Anlage 12
Anlage 13
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Juni 2007 10849
(A) )
(B) )
lingsrückkehr und zur militärischen Absiche- beinhalten.
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
Anlage 2
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Petra Hinz (Essen) (SPD) zur
namentlichen Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung zu dem Antrag: Fortsetzung der
deutschen Beteiligung an der Internationalen
Sicherheitspräsenz im Kosovo zur Gewährleis-
tung eines sicheren Umfeldes für die Flücht-
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Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
Deligöz, Ekin BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
21.06.2007
Gabriel, Sigmar SPD 21.06.2007
Gloser, Günter SPD 21.06.2007
Hintze, Peter CDU/CSU 21.06.2007
von Klaeden, Eckart CDU/CSU 21.06.2007
Kuhn, Fritz BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
21.06.2007
Dr. Lamers (Heidelberg),
Karl
CDU/CSU 21.06.2007
Leutert, Michael DIE LINKE 21.06.2007
Merten, Ulrike SPD 21.06.2007
Merz, Friedrich CDU/CSU 21.06.2007
Nešković, Wolfgang DIE LINKE 21.06.2007
Roth (Augsburg),
Claudia
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
21.06.2007
Roth (Esslingen), Karin SPD 21.06.2007
Scheel, Christine BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
21.06.2007
Dr. Schick, Gerhard BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
21.06.2007
Seehofer, Horst CDU/CSU 21.06.2007
Tillmann, Antje CDU/CSU 21.06.2007
Ulrich, Alexander DIE LINKE 21.06.2007
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Anlagen zum Stenografischen Bericht
rung der Friedensregelung für das Kosovo auf
der Grundlage der Resolution 1244 (1999) des
Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom
10. Juni 1999 und des Militärisch-Technischen
Abkommens zwischen der Internationalen
Sicherheitspräsenz (KFOR) und den Regierun-
gen der Bundesrepublik Jugoslawien (jetzt:
Republik Serbien) und der Republik Serbien
vom 9. Juni 1999 (Tagesordnungspunkt 5)
Ich stimme mit dem Antrag der Bundesregierung
berein, dass der im Jahr 2005 von den Vereinten Natio-
en initiierte Prozess zur Bestimmung des zukünftigen
tatus des Kosovo schnellstmöglich zu einem erfolgrei-
hen Abschluss gebracht werden muss. Die politische
ösung dieses Konfliktes an den Grenzen der Europäi-
chen Union ist ein entscheidender Schritt für die end-
ültige Befriedung ganz Europas. Dazu ist es unabding-
ar, dass die Vereinten Nationen, die Europäische Union
nd die Regierungen in Belgrad und Pristina schnellst-
öglich eine für alle Seiten zufriedenstellende Lösung
inden.
Die harte Arbeit aller Seiten an dieser politischen Lö-
ung kann aber nicht bedeuten, dass die militärische Prä-
enz der NATO-Truppen im Kosovo immer wieder auf
nbestimmte Zeit verlängert wird. Am 18. Oktober 1998
eschloss der Deutsche Bundestag, sich an der NATO-
eführten Operation ALLIED FORCE im Kosovo mit
eutschen Streitkräften zu beteiligen. Dieser Einsatz war
ine Zäsur in der Verteidigungspolitik der Bundesrepu-
lik Deutschland. Seit dem 24. März 1999 beteiligten
ich deutsche Tornado-Kampfflugzeuge an Luftangriffen
uf die damalige Bundesrepublik Jugoslawien und führ-
en die Bundeswehr damit in ihren ersten Kampfeinsatz.
Nach Abzug der jugoslawischen Truppen aus dem
osovo beschloss der Deutsche Bundestag am 11. Juni
999 die Stationierung deutscher Soldatinnen und Solda-
en im Kosovo, um den erreichten Frieden aufrechtzu-
rhalten. Acht Jahre später hat sich die Lage im Kosovo
ntspannt. Ein Gesamtkonzept für die Beendigung der
ilitärischen Präsenz der NATO im Kosovo wurde aber
isher noch nicht vorgelegt.
Dem Antrag der Bundesregierung fehlt es deshalb
inmal mehr an Präzision und Perspektive. Es reicht
icht aus, den Einsatz deutscher Soldatinnen und Solda-
en im heutigen Umfang erneut um ein Jahr zu verlän-
ern. Es ist an der Zeit, eine Strategie zu entwickeln, wie
er Kosovo und seine Nachbarstaaten gemeinsam für ein
riedliches Nebeneinander sorgen können. Die Unter-
tützung der internationalen Gemeinschaft ist dabei
elbstverständlich. Es muss verstärkt in die Schaffung
nd Ausbildung selbstständiger Sicherheitsorgane im
osovo investiert werden. Gleichzeitig muss aber auch
in Konzept für den schrittweisen Abzug der NATO-
inheiten erarbeitet werden. Schon deshalb muss ein
ntrag auf Verlängerung des Mandates eine Perspektive
ür den Abzug der deutschen Einheiten aus dem Kosovo
10850 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Juni 2007
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Das Ziel der Europäischen Union muss es sein, auch
an ihren Außengrenzen politische und wirtschaftliche
Stabilität zu schaffen, welche nicht durch eine massive
militärische Präsenz künstlich aufrechterhalten wird. Die
deutsche Bundesregierung sollte als Ratspräsident mit
gutem Beispiel vorangehen, indem sie den zukünftigen
Einsatz deutscher Soldaten an klare Bedingungen knüpft
und ihr ziviles Engagement beim Aufbau eigener Sicher-
heitsorgane verstärkt.
Ich merke weiterhin an, dass sich der Deutsche Bun-
destag bis heute immer noch keiner Debatte über die zu-
künftige Ausrichtung der Bundeswehr gestellt hat. Wel-
che Aufgaben sollen international übernommen werden?
Wo sind die Grenzen des deutschen militärischen
Engagements? Und vor allem, wie schaffen wir eine
klare und eindeutige verfassungsrechtliche Grundlage
für Auslandseinsätze der Bundeswehr? Diese Fragen
sind vom Plenum des Bundestages zu debattieren und
Antworten müssen gefunden werden. Eine Legitimie-
rung von Einsätzen deutscher Soldatinnen und Soldaten
im Ausland durch Art. 24 Abs. 2 GG ist nach meiner In-
terpretation nicht gegeben. Sollte der Bundestag mehr-
heitlich der Überzeugung sein, dass ein weltweites mili-
tärisches Engagement Deutschlands notwendig ist, sollte
dies auch verfassungsrechtlich eindeutig verankert wer-
den. Dies sind wir der Bevölkerung und vor allem den
Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr schuldig. Im-
merhin beschließen wir gemeinsam, welchen Gefahren
wir die deutschen Streitkräfte aussetzen können und wel-
chen nicht. Auch für uns selbst ist es notwendig, unsere
Entscheidungen durch das Grundgesetz zu legitimieren.
Ich hoffe, dass sich jedes Mitglied des Hauses dieser
hohen Verantwortung bewusst ist. Bei der aktuellen ver-
fassungsrechtlichen Lage und aufgrund des fehlenden
Gesamtkonzeptes für die Beendigung des Einsatzes im
Kosovo kann ich nicht mit meinem Gewissen vereinba-
ren, deutsche Soldatinnen und Soldaten weiterhin in ei-
nen Einsatz ohne klare Perspektive zu schicken. Ich
stimme dem Antrag der Bundesregierung daher nicht zu.
Anlage 3
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts zu dem Antrag: Den Fahrradtouris-
mus in Deutschland umfassend fördern (Tages-
ordnungspunkt 16)
Ernst Hinsken (CDU/CSU): Der Tourismusaus-
schuss und die mitberatenden Ausschüsse empfehlen,
den Antrag „Den Fahrradtourismus in Deutschland um-
fassend fördern“ anzunehmen. Er gibt einen wichtigen
Impuls, um den Fahrradtourismus in Deutschland weiter
zu stärken und seine Potenziale zu realisieren.
Der Fahrradtourismus in Deutschland ist eine Wachs-
tumsbranche und trägt – nach Schätzungen des Allge-
meinen Deutschen Fahrradclubs (ADFC) – circa 5 Mil-
liarden Euro zum touristischen Umsatz in Deutschland
bei. Nach dem Ergebnis der Radreiseanalyse 2007 des
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DFC haben im Jahr 2006 44,7 Prozent der Deutschen
as Fahrrad im Urlaub genutzt. Dies entspricht rund
2 Millionen Reisenden. Auch die Prognosen für die Zu-
unft sehen gut aus: 2,2 Millionen Bundesbürger planen
n den nächsten drei Jahren „ziemlich sicher“ eine
adreise. Bei deutschen Fahrradtouristen ist der Urlaub
m eigenen Land und hier vor allem in landschaftlich at-
raktiven Gebieten abseits der Ballungsräume sehr be-
iebt. Der Fahrradtourismus unterstützt zunehmend die
irtschaftliche Entwicklung vieler strukturschwacher
egionen.
Wir müssen alle Kräfte zukünftig noch mehr bündeln,
m die Potenziale des Fahrradtourismus weiter realisie-
en zu können. Hierbei sind natürlich die Zuständig-
eiten im föderativen System zu berücksichtigen. Die
örderung des Fahrradtourismus liegt grundsätzlich in
er Zuständigkeit der Länder und Kommunen. Der Bund
ann hierbei nur eine koordinierende Funktion wahrneh-
en.
Ich begrüße sehr, dass die Bundesländer innerhalb ih-
er Landesgrenzen im Bereich des Fahrradtourismus be-
eits sehr aktiv sind. Das Potenzial kann jedoch nur dann
mfassend erschlossen werden, wenn alle Länder für
ine koordinierte Zusammenarbeit gewonnen werden
önnen. Es gilt, die Länder auch für länderübergreifende
ktivitäten im Bereich des Fahrradtourismus zu gewin-
en. Es gilt, Deutschland als Urlaubsland für Fahrrad-
ahrer noch attraktiver zu machen und zum Beispiel
urch Vernetzung mit anderen europäischen Radwege-
etzen auch die Anzahl der ausländischen Gäste zu erhö-
en. Es gilt, bald zu handeln, um den Imagegewinn, den
nser Land durch die Fußballweltmeisterschaft erzielt
at, hier im Inland in bare Münze umzusetzen.
Auch das bundesweite Radfernwegenetz – kurz:
-Netz – auf das sich Vertreter der Länder und der Tou-
ismusorganisationen sowie des ADFC vor gut sechs
ahren verständigt haben, leistet dazu seinen Beitrag so-
ohl in nationaler, aber auch in europäischer Sicht. So
ind sieben Routen des D-Netzes auch Teil des europäi-
chen Radfernwegenetzes (EuroVeloNetz). Die Umset-
ung des D-Netzes mit hohem Qualitätsanspruch ist ein
ichtiges Ziel des Nationalen Radverkehrsplans. Erste
ichtige Schritte sind hier schon erfolgt.
So würde mit finanzieller Unterstützung des Bundes-
inisteriums für Wirtschaft und Technologie bereits
001 der Oder-Neiße-Radweg, der mit einer Gesamt-
änge von 460 km als einziger Radfernweg durch die
euen Bundesländer Sachsen, Brandenburg und Meck-
enburg-Vorpommern verläuft, als Modellroute ausge-
aut.
Im März dieses Jahres habe ich gemeinsam mit dem
undesministerium für Wirtschaft und Technologie und
em Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtent-
icklung eine Konferenz zum Thema „Fahrradtouris-
ius – Neue Wege, in Deutschland“ durchgeführt. Zu der
onferenz waren Entscheidungsträger aus Politik, Tou-
ismus und Verkehr eingeladen. Neben einer Bestands-
ufnahme haben wir insbesondere Strategien für die Zu-
unft diskutiert. Hierbei haben wir den Blick auch über
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Juni 2007 10851
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den Tellerrand gewagt und uns Erfahrungen aus der
Schweiz und Österreich berichten lassen.
Die Konferenz hat großen Anklang gefunden und der
Wille der Länder, sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten
zu beteiligen, ist deutlich geworden. Die Konferenz hat
zum einen gezeigt, dass es sehr gewinnbringend ist,
wenn die Aktivitäten im Bereich des Fahrradtourismus
in einer Hand gesteuert werden und so überregionale
Kooperationen gefördert werden können. Sie hat zum
anderen aber auch gezeigt, dass zur tatsächlichen Erfas-
sung der wirtschaftlichen Bedeutung des Fahrradtouris-
mus eine fundierte Datenlage fehlt.
Die Konferenz hat konkrete Projektvorhaben zur
Folge, die diese beiden Handlungsfelder aufgreifen. So
ist kürzlich gemeinsam vom Bundesministerium für
Wirtschaft und Technologie und dem Bundesministe-
rium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung die Initi-
ierung eines weiteren Pilotprojekts vereinbart worden.
Es ist beabsichtigt, die quer durch Deutschland von der
niederländischen bis zur polnischen Grenze verlaufende
D-Netz-Route 3, die auf der Strecke des Europaradwegs
R 1 verläuft, im Rahmen eines von beiden Ministerien
und den beteiligten Ländern – Nordrhein-Westfalen,
Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Ber-
lin – finanziell getragenen Pilotprojektes als weitere Mo-
dellroute auszubauen. Die Radwegeinfrastruktur und die
Beschilderung, aber auch das touristische Serviceange-
bot und Marketing auf dem 915 km langen Radweg soll
verbessert werden.
Des Weiteren ist es ein Anliegen des Wirtschafts-
ministeriums, im Segment Fahrradtourismus auf eine
bessere Datenlage zurückgreifen zu können, um auch für
zukünftige Investitionen mit schlagkräftigen Argumen-
ten werben zu können. Das Wirtschaftsministerium hat
sich daher entschlossen, eine Grundlagenuntersuchung
zum Segment Fahrradtourismus durchführen zu lassen.
Mit einer fundierteren Datenlage wird es für alle Betei-
ligten einfacher sein, innerhalb ihrer Institutionen für
eine verstärkte Förderung des Fahrradtourismus zu wer-
ben.
Aber auch im Bereich der Transportmöglichkeiten für
Fahrräder gibt es noch deutlichen Verbesserungsbedarf.
Zur Förderung des Fahrradtourismus gehört auch, die
Mitnahme von Fahrrädern in den Fernzügen der Deut-
sche Bahn AG zu ermöglichen. Die schon bestehenden
Angebote an Mitnahmemöglichkeiten im Regionalver-
kehr, im IC-Bereich und rund um den Fahrradtransport
sind sehr zu begrüßen. Es ist allerdings auch festzustel-
len, dass mit der sukzessiven Umstellung verschiedener
IR-, EC- und IC-Linien auf den Hochgeschwindigkeits-
zug ICE zunehmend Angebotslücken für die Fahrradmit-
nahme entstanden sind. Gemeinsam mit der DB AG sind
die Möglichkeiten für eine Verbesserung des Mitnahme-
angebots von Fahrrädern im Fernverkehr zu prüfen.
Hierfür werde ich mich gemeinsam mit Herrn Staats-
sekretär Kasparick gegenüber der Bahn AG noch einmal
persönlich einsetzen. Die Einrichtung einer ICE-Pilot-
strecke könnte hier neue Erkenntnisse bringen, und die
Diskussion versachlichen. Der Bund ist bereit, ein Mo-
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ellprojekt durch eine geeignete Begleitevaluierung zu
nterstützen.
Ich bin überzeugt, mit diesem Maßnahmenkatalog
nd den im Antrag angeregten Maßnahmen wird es uns
elingen, den Fahrradtourismus in Deutschland nachhal-
ig zu stärken.
Gabriele Hiller-Ohm (SPD): „Deutschland ist ein
ahrrad-Entwicklungsland.“ So betitelt ein namhafter
eutscher Fahrrad-Verband eine aktuelle Pressemittei-
ung. Ob diese Analyse für den Alltagsverkehr zutrifft,
ögen die Verkehrspolitiker beurteilen.
Der Fahrradtourismus – und um den geht es in unse-
em Antrag – kann jedenfalls nicht damit gemeint sein.
ier verzeichnen wir seit Jahren einen stetigen
ufwärtstrend. Fast 22 Millionen Deutsche nutzen in ih-
en Ferien das Fahrrad, rund 2,6 Millionen Deutsche ha-
en in den vergangenen drei Jahren eine Radreise unter-
ommen. Und dabei haben sie ordentlich Geld
usgegeben: Mehr als die Hälfte der Radreisenden inves-
ierte über 1 000 Euro in ihren Fahrradurlaub. Der Um-
atz in dieser Branche liegt bei geschätzten 5 Milliarden
uro. Da die Reisenden ganz überwiegend im eigenen
and bleiben, profitiert der Deutschlandtourismus als
anzes von diesem Boom.
Zu dieser erfreulichen Entwicklung hat der vor fünf Jah-
en verabschiedete Nationale Radverkehrsplan maßgeblich
eigetragen. Viele der Maßnahmen des Radverkehrsplanes
ommen dem Radtourismus zugute, allen voran der durch
as D-Netz angestoßene Ausbau regionaler und überregio-
aler Radwege sowie die Wegweisung der Routen.
Klar ist aber: Auf diesen Lorbeeren dürfen wir uns
icht ausruhen! Bei den Radreisen liegen immer noch
otenziale brach, die es zu erschließen gilt. Die Privat-
aushalte in Deutschland besitzen rund 67 Millionen
ahrräder, aber nur ein Bruchteil davon geht mit dem
elo auch auf Reisen. Hier müssen wir ansetzen! Recht-
eitig zur Halbzeit des Radverkehrsplanes haben wir
eshalb einen Antrag vorgelegt, der dessen Ziele noch-
als unterstreicht und weiter vorantreiben soll.
Richtig ist, dass einige der von uns angesprochenen
aßnahmen bereits in Angriff genommen wurden oder
umindest in Planung sind, so etwa der weitere Ausbau
es D-Netzes. Unser Antrag soll hier als Unterstützung
nd gleichzeitig als Mahnung dienen, die begonnenen
orhaben zügig um- oder fortzusetzen.
Dass unsere Forderungen bereits vor der Verabschie-
ung des Antrages Beachtung gefunden haben, zeigt ein
eispiel: Fahrradwege in der Nähe von Flüssen und
asserstraßen sind besonders beliebt. Für den Ausbau
on Radwegen an Bundeswasserstraßen stellt der Bund
eshalb jährlich 10 Millionen Euro zur Verfügung. Diese
ittel wurden jedoch in der Vergangenheit nur zu einem
eringen Teil abgerufen. Wir fordern daher in unserem
ntrag, den Abfluss der Gelder zu verbessern. Ein wich-
iger Schritt dahin ist die verstärkte Ansprache der Kom-
unen, die für die Unterhaltung der Wege zuständig
ind. Seit Anfang dieses Jahres gibt es nun eine Neue-
ung im Antragsverfahren: Nicht mehr nur die Wasser-
10852 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Juni 2007
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und Schifffahrtsämter, sondern auch die Städte und Ge-
meinden können direkt Mittel aus diesem Topf beantra-
gen. Das erhöht die Chance auf den Ausbau der Wege.
Wir werden genau beobachten, ob die Mittel jetzt besser
abgerufen werden und so die Infrastruktur weiter ge-
stärkt wird.
Unser Antrag soll jedoch nicht nur das forcieren, was
bereits angelaufen ist. Es geht darum, den Druck auf die
Akteure zu erhöhen, die dem Radtourismus Steine in den
Weg legen. Auch hier ein Beispiel: Die Fahrradmit-
nahme im Fernverkehr der Deutschen Bahn AG ist, wie
Sie alle wissen und oft kritisiert haben, immer noch un-
zureichend. Der öffentliche Druck auf die Bahn wächst,
das Europäische Parlament hat die verpflichtende Ein-
führung von Multifunktionsabteilen in allen Zügen be-
schlossen und Bundesverkehrsminister Tiefensee fordert
Teststrecken für die Fahrradmitnahme. Dennoch stehen
die Signale bei der Bahn auf Rot – das zeigt die Blo-
ckade der Radmitnahme im grenzüberschreitenden
Hochgeschwindigkeitszug TGV. Wir müssen Herrn
Mehdorn also weiter einheizen. Daher ist es gut, dass wir
die Radmitnahme in unserem Antrag aufgreifen.
Wir sprechen also mit unserem Antrag Themen an,
die für den Fahrradtourismus von großer Bedeutung
sind. Die Oppositionsfraktionen kritisieren den vorlie-
genden Antrag dennoch wahlweise als „überflüssig“
oder „zu unverbindlich“ und bemängeln, dass wir in vie-
len Punkten fordern, es solle auf Länder und Kommunen
„eingewirkt werden“.
Liebe Kolleginnen und Kollegen aus der Opposition:
Wir haben selbst darauf hingewiesen, dass viele Maß-
nahmen zur Förderung des Fahrradurlaubs in der Verant-
wortung von Ländern und Kommunen liegen. In vielen
Bereichen können wir nur gemeinsam mit den Ländern
und Kommunen Fortschritte erzielen oder auf sie einwir-
ken, damit sie aktiv werden. Gerne würden wir auch
stärkeren Einfluss auf die Bahn nehmen, endlich bei der
Fahrradmitnahme in Fernzügen voranzukommen. Da es
sich hier aber nicht mehr um einen Staatsbetrieb handelt,
sind uns enge Grenzen gesetzt.
Es wundert mich in diesem Zusammenhang sehr, dass
gerade Sie, Herr Burgbacher von der FDP, uns im Tou-
rismusausschuss vorgeworfen haben, mit dem Antrag
nicht genügend Druck auf die Bahn auszuüben. Sonst ist
die FDP doch immer gegen Einflussnahme des Staates
auf Wirtschaftsbetriebe. Und hier plötzlich die Kehrt-
wende! Gut finde ich aber, dass wir uns bei der Fahrrad-
mitnahme in Fernzügen grundsätzlich über alle Fraktio-
nen hinweg einig sind. Wir sollten deshalb die Bahn
weiter in die Verantwortung nehmen und Sie, Herr
Burgbacher, sollten unserem Antrag zustimmen, damit
eine gemeinsame Linie des Parlamentes erkennbar wird.
Von Bündnis 90/Die Grünen kam die Kritik, dass sich
der Antrag ausschließlich auf den Tourismus beziehe.
Liebe Kollegin Maisch, ich erinnere Sie daran, dass wir
Tourismuspolitikerinnen und -politiker sind und sich
deshalb unser Antrag natürlich auf den Fahrradtourismus
und nicht – wie Sie es wünschen – auf sämtliche Berei-
che des Fahrradverkehrs bezieht.
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Zwar hat der Bund beim Fahrradtourismus in erster
inie nur koordinierende Funktionen. Das darf aber kein
rund für uns sein, das Thema in diesem Hause über-
aupt nicht mehr zu behandeln. Wir wollen, dass die
undesregierung ihre koordinierenden Möglichkeiten in
ukunft noch stärker ausschöpft. Eine wesentliche Auf-
abe sehen wir in der Zusammenführung, Bündelung
nd Abstimmung der Aktivitäten zur Förderung des
ahrradtourismus. Vertreterinnen und Vertreter der Rad-
erkehrsverbände haben mir bestätigt, dass im Bereich
er bundesweiten Vereinheitlichung von Fahrradrouten
nd Beschilderung noch große Defizite bestehen. Wir
chlagen daher zweierlei vor.
Erstens. Wir brauchen eine länderübergreifende Ko-
rdinierungsstelle. Es soll geprüft werden, ob diese beim
undesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwick-
ung eingerichtet werden kann. Sie soll sich insbeson-
ere um die Weiterentwicklung und Vereinheitlichung
er Infrastruktur sowie um die notwendige Abstimmung
wischen den Bundesministerien und mit Ländern und
ommunen kümmern. Wir würden dadurch den Über-
lick über die bestehende Infrastruktur und bereits er-
olgte oder laufende Maßnahmen verbessern, mehr
ransparenz schaffen und auch den Erfahrungsaustausch
wischen den Ebenen optimieren. Die Etablierung von
undesweit einheitlichen Standards könnte erleichtert
erden.
Zweitens. Wir halten die Schaffung einer zentralen
ermarktungsstelle des Fahrradtourismus für nötig, die
ei einem Verein oder Verband angesiedelt werden
önnte. Wir sind nämlich der Meinung, dass sich nicht
lle Maßnahmen zur Förderung des Radtourismus am
esten durch eine staatliche Stelle regeln lassen. Bei der
ermarktung der Angebote setzen wir daher auf das
now-how, das im Verbandsbereich bereits besteht und
eit Jahren erfolgreich eingesetzt wird. Ziel ist, dass die
ouristischen Angebote und das Marketing für den Tou-
ismusstandort Deutschland verstärkt auf die Bedürf-
isse der Fahrradtouristinnen und -touristen abgestimmt
erden.
Ein kluger englischer Lord hat einmal den Satz ge-
rägt: „Wer auch immer das Fahrrad erfunden hat – ihm
ebührt der Dank der Menschheit.“ In Anlehnung an
iese Worte sage ich: Wer auch immer dazu beiträgt, den
ahrradtourismus voranzubringen – ihm gebührt unsere
nterstützung. In diesem Sinne bitte ich um Zustim-
ung zu unserem Antrag.
Ernst Burgbacher (FDP): Der jährliche Umsatz aus
em Fahrradtourismus liegt bei über 5 Milliarden Euro
nd stellt damit eine bedeutende Wachstumsbranche und
inen wichtigen Wirtschaftsfaktor dar. Der Fahrradtou-
ismus ist eine umweltschonende und gesundheitsför-
ernde Urlaubsform. Radreiseveranstalter verbuchten
eispielsweise im Jahr 2005 zweistellige Zuwachsraten.
ie touristischen Angebote für Fahrradtourismus haben
ich in den vergangenen Jahren erheblich vergrößert und
erbessert.
Diese positive Entwicklung wird im Antrag der Ko-
litionsfraktionen „Den Fahrradtourismus in Deutschland
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Juni 2007 10853
(A) )
(B) )
umfassend fördern“ richtig und ausführlich beschrieben.
Allerdings werden keine konkreten politischen Hand-
lungsfelder in dem Antrag aufgezeigt. Die Initiative be-
schränkt sich darauf, Sachverhalte „zu prüfen“, auf Län-
der und Kommunen oder auch Tourismusorganisationen
und Verbände „hinzuwirken“ bzw. „einzuwirken“ oder
etwas „nachzufragen“.
Weiterhin ist im Punkt l des Forderungskatalogs die
Forderung nach einer länderübergreifenden Koordinie-
rungstelle beim Bundesministerium für Verkehr, Bau
und Stadtentwicklung aufgeführt. Dies ist befremdlich
und abzulehnen, da es – zumindest aus Sicht der FDP-
Fraktion – die Aufgabe des dazu berufenen Tourismus-
beauftragten der Bundesregierung im Wirtschaftsminis-
terium sein sollte, die Aktivitäten der Bundesregierung
im Bereich der Tourismuspolitik stärker zu koordinieren
und konzeptionell auszubauen. In Punkt 7 des Antrags
wird die Bundesregierung aufgefordert, die Realisie-
rungsmöglichkeit einer zentralen Stelle für die Vermark-
tung des Fahrradtourismus zu prüfen. Vor allem die
Deutsche Zentrale für Tourismus wirbt gemeinsam mit
dem ADFC sehr erfolgreich für Radreisen in Deutsch-
land. Ein Blick auf die Homepage der DZT illustriert
dies. Informationen zu Bahn & Bike, Bett & Bike, auch
Wellness per Rad, um nur einige Stichworte zu nennen,
werden informativ präsentiert, ebenso Tourenvorschläge
und eine Fülle weiterer Tipps für den informations- und
ratsuchenden Radler. Das erfolgreichste Marketingin-
strument für den deutschen Radtourismus ist laut ADFC
Radreiseanalyse 2006 der gemeinsame Katalog „Deutsch-
land per Rad entdecken“, dessen 5. Auflage mit 500 000
deutschen und englischen Exemplaren 140 Radrouten in
Deutschland präsentiert und in 26 Ländern vertrieben
wird. Für eine „zentrale Fahrradtourismusvermarktungs-
stelle“ besteht daher kein Bedarf. Auch unter Wettbe-
werbsgesichtspunkten lehnt die FDP eine solche Zentral-
stelle ab.
Deutschland ist ein beliebtes Radreiseziel. 2006
konnte der Fahrradtourismus das hohe Niveau des Vor-
jahres halten. 44,7 Prozent aller Deutschen nutzen das
Rad im Urlaub, 14,9 Prozent von ihnen sogar „häufig“
bis „sehr häufig“. Für 64 Prozent der Radreisenden war der
Fahrradurlaub die Haupturlaubsreise. Dies geht aus den
„Zahlen-Daten-Fakten – Tourismus in Deutschland 2006“
des Deutschen Tourismusverbands hervor. 2 Millionen
Deutsche planen in den nächsten drei Jahren laut ADFC
Radreiseanalyse 2006 „ziemlich sicher“ mindestens eine
Radreise. Für weitere 3,4 Millionen Deutsche kommt ein
Fahrradurlaub generell in Frage. 89 Prozent der Rad-
urlaube sind Haupturlaubsreisen.
Die Angebote für Fahrradtourismus haben sich in den
vergangenen Jahren erheblich vergrößert und verbessert.
Die Branche hat sich auf die gestiegene Nachfrage nach
fahrrad- und radlerfreundlichen Unterkünften und Ange-
boten eingerichtet, und das größere, vielfältige Angebot
gewinnt neue, zusätzliche Fahrradtouristen. Radreisever-
anstalter verbuchten beispielsweise im Jahr 2005 zwei-
stellige Zuwachsraten. Auch Busreiseveranstalter, die
sich auf die Bedürfnisse dieser Klientel eingestellt ha-
ben, erzielten mit speziellen Fahrradanhängern und be-
sonderen Pauschalangeboten deutliche Zuwachsraten.
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urch die Schaffung attraktiver Fahrradangebote kön-
en insbesondere in strukturschwachen Gebieten, die
ich für diese Urlaubsform besonders anbieten, Arbeits-
lätze geschaffen werden. Der jährliche Umsatz aus dem
ahrradtourismus liegt über 5 Milliarden Euro. So haben
und 80 Prozent der vom ADFC Befragten im vergange-
en Jahr über 500 Euro für die von ihnen getätigten
adreisen und Kurzurlaube ausgegeben. Bei 51,3 Prozent
er Radreisenden waren es sogar mehr als l 000 Euro,
urchschnittlich wurden für eine Radreise 1 169 Euro
usgegeben. Durch eine bessere Koordinierung des
eutschlandweiten Radfernwegenetzes kann der Umsatz
eiter gesteigert werden.
Selbstverständlich gilt es, den Fahrradtourismus wie
uch andere Urlaubsformen im Interesse des Tourismus-
tandorts Deutschland politisch zu fördern und zu unter-
tützen, doch ich sehe nicht, dass der Antrag der Koali-
ionsfraktionen hierfür das geeignete Instrument ist.
eshalb wird sich die FDP-Bundestagsfraktion bei der
bstimmung über diesen Antrag enthalten.
Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): Der Fahrradtourismus
st wichtig, wachsend und förderwürdig. Die Fortbewe-
ung zu Fuß und mit dem Fahrrad, ob im Alltag oder im
rlaub, ist gesund und gut für die Umwelt. Man lernt
and und Leute besser kennen, als wenn man Stadt und
and überfliegt oder in Höchstgeschwindigkeit mit der
ahn oder dem Auto durchquert.
Unbestritten ist, dass auf dem Gebiet des Fahrradtou-
ismus und der Entwicklung von Radwegenetzen einiges
n den letzten Jahren passiert ist. Dies ist vor allem Ver-
ienst der Radfahrerinnen und Radfahrer, des Allgemei-
en Deutschen Fahrrad Clubs, ADFC, und vieler weite-
er Vereine und Initiativen. Trotzdem kommen wir bei
estimmten Problemen nicht oder nur sehr langsam
oran.
Natürlich geht es – wenn wir wirklich etwas bewegen
ollen – nicht nur um die Förderung des Fahrradtouris-
us, sondern um eine umfassende Förderung des Fahr-
adverkehrs im Alltag. Beides bedingt einander.
Ohne den Blick über den Tellerrand, also eine inter-
ommunale bzw. länderübergreifende Zusammenarbeit,
assen sich attraktive Angebote für Fahrradtouristen
icht entwickeln. Insofern ist die mit der sogenannten
öderalismusreform weiter forcierte Kleinstaaterei nicht
ilfreich und die von der Bundesregierung geforderte
oordinierungsstelle nur eine sehr begrenzt wirkende
ilfe.
Wenn wir den Fahrradverkehr fördern wollen, brau-
hen wir überall Planungen und Investitionen, die an
dministrativen Grenzen nicht enden, sowie fahrrad-
reundliche Städte und Gemeinden mit entsprechenden
egen, Verkehrswegeeinrichtungen und Abstellplätzen.
ich ärgert, wenn ich immer wieder neue oder erneuerte
traßen sehe, bei denen der Radweg „vergessen“ wurde.
Gleichermaßen indiskutabel ist, dass immer mal wie-
er „vergessen“ wird, eine ausreichende Anzahl von
ahrradabstellplätzen bei Gebäuden und Einrichtungen
u scharfen. Das Ergebnis sind hoffnungslos zugeparkte
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Bürgersteige. Rund um den Reichstag haben wir dafür
viele Anschauungsmöglichkeiten.
Eine durchgängige barrierefreie Infrastruktur in den
Kommunen – als Nutzer eines Rollstuhls weiß ich, wo-
von ich rede – braucht es zu allererst den Willen aller
Beteiligten und kreative Lösungen, dann sicher auch
noch das nötige Kleingeld.
Eine wichtige Frage für Fahrradtouristen ist, wie sie
bzw. er mit dem eigenen Rad in die gewünschte Region
kommt. Laut Koalitionsantrag Punkt 6 fordert der Bun-
destag die Bundesregierung auf: „bei der Deutschen
Bahn AG nachzufragen, ob und unter welchen Voraus-
setzungen eine Steigerung bei der Fahrradbeförderung
insbesondere im Fernverkehr erreicht werden kann …“
Mehr könne man nicht machen – so die Kollegen von
der Koalition im Tourismusausschuss –, da die Bahn ein
privates Unternehmen sei. Dies ist ein Argument gegen
die immer weiter voranschreitende Privatisierung und
Ausdünnung von Bahnen und anderen öffentlichen Ver-
kehrsträgern. Auch deswegen fordert Die Linke einen
Privatisierungsstopp bei Bahn und anderen Infrastruktur-
betrieben.
Davon abgesehen gibt es durchaus Möglichkeiten,
mehr für die Mitnahme von Fahrrädern zu tun, als nur
mal nachzufragen: Die Linke fordert deshalb die Bun-
desregierung auf, das Allgemeine Eisenbahngesetz zu
ändern, damit für alle Eisenbahnbetreiber feststeht, in
welchem Umfang Fahrräder mitgenommen werden müs-
sen und in welchem Zeitraum dafür die Voraussetzungen
zu schaffen sind.
Sicher wird in jeder heute zu später Stunde zu Proto-
koll gegebenen Rede deutlich, dass alle Fraktionen für
die umfassende Förderung des Fahrradtourismus sind.
Da der Antrag auch noch von den „richtigen“ Fraktio-
nen, also von der Koalition kommt, ist diesmal die
Mehrheit für den Antrag gewiss. Vielen der aufgeführten
Punkte kann die Fraktion Die Linke beipflichten, und da
die Richtung stimmt, werden wir dem Antrag auch ins-
gesamt zustimmen.
Eines muss aber auch klar sein: Dadurch ist das
Thema nicht erledigt. Die Bundesregierung ist nunmehr
gefordert, dafür zu sorgen, dass es nicht bei zahnlosen
Appellen in Richtung Länder und Kommunen sowie
Bahn und touristischen Einrichtungen bleibt. Taten sind
erforderlich.
Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Als
Nordhessin liegt mir der Fahrradtourismus besonders am
Herzen. Für die nordhessische Region ist der Tourismus
ein wichtiger wirtschaftlicher Faktor. Jährlich können
wir rund sieben Millionen Übernachtungen verbuchen.
Mit 40 000 Arbeitsplätzen leistet der Tourismus einen
bedeutenden Beitrag zur regionalen Wertschöpfung. Mit
über 2 000 km Radwegen ist die Region auch für Rad-
touristen attraktiv. Über ein schnelles und effektives
Mehr an Fahrradfreundlichkeit würde ich mich freuen.
Ihr Beitrag zum Fahrradtourismus hingegen ist ein
schönes Beispiel für die Arbeit der Großen Koalition:
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iele Worte, leere Forderungen. Altbekanntes wird in
eue Phrasen verpackt, und die Unverbindlichkeit wird
ls Tugend postuliert. Nichts bewegt sich. Es ist, als
ürde im Leerlauf in die Pedale getreten. Aber ich
timme mit Ihnen überein, dass die Stärkung des Fahr-
adtourismus positive Auswirkungen auf den Tourismus-
tandort Deutschland hat. Allein in diesem Teilsegment
önnen jährliche Steigerungsraten von 5 Prozent ver-
eichnet werden. Fahrradfahren ist umweltfreundlich,
ut für die Gesundheit und spricht unterschiedliche Ziel-
ruppen an. Alles richtig. Ihre Analyse kann ich teilen.
ch kann auch die Forderungen teilen. Nur leider er-
ächst aus Ihrer Erkenntnis kein echter Gewinn für den
ahrradtourismus. Die notwendigen Schritte für eine
onzeptionelle Förderung des Fahrradtourismus fehlen
n Ihrem Antrag.
Ich frage mich, wie die Bundesregierung den Fahrrad-
ourismus fördern will, wenn ihr außer hinwirken, ein-
irken, nachfragen und prüfen nichts einfällt. Ich wage
ie Prognose, dass allein durch bloßes Hinwirken kein
chneller Ausbau des Bundesradroutennetzes erfolgt.
ie Wachstumspotenziale dieser umweltschonenden
orm des Reisens, die es ja definitiv gibt, werden so
anz sicher nicht ausgeschöpft.
Es freut mich, dass sich Herr Tiefensee persönlich um
ie Mitnahmemöglichkeiten von Fahrrädern in ICEs
ümmert. Allerdings zeigt ein Blick in die Historie die-
es Dauerthemas schnell, dass wohl auch der ministeri-
lle Beistand wenig an der Fahrradfeindlichkeit der ICEs
ndern wird. Probestrecke hin oder her.
Zum Schluss lassen sie mich noch einen Appell an
ie richten: Rücken Sie die richtigen Verkehrsträger in
en Fokus ihres Interesses. Die 7 Prozent aller Wege, die
eute mit dem Fahrrad zurückgelegt werden, sind ein-
eutig steigerungsfähig: Mit einer fahrradfreundlichen
traßenverkehrsordnung, entsprechender Infrastruktur
nd einem Höchstmaß an Sicherheit für die Radfahrerin-
en und Radfahrer. Klimafreundliche Mobilität im Ur-
aub und im Alltag – da fördern Sie richtig. Umfassend.
nlage 4
Zu Protokoll gegebenen Reden
zur Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts zu dem Antrag: Politische Lösungen
sind Voraussetzung für Frieden in Somalia (Ta-
gesordnungspunkt 15)
Anke Eymer (Lübeck) (CDU/CSU): Die Lage in So-
alia und besonders in Mogadischu ist immer noch kri-
isch. Im März haben wir im Bundestag über die Lage in
omalia gesprochen. Ich begrüße es sehr, dass es in der
wischenzeit eine intensive und konstruktive Zusam-
enarbeit und eine gemeinsame Entschließung der Ko-
litionsfraktionen, der FDP und der Grünen gegeben hat.
Dass sich trotz der angelaufenen Mission AMISOM
er Afrikanischen Union – African Union Mission to
omalia – die Lage für Hunderttausende immer noch
icht wesentlich verbessert hat, ist erschreckend.
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AMISOM ist in einer kritischen Lage. Dafür gibt es
verschiedene Faktoren. Noch immer ist die Sollstärke
von 8 000 Mann nicht erreicht, zu wenige afrikanische
Staaten haben sich bisher mit einem Truppenkontingent
beteiligt.
Internationale Unterstützung bei der Logistik, dem
Transport der Truppen und der Ausrüstung scheint drin-
gend notwendig. Dass sich der Weltsicherheitsrat der
Vereinten Nationen für die schnelle Einsetzung einer
UN-Friedenstruppe ausgesprochen hat, eröffnet eine Op-
tion. Man darf aber nicht verkennen, dass es in Somalia
vorrangig um eine politische Lösung geht. Und es muss
schnell gehandelt werden, weil die Lage der betroffenen
Bevölkerung sich zusehends verschlechtert.
Die UNHCR-Beobachter (United Nations High Com-
missioner for Refugees) beschreiben die Situation als
sehr ernst. Der UNHCR hatte seit Februar 391 000 Ver-
triebene aus Mogadischu registriert. Trotz der relativ ho-
hen Zahl der Rückkehrer bleiben die Bedingungen
schwierig. Die Hauptstadt verfügt in weiten Teilen we-
der über sanitäre Anlagen und Strom noch über Trink-
wasser. Viele Gebäude sind stark einsturzgefährdet. Die
Krankheits- und Todesfälle auch wegen der schlechten
hygienischen Versorgung nehmen zu.
Für eine politische Lösung ist der Dialog aller Kon-
fliktparteien unverzichtbar. Dazu zählen auch Vertreter
der Zivilbevölkerung. Das sind nicht nur Repräsentanten
der Clans. In einem Kommuniqué der EU vom Anfang
dieses Jahres wird zu Recht darauf hingewiesen, dass
auch Vertreter der Frauen an diesem Dialog zu beteiligen
sind. Frauenrechte sind Menschenrechte. Und die Aner-
kennung der Menschenrechte muss Fundament des Pro-
zesses der Aussöhnung sein.
Die sogenannte Versöhnungskonferenz ist bereits
mehrfach verschoben worden. Der Übergangsregierung
von Präsident Yusuf muss deutlich gemacht werden,
dass diese Konferenz die Conditio sine qua non für eine
friedliche Lösung in Somalia darstellt. Weitere Halbher-
zigkeiten oder Lippenbekenntnisse können nicht hinge-
nommen werden. Der Dialog auf der Konferenz muss
alle relevanten politischen und zivilen Kräfte einschlie-
ßen, damit er breite Akzeptanz findet.
In einem Aufruf auf dem nationalen Forum muslimi-
scher Führer, die am 26. November 2006 in Kenia abge-
halten wurde, hieß es:
Wir werden eine dauerhafte Lösung in Somalia nie-
mals ohne oder gar gegen die Islamischen Gerichte
erreichen können.
Traditionell gehören die Somalis einem gemäßigten,
sunnitischen Islam an. Von den ungefähr elf Islamischen
Gerichtshöfen werden von Experten nur zwei als explizit
extremistisch eingestuft. Die große Mehrzahl ist mode-
rat. Es darf nicht verkannt werden, dass durch die Islami-
schen Gerichtshöfe in ihrem jeweiligen Einflussbereich
zumindest ein Grundlevel an sozialer Versorgung und
Struktur sichergestellt wurde. Es könnte der Bevölke-
rung nicht vermittelt werden, wenn sie nicht am Aussöh-
nungsdialog beteiligt würden. Grundlage muss aber die
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usicherung sein, dass sie den Terrorismus verurteilen,
ich zur territorialen Integrität der Nachbarstaaten be-
ennen und keine ausländischen, bewaffneten Gruppen
n Somalia dulden.
Aber auch die internationale Gemeinschaft ist weiter
efordert, diesen Prozess sinnvoll zu begleiten, damit am
nde eine repräsentative und wirklich handlungsfähige
egierung gebildet werden kann.
Die EU und im Besonderen Deutschland gehören zu
enen internationalen Akteuren, die von den Konfliktpar-
eien in Somalia nicht einseitig einer Partei zugeordnet
erden. Von dieser Akzeptanz hängt wesentlich die Fä-
igkeit und Wirksamkeit ab, den Dialog und Friedens-
rozess in Somalia zu begleiten und zu moderieren. Ich
egrüße es daher, dass die Bundesregierung schon in den
ergangenen Monaten intensive Gespräche mit Nachbar-
ändern und verschiedenen Konfliktparteien geführt hat.
Auch Mitgliedern der Arabischen Liga, zu der auch
omalia gehört, könnte und sollte hier eine wichtige
olle zukommen.
Durch eine internationale Zusammenarbeit kann man
uch zeigen, dass die in der islamischen Welt weit ver-
reitete Phobie einer christlich-westlichen Vorherrschaft
nbegründet ist.
Es kann auf der anderen Seite auch ein wichtiges Zei-
hen für den Westen sein, dass das Wort von der Scharia
nd ihrer Vertreter seinen Platz in einem konstruktiven
ussöhnungsprozess haben kann.
Der Islam in Afrika stellt sich, wie auch in anderen is-
amischen Gebieten, als ein facettenreiches Gebilde dar.
iese Vielfalt ist bis heute erhalten geblieben, wird aber
n einer westlichen Einschätzung oft nicht differenziert
ahrgenommen. Ebenso wird auf islamischer Seite nicht
elten aus demagogischen Gründen fälschlich das Phan-
om einer in sich geschlossenen christlichen westlichen
elt heraufbeschworen.
Daher wird es nicht zu einer dauerhaften Lösung und
inem stabilen Frieden kommen, wenn Somalia weiter-
in als Austragungsort externer Konflikte genutzt wird.
s ist unbedingt notwendig, bei der anzustrebenden Lö-
ung nicht nur die Grenzen des heutigen Somalia sicher-
ustellen.
Die teilweise schwierige Situation der Somalis, die
ber verschiedene Staaten in der Region aufgeteilt sind,
st nicht zuletzt der europäisch-afrikanischen Geschichte
nd einer willkürlichen Grenzziehung durch europäische
olonialmächte geschuldet.
Gleichwohl kann es heute nur um eine Lösung inner-
alb der bestehenden Grenzen Somalias gehen. Stellte
an die territoriale Integrität der Nachbarn infrage, öff-
ete man ein Pulverfass. Die friedliche Entwicklung in
omaliland im Norden Somalias und sein bisher unge-
lärter internationaler Status sind hier ein Sonderfall. Es
äre fatal, wenn die friedliche Entwicklung zu einer sta-
ilen Demokratie hier durch den Konflikt beeinträchtigt
ürde. Dennoch ist es unverzichtbar, die gesamte Re-
ion am Horn von Afrika im Blick zu haben.
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Das bezieht sich zum einen auf die Einhaltung des
UN-Waffenembargos und auf den internationalen Kampf
gegen den Terrorismus. Es bezieht sich aber vor allem
auf den ungelösten Grenzkonflikt zwischen dem Nach-
barland Äthiopien und Eritrea. Äthiopien, das in seiner
Grenzregion Ogaden eine große somalische und islami-
sche Minderheit hat, steht auf der Seite der Übergangsre-
gierung. Das weitgehend islamische Eritrea unterstützt
die Islamischen Gerichtshöfe. Diese Interventionen sind
im höchsten Maß kontraproduktiv im Hinblick auf eine
friedliche Entwicklung in Somalia.
