einigung sieht ausdrücklich vor, dass bei patentierten Bestandteilen von Standards RAND- Lizenzen verwendet, also Nutzungsgebühren verlangt werden können. Was hat die große Koalition also ge- macht? Sie hat einen Änderungsantrag zu ihrem eigenen Antrag geschrieben, der eine Formulierung durch eine gleichbedeutende ersetzt. Diese Arbeit hätten sie sich ei- gentlich sparen können. Die Koalition behauptet, sie würde mit ihrem Antrag einen Ausgleich zwischen Anbietern freier Software und Softwaremonopolisten schaffen. Das stimmt nicht! Den Vorschlag der Linken, im Antragstext wenigstens explizit klarzustellen, dass die Anwendung der Stan- dards unabhängig vom Geschäftsmodell möglich sein soll, haben die Koalitionsfraktionen abgelehnt. Damit haben sie klargestellt, dass es ihnen um eine einseitige Bevorzugung von Microsoft gegenüber den Geschäfts- modellen von Anbietern freier Software geht. Eine Förderung von offenen Standards ist dringend geboten. Und gerade deshalb muss der vorliegende An- trag abgelehnt werden. Mit ihm werden keine offenen S s L a E i c e s s B s w s e d l c m g u h F t f S l l t t w s – w e s Z W n k J s d w A s m d (C (D tandards gefördert, sondern gebührenpflichtige Bezahl- tandards. Die Linke wird diesen Kniefall vor den Microsoft- obbyisten nicht mitmachen. Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): 1086, lso vor tatsächlich sehr langer Zeit, ließ Wilhelm der roberer die Besitzverhältnisse in England erfassen und m „Domesday Book“ aufschreiben. Der Titel des Bu- hes nimmt Bezug auf den Tag des jüngsten Gerichts – s sollte angedeutet werden, dass der Inhalt gültig bleibt, olange es Menschen gibt. Bis heute ist das Buch gut erhalten und in den briti- chen National Archives aufbewahrt. 1986 wurde das uch für 2,5 Millionen Pfund in einer auf Videodiscs ge- peicherten Multimedia-Show gewürdigt. Leider aber ar es schon 2003 nicht mehr möglich, die Show anzu- ehen – die Produktion der Videodisc-Abspielgeräte war ingestellt worden, die verwendeten Dateiformate wer- en von keiner Software mehr unterstützt. Dieser geschichtliche Ausflug zeigt uns, welche Mög- ichkeiten offene Standards bieten können. Um eine sol- he Multimediashow der Nachwelt zu erhalten, hätte an gut dokumentierte, offen zugängliche und breit ab- estützte Standards gebraucht, mit denen sich Struktur nd Aussehen von Dateien beschreiben lassen – dann ätte die Show zukunftsfähig in ein neues langlebiges ormat migriert werden können. Offene Standards sind unserer Ansicht nach der rich- ige Weg, um Dokumente den Lesern und Nutzern auch ür die Zukunft zu erhalten: Produkte, die auf offenen tandards basieren, sind nicht abhängig vom wirtschaft- ichen Erfolg oder Misserfolg eines einzelnen Herstel- ers. Sie sind investitionssicher und können kostengüns- ig in vorhandene Systeme implementiert werden. Deshalb liegt in zweiter Lesung ein Antrag der Koali- ion vor, die vorgibt, dies ändern zu wollen. Eigentlich äre diese Initiative ein äußerst begrüßenswerter Vor- toß. Auch wenn der angesetzte Zeitpunkt dieser Debatte zu nachtschlafender Zeit – einen anderen Eindruck er- eckt: Offene Standards gehören zu den Grundpfeilern iner funktionierenden Wissensgesellschaft. Sie erleichtern den Wissenstransfer in der Gesell- chaft. Kleinen und mittleren Unternehmen wird der ugang zu Informationsmärkten erleichtert und der ettbewerb im Bereich der Informations- und Kommu- ikationstechnologien wird durch Herstellerunabhängig- eit gestärkt. Durch die Entwicklung des Internets in den letzten ahren wird uns deutlich, wie sinnvoll offene Standards ind. Der HTML-Standard hat die Nutzung vereinfacht, ie Verbreitung beschleunigt und letztendlich dem welt- eiten Netz zu Popularität und Wachstum verholfen. Das Ärgerliche ist: die große Koalition gibt mit ihrem ntrag lediglich vor, offene Standards zu fördern. Tat- ächlich aber verkauft sie eine Hülle, hinter der sich eine ittelstands- und wissenschaftsfeindliche Privilegierung er Softwaregiganten verbirgt. 11260 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 (A) ) (B) ) Der Teufel steckt hier im Detail – ein einziger Halb- satz des Antrags macht die vorgetäuschte Intention des Antrags zunichte. Dort heißt es: Die Schnittstellen müssen offen gelegt, die techni- schen Spezifikationen auch umsetzbar sein. Die Ausgestaltung der Nutzungsbedingungen soll dabei den Vorgaben der internationalen Standardisie- rungsorganisationen entsprechen. Die internationalen Organisationen haben jedoch un- terschiedliche Vorgaben für die Nutzung von Standards; einige akzeptieren lizenzpflichtige Standards. Damit de- finieren sie einfach neu, welche Standards das Etikett „offen“ erhalten. Das diese tatsächlich gar nicht „offen“ sind, wird erst auf den zweiten Blick deutlich. Mit dieser Definition sind offene Standards so weit gefasst, dass da- mit gebührenpflichtige, patentierte Standards nicht aus- geschlossen sind. Offene Standards zeichnen sich aber gerade dadurch aus, dass sie eben nicht als geistiges oder geldwertes Ei- gentum eines einzelnen Unternehmens gelten. Offene Standards sind von verschiedenen Akteuren aus dem IT- Bereich entwickelt und sind öffentlich zur Verfügung ge- stellt. Denn nur diese Vorraussetzungen bringen den ent- scheidenden Mehrwert für unsere Wirtschaft und Gesell- schaft. Nur dann weisen offene Standards eine höhere Kompatibilität auf. Nur dann sind sie lizenzfrei, nur dann sind sie gebührenfrei anwendbar und nur dann ist die Fortentwicklung im offenen Beratungsprozess durch alle interessierten Parteien gewährleistet. Das Europäische Interoperabilitätsrahmenwerk der Europäischen Kommission hat eine Definition offener Standards festgelegt, die all diese Bedingungen erfüllt. Doch die Koalition geht lieber einen deutschen Sonder- weg. Sie definiert einfach um, was als offener Standard gelten soll. Die grundsätzliche Intention ihres Antrags ist dadurch zunichte gemacht. Das ist so, als würde man umweltfreundliche Autos fördern wollen, indem man Benzinschluckern wie die großen Sportgeländewagen – Q7, X5, Touareg und wie sie alle heißen – das Label „umweltfreundlich“ gewährt. Auch wenn diese gerne mal 12 Liter auf 100 km schlu- cken und eine miserable CO2-Bilanz aufweisen. Ebenso verhält sich das mit der Umdefinition offener Standards im uns vorliegenden Antrag. Es handelt sich um eine Ir- reführung sondergleichen. Die große Koalition vergibt hier ohne Not die gewal- tige Chance, große Verbesserungen für die kleinen und mittelständischen Unternehmen, für Wissenschaft und Forschung, für Bibliotheken und die Verwaltung durch die Förderung offener Standards zu schaffen. Nichts dergleichen aber tut sie mit diesem Antrag! Stattdessen stärkt sie die Monopolisten und schützt sie vor innovativen Konkurrenten. Dieser Antrag ist eine unglaubliche Dienstleistung für allseits bekannte Lobby- isten. Die Koalition möchte in das bestehende Marktmodell nicht eingreifen; das aber geschieht hiermit. Anbieter freier Software werden diskriminiert, da sie keine Mittel b w l n s „ n S b a w u A s e A R O t l d M e s d n t m Z R g z b t a M c d (C (D ereitstellen können, um Standards zu lizenzieren. Daher ürden wir es vorziehen, die Koalition würde es sein assen mit diesem Antrag, denn er gibt etwas vor, was er icht halten kann. Wir haben unsere Verhandlungsbereitschaft mehrmals ignalisiert und ihnen verschiedene andere Definitionen offener Standards“ vorgeschlagen. Alle wurden von Ih- en abgelehnt. Das zeigt, dass Ihnen der Mittelstand völlig egal ist. ie wollen die großen Player im Markt stärken. Dann itte seien sie so ehrlich und betiteln sie Ihren Antrag uch entsprechend. Wie wäre es mit „Microsoft im Soft- aremarkt stärken“? Aus den genannten Gründen haben wir dem Antrag nsere Zustimmung verwehrt. nlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Ermäßigung der Visumgebühr für Men- schen aus Belarus – Ermäßigung der Visumgebühr für Bürge- rinnen und Bürger aus Belarus (Zusatztagesordnungspunkte 12 und 13) Manfred Grund (CDU/CSU): Die autoritäre Herr- chaft Präsident Lukaschenkos dauert seit 1994 an. Vor twas mehr als einem Jahr ließ er sich für eine weitere mtszeit als Staatschef bestätigen. Dies geschah im ahmen von Wahlen, die von den Wahlbeobachtern der SZE, zu denen auch ich gehört habe, als undemokra- isch und manipuliert bewertet wurden. Fast eine ganze Generation junger Belarussen hat bis- ang kein anderes politisches System kennengelernt als as Regime Lukaschenkos. In diesem Regime wird die einungsfreiheit unterdrückt. Unabhängige Medien xistieren nicht mehr. Politische Gegner sind ver- chwunden oder zu Haftstrafen verurteilt worden. Präsi- entschaftskandidat Alexander Kozulin befindet sich ach wie vor im Gefängnis, allen internationalen Protes- en zum Trotz. Menschenrechte werden missachtet. Es fehlt an De- okratie, Rechtstaatlichkeit und Pluralismus. Auch die ivilgesellschaft ist entsprechend unterentwickelt. Das egime rechtfertigt sich mit einer antiwestlichen Propa- anda und versucht, Belarus von äußeren Einflüssen ab- uschotten. Die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen wird ehindert, wenn nicht unmöglich gemacht. Davon be- roffen ist unter anderem auch die politische Bildungs- rbeit der parteinahen Stiftungen in Deutschland. Die öglichkeiten, auf die Bildungs- und Informations- hancen in Belarus Einfluss zu nehmen, sind begrenzt. Umso wichtiger ist es, dass gerade junge Belarussen ie Chance erhalten, durch Auslandsreisen in westliche Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11261 (A) ) (B) ) Länder eigene Eindrücke von demokratischen und rechts- staatlichen Verhältnissen zu gewinnen. Heute müssen wir uns fragen, mit welchen Erfahrungen, welchen Ideen und Werten die kommende Generation von Belarussen heranwächst, eine Generation, die in absehbarer Zeit die politische Verantwortung für ihr Land tragen wird – Ver- antwortung als Bürger und Wähler und in politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Funktionen. Darüber wird sich die Zukunft von Belarus maßgeb- lich mit entscheiden und damit auch eine Frage von Sta- bilität und Sicherheit an den heutigen Außengrenzen der EU. Deshalb liegt die Eröffnung von Reisemöglichkei- ten für junge Belarussen grundsätzlich im übergeordne- ten Interesse auch Deutschlands und der EU. In diesem Ziel sind sich Vertreter aller Fraktionen einig. Hinzu kommt ein weiteres Motiv, das ich nicht uner- wähnt lassen will. Dies betrifft die Besuchs-, Erholungs- und Behandlungsmöglichkeiten für Tschernobylkinder, an denen wir festhalten möchten. Die bisherige Visapolitik hat diesen Zielen durchaus Rechnung getragen. Pro Kopf der Bevölkerung wurden in Belarus im vergangenen Jahr mehr als drei Mal so viele Schengenvisa ausgestellt wie beispielsweise in der Ukraine. Jedoch wurden zu Beginn dieses Jahres die Gebühren für Schengenvisa von 35 auf 60 Euro erhöht. Gemessen am durchschnittlichen Monatseinkommen in Belarus er- reichen sie damit ein Niveau, das die Reisemöglichkei- ten vieler Bürger allein aus finanziellen Gründen deut- lich beeinträchtigt. Die beiden Anträge, die Ihnen heute vorliegen, zielen darauf, diese Hürde nach Möglichkeit abzubauen. Es geht nicht darum, die Erlangung von Visa tatsächlich zu erleichtern, indem die Kriterien für die Vergabe geändert oder relativiert werden sollten, sondern es geht um die Möglichkeit Gebühren zu ermäßigen, wenn diese Krite- rien erfüllt sind. In diesem Ziel sind wir uns einig. Mit anderen Ländern Osteuropas wurden oder werden Visaerleichterungsabkommen ausgehandelt. Doch in Belarus hat die Regierung bislang wenig ernsthaftes In- teresse an Reiseerleichterungen für ihre Bürger gezeigt. Für uns stellt sich damit die Frage, ob wir Lukaschenko nicht unfreiwillig unterstützen, wenn wir in diesem Fall nicht auch zu einseitigen Schritten bereit sind. Die vorliegenden Anträge versuchen, eine Antwort auf dieses Problem zu geben. Ihre Formulierungen sind über weite Strecken das Produkt interfraktioneller Ab- stimmungen und deshalb identisch. In den Intentionen stimmen wir mit dem Antrag der Fraktionen des Bünd- nisses 90/Die Grünen und der FDP überein. Wenn wir ihm in dieser Form trotzdem die Zustimmung versagen müssen, so hat dies rechtliche Gründe: In beiden Anträgen wird auf die Entscheidung des EU-Ministerrates vom 1. Juni 2006 verwiesen, die ein- zelfallbezogene Gebührenermäßigung für Schengenvisa zulässt. Zugleich wird auf die weiter gehenden Regelun- gen der deutschen Aufenthaltsverordnung Bezug ge- nommen, nach der Ermäßigungen für ganze Personen- g n b G V t d f i w g n w s n g c r w d p w m z A s P F b w d E r s h g K s D t s m a d n n d w W k h Z (C (D ruppen möglich wären. Aber diese Regelungen gelten icht unabhängig von den EU-Bestimmungen. Das Pro- lem, das der Antrag der Fraktionen von Bündnis 90/Die rünen und der FDP aufwirft, liegt darin, dass dieser orbehalt nicht berücksichtigt wird. In der vorliegenden Fassung bezieht sich dieser An- rag auf die Einzelfallregelung des Ratsbeschlusses, um ann aber zur Ermäßigung oder Befreiung von Gebühren ür ganze Personengruppen aufzufordern. Insbesondere st vorgesehen, die Visumgebühr generell zu ermäßigen, enn Antragsteller nur über geringe Einkommen verfü- en. Unabhängig von der Frage der politischen Opportu- ität oder Inopportunität einer solchen Regelung sind ir der Überzeugung, dass dieses Paradoxon einer pau- chalen Einzelfallermäßigung mit den Rechtsgrundlagen icht zu vereinbaren ist. Deshalb haben wir einen abgewandelten Antrag vor- elegt. Darin haben wir erstens die Forderung gestri- hen, pauschal die Gebühren für alle Personen mit nied- igen Einkommen zu ermäßigen. Zweitens haben wir die idersprüchlich erscheinende Formulierung, nach der ie unter Abschnitt II Punkt 2 genannten Personengrup- en „im jeweiligen Einzelfall“ von Gebühren befreit erden sollen, durch die in unseren Augen rechtskonfor- ere Aufforderung ersetzt, solche Personen besonders u berücksichtigen. Drittens möchten wir auch noch die ngehörigen kirchlicher Organisationen mit einbezogen ehen. Ich gehe aber davon aus, dass dies kein strittiger unkt gewesen wäre. Unser Antrag greift die gemeinsam abgestimmten ormulierungen auf, passt die Forderungen aber an die estehende Rechtslage an. Es wäre mein Wunsch, dass ir in dieser Frage eine Klärung herbeiführen könnten, ie vielleicht doch noch den Weg zu einer gemeinsamen ntschließung bereiten könnte. Ute Zapf (SPD): Der Bundestag beobachtet seit Jah- en die Entwicklung in Belarus sehr aufmerksam und hat ich schon oft mit Anträgen zu Belarus beschäftigt. Wir aben hier eine kleine, aber sehr aktive Parlamentarier- ruppe, in der sich äußerst engagierte Kolleginnen und ollegen mit Belarus beschäftigen. Der deutsche Botschafter in Minsk unterstützt uns ehr bei der Arbeit und ist seinerseits bemüht um einen ialog auf allen Ebenen: der Regierung, der Administra- ion und nicht zuletzt der Opposition und der Zivilgesell- chaft. Unser gemeinsames Ziel sind Fortschritte für die De- okratie und die Gesellschaft in Belarus. Dazu gehört uch die Unterstützung zahlreicher Projekte, die durch ie Bundesregierung, insbesondere durch das BMZ, fi- anziert und durch das Institut für Bildung und Begeg- ung in Dortmund und Minsk koordiniert werden. Mit iesen Projekten unterstützen wir Belarus humanitär, as die Folgen des Unfalls von Tschernobyl anbelangt. ir unterstützen soziale und Bildungsprojekte, wir nüpfen und verdichten aber auch Kontakte und Bezie- ungen zwischen der deutschen und der belarussischen ivilgesellschaft. 11262 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 (A) ) (B) ) Gerade die Arbeit dieser zivilgesellschaftlichen Pro- jekte befindet sich auf einer Gratwanderung. Sie sind immer bedroht von Behinderungen durch die Adminis- tration, die jede eigenständige Regung in der Gesell- schaft ängstlich beobachtet. In den letzten Jahren, insbesondere im Vorfeld der Präsidentenwahlen vom März 2006, hat sich die Situa- tion in vieler Hinsicht verschlechtert. Die Arbeitsmög- lichkeiten für die Presse wurden dramatisch verschlech- tert. Unabhängige Zeitungen können nicht mehr über die üblichen Verteilersysteme verteilt werden. In der Folge mussten viele schließen. Eigenständige Journalisten und Oppositionspolitiker werden politisch verfolgt und mit fadenscheinigen Be- gründungen ins Gefängnis gesteckt. Einige Journalisten sind seit Jahren verschwunden, und die belarussischen Behörden zeigen kein ernsthaftes Interesse an einer Auf- klärung der Fälle. Die Europäische Humanistische Universität wurde geschlossen; demokratieorientierte Studenten wurden unter Druck gesetzt. Gerade vor diesem Hintergrund ist es unser Interesse, die Kontakte und die Gesprächsmög- lichkeiten der deutschen und der belarussischen Zivilge- sellschaft zu verstärken und auszubauen. Diesem Ziel dient unser Antrag. Er will einige Härten der Visabeschlüsse im Rahmen von Schengen ausgleichen. Die belarussische Zivilge- sellschaft ist von den Beschlüssen, insbesondere von der Erhöhung der Visumgebühren, betroffen, und wir wollen das zum Teil ausgleichen. Im Fall anderer Staaten wie der Ukraine gibt es Sonderabkommen zwischen der Eu- ropäischen Union und dem jeweiligen Land. Mit Belarus ist das aufgrund seiner isolierten Lage in Europa nicht möglich. Wir müssen aber verhindern, dass darunter die Fal- schen, nämlich die Zivilgesellschaft und insbesondere die jungen Menschen in Belarus leiden müssen. Diesem Ziel soll unser Beschluss dienen. Dabei kommt es darauf an, den Spielraum zu nutzen, den wir haben, um gerade den Menschen in Belarus zu helfen, die die Verbreitung der europäischen Idee wol- len. Besonders jungen Menschen sollten wir die Chance geben, uns, unsere Gesellschaft, unser politisches Sys- tem direkt kennenzulernen. Wir müssen das im Rahmen des Schengenabkom- mens tun, das uns die Hände bindet. Belarus hat seine Hausaufgaben noch nicht gemacht, denn es erfüllt nicht die Verpflichtungen, die es als OSZE-Mitglied selbst unterzeichnet hat. Dennoch waren in letzter Zeit einige Fortschritte zu sehen. Zum Beispiel konnte im Rahmen der ad hoc Working Group on Bela- rus im März dieses Jahres ein Seminar durchgeführt wer- den, bei dem Vertreter des belarussischen Parlamentes erstmals seit langem wieder einen offenen Dialog mit Vertretern der Zivilgesellschaft und der politischen Op- position geführt haben. Es gibt eine Hoffnung, dass die Europäische Kom- mission in Minsk eine Vertretung eröffnen kann. Zumin- d w S s n d g c d l P D p r n u k m u R a d n h M s k z u B e A i g s t d m u b w A L s u I d l w l l L (C (D est gibt es entsprechende Signale aus Belarus. Hoffen ir, dass es dazu kommen wird. Auch das wäre ein chritt in Richtung einer Annäherung an die Europäi- che Union. Wir – damit meine ich die Europäische Union, nicht ur Deutschland – sind für Belarus ein wichtiger Han- elspartner. Damit können wir auch Druck auf die Re- ierung und die Administration ausüben. Die EU hat im letzten November Belarus weitrei- hende Vorschläge unterbreitet. Kern des Angebots war, as Belarus sich an der europäischen Nachbarschaftspo- itik beteiligen könne und damit in den Genuss eines artnerschaftsverhältnisses mit der EU kommen könnte. avon würde die gesamte belarussische Gesellschaft rofitieren. Es hätte Reiseerleichterungen für die bela- ussischen Bürger zur Folge. Es würde die Chancen ei- es wirtschaftlichen Aufschwungs aufgrund von Handel nd Kooperation erhöhen. Die medizinische Versorgung önnte verbessert werden. Dazu muss Belarus aber auch der EU entgegenkom- en, sich den Standards der EU sichtbar, substanziell nd nachhaltig annähern. Dazu gehört unter anderem die espektierung der Rechte der Bürgerinnen und Bürger uf freie und demokratischen Wahlen, die Respektierung er Rechte auf unabhängige Informationen und Mei- ungsfreiheit, die Respektierung der Versammlungsfrei- eit, die Freilassung aller politischen Gefangenen, der inderheitenschutz, und die Abschaffung der Todes- trafe. Belarus hat diese Prinzipien als OSZE-Mitglied aner- annt und hat hier eine Bringschuld. Ich will diesen Pro- ess weiter durch einen möglichst breiten, auch offenen nd konsequenten Dialog mit den politischen Kräften in elarus fördern. Ich hoffe, dass wir im parlamentarischen Verfahren zu inem von einer möglichst breiten Mehrheit getragenen ntrag kommen. Das war leider bisher nicht möglich, da n vielen Köpfen noch das Ukrainetrauma der Visumver- abe kreist. Der politische Mehrwert wäre meiner An- icht nach höher, wenn wir zu einem gemeinsamen An- rag kommen könnten. Michael Link (Heilbronn) (FDP): Bereits zu Beginn es vergangenen Jahres haben wir im Zusammenhang it den dort anstehenden Präsidentschaftswahlen über nseren östlichen EU-Nachbarn Belarus debattiert. Da- ei herrschte in der Analyse des Zustands des Landes eitgehende Einigkeit in diesem Hause: Seit seinem mtsantritt im Jahre 1994 führte Alexander ukaschenko wieder diktatorische Verhältnisse sowjeti- cher Prägung ein. Freiheitsrechte wie die Meinungs- nd Versammlungsfreiheit werden mit Füßen getreten. mmer wieder werden wir mit Nachrichten konfrontiert, ass Journalisten, Studenten und Oppositionelle aus po- itischen Gründen verhaftet und körperlich misshandelt erden. Verschiedene Vorgänge vor und nach den Wah- en im März letzten Jahres förderten entsprechende Be- ege zutage. Die Hoffnung auf mehr Demokratie für das and wurde ein weiteres Mal enttäuscht. So wurden die Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11263 (A) ) (B) ) Wahlen unter anderem von der Ankündigung des Ge- heimdienstes begleitet, gegen Gegner der Regierung mit lebenslanger Haft und sogar Todesstrafen vorzugehen. Völlig zu Recht bezeichnete Aljaksandr Milinkewitsch diesen Urnengang als eine Farce. Dies dürfen wir nicht vergessen! So vergessen wir auch nicht Alexander Kasulin. Der ehemalige Präsidentschaftskandidat wurde zu fünfein- halb Jahren Gefängnis verurteilt. Alexander Kasulin wurde allein wegen der Wahrnehmung seines Rechts auf freie Meinungsäußerung, Versammlungs- und Vereini- gungsfreiheit inhaftiert („Frankfurter Rundschau“, 19. Juni). Nicht weiter verwunderlich ist dabei auch, dass Lukaschenko nun auch eine „strategische Partner- schaft“ mit Herrn Ahmadinedschad eingegangen ist („Die Welt“, 23. Mai). Fast ist man versucht, zu sagen: „Gleich und gleich gesellt sich gern! Anatoli Lebedko hat recht, wenn er sagt, dass das, was diese „Herrschaf- ten“ miteinander verbindet, die Ablehnung unserer ge- meinsamen pluralistischen europäischen Werte ist. Es ist unsere Pflicht, dass wir den demokratischen und zivilgesellschaftlichen Kräften Weißrusslands un- sere volle Unterstützung garantieren. Kontraproduktiv ist hierbei aus unserer Sicht der Entschluss der Justiz- und Innenminister der EU, die Visumgebühren für Schengenvisa zum 1. Januar dieses Jahres zu erhöhen. Denn für die Bürger Weißrusslands bedeutet dies, dass hiermit ein weiteres Freiheitsrecht zumindest einge- schränkt und für viele Menschen schlicht unbezahlbar wird. Im Übrigen ist es auch bedauerlich, dass das Man- dat des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen für Belarus (sowie für Kuba) nicht verlängert worden ist, zur Freude von Herrn Lukaschenko. Auch ist es paradoxerweise indirekt in Lukaschenkos Sinne, dass es mit der Erhöhung der Visagebühren für zahlreiche Weißrussen letztendlich unmöglich wird, aus- zureisen und sich mit Menschen der Europäischen Union auszutauschen. So kann das selbsternannte „Väterchen“ sein Volk weiterhin monopolistisch ausrichten und mit seiner Ideologie versorgen. Ohne die Möglichkeit zum eigenen Augenschein über den Westen sind die Weißrus- sen so alleine der verzerrten Wahrnehmung des Westens in den gleichgeschalteten Medien ausgesetzt. Leider werden von den erhöhten Visagebühren in ers- ter Linie junge Menschen betroffen sein. Dabei ist es ge- rade die junge Generation in Belarus, die für den Aufbau und die Fortentwicklung einer Zivilgesellschaft ent- scheidend ist: durch den Kontakt mit der Außenwelt, mit Gleichgesinnten oder schlicht der Erweiterung des eige- nen Horizonts. In seinem Grußwort an das weißrussische Volk vom 25. März dieses Jahres brachte es Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso mit der Idee des vereinten Europa und seiner über fünf Jahrzehnte erzielten Errungenschaf- ten auf den Punkt: „Jene Errungenschaften sind untrenn- bar mit den tief verwurzelten demokratischen Werten der Demokratie, der Menschenrechte und der Rechtsstaat- lichkeit verknüpft.“ Und Belarus befindet sich in dieser Hinsicht leider noch auf einem langen Weg. s s d ß g z a u s g M a s M h A z d g d A U d r J d r g V p U b t a d W t z O g d g W e M V s k w (C (D Die europäische Nachbarschaftspolitik ist ein Bau- tein zur Unterstützung der demokratischen Opposition owie der weißrussischen Zivilgesellschaft. Kernziele er grenzübergreifenden Zusammenarbeit an den Au- engrenzen der Union sind: Förderung einer nachhalti- en Entwicklung auf beiden Seiten der EU-Außengren- en, Verringerung der Unterschiede im Lebensstandard n diesen Grenzen, Bewältigung der Herausforderungen nd Nutzung der Chancen, die sich aus der Nachbar- chaft zur Europäischen Union ergeben. Zentral ist für mich dabei die Förderung lokaler renzübergreifender sogenannter „people-to-people“- aßnahmen. Hier sollen zusätzlich zu den Maßnahmen uf nationaler und regionaler Ebene Möglichkeiten ge- chaffen werden, die direkten Kontakte zwischen den enschen und Zivilgesellschaften auszubauen. Eine Er- öhung der Visagebühren ist dabei kontraproduktiv! Wir fordern die Bundesregierung auf, nicht nur einen ppell zur wohlwollenden Behandlung der Visaanträge u formulieren – dies ist nicht ausreichend –, sondern arauf hinzuwirken, junge Menschen, Künstler und An- ehörige von Menschrechtsorganisationen generell von er Visumgebühr zu befreien. Wir haben bereits in zwei nträgen den demokratischen Kräften in Belarus unsere nterstützung zugesichert. In diesem Fall könnten wir ie Unterstützung konkret umsetzen. Jetzt müssen unse- en Worten endlich Taten folgen. Dr. Norman Paech (DIE LINKE): Vor gut einem ahr haben wir in diesem Hause über die Unterstützung er Demokratiebewegung in Belarus debattiert. Wir wa- en uns damals in vielen Punkten einig: in der Verteidi- ung des Demonstrationsrechts, in der Kritik an den erhaftungen friedlicher Demonstranten und der Sus- endierung kritischer Studentinnen and Studenten von niversitäten und Schulen. Uneins waren wir in der Frage, wie die Demokratie- ewegung in Belarus zu unterstützen sei. Unsere Frak- ion hat sich damals wie heute für den Weg des Dialogs usgesprochen, nicht den Weg der Sanktionen, wie ihn er Antrag von FDP und Grünen forderte. Heute müssen wir sagen: Der damals eingeschlagene eg der Sanktionen ist gescheitert. Das Ziel der Sank- ionen, die Administration des Präsidenten Lukaschenko u mehr Demokratie zu bewegen, die Möglichkeiten der pposition zu verbessern, ist nicht eingetreten, im Ge- enteil: Die Situation in Belarus ist heute verhärteter enn je. Die Linke hat sich für die Rechte der Opposition en- agiert, im Bundestag und in bilateralen Gesprächen. ir wollten eine solche Verhärtung vermeiden durch ine Einbindung des Landes in den europäischen Dialog. ehr Kontakte, mehr Gespräche, mehr Reisen, mehr erträge mit der Regierung, der Opposition und den ge- ellschaftlichen Gruppen – das war das Konzept der Lin- en. In dem heute vorliegenden Antrag ist weder eine Be- ertung des damals eingeschlagenen Kurses der Sank- 11264 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 (A) ) (B) ) tionen zu finden noch irgendeine Art des Konzepts zur Unterstützung der Demokratiebewegung. Stattdessen fordert der Antrag, die Visagebühren für einen begrenzten Personenkreis zu ermäßigen bzw. ganz darauf zu verzichten. Gegen die Senkung bzw. den Er- lass von Visagebühren hat die Linke nichts einzuwen- den. Wir wünschen uns einen Austausch von Schülerin- nen und Schülern, Studentinnen und Studenten, und würden es begrüßen, wenn die kulturellen und künstleri- schen Beziehungen ebenso wie die internationalen De- batten von Menschenrechtsorganisationen lebendiger werden könnten. Mit der Erleichterung, ein Visum zu erhalten, bei gleichzeitigem Festhalten an einer Politik der Isolation wird jedoch für die Menschen in Belarus nicht viel zu er- reichen sein. Die Kombination von Erleichterung des Reisens und politischem Dialog mit der weißrussischen Regierung hätte eine bessere Chance, die Beziehungen zu normalisieren. Dem Antrag fehlt es an einer Bilanz, und er hält an ei- ner gescheiterten Politik fest. Gegen Erleichterungen im Visaverfahren, wie in dem Antrag gefordert, haben wir nichts einzuwenden. Wir sind allerdings der Auffassung, dass diese als ein Angebot an die Regierung formuliert werden sollten und nicht als Kampfansage. In dieser Ab- wägung werden wir uns der Stimme enthalten. Marieluise Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In Belarus herrscht das restriktivste autokratische Regime in Europa. Es gibt keine freien Wahlen, Versammlungs- und Meinungsfreiheit werden nicht gewährt, oppositio- nelle Politiker werden systematisch verfolgt und zu ho- hen Haftstrafen verurteilt. Alle elektronischen Medien unterliegen der direkten Kontrolle der Präsidialadminis- tration, unabhängige Zeitungen dürfen nicht vertrieben werden und existieren damit faktisch nicht mehr. Wie auch in Russland wurden NGO- und Extremismusge- setze erlassen, die mit ihrer schwammigen Formulierung zur Verfolgung kritischer Stimmen dienen und zivilge- sellschaftliches Engagement im Keim ersticken sollen. Deshalb war es gut, dass der Bundestag sich aus An- lass der Präsidentenwahlen mit zwei Anträgen zu Bela- rus befasste und sich fast einmütig zur Unterstützung der weißrussischen Opposition in Belarus verpflichtete. Und es war wohltuend, dass die Bundeskanzlerin und Kom- missionspräsident Barroso in ihren Reden zu den Feier- lichkeiten der Römischen Verträge am 25. März 2007 den demokratischen Kräften in Belarus ebenfalls ihre Unterstützung zusagten. Das war überfällig, denn allzu lang war Belarus nur ein schwarzes Loch in der europäi- schen Nachbarschaftspolitik. Der EU fehlte schlichtweg ein Konzept im Umgang mit der letzten Diktatur Euro- pas. In seiner kürzlichen Erklärung zur Weiterentwicklung der europäschen Nachbarschaftspolitik betont Außenmi- nister Steinmeier die Bedeutung des zivilgesellschaftli- chen Austausches für die Transformationsstaaten in Ost- europa. Und tatsächlich haben wir mit dem freien Reiseverkehr, mit der Begegnung und dem Kontakt zwi- s d h w h d s u w h d V 2 s w B b v s F D t t d g b U b h k d z O r ß P a A F b F W s f p ß i g k d a k z a r (C (D chen Menschen das wirksamste Instrument der EU in er Hand, um eine Öffnung von Belarus zu fördern. Frei- eit ist verführerisch. Das wissen autoritäre Herrscher ie Lukaschenko – und wir sollten ihm nicht dabei be- ilflich sein, seine Menschen einzusperren. Wichtig ist ie Möglichkeit zu reisen vor allem für die jungen Men- chen des Landes; denn sie sind die zukünftigen Eliten, nd nach nunmehr 13 Jahren autoritärer Herrschaft ächst in diesem Lande eine „Generation Lukaschenko“ eran, die zeitlebens der Propaganda und Indoktrination es Regimes ausgesetzt war. Ohne es zu wollen, hat die EU mit der Erhöhung der isumgebühren für den Schengenraum zum 1. Januar 007 auf 60 Euro den Austausch der Menschen aber zu- ätzlich erschwert und schränkt auf diese Weise den Be- egungsspielraum für weißrussische Bürgerinnen und ürger ein. Ein Visum kostet nun fast ein Drittel eines elarussischen Monatseinkommens und ist damit für iele unerschwinglich. Die vielfältigen Kontakte, die es Jahr für Jahr zwi- chen deutschen und belarussischen Familien gibt, weil erienkinder zur gesundheitlichen Erholung nach eutschland kommen, sind über diese zusätzlichen Kos- en gefährdet. Ich weiß von Kollegen aus dem Bundes- ag, dass sie bei den Sponsoren „betteln“ gehen, um iese Kontakte nicht an den erhöhten Kosten der Visum- ebühren scheitern zu lassen. Es ist im Übrigen sehr vielsagend, dass nach der Ge- ührenerhöhung für die GUS-Staaten Russland und die kraine die Gebühren nach Antrag derer Regierungen ei 35 Euro geblieben sind. Die Regierung Lukaschenko at einen solchen Antrag nicht gestellt – sie hat nämlich ein Interesse, dass die Bürgerinnen und Bürger durch as Reisen mit der Erfahrung von Freiheit nach Belarus urückkehren. Belarus ist damit das einzige Land an der stgrenze der EU, das nun diese hohen Gebühren ent- ichten muss. Ich möchte mich an dieser Stelle explizit für die au- erordentlich kollegiale Haltung des Generalsekretärs ofalla bedanken, der durch eine gemeinsame Reise uch mir wieder den Zugang nach Belarus eröffnet hat. uf dieser gemeinsamen Reise konnten wir lernen, dass rankreich sehr klug die Politik des Einsperrens aushe- elt: Alle jungen Menschen bis 25, die ein Visum für rankreich beantragen, sind von den Kosten freigestellt. ir fanden dieses Vorgehen eine kluge Idee und wollten ie auch für die deutschen Konsulate umsetzen. Aber of- ensichtlich ist der Graben zwischen Außen- und Innen- olitikern immer noch so groß, dass es zu meinem gro- en Bedauern zu einer klaren und eindeutigen Regelung n einem interfraktionellen Antrag letztlich doch nicht ekommen ist. Dieser Konflikt ist uns Außenpolitikern allen be- annt. Wir erleben auf unseren Reisen immer wieder, ass der Austausch und die Begegnung gerade in Bezug uf Bürgerinnen und Bürger aus autoritären Staaten das lügste subversive Instrumentarium ist, um Freiheit suk- essive einsickern zu lassen. Die Innenpolitiker denken n die Sicherheit – und das ist auch gut so. Aber zu unse- er Sicherheit gehört auch, dass autoritäre Staaten sich Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11265 (A) ) (B) ) zu demokratischen entwickeln. Freiheit als Exportschla- ger, das ist Interessen- und Sicherheitspolitik. Insofern ist es absurd, dass die Innenpolitiker der Koalitionsfraktionen die ursprüngliche Idee so kleinge- kocht haben, dass von einer klaren Entscheidung für die Befreiung von den Kosten als Gegenstand eines inter- fraktionellen Antrages nichts weiter als eine windelwei- che „Kann-Bestimmung“ übrig geblieben ist. In den Botschaften und Konsulaten sitzen keine Unmenschen; aber aus der Praxis wissen wir, dass sie die Angst im Na- cken haben, zu liberal entschieden zu haben. Deswegen wäre die Erklärung eines klaren Willens des Parlaments für alle Seiten hilfreich gewesen. Ich möchte mich in diesem Zusammenhang herzlich bei der FDP bedanken, die nach wochenlangen Verhand- lungen und dem letztendlichen Nichtzustandekommen einer interfraktionellen Initiative mit der Koalition wei- terhin zu einem gemeinsamen Antrag mit den Grünen im ursprünglichen Sinne bereit war. Und vielleicht geschehen ja noch kleine Wunder. Die Anträge gehen nun in die Ausschüsse, und damit gibt es noch einmal einen Ort der Beratung. Vielleicht wird dann wenigstens im Jahre 2008 der Austausch etwa für Tschernobylkinder ohne die zusätzliche Last von 60 Euro Visumgebühren auskommen können. Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Deutschland, Ener- gieland der Zukunft – Energieforschung und Wettbewerb stärken (Tagesordnungspunkt 12) Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) (CDU/CSU): Der Antrag der FDP „Deutschland, Energieland der Zukunft“ weist nachdrücklich darauf hin, dass Forschung und Ent- wicklung für den derzeit stattfindenden Strukturwandel in der Energiewirtschaft unerlässlich sind und deutlich verstärkt werden müssen; denn sicherlich liegt nach sie- ben Jahren Rot-Grün hier immer noch einiges im Argen. Es ist daher folgerichtig, dass die FDP wirksame und zielgerichtete Aktionen im Bereich der Energiefor- schung einfordert, um die Zukunft unseres Landes im globalen Wandel erfolgreich zu meistern. Der Zielset- zung kann ich von daher uneingeschränkt zustimmen. Antrag mit Lücken – Energieforschung aus einem Guss: Sie verweisen zum Beispiel zu Recht auf die Pro- bleme der zwischen vier Ministerien zersplitterten Zu- ständigkeit der Bundesregierung im Energieforschungs- bereich. Viele Köche verderben den Brei, sagt der Volksmund, und trotzdem dauert dieser widrige Zustand weiter an. Leider erschöpfen Sie sich im Antrag hier in der Beschreibung des Problems. Als Opposition haben wir hier vor zwei Jahren bereits die Bündelung der Zu- ständigkeit in einem Ministerium gefordert; denn wir brauchen dringend eine Energieversorgung aus einem Guss. Das erspart uns vielfältige gegenseitige Blocka- den; denn wir brauchen Strukturen, bei denen das Mit- einander für eine gute Zukunft des Ganzen Oberhand g S v u B w z f b k t U h a a E r E G – u t F s V U m z K M d p u U P E g s w E d E r k H A A t m r i d m t d w E D (C (D ewinnt über lähmende Interessenkonfrontationen zum chaden aller hinweg. Deshalb brauchen wir aber keine öllige Neuausrichtung unserer Energieforschung. Alles mzuwerfen, nur weil in einigen, wenn auch wichtigen ereichen die Hausaufgaben nicht gemacht wurden, äre übertrieben und hieße, das Kind mit dem Bade aus- uschütten. Damit wäre keinem gedient. Gerade die Er- olge der jüngsten Vergangenheit geben doch Anlass zu erechtigter Hoffnung, dass wir auf einen guten Weg ommen. Ich denke da insbesondere an unsere High- echstrategie der Bundesregierung. Schavan macht zukunftsfähige Energieforschung: nsere Bundesforschungsministerin Annette Schavan at nicht nur erkannt, wohin es gehen muss, sie hat sich uch schon – so gut das in einer Koalition eben geht – uf den Weg gemacht und wertvolle Initiativen ergriffen. s spricht doch für sich, dass so wichtige Forschungsbe- eiche wie „Der Schutz des Klimas und eine nachhaltige nergieversorgung“ besonders von dem zusätzlichen eld profitieren sollen, das diese Bundesregierung endlich, muss man sagen – zusätzlich für Forschung nd Entwicklung zur Verfügung stellt. Das sind die zen- ralen Aufgaben, denen wir uns stellen und in denen die orschung weiter gestärkt wird. Die SPD zieht gemein- am mit an diesem Strang. Die Haushaltsmittel für die orsorgeforschung in den Bereichen Klima, Energie und mwelt steigen deshalb im Jahr 2008 um 16 Prozent auf ehr als 335 Millionen Euro. Mit der Hightechstrategie um Klimaschutz, die am 16. Oktober auf dem zweiten limaforschungsgipfel vorgestellt werden soll, will Frau inisterin Schavan darüber hinaus zusätzliches Geld aus er Wirtschaft mobilisieren. Kern der Strategie ist das artnerschaftliche Zusammenarbeiten von Wirtschaft nd Wissenschaft, das fruchtbare Zusammenwirken von nternehmen und öffentlicher Hand. Erfolge nicht kleinreden: Es sind nicht nur die neuen rogramme, die sich sehen lassen können. Die deutsche nergieforschung hat durchaus Erfolge aus den vergan- enen Jahrzehnten vorzuweisen. Nehmen wir zum Bei- piel die Dämmstoffforschung. Es ist doch kein Wunder, enn nach Jahren der Diskussion über die vorhandenen nergiesparpotenziale im Gebäudebestand immer lauter er Ruf staatlicher Unterstützung ertönt. Denn dort, wo nergieforschung helfen kann, Energie effizient zu spa- en, dürfen wir die Ergebnisse der Forschung nicht leinreden oder so tun, als wären wir hier völlig auf dem olzweg. Wenn es sich lohnt, dann müssen wir handeln. uch bei den erneuerbaren Energien sind Erfolge in ussicht. Die Entwicklung der Biomasse und die Geo- hermie sind Beispiele für vielversprechende Energiefor- en, die das Potenzial für die kontinuierliche Strombe- eitstellung haben. Hier müssen wir die Forschung, nsbesondere die angewandte Forschung, weiter stützen, amit wir auch morgen noch mit begehrten Produkten it hoher Wertschöpfung im Inland auf wichtigen Märk- en präsent sein werden. Ich denke hier insbesondere an en Energieanlagenbau. Wir sollten und wir müssen – das ist unsere Verant- ortung – wertvolle Ergebnisse zukunftsorientierter nergieforschung zum Nutzen aller zur Anwendung in eutschland bringen. Dass wir dabei sorgfältig abwägen 11266 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 (A) ) (B) ) müssen zwischen den Zielen des Klimaschutzes, der Versorgungssicherheit, der Wirtschaftlichkeit, des Um- weltschutzes und der sozialen Verträglichkeit, versteht sich von selbst. Deshalb haben Sie völlig recht, wenn Sie in Ihrem Antrag fordern, dass wir die kerntechnische Forschung nicht weiter so stiefmütterlich behandeln dür- fen wie bisher. Da laufen sie weit offene Türen ein. Wenn wir die Bedrohung durch den von Menschen ge- machten Klimawandel ernst nehmen, dann können wir selbstverständlich die Kernenergie nicht vernachlässi- gen. Das hat doch der Energiegipfel am Dienstag dieser Woche nur allzu deutlich gemacht. Wir können diese Schlüsseltechnologie für die Zukunft heute nicht aufge- ben. Wir dürfen uns auch der weltweiten Entwicklung und der Entwicklung in unseren Nachbarländern nicht weiter verschließen. Wenn wir eine führende Industrie- nation bleiben wollen, dann müssen wir uns alle gemein- sam hier wieder öffnen. Die Kernenergie steht heute in Deutschland für über 75 Prozent der CO2-freien Stromerzeugung und in der Welt für fast 50 Prozent. Sie zu beenden, ist klimapoli- tisch widersinnig, und auf die Forschung zu verzichten wäre fahrlässig; denn Forschung für das Klima heißt Forschung an allen CO2-freien Energieerzeugungen, Steigerung der Effizienz bei den fossilen Energieträgern und Entwicklung neuer Verfahren, wie zum Beispiel der CO2-Abscheidung und -Speicherung. Deshalb müssen wir weiterhin und verstärkt die Kernforschung vorantrei- ben. Sicherheitstechnische Fragen, Fragen zu neuen Re- aktorkonzepten und Fragen der Endlagerung müssen be- trachtet werden. Wir können es uns nicht leisten, uns in Deutschland bei zukunftsweisenden Technologien dau- erhaft auszuklinken und uns in diesem wichtigen Be- reich der Daseinsvorsorge vom Rest der Welt abzukop- peln. Rund um Deutschland werden Kernkraftwerke gebaut, die Laufzeiten bestehender Kernkraftwerke auf 60 Jahre verlängert, vor langer Zeit stillgelegte Reakto- ren wieder in Betrieb genommen. Wir haben heute eine völlig andere Situation als zum Zeitpunkt des Ausstiegs- beschlusses. Nicht nur deshalb müssen wir auch die Energieforschung in diesem Bereich wieder anders handhaben als noch unter Rot-Grün. Das betrifft sicher- lich auch die Anpassung der Forschungsmöglichkeiten unserer Forscher an die im Grundgesetz garantierten Freiheitsrechte. Mit willkürlichen Forschungsverboten für unsere Wissenschaftler werden wir die Zukunft für unser Land nur schwerlich gut gestalten können. Ich bin überzeugt, dass hier auch die SPD letztlich mitziehen wird, sich ihrer Verantwortung für die Zukunft unseres Landes nicht entzieht. Angesichts der vielen Gemeinsamkeiten mit diesem Antrag können wir ihn hoffnungsfroh in die Ausschüsse überweisen. Vielleicht gelingt es uns ja in einer gemein- samen Anstrengung über alle Fraktionen hinweg, hie- raus eine Initiative zu formen, die die Energieforschung in Deutschland und unser Land gleichermaßen voran- bringt. Wir jedenfalls wären bereit dazu. Dieter Grasedieck (SPD): In dieser Woche berichte- ten die Zeitungen: Brand im Atomkraftwerk Krümmel und im Atomkraftwerk Brunsbüttel. Die Atomaufsicht f T b f b J g E D s I n I e t z n F r d a r s D a s f s d 2 A i e A m k S t – z W M s m F la s J C b a z z (C (D ordert, die Redaktoren endgültig abzuschalten. – Klaus öpfer erteilt Atomenergie als Lösung für Klimapro- leme klare Absage. – CO2 durch Atomkraft. Laut Ox- ord Research entsteht bei der Gewinnung des Kern- rennstoffs und seiner Entsorgung in den kommenden ahren CO2 wie bei Gaskraftwerken. Jetzt schreiben Sie in Ihrem FDP-Antrag: Der Ener- iebedarf wird begleitet von einem enormen Anstieg der nergiepreise und einer wachsenden Importabhängigkeit eutschlands. Wer diese Abhängigkeit verringern will, chafft das nicht mit Uran, Öl oder Gas. Das sind alles mporte aus Asien oder Russland. Die FDP sieht dem- ach eine Neuausrichtung in Energiefragen vor; denn mportabhängigkeit wird zum Beispiel reduziert durch rneuerbare Energien. Die Importabhängigkeit wird wei- erhin durch Steinkohle und Braunkohlekraftwerke redu- iert. Ich befürworte deshalb unsere Steinkohleförderung ach 2018. Aber hier war die Enttäuschung natürlich groß: Der DP-Antrag bezieht sich nur auf die Laufzeitverlänge- ung der Kernkraftwerke. Sie haben nicht berücksichtigt, ass auch die Uranvorräte endlich sind. Interessant ist uch der Bericht der „Financial Times“. In ihm wird da- auf hingewiesen, dass die Uranpreise enorm gestiegen ind. Im Januar 2004 kostete ein Pfund Uran noch 7 US- ollar, heute über 20 US-Dollar. Mit weiteren Preis- nsteigerungen ist zu rechnen, so die Zeitung. Sie fordern kerntechnische Sicherheitsforschung. Un- ere Koalition fördert schon seit Jahren die Sicherheits- orschung im Bereich der Nuklearenergie, und zwar kon- tant mit rund 120 Millionen Euro. Wir Sozialdemokraten stellen fest, dass sich die Bun- esregierung und die Atomkraftwerksbetreiber im Jahr 000 vertraglich auf einen Atomkonsens geeinigt haben. uf Vertragspartner sollte man sich verlassen können. Sie fordern weiterhin in Ihrem Antrag Nachhaltigkeit n der Forschung. Ist es nachhaltig, wenn man weiß, dass s keine Lösung für die Endlagerung des radioaktiven bfalls gibt? Da kann ich nur unseren früheren Umwelt- inister Professor Töpfer unterstützen: Unsere Ur-Uren- el brauchen eine zukunftssichere Energieerzeugung. ie sind durch die jetzigen Atomprobleme genug belas- et. Unsere Bundesregierung hat ein Energiekonzept auch darüber berichteten die Zeitungen in den letzten wei Wochen –: Das erste CO2-freie Kraftwerk in der elt ist in Brandenburg geplant; Bundeskanzlerin erkel und Ministerpräsident Platzeck legen den Grund- tein. Neue Solarzellen werden von vier Großunterneh- en erforscht und entwickelt; die Bundesregierung stellt ördergeld zur Verfügung. Über 5 Prozent des in Deutsch- nd erzeugten Stroms stammt aus Windenergie; 2020 ollen es 20 Prozent in Europa sein. In den letzten drei ahren wurden rund 20 000 Arbeitsplätze durch das O2-Gebäudesanierungsprogramm geschaffen. Die Ge- äudesanierung soll bis 2013 von 1,4 Milliarden Euro uf 3,5 Milliarden Euro erhöht werden. Das sind Schlag- eilen, die ein konsequentes Konzept der Koalition auf- eigen. All das sind erfolgreiche Wege in eine neue, si- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11267 (A) ) (B) ) chere Zukunft. Unsere wirklichen Exportschlager, die erneuerbaren Energien und moderne Kraftwerkstechno- logien, werden weiterentwickelt. Der Weltmarktanteil der deutschen Produktion von Windkraftanlagen liegt bei 40 Prozent. 60 Prozent unse- rer Produktion von Windkraftanlagen werden ausge- führt. Wir schützen die Umwelt aber auch im Bereich der fossilen Energieträger. Deutsche Kraftwerke mindern den CO2-Ausstoß. Die Wirkungsgrade bei Steinkohle- kraftwerken sind auf 48 Prozent gesteigert worden; bei der Braunkohle erreichen wir 43 Prozent. Durch Kraft- Wärme-Kopplung erhalten wir einen Wirkungsgrad von 70 Prozent. CO2 wird seit 2001 auch durch das CO2-Gebäude- sanierungsprogramm reduziert. 35 Prozent des Energie- verbrauchs entstehen durch die Beheizung von Gebäu- den. Durch unser neues Maßnahmenpaket „ökologisches Bauen“ schützen wir die Umwelt durch reduzierten CO2- Ausstoß. Wir fördern natürlich nicht nur den Export oder die Entwicklung solcher Technologien. Wir wollen auch die eigentliche Stärke der deutschen Wirtschaft fördern und ausbauen. Hier stehen für uns die kleinen und mittleren Betriebe im Vordergrund. Klein- und Mittelbetriebe ar- beiten kreativ und flexibel. Sie schaffen im Übrigen un- sere neuen Arbeitsplätze in Deutschland. Die SPD setzt deshalb auf erneuerbare Energien so- wie auf effiziente Gas- und auf Kohlekraftwerke. Cornelia Pieper (FDP): Die Zukunft Deutschlands als Technologieführer und seiner Wohlstandsgesellschaft hängt im hohen Maße von einer Neuausrichtung der Energie- und Energieforschungspolitik ab. Die Fakten sprechen für sich: ein weltweit steigender Energiebedarf. Bis 2050 wird er sich verfünffachen. Bereits 2030 wer- den die heutigen Entwicklungsländer mehr als die Hälfte des Weltenergieverbrauchs für sich beanspruchen. China wird bis dahin einen „Öldurst“ haben der den Westeuro- päern nicht viel übrig lässt. Energiepreise werden steigen, und die Importabhän- gigkeit Deutschlands wird wachsen, bei gleichzeitiger Zunahme politischer Instabilitäten und unkalkulierbarer Kriege vor allem im Nahen Osten, aber auch bei anderen Gas- und Öllieferanten. Hinzu kommt: Den Klimawan- del und die Reduzierung von selbst produzierten Treib- hausgasen werden wir nur mit einer konsequenten Klima- und Energieforschungspolitik bestehen. Deutschland hat zu Recht die EU-Ratspräsidentschaft genutzt, Klima- und Energieforschung zu Schwer- punktthemen zu machen. Was muss jedoch auf nationa- ler Ebene von der deutschen Politik getan werden? Wer heute noch glaubt, wir könnten unsere Probleme allein durch Energiesparen und die Nutzung erneuerba- rer Energien allein lösen, ist naiv. Wollen wir die stabile Energieversorgung und unseren Lebensstandard halten u c E b g f K B B m d s K l g s K n m s s d g g u m d v c h z v k D n g d a G K s a d h k n A J n d d t t U w (C (D nd dabei zugleich die Klimaschutzziele erreichen, brau- hen wir alle Energieoptionen. Derzeit versucht die Bundesregierung, sich an einer ntscheidung über die Nutzung der Kernenergie „vor- eizumogeln“. Noch heute wird die Politik des Ausstie- es aus der Kernkraft der rot-grünen Bundesregierung ortgesetzt. Doch was ist, wenn im Jahr 2021 das letzte ernkraftwerk stillgelegt wird? Die Umweltminister von und und Ländern haben bei ihrer Frühjahrskonferenz in ad Sassendorf – Kreis Soest – zwar keinen Kompro- iss in der Frage der Verlängerung der Restlaufzeit der eutschen Kernkraftwerke erzielt. Immerhin sprachen ich aber zehn Bundesländer – auch aus Gründen des limaschutzes – dafür aus, die Kernenergie in Deutsch- and länger zu nutzen. Durch den Verzicht auf die weit- ehend CO2-freie Kernenergie entstehen Versorgungsri- iken und vor allem für die Verbraucher unzumutbare osten. Meine Kernbotschaft ist: Deutschland braucht eine ationale Energieoffensive ohne Scheuklappen. Wir üssen alle an einem Strang ziehen. Wissenschaft, Wirt- chaft und Politik müssen näher zusammenrücken. Nur o können wir die Herausforderung meistern. Ich fordere ie Bundeskanzlerin auf, eine wirkliche nationale Ener- ieforschungsinitiative zu starten, ein Milliardenpro- ramm für die Klima- und Energieforschung aufzulegen nd dabei nicht nur die bereits eingestellten Haushalts- ittel bis 2011 fortzuschreiben. Das von Ihnen angekün- igte 2-Milliarden-Programm bis 2011 muss „on top“ erstanden werden. Das wäre auch ein Beitrag zum errei- hen des 3-Prozent-Ziels von Lissabon. Noch wird ein ganzheitlicher Ansatz durch das Fest- alten der Bundesregierung am Ausstieg aus der Nut- ung der Kernenergie und Moratorien zur Weiterführung on Forschungsarbeiten zur sicheren Endlagerung von erntechnischen Rückständen behindert. Der Standort eutschland kann nur wettbewerbsfähig bleiben, wenn eben fossilen Energieträgern und erneuerbaren Ener- ien bis weit in die zweite Hälfte des Jahrhunderts auf ie Kernkraft gesetzt wird. Wir brauchen den Ausstieg us dem Ausstieg. Auch Länder wie Schweden und roßbritannien, die sich politisch schon einmal von der erntechnik verabschiedet hatten, planen erneut umfas- ende Investitionen in die Kernenergie. Die Tatsache, dass sich deutsche Forschungszentren ls öffentliche Einrichtungen aufgrund einer Verordnung er letzten rot-grünen Bundesregierung nicht mit sicher- eitstechnischen Fragen zu neuen innovativen Reaktor- onzepten befassen dürfen, ist ein Zeichen für die Unei- igkeit in der rot-schwarzen Regierung in dieser Frage. llein die Reaktion des SPD-Bundestagsabgeordneten örg Tauss auf die Forderung, die Sicherheitsforschung icht zu beenden, sondern auszubauen, dokumentiert iese Uneinigkeit in Berlin. Er sagte, Schwerpunkt bleibe ie Fusionsforschung und kein kerntechnisches Aben- euer. Für mich ist es das eigentliche kerntechnische Aben- euer, wenn Länder wie zum Beispiel Russland, die kraine, Tschechien und Indien veraltete Kerntechnik eiter nutzen und wir am Ende Kernenergie aus veralte- 11268 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 (A) ) (B) ) ten Anlagen importieren müssen, weil wir die eigenen Kernkraftwerke abstellen und die Forschung im eigenen Land nicht zulassen. Deutschland muss in der Kern- und Sicherheitsforschung auf hohem Niveau bleiben, um hohe Sicherheitsstandards weltweit durchzusetzen. Die Bundesregierung muss endlich die politischen Rahmenbedingungen für eine Energieforschungsoffen- sive schaffen. Das bedeutet vordringlich, erstens die Si- cherheitslücke zu schließen, die sich aus einem doppel- ten Ausstieg – zum einen aus der Sicherheitsforschung und zum anderen aus der Abschaltung der Kernkraft- werke – ergibt; zweitens den Erlass der rot-grünen Bun- desregierung von 2001 außer Kraft zu setzen, der deut- sche Wissenschaftler in die „Sippenhaft“ nimmt, die mit öffentlichen grundfinanzierten Mitteln weiter kerntech- nische Sicherheitsforschung an innovativen Reaktorsys- temen betreiben – das ist eine „moralische Kriminalisie- rung“ und hat nichts mit der Forschungsfreiheit zu tun, die die Bundesregierung eigentlich propagiert –; drittens die Abwanderung deutscher Wissenschaftler durch einen attraktiven Wissenschaftstarifvertrag zu stoppen und Bundesmittel als Anreiz für eine verstärkte Zusammen- arbeit von Universitäten und Forschungseinrichtungen zur Verfügung zu stellen, sowie zur Einrichtung neuer kerntechnischer Lehrstühle aufzurufen, wie in der RWTH Aachen durch Innovationsminister Pinkwart ge- schehen, und viertens die Beteiligung deutscher Wissen- schaftler an europäischen und internationalen Program- men zu ermöglichen. Auf keinen Fall darf Deutschland aus dem EURATOM-Vertrag aussteigen. Die Energieforschung ist ein strategisches Instrument für eine zukunftsweisende deutsche Wirtschafts- und Energiepolitik. Die Gesamtverantwortung hierfür muss in Zukunft wieder in einer Hand liegen und im Bundes- ministerium für Bildung und Forschung, dem künftigen Zukunfts- und Innovationsministerium, gebündelt wer- den. Nur so kann gleichzeitig auch für eine ausreichende finanzielle Ausstattung der institutionellen Forschung, der Forschungsprogramme und Forschungsprojekte ge- sorgt werden, die der Bedeutung der Forschungsfelder gerecht wird. Die von der Wirtschaft finanzierte Forschung und Entwicklung – zwei Drittel der deutschen Forschungs- mittel – beschäftigt sich primär mit solchen Projekten, deren Ergebnisse eine relativ zeitnahe Amortisation der Forschungsinvestitionen erlauben und somit von den Unternehmen selbst getragen werden können. Die for- schenden Unternehmen sollten sich verstärkt an der öf- fentlich finanzierten Forschung an den Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen mit ihren anwendungsbezogenen Projekten beteiligen, um so neue Ergebnisse der Energieforschung rascher aufzunehmen und umzusetzen. Dabei kommt dem Engagement von Anlagenbauern und -betreibern bei Demonstrationspro- jekten eine besondere Bedeutung zu. Wissenschaft und Wirtschaft müssen alles tun, um zu gemeinsamen Inno- vationsstrategien zu kommen. Im Rahmen der Gemein- schaftsforschung können Universitäten und Forschungs- einrichtungen mit der Wirtschaft projektbezogen zusammenarbeiten. Hierfür sollte das Instrument der Forschungsprämie verstärkt genutzt werden. d E S w t S t s t v d E h t n g F F g j g Z W v W s l F A s K k 5 m w g A g d r e t – m z h L w d t m r v s a (C (D Deutschland muss zum Energieland der Zukunft wer- en. Eine sichere Beherrschung verschiedenartigster nergietechnologien der Gewinnung, des Transports, der peicherung, der Umwandlung und der rationellen Ver- endung von Energie ist nicht nur Ausdruck der Leis- ungsfähigkeit der Hochtechnologienation Deutschland. ie ist Ausdruck ihrer Fähigkeit, einen wirksamen Bei- rag zur dauerhaften Sicherung der eigenen Energiever- orgung, aber auch der in Europa und in der Welt zu leis- en. Bis zu einem möglichen großtechnischen Einsatz on Fusionskraftwerken, der zur Mitte des Jahrhun- erts erwartet wird, ist die Option „Kernenergie“ zur nergiesicherung durch begleitende Forschung zu er- alten. Deutsche Forscher dürfen von international be- riebenen Arbeiten wie am Projekt „Generation IV“ icht ausgeschlossen werden. Das 7. Rahmenpro- ramm der Europäischen Union für den Bereich der orschung und technologischen Entwicklung und das örderungsrahmenprogramm der Europäischen Atom- emeinschaft – EURATOM – zeigen den Weg auf. Auch wenn die Bundestagsabgeordnete Bärbel Höhn üngst ein Moratorium zum Bau von Kohlekraftwerken efordert hat, ist vor dem Hintergrund einer noch lange eit andauernden Nutzung fossiler Energieträger die eiterentwicklung konventioneller Kraftwerkstechniken on entscheidender Bedeutung. Allein die Erhöhung des irkungsgrades dieser Kraftwerke um 1 Prozent ent- pricht der erzeugten Energie von 1 000 Windenergiean- agen, dem fünffachen aller in Deutschland installierten otovoltaikanlagen oder eines neuen Großkraftwerks. uch neue Kraftwerksprozesse wie Kohlevergasung las- en beachtlich gesteigerte Wirkungsgrade erwarten. ünftige kombinierte Gas-Dampfturbinenkraftwerke önnten ihren elektrischen Wirkungsgrad von heute 8 Prozent auf 62 Prozent erhöhen. Mit Blick auf den Kli- aschutz ist die Entwicklung von hocheffizienten Kraft- erken mit CO2-Abscheidung unter Einbeziehung geolo- isch sicherer Speicherung von CO2 voranzutreiben. In nbetracht der großen Bedeutung, die fossile Energieträ- er auch zukünftig in der Energieversorgung haben wer- en, stellen CO2-Abscheidung, -Transport und -Speiche- ung eine Option dar, die es hinsichtlich ihres Beitrags zu inem umfassenden Klimaschutz zu analysieren und wei- erzuentwickeln gilt. Zur gesicherten Entsorgung nuklearer Spaltprodukte Aufbereitung und Entsorgung abgebrannter Brennele- ente – ist es dringend geboten, die Forschungsarbeiten ur Endlagerung konsequent fortzuführen. Das beste- ende Moratorium zur Erforschung der Tauglichkeit und angzeitsicherheit von Salzstöcken im Forschungsberg- erk Gorleben ist sofort zu beenden, und die verbleiben- en Arbeiten sind zügig fortzuführen. Bei der Bewer- ung der Eignung von Ton- und Granitlagerstätten als ögliche Endlager ist auf internationale Erfahrungen zu- ückzugreifen, bevor eigene Arbeiten in Deutschland erstärkt werden. Die Fusionsforschung ist unverzichtbar für die Lö- ung globaler Energieprobleme. Diesen Befund hebt uch eine internationale Expertenkommission in ihren Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 11269 (A) ) (B) ) Empfehlungen zum Programm „Kernfusion“ der Helm- holtz-Zentren hervor. Die Forschungs- und Entwick- lungsprojekte sind sowohl in Deutschland als auch in Europa zielgerichtet fortzuführen. Die Fusionsforschung hat inzwischen ein Stadium erreicht, das es erlaubt, mit dem Bau eines Experimentalreaktors ITER als einer Vor- stufe zu einem Fusionskraftwerk in Frankreich zu begin- nen. Mit der deutschen Förderung der Fusionsforschung im internationalen Maßstab muss das Ziel verfolgt wer- den, einen Prototyp eines Fusionsreaktors zu bauen. Dabei ist das Fusionsforschungsprojekt WENDEL- STEIN 7-X der deutsche Beitrag zum Nachweis der Funktionsfähigkeit des Stellaratorprinzips. Ich fordere die Bundesregierung dazu auf, die Wei- chen dafür zu stellen, dass die politisch begründete Ver- kürzung der Laufzeiten der Kernkraftwerke ausgesetzt wird. Im Gegenzug sollten die Energieunternehmen stärker in die Energieforschung investieren, um so einen wirksa- men Beitrag zur Sicherung des Wirtschaftsstandortes Deutschland zu leisten und sich selbst fit für die Zukunft zu machen. Deutschland stellt jährlich lediglich 500 Mil- lionen Euro an öffentlichen Haushaltsmitteln für die Energieforschung zur Verfügung. Das reicht aber nicht aus, um zukünftig seine Technologieführerschaft zu be- haupten. Unsere europäischen Nachbarn haben die Wei- chen dafür längst gestellt. Großbritannien hat über „Pu- blic Private Partnership“ mit der Energiewirtschaft 1 Milliarde Pfund für die Energieforschung mobilisiert. Auch wir in Deutschland brauchen mehr Geld für die Forschung. Über öffentliche Mittel allein ist das aber nicht zu leisten. Auch die Wirtschaft muss sich verstärkt daran beteiligen. Deshalb schlägt die FDP-Bundestags- fraktion heute vor, die Gründung einer Deutschen Stif- tung Energieforschung voranzutreiben. In einem ersten Schritt soll die Bundesregierung die Laufzeit der Kernkraftwerke in Deutschland verlängern, bis erneuerbare Energien in ausreichendem Umfang zur Verfügung stehen oder eine Nutzung von Technologien zur CO2-armen Kohleverstromung im großtechnischen Maßstab beginnen kann. Parallel zum Weiterbetrieb der laufenden Kernkraftwerke sind erneuerbare Energien und andere geeignete Klimaschutztechnologien mit aller Entschlossenheit weiter auszubauen. Hierfür sind die im Atomgesetz festgeschriebenen Abschaltkriterien solange auszusetzen. Zugleich sollte auf eine freiwillige Selbstverpflichtung der Kernkraftwerke betreibenden Energieunternehmen hingewirkt werden, die sich dem Ziel der Gründung einer Deutschen Stiftung Energieforschung mit dem Zweck, eine verstärkte finanzielle Förderung von Forschung, Entwicklung und Erprobung von Energiesystemen, die auf die Vermeidung von Treibhausgasen ausgerichtet sind sowie der Effizienzverbesserung bei Gewinnung und Nutzung von Strom, Wärme oder Kälte abzusichern, ver- pflichtet fühlt. Die Bundesregierung sollte dabei die Grundlagen für die Gründung einer Deutschen Stiftung Energiefor- s d l w D s N n g g E A T n M w M S u t s te h lö M d s D d s E le d d f M z l s F m g S b A s t a g D s (C (D chung als Stiftung bürgerlichen Rechts gemeinsam mit en Energieerzeugern schaffen. Ein Großteil der Erträge der Stiftung soll ausschließ- ich dem Zweck der Förderung von Forschung und Ent- icklung für innovative Energietechnologien dienen. Hans-Kurt Hill (DIE LINKE): Die FDP entdeckt eutschland als Energieland denkbar spät – doch besser pät als nie. Deutschland ist seit Jahren Energieland ummer eins, was die Zukunftsenergien angeht, und immt eine Vorreiterrolle ein, was den Ausstieg aus der efährlichen und rückwärtsgewandten Atomkraft an- eht. Die Liberalen haben die Erfolgsstory „erneuerbare nergie“ immer bekämpft. Stattdessen bejubeln sie die tomkraft mit ideologischem Eifer und einer naiven echnikgläubigkeit. Hohe Energiepreise, liebe Kollegin- en und Kollegen der FDP, sind Ihrem neoliberalen arktdenken geschuldet. Wer Allgemeinwohlaufgaben ie die Energieversorgung ausschließlich den freien arktkräften überlässt, muss sich nicht über hohe tromrechnungen wundern. Die Geister, die Sie riefen nd jetzt nicht wieder loswerden, sind die Energiekar- elle. Doch tatsächlich fordern die Liberalen neue For- chungsgelder für die Atomkraft – hinter dem Deckman- l der Sicherheit versteht sich, wohlwissend, dass anste- ende Probleme wie Endlagerung und Terrorgefahr kaum sbar sind. Die Strahlentechnik wurde über 30 Jahre mit illiardenmitteln subventioniert und hat nie den Schritt in ie Wirtschaftlichkeit geschafft. Ohne staatliche Finanz- pritzen baut selbst heute niemand einen Atommeiler. ass Atomstrom jetzt scheinbar so billig ist, liegt daran, ass die hoch subventionierten Anlagen längst abge- chrieben sind. Die Konzerne kassieren so 300 Millionen uro pro Reaktor und Jahr. Die Stromkunden gehen aber er aus. Besonders peinlich ist in diesem Zusammenhang, ass die FDP in ihrem Antrag Finnland als Beispiel für en Ausbau der Atomenergie benennten. Der in Bau be- indliche Reaktor krankt schon jetzt an technischen ängeln. Die Fertigstellung wird sich mindestens um wei Jahre verzögern, und er ist schon jetzt um eine Mil- iarde Euro teurer als geplant. Es ist unglaublich: Die angeblich so sicheren deut- chen Atomkraftwerke fliegen uns schon bei schlichten ehlern im Stromnetz um die Ohren, aber die FDP will ehr Geld für Atomstrom. Atomenergie ist keine Über- angstechnologie, sondern eine Verhinderungsstrategie. ie frisst die Mittel, die wir für den Ausbau der erneuer- aren Energien dringend brauchen. Für das zunehmende ngebot von Wind- und Solarstrom brauchen wir chnell regelbare und dezentrale Kraftwerke und keine rägen Grundlast-Atommeiler. Es ist notwendig, die Energieforschung konsequent uf Energieeffizienztechniken, die erneuerbaren Ener- ien und moderne Speichertechnologien auszurichten. ie gefährliche Atomkraft ist genauso eine Scheinlö- ung wie Kernfusion oder die Verklappung von CO2. 11270 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 108. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 (A) (C) (B) ) Entscheiden sie sich endlich für die Zukunftsenergien, sonst findet die Zukunft im Energieland Deutschland ohne die FDP statt. Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Antrag der FDP weist direkt zurück in die Vergan- genheit. Die FDP setzt auf Atomenergie und auf Atom- kraftforschung, ganz so, als ob sie sich noch in den 50er- Jahren befindet. Genscher und Lambsdorf dürften sich an ihre Jugend erinnert fühlen, wenn sie diesen Antrag lesen. Aber wahrscheinlich haben sie das längst unter Ju- Wieso spricht sich die FDP nicht für neue Atomkraft- werke in Deutschland aus? Neue Atomkraftwerke erfor- schen, aber nicht bauen: Das ist mindestens inkonse- quent, meine Damen und Herren von der FDP. Ganz sicher ist es aber keine intelligente Technologiepolitik, die knappen Forschungsmittel auf eine Technologie zu konzentrieren, die man hierzulande gar nicht anwenden will. Weltweit sind etwa 80 Prozent der Energiefor- schungsmittel in die Entwicklung der Atomenergie ge- flossen. Der Erfolg könnte kaum geringer sein. Global Die Atomeuphorie, die die FDP hier heraufbe- schwört, ist längst in der Mottenkiste der Energiege- schichte verstaubt. Die von der FDP beschworene Aus- weitung der Atomenergiekapazitäten gibt es nicht. Die geplanten neuen Atomkraftwerke werden in den meisten Ländern nicht einmal die wegfallenden alten Kapazitä- ten ersetzen können. Letztes Jahr ging die Zahl der Atomkraftwerke weltweit sogar zurück. Atomkraft- werksneubauten sind weder in Schweden noch in Bel- gien geplant, auch wenn der Antrag diesen Eindruck er- wecken will. Mit keinem Wort geht der Antrag auf das Problem ein, dass es beim Uran bereits zu Verknappungen kommt und die Uranpreise daher explodiert sind. Stattdessen er- zählt die FDP die alte Mär von den sichersten Atom- kraftwerken der Welt, die in Deutschland ständen. Es ist Unsinn – die FDP müsste das wissen –, zu behaupten, dass die alten Meiler in Biblis, Neckarwestheim und Brunsbüttel die sichersten Atomkraftwerke der Welt seien. Das behauptet nicht einmal Wirtschaftsminister Glos. Da ist das Ausland zum Teil schon deutlich weiter. Eines der sichersten Atomkraftwerke der Welt steht übri- gens in Forsmark, so behauptete selbst noch Monate nach dem Fast-Gau der Betreiber Vattenfall. Aus dem Antrag der FDP können wir entnehmen, dass sie keine sicherheitstechnischen Bedenken gegen den Weiterbetrieb selbst der ältesten Atomkraftwerke hat. Diese Technologiegläubigkeit war immer schon fragwürdig. Spätestens seit dem 11. September stellt sich die Frage, ob die FDP eine Risikoverdrängungsstrategie fährt. Die Terrorgefahr ist auch für Atomkraftwerke ge- geben. Das weiß die FDP. Sie weiß auch, dass unsere Atomkraftwerke nicht sicher gegen Anschläge sind. Gerade die ältesten Atomkraftwerke sind besonders schlecht geschützt. Aber das passt halt nicht in die ener- giepolitische Grundvorstellung der FDP. z z k N m r D a 4 T i V w G s h d E d g d D D R J a E s a s k E r d s (D ur Deckung des Energiebedarfs bei. Das ist ein Armuts- eugnis. Der geringe Beitrag der Atomenergie steht in einem Verhältnis zu den Forschungsinvestitionen. och heute gibt die Bundesrepublik Deutschland viel ehr Geld alleine für die Entsorgung alter Forschungs- eaktoren aus als für die Erforschung neuer Energien. er geringe Beitrag der Atomenergie steht im Übrigen uch in keinem Verhältnis zu den Risiken, die mit über 00 Atomkraftwerken weltweit verbunden sind. Die FDP will die Laufzeiten verlängern und einen eil der zusätzlichen Konzerngewinne in eine Stiftung nvestieren. Dies ist schon daher abzulehnen, weil eine erlängerung der Laufzeiten nicht zu verantworten äre. Abgesehen davon stellt sich die Frage, wie das eld den Konzernen abgezwackt werden soll. Interes- anterweise steht auf dem fünfseitigen Antrag der FDP ierzu nichts drin. Hier stellt sich schon die Frage, wieso ie FDP für ihren eigenen Vorschlag kein Konzept hat. Wenn die FDP zu Recht mehr Geld für sinnvolle nergieforschung ausgeben will, dann sollte sie es auch ort einsparen, wo das Geld nutzlos zum Fenster heraus- eworfen wird. Die FDP sollte einmal – ganz im Sinne er Steuerzahler – ihren Blick nach Greifswald richten. ort wird gerade ein Fusionsforschungsreaktor errichtet. ie Kosten und die Bauzeit laufen vollkommen aus dem uder. Die Bauzeit wird absehbar um mindestens zehn ahre überschritten, und der Fehlbetrag liegt schon jetzt lleine für die Bundesmittel deutlich über 100 Millionen uro. Die einzige Antwort der FDP auf diese Misswirt- chaft ist, dass sie noch mehr Geld für die Kernfusion usgeben will. Stattdessen sollte die FDP sich dafür ein- etzen, dass die Mittel aus der Kernfusion deutlich ge- ürzt werden und dem Mittelstand bei den erneuerbaren nergien zugutekommt. Dort wurden in den letzten Jah- en über 200 000 Arbeitsplätze geschaffen, gerade weil ie Anträge der FDP zur Energie- und Forschungspolitik eit 1998 nicht mehr aufgegriffen wurden. gendsünden abgehakt. t rägt die Atomenergie gerade mal mit etwa 2,5 Prozent 108. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 Inhalt: Redetext Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3 Anlage 4 Nachtrag zum Plenarprotokoll 16/108 108. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 5. Juli 2007 I n h a l t : Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 5 Anlage 6 Anlage 7 Anlage 8 Anlage 9 Anlage 10 Anlage 11 Anlage 12 Anlage 13 Anlage 14 Anlage 15
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1610800000

Die Sitzung ist eröffnet.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle
herzlich und wünsche uns einen guten Morgen und gute
Beratungen.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, gibt es ei-
nige Mitteilungen. Es beginnt ganz fröhlich: Der Kol-
lege Dr. Rainer Stinner feierte am 26. Juni seinen
60. Geburtstag, und die Kollegin Helga Kühn-Mengel
feierte am 1. Juli ebenfalls ihren 60. Geburtstag. Im Na-
men des ganzen Hauses gratuliere ich dazu herzlich und
wünsche alles Gute.


(Beifall)


Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene
Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufge-
führten Punkte zu erweitern:

ZP 1 Vereinbarte Debatte

zur vorgesehenen Änderung der vertraglichen Grund-
lagen der EU

ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus Löning,
Dr. Werner Hoyer, Michael Link (Heilbronn), weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der FDP

EU-Regierungskonferenz schnell zum Erfolg führen

Rede
– Drucksache 16/5882 –

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f)

Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainder Steenblock,
Jürgen Trittin, Omid Nouripour, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

EU-Regierungskonferenz – Für eine handlungsfähige und
demokratische EU

– Drucksache 16/5888 –

(ZP 1 bis ZP 3 siehe 107. Sitzung)


Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europ

ZP 4 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion d

Ergebnisse des Dritten Energiegipfels de
rung
tzung

, den 5. Juli 2007

.00 Uhr

ZP 5 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN

zu der Antwort der Bundesregierung auf die Frage 32 auf
Drucksache 16/5854

(siehe 107. Sitzung)


ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer Brüderle,
Paul K. Friedhoff, Gudrun Kopp, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der FDP

„Goldener Schnitt 2012“ verwirklichen

– Drucksache 16/5901 –

ZP 7 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren

(Ergänzung zu TOP 35)


a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Laurenz Meyer

(Hamm), Dr. Heinz Riesenhuber, Veronika Bellmann,

weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Dr. Rainer Wend, Martin
Dörmann, Dr. Ditmar Staffelt, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der SPD

Die Zukunft der deutschen Luftfahrtindustrie sichern

– Drucksache 16/5908 –

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

text
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hartwig Fischer

(Göttingen), Eckart von Klaeden, Anke Eymer (Lübeck),

weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Brunhilde Irber, Gert
Weisskirchen (Wiesloch), Niels Annen, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der SPD

Demokratische Entwicklung Simbabwes unterstüt-
zen – Arbeit der internationalen Nichtregierungsorga-
nisationen ermöglichen

– Drucksache 16/5907 –

rweisungsvorschlag:
wärtiger Ausschuss (f)

schuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
schuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
äischen Union

er FDP:

r Bundesregie-

Übe
Aus
Aus
Aus

Entwicklung






(A) (C)



(B) (D)


Präsident Dr. Norbert Lammert
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heidrun Bluhm,
Katrin Kunert, Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion der LINKEN
Humboldt-Forum statt Fassadenschloss – Schloss-
platz mit Zukunftsorientierung
– Drucksache 16/5922 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)

Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss

ZP 8 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache

(Ergänzung zu TOP 36)

a) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsaus-

schusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 251 zu Petitionen
– Drucksache 16/5911 –

b) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsaus-
schusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 252 zu Petitionen
– Drucksache 16/5912 –

c) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsaus-
schusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 253 zu Petitionen
– Drucksache 16/5913 –

d) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsaus-
schusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 254 zu Petitionen
– Drucksache 16/5914 –

e) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsaus-
schusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 255 zu Petitionen
– Drucksache 16/5915 –

f) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsaus-
schusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 256 zu Petitionen
– Drucksache 16/5916 –

g) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsaus-
schusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 257 zu Petitionen
– Drucksache 16/5917 –

h) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsaus-
schusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 258 zu Petitionen
– Drucksache 16/5918 –

i) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsaus-
schusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 259 zu Petitionen
– Drucksache 16/5919 –

j) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsaus-
schusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 260 zu Petitionen
– Drucksache 16/5920 –

k) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsaus-
schusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 261 zu Petitionen
– Drucksache 16/5921 –

ZP 9 Wahlvorschläge der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der
FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Wahl der vom Deutschen Bundestag zu benennenden Mit-
glieder des Wissenschaftlichen Beratungsgremiums
gemäß § 39 a des Stasi-Unterlagen-Gesetzes
– Drucksache 16/5883 –
ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried Hermann,
Wolfgang Wieland, Hans-Christian Ströbele, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN

Einstellung des Flugbetriebs in Tempelhof – Sinnvolle
Nachnutzung des Flughafenareals

– Drucksache 16/5897 –

Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Detlef Parr, Joachim
Günther (Plauen), Miriam Gruß, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der FDP

Sportschifffahrt und Wassersport wirksam fördern und
von überflüssigen Beschränkungen befreien

– Drucksache 16/5609 –

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)

Innenausschuss
Sportausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus

ZP 12 Beratung des Antrags der Abgeordneten Marieluise Beck

(Bremen), Volker Beck (Köln), Alexander Bonde, weiterer

Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE

(Heilbronn)

neter und der Fraktion der FDP

Ermäßigung der Visumgebühr für Menschen aus Belarus

– Drucksache 16/5905 –

Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

ZP 13 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und der
SPD

Ermäßigung der Visumgebühr für Bürgerinnen und Bür-
ger aus Belarus

– Drucksache 16/5909 –

Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe

ZP 14 Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael Kauch,
Angelika Brunkhorst, Horst Meierhofer, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion der FDP

Perspektiven für eine sektorale Ausweitung des Emis-
sionshandels sowie für die Nutzung erneuerbarer Ener-
gien im Wärmesektor

– Drucksache 16/5610 –

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

ZP 15 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Aus-
schusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung

(1. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Jens

Ackermann, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, Kerstin
Andreae, Hüseyin-Kenan Aydin und weiterer Abgeordneter

Ergänzung des Untersuchungsauftrages des 1. Untersu-
chungsausschusses

– Drucksache 16/5751 –






(A) (C)



(B) (D)


Präsident Dr. Norbert Lammert
ZP 16 Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried Nachtwei,
Alexander Bonde, Katrin Göring-Eckardt, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Das würdige Gedenken der Toten in Friedenseinsätzen
braucht eine breite Debatte

– Drucksache 16/5894 –

Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Kultur und Medien

ZP 17 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der LINKEN:

Datenvernichtung bei der Bundeswehr

Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so-
weit erforderlich, abgewichen werden.

Die Tagesordnungspunkte 13, 17 a, 22 und 35 a wer-
den abgesetzt. Zum Tagesordnungspunkt 17 b ist eine
Aussprache nicht mehr vorgesehen. Er soll zusammen
mit den Ohne-Debatte-Punkten aufgerufen werden. Die
Tagesordnungspunkte 12 und 25 werden getauscht. Die
Tagesordnungspunkte 15, 19, 21, 23 und 24 werden jeweils
vorgezogen und nach den Tagesordnungspunkten 25, 14,
16, 18 und 20 aufgerufen. Ich vermute, Sie haben das al-
les mitgeschrieben,


(Ludwig Stiegler [SPD]: Wir haben ein gutes Gedächtnis! Der Alzheimer ist noch nicht im Saale, Herr Präsident!)


sodass über die Reihenfolge der Tagesordnungspunkte
nun kein Zweifel mehr besteht. Falls noch Orientie-
rungsbedarf besteht, steht das Präsidium für Auskünfte
gerne zur Verfügung. – Ansonsten stelle ich dazu Ein-
vernehmen fest. Dann ist die Tagesordnung mit diesen
Veränderungen so beschlossen.

Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 3 und
Zusatzpunkt 6:

3 Abgabe einer Erklärung durch die Bundesregie-
rung

Aufschwung für Deutschland – Gute Zeiten
entschlossen nutzen

ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer
Brüderle, Paul K. Friedhoff, Gudrun Kopp, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

„Goldener Schnitt 2012“ verwirklichen

– Drucksache 16/5901 –

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklä-
rung eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist auch das so beschlossen.

Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie,
Michael Glos.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Michael Glos, Bundesminister für Wirtschaft und
Technologie:

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Unsere Wirtschaft steht unter Volldampf.
Deutschland ist wieder Wachstumslokomotive in Europa
geworden. Die Stagnation ist vorbei. Auf den Reform-
baustellen gibt es weder hitze- noch kältefrei. Wir müs-
sen nach vorne blicken und diesen Aufschwung stabili-
sieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Hindernisse müssen aus dem Weg geräumt werden. Der
Aufschwung muss vor allen Dingen nachhaltig werden.
Wir freuen uns darüber, dass der Wachstumsprozess fes-
ten Tritt gefasst hat.

Dieser Wachstumsprozess ist nicht allein auf die
Schubkraft der Weltkonjunktur angewiesen, sondern
trägt inzwischen aus eigener Kraft. In diesem wie auch
im kommenden Jahr kommt der stärkste Wachstumsim-
puls von der Binnenwirtschaft. Ich finde, das ist etwas,
was uns Hoffnung gibt, dass wir ein Stück unabhängiger
von Schwankungen der Weltwirtschaft werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


In diesem wie auch im kommenden Jahr geht der
stärkste Wachstumsimpuls, wie gesagt, von der Kraft
aus, die die deutsche Wirtschaft auch im Inland wieder
entfaltet. Hinzu kommt, dass die Verbraucherinnen und
Verbraucher wieder mehr Kaufkraft haben und sie auch
nutzen.

Wir kalkulieren vorsichtig. Großmäuligkeit ist zum
Fremdwort geworden. Die Bundesregierung erwartet für
dieses Jahr ein Wachstum von 2,3 Prozent. Ich weiß,
dass andere seriöse Institutionen schon jetzt deutlich hö-
here Wachstumserwartungen haben. Besser abzuschnei-
den als angekündigt, ist uns lieber, als den umgekehrten
Weg zu gehen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Unsere Zuversicht, dass das Wachstum trotz der Um-
satzsteuererhöhung anhält, hat sich erfüllt. Der befürch-
tete Preisschub ist – gottlob – ausgeblieben. Das sind für
diejenigen, die Schauderszenarien lieben, schlechte
Nachrichten; aber für die Deutschen sind das gute Nach-
richten. Diese Nachrichten schmerzen die Untergangs-
propheten. Heiligendamm war auch deshalb ein so gro-
ßer Erfolg, Frau Bundeskanzler, weil eine starke
Bundeskanzlerin ihre Gäste als Vertreterin eines wirt-
schaftlich starken Landes hat empfangen können. Das
gibt uns in der Welt wieder Gewicht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wer im eigenen Land erfolgreich ist, dessen Stimme hat
auch anderswo Gewicht.

Jetzt, wo das Wachstum nicht mehr zu leugnen ist, be-
haupten Miesmacher, von dem Aufschwung profitierten
nur einige wenige. Auch das ist falsch. Die Wirklichkeit
sieht vollkommen anders aus. Der Aufschwung kommt






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Michael Glos
überall an. Für die Bundesregierung sage ich in Anleh-
nung an Ludwig Erhard: Wir erleben den Aufschwung
für alle. Niemals in der Geschichte der Bundesrepublik
gab es so viele Beschäftigte wie heute: fast 40 Millionen.
Der Anstieg an Beschäftigung entfällt übrigens ganz
überwiegend auf sozialversicherungspflichtige, also gute
Vollzeitstellen.

Auch die Zahl der Arbeitslosen sinkt. Allein in den
letzten zwölf Monaten ist sie um weit über 700 000 zu-
rückgegangen; sie liegt nun bei 3,7 Millionen. Bis Ende
2008 wird die Arbeitslosenzahl auf weniger als
3,5 Millionen sinken. Das wäre dann der tiefste Stand
seit über zehn Jahren.

Das zeigt: Der Aufschwung kommt auch bei den Be-
schäftigten an. Deren Arbeitsplätze werden nicht zuletzt
aufgrund der Lohnzurückhaltung in den letzten Jahren
erhalten. In den Tarifverhandlungen ist erstmals wieder
ein deutliches reales Plus erreicht worden. Das wird sich
auf den Konsum natürlich positiv auswirken.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Allerdings werden die Insolvenzverwalter – darüber
freue ich mich – weniger zu tun haben. Ich glaube, dass
wir auch mit dieser Tatsache gut leben können.

Womit wir allerdings nur schwer leben können, ist der
Fachkräftemangel, den es in Deutschland inzwischen
gibt. Das ist etwas, was uns besorgt macht. Obwohl in
Deutschland 20 000 Ingenieure arbeitslos gemeldet sind,
sucht die Wirtschaft händeringend nach Fachkräften.
Das passt nicht zusammen; das bremst den Aufschwung.
Deshalb brauchen wir mehr Investitionen in Bildung, in
Ausbildung, aber auch in Weiterbildung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir müssen in allererster Linie diejenigen Menschen
weiterbilden und aktivieren, die in unserem Land leben,
die in unserem Land nach Arbeit suchen, und wir müs-
sen ihnen Chancen geben. Außerdem muss selbstver-
ständlich die Frage der gesteuerten Zuwanderung von
Fachkräften aus anderen Ländern auf die Tagesordnung.
Eine solche Zuwanderung lässt sich nicht von heute auf
morgen herbeiführen; deswegen müssen wir die Wei-
chen rechtzeitig stellen. Deutschland muss im globalen
Wettbewerb um die besten Köpfe mithalten können, um
den globalen Wettbewerb besser zu bestehen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Damit Deutschland weiter die Nase vorn hat, steigert
die Bundesregierung kontinuierlich die Investitionen in
Forschung und Entwicklung. Das zeigt die gestern be-
schlossene mittelfristige Finanzplanung. Auch die Län-
der und die Wirtschaft bleiben aufgerufen, mehr für For-
schung und Entwicklung zu tun. Wir alleine als Staat
können das 3-Prozent-Ziel von Lissabon nicht erreichen,
sondern wir brauchen selbstverständlich das Mittun der
Wirtschaft.
Gerade jetzt im Aufschwung gilt es, auf Reformkurs
zu bleiben. Der Aufschwung hat viele Gründe: die gute
Weltkonjunktur, eine zurückhaltende Lohnpolitik und
vor allen Dingen die Anstrengungen der Unternehmun-
gen. Das allein hätte jedoch nicht gereicht, um auf einen
nachhaltigen Wachstumskurs zurückzukehren. Der kon-
sequente Kurs der Großen Koalition – unsere Strategie
mit den drei Elementen Sanieren, Reformieren und In-
vestieren – trägt jetzt Früchte.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


– Ich habe das extra gesagt, damit auch die SPD noch
überzeugter klatschen kann.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Wir haben dich in den Klub aufgenommen!)


Der Aufschwung ist kein Selbstläufer, sondern muss
wie eine empfindliche Pflanze gepflegt werden. Wie
teuer es wird, wenn der Aufschwung erlahmt, haben wir
in den Jahren 2001 bis 2005 erleben müssen. Trotzdem
gibt es immer welche, die versuchen, das Rad zurückzu-
drehen. Dem halte ich allerdings Ministerpräsident
Platzeck entgegen, der gesagt hat:

Für mich war der Hauptfehler, dass wir mit den Re-
formen zu spät begonnen haben.

Darüber hinaus zitiere ich jetzt Herrn Gorbatschow, der
gesagt hat:

Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.


(Dr. Rainer Wend [SPD]: Da hat er Helmut Kohl gemeint! – Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Zitieren Sie doch einmal Stoiber! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aller guten Dinge sind drei! Wir lechzen nach einem guten Zitat! – Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stoiber wollen wir hören!)


Deswegen war es richtig, dass es zu einem Regie-
rungswechsel gekommen ist. Wir fühlen uns dem Auf-
schwung verpflichtet.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wären wir noch später gekommen, dann wären wir jetzt,
um mit den Worten Platzecks zu sprechen, gesellschaft-
lich und ökonomisch vor der Wand.

Eine Hauptaufgabe muss natürlich die Konsolidie-
rung der öffentlichen Haushalte sein. Dem hat sich
Kollege Steinbrück nachhaltig gewidmet. Wann, wenn
nicht jetzt, sollten wir sonst das Ziel ausgeglichener öf-
fentlicher Haushalte ins Visier nehmen? Wir werden das
auch erreichen. Das ist möglich.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zuerst profitieren die öffentlichen Kassen von der
Konjunktur. Wir müssen jetzt alles daransetzen, dass es
auch so bleibt. Die Steuer- und Beitragsquellen sprudeln,
doch wächst mit dem Aufschwung der Wirtschaft auch
der Wunsch nach neuen konsumtiven Ausgaben, die mit






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Michael Glos
Zukunftsgestaltung oft nichts zu tun haben. Ich bin der
Meinung, wir müssen eine Politik betreiben, die dafür
sorgt, dass die Finanzquellen länger sprudeln. Fast täg-
lich kommen neue Forderungen. Diese Forderungen
muss man natürlich in dem Licht sehen, ob wir uns das
alles in Zeiten, in denen Nachhaltigkeit eine große Rolle
spielt, leisten können. Ich zitiere nun das Bundesfinanz-
ministerium, das in seinem jüngsten Monatsbericht
schreibt:

Das Ziel eines mittelfristig ausgeglichenen Haus-
halts hat nach wie vor hohe Priorität. Legt man die
jüngste Steuerschätzung zu Grunde, ist dazu eine
weitere Rückführung der Staatsquote unabdingbar.

Ich habe vorhin den Antrag der FDP gelesen. Sie befin-
den sich offensichtlich ein Stück weit im Einklang mit
dem Bundesfinanzministerium. Ich meine, es ist genau
der richtige Ansatz, um die Staatsfinanzen nachhaltig
auf eine feste Grundlage zu stellen. Denn der Auf-
schwung muss dem Bürger gehören und nicht dem Staat.
Das ist meine feste Überzeugung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Na endlich, es geht doch!)


Wir müssen die Arbeitnehmer und Betriebe, die hohe
Abgaben und Steuern von ihrem hart verdienten Geld
bezahlen, am Konsolidierungserfolg beteiligen.


(Zuruf von der FDP: Sehr wahr!)


Professor Hans-Werner Sinn vom Münchner ifo-Insti-
tut nennt es ein „Gebot der Vernunft, die Entlastung der
Bürger jetzt schnell auf die Tagesordnung zu setzen“. Es
ist und bleibt unser Ziel, die paritätisch finanzierten Bei-
tragssätze zu den Sozialversicherungen unter 40 Prozent
des beitragspflichtigen Bruttoarbeitsentgeltes zu sen-
ken. Das ist gelungen, aber das muss immer wieder ver-
teidigt werden. Durch die Arbeitsmarktreformen und
den gegenwärtigen wirtschaftlichen Aufschwung haben
wir den Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung von
6,5 auf 4,2 Prozent zurückführen können. Wenn es auf
dem Gebiet weitere Spielräume gibt, müssen wir diese
nutzen.

Der Wirtschaftsaufschwung zeigt eine klare Bot-
schaft: Reformen zahlen sich aus. Die Bundesregierung
ist daher entschlossen, in der zweiten Hälfte der Legisla-
turperiode weitere Wege für Wachstum und Arbeits-
plätze zu eröffnen. Wir müssen die Unternehmensteuer-
reform um eine Reform der Erbschaftsteuer und ein
umfassendes Wagnis- und Finanzierungsgesetz ergän-
zen.


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was Sie machen, das sind doch alles Wagnisgesetze!)


Die Entwürfe liegen vor.

Als weiteres wichtiges Ziel nenne ich den Bürokratie-
abbau. Wir haben den Bürokratieabbau in Europa zum
Thema gemacht. Das war fast ein Fremdwort für die
Europäische Kommission. Wir konnten durchsetzen,
dass 25 Prozent der von der EU hervorgerufenen Büro-
kratiekosten durch Vorschläge und Maßnahmen der
Europäischen Union wieder rückgängig gemacht wer-
den. Wir müssen den Weg bei uns in Deutschland natür-
lich selbst verstärkt gehen. Wir haben bereits ein Mittel-
standsentlastungsgesetz verabschiedet, und ein weiteres
ist im parlamentarischen Prozess.

Wichtig ist auch mehr Wettbewerb, beim Schienen-
verkehr – im Interesse der Mobilität der Bürgerinnen
und Bürger – und ebenso im europäischen Briefmarkt.

Damit uns in Zukunft schmerzhafte Konsolidierungs-
programme erspart bleiben, brauchen wir zudem eine
wirksame Schuldenbremse für die öffentlichen Haus-
halte. Sie zu finden, ist Aufgabe der Kommission von
Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-
Länder-Finanzbeziehungen.

Wir sind entschlossen, auch die Mitarbeiterbeteili-
gung auszubauen. Ich finde, das ist ein richtiger Weg.
Die Arbeitnehmer sollen am wirtschaftlichen Erfolg ih-
rer Betriebe spürbar beteiligt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Dr. Guido Westerwelle [FDP])


Das fördert die Streuung des Produktivkapitals und
schafft neue Motivation. Die Entscheidung darüber, wie
dies individuell am besten und am effizientesten erreicht
werden kann, sollte man nach meiner festen Überzeu-
gung in allererster Linie den Tarifpartnern überlassen.

Mein Haus ist dabei, die Förderprogramme für den in-
novativen Mittelstand einfacher und transparenter zu ge-
stalten.

Auf dem Arbeitsmarkt gilt es, die richtige Balance
zwischen Flexibilität und Sicherheit zu finden. Mit Blick
auf mehr Beschäftigung werden wir Effizienz und Effek-
tivität des arbeitsmarktpolitischen Instrumentariums er-
höhen.

Noch etwas braucht unsere Wirtschaft, damit sie wei-
ter auf einem Wachstumspfad bleibt, nämlich eine zuver-
lässige, kostengünstige und gleichzeitig klimafreundli-
che Energieversorgung. Darüber haben wir sehr viel
diskutiert,


(Zuruf von der FDP: Und nichts gemacht!)


auch auf dem Energiegipfel. Die Probleme lassen sich
natürlich am allerbesten im Konsens mit der Wirtschaft
lösen, weil dort diejenigen sind, die die Investitionen da-
für tätigen müssen.


(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Hat das Herr Gabriel verstanden?)


Wir müssen auf der anderen Seite natürlich auch die
Verbraucherinnen und Verbraucher im Blick behalten.
Damit meine ich nicht nur die industriellen Verbraucher
von Energie, sondern auch die Millionen Haushalte.
Deswegen müssen wir die Energiepreise kritisch be-
obachten. Ich fühle mich nicht als Bundesminister der
Wirtschaft, sondern als Bundesminister für Wirtschaft,
und das schließt die Verbraucherinnen und Verbraucher
mit ein.






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Michael Glos

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben auf diesem Gebiet vieles geschafft, zumin-
dest regierungsseitig. Es war durch die Abwägung vieler
Interessen manchmal natürlich nicht ganz leicht, in der
Regierung die GWB-Novelle, die Kraftwerksnetzan-
schluss- sowie die Anreizregulierungsverordnung auf
den Weg zu bringen. Gegenwärtig liegt es an Ihnen,
meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, wie rasch
zum Beispiel die GWB-Novelle umgesetzt wird, die uns
erlaubt, den großen Energieerzeugern oder Strom- und
Gasverteilern stärker auf die Finger zu schauen. Ich halte
das nach wie vor für notwendig und nutze die Gelegen-
heit, an Sie zu appellieren, die Bremsklötze auf dem Ge-
biet wegzunehmen.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weg mit den Netzen! Seien Sie mal mutig, nicht immer Lobbyist! – Dr. Peter Struck [SPD]: Na, na, na! Wir bremsen nicht, Herr Minister! Wir unterstützen Sie in vollem Umfang! Ohne uns könnten Sie das alles gar nicht machen!)


– Ich bedanke mich ganz herzlich für die Unterstützung
und nehme alles zurück. Ich bitte um noch stärkere und
noch raschere Unterstützung als bisher.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, unsere Re-
formagenda bietet trotz aller Fortschritte noch reichlich
Stoff für die zweite Hälfte der Legislaturperiode. Inso-
fern ist die Arbeit nicht zu Ende.


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schade!)


Die Bundesregierung ist fest entschlossen, sich nicht auf
den Lorbeeren des Aufschwungs auszuruhen und den er-
folgreichen Reformweg weiterzugehen. Über den Weg
können und müssen wir selbstverständlich streiten, aber
über das Ziel sollten wir uns einig sein: Es geht um die
Menschen in unserem Land. Für deren Wohl zu arbeiten,
dazu lade ich Sie alle ganz herzlich ein.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1610800100

Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort erhält zunächst der Kollege Rainer Brüderle
für die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Tata! Tata! Tata! – Gegenruf des Abg. Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Herr Präsident, wir werden von rechts gestört! – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist ein Irrtum! Das machen wir nicht!)



Rainer Brüderle (FDP):
Rede ID: ID1610800200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Wirt-

schaft brummt. Wir haben eine erfreuliche wirtschaftli-
che Entwicklung. Darüber freuen wir uns als deutsche
Patrioten.


(Zuruf von der SPD: Na, na!)


Der Aufschwung ist weder den Schwarzen noch den Ro-
ten zuzurechnen,


(Zuruf von der SPD: Nur Ihnen?)


er ist der Leistung der Menschen zu verdanken.


(Beifall bei der FDP)


Diesen müssen wir sagen: Danke, ihr macht das prima.
Wir möchten euch dabei helfen.

Der Bundeswirtschaftsminister hat richtig erkannt:
Die jetzige Wirtschaftslage muss genutzt werden, um
durch finanz- und wirtschaftspolitische Maßnahmen
langfristig Deutschland auf dem Wachstumspfad zu hal-
ten und das Wachstum möglichst noch zu steigern. Haus-
haltssanierung und Steuersenkungen sind die entschei-
denden Mittel dazu.


(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Steuersenkungen? Für wen denn?)


Daran, Herr Glos, müssen Sie sich nun messen lassen.


(Beifall bei der FDP)


Ihre heutige Rede beinhaltete ein Stück weit auch
einen Appell in die Koalition hinein, eine vernünftige
Politik zu unterstützen. Ich denke, das ist so ein bisschen
wie bei Harry Potter, der im eigenen Laden gegen das
Übel und die Reformmüdigkeit kämpfen muss. Ich
hoffe, Sie haben die richtige Strategie und nicht bloß
wirkungslose Zaubersprüche ohne Chancen darauf, dass
etwas passiert. Vielmehr müssen konkrete Maßnahmen
Schritt für Schritt umgesetzt werden.

Die Bundesregierung glaubt offensichtlich, ange-
sichts sprudelnder Steuereinnahmen und gefüllter So-
zialkassen neue Subventionstatbestände erfinden zu
müssen. Das ist bei Ihren Vorschlägen zur Mitarbeiter-
beteiligung bis hin zur Förderung von Energiesparmaß-
nahmen bei Kühlschränken und Ähnlichem der Fall. Die
Investitionen erreichen nach den Planungen des Finanz-
ministers 2011 einen historischen Tiefstand; sie betragen
dann nur noch 8,2 Prozent des Haushaltsvolumens. Zu-
gleich werden aber die Ausgaben kräftig erhöht, nämlich
um 4,7 Prozent. Sie haben natürlich recht: Dieser Auf-
schwung darf nicht Anlass sein, die Hände in den Schoß
zu legen, also sozusagen vom Winterschlaf direkt in die
Sommerpause zu gehen. Wir brauchen aber keine neuen
Ausgabenprogramme. Der DIHK-Präsident Braun warnt
davor. Er vermutet, dass der Deutschlandfonds der SPD
ein Modell sei, das dazu beitragen soll, dass die Gewerk-
schaften zu Heuschrecken werden. Bei den diskutierten
Konzepten ist deswegen sicherlich Vorsicht geboten.

Gute Wirtschaftspolitik besteht darin, die Zeit des
Aufschwungs zu nutzen, um für die Zeit des Ab-
schwungs vorbereitet zu sein.


(Beifall bei der FDP)


Schauen wir uns einmal einzelne Bereiche an.






(A) (C)



(B) (D)


Rainer Brüderle
Arbeitsproduktivität: Die Steigerung betrug 2006
1,9 Prozent. Das ist verglichen mit den Jahren zuvor er-
freulich, verglichen mit der Entwicklung in den Verei-
nigten Staaten oder bei uns in den 90er-Jahren immer
noch bescheiden. Hier muss weiter zugelegt werden. Es
handelt sich übrigens überwiegend um Rationalisie-
rungsinvestitionen. Diese allein werden nicht genügen,
um langfristig bzw. dauerhaft mehr Wohlstand zu entwi-
ckeln.

Langfristig Wachstum stimulieren und Wohlstand
entwickeln würden Reformen am Arbeitsmarkt. Herr
Glos fordert zu Recht mehr Flexibilität auf dem Arbeits-
markt. Wenn man das intelligent macht und mehr Ein-
stellungschancen eröffnet, gibt es nicht nur mehr Ar-
beitsplätze, sondern auch mehr Sicherheit, weil
Angebote vorhanden sind. Sie haben zu Recht oft auf
Dänemark verwiesen. Das ist ein gutes Beispiel. Davon
kann man eine Menge lernen. Hier geschieht aber eher
etwas anderes. Sie gehen nicht daran, den kleinen Betrie-
ben die Angst vor der Einstellung zu nehmen, den Kün-
digungsschutz zu modernisieren und betriebliche Bünd-
nisse für Arbeit auf den Weg zu bringen.

Für langfristig bessere Wachstumspfade brauchen Sie
ein Klima des Vertrauens. Sie müssen die Unsicherheit
über die weitere Entwicklung nehmen und mehr Be-
rechenbarkeit geben. In der sogenannten Großen Koali-
tion gibt es viele Widersprüche. Der Bundeswirtschafts-
minister spricht von flexiblen Arbeitsmärkten, und diese
Regierung führt faktisch Mindestlöhne ein. Das ist ein
inhaltlicher Widerspruch. Was wollen Sie denn – Min-
destlöhne oder Flexibilisierung?


(Beifall bei der FDP)


Schwarz-Rot will die Erbschaftsteuer für Unterneh-
men abschaffen. In der Koalition wird aber laut nachge-
dacht, ob man diese Abschaffung nicht unterlassen und
die Erbschaftsteuer sogar noch erhöhen sollte. Auch das
gibt keine Klarheit für die Entscheidungen der Wirt-
schaft.

Zu Recht wollen Sie international wettbewerbsfähige
Unternehmensteuern. Sie bringen aber ein Modell auf
den Weg, das außerordentlich kompliziert ist, sodass Be-
triebe vor Ort sich fragen: Zahlen wir am Schluss denn
weniger oder mehr Steuern? Das ist kein Beitrag zum
Bürokratieabbau und kein Beitrag zu einer leichteren
Berechenbarkeit.


(Beifall bei der FDP)


Die Bürger sollen privat stärker für ihr Alter vorsor-
gen. Sie kürzen aber den Sparerfreibetrag; Steuern auf
Kursgewinne werden eingeführt; durch die kräftige
Mehrwertsteuererhöhung haben Sie vielen den für die
verstärkte Altersvorsorge notwendigen Spielraum ge-
nommen.


(Beifall bei der FDP)


Jetzt diskutieren Sie, ob Freibeträge für Mitarbeiterbetei-
ligungen wieder angehoben werden sollen. Das ist die
Methode: Erst nimmt man denjenigen viele Euro weg;
jetzt bekommen sie ein paar Cent zurück und sollen sich
artig bedanken. Machen Sie es doch gleich richtig! Das
ist für mich ein Zickzackkurs, und Zickzack ist nicht
wachstumsfördernd. Deshalb brauchen wir Klarheit.

Viele Bürger sind gar nicht mehr in der Lage, zu über-
sehen, wie sich die Regelungen der Wirtschaftsgesetze
auswirken, die sie befolgen müssen. Das müsste man
vereinfachen, um es verstehbar und nachvollziehbar zu
machen. Wenn die Steuererklärung nach bestem Wissen
und Gewissen ausgefüllt wird, heißt das noch nicht, dass
sie richtig ist. Kaum einer kann unser Steuerrecht ver-
stehen. Die Bürger unterschreiben ihre Steuererklärung,
können letztlich aber gar nicht nachvollziehen, was sie
unterschreiben. Das müsste man jetzt, wo es wirtschaft-
lich besser geht, in Ordnung bringen, verstehbar machen
und redemokratisieren, damit die Menschen wieder in-
nerlich dabei sein können.


(Beifall bei der FDP)


Jeder kleine Häuslebauer weiß: Das Dach repariert man
am besten, wenn die Sonne scheint, und nicht, wenn es
regnet. Technisch geht das auch bei Regen. Es ist aber
ungleich schwieriger.

Sie haben einige Maßnahmen zum Bürokratieabbau
beschlossen. Gleichzeitig machen Sie aber Gesetze, die
außerordentlich kompliziert, bürokratisch, unverständ-
lich und intransparent sind. In diesem Zusammenhang
denke ich an das Antidiskriminierungsgesetz, aber auch
an die unsystematische Unternehmensteuerreform, bei
der es keine Rechtsform- und Finanzierungsneutralität
gibt. Damit tragen Sie nicht dazu bei, das Ganze einfa-
cher und verstehbarer zu machen.


(Beifall des Abg. Jörg van Essen [FDP])


– Zu Recht klatschen Sie, Herr Kollege.

Die Bundesregierung führt die Abgeltungsteuer auf
Kapitalerträge ein. Gleichzeitig belässt sie es bei der
staatlichen Kontoschnüffelei. Sie wird nicht abgeschafft,
obwohl es logisch wäre, bei der Abgeltungsteuer diesen
Unsinn zu lassen und nicht weiter in die Konten der Bür-
ger hinein zu spionieren.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Überschüsse der Bundesagentur für Arbeit wer-
den in den Bundeshaushalt umgeleitet, anstatt sie den
Beitragszahlern, denen dieses Geld gehört, zurückzuge-
ben. Auch das ist kein Ansatz, Klarheit zu schaffen.


(Beifall bei der FDP)


Herr Glos hat zu Recht erklärt, dass wir den Auf-
schwung entschlossen nutzen müssen. Aber bitte nicht
für neue Ausgabenprogramme! Vielmehr müssen Sie die
Weichen richtig stellen, damit der Wachstumspfad wirk-
lich erreicht wird.

Bei der Kranken- und Pflegeversicherung schaffen
Sie, statt auf Kapitaldeckung und damit auf zukunfts-
feste Strukturen zu setzen, mit dem Gesundheitsfonds
neue Geldsammelstellen. Zudem gibt es Leistungsaus-
weitungen. Auch das ist ein Herumdoktern am System
und keine klare Politik, die dem eigentlichen Ziel ent-
spricht.






(A) (C)



(B) (D)


Rainer Brüderle
Uns geht es darum, die Balance zwischen Privat und
Staat, zwischen Eigenverantwortung und staatlicher
Gängelung, zwischen Freiheit und Bürokratie zugunsten
von Privat, Eigenverantwortung und Freiheit zu verän-
dern, damit wir zukunftsfähig sind.


(Beifall bei der FDP)


Von der Haushaltskonsolidierung ist auch nichts zu
merken, im Gegenteil: Die Schulden werden in den
nächsten Jahren kräftig weiter aufgebaut. Man nimmt
sich viel Zeit, die Konsolidierung anzugehen.

Ich nenne in diesem Zusammenhang auch den Ener-
giegipfel, zu dem es heute Mittag noch eine Aktuelle
Stunde gibt. Das Kernproblem ist, dass die Wettbe-
werbsstrukturen nicht richtig funktionieren. Da muss
man ansetzen; das wäre der richtige Weg. Als Ultima
Ratio müsste man auch das Instrument der Entflechtung
in das Kartellrecht einführen; denn ein funktionierender
Wettbewerb sichert eine ausreichende Energieversor-
gung. Der Handel mit Zertifikaten für Emissionen
schafft Anreize für mehr Umweltschutz und Energieeffi-
zienz. Trauen Sie sich ein bisschen mehr zu, wenn es um
Markt und Freiheit geht. Das würde Fortschritte in
puncto Berechenbarkeit bringen.


(Beifall bei der FDP)


Was wir brauchen, ist mehr Wirtschaftswachstum und
nicht Staatswachstum. Mit rund 5 Prozent Ausgabenstei-
gerung gehen Sie deutlich in Richtung Staatswachstum.
Den Menschen gehört das, was sie erwirtschaften. Die
Dividende des Aufschwungs muss in der Breite bei den
Menschen in Deutschland ankommen: bei den Arbeit-
nehmern und bei den Selbstständigen. Deshalb brauchen
wir eine umfassende Steuerreform und steuerliche Ent-
lastungen und nicht mehr Belastungen. Das ist das Wich-
tigste. Herr Glos, Sie haben diesbezüglich völlig recht.
Aber diese Regierung unternimmt nichts. Frau Merkel,
von Glos lernen heißt besser werden.


(Beifall bei der FDP)


Fair wäre es, die Bürger zu entlasten, indem das Geld,
das die drastische Mehrwertsteuererhöhung bringt, an
die Bürger zurückgegeben wird. Fair wäre es, das Geld,
das die Ökosteuer bringt, zurückzugeben. Sie ist mit der
Einführung des Emissionshandels von der Sache her
überflüssig. Das wäre eine vernünftige Richtung.

Herr Minister Glos, wir wollen Ihnen helfen. Deshalb
haben wir den vorliegenden Antrag eingebracht, der der
Koalition die Gelegenheit bietet, Ihre Politik und Ihr
Konzept „Goldener Schnitt 2012“ zu unterstützen. Unser
Konzept ist noch ambitionierter und noch anspuchsvol-
ler. Aber immerhin weist Ihr Konzept in die richtige
Richtung. Deshalb stellen wir unseren Antrag heute zur
Abstimmung. Wir brauchen eine Steuer- und Abga-
bensenkung. Wir brauchen Haushaltskonsolidierung.
Wir brauchen mehr Investitionen und weniger staatliche
Konsumausgaben.

Unser Antrag ist Glos pur, ohne Regierungslyrik und
ohne Beamtenarithmetik. Sie, insbesondere die Kolle-
ginnen und Kollegen von der CDU/CSU, haben heute
die Chance, den Wirtschaftsminister zu unterstützen und
festzustellen, dass er richtig handelt und etwas Vernünf-
tiges gesagt hat. Haben Sie den Mut, bei der Abstim-
mung über diesen Antrag die Hand zu heben! Sie können
für das Land etwas Gutes tun, indem Sie diese vernünf-
tige Denke unterstützen. Mit dieser Abstimmung wird
sich zeigen, ob Sie es ernst meinen mit der Unterstüt-
zung einer im Prinzip richtig angelegten Konzeption
oder ob es nur eine Inszenierung Ihrerseits ist oder gar
der Entwurf der Scheidungsurkunde der Großen Koali-
tion der kleinen Trippelschritte.

Heute ist eine Sternstunde des Parlaments. Die Regie-
rungskoalition hat die Chance, eine vernünftige Konzep-
tion zu unterstützen. Haben Sie den Mut dazu! Ich
schaue gerade in Richtung der Wirtschaftspolitiker der
Union, die doch mutige Männer aus Franken, Bayern
und anderen Regionen sind. Heben Sie die Hand, und
unterstützen Sie die Konzeption, die im Prinzip richtig
ist!


(Beifall bei der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1610800300

Nächster Redner für die SPD-Fraktion ist der Kollege

Ludwig Stiegler.


(Beifall bei der SPD)



Ludwig Stiegler (SPD):
Rede ID: ID1610800400

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer den

Kollegen Brüderle in den letzten Jahren gehört hat, der
kann erkennen, dass er heute bemerkenswert moderat ist,
weil er gegen den wirtschaftlichen Erfolg der Großen
Koalition nur schlecht anreden kann.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich hätte ihn sehen mögen, wenn er mit seiner Wunsch-
partnerschaft diesen Erfolg hier hätte feiern können. Er
hätte sich gebläht, bis der Kragen platzt.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD – Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Ihre Bilder sind leicht unappetitlich!)


Das wäre sicher der Fall gewesen. Aber so ist es der
Neid der Besitzlosen, die anderen den Erfolg streitig ma-
chen wollen. Herr Brüderle, freuen Sie sich mit uns,
dann finden Sie auch Ihre innere Ruhe wieder.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der Wirtschaftsminister hat hier mit Recht einen gro-
ßen Erfolg verkündet. Er hat nicht viel von den Vätern
des Erfolges geredet. Ich hatte ja das Vergnügen, unter
der Leitung von Franz Müntefering von meiner Seite an
den Koalitionsverhandlungen zum Thema Wirtschaft
mit Edmund Stoiber beteiligt zu sein. Michael ist als
Spätberufener nach einiger Zeit hinzugekommen. Er
wollte ursprünglich mehr auf der Ausgabenseite tätig
sein. Er hat dann vorgefunden, was wir zur Wirtschafts-
politik verabredet haben.

Das war ein Beitrag, der den Urknall ermöglicht hat.
Ich erinnere zum Beispiel daran, dass wir in einer Nacht-
sitzung die Förderung der energetischen Gebäude-






(A) (C)



(B) (D)


Ludwig Stiegler
sanierung durchgesetzt haben. Herr Brüderle, der von
Ihnen so gescholtene Staat hat allein über die Förderung
der energetischen Gebäudesanierung im Jahre 2006 ei-
nen Wachstumsbeitrag von mehr als 1 Prozentpunkt ge-
leistet,


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Hunderttausende von Arbeitsplätzen gesichert, die
Handwerks- und die Bauunternehmen gestützt und die
Investitionen getragen. Hier ist also eine ganze Menge
geschehen.

Ich erinnere an die steuerliche Förderung des
Handwerks. Ich erinnere an die Steuerförderung im
Hinblick auf Investitionen. Kollege Rainer Wend war
dabei. Es war nicht leicht mit der Union; denn sie hatte
bloß den Bierdeckel von Friedrich Merz. Darauf stand
das alles nicht; das muss man einfach sehen. Auf dem
Bierdeckel war zu wenig Platz. Auch in den Kirchhof-
Papieren war nichts zur steuerlichen Förderung des
Handwerks vorgesehen. Insofern war es ein schönes Er-
lebnis, als Edmund Stoiber und vor allem sein Wirt-
schaftsminister damals gesagt haben: Gott sei Dank kön-
nen wir unser altes Gelumpe wegwerfen und zu dieser
neuen Programmatik übergehen. – Es ist Ihr Verdienst,
dass Sie mitgemacht haben. Herzlichen Dank! Der ge-
meinsame Erfolg ist da.


(Beifall bei der SPD – Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Gleich platzt der Kragen!)


Lieber Michael Glos, auf einer Menge sozialdemokrati-
scher Dünger ist dein Weizen gewachsen. Du darfst zwar
ernten und verkaufen; das ist okay. Aber man soll dem
Ochsen, der da drischt, nicht das Maul verbinden; so
steht es schon in der Bibel.

Nun ist der arme Kerl von Zimmermann beschuldigt
worden, er sei Opfer linkskeynesianischer Umtriebe.
Das ist ein starkes Stück. Michel ist weder links noch
keynesianisch, und Umtriebe macht er zwar, aber auf an-
derer Ebene.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)


Nein, das ist wirklich zu viel. Wer seine Jahresgabe zum
40-jährigen Jubiläum des Stabilitäts- und Wachstumsge-
setzes anschaut, der sieht, dass er mit Linkskeynesianis-
mus nichts zu tun hat. Er deutet all das, was wir nachfra-
georientiert gemacht haben, in Angebotsmaßnahmen
um. Das würde ich meinem Staatssekretär austreiben.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Aber immerhin steht einiges in dem von ihm vorge-
legten Papier. Er hat den Wert der öffentlichen Investi-
tionen erkannt. Er hat einen neuen Investitionsbegriff.
Wir haben seit langem von Karlsruhe den Auftrag, im
Stabilitäts- und Wachstumsgesetz den Investitionsbegriff
zu reformieren und darin nicht nur Investitionen in Be-
ton, sondern auch in Bildung, Forschung und Entwick-
lung vorzusehen. Also, auf geht’s! Packen wir es an, da-
mit wir hier vorankommen und öffentliche Investitionen
nachgeholt werden. Die Botschaft des Stabilitäts- und
Wachstumsgesetzes ist, dass wir eine öffentliche Verant-
wortung für diesen Bereich haben.

