Anlage 19
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007 10287
(A) (C)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Berichtigung
99. Sitzung, Seite 10108, (B) 2. Absatz, der letzte Satz
ist wie folgt zu lesen: „Deshalb ist es in der Tat wichtig,
dass die Regierungspolitik – ich sage: auch die Regie-
rungspraxis – so ausgestaltet wird, dass faire Wettbe-
werbsbedingungen herrschen und Investitionen der Tele-
kom gefördert und nicht behindert werden.“
(D)
(B)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007 10289
(A) )
(B) )
für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver-
sammlung der NATO ten.
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
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Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
Dr. Bartsch, Dietmar DIE LINKE 24.05.2007
Beckmeyer, Uwe SPD 24.05.2007
von Bismarck, Carl-
Eduard
CDU/CSU 24.05.2007
Brunkhorst, Angelika FDP 24.05.2007
Eichhorn, Maria CDU/CSU 24.05.2007
Haibach, Holger CDU/CSU 24.05.2007
Hoffmann (Wismar),
Iris
SPD 24.05.2007
Kasparick, Ulrich SPD 24.05.2007
Knoche, Monika DIE LINKE 24.05.2007
Koppelin, Jürgen FDP 24.05.2007
Kossendey, Thomas CDU/CSU 24.05.2007
Kunert, Katrin DIE LINKE 24.05.2007
Dr. Lamers, Karl CDU/CSU 25.05.2007*
Merten, Ulrike SPD 24.05.2007
Mogg, Ursula SPD 24.05.2007*
Pau, Petra DIE LINKE 24.05.2007
Raidel, Hans CDU/CSU 24.05.2007*
Dr. Schäuble, Wolfgang CDU/CSU 24.05.2007
Schauerte, Hartmut CDU/CSU 24.05.2007
Dr. Schwanholz, Martin SPD 24.05.2007
Stübgen, Michael CDU/CSU 24.05.2007
Toncar, Florian FDP 24.05.2007
Dr. Uhl, Hans-Peter CDU/CSU 24.05.2007
Wellenreuther, Ingo CDU/CSU 24.05.2007
Zypries, Brigitte SPD 24.05.2007
(C
(D
Anlagen zum Stenografischen Bericht
nlage 2
Erklärung
des Abgeordneten Volker Beck (Köln) (BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über
die Beschlussempfehlung (Drucksache 16/4880
Buchstabe d) zu der Unterrichtung durch die
Bundesregierung (Drucksache 16/1101 Nr. 2.16)
(Tagesordnungspunkt 4 b)
Ich erkläre im Namen der Fraktion des Bündnis-
es 90/Die Grünen, dass unser Votum „Ja“ lautet.
nlage 3
Erklärung nach § 31 GO
des Abgeordneten Markus Löning (FDP) zur
Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu
dem Antrag: Beendigungsgesetz zum Berlin/
Bonn-Gesetz (Tagesordnungspunkt 10)
Der Antrag „Beendigungsgesetz zum Berlin/Bonn-
esetz“ enthält in Teilen nachvollziehbare und unterstüt-
enswerte Forderungen und Begründungen.
Im April 2007 hat das Innenministerium in einem
om Haushaltsausschuss in Auftrag gegebenen Bericht
estätigt, dass die Trennung der Ministerien zwischen
iensteinheiten in Bonn und Berlin „schwierig sei, zu
ngleiche[r] Arbeitsbelastung der Beschäftigten und er-
öhte[n] Anforderungen an die Führungskräfte“ führen
önne. Auch Kommunikationsdefizite und Reibungsver-
uste werden als negative Auswirkungen beschrieben.
Darüber hinaus belasten die im Jahr notwendigen
32 000 Flüge zwischen den Bundesstellen in Bonn und
erlin durch Ausstoß von 17 000 Tonnen Kohlendioxid
ie Umwelt.
Die dem Berlin/Bonn-Gesetz zugrunde liegende Be-
ürchtung, Bonn könne einen Komplettumzug der Bun-
esregierung nach Berlin wirtschaftlich nicht verkraften,
esteht aus heutiger Sicht nicht mehr. Bonn ist heute
ine Wachstumsregion. Auf der Internetseite der Stadt
onn www.bonn.de, heißt es dementsprechend:
„Bonn hat heute mehr Einwohner als 1991 und sehr
viel mehr Arbeitsplätze, eine modernere Wirt-
schaftsstruktur, eine der geringsten Arbeitslosen-
quoten in Nordrhein-Westfalen und nach wie vor
eine weit überdurchschnittliche Kaufkraft.“
Eine Steigerung der Effizienz der Regierungsarbeit
urch eine Verlagerung von weiteren Diensteinheiten
ach Berlin ist deshalb anzustreben. Der Antrag der
raktion Die Linke geht in einigen Forderungen aber zu
eit. Daher werde ich mich bei der Abstimmung enthal-
10290 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007
(A) )
(B) )
Anlage 4
Erklärung nach § 31 GO
des Abgeordneten Hellmut Königshaus (FDP)
zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung
zu dem Antrag: Beendigungsgesetz zum Berlin/
Bonn-Gesetz (Tagesordnungspunkt 10)
Ich werde mich der Stimme enthalten. Ich lasse mich
dabei von folgenden Überlegungen leiten:
Der Antrag „Beendigungsgesetz zum Berlin/Bonn-
Gesetz“ enthält, jedenfalls in Teilen, nachvollziehbare
und unterstützenswerte Forderungen und Begründungen.
Im April 2007 hat das Innenministerium in einem vom
Haushaltsausschuss in Auftrag gegebenen Bericht bestä-
tigt, dass die Trennung der Ministerien zwischen Dienst-
einheiten in Bonn und Berlin schwierig sei, zu unglei-
cher Arbeitsbelastung der Beschäftigten und erhöhten
Anforderungen an die Führungskräfte führen könne.
Auch Kommunikationsdefizite und Reibungsverluste
werden als negative Auswirkungen beschrieben. Da-
rüber hinaus belasteten die wegen der räumlichen Tren-
nung veranlassten 132 000 Flüge pro Jahr zwischen den
Bundesstellen in Bonn und Berlin die Umwelt durch den
Ausstoß von 17 000 Tonnen Kohlendioxid.
Die dem Berlin/Bonn-Gesetz zugrunde liegende Be-
fürchtung, Bonn könne einen Komplettumzug der Bun-
desregierung nach Berlin wirtschaftlich nicht verkraften,
hat heute keine Grundlage mehr. Bonn ist heute eine
Wachstumsregion. Auf der Internetseite der Stadt
www.bonn.de, heißt es dementsprechend:
Bonn hat heute mehr Einwohner als 1991 und sehr
viel mehr Arbeitsplätze, eine modernere Wirt-
schaftsstruktur, eine der geringsten Arbeitslosen-
quoten in Nordrhein-Westfalen und nach wie vor
eine weit überdurchschnittliche Kaufkraft.
Umgekehrt haben sich die mit dem Umzug des Parla-
ments und von Teilen der Bundesregierung verbundenen
Erwartungen einer aufblühenden und boomenden Haupt-
stadt nur zum geringen Teil erfüllt. Der zur Zeit der Be-
schlussfassung über das Berlin/Bonn-Gesetz angenom-
mene Schutzbedarf für die Region Bonn besteht mithin
jedenfalls heute nicht mehr.
Regionale Interessen sollten daher sachlich gebotene
organisatorische Veränderungen der Bundesregierung
bis hin zu einer Verlagerung weiterer Teile der Bundes-
ministerien nicht länger blockieren. Dass zur Steigerung
der Effizienz der Regierungsarbeit Veränderungen in der
Organisation erforderlich sind, hat der Bericht der Bun-
desregierung an den Haushaltsausschuss überzeugend
dargelegt. Die Standortentscheidungen sollten daher auf
Kosten-Nutzen-Überlegungen beruhen, die im Rahmen
einer ergebnisoffenen Organisationsuntersuchung ge-
klärt werden müssen. Ob dies zu einer Verlagerung der
noch in Bonn angesiedelten Ministerien geschehen soll,
ob dies insbesondere wirtschaftlich ist, mag allerdings
zunächst die Bundesregierung im Rahmen ihrer Organi-
sationszuständigkeit selbst klären. Einen Grund, dass der
Gesetzgeber ihr hierzu weiterhin einengende Vorschrif-
ten macht, gibt es nicht bzw. nicht mehr.
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Deshalb hat auch der Ministerpräsident von Sachsen-
nhalt kürzlich in seiner „Hauptstadt-Rede“ zur Um-
ugsfrage zutreffend darauf hingewiesen, dass auch der
olidarpakt zeitlich befristet ist. Es ist nicht nachvoll-
iehbar, weshalb der vom Berlin/Bonn-Gesetz gewährte
chutz Bonns auf Ewigkeit Bestand haben muss, selbst
enn sein Zweck längst erfüllt ist und er anderen legiti-
en Zielen wie dem einer effizienten Regierungsorgani-
ation entgegensteht.
Dennoch kann ich dem Antrag nicht zustimmen. Er
ordert zwingend eine Verlagerung, selbst wenn deren
osten – was allerdings noch abschließend zu klären ist –
irtschaftlich in keinem vertretbaren Verhältnis zu den
u erwartenden Effizienzgewinnen stünden. Das wäre
en Steuerzahlern nicht zu vermitteln und auch aus Ber-
iner Sicht nicht zu begründen. Der Antrag ist daher we-
en seiner überschießenden Tendenz kontraproduktiv.
nlage 5
Erklärung nach § 31 GO-BT
der Abgeordneten Monika Griefahn, Christoph
Pries und Angelika Graf (Rosenheim) (alle
SPD) zur Abstimmung über den Entwurf eines
… Strafrechtsänderungsgesetzes zur Bekämp-
fung der Computerkriminalität (… StrÄndG)
(Tagesordnungspunkt 23)
Zur Abstimmung des Gesetzentwurfes der Bundesre-
ierung für ein Strafrechtsänderungsgesetz (Drucksa-
he 16/3656) bei der Beratung in zweiter und dritter Le-
ung gebe ich folgende Bedenken zu Protokoll:
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung dient der
msetzung des Übereinkommens des Europarats über
omputerkriminalität und der Umsetzung des Rahmen-
eschlusses 2005/222/JI des Rates vom 24. Februar
005 über Angriffe auf Informationssysteme. Ziel des
bereinkommens ist die Schaffung eines strafrechtli-
hen Mindeststandards, um so Computersysteme und
daten zu schützen und gleichzeitig ihrem Missbrauch
ntgegenzuwirken. Sie sehen mit der Umsetzung der
orgaben aus dem Europarat-Übereinkommen in natio-
ales Recht eine Änderung und Ergänzung des § 202 a
nd eine Einfügung der §§ 202 b und 202 c StGB vor.
Das mit dem Gesetzentwurf verfolgte Ziel ist grund-
ätzlich richtig und zu begrüßen. Angesichts der techni-
chen Entwicklungen in den vergangenen Jahren ist eine
erbesserung des geltenden Computerstrafrechts drin-
end geboten. Mit dem heute zu beschließenden Gesetz-
ntwurf kann allerdings eine solche Verbesserung nur
edingt erreicht werden, und es steht vielmehr zu be-
ürchten, dass das Gesetz massive Probleme und weitrei-
hende und negative Auswirkungen für die IT-Sicherheit
nd die Informations- und Kommunikationsbranche in
eutschland sowie für die IT-Sicherheitsforschung und
en Forschungsstandort Deutschland zur Folge haben
ird.
Bereits kurz nach Bekanntwerden des Gesetzentwur-
es wurde dieser vonseiten der betroffenen Verbände,
nternehmen und Organisationen zu Recht massiv kriti-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007 10291
(A) )
(B) )
siert. Stellvertretend seien hier der Bundesverband Infor-
mationswirtschaft, Telekommunikation und neue Me-
dien – BITKOM – und die SAP AG genannt. Ähnlich
kritisch äußert sich im Übrigen auch der Bundesrat in
seiner Stellungnahme vom 3. November 2006 und attes-
tiert dem Gesetzentwurf der Bundesregierung Präzisie-
rungsbedarf. Eindringlich wurde die Kritik dann sowohl
im Expertengespräch im Unterausschuss Neue Medien
des Deutschen Bundestages am 1. März 2007 als auch in
der Sachverständigenanhörung des Rechtsausschusses
des Deutschen Bundestages am 21. März 2007 dargelegt
und bestätigt.
Als problematisch ist vor allem die Einfügung des
§ 202 c StGB zu sehen, mit dem typische Vorbereitungs-
handlungen unter Strafe gestellt werden, wie es dem
Strafrecht – bis auf wenige Ausnahmen, zum Beispiel
Vorbereitung von Geldfälschung – sonst fremd ist. Die-
ser Regelungsvorschlag ist vor allem deshalb problema-
tisch, weil entsprechende Programme und Tools nicht
nach ihrer Einsatzart, sondern vielmehr nach ihrem Auf-
bau definiert werden und so eine Unterscheidung in Pro-
gramme, die zur Begehung von Straftaten hergestellt
werden und solche, die ausschließlich für legale Zwecke
hergestellt werden, schlichtweg nicht möglich ist. Ledig-
lich in der Verwendung lassen sie sich unterscheiden.
Überdies führt der in § 202 c gewählte Wortlaut zu einer
Kriminalisierung der heute millionenfach verwendeten
Programme, welche auch für das Entdecken von Sicher-
heitslücken in IT-Systemen notwendig sind. In der Sache
kann der Gesetzentwurf in seiner jetzigen Form die IT-
Sicherheit und die IT-Sicherheitsforschung in Deutsch-
land konterkarieren.
Offenbar ist dem federführenden Rechtsausschuss
diese Tatsache auch bekannt, denn in der Beschlussemp-
fehlung des Gesetzentwurfes vom 23. Mai 2007 heißt es
wörtlich: „Der Gesetzgeber wird die Auswirkungen der
neuen Strafvorschriften genau zu beobachten haben.
Sollten doch Programmentwickler und Firmen, die nicht
aus krimineller Energie heraus handeln, durch diese
neuen Strafvorschriften in Ermittlungsverfahren einbe-
zogen werden, wird auf solche Entwicklungen zeitnah
reagiert werden müssen.“
Anlage 6
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Jörg Tauss, Renate Schmidt
(Nürnberg) und Siegmund Ehrmann (alle SPD)
zur Abstimmung über den Entwurf eines …
Strafrechtsänderungsgesetzes zur Bekämpfung
der Computerkriminalität (… StrÄndG) (Ta-
gesordnungspunkt 23)
Ich verweigere dem Gesetzentwurf der Bundesregierung
für ein Strafrechtsänderungsgesetz (Drucksache 16/3656)
bei der Beratung in zweiter und dritter Lesung meine Zu-
stimmung.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung dient der
Umsetzung des Übereinkommens des Europarats über
Computerkriminalität und der Umsetzung des Rahmen-
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eschlusses 2005/222/JI des Rates vom 24. Februar 2005
ber Angriffe auf Informationssysteme. Ziel des Über-
inkommens ist die Schaffung eines strafrechtlichen
indeststandards, um so Computersysteme und -daten
u schützen und gleichzeitig ihrem Missbrauch entge-
enzuwirken. Sie sehen mit der Umsetzung der Vorgaben
us dem Europarat-Übereinkommen in nationales Recht
ine Änderung und Ergänzung des § 202 a und eine Ein-
ügung der §§ 202 b und 202 c StGB vor.
Das mit dem Gesetzentwurf verfolgte Ziel ist grund-
ätzlich richtig und zu begrüßen. Angesichts der techni-
chen Entwicklungen in den vergangenen Jahren ist eine
erbesserung des geltenden Computerstrafrechts drin-
end geboten. Mit dem heute zu beschließenden Gesetz-
ntwurf kann allerdings eine solche Verbesserung nur
edingt erreicht werden und es steht vielmehr zu be-
ürchten, dass das Gesetz massive Probleme und weitrei-
hende und negative Auswirkungen für die IT-Sicherheit
nd die Informations- und Kommunikationsbranche in
eutschland sowie für die IT-Sicherheitsforschung und
en Forschungsstandort Deutschland zur Folge haben
ird.
Bereits kurz nach Bekanntwerden des Gesetzentwur-
es wurde dieser vonseiten der betroffenen Verbände,
nternehmen und Organisationen zu Recht massiv kriti-
iert. Stellvertretend seien hier der Bundesverband Infor-
ationswirtschaft, Telekommunikation und neue Me-
ien (BITKOM) und die SAP AG genannt. Ähnlich
ritisch äußerte sich im Übrigen auch der Bundesrat in
einer Stellungnahme vom 3. November 2006 und attes-
ierte dem Gesetzentwurf der Bundesregierung Präzisie-
ungsbedarf. Eindringlich wurde die Kritik dann sowohl
m Expertengespräch im Unterausschuss Neue Medien
es Deutschen Bundestages am 1. März 2007 als auch in
er Sachverständigenanhörung des Rechtsausschusses
es Deutschen Bundestages am 21. März 2007 dargelegt
nd bestätigt.
Als problematisch ist vor allem die Einfügung des
202 c StGB zu sehen, mit dem typische Vorbereitungs-
andlungen unter Strafe gestellt werden, wie es dem
trafrecht – bis auf wenige Ausnahmen, zum Beispiel
orbereitung von Geldfälschung – sonst fremd ist. Die-
er Regelungsvorschlag ist vor allem deshalb problema-
isch, weil entsprechende Programme und Tools nicht
ach ihrer Einsatzart, sondern vielmehr nach ihrem Auf-
au definiert werden und so eine Unterscheidung in Pro-
ramme, die zur Begehung von Straftaten hergestellt
erden und solche, die ausschließlich für legale Zwecke
ergestellt werden, schlichtweg nicht möglich ist. Ledig-
ich in der Verwendung lassen sie sich unterscheiden.
berdies führt der in § 202 c gewählte Wortlaut zu einer
riminalisierung der heute millionenfach verwendeten
rogramme, welche auch für das Entdecken von Sicher-
eitslücken in IT-Systemen notwendig sind. In der Sache
onterkariert und gefährdet der Gesetzentwurf in seiner
etzigen Form massiv die lT-Sicherheit und die IT-Si-
herheitsforschung in Deutschland.
Offenbar ist dem federführenden Rechtsausschuss
iese Tatsache auch bekannt, denn in der Beschlussemp-
ehlung des Gesetzentwurfes vom 23. Mai 2007 heißt es
10292 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007
(A) )
(B) )
wörtlich: „Der Gesetzgeber wird die Auswirkungen der
neuen Strafvorschriften genau zu beobachten haben.
Sollten doch Programmentwickler und Firmen, die nicht
aus krimineller Energie heraus handeln, durch diese
neuen Strafvorschriften in Ermittlungsverfahren einbe-
zogen werden, wird auf solche Entwicklungen zeitnah
reagiert werden müssen.“
Vor diesem Hintergrund ist es dann allerdings voll-
kommen unverständlich, warum ebendiese vorgetrage-
nen Bedenken bei der Beratung des Gesetzentwurfes in
der Fraktion und in den Ausschüssen des Deutschen
Bundestages – welche insgesamt als völlig unzureichend
zu beschreiben ist – völlig ignoriert worden sind. Auch
wurden Vereinbarungen, für alle Seiten vertretbare
Kompromisse zu suchen, schlichtweg nicht eingehalten.
So verwundert es auch nicht, dass bei der abschließen-
den Beratung des Gesetzentwurfes der mitberatende
Ausschuss für Bildung und Forschung einstimmig auf
den noch immer bestehenden immensen Beratungsbe-
darf verwiesen, den federführenden Rechtsausschuss um
Absetzung von der Tagesordnung und Verschiebung ge-
beten und die Abgabe eines mitberatenden Votums ver-
weigert hat.
Aus den genannten inhaltlichen Gründen und ange-
sichts dieses völlig unzureichenden Beratungsverfahrens
in den Gremien des Deutschen Bundestages ist eine Zu-
stimmung zu dem Gesetzentwurf in seiner jetzigen Form
nicht möglich.
Anlage 7
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Zollfahndungsdienstgesetzes und
anderer Gesetze (Tagesordnungspunkt 17)
Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (CDU/
CSU): Um das Zollfahndungsdienstgesetz ranken sich
drei Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes.
Die erste erging am 3. März 2004 und befasste sich mit
der präventiven Telekommunikationsüberwachung, die
damals noch im Außenwirtschaftsgesetz angesiedelt war
Das Gericht kam zu dem Ergebnis, dass es im Hinblick
auf Art. 10 GG an Normenklarheit und Normenbe-
stimmtheit fehlt. Der verfassungswidrige Zustand werde
noch bis zum 31. Dezember 2004 geduldet.
Der Gesetzgeber und die damalige rot-grüne Bundes-
regierung standen mächtig unter Zeitdruck. Im Rahmen
einer Notreparatur gelang es, im Gesetz zur Neuordnung
der präventiven Telekommunikations- und Postüberwa-
chung durch das Zollkriminalamt – NTPG – den dorti-
gen §§ 23 a bis f die Vorgaben des Bundesverfassungs-
gerichtes umzusetzen. Das Gesetz wurde auf den letzten
Drücker am 27. Dezember 2004 verkündet.
Am 3. März 2004 war aber eine zweite Entscheidung
des Bundesverfassungsgerichtes verkündet worden.
Diese befasste sich mit dem Lauschangriff zum Zweck
der Strafverfolgung. Das Bundesverfassungsgericht sah
in den Verfahrensvorschriften der Strafprozessordnung
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en unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestal-
ung nicht berücksichtigt. Diese Entscheidung fand
wohl aus Zeitgründen – im NTPG keinen Nieder-
chlag.
Dafür wurde aber die Geltung der §§ 23 a bis f des
ollfahndungsdienstgesetzes bis zum 31. Dezember
005 befristet, um in dieser Zeit nachbessern zu können.
Dabei ist zu erwähnen, dass das Zollfahndungsdienst-
esetz sich in den vorerwähnten Vorschriften mit dem
räventiven Bereich der Telekommunikationsüberwa-
hung befasste. Es blieb fraglich, ob die Vorgaben des
undesverfassungsgerichtes zu repressiven Zwecken
ins zu eins in den präventiven Bereich übernommen
erden könnten.
Am 27. Juli 2005 erging dann eine weitere Entschei-
ung des Bundesverfassungsgerichtes zum niedersächsi-
chen Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ord-
ung. Darin wurde klargestellt, dass auch bei der
elekommunikationsüberwachung im präventiven Be-
eich der unantastbare Kernbereich privater Lebensge-
taltung zu berücksichtigen sei. Daraus ergab sich ein-
eutig ein gesetzgeberischer Handlungsbedarf für das
ollfahndungsdienstgesetz zum Schutz des Kernbe-
eichs privater Lebensgestaltung sowohl bei der Tele-
ommunikationsüberwachung unter dem Gesichtspunkt
es Art. 10 GG als auch bei der Wohnraumüberwachung
nter dem Gesichtspunkt des Art. 13 GG.
Diesen Überhang regelt der Gesetzentwurf zur Ände-
ung des Zollfahndungsdienstgesetzes, den wir heute in
weiter und dritter Lesung beraten. Dabei muss man wis-
en, dass zu Überwachungsmaßnahmen in Art. 10 GG
Telekommunikationsüberwachung – eine größere Ein-
riffstiefe zulässig ist als bei Eingriffen in Art. 13 GG
ohnraumüberwachung.
Die Schnittstelle zu Art. 10 GG ist in § 23 a Abs. 4 a
es Gesetzentwurfs geregelt. Telekommunikationsüber-
achungsmaßnahmen dürfen danach dann nicht ange-
rdnet werden, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür
estehen, dass allein Kommunikationsinhalte aus dem
ernbereich privater Lebensgestaltung erlangt würden.
Die mit dieser Formulierung zulässige große Ein-
riffstiefe erklärt sich daraus, dass nach Vorgaben des
undesverfassungsgerichtes bei der Telekommunika-
ionsüberwachung eine Prognoseentscheidung darüber,
it welcher Wahrscheinlichkeit in den Kernbereich pri-
ater Lebensgestaltung eingegriffen werden wird, nicht
oraussetzung ist, BVerfG vom 3. März 2004. Die Kritik
er FDP an der Vorschrift des § 23 a Abs. 4 a ist dem-
ach unberechtigt.
Eine Schnittstelle zu Artikel 13 GG – Wohnraumü-
erwachung – ergibt sich aus der Notwendigkeit der Ei-
ensicherung von Beamten der Zollfahndung. Im Rah-
en des Zollfahndungsdienstgesetzes werden unter
nderem Verbrechen gegen das Kriegswaffenkontrollge-
etz verhindert oder aufgeklärt. Dafür werden auch ver-
eckte Ermittler als Scheinaufkäufer eingesetzt. Finden
n diesem Zusammenhang Verkaufsgespräche in einer
ohnung statt, begibt sich der Scheinaufkäufer in eine
ür ihn außerordentlich gefährliche Situation. Zum
weck der Eigensicherung muss sein Einsatz von außen
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007 10293
(A) )
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akustisch und gegebenenfalls auch visuell begleitet wer-
den. Ist eine Enttarnung des Scheinaufkäufers zu be-
fürchten, muss von außen ein Rettungsversuch möglich
sein. Nun kann es aber geschehen, dass der Scheinauf-
käufer in der Wohnung auch in Bereiche des Kernbe-
reichs privater Lebensgestaltung eindringt. Nach der
Vorgabe des Bundesverfassungsgerichtes ist dann die
Wohnraumüberwachung sofort abzubrechen. Damit
wäre aber der verdeckte Ermittler in höchster Gefahr und
möglicherweise sogar in Lebensgefahr.
Diesen Fall regelt § 22 a Abs. 2 des Gesetzentwurfes
dahin gehend, dass der Beamte sich sofort zurückziehen
muss, während des Rückzugs ist aber eine Fortsetzung
der Wohnraumüberwachung aus Gründen der Eigensi-
cherung zulässig. Ich halte dies in Form einer Güterab-
wägung für verfassungsrechtlich vertretbar.
Ein weiteres Problem im Zusammenhang mit der Ei-
gensicherung und der Wohnraumüberwachung taucht auf
bei der sogenannten Umwidmung, die in § 22 a Abs. 3
des Gesetzentwurfes geregelt ist. Wird im Rahmen des
Scheinaufkaufes beispielsweise offenbart, dass die Ein-
fuhr eines Raketenkopfes bevorsteht, muss diese Infor-
mation im Interesse der Abwehr einer Gefahr für die öf-
fentliche Sicherheit verwertbar sein. Hierfür macht
Art. 13 Abs. 5 GG ebenso für die Verwertbarkeit von In-
formationen aus der Wohnraumüberwachung zum Zwe-
cke der Strafverfolgung entsprechende Vorgaben, die in
diesem Gesetzentwurf berücksichtigt sind.
Im präventiven Bereich ist eine Umwidmung nur zu-
lässig, wenn eine dringende Gefahr für die öffentliche
Sicherheit besteht. Im repressiven Bereich ist dies nur im
Rahmen der Katalogtaten des § 100 c StPO zulässig.
Hinzukommt, dass – den Vorgaben des Art. 13 GG ent-
sprechend – die Verwertung umgewidmeter Informatio-
nen eine Bestätigung der Rechtmäßigkeit der angeordne-
ten Eigensicherungsmaßnahme durch einen Richter
voraussetzt. Dies ist nach zutreffender Meinung in der Li-
teratur nicht das Kollegialgericht nach Art. 13 Abs. 3 GG,
sondern der Einzelrichter des Amtsgerichts nach Art. 13
Abs. 5 GG.
Mit den Ergänzungen, die dieser Gesetzentwurf in das
Zollfahndungsdienstgesetz einfügt, sind verfassungs-
rechtliche Defizite behoben, so dass es einer erneuten Be-
fristung des Gesetzes nicht mehr bedarf. Die mühevolle
Arbeit aller Berichterstatter ist abgeschlossen. Ich danke
den diesen Gesetzentwurf begleitenden Mitarbeitern des
Bundesministeriums der Justiz und des Bundesministe-
riums der Finanzen für ihre kooperative Unterstützung
und bitte um Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf.
Joachim Stünker (SPD): Am 3. Dezember 2004
wurden wesentliche Bestimmungen des Außenwirt-
schaftsgesetzes zum Zollfahndungsdienstgesetz verab-
schiedet. Aufgrund einer Entscheidung des Bundesver-
fassungsgerichts war diese Überarbeitung kurzfristig
notwendig geworden.
In meiner damaligen Rede habe ich gesagt:
Mit der Neuregelung liefern wir einen guten Be-
weis für die in diesem Fall wirklich fraktionsüber-
greifende sachliche Zusammenarbeit im Rechtsaus-
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schuss. Wir liefern auch einen Beweis dafür, dass
wir doch über Fraktionsgrenzen hinweg sehr pro-
blemorientiert und streng am Rechtsstaatsgedanken
ausgerichtet zusammenarbeiten können. Ich be-
danke mich dafür ausdrücklich, insbesondere bei
den Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU-
Fraktion, aber auch bei den Kollegen von der Frak-
tion der Grünen.
Änderungsziele: Schutz des Kernbereichs privater
ebensgestaltung bei Telefonüberwachungsmaßnahmen
nd Maßnahmen zur Wohnraumüberwachung.
Wesentliche Regelung: Bei der Telefonüberwachung
oll die Erhebung von Daten, die den Kernbereich priva-
er Lebensgestaltung betreffen, vermieden werden. So-
eit sie dennoch erhoben werden, sind sie nicht verwert-
ar. Bei Maßnahmen der Eigensicherung innerhalb von
ohnungen müssen entsprechende Maßnahmen abge-
rochen werden, soweit dies ohne Gefährdung der Er-
ittlungsperson möglich ist. In beiden Konstellationen
üssen die entsprechenden Daten gelöscht werden und
s bestehen Dokumentations- und Berichtspflichten.
Erkenntnisse aus der Wohnraumüberwachung zur Ei-
ensicherung dürfen nur zur Abwehr einer dringenden
efahr für die öffentliche Sicherheit, insbesondere einer
emeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr und zur Ver-
olgung einer in § 100 c StPO genannten Straftat, weiter-
erwendet werden.
Einige in diesem hohen Hause fordern weitere Ein-
chränkungen für den präventiven Bereich. Ich wieder-
ole hierzu wiederum das am 3. Dezember 2004 Ge-
agte:
Die Regelung muss einerseits den Schutz ganz
überragender Gemeinschaftsgüter es könnte um das
Leben von Millionen von Menschen gehen – ge-
währleisten und andererseits individuelle Freiheits-
rechte, wie das Recht auf informelle Selbstbestim-
mung des Einzelnen, wahren.
Diese Abgrenzung ist meines Erachtens mit der vor-
iegenden Regelung verfassungskonform gelungen.
Was hat sich seitdem geändert? Die Koalition, und
amit sind es nur noch zwei Fraktionen, die die heutige
eitere Novellierung mittragen. Bereits seinerzeit haben
ir die Novellierung befristet – mit einer einmaligen
ristverlängerung –, weil wir um weitere Änderungsnot-
endigkeiten aufgrund einer sich immer weiter konkre-
isierenden Rechtssprechung des Bundesverfassungsge-
ichtes wussten. Deshalb die heutige Debatte mit zweiter
nd dritter Lesung.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP):
ereits zum dritten Mal berät der Deutsche Bundestag
ber eine Änderung des Zollfahndungsdienstgesetzes in-
erhalb weniger Jahre. Die Gesetzgebungsverfahren der
ergangenen Jahre gehören leider nicht zu den Glanz-
ichtern deutscher Rechtspolitik. Ende 2004 hat der
eutsche Bundestag das Gesetz zur Neuregelung der
räventiven Telekommunikations- und Postüberwa-
hung durch das Zollkriminalamt verabschiedet, ohne
en ausdrücklichen Auftrag des Bundesverfassungsge-
10294 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007
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richts zu befolgen, das Urteil zur akustischen Wohn-
raumüberwachung entsprechend umzusetzen. Ein weite-
res Jahr später hat die Koalition mit ihrer Mehrheit das
bis zum 31. Dezember 2005 befristete Gesetz erneut ver-
längert bis zum 30. Juni 2007, wieder ohne die vom
Bundesverfassungsgericht vorgenommenen Änderungen
vorzunehmen.
Wir hatten damit anderthalb Jahre einen Zustand, der
verfassungsrechtlich, um es vorsichtig zu sagen, auf sehr
wackligen Beinen stand. Die FDP-Bundestagsfraktion
hat diesen Zustand mehrfach gerügt. Um es deutlich zu
sagen: Die FDP ist selbstverständlich der Auffassung,
dass das Zollkriminalamt eine sehr wichtige Aufgabe er-
füllt. Bei den Straftaten, bei denen das Zollkriminalamt
tätig wird, handelt es sich um Taten im Zusammenhang
mit der Lieferung von Gütern und Technologie zur Her-
stellung von Massenvernichtungswaffen und für die
konventionelle Rüstung. Die Befugnisse des Zollkrimi-
nalamtes zur Verhinderung dieser schwerwiegenden
Straftaten sind dringend geboten. Die Arbeit der Be-
hörde muss jedoch auf eine verlässliche Rechtsgrund-
lage gestellt werden. In diesem sensiblen Bereich der
Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung darf es keine
rechtlichen Grauzonen geben.
Der Gesetzentwurf, den wir heute beraten, versucht,
die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts so-
wohl zur akustischen Wohnraumüberwachung als auch
zum niedersächsischen Polizeigesetz umzusetzen. Der
Gesetzentwurf der Bundesregierung hat zum Ziel, Re-
gelungen zum Schutz des Kernbereichs der privaten
Lebensgestaltung bei Befugnissen zu Eigensicherungs-
maßnahmen innerhalb von Wohnungen und zur Tele-
kommunikationsüberwachung zu schaffen.
Ein Blick in den Gesetzentwurf ist jedoch ernüch-
ternd. Die kernbereichsschützenden Regelungen, die der
Gesetzentwurf enthält, entsprechen nicht in vollem Um-
fang dem, was das Bundesverfassungsgericht als Anfor-
derungen aufgestellt hat. So ist zum Beispiel bei Über-
wachungsmaßnahmen innerhalb von Wohnungen kein
absoluter Schutz des Kernbereichs der privaten Lebens-
gestaltung vorgesehen. Vielmehr sieht der Gesetzent-
wurf eine Abwägung vor, zwischen dem Schutz des
Kernbereichs und den Interessen der Strafverfolgung.
Dies wird den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts
in keiner Weise gerecht.
Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu ausgeführt,
dass der Schutz der Menschenwürde nicht durch Abwä-
gung mit den Strafverfolgungsinteressen nach Maßgabe
des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes relativiert werden
darf. Auch an anderen Stellen ist der Schutz des Kern-
bereichs der privaten Lebensgestaltung nur lückenhaft
gewährleistet. So sind zum Beispiel vorbeugende Tele-
kommunikationsüberwachungsmaßnahmen nur dann
unzulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für die
Annahme vorliegen, dass durch sie „allein“ Kommuni-
kationsinhalte aus dem Kernbereich privater Lebensge-
staltung erlangt würden. Diese Regelung hat keinerlei
kernbereichsschützende Wirkung. Diese Formulierung
schafft vielmehr die Voraussetzung, dass zunächst im-
mer erst eine Überwachungsmaßnahme angeordnet
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ird. Für andere verdeckte Überwachungsmaßnahmen
ehlt ein Kernbereichsschutz gänzlich.
Die Bundesregierung übersieht dabei, dass das Bun-
esverfassungsgericht in seiner Entscheidung zum Ab-
ören in Wohnungen darauf hingewiesen hat, dass bei
berwachungen grundsätzlich ein unantastbarer Kernbe-
eich privater Lebensgestaltung zu wahren ist, unabhängig
on der konkreten Maßnahme. Völlig unzureichend sind
uch die Schutzvorschriften für Berufsgeheimnisträger.
ährend ein umfassender Schutz für Geistliche, Vertei-
iger und Abgeordnete gewährleistet ist, ergibt sich der
chutz für Rechtsanwälte, Ärzte und Journalisten nur
ach Maßgabe verschiedener Verhältnismäßigkeitskrite-
ien. Die in dem Gesetzentwurf gewählten Formulierun-
en enthalten zudem eine Vielzahl von unbestimmten
echtsbegriffen und lassen daher konkrete Abwägungs-
riterien vermissen. Der Vertrauensschutz kann auf diese
eise nicht gewährleistet werden.
Die FDP-Bundestagsfraktion hat zu allen diesen und
eiteren Punkten einen Änderungsantrag vorgelegt. Wir
ollen, dass die Vorgaben des Bundesverfassungsge-
ichts in vollem Umfang umgesetzt werden. Wir schla-
en dazu vor, dass auch für die verdeckten Überwa-
hungsmaßnahmen nach den §§ 18 ff. ein Schutz zum
ernbereich der privaten Lebensgestaltung gelten soll.
arüber hinaus fordern wir, dass der Kernbereichsschutz
bsolut gilt und eine Abwägung mit anderen Rechtsgütern
ntsprechend den eindeutigen Vorgaben des Bundesver-
assungsgerichts nicht erfolgt. Wir fordern darüber hinaus,
ass eine präventive Telekommunikationsüberwachungs-
aßnahme immer dann abgebrochen wird, wenn auch
ommunikationsinhalte aus dem Kernbereich privater
ebensgestaltung erlangt werden. Ein zentraler Bestand-
eil unseres Änderungsantrags ist die Verbesserung des
nformantenschutzes. Wir verzichten auf die Verhältnis-
äßigkeitsprüfung bei Überwachungsmaßnahmen von
ournalisten. Wir fordern stattdessen einen umfangrei-
hen Schutz für alle Berufsgeheimnisträger, der, insbeson-
ere bei Journalisten, nicht hinter den bereits geltenden
estimmungen der Strafprozessordnung zurückbleiben
arf.
Das Bundesverfassungsgericht hat in den vergange-
en Jahren dem Gesetzgeber einen klaren Rahmen vor-
egeben, in dem er sich bei seiner Gesetzgebungstätig-
eit bewegen muss. Zum Kernbereich der privaten
ebensgestaltung, zur Pressefreiheit und zu den Be-
timmtheitsanforderungen an gesetzliche Regelungen
iegen eindeutige Vorgaben aus Karlsruhe vor. Dennoch
rleben wir immer wieder, dass die Bundesregierung Ge-
etzentwürfe in das Parlament einbringt, die diesen An-
orderungen nicht entsprechen. In den Anhörungen des
echtsausschusses wird diese Auffassung von den Sach-
erständigen regelmäßig bestätigt. Dennoch unterlässt es
ie Bundesregierung, die notwendigen Änderungen vor-
unehmen, damit die Gesetze den Anforderungen des
öchsten deutschen Gerichts entsprechen.
Bereits in der Sitzung des Rechtsausschusses am ver-
angenen Mittwoch wurde von verschiedenen Kollegen
ie Befürchtung geäußert, dass wir uns mit dem Zoll-
ahndungsdienstgesetz nicht zum letzten Mal befassen.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007 10295
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Es ist absehbar, dass auch dieses Gesetz, das die Koali-
tion mit ihrer Mehrheit heute beschließen wird, das Bun-
desverfassungsgericht erneut beschäftigen wird. Der Te-
nor der Entscheidung lässt sich bereits heute erahnen.
Ich fordere Sie auf, sich endlich von Ihrer Ignoranz
hinsichtlich der Entscheidungen des Bundesverfassungs-
gerichts zu verabschieden und den Auftrag des Bundes-
verfassungsgerichts an uns als Gesetzgeber ernst zu neh-
men. Es ist dieses Hauses und der Tradition deutscher
Rechtspolitik in den vorangegangenen Jahrzehnten un-
würdig, wenn der Gesetzgeber ständig sehenden Auges
Gesetze verabschiedet, die das Bundesverfassungsge-
richt regelmäßig an uns zur Korrektur zurückgibt. Jede
Entscheidung aus Karlsruhe sollten wir als Mahnung
und Auftrag zu einer besseren Rechtsetzung verstehen.
Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Für diesen Gesetz-
entwurf kann es, wie schon mein Kollege Nešković am
22. März 2007 festgestellt hat, keinen Beifall geben.
Im Zollfahndungsdienstgesetz wurden zunächst Re-
gelungen geschaffen, welche aufgrund offener Fragen
zur Notwendigkeit des Schutzes des Kernbereichs priva-
ter Lebensgestaltung befristet wurden, um dem Gesetz-
geber die Möglichkeit zu eröffnen, Regelungen zu schaf-
fen, welche den Vorgaben der Verfassung entsprechen.
Nach diversen Beratungen, Anhörungen von Sachver-
ständigen und Berichterstattergesprächen stellt sich das
Ergebnis mehr als dürftig dar. Die bisherigen verfas-
sungswidrigen Regelungen sollen durch andere ebenfalls
verfassungswidrige Normen ersetzt werden. Die Vorga-
ben des Bundesverfassungsgerichts werden, wie schon
die zuvor gesetzte Frist, offensichtlich ignoriert, weil sie
nicht in das überzogene sicherheitspolitische Konzept
der Regierung passen. Es ist schon äußerst bedenklich,
dass nicht größtmöglicher Schutz von Freiheitsrechten
im Blick der Gesetzgebung steht, sondern nur noch ge-
schaut wird, was gerade noch als verfassungsgemäß
durchgehen könnte. Und selbst dies misslingt der Koali-
tion.
Der gläserne Bürger wird zum Staatsziel erhoben,
ohne Rücksicht auf die unantastbare Menschenwürde.
Dabei sind der Koalition offenbar auch die Meinungen
der Sachverständigen ziemlich egal. Die angesproche-
nen Verfassungswidrigkeiten, die Kritik an der bloßen
Scheinwahrung von Rechtsstaatlichkeit scheinen nicht
zu beeindrucken – wohl in der Hoffnung, dass auch das
Bundesverfassungsgericht einen schlechten Tag haben
kann und dies übersieht. Ein solcher Tag würde aller-
dings in die Annalen des hundertjährigen Kalenders ein-
fließen; denn so schlecht kann kein Tag sein.
Die Vorgaben, welche das Bundesverfassungsgericht
nicht nur in seinem Urteil vom 3. März 2004 zur Unver-
letzlichkeit des Kernbereichs privater Lebensgestaltung
als Ausdruck der Menschenwürde darstellte, werden in
diesem Gesetzentwurf nicht beachtet. Das Bundesver-
fassungsgericht hat ausgeführt, dass es beim Schutz des
absoluten Kernbereichs des Grundrechts auf Unverletz-
lichkeit der Wohnung keine Abwägung von Interessen
geben darf, aufgrund derer dann ein Eingriff möglich
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äre. Eine solche Abwägung ist und bleibt verfassungs-
idrig.
Hier bei der Datenerhebung zur Eigensicherung in
ohnungen eine Abwägung vorzunehmen, ist vielleicht
us Sicht der Fahndungsbehörden nachvollziehbar,
leibt aber gleichwohl eine verfassungswidrige Verlet-
ung der Menschenwürde entsprechend Art. 13 GG.
chon aus diesem Grunde verbietet es sich, dieses Ge-
etz zu verabschieden.
Die im Gesetzentwurf enthaltene Definition zur Be-
leit- und Kontaktperson ist derart weit gefasst, dass ein
eliebiger Personenkreis planmäßiger Überwachung
usgesetzt werden kann, was auch den verfassungsrecht-
ichen Vorgaben bezüglich einer Konkretisierung zuwi-
erläuft.
Bei der Erhebung von Daten zur Eigensicherung wird
s dem Zollkriminalamt ermöglicht, praktisch ohne jeg-
iche zeitliche Begrenzung Wohnungen optisch und
kustisch zu überwachen. Womit dies auch missbräuch-
ich zur Verfolgung anderer unbestimmter Taten genutzt
erden kann, zumal diese Überwachung auch ohne je-
en Anfangsverdacht und ohne Konkretisierung hin-
ichtlich eines Tatbestandes zur Aufdeckung unbekann-
er Straftaten anwendbar sein soll. Diese Möglichkeit der
atenerhebung zur primären Eigensicherung mit an-
chließender Weiterverwendungsmöglichkeit der Daten
ird von Fachleuten als „trojanisches Pferd für Datener-
ebung“ bezeichnet. Aber auch das scheint die Koalition
icht zu interessieren. Immerhin hat sie wenigstens die
mwidmung der Daten mittlerweile eingeschränkt.
Soweit eine Aufzeichnung von Daten nur dann zu un-
erbleiben hat, wenn diese ausschließlich den Kernbe-
eich privater Lebensgestaltung beinhalten, ist dies von
en Sachverständigen als Placebo fürs Bundesverfas-
ungsgericht bezeichnet worden, da diese Regelung in
er Praxis nie zur Anwendung kommen dürfte. Denn es
st von vornherein nicht auszuschließen, dass neben
öchstprivaten Inhalten auch andere Themen Gesprächs-
nhalt sind. Die Schutzfunktion des § 23 a Abs. 4 a läuft
amit ins Leere. Ich denke nicht, dass das Bundesverfas-
ungsgericht darauf hereinfällt.