Die Anerkennung der Ergebnisse der Grenzkommis-
sion ist ein unverzichtbares Element, um für die gesamte
Region eine tragbare Lösung zu finden und den Stellver-
treterkonflikt in Somalia zu beenden.
Somalia darf nicht wie in den 90er-Jahren zu einem
traurigen Beispiel des Scheiterns der internationalen
Friedensbemühungen werden. Dafür tragen wir alle Mit-
verantwortung.
Brunhilde Irber (SPD): Es entspricht schon fast ei-
ner guten Tradition, dass sich die meisten Fraktionen im
Hause einig sind, wenn es um Themen geht, die die
Sicherheitslage auf dem afrikanischen Kontinent betref-
fen. Deshalb freue ich mich, dass wir den vorliegenden
Antrag interfraktionell beschließen werden.
Am Dienstag haben alle Fraktionen die Gelegenheit
genutzt, den führenden Oppositionspolitiker in Sim-
babwe, Morgan Tsvangirai, zu sprechen. Für die afrika-
nischen Staaten im Allgemeinen traf er eine bemerkens-
werte Aussage: „Der Demokratisierungsprozess in
Afrika ist irreversibel.“ Es klingt fast wie Wunschden-
ken. Ich meine, es handelt sich um eine Vision, für die es
sich einzusetzen lohnt.
Die Situation in Somalia – und darüber wollen wir
heute sprechen – lässt indes weniger Freude aufkom-
men. Eine amerikanische Studie bescheinigt Somalia ei-
nen der Spitzenplätze gescheiterter Staaten und weist auf
eine weitere Verschlechterung der Lebensbedingungen
hin.
Eines steht unmissverständlich fest, und so steht es
auch im vorliegenden Antrag: „Alle internationalen Ver-
suche, eine friedliche Entwicklung Somalias zu beför-
dern, können nur eine unterstützende Rolle einnehmen.
Ein tragfähiger Friedensprozess kann nur von innen
kommen.“
Nun wurde die für den 15. Juni geplante nationale
Versöhnungskonferenz um einen weiteren Monat auf
den 15. Juli verschoben. Am 23. Mai diskutierten wir
auf Einladung von Frau Eid mit Vertretern der islami-
schen Gerichtshöfe. Nicht nur sie, sondern auch die di-
versen Vertreter der Clans sind mit den Rahmenbedin-
gungen der Konferenz noch nicht einverstanden. Es soll
fair, transparent und vor allem sicher zugehen. Eine ge-
meinsame Agenda muss gefunden werden, der richtige
Tagungsleiter sollte die mehr als 1 000 Delegierten
durchs Programm führen. Es gibt dann nach wie vor
Vorbehalte, was den Tagungsort anbelangt. Die Vertreter
der UIC sehen ihre Sicherheit nur an einem Tagungsort
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ußerhalb Somalias gewährleistet und könnten sich
hartoum als Tagungsort vorstellen.
Nun hat die somalische Übergangsregierung vorges-
ern eine weitreichende Amnestie für Islamisten verfügt,
ie Ende 2006 von äthiopischen Truppen und der Regie-
ung vertrieben worden waren. Dennoch will Scheich
harif Ahmed von der Union der islamischen Gerichts-
öfe nicht an Friedensgesprächen teilnehmen.
Am 12. Juni war der Vizepremier Somalias,
r. Abdullahi Sheikh Ismail Ali, hier in Berlin zu Gast.
r steht auf dem Standpunkt, dass es keine moderaten
ertreter der UIC gäbe. Wenn Deutschland oder der
esten insgesamt moderate Kräfte benennen würde, so
äre die Übergangsregierung bereit, sie zur Versöh-
ungskonferenz einzuladen.
Damit sind wir schon am entscheidenden Punkt des
roblems. Ohne einen Dialogprozess, der alle relevanten
räfte mit einbezieht, wird es keinen umfassenden und
or allem keinen tragfähigen Friedensprozess geben.
as muss allen klar sein. Deshalb ist die Einbeziehung
er Vertreter der islamischen Gerichtshöfe eine zwin-
ende Voraussetzung dafür.
Erforderlich ist jedoch ein klares Bekenntnis gegen
ede Form des Terrorismus, und die Anerkennung der
erritorialen Integrität der Nachbarstaaten ist unabding-
ar. Darauf wird im Antrag zu Recht hingewiesen.
Die Bundesregierung hat frühzeitig den Dialog mit
en gemäßigten islamischen Kräften aufgenommen.
nde März hat es eine Reihe von Gesprächen der EU in
en Nachbarstaaten Somalias gegeben. Bei weiteren
olitischen Gesprächen wurde Übergangspräsident
usuf nachdrücklich aufgefordert, sich konstruktiv am
ersöhnungsprozess zu beteiligen.
Die Bundesregierung sollte diesen richtigen Ansatz
onsequent fortsetzen. In der Afrikapolitik spielt
eutschland inzwischen eine wichtige Rolle. Dies soll-
en wir auch einmal anerkennen!
Ein Dialog kann sich allerdings nur dort entwickeln,
o die Sicherheitslage es zulässt. Deshalb gilt es, die
riedensmission der Afrikanischen Union in Somalia
MISOM und damit die Afrikanische Union selbst zu
nterstützen. Am 19. Januar dieses Jahres hat die AU das
MISOM-Mandat beschlossen. Von der geplanten Ge-
amttruppenstärke von 8 200 Soldaten ist derzeit etwa
in Fünftel vor Ort. Das ist natürlich bei weitem nicht
usreichend.
Neben wie immer schwierigen Finanzierungsfragen
eht es vor allem darum, dass die Soldaten vor Ort will-
ommen sind. Niemandem ist geholfen, wenn die Frie-
enstruppen quasi als weitere Konfliktpartei denunziert
nd – wie schon geschehen – auch angegriffen werden.
eshalb ist die Fortsetzung und Intensivierung des Dia-
ogs der Bundesregierung, der EU und insbesondere
uch der USA mit den Akteuren vor Ort absolut notwen-
ig.
Die Afrikanische Union ist derzeit noch nicht in der
age, ihre eigenen Sicherheitsziele zu 100 Prozent zu er-
üllen. Aber sie ist auf einem guten Weg. Die Europäi-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Juni 2007 10857
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sche Union unterstützt die AU beim Aufbau einer Frie-
dens- und Sicherheitsarchitektur in Afrika. Seit 2006
liegt das „Konzept der Europäischen Union zur Stärkung
der afrikanischen Fähigkeiten für die Verhütung, Bewäl-
tigung und Beilegung von Konflikten“ vor. Dieses Kon-
zept soll insbesondere die Effizienz der Zusammenarbeit
mit der AU verbessern. Im Rahmen der Ausarbeitung ei-
nes Konzeptes für die künftige afrikanische Stand-by-
Truppe hat sich diese Zusammenarbeit bereits bewährt.
Die AU könnte helfen, einen Teilkonflikt in Somalia
friedlich beizulegen. Würde Somaliland, das bereits
1991 seine Unabhängigkeit erklärt hat, durch die AU an-
erkannt werden, könnte eine weitere afrikanische Er-
folgsgeschichte fortgesetzt werden. Für die Übergangs-
regierung unter Präsident Yusuf ist die Statusfrage
Somalilands nicht geklärt. Sie wünscht, dass alle Teile
Somalias, einschließlich Somaliland, eine Nation bilden.
Angeblich habe sich bei einer Umfrage die Mehrheit der
Bürger von Somaliland dafür ausgesprochen. Derweil
hat sich eine Erkundungsmission der AU für die Unab-
hängigkeit ausgesprochen. Die Entscheidung steht noch
aus. Eine Verschlechterung der Sicherheitslage Somali-
lands wäre kontraproduktiv und muss verhindert wer-
den.
Die Stärkung der AU, der afrikanischen Regionalor-
ganisationen und mithin der panafrikanischen Idee ist
der einzige gangbare Weg, um die Konfliktherde auf
dem afrikanischen Kontinent wirkungsvoll und von in-
nen heraus zu reduzieren. Der geplante Afrikagipfel im
Dezember 2007 in Lissabon wird mit der „Gemeinsamen
EU-Afrika-Strategie“ Akzente setzen. Damit würde die
europäische Afrikastrategie sinnvoll ergänzt und erwei-
tert werden.
In Somalia hat die Spirale der Gewalt einmal mehr
Flüchtlingsströme ausgelöst. Im Zusammenhang mit den
schweren Kämpfen in Mogadischu sind nach Angaben
der Vereinten Nationen allein zwischen Februar und
April 2007 mehr als 365 000 Menschen geflohen. Die
humanitäre Lage hat sich im Vergleich zum vergangenen
Jahr noch verschlechtert.
Die Bundesregierung hat 2006 für humanitäre Hilfe
rund 6,3 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Seit De-
zember 2006 sind weitere 4 Millionen Euro für Hilfs-
maßnahmen nach Somalia geflossen. Weitere
750 000 Euro wurden zur Versorgung somalischer
Flüchtlinge in Äthiopien und Kenia eingesetzt. Deutsch-
land ist damit der zweitgrößte Geber humanitärer Hilfe.
Der Dialogprozess und eine erfolgreiche Friedens-
mission AMISOM sind wichtige Bausteine in Richtung
einer besseren Zukunft Somalias. Wie im Sudan und im
Kongo gilt aber auch für Somalia: Die internationale
Staatengemeinschaft sollte sich am Aufbau sozialer und
wirtschaftlicher Strukturen des Landes beteiligen. So-
lange aber der nationale Versöhnungsprozess nicht in
Gang kommt, wird sich in dieser Richtung nicht viel be-
wegen.
Der Dialog lässt sich nicht mit Waffengewalt gestal-
ten. Deshalb sind wir fraktionsübergreifend der Mei-
nung, dass die Einhaltung des UN-Waffenembargos effi-
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ienter überwacht werden muss. Mir ist bewusst, dass
ie wirksame Umsetzung der Resolution 1725, die es ja
icht erst seit gestern gibt, leichter gesagt als getan ist.
enn es aber zusätzliche Möglichkeiten gäbe, zum Bei-
piel von der Seeseite her, dann sollte man sie auch nut-
en. Papierdiplomatie ist hin und wieder hilfreich. Aber
en Waffenschmugglern muss man einfach mehr entge-
ensetzen!
Die Übergangsregierung plant einen Staatsaufbau
ach dem föderalen System. Innerhalb von sechs Mona-
en soll das Parlament eine entsprechende föderale Ver-
assung erarbeiten, die nach einer weiteren dreimonati-
en Arbeitsphase der somalischen Bevölkerung
orgestellt werden soll. Diesen konkreten Ansatz sollte
ie Bundesregierung unterstützen.
Marina Schuster (FDP): Die Uhrzeit unserer De-
atte entspricht erneut nicht der Bedeutung des Themas
omalia. Dies ist umso bedauerlicher, als dass hier eine
nterfraktionelle Entschließung des Auswärtigen Aus-
chusses vorliegt, die sich der komplexen Lage vor Ort
nd in der Region annimmt und dieser Situation wirklich
echnung trägt.
Ich schicke vorweg: Ich freue mich, dass diese Ent-
chließung von allen Fraktionen – mit Ausnahme der
inken – getragen wird. Ich danke der Kollegin Uschi
id gleich an dieser Stelle für diese wirklich fundierte
nd sachkundige Initiative; denn sie hebt sich ab von ei-
igen vereinfachenden Medienberichten. Denn in der öf-
entlichen Berichterstattung über Somalia erleben wir oft
nzulässige Vereinfachungen, zum Beispiel dass es sich
inzig und allein um einen Konflikt zwischen Islam und
hristentum handelt. Das wird der komplexen Lage am
orn von Afrika nicht gerecht, und es ist sogar gefähr-
ich. Denn wir müssen, ganz gleich, welchen Konflikt
ir uns diesbezüglich auf der politischen Landkarte an-
chauen, einen differenzierten Blick auf den politischen
slam legen. Wir müssen uns heterogene Organisationen
enau anschauen, uns für eine wissenschaftliche und his-
orische Analyse Zeit nehmen.
Gerade am Horn von Afrika, aber auch in der gesam-
en Region ist dies erforderlicher denn je – und jede vor-
chnelle Schwarzweißmalerei ist gefährlich.
Es ist daher zu begrüßen, dass die Bundesregierung
ereits Gespräche mit gemäßigten Vertretern der Union
slamischer Gerichtshöfe geführt hat. Denn eine Lösung
es Konflikts in Somalia, der ja in Wirklichkeit das ge-
amte Horn von Afrika und große Teile Ostafrikas be-
rifft, kann nur gelingen, wenn alle Parteien einbezogen
erden.
Ich habe allerdings nach wie vor den Eindruck, dass
ie regionale Dimension und die Interessen der angren-
enden Staaten zu wenig beachtet werden. Es handelt
ich eben nicht nur um ein innersomalisches Problem, es
eht um die Instabilität des gesamten Horns von Afrikas.
esondere Bedeutung hat dabei der Konflikt zwischen
thiopien und Eritrea. Ich erwähne dies deswegen, weil
ch selbst im Dezember in Addis Abeba war und mir die
indrücke von dieser Reise noch präsent sind. Solange
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dieser Konflikt nicht gelöst ist, werden sich die Bezie-
hungen zwischen Eritrea und Äthiopien nicht normali-
sieren. Es ist daher wichtig, diese Staaten in künftige Lö-
sungsansätze einzubeziehen, sie gleichzeitig aber auch
in die Pflicht zu nehmen. Dazu gehört auch die Frage der
Grenzziehung; daran führt kein Weg vorbei.
Manch einer weiß vielleicht gar nicht, dass zwei deut-
sche Militärbeobachter an der Grenze zwischen Äthio-
pien und Eritrea im Rahmen des UNMEE-Mandats in
dem staubigen Grenzort Badme ihren Dienst tun. Das
sind wahrlich keine einfachen Bedingungen vor Ort.
Umso mehr möchte ich heute diesen Soldaten ganz herz-
lich und ausdrücklich für ihren Einsatz danken.
In Somalia selbst ist die Sicherheitslage weiterhin ex-
trem angespannt: Anfang des Monats gab es ein Atten-
tatsversuch auf Regierungschef Ghedi. Aus Mogadischu
wird beinahe täglich von Kämpfen berichtet, von An-
schlägen islamistischer Kämpfer, von Militäraktionen
der Übergangsregierung oder ihrer äthiopischen Unter-
stützer. Erst gestern kamen nach Zeitungsmeldungen
fünf Jugendliche durch Schüsse von äthiopischen Solda-
ten ums Leben. Das zeigt, wie dringend Sicherheit her-
gestellt werden muss, wie dringend das AMISOM-Man-
dat gebraucht wird, damit auch die äthiopischen Truppen
abziehen. Doch die Truppenentsendung für das
AMISOM-Mandat der AU kommt wegen finanzieller
und organisatorischer Lücken kaum voran – nur Uganda
bildet mit 1 300 entsandten Soldaten eine Ausnahme.
Was den politischen Prozess angeht, gibt es ähnlich
schwierige Bedingungen: Die seit langem geplante Kon-
ferenz für nationale Versöhnung wurde bereits mehrfach
um einen Monat verschoben. Die Übergangsregierung
zeigt bislang keine Bereitschaft, alle relevanten Gruppen
in die Konferenz einzubeziehen, die UIC-Vertreter leh-
nen Gespräche ab, solange sich noch äthiopische Trup-
pen im Land befinden.
Die höchste Glaubwürdigkeit genießt zurzeit offenbar
die Somaliakontaktgruppe. Daher ruhten und ruhen ver-
ständlicherweise viele Hoffnungen auf der Ratspräsi-
dentschaft der EU. Wir begrüßen, dass Gespräche vor
Ort stattgefunden haben. Aber es muss auch die Frage
gestattet sein, wie die Bundesregierung während der
Doppelpräsidentschaft ihren internationalen Spielraum
genutzt hat. Denn es ist augenscheinlich, dass die inter-
nationale Gemeinschaft in dieser Frage nicht mit einer
Stimme spricht.
Der Konflikt am Horn von Afrika birgt unglaublichen
Zündstoff. Das zeigt die Geschichte, aber auch die aktu-
elle Situation.
Wenn wir nicht wollen, dass sich Geschichte wieder-
holt, müssen wir uns stärker denn je für eine stabile poli-
tische Lösung einsetzen. Das kann Deutschland mit Si-
cherheit nicht alleine; gleichwohl sind wir für unseren
Nachbarkontinent gefordert. Die Menschen am Horn
von Afrika brauchen wieder eine sichere Heimat.
Dr. Norman Paech (DIE LINKE): Seit unserer letz-
ten Debatte Ende März hat sich die Lage in Somalia wei-
ter verschlechtert. Schon damals war das Ausmaß der
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ewalt und der Vertreibung erschreckend. Nun aber ha-
en die Zustände in Mogadischu und in anderen Teilen
es Landes apokalyptische Ausmaße erreicht, wie sie
eit der Vertreibung Siad Barres 1991 nicht mehr in So-
alia geherrscht haben.
Zahllose Tote, tausende zerstörte Wohnhäuser und
ehr als 400 000 Menschen auf der Flucht. Die Verein-
en Nationen sprechen vom derzeit schlimmsten Flücht-
ingselend auf der Welt. Weder in Darfur noch im Irak
abe es in jüngster Zeit so viele Vertriebene gegeben wie
n Somalia. Die Presse berichtet von marodierenden
anden, die die Versorgung der Notleidenden verhin-
ern, und von sich ausbreitenden Seuchen. Weder die so-
enannte Übergangsregierung, noch die sie stützenden
thiopischen Truppen oder die Soldaten der AMISOM
us Uganda können die mindeste Ordnung und Sicher-
eit garantieren.
Wie sollten sie auch? Denn gerade sie sind ein großer
eil des Problems. Die sogenannte Übergangsregierung,
ie in Nairobi eingesetzt wurde, besitzt keine demokrati-
che Legitimität. Schlimmer noch, nur der Intervention
er äthiopischen Armee im vergangenen Dezember hat
ie es zu verdanken, dass sie die islamischen Gerichte
us Mogadischu vertreiben konnte. Die Bombardierung
on Wohnquartieren und die Behinderung von Hilfsor-
anisationen haben ihr ebenso viel Hass eingebracht wie
en äthiopischen Invasoren.
Hinter beiden steht unübersehbar die USA. Sie haben
ie Äthiopier bei ihrem Überfall unterstützt, sie haben
atellitenbilder und Waffen zur Verfügung gestellt, sie
aben eine Schlüsselrolle bei der Planung und Durchfüh-
ung der Invasion eingenommen und auch selbst Gebiete
m Süden Somalias bombardiert. Jüngst haben die USA
on einem Kriegsschiff aus ein Dorf nahe der puntländi-
chen Stadt Bargal beschossen. Das alles geschah im Na-
en des Kampfs gegen den internationalen Terror.
Dahinter liegen indes strategische Interessen am Horn
on Afrika zur Sicherung begehrter Rohstoffe und wich-
iger Transportrouten. Nicht zuletzt das von den USA
eplante Regionalkommando AFRICOM diskreditiert
ie USA und ihre Verbündeten als neutrale Vermittler
nd macht sie völlig ungeeignet, so etwas wie Stabilität
nd Frieden in Somalia herzustellen.
Sie müssen sich ebenso wie Äthiopien und Eritrea aus
enn Konflikt zurückziehen und ihre einseitige Unter-
tützung der Übergangsregierung oder der Union islami-
cher Gerichte aufgeben. Dies muss ihnen unmissver-
tändlich zum Ausdruck gebracht werden. Solange
ritrea und Äthiopien ihre Grenzstreitigkeiten auf dem
ücken der Somalis austragen und solange die USA ihre
trategischen und Rohstoffinteressen an Somalia unge-
indert verfolgen können, wird es in Somalia keinen
rieden geben.
Schon der letzte Versuch der UN, mit einer militäri-
chen Mission das Land zu stabilisieren und demokrati-
che Strukturen mit einer funktionierenden Regierung zu
nstallieren, wurde nach drei Jahren 1995 als gescheitert
ufgegeben. Nun soll eine weitere Mission den Schaden
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Juni 2007 10859
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beheben und es deutet nichts darauf hin, dass diese er-
folgreicher sein wird als die vorangegangene.
Sie müssen sich schon entscheiden. Wollen Sie Poli-
tik und Dialog oder Militär? Wollen Sie die Einbezie-
hung aller politischen Kräfte in einen Friedensprozess
oder den Ausschluss vieler zugunsten einer nicht legiti-
men Übergangsregierung, die von den USA und Äthio-
pien dirigiert wird? Wollen Sie eine langfristige Perspek-
tive auf Stabilität oder langjährige militärische Präsenz
in einem Krieg à la Afghanistan und Irak? Beides zu-
sammen bringt keine realen Friedensperspektiven, wes-
wegen wir dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen
nicht zustimmen können.
Noch gibt es ein Zurück aus der militärischen Logik.
AMISOM sollte zurückgezogen und nicht in eine an-
schließende UN-Mission überführt werden. Stattdessen
müssen alle verfeindeten Gruppen, also auch die UIC, an
den Verhandlungstisch gebracht werden, wie mit der auf
zwei Monate angesetzten Versöhnungskonferenz ge-
plant.
Die internationale Staatengemeinschaft muss sich
dazu bekennen, dass sie einen offenen Verhandlungspro-
zess begrüßt, in dem sie keine Gruppe bevorzugt und an
den sie keine Vorbedingungen stellt. Gleichzeitig sollte
die Bundesregierung Somalia in die Liste der Koopera-
tionsländer für die deutsche Entwicklungszusammenar-
beit aufnehmen und dies nicht lediglich in Aussicht stel-
len, wie der vorliegende Antrag es formuliert. Des
Weiteren müssen sofort und in enger Abstimmung mit
den verschiedenen politischen Kräften und der Bevölke-
rung Somalias die zivilen Maßnahmen in dem Maße auf-
gestockt werden, wie benötigt, insbesondere für die
medizinische Versorgung, und die Nahrungsmittelver-
sorgung und die Versorgung mit sauberem Wasser.
Dr. Uschi Eid (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich
begrüße sehr, dass unser grüner Antrag von den Koali-
tionsfraktionen und der FDP mitgetragen wird und un-
sere Initiative zu einem interfraktionellen Antrag führte.
Dies ist ein starkes Signal an die Konfliktparteien in So-
malia, die wir gemeinsam aufrufen, aufeinander zuzuge-
hen und einen ernsthaften Versöhnungsversuch zu begin-
nen, damit die Region am Horn von Afrika zu Ruhe und
Stabilität zurückfindet.
Derzeit dauern die Anschläge und Kämpfe in Moga-
dischu an. Dies verurteilen wir. Doch wir müssen auch
zur Kenntnis nehmen, dass die Eskalation der Gewalt
eine Folge des umstrittenen Einmarschs der äthiopischen
Truppen ist. Ende 2006 marschierte das äthiopische
Militär in Somalia ein, um die mit internationaler Unter-
stützung in Kenia gebildete Übergangsregierung zu stüt-
zen. Dieser ist es leider nicht gelungen, in Somalia Ver-
trauen zu gewinnen, mit der Folge, dass eine Mehrheit
der Somalis sowohl die Übergangsregierung als auch die
Äthiopier als Gegner betrachtet.
Wenn in der Region und in Somalia selbst nicht
schnelle, entschlossene Schritte unternommen werden,
droht das strategisch wichtige Horn von Afrika weiter
destabilisiert zu werden. Ich erwarte daher von der Bun-
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esregierung, dass sie den Forderungen des Deutschen
undestages Rechnung trägt. Einige davon seien hier
ervorgehoben:
Erstens. Die Bundesregierung soll sich aktiv an inter-
ationalen Initiativen, vor allem der Norwegens, beteili-
en, um den Konflikt zwischen Äthiopien und Eritrea ei-
er dauerhaften friedlichen Lösung zuführen, denn
ieser ist der gordische Knoten zur längerfristigen Stabi-
isierung der Region, speziell Somalias, aber auch des
udan.
Zweitens soll sie initiativ werden, um einen umfas-
enden Dialog zwischen Somalia, seinen Nachbarstaaten
nd den Regionalmächten zu erreichen. Nur so kann ein
airer Ausgleich der Sicherheitsinteressen aller Staaten
elingen.
Drittens muss die regionale EU-Partnerschaft mit
em Horn von Afrika aktiv unterstützt werden.
Für die Befriedung von Somalia muss eine Grundvo-
aussetzung erfüllt sein: Die militärischen Aktivitäten
er internationalen Gemeinschaft müssen von den rele-
anten somalischen Gruppierungen akzeptiert sein.
hne einen aufrichtigen und alle relevanten politischen
räfte umfassenden Dialogprozess ist dies nicht zu er-
eichen. Leider erweckt die somalische Übergangsregie-
ung den Eindruck, als mache sie aus der Versöhnungs-
onferenz, der sie ohnehin nur unter erheblichem
nternationalem Druck zugestimmt hat, eine Farce: Aus-
eichende Vorbereitungen waren in keiner Weise zu er-
ennen. Die Konferenz wurde mehrfach vertagt – jetzt
uf den 15. Juli –, ihre Dauer von 45 Tagen auf zunächst
inen zusammengekürzt. Eine Tagesordnung liegt nicht
or. Dies zeigt, dass die somalische Übergangsregierung
n der Tat handlungsunfähig, nicht dialogbereit und vor
llem am eigenen Machterhalt interessiert ist. Allerdings
egrüße ich die von der somalischen Übergangsregie-
ung verkündete Amnestie für jene, die in den letzten
onaten gegen die Regierung gekämpft haben. Sie ist
in richtiger erster Schritt.
All dies zeigt die Dringlichkeit der Forderungen des
ntrags zur Versöhnungskonferenz:
Erstens. Die Versöhnungskonferenz benötigt eine
xterne, internationale Moderation.
Zweitens. Nicht nur die Klans, sondern auch Vertreter
er islamischen Gerichtshöfe, der UIC, sind einzubezie-
en. Hier fordert der Bundestag, dass auch die radikale
inderheitenströmung vertreten sein soll, da sie ein ho-
es Störpotenzial hat – unter einer Voraussetzung: Sie
uss ihre Erklärung einhalten und erneuern, Terror zu
erurteilen und die territoriale Integrität der Nachbar-
taaten zu respektieren.
Nun zur Frage internationaler Friedenstruppen in So-
alia. Es ist offensichtlich, dass die somalische Über-
angsregierung den Verbleib der Äthiopier im Land oder
ine internationale Militärpräsenz befürwortet. Denn
iese Militärpräsenz könnte sie trotz mangelnder Legiti-
ation bei den Bürgern an der Macht halten. Zur Erinne-
ung: Die somalische Übergangsregierung hat es zu ver-
ntworten, dass im April von äthiopischen Truppen
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geleitete, völkerrechtswidrige Angriffe auf Wohnviertel
in Mogadischu stattfanden, über 400 000 Menschen aus
der Stadt vertrieben wurden und überlebensnotwendige
humanitäre Hilfe blockiert wurde. Lassen Sie mich an
dieser Stelle sagen, dass meine Fraktion von der Bundes-
regierung erwartet, sich bei der EU dafür einzusetzen,
dass Verletzungen des humanitären Völkerrechts
schnellstmöglich untersucht und Täter zur Rechenschaft
gezogen werden.
Für uns steht fest: Es darf keine Militärmission ohne
breite Zustimmung in Somalia geben. In dieser Logik
liegt auch die Forderung nach einem Abzug der Äthio-
pier. Das Gegenargument des Sicherheitsvakuums ist da-
bei nicht unbedingt einleuchtend, da die äthiopische Prä-
senz ein wesentlicher Teil des Problems ist. Solange die
breite Zustimmung für eine ausländische Friedensmis-
sion fehlt, halte ich die kürzliche Zusage der NATO,
Lufttransport von Truppen für AMISOM zur Verfügung
zu stellen, für verfrüht. Ich fordere die Bundesregierung
auf, ihren Einfluss geltend zu machen, damit der UN-Si-
cherheitsrat nicht vor der Zeit eine UN-Mission für So-
malia erwägt, sondern sich erst um eine Zustimmung al-
ler Somalis bemüht.
Ich meine, dass die Intransigenz der Übergangsregie-
rung derzeit das größte Friedenshindernis ist. Wir müs-
sen unsere Anstrengungen intensivieren, diese zu durch-
brechen.
Anlage 5
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts zu den Anträgen:
– Schienenlärm ursächlich bekämpfen
– Lärmschutz im Schienenverkehr verbes-
sern – Marktwirtschaftliche Anreize nut-
zen, Schienenbonus überprüfen
– Aktionsprogramm gegen Schienenlärm auf
den Weg bringen
(Tagesordnungspunkt 18)
Enak Ferlemann (CDU/CSU): Der Güterverkehr
auf der Schiene wächst. Diese positive Entwicklung im
Vollzug der verkehrspolitischen Zielvorgabe „Mehr Ver-
kehr auf die Schiene“ ist gut. Gerade die Schiene ist ein
umweltfreundlicher und sicherer Verkehrsträger.
Leider hat diese Entwicklung aber auch eine Schat-
tenseite, und zwar für diejenigen, die mit dem Problem
der wachsenden Lärmbelästigung konfrontiert sind. Das
sind die Anwohner, insbesondere an den Hauptstrecken.
Erfreulicherweise hat die CDU/CSU geführte Bundes-
regierung das Problem schon beizeiten erkannt und zu
seiner Lösung bereits deutliche Akzente gesetzt. Im
Haushaltsjahr 2006 sind die „Maßnahmen der Lärmsa-
nierung an bestehenden Schienenwegen der Eisenbah-
nen des Bundes“ von ursprünglich 50 Millionen Euro
auf 76 Millionen Euro und nunmehr im Haushaltsjahr
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007 sogar auf 100 Millionen Euro erhöht worden. Er-
annt und unstrittig ist, dass ein wesentlicher Teil der
om Schienengüterverkehr ausgehenden und subjektiv
mpfundenen Lärmbelastung aus dem Zusammenwirken
erkömmlicher Graugussbremssohlen mit dem Rad-
chiene-System im Bereich der Güterwagen resultiert.
Wir kennen also die Ursache. Sie zu bekämpfen, muss
aher oberste Priorität haben. Und wir wissen, wie es ge-
en kann. Mit dem Einsatz moderner Verbundstoffbrem-
en, den sogenannten K-Sohlen können die Rollgeräu-
che von Güterwagen spürbar gesenkt und in der
ahrnehmung nahezu halbiert werden.
In der ersten Konsequenz sind auf europäischer
bene über die TSI Noise Grenzwerte für neue
üterwagen eingeführt worden, mit denen der Einsatz
on K-Sohlen oder vergleichbar lärmarmer Technik bei
eufahrzeugen obligatorisch wird. Diese Entscheidung
er Kommission war zweifellos gut, löst allerdings das
roblem der Nachrüstung des vorhandenen Fahrzeugbe-
tandes nicht. Allein im deutschen Bestand sind das
irca 40 000 Güterwagen mit einer mittleren Laufzeit
on 40 Jahren. Aber nationale Insellösungen machen
etztlich keinen Sinn, weil die Güterwagen im internatio-
alen Verkehr eingesetzt werden. Wir haben europaweit
andlungsbedarf und brauchen ein Anreizsystem, das
ie schnelle Nachrüstung interessant macht.
Mit dem Antrag der Koalitionsfraktionen fordern wir
ie Bundesregierung daher auf, im Rahmen ihrer EU-
atspräsidentschaft darauf hinzuwirken, dass die auf
uropäischer Ebene eingeführten lärmreduzierten Grenz-
erte für neue Güterwagen auch von Bestandsgüter-
agen schnellstmöglich eingehalten werden, damit
estandsgüterwagen schnell mit modernen Verbund-
toffbremsensohlen, K-Sohlen, ausgerüstet werden. Die
undesregierung ist angetreten, die nationalen Hausauf-
aben zu machen. Dabei hat sie die volle Unterstützung
er Koalitionsfraktionen. Eine interministerielle Arbeits-
ruppe soll eingerichtet werden, die nicht nur auf die
och offenen Fragen um die Nachrüstung Antworten fin-
en soll.
Wir fordern die Bundesregierung auf, im Rahmen der
eplanten interministeriellen Arbeitsgruppe zum Thema
ärmsanierung Schiene folgende Gesichtspunkte zu be-
ücksichtigen:
Erstens soll ein mögliches Lärmsanierungsprogramm
ettbewerbsneutral sein und Bürokratie vermeiden,
weitens sollen geeignete nationale Maßnahmen zur
achrüstung von Verbundstoffbremsen an Güterwagen
it deutschem und europäischen Recht vereinbar sein,
rittens soll ein nach Lärmemissionen gespreiztes Tras-
enpreissystem auf dem Verordnungsweg unter Anwen-
ung des Verursacherprinzips eingeführt werden. Vier-
ens. Es sollen mögliche Anreize für die Nachrüstung
on Verbundstoffbremsen an Güterwagen geschaffen
erden und viertens sollen mögliche Anreize für die
achrüstung von Verbundstoffbremsen an Güterwagen
eschaffen werden. Schub wollen wir aber auch dadurch
eben, dass die DB Netz AG ihre Möglichkeiten bei der
rassenpreisgestaltung nutzt.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Juni 2007 10861
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Die Koalitionsfraktionen fordern die Bundesregie-
rung daher auch auf, an die DB Netz AG heranzutreten.
Die DB Netz AG soll aufgefordert werden, ihr Trassen-
preissystem so zu gestalten, dass Lärmauswirkungen des
Schienenverkehrs bei der Preisgestaltung berücksichtigt
werden.
Ich bin sicher, dass wir es auf dem beschriebenen
Weg schaffen können, den Lärm an den Schienenwegen
zu mindern.
Ich möchte Sie bitten, dem Antrag der Koalitionsfrak-
tionen von CDU/CSU und SPD zuzustimmen.
Heinz Paula (SPD): Aufgrund des zunehmenden
Warenverkehrs nimmt der Güterverkehr stetig zu. Auch
der Schienengüterverkehr steigt von Jahr zu Jahr an, so-
dass sich der Modalsplit im vergangenen Jahr erstmalig
zugunsten der Schiene verlagert hat. Dies begrüßen wir –
so kommen wir unserem verkehrspolitischen Ziel näher,
mehr Verkehr von der Straße auf die Schiene zu verla-
gern. Der Verkehr auf der Schiene ist umweltfreundlich,
sicher und zuverlässig.
Er ist aber auch laut. Dies geht zulasten der Anwoh-
ner. Der Lärm, der bei steigendem Verkehr von der
Schiene ausgeht, mindert deshalb die Akzeptanz des
Schienenverkehrs in der Bevölkerung. Daher müssen
wir alle Lärmminderungspotenziale ausschöpfen, um die
Lärmbelästigung der Bevölkerung deutlich zu reduzie-
ren. Der Verkehrsträger Schiene muss als zukunftsfähig
anerkannt, er muss vor allem akzeptiert werden.
Die Bundesregierung hat deshalb im Februar dieses
Jahres ein nationales Verkehrslärmschutzpaket aufge-
legt. Es bündelt laufende und neue Maßnahmen zum
Schutze der Bevölkerung vor Verkehrslärm. Dabei kon-
zentriert es sich vornehmlich auf die Vermeidung bzw.
Begrenzung des Lärms an der Quelle. Dies ist technisch
und ökonomisch sinnvoll. Die Vermeidung des Lärms an
der Quelle bedeutet einen erheblich geringeren Aufwand
und ist schneller und wirtschaftlicher einsetzbar.
Bereits 1999 hat die Bundesregierung ein Lärmsanie-
rungsprogramm für bestehende Strecken aufgelegt. Da-
bei handelt es sich allerdings um ein Schienenwege-
Investitionsprogramm. Fördermaßnahmen für Fahrzeuge
können damit bisher nicht finanziert werden. Für die
Schiene wurden mit diesem Programm bis 2005 jährlich
50 Millionen Euro in die Lärmsanierung investiert. 2006
wurde es auf 75 Millionen und 2007 auf 100 Millionen
Euro aufgestockt. Dies ist erledigt, liebe Kolleginnen
und Kollegen der Grünen, hier läuft Ihr Antrag ins
Leere!
Wir wissen, dass ein großer Teil des Schienenlärms
aus dem Zusammenwirken der herkömmlichen Grau-
gussbremsen mit dem Rad-Schiene-System resultiert.
Graugussbremsen sorgen für Verriffelungen, das Rad
wird beschädigt, in Folge auch die Trasse. Dies ist die
zentrale Ursache des Anstiegs der Geräuschemissionen.
Wissenschaftler haben nachgewiesen, dass der Ein-
satz moderner Verbundstoffbremssohlen, der K-Sohlen,
die Rollgeräusche von Güterwagen spürbar senkt. Dies
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urde uns im vergangenen Monat bei einer Testfahrt in
ingen eindrucksvoll vorgeführt. Um bis zu 10 Dezibel
önnen die Emissionen gesenkt werden. Dies bedeutet
ie Halbierung des wahrgenommenen Lärms – enorm!
Deshalb bietet die Umrüstung des Güterwagenbestan-
es auf die lärmarmen K-Sohlen eine Chance, den Gü-
erzuglärm kosteneffektiv und flächendeckend zu sen-
en. Diese Chance wollen wir nutzen. Das macht
llerdings nur bei einer einheitlichen Lösung für ganz
uropa Sinn. Eine Förderung der Umrüstung nur auf na-
ionaler Ebene ist zudem beihilferechtlich nicht unbe-
enklich. Die Bundesregierung wird sich bei der EU-
ommission dafür einsetzen, dass auf europäischer
bene eine Lösung gefunden wird, alle in Europa ver-
ehrenden Güterwagen mit K-Sohlen umzurüsten. Nur
o können die auf europäischer Ebene eingeführten
renzwerte auch eingehalten werden. So steht es auch in
apitel 7.4 des Anhangs zur TSI Noise. Ohnehin hat die
U mit der TSI Noise im Dezember 2005 auf europäi-
cher Ebene Grenzwerte festgelegt, die die Ausrüstung
on Neuwaggons mit K-Sohlen obligatorisch machen.
Die DB AG beschafft seit dem Jahr 2001 ausschließ-
ich Nutzfahrzeuge mit der Verbundstoffbremse. 3 100
ind schon im Einsatz und jährlich kommen neue dazu.
uch bei den Planungen für Neubaustrecken werden
ärmschutzmaßnahmen mit einbezogen, die den Grenz-
erten gerecht werden. Durch beide Maßnahmen wer-
en die Lärmemissionen bereits heute hörbar gesenkt.
Eine interministerielle Arbeitsgruppe beschäftigt sich
it dem Thema Lärmsanierung der Schiene. Dieser wer-
en mit unserem Antrag klare Aufträge zugewiesen. Sie
ird über ein weiteres Lärmsanierungsprogramm disku-
ieren. Sie wird sich mit der Vereinbarkeit von nationa-
en Maßnahmen zur Nachrüstung von Güterwagen mit
-Sohlen mit deutschem und europäischem Recht ausei-
andersetzen. Sie wird über mögliche Anreize für die
achrüstung nachdenken. Sie wird sich auch mit der
inführung eines nach Lärmemissionen gespreizten
rassenpreissystems auf dem Verordnungsweg beschäf-
igen; denn auch wir sind der Meinung, dass die durch
ärm entstehenden externen Kosten vom Verursacher
etragen werden müssen. Zudem fordern wir die Bun-
esregierung auf, bei der EU-Kommission darauf hinzu-
irken, dass kurzfristig geeignete Maßnahmen ergriffen
erden, damit die auf europäischer Ebene eingeführten
renzwerte für neue Güterwagen auch von den Be-
tandsgüterwagen schnellstmöglich eingehalten werden.
Die K-Sohle ist eine Möglichkeit, den Schienenlärm
inzudämmen. Aber sie ist nicht die einzige. Die Be-
ämpfung von Lärm umfasst eine Reihe von Einzelmaß-
ahmen, die nur als Gesamtpaket ihre Wirksamkeit ent-
alten können. Um alle Potenziale der Lärmminderung
uszuschöpfen, bedarf es der Forschung! Deshalb hat die
undesregierung bereits mehrere Gutachten in Auftrag
egeben. Zudem unterstützt sie einige Forschungspro-
ekte Dritter finanziell.
Zur Erforschung der Auswirkungen des Schienenver-
ehrslärms auf die Gesundheit des Menschen werden im
uftrag des BML gerade mehrere Studien erstellt. Lärm
ird immer subjektiv wahrgenommen, dennoch müssen
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Grenzwerte festgelegt werden; denn schon jetzt gilt als
gesichert, dass eine anhaltende hohe Lärmbelastung
Auswirkungen auf die Gesundheit hat.
Das Umweltbundesamt betreut gerade die Bell-Stu-
die, eine Studie zur Lärmwirkung. Sie beschäftigt sich
mit lärmbasierten Belästigungen und Auswirkungen des
Lärms auf das Schlafverhalten. Im Rahmen des Gutach-
tens wurden in unterschiedlichen Belastungsklassen sta-
tistisch auswertbare Befragungen konzipiert. Es gab
Komplikationen bei den Berechnungsverfahren, daher
verzögert sich der Abschluss des Gutachtens. Auf
Grundlage dieses Gutachtens werden die Grenzwerte des
BImSchG auf den Prüfstand gestellt und gegebenenfalls
angepasst.
Im Rahmen der Ressortforschung des BMVBS stehen
mehrere Forschungsvorhaben an. Angemeldet ist ein
Gutachten zur Erfassung und Bewertung der Kumulation
von Lärm an Bundesfernstraßen und Schienenwegen der
Eisenbahnen des Bundes. Die Ergebnisse dieses Gutach-
ten werden der weiteren technologischen Entwicklung
zur Vermeidung von Lärm dienen. Angemeldet ist eben-
falls ein Forschungsvorhaben zu Schall- und Erschütte-
rungsmessungen zur Erprobung eines neuartigen einge-
schäumten Schotteroberbaus. Im Rahmen der eben
erwähnten interministeriellen Arbeitsgruppe steht die
Auswahl eines Gutachters bevor, der offene Fragen zu
der Umrüstung der Güterwagen auf K-Sohlen klären
soll. Ein Gutachten zu Schallberechnungsverfahren im
Rahmen von Schall 03 ist bereits abgeschlossen, ein
weiteres zur Überprüfung von EDV-Programmen zur
Umsetzung der Schall 03 ist angemeldet.
Die Entwicklung lärmarmer Komponenten ist Auf-
gabe der Bahnindustrie. Dennoch unterstützt die Bun-
desregierung – namentlich das BMWi – auch hier einige
Forschungsvorhaben finanziell. So soll die Vergabe ei-
nes Projektes zur Entwicklung von Maßnahmen für ei-
nen leisen Zug auf realem Gleis (LZarG) noch in diesem
Jahr stattfinden. Dabei geht es um die Entwicklung ge-
räuscharmer Komponenten sowohl am Fahrzeug als
auch am Oberbau. Diese Maßnahmen sollen die Emis-
sionen noch einmal um 7 Dezibel gegenüber den Anfor-
derungen von TSI Noise senken.
Im EU-Verbundvorhaben Silence werden Schienen-
stegdämpfer überprüft. Kleine Resonanzkörper, die in
eine Kunststoffmasse eingebettet sind, werden beidseitig
an den Schienensteg montiert. In Gersthofen bei Augs-
burg betreibt die DB AG dazu einen Versuchsabschnitt.
Im Zuge des Forschungsvorhabens SchleiV wird ein
neues Schleifverfahren entwickelt, das eine schnelle und
regelmäßige Pflege der Schienen ermöglicht. Die
Arbeitsgeschwindigkeit soll 120 Kilometer pro Stunde
betragen. So können die Fahrzeuge im Fahrplan mit-
schwimmen und verursachen nur sehr geringe Betriebs-
störungen.
Nicht zuletzt wird die Erhöhung der Wirksamkeit von
Lärmschutzwänden durch speziell geformte Oberkanten
überprüft.
Sie sehen, die Bundesregierung ist auf einem guten
Weg. Sie hat eine Reihe wichtiger und nützlicher Maß-
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ahmen auf den Weg gebracht. Wir unterstützen mit un-
erem Antrag die Bemühungen – zugunsten der von
ärm geplagten Bürgerinnen und Bürger.
Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP): Es ist wieder
inmal bezeichnend, dass die große Koalition ständig
m Verschiebung unseres Antrags zum Schienenlärm
om 15. Februar 2006 im Ausschuss gebeten hat und
ann, nach erst 15 Monaten, im Mai dieses Jahres einen
igenen Antrag zu diesem Thema vorlegt. Wir wären ja
ufrieden, wenn dieser Antrag nach einer solch langen
ntstehungsphase wenigstens auf die entscheidenden
robleme einginge und konkrete Möglichkeiten aufzei-
en würde, welche den lärmgeplagten Anwohnern tat-
ächlich kurz- bis mittelfristig helfen würden. Dies je-
och ist nicht der Fall. Ihr Antrag beinhaltet
nverbindliche Forderungen und Bekräftigungen ohne-
in bereits beschlossener Maßnahmen. Es ist keine Be-
eitschaft zu erkennen, die vorhandenen Güterwaggons
n das Lärmsanierungsprogramm aufzunehmen.
Ich kann darin auch keinen Hinweis finden, wie man
it dem überholten Schienenbonus für Lärm umgehen
ill. In diesem Zusammenhang ist zu bedenken, dass die
estlegung des Schienenbonus auf sozialwissenschaftli-
hen Studien beruht, die Ende der 70er-Jahre/Anfang der
0er-Jahre erstellt wurden. Vor dem Hintergrund des
chienenverkehrs und neuer Betriebsformen wie dem
ochgeschwindigkeitsverkehr oder dichterer Zugfolgen
tellt sich die sehr ernsthafte Frage, ob die damals er-
angten Wertungen nach heutigen Erkenntnissen noch
eitgemäß sind. Auch wenn Studien jüngeren Datums
uf eine Vergleichbarkeit der Schienenlärmsituation zwi-
chen damals und heute hinweisen, ist es zum Schutz der
evölkerung vor vermeidbarem Lärm dringend erforder-
ich zu prüfen, ob die Anwendung des Schienenbonus
emäß Anlage 2 zu § 3 der 16. Bundes-Immissions-
chutzverordnung noch gerechtfertigt ist. Es lässt sich
och nur glaubhafte Politik machen, wenn man aus tat-
ächlichem Wissen entscheidet und sich nicht auf veral-
ete Untersuchungen verlässt. Der Schwachpunkt Ihres
ntrags ist, dass Sie das Problem zwar erkannt haben,
ber keine Lösung anbieten. Hier wird nur auf die Er-
ebnisse von Arbeitsgruppen und Gutachten verwiesen.
urz gesagt: Es fehlt Substanz und Hilfe für die vom
ärm Betroffenen. Dabei gibt es Möglichkeiten, wie das
roblem des Schienenlärms, welcher größerenteils durch
en Güterschienenverkehr verursacht wird, angegangen
erden kann.