Nun ist viel von der Staatsquote geredet worden. Da
liegen wir im europäischen Vergleich weit unten. Nun ist
aber die Staatsquote – ich habe den entsprechenden
Kommentar von Alex Möller noch einmal nachgelesen –
kein Wert an sich. Vielmehr ist wichtig, dass wir unsere
öffentlichen Aufgaben erfüllen, Forschung und Entwick-
lung betreiben, die Energieeffizienz voranbringen und
Investitionen mit hoher Multiplikatorwirkung durchfüh-
ren.

Herr Brüderle, wir sollten Bürger und Staat nicht in
einen Gegensatz bringen. Wir sind für einen Staat der
Bürger.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Nur mit den richtigen Rahmenbedingungen können wir
allen die Chancen geben, sich zu entwickeln und zu bil-
den.

Herr Brüderle hat gemahnt, dass die Bundesagentur
für diejenigen etwas leisten muss, die sie nicht integriert.
Als der Bund Zuschüsse in Milliardenhöhe an die Bun-
desanstalt gegeben hat, hat kein Mensch von Beitragser-
höhungen gesprochen. Man war selig im Nehmen, ist
aber geizig im Geben. Ich finde, da man früher in Zeiten
der Not der Bundesagentur aus dem Bundeshaushalt
mehr als 30 Milliarden hat zukommen lassen, kann man
in Zeiten des Überschusses dem Kaiser geben, was des
Kaisers ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deshalb geht dieser Angriff fehl.

Ich danke ausdrücklich dem Finanzminister, der zu-
sammen mit dem Wirtschaftsminister eine gestaltende
Haushaltspolitik betreibt und Investitionen begünstigt.
Derzeit brauchen wir noch keine antizyklische Haus-
haltspolitik. Eine solche dürfen wir auch in Zukunft
nicht betreiben; der Haushalt darf allenfalls neutral sein.
Insgesamt ist aber noch eine ganze Menge zu tun.

Das Entscheidende ist, dass der Aufschwung bei al-
len ankommt und nicht mit Sozialabbau verbunden ist.
Was haben uns die Professoren und Sachverständigen
gesagt? Ihr müsst den Kündigungsschutz lockern, den
Arbeitsmarkt flexibilisieren und die Rigiditäten aufbre-
chen. Alle, die das gesagt haben, sind jetzt ganz verzwei-
felt; denn der Aufschwung ist gekommen, ohne dass wir
Sozialabbau betreiben mussten. Ich danke allen, die da-
ran mitgewirkt haben.


(Beifall bei der SPD)


Daran sieht man, dass stimmt, was die Bank für Interna-
tionalen Zahlungsausgleich in ihrem 77. Jahresbericht
geschrieben hat: Volkswirtschaft ist keine exakte Wis-
senschaft. Das muss man den Professoren entgegenhal-
ten, die ihre ideologischen Vorstellungen mit schönen
Rechenmodellen abgleichen, die am Ende meistens hin-
ten und vorne nicht stimmen. Der beste Computer hilft
nichts, wenn die Parameter falsch gesetzt sind.






(A) (C)



(B) (D)


Ludwig Stiegler
Wir wollen Sicherheit auf dem Arbeitsmarkt; denn
mit Flexibilität haben die Menschen bereits verdammt
viel zu tun. Hier war von weiterer Liberalisierung die
Rede. Lasst uns erst einmal dafür sorgen, dass die Nach-
folgeunternehmen der Post ihre Mitarbeiter nach dem
Postgesetz bezahlen und nicht länger versuchen, sich mit
Dumpinglöhnen im Wettbewerb zu behaupten.


(Beifall bei der SPD)


Wir wollen einen Wettbewerb unter Leistungsgesichts-
punkten und nicht hinsichtlich der Knechtschaft der Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Deswegen werden
wir keine Ruhe geben.


(Beifall bei der SPD)


Bevor wir die Liberalisierung weiter vorantreiben, gilt es
die Kollateralschäden der Liberalisierung zu beseitigen.

Der Minister sprach von 40 Millionen Erwerbstäti-
gen, nicht von Beschäftigten; das ist ein kleiner Unter-
schied. Bei der Zahl der Beschäftigten gibt es einen Zu-
wachs, der aber – und das ist dramatisch – aus der
Leiharbeit resultiert. Wir wollten die Leiharbeit zwar
aus der Schmuddelecke herausholen – darüber haben wir
schon einmal im Vermittlungsausschuss, quasi in einer
Großen Koalition, verhandelt –; es war aber nicht unsere
Intention, dass die Leiharbeit missbraucht wird, um die
Stammbelegschaften massiv unter Druck zu setzen. Wir
wollten den Unternehmen die notwendige Flexibilität
bieten, aber nicht große Teile der Beschäftigten in Leih-
arbeits- und damit in unsichere Verhältnisse bringen.
Darüber müssen wir reden.


(Beifall bei der SPD – Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Aber genauso haben wir es vorausgesagt! Damals haben Sie sich darüber lächerlich gemacht!)


– Was Sie da erzählen, ist doch Unsinn.


(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Ein bisschen Selbstkritik würde Ihnen gut anstehen!)


Die Auflockerung gibt es aufgrund der Tarifverträge.
Das hatte seinen Grund. Wer einen Rentenversiche-
rungsbeitrag in Höhe von 28 Prozent fordert und damit
1 Million Arbeitsplätze gefährdet, der sollte in einer sol-
chen Debatte still sein.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir werden weiter über das Thema Mindestlohn bera-
ten. Hier gab es einen Ruck. Wir haben einen Sprung nach
vorn gemacht. Uns geht das noch nicht weit genug. Mit
Interesse nehme ich zur Kenntnis, dass Herr Almunia alle
europäischen Staaten mahnt, den Mindestlohn einzufüh-
ren.

Die Tarifrunden helfen uns. Der private Verbrauch
spielte im ersten Halbjahr dieses Jahres noch längst nicht
die Rolle, die Michael Glos ihm zugedacht hat. Es wird
der Tarifrunde bedürfen, um die Kaufkraft zu steigern,
um den Schrittwechsel von der Förderung der Binnen-
nachfrage durch Investitionen, Ausrüstungen und Bau-
ten auf eine Förderung durch den privaten Konsum zu
erreichen. Deswegen unterstützen wir es, dass die Vertei-
lungsgerechtigkeit in Deutschland in den Tarifrunden
angegangen wird.

Zurzeit wird über den Fachkräftemangel diskutiert.
Dazu sage ich: Solange wir 30 000 arbeitslose Ingenieure
haben, erwarte ich von der deutschen Wirtschaft, dass
sie diesen Ingenieurinnen und Ingenieuren, jungen wie
alten, eine Chance gibt, bevor sie sich an den gedeckten
Tischen anderer Länder bedient.


(Beifall bei der SPD)


Das ist unser Auftrag. Jetzt müssen die Hausaufgaben
gemacht werden durch Qualifizierung und Fortbildung.
Jetzt müssen wir vorangehen. Wann, wenn nicht jetzt?
Das ist unsere Hauptaufgabe. Wir dürfen nicht anders-
wohin flüchten.

Wir haben viele öffentliche Aufträge zu erfüllen.
Energieeffizienz ist ein wichtiger Auftrag. Die energeti-
sche Gebäudesanierung war eine ganz wichtige Rah-
menbedingung. Dennoch sollten wir uns bewusst sein:
Die Weltwirtschaft ist und bleibt unser Schicksal, dem
wir uns nicht demütig unterwerfen. Wir haben internati-
onalen Einfluss und sollten ihn nutzen. In Fragen der
Währung ist der Rat gefordert. Der Kurs des Euro geht
seit einem Monat schnurstracks in die Höhe. Das bringt
erhebliche Probleme mit sich. Hier ist nicht nur die Eu-
ropäische Zentralbank gefordert, sondern auch der Rat.
Darauf müssen wir in den internationalen Gesprächen
achten. Jede Tarifrunde und jede Einsparung wird zu-
schanden, wenn es zu Währungsverwerfungen kommt.
Hier haben wir eine große Aufgabe vor uns.

Wir appellieren an die Europäische Zentralbank, es
mit der Zinspolitik nicht zu übertreiben. Es ist schon ein-
mal ein Aufschwung abgewürgt worden. Das hatte er-
hebliche Folgen: Arbeitsplätze gingen verloren, es gab
1 Million Konkurse. Das muss man im Auge behalten.
Lasst uns deshalb dagegen ankämpfen!

Wir wollen, dass der Aufschwung allen nützt. Wir
wollen eine solidarische Gesellschaft, mit der wir uns in
der Welt von Morgen behaupten. Dafür brauchen wir gut
qualifizierte Arbeitnehmer, sichere Arbeitsplätze und
Verteilungsgerechtigkeit. Das werden wir gemeinsam
auf den Weg bringen, Herr Bundeswirtschaftsminister.
Wir werden gemeinsam voranschreiten. Herr Brüderle
darf uns von der Seite Beifall klatschen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1610800500

Das Wort erhält nun Dr. Gregor Gysi, Fraktion Die

Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1610800600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!


Michael Glos (CSU):
Rede ID: ID1610800700
Der Auf-
schwung in Deutschland hat eine Spur mehr Elan als Sie.


(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Gregor Gysi
Ich hätte mir gewünscht, dass Sie das hier etwas mehr
zum Ausdruck bringen.

Herr Stiegler, ich war sehr verwundert, als Sie sich
über den Neid der Besitzlosen aufgeregt haben. Früher
hat die SPD die Interessen der Besitzlosen vertreten.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir haben einen wirtschaftlichen Aufschwung; das
stimmt. Aber man muss sich einmal ansehen, für wen
sich dieser Aufschwung positiv auswirkt. Was ist denn
von 2000 bis 2006 passiert? Die Einkommen aus Ver-
mögen und Gewinnen sind um 161 Milliarden Euro ge-
stiegen, das heißt um 38 Prozent. Von den 206 Milliar-
den Euro, die mehr erwirtschaftet worden sind, gingen
161 Milliarden Euro an diese Bevölkerungsgruppe. Sie
macht 10 Prozent der Bevölkerung aus. Sie machen also
einen Aufschwung für 10 Prozent der Bevölkerung;
90 Prozent haben nichts davon. Das ist das eigentliche
Problem.


(Beifall bei der LINKEN)


Das war in der alten Bundesrepublik Deutschland an-
ders. In den 50er-Jahren, in den 60er-Jahren, in den 70er-
Jahren, selbst in den 80er-Jahren hat ein Aufschwung
immer dazu geführt, dass es auch Rentnerinnen und
Rentnern, Beschäftigten, Kranken etc. besser ging.
Heute kann davon überhaupt keine Rede mehr sein. Mit
dieser Veränderung der Politik müssen wir uns auseinan-
dersetzen.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Veränderung begann mit der Regierung von SPD
und Grünen und setzt sich jetzt in der Großen Koalition
von Union und SPD fort. Das heißt, das galt unter
Schröder und gilt auch jetzt unter Frau Merkel.

Schauen wir uns die einzelnen Gruppen an! In den
letzten zehn Jahren gab es einen Rückgang der Löhne
und Gehälter der abhängig Beschäftigten – ich möchte
Sie daran erinnern – von 5,1 Prozent. Wenn man die
Preissteigerung in Höhe von 10 Prozent berücksichtigt,
macht der Rückgang 6 Prozent aus. In allen anderen In-
dustriegesellschaften – USA, Großbritannien und Frank-
reich – gab es Lohnsteigerungen. Nur in Deutschland
gab es einen Rückgang von 6 Prozent.


(Otto Fricke [FDP]: Wollen Sie amerikanische Verhältnisse?)


Schauen wir uns einmal den Aufschwung in diesem Jahr
an! Die neuen Lohnabschlüsse gleichen nicht einmal die
Verluste der letzten zehn Jahre aus. Von Aufschwung
kann in diesem Zusammenhang überhaupt keine Rede
sein.


(Beifall bei der LINKEN)


Sagen Sie den 50 000 Mitarbeitern der Telekom doch
einmal, dass sie einen Aufschwung erleben! Der Auf-
schwung besteht darin, dass sie ausgegliedert werden
und pro Woche vier Stunden länger arbeiten müssen,
ohne dafür einen einzigen Cent mehr Lohn zu erhalten.
Das ist unverschämt, und das hat mit Aufschwung nichts
zu tun.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Das ist ja ganz schlimm! – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Oh ja! Ganz schlimm! Eine Erhöhung von 34 auf 38 Stunden!)


Nun komme ich auf die Rentnerinnen und Rentner
zu sprechen. Sie hatten seit vier Jahren Nullrunden zu
verzeichnen. Sie wissen ganz genau: In Anbetracht der
Preissteigerungen sind Nullrunden in Wirklichkeit Minus-
runden. Nun kam es zu einer Steigerung von „gewalti-
gen“ 0,54 Prozent. Dem ist gegenüberzustellen, dass die
Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung und zur
Pflegeversicherung steigen werden. Dabei müssen auch
die Mehrwertsteuererhöhung und die Inflationsrate be-
rücksichtigt werden. Wenn man all das einbezieht, stellt
man fest: Für die Rentnerinnen und Rentner kommt wie-
derum eine Minusrunde heraus, nichts anderes.


(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Genau!)


Das ist der Aufschwung für die Rentnerinnen und Rent-
ner.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich möchte noch etwas weiter in die Vergangenheit
blicken. Unter Kanzler Kohl wurde die alte Rentenfor-
mel verändert. Nach der alten Rentenformel wurden die
Rentnerinnen und Rentner an Lohnsteigerungen und an
Produktivitätssteigerungen beteiligt. Union und FDP be-
schlossen damals eine neue Formel. Dann kam eine neue
Regierung unter Kanzler Schröder – damals war Oskar
Lafontaine, wenn ich Sie daran erinnern darf, übrigens
noch Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei
Deutschlands und Bundesfinanzminister –, und siehe da:
Was beschloss die damalige Koalition? Sie beschloss,
die neue Rentenformel nicht in Kraft treten zu lassen,
sondern es bei der alten Formel zu belassen, um die
Rentnerinnen und Rentner weiterhin an Lohnsteigerun-
gen und Produktivitätssteigerungen zu beteiligen.


(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Allerdings! Das war einer der großen Fehler von Lafontaine!)


Nachdem etwas Zeit vergangen war, stellte sich Herr
Schröder allerdings hier hin, entschuldigte sich bei
Union und FDP dafür, dass er die neue Kohl’sche Ren-
tenformel zurückgenommen hatte, und führte sie wieder
ein. Seitdem werden die Rentnerinnen und Rentner an
Lohn- und Produktivitätssteigerungen nicht mehr betei-
ligt.


(Beifall bei der LINKEN)


Deshalb erleben sie keinen Aufschwung. Korrigieren Sie
das, wenn Sie diesen Zustand ändern wollen!


(Ludwig Stiegler [SPD]: Die Sache mit der Rentenformel haben Sie wirklich nicht verstanden!)


– Sie haben etwas geändert. Sie haben dafür gesorgt,
dass man heutzutage noch später als früher Rente be-
kommt. Dazu kann ich nur sagen: Das ist ja ein toller
Aufschwung!






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Gregor Gysi

(Beifall bei der LINKEN)


Insofern verstehe ich nicht, wie Sie, Herr Stiegler,
darauf kommen, dass hier kein Sozialabbau stattgefun-
den habe. Lohnkürzungen sind Sozialabbau. Rentenkür-
zungen sind Sozialabbau. Die Belastungen der Kranken,
die aus Ihren Gesetzen resultieren, sind Sozialabbau. Sie
können doch nicht so tun, als hätte es all das nie gege-
ben.


(Beifall bei der LINKEN)


Jetzt frage ich Sie: Gibt es einen Aufschwung für die
Kranken? Die Praxisgebühren und die Zuzahlungen zu
Medikamenten bleiben. Nichts hat sich für die Kranken
verbessert. Selbst die ehemaligen Härtefallregelungen
haben Sie aufgehoben. Wir werden beantragen, dass Sie
die Härtefallregelungen, durch die Patienten von Zuzah-
lungen befreit werden, in der gleichen Form wie früher
wieder einzuführen. Ich bin sehr gespannt, ob Sie die
Kranken zumindest insoweit am Aufschwung teilneh-
men lassen oder nicht.


(Beifall bei der LINKEN)


Jetzt komme ich auf die Zahl der Arbeitslosen zu
sprechen, auf die Zahl, auf die Sie immer stolz hinwei-
sen. Das Schicksal derjenigen, die heute arbeitslos sind,
verbessert sich um keinen Deut. Gibt es eine einzige
Entscheidung von Ihnen, die zur Folge hat, dass die Ver-
mittlung verbessert wird, die Weiterbildungsmöglichkei-
ten erweitert werden oder die materielle Ausstattung der
Arbeitslosen verbessert wird? Gibt es eine einzige Ent-
scheidung von Ihnen, die dazu führt – das wurde sogar
aus den Reihen der Union gefordert –, dass jemand, der
25 Jahre oder länger in die Arbeitslosenversicherung
eingezahlt hat, auch länger Arbeitslosengeld I bekommt?
Nichts dergleichen! Sie beschließen nicht eine einzige
Verbesserung für Arbeitslose. Deshalb nehmen sie am
Aufschwung nicht teil.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Reinhard Göhner [CDU/CSU]: Doch! Das tun sie! Wir schaffen nämlich mehr Arbeitsplätze!)


– Das ist mir klar; dazu sage ich jetzt etwas.

Zum Rückgang der Zahl der Arbeitslosen. Die eine
Hälfte derjenigen, die gegenwärtig beschäftigt sind, ar-
beitet im Unterschied zu ihrer vorherigen Situation in
Mini- und Midijobs. Keiner von uns würde je einem sol-
chen Job nachgehen; denn dann wären wir nicht mehr in
der Lage, unsere Familien zu versorgen.


(Beifall bei der LINKEN)


Die andere Hälfte derjenigen, die nun beschäftigt sind,
ist sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Dabei han-
delt es sich um mehr als 500 000 Personen. Zu den
500 000 Personen, die sozialversicherungspflichtig be-
schäftigt sind, möchte ich Ihnen zwei Dinge sagen: Ers-
tens sind unter ihnen viele, die sich in Leiharbeitsver-
hältnissen befinden. Das ist eine moderne Form der
Sklaverei, die wir überwinden müssen;


(Beifall bei der LINKEN)

diese Arbeitsverhältnisse drücken übrigens auch auf die
Situation der anderen Beschäftigten. Zweitens werden
viele von ihnen extrem schlecht bezahlt. Sie bekommen
nur 800 oder 900 Euro netto und leben am Existenzmini-
mum. Darauf kann man nicht so stolz sein, wie Sie es
sind.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Reinhard Göhner [CDU/CSU]: Aber auf die Arbeitslosen, oder was?)


– Nein, das habe ich nicht gesagt. Wir sollten uns darum
kümmern, dass die Leute anständig und würdig bezahlt
werden. Führen Sie einen gesetzlichen Mindestlohn von
8 Euro brutto pro Stunde ein! Dann wären wir viele Pro-
bleme in Deutschland los.


(Beifall bei der LINKEN – Manfred Grund [CDU/CSU]: Fangen Sie damit doch bei den Mitarbeitern Ihrer Fraktion an!)


Unerfreulich ist außerdem, dass die Zahl der Lang-
zeitarbeitslosen so gut wie gar nicht zurückgegangen
ist. Das sind gerade jene, die Hartz IV beziehen.


(Laurenz Meyer [Hamm] [CDU/CSU]: Auch das ist falsch! Sie haben überhaupt keine Ahnung!)


– Es sind rund 2,4 Millionen geblieben, Herr Meyer. Sie
können die Tatsachen hier nicht einfach wegreden.


(Beifall bei der LINKEN – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Und so jemand war in Berlin Wirtschaftssenator!)


Für die haben Sie keine einzige Verbesserung beschlos-
sen.


(Laurenz Meyer [Hamm] [CDU/CSU]: Keine Ahnung! Wer hier so redet, hat das letzte Mal vor vier Wochen Zeitung gelesen!)


Es gibt einen Effekt des Aufschwungs – das ist wahr –:
Die Zahl der ALG-I-Empfänger ist deutlich gesunken.
Die Bundesagentur für Arbeit verfügt daher über
Überschüsse. Nun ist die spannende Frage: Was machen
wir mit diesem Geld? Da streitet sich die Koalition. Die
einen möchten, dass der Beitrag zur Arbeitslosenversi-
cherung gesenkt wird; dann wissen wir nachher wieder
nicht, wie wir die Arbeitslosen bezahlen sollen. Herr
Steinbrück schlägt vor, die Überschüsse für den Bundes-
zuschuss zur Krankenversicherung zu verwenden. Ich
sage: Beides geht nicht. Wir fordern stattdessen, mit den
Überschüssen statt Arbeitslosigkeit Arbeit zu finanzie-
ren. Wir brauchen einen öffentlich geförderten Beschäf-
tigungssektor,


(Beifall des Abg. Oskar Lafontaine [DIE LINKE])


und zwar in erster Linie, damit wichtige Tätigkeiten auf
den Gebieten der Ökologie, der Bildung und der Kultur
endlich verrichtet werden, aber auch damit die Arbeits-
losigkeit endlich abgebaut werden kann.


(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der FDP: Endlich wieder volkseigene Betriebe!)







(A) (C)



(B)


Dr. Gregor Gysi
Herr Müntefering hat diesbezüglich einen guten Vor-
schlag gemacht. Er hat gesagt, er will den Kommunen
Geld geben, damit die Kommunen Leute öffentlich ge-
fördert beschäftigen etc. Wir leugnen nicht, dass dieser
Vorschlag gut ist. Er hat allerdings zwei extreme Schön-
heitsfehler: Der eine ist, dass Herr Müntefering sagt:
Wer drei Jahre gefördert beschäftigt wurde, bekommt,
wenn er arbeitslos wird, kein Arbeitslosengeld I. Das
müssen Sie korrigieren. Sonst bekommt das wieder ei-
nen unmenschlichen Zug.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Der andere ist, dass er sagt: Das meiste müssen natürlich
die Kommunen bezahlen. Der Bund bezahlt nur das, was
wir bei Hartz IV einsparen. – Auch das ist nicht gerecht.
Der Bund kann sich nicht zulasten der Kommunen aus
seinen Aufgaben herausstehlen.


(Beifall bei der LINKEN)


Aber die Idee ist vernünftig. Wir brauchen einen sol-
chen, öffentlich geförderten Beschäftigungssektor.

Dann stellen wir noch die spannende Frage, ob Ost-
deutschland von dem Aufschwung etwas hat. Wie sieht
es aus? Kein einziger Vorschlag von Ihnen, damit Ost-
deutsche endlich den gleichen Lohn für gleiche Arbeit in
gleicher Arbeitszeit erhalten! Kein einziger Vorschlag
von Ihnen, damit Rentnerinnen und Rentner im Osten
für die gleiche Lebensleistung endlich die gleiche Rente
erhalten! Kein einziger Vorschlag von Ihnen, damit im Os-
ten Deutschlands und in strukturschwachen Regionen
Westdeutschlands die Kommunen Investitionsmittel erhal-
ten, um eigene Wirtschaftskreisläufe in Gang zu setzen!
Menschen im Osten und in strukturschwachen Regionen
spüren vom Aufschwung nichts.

Der Aufschwung, den wir jetzt haben, wird haupt-
sächlich durch den Export getragen; das festzuhalten ist
wichtig. Die Exporte haben im letzten Jahr um
12,5 Prozent zugenommen, die Exporte nach China und
Russland sogar um etwa 30 Prozent. Übrigens nahmen
die Exporte in die USA erstmalig ab; auch darüber lohnt
es sich nachzudenken. Zugenommen haben auch die In-
vestitionen in Anlagen und Ausrüstung und im Bau.
Aber jetzt kommt das Spannende: Die Steigerung der
Ausgaben für den privaten Konsum in Deutschland liegt
bei 0,4 Prozent; sie findet so gut wie überhaupt nicht
statt. In diesem Jahr wird sie noch niedriger sein, weil im
Januar die Mehrwertsteuererhöhung hinzukam. Nun
müssen Sie wissen, dass vier Fünftel der Unternehmen
in Deutschland von der Binnenkonjunktur leben. Nur ein
Fünftel lebt vom Export und von den anderen Bereichen.
Für vier Fünftel gibt es also keinen oder nur einen gerin-
gen Aufschwung. Selbst in der Wirtschaft geht es extrem
ungerecht zu.


(Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der CDU/CSU: Absoluter Schwachsinn! Stimmt nicht! 40 Prozent!)


Vier Fünftel der Wirtschaft und die große Mehrheit der
arbeitenden und arbeitslosen Bevölkerung haben vom
Aufschwung wenig oder nichts. Ich nenne Ihnen zwei
Zahlen – die können Sie nicht leugnen –: – –

Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1610800800

Vielleicht sollten Sie sich auf eine beschränken.


Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1610800900

Aber die gehören eng zusammen, Herr Präsident, die

wollen Sie beide hören. Dann schließe ich auch.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1610801000

Nein.


Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1610801100

Von Januar bis Mai 2007 hatten wir im Einzelhandel

einen „Aufschwung“ von minus 1,5 Prozent, bei großen
Warenhäusern sogar von minus 8,4 Prozent. Das ist die
Realität. Sorgen Sie endlich dafür, dass es einen Auf-
schwung gibt, der zu mehr Wohlfahrt für die breite
Mehrheit der Bevölkerung führt! Aber das scheinen Sie
konsequent zu verhindern. Das ist Ihr Problem, und des-
halb wächst Ihre Akzeptanz nicht, und zwar zu Recht.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1610801200

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Norbert Röttgen

für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Norbert Röttgen (CDU):
Rede ID: ID1610801300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Rede, die wir gerade gehört haben, hat deutlich gemacht,
dass es in diesem Land eine Gruppe gibt, die ein Pro-
blem mit dem Aufschwung und dem Wachstum, die un-
ser Land und die Menschen erleben, hat: die Linkspopu-
listen in der deutschen Politik. Sie haben damit ein
Problem, weil ihre Fraktion und ihre Partei politisch
vom Ressentiment leben. Ihre Taktik ist es, Ängste zu
schüren und die Sorgen der Menschen auszunutzen, da-
mit sie parteipolitisches Kapital daraus schlagen können.


(Widerspruch bei der LINKEN – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: So ist es!)


Wenn die Menschen Zuversicht fassen und wieder Ver-
trauen schöpfen, dann haben sie ein parteipolitisches
Problem. Darum gilt: Gute Zeiten für das Land sind
schlechte Zeiten für die PDS. Das ist ein Grund, weshalb
wir gute Zeiten für dieses Land wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Das führt mich zur ersten von drei etwas grundsätz-
licheren Anmerkungen, die ich machen möchte. Die
erste Frage ist: Welches Wachstum wollen wir? Wir, die
CDU/CSU, sind der Auffassung, dass Wachstum nicht
allein eine ökonomische Größe ist. Wachstum ist kein
Selbstzweck, sondern muss sich als Ziel legitimieren.
Wir wollen Wachstum, wenn und weil es den Menschen
dient. Wir freuen uns über die Entwicklung, die wir der-
zeit haben, und befördern sie, weil dieses Wachstum
zum Arbeitsplatzwachstum in diesem Land geführt

(D)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Norbert Röttgen
hat. Das ist das Wichtigste, was Wachstum den Men-
schen vermittelt, weil es Sinn und Teilhabe bedeutet. Da-
rum mäkeln wir nicht am Arbeitsplatzwachstum herum.
Die Zeitarbeit profitiert ebenfalls vom Arbeitsplatz-
wachstum, was wir begrüßen. Auch geringfügige Be-
schäftigungsverhältnisse sind besser als Arbeitslosigkeit,
weil sie eine Brücke in den Arbeitsmarkt bedeuten. Ge-
rade für die Schwächeren ist das eine wesentliche Brü-
cke.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir wollen und befördern ökologisches Wachstum.
Das bedeutet, dass wir zur Erreichung wirtschaftlicher
Ziele die Natur immer weniger in Anspruch nehmen dür-
fen. Wir wollen qualifiziertes Wachstum durch neue
Ideen und Innovationen. Ich betone den Begriff des qua-
litativen, gesunden Wachstums deshalb, weil wir der
Überzeugung sind, dass wir Wachstum nur dann sichern,
wenn wir es auch wollen. Dann müssen wir aber die Dis-
kreditierung, Ablehnung und Infragestellung des Wachs-
tums als Ziel – wie sie auch in unserem Land in den
70er-Jahren begonnen hat – durch die Einführung eines
Konzeptes für qualifiziertes und gesundes Wachstum
überwinden. Wir brauchen eine solche Definition von
Wachstum und einen neuen Wachstumsbegriff. Gesun-
des Wachstum ist unser Ziel für unser Land.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zweite Bemerkung: Was ist unsere Strategie, um die-
ses Ziel zu erreichen? Genauer gesagt: Wie sichern wir
unter den Bedingungen der Globalisierung nachhaltiges
Wachstum für unser Land? Ich glaube, dass man dafür
eine Doppelstrategie braucht. Es sind zwei strategische
Ziele, die wir erreichen müssen.

Das erste Ziel lautet: Wir wollen und brauchen für un-
ser Land die besten Wettbewerbsbedingungen. Wir wol-
len weiter Gewinner der Globalisierung sein. Unser
Land ist ein klassischer Gewinner der Globalisierung,
und wir wollen die Bedingungen schützen, erhalten und
fördern, damit wir weiterhin Gewinner der Globalisie-
rung sein werden.

Das zweite strategische Ziel lautet: Teilhabe der
Schwächeren an diesem Prozess. Es ist kein Automatis-
mus, dass alle davon profitieren, sondern es bedarf der
aktivierenden und brückenbauenden Rolle des Staates,
um die Schwächeren vom Rand in die Mitte zu bekom-
men.

Das ist unsere Doppelstrategie: Wir wollen Wettbe-
werb und die Teilhabe der Schwächeren erreichen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


In Bezug auf den ersten Punkt, den Wettbewerb, muss
die Große Koalition das fortsetzen, was sie begonnen
hat. Es gibt eben auch politische Gründe für den Wachs-
tumsprozess, den wir haben. Wir haben eine Unterneh-
mensteuerreform beschlossen und müssen sie durch eine
Regelung für Wagniskapital fortsetzen; der Bundeswirt-
schaftsminister hat es angesprochen. Wir haben mit der
Haushaltskonsolidierung begonnen. Das ist aber ein
Prozess, der nicht beendet ist. Es gibt keine Volkswirt-
schaft, die ohne konsolidierte Staatsfinanzen nachhaltig
erfolgreich ist. Wir haben Sozialreformen in die Wege
geleitet, und wir brauchen weitere Sozialreformen. Wir
haben die Instrumente zum Bürokratieabbau geschaffen.
Jetzt müssen wir die Bürokratie auch abbauen. Darum
sage ich für unsere Fraktion: Wir wollen in dieser Legis-
laturperiode das Ziel, die Bürokratie bis 2009 messbar
abzubauen, erreichen. Bei diesem Ziel muss es bleiben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zweitens: Teilhabe der Schwächeren. Durch die Glo-
balisierung wurde der Automatismus, den es unter den
Bedingungen des Nationalstaates und der Nationalöko-
nomie noch gab, dass sich nämlich volkswirtschaftliches
Wachstum im Grunde eins zu eins zu einem breiten indi-
viduellen Wohlstandswachstum transponiert, aufgelöst.
Unser Land ist Gewinner. Wir haben viele Gewinner.

Globalisierung bedeutet aber auch, dass es Verlierer
und Verluste gibt. Das müssen wir, die wir ein positives
Verhältnis dazu haben, verantwortlich ansprechen, damit
mit den Sorgen und Ängsten, die mit dem Prozess der
Globalisierung verbunden sind, kein Schindluder getrie-
ben wird. Wir müssen denjenigen, die sich durch die
Globalisierung bedroht fühlen, eine Heimat geben; denn
am häufigsten sind es psychologische Verluste. Die An-
forderung an Mobilität und Flexibilität, der Verlust von
Berechenbarkeiten, Sicherheiten und Lebensroutinen –
das macht den Menschen und insbesondere den Schwä-
cheren zu schaffen. Ich finde, auch wir, die CDU/CSU,
müssen dies aussprechen, weil wir die Globalisierung
gestalten wollen. Darum muss das ein Teil unserer Stra-
tegie sein.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich möchte das, was Michael Glos gesagt hat, aus-
drücklich betonen. Man kann vieles dazu sagen, aber
eines ist das Wichtigste und für diejenigen, die vom
Menschen und seiner Würde ausgehen, auch program-
matisch: Mit dieser Strategie wird auf die Befähigung
der Einzelnen gesetzt und in das menschliche Vermö-
gen investiert, damit die Menschen befähigt werden, mit
diesem Prozess klarzukommen. Darum ist die Erziehung
der Kleinen wichtig, und deshalb geht es bei der Betreu-
ung nicht nur um den Aufenthaltsort der Kinder, sondern
auch um die Qualität. Vorschulische Bildung, schulische
Bildung, Qualifikation, Forschung und Wissenschaft –
das ist der goldene Weg für unser Land, den wir gehen
und befördern müssen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben sich herauskatapultiert!)


Sie haben recht: Wir müssen nicht nur noch besser
werden, wir sind zum Teil auch schlecht, nicht gut ge-
nug, und wir genügen den Anforderungen nicht. Ich will
ein Beispiel nennen und formuliere es nicht als Vorwurf,
aber das Problem muss beschrieben werden: Nach dem,
was ich gerade gesagt habe, ist es nicht akzeptabel – ich
stehe nicht an, zu sagen, es ist skandalös –, dass jedes
Jahr nach wie vor fast jeder zehnte Jugendliche in die-
sem Land die Schule ohne Abschluss verlässt.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Norbert Röttgen

(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Woran liegt das denn?)


Wir dürfen das nicht hinnehmen, weil wir dadurch Au-
ßenseiter in unserer Gesellschaft programmieren. Das ist
nicht akzeptabel.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Vielleicht darf ich nach theoretischer Beschäftigung
– fast würde ich sagen: trotz praktischer Beschäftigung –
mit dem Föderalismus sagen: Wenn es sich erweisen
sollte, dass die Länderzuständigkeit dazu führt, dass wir
übergreifende Probleme auf diesem Gebiet nicht lösen,
dann gerät der Föderalismus in unserem Land in eine Le-
gitimationskrise.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich weiß, wer das eingeführt hat! Das waren Sie!)


Für mich bedeutet die Konsequenz aber nicht die Ab-
schaffung von Länderkompetenzen, sondern wir appel-
lieren, dass die Länderkompetenzen zur Problemlösung
wahrgenommen werden. Die höchste Form der Wahr-
nehmung von Länderkompetenzen besteht nicht darin,
nach Bundesgesetzen oder Bundesgeld zu rufen. Wir
wollen auch bei der Wahrnehmung von Kompetenzen
Föderalismus.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Ludwig Stiegler [SPD] und Beifall bei der FDP)


Das gehört zur Wettbewerbsfähigkeit; die Effizienz der
Organisation des Staates ist Teil der Wettbewerbsfähig-
keit unseres Staates.

Eine dritte und letzte Bemerkung, die wegen der Zeit
kürzer ausfallen muss, als ich möchte. Eine Wettbe-
werbsstrategie bzw. eine Wachstumsstrategie für unser
Land kann nie nur national definiert sein, sondern sie
muss eine europäische, eine internationale Dimension
haben. Nach meiner festen Überzeugung stehen wir
diesbezüglich in unserem Land, in Europa und weltweit
am Beginn einer Debatte über Wettbewerb und Protek-
tionismus, in der sich neue Fragen stellen. Es ist auch
nur scheinbar paradox, dass die Globalisierung diese De-
batte mit sich bringt, weil die Haltung vieler Menschen
zur Globalisierung ambivalent ist.

Wir freuen uns, nach Jahrzehnten der Selbstverständ-
lichkeiten wieder eine Debatte über Wettbewerb führen
zu können. Unsere Fraktion wird diese Debatte offensiv,
positiv und engagiert führen. Wir werden in dieser De-
batte nachweisen können, dass wir der Globalisierung
nicht ausgeliefert sind, sondern dass auch unter den Be-
dingungen der Globalisierung eine Politik der ordnenden
Gestaltung ebenso nötig wie möglich ist. Nur diejenigen,
die auf Abwehr, Aversion und Angst setzen, sind gestal-
tungsunfähig zulasten der Schwachen, die auf eine Poli-
tik der Gestaltung angewiesen sind.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Wir werden diese Debatte führen und nachweisen,
dass Wettbewerb nicht nur rational das bessere System
ist, sondern auch in ethischer Hinsicht begründet und
überlegen ist. Es gibt kein System, das besser und mehr
Information und Transparenz ermöglicht, Innovation
schafft und für die Kontrolle und Begrenzung von Macht
sorgt. Auch das entspricht nicht Ihren Vorstellungen und
Erfahrungen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wir wollen Wettbewerb, weil er auch zur Begrenzung
der wirtschaftlichen Macht beiträgt.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1610801400

Herr Kollege, denken Sie bitte an die Zeit.


Dr. Norbert Röttgen (CDU):
Rede ID: ID1610801500

Ich komme zum letzten Punkt. Wettbewerb bedeutet

nicht Schutzlosigkeit. Protektionismus bedeutet etwas
anderes als Protektion. Der Staat muss Schutz gewähren.
Darin liegen – historisch wie aktuell – der Sinn und der
Grund, warum Staatlichkeit begründet worden ist. Der
Staat kann Schutz gewähren: bei der behutsamen und
differenzierten Kontrolle außereuropäischer, staatlich
gelenkter Direktinvestitionen und beim Schutz des
Rechts auf geistiges Eigentum. Auch in vielen anderen
Fällen hat der Staat in Zeiten der Globalisierung eine ak-
tuelle und vielleicht noch stärkere Schutzfunktion als
früher. Das ist die Herausforderung. Es geht nicht da-
rum, die Globalisierung abzuwehren, sondern darum, in
dem Willen, sie bewältigen und gewinnen zu können,
die Chancen zu nutzen, sie menschlich zu gestalten.

Danke.


(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1610801600

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf der Ehrentri-

büne hat soeben der Parlamentspräsident der Repu-
blik Namibia, Herr Dr. Gurirab, mit seiner Delegation
Platz genommen. Im Namen aller Kolleginnen und Kol-
legen des Deutschen Bundestages, von denen Sie eini-
gen schon im Laufe Ihres Besuches begegnet sind, be-
grüße ich Sie sehr herzlich.


(Beifall)


Herr Präsident, es ist uns eine große Freude, Sie und
Ihre Begleitung zu einem offiziellen Besuch in Deutsch-
land zu Gast zu haben. Seit der Unabhängigkeit Ihres
Landes 1990 haben sich freundschaftliche und umfas-
sende Beziehungen zwischen unseren Ländern ent-
wickelt. Dazu haben sicherlich auch die beiden Nami-
biaentschließungen des Deutschen Bundestags aus den
Jahren 1989 und 2004 beigetragen. Ich habe Ihnen ges-
tern in unserem Gespräch bereits versichert, dass der
Bundestag der Zusammenarbeit unserer Parlamente
große Bedeutung beimisst. Für Ihren Aufenthalt und Ihr






(A) (C)



(B) (D)


Präsident Dr. Norbert Lammert
weiteres parlamentarisches Wirken begleiten Sie unsere
besten Wünsche.

Wir setzen die Debatte fort. Nächster Redner ist der
Kollege Fritz Kuhn für Bündnis 90/Die Grünen.


Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1610801700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Lieber Herr Röttgen, Sie haben eine, wie ich finde, er-
freulich programmatische Rede gehalten. Insbesondere
freut uns übrigens, dass Sie sich langsam dem Begriff
des qualitativen Wachstums nähern.


(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Wollen Sie den übernehmen?)


Ich bin gespannt, ob Sie dem Anspruch, den Sie formu-
liert haben, auch in Bezug auf das Verhältnis von Ökolo-
gie und Ökonomie tatsächlich genügen werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Erlauben Sie mir aber eine Feststellung, Herr
Röttgen: Mit den großen Zügen, die die Bundesregie-
rung – insbesondere der Wirtschaftsminister über dessen
Regierungserklärung wir heute diskutieren – macht, ha-
ben Ihre Ausführungen nicht viel zu tun.


(Widerspruch des Abg. Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU])


Das werde ich jetzt im Einzelnen aufzeigen. Wir haben
uns gewundert, was uns Herr Glos präsentiert hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das Ganze steht unter der Überschrift „Goldener Schnitt
2012“. Er hat aber nicht näher ausgeführt, was er eigent-
lich damit meint. Laut Werbebroschüre handelt es sich
dabei um ein Programm, das bis zum Jahr 2012 keine
neuen Schulden, massive Steuer- und Abgabensenkun-
gen sowie Investitionen in Höhe von 70 Milliarden Euro
vorsieht. Das ist das Vorhaben des Wirtschaftsministe-
riums. Die zugrunde liegenden Annahmen sind ein jähr-
liches Wachstum von 3 Prozent


(Dr. Reinhard Göhner [CDU/CSU]: Sie haben das nicht gelesen!)


und ein Ausgabenwachstum von 2 Prozent innerhalb der
nächsten fünf Jahre. Im nächsten Jahr werden schon
4,9 Prozent erreicht. Das heißt, der Fünfjahresplan ist – so
ist es nun einmal mit Fünfjahresplänen, Herr Glos; da hät-
ten Sie sich bei Herrn Gysi erkundigen können – schon im
ersten Jahr Makulatur, da Sie ihn im Rahmen der Haus-
haltsaufstellung durch den Bundesfinanzminister nicht
durchhalten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Menschen sollten einmal Ihre Broschüre lesen.
Dort stehen so schöne Sätze wie folgender: „Staat und
Wirtschaft befinden sich zurzeit in einem Tugendkreis-
lauf.“ Wer das nicht versteht, erfährt, dass das auf Latei-
nisch „Circulus virtuosus“ heißt. Solche Geschichten er-
zählt uns dieser Wirtschaftsminister.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich kann im Namen meiner Fraktion dazu nur sagen: Sie
als oberster Tugendbold dieses Tugendkreislaufs, Herr
Wirtschaftsminister, das ist schon ein starkes Stück, das
im Parlament – zu Recht – nur auf Gelächter stoßen
kann.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Glos, uns ärgert, dass Sie kein Konzept zur Ver-
stetigung des Wachstums vorlegen, das vorausschauend
Bedingungen festlegt, die sicherstellen, dass wir in der
nächsten Konjunkturkrise besser dastehen als in der Ver-
gangenheit. Sie schlagen keine strukturellen Änderungen
vor. Wenn Sie etwas Neues machen wie bei der Kinder-
betreuung, dann finanzieren Sie das mit Steuermehrein-
nahmen aus dem gestiegenen Wachstum, aber nicht
durch den Abbau bestehender Strukturen wie beim Ehe-
gattensplitting, um den Haushalt strukturell zu konsoli-
dieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Was wird denn aus Ihren Programmen, wenn die Kon-
junktur wieder einbricht? Dann werden die Mittel für In-
vestitionen, Bildung und Kinderbetreuung wieder gestri-
chen werden müssen. Herr Röttgen, deswegen handelt es
sich um keine nachhaltige Politik – Sie sehen lediglich
zu, dass Sie mit dem zusätzlichen Geld aus dem Wirt-
schaftsboom schöne Tage verbringen –, sondern um eine
Politik, die nicht auf eine strukturelle Konsolidierung
abzielt.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sie haben nicht aufgepasst, Herr Kuhn!)


Frau Bundeskanzlerin, es wäre notwendig, in einer
Aufschwungphase – dann ist es leichter – die Sozialsys-
teme in Ordnung zu bringen und weiter zu reformieren,
das heißt, mehr Qualität aus den vorhandenen Mitteln
und unter Beachtung der Lebenschancen künftiger Ge-
nerationen – auch das bedeutet qualitatives Wachstum –
herauszuholen. Aber wo sind die großen Reformen? Die
Gesundheitsreform ist Murks. Das haben Sie inzwischen
selber eingesehen. Bei der Pflegeversicherung haben Sie
keine Reform der Struktur, sondern eine Beitragssteige-
rung beschlossen. Auf Arbeitsmarktreformen, die vor al-
lem die Chancen der Langzeitarbeitslosen, wieder einen
Einstieg zu finden, verbessern, warten wir noch immer.
Und welch ein Theater führen Sie beim Einwanderungs-
gesetz auf? Herr Glos und Frau Schavan sagen nun, man
müsse Gutqualifizierten die Einwanderung erleichtern.
Aber, Herr Glos, bei der Verschärfung des Einwande-
rungsgesetzes haben Sie den Mund nicht aufgemacht.
Sie sind damals in die Furche gegangen und haben nichts
in dem Sinn bewegt, wie Sie es aufgeschrieben oder
heute wortreich verkündet haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Was Sie machen, ist zu wenig. Sie wollen zwar den
Aufschwung verlängern, führen aber keine Strukturre-
formen durch. Soll man diese Reformen während der
nächsten Konjunkturdelle machen, wenn es viel schwie-
riger ist? Hier vergibt die Große Koalition Chancen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)


Fritz Kuhn
Herr Glos, nun komme ich zu dem Punkt, den ich in
Ihrer Politik für völlig unverständlich halte. Sie sind in
der Bundesregierung und der EU der oberste Bremser,
wenn es um ökologische Modernisierung geht, und
zwar auf allen Feldern. Für den Gebäudepass haben Sie
fast zwei Jahre gebraucht. Sie haben ihn so gemacht,
dass er nicht das bringt, was er hätte bringen können.
Frau Bundeskanzlerin, nun wird es wichtig, gerade im
Hinblick auf die Diskussionen auf dem Energiegipfel:
Herr Glos hat noch nicht einmal die Blaupause für ein
Energieeffizienzprogramm in der Schublade, das er bis
Ende Juni bei der EU vorlegen sollte. Er hat gepennt. Er
will gar nicht mehr Energieeffizienz. Das ist jedenfalls
unser Eindruck.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ein Gesetz zur regenerativen Wärme? Keine Spur!
Ein Gesetz zur Verbesserung der Kraft-Wärme-Kopp-
lung? Keine Spur! Wer steht mit beiden Beinen auf der
Bremse, wenn es um die für einen effektiven Klima-
schutz notwendige Festlegung von Verbrauchsobergren-
zen für Fahrzeuge geht? Michel Glos, der Chefinnovator
Deutschlands, was ökologisches Bremsen angeht. Den
Titel haben Sie sich zu Recht verdient.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das ist auch kein Wunder: Sie sind gegen Energieeffi-
zienz, weil Sie der Sprecher der großen Energiekonzerne
und insbesondere der Konzerne, die die Laufzeit der
Atomkraftwerke verlängern wollen, im Wirtschaftsmi-
nisterium sind. Uns erzählen Sie immer etwas von der
tollen, verlässlichen Atomkraft. Schauen Sie einmal auf
das Kraftwerk Krümmel. Was hat man uns vor wenigen
Tagen erzählt? Der Vorfall habe sich nur außerhalb des
Reaktors ereignet. Gestern haben wir erfahren, dass es
zum Druckabfall im Reaktordruckbehälter kam. Dies
wurde noch verschwiegen. Ich würde der Bundesregie-
rung – das geht auch an den Umweltminister – den Rat
geben, einmal die Verlässlichkeit des Betreibers
Vattenfall für Atomkraftwerke nach dem Atomgesetz zu
prüfen und nicht dauernd auf der Bremse zu stehen,
wenn es um neue Fragestellungen geht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Hakki Keskin [DIE LINKE])


Ich komme zur Energieeffizienz. Frau Merkel, Sie
haben einen Wirtschaftsminister, der am 24. Novem-
ber 2004, also vor nicht allzu langer Zeit, in diesem
Haus gesagt hat – ich zitiere –:

Mit dem so genannten EEG und Ähnlichem sind im
Grunde Steuern für Spinnereien verbunden, die Ih-
rer Ideologie entsprechen, die aber an der wirt-
schaftlichen Wirklichkeit der Welt ein ganzes Stück
vorbeigehen.

Wir haben fast 300 000 neue Arbeitsplätze im Bereich
der erneuerbaren Energien geschaffen.


(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie haben gar nichts geschaffen!)

Im Rahmen der Effizienzstrategie der Bundeskanzlerin
und der Energieszenarien soll diese Branche weiter
wachsen. Aber der Chefbremser sitzt im Wirtschafts-
ministerium


(Ludwig Stiegler [SPD]: Das macht der Gabriel!)


und soll dies jetzt, wie ich gelesen habe, bis Sommer zu-
sammen mit dem Umweltminister ausarbeiten. Frau
Kanzlerin, da haben Sie wirklich den Bock zum Gärtner
gemacht. Herr Glos will gar nicht, dass diese Branche
wächst. Er hält das für Spinnerei. Dazu hätten Sie, Herr
Glos, in Ihrem „goldenen Schnitt“ etwas sagen sollen,
anstatt über Tugend zu philosophieren, wofür Sie meines
Erachtens wahrhaft der Ungeeignetste sind, den die Bun-
desregierung aufzubieten hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Eine Story war, dass Sie, Herr Glos, uns erzählt ha-
ben, Sie seien der oberste Wettbewerbshüter im Sinne
der sozialen Marktwirtschaft à la Ludwig Erhard. Wir
haben uns einmal angesehen, was Sie, Herr Glos, tat-
sächlich geleistet haben. Beim Telekommunikationsge-
setz haben Sie Ihr ursprüngliches Vorhaben aufgegeben.
Jetzt klagt die EU, damit das, was Sie beschlossen ha-
ben, nicht stattfinden kann. In Sachen Bahn haben Sie,
Herr Glos, sich monatelang in den Medien als Wettbe-
werbshüter dargestellt, aber jetzt sind Sie eingeknickt.
Wenn dem großen Veranstalter Bahn für 18 Jahre das
Netz überlassen werden soll, dann frage ich mich, wo
der Wettbewerbshüter Michel Glos war, als es darum
ging, das Netz, das ich als öffentliches Gut betrachte,
wirklich allen zur Verfügung zu stellen – wieder in der
Furche.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Jetzt komme ich zu Ihrer Arbeitsweise. Sie machen
einige Monate ein bisschen Wind, schauen, dass Sie ein
bestimmtes Image bekommen, und wenn es hier im
Hause, in der Bundesregierung oder in der EU zum
Schwur kommt, dann geht Michel Glos als Erster in die
Furche und weiß nicht mehr, wovon er geredet hat. Wett-
bewerbshüter sind Sie mit dieser Politik nicht.

Ich bringe ein weiteres Beispiel.


(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Reden Sie mal zur Sache!)


Als Wirtschaftsminister sind Sie dafür verantwortlich,
ob die Doharunde – die WTO-Verhandlungen – erfolg-
reich wird oder nicht. Die Verhandlungen sind jetzt ge-
scheitert. Einer der wesentlichen Gründe dafür war, dass
die Europäer und die Amerikaner nicht in der Lage wa-
ren, von der Subventionierung ihrer Agrarexporte abzu-
sehen und so den Entwicklungsländern eine neue
Chance auf dem Weltmarkt zu geben. Wo war der Vor-
schlag des Wettbewerbshüters Michel Glos an dieser
Stelle? Er hat keinen einzigen gemacht, um die Doha-
runde flottzumachen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Er hat sich hinter den Subventionen für die bayerischen
Großbauern versteckt, aber Wettbewerb hat es nicht






(A) (C)



(B) (D)


Fritz Kuhn
gebracht, was Sie gemacht haben. Sie haben völlig dabei
versagt, einen positiven deutschen Beitrag zur Doha-
runde zu leisten. Deswegen, so finde ich, haben Ludwig
Erhard, Walter Eucken, Müller-Armack, die Sie als Ihre
Ahnen reklamiert haben, in Ihnen jedenfalls bislang kei-
nen positiven Nachfahren gefunden.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das ist ja peinlich!)


Der „goldene Schnitt“, den Sie hier vorgelegt haben,
Herr Glos – damit komme ich zum Schluss –,


(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das ist nur noch peinlich!)


ist ein ziemlich großer Mist. Es ist Lyrik, eine Samm-
lung von Zahlen und Sachen, die sich nicht bestätigt ha-
ben. Deswegen haben übrigens der Finanzminister und
die Bundeskanzlerin gesagt, dass sie Ihre Zahlen, näm-
lich 70 Milliarden Euro zu investieren, die Steuern zu
senken, die Sozialabgaben zu senken und erst 2012 zu
konsolidieren, nicht nachvollziehen können. Sie sind mit
diesem Programm eigentlich auch in der Bundesregie-
rung vollständig auf die Nase gefallen – ich finde, zu
Recht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1610801800

Nächster Redner für die SPD-Fraktion ist der Kollege

Dr. Rainer Wend.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Rainer Wend (SPD):
Rede ID: ID1610801900

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten

Sie mir, zunächst auf drei meiner Vorredner einzugehen.
Das ist in einer Debatte ja auch sinnvoll.

Herr Kollege Brüderle, Sie haben zu Beginn der Aus-
sprache gesagt, der Aufschwung sei nicht der Politik zu
verdanken, sondern den Bürgerinnen und Bürgern. Es ist
widersprüchlich, in Zeiten des konjunkturellen Ab-
schwungs die Fehler und Ursachen ausschließlich bei
der Politik zu suchen und in Zeiten des konjunkturellen
Aufschwungs zu behaupten, die Politik habe damit über-
haupt nichts zu tun. Was haben Sie, Herr Kollege
Brüderle, eigentlich für ein Demokratieverständnis?
Die demokratisch gewählten Abgeordneten des Deut-
schen Bundestages sind die Repräsentanten der Bürge-
rinnen und Bürger. Sie sind nichts Fremdes, sie sind kein
Neutrum, sondern die Vertretung der Bürgerinnen und
Bürger. Einen Gegensatz zwischen Bürgern und Politik
zu konstruieren, ist in Wahrheit demokratieschädlich und
falsch, Kollege Brüderle. Dieser Versuch muss deutlich
zurückgewiesen werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Ich möchte gern einige Worte zum Kollegen Gysi sa-
gen. Er hat hier eine Rede gehalten, durch die mir wieder
sehr deutlich geworden ist, warum uns, die Linkspartei
und die Sozialdemokratie, eigentlich Welten trennen.
Erstens. Sie haben gesagt – ich verstehe das, weil es
aus parteitaktischen Gründen geschehen ist –, dieser
Aufschwung sei nicht bei den Bürgerinnen und Bürgern
angekommen. Meine Erwiderung ist ganz einfach: Wenn
heute 1 Million Menschen mehr in Arbeit sind als vor ei-
nem Jahr, dann ist bei diesen Menschen der Aufschwung
angekommen. Der Aufschwung ist nicht nur bei ihnen
angekommen, sondern auch bei denen, die in Arbeit sind
und ein Stück weit weniger Angst um ihren Arbeitsplatz
als früher haben müssen. Ich wiederhole: Auch bei de-
nen ist der Aufschwung angekommen, Kollege Gysi.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Zweitens. Sie haben sich mit der – dieser Punkt ist
fast noch wichtiger – Veränderung der Rentenformel in
der rot-grünen Koalition auseinandergesetzt. Wer den
Bürgerinnen und Bürgern angesichts der Globalisierung
und der demografischen Entwicklung – ein sich immer
rascher wandelnder Arbeitsmarkt, Variabilität von Inves-
titionen; durch einen Knopfdruck können auf der ganzen
Welt innerhalb von Sekunden Milliardenbeträge ver-
schoben werden; wir leben zum Glück immer länger und
können immer länger Rente in Anspruch nehmen; es
wachsen immer weniger junge Leute nach, die in die
Rentenversicherung einzahlen – verspricht, es könne al-
les so bleiben, wie es gewesen sei, versündigt sich an
den Menschen. Das Gegenteil ist richtig.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Wer jetzt keine Reformen der sozialen Sicherungssys-
teme in Angriff nimmt und darauf verzichtet, eine ent-
sprechende Wirtschafts- und Finanzpolitik zu betreiben,
wird den Wohlstand für künftige Generationen in Wahr-
heit verspielen. Weil wir das nicht wollen, glauben wir,
dass die Linkspartei in unserer Republik nicht koali-
tionsfähig ist.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Jörg van Essen [FDP]: Das gilt auch für Berlin!)


Kollege Röttgen, zu Ihrer bemerkenswerten Rede ei-
nes aufgeklärten Konservativen: Ich würde mich freuen,
wenn es Ihnen gelänge, mit dieser Positionierung auch
die Kolleginnen und Kollegen in Bayern und Baden-
Württemberg zu erreichen. Ich finde, Sie haben mit Ih-
rem Ansatz völlig recht: Wirtschaftspolitik ist auch
Geldpolitik, ist auch Investitionspolitik, ist auch Haus-
haltskonsolidierung.

Wirtschaftspolitik ist aber immer auch Gesellschafts-
politik. Was heißt das konkret? Die Wirtschaft kann nur
erfolgreich sein, wenn Bildung erfolgreich vermittelt
wird. Damit meine ich nicht nur – das haben Sie zu
Recht angesprochen – die Bildung im oberen Qualifika-
tionsbereich. Bildung heißt auch, dass die Kinder in un-
serer Gesellschaft, die in benachteiligten Familien leben,
eine Chance auf Bildung und Ausbildung bekommen,
damit es aufhört, dass in unserer Gesellschaft nur die
studieren können, deren Eltern ihrerseits auch schon stu-
diert haben. Wir wollen, dass sich das ändert. Das muss
man dann konkret machen. Das bedeutet zum Beispiel
Ganztagsschulen, Ganztagsbetreuung und Ganztags-






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Rainer Wend
kindergärten. Deswegen ist es richtig, was die Große
Koalition in diesem Bereich beschlossen hat. Das heißt
aber auch, dass man Kinder nicht schon mit zehn Jahren
selektiert und ihnen sagt: Die einen sind nur gut für die
Hauptschule, und die anderen sind gut für das Gymna-
sium. – Wir wollen, dass sie zusammen länger erzogen
und individuell besser gefördert werden.


(Beifall bei der SPD)


Wirtschaftspolitik heißt auch, sich die Frage zu stel-
len, welche menschlichen Ressourcen wir nicht ausrei-
chend ausschöpfen. Hier frage ich: Tun wir eigentlich al-
les, um den Frauen in unserer Gesellschaft, in der
Wirtschaft die Stellung zu geben, die ihnen zusteht? Wir
leisten es uns, qualifizierte Frauen mit Hochschulab-
schlüssen, mit guten Ausbildungen im Arbeitsmarkt au-
ßen vor zu lassen. Deswegen hat die Koalition recht,
wenn sie die Betreuung von Kindern um der Kinder und
der Mütter willen verbessert, damit sie in unserer Gesell-
schaft und in unserer Wirtschaft den ihnen zustehenden
Platz gewinnen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn das richtig ist, dann frage ich, wie es damit ver-
einbar ist, einen finanziellen Anreiz dafür zu setzen, dass
die Mütter zu Hause bleiben, anstatt ihre Qualifikationen
in Arbeit zu nutzen. Deswegen, meine ich, ist der Ansatz
der Betreuungsprämie gesellschafts- und wirtschaftspo-
litisch falsch.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wirtschaftspolitik ist Gesellschaftspolitik, aber auch
Umweltpolitik. Denn wie können wir uns angesichts der
Klimakatastrophe eine wirtschaftliche Entwicklung vor-
stellen, ohne alle Potenziale für Energieeinsparung und
alternative Energien zu nutzen? Ein „Weiter so“ in der
Energiepolitik ist nicht nur klimaschädlich, sondern
auch wirtschaftspolitisch schädlich. Wir brauchen den
ganzheitlichen Ansatz in der Wirtschaftspolitik.


(Beifall bei der SPD – Zuruf von der FDP: Und nicht selektieren!)


Meine Damen und Herren, mit den Beispielen ver-
suchte ich, deutlich zu machen, dass der Ansatz des Kol-
legen Röttgen richtig ist: Wirtschaftspolitik ist auch Ge-
sellschaftspolitik. Dann müssen wir es in dieser Großen
Koalition aber auch bis zum Ende durchdeklinieren und
uns auf den harten Weg machen, diesen richtigen Aussa-
gen die praktische Politik folgen zu lassen. Wir Sozial-
demokraten sind dazu bereit, Kollege Röttgen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich gehe nun auf das Papier von Herrn Glos ein. Wie
geht es jetzt weiter? Die Ökonomen haben recht: In Pha-
sen des wirtschaftlichen Aufschwungs kann man die
größten Fehler machen. Der größte Fehler wäre jetzt, das
Geld mit vollen Händen zum Fenster hinauszuwerfen.
Deswegen ist der Haushaltsentwurf des Bundesfinanz-
ministers genau der, den wir in dieser Situation brau-
chen. In Zeiten des Aufschwungs müssen wir die struk-
turellen Mehreinnahmen für Investitionen nutzen.
Konjunkturelle Mehreinnahmen müssen wir aber für die
Konsolidierung des Haushaltes einsetzen, damit wir in
anderen Zeiten, die zwangsläufig kommen werden, den
Spielraum haben, antizyklische Politik zu machen und
Investitionen in unserem Land zu fördern.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Denn bei den Investitionen gibt es Nachholbedarf.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Sehr wahr!)


Die Investitionsquote in Deutschland ist derzeit mit
1,3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes nur halb so hoch
wie der EU-Durchschnitt. Das kann auf Dauer nicht so
bleiben. Dies gilt übrigens auch für die Bildungsinvesti-
tionen. Deutschland investiert 4 Prozent des BIP in das
Bildungswesen. 8,3 Prozent investieren beispielsweise
die Dänen. Das ist vorbildlich. Deswegen sage ich Ihnen
als Sozialdemokrat: Haushaltskonsolidierung in guten
Zeiten, aber auch in schlechten Zeiten. Investieren in In-
frastruktur und in Bildung ist die Voraussetzung dafür,
dass wir die konjunkturellen Zyklen, die es in unserer
Gesellschaft immer geben wird, möglichst gut im Griff
behalten.

Lassen Sie mich zum Abschluss noch eines anspre-
chen: Arbeitnehmerbeteiligung. Dabei ist sich die Ko-
alition im Ziel einig. Über die Methoden diskutieren wir
noch. Sie sagen: Wer im eigenen Betrieb investiert, be-
kommt steuerliche Vorteile; die sollen ihn dazu anreizen.
Ich finde, Ihr Vorschlag hat einen großen Vorteil, näm-
lich die Förderung der Identifikation der Arbeitnehme-
rinnen und Arbeitnehmer mit ihrem eigenen Betrieb.
Das ist das Gute an diesem Modell.

Dieses Modell hat aber drei Probleme. Problem Nr. 1:
die Portabilität; auf Deutsch: Wie wird es geregelt, wenn
ein Arbeitnehmer den Betrieb verlässt? Problem Nr. 2:
das doppelte Risiko von Arbeitsplatzverlust und Kapital-
verlust. Das dritte Problem schließlich: Ihr Modell ist
verdammt teuer, weil viele Steuervorteile damit verbun-
den sind. Es belastet den Haushalt mit mindestens
1 Milliarde Euro. Wenn das Modell gut angenommen
würde, kostete es sogar noch viel mehr.

Angesichts dieser drei Probleme muss ich sagen: Das
Modell, das wir vorgeschlagen haben, das auf den ersten
Blick nicht so perfekt erscheint, sichert vor Insolvenz, es
hilft den Arbeitnehmern bei einem Betriebswechsel, und
am Ende ist es für den Haushalt, den wir ja konsolidieren
wollen, verträglicher.

Die Große Koalition streitet viel. Das muss auch so
sein, weil wir für die nächsten Wahlen Konkurrenten
bleiben. Wir bekommen zusammen aber auch viel hin,
und darauf können wir gemeinsam stolz sein.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1610802000

Nun erhält voraussichtlich zum letzten Mal in diesem

Hause der Kollege Dr. Reinhard Göhner, CDU/CSU-
Fraktion, das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Reinhard Göhner (CDU):
Rede ID: ID1610802100

So ist es. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Herr Wend, Sie haben recht: Wir sind uns im
Ziel der Mitarbeiterkapitalbeteiligung einig. Ich finde,
auch Sie haben einen bemerkenswerten Vorschlag vor-
gelegt – darüber kann man reden –: Arbeitnehmerspar-
zulage erhöhen, einen neuen Investmentfonds schaffen.
Das Problem ist nur, dass das nichts mit Mitarbeiterkapi-
talbeteiligung zu tun hat.


(Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: So ist es!)


Wir wollen tatsächlich die Beteiligung am eigenen
Unternehmen fördern und so die Motivation erhöhen,
die Identifikation der Arbeitnehmer mit dem eigenen
Unternehmen und die Beteiligung am Gewinn des eige-
nen Unternehmens ermöglichen. Wer am Gewinn betei-
ligt sein will, muss allerdings das Risiko des Verlusts
hinnehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich bin sicher: Wir werden bei gleicher Zielsetzung
– stärkere Mitarbeiterkapitalbeteiligung – auch in dieser
Frage eine Lösung finden.

Diese Debatte wird von zwei Fragen durchzogen:
Wem nutzt dieser Aufschwung? Was ist eigentlich die
Ursache für diesen Aufschwung? Beides sind wichtige
Fragen, weil sich daraus Konsequenzen für die künftige
Politik ableiten lassen.

Mal ehrlich: Wer vor 20 Monaten bei Antritt dieser
Regierung prognostiziert hätte „1 Million weniger Ar-
beitslose, 600 000 zusätzliche sozialversicherungspflich-
tig Beschäftigte,“ – so viele waren es allein in den letz-
ten 12 Monaten – „Senkung des Staatsdefizits von
3,7 auf 1,7 Prozent, doppelt so viele offene Stellen,
100 000 mehr angebotene Ausbildungsplätze“, den hätte
ich für unzurechnungsfähig erklärt.

Warum ist es trotzdem so gekommen? Das ist in der
Tat – darüber sind wir uns völlig einig – nicht allein das
Werk der Regierung. Der Welthandel? Jawohl, das ist
eine wesentliche Ursache. Aber der Welthandel ist auch
von 2001 bis 2005 expandiert,


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr wahr! Und trotzdem kein Aufschwung!)


als wir in einem Wechsel von Rezession und Stagnation
in unserem Land zugesehen haben, wie andere Länder
hohe Wachstumsraten erreichten und wir in der EU auf
die hinteren Plätze zurückgefallen sind.


(Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: Richtig! Ganz genau!)


Was also ist eigentlich passiert, dass wir jetzt wieder
eine solide Wachstumsentwicklung haben?

Seit Ludwig Erhard wissen wir: Die Hälfte einer er-
folgreichen Wirtschaftspolitik ist Psychologie.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr wahr!)


Der Dreiklang von Sanieren, Reformieren und Investie-
ren war die richtige Stimmungslage, mit der eine neue
Verlässlichkeit und Nüchternheit in die Politik eingezo-
gen sind. Das ist für Marktbeteiligte in einer sozialen
Marktwirtschaft ein Signal, auf dem sich Investitionen
und bessere Zukunftsaussichten aufbauen lassen.

Nachdem hier eine kritische Bemerkung zum Verhält-
nis von Angebots- und Nachfragepolitik gemacht
wurde, Herr Stiegler, möchte ich doch auf Folgendes
hinweisen: Wenn die klassische Nachfragetheorie, also
die neosozialistische Theorie der Linken zuträfe, müss-
ten wir jetzt Rezession und explodierende Arbeitslosen-
zahlen haben. Was ist nämlich passiert? Die Löhne sind
in den letzten Jahren – das ist wahr – nur mäßig gestie-
gen, die Lohnstückkosten sind drei Jahre in Folge gesun-
ken, die Staatsquote und das Staatsdefizit sind gesunken,
die Neuverschuldung wurde halbiert, die Notenbank-
zinsen steigen. All das sind Umstände, die nach der klas-
sischen Nachfragetheorie eigentlich zu Rezession und
explodierenden Arbeitslosenzahlen führen müssten.
Diese Theorie ist durch die Fakten widerlegt.

Es ist wichtig, daran zu erinnern, was die Politik zum
Aufschwung beigetragen hat, weil wir diese Politik jetzt
fortsetzen müssen. Die Neigung, angesichts voller Kas-
sen und höherer Beschäftigungsquote, also in einem
Aufschwung, wieder andere Pfade einzuschlagen, ist lei-
der nicht zu übersehen.


(Zuruf von der FDP: Sehr wahr!)


Deshalb möchte ich einige Punkte beleuchten.

Erstens. Die moderaten Lohnabschlüsse haben zu
diesem wirtschaftlichen Aufschwung beigetragen. Das
ist, wie ich glaube, unstreitig; alle Ökonomen sagen das.
In der Konsequenz mögen uns die Politik der Tarifpart-
ner und die Tarifvertragsabschlüsse manchmal nicht ge-
fallen: Den einen sind sie zu hoch, den anderen zu nied-
rig; den einen sind sie nicht flexibel genug, den anderen
zu locker. Einen Schluss können wir aber aus der Ent-
wicklung der letzten Jahre ziehen: Die Tarif- und Be-
triebspartner können das allemal besser, als wir Politiker
bzw. der Staat es jemals könnten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Zweitens. Zu der positiven Entwicklung auf dem Ar-
beitsmarkt haben die Arbeitsmarktgesetze der letzten
Jahre ganz sicher beigetragen.

Es ist wahr – damit komme ich zu der Frage, wie es
sich mit dem Nutzen dieser Reformen verhält –: Wir ha-
ben in den Vorjahren vielen Menschen viel zugemutet.
Die Arbeitsmarktreformen erschienen zumindest vielen
als Zumutung, zum Beispiel weil wir die Bezugsdauer
für Arbeitslosengeld gekürzt haben. Die Tarifpolitik er-
schien zumindest vielen als Zumutung, weil es für viele
keine Steigerung des Realeinkommens gab und manche
für das gleiche Geld länger arbeiten mussten. Aber jetzt
stellt sich heraus: Solche Zumutungen bringen Ertrag,
und zwar – das ist meine These bezüglich der Frage,
wem der Aufschwung nutzt – Ertrag für die Schwächs-
ten in unserem Lande, die Arbeitslosen und die Älteren,
deren Beschäftigungsquote in Deutschland jahrelang
sehr niedrig lag. Erfreulicherweise steigt die Erwerbs-






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Reinhard Göhner
quote der älteren Beschäftigten rasant an, und wir haben
350 000 Langzeitarbeitslose weniger.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Hört! Hört!)


Also die schwächste Gruppe, das heißt die Arbeitslosen,
die am schwierigsten einen Arbeitsplatz finden, profi-
tiert. Deshalb kann man ganz eindeutig sagen, die Ar-
beitsmarktreformen zeigen im jetzigen Aufschwung
positive Auswirkungen gerade bei den Schwächsten in
unserem Lande.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das sollte uns ermutigen, den bisherigen arbeitsmarkt-
politischen Kurs fortzusetzen, statt in alte Fehler zurück-
zufallen.

Zu diesem Kurs gehört auch – das hat sich die Große
Koalition von Anfang an klar vorgenommen – die Redu-
zierung der Abgabenlast. Das Konzept, das Michael
Glos vorgelegt hat, vollzieht hier wirklich einen Golde-
nen Schnitt und ist damit goldrichtig. Es bleibt richtig,
neben dem Abbau des Defizits als Priorität Nummer eins
und neben der Verstärkung der Investitionen durch Um-
schichtung die Abgabenlast, also die Lohnnebenkosten
und die gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge, zu
senken, um Beschäftigung durch Wachstum, wie
Norbert Röttgen richtig abgeleitet hat, zu fördern.

Die Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversiche-
rung von 6,5 auf 4,2 Prozent war ein solcher Beitrag zu
mehr Wachstum und Beschäftigung.


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mehrwertsteuererhöhung!)


Heute wird die Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg
eine mittelfristige Finanzplanung vorlegen, aus der zu
ersehen ist, wie realistisch und nachhaltig, also für meh-
rere Jahre gesichert, bei gleichzeitigem Aufbau einer all-
gemeinen Liquiditätsrücklage und einer Rücklage für
Pensionen bzw. einer Vorsorge für künftige Rentenlasten
eine Beitragssenkung um einen vollen Prozentpunkt ist.
Wir können nicht nur auf 3,5 Prozent, sondern sogar
weiter absenken; da bin ich ganz zuversichtlich. Um es
klar zu sagen: Die durch zuviel gezahlte Beiträge ent-
standenen Überschüsse gehören niemand anderem als
den Beitragszahlern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ludwig Stiegler [SPD]: Und wie ist es mit dem Bundeszuschüssen, die wir gezahlt haben? Wem gehören die?)


– Herr Stiegler, wir haben zu Beginn dieser Legislatur-
periode gemeinsam einen wichtigen Grundsatz festge-
legt. Wir wollen die Beiträge zur Arbeitslosenversiche-
rung senken, versicherungsfremde Leistungen in
Nürnberg durch Steuern finanzieren und dafür 1 Prozent
Mehrwertsteuer in die Kasse geben.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Das haben wir auch getan!)


– Das haben wir in der Tat getan.
Das Gegenteil dieser richtigen Strategie wäre, Bei-
träge aus der Kasse in Nürnberg in den Bundeshaushalt
umzulenken –


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Überflüssig!)


und das auch noch mit der Begründung, eindeutig versi-
cherungsfremde Leistungen durch lohnbezogene Bei-
träge finanzieren zu wollen.


(Zuruf von der FDP: Das habt ihr doch gestern beschlossen!)


Die Erfindung eines Eingliederungsbetrages wäre völ-
lig konträr zu den von uns in der Koalition gemeinsam
formulierten Zielen. Hartz IV ist keine Versicherungs-
leistung, sondern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe
der Grundsicherung. Und Eingliederungsleistungen, die
ja auch für erwerbsfähige Arbeitslose erbracht werden,
die noch nie einen Cent in die Arbeitslosenversicherung
eingezahlt haben, sind so versicherungsfremd, wie es gar
nicht mehr versicherungsfremder sein kann.

Ich plädiere dafür, an der Zielsetzung der Großen
Koalition festzuhalten, die extrem hohen Sozialabgaben
zu senken und zumindest die versicherungsfremden
Leistungen durch Steuern zu finanzieren.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das ist der beschlossene Weg in der Krankenversiche-
rung.


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wird aber nicht umgesetzt!)


Das war zu Beginn der Koalition unser Weg in der Ar-
beitslosenversicherung.

Wir sollten jetzt nicht das Gegenteil machen. Wir
sollten die Strategie des Bundeswirtschaftsministers
konsequent umsetzen:


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schauen Sie sich einmal den Haushaltsentwurf von gestern an!)


weiteren Defizitabbau; Investitionen durch Umschich-
tungen fördern, vor allen Dingen für Forschung und Ent-
wicklung; Abgaben senken; die Sozialversicherung
möglichst weit gehend vom Arbeitsverhältnis entkop-
peln und danach Steuersenkungen vornehmen. Das sind
die richtigen Prioritäten.

Diese Strategie ist mit realistischen Zahlen unterfüt-
tert. Bei der Kalkulation wurde ein Wachstum von
1,75 Prozent zugrunde gelegt. Ich habe bis heute nie-
manden gehört, der diese Rechnung in Zweifel gezogen
hat.

Deshalb glaube ich, dass dies die Strategie ist, die uns
nicht nur mittelfristig weiter auf Wachstum und Beschäf-
tigung hoffen lässt, sondern auch dazu beitragen kann,
dass wir mit der richtigen Psychologie einer verlässli-
chen, geradlinigen und konsequenten Politik ohne Zick-
zackkurs auch weiterhin die Marktbeteiligten zu Investi-
tionen, aber auch zu Konsum ermuntern können, um






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Reinhard Göhner
damit zu mehr Wachstum und Beschäftigung in unserem
Lande zu kommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Schlussbe-
merkung lautet: Hier macht niemand in wirtschaftspoliti-
scher Wachstumseuphorie. Wir haben wieder Wachstum.
Wir liegen aber unter dem Durchschnitt der Europäi-
schen Union.


(Jörg van Essen [FDP]: Genauso ist es! – Ludwig Stiegler [SPD]: Nicht mehr!)


Wir liegen gerade einmal im Durchschnitt des Euro-
raums. Ich bin ganz sicher: Deutschland kann mehr. Wir
können wieder Lokomotive in der EU werden,


(Ludwig Stiegler [SPD]: Wir sind es schon!)


wenn wir den eingeschlagenen Weg konsequent fortset-
zen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1610802200

Lieber Kollege Göhner, da ich in Kenntnis Ihres und

meines Terminkalenders für den heutigen Vormittag da-
von ausgehe, dass auf diese gerade vorgetragene Rede in
knapper weiterer Frist die Niederlegung Ihres Mandats
folgt, will ich diese Gelegenheit nutzen, Ihnen für eine
außergewöhnlich langjährige Mitgliedschaft im Deut-
schen Bundestag und die hier geleistete Arbeit – auch im
Namen der Kolleginnen und Kollegen – ganz herzlich zu
danken.

Ich verbinde das mit dem ausdrücklichen Wunsch und
der Erwartung, dass Sie der Politik ganz gewiss nicht
verloren gehen und an anderer Stelle weiter eifrig daran
mitwirken, dass sich die Hoffnung erfüllt, die Sie am
Schluss formuliert haben: dass dieses Land noch mehr
leisten kann, als es gegenwärtig leistet. Herzlichen Dank
und alles Gute für Ihre weitere Arbeit!


(Beifall)


Nun erhält die Kollegin Andrea Wicklein für die
SPD-Fraktion das Wort.


Andrea Wicklein (SPD):
Rede ID: ID1610802300

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Die Fakten belegen es: Der wirtschaftliche
Aufschwung ist da – nicht nur im Westen, sondern auch
im Osten unseres Landes –, auch wenn das einige
Leute hier nicht wahrhaben wollen.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Sie sind blind!)


Das Wirtschaftswachstum liegt in den ostdeutschen
Ländern bei rund 3 Prozent und damit über dem gesamt-
deutschen Durchschnitt. 200 000 Arbeitslose haben seit
dem vergangenen Jahr wieder eine feste Beschäftigung
im Osten gefunden. Die Kurzzeitarbeitslosigkeit, Herr
Gysi, ist um 20 Prozent und die Langzeitarbeitslosigkeit
ist um 8 Prozent zurückgegangen. Das kann uns noch
nicht zufriedenstellen. Aber das ist viel mehr als nichts.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das verarbeitende Gewerbe konnte sogar um
11,6 Prozent zulegen. Die Auftragsbücher vieler Unter-
nehmen sind voll. In der ostdeutschen Metall- und Elek-
troindustrie wächst die Zahl der neuen Arbeitsplätze
überproportional. Laut Gesamtmetall ist im Osten die
Zahl der Arbeitslosen innerhalb der vergangenen zwölf
Monate sogar um 32 Prozent zurückgegangen. Die Zahl
der offenen Stellen nahm um 85 Prozent zu. Der Export
entwickelt sich weiter positiv. In wichtigen Wachstums-
branchen legt der Osten deutlich zu, zum Beispiel im
Bereich der erneuerbaren Energien. Ostdeutschland hat
sich zum weltweit führenden Standort der Solarbranche
entwickelt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Frankfurt an der Order oder Freiberg in Sachsen sind
beste Beispiele dafür. Es geht vorwärts in Ostdeutsch-
land.

Die gemeinsamen Anstrengungen der letzten Jahre
für den Aufbau Ost zahlen sich aus. Dieser Trend ist er-
mutigend. Aber die Arbeitslosenquote ist im Osten im
Durchschnitt nach wie vor doppelt so hoch wie im Wes-
ten. Hier gibt es also noch viel zu tun.

Es ist aber wichtig, das Positive, das sich im Osten
Deutschlands entwickelt hat, noch besser zu vermarkten.
Ostdeutschland ist ein attraktiver Standort. Investoren
schätzen nicht nur die guten Förderbedingungen und die
moderne Infrastruktur, sondern auch die gut qualifizier-
ten Facharbeiter, die hohe Flexibilität und die gute Moti-
vation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das sind
beste Voraussetzungen für Investitionen.

Die Standortwerbung für die neuen Länder hat sich
bereits ausgezahlt. Die Standortmarketinggesellschaft
IIC, die bis Ende 2006 für die Investorenwerbung in Ost-
deutschland zuständig war, hat eine Investitionssumme
von 4,7 Milliarden Euro eingeworben und damit 21 000
neue Arbeitsplätze in Ostdeutschland geschaffen. Die
Entscheidung war richtig, die IIC und die für die alten
Bundesländer zuständige Gesellschaft zu einer gemein-
samen schlagkräftigen Institution unter dem Namen „In-
vest in Germany“ zusammenzuführen.

Herr Minister Glos, von der neuen Gesellschaft ver-
spreche ich mir eine noch bessere Positionierung
Deutschlands im internationalen Wettbewerb der besten
Standorte. Das wünsche ich mir für Deutschland insge-
samt, aber im besonderen Maße für die ostdeutschen
Bundesländer.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Trotz der guten Nachrichten aus Ostdeutschland gibt
es zweifelsohne nach wie vor große Herausforderungen.
Ich erinnere an die anhaltende Abwanderung von jun-
gen, gut qualifizierten Menschen, insbesondere von
Frauen, aus den strukturschwachen Regionen. Dieser
Trend verschärft die demografische Entwicklung in vie-
len Landstrichen Ostdeutschlands zusätzlich und gefähr-
det dort die Zukunftschancen der Menschen.






(A) (C)



(B) (D)


Andrea Wicklein
Die schon jetzt vorhandene Lücke bei Fachkräften in
vielen Branchen wird durch den wirtschaftlichen Auf-
schwung noch weiter vergrößert. Die Nachfrage nach
diesen Fachkräften wird steigen. Deshalb sage ich ganz
klar: Die Lohnunterschiede zwischen Ost und West wer-
den vor diesem Hintergrund zu einer Wachstumsbremse.
Gute Fachkräfte gehen dorthin, wo sie für ihre Arbeit gut
bezahlt werden. Wenn also die ostdeutsche Wirtschaft
weiter am Aufschwung teilhaben will, wird sie bei den
Löhnen zulegen und verstärkt aus- und weiterbilden
müssen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Bundesregierung hat gerade den Bericht zur tech-
nologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands verab-
schiedet. Das Fazit daraus: Nur innovative Unternehmen
werden Gewinner der Globalisierung sein und sich am
Markt behaupten können. In Ostdeutschland besteht
nach wie vor das Problem, dass es bei den überwiegend
kleinen Unternehmen große Defizite im Bereich von
Forschung und Entwicklung gibt. Kommen in den al-
ten Bundesländern auf 10 000 Erwerbstätige 85 Mitar-
beiter aus dem Bereich Forschung und Entwicklung, so
sind es in den ostdeutschen Bundesländern lediglich 46.
Herr Minister, ich hoffe daher sehr, dass Sie beim Um-
bau der Innovationsprogramme für Ostdeutschland keine
Abstriche machen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich hoffe, dass die positiven Erfahrungen mit den be-
währten Programmen Inno-Watt und NEMO, die wir un-
ter Rot-Grün beschlossen haben, weiter genutzt werden.
Wir brauchen diese Programme, um die Akteure vor Ort
zu vernetzen und den Wissenstransfer in die Regionen
zu unterstützen.

Auch die Anstrengungen für neue Existenzgründun-
gen in Ostdeutschland müssen wir fortsetzen. Es ist da-
her ausdrücklich zu begrüßen, dass die KfW seit Januar
dieses Jahres die Initiative „Kleiner Mittelstand“ ins Le-
ben gerufen hat. Ich konnte mich bei Gesprächen mit
Banken selber davon überzeugen, dass diese Programme
greifen, nachgefragt werden und von den Hausbanken
aktiv unterstützt werden. So gute Rahmenbedingungen
für Existenzgründer gab es noch nie.

Von großer Bedeutung für Investitionen in den ost-
deutschen Bundesländern ist auch die Förderung durch
die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen
Wirtschaftsstruktur“. Allein von 2004 bis 2006 konnten
Investitionen in Höhe von 27 Milliarden Euro in der ge-
werblichen Wirtschaft mit Fördermitteln von nur
4,9 Milliarden Euro angestoßen werden. Die Gemein-
schaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirt-
schaftsstruktur“ ist damit eines der erfolgreichsten För-
derinstrumente für strukturschwache Regionen in Ost
und West und muss daher auch in Zukunft auf sehr ho-
hem Niveau fortgeführt werden.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich
noch einen Aspekt ansprechen. Um die positive Ent-
wicklung in Ostdeutschland fortzuführen, brauchen wir
verlässliche finanzielle Rahmenbedingungen. Wir disku-
tieren derzeit über die Föderalismusreform II. Es muss
unser gemeinsames Interesse sein, dass die ostdeutschen
Bundesländer nach 2019 auf eigenen Füßen stehen kön-
nen. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen der Soli-
darpakt II und der Länderfinanzausgleich erhalten blei-
ben.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1610802400

Frau Wicklein!


Andrea Wicklein (SPD):
Rede ID: ID1610802500

Ich komme zum Schluss.

Die Fakten sprechen für sich. Der wirtschaftliche
Aufschwung ist da – auch in Ostdeutschland. Es gibt
noch immer sehr viel zu tun. Wir dürfen in unseren Be-
mühungen nicht locker lassen. Packen wir es gemeinsam
an!


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1610802600

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege

Laurenz Meyer, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Laurenz Meyer (CDU):
Rede ID: ID1610802700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

glaube, dass diese Debatte sehr wichtig gewesen ist, weil
wir uns etwas grundsätzlicher mit der Strategie und dem
Grundgedanken beschäftigt haben – dies gilt insbeson-
dere für die Rede des Kollegen Röttgen; auch Kollege
Wend hat dies getan –, wie wir vorangehen wollen und
wie vernetzt die Bereiche sind, die auf das Einfluss ha-
ben, was sich hinterher in Bezug auf Wachstum und Be-
schäftigung für alle Menschen als Erfolg niederschlägt.

Im Zusammenhang mit dem Stichwort Arbeitsplätze
ist deutlich zu machen – dies ist hier aufgekommen; Kol-
lege Röttgen hat darauf hingewiesen –, dass Wachstum
kein Selbstzweck ist. Es ist nämlich so: Immer dann,
wenn mehr Menschen in Arbeit kommen – es gibt ja
jetzt einen riesigen Erfolg am Arbeitsmarkt –, dann ist
das nicht nur für die Betroffenen selbst eine sehr wich-
tige Veränderung, die sie erfahren – nämlich dass sie
wieder Arbeit haben und in Beschäftigung sind –, son-
dern weit über die Betroffenen hinaus auch für alle dieje-
nigen, die in den vergangenen Jahren Angst hatten, ihren
Arbeitsplatz zu verlieren: Sie verlieren diese Angst nach
und nach.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Das ist ganz wichtig für den Aspekt, in welcher psycho-
logischen Situation die Arbeitnehmer ihrer Arbeit nach-
gehen.

Zusätzlich ist dies nicht nur für den Einzelnen, son-
dern auch für die Volkswirtschaft gut. Derjenige, der Ar-
beit hat, zahlt in die Sozialsysteme ein. Derjenige, der






(A) (C)



(B) (D)


Laurenz Meyer (Hamm)

seine Angst verliert, auch von einem Arbeitsplatzverlust
betroffen sein zu können, gibt wieder mehr Geld aus,
statt aus Angst jeden Euro, der übrig ist, für schlechte
Zeiten oder aufgrund dieses Grundgefühls auf die Seite
zu legen. Deswegen ist das, was für den einzelnen Men-
schen gut ist, immer auch für die Volkswirtschaft gut.
Das ist die eigentliche Philosophie der sozialen Markt-
wirtschaft. Wir kümmern uns um den Einzelnen, und
wenn es dem Einzelnen gut geht, geht es auch der Volks-
wirtschaft gut.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deswegen ist es wichtig, dass wir die Themen Wachs-
tum, Beschäftigung und Wirtschaftspolitik nicht nur vor
dem Hintergrund von Zahlen diskutieren, sondern die
Vernetzung der einzelnen Bereiche berücksichtigen.
Nehmen Sie das Stichwort – der Kollege Wend hat es
angesprochen – Familienpolitik.


(Vorsitz: Vizepräsidentin Katrin GöringEckardt)


Das Gesagte gilt auch in diesem Zusammenhang: Wir
müssen den jungen Frauen in unserem Land, von denen
viele gut qualifiziert sind und eine gute Berufsausbil-
dung haben, mehr Wahlmöglichkeiten bieten, damit sie
ihren Beruf nicht aufgeben müssen, weil sie keine aus
ihrer Sicht adäquate, gute Betreuung für ihre Kinder fin-
den.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Dann verzichtet auf die Herdprämie!)


– Ich finde es ganz schön krude, wenn Sie dazwischen-
rufen. Sie haben doch verdammt noch einmal Jahre Zeit
gehabt, etwas zu tun. Sie haben aber nichts getan, und
jetzt maulen Sie rum; das ist doch wirklich unglaublich.
Herr Kuhn, auch Ihr Redebeitrag – qualitatives Wachs-
tum – war wirklich nicht besonders gut. Das muss ich
einmal sagen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wenn wir für die jungen Frauen etwas machen, dann
machen wir nicht nur etwas für die jungen Frauen
– mehr Betreuungsmöglichkeiten, mehr Wahlmöglich-
keiten –, sondern auch etwas für das ganze Land, weil
die Volkswirtschaft auf diese gut qualifizierten jungen
Frauen überhaupt nicht verzichten kann – wenn sie denn
mitmachen wollen und im Beruf bleiben wollen.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1610802800

Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage von

Frau Schewe-Gerigk zulassen?


Laurenz Meyer (CDU):
Rede ID: ID1610802900

Aber natürlich, da ich sie wegen ihrer Maulerei ange-

griffen habe, darf sie auch fragen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn es um die richtigen Sachen geht, ist es vernünf-
tig, zu maulen.
Herr Meyer, Sie haben gesagt, es sei wichtig, dass die
gut ausgebildeten Frauen erwerbstätig sind und dass wir
für die Kinderbetreuung sorgen. Da bin ich sofort bei Ih-
nen. Wie verhält sich das aber zu Ihrem Vorschlag, den
Frauen, die ihre Kinder zu Hause selbst betreuen und
nicht in eine Kinderbetreuung geben – eine – ich sage
einmal – Zuhausebleibprämie oder Herdprämie in Höhe
von 150 Euro zu zahlen? Es ist doch klar, dass jede Frau
mit einem kleinen Einkommen oder eine Hartz-IV-Emp-
fängerin davon absehen wird, ihr Kind in die Kinderbe-
treuung zu geben, weil sie dann 150 Euro bekommt. Ich
würde gerne Ihre Position dazu kennenlernen.


(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und die der SPD!)



Laurenz Meyer (CDU):
Rede ID: ID1610803000

Wir werden uns darüber unterhalten, wie das im Ein-

zelnen auszugestalten ist. Der Grundgedanke, der dahin-
tersteht, ist aber völlig klar: Wir wollen den jungen
Frauen nicht vorschreiben, wie sie sich zu verhalten ha-
ben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Detlef Parr [FDP])


Politik hat die Entscheidung von jungen Familien, wie
sie sich organisieren, überhaupt nicht zu beeinflussen.
Wir haben aber die Voraussetzungen dafür zu schaffen,
dass eine Entscheidung in beide Richtungen möglich ist.
Das genau wollen wir. Wir wollen die Entscheidung
möglich machen.

Ich will Ihnen ein Beispiel dazu bringen: Im Rahmen
einer Veranstaltung wurden Unternehmen ausgezeich-
net, die in diesem Bereich besonders aktiv waren. Der
Professor einer großen Uni in Bayern, die ausgezeichnet
wurde, berichtete in diesem Zusammenhang von folgen-
der Situation: Die Jahrgangsbesten werden ausgezeich-
net, sechs Professoren sitzen auf der Bühne, alles Män-
ner, und die sechs Jahrgangsbesten dieser Universität
sind ausschließlich junge Frauen. Wir möchten, dass
diese jungen Frauen die Entscheidung, ob sie später ei-
nen Beruf ausüben und Kinder haben, selbst treffen kön-
nen. Darum geht es hier, und nicht darum, dass der Staat
Vorgaben macht.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Hier ist ein Stichwort gefallen, das aus meiner Sicht,
auch von den Kollegen der SPD, insbesondere vom Kol-
legen Stiegler, viel zu negativ gesehen wird: Zeitarbeit.
Sie haben die Zeitarbeit abqualifiziert und in eine Ecke
gestellt, in die sie aus Sicht der CDU/CSU nicht gehört.
Es gab einen Zuwachs an Zeitarbeitsverhältnissen, weil
die Unternehmen die Zeitarbeit aufgrund des sehr starren
Arbeitsmarktes in Deutschland als Ventil nutzen. So
steuern sie gegen. Aber die Entwicklung zeigt doch
– Herr Stiegler, die Zahlen müssen Sie sich einfach zu
Gemüte führen –, dass der Prozess in vollem Gang ist
und dass gerade die Zeitarbeit der Durchlauferhitzer in
die Unternehmen hinein ist.

Es gab zunächst ein ganz starkes Anwachsen der Zahl
der Zeitarbeitsplätze zu Beginn des konjunkturellen Auf-






(A) (C)



(B) (D)


Laurenz Meyer (Hamm)

schwungs, zu Beginn dieser Legislaturperiode. Seit eini-
gen Monaten stagniert die Zahl der Zeitarbeiter. Das
liegt nicht daran, dass keine neuen eingestellt werden,
sondern daran, dass ein Drittel derer, die eingestellt wor-
den sind, inzwischen in Unternehmen angekommen
sind,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


und zwar entweder in denen, in denen sie tätig waren,
oder in anderen. Die Brücke Zeitarbeit hat sich bewährt.
Wir werden deshalb alles tun, um die Beweglichkeit zu
erhalten und die Zeitarbeit weiterhin als den Motor in die
Unternehmen hinein nutzbar zu machen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen, der in
der Diskussion zum Teil eine Rolle gespielt hat. Dies be-
trifft das Stichwort qualitatives Wachstum und die
Frage, was das eigentlich ist. Darüber, dass wir die Defi-
nition von qualitativem Wachstum nicht den Grünen
überlassen, brauchen wir, glaube ich, nicht lange zu re-
den.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch, doch!)


Ich will auf Folgendes hinweisen – ich glaube, dass wir
in SPD und Union dabei zumindest von der Grundan-
sicht her völlig auf einer Linie sein können –: Qualitati-
ves Wachstum wird häufig verbunden mit Arbeitsplätzen
im Dienstleistungsbereich, mit Arbeitsplätzen in soge-
nannten weichen Industrien.

Ich will hier klipp und klar für uns sagen: Deutsch-
land ist Industrieland. Deutschland muss Industrieland
bleiben. Wenn Deutschland nicht Industrieland mit mo-
dernen Technologien und mit modernen Arbeitsplätzen
in der Industrie bleibt, dann werden wir die ganzen
Dienstleistungsarbeitsplätze nicht finanzieren können.
Deshalb bekennen wir uns zum Industriestandort
Deutschland.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Das ist in dieser Diskussion wichtig. Denn Industrie-
arbeitsplätze sind in vielen Bereichen in Deutschland ge-
fährdet. Wir müssen jetzt zum Beispiel im Rahmen der
CO2-Problematik hinsichtlich der Aluminiumhütten auf-
passen, dass nicht alles, was mit NE-Metallen zu tun hat,
plötzlich bruchstückhaft aus Deutschland verschwindet.
Wir müssen Vorsorge treffen. Wir müssen in allen Poli-
tikbereichen darauf achten, dass es nicht zu bruchhaften
Entwicklungen kommt, dass die Entwicklungen stetig
verlaufen und dass wir zu Veränderungen kommen, die
wir wollen. Aber dabei dürfen wir keine Brüche in Kauf
zu nehmen, die Arbeitsplätze gefährden, insbesondere
Industriearbeitsplätze.

Deswegen unser Bekenntnis zum Industrieland:
Deutschland gehört für uns dazu. In den modernen Be-
reichen müssen wir für moderne Arbeitsplätze sorgen.
Deswegen müssen wir uns als Parlament mit einem Phä-
nomen beschäftigen, das in Deutschland vorherrschend
ist. Dieses Phänomen ist eine Technologie- und Technik-
feindlichkeit, die sich auch in der geringen Zahl an Inge-
nieuren niederschlägt. Wenn Technologie und Technik
in der Politik und auch in der Bevölkerung so schlecht
angesehen sind, dann ist es klar, dass weniger junge
Leute ein Studium ergreifen, das mit diesen Bereichen
zu tun hat und in der Öffentlichkeit nicht so angesehen
ist, und eher ein Studium, durch das man Jurist oder Di-
plomkaufmann wird.


(Beifall des Abg. Dr. Rainer Wend [SPD])


Deswegen ist es eine ganz wichtige Voraussetzung, sich
mit dem Grundphänomen zu beschäftigen.

Dies betrifft auch die Steuerpolitik, zum Beispiel ver-
sicherungsfremde Leistungen in den sozialen Siche-
rungssystemen zukünftig stärker aus Steuern zu finan-
zieren. Diese ganze Vernetzung müssen und wollen wir
sehen. Unter diesen Gesichtspunkten ist eine solche De-
batte wie die heutige nicht nur unbedingt notwendig,
sondern wir sollten sie zum Wohl der Menschen in
Deutschland auch fortsetzen, und zwar mit dieser Ge-
samtkonzeption mit Blick über den Tellerrand der Poli-
tikfelder hinaus.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1610803100

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion der FDP auf Drucksache 16/5901 mit dem Ti-
tel: „Goldener Schnitt 2012“ verwirklichen. Wer stimmt
für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun-
gen? – Damit ist dieser Antrag abgelehnt bei Zustim-
mung der FDP und Ablehnung des Rests des Hauses.

Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b
auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Verbesserung der Bekämpfung des
Dopings im Sport

– Drucksache 16/5526 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Sportaus-
schusses (5. Ausschuss)


– Drucksache 16/5937 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Klaus Riegert
Dagmar Freitag
Detlef Parr
Katrin Kunert
Winfried Hermann

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Sportausschusses (5. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Detlef Parr,
Joachim Günther (Plauen), Miriam Gruß, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Bekämpfung des Dopings im Sport voran-
treiben und Optimierungsmöglichkeiten
ausschöpfen

– zu dem Antrag der Fraktion des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN

Bekämpfung des Dopings im Sport

– Drucksachen 16/4738, 16/4166, 16/5937 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Klaus Riegert
Dagmar Freitag
Detlef Parr
Katrin Kunert
Winfried Hermann

Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen ein
Änderungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die
Grünen sowie je ein Entschließungsantrag der Fraktion
der FDP und der Fraktion Die Linke vor.

Zwischen den Fraktionen ist verabredet, eineinviertel
Stunden zu debattieren. – Dazu höre ich keinen Wider-
spruch.

Ich eröffne jetzt die Aussprache und erteile das Wort
dem Kollegen Klaus Riegert für die CDU/CSU-Frak-
tion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Klaus Riegert (CDU):
Rede ID: ID1610803200

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Doping

zerstört die Grundwerte des Sports. Ein unfairer und ma-
nipulierter Wettkampf hat auch nichts mehr mit dem
olympischen Gedanken gemeinsam. Doping täuscht die
Mitstreiter im Wettkampf und die Zuschauer und gefähr-
det nicht zuletzt die Gesundheit der Sportlerinnen und
Sportler.

Wie die jüngsten Dopingbekenntnisse im Radsport
belegen, verläuft die unerlaubte Leistungssteigerung im
Spitzensport zunehmend in organisierten Strukturen.
Diese können nur durch gezielte, auch strafrechtliche
Maßnahmen bekämpft werden. Der Fokus der Medien
liegt beim Doping naturgemäß auf dem Leistungs- und
Spitzensport. Das darf aber nicht darüber hinwegtäu-
schen, dass Doping auch im Breitensport bis hin zu
sportlichen Betätigungen im Fitness- und Freizeitbereich
anzutreffen ist. Doping ist damit ein Problem des Sports
insgesamt und bedarf der breit angelegten und gemeinsa-
men Bekämpfung durch Sport, Politik, Justiz, Wirt-
schaft, Medien und nicht zuletzt die ganze Gesellschaft.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Meine Damen und Herren, die Dopingbeichten der
Radsportler sind zu begrüßen. Wo aber bleibt die inter-
nationale Diskussion? Findet endlich ein Umdenken der
Sportler statt? Es ist nicht allein damit getan, sich als
Dopingsünder zu outen. Die Fahrer müssen nun auch die
Hintermänner und die Strukturen aufzeigen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Die Erklärungen zeigen mir, dass die geplanten Rege-
lungen des Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung
der Bekämpfung des Dopings im Sport richtig sind. Die
Anstrengungen des organisierten Sports allein reichen
nicht aus. Der Staat muss mit seinen Ermittlungsbehör-
den in den Fällen eingreifen, in denen kriminelles
Unrecht geschieht. Er ist in der Lage, die hinter dem do-
penden Sportler verdeckt arbeitenden Netzwerte aufzu-
decken und zu zerschlagen. Genau hier greifen die von
uns verabredeten und geplanten sowie vom Kabinett be-
reits im März dieses Jahres verabschiedeten Regelungen.

Zu den Inhalten. Erstens: Strafverschärfungen für
banden- und gewerbsmäßige Dopingstraftaten und Ab-
schöpfung der Vermögensvorteile. Die Erhöhung der
Höchststrafe von heute drei Jahren auf zehn Jahre ist ein
klares Signal.


(Beifall des Abg. Dr. Peter Danckert [SPD])


Ein Blick ins Strafgesetzbuch zeigt: Eine Höchststrafe
von zehn Jahren ist schon etwas. Das ist zum Beispiel im
Jugendstrafrecht die Höchststrafe für Mord. Mit der Er-
höhung der Höchststrafe auf zehn Jahre haben wir wirk-
lich ein Signal gesetzt.

Zweitens: die Nutzung der Telefonüberwachung bei
schweren Dopingdelikten.

Drittens: die Übertragung der Ermittlungsbefugnisse
auf das Bundeskriminalamt.

Viertens: die Verpflichtung zur Aufnahme von Warn-
hinweisen bei Arzneimitteln, die für Doping geeignet
sind.

Auch die von uns beschlossene Strafbarkeit des Besit-
zes einer nicht geringen Menge bestimmter Dopingsub-
stanzen ermöglicht eine wirksamere Strafverfolgung des
Handels mit gefährlichen und häufig verwendeten Do-
pingmitteln. Damit, lieber Kollege Hermann, können wir
den Trainer, den Betreuer oder den Sportler mit dem
Kofferraum oder Schrank voller Dopingmittel bestrafen,
ohne ihm Handel nachweisen zu müssen.


(Beifall des Abg. Dr. Peter Danckert [SPD] – Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das können wir jetzt schon! – Gegenruf des Abg. Dr. Peter Danckert [SPD]: Nein! Das ist doch Quatsch!)


Dadurch wird auch der Tatbestand des Handels kon-
kretisiert, wie Sie, lieber Kollege Parr, immer richtig an-
merken. Im Übrigen sind wir uns, wie wir gestern im
Ausschuss festgestellt haben, bis auf das Piktogramm
auf der Packung einig, lieber Kollege Parr. Deshalb:
Stellen Sie sich nicht so an, und stimmen Sie unserem
Gesetzentwurf zu!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Lachen bei der FDP)


Von einem Tatbestand, mit dem der Besitz geringer
Mengen von Dopingmitteln zum Eigengebrauch unter
Strafe gestellt würde, halten wir nichts. Wollen Sie wirk-
lich jeden Pillenschlucker im Fitnessstudio mit Gefäng-
nis bedrohen?






(A) (C)



(B) (D)


Klaus Riegert
Von parallelen Verfahren – vor dem Sportgericht und
vor einem ordentlichen Gericht – halte ich auch nichts.
Das Sportgericht sperrt sofort für zwei Jahre, und es gilt
Beweislastumkehr. Das ordentliche Gericht urteilt nach
vielen Monaten, vielleicht gibt es sogar einen Frei-
spruch. Das würde auf Dauer die Beweislastumkehr der
Sportgerichtsbarkeit zerstören. Damit würden wir ein
granatenmäßiges Eigentor schießen, wie es Innenminis-
ter Schäuble so treffend formulierte.

Auch ein Tatbestand des Sportbetrugs, wie ihn die
Grünen plötzlich so vehement fordern,


(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht plötzlich, schon lange!)


ist schlicht Unsinn. Oberstaatsanwalt Kirkpatrick hat es
Ihnen bei der Anhörung doch erklärt: Selbst wenn man
rechtliche, verfassungsrechtliche und tatsächliche Be-
denken hintanstellt, wird kein Richter aufgrund dieses
Tatbestandes verurteilen, weil er dazu negative Proben
aller am Wettkampf beteiligten Sportler bräuchte. Das
funktioniert nicht.

Lassen Sie mich noch auf eines hinweisen: Es
funktioniert nicht, zu denken, wir machen nun ein Ge-
setz, und Doping ist ab morgen kein Problem mehr. So
wird es nicht gehen. Politik und Sport, aber auch die
Sponsoren und die Medien stehen zusammen in der Ver-
antwortung, den Kampf gegen Doping zu führen. Wir
haben über das Gesetz hinaus ein Maßnahmenpaket vor-
bereitet: Wir werden bei den Beratungen über den Haus-
haltsplan über die Mittel für die NADA und über die
Mittel für Prävention reden. Wir haben den WADA-
Code unterzeichnet. Wir fordern Schwerpunktstaatsan-
waltschaften in den Ländern. Wir wollen mehr Präven-
tion. Wir tun also einiges.

Meine Frage an die Fachleute – an Sportler, Sportwis-
senschaft und Forschung – lautet: Gibt es heute Sportar-
ten, in denen Weltklasseleistungen und Olympiasiege
nur noch mit Doping erreichbar sind? Wenn ja, welche?
Sollte es solche Sportarten geben, müssen wir unsere
Spitzensportförderung grundsätzlich überdenken. Wir
stehen zu Leistung und Erfolg, aber fördern nur und for-
dern sauberen, manipulationsfreien Sport.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Dazu wird unser heute zu verabschiedendes Gesetz ei-
nen Beitrag leisten.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1610803300

Der nächste Redner ist der Kollege Detlef Parr für die

FDP-Fraktion.


Detlef Parr (FDP):
Rede ID: ID1610803400

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer

heute und in den letzten Wochen einen Blick in die Zei-
tungen geworfen oder Fernsehen geschaut hat, könnte
meinen, der Sport in unserem Lande bestünde nur noch
aus Lug und Trug: Doping war und ist das beherr-
schende Thema und Schlagwort dieser Tage.

Wenn wir über Sport in Deutschland reden, reden wir
aber auch über die 27 Millionen Mitglieder in zigtausen-
den Vereinen, über annähernd 8 Millionen im Interesse
unserer Gesellschaft und unseres Landes ehrenamtlich
Tätige, dann reden wir über Menschen, denen Sport ein-
fach Spaß macht und die sich bewegen wollen. Niemand
von uns darf in dieser Diskussion dazu beitragen, dass
Eltern ihre Kinder nicht mehr in die Obhut unserer Ver-
eine geben wollen. Die Vereine haben nach wie vor un-
ser Vertrauen verdient.

Natürlich wird der Breitensport vom Spitzensport er-
heblich beeinflusst: Wir brauchen Vorbilder wie aus dem
Sommermärchen 2006, die dem Sport neue Impulse ge-
ben und dazu auffordern, selbst aktiv zu werden. Deswe-
gen diskutieren wir heute über einen Gesetzentwurf, der
dazu beitragen soll, den Betrügern im Spitzensport end-
lich das Handwerk zu legen.

Der Bundesregierung ist es gelungen – allerdings
nach einer quälend langen Zeit der Untätigkeit –,


(Dagmar Freitag [SPD]: Das lag nicht an uns!)


einen Entwurf mit einer Reihe von richtigen Lösungsan-
sätzen vorzulegen, der, ergänzt durch das Maßnahmen-
paket, in vielen Bereichen mit unserem Antrag identisch
ist.


(Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Dann können Sie ja zustimmen!)


Das hat uns Klaus Riegert gestern im Sportausschuss
noch bestätigt. Gut, dass er unsere Ideen aus gemeinsa-
mer Oppositionszeit in die Regierung hinübergerettet
hat. Vielen Dank dafür, Klaus!


(Beifall bei der FDP – Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Dann stimmen Sie zu!)


In den Sportverbänden ist vieles zur Dopingbekämp-
fung auf den Weg gebracht worden. Die Sponsoren be-
ginnen, stärker Verantwortung zu übernehmen. Aber
sind wir uns eigentlich an den verschiedenen Stellen un-
serer Gesellschaft schon klar geworden über gewisse
Mittäterschaften? Über die Folgen von Sensationsgier?
Über falsch gesetzte Anreize für vermeintlich grenzen-
lose Leistungssteigerungen? Über Rekordmanie und
überzogene Zahlenfixiertheit? – Wir alle: Zuschauer,
Medienvertreter, Sponsoren, Verbandsfunktionäre, Sport-
großveranstalter, Politiker. Wir alle tragen Verantwor-
tung für Fehlentwicklungen, die wir allzu lange hinge-
nommen und durch Wegsehen sogar geduldet haben;
vorweg gab es zudem sieben Jahre rot-grüner Enthalt-
samkeit.


(Dagmar Freitag [SPD]: Davor war auch schon eine Zeit, Herr Kollege! Reden wir einmal über 16 Jahre Kohl!)


Keiner von uns, Kollegin Dagmar Freitag, darf sich zu-
künftig unschuldig in sportlichen Höchstleistungen son-
nen, ohne dass wir uns vorher in einer Grundsatz-






(A) (C)



(B) (D)


Detlef Parr
debatte darüber einig werden, welche Rolle wir dem
Sport in unserer Leistungsgesellschaft zukünftig beimes-
sen wollen, was wir von ihm erwarten und welche An-
sprüche wir an ihn stellen.


(Dagmar Freitag [SPD]: Lassen Sie doch mal hören!)


„Schneller, höher, weiter.“ – Die Grenzen sind in vie-
len Sportarten aber längst erreicht; das sollten wir ehr-
lich zugeben. Statt den Weg zu ungezügelten Gladiato-
renspielen zu bereiten, sollten wir nach einem neuen
Mittelweg suchen zwischen dem genannten olympischen
Motto und Coubertins Feststellung: Die Teilnahme ist
wichtiger als der Sieg.

Der Anstoß zu einer bundesweiten Generaldebatte
muss aus Berlin kommen,


(Klaus Riegert [CDU/CSU]: Genau!)


so wie die gesetzgeberischen Impulse, denen die FDP,
lieber Klaus, gerne als Paket zugestimmt hätte. Aber ge-
nau zwei Punkte lassen uns zu einer Stimmenthaltung
kommen. Wir sind nicht dagegen, aber wir werden uns
der Stimme enthalten.


(Dagmar Freitag [SPD]: Das ist ja toll! – Dr. Peter Danckert [SPD]: Wie gnädig!)


Der erste Punkt betrifft die Prävention und die Auf-
klärungsarbeit, die in diesem Gesetzentwurf so gut wie
keine Rolle spielen. Die Anhörung hat jedoch bewiesen,
dass ein wesentlicher Baustein einer effektiven Antido-
pingpolitik die Prävention bei Kindern und Jugendlichen
sein muss.

Zweitens. Die als genial gefeierte Strafbarkeit des
Sportlers, der im Besitz nicht geringer Mengen von Do-
pingsubstanzen ist,


(Klaus Riegert [CDU/CSU]: Nicht nur des Sportlers! Von jedem!)


halten wir nach wie vor für überflüssig. In der Praxis
wird sich – das hat die Anhörung auch gezeigt – so gut
wie nichts ändern. Wir bekennen uns zum Grundsatz der
„strict liability“ und zu dem Vorrang der Sportgerichts-
barkeit, die schnell und durchgreifend entscheiden kann.


(Beifall bei der FDP – Klaus Riegert [CDU/ CSU]: Wir auch!)


Gegen banden- und gewerbsmäßigen Handel muss der
Staat dagegen mit aller Härte vorgehen können; da sind
wir uns wieder einig.

Wir freuen uns auch, dass der Sportbetrug keinen Ein-
zug in den Entwurf gefunden hat. Wer sein Heil – wie in
Bayern und jetzt leider auch bei den Grünen – in „law
and order“ sucht, wird scheitern, wie sucht- und drogen-
politische Strategien in der Vergangenheit mehr als deut-
lich gezeigt haben.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Am besten gleich das ganze Strafrecht abschaffen!)

„Law and order“-Denken und staatliche Repressionen
führen nicht zum Ziel. Da ist zu viel CSU drin und zu
wenig FDP.


(Beifall bei der FDP)


Vielmehr wird es in der Zukunft national und interna-
tional besonders auf unsere Forschungsanstrengungen
ankommen. So wichtig Investitionen in die Verbesse-
rung der Dichte des Kontrollsystems sind, muss es uns
auch gelingen, Nachweismethoden zu entwickeln, die
dem Hase-und-Igel-Spiel ein Ende bereiten. Da macht
mich ein Blick in die Antwort der Bundesregierung auf
unsere kleine Anfrage vom 5. Februar 2007 mit Blick
auf das Stichwort Gendoping allerdings nachdenklich.
Vereinzelte Forschungsaufträge gehen auf das Jahr 2002
zurück. Abschlussberichte liegen noch nicht vor. Aktu-
elle Initiativen sind nicht aufgeführt. Der runde Tisch
bleibt eine bloße Ankündigung. Diese Anstrengungen
reichen nicht aus. Auf diesem Gebiet müssen wir deut-
lich an Tempo zulegen.

Ähnlich ist es um Aufklärung und Prävention bestellt.
Dopingprävention ist sicher in der Kampagne der Bun-
deszentrale für gesundheitliche Aufklärung – „Kinder
stark machen“ – gut aufgehoben. Ein Handbuch mit dem
Titel „Gemeinsam gegen die Sucht“ und Unterrichtsma-
terialien zum Thema des Medikamentenmissbrauchs
deuten aber darauf hin, dass wir damit unsere Jugendli-
chen wohl nur sporadisch erreichen. Wir brauchen in den
Schulklassen fünf und zehn dringend eine bundesweite
Kampagne der BZgA in Zusammenarbeit mit der Kul-
tusministerkonferenz und den Sportorganisationen, ins-
besondere auch auf Länderebene. Wir müssen die Ein-
stellung gegen medizinische Leistungsmanipulationen
schon in jungen Jahren festigen.

Einstellungen werden nicht zuletzt auch von den Me-
dien geprägt. Gerade jetzt darf sich der Journalismus
nicht hinter einem Boykott verstecken. Er muss vielmehr
kritisch berichten und seine investigativen Stärken aus-
spielen. Hinblicken und Durchblicken ist besser als
Wegblicken. Das sollte auch die Leitlinie unseres weite-
ren Handelns sein.

Ich danke Ihnen für das Zuhören.


(Beifall bei der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1610803500

Jetzt hat der Kollege Dr. Peter Danckert für die SPD-

Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Peter Danckert (SPD):
Rede ID: ID1610803600

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kolle-

gen! Ich glaube, dass heute mit der Verabschiedung die-
ses Gesetzentwurfes, den die Regierung und die Koali-
tion hier vorgelegt haben, ein wichtiger Meilenstein
erreicht wird. Man kann nicht verkennen, dass es ein lan-
ger, mühsamer und quälender Prozess war, auch in der
öffentlichen Diskussion. Ich finde es aber bemerkens-
wert, dass wir heute feststellen können, dass nicht nur
diese Regierung und diese Koalition hinter dem Gesetz-






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Peter Danckert
entwurf stehen, der heute verabschiedet wird, sondern,
lieber Kollege Parr, auch der organisierte Sport. Die
circa 28 Millionen Menschen, die sich unter dem Dach
des DOSB verbunden haben, haben unserem Vorschlag
zugestimmt.


(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach was! Gab es eine Abstimmung?)


Das ist doch ganz bemerkenswert, vor allen Dingen,
wenn man die Diskussion vorher im Auge hat.

Ich hätte mir gewünscht, dass sich die FDP heute
nicht nur enthält, sondern sich vielleicht selber über die
Hürde hilft und hier mitmacht;


(Beifall der Abg. Dagmar Freitag [SPD])


denn wenn der Sport, für den wir ja gemeinsam reden,
das, was wir hier heute verabschieden wollen, akzeptiert,
dann müsste es doch eigentlich auch die FDP, die sich
zumindest mit einigen Persönlichkeiten des DOSB sehr
verbunden fühlt,


(Fritz Rudolf Körper [SPD]: So viele sind das aber nicht! – Dagmar Freitag [SPD]: Die Zahl ist überschaubar!)


schaffen, das heute mitzutragen. Überlegen Sie doch ein-
mal, ob Sie bei diesem Gesetz nicht zustimmen können!

Lieber Kollege Parr, wenn Sie der Meinung sind, dass
die Besitzstrafbarkeit nicht zu dem führt, was wir uns
vorstellen


(Detlef Parr [FDP]: Das ist eine Mogelpackung!)


– Sie sagen „Mogelpackung“ –, dann können Sie sagen,
dass das Ihrer Meinung nach nicht funktioniert, und
doch mitmachen.


(Detlef Parr [FDP]: Das kann doch wohl nicht wahr sein!)


Wir werden ja sehen, wozu das Gesetz im Vollzug füh-
ren wird.

Ich glaube, dass das ein ganz wichtiger Baustein ist.
Er ist aber nicht ausreichend, um den Kampf gegen Do-
ping insgesamt zu gewinnen. Das ist ja eine endlos lange
Geschichte. Wer sich einmal mit der Historie beschäf-
tigt, der weiß, dass das beim Radrennen Bordeaux–Paris
im Jahre 1886 angefangen hat. Den ersten Todesfall ei-
nes Radfahrers gab es aufgrund von Trimethyl. Das ist
eine lange Kette, die bis in die letzten Jahre hineinreicht.
Dabei brauche ich gar nicht an den spektakulären Tod
von Birgit Dressel zu erinnern, der 20 Jahre her ist.


(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine lange Zeit des Nichtstuns der Politik!)


Es gab immer wieder solch schlimme Ereignisse, die mit
Doping verbunden waren. Das muss doch der Impuls
sein, der uns antreibt und weshalb wir sagen: Wir müs-
sen staatlicherseits alles geben, um in diesem Kampf be-
stehen zu können.
Ich glaube – damit komme ich wieder auf den Gesetz-
entwurf zurück –, dass die neue Zuständigkeit des Bun-
deskriminalamtes als Ermittlungsbehörde zusammen
mit den Dingen, die Klaus Riegert schon angesprochen
hat, eine wichtige Hilfe ist. Das hat es bisher nicht gege-
ben. Das ist ein entscheidender Schritt. Ich bin dem Mi-
nister sehr dankbar, dass er uns hier geholfen hat; denn
es ist keine Selbstverständlichkeit, an dieser Stelle das
Bundeskriminalamt einzusetzen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Dort sitzen Experten, von denen ich glaube, dass sie uns
weiterhelfen.

Wir werden sehen, ob wir die Schwerpunktstaatsan-
waltschaften brauchen. Wir haben die Länder aufgefor-
dert, an dieser Stelle auch einen Beitrag zu leisten. Dies
wäre ein Beitrag zur Unterstützung der Ermittlungsar-
beit. Wir haben also gute Voraussetzungen geschaffen.

Ich denke, auch durch den Strafrahmen – Klaus
Riegert hat zu Recht darauf hingewiesen – kommen wir
an dieser Stelle weiter, weil es natürlich eine eindeutige
Aussage unseres Parlaments ist, dass das keine Bagatell-
kriminalität mehr ist, die mit bis zu drei Jahren bestraft
wird, sondern dass der Strafrahmen dem bei Verbrechen
ähnlich ist.

Hierdurch ergibt sich auch ein Ansatz für die Telefon-
überwachung. Ich glaube, dass wir mit der Telefonüber-
wachung auch hinter die Elemente kommen, die für die
Dopingstrukturen verantwortlich sind. Das ist ein Bau-
stein. Es muss am Ende nicht immer notwendig sein,
dass alle bestraft werden. Wir werden ja sehen, wie sich
das beim Vollzug ergibt, Herr Kollege Parr. Ich finde es
aber wichtig, dass wir durch eine Telefonüberwachung,
durch Zeugenvernehmungen und durch Hausdurchsu-
chungen Ermittlungsergebnisse erzielen,


(Dagmar Freitag [SPD]: Das ist das Entscheidende!)


also an Informationen herankommen, durch die uns ein
klares Bild über die Strukturen geliefert wird.