Die Differenzierung bei der Überwachung der Kom-
unikation von Berufsgeheimnisträgern lässt sich
echtssystematisch nicht halten – sie dürfte willkürlich
ein. Eine große Gruppe der zur Zeugnisverweigerung
erechtigten wird damit praktisch schutzlos der Über-
achung ausgeliefert. Hierzu gehört unter anderem auch
ie Presse, deren überragende Stellung für die Demokra-
ie das Bundesverfassungsgericht im Cicero-Urteil erst
ürzlich wieder konstatierte. Mit den Zeugnisverweige-
ungsrechten kann dadurch auch die freiheitlich-demo-
ratische Grundordnung ausgehöhlt werden.
Leider lässt es die mir zugestanden Zeit nicht zu, auf
eitere Einzelheiten, wie zum Beispiel die vollständige
uslassung des Kernbereichsschutzes außerhalb des
eltungsbereichs von Art. 10 und 13 GG, einzugehen.
ch denke, den Auftrag aus Karlsruhe, auf den die Koali-
ion hier wartet, wird sie noch bekommen.
10296 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007
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Solange Gesetze wie dieses hier mit. der bewussten
Möglichkeit – man könnte schon von bedingtem Vorsatz
sprechen – beschlossen werden, dass sie vor dem Bun-
desverfassungsgericht scheitern – einmal reicht offen-
sichtlich nicht –, wird das Vertrauen der Bevölkerung in
den Rechtsstaat und auch die Sicherheit der Fahndungs-
beamten bezüglich der Beständigkeit von Vorschriften
weiter schwinden. Welcher Beamte fragt sich schon
gerne vor jeder Diensthandlung, ob seine gesetzlich ge-
rechtfertigte Handlung auch verfassungsgemäß ist.
Ich hoffe, dass Sie sich Ihres verfassungsmäßigen
Auftrags bewusst sind und dieses Gesetz ablehnen.
Der Kollege Wolfgang Bosbach hat heute hier im Ple-
num gesagt – ich zitiere –:
Politik muss verlässlich und redlich sein.
Auf die Abstimmung bin ich gespannt.
Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Seit nunmehr fast acht Jahren hat das Bundesver-
fassungsgericht immer wieder aufgefordert, die präven-
tive Telekommunikations- und Postüberwachung durch
das Zollkriminalamt verfassungsfest zu gestalten und
grundgesetzwidrige Regelungen zu entfernen. Insbeson-
dere muss der unantastbare Kernbereich privater Le-
bensgestaltung wirksam vor jeglicher heimlicher Aus-
forschung geschützt werden. Dies folgt aus dem Schutz
der Menschenwürde durch Art. l Abs. l des Grundgeset-
zes.
Schon mehrfach hat die Bundesregierung die fälligen
Neuregelungen aufgeschoben, obwohl Eile geboten ist
zum Schutz der betroffenen Bürgerinnen und Bürger.
Dies haben die Grünen stets kritisiert. Deshalb haben wir
uns schon innerhalb der rot-grünen Koalition im Herbst
2004 nachdrücklich für rasche substanzielle Schutzrege-
lungen eingesetzt. Leider haben wir keine Mehrheit ge-
funden. Folglich wurde das Gesetz weitgehend unverän-
dert zunächst nur fortgeschrieben. Auch beim nächsten
Anlauf des Gesetzgebers im Dezember 2005 – also vor
eineinhalb Jahren – legten wir einen ausformulierten Än-
derungsantrag mit allen gebotenen Schutzregelungen
vor. Die Große Koalition hätte zugreifen müssen, statt
die Neuregelung abermals aufzuschieben.
Nun hat die Bundesregierung einen Novellierungsent-
wurf vorgelegt, der abermals deutlich hinter den Vorga-
ben des Bundesverfassungsgerichts zurückbleibt. Dieser
Entwurf wurde folglich auf einer Sachverständigenanhö-
rung des Rechtsausschusses Ende April „quer durch die
Bank“ heftig kritisiert. Die verfassungsrechtlichen Defi-
zite sind offensichtlich. Die Bundesregierung ist also ge-
warnt.
Nur in einem Punkt wurde nachgebessert. Im Übrigen
wurde sogar draufgesattelt. Auf Verlangen des Bundes-
rates hin sollen die Überwachungsanordnungen des
Zolls statt für einen nun für je drei Monate erlassen wer-
den dürfen – angeblieh wegen der Rechtseinheitlichkeit.
Doch solche Einheitlichkeit wird gerade vereitelt, weil
eine bemerkenswerte Diskrepanz zu dem Gesetzentwurf
der Bundesregierung zur Neuregelung der Telefonüber-
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achung im Strafverfahren besteht. Der neu gefasste
100 b Abs. l StPO sieht nur eine Überwachungsdauer
on zwei Monaten vor.
Weit wichtiger ist, dass die nächste Verfassungsklage
roht. Und sie ist aussichtsreich. Und dann muss wieder
achgebessert werden, denn die verfässungsrechtlichen
ausaufgaben sind wieder nicht gemacht. Der gebotene
chutz des Kernbereichs der Privatsphäre ist wieder un-
ureichend geregelt.
In den Beratungen haben Regierung und Koalition
erbesserungen des Schutzniveaus abgewehrt, obwohl
ie das Risiko kennen, in Karlsruhe wieder zu verlieren.
ie Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts beschrei-
en nur das Mindestmaß grundrechtlicher Schutzrege-
ungen. Im freiheitlichen Staat wären sogar noch weiter
ehende Schutzvorkehrungen wünschenswert und mög-
ich, um die Balance zwischen Bürgerrechten und Si-
herheitsbedürfnissen besser zu sichern.
Die Bundesregierung wäre gut beraten, wenn sie den
ericht über die bisherigen Erfahrungen im praktischen
mgang mit den Überwachungsbefugnissen des Zolls,
en sie dem Bundestag ohnehin demnächst vorzulegen
at, vorgezogen und in die Ausschussberatungen einge-
racht hätte. So hätten die Abgeordneten die Möglich-
eit gehabt, vor einer bloßen Gesetzesfortschreibung zu
rüfen, welche Überwachungsbefugnisse überhaupt ge-
raucht und tatsächlich genutzt werden und wie deren
raktische Anwendung sich auf die Bürgerrechte aus-
irkt. Leider ist die Bundesregierung dem dahin gehen-
en Rat der Grünen nicht nachgekommen.
Im Regierungsentwurf sind weiterhin Regelungen
erfassungsrechtlich unzureichend. Wir haben die nach
er Expertenkritik aus der Ausschussanhörung notwen-
igen Änderungen in unserem Entschließungsantrag auf-
eschrieben.
Erstens. Der Entwurf definiert die sogenannten „Kon-
akt- und Begleitpersonen“ Verdächtiger entgegen den
onkretionsanforderungen des Bundesverfassungsge-
ichts so weitreichend, dass ein beliebiger Personenkreis
lanmäßiger Überwachung ausgesetzt wäre.
Auf diese Personen schlägt zudem ein abgeleitetes,
chon für die Hauptverdächtigen bestehendes Bestimmt-
eitsdefizit des geltenden Zollfahndungsdienstgesetzes
urch, denn dort sind sie als verfassungsrechtlich be-
enklich unkonturiert definiert, ohne konkrete Vorberei-
ungshandlungen bestimmter Delikte begangen haben zu
üssen. Genau wegen dieses Defizits hat das Bundes-
erfassungsgericht in seiner Entscheidung vom Juli 2005
as niedersächsische Polizeigesetz teilweise für verfas-
ungswidrig erklärt. Daraus müssen für das Zollfahn-
ungsdienstgesetz Konsequenzen gezogen werden.
onst ergeht es ihm absehbar ebenso.
Zweitens. Die Befugnis des Zollkriminalamts, formal
ur Eigensicherung seiner Bediensteten sowie zur Siche-
ung von – bekanntlich oft zwielichtigen – V-Leuten
eitlich praktisch unbegrenzt Wohnungen optisch und
kustisch zu überwachen, ist hochproblematisch. Immer-
in darf nicht nur gelauscht, sondern auch in Wohnungen
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007 10297
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reingekuckt werden. Sogar Unverdächtige können dabei
erfasst werden.
Diese Befugnisse sind umso bedenklicher, als sie aus-
drücklich ohne jeden Anfangsverdacht und damit ohne
wirksame Tatbestandseingrenzung auch zur Verhütung
und „Aufdeckung unbekannter Straftaten“ anwendbar
sein sollen. Dass sie primär als Sicherungs- statt als ei-
genständige Ermittlungsmaßnahme deklariert werden,
ändert angesichts ihrer Eingriffsintensität nichts an der
Verfassungswidrigkeit.
Zudem sollen die daraus gewonnenen Erkenntnisse
auch zur Verfolgung zahlreicher anderer Straftaten sowie
zur Abwehr dringender Gefahren gleich welcher Art um-
fangreich umgewidmet werden dürfen. Damit ist die Re-
gel; Sachverständigen zufolge „wie ein trojanisches
Pferd“ strukturell missbrauchbar. Zur Weiternutzung sol-
cher Erkenntnisse kann der Überwachungseinsatz unge-
achtet des realen Schutzbedarfs überhaupt erst angeord-
net werden.
Über eine solche Umwidmung dürfte entgegen dem
Entwurf im Übrigen nicht allein ein Einzelrichter ent-
scheiden, damit auch durch den Verfahrensweg das
Grundrecht geschützt wird. Vielmehr müsste eine
Spruchkammer des Landgerichts entscheiden, wie dies
bei der vergleichbar tief eingriffsintensiven Wohnraum-
überwachung zur Strafverfolgung gemäß § 100 d Abs. l
S. l StPO vorgesehen ist.
Drittens. Der Entwurf nimmt – abweichend von § 100 c
Abs. 4 S. l StPO bei der Wohnraumüberwachung zur
Strafverfolgung – lediglich die Kommunikation allein
aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung voll von
der Überwachung aus, nicht jedoch solche, deren Inhalte
gemischt oder noch nicht genau absehbar sind. So droht
dieser zentrale Schutz der Privatsphäre in der Praxis
leerzulaufen. Denn selbst innerhalb höchstpersönlicher
Kommunikation können weitere Informationsinhalte
minderer Sensibilität nie vorab ausgeschlossen werden.
Zu Recht ist der Regelungsvorschlag deswegen in der
Sachverständigenanhörung als reines „Placebo“ bezeich-
net worden, das einer Überprüfung vor dem Bundesver-
fassungsgericht nicht standhalten würde.
Viertens. Ferner nimmt der Entwurf – abweichend
von § 100 c Abs. 6 S. 1 StPO bei der Wohnraumüberwa-
chung zur Strafverfolgung – lediglich die Kommunika-
tion von Geistlichen, Strafverteidigern und Abgeordne-
ten im Rahmen ihres Zeugnisverweigerungsrechts
grundsätzlich von der Überwachung aus, lässt jedoch
alle anderen ebenso in § 53 StPO genannten Berufsge-
heimnisträger – zum Beispiel Journalisten, Wirtschafts-
prüfer, Rechtsanwälte, Notare, Suchtberater, etc. – und
ihre Klienten praktisch ungeschützt. Solche Differenzie-
rung in diesem zentralen Punkt widerspricht schon der
Europäischen Menschenrechtskonvention und erscheint
willkürlich.
Die für letztere Gruppe mindergeschützter Berufsge-
heimnisträger lediglich vorgesehene Verhältnismäßig-
keitsprüfung läuft mangels Konkretion und objektiver
Überprüfungskriterien praktisch leer und würde die be-
treffende Kommunikation jederzeit überwachbar lassen.
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ie notwendige Schutzregelung für die Kommunikation
ller Berufsgeheimnisträger darf, anders als im Entwurf
orgesehen, nicht nur deren zielgerichtete Ausforschung
erhindern, sondern muss sie auch vor Maßnahmen
chützen, die gegen Dritte gerichtet sind und immer
ann gelten, wenn hierdurch zeugnisverweigerungsbe-
echtigte Personen gleich wie mitbetroffen wären.
Auf diese Anforderungen haben der Bundesverband
er Freien Berufe, der Deutsche Anwaltsverein, der
eutsche Journalisten-Verband, die Bundeswirtschafts-
rüferkammer und weitere Verbände zutreffend hinge-
iesen. Auch hier wird die Bundesregierung also später
icht sagen können, sie sei nicht auch auf diese verfas-
ungsrechtliche „Bruchstelle“ hingewiesen worden.
Fünftens. Der Regierungsentwurf fordert – entgegen
em vom Verfassungsgericht eingeforderten Bestimmt-
eitsgebot – bei der Befugnis des Zollkriminalamts zur
rhebung von Telekommunikations-Verkehrsdaten noch
icht einmal deren genaue Bezeichnung und ermöglicht
ie Nutzung solcher Daten selbst dann, wenn die Erhe-
ungsanordnung richterlich nicht bestätigt wird. Das ist
echtspolitisch inakzeptabel.
Sechstens. Der Entwurf weitet die Befugnis des Zoll-
riminalamts zur Übermittlung personenbezogener Da-
en auf zahlreiche Aufgabengebiete aus, grenzt die mög-
ichen Empfängerstellen nicht nach rechtsstaatlichen
riterien ein und ermöglicht so eine Übermittlung in
taaten, wo Betroffenen daraufhin Menschenrechtsver-
etzungen drohen.
Nicht vorgesehen ist die für derlei vom Verfassungs-
ericht verlangte strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung
nter anderem, welche Nachteile den Grundrechtsträ-
ern aufgrund der Maßnahmen drohen oder von ihnen
icht ohne Grund befürchtet werden.
Siebtens. Soweit außerhalb von Wohnungen zwar
icht die Grundrechte auf Fernmeldefreiheit und Woh-
ung aus Art. 10 und 13 GG berührt sind, jedoch der
oll gleichwohl aufgrund der dann anwendbaren Befug-
isse aus §§ 18 bis 22 des geltenden Zollfahndungs-
ienstgesetzes in den Kembereich privater Lebensgestal-
ung eingreifen dürfte – etwa bei der Überwachung
ertraulicher Kontakte und Gespräche unter freiem Him-
el –, unterlässt der Gesetzentwurf jede Schutzregelung,
bwohl dieser Schutz für solche Situationen aufgrund
er Verfassung ebenso geboten ist.
Achtens. Der vorgesehene Weglall der derzeitigen
efristung des Gesetzes ist nicht sachgerecht. Denn die
ierfür maßgeblichen Gründe, die tatsächliche Anwen-
ung und Auswirkungen in der Praxis verfolgen zu wol-
en, bestehen fort, zumindest, bis der nach dem gelten-
en § 23 c Abs. 2 Satz 2 Zollfahndungsdienstgesetz zu
rstellende erste Evaluierungsbericht vorliegt.
Neuntens. Auch danach sollte die Bundesregierung
em Bundestag künftig weiterhin regelmäßig über die
raktische Gesetzesanwendung berichten.
Mit unserem Entschließungsantrag fordern wir Grüne
ie Bundesregierung auf, umgehend einen geänderten
ntwurf mit den verfassungsrechtlich gebotenen Ände-
10298 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007
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rungen dieser genannten Regelungen vorzulegen, die wir
dort im Einzelnen aufgeführt haben. Dies wäre auch
ohne Zeitverzug möglich, nicht zuletzt, weil wir, wie ge-
sagt, schon vor langer Zeit konkrete Formulierungen
vorgelegt haben.
Außerdem legte meine Fraktion kürzlich einen Ge-
setzentwurf zur Novelle der strafprozessualen Telekom-
munikationsüberwachung vor. Die Regelungen insbe-
sondere zum verfassungsfesten Schutz der Privatsphäre
sowie zur Kommunikation mit Berufsgeheimnisträgern
könnte die Koalition sofort aufgreifen und ohne Verzö-
gerung auf den Zoll übertragen.
Den Gesetzentwurf lehnen wir ab. Es wäre gut, wenn
Sie dem grünen Entschließungsantrag zustimmen wür-
den.
Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim
Bundesminister der Finanzen: Ihnen liegt heute ein Än-
derungsentwurf zu einem Gesetz vor, das – wie in den
Beratungen trefflich bemerkt wurde – wohl wie kaum
ein anderes Spezialgesetz den Bundestag in den letzten
Jahren beschäftigt hat: das Zollfahndungsdienstgesetz.
Sie werden sich erinnern, dass mit dem Ersten Gesetz
zur Änderung des Zollfahndungsdienstgesetzes die Be-
fugnis des Zollkriminalamtes zur präventiven Telekom-
munikations- und Postüberwachung im Außenwirt-
schaftsbereich zuletzt bis zum 30. Juni 2007 befristet
wurde. Vor Auslaufen dieser Befristung gilt es, unter Be-
rücksichtigung der Vorgaben aus der jüngsten Recht-
sprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Schutz
des Kernbereichs privater Lebensgestaltung notwendige
Anpassungen vorzunehmen.
Die Bundesregierung hat ein stimmiges Konzept zur
Umsetzung dieser Vorgaben, die Eingriffe in Art. 10 des
Grundgesetzes in Form einer Telekommunikationsüber-
wachung vorsehen, erarbeitet.
Mit dem vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zur
Änderung des Zollfahndungsdienstgesetzes und anderer
Gesetze wird dieses Konzept nun in einem ersten Schritt
für den Bereich der präventiven Telekommunikations-
und Postüberwachung im Außenwirtschaftsbereich für
den Zollfahndungsdienst umgesetzt.
Auf die Bedeutung der hier in Rede stehenden Rege-
lungen des Zollfahndungsdienstgesetzes ist an dieser
Stelle schon oft hingewiesen worden. Dieses Mal stehen
wir vor der ernsten Situation, dass ohne eine fristge-
rechte Anschlussregelung durch diesen Gesetzentwurf
die Befugnis des Zollkriminalamtes zur präventiven Te-
lekommunikations- und Postüberwachung im Außen-
wirtschaftsbereich entfiele. Zu diesem Zeitpunkt lau-
fende Überwachungsmaßnahmen müssten abgebrochen
werden; neue Maßnahmen könnten vor Verabschiedung
einer weiteren Gesetzesänderung nicht eingeleitet wer-
den.
Die präventive Telekommunikations- und Postüber-
wachung im Außenwirtschaftsbereich hat sich in der
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ergangenheit zur erfolgreichen Umsetzung der Export-
ontrollpolitik der Bundesregierung vielfach bewährt
nd dient letztlich auch dazu, den durch unzulässige
usfuhren sensibler Güter entstehenden außenpoliti-
chen Schaden für die Bundesrepublik Deutschland be-
eits im Vorfeld abzuwenden, denn repressive Maßnah-
en können in diesem Bereich präventives Einschreiten
icht ersetzen.
Für die präventive Telekommunikationsüberwachung
ach § 23 a Zollfahndungsdienstgesetz gewährt die vor-
eschlagene Regelung in verfassungskonformer Weise
en Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung
nd trägt zugleich den Besonderheiten einer Telekom-
unikationsüberwachung Rechnung. Durch die gestufte
egelungssystematik wird in der Anwendung auch bei
ulässigen Maßnahmen dazu sensibilisiert, den Schutz
es Kernbereichs zu achten.
Neben diesem Schwerpunkt des Gesetzentwurfs wer-
en weitere Regelungen an die Rechtsprechung des Bun-
esverfassungsgerichts zur akustischen Wohnraumüber-
achung angepasst.
Beispielhaft sei hier auf die Befugnis des Zollkrimal-
mts und der ihm unterstellten Zollfahndungsämter zu
igensicherungsmaßnahmen mittels technischer Mittel
uch innerhalb von Wohnungen hingewiesen.
Dass es sich hierbei um eine sensible rechtliche Mate-
ie handelt, haben nicht zuletzt auch die intensiven Bera-
ungen im Rechtsausschuss verdeutlicht. Hier ist es uns
elungen, sowohl beim Schutz der eingesetzten Perso-
en als vor allem auch bei der Weiterverwendung von im
ahmen der Eigensicherung erlangten Daten eine Lö-
ung zu finden, die den verfassungsrechtlichen Anforde-
ungen Rechnung trägt.
Lassen Sie mich an dieser Stelle noch die Änderun-
en des Zollverwaltungsgesetzes ansprechen, die sich
war unspektakulär anhören, gleichwohl aber – ebenso
ie das Zollfahndungsdienstgesetz – doch bedeutsame
egelungen zum Gegenstand haben und mit internatio-
al eingegangenen Verpflichtungen einhergehen.
Bereits bestehende Aufgaben und Befugnisse der
ollverwaltung zur Überwachung des grenzüberschrei-
enden Bargeldverkehrs zum Zwecke der Bekämpfung
er Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung wer-
en an die einschlägige EG-Neuerung angepasst. Diese
U-Verordnung gilt ab dem 15. Juni 2007 und führt eine
enerelle Anmeldepflicht für das Verbringen von Bar-
eld oder von gleichgestellten Zahlungsmitteln ab einem
ert von 10 000 Euro ein. Eine Verletzung dieser An-
eldepflicht ist bußgeldbewehrt.
Durch die Regelungen zur Überwachung des grenz-
berschreitenden Bargeldverkehrs wird die Zollverwal-
ung künftig einen wichtigen Beitrag zur Verhinderung
er Finanzierung des internationalen Terrorismus sowie
ur Bekämpfung der Geldwäsche und damit auch zur
ekämpfung der organisierten Kriminalität leisten kön-
en.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007 10299
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Anlage 8
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Anträge:
– Einführung eines generellen Tempolimits
von 120 km/h auf deutschen Autobahnen
– Einführung eines generellen Tempolimits
von 130 Stundenkilometern auf Bundesauto-
bahnen
(Tagesordnungspunkte 18 a und b)
Gero Storjohann (CDU/CSU): Wir diskutieren
heute einen Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die
Grünen und einen Antrag der Fraktion der Linken zur
Einführung eines generellen Tempolimits auf deutschen
Autobahnen. Ziel der Anträge ist es, ein generelles Tem-
polimit von 120 bzw. 130 Kilometern pro Stunde auf
deutschen Autobahnen einzuführen.
Beide Fraktionen begründen ihre Anträge unter ande-
rem damit, dass Deutschland weltweit eines der ganz
wenigen Länder sei, auf dessen Autobahnen keine gene-
relle Geschwindigkeitgrenze gelte und dass ein generel-
les Tempolimit die Umwelt zusätzlich erheblich entlas-
ten könne. Argumentiert wird von beiden Fraktionen
unter anderem ferner, ein allgemeines Tempolimit trage
zu einer weiteren Reduzierung der Unfälle und damit zur
Verbesserung der Verkehrssicherheit bei. Soweit die An-
träge.
Lassen Sie mich dazu Folgendes feststellen: Die
CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag lehnt ein
allgemeines Tempolimit, wie von Linken und Grünen
gefordert, ab. Bereits heute ist ein Drittel des deutschen
Autobahnnetzes mit Tempolimits belegt. Auch halten
wir eine Harmonisierung von Geschwindigkeitsbe-
schränkungen auf Autobahnen innerhalb der Europäi-
schen Union für nicht erforderlich. Ein europäischer
Vergleich hinsichtlich der Verkehrssicherheit zeigt, dass
Deutschland hierbei zum Teil bessere Ergebnisse auf-
weisen kann als Länder mit Geschwindigkeitsbegren-
zungen auf ihren Autobahnen. Diese positive Entwick-
lung der Verkehrssicherheit in Deutschland verdanken
wir nicht zuletzt vielfaltigen Maßnahmen im Bereich der
Kraftfahrzeugtechnik. So wurden insbesondere von
deutschen Automobilherstellern passive und aktive Si-
cherheitssyteme entwickelt; das Elektronische Stabili-
tätsprogramm (ESP) und das Antiblockiersystem (ABS)
zählen dazu. Wie auch in unserem Land schätzen die
Kunden weltweit Faktoren wie Sicherheit, Leistung,
Komfort, Design und Image an deutschen Autos. Beson-
ders die Sicherheitseigenschaften stehen in engem Zu-
sammenhang mit dem Gewicht eines Autos und somit
seinem Kraftstoffverbrauch. Deshalb muss weiterhin die
Gesamteffizienz der Fahrzeuge optimiert werden. Ein
Tempolimit würde hingegen zu einem verminderten In-
teresse der Kunden an Sicherheitstechnologie führen und
Konsequenzen bei Unfallfolgen und der deutschen Wett-
bewerbsfähigkeit hervorrufen. Die CDU/CSU-Fraktion
sieht auch angesichts dieser Tatsache die Verbesserung
der Fahrzeugsicherheit durch moderne Fahrzeugtechnik
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ls zwingend notwendig an, um zu einer weiteren Sen-
ung der Unfallzahlen auf unseren Straßen zu gelangen.
Auch Maßnahmen im Bereich der Straßenverkehrs-
echnik haben einen großen Anteil an der Verbesserung
er Verkehrssicherheit auf unseren Autobahnen. Leider
erden Geschwindigkeitsübertretungen vielfach nicht
ur von Autobahnrasern begangen, sondern häufig von
erkehrsteilnehmern, die den Sinn eines angeordneten
empolimits vielfach nicht erkennen. Dem kann mit
lektronischen Streckenbeeinflussungsanlagen entge-
engewirkt werden. So werden mit diesen Anlagen, die
mmer häufiger entlang unserer Autobahnen installiert
erden, bereits heute bei hoher Verkehrsdichte zur Erhö-
ung der Kapazität Geschwindigkeitsbeschränkungen
on 100 Stundenkilometern, bei weiter steigender Ver-
ehrsdichte von 80 Stundenkilometern angeordnet.
iese von der Verkehrsstärke abhängigen Geschwindig-
eitsanordnungen treffen bei den Verkehrsteilnehmern
uf eine hohe Akzeptanz. Durch den vermehrten Einsatz
ieser rechnergestützten, intelligenten Verkehrsleitsys-
eme, welche den Verkehr in Abhängigkeit von der Ver-
ehrsdichte regeln, kann auf Veränderungen der Ver-
ehrsdichte schnell und flexibel reagiert werden. Dem
utofahrer wird dadurch die Notwendigkeit für die Ein-
altung einer situationsangepassten Geschwindigkeit
eutlich vor Augen geführt. Die CDU/CSU-Fraktion im
eutschen Bundestag spricht sich daher nachdrücklich
ür den vermehrten Einsatz der „elektronischen Schilder-
rücken“ auf deutschen Autobahnen aus.
Ein von Linken und Grünen befürwortetes starres
empolimit hingegen würde wegen mangelnder Akzep-
anz zu gravierenden Verkehrsverlagerungen von den
undesautobahnen hin zu Landstraßen führen. Landstra-
en jedoch zählen wegen des auf ihnen vorherrrschen-
en Begegnungsverkehrs zu den gefährlichsten Straßen
n Deutschland. Landstraßen werden im Gegensatz zu
undesautobahnen von schwach motorisierten Verkehrs-
eilnehmern, von Radfahrern und Fußgängern genutzt.
ine Verlagerung des Verkehrs von Bundesautobahnen
uf Landstraßen würde daher eine erhebliche Gefähr-
ung aller Verkehrsteilnehmer auf Kosten der Verkehrs-
icherheit nach sich ziehen. Zudem handelt es sich bei
erkömmlichen Landstraßen im Gegensatz zu kreu-
ungsfreien Autobahnen um Straßen, die ein häufiges
nfahren und Abbremsen an Kreuzungen erforderlich
achen. Dadurch würden zugleich der Spritverbrauch
eziehungsweise die Kohlenstoffdioxidemissionen er-
eblich steigen. Nebenbei würden dadurch Schäden an
er schlechter ausgebauten Infrastruktur zunehmen.
Noch immer führen viele Landstraßen durch Ort-
chaften, da nicht immer eine Ortsumgehung vorhanden
st. Durch ein erhöhtes Verkehrsaufkommen aufgrund
es Ausweichens von Bundesautobahnen auf Landstra-
en werden den Bewohnern dieser Ortschaften weiterer
ärm und weitere CO2-Emmissionen zugemutet – dies
lles zulasten der Lebensqualität. So kann vernünftige
erkehrspolitik nicht aussehen! Im Gegensatz zu dem
on Ihnen befürworteten starren Tempolimit von 120
zw. 130 Stundenkilometern liegt für CDU und CSU der
chwerpunkt auf der Entwicklung einer flexiblen, zu-
unftsweisenden Infrastruktur, die auf die Lebensquali-
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tät und vor allem Mobilität der Menschen im privaten
und beruflichen Bereich Rücksicht nimmt.
In den Ausschussberatungen werden wir hierüber
noch zu sprechen haben. Die CDU/CSU-Bundestags-
fraktion lehnt die Vorstellungen der Linksfraktion und
der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen zur Einfüh-
rung eines allgemeinen Tempolimits, wie sie in den uns
jetzt vorliegenden Anträgen zum Ausdruck kommen, ab.
Jörg Vogelsänger (SPD): Unsere leistungsfähige
Infrastruktur ist ein wichtiger Standortvorteil. Deutsch-
land hat mit Abstand das größte und dichteste Autobahn-
netz in Europa. Bei Vergleichen mit anderen europäi-
schen Ländern gilt es immer die besondere Situation in
den Ländern zu berücksichtigen. Dazu ein Beispiel.
Polen verfügt über ein Autobahnnetz von rund
500 Kilometer, in Deutschland sind es über 12 000 Kilo-
meter. Das zeigt, hier sind Vergleiche schwierig.
Von den Befürwortern eines generellen Tempolimits
in Deutschland werden immer wieder die Tempolimits in
anderen europäischen Staaten als Argument benutzt.
Man muss dabei, nach meiner Auffassung, auch die Un-
fallzahlen vergleichen.
Für uns gilt es, die Situation und die Unfallentwick-
lung im gesamten deutschen Straßenetz zu betrachten.
Die Autobahnen sind die Hauptschlagadern im Straßen-
netz mit über 30 Prozent der Fahrleistungen. Es ereignen
sich auf den Autobahnen weniger als 6,5 Prozent der
Unfälle mit Personenschäden.
Die Autobahnen sind die sichersten Straßen in
Deutschland. Die Horrorzahlen aus den 70er- und 80er-
Jahren des vergangenen Jahrhunderts sind zum Glück
Geschichte. Dazu beigetragen haben mit Sicherheit die
umfangreichen Investitionen in Infrastruktur, in Ver-
kehrssicherheit und selbstverständlich der technische
Fortschritt in der Automobilindustrie. Ich will dies nicht
unerwähnt lassen. Ingenieure und Fahrzeugbauer haben
Hervorragendes geleistet. Hier braucht sich Deutschland
nicht zu verstecken. Ich bin mir sicher, dass dies auch
weiter geschieht. Hier sind unter anderem passive und
aktive Sicherheitssysteme für Fahrzeuge, wie zum Bei-
spiel Antiblockiersysteme zu nennen.
Weitere Verbesserungen in der Fahrzeugtechnik sind
auch ein entscheidender Ansatz zur Reduzierung von
CO2-Minderung. Im Übrigen haben die USA und
Schweden trotz Tempolimits seit Jahren den höchsten
Durchschnittsverbrauch. Es gilt vielmehr Forschung und
Entwicklung bei zukunftsweisenden Verkehrstechnolo-
gien, unter anderem durch die Elektrifizierung der An-
triebe voranzutreiben.
Im Bereich der Verkehrsregelung muss ebenfalls wei-
ter auf Innovation gesetzt werden. Die Unfallhäufigkeit
ist nicht homogen über das gesamte Autobahnnetz ver-
teilt. Das hängt auch damit zusammen, dass die Ver-
kehrsbelastung mitunter sehr schwankt und natürlich es
auch witterungsbedingt zu Gefahrensituationen kommt.
Deshalb gilt es das Instrument rechnergeschützter Ver-
kehrsbeeinflussungsanlagen noch breiter anzuwenden
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nd weiterzuentwickeln. Das hätte auch einen wichtigen
sychologischen Aspekt. Wenn von den Verkehrsteil-
ehmern die Begrenzung der Geschwindigkeit nachvoll-
ogen werden kann, wird es zu weitaus weniger Über-
chreitungen der zulässigen Höchstgeschwindigkeit
ommen. Dazu ein Beispiel aus meinem Wahlkreis. Auf-
rund von häufigen Stausituationen auf der A 12, die in
rster Linie in der Grenzabfertigung begründet sind, ist
uf circa zwölf Kilometer Tempo 80 ausgeschildert. Das
st eine richtige Maßnahme. Gibt es keinerlei Stauer-
cheinungen, wird diese Beschränkung jedoch nur
chwer von den Verkehrsteilnehmern nachvollzogen.
Mit der geplanten Verkehrsbeeinflussungsanlage,
ach meiner Auffassung überfällig, kann flexibel auf
efahrensituationen reagiert werden. Das wird den Är-
er über den Stau nicht beseitigen. Es sorgt jedoch für
ehr Verständnis zur Reduzierung der zulässigen
öchstgeschwindigkeit. Ob dies bei einem allgemeinen
empolimit auf Autobahnen so ist, möchte ich infrage
tellen.
Eine Einführung eines allgemeinen Tempolimits auf
utobahnen würde zwingend die Ausweitung der Kon-
rolltätigkeit erfordern. Das schon allein deshalb, weil es
icht zu verantworten wäre, die Kontrolltätigkeit an Un-
allschwerpunkten einzuschränken. Das wäre dann aus
ründen der Verkehrssicherheit mehr als kontraproduk-
iv. Wer ein allgemeines Tempolimit fordert, müsste
ann konsequent auch eine Aufstockung der Polizei-
räfte fordern. Dazu finde ich jedoch nichts in den An-
rägen von Bündnis 90/Die Grünen und der Linkspartei.
mmerhin müssten auf über 6 000 Kilometer Autobah-
en zusätzlich Geschwindigkeitskontrollen durchgeführt
erden.
Die Diskussion zum allgemeinen Tempolimit darf zu-
em nicht von dem Bereich mit größtem Handlungsbe-
arf ablenken. Besondere Unfallschwerpunkte sind im
eutschen Straßennetz die Landstraßen, das heißt Bun-
es- und Landesstraßen. Hier haben wir bei Gegenver-
ehr immerhin in der Regel Tempo 100. Dazu kommt
ine weitaus unzureichendere Absicherung zum Beispiel
egen Wildunfälle. Das Risiko, auf Landstraßen tödlich
u verunglücken, ist besonders hoch.
Hier muss weiter ein besonderer Schwerpunkt auf der
erkehrssicherheitsarbeit liegen. Da sind selbstverständ-
ich auch die Länder in der Verantwortung. Besondere
erantwortung hat natürlich auch jeder Verkehrsteilneh-
er. Wir dürfen dabei nicht allein auf Ristriktionen set-
en.
Wir brauchen weiterhin öffentlichkeitswirksame
ampagnen für einen weiteren Mentalitätswandel bei
en Verkehrsteilnehmern. Verkehrssicherheit ist und
leibt ein vielschichtiges Thema. Deshalb ist eine breite
iskussion von Maßnahmepaketen im Ausschuss für
erkehr, Bauen und Stadtentwicklung und im Bundestag
eitaus zielführender.
Jan Mücke (FDP): Es ist schon bemerkenswert, wel-
hes Bild Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke mit ih-
en Anträgen vom deutschen Autofahrer zeichnen: Auf
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der einen Seite steht der Raser, der gefährlich nah auf-
fährt, drängelt und nichts anderes im Sinn hat, als so
schnell wie möglich wieder für freie Fahrt im Renn-
tempo zu sorgen. Auf der anderen Seite steht der beson-
nene Verkehrsteilnehmer, der natürlich nur zum Überho-
len die linke Fahrbahn benutzt, jedoch regelmäßig von
der ungeheueren Dreistigkeit im Rückspiegel verunsi-
chert wird. – Nein, so sieht es auf Deutschlands Auto-
bahnen nicht aus.
Grün-Dunkelrot sieht sich im Dienst der Verkehrssi-
cherheit, und da ist jedes Mittel recht, auch wenn es
noch so abwegig ist. Deutschlands Autobahnen sind die
sichersten Straßen der Welt. Es gibt keine durchgreifen-
den Argumente für die Annahme, dass die Verkehrs-
sicherheit insgesamt durch die Einführung einer
Geschwindigkeitsbegrenzung zunimmt. Obwohl Deutsch-
land das einzige Land in der Europäischen Union ohne
Tempolimit ist, sterben auf den hiesigen Straßen ein
Viertel weniger Menschen als im europäischen Durch-
schnitt und sogar nur halb so viel wie in Polen oder Un-
garn, die nur über ein geringes Autobahnnetz verfügen.
Auch der innerdeutsche Vergleich spricht gegen eine sol-
che Annahme. Rund ein Drittel aller Unfälle auf Auto-
bahnen außerhalb von Baustellen ereignet sich in Stre-
ckenabschnitten mit einer Geschwindigkeitsbegrenzung.
Dieser Anteil entspricht dem Anteil aller Streckenab-
schnitte mit einem Tempolimit. Eine erhöhte Unfallge-
fahr auf Abschnitten ohne Geschwindigkeitsbegrenzung
ist damit nicht nachweisbar.
Von den Antragstellern unerwähnt geblieben ist auch
die Tatsache, dass bereits auf 99 Prozent aller deutschen
Straßen ein Tempolimit besteht. Das öffentliche Straßen-
netz hat eine Länge von circa 644 000 Kilometer. Davon
entfallen lediglich 12 200 Kilometer auf Autobahnen,
von denen wiederum zwei Drittel tempobegrenzt sind.
Hinzu kommt, dass sich 67 Prozent der Unfälle mit
Personenschaden innerhalb geschlossener Ortschaften
ereigneten. 96 Prozent aller Unfälle geschehen bei Ge-
schwindigkeiten unter 100 Stundenkilometer. Auch
sprechen die Erfahrungen der Dänen eine ganz andere
Sprache. Dort wurde Ende April 2004 die zulässige
Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen von 110 auf
130 Stundenkilometer heraufgesetzt. Trotzdem sank die
Zahl der Unfalltoten binnen Jahresfrist um ein Viertel.
Deutschland braucht kein festes Tempolimit. Viel-
mehr benötigt es ein intelligentes und – variables Ge-
schwindigkeitsmanagement. Verkehrsregelanlagen er-
fassen die aktuellen Verhältnisse vor Ort und können die
jeweils erforderlichen Maßnahmen treffen. Sie können
die Autofahrer nicht nur rechtzeitig vor Gefahren war-
nen. Anders als ein generelles Tempolimit stoßen solche
Anlagen auch auf eine hohe Akzeptenz. Deren Anord-
nungen werden deutlich besser befolgt. Da verwundert
es nicht, dass die Unfallzahlen nach Einführung von
Streckenbeeinflussungsanlagen auf den betroffenen Ab-
schnitten um durchschnittlich 30 Prozent gesunken sind.
Das ist ein echter Beitrag zur Verkehrssicherheit.
Verkehrsregelanlagen fördern darüber hinaus auch
den Schutz der Umwelt. Das System setzt bedarfsge-
recht und nahezu verzögerungsfrei die zulässige Höchst-
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eschwindigkeit fest – wenn nötig auch unter 120 Stun-
enkilometer – und verhindert dadurch einen ständigen
echsel zwischen Beschleunigungs- und Bremsphasen.
taus werden auf ein Minimum reduziert. Ein unnötig
rhöhter Kraftstoffverbrauch wird vermieden, Motoren-
eräusche werden auf einem unvermeidbaren Niveau ge-
alten.
Die Annahme von Bündnis 90/Die Grünen und der
inken, bei Einführung eines Tempolimits sei eine Re-
uzierung der CO2-Emmissionen um 9 Prozent zu er-
arten, entbehrt jeglicher Grundlage. Der genannte Be-
rag bezieht sich auf die Emissionen ausschließlich von
kw auf Autobahnen. Nach der Studie des UBA, auf die
ich die Antragsteller beziehen, entspricht dies einem
nteil von lediglich 0,3 Prozent der gesamten CO2-
missionen in Deutschland. Dabei wurde in der Unter-
uchung jedoch eine zu hohe tatsächlich gefahrene Ge-
chwindigkeit angesetzt. Temporäre und konditionale
empolimits fanden kaum Berücksichtigung. Nach einer
ktuellen Berechnung des VDI ergibt sich bei einer ge-
erellen Geschwindigkeitsbegrenzung von 120 Stunden-
ilometer auf Autobahnen ein Rückgang der deutschen
O2-Emissionen von höchstens 0,08 Prozent.
Der Antrag der Linken zeigt wieder einmal, wie
leichgültig sie den Realitäten auf den Märkten gegen-
berstehen. Die Antragsteller gehen davon aus, dass mit
inführung eines generellen Tempolimits der Bedarf an
chnellen und PS-starken Pkw entfallen wird. Ein Blick
ber den deutschen Tellerrand hinaus beweist jedoch das
egenteil: Nirgends ist die Nachfrage nach schweren
nd hochmotorisierten Fahrzeugen so groß wie in den
ereinigten Staaten – trotz eines Tempolimits von umge-
echnet 105 Stundenkilometer. Bereits heute werden
0 Prozent der in Deutschland produzierten Kfz expor-
iert und somit in Ländern mit einer Geschwindigkeits-
egrenzung zugelassen. Kritik der Käufer, dass die Au-
os nicht auf die dortigen Gegebenheiten zugeschnitten
eien, kommt indessen nicht dabei auf.
Bündnis 90/Die Grünen und die Linken verfolgen mit
hren Anträgen erstrebenswerte Ziele. Um diese zu errei-
hen, bedienen sie sich jedoch der Mittel von vorgestern.
ie FDP-Fraktion wird die Anträge daher ablehnen.
Lutz Heilmann (DIE LINKE): Ich weiß, dass viele
enschen gerne schnell mit ihrem Auto fahren; auch in
einer Fraktion gibt es eine Bleifußfraktion, die aber
um Glück deutlich in der Minderheit ist. Deswegen be-
aure ich es, dass der Gruppenantrag gescheitert ist.
usgerechnet eine Fraktion, die sich christlich nennt, hat
ider bessere Vernunft die unchristliche Entscheidung
etroffen, diesen Gruppenantrag abzulehnen. Ich sage
ewusst „unchristlich“; denn ein Tempolimit würde
enschenleben retten. Wie Sie die Inkaufnahme des To-
es von Menschen mit Ihrem christlichen Gewissen ver-
inbaren, müssen Sie wissen. Nachvollziehen kann und
ill ich das nicht.
Ein generelles Tempolimit von 130 auf Autobahnen
ürde zu einem Rückgang des gesamten Kohlendioxid-
usstoßes aller Pkw von 2 Prozent führen. Zusätzlich
äre es ein wichtiger Innovationsanreiz für die Auto-
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industrie, die leider immer noch meint, „höher, schneller,
weiter“ sei das Motto der Zukunft. Aber vielleicht hat
die Krise der Autoindustrie, die Entlassung von Tausen-
den, ja auch genau damit zu tun? Neben dem Kohlen-
dioxidausstoß würde der Ausstoß anderer Luftschad-
stoffe wie Feinstaub sogar noch deutlicher zurückgehen.
Auch der Verkehrslärm ginge erheblich zurück.
Klimaschutz und der Abbau menschlicher Gesund-
heitsbelastungen sind christliche Ziele. Aber anstatt den
Menschen zu helfen, verteidigen Sie das letzte Raser-
paradies auf Erden. Raser dürfen aber nicht der Maßstab
einer verantwortungsvollen Politik sein; denn das deut-
sche Raserparadies ist leider ein Alptraum für die über-
wiegende Mehrheit der Menschen. Nicht umsonst gibt es
T-Shirts mit der Aufschrift „I Survived the German Au-
tobahn.“ Lassen Sie uns gemeinsam diesen Krieg mit an-
deren Mitteln beenden! Springen Sie von den Koali-
tionsfraktionen über Ihren Schatten und stimmen Sie
unserem Antrag zu! Der ist fast wortgleich mit dem
Gruppenantrag, der bereits mit vielen Abgeordneten
auch der Koalition abgestimmt war.
Argumente führen Sie zwar einige ins Feld, nur lassen
sich alle nicht halten. Sie haben doch nur Angst vor einer
Kampagne des ADAC und der Automobilindustrie, die
wiederum um den Absatz ihrer übermotorisierten Fahr-
zeuge fürchtet. Angst, oder Feigheit, aber ist ein schlech-
ter Ratgeber und zudem eine der sieben Todsünden.
Sie sagen, auf der Hälfte der Autobahnen gelte ohne-
hin ein Tempolimit. Spricht das gegen ein generelles
Tempolimit? Nein. Denn wenn man auf der einen Hälfte
langsamer fahren kann, warum dann nicht auch auf der
anderen?
Herr Tiefensee sagt, ein Tempolimit von 120 würde
lediglich zu einer Reduktion von 0,3 Prozent führen.
Herr Minister, das ist unredlich! Sie können die Reduk-
tion von 9 Prozent der Pkw-Emissionen auf Autobahnen
nicht dadurch kleinrechnen, dass Sie das auf die gesam-
ten deutschen CO2-Emissionen hochrechnen. Außerdem
führt das zur Resignation der Menschen. Wenn es näm-
lich nicht einmal helfen würde, dass alle langsamer füh-
ren, warum soll der oder die Einzelne dann ein sparsa-
mes Fahrzeug kaufen? Warum soll er oder sie dann
Energiesparlampen kaufen?
Für die nationalen Emissionen ist das ohne Belang,
aber dennoch eben nicht sinnlos; denn keine oder keiner
allein kann das Klima retten, genauso wenig wie ein ein-
zelner politischer Beschluss dies erreichen kann. So
viele Menschen wie möglich müssen ihren Beitrag zum
Klimaschutz leisten, und eine Vielzahl politischer Be-
schlüsse ist erforderlich. Auch der Verkehr muss seinen
Beitrag zum Klimaschutz leisten – ob das Ministerium
nun will oder nicht –; sonst kann Deutschland seine Kli-
maziele nicht einhalten.