Sie stellen zu Recht fest, dass der wahrgenommene
ärm nahezu halbiert werden kann, wenn die Waggons
on der herkömmlich verwendeten Graugussbremssohle
uf die sogenannte K-Sohle umgerüstet werden. Die
euen K-Sohlen können den Lärm um bis zu 15 dB (A)
eduzieren. Darüber hinaus sollten in Deutschland auch
eisere Loks und Drehgestelle zum Einsatz kommen, wie
ie beispielsweise mit Erfolg schon in Österreich und der
chweiz zur Anwendung kommen. Die Erhöhung der
ördermittel für „Maßnahmen der Lärmsanierung an be-
tehenden Schienenwegen der Eisenbahnen des Bundes“
ar zumindest ein richtiger Schritt.
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Ein besonders Augenmerk gilt aber weiter dem Lärm-
schutz an der Quelle. Hinzu kommt, dass etwa nur die
Hälfte der auf dem deutschen Schienennetz fahrenden
Güterwaggons der Railion gehört. Die zweite Hälfte be-
findet sich im Besitz anderer in- und ausländischer Wag-
gonvermietungsgesellschaften. Wie marktwirtschaftli-
che Konzepte genutzt werden können, um einen Anreiz
für Lärmminderungsmaßnahmen zu geben, macht uns
die Schweiz vor. Dort wurde ein unbürokratisches Sys-
tem einer lärmabhängigen Trassenpreisdifferenzierung
eingeführt und etabliert. Auch in Deutschland könnte der
Einsatz leiserer Fahrzeuge der Höhe der Trassenpreise
nach den Bestimmungen der Eisenbahninfrastruktur-Be-
nutzungsverordnung berücksichtigt werden. Nach § 21
Abs. 2 Satz 1 Eisenbahninfrastruktur-Benutzungsverord-
nung kann das Wegeentgelt einen Entgeltbestandteil um-
fassen, der den Kosten umweltbezogener Auswirkungen
des Zugbetriebs Rechnung trägt. Danach wäre ein emis-
sionsabhängiges Trassenpreissystem mit dem Kriterium
Lärm gesetzlich möglich. Denn die Zuständigkeit liegt
bei dem Betreiber der Eisenbahninfrastruktur. Die DB
Netz AG nutzt die gesetzlichen Spielräume jedoch nicht,
und es ist somit erforderlich, dass § 21 Abs. 2 Satz 1 Ei-
senbahninfrastruktur-Benutzungsverordnung von einer
Kann- in eine Mussvorschrift geändert wird.
Nur durch ein schnelles Handeln und eine konse-
quente Umsetzung der von mir angesprochenen Punkte
wird es mittel- bis langfristig möglich sein, die Lärm-
emissionen für die Betroffenen auf ein erträgliches Maß
zu senken. Deshalb appelliere ich noch einmal an Sie:
Haben Sie den Mut zur Umsetzung eines nachhaltigen
Lärmschutzes auf breiter Basis, und sprechen Sie nicht
nur leere Worte.
Lutz Heilmann (DIE LINKE): Wer schon einmal im
Rheintal war, weiß, dass Schienenlärm eine wirkliche
Belastung für die Menschen sein kann. 400 000 Men-
schen haben sich dort in verschiedenen Bürgerinitiativen
zusammengeschlossen, um mehr Lärmschutz zu errei-
chen. Es reicht nicht aus, diesen Menschen zu sagen,
dass der Schienenverkehr umwelt- und vor allem klima-
freundlich ist. Nein, wir müssen dafür sorgen, dass diese
Menschen nachts wieder ruhig schlafen können. Sonst
sagen sie irgendwann – einige tun das leider schon
heute: Weg mit dem Schienenverkehr. – Das wäre aber
definitiv die falsche Lösung. Der Lärm würde dann nur
an die Straßen oder die Flughäfen verlagert.
Während es für neue Strecken immerhin Lärmschutz-
anforderungen gibt, gilt dies nicht für bestehende Stre-
cken – wie die im Rheintal, wo schon seit 1859 Züge rol-
len.
Mit dem Lärmsanierungsprogramm des Bundes wur-
den seit 1999 erst 360 Kilometer Schienenstrecken lärm-
saniert – durch Lärmschutzwände und den Einbau von
Lärmschutzfenstern. Das sind 10 Prozent der gesamten
Strecken, die lärmsaniert werden sollen – und nur
1 Prozent aller Schienenstrecken in Deutschland.
Auch deswegen ist der Widerstand der Menschen
nicht weniger geworden. Aber auch aus anderen Grün-
den: Diese passiven Lärmschutzmaßnahmen mindern
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en Lärm zwar. Lärmschutzfenster wirken aber nur
ann, wenn sie geschlossen sind – und wer will den
ommer schon drinnen bei geschlossenen Fenstern ver-
ringen? Zweitens können und werden Lärmschutz-
ände nicht lückenlos gebaut. Im Rheintal ist es sehr
ng. Dort verschandeln Lärmschutzwände auch Land-
chaft und Orte.
Deswegen begrüßen wir es, dass auch die Koalition
angsam erkennt, dass es eine viel bessere, billigere und
chnellere Lösung gibt, den Schienenlärm deutlich zu re-
uzieren. Die Umrüstung von Güterwagen mit der soge-
annten K-Sohle reduziert den entstehenden Lärm um
0 Dezibel. Wegen der langen Lebensdauer von mindes-
ens 30 Jahren würde die natürliche Erneuerung der über
30 000 älteren Güterwagen sehr lange dauern – zu
ange, wenn ich an die Menschen im Rheintal und an-
erswo denke.
Deswegen müssen die vorhandenen Güterwagen um-
erüstet werden. Die Kosten betragen etwa 600 Millio-
en Euro, das ist nur ein Viertel der Kosten der Lärm-
anierung. Denn selbst mit den 100 Millionen Euro, die
etzt jährlich zur Verfügung stehen, würde es 20 Jahre
auern, bis das Lärmsanierungsprogramm abgeschlos-
en wäre.
Ich freue mich im Übrigen, dass die Koalition unseren
ntrag zum Bundeshaushalt 2007 aufgegriffen hat und
ie Erhöhung der Mittel beschlossen hat. Wir hatten al-
erdings auch gefordert, dass daraus auch die Umrüstung
on Güterwagen gefördert wird. Darin sind Sie uns lei-
er nicht gefolgt.
Eine einzige Einschränkung gibt es: 85 Prozent der
üterwagen eines Zuges müssen mit der K-Sohle ausge-
tattet sein, um eine wirkliche Lärmentlastung zu brin-
en. Deswegen muss ein Förderprogramm so ausgestat-
et werden, dass spätestens innerhalb von zehn Jahren
lle Güterwagen umgerüstet sind. Das ist machbar, ohne
ass der Schienengüterverkehr zusammenbrechen
ürde. Und davon würden die Anwohnerinnen und An-
ohner aller Schienenstrecken profitieren, nicht nur die,
ie an besonders belasteten Strecken wohnen.
Gerade im Rheintal fahren viele ausländische Eisen-
ahnverkehrsunternehmen. Deswegen begrüßen wir ein
U-weit abgestimmtes Vorgehen. Allerdings sind 80 Pro-
ent der in Deutschland verkehrenden Güterwagen für
ationale Bahnunternehmen unterwegs. Und weiterge-
ende nationale Anstrengungen sind zulässig – das ha-
en wir von Herrn Großmann schriftlich.
Deswegen enttäuscht der Koalitionsantrag letztlich
och. Sie wiederholen nur das, was Herr Tiefensee be-
eits verkündet hat. Warum schreiben Sie der Bundes-
egierung nicht ins Stammbuch, dass sie schnellstmög-
ich ein nationales Förderprogramm auflegen soll?
Natürlich müssen dabei EU-rechtliche Bestimmungen
ingehalten werden. Ich glaube aber nicht, dass diese
örderung den Beihilfetatbestand erfüllen würde. Die
ahnunternehmen hätten doch keinen Vorteil davon –
elbst bei einer 100-Prozent-Förderung. Denn nicht sie,
ondern die Anwohnerinnen und Anwohner würden von
em geringeren Lärm profitieren. Dies könnte sich aller-
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dings ändern, wenn – wie es eine breite Allianz hier for-
dert – lärmabhängige Trassenpreise eingeführt werden.
Dann würden umgerüstete Güterwagen finanziell profi-
tieren.
Nicht, dass Sie mich falsch verstehen. Ich habe nichts
gegen lärmabhängige Trassenpreise als zusätzlichen An-
reiz. Ich befürchte aber, dass einige dadurch die Kosten
für die Umrüstung auf die Bahnunternehmen abwälzen
wollen, um dem Bund zusätzliche Ausgaben zu erspa-
ren. Dies ist aber der falsche Weg. Die etwa 600 Millio-
nen Euro – wohlgemerkt verteilt über zehn Jahre – wä-
ren wirklich gut angelegt.
Die lärmgeplagten Menschen würden es Ihnen dan-
ken.
Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hatte vor nunmehr
einem Jahr einen Antrag zum besseren Schutz vor Schie-
nenlärm eingebracht. Die FDP war sogar noch ein biss-
chen früher. Die Koalition hielt die Beratung beider An-
träge mehr als zehn Sitzungswochen lang auf, weil sie
lange Zeit selbst keine konkreten politischen Vorhaben
in dieser Sache vorweisen konnte – abgesehen davon,
dass sie die Mittel für die Lärmsanierung an Schienen-
wegen aufgestockt hat. Wichtiger aber ist der aktive
Lärmschutz. Wir müssen den Lärm da bekämpfen, wo er
entsteht, am rollenden Material, an den Schienen und
Waggons.
Deshalb haben wir in dem Antrag die Bundesregie-
rung aufgefordert, ein Förderprogramm des Bundes für
die Umrüstung des rollenden Materials im Schienenver-
kehr (Einbau von K-Sohlen) aufzulegen und dieses In-
vestitionsprogramm diskriminierungsfrei zu gestalten.
Weil die Züge im Binnenmarkt durch ganz Europa rol-
len, müssen wir Regelungen finden für ausländische
Züge und uns dafür einsetzen, dass EU-weit ein Umrüs-
tungsprogramm für die lärmarme K-Sohlen-Bremse auf-
gelegt wird. Brüssel hat die Vorgaben für neue Züge ver-
schärft, indem Lärmgrenzwerte vorgeschrieben werden,
aber nur für Neuwagen oder wesentlich umgebaute Wa-
gen.
Der Bund muss als Eigentümer die DB Netz AG dazu
veranlassen, die bestehenden gesetzlichen Möglichkei-
ten zu nutzen und lärmbezogene Trassenpreise einzufüh-
ren. Wenn die Bahn dies verweigert, muss der Bund eine
gesetzlich verpflichtende Regelung zu lärmbezogenen
Trassenpreisen schaffen.
Wir begrüßen, dass das Lärmsanierungsprogramm
des Bundes deutlich aufgestockt wurde. Gleichwohl gibt
es hier ein Mittelabflussproblem, das Sanierungspro-
gramm kommt nicht schnell genug voran. Auch gibt es
Klagen über die DB AG, sie würde zu viel von den Mit-
teln für die Programmabwicklung in die eigene Tasche
stecken. Der Bund muss die Erkenntnislage zu den Ge-
sundheitswirkungen des nächtlichen Lärms verbessern
und die schon länger angekündigte Studie zu den Aus-
wirkungen des Schienenverkehrslärms auf die Gesund-
heit vorlegen sowie neue Forschungsvorhaben fördern,
die die gesundheitlichen Belastungen vor allem des
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achtschlafs durch den Schienenlärm untersuchen. Auf
er Grundlage aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse
ollten schnellstmöglich neue gesetzliche Regelungen
nd Grenzwerte für Lärmemissionen im Schienenver-
ehr sowie Lärmgrenzwerte für Schienenfahrzeuge per
echtsverordnung nach § 38 Abs. 2 BImSchG geschaf-
en werden. Auch ist der als „Schienenbonus“ bezeich-
ete Abschlag von 5 dB(A) für den Schienenverkehr als
ondertatbestand bei der Lärmbewertung zu prüfen. Ge-
ade an hochfrequentierten Schienengüterstrecken wie
er Rheintalstrecke ist der Schienenbonus so nicht mehr
u rechtfertigen. Wir fordern eine umfassende Prüfung
nd bis zu dem Zeitpunkt, an dem Ergebnisse vorliegen,
ine differenzierte Anwendung.
Nachdem es die Koalition also nach langem Anlauf
eschafft hat, ein Lärmsanierungsaktionsprogramm und
inen eigenen Antrag vorzulegen, durfte man gespannt
uf den Inhalt sein.
Dennoch wurde man enttäuscht, der Antrag der Ko-
litionsfraktionen beinhaltet wenig Neues, wenig Kon-
retes und legt den Schwerpunkt auf die Aufzählung be-
eits durchgeführter Maßnahmen. Vor allem auf die
rage, wie man zukünftig mit dem stetig zunehmenden
roblem des Schienenlärms, vor allem an den Hot spots,
mgehen wolle, bleibt der Antrag die Antwort schuldig.
ir sind der Auffassung, dass die Probleme nur im Dia-
og mit den Anliegern der betroffenen Schienenwege ge-
öst werden können. Dies ist aus gesundheits- und um-
eltpolitischer Sicht bedeutsam, denn eine Politik der
erlagerung des Verkehrs auf die Schiene ist zum Schei-
ern verurteilt, wenn der Schienenverkehr von den An-
ohnern nur als unzumutbare Belästigung empfunden
ird. Der Koalition gelingt es nicht, die Deutsche Bahn
G dazu zu veranlassen, endlich lärmabhängige Tras-
enpreise einzuführen. Auch werden schnelle und
mfassende Investitionen in das rollende Material nicht
orgenommen, stets mit dem Hinweis, es gäbe europa-
echtliche Bedenken. Wir können dies nicht akzeptieren,
enn es gibt Mittel und Wege – und andere europäische
änder machen uns das vor –, wie man eine diskriminie-
ungsfreie und EU-kompatible Lösung findet.
Gegenüber den zahlreichen Bürgerinitiativen entlang
er Rheinstrecke, an der wahrscheinlich mehr als 1 Mil-
ion Menschen vom Schienenlärm belästigt werden, ver-
ünden die ansässigen Abgeordneten von CDU und SPD
it schöner Regelmäßigkeit, alles würde anders. Ihre
erliner Politik sieht nicht danach aus.
nlage 6
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Die Schaffung einer
Europäischen Privatgesellschaft forcieren (Ta-
gesordnungspunkt 17)
Dr. Günter Krings (CDU/CSU): Was Deutschland
m letzten Jahr im Fußball verwehrt geblieben ist, hat es
m Bereich des Exports erreicht: Deutschland ist Welt-
eister. Der Wert der ausgeführten Waren ist 2006 ge-
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genüber dem Vorjahr um 13,7 Prozent auf 894 Milliar-
den Euro gestiegen. Den größten Anteil an diesen
Ausfuhren haben immer noch mit deutlichem Abstand
die übrigen EU-Mitgliedstaaten: Insgesamt 556,1 Mil-
liarden Euro machen die Ausfuhren in diese Länder aus.
Die erfolgreiche Wirtschaftspolitik der großen Koalition
zeigt ihre Wirkung. Die positive Entwicklung auf dem
Arbeitsmarkt unterstreicht dies zudem eindrucksvoll. In
Deutschland geht es wieder bergauf.
Anlässlich dieser Zahlen mag es schon ein wenig ver-
wundern, wenn die FDP in ihrem Antrag davon spricht,
dass die deutsche Wirtschaft die Vorteile des Binnen-
marktes nicht voll nutzen kann. Anscheinend konnte
noch nicht einmal das deutsche Gesellschaftsrecht ver-
hindern, dass wir Exportweltmeister werden.
Wenn wir über die Stärkung unserer heimischen mit-
telständischen Wirtschaft für den Export sprechen, dann
möchte ich dabei einen Artikel nicht außen vor lassen:
die deutsche GmbH. Gerade hat das Gesetz zur Moder-
nisierung des GmbH-Rechts das Bundeskabinett pas-
siert. Ziel dieser Novelle ist es, die GmbH nicht nur für
Unternehmen aus Deutschland attraktiv zu machen, son-
dern gleichfalls europaweit als eine überzeugende Alter-
native insbesondere zur englischen Gesellschaftsform
der Limited anzubieten.
Viele Kleinunternehmen und in besonderer Zahl Exis-
tenzgründer haben den Weg aus dem deutschen Gesell-
schaftsrecht gewagt und dabei Kontinentaleuropa verlas-
sen. Dabei wurde auch schon einmal von Kanzleien mit
der Hilfestellung für die Gründung einer „EU-GmbH“
geworben, obwohl es sich dabei lediglich um eine engli-
sche Limited handelte. Glücklicherweise hat die Recht-
sprechung diesem Geschäftsgebahren ein wenig Einhalt
geboten. Allein im Jahr 2005 sollen es 12 000 deutsche
Unternehmer gewesen sein, die als Gesellschaftsform
die Limited wählten.
Diesen Trend müssen wir umkehren und die deutsche
GmbH nicht nur attraktiver für den eigenen Markt ma-
chen, sondern gleichfalls für die anderen Mitgliedstaaten
der Europäischen Union. Interessanterweise hält sich die
FDP in ihrem Antrag bedeckt, wie genau die Europäi-
sche Gesellschaft aus ihrer Sicht verfasst sein sollte.
Wollen Sie lieber das deutsche Gesellschaftsrecht als
Maßstab für die Schaffung der neuen Europäischen Ge-
sellschaft nehmen oder favorisieren Sie das angelsächsi-
sche Modell? Entsprechende Aussage vermisse ich in Ih-
rem Antrag.
Die deutsche GmbH haben sich viele andere Länder
als Vorbild für ihre Gesellschaftsstatuten genommen.
Durch das Modernisierungsgesetz passen wir die GmbH
den Anforderungen unserer Zeit an und machen sie da-
mit in ganz Europa wieder konkurrenzfähig. Dies sollten
wir dann allerdings genauso offensiv nach außen verkau-
fen.
Die Begeisterung für eine Europäische Privatgesell-
schaft erstreckt sich keineswegs über die ganze Europäi-
sche Union. Zu einem überraschenden Ergebnis kommt
nämlich eine Machbarkeitsstudie des französischen Be-
ratungsbüro AETS, das im Auftrag der Europäischen
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ommission eine Untersuchung durchführte, ob eine
erartige europäische Gesellschaftsform tatsächlich für
lein- und mittelständische Unternehmen nutzbringend
ei. Die Ergebnisse der Voruntersuchung waren alles an-
ere als euphorisch. Etwa 2 000 Unternehmen wurden
it der Frage konfrontiert, ob sie ein derartiges europäi-
ches Statut auch in der Praxis nutzen würden. 80 Pro-
ent der Befragten lehnten dies ab.
Sicherlich sind 2 000 Unternehmen auf die gesamte
uropäische Union verteilt nur bedingt als repräsentativ
nzusehen. Interessanter sind in diesem Zusammenhang
ie Antworten auf die Frage, welche Maßnahmen sich
ie Unternehmer alternativ vorstellen könnten. Dass es
renzüberschreitende Mobilitätsprobleme gibt, wird
uch von Ihnen nicht bestritten, aber die Lösungs-
orschläge sehen eben keine neue Gesellschaftsform
or, sondern bevorzugen eher Regelungen für das
erschmelzen und zur Harmonisierung der Sitzverlage-
ung.
Das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts
eseitigt hier eine Hürde, nämlich die bestehende Un-
leichbehandlung der GmbH gegenüber anderen euro-
äischen Gesellschaften im Hinblick auf die Sitzverlage-
ung. Darf eine Limited ihren effektiven Verwaltungssitz
uch in einem Land außerhalb Englands nehmen, ist
iese Möglichkeit einer deutschen GmbH zum jetzigen
eitpunkt verwehrt. Das MoMiG schafft nun Wettbe-
erbsgleichheit zu gleichwertigen europäischen Gesell-
chaftsformen, indem die Hauptverwaltung in einem
and ihren Sitz haben darf, der nicht mit dem im Gesell-
chaftsvertrag gewählten Sitz übereinstimmen muss. Die
mbH wird somit flexibler einsetzbar und passt sich da-
it heutigen Anforderungen an eine moderne Gesell-
chaftsform an. Der nationale Rahmen des Gesell-
chaftsrechts wird so gestärkt.
Auch in einem anderen Punkt sprechen Sie nicht das
us, was Sie wirklich wollen. Zwar führen Sie in ihrem
ntrag aus, dass sich die Verhandlungen um das Statut
er Europäischen Gesellschaft vorwiegend auf Fragen
es Gesellschafsrechts konzentrieren sollen. Aber damit
rücken Sie sich zugleich um die Frage, wie Sie es denn
it den Mitbestimmungs-, Unterrichtungs- und Anhö-
ungsrechten der Arbeitnehmer in der neuen Europäi-
chen Gesellschaft halten wollen.
Hier möchten Sie sich anscheinend lieber nicht den
und verbrennen, sondern überlassen dies geflissentlich
er Regierung. Es ist doch nun wirklich etwas dünn, le-
iglich einen Antrag zu formulieren, der sich darin er-
chöpft, die Bundesregierung aufzufordern, bei der EU-
ommission Druck zu machen, ohne genauer zu formu-
ieren, in welcher Hinsicht der Druck ausgeübt werden
oll. Es geht doch auch Ihnen nicht allein darum, ir-
endeine europäische Gesellschaftsform zu installieren;
ielmehr haben sie – das hoffe ich zumindest – klare
orstellungen darüber, wie diese Gesellschaft aussehen
oll. Ihrem Antrag kann ich da leider nichts entnehmen.
nsonsten darf ich mich aber als Koalitionsfraktion über
as weite Mandat bedanken, das sie hier der Regierung
it auf den Weg geben, und werde Sie bei späteren De-
atten gerne darauf verweisen.
10866 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Juni 2007
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Die Europäische Aktiengesellschaft (SE) und die Eu-
ropäische Genossenschaft (SCE) existieren bereits. Da-
her scheint es nur folgerichtig, kleineren und mittleren
Unternehmen ebenfalls die Möglichkeit einzuräumen,
unter einem europäischen Dach zu firmieren. Das Euro-
päische Parlament hat bereits Anfang des Jahres die
Europäische Kommission aufgefordert, noch in diesem
Jahr einen Vorschlag für das Statut einer Europäischen
Privatgesellschaft vorzulegen. Dieses Anliegen können
wir ohne Vorbehalte unterstützen. Aus unserer Sicht
reicht dies allerdings auch aus und es bedarf keines Ar-
beitsauftrages an die Regierung, gegenüber der Kom-
mission die Daumenschrauben anzusetzen, damit das
Vorhaben schneller vorankommt.
Klaus Uwe Benneter (SPD): Um es ganz einfach zu
sagen: Wir unterstützen die Schaffung einer Europäi-
schen Privatgesellschaft.
Gute Gründe sprechen dafür, dass viele solide, mittel-
ständische, international tätige Unternehmen in Deutsch-
land von einer solchen europäischen Gesellschaftsform
enorm profitieren könnten.
Einen Beschluss, wie er mit dem Antrag der FDP ge-
fordert wird, benötigen wir allerdings nicht. Weder muss
die Bundesregierung – wie die FDP fordert – dafür
Sorge tragen, dass die Europäische Kommission hier tä-
tig wird. Denn die Europäische Kommission ist bereits
von dem dafür zuständigen Europäischen Parlament auf-
gefordert worden, bis Ende des Jahres einen entspre-
chenden Regelungsentwurf vorzulegen – und zwar mit
recht detaillierten Vorgaben. Die Bundesregierung unter-
stützt diese Bemühungen ausdrücklich. Auch ein Bericht
– wie ihn die FDP will – der Bundesregierung an den
Bundestag über die Auswirkungen, die eine eventuelle
europäische Regelung zur Schaffung einer europäischen
Privatgesellschaft hätte, wäre nicht recht weiterführend.
Erstens müsste ein solcher Bericht reichlich spekulativ
ausfallen, und zweitens wäre er auch folgenlos.
Trotzdem können wir heute im Bundestag natürlich
darüber sprechen, dass gesellschaftsrechtlicher Fort-
schritt nicht nur auf nationaler, sondern auch auf europä-
ischer Ebene möglich und anzustreben ist. Die Europäi-
sche Privatgesellschaft ist hier ein gutes Beispiel. Sie
wäre eine gute Gesellschaftsrechtsform für mittelständi-
sche Unternehmen, die ihre Geschäftstätigkeit über die
nationalen Grenzen hinaus ausweiten. Diese Unterneh-
men könnten mit der Europäischen Privatgesellschaft in
allen EU-Mitgliedsstaaten rechtsfähige Tochterunterneh-
men nach gleichem Muster bilden. Heute haben wir eine
solche Gesellschaftsrechtsform leider nicht.
Daher haben deutsche mittelständische Unternehmen,
die im europäischen Ausland rechtsfähige Töchter in-
stallieren wollen, nur zwei Möglichkeiten: Entweder sie
gründen in jedem Mitgliedsstaat die dort geregelte natio-
nale „GmbH“, in Großbritannien also die Private Li-
mited Company, in Spanien eine „SL“, also eine Socie-
dad de Responsabilidad Limitada, in Frankreich eine
S.A.R.L., in Polen eine „sp. z. o. o.“, also eine „spölka z
ograniczon odpowiedzialnoscia“, usw. Was das bedeutet,
ist klar: In jedem Land muss das deutsche Unternehmen
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uf Dauer eine Anwaltskanzlei beschäftigen, die die je-
eilige Tochter gesellschaftsrechtlich am Laufen hält.
berall ist beispielsweise anders geregelt, welche Be-
ugnisse der Geschäftsführer hat, wie die Bilanzen zu er-
tellen sind, ob die Gesellschaft rücklagepflichtig, ob die
esellschafter entnahmeberechtigt oder ob die Ge-
chäftsführer insolvenzantragsverpflichtet sind. In je-
em Land muss gesondert geklärt werden, wie zu Ge-
ellschafterversammlungen eingeladen werden muss,
ie Gesellschafterbeschlüsse gefasst werden, wie Ge-
chäftsführer bestellt und abberufen werden, welche An-
aben auf Geschäftsbriefen stehen müssen usw. Das ist
iemlich kompliziert. Das ist mit rechtlichen Risiken
erbunden. Und diese Kompliziertheiten und die Ver-
eidung der Risiken sind aufwändig und teuer.
Die Alternative dazu ist derzeit: Deutsche Unterneh-
en lassen sich mit GmbHs nach deutschem Recht in
nderen Mitgliedsstaaten nieder. Die Rechtsprechung
es Europäischen Gerichtshofs erlaubt dies ausdrück-
ich. Deshalb müssen wir zum Beispiel überlegen, ob
nd wie wir mit unserem GmbH-Recht auf die nach bri-
ischem Recht gegründeten und bei unseren Handelsre-
istern angemeldeten Limiteds reagieren wollen.
Diese Alternative klingt zunächst gut: Unsere export-
rientierten mittelständischen Unternehmen könnten
och auf diesem Wege die ihnen vertraute, gute, alte und
ewährte GmbH ins europäische Ausland mitexportie-
en.
Die Wahrheit aber ist: In der Praxis funktioniert es
ben nicht gut. Was in Deutschland vielleicht gesicherte
nd ausgeklügelte GmbH-Rechtsprechung ist, weiß der
ritische Richter oder auch der Richter in Estland nicht.
r hat schon Schwierigkeiten, sich ein GmbH-Gesetz in
einer Sprache zu beschaffen, geschweige denn kann er
inen Kommentar hinzuziehen: Er beurteilt den Gläubi-
erschutz unter Umständen ganz anders, als die Unter-
ehmen in Deutschland das gewohnt sind, er unterstellt
ie deutsche GmbH den nationalen Insolvenzantrags-
flichten, er beurteilt die Stellung des Geschäftsführers
nders, er sieht nationale Formvorschriften nicht ge-
ahrt, etc.
Unseren Richtern ginge es mit einer lettischen oder
ulgarischen GmbH auch nicht anders. Auch auf diese
eise müssen also in jedem Tochterland Kanzleien gut
eschäftigt werden. Vor allem aber: Eine deutsche
mbH im Ausland hat Akzeptanzprobleme. Das ist ganz
lar. Kunden und Geschäftspartner reagieren auf eine ih-
en unvertraute Rechtsform unsicher und eher misstrau-
sch. Das geht uns mit einer ausländischen Gesell-
chaftsform nicht anders. Man kann sie schlecht
inschätzen, man weiß nicht, wo man Informationen
ber sie bekommt, wer richtigerweise für sie handelt,
er am Ende haftet, ob sie ein Startkapital benötigt hat
der nicht und wenn ja, in welcher Höhe.
Die Europäische Privatgesellschaft wäre deshalb ge-
au für diesen Adressatenkreis eine gute Lösung. Die
dee ist im Rechtsausschuss des Europäischen Parla-
ents sehr gut aufgegriffen und näher ausgearbeitet
orden: Die Europäische Privatgesellschaft soll nach
iesen Vorstellungen eine solide Gesellschaftsform für
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Juni 2007 10867
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einen geschlossenen Gesellschafterkreis sein, die euro-
parechtlich abschließend geregelt ist und deshalb mög-
lichst gar nicht auf nationales Recht verweist. Jeder Eu-
ropäer kann dann durch einen Blick in die Europäische
Verordnung und, ohne 27 nationale Gesetzessammlun-
gen zu sehen, verstehen, wie diese europäische Gesell-
schaft aufgebaut ist und überall in Europa funktioniert.
Ein Unternehmen könnte dann in jedem Mitgliedsstaat
rechtsfähige Tochterunternehmen nach gleichem Muster
gründen, die in gleicher Weise aufgebaut sind, gelenkt
werden und agieren können. Für diese europäische Ge-
sellschaftsform könnte sich dann eine europäisch ein-
heitliche Handhabung, Gesetzeskommentierung und
Rechtsprechung herausbilden.
Die Bundesregierung, das Bundesjustizministerium
unterstützen diese Idee. Der Parlamentarische Staatssek-
retär Alfred Hartenbach hat das soeben überzeugend dar-
gelegt.
Deshalb, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kolle-
gen von der FDP: Sie müssen weder uns noch die Bun-
desregierung bei diesem Thema zum Jagen tragen! Wir
haben den röhrenden Hirsch schon im Visier!
Mechthild Dyckmans (FDP): Einige Meilensteine in
der Debatte um die Einführung einer Europäischen Ge-
sellschaft gibt es schon, angefangen von einem Entwurf
der Pariser Handelskammer im Jahre 1998 über Positio-
nen der Europäischen Kommission bis hin zu Vorschlägen
des Europäischen Parlaments vom Februar 2007. Alle ha-
ben eines gemeinsam: Sie streben die Einführung einer
neuen europäischen Gesellschaftsform an – die Europäi-
sche Privatgesellschaft, kurz EPG.
Es gibt bereits andere europäische Gesellschaftsfor-
men, etwa die Europäische Gesellschaft und die
Europäische Genossenschaft. Diese können aber nicht
von jedem europäischen Unternehmer genutzt werden.
So beträgt zum Beispiel das gezeichnete Kapital der Eu-
ropäischen Gesellschaft – Societas Europeae – nach
Art. 4 der Verordnung über das Statut der Europäischen
Gesellschaft 120 000 Euro. Gegründet werden kann
diese Gesellschaft nur durch Umwandlung, Verschmel-
zung oder durch Gründung einer Holding- oder Tochter-
gesellschaft. Damit ist diese Gesellschaftsform gerade
für mittelständische und nicht im Konzern organisierte
Unternehmen nicht nutzbar oder geeignet.
Es gibt aber die Notwendigkeit für eine europäische
Gesellschaftsform, die gerade auch für mittelständische
Unternehmen konzipiert ist, die grenzüberschreitenden
Geschäften nachgehen und den europäischen Binnen-
markt nutzen wollen; denn gerade der Mittelstand ist in
Deutschland die tragende Säule der Wirtschaft und der
wichtigste Arbeitgeber. Es ist nicht nur wichtig – wie wir
nicht müde werden zu fordern –, den Mittelstand zu un-
terstützen mit einer Senkung der Lohnnebenkosten und
Steuerlast, der Befreiung von überflüssiger Bürokratie
sowie einer Reform des verkrusteten Arbeitsrechts. Die
Einführung der Europäischen Privatgesellschaft ist eine
ergänzende Stütze für europaweite Geschäftstätigkeiten
unserer deutschen Unternehmen. Auch damit können
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ir den Erhalt und die Schaffung von Arbeitsplätzen för-
ern!
Ich möchte kurz umreißen, wie wir uns ein Statut für
ie Europäische Privatgesellschaft vorstellen: Wichtig
st, dass sie einfach zu nutzen sein muss. Umständliche
nd langwierige Gründungsverfahren wären von vorn-
erein der falsche Weg. Es sollte möglich sein, diese Un-
ernehmensform ohne jahrelange juristische Prüfung zu
utzen. Denkbar ist hier eine Mustersatzung, ähnlich wie
n den Ideen zur GmbH-Reform.
Sinnvoll scheint mir eine weitgehend gesellschafts-
echtliche Lösung zu sein, die auf nicht zwingend not-
endige Verweise auf nationales Recht verzichtet. Da-
it würde für ganz Europa und damit alle europäischen
nternehmen, die sich für die EPG entscheiden, ein na-
ezu einheitliches und abschließendes Statut gelten.
ies fördert das gegenseitige Verständnis und Vertrauen
ei alltäglichen grenzüberschreitenden Geschäften.
Im derzeitigen Stadium der Diskussion sehen wir eine
otwendigkeit darin, das Statut vorwiegend auf die Klä-
ung gesellschaftsrechtlicher Fragen zu beschränken.
iel sollte eine baldige Einführung der EPG sein –
0 Jahre weitere Diskussion wären hier ein falsches Si-
nal! Deswegen wäre die kurzfristige Vorlage eines Vor-
chlags seitens der EU-Kommission ein wichtiger weite-
er Schritt.
Alle, die meinen, ein Statut der Europäischen Privat-
esellschaft sei nicht machbar, weise ich auf die Mach-
arkeitsstudie der Europäischen Kommission aus dem
ahr 2005 hin. Diese zeigte auf, dass die Lösung der be-
tehenden Probleme der kleinen und mittleren europäi-
chen Unternehmen bei grenzüberschreitenden Tätigkei-
en unter anderem in der Einführung der EPG liegen
ann. Auch das Europäische Parlament hat sich zwi-
chenzeitlich für die Einführung einer EPG ausgespro-
hen.
Ich hatte Hoffnung, dass Frau Bundesjustizministerin
ypries dieses Thema in Zeiten der deutschen Ratspräsi-
entschaft etwas höher auf die Tagesordnung setzen und
chneller anschieben würde. Nur eine Konferenz in der
ommenden Woche unter anderem zu diesem Themen-
omplex – zum Ende der deutschen Ratspräsidentschaft
ohlgemerkt – ist meines Erachtens etwas wenig und
ommt auch zu spät für ihren Vorsitz. Kleine und mittlere
nternehmen brauchen unsere Unterstützung. Beschrän-
en Sie Ihre Initiativen nicht nur auf strafrechtliche As-
ekte und Fragen des Internationalen Privatrechts, son-
ern unterstützen sie deutsche Unternehmen bei Themen
ie der grenzüberschreitenden Sitzverlegung sowie der
chaffung des Statuts der Europäischen Privatgesell-
chaft.
Martin Zeil (FDP): Wenn ein kleines oder mittelstän-
isches deutsches Unternehmen heute in einem anderen
U-Staat eine Tochtergesellschaft oder ein Joint Venture
ründen will, dann steht es beim Einsatz von nationalen
echtsformen vor vielen schwer lösbaren Fragen und
nwägbarkeiten: Soll die zu gründende Gesellschaft ih-
en Sitz im Heimat- oder im Gründungsland haben?
10868 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Juni 2007
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(B) )
Entscheidet sich das Unternehmen für sein Heimatland,
weil ihm dies vertrauter, näher ist, könnte dies bei aus-
ländischen Geschäftspartnern auf Misstrauen stoßen,
weil sie vermuten, es lediglich mit einer betrügerischen
Briefkastenfirma zu tun zu haben.
Auch wenn im Rahmen der Niederlassungsfreiheit
Verwaltungs- und Registersitz auseinanderfallen kön-
nen, so ist doch nicht eindeutig geklärt, wo die Grenze
zwischen Heimatrecht der Gesellschaft und dem Recht
am Tätigkeitsort verläuft. Der Unternehmer begibt sich
also in eine rechtliche Grauzone, was unter Umständen
unangenehme Folgen für ihn haben kann.
Warum ist das so? Es gibt eine Art „Gummiparagra-
fen“, der es den Mitgliedstaaten erlaubt, ausländischen
Gesellschaften Beschränkungen im Interesse des Gläubi-
gerschutzes zu verordnen, „wenn sie geeignet und erfor-
derlich sind“. Diese Bestimmung kann man sehr restrik-
tiv handhaben und damit einem ausländischen
Unternehmen jede Menge Steine in den Weg legen.
Auch im Falle der gerichtlichen Auseinandersetzung
gibt es Unsicherheiten. Selbst wenn ein Gericht das Hei-
matrecht der Gesellschaft akzeptiert, ist man keinewegs
davor gefeit, dass es aus Unkenntnis das Heimatrecht
falsch auslegt.
Diese Art von Zufall ist nicht akzeptabel, weil sie den
Wettbewerb verzerrt. Kleine und mittlere Unternehmen,
die grenzüberschreitend tätig werden wollen, brauchen
einen verlässlichen Rechtsrahmen.
Werden andererseits Unternehmensgründungen in ande-
ren Mitgliedstaaten nach dem dortigen Gesellschaftsrecht
vorgenommen, führt das in der Regel für die Unternehmen
zu einem erheblichen rechtlichen Beratungsbedarf, über
den sich zwar die Anwälte freuen, der die Betriebe aber
teuer zu stehen kommt. Diese Kosten multiplizieren sich,
wenn ein Unternehmen in mehreren Staaten tätig werden
will.
Diese Probleme sollten und könnten durch die Euro-
päische Privatgesellschaft, auch Europa-GmbH genannt,
gelöst werden. Sie muss sicherstellen, dass Tochterge-
sellschaften in allen Mitgliedstaaten nach denselben Re-
geln gegründet und geführt werden können und dass bei
Joint Ventures keiner der beiden Geschäftspartner Start-
vorteile aufgrund besserer Rechtskenntnisse hat.
Um dieses Ziel zu erreichen, würde es Sinn machen,
ein einheitliches europäisches Statut vorzulegen, das von
allen genutzt werden kann. Wer sich dafür entscheidet,
befindet sich auf der sicheren Seite. Hat ein nationales
Gericht aus Sicht des Unternehmers eine falsche Ent-
scheidung getroffen, so wäre künftig der Rechtsweg zum
Europäischen Gerichtshof eröffnet.
Man kann und muss in diesem Statut nicht alles re-
geln – dafür gibt es in Europa noch zu viele Unter-
schiede, beispielsweise im Steuer- und Arbeitsrecht.
Aber man kann sehr wohl das Gesellschaftsrecht regeln
und damit den Rahmen schaffen, dessen es bedarf, um
Firmen im grenzüberschreitenden Geschäft nachhaltig
zu entlasten und Rechtssicherheit zu geben.
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Wenn wir den europäischen Binnenmarkt befördern
ollen, dann müssen wir Alternativen zu dem schaffen,
as derzeit oft nur unbefriedigend funktioniert. Es geht
ns wohlgemerkt nicht darum, die existierenden nationa-
en Rechtsformen zugunsten einer neuen europäischen
echtsform abzuschaffen. Für rein nationale Vorhaben
erden die Unternehmer weiter ihre nationalen Rechts-
ormen wählen.
Unser Anliegen ist es aber, eine Alternative gerade
ür die grenzüberschreitende Tätigkeit zu schaffen, die
llen offensteht und allen die gleichen Chancen bietet.
ie Unternehmen können frei entscheiden, ob sie von
ieser neuen Möglichkeit Gebrauch machen wollen oder
icht. Die EPG kann und soll bei grenzüberschreitenden
ründungen in Konkurrenz zu den nationalen Rechtsfor-
en treten, dann wird sich erweisen, ob sie diesen über-
egen ist. Daran haben wir, wenn denn das Statut gut ge-
acht und mit einer einfach zu übernehmenden
ustersatzung kombiniert ist, wenig Zweifel.
Wir fordern deshalb die Bundesregierung auf, dafür
orge zu tragen, dass die Kommission möglichst bald
en Entwurf für ein EPG-Statut vorlegt. Sie haben schon
o oft davon gesprochen, dass Sie Hindernisse für die
obilität von KMU in der Europäischen Union beseiti-
en wollen, hier können Sie etwas dafür tun!
Ulla Lötzer (DIE LINKE): Im Nebel sollte man lang-
am fahren, auf keinen Fall das Tempo forcieren. Ebenso
ind wir Abgeordnete gut beraten, bei nebulösen Anträ-
en sehr genau hinzuschauen. Die FDP möchte – das ist
er Kernpunkt ihres Antrages – eine neue, einfach zu
andhabende Rechtsform für kleine und mittlere Unter-
ehmen vorantreiben, die nur auf EU-Regelungen beruht
nd keine Verweise auf nationales Recht enthält. Der
ittelstand soll – so lautet die Begründung – mit der neu
u schaffenden „Europäischen Privatgesellschaft“ die
hance bekommen, kostengünstig und unbürokratisch
renzüberschreitend tätig zu werden. Klingt gut, aber
elche Folgen hätte diese sogenannte EPG? Welche ju-
istischen Risiken und welche ökonomischen Nebenwir-
ungen? Kein Wort von der FDP. Keine Abwägung.
ein Gefahrenhinweis. Im Nebel mögen Sie auf Ihren
lauben vertrauen, dass Unternehmen vom Recht und
einen nationalen Besonderheiten möglichst unbehelligt
ein sollten. Wir hätten gern etwas mehr Licht und vor
llem Antworten auf die naheliegenden Fragen. Wenn
ine neue Unternehmensform geschaffen wird, die sich
m Wesentlichen auf Gemeinschaftsrecht gründet und
on nationalem Recht unberührt bleibt, dann ergeben
ich Konsequenzen, die weit über den proklamierten
weck, die Förderung des Mittelstandes, hinausgehen.
Denn eine neue, auf Minimalanforderungen redu-
ierte und dem nationalen Recht enthobene Unterneh-
ensform wird dem Missbrauch Tür und Tor öffnen.
rstens durch die nicht an der Börse notierten Großun-
ernehmen, die den komfortablen Rechtsstatus EPG für
ich entdecken werden. Zweitens durch das organisierte
erbrechen, das die minimalen Publizitätspflichten und
ingeschränkten Kontrollmöglichkeiten dankbar anneh-
en wird. Drittens durch die Steuerhinterzieher, die ei-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Juni 2007 10869
(A) )
(B) )
nen neuen Verschiebebahnhof willkommen heißen. Und
viertens durch die Unternehmen, die das Sozial- und Ar-
beitsrecht ihrer Heimatländer loswerden wollen.
Nun könnte man natürlich diese Gefahren eindäm-
men, indem man die „Europäischen Privatgesellschaf-
ten“ missbrauchsfester definiert. Sie, meine Damen und
Herren von der FDP, müssten dann angeben, für welche
Kapitalgröße, welchen Umsatz, welche Beschäftigten-
zahl die EPG in Anspruch genommen werden darf. Sie
könnten beispielsweise die nach wirtschaftlichen Krite-
rien vorgenommene KMU-Defintion der EU als Rechts-
norm vorschlagen. Nur was passiert dann mit den dyna-
mischen Unternehmen, die aus dieser Definition
herauswachsen? Sie könnten außerdem die Transparenz
der EPG verbessern, indem Sie Veröffentlichungen vor-
schreiben und Kontrollorgane schaffen. Sie könnten für
betrugsfeste Regeln der Besteuerung sorgen. Sie könnten
die Rechte der Mitarbeiter klären. Wie Sie es auch dre-
hen und wenden: Sie landen immer wieder bei der Not-
wendigkeit, die EPGs in verträgliche Bahnen zu lenken
und an ein durchsetzungsfähiges Recht zu binden. Durch
die Hintertür kommt also das immer wieder rein, was sie
loswerden wollen, das nationale Recht des jeweiligen
Unternehmenssitzes. Zu Recht kommt deshalb die
Machbarkeitsstudie, die im FDP-Antrag genannt wird,
zu dem Schluss, dass bei den EPGs das Verhältnis zwi-
schen europäischem und nationalem Recht völlig unklar
ist. Insbesondere warnt diese Studie vor ungezügeltem
Sozialdumping und verlangt eindeutig geregelte Arbeit-
nehmerrechte. Und nicht zuletzt – auch das sagt die Stu-
die – sind die EPGs zumindest dann, wenn sie nur recht-
liche Minimalanforderungen zu erfüllen haben, gegen
Betrug und Kriminalität nicht gewappnet. Wer über all
diese Einwände hinweggeht, sie nicht einmal erwähnt,
gibt sich als Ideologe zu erkennen, dem die Realität der
Marktwirtschaft fremd ist. Wer nüchtern die Wirklich-
keit zur Kenntnis nimmt, kann vor den Europäischen
Privatgesellschaften nur warnen.
Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Wir unterstützen das Projekt der Schaffung einer Euro-
päischen Privatgesellschaft, denn wir brauchen nach der
Europäischen Aktiengesellschaft (SE) die Europäische
GmbH. Auch kleine und mittlere Unternehmen sollten
die Möglichkeit bekommen, eine von vornherein euro-
paweit agierende Gesellschaft zu gründen.
Wir würden gern von der Bundesregierung erfahren,
wie sie dieses Projekt, über das ja in der EU schon seit
längerem diskutiert wird, in der EU-Ratspräsidentschaft
vorangetrieben hat. Außer einer Ankündigung im Feb-
ruar haben wir nichts gehört.
Bei der Schaffung der Europäischen Privatgesell-
schaft sollten nicht die Fehler wiederholt werden, die bei
der Europäischen Aktiengesellschaft gemacht wurden.
Wir brauchen Gründungsvoraussetzungen, die einfa-
che Gründungen erlauben und zugleich ausreichend
Schutz der Gläubiger und Gläubigerinnen bieten. Dazu
ist ein hohes Maß an Transparenz erforderlich. Gerade
kleine und mittlere Unternehmen benötigen einfache Re-
gelungen.
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Allerdings darf die Europäische Gesellschaft nicht
azu missbraucht werden, Mitbestimmungsrechte auszu-
ebeln. Deshalb sollten analoge Regelungen zu denen
ei der Schaffung der Europäischen Gesellschaft
SEEG) gelten. In großen GmbHs mit mehr als
00 Beschäftigten gilt die Mitbestimmung nach dem
rittelbeteiligungsgesetz, in Betrieben mit mehr als
000 Beschäftigten das Mitbestimmungsgesetz.
Fragwürdig ist die Notwendigkeit eines Stammkapi-
als von 10 000 Euro. Für die britische Limited ist ein
urokapital notwendig. 10 000 Euro Stammkapital bie-
en keine Sicherheit für Gläubiger. Kein Vertragspartner
eiß, ob zum Zeitpunkt eines Vertragsabschlusses das
apital noch vorhanden ist. Besser wären verschärfte
flichten zur Offenlegung von Informationen über die
irtschaftliche Situation eines Unternehmens. Das
ürde die Sicherheit bei Vertragsschluss deutlich erhö-
en.
Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der
undesministerin der Justiz: „Die Schaffung einer Euro-
äischen Privatgesellschaft forcieren“ – so lautet der Ti-
el des Antrags, über den wir hier sprechen. Dieser For-
erung kann ich nur mit Nachdruck zustimmen. Denn
ie Bundesregierung unterstützt bereits seit langem die
chaffung einer solchen „Europa-GmbH“. Die Europäi-
che Privatgesellschaft würde es auch kleinen und mitt-
eren Unternehmen ermöglichen, eine europäische
echtsform zu wählen. Und das bedeutet nicht nur, dass
ie ihrer gesellschaftsrechtlichen Organisation einfach
in „europäisches Etikett“ aufkleben können. Eine euro-
äische Rechtsform eröffnet Unternehmen vielmehr
eue und unbürokratische Chancen, ihr Engagement im
usland zu verstärken. Es entfällt die oftmals kosten-
nd zeitaufwendige Notwendigkeit, hierfür stets eine
ochtergesellschaft zu gründen.
Die Erfahrungen mit den bisher bestehenden europäi-
chen Rechtsformen sind denn auch sehr gut. Nennen
öchte ich insbesondere die Europäische Aktiengesell-
chaft, auch unter dem Kürzel „SE“ bekannt. Diese
echtsform steht seit Dezember 2004 für deutsche Ge-
ellschaften zur Verfügung. Mehrere deutsche Unterneh-
en von Weltruf haben sich seitdem in eine SE umge-
andelt oder planen dies ganz konkret. Ich erwähne hier
ur die Namen Allianz, BASF und Porsche. Dies zeigt,
ass ein Bedürfnis für europäische Rechtsformen be-
teht. Und hierzu gehört eben auch eine Rechtsform für
leine und mittlere Unternehmen.
Wir haben uns daher in vielfältiger Weise für die
chaffung einer Europäischen Privatgesellschaft einge-
etzt. Wiederholt hat Bundesministerin Zypries persön-
ich das Kommissionsmitglied McCreevy auf die Fort-
chritte bei diesem Vorhaben angesprochen.
In vielen schriftlichen Stellungnahmen der Bundesre-
ierung gegenüber der Kommission, wie zum Beispiel
um Aktionsplan Gesellschaftsrecht, ist die Bedeutung
es Projekts immer wieder hervorgehoben worden. Und
as gilt ebenso für die Gespräche, die Mitarbeiter des
inisteriums in den zuständigen Gremien in Brüssel
der auf internationalen Konferenzen geführt haben. Die
10870 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Juni 2007
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Förderung dieses Vorhabens ist natürlich auch Teil des
Programms für unsere EU-Ratspräsidentschaft. Die Eu-
ropäische Privatgesellschaft ist ferner ein zentrales
Thema der großen Konferenz zum Europäischen Gesell-
schaftsrecht, die der BDI in der kommenden Woche un-
ter der Schirmherrschaft von Bundesministerin Zypries
veranstalten wird. Über 300 Teilnehmer aus fast allen
Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben ihre Teil-
nahme angekündigt.
Auch Kommissionsmitglied McCreevy wird anwe-
send sein. Trotz der Entschließung des Europäischen
Parlaments vom Februar dieses Jahres zögert er leider
noch, einen Vorschlag vorzulegen. Wir hoffen aber, dass
er von unserer Konferenz ein weiteres Signal für die
Schaffung einer „Europa-GmbH“ mitnehmen wird.
Solange kein konkreter Vorschlag der Kommission
vorliegt, ergibt allerdings die Aufforderung der FDP-
Fraktion keinen Sinn, die Auswirkungen der Schaffung
einer Europäischen Privatgesellschaft auf deutsche Un-
ternehmen zu untersuchen. Wir wissen seit langem, dass
die Wirtschaftsverbände im Namen der Unternehmen
die Schaffung einer Europäischen Privatgesellschaft
nachdrücklich fordern. Von dieser Einschätzung sind wir
in der Vergangenheit ausgegangen und werden wir auch
in Zukunft ausgehen. Konkretere Aussagen lassen sich
aber erst auf der Basis eines ausdrücklichen Kommis-
sionsvorschlags treffen.
Ich kann Ihnen zusichern, dass wir uns auch weiterhin
intensiv für die Schaffung einer Europäischen Privat-
gesellschaft einsetzen werden!
Anlage 7
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung:
– Antrag: Innovationsnetzwerk für Europa –
Europäisches Technologieinstitut
– Beschlussempfehlung und Bericht zu dem
Antrag: Einrichtung des Europäischen
Technologieinstituts verhindern
– Beschlussempfehlung und Bericht zu dem
Antrag: Einrichtung des Europäischen
Technologieinstituts abwenden – Bestehende
europäische Förderstrukturen stärken und
weiterentwickeln
– Antrag: Das Europäische Institut für Tech-
nologie zum Erfolg führen
(Tagesordnungspunkt 20 a bis c)
Carsten Müller (Braunschweig) (CDU/CSU): Die
drei Bereiche Bildung, Forschung und Innovation bilden
das Fundament für Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit
im globalen Umfeld. Die Europäische Union hat sich im
Rahmen der Lissabonstrategie auf das zugegebenerma-
ßen sehr ehrgeizige Ziel verständigt, bis zum Jahr 2010
die Investitionen für Forschung und Entwicklung auf
3 Prozent des Bruttoinlandprodukts zu erhöhen. Zur Er-
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eichung diese Ziels sind enorme Anstrengungen auf na-
ionaler und europäischer Ebene notwendig.
Die EU-Kommission hat deshalb im Rahmen der
albzeitüberprüfung der Lissabonstrategie im Februar
005 angeregt, ein Europäisches Technologieinstitut,
IT, zu schaffen. Das EIT soll das gemeinsame Leis-
ungspotenzial von Ausbildung, Forschung und Innova-
ion ausschöpfen und so die Wettbewerbsgrundlage der
U-Mitgliedstaaten entscheidend verbessern. Der Er-
enntnis- und Technologietransfer zwischen Wissen-
chaft und Wirtschaft soll gestärkt und der Übergang von
orschungsergebnissen in die anwendungsorientierte
ertschöpfungskette erleichtert werden.
Dieses grundsätzliche Ziel, die Innovationsfähigkeit
es europäischen Wirtschaftsraumes durch exzellente
orschungs- und Innovationsnetzwerke zu verbessern,
st zunächst einmal unabhängig von der letztendlichen
usgestaltung zu begrüßen. Vor dem Hintergrund dieses
iels ist mir unverständlich, wie alleine schon die Idee,
en Informationsfluss zu bündeln und besser nutzbar zu
achen, von Bündnis 90/Die Grünen bzw. Der Linken
ategorisch abgelehnt wird. Gerade bei dem Thema In-
ovationsfähigkeit muss doch die Verwirklichung neuer
deen eine Chance haben und dabei müssen auch neue
nsätze gefördert werden. Wir werden versuchen, die
hancen wahrzunehmen und ihnen zum Erfolg zu ver-
elfen. Innovationsfeindlichkeit bringt uns jedoch – so
iel ist sicher – auf keinen Fall weiter.
Auch die deutsche EU-Ratspräsidentschaft unter Füh-
ung unserer Bundeskanzlerin hat der Förderung von In-
ovationen auf europäischer wie auch auf nationaler
bene großen Stellenwert eingeräumt. Die Betonung
iegt dabei ebenfalls auf anwendungsorientierter For-
chung und dem Transfer von Forschungsergebnissen in
ie Wirtschaft. Um die Nutzung von Forschungsergeb-
issen zu verbessern und Innovationen zu fördern, muss
er Austausch zwischen Forschung und Wirtschaft un-
erstützt und das Potenzial von Hochschulen, For-
chungseinrichtungen und Unternehmen miteinander
erknüpft werden. Die deutsche Ratspräsidentschaft ist
u Recht der Ansicht, dass für die Erreichung dieser
iele auch die Einrichtung eines EITs sinnvoll sein kann.
Im Oktober 2006 hat die EU-Kommission hierzu ei-
en Vorschlag vorgelegt, wie sie sich die Struktur und
en Aufbau des EITs vorstellt. Die Bundesregierung und
er Deutsche Bundestag haben die Einrichtung eines
ITs, insbesondere was die Inhalte des jetzt überholten
ommissionsvorschlages anging, eher zurückhaltend
egleitet. Auch die deutschen Wissenschaftsorganisatio-
en haben diesen ersten Vorschlag skeptisch kommen-
iert.
Aufgrund der deutschen Ratspräsidentschaft ist
eutschland aber in einer besonderen Verantwortung,
as die zu treffenden Entscheidungen auf europäischer
bene angeht. Dieser Rolle kommt die Bundesregierung
it ihrem Kompromissvorschlag nach. Der erarbeitete
orschlag erhielt beim Informellen Rat Wettbewerbsfä-
igkeit bereits viel Unterstützung von den EU-For-
chungsministerinnen und -ministern.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Juni 2007 10871
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Der Kompromissvorschlag sieht vor, Universitäten,
Forschungsinstitute und Unternehmen in Wissens- und
Innovationsgemeinschaften zusammenzuführen. Exzel-
lenzzentren in ganz Europa sollen durch Vernetzung ge-
stärkt werden. Im Rahmen der Netzwerke werden Ideen
für innovative Produkte, Prozesse und Dienstleistungen
entwickelt und so die Wettbewerbskraft Europas im glo-
balen Kontext gestärkt. Der Vorschlag ist ein wichtiger
Schritt, um hinsichtlich des EITs noch unter deutscher
Ratspräsidentschaft Ende Juni 2007 zu den notwendigen
politischen Grundsatzentscheidungen zu kommen.
In diesem Zusammenhang begrüße ich sehr, dass die
EU-Kommission nicht mehr an ihrem ursprünglichen
Ansatz einer zentralen Institutsneugründung festhält und
von ihren weiteren Überlegungen, die Wissensgemein-
schaften aus bestehenden Universitäten, Forschungsein-
richtungen und Unternehmen herauszulösen und in eine
eigene Rechtsform zu überführen, abgerückt ist. Wäre
dem nicht so, könnte man die grundsätzliche Kritik aus ei-
nigen politischen Lagern zumindest teilweise nachvollzie-
hen. Denn neue, zentrale Strukturen auf europäischer
Ebene sind abzulehnen, solange sie keinen wirklichen
europäischen Mehrwert schaffen. Parallele Strukturen
sind nicht mit dem Subsidiaritätsgrundsatz vereinbar und
würden in diesem Bereich die Entscheidungshoheit der
Mitgliedstaaten verletzen. Genau aus diesem Grund hat
die unionsgeführte Bundesregierung einen eigenen Vor-
schlag unterbreitet, der diesen Bedenken zum großen
Teil Rechnung trägt.
Einige weitere wichtige Kriterien sind jedoch noch
für eine erfolgreiche Umsetzung des EIT-Projekts zu be-
rücksichtigen und müssen erfüllt werden:
Erstens. Um einen wirklichen europäischen Mehrwert
zu schaffen, dürfen unsere funktionierenden nationalen
Strategien, Programme und Strukturen keinesfalls durch
die Einrichtung des EITs sowie der Wissens- und Inno-
vationsgemeinschaften beeinträchtigt werden. Die Orga-
nisation und Funktionsweise des EITs müssen uneinge-
schränkt dem Subsidiaritätsprinzip entsprechen. Deshalb
muss im Rahmen der zu treffenden Entscheidungen über
den Aufbau und die Organisation des EITs besonderes
Augenmerk auf eine effiziente und flexible Verwaltung,
klare Strukturen und Ausschreibungsverfahren sowie
eindeutige Zuständigkeits- und Aufgabenbereiche ge-
richtet werden. In diesem Zusammenhang darf es insbe-
sondere nicht zu Überschneidungen mit dem neu ge-
gründeten Europäischen Forschungsrat, ERC, kommen.
Denn nur so erreichen wir eine verstärkte Profilbildung
der europäischen Forschungslandschaft. Zudem würde
sonst das wichtige Alleinstellungsmerkmal des ERCs
gefährdet.
Zweitens. Um größtmöglichen Erfolg zu haben, muss
die Auswahl der Institutionen, innovatorischen Netz-
werke und Partnerschaften für die Teilnahme am EIT
ausschließlich an Exzellenzkriterien ausgerichtet sein
und anhand des bestehenden Innovationspotenzials im
Rahmen eines Wettbewerbsverfahrens erfolgen. Vorbild
müssen hierfür die Auswahlverfahren unserer nationalen
Exzellenzinitiative sein; das auf europäischer Ebene
lange Zeit „bewährte“ Gießkannenprinzip darf nicht zur
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nwendung kommen. Vorbild muss auch das 7. For-
chungsrahmenprogramm sein. Darin wird eindeutig al-
ein auf die Exzellenz als maßgebliches Kriterium abge-
tellt.
Die Auswahl der Teilnehmer muss auf Grundlage einer
ittel- bis langfristigen strategischen Innovationsplanung
om Verwaltungsrat des EITs nach dem Exzellenzprinzip
rfolgen, um auf zukunftsträchtigen Gebieten integrier-
en Innovations-, Forschungs- und Ausbildungsaktivitä-
en nachzugehen. Diese Zielsetzung muss umgesetzt
erden, um klare Antworten auf aktuelle Herausforde-
ungen und Entwicklungen zu geben. Vor diesem Hinter-
rund wäre eine bereits angedachte Schwerpunktsetzung
uf die Bereiche Klima- und Energieforschung aus-
rücklich zu begrüßen. Diese für die erste Phase des
ITs angedachten Themenfelder wurden während des
nformellen Rats Wettbewerbsfähigkeit von den For-
chungsministern ebenfalls mehrheitlich positiv bewer-
et.
Drittens. Die Finanzierung des EITs muss im Rahmen
er derzeit geltenden finanziellen Vorausschau erfolgen.
ie darf keinesfalls zulasten des 7. Forschungsrahmen-
rogramms oder anderer existierender europäischer För-
erprogramme gehen. Vielmehr ist erforderlich, dass die
U-Kommission ein klares Bekenntnis dazu abgibt, in
elcher Größenordnung sie sich die Finanzierung vor-
tellt und aus welchen Bereichen die Mittel für die finan-
ielle Ausstattung des EITs kommen sollen. Denn zu-
ätzliche Beiträge der Mitgliedstaaten stehen keinesfalls
ur Verfügung und ein eigener Haushaltstitel für das EIT
m Gemeinschaftshaushalt existiert bisher nicht.
Hierbei muss ebenfalls eindeutig klargestellt werden,
ass die zu bildenden Wissens- und Innovationsgemein-
chaften maßgeblich durch substanzielle Beiträge der
irtschaft oder privater Organisationen finanziert wer-
en müssen. Nur so wird sichergestellt, dass der Privat-
irtschaft eine entscheidende Rolle zukommt. Die Ziel-
etzungen Wissenstransfer und anwendungsorientierte
orschung werden nur durch maßgebliche Beteiligung
er Wirtschaft erfüllt. Ergänzende Finanzierungsbeiträge
ür die Wissens- und Innovationsgemeinschaften aus
em Gemeinschaftshaushalt dürfen nur in Übereinstim-
ung mit den Beteiligungsregeln existierender Gemein-
chaftsprogramme bereitgestellt werden. Hierzu enthält
er Kompromissvorschlag der unionsgeführten Bundes-
egierung klare Richtlinien.
Viertens. Dem EIT darf weder eine eigene Rechtsper-
önlichkeit zuerkannt werden, noch darf ihm ein Recht
ur Vergabe eigener akademischer Titel eingeräumt wer-
en. Die Verleihung von Titeln erfolgt allein nach natio-
alen Vorgaben und ist originäre Aufgabe der an den
issens- und Innovationsgemeinschaften beteiligten
nd dazu allein nach nationalem Recht berechtigten Ein-
ichtungen. Die Möglichkeit zum Beispiel eines speziel-
en EIT-Labels, das auf den eigentlichen Zeugnissen der
m EIT beteiligten Institutionen erscheint, könnte jedoch
n Betracht kommen.
Fünftens. Der Umsetzungsprozess sowie das gesamte
IT-Projekt müssen so zeitnah wie möglich, jedoch nach
iner gewissen Anlaufzeit durch externe Sachverstän-
10872 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Juni 2007
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dige kritisch, aber absolut ergebnisoffen evaluiert wer-
den, um eventuellen Handlungsbedarf aufzuzeigen. Die
Evaluierung sollte spätestens bis 2012 stattfinden. Die-
ser Zeitraum erscheint angemessen, um dem EIT die
Möglichkeit zu geben, Fuß zu fassen und so überhaupt
belastbare Ergebnisse erwarten zu können. Die Evalua-
tionsergebnisse müssen kritisch ausgewertet werden und
in die Strategie Innovation Agenda eingehen. Über einen
möglichen weiteren Ausbau bzw. über ein unter Umstän-
den ersatzloses Auslaufen des EIT-Projektes muss aus-
schließlich anhand der Evaluationsergebnisse und des
Maßstabes, einen signifikanten Mehrwert für Innova-
tion, Forschung und Bildung in Europa zu erreichen, ent-
schieden werden.
Die Errichtung des EITs bietet eine große Chance für
den europäischen Forschungsraum. Sollte es zu einem
Erfolg werden, muss in diesem Zusammenhang selbst-
verständlich auch über mögliche Szenarien der Weiter-
entwicklung diskutiert werden. Es ist durchaus möglich,
dass selbst eine dem amerikanischen MIT entsprechende
Ausrichtung noch erfolgversprechender sein könnte. Al-
lerdings kann die Evaluierung genauso gut dazu führen,
dass die Idee eines EITs nicht weitergeführt wird, da der
unbedingt notwendige Mehrwert nicht erreicht werden
kann. Alleine die Evaluierung wird darüber entscheiden,
welche Schlussfolgerungen und Maßnahmen ergriffen
werden müssen. Klar muss jedoch sein, dass wir dem
EIT beste Startvoraussetzungen mit auf den Weg geben
müssen, um es zu einem erfolgreichen Baustein europäi-
scher Innovations- und Forschungspolitik zu machen.
Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, im Rah-
men der deutschen Ratspräsidentschaft ihren Kompro-
missvorschlag mit der Maßgabe weiterzuverfolgen, dass
die im Antrag der Großen Koalition aufgeführten Forde-
rungen Eingang in die Grundsatzentscheidung zur Er-
richtung des EITs finden.
René Röspel (SPD): EIT – mit dieser Abkürzung
beschäftigen wir Forschungspolitiker uns seit fast zwei
Jahren. Wie man sich bei dem Anfangsbuchstaben „E“
schon denken kann, geht es dabei um Europa. EIT steht
für das neu einzurichtende „European Institut of Techno-
logy“, im Deutschen für das „Europäische Technolo-
gieinstitut“.
Die Europäische Union hat uns bereits viel Positives
gebracht. Das gilt für viele Bereiche, so auch für den Be-
reich Forschung. Mit dem jetzt laufenden 7. Europäi-
schen Forschungsrahmenprogramm werden zum Bei-
spiel bis 2013 mehr als 50 Milliarden Euro in die
Forschung in Europa investiert. Es wird davon ausge-
gangen, dass 20 Prozent dieser Gelder nach Deutschland
fließen werden. Wir sind also auf jeden Fall ein Profiteur
der europäischen Forschungsfinanzierung. In diesem
Jahr ist auch der Europäische Forschungsrat, ERC, ein-
gerichtet worden. Damit wird ein neuer Weg im Bereich
der Förderung europäischer Grundlagenforschung betre-
ten. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft, DFG, hat
dabei bei Arbeitsweise und Strukturen Pate gestanden.
Auch hier erhoffen wir uns einen guten Rücklauf im Ex-
zellenzwettbewerb mit internationalen Wissenschaftlern.
Bereits jetzt gibt es also gute ausgebaute europäische
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orschungsförderungen sowie neue erfolgversprechende
rojekte. Warum also eine weitere Einrichtung?
Das EIT als künftiges „Flaggschiff der Innovation in
uropa“, wie es Kommissionspräsident Barroso be-
eichnete, hat das Ziel, die europäische Wettbewerbsfä-
igkeit weiter ausbauen. Dabei geht es insbesondere um
ie ermittelte Lücke zwischen Forschung und Umset-
ung. Denn Europa genauso wie Deutschland mangelt es
icht an guten Ideen und klugen Köpfen – das sieht man
um Beispiel bei den Patentanmeldungen. Es hapert an
er Umsetzung in Produkte. Auf nationaler Ebene disku-
ieren wir dazu derzeit verschiedene Ansätze, auf euro-
äischer Ebene soll das EIT ein Schritt zur Schließung
ieser Lücke darstellen. Das EIT soll darüber hinaus das
eistungspotenzial im „Wissensdreieck“ Innovation,
usbildung und Forschung ausschöpfen und die Berei-
he stärker miteinander verzahnen. Denn ohne Bildung
st keine Forschung und ohne Forschung keine Innova-
ion möglich.
Die Idee, ein EIT zu errichten, kam 2005 von Kom-
issionspräsident Barroso. Er wollte damit ursprünglich
in „europäisches“ Massachusetts Institute of Techno-
ogy, MIT, auf der grünen Wiese errichten, also eine
uropäische Universität mit Spitzenforschung. Aber eine
pitzenuniversität kann man eben nicht von oben aus
em Boden stampfen. So etwas muss sich langsam ent-
ickeln. Mitgliedstaaten wie Großbritannien, Portugal
nd Deutschland, aber auch Forschungsorganisationen
ie die DFG zweifelten deshalb von Beginn an an dem
onzept. Wäre die Idee nicht direkt von Herrn Barroso
ekommen, wäre der Entwurf sicher schnell wieder in
en Schubladen verschwunden.
Mittlerweile ist das Konzept stark überarbeitet wor-
en. Die Universität „auf der grünen Wiese“ ist vom
isch; auch Studienabschlüsse sollen nicht mehr durch
as EIT vergeben werden. Die einzurichtenden „KICs“,
nowledge and Innovation Communities, sollen sich
un aus bereits vorhandenen Netzwerken und Partner-
chaften virtuell zusammenschließen. Sie bleiben somit
eiterhin Teil ihrer Universitäten, Forschungseinrich-
ungen oder Unternehmen. Wichtige deutsche Forderun-
en sind somit übernommen worden.
Am 25. Juni 2007 soll die endgültige Entscheidung
ber die Einrichtung eines EITs beim Ministerrat für
ettbewerbsfähigkeit beschlossen werden. Dies fällt in
ie letzte Woche der deutschen Ratspräsidentschaft.
eutschland trägt bei diesem Thema somit eine beson-
ere Verantwortung. Denn eine Ratspräsidentschaft ist
ben nicht die Position, um eigene nationale Meinungen
urchzusetzen, sondern eher die eines ehrlichen Mak-
ers, der Kompromisse aufzeigt und Verhandlungsergeb-
isse erreicht, mit denen alle Beteiligten zufrieden sind.
nsofern befindet sich die deutsche Bundesregierung, be-
annt für ihre Kritik am EIT, bei dem Thema in einer
icht ganz einfachen Rolle.
Ganz nach dem Motto „Was man nicht verhindern
ann, sollte man wenigstens in die richtige Richtung len-
en“ hat die Bundesregierung deshalb ein Kompromiss-
apier vorgestellt, das die Kritikpunkte am EIT aufrecht-
rhält, gleichzeitig aber den Einstellungen anderer
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Juni 2007 10873
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Mitgliedsländer Rechnung trägt. Das EIT soll danach ab
2008 in einer Pilotphase mit zwei KICs beginnen. Die zu
bearbeitenden Themen könnten Energie und der Klima-
wandel sein. Auch zu anderen Punkten wurden Kompro-
missformulierungen vorgeschlagen. Ich glaube, das
Kompromisspapier ist eine gute Arbeitsgrundlage und
wird den unterschiedlichen Meinungen innerhalb der EU
gerecht.
Ich will an dieser Stelle nur zwei Punkte herausstel-
len, bei denen ich hoffe, dass die Minister nächste Wo-
che eine belastbare Lösung finden werden: das weitere
Verfahren nach der Pilotphase und die Finanzierung des
EITs.
Der erste Punkt ist das Verfahren für die Weiterfüh-
rung des EITs nach der Pilotphase. Wir als SPD-Bundes-
tagsfraktion stimmen dem Konzept eines EITs nur zu,
weil zugesichert wurde, dass das EIT bis spätestens 2012
durch externe Sachverständige evaluiert werden soll und
danach auf Grundlage dieser Ergebnisse und dem Errei-
chen der Zielsetzung eines signifikanten Mehrwerts für
Innovation, Bildung und Forschung in Europa über die
Zukunft des EITs entschieden wird. Das kann in letzter
Instanz auch bedeuten, dass das EIT wieder geschlossen
wird. Eine weitere Institution auf europäischer Ebene
ohne zusätzlichen Nutzen brauchen wir nicht. Regelmä-
ßige Evaluierung, die im Extremfall auch zur Schließung
führen kann, sollte der Normalfall für alle Forschungs-
institute sein. Die Evaluierung zum Beispiel innerhalb
der Leibniz-Gesellschaft zeigt, dass dies auch praktika-
bel ist.
Zur Finanzierung. Die Kommission sieht für die Er-
füllung der EIT-Ziele einen Bedarf von über 2,3 Milliar-
den Euro für den Zeitraum 2007 bis 2013 vor. Als ein-
zige klar genannte Finanzquelle gibt es bisher die
308 Millionen Euro aus nicht zugewiesenen Margen der
Teilrubrik 1 a des EU-Haushaltes. Aber auch diese
Summe ist bisher noch nicht gesetzt. Selbst nach einer
Zusage bleiben noch 2 Milliarden Euro übrig, die nicht
gegenfinanziert sind. Herr Barroso verkündet immer
wieder, dass ein maßgeblicher Teil davon aus der Wirt-
schaft kommen wird. Auch wir fordern in unserem An-
trag eine finanzielle Mindestbeteiligung der Wirtschaft
von 50 Prozent. Bisher ist aber immer noch vollkommen
unklar, ob überhaupt, und, wenn ja, von wem wie viel
Geld kommen wird. Ein belastbares Finanzierungskon-
zept ist aber das A und O einer jeden Institution. Bei
dem europäischen GALILEO-Projekt haben wir gerade
erst wieder gesehen, wie problematisch es sein kann,
wenn man sich auf Zusagen aus der Wirtschaft verlässt.
Schwierig finde ich dies insbesondere unter dem Aspekt,
dass es doch gerade die Wirtschaft ist, die aus verstärkter
Innovationskraft den größten Gewinn zieht. Das finan-
zielle Risiko soll hingegen anscheinend doch lieber der
Staat tragen und damit der Steuerzahler. So, meine lie-
ben Unternehmen, geht es nicht.
Ich hoffe deshalb, dass nächste Woche, insbesondere
zu diesen beiden Punkten, eine tragfähige Lösung gefun-
den wird. Ich persönlich hätte mir gewünscht, dass man
erst einmal den Europäischen Forschungsrat hätte anlau-
fen lassen und seine Arbeit abgewartet hätte. Denn
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ieses Projekt ist sehr vielversprechend. Nach einem er-
olgreichen Anlaufen hätte man sich dann dem Thema
nnovation näher zuwenden können. Vom ERC bin ich
berzeugt, von Konzeption und Konstruktion des EIT
icht. Hoffen wir, dass beide Projekte trotzdem erfolg-
eich werden und Europa im internationalen Wettbewerb
m die besten Ideen weiter nach vorn bringen. Die SPD-
undestagsfraktion wird diesen Prozess auch weiterhin
it der nötigen Aufmerksamkeit verfolgen und kritisch
egleiten.
Ulrike Flach (FDP): Das Europäische Technolo-
ieinstitut kann ein Erfolg werden. Es ist aber kein
elbstläufer, und viel hängt davon ab, am Anfang eine
onstruktion zu wählen, die das EIT als zentrale Ein-
ichtung zur Exzellenzförderung im Dreieck Wissen-
chaft – Staat – Wirtschaft positioniert. Das sollte sich
uch darin ausdrücken, dass das EIT sowohl in der Kon-
eption als auch in der Finanzierung deutlich als öffent-
ich-private Partnerschaft erkennbar wird. Die Wirt-
chaft muss von Beginn an mit ins Boot. Das EIT sollte
ie Möglichkeit erhalten, sich um Fördergelder aus den
U-Programmen zu bewerben. Wir teilen nicht die
ngst, hier würde man sich gegenseitig die Gelder weg-
chnappen, sondern gerade wenn das EIT im Wettbe-
erb steht, kommt der nötige Druck auf, exzellente Pro-
ekte einzureichen.
Der Antrag der Koalitionsfraktionen ist ein Doku-
ent des Kleinmuts und der Furchtsamkeit. Sie begrü-
en zwar das EIT, aber umstellen, ja umzingeln das EIT
it einer Fülle von Einschränkungen und Regulierun-
en. Es soll Abstand zum Forschungsrat wahren, die
utonomie der Wissensgemeinschaften sollen bestehen
leiben. Sie schreiben die Aufgaben detailliert vor, es
oll keine akademischen Titel vergeben können, auch
icht gemeinsam mit Hochschulen, und es soll detail-
ierte Regelungen für die Antragsberechtigung geben.
ationale Ansätze und Forschungsstrategien dürfen
urch das EIT nicht geschwächt werden. Das ist alles
leinlich und zeugt von einem starken Ressentiment ge-
enüber dieser zu gründenden Institution.
Allerdings wollen auch Sie das EIT zu einem „strate-
ischen Instrument für die Interessen der Wirtschaft in
uropa“ machen. Ich frage mich, wie dies bei all dem
isstrauen, das aus Ihrem Antrag spricht, erfolgreich
eschehen soll? Glauben Sie wirklich, dass ein EIT zum
euchtturm der Spitzenforschung im weltweiten Ver-
leich werden kann mit einem so engen Korsett und ei-
er misstrauischen Grundstimmung dieser Koalition?
ch glaube, dass die Bundesregierung in den Verhand-
ungen mit den europäischen Partnern dem EIT schwere
ürden aufbaut, die Sie auf EU-Ebene dann nicht über-
inden können. Ein Institut, das mit dem renommierten
IT konkurrieren soll, braucht vor allem Freiheit und
lexibilität. Ihr Antrag schränkt das EIT ein und schmä-
ert seine Erfolgschancen.
Wir sehen mit großer Freude, dass sich die EU der
orschungs- und Innovationspolitik viel stärker als frü-
er annimmt. Das 7. Forschungsrahmenprogramm, der
uropäische Forschungsrat und das EIT können starke
10874 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Juni 2007
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Stützen einer exzellenten europäischen Forschungs- und
Technologieförderung sein. Nur gemeinsam haben wir
Europäer eine Chance, mit den USA und – zunehmend –
mit China und dem asiatischen Raum mitzuhalten. Wer
die Dynamik dort sieht, der weiß, dass wir wenig Zeit
für langwierige Verfahrensdiskussionen haben. Deshalb
sollten wir das EIT entschlossen und mutig auf den Weg
bringen.
Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Seit 2005 bemüht sich
EU-Kommissionspräsident Barroso darum, ein neues
Flaggschiff der europäischen Technologieforschung auf
Kiel zu legen. Dieses sollte seiner Idee nach in einem
Europäischen Technologieinstitut bestehen. Als Vorbild
schwebte ihm das Massachusetts Institut of Technology,
MIT, vor. An einem neuen Standort auf grüner Wiese
sollte eine Eliteschmiede entstehen, die ihre Kadetten in
ganz Europa rekrutieren sollte. Milliarden sollten in de-
ren Ausstattung fließen, ohne dass zum Zeitpunkt der
Idee Barrosos nur annähernd geklärt war, welche Diszi-
plinen angesiedelt werden sollten.
Nun legen Reeder in der Regel nur dann neue Schiffe,
insbesondere dieser Großklasse, auf Kiel, wenn sie dafür
echten Bedarf sehen, ist doch bekannt, dass die Unter-
haltungskosten dieser Schiffsklassen immens sind.
Welchen Bedarf Herr Barroso konkret gesehen hat, ist
über weite Strecken den beteiligten Akteuren unklar ge-
blieben. Ich halte es schon für bemerkenswert, dass sich
nicht einmal der EU-Forschungskommissar Jan Potocnik
öffentlich für diese Idee einsetzte. Es ist für mich daher
wenig verwunderlich gewesen, dass neben Kritik, größ-
ter Skepsis auch offene Ablehnung artikuliert wurde.
Bezogen auf Deutschland reichten Ablehnung und
Vorbehalte von Wissenschaftsorganisationen, über die
Hochschulrektorenkonferenz bis zu Bundesrat und der
Bundesregierung höchst selbst. Im Bundestag hat meine
Fraktion Die Linke durch einen entsprechenden Antrag
und Kleine Anfragen ihre Ablehnung deutlich gemacht.
An der allseitigen und umfassenden Skepsis hat sich
nicht wirklich etwas geändert. Warum hat die Bundes-
regierung trotz vielfältiger Bedenken und breiter Ableh-
nung aus der Wissenschaft diesem Projekt immer noch
keine klare Absage erteilt?
Ganz offensichtlich hat sie auch im Rahmen ihrer
Ratspräsidentschaft nicht die Kraft gefunden, einen Neu-
ansatz zu verfolgen. Dieser sollte darin bestehen, an den
zum Teil gerade erst neu aufgelegten Programmen und
Strukturen des Siebten Forschungsrahmenprogramms
anzuknüpfen und diese zu stärken. Das wäre inhaltlich
konsistent und begründbar.
Alle Seiten sind unzufrieden. Und doch verzettelt
man sich in einer Kompromissdebatte. Und das ist ty-
pisch für EU-Entscheidungen.
Was war bzw. ist das eigentliche Problem? Dieses er-
gibt sich wieder einmal daraus, dass sich ein Politiker
vor seinem Abschied ein Denkmal setzen wollte. Adres-
saten und politisch Verantwortliche halten eigentlich
nichts von dieser Kopfgeburt. Statt nun aber die Sache
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ernunftbegabt zu beenden, wird versucht, durch Verän-
erungen innerhalb des Projektes die unschöne politi-
che Demontage eines ach so verdienten Politikers und
orführeffekte gegenüber potenziell betroffenen Län-
ern zu vermeiden. Man geht auf diese Weise offenen
onfrontationen aus dem Weg, schließlich könnten sich
araus später auch Nachteile für eigene ehrgeizige politi-
che Vorhaben ergeben.
Diese Strategie zum Umgang und zur Beilegung von
onflikten kostet die europäischen Steuerzahlerinnen
ann schon einmal Millionen oder wie im vorliegenden
all des Europäischen Technologieinstituts sogar Mil-
iarden – konkret 2,4 Milliarden. Das wissen alle poli-
isch Verantwortlichen. Auch die Bundesregierung hat
anz offensichtlich nicht die Kraft gefunden, sich die-
em völlig unberechenbaren Projekt entgegenzustellen.
ie hat sich innerhalb ihrer Ratspräsidentschaft an einem
ormelkompromiss abgearbeitet. Und für den 25. Juni
007 soll nun der Stapellauf beschlossen werden. Alles
ndere wäre eine echte, wenngleich gute Überraschung.
Keiner weiß genau, ob der Kahn die georderte Fracht
berhaupt tragen kann. Der Wirtschaft soll gedient wer-
en. Wissensproduktion und -transfer sollen massiv mit
ffentlichen Geldern forciert werden. Es fehlen jedoch
räzise Angaben sowohl zu Inhalt und Form als auch zur
inanzierung dieser Passage.
Dabei sollten alle Verantwortlichen gewarnt sein. Ein
nderes großes Flaggschiff der europäischen Forschung
nämlich das Weltraumforschungsprojekt GALILEO –
st gerade kläglich gestrandet. Dabei gab es für dieses
rojekt im Vergleich zum Europäischen Technologie-
nstitut immerhin deutlich verbindlichere Festlegungen.
nd dennoch ist ein Mitzeichner – die Wirtschaft näm-
ich – ausgestiegen. Die Risiken waren ihr im Verhältnis
um kalkulierbaren Nutzen zu wenig abschätzbar. Und
chließlich, so die Selbstauskunft, müsse ja nicht alles
on privater Ebene finanziert werden.
Mit Blick auf GALILEO muss nun festgestellt wer-
en: Die „Himmelsschiffe“ anderer Länder bzw. Regio-
en – wie beispielsweise das neue GPS III – schicken
ich an, vorbeizufliegen. Im Flug erfahren diese Verbes-
erungen ihrer Leistungsfähigkeit. Es wäre seitens der
U eine sinnvolle Form der Schadensbegrenzung gewe-
en, sich an diesen Missionen zu beteiligen. Stattdessen
ersuchen die beteiligten Länder, den eigenen Kahn wie-
er flottzumachen. Und das wird die Steuerzahlerinnen
nd Steuerzahler insgesamt 13 Milliarden Euro kosten.
Man hat also eben erst einen Schiffbruch erfahren und
ässt sich mit dem Europäischen Technologieinstitut
chon wieder auf ein neues Großprojekt ein. Dessen so-
enannter europäischer Mehrwert wird noch schlechter
ls bei GALILEO prognostiziert – und das für alle Betei-
igten: für die Länder, für die Wirtschaft aber auch für
ie Wissenschaft.
Besonders unverständlich ist dabei, dass weder die
usätzlichen Kosten von GALILEO noch die zusätzli-
hen Kosten des Europäischen Technologieinstituts in
er aktuellen Finanzplanung der EU berücksichtigt sind.
enn also nicht neues Geld aus den Ländern kommt und
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Juni 2007 10875
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das ist absolut ausgeschlossen, dann wird man die Sum-
men nur durch Umschichtungen im EU-Haushalt auf-
bringen können. Das geplante Technologieinstitut jeden-
falls schlägt schon allein mit 308 Millionen im ersten
Jahr zu Buche.
Da jedoch die Finanzplanung der EU ein noch größe-
rer und noch zerbrechlicherer Kompromiss ist, ist derzeit
eine saubere Lösung gar nicht absehbar. Man wird sich
vermutlich mit der weichen Formulierung einer Zielstel-
lung zufrieden geben.
Das alles ist sowohl der Bundesregierung als auch der
Koalition bekannt. Nicht umsonst versucht die Koalition
in ihrem Antrag zum Europäischen Technologieinstitut,
ein paar Ankerwürfe vorzubereiten.
So soll sich die Bundesregierung dafür einsetzen, dass
Unternehmen und private Organisationen einen substan-
ziellen Beitrag von mindestens 50 Prozent an dessen Ge-
samtkosten aufbringen. Nur auf Basis belastbarer finan-
zieller Zusagen könne das Technologieinstitut seine
positive Wirkung entfalten. Und nur dann dürfe mit der
Errichtung begonnen werden. Im Grunde genommen ist
das der wichtigste Punkt Ihres Antrages. So wie er im
Antrag steht, haben Sie ihn eigentlich als K.-o.-Krite-
rium formuliert.
Die Wirtschaft wird in „zentraler Rolle“ gesehen, weil
das Technologieinstitut – ich zitiere – „als strategisches
Instrument für die Interessen der Wirtschaft in Europa be-
griffen wird“. Zitat Ende. Vor diesem Hintergrund ist eine
Beteiligung insbesondere von kleinen und mittelständi-
schen Unternehmen – vorsichtig ausgedrückt – als höchst
unwahrscheinlich einzustufen.
Die Linke ist ganz und gar nicht der Auffassung, dass
sich die EU auf ein Projekt einlassen sollte, bei dem jetzt
schon klar ist, dass weder die Wirtschaft noch private
Organisationen eine solche verbindliche Finanzbeteili-
gung eingehen werden. Alles wird sich wieder in der
Preislage von freiwilligen Erklärungen oder unverbindli-
chen Selbstverpflichtungen abspielen.
Mit der Bestimmung der beiden ersten Leitthemen
des Technologieforschungsinstituts zu Energie- und Kli-
maforschung steckt man doch schon mitten drin. Und
gerade auch diese beiden Felder sind beredte Beispiele
dafür, wie man in den vergangenen Jahren bei der Kar-
tierung freiwilliger Verpflichtungen in unsicherem Fahr-
wasser gestrandet ist. Allein eine Vernetzung vorhande-
ner Einrichtungen und Akteuren der Spitzenforschung
zu diesen Themen wird die Wirtschaft nicht hinreißen,
sich auf verbindliche Finanzierungszusagen einzulassen.
Dessen sind sich natürlich auch die Koalitionsfraktio-
nen bewusst. Daher setzen sie in ihrem Antrag auch
schon Rettungsboote aus. Bis spätestens 2012 soll das
Technologieinstitut durch externe Sachverständige ge-
prüft werden. Danach soll nochmals über die Fortfüh-
rung entschieden werden.
Bis dahin finden sich Bundesregierung und Koali-
tionsfraktionen damit ab, dass Gelder und Ressourcen
aus anderen Bereichen, wie dem Programm Lebenslan-
ges Lernen, dem 7. Forschungsrahmenprogramm und
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em Rahmenprogramm für Wettbewerbsfähigkeit und
nnovation, CIP, abgezogen werden. Doppelstrukturen
ind im Verhältnis zu den bestehenden Technologieplatt-
ormen gar nicht zu vermeiden. Auch Überschneidungen
nd Kollisionen zum erst unlängst begründeten Europäi-
chen Forschungsrat können angesichts der konzeptio-
ellen Unschärfe gar nicht vermieden werden. Welche
irkungen sich für Hochschulen und Wissenschaftsor-
anisationen ergeben, ist unklar. Diese werden nun in
ine weitere Fahrrinne geschickt, auf der neue For-
chungsmittel erreichbar werden sollen. Der Hinweis,
an stütze sich ohnehin nur auf Erfahrene der
xzellenzinitiative, grenzt zugleich den Teilnehmerkreis
in.
Die Linke hat bereits im März dieses Jahres mit ihrem
ntrag gezeigt, dass die Initiativen zum Europäischen
echnologieinstitut eingestellt werden müssen. Wir ha-
en auf einen Ausbau und eine Qualifizierung bestehen-
er Strukturen und Initiativen verwiesen.
Daran haben weder der Koalitionsantrag noch die von
er Bundesregierung eingeschlagene Kompromisslinie
uf europäischer Ebene etwas geändert.
Um im Bild zu bleiben, sei abschließend angemerkt:
er Wassereinbruch ist bereits vorprogrammiert. Und
as Kommando „Schotten dicht“ hat bekanntlich nicht
inmal die „Titanic“ vor dem Untergang gerettet.
Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die
rüne Fraktion hat sich klar gegen die Einrichtung des
IT ausgesprochen. Wir halten das EIT für ein vollkom-
en ungeeignetes Mittel, um die Ziele der Förderung
issenschaftlicher Exzellenz und Beschleunigung von
nnovation und Marktzugang für Forschungsergebnisse
u erreichen.
Das wesentliche Problem mit dem geplanten Institut
das ja in seiner jetzigen Form „nur“ noch ein dezentra-
es Netzwerk wäre – ist, dass es damit zur Schaffung
iner ineffizienten und konkurrierenden Struktur in der
uropäischen Forschungslandschaft käme, die in Kon-
urrenz zu bestehenden Instrumenten tritt. Es gibt be-
eits eine Reihe von europäischen Initiativen und neuen
nstrumenten, die sich den genannten Zielen widmen –
ämlich vor allem das 7. Forschungsrahmenprogramm
it dem Europäischen Forschungsrat und gemeinsamen
echnologieplattformen und daraus entwickelten Tech-
ologieinitiativen. Es haben sich längst zahlreiche euro-
äische Kooperationsnetzwerke herausgebildet, deren
tärkung und Weiterentwicklung unser zentrales Ziel
ein sollte. Das EIT wäre demgegenüber im über viele
ahre gewachsenen System der europäischen For-
chungsförderung ein Fremdkörper, der die bestehenden
trukturen schwächen würde.
Hinzu kommt, dass die Finanzierung des EIT bisher
ollkommen unklar ist. Deshalb steht zu befürchten,
ass sie zulasten der bereits bestehenden Instrumente,
nsbesondere dem 7. FRP erfolgt. Außerdem hält sich
ie Privatwirtschaft, die das Institut zum überwiegenden
eil finanzieren soll, bisher mit verbindlichen Zusagen
um es vorsichtig zu formulieren – sehr bedeckt. Die
10876 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Juni 2007
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Erfahrungen, die wir derzeit mit GALILEO machen, las-
sen eher befürchten, dass am Ende doch die öffentliche
Hand auf den Kosten sitzen bleibt.
Einige dieser Sorgen teilt man offensichtlich auch in
der Koalition. In Ihrem Antrag fordern Sie die Bundes-
regierung auf, dass sie sich unbedingt dafür einsetzen
solle, dass es weder zu inhaltlichen Überschneidungen
mit bestehenden europäischen Förderstrukturen noch zu
Querfinanzierungen aus diesen Programmen kommt,
und dass die Errichtung an verbindliche Finanzierungs-
zusagen der Privatwirtschaft geknüpft wird. Bisher ist es
der Regierung aber keineswegs gelungen, plausibel dar-
zustellen, wie sie diese Bedingungen erfüllen will. Kon-
sequent wäre es deshalb, wenn die Koalitionsfraktionen
das ganze Projekt – so wie wir es tun – ablehnen würden.
Anders dagegen die FDP, die als einzige Fraktion im
Bundestag das EIT unvoreingenommen begrüßt. Beson-
ders bemerkenswert ist, dass Sie darüber hinaus die ein-
zige Stimme in ganz Europa sind, die immer noch dafür
plädiert, das EIT als zentrale Einrichtung entsprechend
den ursprünglichen Kommissionsplänen einzurichten –
und das entgegen den Stellungnahmen, die von allen re-
levanten Akteuren, insbesondere auch den Wissen-
schaftsorganisationen, zu dieser Idee abgegeben worden
sind. Hinzu kommt, dass Sie sich in Ihrem Antrag dafür
aussprechen, dass das EIT sich nicht alleine an wissen-
schaftlichen Kriterien messen lassen solle, sondern da-
rüber hinaus auch wirtschaftliche Erwägungen bereits in
die Exzellenzdefinition einfließen sollen. Das lehnen wir
ab.
Anlage 8
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts zu dem Antrag: Öffentlichen Verkehr
in den neuen Bundesländern nicht gefährden –
Verkehrsflächenbereinigungsgesetz verlängern
(Tagesordnungspunkt 19)
Marco Wanderwitz (CDU/CSU): Dem vorliegenden
Antrag der Fraktion Die Linke, die Übergangsregelung
des Verkehrsflächenbereinigungsgesetzes über den Frist-
ablauf zum 30. Juni 2007 hinaus zu verlängern, wird die
CDU/CSU-Bundestagsfraktion nicht zustimmen. Damit
habe ich am 29. März 2007 meine Rede zur ersten Le-
sung dieses reinen Schaufensterantrages der PDS begon-
nen. Zur Begründung komme ich noch. Ich kann aber
auch heute gleich zu Beginn sagen, dass sich an dieser
Sicht meiner Fraktion nichts geändert hat.