(Otto Fricke [FDP]: Kronzeugen!)


Von daher glaube ich, dass das auch aus diesem Grund
der richtige Weg ist.

Jetzt komme ich zum Stichwort Besitzstrafbarkeit.
Wir haben eine Anhörung durchgeführt, die teilweise be-
merkenswert war. Mehr möchte ich dazu nicht sagen. In
der Anhörung haben wir acht qualifizierte Sachverstän-
dige gehört, die acht verschiedene Meinungen vertreten
haben. Wenn sich diese sehr qualifizierten Herrschaften
als Gesetzgeber betätigt hätten, dann hätten sie gar
nichts zustande gebracht. Denn mit acht verschiedenen
Meinungen erzielt man keine Mehrheit im Parlament.


(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Mehrheit war kritisch!)


Wir haben das Machbare erledigt und werden den Ge-
setzentwurf heute verabschieden. Ich denke, das ist der
richtige Weg.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Peter Danckert
Es reicht aber noch nicht aus. Ich will an dieser Stelle
ausdrücklich darauf hinweisen – weil ich hin und wieder
dafür kritisiert worden bin, dass ich dem DOSB nicht al-
les zutraue –, dass auch der DOSB Maßnahmen einge-
leitet hat, die den Kampf gegen Doping erleichtern sol-
len. Ich appelliere deshalb an den DOSB, die zusätzliche
Zahlung von 260 000 Euro, die in diesem Jahr beschlos-
sen ist, zu einer regelmäßigen Leistung zu machen, da-
mit der Beitrag des Sports an dieser Stelle noch deutli-
cher wird.

Ich finde es sehr gut, dass in dem Kabinettsentwurf,
der gestern beraten wurde, in zweierlei Hinsicht klare Si-
gnale gegeben werden. Zum einen soll die Förderung
des Spitzensports deutlich erhöht werden. Dazu sind
wir meines Erachtens verpflichtet, wenn wir in Deutsch-
land Spitzensport wollen. Angesichts der Einsparmaß-
nahmen ist das ein echtes Signal an den Sport, dass wir
ihm zutrauen, noch mehr zu leisten. Dafür sind zusätzli-
che finanzielle Mittel nötig, auch um die Trainer – vor
allem diejenigen, die sonst vom Ausland abgeworben
werden – besser bezahlen zu können. Das steht außer
Frage.

Ich bin zum anderen auch sehr dankbar – wenn es
nicht schon im Kabinettsentwurf enthalten wäre, käme
es wahrscheinlich zu einer entsprechenden Initiative der
Koalitionsfraktionen –, dass deutlich mehr Mittel für die
NADA zur Verfügung gestellt werden. Auch das ist
wichtig. Wir waren uns immer darüber einig, dass Hand-
lungsbedarf besteht, wenn sich die Wirtschaft praktisch
nicht an dem Stiftungsmodell beteiligt, zu dem der Bund
insgesamt 7 Millionen Euro beigetragen hat. Wir müssen
vielleicht noch einmal den Gedanken aufgreifen, mit der
Unterstützung der Regierung und vielleicht auch der
Bundeskanzlerin zu versuchen, die Sponsoren dazu zu
bringen, ihren Beitrag zum Stiftungskapital zu leisten.
Es kann nicht sein, dass nur der Staat einen Beitrag dazu
leistet. Wir werden sehen, wie sich das entwickelt.

Ich denke aber, dass die zusätzlichen Mittel für die
NADA ein richtiger und wichtiger Schritt sind. Denn wir
brauchen eine unabhängige Kontrolleinrichtung, die für
Trainings- und Wettkampfkontrollen und Präven-
tion zuständig ist. Das gehört nämlich zum Auftrag der
NADA, Herr Parr. Mit den zusätzlichen Mitteln von ins-
gesamt 2,8 Millionen Euro bieten wir der NADA die
notwendigen Voraussetzungen. Es handelt sich dabei
nicht um eine einmalige Zahlung; sie ist in der mittelfris-
tigen Planung regelmäßig vorgesehen. Damit hat die
NADA die Möglichkeit, besser zu agieren als bisher. Sie
muss sich personell besser aufstellen. Dafür stellen wir
die notwendigen Mittel bereit. Wenn sich die Sponsoren
ebenfalls beteiligen, dann haben wir auch an dieser
Stelle etwas Wesentliches erreicht und können hoff-
nungsfroher in die Zukunft schauen.

Der Kampf gegen Doping, der schon 100 Jahre an-
dauert, wird sich noch lange hinziehen. Aber mit dem
Gesetzentwurf, den wir heute verabschieden werden, mit
der Kabinettsvorlage, der sicherlich auch im Plenum zu-
gestimmt wird, sind wir einen bedeutenden Schritt vor-
angekommen. Ich bin sehr froh darüber.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1610803700

Für die Linke spricht jetzt Katrin Kunert.


(Beifall bei der LINKEN)



Katrin Kunert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1610803800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Gäste! Nur wer dopt, gewinnt. Nur wer ge-
winnt, ist in den Medien. Nur wer in den Medien ist,
macht seine Sponsoren glücklich. Nur glückliche Spon-
soren geben auch im nächsten Jahr noch frisches Geld.
Wenn dies so zutrifft, wie es Jaksche beschreibt, dann
empfehlen wir dem Veranstalter, die Tour de France ab-
zusagen.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Klaus Riegert [CDU/CSU]: Mehrheitlich oder einstimmig?)


Die gesamte Gesellschaft watet im Dopingsumpf und
erwartet vom Sportler, den Wettkampf in trockenen
Strümpfen zu absolvieren. In den letzten Monaten wurde
viel darüber diskutiert, wie ein Sportler bestraft werden
könnte, der letztlich doch mit nassen Strümpfen erwischt
wird. Ich finde das scheinheilig.

Das Thema Doping ist uralt. Der erste Dopingtote
wurde vor 115 Jahren beerdigt. Darauf haben Sie bereits
hingewiesen, Herr Danckert. In diesem Jahrhundert wird
dem Publikum immer wieder ein großes Staunen und
Entsetzen präsentiert. Der letzte Höhepunkt war der wei-
nende Zabel vor der Kamera, der eine höhere Einschalt-
quote hatte als die Tour de France im vergangenen Jahr.

Im Radsport jagt ein Geständnis über Dopingprakti-
ken das andere. Vom Sportler über Ärzte hin zu einigen
Funktionären fällt das Kartenhaus zusammen. Mancher
schweigt beharrlich, weil ein Geständnis viel Geld kos-
ten würde. Aber bisher wurde nur zugegeben, was offen-
kundig oder verjährt ist. Lediglich Jaksche bricht sein
Schweigen, für viel Honorar wohlgemerkt. Aber deut-
lich wird: Es gibt kein Unrechtsbewusstsein. Der eigent-
liche Skandal ist, dass sich die Geständnisse und Tränen
auch noch super vermarkten lassen. Mediendemokratie
nennt man das. Ich nenne es Sittenverfall.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Sie werden mir als Abgeordnete der Linken abnehmen
müssen, dass ich mich dem Erstaunen und Entsetzen
nicht anschließen kann.

Ich möchte drei Dinge klarstellen: Erstens. Die Frak-
tion Die Linke lehnt Doping im Sport konsequent ab.


(Beifall bei der LINKEN – Dagmar Freitag [SPD]: Auch Herr Nešković?)


– Auch Herr Nešković.


(Dagmar Freitag [SPD]: Das ist ja was ganz Neues! Er ist für die Freigabe!)


Zweitens. In der DDR wurde gedopt, ein unrühmli-
ches Kapitel in ihrer Geschichte ohne Wenn und Aber.






(A) (C)



(B) (D)


Katrin Kunert

(Beifall des Abg. Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Doch die vielen wissenschaftlichen Studien, die nach
1989 zu diesem Thema durch Steuergelder finanziert
wurden, haben in keiner Weise zur Aufhellung, ge-
schweige denn zu einer besseren Dopingbekämpfung ge-
führt. Das ist absolut inakzeptabel.


(Beifall bei der LINKEN)


Drittens. Für uns ist die entscheidende Frage, ob es
gelingt, konsequent und transparent alle Hintergründe
des Verhältnisses von Spitzensport zu Doping und die
damit verbundene Gier nach Geld aufzudecken. Haupt-
dopinggrund sind das Geld und sein Einfluss auf den
Sport. Solange der Kommerz den Sport bestimmt, so
lange wird es Doping geben, behaupte ich.


(Dagmar Freitag [SPD]: Das passt ja zu Herrn Nešković!)


Der Profiradsport ist ein Sumpf. Er rangiert beim
Doping noch vor der Leichtathletik, dem Kraftsport
und den nordischen Wintersportarten.

Das sagte ARD-Dopingexperte Seppelt. Hand aufs Herz,
liebe Kolleginnen und Kollegen: Das wissen wir alle.
Wir wissen auch, dass einige Instrumente im Kampf ge-
gen Doping nur unzureichend greifen. Die alles ent-
scheidende Frage ist: Sehen wir weiter zu? Sind wir so-
gar machtlos, oder kümmern wir uns endlich um die
Ursachen? Wollen wir an den Symptomen herumdoktern
oder den Erreger bekämpfen?

Der erste Dopingtote hatte die Ermüdungsschwelle
seines Körpers mit Strychnin hinausgeschoben. Heute
verdient die globalisierte Pharmaindustrie Milliarden.
Das große Geld wird nicht nur während des Tour-de-
France-Monats verdient, sondern während des gesamten
Jahres unter anderem in Fitnessstudios zwischen San-
tiago de Chile und Reykjavik. Im Profisport und auch im
Freizeit- und Amateursport blüht der Handel mit Anabo-
lika, Wachstumshormonen und vielem anderen.

Das weltweit produzierte Epo wird nur zu einem
Fünftel für Kranke benötigt. Warum belegt man den
Handel von Epo nicht mit Sanktionen, beginnend beim
Pharmariesen? Warum belegt man nicht die Produktion
mit Quoten? Während ein Medikament wie Epo über das
notwendige Maß hinaus produziert und missbraucht
wird, sterben Menschen gerade in unterentwickelten
Ländern an Krankheiten, die zu wenig erforscht sind,
weil es hier offensichtlich zu wenig Profit bringt.


(Zuruf von der LINKEN: Genau das ist es, richtig!)


Wir stellen als Fraktion die Grundsatzfrage: Muss der
Leistungssport dem totalen Kommerz unterliegen? Leis-
tungsdruck und das in der Gesellschaft gezeichnete
Bild eines erfolgreichen und dynamischen Menschen mit
überzogenen Ansprüchen an seine Leistungen macht ei-
nen Teufelskreis auf, in den viele Menschen geraten.
Süchte entstehen, und die Gesellschaft zahlt die Folgen.
Frau Kollegin Freitag, wenn Sie unseren Gesamtansatz
als Lyrik bezeichnen, dann frage ich mich, welche geis-
tige Nahrung Sie im Allgemeinen zu sich nehmen, wenn
Sie nicht erkennen, dass die Ursachen des Dopings im
Sport auch in der Gesellschaft zu finden sind.


(Beifall bei der LINKEN)


Doping im Leistungssport ist aber nur die Spitze des
Eisberges. Vom Umfang her sind Medikamentenmiss-
brauch und Doping im Freizeit- und Amateursport
viel größer als im Leistungssport. Aber das wird viel-
fach tabuisiert. Im Durchschnitt greifen 200 000 Besu-
cherinnen und Besucher in den Fitnessstudios zu Ana-
bolika und anderen Präparaten. Jährlich werden über
100 Millionen Euro Umsatz mit illegalen Dopingmit-
teln gemacht. Gewinner ist auch hier die Pharmaindus-
trie. Sie hat eine starke Lobby. Im aktuellen Drogen-
und Suchtbericht der Bundesregierung wird davon aus-
gegangen, dass bis zu 1,9 Millionen Menschen medika-
mentenabhängig sind. Zum ersten Mal wird in diesem
Bericht der Medikamentenmissbrauch im Sport als
Problem erkannt.

Die Bundesregierung will mit ihrem Gesetz, das als
Entwurf vorliegt, Doping jedoch nur im Leistungssport
bekämpfen. Das ist uns zu wenig. Nur weil sich die Öf-
fentlichkeit betrogen fühlt, werden strafrechtliche Sank-
tionen verschärft. Über medikamentenabhängige Mana-
gerinnen und Manager, Lehrerinnen und Lehrer oder
Politikerinnen und Politiker regt sich in der Öffentlich-
keit niemand auf. Das wird billigend in Kauf genommen.


(Dr. Peter Danckert [SPD]: In Kauf nimmt das keiner!)


Nicht nur der Leistungssport hat also ein Dopingpro-
blem, sondern die gesamte Gesellschaft.

Die Fraktion Die Linke schlägt in ihrem Entschlie-
ßungsantrag Maßnahmen vor, die das System des Sports
für die Sportlerinnen und Sportler stärken sollen.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Sportlerinnen und Sportler dürfen nicht als Geg-
ner, sondern müssen als Mitstreiterinnen und Mitstreiter
im Kampf gegen Doping gesehen werden.

Ich möchte an dieser Stelle ein aktuelles Beispiel
bringen. Wir erwarten von unseren Sportlerinnen und
Sportlern, dass sie dopingfrei, also sauber trainieren und
sich an Wettkämpfen beteiligen. Ich finde es daher kon-
traproduktiv, wenn die Normen für die Teilnahme an
der Leichtathletik-WM so hoch gesetzt werden, dass
einige Sportlerinnen und Sportler sie nicht mehr erfüllen
können. Wir erwarten, dass sie sauber sind, und erhöhen
gleichzeitig die Normen! Wenn wir die Normen zum
Beispiel für diese WM an den derzeitigen Ranglisten ori-
entieren, dann birgt das die Gefahr, dass die sauberen
Leistungen unserer Sportlerinnen und Sportler mit mög-
licherweise manipulierten Leistungen verglichen wer-
den. Das passt nicht.


(Beifall bei der LINKEN)


Manche Teilnahme – das muss ich aus eigener Erfahrung
sagen – an wichtigen Wettkämpfen ist schon leistungs-
fördernd genug, und zwar auf eine gesunde und ehrliche
Art.






(A) (C)



(B) (D)


Katrin Kunert
Wir schlagen unter anderem die Einführung eines
Athletenpasses vor. Die darin erfassten Daten sollen
zum Beispiel die immer höher werdende Zahl plötzlich
medikamentenbedürftiger Athletinnen und Athleten mit
Ausnahmegenehmigung eindämmen. Bei der letzten
Schwimm-WM in Australien gab es auffällig viele aner-
kannte Asthmatiker, die ganz legal leistungssteigernde
Asthmamittel einnehmen können. Hier sind in Zukunft
auch und gerade die Ärztinnen und Ärzte gefragt.

Wir halten die Karriereplanung für Sportlerinnen
und Sportler für besonders wichtig. Wer Beruf und Sport
vereinbaren kann oder eine Perspektive nach dem Sport
hat, gerät auch nicht in finanzielle Abhängigkeit von
Siegprämien.


(Beifall bei der LINKEN)


Eine breite Aufklärungskampagne in Schulen, Vereinen
und bei Wettkämpfen wird das A und O sein.

Die NADA, die in der vergangenen Zeit – gelinde ge-
sagt – finanziell an der kurzen Leine gehalten wurde,
braucht einfach mehr Mittel. Diese müssen grundlegend
aufgestockt werden, damit die NADA effizient und
nachhaltig agieren kann. Die angekündigte Erhöhung im
Haushalt 2008 reicht aus meiner Sicht nicht aus. Eine
zehnprozentige Gewinnabgabe der Pharmakonzerne
wäre ein konsequenter Schritt, meine ich.

Wir wollen erstens eine umfassende Aufklärung aller
Dopingpraktiken in Deutschland und eine Überprüfung
der Strukturen des Sports. Wir wollen zweitens eine De-
batte über den Sport in der Gesellschaft. Welchen Sport
wollen wir? Welche Werte verbinden wir mit ihm? Wir
wollen drittens, dass für alle auf internationaler Ebene
gleiche Regeln gelten, das heißt ein Maß für alle. Wer
die Regeln verletzt, ist raus aus dem Spiel. Ebenso wich-
tig ist die Qualität der Kontrollen zur Einhaltung dieser
Regeln.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der LINKEN – Klaus Riegert [CDU/CSU]: Also stimmen Sie unserem Gesetzentwurf zu?)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1610803900

Jetzt spricht Winfried Hermann für das Bündnis 90/

Die Grünen.


Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1610804000

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Alle Vorrednerinnen und Vorredner haben da-
rauf hingewiesen, dass es eine richtig lange Geschichte
des Dopings im Sport gibt, vor allem im Radsport. Es
gibt aber auch eine sehr lange Geschichte des nicht kon-
sequenten Kampfes gegen Doping bei den Sportorgani-
satoren, in den Sportverbänden und übrigens auch in der
Politik. Das müssen wir selbstkritisch konzedieren. Wir
haben lange, zu lange zugesehen und immer darauf ver-
traut, dass der Sport das schon selber in den Griff be-
kommt. Ich halte es für einen Fehler, dass sich die Poli-
tik immer nur so viel traut, wie die Spitzenfunktionäre
des Sports der Politik zugestehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Peter Danckert [SPD]: Nein, so war es nicht! – Dagmar Freitag [SPD]: Das ist doch Unsinn!)


– Doch, so ist es auch diesmal wieder.

Die spannende Frage, die wir uns heute stellen müs-
sen, lautet: Ist das, was in den letzten Tagen und Wochen
an Bekenntnissen über Dopingnetzwerke herausgekom-
men ist, etwas, was mit der neuen Novelle bekämpft
werden kann? Kommt dabei etwas heraus? Da kann man
sagen: Bisher haben sich die Kollegen im Sport nicht
strafbar gemacht. Jaksche sagt ganz offen: Ich gehe mit
meinem Bekenntnis vor jedes Gericht. Das kann er na-
türlich tun, weil er von keinem Gericht eine Strafe be-
fürchten muss, da er sich nicht strafbar gemacht hat. Das
wäre auch nach der neuen Novelle gar nicht anders.


(Dr. Peter Danckert [SPD]: Das stimmt ja gar nicht! – Gegenruf des Abg. Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Natürlich!)


Ein Sportler, der sich des Dopings schuldig bekennt,
macht sich nach dem neuen Gesetz wiederum nicht straf-
bar. Das ist doch die Quintessenz Ihres Gesetzes. So ha-
ben Sie doch auch argumentiert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben das Arzneimittelgesetz novelliert und nicht ein
umfassendes Antidopinggesetz vorgelegt. Sie haben ein
seit zehn Jahren erwiesenermaßen schwaches Arzneimit-
telgesetz – die Kollegen von der SPD werden mir zu-
stimmen; wir haben es immer als eine schwache Me-
thode und als schwaches Werkzeug kritisiert – etwas
gestärkt, Sie haben diesem zahnlosen Tiger zugegebe-
nermaßen ein, zwei Zähne beigefügt, aber aus diesem In-
strument kein wirklich bissiges Gesetz gemacht.


(Dr. Peter Danckert [SPD]: Das werden wir mal abwarten! – Dagmar Freitag [SPD]: So ist es!)


Mit diesem Gesetzentwurf machen Sie einen weiten
Bogen um die Verantwortlichkeit des Sportlers selber.


(Dr. Peter Danckert [SPD]: Das ist ja überhaupt nicht wahr!)


Das ist die eigentliche Schwachstelle dieses Gesetzent-
wurfs. Nicht zuletzt deswegen sagen auch verschiedene
Journalisten: Die Politiker reden zwar groß daher, aber
am Schluss sind sie milde. Dieser Gesetzentwurf ist
reichlich zahm. Wenn er verabschiedet wird, haben wir
kein wirklich scharfes Antidopinggesetz.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Vor allem die Kolleginnen und Kollegen von der SPD
betonen, es sei ein Meilenstein, dass der Besitz nicht ge-
ringer Mengen von Dopingmitteln strafbar werde. Wir
finden, das ist weiße Salbe; denn der Besitz nicht gerin-
ger Mengen ist für diejenigen, die damit handeln, auch
heute schon strafbar.


(Dagmar Freitag [SPD]: Händler! Nachgewiesener Händler!)







(A) (C)



(B) (D)


Winfried Hermann
Sie werden mit Ihrem Vorgehen die schon heute sicht-
bare Tendenz verstärken. Sicherlich lesen auch Sie die
entsprechenden Berichte im „Spiegel“ und anderswo, in
denen Sportler beschreiben, wie das ganze System funk-
tioniert. Die Portionen, mit denen Sportler umgehen,
werden zukünftig kleiner sein. Das ist es nämlich.


(Dr. Peter Danckert [SPD]: Aber viele kleine Positionen sind auch eine große!)


Es wird nicht mehr so sein, dass ein Trainer oder ein
Arzt eine große Tasche mit Dopingmitteln dabeihat;
vielmehr wird der Sportler kleine Portionen an Doping-
mitteln mitnehmen, weil er sich dadurch nicht strafbar
macht.


(Dagmar Freitag [SPD]: Gut, dass Sie das alles wissen!)


Einer Ihrer Experten hat bei der Anhörung gesagt: Auch
in Zukunft verstößt ein Sportler nicht gegen das Recht,
wenn er etwa bei der Radrennweltmeisterschaft in
Deutschland mit einer Epo-Ampulle um den Hals ins
Ziel fährt; ihm wird nichts passieren, weil das nicht
strafbar ist.


(Klaus Riegert [CDU/CSU]: Das ist schlichtweg Unsinn! Gesperrt wird er! Der wird gar nicht fahren! Sie haben es einfach nicht begriffen!)


Genau das ist es. Die Verabschiedung Ihres Gesetzent-
wurfs wird zu einer Neuproportionierung der dezentra-
len Dopingmittelvergabe führen, zu nichts anderem.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Peter Danckert [SPD]: Der Besitz wird auch saktioniert!)


Es gibt auch noch offene Fragen: Was ist eigentlich
Blutdoping? Was sind nicht geringe Mengen an Blutdo-
ping? Wie viel Liter Blut dürfen es denn sein?


(Dagmar Freitag [SPD]: Steht alles im Gesetz!)


Wird es in Zukunft so sein, dass die Beutel zwar nicht
mehr bei Fuentes gelagert werden, sondern dass jeder
Radsportler seine Beutel im eigenen Kühlschrank lagert?
Auch das wird dieses Gesetz nicht erfassen.


(Dr. Peter Danckert [SPD]: Das stimmt doch alles gar nicht!)


Ich sage noch einmal in aller Deutlichkeit: Sie ma-
chen einen weiten Bogen um den Sportler selber. Sie zie-
hen ihn nicht zur Verantwortung. Sie stricken an der Mär
vom unschuldigen Sportler, der getrieben von Trainern,
Medien und Netzwerken zum Doping greift, weil er
nicht anders kann.


(Widerspruch des Abg. Dr. Peter Danckert [SPD])


Natürlich gibt es solche Strukturen, und trotzdem muss
man sagen: Sportler sind erwachsene, verantwortungsfä-
hige Menschen, von denen man erwarten muss, dass sie
darüber entscheiden können, was gut und richtig ist.
Wenn sie die Regeln des Rechts verletzen, dann müssen
sie dafür belangt werden. Das ist das Mindeste.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deswegen haben wir nach einer Konstruktion ge-
sucht, die dafür sorgt, dass auch der Sportler – die Zen-
tralfigur im Dopinggeschehen; das muss man einmal
ganz deutlich sagen; auch die Experten haben festge-
stellt, dass der Sportler der Kern des Geschehens ist –
belangt wird. Deswegen schlagen wir vor, den Tatbe-
stand des Sportbetrugs in das Wettbewerbsrecht einzu-
führen. Im modernen Spitzensport geht es um sehr viel
Geld und damit um Betrug des Gegners. Wer manipu-
liert, versucht, sich Vorteile zu verschaffen. Was wir vor-
schlagen, soll auf die, wie ich finde, „moderne“ Ent-
wicklung des Dopings in Form von ganz neuen
Netzwerken und Methoden Einfluss nehmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir Grünen haben immer gesagt: Wir brauchen nicht
nur eine Novelle des Arzneimittelgesetzes, sondern auch
eine umfassende neue Antidopinggesetzgebung, ein Ar-
tikelgesetz, das klar regelt, unter welchen Bedingungen
der saubere Sport gefördert wird. Der Staat sollte sich
eindeutig dazu verpflichten, Aufklärung, Information
und Prävention im Bereich Doping anzubieten. Ich rege
an, das Amt eines Antidopingbeauftragten zu schaffen,
der hier im Bundestag darüber berichtet.


(Klaus Riegert [CDU/CSU]: Wo ist denn Ihr Entwurf dazu?)


Wir fordern ein rechtliches Paket, etwa ein Straf-
rechtspaket. Einige Elemente eines solchen Pakets sind
in dem vorliegenden Gesetzentwurf enthalten. Wir for-
dern, dass das Element des Sportbetrugs hinzugenom-
men wird.

Wir müssen die Wissenschaft, die Forschung und die
Kontrolle fördern, damit sie besser werden und nicht im-
mer hinterherhinken. In Freiburg haben selbst Wissen-
schaftler und Mediziner staatliche Mittel missbraucht.
Auch das macht deutlich, dass wir im Blick auf die Wis-
senschaft selbst die Mittelvergabe im Kampf gegen Do-
ping besser kontrollieren müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1610804100

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.


Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1610804200

Ich komme zum Schluss.

Wie Sie gesehen haben, haben wir sehr viel Kritik an
einem unzulänglichen, nicht weit genug gehenden Ge-
setzentwurf der Großen Koalition geübt. Trotzdem wer-
den wir ihn nicht ablehnen. Er enthält einige Verbesse-
rungen. Es wäre falsch, dagegen zu sein. Wir enthalten
uns, weil das, was erreicht wird, nicht weit genug geht,
denn beim Sportler, der die zentrale Figur ist, wird nicht
angesetzt.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1610804300

Stephan Mayer spricht jetzt für die CDU/CSU-Frak-

tion.


Stephan Mayer (CSU):
Rede ID: ID1610804400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen!

Sehr geehrte Kollegen! Die Geständnisse und Enthüllun-
gen der letzten Tage und Wochen über den Dopingmiss-
brauch im Radsport waren erschreckend und schockie-
rend. Jetzt mag man vielleicht meinen, ich sei naiv oder
zu gutgläubig, da es Dopingfälle im Radsport schon im-
mer gegeben habe; die neue Qualität, die meines Erach-
tens durch diese jüngsten Dopingbeichten vieler ehema-
liger Telekom-Fahrer zutage getreten ist, ist aber, dass es
ein planvolles, kollusives Zusammenwirken im ehemali-
gen Telekom-Team gab, dass hochprofessionell gearbei-
tet wurde und dass es eine Selbstverständlichkeit und
teilweise unausgesprochen klar war, dass man dopte.
Dies macht einen fassungslos und vielleicht sogar
sprachlos.

Es wäre jetzt aber falsch, die Sportler, die gedopt ha-
ben und dies einräumen, an den Pranger zu stellen. Sie
haben auch nicht verdient, zu Heroen stilisiert zu wer-
den. Es war mit Sicherheit kein großer Ausweis von Hel-
dentum, sich jetzt zu offenbaren, nachdem die meisten
Delikte verjährt sind. Aber es wäre meines Erachtens das
falsche Signal, jetzt daraus den Schluss zu ziehen, dem
Radsport öffentliche Fördermittel zu entziehen und
möglicherweise sogar die öffentlich-rechtliche Bericht-
erstattung über Radsportereignisse wie beispielsweise
die Tour de France einzustellen.


(Dr. Peter Danckert [SPD]: Na, da kann man auch anderer Meinung sein!)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, Doping ist
eine Krake oder eine Hydra, die zumindest den Profirad-
sport und möglicherweise auch andere Sportarten fest im
Griff hatte und vielleicht immer noch hat. Ich halte den
Vergleich mit der Hydra insoweit für authentisch, als
sich herausgestellt hat, dass, obwohl es in der jüngsten
Zeit immer wieder neue Ermittlungsmethoden gab und
neue technische Möglichkeiten erfunden wurden, um
dem Dopingmissbrauch zu Leibe zu rücken, immer wie-
der schnell neue Medikamente entwickelt wurden, um
den Dopingmissbrauch zu verschleiern.

Es muss das Ziel aller Beteiligten sein, dass das, was
dem Radsport derzeit an Glaubwürdigkeitsverlust und
meines Erachtens mittel- und langfristig auch an Bedeu-
tungsverlust widerfährt, anderen Sportarten erspart
bleibt. Es muss unser aller Ziel sein, dass Eltern ihre
Kinder wieder bedenken- und sorglos in Radsport-,
Leichtathletik- und andere Vereine geben können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Vor diesem Hintergrund ist das heute zur Verabschie-
dung anstehende Gesetz zur Verbesserung der Bekämp-
fung des Dopingmissbrauchs ein wichtiger Schritt. Man
muss an dieser Stelle ganz klarmachen, für was das
staatliche Gewaltmonopol, für was der Gesetzgeber zu-
ständig ist. Wir sind dafür zuständig, vor allem durch
eine Verschärfung des Strafrechts, den Schutzzweck zu
erfüllen, der uns aufgegeben wurde. Hier muss man eine
ganz klare Aufgabenteilung zwischen dem organisierten
Sport auf der einen Seite und dem Staat auf der anderen
Seite vornehmen. Ich vertraue nach wie vor der Fähig-
keit des organisierten Sports, dem Dopingmissbrauch
erfolgreich zu Leibe zu rücken. Es gibt den Strict-liabi-
lity-Grundsatz und die Beweislastumkehr. Der Sportler
macht sich strafbar, sobald steroide Mittel, Anabolika in
seinem Körper festgestellt werden. Lieber Kollege
Hermann, es stimmt nicht, was Sie sagen. Sie werfen
hier unablässig Nebelkerzen. Wenn der Fall, den Sie ge-
schildert haben, eintritt, wenn also ein Radsportler mit
einer Dopingampulle um den Hals aufgegriffen wird,
dann ist das ein Versuch von Doping und somit strafbar.
Der Sportler wird beim ersten Mal sofort für mindestens
zwei Jahre gesperrt.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gesperrt schon, aber es ist nicht strafbar! – Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe „nicht strafbar“ gesagt!)


Er kann dann seinen Sport für zwei Jahre nicht ausüben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


An dieser Stelle muss man darauf hinweisen, was das
schärfste Schwert ist. Das schärfste Schwert ist doch,
wenn der Sportler seine geliebte Sportart nicht ausüben
kann, von der er vielleicht auch finanziell abhängig ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Herr Hermann, Sie betreiben hier reinen Populismus
und werfen Nebelkerzen. Das Gegenteil dessen, was Sie
gesagt haben, ist der Fall. Das schärfste Schwert ist die
Sportgerichtsbarkeit. Die Sportgerichtsbarkeit und die
Sportverbände sind auch in der Verantwortung, und in
dieser Verantwortung müssen wir sie in Zukunft in aller
Deutlichkeit belassen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich begrüße es sehr, dass es immer mehr Verbände
gibt, zum Beispiel den Internationalen Radsportverband,
die UCI, die ihren Spitzensportlern Selbstverpflichtun-
gen auferlegen. Ich würde mich freuen, wenn auch an-
dere Verbände – ich weiß, der Schwimmsportverband in
Deutschland ist auf dem Weg dorthin; auch die Leicht-
athletik ist in diesem Bereich tätig – in Form von freiwil-
ligen Selbstverpflichtungen ihren Sportlern klarmachten,
dass sie bestimmte Regularien einhalten müssen.

Auf der anderen Seite muss man auch klarmachen, für
was der Staat zuständig ist, für was er in diesem Fall nur
zuständig ist. Es ist in der deutschen Rechtsordnung nun
einmal so, dass Selbstgefährdung und auch Selbstschä-
digung straflos sind. Dies gilt auch für Sportler. So
schön es wäre, hier weitergehende Möglichkeiten im
Strafrecht zu schaffen – einer der Sachverständigen hat
von einem Anti-Dealing-Gesetz gesprochen –: Es ist nun
einmal so, dass die Chancengleichheit und die Fairness
im Sport nicht Schutzzweck im Sinne des Strafrechts






(A) (C)



(B) (D)


Stephan Mayer (Altötting)

sind. Nur ein solcher Schutzzweck würde dazu anhalten,
die Besitzstrafbarkeit bei Sportlern generell zu imple-
mentieren.

Wir schaffen mit diesem neuen Gesetz die Besitz-
strafbarkeit bei nicht geringen Mengen, weil dies ganz
deutlich Handel indiziert. Bei internationalem illegalen
Handel von Arzneimitteln, die zum Zwecke des Dopings
verwendet werden, werden endlich auch Ermittlungsbe-
fugnisse für das Bundeskriminalamt geschaffen. Gerade
der Fall des Dopingarztes Fuentes hat in aller Deutlich-
keit gezeigt: Doping ist mittlerweile kein nationales Phä-
nomen, Doping ist ein internationales Phänomen.


(Beifall des Abg. Dr. Peter Danckert [SPD])


Deswegen ist es auch sehr fraglich, ob man nur mit na-
tionalen Regularien und nationalen Normen dem Doping
wirklich langfristig und effizient zu Leibe rücken kann.

Ich würde mich freuen, lieber Kollege Parr, wenn die
FDP diesem sehr wegweisenden und zukunftsgerichte-
ten Gesetzentwurf zustimmen könnte. Ich habe mir Ihren
Entschließungsantrag angesehen und festgestellt: Von
14 Einzelpunkten, die Sie aufführen, werden 13 im Ge-
setzentwurf verwirklicht. Der einzige Punkt, der nicht
verwirklicht ist, ist Ihr Ansinnen, dass auch auf der
Packung eines Arzneimittels ein Piktogramm aufzudru-
cken ist, das ausweist, dass das Medikament für Doping
verwendet werden kann. Vielleicht geben Sie Ihrem Her-
zen einen Stoß und stimmen dem Gesetzentwurf doch
noch zu, nachdem 13 von 14 Punkten Ihres Entschlie-
ßungsantrages erfüllt sind.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir schaffen erstmals die Besitzstrafbarkeit beim
Sportler oder generell bei Personen, die nicht geringe
Mengen von anabolen Steroiden, Hormonen, wozu auch
Epo-Mittel gehören, bei sich führen, wobei ich der Ehr-
lichkeit halber klarmachen möchte: Das beste Dopingbe-
kämpfungsgesetz ist wirkungslos, wenn es uns nicht ge-
lingt, eine wirksame Prävention zu betreiben und
entsprechend stringente Kontrollen durchzuführen. Des-
wegen ist es wichtig, dass die Dopinganalytik und die
Dopingprävention verbessert werden.

Ich begrüße in diesem Zusammenhang sehr, dass sich
der Bundesinnenminister in den Haushaltsverhandlun-
gen durchsetzen konnte.


(Dr. Peter Danckert [SPD]: Wir haben ihn unterstützt!)


Die Mittel, die insgesamt für den Sport zur Verfügung
stehen, werden deutlich erhöht, nämlich um
20 Millionen Euro. Insbesondere die Mittel, die für die
NADA zur Verfügung stehen, werden deutlich erhöht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Eine Steigerung um 1 Million Euro ist hier angedacht.
Das ist ein sehr erfreuliches und sehr mutiges Signal.
Des Weiteren ist vorgesehen, 2 Millionen Euro zusätz-
lich für Analytik und für Prävention zur Verfügung zu
stellen.
In diesem Zusammenhang muss man natürlich sehen:
Wir haben hier Nachholbedarf. Die Mittel, die der
NADA zur Verfügung stehen, belaufen sich derzeit auf
1,8 Millionen Euro im Jahr. Wenn man einen Blick ins
Nachbarland Frankreich wirft, dann stellt man fest, dass
die dortige Organisation 7 Millionen Euro hat.


(Dr. Peter Danckert [SPD]: Genau!)


Ich bin der Wirtschaft und insbesondere dem DOSB sehr
dankbar, dass sie sich hier deutlich beteiligen,


(Dr. Peter Danckert [SPD]: Könnte aber mehr sein!)


und würde mir wünschen, dass die Erhöhung der Mittel,
die der DOSB für dieses Jahr in Aussicht gestellt hat und
tatsächlich gibt, für die nächsten Jahre sozusagen verste-
tigt wird, sodass weiterhin Mittel in dieser Höhe zur Ver-
fügung stehen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Kontrolle ist das Entscheidende. Derzeit werden
8 000 Kontrollen bei ungefähr 9 000 Spitzensportlern
durchgeführt. Bisher waren es hauptsächlich Zufallskon-
trollen. Wir müssen in Zukunft verstärkt intelligente
Kontrollen, wirklich zielgenaue Kontrollen durchführen,
die sich daran orientieren: Wann wäre es aus Sicht des
Sportlers sozusagen „am vernünftigsten“, zu dopen? Da-
ran muss sich ermessen, wann die Dopingkontrollen
durchgeführt werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1610804500

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.


Stephan Mayer (CSU):
Rede ID: ID1610804600

Ich komme zum Schluss.

Entscheidend ist natürlich auch die Prävention. Ge-
rade in diesem Zusammenhang könnten sich die gestän-
digen ehemaligen Telekom-Fahrer sehr verdient machen,
indem sie in Schulklassen, Sportverbände und Vereine
gehen, um dort entsprechend zu berichten.


(Dr. Peter Danckert [SPD]: Das ist auch vorgesehen!)


Als letzten Punkt möchte ich noch Folgendes anspre-
chen: Die vorgesehene Evaluation des Gesetzes in fünf
Jahren ist richtig.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1610804700

Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.


Stephan Mayer (CSU):
Rede ID: ID1610804800

Wenn sich aber wirklich herausstellen sollte, dass das

Gesetz nicht greift oder nicht in der Form greift, wie wir
es uns wünschen, muss die Evaluation auch früher mög-
lich sein.

Es ist eine wichtige Etappe, die wir mit diesem Gesetz
zurücklegen. Ob es die Königsetappe ist – um im Jargon
der Tour de France zu sprechen –, wird sich erst in der






(A) (C)



(B) (D)


Stephan Mayer (Altötting)

Zukunft erweisen. Auf jeden Fall kann ich nur allen
empfehlen, diesem Gesetz zuzustimmen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1610804900

Jetzt spricht Joachim Günther für die FDP-Fraktion.


Joachim Günther (FDP):
Rede ID: ID1610805000

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-

legen! Wenn man in der heutigen Debatte über Doping
Vorschläge unterbreiten will, ist man eventuell gut bera-
ten, vorher Fernsehen zu schauen. Man weiß ja nie, wer
gerade welches Geständnis abgelegt hat und wer wen be-
lastet hat.


(Dagmar Freitag [SPD]: Was gibt es Neues?)


Dies sage ich auch vor dem Hintergrund dessen, was
Herr Jaksche vorgetragen hat und dass in zwei Tagen die
Tour de France beginnt. Hoffen wir, dass aus dieser
Richtung nicht noch mehr auf uns zukommt.

Gegenwärtig schlägt alles auf den Radsport ein. Es
wäre aber blauäugig zu glauben, dass in allen anderen
Sportarten, vor allem in Kraft- und Ausdauersportarten,
alles völlig rein, völlig sauber und völlig clean zugeht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Peter Danckert [SPD]: Stimmt! Da kommt auch noch etwas auf uns zu!)


Vielleicht haben wir uns zu lange vor der Realität ge-
duckt, nach dem Motto, was nicht sein darf, das kann
nicht sein. – Nicht selten gab es in der Vergangenheit
Diskussionen – das wissen wir alle; diese haben wir ja
auch im Sportausschuss geführt –, dass vor allem früher
im Ostblock, in China und anderswo auf dieser Welt ge-
dopt wurde. Richtig ist, dort wurde gedopt; da wird viel-
leicht auch noch gedopt. Aber ebenso wird in den hoch-
entwickelten Ländern aufgrund des wissenschaftlichen
Standards gedopt, und zwar nicht viel weniger als
anderswo auf der Welt. Bei so manchem 100-Meter-
Läufern konnte man, wenn man ehrlich ist und sich die
Bilder von Olympia noch einmal vor Augen führt, den-
ken, sie kämen direkt aus einer Muskelfabrik. In der Re-
alität hinken leider die Prüfmethoden meist hinter der
Spitzentechnologie des Dopings hinterher. Dies wurde ja
gerade im Radsport deutlich. Hier wurde ja Blutdoping
zugegeben und dabei deutlich gemacht, dass es in den
ersten Jahren nicht nachzuweisen war. Das darf in Zu-
kunft nicht mehr passieren. Deswegen fordern wir als
FDP zu Recht, mehr in die Antidopingforschung zu ge-
ben, um den Antidopingkampf auf Augenhöhe führen zu
können.


(Beifall bei der FDP)


Wir können und müssen einige Rahmenbedingungen
aufstellen, die den normalen und fairen Sport wieder in
die eigentliche Spur zurückbringen. Neben der For-
schung müssen auch die Dopingkontrollen verbessert
werden: weg vom Urintest, hin zum Bluttest. Das ist ja
etwas, was 2008 bereits durchgeführt wird. All das
bringt Kosten mit sich; hierfür muss die Finanzierungs-
basis der NADA in den kommenden Jahren kontinuier-
lich ausgebaut werden.


(Dagmar Freitag [SPD]: Das machen wir ja!)


Es wurde hier richtigerweise schon angemerkt, dass
diese erhöht wurde. Ich bin aber der Überzeugung, dass
wir alle uns auch dafür einsetzen sollten, dass ein be-
stimmter prozentualer Anteil von allen Sponsoringgel-
dern ebenfalls der NADA zur Verfügung gestellt wird.
Damit hätten wir eine viel breitere Grundlage und könn-
ten damit viel besser und auch im internationalen Ver-
gleich hochwertiger agieren.


(Dagmar Freitag [SPD]: Das hat der Kollege Danckert schon lange vorgeschlagen!)


Es lohnt sich aber auch, über ein paar weitere Grund-
sätze nachzudenken und sie in die gesellschaftliche De-
batte einzubringen. Zählt in der Wirklichkeit denn nur
noch der Sieg? Sind wir, die Öffentlichkeit und die
Presse nicht auch daran beteiligt, dass die Zweiten und
Dritten eines Wettkampfes bereits als Verlierer darge-
stellt werden? Bei der Tour de France wird der Etappen-
sieger geehrt. Das Ereignis liegt vor uns. Schauen Sie
einmal genau hin: Da gibt es gar kein Podium mehr für
den zweiten und dritten Platz. Gehen wir in Deutschland
mit dem olympischen Gedanken richtig um? Auch
diese Frage muss einmal gestellt werden. Wir selbst sa-
gen doch: Nur wer eine reelle Medaillenchance hat, darf
zur Olympiade fahren.


(Dagmar Freitag [SPD]: Das sagt Ihr Fraktionskollege auch!)


Eine offene Diskussion über die Qualifikationskriterien
für Olympische Spiele muss meines Erachtens nach
noch einmal stattfinden und möglich sein.


(Dagmar Freitag [SPD]: Das ist interessant! – Klaus Riegert [CDU/CSU]: Wir wollen doch keine Touris oder bloße Mitmacher hinschicken!)


Wer von vornherein nur auf Siege setzt, wer alle anderen
Leistungen ausblendet, der darf sich im Endeffekt über
Doping nicht wundern. Auch der Sport muss hier
manchmal wieder zur Normalität zurückkommen.


(Beifall bei der FDP)


In diesem Zusammenhang lohnt es sich auch, einen
Blick in die Fernsehübertragungen zu werfen und über
das Sponsoring generell zu sprechen. Fernsehübertra-
gungen, die Wettkämpfe hochspielen, weil Weltrekorde
vorher angekündigt werden oder hohe Geldbeträge für
bestimmte Wettkämpfe eingesetzt werden, um Jahres-
weltbestleistungen zu erzielen, geben geradezu den
Grund dazu, auf dieses Ereignis hinzudopen. Darüber
sollte gesprochen werden. Sport muss wieder zur
schönsten Nebensache der Welt werden. Ich weiß, das
bekommen wir nicht so einfach hin. Aber es wäre schön,
wenn wir in Zukunft wieder über wahre Sieger und nicht
über den besten Arzt oder den besten Chemiker sprechen
würden.


(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1610805100

Für die SPD-Fraktion hat jetzt der Kollege Fritz

Rudolf Körper das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Fritz Rudolf Körper (SPD):
Rede ID: ID1610805200

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Ein Satz vorweg: Doping im
Sport ist Betrug –


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Diese Einsicht freut uns!)


Betrug an den sportlichen Mitwettbewerbern, an den Zu-
schauern, an den Preisverleihern und an denen, die in gu-
tem Glauben den Sport als Vorbild für Disziplin und
Fairness genommen haben. Dopingmissbrauch ist nicht
zu relativieren und nicht zu verharmlosen.


(Beifall bei der SPD)


Doping ist auch nicht nur gesundheitsschädlich. Es kos-
tet im Extrem das Leben und führt zum Tod.


(Dagmar Freitag [SPD]: Oh ja!)


Es ist viel über die Geschichte gesagt worden. 1886
ist erwähnt worden. Übrigens gab es im Jahre 1967 bei
der Tour de France ein einschneidendes Erlebnis zum
Thema Doping. Bei dieser Tour de France starb der eng-
lische Radsportler Tom Simpson an einer Mischung aus
Amphetaminen und Alkohol. Dieses Ereignis hat in der
Frage von Doping und Dopingbekämpfung natürlich ei-
niges ausgelöst. Es kam zur Gründung der medizini-
schen Kommission des IOC, um die Dopingbekämpfung
voranzutreiben, international zu vereinheitlichen und
den Dopinggebrauch mit Sanktionen zu belegen. Das
war allerdings nicht sehr erfolgreich. Dieses Beispiel
zeigt aber, wie bestimmte Ereignisse Entscheidungen
herbeiführen.

Ich muss zugeben, dass wir hier in Deutschland im
Vergleich zwischen Februar dieses Jahres und heute eine
erheblich unterschiedliche Debattenlage haben. Diejeni-
gen, die im Februar die Notwendigkeit eingefordert ha-
ben, in Sachen Dopingbekämpfung etwas zu machen,
sind zum Teil milde belächelt worden. Die Ereignisse
haben ihre eigene Sprache gesprochen.


(Beifall bei der SPD)


Deswegen ist es richtig, dass wir ein Gesetzgebungs-
vorhaben auf den Weg gebracht haben, bei dem die
Strafbarkeit des Besitzes nicht geringer Mengen be-
stimmter Dopingmittel im Vordergrund steht. Uns ist im-
mer wieder das Argument entgegengebracht worden, es
gehöre zur grundgesetzlich garantierten Freiheit, sich
den eigenen Körper ruinieren zu dürfen, auch mit Todes-
folge. Dieses Argument ist falsch, absurd und nicht ak-
zeptabel.


(Beifall bei der SPD)


Es geht nämlich vom einzelnen Individuum aus und ver-
kennt den gesellschaftlichen Zusammenhang, in dem
Doping angewendet wird.
Die Besitzstrafbarkeit betrifft den Besitz zu Doping-
zwecken im Sport. Ziel des Dopens ist die heimliche
Verzerrung der Wettbewerbssituation.


(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also Wettbewerbsbetrug!)


Der Dopende sucht weder den Rausch noch die Selbst-
zerstörung. Er will zum Nachteil der Mitwettbewerber
den Sieg in einem gesellschaftlich organisierten Wettbe-
werb. Damit übt er Druck auf sämtliche Mitbewerber
aus. Zur Wahrung der Chancengleichheit müssen alle
dopen, wenn sie nicht verlieren wollen. Doping ist von
seiner Logik her deshalb kein Einzelphänomen. Doping
führt wegen des auf alle Wettkämpfer ausgeübten
Drucks zwangsläufig zu einem System des allgemeinen
Dopens.

Meine Damen und Herren, die Sturzflut der neuen Er-
kenntnisse, Enthüllungen und Geständnisse kann nur
den überraschen, der in seiner Wahrnehmung Doping auf
die Selbstschädigung des Einzelsportlers verkürzt hat.


(Dagmar Freitag [SPD]: Richtig!)


Was folgt daraus?


(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nichts!)


Doping ist nicht nur Selbstschädigung, sondern ein sys-
tematischer Zwang zur Schädigung aller Beteiligten. Die
Besitzstrafbarkeit dient daher dem Schutz der Gesund-
heit sämtlicher Sportler sowohl im Spitzen- als auch im
Breitensport.


(Beifall bei der SPD)


Diesen Zusammenhang herzustellen, ist mir sehr wich-
tig. Denn die Vorbildfunktion des Spitzensports führt be-
kanntlich auch im Breitensport zu einer Welle des Arz-
neimittelmissbrauchs. Schließlich dient die Vorschrift
der Sicherheit des Arzneimittelverkehrs.

Es ist auch ganz wichtig, festzuhalten, dass diese ge-
fundene gesetzliche Regelung nicht im Widerspruch zu
den sportgerichtlichen Sanktionen zu sehen ist. Man
muss wissen, dass die sportgerichtlichen Sanktionen un-
ter anderen Bedingungen ausgesprochen werden. Sie
knüpfen an die positive Probe an. Sie folgen anderen Be-
weisregeln. Dem Sportler muss nicht ein schuldhafter
Vorsatz nachgewiesen werden. Es gibt andere Strafen:
Ausschluss und Sperren statt Geld- oder Freiheitsstrafen.
Unterschiedliche Resultate der jeweiligen Verfahren sind
möglich und nachvollziehbar. Sie schaden also nicht.

Der Hinweis auf die angebliche Behinderung der
sportgerichtlichen Verfahren war ein Hauptargument,
das uns immer wieder entgegengeschleudert worden ist.
Ich denke, dass das damit ausgeräumt ist.

Die Sportgerichtsbarkeit ist alleine offensichtlich zur
effektiven Bekämpfung des Dopings nicht in der Lage.


(Beifall bei der SPD – Detlef Parr [FDP]: Jetzt geht das wieder los!)







(A) (C)



(B) (D)


Fritz Rudolf Körper
Nur die Staatsanwaltschaft kann mit den ihr vorbehal-
tenen Ermittlungsmaßnahmen die Hintermänner ausfin-
dig machen.


(Detlef Parr [FDP]: Schon einmal etwas vom Schulterschluss zwischen Sport und Staat gehört?)


Ich denke, das ist ganz wichtig. Die Besitzstrafbarkeit,
Herr Kollege Parr, gibt den Staatsanwaltschaften einen
ersten Anknüpfungspunkt für Ermittlungen. Der An-
fangsverdacht kann sich nun auch allein auf den Besitz
gründen. Die Beschränkung auf die nicht geringe
Menge macht die Vorschrift nicht wirkungslos. Die Be-
schränkung auf die nicht geringe Menge betrifft zwin-
gend nur Anklage und Verurteilung. Der Anfangsver-
dacht kann im Zusammenhang mit anderen Tatsachen
auch auf den Besitz einer geringen Menge gestützt wer-
den.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Peter Danckert [SPD]: Genau!)


Das muss man hier noch einmal deutlich machen.

Ich bin froh, dass wir diese Regelung gefunden ha-
ben. Die Systematik dieses Gesetzentwurfes, nämlich
dass die Stoffe in der Anlage aufgeführt sind und dass es
Veränderungen in der Aufzählung durch Rechtsverord-
nungen geben kann, gibt uns die Möglichkeit, flexibel zu
handeln. Wir können relativ schnell reagieren.


(Dagmar Freitag [SPD]: Ja!)


Außerdem kann die nicht geringe Menge über eine
Rechtsverordnung definiert werden. Das zeigt die Prak-
tikabilität dieses Gesetzentwurfes.

Ich hoffe, dass wir eine breite Mehrheit finden. Der
Sport hätte es verdient. Er soll weiterhin Vorbildfunktion
insbesondere für unsere Jugend haben.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1610805300

Jetzt spricht Jerzy Montag für Bündnis 90/Die Grü-

nen.


Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1610805400

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kolle-

ginnen und Kollegen! Doping muss entschieden be-
kämpft werden. Darüber gibt es in diesem Haus über-
haupt keinen Dissens. Aber dies muss natürlich mit
rechtsstaatlichen Mitteln und mit Mitteln, die vor der
Verfassung unseres Staates bestehen können, geschehen.
Es ist daher wichtig, noch einmal auf die Besitzstraf-
barkeit zu sprechen zu kommen. Ich habe eine völlig
andere Überzeugung als Sie, Herr Kollege Körper.

Selbstverständlich kann und muss die Sportgerichts-
barkeit jeden Konsum und jeden Besitz von Doping ahn-
den. Das sollte sie viel konsequenter als bisher tun. Dazu
braucht sie aber Mittel und Möglichkeiten. Das Straf-
recht kann und darf das nicht.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP)


In der Anhörung gab es unterschiedliche Auffassun-
gen; Kollege Danckert – er sitzt dort hinten – hat es an-
gesprochen. Aber in einem Punkt, lieber Herr Kollege
Danckert, waren sich die Sachverständigen in der Mehr-
heit schon einig. Ich will einen von ihnen zitieren – Pro-
fessor Dr. Jahn, Richter am Oberlandesgericht –:

Selbstgefährdende und selbstverletzende Verhal-
tensweisen einer frei verantwortlich handelnden
Person, die die Tragweite ihrer Handlungen über-
blickt, dürfen als solche

– ich betone: als solche –

nicht strafrechtlich sanktioniert werden. Dies ent-
spräche nicht dem Menschenbild des GG und wäre
verfassungswidrig.

Herr Kollege Körper, in Ihrem Beitrag sind Sie über
Ihren Gesetzentwurf hinausgegangen.


(Detlef Parr [FDP]: Ja, genau!)


Denn Sie sehen darin ja keine Besitzstrafbarkeit vor
– für diese haben Sie sich hier sehr engagiert –, weil Sie
erkannt haben, dass das nicht geht. Aber die gleichen
verfassungsrechtlichen Probleme haben Sie natürlich
beim Besitz nicht geringer Mengen von Dopingmitteln.
Deswegen steht in Ihrem Gesetzentwurf, die Intention
der Strafbarkeit sei nicht deswegen gegeben, weil sie auf
den Konsum gerichtet ist, sondern deswegen, weil sie
auf die Verbreitung gerichtet ist.


(Klaus Riegert [CDU/CSU]: Ja, genau! – Dagmar Freitag [SPD]: Das ist Unsinn!)


– Das ist richtig. – Aber damit ist Ihr Vorschlag nur ein
Placebo; denn schon das Verbreiten, Verabreichen und
Weitergeben von Dopingmitteln ist ja strafbar.


(Detlef Parr [FDP]: So ist es! – Klaus Riegert [CDU/CSU]: Eben nicht! Sie haben es auch nicht verstanden!)


So wie im Drogenrecht der Drogenhändler, der mit
1 Kilogramm Drogen in der Tasche erwischt wird, nicht
wegen des Besitzes, sondern wegen des Handeltreibens
verurteilt wird, so kann auch heute schon derjenige Arzt,
der einen Koffer voller Drogen in seinem Arztschrank
hat, nicht wegen Besitzes, sondern wegen der Abgabe
und des Inverkehrbringens verurteilt werden.


(Klaus Riegert [CDU/CSU]: Nein, eben nicht! Heute nicht!)


Ihr Angebot ist also ein reines Placebo. Sie handeln da-
mit nach außen und glauben, Sie würden Aktivität ent-
falten, tun es aber in Wirklichkeit nicht.

Im Gegensatz dazu ist unser Vorschlag, der Vorschlag
des Sportbetrugs, die richtige Antwort auf Ihren ersten
Satz, Herr Kollege Körper: Jawohl, Doping ist Betrug.
Da, wo die Triebfeder für Doping Geld ist, wo es um
wirtschaftliche Werte geht, ist die Möglichkeit gegeben,
mit einer Strafvorschrift im Sinne des Sportbetrugs vor-






(A) (C)



(B) (D)


Jerzy Montag
zugehen. Das ist der Vorschlag der Grünen. Wir wären
froh gewesen, Sie hätten diesen Vorschlag aufgenom-
men.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Klaus Riegert [CDU/CSU]: Das ist ja ein noch größeres Placebo!)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1610805500

Jetzt spricht der Bundesminister Dr. Wolfgang

Schäuble.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister des In-
nern:

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die De-
batte heute unterscheidet sich, wie ich finde, sehr positiv
von manchen Beiträgen in der ersten Lesung. Dies zeigt,
dass die zügige Beratung des Gesetzentwurfes, für die
ich mich bedanke, offensichtlich bei allen in diesem
Hause dazu geführt hat, dass wir die Tragweite und die
Tiefe dieses Problems noch deutlicher spüren und dass
wir, wenn wir ehrlich sind – gerade die letzten Beiträge,
auch mit dem juristischen Argumenten, von Herrn
Körper und Herrn Montag zeigen dies –, niemals eine
hundertprozentige Lösung finden werden, übrigens auch
nicht mit noch so vielen Forschungsmitteln, Herr Kol-
lege Günther. Die Menschheitsgeschichte ist ein ewiger
Wettlauf zwischen solchen, die Gesetze verletzen wollen
und denjenigen, die versuchen, sie einzuhalten. Der frei-
heitliche Staat läuft hinterher und nicht voraus; das ist so
gewollt.

Deswegen ist es gut, dass wir uns darauf verständigt
haben: Der Staat allein – die Staatsanwaltschaften, die
Strafverfolgungsbehörden, der Gesetzgeber – kann und
wird dieses Problem nicht lösen. Er braucht vielmehr die
Unterstützung derjenigen, die im Sport Verantwortung
tragen. Deswegen ist es richtig und gut, dass wir dies ge-
meinsam machen, deswegen ist diese Partnerschaft
keine Kumpanei, sondern das richtige Verständnis einer
freiheitlichen Lebens- und Gesellschaftsordnung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Die einfachen Lösungen sind alle gefährlich.

Frau Kollegin Kunert, Sie haben für die Linksfraktion
gesagt, das Übermaß des Kommerzes verursache das.
Es gab und gibt auf der Welt Sportsysteme, die gar nicht
viel mit Kommerz zu tun haben, die staatlich gelenkt
sind. Man kann aber nicht behaupten, dass in diesen Sys-
temen nicht gedopt worden sei.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP – Zurufe von der LINKEN)


Ich sage das ganz zurückhaltend, weil die andere Seite
manchmal genauso zu Überheblichkeiten neigt. Ursache
ist nicht allein der Kommerz. Der ist zwar auch mit ur-
sächlich, aber man kann beim besten Willen nicht sagen,
dass in staatlich gelenkten Systemen, in denen es nicht
um den Kommerz ging, nicht gedopt wurde. Das ist
nämlich nicht wahr. Vielleicht ist die Neigung des Men-
schen nach Maßlosigkeit die Ursache. Das können wir
nicht durch einen totalitären Staat, durch kein staatliches
System lösen, sondern nur durch die Wahrnehmung von
Freiheit, also Verantwortung. Der Staat muss den Rah-
men setzen. Das tun wir in dem Maße, wie es möglich
ist, aber genau in dem Zusammenwirken von Staat und
Sport.

Herr Kollege Körper, ich habe Ihnen ganz aufmerk-
sam zugehört; Sie sprachen vom Druck. Sie haben ge-
sagt, wenn einer dopt, müssen es die anderen auch.
Wenn der Kollege Danckert in seiner anwaltlichen Tä-
tigkeit als Verteidiger damit befasst wäre, könnte er Ihre
Argumentation aufgreifen und sagen: Allenfalls der
Erste, der jemals gedopt hat, kann strafrechtlich belangt
werden; alle anderen haben gewissermaßen nur darauf
reagiert. Sie haben fast ein strafrechtliches Entschuldi-
gungsargument geliefert.

Herr Kollege Montag, deswegen ist es wichtig, dass
der Sport selber sanktioniert; Stichwort „strict liability“.
Das funktioniert. Weil es kein harmloses Alltagsdelikt
ist, sondern hochkriminell, brauchen wir ergänzend die
Vernetzung. Deswegen brauchen wir die Ausdehnung
des Strafrahmens, deswegen die Zuständigkeit des
Bundeskriminalamtes und der Einsatz des ganzen Instru-
mentariums, auch um Kommunikationsstrukturen zu
überwachen. Wir brauchen auch die Telekommunika-
tionsüberwachung und die Möglichkeit, in Räume einzu-
dringen. Wir müssen die Informationen auch entspre-
chend vernetzen. Ich sage das mit Blick auf andere
Debatten, die wir im Bereich der Innenpolitik noch füh-
ren wollen. Wir müssen das ganze Instrumentarium ein-
setzen, um diese hochkriminellen Strukturen bekämpfen
zu können.

Die Sportler, die Teil dieses Systems sind, sind von
diesem Strafrahmen erfasst, auch strafrechtlich. Der
Sportler wird nicht privilegiert. Wenn er Teil des Sys-
tems ist, ist auch er Täter. Die Einbeziehung des Sport-
lers ist notwendig.

Ich möchte eine weitere Bemerkung machen. Der
Kollege Riegert hat am Anfang der Debatte eine sehr be-
denkenswerte Frage aufgeworfen, die wir aber nicht be-
antworten können, sondern die der Sport selbst, auch auf
internationaler Ebene, beantworten muss. Wenn man be-
rücksichtigt, welch kleine Rolle Doping auf der Tagung
des Internationalen Olympischen Komitees gespielt hat,
weiß man, dass wir noch viel Arbeit vor uns haben.
Klaus Riegert hat gefragt: Gibt es Sportarten, in denen
man ohne den missbräuchlichen Einsatz von leistungs-
fördernden Mitteln, also ohne Doping, gar nicht in der
Weltspitze mithalten kann? Wenn es die gibt, müssen wir
daraus Konsequenzen ziehen.

Wir können das nicht definieren, nicht als Gesetzge-
ber und nicht als Politiker. Auch in diesem Zusammen-
hang brauchen wir die Zusammenarbeit mit denen, die
im Sport Verantwortung tragen. Wahr ist: Wenn das
Prinzip des Wettbewerbs im Sport, im Leistungssport
diffamiert wird, weil das nur noch Schmu ist, weil es nur
noch Missbrauch gibt und er nur noch gesundheitsschäd-
lich ist, dann verliert der Sport das Großartige, was ihn
ausmacht und was er bewahren muss. Die freiheitliche






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
Organisationsform des Sportes kann das viel besser ge-
währleisten als jedes staatlich gelenkte System.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Ich bin mir mit den Verantwortlichen im deutschen
Sport, auch im deutschen Radsport, auch mit dem Präsi-
denten des Bundes Deutscher Radfahrer, völlig einig. In
diesem Jahr findet die Straßenweltmeisterschaft in
Stuttgart statt. Wir werden die Tour de France und alles,
was damit zu tun hat, genau beobachten. Die Straßen-
weltmeisterschaft in Stuttgart bietet eine Möglichkeit für
einen Neuanfang – das ist vielleicht die letzte Chance für
den professionellen Radsport –, eine Möglichkeit, den
Sport mit unserer Hilfe aus diesem Sumpf zu befreien.
Die Politik kann das nicht alleine leisten. Bund, Land
und die Stadt Stuttgart sind da in enger Abstimmung.

Wir stimmen uns auch mit den Verantwortlichen des
Radsportes ab. Ich werde am Montag mit den Präsiden-
ten des deutschen und des internationalen Radsportes
sprechen. Nein. Das ist die letzte Chance. Darüber muss
man reden. Ich weiß noch gar nicht, ob wir das hinrei-
chend sicherstellen können. Deswegen sage ich ganz
klar: Wir werden sehr genau beobachten, was während
der Tour de France passiert. Das ist das letzte große in-
ternationale Ereignis vor der Straßenweltmeisterschaft.
Danach werden wir entscheiden. Das muss jeder wissen.
Es wäre jammerschade.

Ich sage Ihnen voraus: Die Debatte konzentriert sich
im Augenblick zu sehr auf den Radsport. Das ist not-
wendig und richtig. Aber es sollte niemand glauben, dass
sie sich auf den Radsport beschränkt. Deswegen machen
wir die strengen Untersuchungen in allen Bereichen,
denn Steuergelder können wir dafür nicht einsetzen. Da
sind wir uns alle einig.

Deswegen bedanke ich mich. Ich glaube, diese De-
batte zeigt, dass wir mit dem Gesetzentwurf, den wir
heute verabschieden, nicht alle Probleme lösen. Das
kann der Gesetzgeber nie. Aber er kann einen wichtigen
Beitrag leisten und klarmachen: Wir geben das Großar-
tige im Sport nicht auf. Wir vertrauen darauf, dass frei-
heitliche Gesellschaften, die wissen, dass es hundertpro-
zentige Lösungen nicht gibt, besser in der Lage sind,
Missstände zu korrigieren, und dass der Prozess von try
and error auch da funktioniert.

Deswegen ermutigen wir den Sportler und nehmen
ihm seine Verantwortung nicht weg, indem wir sagen,
dass wir das jetzt allein machen. Denn das können wir
nicht. Wir leisten vielmehr unseren Beitrag und fordern
das andere ein. Wir werden mit diesem Problem noch
weiter zu tun haben.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1610805600

Jetzt spricht Dagmar Freitag für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)


Dagmar Freitag (SPD):
Rede ID: ID1610805700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Trotz aller Kritik aus den Reihen der Opposition: Wir
leiten mit dem heutigen Gesetzentwurf durchaus einen
Paradigmenwechsel ein. Heute ist es so – das sage ich
insbesondere in Richtung der Fraktion der Grünen –,
dass man den Dealer, das heißt den Besitzer von uner-
laubten Substanzen, mehr oder weniger auf frischer Tat
ertappen muss. Herr Kollege Montag, nur als Beispiel
der Fall Springstein. Herr Springstein ist nicht verurteilt
worden, weil man bei ihm zu Hause Dopingsubstanzen
gefunden hat, und zwar in einer erheblichen Menge, er
ist verurteilt worden aufgrund der nachgewiesenen Ab-
gabe von Dopingsubstanzen an Minderjährige. Es ist
nicht richtig, dass Sie sagen: Der Besitz allein ist heute
schon strafbar. Nein, Sie müssen die Personen beim
Handel, bei der Weitergabe, beim Inverkehrbringen, er-
wischen. Das ist der entscheidende Unterschied. Ich
denke, Sie sollten sich einfach einmal das Springstein-
Urteil zu Gemüte führen. Dann sind wir an dieser Stelle
einer Meinung.

Dieser Gesetzentwurf ist ein Fortschritt. Es soll an
dieser Stelle ruhig noch einmal erwähnt werden: Auch
die Grünen – gemessen an der ungeheuren Zahl ihrer öf-
fentlichen Erklärungen zu diesem Thema sind sie ja die
vermeintlich größten und besten Dopingbekämpfer aller
Zeiten – sehen in ihrem Antrag keine Form einer Besitz-
strafbarkeit vor. Kollege Hermann musste einräumen,
dass das in dieser Fraktion nicht mehrheitsfähig war.

Daraus folgt: Diese Regelung, die – auch das soll ein-
mal erwähnt werden – übrigens die Koalitionsfraktionen
in den Gesetzentwurf der Bundesregierung eingebracht
haben, wäre mit Ihrer Fraktion, Herr Kollege Hermann,
definitiv nicht machbar gewesen. Von daher täte ein we-
nig mehr Bescheidenheit bei der Bewertung unserer
Maßnahmen gut.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und der FDP)


Lassen Sie mich kurz einen Blick auf die NADA wer-
fen. Nennen wir sie ein Sorgenkind, das nach wie vor
nicht aus dem Gröbsten heraus ist.


(Detlef Parr [FDP]: So ist es!)


Aber ein Neuanfang ist in Sicht. Es ist eine Gemein-
schaftsaufgabe – ich betone das an dieser Stelle aus-
drücklich –, die Arbeit der NADA zu unterstützen. Der
Bund wird in den kommenden Jahren wesentlich mehr
Geld zur Finanzierung der NADA bereitstellen, obwohl
– das ist an dieser Stelle nicht unwichtig – es eigentlich
nicht die originäre Aufgabe des Bundes ist, hier eine Art
institutionelle Förderung aufzubauen. Aber der unbe-
strittenen Notwendigkeit folgend stellen wir uns dieser
Aufgabe in Zeiten, in denen andere weiterhin vornehme
Zurückhaltung üben oder sich ihrer Einmalzahlungen
rühmen.

Schlussendlich muss die NADA die Aufgaben, die ihr
übertragen sind, auch leisten können. Wir werden nach
Kräften dazu beitragen, dass sie dies auch zukünftig
kann.






(A) (C)



(B) (D)


Dagmar Freitag

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenden wir uns
einmal der medizinischen Abteilung des Sports zu. Was
ist eigentlich die Aufgabe von Ärzten? Volkstümlich
ausgedrückt besteht sie darin, Krankheiten zu heilen,
aber auch darin, Krankheiten nach Möglichkeit zu ver-
hindern. An dieser Stelle frage ich: Kann man als Arzt
die aktive Teilnahme an der Verabreichung von Doping-
substanzen, ohne den Eid des Hippokrates zu verletzen,
guten Gewissens damit begründen, dass man diese Wi-
derwärtigkeiten nur deshalb medizinisch begleitet, um
beispielsweise Spätfolgen unkontrollierten Dopings zu
verhindern, dass man also angeblich sogar etwas Gutes
tut? Wir sagen dazu ganz eindeutig Nein.

Jüngste Stellungnahmen von Medizinern und Dopern
legen diese unerträgliche Lesart allerdings nahe. Doping
und Beihilfe widersprechen zutiefst dem ärztlichen Be-
rufsethos. Daher ist zu überlegen – das ist eine Anre-
gung –, ob sich dies nicht auch in der Musterberufsord-
nung der Ärzte widerspiegeln sollte. Damit sich Haus-
und Fachärzte, die Athleten im Krankheitsfall bestimmte
Arzneimittel verschreiben, nicht länger auf Unwissen-
heit berufen können, ist es auch richtig, dass Warnhin-
weise nicht nur in die Beipackzettel, sondern auch in die
sogenannten Fachinformationen aufgenommen werden.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, die Zeit der
Lippenbekenntnisse ist vorbei. Gefragt ist ein grundle-
gender Mentalitätswechsel in Sport, Politik und Gesell-
schaft.

Was ist Erfolg? Welcher Sportler, welche Sportlerin
ist in der heutigen öffentlichen Wahrnehmung erfolg-
reich? Saubere Sportler von heute sehen sich Fabelrekor-
den aus längst vergangenen testfreien Dopingzeiten aus-
gesetzt. Die Sportler wissen, dass sie diese Leistungen
vermutlich nie erreichen, geschweige denn verbessern
können. Ähnliches gilt für manche Qualifikationsnor-
men, die für die Teilnahme an Weltmeisterschaften oder
Olympischen Spielen zu erreichen sind. Ist ein Sportler,
der eine solche Qualifikationsnorm knapp verfehlt, ein
Versager? Wir sagen: Nein.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wer eine Qualifikation nur um wenige Zentimeter
oder Bruchteile von Sekunden verpasst, gehört jeden-
falls nach unserem Verständnis immer noch zur erweiter-
ten Weltspitze.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Detlef Parr [FDP] – Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum streicht der DLV dann nicht all die Dopingweltrekorde?)


– Ich freue mich über Ihren Beifall, Herr Kollege. – Sol-
chen Leistungen gebührt Respekt und Anerkennung.
Oder doch nicht? Sind solche Athleten bestenfalls reif
für Dorfsportfeste? Wenn ich Aussagen aus den Reihen
der FDP richtig interpretiere, muss ich feststellen, dass
Sie eindeutig dieser Auffassung sind.

(Detlef Parr [FDP]: Um diese Differenzen ging es dabei nicht, Frau Kollegin!)


Herr Kollege Parr, das schlichte Infragestellen bestimm-
ter Normen haben Sie mit folgendem Hinweis abgebü-
gelt – ich zitiere –: Die Befürworter geringerer Normen
sollten konsequenterweise ganz auf eine Entsendung von
Athleten verzichten und sich auf Dorfsportfeste konzen-
trieren.


(Detlef Parr [FDP]: Ich meinte damit drastische Einschnitte!)


Lieber Herr Kollege, sauberen Athletinnen und Athleten,
die hart für ihre Ziele – bei manchen.sind es sogar noch
Träume – trainieren, müssen solche Bemerkungen wie
blanker Hohn vorkommen.


(Beifall bei der SPD)


Noch ein Wort zur Kollegin Kunert. Frau Kunert,
nach wie vor steht die öffentliche Äußerung Ihres Frak-
tionsmitgliedes Nešković im Raum, dass Dopingmittel
einfach freigegeben werden sollten. Solange Sie das
nicht widerrufen und sich nicht öffentlich davon distan-
zieren, müssen Sie es uns nachsehen, dass wir Ihren An-
trag als Lyrik bezeichnen. Wenn Ihnen diese Bezeich-
nung nicht passt, Frau Kollegin, kann ich ihn auch
inhaltsleer nennen; vielleicht gefällt Ihnen dieser Aus-
druck besser.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Die vorgelegten Regelungen sind besser und gehen
weiter als all das, was bislang im Gesetz steht. Wir hof-
fen gemeinsam, dass alle an der Dopingbekämpfung be-
teiligten Institutionen und Personen den Ernst der Lage
erkannt haben.


(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Hoffnung stirbt zuletzt, Frau Kollegin!)


Sollten wir nämlich zu der Erkenntnis kommen – dazu
brauchen wir vermutlich keine fünf Jahre –, dass die
Staatsanwaltschaften ihre Ermittlungen weiterhin – las-
sen Sie es mich so sagen – mit großer Zurückhaltung be-
treiben, kommen sehr schnell neue Stichworte auf die
Tagesordnung der politischen Diskussion.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1610805800

Bevor ich die Debatte schließe, gebe ich das Wort zu

einer Kurzintervention der Kollegin Kunert für die Frak-
tion Die Linke.


Katrin Kunert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1610805900

Frau Kollegin Freitag, ich habe hier für die Fraktion

Die Linke zu unserem Entschließungsantrag gesprochen.
Wenn Sie sich wegen Wortäußerungen oder Wortmel-
dungen oder wegen eines Interviews mit dem Kollegen
Nešković auseinandersetzen wollen, können Sie das
gerne tun. Aber ich bin nicht seine persönliche Spreche-






(A) (C)



(B) (D)


Katrin Kunert
rin. Wie gesagt: Dieser Antrag ist ein Mehrheitsbe-
schluss der Fraktion; insofern muss ich hier für nieman-
den sprechen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1610806000

Zur Antwort, Frau Freitag, bitte.


Dagmar Freitag (SPD):
Rede ID: ID1610806100

Sehr geehrte Frau Kollegin, es ist schon ein bemer-

kenswerter Vorgang, dass Sie diese öffentliche Äuße-
rung, die Ende Mai in der „Welt“ nachzulesen war – ich
glaube, es war der 27. Mai –, abtun, dass Sie tun, als ob
es sie nie gegeben hätte. Was spricht dagegen, Frau Kol-
legin, dass sich die Fraktion Die Linke öffentlich von
dieser unsäglichen, menschenverachtenden Äußerung
des Linke-Abgeordneten Nešković distanziert? Auf
diese Frage, Frau Kollegin Kunert, habe ich bis heute
keine Antwort bekommen, auch von Ihnen nicht.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1610806200

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Verbesserung der Bekämpfung des Dopings im Sport.
Der Sportausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5937, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache
16/5526 in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu
liegt ein Änderungsantrag der Fraktion des Bündnis-
ses 90/Die Grünen vor, über den wir zuerst abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache
16/5938? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist
der Änderungsantrag bei Zustimmung von Bündnis 90/
Die Grünen und Gegenstimmen im übrigen Haus abge-
lehnt.

Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Hand-
zeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist
der Gesetzentwurf in zweiter Beratung bei Zustimmung
durch die Koalition, Gegenstimmen durch Die Linke
und Enthaltung bei Bündnis 90/Die Grünen und FDP an-
genommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist der Gesetz-
entwurf in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmen-
verhältnis wie zuvor angenommen.

Wir stimmen jetzt über die Entschließungsanträge ab.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der FDP auf
Drucksache 16/5942? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Der Entschließungsantrag ist bei Zustimmung
durch die FDP, Gegenstimmen der Koalition und Enthal-
tung bei Der Linken und Bündnis 90/Die Grünen abge-
lehnt.

Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak-
tion Die Linke auf Drucksache 16/5941? – Gegenstim-
men? – Enthaltungen? – Dieser Entschließungsantrag ist
bei Zustimmung durch Die Linke, Gegenstimmen durch
die Koalition und Enthaltung bei Bündnis 90/Die Grü-
nen und FDP ebenfalls abgelehnt.

Wir setzen die Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung des Sportausschusses auf Drucksache 16/5937
fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der
Fraktion der FDP auf Drucksache 16/4738 mit dem Titel
„Bekämpfung des Dopings im Sport vorantreiben und
Optimierungsmöglichkeiten ausschöpfen“. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist bei Zu-
stimmung durch die Koalition, Gegenstimmen der FDP
und Enthaltung bei Bündnis 90/Die Grünen und Die
Linke angenommen.

Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion des Bündnisses 90/Die
Grünen auf Drucksache 16/4166 mit dem Titel „Be-
kämpfung des Dopings im Sport“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Ko-
alition und der FDP und Gegenstimmen von Bündnis 90/
Die Grünen, bei Enthaltung der Fraktion Die Linke an-
genommen.

Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 35 b bis 35 f
sowie die Zusatzpunkte 7 a bis 7 c auf:

35 b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst
Friedrich (Bayreuth), Jan Mücke, Patrick Döring,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Mehr Park- und Stellplätze für Lkw auf Bun-
desautobahnen

– Drucksache 16/5278 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst
Friedrich (Bayreuth), Jan Mücke, Patrick Döring,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Neues Verkehrssicherheitskonzept für Bun-
desautobahn 12 zusammen mit dem Land
Brandenburg umsetzen

– Drucksache 16/5611 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
d) Beratung des Antrags des Abgeordneten Patrick
Döring, Hans-Michael Goldmann, Michael
Kauch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP

Toxische Rückstände in Transport-Contai-
nern – Herausforderung für Arbeits- und Ver-
brauchersicherheit

– Drucksache 16/5612 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia
Kotting-Uhl, Rainder Steenblock, Nicole Maisch,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Antifoulingabkommen unverzüglich ratifizie-
ren

– Drucksache 16/5777 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heike
Hänsel, Wolfgang Gehrcke, Monika Knoche,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LIN-
KEN

Deutsche Kolumbien-Politik auf die Stärkung
ziviler Friedensinitiativen und der sozialen,
demokratischen und Menschenrechte ausrichten

– Drucksache 16/5678 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe

ZP 7a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Laurenz
Meyer (Hamm), Dr. Heinz Riesenhuber, Veronika
Bellmann, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten
Dr. Rainer Wend, Martin Dörmann, Dr. Ditmar
Staffelt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD

Die Zukunft der deutschen Luftfahrtindustrie
sichern

– Drucksache 16/5908 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hartwig
Fischer (Göttingen), Eckart von Klaeden, Anke
Eymer (Lübeck), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten
Brunhilde Irber, Gert Weisskirchen (Wiesloch),
Niels Annen, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD

Demokratische Entwicklung Simbabwes un-
terstützen – Arbeit der internationalen Nicht-
regierungsorganisationen ermöglichen
– Drucksache 16/5907 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heidrun
Bluhm, Katrin Kunert, Dr. Gesine Lötzsch, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN

Humboldt-Forum statt Fassadenschloss –
Schlossplatz mit Zukunftsorientierung
– Drucksache 16/5922 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)

Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss

Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach-
ten Verfahren ohne Debatte.

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe auf die Tagesordnungspunkte 36 a bis 36 r,
die Zusatzpunkte 8 a bis 8 k sowie den Tagesordnungs-
punkt 17 b. Es handelt sich um Beschlussfassungen zu
Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 36 a:

Beratung der Fünften Beschlussempfehlung und
des Berichts des Wahlprüfungsausschusses

zu 27 gegen die Gültigkeit der Wahl zum
16. Deutschen Bundestag eingegangenen Wahl-
einsprüchen
– Drucksache 16/5700 –

Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor. Es ist verabredet, dass der
Vorsitzende des Wahlprüfungsausschusses das Wort zur
Berichterstattung erhalten soll. Herr Kollege Strobl, Sie
haben das Wort.


Thomas Strobl (CDU):
Rede ID: ID1610806300

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sie entscheiden heute über die Fünfte Be-
schlussempfehlung des Wahlprüfungsausschusses. Sie
betrifft 27 von ursprünglich 195 gegen die Gültigkeit der
Bundestagswahl 2005 eingelegte Wahleinsprüche. Wenn
Sie der Empfehlung des Ausschusses folgen und die Ein-
sprüche zurückweisen, ist die Wahlprüfung für die






(A) (C)



(B) (D)


Thomas Strobl (Heilbronn)

16. Wahlperiode abgeschlossen, jedenfalls im Hinblick
auf den Deutschen Bundestag. Denn in einigen Fällen,
über die der Deutsche Bundestag bereits entschieden hat,
haben die Einspruchsführer von ihrem Recht Gebrauch
gemacht, Wahlprüfungsbeschwerde beim Bundesver-
fassungsgericht einzulegen.

Gegenstand dieser Verfahren sind die Kandidatur von
Mitgliedern der WASG auf den Landeslisten der Links-
partei, der Einsatz von elektronischen Wahlgeräten, die
Nachwahl in Dresden im Oktober des Wahljahres und
schließlich die im Zusammenhang mit Überhangmanda-
ten auftretende Besonderheit des sogenannten negativen
Stimmengewichts, das – vereinfacht gesagt – bedeutet,
dass man der Partei seiner Wahl unter Umständen da-
durch schaden kann, dass man ihr seine Zweitstimme
gibt.

Weitere bedeutende Themen der Wahlprüfung wa-
ren zum einen die Verwechslung der Stimmzettel bei der
Versendung der Briefwahlunterlagen an die Wähler der
beiden Dortmunder Wahlkreise, die zur Ungültigkeit der
betroffenen Stimmen geführt hat. Zum anderen war die
Kritik vieler Einspruchsführer, dass bei der vorgezoge-
nen Neuwahl 2005 genauso viele Unterstützungsunter-
schriften für Wahlvorschläge beizubringen waren wie
bei einer regulären Bundestagswahl, ein Thema.

Diese Auflistung von Themen macht deutlich, was
das Kennzeichen der Wahlprüfung der 16. Wahlperiode
war: nicht so sehr eine große Zahl von Einsprüchen, da-
für aber eine Vielzahl diffiziler Rechtsfragen mit weitrei-
chenden Folgen. Wäre zum Beispiel in der Kandidatur
von WASG-Mitgliedern auf den Listen der Linkspartei
ein Wahlfehler gesehen worden, hätte dies unweigerlich
die Feststellung der Ungültigkeit der Wahl zum
16. Deutschen Bundestag und Neuwahlen zur Folge ge-
habt.

Vor diesem Hintergrund ist die sachliche Atmosphäre,
die bei den Beratungen im Ausschuss herrschte, ebenso
hervorzuheben wie die Tatsache, dass im Hinblick auf
das Ergebnis der Entscheidungen durchweg Konsens be-
stand. Dissens gab es lediglich im Hinblick auf die ver-
fahrensmäßige Behandlung einiger Einsprüche. Bei ei-
nigen großen Themen – wie der Nachwahl in Dresden
und den Listen der Linkspartei – hielt es die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen für unangemessen, die jeweili-
gen Einsprüche ohne öffentliche mündliche Verhandlung
zurückzuweisen.

Sie hätte der Bedeutung dieser Einsprüche gern durch
eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beteili-
gung der Einspruchsführer Rechnung getragen. Für die
Ausschussmehrheit indessen war ausschlaggebend, dass
zwar schwierige Rechtsfragen zu entscheiden waren, in
tatsächlicher Hinsicht jedoch kein weiterer Aufklärungs-
bedarf bestand. Ferner hätte eine mündliche Verhand-
lung zu einer Verzögerung der Entscheidung des Bun-
destags geführt, was letztlich nicht im Interesse der
Einspruchsführer gelegen hätte.

Aus diesen Gründen wurde auf eine mündliche Ver-
handlung verzichtet. Die Rechtsgrundlage hierfür bildet
§ 6 des Wahlprüfungsgesetzes, wonach von einer münd-
lichen Verhandlung abgesehen werden kann, wenn der
Einspruch offensichtlich unbegründet ist. Dabei konnte
sich die Ausschussmehrheit, auf die seit der 8. Wahl-
periode praktizierte und vom Bundesverfassungsgericht
gebilligte Auslegung des Wahlprüfungsgesetzes stützen.

Gleichwohl bestand im Ausschuss Einigkeit darüber,
dass es grundsätzlich unbefriedigend ist, auch rechtlich
komplexe Fälle als offensichtlich unbegründet einzustufen.
Nicht nur bei juristischen Laien – seien es Einspruchsführer
oder Teile der interessierten Öffentlichkeit – können so
Missverständnisse und Irritationen hervorgerufen werden.

Deshalb hat der Wahlprüfungsausschuss eine fraktions-
übergreifende Initiative zur Änderung der einschlägigen
Bestimmungen des Wahlprüfungsgesetzes angeregt und
auch ausformuliert. Künftig soll in Anlehnung an die für
das Bundesverfassungsgericht geltenden Bestimmungen
des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes eine mündliche
Verhandlung nur noch dann durchgeführt werden, wenn
davon eine weitere Förderung des Verfahrens zu erwarten
ist.

Ich plädiere übrigens dafür, dass wir diesen gemein-
sam gefundenen Text konsequent im Deutschen Bundes-
tag einbringen und eine Änderung des Wahlprüfungsge-
setzes in diesen Punkten rasch herbeiführen.

Damit ist eine weitere wesentliche Funktion der
Wahlprüfung angesprochen. Zum einen und zuvörderst
geht es natürlich darum, die rechtmäßige Zusammen-
setzung des Parlaments zu prüfen. Zum anderen geht
es aber auch darum, die bei dieser Prüfung gewonnenen
Erfahrungen für eine Verbesserung des geltenden Rechts
und seiner Anwendung nutzbar zu machen.

Diesem Anliegen dienen die in der Beschlussempfeh-
lung enthaltenen und an die Bundesregierung gerichteten
Prüfbitten. Wie Sie sehen, werden dort die bedeutenden
Themen der Wahlprüfung erneut aufgegriffen, diesmal
jedoch mit Blickrichtung auf künftige Wahlen. De lege
ferenda wollen wir so zu Verbesserungen unseres Wahl-
rechts und der Wahlrechtspraxis beitragen.

Bevor ich zum Schluss komme, möchte ich mich bei
den Kolleginnen und Kollegen im Wahlprüfungsaus-
schuss für die kollegiale und konstruktive Zusammenar-
beit herzlich bedanken.

Ich bitte Sie, der Beschlussempfehlung des Wahlprü-
fungsausschusses zuzustimmen.

Besten Dank.


(Beifall bei der SPD, der FDP und der LINKEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1610806400

Der Beifall macht deutlich, dass das gesamte Haus für

die Arbeit des Ausschusses dankbar ist.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Wahlprüfungsausschusses auf
Drucksache 16/5700. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das
ist nicht der Fall. Damit ist die Beschlussempfehlung
einstimmig angenommen.






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen
auf Drucksache 16/5943. Wer stimmt für diesen Ent-
schließungsantrag? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –
Der Entschließungsantrag ist bei Zustimmung des Bünd-
nisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Koalition
und der FDP sowie bei Enthaltung durch Die Linke ab-
gelehnt.

Tagesordnungspunkt 36 b:

Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än-
derung des Waffengesetzes

– Drucksache 16/1991 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4. Ausschuss)


– Drucksache 16/5924 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Reinhard Grindel
Michael Hartmann (Wackernheim)

Hartfried Wolff (Rems-Murr)

Petra Pau
Silke Stokar von Neuforn

Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 16/5924, den Gesetzent-
wurf des Bundesrates auf Drucksache 16/1991 in der
Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Be-
ratung bei Zustimmung durch die Koalition, die FDP
und das Bündnis 90/Die Grünen und Gegenstimmen
durch die Fraktion Die Linke angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, aufzustehen. Gegen-
stimmen? – Enthaltungen? – Damit ist der Gesetzent-
wurf mit dem gleichen Ergebnis wie vorher angenom-
men.

Tagesordnungspunkt 36 c:

Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Internationalen Über-
einkommen der Vereinten Nationen vom
13. April 2005 zur Bekämpfung nuklearterro-
ristischer Handlungen

– Drucksache 16/5336 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)


– Drucksache 16/5935 –

Berichterstattung:

(Villingen Schwenningen)

Dr. Peter Danckert
Jörg van Essen
Sevim Dağdelen
Jerzy Montag
Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 16/5935, den Gesetzent-
wurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/5336 an-
zunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Damit ist der Gesetzentwurf einstimmig
angenommen.

Tagesordnungspunkt 36 d:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Umsetzung des VN-Übereinkommens vom
13. April 2005 zur Bekämpfung nuklearterro-
ristischer Handlungen

– Drucksache 16/5334 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)


– Drucksache 16/5936 –

Berichterstattung:

(Villingen Schwenningen)

Dr. Peter Danckert
Jörg van Essen
Sevim Dağdelen
Jerzy Montag

Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 16/5936, den Gesetzent-
wurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/5334 an-
zunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstim-
men? – Enthaltungen? – Damit ist der Gesetzentwurf in
zweiter Beratung und einstimmig angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Diejenigen, die dem Gesetz-
entwurf zustimmen wollen, mögen sich bitte erheben. –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist der Gesetz-
entwurf auch in dritter Beratung einstimmig angenom-
men.

Tagesordnungspunkt 36 e:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zu dem Europäischen Übereinkommen vom
26. Mai 2000 über die internationale Beförde-
rung von gefährlichen Gütern auf Binnen-
wasserstraßen (ADN)


– Drucksache 16/5389 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

(15. Ausschuss)


– Drucksache 16/5789 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Peter Hettlich

Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwick-
lung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/5789, dem Gesetzentwurf der Bundes-






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
regierung auf Drucksache 16/5389 anzunehmen. Diejeni-
gen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, mögen
bitte die Hand heben. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –
Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Diejenigen, die dem Gesetz-
entwurf zustimmen wollen, mögen sich bitte erheben. –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist der Gesetz-
entwurf auch in dritter Beratung einstimmig angenom-
men.

Tagesordnungspunkt 36 f:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
dem Protokoll vom 22. April 2005 zur Änderung
des Übereinkommens vom 11. Oktober 1973 zur
Errichtung des Europäischen Zentrums für mit-
telfristige Wettervorhersage

– Drucksache 16/5577 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

(15. Ausschuss)


– Drucksache 16/5773 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Peter Hettlich

Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwick-
lung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/5773, den Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung auf Drucksache 16/5577 anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist der Gesetz-
entwurf in zweiter Beratung einstimmig angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zu-
stimmen will, möge sich erheben. – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Es gibt keine Enthaltungen und keine
Gegenstimmen. Damit ist der Gesetzentwurf in dritter
Beratung einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 36 g:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-
nologie (9. Ausschuss) zu der Verordnung der
Bundesregierung

Neunundsiebzigste Verordnung zur Änderung
der Außenwirtschaftsverordnung

– Drucksachen 16/5328, 16/5487 Nr. 2.1, 16/5709 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Rolf Hempelmann

Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie emp-
fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der
Drucksache 16/5709, die Aufhebung der Verordnung
nicht zu verlangen. Wer stimmt für diese Beschlussemp-
fehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist bei Zustimmung des gesamten
Hauses ohne Gegenstimmen bei Enthaltung der Fraktion
Die Linke angenommen.

Tagesordnungspunkt 36 h:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-
schaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Behm,
Birgitt Bender, Ulrike Höfken, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN

Landwirtschaftliche Krankenversicherung ab
2009 weiter an Bundesmitteln zur landwirt-
schaftlichen Krankenversicherung beteiligen

– Drucksachen 16/5427, 16/5892 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Marlene Mortler
Waltraud Wolff (Wolmirstedt)

Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Kirsten Tackmann
Cornelia Behm

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 16/5892, den Antrag auf
Drucksache 16/5427 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
der Koalition gegen die Stimmen der Opposition und
ohne Enthaltungen angenommen.

Tagesordnungspunkt 36 i:

Beratung der Beschlussempfehlung des Rechts-
ausschusses (6. Ausschuss)


Übersicht 7
über die dem Deutschen Bundestag zugeleite-
ten Streitsachen vor dem Bundesverfassungs-
gericht

– Drucksache 16/5756 –

Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist die Beschluss-
empfehlung einstimmig angenommen.

Wir kommen jetzt zu den Beschlussempfehlungen des
Petitionsausschusses.

Tagesordnungspunkt 36 j:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 242 zu Petitionen

– Drucksache 16/5741 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht ist einstimmig ange-
nommen.






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Tagesordnungspunkt 36 k:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 243 zu Petitionen

– Drucksache 16/5742 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht ist bei Gegenstimmen
durch die Linke und Enthaltung durch Bündnis 90/Die
Grünen und bei Zustimmung aller übrigen Fraktionen
angenommen.

Tagesordnungspunkt 36 l:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 244 zu Petitionen

– Drucksache 16/5743 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht ist einstimmig ange-
nommen.

Tagesordnungspunkt 36 m:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 245 zu Petitionen

– Drucksache 16/5744 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht ist bei Gegenstimmen
durch die Linke und Zustimmung der übrigen Fraktionen
angenommen.

Tagesordnungspunkt 36 n:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 246 zu Petitionen

– Drucksache 16/5745 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht ist bei Gegenstimmen
durch die FDP und Zustimmung der übrigen Fraktionen
angenommen.

Tagesordnungspunkt 36 o:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 247 zu Petitionen

– Drucksache 16/5746 –

Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Die Sammelübersicht ist bei Gegenstimmen
durch die Linke und Zustimmung der übrigen Fraktionen
angenommen.
Tagesordnungspunkt 36 p:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 248 zu Petitionen

– Drucksache 16/5747 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht ist bei Gegenstimmen
durch Bündnis 90/Die Grünen und die Linke und bei Zu-
stimmung der übrigen Kolleginnen und Kollegen ange-
nommen.

Tagesordnungspunkt 36 q:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 249 zu Petitionen

– Drucksache 16/5748 –

Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Die Sammelübersicht ist bei Zustimmung durch
Koalition und Bündnis 90/Die Grünen und Gegenstim-
men durch die Linke und die FDP angenommen.

Tagesordnungspunkt 36 r:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 250 zu Petitionen

– Drucksache 16/5749 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht ist bei Zustimmung
durch die Koalition und Ablehnung durch die Opposi-
tion angenommen.

Zusatzpunkt 8 a:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 251 zu Petitionen

– Drucksache 16/5911 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht ist einstimmig ange-
nommen.

Zusatzpunkt 8 b:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 252 zu Petitionen

– Drucksache 16/5912 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht ist ebenfalls einstimmig
angenommen.






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Zusatzpunkt 8 c:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 253 zu Petitionen

– Drucksache 16/5913 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht ist bei Gegenstimmen
durch die Linke und Enthaltung von Bündnis 90/Die
Grünen und bei Zustimmung der übrigen Fraktionen an-
genommen.

Zusatzpunkt 8 d:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 254 zu Petitionen

– Drucksache 16/5914 –

Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Die Sammelübersicht ist einstimmig angenom-
men.

Zusatzpunkt 8 e:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 255 zu Petitionen

– Drucksache 16/5915 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht ist bei Gegenstimmen
durch die FDP und sonstiger Zustimmung angenommen.

Zusatzpunkt 8 f:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 256 zu Petitionen

– Drucksache 16/5916 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht ist bei Enthaltung durch
die Linke und Zustimmung der übrigen Fraktionen ange-
nommen.1)

Zusatzpunkt 8 g:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 257 zu Petitionen

– Drucksache 16/5917 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht ist bei Gegenstimmen
durch Bündnis 90/Die Grünen und Zustimmung der üb-
rigen Fraktionen angenommen.

1) Siehe Anlage 2
Zusatzpunkt 8 h:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 258 zu Petitionen
– Drucksache 16/5918 –

Wer stimmt dafür? – Wer ist dagegen? – Enthaltun-
gen? – Die Sammelübersicht ist bei Gegenstimmen
durch Bündnis 90/Die Grünen und die Linke und bei Zu-
stimmung der übrigen Fraktionen angenommen.

Zusatzpunkt 8 i:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 259 zu Petitionen
– Drucksache 16/5919 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht ist mit den Stimmen der
Koalition und der Fraktion Die Linke gegen die Stim-
men von Bündnis 90/Die Grünen und FDP angenom-
men.

Zusatzpunkt 8 j:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 260
zu Petitionen
– Drucksache 16/5920 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht ist mit Zustimmung der
Koalition, bei Gegenstimmen der FDP und des Bündnis-
ses 90/Die Grünen und bei Enthaltung der Fraktion Die
Linke angenommen.

Zusatzpunkt 8 k:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 261
zu Petitionen
– Drucksache 16/5921 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht ist mit Zustimmung der
Koalition und bei Gegenstimmen der Opposition ange-
nommen.

Tagesordnungspunkt 17 b:
Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Wolfgang Bosbach, Dr. Hans-Peter Uhl,
Kristina Köhler (Wiesbaden), weiteren Abgeord-
neten und der Fraktion der CDU/CSU sowie den
Abgeordneten Fritz Rudolf Körper, Maik
Reichel, Klaus Uwe Benneter, weiteren Abgeord-
neten und der Fraktion der SPD eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
Mikrozensusgesetzes 2005 und des Bevölke-
rungsstatistikgesetzes
– Drucksache 16/5239 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4. Ausschuss)

– Drucksache 16/5923 –






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Berichterstattung:
Abgeordnetete Kristina Köhler (Wiesbaden)

Maik Reichel
Gisela Piltz
Jan Korte
Silke Stokar von Neuforn

Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 16/5923, den Gesetzent-
wurf der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf
Drucksache 16/5239 anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das
Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Da-
mit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung bei Zu-
stimmung der Koalition und der FDP und bei Gegen-
stimmen des Bündnisses 90/Die Grünen und der Linken
angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Wer zustimmen will, möge
sich bitte erheben. – Gegenstimmen – Enthaltungen? –
Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit dem glei-
chen Stimmenergebnis wie vorher angenommen.

Zusatzpunkt 9:

Wahlvorschläge der Fraktionen der CDU/CSU,
der SPD, der FDP, der LINKEN und des BÜND-
NISSES 90/DIE GRÜNEN

Wahl der vom Deutschen Bundestag zu benen-
nenden Mitglieder des Wissenschaftlichen
Beratungsgremiums gemäß § 39 a des Stasi-
Unterlagen-Gesetzes
– Drucksache 16/5883 –

Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wir kommen
daher gleich zur Abstimmung. Wer stimmt für den inter-
fraktionellen Wahlvorschlag auf Drucksache 16/5883? –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist der
Wahlvorschlag einstimmig angenommen.

Jetzt rufe ich den Zusatzpunkt 4 auf:

Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der FDP

Ergebnisse des Dritten Energiegipfels der
Bundesregierung

Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin
Gudrun Kopp für die FDP-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der FDP)



Gudrun Kopp (FDP):
Rede ID: ID1610806500

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Herren und Damen!

Angesichts der großen Bedeutung der Energiepolitik für
unseren Wirtschaftsstandort und für die Verbraucher im
Land ist es, so glaube ich, notwendig, auf den Energie-
gipfel, der vor zwei Tagen stattgefunden hat, zurückzu-
blicken und zu schauen, was er gebracht hat. Die hohen
Ziele wie Klimaschutz, Energiesparen und Energieeffi-
zienz mit all den Zahlen, die dort genannt und vereinbart
wurden und die wir als FDP-Bundestagsfraktion vom
Grundsatz her unterstützen, bleiben schlicht und ergrei-
fend unerreichbar und unbezahlbar, wenn wichtige In-
strumente für die Umsetzung dieser Ziele schlicht außer
Acht gelassen werden.


(Beifall bei der FDP)


Ich nenne als Beispiel den Energiemix und eine Zahl.
Es ist vereinbart worden, den CO2-Ausstoß bis zum Jahr
2020 um bis zu 40 Prozent zu senken. Dies ist, um das
ganz klar zu sagen, ohne den Einsatz der Kernenergie
nicht erreichbar, utopisch.


(Beifall bei der FDP – Marco Bülow [SPD]: Sie haben die Studie nicht gelesen!)


Die Folgen dieses Ausstiegs aus der Kernenergie wer-
den der vermehrte Neubau von Kohle- und Gaskraftwer-
ken, damit ein erhöhter CO2-Ausstoß, erhöhte Energie-
kosten für Verbraucher und Unternehmen und eine
vermehrte Abhängigkeit von Importen sein. Diese nega-
tiven Folgen sind vor dem Hintergrund zu betrachten,
dass die Kanzlerin sehr richtig an dem Dreierkanon fest-
gehalten hat, der aus Klimaschutz, Bezahlbarkeit von
Energie, also Wirtschaftlichkeit, und Versorgungssicher-
heit besteht. Sie hat interessanterweise drei Szenarien
durchrechnen lassen und diese mit Zahlen belegt. Ich
nenne nur zwei. Aus den Studien geht hervor, dass durch
den Verzicht des Einsatzes der Kernenergie bis 2020
Mehrkosten von etwa 5 Milliarden Euro entstehen wer-
den.

Zweitens geht aus der Studie hervor, dass bei einem
50-prozentigen Anteil der Versteigerung von Emissions-
zertifikaten ab 2013 wohl nur noch Gaskraftwerke gebaut
werden. Das ist das Gegenteil von Stärkung der Wettbe-
werbsfähigkeit, und es ist das Gegenteil einer Minderung
der Importabhängigkeit des Standortes Deutschland.


(Beifall bei der FDP)


Sie müssen die Frage beantworten, wie Sie diese Defi-
zite beseitigen wollen.


(Vorsitz: Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt)


In der Wirtschaftsdebatte heute Morgen spielte auch
die Investitionstätigkeit in Deutschland eine Rolle.
1,3 Prozent des BIP werden in Deutschland investiert.
Das ist die Hälfte des EU-Durchschnitts. Heute Morgen
wurde zu Recht darauf hingewiesen, dass der Standort
Deutschland mehr Investitionen braucht. Ich wiederhole:
Das ist richtig. Für mehr Investitionen brauchen wir,
liebe Mitglieder der rot-schwarzen Koalition, Investi-
tionssicherheit und verlässliche Rahmenbedingungen.
Vergessen Sie nicht: In Kraftwerke kann man auch au-
ßerhalb des Standortes Deutschland investieren. Das
heißt, wir geraten auch in Versorgungsdefizite, wenn wir
nicht aufpassen und die drei Ziele, die ich eben genannt
habe, tatsächlich zueinanderführen.

Ich bemängele ganz ausdrücklich, dass die Kanzlerin
den offenkundigen Konflikt zwischen den Ministern
Gabriel und Glos einfach nur moderiert hat. Sie hat auf-
gegeben, sie hat resigniert, und sie hat nicht das umge-
setzt, was eigentlich ihre Pflicht gewesen wäre: darauf
zu drängen, dass hier ein in sich konsistentes Ener-
gieprogramm tatsächlich aufgelegt wird.


(Beifall bei der FDP)







(A) (C)



(B) (D)


Gudrun Kopp
Was die Verlängerung der Laufzeiten der Kernkraft-
werke angeht, hätte ich mir mehr Engagement und Ide-
enreichtum gewünscht. Wir schlagen in einem Antrag,
über den im weiteren Verlauf der Sitzung debattiert wer-
den wird, in Bezug auf die Steuervorteile, die sich durch
kürzere Abschreibungszeiten für Kernkraftwerksbetrei-
ber ergeben haben, vor, dass die Kernkraftwerksbetrei-
ber freiwillig vereinbaren, eine bestimmte Summe, näm-
lich ihren Steuervorteil, in eine Stiftung einzuzahlen,
durch die Energieforschung befördert wird. Zudem sollte
auf der anderen Seite ermöglicht werden, dass kosten-
günstig erzeugte Energie verkauft werden kann, sodass
beispielsweise Stadtwerke besonders günstige Energie
kaufen können.


(Beifall bei der FDP)


All das wäre zugunsten der Verbraucher und auch der
Unternehmen an unserem Standort. Wir müssen unsere
Wettbewerbsfähigkeit stärken. Das ist absolut erforder-
lich.

Summa summarum bleibt für mich festzustellen: Dies
war ein Gipfel der Orientierungslosigkeit und der Unver-
bindlichkeit. In der Energiepolitik hat er uns nicht wei-
tergebracht.

Danke sehr.


(Beifall bei der FDP)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1610806600

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Joachim Pfeiffer

für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1610806700

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Frau Kopp, ich muss Ihnen wider-
sprechen, wenn Sie sagen, der Gipfel habe nichts ge-
bracht oder er sei durch Orientierungslosigkeit geprägt
gewesen.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Kosten hat er verursacht!)


Auf dem Gipfel sind in der Tat keine Beschlüsse gefasst
worden. Das war aber auch nicht die Aufgabe eines
solchen Energiegipfels. Das Parlament und die Bundes-
regierung sollten für sich in Anspruch nehmen, das
Energieprogramm für Deutschland zu gestalten. Der
Energiegipfel hat wichtige Hinweise gegeben, wie wir
dieses Energieprogramm und die Energiezukunft
Deutschlands und Europas gestalten können.

Durch diesen Gipfel ist eine Basis geschaffen worden,
auf der wir aufbauen können. Wir sollten in der Tat ein-
mal bei den Fakten verweilen; manchmal hilft nämlich
das Betrachten der Fakten beim Nachdenken über das
Handeln. Diesbezüglich sollte insbesondere unser Koali-
tionspartner ein bisschen aufpassen.


(Marco Bülow [SPD]: Wir passen immer auf!)


Wir haben eindeutig drei Szenarien. Wir haben zum ei-
nen das im Koalitionsvertrag festgeschriebene Szenario.
Es bedeutet, dass wir alle Anstrengungen zur Stärkung
der Energieeffizienz, also zum Einsparen von Energie,
unternehmen. Darüber sind wir uns wahrscheinlich alle
in diesem Hause einig.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ob wir das ambitionierte Ziel, 3 Prozent des bisherigen
Energieverbrauchs einzusparen, erreichen, wird sich zei-
gen. Aber die bisherigen 0,9 Prozent sind eindeutig zu
wenig. Das Ziel muss es sein, die 3 Prozent zu erreichen,
um bis 2020 zu einer Einsparung in einer Größenord-
nung von 15 bis 20 Prozent zu kommen.

Des Weiteren sagt dieses Szenario: Wir wollen wie
bisher die erneuerbaren Energien ausbauen. Das bedeu-
tet sehr dynamische Wachstumsraten mit zunehmenden
Lösungsbeiträgen sowohl für den Klimaschutz, für die
Wirtschaftlichkeit als auch für die Versorgungssicher-
heit. Aber es sagt auch, dass wir, wie politisch beschlos-
sen und gesetzlich verankert, bis 2020 aus der Kernener-
gie aussteigen.

Das zweite Szenario ist, aus der Kernenergie auszu-
steigen, die Energieeffizienz genauso zu steigern und die
erneuerbaren Energien massiv auszubauen, und zwar so
massiv wie möglich.

Das dritte Szenario ist: Wir bauen die erneuerbaren
Energien massiv aus, wir verbessern die Energieeffi-
zienz, und wir verlängern die Laufzeit der Kernkraft-
werke.

Das sind die drei Szenarien. Das sind die Fakten.
Adam Riese lässt sich dort nicht betrügen. Was ist das
Ergebnis? Wir können unsere Klimaschutzziele interna-
tional und national erreichen. Unser nationaler Beitrag
von 40 Prozent wird nicht nur erreicht, sondern sogar
mit 45 Prozent Reduktion der Treibhausgase bis 2020
übererfüllt. Dies erreichen wir aber nur mit dem Szena-
rio drei, indem wir also die Laufzeit der Kernkraftwerke
verlängern.


(Zuruf von der FDP: So ist es!)


Das heißt, wir können das Klimaschutzziel nicht nur
erfüllen, sondern sogar übererfüllen, und das sogar wirt-
schaftlich. Wir erreichen nämlich mit diesem Szenario
geringere Kosten – Frau Kopp hat die Zahl genannt –,
und zwar in einer Größenordnung von 5 Milliarden Euro
pro Jahr. Jeder hier – auch der Bundesumweltminister –
appelliert, dass man für den Verbraucher und den Wett-
bewerb etwas tun möge. Hier können wir etwas für die
Verbraucher und den Wettbewerb tun. Mit diesem Sze-
nario entlasten wir nämlich die Energieverbraucher, also
die Haushalte, die Menschen und die Wirtschaft, in einer
Größenordnung von 6 Prozent.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das will ich aber genauer wissen!)


während wir bei den anderen Szenarien von einem An-
stieg um 5 Prozent ausgehen.

Last, but not least leisten wir auch einen Beitrag zur
Versorgungssicherheit, denn wenn wir die erneuerbaren
Energien massiv ausbauen – Beispiel ist jetzt die Strom-
erzeugung –, dann können wir 30 bis 35 Prozent errei-






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Joachim Pfeiffer
chen, und wenn wir die Kernenergie weiterlaufen lassen,
dann sind es auch 30 Prozent. So erreichen wir dann
70 Prozent CO2-freie Stromproduktion, und die Import-
abhängigkeit wird nicht erhöht – das geschieht bei allen
anderen Szenarien –, sondern sie wird sogar noch redu-
ziert.

Lassen Sie uns die richtigen Schlüsse ziehen, und
zwar nicht ideologisch, sondern klar sachorientiert! An
erster Stelle steht die Energieeinsparung. Zweitens. Wir
brauchen heute und in Zukunft einen Energiemix. Die
Mischung macht’s nämlich. Drittens – darüber wurde bis
jetzt zu wenig gesprochen; das ist auch ein eindeutiges
Ergebnis des Gipfels – können wir eine Win-win-Situa-
tion bei der Erfüllung unserer Ziele beim Klimaschutz
und im Wirtschaftsbereich nicht nur für Deutschland,
sondern für die ganze Welt schaffen, indem wir nämlich
die technologische Leistungsfähigkeit Deutschlands so-
wohl bei der Stromerzeugung – sei es bei den erneuerba-
ren Energien, wo wir sehr gut aufgestellt sind, sei es
durch Clean-Coal-Technologie, die vielleicht ab 2020
auch wirtschaftlich zur Verfügung steht – als auch im
Gebäudebereich mit Einsparungen, Wärmedämmung
und anderen Dingen sowie im Transportbereich nutzen.
Mit dieser Strategie können wir ohne Ideologie nicht nur
in Deutschland Klimaschutz betreiben und einen welt-
weiten Beitrag leisten, sondern wir können auch noch et-
was für die Wettbewerbsfähigkeit unseres Standorts tun
sowie Arbeitsplätze und eine gute Zukunft für Deutsch-
land schaffen. Packen wir es also an!


(Beifall bei der CDU/CSU)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1610806800

Der nächste Redner ist der Kollege Hans-Kurt Hill für

die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Hans-Kurt Hill (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1610806900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Drei Gipfeltreffen – und die Bundesregierung ist wieder
da, wo sie 2005 schon einmal war. Das ist das Ergebnis
des dritten Gipfels. Man ist keinen Deut weitergekom-
men. Was vor fast zwei Jahren im Koalitionsvertrag ver-
abredet wurde, wollen Sie jetzt angehen. Wer das glaubt,
wird selig.

Die Bürgerinnen und Bürger müssen währenddessen
für die Strom- und Gasrechnungen immer tiefer in die
Tasche greifen. Und was macht die Bundesregierung?
Sie lässt sich von den Bossen der Energiekonzerne an
der Nase herumführen. Wir müssen miterleben, wie sich
die Minister Glos und Gabriel fast wöchentlich in die
Haare geraten, anstatt endlich Energiepolitik umzuset-
zen.


(Beifall bei der LINKEN)


Ein genauer Blick in das Koalitionspapier zeigt, dass
mit dieser Regierung kein Energiekonzept machbar ist.
Ich zitiere aus Ihrem Koalitionsvertrag:

Deutschland braucht ein energiepolitisches Ge-
samtkonzept, das eine Vorsorgestrategie im Hin-
blick auf weltweit knapper werdende fossile Res-
sourcen beinhaltet.

Was bedeutet das? Durch zunehmende Ressourcen-
knappheit – neben rasant steigenden Energiepreisen –
vor allem internationale Konflikte und Kriege. In die
wird Deutschland zunehmend hineingezogen, und das ist
schlecht.

Für Konfliktprävention sehe ich bei der Bundesregie-
rung keine Priorität. Nach dem Verteidigungsweißbuch
2006 will die Bundesregierung auf nationaler Ebene Si-
cherheitsvorsorge durch präventives Handeln gewähr-
leisten. Dabei sollen auch – hört, hört! – militärische
Mittel bis hin zu bewaffneten Einsätzen einbezogen
werden. Bei den G 8 und auf EU-Ebene zielt die Bun-
desregierung darauf ab, bestehende Märkte und die vor-
handenen Energiestrukturen zu schützen. Dazu sollen
vorrangig bilaterale Beziehungen zu Förder- und Durch-
leitungsländern verstärkt werden, um den Zugang zu
fossilen Ressourcen zu sichern. Das alles ist das Gegen-
teil von Friedenspolitik. Das ist aggressiv und gefähr-
lich.


(Beifall bei der LINKEN)


Außerdem heißt es im Koalitionsvertrag, man wolle
am Atomkonsens nicht rütteln. Was erleben wir hier?
Täglich das Gegenteil, so auch heute Morgen.


(Widerspruch bei der SPD)


Die Energiestrategie soll nun auf Grundlage eines Gut-
achtens entstehen, das die Bundesregierung beim Kölner
Energie-Institut in Auftrag gab. Allerdings basiert das
Papier auf sehr einseitigen Annahmen. Die Klimaschutz-
ziele und eine sichere Versorgung sind danach – welch
eine Überraschung! – am besten mit der Atomenergie er-
reichbar. Dabei wurden die enormen Kosten und Gefah-
ren der Atomenergienutzung aber komplett ausgeklam-
mert.

Einziger Rettungsanker für Minister Gabriel ist die
Festlegung, die Energieeffizienz bis 2020 zu verdoppeln.
Nur dann wird das erreicht, was die Regierung plant,
nämlich ohne die Atomkraft auszukommen.

Bei den erneuerbaren Energien lebt die Große Koali-
tion völlig an der Realität vorbei. Dies erklärt auch, wa-
rum die Zukunftsenergien beim Gipfel am sogenannten
Katzentisch abgefrühstückt wurden. Die Vorgaben aus
dem Koalitionsvertrag für das Jahr 2010 sind bereits
jetzt von der Branche übertroffen worden. Im Interesse
der Verbraucherinnen und Verbraucher fordere ich Sie
auf, endlich zu handeln und nicht den Stillstand zu regie-
ren.


(Beifall bei der LINKEN)


Für die Linke ist der Weg klar:

Erstens. Wir wollen die Energiewende, sozial fair und
ökologisch.


(Dr. Rainer Wend [SPD]: Friedlich!)


Zweitens. Deshalb setzen wir auf die clevere Nutzung
von Strom, Wärme und Kraftstoffen sowie den Ausbau
der erneuerbaren Energien.






(A) (C)



(B) (D)


Hans-Kurt Hill
Drittens. Das schafft Beschäftigung, Klimaschutz und
bezahlbare Energie aus heimischer Produktion.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1610807000

Das Wort hat nun der Kollege Rolf Hempelmann für

die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Rolf Hempelmann (SPD):
Rede ID: ID1610807100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-

gen! Lieber Herr Hill, namentlich verkörpern Sie gera-
dezu den Energiegipfel der Linken. Die fünf Minuten
haben aber auch gereicht, um all das darzustellen, was
Ihnen zu dem Thema einfällt. Selbst das, was Sie an Kri-
tik geäußert haben, zum Beispiel in Richtung erneuerba-
rer Energien, ist so weit von den Realitäten entfernt, dass
man sich von dieser Seite nicht ernsthaft damit befassen
muss.

Bei der FDP hat man den Eindruck, als sei sozusagen
das Kernthema bzw. die Kernessenz dieses Gipfels, dass
es unbedingt notwendig ist, die Laufzeit der Kernkraft-
werke zu verlängern. Wer den Gipfel ein wenig verfolgt
hat und die Verlautbarungen aus dem Gipfel heraus
kennt, der wird sofort erkennen, dass die Reduzierung
der Botschaft dieses Gipfels genau auf diesen Punkt
fehlgeht. Ich denke, dass die Botschaft wesentlich kom-
plexer ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Gudrun Kopp [FDP]: Lassen Sie doch einmal Ihre Botschaft hören!)


Der Energiegipfel hat eines sehr deutlich gemacht: Es
gibt eine große Einigkeit sowohl zwischen den beteiligten
politischen Kräften als auch der betroffenen Wirtschaft
und den Stakeholdern, dass wir eine Energiepolitik brau-
chen, die zugleich den Zielen Umweltverträglichkeit,
Wirtschaftlichkeit und Versorgungssicherheit verpflich-
tet ist. Ich glaube, dass das Tagesgeschäft, das ja im
Deutschen Bundestag weitergelaufen ist, beweist, dass
unsere aktuelle Politik genau diesen Zielen untergeord-
net ist.

Ich erinnere an drei große Projekte, die wir vorange-
trieben haben. Da ist zum einen der Emissionshandel. Im
Zuteilungsgesetz ist, wie ich denke, sehr deutlich gewor-
den, dass wir ambitionierte Klima- und Umweltpolitik
betreiben,


(Widerspruch bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


dass wir aber gleichzeitig durch die Sicherung auch ei-
nes konventionellen Energiemixes dafür sorgen, dass
auch die Versorgungssicherheit im Lande gewährleistet
bleibt.

Auch mit dem energetischen Gebäudesanierungspro-
gramm erreichen wir die umweltpolitischen Zielsetzungen.
Gleichzeitig haben wir im Sinne von Wirtschaftlichkeit,
Schaffung von Arbeitsplätzen und Kostensenkungen da-
für gesorgt, dass für Arbeitnehmer und Verbraucher eine
Menge herausspringt. Das ist, wie ich denke, ein inte-
grierter Ansatz und entspricht auch genau dem Signal,
das der Gipfel ausgesendet hat: Diese Art von Politik
soll fortgesetzt werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir haben das auch im Zusammenhang mit einer Ver-
ordnung zur Anreizregulierung getan, die in diesem Fall
vom Wirtschaftsministerium erarbeitet worden ist und
die ebenfalls zwei Zielen dient: Zum einen sorgt sie da-
für, dass die Kosten und damit auch die Preise in diesem
Bereich sinken können, zum anderen stellt sie Versor-
gungssicherheit auf Basis einer hohen Qualität der Netze
durch entsprechende Investitionen her.

Ein weiteres Signal, das vom Gipfel ausgegangen ist,
lautet allerdings auch: Die Hausaufgaben sind noch nicht
gemacht. Wir sind erst dabei.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!)


Wir müssen diesen Kurs fortsetzen. Deswegen ist auch
die Verständigung auf die Ziele, die etwa im Bereich der
erneuerbaren Energien oder der Energieeffizienz erreicht
werden sollen, besonders hervorzuheben.


(Gudrun Kopp [FDP]: Die muss man auch umsetzen können!)


Es ging aber nicht nur um Ziele, sondern es wurde
auch klar angekündigt, dass das Kabinett bereits im Sep-
tember, also im Frühherbst, konkrete Vorschläge vorle-
gen wird, die wir dann hier im Parlament zu beraten ha-
ben. Insbesondere wird es dabei um ein Paket gehen, in
dessen Mittelpunkt die Energieeffizienz steht. Ich nenne
hier die Stichworte KWK, Ausbau von Nah- und Fern-
wärmenetzen, Weiterentwicklung des Gebäudesanie-
rungsprogramms, die Ökodesignrichtlinie und Mindest-
standards für elektrische Geräte, Energieberatung und
vieles andere mehr. Insbesondere wird es auch um die
Umsetzung der europäischen Energiedienstleistungs-
richtlinie gehen. Das wird ein großes Paket und stellt da-
mit eine große Herausforderung dar. Aber wenn wir eine
Effizienzsteigerung von 3 Prozent jährlich bis zum Jahr
2020 schaffen, dann haben wir, wie ich glaube, einerseits
unsere Wirtschaft fit gemacht und andererseits ökolo-
gisch ehrgeizige Ziele erreicht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Bei diesem Gipfel wurden manche Bedenken ausge-
räumt. So hatten die energieintensiven Industrien Be-
sorgnisse geäußert. Es ist aber deutlich geworden, dass
sich die Effizienzstrategie nicht in erster Linie an die
richtet, die schon Effizienzanstrengungen unternommen
haben, sondern dass der Schwerpunkt genau in den Be-
reichen gesetzt wird, wo noch nicht so viel passiert ist
und es deswegen hohe Potenziale gibt. Wir freuen uns
auf dieses Effizienzprogramm. Das wird uns, wie ich
denke, einen ganz wesentlichen Schritt voranbringen.