Tatsächlich hat das Verkehrsministerium – nachdem
es in sieben Jahren Rot-Grün nicht einen konstruktiven
Beitrag zum Klimaschutz geleistet hat – zwei Vorschläge
gemacht. Aber haben Sie sich einmal angeschaut, wel-
che CO2-Einsparungen Sie damit erreichen? Natürlich
sind auch wir für eine verbraucherfreundliche Kenn-
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eichnungspflicht des CO2-Ausstoßes von Pkw, und na-
ürlich sind auch wir für eine Reform der Kfz-Steuer mit
em CO2-Ausstoß als Bemessungsgrundlage. Aber glau-
en Sie denn wirklich, dass Sie damit die Gesamtemis-
ionen Deutschlands um mehr als 0,3 Prozent mindern
erden? Ich nicht, schon gar nicht so, wie Sie das vor-
chlagen. Ihre Kfz-Steuer soll die großen Spritschlucker
a gar nicht belasten. Die Wirkung wird sich also null an-
ähern – egal welchen Bezugsrahmen Sie da wählen.
enken – oder rechnen – Sie doch noch einmal nach,
omit Sie wirklich einen Beitrag zum Klimaschutz leis-
en können.
Ein Tempolimit ist eine wichtige Voraussetzung, die
udem unglaublich billig ist, die ohne Weiteres sofort
ingeführt werden kann und die niemandem wirklich
eh tut, außer den Rasern – aber um die tut es mir nicht
eid. Vielleicht laufen aus der Koalition ja einige mit
em Button „Mein Herz schlägt auch für Raser“ durch
ie Gegend. Ich werde in Zukunft darauf achten.
Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
eltweit scheinen Sie von der CDU/CSU und der SPD
ie einzigen zu sein, die den Wahnsinn auf deutschen
utobahnen weiterhin zulassen. Die FDP nehme ich da-
ei nicht aus. Sie wollen kein Tempolimit. Sie wollen die
renzenlose Freiheit des Gaspedals ohne Rücksicht auf
ie Gefahren für das Klima und die Verkehrsteilnehmer.
ie ignorieren die Tatsachen und Erfahrungen aller In-
ustrieländer weltweit, die mit einem Tempolimit leben.
arum? Und warum haben Sie ihre Kritikerinnen und
ritiker in den eigenen Reihen zurückgepfiffen? Die
akten, die für ein Tempolimit sprechen, liegen doch auf
em Tisch. Und die Bevölkerungsmehrheit akzeptiert
in Tempolimit.
Sind Sie, meine Damen und Herren von der Koali-
ionsfraktion, gefangen im Griff der Autokonzerne? Die
utokonzerne haben bekanntlich kein Interesse an Tem-
olimits, weil sie befürchten, ihre Spritschlucker nicht
ehr loszuwerden. Trotzdem exportieren Sie in die
anze Welt. Sie wissen genau, dass Innovationen im Kli-
aschutz gefragt sind, nicht aber spritschluckende PS-
onster. Nur umweltfreundliche Innovationen sind dau-
rhaft konkurrenzfähig. Aber nicht Wissen, sondern Ta-
en zählen.
Für Bündnis 90/Die Grünen hört der Spaß beim Gas-
eben auf, wo das Leid anderer beginnt. Uns ist es ernst
it Klimaschutz und Verkehrssicherheit. Wir haben
eute diesen Antrag in den Deutschen Bundestag einge-
racht und fordern eine moderate, an Europa angepasste
eschwindigkeitsbegrenzung von 120 km/h auf deut-
chen Autobahnen ab 2008.
Tempo 120 würde sofort zur Einsparung von 3,3 Mil-
ionen Tonnen CO2 pro Jahr führen. Das entspricht der
mission aller Busse bzw. eines Steinkohlekraftwerkes
nd ergibt bis 2020 etwa 40 Millionen Tonnen einge-
partes CO2. Diese klimapolitische Sofortmaßnahme
ürde keinen Cent kosten, keine Arbeitsplätze gefähr-
en und dazu mehr Verkehrssicherheit bringen. Im Ge-
enteil: Folgekosten durch Unfälle und Klimaschäden
ürden reduziert.
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Zahlreiche Versuche auf deutschen Autobahnen in der
Vergangenheit und Vorbilder aus dem Ausland beweisen
es: Wer nicht rast, fährt sicherer. Es geht nicht um
Durchschnittsgeschwindigkeiten, es geht um die Zäh-
mung der gefährlichen Extremgeschwindigkeiten. Auto-
bahnen in Deutschland gelten als die sichersten Straßen.
Das kann nicht überraschen: Kein Gegenverkehr, keine
Fußgänger und Radfahrer und keine Kreuzungen. Trotz-
dem gehen 12,4 Prozent der im Straßenverkehr Getöte-
ten auf das Konto der Autobahn. Wir wollen, dass lang-
fristig niemand mehr auf deutschen Straßen zu Tode
kommt oder schwer verletzt wird.
Anlage 9
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über
Qualität und Sicherheit von menschlichen Ge-
weben und Zellen (Gewebegesetz) (Tagesord-
nungspunkt 19)
Hubert Hüppe (CDU/CSU): Mit dem Gewebegesetz
setzen wir die EU-Geweberichtlinie in deutsches Recht
um. Die Ziele der EU-Geweberichtlinie haben wir alle
bejaht. Die Richtlinie dient der Sicherheit von Patientin-
nen und Patienten, denen Gewebe oder Zellen übertra-
gen werden sollen. Damit die Übertragung von Krank-
heiten vermieden wird, sollen Qualität und Sicherheit
von Geweben und Gewebezubereitungen gewahrt wer-
den.
Großen Dissens gab es allerdings über den einge-
schlagenen Weg des Entwurfes, der tiefe Eingriffe vor
allem im Transplantationsgesetz und Arzneimittelgesetz
vornimmt. Bereits im Vorfeld haben Bundesärztekam-
mer und Fachverbände Kritik vorgebracht. Der Bundes-
rat hat eine umfangreiche Stellungnahme zum Entwurf
der Bundesregierung vorgelegt – und wir hatten im März
eine sehr kontroverse Anhörung mit 50 Fachverbänden
und sieben Einzelsachverständigen. Die Kritik richtete
sich unter anderem auf den befürchteten Kosten- und
Verwaltungsaufwand sowie die Gefahr der Kommerzia-
lisierung. Aber auch unter ethischen Aspekten wurde
Nachbesserungsbedarf angemahnt.
Die Union hat von Anfang an zugesagt, dass wir im
parlamentarischen Verfahren mit der Kritik der Sachver-
ständigen, der Ärzteschaft, der Verbände, der Kirchen
und der Industrie konstruktiv umgehen werden. Die
CDU/CSU-Fraktion hat während der vergangenen Mo-
nate intensiven Kontakt mit den Fachleuten und Verbän-
den gehalten und gemeinsam mit ihnen nach Lösungen
gesucht. Viele sind von sich aus auf uns zugekommen
und haben ihre – teilweise unterschiedlichen – Vorstel-
lungen und Wünsche eingebracht. Das ist nicht nur legi-
tim, sondern es hat der Sache gedient – auch wenn das
eine oder andere sich nicht im Gesetz wiederfinden
konnte. Gerne möchte ich deshalb an dieser Stelle ein-
mal Dank sagen an alle, die uns ihre Sachkenntnis und
ihren fachlichen Rat zur Verfügung gestellt haben.
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Deutsche Gesetze, die eng verwandte Sachzusam-
enhänge regeln, haben schon bisher Regelungen ent-
alten, die die Geweberichtlinie vorgibt. Vor allem sind
ies das Transplantationsgesetz, das Transfusionsgesetz
nd das Arzneimittelgesetz. Der Gesetzentwurf hat den
eg einer Umsetzung der Richtlinie innerhalb dieses
ahmens eingeschlagen: Die technischen Regelungen
ur Qualität und Sicherheit werden im Arzneimittelge-
etz umgesetzt. Die ethischen Fragen wie Spenderauf-
lärung und Einwilligung sowie die Aspekte der Mel-
ung schwerwiegender Zwischenfälle und Reaktionen
nd der Rückverfolgung werden im Transplantationsge-
etz geregelt. Diesen Rahmen schreibt die Richtlinie
icht notwendig vor. Aber hier haben wir langjährige ge-
etzgeberische und Vollzugserfahrung.
Ein Großteil der Kritik war mit der Unterstellung der
ewebe unter das Arzneimittelrecht verbunden. Um
iese Systematik beizubehalten, waren praktikable Lö-
ungen zu finden, die die Versorgung der Patienten mit
icheren Geweben gewährleisten, die aber gleichzeitig
ifferenzieren zwischen den Anforderungen bei „tradi-
ionellen“ Arzneimitteln einerseits und den Anforderun-
en bei bestimmten Gewebezubereitungen andererseits.
ir haben Lösungen gefunden, die diesen Kritikpunkt
onstruktiv aufgreifen, die praktikabel sind, weil sie eine
berbürokratisierung vermeiden, und die gleichzeitig
ie Vorgaben der Geweberichtlinie „eins zu eins“ umset-
en.
Für die Gewinnung von Gewebe gilt nicht die klassi-
che Herstellungserlaubnis des Arzneimittelrechts, son-
ern eine den Besonderheiten der Gewebe angepasste
rlaubnis. Ein besonders einfaches Verfahren gilt für
olche Entnahmestellen, die mit einem Hersteller von
ewebezubereitungen zusammenarbeiten. Hier bedarf
s im Wesentlichen einer Anzeige des Herstellers bei der
uständigen Behörde der Entnahmeeinrichtung. Diese
ird in die Erlaubnis des Herstellers einbezogen, wenn
ine Frist von einem Monat abgelaufen ist und die Be-
örde sich nicht gemeldet hat. Die Entnahmestelle selbst
uss dann nicht mehr tätig werden. Sie wird genauso
ntlastet wie die zuständige Behörde, die keine Besichti-
ung der Entnahmestelle durchführen muss.
Solche Gewebezubereitungen, die nicht industriell
ergestellt werden, werden gesondert behandelt. Dies
etrifft zum Beispiel Herzklappen und Augenhornhäute.
ier gelten künftig vereinfachte Regelungen für die Ge-
innung oder Entnahme, Be- oder Verarbeitung, das In-
erkehrbringen und die Einfuhr aus Drittstaaten. Dies
ntspricht den Mindeststandards der Geweberichtlinie
nd ihrer Durchführungsrichtlinien, wie zum Beispiel
er guten fachlichen Praxis, aber nicht den Qualitäts-
tandards der EG-Arzneimittelrichtlinien. Diese nicht in-
ustriell hergestellten Gewebezubereitungen unterlie-
en auch nicht dem bisherigen arzneimittelrechtlichen
ulassungsverfahren, sondern einer eigenen Genehmi-
ung. Diese Genehmigung ist eine Verfahrensgenehmi-
ung, die sich auf die Be- oder Verarbeitung der Gewe-
ezubereitungen bezieht. Im Gegensatz zur Zulassung
ind keine aufwendigen Nachweise für Wirksamkeit und
nbedenklichkeit der Produkte in Form von klinischen
rüfungen oder pharmakologisch-toxikologischen Un-
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tersuchungen erforderlich. Damit haben wir eine Rege-
lung gefunden, die den Gegebenheiten der Praxis ge-
recht wird. Diese neue Genehmigung bedeutet auch,
dass die so genehmigten Produkte dem Handelsverbot
unterliegen. Damit greifen wird die Kritik auf, dass in
diesem Bereich die Gefahr der Kommerzialisierung
hätte entstehen können.
Wir haben auch die Einfuhrvorschriften für Gewebe
aus Drittstaaten vereinfacht. Die Länderbehörden müs-
sen nicht in jedem Fall Drittlandsinspektionen in Ent-
nahmeeinrichtungen durchführen, wenn sie aufgrund der
eingereichten Unterlagen den Eindruck haben, dass
diese Einrichtungen die auch innerhalb Deutschlands er-
forderlichen Qualitätsstandards einhalten.
Ein wichtiger Punkt war, dass der Vorrang der Organ-
spende abgesichert wird. Entsprechend dem Votum des
Bundesrates und der Mehrheit der Sachverständigen
wird dieser Grundsatz im Transplantationsgesetz neu
eingeführt. Diesen Vorrang der Organspende sichern wir
durch entsprechende Dokumentationspflichten zusätz-
lich ab: Die Entnahme von Geweben ist „erst dann zuläs-
sig, wenn eine von der Koordinierungsstelle beauftragte
Person dokumentiert hat, dass die Entnahme oder Über-
tragung von vermittlungspflichtigen Organen nicht mög-
lich ist oder durch die Gewebeentnahme nicht beein-
trächtigt wird“.
Hinsichtlich der Knochenmarkspende bei nicht ein-
willigungsfähigen bzw. minderjährigen Menschen haben
wir die ethisch begründeten Einwände aufgegriffen. Die
lebensrettende Spende zugunsten des Bruders oder der
Schwester ist der weitaus häufigste Fall. Zunächst haben
wir eine Begrenzung der Spende auf Eltern und Ge-
schwister vorgenommen. Damit werden die in der Anhö-
rung erwähnten Großeltern als mögliche Empfänger von
Knochenmark eines Kindes ausgeschlossen. Bei der äu-
ßerst seltenen Knochenmarkspende eines Minderjähri-
gen zugunsten eines Elternteils kann ein Interessenkon-
flikt bestehen – wenn die für das Kind entscheidenden
Eltern ein eigenes Interesse an der Übertragung des Kno-
chenmarks haben. Wir wollen das Wohl des Kindes
umfassend schützen. Deshalb sind die Eltern in diesen
seltenen Fällen verpflichtet, die beabsichtigte Knochen-
marksentnahme unverzüglich dem Familiengericht an-
zuzeigen.
Ein ethisches Problem ist die Knochenmarkspende ei-
nes nicht einwilligungsfähigen Erwachsenen. Wir sind
der Forderung von Behindertenverbänden und Kirchen,
die ich auch persönlich unterstützt habe, gefolgt und ha-
ben diesen Absatz gestrichen. Damit beugen wir dem
möglichen Fehlverständnis vor, dass nicht einwilli-
gungsfähige Erwachsene für fremdnützige Eingriffe ver-
fügbarer sind als andere Menschen. Die medizinischen
Fachleute haben uns zudem bestätigt, dass der Fall einer
Knochenmarkspende eines nicht einwilligungsfähigen
Erwachsenen in der Praxis so gut wie nie vorkommt.
Einen weiteren ethisch wichtigen Punkt haben wir
ausdrücklich klargestellt: Weder menschliche Ei- und
Samenzellen noch menschliche Embryonen sind je Arz-
neimittel. Bei Samenspende und Knochenmarkspende
wird es eine Ausnahme vom Grundsatz der Anonymität
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er Gewebespende geben. Die Geweberichtlinie lässt
usdrücklich solche Ausnahmen zu. Bei der Samen-
pende hat das Kind ein Recht auf Kenntnis seiner Ab-
tammung. Bei der Knochenmarkspende Erwachsener
ugunsten lebensbedrohlich erkrankter Menschen muss
s möglich sein, dass Spender und Empfänger sich ken-
enlernen können, wenn sie dies wollen. Die Erfahrung
er Fachleute zeigt, dass dies häufig der Fall ist.
Die Frist zur Umsetzung der Geweberichtlinie ist be-
eits verstrichen. Wir haben uns daher keine Zeit gelas-
en, obwohl sich Deutschland im europaweiten Ver-
leich bei der Umsetzung der Geweberichtlinie durchaus
ehen lassen kann. Aber wir haben auch nicht zugelas-
en, dass der Zeitdruck zulasten der Sorgfalt und der
ualität geht. Mit dem heute vorliegenden Ergebnis er-
üllen wir die europarechtlichen Anforderungen und
eisten unseren Beitrag zur Versorgung von Patienten mit
icheren Zellen und Geweben.
Dr. Carola Reimann (SPD): Mit dem nun vorliegen-
en Gesetzentwurf über Qualität und Sicherheit von
enschlichen Geweben und Zellen, kurz Gewebegesetz,
egeln wir den Umgang mit menschlichen Zellen und
eweben. Grundlage hierfür ist die EG-Gewebericht-
inie, die in nationales Recht umgesetzt werden muss.
ierbei kam es insbesondere durch die vorgezogene
undestagswahl 2005 zu Verzögerungen, sodass die
rist zur Umsetzung im vergangenen Jahr nicht einge-
alten werden konnte.
Es geht hier aber nicht in erster Linie um Fristen und
orgaben. Es geht hier vor allem darum, hohe Sicher-
eitsstandards zu schaffen. Ziel des Gesetzes ist es, Qua-
ität und Sicherheit von Geweben weiterhin zu gewähr-
eisten und zu verbessern – das gilt für die Entnahme, die
ntersuchung, die Verarbeitung und die Aufbewahrung.
ir sprechen hier von einem hochsensiblen Bereich, bei
em der Gesundheitsschutz oberste Priorität haben
uss. Das wird mit dem nun vorliegenden Gesetzent-
urf auch verwirklicht.
Das Gewebegesetz sieht vor, die Regelungen zur
ualität und Sicherheit beim Umgang mit Zellen und
eweben im Arzneimittelgesetz (AMG) mit umzuset-
en. Gerade hinsichtlich der Sicherheit hat sich das
MG im Arzneimittelbereich über Jahre hinweg be-
ährt. Insofern ist es sinnvoll und richtig, diese Syste-
atik für den Bereich Gewebe zu übernehmen. Zugleich
ird im Gesetzestext klargestellt: Die Anwendung des
rzneimittelgesetzes bedeutet nicht, dass alle Gewebe
rzneimittel sind.
Fragen der Aufklärung und Einwilligung, der Mel-
ung von Zwischenfällen und der Rückverfolgung wer-
en hingegen im Transplantationsgesetz (TPG) geregelt.
Wie bereits erwähnt, regelt das Gewebegesetz einen
ensiblen Bereich. Das gilt nicht nur für Fragen der Si-
herheit und Qualität, sondern es betrifft natürlich auch
thische Aspekte. Der vorliegende Entwurf trägt diesen
esichtspunkten Rechnung. Der Vorrang der Organ-
pende vor der Gewebespende wird verstärkt. Selbstver-
tändlich werden Spende und Entnahme von Geweben
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007 10305
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auch künftig unentgeltlich erfolgen. Ein sachgerechtes
Aufklärungsangebot muss Spender wie Angehörige in
die Lage versetzen, eine freie und informierte Entschei-
dung zu treffen – nur so können wir dauerhaft eine Be-
reitschaft zur Spende bei den Menschen erreichen.
Die Themen Information und Aufklärung der Bevöl-
kerung, Spender und Angehörige nehmen auch im Ent-
schließungsantrag der Regierungsfraktionen breiten
Raum ein. Begrüßenswert ist auch der darin angeregte
Bericht zur Situation der Transplantationsmedizin in
Deutschland durch das Bundesministerium für Gesund-
heit, der dem Bundestag im kommenden Jahr vorgelegt
werden soll. Darin sollen die Erfahrungen mit dem
Transplantationsgesetz aufgezeigt und insbesondere die
Organ- und Gewebespende, die Vermittlung und das
spezifische Aufklärungsangebot kritisch reflektiert wer-
den. Die Veröffentlichung des Berichts ist meiner Mei-
nung nach auch eine gute Gelegenheit, die erst kürzlich
vorgestellte Stellungnahme des Nationalen Ethikrates
zur Organspende erneut zu diskutieren.
Ich finde, dass wir hier einen ausgewogenen Entwurf
zum Gewebegesetz vorlegen, der ein hohes Sicherheits-
und Qualitätsniveau gewährleistet und der Tatsache
Rechnung trägt, dass Entnahme, Verarbeitung und Auf-
bewahrung von menschlichen Geweben und Zellen sen-
sible Bereiche darstellen, bei denen ethische Aspekte
eine wichtige Rolle spielen. Zugleich ist es gelungen,
Vorschriften und Verfahren praktikabel auszugestalten.
Michael Kauch (FDP): Zunächst einmal möchte ich
meinen Unmut zum Ausdruck bringen, dass die Verab-
schiedung des Gewebegesetzes zu so nachtschlafener
Zeit angesetzt ist, dass die Debatte darüber zu Protokoll
gegeben wird. Dies wird der Bedeutung des Gesetzent-
wurfes in keiner Weise gerecht und ist ein Negativbei-
spiel für die Abläufe in diesem Parlament.
Aber vielleicht will die Koalition ja auch der Öffent-
lichkeit vorenthalten, was bei diesem Gesetzentwurf
passiert ist. „Wie ein Gesetz total zerfleischt wird“,
titelte heute Nachmittag der Internetdienst „Welt-
Online“ zum Gewebegesetz. Und das ist nicht weit von
der Realität entfernt.
Nach dem vernichtenden Urteil nahezu aller Sachver-
ständigen über den Regierungsentwurf zum Gewebege-
setz hat der Gesundheitsausschuss gestern umfangreiche
Änderungen beschlossen. Die Änderungen sind so weit-
gehend, dass sie nur als Niederlage für Ulla Schmidt in-
terpretiert werden können. Offenbar hat sie das Eigenle-
ben mancher Referate ihres Hauses nicht im Griff.
Die Änderungen der Koalitionsfraktionen stellen er-
hebliche Verbesserungen dar, machen den Gesetzent-
wurf für die FDP aber immer noch nicht zustimmungsfä-
hig. Wir werden uns enthalten.
Es bleibt bei der problematischen Grundkonzeption,
die EU-Geweberichtlinie teilweise im Arzneimittelge-
setz umzusetzen. Die Richtlinienkompetenz der Bundes-
ärztekammer für Detailregelungen wird zwar entgegen
den Regierungsplänen nicht abgeschafft, aber doch ein-
geschränkt. Und ob alle Regelungen der Genehmigungs-
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erfahren geringst mögliche Bürokratie und kürzestmög-
iche Fristen enthalten, bleibt angesichts des hektischen
esetzgebungsverfahrens offen.
Erfreulich ist nach den Änderungen, dass Gewe-
espenden für die Verwendung beim Spender selbst
benso wie Keimzellen nun nicht dem Arzneimittelge-
etz unterliegen werden. Bei reinen Gewebetransplanta-
en ist es zu Verbesserungen durch vereinfachte Geneh-
igungen und den Verzicht auf die Kommerzialisierung
ekommen.
Ebenfalls wichtig ist der FDP, dass bei Knochenmark-
nd Samenspenden abweichend vom Regierungsentwurf
eine Anonymität der Spende mehr vorgesehen ist.
Die FDP hält die Verschärfungen für die Gewebeent-
ahme bei Minderjährigen und Nicht-Einwilligungsfähi-
en für überzogen. Es ist nicht einzusehen, warum eine
ewebespende Minderjähriger für ihre Eltern zulässig
st, für ihre Großeltern aber nicht. Hier liegt kein qualita-
iver Unterschied vor. Kinder, die bei ihren Großeltern
ufwachsen, haben zu ihnen mindestens ein ebenso gro-
es Näheverhältnis wie zu ihren Eltern.
Auch der völlige Ausschluss etwa der Knochenmark-
pende von Nicht-Einwilligungsfähigen entspricht nicht
er notwendigen Abwägung. So bleiben emotionale Nä-
everhältnisse zum Beispiel von geistig Behinderten zu
eukämiekranken Verwandten unberücksichtigt. Wir Li-
erale hätten uns die Möglichkeit zu Einzelfallentschei-
ungen in engen Grenzen gewünscht.
Beobachtet werden muss nach Inkrafttreten des Ge-
etzes, ob der von der Koalition richtigerweise formu-
ierte Vorrang der Organspende vor der Gewebespende
atsächlich durchgesetzt wird; denn die Koalition hat
arauf verzichtet, Verstöße gegen das vorgesehene Ver-
ahren mit Sanktionen zu belegen. Gegebenenfalls muss
ier nachgebessert werden. Es ist erfreulich, dass die
undesregierung im Ausschuss zugesagt hat, hierüber
esonders aufmerksam zu berichten.
Der Entschließungsantrag der Koalition, dem wir zu-
timmen, beauftragt die Bundesregierung, in 2008 einen
ericht über den Stand der Transplantationsmedizin ab-
ugeben. Dieser Bericht muss dann Anlass sein, Verbes-
erungen sowohl bei der Gewebe- als auch der Organ-
pende zu diskutieren – und auch die ersten Erfahrungen
it dem heute zu verabschiedenden Gesetz aufzugrei-
en.
Frank Spieth (DIE LINKE): Stellen Sie sich vor,
hre Mutter ist krank und wartet auf eine Spenderniere.
as würden Sie nicht alles unternehmen, um an dieses
ebenswichtige Organ heranzukommen? Insbesondere
ann, wenn Sie eine Wartezeit von bis zu sechs Jahren in
auf nehmen müssten?
Bereits heute machen sich viele Menschen auf, um in
en ärmsten Ländern eine Spenderniere zu kaufen. Für
in paar Dollar sind dort Menschen aus purer Not bereit,
ich quasi ausschlachten zu lassen.
Das ist für die Linke und mich einer der größten
kandale der heutigen Zeit. Menschenrechte gelten für
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alle Menschen; Arm und Reich dürfen nicht weiter aus-
einanderklaffen.
Glücklicherweise verhindert das Transplantations-
gesetz bei uns solchen Organhandel. Dennoch: Wir
brauchen dringend mehr Organspenden, um die
Schwerstkranken besser versorgen zu können. Die Spen-
debereitschaft hängt aber maßgeblich davon ab, dass die
Leute sich darauf verlassen können, durch ihre selbstlose
Spende nicht in die Fänge von Geschäftemachern oder
Mafiosi zu geraten. Diese Gefahr besteht zweifelsohne
durch die Kommerzialisierung des internationalen Ge-
webehandels. So sagten es auch die Experten bei der An-
hörung im Gesundheitsausschuss des Deutschen Bun-
destags am 7. März 2007.
Nach dieser deutlichen Kritik am ersten Gesetzent-
wurf hat die Koalition viele handwerkliche Fehler korri-
giert. Das will ich hier ausdrücklich loben. So können
nun die Augenhornhautbanken und auch die Spezialab-
teilungen für Brandopfer in Kliniken ohne Zulassung als
„Arzneimittelhersteller“ ihre Arbeit verrichten. Die
Knochenmarkspende“ von Nichteinwilligungsfähigen
wurde fallen gelassen, Kinder können nur nach Ent-
scheid des Familiengerichts zur Knochenmarkspende
herangezogen werden. Ich finde es gut, dass jetzt die Re-
gelung gilt, dass die Organspende der Gewebenutzung
vorgeht. Ich finde es auch gut, dass Herzklappen und
Augenhornhäute mit einem Handelsverbot belegt wer-
den. Damit hat die Bundesregierung die weiteren Beden-
ken der Experten ernst genommen und über die Ände-
rungsanträge diese zumindest teilweise berücksichtigt.
Meine Fraktion hätte es aber begrüßt, wenn Sie das
Gewebegesetz noch einmal komplett neu aufgerollt hät-
ten. Deshalb bleibt unsere bisherige Kritik weiter beste-
hen, nämlich die Verknüpfung des Gewebegesetzes mit
dem Arzneimittelgesetz. Dieses erlaubt den Handel mit
den „industriell gefertigten“ Geweben und soll angeblich
für die notwendige Sicherheit sorgen. So kann zum Bei-
spiel aus gespendeten Knochen neues Knochengewebe
hergestellt und so können Defekte aufgefüllt werden.
Dass das Arzneimittelgesetz (AMG) der falsche Re-
gelungsrahmen ist, zeigt zum Beispiel die „Produktzu-
lassung“ nach § 21 a Abs. 2 Nr. 6 AMG: Was für die
Produktionssicherheit bei einer Tablettenherstellung
durchaus Sinn macht – denn auch die millionste Tablette
muss die gleiche Qualität wie die erste haben –, kann auf
Herzklappen oder Augenhornhäute nicht übertragen
werden.
Wir stehen mit dieser arzneimittelrechtlichen Lösung
innerhalb der Europäischen Union allein da. Das wäre
nicht nötig gewesen. Unsere österreichischen Nachbarn
haben uns vorgemacht, dass auch ein eigenständiges Ge-
setz für Gewebe möglich wäre. Warum können nicht die
klassischen Gewebetransplantate wie Herzklappen, Au-
genhornhäute, Knochengewebe oder Blutgefäße dem
Transplantationsgesetz unterstellt werden?
Auch wenn im Gesetz jetzt der Empfängerkreis ver-
kleinert und die Bedingungen für die Knochenmarkent-
nahme an die Familiengerichte delegiert wird, bleibt die
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öglichkeit, Kindern Knochenmark zu entnehmen, ob-
ohl sie selbst nicht zustimmungsfähig sind. Die Hür-
en für fremdnützige Spenden sollten höher gehängt und
ur im absoluten Ausnahmefall nach Abfrage aller ande-
en Spendenquellen möglich sein. Auch wenn wesentli-
he Teile unserer Kritik am Gesetzentwurf aufgenom-
en wurden, bleibt es bei der unglücklichen Kopplung
n das Arzneimittelgesetz. Deshalb werden wir uns in
er Abstimmung zu diesem Gesetz enthalten.
Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
ie scheuen offenbar die öffentliche Auseinandersetzung
ber die ethischen Folgen Ihres Gewebegesetzes. Anders
ässt sich wohl kaum erklären, dass die Plenardebatte um
ieses Gesetz zu so später Stunde aufgesetzt worden ist.
ie wollen, dass dieser Gesetzentwurf ohne viel weitere
ffentliche Aufmerksamkeit und Widerstand verabschie-
et werden kann. Offenbar weil von den versammelten
achleuten in der Anhörung zum Teil erhebliche Kritik
n ihrem Gesetzentwurf kam.
Dennoch zeugt es von einer ziemlichen Ignoranz, wie
as zuständige Bundesministerium die einmütige Kritik
ieser Verbände und Experten an sich abperlen ließ. Es
st in erster Linie den Kolleginnen und Kollegen der
nion zu verdanken, dass an dem vorgelegten Entwurf
berhaupt noch etwas geändert wurde. Die SPD hat die
ritischen Stimmen aus den eigenen Reihen – wie auch
chon bei der Gesundheitsreform – verhallen lassen. Lo-
alität zur eigenen Ministerin mag ja grundsätzlich eine
egrüßenswerte Eigenschaft sein – aber sie sollte Gren-
en haben. Zumal wenn es um so bedeutsame medizini-
che und ethische Fragen geht.
Auch wenn einige der aus Ihren Reihen in letzter Mi-
ute vorgelegten Änderungsanträge in die richtige Rich-
ung weisen, lehnen wir den Gesetzentwurf ab. Wir kön-
en keinen Gesetzentwurf mittragen, der einen Handel
it Gewebetransplantaten eben nicht grundsätzlich und
irksam ausschließt. Aufgrund neuer Behandlungsver-
ahren lassen sich heutzutage mit menschlichen Gewe-
en erhebliche Gewinne erwirtschaften. Sowohl aus
thischen Gründen wie auch aus Gründen des Patienten-
chutzes müssen wir verhindern, dass sich der Umgang
it Teilen des menschlichen Körpers an kommerziellen
nteressen ausrichtet. Deshalb halten wir die Umsetzung
er EU-Richtlinie im Rahmen des Arzneimittelrechts für
en nicht zu heilenden Konstruktionsfehler des vorlie-
enden Entwurfs. Dies führt auch dazu, dass nunmehr
as Handelsverbot des Transplantationsgesetzes über
en § 21 des Arzneimittelgesetzes ausgehebelt werden
ann. Die unbestimmten Regelungen zur Entschädigung
ür Spender tragen auch ihren Teil zur drohenden Kom-
erzialisierung bei.
Wir werden diesem Gesetzentwurf auch deswegen
icht zustimmen, weil er keine gerechte und an den Inte-
essen der Patientinnen und Patienten orientierte Vertei-
ung von Gewebetransplantaten gewährleistet. Bei Or-
anspenden haben wir so ein Verfahren und damit auch
ine rechtliche Handhabe für Fälle wie jüngst in Essen,
o ein Chefarzt im Verdacht steht, eine Patientin gegen
ie Zahlung einer fünfstelligen Summe bei einer Leber-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007 10307
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transplantation bevorzugt zu haben. Für Gewebe sieht
der vorliegende Gesetzentwurf gar kein Verteilungsver-
fahren vor. Das heißt, am Ende zählt nicht die Bedürftig-
keit, sondern finanzielle Kriterien entscheiden darüber,
wer ein Transplantat bekommt. Ich kann mir nicht vor-
stellen, wie insbesondere die Sozialdemokraten dies ih-
ren Wählerinnen und Wählern erklären wollen.
Es ist erstaunlich, wie wenig das Bundesgesundheits-
ministerium trotz gegenteiliger öffentlicher Bekennt-
nisse wie zuletzt durch Ministerin Schmidt beim Deut-
schen Ärztetag bereit war, sich den ethischen Bedenken
am Gesetzentwurf zu öffnen. In der Frage der Knochen-
markspende durch Nichteinwilligungsfähige haben Sie
buchstäblich in letzter Sekunde zwar noch die Kurve ge-
kriegt. Die Gewinnung von fötalem und embryonalem
Gewebe ist aber weiterhin trotz der Kritik vor allem auch
der Kirchen bedenklich unklar geregelt.
Zusammenfassend finde ich es besonders erstaunlich,
dass sich ausgerechnet ein sozialdemokratisch geführtes
Gesundheitsministerium zum Vorreiter einer schleichen-
den Kommerzialisierung des menschlichen Körpers
macht. Sollten Sie sich der Tragweite der mit diesem Ge-
setz vorgesehenen Regelungen bewusst sein, kann ich
nur an Sie appellieren: Tun Sie es uns gleich, und lehnen
Sie diesen Gesetzentwurf ab!
Rolf Schwanitz, Parl. Staatssekretär bei der Bun-
desministerin für Gesundheit: Das Gesetz über Qualität
und Sicherheit von menschlichen Geweben und Zellen
setzt abschließend Regelungen der europäischen Gewe-
berichtlinie 2004/23/EG in nationales Recht um.
Menschliche Gewebe und Zellen werden heute viel-
fältig zu therapeutischen Zwecken eingesetzt. Das Ge-
webegesetz enthält zum Schutz der Patientinnen und Pa-
tienten die Vorgaben, die für die Qualität und Sicherheit
der Arzneimittel aus menschlichen Geweben und Zellen
notwendig sind. Dadurch sollen nicht nur die Übertra-
gung von schwerwiegenden Krankheiten, sondern auch
Schäden durch unsachgemäße Be- oder Verarbeitung der
Gewebe vermieden werden. Dabei ist der Rechtsrahmen
gewählt worden, den wir in Deutschland schon lange ha-
ben: Die technischen Regelungen werden im Arzneimit-
telgesetz umgesetzt. Die ethischen Fragen wie Spender-
aufklärung und Einwilligung sowie die Aspekte der
Meldung schwerwiegender Zwischenfälle und Reaktio-
nen und der Rückverfolgung werden im Transplanta-
tionsgesetz geregelt.
Im Arzneimittelgesetz werden die Regelungen über
die Gewinnung und die Be- oder Verarbeitung von
Gewebe sowie über das Inverkehrbringen von Gewebe-
zubereitungen jeweils in gesonderten Vorschriften zu-
sammengefasst. Dadurch sind innerhalb des Arzneimit-
telrechts übersichtliche Vorschriften geschaffen worden,
die die Besonderheiten im Umgang mit Gewebe ange-
messen berücksichtigen und die EG-Richtlinien exakt
umsetzen.
Im Rahmen dieses neuen Systems ist zunächst die
Vorschrift des § 20 b AMG zu erwähnen, die künftig die
Gewinnung jeder Art von Gewebe regelt. Sie gilt für die
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ewinnung von Gewebe einschließlich damit zusam-
enhängender Maßnahmen zur Erhaltung des Gewebes
n einem be- oder verarbeitungsfähigen Zustand, zur ein-
eutigen Identifizierung sowie zum Transport. Für Ent-
ahmeeinrichtungen, die mit einem Hersteller oder Be-
der Verarbeiter von Geweben zusammenarbeiten, sieht
ie zudem eine Erleichterung bei der Erwirkung der er-
orderlichen Erlaubnis vor. Die Erlaubnis muss nämlich
icht von der Entnahmeeinrichtung selbst beantragt wer-
en, sondern ist vom Hersteller bzw. vom Be- oder Ver-
rbeiter einzuholen.
Die Vorschriften für die Be- oder Verarbeitung von
ekannten Geweben werden ebenfalls in einer gesonder-
en Regelung, dem § 20 c AMG, zusammengeführt. Be-
annte Gewebe sind solche, die mit nicht industriellen
erfahren be- oder verarbeitet werden und deren Her-
tellungsverfahren in der Europäischen Union hinrei-
hend bekannt sind. Diesen Geweben werden solche
rodukte gleichgestellt, die zwar mit neuen Verfahren
e- oder verarbeitet werden, welche aber mit bekannten
erfahren vergleichbar sind.
Für Gewebezubereitungen, die mit industriellen, das
eißt anspruchsvollen technischen, auch biotechnischen
der aufwendigen maschinellen Verfahren hergestellt
erden, finden die jetzt geltenden arzneimittelrechtli-
hen Regelungen des § 13 AMG weiter Anwendung.
Das neue Genehmigungsverfahren für das Inverkehr-
ringen von Gewebezubereitungen ist in § 21 a AMG
nthalten und betrifft ebenfalls nur bekannte Gewebezu-
ereitungen. Gewebeprodukte, die unter den Arzneimit-
elbegriff der Richtlinie 2001/83/EG fallen oder die mit
esentlich neuen Verfahren hergestellt werden, müssen
us Gründen des Gesundheitsschutzes weiterhin nach
em aufwendigeren Verfahren des § 21 AMG zugelas-
en werden. Das Genehmigungsverfahren nach § 21 a
MG ist im Vergleich zur Zulassung nach § 21 AMG
ereinfacht und stellt ein selbstständiges Verfahren dar.
emäß § 21 a AMG genehmigte Gewebezubereitungen
nterliegen dem Organ- und Gewebehandelsverbot des
17 TPG, weshalb ihre Kommerzialisierung ausge-
chlossen ist.
Weiterhin sind großzügige Übergangsregelungen für
lle Gewebeeinrichtungen vorgesehen, die entweder erst-
als eine behördliche Genehmigung beantragen müssen
der bisher nach geltendem Recht noch keine Anträge
estellt haben. Diese Übergangsregelungen sorgen dafür,
ass keine Einrichtung ihre Tätigkeiten einstellen muss
nd die Versorgung mit Gewebezubereitungen gesichert
st. Durch eine Regelung zur Besitzstandswahrung wird
ußerdem klargestellt, dass bestehende Erlaubnisse und
ulassungen nach dem AMG erhalten bleiben. Qualität
nd Sicherheit sind in beiden Fällen der behördlichen
enehmigung gewahrt.
Zu den wesentlichen Änderungen im Bereich des
ransplantationsgesetzes: Um den Befürchtungen entge-
enzuwirken, die Organspende könne unter den neuen
egelungen für die Gewebe leiden, ist der Vorrang der
rganspende vor der Gewebeentnahme im Gewebege-
etz ausdrücklich verankert worden. Entsprechend dem
otum des Bundesrates und der Mehrheit der Sachver-
10308 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007
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ständigen ist dieser Grundsatz in einer eigenständigen
Regelung den verfahrensrechtlichen Bestimmungen vo-
rangestellt und wird zusätzlich durch entsprechende Do-
kumentationspflichten abgesichert.
Eine weitere Neuerung ist, dass das Transplantations-
gesetz nunmehr die rechtlichen Vorgaben für die Kno-
chenmarkspende regelt. An die Knochenmarkentnahme
bei Kindern werden aber strenge Anforderungen gestellt.
Bei Interessenkonflikten der gesetzlichen Vertreter ist
das Familiengericht einzuschalten.
Der Grundsatz der Anonymität der Gewebespende
wird nur für die Samenspende und die Knochenmark-
spende durchbrochen. Bei der Samenspende ist eine Aus-
nahme zu machen, da dem Kind das Recht auf Kenntnis
seiner Abstammung zusteht. Auch für die Knochenmark-
spende muss der Grundsatz der Anonymität mit Einwilli-
gung der Betroffenen aufgehoben werden können, um
das Bewusstsein für die Notwendigkeit dieser wichtigen
Gewebespende aufrechterhalten zu können. Wichtiges
Beispiel hierfür sind die öffentlichen Aufrufe zur Kno-
chenmarkspende, in denen namentlich die Empfänger
bekannt werden und dadurch zu einer großen Resonanz
führen. Auch die EG-Geweberichtlinie lässt ausdrücklich
nationale Ausnahmen vom Grundsatz der Anonymität
bei Gewebespenden zu.
Das Gewebegesetz enthält die maßgeblichen Rege-
lungen, um die Qualität und Sicherheit von Gewebezu-
bereitungen zu wahren und zu verbessern. Damit sorgt
der deutsche Gesetzgeber für ein hohes Gesundheits-
schutzniveau. Die Transplantation von menschlichen
Geweben gewinnt in der Medizin zunehmend an Bedeu-
tung. Sie bietet große Chancen für die Behandlung von
bisher unheilbaren Erkrankungen. Das Gewebegesetz
schafft hierfür die erforderlichen Rahmenbedingungen
und sichert dadurch den gesundheitlichen Schutz der Pa-
tientinnen und Patienten.
Anlage 10
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Demokratie, Rechts-
staatlichkeit und Zivilgesellschaft in Ägypten
fördern (Tagesordnungspunkt 20)
Joachim Hörster (CDU/CSU): Der Antrag der
FDP-Fraktion, über den wir heute reden, liest sich in Tei-
len gut. Er enthält einige nachvollziehbare Überlegun-
gen. Er hat allerdings ein gravierendes Manko: Er geht
aus meiner Sicht in wichtigen Teilen an der Realität vor-
bei. Ich lese in dem Antrag davon – ich darf zitieren –,
dass „die jahrelangen intensiven Beziehungen zu Ägyp-
ten für Deutschland von herausragender Bedeutung
sind“ und dass „Ägypten einer unserer wichtigsten Part-
ner in der Region des Nahen Ostens und Nordafrikas
ist“. Des Weiteren lese ich dort, „dass Ägypten drittgröß-
ter Handelspartner Deutschlands in der arabischen Welt
und Schwerpunktland bilateraler deutscher Entwick-
lungszusammenarbeit ist“. Dennoch glaubt die FDP, die
Außenpolitik und die Entwicklungszusammenarbeit der
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etzigen Bundesregierung in Bezug auf Ägypten in gro-
er Form kritisieren zu müssen. Das ist meines Erach-
ens unsachlich und nicht akzeptabel, auch vor dem Hin-
ergrund, dass Ägypten Schwerpunktland deutscher
ntwicklungszusammenarbeit im Rahmen des soge-
annten „Aktionsprogramms 2015“ des Bundesministe-
iums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
ung (BMZ) ist.
Ich möchte auf einige Vorwürfe eingehen und will
iese anhand verschiedener Zahlen und Aussagen klar
iderlegen. Sie werfen unserer Bundesregierung vor, sie
chließe sich der wirtschaftlichen und kulturellen Orien-
ierung der Vorgängerregierung an und lasse nur wenig
ezug zum Aufbau zivilgesellschaftlicher Strukturen er-
ennen. Richtig ist, dass sich das Volumen der Entwick-
ungszusammenarbeit, das Deutschland Ägypten zur
erfügung stellt, zwischen 2004 und 2006 nahezu ver-
oppelt hat. Die Zusammenarbeit konzentriert sich auf
rei Schwerpunktbereiche, die – zuletzt im September
006 – mit der ägyptischen Regierung verhandelt wur-
en. Das sind im Einzelnen: erstens Wasserwirtschaft,
inschließlich Wasserversorgung, Abwasserentsorgung
owie Be- und Entwässerung; zweitens Umwelt, ein-
chließlich erneuerbarer Energien (Windenergie), Ab-
allwirtschaft, industrieller Umweltschutz, Schutz und
achhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen; drittens so-
iale Marktwirtschaft, einschließlich Entwicklung des
rivaten Sektors, Finanzierungssysteme, Schaffung von
rbeitsplätzen, informeller Sektor, kleine und mittlere
nternehmen, Berufsausbildung.
Daraus zu schließen, hier höre die deutsche Unterstüt-
ung auf, ist schlichtweg falsch. Ich darf an den Besuch
nserer Bundeskanzlerin in Ägypten Anfang Februar
ieses Jahres erinnern. Beim „Deutsch-Ägyptischen
irtschaftsforum“ am 4. Februar in Kairo hat sie klar
osition bezogen, wie sie sich die deutsch-ägyptische
ooperation vorstellt. Dabei ist sie nicht nur auf die
ben genannten Schwerpunktbereiche eingegangen, son-
ern hat auch ganz klar formuliert, dass sie bei ihren Ge-
prächen in Ägypten festgestellt hat, dass auf ägypti-
cher Seite ein großes Bedürfnis an einer engen
ooperation in den Bereichen Bildung, Wissenschaft
nd Technologie vorhanden ist – gerade auch in der Be-
ufsausbildung; dies auch und gerade vor dem Hinter-
rund steigender Bevölkerungszahlen in Ägypten und
er noch nicht ausreichenden professionellen Ausbil-
ungsmöglichkeiten für die jungen Leute. Diesem Be-
ürfnis nachzukommen, sei man aus deutscher Sicht be-
eit.