Woran liegt das nun? Sie, meine Damen und Herren
von der PDS, haben nichts, aber auch gar nichts ausfüh-
ren können, was diesen Antrag begründen würde. Alle
Fraktionen des Hauses haben Sie dazu in der ersten Le-
sung aufgefordert. Mit einer Begründung ist, damit klar
wird, was ich darunter verstehe, und wo das diesbezügli-
che Problem der PDS liegt, nicht gemeint, Umstände zu
behaupten, sondern diese durch Fakten zu substantiieren.
Sie haben weder in der ersten Lesung, noch in der Folge,
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twa bei den Beratungen im federführenden Rechtsaus-
chuss, in irgendeiner Form die dünne, pauschale, von
nbewiesenen Behauptungen getragene Begründung des
ntrages verdichten können. Gegen die zu Recht ableh-
ende Stellungnahme der Bundesregierung habe ich kein
rgument vernommen. Was die PDS betreibt, und dieser
ntrag ist nur eines von vielen Beispielen, ist nichts an-
eres als reine populistische Klientelpolitik ohne jegli-
he Substanz. Das kostet das Parlament wertvolle Zeit
nd schadet unserer parlamentarischen Demokratie. Ihr
erhalten ist unkollegial und einfach nur schäbig.
Ich habe mir überlegt, ob ich, da es keinerlei neuen
achstand gibt, gleich nur auf meine umfängliche Rede
us der ersten Lesung verweise. Das tue ich hiermit.
ennoch möchte ich die wichtigsten Punkte unserer Po-
ition noch einmal kurz umreißen.
Seit der Wiedervereinigung gibt es für die Vielzahl
on Grundstücken privater Eigentümer, die zu Zeiten der
hemaligen DDR zum Teil ohne bzw. auf zweifelhafter
echtsgrundlage für öffentliche Zwecke in Anspruch ge-
ommen wurden, ohne dass ihre förmliche Überführung
n sogenanntes Volkseigentum oder eine rechtlich ver-
indliche Regelung der Nutzungsverhältnisse erfolgt
äre, eine Übergangsvorschrift. Diese regelt, dass trotz
es durchaus zweifelhaften Besitzanspruches der öffent-
ichen Hand eine weitere Nutzung bzw. der Erwerb sol-
her Grundstücke durch die öffentliche Hand möglich
st. Die öffentlichen Nutzer haben ein für weiterhin zu
ffentlichen Zwecken benötigte Flächen bis zum
0. Juni 2007 befristetes Ankaufsrecht zu besonders
ünstigen Konditionen, die erheblich unterhalb des Ver-
ehrswerts liegen. Mit dieser Übergangslösung sollte
ermieden werden, dass die Kommunen in den neuen
ändern mit Ankaufsforderungen durch private Grund-
tückseigentümer überfordert würden. Durch die lang-
ristige Übergangsregelung wurde den Kommunen die
öglichkeit eingeräumt, zunächst zu überprüfen, welche
rundstücke im Privateigentum dauerhaft weiter für öf-
entliche Zwecke benötigt werden und in der Folge ent-
prechend die zum verbilligten Erwerb dieser Liegen-
chaften notwendigen Haushaltsmittel über mehrere
ahre in die jeweiligen Planungen einzustellen.
Künftig kann nun, falls der öffentliche Nutzer sein
nkaufsrecht bis zum 30. Juni 2007 nicht ausgeübt hat,
er private Eigentümer ab diesem Zeitpunkt den Ankauf
eines Grundstücks zum Verkehrswert verlangen oder
in marktgerechtes Nutzungsentgelt für die Eintragung
iner Dienstbarkeit fordern. Mit Ablauf der Übergangs-
rist wird für die nach so vielen Jahren immer noch un-
eklärten Fälle in der Folgezeit nun die endgültige Klä-
ung der Rechtsverhältnisse an den Grundstücken
erbeigeführt, die zu diesem Zeitpunkt trotz fortdauern-
er öffentlicher Nutzung noch immer im Privateigentum
ind.
Im Jahre 17 der deutschen Einheit ist das für die
ommunen zumutbar. Wir werden nicht durch eine wei-
ere Fristverlängerung das gewachsene Vertrauen der be-
roffenen Grundeigentümer enttäuschen. Rechtssicher-
eit ist ein hohes Gut. Eine sachgrundlose Verlängerung
on mit Sachgrund versehenen Übergangsfristen wird es
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Juni 2007 10877
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mit uns nicht geben. Eigentum verpflichtet nicht nur,
meine Damen und Herren von der PDS, wir leben Gott
sei Dank nicht im sogenannten Sozialismus!
Zudem ist ja weiterhin die Rechtsbereinigung zuguns-
ten der öffentlichen Hand möglich. Bei Vorliegen der
entsprechenden spezialgesetzlichen Voraussetzungen ist
eine Enteignung für öffentliche Zwecke nicht ausge-
schlossen. Allerdings wäre dann entsprechend der
grundgesetzlichen Eigentumsgarantie der volle Ver-
kehrswert als Ausgleich zu zahlen. Und gerade dieser
Punkt ist der Entscheidende. Wir stehen unverrückbar
zur Eigentumsgarantie als zentralem Punkt des Grundge-
setzes.
Dr. Peter Danckert (SPD): Bereits am 29. März
2007 habe ich an dieser Stelle zu diesem Thema Folgen-
des gesagt: Die Linke fordert in ihrem Antrag die Bun-
desregierung auf, das Gesetz zur Bereinigung der
Rechtsverhältnisse an Verkehrsflächen und anderen öf-
fentlich genutzten privaten Grundstücken, kurz Ver-
kehrsflächenbereinigungsgesetz, über die gegenwärtig
geltende Frist bis 30. Juni 2007 hinaus um drei weitere
Jahre zu verlängern.
Das Verkehrsflächenbereinigungsgesetz vom 26. Ok-
tober 2001 regelt die Rechtsverhältnisse an Grundstü-
cken in den neuen Bundesländern, die im Privateigen-
tum stehen, aber zu öffentlichen Zwecken genutzt
werden. Die gesetzliche Neuregelung erfolgte seinerzeit
aufgrund einer Initiative der neuen Länder. Vor dem
Hintergrund von Art. 14 des Grundgesetzes war eine
nicht einfache Abwägung zwischen dem Eigentum und
dem Wohle der Allgemeinheit vorzunehmen. Dieses Ge-
setz räumt dem öffentlichen Nutzer unter bestimmten
Voraussetzungen ein Erwerbsrecht an Verkehrsflächen
gegenüber dem Grundstückseigentümer ein. Dies betrifft
in erster Linie Verkehrsflächen, aber auch für Verwal-
tungszwecke genutzte Flächen und Gebäude.
Handlungsbedarf ergab sich aus dem Umstand, dass
in der DDR oftmals private Grundstücke für öffentliche
Zwecke in Anspruch genommen worden sind, ohne dass
eine förmliche Überführung des Grundstücks in Volks-
eigentum stattgefunden hätte oder die Nutzung des
Grundstücks gegenüber dem Eigentümer sonst auf eine
rechtliche Grundlage gestellt worden wäre. Diese
Grundstücke blieben in Privateigentum und sind es auch
heute noch.
Das Gesetz ermöglichte den Kommunen, vom Eigen-
tümer bis zum 30. Juni 2007 den Verkauf des Grund-
stücks zu stark abgesenkten Preisen zu verlangen. Der
Gesetzgeber hat seinerzeit ganz bewusst in § 8 eine Ab-
schlussfrist normiert, um, wie es in der Begründung
hieß, „den baldigen Ankauf der für öffentliche Zwecke
genutzten Grundstücke zu bewirken“ und damit auch
eine „zügige Bereinigung“ zu realisieren.
Diese Regelung entspricht dem sich aus Art. 14 des
Grundgesetzes ergebenden Grundsatz der Verhältnismä-
ßigkeit. Das heißt konkret eine Abwägung zwischen
dem grundgesetzlichen Schutz des Eigentums und dem
Wohl der Allgemeinheit. Nach Ablauf der Abschlussfrist
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erbleiben einige unbereinigte Fälle, in denen der
rundstückseigentümer die Wahl hat, ob er von der Ge-
einde den Ankauf verlangt oder aber ein Nutzungsent-
elt fordert, das so lange zu zahlen wäre, wie die öffent-
iche Nutzung fortbesteht.
Die Linke ist der Ansicht, dass eine Vielzahl der be-
roffenen Kommunen nicht in der Lage sein wird, den
rundstückseigentümern bis zu diesem Stichtag ihr no-
arielles Kaufvertragsangebot zu übermitteln, und strebt
eshalb eine Fristverlängerung an.
Gestatten Sie mir hierzu folgende Anmerkungen: Das
esetz mit der konkreten Abschlussfrist ist das Ergebnis
on Beratungen einer auf Initiative der Ost-Justizminis-
erkonferenz 1999 gebildeten Bund-Länder-Arbeits-
ruppe. Diese Abschlussfrist nach § 8, die man auch als
ine Ausschlussfrist werten kann, war ein Kompromiss
wischen den widerstreitenden Interessen der Beteilig-
en. Zu bedenken war, dass die Grundstückseigentümer
ei Ablauf der Frist über einen Zeitraum von fast
7 Jahren nach der Wiedervereinigung keinen Zugriff
uf das Grundeigentum hatten.
Zugleich war den öffentlichen Nutzern bereits bei der
rarbeitung des Gesetzes das Problem der noch ausste-
enden sachenrechtlichen Bereinigung seit langem be-
annt. Zur Durchführung der notwendigen vorbereiten-
en Maßnahmen – Vermessungsarbeiten, Feststellung
er Eigentumsverhältnisse – zur rechtlichen Bereinigung
tand ausreichend Zeit, nämlich sechs Jahre, zur Verfü-
ung.
Darüber hinaus impliziert der Ablauf der Frist nicht
ie Notwendigkeit, alle Verträge bis zum Stichtag fertig
bzuwickeln. Auch nach Fristablauf ist die Rechtsberei-
igung möglich, wenn auch der Grundstückseigentümer
amit einverstanden ist. Nach Ablauf der Abschlussfrist
ann allerdings der Grundstückseigentümer alleine da-
über entscheiden, ob er die Fläche an den öffentlichen
utzer verkauft, die Zahlung eines Nutzungsentgeltes
ordert oder schlicht nichts unternimmt. Wenn der öf-
entliche Nutzer an der Erlangung des Eigentums am
rundstück gegen den Willen des Grundstückseigen-
ümers interessiert ist, kommt gegebenenfalls eine Ent-
ignung nach den jeweiligen Spezialvorschriften, unter
nderen den Straßengesetzen der Länder – allerdings ge-
en Entschädigung in Höhe des Verkehrswertes –, in Be-
racht.
Einer Fristverlängerung stehen – dies ist nicht ganz
nerheblich – verfassungsrechtliche Bedenken entgegen:
ie trotz der öffentlich-rechtlichen Nutzung der Grund-
tücke bestehenden eingeschränkten Eigentumsrechte
er Grundstückseigentümer fallen unter den Schutz von
rt. 14 Abs. l Satz l des Grundgesetzes. Jede Änderung
er Ausgestaltung der Rechtsverhältnisse muss sich da-
er insbesondere an den Grundsätzen des Vertrauens-
chutzes und der Verhältnismäßigkeit messen lassen.
Die erhebliche Belastung der Grundstückseigentümer,
ie über einen langen Zeitraum zur Passivität gezwun-
en sind, und die Tatsache, dass den öffentlichen Nut-
ern der Ablauf der Abschlussfrist frühzeitig bekannt
10878 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Juni 2007
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war, begründen ernsthafte verfassungsrechtliche Beden-
ken gegen die Verlängerung der Frist.
Zu dem, was ich am 29. März 2007 gesagt habe, ste-
hen wir als SPD-Fraktion. Der Antrag ist so überflüssig
wie nur wenig anderes. Deshalb gibt es hierzu nichts we-
sentlich Neues zu ergänzen. Weder hat es eine Initiative
des Bundesrates gegeben, noch haben die weiteren Bera-
tungen signifikante Gründe ergeben, die für eine Ver-
längerung des Verkehrsflächenbereinigungsgesetzes
sprechen. Fast sechs Jahre sind nunmehr verstrichen, in
denen ausreichend Gelegenheit bestanden hätte, die
Grundstücks- und Eigentumsverhältnisse endgültig zu
klären. Aus diesen Erwägungen heraus kann und wird
die SPD-Bundestagsfraktion dem Antrag der Fraktion
Die Linke nicht zustimmen.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP):
Die Beratung des Antrags im federführenden Rechtsaus-
schuss und im mitberatenden Ausschuss für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung hat ergeben, dass es keinen
Anlass gibt, die Abschlussfrist nach § 8 des Verkehrs-
flächenbereinigungsgesetzes um drei Jahre bis zum
30. Juni 2010 zu verlängern.
Bleibt es beim Fristablauf zum 30. Juni 2007, bedeu-
tet das jedoch nicht, dass die zugrunde liegenden Rechts-
verhältnisse nicht mehr einer Rechtsbereinigung zuge-
führt werden könnten. Der Fristablauf hat zunächst nur
zur Folge, dass nunmehr der Grundstückseigentümer
selbst darüber entscheiden kann, ob er die Fläche an den
öffentlichen Nutzer verkauft, die Zahlung eines Nut-
zungsentgelts fordert oder aber schlicht nichts unter-
nimmt. Damit wird dem Grundstückseigentümer ein
Stück Entscheidungsfreiheit zurückgegeben. Damit tritt
der eigentumsrechtliche Normalfall ein.
Dies ist auch geboten, wenn man bedenkt, dass der
Eigentümer bei Ablauf der Frist Ende Juni 2007 über ei-
nen Zeitraum von insgesamt fast 17 Jahren seit der Wie-
dervereinigung keinen Zugriff auf sein Eigentum hatte
und die Fremdnutzung hinnehmen musste, also zu Passi-
vität verurteilt war.
Der öffentliche Nutzer hatte in all den Jahren genug
Zeit, vorbereitende Maßnahmen zur rechtlichen Bereini-
gung in Angriff zu nehmen und durchzuführen. Wenn
der öffentliche Nutzer dies nicht getan hat, gleichwohl
aber an der Erlangung des Eigentums am Grundstück ge-
gen den Willen des Grundstückseigentümers interessiert
ist, besteht im begründeten Einzelfall und zum Wohle
der Allgemeinheit immer noch die Möglichkeit einer
Enteignung nach den jeweiligen Spezialvorschriften,
insbesondere den Straßengesetzen der Länder. Diese
setzte dann allerdings die Zahlung einer Entschädigung
in Höhe des Verkehrswerts voraus.
Alles andere wäre mit der Eigentumsgarantie des
Art. 14 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes auch nicht ver-
einbar. Mit der von den Antragstellern geforderten Frist-
verlängerung ohne Ausgleichsmaßnahmen würde die
Grenze des den Grundstückseigentümern Zumutbaren
überschritten. Die Grundsätze des Vertrauensschutzes
und der Verhältnismäßigkeit wären dann verletzt.
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Wer etwas anderes will, darf die Belastung der
rundstückseigentümer im Wege der Fristverlängerung
icht einfach fortschreiben und die Tatsache, dass den
ffentlichen Nutzern der Ablauf der Frist frühzeitig be-
annt war, ausblenden. Wer etwas anderes will, muss
ielmehr ein Konzept vorlegen, das einen gerechten
usgleich zwischen den widerstreitenden Interessen der
rundstückseigentümer und der öffentlichen Nutzer vor-
ieht. Ein solches Konzept ist dem Antrag der Fraktion
ie Linke nicht zu entnehmen.
Der Antrag ist weit davon entfernt, den geschützten
nteressen beider Seiten Rechnung zu tragen. Das ist mit
nserem Verständnis des Eigentumsschutzes nicht ver-
inbar. Die Fristverlängerung liefe darauf hinaus, die Ei-
entümer von Grundstücken, die dem Verkehrsflächen-
ereinigungsgesetz unterliegen, für weitere drei Jahre zu
igentümern zweiter Klasse zu machen.
Da in den Beratungen auch nicht erkennbar wurde,
ass die Kommunen in den neuen Ländern aus Gründen,
ie sie nicht zu vertreten haben, an einer Rechtsbereini-
ung gehindert waren, bleibt es bei dem Nein der FDP-
undestagsfraktion zu dem Antrag der Fraktion Die
inke.
Heidrun Bluhm (DIE LINKE): Ich werbe hier für die
ustimmung zu einer Fristverlängerung für ein Über-
angsgesetz für die neuen Bundesländer, das von den
eutigen Koalitionären seinerzeit mit großer Mehrheit
eschlossen wurde, weil sie selbst von der Notwendig-
eit dieser Regelung überzeugt waren. Die Flächensi-
herung ist zum Fristende 31. Juni 2007 durch die Kom-
unen in der vorgesehenen Zeit nicht zu realisieren
ewesen. Dafür gibt es objektive Gründe: Aufgrund der
ielzahl der bisher bekannt gewordenen Fälle sowie der
chwierigkeiten bei den Recherchen zu den betroffenen
rundstücken hat sich gezeigt, dass eine Vielzahl der be-
roffenen Kommunen ihr notarielles Kaufvertragsange-
ot nicht bis zu dem vorgesehenen Stichtag an die
rundstückseigentümer übermitteln kann. Dies ist unter
nderem dem Umstand geschuldet, dass es sich bei den
rundstückseigentümern oft um große Erbengemein-
chaften handelt, noch nicht vollständig aktualisierte
rundstückskataster in den Gemeinden vorliegen oder
och strittige Rückübertragungsansprüche vorliegen
zw. sich erst im Rahmen von Vermessungen für Bau-
aßnahmen herausstellt, dass zum Beispiel öffentliche
traßen zum Teil über private Grundstücke verlaufen.
Die Beschlussfassung zum vorliegenden Antrag mei-
er Fraktion ist ein weiterer Gradmesser dafür, welchen
tellenwert öffentliches Interesse und Gemeinwohl so-
ie Verantwortung für handlungsfähige Kommunen für
ie in diesem Hause vertretenen Fraktionen haben. Die
undesregierung und die große Mehrheit in diesem Ho-
en Hause argumentiert, dass dieses Gesetz und seine
ristenregelung nur eine Übergangslösung seien. Das ist
ichtig und soll auch so bleiben.
Auch wir, Die Linke, wollen dieses Gesetz als Über-
angsregelung sehen. Aber wir alle gemeinsam müssen
ur Kenntnis nehmen, dass regional unterschiedlich 30
is 40 Prozent aller für die Gemeinden notwendigen
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Juni 2007 10879
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Grundstücke für die Sicherung der öffentlichen Aufga-
ben noch nicht im Besitz der Kommunen sind. Die Flä-
chenzuordnung ist also längst nicht erfolgt und schon gar
nicht abgeschlossen. Deshalb sollte es möglich sein,
diese Übergangsregelung um einen angemessenen Zeit-
raum einmal zu verlängern.
Der Übergang des Initiativrechtes zum Kaufvertrags-
abschluss von den Kommunen auf die Eigentümer führt
zur Erhöhung des finanziellen Aufwandes für die Kom-
munen, die nun zum Verkehrswert erwerben müssen.
Sollte eine Fristverlängerung nicht erreicht werden,
bleibt den Gemeinden nur die Möglichkeit des ordentli-
chen Ankaufs der Grundstücke zum Verkehrswert, was
die öffentlichen Haushalte weiter belasten würde und
das Risiko birgt, dass der private Grundstückseigentü-
mer sich einem Verkauf auch verweigern oder den Pro-
zess einer Einigung zeitlich in die Länge ziehen kann.
Oft haben wir es doch auch an anderen Stellen erleben
müssen, dass die privaten Verkäufer utopische Kauf-
preisforderungen stellen, wenn die öffentliche Hand
Grundstücke erwerben will.
Das wäre ein weiterer Schritt, die finanziellen Hand-
lungsspielräume der Kommunen einzuschränken und
potenzielle kommunale Investitionen zu be- wenn nicht
sogar zu verhindern.
Nach dem Fristablauf würde auch die Sicherung kom-
munaler Daseinsvorsorge, soweit es Flächen betrifft, auf
denen Schulen, Kindergärten, Spiel- und Sportplätze ge-
baut wurden bzw. gebaut werden sollen, zeitlich erheb-
lich schwerer werden. Es besteht also in mehrfacher
Hinsicht ein dringender Bedarf für eine Fristverlänge-
rung. Eine Umfrage ergab allein in Thüringen 2006 bei
13 Gemeinden einen Rückstand von 691 Grundstücken
mit rund 167 000 Quadratmetern Fläche. In Mecklen-
burg-Vorpommern sind die Zahlen ähnlich.
Außerdem wird der Übergang des Rechts auf Verlan-
gen zur Flächenbereinigung auf den oder die Grund-
stückseigentümer als Investitionshemmnis und entgegen
dem öffentlichen Interesse wirken, da die Kommune ihr
Initiativrecht verliert. All dem liefern wir die Gemeinden
aus, wenn die Fristverlängerung nicht beschlossen wird.
Die begrüßenswerten Ziele des Gesetzes, nämlich
Rechtssicherheit für Nutzer und Eigentümer zu schaffen,
Eigentümer angemessen zu entschädigen sowie Grund-
stücksnutzung und Grundstückseigentum für die öffent-
liche Hand zusammenzuführen, ist unter den gegebenen
Bedingungen und der gesetzten Frist nicht erreichbar.
Damit ist die Wahrnehmung der öffentlichen Aufgaben
auf den betroffenen Grundstücken zukünftig in Gefahr.
Aus den genannten Gründen ist eine Fristverlängerung
des Gesetzes dringend geboten.
Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aus
meiner Sicht kommt die Bau- und Stadtentwicklungspo-
litik im Bundestag viel zu kurz. Vor dem Hintergrund der
absehbaren demografischen Entwicklung, der dramati-
schen Klimaveränderungen und der sozialen Verschie-
bungen müssten unsere Themen viel öfter auf der Tages-
ordnung des Plenums stehen. Aber bitte nicht mit so
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inem Schnellschuss! Wir können nur froh sein, dass
ieser Tagesordnungspunkt so spät angesetzt worden ist,
odass wir den Wählerinnen und Wählern vor den Fern-
ehern die Behandlung dieses belanglosen Antrages er-
paren können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, mit
iesem Antrag können Sie keinen Blumentopf gewin-
en.
Schon zur ersten Lesung im März sind Sie die Be-
ründung für eine Verlängerung des Verkehrsflächenbe-
einigungsgesetzes schuldig geblieben. Ich kann weiter-
in nur feststellen, dass ein Schreiben des Städte- und
emeindebundes Thüringen unkritisch und ohne Ände-
ungen in einen parlamentarischen Antrag übernommen
urde. Von einer Bundestagsfraktion hätte ich mehr po-
itische Intuition und Geschick erwartet. Es ist noch
icht lange her, da musste ich übrigens die gleiche Vor-
ehensweise Ihrer Fraktion bei einem Anliegen des Bun-
esverbandes der Deutschen Binnenschiffer feststellen.
iebe Kolleginnen und Kollegen von der Linksfraktion,
o machen Sie sich zu Handlangern einzelner Interessen-
ertreter. Ich hoffe, dass Ihr politischer Anspruch größer
st und rate Ihnen, die Anliegen einzelner Interessenver-
reter ernsthafter zu prüfen und zu bewerten.
Obgleich die Argumente bereits zur ersten Lesung im
lenum bekannt waren, will ich nochmals kurz auf den
ntrag zum Verkehrsflächenbereinigungsgesetz eingehen.
s gibt vor Ort keinen Bedarf für eine Verlängerung. Bis-
ng sind mir aus den anderen Bundesländern – mit Aus-
ahme des Städte- und Gemeindebundes Thüringen –
eine Fälle bekanntgeworden, die eine Verlängerung des
erkehrsflächenbereinigungsgesetzes hätten begründen
önnen. Ich bin als Sprecher unserer AG Ost häufig vor
rt und dadurch mit kommunalpolitischen Problemen be-
asst. Würden ostdeutsche Kommunen tatsächlich einen
edarf für eine Verlängerung sehen, wären sicher längst
ntsprechende Initiativen über die Parteien, kommunalen
pitzenverbände oder/und die Länder ergriffen worden.
Schließlich ist seit langem klar, dass dieses Gesetz
usläuft. Die Kommunen konnten bis jetzt auch schwie-
ige Immobilienfragen klären. Selbst nach dem 30. Juni
erden Rechtsbereinigungen möglich sein. Das Argu-
ent, dass Eigentumsfragen immer noch nicht geklärt
erden konnten, kann ich so nicht gelten lassen.
chließlich sind mittlerweile 17 Jahre verstrichen. Soll-
en tatsächlich Eigentumsfragen in kritischen Größen-
rdnungen noch unklar sein, dürfte das an den staatli-
hen Stellen und nicht an den Eigentümern liegen. Nach
7 Jahren ist es Zeit, sich von den ganzen Sonderrechten
u verabschieden. Selbst als linker Grüner sage ich hier:
iese Rechtssicherheit sind wir auch den Eigentümern
chuldig.
Danach kann sich der Eigentümer selbst um die Klä-
ung der Rechtsposition seines Grundstücks kümmern.
ie Laufzeit des Gesetzes bis zum 30. Juni 2007 war
eines Wissens schon ein Kompromiss einer Bund-Län-
er-Arbeitsgruppe. Wie sich heute herausstellt – mit Au-
enmaß.
10880 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Juni 2007
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Außerdem muss ich nochmals auf die verfassungs-
rechtlichen Probleme hinweisen. Das Grundgesetz for-
dert, dass sowohl das Eigentum als auch das Erbrecht zu
gewährleisten sind. Eine Fristverlängerung verstößt je-
doch sowohl gegen den Vertrauensschutz als auch gegen
die Verhältnismäßigkeit.
Provisorische Lösungen halten bekanntermaßen ewig,
doch das darf nicht für dieses Gesetz gelten. Am Ende
dieses Monats muss daher das Verkehrsflächenbereini-
gungsgesetz auslaufen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion,
ich sehe daher weiterhin keinen Grund, Ihren Antrag
mitzutragen. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wird
Ihre Initiative daher ablehnen.
Anlage 9
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts zu dem Antrag: Sonderbericht Nr. 9/
2006 über Ausgaben für Übersetzungsleistun-
gen bei der Kommission, beim Parlament und
beim Rat (Tagesordnungspunkt 21)
Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU): Deutsch ist für
rund 90 Millionen EU-Bürger ihre Muttersprache und
nach dem Englischen die zweitwichtigste Fremdsprache
in der Europäischen Union.
Wir wollen die Bedeutung der deutschen Sprache in
der Europäischen Union stärken. Leider müssen wir aber
feststellen, dass uns umgekehrt ständig Drucksachen aus
dem Bereich der Europäischen Union erreichen, die nur
zum Teil in Deutsch gehalten sind, zum anderen aber
umfangreiche Abschnitte in Englisch und Französisch
enthalten.
Der Unterausschuss zu Fragen der Europäischen Union
im Haushaltsausschuss ist nicht bereit, dies länger hinzu-
nehmen. Seit März 2006 weisen wir Ratsdokumente, die
nicht vollständig ins Deutsche übersetzt wurden, zurück
und beraten diese damit vorläufig nicht. Mittlerweile wur-
den 27 EU-Vorlagen mit 2 271 englisch- bzw. franzö-
sischsprachigen Seiten zurückgewiesen.
Nötig wurde dies, nachdem die Europäische Kommis-
sion dazu übergegangen ist, immer weitere beratungs-
und entscheidungsrelevante EU-Dokumente ganz oder
teilweise zu Arbeitsdokumenten oder Anhängen herab-
zustufen, um sich dadurch ihrer bindenden Verpflichtung
zur vollständigen Übersetzung der Vorlagen in die Ar-
beitssprache Deutsch zu entziehen. Dabei wird nach rein
formalen Kriterien beschlossen, was teilweise zu absur-
den Situationen führt. Ich darf Ihnen dies an einem Bei-
spiel deutlich machen:
Die EU-Vorlagen zu gefrorenen Erdbeeren, Sätteln
aus China und Zuckermais aus Thailand wurden dem
Deutschen Bundestag vollständig übersetzt zugeleitet.
Demgegenüber wurde die Mitteilung der Kommis-
sion zur verbraucherpolitischen Strategie der EU von
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007 bis 2013 mit 15 Seiten in Deutsch als Zusammen-
assung, 77 Seiten in Englisch und 32 Seiten in Franzö-
isch vorgelegt.
Die beiden letztgenannten Abschnitte sind laut Kom-
ission lediglich Anhänge und Arbeitspapiere. Was soll
an als gewissenhafter Abgeordneter damit anfangen?
s wäre ja nicht das erste Mal, dass eine Verwaltung un-
iebsame oder unangenehme Wahrheiten in Berichten zu
erstecken versucht, indem diese in die Anlagen gescho-
en werden und dann darauf gehofft wird, dass der ge-
eigte Leser nach dem Hauptteil die Lektüre einstellt.
Auch die Kollegen im EU-Ausschuss und Finanzaus-
chuss sind mit dieser Problematik bereits mehrfach in
erührung gekommen. Unser Bundestagspräsident,
r. Norbert Lammert, und das Auswärtige Amt waren
uch bereits in dieser Frage aktiv und haben sich unter
nderem in schriftlicher Form an die Kommission
ewandt, um diese von der Notwendigkeit einer voll-
tändigen Übersetzung zu überzeugen. Unsere Bundes-
anzlerin hat in einem persönlichen Gespräch mit Kom-
issionspräsident Barroso ebenfalls auf die Problemlage
ingewiesen. Leider hat sich trotz dieser vielen Bemü-
ungen noch keine Änderung bei den Verfahrensweisen
er Kommission ergeben. Dabei muss man eines fest-
tellen:
Die derzeitige Praxis der Kommission widerspricht
er geltenden Rechtslage. Gemäß der Verordnung 1 von
958 ist Deutsch eine von mittlerweile 22 gleichberech-
igten Amtssprachen der EU, so weit so gut. Art. 6 der
erordnung 1 erlaubt den Organen der Gemeinschaft
ine Sprachenregelung festzulegen. Davon wurde Ge-
rauch gemacht und ein Dreisprachenregime aus
eutsch, Englisch und Französisch als Arbeitssprachen
ingeführt. Es sollte doch eigentlich selbstverständlich
ein, dass sich die EU-Kommission an diese rechtlichen
orgaben hält.
Die „formalen“ Kriterien haben auch dazu geführt,
ass beispielsweise Fortschritts- und Monitoringberichte
m Zusammenhang mit der Erweiterungs- und Nachbar-
chaftspolitik der EU in zehnseitigen Zusammenfassun-
en vorgelegt wurden und als Zugabe hundert Seiten in
nglischer und französischer Sprache beigelegt wurden.
Mit diesem Beispiel möchte ich nur deutlich machen,
ass die Kommission mit dem Ausschluss politischer
nd dem Anlegen rein formaler Kriterien bei der Festle-
ung der Übersetzungsleistung einen schweren Fehler
egeht.
In einer Diskussion mit dem für Vielsprachigkeit zu-
tändigen Kommissar, Leonard Orban, im EU-Aus-
chuss im April, habe ich deutlich gemacht, dass sich die
roblematik der Übersetzungsleistungen einfach lösen
ässt. Entweder muss die Kommission mit den vorhande-
en Mitteln eine komplette Übersetzung der vorliegen-
en Dokumente sicherstellen. Es gibt keinen Mangel an
olmetschern bei den Sprachen Englisch und Franzö-
isch. Oder, wenn denn die Mittel für die hohe Seiten-
ahl nicht ausreichen, sollte man sich beim Verfassen der
okumente auf das Wesentliche beschränken, um die
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Juni 2007 10881
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Übersetzungsseitenzahl den vorhandenen Dolmetscher-
kapazitäten anzupassen.
Ich habe Herrn Orban in diesem Zusammenhang auch
ein Angebot unterbreitet: Sollte die Kommission nicht in
der Lage sein, das Problem zu meistern, soll sie uns das
sagen. Wir können dann selbst entsprechende Überset-
zungskapazitäten beim Bundestag aufbauen und die ent-
stehenden Kosten gegen sonstige Forderungen der Euro-
päischen Union an Deutschland verrechnen.
Vielleicht mag es dem Außenstehenden seltsam vor-
kommen, dass der Deutsche Bundestag bzw. seine Aus-
schüsse sich seit Monaten mit dieser Frage beschäftigen.
Schließlich leben wir in einer Zeit, in der wir unseren
Kindern immer früher Fremdsprachen beibringen und in
der Mehrsprachigkeit als besondere Qualifikation gilt.
Doch darum geht es nicht. Wir als deutsches Parlament
können einfach erwarten, dass uns die zu beratenden Un-
terlagen in unserer Muttersprache vorgelegt werden.
Deutschland ist der größte EU-Nettobeitragszahler,
und wir können dafür auch erwarten, dass Zusagen ein-
gehalten werden. Denn eines muss bei dieser Diskussion
jeder wissen: Es geht nicht darum, zusätzliche Wünsche
zu äußern, sondern darum, dass Zugesagtes eingehalten
wird.
Auch die Große Koalition hat sich in ihrem Vertrag
dazu verpflichtet, die Bedeutung der deutschen Sprache
innerhalb der Europäischen Union zu stärken. „Wir wer-
den dafür sorgen, dass die Stellung der deutschen Spra-
che in Europa ihrer Bedeutung entsprechend berücksich-
tigt wird.“
Bereits seit vielen Monaten wird gegenüber den euro-
päischen Institutionen durch die Bundesregierung und
Vertreter des Bundestages die unzulängliche Überset-
zungspraxis beklagt. Bisher hat sich jedoch leider kein
Erfolg eingestellt, man hat den Eindruck, die Kommis-
sion stellt sich stur.
Der Deutsche Bundestag kann mit dem vorliegenden
Antrag ein Zeichen setzen und die Regierung in dem Be-
mühen unterstützen, eine vernünftige Übersetzungspra-
xis in der EU herbeizuführen.
Wobei man eines auch nicht übersehen darf, die Stär-
kung der deutschen Sprache innerhalb der EU wird auf
mittlere Sicht nur gelingen, wenn wir als Deutsche auch
bereit sind, mit unserer Sprache offensiv umzugehen.
In der Wochenendausgabe der Süddeutschen Zeitung
vom 16./17. Juni dieses Jahres beschäftigte sich der
Journalist Martin Winter mit dem Verhalten deutscher
Delegationen und Bürokraten in Brüssel. Beim Lesen
konnte ich teilweise nur ungläubig den Kopf schütteln.
Der Autor berichtet, dass aus falscher Zurückhaltung
oder Bescheidenheit heraus selbst unsere Landsleute
sich nicht in ihrer Muttersprache unterhalten, sondern
auf das Englische ausweichen. Wie wollen wir die deut-
sche Sprache innerhalb der EU stärken, wenn wir noch
nicht einmal selbst zu unserer Sprache stehen?
An dieser Stelle möchte ich mich ganz herzlich bei
meinen Kollegen im Unterausschuss, Haushaltsaus-
schuss und Europaausschuss sowie dem Mitarbeiter des
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aushaltsausschusssekretariats bedanken, die unsere
lare Linie in dieser Frage unterstützt und mitgetragen
aben.
Michael Roth (Heringen) (SPD): Seit heute tagt der
uropäische Rat in Brüssel. Das Ergebnis der Beratun-
en in Brüssel wird für die Handlungs- und Zukunftsfä-
igkeit der Europäischen Union entscheidend sein. Der
orliegende Verfassungsvertrag, dessen Inhalt wir erhal-
en wissen wollen, sieht auch eine Stärkung der nationa-
en Parlamente vor. Und wenngleich vieles bedauerli-
herweise zur Disposition gestellt worden ist: An dieser
tärkung wird festgehalten. Wir Parlamentarierinnen
nd Parlamentarier in allen Mitgliedstaaten der EU wol-
en an der Zukunft Europas verantwortungsbewusst und
onstruktiv mitwirken. Deshalb hat der Deutsche Bun-
estag im Herbst vergangenen Jahres eine Vereinbarung
it der Bundesregierung über die Zusammenarbeit in
ngelegenheiten der Europäischen Union geschlossen.
eben der verstärkten Informationspflicht der Bundesre-
ierung gegenüber dem Bundestag sieht sie auch vor,
ass der Deutsche Bundestag zu den Gesetzesvorschlä-
en der EU vermehrt Stellung bezieht. Die Verhand-
ungsposition der Bundesregierung im Rat wird somit
emokratisch abgesichert. Wir tragen zur besseren
echtsetzung in der Europäischen Union bei. Die Pflicht
ur intensiveren Beratung wichtiger Dokumente und
echtsakte in allen Gremien des Bundestages setzt vo-
aus, dass alle Kolleginnen und Kollegen daran teilhaben
önnen. Entsprechende Übersetzungen ins Deutsche
ind daher zwingend – und zwar frühzeitig und umfas-
end.
Die stärkere Befassung des Bundestages mit EU-Vor-
agen wurde von der Kommission kürzlich ausdrücklich
elobt. In der Praxis wird die Kommission ihrer Verant-
ortung aber nicht gerecht. Schließlich ist sie es, die für
ie notwendige Übersetzung in alle 23 Amtssprachen
orge zu tragen hat. Das bereitet sicher viel Arbeit. Die
prachenvielfalt gilt es jedoch zu erhalten. Sie ist ein
ertvolles Kulturgut Europas. Daher erwarten wir von
er Kommission, dass sie ihren vielen hehren Worten
ndlich Taten folgen lässt. Selbstverständlich sehe auch
ch die große Herausforderung, der sich die Kommission
u stellen hat: Sie vermag nicht jedes Dokument unver-
üglich und vollständig in alle 23 Sprachen zu über-
etzen. Deshalb spricht vieles dafür, dass sich die
ommission in der tagtäglichen Praxis für ein Dreispra-
henregime entschlossen hat: Deutsch, Englisch und
ranzösisch sind die Verfahrens- bzw. Arbeitssprachen
er Europäischen Kommission. Es sind die drei am häu-
igsten gesprochenen Sprachen in der EU.
Tatsächlich aber zeigt die Übersetzungspraxis der
ommission eine andere Tendenz. Zwar werden formal
lle offiziellen Dokumente übersetzt. Immer häufiger fin-
en sich darin aber nur Zusammenfassungen. Die Details,
uf die es auch in unseren parlamentarischen Beratungen
äufig ankommt, werden immer häufiger als Anhang ab-
estuft und auch auf Nachfrage nicht mehr übersetzt. Die
rage der politischen Relevanz spielt bei der Entschei-
ung, ob ein Text übersetzt wird oder nicht, für die Kom-
ission eine immer geringere Rolle. Ich kann mich leider
10882 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Juni 2007
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des Eindrucks nicht erwehren, als trickse die Kommission
herum. Wenn wir uns ernsthaft an der Gestaltung der deut-
schen Europapolitik beteiligen wollen, muss sich die
Kommission von ihrer rigiden und unsinnigen Überset-
zungspraxis endlich verabschieden. Es geht mir jedoch
nicht allein nur um den Respekt gegenüber der deutschen
Sprache. Nein, alle 23 Amtssprachen müssen bei der
Übersetzungspraxis angemessen berücksichtigt werden.
Wir haben uns dieser Problematik schon mehrmals hier
im Bundestag mit aller Ernsthaftigkeit angenommen.
Viele Briefe wurden geschrieben, zahlreiche Gespräche
geführt. Sowohl Bundestagspräsident Lammert als auch
die Bundeskanzlerin und unser Bundesaußenminister ha-
ben sich über die Übersetzungspraxis bei Kommissions-
präsident Barroso beschwert. Es hat bislang nichts gehol-
fen. Der für die Mehrsprachigkeit zuständige EU-
Kommissar Leonard Orban zeigte bei seinem Besuch im
Europaausschuss des Bundestages vor knapp zwei Mona-
ten zwar Verständnis für diese Beschwerden. Eine Verbes-
serung der Übersetzungsleistung konnte er aber nicht zu-
sagen.
Der Bericht des Rechnungshofes macht eines deut-
lich: Die Leistungsfähigkeit und Kosten der Überset-
zungsdienste in Kommission, Rat und Europäischem
Parlament könnten durch eine bessere Organisations-
struktur und eine verstärkte Nutzung von modernen
Technologien erheblich verbessert werden. Solche Ver-
besserungen wären auch in unserem Interesse. Aber die
Frage der Effizienz kann nicht im Vordergrund dieser
Debatte stehen. Dass die Kommission sich bemüht effi-
zient zu arbeiten, sollte selbstverständlich sein. Hier geht
es vielmehr um die grundsätzliche Frage der politischen
Relevanz, die bei der Übersetzungspraxis der Kommis-
sion als Leitfaden dienen sollte. Und es geht im Kern da-
rum, wie ernst die Kommission die nationalen Parla-
mente überhaupt nimmt. Die EU-Kommission hat
knappe finanzielle Ressourcen als wesentlichen Grund
für begrenzte Übersetzungskapazitäten genannt. Es
scheint also um haushälterische Argumente zu gehen.
Dies greift der Ihnen vorliegende Antrag offensiv auf.
Deutliche, aber im Ton stets freundliche Bitten zeigen
bislang keine Wirkung. Daraus gilt es Konsequenzen zu
ziehen. Eine möglichst breite Zustimmung dieses Hau-
ses würde die Erfolgsaussichten zweifellos verbessern.
Daher bitte ich Sie um Ihre Unterstützung.
Klaus Hagemann (SPD): Dieses Wochenende wird
erneut vom politischen Geschehen auf europäischer
Ebene geprägt werden: Die Debatte um die Verhandlun-
gen über eine neue EU-Charta und die Wiederaufnahme
des Verfassungsprozesses beschäftigen die Menschen,
sind Thema im Deutschen Bundestag und nehmen be-
rechtigterweise einen großen Raum in den Medien ein.
Die Europäische Union steht heute am Scheideweg: Die
EU und ihre Institutionen müssen sich ehrgeizige Ziele
in Sachen Transparenz und Demokratie setzen, um den
Erwartungen der Bürger gerecht zu werden. Parallel zu
den Gesprächen auf dem laufenden EU-Gipfel in Brüssel
über das neue Institutionengefüge der Gemeinschaft
muss die Arbeit der Europäischen Union aber auch im
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lltag diesen Ansprüchen genügen. Das gilt unter ande-
em auch für die sogenannte „Sprachencharta der EU“.
Nach der Verordnung 1 von 1958 sind alle offiziellen
prachen der EU-Mitgliedstaaten als Amtsprachen
leichberechtigt. Dementsprechend sollen auch alle Vor-
agen der EU-Gesetzgebung in jede Sprache übersetzt
erden. So fußt diese Amtsprachenregelung auf dem
rinzip der Vielsprachigkeit und ermöglicht allen Mit-
liedern den gleichberechtigten Zugang zum Entschei-
ungsfindungsprozess innerhalb der Union. Deutsch ist
ine der drei „Arbeitsprachen“ der Gemeinschaft, die die
rgane im Verkehr untereinander und im internen Ge-
rauch verwenden sollen.
Dennoch wird in zunehmendem Maße eine Vielzahl
on Unterlagen aus Brüssel dem Deutschen Bundestag
ugeleitet, die nicht vollständig ins Deutsche übersetzt
ind oder gar nur in Englisch vorgelegt werden. Denn
ie EU-Kommission hat – angeblich aus finanziellen
ründen – beschlossen, politisch relevante EU-Doku-
ente zu „Arbeitsdokumenten“ oder „Anhängen“ herab-
ustufen, um sich damit der bindenden Verpflichtung auf
ollständige Übersetzung zu entziehen. Dabei geht es
um Beispiel um Finanzberichte, Politikfolgenabschät-
ungen und Forschritts- und Monitoringberichte. Zudem
lant die Kommission eine grundlegende Umstrukturie-
ung ihres Übersetzungsdienstes, die eine weitere Ein-
chränkung der Übersetzungskapazitäten sowie eine
erschlechterung der Übersetzungsqualität befürchten
ässt.
Die beiden letzten Erweiterungsrunden der Europäi-
chen Union haben zwar zu einem nicht unerheblichen
uwachs an Mehrkosten für den Übersetzungsdienst ge-
ührt, was offensichtlich für die Kommission die Frage
ach der Finanzierung der Mehrsprachigkeit aufwirft. So
iel ist aber gewiss, dass die jetzige Praxis der Kommis-
ion dem Deutschen Bundestag die Bewertung wichtiger
uropapolitischer Vorgänge erschwert und die Vermitt-
ung der europäischen Beschlüsse gegenüber den Bür-
ern beeinträchtigt!
Ausgerechnet in einer Zeit, in der die Notwendigkeit
iner besseren Einbeziehung der nationalen Parlamente
n den europäischen Entscheidungsprozess immer mehr
edeutung zukommt, verschlechtert die neue Sichtweise
nd Praxis der Kommission die Mitwirkungs- und Kon-
rollrechte des Deutschen Bundestags. Der europäische
erfassungsvertrag, den die Kommission unterstützt,
ieht bezeichnenderweise dagegen eine Ausweitung die-
er Rechte vor.
Wir unterstützen deshalb die Bundesregierung und
erden gemeinsam, dem Vorstoß der Kommission ent-
egenwirken. Wir fordern die EU-Organe auf, die not-
endigen Übersetzungen vollständig und in angemesse-
er Qualität vorzulegen und ein neues Konzept für ein
ufriedenstellendes Übersetzungsregime vorzustellen.
eutschland ist der größte Nettozahler in der EU, die
eutschen stellen die größte Bevölkerungsgruppe, und
ir sind der größte Sprachenraum. Deutsch kann des-
alb als Arbeitssprache in Brüssel nicht nur unter einer
ein kostenorientierten Betrachtung behandelt werden.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Juni 2007 10883
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Die notwendigen Finanzmittel müssen dafür zur Verfü-
gung stehen.
In den Mitteilungen der Kommission ist oftmals das
Wort „Synergieeffekte“ zu lesen. Es wäre schön, wenn
diese Synergieeffekte auch bei der Erzeugung von
Rechtsakten zustande kämen. So sollten EU-Dokumente
kürzer gefasst oder auf manche gar ganz verzichtet wer-
den; damit wären auch die ersehnten Ersparnisse mög-
lich. Neil Kinnock, ehemaliger Verwaltungskommissar,
hatte ja bereits – bislang vergeblich – zu einer Beschrän-
kung der Schriftstücke der Kommission auf eine Maxi-
mallänge von 15 Seiten gemahnt, um den Papierberg zu
reduzieren.
Aber vielleicht sind wir Deutschen auch selbst mit-
verantwortlich für die schleichende Verdrängung unserer
eigenen Sprache im europäischen Kräftespiel! Ich habe
dazu einen sehr aufschlussreichen Artikel in der „Süd-
deutschen Zeitung“ vom 16. Juni 2007 gelesen, in dem
darüber berichtet wird, dass Deutsch auch von den Deut-
schen vor Ort in Brüssel nicht wirklich „verteidigt“ wird.