Vielen Dank.






(A) (C)



(B) (D)


Rolf Hempelmann

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1610807200

Nächste Rednerin ist die Kollegin Bärbel Höhn für

die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.


Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1610807300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Der Energiegipfel hat in der Tat für Wirbel gesorgt. Dort
wurde kräftig ausgeteilt. Da hat sich Rot mit Schwarz
angelegt. Da hat Gabriel mit Glos gekämpft. Da waren
die Energiekonzerne gegen die Politik. Der Umgangston
hat uns einige neue Begriffe beschert. Die einen haben
die anderen als Öko-Bolschewisten beschimpft; die an-
deren haben mit „Wirtschaftsstalinisten“ zurückgekeilt.

Das war in der Tat eine „Bereicherung“ der politi-
schen Kultur in diesem Land. Es wurde geholzt. Es war
lautstark. Nur eines war es nicht: Es war kein Beitrag zu
einer zukunftsfähigen Klima- und Energiepolitik in die-
sem Land. Das war es nicht, meine Damen und Herren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)


Warum? Ziele sind gut. Aber wenn die entsprechenden
Maßnahmen nicht kommen, dann sind Ziele nichts wert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Marco Bülow [SPD]: Die kommen aber!)


Deshalb müssen wir Maßnahmen vorlegen. In diesem
Sinne hat der Energiegipfel nichts gebracht – kein Be-
schluss, keine Maßnahmen, keine neuen Initiativen.


(Marco Bülow [SPD]: Das macht das Parlament immer noch, Frau Kollegin!)


Für die drängenden Fragen des Klimaschutzes hat dieser
Gipfel null und nichts gebracht. Das müssen wir feststel-
len.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Lassen Sie mich einmal die einzelnen Punkte durch-
gehen. Sie haben recht, Herr Pfeiffer; wir müssen die
Einzelpunkte in der Tat durchgehen.

Der Schwerpunkt dieses Gipfels war Energieeffi-
zienz. Die Bundesregierung spricht von 3 Prozent mehr
Energieeffizienz pro Jahr. Auch wir als Grüne halten das
für machbar; 3 Prozent sind ehrgeizig, aber durchaus er-
reichbar.

Liebe Damen und Herren von der Großen Koalition,
von nichts kommt aber nichts. Herr Hempelmann hat
hier so schön erklärt, das große Maßnahmenpaket zur
Energieeffizienz komme im Herbst. Herr Hempelmann,
da sind Sie schon zu spät; denn tatsächlich hätten Sie ge-
nau dieses Maßnahmenkonzept, diesen Aktionsplan, am
30. Juni der EU melden müssen. Und der 30. Juni ist
vorbei.


(Rolf Hempelmann [SPD]: Das läuft schon!)


Sie kommen mit Ihren Hausarbeiten nicht nach.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)


Gestern habe ich den Staatssekretär gefragt, warum er
diesen Maßnahmenkatalog eigentlich nicht zum 30. Juni
an die EU weitergeleitet habe. Darauf hat er gesagt, die
meisten anderen Staaten hätten das auch noch nicht ge-
macht. Das finde ich eine tolle Erklärung. Offensichtlich
reicht es der Bundesregierung schon, dass sie nicht
Schlusslicht in der EU ist. Ich dachte, Sie wollten beim
Klimaschutz immer vorneweg sein.


(Rolf Hempelmann [SPD]: Haben Sie Ihre Hausaufgaben immer pünktlich abgegeben?)


Das kriegen Sie aber offensichtlich nicht hin, meine Da-
men und Herren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)


Die zweite Frage ist der Atomausstieg. Dieser Punkt
ist hier ja stark diskutiert worden: Atomausstieg, ja oder
nein? Das ist ein Dauerstreit in dieser Koalition. Da
muss ich sagen: Solange sich die Bundesregierung nicht
eindeutig und klar zum Atomausstieg bekennt, so lange
werden Investitionen in erneuerbare Energien und in de-
zentrale Strukturen verhindert.


(Zuruf von der CDU/CSU: Steter Tropfen höhlt den Stein!)


Das ist das Problem. Deshalb sage ich Ihnen: Wir
brauchen Planungssicherheit. Planungssicherheit be-
steht darin, dass das einmal Beschlossene und Zugesagte
auch eingehalten werden muss. Das muss die Bundesre-
gierung auch mit vollem Herzen unterstützen. Deshalb:
Ja zum Atomausstieg.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dann schauen wir uns einmal die Alternative an. Was

ist denn mit den alten AKWs? Pünktlich zu jedem Ener-
giegipfel haben wir einen neuen Störfall. In diesem Fall
war es Krümmel. Gestern haben wir erfahren, dass es
eben nicht, wie Vattenfall gesagt hatte, ein kleiner Stör-
fall war, sondern dass der Reaktor davon betroffen war.
Letztes Jahr war es ein Beinahe-GAU im schwedischen
Forsmark, 20 Minuten an einem GAU vorbei. Der Chef
von Vattenfall hat damals gesagt: Wir müssen uns ent-
schuldigen, weil wir die Sicherheitskultur vernachlässigt
haben, weil wir alkoholisierte Mitarbeiter hatten, weil
wir falsch verlegte Kabel hatten und weil wir falsch ein-
gestellte Ventile hatten.

Meine Damen und Herren, so sieht es mit den alten
AKWs aus. So sicher sind die AKWs von Schweden und
von Deutschland! Wir wollen aus diesen alten AKWs
aussteigen,


(Gudrun Kopp [FDP]: Sie haben ja viel abgeschaltet!)


weil wir dieses Sicherheitsrisiko nicht mitmachen kön-
nen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb sage ich Ihnen, Frau Kopp, und auch den ande-
ren: Wenn Sie behaupten, Laufzeitverlängerungen
brächten Preisminderungen für die Verbraucher, dann






(A) (C)



(B) (D)


Bärbel Höhn
haben Sie die Wirtschaftspolitik eindeutig nicht verstan-
den.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



(Durchsage: Wegen eines Brandes ist das Rechenzentrum vollständig ausgefallen. Sie können lokal weiterarbeiten, aber Intranet und E-Mail-Systeme sind nicht verfügbar. Wir sind bemüht, den Schaden schnellstmöglich zu beheben.)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1610807400

Ich konnte die Durchsage von hier oben aus nicht ver-

hindern. Ich bitte um Verständnis.

Frau Kollegin, ich habe Ihre Redezeit angehalten. Ich
mache aber darauf aufmerksam, dass Sie langsam zum
Schluss kommen müssen.


Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1610807500

Gestern Brand in Krümmel und in Brunsbüttel und

heute im Rechenzentrum des Bundestages. Vielleicht ist
es besser, auf dezentrale Systeme umzusteigen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Jetzt noch einmal zurück zum Wettbewerb. Die ver-
sprochenen Preissenkungen wird es natürlich nicht ge-
ben, weil es keinen Wettbewerb gibt. Frau Kopp, auch
Sie wissen das. Frau Merkel hat auf dem Energiegipfel
einen schweren Fehler gemacht. Sie hat nämlich gesagt:
Die eigentumsrechtliche Trennung von Netz und Ener-
gieproduktion – das fordern wir –, wird von der Bundes-
regierung nicht mehr unterstützt. Sie hat damit den
Atomkonzernen auf dem Silbertablett etwas präsentiert,
was nicht in Ordnung ist. Damit halten wir an überholten
Strukturen fest, wozu die vier großen Energiekonzerne
gehören. Das Oligopol bleibt bestehen, was zu unfairen
und zu hohen Preisen beiträgt. Wir haben keinen Wettbe-
werb auf den Energiemärkten. Das ist das Problem für
die Verbraucherinnen und Verbraucher.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Dr. Axel Berg [SPD])


Letzte Bemerkung. Wir als Grüne haben anders als
die Bundesregierung ein Maßnahmenpaket vorgelegt.
Darüber werden wir morgen beraten. Ich appelliere an
alle Kollegen, dass wir in diesem Sinne gemeinsam nach
vorne gehen. Wir müssen den Stillstand überwinden.
Wer die CO2-Emissionen um 40 Prozent reduzieren will,
der muss hier und heute Maßnahmen auf den Weg brin-
gen und darf dies nicht auf später verschieben.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1610807600

Für die Bundesregierung hat nun der Parlamentari-

sche Staatssekretär Hartmut Schauerte das Wort.
H
Hartmut Schauerte (CDU):
Rede ID: ID1610807700


Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Sehr geehrte Frau Höhn, ich erinnere mich an
unsere gemeinsame Düsseldorfer Zeit. Da Sie als Erstes
bei diesem Thema beklagen, dass eine lautstarke Aus-
einandersetzung in der Großen Koalition stattgefunden
hat, muss ich Ihnen bei allem Respekt entgegnen, dass
Sie noch nie eine Meisterin des leisen Wortes waren.
Ihre Bemerkung ist also vor diesem Hintergrund nicht
verständlich.

Wir haben rechtzeitig gehandelt und den Energiegip-
fel richtig terminiert; denn er fand nach dem EU- und
nach dem G-8-Gipfel statt, die sich zum großen Teil mit
den Themen Energie und Klima beschäftigten. Es war
einfach klug, diesen Gipfel abzuwarten und den Energie-
gipfel auf den dort gewonnenen Erkenntnissen aufzu-
bauen. Es war auch klug, auf den Energiegipfel nicht mit
fertigen Ergebnissen zu gehen; denn es musste erst ein-
mal eine Basis hergestellt werden, auf der man nun kon-
kret entscheiden kann. Genau das ist der Weg.

Dass die Opposition meint, sie könne schneller han-
deln, ist in Ordnung. Wenn Sie an der Regierung wären,
wären Sie möglicherweise noch langsamer. Im Übrigen,
Frau Höhn, haben wir vor der Großen Koalition im
BMU von Ihren Effizienzstrategien nichts vorgefunden.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt nicht! Das wissen Sie auch! Sie haben es doch nicht umgesetzt!)


Aus Ihrer Regierungszeit ist dazu nichts vorhanden ge-
wesen. Deswegen sollten Sie sich ein wenig zurückhal-
ten.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was machen Sie denn? Zwei Jahre hatten Sie Zeit!)


Wir wollen konkrete Maßnahmen ergreifen, die unab-
hängig davon, ob es eine Zukunft mit oder ohne Kern-
energie geben wird, richtig und notwendig sind. Ich
bitte, Folgendes zu bedenken: Es gibt unterschiedliche
Bewertungen zwischen CDU/CSU und SPD in dieser
Frage. Obwohl wir in diesem Punkt unterschiedlicher
Meinung sind, sind wir aber nicht so töricht, das, was
jetzt getan werden muss, nicht mit aller Kraft in Angriff
zu nehmen. Handeln ist das Gebot der Stunde.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wer immer sich in dieser Frage bei den Wählern durch-
setzt, wird sich erst später entscheiden. Bei einer Verlän-
gerung der Erzeugung von Kernenergie fallen die An-
strengungen, die unternommen werden müssen,
vielleicht nicht so schwer wie im Falle ohne Kernener-
gie. Darum dreht sich die streitige Diskussion, die wir
miteinander führen. Die Frage ist nun, wie wir diesen
Prozess effizient steuern können.

Wir haben uns ein unglaublich ehrgeiziges Ziel ge-
setzt; da kann einem fast schon schwindelig werden. Wir
haben uns eine Effizienzsteigerung um 3 Prozent pro
Jahr vorgenommen. Das muss man doch realisieren. Ich






(A) (C)



(B) (D)


Parl. Staatssekretär Hartmut Schauerte
behaupte, dies ist das ehrgeizigste Klimaziel eines gro-
ßen Industriestaates in der Welt.


(Gudrun Kopp [FDP]: Das Ziel ja, aber keine Realisierung!)


Das kann man nur verantworten, wenn an allen Ecken
und Enden sorgfältig geschaut wird, wie wir diesen Pro-
zess akkordieren, wie wir ihn unter mehrfachen Effi-
zienzgesichtspunkten steuern. Das ist ein riskantes
Unternehmen. Wir können dabei Wachstum und Arbeits-
plätze in Deutschland gefährden.


(Gudrun Kopp [FDP]: Richtig!)


Deswegen sollten wir mit aller Aufmerksamkeit und
hoffentlich möglichst wenig Streit vorgehen.

Die Industrie in Deutschland muss weiterhin wettbe-
werbsfähig produzieren können. Die Verbraucher klagen
über steigende Strom- und Energiekosten. Das sind doch
Klagen, die wir ernst nehmen. Wie gehen wir damit um?
Die eine Antwort lautet: mehr Effizienz beim Strom-
und Energieeinsatz. Je mehr es uns gelingt – um es ein-
mal einfach zu sagen –, den Strom- und Energiever-
brauch zu reduzieren, desto günstiger wird die Rechnung
für die Verbraucher.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eben falsch!)


– Vorsicht, ich bin noch nicht fertig. Ich denke in Schrit-
ten; Sie denken ja immer nur im Ganzen. Das ist der
Unterschied.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Im Ganzen zu denken, ist nicht falsch!)


Da aber die Preisgestaltung im Rahmen der Energie-
erzeugung, zum Beispiel bei den regenerativen Ener-
gien, teurer wird, wird die Energierechnung für den Ver-
braucher möglicherweise nicht niedriger ausfallen.
Vielmehr wird er durch einen geringeren Verbrauch ei-
nen höheren Preis ertragen können, ohne deswegen wirt-
schaftliche Abläufe zu gefährden. Das ist doch die ei-
gentliche Kernaufgabe, die wir zu lösen haben. Es wird
nicht wirklich billiger werden. Wer dies den Menschen
sagt, sagt etwas Falsches. Aber Energie wird unendlich
viel teurer, wenn wir nicht in gleicher Geschwindigkeit
die Energieeffizienz, die Energieproduktivität erhöhen.
Das sind die Schlüsselbegriffe, die wir miteinander in
Verbindung bringen müssen.

Da ist das Wirtschaftsministerium mindestens so ge-
fragt wie das Umweltministerium. Es gibt Anreizsys-
teme, Verordnungen und Vorschriften. Das ist die eine
Gestaltungsmöglichkeit, über die die Politik verfügt. Die
andere Gestaltungsmöglichkeit ist jene über die Förde-
rung von Erfindungen, über die technologische Erneue-
rung unserer Produktionsweisen und Prozessketten, all
dessen, was Teil des volkswirtschaftlichen und betriebs-
wirtschaftlichen Prozesses ist.

Um einmal einen kleinen Unterschied deutlich zu ma-
chen, der zwischen den Ansätzen des Umweltministe-
riums und denen des Wirtschaftsministeriums besteht
– vielleicht sehe ich zu große Unterschiede; ich würde
mich freuen, wenn es nicht so wäre –: Im Zweifel setzt
der Wirtschaftsminister auf die Kunst der Ingenieure. Ich
glaube, dass wir die Klimafragen ganz überwiegend mit
Ingenieurleistung beherrschen werden können und be-
herrschen werden müssen. Dies ist die Stunde der Inge-
nieure. Da muss entwickelt werden, da müssen Innova-
tionen gefunden werden. Da müssen wir die Bildung, die
Erziehung und die Forschung an den Universitäten opti-
mieren. Hierzu haben wir eine Serie von Programm-
punkten gestartet, die man in einer Redezeit von neun
Minuten gar nicht alle vorstellen kann. Das ist der eine
wichtige Weg.

Dann brauchen wir Steuerungselemente. Darauf kann
man nicht ganz verzichten. Hier gibt es keinen ideologi-
schen Streit; das ist eine Frage des Mischungsverhältnis-
ses zwischen den beiden Gestaltungsmöglichkeiten. In
diesem Zusammenhang ist besonders wichtig: Diese bei-
den Methoden des Vorgehens müssen miteinander koor-
diniert werden. Sie müssen widerspruchsfrei zueinander
bestehen. Sie müssen wirkungsmächtig sein. Sie müssen
auch immer wieder auf Effizienz untersucht werden: Ist
die gesetzliche Regelungsmechanik wirklich effizient
und zielführend? Ist die ingenieurmäßige Entwicklung
effizient und zielführend? Deswegen bleibt in dieser
ganzen Debatte die Effizienz der Schlüsselbegriff in je-
der Himmelsrichtung. Daran arbeiten wir. Ich denke, das
bekommen wir miteinander hin.

Wir planen ein wirtschaftlich tragfähiges Energie-
effizienzgesetz, eine Rechtsetzung, in der wir Energie-
effizienzfragen bündeln wollen. Dazu gehören die
Regelungen, die im Rahmen der Umsetzung der EU-
Energiedienstleistungsrichtlinie notwendig sind. Wir
werden einen Energieeffizienzfonds einrichten, mit dem
Energieeffizienzpotenziale bei kleinen und mittleren Un-
ternehmen schneller erschlossen werden sollen. Wir
werden die bereits gestartete Exportinitiative im Hin-
blick auf Energieeffizienz beschleunigen. Damit wollen
wir Marktchancen und Absatzmöglichkeiten für deut-
sche Produkte entwickeln. Das alles gehört dazu. Es ist
ein unglaublich komplexer Bereich, in dem wir hier ar-
beiten.

Mit einzelnen und schnellen Schlüssen kommen wir
nicht weiter. Ich glaube, eine sorgfältige Abstimmung
der Instrumente – einige habe ich genannt – ist jetzt ge-
boten und vernünftig. Dann haben wir Chancen; denn
wir starten – das erkennen wir, wenn wir uns in der Welt
umsehen – von einem technologisch und regulativ intel-
ligenten Niveau. Auf diesem Niveau können wir im
Wettbewerb standhalten.


(Rolf Hempelmann [SPD]: Da haben wir gut vorgearbeitet!)


– Der eine oder andere schon, Herr Hempelmann. Wir
erfinden das Rad ja nicht jeden Tag neu. Auch wir haben
hinzugelernt; das ist völlig unstreitig und auch in Ord-
nung. Es gibt ja keinen Bruch, sondern wir entwickeln
uns evolutionär nach vorne.

Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen: Wie
können wir unter dem Gesichtspunkt des Klimaschutzes
den Energieverbrauch in Grenzen halten? Wir haben ei-
nen konkreten Vorschlag zur Novellierung des Kraft-






(A) (C)



(B) (D)


Parl. Staatssekretär Hartmut Schauerte
Wärme-Kopplungsgesetzes auf den Tisch gelegt, der
sich genau mit diesem Thema beschäftigt und eine Lö-
sung anbietet. Wir sollten die Belastungen, die aus dem
EEG und dem KWK-Gesetz resultieren, zusammen be-
trachten, weil der Verbraucher von beidem betroffen ist.
Wir brauchen eine wirtschaftlich sinnvolle und effiziente
Ausgestaltung dieser Maßnahmen. Nur so können wir
den wirklich anspruchsvollen Klimaschutzzielen gerecht
werden und die Belange der Wirtschaft und der Verbrau-
cher beachten. Das ist eine große Aufgabe. Lasst sie uns
möglichst gemeinsam anpacken!

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1610807800

Nächster Redner ist der Kollege Michael Kauch für

die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Michael Kauch (FDP):
Rede ID: ID1610807900

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu-

nächst einmal möchte ich darauf hinweisen, dass ich es
sehr bemerkenswert finde, dass der für die Energiepoli-
tik zuständige Minister es nicht für nötig hält, hier selbst
über den Energiegipfel zu berichten. Herr Schauerte, das
geht nicht gegen Sie persönlich, aber das Ministerium
fährt hier die B-Besetzung auf, und das ist eine Missach-
tung des Parlaments.


(Beifall bei der FDP – Klaus Uwe Benneter [SPD]: Der eigentlich Zuständige ist doch da!)


Aufgrund der öffentlichen Debatte könnte man ver-
muten, Herr Gabriel sei zuständig. Mit großem Tamtam
haben sich die Minister Gabriel und Glos in den vergan-
genen Tagen öffentlich untereinander und mit der Wirt-
schaft gestritten, und zwar in einer Form, die – da muss
ich der Kollegin Höhn widersprechen – nicht erfreulich,
sondern der Sache abträglich war. Ich finde, dass die bei-
den Minister PR-Arbeit in eigener Sache betrieben ha-
ben, dabei aber in keiner Weise an die Zukunft unseres
Landes gedacht haben.


(Beifall bei der FDP)


Bei diesem Gipfel ist rein gar nichts herausgekom-
men. Das gilt für die Themen Klimaschutz, Energieeffi-
zienz und erneuerbare Energien. Zum wiederholten Male
werden uns von der Bundesregierung Überschriften bzw.
Ziele präsentiert, aber keine einzige abgestimmte Maß-
nahme. Auf dem Energiegipfel ist von dieser Koalition
kein Problem gelöst worden. Sie sagen, Sie wollen er-
neuerbare Energien und die Kraft-Wärme-Kopplung för-
dern. Rund um den Energiegipfel und auf dem Energie-
gipfel haben Sie aber nicht gesagt, wie Sie das tun
wollen. Sie haben kein Konzept zur Förderung erneuer-
barer Wärme auf dem Markt. Sie haben kein Konzept
zur Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung. Es fehlen
auch konkrete Ansätze, beispielsweise wie man unsere
solaren Spitzentechnologien in die Entwicklungsländer
bringen könnte. Zu all dem hat dieser Energiegipfel
nichts als Sprechblasen produziert.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich finde es schon sehr bemerkenswert, dass die bei-
den Minister, die sich aufführen, als wären sie in einer
Soapopera, von der Kanzlerin den Auftrag bekommen
haben, sich zusammenzusetzen und gemeinsam ein Kon-
zept auszuarbeiten. Ich frage mich, was Sie in den letz-
ten Monaten getan haben. Spätestens seit dem EU-Gip-
fel im März – nicht erst seit dem G-8-Gipfel – sind die
Hausaufgaben dieser Bundesregierung klar; seitdem ist
klar, welche Ziele umgesetzt werden müssen. Sie haben
schlichtweg gepennt und sich nur öffentlich auseinan-
dergesetzt.


(Beifall bei der FDP – Rolf Hempelmann [SPD]: Sie müssen auch mal ein bisschen loben!)


Ich möchte auf eine Sache eingehen, die von der Kol-
legin Höhn angesprochen worden ist, nämlich auf die Si-
cherheit der Atomkraftwerke. Sie haben gesagt: Pünkt-
lich zu jedem Energiegipfel haben wir einen Störfall. Sie
haben dargestellt, dass möglicherweise mehr passiert ist,
als zunächst gesagt wurde; das werden die weiteren Un-
tersuchungen zeigen müssen. Sie haben dann – über
Schweden zu Deutschland – die Schlussfolgerung gezo-
gen, dass alle Kernkraftwerke in Deutschland nicht si-
cher betrieben werden können. Frau Höhn, wer war denn
der Minister, der in den letzten Jahren die Atomaufsicht
hatte? Das war Ihr Kollege Trittin. Wenn es bei diesen
Kraftwerken solche Sicherheitsprobleme gibt, wie Sie
uns gerade erzählt haben, dann hat er seine Amtspflich-
ten verletzt, weil er sie nicht stillgelegt hat. Wäre es tat-
sächlich so, hätte er sie stilllegen müssen.


(Beifall bei der FDP)


An die Adresse unseres amtierenden Umweltminis-
ters, der auch für die Atomaufsicht zuständig ist, möchte
ich sagen: Man kann das nicht so locker handhaben, wie
Sie es letzte Woche gemacht haben, und sich als zustän-
diger Minister in eine Pressekonferenz setzen und sagen:
Unsere Kernkraftwerke sind die sichersten der Welt,
aber manchmal knallt und brennt es eben. – An dieser
Stelle sage ich: Wenn die Störfälle so ernst sind, dass sie
die Sicherheit der Menschen systematisch gefährden,
dann müssen Sie diese Kraftwerke stilllegen. Ansonsten
dürfen Sie nicht solche Bemerkungen machen, ohne die
Fälle vorher untersucht zu haben.


(Beifall bei der FDP)


Auf diesem Energiegipfel gab es eine positive Aus-
sage, nämlich dass die Kanzlerin sich klar dazu bekannt
hat, dass wir die CO2-Abscheidetechnologie in Deutsch-
land voranbringen müssen. Das ist wichtig; denn daran
hängt die Frage, ob wir die Kohle in Deutschland in Zu-
kunft noch verantwortlich nutzen können. Letztendlich
wird dies nur mit der CO2-Abscheidetechnologie gelin-
gen, also dadurch, dass wir Kohlekraftwerke bekommen,
die kaum noch CO2 emittieren. Ich finde, das ist ein
positiver Fortschritt in dieser Debatte. Aber was hat ges-
tern der Umweltstaatssekretär Müller im Umweltaus-
schuss gemacht? Er hat mit seiner Aussage wieder alles
relativiert, indem er darauf hinwies, es müsse geforscht,






(A) (C)



(B) (D)


Michael Kauch
geprüft und über die Vor- und Nachteile nachgedacht
werden. Nein, wir müssen jetzt gemeinsam die Anstren-
gung unternehmen, dafür zu sorgen, dass wir die Kohle
auch in den nächsten Jahrzehnten noch verantwortlich
nutzen können.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Herr Gabriel hat völlig recht: Es ist illusorisch, zu glau-
ben, aus der Kohle und der Kernkraft gleichzeitig aus-
steigen zu können, wie die Grünen immer wieder be-
haupten.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1610808000

Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Dirk

Becker das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Dirk Becker (SPD):
Rede ID: ID1610808100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Zunächst darf ich mich bei der FDP sehr herzlich dafür
bedanken, dass Sie die Aktuelle Stunde heute beantragt
haben;


(Gudrun Kopp [FDP]: Gerne!)


denn Sie geben der Regierungskoalition damit die Gele-
genheit, die wirklich erfolgreiche Arbeit, die beim Ener-
giegipfel geleistet wurde, noch einmal zu würdigen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen bei der FDP)


Ich will eines sehr deutlich sagen, Frau Kopp und
Herr Kauch: Ich finde es abenteuerlich, dass nach dem
Energiegipfel Ihr Vertreter der Güteklasse A – er ist
heute bei der FDP ebenso wenig anwesend –


(Gudrun Kopp [FDP]: Da seien Sie einmal ganz vorsichtig! – Otto Fricke [FDP]: Welcher denn jetzt? Wir haben so viele!)


vor die Presse getreten ist und verkündet hat,


(Gudrun Kopp [FDP]: Da seien Sie mal ganz vorsichtig!)


dass die FDP enttäuscht sei. Für den Klimaschutz sei
nichts erreicht worden, die FDP sei doch die Klima-
schutzpartei. Ausgerechnet diese Fraktion ist die einzige,
die bei der Selbstverpflichtung der Mitglieder des Deut-
schen Bundestages, etwas für den Klimaschutz zu tun,
nicht mitmacht. Überdenken Sie doch bitte schön einmal
Ihr eigenes Handeln!


(Beifall bei der SPD – Michael Kauch [FDP]: Das ist doch absurd! – Ernst Burgbacher [FDP]: Das ist doch lächerlich! Haben Sie auch etwas Ernsthaftes zu bieten? Haben Sie nur noch Witze auf Lager?)


Ich möchte zum Urteil der Grünen etwas sagen, Frau
Kollegin Höhn. Ich will jetzt niemanden aus dieser Re-
gierung bemühen, ein Urteil über den Energiegipfel ab-
zugeben. Man muss sich aber nur einmal ansehen, was
die Umweltverbände nach dem Energiegipfel gesagt ha-
ben. Es gab zum Beispiel Interviews mit Vertretern von
WWF und BUND.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch von anderen!)


Alle haben deutlich gemacht, dass das, was die Bundes-
regierung beim Energiegipfel erreicht hat, deutlich mehr
ist, als sie für möglich gehalten haben. Wenn sie es als
Erfolg feiern, dann sollten auch Sie sich das zu eigen
machen und den Erfolg anerkennen.


(Gudrun Kopp [FDP]: Was ist denn erreicht worden?)


Wenn Sie selbst in der Regierung wären, würden Sie
diese Ergebnisse mit Stolz vertreten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Gudrun Kopp [FDP]: Was denn für Ergebnisse? – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nennen Sie uns ein Ergebnis!)


Ich nenne einmal einige Eckpunkte. Es gibt ein klares
Bekenntnis


(Gudrun Kopp [FDP]: Das reicht nicht!)


zum 40-Prozent-Ziel. In der Erklärung wurde deutlich
betont, dass das 40-Prozent-Ziel für Deutschland gilt.
Wir haben weiter eine Effizienzsteigerung um 3 Prozent
pro Jahr bis 2020 vereinbart. Das Ziel des Ausbaus im
Bereich der erneuerbaren Energien auf 27 Prozent gilt
ebenfalls; Sie sind bisher von 20 Prozent ausgegangen.
Der Anteil der erneuerbaren Energien an der Primärener-
gie soll 16 Prozent betragen. Ein regelmäßiges Monito-
ring wurde vereinbart, um Jahr für Jahr zu überprüfen,
ob wir noch in der Spur sind, um die Ziele zu erreichen.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo sind die Maßnahmen? Ohne Maßnahmen ist das alles nichts!)


– Haben Sie ein bisschen Geduld! Ich habe noch zwei-
einhalb Minuten Redezeit. Ich werde noch auf die Maß-
nahmen eingehen.

All das hat dazu geführt, dass bis zum Ende der Som-
merpause im Kabinett ein Maßnahmenpaket mit der
Überschrift „Klimaschutz und Energie“ beraten wird. Es
gibt ein Bündel von Maßnahmen. Ich will Ihnen nur drei
nennen, weil es sonst den Rahmen meiner Rede spren-
gen würde.

Erstens. Wir werden das Thema Kraft-Wärme-Kopp-
lung im Hinblick auf die Effizienzmaßnahmen explizit
aufgreifen. Der Kollege Pfeiffer hat bereits innerhalb der
Koalition aufseiten der Union mit uns verhandelt. Ich
denke, in den Eckpunkten sind wir uns einig.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach was! Es wird doch gestritten in dem Punkt!)


– Es wird nicht gestritten, sondern es wird diskutiert,
Frau Höhn.






(A) (C)



(B) (D)


Dirk Becker

(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber sehr lange! – Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Allerdings! Wahrscheinlich noch zwei Jahre lang!)


Wir werden mit Blick auf die Kraft-Wärme-Kopplung
ein ambitioniertes Paket vorlegen. Ebenso werden wir
ein Paket erarbeiten, mit dem wir uns intensiv dem Wär-
memarkt widmen. Wir alle wissen, dass der Wärme-
markt, was seine energiepolitische Bedeutung angeht,
der größte Markt in Deutschland ist. Es wird nicht nur
weitere Prüfungen steuerlicher Anreize oder möglicher
Verschärfungen der EnEV und der Betriebskostenver-
ordnung geben, sondern auch ein Erneuerbare-Wärme-
Gesetz. Darüber werden wir nach der Sommerpause im
Deutschen Bundestag diskutieren.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach was! Das sind doch immer nur Ankündigungen! – Zuruf von der LINKEN: Hoffentlich!)


Der Bundesumweltminister hat heute den Erfahrungs-
bericht zum EEG vorgelegt. Ich denke, man kann ohne
Wenn und Aber sagen: Das EEG ist eines der erfolg-
reichsten Gesetze, die der Deutsche Bundestag verab-
schiedet hat.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – HansJosef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dank wem?)


Wir werden dieses erfolgreiche Instrument weiterführen.
Ich möchte nur einige Beispiele anführen: Ich habe be-
reits darauf hingewiesen, dass die Zielerreichung für
2010 bereits heute übertroffen ist, sodass wir die Aus-
bauziele weiter anheben können. Bis heute konnten
45 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden.
125 000 Menschen haben durch das EEG einen Job be-
kommen. – Insgesamt gilt es, diese Instrumente beispiel-
haft weiterzuentwickeln. An dieser Stelle wären noch
viele weitere Effizienzmaßnahmen zu nennen. Wir wer-
den ein Gesamtpaket von Effizienzmaßnahmen ent-
wickeln.

Frau Kopp, weil Sie das Thema Atomenergie pushen
wollten und mussten, haben Sie das Effizienzziel bis
2020 grundsätzlich infrage gestellt.


(Gudrun Kopp [FDP]: Nein! Nur ohne Kernenergie!)


– Ja, ohne Kernenergie. Sie haben es ohne die Kernener-
gie als unerreichbar bezeichnet.


(Gudrun Kopp [FDP]: Ja, das ist nicht realistisch!)


Dazu will ich Ihnen Folgendes sagen: Bei den Prognosen
hinsichtlich der erneuerbaren Energien haben wir ähnli-
che Erfahrungen gemacht. Damals haben viele gesagt:
Ihr werdet die Ziele, die ihr euch gesetzt habt, nie errei-
chen. – Bereits heute wissen wir, dass wir viele unserer
Ziele schon übertroffen haben. Ich denke, wenn wir die
Technologien im Effizienzbereich in den nächsten zwölf
Jahren weiterentwickeln, werden wir unser Ziel errei-
chen. Wir werden auch in diesem Bereich jährlich nach-
steuern und untersuchen, wie unsere Maßnahmen wir-
ken.

Ihr Verhalten möchte ich mit einem Zitat von Victor
Hugo beschreiben, der da sagte:

Die Zukunft hat viele Namen. Für die Zögernden ist
sie das Unerreichbare. Für die Furchtsamen ist sie
das Unbekannte. Für die Mutigen ist sie die
Chance.

Die Große Koalition wird diese Chance nutzen.
Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Manfred Grund [CDU/CSU])



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1610808200

Nächster Redner ist der Kollege Franz Obermeier für

die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Franz Obermeier (CSU):
Rede ID: ID1610808300

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Was hat uns der Energiegipfel gebracht? Wo stehen
wir heute? Man kann es vielleicht so umschreiben: Er
hat uns klare Leitlinien in Bezug auf unser Ziel gebracht.
Hinsichtlich des Weges sind wir uns in der Großen Ko-
alition weitgehend einig.


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha! Das ist neu! Ich dachte, Sie streiten noch!)


Mit den Unterschieden in den Nuancen sollten wir uns
nicht so sehr beschäftigen.

Ich möchte mich in den nächsten Minuten auf die
Frage konzentrieren, welche Chancen eine zukunfts-
orientierte Energiepolitik für unser Land bietet. Von
Chancen spreche ich deswegen, weil es uns gelingen
muss, die Umstellung der deutschen Energiewirtschaft
so zu gestalten, dass keine nachteiligen Wirkungen für
die Wirtschaft im Allgemeinen und für die guten An-
sätze in Richtung Wirtschaftswachstum entstehen. Wir
müssen bestimmte Prozesse, die Kosten verursachen,
umdrehen. Darüber hinaus müssen wir dafür sorgen,
dass neue Technologien auf den Markt gebracht werden,
damit wirtschaftlicher Nutzen entsteht. Das ist in den
kommenden zwei Jahren die enorme Herausforderung
für alle Energie- und Umweltpolitiker der Großen Koali-
tion.

Diesen Rahmen hat uns die Bundeskanzlerin in Form
von klaren Leitplanken vorgegeben. Ich weiß nicht, wie
man auf den Trichter kommen kann zu sagen, dass der
Energiegipfel keine griffigen Ergebnisse gebracht habe.
Eine Steigerung der Energieeffizienz um 3 Prozent pro
Jahr ist nicht nur für die deutsche Ingenieurskunst, son-
dern auch für die gesamte Gesellschaft eine enorme He-
rausforderung. Es ist im Übrigen nicht nur für die Inge-
nieure, sondern auch für die Biologen eine riesige
Herausforderung; denn wir werden auf dem Sektor der
erneuerbaren Energien mit dem, was wir mittlerweile
mittels Biomasse erzeugen können, nicht auskommen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


Franz Obermeier
Potenziale gibt es genügend. Denken wir nur daran,
welche Potenziale wir nutzbar machen würden, wenn es
uns gelänge, dass der Austausch der vorhandenen Elek-
trogeräte – sowohl derer in den privaten Haushalten als
auch derer in den Betrieben, in den Produktionsunter-
nehmen – schneller vor sich ginge!


(Gudrun Kopp [FDP]: Das ist aber ein bisschen wenig!)


Denken wir an die Kraft-Wärme-Kopplung, in der natür-
lich erhebliche Potenziale stecken! Dabei meine ich we-
niger die Fernwärmeversorgung, sondern das große
Potenzial bei der Prozesswärme. Wenn es uns gelingt
– wir müssen die Anreize entsprechend setzen –, dass
die Industrieunternehmen, die große Mengen Prozess-
wärme brauchen, diese über Kraft-Wärme-Kopplung be-
kommen, haben wir schon viel erreicht.


(Beifall des Abg. Alexander Dobrindt [CDU/ CSU])


Oder denken wir an die großen Potenziale bei der Ge-
bäudesanierung! Ich sage in unserer Arbeitsgruppe im
Ausschuss regelmäßig mit aller Deutlichkeit: Wir haben
immer noch mehr als 20 Millionen Wohnungen in
Deutschland, die nicht der Energieeinsparverordnung
entsprechen. Angesichts dessen ist es ein sehr positives
Ergebnis des Energiegipfels, dass die Mittel für das CO2-
Gebäudesanierungsprogramm von 1,4 Milliarden auf
ungefähr 3 Milliarden Euro erhöht werden. Das ist doch
etwas. Deswegen bin ich schon der Meinung, dass dieser
Energiegipfel des Schweißes der Edlen wert war.

Ich komme zu den Reduktionszielen hinsichtlich der
Mobilität. Ein Ergebnis des Energiegipfels ist, dass an-
gestrebt werden soll, dass Fahrzeuge maximal
130 Gramm CO2 je Kilometer ausstoßen. Das ist eine
klare Definition, die für die deutsche Automobilwirt-
schaft eine große Herausforderung darstellt. Wir müs-
sen, ohne Kollateralschäden zu verursachen, darauf hin-
arbeiten, dafür zu sorgen, dass dies für Neuwagen im
Flottenverbrauch gilt.

Ich habe den Eindruck, dass wir mit dem Klimagipfel
eine klare Orientierung bekommen haben. Es liegt jetzt
am Parlament, es liegt an uns, die Energiepolitik ideolo-
giefrei, an den Fakten orientiert zu einem guten Ergebnis
zu führen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1610808400

Nun hat das Wort der Kollege Dr. Axel Berg für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Axel Berg (SPD):
Rede ID: ID1610808500

Einen fröhlichen guten Tag, Frau Präsidentin, liebe

Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, dass das Vorha-
ben der Kanzlerin auf dem Energiegipfel extrem ambi-
tioniert war. Sie hat versucht, die divergierenden Interes-
sen in der Energiepolitik zu einem langfristigen,
nationalen Energiepaket für den Zeitraum bis 2020 zu-
sammenzuschnüren. Das ist ein mutiges, ein wichtiges
Vorhaben, schon deswegen, weil wir im Angesicht des
Klimawandels handeln müssen; eigentlich hätten wir
schon vor 20 Jahren damit anfangen müssen. Trotzdem
war dieses Vorhaben von Anfang an fast unmöglich zu
erreichen, weil die Interessen einfach zu sehr divergie-
ren. Das war übrigens unter Rot-Grün nicht einfacher.
Dass das Ergebnis des Gipfels nicht nur Einigkeit und
Harmonie ausstrahlt, ist deshalb nicht verwunderlich.

Schön ist wiederum, dass es etliche hoffnungsvolle
Ansätze gibt. Lassen Sie mich deswegen kurz auf die öf-
fentliche Diskussion im Vorfeld eingehen. Dabei hat sich
ja eines gezeigt, was durchaus interessant ist: Die nu-
klear-fossile Energiewirtschaft wollte eigentlich gar
keine Einigung. Gebetsmühlenartig wurde wiederholt,
dass die Szenarien, die das Kanzleramt hatte durchrech-
nen lassen, nicht machbar seien. Daran zeigte sich ihre
wahre Absicht, die da lautet: Business as usual, bloß
keine Veränderungen. Die Bundesregierung hat dem wi-
derstanden und sich nicht in die Ecke drängen lassen. Sie
hat an den Klimaschutzzielen festgehalten und die Effi-
zienzvorgaben aufrechterhalten. Das ist ein Erfolg, der
nicht wegzureden ist.


(Beifall bei der SPD)


Es ist schon fast erpresserisch, dass die Atomkraft-
werksbetreiber ihre Gesprächsbereitschaft beim Gipfel
unterschwellig davon abhängig machen wollten, dass
der Atomausstieg revidiert wird. Genauso verhält es sich
mit den permanenten und damit inflationären Drohun-
gen, ins Ausland abzuwandern, nur um den notwendigen
Strukturwandel zu umgehen. Diese ewige „business as
usual“-Mentalität der großen Versorgungsunternehmen
gleicht einem Tanz auf dem Vulkan. Störfälle sind All-
tag, auch wenn es erfreulicherweise noch nicht bis zur
Kernschmelze kam. Den Müll überlässt man, wie üblich,
den nächsten Generationen. Das ist der Hauptgrund,
weshalb wir aus der atomaren Verschwendungswirt-
schaft herauswollen.


(Beifall bei der SPD – Zuruf von der FDP: Ich denke, Sie wollen das Problem jetzt endlich lösen!)


Dass die Umsetzung ambitionierter Ziele auch in gro-
ßen Versorgungsunternehmen machbar ist, beweisen
zum Beispiel „meine“ wunderbaren Stadtwerke in Mün-
chen; das ist ein riesiger Laden. Sie müssen den Strom
aus ihrer Beteiligung am Atomkraftwerk Isar II inner-
halb von – soweit ich weiß – 15 Jahren ersetzen. Da geht
es um 350 Megawatt; das ist eine große Menge Strom.
Diese Leistung werden die Münchener nicht durch
Kohle ersetzen. Sie sind dabei, sich alternative Lösungen
zu erarbeiten; das finde ich klasse.

Dabei kommt den Stadtwerken bei uns in München
die Strategie der Stadt entgegen, bis zum Jahr 2020
20 Prozent der Stromproduktion aus erneuerbaren Ener-
gien zu gewinnen. Das ist ein ambitionierter Weg für
eine Großstadt, der aber durchaus machbar ist. Stadt-
werke sollen bitte schön auch damit Geld verdienen,






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Axel Berg
ihren Kunden das Sparen schmackhaft zu machen, statt
immer nur darüber nachzudenken, wie man ihnen mehr
Kilowattstunden verkaufen kann.

Wir in München – entschuldigen Sie das Eigenlob –
versuchen gerade, eine lokale Stromstrategie für unsere
Stadt in einem Klimaschutzbündnis hinzubekommen, in
dem alle relevanten gesellschaftlichen Gruppen der Stadt
vertreten sind. Solch ein guter Ansatz, der in einer Kom-
mune funktioniert – jedenfalls hoffe ich, dass er funktio-
nieren wird; es sieht aber gut aus –, kann doch auch in
einem größeren Maßstab umgesetzt werden; die Systeme
sind doch vergleichbar. München versucht, eine Vorrei-
tergroßstadt zu sein, und wird hoffentlich ein gutes Bei-
spiel für andere Städte in Deutschland abgeben.

Aber wir haben noch ein Problem: Ständig blockiert
die CSU. Ich verstehe das nicht ganz. Wir haben eben
Herrn Obermeier gehört; das klang doch alles sehr ver-
nünftig. Warum blockieren dann noch so viele? In Mün-
chen macht die CSU Front gegen die Stadtwerke; sie sol-
len komplett weg. In den meisten unionsgeführten
Städten sind die Stadtwerke schon privatisiert. Damit
verliert eine Stadt doch komplett ihren Einfluss und be-
gibt sich freiwillig in die Hand der Kartelle, die hier im
Bundestag dann fröhlich beschimpft werden.

Im Bayerischen Landtag hat der Fraktionsvorsitzende
der CSU, Herrmann, in den vergangen Tagen – während
des Energiegipfels! – gesagt, dass es mit der CSU keine
Einigung ohne Kernenergie geben wird. Sie erpressen
vor lauter Ideologie sogar die eigene Kanzlerin, weil
diese sich wiederum an den Koalitionsvertrag hält. Das
ist schon eine irre Welt. Im Bund unterminiert die
Unionsfraktion auch immer wieder die Klimapolitik der
Kanzlerin; wir haben Herrn Dr. Pfeiffer vorhin gehört.

Statt das Problem jetzt endlich einmal anzupacken,
müssen wir permanent Diskussionen über Laufzeitver-
längerungen führen. Die FDP sekundiert dabei und for-
dert stur Laufzeitverlängerungen. Sie sprechen von
Missachtung des Parlaments, obwohl nur vier Leute von
der FDP dieser Ansicht sind. Ohne „Staatsknete“, liebe
Freunde von der FDP, gäbe es weltweit kein Atomkraft-
werk. Sie bekämpfen damit einen langsam entstehenden
Markt, als wären Sie von der Sowjetunion ferngesteuert.


(Widerspruch bei der FDP – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Jetzt wird es abenteuerlich!)


Sie fordern das Gegenteil von Liberalität. Das ist ein
krasser Etikettenschwindel. Kriegen Sie sich am besten
wieder ein und arbeiten Sie mit!


(Zuruf von der FDP: Ich glaube, wir brauchen dringend eine Sommerpause!)


Das fände ich prima. Niemand von uns behauptet, dass
es einfach wird. Aber ich habe größtes Vertrauen in das
Potenzial unseres Landes und unserer Bevölkerung, die
riesige Menschheitsherausforderung des Klimawandels
endlich in den Griff zu bekommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, aber
auch von der FDP: Lasst uns bitte endlich ambitioniert
Rahmenbedingungen setzen, die notwendig sind, um die
Klima- und Energiepolitik, wie es die Kanzlerin so
schön formuliert, endlich umzusetzen. Es ist höchste
Zeit, und wir sollten nicht noch mehr davon verlieren.

Abschließend muss ich auch sagen: Wenn es nicht mit
den großen Energieversorgern geht, dann müssen wir
uns überlegen, wie es ohne sie geht.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber schnell!)


Mir wäre es aber lieber, es ginge mit ihnen.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der SPD)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1610808600

Nächster Redner ist nun der Kollege Andreas

Lämmel für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Andreas G. Lämmel (CDU):
Rede ID: ID1610808700

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer Wanderer
ist, der weiß, wie schwierig es ist, den Gipfel eines ho-
hen Berges zu erklimmen. Wenn man oben ist, ist man
manchmal ganz außer Puste und muss erst einmal wieder
tief Luft holen.

Es gibt natürlich sehr verschiedene Wege, wie man ei-
nen Gipfel erreichen kann. Genau das hat sich auch bei
dem Energiegipfel vor zwei Tagen gezeigt. Eines kann
man, wie ich glaube, allerdings nicht tolerieren, nämlich
die Wortwahl vor dem Gipfel. Herr Kollege Gabriel, Sie
haben den Vorstandsvorsitzenden eines international
agierenden deutschen Unternehmens als „Wirtschaftssta-
linisten“ bezeichnet. Ich glaube, diese Wortwahl stammt
aus der tiefsten Schublade. Wenn Sie vielleicht gar nicht
wissen, was ein Stalinist ist, weil Sie noch keinem be-
gegnet sind, dann sollten Sie sich entschuldigen. Wenn
Sie aber wissen, was ein Stalinist ist, weil Sie vielleicht
doch schon einmal einen getroffen haben, dann sollten
Sie sich erst recht entschuldigen. Wenn es in diesem
Land nämlich einreißt, dass Leute, die eine andere Mei-
nung vertreten oder vorsichtig auf Probleme hinweisen,
als Stalinisten bezeichnet werden, dann sind wir tief ge-
sunken.


(Beifall bei der CDU/CSU – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vorsichtig hat er nicht auf Probleme hingewiesen, sondern mit dem Holzhammer!)


Zum Gipfel selbst. Ich finde es am wichtigsten, dass
auf diesem Gipfel das Gleichgewicht zwischen Versor-
gungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Umweltverträg-
lichkeit betont wurde. Wenn wir dieses Gleichgewicht
immer wieder vor Augen haben und darauf setzen, dann
wird es in unserem Lande auch zu einer vernünftigen
Energiepolitik kommen.

Bei der Wirtschaftlichkeit geht es schließlich um den
Standort Deutschland und um die heutige, aber auch um
die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit. Es nutzt unserem
Land eben nicht unbedingt etwas, wenn wir zwar bei den






(A) (C)



(B) (D)


Andreas G. Lämmel
regenerativen Energien oder bei der Energieeinsparung
absolute Weltspitze sind, aber die höchsten Preise zahlen
müssen. Bei der Wirtschaftlichkeit geht es darum, das
Interesse der Verbraucher – hier geht es vor allem um die
soziale Verträglichkeit der Energiepreise – und die In-
teressen der Wirtschaft im Blick zu behalten.

Wenn zwischen den Kosten der einzelnen Szenarien
– darauf wurde schon hingewiesen – eine Differenz von
5,3 Milliarden Euro pro Jahr besteht, dann lohnt es sich
doch, über die einzelnen Szenarien zu diskutieren; denn
das kann niemand aus der Portokasse zahlen. Ich habe
gehört und in Pressemeldungen gelesen, dass man zum
Beispiel im Bereich der Einspeisevergütungen schon
wieder große Umgruppierungen plant. Ich möchte noch
einmal deutlich machen: Für uns muss es bei dem Sub-
ventionsrahmen, der jetzt besteht, bleiben. Wenn, dann
kann man innerhalb dieses Rahmens umrangieren, wie
man will, es darf aber zu keinen weiteren Belastungen
der Energiepreise kommen.

Zwei Dinge, die mich bei dem Energiegipfel sehr er-
freut haben, möchte ich noch kurz ansprechen. Das erste
Thema ist die Exportinitiative Energieeffizienz. Wir
legen großen Wert darauf, unsere Technologien zu ex-
portieren, auch die Kraftwerkstechnologie. Wenn alle
Kraftwerke in Russland, China, Indien und sonst wo auf
der Welt mindestens den Standard deutscher Kraftwerke
hätten, dann wäre mehr für das Klima getan, als wenn
wir uns hier über ein Zehntel mehr oder weniger Ener-
gieeffizienz unterhalten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Gudrun Kopp [FDP]: Das stimmt! – Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Wir sind hier aber nicht im chinesischen Parlament, sondern im deutschen!)


– Es geht aber um die Exportinitiative Energieeffizienz.
Ich denke, ich hatte das deutlich gemacht.

Das zweite Thema ist die Energieforschung. Die Auf-
wendungen für die Energieforschung sind bis 2005
kontinuierlich zurückgegangen. 2005 hatten wir den ab-
soluten Tiefpunkt erreicht. Das Ergebnis ist, dass die
Forschung in verschiedenen Technologiebereichen nicht
in dem Maße vorangetrieben worden ist, wie es notwen-
dig gewesen wäre.

Ich glaube, wenn sich jetzt alle politisch Beteiligten
darauf einigen, die Energieforschung voranzutreiben,
dann werden wir nicht auf die Kohle verzichten müssen,
die 50 Prozent der Stromerzeugung im Grundlastbereich
erbringt. Deshalb sind neben allen Beschlüssen, die
heute diskutiert worden sind, gerade diese Punkte für
mich sehr wichtig. Jetzt gilt es, aus diesen Beschlüssen
das Programm zu schneidern, das die Kanzlerin im Sep-
tember vorlegen wird.

Der Energiegipfel ist, um das noch einmal deutlich zu
machen, kein politisches Entscheidungsgremium. Der
Deutsche Bundestag ist das politische Entscheidungsgre-
mium. Deswegen ist es der richtige Weg, dass die Kanz-
lerin nach der Sommerpause das Energieprogramm für
Deutschland vorlegen wird, über das wir dann im Bun-
destag diskutieren werden.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1610808800

Für die Bundesregierung erteile ich nun das Wort

Herrn Bundesminister Sigmar Gabriel.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sigmar Gabriel, Bundesminister für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit:

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn
ich verfolge, was die Opposition über den Energiegipfel
und die Energie- und Klimapolitik sagt, dann kann ich
gegenüber den Koalitionsfraktionen nur feststellen, dass
wir eigentlich alles richtig gemacht haben müssen. Stel-
len Sie sich vor, die Opposition hätte uns heute gelobt;
das wäre für uns schlimm gewesen.

Ich glaube, wir können beruhigt feststellen: Was wir
in diesem Bereich machen, gehört zu 100 Prozent auf die
Habenseite der Großen Koalition.


(Gudrun Kopp [FDP]: Was machen Sie denn?)


Herzlichen Dank an alle, die uns dabei unterstützt ha-
ben!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: So einfach ist es nicht!)


– Doch, Frau Höhn, es ist leider – Parlamentsdebatten
sollten ja eigentlich auch eine intellektuelle Herausfor-
derung sein – heute sehr einfach, mit Ihnen umzugehen.
Ich kann Ihnen berichten, wie zum Beispiel der BUND
und die Ökoenergiebranche den Energiegipfel bewerten:
Der Bund für Umwelt und Naturschutz und die Ökoener-
giebranche haben die Ergebnisse des Energiegipfels von
Bundesregierung und Wirtschaft begrüßt.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann lesen Sie auch mal DUH vor! Dann lesen Sie mal alle anderen vor, die Sie kritisiert haben!)


– Die, die Sie sonst hier gerne zitieren, sagen: Das habt
ihr gut gemacht; wir kommen voran. – Das ist doch ein
Ergebnis, über das Sie sich im Zweifel freuen sollten.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Sie machen es uns auch deshalb einfach, Frau Höhn,
weil Sie nicht mehr inhaltlich argumentieren, sondern
sich langsam zu einer professionellen Anscheinserwe-
ckerin entwickeln. Denn wenn Sie feststellen, wir wür-
den nichts tun, dann verschweigen Sie die 1,4 Milliarden
Euro für das CO2-Gebäudesanierungsprogramm. Das
ist das Vierfache gegenüber Ihrer Regierungszeit. Sie
verschweigen, dass wir die erneuerbare Wärme mit
80 Millionen Euro zusätzlich fördern, dass wir die Mittel
für Forschung und Entwicklung im Bereich erneuerbarer
Energien verdoppelt und das Zuteilungsgesetz verab-
schiedet haben.






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Sigmar Gabriel

(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber nur auf Druck der EU!)


– Darauf habe ich gewartet. Sie sagen, auf Druck der Eu-
ropäischen Union – einverstanden. Wir hatten vorge-
schlagen, den CO2-Ausstoß bei uns selber um 48 Millio-
nen Tonnen zu senken. Jetzt sind es 57 Millionen Tonnen
geworden. Wissen Sie noch, was Sie geleistet haben? Sie
haben nur 2 Millionen Tonnen pro Jahr hinbekommen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war Clement! Das wissen Sie auch!)


– Ich weiß, dass Sie das ärgert.

Wir haben eine Lernprobe hinter uns. Sie sollten aber
auch anerkennen, dass wir es im Gegensatz zu Ihnen ge-
schafft haben und dass es gut ist, dass es jetzt funktio-
niert.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So einfach ist für Sie die Welt!)


– Das ist doch die Wahrheit, Frau Kollegin Höhn. Ma-
chen Sie es uns doch nicht nur dadurch so einfach, dass
Sie versuchen, alles zu verschweigen, was Sie selber
nicht geschafft und was wir erreicht haben.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn mit dem Maßnahmepaket?)


– Sie wollten doch wissen, was wir schon getan haben,
Frau Höhn. Sie haben uns hier vorgehalten, dass wir nur
reden, ohne dass etwas passiert. Jetzt habe ich Ihnen vor-
getragen, was wir bereits alles getan haben. Das ist we-
sentlich mehr, als Sie in Ihrer Regierungszeit zustande
gebracht haben.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das EEG war viel besser!)


– Sie verweisen auf das EEG. Es macht heute richtig
Spaß, Frau Höhn. Sie haben im Strombereich das Ziel
verfolgt, den Anteil der erneuerbaren Energien auf
20 Prozent zu erhöhen.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch nicht!)


– Natürlich! Das haben Sie in die Koalitionsvereinba-
rung aufgenommen, und Sie können es auch in Ihren Re-
den nachlesen. Die Große Koalition hat das Ziel, den
Anteil der erneuerbaren Energien im Strombereich auf
27 Prozent zu erhöhen. Das sind 7 Prozent mehr, als Sie
sich zugetraut haben, Frau Höhn.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Lesen Sie das doch einmal richtig! Sie verkennen die Fakten!)


Wir haben beim Energiegipfel das Ziel der Bundesre-
gierung beibehalten, den CO2-Ausstoß gegenüber 1990
um 40 Prozent zu senken. Das haben Sie in Ihrer Regie-
rungszeit nicht ansatzweise für möglich gehalten.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber sicher! Wir schon, aber Sie nicht!)

Sie ärgern sich doch einzig und allein darüber, Frau
Höhn – deswegen rufen Sie ständig dazwischen –, dass
die Große Koalition bei diesem zentralen Thema Ihrer
Politik mehr zustande bringt, als Sie sich jemals zuge-
traut haben.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was haben Sie denn erreicht? Nichts!)


– Frau Höhn, seien Sie doch nicht so maulig. Wenn Sie
so in den Wald hineinrufen, dann gibt es auch eine Ant-
wort, jedenfalls wenn ich die Möglichkeit habe, zu re-
den.

Wir haben die Verdopplung der Energieeffizienz
vereinbart. Frau Höhn, wir haben 67 Maßnahmen dazu
auf dem Energiegipfel vorgeschlagen. Der Kollege
Schauerte hat absolut recht: Es wäre für uns einfacher
gewesen, wenn wir die Akten hätten aufmachen und auf
Vorschläge der Grünen hätten zurückgreifen können und
diese nur hätten einbringen müssen. Aber nichts war da.
Erst der Energiegipfel hat entsprechende Vorschläge er-
arbeitet. So viel zum Thema Energieeffizienz. Nicht nur
reden, sondern auch etwas Konkretes auf den Weg brin-
gen, Frau Kollegin Höhn! Das haben wir dort gemacht.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir werden den Kraftwerkspark modernisieren. Wir
haben eine ganze Reihe dessen, was wir vereinbart ha-
ben, auf dem Energiegipfel durchgesetzt. Vorhin hat
mich der Kollege, der für die CDU/CSU gesprochen hat,
kritisiert. Aber wenn jemand sagt: „Ich treffe mich nur
dann mit der Regierung, wenn sie das macht, was ich
von ihr will“, dann – so habe ich es gesagt – argumen-
tiert derjenige wie ein Wirtschaftsstalinist. Das meine
ich ganz ernst. Ich nehme übrigens Ihre Argumente
ebenfalls ernst. Sie haben einen bestimmten politischen
Erfahrungshintergrund und haben vorhin sinngemäß ar-
gumentiert: Junge, pass auf; rede nicht von Dingen, von
denen du nichts verstehst! – Das finde ich in Ordnung.
Aber nehmen Sie mich bitte beim Wort. Es kann nicht
sein, dass Industrievertreter sagen: Wir reden nur dann
mit der Regierung, wenn sie macht, was wir wollen. –
Das geht nicht.


(Beifall bei der SPD)


Übrigens habe ich mich mit Herrn Hambrecht getroffen.
Es gab keine Probleme. Wir hatten vier Boxhandschuhe
mitgebracht und hatten trotzdem keine blauen Augen.
Manchmal ist Politik keine Klosterschule; das ist wohl
so.

Ich zitiere Erhard Eppler aus dem Jahr 1972:

Weil über die Qualität des Lebens wie nie zuvor
politisch entschieden werden muss, wird dies eine
politische Epoche sein. Es wird gestritten werden
um politische und gesellschaftliche Strukturen. Was
hier getan werden muss, kann nur ein funktions-
tüchtiger, ein starker Staat leisten. Ein Staat, der
nicht mehr wäre als ein lächerlicher Spielball von
Sonderinteressen, würde das Gemeinwohlinteresse
nicht wahrnehmen können.






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Sigmar Gabriel
Genau darum ging es beim Energiegipfel: nicht Ein-
zelinteressen, sondern das Gemeinwohlinteresse an
Versorgungssicherheit, preiswerter Energie und Klima-
schutz in den Mittelpunkt der Debatte zu stellen. Der
Energiegipfel ist deshalb ein Erfolg, weil exakt das das
Ergebnis ist: Die Bundesregierung hat dafür gesorgt,
dass das Gemeinwohlinteresse im Mittelpunkt steht. Das
ist der Grund, warum der Energiegipfel ein Erfolg ist.
Wir haben uns nicht den Einzelinteressen, die vorher
massiv auf uns einprügelten, hingegeben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Mein Gott! Da klatscht ja noch nicht mal Ihr Koalitionspartner!)


Lassen Sie mich eine Bemerkung zur Kernenergie
machen. Ich glaube, dass das, was der Kollege Schauerte
gesagt hat, absolut richtig ist. Es wäre ein riesengroßer
Fehler, sich bei einem Teil der Energiepolitik, der um-
stritten ist, so zu verhalten wie das Kaninchen vor der
Schlange, indem wir beim anderen Teil der Energiepoli-
tik, in dem wir viel bewegen können, nichts tun, weil wir
uns in einer Frage nicht einig werden. Das umgekehrte
Verfahren ist richtig. Genau das wurde beim Energiegip-
fel gemacht. Wir haben uns um die Steigerung der Ener-
gieeffizienz, den Ausbau der erneuerbaren Energien und
den Emissionshandel gekümmert. In diesen Zusammen-
hang gehören auch die GWB-Novelle und die Regelun-
gen betreffend die Strompreise. Die offene Debatte über
die Kernenergie wird sicherlich weitergeführt. Erstaunt
hat aber alle, dass die Atomenergie ganze 4 Prozent zum
Klimaschutz beiträgt. Wenn wir bei der Energieeffizienz
von 3 auf 2 Prozent heruntergegangen wären, hätte uns
das 11 Prozent gekostet. An diesem Vergleich sieht man,
welche Bedeutung die Energieeffizienz hat und wie rela-
tiv gering der Anteil der Kernenergie ist.

Jeder kann natürlich an seiner Meinung festhalten.
Darüber wird sowieso noch öffentlich beraten.


(Gudrun Kopp [FDP]: 50 Prozent Grundlast!)


– Entschuldigung, Frau Kollegin Kopp, es ist Unfug
– wenn ich das so offen sagen darf –, zu behaupten, der
Beitrag der Kernenergie im Rahmen der Energiepolitik
zum Klimaschutz liege bei 50 Prozent. Sie haben doch
auf die Energieszenarien verwiesen und sozusagen mit
dem Streit begonnen. Dann müssen Sie aber auch sagen,
dass in allen drei Szenarien davon ausgegangen wird,
dass der Beitrag der Kernenergie zum Klimaschutz
ganze 4 Prozent beträgt, mehr nicht.


(Beifall bei der SPD – Gudrun Kopp [FDP]: Nein, das stimmt nicht!)


Es macht daher keinen Sinn, die Atomenergiedebatte in
den Mittelpunkt zu stellen.


(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Rund 5 Milliarden Euro pro Jahr!)


– Das sagen diejenigen, die in der aktuellen Debatte be-
haupten, die Kernenergie trage dazu bei, die Strompreise
stabil zu halten bzw. zu senken, die aber gleichzeitig die
Strompreise erhöhen, obwohl die Kernkraftwerke lau-
fen.
Wissen Sie, auch das gehört zur Wahrheit: Wir erle-
ben zurzeit eine Strompreiserhöhung, ohne dass wir alle
Klimaschutzziele umgesetzt hätten und ohne dass wir
aus der Kernenergie ausgestiegen wären. Das geschieht
nur aus einem einzigen Grund, nämlich weil wir zu we-
nig Wettbewerb auf dem Strommarkt haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das ist der einzige Grund. Auch da leistet die Große Ko-
alition wesentlich mehr, als vorangegangene Regierun-
gen in diesem Bereich geleistet haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Aus meiner Sicht gehört die Energie- und Klimapoli-
tik ungeachtet der Debatten, die wir sonst manchmal in
der Großen Koalition haben, eindeutig auf die Haben-
seite. Die Fortschritte, die wir machen, sind ein Riesen-
erfolg. Anders als die Opposition im Deutschen Bundes-
tag respektiert das der Rest der Welt, der über
Klimaschutz verhandelt, und sagt: Wir können nicht
mehr Mikado spielen. Die Europäer und die Deutschen
gehen voran. Jetzt müssen auch wir uns bewegen. –
Auch das ist ein Erfolg des Energiegipfels. Ich finde, wir
können alle miteinander zufrieden sein. Wenn Sie es
nicht sind, dann kann ich das verstehen, weil das Ihrer
Rolle geschuldet ist. Objektiv aber hat das mit der Reali-
tät nichts zu tun.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht mehr als heiße Luft!)


Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1610808900

Das Wort hat nun der Kollege Philipp Mißfelder für

die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Philipp Mißfelder (CDU):
Rede ID: ID1610809000

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen

und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich die Gelegen-
heit nutzen, unserer Bundeskanzlerin für die Ausrich-
tung des vergangenen Energiegipfels zu danken. Ich
glaube, der Bundesumweltminister hat richtigerweise
beschrieben, dass man alle drei Energiegipfel als vollen
Erfolg bezeichnen kann. Deshalb stehen diese absolut
auf der Habenseite der Großen Koalition.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Natürlich kann man in Einzelfällen unterschiedlicher
Meinung sein; aber ich glaube, wir haben in vielen Be-
reichen einen tragfähigen Kompromiss erreicht. Gerade
was die Energieeffizienz angeht, haben wir sehr viel auf
den Weg gebracht. Einige Fragen, über die auch wir in
der Großen Koalition uns nicht in jedem einzelnen Punkt
einig sind, bleiben offen, müssen aber aus meiner Sicht
weiter angegangen werden. Deshalb möchte ich den Mi-
nister zumindest darauf hinweisen, dass er, als er über
die Strompreise gesprochen hat, zwar absolut richtig in






(A) (C)



(B) (D)


Philipp Mißfelder
der Beschreibung der Tatsache lag, dass wir zu wenig
Wettbewerb haben – dagegen tut die Große Koalition
auch etwas; wir sind hier auf dem richtigen Weg, auch
wenn wir noch weit von unserem Ziel entfernt sind –,
man aber auch festhalten muss, dass der Strompreis
heute bereits zu 40 Prozent aus Steuern und Abgaben be-
steht. Wenn man sich überlegt, wie Klimaschutz in Zu-
kunft erreicht werden kann, dann muss man sicherlich
auch bei den erneuerbaren Energien in Zukunft wesent-
lich mehr wirtschaftliche Aspekte einbeziehen, und man
darf sich nicht auf Dauer auf Subventionen verlassen.

Das ist auch mein Hinweis an die Grünen. Ich glaube,
wenn man die Bilanz zieht,


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie mal, was in AKWs geflossen ist! 100 Milliarden!)


was Deutschland seit 1998 im Bereich der erneuerbaren
Energien erreicht hat, dann stellt man fest, dass wir mitt-
lerweile Subventionen, wenn man alles zusammenrech-
net, in Höhe von 270 Milliarden Euro ausgegeben ha-
ben. Das ist doch eine stolze Zahl. Insofern muss man
sich überlegen, ob alle Gelder, die in diesem Bereich
ausgegeben worden sind, zielgerichtet ausgegeben wur-
den oder ob nicht eine wirtschaftliche und teilweise effi-
zientere Steuerung notwendig wäre.

Die Klimaziele selbst sind nicht aufgrund der hohen
Subventionen erreicht worden, sondern vor allem auf-
grund der Tatsache, dass wir in Ostdeutschland einen
Zusammenbruch der Wirtschaft erlebt haben. Das heißt,
wir sind von unseren ehrgeizigen Zielen, die wir uns
beim Klimaschutz gesetzt haben, noch sehr weit ent-
fernt. Deshalb ist das, was auf den Weg gebracht worden
ist – Stichwort: Ausbau der erneuerbaren Energien –,
richtig. Aber vor allem im Bereich der Energieeffizienz
müssen wir deutlich erfolgreicher werden, als das bisher
der Fall war.

Ich möchte noch auf das eingehen, was die Linksfrak-
tion gesagt hat. Herr Hill, man hört immer wieder auch
von Ihnen, dass die Frage der Höhe der Strompreise
auch eine soziale Frage ist. Da haben Sie absolut recht.
Es ist wirklich eine Frage, wie Menschen an unserer Ge-
sellschaft teilhaben können, auch wenn sie nur einge-
schränkte finanzielle Möglichkeiten haben. Aber wenn
man diese Frage aufwirft, dann muss man sie auch rich-
tig beantworten. Es kann nicht das einzige Ziel von Um-
welt- und Energiepolitik sein, die Strompreise weiter an-
zuheben, indem man weitere Subventionen fordert. Man
muss vielmehr versuchen, eine Stabilität der Preise zu
erreichen, um dadurch der sozialen Frage gerecht zu
werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Vor diesem Hintergrund muss natürlich die Frage ge-
stellt werden: Wie will man die Klimaschutzziele und
diese wichtige soziale Frage damit in Übereinstimmung
bringen, indem man fordert, sich aus der Nutzung be-
stimmter Energieträger sukzessive zu verabschieden? Es
wird nicht gelingen, sich gleichzeitig aus der Nutzung
der Braunkohle und aus der Nutzung der Kernenergie zu
verabschieden. Wer dies versucht, wird feststellen, dass
dies eine Rechnung ist, die nicht aufgehen wird. Ich
glaube, dass wir mit dem Energiegipfel ein Stück weiter-
gekommen sind, was eine realistische Betrachtungs-
weise der Energiepolitik in unserem Land angeht. Die
Frage der Nutzung der Kernkraft wird sich aber auch auf
Dauer stellen. Wir sollten weiterhin versuchen, die bei-
den von mir genannten Ziele zu erreichen. Das wird nur
möglich sein, wenn wir an der Nutzung der Kernenergie
festhalten.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1610809100

Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege

Marco Bülow.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Marco Bülow (SPD):
Rede ID: ID1610809200

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Als Erstes möchte ich einmal feststellen: Ein Energie-
gipfel ist dazu da, Leitlinien zu erstellen. Die Entschei-
dungen werden dann aber natürlich hier im Parlament
und im Kabinett getroffen. Wenn die FDP das begriffen
hätte, dann wären wir einen Schritt weiter.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Die Leitlinien, die auf dem Energiegipfel beschlossen
worden sind, waren gut, und deswegen glaube ich, dass
er ein Erfolg war. Das gilt vor allen Dingen deshalb, weil
durch diesen Energiegipfel deutlich gemacht worden ist:
Wir wollen jetzt auch national das engagiert angehen,
was wir international zu Recht eingefordert haben, und
zwar durch den Umweltminister und die Bundeskanzle-
rin. Das verleiht auch unserem internationalen Engage-
ment einen höheren Stellenwert. Das ist der richtige
Weg; diesen Weg müssen wir beschreiten.

Ich bin der Kanzlerin und dem Umweltminister sehr
dankbar, dass sie diese Position so klargemacht haben.
Die SPD wird das natürlich unterstützen. Klar ist aber
auch, dass diese Unterstützung bitter nötig ist; denn lei-
der gibt es unionsgeführte Länder – bekanntlich gehört
die Kanzlerin der Union an –, die für Sperrfeuer sorgen.
Sie versuchen, die guten Ergebnisse – sie sind auch von
Ihnen gelobt worden – zu konterkarieren. Das hat zum
Beispiel mein Landesvater, Ministerpräsident Jürgen
Rüttgers, in den letzten Tagen zu tun versucht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Die Instrumente zur Erreichung der angestrebten
Ziele liegen auf dem Tisch. Wir haben über viele Berei-
che gesprochen. Wir haben über KWK gesprochen; dazu
wird es Vorschläge geben. Wir haben unsere Vorschläge
schon vor längerem auf den Tisch gelegt. Ich glaube, wir
werden da zu einer Einigung kommen. Wir werden das
Erneuerbare-Energien-Gesetz fortentwickeln. Wir wer-
den ein Wärmegesetz verabschieden. Außerdem wer-
den wir das erfolgreiche Gebäudesanierungsprogramm
fortführen. Darüber hinaus werden wir uns dafür einset-
zen, dass die Effizienz auch auf europäischer Ebene ins-






(A) (C)



(B) (D)


Marco Bülow
gesamt gesteigert wird, beispielsweise durch den Top-
Runner-Ansatz.

Wenn wir all die Vorschläge – es sind insgesamt 64; der
Minister hat darauf gerade noch einmal hingewiesen –
wirklich umsetzen, engagiert vortragen und auch auf die
europäische Ebene übertragen können, dann werden
diese Ziele nicht nur in Deutschland, sondern auch in
Europa und international erreicht werden können. Das
ist noch viel mehr wert, als sie nur in Deutschland zu
verfolgen. Deutschland muss deshalb auf diesem Gebiet
vorangehen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Herr Mißfelder, ich kann mir nicht verkneifen, auf
Folgendes hinzuweisen: Sie haben immer noch nicht be-
griffen, dass das Erneuerbare-Energien-Gesetz ein Um-
lagemodell ist. Es ist also etwas anderes als die Subven-
tionen, die gezahlt werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Schauen Sie sich einmal den Erfahrungsbericht zum
Erneuerbare-Energien-Gesetz an. Darin steht, dass die im
Jahre 2006 eingesparten Kosten bei 2 Milliarden Euro lie-
gen. Volkswirtschaftlich gerechnet, liegen die eingespar-
ten Kosten bei über 9 Milliarden Euro. Das ist die Rech-
nung, die wir aufmachen müssen. Manchmal ist es so,
dass der Nutzen von etwas weitaus größer ist als die ein-
gesparten Kosten. Übrigens sind die entstehenden Ener-
giekosten nicht unbedingt identisch mit den Preisen, die
die Verbraucher zu zahlen haben. Auch das sollten wir an
dieser Stelle vielleicht noch einmal festhalten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Damit bin ich beim nächsten Punkt. Ich halte es für
sinnvoll, dass wir gemeinsam das umsetzen, worüber
zwischen uns in der Großen Koalition Einigkeit besteht.
Wir sollten also über das diskutieren, was bis 2020 mit
der Atomkraft noch passieren soll. Angeblich werden
die dann zu erbringenden Leistungen Mehrkosten in
Höhe von 4 Milliarden Euro mit sich bringen. Doch
diese Rechnung ist zu einfach. Auch dabei muss man auf
ein paar Punkte achten:

Erstens. Die erneuerbaren Energien wirken schon
jetzt teilweise preisdämpfend. Dies ist vor allen Dingen
dann häufig der Fall, wenn Atomkraftwerke ausgeschal-
tet werden, wenn es im Sommer zu warm ist. Da haben
wir eine Preisdämpfung, die leider in diesen 4 Milliarden
Euro noch nicht eingerechnet worden ist.

Ferner wissen wir, dass Prognosesysteme bei erneuer-
baren Energien immer besser werden. Durch die soge-
nannten Kombinationskraftwerke werden wir es schaf-
fen, auch da grundlastfähig zu sein. Auch das sollte man
langsam einmal zur Kenntnis nehmen.

Der zweite wichtige Punkt ist Folgender: Wenn wir
volkswirtschaftliche Kosten berechnen, dann ist festzu-
stellen, dass die Atomkraft am wenigsten arbeitswirk-
sam ist. Das ist also der Bereich, wo die wenigsten Men-
schen pro erzeugter Kilowattstunde arbeiten. Auch das
ist ein Faktor, den wir bei der Diskussion einmal zur
Kenntnis nehmen sollten.

Dritter entscheidender Faktor ist: Klar ist doch, die
Investoren warten darauf, welche Signale wir setzen.
Wenn wir weiter die Signale setzen, dass wir vielleicht
doch die Atomkraft länger beibehalten, dann werden sie
ihre Gelder, ihre Investitionen nicht in erneuerbare Ener-
gien, nicht in Effizienttechnologien stecken. Das Geld
fehlt uns dann am Ende, wenn wir abrechnen, ob wir un-
sere Ziele erreicht haben oder nicht. Wir brauchen diese
Investitionen.

Ich stelle fest: Die Ziele sind vorgegeben. Ich bin sehr
dafür, dass wir gemeinsam in der Großen Koalition das
umsetzen, bei dem wir Anknüpfungspunkte haben, bei
dem wir uns einig sind, zum Beispiel im Bereich der Ef-
fizienz und der erneuerbaren Energien. Darauf sollten
wir uns konzentrieren. Dass es Themen gibt wie die
Atomkraft, den Mindestlohn – es gibt sicherlich noch
andere Themen –, die wir nicht lösen können, worüber
vielleicht die Bürgerinnen und Bürger entscheiden müs-
sen, soll so sein. Ansonsten wäre es vielleicht auch ein
bisschen langweilig. Ich kann nur auffordern, dass wir
alle Ministerien, nicht nur das Wirtschafts- und das Um-
weltministerium, und alle Ausschüsse bemühen, Klima-
schutzmaßnahmen auf den Weg zu bringen, so wie das
von der Regierung angegangen worden ist und wie der
Gipfel das gezeigt hat. Dann, glaube ich, werden wir un-
sere Ziele nicht nur ernst nehmen, sondern auch durch-
setzen können.

Danke schön.


(Beifall bei der SPD)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1610809300

Damit ist die Aktuelle Stunde beendet.

Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 5 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Jürgen
Koppelin, Ulrike Flach, Otto Fricke, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der FDP

Mangelnder Ehrgeiz bei der Konsolidierung
des Bundeshaushalts

– Drucksache 16/4606 –
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. Ich höre dazu kei-
nen Widerspruch. Dann werden wir so verfahren.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner dem Kollegen Otto Fricke das Wort.


(Beifall bei der FDP)



Otto Fricke (FDP):
Rede ID: ID1610809400

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-

legen! „Mangelnder Ehrgeiz bei der Konsolidierung des
Bundeshaushalts“, so lautet der Antrag aus dem April
diesen Jahres, also weit vor Steuerschätzungen und vor
dem nun vom Kabinett beschlossenen Haushalt. Warum






(A) (C)



(B) (D)


Otto Fricke
haben wir diesen Antrag eingebracht? Ich weiß, Sie wer-
den sagen: Die Ziele, die ihr dort hineingeschrieben
habt, sind nicht ehrgeizig genug. Wir haben den Antrag
eingebracht, um frühzeitig eine Warnung in Richtung
Koalition zu schicken, nicht – wenn die Gelder, die Ein-
nahmen, also das, was der Bürger, die Unternehmen be-
zahlen, steigen – mit dem Sparen, mit dem Konsolidie-
ren aufzuhören. Was Sie aber gemacht haben – das zeigt
der Entwurf –, ist genau das Gegenteil: Sie haben das
Sparen vergessen. Sie haben Ihren Ehrgeiz verloren, für
den Haushalt des Bundes etwas zu tun.


(Beifall bei der FDP)


Woran kann man eigentlich messen, ob eine Koalition
bei der Konsolidierung ehrgeizig ist? Sie werden sagen:
Mensch, ihr Miesepeter von der FDP.


(Zurufe von der SPD: Genau!)


Ihr müsst immer erst die anderen miesmachen. Wir ha-
ben doch die Neuverschuldung gesenkt. Ich kann Ihnen
und den Bürgern nur sagen: Glauben Sie keinem Politi-
ker, der Ihnen sagt, wir haben die Neuverschuldung ge-
senkt. Fragen Sie ihn erst einmal, wie viel mehr Geld er
euch vorher abgenommen hat, um dann zu sagen, wir ha-
ben die Schulden gesenkt.


(Beifall bei der FDP)


Sie haben entgegen Ihren Haushaltsplanungen – wir
haben im April noch nicht zu hoffen gewagt, dass die
Wirtschaft so gut anspringt; wir sind froh darüber, dass
sie es tut – circa 20 Milliarden Euro mehr an Steuern
eingenommen. Dann müsste gegenüber der Planung ja
auch die Neuverschuldung um ungefähr diese unerwar-
teten 20 Milliarden Euro heruntergehen. Das passiert
aber nicht. Sie senken die Neuverschuldung um
8 Milliarden Euro. Aber wo sind die 12 Milliarden
Euro? Diese geben Sie zusätzlich aus. Daran kann man
messen, ob Sie bei der Konsolidierung Ehrgeiz haben.

Dann kann man noch feststellen: Die Ausgaben erhö-
hen sich genau um diese 12 Milliarden Euro.


(Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD]: Das ist reiner Zufall!)


12 Milliarden Euro Mehrausgaben im Jahr 2008, das ist
Ihre Planung. 12 Milliarden Euro mehr, das ist fast eine
Steigerung um 5 Prozent. Sie behaupten zwar, in den
nächsten Jahren sinke das wieder auf 1,5 oder 1,4 Pro-
zent und sagen wie weiland Hans Eichel: In Zukunft
wird alles besser; wir machen es in kleinen Schritten.
Das Merkwürdige ist nur: Sie geben jedes Jahr mehr aus.

Ich werde Ihnen gleich noch nachweisen, dass Sie im
Jahr 2008 eigentlich sogar noch viel mehr ausgeben und
das mit kleinen Tricks ein bisschen umgehen.


(Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD]: Na, na!)


Woran kann man den Ehrgeiz noch messen, liebe
Kolleginnen und Kollegen der Koalition? Man kann ihn
daran messen, wie der Bund sich in Zukunft bei der Ver-
schuldung im Vergleich zu den Sozialkassen, im Ver-
gleich zu den Ländern und im Vergleich zu den Kommu-
nen verhält. Was stellen wir fest, seitdem wir die Große
Koalition haben? Was stellen wir auch für das Jahr 2008
fest? Die Sozialkassen haben kein Defizit mehr. Die
Länder werden, bereinigt, auch kein Defizit mehr haben.
Die Kommunen hatten schon im letzten Jahr kein Defizit
mehr – es gab Sondereffekte; das will ich nicht bestrei-
ten –, aber sie werden das auch in diesem Jahr erreichen.
Der Einzige, der in diesem Staat noch kräftig Schulden
macht, ist der Bund. Daran kann man genau sehen, wo-
rauf sich Ihr Ehrgeiz richtet. Ihr Ehrgeiz richtet sich da-
rauf, nicht ganz so schlecht zu sein. Aber faktisch sind
Sie immer noch das Schlusslicht. Das kann man dem
Steuerzahler nicht zumuten.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Daran, dass das Ausgabenwachstum über dem Wirt-
schaftswachstum liegt, kann man auch erkennen, dass
Sie meinen: Ein bisschen mehr Staat ist doch gar nicht
schlecht; wir schenken hier was und schenken da was.
Das Schlimme daran ist: Das ist die alte Überlegung,
mehr Geld ist bessere Politik. Ich kann dazu nur sagen:
Richtiges Geld ist bessere Politik, und das muss eben
nicht immer mehr Geld sein.


(Beifall bei der FDP)


Sie werden sagen: In Ihrem Antrag sind Sie doch
noch von soundso viel ausgegangen; das ist ehrgeizig,
und jenes ist ehrgeizig. Bei dem, was Sie jetzt an Steuer-
mehreinnahmen vom Bürger und von der Wirtschaft be-
kommen, sollte Ihre erste Überlegung doch sein: Wie
kann ich vermeiden, dass ich dem Bürger so viel weg-
nehme? Wie kann ich vermeiden, dass der Bürger so viel
mehr bezahlen muss? Ihre Überlegung ist aber eher: Wie
kann ich dem Bürger mehr Geld geben? Denn ich habe
es ihm ja faktisch schon genommen. Ihre Denke in der
Großen Koalition ist weiterhin davon geprägt, dass für
die Haushaltspolitik gilt: Wir brauchen das Geld; denn
ohne Geld können wir keine Geschenke machen, und
ohne Geschenke werden wir nicht gewählt.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Zum Stichwort Ehrgeiz ist noch eine Sache wichtig:
die Investitionen, ein immer sehr beliebtes Thema. Wir
müssen mehr investieren. Heute Morgen haben wir vom
Kollegen Stiegler von der SPD gehört, was zu den Inves-
titionen gesagt werde, sei alles ganz falsch; Investitionen
in Köpfe, Investitionen in Personal, Investitionen in
BAföG, das alles seien Investitionen. Das ist genau
falsch. Investitionen sind etwas, was man dann auch hat


(Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD]: Das gilt auch für kluge Köpfe!)


und im Notfall für andere Zwecke einsetzen kann.

Der Minister sagte im Haushaltsausschuss: Die Inves-
titionen steigen. Das hört sich gut an. Jeder denkt;
Mensch, das ist ja toll. Dann fragt man, wie viel wird
denn prozentual mehr ausgegeben, wo doch so viel Geld
zusätzlich vom Bürger eingenommen wird, und stellt
fest: Merkwürdig, genau das Gegenteil ist der Fall. Ihr
Ehrgeiz geht nicht dahin, die Investitionsquote hochzu-
fahren; selbst in guten Zeiten geht die Investitionsquote






(A) (C)



(B) (D)


Otto Fricke
bei Ihnen runter. Das lässt für die Zukunft Deutschlands
Schlimmes ahnen.

Im Einzelnen müsste man jetzt eigentlich auf den
GKV-Zuschuss eingehen. Da ist etwas verräterisch. Ich
empfehle jedem, sich die Kabinettsvorlage einmal genau
anzuschauen. In der Kabinettsvorlage gibt diese Regie-
rung bekannt,


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Der redet gar nicht zu seinem Antrag, Frau Präsidentin!)


dass sie schlicht nicht weiß, wie sie diesen Zuschuss in
Zukunft finanzieren will. Ich weiß, dass auch die Haus-
hälter der beiden großen Fraktionen hier im Bundestag
das genauso wenig wissen und sich deswegen über die
Vorlage geärgert haben. Faktisch bekommen Sie den
GKV-Zuschuss nicht finanziert. Ich bin schon sehr ge-
spannt, was Sie sonst noch an Tricksereien machen.

Die U-3-Betreuung, die Betreuung der unter Dreijäh-
rigen: ehrgeizig. Sie machen das, weil Ihr blonder Engel
gesagt hat: Das ist doch eine gute Sache. Das ist auch
eine gute Sache.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Kein Chauvinismus!)


– Zu einer Dame „blonder Engel“ zu sagen, lieber Kol-
lege Kampeter, halte ich für etwas Positives. Wenn Sie
das nicht so sehen, würde ich darüber noch einmal nach-
denken.

Diese Frau sagt: 4 Milliarden Euro mehr. Was macht
der Bundesfinanzminister? Er sagt: Das geben wir so
nicht, diese 4 Milliarden Euro geben wir noch in 2007
aus. Faktisch sind das Ausgaben, die Sie eigentlich in
2008 tätigen würden. Wenn diese 4 Milliarden Euro in
2008 noch dazukämen – dahin gehören sie –, dann
würde aber jeder erkennen, dass Sie in 2007 faktisch we-
niger Schulden machen als in 2008. Da gilt auf jeden
Fall: überhaupt kein Ehrgeiz.


(Beifall bei der FDP)


Ich will dann auch noch kurz auf das Thema Bun-
desagentur für Arbeit hinweisen.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wo steht denn das im Antrag?)


Ich habe heute von Herrn Göhner – Kollege Kampeter
wird mir zustimmen – eine sehr gute Rede zu diesem
Thema gehört. Ich kann nicht Gelder der Beitragszahler,
also von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, nehmen, um
eine gesamtstaatliche Aufgabe, nämlich die Betreuung
von Langzeitarbeitslosen, zu finanzieren. Es kann doch
nicht sein, dass Selbstständige, Beamte und Abgeordnete
sich nicht vollständig an dieser Finanzierung beteiligen,
sondern all das beispielsweise der Bahnmitarbeiter, die
Friseurin und andere aufbringen müssen, aber nicht die
genannten Gruppen.


(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Was ist mit dem Mehrwertsteuerpunkt?)


– Ja, der Mehrwertsteuerpunkt. Danke für den Hinweis,
Kollege Schneider.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Liberale Luftbuchungen machen Sie hier!)


Das bedeutet nichts anderes, als dass Sie jetzt zugeben,
dass als Erträge aus dem Mehrwertsteuerpunkt 6 Mil-
liarden in die BA hineingeschoben werden und diese
dann von der BA für Hartz IV ausgegeben werden.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Es sind fast 8 Milliarden!)


Das heißt, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Gro-
ßen Koalition: Der aus der Erhöhung der Mehrwert-
steuer kommende Punkt dient nicht der Absenkung der
Sozialbeiträge, sondern Ihr Mehrwertsteuerpunkt dient
inzwischen der Finanzierung von Hartz IV; zu nichts an-
derem dient er.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich komme zum Schluss.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das wird auch langsam Zeit!)


– Das wird Zeit, weil der Kollege Kampeter es kaum er-
warten kann, dranzukommen. – Der Minister hat leider
gesagt, Komasparen sei völlig falsch. Ich sage dem
Minister von hier aus – ich weiß, er hätte heute gerne ge-
redet –: Es geht nicht um Komasparen, es geht um
Rehasparen. Das sollten Sie machen, wenn Sie einen
ehrgeizigen Weg bei der Konsolidierung der Haushalte
einschlagen wollen.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1610809500

Nächster Redner ist nun der Kollege Steffen

Kampeter für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Steffen Kampeter (CDU):
Rede ID: ID1610809600

Charmante Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Wir debattieren heute über den An-
trag der Liberalen vom 7. März 2007. In diesem Antrag
werden zwei Dinge gefordert: erstens den Bundeshaus-
halt mit dem Ziel ausgeglichener Haushalte stärker zu
konsolidieren und zweitens den Bundeszuschuss an die
gesetzlichen Krankenkassen anständig zu finanzieren.
An sich, Herr Kollege Fricke, hätten Sie für die FDP
heute hier erklären müssen, dass durch den Regierungs-
entwurf vom vergangenen Mittwoch beide zentralen
Forderungen der FDP bereits erfüllt und umgesetzt wor-
den sind


(Beifall bei der CDU/CSU – Otto Fricke [FDP]: Ich hätte es so gerne getan!)


und von daher dieser Antrag gegenstandslos ist.

Ich bedanke mich aber auch dafür, dass Sie es nicht
getan haben; denn nach der Aktuellen Stunde, in der die
Erfolge der Bundesregierung in der Energiepolitik






(A) (C)



(B) (D)


Steffen Kampeter
dargelegt wurden, nutzen wir diese Möglichkeit gerne,
die bisherigen gemeinsamen Erfolge der unionsgeführ-
ten und von der SPD getragenen Großen Koalition in der
Haushaltspolitik darzulegen. Das ist ein willkommener
Anlass.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Lassen Sie mich daher festhalten, dass wir im Jahr
2006 im ersten Haushalt, der ein Übergangshaushalt war,
aufgrund von Erblasten und schwierigen Rahmenbedin-
gungen mit einer Schuldenaufnahme in Höhe von
27,9 Milliarden Euro und einer vorläufigen Haushalts-
führung gestartet sind.


(Otto Fricke [FDP]: Wer waren denn da die Erblasser? – Gegenruf des Abg. Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD]: Die Freien Demokraten! 16 Jahre!)


Im Jahre 2007 hat der Haushalt schon die politische
Akzentuierung der Großen Koalition aufgezeigt. Der
laufende Haushalt ist ein solider Wachstums- und Kon-
solidierungshaushalt. Schon im Entwurf war mit
19,6 Milliarden Euro die niedrigste Neuverschuldung
seit der Wiedervereinigung vorgesehen. Es ist heute, im
Juli, bereits erkennbar, dass wir eine Nettokreditauf-
nahme in dieser Höhe nicht benötigen werden, dass wir
also im laufenden Jahr besser abschneiden werden, als
wir es noch im November gehofft hatten.


(Otto Fricke [FDP]: Warum?)


Anders gesagt: Die Politik der Union und der SPD, also
der Großen Koalition insgesamt, ist so erfolgreich, dass
die Nettokreditaufnahme in diesem Jahr deutlich niedri-
ger liegen wird als veranschlagt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Otto Fricke [FDP]: Und warum?)


Der dritte Etat, den wir jetzt betrachten können, ist
der, der am vergangenen Mittwoch vorgestellt worden
ist, den wir sehr kritisch, aber zugleich konstruktiv be-
gleiten. Ich meine den Etat für das Jahr 2008. Er weist
nicht nur eine noch niedrigere Kreditaufnahme auf – es
sind im Entwurf weniger als 13 Milliarden Euro vorge-
sehen –, sondern in der mittelfristigen Finanzplanung
wird für das Jahr 2011 unter realistischen Rahmenbedin-
gungen sogar ein ausgeglichener Haushalt vorgesehen,
das heißt ein Haushalt ohne neue Schulden. Dies ist ein
historischer Einschnitt. Wir hatten das in diesem Jahrtau-
send noch nicht und wahrscheinlich das letzte Mal im
Jahre 1969.

Sie sehen, auf der Habenseite der Großen Koalition
steht nicht nur die Klimaschutzpolitik. Auf der Haben-
seite der Großen Koalition stehen auch eine erfolgreiche
Strategie zur Konsolidierung der Haushalte und zur Ver-
ringerung neuer Schulden sowie die Perspektive zum
Schuldenabbau mit Beginn des nächsten Jahrzehnts.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Otto Fricke [FDP]: Hast du in der Zeitung nicht etwas anderes gesagt?)

Nach 40 Jahren Nettokreditaufnahmepolitik unter den
unterschiedlichsten Mehrheitsbedingungen und politi-
schen Verhältnissen soll nun eine Wende eingeleitet wer-
den. Dies werden wir durch kluge politische Entschei-
dungen absichern.

Beim Einbringen des Antrags der FDP im Frühjahr
dieses Jahres, die die Haushaltspolitik unter einem kriti-
schen Diktum analysiert, konnte man nicht wissen, dass
wir entgegen den bisherigen Planungen, in den nächsten
Jahren etwa 80 Milliarden Euro Schulden aufzunehmen,
bis 2011 eine Schuldenaufnahme von insgesamt nur
rund 29 Milliarden Euro haben werden – also ungefähr
das, was wir allein im Jahre 2006 am Kapitalmarkt netto
neu aufgenommen haben. Das sind 50 Milliarden Euro
weniger als bisher geplant. Das sind allerdings noch
29 Milliarden Euro Schulden zu viel.


(Zuruf von der FDP: Sehr gut!)

Wir müssen darauf hinwirken, dass wir diesen Schul-

denrahmen durch politische Entscheidungen sowie
durch eine kluge Wachstums- und Arbeitsmarktpolitik
wie auch bisher nicht ausnutzen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das bedeutet eine erhebliche Verbesserung der entspre-
chenden Rahmenbedingungen.

Ferner ist in diesem Zusammenhang zu erwähnen,
dass diese Konsolidierungsstrategie mit dem Setzen von
politischen Schwerpunkten einhergeht, die deutlich
machen, dass Sparen und Konsolidieren auf der einen
Seite und Zukunftsgestaltung sowie Investitionen in die-
selbe auf der anderen Seite keinen Widerspruch darstel-
len. Ich weise darauf hin, dass beispielsweise mit diesem
Haushalt und dieser mittelfristigen Finanzplanung zen-
trale Investitionen im Bereich der Entwicklungshilfe
vorgenommen werden.


(Zuruf von der FDP: Für China!)

Wir stehen zu den internationalen Verpflichtungen, die
die Bundesregierung für die Bundesrepublik Deutsch-
land eingegangen ist. Wir investieren an dieser Stelle er-
heblich.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1610809700

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?


Steffen Kampeter (CDU):
Rede ID: ID1610809800

Selbstverständlich. Wenn der Kollege Koppelin sich

noch etwas geduldet und mich noch einige Erfolge auf-
zählen lässt, darf er anschließend gerne seine Zwischen-
frage stellen.

Wir investieren in den Abbau des Staus auf deutschen
Straßen. Wir erweitern die Möglichkeiten für Investitio-
nen in diesem Bereich um über 2 Milliarden Euro.

Angesichts der steigenden internationalen Verpflich-
tungen unserer Bundeswehr ist es gut und richtig, dass
wir unsere Investitionen in die Sicherheit der Soldatin-
nen und Soldaten im In- und Ausland noch einmal deut-
lich ausweiten und 2 Milliarden Euro ebenso dort wie
auch in Bereiche der inneren Sicherheit investieren.


(Beifall bei der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


Steffen Kampeter
Das zeigt, dass sich unsere Konsolidierungsstrategie
und kluge Investitionen nicht ausschließen.

Der Kollege Koppelin kann dies jetzt gerne positiv
kommentieren.


Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1610809900

Ich habe nur eine Sachfrage, Herr Kollege Kampeter,

nachdem Sie von den politischen Schwerpunkten ge-
sprochen haben, die diese Koalition immer aufzeigt.
Kann ich die Äußerungen des Finanzministers so verste-
hen, dass diese politischen Schwerpunkte durch die
Frettchen vertreten werden, die an seinem Kleidersaum
zerren?


Steffen Kampeter (CDU):
Rede ID: ID1610810000

Herr Kollege Koppelin, gestern haben wir im Haus-

haltsauschuss eine biologische Diskussion über das Hal-
ten von Frettchen geführt. Dabei ist deutlich geworden,
dass das Beißen von Frettchen an Hosenbeinen oder
Körperteilen eines Menschen ein Angebot zum Spielen
ist. Wir haben festgestellt, dass weder Regierung noch
Opposition mit dem Finanzminister zu spielen geden-
ken. In diesem Sinne haben wir dann im Haushaltsaus-
schuss insgesamt festgestellt, dass im Parlament offen-
kundig niemand mit diesem Frettchenvergleich gemeint
sein kann.

Für nähere Erläuterungen zur Biologie und zum Ein-
fluss von Frettchen auf die Haushaltspolitik und die Stra-
tegie der Bundesregierung im Hinblick auf die Konsoli-
dierung im nächsten Jahrzehnt bitte ich Sie, eine
entsprechende Frage bei Gelegenheit direkt an den Bun-
desfinanzminister zu richten. Er wird dann sicherlich für
Aufklärung sorgen und genauso überzeugend, wie er
seine mittelfristige Finanzplanung im Haushaltsaus-
schuss vorgestellt hat, wahrscheinlich auch seinen biolo-
gisch-finanzpolitischen Exkurs erläutern können.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der FDP: Herr Diller kann etwas dazu sagen!)


– Es ist sicherlich möglich, dass der Kollege Diller hier
im Rahmen einer Kurzintervention noch etwas zur Er-
läuterung der Frettchenfrage beiträgt. Die Frage der Fi-
nanzpolitik ist ja auch mit alkoholischen Dimensionen
hinreichend beschrieben worden. Das ist aber nicht
Thema dieser Debatte.

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch auf
einen anderen Aspekt hinweisen. Ich habe in einer Zei-
tung von einer Schuldenuhr gelesen, die in Richtung null
läuft. Wir von der Union vertreten die Auffassung, dass
es gut und richtig ist, die sinkende Nettokreditaufnah-
men optisch deutlich zu machen. Nach meiner Auffas-
sung hat das Bild der Uhr allerdings eine Macke. Wenn
sie auf null ist, läuft sie nämlich nicht weiter. Wir wollen
aber – das ist der gemeinsam getragene Wille der Gro-
ßen Koalition – nach Erreichen des Ziels ausgeglichener
Haushalte in der nächsten Legislaturperiode perspekti-
visch Überschüsse zum Abbau der enorm hohen Ver-
schuldung in der Bundesrepublik Deutschland als Inves-
tition in die Zukunft nachfolgender Generationen
einsetzen. Wir dürfen nämlich den zukünftigen Genera-
tionen nicht so hohe Schulden und nicht eine so hohe
Zinslast hinterlassen, dass sie keinen Handlungsspiel-
raum mehr haben. Das wäre eine Verletzung der Genera-
tionengerechtigkeit.


(Otto Fricke [FDP]: Sehr wahr!)


Das nächste Ziel nach Erreichen eines ausgeglichenen
Haushaltes ist im Geiste des europäischen Stabilitäts-
und Wachstumspaktes das Produzieren von Überschüs-
sen. Allen, die da sagen, das gehe nicht, entgegne ich:
Selbst das Land Berlin, das sich noch vor kurzem im Zu-
sammenhang mit einer Entscheidung des Bundesverfas-
sungsgerichts als arm, aber sexy präsentiert hat,


(Ute Kumpf [SPD]: Es ist immer noch sexy!)


hat in diesen Tagen Überschüsse in seinem Landeshaus-
halt angekündigt. Der Bund sollte trotz einer ungleich
schwierigeren Ausgangslage und gesetzlich gebundener
Ausgabenpositionen den Berlinern hinsichtlich des Ehr-
geizes nicht nachstehen. Wir müssen perspektivisch
nicht nur an einen Abbau der Neuverschuldung, sondern
auch an einen Abbau des Schuldenstandes in den nächs-
ten Jahren denken. Die Große Koalition ist angesichts
ihrer Größe befähigt, diese Aufgabe gut zu meistern.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Der Antrag, über den wir heute debattieren, hat den
Titel „Mangelnder Ehrgeiz bei der Konsolidierung des
Bundeshaushaltes“. Es handelt sich um einen veralteten
FDP-Antrag. Denn mangelnden Ehrgeiz kann man uns
offensichtlich, wie hinreichend belegt, nicht mehr vor-
werfen.

Gleichwohl will ich auf einen Punkt im Haushaltsent-
wurf hinweisen. Mit der Langzeitarbeitslosigkeit gibt
es einen besonderen Risikobereich. Im Bereich der
Kurzzeitarbeitslosigkeit gibt es zwar eine erfreuliche
Entwicklung. Aber es muss noch eine ganze Menge ge-
tan werden, um die verabredeten Einsparungen beim
Arbeitslosengeld II zu realisieren. Wir werden in diesem
Jahr beim ALG II voraussichtlich etwa 23,5 Milliarden
Euro ausgeben. Im neuen Regierungsentwurf haben Herr
Müntefering und Herr Steinbrück dem Parlament den
Vorschlag gemacht, nur noch 21 Milliarden Euro für die-
sen Bereich auszugeben. Ich verstehe dies als einen Ar-
beitsauftrag des Kabinetts an die Arbeitsmarktpolitik,
durch entsprechende Maßnahmen diese Lücke von
2,5 Milliarden Euro gegenüber dem Istzustand entspre-
chend zu schließen.

Die Erfahrungen des letzten Jahres haben gezeigt,
dass auch die sehr gute Konjunktur und die bisherigen
Gesetzesänderungen im SGB II nicht zu den erhofften
Einsparungen geführt haben. Auch die seit diesem Jahr
in Kraft getretene Halbierung der Rentenversicherungs-
beiträge für Arbeitslose hat nicht ausreichend dazu bei-
getragen, den Ansätzen des Finanzplanes näher zu kom-
men. Dies bedeutet, dass wir in der Zukunft weitere
politische Schritte zur Umsetzung dessen, was Herr
Müntefering und Herr Steinbrück dem Parlament vor-
schlagen, unternehmen müssen. Der Arbeitsminister, das
gesamte Kabinett und das Parlament tragen hierfür die






(A) (C)



(B) (D)


Steffen Kampeter
Verantwortung. Ich rechne damit, dass wir uns noch im
Herbst mit diesen Dingen beschäftigen werden.

Abschließend will ich noch einen Sachverhalt auf-
greifen, den der Kollege Fricke angesprochen hat. Es
geht um die Finanzierung der Betreuung von unter
Dreijährigen. Es ist zwar klar, dass es sich nicht um
eine originäre Bundeskompetenz handelt, die zur Folge
hat, dass der Bund in diesem Bereich tätig wird. Aber
diese Aufgabe ist so groß, dass ich es in der schwierigen
finanzpolitischen Situation für ein gutes Angebot des
Bundesfinanzministers und der Bundesfamilienministe-
rin halte, den Einstieg in ein flächendeckendes, bedarfs-
gerechtes Kinderbetreuungsangebot in einer Größenord-
nung von bis zu 4 Milliarden Euro zu unterstützen.


(Otto Fricke [FDP]: Dauerhaft! Nicht Einstieg!)


Dass wir ab dem Jahr 2013 zu einer Lösung kommen
müssen, die die dauerhafte Finanzierung dieses Einstie-
ges garantiert,


(Otto Fricke [FDP]: Aha!)


ist eine Selbstverständlichkeit. Das sichert dauerhaft die
Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Schließlich müssen wir auch über die Ausgestaltung
eines sogenannten Betreuungsgeldes ab dem Jahr 2013
nachdenken und entsprechende finanzielle Rahmenbe-
dingungen setzen, um den Familien, die sich gegen eine
Betreuungseinrichtung entscheiden und ihre Kinder zu
Hause erziehen wollen, ein klares Signal zu geben. Das
ist ein differenziertes Angebot, das die Lebenssituation
junger Familien berücksichtigt. Ich finde die Art und
Weise unangemessen, wie der Kollege Fricke dieses An-
gebot und die Diskussion darüber zwischen Bund und
Ländern schlechtgeredet hat.


(Otto Fricke [FDP]: Moment! Das ist eine Ausgabe!)


Auch dies gehört eindeutig zur Habenseite der Großen
Koalition. Die Opposition kann das durch Mäkelei nicht
kleinreden.

Die drei Themen – Haushaltspolitik, Klimaschutz-
politik und Familienpolitik – stehen auf der Habenseite
der Großen Koalition. Das ist erwähnenswert und ein
gutes Signal für Deutschland.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1610810100

Nächste Rednerin ist nun die Kollegin Dr. Gesine

Lötzsch für die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1610810200

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Bevor ich auf den FDP-Antrag zu sprechen
komme, kurz ein Wort zu meinem Vorredner. Herr
Kampeter, dass aus Ihrem Munde einmal ein Lob für das
Land Berlin zu hören ist,

(Heiterkeit bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Otto Fricke [FDP]: Das war kein Lob!)


hat mich fast gerührt. Ich hoffe nicht, dass das als Todes-
kuss gemeint war. Sollte es so gemeint gewesen sein:
Das wird nicht funktionieren.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Frau Kollegin Lötzsch, Sie haben heute meinen Humor nicht ganz mitbekommen!)


Der Antrag der FDP ist FDP pur. Schuldenabbau,
koste es, was es wolle, auch wenn die soziale Infrastruk-
tur den Bach runtergeht – das ist das Motto der FDP. Die
FDP entwickelt wenig Ehrgeiz, die Arbeitslosigkeit ab-
zubauen, die Armut zu bekämpfen oder die Wissenschaft
in unserem Land zu stärken. Das ist rückwärtsgewandt,
unsozial und ökonomisch unsinnig.


(Beifall bei der LINKEN – Otto Fricke [FDP]: So viel zum FDP-Antrag!)


Im vorliegenden Antrag wird der Bundesregierung
mangelnder Ehrgeiz bei der Konsolidierung des Bundes-
haushaltes vorgeworfen. Wir von den Linken werfen der
Bundesregierung vor, dass sie zu wenig Ehrgeiz ent-
wickelt, um die soziale Spaltung in unserer Gesellschaft
zu überwinden.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Bundesregierung verschärft mit ihrer Haushaltspoli-
tik sogar die gespaltene Konjunktur und treibt die Ge-
sellschaft weiter auseinander. Die Konjunktur läuft nur
für DAX-Konzerne und deren Vorstände rund; aber sie
kommt nicht bei den Telekom-Mitarbeitern und Bahnbe-
schäftigten, den Familien, Alleinerziehenden, Rentnern,
Auszubildenden und Arbeitslosengeldempfängern an.
Das ist ungerecht. Dagegen setzen wir uns zur Wehr.


(Beifall bei der LINKEN)


Stellen Sie sich vor: Das Arbeitslosengeld II ist jetzt
erhöht worden, und zwar um ganze 2 Euro pro Monat.
Auf einen Tag umgerechnet sind das etwas weniger als
7 Cent. Insgesamt kostet diese Erhöhung des Arbeits-
losengeldes II – um die Zahlen einmal ins Verhältnis zu
setzen – rund 150 Millionen Euro. Das hört sich zwar
viel an, ist aber noch immer weniger als die Kosten für
den geplanten Prestigebau des Bundesinnenministers.
Dieser soll laut Planung 175 Millionen Euro kosten und
wird mit Sicherheit – das wissen wir aus Erfahrung –
teurer. Das ist eine Schieflage.


(Beifall bei der LINKEN)


Selbst diese hohe Summe ist immer noch weniger als
das, was die Bundesregierung für Auslandseinsätze der
Bundeswehr ausgibt. Diese kosten uns mehr als
1 Milliarde Euro pro Jahr und sind schlecht angelegtes
Geld.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Bundesregierung setzt ihre Prioritäten ganz ein-
deutig, wenn es um die Geldverteilung geht: Erst kom-






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Gesine Lötzsch
men die Lobbyisten, dann der brave Steuerbürger. Die
Steuermehreinnahmen sind kein Ergebnis kluger Politik,
sondern erstens Ergebnis der anziehenden Konjunktur
und zweitens Ergebnis des dreisten Griffs der Bundes-
regierung in die Taschen der Bürgerinnen und Bürger.
Die Bundesregierung hat doch alles unternommen, um
das Anziehen der Konjunktur zu verhindern. Die Mehr-
wertsteuererhöhung – diese will ich hier herausstel-
len – ist nicht nur unsozial, weil sie insbesondere dieje-
nigen Menschen trifft, die durch die gespaltene Kon-
junktur sowieso benachteiligt sind, sondern bremst auch
die Konjunktur, wie wir an der zurückhaltenden Binnen-
nachfrage erkennen können. Mein Kollege Dr. Gysi hat
das in der Debatte heute Morgen anhand von Zahlen
schon belegt.


(Vorsitz: Vizepräsidentin Petra Pau)


Denjenigen, die von der Konjunktur reichlich profi-
tieren, hat der Finanzminister mit der Unternehmen-
steuerreform das Geld hinterhergeschmissen. Dass die
Konjunktur so gut läuft, obwohl die Bundesregierung al-
les getan hat, um sie hinauszuzögern und zu drosseln,
grenzt schon an ein kleines Wunder.


(Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD]: Wunder gibt es immer wieder!)


Jetzt zeigt sich auch, wie unsinnig die verbissene
Haushaltskonsolidierungspolitik der Bundesregierung in
Zeiten der wirtschaftlichen Krise war. Der Sparkurs der
Bundesregierung hat die Krise und das soziale Ungleich-
gewicht weiter verschärft. Richtig ist der Ansatz, den wir
von der Linken vertreten: In Zeiten der wirtschaftlichen
Krise darf sich der Staat eben nicht zurückziehen, son-
dern muss in die soziale, ökologische, wirtschaftliche
und wissenschaftliche Infrastruktur investieren.


(Beifall bei der LINKEN)


Da in den letzten Jahren der Fehler gemacht wurde,
zu wenig in diese Infrastruktur zu investieren, hat sich in
unserem Land ein Investitionsstau aufgebaut, der nun
aufgelöst werden muss. Ich denke nur an die fehlenden
Kindergärten in den westlichen Bundesländern. Es ist
ja wirklich ein Trauerspiel, dass fast 60 Jahre nötig wa-
ren, um zu erkennen, dass es in diesem Land einen Man-
gel an Kindergärten gibt und dass das ein Problem ist.
Augenscheinlich haben das alle Fraktionen bis auf die
FDP, die heute diesen Antrag zum Thema Konsolidie-
rung zur Debatte stellt, verstanden.

Ich will auf einen Trugschluss aufmerksam machen.
Einige Kollegen hier im Haus meinen, dass sich der
Staat jetzt bei den Investitionen zurückhalten könne, da
jetzt die Wirtschaft investiere. Angesichts unserer Erfah-
rungen ist das aber ein riesiger Denkfehler. Die Wirt-
schaft investiert eben nicht freiwillig in die soziale Infra-
struktur; aber wir brauchen gerade diese Investitionen,
wenn wir der Enkelgeneration eine Chance geben wol-
len. Es ist doch blanker Populismus, wenn von den neo-
liberalen Parteien immer wieder beklagt wird, dass wir
unseren Enkeln nur Schulden überlassen.

(Otto Fricke [FDP]: Wer ist denn Neoliberalist? – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Besser Neoliberalist als Neosozialist!)


Was haben denn unsere Enkel davon, verehrte Kollegen
Fricke und Kampeter – nach heftigen Auseinanderset-
zungen wieder verbündet –, wenn sie zwar keine Schul-
den, aber gleichzeitig keine Kindergärten, keine Regio-
nalzüge und schlecht ausgestattete Universitäten haben?
Ist das ein gutes Erbe?


(Beifall bei der LINKEN – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Aber wir haben doch Kindergärten! Wir haben gute Universitäten! Wir haben einen Hochschulpakt!)


Die Bundesregierung muss mehr Ehrgeiz entwickeln,
um die Zukunft unserer Kinder und Enkel langfristig zu
sichern.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich will kurz andeuten, was wir in den Mittelpunkt
der Haushaltsberatungen stellen, welche Anträge wir
stellen werden.


(Otto Fricke [FDP]: Sparen! Sparen! Sparen!)


Wir fordern, den öffentlichen Beschäftigungssektor zu
fördern – darauf ist Herr Dr. Gysi heute Morgen schon
eingegangen –, das Arbeitslosengeld II auf mindestens
420 Euro im Monat zu erhöhen, die Investitionen für die
soziale und ökologische Infrastruktur zu erhöhen, die
Extragewinne der Energiekonzerne zu besteuern, alter-
native Energien stärker zu fördern und auf Mehrausga-
ben für Auslandseinsätze der Bundeswehr zu verzichten.


(Beifall bei der LINKEN)


Haushaltskonsolidierung ist kein Selbstzweck. Der
Staat muss in der Lage sein, seine Aufgaben zu erfüllen.
Immer noch gilt der Satz: Nur Reiche können sich einen
armen Staat leisten.


(Otto Fricke [FDP]: Nein, genau umgekehrt!)


Die Linke ist keine Lobbyorganisation für Reiche. Wir
treten vielmehr für Gerechtigkeit und Solidarität ein. Wir
haben gemerkt, dass viele Menschen in diesem Land das
sehr gut finden.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1610810300

Das Wort hat der Kollege Carsten Schneider für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)



Carsten Schneider (SPD):
Rede ID: ID1610810400

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich be-

danke mich ganz herzlich bei der FDP dafür, dass sie
diesen Antrag im Frühjahr gestellt hat. Er ist, wie Kol-
lege Kampeter schon ausgeführt hat, die Bestätigung des
Kabinettsentwurfs für den Haushalt 2008 mit einer
Finanzplanung bis 2011 und bietet die Möglichkeit,






(A) (C)



(B) (D)


Carsten Schneider (Erfurt)

heute im Parlament noch einmal darüber zu debattieren
und zu sagen: Dieser Antrag ist wirklich sinnlos und ist
nicht zu begründen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


All das, was Sie fordern, basiert nicht auf der Realität.
Die wirtschaftliche Lage ist sehr gut. Frau Kollegin
Lötzsch, Sie telefonieren zwar gerade, ich möchte Ihnen
aber trotzdem sagen, dass ich Ihre Argumentation ein
wenig krude fand. Wenn Sie sagen, dass die Entwick-
lung sehr gut ist und alle ein Verdienst daran haben, nur
die Politik nicht, dann ist das stark um die Ecke gedacht.
Ich bin zwar der Auffassung, dass man sich nicht zu sehr
beweihräuchern sollte, aber dennoch resultiert doch ein
Gutteil der wirtschaftlichen Dynamik, die wir verzeich-
nen können, die auch mittelfristig vorhanden sein wird,
wenn man den Konjunkturforschern glauben kann, aus
der Politik. Machen Sie uns nicht kleiner, als wir sind.
Wir haben Möglichkeiten, und wir haben diese Möglich-
keiten genutzt, um zu gestalten.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Die Ursachen sind vielschichtig: der Reformkurs der
vergangenen Jahre – vor allem die Agenda 2010 – und
die Verstetigung dieser Politik; Impulse, die die Große
Koalition 2005 mit ihrem Programm gegeben hat; die
starke Nachfrage – das ist eigentlich Keynes pur –; eine
starke Fokussierung auf wirtschaftlich dynamische Be-
reiche, zum Beispiel Forschung und Entwicklung – wir
haben hier intensiv über die Hightechstrategie und die
Investitionen in erneuerbare Energien diskutiert. All das
hat dazu geführt, dass die Wachstumsrate bei über
2,9 Prozent liegt. Darauf kann man doch stolz sein.

Sie haben einen Punkt, der für mich zentral ist, in-
frage gestellt. Ich weiß nicht, ob es wirklich die Position
der PDS ist, dass Schulden gut sind.


(Otto Fricke [FDP]: Stimmt! Wurde gesagt! – Widerspruch bei der LINKEN)


– Sie haben eben gesagt, dass Schulden gut sind. Sie
müssten das vielleicht noch einmal erklären; aber im
Kern habe ich das so herausgehört.

Ich kann Ihnen nur sagen: 2011 wollen wir einen aus-
geglichenen Bundeshaushalt haben. Wir wollen mit
den Einnahmen, die wir haben, die Ausgaben finanzie-
ren und damit auskommen. Das betrifft nicht die Diskus-
sion, dass die FDP ganz wenig Staat will und die Linke
ganz viel. Das ist vielmehr eine Frage der Qualität. Das
muss passen.


(Otto Fricke [FDP]: Wenig Staat! Hohe Qualität!)


Im Konjunkturzyklus muss es einen Ausgleich geben.

Seit 1969 – Herr Kampeter hat darauf hingewiesen –
sind wir in der Situation, dass es immer wieder Verschul-
dungen gibt. Heute haben wir 3 Milliarden Euro Mehr-
ausgaben für Zinsen aufgrund der Steigerung der Zinsen
durch die EZB.


(Otto Fricke [FDP]: Das habt ihr vorher gewusst!)

2008 sind es 3 Milliarden Euro mehr als 2007. Wir ha-
ben 43 Milliarden Euro Zinsausgaben. Das heißt, wenn
wir 2011 einen ausgeglichenen Haushalt erreichen, zah-
len wir das immer noch ab.


(Otto Fricke [FDP]: Mehr!)


Ich teile die Einschätzung, dass wir dann einen Über-
schuss brauchen, um diese Zahlungen zu reduzieren und
mehr Spielräume zu gewinnen. Man muss dann aber
auch dafür sorgen, dass es Einnahmen gibt.

Sie haben die Gerechtigkeitsfrage aufgeworfen, wer
von der Konjunktur profitiert. Wenn ich mir die Ab-
schlüsse der vergangenen Lohnrunden ansehe, dann
muss ich sagen, dass sie sehr ordentlich sind. Wir kön-
nen das als Politiker nicht steuern. Ich finde es gut, dass
wir die Tarifautonomie haben; sie scheint ja an diesem
Punkt zu funktionieren.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Tarifautonomie ist gut! – Otto Fricke [FDP]: Sehr gut! Richtig!)


Ich bitte Sie also, sich das an der Stelle noch einmal ge-
nauer anzusehen. Es würde mich freuen, wenn wir uns
hinsichtlich der Verschuldung einig werden. Wenn man
das Interesse hat, Politik zu gestalten, wenn man den
Auftrag zur politischen Gestaltung hat und dieses Land
verändern und bestimmen will, dann braucht man dafür
natürlich auch öffentliche Mittel.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/ CSU – Otto Fricke [FDP]: Sehr wahr!)


Die hat man nur, wenn man auch Einnahmen hat. Das
muss ausgeglichen sein.

Herr Fricke, Sie haben gesagt, dieser Haushalt sei
ganz furchtbar, es gehe zu langsam.


(Otto Fricke [FDP]: Nein! Teile!)


Gut, ich wünsche mir auch, dass es uns bei den Beratun-
gen gelingt – das wird unser Auftrag sein –, das Ganze
noch zu beschleunigen. Ich sehe mich da auf einer Linie
mit dem Bundesfinanzminister. Alles, was uns ermög-
licht, zügiger zu dem Ziel der Reduzierung der Schulden
zu kommen, hilft.

Kollege Kampeter hat darauf hingewiesen: In der
alten Finanzplanung waren sogar noch 92 Milliarden
Euro Schulden bis 2010 vorgesehen. Jetzt sind bis 2011
nur noch 29 Milliarden Euro Schulden vorgesehen. Das
erspart uns allein 3 Milliarden Euro Zinsausgaben pro
Jahr. Das sind 3 Milliarden Euro, die wir jedes Jahr mehr
zur Verfügung haben, die uns mehr Spielraum geben und
die wir auch nicht durch Einnahmeerhöhungen finanzie-
ren müssen.


(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber eine virtuelle Rechnung!)


Das zeigt: Dieser Haushalt ist zukunftsgewandt. Die
Koalition hat dies zu einer politischen Priorität gemacht.
Ich sehe mich – ich glaube, dass das auch in der Bevöl-
kerung akzeptiert wird – durch die Meinungsumfragen
unterstützt, die man zu diesem Punkt durchaus zurate
ziehen kann. Wir werden 2008 eine Kreditfinanzie-






(A) (C)



(B) (D)


Carsten Schneider (Erfurt)

rungsquote, das heißt die Aufnahme neuer Schulden be-
zogen auf die Gesamtausgaben, von nur noch 4,6 Pro-
zent haben. Das ist der niedrigste Wert seit 1973.