Ich bin unserer Kanzlerin sehr dankbar für ihren Hin-
eis auf die sogenannte Kohl-Mubarak-Initiative, die
undeskanzler Helmut Kohl im Jahr 1991 mit dem
gyptischen Staatspräsidenten Mubarak ins Leben geru-
en hat, und die den Anstoß geben sollte für ein duales
usbildungssystem für handwerkliche und Facharbeiter-
erufe in Ägypten. Auf diese Initiative hätten die Kolle-
innen und Kollegen von der FDP bei einer tiefer gehen-
en Beschäftigung mit dem Thema übrigens auch stoßen
üssen, wenn Sie mir den Hinweis an dieser Stelle er-
auben. Das auf diese Initiative hin 1993 von Deutsch-
and gemeinsam mit der ägyptischen Wirtschaft und dem
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007 10309
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Bildungsministerium durchgeführte Programm zur Ein-
führung der dualen beruflichen Bildung gilt heute als
Referenzmodell sowohl für Ägypten als auch für andere
Länder in der arabischen Welt. Unsere Bundeskanzlerin
ist bei ihren Gesprächen im Februar mit Vertretern der
Wirtschaft auch auf diese Initiative eingegangen, mit
dem Ziel, Wege zu finden, wie man neben den staatlich
zur Verfügung stehenden Mitteln auch Leben in private
Initiativen hineinbringen kann.
Sie vergessen auch, dass Deutschland im Rahmen ei-
nes Entwicklungshilfe-Projekts der finanziellen Zusam-
menarbeit mit 82,2 Millionen Euro – Stand Januar 2006 –
beim Bau von Grundschulen in Ägypten hilft. Im Rah-
men der Regierungsverhandlungen mit Ägypten im Sep-
tember 2006 wurde ein Erlass von Schulden aus früheren
Entwicklungskrediten in Höhe von 20 Millionen Euro
vereinbart. Ägypten hat sich verpflichtet, diese Summe
zusätzlich zum Bau von Schulen zu verwenden.
Ich vermisse in Ihrem Antrag auch den Hinweis auf
das „Deutsch-Ägyptische Jahr der Wissenschaften und
Technologie“, das wir in diesem Jahr begehen. Im Juni
treffen sich die europäischen Bildungsminister im Rah-
men der EUROMED-Kooperation in Kairo. Auch un-
sere Bundesbildungsministerin Annette Schavan wird
dabei sein. Sie reist mit der ausdrücklichen Bitte unserer
Bundeskanzlerin im Rücken, ein besonderes Augenmerk
auf die Entwicklung der bilateralen Beziehungen in die-
sem Bereich zu legen.
Die FDP fordert in ihrem Antrag außerdem, man
möge die Goethe-Institute in Kairo und Alexandria und
die German University in Kairo, die erste deutsche Uni-
versität außerhalb Deutschlands, stärker unterstützen,
um so die Zivilgesellschaft in Ägypten zu stärken. Ich
denke, dass wir dies schon tun. Es sei auch ein Hinweis
auf die drei deutschen Schulen in Ägypten gestattet.
Eine stärkere symbolische Unterstützung als die, dass
sich unsere Bundeskanzlerin bei ihrer Reise von einem
Absolventen einer deutschen Schule begleiten lässt,
kann ich mir nicht denken. Inwieweit man das Goethe-
Institut, die German University und die deutschen Aus-
landsschulen zukünftig noch stärker als bisher finanziell
unterstützen könnte, bin ich als stellvertretendes Mit-
glied im Unterausschuss für Auswärtige Kulturpolitik
gerne bereit im Rahmen der nächsten Haushaltsverhand-
lungen mit zu diskutieren.
Anders als die Kolleginnen und Kollegen von der
FDP bin ich nicht der Auffassung, dass Deutschland sich
zu wenig um die Themen Demokratieförderung, Förde-
rung der Zivilgesellschaft und rechtsstaatlicher Struktu-
ren in Ägypten kümmert. Wem dienen denn all die Be-
mühungen, die Deutschland ergreift, um Ägypten in
dieser Zeit des Umbruchs zu helfen? Dem Volk. Eine
bessere Wasserwirtschaft ermöglicht gerade den Klein-
bauern eine effizientere Wassernutzung und damit eine
verbesserte Agrarproduktion. Saubereres Wasser kommt
den Familien zugute. Vorhaben für sauberes Wasser und
sauberere Luft helfen der Umwelt und damit denen, die
am meisten unter der Umweltzerstörung zu leiden ha-
ben, den Armen, gerade in Großstädten wie Kairo.
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Der Grund für die Armut in Ägypten liegt in der ho-
en Arbeitslosigkeit. Offizielle Zahlen gehen von einer
rbeitslosenquote von 10 Prozent aus, Schätzungen
prechen von 20 Prozent. Jugendliche und Frauen sind
esonders von Arbeitslosigkeit betroffen. Mit unserer
nterstützung – die Maßnahmen habe ich soeben ge-
annt – kann es gelingen, die Bildungssituation für die
ungen Menschen zu verbessern, durch bessere Schulen
nd eine bessere Ausbildung. Für die Förderung der Be-
eiligung von Frauen an der Entwicklung des Landes hat
eutschland in den deutsch-ägyptischen Regierungsver-
andlungen 2006 gesonderte Mittel zur Verfügung ge-
tellt. Eine bessere Bildung bringt auch ein stärkeres zi-
ilgesellschaftliches Engagement mit sich. Davon bin
ch überzeugt.
Jetzt höre ich schon die Einwände der FDP, dass das
olitische System in Ägypten dieses zivilgesellschaftli-
he Engagement gerade unterdrücke, das sei ja auch In-
alt ihres Antrages. Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und
enschenrechte und damit jedes zivilgesellschaftliche
ngagement würden radikal verhindert. Dazu komme,
ass die Muslimbruderschaft, die einflussreichste Oppo-
itionsbewegung in Ägypten, inzwischen das fehlende
taatliche Sicherungssystem mit Einrichtungen im Ge-
undheitssektor und durch karitative Einrichtungen er-
etze. Gerade aus gesellschaftlich schwächer gestellten
chichten erfahre die Muslimbruderschaft daher regen
ulauf und finde einen geeigneten Nährboden für ihre is-
amistische Ideologie.
Diese Argumentation ist nach meinem Dafürhalten
icht ganz von der Hand zu weisen. Auch ich sehe die
efahr, dass etwa das im März 2007 in Ägypten durch-
eführte Referendum über weit reichende Verfassungs-
nderungen, „grundlegende Menschenrechte beeinträch-
igt“, wie „Human Rights Watch“ es formuliert. Ich hätte
ir auch gewünscht, dass das seit der Ermordung von
räsident Anwar el-Sadat 1981 geltende Ausnahmerecht
icht in die Verfassung aufgenommen worden wäre.
ass Behörden künftig ohne Gerichtsbeschluss „Terror-
erdächtige“ festnehmen, deren Wohnungen durchsu-
hen sowie Post und Telefone überwachen können, dass
er Präsident „Terrorverdächtige“ eigenmächtig Militär-
erichten überstellen kann und dass der Judikative das
echt entzogen wird, Wahlen zu überwachen, sind alle-
amt Maßnahmen, die die westliche Staatengemein-
chaft aufhorchen lassen. Auch der Bericht von „amnesty
nternational“ über den Anti-Terror-Kampf und die Ge-
angenenrechte in Ägypten zeichnet ein düsteres Bild.
er starke Zulauf, den die Muslimbruderschaft in Ägyp-
en erfährt, ist eine nicht zu unterschätzende Bedrohung
ür das Land. Darauf müssen wir reagieren – mit allen
ns politisch und diplomatisch zur Verfügung stehenden
itteln und auch mit wirtschaftlicher Unterstützung.
Ich möchte an dieser Stelle ein letztes Mal auf den
esuch unserer Bundeskanzlerin in Ägypten zurück-
ommen. Sie hat den Bereich des Gesundheitswesens in
gypten als einen Bereich der Kooperation, im dem
och sehr große Marktchancen vorhanden sind, bewusst
erausgehoben. Dies fasse ich auch als Hinweis an die
gyptische Regierung auf, im Bereich der Gesundheits-
10310 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007
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fürsorge für das ägyptische Volk den Muslimbrüdern
nicht kampflos das Feld zu überlassen.
Ich habe auch die Hoffnung, dass mit unserer Hilfe
– finanzieller, aber auch ideeller Art – der Weg zu mehr
Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten
in Ägypten geebnet wird. Zum Abschluss meiner heuti-
gen Rede möchte ich daher den bekanntesten Verfechter
demokratischer Freiheiten in Ägypten zitieren, Saad
Eddin Ibrahim. Er war ob seiner Kritik an der ägypti-
schen Regierung und ihrer Politik lange selber inhaftiert.
Heute ist er vom längerfristigen Erfolg der Aktionen von
zivilen Organisationen in Ägypten und anderswo über-
zeugt. Er sagt: „Wir haben zahlreiche Beweise, dass die
Bürger arabischer Länder weniger ängstlich geworden
sind, dass ihr Mut wächst.“ Ich hoffe sehr, dass mit unse-
rer Hilfe, durch verbesserte Bildungsmöglichkeiten und
verbesserte Lebensbedingungen, die Menschen in Ägyp-
ten mit der Zeit tatsächlich immer mutiger werden.
Dr. Rolf Mützenich (SPD): Ägypten spielt in der Tat
eine herausragende Rolle in der arabischen Welt und ist
einer unserer wichtigsten Partner in der Region. Das
Land hat ohne Zweifel erhebliche Defizite hinsichtlich
Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten.
Die Erhaltung der innenpolitischen Stabilität bleibt das
oberste Ziel von Präsident Mubarak. Innenpolitische Re-
formen zur Stärkung von Partizipation und Teilhabe der
Bevölkerung sind offensichtlich nicht vorgesehen. Die
Gruppen der zivilen Gesellschaft sind schwach.
Das Pendel zwischen Stabilität und Demokratie hat
sich wieder in Richtung Stabilität bewegt, eine Stabilität,
die jedoch ihren Preis hat: Die Kluft zwischen Regierung
und Volk hat sich vergrößert. Die Unzufriedenheit der
großen Mehrheit der Bevölkerung mit der politischen,
sozialen und wirtschaftlichen Situation bleibt weiterhin
eine Konstante der ägyptischen Innenpolitik.
Die Rechte auf freie Meinungsäußerung sowie auf die
Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit bleiben einge-
schränkt. Journalisten werden wegen ihrer Arbeit be-
droht, mit Schlägen misshandelt und inhaftiert. Wieder-
holt ging die Polizei mit exzessiver Gewalt gegen
Demonstranten vor, die Kritik an der Politik der Regie-
rung übten oder ihre Grundrechte einforderten.
Die Menschenrechtslage in Ägypten ist unverändert
ernst. Auch in diesem Jahr wurden von Menschenrechts-
organisationen viele Überschreitungen registriert, ange-
führt von Folter durch Polizei- und Sicherheitskräfte bis
hin zur Behinderung der politischen Parteien und NGOs
mittels einer Vielzahl von einschränkenden Gesetzen,
die eine zivilgesellschaftliche Arbeit sehr erschweren.
Weiterhin werden Oppositionelle und politische Aktivis-
ten verfolgt, verhaftet und geschlagen. Tausende von
Menschen sitzen jahre- und sogar jahrzehntelang ohne
Verfahren in Haft. Obwohl Präsident Mubarak nun
schon seit 25 Jahren an der Macht ist, ist es ihm jedoch
nicht gelungen, alle staatlichen Organe auf seine politi-
sche Linie einzuschwören. Dies zeigt sich besonders bei
der Judikative, die traditionell in Ägypten auf ihre Unab-
hängigkeit achtet. Die Judikative wurde durch polizeili-
che Ausfälle gegen einige der Richter in ihrer Arbeits-
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öglichkeit behindert und für ihre Unbeugsamkeit
bestraft“. Gewerkschafts- und Studentenwahlen ende-
en mit massiven polizeilichen Eingriffen und Verhaftun-
en oder durch Ablehnung derjenigen Anträge, deren
andidaten nicht genügend „regierungsnah“ sind.
Auch im Bereich Presse- und Meinungsfreiheit ist
ine Zuspitzung der Lage zu beobachten. Journalisten
erden verhaftet, vor Gericht gestellt, und deren Publi-
ationen konfisziert mit dem Vorwand der Verleumdung
nd Gefährdung der nationalen Sicherheit.
Das Komitee der Politischen Parteien verhindert nach
ie vor erfolgreich die Gründung von Parteien. Das Ko-
itee, welches mehrheitlich aus Mitgliedern der regie-
enden NDP besteht, hat seit seiner Gründung 1977 die
ulassung von 74 Parteien verhindert.
Auch die 2004 erfolgte Einrichtung eines „Nationalen
ats für Menschenrechte“ hat nicht dazu beigetragen,
ass die Regierung diesem Thema größere Aufmerksam-
eit widmet. Obwohl dieser Rat mit bekannten ägypti-
chen Persönlichkeiten besetzt ist (der Vorsitzende ist
er ehemalige UN-Generalsekretär Boutros Boutros
hali), stießen seine Empfehlungen seitens der Regie-
ung auf keinerlei Resonanz.
Auch nach dem Referendum über die Verfassungsän-
erung am 26. März dieses Jahres haben sich die Hoff-
ungen auf wachsende Meinungsfreiheit vorerst nicht
rfüllt. Immerhin wurden dadurch 27 Jahre Notstands-
echt beendet. Doch nach der neuen Regelung können
ie Behörden nun bei Terrorismusverdacht ohne Ge-
ichtsbeschluss Verdächtige festnehmen, ihre Wohnun-
en durchsuchen, den Briefverkehr überwachen und die
elefone abhören. Zudem kann der Präsident jederzeit
as Parlament auflösen. Amnesty International hat dies
ls „schwerwiegendste Beeinträchtigung der Menschen-
echte in Ägypten seit Mubaraks Amtsantritt 1981“ kriti-
iert. Schon jetzt sitzen laut Amnesty rund 18 000 Men-
chen ohne Anklage oder Prozess in ägyptischen
efängnissen. Das Ergebnis des Verfassungsreferen-
ums ist jedenfalls ambivalent, auch wenn die Regie-
ung es durch die Aufhebung der Notstandsgesetze, der
usweitung der Vollmachten von Regierung und Parla-
ent und nicht zuletzt durch wesentliche Maßnahmen
ur rechtlichen Gleichstellung der Frau als demokrati-
chen Meilenstein zu verkaufen trachtet. Die konkreten
nderungen der Verfassung bauen jedenfalls im Ergeb-
is den Spielraum des Präsidenten und der regierenden
ationaldemokratischen Partei (NPD) weiter aus.
Auch außenpolitisch geht die ägyptische Regierung
urch eine schwierige Phase. Der politische Grat, auf
em das Regime wandelt, ist schmal: Einerseits versteht
s sich als eines der engsten Verbündeten und Interessen-
ertreter der USA in der Region und wird auf dieser
rundlage entsprechend subventioniert; andererseits
uss es sich innenpolitisch legitimieren und Rücksicht
uf die politische Grundstimmung der Bevölkerung neh-
en.
Der Anspruch, in der arabischen Welt eine Führungs-
olle zu spielen, entspricht nicht nur dem traditionellen
elbstbild der Elite im bevölkerungsreichsten Land des
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007 10311
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Nahen Ostens, sondern ist gleichzeitig einer der Pfeiler,
auf dem das innenpolitische System Ägyptens und seine
Stabilität ruhen. Ohne die Hilfsgelder aus den USA und
Europa wäre das ägyptische Regime kaum in der Lage,
die Subventionen auf Grundversorgungsgüter für die in
Armut lebende Bevölkerungsmehrheit zu finanzieren.
Ägypten erhält die Finanzhilfen aus dem Ausland wegen
seiner geostrategischen Position und als Preis für seine
moderate und eng mit den Interessen der USA verbun-
dene Haltung in den großen Regionalkonflikten.
Exemplarisch zeigte sich am Beispiel des Libanon-
krieges, wie eng der Spielraum ist, der der ägyptischen
Regierung zwischen der Legitimierung nach innen und
ihrer Rolle als strategischer Verbündeter der USA bleibt.
In der ersten Sitzung der Arabischen Liga nach Kriegs-
beginn verurteilte Ägypten (zusammen mit Saudi-Ara-
bien und Jordanien) die Haltung der Hizballah als aben-
teuerlich und machte sie für den Kriegsausbruch
verantwortlich. Als die Regierung den Druck der ägypti-
schen Öffentlichkeit spürte, kam sie von dieser Position
ab und erkannte in der zweiten Hälfte des Krieges die
Aktionen der Hisbollah als gerechtfertigten Widerstand
gegen die Besatzung an. Am 8. August letzten Jahres
sandte Ägypten gar eine Delegation nach Beirut, um
seine Solidarität mit dem libanesischen Volk auszudrü-
cken.
Zu Beginn der Auseinandersetzungen im Libanon
übte Mubarak noch scharfe Kritik am Verhalten der mili-
tanten Hisbollah und warf ihr die Schuld an der israeli-
schen Intervention vor, die sie durch die Entführung der
israelischen Soldaten ausgelöst habe. Zudem verurteilte
er die Hisbollah, sie würde als Staat im Staat agieren und
unkalkulierte Abenteuer wagen. Damit zieht die Regie-
rung auch Parallelen zur Innenpolitik und versucht, eine
analoge Entwicklung in Ägypten zu verhindern. Die ver-
botene ägyptische Muslimbrüderschaft weist ganz ähnli-
che, jedoch gewaltfreie Strukturen wie die Hisbollah auf
und ist ebenfalls tief in der Gesellschaft verankert. Die
Popularität der Hisbollah und ihres Führers Hassan
Nasrallah in Ägypten, die mit deren Erfolgen gegen die
übermächtige israelische Armee noch wuchs, zwang
Mubarak, seine öffentlichen Meinungsäußerungen zu
überdenken. Die wechselnde Haltung der ägyptischen
Regierung zeigt das ganze Dilemma des ägyptischen Re-
gimes. Der Versuch, einen Mittelweg zu finden, endete
mit dem Resultat, dass Ägyptens Rolle im Libanonkon-
flikt kaum wahrnehmbar war. Anders als bei früheren
Konflikten in der Region zeichnete sich die ägyptische
Führung durch Abwesenheit aus.
Im Übrigen: Es entspricht einfach nicht der Wahrheit,
dass die Bundesregierung keinen Wert auf die Entwick-
lung rechtsstaatlicher und zivilgesellschaftlicher Struk-
turen in Ägypten legt. Nachdem das Assoziierungsab-
kommen mit Ägypten im Juni 2004 in Kraft getreten
war, nahm die EU mit Ägypten Gespräche zum Aktions-
plan auf. Eine erste Runde zwischen den Vertretern der
Europäischen Kommission und der ägyptischen Regie-
rung fand in Kairo im September 2005 statt; die nächste
fand Anfang 2006 in Brüssel statt. Die Verhandlungen
sind ins Stocken geraten, da es zwischen der europäi-
schen und ägyptischen Seite Unstimmigkeiten darüber
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ibt, in welcher Form der Punkt Menschenrechte im Ak-
ionsplan aufgenommen werden soll. Die ägyptische
eite betrachtet den von der EU-Verhandlungsdelegation
orgelegten Entwurf als Einmischung in die inneren An-
elegenheiten Ägyptens. Bis heute sind die Verhandlun-
en noch nicht abgeschlossen. Dies zeigt, dass das
hema Menschrechte und Rechtsstaatlichkeit durchaus
uf der europäischen und deutschen Agenda steht. Er-
ähnenswert ist in diesem Zusammenhang auch das
rogramm der EU-Partnerschaft für den Frieden zur Un-
erstützung des Nahost-Friedensprozesses auf der Ebene
er Zivilgesellschaft, in das neben Ägypten auch Alge-
ien, Israel, Jordanien, Libanon, Marokko, Syrien, Tune-
ien, die Türkei und Palästina eingebunden sind.
Die SPD-Fraktion fordert die ägyptische Regierung
azu auf, den Weg rechtsstaatlicher und demokratischer
eformen konsequent zu verfolgen. Bis dahin ist es je-
och noch ein weiter Weg.
Marina Schuster (FDP): Den meisten Menschen in
nserem Land ist Ägypten vor allen Dingen aus Reiseka-
alogen bekannt. In der Tat gehört Ägypten zu den fas-
inierendsten Ländern dieser Welt. Kaum jemand kann
und sollte – sich der beeindruckende Kultur dieses
andes sowohl vergangener Tage als auch im heutigen
gypten entziehen. Es liegt in unserem Interesse, die gu-
en Beziehungen, die sich nicht zuletzt aus den vielen
ersönlichen Erfahrungen von Millionen Besuchern ent-
ickelt haben, weiter zu vertiefen. Eine grundsätzlich
ositive Einstellung zu einem Land der islamischen Welt
st in diesen Tagen sehr viel Wert. Wir sollten das aus-
auen.
Damit sind wir auch schon beim Punkt des Antrages,
en wir Ihnen hier heute vorlegen. Es geht meiner Frak-
ion um zwei wesentliche Punkte. Einer betrifft die ganz
onkreten Entwicklungen unserer bilateralen Beziehun-
en. Der andere behandelt die Frage des Umgangs mit
slamistischen Organisationen in grundsätzlicher Art und
eise.
Ägypten hat im Fokus unserer Außenpolitik seit lan-
er Zeit einen festen und bedeutsamen Platz. Jenseits der
ouristischen Fragen ist Ägypten für uns ein zentraler
artner, ein Partner, dessen Lage zwischen Maghreb und
ahem Osten, zwischen Afrika und Europa einzigartig
t.
Wir alle wissen, welche führende Rolle Ägypten in
er Arabischen Liga spielt. Wir alle wissen, welche zen-
rale Rolle Ägypten im Nahostkonflikt immer wieder ge-
pielt hat. Um es an dieser Stelle vorab auf den Punkt zu
ringen: Da wir uns im Nahostkonflikt selbst sämtlicher
igener Kontakte zu großen Teilen der palästinensischen
egierung beschnitten haben, sind wir auf Dritte ange-
iesen. Ägypten ist gerade in dieser Hinsicht für uns
on unschätzbarem Wert. Unser strategisches Ziel muss
s sein, dass uns Ägypten als stabiler Partner in der Re-
ion erhalten bleibt.
Wer sich in der ägyptischen Innenpolitik auskennt,
eiß, dass die innere Stabilität Ägyptens, und damit
uch unsere Beziehungen, mittelfristig ernsthaft gefähr-
10312 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007
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det sind. Die Nachfolge von Präsident Mubarak ist nicht
geregelt, demokratische und rechtsstaatliche Reformen
haben in den letzten Jahren sehr ernste Rückschläge er-
litten und zugleich gewinnt die islamistische Muslimbru-
derschaft – in sich heterogen – mehr und mehr Anhän-
ger.
Eben jene ägyptische Muslimbruderschaft ist es, die
als „Mutter aller Islamisten“ gilt. Vom Libanon und den
palästinensischen Gebieten bis Marokko und Algerien
lassen sich die Ursprünge vieler Organisationen bis in
das Ägypten der 20er-Jahre zurückverfolgen. Hier be-
gann der islamische Extremismus, und hier ist er auch
heute noch aktiv. Auch wenn die Muslimbruderschaft
heute der Gewalt abgeschworen hat und viele „gemä-
ßigte Islamisten“ in ihren Reihen sind, sind Antisemitis-
mus, das erklärte Ziel eines Gottesstaates und die Wie-
dereinführung der Sharia und auch eine latente
Gewaltbereitschaft in den Reihen ihrer Anhänger ver-
breitet. Oder um es klarer auszudrücken: Ein von der
Muslimbruderschaft geführter ägyptischer Staat könnte
schwerlich noch jener Partner in der Region für uns sein,
den wir so dringend benötigen.
Nun gibt es jene, insbesondere in der ägyptischen Re-
gierung, die mit Verweis auf die „islamistische Gefahr
der Muslimbruderschaft“ für eine immer härtere Gangart
eintreten, und umgekehrt die anderen, die wegen zuneh-
mender staatlicher Repressalien den Gang in den Unter-
grund wählen, bis hin zu terroristischen Anschlägen wie
in den Jahren 1997, 2004, 2005 und zuletzt 2006.
Nun brauchen wir an dieser Stelle nicht darüber zu
streiten, ob erst „Henne oder Ei“ dagewesen ist. Fakt ist,
dass die Islamisten in Ägypten immer mehr Zulauf er-
halten. Fakt ist auch, dass dies nicht in unserem Interesse
sein kann. Die Ursachen für die geschilderte Entwick-
lung liegen zum einen in den immer neuen staatlichen
Repressalien, zum anderen aber auch darin, dass der
ägyptische Staat in vielen Politikbereichen nicht die Ver-
antwortung für die eigene Bevölkerung übernimmt.
Grundversorgung im Infrastrukturbereich, im Gesund-
heitswesen oder im Bildungsbereich ist in weiten Teilen
des Landes nur auf sehr niedrigem Niveau vorhanden.
Genau das öffnet islamistischen Organisationen den Weg
in die Köpfe und Herzen der Menschen. Islamisten wie
die ägyptischen Muslimbrüder füllen die Lücken, die der
Staat in den sozialen Bereichen offen lässt. Ein eigenes,
informelles System der Gesundheitsversorgung und der
Grundbildung, das von der Muslimbruderschaft gesteu-
ert wird, ist heute in Ägypten längst Realität. Damit
wächst die Unterstützung und der Einfluss der Muslim-
brüder. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann sie sich so
stark fühlen werden, dass sie ihren Machtanspruch auch
entsprechend nachdrücklich artikulieren werden.
Dem zu begegnen ist eine große und wichtige Auf-
gabe. Ich sage an dieser Stelle zwei Dinge ganz deutlich:
Erstens halten wir Repression und eine Einschrän-
kung von Rechtsstaat und Demokratie bis hin zu staatli-
chen Menschenrechtsverbrechen ganz klar und deutlich
für den falschen Weg. Ein solches Vorgehen treibt der
Muslimbruderschaft die Menschen scharenweise in die
Arme und lässt die Eskalationsspirale weiter ansteigen,
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is diese eines Tages auch durch noch so hartes Vorge-
en der Behörden nicht mehr beherrschbar sein wird.
ie ägyptische Regierung muss verstehen, dass sie den
slamisten langfristig nur dann erfolgreich begegnen
ann, wenn sie insbesondere in den sozialen Bereichen,
ber auch im politischen Leben den Wettbewerb mit die-
en erfolgreich aufnimmt. Das heißt demokratische und
echtsstaatliche Reformen und eine offene politische
useinandersetzung.
Das bringt mich zu meinem zweiten Punkt. Deutsch-
and hat im letzten Jahr über 100 Millionen Euro Ent-
icklungshilfe an Ägypten geleistet, womit sich die Ge-
amtzusagen deutscher EZ auf 4,7 Milliarden Euro
elaufen. Das meiste dieser Gelder geht in Infrastruktur-
rojekte, wie Wasserversorgung, Elektrizität und Müll-
ntsorgung. Aber es gibt auch Projekte beim Schulbau
der im Bereich der Slumsanierung. Nur sind wir stärker
efordert, uns im Bereich der Entwicklungshilfe deutli-
her bei der Unterstützung der Zivilgesellschaft zu enga-
ieren, noch mehr den direkten Kontakt zu den Men-
chen zu suchen, gerade im sozialen Bereich.
Ich bin überzeugt, und wir bringen dies in unserem
ntrag zum Ausdruck, dass wir in unseren politischen
emühungen gegenüber Ägypten umsteuern müssen
nd dass sich das auch in den Schwerpunkten in unserer
ilateralen EZ zeigen sollte.
Wir müssen gegenüber der ägyptischen Regierung
tärker für demokratische und rechtsstaatliche Reformen
intreten, zum Beispiel durch die Etablierung eines
echtsstaatsdialoges nach dem Vorbild desjenigen, den
ir bereits mit China führen. Wir müssen diese Fragen
ann auch ganz konkret mit unseren Entwicklungshilfe-
usagen verknüpfen.
Statt Repressalien letztendlich hinzunehmen, müssen
ir zum einen die ägyptische Regierung zur Rückkehr
uf den Reformkurs drängen und uns zum anderen in
en sozialen, aber auch in allen anderen gesellschaftli-
hen Bereichen stärker engagieren. Hierzu zählt insbe-
ondere auch die Zivilgesellschaft, zu der wir zum Bei-
piel über unsere politischen Stiftungen einen guten
ugang haben. Aber auch die Stiftungen müssen hier ein
lein wenig mutiger werden.
In Ägypten wird man dies als „Spiel mit dem Feuer“
nterpretieren, in Wahrheit scheint es langfristig der ein-
ig sinnvolle Weg zu sein. Ich empfehle in dem Zusam-
enhang auch eine aktuelle Studie der SWP, deren Emp-
ehlungen genau in diese Richtung weisen.
Das bringt mich zu einer letzten grundsätzlichen Be-
erkung. Auch sechs Jahre nach den Terroranschlägen
n den USA fehlt es uns an jeglicher Strategie im Um-
ang mit Islamisten.
Ich weiß, dass diese Frage eine ganz heikle Sache ist,
nsbesondere dort, wo die Grenzen zwischen politischem
slam, Islamismus und Terrorismus zu verwischen be-
innen. Aber man muss sich schon die Frage stellen,
elche Effekte wir erzielen, wenn wir Organisationen
nsgesamt als „nicht dialogfähig“ einstufen, gerade wenn
ine solche Organisation in sich heterogen ist. Zumin-
est muss man sich dann die Frage stellen, ob wir gleich-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007 10313
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zeitig die notwendigen Mittel aufbringen und die richti-
gen Instrumente einsetzen, damit diese Organisationen
nicht auch noch massenhaft Zulauf erhalten. Die Erfah-
rungen im Libanon, in den palästinensischen Gebieten,
in Ägypten und an anderen Orten dieser Welt lassen da
zumindest viele Fragezeichen zu.
Hierüber müssen wir eine offene Diskussion fuhren
und gegebenenfalls die notwendigen Konsequenzen zie-
hen. Dies ist das Ziel unseres Antrages und ich hoffe,
dass wir in den Ausschüssen und in der zweiten und drit-
ten Lesung hierzu in eine konstruktive Debatte zwischen
den Fraktionen und mit der Bundesregierung werden
eintreten können.
Dr. Norman Paech (DIE LINKE): Die Förderung
von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Ägypten ist
ein Anliegen, dem sich, daran habe ich keinerlei Zwei-
fel, alle Fraktionen dieses Hauses anschließen können.
Leider wird, da stimme ich der FDP zu, diesem Anliegen
vonseiten der Bundesregierung nicht die nötige Auf-
merksamkeit geschenkt. Ein Grund dafür mag sein, dass
Ägypten als Verbündeter im „Krieg gegen den Terror“
eine wichtige Rolle im Nahen Osten einnimmt. Darüber
hinaus wird Mubaraks Regierung für die Vermittlerrolle
im Nahostkonflikt benötigt. Die guten Handelsbeziehun-
gen mögen ein weiterer Grund dafür sein, dass man in
Fragen der Menschen rechte und Demokratie nicht allzu
genau hinschauen mag.
Ich kann Ihnen nur empfehlen: Werfen Sie einen
Blick in den aktuellen Jahresbericht von Amnesty Inter-
national. Sie können ihn ab morgen im Buchhandel fin-
den. Er bietet leider ein trübes Bild
Auch wenn in Ägypten eine lebendige und vielfältige
Presselandschaft ebenso wie verschiedene Menschen-
rechtorganisationen zu finden sind, kann von Demokra-
tie und Rechtsstattlichkeit kaum die Rede sein, da es
nach wie vor massive Beschränkungen der Meinungs-,
Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit gibt. Staatsprä-
sident Mubarak regiert das Land im Ausnahmezustand.
Dieser wurde gerade im April um zwei Jahre verlängert.
Noch immer wird Parteien von der Regierung der Antritt
zu Wahlen verweigert. Noch immer sind willkürliche
Verhaftungen gegen die politische Opposition und Jour-
nalisten an der Tagesordnung. Tausende Menschen be-
finden sich auf der Basis der Notstandsbestimmungen
zum Teil schon seit mehr als zehn Jahren in Haft; ohne
Anklage oder Gerichtsverfahren. Noch immer gehören
Folter und Misshandlungen zur täglichen Praxis, und
noch immer werden Frauen diskriminiert, religiöse Min-
derheiten verfolgt und Homosexualität als Straftat ge-
ahndet.
Die Verfassungsänderung vor den Präsidentschafts-
wahlen im September 2005, die erstmals auch andere
Kandidaten als den Amtsinhaber zuließ, wurde interna-
tional als Meilenstein in Richtung freier, demokratischer
Wahlen interpretiert. Die gleichzeitig eingeleitete mas-
sive Repressionswelle gegen oppositionelle Kräfte und
die manipulierten Wahlen nahm die internationale Staa-
tengemeinschaft kaum mehr wahr.
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Dennoch hat sich in Ägypten eine starke demokrati-
che Opposition entwickelt. Die Welle unabhängiger
treiks und Arbeitskampfandrohungen zeigen dies deut-
ich. Auch sind sie bezeichnend für den Widerspruch
wischen dem Bild im Ausland und der innenpolitischen
irklichkeit des Landes. Während die Regierung inter-
ational als Vermittler im Nahostkonflikt – wenn auch
isher ohne sichtbaren Erfolg – benötigt wird, streiken
ie Beschäftigten für höhere Löhne und gegen ihren Ge-
erkschaftsbund, dem sie vorwerfen, dass er nicht ihre
nteressen, sondern die der Regierung vertritt. So ist es
icht verwunderlich, dass die Forderung nach der Abset-
ung der offiziellen Gewerkschaftsvertreter die Streik-
ktionen begleitetet. Die Streiks weiten sich aus. Neben
eschäftigten der Textilbranche, des Baugewerbes und
er verarbeitenden Industrie haben sich die Beschäftig-
en des Personennahverkehrs angeschlossen und es ist
ahrscheinlich, dass weitere hinzukommen. Diese
treiks haben die Beschäftigten aus eigener Kraft orga-
isiert, und sie erfahren breite Unterstützung in der Be-
ölkerung.
Ägypten hat eine starke demokratische Bewegung.
iese gilt es zu fördern.
Dr. Uschi Eid (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Als
orsitzende der Deutsch-Ägyptischen Parlamentarier-
ruppe begrüße ich es, dass das Thema Ägypten heute
uf der Tagesordnung steht. In weiten Teilen kann ich
uch den Antrag der FDP und die darin formulierten
rundlinien unterstützen, die auf einen ganzheitlichen
olitikansatz gegenüber Ägypten zielen. Denn das
chließt ein, in den vielfältigen, durchweg freundschaft-
ichen Beziehungen zu Ägypten auch die schwierigen
hemen offen anzusprechen, darunter die teils gravie-
enden Probleme im Bereich der Menschenrechte und
angelnden Rechtsstaatlichkeit. In diesem Bereich
ürde ich mir auch mehr Engagement vonseiten der
undesregierung und eine klarer formulierte Strategie
egenüber dem Partner Ägypten wünschen.
Der vorliegende Antrag hält fest, dass Ägypten einer
er wichtigsten Partner Deutschlands in der Region ist:
n kultureller und wirtschaftlicher Hinsicht, als Schwer-
unktland der Entwicklungszusammenarbeit und als
olitisch und kulturell bedeutendes Land in der Region.
nsbesondere im israelisch-palästinensischen Konflikt
pielt Ägypten eine wichtige und konstruktive Rolle als
ermittler. Gerade in Anbetracht der kürzlich auf dem
ipfel in Riad bestätigten Friedensinitiative der Arabi-
chen Liga, aber auch der negativen Entwicklungen der
etzten Wochen ist die Notwendigkeit der Einbindung
gyptens offensichtlich. Auch im Rahmen des Nahost-
uartetts ist eine enge Abstimmung weiter notwendig.
Diese guten und wichtigen partnerschaftlichen Be-
iehungen dürfen allerdings nicht dazu führen, dass über
ie innerägyptischen Probleme hinweggesehen wird.
ie Kooperation sollte genutzt werden, um Standards
on Rechtstaatlichkeit und Menschenrechten einzufor-
ern und ihre Einhaltung zu unterstützen. Denn trotz der
oderaten Haltung Ägyptens im Hinblick auf den Israel-
alästina-Konflikt bestehen in der inneren – autokrati-
10314 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007
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schen – Staats- und Regierungsführung erhebliche Defi-
zite. Wenig „moderat“ ist die Haltung der ägyptischen
Regierung gegenüber ihren politischen Gegnern. Ein de-
mokratischer Wettbewerb und Partizipationsmöglichkei-
ten bestehen nur in Ansätzen. Präsidentschafts- wie Par-
lamentswahlen werden gelenkt, Zivilgesellschaft und
Menschenrechtsgruppen eingeschränkt. Die seit 1981
fortbestehende Notstandsgesetzgebung gibt dem Präsi-
denten nahezu unbeschränkte Macht im Staate. Oftmals
kommt es zu repressiven Maßnahmen seitens des Staa-
tes, oder der Staat nimmt seine Schutzfunktion nicht
wahr, zum Beispiel gegenüber Menschenrechtsaktivis-
tinnen und -aktivisten oder Angehörigen von religiösen
Minderheiten. Politische Gegner müssen mit willkürli-
chen Verhaftungen und sogar Folter rechnen. Erst kürz-
lich wurde Karim Abdel Nabil Suleiman ausschließlich
aufgrund seines Internettagebuchs wegen „Beleidigung
des Islam und des Präsidenten“ zu vier Jahren Haft ver-
urteilt. Zugleich existiert eine in den letzten Jahren deut-
lich offener und kritikfähiger gewordene Presseland-
schaft, die durchaus bemerkenswert ist.
Das politische System aber ist starr. Präsident
Mubarak hat mit kürzlich im Parlament durchgesetzten
Verfassungsänderungen seine Machtbefugnisse vergrö-
ßert und den Spielraum der Opposition bei Wahlen ein-
geschränkt; unabhängige Konkurrenten haben keine rea-
listische Chance. Das Parlament selbst ist von Mubaraks
Partei NDP dominiert, die Entwicklung von Opposi-
tionsparteien wird gehemmt. Ayman Nour, einer der be-
kanntesten Oppositionspolitiker, sitzt aufgrund eines
zweifelhaften Verfahrens in Haft. Besonders von der Re-
pression betroffen sind die ägyptischen Muslimbrüder,
die offiziell verboten sind, aber als Unabhängige erst-
mals ins Parlament eingezogen sind. Ihre Zahl ist mit
88 Abgeordneten nur deshalb relativ gering, weil sie in
vielen Wahlkreisen nicht angetreten sind, um Spannun-
gen zu vermeiden. Aber selbst massive Wahlfälschungen
konnten ihre Popularität nicht verbergen. Der vorlie-
gende Antrag beschreibt zutreffend, woran das liegt: an
den Defiziten des ägyptischen Staates, dessen Aufgaben
in zentralen Bereichen wie Gesundheit, Bildung und So-
ziales von den Muslimbrüdern übernommen werden.
Deshalb ist auch zutreffend, dass es dringend Strate-
gien zum Umgang mit moderaten Islamisten bedarf –
also jenen, die keine Gewalt anwenden, sondern als so-
ziale Bewegungen agieren. Es muss genau ausgelotet
werden, wo Dialog und Zusammenarbeit zu mehr Rechts-
staatlichkeit und Partizipation führen können, denn ihre
Popularität in der Bevölkerung ist in vielen Staaten der
Region, darunter Ägypten, eine Realität. Andererseits
müssen wir dafür klare Standards festlegen und dafür
sorgen, dass nicht konservative und radikale Ideologien
gestärkt werden, welche ihrerseits grundlegende Frei-
heitsrechte einschränken. Das Dilemma zwischen De-
mokratie und Stabilität in Ägypten wird sich nur durch
politische Reformen und eine langsame Öffnung des
politischen Systems auflösen lassen.
Deutsche Politik sollte darauf mit nachhaltigen Maß-
nahmen vor allem im Bereich der Rechtsstaatlichkeit
und Stärkung der staatlichen Dienstleistungen reagieren.
Eine besser abgestimmte Strategie auch im EU-Rahmen
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nd mit dem Barcelonaprozess, die klare Schwerpunkte
etzt und Rechtsstaatsdialoge, Institutionenaufbau, eine
tärkung der Zivilgesellschaft und neue Konzepte zum
mgang mit den moderaten Islamisten stärker in den
lick nimmt, wäre dafür zu begrüßen. Anhaltende Men-
chenrechtsverletzungen müssen offen angesprochen
erden – auch und gerade weil Ägypten als wichtiges
nd traditionsreiches Land in der Region ein verlässli-
her Partner für uns bleiben soll.
nlage 11
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Anpassung des Dienstrechts in der Bundesagen-
tur für Arbeit (Dienstrechtsanpassungsgesetz
BA – DRAnpGBA) (Tagesordnungspunkt 21)
Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU): Wir diskutie-
en heute über den Entwurf eines Gesetzes zur Anpas-
ung des Dienstrechts in der Bundesagentur für Arbeit.
ass die BA noch flexibler, leistungsfähiger und ser-
iceorientierter werden muss, als sie es durch das Dritte
esetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt
ereits geworden ist, ist im Hinblick auf die anderen, pri-
aten Dienstleister immer noch als eine der wichtigsten
ufgaben der BA anzusehen.
Wir sollten uns nicht durch die gesunkenen Arbeitslo-
enzahlen vom Weg abbringen lassen. Die Senkung der
rbeitslosigkeit ist immer noch eines der großen The-
en, an dem sich die Große Koalition messen lassen
ill und muss.
Aber um erfolgreich die Arbeitslosigkeit zu bekämp-
en, bedarf es an einem komplexen und flexiblen Ar-
eitsmarkt, wie demjenigen, den wir hier in der Bundes-
epublik haben, auch einer flexiblen, sich den
edürfnissen der Arbeitslosen und denen des Arbeits-
arktes anpassenden Arbeitsagentur.
In dem vorliegenden Gesetzentwurf sind meiner Mei-
ung nach zwei wichtige Punkte angesprochen, die für
in geschmeidiges Agieren der BA höchst wichtig sind.
azu gehört ohne Zweifel eine Flexibilisierung der doch
eilweise starren Strukturen des Berufsbeamtentums an
en Stellen, an denen es sinnvoll ist. Zwar sollen nach
inem Vorstandsbeschluss der BA keine neuen Beamten-
erhältnisse begründet werden, dennoch besteht mit
9 000 Beamtinnen und Beamten ein großer Teil des
ersonalkörpers der BA aus alten Beamtenverhältnissen.
ier ist es entscheidend für die Arbeit der BA, diese
enschen flexibel an den Stellen einsetzen zu können,
n denen Bedarf herrscht.
Beamten sollte es möglich sein, vorübergehende Tä-
igkeiten in einem Arbeitnehmerverhältnis aufzuneh-
en, um damit auch dem Haustarifvertrag der BA zu un-
erfallen. Das Mittel der „In-Sich-Beurlaubung“, das
uch schon zweckmäßig im Bereich der privatisierten
ostnachfolgeunternehmen angewandt wurde, ist auch
ier sinnvoll und zielführend. Nur durch dieses Werk-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007 10315
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zeug ist es möglich, Beamte in die Flexibilisierung des
Personaleinsatzes einzubinden.
Wie das BAG auch schon 2005 bei der Privatisierung
der Post festgestellt hat, steht die „In-Sich-Beurlaubung“
nicht im Widerspruch zu den Grundsätzen des Berufs-
beamtentums. Ein Widerspruch zum Art. 33 IV Grund-
gesetz, wie er vom Bundesrat vorgetragen wurde, ist
nicht ersichtlich, da es sich hier um ein freiwilliges An-
gebot handelt. Auch werden Beamtinnen und Beamte,
die dies nicht in Anspruch nehmen wollen, nicht in ihrer
beruflichen Fortentwicklung und Entfaltung gehemmt.
Die kann natürlich vonseiten der Beamten nur auf frei-
williger Basis geschehen. Schätzungen gehen davon aus,
dass circa 20 bis 50 Prozent der Beamtinnen und Beam-
ten dieses Angebot annehmen werden. Noch einmal
klarzustellen ist, dass es sich hierbei nur um eine Beur-
laubung handelt, währenddessen das Beamtenverhältnis
lediglich suspendiert wird. Auch bleiben die Zeiten der
Beurlaubung ruhegehaltfähig, und das Arbeitsverhältnis
bleibt von der Sozialversicherung befreit. Die dadurch
sofort eintretende Verbesserung des aktuellen Einkom-
mens ist kein neuerliches Beamtenprivileg. Die Rege-
lungen der „In-Sich-Beurlaubung“ ermöglichen nur,
dass auch die Beamtinnen und Beamten an den wesentli-
chen Elementen des Personalkonzepts ihres Dienstherrn
teilhaben können. Die an der „In-Sich-Beurlaubung“
teilnehmenden Beamten erwerben dadurch keine gesetz-
lichen Rentenansprüche.