Viele unserer Repräsentanten trauen sich offensichtlich
nicht, ihre Muttersprache zu sprechen, manchmal – so
wird süffisant berichtet – auch wenn sie miteinander re-
den oder ein Dolmetscherdienst den Nichtdeutschspra-
chigen zur Verfügung steht! Auf diesem Gebiet ließen
und lassen wir in den EU-Zirkeln immer noch den ande-
ren den Vortritt. In der „Süddeutschen Zeitung“ heißt es
kurz und bündig: „Deutsch spielt eine Nebenrolle, weil
es die Hauptrolle nie wollte.“ Aus dieser Feststellung
kann jeder Deutsche – ob im Parlament, der Kommis-
sion oder der Verwaltung tätig – jederzeit die richtige
Konsequenz ziehen. Die SPD-Fraktion unterstützt auch
weiterhin die Bemühungen von Bundesminister
Steinmeier und dem Auswärtigen Amt und dankt für die
bisherigen Aktivitäten.
Michael Link (Heilbronn) (FDP): Bei der heutigen
Diskussion über die Übersetzungsleistungen der drei
politischen europäischen Institutionen Kommission, Par-
lament und Rat sowie unsere Forderung, Deutsch als
Arbeitssprache in der Europäischen Union stärker durch-
zusetzen, geht es bei weitem nicht um eine Neiddebatte
gegenüber der französischen oder englischen Sprache.
Auch geht es nicht um einen „hegemonialen“ Versuch,
eine Hierarchie der europäischen Sprachen herzustellen.
Nein – vielmehr muss diese Debatte vor dem Hintergrund
der Bemühungen des Deutschen Bundestages betrachtet
werden, seine „Europafähigkeit“ zu steigern.
Die heutige Stellungnahme des Bundestages ist ein
weiterer Schritt bei der konkreten Umsetzung der im
vergangenen Jahr getroffenen Vereinbarung zwischen
Bundestag und Bundesregierung zur Steigerung der
Europafähigkeit des Parlaments, der BBV. Denn damit
der Bundestag seine Rechte nach Art. 23 GG auch prak-
tisch wahrnehmen kann, müssen die politisch beratungs-
und entscheidungsrelevanten Dokumente auch auf
Deutsch vorliegen. Während häufig durch und durch
technische Vorlagen der Europäischen Gemeinschaft bis
zur letzten Fußnote übersetzt werden, gibt es anderer-
seits häufig politisch entscheidungsrelevante EU-Vorla-
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en – terminologisch korrekt müssten wir hier eigentlich
on EG-Vorlagen reden –, die ganz oder teilweise nur
uf Englisch vorliegen – und dies oftmals in einer büro-
ratisch verdrehten Brüsseler Terminologie, dass selbst
nglische Muttersprachler oft Mühe haben, diese beim
rsten Lesen zu verstehen. Da diese politisch oftmals
ochbrisanten Vorlagen aus Brüssel oft Vorgaben be-
nhalten, die den Alltag unserer Bürgerinnen und Bürger
irekt betreffen, ist es umso wichtiger, dass wir für deren
nteressenswahrnehmung und zur Erfüllung unserer
ontrollfunktion gegenüber der Bundesregierung alle
ur Mitwirkung nötigen Dokumente in der Arbeitsspra-
he Deutsch vorliegen haben.
In unserem gemeinsamen Antrag betonen wir, dass
eutsch mit rund 90 von 493 Millionen Sprechern die
eistgesprochene Muttersprache in der Europäischen
nion ist. Auch unterstreichen wir, dass Deutsch seit
em Beitritt der mittel- und osteuropäischen Länder mit
und 63 Millionen Sprechern nach dem Englischen die
weitwichtigste Fremdsprache in der EU geworden ist.
amit soll keine Bewertung, geschweige denn eine
ierarchisierung der Sprachen vorgenommen werden.
amit wird schlicht die Sprachenrealität in Europa dar-
estellt. Diese Zahlen sollte die Kommission in ihrem
interkopf behalten, wenn es ihr immer noch darum
eht, ihren Plan D für mehr Demokratie, Dialog und Dis-
ussion innerhalb der Europäischen Union mit Leben zu
rfüllen. Denn je mehr Dokumente sie ins Deutsche
bersetzt, desto mehr Bürgerinnen und Bürger kann sie
rreichen! Die Gleichwertigkeit aller europäischen Spra-
hen ist für uns Liberale dabei selbstverständlich. So wie
ir es für den Deutschen Bundestag einfordern, hat na-
ürlich auch jedes andere nationale Parlament ein An-
echt darauf, relevante Dokumente in seiner Mutterspra-
he beraten zu können. Denn die Europäische Union hat
3 Amts- und Arbeitssprachen. Natürlich steht es jeder
uropäischen Institution frei, sich in ihrer Geschäftsord-
ung für ihre internen Arbeitsverfahren – zur Steigerung
er Effizienz – auf eine Begrenzung auf bestimmte Spra-
hen zu verständigen. – An dieser Stelle sei mir eine
leine Anmerkung gegenüber der Kommission erlaubt:
ffiziell ist Deutsch immer noch eine ihrer drei internen
rbeitssprachen! – Sobald die Kommission jedoch nach
ußen tätig wird, wenn sie Initiativen veröffentlicht,
ollte sie nicht vergessen, dass es eindeutige Rechtsvor-
chriften zur Regelung der Sprachenfrage mit 23 Amts-
prachen gibt, die die Kommission als Hüterin der Ge-
etze bestimmt auch kennt und die sie zu respektieren
at.
Der Sonderbericht Nr. 9/2006 über Ausgaben für
bersetzungsleistungen bei der Kommission, beim Par-
ament und beim Rat, der heute ebenfalls zur Debatte
teht, erwähnt nicht nur die teilweise unzureichenden in-
ernen Kapazitäten der Übersetzungsdienste, sondern be-
cheinigt auch dem EPSO, dem Europäischen Amt für
ersonalauswahl, ein Unvermögen, bei den EU-10-Spra-
hen, den zehn Sprachen der Beitrittsländer von 2004,
echtzeitig das erforderliche Übersetzungspersonal ein-
estellt zu haben.
Welche Schritte sollte nun der Bundestag ergreifen,
is die Kommission diese Versäumnisse, teilweise sogar
10884 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Juni 2007
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Missstände, beseitigt hat? Für uns Liberale scheint das
Prinzip, Dokumente zurückzuweisen, die nicht in deut-
scher Sprache vorliegen, grundsätzlich richtig zu sein, da
diese Zurückweisung den politischen Druck auf die
Kommission und den Rat erhöht, Beratungsgrundlagen
vorzulegen, die alle Abgeordneten verstehen können. Je-
doch möchte ich meine Kolleginnen und Kollegen auf-
fordern, bei politisch hochbrisanten Dokumenten nicht
stur auf diesem Prinzip zu behalten, sondern in Einzel-
fallentscheidungen bei brisanten Vorlagen eine Aus-
nahme zu machen. Die Grenze sollte dort verlaufen, wo
uns eine Nicht-Wahrnehmung unserer Beratungsrechte
inhaltlich-materiell schadet – und damit die Interessens-
vertretung der deutschen Bürgerinnen und Bürger beein-
trächtigt würde.
Wir Liberale begrüßen ausdrücklich, dass die Bundes-
regierung in dieser Frage mit uns Parlamentariern an ei-
nem Strang zieht und unseren heutigen Beschluss für
ihre Verhandlungsführung in Brüssel zur Stärkung der
deutschen Sprache als sehr wichtig ansieht.
Roland Claus (DIE LINKE): In der Sache sind wir
uns ja einig: Ja, wir brauchen natürlich eine vollständige
Übersetzung der beratungs- und entscheidungsrelevan-
ten EU-Dokumente ins Deutsche. Die Praxis, wichtige
Dokumente ganz oder teilweise zu „Arbeitsdokumen-
ten“ oder „Anhängen“ herabzustufen, um sich damit der
bindenden Verpflichtung auf vollständige Übersetzun-
gen zu entziehen, erschwert Zusammenarbeit und Ent-
scheidungsfindung erheblich. Das kann so nicht bleiben.
Und ich freue mich auch, dass sich meine Kollegin-
nen und Kollegen aus den anderen Fraktionen gegen die
„rein kostenorientierte Betrachtung“ dieser Überset-
zungsangelegenheit wehren, wie sie offensichtlich in der
EU-Kommission waltet. Denn da haben wir es natürlich
mit einer Grundproblematik der Politik überhaupt zu
tun: Wenn alles nur noch betriebswirtschaftlich bewertet
wird, verliert Politik ihren Sinn. Das wird an diesem
Beispiel besonders deutlich, und ich fände es gut, wenn
die Kolleginnen und Kollegen aus den Koalitionsfraktio-
nen ihren Protest gegen das „rein kostenorientierte“ nun
auch bei der Bildung, im Gesundheitswesen und auf an-
deren Feldern der öffentlichen Daseinsvorsorge, auf de-
nen der Ruf nach Privatisierung immer lauter und lauter
wird, geltend machen würden. Denn es ist ja richtig: Die
Sprachenvielfalt ist ein grundlegender Bestandteil des
europäischen Erbes, und Ausgaben für den Sprachen-
dienst sind politische Kosten. Wer Europa will, muss die
Sprachenvielfalt wollen, und wer die Sprachenvielfalt
durch Sparen am Übersetzen einschränkt, handelt fahr-
lässig und macht Europa nicht attraktiver, sondern un-
verständlicher.
Aber ganz und gar nicht einverstanden bin ich mit
Versuchen, aus der entstandenen Situation eine beson-
dere Benachteiligung der Deutschen herauszulesen, dies
mit allerlei Zahlenmaterial zu begründen und dann eine
besondere Heraushebung der deutschen Sprache zu
fordern. Nein, es geht hier nicht um Mengen und Grö-
ßenordnungen: Es geht um das Grundprinzip der Spra-
chenvielfalt, und es geht um das Grundprinzip der Ver-
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tändlichkeit der Beschlüsse und Entscheidungen für
eden. Wieso gehen wir denn davon aus, dass die Bürge-
innen und Bürger kleinerer EU-Mitglieder mit Selbst-
erständlichkeit eine der Hauptsprachen der EU kom-
lett beherrschen müssen – denn das Verständnis der in
omplizierter Amtssprache verfassten Dokumente ist
ur mit Komplettbeherrschung möglich –, wir Deut-
chen aber nicht? Nein, die Betonung der eigenen Spra-
he als besonders wichtig führt im hier diskutierten Zu-
ammenhang der Übersetzungspflicht in eine Sackgasse.
ie löst das Problem nicht, sondern schichtet es nur um.
Die Sprachen- und Übersetzungsfrage ist in der Tat
ine Art Nagelprobe: Gibt die EU mehr Geld für die
bersetzung aus – und damit für die gleichberechtigte
inbeziehung aller ihrer Mitglieder –, oder konzentriert
ie es auf elitäre Projekte wie das vorgeschlagene Euro-
äische Technologieinstitut? Meine Fraktion lehnt das
echnologieinstitut ab und fordert ein Maß an Überset-
ungsleistung, das dem hohen Anspruch der EU, die
prachenvielfalt als Konstituante ihrer selbst zu begrei-
en und zu pflegen, gerecht wird.
Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
erade als einer, der die deutsche Sprache von der Pike
uf lernen musste, kann ich Ihnen versichern, dass es mir
in besonderes Anliegen und eine besondere Freude ist,
eute hier die Rede meiner Fraktion zu diesem Thema
alten zu dürfen. Denn hinter dem sehr technokratischen
itel dieses Tagesordnungspunktes verbirgt sich eine
beraus wichtige Frage.
Es geht um nicht weniger als darum, dass die Euro-
äische Union und ihre Politik verständlicher werden
üssen und dass die EU ihre eigenen Regeln einhält.
ie EU muss verständlich sein, nicht nur für uns Politi-
erinnen und Politiker, sondern vor allem für die Bürge-
innen und Bürger Europas. Dafür ist unerlässlich, dass
lle wichtigen Dokumente der EU in den 22 Amtspra-
hen verfügbar sind. Dies ist zurzeit nicht der Fall. Das
rleben wir tagtäglich in unserer Arbeit in den Gremien
nd Ausschüssen.
Viel wichtiger aber ist, dass die Menschen die EU nie-
als als ihre Institution verstehen werden, wenn sie ihre
eschlüsse und Initiativen nicht in ihren eigenen Spra-
hen lesen können. Nun wissen wir alle, dass es bei der
umme der vielen tausend Dokumente, die die EU pro-
uziert, kaum möglich ist, ohne eine riesige Überset-
ungsapparatur alle Dokumente zeitnah in alle 22 Amts-
prachen zu übersetzen. Einige Unterlagen sind
ußerdem in einzelnen Mitgliedstaaten weniger relevant,
ie beispielsweise Dokumente zur EU-Meerespolitik in
er Slowakei. Letztlich muss sich die Kommission auch
ragen lassen, ob nicht das eine oder andere Dokument
chlicht verzichtbar ist.
Gerade weil ein solch großes Maß an Übersetzungs-
eistungen derzeit nicht leistbar ist, hat sich die EU-
ommission drei Arbeitssprachen gegeben: Englisch,
ranzösisch und eben auch Deutsch. Aber leider wird
iese Regel zu wenig eingehalten. Wenn Sie sich zum
eispiel im Internet über EU-Vorgänge informieren wol-
en, stoßen Sie dort allzu oft nicht auf deutschsprachige
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Juni 2007 10885
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(B) )
Texte. Die Europäische Kommission benutzt dabei einen
formalen Trick. Sie stuft manche durchaus hochbrisante
Dokumente in ihrer Relevanz tiefer ein, als sie eigentlich
in Wahrheit sind. Aufgrund der bisher starren Verfah-
rensregeln müssen sie diese dann nicht übersetzen las-
sen.
So läuft das völlig falsch. Was die Kommission da
macht, ist ein Westentaschentrick. Hier muss die Bun-
desregierung klar auftreten und der Kommission gegen-
über verdeutlichen, dass diese ihre eigenen Regeln ernst
nehmen muss, ohne die Wenns und Abers, die wir vom
EU-Kommissar für Mehrsprachigkeit, Herrn Leonard
Orban, in einer Sitzung des Europaausschusses gehört
haben. Auch wir Abgeordnete sollten uns dies nicht bie-
ten lassen. Ich möchte Sie daran erinnern, dass das däni-
sche Parlament bei dieser Frage eine sehr rigorose Hand-
habe beschlossen hat. Liegt ein für die dänischen
Kolleginnen und Kollegen relevantes Dokument nicht
übersetzt vor, dann wird die nationale Regierung per
Parlamentsbeschluss aufgefordert, in Brüssel dagegen-
zustimmen. Das meine ich, wenn ich von Klarheit spre-
che.
Die vorliegende Stellungnahme soll sich dieses Pro-
blems annehmen. Sie verfolgt dabei im Kern den richti-
gen Weg. Doch sie wurde beim Marsch durch die Aus-
schüsse insbesondere von den Kolleginnen und Kollegen
der großen Koalition sprachlich und vor allem in der
Stoßrichtung leider verschlechtert und nicht verbessert.
Kurz: Sie ist ein gutes Beispiel dafür, wie es im Parla-
mentsbetrieb nicht sein sollte. Das ist sehr bedauerlich;
schließlich ist dieses Thema zu wichtig, um hier nicht
einstimmig verabschiedet zu werden. Außerdem hatten
wir im Europaausschuss immer Konsens darüber, dass
wir mit der Vorgehensweise der Europäischen Union
nicht einverstanden sind. Den ersten Entwurf der nun
vorliegenden Stellungnahme haben wir im Unteraus-
schuss Europa des Haushaltsausschusses noch einstim-
mig verabschiedet.
Der vorliegende Entwurf aber ist an einer aus unserer
Sicht relevanten Stelle nicht zustimmungsfähig. Hier
geht es um die erste Forderung, also darum, die Bundes-
regierung aufzufordern, sich für die allgemeine Stellung
der deutschen Sprache in Europa einzusetzen.
So verhunzt man einen Konsens. Die allgemeine Stel-
lung der deutschen Sprache in Europa verbessern zu
wollen, indem man sie nebenbei in einer Stellungnahme
über die Übersetzungsdienste der EU erwähnt, wird we-
der der Stellung der deutschen Sprache gerecht, noch un-
terstreicht dieses Vorgehen unser aller Anliegen, die
Kommission dazu zu bringen, sich an ihre eigenen Re-
geln zu halten. Deshalb wird sich meine Fraktion bei der
Abstimmung zu dieser Stellungnahme enthalten.
Ich hätte mir gewünscht, die Stellungnahme würde
zudem das Effizienzproblem der EU-Sprachdienste
deutlich ansprechen. Denn hier liegt ein nicht unwesent-
licher Teil des Problems, auf den uns der Sonderbericht
des Rechnungshofs ebenfalls hinweist. Die EU-Sprach-
dienste müssen effizienter und produktiver werden. Da-
für ist eine Aufschlüsselung von Kosten und Umfang der
zu tätigenden Übersetzungen ein erster Schritt.
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Es geht hier nicht um Deutschtümelei. Es geht hier
m „Rule of Law“ – in diesem Fall übersetzt: um die
inhaltung der Verfahrensregeln – in der EU; es geht um
ransparenz, und es geht um eine Erhöhung der Akzep-
anz der Bürgerinnen und Bürger für die EU.
Ich hoffe, dass wir sehr bald einen neuen Anlauf neh-
en können, bei dem durch ein gescheites parlamentari-
ches Verfahren diese Punkte in eine Stellungnahme
ineinkommen können. Denn an Konsens fehlt es uns an
iesem Punkt eigentlich nicht.
nlage 10
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Für ein Europäi-
sches Kartellamt (Zusatztagesordnungspunkt 7)
Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU): Ihrer For-
erung fehlt es leider an Praxisnähe. Das Ziel formulie-
en Sie in Ihrem Antrag richtig:
… den Missbrauch marktbeherrschender Stellun-
gen effektiv einzudämmen und die Konzerne an der
Durchsetzung überhöhter Preise zu hindern.
ur der Weg der Lösung ist der falsche.
Ihre Einschätzung der schlechten Wettbewerbslage
nsbesondere auf dem Energiesektor ist ebenso richtig.
inister Glos – auch das haben Sie zutreffend einge-
chätzt – ist jetzt auf dem richtigen Weg: mit dem um-
angreichen Maßnahmenpaket aus Anreizregulierung,
etzanschlussverordnung etc. den Weg für mehr Wett-
ewerb frei zu machen.
Die jetzt vom Hause Glos auf den Tisch gebrachte
erschärfung der Missbrauchsaufsicht in der GWB-No-
elle stellt ebenfalls einen wichtigen Beitrag im Kampf
egen Vermachtung dar. Künftig müssen die Stromkon-
erne beweisen, dass ihre Preise gerechtfertigt sind.
enn sie das nicht können, wird eine sofortige Preissen-
ung angeordnet. Bei marktmächtigen Unternehmen
ann das Kartellamt künftig wirksam dagegen vorgehen.
ie Regelung ist befristet und wird den privaten Ver-
raucher, aber auch den unternehmerischen Kunden ent-
asten.
Wir haben derzeit in Deutschland aber auch auf euro-
äischer Ebene ein bewährtes System der Wettbe-
erbshüter. Dies ist positiv, daran sollten wir im Wesen
esthalten.
Es gilt, die zwischen nationalen und europäischen
ettbewerbshütern herrschende Koexistenz mit klar ab-
estimmten Zuständigkeiten durch präzise Festlegung
er Aufgreifschwellen zu wahren. Die EU-Wettbewerbs-
olitik ist relativ unabhängig vom Einfluss einzelner
itgliedstaaten und stellt in weiten Bereichen ein kon-
istentes Bild innerhalb Europas dar. Dies muss auch
eiterhin gewährleistet bleiben.
Seit 2005 gibt es das Europäische Netzwerk, dessen
erteilung je nach Schwellenwerten sehr gut funktio-
iert. Darüber hinaus gibt es eine sehr gute Vernetzung:
10886 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Juni 2007
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Der ECN, das neu geschaffene europäische Netzwerk
der Kartellbehörden – European Competition Network –,
ist anerkannt und wird von Wettbewerbsbehörden als
Basis für verstärkte Zusammenarbeit effektiv genutzt.
Eine solche Kooperation hat sich auch im Bereich der
Telekommunikation bereits bewährt. Hier haben wir
eine weitestgehende Öffnung des Marktes bereits er-
reicht, was einen erheblichen Fortschritt bei der Be-
kämpfung von grenzüberschreitenden Wettbewerbsbe-
schränkungen darstellt.
Zu Ihrem Antrag: Sie fordern – ich zitiere –:
Das Europäische Kartellamt muss sowohl eigenini-
tiativ als auch auf Initiative der nationalen Parla-
mente sowie des Europäischen Parlaments tätig
werden.
Wenn das Kartellamt auf Initiative des Parlaments tä-
tig werden muss, so ist dies eine Politisierung des Wett-
bewerbsrechts. Das gefährdet die Unabhängigkeit der
europäischen Wettbewerbshüter. Diese Politisierung
lehne ich entschieden ab. Es muss dabei bleiben, dass
der Gesetzgeber Grundlagen schafft, die Wettbewerbs-
behörde dann jedoch unabhängig entscheidet. Alles an-
dere würde zu einer gefährlichen Politisierung führen.
Weiterhin haben die Erfahrungen in der Vergangen-
heit gezeigt, welche Sogwirkung die Schaffung einer
neuen europäischen Behörde mit sich bringen kann. Es
ist zu befürchten, dass ein neues Europäisches Kartell-
amt weitere zusätzliche Kompetenzen an sich ziehen
wird, was wiederum dem Subsidiaritätsprinzip wider-
sprechen würde. Eine solche Sogwirkung könnte zu
nicht gewollten Verlagerungen der Kompetenzen führen,
wodurch die Beachtung nationaler Besonderheiten der
deutschen Fusionskontrolle, zum Beispiel die Berück-
sichtigung des Marktbeherrschungskriteriums, gefähr-
det wäre. Aufgrund der unterschiedlichen Rahmenbedin-
gungen und spezifischen Strukturen der einzelnen
Industriezweige in einzelnen EU-Ländern sind nationale
Lösungen nach wie vor angesagt.
Ich ziehe daher folgendes Fazit: Es gibt derzeit keinen
Grund, ein bewährtes und ausgefeiltes System, das funk-
tioniert und weltweit anerkannt ist, abzulösen und einen
zusätzlichen Verwaltungsapparat ohne Mehrwert zu
schaffen. Der Wettbewerb ist das größte und genialste
Entmachtungsinstrument der Geschichte – so hat es der
Vordenker der sozialen Marktwirtschaft, Franz Böhm,
formuliert Der Wettbewerb braucht aber wohlüberlegte
und wirksame Regeln und funktionsfähige Institutionen.
Im Ergebnis fordere ich daher die Beibehaltung des
bewährten Systems der Kooperation und die Sicherung
der reibungslosen Zusammenarbeit der bestehenden na-
tionalen und europäischen Behörden in dem ECN. Rich-
tig ist an Ihrem Antrag, dass Wettbewerbsbehörden an-
gemessen personell ausgestattet sein müssen, um ihrem
Auftrag gerecht zu werden. Das gilt für die europäische
Ebene genauso wie für das Bundeskartellamt in
Deutschland. Dies haben wir bereits im vergangenen
Jahr gefordert und sind leider gegenüber dem Finanzmi-
nister nur begrenzt erfolgreich gewesen.
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Ohne Zweifel ist eine personelle Aufstockung zwin-
end notwendig – insbesondere, wenn durch die GWB-
ovelle neue Aufgaben auf das Bundeskartellamt zu-
ommen. Ob ebenso die GD Wettbewerb personell ge-
tärkt werden muss, ist nicht die Entscheidung des Deut-
chen Bundestages. Das muss anderswo entschieden
erden.
Die enge Zusammenarbeit der europäischen Wettbe-
erbshüter ist notwendig. Wir brauchen auch eine punk-
uelle Europäisierung. Was wir aber nicht brauchen, sind
eue Institutionen, die Kompetenzen an sich ziehen, un-
ötig vereinheitlichen oder zentralisieren.
Christian Lange (Backnang) (SPD): Der Antrag der
raktion Die Linke auf Schaffung eines Europäischen
artellamtes erstaunt mich. Bei erstem Hinsehen geht es
m den Erhalt eines funktionierenden Wettbewerbs in
eutschland und Europa. Diesen Antrag ausgerechnet
on der Fraktion Die Linke, die sich sonst nicht gerade
urch besonderes Vertrauen in den Markt hervortut, ist
emerkenswert.
Die Kompetenzen der Generaldirektion Wettbewerb,
ie derzeit für die Europäische Kommission Fusions-
nd Kartellüberwachung betreibt, soll auf ein europäi-
ches Kartellamt übertragen werden. Es wird beklagt,
ass die vorhandenen Instrumente, wie Preiskontrollen,
trukturelle Maßnahmen oder beispielsweise die Ent-
lechtung von Konzernen, nicht ausreichend genutzt
ürden. In der Tat tut mehr Wettbewerb in Europa not.
ir müssen uns nur mal den Energiesektor als besonders
ramatisches Beispiel anschauen:
Zunächst ein Blick nach Deutschland: Hier kontrol-
ieren vier große Anbieter – RWE, Eon, Vattenfall und
nBW – fast die komplette Stromerzeugung und alle
ransportnetze. Das hat die Folge, dass die Chancen
euer Anbieter auf dem Markt wegen der hohen Netzge-
ühren, sehr gering sind. Eon und RWE wachsen bei-
pielsweise, vor allem im Ausland. Der geplante Kauf
es spanischen Stromkonzerns Endesa durch Eon ist nur
in Teil im Streben der deutschen Stromkonzerne nach
röße.
Es ist sicherlich eine Realität, dass nicht nur deutsche
nergiekonzerne nach Größe streben: Der französische
onzern EdF kaufte sich mit dem Unternehmen Edison
uf den italienischen Markt ein und will mit dem franzö-
ischen Anbieter Suez zusammengehen, der die belgi-
che Electrabel übernommen hatte. Experten sehen dann
ie zweite große Welle von Fusionen, nachdem sich in
en vergangenen Jahren zuerst die Anbieter in den ein-
elnen Ländern zusammengeschlossen hatten. Eine all-
emeine Strategie scheint zu sein: Überhöhte Gewinne
us zu hohen Strompreisen werden genutzt, um poten-
ielle Konkurrenten zu kaufen. Damit wird etwas in
ang gehalten, was den Wettbewerb gerade auf dem
nergiesektor in Europa gar nicht erst aufkommen lässt.
ir alle, Bürger wie Unternehmer, zahlen die Zeche.
ir alle leiden unter der Last zu hoher Strom- und Gas-
reise. An dieser Stelle wird sehr deutlich, welche Kon-
equenzen nicht ausreichender Wettbewerb hat.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Juni 2007 10887
(A) )
(B) )
Es ist sicher auch eine Tatsache, dass derzeit die Wett-
bewerbspolitik in Europa noch sehr stark von nationalen
Interessen geprägt wird. Die EU-Kommission ist eben-
falls beunruhigt. Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes
hat beispielsweise harte Kartellverfahren gegen Strom-
und Gaskonzerne angekündigt. Und Energiekommissar
Andris Piebalgs beklagte, von einem Energiebinnen-
markt mit transparenter Preisgestaltung sei Europa weit
entfernt. Wir sind uns alle darüber einig, dass Hand-
lungsbedarf besteht.
Nur über das Wie besteht sicher Diskussionsbedarf.
Ich wage zu bezweifeln, dass der Aufbau einer eigenen
Behörde, einem europäischen Kartellamt – wie von den
Linken gefordert – dem Ziel, mehr Wettbewerb durchzu-
setzen, gerecht werden kann. Wir sollten die Kirche im
Dorf lassen und nicht für wenige Einzelfälle, die es kar-
tellrechtlich zu beurteilen gilt, gleich wieder eine neue
Behörde mit entsprechendem Aufbau von neuer Büro-
kratie als Lösungsmodell herbeiwünschen.
An dieser Stelle zeigt sich mal wieder, wes Geistes
Kind Die Linke ist. Nur vordergründig soll der Wettbe-
werb in Europa hochgehalten werden, das wollen wir
alle ebenfalls. Die Wahl der Mittel ist aber wieder ganz
typisch: mehr Bürokratie, mehr Staat, mehr Regulierung.
Das „vorläufige Programm“ der Linken in Sachen Wirt-
schaftspolitik spricht dazu eine deutliche Sprache: Die
Wirtschaftspolitik ziele …
… auf ein starkes Gewicht sozialstaatlicher Politik
gegen deren Unterordnung unter Marktzwänge. …
Gewinnorientiertes unternehmerisches Handeln ist
wichtig für Innovation und betriebswirtschaftliche
Leistungsfähigkeit, führt jedoch zur Zerstörung un-
serer Lebensgrundlagen, zunehmender sozialer Un-
gleichheit und Spaltung, wenn es nicht gesellschaft-
lichen Schranken und Regeln unterworfen wird.
Die Linke will also ein europäisches Amt zur Verhin-
derung von Wettbewerb, nicht um diesen zu ermögli-
chen.
In dieser konkreten Situation, in der es darum geht,
den Wettbewerb zu sichern und Preisnachteile aufgrund
der hohen Unternehmenskonzentration gegenüber den
Kunden zu verhindern, ist die Bundesregierung aktiv ge-
worden. Die Bundesregierung hat ein Maßnahmenpaket
beschlossen, mit dem der Wettbewerb im Energiebereich
die notwenigen Impulse erhalten und gleichzeitig die
Position der Verbraucher gestärkt werden soll. Gegen-
stand des Pakets sind die kurzfristig wirkende und zeit-
lich befristete Kartellrechtsnovelle sowie die auf lang-
fristige Strukturverbesserungen zielende Kraftwerks-
Netzanschluss-Verordnung. Zudem wurde die Ressort-
abstimmung hinsichtlich der Anreizregulierungsverord-
nung eingeleitet. Auch wenn wir den europäischen
Markt stärken müssen und klar ist, dass in einem ge-
meinsamen Europa auch eine gemeinsame europäische
Wettbewerbspolitik das Ziel sein muss, so sind wir als
Nationalstaat dennoch nicht machtlos. Gerade der Ener-
giesektor wird durch die geplante Novellierung des Ge-
setzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen und andere
Maßnahmen wieder gestärkt. Die Verbraucher, Bürger
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ie Unternehmen, werden gleichermaßen davon profi-
ieren.
Für Europa gilt Wir müssen und wir werden die euro-
äischen und die nationalen Wettbewerbsrechtsordnun-
en in Europa schrittweise weiter annähern, wobei sich
iejenigen Regelungen durchsetzen werden, die sich in
er Praxis am besten bewährt haben und die den Wettbe-
erb am wirksamsten schützen.
Martin Zeil (FDP): Wir debattieren heute einen An-
rag der Fraktion Die Linke zum Thema Wettbewerb. Es
st schon sehr erstaunlich, dass gerade die Linke, die ein
her gestörtes Verhältnis zum Wettbewerb hat und nach
eren Auffassung „der internationale Wettbewerb dafür
orgt, dass Deutschland verarmt“, diesen Antrag ein-
ringt. Es ist genau die Linke, die den Systemwechsel
in zu Sozialismus und Planwirtschaft will, die sich hier
ür mehr Wettbewerb einsetzt.
Gegen die fallweise Hinwendung der Linken zu ord-
ungspolitisch vernünftigen Prinzipien ist nichts einzu-
enden. Wir werden dem Antrag dennoch nicht zustim-
en; denn die Linke legt ein zu großes Augenmerk auf
ie Kartelle, die sowieso verboten sind, und auf den rei-
en Preismissbrauch bei Marktmacht. Sie vernachlässigt
abei aber den Missbrauch beispielsweise von natürli-
hen Monopolen und die reine Missbrauchsaufsicht bei
arktbeherrschenden Unternehmen.
Die Generaldirektion Wettbewerb, aus der ein
uropäisches Kartellamt hervorgehen könnte, hat derzeit
en Auftrag, die Durchsetzung des Wettbewerbsrechts
er EU zu gewährleisten. Sie soll somit dafür sorgen,
ass der Wettbewerb in der EU nicht verfälscht wird und
ass die Märkte der EU so effizient wie möglich funktio-
ieren, zum Schutz der Verbraucherinteressen und zur
örderung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen
irtschaft. Der Generaldirektion fehlt aber im Moment
och die Unabhängigkeit, Größe und Schlagkraft.
Insgesamt muss alles getan werden, damit das
uropäische Wettbewerbsrecht streng und kompromiss-
os angewendet wird. Die FDP als Partei der sozialen
arktwirtschaft und damit des Wettbewerbs hat ein Kar-
ellamt auf europäischer Ebene schon seit langem gefor-
ert: Ich verweise exemplarisch auf den Antrag meines
ollegen Rainer Brüderle „Für einen wirksamen Wett-
ewerbsschutz in Deutschland und Europa“ aus der letz-
en Legislaturperiode. Diesen Antrag hatten wir Liberale
m Jahr 2003 – damals noch mit der Unterstützung der
nion – in den Deutschen Bundestag eingebracht.
erner war das Anliegen, „ein von der Europäischen
ommission unabhängiges Europäisches Kartellamt auf
uropäischer Ebene zu schaffen“, eine Forderung der
DP für die Europawahl 2004.
Noch einige Worte über das mögliche Vorbild für ein
uropäisches Kartellamt: Das deutsche Bundeskartell-
mt als oberster Wettbewerbshüter in diesem Land. Wir
ürden es begrüßen, wenn dieser Pfeiler der sozialen
arktwirtschaft eine weitere Stütze des Hauses Europa
ird. Aufgrund der unterschiedlichen Rechtstraditionen
m Kartell- und Wettbewerbsrecht innerhalb der
10888 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Juni 2007
(A) )
(B) )
Europäischen Union wird es keine leichte, aber eine
umso notwendigere Aufgabe sein, ein europäisches Kar-
tellamt mit der Unabhängigkeit und der eigenständigen
Kompetenz, wie sie das deutsche Kartellamt hat, zu
schaffen.
Grundlage der Tätigkeit des Kartellamtes ist das Ge-
setz gegen Wettbewerbsbeschränkungen. Das GWB ist
ein Instrument, um den Wettbewerb auf nationaler wie
auch europäischer Ebene zu implementieren. Denn
schon heute wendet das Bundeskartellamt neben dem
deutschen auch das europäische Wettbewerbsrecht an,
soweit die Europäische Kommission als aktuelle Wettbe-
werbsbehörde auf EU-Ebene nicht zuständig ist.
„Der Erfolg der europäischen Wettbewerbs-Strategie
hängt in erster Linie von den Mitgliedstaaten und ihrer
Reformbereitschaft ab.“
Das sind die Worte des Koalitionsvertrags der
schwarz-roten Koalition. Und welche Taten sind diesen
Worten bisher gefolgt?
Das Bekenntnis zum Wettbewerb ist bei näherem
Hinsehen nur vorgegeben: Das zeigt ein Blick auf den
Kommunikationsmarkt, wo einzelne Unternehmen in
Regulierungsferien geschickt wurden. Und wie ist es zu
verstehen, dass ausgerechnet die SPD besondere Rück-
sicht auf die Interessen der Mono- und Oligopole in die-
sem Lande nimmt und sich vehement für die Verlänge-
rung des Postmonopols und den Schutz der
Energieriesen einsetzt? Diese Bundesregierung betrach-
tet den Wettbewerb und das Wettbewerbsrecht als Instru-
ment der Beliebigkeit, das man dann heranzieht, wenn es
in die Interessen der jeweils zu begünstigenden Gruppen
und Verbände hineinpasst, aber genauso gut ad acta legt,
wenn die politische Druckkulisse es als opportun er-
scheinen lässt. Der Wettbewerb, das Wettbewerbsrecht
sowie die Wettbewerbsbehörden sind aber mehr als ir-
gendwelche beliebigen Gesetze oder Institutionen: Sie
sind ein zentraler Teil unserer freiheitlichen Wirtschafts-
und Gesellschaftsverfassung und dürfen nicht zum
Spielball politischer Interessen werden.
Das muss auch Die Linke zur Kenntnis nehmen, die
Fraktion, die sich hier für mehr Freiheit einsetzt, ansons-
ten aber die Monopole dieses Landes verteidigt und im
Bereich der Telekommunikation sogar zur Staatswirt-
schaft zurückkehren will. Zusammenfassend lässt sich
damit sagen, dass die Politik der Linken nicht in gesamt-
wirtschaftlichen Zusammenhängen denkt und nach ord-
nungspolitischen Grundsätzen handelt. Sie richtet ihr
Denken und Handeln zu stark an einzelnen Betrieben,
Konzernen und Einzelinteressen aus. Damit verrät sie
ihre Interessen und ihre Wähler. Unsozialer und wider-
sprüchlicher kann eine Politik gar nicht sein.
Eine wirklich soziale Politik muss darauf ausgerichtet
sein, den Wettbewerb und damit die soziale Marktwirt-
schaft zu stärken. Ordnungspolitische Zusammenhänge
und eine wirksame Wettbewerbspolitik sind auch bei der
Bundesregierung Fremdwörter. Die angekündigte No-
vellierung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschrän-
kungen steht seit einem halben Jahr im Raum und ist al-
les andere als ein großer Wurf. Warum dauern die
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ettbewerbspolitischen Entscheidungen so lange und
nden häufig in einem weichgespülten Kompromiss?
ie Europäische Kommission ist hier viel mutiger und
ntschlossener mit Vorschlägen, auch wenn diese im
inzelnen noch diskutiert werden müssen. Wir Liberale
aben auch hier bereits unsere Vorschläge vor Monaten
uf den Tisch gelegt und dazu einen entsprechenden An-
rag bezüglich der Entflechtung als Ultima Ratio in den
eutschen Bundestag eingebracht.
In einer globalisierten Welt sind Wettbewerb und so-
iale Marktwirtschaft allein auf nationaler Ebene nicht
ehr sicherzustellen. Es bedarf hierzu internationaler,
indestens aber europäischer Hüter des Wettbewerbs,
ie mit entsprechenden Kompetenzen und der entspre-
henden Unabhängigkeit ausgestattet sind. Es ist ein
eiteres Zeichen der Schwäche dieser Bundesregierung,
ass wir während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft
n dieser wichtigen Frage keinen weiteren Schritt voran-
ekommen sind.
Dr. Herbert Schui (DIE LINKE): Der in der EU – und
uch weltweit – völlig freie Kapitalverkehr fördert die
irtschaftliche Konzentration. Nicht zuletzt lässt sich
iese Konzentration an den Direktinvestitionen ablesen.
enn zunehmend ist der Zweck der Direktinvestitionen
icht der Aufbau neuer Betriebe und zusätzlicher Pro-
uktion in den Aufnahmeländern. Vielmehr handelt es
ich vermehrt um Fusionen und Übernahmen. In diesem
ahmen wiederum nimmt die Bedeutung der Beteili-
ungsgesellschaften, also auch der Private-Equity-Ge-
ellschaften, zu. Auch hier steigt die Konzentration an.
Einige Zahlen können dies verdeutlichen: Allein in
en Jahren von 1993 bis 2005 hat der Bestand der deut-
chen Direktinvestitionen in der EU von rund 63 auf
42 Milliarden Euro zugenommen. Hierbei geht es um
nmittelbare und mittelbare deutsche Direktinvestitio-
en ohne Kreditverflechtungen. Besonders rasch ist der
estand deutscher Direktinvestitionen im Wirtschafts-
weig Beteiligungen angewachsen, nämlich von 27 Mil-
iarden im Jahr 1993 auf 63 Milliarden Euro im Jahr
005. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei den Fusionen und
bernahmen: Kumuliert betragen die jährlichen Fusio-
en und Übernahmen, die von EU-Unternehmen ausge-
en und auf Nicht-EU-Unternehmen gerichtet sind, in
en Jahren 1992 bis 1998 rund 600 Milliarden US-Dol-
ar, in der Zeitspanne von 1999 bis 2005 sind es bereits
085 Milliarden US-Dollar.
Sicherlich belegen diese Zahlen nicht unmittelbar die
onzentration in der EU. Aber wenn es um die Aufga-
en eines EU-Kartellamtes geht, ist das allein nicht ent-
cheidend. Wichtig ist vielmehr die wirtschaftliche Ver-
lechtung in der EU – und diese wird durch die
irektinvestitionen und durch die Fusionen und Über-
ahmen recht gut dargestellt. Mehr als die Hälfte aller
uslandsbeteiligungen deutscher Unternehmen finden
ich in der EU – und zwar in den am meisten industriali-
ierten Mitgliedsländern. Unter diesen Bedingungen
ind die Kompetenzen eines deutschen Kartellamtes,
benso wie die anderer nationaler Wettbewerbsbehör-
en, zu gering.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Juni 2007 10889
(A) )
(B) )
Grundsätzlich hat die Europäische Kommission das
Recht, strukturelle Maßnahmen anzuordnen, so die Ent-
flechtung von Konzernen bei Verstößen gegen Art. 81
und Art. 82 EG-Vertrag, und zwar laut Verordnung
Nr. 1/2003 des Rates, Art. 7 (1). Sie nutzt diese Mög-
lichkeit selbst bei wiederholten Verstößen nicht. Statt-
dessen beschränkt sie sich – so im Fall Microsoft – da-
rauf, geringe Geldstrafen zu verhängen. Der Grund
hierfür ist zum Teil fehlender Wille, zum Teil aber auch
eine mangelnde rechtliche und personelle Ausstattung
der europäischen Wettbewerbsbehörden. Die Europäi-
sche Kommission räumt selbst ein, mit der Beaufsichti-
gung des Wettbewerbs in Europa überfordert zu sein. Für
Abhilfe sollte hier der Wechsel vom Anmeldesystem
zum Legalausnahmeprinzip in der Fusionskontrolle sor-
gen, überdies eine verstärkte Dezentralisierung bei der
Anwendung europäischen Rechts. Wirkliche materielle
Erfolge aber sind bislang nicht erzielt worden. Beson-
ders problematisch ist das Fehlen einer Missbrauchsauf-
sicht bei der Preisbildung in der EU: Die Vereinigung
der nationalen Regulierer, ERGEG, in der EU hat keine
Entscheidungsbefugnis.
Die institutionellen Wettbewerbsregelungen in der
EU reichen also nicht aus, um Marktmacht und ihre Fol-
gen zu verhindern. Stets zu beachten ist hierbei: Wettbe-
werb ist nicht ein Zweck in sich, sondern ein Mittel, um
die folgenden Ziele zu erreichen:
Erstens. Marktmacht darf nicht die Verteilung des
Volkseinkommens auf Lohn und Gewinn bestimmen,
das heißt, den privaten Konsum beschränken.
Zweitens. Marktmacht ist zu verhindern, weil sie zu
einer ungleichen Verteilung der Kapitalrentabilität auf
die einzelnen Unternehmen führt.
Drittens. Wirtschaftliche Macht strebt stets politische
Macht an. Demokratie nur zu bewahren heißt, wirt-
schaftliche Macht zu beschränken.
Ein europäisches Kartellamt hat demnach weitrei-
chenden Aufgaben nachzukommen: Seine Aufgabe
muss Fusions- und Preiskontrolle sein, des Weiteren Ent-
flechtung. Dies – das ist zu betonen – nicht einzig, um
Missbrauch bei der Preissetzung zu unterbinden, son-
dern nicht zuletzt auch, um Übergriffe der wirtschaftli-
chen Macht auf die politische Sphäre zu verhindern, um
die Konzernlobby auszuschalten.
Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Wir brauchen ein verlässliches und integriertes System
regionaler, nationaler und europäischer Wettbewerbs-
politik. Für nationale Regierungen ist es immer verlo-
ckend, nationalen Unternehmen auf dem Heimatmarkt
Fusionen zu gestatten, auch wenn Wettbewerbsbeschrän-
kungen damit verbunden sind, damit diese Unternehmen
dann mit Monopolrenten im Rücken global akquirieren
können. Dieses führt zu Handelsverzerrungen; deswegen
ist es notwendig, ein integriertes System des Wettbe-
werbsrechts bis zur globalen Ebene zu entwickeln.
Die Gründung eines europäischen Kartellamtes, wie
es die Fraktion Die Linke in ihrem Antrag fordert, ist al-
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erdings der falsche Schritt und führt zu mehr Bürokra-
ismus und mehr staatlichem Dirigismus.
Auch international wird sie wenig Unterstützung für
ie Schaffung einer europäischen Kartellbehörde finden.
in Fortschritt wäre es allerdings, gemeinsame Leit-
inien nationaler und internationaler Wettbewerbspolitik
nd Grundsätze internationalen Wettbewerbsrechtes zu
ntwickeln. Die Kompetenzen nationaler und internatio-
aler wettbewerbspolitischer Institutionen müssten klar
bgegrenzt werden.
Allerdings wollen auch wir das Kartellrecht ändern:
ie Ministererlaubnis muss zurückgenommen werden
önnen. Es macht keinen Sinn, dass der Wirtschafts-
inister eine Fusion gestatten kann, nachdem die Kar-
ellbehörde sie abgelehnt hat.
Wir brauchen auch die Möglichkeit der Entflechtung
on Unternehmen, die eine marktbeherrschende Stellung
rrungen haben. Diese Möglichkeit gibt es im amerika-
ischen Kartellrecht, nicht aber im deutschen. Wir be-
rüßen daher die Initiative der EU-Kommission auch in
hrer Schärfe. Die eigentumsrechtliche Entflechtung der
onzerne von den Stromnetzen ist der Schlüssel zu mehr
ettbewerb und fairen Verbraucherpreisen. Hier erwar-
en wir von der Bundesregierung, dass sie sich weiterhin
onsequent dafür einsetzt, wohl wissend, dass die Zei-
hen derzeit schlecht für eine wirksame Trennung von
etz und Erzeugung stehen.
Wer die europäische Integration will, darf wirtschafts-
olitisch nicht in die Kleinstaaterei zurückfallen und
uss sich an europäische Verträge halten. Die EU-Kom-
issarin für Informationsgesellschaft und Medien,
iviane Reding, hat in einem Brief an Bundeswirt-
chaftsminister Glos klargestellt, dass der Gesetzentwurf
er Bundesregierung zur Novelle des Telekommunika-
ionsgesetzes mit europäischem Telekommunikations-
echt nicht vereinbar ist. Inzwischen läuft ein Vertrags-
erletzungsverfahren. Es ist jetzt an der Zeit, dass die
undesregierung klarmacht, dass sie europäisches Recht
espektiert.
Die Reform des europäischen Wettbewerbsrechts von
004 hat zu einer besseren europäischen Integration und
ereinheitlichung geführt, das Anmeldegenehmigungs-
erfahren für Kartellabsprachen wurde abgeschafft. Sie
ar außerdem ein wichtiger Impuls zur Europäisierung,
ieser muss fortgesetzt werden.
In einem gebe ich der Linken aber Recht: Wir brau-
hen tatsächlich schlagkräftige Wettbewerbsbehörden.
ie Personalsituation des Bundeskartellamtes hält mit
einen Aufgaben schon lange nicht mehr Stand. Das
undeskartellamt hat 300 Beschäftigte und 250 Vollzeit-
tellen. Jahr für Jahr gehen durch die von der Bundes-
egierung beschlossene jährliche Reduzierung der Perso-
almittel vier bis fünf Stellen verloren. 60 Prozent des
mtes werden über Gebühren finanziert. Um seine Auf-
aben effizient erfüllen zu können, würde das Amt
8 zusätzliche Stellen benötigen. Wir fordern die Bun-
esregierung auf, dafür zu sorgen, dass die dafür not-
endigen Mittel in den Haushalt 2007 eingestellt wer-
en.