Wir sollten nicht nur die Zinsausgaben in Höhe von
43 Milliarden Euro hinzurechnen – die hatte ich Ihnen
genannt –, die wir heute finanzieren müssen und die man
früher nicht hatte, sondern man sollte auch die deutsche
Einheit beachten, die viele immer wieder vergessen. Wir
alle stehen dazu, dass wir diese Ausgaben haben. Sie
sind eine besondere Belastung für diese Volkswirtschaft.
Wir kriegen das gewuppt. Von daher ist das eine sehr
große Leistung, auf die man stolz sein kann.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Kollege Fricke hat behauptet – ich habe gehört, auch
Herr Göhner hätte das heute Morgen gesagt;


(Otto Fricke [FDP]: Stimmt! Kann Kollege Kampeter bestätigen!)


das weiß ich nicht, er wird sich sicher eines Besseren be-
lehren lassen –, wir würden Beitragsmittel der BA ver-
wenden, um den Bundeshaushalt zu sanieren.


(Otto Fricke [FDP]: Nein! Um Hartz IV zu finanzieren!)


Seit Jahren hatten wir bei der Bundesagentur für Arbeit
Defizite, die wir mit Steuergeldern ausgeglichen haben.
Wenn wir eine Plus-Minus-Rechnung machen würden,
hätten wir dort ein Guthaben, das man zurückzahlen
müsste. Das haben wir aber nicht gemacht. Jetzt sind
wir in der Situation, dass wir bis 2011 30 Milliarden
Euro Steuermittel in die BA zur Senkung des Arbeitslo-
senversicherungsbeitrages geben und dass wir die Ver-
antwortung der Arbeitslosenversicherung – das war die
Verabredung bei den Hart-IV-Gesetzen – für die Lang-
zeitarbeitslosigkeit in Rechnung stellen und 20 Milliar-
den Euro Beitrag zur Finanzierung der Langzeitarbeits-
losigkeit durch den Eingliederungsbeitrag bezahlt
werden. Das heißt, in Summe bleibt der BA ein Über-
schuss von über 10 Milliarden Euro Steuermitteln.


(Otto Fricke [FDP]: Was heißt: der BA?)


Wie das Beitragsmittel sein können, ist mir nicht erklär-
bar.


(Jürgen Koppelin [FDP]: Sanieren! Abkassieren!)


– Herr Kollege Koppelin, Sie haben die Möglichkeit,
eine Zwischenfrage zu stellen, um zu erklären, wie Ihre
Position zustande kommt.


(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bitte nicht!)


Sie ist jedenfalls in diesem Punkt nicht verständlich.


(Jürgen Koppelin [FDP]: Abkassierer!)


Ich möchte einen zweiten Punkt ansprechen: den an-
geblichen Aufwuchs der Ausgaben. Das Gegenteil ist
der Fall: Wenn man den um die Steigerungen bei den
Postpensionsunterstützungskassen bereinigt

(Otto Fricke [FDP]: Die sind aber noch nicht da!)


– für 2008 betragen sie 5 Milliarden Euro –,


(Otto Fricke [FDP]: Ich kann auch die Zinsen herausrechnen!)


liegt die Steigerungsrate bei 1,2 Prozent.


(Otto Fricke [FDP]: Nein! Falsch!)


Das ist unterhalb der Inflationsrate.


(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was soll ich denn noch alles herausrechnen? – Otto Fricke [FDP]: Rechnet doch auch noch die Zinsen heraus! Dann seid ihr sogar im Plus!)


Das heißt, de facto ist festzustellen, dass die öffentlichen
Ausgaben real gesenkt werden.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1610810500

Kollege Schneider, gestatten Sie eine Zwischenfrage

des Kollegen Koppelin?


Carsten Schneider (SPD):
Rede ID: ID1610810600

Bitte sehr.


Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1610810700

Lieber Herr Carsten Schneider, darf ich Sie fragen:

Wer ist eigentlich die BA? Sind das die Beitragszahler,
oder ist das irgendein anonymes Gebäude in Nürnberg?


Carsten Schneider (SPD):
Rede ID: ID1610810800

Die Bundesagentur für Arbeit ist eine öffentliche Ein-

richtung, die durch Beiträge der Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer und der Arbeitgeber finanziert wird,


(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Der Versicherten“ heißt das!)


die zur Absicherung des Risikos der Arbeitslosigkeit ge-
zahlt werden; in diesem Fall erhalten sie eine Versiche-
rungsleistung. Darüber hinaus wird die BA durch einen
Steuerzuschuss in Höhe von 7 Milliarden Euro aus dem
Bundeshaushalt finanziert.


(Jürgen Koppelin [FDP]: Das sind doch wieder die gleichen Leute! Nämlich auch die Steuerzahler! – Gegenruf des Abg. Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD]: Nein, nicht nur! Da sind noch ein paar mehr mit dabei! Zum Beispiel auch die Selbstständigen! – Gegenruf des Abg. Jürgen Koppelin [FDP]: Ja, die auch! Ihr Abkassierer!)


– Natürlich sind das die gleichen Leute. Wir alle sind
dieses Land; das ist doch logisch. Da fehlen mir ein we-
nig die Worte, Herr Koppelin. Ich finde, das ist ziemlich
offensichtlich. Wenn wir wollen, dass es in wichtigen
Bereichen wie der öffentlichen Daseinsvorsorge, der
Forschung, dem sozialem Ausgleich und der Herstellung
von Chancengerechtigkeit öffentliche Ausgaben gibt,
dann muss man Steuern erheben.






(A) (C)



(B) (D)


Carsten Schneider (Erfurt)


(Zuruf von der SPD: Genau! Selbst die FDP macht das!)


Die Steuerquote liegt in Deutschland im internationa-
len Vergleich mit knapp 22 Prozent im unteren Bereich.
Sie hat also eine unterdurchschnittliche Höhe.


(Otto Fricke [FDP]: Und was ist mit der Abgabenquote?)


Wenn man die Steuer- und Abgabenquote zusammen-
rechnet, befindet sich Deutschland im internationalen
Vergleich im Mittelfeld. Unsere Staatsquote führen wir
insgesamt sogar zurück. Den Höhepunkt haben wir im
Jahre 1997 erreicht. Nun nähern wir uns in der Finanz-
planung wieder einer Staatsquote von 44 bis 45 Prozent.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wie bei Stoltenberg! Und das mit euch! Wer hätte das gedacht!)


Ich finde, das sind große Erfolge der Koalition. Auf die-
sem guten Weg können wir in die Beratungen gehen.

Lassen Sie mich die Situation, in der sich Deutsch-
land befindet, international einordnen: Deutschland ist
die größte Volkswirtschaft der Europäischen Union. Es
wurde viel über den blauen Brief diskutiert, den
Deutschland von der EU-Kommission erhalten hat. Dass
das Verfahren allerdings von der Kommission eingestellt
worden ist, das ist ein bisschen untergegangen. Es gibt
kein Verfahren mehr, da Deutschland den veränderten
Maastrichtpakt, der ökonomisch vernünftiger ist, einge-
halten hat. Im Jahre 2006 hatten wir eine Defizitquote
von nur noch 1,7 Prozent. Im Jahre 2007 werden es
0,6 Prozent sein und 2008 nur noch 0,3 Prozent. Im
Jahre 2009 werden wir gesamtstaatlich einen Ausgleich
zu verzeichnen haben. Ich finde, das alles kann sich se-
hen lassen.

Die gute Politik der Bundesregierung und insbeson-
dere des Bundesfinanzministers hat dazu geführt, dass
die Menschen wieder Vertrauen in dieses Land, in sich
selbst, aber auch in die öffentlichen Finanzen gewonnen
haben. Das ist eine Grundvoraussetzung für wirtschaftli-
ches Wachstum. Damit, Frau Kollegin Lötzsch, hat die
Politik sehr viel zu tun. Auf die SPD, aber auch auf die
Union können sich die Leute in unserem Land verlassen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Jürgen Koppelin [FDP]: Oh ja! Das haben wir bei der Mehrwertsteuererhöhung gesehen!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1610810900

Das Wort hat die Kollegin Anja Hajduk für die Frak-

tion Bündnis 90/Die Grünen.


(Jürgen Koppelin [FDP]: Los, Anja! Wir würden sogar klatschen, wenn du das möchtest!)



Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1610811000

– Ja, damit rechne ich sogar fast.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Es ist unbestritten gut, dass die wirtschaftliche
Entwicklung und die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt
dazu beitragen, dass die öffentlichen Finanzen eine Ent-
spannung erfahren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)


– Da klatscht sogar die CDU/CSU. – Nicht gut ist aller-
dings, dass die Große Koalition die Chance – ich würde
sogar sagen: die historische Chance – vertut,


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Schade! Sie haben so gut angefangen!)


den Bundeshaushalt bis 2009, also noch in dieser Legis-
laturperiode, auszugleichen.

Sie sind sicherlich genauso realistisch wie ich und
wissen daher: Man kann sich nicht ganz sicher sein, dass
der Aufschwung bis 2011 anhält.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP – Steffen Kampeter [CDU/ CSU]: Anja Kassandra!)


Unser Maßstab sollte aber sein, dass wir den Haushalts-
ausgleich bis 2009 realistisch schaffen können, dass das
eine historische Chance ist und dass unsere europäi-
schen Nachbarländer in diesen Boomzeiten schon mit
Überschüssen wirtschaften.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Ja! Die hatten aber auch keine Grünen in der Regierung!)


Unser Maßstab darf nicht die Angst der Großen Koali-
tion oder von Herrn Steinbrück sein, dass irgendwann
einmal ein Ziel, das man sich gesetzt hat, nicht erreicht
werden könnte. Genau das, Herr Schneider, machen wir
Ihnen zum Vorwurf. Aber ich weiß ja, dass sich Ihre öf-
fentlichen Äußerungen und auch die von Herrn
Kampeter mit unseren Forderungen – Haushaltsaus-
gleich bis 2009 – im Wesentlichen decken und diese
stützen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Ulrike Flach [FDP])


Ich möchte noch etwas dazu sagen, wo mir der Haus-
halt, der gestern vorgelegt wurde, gefällt: Ich finde es in
Ordnung, dass Sie mit dem Schwerpunkt der For-
schungspolitik und mit der Finanzierung der in der Ent-
wicklungszusammenarbeit gegebenen Zusagen – eine
ODA-Quote von 0,7 Prozent des BIP bis 2015 – einen
globalen, internationalen Ansatz verfolgen. Das finden
wir Grünen richtig; ich sage das ausdrücklich.

Ich begrüße auch, dass die CDU/CSU verstanden hat
– auch wenn sie lange gebraucht hat, um aus ihrer ideo-
logischen Verstellung herauszukommen –, dass eine bes-
sere Kinderbetreuungsinfrastruktur wichtig ist: für
das Land, für die Frauen, für die Familien – und für un-
sere Wirtschaft. Das ist gut.


(Beifall der Abg. Anna Lührmann [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Aber hier sieht man eine typische Schwäche der Großen
Koalition. Wir Grünen haben vorgerechnet, dass man die
Kinderbetreuung finanzieren kann, indem man überflüs-
sige Subventionstatbestände beim Ehegattensplitting ab-






(A) (C)



(B) (D)


Anja Hajduk
schafft. Dann hat man auch eine Lösung für das Länder-
problem, die Einrichtungen zu finanzieren. Wir haben
gezeigt, wie man durch Umfinanzierung ab sofort die
Kinderbetreuung gewährleisten kann, und zwar in einer
viel besseren Qualität, als für nächstes Jahr geplant – Sie
müssen um Sondervermögen feilschen, müssen auf kon-
junkturelle Steuermehreinnahmen in diesem Jahr setzen.
Das ist eine typische Schlechterlösung der Großen Ko-
alition: Sie können nicht umfinanzieren, Sie können lei-
der nur obendrauf packen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich komme jetzt im engeren Sinne zur Haushaltspoli-
tik der Großen Koalition. Die Zahlen von Herrn
Steinbrück sehen so aus: Die Ausgaben steigen zum
nächsten Jahr um 4,7 Prozent. Früher hatten wir Ausga-
bensteigerungen um 1 Prozent. Man gönnt sich also et-
was!


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der FDP)


Ich finde, das ist fahrlässig, wenn man die historische
Chance hat, den Haushalt auszugleichen. Man kann es
auch anders bebildern: Sie steigern die Ausgaben um
12,7 Milliarden Euro. Das ist ungefähr die Nettokredit-
aufnahme, die für nächstes Jahr vorgesehen ist. Da kann
doch jeder, ohne dass er im Haushaltsausschuss sitzt,
schnell erkennen: Im Prinzip könnten wir nächstes oder
übernächstes Jahr ohne neue Schulden auskommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wie halten Sie es eigentlich mit den Postpensionen, Frau Kollegin?)


Das ist doch ein Ziel, das einfach zu erreichen wäre: mit
Disziplin. Das wäre eine Aufgabe, die Sie sich stellen
sollten!


(Abg. Steffen Kampeter [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Ich bin Realistin genug, zu sagen: Die günstige wirt-
schaftliche Entwicklung gibt Ihnen eine bessere Basis,
als wir sie unter Rot-Grün hatten, keine Frage. Aber ehr-
geizig sind Sie an dieser Stelle nicht. Auch mit Blick auf
die Nachbarländer kann ich sagen: Sie vertun hier eine
Chance.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1610811100

Kollegin Hajduk, gestatten Sie eine Zwischenfrage?


Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1610811200

Ich würde gerne noch einen Gedanken zu Ende füh-

ren; dann gerne, Herr Kollege Kampeter.

Für 2007 ist geplant, 19,5 Milliarden Euro neue
Schulden aufzunehmen. Es gibt, glaube ich, niemanden
hier im Haus, der bestreiten wollte, dass es möglich
wäre, mit den Steuermehreinnahmen von über 11 Milliar-
den Euro die Nettokreditaufnahme in diesem Jahr 2007
auf ungefähr 10 Milliarden Euro zu senken.

(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Oder privatisieren!)


Wenn man jetzt einen Abbaupfad bei der Konsolidie-
rung beschreiben will, kann man doch nicht allen erns-
tes sagen: Wir wissen schon jetzt, im Sommer, wir brau-
chen dieses Jahr 10 Milliarden Euro neue Schulden, aber
2008, wo die Wirtschaft genauso gut weiterlaufen soll
– so Ihre Annahme –, brauchen wir wieder ein bisschen
mehr Schulden. Das passt nicht zusammen, und das
zeigt, dass Sie – an dieser Stelle ist der Titel richtig –
mangelnden Ehrgeiz bei der Konsolidierung haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Otto Fricke [FDP])



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1610811300

Herr Kollege Kampeter, Sie haben das Wort.


Steffen Kampeter (CDU):
Rede ID: ID1610811400

Frau Kollegin Hajduk, vor etwa einer Minute haben

Sie in Ihrer Rede ausgeführt, dass wir im nächsten Jahr
entsprechend dem Regierungsentwurf in Absolutbeträ-
gen ungefähr 12 Milliarden Euro mehr ausgeben wollen.
Ist es nicht zutreffend, dass diese Steigerung um
12 Milliarden Euro, wenn man von den etwa
3 Milliarden Euro Zinsen absieht, vor allen Dingen auf
einen Ausgabeposten zurückgeht, nämlich auf die
6 Milliarden Euro für die Postpensionskassen?


(Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD]: Die sind nur einmalig! – Otto Fricke [FDP]: Die sind dauerhaft!)


– Die sind dauerhaft, Herr Kollege Brinkmann. – Diese
6 Milliarden Euro Mehrausgaben sind also die Konse-
quenz von politischen Entscheidungen, die unter Ihrer
Beteiligung getroffen worden sind und deren Folgen wir
als Große Koalition jetzt nachzuvollziehen haben. Muss
man deswegen nicht sagen, dass Ihre Kritik an den
Mehrausgaben halbherzig ist? Ich lasse es Ihnen nicht
durchgehen, sich hier hopplahopp aus der Verantwor-
tung zu stehlen. Ich bitte Sie deshalb in Form dieser
Frage, das noch einmal aufzugreifen.


(Beifall des Abg. Dr. Klaus W. Lippold [CDU/ CSU])



Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1610811500

Herr Kollege Kampeter, ich leugne überhaupt nicht,

dass es manchmal Ausgabenbereiche gibt, die schwerer
zu steuern sind oder die man erbt. Aber ist das, was Sie
sagen, nicht ein bisschen kleinlich?


(Zuruf von der FDP: Naja, aber es sind schon 6 Milliarden Euro!)


In den beiden Jahren 2006 und 2007 steigen unter der
Großen Koalition die Ausgaben im Haushalt zusammen-
genommen um fast 18 Milliarden Euro. Durch Steuerer-
höhungen und guten Subventionsabbau – der endlich
einmal geklappt hat – haben Sie in zwei Jahren
37 Milliarden Euro Mehreinnahmen. Ist es dann bei ei-
nem Haushalt von insgesamt 270 Milliarden Euro nicht
ein bisschen kleinlich, zu sagen, dass Sie diese






(A) (C)



(B) (D)


Anja Hajduk
6 Milliarden Euro nicht anders aussteuern oder kompen-
sieren können?


(Zuruf von der FDP: 6 Milliarden Euro, das ist nicht kleinlich!)


Ich erhalte meine Kritik aufrecht. Wenn Sie diesen klei-
nen Bereich herausgreifen, gebe ich zu, dass es da auch
ein kleines bisschen Erblast gibt. Aber Sie haben durch
die gute konjunkturelle Entwicklung Steuerungsmög-
lichkeiten im zweistelligen Milliardenbereich. Diese
vergeben Sie einfach. Deshalb komme ich zu derselben
Konsequenz: Sie sind nicht ehrgeizig und in einem sehr
wichtigen Bereich nicht verlässlich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich komme jetzt zu zwei weiteren Punkten, die ich
noch anmerken möchte.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1610811600

Frau Kollegin Hajduk, gestatten Sie noch eine Zwi-

schenfrage?


Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1610811700

Ich glaube, dass wir dies jetzt genug diskutiert haben,

Herr Kampeter. Wir setzen das dann im September fort.
Sie kommen auf die Postunterstützungskassen bestimmt
noch dreimal zurück.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Es ist klar, dass Ihnen das unangenehm ist, Frau Kollegin!)


Ich komme jetzt zum Arbeitsmarkt. Kollege
Schneider hat gesagt, dass noch über 10 Milliarden Euro
an Überschüssen bei der Bundesagentur für Arbeit
bleiben werden. Ich kann Ihnen nur zurufen: Hätten Sie
sich doch in diesem Punkt ruhig einmal gegen die CDU
durchgesetzt! Es ist klar, dass die Bundesagentur für Ar-
beit das Geld aus der Mehrwertsteuererhöhung definitiv
nicht braucht. Sie schonen damit Angela Merkel, die die
6 Milliarden Euro weiter in die Bundesagentur für Ar-
beit hineinpumpt, und ziehen jetzt auf anderer Ebene
5 Milliarden Euro wieder ab. Daran kann man sehen,
dass es zur Senkung der Lohnnebenkosten struktureller
Arbeitsmarktreformen bedurfte, die wir mit der rot-grü-
nen Koalition unter ziemlich starken Belastungen durch-
geführt haben. Das Mehrwertsteuergeld in der Bundes-
agentur ist überflüssig. Wenn man für Haushaltsklarheit,
Haushaltswahrheit und Transparenz ist, würde man das
auch zugeben und diesbezüglich nicht so kleinmütig
sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ganz zum Schluss möchte ich Folgendes sagen, wo-
mit ich sicherlich nicht allein stehe:


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Aber sicherlich etwas Nettes, Frau Kollegin!)


Wenn Sie in den letzten Tagen die Kommentierungen
der Haushaltspolitik und des Haushaltsentwurfes für
2008 aufmerksam gelesen haben, dann haben Sie zur
Kenntnis genommen, dass es besser wird, als wir ge-
dacht haben. Aber Sie haben in den Kommentaren auch
lesen können, dass es keinen Grund zur Überheblichkeit
bei der Großen Koalition gibt. Manche – wie heute die
„Financial Times“ – sagen, der Bundesfinanzminister
profitiere von der Gnade der späten Ernennung; dazu
will ich gar nichts weiter sagen. Aber Überheblichkeit ist
nicht am Platz. Es müsste vielmehr eine schlichte finanz-,
haushalts- und wirtschaftspolitische Wahrheit stärker be-
rücksichtigt werden: In guten konjunkturellen Zeiten
muss man sanieren, und zwar so, dass man für die Zu-
kunft und für den Fall vorsorgt, dass die Konjunktur
wieder kippt.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Spare in der Zeit, dann hast du in der Not!)


Das leisten Sie viel zu wenig. Deswegen bin ich froh,
dass wir vom Bündnis 90/Die Grünen Ihnen in dieser
Woche einen Gesetzentwurf zur Änderung des Grundge-
setzes und der Bundeshaushaltsordnung zuleiten. Damit
soll eine Schuldenbremse eingeführt werden, die si-
cherstellt, dass in konjunkturell guten Zeiten Über-
schüsse erwirtschaftet werden und in konjunkturell
schlechten Zeiten Defizite zulässig sind. Ihre Haushalts-
politik hält einer solchen Schuldenbremse nicht stand.
Ich sehe aber mit Sympathie, dass auch der Finanzminis-
ter weiß, dass er eigentlich eine solche Schuldenbremse
bräuchte. Ich hoffe, dass wir in der Föderalismuskom-
mission II und bei den Haushaltsberatungen in diesem
Herbst in diesem Punkt weiterkommen.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das hoffen wir auch! Da sind wir auf der gleichen Seite!)


Wir Grüne haben dazu eine Initiative vorgelegt. Ich
bin gespannt, wie Sie die bewerten und ob Sie da mitzie-
hen.

Schönen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wir sind uns einig in der Hoffnung!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1610811800

Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Georg

Fahrenschon das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Georg Fahrenschon (CSU):
Rede ID: ID1610811900

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zwei Dinge
sind am Ende der Debatte klar:

Erstens. Vor dem Hintergrund des gestern im Kabinett
verabschiedeten Haushaltsplans für das kommende Jahr
ist der Antrag der FDP nicht mehr der aktuellste. Er ist
durch die erfolgreiche Arbeit des Bundeskabinetts quasi
überholt.

Zweitens. Wir sind Ihnen trotzdem dankbar, weil Sie
uns – passend zur letzten Sitzungswoche vor der Som-
merpause – die Gelegenheit geben, noch einmal die drei
wesentlichen und guten Meldungen bzw. Nachrichten
deutlich herauszuarbeiten:






(A) (C)



(B) (D)


Georg Fahrenschon
Erstens. Das Defizitverfahren der Europäischen
Kommission gegen Deutschland ist endgültig eingestellt
worden. Die Europäische Union bestätigt damit den fi-
nanzpolitischen Kurs der Großen Koalition. Dabei ist
besonders bemerkenswert, dass wir die notwendige Re-
duzierung bzw. Rückführung des Defizits ein Jahr vor
der uns gesetzten Frist erreicht haben. Und das ist gut so.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Zweitens. Wir arbeiten mit voller Kraft daran, die
Nettokreditaufnahmen zu reduzieren. Im Jahr 2006 ha-
ben wir sie im Vergleich zum Plan schon um
10 Milliarden Euro zurückgeführt, und wir werden wei-
ter fortschreiten. Der Ausblick auf das kommende Jahr
mit knapp 13 Milliarden Euro und auf die darauf fortfol-
genden Jahre ist entsprechend positiv. Liebe Frau Kolle-
gin Hajduk, Sie wissen selber, dass wir an dieser Stelle
der mittelfristigen Finanzplanung noch auf die kom-
mende Steuerschätzung warten müssen, um den Daten
für die kommenden Jahre eine entsprechende Grundie-
rung zu geben. Es macht überhaupt keinen Sinn, jetzt mit
Wunschzahlen zu operieren. Es macht viel mehr Sinn,
die Steuerschätzung abzuwarten und dann entsprechend
zu korrigieren.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1610812000

Kollege Fahrenschon, gestatten Sie eine Zwischen-

frage der Kollegin Hajduk?


Georg Fahrenschon (CSU):
Rede ID: ID1610812100

Ja, gerne.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Jede Redezeitverlängerung wird dankend angenommen!)


– An dieser Stelle.


Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1610812200

Sehr geehrter Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, dass

Ihr Finanzminister, Herr Steinbrück, nicht so sehr auf die
Zahlen der Steuerschätzung angewiesen ist, sondern dass
er gerne noch eigene Schätzungen vornimmt und diese
Zahlen dann in seine Finanzplanung und den Haushalt
einbaut? Das steht in einem gewissen Widerspruch zu
der Äußerung, die Sie gerade gemacht haben.


Georg Fahrenschon (CSU):
Rede ID: ID1610812300

Aber liebe Frau Kollegin, Ihnen ist doch auch be-

kannt, dass wir nach dem Beschluss des Kabinetts gleich
in der ersten Woche nach der Sommerpause hier im Par-
lament mit den Arbeiten am Haushaltsplan starten wer-
den und dass wir als Parlament in guter Tradition – bei
uns liegt nämlich das Budgetrecht gegenüber der Regie-
rung – die Steuerschätzung abwarten und dann entspre-
chend korrigieren werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Steinbrück hat aber vorkorrigiert!)

Die dritte gute Nachricht lautet, dass infolge der Kon-
solidierungsmaßnahmen der Großen Koalition und da-
mit infolge richtiger Politik, mit der die Weichen gleich-
zeitig auf Wachstum und Beschäftigung sowie auf
Konsolidierung gestellt wurden, das gesamtstaatliche
Defizit mittlerweile auf nur noch ein halbes Prozent des
Bruttoinlandsprodukts gesunken ist. Binnen zwei Jahren
haben wir das strukturelle Defizit Deutschlands von über
3 Prozent auf nur noch ein halbes Prozent absenken kön-
nen. Das heißt nicht, dass wir hier aufhören, aber das
heißt, dass die richtige Politik zu guten Ergebnissen ge-
führt hat.


(Beifall bei der CDU/CSU – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr richtig! Das musste auch einmal klargestellt werden!)


Angesichts eines Schuldenbergs in Höhe von nach
wie vor unvorstellbaren 1 500 Milliarden Euro müssen
wir aber weiterarbeiten. Wir können nicht stehen blei-
ben. Aufgrund der guten konjunkturellen Lage dürfen
wir nicht bis 2011 mit einem ausgeglichenen Haushalt
warten, sondern wir wollen ihn so schnell, so passend
und so tragfähig wie möglich erreichen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Carsten Schneider [Erfurt] [SPD])


Dabei gilt für uns einerseits eine strikte Ausgaben-
disziplin, andererseits glauben wir, dass es bei einem
Anhalten des konjunkturellen Aufschwungs möglich ist,
noch im laufenden Jahrzehnt, also vor dem Jahre 2011,
einen ausgeglichenen Bundeshaushalt vorzulegen; denn
nur dadurch können wir – der Freistaat Bayern macht es
uns in diesem Jahr doch bereits erfolgreich vor – endlich
die Schaufel in die Hand nehmen und damit beginnen,
den Schuldenberg abzubauen.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Von Bayern lernen heißt sparen lernen, Herr Kollege Fahrenschon!)


Wir laufen Gefahr, dass uns hier die Zeit davonläuft.


(Beifall der Abg. Ilse Aigner [CDU/CSU])


Der vorgelegte Entwurf enthält bereits zwei bemer-
kenswerte Alarmzeichen:

Erstens. Der Anstieg der Zinsausgaben um 2,6 Mil-
liarden Euro.


(Otto Fricke [FDP]: Ja! Das habt ihr immer bestritten!)


Dies ist zwar noch überschaubar, bedeutet aber – das
muss uns umtreiben –, dass wir im kommenden Jahr
42,2 Milliarden Euro nicht für politische Maßnahmen
zur Verfügung haben,


(Otto Fricke [FDP]: Mindestens!)


sondern für die Zinsen der bereits in der Vergangenheit
vom Bund aufgetürmten Schulden aufwenden müssen.


(Otto Fricke [FDP]: Sehr wahr!)


Zum anderen muss uns beschäftigen, dass trotz real
steigender Investitionsausgaben die Investitionsquote






(A) (C)



(B) (D)


Georg Fahrenschon
im Bundeshaushalt am Ende des Planungszeitraums bei
nur noch 8,2 Prozent liegt.

Nicht nur, aber insbesondere aufgrund dieser beiden
Alarmzeichen liegt noch viel Arbeit vor uns. Arbeit be-
deutet insbesondere, zu sparen und die Konsolidierung
weiter voranzubringen. Denn solide Staatsfinanzen und
eine nachhaltige Konsolidierung sind kein Selbstzweck.
Sie sind unumgängliche Voraussetzung zur Wiederge-
winnung von haushaltspolitischen Spielräumen, die wir
zur Finanzierung wichtiger Zukunftsinvestitionen
und zur weiteren Rückführung der Steuerbelastung
dringend brauchen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zudem sind sie wichtige Voraussetzungen für eine
Steigerung von Wachstum und Beschäftigung.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Hört! Hört!)


Denn am Ende wird das Wachstum durch Sparen geför-
dert. Umgekehrt gilt, dass ohne ein erhöhtes Wirtschafts-
wachstum der Abbau der Arbeitslosigkeit, die Stabilisie-
rung der sozialen Sicherungssysteme und die
Konsolidierung der öffentlichen Haushalte nicht gelin-
gen können. Hierfür werden wir in den anstehenden par-
lamentarischen Beratungen genügend Zeit haben, und
wir werden uns auch den nötigen Raum nehmen.

Wir sind entschlossen, den Weg der Tugend, den Bun-
desminister Michael Glos klar beschrieben hat, zu unter-
stützen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dieser Weg sieht vor, erstens die Defizite in den öffentli-
chen Haushalten über den Konjunkturzyklus dauerhaft
und vollständig zu vermeiden, um damit die öffentliche
Verschuldung Schritt für Schritt abzubauen. Zweitens
soll die Belastung durch Steuern und Abgaben gesenkt
werden; denn wir müssen jetzt die Gelegenheit nutzen,
den Beitrag zur Konsolidierung, den die Bürger in die-
sem Land geleistet haben, in besseren Zeiten wieder zu-
rückzugeben. Drittens wollen wir öffentliche Investitio-
nen vor allem in Bildung, aber auch in Innovationen
erhöhen; denn darin liegt unsere Zukunft. Nur so kann es
uns gelingen, den Schuldenberg in absehbarer Zeit abzu-
tragen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Steffen Kampeter [CDU/ CSU]: Eine sehr gute Rede!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1610812400

Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Bernhard

Brinkmann das Wort.


Bernhard Brinkmann (SPD):
Rede ID: ID1610812500

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was den man-
gelnden Ehrgeiz angeht, hatte ich eigentlich damit ge-
rechnet, dass die Steilvorlage vom März dieses Jahres
von den Freien Demokraten noch rechtzeitig zurückge-
zogen wird. Das ist leider nicht der Fall. Darum möchte
ich gerne im zweiten Teil meiner Rede auf den einen
oder anderen Punkt eingehen.

Zu Beginn will ich aber auf das eingehen, was die
Kollegin Lötzsch und ihre Fraktion in den letzten Wo-
chen und Monaten ständig zum Besten gegeben haben.
Sie machen mit Ihren Ausführungen den Menschen
weis, dass die Probleme, die bei der Telekom und der
Deutschen Bahn bestehen, an uns und die positiven Zei-
chen in der Wirtschaftsentwicklung, auf dem Arbeits-
markt und auch in der Haushalts- und Finanzpolitik an
den Menschen vorbeigehen.

Ich habe in diesem Zusammenhang eine herzliche
Bitte. Tun Sie doch nicht so, als könnten die Bundesre-
gierung oder dieses Hohe Haus durch Beschlüsse dafür
sorgen, dass die Probleme bei der Telekom und der
Deutschen Bahn AG so gelöst werden, wie Sie es gerne
hätten, geschweige denn, dass der Staat in der Lage
wäre, durch seine Haushalts- und Finanzpolitik Geleit-
schutz zu geben. Damit machen Sie den Menschen etwas
vor.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Blinde Staatshörigkeit da drüben!)


Das würde – wenn überhaupt – nur kurzfristig zum
Erfolg führen. In welchem Maße das schiefgehen kann,
haben wir bis zur Wiedervereinigung unseres Vaterlan-
des erlebt.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Ja, das sollte die Kollegin Lötzsch eigentlich besser wissen!)


Was den Ehrgeiz angeht, ist es in der Tat gut, wenn
man ihn hat. Übertriebener Ehrgeiz führt aber nicht im-
mer zu dem Ziel, das man erreichen möchte, Herr Kol-
lege Fricke.


(Otto Fricke [FDP]: Sehr wahr!)


Ich habe in Ihrer Rede vermisst, dass Sie neben den an-
gesprochenen Punkten, wo man auf der Ausgabeseite
sparen oder Einschnitte vornehmen kann, auch das Lied
von weiteren Steuersenkungen gesungen haben.


(Otto Fricke [FDP]: Hier geht es um Haushalt, nicht um Finanzen!)


Dieses Lied singen Sie anscheinend nicht mehr. Zumin-
dest in diesem Bereich scheinen Sie zu einer anderen
Überzeugung gekommen zu sein.

Ich erkläre hier ganz deutlich, dass sich der im Herbst
2005 begonnene Dreiklang von Reformieren, Investie-
ren und Konsolidieren als sehr erfolgreich erwiesen hat
und dass wir zumindest einen bestimmten Anteil an die-
ser erfolgreichen Wirtschafts- und Finanzpolitik in
Deutschland haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Wenn die Arbeitslosigkeit steigt, dann sind die Poli-
tiker schuld. Wenn die Arbeitslosigkeit sinkt, dann ist
die Wirtschaft alleine verantwortlich. Ich glaube, in der
Mitte liegt die Wahrheit. Wir sollten uns jedenfalls
darüber freuen, dass die Arbeitslosigkeit seit November






(A) (C)



(B) (D)


Bernhard Brinkmann (Hildesheim)

2005 jeden Monat zurückgeht, und das quer durch alle
Bereiche. Auch bei der Langzeitarbeitslosigkeit und der
Jugendarbeitslosigkeit sind Erfolge zu verzeichnen. Ich
füge hinzu: Wir dürfen dabei nicht aus den Augen verlie-
ren, dass jemand, der arbeiten geht, am Ende des Monats
so viel nach Hause bringen muss, dass er davon sich und
seine Familie ernähren kann.


(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Darum gesetzlichen Mindestlohn! Da haben Sie nicht zugestimmt!)


– Frau Kollegin Lötzsch, mit dem gesetzlichen Min-
destlohn werden wir uns noch eine bestimmte Zeit aus-
einandersetzen. Ich habe nur den Eindruck, dass Sie hier
versuchen, kurzfristig politische Erfolge zu erzielen, ge-
nauso wie in anderen Punkten. Ich sage Ihnen schon
jetzt: Das wird Ihnen auch hier nicht gelingen.

Was die Steigerung der Ausgaben angeht, möchte
ich drei Bereiche ansprechen; die anderen wurden zum
größten Teil schon erwähnt. Erster Punkt. Ich glaube,
niemand in diesem Hohen Haus wird ernsthaft bestrei-
ten, dass weitere Ausgaben für Bildung und Forschung
richtig sind. Hier zu sparen, wäre falsch.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Demzufolge sollten wir es im Rahmen der Haushaltsbe-
ratungen, die nach der Sommerpause beginnen, auch
nicht tun.

Der zweite Punkt betrifft die Bundeswehr. Wir alle
wissen – vielleicht bis auf die linke Seite dieses Hauses,
die die Friedenseinsätze und die humanitären Einsätze
der Bundeswehr massiv kritisiert –, dass hier etwas ge-
tan werden muss. Die ständig steigende Präsenz bei
Hilfsmaßnahmen im Ausland und humanitären Maßnah-
men zur Sicherung des Friedens erfordert erhöhte Aus-
gaben. Deshalb muss man bereit sein, dafür mehr Mittel
zur Verfügung zu stellen, von der Sanierung der Liegen-
schaften der Bundeswehr im Lande ganz zu schweigen.
Auch da muss noch einiges passieren.

Der dritte Punkt betrifft die Infrastruktur. Alle wollen
möglichst gute Straßen, insbesondere gute Autobahnen,
gute Schienenwege und gute Wasserwege. Dass die Bun-
desregierung dafür mehr Mittel in den Bundeshaushalt
2008 eingestellt hat, ist eine richtige und für jeden nach-
vollziehbare Entscheidung.

Für einen ausgeglichenen Haushalt, also seit vielen
Jahrzehnten zum ersten Mal den Punkt zu erreichen, an
dem sich Einnahmen und Ausgaben wieder decken, ist
das Jahr 2011 angepeilt. Wenn es früher geht, sollten wir
es in Angriff nehmen. Allerdings ist angesichts des ehr-
geizigen Ziels, einen ausgeglichenen Haushalt zu errei-
chen, ein größerer Zeitraum besser, als sich letztendlich
zu verheben.

Der Kollege Schneider hat darauf hingewiesen – Frau
Kollegin Hajduk ist leider nicht mehr da –, dass man un-
ser Land nicht eins zu eins mit den europäischen Nach-
barländern vergleichen darf, wenn es um Haushaltskon-
solidierung und Erzielung von Überschüssen geht. Es ist
besonders wichtig, in dieser Debatte darauf hinzuweisen,
dass wir, unsere Volkswirtschaft und alle anderen, die
dazu beitragen, seit 1990 Sonderkosten für die deut-
sche Einheit und Kosten für den Solidarpakt II bis 2019
zu finanzieren haben. Das leistet keine andere Volkswirt-
schaft, weder in Europa noch auf der Welt. Auf diese
Leistung sollten wir – völlig zu Recht – sehr stolz sein.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die wachsende Wirtschaft und die Erfolge auf dem
Arbeitsmarkt bestätigen die erfolgreiche Politik der Bun-
desregierung und der sie tragenden Koalitionsfraktionen.
Eine erste Rendite zeichnet sich nun ab. Wir haben damit
eine historische Chance, den Haushalt zukunftsgerecht
auszurichten und erstmals nach über 40 Jahren den
Schuldenberg nicht weiter wachsen zu lassen, sondern
abzubauen. Lassen Sie uns diese Chance gemeinsam
nutzen. Wir werden in den nächsten Wochen und Mona-
ten bei den Beratungen im Haushaltsausschuss noch die
Möglichkeit haben, das eine oder andere zu verändern.
Wir unterstützen den Finanzminister bei seinen Bemü-
hungen und bedanken uns, dass der Bundeshaushalt
2008 die bisher erzielten Erfolge festigt und fortschreibt.

Noch ein Wort zu den Kolleginnen und Kollegen von
der FDP, was die Produktion von Papier angeht. Wir ha-
ben bei den letzten Haushaltsberatungen immer erlebt,
dass der Kollege Fricke oder der Kollege Koppelin mit
einem Riesenbuch hier vorne aufgetreten sind und dieses
als Sparbuch bezeichnet haben. Um nicht missverstan-
den zu werden: Das war nicht das Sparbuch, das wir alle
kennen und das in der Regel ein Guthaben hat, sondern
das war das Sparbuch, um Haushaltskonsolidierung zu
betreiben,


(Otto Fricke [FDP]: Auch ein Guthaben für den Steuerzahler!)


auf der Ausgabeseite zu sparen und massive Einschnitte
vorzunehmen. Selbst das, was Sie mit dem großen Berg
an Papier und dem dicken Buch hier vorgelegt haben
– um das einmal deutlich zu machen –, hätte nicht dazu
geführt, dass wir in 2006/2007, geschweige denn in den
Jahren danach – warten wir einmal ab, was im Jahr 2008
kommt –, zu einem ausgeglichenen Bundeshaushalt ge-
kommen wären.


(Ulrike Flach [FDP]: Aber die Postpensionen hätten Sie damit bezahlt!)


Frau Kollegin Flach, lassen Sie mich noch eine Be-
merkung zum Schluss machen. Wer mehr als vier Jahr-
zehnte an dem Aufbau dieses Schuldenberges maßgeb-
lich beteiligt war,


(Ulrike Flach [FDP]: Meinen Sie uns beide?)


sollte sich, was den Ehrgeiz angeht, auf der Ausgabe-
seite Einschnitte vorzunehmen, ein wenig zurückhalten.
Damit meine ich die Freie Demokratische Partei. Sie wa-
ren einmal mit uns und einmal mit der Union zusammen,
aber Sie waren eigentlich immer dabei, als die Schulden
gemacht worden sind, übrigens auch bei der falschen
Finanzierung der deutschen Einheit 1990.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1610812600

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/4606 an den Haushaltsausschuss vorge-
schlagen. Sind Sie damit einverstanden? –


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das lässt sich nicht verhindern, Frau Präsidentin!)


Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlos-
sen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a bis 6 c auf:

a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung

Bericht zur technologischen Leistungsfähig-
keit Deutschlands 2007 und
Stellungnahme der Bundesregierung

– Drucksache 16/5823 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Johann-
Henrich Krummacher, Ilse Aigner, Dorothee Bär,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Jörg Tauss, René
Röspel, Dr. Ernst Dieter Rossmann, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der SPD

IKT 2020: Gezielte Forschungsförderung für
zukunftsträchtige Innovationen und Wachs-
tumsfelder im Bereich der Informations- und
Kommunikationstechnologien (IKT)


– Drucksache 16/5900 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Priska
Hinz (Herborn), Grietje Bettin, Ekin Deligöz,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Innovationsfähigkeit stärken durch Bildungs-
und Forschungsoffensive

– Drucksache 16/5899 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Kultur und Medien
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre dazu kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Das Wort hat die Bundesministerin für Bildung und
Forschung, Dr. Annette Schavan.

Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bil-
dung und Forschung:

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben
heute Morgen nach der Regierungserklärung von Herrn
Kollegen Glos über den wirtschaftlichen Aufschwung in
Deutschland diskutiert. Der Bericht zur technologischen
Leistungsfähigkeit Deutschlands bestätigt: Die deutsche
Wirtschaft befindet sich auf einem klaren Expansions-
kurs. Er behandelt die Faktoren, die bedeutsam sind, um
die Innovationskraft in Deutschland als Grundlage für
anhaltende wirtschaftliche Entwicklung zu stärken, und
er beschreibt Stärken und Schwächen.

Er beschreibt erstens – lassen Sie mich insgesamt sie-
ben Punkte aufgreifen –, in welchen Bereichen Potenzial
noch besser genutzt werden kann, zum Beispiel durch
die stärkere Nutzung der Informations- und Kommuni-
kationstechnologien etwa in den Bereichen der Dienst-
leistungen neuer Medien, im Bereich von E-Health und
Logistik. Das sind drei besondere Bereiche, die Nieder-
schlag in der von der Bundesregierung vor wenigen Mo-
naten veröffentlichten Strategie IKT 2020 finden, die
als Treiber für Innovation wirken soll und deshalb auf
Anwendungen von Informations- und Kommunika-
tionstechnologie ausgerichtet ist.

Zweitens beschreibt der TLF die starke Position
Deutschlands und deutscher Unternehmen auf den Welt-
märkten der Technologiegüter. Es wird nicht nur auf
eine Zahl hingewiesen, die schon aus den letzten Jahren
bekannt ist, wonach 65 Prozent der deutschen Unterneh-
men zu den innovativen Unternehmen gehören, sondern
es wird auch von einer weiter steigenden Zahl der Patent-
anmeldungen und davon gesprochen, dass im Jahr 2005
forschungsintensive Industriewaren im Wert von
428,3 Milliarden Euro exportiert wurden und Deutsch-
land damit der Welt größter Technologieexporteur noch
vor den USA und Japan ist. Als ein herausragendes Bei-
spiel für erfolgreiche Entwicklung in den vergangenen
Jahren wird das Beispiel der Umwelttechnologie ge-
nannt, das jetzt wieder im Kontext unserer Debatten über
Energieforschung und den positiven Einfluss auf den
Energiewandel eine große Rolle spielt.

Drittens. Man blickt natürlich – das ist die große poli-
tische Aufgabe, vor der wir stehen – auf, wie es so schön
heißt, Aufhol-Länder wie China, Indien oder die Tiger-
staaten, die mit ihren Investitionen in Forschung und
Entwicklung, mit ihrer Präsenz in der Wissenschafts-
gesellschaft, etwa im Bereich der wissenschaftlichen
Publikationen, oder mit ihrer Präsenz auf dem Gebiet
des Handels mit Spitzentechnologien große Fortschritte
erzielt haben.

Viertens. Eines der Hauptthemen dieses Berichtes wie
der Berichte der Vorjahre ist die Notwendigkeit, in For-






(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Dr. Annette Schavan
schung und Entwicklung ausreichend zu investieren.
Das ist eine Bestätigung des 3-Prozent-Ziels. Ich bin
sehr zufrieden damit, dass wir bei den jetzt abgeschlos-
senen Beratungen über den Haushalt 2008 zwischen dem
Finanzministerium und dem Forschungsministerium
Konsens darüber erzielen konnten, dass bei einem stei-
genden BIP auch steigende Ausgaben notwendig sind.
Wir werden in diesem und in den folgenden Haushalten
eine Steigerung erleben, die dem neuen BIP gerecht
wird. Wir werden dem 3-Prozent-Ziel wieder etwas nä-
herkommen. Die Bundesregierung steht über alle Res-
sorts hinweg zum 3-Prozent-Ziel.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Fünftens. Welche Instrumente sind zur Förderung von
Forschung und Entwicklung geeignet? Die Diskussion
darüber ist bei uns bereits eröffnet. Wichtig ist die För-
derung exzellenter Forschungsinstitutionen. Wir kön-
nen stolz sein – wir sollten es auch in diesem Hause sa-
gen – auf Tausende Forscherinnen und Forscher in Max-
Planck-Instituten, in Helmholtz-Instituten, in Leibniz-In-
stituten und an unseren Universitäten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Institutionelle Förderung ist wichtig. Diese Forsche-
rinnen und Forscher tun viel für unser Land.

Ein weiterer großer Bereich, in dem wir in dieser Le-
gislaturperiode enorm zugelegt haben, sind die Projekt-
fördermittel. Viele dieser Mittel fließen in die High-
techstrategie.

Es stellt sich außerdem die Frage, wie wir mit guten
Erfahrungen in anderen Ländern, in denen der Grundsatz
„Steuerpolitik ist Innovationspolitik“, umgehen. Unsere
Aufgabe in den nächsten Jahren wird sein, Ausschau zu
halten, wo sich welches zusätzliche Instrument als wirk-
sam erwiesen hat, wo der Instrumentenkasten durch zu-
sätzliche Instrumente im Bereich der Steuergesetzge-
bung zu erweitern ist. Meine persönliche Überzeugung
ist: Die Erweiterung des Instrumentenkastens wird in
Deutschland und in Europa notwendig sein, um die
3 Prozent und weitere Ziele zu erreichen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Deshalb muss dieses Gespräch zu Erfolgen führen.

Sechstens. In diesen Tagen nach der Vorlage des
OECD-Berichtes wird dieser wichtige Punkt öffentlich
offensiv diskutiert: der Fachkräftemangel. Die demo-
grafische Entwicklung in Deutschland ist dabei der
eine relevante Faktor. Der andere relevante Faktor ist: Je
dynamischer die Wirtschaft sich entwickelt, umso mehr
Arbeitsplätze werden geschaffen, umso mehr geht die
Arbeitslosigkeit glücklicherweise zurück. Was den Be-
reich der neu geschaffenen Arbeitsplätze angeht, ist der
Anteil der hochqualifizierten Kräfte immer größer. Wir
müssen alle Möglichkeiten nutzen: im Zusammenhang
mit Bildung, Ausbildung, mit der Reduzierung der Stu-
dienabbrecherquoten. Wir brauchen klare Strukturen der
Studiengänge. Das geht bis hin zur Weiterbildung als
Teil von Personalentwicklungskonzepten in unseren Un-
ternehmen.
Es war richtig, die Novelle des Zuwanderungsgeset-
zes – sie wird morgen im Bundesrat beraten – zu verab-
schieden. Dieses Gesetz enthält wichtige Fortschritte für
ausländische Studierende. Sie können hier künftig beruf-
lich einsteigen. Außerdem enthält dieses Gesetz wich-
tige Fortschritte für ausländische Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftler. Sie haben mich gefragt: Warum
stimmen Sie dem zu? Ich stimme dem zu, weil diese
Fortschritte zustande kommen müssen. Wir können da-
mit nicht länger warten. Punkte, die noch strittig sind,
werden wir in den nächsten Wochen und Monaten inner-
halb der Koalition und zwischen Regierung und Parla-
ment diskutieren. Mein Hauptsatz zu dem Ganzen lautet:
Auch Deutschland muss Interesse an Talenten aus aller
Welt haben, Deutschland muss für Talente aus aller Welt
attraktiv sein.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Siebtens. Der Bericht zur technologischen Leistungs-
fähigkeit in Deutschland bestätigt: Das Konzept der
Hightechstrategie empfiehlt ausdrücklich, dass Wissen-
schaft und Wirtschaft nahe beieinander sind, natürliche
Partner sind, dass forschungspolitische Zukunftskon-
zepte ganz klar darauf ausgerichtet sein müssen, dass
sich das, was aus exzellenter Grundlagenforschung an
Möglichkeiten, Erkenntnissen, Wissen zur Verfügung
gestellt wird, auch in der Wertschöpfungskette entfalten
und umsetzen lässt. Wir sind auf dem richtigen Weg. Die
Forschungsunion ist gleichsam die Institutionalisierung
dieser Partnerschaft zwischen Wissenschaft und Wirt-
schaft, ist die Institutionalisierung von Innovations-
allianzen, die wir wollen. Ich bin froh, dass auch auf der
Ebene der Europäischen Union zunehmend neue Instru-
mente entstehen, um diese natürliche Partnerschaft zwi-
schen Unternehmen einerseits und Forschungsinstitutio-
nen andererseits zuwege zu bringen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Instrumente, die wir zu Beginn der Legislatur-
periode gewählt haben, die Hightechstrategie, die Ein-
führung der Forschungsprämie fokussiert auf kleine und
mittelständische Unternehmen, der jetzt vorbereitete
Spitzenclusterwettbewerb, die 17 Innovationsstrategien,
die deutliche Erhöhung der Investitionen für Forschung
und Entwicklung, wirken sich aus und werden einen ent-
scheidenden Beitrag dazu leisten, dass die jetzt erreichte
wirtschaftliche Dynamik anhält. Deshalb sage ich herz-
lichen Dank allen in der Koalition, im Parlament und in
der Regierung, die zu diesem Innovationskurs beigetra-
gen haben.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU und der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1610812700

Das Wort hat die Kollegin Cornelia Pieper für die

FDP-Fraktion.


(Jörg Tauss [SPD]: Hat Ihr Computer funktioniert?)







(A) (C)



(B) (D)


Cornelia Pieper (FDP):
Rede ID: ID1610812800

Nein. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol-

legen! Zunächst die gute Nachricht: Nicht nur im Bericht
zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands,
sondern auch in einer jüngst veröffentlichten Studie von
Ernst & Young zum Standort 2007 wird Deutschland als
der führende Wirtschaftsstandort in Europa anerkannt,
aber auch international auf Platz vier hinter China, den
USA und Indien gesehen.


(René Röspel [SPD]: Gute Arbeit der letzten Jahre!)


International tätige Unternehmen sehen bei den Top-10-
Standorten für Forschung und Entwicklung und für den
Hauptsitz des Unternehmens Deutschland auf Platz
zwei, jeweils hinter den USA. Das ist zunächst einmal
die gute Botschaft. Deutschland ist auf Expansionskurs.
Wir haben in der Tat Wachstum. Für Wirtschaftswachs-
tum brauchen wir mehr Investitionen in Bildung und
Forschung.

Aber wo Licht ist, ist eben auch Schatten, Frau Minis-
terin. Ich frage mich: Welche Spielräume hat die Bun-
desregierung geschaffen, um diesen Aufschwung zu un-
terstützen? Sie nennen hier die Hightechstrategie als
Kernaussage für die Wachstumsstrategie der Bundes-
regierung. Ich kann Ihnen nur von unserer Seite aus sa-
gen: Die Hightechstrategie bleibt ein Sammelsurium von
Forschungsprogrammen und Forschungsprojekten.


(Jörg Tauss [SPD]: Nein!)


Wir brauchen aber in Deutschland wie in anderen euro-
päischen Staaten das Bekenntnis zur Technologieführer-
schaft auf internationaler, auch auf europäischer Ebene.


(Beifall bei der FDP – Jörg Tauss [SPD]: Aber nicht nur auf einem Feld!)


Hier vermisse ich die Leitthemen, auf die Sie sich
auch haushaltspolitisch konzentrieren. Für die FDP sind
das erstens, wie es die Bundeskanzlerin während der
EU-Ratspräsidentschaft richtig gesagt hat, die Energie-
und Klimaforschung, zweitens die Gesundheits- und
Umweltforschung und drittens die Informations- und
Kommunikationstechnologie.

Wie sieht es denn mit der haushaltspolitischen Ver-
stärkung aus, meine Damen und Herren? Sie nennen zu
Recht das 3-Prozent-Ziel, also das Ziel, 3 Prozent des
BIP für Forschung auszugeben. Sie gehen aber bei Ihren
Berechnungen immer noch vom alten Bruttoinlandspro-
dukt aus. Deswegen werden wir, wenn wir nicht mehr
Kraftanstrengungen anstellen, dieses 3-Prozent-Ziel in
Deutschland nicht erreichen können.

Wie sieht denn die Struktur des Haushalts im Gesamt-
etat aus? Der Anteil des Einzelplans 30 – Bildung und
Forschung – am Gesamthaushalt beträgt genau 3,2 Pro-
zent, der des Einzelplans für Arbeit und Soziales fast die
Hälfte. Das sind nicht die richtigen Prioritätensetzungen,
wie wir sie uns für die Zukunft in Deutschland eigentlich
vorstellen.


(Beifall bei der FDP)

Die eigentliche soziale Herausforderung des 21. Jahr-
hunderts liegt ohne Zweifel in einer exzellenten Bil-
dungs- und Forschungspolitik. Die demografische Ent-
wicklung und der Fachkräftemangel fordern von uns
mehr Investitionen in Bildung und Forschung, als wir
bisher gehabt haben. Wir müssen da noch an Tempo zu-
legen.

Nehmen wir als Beispiel doch einmal unsere europäi-
schen Nachbarn! Frau Ministerin, in Großbritannien
werden die Forschungsinvestitionen von Unternehmen
mit bis zu 150 Prozent gefördert; sie können steuerlich
abgesetzt werden. Sie haben ein Energieforschungspro-
gramm angekündigt, das bis 2011 laufen und einen Um-
fang von 2 Milliarden Euro haben soll. Wir haben die
Energieforschung bisher jährlich mit 500 Millionen Euro
gefördert. Großbritannien hat gemeinsam mit der Wirt-
schaft einen Energieforschungsfonds gegründet, in den
1 Milliarde Pfund einfließen.


(Zuruf von der FDP: Hört! Hört!)


Wo sind die Anreize, die Sie für die Energiewirtschaft
setzen? Wir haben Ihnen vorgeschlagen, eine Stiftung
für Energieforschung ins Leben zu rufen, paketweise
Laufzeiten für Kernkraftwerke zu verlängern und den
Großteil der Erträge in einen Stiftungsfonds für Ener-
gieforschung fließen zu lassen, um die Investitionen in
diesen Wachstumsbereich zu erhöhen.

Die Deutschen sind laut OECD-Studie zu alt und zu
wenig gebildet. Auch das kommt im Bericht zur techno-
logischen Leistungsfähigkeit zum Ausdruck. Wir müs-
sen da zulegen. Wir haben zu wenig Akademiker. Wir
müssen bei der Bildung besser werden. Wir müssen bei
der Mobilität im eigenen Land besser werden. Immer
noch sind Schulabschlüsse und auch Hochschulab-
schlüsse unter den Bundesländern nicht gegenseitig an-
erkannt.


(Zuruf von der FDP: Unglaublich!)


Vor allen Dingen müssen wir natürlich auch dafür sor-
gen, dass der Fachkräftemangel nicht zur Wachstums-
bremse in Deutschland wird. Dazu kann ich Ihnen nur
sagen, Frau Ministerin: Da haben Sie eine Entwicklung
verschlafen.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1610812900

Kollegin Pieper, Sie müssen jetzt bitte zum Schluss

kommen; sonst sprechen Sie auf Kosten der Redezeit der
Kollegin Flach.


Cornelia Pieper (FDP):
Rede ID: ID1610813000

Wir haben im Juni die Ausländerrechtsreform ver-

abschiedet. Sie haben die Chance dieser Reform nicht
dafür genutzt, dass mehr Hochqualifizierte nach
Deutschland kommen können. Jetzt wird es eine Bun-
desratsinitiative auch unserer Länder geben.


(Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Was heißt „unserer Länder“?)


Wir werden diese Initiative unterstützen.


(Beifall bei der FDP)







(A) (C)



(B) (D)


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1610813100

Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege René

Röspel das Wort.


(Beifall bei der SPD)



René Röspel (SPD):
Rede ID: ID1610813200

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Schade, Frau Pieper, Sie fingen so gut an mit
dem berechtigten Lob für die Situation in Deutschland
– die Selbstkritik haben wir noch vor uns; die werden
wir auch üben –, und dann verfielen Sie leider wieder in
das übliche Mäkeln und Schwarzmalen.


(Jörg Tauss [SPD]: Ja, unglaublich! Mäkeln macht hässlich! – Gegenruf des Abg. Rainer Brüderle [FDP]: Tauss ist wach! Guten Morgen, Herr Tauss!)


Wenn Sie einmal in den Bericht hineingeschaut hätten
– er ist wirklich schön bunt gedruckt, und man findet
viele gute Statistiken –, dann hätten Sie gesehen, dass zu
der Zeit Ihrer Regierungsbeteiligung die Investitionen in
Forschung und Entwicklung zurückgegangen sind, ge-
senkt worden sind, am Boden lagen.


(Beifall bei der SPD)


Erst wir haben es geschafft, die Investitionen seit weni-
gen Jahren, langsam genug, wieder nach oben zu fahren.
Man kann zwar die Situation bemängeln, aber der Blick
zurück und das Fassen an die eigene Nase sind mitunter
sinnvoll und auch lehrreich.

Wir diskutieren heute über den Bericht zur techno-
logischen Leistungsfähigkeit Deutschlands 2007.
Deutschland ist zum vierten Mal hintereinander Export-
weltmeister. Frau Ministerin hat zu Recht gesagt: For-
schungsintensive Industriewaren im Volumen von
428 Milliarden Euro sind im Jahr 2005 aus Deutschland
in andere Länder geliefert worden. Damit sind wir Tech-
nologieexporteur Nummer eins in der Welt. Die Un-
ternehmen, die viel in Forschung und Entwicklung
investieren, die sogenannten F-und-E-intensiven Wirt-
schaftszweige, sind der wesentliche Träger unseres Pro-
duktionswachstums.

Deutschland ist gut bei den klassischen Industrie-
zweigen Automobilbau, Chemie, Maschinenbau. Wir
haben aber nur eine ausgeglichene Handelsbilanz – das
ist natürlich per se nicht schlecht – bei den Spitzentech-
nologien in anderen Bereichen. Da haben wir deutlichen
Nachholbedarf. Der Kollege Tauss wird gleich über die
Initiative der Koalitionsfraktionen zu Informations- und
Kommunikationstechnologien – da müssen wir wirklich
viel machen – berichten.

Ein Kapitel des Berichts bezieht sich auf die Umwelt-
wirtschaft, ein sicherlich wichtiger Faktor: Rund
5 Prozent aller Unternehmen in Deutschland befassen
sich mit Umwelttechnik und Umwelttechnologien;
4,8 Prozent der gesamten Industrieproduktion und drei
Viertel aller wissens- und forschungsintensiven Unter-
nehmen entstammen diesem Bereich. Nach Auskunft
des Berichts sind diese Unternehmen überdurchschnitt-
lich innovativ. Deutschland besitzt im Bereich der Um-
welttechnologie einen Weltmarktanteil von 16 Prozent;
damit sind wir größter Exporteur von Umwelttechnolo-
giegütern vor den USA. Trotzdem verläuft die Entwick-
lung der Branche – das steht ja auch im Bericht – schlep-
pend. Sie könnte deutlich besser laufen.

Dynamische Komponenten im Umweltbereich gibt es
allein im Bereich Klimaschutz – das seit neuem, seitdem
die Diskussion zu Recht aufgenommen worden ist – und
im Bereich regenerative Energien. In letzterem Bereich
ist unser Anteil am Welthandel seit der Jahrtausend-
wende deutlich gestiegen und steigt weiterhin. Das ist
übrigens ein gutes Beispiel für staatliche Lenkungs- und
Regulierungsmaßnahmen. Das Erneuerbare-Energien-
Gesetz, unter Rot-Grün geschaffen, ist – das wird deut-
lich im Bericht hervorgehoben – nicht nur gut für Klima
und Umwelt. Dass wir in erneuerbare Energien, in Solar-
und Windenergie investiert haben, ist auch gut für die
Wirtschaft und damit für die Schaffung neuer Arbeits-
plätze.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dennoch bleibt eine Vielzahl an Fragen offen. Wenn
man sich den Anteil der Investitionen in Forschung und
Entwicklung am Bruttoinlandsprodukt anschaut – das
wird auch im Bericht ausgeführt –, so stellt man fest,
dass wir hinter anderen Ländern hinterherhinken.
Schweden, Finnland, Japan, Korea, die Schweiz und die
USA investieren deutlich mehr in Forschung und Ent-
wicklung als Deutschland. Trotzdem sind wir Export-
weltmeister.

Es ist zwar gut, mehr Investitionen in FuE zu tätigen,
es müssen aber auch andere Parameter eine Rolle spie-
len, weil allein die Investitionen in Forschung und Ent-
wicklung demnach nicht dazu führen können, dass man
Exportweltmeister wird. Auf dem Forum Bildung der
SPD vor einigen Wochen hat Professor Bosch vom Insti-
tut für Arbeit und Qualifizierung der Universität Duis-
burg-Essen einen interessanten Vortrag gehalten. Er hat
gesagt – ich darf zitieren –: Das Geheimnis unserer
Wettbewerbsstärke liegt in der Diffusion von Innovation
durch die enge Kooperation von Entwicklern und quali-
fizierten Machern.

Was heißt das? Das heißt zum Beispiel, dass in den
USA und Großbritannien die mittlere Führungsebene
in den Unternehmen von gut ausgebildeten Ingenieuren
oder Wissenschaftlern, die an der Universität gelernt ha-
ben, besetzt wird. Diese haben profunde Kenntnis in
theoretischen Fragen. In den deutschen Unternehmen ist
das häufig anders: In der mittleren Führungsebene fin-
den sich hochqualifizierte Meister und Techniker, die gut
ausgebildet sind und eine lange Erfahrung haben. Das
sind die Macher, die Projekte umsetzen können.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das heißt, wenn wir an dieser Stelle von Technologie-
förderung und Leistungsfähigkeit reden, dürfen wir uns
nicht allein auf die Investitionen in Forschung und Ent-
wicklung konzentrieren, sondern wir müssten eigentlich






(A) (C)



(B) (D)


René Röspel
diesen Bericht zusammen mit dem Bundesbericht For-
schung und dem Nationalen Bildungsbericht zusammen
diskutieren, weil das ein Gesamtpaket ist und eine Ge-
samtbetrachtung notwendig ist.


(Beifall bei der SPD)


Wichtig ist nämlich, dass gut ausgebildete Fachkräfte
von der Universität und solche aus dem dualen Berufs-
bildungssystem, für das Deutschland steht, zusammen-
kommen und zusammenarbeiten. Verantwortung dafür
tragen gleichermaßen die Unternehmen und die Politik.
Die Unternehmen haben die Ausbildungsplätze zur Ver-
fügung zu stellen, damit möglichst viele junge Men-
schen – einige sind ja auch hier bei der Debatte anwe-
send – eine Chance haben, einen Ausbildungsplatz zu
finden und anschließend einen Beruf zu ergreifen,


(Beifall bei der SPD)


und vielleicht auch noch die Chance bekommen, sich
weiterzuqualifizieren und gute Meisterinnen und Meister
sowie Technikerinnen und Techniker zu werden – genau
die brauchen wir nämlich in der mittleren Führungs-
ebene – oder ein Studium aufzunehmen. Dafür, jungen
Leuten ein Studium zu ermöglichen, trägt im Wesentli-
chen die Politik die Verantwortung.

Das läuft leider nicht in allen Bundesländern gut. In
meinem Heimatland Nordrhein-Westfalen, CDU/FDP-
regiert, wird von der Abschaffung der Grundschulbe-
zirke bis zur Einführung von Studiengebühren die Aus-
bildungsauslese leider verschärft. Das heißt, die Mög-
lichkeiten für Kinder aus Arbeitnehmerfamilien bis hin
zu Familien aus der Mittelschicht, ein Studium aufzu-
nehmen, verschlechtern sich deutlich.


(Zuruf der Abg. Ulrike Flach [FDP])


Aufgrund der schon vorliegenden Anmeldezahlen, Frau
Flach, lassen sich schon Vergleiche anstellen: Die Zahl
der Studienanfänger in NRW ist um 3,9 Prozent zurück-
gegangen. Das Talent zählt immer weniger und der
Geldbeutel immer mehr.

Für uns von der SPD bleibt dagegen klar: Wir wollen
mehr Ausbildung in den Betrieben als wesentlichen Be-
standteil unseres Systems. Wir wollen mehr Bildung für
alle von Anfang an. Deswegen haben wir frühkindliche
Bildung und Förderung auf den Weg gebracht und für ei-
nen Ausbau von Ganztagsschulangeboten gesorgt. Wir
haben das höhere BAföG durchgesetzt und werden daran
festhalten, damit Bildung eben nicht vom Geldbeutel der
Eltern abhängt.


(Beifall bei der SPD)


Wir werden uns auch für das Meister-BAföG einsetzen.

Ich bin froh, dass in dem Bericht diese Gesamtbe-
trachtung nachvollzogen wird. Dort steht nämlich – die-
ses kurze Zitat sei mir erlaubt –:

Langfristig sollte ein deutlich höherer Anteil der
Schülerinnen und Schüler zur Studienberechtigung
ausgebildet werden, was allerdings einen grundle-
genden Wandel des deutschen Bildungssystems nö-
tig macht:

(Beifall bei der SPD – Zuruf vom BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Aha!)


eine Abkehr von der bisher auf Auslese ausgerich-
teten Bildungsphilosophie … zur größtmöglichen
Förderung.

Das ist erforderlich, damit wir kein einziges Talent – un-
abhängig davon, aus welchem Elternhaus es kommt –
liegen lassen.


(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD])


Wenn wir in die Menschen investieren, investieren wir in
die Technologieförderung. Beste Bildung heißt beste
Technologie.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1610813300

Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin

Dr. Petra Sitte das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Petra Sitte (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1610813400

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will

gern zugeben, dass Berichtslektüre nicht unbedingt zu
meinen Lieblingsbeschäftigungen gehört. Der Technolo-
giebericht war aber schon im letzten Jahr sehr interessant
und ist es auch in diesem Jahr.

Trotz anhaltender Exporterfolge hat sich die technolo-
gische Leistungsfähigkeit Deutschlands auf längere
Sicht nicht gut entwickelt – das war der Alarmsatz des
vorherigen Berichtes. Offensichtlich hat sich die Ein-
sicht verbreitet, dass es so nicht weiterlaufen kann. For-
schungs- und Innovationspolitik sind gewissermaßen aus
den Puschen gekommen. Jetzt hat man sich Hightech-
laufschuhe hingestellt.

Der jetzige Bericht honoriert das auch. Er zeigt aber
zugleich, wo auch diese Schuhe Blasen verursachen
können. Manche dieser Kritiken kommt mir sehr be-
kannt vor. Wir haben das hier schon sehr oft vorgetragen.


(Jörg Tauss [SPD]: Hightechlaufschuhe?)


– Darüber können wir gerne einmal reden. Davon ver-
stehe ich eine ganze Menge.

Erstens wird in dem Bericht das Verhältnis von
staatlichen zu privatwirtschaftlichen Forschungsaus-
gaben untersucht. Den wachsenden öffentlichen Ausga-
ben steht keine vergleichbare Entwicklung bei den FuE-
Ausgaben der Unternehmen gegenüber. Im Gegenteil:
Man beobachtet die Tendenz, dass die Unternehmen ei-
gene Ausgaben mindern, indem sie öffentliche Förder-
mittel in Anspruch nehmen. Das ist eine absurde Ent-
wicklung, der Einhalt geboten werden muss.

Zweitens wird in dem Bericht kritisiert, dass der Lö-
wenanteil öffentlicher Fördermittel bereits boomenden
Großunternehmen gewährt wird. In diesem Zusammen-
hang werden Unternehmen aus der Automobilindustrie,
dem Maschinenbau, der Chemie, der Informations- und






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Petra Sitte
Kommunikationstechnik sowie der Logistik genannt. Sie
werden sich erinnern, dass genau diese Unternehmen
hervorragende Exportwerte erzielen. Das heißt also
nichts weiter, als dass man fette Kröten noch fetter
macht und dass die öffentliche Förderung an anderen,
viel notwendigeren Stellen letztlich auf zu schmalen Fü-
ßen steht.

Drittens sollen laut Bericht innovative kleine und
mittelständische Unternehmen ins Zentrum der Förde-
rung gerückt werden. Ich bin den Verfassern des Be-
richts an dieser Stelle überaus dankbar. Sie sagen näm-
lich etwas, was wir uns hier nie trauen dürfen: dass die
Unternehmensteuerreform für genau diese Unterneh-
mensgruppe keine Impulse für eigenständige FuE-Akti-
vitäten setzen wird.


(Ulrike Flach [FDP]: Das sagen wir aber ständig, Frau Sitte!)


– Prima; dann sind wir ja schon zu zweit. – Deshalb
muss der Wissenstransfer zu innovativen kleinen und
mittelständischen Unternehmen konsequent stimuliert
werden. Vor allen Dingen müssen auch die Startbedin-
gungen für innovative Unternehmensgründungen ver-
bessert werden.

Als Instrumente werden in dem Bericht unter ande-
rem Wagniskapital und die Forschungsprämie unter-
sucht. So erhalten Wissenschaftseinrichtungen mit der
Forschungsprämie zusätzliche Gelder auf ihre Einnah-
men aus Forschungsaufträgen aus der Wirtschaft. Sie be-
kommen also sozusagen den Blubb in den Spinat.

Dort liegt aber nicht das Hauptproblem. Darauf habe
ich schon oft hingewiesen. Der Bericht bestätigt das end-
lich. Dort heißt es nämlich – ich zitiere –: Insgesamt gilt,
dass die Forschungsprämie nicht an einer ausgemachten
Schwachstelle der Wissenschafts-Wirtschafts-Koopera-
tion ansetzt.

Die Linke hält es für sinnvoll, die Forschungsprämie
auf innovative kleine und mittelständische Unternehmen
auszudehnen. Dabei wollen wir auch die gemeinnützi-
gen Forschungs-GmbHs im Osten einbeziehen, die einen
Großteil der Industrieforschung betreiben. Nun ist diese
Position endlich im Haushalt vermerkt. Sie nennt sich
dort Forschungsprämie II und soll mit 76 Millionen Euro
und weiteren Steigerungen in den Folgejahren ausgestat-
tet werden. Das freut mich. Steter Tropfen höhlt den
Stein; er hat Erfolg.

Einen vierten Problemkreis, der im Bericht angespro-
chen wird, könnte man eigentlich auf eine tibetanische
Gebetsmühle schreiben: Fachkräftemangel, Fachkräf-
temangel, Fachkräftemangel. Seit Jahren wird darüber
geredet. Aus eigener Erfahrung kenne ich entsprechende
Debatten aus meiner Zeit als Landtagsabgeordnete; aber
auch im Bundestag ist dieses Thema schon längere Zeit
aktuell. In diesem Punkt ist der Bericht mit Aussagen
aus den Vorgängerberichten deckungsgleich. Diese Fehl-
entwicklung reißt natürlich große Löcher in den High-
techbereich dieses Landes.

Kehren wir noch einmal zu dem Bild aus dem Sport-
bereich zurück: Wir haben sehr gute Sportschuhe und
hervorragende Wettkampfstätten. Aber was fehlt, sind
die Spitzensportler. So verpufft die ganze Investition.

In dem Bericht werden auch Gründe genannt, die der
Linken ausgesprochen bekannt vorkommen: Die Abbre-
cherquoten an den Hochschulen sind dramatisch hoch.
Das ist die logische Konsequenz einer verfehlten und un-
terfinanzierten Studienreform.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Studiengebühren, so steht es im Bericht, schrecken
Studienbewerberinnen und Studienbewerber ab. Das ha-
ben auch wir schon mehrfach gesagt.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Dass es in dem Bericht ebenso gesehen wird, sollte end-
lich Anlass sein, einmal umzusteuern.

Ebenso kontraproduktiv wirken schlechte Studienbe-
dingungen und natürlich auch zusätzliche Zulassungsbe-
schränkungen der Hochschulen. Hochschulpakt und
Exzellenzinitiative als Gegenmaßnahmen der Bundesre-
gierung reichen gemäß dem Bericht in dieser Form nicht
aus. Der Bericht besagt auch noch – das ist ein sehr
schöner Satz, Herr Röspel, den Sie herausgesucht haben;
ich habe ihn mir über den Spiegel gehängt –, dass das
Prinzip der Auslese verlassen werden muss, um eine
größtmögliche individuelle Förderung einzuräumen.


(Beifall bei der LINKEN – René Röspel [SPD]: Ich wusste, dass Sie das vorlesen würden! – Jörg Tauss [SPD]: Das haben wir schon immer gesagt! Das ist klassische SPD-Position!)


Das gehört natürlich alles zu dem Kanon, mehr Fach-
kräfte auszubilden.

Was können Sie wirklich ändern? Sie können in die-
sem Hause nicht wirklich etwas ändern, weil Sie sich im
vergangenen Jahr mit der Föderalismusreform alle In-
strumente selber aus der Hand geschlagen haben. Sie
müssen jetzt versuchen, zusammen mit den Ländern ein
Wissenschaftsförderprogramm aufzulegen – Sie müssen
sozusagen darum bitten, dass man das gemeinsam macht –,
damit man an diesem Punkt entsprechende Ausgaben tä-
tigen kann und damit endlich der Fachkräfte- und Aka-
demikermangel konsequent angegangen werden kann.

Was lehrt uns dieser Bericht insgesamt? Er lehrt uns,
dass staatliche Bildung, Forschungs- und Technologie-
politik zusammengehören und dass man daraus keinen
Flickenteppich machen darf, weil die angestrebten Ziele
komplex sind.


(Jörg Tauss [SPD]: Deshalb heißt es Bildung und Forschung!)


Nur so – ich will ausdrücklich daran erinnern, weil es
um Steuergelder geht – kann ein echter Mehrwert für un-
sere Gesellschaft entstehen: mehr Beschäftigung, gesi-
cherte soziale Lebensverhältnisse und Minimierung des
Ressourceneinsatzes.

Danke schön.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Petra Sitte

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Swen Schulz [Spandau] [SPD])



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1610813500

Das Wort hat die Kollegin Priska Hinz für die Frak-

tion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Be-
richt, über den wir heute diskutieren, zeigt sehr deutlich,
dass die Grundlage für die technologische Leistungsfä-
higkeit in Bildung, Ausbildung und der Qualifizierung
von Nachwuchswissenschaftlern liegt. Auch ich habe
mir diesen vorhin schon mehrmals zitierten Satz des Be-
richts zu Gemüte geführt,


(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Ich komme damit auch noch mal!)


dass wir einen Wandel im deutschen Bildungssystem
brauchen. Das wird der Bundesregierung ins Stammbuch
geschrieben. Ich finde, das sollte vor allen Dingen die
CDU einmal beherzigen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das mehrgliedrige Schulsystem ist eine echte Innova-
tionsbremse.


(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Das steht in allen Studien. Auch alle Wirtschaftsinstitute
werden Ihnen das bestätigen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Nicht nur die Zahl der fehlenden Ausbildungsplätze
und die Tatsache, dass ein Konzept zur Weiterbildung
bislang fehlt, sondern auch der Anteil der Studienbe-
rechtigten lässt zu wünschen übrig. Hier muss mehr ge-
tan werden, um dem drohenden Fachkräftemangel in un-
serem Land zu begegnen. Ich muss feststellen, dass auch
die SPD dem nichts entgegenzusetzen hat; denn die Ko-
alition entfernt sich immer mehr von dem Ziel, eine An-
fängerquote von 40 Prozent zu erreichen. Die Quote
liegt mittlerweile unter 35 Prozent. Auch das schwächt
die Leistungsfähigkeit dieses Landes.


(Jörg Tauss [SPD]: Was hat das mit der SPD zu tun?)


– Sie sind doch mit in der Bundesregierung, oder nicht?
Dem müssen Sie doch entgegenwirken.

Was tun Sie denn gegen den Mangel an Frauen in
technischen und naturwissenschaftlichen Ausbildungs-
gängen und Berufen? Auch hier ist keine Strategie zu se-
hen. Wir wissen doch: In allen Bereichen der wissen-
schaftlichen Forschung sind Frauen unterrepräsentiert.
Frau Schavan, Sie müssen die Vergabe von Fördergel-
dern endlich daran knüpfen, dass Stellen mit Frauen be-
setzt werden. Frauen gehören zu dem Potenzial, das für
die technologische Leistungsfähigkeit auch in der Wis-
senschaft in Deutschland wichtig ist. Da müssen Sie
endlich mehr tun, als immer nur Sonntagsreden zu hal-
ten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Kritisiert wird in dem vorliegenden Bericht auch der
Mangel an Zuzug von ausländischen qualifizierten
Fachkräften; darauf sind Sie ja kurz eingegangen, Frau
Schavan. Sie haben mit dem Zuwanderungsgesetz nichts
verbessert. Die ausländischen Studierenden werden
künftig nur für ein Jahr eine Aufenthaltserlaubnis erhal-
ten. Diese Regelung führt zu einem hohen bürokrati-
schen und finanziellen Aufwand, zeigt aber auch, dass
ausländische Studierende hier nicht willkommen sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Dass die Forschungsorganisationen verpflichtet werden,
die Kosten für eine eventuelle Abschiebung der exzel-
lenten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die
aus dem Ausland nach Deutschland geholt wurden, zu
zahlen, ist doch ein Rückschritt und kein Fortschritt. Das
ist doch kein Willkommensgruß für ausländische Wis-
senschaftler und Wissenschaftlerinnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Im Übrigen haben Sie, Frau Schavan, mit Ihrer na-
mentlichen Abstimmung über diesen Gesetzentwurf die
Absenkung der Einkommensgrenze für Höherqualifi-
zierte verhindert, um anschließend, nämlich eine Woche
später, auf jeder Pressebühne lauthals zu verkünden,
dass Sie das eigentlich ganz anders wollen. Dafür hätten
Sie vorher lauthals im Kabinett werben sollen. Sie hätten
in den Ausschuss kommen und unserem Antrag zustim-
men sollen. Sie hätten vorher in der Koalition dafür
kämpfen sollen und sollten nicht hinterher sagen: Jetzt
bin ich eigentlich dafür, dass das Gesetz noch einmal
verändert wird. – Wir wissen doch, dass das in den
nächsten Jahren nicht erfolgen wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das ist ein absurdes Spiel, was Sie hier vorführen.

Auch zeigt sich, dass die Bundesregierung in den ein-
zelnen Bereichen das Leistungspotenzial noch nicht
ausgeschöpft hat – auch nicht durch entsprechende För-
derinstrumente. Ich nenne zum Beispiel die Umwelt-
technik. Da gibt es immer noch jede Menge ineffektiver
Energieforschungsförderung. Zum Beispiel werden Mil-
lionen Euro durch falsche Planung und Verzögerungen
beim Bau des Kernfusionsreaktors in Greifswald in den
Sand gesetzt.


(Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Das ist ja unglaublich! Da redet die Blinde von der Farbe!)


Sie begreifen anscheinend trotz des Energiegipfels im-
mer noch nicht, dass wir eine Bildungs- und Forschungs-
initiative im Bereich der erneuerbaren Energien brau-
chen und nicht auf Atomenergie setzen sollten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wahrscheinlich haben Sie die Debatte zur Energiefor-
schung auf die Nachtstunden gesetzt, damit die Reden






(A) (C)



(B) (D)


Priska Hinz (Herborn)

hierzu zu Protokoll gegeben werden können und nicht
wieder vor dem versammelten Hause ein Streit in der
Koalition ausbricht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir dagegen fordern in unserem Antrag, dass das
Marktanreizprogramm zu einem Innovationsprogramm
umgestaltet wird. Es muss auch für die Bereiche Strom
und Mobilität geöffnet werden, damit die Entwicklung
einer nachhaltigen Energiegewinnung und alternativer
Antriebssysteme im gesamten Verkehrsbereich gefördert
werden kann. Davon können dann vor allen Dingen
kleine und mittlere Unternehmen mit ihren Fachkräften
profitieren.

Ich möchte noch auf einen anderen Punkt zu sprechen
kommen, Herr Tauss, auf Ihre IKT-Strategie.


(Jörg Tauss [SPD]: Zu der sage ich gleich etwas!)


In Ihrem Antrag erklären Sie die IKT zum wichtigsten
Innovationsmotor.


(Jörg Tauss [SPD]: Das ist eines der Felder! Richtig!)


– Sie sind die Nummer eins; so steht es in Ihrem An-
trag. – Dann behaupten Sie doch tatsächlich, dass ein
wichtiges Element der IuK-Politik der Großen Koali-
tion die Förderung der Exzellenzinitiative ist. Wen wol-
len Sie hier eigentlich für dumm verkaufen?


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Jörg Tauss [SPD]: Niemanden!)


Die Exzellenzinitiative ist so gestaltet, dass die Bundes-
regierung und auch die Koalition keinen Einfluss darauf
nehmen können, welche Cluster und welche For-
schungsfelder von der Jury ausgewählt werden.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das muss doch nicht alles die Politik machen!)


Dann zu sagen: „Das ist Bestandteil unserer Forschungs-
förderstrategie“, ist mehr als peinlich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das steht in Ihrem Antrag. Sie sollten ihn vielleicht ein-
mal genauer lesen, bevor Sie ihn unterschreiben.

Das Schönreden geht weiter: Sie brüsten sich damit,
dass der funktionierende Wettbewerb in Deutschland zu
einer ausgezeichneten Kommunikationsinfrastruktur führt.
Das stimmt leider nicht. Im Gegenteil: Deutschland hinkt
hinsichtlich des Breitbandausbaus im Vergleich mit den
anderen europäischen Staaten weit hinterher. Insbeson-
dere beim DSL-Ausbau steht Deutschland schlecht da.
Noch schlimmer ist aber, dass die Regierungsfraktionen
ebendiesen funktionierenden Wettbewerb durch das neue
Telekommunikationsgesetz verhindern. Wenn die Tele-
kom von der Regulierung ausgeschlossen wird, fördert
das den Wettbewerb nicht, sondern verhindert ihn. Das ist
keine gute Botschaft für den Standort Deutschland.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie sollten unseren Antrag nutzen, um Ihre Regie-
rungspolitik zu verbessern. Setzen Sie hinsichtlich der
Qualifizierungsstrategie für Ausbildung und in den Zu-
kunftsfeldern Energie, IuK-Technologie, Nanotechnolo-
gie und Weiße Biotechnologie auf die von uns benannten
Anreize, um das 3-Prozent-Ziel zu erreichen. Dann wer-
den wir die technologische Leistungsfähigkeit tatsäch-
lich nachhaltig ausbauen können.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1610813600

Kollegin Hinz, Sie müssen bitte zum Schluss kom-

men.

Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Stimmen Sie unserem Antrag zu; dann sieht der
nächste Bericht noch besser aus.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1610813700

Das Wort hat die Kollegin Ilse Aigner für die Unions-

fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ilse Aigner (CSU):
Rede ID: ID1610813800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Erst vor wenigen Wochen konnten
wir über den Bericht zur technologischen Leistungsfä-
higkeit 2006 diskutieren. Das war leider etwas spät.
Heute aber diskutieren wir über den fast druckfrischen
Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit 2007.


(Ulrike Flach [FDP]: Aber auch nur bis 2005!)


Ich begrüße das als ein Zeichen dafür, dass die technolo-
gische Entwicklung in diesem Land von diesem Haus,
der Koalition und der Bundesregierung als wichtig er-
achtet wird.

Der Bericht befasst sich allerdings im Wesentlichen
mit der Vergangenheit. Sehr geehrte Frau Hinz, die Kri-
tik bezieht sich auf die Zeit, in der Sie mit Verantwor-
tung getragen haben. Auch das sollte man einmal sagen.

Wichtig ist aber, dass der Bericht auch Zukunftsfra-
gen berücksichtigt. Zum Beispiel geht er auf Aspekte
unserer Hightechstrategie ein und bewertet es als posi-
tiv, dass wir uns um die Rahmenbedingungen für For-
schung und Innovation kümmern. Wir wissen, dass das
zwingend notwendig ist; denn die anderen Länder holen
auf. Sie investieren nicht nur massiv in Forschung und
Entwicklung, sondern haben meist auch günstigere Rah-
menbedingungen, insbesondere was die Lohnnebenkos-
ten und die Lohnstückkosten betrifft. Wie lange das ihr
einziger Vorteil sein wird, ist fraglich. Ich glaube, sie
werden auch in den anderen Bereichen aufholen. In die-
sem Hause sind wir uns einig, dass wir den Wettlauf um
die billigsten Löhne nicht gewinnen werden und auch
nicht gewinnen wollen.






(A) (C)



(B) (D)


Ilse Aigner

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE])


Wir sollten uns aber auch darüber einig sein, dass wir um
den Teil, den wir teurer sind, auch besser sein müssen.
Vielleicht müssen wir in manchen Bereichen einfach nur
schneller und etwas mutiger sein.

Deutschland ist ein Land mit einem unwahrscheinli-
chen Ideenreichtum. Das zeigen die nach wie vor her-
vorragenden Patente, die angemeldet werden. Ob und
wie die Zahl der Patentanmeldungen gesteigert werden
kann, ist eine wichtige Frage. Noch viel wichtiger ist
aber die Frage, wie wir die Patente schnellstmöglich in
erfolgreiche Produkte umsetzen können.

Der Bericht geht auch auf die gerade verabschiedete
Unternehmensteuerreform ein. Einerseits wird aner-
kannt – das halte ich nach wie vor für wichtig –, dass die
gesenkten Steuersätze auch in den Bereichen Forschung
und Entwicklung positive Impulse mit sich bringen. An-
dererseits sieht es der Bericht als problematisch an, dass
die Gegenfinanzierungsmaßnahmen insbesondere im
Bereich der innovativen Unternehmen nicht nur positive
Auswirkungen haben. Das haben wir in der Debatte be-
reits angesprochen. Wir begrüßen, dass zeitgleich der
Entwurf eines Wagniskapitalgesetzes eingebracht wer-
den soll, das genau diese Probleme aufgreift und ausbes-
sert.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich glaube, dass sich die Mitglieder unserer Arbeits-
gruppe in diesem Bereich noch mehr vorstellen können.
Mehr war allerdings nicht möglich. Umso mehr möchte
ich mich bei den Verhandlungsführern der Unionsfrak-
tion bedanken, dass sie gerade hier wesentliche Verbes-
serungen der ursprünglichen Eckpunkte des Wagniskapi-
talgesetzes erreicht haben. Das ist mit Sicherheit ein
Schritt in die richtige Richtung.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Der Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit
Deutschlands enthält erstmals ein eigenes Kapitel zur
Leistungsfähigkeit unserer Umweltwirtschaft. Ich denke,
das ist aus guten Gründen so. Denn der gesamte Bereich
der Umwelttechnologien gehört zu den Zugpferden un-
serer Wirtschaft. Wir sind hier Exportweltmeister und
wollen es auch bleiben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Der Klimawandel ist eine riesige technologische He-
rausforderung. Die Kompetenz unserer Wirtschaft auf
diesem Gebiet ist daher weltweit gefragter denn je. Die
Deutsche Bank hat gerade eine Studie mit dem Titel
„Manche mögen’s heiß!“ herausgegeben. Darin wird un-
tersucht, welche Branchen vom Klimawandel profitieren
können. Dies sind natürlich in erster Linie CO2-freie
oder CO2-arme Energietechnologien und ein großer Teil
der Umwelttechnologien.

Ich will aber ausdrücklich hinzufügen: Hier geht es
nicht nur um wirtschaftliche Exportchancen. Die hohe
Kompetenz unserer Wissenschaft und Wirtschaft bringt
auch eine besondere Verantwortung mit sich. Weil wir es
können, müssen wir eine internationale Schrittmacher-
funktion bei der Begrenzung des Klimawandels und sei-
ner Folgen übernehmen.

In dem Bericht wird allerdings auch ein Absinken der
FuE-Projektförderung im Umweltbereich im Berichts-
zeitraum konstatiert, also deutlich in der Vergangenheit.
Ich glaube, das können wir uns nicht leisten.


(Beifall des Abg. René Röspel [SPD])


Die Ministerin mit ihrem Haus hat deutliche Zeichen ge-
setzt. In den vergangenen Haushalten wurden und in den
nächsten Haushalten werden die Mittel für die Projekt-
förderung deutlich aufgestockt.

Unsere Unternehmen müssen immer neue Lösungen
anbieten können. Dazu brauchen sie Unterstützung. Es
gibt noch viele Beispiele, gerade im Umweltbereich. In
dieser Woche, in der der Energiegipfel stattgefunden hat,
sind wichtige Zeichen gesetzt worden.

Es gibt viel zu tun. Wir packen es auch an. Wir wollen
mit unserer Ministerin und unseren Arbeitsgruppen die
Forschung und Entwicklung für eine gute Zukunft nach
vorne treiben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1610813900

Das Wort hat die Kollegin Ulrike Flach für die FDP-

Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Ulrike Flach (FDP):
Rede ID: ID1610814000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das vor-

liegende Zahlenwerk macht die Defizite der deutschen
technologischen Leistungsfähigkeit der letzten Jahre
wieder einmal sehr klar.


(Jörg Tauss [SPD]: Jetzt sagen Sie doch einmal etwas Nettes!)


Erstens. In der rot-grünen Regierungszeit, lieber Herr
Tauss, sind wir dem 3-Prozent-Ziel nicht wesentlich nä-
hergekommen, obwohl Sie deutlich mehr als vorher aus-
gegeben haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Aber nähergekommen!)


Das Gegenteil ist der Fall. Wir haben jetzt eine etwas
bessere Situation. Sie, Frau Schavan, geben mehr aus.
Aber, wie wir gestern im Haushaltausschuss besprochen
haben, gibt es auch in Ihren Reihen eine ganze Reihe
von Personen, die fest davon überzeugt sind, dass wir
das 3-Prozent-Ziel trotzdem nicht erreichen werden. An
dieser Stelle möchte ich Herrn Röspel auf Folgendes
hinweisen: Es ist immer einfach, zu sagen, dass vorher
alles schlecht war.


(Jörg Tauss [SPD]: Nicht alles, aber vieles!)







(A) (C)



(B) (D)


Ulrike Flach
In den 80er-Jahren waren wir schon bei 2,9 Prozent,
übrigens unter einem liberalen Bildungsminister. Das
sage ich zu Ihrer Erinnerung.


(Jörg Tauss [SPD]: Möllemann! Einmal 1 Milliarde!)


– Dreimal.

Zweitens. Der Zugang von jungen FuE-Unternehmen
zu Wagniskapital ist im internationalen Vergleich man-
gelhaft. Das, was Sie unter Rot-Grün geboten haben, war
nicht gewaltig. Bei Ihnen, Frau Schavan, wird es besser.
Aber es bleibt ein massives Manko.

Drittens. Die Absolventenquoten – darüber wurde
vorhin schon viel geredet – an den deutschen Hochschu-
len waren zu gering. Die Abbrecherquoten an Schulen
und Hochschulen waren zu hoch. Hier sehen wir defini-
tiv keinen Fortschritt. Ich glaube auch nicht, Frau
Schavan, dass die Qualifizierungsoffensive im Herbst
viel helfen wird. Ich denke, das ist der falsche Weg.


(Jörg Tauss [SPD]: Warten wir einmal ab!)


Übrigens, lieber Herr Tauss, nicht die liberale Partei,
sondern die Stiftung Marktwirtschaft


(Jörg Tauss [SPD]: Noch schlimmer! – Rainer Brüderle [FDP]: Da sind Sozis dabei!)


hat vor wenigen Tagen erklärt, die internationale Wett-
bewerbsfähigkeit des Landes verschlechtere sich zwar
nur langsam, aber dennoch gebe es Anzeichen dafür,
dass Deutschland seinen Vorsprung bei der technologi-
schen Leistungsfähigkeit zunehmend verliert bzw. teil-
weise verloren hat. Ich glaube nicht, dass ein solcher
Satz in irgendeiner Weise das belegt, was Sie gerade ver-
sucht haben, uns klarzumachen. Es geht offensichtlich
nicht besser, sondern stagniert bzw. wird schlechter.


(Beifall bei der FDP)


Lassen Sie mich noch etwas dazu sagen, dass wir
mehr ausgeben sollen. Frau Schavan, wir haben darüber
schon sehr oft ziemlich ausführlich diskutiert. Sie haben
Probleme, uns zu belegen, dass dadurch, dass Sie zuge-
gebenermaßen mehr Geld investieren – wir finden es
gut, dass Sie das tun –, tatsächlich neue Arbeitsplätze
entstehen. Darüber hinaus haben Sie Schwierigkeiten
mit der Statistik. Das ist allerdings Ihr Problem; ich
hoffe, Sie können es lösen.

Sie haben uns in diesem Hause und andernorts immer
wieder gesagt, dass Sie durch Ihre Aktion 1,5 Millionen
zusätzliche Arbeitsplätze im wissensbasierten Bereich
schaffen wollen. Daran sind Sie zu messen. Ich hoffe,
dass Sie dieses Ziel erreichen. Auch wir wollen natür-
lich, dass so viele Arbeitsplätze entstehen. Aber wir kön-
nen einfach nicht glauben, dass Sie dieses Ziel durch die
Maßnahmen, die Sie bisher auf den Weg gebracht haben,
erreichen werden.


(Florian Pronold [SPD]: Sehr flach!)


Meine Damen und Herren, lassen Sie mich auf das
Thema Wagniskapital zurückkommen. Herr Professor
Riesenhuber hat uns bereits erklärt, dass all das ganz toll
sei.

(Jörg Tauss [SPD]: Er erklärt es Ihnen gerne noch einmal!)


Aber wie Sie wissen, sehen Ihre eigenen Leute das nicht
so. An dieser Stelle möchte ich Herrn Meister zitieren,
der gesagt hat, es sei „schade, dass eine Einigung mit der
SPD nur für den Teilbereich des Wagniskapitals erzielt
werden konnte.“ Offensichtlich habe sich der Finanz-
minister „nicht gegen die linken Kräfte seiner Partei und
Fraktion durchsetzen können.“


(Jörg Tauss [SPD]: Was?)


Lieber Herr Riesenhuber, ich wäre froh gewesen,
wenn es anders gekommen wäre. Aber wir sind in
Deutschland nach wie vor nicht in der Lage, vor allem
die jungen und innovativen Unternehmen zu stützen. Ich
wäre auch froh gewesen, wenn Sie an dieser Stelle dem
Antrag der Grünen gefolgt wären. Die Grünen haben das
Problem nämlich richtig erfasst. Daher werden wir ihnen
an dieser Stelle folgen. Der Schwerpunkt muss bei For-
schung und Entwicklung gesetzt werden.

Das, was Sie, Frau Schavan – offensichtlich gemein-
sam mit Finanzminister Steinbrück –, machen, ist Fol-
gendes: Sie stützen vor allen Dingen die mittelständi-
sche Wirtschaft. Das ist ein honoriges Ziel. Im Prinzip
ist dagegen nichts einzuwenden.


(Jörg Tauss [SPD]: Ja!)


Aber die technologische Leistungsfähigkeit unseres Lan-
des werden Sie dadurch nicht exzessiv steigern.


(Jörg Tauss [SPD]: Warum das denn nicht? Das ist doch ein zentrales Problem!)


Zum Abschluss möchte ich noch auf das Zuwande-
rungsgesetz zu sprechen kommen. Hier nützt blühende
Rhetorik wenig. Sie werden Ihre Anstrengungen deut-
lich erhöhen müssen. Bereits am Freitag dieser Woche
könnten Sie das Zuwanderungsgesetz im Bundesrat über
die Länder, in denen Sie regieren, entsprechend verän-
dern.


(Jörg Tauss [SPD]: Oh! Macht das doch über eure Länder! Was ist denn mit BadenWürttemberg? Dass da etwas passiert, bezweifle ich aber!)


Unsere Unterstützung hätten Sie. Ich glaube, das würde
unserem Standort insgesamt sehr nützen.


(Beifall bei der FDP – Jörg Tauss [SPD]: Da bin ich aber auf Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen gespannt! – Florian Pronold [SPD]: Sehr flach!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1610814100

Das Wort hat der Kollege Swen Schulz für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Das wird jetzt gut!)



Swen Schulz (SPD):
Rede ID: ID1610814200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Vorbe-






(A) (C)



(B) (D)


Swen Schulz (Spandau)

reitung auf meine Rede fiel mir ein, dass ich im
Jahre 2003 meine erste Rede im Deutschen Bundestag
gehalten habe.


(René Röspel [SPD]: Und die war gut!)


Das Thema meiner damaligen Rede war der Bericht zur
technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands. Ich
möchte jetzt nicht in Erinnerungen an die guten alten rot-
grünen Zeiten schwelgen, obwohl das sicherlich Spaß
machen würde.


(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Vielmehr möchte ich auf etwas hinweisen, was ich in
meiner damaligen Rede gesagt habe – an dieser Stelle
möchte ich mich ausnahmsweise einmal selbst zitie-
ren –:

Im Technologiebericht nimmt der Bereich Bildung
diesmal zu Recht einen Schwerpunkt ein; denn
schließlich stellt das Bildungssystem das Funda-
ment der technologischen Leistungsfähigkeit dar.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Da hattest du recht! – Florian Pronold [SPD]: Super!)


– Ja, damit hatte ich schon damals recht.


(Jörg Tauss [SPD]: Ja, schon damals!)


Im weiteren Verlauf meiner Rede sagte ich etwas über
die damalige Opposition; das lasse ich jetzt weg.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD – Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum das denn? Das wäre doch jetzt einmal interessant! Bitte vorlesen!)


Dann geht es wie folgt weiter:

Der Bericht beschreibt insbesondere im Bereich der
Hochqualifizierten einen deutlichen Mangel, der zu
erheblichen Problemen führen wird, wenn wir nicht
energisch gegensteuern.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


In der Tat: Wo ich recht habe, habe ich recht.

Im Ernst: Das Thema Fachkräftemangel war schon
zum damaligen Zeitpunkt, im Jahre 2003, nicht neu. In
jedem Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit
der letzten Jahre wurde dieses Problem beschrieben, und
zwar als immer drängender. Die Botschaft lautete: Wir
müssen erhebliche Anstrengungen unternehmen, damit
wir nicht abgehängt werden, damit wir unsere Volkswirt-
schaft weiterentwickeln können und damit wir auch ge-
sellschaftlich vorankommen. Das kommt übrigens auch
in anderen Studien klar zum Ausdruck.

In der letzten Woche haben wir im Ausschuss über die
Ergebnisse einer Studie des Büros für Technikfolgenab-
schätzung zur Zukunft der Arbeit diskutiert. In dieser
Studie wurde ganz deutlich ein doppeltes Dilemma be-
schrieben: Einerseits gibt immer weniger Tätigkeiten für
Geringqualifizierte, und andererseits fehlen immer mehr
Hochqualifizierte.
Jetzt hat die Bundesbildungsministerin einen Vorstoß
gemacht, um den Zuzug ausländischer Fachkräfte zu
erleichtern. Frau Ministerin, ich finde das gut, weil Sie
damit ein Thema ansprechen, das für die politische
Rechte schwierig ist. Allerdings stellt sich die grundle-
gende Frage, was getan wird, um das Bildungswesen in
Deutschland so zu verbessern, dass ein Fachkräfteman-
gel gar nicht erst entsteht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Denn es ist klar: Dieses Problem ist hausgemacht.

Damit keine Missverständnisse entstehen: Der Bund
– Rot-Grün und nun die Große Koalition – hat Erhebli-
ches geleistet, und wir haben noch viel vor: vorschuli-
sche Bildung und Betreuung. Das Ganztagsschulpro-
gramm war ein Erfolg.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Es gibt den Hochschulpakt. Wir verbessern das BAföG,
ergreifen Initiativen zur Förderung der Aus- und Weiter-
bildung und vieles mehr. Der Bundeshaushalt für Bil-
dung und Forschung ist seit 1998 stark angestiegen.
Auch im Entwurf für 2008 sind kräftige Zuwächse vor-
gesehen. Doch wir dürfen im Tempo nicht nachlassen,
wir müssen weiter zulegen. Wir müssen aber auch sehen:
Die Bundesregierung, der Bundestag kann das nicht al-
leine schaffen – dazu benötigen wir die Bundesländer
und natürlich auch die Wirtschaft.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Es ist doch aberwitzig, dass viele Unternehmen jahre-
lang ihren Ausbildungspflichten nicht nachkommen und
nun von der Politik verlangen, sie möge den Weg frei-
machen für die erleichterte Anwerbung von ausländi-
schen Fachkräften.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich meine, wir sollten das nur zulassen, wenn die Wirt-
schaft im Gegenzug verpflichtet wird, sich endlich selbst
ausreichend um Aus- und Weiterbildung zu kümmern.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Im Bericht wird von der realen Gefahr eines massiven
Unterangebots an akademischen Fachkräften gespro-
chen, und es wird als kurzfristige Maßnahme, gewisser-
maßen zur Überbrückung aktueller Engpässe, die
Erleichterung der Beschäftigung ausländischer Fach-
kräfte vorgeschlagen. Vor allem aber hebt der Bericht
auf langfristig wirkende Maßnahmen in Deutschland ab:
Ein deutlich höherer Anteil der Ausländer, die an deut-
schen Hochschulen einen Abschluss machen, sollen in
Deutschland gehalten werden. Wir haben ja ausländi-
sche Studierende, aber eher zu wenige als zu viele. Erst
investieren wir in ihre Bildung, dann schicken wir viele
von ihnen wieder weg – das ist Unsinn.


(Beifall des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN] – Ulrike Flach [FDP]: Das ist kurzsichtig!)







(A) (C)



(B) (D)


Swen Schulz (Spandau)

In dem Bericht wird darüber hinaus gefordert, die Ab-
brecherquoten an den Hochschulen zu senken. Zitat:
Dazu sind mehr Mittel für die Lehre notwendig. – Rich-
tig: Wir müssen in die Qualität der Lehre investieren.
Die Studierendenquote – auch das steht im Bericht –
muss erhöht werden. Dafür muss das Studium attraktiver
gemacht werden, und es darf keine unnötigen Zugangs-
beschränkungen geben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir brauchen den Ausbau der Kapazitäten. Der Hoch-
schulpakt ist ein guter Auftakt; aber es muss schnell ei-
nen Hochschulpakt II mit ausreichenden Mitteln und
Planungssicherheit für den bedarfsgerechten Ausbau der
Studienplätze geben.


(Beifall des Abg. René Röspel [SPD])


Völlig zu Recht werden in dem Bericht vor allem die
Länder in der Pflicht gesehen – sie wollen das ja auch so.
Das trifft insbesondere für den nächsten Punkt zu: Es
müssen deutlich mehr Schülerinnen und Schüler die Stu-
dienberechtigung erhalten. Im Bericht steht einiges zu
diesem Thema. Mehrere meiner Vorrednerinnen und
Vorredner haben bereits von Seite 8 zitiert. Ich will jetzt
aus einer anderen Seite zitieren: „Dazu ist allerdings ein
grundlegender Wandel des deutschen Bildungssystems
nötig, das seine bisherige Bildungsphilosophie der Aus-
lese zu einer fördernden wandeln müsste.“ – Das hört
sich an wie ein Beschluss des SPD-Parteitages;


(René Röspel [SPD]: Es ist aber gut!)


aber das ist original der Bericht zur technologischen
Leistungsfähigkeit Deutschlands 2007.

Um aber mehr SPD hineinzuwürzen, gehe ich noch
auf die Chancengleichheit ein: Gestern haben wir im
Ausschuss gehört, dass über 90 Prozent der Kinder von
Eltern mit akademischer Vorbildung studieren, aber nur
17 Prozent der Arbeiterkinder. Was für eine Ungleich-
heit! Was für eine soziale Ungerechtigkeit und was für
ein volkswirtschaftlicher Irrsinn!


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE])


Darum kämpfen wir Sozialdemokraten für das BaföG,
und darum sind wir gegen Studiengebühren: weil sie
finanzielle Hürden aufbauen, die insbesondere die sozial
Schwachen treffen. Dieser Weg, der in vielen Ländern
beschritten wird, ist falsch.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1610814300

Kollege Schulz, das war eigentlich ein schöner

Schlusssatz.


Swen Schulz (SPD):
Rede ID: ID1610814400

Vielleicht noch ein letzter Satz: Der Bund hat eine

Menge gemacht und wird mehr machen müssen; doch
Wirtschaft und Länder müssen mitmachen. In diesem
Sinne wäre es sinnvoll – auch darüber steht im Bericht
einiges –, sich die Verteilung der Aufgaben zwischen
Bund und Ländern anzuschauen. Bildung und Wissen-
schaft müssen endlich als Gemeinschaftsaufgabe begrif-
fen werden. Dann klappt das auch mit der technologi-
schen Leistungsfähigkeit!

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1610814500

Das Wort hat der Kollege Dr. Heinz Riesenhuber für

die Unionsfraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Heinz Riesenhuber (CDU):
Rede ID: ID1610814600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Frau Flach, es war wieder ein Vergnügen, Ihnen zuzuhö-
ren. Sie haben freundlicherweise das Originalzitat von
Michael Meister, auf das Sie sich bezogen haben, vorge-
legt:

Unionsfraktionsvize Meister ist ernüchtert, es sei
„schade“,

– so sagt Herr Meister –

„dass eine Einigung mit der SPD nur für den Teil-
bereich des Wagniskapitals erzielt werden konnte.“

Beim Wagniskapital haben wir also eine Einigung,
richtig?


(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD)


Das Wagniskapital – das haben Sie ja angesprochen –
liegt uns gemeinsam am Herzen, und den Grünen, siehe
den Antrag, auch.


(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt! Ja! Dem haben Sie immer noch nicht zugestimmt!)


Im Hinblick auf diesen ist es hier zu einer nächtlichen
Stunde zu einer lediglich virtuellen Debatte gekommen;
die Reden wurden zu Protokoll gegeben. Aber immerhin
sind es bemerkenswerte Texte. Wir sind uns einig, dass
wir das wollen, sollen und können.


(Zuruf von der FDP: Dem haben Sie nicht zugestimmt!)


Und siehe da: Michael Meister und die Unionsfrak-
tion kamen im herzlichen Zusammenwirken mit dem
Finanzminister – SPD – zu einer glanzvollen Einigung,
über die Michael Meister mit Stolz berichtet.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Man kann das jetzt im Einzelnen niederbrechen.


(Ulrike Flach [FDP] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Wenn sie etwas fragen ist das gut.






(A) (C)



(B) (D)


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1610814700

Kollegin Flach, Sie haben das Wort.


Ulrike Flach (FDP):
Rede ID: ID1610814800

Lieber Kollege Riesenhuber, Herr Meister hegt zu

Recht die Befürchtung, dass mit den Linken dieser Gro-
ßen Koalition das so, wie er sich es vorstellt, nicht
durchzusetzen sei.


(Jörg Tauss [SPD]: Ich bin ein Linker! Mit mir wäre das voll durchsetzbar!)


Wenn Sie diesen Artikel, der zu recht mit den schönen
Worten „ein Papiertiger“ überschrieben ist, richtig inter-
pretieren, sehen Sie, dass es diesbezüglich eine tiefe
Kluft zwischen Rot und Schwarz gibt. Wenn ich Ihnen
diese Frage stelle, gehe ich davon aus, dass Sie so etwas
gerne wollen. Nur sind Sie leider an den Herrschaften
von der SPD da drüben gescheitert.


Dr. Heinz Riesenhuber (CDU):
Rede ID: ID1610814900

Das ist natürlich eine sehr unangenehme Frage.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD)


Frau Flach, der Artikel – vielen Dank für das Papier – ist
überschrieben mit dem Titel „,Private-Equity-Gesetz‘
ein Papiertiger“. Und jetzt erlauben Sie mir einmal, dass
ich zur Sache spreche.

Private Equity und Wagniskapital sind zwei völlig
verschiedene Welten. Private Equity hat die wesentli-
che Aufgabe – das ist seine Chance und macht es auch
manchmal unbeliebt –, in existierenden Unternehmen
verborgene Werte zu heben. Das kann in der Bilanz sein,
das können stille Rücklagen sein. Das kann auch eine
mangelnde Effizienz in der Organisation sein. Es kann
auch eine Blindheit für neue Märkte sein. Es kann auch
das Risiko sein, dass man einfach irgendwelche neuen
Techniken übersehen hat. Darum geht es bei Private
Equity. Private Equity hebt Werte, die in Firmen schlum-
mern. Manchmal geht es da blutig zu, wie wir alle wis-
sen.

Aber was ist Wagniskapital? Wagniskapital schafft
Werte neu. Wagniskapital setzt Geld in Ideen um und
macht dann, wenn es gelungen ist, aus diesem neuen
Wissen Geld. Das ist Wagniskapital. Das ist also eine
völlig andere Geschichte. Ich sehe keine dringende Not-
wendigkeit, Private-Equity-Gesellschaften mit Liebe
steuerlich zu fördern.


(Beifall bei der SPD)


Aber ich sehe eine dringende Notwendigkeit, Wagniska-
pitalgesellschaften dort, wo neues Wissen in die Märkte
kommen soll, wo junge Unternehmer und Wissenschaft-
ler ermutigt werden sollen, in jeder Weise zu fördern,
weil wir in Deutschland eine Entwicklung hatten, die in
hohem Maße problematisch ist.


(Ulrike Flach [FDP]: Aber Sie haben es nicht!)


Die Zahl der Unternehmensgründungen geht zurück,
der Wagniskapitalmarkt ist rückläufig, die Zahl der
Gründungen von Fonds ist zurückgegangen, und die Dy-
namik dieser ganzen Landschaft hat abgenommen. Wir
haben rechtliche Rahmenbedingungen, die wir schritt-
weise aufarbeiten müssen. Dann kommt der Finanz-
minister in seiner Weisheit und Güte und sagt, er akzep-
tiere Steuerausfälle in Höhe von 500 Millionen Euro für
diese Präferenz für Wagniskapitalunternehmen. Gut, das
sind „Finanzminster-Dollar“. Wie die sich dann in der
realen Welt darstellen, wird man sehen. Jedenfalls ist in
den Verhandlungen wesentlich mehr als das erreicht
worden, was sich das Finanzministerium ursprünglich
überlegt hatte.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das ist eine großartige Leistung dieser Koalition und ih-
rer glänzenden Abgeordneten auf beiden Seiten des Hau-
ses, die hier in einer klugen Weise die Wirklichkeit ver-
bessert haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Vielen Dank für die Frage, Frau Flach!)


Ich freue mich, dass der Konsens hier, je länger ich rede,
immer größer wird. Ich bin gerne bereit, das auch noch
weiter zu verstärken.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD)


Wir haben das mit den zwei Welten also geklärt.

Jetzt möchte ich aber doch noch auf einen Satz von
Frau Schavan zu sprechen kommen, den ich sehr beein-
druckend finde. Sehr verehrte Frau Ministerin, wenn ich
das richtig notiert habe, dann haben Sie gesagt, dass Sie
mit dem Finanzminister eine grundsätzliche Einigung
dergestalt haben, dass die Forschungshaushalte – diese
befinden sich ja nicht nur bei Ihnen – wegen des 3-Pro-
zent-Ziels – die 6 Prozent kommen danach – schritt-
weise mit dem Wirtschaftswachstum wachsen sollen.
Liebe Freunde, diese Aussage sollten wir alle in unseren
Herzen bewahren und möglichst in jeder Debatte hier
einbringen und nutzen. Diese Aussage ist von großem
Wert.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wer bin ich, an der Aussage unseres vorzüglichen
Finanzministers zweifeln zu wollen? Ich nehme das hier
als Grundsatz. Dann kommen wir zu interessanten Fol-
gerungen. Wir kommen nämlich zu der Folgerung, dass
es in den vergangenen Jahren hier eine Stagnation gab.
Ich will jetzt nicht die Diskussion darüber aufgreifen,
wer wann wie wenig getan hat. Ich könnte das natürlich
tun. Die Zahlen in dem wunderbaren Bericht enden in
der Regel bei 2005. Damals haben wir gerade angefan-
gen zu regieren.


(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Aber Sie haben vorher regiert!)


Bis dahin war die Sache ein wenig spröde. Die Wachs-
tumsraten in der Wirtschaft und im Staatshaushalt wa-
ren mäßig. Das lag halt daran, dass Sie mit den Grünen
regieren mussten. Dadurch wurde die ganze Sache so
furchtbar schwierig.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Der Bundesrat Dr. Heinz Riesenhuber war es! – Priska Hinz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müssen sich entscheiden, ob Sie uns kritisieren oder loben!)





(A) (C)


(B) (D)


Seitdem wir zusammen sind, wachsen die For-
schungsaufgaben. Wir haben das 6-Milliarden-Euro-
Programm, und die Ausgaben im jetzt vorliegenden
Haushalt für 2008 liegen noch über den Zahlen in der
mittelfristigen Finanzplanung des letzten Jahres.


(Zuruf des Abg. Swen Schulz [Spandau] [SPD])


– Entschuldigung, aber ich kann nicht gleichzeitig hören
und reden. – Allein in den Haushalten der Ministerien
für Wirtschaft und Technologie sowie für Bildung und
Forschung steigen sie um 220 Millionen Euro. Das
heißt, wir sind hier auf einem guten Weg.

Ich muss jetzt leider eine ganz andere Rede als die
halten, die ich mir überlegt habe.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD)


Frau Schavan, ein anderer Punkt ist, dass Sie in dem
Kontext auch darüber gesprochen haben, dass wir uns
unseren Instrumentenkasten ansehen müssen. Ich finde
den Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit un-
gemein anregend. In dem ganzen Bericht gibt es kein
Kapitel, das ausführlicher dargestellt und leidenschaftli-
cher angesprochen wird als das Kapitel über die steuer-
liche Förderung von Forschung.

Es wird hier aufgeführt, was andere Länder tun, dass
die OECD dafür ist, dass die meisten OECD-Staaten das
tun, und dass die Europäische Union uns das empfiehlt.
Es wird hier aber nicht darauf hingewiesen, dass die
Bundesregierung das auch in das Unternehmensteuer-
reformgesetz geschrieben hat, dass auch wir die steuerli-
che Forschungsförderung prüfen wollen.

Das ist ein fantastisches Instrument.


(Ulrike Flach [FDP]: Der Finanzminister ist aber anderer Meinung!)


Es wirkt sich weit in den Mittelstand hinein aus. Büro-
kratie und Anträge sind dafür nicht nötig. Man braucht
keine Innovationen zu verzögern, weil ein Rechtsan-
spruch darauf besteht. Es ist voll einplanbar. Wenn ich
mich als kleiner bzw. mittelständischer Unternehmer
entschließe, einen Forscher zusätzlich einzustellen, dann
weiß ich, was das bedeutet.

Wir können von anderen lernen; denn andere Länder
setzen auf dieses Instrument. In Großbritannien ist es be-
reits novelliert worden. Der Instrumentenkasten ist er-
probt und überprüfbar. Wir wollen ihn nicht übertragen
nicht kopieren, sondern kapieren. Die ganze Vielfalt, die
wir in unseren Forschungsprogrammen haben, in der
Hightechstrategie, in den 17 Projektfeldern, in der gan-
zen Fülle von Querschnittsfragen vom E-Government
über die innovative Einkaufsstrategie bis hin zum Schutz
des geistigen Eigentums – all dies bleibt erhalten und
geht in eine Gesamtstrategie ein. Es wird nicht beschä-
digt. Mit der steuerlichen Forschungsförderung kommt
aber die Chance hinzu, dass in einer Zeit, in der es für
den Staat immer schwieriger wird, vorherzusagen, wo
Neues entsteht, jeder, der will, ohne Bürokratie schnell
und maßgenau in die Forschung gehen kann.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1610815000

Kollege Riesenhuber, wir haben nur einen beschränk-

ten Instrumentenkasten, aber das Leuchten besagt, dass
Sie Ihre Redezeit überschritten haben.


Dr. Heinz Riesenhuber (CDU):
Rede ID: ID1610815100

Das Leuchten stört mich.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1610815200

Ich weiß, dass Sie das stört. Aber es stört Sie offen-

sichtlich nicht genug. Sie müssen bitte zum Schluss
kommen.


Dr. Heinz Riesenhuber (CDU):
Rede ID: ID1610815300

Ja gut, dann tue ich das. Trotzdem bleibt es irritie-

rend.

Wir haben die Chance, den Schwung und die Dyna-
mik in einer offenen Welt, in der wir die Zukunft nicht
vorhersagen können – denn sie muss von den Unterneh-
mern und Wissenschaftlern erfunden werden –, zu be-
schleunigen. Wenn wir das Vorhaben mit unserer Minis-
terin Frau Schavan, unserem Minister Michael Glos und
unserem fantastischen Koalitionspartner SPD richtig an-
legen,


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)


dann werden wir mit Unternehmergeist und Entschlos-
senheit – wenn auch manchmal mit unterschiedlichen
Akzenten – im demütigen Dienst der Politik für
Deutschlands Zukunft erreichen, dass Wissenschaft,
Wirtschaft und alle, die etwas Neues schaffen wollen,
fröhlich und entschlossen die Zukunft gestalten können.
Darauf arbeiten wir hin.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1610815400

Das Wort hat für die SPD-Fraktion der Kollege Jörg

Tauss.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es ist ein Gerücht, dass heute die Redezeiten dem Le-
bensalter entsprechend berechnet werden. Aber nach-
dem Sie nun schon als fantastischer Koalitionspartner
angekündigt wurden, möchte ich dem Hohen Hause
nicht vorenthalten, dass Sie heute Ihren Geburtstag mit
uns verbringen. Ich gratuliere Ihnen im Namen des ge-
samten Hauses.


(Beifall)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1610815500

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. Ich dachte schon,

ich hätte 54 Minuten Redezeit; aber das scheint nicht der
Fall zu sein.






(A) (C)



(B) (D)


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1610815600

Vielleicht kann Ihr Koalitionspartner helfen. Die In-

strumente sind schließlich bekannt.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1610815700

Herzlichen Dank.

Ich bin nach der Liebeserklärung des Koalitionspart-
ners regelrecht gerührt. Kollege Riesenhuber, es gibt in
der Tat Themen, die wir schon in den Koalitionsver-
handlungen gemeinsam auf den Weg gebracht haben.
Der Korrektheit halber muss man aber darauf hinweisen,
dass man nicht alles, was man sich vorstellt und was
wünschenswert wäre, auch sofort bei den Finanzpoliti-
kern durchsetzt, die verständlicherweise Gestaltungs-
missbräuche befürchten. Das ist auch der Hintergrund
dafür, dass wir über Private Equity diskutieren, Frau
Flach.


(Ulrike Flach [FDP]: Aber die sind gar nicht betroffen!)


Es gibt sicherlich sehr viele positive Beispiele, es gibt
aber auch die sogenannten Heuschrecken. In meinem
Wahlkreis gibt es eine Reihe von hochinteressanten in-
novativen Betrieben, die durch den Einsatz solcher Ge-
sellschaften ihrer wertvollen Teile beraubt wurden und
anschließend nicht mehr so innovativ waren, wie es ih-
nen möglich gewesen wäre.


(Ulrike Flach [FDP]: Aber die sind doch gar nicht gemeint!)


– Sie meinen nur die Guten. Das ist klar. Darauf können
wir uns sicherlich einigen.


(Ulrike Flach [FDP]: Nein! Steinbrück meint sie!)


Ich möchte nur auf zwei Punkte eingehen. Erstens
will ich wiederholen – in der Pädagogik sind Wiederho-
lungen sehr wichtig –, dass unser selektives Schulsys-
tem einen Großteil der Verantwortung dafür trägt, dass
wir nicht alle Begabungen in unserem Land erschließen.
Darin sind wir uns noch nicht ganz einig, Frau Ministe-
rin. Aber auch in diesem Punkt nähern wir uns schritt-
weise an. Wir sind uns aber sicherlich einig, dass es da-
rum geht, alle Begabungen zu erschließen. Wo unser
dreigliedriges Schulsystem dem im Wege steht, sollten
die Länder über Änderungen nachdenken.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Zweitens. Sie haben die Exzellenzinitiative im Zu-
sammenhang mit IKT – darauf komme ich noch zu spre-
chen – kritisiert, Frau Kollegin Hinz. Die Exzellenzini-
tiative ist zwar nicht staatlich beeinflusst, aber wir haben
die Universitäten in der Breite angesprochen. Insofern
ist es kein Widerspruch, dass über die Exzellenzinitiative
gerade auch im Bereich der IKT-Technologien Graduate
Schools im Bereich Aachen, in Karlsruhe, Erlangen und
München gefördert werden.