Der andere Punkt, der mit dem Dienstrechtsanpas-
sungsgesetz angemessener als bisher geregelt werden
soll, ist die bisher zwingend dreiköpfige Geschäftsfüh-
rung. Eine solche starre unflexible Vorschrift wie die
bisherige, die nicht einzelfallbezogen die Lage in den
einzelnen Regionaldirektionen oder Agenturen für Ar-
beit sieht, ist nach meinen Erfahrungen weder sinnvoll
noch von den Agenturen vor Ort gewünscht.
Das Prinzip der kollegialen Geschäftsführung mag
grundsätzlich sinnvoll sein, jedoch nur an den Stellen, an
denen eine entsprechend große Agentur bzw. Regional-
direktion vorhanden ist. Hier, wie bisher, weiterhin
selbst kleine Agenturen zwingend auf eine dreiköpfige
Geschäftsführung festlegen zu wollen, trägt weder zu
deren Aufgabenerfüllung bei, noch dient es dem Büro-
kratieabbau.
Als letzten Punkt spricht ebenfalls für das Dienst-
rechtsanpassungsgesetz, dass es kostenneutral ist. Die
anfänglichen Kostensteigerungen bei den Beurlaubun-
gen werden jeweils im Rahmen des durch die Bundesre-
gierung genehmigten Personalhaushalts der BA bzw.
durch entsprechende Steuerungsmaßnahmen im Haus-
haltsvollzug und in der Beurlaubungspraxis aufgefan-
gen.
Alles in allem haben wir hier folglich einen Gesetz-
entwurf, der lediglich Verbesserungen für die Bundes-
agentur und für ihre Arbeit bringt, ohne jedoch gestie-
gene finanzielle Auswirkungen auf die öffentliche Hand
vorzuweisen.
Was ich aus meiner persönlichen Sicht noch zuletzt
einmal als bemerkenswert angeführt haben möchte:
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eim Dienstrechtsanpassungsgesetz BA handelt die
undesregierung ausnahmsweise mit Unterstützung von
GB und Verdi, was ja in der Vergangenheit auch nicht
mmer der Fall war.
Lassen Sie mich abschließend noch auf eine Ände-
ung eingehen, die wir im Rahmen der Ausschussbera-
ung vorgenommen haben. Der Verwaltungsrat der Bun-
esagentur hat im Dezember des letzten Jahres eine
nderung der Förderpraxis bei benachteiligten Jugendli-
hen beschlossen. Insbesondere sollen 7 500 außerbe-
riebliche Ausbildungsplätze für junge Menschen zur
erfügung gestellt und von der BA finanziert werden.
ies ist nach geltender Rechtslage aber nur möglich,
enn es eine Vorförderung im Rahmen einer berufsvor-
ereitenden Bildungsmaßnahme gegeben hat.
Diese engen Fördervoraussetzungen führen nun aber
azu, dass die Plätze nicht vollständig besetzt werden
önnen. Aus diesem Grund haben wir beantragt, dass au-
erbetriebliche Ausbildungsplätze auch für die jungen
eute zur Verfügung gestellt werden können, ohne dass
ie vorher eine andere Maßnahme absolvieren müssen.
Diese Änderung ist im Sinne der jungen Menschen
nd daher unbedingt notwendig. Unser Interesse muss
ein, dass alle ausbildungswilligen und alle ausbildungs-
ähigen jungen Menschen eine Chance auf dem Arbeits-
arkt bekommen. Mit dieser Änderung, die wir heute
eschließen, leisten wir dazu einen wichtigen Beitrag.
Klaus Brandner (SPD): Der Entwurf des Dienst-
echtsanpassungsgesetzes BA sieht im Kern die Möglich-
eit der sogenannten In-sich-Beurlaubung auf freiwilli-
er Basis für die Beamtinnen und Beamten der
undesagentur für Arbeit vor. In den Ausschussberatun-
en wurde zudem ein Änderungsantrag der Koalitions-
raktionen in den Entwurf aufgenommen, der den Zugang
ur Förderung der außerbetrieblichen Berufsausbildung
ozial benachteiligter Jugendlicher befristet bis zum
1. Dezember 2007 erleichtert.
Die „In-sich-Beurlaubung“ für Beamtinnen und Be-
mte der BA kann durch Wegfall der laufbahn- und
esoldungsrechtlichen Bindungen unter finanziellen wie
uch unter Karrieregesichtspunkten attraktiv sein.
leichzeitig ermöglicht die „In-sich-Beurlaubung“ eine
armonisierung der Beschäftigungsbedingungen und
rößere Flexibilität beim Personaleinsatz in der BA, was
ie Effizienz der BA als Dienstleisterin auf dem Arbeits-
arkt insgesamt verbessert.
Die Einführung der „In-sich-Beurlaubung“ steht in ei-
em engen Zusammenhang mit den Arbeitsmarktrefor-
en der letzten Jahre. Zu den wesentlichen Zielen dieser
rneuerung gehörte es, die BA unabhängig vom Be-
chäftigungsstatus ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbei-
er als moderne kundenorientierte Dienstleisterin am Ar-
eitsmarkt aufzustellen. Dabei wurde bereits im Rahmen
es Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am
rbeitsmarkt aus dem Jahre 2003 festgelegt, dass das
ersonal der BA vorrangig aus Arbeitnehmerinnen und
rbeitnehmern zu bestehen habe.
10316 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007
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Um den Ansprüchen an eine leistungsfähige Service-
einrichtung mit Kundenorientierung gerecht zu werden,
hat die BA zum 1. Januar 2006 ein neues Tarifvertrags-
werk für ihre rund 79 000 Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer abgeschlossen. Das neue tarifliche Bezah-
lungssystem fördert eine stärkere Leistungsorientierung,
eine flexible und veränderbare Steuerung des Personal-
einsatzes und eine größere Durchlässigkeit der Tätig-
keitsebenen.
Die Übertragung des Tarifergebnisses auf die rund
19 000 Beamtinnen und Beamten der BA ist im Rahmen
der geltenden beamtenrechtlichen Vorgaben allerdings
nicht möglich. Mit der „In-sich-Beurlaubung“ können
jedoch die funktions- und leistungsbezogenen Regelun-
gen des neuen Haus-Tarifvertrags der BA künftig auch
für die in einem Beamtenverhältnis stehenden Beschäf-
tigten der BA genutzt werden. Für die Dauer der Beur-
laubung stehen die beurlaubten Beamtinnen und Beam-
ten in einem Arbeitsverhältnis zur BA, für das die
tarifvertraglichen und allgemeinen arbeitsrechtlichen
Regelungen gelten. Das Beamtenverhältnis ruht also.
Damit besteht kein Anspruch auf Besoldung und keine
Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken-,
Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung. Die Zei-
ten der Beurlaubung sind in der Beamtenversorgung ru-
hegehaltfähig.
Die Einführung der „In-sich-Beurlaubung“ ist mittel-
und langfristig kostenneutral. Mehrausgaben, die durch
die personelle Entwicklung beurlaubter Beamtinnen und
Beamter entstehen können, werden nach vorliegenden
Berechnungen durch Entlastungen in den Versorgungs-
aufwendungen zumindest ausgeglichen. Die Versorgung
richtet sich nämlich lediglich nach dem zuletzt im – akti-
ven – Beamtenverhältnis ausgeübten Amt.
Der Bundesrat hat die Bundesregierung gebeten, im
weiteren Gesetzgebungsverfahren zu prüfen, ob der Ge-
setzentwurf, soweit er die Möglichkeit der „In-sich-Be-
urlaubung“ für Beamtinnen und Beamte der BA ein-
führt, den Vorgaben des Art. 33 Abs. 4 und 5 des
Grundgesetzes gerecht wird. Verfassungsrechtliche Be-
denken waren auch vom Deutschen Beamtenbund gel-
tend gemacht worden. Nach Auffassung der Bundesre-
gierung ist der Gesetzentwurf mit Art. 33 Abs. 4 und
Abs. 5 des Grundgesetzes vereinbar.
Die Möglichkeit der „ln-sich-Beurlaubung“ berührt
als solche nicht den Grundsatz des Funktionsvorbehalts
des Art. 33 Abs. 4 des Grundgesetzes, sondern stellt le-
diglich ein Angebot an die Beamtinnen und Beamten
dar, sich erstens auf freiwilliger Basis und zweitens be-
fristet für eine Tätigkeit im Arbeitnehmerverhältnis bei
der BA beurlauben zu lassen.
Für hoheitliche Aufgaben werden in der BA weiterhin
Beamtinnen und Beamte zur Verfügung stehen. Dabei
besteht eine Steuerungsmöglichkeit bei der Bewilli-
gungspraxis der „In-sich-Beurlaubung“. Die „In-sich-
Beurlaubung“ präjudiziert in keiner Weise die Entschei-
dung über den Einsatz von Beamtinnen und Beamten in
möglichen hoheitlichen Aufgabenbereichen der BA. Die
BA behält die Dienstherrnfähigkeit und ihre Stellung als
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berste Dienstbehörde mit den entsprechenden beamten-
echtlichen Befugnissen.
Die Beamtinnen und Beamten der BA, die von der
In-sich-Beurlaubung“ keinen Gebrauch machen, blei-
en in ihrem beamtenrechtlichen Status und ihren Mög-
ichkeiten der Personalentwicklung unberührt. Die allge-
einen beamtenrechtlichen Regelungen gelten für diese
eamtinnen und Beamten uneingeschränkt fort.
Auch aus der Tatsache, dass der Gesetzentwurf die
eitbeamtenverhältnisse für Führungsfunktionen aktua-
isiert und ausweitet, wird deutlich, dass der Gesetzent-
urf die berufliche Fortentwicklung der Beamtinnen
nd Beamten, die sich nicht für die „In-sich-Beurlau-
ung“ entscheiden, in keiner Weise beeinträchtigt.
Neben der „In-sich-Beurlaubung“ als Kernstück des
esetzentwurfs sollte eine weitere Neuregelung nicht
bersehen werden.
Die mit dem Dritten Gesetz für moderne Dienstleis-
ungen am Arbeitsmarkt eingeführte Regelung zur kolle-
ialen Geschäftsführung der Arbeits- und Regionalagen-
uren schreibt vor, dass die Geschäftsführung zwingend
us drei Mitgliedern zu bestehen habe. Eine solche Re-
elung lässt mit Blick auf die sehr unterschiedlichen
rößen der Dienststellen keinen Spielraum. Das hat sich
icht bewährt. Künftig werden die Geschäftsführungen
er Agenturen deshalb abhängig von der Größe der
ienststelle aus einem oder bis zu drei Mitgliedern be-
tehen können.
In den Ausschussberatungen wurde der Gesetzent-
urf um folgende Regelung im Bereich der Berufsaus-
ildung ergänzt:
Lernbeeinträchtigte und sozial benachteiligte junge
enschen können derzeit durch eine außerbetriebliche
erufsausbildung nur gefördert werden, wenn sie bereits
n einer mindestens sechsmonatigen berufsvorbereiten-
en Bildungsmaßnahme teilgenommen haben. Damit
ird das Ziel verfolgt, die Chancen des Übergangs be-
achteiligter junger Menschen in betriebliche Ausbil-
ung zu erhöhen. Außerdem kann über einen längeren
eitraum beobachtet werden, welchen spezifischen För-
erbedarf der Jugendliche voraussichtlich bei einer an-
chließenden Ausbildung hat.
Der Verwaltungsrat der BA hat am 14. Dezember
006 ein Programm zur Verbesserung der Ausbil-
ungschancen junger Menschen im Haushaltsjahr 2007
eschlossen. Hierfür werden aus dem Eingliederungsti-
el des SGB III Ausgabemittel in Höhe von 220 Millio-
en Euro zur Verfügung gestellt.
Zur Erleichterung der Förderung von 7 500 zusätzli-
hen außerbetrieblichen Ausbildungsplätzen im Herbst
007 soll befristet bis zum 31. Dezember 2007 für den
ersonenkreis der sozial benachteiligten Jugendlichen
uf eine zwingende Vorförderung verzichtet werden. Da-
it wird vor allem ein Beitrag zur Verminderung der so-
enannten Altbewerber geleistet. Außerdem kann vo-
aussichtlich eine größere Anzahl Jugendlicher schneller
u einem beruflichen Abschluss geführt werden.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007 10317
(A) )
(B) )
Die gesetzliche Regelung soll auf Eintritte im Jahr
2007 befristet werden, da die außerbetriebliche Berufs-
ausbildung weiterhin nachrangig gegenüber der betrieb-
lichen Berufsausbildung anzusehen ist und sich für die
betroffenen Personen eine Vorförderung grundsätzlich
als notwendig und sinnvoll herausgestellt hat.
Der vorliegende Gesetzentwurf ermöglicht der BA,
ihren Weg zu einer modernen Dienstleisterin auf dem
Arbeitsmarkt fortzusetzen.
Jörg Rohde (FDP): Die Arbeitsmarktpolitik der ver-
gangenen Jahre ist hauptsächlich gekennzeichnet von
Korrekturen der sogenannten Hartz-Gesetze. Diese Be-
schäftigungstherapie setzen wir auf Initiative von
Schwarz-Rot heute fort.
Bereits 2003, während der Gesetzgebungsverfahren
zu „Hartz III + IV“, haben wir Liberale uns immer wie-
der dafür ausgesprochen, die Mammut-Behörde Bundes-
anstalt bzw. -agentur aufzulösen. Bereits damals haben
wir dem Deutschen Bundestag einen Antrag zur Auflö-
sung der BA vorgelegt. Nicht nur Rot-Grün hat ihn ab-
gelehnt, sondern auch die Kollegen von CDU und CSU.
Wir bleiben bei unserer Auffassung und haben auch
in dieser Legislatur dem Deutschen Bundestag wieder
unseren Antrag zur Auflösung der Bundesagentur vorge-
legt. Noch haben Sie die Möglichkeit, diesmal unserem
Antrag auf Auflösung der BA und Neuordnung der Ar-
beitsvermittlung zuzustimmen. Allerdings hege ich nicht
besonders viel Hoffnung, dass bei Ihnen noch ein Er-
kenntniswunder eintritt. Für eine andere Erkenntnis be-
darf es allerdings keines Wunders: Die Hartz-Gesetze
brauchen endlich einen neuen Namen. Wir sollten unse-
ren Sprachgebrauch ändern und endlich aufhören, von
„Hartz-Gesetzen“ zu sprechen.
Ich nehme es vorweg: Wir werden Ihren Antrag nicht
ablehnen, sondern uns der Stimme enthalten. Denn eine
Anpassung des Dienstrechtes in der BA ist ein – wenn
auch sehr kleiner – Schritt in die richtige Richtung. Ihm
müssten aber viele weitere Schritte folgen, die Sie zu ge-
hen wohl noch nicht bereit sind.
Der Gesetzentwurf steht für die Möglichkeit ver-
beamteter BA-Mitarbeiter, in leistungsorientierte, fle-
xible und durchlässige Personalmodelle zu wechseln.
Das ist gut. Die grundsätzlichen Organisationsprobleme
der Bundesagentur wird das neue Gesetz aber nicht lö-
sen.
Die Arbeitsvermittlung und Förderung von Arbeitsu-
chenden gehört in die Hände der Kommunen: unmittel-
bar, direkt am lokalen Arbeitsmarkt und bürgernah. Erst
nach der von uns vorgeschlagenen Auflösung der Be-
hörde und der Gründung einer leistungs- und kunden-
orientierten Versicherungsagentur, einer effektiven Ar-
beitsmarktagentur für überregionale und internationale
Aufgaben und kommunaler Job-Center kann man für
eine vernünftige Personalstruktur sorgen: Das Personal
folgt der Aufgabe.
Die Mitarbeiter der BA werden entsprechend ihrem
Tätigkeitsbereich und Know-how in den Job-Centern,
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er Arbeitsmarkt- und Versicherungsagentur sowie wei-
eren Bundesbehörden eingesetzt. Je nach Beamten-
der Angestelltenstatus sind Möglichkeiten von Verset-
ungen, Änderungskündigungen und Übernahme der
eschäftigungsverhältnisse im Wege des Betriebsüber-
angs zu prüfen. Bei den Privatisierungen einzelner Teil-
ereiche der BA sollten die Möglichkeiten der Über-
ahme der Angestellten und Beistellung der Beamten
eprüft werden. Auch sollte der Übergang in eine selbst-
tändige Tätigkeit unterstützt werden.
Der Gesetzentwurf schlägt neben der Anpassung des
ienstrechtes für die BA-Mitarbeiter auch die Aufgabe
er dreiköpfigen Geschäftsführungen bei den Regional-
irektionen und Arbeitsagenturen vor; auch dies ist wie-
er nur ein einzelner kleiner Schritt in die richtige Rich-
ung. Für weitere notwendige Schritte aber fehlen Ihnen
on Rot-Schwarz Mut und Entschlossenheit: Die Regio-
aldirektionen gehören nämlich nicht reformiert, son-
ern abgeschafft! Niemand benötigt heute dieses büro-
ratische Monstrum der ehemaligen Landesarbeitsämter.
esser wäre es, mehr Personal in der direkten Arbeits-
ermittlung einzusetzen.
Die Bundesagentur ist heute von Doppelzuständigkei-
en, Kompetenzgerangel, Verwischung finanzieller Ver-
ntwortlichkeiten und hohen Verwaltungskosten gekenn-
eichnet. Reformen und Korrekturen in Trippelschritten
erden diese Probleme nicht lösen. Haben Sie endlich
en Mut zu einer konsequenten, grundlegenden und
trukturellen Neuordnung der Arbeitsvermittlung. Ein
eubeginn ist unerlässlich. Werden Sie also Ihrer Ver-
ntwortung gerecht und warten Sie nicht mehr länger.
illionen Arbeitsuchende werden es Ihnen danken.
Kornelia Möller (DIE LINKE): Mit dem vorliegen-
en Gesetzentwurf soll der Weg geebnet werden, die Er-
ebnisse des Anfang 2006 abgeschlossenen Haustarif-
ertrages in der Bundesagentur für Arbeit auch auf die
9 000 bei der BA beschäftigten Beamtinnen und Beam-
en zu übertragen. Für die Beamtinnen und Beamten der
A soll es künftig möglich sein, sich auf freiwilliger
rundlage zur Wahrnehmung einer beruflichen Tätigkeit
ei der BA in einem tariflichen oder außertariflichen Ar-
eitsverhältnis beurlauben zu lassen.
Wir haben diesem Vorhaben bereits in den Aus-
chussberatungen zugestimmt, weil es dazu beitragen
ann, dass die Bundesagentur ihrer großen Verantwor-
ung gegenüber Millionen von Erwerbslosen besser
achkommen kann. Dies ist für uns der übergreifende
spekt. Möglich wird dies, indem künftig auch die Be-
mtinnen und Beamten nach einem Bezahlsystem arbei-
en, das unter anderem flexibleren Personaleinsatz und
essen bessere Steuerung gestattet und nach dem bereits
ie Angestellten und Arbeiter arbeiten und bezahlt wer-
en.
Ebenso wie der DGB und Verdi ist unsere Fraktion je-
och der Auffassung, dass im Gesetzentwurf klarstel-
ende Regelungen zur Teilzeitbeschäftigung wünschens-
ert gewesen wären – insbesondere für den Fall, dass
ährend der Beurlaubung Änderungen der regelmäßigen
rbeitszeit erfolgen. DGB und Verdi fordern darüber
10318 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007
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(B) )
hinaus, dass beurlaubten Beamtinnen und Beamten, die
sich während der Zeit der Beurlaubung in ihrer Funktion
bewährt haben, ein „bedingter“ Anspruch auf Verlänge-
rung der Beurlaubung zugestanden wird. Leider konnten
diese Forderungen, wie auch die nach einer Rückkehr
auf den Dienstposten nach Beendigung der Beurlaubung
bzw. zumindest ein Rückkehrrecht in die Heimatregion,
gegen die Mehrheit der Koalitionsfraktionen nicht
durchgesetzt werden.
Wenn wir dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bun-
desregierung zustimmen, weil er letztlich darauf zielt,
die Arbeits- und Funktionsfähigkeit der Bundesagentur
zu stärken und auf diese Weise auch ein Beitrag zum Ab-
bau der Langzeitarbeitslosigkeit geleistet werden kann,
dann wollen wir nicht unerwähnt lassen, dass wir – und
mit uns große Teile der Bevölkerung – auf diesem Ge-
biet von Bundesregierung und Koalition natürlich weit
mehr erwarten.
Verbesserungen sind beispielsweise notwendig, um
die geplanten Schlüssel für die Betreuung von Erwerbs-
losen und besonders Langzeiterwerbslosen einzuhalten
und weiter zu erhöhen. Erforderlich sind die weitere Ver-
vollkommnung der Qualifikation und die Klärung der
Perspektiven eines großen Teils der Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern in den Arbeitsgemeinschaften sowie
die Festigung der Zusammenarbeit mit Qualifikations-
und Weiterbildungsträgern. Schließlich steht die gesetz-
liche Klärung von Befugnissen, Verantwortlichkeiten
und disziplinarischen Beziehungen innerhalb der Argen,
also zwischen BA und den Kommunen, auf der Tages-
ordnung.
Wenn die Bundesregierung und die sie tragende Ko-
alition mit ihrer großen Mehrheit bei den genannten
Punkten genauso konsequent tätig werden würde, wie im
Falle des heute hier zur Debatte stehenden Dienst-
rechtsanpassungsgesetzes, dann wäre das ein wichtiger
Beitrag zum Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit.
Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Gut gedacht ist nicht gleich gut gemacht. Das trifft auch
auf Ihren Gesetzentwurf zu. Der Idee nach geht es da-
rum, einheitliche Beschäftigungsbedingen für die Ange-
stellten und Beamten bei der Bundesagentur für Arbeit
zu schaffen. Gut! Ich finde es richtig und wichtig, dass in
der größten Behörde Deutschlands und bei einem der
größten Arbeitgeber des Bundes alle Mitarbeiter gleiche
Bezahlungsmöglichkeiten und Karrierechancen haben,
egal ob sie angestellt oder verbeamtet sind. Wir Grünen
haben stets diese „Zweiteilung“ des öffentlichen Diens-
tes beklagt. Es kann nicht angehen, dass zwei Mitarbei-
ter am selben Schreibtisch sitzen, dieselben Formulare
ausfüllen und die gleichen Kunden bedienen, aber unter-
schiedlich bezahlt werden!
Durch die Hartz-Reformen hat die BA auch im Be-
reich Personal viel getan, um effizienter und kunden-
freundlicher zu werden. Statt strenger Laufbahngruppen
für alle Mitarbeiter gibt es nun ein modernes Personal-
managementkonzept. Seit dem 1. Januar 2006 gibt einen
Haustarifvertrag für die BA. Darin wurden eine stärkere
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eistungsorientierung der Bezahlung, größere Durchläs-
igkeit der Tätigkeitsebenen und die Möglichkeit der
npassung des Personaleinsatzes vereinbart. Er gilt je-
och nur für knapp 80 Prozent der Beschäftigten der BA.
ie rund 19 000 Beamten profitieren von den neuen Re-
elungen bisher nicht. Und das ist auch für die BA ein
roblem. Sie kann ihr Personalkonzept nicht wirklich
msetzen, denn Beamte dürfen natürlich in ihren Mög-
ichkeiten nicht benachteiligt werden. Warum gelten die
euen Regelungen nicht für Beamte? Weil das Beamten-
echt nicht vorsieht, dass Aufstiegschancen und Bezah-
ung eng an Leistung geknüpft sind!
Was also müsste getan werden? Man müsste das Be-
mtenrecht reformieren. Bereits in der letzten Legislatur
aben wir versucht, diesen Gleichklang zwischen Tarif-
nd Beamtenbereich herzustellen. Wir wollten ein am
arifvertrag orientiertes leistungsorientiertes Bezah-
ungssystem im Beamtenbereich einführen und somit die
oraussetzungen für ein modernes Personalmanage-
ent und ein flexibilisiertes Laufbahnsystem schaffen.
Wenn Sie schon nicht die Kraft für eine Änderung des
eamtenrechts haben, meine Kolleginnen und Kollegen
on der Regierung, hätten Sie durchaus auch andere
ege beschreiten können. Beispielsweise hat der Deut-
che Beamtenbund ein Pilotprojekt für ein flexibleres
ienstrecht bei der BA vorgeschlagen. Man hätte Erfah-
ungen für eine umfassende Reform sammeln können
nd wäre gleichzeitig der BA und ihrem Personalkon-
ept entgegengekommen. Aber welchen Weg geht die
egierung mit ihrem Gesetzentwurf? Anstatt den Grund-
edanken aufzugreifen und das Beamtenrecht grundle-
end zu reformieren, wird jetzt im Bereich der BA auf
In-Sich-Beurlaubungen“ zurückgegriffen. Beamte las-
en sich vom Beamtentum beurlauben, um dann beim
leichen Arbeitgeber angestellt zu werden. Die „In-Sich-
eurlaubung“ ist zudem sehr umstritten. Sie ist aus der
ot geboren und wurde bisher nur bei den privatisierten
achfolgeunternehmen wie der Post angewandt. Ich
ehe keine Notwendigkeit, dieses Instrument jetzt auf
ine Bundesbehörde für Bundesbeamte zu übertragen.
nd wie wird die BA dann mit Beamten umgehen, die
ich nicht freiwillig beurlauben lassen wollen? Warum
achen Sie eine solche verquaste Regelung, die das Pro-
lem für die BA und die Beamten doch nicht wirklich
öst?
Wir alle wissen, dass die Änderung des Beamtensta-
us schwierig ist, weil dafür eine Zweidrittelmehrheit nö-
ig ist. Sie hätten als Große Koalition mit Ihrer Zweidrit-
elmehrheit alle Voraussetzungen für eine Änderung des
rundgesetzes. Und lassen sie ungenutzt! Sie sind ange-
reten als „Koalition der neuen Möglichkeiten“ und ma-
hen wieder nur Flickwerk. Auch hier scheint Große Ko-
lition wieder einmal nur zu heißen, dass der große
leingeist regiert. Im Jahr 2048 wird sich zumindest
iese Angelegenheit allein gelöst haben, denn dann wer-
en die letzte Beamtin und der letzte Beamte der BA
hne leistungsgerechte Bezahlung ihre Stifte zur Seite
egen und in Pension gehen. Es sei denn, Sie hören auf,
aken zu schlagen, und ändern jetzt das Beamtenrecht!
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007 10319
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Anlage 12
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Unrecht des Kalten
Krieges wiedergutmachen (Tagesordnungs-
punkt 22)
Günter Baumann (CDU/CSU): Der vorliegende
Antrag lenkt unseren Blick bereits zum wiederholten
Male auf die Thematik des politischen Strafrechts in der
Bundesrepublik zur Zeit des Kalten Krieges. Es ist – wie
schon so oft – der Versuch, diejenigen, die erst einen
freiheitlich demokratischen Rechtsstaat beseitigen woll-
ten und einen Unrechtsstaat nach DDR-Vorbild etablie-
ren wollten, von Kollaborateuren zu Opfern zu stilisie-
ren, nicht zuletzt um das sozialistische Regime der DDR
mit dem der Bundesrepublik auf eine Stufe zu stellen.
Wie schon in der Debatte am 17. Juni 1992 oder erst
kürzlich am 30. November 2006 wird die CDU/CSU-
Fraktion die Anträge der Linken entschieden zurückwei-
sen. Die sogenannten Opfer, die sie in ihrem Antrag an-
sprechen, sind gerade keine Opfer einer Diktatur.
Die KPD wurde 1956 durch das Bundesverfassungs-
gericht verboten, weil sie nach ihren Zielen und dem
Verhalten ihrer Anhänger darauf aus war, die freiheit-
lich-demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen.
Allein dem Bundesverfassungsgericht obliegt dieses
Entscheidungsmonopol nach Art. 21 Abs. 2 GG. Solange
es nicht entschieden hat, kann sich eine Partei in der Öf-
fentlichkeit gegenüber der freiheitlichen-demokratischen
Grundordnung noch so verfassungsfeindlich verhalten.
Das Gericht kann aber im Gegenzug eine Partei auch
dann für verfassungswidrig erklären, wenn nach
menschlichem Ermessen keine Aussicht darauf besteht,
dass sie ihre verfassungswidrige Absicht in absehbarer
Zeit werde verwirklichen können. Damit spielte es aus
damaliger Sicht gar keine Rolle, ob die KPD ihren Auf-
ruf zum „revolutionären Sturz Adenauers“ je in die Tat
umsetzen konnte.
Diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
zum KPD-Verbot kann aus heutiger Sicht weder recht-
lich noch politisch aufgehoben werden. Im Übrigen ist
dies in einem demokratischen Rechtsstaat nach dem
Prinzip der Gewaltenteilung auch nicht möglich. Denn
eines darf man nicht vergessen, das damals zur Anwen-
dung gekommene politische Strafrecht beruht auf einer
rechtsstaatlichen Grundlage.
Schon mit ihrem Antrag (Drucksache 16/3536) zum
Ausschlussgrund des § 6 Abs. l Nr. 2 des Bundesent-
schädigungsgesetzes hatte die Linkspartei keinen Erfolg.
Jetzt versucht sie es erneut, indem die Bundesregierung
aufgefordert wird, unverzüglich in einer geeigneten
Form zu einer Rehabilitierung der Opfer des Kalten
Krieges in Deutschland beizutragen. Auch mit diesem
Antrag wird sie aus unserer Sicht keinen Erfolg haben;
denn die Praxis zu § 6 Abs. l Nr. 2 BEG hat gezeigt, dass
eine Entschädigungsleistung jedenfalls dann ausge-
schlossen bleibt, wenn der Betroffene die freiheitlich-de-
mokratische Grundordnung in strafrechtlich relevanter
Art und Weise bekämpft hat. Mithin reichte allein die
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itgliedschaft in der KPD oder einer ihr nahen Organi-
ation nicht aus, um die Betroffenen von einer Entschä-
igungsleistung auszuschließen. Ich möchte es heute
och einmal deutlich sagen, hier besteht keine Gerech-
igkeitslücke.
Zum Schluss möchte ich betonen, dass mir in meiner
olitischen Arbeit die im Antrag der Linken angespro-
hene Personengruppe – die Opfer der SED-Diktatur –
esonders am Herzen liegen. Anders als in der Bundes-
epublik waren die Richter und Staatsanwälte bei ihrer
rteilsfindung innerhalb der DDR-Justiz nicht einem
echtsstaat verpflichtet. Unter diesem Blickwinkel wa-
en dies hochgradige Unrechtsurteile, die auf reine poli-
ische Verfolgung und Unterdrückung aus waren. Die
olitische Strafjustiz der DDR war verbrecherisch und
arkantes Merkmal einer Diktatur. Diese Opfer müssen
ndlich für ihren mutigen Einsatz für Freiheit und De-
okratie Gerechtigkeit erfahren. Lassen Sie uns die
estschreibung im Koalitionsvertrag für eine Opferpen-
ion zügig umsetzen. Mit dem Gesetzentwurf der Koali-
ion, der gestern in den Ausschüssen beraten wurde und
is zum 17. Juni 2007 in Kraft treten soll, haben wir ei-
en tragfähigen Kompromiss erreicht. Endlich werden
amit die materiellen Folgen der Unterdrückung durch
as SED-Regime sichtbar gelindert und das Schicksal
er in der DDR aus politischen Gründen Inhaftierten
urch eine regelmäßige Zahlung erleichtert.
Wenn die Fraktion Die Linke nach Aufarbeitung ihrer
igenen Geschichte in der Demokratie ankommen will,
ann sollte sie nicht solche Anträge stellen.
Maik Reichel (SPD): Der heute hier vorliegende An-
rag der Fraktion Die Linke reiht sich ein in ähnlich gela-
erte Anträge der letzten Zeit, wie den vor vier Monaten
n diesem Hause debattierten Antrag zur Entschädigung
ür Opfer nationalsozialistischer Verfolgung, Drucksa-
he 16/3536. Der Antrag unterstellt wie der genannte
nd manch anderer Antrag der Fraktion Die Linke, dass
die politische Verfolgung von … aktiven Linksopposi-
ionellen in der frühen Bundesrepublik der 50er- und
0er-Jahre durch bundesdeutsche Behörden und Ge-
ichte aufgrund ihrer politischen Einstellung und gewalt-
reien Betätigung“ generell ein „rechtsstaatliches, politi-
ches und materielles Unrecht“ gewesen sei.
Eine solch pauschale Sicht wird der damaligen histo-
ischen Situation nicht gerecht. Es ist billig, im Nach-
inein klüger sein zu wollen, ein rasches Urteil über eine
ergangene Zeit zu fällen, und es ist unhistorisch verein-
achend. Von diesem geringen Anspruch ist leider der
ntrag der Linksfraktion getragen.
Wenn wir von wirklicher Aufarbeitung der Geschichte
eden wollen, kann es nur darum gehen, die Ereignisse der
eit des Kalten Krieges, vor nunmehr fünfzig Jahren, und
ie deutsche Geschichte – Ost wie West – aus der damali-
en Situation heraus zu erkennen.
Die 1950er-Jahre waren geprägt vom Kalten Krieg.
eute können wir diesen vielleicht als Missverständnis
harakterisieren. Das wäre eine einfache Deutung. Aber
s war nicht nur Konrad Adenauer, der befürchtete, dass
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die Sowjetunion in einem günstigen Moment die Bun-
desrepublik Deutschland überfallen könnte. Die BRD
war von der Gefahr, die von jenseits des Eisernen Vor-
hangs drohte, von der Aggressivität des Kommunismus
und der damit einhergehenden Gefährdung der Demo-
kratie überzeugt. Die Gesamtsituation war auf neue
mögliche kriegerische Auseinandersetzungen ausgerich-
tet, die politische Atmosphäre von diesem Gefühl der
Gefahr geprägt – in Ost wie in West. Der bestmögliche
Schutz der demokratischen Bundesrepublik sollte garan-
tiert werden, die Demokratie sich effektiv verteidigen
und streitbar sein.
Diese Bedrohungslage war in den 50er-Jahren präsen-
ter, als wir es heute vielleicht ahnen. Um darüber ein
wirklich umfassendes und realistisches Bild zu gewin-
nen, gerade aus historischer Sicht, müssten wir die bis
heute immer noch verschlossenen Dokumente in ehe-
mals sowjetischen Archiven einbeziehen können.
Dies alles vorausgesetzt, lässt sich trefflich darüber
streiten, ob man damals mit der Verfolgung kommunisti-
scher Betätigung und insbesondere dem KPD-Verbot aus
einer Mücke einen Elefanten gemacht hat – zumal die
KPD bereits bei der zweiten Bundestagswahl mit nur
2 Prozent der Stimmen quasi in die Bedeutungslosigkeit
unterwegs war.
Im Übrigen: Zu behaupten, wer sich als Kommunist
betätigte, wurde bestraft, ist eine grobe Vereinfachung.
Wir wissen, dass nicht alle, die sich in der 1956 verbote-
nen KPD betätigten, angeklagt oder verurteilt worden
sind. Mit den von Ihnen genannten Zahlen bestätigen Sie
dies ja ebenfalls. Die am Montagabend im RBB ausge-
strahlte Dokumentation „Als der Staat rot sah … Jus-
tizopfer im Kalten Krieg“ von Hermann G. Abmayr lässt
neben Verurteilten auch einen ehemaligen Richter zu
Wort kommen, der deutlich macht, dass es sich auch die
Richter nicht leicht machten, entsprechende Fälle zu be-
werten.
Auch die von Ihnen zitierte Jutta Limbach geht auf
diese vereinfachende Sicht ein. Sie zitieren ihre Ansicht,
dass das KPD-Verbotsurteil „kein Ausdruck besonderer
demokratischer Souveränität“ gewesen sei, offenbar aus
der Eröffnungsrede von Dr. Rolf Gössner zur Verleihung
der Carl-von-Ossietzky-Medaille 2004. Da dieser Zitat-
auszug außerordentlich verkürzt geschieht, gestatten Sie
mir, Frau Limbachs Position etwas genauer und differen-
zierter zu zitieren. Jutta Limbach, „Politische Justiz im
Kalten Krieg“, in: „Neue Justiz“, 2/94, Seite 49 ff.:
Bei aller Kritikwürdigkeit jener strafrechtlichen
Versuche, die befürchtete kommunistische Infiltra-
tion zu bannen, bleibt jedoch zu konzedieren, dass
die Justiz sich grundsätzlich rechtsstaatlichen An-
sprüchen verpflichtet wusste.
Die gerichtliche Kommunistenverfolgung hat ihre
Sanktionen stets an nachzuweisende empirische Tatbe-
stände geknüpft.
Auch sind vor allem die rechtsstaatlichen Verfah-
rensgarantien wie das Gebot des rechtlichen Ge-
hörs, das Recht der Verteidigung, die Unschulds-
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vermutung und das Schuldprinzip respektiert
worden.
Und Jutta Limbach stellt zusammenfassend fest:
Die bundesrepublikanische Verfolgung von Kom-
munisten durch die Justiz war grundsätzlich ge-
setzesorientiert und hat nie die Lenkungspraxis
durch die zweite Gewalt oder seitens einer Partei
erfahren … Auch standen seinerzeit den Kommu-
nisten gleichermaßen gute wie kämpferische Vertei-
diger zur Seite, die die Strafrechtspraxis öffentlich-
keitswirksam kritisiert und einen letztlich
rechtspolitisch folgenreichen Diskurs ausgelöst ha-
ben. Nicht zuletzt gilt es zu konzedieren, dass es
nicht erst einer Revolution bedurfte, um dieser
Strafrechtspraxis ein Ende zu bereiten. Eine auf
Meinungsfreiheit und den Justizgrundrechten basie-
rende Demokratie verfügt offenbar über die not-
wendigen Selbstreinigungskräfte.
Die SPD sperrt sich nicht, wenn es darum geht, Un-
echt als solches aufzuzeigen und wiedergutzumachen.
och dazu bedarf es mehr als eines oberflächlich gestell-
en und wenig detailreichen Antrags.
Dr. Max Stadler (FDP): Die Fraktion Die Linke ver-
ucht mit ihrem Antrag „Unrecht des Kalten Krieges
iedergutmachen“ eine Thematik aufzugreifen, die in
rster Linie der zeitgeschichtlichen Forschung und Dis-
ussion vorbehalten bleiben sollte. Im Kreis zielt der
ntrag darauf ab, die politische Auseinandersetzung,
ie sie in den 50er-Jahren und frühen 60er-Jahren in der
undesrepublik Deutschland mit der KPD, deren Mit-
liedern und Nachfolgeorganisationen und anderen
inksoppositionellen geführt worden ist, zum Gegen-
tand einer öffentlichen Debatte zu machen. Die konkre-
en Forderungen, die in dem Antrag der Linksfraktion
egenüber der Bundesregierung formuliert werden, sind
ber sehr vage gehalten. Sie dienen offenkundig nur als
ehikel dafür, eine politische Bewertung der Ära des so-
enannten Kalten Krieges vorzunehmen und die Debatte
ierüber ins Parlament zu tragen.
Die Linksfraktion schweigt sich in ihrem Antrag da-
über aus, wie sie sich genau die „Rehabilitierung der
pfer des Kalten Krieges in Deutschland“ vorstellt.
em Antrag ist nicht zu entnehmen, wem genau und in
elchem Umfang eine „materielle Wiedergutmachung
ür das erlittene Unrecht“ zukommen soll. Es wird auch
icht näher ausgeführt, wie denn die „unverzüglichen
egelungen“ aussehen sollen, mit denen nach Auffas-
ung der Linksfraktion „betroffene Menschen politisch
ehabilitiert“ werden sollen. Somit bleiben die konkreten
olgerungen, die die Linksfraktion in ihrem Antrag un-
er Ziffer II aus der Sachverhaltsfeststellung unter
iffer l zu ziehen gedenkt, reichlich nebulös.
Daraus ist unschwer der Schluss zu ziehen, dass es
er Linksfraktion hauptsächlich darauf ankommt, ihre
ichtweise der politischen Abläufe der 50er-Jahre zu
räsentieren. Der damalige Umgang in der Bundesrepu-
lik Deutschland mit Kommunisten kann aber selbstver-
tändlich nicht aus dem historischen Kontext herausge-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007 10321
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löst bewertet werden. Durch Deutschland verlief die
Grenzlinie zwischen der westlichen Welt und dem Ost-
block. Schon bald nach Beendigung des Zweiten Welt-
krieges verschärfte sich die ideologische Auseinander-
setzung zwischen den westlichen Demokratien und den
Staaten des real existierenden Sozialismus. Der Ost-
West-Konflikt führte auch zu militärischen Spannungen
und damit zu einer Bedrohung für den Frieden in Mittel-
europa.
Demgemäß war die politische Lage in den 50er-Jah-
ren nicht vergleichbar mit der Phase der Entspannungs-
politik, wie sie 1969 durch die sozialliberale Koalition
unter maßgeblicher Beteiligung der FDP und der Außen-
minister Walter Scheel und Hans-Dietrich Genscher ein-
geleitet worden ist. In dieser späteren Phase ist beispiels-
weise kein Verbotsantrag gegen die Deutsche
Kommunistische Partei (DKP) gestellt worden. Ohnehin
blieb die DKP politisch weitgehend bedeutungslos. Da-
gegen hatte sich die frühere CDU/CSU-FDP-Bundesre-
gierung in der spannungsgeladenen Situation der 50er-
Jahre für einen Verbotsantrag gegen die KPD entschie-
den, wie übrigens auch gegen die SRP.
Das Verbotsverfahren gegen die KPD vor dem Bun-
desverfassungsgericht ist einzuordnen in einer Zeit, die
geprägt war durch die deutsche Teilung und unterschied-
liche, einander diametral entgegengesetzte Gesell-
schaftssysteme. Ähnliche Verfahren gab es in anderen
westlichen Demokratien wie Frankreich, Österreich oder
Italien nicht. Dort entwickelte sich aufgrund gänzlich
anderer Ausgangsbedingungen eine andere Tradition im
Umgang mit sozialistischen und kommunistischen Par-
teien.
Diese wenigen Überlegungen mögen genügen, um
meine Ausgangsthese zu untermauern: Das von der
Linksfraktion aufgeworfene Thema ist und bleibt ein
Objekt politikwissenschaftlicher und zeithistorischer
Forschung. Für eine juristische Aufarbeitung eignen sich
die fünf Jahrzehnte zurückliegenden Vorgänge dagegen
nicht. Es besteht kein Zweifel, dass das KPD-Verbot
– unabhängig von der politischen Bewertung dieses Ver-
fahrens – legal auf der Grundlage des Art. 21 Abs. 2 des
Grundgesetzes zustande gekommen ist. Die Bestimmun-
gen über strafbewehrte Verstöße gegen dieses Parteien-
verbot waren ebenfalls Bestandteil der Rechtsordnung.
Von juristischer Willkür kann daher keine Rede sein.
Jan Korte (DIE LINKE): Wir debattieren heute er-
neut über ein geschichtspolitisches Thema: über das jus-
tizielle und politische Unrecht zur Zeit des Kalten Krie-
ges, über Unrecht, das Menschen widerfahren ist, die
sich politisch in einer freien demokratischen Gesell-
schaft organisiert und engagiert haben und dafür verfolgt
und verurteilt wurden. Dieses Unrecht und die Gescheh-
nisse vor 50 Jahren wirken bis heute nach. Auch deshalb
hat die Linksfraktion den Antrag „Unrecht des Kalten
Krieges wiedergutmachen“ eingebracht und hofft, auch
heute auf eine qualifizierte, ehrliche und vor allem redli-
che Debatte. Ich betone dies, da in der vorausgegange-
nen Debatte über die Rehabilitierung von sogenannten
Kriegsverrätern eine faire Auseinandersetzung ausge-
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lieben war und Äußerungen der Union Einstellungen
nd geistige Haltungen zu Tage förderten, die uns in die
eit des Kalten Krieges zurückversetzten. Dies ist nicht
er Ansatz der Linksfraktion. Vielmehr geht es uns da-
um, Unrecht aufzuarbeiten und Recht zu schaffen, das
räben und den Kalten Krieg überwindet.
Dass das Thema „Kalter Krieg“ nach wie vor zu aktu-
llen Debatten auch außerhalb des Bundestages, also
uch in Medien und Gesellschaft, führt, zeigt die Tatsa-
he, dass vor zwei Tagen im öffentlich-rechtlichen Fern-
ehen der Film „Als der Staat rot sah“ gesendet wurde.
ermann G. Abmayr, der Autor und Journalist des 45-
inütigen Streifens und selbst nicht Opfer des Kalten
rieges, hat, wie ich meine, eine sehr gute Dokumenta-
ion über die Ursachen und Folgen des Verbotes der
ommunistischen Partei Deutschlands, KPD, abgelie-
ert. Ich kann nur jedem raten, sich diesen Film anzu-
chauen oder bei den jeweiligen Länderanstalten der
RD anzurufen und als Konsument darum zu bitten, den
ilm in allen dritten Programmen zu senden – und viel-
eicht nicht erst um 22 Uhr, sondern direkt nach der Ta-
esschau um 20.15 Uhr.