10890 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Juni 2007
(A) )
(B) )
Statt die Gründung eines neuen Bürokratenmonsters
zu fordern, sollten wir uns lieber gemeinsam für die Ver-
besserung der internationalen Zusammenarbeit der Wett-
bewerbsbehörden, die Schaffung international verbindli-
cher Mindeststandards und für die Weiterentwicklung
eines weltweiten Wettbewerbsrechts einsetzen.
Anlage 11
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Die wirtschaftlichen
und arbeitsplatzschaffenden Erfolge der Ge-
meinschaftsaufgabe „Verbesserung der regiona-
len Wirtschaftsstruktur“ nutzen – Regionales
Wachstum und Beschäftigungseffekte intensi-
vieren (Tagesordnungspunkt 22)
Klaus Hofbauer (CDU/CSU): Vor kurzem hat der
Unterausschuss „Regionale Wirtschaftspolitik“ eine De-
legationsreise nach Ostbayern durchgeführt. In den Or-
ten Waldmünchen, Schönsee, Weiden und Hof konnten
wir uns davon überzeugen, dass die Strukturförderung
insgesamt und die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung
der regionalen Wirtschaftsstruktur“ im Besonderen vor
Ort sehr erfolgreich eingesetzt wird. Bei Gesprächen mit
regionalen Akteuren bzw. Besichtigungen in Unterneh-
men wurde an praktischen Beispielen aufgezeigt, dass
die Strukturförderung der Europäischen Union und des
Landes erfolgreich sind.
Die Unterrichtung der Bundesregierung mit dem
36. Rahmenplan für den Zeitraum 2007 bis 2010 zeigt
eindrucksvoll, dass die wesentlichen Ziele erreicht
werden. Primäre Zielsetzung der Regionalpolitik im
Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe ist es, dass struktur-
schwache Regionen durch Ausgleich ihrer Standortnach-
teile Anschluss an die allgemeine Wirtschaftsentwicklung
halten können und regionale Entwicklungsunterschiede
abgebaut werden.
Im Wesentlichen ist für Ostbayern das Steuer-, Lohn-
und Fördergefälle zwischen Bayern und Tschechien zu
minimieren. Es besteht sogar die Gelegenheit, dass mit
den Mitteln der Strukturförderung die Chancen der EU-
Osterweiterung konsequent genutzt werden. Die Ge-
meinschaftsaufgabe hat sich auch als wichtiges gesamt-
deutsches Projekt entwickelt. Die GA wird in den neuen
und alten Bundesländern nach gleichen Grundsätzen
umgesetzt.
Es bewährt sich, dass im Rahmen der Föderalismus-
reform I dieses Programm als Bund-Länder-Programm
erhalten bleibt. Die Länder sind zwar primär für die
Strukturpolitik zuständig. Der Bund fühlt sich aber mit-
verantwortlich. Er übernimmt koordinierende Aufgaben
unter den Ländern. Wichtigste Aufgabe des Bundes ist
es, die europäische Strukturpolitik im Interesse der Län-
der zu gestalten. Die EU prägt die Strukturpolitik inhalt-
lich und gibt finanzielle Hilfen. Eine Abstimmung der
GA ist deshalb sehr wichtig.
Das Programm fördert unmittelbar Investitionen der
Unternehmer und sorgt dafür, dass neue wettbewerbsfä-
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ige Dauerarbeitsplätze geschaffen und bestehende Ar-
eitsplätze gesichert werden.
Die GA enthält spezielle Fördermöglichkeiten für
leine und mittlere Unternehmen auch im Dienstleis-
ungsbereich:
Die regionale Wirtschaftsförderung im Rahmen der
A leistet ihren Beitrag zum Umweltschutz. Maßnah-
en dürfen nur genehmigt werden, wenn die umwelt-
echtlichen Voraussetzungen im Einzelfall erfüllt sind.
Sie leistet einen Beitrag zu Forschung, Entwicklung,
echnologietransfer und Innovation.
Die Gemeinschaftsaufgabe fordert das Entwicklungs-
otenzial in Städten und im ländlichen Raum gleicher-
aßen.
Entscheidend ist, dass die GA auch kurzfristig zeitlich
egrenzte Sonderprogramme auflegen kann, um Regio-
en bei besonderen Problemlagen zu unterstützen.
Strukturpolitik und Raumordnung gehören unzertrenn-
ch zusammen. Auf nationaler und europäischer Ebene ist
ine umfangreiche Diskussion über Leitbilder und Hand-
ngsstrategien der Raumentwicklung in Deutschland ent-
tanden.
In dieser Diskussion geht es natürlich auch um die
erausforderung für Räume in strukturschwachen Ge-
ieten bzw. Gebiete, die vom Strukturwandel betroffen
ind. Deshalb muss die Gemeinschaftsaufgabe „Verbes-
erung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ in diesen
iskussions- und Entscheidungsprozess einbezogen
erden.
Es ist von Anfang an zu verhindern, dass zukünftige
chwerpunkt dieser Leitbilddiskussion sich nur auf die
etropolregionen konzentrieren. Der ländliche Raum
arf nicht Anhängsel der Zentren sein. Beide Bereiche
ind gleichwertig und müssen auch so behandelt werden.
In Deutschland gibt es einen wirtschaftlichen Auf-
chwung. Dies muss auch für strukturschwache Regio-
en genutzt werden. Nach meinen Informationen gibt es
ei der Gemeinschaftsaufgabe eine überdurchschnittli-
he Anzahl von Förderanträgen. Insbesondere mittel-
tändische Unternehmen sichern und schaffen zukunfts-
rientierte Ausbildungsplätze. Die Unternehmer bringen
amit auch ein klares Bekenntnis zu diesen Regionen
um Ausdruck.
Für die praktische Politik der Großen Koalition aus
DU/CSU und SPD bedeutet dieser Antrag ein klares
ekenntnis zur Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe
Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“. Sie
st ein zentrales Instrument der regionalen Wirtschafts-
olitik in Deutschland.
Aufgrund der vielen Anträge muss bei den kommen-
en Haushaltsberatungen wohlwollend geprüft werden,
b die Mittelausstattung verbessert werden kann.
Die Fraktionen bringen deutlich zum Ausdruck, dass
ie sich dem Auftrag des Grundgesetzes verpflichtet füh-
en, in Deutschland für gleichwertige Lebensverhältnisse
u sorgen. Sie ermutigen die Regionen, regionale Ent-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Juni 2007 10891
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(B) )
wicklungsstrategien und Konzepte aufzustellen, um die
eigenen Potenziale zu stärken.
Die Gemeinschaftsaufgabe hat sich bewährt und muss
weiterhin bestehen bleiben.
Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): Wir diskutieren
heute in erster Lesung den Koalitionsantrag über die
wirtschaftlichen und arbeitsplatzschaffenden Erfolge der
Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen
Wirtschaftsstruktur“, kurz GA genannt.
Die GA bildet zusammen mit der Investitionszulage
und den europäischen Fördermitteln das Kernstück des
Aufbaus Ost im Bereich der betrieblichen Investitionen
und wirtschaftsnahen Infrastruktur. Sie war und ist aber
kein rein ostdeutsches Förderinstrument. Die Neuabgren-
zung des künftigen Fördergebiets für den Zeitraum 2007
bis 2013 erfolgte auf der Grundlage neuer regionalbeihil-
ferechtlicher Vorgaben durch die Europäische Kommis-
sion. Siebzehn Jahre nach der deutschen Einheit basiert
die Fördergebietsabgrenzung damit erstmals auf einer ge-
samtdeutschen Bewertung der Regionen. Dies geschieht
anhand von vier aussagekräftigen und nachvollziehbaren
Indikatoren: der durchschnittlichen Arbeitslosenquote,
dem Bruttojahreslohn je sozialversicherungspflichtig Be-
schäftigtem, einer Erwerbstätigenprognose und eines In-
frastrukturindikators.
Von einer Förderung nach Himmelsrichtung, wie dies
in letzter Zeit wieder häufiger in irreführender Art und
Weise kritisiert wird, kann also bei der GA keine Rede
sein. Der Umfang der ehemaligen C-Fördergebiete der
GA in den alten Bundesländern wurde auch in der lau-
fenden Förderperiode beibehalten, um strukturelle
Problemlagen in Westdeutschland regionalpolitisch ab-
zufedern. Diese jetzt als D-Fördergebiete bezeichneten
Regionen umfassen 7,7 Prozent der gesamtdeutschen
Bevölkerung oder 6,35 Millionen Einwohner. In D-Ge-
bieten können Maßnahmen wie die Förderung von klei-
nen und mittleren Unternehmen, von wirtschaftsnaher
Infrastruktur und von Clustermanagement-Projekten aus
Mitteln der GA finanziert werden. Wenn trotzdem sechs
Siebentel der Mittel der GA in die neuen Bundesländer
fließen, so liegt das daran, dass die neuen Länder trotz
positiver Entwicklungsfortschritte noch immer spezifi-
sche strukturelle Standortnachteile aufweisen, durch die
sie in ihren Wachstumsperspektiven behindert werden.
Wegen ihres nach wie vor vorhandenen Aufholbedarfs
sind die neuen Bundesländer weiterhin in Gänze Höchst-
fördergebiet.
Lassen Sie mich an dieser Stelle nach vorne schauen
und kurz die positiven Entwicklungen in Ostdeutschland
darstellen, die uns alle hoffnungsfroh stimmen sollten.
Die Wirtschaft in den neuen Bundesländern wuchs im
letzten Jahr mit durchschnittlich 2,8 Prozent erstmals
seit zehn Jahren wieder stärker als die im Westen mit
durchschnittlich 2,7 Prozent. Sachsen belegte im vergan-
genen Jahr mit einem Wirtschaftswachstum von 4 Pro-
zent übrigens den Spitzenplatz von allen Bundesländern.
Innovative Branchen siedeln sich seit geraumer Zeit ver-
stärkt in den neuen Ländern an. Ich denke dabei etwa an
die Mikroelektronik in Dresden, die Luft- und Raum-
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ahrtindustrie in Berlin und Brandenburg sowie die Me-
izin- und Biotechnologie in Berlin oder Greifswald, um
inige beispielhaft zu nennen.
Ein entscheidender Wachstumsmotor der letzten Jahre
aren darüber hinaus Investitionen von ausländischen
nternehmen in Ostdeutschland. Insgesamt führen die
usländischen sowie die inländischen Investitionen ins-
esondere im verarbeitenden Gewerbe dazu, dass inzwi-
chen in einzelnen Branchen im Osten eine höhere Pro-
uktivität als in den alten Bundesländern erzielt wird.
as sind die guten Nachrichten, welche ohne die Mittel
er Gemeinschaftsaufgabe nicht zu vermelden wären.
Fakt ist aber auch, dass das über die positiven Ent-
icklungsfortschritte der ostdeutschen Kommunen ge-
eichnete Bild leider zu häufig noch unzutreffend ist.
ie „Vorzeigekommunen“ im Osten wie Dresden, Pots-
am oder Jena befinden sich gerade einmal auf gleichem
iveau mit „Problemfällen“ im Westen wie Gelsen-
irchen oder Duisburg. Neben dem Ost-West-Gefälle
orhandene weitere interregionale Unterschiede recht-
ertigen nicht das Wegdefinieren dieser Ost-West-Unter-
chiede. Im Gegensatz zu den „Wachstumsinseln“ im
sten sind die „Problemstädte“ im Ruhrgebiet von äu-
erst wirtschafts- und finanzkräftigen Regionen umge-
en. Zudem gibt es keine Kommunen im Westen, auf die
ie Merkmale „geringes BIP, geringes Einkommen, hohe
rbeitslosigkeit, geringe Steuerkraft“ gleichermaßen zu-
reffen. Im Osten ist das aber die Regel. Die Steuerkraft
er ostdeutschen Kommunen liegt im Durchschnitt im-
er noch ganz erheblich unter der der westdeutschen,
enauer bei etwa 40 Prozent.
Aus all diesen Gründen und weil der Osten von 2009
n aus dem Solidarpakt Jahr für Jahr rund 700 Millionen
uro weniger erhalten wird, ist es wichtig, dass die Ge-
einschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirt-
chaftsstruktur“ wie im Koalitionsvertrag festgeschrie-
en, fortgesetzt wird. Dort heißt es:
Die Bundesregierung wird in Abstimmung mit den
neuen Ländern und Partnern aus der Wirtschaft die
Förderstrategie für Ostdeutschland weiterentwi-
ckeln mit dem Ziel, die Wirtschaft in Ostdeutsch-
land auf eine breite zukunftsfähige Basis zu stellen
und eine selbst tragende Entwicklung zu ermögli-
chen.
Die GA ist dafür das geeignete Instrument. Mit unse-
em Antrag setzen wir die Vorgaben des Koalitionsver-
rages um. Die Bundesregierung wird darin aufgefordert,
m grundgesetzlich verankerten Ziel der Gleichwertig-
eit der Lebensverhältnisse festzuhalten und das erfolg-
eiche Konzept der Bund-Länder-Gemeinschaftsauf-
abe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“
ls Instrument der gezielten Regionalförderung für
trukturschwache Regionen in Deutschland weiterzufüh-
en.
Die Erfolge der wirtschaftsnahen Infrastrukturförde-
ung sollen darüber hinaus intensiver als bisher evaluiert
erden. Die Entscheidung über die Ausrichtung ihrer
örderpolitik auf regionale oder sektorale Schwerpunkte
bliegt aber auch künftig den einzelnen Ländern. Mit
10892 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Juni 2007
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einer differenzierten Förderstrategie sollen Fördermaß-
nahmen verschiedener Politikbereiche, wie Innovations-
und Investitionsförderung, Arbeitsmarkt- und Infrastruk-
turpolitik, besser miteinander verzahnt werden. Ziel ist
es, die wirtschaftlichen Profile der neuen Länder, die
Vorteile im nationalen und internationalen Wettbewerb
um Investoren bieten, weiter zu schärfen.
Lassen Sie mich kurz begründen, warum ich die GA
für das zentrale und wirkungsvollste Instrument der re-
gionalen Wirtschaftspolitik in Deutschland halte. Schät-
zungen des DIW aus dem Jahre 2003 zufolge führte die
Teilnahme an der GA-Förderung in einem „durchschnitt-
lichen“ Betrieb zu dreimal so hohen Investitionen, wie
ohne GA-Förderung. Die Mitnahmeeffekte sind ver-
gleichsweise gering, auch weil auf die GA-Förderung im
Gegensatz zur Investitionszulage kein Rechtsanspruch
besteht. Es handelt sich bei der GA also um ein sehr ef-
fektives Förderinstrument. Die Zahlen belegen das: In
Unternehmen, die GA-Fördermittel in Anspruch genom-
men haben, sind im vergangenen Jahr in den neuen Län-
dern und in Berlin 34 675 Dauerarbeitsplätze neu ge-
schaffen und 75 234 gesichert worden. Die meisten
Fördermittel, nämlich 794,27 Millionen Euro, sind im
Jahr 2006 in Kleinstunternehmen mit bis zu neun Mit-
arbeitern geflossen. 453,96 Millionen Euro sind an Un-
ternehmen mit 50 bis 249 Mitarbeitern gegangen, und
die Unternehmen mit zehn bis 49 Mitarbeitern haben
216,16 Millionen Euro Förderung erhalten. Die Investo-
ren sind verpflichtet, in den Antragsformularen die mit
dem Vorhaben vorhandenen Arbeitsplätze zum Investi-
tionsbeginn und die geplanten zusätzlichen sowie gesi-
cherten Dauerarbeitsplätze nach Abschluss des Vorha-
bens anzugeben. Zudem müssen sie diese Arbeitsplätze
in der geförderten Betriebsstätte mindestens fünf Jahre
lang besetzt halten.
Mit unserem Antrag wollen wir erreichen, dass die
Mittel für die regionale Wirtschaftspolitik – auch auf eu-
ropäischer Ebene – auf strukturschwache Regionen kon-
zentriert werden. Der Fokus muss dabei auf dauerhafte
Standortaufwertung insbesondere durch Investitionen in
die wirtschaftsnahe Infrastruktur gelegt werden. Dazu
zählen die Erschließung von Gewerbegelände sowie der
Ausbau von Gewerbezentren, der Ausbau von Verkehrs-
verbindungen, Versorgungsanlagen und Anlagen der
Abwasser- und Abfallbeseitigung, die Förderung von
Fremdenverkehrseinrichtungen und Aus- bzw. Fortbil-
dungsstätten und nicht zuletzt die Unterstützung von Re-
gionalmanagementvorhaben und Kooperationsnetzwer-
ken.
Ein anderer wichtiger Punkt ist die Verbesserung der
Innovationsfähigkeit. Ich begrüße es sehr, dass der
Bund-Länder-Planungsausschuss zum 1. Januar 2006
die Erweitung des GA-Förderangebots um die Marktein-
führung von innovativen Produkten erweitert hat. Au-
ßerdem wurde zum ersten Mal eine verlässliche Grund-
lagenfinanzierung für die Forschungs-GmbHs in den
neuen Bundesländern sichergestellt. Ziel der GA-Förde-
rung ist es nicht, dass strukturschwache Regionen dauer-
haft am Subventionstropf hängen, sondern die Hilfe zur
Selbsthilfe. Über die Stärkung der regionalen Investi-
tionstätigkeit sollen dauerhaft wettbewerbsfähige Ar-
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eitsplätze in der Region geschaffen und soll die Verfes-
igung von regionalen Disparitäten verhindert werden.
Lassen Sie mich, bevor ich zum Schluss komme,
och auf einen anderen regionalen Aspekt von Wirt-
chaftspolitik eingehen, der nur mittelbar etwas mit dem
ntrag zu tun hat, den wir heute diskutieren. Ein Groß-
eil der Unternehmen im Osten sind kleine Familien-
nternehmen, in denen sich die Mitarbeiter mit dem Un-
ernehmen identifizieren und eher zu Zugeständnissen
ereit sind, wenn es für die Zukunftsfähigkeit des Unter-
ehmens nötig ist. Insofern ist im Osten der Gegensatz
on Kapital und Arbeit nicht so stark ausgebildet, wie in
o manchem westdeutschen Bundesland. Im Zusammen-
piel mit einem nach wie vor im Vergleich niedrigeren
reisniveau, etwa bei Mieten, Bauland und Löhnen, ha-
en die neuen Länder hierin einen echten Standortvor-
eil. Ich sehe es sehr kritisch, wenn dieser Wettbewerbs-
orteil durch zentrale Regulierungen kaputt gemacht
ird, etwa durch einen deutschlandweiten Mindest-
ohn – und sei er auch durch die Hintertür über ein Ge-
etz aus den 50er-Jahren zur Festsetzung von Mindestar-
eitsbedingungen eingeführt.
Für mich steht fest: Der Wirkungsgrad von Förder-
aßnahmen für Wachstum und Beschäftigung hängt
uch ganz erheblich mit der Ausgestaltung anderer Poli-
ikbereiche zusammen. Wirtschaftsförderung, Bildungs-
olitik, Forschungspolitik und Arbeitsmarktpolitik müs-
en in einem integrativen Ansatz miteinander verzahnt
erden.
Andrea Wicklein (SPD): Die Gemeinschaftsaufgabe
Regionale Wirtschaftsstruktur“ ist das wichtigste För-
erinstrument für strukturschwache Regionen in
eutschland. Über die Gemeinschaftsaufgabe werden
nvestitionen in der gewerblichen Wirtschaft und wirt-
chaftsnahe Infrastruktur gefördert. Mit dem vorliegen-
en Antrag wollen wir die GA unterstützen.
Die Bundesregierung hat vor kurzem den 36. Rah-
enplan der Gemeinschaftsaufgabe vorgelegt. Sehr
rfreulich ist für uns, dass die Förderinstrumente Clus-
ermanagement, Kooperationsnetzwerke und Regional-
anagement fortgeführt werden und in den generellen
örderkatalog übergehen. Wir begrüßen ausdrücklich,
ass die neuen Transparenzregeln, die Bund und Länder
erabredet haben, im Rahmenplan ihren Niederschlag
inden. Damit setzt der Planungsausschuss die Vorgaben
m, die der Bundesrechnungshof zu Recht angemahnt
atte. So sollen im Rahmen der GA-Statistik in Zukunft
ie Arbeitsplatzeffekte nicht nur zum Zeitpunkt der In-
estition selbst, sondern auch nach Abschluss der Bin-
ungsfrist von fünf Jahren erfasst werden. Darüber hi-
aus müssen zukünftig Angaben über den Empfänger
er Zuwendung, über das Vorhaben und die Höhe des
uschusses veröffentlicht werden. Hervorzuheben ist au-
erdem, dass das Bundeswirtschaftsministerium ge-
einsam mit den Ländern im Zuge der neuen Transpa-
enzregeln die Wirkungs- und Zielerreichungsanalyse
er GA verbessert und im Rahmenplan dokumentiert
at.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Juni 2007 10893
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Die Gemeinschaftsaufgabe „Regionale Wirtschafts-
struktur“ trägt maßgeblich dazu bei, regionale Disparitä-
ten in Deutschland abzubauen. Sie ist unverzichtbar bei
der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in strukturschwa-
chen oder vom Strukturwandel betroffenen Regionen.
Ich freue mich daher, dass der Haushaltsausschuss am
27. April die Sperre von 50 Millionen Euro im diesjähri-
gen Haushalt aufgehoben hat. Damit stehen der GA neue
Bundesmittel in Höhe von 644 Millionen Euro in diesem
Jahr zur Verfügung. Gemeinsam mit den Mitteln aus
dem EFRE hat der Bewilligungsrahmen 2007 ein Volu-
men von rund 1,75 Milliarden Euro. Die GA kann damit
ihre Funktion erfüllen, zusätzliche Investitionen anzu-
stoßen und noch mehr Arbeitsplätze zu schaffen.
Der Erfolg der Gemeinschaftsaufgabe steht außer
Frage: Allein von 2004 bis 2006 konnten in Ostdeutsch-
land 22,7 Milliarden Euro an Investitionen in der gewerbli-
chen Wirtschaft mit nur 4,1 Milliarden Euro Fördermitteln
angestoßen werden. Damit wurden 77 000 zusätzliche
Dauerarbeitsplätze geschaffen und 183 000 Arbeits-
plätze gesichert. In Westdeutschland konnten in den letz-
ten beiden Jahren 4,3 Milliarden Euro an Investitionen
ausgelöst werden bei einem Fördervolumen von
802 Millionen Euro. Damit wurden in den alten Bundes-
ländern über die GA 18 000 zusätzliche Arbeitsplätze
geschaffen und 30 000 gesichert. Ohne Zweifel ist die
Gemeinschaftsaufgabe, die vom Bund mitfinanziert, an-
sonsten in der Verantwortung der Länder liegt, eine der
erfolgreichsten überhaupt. Dies sage ich auch ganz be-
wusst als ostdeutsche Abgeordnete. Ohne die GA würde
Ostdeutschland nicht solch hohe Wachstumsraten im
verarbeitenden Gewerbe erzielen.
Mit dem vorliegenden Antrag wollen wir die Bedeu-
tung der Gemeinschaftsaufgabe für das Wirtschafts-
wachstum in Deutschland und den Aufholprozess von
strukturschwachen Regionen und Regionen im Struktur-
wandel hervorheben. Wir wollen am grundgesetzlich
verankerten Ziel der Gleichwertigkeit der Lebensver-
hältnisse festhalten und die Bundesregierung auffordern,
dessen Ausgestaltung zwischen den Fachpolitiken zu ko-
ordinieren. Wichtig ist nach unserer Auffassung dabei
vor allem, dass die Regionen aufgefordert werden, regio-
nale Entwicklungsstrategien und -konzepte aufzustel-
len. Die regionalpolitische Handlungsfähigkeit vor Ort
darf nicht verloren gehen. Die Bundesregierung soll sich
deshalb gegenüber der EU-Kommission dafür einsetzen,
dass die Spielräume für die Regionen erhalten bleiben.
In Bezug auf die Infrastrukturförderung aus der Gemein-
schaftsaufgabe wollen wir auf eine bessere Evaluation
der Maßnahmen drängen.
Die Gemeinschaftsaufgabe ist erfolgreich. Sie hilft,
Investitionen anzustoßen und Arbeitsplätze zu schaffen.
Sie leistet einen wichtigen Beitrag, um Kapital in struk-
turschwachen Regionen zu fördern. Die GA baut regio-
nale Unterschiede ab und trägt damit dazu bei, das Ziel
der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in ganz
Deutschland zu verfolgen. Wir hoffen, dass sie alle die-
ses Ziel mit uns weiterhin verfolgen.
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Gudrun Kopp (FDP): Nach der Lektüre des heute zu
eratenden Antrages kann ich nur feststellen: Die beiden
oalitionsfraktionen haben ihre Gemeinsamkeiten of-
enkundig vollständig aufgebraucht und sollten schleu-
igst den Weg für Neuwahlen freimachen.
Es ist schon fast eine Frechheit gegenüber dem Hohen
ause, dass Sie, meine Herren und Damen von CDU/
SU und SPD, es wagen, hier einen solches Jubelpapier
orzulegen, dem es an jedweder fachlicher Substanz
ehlt. Es muss doch schon sehr schlimm bestellt sein um
ie koalitionären Gemeinsamkeiten, wenn Sie wirklich
ichts mehr finden, über das Sie sich einig sind – abge-
ehen von solchen Plattitüden und Selbstbeweihräuche-
ungsarien.
In jeder Sitzung des Unterausschusses wurde zudem
berdeutlich, dass es tief greifende Differenzen zwi-
chen dem Finanz-, Wirtschafts- und Verbraucherminis-
erium über Ziele und Kriterien von regionaler Wirt-
chaftsförderung gibt. Dieses Land hat aber noch immer
,7 Millionen offiziell arbeitslos gemeldete Bürger – in
ahrheit also noch viel mehr –, marode Sozialsysteme,
inen überregulierten Arbeitsmarkt, überbordende Büro-
ratie und jetzt auch noch eine handlungsunfähige Re-
ierung. Angesichts derartiger Probleme legen die sie
ragenden Fraktionen nämlich dem deutschen Parlament
in Papier vor, in dem auf zwei Seiten die schier unbe-
reifliche Großartigkeit nationaler Strukturprogramme,
prich Subventionsprogramme, über den grünen Klee
elobt wird.
Ihr Anliegen haben Sie dann die Güte uns im Forde-
ungsteil des Antrages mitzuteilen. Dort heißt es ebenso
antasievoll wie aussagearm: Man möge am Ziel der
leichwertigkeit der Lebensverhältnisse festhalten, das
rfolgreiche Konzept der GA weiterführen, die regionale
irtschaftsförderung als Priorität stärken, die Interessen
enachteiligter Wirtschaftsräume in Brüssel vertreten,
neffizienter Umverteilung vorbeugen, besondere Situa-
ionen in strukturschwachen Regionen berücksichtigen
nd schließlich die Ergebnisse der Infrastrukturförde-
ung evaluieren.
Festhalten, Berücksichtigen, Weiterführen – als Parla-
entarier komme ich nicht umhin, mich von diesem
Weiter-so-Alles-ist-prima-Antrag“ auf den Arm
enommen zu fühlen. Ist das wirklich alles, was die Re-
ierungskoalition uns zu diesem Thema zu sagen hat?
ann hätten Sie wohl besser geschwiegen, um Philoso-
hen zu bleiben. Ich kann mich nicht erinnern, jemals
ährend meiner Mitgliedschaft in diesem Hohen Hause
inen so inhaltsarmen, ja dürftigen Antrag gelesen zu ha-
en. Ein Verzicht darauf wäre wahrscheinlich wenigs-
ens ein Beitrag zum Bürokratieabbau.
Für die FDP ist klar, dass zu einer Fortentwicklung
es deutschen Föderalismus hin zu einem leistungsstar-
en Wettbewerbsföderalismus langfristig auch der Ver-
icht auf Mischfinanzierungen gehört. In diesem Sinne
aben auch die Gemeinschaftsaufgaben dann ausge-
ient. Letztlich ist es doch mit der Strukturförderung wie
it allen Subventionen. Es macht Bürokraten sicherlich
roßen Spaß, die Erfolge ihrer Förderpolitik großspre-
herisch vorzurechnen. Das Problem ist nur: Die
10894 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Juni 2007
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Arbeitsplätze, die gar nicht erst entstanden sind, weil der
Staat, um derartige Subventionen zahlen zu können, den
Bürgern immer tiefer in die Tasche greift, rechnet nie-
mand vor. Das ist wie bei den Windkraftanlagen, wo uns
die Lobbyisten jedes Jahr neue Rekordzahlen über die
Beschäftigten der Branche vorlegen, aber verschweigen,
wo das Geld für die Subventionierung derselben her-
kommt, nämlich aus den Taschen der Bürger, die sich
deshalb andere Dinge nicht mehr leisten können.
Nein mit derartigen Anträgen werden Sie Ihrem Re-
gierungsauftrag nicht gerecht. Derartige Papiere zeigen
nur eines: Sie sind als Regierung am Ende. Möglicher-
weise schaffen Sie es noch, sich bis ans Ende der Legis-
latur in ihren Ministersesseln zu halten, aber die Pro-
bleme des Landes haben Sie nicht mehr im Blick, weil
sie selber das Problem sind.
Sabine Zimmermann (DIE LINKE): Wie heißt es so
schön: Nicht an den Worten, an den Taten sollt ihr sie
messen. Dem Antrag, den heute Union und SPD vorle-
gen, könnte vielleicht auch die Linke zustimmen. Nur,
leider steht sein Inhalt im totalen Gegensatz zum Han-
deln dieser beiden Parteien.
Worum geht es? Im Antrag betonen die Koalitions-
parteien die zentrale Rolle der sogenannten Gemein-
schaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirt-
schaftsstruktur“, also dem wichtigsten Förderinstrument
für strukturschwache Regionen. Ich zitiere: Die Gemein-
schaftsaufgabe „trägt maßgeblich dazu bei, dass in struk-
turschwachen Regionen das Wirtschaftswachstum beför-
dert und durch Investitionen neue Arbeitsplätze
geschaffen oder vorhandene gesichert werden.“ Und
weiter: „Gleichzeitig gibt sie den Menschen eine Per-
spektive und dient damit auch unmittelbar dem grundge-
setzlich verankerten Ziel der Herstellung gleichwertiger
Lebensverhältnisse.“ Das ist alles richtig. Nur fragen wir
uns von der Linken: Warum haben Union und SPD die-
ses wichtige Förderinstrument über das letzte Jahrzehnt
so massiv gekürzt? 1993 betrug der Etat der Gemein-
schaftsaufgabe noch 2,1 Milliarden Euro. 2006 liegt er
bei weniger als einem Drittel, nämlich 617 Millionen
Euro.
Für diese Entwicklung tragen Union und SPD die
Verantwortung. Beide Parteien waren während dieser
Zeit in Regierungsverantwortung. Ist es so, dass es kei-
nen Förderbedarf mehr gibt?
Stichwort Aufbau Ost. Im Jahresbericht zum Stand
der Deutschen Einheit 2006 stellt die Bundesregierung
fest: Ostdeutschland ist noch immer ein Wirtschaftsge-
biet mit zahlreichen strukturellen Problemen und „ein
selbsttragender Aufschwung noch nicht erreicht“. Aber
nicht nur der Osten, auch zahlreiche westliche Bundes-
länder sind auf die Fördermittel angewiesen. Das Pro-
blem der Massenarbeitslosigkeit und abgehängter Regio-
nen ist längst kein Problem des Ostens mehr. Darüber
kann auch der gegenwärtige Aufschwung nicht hinweg-
täuschen.
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Im letzten Jahr wurden auch in den westlichen Bun-
esländern mehr Fördermittel bewilligt als ursprünglich
eplant. Das zeigt, es gibt einen großen Bedarf.
Meine Damen und Herren von der Großen Koalition,
ürden Sie es mit ihrem Antrag ernst meinen, dann
üssten Sie darin festschreiben, dass die Gemein-
chaftsaufgabe nicht weiter gekürzt wird. Ansonsten ist
ieser Antrag nicht mehr als ein Lippenbekenntnis. Wei-
ere Punkte wären anzusprechen: Wie soll verhindert
erden, dass Fördermittel einseitig Metropolen oder „in-
ustrielle Leuchttürme“ zugutekommen und struktur-
chwache Regionen hinten runterfallen? Wie ist bei ge-
örderten Investitionsprojekten die Einhaltung von
arifverträgen und sonstigen Standards sicherzustellen?
ie wird gewährleistet, dass das Geld wirklich bei klei-
en und mittleren Unternehmen ankommt und damit
icht Großbetriebe subventioniert werden? All dies sind
ichtige Fragen. Letztendlich steht der eigentliche Cha-
akter der Gemeinschaftsaufgabe auf dem Spiel. Aber
er Antrag enthält nichts dazu. Dass die Reden heute zu
rotokoll gehen, scheint ein Omen für diesen Antrag zu
ein. Er wird schnell in der Schublade verschwinden,
nd die Regierung wird weitermachen wie bisher, näm-
ich die Fördermittel kürzen.
Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
ir diskutieren einen Antrag der Koalitionsfraktionen,
er die Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe „Verbesse-
ung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ zum Thema
at. Die Gemeinschaftsaufgabe ist, da erzähle ich nichts
eues, ein zentrales Instrument der Regionalpolitik in
eutschland. Seit 1969 nimmt der Bund im Rahmen der
A seine Mitverantwortung für eine ausgewogene regio-
ale Entwicklung in Deutschland wahr.
Die GA ist mehr als ein Förderinstrument. Sie ist für
ie deutsche Regionalpolitik zugleich Strategie-, Ord-
ungs- und Koordinierungsrahmen. Die GA setzt den
ahmen für die nationale Regionalpolitik und stellt die
nnerstaatlich abgestimmte Umsetzung europäischen
echts, insbesondere der beihilferechtlichen Bestim-
ungen, sicher. Im Rahmen der GA legen Bund und
änder gemeinsam die Fördergebiete sowie die Förder-
öchstsätze und damit auch das innerdeutsche Förderge-
älle, die Fördertatbestände und die GA-Mittelverteilung
est. Darüber hinaus bildet die GA einen Koordinie-
ungsrahmen für andere raumwirksame Politikbereiche,
ie zum Beispiel für den Einsatz der Mittel aus dem
uropäischen Fonds für die Regionale Entwicklung,
FRE.
Brauchen wir ein solches Instrument zur Förderung
trukturschwacher Regionen noch? Ich meine, ja. Wir
üssen zur Kenntnis nehmen, dass wir es auch 17 Jahre
ach der Wiedervereinigung noch mit tiefgreifenden re-
ionalen Unterschieden zu tun haben. Das betrifft die
irtschaftskraft der Regionen, die sozialen Bedingun-
en et cetera Insbesondere die ehemaligen Grenzregio-
en und die ostdeutschen Länder hinken, was den
eschäftigungsgrad betrifft, hinter dem deutschen
urchschnitt hinterher. Die Folgen sind gravierend. Der
ontinuierliche Wegzug junger, gut ausgebildeter Men-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Juni 2007 10895
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schen, insbesondere von Frauen, führt zu dauerhaften
Verwerfungen, zu einem Prozess, dem wir nicht tatenlos
zuschauen können.
Wir brauchen in Regionen mit unterdurchschnittlicher
Wirtschaftskraft insbesondere in zwei Bereichen eine re-
gional spezifische und zielgenaue Investitionsförde-
rung. Zum einen wollen wir Unternehmen direkt för-
dern. Wir haben speziell in Ostdeutschland zu wenig
Unternehmen. Wir wollen die Bereiche Bildung, For-
schung und Entwicklung stärken und Investitionen auf
diese Zukunftsbereiche konzentrieren.
Wir haben dafür zwei Instrumente zur Verfügung. Die
Investitionszulage halten wir nicht für das geeignete In-
strument. Die Investitionszulage erreicht nicht die Un-
ternehmen, die sie besonders nötig haben. Die Mitnah-
meeffekte sind hoch, die Förderung ist nicht zielgenau
genug. Deshalb haben wir uns in der Vergangenheit ge-
gen die Verlängerung der Investitionszulage ausgespro-
chen.
Wir sprechen uns aber ganz entschieden für den Er-
halt und die Ausgestaltung der Gemeinschaftsaufgabe
aus. Wir müssen uns auf Programme konzentrieren, die
Mitnahmeeffekte vermeiden und gezielt Branchen in Zu-
kunftsbereichen fördern. Die Gemeinschaftsaufgabe ist
ein solches Instrument.
Die Gemeinschaftsaufgabe zielt mitnichten nur auf
Ostdeutschland. Ich habe es bereits erwähnt. Auch die
Grenzregionen profitieren davon. Wir nehmen die Sor-
gen dieser Gemeinden sehr ernst. Deshalb möchte ich an
dieser Stelle auf ein Beispiel besonders gelungener Wirt-
schaftsförderung hinweisen. Der Landkreis Cham hat es
mithilfe der Gemeinschaftsaufgabe geschafft, seine gro-
ßen Arbeitslosigkeitsprobleme zu lösen. Die Wirtschaft
floriert, insbesondere durch die Ansiedlung zukunfts-
orientierter Unternehmen aus Mechatronik, Kommuni-
kations- und Umwelttechnologie. Dementsprechend ist
die Arbeitslosigkeit von 20 Prozent im Jahr 1985 auf
6,4 Prozent im Jahr 2005 gesunken. Eine Erfolgsge-
schichte, die auch an anderer Stelle wiederholbar ist. Da-
für braucht es eine kontinuierliche und verlässliche Aus-
gestaltung der Gemeinschaftsaufgabe. Ich bin froh, dass
dies auch von den Regierungsfraktionen nicht anders ge-
sehen wird.
Wenn wir von Ausgestaltung sprechen, rede ich auch
von veränderten Schwerpunktsetzungen. Ich habe be-
reits darauf hingewiesen. Wir brauchen gezieltere Inves-
titionen in die Bereiche Bildung und Forschung. Ein
weiterer Bereich ist die Ökologieförderung. Eine sinn-
volle Aufgabe wäre es, Ökologiebranchen gezielter zu
fördern. Gerade im Mittelstand gibt es große Potenziale
für Wachstum. Diese sollten wir nutzen.
Was wir nicht brauchen, ist ein stetiger Ausbau der
Infrastruktur in Ostdeutschland. Hier ist in den letzten
Jahren viel passiert. Ostdeutschland hat hier längst den
Anschluss gefunden. Bildung statt Beton lautet die
Handlungsdevise.
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nlage 12
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Reduzierung und Beschleunigung von immis-
sionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren
(Tagesordnungspunkt 23)
Andreas Jung (Konstanz) (CDU/CSU): Wir ent-
cheiden heute über einen Gesetzentwurf des Bundes-
ates, der auf die Reduzierung der materiellen und
erfahrensrechtlichen Anforderungen im Bereich der
mmissionsschutzrechtlichen genehmigungsbedürftigen
nlagen abzielt. Es geht dabei um eine spürbare Entlas-
ung von Industrie und Landwirtschaft von Bürokratie.
rgänzt wird der Gesetzentwurf durch unsere Ände-
ungsanträge, die insbesondere auf Erleichterungen bei
nvestitionen im Bereich von Rinder- und Kälberställen
inwirken.
Im Sinne einer Reduzierung und Beschleunigung von
enehmigungsverfahren werden Änderungen der Rege-
ngen zum Erörterungstermin sowie Änderungen des An-
genkatalogs der 4. BImSchV vorgenommen. Deutlich
eniger Anlagen werden in Zukunft einer immissions-
chutzrechtlichen Genehmigungspflicht unterliegen. Au-
erdem wird die Durchführung von Erörterungsterminen
n Genehmigungsverfahren auf die erforderlichen Fälle
eschränkt. In diesem Kontext erfolgen auch Anpassun-
en im Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung.
Bei diesem Gesetz geht es darum, das umzusetzen,
as wir uns im Koalitionsvertrag vorgenommen haben:
en Abbau von Bürokratie. Wir wollen mehr Freiräume
ür wirtschaftliches Engagement in Deutschland schaf-
en. Gleichzeitig wollen wir das hohe Schutzniveau im
ereich des Umwelt- und Naturschutzes aufrechterhal-
en. Beides gelingt mit diesem Gesetz.
Als Beispiel hierfür will ich die Regelungen für Rin-
er- und Kälberställe nennen: Wir grenzen hier ab zwi-
chen der bäuerlichen Landwirtschaft, die Erleichterun-
en erfährt. Wir erhoffen uns hierdurch einen Schub für
eue Investitionen. Bei Vorhaben, die den Rahmen der
äuerlichen Landwirtschaft überschreiten, werden wei-
erhin die bestehenden Vorschriften zu berücksichtigen
ein. Damit beschränken wir die aufwändigen Verfahren
uf die Fälle, wo sie wirklich notwendig sind.
Mit dem Gesetzentwurf wird die Durchführung von
rörterungsterminen in Genehmigungsverfahren auf die
otwendigen Fälle beschränkt. Die Genehmigungsbe-
örde wird künftig auf der Grundlage der eingegangenen
inwendungen über die Durchführung eines Erörte-
ungstermins entscheiden. Dies ist letztlich Ausdruck
es Grundsatzes der Subsidiarität.
Ich meine, dass dies nicht zu einem qualitativen
ückgang der Möglichkeit der Bürgerinnen und Bürger
ur Beteiligung führen wird. Dort wo tatsächlich Beden-
en bestehen, dort wo faktisch aus der Bürgerschaft Dis-
ussionsbedarf angemeldet wird, dort werden die Behör-
en sicherlich auch in Zukunft einen solchen Termin
10896 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Juni 2007
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durchführen. Die Neuregelung ist damit auch Ausdruck
unseres Vertrauens in eine bürgernahe Verwaltung.
Bürokratieabbau, Umwelt- und Naturschutz und Bür-
gernähe – all dies wird somit in diesem Gesetz in Ein-
klang gebracht. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird
diesem Gesetzentwurf zustimmen.
Dr. Matthias Miersch (SPD): Die eine Seite wird
heute sagen: „Ihr baut Umweltstandards ab“; die andere
Seite wird sagen: „Ihr baut bürokratische Hürden nicht
ausreichend ab.“
Wie so häufig bewegt sich auch das heutige Gesetz
zur Reduzierung und Beschleunigung von immissions-
schutzrechtlichen Genehmigungsverfahren im Span-
nungsfeld zwischen Bürokratieabbau und effektivem
Umweltschutz. Problematisch ist dabei zunächst, dass
sich hinter der Forderung nach Bürokratieabbau häufig
auch der Wunsch nach Standardabsenkungen verbirgt.
Gleichzeitig ist aber auch klar, dass unübersichtliche
Prüfverfahren keine Garanten für effektiven Umwelt-
schutz sind. Zu finden ist also stets ein Ausgleich, der
Adressaten und Gesetzesziel jeweils gerecht wird. Dass
es hier keinen Königsweg gibt, dürfte ebenso klar sein.
Die Bundesregierung und die große Koalition haben
den Bürokratieabbau auf die politische Tagesordnung
gesetzt. Der vorliegende Gesetzentwurf betrifft nun die-
ses Thema. Es gibt dabei mehrere Elemente, die auch
Bestandteil der politischen Verhandlungen und der Stel-
lungnahmen von Verbänden und Interessensgruppen ge-
wesen sind.
Es geht unter anderem um eine verfahrensrechtliche
Änderung: Der obligatorische Erörterungstermin gemäß
Bundes-Immissionsschutzgesetz wird nunmehr in das
Ermessen der Behörde gestellt. Für bestimmte Anlagen
wird die Anlagengenehmigung vom Genehmigungs-
regime des BImSchG in das bauordnungsrechtliche Ge-
nehmigungsverfahren verlagert. Verschiedene Anlagen
werden nun dem vereinfachten Verfahren unterstellt.
Die Meinungen über das Gesetz gehen auseinander:
Bauernverbände wünschen sich bei bestimmten Tierhal-
tungsanlagen überhaupt keine Umweltverträglichkeits-
prüfung mehr, da nach EU-Recht lediglich eine normale
Baugenehmigung ausreiche. Umweltverbände kritisie-
ren unter anderem eine „Diskreditierung der Öffentlich-
keitsbeteiligung“.
Welche Auffassung ist richtig? – Einfache Antworten
gibt es nach unserer Auffassung nicht. Ein paar Dinge
stehen jedoch fest:
Erstens. Die SPD-Fraktion hat durchgesetzt, dass
zwar unter anderem Familienbetriebe im Bereich der
Landwirtschaft von den immissionsrechtlichen Prüfver-
fahren ausgenommen werden. Dabei ist strittig, wie sich
künftig die Größenordnungen entwickeln werden. Fest
steht jedoch, dass die Umweltverträglichkeitsprüfung
bei Großbetrieben erhalten bleibt.
Zweitens. Der Erörterungstermin fällt nicht weg. Das
Ermessen der Behörde wird nunmehr ausschlaggebend
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ein. Das ist eine gesetzliche Regelung, die wir bereits
us dem Infrastrukturbeschleunigungsgesetz kennen.
Drittens. Die Chancen für ein Umweltgesetzbuch
erden durch diese Gesetzesänderung nicht verbessert,
ber auch nicht verschlechtert. Wir kennen die Ge-
chichte der vielen Versuche, ein Umweltgesetzbuch zu
chaffen. Ich denke, wir sind uns alle einig, dass wir nur
emeinsam eine solche Kodifikation des deutschen Um-
eltrechts schaffen können. Ich meine damit auch das
emeinsame Vorgehen von Bund und Ländern. Insoweit
ehe ich in der heutigen Beschlussfassung auch ein Zei-
hen des guten Willens an den Bundesrat, im kooperati-
en Miteinander die Dinge aufzunehmen und umzuset-
en.
Die entscheidende Frage ist jedoch: schaffen wir den
uten Ausgleich in dem von mir eingangs skizzierten
pannungsfeld zwischen Bürokratieabbau und effekti-
em Umweltschutz? Ich meine, dass diese Frage noch
iemand seriös beantworten kann.
Ich will deshalb an dieser Stelle auf die Druck-
ache 16/4690 verweisen: auf das Sondergutachten des
achverständigenrates für Umweltfragen. Ich will nicht
erschweigen, dass sich der Sachverständigenrat kritisch
it der vorliegenden Bundesratsinitiative auseinander-
etzt und auch die Frage der Erörterungstermine proble-
atisiert.
Wir werden über das Sondergutachten noch ausführ-
ich zu sprechen habe; das ist unsere Zukunftsaufgabe.
er Sachverständigenrat hält das Modernisierungspoten-
ial beim Verwaltungsverfahren für erschöpft, wenn ich
s richtig sehe. Andernfalls werden massive Qualitäts-
inbußen befürchtet. Der Vollzug ist bekanntermaßen
ändersache. Es wird jedoch unsere Aufgabe sein, das
erfahrensrecht, den Modernisierungsanspruch und die
truktur der Umweltverwaltungen mit den Zielen des
mweltrechtes zu analysieren. Konkret geht es um fol-
ende Fragen:
Wie wirkt sich die Umstrukturierung der Umweltver-
altungen auf die Entscheidungsqualität aus? Wie wirkt
ich die Verlagerung bestimmter Aufgaben auf die Kom-
unen im Bereich des Baurechts aus? Wie wirkt sich
as Ermessen im Zusammenhang mit dem Erörterungs-
ermin auf die Praxis aus?