(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das kann doch kein Bestandteil Ihrer IKT-Strategie sein! Das ist doch absurd!)


Deshalb ist gerade in diesem Bereich eine Stärkung zu
verzeichnen. Das ist nicht verwunderlich.

Frau Kollegin Flach, Sie haben die KMUs angespro-
chen und meinten, wir sollten die KMUs nicht überbeto-
nen. Das verstehe ich nicht ganz. Diese Auffassung teile
ich nicht, wenn ich Sie an dieser Stelle richtig verstan-
den habe; denn das war ein kritischer Punkt in der alten
Forschungsförderung. Wir hatten immer Krach – weni-
ger mit Herrn Riesenhuber als mit seinem Nachfolger
Herrn Rüttgers –, weil die Großbetriebe sehr stark geför-
dert wurden.


(Ulrike Flach [FDP]: Sie wissen, dass ich der FDP angehöre!)


– Stellen Sie eine Zwischenfrage wie beim Kollegen
Riesenhuber! Tun Sie mir den Gefallen! Dann kann ich
das noch länger ausführen.

Das Problem bei der technologischen Leistungsfähig-
keit ist, dass der Anteil kleiner und mittlerer Betriebe bei
Forschung und Entwicklung in Deutschland zu gering
ist. Das ist der Hintergrund, warum wir beispielsweise
nach einem solchen Instrument wie der Forschungsprä-
mie Ausschau gehalten haben. Der Anteil der kleinen
und mittleren Unternehmen wurde gerade im Technolo-
giebereich erhöht.

Kollege Riesenhuber, gerade wenn man Vergleiche
bei der steuerlichen Förderung zieht, dann darf man
nicht vergessen, dass es hier um zwei Seiten ein und der-
selben Medaille geht. Es gibt viele sinnvolle Instru-
mente. Wir haben das Instrument der Projektförderung,
das andere Länder in vergleichbarer Form nicht kennen.
Ich möchte nicht das eine gegen das andere ausspielen.
Aber im Hinblick auf die Formulierung des gesellschaft-
lichen Bedarfs – hier haben wir positive Anreize gesetzt;
ich nenne als Beispiele die Nanotechnologie und die
Mikrosystemtechnologie – waren wir es – nicht die
Wirtschaft oder das private Kapital –, die in der For-
schungspolitik Schwerpunkte gesetzt haben. Kollege
Brüderle, ein solches Beispiel mag Ihnen vielleicht zei-
gen, dass nicht alles, was vom Staat kommt, von Übel
ist. Ohne Staat gäbe es übrigens noch nicht einmal das
Internet. Solche positiven Beispiele mögen Marktwirt-
schaftsradikalen wie Ihnen als Erleichterung dienen.


(Rainer Brüderle [FDP]: Das Internet kam aus den USA!)


– Richtig. Ich sage doch gar nicht, dass alles, was aus
den USA kommt, von Übel ist. Bei uns in Europa wurde
das Web entwickelt, genauso wie viele andere Dinge.

Nun komme ich zu ein paar anderen Punkten, die be-
reits angesprochen wurden. Der Kollege Schulz hat als
Beispiel den Fachkräftemangel genannt. Das ist ein
ganz wichtiger Punkt. Ich warne davor – das habe ich
zum Teil den Medien entnommen –, Qualifizierung und
Fachkräfteanwerbung als Gegensatz aufzufassen. Rich-
tig ist aber in der Tat, dass zuallererst die Wirtschaft und
die Bundesländer ihre Hausaufgaben zu erfüllen haben,






(A) (C)



(B) (D)


Jörg Tauss
auch wenn wir beispielsweise über Ausländerinnen und
Ausländer reden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir hätten exzellente ausländische Fachkräfte bereits im
Land, wenn gehandelt worden wäre. Wir haben sehr
viele zugewanderte junge Menschen. In Baden-
Württemberg und insbesondere in Berlin beispielsweise
gibt es Schulen, bei denen der Anteil der Kinder auslän-
discher Herkunft bzw. mit Migrationshintergrund
50 Prozent und mehr beträgt. Aber bei den Universitäten
liegt der Anteil nur noch bei 8 Prozent. Das heißt, wir
verschenken hier ein riesengroßes Potenzial an Zuwan-
derern, die bereits hier sind. Aber wir müssen das eine
tun und dürfen das andere nicht lassen. Wir müssen qua-
lifizieren und Fachkräfte, die spitze sind, ins Land holen.
Darüber müssen wir diskutieren.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1610815800

Kollege Tauss, gestatten Sie sozusagen in allerletzter

Sekunde eine Zwischenfrage der Kollegin Flach?


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1610815900

Ja, bitte eine umfangreiche, Frau Flach.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1610816000

Bitte, Kollegin Flach.


Ulrike Flach (FDP):
Rede ID: ID1610816100

Da Sie heute Geburtstag haben, Herr Tauss, will ich

Ihnen die Freude machen. Ich bin eigentlich davon aus-
gegangen, dass die SPD beim Ausländerrecht der FDP
näher steht, als ich das gerade von Ihnen höre. Was sa-
gen Sie denn zu den Aussagen eines Vorstandsmitgliedes
des Rates für Migration, der von einem inhumanen Aus-
länderrecht spricht und sagt, in der Gesamtbilanz laufe
alles auf eine verbesserte Abwehr weiterer Zuwanderung
hinaus? Ich kann das mit Ihren positiven Worten nicht in
Einklang bringen.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1610816200

Liebe Kollegin Flach, unabhängig davon, dass ich das

vollständige Zitat nicht kenne – der Kollege Riesenhuber
hat es vielleicht zur Verfügung –,


(Ulrike Flach [FDP]: Ich gebe es Ihnen gerne!)


gibt es in Deutschland sozusagen die lebenslange Lüge,
wir seien kein Einwanderungsland. Tatsächlich sind wir
ein Einwanderungsland. Wir gingen an vielen Stellen
mit denjenigen, die eingewandert sind, nicht gut um. Wir
haben die Chancen und Potenziale der Eingewanderten
vertan, und zwar in verschiedener Hinsicht. Das ist Fakt.
Wir brauchen hier keine Schuldzuweisungen vorzuneh-
men.

Ich freue mich über die Beschlüsse der SPD, die – ge-
nauso wie in anderen Einwanderungsländern – ein
Punktesystem vorsieht. Darüber müssen wir diskutie-
ren. Wir müssen schauen, wo wir in den Bereichen Bil-
dung, Wissenschaft und Forschung Hochqualifizierte
brauchen. Ich weiß nicht, ob Sie in der Debatte zugegen
waren, aber ich bin froh, dass Herr Schäuble und Frau
Schavan ganz konkret gesagt haben: In diesem Bereich
sehen wir Handlungsbedarf; darüber müssen wir weiter
reden. In diesem Punkt wollen wir mitwirken.


(Ulrike Flach [FDP]: Warum haben Sie es nicht gemacht?)


– Wie Sie wissen, ist der Fortschritt manchmal eine
Schnecke. Hier gibt es sicherlich noch weiteren Diskus-
sionsbedarf.

Wie Sie wissen, betreibt die Landesregierung von Ba-
den-Württemberg, an der Sie beteiligt sind, die reaktio-
närste Politik. Deswegen ist die Frau Ministerin von
Baden-Württemberg weggegangen. Wäre sie Minister-
präsidentin geworden, wäre die Politik viel weniger
reaktionär.

Aber das ist ein ganz anderes Thema. Ich hoffe, ich
schade Ihnen jetzt nicht, Frau Schavan.


(Heiterkeit)


Ich freue mich darauf, dass Baden-Württemberg ein
Motor im Bundesrat wird.


(René Röspel [SPD]: Und NordrheinWestfalen!)


– Das gilt auch für Nordrhein-Westfalen.

Etwas habe ich nicht verstanden, Frau Pieper. Ich
setze mich heute arg mit der FDP auseinander. Vielleicht
ist das wichtig, um Vorurteile zu überwinden, liebe Frau
Pieper. Sie haben kritisiert, dass wir 17 Felder hätten und
dass kein Schwerpunkt gesetzt würde. Mein Gott, dann
sagen Sie uns doch bitte ganz deutlich, auf welches der
17 Felder, die wir im Rahmen der Hightechstrategie för-
dern, Sie verzichten wollen. Wir sind ein Exportland und
decken die gesamte Breite der Exporte ab. Deswegen
müssen wir versuchen, auf vielen Feldern Spitzentech-
nologien zu entwickeln und Spitze zu werden.

Ein Bereich ist eben die Informations- und Kom-
munikationstechnologie. Finnland hat nur ein einziges
Feld: Informations- und Kommunikationstechnologie.
Die Finnen haben gesagt: Wir wollen bei der Informa-
tions- und Kommunikationstechnologie Nummer eins
werden. Dort ist auch noch eine einschlägige Firma an-
sässig. Das können wir in Deutschland nicht machen. Zu
sagen, wir wollen nur auf einem Feld stark sein – diese
Strategie nutzt Finnland –, nutzt uns nichts. Deswegen
ist es gut, dass einer dieser Bereiche, über die wir reden,
die Informations- und Kommunikationstechnologie ist.
Das ist eines der wichtigsten Teile dieses Programms.
Vielleicht können wir, da ich keine Redezeit mehr habe,
dazu eine eigene Debatte anberaumen.


(Vorsitz: Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse)


Das wäre lohnend.

Ich kann nur sagen: In diesem Bereich gibt es viel zu
tun. Denken Sie an den heutigen Schwelbrand im Deut-
schen Bundestag! Wir sind von unseren Computern ab-
gehängt. Im Grunde genommen ist das eine Schande.
Ein bisschen Schwelbrand, und schon funktionieren die
Computer nicht mehr.






(A) (C)



(B) (D)


Jörg Tauss
Wir setzen also die Schwerpunkte auf die Informa-
tions- und Kommunikationstechnologie, auf die Sicher-
heitsforschung und auf kleine und mittlere Unterneh-
men, liebe Kollegin Flach, die innovativ sind und
Software entwickeln. Das sind Entwicklungen, die wir
brauchen. Frau Hinz, das ist eine Treibkraft auch für den
Maschinenbau, im Fahrzeugbau und in vielen anderen
Bereichen. Deswegen ist das ein richtiger Schwerpunkt.
Ich glaube, wir sollten nicht über diesen Schwerpunkt
mäkeln, sondern froh sein, dass wir ihn haben.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Einmal klatschen wir heute bei Tauss! – Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Weil heute sein Geburtstag ist!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1610816300

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/5823, 16/5900 und 16/5899 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a und 7 b auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten
Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in
der Informationsgesellschaft

– Drucksache 16/1828 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)


– Drucksache 16/5939 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Günter Krings
Dirk Manzewski
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Wolfgang Nešković
Jerzy Montag

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Sabine Leutheusser-

(Frankfurt)

und der Fraktion der FDP

Die Modernisierung des Urheberrechts muss
fortgesetzt werden

– Drucksachen 16/262, 16/5939 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Günter Krings
Dirk Manzewski
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Wolfgang Nešković
Jerzy Montag
Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt je
ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP, der
Fraktion Die Linke und der Fraktion des Bündnisses 90/
Die Grünen vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile der Bundesmi-
nisterin Brigitte Zypries das Wort.


Brigitte Zypries (SPD):
Rede ID: ID1610816400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit

der heutigen Beratung und Abstimmung bringen wir ein
wichtiges Projekt endlich an sein Ziel. Wir modernisie-
ren das Urheberrecht und wir machen es fit für das digi-
tale Zeitalter. Mit dieser Reform sorgen wir auch für ei-
nen fairen Interessenausgleich zwischen Urhebern und
Nutzern geschützter Werke, und wir schaffen ein Gesetz,
das die Selbstregulierung stärkt.

Es war kein einfaches Projekt. Beim Urheberrecht
geht es um geistiges Eigentum, und dabei geht es auch
um viel Geld. Alle Betroffenen haben deshalb mit großer
Verve für ihre jeweiligen Interessen geworben. Das ist
völlig in Ordnung. Ich bin gleichwohl froh, dass es uns
gelungen ist, einen Kompromiss zu finden, von dem ich
hoffe, dass alle Seiten damit gut werden leben können.

Drei Aspekte waren in den letzten Monaten ganz be-
sonders umstritten. Der erste Aspekt ist die Pauschal-
vergütung.

Es bleibt mit diesem Gesetz dabei, dass die Privatko-
pie eines Werkes auch in der digitalen Welt erlaubt ist.
Als Ausgleich dafür gibt es für den Urheber weiterhin
die sogenannte Pauschalvergütung. Wie hoch diese Ver-
gütung ist, werden die Beteiligten künftig selber festle-
gen. Das ist ein Paradigmenwechsel. Bisher hatte dies
der Gesetzgeber festgelegt. Man muss allerdings hinzu-
fügen, dass sich auf diesem Gebiet seit 1985 nichts mehr
geändert hat. Dieser Paradigmenwechsel entspricht aber
den allgemeinen wirtschaftlichen Strukturen in unserem
Land. Ich hoffe, dass mit seiner Hilfe auch auf den im-
mer rasanter werdenden technischen Fortschritt schnel-
ler reagiert werden kann, als das bisher möglich ist.

Urheber und Geräteindustrie werden sich bei diesen
Verhandlungen auf Augenhöhe begegnen. Es gibt keine
Obergrenze für die Vergütung. Trotzdem muss sie natür-
lich in einem angemessenen Verhältnis zum Preis des
Gerätes oder des Speichermediums stehen. Das steht so
ausdrücklich im Gesetz. Man wird deshalb auf einen
CD-Rohling für wenige Cent keine Vergütung von meh-
reren Euro erheben können.

Die Beteiligten sind jetzt aufgefordert, sich zu eini-
gen. Sie müssen den Freiraum der Selbstregulierung nut-
zen. Es wird am Anfang sicherlich nicht einfach sein,
sich nach einer über mehrere Jahre kontrovers geführten
Debatte auf einmal an einen Verhandlungstisch zu set-
zen. Ich habe deshalb bei verschiedenen Moderationsge-
sprächen, die ich in der vergangenen Zeit geführt habe,
schon angeboten, dass das BMJ dabei als Moderator zur






(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Brigitte Zypries
Verfügung steht. Ich möchte dieses Angebot hier gern
erneuern.

Ein zweiter wichtiger Punkt sind die künftigen Nut-
zungsarten. In Zukunft ist es erlaubt, dass Urheber und
Verwerter auch einen Vertrag über solche Nutzungsarten
abschließen, die bei Vertragsschluss noch unbekannt
sind. Das hört sich futuristisch an, ist aber eine wichtige
Regelung; denn damit wird es leichter, die Werke auch
in neuen Medien auf den Markt zu bringen. Hätte es das
schon früher gegeben, dann wäre es heute nicht so
schwierig, eine alte Theateraufführung auch auf DVD
anzubieten. Wir haben aber auch bei diesem Punkt die
Belange der Urheber im Blick behalten, und wir haben
festgelegt, dass der Verwerter den Urheber informieren
muss, wenn er eine neue Art der Nutzung des Werkes
plant, und dass der Urheber ein Widerrufsrecht hat.

Der dritte Aspekt betrifft die zeitgemäße Nutzung von
geschützten Werken in Bibliotheken. Dabei geht es um
sogenannte elektronische Leseplätze und um den digita-
len Versand von Kopien auf Bestellung. Für all das gibt
es jetzt erstmals überhaupt eine gesetzliche Grundlage.
Wir achten auch da auf den gerechten Interessenaus-
gleich. Der Gesetzgeber darf den Verlagen durch das Ge-
setz das Onlinegeschäft nicht kaputt machen. Das wäre
wirtschaftspolitisch ein falsches Signal, und rechtlich
wäre es zudem nicht vertretbar.

Auch wenn es vonseiten des organisierten Wissen-
schaftsbetriebes manchmal vergessen worden ist: Es
geht auch hier um geistiges Eigentum, und das ist verfas-
sungsrechtlich geschützt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und der FDP)


Durch diesen Gesetzentwurf wird ein Ausgleich zwi-
schen den Wissenschaftlern als Autoren und den Wis-
senschaftlern als Lesern geschaffen.

Im Urheberrecht sind alle Seiten aufeinander ange-
wiesen. Ohne Urheber gibt es nichts zu verwerten, und
ohne Verwerter wäre jedes Stück ein Unikat. Unsere Re-
form des Urheberrechts wird meiner Meinung nach bei-
den Seiten gerecht. Sie ist ein fairer Kompromiss. Sie
schafft ein modernes Recht, und sie ist der gute Ab-
schluss einer langen Debatte.

Ich möchte mich bei all denjenigen hier im Hause, die
insbesondere in den letzten Monaten daran mitgewirkt
haben, dass dieser Gesetzentwurf noch vor der Sommer-
pause verabschiedet werden kann, recht herzlich bedan-
ken, namentlich bei den beiden Berichterstattern der Ko-
alition.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1610816500

Ich erteile das Wort Kollegin Sabine Leutheusser-

Schnarrenberger von der FDP-Fraktion.


Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP):
Rede ID: ID1610816600

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Sehr geehrte Frau Ministerin, ein kleiner Dank an
die FDP-Fraktion wäre schon angemessen gewesen.

(Beifall bei der FDP)


Wir haben in dieses wirklich umfangreiche und sehr
schwierige Gesetzgebungsverfahren eine sehr konstruk-
tive und sehr zielorientierte Mitarbeit eingebracht.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der CDU/ CSU und der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Ich habe die FDP heute schon gelobt!)


Ich freue mich sehr, dass es im Rahmen dieser sehr
langwierigen und sehr schwierigen Gespräche doch zu
grundlegenden Änderungen am Regierungsentwurf ge-
kommen ist. Von daher kann man dieses Gesetz, wie wir
es heute beschließen werden, als ein Parlamentsgesetz
bezeichnen.

In den Kernpunkten haben wir trotz des schwierigen
Weges einen fairen Ausgleich zwischen den Beteiligten,
nämlich zwischen den Urhebern und Rechteinhabern auf
der einen Seite und den Nutzern, nämlich den Verbrau-
chern, auf der anderen Seite, gefunden. Das ist ja immer
die Kernaufgabe des Urheberrechts, und zwar eine Dau-
eraufgabe. Schon heute wissen wir: Das Urheberrecht
wird uns in dieser Legislaturperiode auch weiter be-
schäftigen. Wir haben noch offene Punkte genannt und
schon einen weiteren Gesetzentwurf zur Durchsetzung
von Ansprüchen, die ein Urheber hat, vorliegen.

Frau Ministerin, Sie haben eben einen Themenkom-
plex genannt, der eigentlich mit am schwierigsten zu re-
geln war, nämlich die Neuregelung der Vergütung der
Privatkopien in der Form einer Abgabe auf die Geräte.
Derzeit wird dies vom Staat durch eine Verordnung fest-
gelegt. Diese Vergütung ist seit Jahrzehnten nicht erhöht
worden. Denn es gibt für einen Minister oder eine Minis-
terin keine unangenehmere Aufgabe, als einseitig Preise
festzusetzen. Dabei kann man es natürlich niemandem
recht machen. Von daher sind Sie bestimmt froh, dass
gerade wir als FDP-Fraktion den Paradigmenwechsel
hin zu einer Verhandlungslösung wollten.

Frau Ministerin, Sie haben einen Punkt – ich verstehe
es aus Ihrer Sicht natürlich – hier nicht angesprochen,
den ich einbringen muss. Dass wir uns auf den neuen
Weg der Verhandlung zwischen Vertretern der Geräte-
industrie und der Verwertungsgesellschaften verständi-
gen konnten, liegt daran, dass die ursprüngliche Vor-
gabe, eine Deckelung bei der Festsetzung der Abgaben,
nämlich 5 Prozent des Gerätepreises, vorzunehmen, im
Konsens herausgenommen wurde. Ich habe für die FDP
immer gesagt: Das ist für uns einer der wichtigen
Punkte. Denn man kann nicht auf Augenhöhe verhan-
deln, wenn eine Seite schon am Anfang in eine schwieri-
gere Situation gebracht wird. Deshalb sage ich: Mit der
Einigung, hier eine grundlegende Änderung vorzuneh-
men, dass nämlich künftig die tatsächliche Nutzung die
Grundlage für die Berechnung und damit für die Ver-
handlung sein soll, war aus Sicht der FDP-Fraktion der
Weg offen zu einem weitergehenden Kompromiss.

Wir sind froh – das war kein Kernpunkt der Verhand-
lung –, dass die Bagatellklausel schon im Vorfeld des
Gesetzgebungsverfahrens gestrichen worden ist. Gerade
bei geringfügigen Verletzungen bietet das geltende
Recht sehr wohl alle Möglichkeiten, dass es hier nicht zu






(A) (C)



(B) (D)


Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
einer Verurteilung kommt. Wir alle beklagen doch den
Bedeutungsverlust, den das geistige Eigentum, das Ur-
heberrecht, das, was Kreative, was Künstler schaffen, in
der Öffentlichkeit erlitten haben. Dem würden wir mit
einer Bagatellklausel natürlich noch einmal Vorschub
leisten.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dann möchte ich auf die unbekannten Nutzungsarten
zu sprechen kommen. Sie können dazu führen, dass
wichtige Bestände, geschaffene Werte, Güter, die bisher
nicht zugänglich gewesen sind, in einer neueren Form,
wie man sie vielleicht vor vielen Jahren nicht kannte, mit
den modernen technologischen Möglichkeiten zugäng-
lich werden. Das ist gut für die Nutzer, die Urheber, die
Künstler, die Kreativen, für die, die die Rechte haben.

Es war für alle gemeinsam richtig, die Hürden aus
dem geltenden Urheberrecht zu nehmen. Deshalb haben
wir uns von Anfang an dafür eingesetzt. Da war ja der
Regierungsentwurf auf dem richtigen Weg, zum Beispiel
bei der Widerspruchsregelung bei Verhandlungen,
nämlich dass es, wenn ein Urheber widersprechen
möchte, zu einer anderen Form von Verwertung kommt,
zu einer Form, die man bisher nicht kannte. Dies wird
der Sachlage gerecht. Wir haben aber auch berücksichti-
gen müssen, dass gerade im Bereich der Filmwerke mit
sehr vielen Urhebern und Rechteinhabern eine einfache
Widerspruchsregelung in das Gesetz nicht Eingang fin-
den kann; denn das würde es unmöglich machen, zu ei-
ner Verwertung im Interesse von Urhebern, von Verwer-
tern und besonders von Nutzern zu kommen. Es findet
also auch in dieser Beziehung ein guter und angemesse-
ner Interessenausgleich statt.

Ich sage denjenigen, denen das nicht passt und nicht
weit genug geht: Niemand darf ein geistiges Werk ent-
stellen, auch nicht bei einer neuen Nutzungsart oder an-
deren Formen der Verwertung, etwa auf einer DVD, die
es vor 20 oder 30 Jahren ja noch nicht gegeben hat. Des-
halb braucht niemand Angst zu haben, dass zum Beispiel
ein Film verfälscht wird. Das ist eine Regelung, die
wirklich für alle Beteiligten zufriedenstellend ist.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Dr. Günter Krings [CDU/CSU])


Der letzte Punkt, den ich hier noch ansprechen kann,
ist einer, der für manche Fraktionen, gerade für die Ko-
alitionsfraktionen, mit der schwierigste war: Wie findet
man den Ausgleich zwischen den Interessen von Biblio-
theken an Universitäten oder Hochschulen, die mit ei-
nem Buch am liebsten Hunderttausende von Studenten
versorgen wollen, und den Interessen derjenigen, die
diese wissenschaftlichen Werke oder Beiträge erstellen
und verwerten? Auch Verlage müssen rechnen. Sie kön-
nen nicht im Hinblick darauf, dass es um wissenschaft-
lich wichtige Arbeiten geht, auf Rechte verzichten. Sie
müssen sehen, dass ihr Verlag am Leben bleibt.

Von daher war der Kompromiss gut und richtig, näm-
lich festzulegen: Auch der Zugang zu den Werken in ei-
ner Bibliothek wird mit davon abhängig gemacht, wie
viele Bücher diese Bibliothek hat und wie viele den In-
halt an Leseplätzen digitalisiert nutzen wollen. Wir ha-
ben eine Flexibilitätsklausel eingebaut. In der Begrün-
dung wird dazu etwas ausgeführt. Diese Regelung wird
auch dem Ansturm in den Universitäten auf neue Werke
gerecht werden. Die Juristen würden sagen: Mit einem
Palandt kann man nicht das ganze juristische Semester
versorgen. Das geht nicht. Das gilt genauso für andere
Bereiche.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Damit hat mancher das ganze Studium bestritten!)


– Den hat jeder von uns im Büro. Es gibt nicht nur ein
einziges Exemplar im Bundestag.

Es ging um den Kopienversand. Frau Ministerin, da
teile ich Ihre Einschätzung. Ich habe Ihren Ansatz in den
nicht leichten Verhandlungen unterstützt. Jetzt wird eine
Grundlage dafür geschaffen, dass Bibliotheken unter be-
stimmten Voraussetzungen elektronische Kopien versen-
den können. Das wäre ohne diese Regelung in der Form
künftig nicht mehr zulässig gewesen. Jetzt wird also eine
sichere Rechtsgrundlage geschaffen. Die bisherige Pra-
xis hätte in der Form nicht fortgesetzt werden können.


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Doch! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Dürfen!)


Zum Schluss bedanke ich mich sehr, auch für die Un-
terstützung aus dem Ministerium bei diesen Beratungen,
und sage klar: Wenn der Dritte Korb aufgemacht wird,


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Sind wir wieder dabei!)


haben wir neben vielen anderen Punkten noch ein wich-
tiges Thema: die Kabelweitersendung. Die Regelung
versteht kein Mensch. Dabei wollen wir zu besseren und
angemessenen Regelungen kommen.


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Wir auch!)


Recht herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1610816700

Ich erteile das Wort Kollegen Günter Krings, CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Zurückhaltung, Herr Kollege!)



Dr. Günter Krings (CDU):
Rede ID: ID1610816800

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren Kollegen! Wenn generell gilt, was wir schon oft
erfahren haben: „Kein Gesetz verlässt den Deutschen
Bundestag so, wie es hineingekommen ist“, so gilt das in
ganz besonderem Maße für dieses Urheberrechtsände-
rungsgesetz. Im Vorfeld haben wir als Unionsfraktion
zusammen mit unserem Staatsminister Neumann bereits
maßgeblich dafür gesorgt, dass die sogenannte Bagatell-
klausel aus dem Gesetzentwurf genommen wird. Wir ha-
ben im Gesetzgebungsverfahren zusammen mit dem Ko-
alitionspartner und anderen Fraktionen, namentlich der
FDP, dafür gesorgt, dass die Begrenzung der Geräteab-






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Günter Krings
gabe auf 5 Prozent so nicht kommt, dass die Einstiegs-
schwelle, von der an überhaupt Abgaben erhoben wer-
den dürfen, eben nicht bei 10 Prozent liegt. Wir stärken
die Rechte des Urhebers, wie bereits angesprochen, auch
bei unbekannten Nutzungsarten, ohne dass wir von der
Idee, dass man auch Altinhalte auf neuen Formaten zu-
gänglich machen muss, Abschied genommen hätten.

Zuletzt – um nur vier Beispiele zu nennen – haben wir
im Bereich von Wissenschaft und Bildung dafür gesorgt
– das ist § 52 b –, dass die neue Schranke nur in abge-
schwächter Form Geltung erhält. Ein Buch, das in einer
Bibliothek nur einmal vorhanden ist, darf man nicht dut-
zendfach zugänglich machen.

Diese umfassenden Änderungen belegen: Das Parla-
ment hat bei diesem Gesetz seine Rolle als Gesetzgeber
ganz besonders ernst genommen. Das BMJ – das will ich
ausdrücklich dankend erwähnen – hat mit umfangrei-
chen Vorarbeiten den Weg bereitet. Dafür vielen Dank
an die Ministerin und an die Mitarbeiter, die hier zahl-
reich vertreten sind. Das waren umfassende, zeitrau-
bende und oft schwierige Vorarbeiten.

Allerdings ist auch klar: Der Gesetzgeber bleibt das
Parlament. Das ist, wie ich finde, übrigens auch ein
wichtiges Signal an alle Lobbyisten, die dieses Gesetz-
gebungsverfahren mit großem Interesse verfolgt haben.


(Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [FDP]: Bis zum Schluss!)


Dieses Signal geht insbesondere von der Entscheidung
bezüglich der 5-Prozent-Klausel aus. Das möchte ich
ganz deutlich sagen. Diese Formel geht ja nicht auf sach-
liche Erwägungen während der Vorarbeiten zurück, son-
dern auf eine Zusage von Altkanzler Schröder. So viel
Wahrheit muss hier erlaubt sein. Die Entscheidung dage-
gen ist somit ein gutes Signal, welches deutlich macht,
dass auch ein Bundeskanzler nicht über die Gesetzge-
bungsarbeit des Deutschen Bundestages disponieren
kann.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Beifall bei der FDP – Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Wo er recht hat, hat er recht!)


Ich bin übrigens froh, dass entsprechende Versuche bei
unserer Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht erfolg-
reich waren, sondern sie an der Stelle standhaft geblie-
ben ist. Jedenfalls hat mich kein Anruf aus dem Kanzler-
amt mit der Aufforderung erreicht, hier müsse man noch
etwas ändern.

Ich bin auch froh, dass die neue Bundesregierung of-
fenbar stärker die volkswirtschaftlichen Wertschöp-
fungsmöglichkeiten erkannt hat, die in urheberrechtli-
chen Maßnahmen für die Kreativwirtschaft insgesamt
liegen. Deutschland lebt nicht nur von Hardwareverkäu-
fen, sondern eben auch von den Inhalten, die auf dieser
Hardware transportiert werden.

Ich will allerdings auch betonen, um Besorgnisse ein
wenig auszuräumen: Wir haben durchaus einen Kom-
promiss gesucht, der auch die Interessen der Geräte- und
Lehrmedienhersteller berücksichtigt. Im Gesetz ist nach
wie vor die klare Aussage enthalten, dass diese vor un-
zumutbaren Belastungen geschützt werden, und im Ent-
schließungsantrag ist noch einmal deutlich gemacht wor-
den, dass wir auch von den Verwertungsgesellschaften
erwarten, dass sie so moderate Vergütungssätze fordern,
dass es nicht zu einer Verlagerung des Handels ins Aus-
land kommt. Die ominöse 5-Prozent-Klausel wäre je-
doch keine geeignete Methode gewesen, um das zu er-
reichen. Sie ist systemfremd. Der Urheber hat einen
Anspruch auf Entschädigung. Wenn er vom Gesetzge-
ber die Pflicht aufgegeben bekommt, Eingriffe in sein
Urheberrecht zu dulden, dann muss er nach dem alten
Grundsatz „Dulde und liquidiere“ auch liquidieren kön-
nen. Er darf dann bei den Kompensationszahlungen für
die Nutzung seines geistigen Eigentums nicht Opfer der
Preispolitik der Industrie werden.

Ich sage aber an die Adressen der Verwertungsgesell-
schaften und anderer Verwerter von Urheberrechten
auch ganz deutlich: Eine Pauschalabgabe kann langfris-
tig nicht die Lösung und die Antwort auf die Probleme
sein. Jeder, der jetzt meint, sich auf den Regelungen zur
Pauschalabgabe ausruhen zu können, muss wissen, dass
auf lange Sicht jedenfalls kein Weg an digitalen Rechte-
managementsystemen und Ähnlichem vorbeigeht. Auf
Dauer muss das Urheberrecht dafür sorgen, dass das
geistige Eigentum seinen Gegenwert selbst erwirtschaf-
ten kann.

Ich verhehle nicht, dass ich persönlich eine gewisse
Skepsis habe, ob die Verhandlungslösung, die wir heute
einführen, funktioniert. Ich hoffe das aber und bin des-
halb bereit, das auszuprobieren. Wenn aber wirklich Ver-
wertungsgesellschaften und die Verbände der Geräteher-
steller verhandeln sollen, dann dürfen wir nicht – das ist
eben schon gesagt worden – einerseits einem der Ver-
handlungspartner eine Eisenkugel ans Bein binden und
andererseits erwarten, dass auf Augenhöhe und gleich-
berechtigt verhandelt wird. Falls das Ganze nicht funk-
tionieren soll – das sage ich ganz deutlich –, falls die
Verhandlungen zu jahrelanger Rechtsunsicherheit führen
sollten, dann muss der Bundestag die Sätze wieder selbst
festlegen.

Nach meiner Auffassung ist die Tatsache, dass seit
1985 keine Anpassung erfolgt ist, weniger ein Beweis
für ein schlechtes Gesetz als vielmehr ein Beleg für den
Kleinmut aller Gesetzgebungsakteure. Da schließe ich
alle ein, vom Bundestag bis zum Justizministerium. Ich
persönlich habe durchaus noch Vertrauen in die Fähig-
keit zu schnellen Handlungen und Reaktionen von Bun-
destag und Justizministerium. Ich hätte mir gewünscht,
dass die Justizministerin mit etwas mehr Selbstvertrauen
an diese Frage herangegangen wäre. Wir probieren es
nun aber einmal auf die eben dargestellte Weise.

Für die Union, meine sehr geehrten Damen und Her-
ren, ist geistiges Eigentum eine wesentliche Grundlage
für Wohlstand und Freiheit in unserer Gesellschaft. Das
gilt gerade auch für die moderne Informationsgesell-
schaft. Unsere Volkswirtschaft lebt insbesondere von
den Leistungen der Kreativen in unserem Lande. Die ha-
ben auch Anspruch auf den entsprechenden Schutz.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Günter Krings

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Beifall bei der FDP)


Es reicht nicht aus, die Wahrung der Rechte von geis-
tigem Eigentum nur im Ausland anzumahnen. Es reicht
nicht aus, den Blick nach China, Indonesien oder Indien
zu richten und von diesen Ländern einen besseren
Schutz geistigen Eigentums einzufordern. Zugleich müs-
sen wir hier in Deutschland mit gutem Beispiel vorange-
hen. Ein wichtiger Testfall wird nach der Sommerpause
kommen. Dann geht es um die Umsetzung der soge-
nannten Durchsetzungsrichtlinie. Hier wird es zum
Schwur kommen und sich herausstellen, ob die Bekennt-
nisse zum Schutz geistigen Eigentums Lippenbekennt-
nisse waren oder ob wir an der Stelle tatsächlich wirksa-
meren Schutz wollen.

Die Durchsetzungsrichtlinie trifft bekanntlich die ge-
samte Bandbreite des geistigen Eigentums. Das Justiz-
ministerium bleibt mit seinen Vorschlägen meines Er-
achtens am unteren Rand der europarechtlichen
Vorgaben, will aber zusätzlich diese Richtlinie mit einer
Regelung befrachten, die eigentlich ins Anwaltsgebüh-
renrecht gehört. Die Union plädiert hier für einen wirk-
samen Schutz des geistigen Eigentums, also für mehr als
nur einen Schutz auf dem Papier des Gesetzblattes. Das
Beispiel anderer EU-Mitgliedstaaten sollte uns zu den-
ken geben. Sie haben nämlich einen wirksamen Aus-
kunftsanspruch eingeführt, der dafür sorgen wird, dass
der Rechteinhaber seine Rechte auch erfolgreich geltend
machen kann.

Warum ist das so wichtig? Warum ist auch die Fort-
entwicklung des Urheberrechtes in dieser Frage so wich-
tig? Neben der Schwarzarbeit ist heute nach meiner Ein-
schätzung die Internetpiraterie eines der wichtigsten
Probleme für und einer der wichtigsten Angriffe auf un-
sere Volkswirtschaft in Deutschland.

Nehmen wir einmal die Musikbranche. Auf einen ein-
zigen Kauf eines Musikstücks im Internet kommen 14 il-
legale Downloads. Das hat wirtschaftliche Folgen. Die
jährlichen Verluste gehen schon gegen eine halbe Mil-
liarde Euro. Jeder zehnte Arbeitsplatz in dieser Branche
ist seit 2003 verloren gegangen.

Ähnliches droht der Filmbranche; es betrifft sie teil-
weise schon jetzt. Ein Beispiel: Wir alle erinnern uns
noch an den Film „Good Bye, Lenin!“, der übrigens
nicht von Hollywood, sondern von deutschen Regisseu-
ren, Schauspielern und Produzenten produziert worden
ist. Er war einer der erfolgreichsten Filme der letzten
Jahre in Deutschland überhaupt. Aufgrund seines Erfol-
ges hatten sich alle Beteiligten ausgerechnet, dass man
beim DVD-Verkauf noch einmal – auch zu Recht – Geld
verdienen können müsste.

Weit gefehlt! Bevor die erste DVD überhaupt in den
Handel gekommen ist, gab es schon 770 000 illegale
Downloads. Zu einem Zeitpunkt, zu dem ein Film noch
nicht im Handel erhältlich ist, kann ein Download nicht
aus Versehen geschehen. Das sind wissentliche und wil-
lentliche Urheberrechtsverletzungen, gegen die wir vor-
gehen müssen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Wichtig und gut – vielleicht nur nicht ausreichend –
ist daher, dass wir jetzt in § 53 die Klarstellung vorneh-
men, dass ein Download aus offensichtlich illegalen
Quellen keine zulässige Privatkopie ist.

Wichtig ist auch, dass wir im Vorfeld – ich habe es ge-
sagt – die Bagatellklausel aus dem Gesetzentwurf ent-
fernt haben. Es wäre ein verheerendes Signal gewesen,
wenn der Staat gesagt hätte: „Das ist alles eigentlich ver-
boten“ und wenn er dann mit großem Augenzwinkern
hinzugefügt hätte: Es ist nicht so schlimm. Macht ruhig
weiter! – Diese Art der Kapitulation des Rechtsstaates
wird es mit der Union auch künftig nicht geben. Ich bin
froh, dass es das auch mit der SPD-Fraktion nicht geben
wird. Dafür, dass sie uns hier zugestimmt hat, bedanke
ich mich.

Wir haben sicherlich noch nicht alles getan. Dass
auch der Gesetzentwurf noch einige Punkte offenlässt,
will ich nicht verhehlen. Ich bin sicher, dass der Gesetz-
geber des Jahres 1965 sich Privatkopien in der heutigen
Form so noch nicht vorgestellt hat – sowohl in quantita-
tiver als auch in qualitativer Hinsicht. Heute geht es ei-
gentlich nicht mehr um Kopieren, sondern um Klonen –
einfach, schnell, ohne Qualitätsverlust und billig.

Deswegen müssen wir die verworrene Rechtslage auch
in einem nächsten Korb klarer machen. Die heutige ver-
worrene Rechtslage nutzt dem Dreisten, der die Grenze
austestet. Der Ehrliche ist hier leider der Dumme. Deswe-
gen sind in einem nächsten Korb – auch im Interesse der
Verbraucher und ihrer Rechtssicherheit – klare Grenz-
ziehungen notwendig. Lassen Sie mich hier drei Punkte
nennen.

Erstens. Kopie nur vom Original. Das ist eine sehr
vernünftige und von uns seit längerem erhobene Forde-
rung.

Zweitens. Wir sollten uns die Begründung zum § 52 b
des Gesetzentwurfes zum Vorbild nehmen und die An-
zahl der zulässigen Privatkopien auf einen bestimmten
Höchstwert begrenzen.

Drittens. Vor allem sollten wir uns bemühen, das Pro-
blem der intelligenten Aufnahmetechniken relativ rasch
in den Griff zu bekommen. Derzeit kann man mithilfe
einer Software Tausende von Internetradiostationen ab-
hören und auf diese Art und Weise sehr leicht und fast
kostenlos so viele Musikstücke, wie man möchte, auf
seinen eigenen Rechner herunterladen. Funktional ist
das nichts anderes als eine illegale Musiktauschbörse.
Dem müssen wir Einhalt gebieten.

Allerdings brauchen wir auch noch Aufklärungsarbeit
– das hat das Gesetzgebungsverfahren gezeigt – in Rich-
tung des Bereichs Wissenschaft und Bildung. Wie ich
mit Bedauern zur Kenntnis genommen habe, sehen ei-
nige Professoren das Urheberrecht offenbar eher als Be-
drohung denn als Chance, obwohl gerade die Wissen-
schaftler von dem geistigen Eigentum und für das
geistige Eigentum leben.


(Jörg Tauss [SPD]: Aber das erkläre ich Ihnen einmal! Das machen wir in einem längeren Diskurs!)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Günter Krings
Genauso wenig, wie man erwarten kann, dass ein Pri-
vatmann ein Grundstück kostenlos für eine Universität
zur Verfügung stellt, nur weil man dort einen wichtigen
Hörsaal bauen will, wird man erwarten können, dass Ur-
heber kostenlos ihr geistiges Eigentum für die Wissen-
schaft zur Verfügung stellen. Dieser Freibier-Mentalität
müssen wir Einhalt gebieten.


(Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Faktum ist nun einmal, dass die meisten Wissen-
schaftler nicht nur auf der eigenen Homepage publizie-
ren möchten, sondern auch bei einem Verlag. Deshalb
kann wissenschaftsfreundliches Urheberrecht gar nichts
anderes heißen als auch wissenschaftsverlagsfreundli-
ches Urheberrecht.

Nahezu die gesamte Wissenschaftslandschaft ist
staatlich dominiert. Da tut ein privatrechtlich organisier-
ter Tupfer ganz gut. Daher bin ich froh, dass wir – auch
in Zusammenarbeit mit den Bildungspolitikern; an die-
ser Stelle haben wir uns aufeinander zu bewegt; das will
ich ausdrücklich sagen – einen vernünftigen Ausgleich
der Interessen gefunden haben. Damit verhindern wir
eine schleichende Verstaatlichung der Wissenschaftsver-
lage. Das ist einer der größten Erfolge.


(Jörg Tauss [SPD]: Na, na!)


Abschließend möchte ich den Fraktionen, die mitge-
wirkt haben, meinen Dank aussprechen. Ich bedanke
mich vor allem bei dem Koordinator der Berichterstat-
terrunden, Herrn Manzewski, der dies mit sehr viel Um-
sicht und Kenntnis getan hat. Ich bedanke mich aus-
drücklich auch bei der FDP, insbesondere bei Frau
Leutheusser-Schnarrenberger,


(Beifall des Abg. Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP])


die bis zum Schluss dabeigeblieben ist. Das ist eine
Standhaftigkeit, die die Grünen leider nicht an den Tag
gelegt haben. Sie sind auf der Zielgeraden ausgeschert.
Das wird vielleicht beim nächsten Mal besser.

Heute ist nicht der Schlusspunkt im Urheberrecht.
Wir fassen zwar einen Beschluss zum Zweiten Korb.
Wir haben heute aber zugleich im Rechtsausschuss einen
Entschließungsantrag aufgelegt, der die Richtung für
den Dritten Korb weist. Es geht um viele wichtige Fra-
gen, beispielsweise um die Kabelweitersendung und in-
telligente Aufnahmetechniken. Auch für die nächsten
Schritte im Urheberrecht gilt: Das Urheberrecht braucht
vielleicht bisweilen die Kreativität des Gesetzgebers; vor
allem aber brauchen die Kreativen das Urheberrecht.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Beifall bei der FDP )



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1610816900

Nun hat das Wort Kollegin Petra Sitte, Fraktion Die

Linke.


(Beifall bei der LINKEN)


Dr. Petra Sitte (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1610817000

Meine Damen und Herren! Ich will es gleich an den

Anfang meiner Rede stellen: Die Linke wird dem soge-
nannten Zweiten Korb der Urheberrechtsnovelle nicht
zustimmen.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Dann sind wir beruhigt!)


Wie in diesem Hause üblich, haben auch wir Ver-
handlungswillen signalisiert. Auch wir wollten, dass das
Urheberrecht den unterschiedlichsten Interessen Rech-
nung trägt: angefangen von den Urhebern über die Ver-
lage und Verwertungsgesellschaften bis hin zu den Ver-
brauchern sowie Nutzern in Bildung und Wissenschaft.
Dies jedoch leistet aus unserer Sicht der Zweite Korb aus
mehreren Gründen nicht.

Der erste Grund betrifft die Urhebervergütung. In
einer Zeit, in der die Entwicklung von Medien und Me-
dienträgern eine unglaubliche Umschlagsgeschwindig-
keit hat, in der Inhalte im Internet so schnell verfügbar
sind und heute nicht absehbar ist, wie und in welchem
Format beispielsweise ein Zeitschriftenartikel später ge-
nutzt werden kann, muss sich der Gesetzgeber um den
Schutz des geistigen Eigentums kümmern. Er muss da-
für Sorge tragen, dass die Kreativen in diesem Land, also
die Urheber und Urheberinnen, ihr Auskommen haben.

Immerhin hat es Änderungen am ursprünglichen Ge-
setzentwurf gegeben. Dieser sah im Falle der Abgabe
auf Kopiergeräte und Ähnliches noch vor, dass die Ver-
gütungen an Gerätepreise gekoppelt werden sollten.
Dies aber – das können wir in jedem Elektronikmarkt
beobachten – wäre mit einem ständigen Sinken der Ver-
gütungen verbunden gewesen. Die Einkommensspirale
wäre für die Urheber und Urheberinnen nach unten offen
gewesen. Dass das nun nicht kommen soll, finden wir
richtig. Aber auch die neue Regelung vollzieht, mit Ver-
laub gesagt, ebenjenen Systemwechsel. Statt Vergü-
tungssätze pauschal und fest zu regeln, sollen Urheber
und Verwerter bzw. die Geräteindustrie gemeinsam eine
vertragliche Lösung finden. Das wirtschaftliche Un-
gleichgewicht der Vertragspartner wird aber auch hier zu
einer Schlechterstellung der Urheber und Urheberinnen
führen. Das war bereits Gegenstand der Rede der Minis-
terin. Auch Herr Krings hat auf Probleme im Zusam-
menhang mit dieser Regelung hingewiesen.

Die gleichen Folgen hat die Streichung des § 31
Abs. 4 dieses Gesetzes. Danach ist es nun nicht mehr
verboten, Nutzungsrechte für Nutzungsarten einzuräu-
men, die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch
nicht bekannt sind. Das heißt also, ich kann im Zweifels-
fall unter Druck gesetzt werden, ein Recht zu übertragen,
dessen wirtschaftlichen Wert ich nicht einschätzen kann.
An jedem neuen Medium kann sich die Verwertungsin-
dustrie so künftig eine goldene Nase verdienen. Die
Linke findet, dass sich auch nach vielen Jahren Diskus-
sion über das Urheberrecht an der ursprünglichen Auf-
gabe, bei der der Umstand beachtet werden muss, dass
Urheber schutzbedürftig sind, nichts geändert hat. Wir
wollen, dass die bisherige Schutznorm des Gesetzes er-
halten bleibt.

Der zweite Grund, warum der Zweite Korb aus Sicht
der Linken nicht zustimmungsfähig ist, betrifft die Inte-






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Petra Sitte
ressen von Wissenschaft und Bildung. Wir haben da-
rüber gestern im Ausschuss noch einmal intensiv gere-
det. Der Entwurf, über den wir abzustimmen haben, trägt
offiziell den Titel – ich erinnere daran – „Entwurf eines
Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der
Informationsgesellschaft“. Wir haben den Eindruck,
dass man die Informationsgesellschaft irgendwie aus den
Augen verloren hat.

In den letzten Jahren wurden an den Hochschulen
über 4 Millionen lokale Netzwerke eingerichtet. Unibi-
bliotheken wurden von jedem Arbeitsplatz auf dem
Hochschulcampus virtuell zugänglich. Mit dem Zweiten
Korb werden nun genau diese Investitionen in den
Onlinezugriff zunichte gemacht. Das heißt, künftig müs-
sen Studierende sowie Wissenschaftlerinnen und Wis-
senschaftler wieder in die Bibliothek wackeln. Das ist
doch wohl kein Fortschritt. Die Linke sagt, dass das
Wissen zu den Nutzern kommen muss, nicht umgekehrt.
Schneller Wissenszugang ist immerhin das A und O ei-
ner modernen Informationsgesellschaft. Deshalb sind
wir für eine – wohlgemerkt – campusweite Nutzung.

Außerdem hinkt der Gesetzentwurf selbst den EU-
Debatten hinterher. Anders als im Gesetzentwurf schlägt
die EU-Kommission nämlich ein Open-Access-Modell
vor. Das heißt: Öffentlich finanzierte Forschungsergeb-
nisse dürfen nicht privatisiert werden; sie sollen frei zu-
gänglich sein. Leser sind doch auch Steuerzahler und
sollten als solche nicht doppelt zur Kasse gebeten wer-
den. Genau das würde aber passieren, wenn sie das ge-
wonnene Wissen allein in gekauften Zeitschriften und
Büchern nachlesen könnten.

Auch der Kopienversand durch öffentliche Biblio-
theken ist aus unserer Sicht nicht ausreichend geregelt.
Der Kopienversand für Schüler, Studierende und For-
schende soll sich an den im Geschäftsverkehr geltenden
Bedingungen orientieren. Das bedeutet doch ehrlich ge-
sagt nichts anderes, als dass es zu einer Verteuerung des
Wissenszugangs kommen wird. Wir wollen aber gerade
nicht, dass es zusätzliche Preisbarrieren gibt und es zu
einer Verteuerung des Wissens kommt.


(Zuruf von der CDU/CSU: Also kein Urheberrecht!)


Mein dritter und letzter Einwand betrifft die Privat-
kopie. Sie ist nach wie vor nicht durchsetzungsfest im
Sinne der Verbraucher geregelt. Vielmehr nehmen tech-
nische Schutzmaßnahmen der Anbieter immer mehr zu,
während der Datenschutz der Nutzer auf der anderen
Seite immer mehr abnimmt. Der Schutz von Verbrau-
cherdaten vor unzulässiger Weitergabe an die Anbieter
von Internetdiensten gehört nach Auffassung der Linken
sehr wohl zu den Aufgaben des Gesetzgebers.

Schließlich – es ist klar, dass ich das hier noch einmal
anspreche – kritisieren wir die fehlende Bagatellklausel.
Natürlich kann Strafrecht immer nur Ultima Ratio sein.
Gerade weil wir keine Kriminalisierung der Schulhöfe
wollen, wäre ein Strafausschließungsgrund im Bagatell-
bereich echt angesagt gewesen.
Das, meine Damen und Herren, sind im Wesentlichen
die Gründe, weshalb wir dem Zweiten Korb nicht zu-
stimmen werden.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1610817100

Ich erteile das Wort dem Kollegen Jerzy Montag,

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1610817200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben

es heute mit einem Zwischenergebnis bei der Reform
des Urheberrechts zu tun. Zwischenergebnis deswegen,
weil viele Probleme nicht gelöst sind, weil wir ganz si-
cher in Zukunft durch die technische Entwicklung neue
Herausforderungen meistern werden müssen, aber auch
weil Notwendiges nicht oder falsch gelöst worden ist.

Zwischenergebnis bedeutet auch Zwischenbilanz. Die
fällt aus unserer Sicht nicht eindeutig aus. Das Gesetz
kennt Licht und Schatten und hat vor allem etliche Lö-
cher hinsichtlich der Regelungen.

Ich will zuerst die positiven Dinge erwähnen. Die Än-
derung der Pauschalvergütung ist ein Fortschritt. Wir
sind weg von dem etatistischen Modell. Die Parteien des
Verfahrens zur Festlegung der Pauschalvergütung kön-
nen miteinander verhandeln. Die Bundesregierung – das
ist schon angesprochen worden – hat die eine Seite aber
mit Hand- und Fußfesseln in die Verhandlungen ge-
schickt. Lieber Herr Kollege Krings, so billig kommen
Sie nicht davon. Ich kenne in Ihrer Koalitionsvereinba-
rung keine Regelung, die besagt, dass die Anweisungen
des alten Bundeskanzlers für Sie weiterhin gelten. Diese
Hand- und Fußfesseln waren nämlich Bestandteil des
Gesetzentwurfs Ihrer Bundesregierung. Es bedurfte der
gemeinsamen Kraft auch der Oppositionsparteien, diese
Fuß- und Handfesseln loszuwerden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben in diesem Gesetzentwurf zum ersten Mal
eine Regelung zum Open Content. Der Urheber behält
ein einfaches Verwertungsrecht; das ist so festgehalten.
Wir haben neue Schranken zugunsten von Bildung und
Wissenschaft. Das ist ein ganz gewichtiger Fortschritt.

Auch bei den unbekannten Nutzungsarten ist ein Fort-
schritt erzielt worden. Dieser Fortschritt wurde aber erst
durch die Arbeit des Parlaments, insbesondere der Op-
position, möglich. Die Opposition hat dafür gesorgt,
dass die Urheber – Frau Sitte hat völlig recht: sie sind
die Schwächeren – vor Beginn der Verwertung die Mög-
lichkeit zum Widerspruch haben. Erst dadurch haben sie
eine starke Position. Diese Änderung, dieses Wider-
spruchsrecht haben wir im Parlament aber erst erstreiten
müssen.

Damit komme ich zur Kritik. Erstens. Meine Damen
und Herren von der Koalition, Sie haben die Filmschaf-
fenden schlechter behandelt als andere Urheber und
Künstler. Sie haben sie sehr effektiv diskriminiert.






(A) (C)



(B) (D)


Jerzy Montag

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Ach, du lieber Gott!)


In Richtung der Kolleginnen und Kollegen von der SPD
sage ich: Wir haben in dieser Sache vor einigen Tagen
ein Schreiben des Bundesverbandes Regie erhalten. Ich
erlaube mir, einige Sätze daraus zu zitieren:

Seit es Film gibt, seit 1892, haben alle Gesetzgeber,
ob sie in ihrer Mehrheit konservativ, liberal oder so-
zial waren, Filmurheber wie andere Urheber ge-
schützt. Wir bitten Sie, den heutigen Gesetzgeber,
dringend, diese Tradition fortzusetzen. Verhindern
Sie bitte unsere faktische Enteignung.

Meine Damen und Herren von der SPD, die Namen,
die unter diesem Schreiben stehen, sind interessant; sie
sind Ihnen aus so manchen Künstlerinitiativen zur Un-
terstützung der SPD und des früheren Bundeskanzlers
Schröder sehr gut bekannt: Margarethe von Trotta,
Volker Schlöndorff und Hark Bohm. Sie behandeln sie
so, dass sie sich als von Ihnen enteignet ansehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich komme zum zweiten Kritikpunkt. Elektronische
Leseplätze sind zum ersten Mal gesetzlich geregelt. Das
ist gut und richtig. Aber warum soll es sie nicht auch in
Schulen und Hochschulinstituten geben, warum nicht in
allen öffentlich zugänglichen Bildungseinrichtungen?
Natürlich wären es dann mehr geworden. Aber das wäre
doch nicht schlecht, sondern gut.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir hätten dann überlegen müssen, ob die eine oder die
andere Institution unter die Regelung fällt. Das wäre mir
aber lieber gewesen als Ihr ängstlicher, kleiner, erster
Schritt in diese Richtung.

Warum gibt es eigentlich nur so viele Leseplätze wie
Buchexemplare? Warum wird das nicht dem Bedarf der
Nutzerinnen und Nutzer angepasst? Das wäre eine faire
Lösung gewesen.


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Eigentumsschutz!)


– Nein, lieber Kollege. Wir hätten natürlich zugestimmt,
wenn Sie die Vergütung entsprechend angepasst hätten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Sie greifen zu dem falschen Mittel und begrenzen so die
Zukunft in der Bildungslandschaft. Das wird von uns
heftig kritisiert.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1610817300

Herr Kollege Montag, gestatten Sie eine Zwischen-

frage des Kollegen Otto?


Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1610817400

Aber gerne.

Hans-Joachim Otto (FDP):
Rede ID: ID1610817500

Herr Kollege, auch wenn dieser Gesetzentwurf in ers-

ter Linie von der Großen Koalition getragen wird, muss
ich sagen, dass Sie mich etwas verwirren.


(Jörg Tauss [SPD]: Das darf nicht sein!)


Sie haben eben aus einem Brief vorgelesen, in dem von
der Enteignung der Filmschaffenden die Rede ist. In die-
sem Zusammenhang haben Sie Margarethe von Trotta
und andere genannt. Eine Minute später aber sprachen
Sie davon, dass in Universitäten, Schulen und Bibliothe-
ken ein unbegrenzter Zugang zu digitalen Dokumenten
zulässig sein sollte. Halten Sie das nicht für eine Enteig-
nung der Urheber?


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1610817600

Lieber Kollege Otto, es verwundert mich, dass Sie

verwundert sind.


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich kann das aber erklären, und zwar in einer Art und
Weise, dass auch Sie es verstehen werden.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Das ist gut! Deswegen habe ich Sie gefragt!)


Lieber Kollege Otto, das Urheberrecht ist ein allge-
meines, absolutes Recht, das gegen jedermann gilt. Das
gilt auch für das Urheberrecht am geistigen Eigentum.
Das soll nach meiner Meinung auch so bleiben. Aber
kein Eigentumsrecht gilt absolut.


(Zuruf von der CDU/CSU: Nur das Filmrecht!)


In einer Gesellschaft wie der, in der wir leben, müssen
sich alle Eigentumsrechte Schranken zugunsten anderer
gemeinwohlverpflichteten Institutionen gefallen lassen.

Der positive Aspekt dieses Gesetzentwurfs ist, dass es
eine neue Schranke des Urheberrechts gibt, und zwar
zugunsten von Bildung, Forschung und Wissenschaft.
Diese neue Schranke ist notwendig, aber sie muss zu-
kunftsgerichtet sein. Deswegen wollen wir, dass so viele
Leseplätze in öffentlichen Einrichtungen, zum Beispiel
Hochschulinstituten, installiert werden, wie die Nutze-
rinnen und Nutzer, die Studentinnen und Studenten sie
für ihr Studium benötigen. Das ist keine Enteignung;
denn ich plädiere dafür, dass eine angemessene Vergü-
tung gezahlt wird. Sie aber lehnen die Schranke offen-
sichtlich insgesamt ab. Daher müssen Sie sich gefallen
lassen, gefragt zu werden, warum Sie bei der Förderung
von Bildung, Forschung und Wissenschaft so mickrig
sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE])


Ich komme zum dritten Kritikpunkt. Er betrifft den
elektronischen Kopienversand. Dies ist ebenfalls eine
neue Schranke, und das ist gut und richtig so. Aber es
hätte auch hier eines fairen Ausgleichs der Interessen






(A) (C)



(B) (D)


Jerzy Montag
beider Seiten bedurft. Es geht einerseits um das Interesse
der Verlage – auch kleiner Wissenschaftsverlage –, ande-
rerseits um das Interesse der Studentinnen und Studen-
ten, Kopien auf einem Wege zu erhalten, der ihren öko-
nomischen Umständen angemessen ist, so wie es heute
in einem juristischen Graubereich schon lange stattfin-
det. Wir haben darum gekämpft und gerungen. Wir ha-
ben mit Ihnen darüber diskutiert, ob wir nicht auch so-
ziale und bildungspolitische Aspekte in den Begriff der
Angemessenheit implementieren können. Aber nein, Sie
haben nur die wirtschaftlichen Aspekte angesprochen.
Dazu sage ich Ihnen: Wenn in diesem Bereich Angemes-
senheit nur bedeutet, dass die Regelung für die Verlage
angemessen ist, aber nicht für die Studentinnen und Stu-
denten, dann bin ich eher dafür, dass das Verlagsprivileg
fällt.

Vierter Kritikpunkt – wieder an die SPD gewandt –:
Wir haben den Bruch eines Versprechens zu konstatie-
ren. Sie haben beim Ersten Korb des Urheberrechts ver-
sprochen, dass wir uns beim Zweiten Korb des Urheber-
rechts für eine durchsetzungsstarke digitale Privatkopie
für redliche Nutzer starkmachen werden.


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Die Koalition hat gewechselt!)


Diese Position haben Sie verlassen; Sie sind vor der
Union in die Knie gegangen. Wir wissen, dass wir in die-
sem Hause mit der Forderung nach einer durchsetzungs-
starken Privatkopie alleine dastehen. Aber wir wissen
auch: Draußen, in der Gesellschaft ist das ganz anders.
Wir werden deshalb auch in Zukunft dafür streiten, dass
es eine solche durchsetzungsstarke Privatkopie gibt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das gilt in gleicher Weise für die Bagatellklausel.
Natürlich ist es richtig und notwendig, im Bagatellbe-
reich das Strafrecht zurückzudrängen. Der zivilrechtli-
che Schutz der Urheber bleibt ja weiterhin erhalten. Dass
Sie auf die Schulhöfe Staatsanwälte und Polizisten schi-
cken wollen,


(Dirk Manzewski [SPD]: Blödsinn! Das ist doch peinlich!)


ist vielleicht aus Ihrer Sicht eine vernünftige Lösung, für
die Jugend aber nicht.

Wir sagen Ihnen: Der Gesetzentwurf weist Licht und
Schatten auf. Wir können ihm aufgrund seiner Fehler
nicht zustimmen. Wir wollen ihn aber auch nicht ableh-
nen, weil er gute, in die Zukunft weisende Elemente ent-
hält. Deswegen werden wir uns in der Schlussabstim-
mung enthalten.

Die Debatte über das Urheberrecht geht weiter. Die
Grünen werden weiter dabei sein.

Danke.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1610817700

Ich erteile Kollegen Jörg Tauss das Wort, damit er an

seinem Geburtstag unablässig reden darf.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1610817800

Ich habe vorhin schon gefragt, Herr Präsident, ob das

Lebensalter am Tag des Geburtstags der Redezeit ent-
spricht. Dann hätte ich die Gelegenheit, auf viel mehr
einzugehen, als in den vier Minuten Redezeit, die ich
jetzt habe.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal
recht herzlichen Dank an die Kolleginnen und Kollegen
aus dem Bereich Recht, dass wir – ich habe jetzt zwei
Hüte auf: einen aus dem Bereich Kultur und Medien, ei-
nen anderen aus dem Bereich Bildung, Wissenschaft und
Forschung – noch einige Anmerkungen zu diesem
Thema machen können. Vielleicht können wir auch die
eine oder andere Verwirrung, die aufgekommen ist, lie-
ber Kollege Otto und lieber Kollege Montag, klären.

Zunächst einmal zum Wegfall der Bagatellklausel.
Ich denke, wir sollten hier ein bisschen abrüsten. Ich
sehe hier weder den Untergang des Abendlandes, den
die Wirtschaft als Popanz aufgebaut hat, noch eine Kri-
minalisierung der Schulhöfe. Es gibt immer noch Staats-
anwälte, die auf vernünftige Weise abwägen.

Allerdings gibt es ein Problem, dem wir uns zuwen-
den müssen; das würde ich auch der FDP empfehlen. Ich
bin der Justizministerin sehr dankbar, dass sie die Ab-
mahnungen zu einem Thema macht. Wir laufen nämlich
Gefahr, dass es im Rahmen der Vorratsdatenspeiche-
rung erstmals möglich wird, dass öffentlich und eigent-
lich nur für Strafrechtszwecke gesammelte Daten Priva-
ten überlassen werden.


(Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [FDP]: Wie bitte? Das gibt es doch gar nicht! – Joachim Stünker [SPD]: Was ist das denn für ein Unsinn?)


Dadurch könnte es geschehen – Kollege Otto hört jetzt
bitte weg –, dass eine Goldgräbermentalität hervorgeru-
fen wird und der eine oder andere in Form von Abmah-
nungen und Rechtsanwaltsgebühren, die nicht in Ord-
nung sind, Tausende von Jugendlichen zur Kasse bittet.


(Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [FDP]: Ach was! Das gibt es doch überhaupt nicht!)


Über dieses Thema müssen wir aber diskutieren, wenn
es um Abmahnungen geht.

Aus kultur- und medienpolitischer Sicht begrüßen wir
viele in diesem Gesetzentwurf enthaltenen Änderungen
ausdrücklich. Wir haben nach der Anhörung und nach
einem sehr intensiven Austausch mit vielen Künstlerin-
nen und Künstlern, mit Kulturschaffenden und Kreativen
wichtige Änderungen gegenüber dem ursprünglichen
Gesetzentwurf im Gespräch mit unseren Kollegen
Rechtspolitikern angeregt und letztlich auch in den vor-
liegenden Gesetzentwurf aufgenommen.






(A) (C)



(B) (D)


Jörg Tauss
Die unbekannten Nutzungsarten sind ein wesentli-
cher Punkt. In der Tat ist es eine wichtige Frage in der
Informationsgesellschaft, was geschieht, wenn aufgrund
der technischen Entwicklung neue Nutzungsmöglichkei-
ten zur Verfügung stehen, die zum Zeitpunkt der Schaf-
fung eines Werkes noch nicht absehbar waren. Ich
glaube, hier haben wir eine gute Lösung hinbekommen.

Die Vergütungspflicht ist von allen Rednerinnen und
Rednern und auch von der Kollegin Zypries angespro-
chen worden. Wichtige Stichworte sind in diesem Zu-
sammenhang der doppelte Flaschenhals und die Taug-
lichkeit der Geräte als Basis der Vergütung. 5 Prozent
des Gerätepreises als Urhebervergütung ist eine proble-
matische Regelung. Aber auch hier haben wir eine, wie
ich denke, ordentliche Regelung getroffen.

Die Industrie kritisiert diesen Kompromiss; das be-
daure ich sehr. Da die Urheber die Befürchtung hatten, in
erheblichem Maße Einkommen zu verlieren, hatte ich
die Industrie gebeten, den Urhebern zu signalisieren,
dass sie mit dieser Regelung nicht bezweckt, die Vergü-
tungen der Urheber in den Keller zu fahren, sondern dass
die Vergütungen in der bisherigen Höhe beibehalten
bzw. fortentwickelt werden sollen. Dieses Signal ist lei-
der über Monate hinweg ausgeblieben. Deshalb ist die-
ses Problem entstanden. Auf merkwürdige Anzeigen-
kampagnen wie die, die derzeit in der einen oder anderen
Computerzeitschrift zu finden ist – dort heißt es unter
anderem, dass ein Drucker jetzt 300 Euro mehr kostet
und der Bundestag daran schuld sei –, sollte man ver-
zichten. Solche Albernheiten sollte man besser unterlas-
sen. Hier geht es um etwas anderes. Die Industrie hat
sich hiermit keinen Gefallen getan.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Nun zum Film. Hier gibt es in der Tat einige Aspekte,
die beobachtet werden müssen; sie sind auch im zur Ab-
stimmung stehenden Entschließungsantrag enthalten.
Allerdings muss ich mit einer gewissen Kritik in Rich-
tung der Vertreter des Films sagen – das ist bei solchen
Gesetzgebungsverfahren immer ein Problem –: Die Ur-
heber haben uns immer etwas völlig anderes erzählt als
die Produzenten. Produzenten ohne Künstler gibt es
nicht, und Künstler können nicht ohne Produzenten ar-
beiten. Ich hätte mir daher gewünscht, dass die Vertreter
des Films mit einer Stimme gesprochen hätten. Wenn
das nicht möglich ist und man im Nachhinein mit einem
Kompromiss nicht zufrieden ist, hat man natürlich ein
kleines Problem.

Was Bildung, Wissenschaft und Forschung angeht,
glaube ich in der Tat, dass es hier ein paar Missverständ-
nisse gibt. Lieber Kollege Krings, beim Thema Open
Access geht es um die Frage, wie wir mit öffentlich ge-
schaffenen Mitteln umgehen: Kann es sein, dass wir das
Wissen in Bibliotheken schaffen, es anschließend an
Verlage weitergeben und es dann für viel Geld zurück-
kaufen? Als ich diese Fragen einmal auf einer Buch-
messe gestellt habe, wurde ich dort als Internetkommu-
nist beschimpft. Das ist nicht der richtige Weg, um
dieses Problem zu lösen.
Kollege Krings, die deutsche UNESCO-Kommission
hat zu diesem Thema ein Büchlein herausgegeben, in
dem auch ein wichtiger Beitrag von mir enthalten ist.
Lesen Sie doch einmal nach, was in diesem Buch zum
Thema Open Access steht.


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Eben haben Sie noch „Büchlein“ gesagt! Was denn nun?)


Das richtet sich nicht gegen die Verlage. Hier geht es al-
lenfalls gegen die Verlage, die die Zeichen der Zeit nicht
erkannt haben und miserable Geschäftsmodelle aus der
Vergangenheit haben.


(Zuruf von der CDU/CSU: Darüber, bei wem das so ist, entscheiden Sie?)


Die modernen Verlage wissen: Das ist eine Riesen-
chance, die wir durch das Urheberrecht allerdings nicht
beeinträchtigen dürfen. Daher, Frau Ministerin, werden
wir anregen, in einem Dritten Korb des Urheberrechts
mit Blick auf Bildung und Wissenschaft erneut sorgfältig
über das eine oder andere Problem nachzudenken.

Ich bedanke mich für die guten Diskussionen mit den
Kolleginnen und Kollegen Rechtspolitikern. Die noch
offenen Fragen in den Bereichen Film, Wissenschaft und
Forschung werden wir nicht nur beobachten. Wir werden
unsere Bemühungen weiterhin bündeln, um zu positiven
Ergebnissen zu kommen. – Wie ich sehe, habe ich meine
Redezeit bereits überzogen.

Ich bedanke mich für das Zuhören.


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1610817900

Die überzogene Redezeit war ein Geburtstagsge-

schenk an Sie.

Ich erteile das Wort Kollegen Carsten Müller, CDU/
CSU-Fraktion.


Carsten Müller (CDU):
Rede ID: ID1610818000

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Viele Vor-

redner haben es schon gesagt: Es war tatsächlich ein au-
ßergewöhnlich zeitraubender Prozess, dieses wichtige
Vorhaben zu einem, wenn auch nicht ganz guten, so
doch gut vertretbaren Ende zu bringen.

Mir sei an dieser Stelle gestattet zu sagen: Ich finde es
schon merkwürdig, dass ausgerechnet die Linksfraktion
hier mit markigen Worten auffällt,


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Ich fand meine Ausführungen sehr ausgewogen!)


deren Hauptberichterstatter im federführenden Aus-
schuss, im Rechtsausschuss, wie mir glaubwürdig versi-
chert wird, überwiegend durch Abwesenheit geglänzt
haben und die sich auch an den Erörterungen im Aus-
schuss für Bildung und Forschung nur pro forma betei-
ligt hat. Ihre Einwände sind also nicht wirklich ernst zu
nehmen.

In einer Zeit, in der die technische Entwicklung im-
mer schneller wird, müssen wir stets auch das Urheber-
recht anpassen. Lange, schwierige Verhandlungen haben






(A) (C)



(B) (D)


Carsten Müller (Braunschweig)

schließlich zu einem Ergebnis geführt, das den digitalen
Fragestellungen Rechnung trägt. Digitale Fragestellun-
gen können nicht analog beantwortet werden. Wir haben
in den letzten Wochen noch gute Fortschritte für Bildung
und Forschung erzielt. Im Wesentlichen greifen wir die
Forderung auf, die sich in der EU-Richtlinie zum Urhe-
berrecht in der Informationsgesellschaft manifestiert hat.
Darüber hinaus greifen wir eine wesentliche Forderung
des Koalitionsvertrages auf. Dort ist die Rede von einem
wissenschafts- und bildungsfreundlichen Urheber-
recht.


(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD] – Jörg Tauss [SPD]: Ein guter Kompromiss! Entschuldigung! Fürs Protokoll: Ich wollte sagen: ein guter Koalitionsvertrag!)


Wir werden dieser wichtigen Forderung mit dem heuti-
gen Vorschlag und den entsprechenden Anträgen durch-
aus gerecht.

An dieser Stelle sei mir erlaubt, anzumerken: „Wis-
senschaftsfreundlich“ heißt nicht in erster Linie „wissen-
schaftsverlagsfreundlich“.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)


Wenn sich ein Vertreter eines Wissenschaftsverlages für
den Urheber im materiellen Sinne hält, unterliegt er
demselben Irrtum wie der Flugzeugführer, der sich für
einen Vogel hält. Wir müssen also in erster Linie die In-
teressen der Urheber im materiellen Sinne wahren, und
das ist uns in Teilen gelungen.


(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD] – Jörg Tauss [SPD]: Bin ich hier der einzige Fan von Müller?)


Die Große Koalition greift auf, dass Wissenschaft und
Forschung neben einer nennenswerten finanziellen Aus-
stattung günstige Rahmenbedingungen brauchen. Ich
möchte einige der aus bildungspolitischer Sicht wichti-
gen Ergebnisse darstellen: Der Kopienversand auf Be-
stellung ist jetzt zulässig, er ist kodifiziert und meines
Erachtens gut verträglich geregelt. Der Kopienversand
kann in dem Moment ohne Weiteres erfolgen, wenn ein
Onlineangebot von Verlagen nicht offensichtlich und
nicht zu angemessenen Konditionen zu erhalten ist. Das
trägt den wesentlichen Forderungen Rechnung.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Jörg Tauss [SPD])


Darüber hinaus ist es uns gelungen, eine praktikable Re-
gelung für elektronische Leseplätze in den Gesetzent-
wurf einfließen zu lassen. Die Begründung zu lesen, sei
jedem anempfohlen. Hier besteht nämlich nicht das Pro-
blem, das der Kollege Montag an die Wand gemalt hat.
Unsere Lösung ist veritabel.

In einem Entschließungsantrag der Koalitionsfraktio-
nen werden die wichtigen Punkte aufgegriffen, die zur
Lösung in einem Dritten Korb anstehen. Ich bin mir si-
cher, dass wir in einer vergleichbar kooperativen Zusam-
menarbeit mit den Rechtspolitikern auch hier zu guten
Lösungen kommen werden.

(Beifall der Abg. Ilse Aigner [CDU/CSU] sowie des Abg. Jörg Tauss [SPD])


Wir sollten unseren Blick einmal über die Grenzen
Deutschlands hinausschweifen lassen und uns an-
schauen, wie es zum Beispiel mit dem Crown Copyright
in anderen Ländern funktioniert, damit öffentlich finan-
zierte Forschung und Erkenntnisse nicht wieder teuer
mit Steuergeldern eingekauft werden müssen.

Wir schließen heute eine Etappe ab und beginnen mit
den Vorbereitungen für die nächste Etappe, für den Drit-
ten Korb: für das Urheberrecht im Bereich Bildung und
Wissenschaft. Ich freue mich schon heute auf die koope-
rative Zusammenarbeit mit den Kollegen vom Rechts-
ausschuss, mit den Kollegen vom Koalitionspartner.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1610818100

Ich erteile das Wort Kollegen Dirk Manzewski, SPD-

Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Dirk Manzewski (SPD):
Rede ID: ID1610818200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Ich muss eingestehen – Sie
können sich das nach den heutigen Reden vielleicht vor-
stellen –, dass ich mir bei diesem Gesetzgebungsverfah-
ren häufig gewünscht habe, dass im Bundestag nur
Rechtspolitiker sitzen.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das würde die Sache einfacher machen!)


Denn dann wäre vermutlich vieles einfacher gewesen.


(Jörg Tauss [SPD]: Ob das aber zu einem guten Urheberrecht führen würde, daran habe ich große Zweifel!)


Gerade beim Urheberrecht muss man jedoch akzep-
tieren, dass dem nicht so ist, weil gerade in diesem Be-
reich viele unterschiedliche Interessen aufeinandertref-
fen.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist vielleicht auch so gewollt!)


Es gibt neben uns Rechtspolitikern unsere Verbraucher-,
Bildungs-, Medien- und natürlich auch Wirtschaftspoliti-
ker. Jeder von diesen Kolleginnen und Kollegen geht mit
einer völlig anderen Grundhaltung an das Thema Urhe-
berrecht heran. Das erfordert Kompromisse von allen,
und zwar schon innerhalb der einzelnen Fraktionen.
Deshalb freut es mich ganz besonders, dass es uns bei
diesem schwierigen Thema wieder einmal zumindest
teilweise gelungen ist, überfraktionell einen Konsens zu
erreichen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir sind dem Vorschlag der Ministerin gefolgt, im
Bereich der Pauschalvergütung einen Paradigmen-
wechsel vorzunehmen. Die Parteien sollen sich künftig






(A) (C)



(B) (D)


Dirk Manzewski
grundsätzlich zusammensetzen und die Abgaben indivi-
duell aushandeln. Ich persönlich hätte – ähnlich wie der
Kollege Krings; das zu sagen, muss schon erlaubt sein –
einen anderen Lösungsweg bevorzugt, und zwar durch
Modernisierung und dauernde Fortschreibung der bisher
hierfür maßgeblichen Anlage.


(Beifall der Abg. Monika Griefahn [SPD])


Es ist jedoch nicht von der Hand zu weisen, dass
schon heute, soweit es die digitale Technik betrifft, die
Anlage veraltet ist und sich die Parteien schon jetzt zu-
sammensetzen und die entsprechenden Abgaben indivi-
duell aushandeln. Zudem bleibt – auch das ist nicht ganz
unwichtig – dem Ministerium ein erheblicher Arbeits-
aufwand erspart. Frau Ministerin, ich mag auch gar nicht
daran denken, was für ein Einfluss von außen jeweils auf
Sie eingewirkt hätte, wenn Sie diese Anlage fortzu-
schreiben hätten.

Wir haben im Übrigen mit dem Entschließungsantrag
unter anderem deutlich gemacht, dass wir, sollten sich
unsere Erwartungen in Bezug auf schnellere Vereinba-
rungen nicht erfüllen, gegebenenfalls wieder zum alten
System zurückkehren müssen. Nur folgerichtig war es
mit Blick auf den Paradigmenwechsel dann – das hat
Kollege Krings angesprochen –, sowohl die angedachte
Eingangshürde – der nennenswerte Umfang – als auch
den oberen Flaschenhals – die 5-Prozent-Klausel – zu
streichen. Denn zum einen finde ich es unbillig, den Par-
teien zwar einerseits die Vereinbarungshoheit zu über-
tragen, diese dann aber andererseits für eine Seite gleich
zweifach einzuschränken. Zum anderen wäre es nicht
gerecht, die Urheber die Geiz-ist-geil-Mentalität von
Gesellschaft und Wirtschaft ausbaden zu lassen. Wenn
ich sehe, dass ein Kopierer, der heute 100 000 Kopien
schafft und 200 Euro kostet, morgen bereits das Dop-
pelte an Leistung erbringt und nur noch halb so teuer ist,
dann weiß ich ganz genau, wohin die Reise für die Urhe-
ber und die Pauschalabgabe gegangen wäre. Das kann
von uns nicht gewollt sein.

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch drei
kurze Sätze zur Bitkom sagen, die gerade den Untergang
des Abendlandes anmahnt und der Bevölkerung weiszu-
machen versucht, dass die Geräte unheimlich teuer wer-
den würden.

Erstens: Das Pauschalvergütungssystem auf Geräte
gibt es schon seit ewigen Zeiten. Es tritt insoweit keine
Veränderung für die Geräteindustrie ein. Zweitens:
Durch die Streichung von Eingangshürde und oberem
Flaschenhals streichen wir nur die angedachten Besser-
stellungen für die Geräteindustrie. Wir halten damit den
bestehenden Status quo aufrecht, ändern also nichts.
Drittens: Trotz des Pauschalvergütungssystems in
Deutschland haben wir sehr niedrige Gerätepreise, wenn
nicht gar die niedrigsten in Europa. Das macht deutlich,
dass die Kritik der Bitkom aus der Luft gegriffen ist.

Wir haben uns darauf verständigt, dass von nun an Ver-
träge über noch unbekannte Nutzungsarten zulässig sein
sollen. Das ist sachgerecht und entspricht den Bedürfnis-
sen der heutigen Zeit. Wir haben jedoch Wert darauf ge-
legt, dass das Widerrufsrecht bei Neuverträgen auch ein
solches darstellt und nicht leer läuft. Bei Altverträgen ha-
ben wir durch Veränderungen sichergestellt, dass für die
Nutzung auch Vergütung fließt. Bei Bildung und For-
schung haben wir Zugeständnisse gemacht. Anders als
bisher können in öffentlichen Bibliotheken, Museen und
Archiven Bestände aus diesen Einrichtungen einge-
schränkt an elektronischen Leseplätzen wiedergegeben
werden. Frau Dr. Sitte, auch wenn das teilweise heute so
vorgehalten wird, ist das nicht zulässig. Insoweit ist das
eine Verbesserung. Zudem ermöglichen wir zur Veran-
schaulichung des Unterrichts und der wissenschaftlichen
Forschung den elektronischen Kopienversand auf Bestel-
lung, soweit die Verlage nicht offensichtlich und zu ange-
messenen Bedingungen ein entsprechendes Angebot
selbst anbieten.

Ich bin mir durchaus bewusst – das ist hier heute ja
auch deutlich geworden –, dass für den Bereich Bildung
und Forschung eine noch höhere Erwartungshaltung be-
stand. Soweit es den Kopienversand betrifft, waren
unsere Möglichkeiten aber durch die entsprechende
europäische Richtlinie und durch während des Gesetzge-
bungsverfahrens geäußerte Bedenken der Europäischen
Kommission stark eingeschränkt.

Ich halte die Kritik, mit der ein wissenschaftsfreund-
licheres Urheberrecht angemahnt wird, für nicht be-
rechtigt. Ich kann zwar durchaus nachvollziehen, dass
sich mancher Hochschulrektor oder -professor ange-
sichts immer geringer werdender Zuweisungen mehr
Freiräume bei der Nutzung des geistigen Eigentums ge-
wünscht hätte. Seien wir aber doch einmal ganz ehrlich:
Das eigentliche Problem in diesem Zusammenhang liegt
doch klar auf der Hand und ist leider bislang noch nicht
genannt worden. Es wird immer wieder propagiert, wie
wichtig Bildung und Forschung sind – insbesondere die
Bundesländer liefern sich hier geradezu einen Wettstreit –,
doch kosten dürfen Bildungsinhalte offensichtlich nichts
mehr. Die fehlende Finanzausstattung der Hochschulen
durch die Länder kann doch nicht zulasten der Urheber
gehen.


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Hier ist vorgetragen worden, dass es gegebenenfalls
möglich wäre, etwas mit Lizenzverträgen zu machen.
Auch das ist heute schon möglich. Natürlich kann sich
eine Universität, wenn sie Geld in die Hand nimmt,
eins a ausstatten. An dem Geld scheitert es aber eben.
Ich finde, in einem Land wie Deutschland, das wie kein
anderes auf die Köpfe seiner Menschen angewiesen ist,
darf geistiges Eigentum nicht verscherbelt werden;
denn wenn es sich nicht mehr lohnt, geistiges Eigentum
zu publizieren und zu entwickeln, dann wird das letzt-
endlich auch zulasten von Bildung und Forschung ge-
hen.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben den Bil-
dungspolitikern zugesichert, dass wir insbesondere die
Problematik des sogenannten Zweitverwertungsrechts
im Rahmen des Dritten Korbs behandeln werden. Dazu,
liebe Bildungspolitiker der Koalition, stehen wir auch.






(A) (C)



(B) (D)


Dirk Manzewski
Lassen Sie mich noch ganz kurz auf die Problematik
der Bagatellklausel eingehen. Der Kollege Krings hat es
angesprochen – ich sehe das genauso –: Wir haben in un-
serer Gesellschaft das große Problem, den Menschen die
Bedeutung des geistigen Eigentums klarzumachen.


(Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [FDP]: Genau so ist es!)


Insbesondere bei der Nutzung des Internets sind viele
leider der falschen Auffassung, dass sämtliche dort vor-
gefundenen Inhalte frei und vor allen Dingen kostenlos
zur Verfügung stehen.


(Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [FDP]: So ist es!)


Ich glaube, wir würden ein fatales Zeichen setzen,
wenn wir einerseits zwar die illegale Nutzung und Ver-
breitung verbieten, andererseits aber verlauten lassen
würden, dass ein verbotswidriger Umgang in dem Zu-
sammenhang sanktionslos bleibt. Ich meine, bei der ille-
galen Nutzung – davon rede ich, Kollege Montag – wür-
den alle Dämme brechen.

Im Übrigen kann ich Ihnen auch versichern, dass es
zu keiner Kriminalisierung der Schulhöfe kommen wird;
denn eines muss man einmal deutlich sagen: Dieses Ver-
bot gilt schon jetzt.


(Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [FDP]: Ja, so ist es!)


Mir ist nicht bekannt, dass es insoweit zu einer Krimina-
lisierung der Schulhöfe gekommen ist,


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 25 000 Verfahren nur in Karlsruhe!)


eben auch deshalb nicht, weil die Staatsanwaltschaften
hier mit dem gebotenen Augenmaß vorgehen.

Kollege Montag, ich finde es auch ganz merkwürdig,
dass man den Diebstahl geistigen Eigentums sanktions-
los, die unerlaubte Telefonwerbung aber bußgeldbewehrt
stellen möchte. Ich habe ja nichts gegen Letzteres; aber
Sie müssen mir einmal erklären, welche Verhältnismä-
ßigkeit hier noch besteht. Was kommt als Nächstes? Sol-
len wir demnächst auch das Graffitisprühen straflos stel-
len, weil wir ansonsten die Schulhöfe kriminalisieren
würden?

Ich verstehe Sie wirklich nicht mehr. Offensichtlich
haben die Rechtspolitiker innerhalb der Partei der Grü-
nen nichts mehr zu sagen und werden nicht mehr ernst
genommen. Ich nehme Sie jedenfalls nicht mehr ernst.

Ich finde es auch sehr verwunderlich, dass Sie die Ur-
heber gegenüber der Geräteindustrie zwar hochleben las-
sen, dass Ihnen aber dann, wenn es die Bildung oder die
Verbraucher betrifft, geistiges Eigentum offensichtlich
überhaupt nichts mehr wert ist.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [FDP])

Lassen Sie mich abschließend aber versöhnlich wer-
den. Ich möchte mich bei allen für die gute Zusammen-
arbeit bedanken,


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist freundlich!)


insbesondere bei Ihnen, Frau Kollegin Leutheusser-
Schnarrenberger, und natürlich auch bei meinem Kolle-
gen Günter Krings von der Union und seinem Mitarbei-
ter; auch er sollte hier einmal erwähnt werden. Ganz be-
sonders bedanke ich mich bei Frau Dr. Pakuscher und
Herrn Dr. Henrichs vom BMJ und auch bei der Ministe-
rin,


(Jörg Tauss [SPD]: Sie hat mich Monate meines Lebens gekostet!)


die versucht hat, jeden Termin – selbst innerhalb der Ko-
alition; das muss man wirklich so deutlich sagen – per-
sönlich wahrzunehmen.

Kollege Montag, selbst bei Ihnen möchte ich mich be-
danken;


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was?)


denn bis zur heutigen Rede habe ich Ihre Argumentation
ganz gut nachvollziehen können.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Ich weiß auch ganz genau, dass es nicht an Ihnen gele-
gen hat, dass es mit Ihrer Fraktion zu keinem Konsens
gekommen ist.

Zur Linkspartei lassen Sie mich noch Folgendes sa-
gen:


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Zeitverschwendung!)


Frau Kollegin Dr. Sitte, Sie haben hier dargelegt, dass
Sie Verhandlungswillen gezeigt haben. Ich weiß, dass
ich mit Ihnen jetzt möglicherweise die falsche Person
treffe. Wir haben nach der Anhörung sehr viele Ge-
spräche geführt. An dem ersten Gespräch, in dem wir
die Anhörung ausgewertet haben, hat noch Frau
Dr. Jochimsen teilgenommen. Zu all den wichtigen Ge-
sprächen danach ist trotz Einladung und versuchter Ein-
bindung niemand von Ihnen mehr gekommen.


(Widerspruch bei der LINKEN – Zuruf von der SPD: Hört! Hört!)


Sie haben Ihre Referenten geschickt, die deutlich ge-
macht haben, dass sie nicht aussagefähig sind. Auch
wenn ich, wie gesagt, weiß, dass ich mit Ihnen die fal-
sche Person treffe – vielleicht hätte man sich von Anfang
an einigen sollen, dass Sie das Thema übernehmen –
finde ich insofern die Kritik nicht ganz berechtigt. Wenn
heute Herr Nešković gesprochen hätte,


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Wer ist Nešković?)


hätte ich diese Kritik als Frechheit bezeichnet.






(A) (C)



(B) (D)


Dirk Manzewski
Gleichwohl glaube ich, dass heute ein guter Tag für
das Urheberrecht ist, und möchte mich bei Ihnen allen
dafür bedanken.

Danke schön.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1610818300

Ich erteile das Wort Kollegen Norbert Geis, CDU/

CSU-Fraktion.


(Jörg Tauss [SPD]: Jetzt stören Sie aber den persönlichen Ton nicht, Herr Geis! Sonst kriegen Sie eine Zwischenfrage!)



Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1610818400

Herr Tauss, ich gratuliere Ihnen zum Geburtstag.


(Zurufe von der SPD)


– Ich habe nur vier Minuten Redezeit und bitte um Ver-
ständnis, dass ich nicht im Einzelnen auf Ihre Zwischen-
rufe eingehen kann.


(Jörg Tauss [SPD]: Ich habe gar keinen gemacht!)


Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Wir verabschieden heute einen sehr
großen und wichtigen Gesetzentwurf, der einen langen
Vorlauf hat. Schon 1965 wurde in der Begründung des
Urheberrechtsgesetzes auf die Notwendigkeit eines Ur-
hebervertragsrechts hingewiesen, das 2002 geschaffen
wurde.

Inzwischen hat man vor allen Dingen aufgrund der
sagenhaften Entwicklung im Bereich der digitalen Tech-
nologie festgestellt, dass das Urheberrecht europaweit
geschützt werden muss. Deswegen wurde eine Richtlinie
erlassen, die 2003 bei uns umgesetzt worden ist. Wir wa-
ren uns schon damals beim Korb 1 darüber im Klaren,
dass wir einen zweiten Korb brauchen, weil im Korb 1
nicht alle Probleme gelöst werden konnten.

Wir brauchen bald auch einen dritten Korb, um neu
auftretende Probleme zu regeln. Es ist ein langer Weg
der Reformen, um dem geistigen Eigentum gerecht zu
werden.

Ich kann nicht auf alle Fragen eingehen, aber ich
möchte auf einen wichtigen Punkt eingehen, den der Ge-
setzentwurf zum Inhalt hat und der gerade auf unserer
Zielgeraden in der letzten Woche noch eine Rolle ge-
spielt hat: Es geht um die Vergütung von Privatkopien.

Es wurde bereits angesprochen, wie diese Frage in
dem Gesetzentwurf geregelt wird. Für uns stellt sich im-
mer noch die Frage, Frau Leutheusser-Schnarrenberger,
ob es richtig war, es den Parteien – den Verwertungsge-
sellschaften auf der einen Seite und den Herstellern auf
der anderen Seite – zu überlassen, die Vergütung der Ur-
heber auszuhandeln. Ob das im Interesse der Urheber
liegt, muss sich noch herausstellen. Die Urheber sind ge-
gen diese Regelung, weil sie befürchten, dass sie bei
manchen Produkten Jahre brauchen, um ein vernünftiges
Ergebnis zu erzielen, und vielleicht sogar die Gerichte
einschreiten müssen. Dies muss abgewartet werden.
Herr Krings hat schon angedeutet, dass wir in diesem
Fall korrigierend eingreifen müssen.


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Im Zusammenhang mit der Vergütung gibt es aber ein
weiteres Problem, das die Nutzung von Privatkopien in
einem nicht nennenswerten Umfang betrifft. Auch wenn
man davon ausgeht, dass in diesen Fällen nicht unbe-
dingt eine Vergütung verlangt werden muss, können wir
auch in diesem Punkt nicht nachgeben. Wir müssen den
Menschen klarmachen, dass es hierbei um Eigentums-
rechte bzw. um verfassungsrechtlich geschützte Rechte
geht, die genauso zu achten sind wie andere Eigentums-
rechte. Deswegen ist der Begriff „nennenswerter Um-
fang“ zu Recht gestrichen worden.

Ein weiterer Punkt in diesem Zusammenhang ist die
5-Prozent-Klausel. Diese besagt, dass die Urheber zwar
frei miteinander verhandeln können, aber nur bis zu ei-
ner Grenze von 5 Prozent des Kaufpreises der Geräte.
Die Urheber haben von Anfang an darauf hingewiesen
– das haben wir in vielen Gesprächen erfahren –, dass
die Preise für die Kopiergeräte immer weiter sinken und
dass deshalb bei Einführung der 5-Prozent-Klausel bei
niedrigen Preisen für die Urheber letzten Endes nichts
mehr übrig bleibt. Dies wird auch nicht dadurch aufge-
hoben, dass die Verbreitung von PCs inzwischen viel
weiter vorangeschritten ist als früher. All dies gliche das
aber nicht aus. Deswegen haben wir uns entschlossen,
die 5-Prozent-Obergrenze zu streichen; ich meine: zu
Recht. Das ist richtig und liegt im Interesse der Urheber.

Lassen Sie mich noch einen letzten Gedanken anfü-
gen. § 53 des Urheberrechtsgesetzes stellt nun klar, dass
eine Kopie dann rechtswidrig ist, wenn sie von einer zu
Unrecht oder verbotswidrig in das Netz eingestellten
Werkkopie stammt. Diese Klarstellung scheint mir wich-
tig zu sein, weil dies den Verwertungsgesellschaften,
aber auch den Filmgesellschaften die Möglichkeit gibt,
stärker als bisher ihre Rechte zu verteidigen.

Ich bedanke mich und hoffe sehr, dass dieses Gesetz
einen Beitrag zu einem stärkeren Schutz des geistigen
Eigentums leistet.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [FDP])



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1610818500

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Zweiten Ge-
setzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informa-
tionsgesellschaft. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 16/5939, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 16/1828 in der Ausschussfassung anzu-
nehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
zeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP bei Gegenstim-
men der Linksfraktion, zwei oder drei Gegenstimmen
aus der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen und
sonstiger Enthaltung der Fraktion der Grünen angenom-
men.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung.

Dazu liegen mir persönliche Erklärungen der Kolle-
gen Bettin, Deligöz, Gehring, Göring-Eckardt, Roth

(Augsburg) und Haßelmann vor.1)


Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustim-
men wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit mit dem
gleichen Stimmenverhältnis wie in der zweiten Beratung
angenommen.

Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c
seiner Beschlussempfehlung, eine Entschließung anzu-
nehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU und
SPD gegen die Stimmen der drei Oppositionsfraktionen
angenommen.

Wir kommen nun zur Abstimmung über die Ent-
schließungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungs-
antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/5972? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Ent-
schließungsantrag ist bei Zustimmung der FDP-Fraktion
gegen die Stimmen des Hauses im Übrigen abgelehnt.

Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak-
tion Die Linke auf Drucksache 16/5944? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag
ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der
Fraktion Die Linke abgelehnt.

Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion
des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/5971? –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschlie-
ßungsantrag ist gegen die Stimmen der Fraktion der Grü-
nen und mit den Stimmen des ganzen Hauses im Übri-
gen abgelehnt.

Wir setzen die Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung des Rechtsausschusses auf Drucksache 16/5939
fort, Tagesordnungspunkt 7 b. Unter Buchstabe b seiner
Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksa-
che 16/262 mit dem Titel „Die Modernisierung des Ur-
heberrechts muss fortgesetzt werden“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung des Ausschusses? – Gegen-
probe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der
Fraktion der FDP angenommen.

1) Anlage 3
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 8 auf:

Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Eva Bulling-Schröter, Dr. Kirsten Tackmann,
Dr. Dagmar Enkelmann, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der LINKEN

Nachhaltiger Schutz der Meeresumwelt

– Drucksachen 16/3069, 16/4782 –

Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion Die Linke fünf Minuten erhalten soll. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin
Eva Bulling-Schröter, Fraktion Die Linke, das Wort.


Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1610818600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor

nunmehr zwölf Jahren hat die Bundesregierung eine
Große Anfrage der SPD zum Zustand der Meere beant-
wortet. Die Antwort war schockierend: Die Ozeane wa-
ren vielerorts leergefischt. Im Zuge der Debatte über die
EU-Meeresstrategie-Richtlinie hat nun die Linke um
Auskunft gebeten. Zunächst einmal herzlichen Dank an
die Referentinnen und Referenten der beteiligten Minis-
terien für die sorgfältige Beantwortung.

Was hat sich nun seit 1995 getan? Es gibt einige we-
nige positive Signale. So wird beispielsweise der Pazi-
fiklachs bei Alaska gut bewirtschaftet. In einem vernünf-
tigen Zustand befindet sich dort auch der Seelachs.
Erholt hat sich zudem das Heringsvorkommen in Nord-
und Ostsee. Dennoch ist die Bilanz der Eingriffe in die
Meereswelt katastrophal. In den letzten 100 Jahren sind
die Bestände vieler Fischarten um fast 90 Prozent zu-
rückgegangen. Es ist schizophren: Während Millionen
Tonnen wertvoller Meerestiere als Beifänge ungenutzt
und tot über Bord gehen, sitzen Millionen von Küstenbe-
wohnern in Afrika vor leeren Tellern. Die Trawler der
Industriestaaten fischen ihnen die Meere leer, legal und
illegal. Allein der illegale Fang weltweit wird auf einen
Wert zwischen 4 und 9 Milliarden US-Dollar geschätzt.

Illegal wird auch vor unserer Haustür gefischt. Im öst-
lichen Teil der Ostsee befindet sich der Dorschbestand
auf einem historischen Tiefstand, heißt es.


(Holger Ortel [SPD]: Falsch!)


Schätzungen zufolge werden bis zu 45 Prozent mehr
Dorsche an Land gebracht, als es die offiziellen Zahlen
hergeben.


(Holger Ortel [SPD]: Das ist richtig!)


Dennoch werden die Dorschfangquoten durch den EU-
Fischereiministerrat seit Jahren deutlich höher angesetzt,
als von Wissenschaftlern empfohlen. Ich sage Ihnen:
Das muss endlich ein Ende haben.


(Beifall bei der LINKEN)


In der Nordsee haben in den vergangenen Jahren neben
dem Kabeljau auch die Nordseescholle und die Nordsee-






(A) (C)



(B) (D)


Eva Bulling-Schröter
seezunge stark gelitten. Vom Großen Thunfisch dürften
im Mittelmeer und im Ostatlantik legal eigentlich nur
32 000 Tonnen jährlich gefangen werden. Real ist es
rund das Doppelte. Auch hier sind es vor allem europäi-
sche Fischereiunternehmen, die die Bestände für Sushi-
bars in Tokio oder Berlin-Mitte plündern.

Weil die Meere der Nordhalbkugel vielerorts leerge-
fischt sind, fahren Fangflotten in den Süden. Hier räu-
men sie die einst üppigen Fischgründe aus, insbesondere
an den flachen Küsten Westafrikas. So rauben die Indus-
trieschiffe den Kleinbauern in Ghana oder dem Senegal
die wichtigsten Proteinlieferanten für ihre Familien. Die
Flotten wandern nicht nur in den Süden, sondern auch in
die Tiefe. Leider konnten sich Union und SPD seinerzeit
in ihrem Antrag zu dem Thema nicht zu einer klaren
Forderung nach einem Moratorium für die zerstörerische
Grundschleppnetzfischerei durchringen.


(Holger Ortel [SPD]: Das sagen Sie mal den Küstenfischern!)


Wenn wir der Meeresumwelt helfen wollen, die im
Übrigen auch durch die Versauerung infolge der CO2-
Emissionen gestresst ist, so müssen wir die Weltmeere
als Ökosystem begreifen. Das muss auch der Geist der
neuen EU-Meeresschutz-Richtlinie sein. Die Forderun-
gen der Linken dazu finden Sie in unserem Entschlie-
ßungsantrag. Zudem müssten mehr Wissenschaftler und
Umweltorganisationen in Fischereiaufsichtsgremien sit-
zen. Schließlich muss weltweit die Anzahl der Fang-
schiffe verringert werden. Greenpeace und andere for-
dern seit langem, Meeresschutzgebiete einzurichten, in
denen Fischerei und Rohstoffabbau verboten werden.
Konkrete Vorschläge gibt es für Nord- und Ostsee sowie
für die außereuropäischen Meere. Die Bundesregierung
scheint dazu gar keine Haltung zu haben. Das ist sehr
schade. Dieses kurzsichtige Herangehen schadet nicht
nur der Umwelt und dem Tourismus, sondern auch der
Fischerei. Ich sage Ihnen auch, warum das so ist. Bei-
spielsweise in Neuseeland waren die Fischer einst die
stärksten Gegner, als es darum ging, Meeresschutzge-
biete einzurichten. Nunmehr gehören die Fischer zu den
Verteidigern dieser ökologischen Oasen; denn die dort
rasant anwachsenden Bestände besiedeln auch das um-
gebende Meer. Die Refugien sind also nicht nur Eckpfei-
ler im modernen Schutz der Ökosysteme, sondern auch
Wirtschaftsfaktoren. Umweltschutz und zugleich volle
Netze – was wollen wir mehr?

Angesichts dessen ist es vollkommen unverständlich,
dass lediglich 0,01 Prozent der Meeresfläche Schutzge-
biete sind. Benötigt werden zwischen 30 und 50 Prozent.
Solange Sie hier nichts ändern, bleibt ein nachhaltiger
Meeresschutz leider Illusion. Tun Sie also bitte etwas,
meine lieben Kolleginnen und Kollegen!


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1610818700

Ich erteile das Wort Kollegen Franz-Josef

Holzenkamp, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Franz-Josef Holzenkamp (CDU):
Rede ID: ID1610818800

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! In Deutschland waren 2005 etwa 43 000 Menschen
allein in der Fischerei, in der fischverarbeitenden Indus-
trie und in der Fischgastronomie beschäftigt. Wenn man
die gesamte maritime Industrie berücksichtigt, dann
stellt man fest, dass wir von über 220 000 Arbeitsplätzen
– dazu gehören die Bereiche Hafen, Zulieferindustrie
usw. – sprechen. An dieser Stelle wird immer wieder
Kritik geäußert; daher möchte ich deutlich machen, dass
es hier um die Arbeitsplätze vieler Menschen geht. Die
maritime Wirtschaft ist für uns, für diese Koalition und
für die Union sowieso, ein wichtiger Wirtschaftszweig,
auf den wir nicht verzichten können und wollen und den
wir unterstützen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Die Meere stellen nicht nur in Deutschland, sondern
weltweit eine wichtige wirtschaftliche Ressource dar.
Die Ozeane und Meere verbinden mehr denn je Konti-
nente und Länder, sei es durch die weltweite Nutzung
der Fischressourcen, als Transportweg oder durch den
Tourismus. Nicht zu vernachlässigen sind die Energie-
reserven unter den Ozeanen, aber auch die künftig noch
weiter in den Mittelpunkt rückende Nutzung der Wind-
energie in den Offshorewindparks. Kurz gesagt, die
Ozeane und Meere tragen wesentlich zu unserem Wohl-
stand bei.


(Peter Bleser [CDU/CSU]: Richtig!)


Gerade deshalb kommt dem ökologisch nachhaltigen
Schutz der Meere eine enorme Bedeutung zu. Wir kön-
nen es uns nicht leisten, diese einmalige und weltweit
größte Ökolandschaft zu vernachlässigen. Wir sprechen
über 70 Prozent unserer Erdoberfläche. Wir sprechen
über den Lebensraum zahlloser Tiere und Lebewesen.
Wenn wir von unseren Meeren reden, dann sprechen wir
über einen wichtigen und unverzichtbaren Beitrag zur
Stabilität unseres Klimas.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Trotzdem oder gerade deshalb gilt für uns der Grund-
satz „Schutz nur durch Nutzung“. Niemand hat etwas
von einem ökologischen Raubbau an der Ressource
Meer.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: So ist es!)


Ich betone aber auch: Es nützt den Menschen, die ihren
Lebensunterhalt durch die Meere verdienen, nichts,
wenn wir einen einseitig verengten Blick ausschließlich
auf die Ökologie werfen. Ich zitiere aus der Antwort der
Bundesregierung:

Ziel ist es, für die Arten und die Lebensräume einen
günstigen Erhaltungszustand zu erreichen. Mensch-
liche Nutzungen, die die Arten und Habitate schä-
digen und/oder zerstören können, sind im Schutz-
gebiet nach vorheriger sorgfältiger Prüfung und
Abwägung von ökologischen, ökonomischen und
sozialen Gesichtspunkten zu regulieren und gege-
benenfalls auszuschließen.






(A) (C)



(B) (D)


Franz-Josef Holzenkamp
Meine Damen und Herren, nur so geht es: in gleichbe-
rechtigter Abwägung aller Punkte.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wie wichtig der Bundesregierung die nachhaltige Si-
cherung der Meeresumwelt ist, das kann man auf den
46 Seiten nachlesen, auf denen die Bundesregierung aus-
führlich die Große Anfrage der Linken beantwortet hat.

Wir debattieren heute aber nicht nur über den Um-
weltschutz, sondern auch über den nachgeschobenen
Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke. Dieser hat
– das muss ich leider so deutlich sagen – die übliche
Stoßrichtung. Ich zitiere einen kleinen Punkt aus dem
Antrag – das macht die Einseitigkeit deutlich –

Allerdings hat die ökonomische Sichtweise klar das
Primat.

Immer wieder die böse Wirtschaft. Ich sage dazu noch
einmal: Ohne eine ordentlich funktionierende Ökonomie
gibt es auch keine funktionierende Ökologie.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1610818900

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der

Kollegin Eva Bulling-Schröter?


Franz-Josef Holzenkamp (CDU):
Rede ID: ID1610819000

Ja, gerne.


Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1610819100

Danke schön – Ich würde gerne von Ihnen wissen,

wie Sie zu Meeresschutzgebieten stehen. Ich habe das in
meiner Rede noch einmal ausgeführt und auf Erfahrun-
gen anderer Länder – es sind ja nicht so viele – hinge-
wiesen, dass durch die Bewahrung der Umwelt, durch
den zeitweiligen Verzicht auf das Fischen, sich wieder
Fische ansammeln und dadurch die Wirtschaft gestärkt
werden kann.

Sie sprechen von Ökonomie und Ökologie. Wir brau-
chen zuerst die Ökonomie; aber es ist nicht nachhaltig,
alle Fische aus dem Meer herauszufischen. Dann gibt es
nämlich keine mehr. Ich würde also gerne wissen, wie
Sie zu den Schutzstandards stehen. Hierzu gibt es ja gute
Erfahrungen und wissenschaftliche Berechnungen. Ist
das nicht sinnvoll?


Franz-Josef Holzenkamp (CDU):
Rede ID: ID1610819200

Vielen Dank für die Frage. Wir als Union, als Koali-

tion stehen selbstverständlich absolut positiv zu Schutz-
gebieten. Wenn jedoch ein Schutzgebiet eingerichtet
wird, dann muss man das in Abwägung aller bekannten
Parameter tun. Das ist der entscheidende Punkt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, ich nenne ein Beispiel, die
Elbe. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs hat sich die
Wasserqualität erheblich verbessert. Etwa 110 Fischar-
ten können heute registriert werden; damals waren es um
die 80. Ich erlaube mir die Aussage: Ich glaube, auch die
Fische sind nicht gerade Anhänger des Sozialismus ge-
wesen.

Ich mache es kurz: Wir lehnen Ihren Entschließungs-
antrag ab. Er ist unbrauchbar und nicht zielführend.

Doch zurück zum Umweltschutz für die Meere: Wie
bereits dargestellt – ich gehe damit auch auf die Frage
ein –, nützt uns die einseitige Betrachtung des Meeres-
umweltschutzes nichts. Hier müssen Verknüpfungen zu
allen maritimen Bereichen gezogen werden. Mit dem
Grünbuch zur künftigen Meerespolitik aus dem ver-
gangenen Jahr hat die EU hierzu einen wichtigen Schritt
getan. Die deutsche Ratspräsidentschaft hat mit der eu-
ropäischen Konferenz über die künftige Meerespolitik
der EU im Mai dieses Jahres den Konsultationsprozess
hierzu maßgeblich begleitet.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Der Schutz der Meere ist ein elementarer Bereich des
Grünbuches. So schreibt die Kommission zu Recht:

Eine gesunde Meeresumwelt ist die unerlässliche
Voraussetzung für die Nutzung des vollen Poten-
zials der Meere. Die Verschlechterung der Meeres-
umwelt mindert das Potenzial des Meeres als
Grundlage der Beschäftigung.

Die Antworten der Bundesregierung zeigen auch – hier
sind wir sicherlich einer Meinung –, dass es Licht, aber
auch viel Schatten gibt, dass es einfach Handlungsnot-
wendigkeiten gibt, die zu Verbesserungen führen müs-
sen.

Es bleibt festzuhalten, dass sich weltweit viele wirt-
schaftlich genutzte Fischbestände durch Überfischung in
einem schlechten Zustand befinden. Auch wichtige Be-
stände der EU wurden so in den vergangenen Jahrzehn-
ten teilweise stark dezimiert. Deswegen ist die Bestands-
erhaltung ein wesentliches Ziel der gemeinsamen
Fischereipolitik der EU, aber auch der Politik Deutsch-
lands. So konnte erreicht werden, dass sich einzelne Ar-
ten wieder erholt haben. Andere Arten wie Kabeljau und
Dorsch – die Beispiele sind genannt worden und auch in
der Vorlage zu lesen – haben sich nicht wieder erholt.
Doch einschneidende Maßnahmen sind für viele Fischer
nicht einfach zu verkraften. Man fragt sich: Wie sollen
sie es verkraften?

An dieser Stelle auch einmal mein Dank an die
Fischer für die konstruktive Zusammenarbeit!


(Beifall bei der CDU/CSU)


Holger Ortel, wir führen eine intensive Auseinanderset-
zung mit der Fischereiwirtschaft und versuchen so, ge-
meinsam zu vernünftigen Lösungen zu kommen.

Den Kolleginnen und Kollegen von den Linken rate
ich: Gehen Sie zu den Ost- und Nordseefischern! Erklä-
ren Sie ihnen den kompletten Fangstopp für Dorsch und
Kabeljau! Besprechen Sie mit ihnen dann aber auch, wo-
von sie ihre Familien ernähren sollen, was mit den Fami-
lienbetrieben wird und wie das überhaupt funktionieren
soll!






(A) (C)



(B) (D)


Franz-Josef Holzenkamp

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist das denn für ein Quatsch! Wenn kein Dorsch mehr da ist, kann er sowieso keinen ernähren!)


So funktioniert es nicht.

Ich möchte mich bei der Bundesregierung ausdrück-
lich dafür bedanken, dass sie sich im Rat für einen sinn-
vollen Ausgleich zwischen sozioökonomischen und öko-
logischen Interessen einsetzt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Heinz Schmitt [Landau] [SPD])


Ich möchte auf ein weiteres Thema kurz eingehen,
nämlich den Klimawandel. Durch die klimatischen Ver-
änderungen werden auch unsere Meere als Ökosysteme
erheblich in Mitleidenschaft gezogen. Deshalb müssen
wir den Klimaschutz weiter vorantreiben. Auch hier sind
wir als Koalition in Europa sehr gut unterwegs. Wir ha-
ben die EU-Klimaziele formuliert. Das sind sehr ambi-
tionierte Ziele. Hier sind wir wirklich gut unterwegs. Als
Deutsche wollen wir die anderen Europäer ja auch noch
überholen.

Deshalb bin ich sehr zufrieden darüber, dass die Bun-
deskanzlerin – das möchte ich hier auch deutlich sagen –
mit großartiger Unterstützung durch unseren Außen-
minister auf dem G-8-Gipfel große Fortschritte beim
Klimaschutz erreicht hat – bei aller Kritik von der Oppo-
sition. Es gibt einen klaren Auftrag der UNO.

Die Koalition zeigt sich handlungsfähig. Im Aus-
schuss ist von Mundwerkern und Handwerkern geredet
worden. Hier handelt es sich um Handwerker. Wir sind
aktiv unterwegs. Wir nehmen den Schutz der Meere
ernst. Wir wollen notwendige Ziele erreichen. Aber all
das funktioniert nur bei einem internationalen Ansatz,
bei Einbeziehung aller Beteiligten an der gesamten mari-
timen Wirtschaft und vor allen Dingen bei der Arbeit
nach dem Motto: Schutz durch Nutzung.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1610819300

Ich erteile das Wort Kollegin Angelika Brunkhorst,

FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Angelika Brunkhorst (FDP):
Rede ID: ID1610819400

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-

gen! Frau Bulling-Schröter, Ihre Große Anfrage kam
reichlich spät. Sie galoppieren etwas hinterher. Alle an-
deren Fraktionen haben bereits umfangreiche Anträge
zur Meeresumwelt vorgelegt. Sie haben das Versäumnis
jetzt teilweise wettzumachen versucht, indem Sie Ihren
Entschließungsantrag hinterhergeschoben haben; auf
den komme ich nachher noch zu sprechen.

Von der Intonation der Fragen in der Großen Anfrage
her habe ich den Eindruck, als wenn Greenpeace Ihnen
so manche Frage direkt in die Feder diktiert hat

(Heinz Schmitt [Landau] [SPD]: Das muss aber nicht schlecht sein!)


Ich will das hier nicht weiter kommentieren.

Gut ist allerdings – ich will auch etwas Gutes sagen –,
dass Sie für diese Debatte doch noch einen recht akzep-
tablen Platz auf der Tagesordnung erreichen konnten.
Das gibt mir und allen die Möglichkeit, hier die Pro-
bleme des Meeresschutzes anzusprechen, und das will
ich jetzt natürlich auch tun.


(Zuruf von der LINKEN: Jetzt bin ich aber gespannt!)


Ganz willkommen ist mir natürlich, dass ich noch ein-
mal ausdrücklich auf unseren Antrag hinweisen kann,
der folgenden Titel hat: Schutz und Nutzung der Meere –
Für eine integrierte maritime Politik.


(Beifall bei der FDP)


Ich möchte Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, an
dieser Stelle auch darauf aufmerksam machen, dass mor-
gen unter dem Tagesordnungspunkt 29 ein weiterer her-
vorragender FDP-Antrag zur Debatte ansteht, nämlich
zu den Zukunftschancen des Ostseeraums. Ich bitte Sie,
zahlreich zugegen zu sein.


(Beifall bei der FDP)


Jetzt aber zu unseren Vorstellungen. Auch wir Libe-
rale sehen in einer verantwortungsvollen Nutzung der
Meere eine Herausforderung für Gesamteuropa. Das ist
klar. Wir wollen aber auf der einen Seite den Schutz der
Meere und auf der anderen Seite zugleich eine verant-
wortungsvolle Entwicklung der maritimen Wirt-
schaft. Ich denke, das ist eine herausragende Aufgabe,
der wir uns mit voller Kraft stellen sollten. Wir sehen
hier insbesondere Zukunftschancen. Ich möchte an die-
ser Stelle darauf hinweisen, dass 40 Prozent der Wirt-
schaftskraft Europas in den küstennahen Gebieten bzw.
den Meeresgebieten erwirtschaftet werden. Das ist keine
geringe Zahl. Wir müssen deshalb darauf schauen, dass
wir das eine wie das andere schaffen. Außerdem wollen
wir, dass die verschiedenen maritimen Sektoren ver-
knüpft werden und wir zu einer integrierten Meerespoli-
tik kommen. Das ist unser Ansatz. Das können Sie auch
in unserem Antrag umfassend nachlesen.


(Beifall bei der FDP)


Ich denke, wir alle haben die Probleme auf dem
Schirm. Auch wir haben in unserem Antrag die Pro-
bleme und die Umwelteinflüsse beschrieben und im
Rahmen eines Maßnahmenpaketes Vorschläge gemacht,
wie eine ökologisch und ökonomisch gesunde Zukunft
der Meere gestaltet werden kann. Wir glauben, dass die
Erhaltung der Ökosysteme und der biologischen Vielfalt
der Meeresgebiete, verstanden als Schutz der gemeinsa-
men natürlichen Ressourcen, Bestandteil einer verant-
wortungsvollen, generationenübergreifenden Politik ist.
Da sind wir ganz auf Ihrer Seite; das wollen auch wir.

Wir müssen uns darüber hinaus dafür einsetzen, dass
das europäische Grünbuch noch mehr Bezug auf den
Schutz der Meere nimmt, insbesondere auch auf den
Schutz von Fischpopulationen. Ich möchte aber jetzt






(A) (C)



(B) (D)


Angelika Brunkhorst
nicht im Einzelnen auf die verschiedenen Fischarten ein-
gehen. Das würde zu weit führen; so viel Zeit habe ich
nicht.


(Zuruf von der FDP: Schade!)


– Schade? Also auf die kommunistischen Fische kann
ich jetzt hier nicht eingehen.


(Lutz Heilmann [DIE LINKE]: Was für kommunistische Fische?)


Es ist auch unser Anliegen, dass wir uns dafür einset-
zen, dass wir eine Meeresschutzrichtlinie bekommen,
die die richtigen Zielvorgaben und die richtigen Hand-
lungsimpulse gibt, also sozusagen eine Navigationsvor-
gabe darstellt.

An dieser Stelle möchte ich auch auf das schauen,
was derzeitiger Stand ist. Es sind einige Erfolge beim
Schutz der Meere zu verzeichnen. Negativbeispiele sind
aber die noch immer zu hohen Nährstoff- und Schwer-
metalleinträge, die Belastungen durch die Schifffahrt,
Offshore-Nutzungen verschiedenster Art, die Über-
fischung einzelner Fischarten und die Auswirkungen des
Klimawandels.

So richtig und so umfassend Ihr Entschließungsantrag
teilweise ist, so muss ich doch sagen, dass sich die FDP
Ihrer Haltung nicht anschließen kann, weil Sie der Ent-
wicklung der maritimen Wirtschaft und der Anwendung
neuer Technologien zu kritisch gegenüberstehen. Das
halten wir für nicht zukunftsgerichtet. Daher werden wir
Ihrem Antrag nicht zustimmen können.

Danke für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1610819500

Nun hat Kollege Holger Ortel, SPD-Fraktion, das

Wort.


(Beifall bei der SPD)



Holger Ortel (SPD):
Rede ID: ID1610819600

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-

gen! Lassen Sie mich zunächst einmal auf unsere Präsi-
dentschaft in Europa und auf das, was unser Minister für
Landwirtschaft und Fischerei vor drei Wochen in
Luxemburg erreicht hat, zurückkommen. Peter Bleser
würde sagen: Ein guter Tag für Deutschland.


(Peter Bleser [CDU/CSU]: Richtig!)


Als Norddeutscher hänge ich das etwas tiefer, aber man
kann wirklich sagen: Ein gutes Ergebnis für unsere
Fischer.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Herr Staatssekretär, ich würde Sie bitten, dem Minis-
ter den Dank der norddeutschen Fischer auszurichten;
vor allem natürlich auch Ihren Mitarbeitern im Hause,
die ja viel zum Gelingen des Agrar- und Fischereirates in
Luxemburg beigetragen haben. Herzlichen Dank dafür!

Ich möchte auf einige Zahlen, die Sie, Frau Bulling-
Schröter und Herr Holzenkamp schon genannt haben,
noch etwas genauer eingehen. Der Pro-Kopf-Verbrauch
an Fisch liegt in Deutschland zurzeit bei etwa 15,5 Kilo-
gramm. Er hat sich damit in den letzten vier Jahren von
12,4 auf 15,5 Kilogramm erhöht. Das ist gut. Fisch ist
nämlich ein gesundes und bekömmliches Lebensmittel.
Das gilt vor allen Dingen für eine Gesellschaft, die im-
mer älter wird und dabei gesund leben will. Nun passen
Sie einmal auf: Nur 18 Prozent unseres Fischbedarfs
fangen wir noch selber. Das entspricht 300 000 Tonnen
bei einem Bedarf von gut 2 Millionen Tonnen. Was wir
selber dem Meer entnehmen, ist also gar nicht so viel. Au-
ßerdem muss erwähnt werden, dass wir von den 2,1 Mil-
lionen Tonnen, die wir verbrauchen, 800 000 Tonnen als
Fisch- und Fischereiprodukte exportieren. Im Übrigen
hat Herr Kollege Holzenkamp recht, wenn er auf die
43 000 Arbeitsplätze in der Fischerei, in der verarbeiten-
den Industrie, im Handel usw. hinweist.

Sie tun so, als seien wir daran beteiligt, die Meere
leerzufischen. Sie müssen wissen, dass unter deutscher
Flagge gerade einmal zehn hochseegängige Schiffe fah-
ren. Das ist unser direkter Einfluss. In diese Ecke können
Sie die deutschen Fischerinnen und Fischer mit Ihrer
Anfrage also nicht stellen – die Sie ja zu einem Drittel
aus einer Anfrage der SPD von vor zehn Jahren abge-
schrieben haben.