Ausschlaggebend für unseren Antrag waren jedoch
icht nur das Schauen von Fernsehdokumentationen,
ondern zweierlei Tatsachen: zum einen, dass noch heute
enschen unter der justiziellen und politischen Verfol-
ung der 50er- und 60er-Jahre zu leiden haben. Zum
weiten ist der Antrag Ergebnis einer Anhörung meiner
raktion vor fast einem Jahr hier im Bundestag. Am
. Juni 2006 lud die Linksfraktion zur Anhörung „50
ahre KPD-Verbot“ in das Reichstagsgebäude ein.
Eine Geschichte am Rande: Wir hatten zu der Anhö-
ung den letzten noch lebenden Bundestagsabgeordneten
er ersten Bundestagslegislatur, Herrn Fritz Rische,
PD, eingeladen. Im Zuge der Vorbereitungen stellten
ir plötzlich fest, dass Herr Rische nie im Besitz eines
ogenannten Ehemaligenausweises war, wie es für aus-
eschiedene Bundestagsabgeordnete üblich ist. Der Aus-
eis wurde ihm als Kommunist schlichtweg verweigert.
lso haben wir Kontakt zum Bundestagspräsidenten
r. Norbert Lammert aufgenommen und ihn gebeten,
ieses „Versäumnis“ nachzuholen. Fritz Rische konnte
esundheitsbedingt dann leider nicht nach Berlin reisen,
rhielt aber doch, nach über 50 Jahren, den angesproche-
en Ausweis. Dies ist ein Zeichen, wenn auch nur sym-
olischer Natur, der Aufarbeitung der Geschichte des
alten Krieges, und dafür möchte ich mich herzlich
eim Bundestagspräsidenten bedanken.
Doch zurück zum Antrag. Es ist an der Zeit, bundes-
eutsche Geschichte aufzuarbeiten. Dazu gehört eben
uch, ein Kapitel zu beleuchten, das bisher kaum Beach-
ung gefunden hat: Die politische Verfolgung von Kom-
unistinnen und Kommunisten und anderen politisch
ktiven Linksoppositionellen in der frühen Bundesrepu-
lik der 50er- und 60er-Jahre durch bundesdeutsche Be-
örden und Gerichte aufgrund ihrer politischen Einstel-
ungen und gewaltfreien Betätigung ist ein dunkler Fleck
m Geschichtsbuch der Bundesrepublik. Ja, auch in der
undesrepublik gab es in den ersten beiden Jahrzehnten
olitische Verfolgung und politische Ungerechtigkeiten.
10322 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007
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Betroffen waren in erster Linie westdeutsche Kommu-
nistinnen und Kommunisten, darunter viele Wider-
standskämpfer, die unter der Nazidiktatur lange Jahre in
KZ- und Zuchthaushaft zubrachten. Der Kreis der Ver-
folgten ging aber weit über die benannten Personen hi-
naus. Verfolgt wurden auch Menschen, die Post aus der
DDR bekamen, deutsch-deutsche Kontakte pflegten,
oder Menschen, die gegen die Wiederbewaffnung der
BRD stritten.
Ein paar Zahlen seien genannt, um das Ausmaß zu
verdeutlichen. Diese sind im Übrigen durch Historiker
und Juristen zusammengetragen worden und wurden nie
angezweifelt – von keiner Seite. In der Zeit von 1951 bis
1968 gab es staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfah-
ren gegen 200 000 Personen mit über 10 000 Verurtei-
lungen, teils zu mehrmonatigen oder mehrjährigen Haft-
strafen. Allein nach dem Verbot der KPD 1956 sind
jährlich bis zu 14 000 staatsanwaltschaftliche Ermitt-
lungsverfahren anhängig gewesen, in denen bis zu
500 Kommunisten und Sympathisanten verurteilt wur-
den. Nach Haftverbüßung folgten Einschränkungen der
staatsbürgerlichen Rechte, entwürdigende Polizeiauf-
sicht, Pass- und Führerscheinentzug. Auch Berufsver-
bote waren die Folge, was bis heute Auswirkungen auf
die Rentenhöhe der betroffenen Personen hat.
Die Illegalisierung der KPD 1956 auf Antrag der
Bundesregierung Adenauer führte zu weiteren Krimina-
lisierungswellen auch gegen Gewerkschafterinnen und
Gewerkschafter und Mitglieder der SPD, die alles an-
dere, nur keine Kommunisten waren. So wurden etwa
das „Friedenskomitee“ oder die „Aktion Frohe Ferien
für alle Kinder“ als Ersatz- oder Tarnorganisationen der
verbotenen KPD verfolgt. In sieben Jahren, zwischen
1951 und 1958, ergingen 80 Verbote gegen Organisatio-
nen oder Bündnisgruppen, die nicht dem Parteienprivi-
leg nach Art. 21 GG unterlagen, darunter auch – nur um
das hier plastisch zu zeigen – der Demokratische Frauen-
bund und der Demokratische Kulturbund.
Dass diese Ermittlungsverfahren in einer Atmosphäre
der antikommunistischen Hysterie geführt wurden, er-
kennt auch Jutta Limbach, die ehemalige Präsidentin des
Bundesverfassungsgerichts an. Sie sagte, dass es „wahr-
lich kein Ausdruck besonderer demokratischer Souverä-
nität“ gewesen sei, die KPD zu verbieten. Praktisch die
gesamte politische Betätigung der kommunistisch orien-
tierten Linken und ihrer Bündnispartner wurde in jener
Zeit kriminalisiert und aus dem öffentlichen Willensbil-
dungsprozess weitgehend ausgeschaltet, so fasste es der
Rechtswissenschaftler Alexander von Brünneck zusam-
men. Besonders bedrückend ist in diesem Zusammen-
hang, dass Menschen, die bereits unter den Nazis verur-
teilt und verfolgt wurden, nun in der Bundesrepublik
erneut verfolgt wurden und oftmals durch Richter, die
schon vor 1945 Urteile sprachen, verurteilt oder durch
Staatsanwälte, die bereits im Dritten Reich tätig waren,
juristisch verfolgt wurden. Gleichzeitig – dies gehört
eben auch zur Aufarbeitung der Geschichte – saßen viele
der alten Nazieliten wieder in Amt und Würden – bis ins
Kanzleramt. Ich nenne hier nur den Namen Hans
Globke. Der Umgang mit den alten Eliten der national-
sozialistischen Herrschaft und der Antikommunismus in
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eutschland sind bis heute eine europäische Einmalig-
eit. Alexander von Brünneck schrieb hierzu:
Mit dem Potsdamer Abkommen war eine be-
stimmte Form der politischen Erneuerung Deutsch-
lands zwischen den Siegermächten vereinbart wor-
den, die eine antifaschistische Zielrichtung hatte
und die Mitwirkung der Kommunisten einschloss.
Dieser Ausgangspunkt der politischen Entwicklung
im Nachkriegsdeutschland wurde in der Bundesre-
publik mit Eliminierung der KPD aus dem legalen
politischen Leben endgültig verlassen.
Kritik am Antikommunismus und der Verfolgung lin-
er Oppositioneller wurde aber nicht nur von links oder
on Wissenschaftlern geäußert. Auch Personen wie der
hemalige Bundespräsident Gustav Heinemann übten
ritik. Er schrieb 1953 in der „Gesamtdeutschen Rund-
chau“:
Wenn wir den Frieden sichern wollen, müssen wir
der antisowjetischen Hetze ebenso wehren wie der
Hetze gegen irgendein westliches Volk, muss eine
Bresche geschlagen werden in den blinden und pau-
schalen Antikommunismus, diese kriegsträchtige
Mentalität bürgerlich-pharisäischer Selbstgerech-
tigkeit.
Für ihn waren also der hysterische Antikommunismus
n der BRD unter Adenauer und die Ermittlungsverfah-
en gegen Tausende nicht vertretbar.
Dieses Unrecht darf nie wieder in unserem Lande
assieren. Die beste Prävention von erneuter Verfolgung
ufgrund politischer Einstellung und Betätigung ist, dass
as begangene Unrecht als solches gekennzeichnet und
ufgehoben wird. Deshalb fordern wir die Bundesregie-
ung auf, geeignete Formen zu finden, die Opfer des
alten Krieges zu rehabilitieren und unverzüglich Rege-
ungen zu treffen, die den betroffenen Menschen eine
aterielle Wiedergutmachung für das erlittene Unrecht
ewähren. Schließlich muss es auch um eine politische
ehabilitierung gehen, gerade vor dem Hintergrund,
ass die Betroffenen für ein friedliches Europa und eine
riedliche Zukunft stritten und somit am Aufbau der
undesrepublik aktiv mitwirken wollten. Dies kann
icht weiter kriminalisiert werden, sondern verdient An-
rkennung.
Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
ach den Konservativen wirft nun auch die Linkspartei
ie Zeitmaschine an. Nachdem wir in den letzten Wo-
hen und Monaten viel über die RAF, ihre Taten und die
ualität ihrer juristischen Aufarbeitung gehört haben,
rägt uns dieser Antrag nun zwei weitere Jahrzehnte zu-
ück. Wir erfahren darin Verschiedenes über die straf-
echtlichen Maßnahmen gegen Kommunisten und an-
ere, deren politische Einstellungen und Aktivitäten in
er Adenauer-Zeit rigorose Aktivitäten des Staates nach
ich zogen. Viele der Belangten hatten tatsächlich die
eseitigung der westdeutschen Demokratie zum Ziel,
iele andere hatten die Strafverfolgung, die sie erlitten,
it keiner Tat und in keiner Weise verdient.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007 10323
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All das wussten wir schon vorher. Denn auch wenn es
die Linkspartei noch nicht wahrgenommen hat, ist diese
Periode bundesdeutscher Geschichte sehr wohl aufgear-
beitet worden. Es war diese Art von borniertem Anti-
kommunismus, die in den 60er- und 70er-Jahren viele
Jugendliche auf die Straße trieb. Und es war diese Art
staatlicher Überreaktion, die eine neue Generation von
Juristen und Politikern dazu brachte, ein der Demokratie
gemäßes Verständnis von Rechtsstaat zu etablieren. Ge-
nau das führte, wie der Antrag richtig feststellt, auch
dazu, das politische Strafrecht Ende der 60er-Jahre zu li-
beralisieren und Gesinnung weitgehend von strafrechtli-
cher Verfolgung auszunehmen.
Warum also heute ein Antrag zu diesem Thema? Und
warum von dieser Fraktion? Nicht wenige Sozialdemo-
kraten, Liberale und – in einem etwas anderen Kontext –
auch Grüne hätten ebenfalls genügend Gründe, Formen
des politischen Strafrechts in der bundesrepublikani-
schen Vergangenheit anzuprangern.
Den Abgeordneten der Linksfraktion geht es aber um
etwas anderes. Die Argumentation des Antrags legt auch
offen, um was: Da lesen wir, dass die Aufarbeitung der
deutschen Nachkriegsgeschichte sich einseitig auf die
Ermittlung der Verbrechen der Stasi in der ehemaligen
DDR konzentriert habe. Das ist eine gewagte Behaup-
tung, wie ein Blick in zeitgeschichtliche Publikationen
und das Verzeichnis lieferbarer Bücher belegt. Wie
schon in früheren Jahrzehnten haben Historiker und
Journalisten auch in den 90er-Jahren die ganze Band-
breite deutscher Vergangenheit bearbeitet. Ministerpräsi-
dent Oettinger könnte sicherlich bezeugen, dass auch
heute noch von politischer Relevanz ist, wer in den Na-
zijahren was tat, und noch immer die Frage von Bedeu-
tung ist, ob die steilen Karrieren mancher Mittäter und
Mithelfer nicht eines der fragwürdigsten Kapitel in der
Geschichte der Bundesrepublik sind.
Die Linksfraktion interessiert all das nicht. Ihr geht es
um den Umkehrschluss: Genau wie – in ihren Augen –
die staatlichen Maßnahmen gegen Kommunisten in den
50er- und 60er-Jahren überzogen oder gar vollständig
falsch waren, so ist die Aufarbeitung der Stasiaktivitäten
in ihren Augen falsch: eine Hexenjagd auf Unschuldige,
die nur das Pech hatten, vor 1989 auf der falschen Seite
der Mauer gelebt zu haben. Die Diskussion der letzten
Monate über die Entschädigung für Opfer des SED-Re-
gimes hat das wieder und wieder bewiesen. Es ist in der
Linkspartei, trotz Vereinigungsplänen und der dritten
Namensänderung in 18 Jahren, nach wie vor unmöglich,
Unrecht auch Unrecht zu nennen, ohne zu relativieren.
Es gibt kaum ein Bekenntnis zu dem von SED und Stasi
begangenen Unrecht, dem nicht ein Aber folgen würde.
Wie alltäglich dieses Denken in der Partei nach wie
vor ist, hat auch die jüngste Wahl von Verfassungsrich-
tern in Berlin gezeigt. Die PDS stellte dort eine Reprä-
sentantin dieser Aufrechnungskultur zur Wahl, ohne et-
was dabei zu finden, dass besagte Frau Kenzler
Amnestie und Haftentschädigung für Politbüromitglie-
der, Mauerschützen und Folterknechte der Stasi fordert.
Vielleicht sollten die Kolleginnen und Kollegen von
der Linksfraktion lieber versuchen, selbst aus den Denk-
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ustern des Kalten Krieges herauszufinden. Wenn auch
eute noch die Vorstellung herrscht, dass alle Justiz par-
eilich ist und alle Geschichtsschreibung die Geschichte
er Sieger besingt, dann ist die Linkspartei mit dem
ahlergebnis in Bremen vielleicht geografisch im Wes-
en angekommen, aber mental noch weit entfernt von der
egenwart.
Gert Winkelmeier (fraktionslos): Die Bundesregie-
ung muss die Opfer des Kalten Krieges rehabilitieren,
as heißt auch, sie materiell zu entschädigen. Das sind
ir unserer Demokratie schuldig. Zu den Opfern des
alten Krieges gehören vor allem auch die Betroffenen
es KPD-Verbotes. Als am 17. August 1956 die KPD
urch die damalige Bundesregierung verboten wurde,
ar die juristische Grundlage geschaffen, dass Men-
chen mit einer anderen politischen Gesinnung in diesem
and verfolgt werden können. Mit dem Parteiverbot
ollte die Adenauer-Regierung vor allem dem politi-
chen Widerstand gegen die Remilitarisierung West-
eutschlands einen Schlag versetzen. Betroffen waren
ornehmlich Menschen, die bereits in der faschistischen
iktatur in die politische Illegalität gedrängt und teil-
eise zu hohen KZ-, Zuchthaus- und Gefängnisstrafen
erurteilt wurden.
Wer in den 50er- und 60er-Jahren aktiv linke Politik
etrieben hat, wer sich als Linksoppositioneller am poli-
ischen Geschehen beteiligte, wer in dieser Zeit sein
echt zur friedlichen Demonstration nutzen wollte, der
usste mit erheblichen Repressalien rechnen. Viele wur-
en Opfer einer politisch motivierten und durch den
eist des Kalten Krieges geprägten Rechtsprechung.
er Kreis der damals Verfolgten ging weit über die
ommunisten hinaus: Betroffen waren Menschen in
ündnissen gegen die Wiederbewaffnung der BRD. Be-
roffen waren all jene, die sich für eine Normalisierung
er Beziehungen beider deutschen Staaten einsetzten.
etroffen waren all jene, die das legitime Recht in An-
pruch nahmen, für parlamentarische Gremien zu kandi-
ieren.
Hunderttausende Ermittlungsverfahren führten zu
ber 10 000 Verurteilungen mit teilweise mehrjährigen
aftstrafen. 1963 wurde zum Beispiel ein Maschinen-
chlosser zu neun Monaten Gefängnis verurteilt, nur
eil er am 1. Mai rote Nelken getragen und verteilt
atte. Josef Angenfort wurde als damaliger FDJ-Vorsit-
ender zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt, obwohl er als
bgeordneter des Landtages von Nordrhein-Westfalen
mmunität besaß.
Die Illegalisierung der Kommunisten und ihrer Ver-
ündeten in Gewerkschaften und Landesparlamenten
ührte zu weiteren Organisationsverboten, die weit über
as Umfeld der KPD hinausgingen. Fast zwei Jahrzehnte
errschte diese undemokratische Politikauffassung in
iesem Land. Erst ab 1968 – zu Zeiten der Großen Ko-
lition – erfolgte eine gewisse Liberalisierung des politi-
chen Strafrechtes. Eine materielle Entschädigung gab es
edoch nicht.
Heute wäre die Chance, dieses damalige Unrecht wie-
ergutzumachen. Wenn wir von der Aufarbeitung der
10324 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007
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deutschen Geschichte sprechen, dann ist es dringend
notwendig, dieses vom Kalten Krieg geprägte Kapitel in
der Bundesrepublik zu betrachten. Es erscheint mir not-
wendig, den damaligen KPD-Verbotsprozess unter heu-
tigen – rechtsstaatlichen – Gesichtspunkten ergebnisof-
fen zu prüfen und, wenn möglich, eine Revision des
Urteils durchzuführen. Dadurch könnte der Staat auch
seinen Frieden mit den vielen Menschen machen, die ab
den 70er-Jahren von Gesinnungsschnüffelei und vom
Berufsverbot betroffen waren; denn das waren die politi-
schen Spätfolgen des KPD-Verbotes.
Nach der Deutschen Einheit ist es notwendig, Wie-
dergutmachung all jenen zukommen zu lassen, die unter
den Verhältnissen des Kalten Krieges der 50er- und
60er-Jahre gelitten haben. Daher fordere ich Sie auf: Zei-
gen Sie politische Größe und Liberalität stimmen Sie
dem Antrag der Fraktion Die Linke zu.
Anlage 13
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines … Strafrechts-
änderungsgesetzes zur Bekämpfung der Com-
puterkriminalität (… StrÄndG) (Tagesord-
nungspunkt 23)
Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (CDU/
CSU): Wir befassen uns heute mit einem Gesetzentwurf,
der deutsches materielles Computerstrafrecht in Teilbe-
reichen an europarechtliche Vorgaben anpasst. Sowohl
das Europarat-Übereinkommen über Computerkrimina-
lität aus dem Jahr 2001 als auch der EU-Rahmenbe-
schluss über Angriffe auf Informationssysteme aus 2005
haben zum Ziel, gemeinsame strafrechtliche Mindest-
standards zu schaffen. Durch den rasanten technischen
Fortschritt auf dem Gebiet der modernen Kommunika-
tionsformen ergaben sich im Bereich der Computer-
kriminalität Strafbarkeitslücken, die neue Tatbestände
sowie Präzisierungen der geltenden Rechtslage erforder-
lich machen. Dies geschieht mit dem vorliegenden Ge-
setzentwurf der Bundesregierung in verantwortungsvol-
ler Weise.
Es geht um ein hohes Schutzgut, nämlich um den
Schutz von Informationstechnologiesystemen. Kom-
plexe Attacken auf Computersysteme können erhebliche
Schäden verursachen, das Vertrauen der Bürger in die
Sicherheit des Internets untergraben und sensible öffent-
liche Informationsstrukturen gefährden. Daher werden
zum Beispiel „Hacking“, die Verbreitung von „Hacker-
Tools“ oder Angriffe auf Rechnersysteme durch soge-
nannte „Denial-of-Service-Attacken“ mit dem Ziel, In-
ternetseiten durch einen organisierten massenhaften Zu-
griff zu blockieren oder total ausfallen zu lassen, künftig
unter Strafe gestellt.
Die Beratungen im Rechtsausschuss waren erkennt-
nisreich und über die Fraktionsgrenzen hinweg sehr kon-
struktiv. Kritik, die geäußert wurde, haben wir ernsthaft
geprüft. Im Mittelpunkt der Diskussionen stand die vor
allem aus der IT-Sicherheitsbranche vorgetragene Be-
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ürchtung, der neue § 202 c des Strafgesetzbuches, mit
em die Vorbereitung des Ausspähens und Abfangens
on Daten unter Strafe gestellt wird, könnte zu weit ge-
asst sein. Befürchtet wird, dass auch das Testen von IT-
ystemen mittels Computerprogrammen zur Überprü-
ung auf Sicherheitslücken strafbar sein könnte.
Dies ist aber nicht die Intention des Gesetzentwurfs.
iel ist es, diejenigen strafrechtlich zur Verantwortung
u ziehen, die vorsätzlich Computerprogramme herstel-
en, sich verschaffen oder vertreiben, die in erster Linie
afür ausgelegt sind, Daten auszuspähen oder abzufan-
en. Dass es für solche Produkte einen Markt gibt, wis-
en wir.
Wer aber den Wortlaut des § 202 c genau liest, dem
ird schnell klar, dass das Testen von IT-Systemen zum
wecke der Sicherheitsüberprüfung nicht tatbestands-
äßig ist. Der objektive Tatbestand erfasst nur solche
rogramme, deren Zweck die Begehung einer Tat nach
202 a oder § 202 b des Strafgesetzbuches ist. Maßge-
end ist die objektive Zweckbestimmung des Pro-
ramms.
Zugegebenermaßen hat mir die Formulierung des
202 c das größte Kopfzerbrechen bereitet. Mein Vor-
chlag, das Wort „Zweck“ durch den Begriff „Zweckbe-
timmung“, zu ersetzen, um so auch sprachlich deutlich
u machen, dass nur die mit krimineller Absicht Han-
elnden erfasst sein sollen, hätte bedingt, auch andere
orschriften zu ändern. Denn die vorgesehene Formulie-
ung in § 202 c Abs. 1 Nr. 2 des Gesetzentwurfs, nach
er es sich um „Computerprogramme, deren Zweck die
egehung einer solchen Tat ist“, handeln muss, findet
ich auch in § 263 a des Strafgesetzbuches und in § 22 b
traßenverkehrsgesetz wieder. Vor dem Hintergrund der
echtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das mit
eschluss vom 9. Mai 2006 die Auslegung zu § 22 b
bs. 1 Nr. 3 StVG bestätigt hat, wonach die in Bezug
enommene Straftat objektiver Zweck des Computer-
rogramms sein muss, bin ich zu dem Ergebnis gekom-
en, dass wir die Formulierung in § 202 c so wie im
esetzentwurf vorgeschlagen beibehalten können. Ich
egrüße es daher sehr, dass in der Beschlussempfehlung
usdrücklich darauf hingewiesen wird, dass es sich um
o genannte „Schadsoftware“ handeln muss, hingegen
er branchenübliche Einsatz von Hacker-Tools durch
etzwerkadministratoren, die damit die Sicherheit des
igenen Datennetzes überprüfen wollen, nicht kriminali-
iert wird.
Unter Strafe gestellt wird hingegen in Zukunft das
isher – zumindest nach dem Willen des Gesetzgebers –
traflose „Hacking“, also sich unbefugt Zugang zu ei-
em Computer- oder Informationssystem zu verschaf-
en. Mit der neuen Fassung des § 202 a Strafgesetzbuch
ird diese Form der Computerkriminalität unter Strafe
estellt. Es kommt künftig nicht mehr darauf an, dass
ich der Täter unbefugt Daten verschafft, sondern der ei-
entliche Unwertcharakter der Tat – sich unberechtigter-
eise Zugang zu einem fremden Computersystem zu
erschaffen – wird strafbar. Schließlich gefährdet das
nbefugte Eindringen in einen Computer bereits das Ge-
eimhaltungsinteresse des Berechtigten; denn wer ein-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007 10325
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mal „drinnen“ ist, der wird sich auch für den Inhalt der
geschützten Daten interessieren. Insofern schafft der Ge-
setzentwurf in diesem Punkt – in Umsetzung von Art. 2
des Europarat-Übereinkommens – die erforderliche
Klarheit.
Eine mit dem Siegeszug des Internets neu entstandene
Kriminalitätsform ist die Computersabotage in der Form
des organisierten massenhaften Zugriffs auf eine Inter-
netseite mit dem Ziel der Blockade. Vor diesem krimi-
nellen Phänomen stehen die Gerichte bisher machtlos,
da die bestehenden Straftatbestände wie zum Beispiel
der der Nötigung nicht greifen, illustrativ ist in diesem
Zusammenhang der Beschluss des OLG Frankfurt am
Main vom 22. Mai 2006, abgedruckt in der Zeitschrift
„Strafverteidiger“ 2007, Seite 244 ff. Das Gericht kam in
dem Fall eines gezielten Angriffs auf die Homepage der
Lufthansa am Tag ihrer Hauptversammlung im
Jahr 2001 mangels einschlägiger Strafvorschriften zur
Straflosigkeit des Angeklagten. Daher wird mit der
Neufassung von § 303 b Abs. 1 Nr. 2 des Strafgesetzbu-
ches eine solche Tathandlung, die in Schädigungsabsicht
unternommen wird, künftig zu Recht unter Strafe ge-
stellt. Es handelt sich hierbei nämlich nicht um eine zu
billigende, womöglich sogar noch grundrechtlich ge-
schützte „Internet-Demonstration“, sondern um straf-
würdiges Unrecht, das nicht unerhebliche wirtschaftli-
che Schäden verursachen kann.
Sie sehen also: Der Gesetzentwurf trägt den Bedürf-
nissen der Praxis Rechnung. Er schließt Strafbarkeitslü-
cken, die schon länger als regelungsbedürftig angesehen
wurden oder durch neuere technische Entwicklungen
entstanden sind. Ich bitte daher um Ihre Zustimmung.
Dirk Manzewski (SPD): Mit dem hier abschließend
debattierten Gesetzentwurf wollen wir den entsprechen-
den EU-Rahmenbeschluss zur Bekämpfung der Compu-
terkriminalität umsetzen.
Leider bereitet die Computerkriminalität mit ihren in-
ternationalen Verflechtungen im In- und Ausland immer
größere Probleme. Die stärkere Nutzung und Abhängig-
keit unserer Gesellschaft von den neuen Informations-
und Kommunikationstechnologien lädt verstärkt zum
Missbrauch ein. Insbesondere komplexe Attacken gegen
moderne Informationsstrukturen durch Viren, Würmer
oder Trojaner verursachen dabei oft hohe Schäden.
Daher ist es aufgrund der Intention des EU-Rahmen-
beschlusses nur folgerichtig, dass zukünftig bereits der
unbefugte Zugang zu einem Computer- und Informa-
tionssystem als Ganzem oder zu einem Teil davon straf-
bar sein soll. Ferner soll das Sichverschaffen von Daten
aus einer nichtöffentlichen Computerdatenübermittlung
und aus der elektromagnetischen Abstrahlung einer Da-
tenverarbeitungsanlage unter Anwendung technischer
Hilfsmittel unter Strafe gestellt werden. Zudem soll be-
reits die Vorbereitung zu einer dieser beiden Taten durch
Herstellen, Verschaffen, Verkaufen, Überlassen, Verbrei-
ten oder sonst Zugänglichmachen von Passwörtern oder
sonstigen Sicherungscodes sowie von Computerpro-
grammen, deren Zweck die Begehung einer solchen Tat
ist, unter Strafe gestellt werden.
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Da der EU-Rahmenbeschluss relativ wenig Spielraum
elassen hat, ist der Gesetzentwurf auf überwiegende
ustimmung gestoßen. Kritik gibt es vor allem aus dem
ereich der IT-Sicherheitsbranche. Diese hat die Be-
ürchtung, dass ihre Arbeit insbesondere durch den
euen § 202 c StGB quasi unmöglich gemacht wird. Wir
aben diese Befürchtung sehr ernst genommen; denn es
iegt auch in unser aller Interesse, dass die IT-Sicher-
eitsbranche ihre Arbeit zu unserem Schutz fortführen
ann.
Ich meine jedoch, dass die angemeldeten Bedenken
soweit sie legale berechtigte Interessen vertreten –
icht zutreffen. Für eine Strafbarkeit im vorgenannten
inne müssen nämlich zwei zwingende Voraussetzungen
orliegen. Zum einen müsste ein Computerprogramm
enutzt werden, dessen Zweck gerade die Begehung ei-
er Computerstraftat ist, und zum anderen muss die Tat-
andlung zwingend zur Vorbereitung einer Computer-
traftat erfolgen. Möchte also zum Beispiel eine Bank
hr Sicherheitssystem überprüfen lassen und stellt dem
T-Sicherheitsunternehmen einen Geldautomaten hin, ist
eder das Eindringen in das Sicherheitssystem noch die
orherige Herstellung der entsprechenden Software hier-
ür strafbar, da dieses jeweils nicht zum Zwecke einer
omputerstraftat, sondern eben zur Überprüfung des Si-
herheitssystems diente.
Gleiches würde gelten, wenn zum Beispiel Microsoft
as Sicherheitssystem einer Firma überprüfen lassen
öchte, welches mit ihrem Betriebssystem arbeitet.
uch dies wäre aus den gleichen Gründen nicht strafbar.
atürlich nur, wenn diese Überprüfung zuvor entweder
ndividuell oder über den Lizenzvertrag vereinbart wor-
en ist.
Die Besorgnis der IT-Sicherheitsbranche ist – soweit
s ihre legale Arbeit und den gutwilligen Umgang mit
oftwareprogrammen zur Sicherheitsüberprüfung be-
rifft – also nicht berechtigt. Nun wissen wir aber, dass
ich die IT-Sicherheitsbranche gerne der Hinweise von
ackern bedient, deren Kick es eben ist, illegal in Netze
inzudringen und dann die aufgedeckten Sicherheitslü-
ken publik zu machen. Auch wenn diese kostenlose In-
ormation der Computercracks der Sicherheitsbranche
ugegebenermaßen weiterhilft, ist dieses Interesse natür-
ich nicht schutzwürdig.
In Zeiten, in denen wir darüber debattieren, inwieweit
taatliche Institutionen bei Verdacht von Straftaten
nlinedurchsuchungen vornehmen dürfen, kann es nicht
kzeptiert werden, dass das Just-for-Fun-Eindringen in
ie Privatsphäre von Menschen oder in das Innerste von
nternehmen und Institutionen legalisiert wird.
Wir sind gleichwohl noch am überlegen gewesen, ob
ir nicht durch eine Klarstellung im Gesetz, zumindest
oweit es § 202 c StGB betrifft, noch einmal deutlicher
achen, was der IT-Sicherheitsbranche erlaubt ist und
as nicht. Wir sind dann aber davon abgekommen, da
ir der Auffassung sind, dass das Gesetz insoweit
eutlich genug ist und unsere Aufgabe nicht darin be-
teht – wie es ein Sachverständiger so trefflich aus-
rückte –, hier juristisches Feuilleton zu betreiben.
10326 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007
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Im Übrigen hätten dann auch Parallelvorschriften – na-
mentlich § 263 a Abs. 3 StGB und § 22 b StVG – in an-
deren Gesetzen entsprechend geändert werden müssen.
Dieses verbietet sich aber bereits deshalb, weil sich diese
Vorschriften in der Praxis trefflich bewährt haben und
schon deshalb kein Korrekturbedarf besteht. Deshalb
können wir auch dem Änderungsantrag der Linkspartei
nicht folgen.
Das vermeintliche Dual-Use-Tools-Problem sehen
wir nämlich nicht. Man muss sich nur einmal genau den
Straftatbestand anschauen, um festzustellen, unter wel-
chen engen und eindeutigen Voraussetzungen eigentlich
nur eine Strafbarkeit vorliegt. Gerade die §§ 263 a StGB
und § 22 b StVG zeigen, dass insoweit eben kein Ab-
grenzungsproblem besteht.
Anders als der Linkspartei liegt uns auch daran, ins-
besondere den mittlerweile schamlosen offenen Verkauf
von zum offensichtlichen Zwecke der Computerkrimina-
lität hergestellten Computerprogrammen zu sanktionie-
ren. Dies würde, folgte man dem Änderungsantrag, je-
doch herausfallen. Gemeinsam mit der FDP und dem
Bündnis 90/Die Grünen hat die Koalition für die Be-
schlussempfehlung im Übrigen noch eine Formulie-
rungshilfe erarbeitet, die die Intention des § 202 c StGB
unter Berücksichtigung von Art. 6 des Europaratsüber-
einkommens noch einmal deutlich machen soll.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP):
Die rasante technische Entwicklung der vergangenen
Jahre stellt das Strafrecht vor neue Herausforderungen.
„Phishing“ und „Hacking“ sind zwei neue Phänomene
der Computerkriminalität. In der Bevölkerung herrscht
zu Recht eine große Besorgnis davor, dass sich Krimi-
nelle mit immer neuen technischen Mitteln Zugang zu
Passwörtern und ID-Kennungen verschaffen und so Zu-
gang haben zu Finanztransaktionen, die heute online ab-
gewickelt werden. Bereits das geltende Strafrecht bietet
Möglichkeiten, um diesem kriminellen Verhalten zu be-
gegnen.
Die Straftatbestände des Ausspähens von Daten, des
Computerbetrugs, der Fälschung beweiserheblicher Da-
ten und der unbefugten Datenerhebung und -verarbei-
tung bieten schon heute einen großen Schutz vor dem
Ausspionieren persönlicher Daten im Internet. Das
Übereinkommen des Europarats über Computerkrimina-
lität vom 23. November 2001 und der Rahmenbeschluss
des Rates der Europäischen Union vom 24. Februar
2005 über Angriffe auf Informationssysteme verpflich-
ten den nationalen Gesetzgeber, darüber hinaus weiter-
gehende Straftatbestände im Bereich der Computerkri-
minalität zu schaffen. Viele der geforderten Regelungen
sind bereits im deutschen Recht umgesetzt. Der Gesetz-
entwurf beschränkt sich daher auf die Schließung von
wenigen Lücken im Strafrecht. Eine europaweite Har-
monisierung dieser Straftaten zur Bekämpfung der Com-
puterkriminalität ist grundsätzlich zu begrüßen. Das na-
tionale Strafrecht kommt bei der Bekämpfung der
Computerkriminalität oft an seine Grenzen. Nur grenz-
überschreitend, basierend auf gemeinsamen Normen,
wird es möglich sein, diesen neuen Phänomenen der Kri-
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inalität wirksam zu begegnen. Mit dem heutigen Be-
chluss reagiert der Deutsche Bundestag angemessen auf
ie berechtigten Sorgen der Bürgerinnen und Bürger vor
iner Zunahme der Computerkriminalität, indem er
ichtige Maßnahmen zur Sicherheit von modernen In-
ormationssystemen ergreift.
Bei den Beratungen im Ausschuss haben wir uns mit
esonderer Sorgfalt dem § 202 c StGB gewidmet. Da-
ach wird bestraft, wer Passworte, sonstige Zugangs-
odes oder Programme, deren Zweck die Begehung ei-
er Computerstraftat ist, herstellt. Dasselbe gilt, wenn
emand sie sich oder anderen verschafft, verkauft, über-
ässt, verbreitet oder sonst zugänglich macht.
Frühzeitig haben Vertreter der IT-Sicherheitsbranche
arauf aufmerksam gemacht, dass durch die vorgeschla-
ene Formulierung die Gefahr besteht, dass ihr bran-
henübliches Verhalten dadurch möglicherweise krimi-
alisiert werden kann. Diese Bedenken haben wir sehr
rnst genommen und sorgfältig diskutiert. Wir haben
ber verschiedene Textvarianten gesprochen, mit denen
as Anliegen des Gesetzgebers deutlicher zum Ausdruck
ebracht werden kann, so beispielsweise durch die Auf-
ahme von subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen
der durch eine stärkere Ausrichtung auf die Zweckbe-
timmung. Im Ergebnis und nach intensiven Beratungen
it dem Bundesjustizministerium sind wir jedoch über-
instimmend der Auffassung, dass die vorgeschlagene
ormulierung in § 202 c StGB sachgerecht ist und eine
berkriminalisierung nicht zu erwarten ist.
In letzter Zeit hat sich eine Branche etabliert, die Soft-
are anbietet, die allein den Zweck hat, bestimmte Si-
herheits- und Zugangssperren zu knacken. Dafür wird
uch in entsprechenden Publikationen offen geworben.
iel der vorgeschlagenen Regelung ist es, dieses Verhal-
en ausdrücklich unter Strafe zu stellen. Die berechtigten
nteressen der IT-Sicherheitsbranche, die ihre Software
insetzen zur Überprüfung der Sicherheit von Datennet-
en, wird hiervon nicht erfasst. Dies ergibt sich auch klar
us den europarechtlichen Vorgaben, die mit dem Ge-
etzentwurf umgesetzt werden sollen.
Art. 6 des Europarats-Übereinkommens sieht eine ob-
ektive Beschränkung auf vorwiegend zu kriminellen
wecken hergestellte oder angepasste Programme sowie
ine subjektive Beschränkung dahingehend vor, dass der
mgang mit dem direkten Vorsatz geschehen muss, dass
it dem Programm eine der genannten Straftaten began-
en wird.
Art. 6 Abs. l betrifft darüber hinaus nur den „unbe-
echtigten Erwerb“.
Zudem verweist Art. 6 Abs. 2 des Übereinkommens
arauf, dass die Vorschrift nicht so ausgelegt werden
arf, als begründe er die strafrechtliche Verantwortlich-
eit in Fällen, in denen das Herstellen, Verkaufen, Be-
chaffen zwecks Gebrauchs, Einführen, Verbreiten oder
nderweitiges Verfügbarmachen nicht zum Zweck der
egehung einer Straftat, sondern beispielsweise zum ge-
ehmigten Testen oder zum Schutz eines Computersys-
ems erfolgt. In diesem Punkt ist die Gesetzesbegrün-
ung widersprüchlich. Dort heißt es, dass das Programm
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007 10327
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nicht ausschließlich für die Begehung einer Computer-
straftat bestimmt sein muss. Es reiche aus, wenn die ob-
jektive Zweckbestimmung des Tools auch die Begehung
einer solchen Straftat ist. Ich begrüße sehr, dass sich die
Fraktionen im Rechtsausschuss daher darauf geeinigt ha-
ben, eine gemeinsame Erklärung in die Beschlussemp-
fehlung einzufügen, die hier eine notwendige Klarstel-
lung vornimmt. Der Rechtsausschuss stellt fest, dass es
der Wille des Gesetzgebers ist, dass § 202 c StGB im
Sinne des Europarats-Übereinkommens auszulegen ist.
Eine Kriminalisierung von sicherheitsrelevanten Hand-
lungen soll daher ausgeschlossen werden. Die bloße Ge-
eignetheit zur Begehung solcher Straftaten begründet
keine Strafbarkeit. Die geforderte Zweckbestimmung
muss eine Eigenschaft des Computerprogramms in dem
Sinne darstellen, dass es sich um sogenannte Schadsoft-
ware handelt.
Des Weiteren hat der Rechtsausschuss festgestellt,
dass die sogenannten Massen-E-Mail-Proteste nicht den
Tatbestand des § 303p StGB erfüllen, da sie von der
Meinungsfreiheit nach Art. 5 GG gedeckt sind. Der
Rechtsausschuss hat mit dieser Erklärung die berechtig-
ten Interessen der IT-Branche angemessen berücksich-
tigt.
Es ist erfreulich, dass der Gesetzentwurf heute mit der
großen Mehrheit des Deutschen Bundestages verab-
schiedet wird. Es ist gut, dass die Vertraulichkeit und In-
tegrität des privaten PC vor fremdem Zugriff besser ge-
schützt werden soll. Dies ist ein wichtiges Signal und ein
guter Tag für die Rechtspolitik.
Jan Korte (DIE LINKE): Das vorliegende Straf-
rechtsänderungsgesetz der Koalition ist sicher gut ge-
meint. Meine Fraktion teilt das Ziel der Koalition, den
Missbrauch von Telekommunikations- und Informa-
tionssystemen wirkungsvoll zu bekämpfen und damit ei-
nen Beitrag zur Sicherheit des IT-Standortes Deutsch-
land zu leisten.
Jedoch, so gut das Ansinnen ist, so problematisch
stellt sich der Gesetzesentwurf dar. Ein wesentliches
Problem des Entwurfes ist die Vorfeldkriminalisierung
im Bereich von Straftaten nach den §§ 202 a oder 202 b.
Durch den neuen § 202 c sollen Vorbereitungshandlun-
gen wie das Herstellen von Programmen kriminalisiert
werden, wenn diese Programme dem Zweck dienen, Da-
ten auszuspähen oder abzufangen. Das Problem dabei
ist, dass sich der Zweck einer Software, die zum Ausspä-
hen oder Abfangen von Daten geeignet ist, nicht aus
dem Funktionsumfang der Software heraus erklärt. Viel
mehr ist es der Anwender, der den Zweck der Software
setzt. Mit der beabsichtigten Regelung, die genau diese
Differenzierung nicht leistet, stellen Sie Softwareent-
wickler und IT-Sicherheitsexperten vor unlösbare Pro-
bleme. Jene sind nämlich zwingend darauf angewiesen,
auf Software zurückzugreifen, die dazu geeignet ist, in
gesicherte Systeme einzudringen oder Passwörter zu cra-
cken, um die Sicherheit von Telekommunikations- oder
IT-Systemen unter realistischen Bedingungen zu prüfen.
Ein IT-Sicherheitsberater, der beispielsweise von ei-
ner großen Bank beauftragt wird, die Sicherheit der ver-
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endeten Passworte mittels eines Passwort-Knackers
uf Herz und Nieren zu testen, würde mit einem Fuß im
efängnis stehen, wenn er zur Erfüllung seines Auftra-
es eine entsprechende Software herstellen und testen
ürde. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie auch nur
inen Experten finden werden, der gewillt ist, das Risiko
uf sich zu nehmen, sich auf diese Art und Weise straf-
ar zu machen. Der Experte wird den Auftrag ablehnen
nd die Bank müsste darauf verzichten, ihre System-
icherheit einer Prüfung zu unterziehen.
An diesem Beispiel wird das Risiko deutlich, das der
esetzesentwurf in sich birgt. Weil Kriminelle, die die
bsicht verfolgen, in ein System einzudringen, um sich
ort illegal Daten zu beschaffen oder das System selbst
u beschädigen, sich durch das Gesetz nicht davon ab-
alten lassen werden, ihr kriminelles Ansinnen zu ver-
olgen, die Bank in diesem Fall aber keine Möglichkeit
ehr hat, ausreichende Abwehrmaßnahmen gegen einen
ngriff zu treffen und unter realistischen Bedingungen
u testen, wird die IT-Sicherheit durch den Gesetzesent-
urf mehr gefährdet als geschützt. Der Geschäftsführer
ines mittelständischen IT-Sicherheitsunternehmens
agte mir in einem Gespräch, dass es das Aus für sein
nternehmen bedeuten würde, sollte das Gesetz so be-
chlossen werden.
Die Linke hat einen Änderungsantrag vorgelegt, der
ich mit klaren und verständlichen Maßnahmen dieses
roblems annimmt, indem von einer expliziten Befugnis
ur Straflosstellung des zugrunde liegenden Überein-
ommens des Europarats Gebrauch macht. Wir beantra-
en, den Umgang mit Computerprogrammen, die zur
orbereitung von Straftaten nach den §§ 202 a oder b
eeignet sind, nicht mit einer Strafandrohung zu verse-
en, sondern die tatsächlichen Rechtsgutsverletzungen
ie das widerrechtliche Ausspähen oder Abfangen von
aten zu bestrafen. Diese kleine Änderung ermöglicht
inen differenzierten Umgang mit Software, die auch,
ber nicht nur zu Straftaten gebraucht werden kann.
Ich finde es sehr befremdlich, dass die Linke die ein-
ige Fraktion ist, die sich dieses Problems annimmt und
ich damit auch noch als einzige Fraktion um die Interes-
en des IT-Standortes kümmert. Also, geben Sie sich ei-
en Ruck und stimmen Sie unserem Änderungsantrag
u. Alles andere würde in logischer Konsequenz bedeu-
en, dass wir auch den Besitz und das Inverkehrbringen
on Küchenmessern verbieten müssen. Diese sind näm-
ich, genau wie die beschriebene Software, dual use
ools, die sowohl einem nützlichen Zweck – Zwiebeln
chneiden – als auch kriminellen Zwecken – Erstechen
on Personen – dienen können.
Ich möchte noch auf einen weiteren Punkt der Kritik
urückkommen, die wir in unserem Änderungsantrag
ufgegriffen haben. Ich glaube, dass mit dem § 303 b
Computersabotage), so wie Sie ihn vorgelegt haben, ein
llegitimer Zweck verfolgt werden soll. Auch hier
chießt der Entwurf über das Ziel hinaus, wenn die
chlichte Eingabe und Übermittlung von Daten unter
trafe gestellt werden soll. Die Formulierung erfasst bei-
pielsweise auch sogenannte Onlinedemonstrationen,
ei denen nach aktueller Rechtsprechung noch unklar
10328 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007
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ist, inwieweit sie vom Recht auf freie Meinungsäuße-
rung und dem Recht auf Versammlungsfreiheit geschützt
sind. Bei einer Onlinedemonstration werden massenhaft
Anfragen an eine Website geschickt mit dem Ziel, diese
zu blockieren. Sie können das auch gerne mit einer Sitz-
blockade vergleichen, die das BVerfG ausdrücklich als
nicht strafbar angesehen hat.
Wir vertreten die Auffassung, dass diese Form der
Meinungsäußerung und der Versammlungsfreiheit nicht
– wie es der Gesetzesentwurf vorsieht – unter Strafe ge-
stellt werden darf. Dieser Auffassung ist übrigens nicht
nur die Linke, sondern auch der Kollege Jörg Tauss von
der SPD oder der Richter Sierk Hamann, der auch Mit-
glied der FDP ist. Selbst der ehemalige Innenminister
Otto Schily hat ein mit der Onlinedemonstration ver-
gleichbares Vorgehen in Erwägung gezogen, um Nazi-
Websites zu blockieren. Jetzt will die Bundesregierung
mit dem Passus zur Computersabotage vollendete Tatsa-
chen schaffen und Onlinedemonstrationen unter Strafe
stellen, ohne dass die Debatte um freie Meinungsäuße-
rung im Internet auch nur annähernd abschließend ge-
führt werden konnte, wie es unter anderem das Minister-
komitee des Europarates empfohlen hat.