Hier brauchen wir handfeste Untersuchungen und Er-
ebnisse. Vorher halte ich eine Vorfestlegung für ver-
rüht. Insofern ist das vorliegende Gesetz so etwas wie
in Test. Ein Test, der dann vielfache Konsequenzen ha-
en kann. Klar muss dabei sein, dass das wichtigste Ziel
as Erreichen hoher Umweltstandards mit effektiven In-
trumentarien bleibt.
In diesem Zusammenhang erlaube ich mir den Hin-
eis, dass Klimaschutz nicht nur mit Vermeidung des
O2-Ausstoßes, sondern auch mit Natur- und Arten-
chutz zu tun hat. Wir werden sehen, ob das Entbürokra-
isierungspotenzial erschöpft ist, ob der fakultative Erör-
erungstermin das Recht der Öffentlichkeit beschneidet
der dazu führt, dass von diesem Angebot nur dann Ge-
rauch gemacht wird, wenn es nützlich ist, sodass die
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Juni 2007 10897
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Kräfte dann auch auf diese wirklich sinnvollen Termine
konzentriert werden können.
Wir werden dabei auch sehen, ob die Adressaten
– also unter anderem die Wirtschaft, die Anlagenbetrei-
ber – mit den Änderungen zufrieden sind. Möglicher-
weise wird sich der Ruf nach einheitlichen Vorgaben von
der Bundesebene verstärken. Hier sind wir gefordert.
Gegebenenfalls müssen Forschungsmittel für die Unter-
suchung zur Verfügung gestellt werden. Mit der Födera-
lismusreform I wird und darf die Debatte über einen wir-
kungsvollen Staatsaufbau im Rahmen eines vereinten
Europas nicht zu Ende sein.
Das sind die zentralen Fragen, die uns auch im Rah-
men der Arbeiten zum UGB beschäftigen müssen und si-
cher weiter beschäftigen werden. Wir sind nach meiner
Einschätzung gut beraten, diese mit Praktikern, Sach-
verständigen und Adressaten im Umweltausschuss zu
erörtern. In ihrer Stellungnahme zum vorliegenden Ge-
setzentwurf weist die Bundesregierung auf die Notwen-
digkeit einer Erfahrungssammlung im Zusammenhang
mit den nun zu beschließenden Änderungen hin. Die
Auswertung muss künftig die eigentliche Aufgabe sein.
Horst Meierhofer (FDP): Über 90 000 Einzelvor-
schriften gibt es mittlerweile in Deutschland. Ein Para-
grafendschungel, in dem der Blick für das Wesentliche
oft verlorengeht. Für die Wirtschaft entstehen dadurch
jährlich rund 46 Milliarden Euro an Bürokratiekosten.
Wir von der FDP begrüßten deshalb das Ziel des Ge-
setzesentwurfes, auch die immissionsschutzrechtlichen
Genehmigungsverfahren auf unnötige Bürokratie hin ab-
zuklopfen. Was Deutschland braucht, ist ein effektiver
Umweltschutz und nicht möglichst viel Bürokratie. Was
wir dabei ausdrücklich nicht wollen, ist: Umweltstan-
dards herunterfahren.
Ich bin froh, dass der Vorschlag des Bundesrates jetzt
auf einem guten Weg ist, mit der einen oder anderen
kleinen Veränderung auch tatsächlich Gesetz zu werden.
Lang genug hat das ja gedauert: Über ein Jahr hing der
Gesetzesentwurf im Bundestag in der Warteschleife. Ein
Zeichen dafür, dass die schwarz-rote Koalition sich nicht
nur bei Gesundheit, Pflege oder Mindestlohn, sondern
auch beim Umfang des Entbürokratisierungspotenzials
nicht einig ist.
Noch einmal betonen möchte ich an dieser Stelle
auch, dass die Unentschlossenheit der großen Koalition
zu erheblichen Rechts- und Planungsunsicherheiten der
Betroffenen beigetragen hat.
Nichtsdestotrotz: Die FDP unterstützt das geplante
Gesetz. Bei Wahrung anspruchvoller Umweltstandards
werden immissionsschutzrechtliche Genehmigungsver-
fahren von unnötigem Ballast befreit. Überregulierungen
werden auf europäische Vorgaben zurückgefahren. In-
dustrie und Landwirtschaft werden dadurch spürbar ent-
lastet. Das ist richtig.
Konkret heißt das: Der Gesetzesentwurf will zum ei-
nen das förmliche Verfahren vereinfachen. Zum anderen
soll die Zahl der Verfahren insgesamt reduziert werden.
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nlagen, deren Umweltrelevanz gering ist, sollen künf-
ig nicht mehr nach Immissionsschutzrecht, sondern
ach Baurecht genehmigt werden.
Wir Liberale sind der Ansicht, die vorgesehenen Er-
eichterungen im Verfahrensrecht sind ein geeigneter
ompromiss. Verfahren werden ein Stück weit beschleu-
igt und verschlankt, ohne dabei die Einflussmöglich-
eiten der Bevölkerung unangemessen zu begrenzen.
as ist uns Liberalen wichtig. Schließlich ist die Beteili-
ung der Öffentlichkeit nicht nur ein lästiges Pflichtpro-
ramm, das lediglich dazu dient, Verfahren unnötig in
ie Länge zu ziehen. Im Gegenteil: Für uns Liberale gilt
mmer noch, das nur der informierte Bürger ein mündi-
er Bürger ist.
Und trotzdem ist es hier richtig, die Entscheidung, ob
n förmlichen Verfahren ein Erörterungstermin stattfin-
en soll, in das Ermessen der Behörden zu stellen. Das
eißt im Übrigen nicht, dass in den förmlichen Verfahren
ie Öffentlichkeit nicht mehr zu beteiligen ist. Es geht
inzig und allein darum, dort, wo es sinnvoll ist, auf die
rganisatorisch meist aufwendigen Erörterungstermine
u verzichten. Selbstverständlich können die Bürger
uch in diesen Fällen nach wie vor Einwendungen erhe-
en.
Ich bin sicher: Die Behörden können richtig beurtei-
en, wann die Durchführung eines Erörterungstermins
otwendig und sinnvoll ist und wann nicht. Und in den
ällen, in denen das nicht der Fall ist, kann eben unnöti-
er Verwaltungsaufwand vermieden und die Dauer des
enehmigungsverfahrens verkürzt werden.
Was wir nicht wollen, ist, dass regelmäßig ganze Hal-
en zum Abhalten von Erörterungsterminen angemietet
erden müssen und nachher kommt keiner; das gibt es
ämlich auch.
Besonders hervorheben möchte ich an dieser Stelle
och einmal die landwirtschaftlichen Verfahren, und hier
nsbesondere die Regelungen zu den Kälber- und Rin-
erställen. Ich begrüße, dass wir im Ausschuss hier noch
inen Schritt weiter gegangen sind als der ursprüngliche
ntwurf des Bundesrates. Die Freistellung von den
örmlichen Genehmigungsverfahren und die nochmalige
nhebung der Stellplatzzahlen bei Rinder- und Kälber-
tällen im einfachen Verfahren ist definitiv ein Schritt in
ie richtige Richtung. Zwar wäre unserer Auffassung
ach eine vollkommene Freistellung die richtige Ant-
ort auf eine Eins-zu-eins-Umsetzung europäischer
tandards gewesen. Dennoch ist die jetzige Fassung des
esetzesentwurfs eine Verbesserung.
Insgesamt werden wir dem Gesetzesentwurf deshalb
ls einem Schritt in die richtige Richtung hin zu mehr
ntbürokratisierung und Vereinfachung zustimmen.
Lutz Heilmann (DIE LINKE): Lange Zeit hat die
oalition uns signalisiert, dieser Gesetzentwurf des
undesrates werde auf keinen Fall verabschiedet. Dann
ing es plötzlich ganz schnell. Und zu allem Überfluss
acht die Koalition das Gesetz noch schlechter, als es
hnehin schon war.
10898 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Juni 2007
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Besonders dreist ist der Zeitpunkt, an dem die Koali-
tion dieses Gesetz verabschiedet; es liegt ja bereits seit
April letzten Jahres vor. Für den Sommer 2007 hat das
BMU den Entwurf für ein Umweltgesetzbuch angekün-
digt. Dieser hat heute begonnen.
Über ein Umweltgesetzbuch, also die Zusammen-
führung des bislang zersplitterten Umweltrechts, wird
bereits seit Jahrzehnten diskutiert. Deswegen ist das
Umweltgesetzbuch das große Projekt des Umweltminis-
teriums in dieser Legislaturperiode. Kern dieses Um-
weltgesetzbuches soll die Anlagengenehmigung sein,
also zum Beispiel die Genehmigung von Industrieanla-
gen, von Müllverbrennungsanlagen und Anlagen zur
Massentierhaltung.
Mit diesem Gesetz greift die Koalition nun so massiv
in die Anlagengenehmigung ein, dass sie das UGB damit
weitgehend überflüssig macht. Eigentlich kann das
BMU morgen die Arbeiten am UGB wieder einstellen.
Ich befürchte aber, dass die Koalition mit diesem Gesetz
nicht dem UGB widerspricht, sondern damit die Leitli-
nie für das UGB vorgeben will, die da heißt: massiver
Abbau von Umweltstandards. Es ist der eindeutigste Be-
weis, dass die Koalition alles, was nicht zwingend vom
EU-Recht vorgegeben ist, systematisch abbaut; das steht
sogar explizit in einigen Änderungsanträgen der Koali-
tion.
Was tut die Koalition genau?
Erstens stellt sie den Genehmigungsbehörden frei, ob
sie zukünftig einen Erörterungstermin ansetzt. Das Glei-
che wurde bereits letztes Jahr für Infrastrukturvorhaben
beschlossen. Damit vertun Sie unnötig die große
Chance, im Zuge des UGB die Genehmigungsverfahren
endlich neu zu gestalten. Wir brauchen eine umfassende
und frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung, keinen Ab-
bau!
Uns wirft man Demokratiedefizite vor, die Koalition
baut selber massiv und systematisch Bürgerrechte ab.
Das ist eine verlogene Politik.
Zweitens will die Koalition, dass wesentlich weniger
Anlagen zur Tierhaltung und Abfallbehandlung einer
Umweltverträglichkeitsprüfungen unterworfen werden
als bislang. In einigen Fällen ist das eher lächerlich. So
gibt es eine UVP-Pflicht für die Mastgeflügelhaltung zu-
künftig statt bei 84 000 Tieren erst bei 85 000. In ande-
ren Fällen ist das aber dramatisch: Während früher ab
350 Rindern und Kälbern zwingend eine UVP durchzu-
führen war, entfällt dies nun völlig. Warum? Eine UVP-
Pflicht ist für die Rinder- und Kälberhaltung nicht vorge-
schrieben. Deswegen findet zukünftig erst ab 800 Rindern
eine Vorprüfung statt. Und erst ab 600 – bisher 250 –
muss eine standortbezogene UVP durchgeführt werden.
Der Bundesrat war da übrigens noch maßvoll. Das geht
auf die Kappe der Koalition.
Drittens führt die Koalition die wesentlich schwäche-
ren Schwellenwerte gleich bei der Anlagengenehmigung
mit ein. Dadurch werden wesentlich weniger Anlagen,
nicht nur zur Tierhaltung und Abfallbehandlung, son-
dern auch aus diversen anderen Branchen zukünftig
keine ordentlichen Genehmigungsverfahren mehr durch-
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aufen müssen. Viele Anlagen müssen nur noch ein ver-
infachtes Verfahren durchlaufen, das ohne Öffentlich-
eitsbeteiligung stattfindet. Vielen Anlagen bleibt selbst
as erspart.
Damit erhöhen Sie die Akzeptanzprobleme von Anla-
en. Denn ein ordnungsgemäß durchgeführtes und ge-
ehmigtes Verfahren gibt Investoren größere Rechtssi-
herheit und Akzeptanz in der Bevölkerung. Deswegen
ühren beispielsweise viele Landwirte für Biogasanlagen
reiwillig ein Genehmigungsverfahren durch.
Dieses Gesetz ist eine schallende Ohrfeige für all
ene, die gehofft hatten, dass das Umweltgesetzbuch eine
erbesserung im Umweltrecht bringen würde. Die Um-
eltverbände haben bereits entsprechend reagiert.
Minister Gabriel sagte kürzlich in einem Interview,
ass es sich für die deutschen Unternehmen auszahlt,
ass wir bei uns anspruchsvolle Umweltstandards haben.
ir hatten anspruchsvolle Umweltstandards. Herr
abriel sagte außerdem wiederholt, dass im Zuge des
GB keine Umweltstandards abgebaut werden sollen.
ntweder die Koalition beschließt dieses Gesetz ohne
eine Zustimmung oder er trägt es stillschweigend mit.
eides wäre ein Armutszeugnis. Ist er ein schwacher
inister, der sich gegen seine Koalition nicht durchset-
en kann? Oder ist er gar ein Lügner?
Wenn die Damen und Herrn von der Koalition dieses
esetz verabschieden, dann sollte das Umweltministe-
ium die Arbeit am Umweltgesetzbuch lieber sofort ein-
tellen. Denn für das UGB befürchte ich vom heutigen
ag an nur noch das Schlimmste, einen Großangriff auf
mweltstandards.
Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
er Entwurf eines Gesetzes zur Reduzierung und Be-
chleunigung von immissionsschutzrechtlichen Geneh-
igungsverfahren ist eine weitere Maßnahme der gro-
en Koalition in Bundestag und Bundesrat, die Rechte
er Öffentlichkeit auf Information, Teilhabe und Ein-
lussnahme beschneidet.
Es geht bei der sogenannten Planungsbeschleunigung
eineswegs darum, ein in Deutschland auffällig schlep-
endes, intransparentes und Investoren verschreckendes
lanungswesen zu zerschlagen. Nein, ganz im Gegen-
eil: Deutschland ist bei der Genehmigung von Anlagen
nternationale Spitze. Unsere Verwaltungen genehmigen
n einer Geschwindigkeit, dass mitunter Zweifel an der
iefenqualität der Prüfverfahren aufkommen. Erst im
rühjahr hat der Sachverständigenrat für Umweltfragen
in Sondergutachten vorgelegt, in dem festgestellt wird,
ass weitere Beschleunigungen in der Genehmigungs-
raxis in Deutschland zu deutlichen qualitativen Ein-
chränkungen beim Prüfverfahren führen.
Will die Koalition also in Wahrheit gegen die Um-
eltbelange regieren und dem hohen Stellenwert des
mweltschutzes in Deutschland weiter Stück für Stück
ntgegenwirken? Wissenschaftlich jedenfalls ist es ein-
eutig, dass es keinen Anlass für diese Politik des Ab-
aus von Umweltstandards unter dem Deckmäntelchen
iner angeblich notwendigen Verfahrensbeschleunigung
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Juni 2007 10899
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gibt. Der von uns allen sehr geschätzte Sachverständi-
genrat für Umweltfragen schreibt dazu in einem Sonder-
gutachten:
Der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU)
hat bereits mehrfach betont, dass die maßgebliche
politische Rechtfertigung für die Beschleunigungs-
maßnahmen einer tragfähigen empirischen Grund-
lage entbehrt. Weder ist eine übermäßig lange
Dauer der deutschen Zulassungsverfahren für Infra-
struktur- und Industrieanlagen festgestellt worden
noch sprechen die Ergebnisse empirischer Studien
dafür, dass im Allgemeinen ein relevanter Zusam-
menhang zwischen der Verfahrensdauer und der
Standortwahl von Investoren besteht.
Um was geht es also der großen Koalition mit ihrem
Beschneiden der erreichten Umweltstandards? Ich kann
mich der Vermutung nicht erwehren, dass Ihnen Errun-
genschaften der rot-grünen Regierungszeit wie ein Dorn
im Auge erscheinen. Um im Bild zu bleiben: Dornen ha-
ben eine wichtige Funktion in der Natur; sie schützen!
Die erreichten Umweltstandards sind in keinem Auge
ein Dorn, sondern viel eher zu vergleichen mit einem
blühenden wunderschönen Rosenbusch, dessen Dornen
uns vor schädlichen Eindringlingen bewahren. Diese
Rosen gilt es zu pflegen und zu bewahren. Es war ein
Schelm, der den Bock zum Gärtner gemacht hat; sicher
war es kein kluger Politiker.
Aber Spaß beiseite. Auch die Umweltverbände sind
in ihrer Kritik eindeutig. In einem gemeinsamen offenen
Brief wird der Umweltminister zitiert, der stets betont
habe, dass erreichte Standards nicht abgebaut würden.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird aus Sicht von
Umweltverbänden „das Vorhaben der Schaffung eines
einheitlichen Umweltrechts diskreditiert“.
Hinzuzufügen ist an dieser Stelle, dass die große Ko-
alition in Uraltfehler zurückfällt. In der Landwirtschaft
sollen größere Anlagen nach einfachem Verfahren ge-
nehmigt werden. Am liebsten wäre ihr vermutlich, wenn
die Umweltverträglichkeitsprüfung ganz wegfallen
könnte; davor bewahrt uns glücklicherweise das EU-
Recht. Aber sicher können wir uns bei dieser Koalition
nicht sein, denn bei der Öffentlichkeitsbeteiligung schert
sie sich nicht um geltendes EU-Recht. Anstatt eine um-
fängliche Informationspflicht einzurichten und die Öf-
fentlichkeit in Planungsvorhaben zu einem Zeitpunkt
einzubeziehen, an dem noch alle Optionen offen sind,
wird das Gegenteil ins Gesetz geschrieben. Nachbarn
sollen erst von einem neuen Schweinestall oder einer
neuen Legebatterie erfahren, wenn sie bereits gebaut
wird. Ein möglicher Einfluss der Öffentlichkeit auf An-
lagenplanungen wird damit ausgeschaltet.
Die Grünen haben ganz im Gegensatz zur großen Ko-
alition kein Misstrauen gegenüber der Meinung der Öf-
fentlichkeit. Wir sehen in ihrer Beteiligung an staatlicher
Entscheidungsfindung einen demokratischen Grundpfei-
ler, für den wir weiterhin kämpfen werden. Wir lehnen
den Gesetzentwurf aus dieser Überzeugung heraus rund-
weg ab.
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nlage 13
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Waffengesetzes (Tagesordnungs-
punkt 24)
einhard Grindel (CDU/CSU): Es ist nicht zu bestrei-
en: Leider häufen sich in letzter Zeit die Fälle, bei denen
m Rahmen von Messerstechereien Personen schwer
erletzt oder sogar getötet wurden. Oftmals sind dabei
rsprünglich völlig Unbeteiligte betroffen, die eigentlich
treit schlichten oder Opfern zu Hilfe kommen wollten.
ir machen die Erfahrung, dass Täter, die dann ein Mes-
er dabei haben, es leider viel zu häufig tatsächlich
insetzen. Das ist ein Aspekt wachsender Brutalität auf
nseren Straßen, die übrigens gerade auch von Jugendli-
hen ausgeübt wird.
Wir müssen auf diese neuen Herausforderungen auch
eue Antworten geben. Der Staat muss dieser zuneh-
enden Gewaltbereitschaft, insbesondere der Gewalt
it Waffen, entschieden entgegentreten. Es ist hier auch
eboten, neue Wege zu beschreiten, wenn dadurch eine
erbesserung der öffentlichen Sicherheit in den betroffe-
en Straßen und auf Plätzen erreicht werden kann.
Insoweit war die Initiative Hamburgs im Bundesrat
ur Änderung des Waffengesetzes ein solcher Versuch
ines neuen Weges. Durch die Einführung einer Öff-
ungsklausel sollen die Landesregierungen ermächtigt
erden, im Wege einer Rechtsverordnung in bestimmten
ffentlichen Straßen, Wegen oder auf Plätzen das Führen
on allen Waffen im Sinne des Waffengesetzes zu ver-
ieten.
Der Bundesrat hat sich für diesen Weg des Verbots
es Führens von Waffen entschieden, wie es der § 42 des
affengesetzes bereits für Messen, Märkte und ähnliche
eranstaltungen kennt, weil eine Erweiterung des Ver-
otskatalogs des Waffengesetzes wahrscheinlich nur zu
inem Ausweichen auf andere Waffen oder Gegenstände
eführt hätte.
Zielführender ist dann schon ein Verbot des Führens
on Waffen an bestimmten öffentlichen Orten. Nun be-
urfte die durch den Bundesrat verabschiedete Formulie-
ung eines neuen § 42 Abs. 5 Waffengesetz nach Auffas-
ung der Bundesregierung aber einer gewissen
räzisierung. Es freut mich deshalb sehr, dass es im
rühjahr nach intensiven Gesprächen zwischen den
xperten des BMI, des BMJ und der Behörde für Inneres
n Hamburg gelungen ist, zu einer Neuformulierung zu
ommen, die wir im Rahmen der Beratungen dieses Ge-
etzentwurfs im Innenausschuss als Antrag der Koali-
ionsfraktionen einbringen und dann dort auch verab-
chiedet werden.
Voraussetzung für das Verbot des Führens von Waffen
oll jetzt sein, dass an den Verbotsorten wiederholt Straf-
aten unter Verwendung von Waffen oder Gewaltdelikte
ie zum Beispiel Raubdelikte, Körperverletzungen, Se-
ualdelikte oder Straftaten gegen das Leben begangen
orden sind und auch in Zukunft mit der Begehung sol-
her Straftaten zu rechnen ist.
10900 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Juni 2007
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Die gelegentlich erhobene Forderung, für ganze Stadt-
teile oder gar Städte Waffenverbote auszusprechen oder
alle Hieb- oder Stoßwaffen zu verbieten, ist unrealistisch.
Bei genauer Analyse stellt sich die Kriminalitätsentwick-
lung nämlich sehr unterschiedlich dar und würde derartig
umfassende Verbote, die zudem durch umfängliche Aus-
nahmetatbestände flankiert werden müssten, wohl auch
nicht begründen können. Auch in der jetzt gemeinsam
gefundenen Formulierung des neuen § 42 Abs. 5 Waffen-
gesetz sind Ausnahmetatbestände für Anwohner oder
Gewerbetreibende vorgesehen, soweit eine Gefährdung
der öffentlichen Sicherheit nicht zu besorgen ist.
Ich will auch ansprechen, dass es gewisse Bedenken
gab, den Ländern durch diese Öffnungsklausel Gestal-
tungsmöglichkeiten einzuräumen, die grundsätzlich die
Gefahr eines waffenrechtlichen Flickenteppichs in
Deutschland in sich bergen. Ich halte dieses Vorgehen
aber für verantwortbar, weil es schließlich auch die Län-
der sind, die für das Polizei- und Ordnungsrecht und da-
mit die allgemeine Gefahrenabwehr zuständig sind. Sie
können am besten einschätzen, an welchen Orten eine
solche Maßnahme der Gewaltprävention sinnvoll ist. In-
sofern besteht eine Parallele zur Videoüberwachung von
Kriminalitätsschwerpunkten, die ohne Weiteres auf Ge-
fahrenabwehrrecht gestützt wird. Es ist schon aus Anlass
der Videoüberwachung zu einer auf einer breiten Daten-
grundlage fußenden genauen Analyse von Kriminalitäts-
schwerpunkten gekommen. Gerade mit Bezug auf diese
inzwischen sehr erfolgreich genutzte Maßnahme unter-
streiche ich, wie positiv die Zielrichtung der Hamburger
Initiative ist. Es wird kein Problem sein, eine genaue
Analyse der Straßen und Plätze vorzunehmen, bei denen
es besonders häufig zu einem Einsatz von Messern im
Rahmen von Gewaltdelikten gekommen ist. Insofern
wird man – ohne Prophet zu sein – sicher sagen können,
dass die Reeperbahn auf diese Art und Weise nun zur
waffenfreien Zone wird, was der Sicherheit nur guttun
kann.
Wir dürfen auch nicht nur reagieren, wenn etwas pas-
siert ist, und dann wieder zur Tagesordnung übergehen.
Insoweit hoffe ich auch auf die Unterstützung der Bun-
desratsinitiative durch die Grünen. Es war schließlich ihr
Innenpolitiker hier im Berliner Abgeordnetenhaus,
Volker Ratzmann, der nach einer Messerattacke in Ber-
lin-Tegel, am Tegeler See, erklärt hat – siehe „Tagesspie-
gel“ vom 13. Juni 2007 –: „Man sollte Optionen für Län-
der und Ballungsräume schaffen, damit diese nach
eigenen Bedürfnissen Verbote erteilen können.“
Genau dies tun wir jetzt. Damit wird die Gewaltkrimi-
nalität nicht beseitigt, aber doch eingedämmt werden
können. Das Beispiel des Rückgangs der schweren
Straftaten an videoüberwachten Orten beweist das. Inso-
fern unternehmen wir hier keinen Schnellschuss, son-
dern geben den Ländern ein Mittel in die Hand, damit sie
ihrer Aufgabe zur Gefahrenabwehr gerecht werden kön-
nen.
Wir warten mit diesem Gesetzentwurf auch nicht die
geplante und durch die Bundesregierung in Vorbereitung
befindliche Novelle des Waffengesetzes ab. Diese No-
velle kann sich noch bis zum Ende des Jahres hinziehen.
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ir wollen die Länder aber zügig unterstützen, und des-
alb ziehen wir diese Änderung des Waffengesetzes jetzt
or.
Der neue § 42 Abs. 5 Waffengesetz ist kein Allheil-
ittel. Er kann aber in Verbindung mit anderen Maßnah-
en einen Beitrag für mehr innere Sicherheit leisten. Ich
ill nur darauf verweisen, dass die Länder durch eine
efahrenabwehrverordnung auf der Grundlage ihrer
OGs zum Beispiel auch das Verbot des Führens von de-
iktsrelevanten Gegenständen wie Fahrtenmessern oder
aseballschlägern verbieten sollten.
Die Länder müssen selbstverständlich auch nach
chaffung der neuen Rechtsgrundlagen für einen effekti-
en Vollzug der Rechtsänderungen sorgen. Ein denkba-
es Mittel ist dabei die Durchführung von Schwerpunkt-
ontrollen, damit sich das Verbot des Führens von
affen auch bei denen, die es angeht, herumspricht.
Die gestiegene Gewaltkriminalität erfordert es, neue
ege zu gehen und neue Maßnahmen zu ergreifen. Die
on Hamburg angestoßene Bundesratsinitiative wird
etztlich auch das Vertrauen der Bürger in die Hand-
ungsfähigkeit des Staates stärken.
Gabriele Fograscher (SPD): Das Waffenrecht ist
ine sensible Materie. Diejenigen, die legal Waffen be-
itzen, wie zum Beispiel die Jäger und Schützen, be-
ürchten immer neue Verbote und mehr Bürokratie. Dem
egenüber steht aber das Sicherheitsbedürfnis der Bevöl-
erung. Dabei können wir im Waffenrecht immer nur
en legalen Waffenbesitz regeln, der illegale Waffenbe-
itz hingegen ist weit gefährlicher und schwer zu kon-
rollieren.
Heute beraten wir einen Gesetzentwurf des Bundesra-
es zur Änderung des Waffengesetzes, der nur einen As-
ekt, nämlich das Tragen von Waffen und gefährlichen
egenständen neu regeln soll. Hintergrund dieser Initia-
ive der Hansestadt Hamburg sind Messerstechereien
nd andere gefährliche oder verletzende Waffeneinsätze,
ie dort regelmäßig stattfinden. Allein am ersten Sep-
emberwochenende 2005 wurden in Hamburg bei meh-
eren Messerattacken insgesamt 13 Personen verletzt, al-
ein acht durch einen Amoklauf in einer Kiezkneipe.
Deshalb sieht der Gesetzentwurf Änderungen des
affengesetzes vor, um waffenfreie Zonen an Brenn-
unkten gewaltbereiter Szenen zu schaffen. Durch die
infügung einer Öffnungsklausel sollen die Landesre-
ierungen ermächtigt werden, auf dem Wege einer
echtsverordnung in bestimmten öffentlichen Straßen
as Führen aller Waffen im Sinne des Waffengesetzes zu
erbieten. Voraussetzung dafür ist, dass es an diesen Or-
en schon wiederholt zu Gewaltdelikten gekommen ist
nd dass auch in Zukunft dort mit Straftaten zu rechnen
t.
Für meine Fraktion stelle ich fest, dass wir das Anlie-
en und das Ziel des Gesetzentwurfes begrüßen. Jedoch
da stimme ich der Stellungnahme der Bundesregierung
u – genügt der Bundesratsentwurf nicht dem Bestimmt-
eitsgebot. Deshalb werden wir die Straftatbestände
urch einen Änderungsantrag präzisieren, denn der Be-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Juni 2007 10901
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griff „Gewalttat“ ist zu unbestimmt. Auch muss die Ver-
hältnismäßigkeit gewahrt bleiben, deshalb sollte man in
der Rechtsverordnung allgemein oder in Einzelfällen
Ausnahmen für Inhaber waffenrechtlicher Erlaubnisse,
Anwohner und Gewerbetreibende zulassen, solange von
ihnen keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit aus-
geht. Der Verstoß gegen ein solches Verbot soll als Ord-
nungswidrigkeit ausgestaltet werden.
Nur mit einem Bündel von Maßnahmen kann es ge-
lingen, solche Kriminalitätsschwerpunkte zu entschär-
fen. Dazu gehören unter anderem die hier zu schaffende
Möglichkeit von waffenfreien Zonen, die Videoüberwa-
chung, eine stärkere Polizeipräsenz und lageabhängige
Kontrollen durch die Polizei.
Infrage stellen könnte man, ob es dieser Waffen-
rechtsänderung wirklich bedarf. Die landesrechtliche
Kompetenz zur Gefahrenabwehr könnte solche Waffen-
verbote durchaus auf der Grundlage des Polizeirechts
aussprechen. Die Koalitionsfraktionen werden sich aber
dem Wunsch der Länder nach einer zusätzlichen Mög-
lichkeit zur Schaffung von waffenfreien Zonen nicht wi-
dersetzen.
Wir sehen aber noch in anderen Bereichen des Waf-
fenrechts Handlungsbedarf. Deshalb werden wir im
Herbst das 2002 verabschiedete Waffenrecht an einigen
Stellen ergänzen und präzisieren. Dazu gehört zum Bei-
spiel das Verbot des Führens von Anscheinswaffen in
der Öffentlichkeit. Anscheinswaffen sind Waffen, die
echten Waffen täuschend ähnlich sehen, auch wenn es
nur um eine Art „Spielzeugwaffe“ oder ein Waffenmo-
dell handelt. Dies kann zum Beispiel ein Polizist, der mit
einer solchen Anscheinswaffe bedroht wird, nicht erken-
nen. Die Folgen könnten gravierend sein. Das sieht auch
die Gewerkschaft der Polizei so, die sich für ein Verbot
des Tragens von Anscheinswaffen einsetzt; denn die An-
scheinswaffen sind vom Gewicht, vom Aussehen oder
Anfassen her meist nicht mehr von echten Waffen zu un-
terscheiden.
Zu überlegen ist auch, ob man nicht Gegenstände wie
zum Beispiel Baseballschläger oder Dolche mit in die
Reihe der gefährlichen Gegenstände aufnimmt. Ich
hielte so etwas für richtig, denn wozu nimmt jemand, der
zum Beispiel aufs Münchener Oktoberfest geht, einen
Baseballschläger oder einen Dolch mit?
Auch das sogenannte Erbenprivileg muss neu gere-
gelt werden, da es bei der letzten Novelle 2002 auf fünf
Jahre befristet wurde. In diesen fünf Jahren wurde der
Industrie Zeit eingeräumt, technische Möglichkeiten zu
entwickeln, geerbten Waffen durch ein Blockiersystem
die Schießfähigkeit nehmen, ohne sie zu zerstören.
Bei der anstehenden Novelle des Waffenrechts wer-
den wir darum bemüht sein, dass ein Kompromiss ge-
funden wird zwischen den Sicherheitsinteressen des
Staates und der Bürgerinnen und Bürger und den berech-
tigten Belangen insbesondere von Jägern, Sportschützen
und Sammlern.
Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): In der zweiten
Juniwoche ermordete in Berlin ein 17-Jähriger einen
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ungen Mann, der ihn wegen Abfallrüpelei zur Rede ge-
tellt hatte. Der Mord geschah mit einem Messer, das im
eutschen Waffenrecht zwar als gefährlich, aber legal
ingestuft ist. In der Folge liegt uns nun hier ein bereits
twas älterer Gesetzentwurf aus dem Bundesrat vor, der
ie Möglichkeit schaffen soll, das Führen solcher als ge-
ährlich, aber legal eingestufter Waffen in bestimmten
onen zu verbieten.
Zunächst einmal muss festgestellt werden: Das gel-
ende deutsche Waffenrecht zählt zu den strengsten der
elt. Eine umfassende Verschärfung aus Gründen der
nneren Sicherheit ist grundsätzlich nicht notwendig;
enn die Sicherheitsprobleme entstehen meist nicht
urch die legalen Waffenbesitzer. Sie werden vielmehr
erursacht durch den illegalen Waffenmarkt, der aller-
ings mit Nachdruck bekämpft werden muss. Auch im
ingangs beschriebenen Fall stellt sich die Frage, wie ein
7-Jähriger an eine solche Waffen kommen konnte. Sie
st freilich nicht schwer zu beantworten, und die Presse
at dies in den letzten Tagen auch ausführlich getan. Al-
ersgrenzen im Handel sind leicht zu umgehen.
Wenn sich die Frage stellt, ob das bisherige Waffen-
esetz überhaupt geändert werden muss, dann lässt sich
in triftiger Grund hierfür nach Meinung der FDP allen-
alls darin finden, dass das geltende Waffenrecht sehr
ompliziert ist. Daran hat sich leider durch die letzte
affenrechtsreform der rot-grünen Koalition nichts ge-
ndert. Im Gegenteil: Von Vereinfachung, Entbürokra-
isierung, Rücknahme der Regelungsdichte, mehr Über-
ichtlichkeit und Lesbarkeit konnte keine Rede sein. Die
nübersichtlichen Anhänge blieben, und die zahlreichen
erordnungsermächtigungen, die zulassen, wesentliche
ragen am Parlament vorbei zu regeln, kennzeichnen
eiterhin das Waffenrecht.
Darüber hinaus war der ursprüngliche Inhalt des Ge-
etzentwurfs eindeutig gegen die berechtigten Interessen
er legalen Waffenbesitzer, insbesondere der Sportschüt-
en, der Jäger und der Waffensammler gerichtet. Diese
ruppen sollten mit einem Übermaß an Bürokratie über-
ogen werden, ohne dass dadurch irgendein nennenswer-
er Zugewinn für die innere Sicherheit erzielt worden
äre.
Im Oktober 2001 ermächtigte der Europäische Rat die
U-Kommission, im Namen der Mitgliedsländer das
N-Schusswaffenprotokoll zu unterzeichnen. 2006 legte
ie Kommission einen Entwurf zur Novellierung der
affenrichtlinie vor. Hierdurch soll der Missbrauch des
affenbesitzes bzw. des -gebrauchs stärker eingedämmt
nd restriktiver behandelt werden. Freilich ist von einer
ovellierung des Waffenrechtes zwar seither viel die
ede gewesen, aber bislang hat die Koalition aus Union
nd SPD dem Parlament keinen Entwurf vorgelegt. In-
ofern begrüßt die FDP den Bundesratsentwurf, obwohl
ir noch nicht völlig überzeugt sind, dass das der rich-
ige Weg ist, den Waffenmissbrauch einzudämmen.
Immerhin wird in bestimmten – wohl überwiegend
roßstädtischen – Zonen ein Instrumentarium geschaf-
en, das der Polizei eine frühzeitige Möglichkeit zum
inschreiten geben könnte. Sicherlich wird die Polizei
in solches örtliches Verbot nicht lückenlos durchsetzen
10902 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Juni 2007
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können. Aber wenn sie bei einer Personendurchsuchung
auf eine Waffe stößt, hat sie dann die Möglichkeit, ent-
sprechende Ermittlungen einzuleiten und gegebenenfalls
Sanktionen zu verhängen.
Freilich ist fraglich, ob die eingangs erwähnte Tat so
zu verhindern gewesen wäre. Deshalb muss es weiterge-
hende Anstrengungen geben, das Waffenrecht zu verein-
fachen und es übersichtlicher und praktikabler zu gestal-
ten. Diese Forderung geht in die entgegengesetzte
Richtung zu dem, was als Vorhaben der Bundesregie-
rung zur Umsetzung der EU-Waffenrichtlinie durchgesi-
ckert ist.
Mit immer neuen bürokratischen Pflichten für legale
Waffenbesitzer, mit einem Generalverdacht gegen Sport-
schützen, Jäger und Waffensammler wird keine solche
Untat zu verhindern sein. Aber der Erwerb durch Ju-
gendliche, der Handel und auch das Tragen von Waffen
können erschwert und zugleich die diesbezüglichen Re-
geln vereinfacht werden. Dabei darf es nicht zu neuen
komplizierten, bürokratisch zu beantragenden Ausnah-
meregelungen kommen. Ich bezweifle, dass das Vorha-
ben der EU weiterhilft, die vier Kategorien der EU-Waf-
fenrichtlinie auf nur noch zwei Kategorien – verboten
oder genehmigungspflichtig – zu reduzieren, obwohl es
laut Bericht der Kommission bisher „keine besonderen
Probleme“ damit gegeben hat.
Jedenfalls erwarten wir von der Bundesregierung um-
gehend ein plausibles Konzept, wie sie den unübersicht-
lichen Wust des deutschen Waffenrechts klären will.
Keinesfalls können wir dabei einen Generalverdacht ge-
gen Sportschützen, Jäger und Waffensammler akzeptie-
ren, denn das Problem der zunehmenden Gewalttaten
geht ja gerade nicht von diesen Personengruppen aus.
Die Antwort auf dieses Problem, die der Rechtsstaat
geben muss, geht weit über eine waffenrechtliche Pro-
blemstellung hinaus. Es hat mit dem kausalen und auch
temporären Zusammenhang von Straftat und Strafe, vor
allem aber auch mit dem umfassenden und von der Bun-
desregierung sträflich vernachlässigten Feld der Krimi-
nalprävention zu tun. In diesem Sinne wird die FDP die
weiteren Beratungen der vorliegenden Bundesratsinitia-
tive mit kritischem Wohlwollen begleiten.
Petra Pau (DIE LINKE): Das Gesetz, das zur De-
batte steht, soll das Mitführen von gefährlichen Gegen-
ständen, die nicht als Waffen gelten, verbieten. Es geht
um Gegenstände, die geeignet sind, als Waffen ge-
braucht zu werden, etwa Baseballkeulen oder Messer. Es
geht um ein Verbot für Orte, an denen Gewalt besonders
häufig anzutreffen ist. Explizit genannt wird die Reeper-
bahn in Hamburg. Ein entsprechendes Verbot soll durch
die Polizei oder durch andere befugte Behörden erlassen
werden können.
Aus Sicht der Fraktion Die Linke ist der beschriebene
Vorschlag eine Scheinlösung. Er ändert das Waffenge-
setz nicht. Er räumt der Polizei aber eine partielle Gene-
ralvollmacht ein. Und er versucht, mit zweifelhaften
Verboten soziale Konflikte zu befrieden.
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Ich will das einmal auf meine Heimatstadt Berlin
bersetzen. In der Diktion der Gesetzesvorlage könnte
in Hammer oder ein Korkenzieher in Zehlendorf ein
ützliches Werkzeug sein, in Neukölln aber eine gefähr-
iche Waffe. Ich halte das für absurd.
Wir lehnen das Gesetz aber auch aus einem anderen
rund ab. Es schreibt nämlich vor, dass genau belegt
erden müsse, welche Orte als besonders gewaltträchtig
elten und warum. Das klingt beim ersten Hinhören lo-
isch und nachvollziehbar. De facto zielt es aber auf
ehr Videokameras, auf mehr verdeckte Ermittlungen,
uf mehr Überwachung. Damit würde ein genereller
rend unterstützt, den wir ablehnen – nämlich der Um-
au des demokratischen Rechtsstaates zu einem präven-
iven Sicherheitsstaat.
Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/DIE
RÜNEN): Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht über
esserattacken berichtet wird. So wurde erst vor weni-
en Tagen an einer Badestelle in Berlin-Reinickendorf
in 23-jähriger Mann durch einen Stich mit einem Mes-
er getötet. Dieser tödliche Messerangriff eines 17-Jähri-
en brachte wieder einmal Bewegung in die Diskussion
ber das Waffenrecht. So forderte der Berliner Innen-
enator Körting erneut, Waffen und waffenähnliche Ge-
enstände generell zu verbieten. Es sind diese erschre-
kenden Berichte aus den Ländern von schweren
ewalttaten mit Messern, die den Bundesrat veranlasst
aben, den Bundestag zu einer weiteren Verschärfung
es Waffenrechts aufzufordern.
Die rot-grüne Bundesregierung hatte bereits 2003 das
affengesetz verschärft, die meisten Messer dürfen be-
eits heute nicht in der Öffentlichkeit mitgeführt werden.
er Bundesrat greift jetzt eine Hamburger Initiative auf,
as Tragen von Waffen in besonders gefährlichen Ge-
enden zu verbieten. Ich bin nicht davon überzeugt, dass
iese Öffnungsklausel für die Länder tatsächlich dazu
ühren wird, dass die Straftaten mit Messern oder ande-
en gefährlichen Waffen reduziert werden. Eine Geset-
esverschärfung allein wird nicht den gewünschten Er-
olg bringen.
Wir brauchen eine Kultur der waffenfreien öffentli-
hen Räume. Hier müssen die Länder gemeinsam mit
ltern, Schulen, Freizeiteinrichtungen und Streetwor-
ern Konzepte entwickeln, wie die Entwaffnung gerade
on jungen Männern durchgesetzt werden kann. Gerade
ei ethnischen Minderheiten ist das Messer in der Tasche
eil einer verfehlten männlichen Kultur. Hier muss mit
esellschaftspolitischen Mitteln deutlich vermittelt wer-
en, dass Konflikte in der Zivilgesellschaft ohne Gewalt
nd ohne Waffen ausgetragen werden müssen. Wir tole-
ieren diese männliche Machogewalt nicht. Die Poli-
eien der Länder müssen in die Lage versetzt werden,
as Waffenverbot tatsächlich durchzusetzen. Bislang ist
ies in den großstädtischen sozialen Brennpunkten nicht
inmal ernsthaft versucht worden.
Trotz dieser Skepsis wollen wir uns dem Vorhaben
icht verschließen. An die Bewaffnung im Alltag wollen
ir uns nicht gewöhnen. Zu oft bleibt das Messer nicht
n der Tasche, die erschreckende Zunahme von schweren
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Juni 2007 10903
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Körperverletzungen mit Messern und anderen gefährli-
chen Waffen wollen wir nicht tatenlos hinnehmen. Ich
erinnere hier an die Regelung des § 2 Abs. 3 des Ver-
sammlungsgesetzes, die das Tragen von Waffen oder
sonstigen Gegenständen verbietet, die Menschen verlet-
zen können. Diese Regelung ist auch nicht zahnlos. § 27
Abs. 1 sieht hier einen Strafrahmen von bis zu einem
Jahr Freiheitsstrafe vor. Das Beispiel des Versamm-
lungsrechts macht deutlich, dass wir im geltenden Recht
schon seit langem waffenfreie Bereiche kennen.
Warum soll in Diskotheken, Schulen und auf öffentli-
chen Plätzen nicht das Gleiche gelten, wie bei Versamm-
lungen? Wo Menschen im öffentlichen Raum zusam-
menkommen, haben Waffen nichts zu suchen! Hier
müssen wir endlich einmal klar und konsequent handeln.
An dieser Stelle kommt gemeinhin das Gegenargument:
„Wir dürfen doch den Transport eines Küchenmessers
vom Kaufhaus in die Wohnung nicht kriminalisieren“.
Dieser Einwand ist auf den ersten Blick richtig, bei nä-
herem Hinsehen ist er eine Ausrede. Zunächst einmal:
wer geht schon mit dem Brotmesser in die Schule oder
in die Diskothek? Zum Zweiten: warum soll es nicht
möglich sein, im Geschäft selbst die Messer sicher und
womöglich auch versiegelt zu verpacken. Auf diese
Weise lassen sich diese Gegenstände ohne Gefahr für an-
dere sicher und gefahrlos transportieren.
Der großen Koalition fehlt der Mut, sich gegen die
Waffenlobby durchzusetzen. Durch die Mehrheiten im
Bundestag und Bundesrat besteht jetzt die Möglichkeit,
Das ist der rot-grünen Koalition an einigen Stellen nicht
gelungen, weil sich die Länder quergelegt haben.
In das neue Waffenrecht muss endlich auch ein Verbot
für das Führen von Anscheinswaffen aufgenommen wer-
den. Anscheinswaffen sind nach wie vor frei verkäuf-
lich, sie sind den echten Waffen täuschend ähnlich und
stellen eine erhebliche Gefahr dar. Sie führen in der Pra-
xis zu tragischen Verwechslungen. Polizeibeamte kön-
nen in einer vermeintlichen Bedrohungslage falsch rea-
gieren – mit womöglich tödlichen Folgen! Auch für
Kinder und Jugendliche ist es kein Problem, ganz legal
in den Besitz dieser sogenannten Softair-Waffen zu kom-
men. Sie sind aber kein harmloses Spielzeug. Geschosse
mit einer Mündungsenergie von bis zu 0,5 Joule können
zu schweren Verletzungen führen.
Es ist auch an der Zeit, die Regelungen für den 2002
eingeführten sogenannten kleinen Waffenschein nach
§ 10 Abs. 4 Satz 4 des Waffengesetzes zu verschärfen.
Es reicht nicht, lediglich für das „Führen“ von Signal-,
Reizstoff- und Schreckschusswaffen außerhalb der eige-
nen Wohnung den Nachweis der persönlichen Zuverläs-
sigkeit zu verlangen. Die gleichen Voraussetzungen
müssen auch für den Erwerb dieser Waffen gelten.
Die Zunahme der Gewaltdelikte fordert ernsthafte
Konsequenzen auch im Waffenrecht. Symbolische Ge-
setzesänderungen, die folgenlos bleiben, reichen hier
nicht aus. Lassen Sie uns im Innenausschuss ernsthaft
darüber diskutieren, wie wir eine Kultur der waffen-
freien öffentlichen Räume nicht nur fordern, sondern
die Schwachstellen des Waffengesetzes zu beseitigen. a
(Duch durchsetzen.
105. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 21. Juni 2007
Inhalt:
Redetext
Anlagen zum Stenografischen Bericht
Anlage 1
Anlage 2
Anlage 3
Anlage 4
Anlage 5
Anlage 6
Anlage 7
Anlage 8
Anlage 9
Anlage 10
Anlage 11
Anlage 12
Anlage 13