(Widerspruch der Abg. Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE])


Das macht auch nichts; ich bin darüber nicht böse. Ich
will das überhaupt nicht beklagen, Frau Kollegin, wenn
es denn dazu dient, Ihr Grundwissen in Sachen Fischerei
zu vervollständigen. Dazu ist diese Anfrage ja gut. Für
diejenigen, die sich mit dem Thema Fischerei ausken-
nen, hat sie aber nichts Neues gebracht; auch das will ich
hier sagen.

Die Fischbestände von Dorsch, Seezunge, Scholle
und Hering und Seelachs sind bekannt. Sie sind nicht
überall sehr hoch. Man muss auch etwas tun. Erlauben
Sie mir dazu folgende Anmerkungen. Das in Luxemburg
jetzt neu und erfolgreich verhandelte Dorschmanage-
ment ist auch ein Ergebnis von guter Praxis, von nach-
haltiger Fischerei. Das BACOMA-Netz mit seinen Se-
lektionsfenstern hat wesentlich dazu beigetragen, dass in
Luxemburg so entschieden werden konnte.

Nichtsdestotrotz muss über das Abkommen „Dorsch
in der Ostsee“ vielleicht noch einmal nachgedacht wer-
den. Wenn ich Bornholm als Grenze zwischen östlicher
und westlicher Ostsee nehme – es gibt auch für die Ost-
see so etwas wie ein Schengenabkommen –, ist festzu-
stellen, dass 30 bis 40 Prozent der Fische über diese
künstliche Dorschgrenze hinweg wandern. Vielleicht
sollte man auch mit den Quoten zumindest zu 10 Prozent
von Ost nach West und von West nach Ost gehen kön-
nen. Ich denke, das käme der Praxis schon ziemlich
nahe.

Ich begrüße ausdrücklich die verstärkte Fischerei-
kontrolle in der äußersten und östlichen Ostsee. Wir
wissen, dass es sich bei 30 bis 40 Prozent der dort gefan-
genen Fische um Blackfish handelt, also um Fisch, der
der illegalen Fischerei zuzurechnen ist. Darauf wird






(A) (C)



(B) (D)


Holger Ortel
Brüssel – übrigens auch aufgrund eines Beschlusses aus
Luxemburg – aber gut reagieren. Brüssel muss sozial-
verträgliche Möglichkeiten finden, um den Flottenabbau
bei unseren östlichen Nachbarn zu beschleunigen.


(Beifall der Abg. Dr. Christel Happach-Kasan [FDP])


Die Fischbestände in unseren Gewässern und darü-
ber hinaus haben sich in den letzten zehn Jahren unter-
schiedlich entwickelt. Die pelagischen Arten sind in den
letzten zehn Jahren relativ stabil auf dem gleichen Ni-
veau geblieben. Dem Hering in der Nordsee geht es gar
nicht so gut. Das liegt ohne Frage am Fischereidruck,
aber auch an den klimatischen Veränderungen. Mit den
letzten zwei Jahrgängen hatten wir auch Probleme be-
züglich der Ernährung. Es fehlt eine Planktonart. Das hat
sicherlich etwas mit der Erwärmung zu tun. Auch hier
muss die Fischereiforschung noch gut nacharbeiten. Die
Makrele hat ebenfalls ihre Probleme.

Mit dem Rotbarsch in den nördlichen Gewässern süd-
lich von Island sieht es im Grunde gut aus. Unser Hoch-
seefischer, der dort Rotbarsch fängt, spricht nicht nur
von Rotbarsch, sondern sogar von Marzipanschweinen;
so gesund und so groß sind die Fische. Ich denke, das
zeugt auch von einem guten Bestand.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn die Fische so fett sind, ist das ein „gutes“ Zeichen?)


Noch ein Beispiel – da sind sich alle, die mit Fischerei
zu tun haben, einig –: Discards sind ein Problem. Ich
hätte keine Sorgen, wenn wir uns darauf verständigen
könnten, bei vielen Fischarten in Zukunft die Discards
auf die Quoten anzurechnen. Ich halte dies für richtig.
Das kann man allerdings nicht bei allen Fischarten ma-
chen.

In der Praxis ist das bei unseren kleinen Küstenfi-
schern, die Sie in Ihrer Anfrage gar nicht erwähnt haben,
schwer durchzuführen. 250 Krabbenkutter in Nieder-
sachsen gibt es für Sie gar nicht. Sie sind in Niedersach-
sen und Schleswig-Holstein aber ein Stück Identität.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Meines Erachtens sollten Sie mehr auf solche Dinge ein-
gehen, die vor unserer Haustür passieren.

Ich frage mich auch: Warum haben Sie beim Thema
Fischerei unsere überalterte Küstenflotte nicht erwähnt,
deren Schiffe teilweise über 30 Jahre alt sind? Warum
haben Sie nichts zu den Problemen gesagt, die es in der
Ausbildung zum Fischwirt gibt?


(Beifall der Abg. Dr. Christel Happach-Kasan [FDP])


Auch diese sollten Sie berücksichtigen.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1610819700

Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.


Holger Ortel (SPD):
Rede ID: ID1610819800

Ja, ich komme zum Ende, Herr Präsident.
Die Anfrage diente nur dazu, Sie daran zu erinnern,
was Fischerei eigentlich bedeutet und wie es um die Fi-
sche bestellt ist. Ihr Entschließungsantrag kommt nun
wirklich aus der Flachwasserzone.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Ein Vorgänger von Herrn Seehofer hätte heute zu Ihnen
gesagt: Wenn Sie mittags Eisbein essen, dann sind Sie
abends noch kein Polarforscher.

Herzlichen Dank.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1610819900

Nun erteile ich Kollegin Nicole Maisch, Fraktion des

Bündnisses 90/Die Grünen, das Wort.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1610820000

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Seit ich Mitglied dieses Hauses bin, habe ich
eines sehr oft gehört, nämlich dass Ökonomie und Öko-
logie kein Widerspruch sind. Das habe ich zum Beispiel
auch von der FDP gehört. Dies ist sicherlich nicht falsch,
aber auch nicht die ganze Wahrheit. Denn richtig ist:
Ohne Ökologie gibt es keine Ökonomie.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Eine gesunde Umwelt und die Schonung natürlicher
Ressourcen sind Voraussetzung für nachhaltige wirt-
schaftliche Prosperität. Um im Duktus des Kollegen
Holzenkamp zu bleiben: Keinen Nutzen ohne Schutz.
Oder – das kann selbst ich als Kind des Binnenlandes sa-
gen –: Wo keine Fische sind, kann man keine fangen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Meine Fraktion hat sich aktiv in die Diskussion zum
Grünbuch Europäische Meerespolitik eingeschaltet. Wir
haben Stellungnahmen eingespeist. Darin wird auch
deutlich, was der Unterschied zwischen grüner Politik
und zum Beispiel der Politik der FDP ist. Wir fordern,
dass nachhaltiger Meeresschutz, also Natur- und Um-
weltschutz, das Leitprinzip und nicht nur eine Säule der
Meerespolitik ist. Integrierte Meerespolitik ist richtig.
Denn wirtschaftliche Interessen müssen in die Meeres-
politik integriert werden. Aber die Leitlinie ist für uns
der Meeresschutz.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Hier hat sich die Bundesregierung in den letzten Mo-
naten nicht nur mit Ruhm bekleckert. Die Kanzlerin hat
auf der Bremer Konferenz sehr kluge Worte gesagt; das
hat mir sehr gut gefallen. Noch besser hätte es uns aber
gefallen, wenn den Worten auch Taten gefolgt wären.

Die Anfrage der Linken ist bei aller Kampfrhetorik,

(Zuruf von der LINKEN: Na, na, na!)







(A) (C)



(B) (D)


Nicole Maisch
die man vielleicht kritisieren kann, insofern sehr gut, als
sie uns Auskunft darüber gibt, wie schlecht es um unsere
Meere bestellt ist. Ich will Ihnen am Beispiel einer
Fischart die Problematik kurz durchdeklinieren. Der Ka-
beljau, gestern noch Fischstäbchen auf Ihrem Teller, ist
heute bereits mehr oder weniger Rote-Liste-fähig. Hier
sehen wir wieder: ohne Ökologie keine Ökonomie; wo
keine Fische sind, kann man, wie gesagt, keine fangen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Anderes Thema: Schiffsverkehr. Darauf ist die Linke
leider nicht in ausreichendem Maße eingegangen. Emis-
sionen und Lärm im Bereich des Schiffsverkehrs sind
eine massive Belastung für die Meeresumwelt. In die-
sem Bereich muss nachgebessert werden und muss mehr
getan werden, um beispielsweise Meeressäuger zu
schützen.

Ein weiteres großes Thema sind die Schadstoffein-
träge aus der Landwirtschaft. Trotz internationaler
Abkommen können wir nicht verhindern, dass Dünge-
mittel und Pestizide in die Gewässer fließen. Was in den
Flüssen landet, landet schlussendlich im Meer und auch
in dem Fisch, den Sie und ich gerne essen.

Es besteht dringender Handlungsbedarf über Sekto-
rengrenzen hinweg. Wir brauchen einen guten Umwelt-
zustand der Meere bis 2012. Aber der kommt natürlich
nicht von selbst. Da muss man etwas tun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das Meer ist ein hochkomplexer und schutzwürdiger
Naturraum und eben nicht primär eine Ressource. Wer
das Meer nur als Ressource und eben nicht als schutz-
würdigen Naturraum sieht, der wird es auch nicht nach-
haltig bewirtschaften können und der wird auf Dauer
kein Geld damit verdienen können. Es ist eine relativ
einfache Rechnung: Wer die Natur zerstört, zahlt dafür –
natürlich auch finanziell.

Bezüglich des Schutzes der Meere wird von der FDP
oft gesagt, dass die CO2-Abscheidung eine tolle Sache
ist. Dieser Meinung bin ich nicht. Ich denke auch nicht,
dass sie bald kommen wird. Aber sollte es irgendwann
möglich sein, diese Technologie zu verwenden, dann ist
die Tiefsee nicht der richtige Endlagerraum für das abge-
schiedene CO2. Ich denke, wer so etwas sagt, sollte sich
fragen, wie ernst es ihm mit dem Meeresschutz ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Ein letzter Punkt. 2008 wird Deutschland das Gastge-
berland der COP 9 sein. Ich denke, das wäre ein guter
Anlass, eine gute Gelegenheit, um auf das Thema biolo-
gische Vielfalt in den marinen Lebensräumen aufmerk-
sam zu machen und dieses Thema auf die Agenda zu set-
zen.

Sie haben jetzt die Möglichkeit, unsere Meere zu
schützen, damit auch die nachfolgenden Generationen
sie noch nützen können. Ich denke, dem Antrag der Lin-
ken kann man, auch wenn man die Rhetorik schlecht fin-
det, trotzdem zustimmen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1610820100

Kollegin Maisch, das war Ihre erste Rede im Bundes-

tag. Herzliche Gratulation und alle guten Wünsche für
Ihre weitere Arbeit!


(Beifall)


Nun hat sich schon Kollege Heinz Schmitt am Mikro-
fon eingefunden, deswegen muss ich ihm wohl das Wort
geben.


(Heiterkeit)



Heinz Schmitt (SPD):
Rede ID: ID1610820200

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe neue Kollegin Frau Maisch, ich darf
mich den Glückwünschen ganz herzlich anschließen und
hoffe auf weitere gute Reden von Ihnen in den nächsten
Jahren – vielleicht sogar einmal gemeinsam auf der Re-
gierungsbank.


(Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Oh! – Peter Bleser [CDU/CSU]: Das hätten Sie nicht sagen müssen!)


– Herr Bleser, eine neue Kollegin muss man einmal ein
bisschen motivieren.

Es geht heute um den Antrag der Linken zum Thema
Meeresschutz. Ich muss sagen, dass die Erkenntnisse,
die wir heute aus Ihrem Antrag und aus den Folgerungen
Ihrer Großen Anfrage gewonnen haben, so weltbewe-
gend nicht sind. Allerdings hat der Antrag auch etwas
Positives: Wir erfahren vieles über die aktuellen Be-
stände, von der Scholle bis zur Makrele. Von daher wis-
sen wir, wie sich einzelne Arten entwickelt haben und ob
eine Zunahme der Bestände, eine Abnahme der Be-
stände oder ein Verschwinden von ganzen Beständen
und Fischarten festzustellen war. Von daher kann man
dem Antrag durchaus etwas Aktuelles abgewinnen. Die
Schlüsse, die daraus gezogen werden, sind aber wirklich
nicht so sensationell. Vieles, was Sie aus Ihren neuen Er-
kenntnissen schließen, ist bereits in reale Politik umge-
setzt worden.


(Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Aha!)


Es geht heute auch darum, was wir hinsichtlich der
Fischereipolitik und hinsichtlich der Meerespolitik auf
europäischer Ebene unternehmen. Im Jahr 2006 hat die
Kommission unter der Überschrift „Eine europäische Vi-
sion für Ozeane und Meere“ ein Grünbuch vorgestellt.
Vorrangiges Ziel dieses Grünbuches ist es, die Nutzung
der Meere in Einklang mit dem Schutz der Meere zu
bringen. Daher bekommt das Grünbuch noch eine wei-
tere, ökologische Säule: Die thematische Strategie für
den Schutz und die Erhaltung der Meeresumwelt und die
Meeresstrategierichtlinie werden in das Grünbuch mit
einfließen; das haben wir von den Vorrednern schon ge-
hört.






(A) (C)



(B) (D)


Heinz Schmitt (Landau)

Gerade das Beispiel Weltmeere zeigt – viele haben
das bestätigt –, wie abhängig wirtschaftliche Aktivitäten
von natürlichen Ressourcen, von einer intakten Umwelt
sind. Herr Kollege Holzenkamp, Sie haben sehr deutlich
beschrieben, welche Arbeitsplätze an den Weltmeeren
hängen und welche große wirtschaftliche Bedeutung die
maritime Wirtschaft für uns hat. Wir brauchen aber auch
eine intakte Umwelt; denn – Kollegin Maisch von
Bündnis 90/Die Grünen hat es gesagt – ohne Fische gibt
es keine Fischereiwirtschaft und ohne saubere Küsten
auch keinen Tourismus. Diese Paare gehören zusammen.
So einfach ist also das Verhältnis zwischen Nutzung und
Schutz der Meere. Deswegen steht im Grünbuch:

Eine gesunde Meeresumwelt ist unerlässliche Vo-
raussetzung für die Nutzung des vollen Potenzials
der Meere.

Das hört sich selbstverständlich an. Die Praxis sieht
aber leider anders aus: Wir haben Überfischung, wir ha-
ben enormen Beifang von Meeressäugern, wir haben die
Grundnetzfischerei, wir haben eine Überdüngung, Ver-
lärmung und Vermüllung der Meere. Das ist heute noch
die Realität. Hinzu kommen – als wäre das alles noch
nicht bedrohlich genug – die Erwärmung und Versaue-
rung der Meere durch den Klimawandel. Deshalb ist es
wichtig, dass wir – das war heute auch gemeinsamer Te-
nor – unseren Beitrag zum nachhaltigen Schutz dieser
belasteten, übernutzten und empfindlichen Ökosysteme
leisten, damit sie regenerieren können und wieder eine
größere Artenvielfalt erreicht wird. Die Nutzung der
Meere muss also intelligenter und nachhaltiger werden.


(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)


Die Regierung tut vieles. Die Beschlüsse, die vorgestern
zum Klimaschutz gefasst wurden, sind natürlich auch
praktizierter Meeresschutz. Ich habe versucht, das aufzu-
zeigen.

Wir müssen uns darum kümmern, dass eine nachhal-
tige Bewirtschaftung realisiert wird. Wir brauchen eine
bessere Überwachung der Fangquoten und eine Be-
kämpfung der illegalen Fischerei. Außerdem brauchen
wir mehr Forschung und mehr Daten zur Meeresumwelt.
Durch die heutige Diskussion werden wir angehalten,
uns über den Schutz der Meere noch mehr Gedanken zu
machen. Wir müssen vieles auf den Weg bringen.

Ich teile Ihr Engagement für den Erhalt eines guten
Zustandes unserer Meere. Ich teile auch Ihre Ansicht,
dass die Meere einen Wert an sich darstellen. In der Ge-
sellschaft darf nicht alles in Euro, Dollar oder Yen be-
wertet werden. Die Schönheit und die Vielfalt der Meere
sind ein Wert an sich, den es zu erhalten gilt. Es geht
nicht nur um die wirtschaftliche Nutzung.


(Beifall bei der SPD)


Ich teile aber nicht Ihre Einschätzung, der Meeres-
schutz würde einseitig den wirtschaftlichen Interessen
geopfert. Dafür gibt es sehr viele gute Beispiele. Deswe-
gen müssen wir Ihren Antrag aus inhaltlichen Gründen
ablehnen. Ich empfehle Ihnen – vielleicht nutzen Sie da-
für die Sommerpause –, die Bremer Erklärung zur
künftigen Meerespolitik der EU zu lesen. In dieser Er-
klärung sind sehr viele gute Ansätze enthalten, wie die
Ziele, über die wir uns alle eigentlich einig sind, erreicht
werden können.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1610820300

Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege.


Heinz Schmitt (SPD):
Rede ID: ID1610820400

Deshalb kann ich sagen, viele Forderungen Ihres Ent-

schließungsantrags befinden sich bereits in guten Hän-
den und sind auf gutem Wege. Wir müssen Ihren Antrag
ablehnen, weil vieles, was Sie fordern, bereits realisiert
wurde. Vor allen Dingen ist der einseitige Angriff, hier
stünden nur wirtschaftliche Interessen im Vordergrund,
nicht zu halten.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Ich wün-
sche Ihnen weiterhin eine interessante Diskussion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1610820500

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungs-
antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/5973.
Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Gegen-
stimmen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag
ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen der Fraktion Die Linke und Bündnis 90/Die
Grünen bei Enthaltung der FDP-Fraktion abgelehnt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Reform des Versicherungsvertragsrechts

– Drucksache 16/3945 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)


– Drucksache 16/5862 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Marco Wanderwitz
Dirk Manzewski
Bernhard Brinkmann (Hildesheim)

Mechthild Dyckmans
Sevim Dağdelen
Jerzy Montag

Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die
Linke sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion der
FDP vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Es gibt
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Bevor ich dem ersten Redner das Wort gebe, bitte ich
diejenigen, die der Debatte nicht folgen wollen, den Saal
zu verlassen, damit die anderen der Debatte ungestört
folgen können.






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Ich eröffne die Aussprache. Als erstem Redner erteile
ich das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär
Alfred Hartenbach.

A
Alfred Hartenbach (SPD):
Rede ID: ID1610820600


Herr Präsident! Verehrtes Präsidium! Liebe Kollegin-
nen! Liebe Kollegen! Bei der ersten Lesung dieses Ge-
setzentwurfs hat Frau Bundesministerin Zypries, die Sie
übrigens herzlich grüßen lässt – sie hat andere wichtige
Aufgaben, lieber Uwe –, gesagt: Der 1. Januar 2008 soll
ein guter Tag für alle Menschen werden, die eine Versi-
cherung abgeschlossen haben. Heute kann ich Ihnen sa-
gen: Der 1. Januar 2008 wird ein guter Tag für alle Ver-
sicherungsnehmer.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


– Ich danke euch für den Beifall, liebe Freunde. – Wir
werden dann ein modernes Versicherungsvertragsgesetz
haben.

Die Versicherungsnehmer werden dann erstens
gründlicher informiert, zweitens haben sie mehr Rechte,
und drittens bekommen sie bei Lebensversicherungen
mehr Geld. Vor allem bei der Lebensversicherung
bringt das neue Gesetz wichtige Verbesserungen. Wir
schreiben den Anspruch auf Überschussbeteiligung als
Regelfall im Gesetz fest und bestimmen, dass dabei auch
die stillen Reserven einer Versicherung berücksichtigt
werden.

In Zukunft gibt es auch klare Regeln für die Berech-
nung des Rückkaufwertes. Außerdem werden die Ab-
schlusskosten auf fünf Jahre verteilt. Das wird dazu füh-
ren, dass es beim sogenannten Frühstorno einen höheren
Rückkaufwert gibt. Wer also nach zwei Jahren kündigt,
geht in Zukunft nicht mehr leer aus, weil seine Beiträge
nicht mehr vollständig von den Kosten aufgezehrt wer-
den.

Das neue Gesetz stärkt den Verbraucherschutz auch
über die Lebensversicherungen hinaus. Wir sorgen im
gesamten Versicherungsrecht für mehr Transparenz. Ver-
braucher werden künftig besser beraten und informiert,
und zwar vor Abschluss eines Versicherungsvertrags.
Das sogenannte Policenmodell, bei dem der Versiche-
rungsnehmer erst nachträglich die maßgeblichen Infor-
mationen erhält, wird abgeschafft. Keine Sorge, lieber
Bernhard, die Versicherungsvertreter werden künftig
nicht mit einem Kleinlastwagen durch die Gegend fah-
ren müssen. Sie haben alle Informationen auf ihrem Lap-
top; da bin ich mir sicher.


(Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD]: Ich habe da keine Sorge!)


– Ich weiß.

Die Verbraucher sollen auch erfahren, was sie ein be-
stimmter Vertrag kostet. Vor allem bei der Lebensver-
sicherung müssen die Abschluss- und Vertriebskosten
in Zukunft vor Vertragsabschluss offengelegt werden.
Das schafft Klarheit über Rendite und Kosten, und da-
durch kann man die Lebensversicherung mit anderen
Kapitalanlageformen besser vergleichen.

Abschaffen werden wir mit dieser Reform das soge-
nannte Alles-oder-nichts-Prinzip. Verletzt der Versiche-
rungsnehmer künftig seine Vertragspflichten grob fahr-
lässig, wird geprüft, wie schwer das Verschulden des
Versicherten wirklich wiegt. Nur um diesen Anteil kann
die Versicherung ihre Leistungen kürzen.

Ein wichtiger Zugewinn an Verbraucherschutz ist
auch der neue Direktanspruch des Geschädigten bei
Pflichtversicherungen. Zugegeben: Wir hätten gern et-
was mehr gehabt, aber die Beratungen haben mich über-
zeugt. Es bleibt also jetzt dabei: Wenn ein Schädiger
nicht greifbar oder insolvent ist, dann hat der Geschä-
digte keine Chance, von ihm Ersatz zu verlangen, und
das, obwohl für den Schadensfall Versicherungsschutz
besteht. In diesen Fällen kann er künftig direkt vom Ver-
sicherer Schadenersatz verlangen. Wir kennen einen Di-
rektanspruch ja schon bei der Kfz-Haftpflichtversiche-
rung. Dieses Modell übertragen wir jetzt auf die Fälle
der Insolvenz oder Abwesenheit des Schädigers.

Nach nur fünf Monaten parlamentarischer Beratung
können wir heute ein großes Reformwerk abschließen.
Diese rasche Gesetzgebung war möglich, weil wir dieses
Projekt mit einer Expertenkommission gründlich vorbe-
reitet haben. Wir bekommen jetzt ein modernes Versiche-
rungsrecht mit mehr Fairness und mehr Gerechtigkeit.
Das ist ein großer Gewinn. Das alte Versicherungsver-
tragsrecht hat hundert Jahre durchgehalten, Herr
Wanderwitz. Ob das neue so lange hält, wissen wir nicht.
Aber wir wollen uns darum bemühen.

Ich darf mich, liebe Kolleginnen und Kollegen, zum
Abschluss sehr herzlich bedanken, zunächst einmal bei
den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundesminis-
teriums der Justiz, die hier ganz gespannt sitzen und da-
rauf warten, zu erfahren, was heute dabei herauskommt.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Keine Angst, es kommt schon durch!)


Ich denke, sie haben eine gründliche und gute Vorarbeit
geleistet. Ich darf mich auch sehr herzlich bei den Be-
richterstatterinnen und Berichterstattern aller Parteien
– leider kann ich die Linksfraktion bzw. die PDS hierbei
nicht einschließen – bedanken. Ich darf folgende Perso-
nen ein bisschen hervorheben – ich hoffe, die anderen
sind mir deswegen nicht böse –: Herrn Wanderwitz, den
Fachmann Brinkmann und vor allen Dingen Dirk
Manzewski, der mit ruhiger Hand, wie das bei Sozialde-
mokraten so üblich ist,


(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Wenn die mal nicht einschläft!)


durch alle Fährnisse dieser Beratungen geführt hat. Da-
bei sind wir zu einem guten Schluss gekommen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1610820700

Das Wort hat jetzt die Kollegin Mechthild Dyckmans

von der FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Mechthild Dyckmans (FDP):
Rede ID: ID1610820800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um

es gleich vorwegzunehmen: Gerne hätte ich dem Gesetz-
entwurf der Bundesregierung in Übereinstimmung mit
möglichst allen Fraktionen heute zugestimmt.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Machen Sie aus Ihrem Herz keine Mördergrube! – Joachim Stünker [SPD]: Machen Sie es doch! Wir sagen es auch nicht weiter!)


Aber die Umsetzung der von meiner Fraktion strikt ab-
gelehnten Gesundheitsreform mit ihren verfassungs-
rechtlich äußerst bedenklichen Regelungen zur Einführung
eines Basistarifs für private Krankenversicherungen
– diese Regelungen wurden in letzter Minute durch
Art. 11 des Gesetzentwurfs eingefügt –


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist wirklich vorgeschoben!)


macht es meiner Fraktion unmöglich, diesem Gesetzent-
wurf heute zuzustimmen.


(Joachim Stünker [SPD]: Das ist geltendes Recht!)


Dies ist umso bedauerlicher, als der Gesetzentwurf in
weiten Teilen zu begrüßen und zu unterstützen ist. Es
wurde dringend Zeit, ein 99 Jahre altes Gesetz zu moder-
nisieren und es den heutigen Gegebenheiten anzupassen.
Gerade der Schutz der Versicherungsnehmer und damit
der Verbraucher musste gestärkt werden. Auch die Um-
setzung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts
und des Bundesgerichtshofes war notwendig.

Lange und heftig wurde von Anfang an über die Ab-
schaffung des Policenmodells diskutiert. Für die einen
war nicht nachvollziehbar, weshalb dem Verbraucher im
Versicherungsrecht anders als bei Vertragsabschlüssen in
allen anderen Bereichen die notwendigen Informationen
erst nach Vertragsabschluss zusammen mit der Police
zukommen sollten. Für die anderen war nicht einsichtig,
weshalb ein Modell, das in der Praxis zu keinen großen
Schwierigkeiten geführt hat, verändert werden sollte.

Letztendlich war uns allen aber klar, dass wir die
Vorgaben der EU zu beachten haben. Das von der EU-
Kommission gegen Deutschland angestrengte Vertrags-
verletzungsverfahren birgt eine so große Rechtsun-
sicherheit für die bereits laufenden Verträge, dass es ver-
antwortungslos gewesen wäre, das Policenmodell
beizubehalten.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist richtig!)


Wie Sie sehen, sind wir mit vielen Punkten einverstan-
den.

Nun zu einigen kritischen Punkten. Für meine Frak-
tion ist es nicht haltbar, dass künftig der genaue Inhalt
der vorvertraglichen Informationen vom Bundesjustiz-
ministerium durch eine Rechtsverordnung festgelegt
werden soll. Ich bin der Ansicht, dass es Sache des Ge-
setzgebers ist, die künftig mitzuteilenden Informationen
selber in concreto festzulegen, da es sich hierbei um
grundlegende gesetzgeberische Vorgaben handelt. Es
kann und darf uns nicht egal sein, welche konkreten In-
formationen den Versicherten vor Vertragsabschluss
übermittelt werden müssen, damit diese eigenverant-
wortlich ihre Entscheidung für oder gegen eine Versiche-
rung fällen können.

Machen wir es doch so: Fügen wir dem Versiche-
rungsvertragsgesetz eine Anlage wie die zu § 48 b des
Versicherungsvertragsgesetzes bei. 2004 war eine solche
vom Parlament beschlossene Anlage noch möglich. Das
hätten wir uns auch in diesem Fall gewünscht.

Kritisch sehen wir auch die neuen Regelungen zum
Direktanspruch. Ursprünglich hatte die Bundesregie-
rung vorgeschlagen, den Geschädigten in allen Pflicht-
versicherungen einen Direktanspruch gegen die Versi-
cherung des Schädigers einzuräumen. Begründet wurde
dies mit dem bereits im geltenden Recht vorgesehenen
Direktanspruch in der Kfz-Haftpflichtversicherung. Bei
anderen Pflichtversicherungen – hier sind insbesondere
die Berufshaftpflichtversicherungen bestimmter selbst-
ständiger Berufe zu nennen – sind allerdings sowohl die
Schadensumstände als auch die Rahmenbedingungen
völlig andere. Im Übrigen gilt: Wenn es nicht nötig ist,
eine Vorschrift zu erlassen, ist es nötig, keine Vorschrift
zu erlassen.


(Beifall bei der FDP – Dr. Jürgen Gehb [CDU/ CSU]: Oh! Das war Montesquieu, der berühmte schwedische Abfahrtsläufer!)


Den Vertretern des Bundesministeriums der Justiz
war es in den Berichterstattergesprächen nicht möglich,
uns wenigstens eine Handvoll Fälle zu präsentieren, in
denen ein Direktanspruch nötig gewesen wäre. Auch
wenn der Direktanspruch nach der deutlichen Kritik, die
in den Beratungen geäußert wurde, nun auf die Fälle der
Insolvenz und des unbekannten Aufenthalts des Schädi-
gers reduziert wurde – Herr Hartenbach hat darauf hin-
gewiesen –, konnte uns auch insoweit kein wirkliches
Bedürfnis nach einem Direktanspruch nachgewiesen
werden.

Leider ist die Koalition in dieser Frage vor dem Bun-
desjustizministerium eingeknickt.


(Joachim Stünker [SPD]: Machen wir nie! – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sind auch dafür, Frau Kollegin! – Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD]: Wir knicken höchstens um, nie ein!)


Es wäre besser gewesen, meine Herren, Sie wären bei
Ihrer eindeutig geäußerten generellen Ablehnung des Di-
rektanspruchs geblieben. Ich denke, wir sind uns alle ei-
nig, dass dieses Gesetz ein Meilenstein in der Geschichte
des Versicherungsvertragsrechts ist.


(Joachim Stünker [SPD]: Sehr gut! – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na also!)







(A) (C)



(B) (D)


Mechthild Dyckmans
Viele Veränderungen werden sich aber erst im Laufe sei-
ner Umsetzung zeigen.

Damit bin ich beim letzten Punkt meiner Kritik: Die
im Gesetzentwurf vorgesehene Frist, innerhalb derer die
Versicherungswirtschaft dies umsetzen muss, ist zu
knapp bemessen.


(Joachim Stünker [SPD]: Nein! Die schaffen das!)


Die bestehenden Verträge – es handelt sich hierbei, wie
wir alle wissen, um circa 430 Millionen Verträge; allein
94 Millionen davon sind Lebensversicherungen – müs-
sen laut Gesetzentwurf bis zum 31. Dezember 2008 auf
die neuen Regelungen umgestellt worden sein. Dies ist
unseres Erachtens nicht zu schaffen; für diese Mammut-
aufgabe scheinen uns zwei Jahre notwendig, aber auch
angemessen.


(Beifall bei der FDP)


Die genannten Kritikpunkte wären für uns alleine
kein zwingender Grund gewesen, dieses Gesetz abzuleh-
nen. Es liegt an der Umsetzung der Gesundheitsreform
in diesem Gesetzentwurf, die es uns unmöglich macht,
dem heute zuzustimmen.

Danke schön.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1610820900

Das Wort hat jetzt der Kollege Marco Wanderwitz

von der CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Marco Wanderwitz (CDU):
Rede ID: ID1610821000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am

1. Februar haben wir in erster Lesung über das heute ab-
zuschließende Gesetzgebungsverfahren debattiert. Kol-

Alfred Hartenbach (SPD):
Rede ID: ID1610821100
Wir
haben in einer relativ kurzen Zeit umfängliche parlamen-
tarische Beratungen hinter uns gebracht, unter anderem
eine Expertenanhörung, die aus meiner Sicht erheblich
zur Erhellung beigetragen hat.

Ich möchte an dieser Stelle festhalten, dass wir zum
einen eine umfangreiche und gute Zuarbeit der für das
Versicherungsvertragsgesetz eingesetzten Experten-
kommission hatten und zum anderen einen bereits sehr
guten Entwurf vom BMJ vorgelegt bekamen. Von daher
möchte ich den Mitgliedern der Kommission ebenso wie
den Beamten im BMJ, den Experten aus der Anhörung
und nicht zuletzt den Berichterstatterkollegen an dieser
Stelle danken. Da in einer Koalition durchaus einmal er-
wähnt werden sollte, wo es ausgesprochen gut funktio-
niert hat, möchte ich mich insbesondere beim Kollegen
Manzewski bedanken, der an vielen Stellen für die
Rechtspolitik der SPD Verantwortung übernimmt.

Das heute zu beschließende Gesetz ist ein mutiges
Gesetz; auch das ist schon gesagt worden. Es hat sich
nicht mehr gelohnt, das Gesetz, das fast hundert Jahre alt
war, weiter zu verbessern. Wir haben es gewagt, es kom-
plett neu zu machen. Das Leitbild des Verbrauchers ist
mittlerweile ein anderes als das von 1908: Heute ist der
Verbraucher eigenverantwortlich und selbstbestimmt.
Der Interessenausgleich zwischen Versicherten und Ver-
sicherungen, aber auch zwischen den verschiedenen In-
teressen innerhalb der Versichertengemeinschaft ist
heute anders und prägt dieses Gesetz.

Wir bringen damit heute ein weiteres – das Urheber-
recht ist heute schon besprochen worden – gewichtiges
rechts- und verbraucherpolitisches Vorhaben der Bun-
desregierung in den Hafen. Wir tun dies deutlich vor
dessen Inkrafttreten zum 1. Januar 2008 und geben da-
mit der Versicherungswirtschaft die notwendige Zeit zur
Vorbereitung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Vieles hat Kollege Staatssekretär Hartenbach schon
gesagt, und Richtiges muss man nicht wiederholen.
Hinzu kommt, dass noch zwei Kollegen für meine Frak-
tion sprechen und auf den einen oder anderen Punkt ein-
gehen werden, sodass ich mich auf einige wenige Punkte
beschränken möchte. Denn es gab doch manche Verän-
derungen am vorliegenden Entwurf, von denen ich ei-
nige für die Union in Anspruch nehme.

Zum einen gibt es Veränderungen – die ich für Ver-
besserungen halte – rund um § 169. Ich habe schon in
meiner ersten Rede vor diesem Hohen Hause gesagt,
dass ich Rückwirkungen auf Bestandsverträge im Be-
reich der Lebensversicherungen für kein gutes Zeichen
halte. Wir haben natürlich Änderungsbedarf: gemäß der
höchstrichterlichen Rechtsprechung; das ist völlig klar.
Uns ist aufgegeben worden, diese Veränderungen in
2008 umzusetzen. Aber Bedarf, in bestehende Verträge
einzugreifen, haben wir nie gesehen. Deswegen freut es
uns, dass in dem heute zu beschließenden Gesetzentwurf
in diesem Bereich keine Rückwirkungen mehr vorhan-
den sind. Das bedeutet für die Versicherten und für die
Versicherer – sprich: für beide Vertragspartner –: Was
abgeschlossen worden ist, behält Gültigkeit; es finden
keine rückwirkenden Eingriffe in Kalkulationen und in
Verträge statt. Das ist für mich ein gewichtiger Punkt.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Unionsfraktion hat sich zudem – nicht als einzige,
aber auch – dagegen gewandt, einen generellen Direkt-
anspruch einzuführen. Ich glaube, wir sind mit den bei-
den kleinen Erweiterungen – wir sind also weit entfernt
von einem generellen Direktanspruch in den Pflichtver-
sicherungen –, die ich für sinnvoll erachte, Frau Kollegin
Dyckmans, und derentwegen wir dem auch zustimmen
werden, auf einem guten Weg, was die Pflichtversiche-
rungen betrifft.

Schließlich möchte ich in der Kürze der Zeit noch das
Recht der privaten Krankenversicherungen ansprechen.
Wir haben, was den Datenschutz betrifft, höchstrichterli-
che Rechtsprechung umzusetzen. Es muss jedem mög-
lich sein, Einzeleinwilligungen in die Übermittlung von
Gesundheitsdaten zu geben; diese Möglichkeit ist ge-
fordert. Der ursprüngliche Entwurf des BMJ sah vor,
dass das zum Regelfall wird. Wir haben jetzt eine
Änderung, wonach es zumindest zwei nebeneinander






(A) (C)



(B) (D)


Marco Wanderwitz
stehende Alternativen gibt: auf der einen Seite die Einzel-
einwilligung, auf der anderen Seite die weiterhin mögli-
che pauschale Einwilligung zu Vertragsbeginn oder der
jederzeitige Wechsel zwischen diesen beiden Möglich-
keiten während der Vertragslaufzeit.

Ganz besonders liegt mir am Herzen, dass der, der be-
stellt, auch bezahlen muss. Die Versicherungsnehmer,
die das wünschen, müssen also die Mehrkosten selbst
tragen und nicht der Teil der Versichertengemeinschaft,
der das für sich nicht in Anspruch nimmt.

Ich finde es sehr bedauerlich, liebe Kolleginnen und
Kollegen von der FDP, dass bei all der Zustimmung an
einem relativ kleinen Punkt das Haar in der Suppe ge-
sucht wird.


(Birgit Homburger [FDP]: Das ist ein zentraler Punkt, Herr Kollege!)


Es war ein zentraler Punkt bei der Gesundheitsreform.


(Birgit Homburger [FDP]: Es bleibt ein zentraler Punkt!)


Es gab dazu eine Abstimmung in diesem Hause. Wenn
man etwas, das schon im Gesetzblatt steht, inhaltsgleich
in ein anderes Gesetz überträgt, kann man sich natürlich
so verhalten, wie Sie es getan haben. Das ist Ihr gutes
Recht. Aber es hätte Ihnen gut zu Gesicht gestanden,
wenn Sie wie die Kolleginnen und Kollegen von den
Grünen mit uns – bei allen Kritikpunkten und ähnlich,
wie es beim Urheberrecht gang und gäbe ist – einen brei-
ten Konsens gesucht und gefunden hätten und sich zur
Zustimmung durchgerungen hätten.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1610821200

Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Barbara Höll von

der Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1610821300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Fraktion Die Linke begrüßt viele Neuerungen, die in
dem Gesetzentwurf zur Reform des Versicherungsver-
tragsgesetzes verankert sind. Diese gehen zum Teil auf
die jahrelange Vorarbeit der Kommission zur Reform
des Versicherungsvertragsgesetzes zurück. Die Reform
führt zu einigen grundlegenden und überfälligen Verbes-
serungen für die Verbraucherinnen und Verbraucher. Sie
müssen besser beraten und informiert werden, das Alles-
oder-Nichts-Prinzip wird endlich aufgegeben, und das
Policenmodell entfällt.

Wichtiger ist noch, dass nunmehr die Inhaber von Le-
bensversicherungen endlich zur Hälfte an den stillen
Reserven beteiligt werden sollen, die mit ihrem Vermö-
gen und dem Vermögen anderer Versicherter erwirt-
schaftet wurden. Zwar halten wir eine 50-prozentige Be-
teiligung für zu gering, ich gestehe aber, dass wir von
der Bundesregierung auch nicht mehr erwartet haben.
Denn selbst diesen verhältnismäßig bescheidenen finan-
ziellen Zugewinn für die Bürgerinnen und Bürger
musste erst das Bundesverfassungsgericht erzwingen.


(Beifall bei der LINKEN)


Bekanntermaßen verteilt die momentane Mehrheit
dieses Hauses Geschenke in der Regel lieber an die gro-
ßen Unternehmen. Damit wären wir bei der Kritik, die
zu üben leider Anlass besteht. Ich möchte drei Punkte
ansprechen.

Erstens. Der Entwurf koppelt den Umfang der Bera-
tungspflicht des Versicherers an die Höhe der Prämien,
die der Versicherungsnehmer leistet. Dies ist jedoch bei
Haftpflichtversicherungen extrem gefährlich. Bei diesen
sind in der Regel nur verhältnismäßig geringe Prämien
zu leisten. Aber gerade bei dieser Art der Versicherung
kann eine oberflächliche Beratung existenzgefährdende
Folgen haben. Wenn der Versicherungsnehmer erst nach-
träglich merkt, dass er falsch versichert ist, zahlt er dann
nämlich im Extremfall ein Leben lang.

Zweitens. Hat der Versicherungsnehmer eine ihm ob-
liegende Vertragspflicht verletzt, wird vermutet, er habe
dies grob fahrlässig getan. Dies verstößt meines Erach-
tens gegen die allgemeine Systematik des Zivilrechts.
Wenn der Versicherungsnehmer beispielsweise eine Frist
nicht gewahrt hat, muss er beweisen, sich nicht dümmer
angestellt zu haben, als die Polizei erlaubt. Dieser Nach-
weis dürfte ihm naturgemäß oftmals gar nicht möglich
sein, was zur Folge hat, dass der Versicherer die Versi-
cherungsleistung beachtlich kürzen kann. Hierdurch
werden Versicherer geradezu ermutigt, pauschal grobe
Fahrlässigkeit des Versicherungsnehmers zu behaupten
und nur einen Bruchteil der von ihnen geschuldeten Ver-
sicherungsleistung zu zahlen.

Drittens. Unterlässt der Versicherer die Belehrung
über das Widerrufsrecht, muss er richtigerweise hin-
nehmen, dass der Versicherungsnehmer den Versiche-
rungsvertrag prinzipiell unbefristet widerrufen kann. Al-
lerdings muss der Versicherer die Prämie dann nur für
das erste Versicherungsjahr zurückzahlen. Im Bereich
der kapitalbildenden Versicherungen wird aber niemand
die Versicherung widerrufen, wenn er die gezahlten Prä-
mien nicht zurückbekommt. Diese Beschränkung der
Rückzahlungspflicht ist Unsinn oder eine gewollte fakti-
sche Einschränkung des Widerrufsrechts auf den Zeit-
raum von einem Jahr. In jedem Fall widerspricht sie der
Rechtsprechung des EuGH.


(Beifall bei der LINKEN)


An diesen Punkten hat sich die Große Koalition be-
wusst für die Lobby der Versicherungsunternehmen und
gegen die Interessen der Verbraucherinnen und Verbrau-
cher entschieden.


(Marco Wanderwitz [CDU/CSU]: Scheinheilig! – Joachim Stünker [SPD]: Nun reicht es aber! Wirklich! An nichts teilnehmen und dann solche Sprüche machen! Also wirklich!)


– Das ist einfach so.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Barbara Höll
Lassen Sie mich noch auf einen anderen Punkt hin-
weisen, bei dem ich an ein Versehen glaube. Vielleicht
hören Sie mir zu.


(Joachim Stünker [SPD]: Ich höre zu!)


Ich hoffe, dass ich hier auch zu Ihnen durchdringen
kann.


(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Keine Chance!)


Beantragt der Versicherungsnehmer eine Versiche-
rung, aber der Versicherer stellt einen abweichenden
Versicherungsschein aus, dann hat der Versicherungs-
nehmer die Möglichkeit, zu widersprechen. Auf die Än-
derungen und auf das Widerspruchsrecht muss der Versi-
cherer hinweisen. Tut er dies nicht, dann gilt der Vertrag
als mit dem Inhalt des Antrags des Versicherungsneh-
mers geschlossen. Diese Vorschrift führt in der Regel zu
angemessenen Ergebnissen. Allerdings – darauf möchte
ich Sie hinweisen – sind durchaus Fälle denkbar, in de-
nen diese Vorschrift zu Rechtsfolgen führt, die der ver-
braucherfreundlichen Intention der Norm widerspre-
chen.

Hat der Versicherungsnehmer über die gesamte Ver-
tragslaufzeit die höheren Prämien nach den Vorgaben
des Versicherungsscheins gezahlt und hat er nach diesem
auch einen Anspruch auf höhere Zahlungen des Versi-
cherers, so wird durch den bestehenden § 5 Abs. 3 des
Versicherungsvertragsgesetzes bewirkt, dass der Versi-
cherungsnehmer trotz Zahlung der höheren Prämie nur
die niedrigere Versicherungsleistung verlangen kann.
Das ist widersprüchlich und ungerecht. Ich gehe davon
aus, dass Sie das mit Ihrem Gesetzentwurf nicht wollen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Diesen und die weiteren Mängel des Gesetzes können
Sie relativ einfach beseitigen. Wir haben Ihnen für die
heutige abschließende Beratung einen Änderungsantrag
unterbreitet. Dies ist einer der Punkte. Ich fordere Sie
auf, unserem Änderungsantrag zu folgen. Ansonsten
können wir dem Gesetzentwurf heute leider nicht zu-
stimmen.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Das macht uns jetzt natürlich nachdenklich! – Marco Wanderwitz [CDU/ CSU]: Wir erwarten auch nichts anderes!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1610821400

Das Wort hat der Kollege Jerzy Montag vom Bünd-

nis 90/Die Grünen.


Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1610821500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das

Gesetz, das wir heute fast alle gemeinsam reformieren
– wir bringen die Reform zu Ende –, ist noch vom Deut-
schen Kaiser und König von Preußen vor genau 100 Jah-
ren verordnet worden.

In dieser Zeit hat sich ein enormer Änderungsbedarf
ergeben. Die Praxis hat in den Jahrzehnten nicht auf den
Gesetzgeber gewartet, sondern in der Praxis und in der
freien Rechtschöpfung wurden viele Institute im Versi-
cherungsrecht entwickelt, zum Beispiel zur vorläufigen
Deckungszusage und zum Bereich der Berufsunfähig-
keit. Wir ziehen mit der Gesetzesänderung jetzt nach.
Sie kommt spät, aber sie ist äußerst intensiv vorbereitet
worden. Nun kommt sie, und ich glaube, dass das für die
Millionen Menschen, die mit Versicherungen zu tun ha-
ben, die also Kunden von Versicherungsgesellschaften
sind, ein enormer Fortschritt ist.

Ich will drei große Punkte erwähnen:

Erstens. Die Kollegen der Koalition haben in den Be-
ratungen erkennbar immer so getan, als ob sie damit gar
nicht sehr zufrieden sind, erklären das jetzt aber zu ei-
nem großen Punkt. Ich bekenne mich: Ich finde das
Ende des Policenmodells richtig gut.

Ich glaube, in der heutigen Welt ist es nicht mehr rich-
tig, dass man den Bürgerinnen und Bürgern zumutet,
dass sie Verträge abschließen und den Inhalt erst hinter-
her zugeschickt bekommen. Es wird natürlich bürokrati-
sche Probleme geben, die die Versicherungswirtschaft zu
lösen haben wird. Ich finde es aber in Ordnung, dass der
Grundsatz, dass man erst liest und zur Kenntnis nimmt
und dann unterschreibt, endlich auch so im Gesetz steht.

Zweitens ist auch die Aufgabe des Alles-oder-nichts-
Prinzips – bei Vertragsstörungen also vernünftig und an-
gemessen zu reagieren und nicht immer gleich mit der
Beendigung des Vertrags oder der Auflösung aller An-
sprüche zu drohen – aus meiner Sicht in Ordnung.

Drittens sind auch die weitreichenden Informations-
und Beratungspflichten, die im Gesetzentwurf imple-
mentiert sind, ein großer Pluspunkt. Mit diesem Gesetz-
entwurf ist der Versicherungskunde zwar immer noch
kein König; er ist aber auch kein Bettler mehr.

Wir Grüne haben zuerst in der Regierung und jetzt in
der Opposition bei den Beratungen des Gesetzentwurfs
mitgearbeitet. Wir haben uns eingebracht und Vor-
schläge gemacht, mit denen wir uns zum Teil auch
durchsetzen konnten. Wir tragen die Reform mit und
werden dem Gesetzentwurf zustimmen.

Ich will in der Kürze der Zeit allerdings auch einige
kritische Punkte anmerken. Der Direktanspruch in der
Pflichtversicherung ist eingeschränkt worden; auch
Staatssekretär Hartenbach hat das mit einem Unterton
des Bedauerns festgestellt. Ich glaube allerdings nicht,
dass das ein herausragender Punkt ist, der uns zu einer
Ablehnung zwingen müsste. Denn die Ausnahmen, die
jetzt vorgesehen sind, sind ein kleiner Schritt nach
vorne. Ich kann nichts Schlimmes daran finden, dass der
Versicherte dann, wenn er Schwierigkeiten hat, den
Schädiger in Haftung zu nehmen, einen Direktanspruch
bei der Versicherung geltend machen kann.


(Frank Schäffler [FDP]: Und wenn er ihn gar nicht kennt?)


– Auch dann, wenn er ihn nicht kennt, kann er den Di-
rektanspruch geltend machen.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Beim Feuerwehrhauptmann oder wo?)







(A) (C)



(B) (D)


Jerzy Montag
Genau das sind die beiden Ausnahmen, die beibehalten
worden sind.

Dass die im Gesetzentwurf vorgesehene Beratungs-
pflicht zwei Bedingungen unterliegt, haben wir in den
Beratungen gerügt. Wir meinen, dass eine Bedingung
ausreichen würde. Es bleibt abzuwarten, wie sich das in
der Praxis entwickelt. Denn dass der Vertreter der Versi-
cherung, bevor er überhaupt in die Beratung eintritt, ein-
seitig in seiner Sphäre eine Entscheidung treffen kann,
ob er beraten muss oder will, und – wenn er zu der Über-
zeugung kommt, eine Beratung durchzuführen – in einer
zweiten Stufe dem Versicherten anbieten kann, darauf zu
verzichten, wenn er einen Revers unterschreibt, dass er
die Haftung übernimmt, ist meines Erachtens ein Schritt
zu viel.

Auch die Frage der Beweislast ist kritisch zu sehen.
Es ist zwar ein Vorteil gegenüber der jetzigen Rechts-
lage, dass wir nun bei grober Fahrlässigkeit eine Auftei-
lung des Schadens erreichen können. Aber wer dann die
Beweislast trägt, ist immer noch anders geregelt als im
allgemeinen Zivilrecht. Wenn es dabei zu Problemen
kommt, werden wir uns nicht erst in 100 Jahren, sondern
früher damit befassen müssen.

Erlauben Sie mir eine abschließende Bemerkung. Es
war unschön, dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen
von der Koalition, die Regelung zur privaten Kranken-
versicherung so spät und nur im Rahmen der letzten Un-
terlagen in den Gesetzentwurf übertragen haben. Aber,
liebe Kollegen von der FDP, die Tatsache, dass Sie und
wir dagegen waren, kann doch kein Grund sein, gegen
den Entwurf des Versicherungsvertragsgesetzes zu stim-
men.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Widerspruch der Abg. Birgit Homburger [FDP])


Dies ist eine absolut inhaltsgleiche Übertragung eines
geltenden Gesetzes, das uns nicht gefällt. Ich finde, in
diesem Zusammenhang reicht, was ich jetzt zu Protokoll
geben werde: Ich erkläre für die Grünen, dass die Zu-
stimmung zum Versicherungsvertragsgesetzentwurf
nicht implizit als Zustimmung zu dem Gesetzentwurf ge-
deutet werden kann, den wir damals abgelehnt haben.
Damit soll es genug sein. Ich glaube, das reicht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir sollten dem Gesetzentwurf allseitig unsere Zustim-
mung geben.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Hellmut Königshaus [FDP]: Eine Zustimmung, die keine Zustimmung ist! – Manfred Grund [CDU/CSU]: Eine konditionierte Zustimmung! – Gegenruf des Abg. Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Keine konditionierte Zustimmung!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1610821600

Das Wort hat jetzt der Kollege Dirk Manzewski von

der SPD-Fraktion.

Dirk Manzewski (SPD):
Rede ID: ID1610821700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe

Freunde der Rechtspolitik! Als sich die Bundesregierung
des VVG angenommen hat, hat sich sehr schnell die Er-
kenntnis durchgesetzt, dass punktuelle Änderungen oder
Ergänzungen nicht mehr ausreichen, sondern dass eine
Gesamtreform notwendig ist.

Mein Dank gilt daher zunächst dem BMJ und seinen
Mitarbeitern, namentlich Herrn Schäfer und Herrn
Schöfisch. Denn bereits die Diskussion mit den betroffe-
nen Kreisen und die Anhörung haben gezeigt, dass uns
ein meiner Auffassung nach hervorragender Gesetzent-
wurf vorgelegt worden ist.

Die Gewinner dieses Gesetzes werden eindeutig – das
muss man so deutlich sagen, Herr Kollege Montag und
Frau Kollegin Dr. Höll – die Verbraucherinnen und
Verbraucher unseres Landes sein. Lassen Sie mich dies
kurz konkretisieren.

Erstens. Durch die Abschaffung des Policenmodells
und die neugestalteten §§ 6 und 7 des VVG wird es kei-
nen anderen Bereich geben, in dem die Verbraucher be-
reits vor Vertragsschluss derart umfassende Informatio-
nen und Beratungen über den Vertragsgegenstand
erhalten.

Zweitens. Dies wird – sozusagen als Nebeneffekt –
dazu führen, dass den Verbrauchern im Streitfall auch
die Beweisführung erleichtert wird.

Drittens. Da der Versicherungsnehmer grundsätzlich
nur noch ihm bekannte Umstände anzeigen muss, nach
denen der Versicherer zuvor in Textform gefragt hat,
liegt das Risiko einer Fehleinschätzung in der Frage, ob
nun ein bestimmter Umstand für das Versicherungsver-
hältnis wichtig gewesen ist oder nicht, nicht mehr bei
den Versicherungsnehmern, sondern bei den Versiche-
rern.

Viertens. In bestimmten Fällen, wenn der Aufenthalt
des Schädigers unbekannt ist oder über sein Vermögen
das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, wird der Ver-
braucher – das wurde bereits angesprochen – sogar einen
Direktanspruch gegen die Versicherung des Schädigers
erhalten. Das ist ein Fortschritt; das kann man nicht weg-
diskutieren.

Fünftens. Soweit der Versicherungsnehmer bislang
gezwungen war, seinen Anspruch auf die Versicherungs-
leistung binnen sechs Monaten geltend zu machen, wird
diese im Grunde genommen einseitige Verkürzung der
Verjährungsfrist zulasten der Versicherungsnehmer weg-
fallen.

Sechstens. Das Alles-oder-nichts-Prinzip wird weg-
fallen. Das bedeutet – für diejenigen, die sich nicht aus-
kennen –, dass der Versicherungsnehmer künftig selbst
bei grob fahrlässigem Verhalten, abgestuft nach der
Schwere seines Verschuldens, Leistungen erhält. Das ist
neu und gut für den Verbraucher.

Siebtens. Bei der Lebensversicherung wird der Versi-
cherungsnehmer künftig mittels einer Modellrechnung
vorab darüber informiert werden, welche Leistungen ihn
realistischerweise erwarten werden.






(A) (C)



(B) (D)


Dirk Manzewski
Achtens. Der Versicherungsnehmer wird zukünftig
richtigerweise an den stillen Reserven der Versicherung
beteiligt werden.

Neuntens. Der Rückkaufswert der Lebensversiche-
rung wird künftig nicht mehr nach dem Zeitwert, son-
dern nach dem Deckungskapital der Versicherung und
damit nach einer feststehenden Größe berechnet werden.

Zehntens. Die Abschlusskosten der Lebensversiche-
rung werden auf die ersten fünf Jahre verteilt, sodass der
Rückkaufswert von Lebensversicherungen in diesen ers-
ten fünf Jahren höher ausfallen wird.

Elftens. Wird der Versicherungsvertrag im Laufe des
Versicherungsjahres gekündigt, muss der Versicherungs-
nehmer die Prämie künftig nur bis zu diesem Zeitpunkt
und nicht mehr bis zum Ende der Versicherungsperiode
zahlen.

Zwölftens. Künftig können alle Versicherungsver-
träge unabhängig vom Vertriebsweg und ohne Angaben
von Gründen binnen zwei Wochen – bei Lebensversi-
cherungen binnen 30 Tage – widerrufen werden.

Kollege Montag, angesichts dessen kann ich durchaus
verstehen, dass man diesem Gesetzentwurf zustimmen
muss, trotz aller Bedenken, die möglicherweise noch be-
stehen.

Lassen Sie mich deutlich machen, dass ich persönlich
durchaus weiterhin mit dem Policenmodell hätte leben
können. Die Begründung lautet ganz einfach: Es hat sich
bewährt, während sich das neue System erst einspielen
muss. Es wäre aber zu befürchten gewesen – Kollegin
Dyckmans hat es angesprochen –, dass uns die Beibehal-
tung auf EU-Ebene um die Ohren gehauen worden wäre,
sodass ich insoweit gerne unseren Verbraucherschützern
entgegengekommen bin.

Auch der Direktanspruch in der jetzigen Form sowie
die Abkehr vom Alles-oder-nichts-Prinzip stellen für
mich – das sage ich deutlich – Kompromisse dar. Soweit
kritisiert wird, dass der Direktanspruch im ursprüngli-
chen Entwurf noch weiter gefasst war, bleibt anzumer-
ken, dass wir in der Koalition davon ausgegangen sind,
dass dies zu erheblichen Mehrkosten für die Gemein-
schaft der Versicherten geführt hätte. Das kann man
kaum als verbraucherfreundlich bezeichnen.

Soweit die FDP rügt – genauso wie die Grünen –,
dass ihr die Einfügung der Vorschriften zur Umsetzung
der Gesundheitsreform zu spät mitgeteilt worden seien,
bleibt festzuhalten, dass es sich hierbei lediglich um de-
ren inhaltsgleiche Übernahme handelt. Im Übrigen, Frau
Kollegin Dyckmans, lagen zwischen Übersendung und
der Sitzung des Rechtsausschusses viereinhalb Tage.
Damit war genügend Zeit zur Kontrolle. Wir kennen
ganz andere Gesetzgebungsverfahren, in denen Sie tat-
sächlich ein oder zwei Tage vorher damit konfrontiert
werden. Hier kann ich die Kritik durchaus verstehen.
Wenn aber insbesondere ein Wochenende dazwischen
liegt, bleibt eigentlich genügend Zeit. Frau Kollegin, zu-
mindest bis zum heutigen Tag hätte man die Kontrolle
vornehmen und wenigstens jetzt im Plenum zustimmen
können.
Lassen Sie mich zum Schluss kommen und mich ab-
schließend bei den Verbraucherschützern der Koalition,
namentlich bei Frau Klöckner und Herrn Zöllmer, bei
meinem Kollegen Bernhard Brinkmann von der SPD so-
wie bei den Kollegen Wanderwitz und Flosbach von der
CDU/CSU für die sehr konstruktive Zusammenarbeit
bedanken. Wir haben sehr viele Termine gemeinsam
wahrgenommen, um zu diesem Ergebnis zu kommen.
Ich glaube – das mache ich ganz deutlich, Frau Klöckner –,
dass heute ein guter Tag für die Verbraucherinnen und
Verbraucher in unserem Lande ist.

Frau Kollegin Dr. Höll, lassen Sie mich abschließend
Kritik äußern – darüber haben wir schon vorhin im Rah-
men der Debatte über das Urheberrecht gesprochen –:
Der Entwurf eines Gesetzes zur Regelung des Urheber-
rechts war für die Rechtspolitik das wichtigste Vorhaben
in diesem Jahr. Ich meine, die Reform des Versiche-
rungsvertragsrechts war von seinem Umfang her das
zweitwichtigste Vorhaben in diesem Jahr. Sie waren bei
den Beratungen nicht dabei. Ich glaube, Sie sind nicht
die federführende Berichterstatterin im Rechtsausschuss;
vielleicht treffe ich mit meiner Kritik die Falsche. Ich
empfinde es aber als eine ziemliche Frechheit, dass sich
mittlerweile bei Ihnen eingebürgert hat – klären Sie das
bitte einmal in Ihrer Fraktion –, dass kein Abgeordneter
Ihrer Fraktion zu den zahlreichen Berichterstattergesprä-
chen, zu denen wir einladen, erscheint, sondern nur noch
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die nicht aussagefähig
sind. Vielleicht hätten wir doch ein paar Bedenken Ihrer-
seits aufnehmen können.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Sehr guter Hinweis!)


Vielleicht wären Sie dann bereit gewesen, diesem Ge-
setzentwurf zuzustimmen.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1610821800

Das Wort hat die Kollegin Julia Klöckner von der

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Julia Klöckner (CDU):
Rede ID: ID1610821900

Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Staatssekretär!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie bei jedem Gesetz
gibt es auch hier unterschiedliche Interessenlagen und
unterschiedliche Betroffene. In diesem Fall sind es die
Versicherer und die Versicherten. Ich bin wie mein Vor-
redner, Herr Manzewski, der Meinung, dass wir eine
gute Balance zwischen denen, die Versicherungen anbie-
ten und vertreiben, und den Versicherungsnehmern ge-
funden haben. Dass es auf beiden Seiten immer Extrem-
beispiele des Missbrauchs, der Bürokratie und des
Nichtverstehens gibt, ist sicherlich klar. Das ist so in ei-
ner Demokratie und dort, wo es unterschiedliche Interes-
sen gibt.






(A) (C)



(B) (D)


Julia Klöckner
Ich bin der Meinung, eine Reform ist nur dann sinn-
voll, wenn nachher etwas Besseres herauskommt als das,
was man vorher hatte. Wenn man diesen Maßstab anlegt,
dann ist die Große Koalition sehr zu loben;


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


denn es kommt in der Tat etwas Besseres heraus. In
100 Jahren haben sich die Bedingungen, die Anforde-
rungen an die Verbraucher und auch die Angebote im-
mens verändert. Das Informationsbedürfnis der Verbrau-
cher ist größer geworden, und umgekehrt muss auch der
Versicherungsmarkt anders reagieren. Wenn man die Be-
ratungszeit von fünf Monaten in Relation zu diesen
100 Jahren setzt, dann sieht das Ergebnis relativ gut aus.

Auch ich war etwas enttäuscht über die Bedenken der
Linksfraktion. Ich habe im Ausschuss nie etwas von den
Verbraucherschützern gehört. Ich finde, das ist eine
schlechte parlamentarische Vorgehensweise.


(Joachim Stünker [SPD]: Unparlamentarisch sogar!)


Parlamentarische Debatte heißt, dass man sich zu der
Zeit einbringt, in der man noch gestalten kann. Das ha-
ben Sie leider nicht getan.


(Abg. Dr. Barbara Höll [DIE LINKE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Sie haben eine Frage, und die lasse ich gerne zu.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1610822000

Frau Kollegin Höll, bitte schön.


Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1610822100

Frau Kollegin Klöckner, auf den eben geäußerten

Vorwurf der nicht ausreichenden Teilnahme kann ich
jetzt nicht eingehen. Würden Sie mir trotzdem zustim-
men, dass das nichtsdestoweniger die anderen Mitglie-
der des Hauses nicht davon befreit, sich mit inhaltlichen
Vorschlägen auseinanderzusetzen und zu sehen – deswe-
gen habe ich einen Punkt bewusst herausgegriffen –, ob
vielleicht ein Fehler vorliegt, der gerade bei einem um-
fangreichen Gesetzesvorhaben durchaus passieren kann?
Wir alle wissen aus langer parlamentarischer Erfahrung,
dass Nachbesserungen


(Klaus Uwe Benneter [SPD]: Dafür sind Sie doch Abgeordnete!)


manchmal noch in letzter Minute gut und wichtig sind.
Mir ist Ihr Hinweis zu wenig. Ich erwarte schon eine in-
haltliche Auseinandersetzung.


Julia Klöckner (CDU):
Rede ID: ID1610822200

Frau Dr. Höll, wir haben von Ihnen eine inhaltliche

Auseinandersetzung erwartet. Das, was Sie heute prä-
sentieren, ist eine populistische Auseinandersetzung;
denn Sie erwarten, dass wir uns in der heutigen abschlie-
ßenden Beratung mit Ihren Argumenten inhaltlich ausei-
nandersetzen, obwohl Sie sie vorher, als genau dafür
Raum war, nicht geäußert haben. Das ist Populismus.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Wir, die Union, aber auch die Koalitionspartner, ha-
ben ein ganz klares Bild vom Verbraucherschutz: Für
uns ist der informierte, mündige Verbraucher das Leit-
bild. Daher mussten wir mit dem Gesetz zur Reform des
Versicherungsvertragsrechts nachbessern. Die Informa-
tionspflicht, die Informationshinweise, die Transparenz
sind für uns die Voraussetzung dafür, dass ein Verbrau-
cher überhaupt mündig entscheiden kann. Insofern un-
terstütze ich es ausdrücklich, dass gerade das Policen-
modell weggefallen ist. Das Policenmodell war einmalig
in Europa. Policenmodell heißt, dass sämtliche Unterla-
gen dem Versicherten, sprich: dem Verbraucher, erst
nach Unterzeichnung des Versicherungsvertrags zuge-
stellt werden. Der Verbraucher hat etwas unterschrieben,
und die notwendigen Informationen wurden ihm später
zugesandt.

Es mag in der Praxis so gewesen sein, dass die meis-
ten Verbraucher nie in diese Unterlagen – häufig allzu
dicke Papiere – geschaut haben. Dennoch muss die Lo-
gik stimmen, und da ist der Verbraucher gefragt. Ich
finde es richtig, dass zuerst die Informationen und die
Unterlagen vorliegen müssen, bevor ein Versicherungs-
vertrag unterschrieben wird. Das bewahrt den eigenstän-
digen Verbraucher aber natürlich nicht davor, selbst in
diese Unterlagen zu schauen.

Wir haben die notwendigen Rahmenbedingungen ge-
setzt. Mehr kann der Staat auch nicht leisten. Jetzt sind
die Verbraucherinnen und Verbraucher gefordert. Sie
müssen jetzt nicht mehr die Katze im Sack kaufen. Es gibt
auch die Möglichkeit, dass die Unterlagen per E-Mail
zugestellt werden bzw. dass man sie sich aus dem Inter-
net herunterladen kann. Das ist praxisgerecht und sehr
pragmatisch.

Im Zusammenhang mit der Informationspflicht be-
grüße ich sehr, dass die Beratungspflichten eingehalten
werden müssen. Eine fahrlässige Nichtberatung oder
Falschberatung kann letztlich auch zu einem Schadener-
satz führen. Wer grob fahrlässig gehandelt hat, wer einen
Beratungsfehler begangen hat oder wer seine Versicher-
ten nicht darüber aufgeklärt hat, dass es eine Beratungs-
pflicht gibt, wird für seine Nachlässigkeit aufkommen
müssen. Auch das hat etwas mit Verantwortung und mit
Vertrauen in die Branche zu tun.

Da wir praktisch veranlagt sind und Bürokratie ab-
bauen möchten, haben die Bundesregierung und wir Ko-
alitionsfraktionen auf Folgendes Wert gelegt: Wenn sich
Versicherer und Versicherter darüber einig sind, dass
schon genügend Informationen vorhanden sind oder dass
eine Versicherung schnell abgeschlossen werden muss,
dann kann auf die Erfüllung der Informationspflicht
– Stichwort „Zusendung der entsprechenden Doku-
mente“ – verzichtet werden.

Ich finde es sehr gut, dass die Verbraucher künftig
ohne Angabe von Gründen widerrufen können: bei Le-
bensversicherungen bis 30 Tage nach Abschluss, bei al-
len anderen Versicherungsverträgen mit einer Frist von
14 Tagen. Dadurch wird man der Tragweite dieser Versi-
cherungen gerecht. Das Abschließen einer Lebensversi-
cherung hat natürlich eine andere Dimension als das Ab-
schließen kleinerer Versicherungen.






(A) (C)



(B) (D)


Julia Klöckner
Stichwort „Alles-oder-nichts-Prinzip“: Wie die Kol-
legen schon erwähnt haben, ist die komplette Leistungs-
verweigerung nur noch bei vorsätzlichen Handlungen
möglich. Was die vorzeitige Kündigung angeht – das
war uns wichtig; schließlich mussten wir dem Bundes-
verfassungsgerichtsurteil Folge leisten –, so ist nun gere-
gelt, dass letztlich nicht das ganze Geld, das der Versi-
cherte bis zur Kündigung eingezahlt hat, weg ist.

Abschließend möchte ich in dieser ganzen Diskussion
noch eines erwähnen: Verbraucher sind wir alle. Ver-
braucher sind auch diejenigen, die in einer Versicherung
verbleiben, und nicht nur diejenigen, die eine Versiche-
rung kündigen. Ich bin wirklich sehr froh, dass wir
diesen Gesetzentwurf heute verabschieden. Dadurch
kommt es zu mehr Transparenz, zu mehr Wettbewerb
und zu mehr Eigenverantwortung, und das ist zum Vor-
teil der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes.

Ich möchte allen, die am Zustandekommen dieses Ge-
setzentwurfs mitgearbeitet haben, herzlich danken.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1610822300

Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt

erteile ich das Wort dem Kollegen Klaus-Peter Flosbach
von der CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Klaus-Peter Flosbach (CDU):
Rede ID: ID1610822400

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Herr Manzewski, besonders freue ich mich
über die Anwesenheit der Kollegen aus dem Finanzbe-
reich und aus dem Verbraucherschutzbereich. Auch ich
möchte sie hier herzlich begrüßen.

Nach der Lektüre dessen, was in der heutigen Presse
zur Reform des Versicherungsvertragsrechts steht,
möchte ich darauf hinweisen, dass die Versicherungs-
wirtschaft und auch die Verbraucherschützer die Novelle
dieses Gesetzes außerordentlich begrüßen. Das ist nicht
nur ein gutes Zeichen, sondern zeigt auch, dass wir bei
den Auseinandersetzungen um dieses Gesetz einen fai-
ren Ausgleich zwischen der Versicherungswirtschaft und
den Verbrauchern geschaffen haben. Insofern ist das ein
großer Erfolg für diese Koalition.


(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD)


Seit dem ersten Referentenentwurf sind bereits an-
derthalb Jahre vergangen. Insofern gibt es schon eine
längere Diskussion zu diesem Thema. Ich bin selbst er-
staunt, wie unterschiedlich auch wir in der eigenen Par-
tei als Verbraucherschützer, Juristen und Wirtschaftler
dieses Thema betrachten. Dennoch bin ich froh, dass wir
zusammengefunden und alle Beteiligten unter einen Hut
bekommen haben.

Ich möchte nun ein Thema aufgreifen, das seit
25 Jahren in dieser gesamten Debatte eine große Rolle
gespielt hat, nämlich die stillen Reserven, die ja insbe-
sondere in Lebensversicherungsverträgen in Form von
Immobilien, Beteiligungen, Aktien oder festverzinsli-
chen Wertpapieren enthalten sind. Seit 25 Jahren streiten
sich Verbraucher und Versicherungsunternehmen, wem
diese stillen Reserven gehören: den Versicherten, den
Kunden oder dem Versicherungsunternehmen und deren
Aktionären?

Im ersten Entwurf des vergangenen Jahres sollten
noch 50 Prozent dieser stillen Reserven innerhalb von
zwei Jahren jedem einzelnen Vertrag zugeordnet wer-
den. Die wirtschaftliche Folge wäre gewesen, dass die
Versicherungsunternehmen ihre gesamten Schwan-
kungsmöglichkeiten, die ja existieren, nicht mehr hätten
ausgleichen können, dass man sogar die Immobilien,
Aktien oder Wertpapiere hätte verkaufen müssen, um die
stillen Reserven zu realisieren und den Verträgen zuzu-
ordnen.

Insofern war es ein großer Erfolg, dass wir im Rah-
men der Beratungen zwar an der 50-prozentigen Beteili-
gung der Verbraucher festgehalten, aber die Lösung ge-
funden haben, dass die stillen Reserven erst nach Ablauf
des Vertrages zugeordnet werden, also entweder am
Ende der normalen Laufzeit oder vorher bei vorzeitiger
Kündigung. Das hat den einfachen Vorteil, dass dies ge-
nau zu kalkulieren ist. Das betrifft jährlich nur jeden
20. Vertrag. Die aufsichtsrechtlichen Bestimmungen, die
wir erst vor kurzem geändert haben – wir haben ja auch
eine Diskussion über die stillen Reserven im Zusammen-
hang mit den festverzinslichen Wertpapieren geführt –,
machen nicht das große Problem aus, weil sie letztend-
lich beibehalten werden und das Unternehmen bei einem
Stresstest immer in der Lage ist, die Leistungen zu erfül-
len. Lebensversicherungen oder Rentenprodukte sind ja
Garantieprodukte, und der Verbraucher ist darauf ange-
wiesen, dass diese Leistungen nicht nur versprochen,
sondern deren Erbringung auch eingehalten wird.


(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD)


Es ist auch ein Erfolg – Herr Wanderwitz hat darauf
hingewiesen –, dass wir nicht in bestehende Verträge
eingegriffen haben. Man hätte die Rückkaufswerte
durchaus auch anders berechnen können. Das hätte aber
die wirtschaftliche Folge gehabt, dass bei den Versiche-
rungsunternehmen eine Rückstellung in Höhe von bis zu
10 Milliarden Euro – von dieser Größenordnung spricht
man – neu gebildet worden wäre. Dies wäre nicht zulas-
ten der Versicherungsunternehmen, sondern zulasten der
Überschussbeteiligung anderer Verbraucher gegangen.
Die einen hätten einen höheren Rückkaufswert und die
anderen ein bis zwei Jahre keine Überschussbeteiligung
bekommen. Insofern bin ich froh, dass wir die Verbrau-
cher davon entlasten konnten.

Herr Montag und einige andere Redner haben auf das
Policenmodell hingewiesen; auch ich möchte die letzten
Sekunden meiner Redezeit darauf verwenden. Wer die
Anhörung miterlebt und alle Experten gehört hat, der hat
vernommen, dass man insgesamt der Meinung war, dass
das deutsche Policenmodell das richtige Modell ist; denn
es funktioniert. Die EU-Vorgaben zwingen uns aber
letztendlich dazu, etwas anderes umzusetzen. Deswegen
tun wir das auch. Ich weise darauf hin: Für den Verbrau-
cher ist wichtig, dass wir mit der Versicherungsver-






(A) (C)



(B) (D)


Klaus-Peter Flosbach
mittlerrichtlinie die Pflicht zur Dokumentation des Bera-
tungsprotokolls eingeführt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Auch wenn dem Verbraucher die Unterlagen noch vor
Unterzeichnung des Vertrages überreicht werden, wird
er sie niemals lesen können. Das Kleingedruckte wurde
ja bisher mit der Police zugesandt; das war das Policen-
modell. Er hatte dann – je nach Sachversicherung oder
Lebensversicherung – 14 oder 30 Tage Zeit, dieses zu
überprüfen oder vom Vertrag zurückzutreten.

Ich möchte insgesamt feststellen: Dieses Gesetz ist
gelungen. Wir von der Koalition können auf dieses Ge-
setz stolz sein. Über diesen Erfolg sollten wir uns freuen.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1610822500

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Reform des Versicherungsvertragsrechts. Der Rechts-
ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/5862, den Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung auf Drucksache 16/3945 in der Ausschussfas-
sung anzunehmen. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der
Fraktion Die Linke vor, über den wir zuerst abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Druck-
sache 16/5940? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen, der FDP-Fraktion, der Fraktion
des Bündnisses 90/Die Grünen bei Zustimmung der
Fraktion Die Linke abgelehnt.

Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Ge-
setzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen und der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen der FDP-
Fraktion bei Enthaltung der Fraktion Die Linke ange-
nommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zu-
stimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen
Stimmverhältnis angenommen.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion der FDP auf Druck-
sache 16/5974. Wer stimmt für diesen Entschließungs-
antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Regie-
rungsfraktionen, der Fraktion Die Linke und der Frak-
tion des Bündnisses 90/Die Grünen bei Zustimmung der
FDP-Fraktion abgelehnt.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 a und 10 b auf:

a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-
schaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Höfken,
Bärbel Höhn, Cornelia Behm, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN

Schutz von Mensch und Umwelt bei Freiset-
zungsexperimenten gewährleisten

– Drucksachen 16/4556, 16/5755 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Max Lehmer
Elvira Drobinski-Weiß
Dr. Christel Happach-Kasan
Dr. Kirsten Tackmann
Ulrike Höfken

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-
schaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Höfken,
Bärbel Höhn, Cornelia Behm, Undine Kurth

(Quedlinburg) und der Fraktion des BÜNDNIS-

SES 90/DIE GRÜNEN

Keine Freisetzung von gentechnisch veränder-
ten Pflanzen auf dem Gelände des Instituts für
Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung
in Gatersleben

– Drucksachen 16/4904, 16/5893 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Max Lehmer
Elvira Drobinski-Weiß
Dr. Christel Happach-Kasan
Dr. Kirsten Tackmann
Ulrike Höfken

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Bevor ich dem ersten Redner das Wort gebe, bitte ich
wiederum diejenigen, die der Aussprache nicht folgen
wollen, den Plenarsaal zu verlassen, damit die anderen
der Aussprache folgen können.

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat das
Wort der Kollege Dr. Max Lehmer von der CDU/CSU-
Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Max Lehmer (CSU):
Rede ID: ID1610822600

Sehr verehrter Herr Präsident! Herr Staatssekretär!

Herr Bundesminister! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Uns liegen heute zwei Anträge der Fraktion der
Grünen vor, über die wir eigentlich schon monatelang
ausgiebig diskutiert haben


(Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Das ist wahr, Herr Lehmer!)


und zu denen es – ich könnte es mit einem Satz sagen –
bis heute wirklich keine einzige neue Erkenntnis gibt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Max Lehmer
Damit könnte ich meine Rede eigentlich schon wieder
beenden.


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann tun Sie es doch!)


Aber nun habe ich mir die Mühe gemacht, noch einmal
alles zu recherchieren, und darum trage ich das jetzt
auch vor.

Der vorliegende Antrag auf Drucksache 16/4904
wurde bereits am 10. Mai im Plenum behandelt und hat
auch den ELV-Ausschuss schon wiederholt beschäftigt,
Frau Vorsitzende,


(Peter Bleser [CDU/CSU]: Das ist wie eine Drehorgel!)


und das – ich sage es noch einmal –, obwohl es wirklich
keine neuen Erkenntnisse gibt. Ich habe keine gefunden
und andere auch nicht.

Ich gehe zunächst einmal auf Gatersleben ein. Dazu
habe ich mich bereits in der Debatte im Mai umfänglich
geäußert. Bei diesem Antrag geht es um zwei verschie-
dene Freisetzungsversuche, zum einen mit Weizen und
zum anderen mit Erbsen. Beide sind durch das BVL ge-
nehmigt. Der entscheidende Punkt dabei ist: Der Leiter
der angeblich betroffenen Genbank, der neulich im Aus-
schuss Rede und Antwort gestanden hat, Professor
Graner, sieht keinerlei Risiko für die pflanzengeneti-
schen Ressourcen dieser Genbank, die im Übrigen auch
wir für schützenswert halten.

Auch das BVL kam in seiner der Genehmigung vo-
rausgegangenen Sicherheitsbewertung zu dem Schluss,
dass von dem Freisetzungsversuch keine schädlichen
Einflüsse auf Menschen und Tiere sowie die Umwelt zu
erwarten sind. Trotzdem sind vorsorglich zusätzliche
Sicherheitsmaßnahmen verfügt worden, die Sie alle ken-
nen. Das Leibniz-Institut und das BVL haben entspre-
chende Vorsichtsmaßnahmen vorgeschrieben. Gleichzei-
tig wurden Stellungnahmen des – das betone ich –
unabhängigen Wissenschaftler- und Sachverständigen-
gremiums der Zentralen Kommission für die Biologi-
sche Sicherheit und der Biologischen Bundesanstalt für
Land- und Forstwirtschaft in die Entscheidung einbezo-
gen. Darüber hinaus wurde das BVL auch durch die
fachliche Stellungnahme des Landes Sachsen-Anhalt un-
terstützt.

Ich halte also als Fazit noch einmal fest: Von der Frei-
setzung gehen nach Erkenntnissen aller Wissenschaftler
und Experten, auch aller unabhängigen, keine Risiken
aus, weder für die Genbank noch sonst irgendwie für
Mensch, Tier und Umwelt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Nun zum zweiten Antrag zur Sicherheit bei den Frei-
setzungsversuchen. Ich gebe Ihnen ausdrücklich recht,
wenn Sie der Sicherheit von Mensch, Tier und Um-
welt in Ihrem Antrag oberste Priorität einräumen. Das
war und ist auch unsere Prämisse, und zwar ohne Wenn
und Aber.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])


Es ist aber ausdrücklich festzuhalten, dass praktisch alle
in Ihrem Antrag geforderten Sicherheitsmaßnahmen be-
reits Inhalt der geltenden Zulassungsrichtlinien sind, und
zwar ausnahmslos. Es ist selbstverständlich, dass bei der
Freisetzung von GVO-Pflanzen diese nicht in die Nah-
rungs- und Futterkette gelangen sollen. Das wollen
selbstverständlich auch wir. Das gilt besonders auch für
Pflanzen zur Herstellung von pharmazeutischen Wirk-
stoffen und Industrierohstoffen, den sogenannten PMPs
oder PMIs. Auf die will ich kurz eingehen.

Sie verschweigen in Ihrem Antrag, dass der Nutzen
von PMP für Menschen und Tiere gegenüber den gen-
veränderten Pflanzen der ersten Generation, mit denen
wir es bisher zu tun hatten, sehr viel deutlicher in den
Vordergrund treten wird und auch tritt. PMPs und PMIs
sind vielversprechende Nutzungsmöglichkeiten der Grü-
nen Gentechnik. Das möchte ich hier ausdrücklich an-
führen. So werden zum Beispiel bei aktuellen Freiset-
zungsversuchen an der Universität Rostock
Kartoffellinien angebaut, die Eiweiße für die Herstellung
von Impfstoffen gegen Cholera, Durchfallerkrankungen
und eine Kaninchenseuche enthalten. Dieser Nutzen
muss natürlich bei den Risikobetrachtungen in die
Waagschale geworfen werden. Die in Ihrem Antrag for-
mulierte Aussage:

Die Freisetzung von gentechnisch veränderten Pflan-
zen, die pharmazeutische Wirkstoffe produzieren

(Plant Made Pharmaceuticals – PMP), ist generell

stark risikobehaftet,

ist so pauschal einfach falsch.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Hier ist eine Prüfung wie bei allen anderen GVOs
auch von Fall zu Fall erforderlich. An den entsprechen-
den Zulassungsrichtlinien wird sich da nichts ändern,
auch nicht bei denen für PMPs. Diese Prüfung muss in
der Praxis nach den geltenden strengen Zulassungs- und
Anbauregelungen für die Herstellung von biopharma-
zeutischen Wirkstoffen selbstverständlich durchgeführt
werden. Das BVL entscheidet in jedem Einzelfall nach
der Befragung der unabhängigen Experten von BfR,
Robert Koch-Institut, BfN und BBA über einen Freiset-
zungsversuch. Erst wenn eine Gefahr auszuschließen ist,
erfolgt die Genehmigung. Das alles sind Binsenweishei-
ten und ist längst bekannt. Es steht in dem Gesetz, das
Rot-Grün verabschiedet hat.


(Peter Bleser [CDU/CSU]: So ist es!)


Sie verschweigen ebenfalls, obwohl der TAB-Bericht es
eindeutig festhält, dass die Wirkstoffe bei PMPs wesent-
lich leichter wieder abbaubar sind als andere. Zudem
wird es zu einem routinemäßigen Anbau, so vermute ich,
von biotechnologisch hergestellten Heilpflanzen im
freien Feld kaum kommen; denn die bereits geltenden
Vorschriften für die Herstellung biopharmazeutischer
Wirkstoffe zum Schutze der Patienten lassen dies nicht
zu.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Max Lehmer
Um die Qualität und Sicherheit zu garantieren, wer-
den biotechnologisch gezüchtete Pflanzen immer nur
dazu eingesetzt werden, große Mengen von Vor- oder
Zwischenstufen von Wirkstoffen zu produzieren. Diese
Stoffe haben nicht die Wirksamkeit der Endprodukte und
können deshalb auch unter denselben Bedingungen wie
andere biotechnologisch veränderte Pflanzen angebaut
werden.

Ihr Antrag enthält einen zweiseitigen Katalog von
Forderungen an die Bundesregierung, der mit den übli-
chen Verhinderungs- und Behinderungsstrategien
der Forschung im Bereich der Grünen Gentechnik ge-
spickt ist. Sie scheuen sich im zweiten Antrag auch
nicht, noch einmal das Thema Gatersleben aufzuneh-
men, auf das ich eben bereits eingegangen bin.

Fazit: Alles in allem enthält der Antrag nichts, was
wir von Ihnen nicht schon seit Monaten kennen würden.
Es wird Sie daher nicht überraschen, dass wir auch die-
sen Antrag ablehnen.

Beide Anträge wie auch alle mir bisher von Ihnen be-
kannten Äußerungen und Stellungnahmen zu diesem
Themenkomplex reihen sich ein in die offensichtlich
praktizierte Strategie der rigorosen Ablehnung der Grü-
nen Gentechnologie. Dies ist umso bemerkenswerter, da
Sie ja bei der Entstehung des Gentechnikgesetzes selbst
aktiv mitgewirkt haben. Diese Strategie halten wir für
völlig falsch und nicht zielführend im Sinne einer not-
wendigen, wissenschaftsbasierten Abwägungsstrategie.
Wie bei allen anderen Technologien müssen wir auch bei
der Grünen Gentechnik verantwortungsvoll Chancen
und Risiken gegenüberstellen.

Wir haben bisher einen sehr mühsamen und nicht
übereilten Diskussionsprozess erlebt und an vielen Stel-
len Vorschläge für einen noch höheren Anforderungs-
standard für die anstehende Novellierung des Gentech-
nikgesetzes gemacht. Hierzu darf ich zum Schluss noch
einige Punkte nennen.

Bundesminister Seehofer hat einen gründlichen Dia-
log mit allen beteiligten Interessensgruppen geführt. Die
Fragen der Sicherheit und der Haftung wurden jeweils
intensiv bearbeitet. Der Anbauabstand wurde auf
150 Meter angehoben. Wir haben die Haftungsfragen
nochmals gründlich abgeklärt. Wir treten für eine volle
Transparenz ein, indem wir eine vollständige prozess-
orientierte Kennzeichnung verlangen. Außerdem fordern
wir einen EU-einheitlichen Saatgut-Schwellenwert.

Wir sind also intensiv dabei, konstruktive Lösungen
zu finden. In dieser Richtung werden wir konsequent
weiterarbeiten.

Vielen herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1610822700

Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Christel Happach-

Kasan von der FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)


Dr. Christel Happach-Kasan (FDP):
Rede ID: ID1610822800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Lehmer, wie immer kann ich Ihren fachlichen Aus-
führungen nur zustimmen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Ihrer Bewertung der Umsetzung des Gentechnikgesetzes
kann ich hingegen nicht zustimmen. Ich finde es ziem-
lich hanebüchen, dass Sie es in Ihrer Regierungszeit im-
mer noch nicht geschafft haben, einen Entwurf eines
Gentechnikgesetzes vorzulegen. Dies ist möglich.


(Peter Bleser [CDU/CSU]: Das liegt nicht an uns!)


Wir von der FDP-Fraktion haben im Januar dieses Jahres
einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt. Meines
Erachtens ist es an der Zeit, dass Sie ebenfalls damit he-
rüberkommen. Ein solcher Entwurf war für die Zeit vor
der Sommerpause versprochen, ist aber noch immer
nicht auf dem Weg. Ob Sie es bis zur nächsten Sitzung
des Bundesrates am 21. September dieses Jahres schaf-
fen, bezweifle ich mit Ihnen.

Der britische EU-Kommissar für Außenhandel Peter
Mandelson forderte kürzlich eine bessere Debatte über
gentechnisch veränderte Organismen. Ich meine, dass er
recht hat. Die Bewertung der Anträge der Grünen durch
Herrn Lehmer zeigt, dass wir keine gute Debatte über
die Gentechnik haben. Die gegenwärtige Debatte ist un-
würdig. Sie erinnert an die Zeit der Hexenverbrennung.
Nichts anderes ist das, was Sie hier veranstalten.


(Beifall bei der FDP)


Dazu möchte ich einige Beispiele aus der jüngeren
Diskussion nennen. Erstes Beispiel: Erinnern wir uns an
Amflora. Im Dezember 2006 lobte Bundesminister
Gabriel die umweltfreundliche gentechnisch veränderte
Kartoffelsorte Amflora hier im Plenum. Es ging um die
Zulassung dieser Stärkekartoffel zur industriellen Ver-
wendung. Die Regierung stimmte im Regelungsaus-
schuss ebenfalls der Zulassung zu. Jetzt, im Juli 2007,
wird auf Betreiben desselben Umweltministers die Ver-
schiebung der Abstimmung über die Zulassung bean-
tragt.

Das verstehe, wer will. Es geht allein um den industri-
ellen Rohstoff Stärkekartoffel. Diese Regierung hat kei-
nen Kompass, Herr Lehmer.


(Beifall bei der FDP – Ursula Heinen [CDU/ CSU]: So ein Quatsch!)


Zweites Beispiel – im Agrarausschuss haben wir da-
rüber diskutiert –: In den USA wird über ein Bienen-
sterben berichtet. Deutsche Gentechnik- und Mobil-
funkgegner wissen sofort per Ferndiagnose die Ursache.
Es konnten nur die ihnen verhassten Technologien sein,
unabhängig davon, ob diese in den betroffenen Regionen
überhaupt genutzt werden. Die Ursachen des Bienen-
sterbens in den USA sind erwiesenermaßen andere. Den
deutschen Bienen – das ist die gute Nachricht – geht es
hervorragend. Das heißt, niemand in dieser Diskussion
hat sich jemals um Bienen gekümmert. Allen ging es da-
rum, Gründe für die Ablehnung der Gentechnik zu fin-
den, und nichts anderes.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Christel Happach-Kasan
Drittes Beispiel: Der Bt-Mais MON 863 erhielt am
24. Juni 2005 seine Zulassung als Tierfutter. Der dama-
lige Umweltminister Trittin hatte zugestimmt. 2006
wurde dieser Mais als Lebensmittel zugelassen. Die Si-
cherheitsbewertung war durch das Robert Koch-Institut
vorgenommen worden, die positive Bewertung in der
Folge von der EFSA, dem BfR, dem BVL und der fran-
zösischen Regierung. Die Grünen fordern aufgrund an-
geblich neuer Erkenntnisse ein Einfuhrverbot. Warum
eigentlich? Die aktuellsten Erkenntnisse berücksichtigen
Sie doch nicht, liebe Grüne. Das sind nämlich die Erfah-
rungen der Landwirte und der Verbraucher.

Welchen Sinn macht es, eine Fütterungsstudie aus
dem Jahr 2003 immer wieder neu durchzukauen, obwohl
die Praxis keinerlei Anhaltspunkte dafür gibt, dass mit
dem Mais etwas nicht in Ordnung ist? Das ist genau so,
als würden Sie die Statikberechnungen Ihres Wohnhau-
ses alle drei Monate noch einmal nachrechnen. Das tun
Sie garantiert nicht.


(Beifall bei der FDP)


Viertes Beispiel: Die Bundesregierung stellte am
11. April dieses Jahres fest: Die Bundesregierung ist der
Auffassung, dass die Sicherheit der in der EU für den
Anbau und den Import zugelassenen transgenen Sorten
gegeben ist. Zwei Wochen später wird vom BVL ein Er-
lass zum Monitoring des Anbaus von MON 810 im Jahr
2008 herausgegeben. Warum gibt es eigentlich im April
2007 einen solchen Erlass? Das BVL bewertet die im ei-
genen Erlass zitierte Literatur kritisch und kommt zu
dem Schluss: Besondere Anforderungen hinsichtlich des
Risikomanagements von MON 810 bestehen aus Sicht
des BVL nicht.

Die „Welt“ berichtet darüber, das Bundesamt für Ver-
braucherschutz und Lebensmittelsicherheit habe den Er-
lass auf Weisung des Ministeriums herausgegeben. Herr
Minister Seehofer, es gab dafür keine Notwendigkeit.
Die Fachbehörde musste entgegen ihrer eigenen fachli-
chen Einschätzung nach Ihrer Pfeife tanzen. Das gab es
übrigens schon einmal, nämlich zu Künasts Zeiten.

Die vier Beispiele zeigen: EU-Kommissar Mandelson
hat recht. Wir brauchen eine bessere Debatte. Er mahnt
die Industrie, das Thema besser zu kommunizieren, und
er kritisiert die Mitgliedsländer, die Angst haben oder
nicht in der Lage sind, dieses Thema ihren Bürgerinnen
und Bürgern zu vermitteln.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Richtig!)


Die Bundesregierung wäre in der Lage, die Debatte
über Grüne Gentechnik besser zu gestalten. Aber sie will
es nicht. Minister Seehofer empfindet die sachliche Aus-
einandersetzung über die Gentechnik als störend für
seine Bewerbung um den Vorsitz der CSU.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Die „Welt“ schreibt hierzu:

Seehofer hat nicht geschworen, CSU-Chef zu wer-
den, sondern dem Wohl des Landes zu dienen.

Herr Minister, walten Sie Ihres Amtes!


(Beifall bei der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen,
Zweifel ernst nehmen heißt auch, Aufklärungsarbeit zu
leisten und nicht unbegründete Ängste zu verstärken.
Der Schutz von Mensch und Umwelt bei Freisetzungs-
versuchen ist in Deutschland gewährleistet. Daher ist der
Antrag überflüssig. Die Gendatenbank in Gatersleben ist
durch die Freisetzungsversuche mit gentechnisch verän-
derten Pflanzen in keiner Weise beeinträchtigt. Auch
dieser Antrag ist überflüssig.

Wir brauchen eine bessere Debatte, wie Mandelson
sie fordert. Aber dazu werden Partner gebraucht. Wer
sind diese Partner? Das können Unternehmen, Wissen-
schaftler, Institute der Ressortforschung und Wissen-
schaftsorganisationen sein. Verschiedene überregionale
Zeitungen engagieren sich. Der Bundesumweltminister,
der die Stärkekartoffel heute so und morgen so bewertet,
ist kein Partner für eine gute Debatte. Auch der Bundes-
landwirtschaftsminister, der sich vorrangig in populisti-
scher Weise um Stimmen in Bayern bemüht, ist kein
Partner. Die Regierung ist in ihrer Zerstrittenheit eben-
falls kein Partner und die Regierungskoalition – bis auf
einige wenige – auch nicht.

Ich fordere die Bundesregierung auf, endlich ihrer po-
litischen Führungsaufgabe gerecht zu werden und eine
sachliche Aufklärung über die vielfältigen, weltweit
nachgewiesenen großen Chancen der Grünen Gentech-
nik zu organisieren.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Paul Lehrieder [CDU/CSU])



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1610822900

Das Wort hat jetzt die Kollegin Elvira Drobinski-

Weiß von der SPD-Fraktion.


Elvira Drobinski-Weiß (SPD):
Rede ID: ID1610823000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr verehrte Zuschauerinnen und Zuschauer! Wir be-
schäftigen uns heute abschließend mit dem Antrag der
Grünen „Schutz von Mensch und Umwelt bei Freiset-
zungsexperimenten gewährleisten“. Ich möchte klarstel-
len, dass dieser Schutz nach wie vor unser oberstes Ziel
ist. Dennoch können wir das grundsätzliche Misstrauen
gegenüber Freisetzungsexperimenten und gegenüber den
gesetzlichen Regelungen, nach denen sie durchgeführt
werden, nicht teilen. Wir lehnen deshalb den Antrag ab.

Was wir aber durchaus kritisch sehen, ist der Anbau
von gentechnisch veränderten Pflanzen, die pharma-
zeutische Wirkstoffe produzieren. Der Bericht des Bü-
ros für Technikfolgenabschätzung hat deutlich gemacht,
dass Freisetzungen solcher Pflanzen generell stark risi-
kobehaftet sind. Arzneistoffe stellen uns im Falle eines
Austrags in die Umwelt vor völlig neue Probleme, denen
das derzeitige Zulassungsverfahren für GVO-Pflanzen
bzw. Risikobewertung und Risikomanagement nicht ge-
recht werden.

Hinzu kommt, dass das Risiko solcher Freisetzungen
im Missverhältnis zum Nutzen steht; denn bei Arznei-
mitteln ist schließlich eine höchst genaue Dosierung er-






(A) (C)



(B) (D)


Elvira Drobinski-Weiß
forderlich. Diese Grundvoraussetzung für die Wirksam-
keit ist bei den sogenannten PMPs nicht gegeben. Das
haben wir auch im Ausschussbericht kritisch angemerkt
und eine Risiken-Nutzen-Analyse gefordert. Wir werden
auf den Prüfstand stellen müssen, ob und wie die rechtli-
chen Grundlagen und die Sicherheitsmaßnahmen sol-
chen neuen Anforderungen Rechnung tragen können.

Die Empfehlung des Sachverständigenrates für Um-
weltfragen, dass solche transgenen Pflanzen nur in ge-
schlossenen Systemen und unter kontrollierten Bedin-
gungen eingesetzt werden sollten, muss ernst genommen
werden, wenn man dem Vorsorgegrundsatz entsprechen
will. Dazu haben wir uns im Koalitionsvertrag verpflich-
tet.

Auch in Zukunft werden wir im Bereich Grüne Gen-
technik mit immer neuen Fragestellungen konfrontiert
werden. Dazu gehört zum Beispiel der Klimawandel mit
seinen Auswirkungen auf die Risikoabschätzung. Ein
aktuelles Beispiel dafür findet sich in Nordrhein-Westfa-
len. Dort werden auf einer Freisetzungsfläche am Stand-
ort Werne schon seit mehreren Jahren Freisetzungen
mit der Monsanto-Maissorte NK 603 durchgeführt.
Einem Bericht der Umweltverwaltung des Regierungs-
bezirks Arnsberg ist zu entnehmen, dass es dort auf-
grund des milden Winters erstmalig zu Durchwuchsmais
aus dem Vorjahr gekommen ist, und zwar – ich zitiere –
„in erheblichem Umfang“. In dem Schreiben vom
21. Juni 2007 an das Umweltministerium von Nord-
rhein-Westfalen wird die Befürchtung geäußert, dass
diese Problematik auch an anderen Maisfreisetzungs-
standorten im gesamten Bundesgebiet von Bedeutung
sein kann. Das birgt – wenn keine Gegenmaßnahmen ge-
troffen werden – Risiken für die Koexistenz mit konven-
tionellem und ökologischem Anbau in der Umgebung.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


In Werne wird der Durchwuchsmais derzeit auf der ge-
samten Fläche aufwendig von Hand entfernt. Ob weitere
Standorte betroffen sind, ist derzeit noch nicht bekannt.

Insgesamt aber macht dieses Beispiel die Schwierig-
keiten der Risikoabschätzung deutlich. Die Bedingungen
für den Einsatz der Grünen Gentechnik werden durch
viele Faktoren, auch durch den Klimawandel, beein-
flusst. Milde Winter, starke Stürme, extreme Regenfälle –
der Klimawandel ist zwar in aller Munde, findet aber
bisher wenig Berücksichtigung bei der Sicherheitsbe-
wertung von GVO. Deshalb tun Vorsorge und voraus-
schauende Regelungen beim Umgang mit der Gentech-
nik not.

Wer diese Einschätzung teilt, befindet sich in sehr gu-
ter Gesellschaft. Ich zitiere:

Oberstes Ziel des deutschen Gentechnikrechts muss
der Schutz von Mensch und Umwelt bleiben. Wenn
sich Landwirte für die Grüne Gentechnik entschei-
den, darf das keine Nachteile für die Verbraucher
oder die Landwirte in der Nachbarschaft haben,

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


die sich gegen diese Technik entschieden haben.
Die Wahlfreiheit der Verbraucher und die Koexis-
tenz der unterschiedlichen Bewirtschaftungsformen
müssen gewährleistet bleiben. Hier sehe ich immer
noch ungeklärte Fragen. Die Grundvoraussetzung
für glaubwürdige Wahlfreiheit ist Transparenz: Alle
Betroffenen – Landwirte wie Verbraucher – haben
ein berechtigtes Interesse daran, umfassend infor-
miert zu werden, wenn sie es mit gentechnisch ver-
änderten Pflanzen oder den daraus gewonnenen
Produkten zu tun bekommen. Und schließlich soll-
ten wir in diesem Zusammenhang auch ein beson-
deres Augenmerk auf die möglichen Folgen rich-
ten, die sich aus einer marktbeherrschenden
Stellung einzelner Saatgutunternehmen ergeben
können.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist ein Auszug
aus der Rede des Bundespräsidenten Horst Köhler vom
28. Juni anlässlich des Deutschen Bauerntags in Bam-
berg. Ich kann mich diesen Ausführungen nur anschlie-
ßen; ich denke, Sie auch.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1610823100

Das Wort hat jetzt die Kollegin Eva Bulling-Schröter

von der Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1610823200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In

der letzten Woche reiste der Bund Naturschutz mit Ini-
tiativen, die der Gentechnik sehr kritisch gegenüberste-
hen, durch die deutschen Lande und hat Podiumsdis-
kussionen an den jeweiligen Standorten der wichtigen
Politikerinnen und Politiker der Koalition – also denjeni-
gen, die entscheiden und mitreden – initiiert. Auch in un-
serem Wahlkreis, Herr Seehofer, also in Ingolstadt, gab
es eine solche Podiumsdiskussion. Leider hatten Sie
keine Zeit, was ich sehr schade fand.


(Horst Seehofer [CDU/CSU]: Für wen?)


– Natürlich für alle. – Die Diskussion, an der unter ande-
rem Bienenzüchter und Biobauern teilnahmen, zeigte
noch einmal, dass viele Mitbürgerinnen und Mitbürger
der Grünen Gentechnik sehr kritisch gegenüberstehen.
Im „Donaukurier“ gab es dann einen Artikel mit der
Überschrift „Gentechnik und Seehofer in der Kritik“.
Auf dem Bild zu diesem Artikel sieht man einen Imker,
der schreibt: Koexistenz – wir fliegen 14 km2. Was da-
mit gemeint ist, wissen wir.

Herr Seehofer, ich rate Ihnen: Nehmen Sie die Kritik
ernst. Es waren sehr viele Leute da, die sich sehr interes-
siert gezeigt haben. Es waren nicht nur unsere Wähler






(A) (C)



(B) (D)


Eva Bulling-Schröter
oder die der Grünen anwesend, sondern auch Ihre Wäh-
ler. Ihre Wähler erwarten etwas.

Ingolstadt hat sich nicht ohne Grund zur gentechnik-
freien Zone erklärt, übrigens mit der Mehrheit der CSU.
In Bayern gibt es immer mehr gentechnikfreie Zonen.
Die Bevölkerung sieht, dass die Gentechnik große Ge-
fahren birgt. Diese Risiken will sie natürlich nicht einge-
hen.

Hier ist gesagt worden, Horst Seehofer habe sich mit
relevanten Gruppen befasst. Das stimmt. Er hat auch mit
dem Abt von Plankstetten diskutiert, der jetzt der Bi-
schof von Eichstätt ist. Auch er ist der Meinung, dass
das Gentechnikgesetz nicht liberalisiert werden darf. Ich
meine, Horst Seehofer sollte sich diese Kritik zu Herzen
nehmen und dem Herrn Bischof endlich Folge leisten.


(Beifall bei der LINKEN – Manfred Grund [CDU/CSU]: Ihr beklatscht aber auch alles, oder? – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Ihr greift aber nach jedem! Da kennt ihr nichts!)


Es wurde auch über die Frage diskutiert, wie sich die
SPD entscheiden würde. Die Kolleginnen und Kollegen
aus den Naturschutzverbänden und viele kritische Bür-
gerinnen und Bürger haben mir den Auftrag gegeben, Ih-
nen noch einmal zu sagen: Bleiben Sie standhaft, setzen
Sie sich für eine gentechnikfreie Landschaft, für eine
wirkliche Wahlfreiheit und für Transparenz ein. Dafür
hätten Sie eine Mehrheit im Deutschen Bundestag. Auch
die Mehrheit der Verbraucherinnen und Verbraucher
würde hinter Ihnen stehen.

Zu den Anträgen der Grünen möchte ich sagen: Wir
können allen Anträgen zustimmen. Wir unterstützen
diese Anträge.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Herzlichen Glückwunsch!)


Die Bevölkerung fragt sich, warum Freisetzungsver-
suche gemacht werden sollen, warum ein solches Risiko
überhaupt eingegangen werden soll. Sie wissen, was al-
les schiefgehen kann. Was schiefgehen kann, zeigte uns
im letzten Jahr der Reis LL 601, der in den USA auf Ver-
suchsfeldern angebaut und in die ganze Welt verschleppt
wurde. Es gab Rückrufaktionen.

So etwas wollen wir nicht. Wir wollen eine vernünf-
tige Haftung. Überall gilt: Wer den Schaden verursacht
hat, muss auch dafür haften. Warum soll das beim Anbau
gentechnisch veränderter Pflanzen nicht gelten? Das ist
für mich überhaupt keine Frage. Wir wollen eine ver-
nünftige Abstandsregelung. Über die Koexistenz werden
breite Diskussionen geführt.

Herr Seehofer, die Mehrheit der Bevölkerung will
diese Gentechnik nicht. Wir wollen gesunde Nahrungs-
mittel. Bitte berücksichtigen Sie, was die Bevölkerung
wirklich will, und handeln Sie entsprechend.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1610823300

Das Wort hat jetzt die Kollegin Ulrike Höfken von

Bündnis 90/Die Grünen.


Ulrike Höfken-Deipenbrock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1610823400

Sehr geehrtes Präsidium! Liebe Kolleginnen und Kol-

legen! Ich glaube eigentlich nicht, dass der Kollege
Dr. Lehmer bewusst die Unwahrheit sagt. Vielleicht soll-
ten Sie aber eine kritischere Distanz zu dem haben, was
man Ihnen aufschreibt. Sie haben gesagt, Frau Künast
habe keine Abstandsregeln vorgelegt, aber Sie hätten
eine Abstandsregel geschaffen – das sei gute fachliche
Praxis –, nach der der Abstand 150 Meter betragen
muss.


(Peter Bleser [CDU/CSU]: Vorgelegt!)


Herr Dr. Lehmer und sehr geehrte Kollegen von der
CDU/CSU, ich muss Sie – auch Frau Happach-Kasan
hat das getan – darauf hinweisen: Dieses Gesetz gibt es
überhaupt noch nicht. Es gibt überhaupt keine Regeln
für den Abstand. Im Gegensatz zu Rot-Grün haben Sie
aber den kommerziellen Anbau von MON 810 zugelas-
sen. Das heißt, Sie haben etwas zugelassen, aber keine
rechtlichen Grundlagen dafür geschaffen, was gute fach-
liche Praxis wäre. Das ist ein Unding.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie müssen sich gefallen lassen, dass man die Qualität
Ihrer Politik an Ihren Aussagen misst:

Auch die Forschung erfolgt immer nach dem obers-
ten Prinzip des Schutzes von Mensch und Umwelt.
Hier werden keine, auch nicht die geringsten Risi-
ken von Mensch und Umwelt eingegangen.

Rede von Horst Seehofer im Deutschen Bundestag am
28. Februar dieses Jahres.

Heute muss man deutlich sagen, dass die Forschung
von der Gentechnikindustrie aufgrund der Genehmi-
gungspraxis als trojanisches Pferd instrumentalisiert
werden kann.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Was derzeit an Experimenten mit gentechnisch verän-
derten Pflanzen genehmigt wird, ist ein Affront gegen
Umwelt- und Verbraucherschutz. Erwähnt wurden schon
die Pharmaerbsen in der Genbank in Gatersleben, die
Pharmakartoffeln an der Uni Rostock und Experimente
mit gentechnisch veränderten Pflanzen mitten in Natur-
schutzgebieten. Die Einwände der Bürger und Bürgerin-
nen werden einfach vom Tisch gewischt, und Umwelt-
minister Gabriel befindet sich offensichtlich im
Tiefschlaf.


(René Röspel [SPD]: Herr Gabriel schläft nie!)


Auskreuzungen aus diesen Experimenten mit
Pharmapflanzen, die die Kollegin Drobinski-Weiß
schon erwähnt hat, gelangen in unsere Lebensmittel und
gefährden Gesundheit und Umwelt. Die kontaminierten
Lebensmittel sind nicht mehr verkehrsfähig. Wirtschaft-
licher Schaden droht in erheblichem Ausmaß. Das hat
zum Beispiel der Skandal um den Genreis, der ja auch






(A) (C)



(B) (D)


Ulrike Höfken
aus einem Forschungsfeld in den USA hervorgegangen
ist, gezeigt. Dieses Experiment von Bayer/Aventis hat
einen Schaden in Höhe von weit mehr als 10 Millionen
Euro verursacht. Wo sitzen Sie da? Wer von Ihnen über-
nimmt dafür die Haftung? In den USA sagt man inzwi-
schen, dass es allein durch diesen Fall Folgeschäden in
Höhe von über 100 Millionen gibt. Wir haben zahlreiche
Hinweise darauf und Beweise dafür, dass aus diesen
Freisetzungsexperimenten immer wieder Auskreuzun-
gen vonstatten gehen, die Sie nicht im Mindesten beherr-
schen können und die Industrie ganz offensichtlich auch
nicht.


(Peter Bleser [CDU/CSU]: Das haben Sie doch auch gemacht!)


Statt eine solche Gefährdung zu unterbinden, fordert
die Industrie nun die Legalisierung solcher Verseuchun-
gen gegen geltendes EU-Recht, und Sie klatschen auch
noch Beifall. Bis an den Rand der Legalität reizt das
BVL die Grenzen des Gentechnikgesetzes aus, zum
Beispiel mit der Genehmigung von Amflora. Inzwischen
ist das Gentechnikgesetz 17 Jahre alt. Bisher ist noch
niemand auf die Idee gekommen, eine 155 Hektar große
Fläche als Experimentierfeld zu bezeichnen. Jetzt wird
der Zweck eines Forschungsexperimentes auch noch so
umdefiniert, dass es nicht mehr der Forschung, ge-
schweige denn der biologischen Sicherheitsforschung
dient, sondern rein kommerziellen Zwecken: damit die
BASF für die nächste Saison Kartoffelpflanzmaterial ge-
winnen kann.

Sie haben also Ansätze und Anlass, das Gentechnik-
gesetz zu verbessern – nicht in dem Sinne, wie Sie es in
den Eckpunkten gemacht haben, sondern tatsächlich.
Wir fordern die Bundesregierung in unserem Antrag vor
allem auf, derartige Freisetzungsexperimente gemäß den
Vorschlägen des TAB zu unterbinden. Wir fordern, dass
gentechnisch veränderte Pflanzen, die pharmazeutische
Wirkstoffe produzieren, nicht in die Umwelt freigesetzt
werden dürfen. Experimente mit gentechnisch veränder-
ten Organismen, die keine Zulassung als Lebensmittel
haben, dürfen grundsätzlich nicht ungeschützt im Frei-
land stattfinden, siehe Imker, die genau dieses Problem
haben. Die Klagen zeigen auf, dass es Rechtslücken und
Handlungsbedarf gibt. Es muss eine Datenbank einge-
richtet werden, in der die Referenzmaterialien und Nach-
weismethoden hinterlegt werden, damit Kontaminatio-
nen überhaupt entdeckt werden können. Stoppen Sie
diese Genexperimente in Gatersleben! Denn auch wenn
der Forschungsleiter dies gerne hätte, übernimmt er
nicht die persönliche Haftung.

Es muss sichergestellt werden, dass Wissenschaftler
nicht an Forschungsprojekten beteiligt sind, die sie spä-
ter im Rahmen der Zulassung begutachten. Generell
sollte die Unabhängigkeit dieser Wissenschaftler ge-
währleistet werden. Denn ich denke, wir sind inzwischen
in einer Situation, in der die Freiheit der Forschung auf
diesem Gebiet kaum noch gegeben ist.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1610823500

Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat

das Wort der Kollege René Röspel von der SPD-Frak-
tion.


René Röspel (SPD):
Rede ID: ID1610823600

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Ich habe, wie sicherlich viele andere auch, den
TAB-Bericht, also den Bericht des Büros für Technik-
folgenabschätzung beim Deutschen Bundestag, zu trans-
genen Pflanzen der 2. und 3. Generation, also gentech-
nisch veränderter Pflanzen, mit Interesse gelesen und
muss sagen: Die Autorinnen und Autoren haben eine
vernünftige Analyse abgeliefert. Sie ist in vielen Fällen
gut begründet und nachvollziehbar.

Viele dieser Forderungen sind ja in den grünen An-
trag aufgenommen worden. Deswegen kann ich ihn an
diesen Stellen inhaltlich gar nicht ablehnen. Die Forde-
rung, dass zum Beispiel gentechnisch veränderte Pflan-
zen, die pharmazeutische Wirkstoffe, also fast Arznei-
mittel oder Arzneimittel, enthalten oder produzieren,
nicht freigesetzt werden sollen, entspricht der TAB-For-
derung, dass so etwas erst im geschlossenen System, das
heißt im Glashaus, stattfinden sollte. Dies ist anders als
bei der normalen Pharmaproduktion. Wer je in einem
Pharmabetrieb war, weiß, dass dort absolut standardi-
sierte, kontrollierbare, nachvollziehbare und unveränder-
liche Produktionsbedingungen herrschen müssen, damit
eine Reinheit und absolute Qualität des Produkts ge-
währleistet sind.

Anders sieht es auf einem normalen Feld aus. Jeder
Gärtner und jede Landwirtin weiß: Je nach Wetter, Nie-
derschlagsmenge, Trockenheit, Bodenbeschaffenheit,
Klima, Sturm und anderen klimatischen Bedingungen
bekommt man kleine oder große bzw. saure oder süße
Äpfel und eine gute oder eine schlechte Ernte. Die äuße-
ren Bedingungen sind nicht kontrollierbar und nicht vom
Menschen beeinflussbar. Welche Folgen es hat, wenn
man sensible Stoffe innerhalb von gentechnisch verän-
derten Pflanzen ausbringt, steht noch in den Sternen
bzw. ist zumindest nicht eindeutig belegt.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist purer Unsinn! Das muss man mal ganz klar sagen!)


Im Jahr 2007, also in diesem Jahr, ist eine Studie von
Nguyen und Jehle erschienen. Beide Autoren haben ei-
nige Felder mit gentechnisch veränderten Pflanzen bzw.
mit BT-Mais untersucht. Diese Pflanzen haben selbst In-
sektengift produziert. Selbst bei Pflanzen, die sich auf
demselben Acker befanden, haben sie völlig unter-
schiedliche Konzentrationen des Insektengiftes festge-
stellt.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch ganz normal!)


Das ist durch die Ergebnisse der jüngsten von Green-
peace finanzierten Studie bestätigt worden. Man kann
diese Studie befürworten oder ablehnen. Auf jeden Fall
aber war sie viel breiter angelegt, was die Zahl der Pro-
ben angeht, und sie war, wie ich glaube, wissenschaftlich
deutlich fundierter. In dieser Studie zeigen sich eklatante






(A) (C)



(B) (D)


René Röspel
Unterschiede zwischen den einzelnen Pflanzen, sogar
bis zu hundertfache Unterschiede in der Konzentration
des produzierten Insektengiftes.

Das kann man auf unterschiedliche klimatische Ver-
hältnisse, unterschiedliche Bodenverhältnisse oder sons-
tige Gründe zurückführen. Dafür kann man aber auch
die unterschiedliche Beschaffenheit der Pflanzen verant-
wortlich machen. Das Problem ist schlicht und einfach
– ich war sehr überrascht, dass ich, als ich dieser Frage
nachging, zu diesem Ergebnis kam –, dass es keine har-
monisierten und standardisierten Methoden zur Bewer-
tung gentechnisch veränderter Pflanzen gibt.

Das erste Beispiel, das ich anführen möchte, ist der
berühmte MON 863. Dabei handelt es sich um gentech-
nisch veränderten Mais, der für seine Zulassung an Rat-
ten verfüttert worden ist. Der Hersteller Monsanto sagte,
dass kein Risiko bestehe. Das ist von der zuständigen eu-
ropäischen Behörde zunächst bestätigt worden. Dann
gab es eine Studie französischer Forscher, die dieselben
Daten genau untersucht und große Unterschiede festge-
stellt haben, die ich persönlich beim Lesen der Veröf-
fentlichung habe nachvollziehen können. Wenn solch
große Unterschiede und Abweichungen zwischen den
einzelnen Ratten und den Kontrollgruppen als normal
angesehen werden – sie waren sehr deutlich –, dann
muss man sich fragen, warum Tierversuche überhaupt
durchgeführt werden.

Die EFSA, die Europäische Behörde für Lebens-
mittelsicherheit, hat das Ganze erneut analysiert und sagt
jetzt, dass es keine Probleme gibt und dass kein Risiko
besteht. Es existieren also unterschiedliche Bewertungs-
methoden, die nicht standardisiert sind.

Das zweite Beispiel – es ist heute schon angeführt
worden – ist die gentechnisch veränderte Kartoffel Am-
flora. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicher-
heit sagt, dass sie ungefährlich ist. Die Europäische Arz-
neimittelagentur hingegen hält Teile dieser Kartoffel für
bedenklich, schlicht und einfach, weil sie Antibiotika-
resistenzgene enthält, die zumindest problematisch sein
könnten.


(Dr. Christel Happach-Kasan [FDP]: Nein! Als Stärkemittel kann man sie benutzen!)


Es fehlen also eindeutige und standardisierte Bewer-
tungsmethoden. Deswegen können wir keine wissen-
schaftlich fundierte und politisch vernünftige Antwort
auf die Frage nach dem Risiko geben.

Dass wir mit dieser Einschätzung nicht allein sind,
wird an verschiedenen Stellungnahmen deutlich, in de-
nen die Forderung aufgestellt wurde, endlich solche
Standards zu entwickeln. So fordert der Verein Deut-
scher Ingenieure, sicherlich nicht für seine Radikalität
bekannt, in seinen Richtlinien zur Beachtung der ökolo-
gischen Auswirkungen von gentechnisch veränderten
Organismen ein standardisiertes Vorgehen zur Vergleich-
barkeit durch mehrere Institutionen über Ländergrenzen
hinweg.

Im VDI-Handbuch Biotechnologie Band 1 vom Okto-
ber 2006 heißt es:
Die Dokumentation der Messgrößen, Erhebungs-
intervalle und Erhebungsorte muss standardisiert
werden und in einer idealerweise zentralen Meter-
datenbank erfolgen.

Vor diesem Hintergrund halte ich zumindest die Freiset-
zung dieser Pflanzen für problematisch. Wir Sozialde-
mokraten werden uns weiter dafür einsetzen, dass der
Schutz der Verbraucher und die Koexistenz in Deutsch-
land möglich sind.

Herr Präsident, erlauben Sie mir, zum Schluss eine
persönliche Bemerkung an den Kollegen Dr. Patziorek
zu richten, und zwar nicht nur von Westfale zu Westfale
und von Schalker zu Schalker:


(Ursula Heinen [CDU/CSU]: Ach du dickes Ei!)


Ich habe unsere Zusammenarbeit in den letzten Jahren
trotz aller inhaltlichen Unterschiede als sehr angenehm
und fair empfunden und wünsche Ihnen für Ihr neues
Amt als Regierungspräsident im schönen Münster alles
Gute und eine glückliche Hand.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1610823700

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
cherschutz zu dem Antrag der Fraktion des Bündnis-
ses 90/Die Grünen mit dem Titel „Schutz von Mensch
und Umwelt bei Freisetzungsexperimenten gewährleis-
ten“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 16/5755, den Antrag der Fraktion
des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/4556
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist damit mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen und der FDP-Fraktion gegen die
Stimmen der Fraktion Die Linke und des Bündnisses 90/
Die Grünen angenommen.