Die Linke will das Demonstrationsrecht auch virtuell
und hat in ihrem Änderungsantrag vorgeschlagen, dass
Computersabotage nur dann unter Strafe gestellt wird,
wenn es sich dabei tatsächlich um einen Sabotageakt,
nicht aber um eine Form virtuellen Protestes handelt.
Onlinedemonstrationen sind ein neues und legitimes
Mittel, sich demokratisch zu engagieren und für viele
Bürger sicher auch ein gutes Mittel gegen den Politfrust,
den die Große Koalition erzeugt. Diese Bürger gehören
nicht bestraft.
Für die Zukunft wünsche ich mir, dass nicht solche
Kollegen mit Rechtsfragen rund um Computer befasst
werden, die wie Herr Glos das Internet von anderen
Leuten bedienen lassen oder sich wie Herr Schäuble ihre
E-Mails selbst ausdrucken. Womöglich bleiben uns dann
derartige Patzer wie in dem Entwurf, den wir hier bera-
ten, erspart.
Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die
Informationstechnologie entwickelt sich rasant. Die vir-
tuelle Welt schafft einen neuen Freiheitsraum für Men-
schen, in kürzester Zeit und ohne großen Aufwand bis-
her unerreichbare Informationen zu erhalten, sich mit
Menschen und Institutionen auf der ganzen Welt zu ver-
netzen und Informationen auszutauschen. Mit diesen
neuen Möglichkeiten der IT-Technologie sind jedoch
auch Gefahren gewachsen und ist eine Kriminalität ent-
standen, auf die das Strafrecht eine sachgerechte und an-
gemessene Antwort finden muss. Der vorliegende Ge-
setzentwurf tut dies.
Wir haben die in der Öffentlichkeit vielfach geäußer-
ten Bedenken, der Entwurf führe zur Gefährdung und
Verfolgung von Menschen und Firmen, die nichts Un-
rechtes tun oder gar zu einer Überkriminalisierung, sehr
sorgfältig geprüft. Unseres Erachtens sind jedoch die tat-
bestandlichen Grenzen, wie in einigen schon bestehen-
den Strafvorschriften, in denen Computerprogramme an-
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esprochen werden, ausreichend klar formuliert. Den
edenken der Kritiker wurde durch Klarstellungen, die
ir in der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses
ormuliert haben, Rechnung getragen.
Nun konkret zu den Änderungen. Der Tatbestand des
usspähens von Daten – § 202 a StGB – erfasst bisher
ach seinem Wortlaut das ,,Verschaffen von Daten, die
egen unberechtigten Zugang besonders gesichert sind“.
r wird jetzt als „Verschaffen des Zugangs zu Daten, die
egen unberechtigten Zugang besonders gesichert sind“,
prachlich erweitert. Damit ist jedoch keine Ausweitung
er Strafbarkeit verbunden, weil schon bisher von der
echtsprechung der Zugang zu Daten mit dem Verschaf-
en von solchen gleichgesetzt wurde und eine Abgren-
ung auch technisch schwer möglich ist.
Neu geschaffen wird der Tatbestand des Abfangens
on Daten in § 202 b StGB. Wer also unbefugt nichtöf-
entliche – auch elektronische – Kommunikationsdaten
bfängt, indem er sich für ihn nicht bestimmte E-Mails
us WLAN-Netzen verschafft, macht sich künftig straf-
ar. Was als Abhörverbot beim Telefonieren schon bis-
er galt, wird nun also auf neue Kommunikationsformen
bertragen.
Die zentrale und von vielen kritisierte Neuerung be-
rifft den neuen § 202 c StGB – das Vorbereiten der
traftaten nach § 202 a oder § 202 b StGB. Künftig
acht sich strafbar, wer vorsätzlich darauf hinarbeitet,
ass unbefugt gesicherte Daten ausgespäht oder abge-
angen werden können, indem er nämlich Passwörter
der Computerprogramme, deren Zweck in der Bege-
ung einer der oben genannten Taten besteht, herstellt,
erkauft, sich verschafft oder verbreitet. Damit zielt die
orm auf die zu unterbindende Verbreitung von Compu-
erprogrammen, die aufgrund ihrer Bauart darauf ausge-
egt sind, illegalen Zwecken zu dienen.
Kritisiert wurde, die Strafnorm gehe zu weit: Sie er-
asse angeblich auch sogenannte dual use tools, also
omputerprogramme, die gleichermaßen für legale wie
ür illegale Aktivitäten genutzt werden können. Diese
uch in der Anhörung des Rechtsausschusses geäußerten
edenken sind gewichtig, wir sind dem mit großer Sorg-
alt nachgegangen. Im Ergebnis sind wir aber überzeugt,
ass eine Änderung des Gesetzeswortlautes an dieser
telle nicht erforderlich ist. Klar ist: Der branchenübli-
he befugte und gewollte Einsatz von Computerpro-
rammen durch Netzwerkadministratoren, mit denen
iese zum Beispiel die Sicherheit von eigenen oder Kun-
endatennetzen prüfen wollen, wird von der Strafnorm
icht erfasst. In Zweifelsfällen wird helfen, dass es sich
m Antragsdelikte handelt, es also ohne einen Kläger
ar nicht zu Strafverfahren kommen wird.
Deshalb fürchten wir Grünen nicht, dass das Gesetz
u der befürchteten Überkriminalisierung führen wird.
edoch haben wir uns – im Ergebnis erfolgreich – für
larstellungen eingesetzt, die den vorgetragenen Beden-
en Rechnung tragen. Der Bericht des Rechtsausschus-
es stellt nun klar, dass § 202 c StGB im Sinne des Art. 6
es Europarats-Übereinkommens auszulegen ist, also
ur solche Computerprogramme erfasst werden sollen,
ie in erster Linie dafür hergestellt werden, um damit
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007 10329
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Straftaten nach § 202 a oder b StGB zu begehen. Ist das
Computerprogramm dazu lediglich geeignet, wird es
von der Strafnorm nicht erfasst. Es muss also Schadsoft-
ware sein, vergleichbar der „Verfälschungssoftware“ bei
Tachometermanipulationen, wie es das Bundesverfas-
sungsgericht in einer Entscheidung 2006 herausgearbei-
tet hat. Der Bericht des Rechtsausschusses weist zudem
ausdrücklich darauf hin, dass § 202 c StGB in erster Li-
nie auf professionelle Anbieter zielt, die – unter Gewinn-
erzielung – Computerprogramme bewerben und anbie-
ten, die für die Begehung von Straftaten geschrieben
werden.
Als dritten – uns Grünen nicht minder wichtigen –
Punkt haben wir die Pflicht des Gesetzgebers betont, die
Auswirkungen der neuen Strafvorschriften genau zu be-
obachten. Sollten also Programmentwickler und Firmen,
die nicht aus krimineller Energie heraus handeln, durch
die neue Strafnorm wider Erwarten doch in Ermittlungs-
verfahren verwickelt werden, muss der Gesetzgeber zeit-
nah reagieren und für Abhilfe sorgen.
Den neugefassten § 303 b StGB – Computersabotage –
möchte ich nur kurz ansprechen Auch hier konnten wir
eine Klarstellung durchsetzen. Der Bericht des Rechts-
ausschusses stellt klar, dass Massen-E-Mail-Proteste
nicht unter § 303 b StGB fallen, weil es bei ihnen an der
erforderlichen Nachteilszufügungsabsicht fehlt und sie
von der Meinungsfreiheit nach Art. 5 GG geschützt sind.
Angesichts dieser richtigen und wichtigen Klarstel-
lungen, die wir noch in den Beratungen des Rechtsaus-
schusses zum Gesetzentwurf „Computerkriminalität“ er-
wirken konnten, werden wir dem Gesetz heute unsere
Zustimmung nicht versagen.
Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin der Justiz: Die moderne Informa-
tionstechnologie und vor allem das Internet sind heute
aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Das Inter-
net macht es möglich, weltweit Verbindung zu halten
und zu kommunizieren, es erlaubt große Transaktionen
per Mausklick und stellt uns eine schier unerschöpfliche
Fülle von Informationen zur Verfügung. Das Netz ist
aber auch verletzbar. Von Cyber-Angriffen ist in der
Presse immer wieder zu lesen. Zuletzt hat der „Spiegel“
von anhaltenden sogenannten Denial-of-Service-Atta-
cken auf die Websites der Regierung in Estland berich-
tet. Dabei handelt es sich um einen Angriff, bei dem ein
Computer gezielt mit Tausenden E-Mails bombardiert
wird, die seine Rechenkapazität überlasten und das Sys-
tem lahmlegen. Was das bedeutet, kann sich jeder leb-
haft vorstellen.
Denken Sie nur an Angriffe gegen die Server von
Staatseinrichtungen oder gegen sogenannte kritische In-
frastrukturen wie Banken oder Kernkraftwerke. Wir
müssen hier für Sicherheit sorgen, und dazu gehören
auch klare technische Rahmenbedingungen nicht zuletzt
im Strafrecht.
Dem dient der Ihnen heute vorliegende Gesetzent-
wurf. Die Denial-of-Service-Attacken sind dafür ein gu-
tes Beispiel. Sie fallen künftig unter den Straftatbestand
der Computersabotage. Außerdem wird der Schutzbe-
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eich der Computersabotage auf private Datenverarbei-
ungen ausgedehnt. Die besonders schweren Fälle der
omputersabotage – wie der Angriff auf kritische Infra-
trukturen – können künftig mit Freiheitsstrafe bis zu
ehn Jahren bestraft werden. Das Gesetz dient dabei
uch der Umsetzung des EU-Rahmenbeschlusses über
ngriffe auf Informationssysteme und der materiell-
echtlichen Vorgaben des Europaratübereinkommens
ber Computerkriminalität in unser nationales Recht.
iese internationalen Standards werden das Computer-
trafrecht weiter verbessern. Neben der bereits genann-
en vorgesehenen Änderung möchte ich drei weitere
unkte herausgreifen. Erstens. Klargestellt werden soll,
ass das „Hacking“, das heißt das Knacken von Compu-
ersicherheitssystemen, strafbar ist. Es kann nicht hinge-
ommen werden, dass ohne Einverständnis des Betroffe-
en in seinen Datenbestand eingedrungen werden darf.
ünftig soll daher bereits der unbefugte Zugang zu be-
onders gesicherten Daten unter Überwindung von Si-
herheitsvorkehrungen in § 202 a des Strafgesetzbuches
nter Strafe gestellt werden.
Zweitens. Besonders gefährliche Vorbereitungshand-
ungen zu Computerstraftaten werden künftig strafbar
ein. Sanktioniert wird die Vorbereitung einer Compu-
erstraftat insbesondere durch das Herstellen, Überlas-
en, Verbreiten oder Verschaffen von Computerprogram-
en, deren Zweck die Begehung einer Computerstraftat
t.
Weil es durch teilweise unsachliche Kritik einige Irri-
ationen in der Öffentlichkeit gab und weil auch die De-
atten in den Fraktionen davon nicht immer ganz frei
aren, möchte ich an dieser Stelle noch einmal festhal-
en: Es geht nicht darum, die IT-Sicherheitsbranche zu
riminalisieren. Diese kann sich selbstverständlich auch
eiterhin zu Zwecken des genehmigten Testens Hacker-
ools verschaffen. Auch Computerprogramme, die der
icherheitsüberprüfung, der Entwicklung von Sicher-
eitssoftware oder der Ausbildung in der IT-Sicherheits-
ranche dienen, werden nicht erfasst. Diesem Anliegen
ird mit einer engen Formulierung des Tatbestandes
echnung getragen. Erfasst werden nur Schadpro-
ramme, denen die illegale Verwendung immanent ist,
ie also nach Art und Weise des Aufbaus oder ihrer Be-
chaffenheit auf die Begehung von Computerstraftaten
ngelegt sind. Dass solche Programme – hierzu gehören
iren, Würmer, Trojaner und entsprechende Bausätze
owie auch sogenannte Hacker-Tools – im Netz nichts
erloren haben, ist eine Selbstverständlichkeit.
Drittens. Es gibt keinen Grund, die Vertraulichkeit
es immer wichtiger gewordenen E-Mail-Verkehrs we-
iger zu schützen als den Briefverkehr oder Telefonge-
präche. In einem neuen § 202 b des Strafgesetzbuches
oll daher das Verschaffen von Daten aus einer nicht öf-
entlichen Datenübermittlung oder aus der elektro-
agnetischen Abstrahlung einer Datenverarbeitungs-
nlage unter Strafe gestellt werden.
Die Änderungen durch den Gesetzentwurf stellen
ine sachgerechte Modernisierung unseres Computer-
trafrechts dar. Sie ermöglichen Deutschland, seine in-
ernationalen Verpflichtungen zu erfüllen. Ich bitte Sie
aher um Zustimmung zu dem Gesetz.
10330 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007
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Anlage 14
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichtes zu den Anträgen:
– Engpässe beim grenzüberschreitenden
Stromhandel abbauen – Wettbewerb auf
dem Elektrizitätsmarkt intensivieren
– Mehr Wettbewerb für die deutschen und eu-
ropäischen Energiemärkte – Europäischen
Impuls aufnehmen
– Wettbewerb auf den Energiemärkten stär-
ken, eigentumsrechtliche Entflechtung der
Transportnetze umsetzen und Möglichkeiten
zur Entflechtung bei marktbeherrschenden
Stellungen schaffen
(Tagesordnungspunkt 24)
Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): Wir debattieren
heute eine ganze Reihe von energiepolitischen Anträgen
und Vorstellungen der Oppositionsfraktionen, die insbe-
sondere mehr Wettbewerb einfordern. Damit rennen Sie
bei uns offene Türen ein. Ich will gern versuchen, Ihnen
darzulegen, dass für die Union ein Mehr an Wettbewerb
zentrale Voraussetzung für einen funktionierenden Ener-
giemarkt ist. An dieser Forderung richtet sich auch un-
sere alltägliche politische Arbeit aus.
Wie ist die Lage, und in welche Richtung weist unser
Kompass bei der Umsetzung unserer Energiepolitik? Ich
will beim Thema Strom und Gas beginnen. Dort sind es
im Wesentlichen drei Faktoren, die die Preise und die
Entwicklung beeinflussen.
Zum Ersten sind das die staatlich administrierten
Steuern und Abgaben, die bei den Preisen für Haushalts-
strom mittlerweile über 40 Prozent ausmachen; beim
Gas und auch beim Industrie- und Gewerbestrom liegt
der Anteil etwas niedriger, ist aber immer noch einer der
dominierenden Bestandteile.
Zum Zweiten ist das natürliche Monopol der Netze zu
nennen, das mit den Netzkosten zu Buche schlägt. Im
Haushaltsbereich sind dies 35 Prozent.
Allein diese beiden Faktoren machen fast 75 Prozent
– also drei Viertel – der Kosten für Strom und Gas aus.
Zum Dritten ist das der Wettbewerbsbereich, Strom
und Gasbezug inklusive Erzeugung und Vertrieb.
Was haben wir bisher getan? Bereits im Koalitions-
vertrag haben wir festgehalten, dass wir die Erhöhungs-
orgie beenden, die wir bei Abgaben und Steuern in den
sieben Jahren von Rot-Grün erlebt haben. Nach einem
Anstieg von 2 Milliarden auf über 13 Milliarden Euro
staatlich administrierter Abgabenbelastung pro Jahr ha-
ben wir gesagt: Das Ende der Belastbarkeit ist erreicht.
Im Hinblick auf die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen
Industrie, insbesondere der energieintensiven Industrie,
haben wir im letzten Jahr mit der Härtefallregelung beim
EEG die energieintensiven Industrien um über 80 Millio-
nen Euro entlastet. Zur Sicherung der Wettbewerbsfähig-
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eit deutscher Unternehmen haben wir weiterhin ganze
ranchen im energieintensiven Bereich von der Strom-
nd Mineralölsteuer – EU-konform! – befreit und so
eitere 60 Millionen Euro wettbewerbsfördernd einge-
etzt.
Was das natürliche Monopol der Netze angeht – also
en zweiten Bereich – leistet die Bundesnetzagentur
ute Arbeit. Grundlage dafür ist das Energiewirtschafts-
esetz, das wir noch Ende der letzten Legislaturperiode
emeinsam im Vermittlungsausschuss verabschiedet ha-
en. Diese Arbeit trägt jetzt erstmals Früchte. Vor weni-
en Wochen meldete die Bundesnetzagentur, dass Haus-
alte und Wirtschaft gleichermaßen im letzten Jahr um
,8 Milliarden Euro entlastet wurden. Dies war möglich,
eil Erhöhungen der Netzentgelte nicht genehmigt bzw.
etzentgelte gesenkt worden sind. In diesem Bereich
es natürlichen Monopols, wo der Markt bisher nicht
unktioniert, wo Marktversagen vorliegt, sparen wir mit
nserem Ansatz der kostenorientierten Ex-ante-Regulie-
ung 2006 und 2007 und übergangsweise, modifiziert,
008 2,8 Milliarden Euro ein.
Ich will nicht zu optimistisch sein, aber es gibt durch-
us realistische Prognosen, die besagen: Ausgehend von
en etwas über 23 Milliarden Euro Netzentgelten im
trombereich – so viel waren es im Jahr 2006 – errei-
hen wir mit den Maßnahmen, die jetzt in Gang gesetzt
orden sind, nicht nur eine Stabilisierung, sondern sogar
ine Senkung der Netznutzungsentgelte. Über die An-
eizregulierung eröffnen wir nämlich – ganz geplant –
inen Erlöspfad nach unten, sodass wir in fünf, sechs
der sieben Jahren im Ergebnis vielleicht bei 17 Milliar-
en oder 18 Milliarden Euro Netzentgelte liegen.
Durch die Anreizregulierung werden wir diesen Er-
öspfad nach unten in den nächsten Wochen nicht nur
onkretisieren – die Eckpunkte liegen ja vor –, sondern
ir werden auch sicherstellen, dass die Investitionen in
ie Netze auch zukünftig sichergestellt sind. Mit dieser
nreiz- und einer Qualitätsregulierung werden wir unse-
en hohen deutschen Standard, der einmalig in Europa
nd in der Welt ist, dauerhaft etablieren, gleichzeitig
ber auch die genannten Einsparungen erzielen.
Das dritte Handlungsfeld gilt dem Wettbewerb bei Er-
eugung, Vertrieb und Bezug von Strom und Gas. Hier
ollte eigentlich seit der Liberalisierung des Energie-
arkts 1998 ein Wettbewerb stattfinden. Wir müssen
ber leider übereinstimmend feststellen, dass dieser
ettbewerb nur eingeschränkt funktioniert, weil die vier
roßen Unternehmen, die je nach Definition mit 80 Pro-
ent bis 90 Prozent die Stromerzeugung dominieren,
ine marktbeherrschende Stellung einnehmen.
Um Wettbewerb im Bereich der Stromerzeugung zu
ördern, brauchen wir wettbewerbliche Marktstrukturen.
azu sind neue Kraftwerke möglichst neuer Anbieter
ötig. Solche Strukturen sollen durch die kürzlich im
abinett beschlossene Kraftwerks-Netzanschluss-Ver-
rdnung gefördert werden. Neue Anbieter erhalten hier
rivilegierten Zugang zum Netz. So kommt mehr Liqui-
ität in den Markt, die preissenkend wirken wird.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007 10331
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Diese strukturellen Maßnahmen wirken aber nicht so-
fort. Daher hat das Bundeswirtschaftsministerium die
GWB-Novelle auf den Weg gebracht, die wir als Uni-
onsfraktion voll unterstützen. Ziel der Vorschrift ist es,
die bestehende Missbrauchsaufsicht des Kartellamts vor-
übergehend zu schärfen, bis die strukturellen Maßnah-
men greifen. Die Vorschrift wird deshalb nur für eine
Übergangszeit gelten; sie tritt bereits 2012 außer Kraft.
Es handelt sich nicht, wie oft vorgeworfen, um die Wie-
dereinführung einer staatlichen Preisregulierung. Weiter-
hin gilt: Wer eine marktbeherrschende Stellung nicht
missbräuchlich ausnutzt, hat nichts zu befürchten. Es
bleibt eine nachträgliche Prüfung im Einzelfall. Auch
stellt die Novelle kein Investitionshindernis dar. Wettbe-
werbsanaloge Preise müssen ausreichend Anreize für In-
vestitionen geben. Niemand wird ernsthaft behaupten,
erst durch hohe Monopolpreise würden Kraftwerksin-
vestitionen rentabel.
Bereits im Vorfeld haben diese Maßnahmen positive
wettbewerbliche Wirkung gezeigt, wie die Schaffung
von bundesweiten Billiganbietern durch große Energie-
versorgungsunternehmen beweist. Mit der GWB-No-
velle sowie der Kraftwerksnetzanschlussverordnung
wird die Netzregulierung durch Verbesserungen auf der
Angebotsseite und bei der Kartellaufsicht ergänzt und zu
einem konsistenten Wettbewerbspaket geschnürt.
Sie sehen: Wir arbeiten mit einem durchdachten Kon-
zept, das die entscheidenden Stellschrauben in die rich-
tige Richtung dreht. Diese Maßnahmen werden durch
unsere Bemühungen ergänzt, auch auf europäischer
Ebene den Wettbewerb im Energiesektor zu stärken.
Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft legt einen
Schwerpunkt auf die Energiepolitik. Dabei spielt die
Weiterentwicklung der Strom- und Gasbinnenmärkte
eine zentrale Rolle. Entsprechend hat der Europäische
Rat am 8./9. März die Annahme eines ambitionierten
Energie-Aktionsplans beschlossen und Prüfaufträge an
die Europäische Kommission vergeben. Beim Energie-
ministerrat am 6. Juni 2007 wird Bundeswirtschaftsmi-
nister Michael Glos das Thema aktiv voranbringen.
Zum Stichwort „Verbesserung des grenzüberschrei-
tenden Stromaustausches“: Die EG-Stromhandelsver-
ordnung 1228/03 zeichnet den Weg für eine verstärkte
grenzüberschreitende Integration von Stromhandel und
Netzsteuerung vor. Netzbetreiber, Börsen und andere
Marktteilnehmer sind auf dem Weg zu gemeinsamen
Handelsverfahren und Handelsplattformen. Dies alles
wird das grenzüberschreitende Funktionieren der Märkte
verbessern. Ein ermutigendes Beispiel hierfür ist das
pentalaterale Energieforum, an dem die Beneluxländer,
Frankreich und Deutschland beteiligt sind.
Die Grünen fordern in ihrem Antrag weitgehende
Entflechtungsmaßnahmen. Auch hierauf möchte ich ein-
gehen. Das Ziel ist klar: Die Netze müssen als neutrale
Marktplätze funktionieren. Möglichkeiten der Diskrimi-
nierung müssen ausgeschaltet werden. Hier besteht noch
Nachbesserungsbedarf. Daher müssen wir alle Optionen
gründlich prüfen und vorurteilsfrei diskutieren.
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Aber die Entflechtung ist kein Allheilmittel zur For-
ierung der wettbewerblichen Dynamik, sie kann nur Ul-
ima Ratio sein, falls alle anderen Maßnahmen zum Ab-
au von Marktdefiziten versagen. Ob die von der EU-
ommission geforderte eigentumsrechtliche Trennung
er Netze vom restlichen Eigentum der Energiekonzerne
irklich für eine Entspannung an der Preisfront sorgt, ist
icht belegbar. In Großbritannien etwa, wo die Übertra-
ungsnetze längst abgetrennt wurden, liegen die Groß-
andelspreise für Strom seit Monaten kontinuierlich
ber den deutschen.
Briten und Niederländer konnten die Abtrennung der
erteilnetze vergleichsweise leicht durchsetzen, befan-
en sich diese doch in der öffentlichen Hand.
In Deutschland dagegen würde ein solcher Schritt auf
assive verfassungsrechtliche Bedenken stoßen. Der
rt. 14 des Grundgesetzes bildet einen hohen Schutz-
all um die Netze.
Ich befürchte bei der Umsetzung einer tiefgreifenden
ntflechtung eher eine erhebliche Verzögerung bei der
iberalisierung. Jahrelanger Rechtsstreit ist vorprogram-
iert. Rechtsunsicherheit behindert notwendige Investi-
ionen. Sie würden auch kein neues Auto kaufen, wenn
ie wüssten, dass der Staat es Ihnen in einem halben Jahr
bnimmt.
Es ist besser, wenn wir den bisherigen Weg erfolg-
eich fortführen, statt das Kind mit dem Bade auszu-
chütten. Der Umsetzung vorhandener Pläne und Richt-
inien ist daher der Vorrang gegenüber neuen
aßnahmen zu geben. Erst wenn das zweite Binnen-
arktpaket vollständig umgesetzt wurde und eine nach
ngemessener Zeit durchzuführende Evaluierung der
uswirkungen weitere Defizite bei der Durchsetzung ei-
es echten Energiebinnenmarktes ergibt, kann über wei-
ere ordnungsrechtliche Maßnahmen entschieden wer-
en. Daher lehne ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt die
orschläge der Kommission betreffend eine weitere Ent-
lechtung der Energiekonzerne bzw. den Ersatz nationa-
er Regulierungsbehörden durch einen europäischen
nergieregulator ab.
Voraussetzung für einen derart weitreichenden Ein-
riff in privates Eigentum ist, dass er geeignet und als
ltima Ratio erforderlich ist, um funktionierenden Wett-
ewerb im europäischen Strom- und Gasmarkt zu er-
öglichen. Dies ist derzeit nicht erkennbar.
Vergleichende Untersuchungen der Energiemärkte
er Mitgliedstaaten ergeben, dass diskriminierungsfreier
ettbewerb und niedrige Netzentgelte von einer effekti-
en und dauerhaften Regulierung und nicht von den
igentumsverhältnissen am Netz abhängen. Eine Regu-
ierung der Netzentgelte wäre auch bei einem Eigen-
umswechsel an den Netzen erforderlich, da sich neue
igentümer bei gleichen Rahmenbedingungen insofern
icht anders als die bisherigen Eigentümer verhalten
ürden.
Lassen Sie mich zusammenfassen: Die hohen Strom-
nd Gaspreise stellen die Bürger und Unternehmen un-
ermindert vor große Probleme. Energiepolitik muss für
ozialverträgliche Energiepreise sorgen. Daher setzt die
10332 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007
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Union in der Regierung folgende Punkte um: Erstens
keine weiteren Belastungen der Energiepreise durch
staatlich induzierte Abgaben; zweitens Wettbewerbsför-
derung und faire Energiepreise durch effektive Netzre-
gulierung und Stärkung wettbewerblicher Marktstruktu-
ren; drittens temporäre Verschärfung des Kartellrechts,
bis die strukturellen Maßnahmen im Energiemarkt wir-
ken; viertens die Schaffung eines funktionierenden Ener-
giebinnenmarktes mit einheitlichen Regeln. Die deut-
sche Politik muss darauf achten, dass europaweit nicht
mit zweierlei Maß gemessen wird. Insbesondere beim
Ownership-Unbundling sehe ich diese Gefahr. Mit-
gliedsländer mit staatlichen Besitzstrukturen können die
Entflechtung formal problemlos umsetzen, bauen aber
gleichzeitig andere Wettbewerbshindernisse nicht ab.
Frankreich ist dafür ein gutes Beispiel. Wenn man den
Binnenmarkt ernst nimmt, müssen überall die gleichen
Regeln gelten. Europäischer Binnenmarkt heißt nicht,
dass einzelne große Akteure die Spielregeln missbrau-
chen, um ihre Marktmacht auszudehnen. Zum Wohle al-
ler Bürger und Verbraucher in Europa brauchen wir ein
einheitliches level-playing-field im Energiebinnenmarkt.
Rolf Hempelmann (SPD): Wir haben es heute mit
drei Anträgen der Opposition zu tun, die allesamt für
sich in Anspruch nehmen, einen Beitrag zur Verbesse-
rung der Rahmenbedingungen für den Wettbewerb auf
dem deutschen Energiemarkt zu leisten. Das ist ein heh-
res Ziel. Die Intensivierung des Wettbewerbs ist ohne
Frage ein wichtiges Thema. Die Maßnahmen, die von
der FDP bzw. den Grünen vorgeschlagen werden, erwei-
sen sich bei genauerem Hinsehen allerdings entweder als
untauglich, das angestrebte Ziel zu erreichen, oder aber
sie sind von der Bundesregierung bereits in Angriff ge-
nommen worden. Insoweit sind die Vorschläge der Op-
position verzichtbar, und es ist daher alles andere als
überraschend, dass die Anträge in den Fachausschüssen
abgelehnt worden sind.
Die Schaffung eines verbesserten Wettbewerbsrah-
mens beschäftigt uns nicht erst seit gestern. Unter Betei-
ligung aller damals im Parlament vertretenen Parteien
haben wir mit der Novelle des EnWG einen wichtigen
Schritt in diese Richtung unternommen. Die Einrichtung
der Bundesnetzagentur, die Regulierung der Netze und
die Gewährleistung eines diskriminierungsfreien Netz-
zugangs waren zentrale Elemente dieser Novelle. Den
damit errichteten Wettbewerbsrahmen werden wir nun
mit konkreten Maßnahmen weiterentwickeln. Ein Bei-
spiel ist die Kraftwerksanschlussverordnung. Der ent-
sprechende Entwurf aus dem federführenden Haus ist in-
zwischen im Bundeskabinett beschlossen worden. Die
Verordnung wird mehr Rechtssicherheit und Transpa-
renz für alle Akteure und damit eine Grundvorausset-
zung für einen effektiven Netzanschluss neuer Erzeu-
gungskapazitäten schaffen. Verbunden mit Maßnahmen
zum Netzausbau und für eine verbesserte Engpassbe-
wirtschaftung wird diese Verordnung ein weiteres Ele-
ment auf dem Weg zu mehr Wettbewerb, mehr Anbieter-
vielfalt und damit auch zur Erhöhung der Liquidität im
Markt sein. Und mehr Liquidität ist das beste Mittel, um
preisdämpfende Effekte für die Verbraucher zu erzielen.
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Zur Ehrlichkeit gehört aber auch, dass eine hohe
etzqualität nicht zum Nulltarif zu haben ist. Die Ver-
rdnung zur Anreizregulierung, deren Entwurf inzwi-
chen seit einigen Wochen vorliegt, wird deshalb neben
em Aspekt der Kosteneffizienz auch die Netzqualität
erücksichtigen. Vor dem Start der Anreizregulierung
erden wir aber mit hoher Wahrscheinlichkeit eine
weite Entgeltgenehmigungsrunde erleben. Das ist si-
her nicht das, was wir alle uns gewünscht hätten, jetzt
ber müssen wir mit der Situation vernünftig umgehen.
as heißt, dass die zweite Genehmigungsrunde genutzt
erden muss, um das, was im ersten Durchgang noch
icht gelungen ist, nachzuholen: nämlich die unter-
chiedlichen Effizienzniveaus der Netzbetreiber einan-
er anzunähern und Ausreißer bereits vor dem Start der
nreizregulierung einzufangen. Notwendig wird des-
alb sein, auch die Betriebskosten, die bislang weitge-
end ausgeblendet blieben, stärker zu überprüfen. Für
ns ist darüber hinaus klar, dass wir eine Anreizregulie-
ung wollen, die ihrem Namen gerecht wird und Struk-
ureffekte zulasten der kommunalen Netzbetreiber ver-
indert. Wir werden deshalb darauf achten, dass die
ffizienzvorgaben nicht zuletzt für die vielen Stadtwerke
wie vom Gesetzgeber gefordert – auch tatsächlich er-
eichbar und übertreffbar sein werden. Nur so ist die Plu-
alität der deutschen Energieversorgungslandschaft dau-
rhaft zu erhalten.
Rahmenbedingungen für Wettbewerb und neue Inves-
itionen werden auch innerhalb des Emissionshandels
esetzt. Mit dem Zuteilungsgesetz für die nächste Han-
elsperiode wird Deutschland vor allem drei Ziele um-
etzen: Wir bringen den Klimaschutz voran und senken
ie Gesamtmenge unserer CO2-Emissionen deutlich
erab. Damit erhöhen wir den Druck auf die Abschal-
ung der ältesten und ineffizientesten Anlagen und set-
en zugleich Anreize für eine Modernisierung des ge-
amten fossilen Kraftwerksparks. Diese Investitionen
ind ein weiterer Bestandteil unserer Wettbewerbsstrate-
ie, zumal rund die Hälfte von ihnen von Unternehmen
ngekündigt worden ist, die bisher nicht oder nur in ge-
ingem Maße auf dem deutschen Markt aktiv sind. So
nd nicht durch Vorschläge wie die, die sich die Grünen
eim hessischen Wirtschaftsminister Riehl abgeschaut
aben und die auf die Zwangszerschlagung von Unter-
ehmen hinauslaufen, erreichen wir eine nachhaltige
erbesserung des Wettbewerbs auf dem deutschen Ener-
iemarkt.
Dass vor dem Hintergrund dieser Weichenstellungen
uch das Thema Grenzkuppelstellen – auch wenn deren
usbau kurzfristig nicht zwingend zu sinkenden Preisen
ühren wird – seine Berechtigung hat, steht außer Frage.
ie FDP kommt mit ihren Forderungen aber einmal
ehr etwas spät. Deutschland ist schon heute Spitzenrei-
er bei den Kuppelstellen innerhalb der UCTE. Die be-
eits verfügbare Kuppelkapazität zum Ausland liegt bei
6 Prozent. Wir liegen also bereits deutlich über dem
arcelonazielwert von 10 Prozent. Auch das Thema
Verbesserung des Engpassmanagements für die Kup-
elstellen“ ist angepackt. In enger Abstimmung mit der
lectricity Regional Initiative der europäischen Regula-
oren steht Deutschland mit allen angrenzenden Regio-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007 10333
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nen über die Gestaltung eines effizienten Engpassma-
nagements im Dialog. Eine Umgestaltung der
Auktionierungsmodelle ist dabei ein Thema. Diese Ge-
spräche zeigen Erfolg, wie ein Memorandum of Under-
standing zwischen deutschen und dänischen Netzbetrei-
bern sowie der EEX und Nordpool belegt. Die
Verständigung beinhaltet, dass für den kurzfristigen
Handel bis zum Herbst dieses Jahres ein voll funktions-
fähiges System auf Basis impliziter Auktionen etabliert
ist. Die FDP wird also zugestehen müssen, dass ihr An-
liegen bei der Bundesregierung in guten Händen ist.
Interessant ist in diesem Zusammenhang übrigens
auch das, was von verschiedenen Unternehmen unter der
Überschrift „länderübergreifende regionale Netzbetrei-
ber“ ins Gespräch gebracht worden ist. Ein solches Mo-
dell zum Beispiel für Frankreich, Deutschland und Be-
nelux hätte womöglich den Charme, ein rascheres
Zusammenwachsen regionaler Märkte zu ermöglichen
und den Ausbau der Grenzkuppelstellen weiter zu be-
schleunigen. Wir werden deshalb auch diese Option prü-
fen.
Gudrun Kopp (FDP): Nach wie vor ist die Situation
auf den deutschen Energiemärkten nicht zufriedenstel-
lend. Obgleich wir hier und auch auf europäischer Ebene
seit vielen Jahren über die Probleme debattieren, sind
viele der zugrunde liegenden Schwierigkeiten noch im-
mer nicht gelöst. Das Bundeswirtschaftsministerium hat
seit den letzten diesbezüglichen Debatten zwar einzelne
Maßnahmen – wie die Anreizregulierungsverordnung,
die Kraftwerksanschlussverordnung oder die GWB-No-
velle – vorgelegt, jedoch ist ein konsistentes Programm
noch immer nicht erkennbar.
Und dies ist auch der Kern des Gesamtproblems:
nämlich das vollständige Fehlen eines stimmigen ener-
giepolitischen Programms für die Bundesrepublik
Deutschland. Während die FDP-Bundestagsfraktion ein
solches Programm für diese Legislaturperiode erneut be-
schlossen hat, gefällt die Bundesregierung sich wahl-
weise in losen Gesprächskreisen (wie den Energiegip-
feln, an denen – wie man hört – einzelne Teilnehmer
inzwischen das Interesse verloren haben, weil dort außer
heißer Luft nichts herauskommt) oder in ausgewachse-
nen Streitereien. Das kann so aber nicht weitergehen.
Wenn es uns in Deutschland nicht gelingt, Einigkeit über
die grundlegenden Weichenstellungen für die Energie-
märkte herzustellen, werden wir auch keine sichere,
preisgünstige und umweltverträgliche Energieerzeugung
in Deutschland haben.
Zwar begrüßt die FDP ausdrücklich, dass der Bundes-
wirtschaftsminister mit der Anreizregulierungsverord-
nung ein tragfähiges Konzept für diese nächste Stufe der
Netzregulierung vorgelegt hat, allerdings kommt auch
diese wieder einmal viel zu spät. Mit der Einführung ab
2009 geht uns erneut ein Jahr verloren, in dem die Regu-
lierung des natürlichen Monopols „Netz“ nicht ihre volle
Wirkung entfalten kann. Auch die Kraftwerksanschluss-
verordnung wird von uns im Grundsatz begrüßt, aber
auch sie kommt sehr spät. Die GWB-Novelle dagegen
stellt einen Schritt zurück in die Monopolzeit dar, ze-
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entiert sie doch die staatliche Kontrolle von Energie-
reisen, die wir eigentlich dem Wettbewerb überlassen
ollten. Wie will der Bundeswirtschaftsminister mit die-
em Gesetz mehr Wettbewerb schaffen, wenn er damit
enau die trifft, die Wettbewerb schaffen sollten, näm-
ich die neuen Energieanbieter?!
Es bleibt wieder einmal bei Stückwerk, von einem
laren Konzept keine Spur. So müsste dringend etwas
etan werden, um auch die staatlichen Zusatzlasten auf
ie Energiekosten (diese sind zum Beispiel im Strombe-
eich seit 1998 um 91 Prozent gestiegen!) zurückzufüh-
en. Hier ist Deutschland leider Europameister zum
chaden unserer Unternehmen und Haushalte, die sich
afür bei Rot-Grün bedanken können. Aber auch Rot-
chwarz setzt diesen Kurs mit der Mehrwertsteuererhö-
ung nahtlos fort. Und auch beim Ausbau der Grenzkup-
elstellen (unser diesbezüglicher Vorschlag liegt heute
uf dem Tisch) herrscht Stillstand. Das Thema scheint
ie Bundesregierung nicht zu interessieren!
Stattdessen wurschtelt sie unkoordiniert mit verschie-
ensten Initiativen aus den Ressorts Wirtschaft, Umwelt
nd Bau vor sich hin, ohne dass eine Abstimmung unter-
inander zu erfolgen scheint. Für die FDP dagegen ist
lar, dass wir in erster Linie Wettbewerb brauchen, der
ich aber nicht einstellen wird, solange nur hier und da
inzelne Maßnahmen ergriffen werden, die offenbar in
einerlei Zusammenhang miteinander stehen. Wettbe-
erb auf den deutschen Energiemärkten werden wir nur
ann erleben, wenn die eingeleiteten Maßnahmen zur
egulierung natürlicher Monopole konsequent umge-
etzt werden und endlich auch verlässliche Rahmenbe-
ingungen für die Unternehmen zur Verfügung stehen.
ie kann es sein, dass das Hohe Haus vor nicht einmal
wei Jahren ein Gesetz beschließt, in dem festgehalten
st, wie die Netzmonopole reguliert werden sollen, und
ann jetzt schon wieder über den nächsten Schritt – das
igentumsrechtliche Unbundling – diskutiert wird?
undert sich hier wirklich irgendjemand, wenn ange-
ichts derartiger Sprunghaftigkeit die Unternehmen nicht
nvestieren?
Wir reden hier immerhin von einer Branche mit In-
estitionszyklen von bis zu 40 Jahren! Deshalb brauchen
ir endlich klare, verlässliche und wettbewerbsförderli-
he Rahmenbedingungen, die über das beschlossene Pa-
et zur Netzregulierung hinaus vor allem dort greifen,
o noch Regelungslücken vorherrschen. Das sind die
renzkuppelstellen, das ist die europäische Regulierer-
usammenarbeit, das sind die staatlichen Belastungen,
nd das ist die Frage der Förderung erneuerbarer
nergien.
In diesen Bereichen müsste die Bundesregierung end-
ich handeln, unsere Vorschläge dazu liegen auf dem
isch.
Hans-Kurt Hill (DIE LINKE): Die hohen Strom-
reise in Deutschland sind das Maß für das Marktversa-
en in der Energiebranche. Die hier vorliegenden An-
räge der FDP erkennen das Problem nicht einmal im
nsatz. Vielmehr sollen nur Symptome behandelt wer-
en.
10334 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007
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Auch mit Zutun der Liberalen wurde 1998 ein völlig
regulierungsfreier Strommarkt geschaffen. Die Kräfte
des sogenannten freien Marktes haben erwartungsgemäß
zu Abzockerkartellen geführt Nun wird die FDP die
Geister nicht mehr los, die sie einst rief.
Die Bilanz für Stromkunden ist ernüchternd: An der
Strombörse zahlten Industriekunden im letzten Jahr
650 Millionen Euro zu viel. Der Emissionshandel hat
dem Oligopol 5,3 Milliarden Euro Extraprofite beschert.
Die Kontrolle der Stromtarife war noch das einzige In-
strument, um die Konzerne halbwegs im Zaum zu hal-
ten. Aber was macht die Bundesregierung? Sie schafft
auch die noch ab – und prompt verkündet Vattenfall
Preiserhöhungen von über 7 Prozent. Natürlich bemän-
geln die Liberalen auch die Entflechtungsbemühungen
der EU-Kommission, wo eine Zerschlagung der Energie-
kartelle nötig wäre. Die FDP setzt stattdessen auf neoli-
berale Marktinstrumente, wo kein Markt vorhanden ist.
Eines muss festgehalten werden: Die größten Preisan-
stiege fallen auf die letzten Jahre, in denen Steuern und
Abgaben nicht erhöht wurden. Dass die Bundesregie-
rung mit der unsinnigen Erhöhung der Mehrwertsteuer
jetzt noch mal, nachgelegt hat, ist deshalb unverantwort-
lich. Aber die Abzocke betreiben RWE und Co. und nie-
mand sonst.
Die Kollegen von der FDP glauben leider auch, dass
erneuerbare Energien zu höheren Stromkosten führen.
Tatsache ist, dass sie Wertschöpfung in der Region er-
zeugen, teure Gas- und Ölimporte zunehmend überflüs-
sig machen und Klimafolgekosten einsparen. Im vergan-
genen Jahr betrugen die EEG-Kosten 3,2 Milliarden
Euro. Die durch sie vermiedenen Kosten für Gesund-
heits- und Umweltschäden betrugen 3,4 Milliarden Euro.
Volkswirtschaftlich wurden die EEG-Kosten damit voll-
ständig neutralisiert.
Es reicht nicht, den Wettbewerb auf den deutschen
Energiemärkten intensivieren zu wollen, indem grenz-
überschreitende Netzkapazitäten ausgebaut werden,
denn dazu müssen erst einmal Wettbewerbsbedingungen
hergestellt werden. Was den deutschen Stromsektor be-
trifft, kann man nur von Marktversagen reden. Daran
wird im Übrigen auch die Anreizregulierung nichts än-
dern. Der jetzt vorliegende Verordnungsentwurf zwingt
zu Dumpingpreisen im Netzbetrieb. Er ist bestenfalls
dazu geeignet, die Tarifautonomie zu untergraben und
Stadtwerke in die Hände der großen Energiekonzerne zu
treiben. Wenn die Verbraucherinnen und Verbraucher
Glück haben, sinken dadurch auch die Stromkosten –
frühestens 2013 um dann 50 Euro im Jahr.
In der jetzigen Situation führt ein bloßer Ausbau der
Netzkuppelstellen dazu, dass RWE, Eon, Vattenfall und
EnBW ihre marktbeherrschende Stellung ausbauen und
mehr Strom ins Ausland verkaufen. Geplante fossile
Kraftwerke und die Strombilanz belegen das deutlich:
Während im Jahr 2002 noch rund 12 000 Megawattstun-
den Strom importiert wurden, verkauften die Stromkon-
zerne 2006 schon 22 000 Megawattstunden ins Ausland.
Der Antrag der Grünen geht in die richtige Richtung,
greift aber deutlich zu kurz. Indem die Bundesregierung
ein Konzept zur Herstellung von Wettbewerb vorlegen
und darüber entscheiden soll, wer Netzbetreiber sein
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arf, wird noch lange kein fairer Wettbewerb geschaffen,
o Marktversagen vorliegt.