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernäh-
rung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu dem An-
trag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen mit dem
Titel „Keine Freisetzung von gentechnisch veränderten
Pflanzen auf dem Gelände des Instituts für Pflanzenge-
netik und Kulturpflanzenforschung in Gatersleben“. Der
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/5893, den Antrag der Fraktion des Bünd-
nisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/4904 abzu-
lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-
fehlung ist mit den Stimmen Koalitionsfraktionen und
der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
zur Neuregelung des Rechts der Verbraucher-
information

– Drucksache 16/5723 –

Zweite und dritte Beratung des von Fraktionen
der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der
Verbraucherinformation

– Drucksache 16/5404 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
cherschutz (10. Ausschuss)


– Drucksache 16/5928 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Ursula Heinen
Elvira Drobinski-Weiß
Hans-Michael Goldmann
Karin Binder
Ulrike Höfken

Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen je
ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP, der
Fraktion Die Linke und der Fraktion des Bündnisses 90/
Die Grünen vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Kein Wi-
derspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red-
nerin das Wort der Kollegin Ursula Heinen von der
CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ursula Heinen (CDU):
Rede ID: ID1610823800

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir verabschieden
heute sozusagen zum zweiten Mal in zweiter und dritter
Lesung das Verbraucherinformationsgesetz. Ich habe ein
klein bisschen das Gefühl, es handelt sich hier um eine,
ich will einmal sagen, Neverending Story, Julia,


(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Das kann man auf Deutsch sagen!)


um eine Geschichte, die nicht zu einem Ende kommt.
Aber wir sind vorsichtig optimistisch, dass wir mit dem
jetzigen Verbraucherinformationsgesetz einen guten
Schritt machen zu mehr Information für die Verbrauche-
rinnen und Verbraucher.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Vor fast genau einem Jahr, am 29. Juni 2006, haben
wir dieses Gesetz schon einmal verabschiedet. Der Bun-
despräsident hatte formale Einwendungen, was die
Übertragung von Aufgaben vom Bund auf Länder und
Kommunen anging – das ist seit der Föderalismusreform
in dieser Form nicht mehr möglich. Das Gesetz ist jetzt
in einem langen Prozess so verändert worden, dass es
jetzt die Möglichkeit gibt, dass die Länder ihre Aufgabe,
an die Verbraucherinnen und Verbraucher weiterzuge-
ben, auf die Lebensmittelüberwachungsbehörden der
Kommunen übertragen.

Als es um die Überarbeitung des Verbraucherinfor-
mationsgesetzes ging, gab es eine ganze Reihe neuer Be-
gehrlichkeiten und neuer Ideen, haben die Leute gesagt:
Nutzen wir dies und machen wir das Gesetz noch einmal
ganz neu! – Wir haben uns in der Koalition dagegen ent-
schieden, dieses Gesetz komplett neu zu machen, aus
dem einfachen Grund, dass es jetzt an der Zeit ist, dass
gehandelt wird, damit die Verbraucherinnen und Ver-
braucher wenigstens zum 1. Januar des nächsten Jahres
Zugang zu Informationen über Lebensmittel bekommen,
und damit es jetzt keine neue Anhörungen, neue Diskus-
sionsrunden, neue Arbeitskreise etc. gibt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir hatten schon im vergangenen Jahr einen Ent-
schließungsantrag verabschiedet, der besagt, dass wir
das Gesetz zwei Jahre nach seinem Inkrafttreten evaluie-
ren wollen, um festzustellen, wie es in der Praxis funk-
tioniert. Wir in Deutschland haben ja außer vereinzelten
Informationsfreiheitsgesetzen der Länder, die sich auch
auf Lebensmittel beziehen, im Grunde keine Erfahrun-
gen mit einem solchen Gesetz; wir betreten also ein
Stück weit Neuland. Wir wollen natürlich auch sehen,
wie sich die Unternehmen weiter verhalten, ob sie von
sich aus Informationen über Produkte geben. Ich denke,
es ist jetzt vernünftiger, zwei Jahre der tatsächlichen An-
wendung nach dem Inkrafttreten abzuwarten und dann
im Lichte konkreter praktischer Erfahrungen zu sehen,
wo das Gesetz richtig funktioniert und wo man, was die
Unternehmen angeht, noch einmal etwas verändern
muss. Dazu brauchen wir aber zunächst diese praktische
Erfahrung.

Die Verbraucherinnen und Verbraucher erhalten mit
diesem Gesetz erstmals einen gesetzlich geregelten An-
spruch auf Zugang zu Informationen im Bereich des Le-
bens- und Futtermittelrechts, die bei den Behörden vor-
handen sind. Zu diesem Anwendungsbereich möchte
ich noch etwas sagen, weil in der Diskussion kritisch an-
gemerkt wurde, dass er viel zu kurz greife und noch viel
mehr Bereiche berücksichtigt werden müssten. Das Ge-
setz betrifft aber nicht nur den engeren Bereich der
Lebensmittel, sondern auch Kosmetika und Bedarfsge-
genstände wie Bekleidung, Spielwaren, Lebensmittel-
verpackungen, Schnuller, Bettwäsche, Putz- und Wasch-
mittel sowie alles, was mit der Haut oder den
Schleimhäuten tatsächlich in Berührung kommt. Es gibt
also einen sehr breiten Anwendungsbereich.


(Gerd Müller [CDU/CSU]: Das Gesetz ist richtig gut!)


Unter anderem aus Baden-Württemberg ist die Anregung
einer Ausweitung des Verbraucherinformationsgesetzes
auf andere problematische Sachgebiete – beispielsweise
die Geräte- und Produktsicherheit – gekommen. Wir wer-
den in den nächsten zwei Jahren erleben, wie die Ver-
braucherinnen und Verbraucher speziell zu diesen Berei-
chen Fragen haben werden. Dann werden wir schauen,
ob eine weitere Ausweitung überhaupt möglich ist,






(A) (C)



(B) (D)


Ursula Heinen
zumal das Produktsicherheitsgesetz und andere Verord-
nungen in diesem Bereich schon gelten und einen gewis-
sen Schutz für die Verbraucherinnen und Verbraucher
geben.

Ein zweiter sehr wichtiger Punkt, den wir mit diesem
Gesetz umsetzen, ist eine Verpflichtung, die wir nach
dem Gammelfleischskandal eingegangen sind: die Ver-
schärfung des § 40 des Lebensmittel- und Futtermit-
telgesetzbuches. Die Vorschrift ist im Hinblick auf die
Informationstätigkeit von Behörden zu verschärfen:
Wenn riskante Dinge geschehen, wenn gesundheitsge-
fährdende Produkte auf dem Markt sind, müssen die Na-
men von Produkten tatsächlich genannt werden können,
und die Behörden dürfen nicht wie in der Vergangenheit
Sorge haben müssen, dass sie, wenn sie einen Namen ge-
gebenenfalls zu früh herausgeben, sofort schadenersatz-
pflichtig sind. Ein süddeutsches Land hat damit einmal
sehr teure Erfahrungen gemacht. Auch dies ist eine ver-
nünftige Änderung.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich will noch einmal kurz auf den Bundesrat zu spre-
chen kommen, der in seiner ersten Beratung zum Ver-
braucherinformationsgesetz sehr fröhlich verschiedene
Änderungsanträge gestellt hat. Wir waren aber sehr froh
– nicht wahr, Elvira Drobinski-Weiß! –, in der Anhörung
zu hören, dass es sich eigentlich gar nicht um Ände-
rungsanträge handelt, sondern lediglich um – ich zitiere
den Vertreter des Landes Nordrhein-Westfalen – „Anre-
gungen“ für den Bundesgesetzgeber, die man in der Dis-
kussion vielleicht berücksichtigen kann. Dass der Bun-
desrat das tatsächlich nur als Anregungen betrachtet hat,
sah man schon daran, dass der einzige Änderungsantrag,
der aus diesem Gesetz ein durch die Länderkammer zu-
stimmungspflichtiges Gesetz gemacht hätte, von den
Bundesländern abgelehnt worden ist. Letztlich wollten
also auch die Bundesländer, dass wir dieses Gesetz
schnell zu einem guten Ende bringen.

Lassen Sie uns dieses Gesetz in diesem Sinne heute
mit einer überwältigenden Mehrheit – davon gehe ich
aus, wenn ich die Kolleginnen und Kollegen hier sehe –
in zweiter und dritter Lesung verabschieden. Es ist dann
wieder einmal ein guter Tag für die Verbraucherinnen
und Verbraucher in Deutschland, weil sie bessere Infor-
mationen bekommen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1610823900

Das Wort hat jetzt der Kollege Hans-Michael

Goldmann von der FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Hans-Michael Goldmann (FDP):
Rede ID: ID1610824000

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! In einem Punkt hat Frau Heinen sicherlich
recht: Es war ein weiter Weg, bis wir nun zu einer Geset-
zesverabschiedung kommen.

(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Bis Frau Künast abgebrochen hat!)


Aber dieses Gesetz hat den Namen nicht verdient, den es
als Überschrift trägt.


(Ursula Heinen [CDU/CSU]: Ihr wolltet doch gar keines!)


– So kann man sich vertun, wenn man nicht richtig zu-
hört, Frau Heinen. Wir haben im Vermittlungsausschuss
und in anderen Gremien mehrere Male zusammengeses-
sen. Sie können doch nicht ernsthaft behaupten, dass wir
kein Gesetz wollten. Wir wollten nur ein Gesetz mit
Qualität.


(Marianne Schieder [SPD]: Sie wollten kein Verbraucherinformationsgesetz!)


Wir wollten ein Gesetz, das auf eine wesentlich breitere
Basis gestellt wurde.

Sie haben es selbst angesprochen: Aus den Ländern
kommt schon der Vorwurf des Etikettenschwindels. Wir
müssen doch ganz ehrlich sein: Mit diesem Entwurf ei-
nes Verbraucherinformationsgesetzes bezieht sich im
Kern einzig und allein auf den Bereich der Lebensmittel.
Die ganzen Bereiche der Dienstleistungen, der techni-
schen Produkte, der Chemikalien und der Werkzeuge
werden durch diesen Gesetzentwurf nicht berücksichtigt.
Deswegen steht dieser Gesetzentwurf auf schwachen
Beinen. Das wissen alle, die sich mit diesem Gesetzent-
wurf intensiv beschäftigen.

Der enge Anwendungsbereich dieses Gesetzes
bringt ein weiteres Problem mit sich: Er kommt nämlich
in Konflikt mit den bereits vorhandenen gesetzlich ver-
ankerten Rechten auf Informationszugang. Liebe Frau
Heinen, Sie waren bei der Anhörung auch dabei. Der
Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informa-
tionsfreiheit, Herr Peter Schaar, hat deutlich gesagt, dass
der wichtige Bereich des freien Informationszugangs für
die Betroffenen immer komplexer und intransparenter
wird. Er hat gefragt, ob ein solches Gesetz ein gutes Ge-
setz wäre. Ich will die Antwort geben. Sie muss lauten:
Nein, es wäre ein schlechtes Gesetz.


(Beifall bei der FDP – Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Das hat er aber nicht gesagt, Herr Goldmann!)


Hinsichtlich des Informationszugangs – das wissen
Sie auch – droht dem Verbraucher durch das Verbraucher-
informationsgesetz eindeutig ein Rückschritt. In dem
Gesetzentwurf stehen nämlich mindestens 15 verschie-
dene Gründe, aus denen die Auskunft seitens der Be-
hörde verweigert werden kann.


(Dr. Werner Hoyer [FDP]: So ist es!)


Das heißt, wenn der Verbraucher bei der Behörde nach-
fragt, wird er demnächst eine Überraschung erleben. Er
wird nämlich an sehr vielen Stellen überhaupt keine Ver-
braucherinformationen bekommen. Auch das ist ein wei-
terer gravierender Mangel des Gesetzentwurfes.

Es kommt noch etwas anderes hinzu: Im Gesetzent-
wurf gibt es auch eine erhebliche Unklarheit, und zwar






(A) (C)



(B) (D)


Hans-Michael Goldmann
dahin gehend, was eigentlich ein Betriebsgeheimnis ist.
Ich verstehe nicht, warum Sie nicht daraus gelernt ha-
ben, wie die Dinge im Informationsfreiheitsgesetz defi-
niert sind. Darin steht: Ein Betriebsgeheimnis ist ein Be-
triebsgeheimnis. – In diesem Gesetzentwurf steht aber,
dass auch Dinge, die einem Betriebsgeheimnis ähnlich
sind, von einem Unternehmen als Betriebsgeheimnis de-
finiert werden können. Der Begriff des Betriebsgeheim-
nisses ist rechtlich völlig klar und abgegrenzt. Durch die
Formulierung, die Sie in diesen Gesetzentwurf hineinge-
schrieben haben, weiten Sie diesen Begriff unzulässig
aus. Auch das wird dazu führen, dass der Verbraucher,
wenn er seine Informationsrechte in Anspruch nehmen
will, überrascht sein wird.


(Peter Bleser [CDU/CSU]: Gilt doch nicht bei Verstößen!)


Deswegen bin ich der Meinung, dass der Gesetzentwurf
auch an dieser Stelle nicht sehr glücklich formuliert
wurde.


(Beifall bei der FDP)


Es gibt ein weiteres Problem, das uns auch bekannt
ist. Wir haben in der Anhörung davon gehört. Diejeni-
gen, die Erfahrung mit dem Informationsfreiheitsgesetz
gemacht haben – in den einzelnen Bundesländern gibt es
im Grunde genommen schon Verbraucherinformations-
gesetze –, kennen das auch. Das Problem lautet, wie kos-
tenträchtig der Informationsanspruch des Bürgers ist.
Auch hierzu ist die Forderung ganz eindeutig: Es muss
auch für finanzschwächere Bürgerinnen und Bürger
möglich sein, diesen Informationsanspruch für sich gel-
tend zu machen.

Das ist in Ihrem Gesetzentwurf aber nicht vorgese-
hen, sondern in Ihrem Gesetzentwurf steht im Grunde
genommen, dass die Kosten, die entstehen und die der
Verbraucher zu tragen hat, abgedeckt werden müssen.
Das wird dazu führen, dass sich sehr viele Verbraucher
– ganz normale Menschen – die Durchsetzung dieses
Informationsanspruches nicht leisten können und dass
dieser Informationsanspruch im Grunde genommen für
Verbände und Organisationen eingeführt wird, die mög-
licherweise auch andere Interessen haben. Das muss
man ganz deutlich sagen: Diese möchten sich möglicher-
weise Informationen verschaffen, um sie in einer Wett-
bewerbssituation mit anderen Anbietern zum Nachteil
von diesen zu nutzen. Ich finde, das ist ein wirklich gra-
vierender Mangel dieses Gesetzentwurfes.


(Beifall bei der FDP – Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Das ist doch ein Horrorszenario! Das ist doch ein Killerargument!)


– Nein, das ist kein Killerargument. Das ist in Ihrem Ge-
setzentwurf so angelegt. Das wissen Sie auch. Deswegen
gab es ja auch die Anregung aus dem Bundesrat, in die-
sem Bereich Nachbesserungen vorzunehmen. Sie haben
diese in Ihren Gesetzentwurf schlicht nicht aufgenom-
men.

Wir haben uns die Mühe gemacht, diese Dinge, die
wir hier kritisieren, in einen meiner Meinung nach guten
Entschließungsantrag einzubringen. In ihm steht ganz
eindeutig: Wir brauchen eine Ausdehnung des Anwen-
dungsbereiches. Wir brauchen keine Verschlechterung
der Verbraucherrechte. Wir brauchen Kostenfreiheit für
Auskünfte im Bereich der Gefahren für Gesundheit und
Sicherheit des einzelnen Bürgers. Wir brauchen eine
Obergrenze bei den Gebühren.

Ich denke, wenn Sie diesen Dingen zustimmen wür-
den, dann könnte man aus diesem meiner Meinung nach
sehr schwachen Gesetzentwurf noch etwas machen. Das
werden Sie aber leider nicht tun. Sie beschließen heute
einen Gesetzentwurf, der weder Fisch noch Fleisch ist
und von dem Sie genau wissen, dass er von allen ernst-
zunehmenden Organisationen und Verbänden kritisiert
wird und viele enttäuschen wird. Das finde ich bedauer-
lich.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1610824100

Das Wort hat jetzt die Kollegin Elvira Drobinski-

Weiß von der SPD-Fraktion.


(Ursula Heinen [CDU/CSU]: Elvira, sag ihm, dass die Anhörung ein anderes Ergebnis gebracht hat!)



Elvira Drobinski-Weiß (SPD):
Rede ID: ID1610824200

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu unserem Entwurf
des VIG kann man in der Tat feststellen – Ulla Heinen
hat es schon gesagt; ich sage es noch einmal auf
Deutsch, Julia –: Endlich wird die unendliche Ge-
schichte beendet – jedenfalls vorläufig.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Julia Klöckner [CDU/CSU]: Wunderbar!)


Wir werden heute hoffentlich zum letzten Mal über
den vorliegenden Entwurf des Verbraucherinformations-
gesetzes reden. Aber die Geschichte hat auch eine Fort-
setzung. Wir werden wieder über das Thema reden,
wenn wir – wie beschlossen; Ulla Heinen hat schon da-
rauf hingewiesen – die in der Praxis mit dem Gesetz ge-
machten Erfahrungen auswerten.

Die SPD steht weiterhin für eine Ausweitung des In-
formationsanspruchs der Verbraucherinnen und Verbrau-
cher auch gegenüber den Unternehmen und die Einbe-
ziehung aller Produkte und Dienstleistungen.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das steht aber nicht im Gesetzentwurf!)


Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf ist ein sehr
wichtiger erster Schritt auf dem Weg zu mehr Transpa-
renz gemacht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – HansMichael Goldmann [FDP]: Aber nicht zu den Punkten, die wir gerade angesprochen haben!)


Das haben durchweg alle Experten einschließlich unse-
rer kritischsten Kritiker bei unserer Anhörung am
13. Juni bestätigt.






(A) (C)



(B) (D)


Elvira Drobinski-Weiß

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Da müssen Sie bei einer anderen Anhörung gewesen sein!)


– Sie haben aus der Anhörung den falschen Schluss ge-
zogen.

Verbraucherinnen und Verbraucher haben ein Recht
auf Information. Das VIG sieht hierbei deutliche Verbes-
serungen vor und verleiht den Interessen der Konsu-
menten mehr Gewicht. Die Behörden werden verpflich-
tet, die Öffentlichkeit bei Verstößen gegen das geltende
Lebensmittelrecht zu informieren. Das wurde auf Druck
der SPD mit einer Verschärfung der im Lebensmittel-
und Futtermittelgesetzbuch ursprünglich vorgesehenen
Kannregelung erreicht. Hier gilt jetzt eine Sollregelung.

Insgesamt werden die Pflichten und Möglichkeiten
der Behörden zur Information der Öffentlichkeit über
Missstände im Lebensmittel-, Futtermittel- und Bedarfs-
gegenständebereich ausgeweitet. Außerdem können sich
Verbraucherinnen und Verbraucher künftig selbst bei den
Behörden informieren, auch dann, wenn keine Rechts-
verstöße vorliegen. Das, denke ich, ist ein enormer
Schritt. Im Diskussionsprozess zu diesem Gesetzentwurf
haben wir stets Offenheit für Vorschläge signalisiert, die
die Ansprüche der Verbraucher stärken.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Unseren Antrag lehnen Sie aber ab!)


Die jüngst im Bundesrat geforderten Änderungen al-
lerdings sind wohl eher als Störfeuer zu werten, Ulla.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Nachher kassiert das wieder der Bundespräsident!)


Ich sehe das weniger als Anregung denn als ernstge-
meinte Vorschläge.

Der von Baden-Württemberg eingebrachte Vorschlag
– ich beziehe mich auf Verbraucherschutzminister
Hauk –, nach dem Unternehmen Auskunft über Namen
und Adressen der Nachfragenden erhalten können soll-
ten, kann nur der Abschreckung dienen. Verbraucher-
schutzminister Hauk setzt sich gerne öffentlich für mehr
Transparenz ein. Dieser Vorschlag macht aber, denke
ich, deutlich, dass es dabei eher um transparente Ver-
braucher für die Unternehmen als um Transparenz für
die Verbraucher zu gehen scheint.

Auch die Einschränkung des Informationsrechts bei
nicht mehr auf dem Markt befindlichen Produkten ist
nicht tragbar. Ein starkes Stück war, denke ich, auch der
Vorschlag von Sachsen, dass Auskünfte über Rechtsver-
stöße für Verbraucher kostenpflichtig sein sollen.

Solchen Verschlechterungen für die Verbraucherinnen
und Verbraucher erteilen wir eine klare Absage. Das
VIG muss endlich verabschiedet werden. Für uns ist die-
ses Gesetz ein wichtiger erster Schritt auf dem Weg zu
einem transparenten Markt.

Wir werden dafür sorgen, dass weitere Schritte fol-
gen. Das haben wir in unserem Entschließungsantrag
aufgezeigt, den wir bereits in der ersten Runde mit dem
Gesetzentwurf eingebracht haben. Wir wollen, dass auch
die Wirtschaft ihre Verantwortung gegenüber den Ver-
braucherinnen und Verbrauchern wahrnimmt und sie in-
formiert.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das tut sie doch!)


– Das tut sie eben nicht. –


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Natürlich!)


Denn bei den Unternehmen liegen alle Daten vor, die
eine bewusste Auswahl ermöglichen und eine eigenver-
antwortliche Marktteilnahme gewährleisten. Wir wollen
auf der Basis der Evaluierung die Aufnahme weiterer
Produkte und Dienstleistungen in den Geltungsbereich
des Gesetzes erreichen.

Der Entschließungsantrag sieht die Dokumentation
und Auswertung der Erfahrungen mit dem Gesetz vor.
Damit werden wir zum Beispiel beobachten können, ob
und, wenn ja, aus welchen Gründen Informationen ver-
weigert wurden, wie sich die Kosten entwickeln und wie
lange die Bearbeitung der Auskunftsanliegen dauert.
Wenn diese Auswertung Fehlentwicklungen offenbart,
werden wir mit gesetzlichen Maßnahmen gegensteuern.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Dazu werdet ihr keine Gelegenheit haben!)


Die Unternehmen sind aufgefordert, eigene Initiati-
ven zu ergreifen und Zugang zu den bei ihnen vorhande-
nen Informationen zu gewähren. Auch wenn sich der
Dachverband der deutschen Lebensmittelwirtschaft noch
sträubt, gibt es von zunehmend mehr Unternehmen
Signale der Bereitschaft; denn immer mehr wird dies
von seriösen Anbietern als Wettbewerbsvorteil erkannt.

Missstände auf dem Markt lassen sich nur durch
Transparenz und Rückverfolgbarkeit eindämmen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Der transparente Markt ist notwendig. Niemand wird
diese Entwicklung auf Dauer verhindern können. Wir er-
warten Vorschläge. Sollte sich die Wirtschaft hier nicht
bewegen, werden wir auf gesetzliche Maßnahmen drin-
gen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Dabei werden euch die Linken behilflich sein!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1610824300

Das Wort hat die Kollegin Karin Binder von der Frak-

tion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Karin Binder (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1610824400

Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem heutigen Tag
hätte die Große Koalition einen verbraucherpolitischen
Meilenstein setzen können. Ich betone: hätte. Denn der
Gesetzentwurf, den uns die Koalition hier zur Entschei-
dung vorlegt, ist höchstens ein Stolperstein. Dieses
Gesetz ist kein modernes Verbraucherinformationsge-






(A) (C)



(B) (D)


Karin Binder
setz, sondern ein Bürokratiebeschaffungsprogramm. Es
schreibt für die Informationsbeschaffung einen büro-
kratischen Aufwand fest, der für die Verbraucherinnen
und Verbraucher in keinem Verhältnis zum Ergebnis
steht. Wenn ich im Supermarkt wissen will, ob die Pa-
prika an der Gemüsetheke pestizidbelastet sind, dann
möchte ich nicht erst einen Antrag bei der örtlichen Le-
bensmittelkontrolle stellen.


(Peter Bleser [CDU/CSU]: Sondern?)


Das kann und soll der Händler mir bitte schön selber sa-
gen.


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Mündige Verbraucherinnen und Verbraucher müs-
sen Zugang zu den Informationen haben, der ihnen
die bewusste Auswahl von Produkten und Dienst-
leistungen ermöglichen und eine eigenverantwortli-
che Marktteilnahme gewährleistet.

Informationen sind am ehesten bei den Unterneh-
men selbst erhältlich. Verbraucherinnen und Ver-
braucher sollten daher die Möglichkeit des Zugangs
zu diesen Informationen bekommen. Dies gilt für
Lebensmittel, sonstige Produkte und Dienstleistun-
gen gleichermaßen.

Genauso ist es. Das ist auch meine Meinung. Aber das
sind nicht meine Worte. Diese Sätze stammen aus dem
Entschließungsantrag 16/2035, den uns die Kolleginnen
und Kollegen der Koalitionsfraktionen im letzten Jahr
vorgelegt haben.


(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner)


Warum haben Sie diese Erkenntnis aus dem Jahr 2006
nicht in dem neuen Gesetzentwurf umgesetzt? Mit unse-
rem Entschließungsantrag unterstützen wir diese Forde-
rungen sogar. Aber Sie haben die Entscheidung des Bun-
despräsidenten leider nicht als Chance genutzt, im
zweiten Anlauf einen besseren Gesetzentwurf vorzule-
gen.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Da hat sie leider recht!)


Sie legen uns jetzt wieder eine Ansammlung von politi-
schen Halbherzigkeiten, Schlupflöchern und Informa-
tionsbegrenzungen vor. Sie machen sich schon wieder
willfährig zum Anwalt von Wirtschaftsinteressen. Sie
ignorieren auch dieses Mal die zahlreichen und berech-
tigten Einwände von Verbraucherorganisationen und Da-
tenschützern.


(Beifall bei der LINKEN)


Ist das nun Halsstarrigkeit, Ignoranz oder Arroganz?


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt noch Hartz IV!)


Nicht nur wir wollen, dass die Verbraucherinnen und
Verbraucher die Informationen bekommen, die sie inte-
ressieren und die sie benötigen, ganz gleich, ob es sich
dabei um Lebensmittel, technische Geräte oder um Arz-
neimittel handelt oder ob jemand Informationen zu
Finanzdienstleistungen oder Pflegediensten braucht.
Selbstverständlich müssen die Informationen von dort
kommen, wo sie am leichtesten, am umfangreichsten
und nicht zuletzt am schnellsten verfügbar sind: von den
Unternehmern und den Dienstleistern direkt, und
zwar ohne Einschränkungen mit Hinweis auf vermeintli-
che Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse oder sonstige
wettbewerbsrelevante Informationen.

Verbraucherinnen und Verbraucher sollen eigenver-
antwortlich und selbstbestimmt ihre Entscheidungen
treffen können. Dazu müssen wir ihnen die Vorausset-
zungen schaffen. Ein Verbraucherinformationsgesetz,
das diesen Namen auch verdient, müsste deshalb ein um-
fassendes Recht auf Information absichern.


(Beifall bei der LINKEN)


Es müsste den kostenfreien Zugang zu Informationen si-
chern und die Interessen der Verbraucherinnen und Ver-
braucher gegenüber Wirtschaft und Verwaltung stärken.
Aber das tut der vorliegende Entwurf nicht. Deshalb
werden wir diesem Informationsbehinderungsgesetz
nicht zustimmen.


(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Das ist ein großer Fehler, Frau Binder! Ein großer Fehler!)


Wir sehen mit Spannung der Evaluierung entgegen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1610824500

Das Wort hat die Kollegin Ulrike Höfken,

Bündnis 90/Die Grünen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulrike Höfken-Deipenbrock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1610824600

Sehr geehrtes Präsidium! Sehr geehrte Kollegen und

Kolleginnen! Angesichts der Aussage von allen Seiten,
dass dieses Gesetz eigentlich schon wieder novelliert
werden sollte, kann man eigentlich kaum jemandem er-
klären, warum es heute in dieser Form verabschiedet
wird, außer damit, dass Sie diese dauernde Auseinander-
setzung nicht mehr aushalten können.


(Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Wir sammeln erst mal Erfahrungen! – Mechthild Rawert [SPD]: Wir sind strapazierfähig! Keine Panik!)


Aber das ist nun einmal die Aufgabe einer Regierung.
Man muss nun befürchten, dass das vorgelegte „Ver-
braucherinformationsgesetz“ – man muss das in Anfüh-
rungsstriche setzen – sogar die bisherigen Rechte auf In-
formation in Bund und Ländern noch einschränkt. Das
kann kaum der Anspruch des Gesetzes sein. Das haben
auf jeden Fall die Fachleute in der Anhörung zuletzt be-
stätigt.


(Ursula Heinen [CDU/CSU]: Das stimmt doch nicht! In welcher Anhörung waren Sie?)


Zudem erzeugen Sie eine unglaubliche Bürokratie durch
die schwammigen Formulierungen und die vorhandenen






(A) (C)



(B) (D)


Ulrike Höfken
Gesetzeslücken. Der Anwendungsbereich ist zu klein
– das hat der Kollege Goldmann schon ausführlich aus-
geführt –, die Ausschlussgründe sind zu vielfältig, die
Antwortfristen zu lang. Aber vor allem bleibt der Ge-
setzentwurf ein Geheimniskrämereigesetz. Es gibt nicht
nur keinen Informationsanspruch gegenüber den Un-
ternehmen, auch gegenüber den Behörden besteht zum
Beispiel bei Finanzdienstleistungen usw. kein Informa-
tionsanspruch. Finanzskandale wie den bei der soge-
nannten Göttinger Gruppe wird es also auch in Zukunft
geben. Schauen Sie in die „Süddeutsche Zeitung“ von
heute! Das wäre ein Handlungsfeld für ein Verbraucher-
informationsgesetz gewesen.

Die ungewöhnlich hohen Schutzwälle bei sogenann-
ten Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen bilden einen
weiteren Riegel. Ich frage mich wirklich, auf welcher
Rechtsgrundlage Formulierungen wie die über sonstige
wettbewerbsrelevante Informationen beruhen und wie
die Überprüfung stattfinden soll. Der Vollzug dieses Ge-
setzes wird sicher ein einziges Chaos. Die Unterneh-
men sind weitestgehend geschützt. Sie dürfen ungeprüft
selbst bestimmen, was ein Geschäftsgeheimnis ist. Ver-
braucherinteressen werden nicht einmal abgewogen, wie
das bei anderen Gesetzen der Fall ist.

Ein Unding ist auch, dass die Verbraucherinnen und
Verbraucher durch Gebühren regelrecht abgehalten
werden, Informationen nachzufragen. Eine Gebühren-
obergrenze gibt es nicht, und hohe Finanzbelastungen
drohen dem, der Auskunft begehrt. Tatsächlich ist es
fraglich, wie zu verstehen ist, dass eine Kostendeckung
zu erreichen ist. Eine Ausnahme stellen Auskunftsver-
pflichtungen in den Fällen dar, in denen ein Rechtsbruch
vorliegt. Das können ein Verbraucher und eine Verbrau-
cherin schließlich vorher nicht wissen, übrigens auch die
Presse nicht. Man bleibt auf hohen Gebühren sitzen,
wenn sich herausstellt, dass die Pestizidbelastung eines
Lebensmittels gerade an der Grenze war oder das Unter-
nehmen keinen direkten Rechtsbruch begangen hat. Wer
bezahlt die Gebühren dann? Das ist eine unsoziale Rege-
lung, die eine hohe Hürde für den Auskunftsbegehren-
den darstellt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Lange Wartezeiten – auch das noch – von etwa drei Mo-
naten müssen in Kauf genommen werden. Es ist in der
Anhörung vorgeschlagen worden, die unverzügliche Be-
arbeitung in das Gesetz aufzunehmen. Nach drei Mona-
ten – dieses Gesetz bezieht sich vor allem auf Lebens-
mittel – ist die Ware längst verzehrt.

Die Erreichung des Ziels von Minister Seehofer, den
Verbraucherinnen und Verbrauchern ein scharfes
Schwert bei Gammelfleischskandalen zu verschaffen, ist
gescheitert. Ob billige Importe in deutsches Edelfleisch
umbenannt werden oder Gammelfleisch, dessen Haltbar-
keitsdatum abgelaufen ist, in frische Supermarktware
umetikettiert wird – der Verbraucher wird auch in Zu-
kunft kaum etwas mit dem Verbraucherinformationsge-
setz verhindern können und wir auch nicht. Sämtliche
Vorschläge der Grünen und auch anderer Fraktionen, den
Gesetzentwurf zu verbessern, werden ignoriert. Dieses
Gesetz ist eine Mogelpackung, und offensichtlich fehlt
der Bundesregierung der politische Wille, für mehr Ver-
braucherrechte zu sorgen.

Danke.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Julia Klöckner [CDU/CSU]: Das hilft aber nichts, wenn die Grünen an der Regierung sind!)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1610824700

Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin

Waltraud Wolff, SPD-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)



Waltraud Wolff (SPD):
Rede ID: ID1610824800

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu Zei-

ten der rot-grünen Koalition haben wir kein Verbraucher-
informationsgesetz zustande gebracht. Jetzt, in dieser
Regierungskonstellation, sind wir so weit.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Ich denke, dies wird ein guter Abend. Schön, dass auch
Sie, Herr Minister Seehofer, noch anwesend sind.

Wir haben uns gestern im Ausschuss für Ernährung,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz mit einer reprä-
sentativen Umfrage der Verbraucherzentralen und des
Bundesinstituts für Risikobewertung zu cholesterinsen-
kenden Lebensmitteln befasst. Meine Damen und Her-
ren, die Sie heute Abend hier anwesend sind, wenn Sie in
den Supermarkt gehen, dann stoßen Sie auf cholesterin-
senkende Lebensmittel wie bestimmte Milch-, Joghurt-
und Margarinesorten.

Das Ergebnis dieser Umfrage war ganz eindeutig:
Viele Leute nehmen diese Lebensmittel zu sich, obwohl
es gar nicht nötig ist. Besonders bedenklich ist, dass es
Menschen gibt, die cholesterinsenkende Lebensmittel zu
sich nehmen, ohne Rücksprache mit ihrem Arzt gehalten
zu haben. Diese Menschen nehmen starke Nebenwirkun-
gen in Kauf; zum Beispiel wird die Zellstabilität beein-
trächtigt.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Aber damit hat das Gesetz doch gar nichts zu tun!)


– Ich komme gleich darauf zu sprechen, Herr
Goldmann.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Du erzählst das ja gerade den Besuchern da oben!)


Es kann vorkommen, dass die Vitamin-A-Aufspaltung
nicht mehr gewährleistet ist. Der Verzehr dieser Pro-
dukte hat keine vorbeugende Wirkung. Es reicht nicht
aus, dass auf den Verpackungen Hinweise gegeben wer-
den.

Das Ergebnis dieser Umfrage wundert mich eigent-
lich überhaupt nicht; denn die Werbespots für choleste-
rinsenkende Lebensmittel, zum Beispiel für bestimmte
Margarinesorten, vermitteln genau zwei Informationen:






(A) (C)



(B) (D)


Waltraud Wolff (Wolmirstedt)

Sieben von zehn Menschen haben einen erhöhten Cho-
lesterinspiegel,


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das ist völliger Blödsinn!)


und man kann ihn durch den Verzehr dieser Lebensmittel
senken. Ganz abgesehen davon, ob Medizin überhaupt
ins Lebensmittelregal gehört, steht doch fest: Das sind
keine Lifestyle-Produkte, und man sollte sie auch nicht
so bewerben dürfen.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das hat mit dem Gesetz überhaupt nichts zu tun! Unlauterer Wettbewerb ist mit dem Gesetz überhaupt nicht erfasst!)


Warum führe ich das alles an? Ich führe das an, weil
es der letzte Verbraucher und die letzte Verbraucherin
verstehen sollen und weil dieses Thema den Kern der
Auseinandersetzung über das Verbraucherinformations-
gesetz genau trifft.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wer gibt denn die Infos? Welche Informationen brau-
chen die Verbraucherinnen und Verbraucher, und wer
entscheidet über die Informationen? Die Verbraucher bis
jetzt jedenfalls nicht! Mit der Verabschiedung des Ver-
braucherinformationsgesetzes wird sich das – nach ei-
nem langen Kampf – ändern.

Die Wirtschaft ist angesprochen worden. In unserer
letzten Anhörung forderte ein Vertreter des Bundes für
Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde, die Belange
der Wirtschaft zu berücksichtigen. Schauen Sie sich die
Versionen an! Hinter uns liegt ein langer Diskussions-
prozess. Klar ist doch: Wenn Unternehmen wollen, dass
sie es sind, die informieren, dann heißt das, dass sie es
sind, die die Kontrolle über die Informationen ausüben
wollen. Die Forderung war: Freiwillige Information und
Produktkennzeichnung reichen aus. Was dabei heraus-
kommt, lässt sich daran zeigen, wie wir jetzt mit den
cholesterinsenkenden Lebensmitteln konfrontiert wer-
den.

Wir brauchen das Verbraucherinformationsgesetz. Die
Verbraucher wollen sich allein, also selbstständig, infor-
mieren – sie wollen nicht nur informiert werden –, und
genau diesem Bedürfnis werden wir mit der Verabschie-
dung dieses Gesetzentwurfs gerecht. Dieses Gesetz ist
ein erster guter Baustein. Weitere gute Bausteine werden
folgen. Gehen Sie diesen Schritt mit uns! Auch die Op-
position sollte sich das noch einmal überlegen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1610824900

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Neuregelung des Rechts der Verbraucherinformation.
Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Ver-
braucherschutz empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 16/5928, den Gesetzentwurf
der Bundesregierung auf Drucksache 16/5723 anzuneh-
men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustim-
men wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dage-
gen? – Stimmenthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koali-
tion bei Gegenstimmen der Opposition angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Stimmenthaltungen? – Der Ge-
setzentwurf ist damit in dritter Beratung mit den Stim-
men der Koalition bei Gegenstimmen der Opposition an-
genommen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wir kommen zur Abstimmung über die Entschlie-
ßungsanträge.

Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak-
tion der FDP auf Drucksache 16/5977? – Wer stimmt da-
gegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist
bei Gegenstimmen der FDP mit den Stimmen der ande-
ren Fraktionen abgelehnt.

Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak-
tion Die Linke auf Drucksache 16/5975? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag
ist bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke mit den
Stimmen des übrigen Hauses abgelehnt.

Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion
des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/5976? –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschlie-
ßungsantrag ist mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU
und FDP bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und Ge-
genstimmen von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.

Wir setzen die Abstimmungen über die Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 16/5928 fort. Unter Nr. 2
seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss,
den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und
der SPD zur Neuregelung des Rechts der Verbraucherin-
formation für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-
men des ganzen Hauses angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 sowie Zusatz-
punkt 10 auf:

25 Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter
Rzepka, Ingo Schmitt (Berlin), Monika Grütters
und weiterer Abgeordneter

Flugverkehrskonzept für den Großraum Ber-
lin überprüfen – Flughafen Berlin-Tempelhof
offenhalten

– Drucksache 16/4813 –
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Tourismus






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried
Hermann, Wolfgang Wieland, Hans-Christian
Ströbele, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Einstellung des Flugbetriebs in Tempelhof –
Sinnvolle Nachnutzung des Flughafenareals

– Drucksache 16/5897 –
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Peter Rzepka, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU – Abg. Peter Rzepka begibt sich mit einem großen Schriftstück zum Rednerpult – Lutz Heilmann [DIE LINKE]: Das ist ja eine Demonstration! Ist das zulässig, Frau Präsidentin?)



Peter Rzepka (CDU):
Rede ID: ID1610825000

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Lassen Sie mich meine Ausführungen zu unse-
rem Gruppenantrag mit den Worten des ehemaligen
Bundeskanzlers Helmut Schmidt beginnen:

Berlin sollte Tempelhof nicht aufgeben. Die Haupt-
stadt der Republik darf jetzt die große und letzte
Chance nicht verpassen, einen bundesweit einmali-
gen Standortvorteil zu nutzen: einen Flughafen in
unmittelbarer Nähe der Innenstadt.


(Beifall bei Abg. der CDU/CSU – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Auch der kann irren! – Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das passt in die 70er-Jahre!)


Über 70 Prozent der Berlinerinnen und Berliner, zahl-
lose Prominente aus Wirtschaft, Politik und Kultur,
Helmut Kohl, ein weiterer ehemaliger Bundeskanzler,


(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es wird immer doller!)


ein ehemaliger Bundespräsident, Wirtschaftsverbände
und Mitglieder der gegenwärtigen Bundesregierung,
Herr Kollege, teilen diese Beurteilung des ehemaligen
Bundeskanzlers Helmut Schmidt. Ein Volksbegehren ist
mit mehr als 35 000 Unterschriften in Berlin eingeleitet
worden.

Helmut Schmidt hat den Kern der Tempelhof-Debatte
getroffen: Es geht um eine optimale Anbindung von Re-
gierungs- und Parlamentsviertel an den Flugverkehr so-
wie um Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze für Ber-
lin.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der SPD: Stimmt!)

Die Deutsche Bahn, Luftfahrtunternehmen und wei-
tere private Investoren haben solide geplante und finan-
ziell abgesicherte Konzepte für eines der modernsten
ambulanten Gesundheitszentren der Welt vorgelegt und
halten dieses Angebot aufrecht.


(Mechthild Rawert [SPD]: Veraltet!)


Der Berliner Senat dagegen bereitet die Schließung und
Entwidmung des legendären Stadtflughafens vor,


(Zuruf von der CDU/CSU: Die Arbeitsplätze sind egal! – Dr. Karl Lamers [Heidelberg] [CDU/CSU]: Ein Armutszeugnis!)


ein Vorgang, der weltweit Unverständnis auslöst.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Der erste Zivilflughafen in der Geschichte, die Mutter
aller Flughäfen, ein Architektursymbol mit weltweiter
Ausstrahlung,


(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Der wird ja nicht gesprengt!)


soll seiner eigentlichen Funktion beraubt werden. Ein
wichtiger Standortvorteil für die zukünftige wirtschaftli-
che, politische und kulturelle Entwicklung der Haupt-
stadt soll aufgegeben werden.


(Beifall des Abg. Leo Dautzenberg [CDU/ CSU])



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1610825100

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Wieland?


Peter Rzepka (CDU):
Rede ID: ID1610825200

Ich habe nur sehr wenig Zeit; vielleicht zum Schluss

noch.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das wird doch nicht angerechnet! – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN] Das verlängert doch! – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Das ist ja mutig!)


Die Berliner Politik hält damit an einer Entscheidung
fest, die längst überholt ist.


(Mechthild Rawert [SPD]: Überholt ist dieser Antrag!)


Es ist weder sachlich noch rechtlich geboten, Tempelhof
zum jetzigen Zeitpunkt zu schließen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Das Bundesverwaltungsgericht hat im März 2006 festge-
stellt, dass es keine Rechtspflicht gibt, Tempelhof vor
Eröffnung von BBI zu schließen.


(Dr. Karl Lamers [Heidelberg] [CDU/CSU]: So ist es!)


Ob ein Offenhalten über diesen Zeitpunkt hinaus die
Planrechtfertigung für BBI gefährden würde, wie der
Berliner Senat behauptet, wird von namhaften Gutach-
tern und Rechtswissenschaftlern bestritten. Eine ab-






(A) (C)



(B) (D)


Peter Rzepka (CDU/ CSU)

schließende Klärung dieser Rechtsfrage, die mit hoher
Wahrscheinlichkeit die Offenhaltung des Flughafens
Tempelhof ermöglichen würde, will der Berliner Senat
mit seinem voreiligen Handeln verhindern.

Ebenso fragwürdig wie die Argumente für eine
Schließung sind die Nachnutzungskonzepte der Tem-
pelhof-Gegner. Die zuständige Berliner Senatorin will
ein Wiesenmeer mit ein wenig Bebauung und vielen
Grünflächen.


(Mechthild Rawert [SPD]: Auch Sie nutzen die frische Luft durch das Wiesenmeer! – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Haben Sie was gegen Wiesen?)


Realisierbare Pläne für die Nutzung der riesigen Immo-
bilie ohne Start- und Landebahnen sind nicht vorhanden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Es ist doch lächerlich, meine Damen und Herren von der
SPD-Fraktion, dass sich der Berliner Senat an die Berli-
ner Öffentlichkeit wendet und um Vorschläge dazu bit-
tet,


(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Das ist doch eine völlig offene Frage!)


was mit diesem Areal passieren soll, nachdem man an-
geblich bereits seit elf Jahren dessen Entwidmung als
Flughafen plant.


(Mechthild Rawert [SPD]: Herr Diepgen war maßgeblich beteiligt!)


Im Gegensatz dazu geht man bei allen ernsthaften plane-
risch und finanziell abgesicherten Projekten für die Zu-
kunft des Areals davon aus, dass die Start- und Lande-
bahnen bestehen bleiben müssen.

Ohne hier noch einmal alle für den Innenstadtflugha-
fen sprechenden Gründe zu nennen


(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Da gibt es wohl nicht so viele!)


– sie sind in der Begründung zu unserem Gruppenantrag
enthalten –: Tempelhof hat seine Existenzberechtigung
zumindest für die Zeit der Errichtung von BBI, aber mei-
nes Erachtens auch darüber hinaus.


(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Was hat Herr Diepgen gemacht?)


Die zusätzlichen Start- und Landebahnen sowie Stellflä-
chen für kleinere Maschinen sind eine sinnvolle Ergän-
zung zum geplanten Single-Airport in Schönefeld.

Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, ihr po-
litisches Gewicht einzusetzen, um nicht wiedergutzuma-
chende Schäden vom Standort Berlin abzuwenden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zurufe von der FDP: Bravo!)


Das kann im Rahmen der anstehenden Verhandlungen
zur Hauptstadtfinanzierung geschehen. Die Bundesre-
gierung hat auch die Möglichkeit – das ist der wesentli-
che Punkt –, durch die Verlegung von Teilen der Flugbe-
reitschaft nach Tempelhof die Offenhaltung rechtlich
eindeutig abzusichern,


(Dr. Werner Hoyer [FDP]: Sehr gute Idee!)


damit die Entwidmung des Flughafens nicht dazu führt,
dass ab Tempelhof niemals wieder geflogen werden
kann, und damit das Entstehen einer großen innerstädti-
schen Brache im Eigentum des Bundes und in unmittel-
barer Nähe zum Regierungsviertel verhindert wird, die
zudem den Steuerzahler noch viele Millionen kosten
würde.


(Mechthild Rawert [SPD]: Die Kosten sind gleich! – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Die Kosten sind sowieso schon irre hoch!)


Die Zeit wird knapp. Aber es ist noch nicht zu spät.
Bundestag und Bundesregierung müssen jetzt handeln.
Wir haben die Möglichkeit dazu.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1610825300

Herr Kollege, ich möchte Sie an Ihre Redezeit erin-

nern. Ihre Zeit ist nicht nur knapp; sie ist schon über-
schritten.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Ihre Zeit ist abgelaufen! – Dr. Karl Lamers [Heidelberg] [CDU/ CSU]: Aber die Rede ist gut! Er darf weiterreden!)



Peter Rzepka (CDU):
Rede ID: ID1610825400

Ich komme zum Schluss.

Wer jetzt nicht handelt, trägt die Mitverantwortung
für eine unumkehrbare Entwicklung, die wir schon in
wenigen Jahren bitter bereuen werden.


(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Aber wir handeln doch! Wir bauen den BBI!)


Es geht um die Zukunft unserer Hauptstadt Berlin.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: So ist es!)


Tempelhof muss offen bleiben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Für diejenigen, die den Flughafen nicht kennen – –


(Der Redner hält ein großes Schriftstück hoch)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1610825500

Herr Kollege, Sie haben nicht mehr die Möglichkeit

zu einer Demonstration.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Das gehört sich nicht!)


Außerdem, Herr Kollege, ist es in diesem Hohen Hause
üblich, dass Sie die Präsidentin fragen, wenn Sie Plakate
hochhalten oder sonst etwas demonstrieren wollen.


(Mechthild Rawert [SPD]: Wir haben jetzt alle eine Demonstration frei! – Große Unruhe)



Peter Rzepka (CDU):
Rede ID: ID1610825600

Frau Präsidentin, es geht um – –






(A) (C)



(B) (D)


Peter Rzepka

(Dr. Uwe Küster [SPD]: Es geht um die Regeln des Hauses!)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1610825700

Herr Kollege!


(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Keine Argumente, nur Clownereien! Klamauk – Dr. Uwe Küster [SPD]: Solche Kaspereien müssen wir hier nicht haben! – Mechthild Rawert [SPD]: Sie hätten doch von PR-Gag reden sollen! Das hat mit der Würde des Hauses nichts zu tun!)



Peter Rzepka (CDU):
Rede ID: ID1610825800

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1610825900

Nächster Redner ist der Kollege Hellmut Königshaus,

FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Mal gucken, ob das vernünftiger wird! Sie können ganz vernünftig sein! Ich weiß es genau!)



Hellmut Königshaus (FDP):
Rede ID: ID1610826000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Der Kollege Rzepka hat es ja schon ganz gut begründet,
warum der Flughafen Tempelhof offen bleiben muss und
warum die Gegenargumente falsch sind. Ich möchte das
Ganze eher einmal politisch bewerten; denn das Vorge-
hen des Berliner Senats und der ihn tragenden Koalition
ist wirklich in mehrfacher Hinsicht unanständig.

So läuft derzeit ein Volksbegehren. Bereits in der ers-
ten Stufe gab es mehr als 10 000 Unterschriften, also
mehr als an und für sich benötigt werden. Weil der Senat
fürchtet, dass in der zweiten Stufe ein überzeugendes Er-
gebnis zustande kommt, will er vorher Fakten schaffen.


(Mechthild Rawert [SPD]: Da sieht man doch nur, wie die Leute hinters Licht geführt werden! – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Unanständig ist das Begehren!)


Deshalb werden die Initiatoren dieses Volksbegehrens –
ich bin der Vertrauensmann dieses Volksbegehrens,
wenn ich das einmal sagen darf – das auch zu einer Ab-
stimmung über diese Art der Behandlung des Souveräns,
des Bürgers, machen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Die Leute werden doch belogen!)


Wenn der Souverän so brüskiert wird, dann ist das unan-
ständig.


(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Die Leute werden getäuscht! Tricksen und Täuschen!)


Das Bundesverfassungsgericht hat gerade im Zusam-
menhang mit der Waldschlösschenbrücke in Dresden
klargestellt, wie wichtig die Politik den Bürger in sol-
chen Fragen zu nehmen hat.


(Beifall bei der FDP)


Die Anwohner sind im Übrigen, wie verschiedene re-
präsentative Umfragen gezeigt haben, mehrheitlich für
die Offenhaltung. Alle Argumente, die angeblich zum
Schutz der Anwohner dort vorgebracht werden, sind also
falsch. Die Anwohner selbst sagen, der Straßenverkehr
ist ihr Problem. Wenn der Flughafen zugemacht wird
und die Fläche dort bebaut wird, entsteht mehr Straßen-
verkehr, und dadurch wird diese Belastung noch größer.


(Mechthild Rawert [SPD]: Von welcher Initiative reden Sie eigentlich?)


Wenn sich die Grünen mit ihrer Idee durchsetzen, dort
Events stattfinden zu lassen, haben die Nachbarn da, wo
jetzt ein Nachtflugverbot besteht, nachts große Events
und die Love Parade zu ertragen.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach was! Spielverderber!)


Gute Nacht, liebe Nachbarn, kann ich nur sagen, wenn
so etwas durchkommt.


(Beifall bei der FDP)


Dann wird nichts aus dem angeblichen Schutz der An-
wohner.


(Mechthild Rawert [SPD]: Wir treffen uns bei einem Event! – Zuruf des Abg. Dr. Uwe Küster [SPD])


Der nächste Punkt, der auch unanständig ist, ist die
damit verbundene Kostenüberwälzung auf den Bund.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sauertopf!)


– Regen Sie sich doch nicht so auf! – Die Investoren ha-
ben angeboten, zu 100 Prozent die Finanzierung zu über-
nehmen. Wenn der Flughafen geschlossen wird, muss
der Bund alle Kosten übernehmen. Dabei geht es jedes
Jahr um Kosten in Höhe von zig Millionen allein für die
Reinigung, die bauliche Unterhaltung und anderes. Es ist
schlicht unanständig, das einfach so zu machen, meine
Damen und Herren.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Verwertungsinteressen für die Gebäude, für die Im-
mobilien würden damit weiter geschädigt. Herr Diller,
dass Sie so etwas gutheißen können, kann ich mir nicht
vorstellen. Die Bundesregierung müsste doch dazu auch
endlich einmal etwas sagen, insbesondere vonseiten des
Finanzministeriums, statt nur interessiert zuzuschauen.


(Mechthild Rawert [SPD]: Die Bundesregierung hat gesagt, sie respektiert den Willen Berlins!)


Durch diesen Überraschungscoup des Senats kommt
es auch noch zu einer Begrenzung der Möglichkeiten für
den Bund, das Gebäude zu nutzen.






(A) (C)



(B) (D)


Hellmut Königshaus

(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch kein Überraschungscoup!)


Wenn der Flughafen einmal geschlossen ist, verehrter
Kollege Wieland, dann kann dort auch die Flugbereit-
schaft nicht mehr stationiert werden. Die Bundeswehr
will ja erst noch prüfen, ob sie dort hingehen will oder
nicht. Diese Möglichkeit wäre dann vertan.

Deshalb ist das insgesamt in dieser Form einfach un-
anständig.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1610826100

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Wieland.


Hellmut Königshaus (FDP):
Rede ID: ID1610826200

Aber natürlich, ich freue mich darauf.


Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1610826300

Herr Kollege Königshaus, Sie sprachen im Zusam-

menhang mit der Schließung von Tempelhof von einem
Überraschungscoup. Der Kollege Rzepka berief sich auf
Helmut Kohl. Erinnere ich mich denn richtig, dass in ei-
nem sogenannten Konsensbeschluss zu der Zeit, als
Helmut Kohl mit Schwarz-Gelb regierte, von den Herren
Diepgen, Wissmann und Stolpe festgelegt wurde, dass
erstens Berlin Brandenburg International in Schönefeld
gebaut wird und dass zweitens – das steht in demselben
Beschluss – die beiden innerstädtischen Flughäfen als
Verkehrsflughäfen stillgelegt werden? Erinnere ich mich
richtig, dass das als Junktim in diesem Beschluss steht,
oder ist hier jetzt irgendetwas plötzlich vom Himmel ge-
fallen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Hellmut Königshaus (FDP):
Rede ID: ID1610826400

Herr Kollege, ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie mir

Gelegenheit geben, das noch einmal in Erinnerung zu ru-
fen und auch in der Abfolge darzustellen.

Diesen Konsensbeschluss gab es.


(Mechthild Rawert [SPD]: Gibt es! – Dr. Uwe Küster [SPD]: Gibt es!)


Der Konsensbeschluss ging davon aus, dass man inzwi-
schen schon von diesem Flughafen BBI starten und lan-
den könnte.


(Mechthild Rawert [SPD]: Das ist unglaublich!)


Genau das war der zeitliche Horizont, meine Damen und
Herren. Seitdem ist wirklich nicht nur Wasser die Spree,
sondern auch den Rhein und anderswo heruntergeflos-
sen. Jetzt haben wir eine andere Situation.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dauernutzung?)


Deshalb müssen wir uns mit dieser Frage noch einmal
neu befassen.
Unabhängig davon, ob wir jetzt einen Verkehrsflug-
hafen schließen, müssen wir uns über die weitere Nut-
zung dieser Fläche unterhalten.

Deshalb geht es an dieser Stelle nicht nur um die Nut-
zung als Verkehrsflughafen, sondern auch um das, was
die heute hier anwesenden Investoren dazu angeboten
haben – nämlich keine Nutzung als Verkehrsflughafen,
sondern eine Sondernutzung. Dabei handelt es sich um
eine weitere Möglichkeit, die dieser Beschluss kaputt-
macht. Deshalb sollten Sie hier keine Legenden bilden,
meine Damen und Herren.


(Beifall bei der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1610826500

Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischen-

frage, diesmal des Kollegen Rzepka?


Hellmut Königshaus (FDP):
Rede ID: ID1610826600

Mit noch größerer Freude. Bitte.


Peter Rzepka (CDU):
Rede ID: ID1610826700

Herr Kollege, teilen Sie meine Auffassung, dass sich

der Konsensbeschluss von 1996 auf die Schließung
Tempelhofs als Verkehrsflughafen bezog und keines-
wegs auf die Schließung für die allgemeine Luftfahrt
und für die von uns beiden angesprochene Flugbereit-
schaft des Bundes? Teilen Sie des Weiteren meine Auf-
fassung, dass man nach elf Jahren möglicherweise auch
klüger werden kann, was der Kollege Wieland für sich
vielleicht nicht in Anspruch nimmt?


(Mechthild Rawert [SPD]: Herr Rzepka, bleiben Sie stehen!)



Hellmut Königshaus (FDP):
Rede ID: ID1610826800

Geben Sie mir bitte Gelegenheit, Ihnen zu antworten,

lieber Kollege. Ich bin sehr froh, dass Sie diesen Punkt
noch einmal ansprechen. Genau das hatte ich gesagt.
Deshalb teile ich natürlich Ihre Auffassung.

Es ist aber in der Tat richtig, dass wir uns auch noch
einmal über genau diese Abfolge unterhalten müssen;
denn inzwischen hat sich die Situation insgesamt – da
haben Sie völlig recht – massiv verändert.

Dieser Beschluss ist auch deshalb so schädlich für
Berlin, weil er ein negatives Beispiel gibt. Dabei denke
ich zum einen an die Bürger, die sehen, dass ihr Volksbe-
gehren einfach weggewischt wird.


(Zuruf von der FDP: Unglaublich! – Mechthild Rawert [SPD]: Das ist doch Unsinn!)


Das ist ein schöner Umgang für Demokraten! Zum ande-
ren geht es in einer Stadt, die so dringend Investitionen
benötigt, aber auch nicht, dass die potenziellen Investo-
ren so schäbig abgemeiert werden – mit diskriminieren-
den Äußerungen


(Mechthild Rawert [SPD]: Unsinn!)


nach dem Motto: Da kommen ein paar Leute von Disney
und wollen dort irgendetwas bauen.

Zu diesen Leuten gehört auch die Deutsche Bahn.






(A) (C)



(B) (D)


Hellmut Königshaus

(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Bahn ist nicht mehr dabei!)


Bei ihnen handelt es sich um Investoren, die mehrere
hundert Millionen Euro investieren wollten. Es ist in der
Tat wichtig, das im Auge zu behalten.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn wir solche Chancen vergeben, werden wir über-
haupt keine Chancen mehr bekommen. – Insofern gebe
ich Ihnen recht.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1610826900

Herr Kollege, mir liegt jetzt noch eine Zwischenfrage

vor, und zwar vom Kollegen Lamers.


Hellmut Königshaus (FDP):
Rede ID: ID1610827000

Ich bin beglückt über die viele Redezeit, die mir heute

gegeben wird.


Dr. Karl A. Lamers (CDU):
Rede ID: ID1610827100

Herr Kollege, wären Sie bereit, mir zuzustimmen,

dass der Flughafen Berlin-Tempelhof nicht nur für Ber-
lin, sondern zum Beispiel auch für die Metropolregion
Rhein-Neckar, aus der ich komme, von großer Bedeu-
tung ist,


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


dass das alles zerstört wird, wenn dieser Flughafen zu ei-
nem Zeitpunkt geschlossen wird, zu dem BBI noch
lange nicht in Betrieb genommen worden ist,


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müssen sich mal festlegen: Wollen Sie eine Zwischennutzung, oder wollen Sie eine endgültige Nutzung?)


und dass es Ausdruck höchster Ignoranz ist, diesen tol-
len Flughafen zu schließen?


Hellmut Königshaus (FDP):
Rede ID: ID1610827200

Ich teile Ihre Bewertung. Das ist in der Tat eine

schreckliche Herangehensweise.


(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Das ist jetzt sehr überraschend!)


– Ich bin gefragt worden. Daher muss ich das jetzt noch
einmal feststellen. In der Tat teile ich diese Bewertung.

Wie soll Herr Paziorek denn dann nach Münster kom-
men? Wie soll Herr Lamers dann nach Rhein-Neckar
kommen? Wie soll man nach Basel kommen, wenn die-
ser Flughafen geschlossen wird?


(Zuruf von der CDU/CSU: Und zum Beispiel nach Saarbrücken!)


Dann sind nämlich nicht nur die neuen Kapazitäten noch
gar nicht da, sondern es werden – da haben Sie völlig
recht – in der Zwischenzeit wegen der Bauarbeiten auch
noch Kapazitäten in Schönefeld stillgelegt. Wir werden
dort eine weitere Start- und Landebahn verlieren. Zu die-
sem Zeitpunkt die Kapazitäten in Tempelhof zu schlie-
ßen, ist schlichtweg unverantwortlich.

(Zuruf von der CDU/CSU: Harakiri!)


Insofern gebe ich Ihnen da völlig recht.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Ich habe eben schon darauf hingewiesen, dass die
schäbige Behandlung, die die Investoren in diesem Fall
erfahren haben, auch auf andere Investoren abschre-
ckend wirkt. Hier tut man das, obwohl ein sehr solide
durchgerechnetes Projekt vorliegt.

Ich freue mich sehr, dass mir die heute anwesenden
Investoren – Herr Charrabé ist für die Investorengruppe
da; auch die Deutsche Bahn ist hier vertreten – in einem
gerade geführten Gespräch noch einmal bestätigt haben,
dass sie weiterhin als Investoren zur Verfügung stehen,
wenn der Flughafen tatsächlich so nutzbar ist, wie es das
Projekt vorsieht.

Alles Gegenteilige, was hier behauptet wird, ist
schlichtweg falsch und Stimmungsmache.


(Mechthild Rawert [SPD]: Auch die Erklärungen in der Presse?)


Nein, die Investoren sind hier und stehen zur Fahne. Sie
stehen zu dem Projekt, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Es gibt keinen Grund, diesen einmaligen Standortvor-
teil für die Stadt und die Region Berlin aufzugeben. Es
ist auch noch nicht zu spät. Wenn die Bundesregierung
wirklich Interesse hat, hier auch die Interessen des Bun-
des zu wahren und eine wirklich schäbige Überwälzung
von Kosten auf den Bund – für dessen Kasse sind wir ja
verantwortlich – zu vermeiden, muss sie jetzt diese
Chance ergreifen.

Die Klagefrist endet morgen in einer Woche, also am
Freitag, dem 13. Die Bundesregierung hat die Möglich-
keit, sich die Option für die Stationierung der Flugbereit-
schaft offenzuhalten. Auch wenn die Klagefrist abgelau-
fen sein sollte, weil die Bundesregierung vermutlich
nicht aus der Hüfte kommt, ist noch lange nicht alles
verloren; denn niemand hindert beispielsweise den Ber-
liner Senat daran, solche Beschlüsse hinterher aufzuhe-
ben.


(Beifall bei der FDP)


Es ist ja nicht auszuschließen, dass ein Wunder geschieht
und dass selbst der rot-rote Senat auf einmal Einsicht
zeigt und die Möglichkeiten zum Offenhalten von Tem-
pelhof von neuem ergreift.


(Mechthild Rawert [SPD]: Die FDP gefährdet 40 000 Arbeitsplätze!)


Viele Chancen stehen hier auf dem Spiel. Gehen Sie
noch einmal in sich!

Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. Ich bin ab-
solut sicher: Wenn wir uns mit diesen Anträgen befassen
und zu einer übereinstimmenden Auffassung gelangen,


(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Ganz sicher nicht! – Mechthild Rawert [SPD]: Schließen Sie sich unserer Meinung an? Das ist ja eine ganz neue Entwicklung!)







(A) (C)



(B) (D)


Hellmut Königshaus
dann werden wir feststellen – davon bin ich überzeugt –,
dass wir diesen Flughafen offenhalten und die Chancen
nutzen müssen, die sich hier bieten.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1610827300

Ich gebe das Wort der Kollegin Petra Merkel, SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Petra Merkel (SPD):
Rede ID: ID1610827400

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Ich versuche, ein bisschen
Sachlichkeit in die Debatte hineinzubringen, obwohl das
schwerfällt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Zurufe von der FDP: Oh!)


In dieser Debatte wird sichtbar, dass einige Kollegen, die
immer schon gemeinsam über dieses Thema diskutiert
haben, ihre Rollen kennen. Das ist mir noch ein bisschen
fremd.


(Dr. Karl Lamers [Heidelberg] [CDU/CSU]: Das ist kein Rollenverhalten! Das ist Vernunft!)


Wir diskutieren über einen Gruppenantrag – das ist
relativ ungewöhnlich –, der zum Inhalt hat, den Flugha-
fen Tempelhof nicht zu schließen. Die beabsichtigte
Schließung hängt natürlich mit dem Bau des Großflug-
hafens Berlin Brandenburg International zusammen.
Darauf muss man einmal verweisen; es geht nämlich
nicht ausschließlich um Tempelhof. Wie schwierig der
Bau eines Großflughafens ist, haben wir noch alle in Er-
innerung. Der letzte Großflughafen ist in München ge-
baut worden. Dieser Bau hat 22 Jahre gedauert. Beim
Flughafen Berlin Brandenburg International muss und
wird diese Bauzeit unterboten werden.

Was ist in den letzten Jahren passiert? Schauen wir
einmal zurück. Vor elf Jahren, also 1996, gab es den Be-
schluss zum Ausbau von Schönefeld zum BBI. Ich kann
mich noch gut daran erinnern, dass ich damals nicht
wollte, dass in Schönefeld der Großflughafen gebaut
wird.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir auch nicht!)


Ich war ebenso wie die SPD und die Grünen für Speren-
berg. Wir haben uns dann in einem Kompromiss darauf
geeinigt, dass wir auf Wunsch der CDU nach Schönefeld
gehen, also nicht nach weit außerhalb, sondern vor die
Tore der Stadt. Herr Schmitt, Sie können sich daran erin-
nern. 1999, also drei Jahre später, reichte die Flughafen
Berlin-Schönefeld GmbH den Planfeststellungsantrag
ein. 2003 war der Beginn der bauvorbereitenden Maß-
nahmen. 2005 erfolgte der Planfeststellungsbeschluss
zum BBI. 2006 genehmigte das Bundesverwaltungsge-
richt den Ausbau des Flughafens Schönefeld. 2007 war
endlich Baubeginn.
Wir diskutieren jetzt über die Auswirkungen eines
Konsensbeschlusses von 1996. Elf Jahre nach dem Be-
schluss wollen Sie wieder von vorne anfangen und alles
infrage stellen.


(Hellmut Königshaus [FDP]: Das ist doch Blödsinn!)


Wollen Sie wirklich durch neue Klagewellen den Bau
des Großflughafens Schönefeld verzögern? Das kann
doch nicht Ihr Interesse sein.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


In diesem Konsensbeschluss wurden auch die Aus-
wirkungen auf den Flughafen Tempelhof entschieden.
Mit Genehmigung der Präsidentin zitiere ich:

Nach Vorliegen der gerichtlich überprüften und
rechtskräftigen Planfeststellung für den Single-
standort Schönefeld wird der Verkehrsflughafen
Tempelhof geschlossen.


(Mechthild Rawert [SPD]: Ja!)


Das haben damals alle unterschrieben. Grundlage für die
Planfeststellung war also: Für einen citynahen Flughafen
Schönefeld werden die Flughäfen Tegel und Tempelhof
geschlossen.


(Hellmut Königshaus [FDP]: Ja und! Ist er fertig? – Gegenruf des Abg. Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Sie kapieren das eh nicht!)


Ich sage es noch einmal, damit es allen ganz klar ist:
Dieser Konsensbeschluss war die Grundlage aller Pla-
nungen. Er bleibt es auch.


(Mechthild Rawert [SPD]: Jawohl!)


Wichtig zu wissen, ist: Dieser Konsensbeschluss
wurde herbeigeführt – auch das wurde eben erwähnt –
und beschlossen von Bundesverkehrsminister
Wissmann, CDU, Berlins Regierenden Bürgermeister
Diepgen, CDU, und Brandenburgs Ministerpräsident
Stolpe, SPD.


(Hellmut Königshaus [FDP]: Das macht es nicht besser!)


Wichtig zu wissen, ist: Tegel, Tempelhof und Schönefeld
werden betrieben von Berlin, Brandenburg und dem
Bund.


(Hellmut Königshaus [FDP]: Richtig!)


Der Bund ist also sowohl an den Entscheidungen in Te-
gel als auch in Tempelhof und Schönefeld aktiv beteiligt.
Das Bundesverkehrsministerium und das Bundesminis-
terium für Finanzen sind unsere Bundesvertreter in die-
ser Gesellschaft. Ich bin mir sicher, dass die Entschei-
dungen, die von dieser Flughafengesellschaft auch im
Interesse des Bundes getroffen werden, von den Vertre-
tern dieser Gesellschaft gemeinsam getroffen werden.

Ich kann mir vorstellen, dass der Bund das Areal des
Flughafens Tempelhof mit der großen Liegenschaft und
mit dem Gebäude optimal vermarkten will. Das muss er
auch; darauf werden wir achten.


(Mechthild Rawert [SPD]: Richtig!)







(A) (C)



(B) (D)


Petra Merkel (Berlin)

Ich klammere dabei einmal aus, dass der Bund in Bezug
auf dieses Areal mit Berlin im Streit liegt, und zwar we-
gen des Reichsvermögens.


(Hellmut Königshaus [FDP]: Das können Sie nicht ausklammern!)


Stand der Dinge ist jedenfalls, dass der Großflughafen
in der jetzigen Planungsphase baureif ist und Sie wieder
von vorne anfangen wollen.


(Hellmut Königshaus [FDP]: Das stimmt doch gar nicht! – Gegenruf der Abg. Mechthild Rawert [SPD]: Sie wollen wieder zurück ins letzte Jahrtausend!)


Sollen wir uns jetzt wirklich wieder damit auseinander-
setzen, dass vor elf Jahren Herr Diepgen, Herr
Wissmann und Herr Stolpe den politischen Entschluss
gefällt haben, einen stadtnahen Flughafen in Schönefeld
zu bauen, und dass sie damit einhergehend die Schlie-
ßung von Tegel und Tempelhof beschlossen haben?

Wir haben damals alle darüber diskutiert; das ist nicht
im stillen Kämmerlein passiert. Einige von uns haben
das damals an anderer Stelle getan. Ich kann mich sehr
gut erinnern: Herr Ingo Schmitt, Sie waren damals als
Staatssekretär im Land Berlin unter anderem für den
Verkehr zuständig und haben an der Entscheidung, Tem-
pelhof zu schließen, mitgewirkt.


(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Hört! Hört! – Mechthild Rawert [SPD]: Neuer Job, neue Meinung!)


Ich halte eine erneute Diskussion darüber nicht für sinn-
voll.

Ich sage noch ganz kurz etwas zu dem Thema Volks-
begehren, das hier eben aufgeflammt ist. Das Ziel des
Volksbegehrens ist der Weiterbetrieb Tempelhofs als
Verkehrsflughafen. Sie als CDU-Politiker haben die
Leute hinters Licht geführt.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie immer! – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: So ist es!)


Wenn es überhaupt ein Ergebnis geben kann, dann nur
unterhalb des Konsensbeschlusses. Sie wissen ganz ge-
nau, dass das nicht zu erreichen ist.


(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Das ist unanständig!)


Die Frage, wie man es hinbekommen könnte, Tem-
pelhof für die Flugbereitschaft zu nutzen, war übrigens
im Wahlkampfjahr 2006 in Berlin ein Thema. Ich weiß,
dass sich sowohl Angela Merkel als auch Klaus
Wowereit inständig darüber unterhalten haben, ob das
eine Möglichkeit wäre. Damals hat weder Wowereit
noch Merkel gesagt, dass es geht.


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die Bundeswehr wollte doch gar nicht!)


Die Bundeswehr hat gesagt: Das geht nicht.


(Hellmut Königshaus [FDP]: Stimmt doch gar nicht!)

Der Flughafen Tempelhof ist viel zu klein, die Lande-
bahnen reichen nicht aus. – Angela Merkel hat sich an
dem Punkt auch nicht weiter durchgesetzt. Sie hat er-
kannt, dass das an dieser Stelle nicht geht.

Zu der Frage der Investoren. Investoren sind in Ber-
lin an jeder Stelle herzlich willkommen, auch was das
Areal des Flughafens Tempelhof angeht,


(Mechthild Rawert [SPD]: Jawohl!)


aber nicht unter der Bedingung, dass dieser Flughafen
geöffnet bleibt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das ist die Grundbedingung; damit müsste man sich aus-
einandersetzen.

Tatsache ist: BBI wird gebaut, Tempelhof wird folge-
richtig nach dem Beschluss von 1996 im nächsten Jahr
geschlossen.


(Dr. Karl Lamers [Heidelberg) [CDU/CSU]:

Warum jetzt schon? – Hans-Michael
Goldmann [FDP]: Warum jetzt?)

– Weil Tempelhof bei Planreife des Flughafens BBI ge-
schlossen werden kann. Das ist der Beschluss von 1996.


(Hellmut Königshaus [FDP]: Er wird geschlossen, weil geschlossen werden muss!)


– Genau, weil wir den Beschluss haben.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Auch wenn es noch so dämlich ist! Hauptsache, er wird geschlossen!)


– Wir haben alle Erfahrungen, wie wir mit einer großen
Bürgerbeteiligung umgehen.


(Hellmut Königshaus [FDP]: Ja, ignorieren!)


Es sind Klagen noch und nöcher gerade in Bezug auf den
Großflughafen Berlin Brandenburg International anhän-
gig gewesen. Es gibt Gerichtsentscheidungen. Es gibt
jetzt die Möglichkeit, zu bauen. Wir haben wirklich alle
– auch auf Bundesseite – ein Interesse daran, dass das
Großprojekt nicht gefährdet wird; davon bin ich über-
zeugt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Hellmut Königshaus [FDP]: Es wird doch überhaupt nicht gefährdet! Was soll denn der Quatsch? Was erzählen Sie denn da?)


Ich bin froh, dass die Passierzahlen steigen; denn das
zeigt, dass wir einen großen, konkurrenzfähigen Flugha-
fen brauchen. Die Hauptstadt der Bundesrepublik und
größte Stadt Deutschlands braucht auch weite Flugver-
bindungen. Wenn man sich ansieht, wie die Flugpläne
derzeit aussehen, dann mag man nicht glauben, was man
sieht. Auch deshalb ist es notwendig, dass wir den Flug-
hafen Berlin Brandenburg International bekommen.

Der Flughafen Schönefeld ist ein Großbauprojekt. In
der Region Brandenburg stärkt es die Wirtschaftskraft.
40 000 neue Arbeitsplätze werden durch den Bau des
Großflughafens geschaffen. Der Bund kann sich darüber
nur freuen.






(A) (C)



(B) (D)


Petra Merkel (Berlin)

Als Haushälterin sage ich auch etwas zu den Zahlen.
Der Flughafen Schönefeld ist das größte Infrastruktur-
projekt in Ostdeutschland; ein Investitionsvolumen von
insgesamt 2 Milliarden Euro ist wirklich nicht von
Pappe. Der Bund wird für die Verkehrsanbindung circa
476 Millionen Euro ausgeben und als Gesellschafter
circa 110 Millionen Euro tragen. Der Bund muss und
wird als Teil der Flughafengesellschaft den Bau des
Flughafens Schönefeld aktiv begleiten. Aber nicht nur
das. Wir Mitglieder des Deutschen Bundestages, die wir
im Rechnungsprüfungsausschuss sind, haben ein Auge
darauf, wie die Nutzung von Tempelhof nach dem Ende
des Flugbetriebes aussehen könnte.


(Ingo Schmitt [Berlin] [CDU/CSU]: Zeltplatz!)


Meine Kollegen und ich konnten übrigens sogar die
BImA, unsere Bundesimmobilienvermarkter, davon
überzeugen, dass der Standort Tempelhof sehr wohl für
Büro- und Verwaltungsräume – sogar auf ministerieller
Ebene – geeignet ist.


(Hellmut Königshaus [FDP]: Gleich morgen!)


Jetzt steht fest, dass Bundesbehörden dort einziehen
könnten. Somit ist die BImA aufgefordert, sich um eine
Vermarktungsstrategie zu kümmern. Darüber möchte ich
gerne mit Ihnen diskutieren. Ich glaube, es ist sinnvoller,
darüber zu debattieren, als über einen Antrag, der chan-
cenlos ist.

Es ist durchaus möglich, das Areal von Tempelhof zu
entwickeln, nach dem Motto: Alter Flughafen – neues
Leben. Das ist eine gemeinsame Aufgabe des Bundes
und des Landes Berlin.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1610827500

Frau Kollegin!


Petra Merkel (SPD):
Rede ID: ID1610827600

Ich weiß, dass uns viele in der Republik und im Aus-

land darum beneiden, dass man diese Stadt an bestimm-
ten Punkten von innen heraus neu entwickeln kann.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1610827700

Frau Kollegin!


Petra Merkel (SPD):
Rede ID: ID1610827800

Dazu gehört auch das Flughafenareal Berlin-Tempel-

hof.

Schönen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1610827900

Ich gebe das Wort dem Kollegen Roland Claus, Frak-

tion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN – Manfred Grund [CDU/ CSU]: Jetzt kommt der Volkswille!)


Roland Claus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1610828000

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Es ist sicher gut, dass wir über die Probleme von
Tempelhof reden. Um keine falschen Erwartungen zu
wecken, sage ich gleich: Ihren Gruppenantrag lehnt die
Fraktion Die Linke ab. Ein Satz in Ihrem Antrag hat aber
hundertprozentige Gültigkeit:

Ein tragfähiges Konzept für die Nachnutzung …
gibt es nicht.

Wir wollen darauf verweisen, dass der 1996 gefun-
dene Konsens, der im Übrigen von allen im Abgeordne-
tenhaus und im Bundestag vertretenen Kräften mitgetra-
gen wurde,


(Hellmut Königshaus [FDP]: Nein, wir nicht!)

erst die Planungsvoraussetzungen für den Flughafen
Berlin Brandenburg International in Schönefeld geschaf-
fen hat. Alle Gründe, die zu dem Beschluss von 1996
führten, gelten auch heute noch.

Ich muss gestehen, dass ich mich ein bisschen über
die Autorinnen und Autoren des Antrages gewundert
habe. Da treffe ich auf so aktive Verfechter der Markt-
wirtschaft wie Michael Meister, Friedrich Merz, Hans
Michelbach, Dirk Niebel und Hermann Otto Solms. Und
was fordern sie von mir? Sie fordern von mir die Auf-
rechterhaltung eines defizitären Unternehmens.


(Hellmut Königshaus [FDP]: So ein Quatsch!)

Die gleichen Kollegen, die ansonsten nicht müde wer-
den, gegen sogenannte Subventionstatbestände zu kämp-
fen, fordern nichts anderes als die Fortsetzung eines
Subventionstatbestandes. Das lassen wir Ihnen nicht
durchgehen.


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1610828100

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Königshaus?


Roland Claus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1610828200

Die gestatte ich ihm, ja.


Hellmut Königshaus (FDP):
Rede ID: ID1610828300

Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, dass die Defizite

nicht aus dem Flugbetrieb, sondern aus den Immobilien
resultieren? Die Immobilien bleiben bekanntlich dort,
unabhängig davon, ob dort Flugbetrieb abgewickelt
wird. Wenn die Mieteinnahmen und andere Verwer-
tungseinnahmen aus dem Flugbetrieb und aus flugbe-
triebsnahen Geschäften entfallen, wird es insgesamt
noch teurer. Das Problem ist nur, dass der Eigentümer,
nämlich der Bund, diese Kosten tragen muss. Ist Ihnen
das bekannt?


Roland Claus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1610828400

Mir sind die Berechnungen, die Sie hier vortragen,

sehr wohl bekannt.

(Dr. Karl Lamers [Heidelberg] [CDU/CSU]: Unbelehrbar!)

Ich komme im Laufe meiner Ausführungen auch noch
darauf zu sprechen.






(A) (C)



(B) (D)


Roland Claus

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Sie müssen sich korrigieren!)


– Ich muss mich nicht korrigieren. Das werden Sie merken.
Ich bleibe dabei, dass es sich um ein defizitäres Un-

ternehmen handelt, dessen Existenz Sie fortsetzen wol-
len. Im Übrigen möchte ich Ihnen und der FDP insge-
samt sagen: Ihr Verhalten in dieser Debatte offenbart mir
eines: Allzu viel unverhohlener Lobbyismus schadet
dem Parlament, meine Herren.


(Hellmut Königshaus [FDP]: So ein Quatsch!)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1610828500

Herr Kollege Claus, der Kollege Rzepka möchte

ebenfalls eine Zwischenfrage stellen.


Roland Claus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1610828600

Ich möchte ein Argument vortragen, das Ihre Frage,

Herr Kollege, vielleicht schon beantwortet.
Ich will Ihnen eines sagen: Wir haben den Eindruck,

dass Sie Ihren Antrag selbst nicht richtig ernst nehmen.
Das will ich Ihnen erklären. Sie sind 106 Antragstelle-
rinnen und Antragsteller. Hätten Sie es geschafft, dass
diese 106 Kolleginnen und Kollegen jetzt im Hause an-
wesend sind, hätten Sie eine Mehrheit gehabt, mit der
Sie eine Sofortabstimmung hätten durchsetzen können.
Dann hätten Sie Ihren Beschluss selbst durchbringen
können. Das haben Sie offenbar versäumt oder gar nicht
gewollt.


(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)

Wir sind für eine zukunftsfähige und gegen eine rück-

wärtsgewandte Lösung. Meine Fraktion schlägt Ihnen
hier nicht zum ersten Mal vor, das Areal von Tempelhof
für den Umzug der in Bonn verbliebenen Regierungs-
teile nach Berlin zu nutzen. Wir sprechen hier nicht von
einer Nähe zum Regierungsviertel; Tempelhof wäre
quasi ein Kernbestandteil des Regierungsviertels. Das ist
eine zukunftsfähige Nachnutzungslösung. Damit wür-
den wir nicht wie Sie die Schlachten der Vergangenheit
führen.


(Beifall bei der LINKEN – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Dann gelten die Beschlüsse auf einmal nicht mehr!)


– Auch dazu haben wir vor kurzem etwas gesagt. Sie ha-
ben ein bisschen das Recht verwirkt, das hier zu kritisie-
ren, da Sie entsprechende Anträge, die im Haus vorgele-
gen haben, abgelehnt haben.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1610828700

Herr Kollege, gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage

des Kollegen Rzepka?


Roland Claus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1610828800

Ja.


Peter Rzepka (CDU):
Rede ID: ID1610828900

Herr Kollege, vonseiten der FDP sind Sie ja schon

darauf hingewiesen worden, dass die Verluste des Flug-
hafens Tempelhof aus den Immobilien resultieren. Diese
Verluste werden in Zukunft der Bund und der deutsche
Steuerzahler zu tragen haben. Deshalb frage ich Sie in
diesem Zusammenhang, ob Ihnen bekannt ist, dass die
Investoren – einschließlich der Deutschen Bahn AG als
Betreiber – die Zusage gemacht haben, sowohl den Flug-
betrieb als auch die Immobilie zu übernehmen, sodass
schon heute die öffentliche Hand, sei es das Land Berlin
oder der Bund, von den Defiziten befreit worden wäre,
während sie jetzt noch jahrelang vom Steuerzahler zu
tragen sein werden.


(Mechthild Rawert [SPD]: Wir geben aber 400 Hektar nicht einfach so weg! – Gegenruf des Abg. Hellmut Königshaus [FDP]: Der Redner ist gefragt! Roland, nicht Mechthild!)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1610829000

Ich würde jetzt dem Redner die Chance geben, diese

Frage zu beantworten.


Roland Claus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1610829100

Da Sie nicht die Einzigen waren, die heute mit dem

Hauptinvestor gesprochen haben – auch ich habe mit
ihm telefoniert –, kann ich Ihnen durchaus sagen, dass
mir diese Konzepte bekannt sind. Ich sehe sehr wohl
eine Möglichkeit, Investoren, die sich anbieten, im Sinne
des Vorschlages, den wir Ihnen machen – Komplett-
umzug der Regierung auf dieses Areal –, konstruktiv zu
beteiligen. Meine Gespräche in dieser Richtung waren
durchaus konstruktiv. Aber an eine wirklich sinnvolle,
ökonomische Nutzung mit dem Minikonzept, dem Flug-
konzept, das sie jetzt vorlegen, glauben wir nicht.


(Beifall bei der LINKEN)


Dass das Vorhaben – jetzt komme ich zum Bund –,
Tempelhof in dieser Weise umzugestalten, nicht billig
ist, ist allen klar. Aber auch eine Nichtnachnutzung käme
den Bund teuer zu stehen. Ich fordere uns deshalb auf,
einmal über diese Chance nachzudenken. Es gibt keine
europäische Hauptstadt, die über ein so großes inner-
städtisches Areal verfügt. Hier haben wir Gestaltungs-
möglichkeiten.


(Peter Rzepka [CDU/CSU]: Für ein Wiesenmeer! Schafweide!)


Ich finde es etwas daneben, wenn Sie hier ausschließ-
lich den Berliner Senat angreifen. Wir sprechen nämlich
über ein Problem, das zu vier Fünfteln Eigentum des
Bundes und zu einem Fünftel Eigentum Berlins ist. Das
Begehren Berlins, über das Grundstück zu verfügen, ist
gerade auf dem Rechtswege abgewiesen worden.

Bund und Berlin werden an der Nachnutzung nicht
vorbeikommen. Wir suchen die Lösung in der Zukunft
und nicht in der Vergangenheit. Lassen Sie uns deshalb
über unseren Vorschlag nachdenken und nicht über Vor-
schläge aus dem vorigen Jahrhundert.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1610829200

Nächster Redner ist der Kollege Winfried Hermann,

Bündnis 90/Die Grünen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)


Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1610829300

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn

man nicht aus Berlin kommt, sondern diese Debatte un-
ter fachpolitischen Gesichtspunkten aus der Ferne und
mit einer gewissen Distanz verfolgt, dann muss man ein
wenig grinsen; denn diese Diskussion hat etwas außeror-
dentlich Provinzielles.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der FDP)


Es hat lange gedauert, bis Berlin in dieser Frage eine
politische Entscheidung getroffen hat. Aber dann kam es
zu einem wirklich breiten und überparteilichen Konsens,
an dem auch die Parlamente beteiligt waren. Ihre Par-
teien waren damals sogar Träger dieser Entwicklung.
Man hat sich darauf verständigt, dass Berlin einen neuen
Flughafen bekommen und in Zukunft nur einen einzigen
Flughafen haben soll und dass die beiden anderen stadt-
nahen Flughäfen aufgegeben werden. Das war der Kon-
sens.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich sage Ihnen ganz offen: Uns Grünen ist es damals
nicht leicht gefallen, dem zuzustimmen; denn der Stand-
ort und das Konzept waren nicht optimal. Es war aber
offenkundig, dass die stadtnahen Flughäfen Tegel und
Tempelhof hochproblematisch sind, weil sie die Anwoh-
ner belästigen und riskant sind. Es gibt auf der Welt nur
wenige Flughäfen, die so nah an Häusern gebaut sind
und wo die Flugzeuge so knapp an den Häusern entlang-
fliegen. Dieses Risiko war zu beseitigen. Das war da-
mals übrigens die Ansicht breiter Teile der Berliner Be-
völkerung. Das war sogar für einen Schwaben sichtbar.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1610829400

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Königshaus?


Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1610829500

Nein. Es würde mir zwar Spaß machen, ihm zu ant-

worten. Aber ich sehe nicht ein, dass wir diese Debatte
unnötig verlängern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben uns damals gemeinsam für den Flughafen
BBI ausgesprochen. Ihre Parteien haben dem zuge-
stimmt. Das war und ist sinnvoll. Jetzt, Jahre später, wol-
len Sie das gesamte Verfahren wieder aufrollen und es
gefährden. Sie sagen, dass Sie die Entscheidung vo-
rübergehend offenhalten wollen. Aber Ihr eigentliches
Ziel ist, den Flughafen dauerhaft für Spezialinteressen
zu nutzen.

Damit bin ich bei einem wichtigen Stichwort: Wenn
man sich die Liste Ihrer Unterstützer ansieht, stellt man
fest, dass es Ihnen letztendlich nicht darum geht, der Be-
völkerung einen netten, kleinen und stadtnahen Flugha-
fen zur Verfügung zu stellen.


(Hellmut Königshaus [FDP]: Nein! Uns geht es vor allem um die Arbeitsplätze!)


Wer sind denn Ihre Unterstützer? Es handelt sich um ei-
nige Leute aus Berlin, die heute ganz groß herausgekom-
men sind, und um einige Provinzabgeordnete, die die
Flugverbindungen nach Mannheim oder Karlsruhe nut-
zen müssen und deswegen schnell bei Ihnen unterschrie-
ben haben. So war das.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Widerspruch bei der FDP)


Aber, lieber Kollege aus Mannheim, lieber Nutzer des
Mannheimer Flughafens, können Sie sich vorstellen,
dass es eines schönen Tages sogar eine Flugverbindung
von Mannheim nach Berlin–Schönefeld geben wird?
Dann wären auch Ihre Bedürfnisse befriedigt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der FDP: Das sind vielleicht Argumente, mein Lieber! Und das sagen Sie in einer Stadt mit so vielen Arbeitslosen!)


Sie sprechen von Konzepten, die sich angeblich tra-
gen, und sagen, der Flughafen würde sich rechnen. Den
vermeintlichen Zusagen von Investoren glauben Sie
ohne Zahlengrundlage und ohne Konzept. Das ist Berli-
ner Provinzpolitik.


(Dr. Karl Lamers [Heidelberg] [CDU/CSU]: Es geht uns um die Wirtschaft!)


Da kommt ein Investor dahergelaufen, legt Ihnen ein
paar schöne Zahlen vor, und Sie glauben ihm sofort.


(Hellmut Königshaus [FDP]: Das sind wirklich tolle Argumente! Mein lieber Mann!)


Tatsache ist: Alle Konzepte, die vorgelegt wurden, ha-
ben sich nicht getragen. Die Konzepte waren nicht stadt-
verträglich. Wir brauchen in Tempelhof einen Neu-
anfang. Wir brauchen ein Umgestaltungskonzept, das
zur Stadt, zu ihren Bezirken und zu ihren Anwohnern
passt. Dieses Konzept muss gewährleisten, dass mög-
lichst viel Grünfläche erhalten bleibt. Außerdem müssen
eine behutsame Bebauung und eine positive Entwick-
lung im Bereich des Gewerbes sichergestellt sein. Auch
die historischen Gebäude müssen im Sinne Ihrer Initia-
tive berücksichtigt werden.

Bei Ihrer Initiative handelt es sich um eine Veranstal-
tung von Nostalgikern – das kann ich verstehen – und äl-
teren Herren; Sie haben sie zitiert. Im Sinne einer solch
nostalgischen Veranstaltung wäre es durchaus korrekt,
aus dem Gebäudeteil des Flughafens Tempelhof ein
Luftfahrtmuseum zu machen. Dort könnten Sie in jeder
Sitzungswoche vorbeigehen, bevor Sie dann aber bitte
schön mit dem Zug oder der S-Bahn weiterfahren.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Hellmut Königshaus [FDP]: Das war wirklich ein ganz großer Wurf!)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1610829600

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Ingo

Schmitt, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU – Mechthild Rawert [SPD]: Jetzt erklären Sie uns einmal Ihren Bogen von damals zu heute!)







(A) (C)



(B) (D)


Ingo Schmitt (CDU):
Rede ID: ID1610829700

Ich glaube, auch dann würden Sie das noch nicht ver-

stehen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kolle-

gen! Heute ist viel über die Vergangenheit gesprochen
worden, ohne dabei ernsthaft in die Zukunft zu schauen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es wurde aus einem Beschluss aus dem Jahre 1996 zi-
tiert, in dem von ganz anderen Verfahrensvoraussetzun-
gen und völlig anderen Passagierzahlen die Rede war.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welche denn?)


Es hieß, dass man heute nicht mehr ernsthaft darüber re-
den dürfe, dass sich die Stadt möglicherweise weiterent-
wickelt bzw. anders als erwartet entwickelt habe.

Was das Segment des Flugverkehrs betrifft, hat sie
sich erfreulich entwickelt. Berlin hat, was die Zahl der
Fluggäste angeht, einen jährlichen Zuwachs von 6 bis
7 Prozent zu verzeichnen. Im Jahre 2007 werden es
19 Millionen Fluggäste sein.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Aber die fliegen doch nicht ab Tempelhof! Das sind die Billigflieger! – Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Toll!)


– Frau Merkel, hören Sie mir erst einmal zu. Sie waren
sachlich; ich bin jetzt auch sehr sachlich. – Sie wollen
Tempelhof unbedingt vor Inbetriebnahme des BBI
schließen, und zwar ohne Not; denn es gibt kein rechtli-
ches Problem.


(Beifall des Abg. Dr. Karl Lamers [Heidelberg] [CDU/CSU])


Das ist völlig daneben. Das ist überzogen, das ist reine
Ideologie.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Ich dachte, Sie wollen Schönefeld! – Mechthild Rawert [SPD]: Wir wollen keine weiteren Klagen!)


– Warten Sie! Zu Ihnen komme ich noch.
Reden wir nun über die Zeit, wenn der BBI endlich

den Betrieb aufgenommen hat. Es wurden Argumente fi-
nanzieller Art genannt. Heute wissen wir alle: Nicht der
Flugbetrieb von Tempelhof ist defizitär, sondern die Im-
mobilie; das ist mehrfach angesprochen worden.


(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Ganze ist defizitär!)


Dann wurden rechtliche Argumente ins Feld geführt.
Heute wissen wir, dass es rechtlich gesehen keine große
Problematik darstellt, wenn Tempelhof mit einge-
schränktem Flugbetrieb – nicht als Verkehrsflughafen,
sondern als Landeplatz mit bestimmten Sonderfunktio-
nen – offen bleibt. Das heißt, weder finanzielle noch
rechtliche Argumente sind geeignet, diesen Flughafen
ohne Not zu schließen.


(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Sie wollen ihn also offen halten! – Mechthild Rawert [SPD]: Auf welcher Basis hat das Gericht dann entschieden?)

Es ist schon Helmut Schmidt zitiert worden, der ge-
sagt hat: Das ist ein einmaliger Standortvorteil. – Auch
die Berliner Wirtschaft ist zitiert worden, allen voran die
IHK. Ich möchte gerne zwei Drittel bzw. drei Viertel – je
nach Meinungsumfrage – der Berliner hier zitieren. Sie
sagen, sie möchten, dass dieser Flughafen erhalten
bleibt, dass die Chancen, die dieser Flughafen bietet,
weiterhin genutzt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Mechthild Rawert [SPD]: Fragen Sie mal nach 40 000 Arbeitsplätzen bei BBI!)


Es kann doch nicht richtig sein, dass der Senat, der erst
vor kurzem mit großem Trara erklärt hat, die Bürger
sollten mehr Rechte bekommen, es solle mehr Volksbe-
gehren und mehr Volksentscheide geben, angesichts ei-
nes Volksbegehrens, das ihm nicht passt, im Vorfeld des
Volksentscheids sagt: Wie die Berlinerinnen und Berli-
ner entscheiden, interessiert mich nicht; ich versuche,
der Meinung der Berliner durch die kalte Küche mit ei-
nem Entwidmungsverfahren zuvorzukommen. – Es fällt
mir schwer, zu glauben, dass ein Senat ein solches De-
mokratieverständnis haben kann und einen solchen Um-
gang mit Wählerinnen und Wählern praktiziert.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hellmut Königshaus [FDP]: Rot-Rot! – Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Die Berliner hinters Licht führen und sie belügen! Etwas anderes tun, als das, was man gesagt hat! – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Die Leute werden doch von Ihnen veräppelt!)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1610829800

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Wieland, obwohl Sie schon am Ende Ihrer Re-
dezeit angelangt sind?


Ingo Schmitt (CDU):
Rede ID: ID1610829900

Von Herrn Wieland nehme ich gerne Zwischenfragen

entgegen.


Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1610830000

Lieber Kollege Schmitt, Sie wollten eigentlich nach

vorne schauen, haben aber dennoch Ihren Namensvetter,
den Altkanzler, zitiert.


(Ingo Schmitt [Berlin] [CDU/CSU]: Aber er schreibt sich anders!)


Wenn Tempelhof als Verkehrsflughafen für die Berline-
rinnen und Berliner so identitätsbildend ist, wie kam es
dann, dass unter Eberhard Diepgen ebendieser Verkehrs-
flughafen in den 80er-Jahren bereits geschlossen war,
sodass wir das Vergnügen hatten, dort in einer großen
Halle Ronald Reagan zu empfangen, und Volker Hassemer
dort zur 750-Jahr-Feier von Berlin Riesenfeuerwerke hat
veranstalten lassen können? Wie können Sie hier diese
Nostalgietour reiten und auch noch mit einer Volksbefra-
gung kommen, obwohl Sie selber diesen Flughafen
schon stillgelegt hatten?


(Hellmut Königshaus [FDP]: Weil 70 Prozent dafür sind, Herr Kollege!)


– Ach, das ist doch alles Demagogie!






(A) (C)



(B) (D)


Ingo Schmitt (CDU):
Rede ID: ID1610830100

Verehrter Herr Kollege Wieland, wenn Sie so weit zu-

rückgehen, werden Sie sich erinnern, dass damals eine
andere Situation in Berlin bestand: Es gab West-Berlin.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Selbst dort konnte man verzichten! Obwohl es West-Berlin war, brauchte man nur einen! – Gegenruf des Abg. Hellmut Königshaus [FDP]: Da gab es auch weniger Flugverkehr!)


Damals gab es etwa 4 bis 5 Millionen Fluggäste. Neh-
men Sie bitte zur Kenntnis, dass wir hier ein Wachstum
verzeichnen können, das wesentlich höher ist.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind die Billigflieger! Aber die fliegen doch nicht von Tempelhof!)


Frau Präsidentin, darf ich die Frage beantworten?


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1610830200

Herr Kollege Wieland, überwiegend hat der Kollege

Schmitt das Wort.


(Heiterkeit – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber ich darf Zwischenrufe machen!)



Ingo Schmitt (CDU):
Rede ID: ID1610830300

Auch als wir 1996 den Konsensbeschluss gefasst ha-

ben, hatten wir wesentlich geringere Wachstumsraten.
Gerade die letzten Jahre haben gezeigt, dass wir An-
schluss an internationale Wachstumsraten gefunden ha-
ben.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber doch nicht in Tempelhof!)


Deswegen brauchen wir die gesamte Kapazität, die mo-
mentan in Berlin vorhanden ist.


(Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Sie wollen also Tegel und Tempelhof offen halten?)


Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis, auch wenn Sie das
nicht zur Kenntnis nehmen wollen!

Ich komme zum Schluss meiner Ausführungen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


– Klatschen Sie nicht zu früh! – Ihr Regierender Bürger-
meister Wowereit hat schon im Herbst in Karlsruhe eine
erste Klatsche bekommen. Ich sage Ihnen voraus: Er
wird bei diesem Thema die zweite bekommen.


(Beifall des Abg. Dr. Karl Lamers [Heidelberg] [CDU/CSU])


Ich sage Ihnen noch eines: Tempelhof wird leben.

(Widerspruch bei der SPD)


Tempelhof wird als Flughafen leben. Die Berlinerinnen
und Berliner werden anschließend sagen: Und das ist
auch gut so!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1610830400

Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 16/4813 und 16/5897 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
ist die Überweisung so beschlossen.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Nein! Frau Präsidentin, die Grünen haben Sofortabstimmung beantragt! – Gegenruf des Abg. Hellmut Königshaus [FDP]: Wann denn?)


– Frau Kollegin Schewe-Gerigk, uns hier oben ist nicht
bekannt, dass die Grünen die Sofortabstimmung bean-
tragt haben. Aber wenn Sie das jetzt an dieser Stelle be-
antragen, dann lasse ich schlicht und ergreifend darüber
abstimmen,


(Hellmut Königshaus [FDP]: Nein! Das ist schon überwiesen!)


ob die Überweisung in die Ausschüsse so gewollt ist.

(Hellmut Königshaus [FDP]: Nein!)


Wer ist für die Überweisung in die Ausschüsse? – Das ist
die Mehrheit. Wer ist dagegen? – Dann ist die Überwei-
sung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Abgeordneten Johann-

Henrich Krummacher, Ilse Aigner, Michael
Kretschmer, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordne-
ten Swen Schulz (Spandau), Jörg Tauss, René
Röspel, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der SPD
Geistes- und Sozialwissenschaften stärken

– zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia
Pieper, Uwe Barth, Patrick Meinhardt, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften
stärken

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Petra

(Saarbrücken)

tion der LINKEN
Perspektiven für die Geistes- und Sozialwis-
senschaften verbessern

– zu dem Antrag der Abgeordneten Krista Sager,
Kai Gehring, Priska Hinz (Herborn), weiterer
Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN
Die Geistes- und Sozialwissenschaften in
Forschung und Lehre fördern

– Drucksachen 16/4161, 16/4153, 16/4154, 16/4406,
16/5931 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Johann-Henrich Krummacher
Swen Schulz (Spandau)

Patrick Meinhardt






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Dr. Petra Sitte
Krista Sager

Die Kollegen Johann-Henrich Krummacher, Swen
Schulz, Patrick Meinhardt sowie die Kolleginnen
Dr. Petra Sitte und Krista Sager haben ihre Reden zu
Protokoll gegeben.1)

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung auf Drucksache 16/5931. Der Ausschuss emp-
fiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die
Annahme des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und
der SPD auf Drucksache 16/4161 mit dem Titel „Geis-
tes- und Sozialwissenschaften stärken“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen von SPD und CDU/CSU bei Enthaltung der
Fraktionen der FDP und der Linken bei Gegenstimmen
der Grünen angenommen.

Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ableh-
nung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksa-
che 16/4153 mit dem Titel „Geistes-, Sozial- und Kul-
turwissenschaften stärken“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-
men von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und CDU/CSU
bei Gegenstimmen von FDP und Enthaltung der Frak-
tion Die Linke angenommen.

Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/4154 mit dem Ti-
tel „Perspektiven für die Geistes- und Sozialwissen-
schaften verbessern“. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von
SPD, CDU/CSU und FDP bei Enthaltung vom
Bündnis 90/Die Grünen und Gegenstimmen der Fraktion
Die Linke angenommen.

Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 4 sei-
ner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 16/4406 mit dem Titel „Die Geistes- und Sozial-
wissenschaften in Forschung und Lehre fördern“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen von SPD und CDU/CSU bei Gegen-
stimmen vom Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung
der Fraktion Die Linke und der Fraktion der FDP ange-
nommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Sevim
Dağdelen, Petra Pau, Ulla Jelpke, Jan Korte und
der Fraktion der LINKEN
Für die zügige Vorlage eines qualifizierten Be-
richts über die Lage der Ausländerinnen und
Ausländer in Deutschland
– Drucksache 16/5788 –

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die

1) Die Redebeiträge werden in einem Nachdruck abgedruckt.
Fraktion Die Linke fünf Minuten erhalten soll. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-
gin Sevim Dağdelen für die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Sevim Dağdelen (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1610830500

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-

legen! In § 94 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes heißt es:
Die Beauftragte erstattet dem Deutschen Bundestag
mindestens alle zwei Jahre einen Bericht über die
Lage der Ausländer in Deutschland.

Das hätte im Juni 2007 der Fall sein müssen. Ende
April 2007 teilte die Integrationsbeauftragte jedoch dem
Bundestagspräsidenten mit, dass der Bericht erst im ers-
ten Quartal 2008 vorgelegt wird. Wenn Migrantinnen
und Migranten oder Flüchtlinge so leichtfertig gegen die
ihnen auferlegten gesetzlichen Pflichten verstoßen wür-
den, wie Frau Böhmer es tut, müssten sie mit harten
Sanktionen rechnen. Von Nichtdeutschen fordern Sie im-
mer Rechtstreue, aber selbst setzen Sie sich leichtfertig
über das Gesetz hinweg.

Sie haben bereits im Oktober letzten Jahres die Ver-
schiebung des Lageberichts im Alleingang beschlossen.
Nicht nur das: Sie haben auch noch mitbeschlossen, dass
dieses Vorgehen dem Bundestag erst im April dieses
Jahres mitzuteilen ist. Sie betrachten den Deutschen
Bundestag offenkundig als eine bloße Abnickmaschine,
die das Regierungsgeschäft nicht stören soll. Ich finde
dies einfach nur skandalös.


(Beifall bei der LINKEN)

Als Grund für die Verschiebung des Lageberichts ver-

weist die Integrationsbeauftragte auf den Nationalen
Aktionsplan Integration. Fachlich nachvollziehbar
wäre es aber gewesen, erst einen wissenschaftlich fun-
dierten Lagebericht vorzulegen und dann einen Aktions-
plan zu erarbeiten. Genau das will die Regierung aber
nicht. Kritische Nachfragen sind nicht erwünscht, wenn
Bundeskanzlerin Merkel den Nationalen Aktionsplan In-
tegration nächste Woche vorstellen wird. Da passt es an-
scheinend auch nicht, kurz vor dem Integrationsgipfel
die Versäumnisse einer ausgrenzenden Integrations- und
Flüchtlingspolitik aufarbeiten zu müssen; denn durch ei-
nen kritischen und problemorientierten Bericht über die
Lage von Migrantinnen und Migranten sowie Flüchtlin-
gen in Deutschland würde vor allem eines deutlich wer-
den: Die Integrationspolitik der letzten Jahre ist weit da-
von entfernt, soziale Chancengleichheit für alle
Menschen hier herzustellen. Eine wirkliche Kehrt-
wende in der Integrationspolitik würde eben mehr erfor-
dern, als einfach nur ein paar unverbindliche Maßnah-
men und Ziele in einen Aktionsplan hineinzuschreiben.

Lieber inszeniert die Bundesregierung einen Gipfel
nach dem anderen. Die Beteiligung von Migrantenorga-
nisationen wurde dabei auch medial immer groß heraus-
gestellt. Auf gleicher Augenhöhe sollte geredet werden.
Man wollte miteinander reden. Dabei haben all diese Or-
ganisationen einen Maulkorb bekommen. Über aufent-
haltsrechtliche Regelungen und über die Integration von
geduldeten Flüchtlingen sowie Menschen ohne Aufent-
haltsrecht durften in den Arbeitsgruppen des Integra-






(A) (C)



(B) (D)


Sevim DaðdelenSevim Dağdelen
tionsgipfels keine Empfehlungen abgegeben werden.
Gleiches galt auch für das Thema der politischen Rechte.
Während es zum bürgerschaftlichen Engagement eine
Arbeitsgruppe gegeben hat, durfte das kommunale
Wahlrecht für Angehörige von Drittstaaten überhaupt
nicht thematisiert werden.

Zur gleichen Zeit, als Sie die Arbeitsgruppen noch bei
Kaffee und Keksen über Integration debattieren ließen,
stellte die Große Koalition mit den massiven Verschär-
fungen im Aufenthaltsgesetz die Weichen für die zu-
künftige Integrationspolitik: Sanktionen statt Angebote,
Ausweitung von Abschiebungen statt Aufenthaltsverfes-
tigung und Eingriffe in die Grundrechte, wie das Recht
auf Familie, statt Ausbau von Rechten.

Kritik war nicht erwünscht. Der Dialog auf gleicher
Augenhöhe war eine Farce und ist es auch noch. Deshalb
ist es auch kein Wunder, dass die Organisationen keinen
Sinn mehr in der Teilnahme in der nächsten Woche se-
hen und mit einem Ausstieg drohen.

Die bisherigen Berichte über die Lage von Migrantin-
nen und Migranten sowie Flüchtlingen in Deutschland
waren der Regierung offenkundig zu kritisch. Aus dem
Vermerk vom Oktober aus dem Hause Böhmer geht her-
vor, dass der zukünftige Bericht nicht mehr wissen-
schaftlich abwägend ausfallen soll. Er soll ergebnisori-
entiert gestaltet werden. Und wer bestimmt das
Ergebnis? Frau Böhmer selbst.

Die von Ihnen angestrebte Veränderung des Lagebe-
richts illustriert eben auch den Wandel, für den Frau
Böhmer steht, nämlich die Umwandlung des Amtes ei-
ner Beauftragten für Migrantinnen und Migranten in das
Amt einer Staatsministerin, die vor allem für die Be-
lange der Regierung ist – notfalls auch gegen die Be-
lange der Migrantinnen und Migranten. Erst vor drei
Wochen hat die Integrationsbeauftragte ein Gesetz be-
grüßt und für gut befunden, das massiv in die Rechte von
Migrantinnen und Migranten eingreift.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, der Natio-
nale Integrationsplan, der uns in der nächsten Woche
präsentiert wird, steht auf tönernen Füßen. Er wird von
unverbindlichen Handlungsempfehlungen und auch Zie-
len geprägt sein und sehr selektiv ausfallen. Dazu passt,
dass Sie uns die Vorlage eines fundierten Berichts zur
Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland
bewusst verweigern wollen. Ich kann Sie nur auffordern,
diesen Bericht so zügig wie möglich vorzulegen.

Deswegen haben wir, Die Linke, eine Sofortabstim-
mung beantragt. Eine Überweisung dieses Antrages in
die Ausschüsse wäre einfach nur eine Fortsetzung der
Verzögerungstaktik. Es hat überhaupt keinen Sinn und
Zweck, einen solchen Antrag in die Ausschüsse zu über-
weisen. Wir beantragen die Sofortabstimmung, weil wir
der Auffassung sind, dass der Bericht fällig ist.

Danke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1610830600

Die Kollegen Reinhard Grindel, Sebastian Edathy,

Josef Winkler sowie die Kollegin Sibylle Laurischk und
die Staatsministerin Professor Dr. Maria Böhmer haben
ihre Reden zu Protokoll gegeben.1)

Wir kommen zum Antrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 16/5788 mit dem Titel „Für die zügige Vor-
lage eines qualifizierten Berichts über die Lage der Aus-
länderinnen und Ausländer in Deutschland“. Die Frak-
tion Die Linke wünscht Abstimmung in der Sache. Die
Fraktionen der CDU/CSU und der SPD wünschen Über-
weisung, und zwar federführend an den Innenausschuss
und mitberatend an den Ausschuss für Arbeit und Sozia-
les, an den Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend sowie an den Ausschuss für Menschenrechte und
Humanitäre Hilfe. Die Abstimmung über den Antrag auf
Ausschussüberweisung geht nach ständiger Übung vor.
Ich frage deshalb: Wer stimmt für die beantragte Über-
weisung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Dann ist die Überweisung so beschlossen, und zwar mit
den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Op-
position. Damit stimmen wir heute über den Antrag auf
Drucksache 16/5788 nicht ab.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 sowie Zusatz-
punkt 11 auf:

19 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung (15. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Abgeordneten Renate

Blank, Dirk Fischer (Hamburg), Dr. Klaus W.
Lippold, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten
Annette Faße, Hans-Joachim Hacker, Sören
Bartol, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD
Attraktivität des Wassertourismus und des
Wassersports stärken

– zu dem Antrag der Abgeordneten Patrick
Döring, Hans-Michael Goldmann, Detlef Parr,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
FDP
Sport- und Freizeitschifffahrt in Deutsch-
land erleichtern

– Drucksachen 16/5416, 16/4061, 16/5770 –2)

Berichterstattung:
Abgeordnete Renate Blank
Patrick Döring

ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Detlef
Parr, Joachim Günther (Plauen), Miriam Gruß,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Sportschifffahrt und Wassersport wirksam
fördern und von überflüssigen Beschränkun-
gen befreien
– Drucksache 16/5609 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)

Innenausschuss
Sportausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus

1) Die Redebeiträge werden in einem Nachtrag abgedruckt.
2) Anlage 4






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Die Kolleginnen Renate Blank, Annette Faße,
Dorothée Menzner, Nicole Maisch sowie der Kollege
Patrick Döring haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1)

Wir kommen deshalb zur Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung.
Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 16/5770 die Annahme des
Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf
Drucksache 16/5416 mit dem Titel „Attraktivität des
Wassertourismus und des Wassersports stärken“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen von SPD und CDU/CSU bei Gegen-
stimmen der FDP und Enthaltung der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen sowie der Fraktion Die Linke
angenommen.

Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 16/5770 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des
Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/4061 mit
dem Titel „Sport- und Freizeitschifffahrt in Deutschland er-
leichtern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen der Fraktionen Die Linke,
der SPD und der CDU/CSU bei Gegenstimmen von Bünd-
nis 90/Die Grünen und FDP angenommen.

Zusatzpunkt 11. Interfraktionell wird Überweisung
der Vorlage auf Drucksache 16/5609 an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind
Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Krista
Sager, Irmingard Schewe-Gerigk, Kai Gehring,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Mehr Qualität und Exzellenz durch mehr
Chancengerechtigkeit und Gender-Perspekti-
ven in Wissenschaft und Forschung
– Drucksache 16/5898 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Die Kolleginnen Anette Hübinger, Gesine Multhaupt,
Dr. Petra Sitte, Krista Sager sowie der Kollege Uwe
Barth haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.2)

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/5898 zur federführenden Beratung an
den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfol-
genabschätzung sowie zur Mitberatung an den Aus-
schuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vorge-
schlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zu dem Abkommen vom 25. Juni 2003 zwi-

1) Die Redebeiträge werden in einem Nachdruck abgedruckt.
2) Die Redebeiträge werden in einem Nachtrag abgedruckt.
schen der Europäischen Union und den Verei-
nigten Staaten von Amerika über Ausliefe-
rung, zu dem Abkommen vom 25. Juni 2003
zwischen der Europäischen Union und den
Vereinigten Staaten von Amerika über Rechts-
hilfe, zu dem Vertrag vom 14. Oktober 2003
zwischen der Bundesrepublik Deutschland
und den Vereinigten Staaten von Amerika
über die Rechtshilfe in Strafsachen, zu dem
Zweiten Zusatzvertrag vom 18. April 2006
zum Auslieferungsvertrag zwischen der Bun-
desrepublik Deutschland und den Vereinigten
Staaten von Amerika sowie zu dem Zusatzver-
trag vom 18. April 2006 zum Vertrag zwischen
der Bundesrepublik Deutschland und den Ver-
einigten Staaten von Amerika über die Rechts-
hilfe in Strafsachen

– Drucksache 16/4377 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)


– Drucksache 16/5825 –

Berichterstattung:

(VillingenSchwenningen)

Joachim Stünker
Dr. Peter Danckert
Mechthild Dyckmans
Sevim Dağdelen
Jerzy Montag

Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
des Bündnisses 90/Die Grünen vor. Die Kollegen
Siegfried Kauder, Joachim Stünker, Jerzy Montag sowie
der Parlamentarische Staatssekretär Alfred Hartenbach
und die Kolleginnen Petra Pau und Mechthild Dyckmans
haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.3)

Wir kommen deshalb zur Abstimmung über den von
der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu
den Abkommen zwischen der Europäischen Union und
den Vereinigten Staaten von Amerika über Auslieferung
und über Rechtshilfe sowie zu den Verträgen zwischen
der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten
Staaten von Amerika über die Rechtshilfe in Strafsachen
und die Auslieferung. Der Rechtsausschuss empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5825,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Druck-
sache 16/4377 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Ge-
setzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stim-
men von SPD, CDU/CSU und FDP bei Enthaltung der
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen und Gegenstim-
men der Fraktion Die Linke angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung.

Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustim-
men wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Damit ist der Gesetzentwurf in dritter

3) Die Redebeiträge werden in einem Nachtrag abgedruckt.






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Beratung mit demselben Stimmenverhältnis wie in der
zweiten Beratung angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen
auf Drucksache 16/5978. Wer stimmt für diesen Ent-
schließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun-
gen? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von
SPD, CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen von Bünd-
nis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke abgelehnt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Frank
Schäffler, Martin Zeil, Dr. Karl Addicks, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Konsequenzen aus dem Entschädigungsfall
Phoenix Kapitaldienst GmbH
– Drucksache 16/5786 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss

Die Kollegen Klaus-Peter Flosbach, Dr. Hans-Ulrich
Krüger, Frank Schäffler und Dr. Axel Troost sowie die
Kollegin Christine Scheel haben ihre Reden zu Protokoll
gegeben.1)

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/5786 an den Finanzausschuss vorge-
schlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)

– zu dem Antrag des Bundesministeriums der

Finanzen
Entlastung der Bundesregierung für das
Haushaltsjahr 2005 – Vorlage der Haus-
halts- und Vermögensrechnung des Bundes

(Jahresrechnung 2005)


– zu der Unterrichtung durch den Bundesrech-
nungshof
Bemerkungen des Bundesrechnungshofes
2006 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung

(einschließlich der Feststellungen zur Jahresrechnung 2005)


– Drucksachen 16/1122, 16/3200, 16/5774 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Bernhard Brinkmann (Hildesheim)


Die Kollegen Hans-Joachim Fuchtel und Bernhard
Brinkmann sowie die Kolleginnen Dr. Claudia
Winterstein, Dr. Gesine Lötzsch und Anja Hajduk haben
ihre Reden zu Protokoll gegeben.2)

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Haushaltsausschusses auf Druck-
sache 16/5774 zu dem Antrag des Bundesministeriums
der Finanzen auf Entlastung der Bundesregierung für das
Haushaltsjahr 2005 und zu den Bemerkungen des

1) Die Redebeiträge werden in einem Nachtrag abgedruckt.
2) Die Redebeiträge werden in einem Nachtrag abgedruckt.
Bundesrechnungshofes 2006, Drucksachen 16/1122 und
16/3200. Unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung
schlägt der Haushaltsausschuss die Erteilung der Entlas-
tung für das Haushaltsjahr 2005 vor. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen des Hauses bei Gegenstimmen der Fraktion
Die Linke angenommen.

Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Haushaltsausschuss, die Bundesregierung aufzufordern,
a) bei der Aufstellung und Ausführung der Bundeshaus-
haltspläne die Feststellungen des Haushaltsausschusses zu
den Bemerkungen des Bundesrechnungshofes zu befol-
gen, b) Maßnahmen zur Steigerung der Wirtschaftlichkeit
unter Berücksichtigung der Entscheidungen des Aus-
schusses einzuleiten oder fortzuführen und c) die Be-
richtspflichten fristgerecht zu erfüllen, damit eine zeitnahe
Verwertung der Ergebnisse bei den Haushaltsberatungen
gewährleistet ist. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen des ganzen Hau-
ses angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a und 20 b auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker
Schneider (Saarbrücken), Klaus Ernst, Dr. Martina
Bunge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der LINKEN

Keine Leistungskürzungen bei der gesetzli-
chen Unfallversicherung

– Drucksache 16/5616 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Haushaltsausschuss

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus
Kurth, Kerstin Andreae, Birgitt Bender, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN

Die gesetzliche Unfallversicherung leistungs-
stark und zukunftssicher gestalten

– Drucksache 16/5896 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit

Die Kollegen Gerald Weiß, Wolfgang Grotthaus,
Heinz-Peter Haustein, Volker Schneider und Markus
Kurth sowie der Parlamentarische Staatssekretär Franz
Thönnes haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.3)

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/5616 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Vorlage auf
Drucksache 16/5896 soll zur federführenden Beratung
an den Ausschuss für Arbeit und Soziales sowie zur Mit-
beratung an den Ausschuss für Wirtschaft und Technolo-

3) Die Redebeiträge werden in einem Nachtrag abgedruckt.






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
gie und an den Ausschuss für Gesundheit überwiesen
werden. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-
nologie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abge-
ordneten Laurenz Meyer (Hamm), Dr. Martina
Krogmann, Hans-Joachim Fuchtel, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie
der Abgeordneten Dr. Uwe Küster, Dr. Rainer
Wend, Dr. h. c. Susanne Kastner, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der SPD

Den Wettbewerb stärken, den Einsatz offener
Dokumentenstandards und offener Dokumen-
tenaustauschformate fördern

– Drucksachen 16/5602, 16/5927 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Martin Zeil

Die Kolleginnen Dr. Martina Krogmann, Ulla Lötzer
und Grietje Bettin sowie die Kollegen Dr. Uwe Küster
und Martin Zeil haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1)

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-
logie zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und
der SPD mit dem Titel „Den Wettbewerb stärken, den
Einsatz offener Dokumentenstandards und offener
Dokumentenaustauschformate fördern“. Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 16/5927, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU
und der SPD auf Drucksache 16/5602 in der Ausschuss-
fassung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von
CDU/CSU und SPD bei Gegenstimmen von der Fraktion
Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung
der FDP angenommen.

Ich rufe die Zusatzpunkte 12 und 13 auf:

ZP 12 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln),
Alexander Bonde, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

(Heilbronn)

terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Ermäßigung der Visumgebühr für Menschen
aus Belarus

– Drucksache 16/5905 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

1) Die Redebeiträge werden in einem Nachtrag abgedruckt.
ZP 13 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD

Ermäßigung der Visumgebühr für Bürgerin-
nen und Bürger aus Belarus

– Drucksache 16/5909 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe

Die Kollegen Manfred Grund und Norman Paech so-
wie die Kolleginnen Uta Zapf, Cornelia Pieper und
Marieluise Beck haben ihre Reden zu Protokoll gege-
ben.2)

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/5905 und 16/5909 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia
Pieper, Gudrun Kopp, Michael Kauch, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Deutschland, Energieland der Zukunft –
Energieforschung und Wettbewerb stärken

– Drucksache 16/5729 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss

Die Kollegen Axel Fischer, Dieter Grasedieck,
Michael Link, Hans-Kurt Hill und Hans-Josef Fell haben
ihre Reden zu Protokoll gegeben.3)

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/5729 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Freitag, den 6. Juli 2007, 9 Uhr,
ein.

Ich wünsche allen Kolleginnen und Kollegen sowie
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einen schönen
Abend.

Die Sitzung ist geschlossen.