Die Linke fordert deshalb eine Zerschlagung des
tromkartells und eine Überführung der Netze in die öf-
entliche Hand. Wir brauchen eine funktionierende und
ransparente Preisaufsicht und ein wirksames Wider-
pruchsrecht für Verbraucherschutzverbände. Nur so
ird es uns gelingen, gerechte Bedingungen für einen
uropäischen Strommarkt zu erreichen. Dann wäre es
uch möglich, den grenzüberschreitenden Stromhandel
ernünftig zu organisieren. Wir brauchen mehr Über-
änge in Europa, um einen EU-weiten Verbund der er-
euerbaren Energien zu schaffen; denn es geht um be-
ahlbare Energie, Klimaschutz und Energiesicherheit.
Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
ittlerweile führen wir hier im Deutschen Bundestag
ast turnusgemäß Debatten über Wettbewerb auf den
nergiemärkten. Bei der Zustandsbeschreibung herrscht
och parteiübergreifende Einigkeit, nämlich darin, dass
ir eine zu starke Konzentration auf allen Marktebenen
aben und dass die steigenden Energiepreise zu einem
roßen Teil auf vermachtete Marktstrukturen zurückzu-
ühren sind.
Einigkeit besteht auch darin, dass wir eine nachhalti-
ere Energieversorgung brauchen. Das unter Rot-Grün
ovellierte Erneuerbare-Energien-Gesetz und die Ein-
ührung der Ökosteuer haben hier eine wichtige Len-
ungswirkung entwickelt, die auch diese Bundesregie-
ung anerkennt. Ich sehe zumindest weder bei der CDU
och bei der SPD Tendenzen, diese beiden Instrumente
bzuschaffen. Einigkeit besteht auch darin, dass der
taat aufgefordert ist, die Rahmenbedingungen anzupas-
en und wettbewerbsfreundlicher zu gestalten.
Damit hört aber die Einigkeit auch schon auf. Bei den
ösungsvorschlägen unterscheiden wir uns von der FDP,
ie am liebsten alles dem Markt überlassen will, und von
er Linken, die lieber das Pendel zurückschwingen und
en Staat wieder voll in die Verantwortung nehmen will.
ir unterscheiden uns aber auch von der Bundesregie-
ung, die mit der GWB-Novelle keinem der Akteure
irklich wehtun will und daher für die Außendarstellung
ediglich ein wenig Kosmetik betreibt.
Wir wollen uns keiner dieser vermeintlichen Lösun-
en anschließen. Der mangelnde Wettbewerb auf den
nergiemärkten hat seine Ursachen in den Strukturen. Er
rankt an einer zu starken Konzentration mit nur weni-
en Playern. Will die Politik hier zur Heilung beitragen,
uss sie die Krankheit bei ihren Ursachen packen, an-
tatt Placebos zu verteilen.
Wir schlagen daher die eigentumsrechtliche Entflech-
ung der Transportnetze vor. Die vier großen Energie-
onzerne haben einen zu großen Informationsvorsprung
egenüber potenziellen neuen Wettbewerbern. Es gibt
in großes Diskriminierungspotenzial gegenüber ande-
en potenziellen Stromerzeugern bei der Auswahl von
raftwerksstandorten, beim Regelenergiemarkt, beim
renzüberschreitenden Stromhandel und beim Netzaus-
au. Die Verteilnetzebene mit eher geringerem Diskrimi-
ierungspotenzial sollte jedoch in der Hand der Kommu-
alversorger bleiben.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007 10335
(A) )
(B) )
Wir schlagen weiter eine Dekonzentration bei zu star-
ker Marktmacht vor. Das bedeutet eigentlich nicht mehr,
als die staatlichen Eingriffsrechte der Fusionskontrolle
auch dann zuzulassen, wenn eine klare marktbeherr-
schende Stellung erkennbar ist, die zulasten der Verbrau-
cherinnen und Verbraucher geht. In den USA ist dies
längst Praxis mit guten Effekten für den Markt, wie das
Beispiel des amerikanischen Telekommunikationskon-
zerns AT&T zeigt. Für diese Dekonzentration im Ener-
giemarkt gibt es ja sogar Anhänger aus den Reihen der
Union, wie zum Beispiel den hessischen Wirtschaftsmi-
nister Dr. Alois Rhiel.
Ich möchte auch noch erwähnen, dass wir alle Wett-
bewerber stärken wollen, also auch die kommunalen.
Dies findet sich nicht in unserem Antrag wieder, da es
Sache der Lander ist, das zu regeln. Horizontale Koope-
rationen müssen möglich sein, sonst wird über eine
Netzregulierung in Kombination mit einer zu starken
Marktbeschränkung durch die Länder einigen Stadtwer-
ken wortwörtlich das Licht ausgeknipst.
Die GWB-Novelle ist nicht mehr als eine Imagekam-
pagne für den Wirtschaftsminister Glos. Sie täuscht Ak-
tionismus vor, wird sich aber kaum positiv für die Ver-
braucherinnen und Verbraucher auswirken. Vielmehr:
Sie kann kontraproduktiv sein. Experten und potenzielle
Wettbewerber warnen davor, dass kaum neue Akteure
investieren werden, da sie nicht gegen staatlich verord-
nete Preise von abgeschriebenen Kraftwerken konkurrie-
ren können. Daher wirkt die GWB-Novelle eher negativ,
als dass sie die Probleme löst.
Aus eigener Erfahrung können wir Ihnen nur Folgen-
des mit auf den Weg geben: Packen Sie das Problem an
den Wurzeln. Als wir damals die Einrichtung einer Bun-
desnetzagentur gefordert haben, waren nicht nur die
Kolleginnen und Kollegen von Union und FDP entschie-
dene Gegner. Auch die Energiewirtschaft hat das Ende
des Abendlandes prophezeit. Heute ist die Agentur nicht
mehr wegzudenken. Es wäre aber zu viel des Guten, sich
auf diesem Teilerfolg auszuruhen. Es bedarf weiterer
mutiger Schritte wie schon beschrieben.
Übertragen Sie diese Debatte so weit möglich auch
auf andere leitungsgebundene Wettbewerbssektoren.
Wiederholen Sie nicht die Fehler der Energiemarktlibe-
ralisierung bei der Bahnprivatisierung: Sorgen Sie hier
im Vorhinein für eine klare eigentumsrechtliche Tren-
nung von Netz und Betrieb!
Anlage 15
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung:
– Unterrichtung durch die Bundesregierung:
Nationaler Bildungsbericht 2006 – Bildung
in Deutschland und Stellungnahme der Bun-
desregierung
– Antrag: Bildungsberichterstattung fortfüh-
ren und weiterentwickeln
– Antrag: Bildungsforschung und Bildungs-
berichterstattung stärken
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– Antrag: Bildungsberichterstattung in
Deutschland und deren Weiterentwicklung
(Tagesordnungspunkt 25 a bis c und Zusatz-
tagesordnungspunkt 5)
Marcus Weinberg (CDU/CSU): Der erste gemein-
ame von Bund und Ländern herausgegebene nationale
ildungsbericht „Bildung in Deutschland“ wurde im
uni 2006 der Öffentlichkeit vorgestellt. Dieser Bil-
ungsbericht, mit dem Schwerpunkt Migration, markiert
inen hervorragenden Einstieg in eine kontinuierlich
tattfindende nationale Bildungsberichterstattung. Er in-
ormiert über die Bildungssituation in Deutschland, führt
ie bisher in getrennten Berichten und Studien veröffent-
ichten Daten über alle Bildungsbereiche hinweg zusam-
en, verdeutlicht Entwicklungen und gibt Hinweise auf
ünftige Herausforderungen. Der innovative Gehalt des
erichtes liegt in der Zusammenschau der Informationen
nd der damit verbundenen Möglichkeit, übergreifende
andlungsfelder aufzuzeigen. Bund und Länder verfü-
en damit über ein neues und fortschreibbares Instru-
ent des Bildungsmonitorings.
Durch die Föderalismusreform – die Modernisierung
er bundesstaatlichen Ordnung – stehen Bund und Län-
ern im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe nach
rt. 91 b Abs. 2 des Grundgesetzes seit 2007 neue In-
trumente zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit des
ildungswesens zur Verfügung, in deren Mittelpunkt die
emeinsame Bildungsberichterstattung steht. Gemein-
am mit den Leistungsvergleichsstudien ist die
ildungsberichterstattung daher Teil eines modernen
teuerinstrumentariums, das Bund und Ländern eine
ielgerichtete und effektive Kooperation bei der Wahr-
ehmung der jeweiligen Zuständigkeitsbereiche ermög-
icht. Der erste nationale Bildungsbericht ist somit auch
in wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer neuen Zu-
ammenarbeit von Bund und Ländern im Bildungsbe-
eich.
Die Länder haben die alleinige Verantwortung der
msetzung und Ausführung und müssen somit Rechen-
chaft über ihre bildungspolitischen Reformen ablegen.
s haben also jetzt diejenigen die Verantwortung im Bil-
ungsbereich, die die regionalen und sozialstrukturellen
esonderheiten kennen und somit besser bewerten kön-
en, welche Modernisierungsmaßnahmen durchgeführt
erden müssen. Nicht mehr von oben Reformen aufset-
en, sondern von der Basis entwickeln lassen!
Durch die klare Abgrenzung und Verteilung der jewei-
gen Kompetenzen zwischen Bund und Ländern wird
ransparenz geschaffen. Der Wettbewerb unter den Län-
ern wird erhöht, es werden bessere Zukunftschancen
urch ausgezeichnete Bildungssysteme hervorgerufen.
an lernt von anderen Ländern. Für die Qualitätssiche-
ung und Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Bildungs-
esens werden die neuen Möglichkeiten der Länder zur
emeinsamen Feststellung, zu gemeinsamer Bildungsbe-
ichterstattung sowie die Möglichkeit der Abgabe ge-
einsamer Empfehlungen wesentlich.
10336 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007
(A) )
(B) )
Im Zuge der Föderalismusreform wird die Kultus-
ministerkonferenz endlich an Bedeutung gewinnen und
bewirken, dass die Länder einen engeren Abstimmungs-
prozess zu entwickeln haben. Diesen Abstimmungspro-
zess erwarten wir aber auch von den Ländern. Ebenso
erwarten wir, dass festgestellte Defizite abgestellt wer-
den. Die Bildungspolitik wird so im Landtagswahlkampf
eine entscheidende Rolle einnehmen. Das haben wir Bil-
dungspolitiker uns doch immer gewünscht!
Vor diesem Hintergrund ist es sinnvoll, zusammen
mit den Ländern die Bildungsberichterstattung als In-
strument für eine neue Grundlage der bildungspoliti-
schen Steuerung fortzuführen und in der Konzeption,
Methodik etc. weiter auszugestalten. Dazu gehört auch
die Weiterentwicklung von empiriegestützten Indikato-
ren in Bereichen, die dieser Betrachtung bisher noch
nicht so zugänglich waren, wie beispielsweise dem in-
formellen Lernen oder der Weiterbildung. Über
bestimmte ausgewählte Indikatoren im nationalen Bil-
dungsbericht sollte weiterhin im internationalen Ver-
gleich berichtet werden. Die Bildungsberichterstattung
auch künftig durch ein unabhängiges Gremium von Wis-
senschaftlern aus allen Bereichen der Bildungsforschung
vornehmen zu lassen, sollte als selbstverständlich ange-
sehen werden. Neben der analytischen und vergleichen-
den Betrachtung von mittel- und langfristigen Bildungs-
prozessen sollte beiliegend eine problemorientierte
Darstellung, welche auf die Defizite und Schwachstellen
hinweist, erfolgen.
Zentrale Forderungen an die Bundesregierung sind
zum einen, dem Deutschen Bundestag künftig alle zwei
Jahre einen nationalen Bildungsbericht vorzulegen, und
zum anderen, die empirische Bildungsforschung in
Deutschland weiterzuentwickeln, strukturell und inhalt-
lich zu stärken. Dazu könnte, wie auch zur mittel- bis
langfristigen Verbesserung der Datenbasis für den natio-
nalen Bildungsbericht, die Etablierung eines wissen-
schaftsgetragenen nationalen Bildungspanels einen we-
sentlichen Beitrag leisten.
Darüber sind wir uns einig: Bildungsqualität muss si-
chergestellt und verbessert werden. Zugleich sind ener-
gische Anstrengungen erforderlich, um den Zusammen-
hang zwischen Bildungserfolg und sozialer Herkunft
abzubauen. Beides ist entscheidend für die Zukunft des
Einzelnen sowie unserer Gesellschaft. Wir brauchen ein
förderndes und forderndes Bildungssystem, das an die
Stärken und Lernvoraussetzungen jedes Einzelnen an-
knüpft.
Die künftigen nationalen Bildungsberichte werden
zeigen, worin die Stärken und Schwächen des föderalen
Systems in Deutschland liegen und ob es gelingt, die
Stärken voll zur Geltung zu bringen.
Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Die Zeitregie
dieses Debattentages hat es so gefügt, dass die Ausspra-
che zum ersten Nationalen Bildungsbericht 2006 und zu
den Anträgen von CDU/CSU und SPD sowie Grünen
und FDP um 2.40 Uhr morgens im Bundestag aufgeru-
fen werden soll. Damit war klar, dass es über das Schat-
tenboxen von zu Protokoll gegebenen Reden hier keine
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rnsthafte Aussprache zu den Inhalten des ersten Natio-
alen Bildungsberichtes für Deutschland geben würde.
icht nur das Thema „Bildung in Deutschland“, auch
er Anlass eines ersten Nationalen Bildungsberichtes
nd die Qualität dieses Berichtes sind zu bedeutend, um
ie an dieser Stelle und in dieser Form in der parlamenta-
ischen Maschinerie abzuarbeiten. Auf diesem Wege
öchte ich deshalb für die SPD-Fraktion den ganz mas-
iven Wunsch und Willen ausdrücken, dass wir zu einem
päteren Zeitpunkt, nämlich im Rahmen der abschlie-
enden Beratung der Anträge zum Nationalen Bildungs-
ericht, eine parlamentarische Beratungsform für diesen
ericht selbst finden, die dem Ereignis und der Qualität
erecht wird, die eine Beteiligung der Regierung durch
ie Ministerin oder den Staatssekretär in dieser Debatte
wingend einschließt und die uns auch eine gebührende
arlamentarische Aussprache zu den zentralen Inhalten
nd den Schwerpunktsetzungen und Folgerungen, die
ir als Parlamentarierinnen und Parlamentarier hieraus
iehen, ermöglicht. Dies sind wir dem Parlament, dem
nlass und auch dem Gewicht der Bildungsbericht-
rstattung für die Zukunft und in der Zukunft schuldig.
chließlich ist dieser erste Nationale Bildungsbericht
icht zuletzt auf parlamentarische Initiative hin entstan-
en. Hierauf verweist die FDP, hierauf können aber auch
PD und Bündnis 90/Die Grünen verweisen, denn in
ieser Konstellation ist im Wesentlichen die nationale
ildungsberichterstattung parlamentarisch mit vorange-
rieben worden.
Wir freuen uns, dass auch die CDU/CSU sich diesem
nliegen nicht verschlossen hat. Durchgesetzt worden in
em komplizierten Zusammenspiel von Bund und Län-
ern, was Bildungsfragen im Sinne des lebenslangen
ernens in allen ihren Phasen angeht, ist die nationale
ildungsberichterstattung durch die vormalige Bil-
ungs- und Forschungsministerin Frau Edelgard
ulmahn. Sie hat hierfür hart und erfolgreich gekämpft;
nd das vorliegende Werk ehrt denn auch die Meisterin.
Dass wir als Sozialdemokraten diesen Nationalen Bil-
ungsbericht von Bund und Ländern gerne in eine um-
assendere gemeinsame Bildungskompetenz von Bund
nd Ländern eingebunden gesehen hätten, will ich hier
icht vergessen, noch einmal ausdrücklich zu betonen.
ei allen Teilerfolgen, die wir hier im Rahmen der Föde-
alismusreform I für die nationale Bildungskompetenz
etztlich mit Macht doch noch erreichen konnten, bleibt
ieses aus bildungspolitischer Sicht für uns leider den-
och unbefriedigend. Umso wichtiger ist es, dass Bil-
ungsberichterstattung und auch Bildungsforschung,
ber die dann noch gesondert und ausführlich zu disku-
ieren sein wird, jetzt auch von allen politischen Ebenen
rnst genommen, optimiert und handlungsleitend ge-
acht wird.
Wir freuen uns, dieses mindestens für die Bundes-
bene bereits feststellen zu können. Es hat nicht nur eine
ehr profunde, ausführliche Anhörung zur Entstehung,
ethodik und Verbesserungsmöglichkeiten für den Na-
ionalen Bildungsbericht und die Folgeberichte im zu-
tändigen Bildungsausschuss gegeben. Auch in Debatten
nd in Sachverhandlungen des Ausschusses erleben wir
mmer wieder, dass auf den Nationalen Bildungsbericht
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007 10337
(A) )
(B) )
als Referenzgröße und Bezugsquelle von Daten zurück-
gegriffen wird. Auch in der nationalen Bildungsöffent-
lichkeit spielt der Bildungsbericht zunehmend eine posi-
tive Rolle.
Für die SPD will ich ausdrücklich einen Wunsch aus-
sprechen: So wie wir im Bundestag diesen Nationalen
Bildungsbericht sehr ernsthaft und eingehend behandeln
müssen, dürfen und können wir dieses auch von den
Ländern erwarten. Wir sollten alle in unseren Parteien
darauf dringen, dass das, was gemeinsame Kompetenz
und gemeinsame Berichterstattung ist, auch in den
16 Landtagen und im Bundestag parallel aufgegriffen,
behandelt und reflektiert wird. Ich bin nicht so naiv, dies
kurzfristig zu erwarten, weil der Reflex – zumal auf
Ebene der Landtage – eben doch ist, sich vor allem mit
den regionalen, landesspezifischen Bildungsberichten
auseinanderzusetzen. Aber die Erfahrung von PISA
zeigt: Der Blick über die Landesgrenzen hinaus öffnet
erst die Einsicht in die wirklichen Gegebenheiten. Was
PISA an Debatten ausgelöst hat, kann im landesspezifi-
schen Vergleich in Form des deutschen Nationalen Bil-
dungsberichtes ähnlich befruchtend und hilfreich sein.
In diesem Sinne möchte ich im Weiteren Stellung
nehmen zu dem Konzept, zur Struktur des Bildungsbe-
richtes und den Hinweisen, Anregungen und Forderun-
gen zu seiner Weiterentwicklung, wie wir sie nicht nur
im Ausschussanhörungsverfahren, sondern auch in An-
trägen anderer Fraktionen und im eigenen Antrag von
CDU/CSU und SPD zur Bildungsberichterstattung vor-
finden. Dabei ist festzustellen: Alle Antragssteller spre-
chen sich weiterhin ausdrücklich positiv für eine solche
nationale Berichterstattung aus. Sie würdigen den vorlie-
genden Bericht und haben Vorschläge zur Weiterent-
wicklung zu machen.
Zwischen den Koalitionsparteien konnten wir uns
darauf verständigen, dass zur Weiterentwicklung insbe-
sondere der Aufbau von empirisch gestützten Indikato-
ren in Bereichen, die dieser Betrachtung bisher noch
nicht sehr intensiv zugänglich waren, forciert werden
muss, wie zum Beispiel dem informellen Lernen oder
der Weiterbildung. Hierzu sollte man nicht nur interna-
tionale Erfahrungen mit solchen Indikatoren aufgreifen,
sondern entsprechende Ergebnisse dann auch in einen
internationalen Vergleich stellen.
Wir fordern weiterhin, dass das unabhängige Gre-
mium von Wissenschaftlern aus allen Bereichen der
Bildungsforschung neben der analytischen und verglei-
chenden Betrachtung in Zukunft noch stärker eine pro-
blemorientierte Darstellung, die auf Defizite und
Schwachstellen hinweist, vornehmen kann, und noch
stärker als bisher schon geschehen im Nationalen Bil-
dungsbericht entwickelt und zur Diskussion stellt.
Ein weiteres wichtiges Anliegen ist uns, dass zusam-
men mit den Ländern der Nationale Bildungsbericht im
Sinne des Art. 91 b Abs. 2 GG nun auch tatsächlich zu
einem Instrument gemacht wird, um gemeinsame Ziele
von Bund und Ländern für die Weiterentwicklung des
Bildungswesens zu vereinbaren und durch koordinierte
Maßnahmen in den jeweiligen Zuständigkeitsbereichen
umzusetzen. Von der Einzelaktivität zu der Bündelung
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er Kräfte, vom Denken in Landeskategorien oder Bun-
eskategorien zum Konzept mit gesamtstaatlicher Pers-
ektive, vom Blick nach innen zum Blick von außen,
on der Beschreibung der Probleme zur Orientierung auf
ösungen; dieses müssen die zukünftigen Perspektiven
ein, die durch den Nationalen Bildungsbericht gefördert
erden.
Die Qualität des Bildungsberichtes, aber auch die viel
ichtigere Umsetzung in bildungspolitische Praxis wird
ntscheidend davon abhängen, ob die Zuarbeit und Mög-
ichkeit der Überprüfung und Reflexion durch die Bil-
ungsforschung strukturell und inhaltlich ausgebaut und
ptimiert werden kann. Die Koalitionsfraktionen stehen
inter der Etablierung eines wissenschaftsgetragenen na-
ionalen Bildungspanels. Dieses muss natürlich, um hier
inen Einwand aus dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/
ie Grünen aufzugreifen, datenschutzrechtlichen Krite-
ien voll genügen. Es muss aber vor allem die Perspek-
ive des lebenslangen Lernens, sprich der Verbindung
er einzelnen Lebenslernphasen von der frühkindlichen
is in die Altersbildung zum Inhalt haben. Sein Ziel
uss sein, Erkenntnisse zu liefern, an welchen Stellen,
n welchen Formen Bildungspolitik im Kontext auch an-
erer Politikfelder immer wieder dazu beitragen kann,
eue Chancengleichheit und Entwicklung von Bildungs-
ompetenz zu fördern.
Denn dieses ist auch eine inhaltliche und wertebezo-
ene Botschaft aus dem Nationalen Bildungsbericht:
ir brauchen und wollen Chancen für alle, wir wollen
leiche Chancen, niemanden aufgeben und alleine las-
en, wir wollen nicht segregieren und selektieren, denn
ildungsprivilegien haben wir in unserer Gesellschaft
chon viel zu viele. Stattdessen kommt es darauf an, Bil-
ungswege von Anfang an zu fördern, sie immer wieder
ffen zu halten und immer wieder neue Chancen für alle
u ermöglichen – und das effizient, zielgerichtet, persön-
ichkeitsbildend und prägend.
Deshalb haben wir von der SPD es auch aus als sehr
utes Zeichen angesehen, dass im ersten Nationalen Bil-
ungsbericht der Fokus auf das Thema Migration als be-
onderes Problem und besonderen Aufgabenschwer-
unkt in Deutschland gerichtet worden ist. Auch
ierüber wird intensiver zu sprechen sein, wenn wir tat-
ächlich in die vollwertige Parlamentsdebatte zu den In-
alten des Bildungsberichtes eintreten. Nur so viel schon
n dieser Stelle: Wenn im Bildungsbericht festgestellt
erden muss, dass im Rahmen dieser Schwerpunktbil-
ung zum ersten Mal der tatsächliche Umfang und die
eterogenität der Bevölkerung mit Migrationshinter-
rund auf der Basis des Mikrozensus 2005 dargestellt
erden konnte und die Zahlen dieses Mikrozensus ein
eues Licht auf die Größe und Differenziertheit der He-
ausforderungen werfen, denen sich die Erziehungs- und
ildungseinrichtungen bei ihrem Beitrag zur Integration
er Migrantinnen und Migranten gegenüber sehen, so
eigt dieses zugleich Nachholbedarf in Zukunftsaufga-
en, denen wir uns noch sehr viel intensiver zu widmen
aben.
Auch wenn dieses in der Loyalität von Koalitionsver-
bredungen von sozialdemokratischer Seite aus nicht so
10338 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007
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(B) )
explizit in den Antrag hineingeschrieben werden konnte,
möchte ich mir hier dennoch das Recht nehmen, über
den gemeinsamen Beschluss hinaus eine Anregung und
Forderung, ja gar einen Wunsch aus der Anhörung zur
Bildungsberichterstattung seitens der beteiligten Wis-
senschaftlerinnen und Wissenschaftler wie übrigen Ex-
perten aufzugreifen, der sich auch in dem Antrag von
Bündnis 90/Die Grünen wie FDP wiederfindet. Natür-
lich muss dieses unabhängige Konsortium für die Erstel-
lung des Nationalen Bildungsberichtes auch Handlungs-
empfehlungen aussprechen können, natürlich müssen in
der Auseinandersetzung mit diesen Handlungsempfeh-
lungen Bundesregierung wie Kultusministerkonferenz
sich der gemeinsamen politischen Bewertung stellen,
und natürlich bedarf es auch in Zukunft der Konzentra-
tion der jeweiligen Bildungsberichte auf klare Schwer-
punktsetzungen, die möglichst gesellschaftliche Kon-
fliktfelder und Handlungspunkte antizipieren, damit man
sich in einer konzertierten Bildungspolitik rechtzeitig
darauf einstellen und damit auch gegensteuern kann.
Dieses sollte Anliegen von allen an Bildungspolitik
Interessierten und Engagierten sein. Ich will deshalb
gerne bekennen, dass bei Durchsicht der Anträge von
FDP wie Bündnis 90/Die Grünen zahlreiche sehr kon-
struktive Anregungen für die Weiterentwicklung der zu-
künftigen Bildungsberichterstattung festzustellen sind,
von denen wir uns aus sozialdemokratischer Sicht wün-
schen, dass sie auch von der Bundesbildungsministerin
wie der Kultusministerkonferenz mit aufgegriffen und in
zukünftige Konzepte eingearbeitet werden. Dem Verlauf
der bisherigen Debatten, der Anhörung wie den vorlie-
genden Anträgen ist zu entnehmen, dass hierüber auch
ein breiter inhaltlicher Konsens im Parlament besteht.
Hierauf gilt es aufzubauen.
Zum Abschluss möchte ich gerne zitieren aus der Zu-
sammenfassung des Nationalen Bildungsberichtes, in
der es auf der Seite 203 summierend heißt: „Die er-
reichte schulische und berufliche Bildung hat in vielen
Lebensbereichen positive Wirkungen für die Individuen,
aber auch für die Gesellschaft als Ganzes. Mit höheren
Bildungsabschlüssen steigen die individuellen Chancen
auf eine dauerhafte und angemessene berufliche Tätig-
keit. Auch außerberuflich lassen sich positive Wirkun-
gen feststellen, etwa hinsichtlich der Gesundheit oder
der Wahrnehmung der Möglichkeiten politischer Teil-
habe. Diesen individuellen Chancen entsprechen Erträge
für Unternehmen, Institutionen und die Gesellschaft. Er-
gebnisse der neueren ökonomischen Forschung zeigen,
dass Bildungsinvestitionen nicht nur positiv auf Wachs-
tums- und Innovationsfähigkeit wirken, sondern sich
auch sozialpolitisch auszahlen.“ Der Bildungsbericht
formuliert danach in seinem überhaupt letzten Satz sehr
defensiv: „Es kommt deshalb wesentlich darauf an, den
Anteil der Bildungsverlierer so gering wie möglich zu
halten.“ Darauf möchte ich für die Sozialdemokratie of-
fensiv antworten: Das dauerhafte Ziel muss sein, alle
Menschen zu Bildungsgewinnern zu machen. Mit dem
Nationalen Bildungsbericht können wir hierzu für die
Zukunft jetzt auf einen methodischen Baustein mehr als
in der Vergangenheit vorhanden setzen.
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Cornelia Pieper (FDP): Dass wir heute Nacht den
rsten Nationalen Bildungsbericht im Plenum behandeln
önnen, haben Sie meiner Fraktion und mir zu verdan-
en. Insofern war ich schon erstaunt über die Zeitrech-
ung meiner Kollegen aus CDU/CSU und SPD, die in
hrem Antrag im Jahr 2002 die Geburtsstunde dieses Be-
ichts sehen. Nach der Devise, dass nicht sein darf, was
icht sein kann, wurde kurzerhand die wahre Geschichte
nter den Tisch gekehrt.
Ich kann Sie nur auffordern, den Antrag der FDP zur
and zu nehmen. Sie werden nicht nur den Initiator aus-
indig machen, nein, Sie werden auch sehen, dass die
DP mit großer Weitsicht den Bildungsbericht bereits
001 auf den Weg gebracht hat. Aber Erfolg hat ja be-
anntlich immer viele Mütter und Väter. Belassen wir es
abei.
Inzwischen haben wir uns zu Beginn des Jahres in ei-
er Ausschussanhörung mit dem vorliegenden Bildungs-
ericht, mit seinen Stärken und Schwächen, befasst.
eine Damen und Herren von den Grünen, ich verstehe
icht, warum Sie in Ihrem Antrag kritisieren, dass die
erfasser Ihnen keine Handlungsempfehlungen an die
and gegeben haben. Kennen Sie nicht den Arbeitsauf-
rag des Konsortiums Bildungsberichterstattung? Genau
as sollten die Damen und Herren nicht tun! Sie sollten
ine problemorientierte Darstellung der Situation auf der
rundlage bestimmter Indikatoren liefern und auf Wer-
ungen und Empfehlungen verzichten. So muss es mei-
er Auffassung nach auch bleiben. Oder trauen Sie die-
em Hohen Hause nicht zu, die Ergebnisse der
ildungsberichterstattung zu bewerten und die richtigen
chlussfolgerungen daraus zu ziehen? Die Koalition
ieht, und dieser Auffassung kann ich mich durchaus an-
chließen, dass mit der Bildungsberichterstattung in der
orliegenden Form ein neues Instrument geschaffen
urde, mit dem Bund und Länder ihre jeweiligen bil-
ungspolitischen Entscheidungen sowie ihr Zusammen-
irken auf einer deutlich verbesserten Datengrundlage
lanen können und die Wirkung ihrer Maßnahmen ver-
olgen können.
Die Stärke des uns vorliegenden Berichts liegt in sei-
er belastbaren und weiter fortschreibbaren Datenbasis.
ie wird, auch wenn sich die Schwerpunktsetzungen,
ie in diesem Fall auf den sozioökonomischen Hinter-
rund der Bildungsteilnehmer und auf einen Migrations-
intergrund, verändern werden, das Bildungssystem und
ildungsprozesse transparent und vergleichbar machen.
it dem Bildungsbericht haben wir ein Zeichen gesetzt
nd gezeigt, dass wir unseren Verfassungsauftrag, der
ich aus dem neuen Art. 91 b Abs. 2 des Grundgesetzes
rgibt, ernst nehmen. Ja, die Feststellung der Leistungs-
ähigkeit des Bildungswesens im internationalen Ver-
leich ist eine neue Gemeinschaftsaufgabe von Bund
nd Ländern. Das Instrument „Nationaler Bildungsbe-
icht“ wird uns künftig durch eine wechselnde Schwer-
unktsetzung in die ausgesprochen komfortable Lage
ersetzen, übergreifende Problemlagen oder besondere
ildungsgebiete differenziert zu analysieren.
Eine weitere Stärke des Berichts sehe ich darin, dass
r öffentlich ist und die Ergebnisse jedem Interessierten
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007 10339
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zugänglich sind. Und das ist wichtig, wenn wir die Zu-
sammenhänge zwischen Bildung und Lebenslauf, begin-
nend bei der bei der frühkindlichen Bildung, über die all-
gemeinbildende Schule, die berufliche Ausbildung im
dualen System, die Hochschule bis hin zur Weiterbil-
dung im Prozess des lebenslangen Lernens besser verste-
hen wollen. Der Bericht machte uns zum Beispiel auf die
Situation der Weiterbildung in Deutschland aufmerksam.
So mussten wir zur Kenntnis nehmen, dass die Ausga-
ben der öffentlichen Hand für Weiterbildung zwischen
2000 und 2003 – das war die Regierungszeit von Rot-
Grün – um über 20 Prozent gefallen sind. Den Erforder-
nissen eines sich ständig verändernden Arbeitsmarktes
in der Wissensgesellschaft wird das nicht gerecht. Wir
sehen aber auch andere Defizite deutlich, wie den engen
Zusammenhang zwischen Bildungserfolg und sozialer
Herkunft oder zwischen Bildungserfolg und Migrations-
hintergrund. Hier haben wir in der Bildungspolitik
Handlungsdefizite.
Nicht zuletzt möchte ich darauf hinweisen, dass sich
Entscheidungen zur Weiterentwicklung des Bildungswe-
sens künftig noch stärker auf die Ergebnisse der Bil-
dungsforschung stützen müssen. Natürlich müssen wir
hierfür zugleich die Voraussetzungen für eine exzellente
empirische Bildungsforschung in Deutschland weiter
verbessern. In künftig folgenden Berichten sollten wei-
tere Indikatoren aufgenommen werden, die klare Aussa-
gen zum Lernumfeld, zur Ausstattung und Organisation
von Schule, dem Zahlenverhältnis Lehrer-Schüler und
über die Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften ma-
chen. Vergessen wir nicht: Der Bildungsbericht ist das
wichtigste Zeugnis, wenn es darum geht, wie Deutsch-
land im Wettbewerb um die besten Köpfe aufgestellt ist.
Cornelia Hirsch (DIE LINKE): Die Linke hat in den
Diskussionen über die Föderalismusreform vor einem
Jahr immer wieder betont, dass es falsch ist, im Bil-
dungsbereich auf quasi alle Bundeskompetenzen zu ver-
zichten und die Verantwortung für das Bildungswesen
zum größten Teil an die Länder abzugeben. Wir wollen
stattdessen ein Bundesbildungsgesetz, das von der Kita
bis zur Weiterbildung alle Bildungsphasen umfasst und
bundesweit einen grundlegenden und einheitlichen Rah-
men festlegt. Von der Bundesregierung wurden unsere
Vorschläge mit Hinweis zurückgewiesen, dass mit der
neuen gemeinsamen Verantwortung von Bund und Län-
dern zur Bildungsberichterstattung ein sinnvolles Instru-
ment geschaffen werde, um zu einer kooperativen Zu-
sammenarbeit zu kommen.
Inzwischen liegt seit mehr als einem Jahr der erste
Nationale Bildungsbericht vor. Dieser wiederholt in vie-
len Punkten, was uns schon durch andere Studien über
unser Bildungssystem bekannt ist: Der größte Fehler des
deutschen Bildungssystems ist die hohe Abhängigkeit
des Bildungserfolgs von der sozialen Herkunft. Diese
Korrelation wird im Verlauf der einzelnen Bildungsbio-
grafien nicht abgebaut, sondern im Gegenteil weiter ver-
schärft. Der UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf
Bildung hat deshalb zu Recht kritisiert, dass in Deutsch-
land das Recht auf Bildung missachtet wird.
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Wir stellen Ihnen nun die Frage, was sich durch den
ildungsbericht an dieser Misere und der eklatanten so-
ialen Ungerechtigkeit geändert hat. Die Antwort ist: so
ut wie nichts. Wie immer, wenn Probleme des Bil-
ungssystems angesprochen werden, schieben sich Bund
nd Länder die Verantwortung dafür gegenseitig in die
chuhe. Zu Lösungen führt dieser Verschiebebahnhof al-
erdings nicht. Die bestehende Kompetenzverteilung ist
ber kein unerwartetes Versehen, sondern die bewusste
ntscheidung der Mehrheit der Abgeordneten in diesem
arlament, den Wettbewerb in der Bildung voranzutrei-
en. Die Bundesregierung ließ daran bei ihrer Gesetzes-
egründung keinen Zweifel. Wir halten diesen Ansatz
ür vollkommen falsch: Wettbewerb findet unter den ge-
enwärtigen Bedingungen immer unter zutiefst unglei-
hen Voraussetzungen statt. Denn wie soll ein struktur-
chwaches Bundesland mit einem reichen Bundesland
onkurrieren? Wettbewerb verschärft deshalb Ungleich-
eit. Wettbewerb kann kein taugliches Instrument für
ine soziale Entwicklung des Bildungssystems sein. Da-
an lässt sich auch durch die gemeinsame Bildungsbe-
ichterstattung von Bund und Ländern nichts ändern,
umal die Expertinnen und Experten in ihrem Bericht
us politischen Gründen auf konkrete Empfehlungen
erzichten mussten. Durch Handlungsempfehlungen
ätte der Bericht aber größeren Nutzen entfalten können.
Die Linke fordert: Überdenken Sie die Bund-Länder-
ompetenzverteilung im Bildungswesen! Ein föderaler
lickenteppich wird den Herausforderungen der Bildung
icht gerecht. Wettbewerb unter den Bundesländern, und
nsbesondere in der Bildung, verschärft Ungleichheit
nd produziert Verliererinnen und Verlierer, die aus un-
erem Bildungssystem herausfallen und weitgehend
hne Perspektive bleiben.
Konkret für die Bildungsberichterstattung gilt: Sinn-
oll kann dieses Instrument nur sein, wenn es dazu ge-
utzt wird, eine bundesweite gesellschaftliche Debatte
ber das Bildungssystem zu befördern. Dazu dürfen die
erichte aber nicht im Geheimen verfasst und diskutiert
erden. Notwendig sind stattdessen mehr Transparenz
nd Mitgestaltung von Akteurinnen und Akteuren des
ildungssystems. Außerdem muss die Möglichkeit be-
tehen, konkrete Empfehlungen zu formulieren. Ein Bil-
ungsbericht, der nur eine Istanalyse beitreibt und auf
erbesserungsvorschläge aus politischen Gründen ver-
ichten muss, ist für eine zielführende Debatte überflüs-
ig.
Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
EN): Große Berichte – wie der Familienbericht oder
er Altenbericht – werden zu prominenter Zeit mit einer
angen Debatte gewürdigt. Wir befassen uns heute zu
achtschlafender Zeit mit dem Nationalen Bildungsbe-
icht – 35 Minuten sind dafür vorgesehen. Dies zeigt den
ußerst geringen Stellenwert, den die Große Koalition
em Thema Bildung beimisst. Es wird außerdem offen-
undig, dass beim Bildungsbericht das stille Kämmer-
ein der bevorzugte Aktionsort von Regierung und Gro-
er Koalition ist: Über Ausgestaltung und Schwerpunkt
inigt man sich im Hinterzimmer, vorgestellt wird der
ericht fern des politischen Zentrums in einer norddeut-
10340 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007
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schen Kleinstadt, vorgelegt wird er weder dem Bundes-
tag noch den Länderparlamenten. Und nicht zuletzt zeigt
die doch recht technische Debatte über Indikatoren und
Ähnliches seitens der Koalition einen Konstruktionsfeh-
ler des Nationalen Bildungsberichts: Empfehlungen wa-
ren nicht erwünscht, Ergebnisse werden nicht debattiert.
Geht es nach dem Willen der Großen Koalition, ist dies
auch in Zukunft nicht vorgesehen.
Doch wer wie die Bildungsministerin Schavan immer
gerne das Wort der „wissensbasierten Steuerung“ vor
sich her trägt, sollte sich anstrengen, den Nationalen Bil-
dungsbericht zu einem echten Instrument der Steuerung
zu machen. Dafür darf man aber den Wissenschaftlerin-
nen und Wissenschaftlern nicht den Mund verbieten. Es
ist schon ein bisschen seltsam, wie Union und SPD sich
in ihrem Antrag um das Wort „Handlungsempfehlun-
gen“ herumwinden. Da will man die „Weiterentwicklung
des Bildungswesens über eine stärkere Output-orien-
tierte Steuerung“, „einen konstruktiven Föderalismus“
und eine „problemorientierte Darstellung, die auf Defi-
zite und Schwachstellen hinweist.“ Aber Empfehlungen,
die will man nicht. Wir Grüne wollen, dass die Forsche-
rinnen und Forscher für die Erstellung des Nationalen
Bildungsberichts den klaren Auftrag erhalten, auf
Grundlage ihrer empirischen Ergebnisse Handlungsemp-
fehlungen auszusprechen. Auch setzen wir uns dafür ein,
dass die Schwerpunktsetzung des jeweiligen Bildungs-
berichts nicht im stillen Kämmerlein festgelegt wird,
sondern aus der Debatte mit den Akteurinnen und Ak-
teuren im Bildungsbereich – also aus Wissenschaft, Par-
lamenten, Bildungsverwaltung und -einrichtungen etc.
entsteht. Der Nationale Bildungsbericht muss außerdem
dem Deutschen Bundestag zeitnah zur Auswertung vor-
gelegt werden. Die Länder sollten dieses Verfahren ge-
genüber den Landtagen ebenfalls anwenden, aber das
können wir hier nicht beschließen. Bund und Länder
sollten dann gemeinsam Umsetzungsstrategien zu den
im Bericht gemachten bildungspolitischen Empfehlun-
gen erarbeiten.
Über den Bildungsbericht hinaus ist noch einiges zur
Bildungsforschung insgesamt zu sagen. Seit der missra-
tenen Föderalismusreform lobt die Bundesbildungs-
ministerin die Bildungsforschung als Bundes(rest)kom-
petenz in den Himmel. Dann erwarten wir aber, dass
nicht nur darüber geredet wird, sondern endlich ein um-
fassendes Konzept zur Bildungsforschung vorgelegt
wird! Wir Grüne wollen die Bildungsforschung stärken
und hierbei folgende Schwerpunkte setzen: Unterrichts-
qualität an Schulen und pädagogische Konzepte bei der
Entwicklung von Halbtags- zu Ganztagsschulen; Lehrer-
aus- und -fortbildung sowie der Umgang mit heteroge-
nen Lerngruppen. Mehr Forschung brauchen wir auch in
den Bereichen informelles Lernen, Weiterbildung, Um-
setzung des Bolognaprozesses sowie Bildungszugang
und Bildungserfolg von Menschen mit Migrationshinter-
grund und aus sozial benachteiligten Familien.
Aus grüner Sicht sollte sich Deutschland auch auf je-
den Fall an der großen OECD-Studie zum Lehrpersonal,
dem sogenannten Lehrer-PISA beteiligen. Hier muss die
Regierung auf die KMK einwirken. Die Teilnahme ist
im Übrigen auch im Koalitionsvertrag vereinbart, bisher
ist Deutschland aber nicht beim Lehrer-PISA dabei. Wir
halten es daneben für notwendig, zu evaluieren, wie die
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och nicht abgeschlossenen Projekte der Bund-Länder-
ommission (BLK) in den Bundesländern weitergeführt
urden. Die Länder haben als Ausgleich für den Wegfall
er Gemeinschaftsaufgabe Bildungsplanung hohe
inanzmittel erhalten und dazu erklärt, sie würden diese
owohl für die noch nicht abgeschlossenen Versuche und
ür neue Modellversuche einsetzen. Das wollen wir se-
en!
Nun noch ein paar Worte zu den anderen Anträgen,
ie uns hier vorliegen. Wir freuen uns, dass auch die
roße Koalition eingesehen hat, dass es nötig ist, den
ationalen Bildungsbericht nicht erst im Rahmen einer
elbstbefassung auf Antrag der Opposition zu behan-
eln, sondern dem Bundestag vorzulegen. Bei regelmä-
iger Befassung würde die Koalition vielleicht auch er-
ennen, dass einige ihrer Behauptungen im Antrag nach
en empirischen Ergebnissen nicht haltbar sind. So
chreibt die Koalition, der Bildungsstand in der Bevöl-
erung sei kontinuierlich gestiegen. Leider stimmt dies
a für Deutschland nicht mehr, wie die aktuelle OECD-
tudie „Bildung auf einen Blick“ zeigt: In der jüngeren
eneration sinkt der Prozentsatz derjenigen, die einen
ertiären Bildungsabschluss haben. Geradezu lächerlich
st die Forderung der Koalitionsfraktionen, „die neue
emeinschaftsaufgabe weiterentwickeln“ zu wollen.
rst sorgen Sie mit Ihrer völlig verfehlten Föderalismus-
eform dafür, dass dem Bund nahezu sämtliche Bil-
ungskompetenzen entzogen wurden, dann wollen Sie
m Nachhinein doch wieder mehr und die GA „weiter-
ntwickeln“. Das ist unglaubwürdig!
Auch im FDP-Antrag sind so einige Merkwürdigkei-
en zu finden. Sie behaupten beispielsweise, im Nationa-
en Ausbildungspakt würde so viel für Migrantinnen und
igranten getan. Im Pakt ist jedoch mit keiner einzigen
eile eine konkrete Zielvereinbarung zu diesem Thema
u finden. Aber zurück zum Bildungsbericht. Hier
chlägt die FDP gleich so viele Schwerpunkte vor, dass
ntweder der nächste Bericht völlig überfrachtet und
hne Schwerpunkt wäre oder es 20 Jahre dauern würde,
m all die Schwerpunkte abzuarbeiten.
Bildungsforschung und Bildungsberichterstattung
ind wichtig – sowohl als Grundlage für bildungspoliti-
che Entscheidungen als auch für die Weiterentwicklung
er Praxis in den Bildungseinrichtungen. Bildungsfor-
chung und -berichterstattung können aber nur im ge-
annten Sinne wirken, wenn in ihrem Rahmen Hand-
ungsoptionen aufgezeigt werden, eine öffentliche
ebatte stattfindet und die Aufarbeitung sowie der
ransfer der Forschungsergebnisse sichergestellt wer-
en. Folglich: Wer Bildungsberichterstattung will, darf
eder vor Handlungsempfehlungen noch vor Reformen
ngst haben.
Andreas Storm, Parl. Staatssekretär bei der Bun-
esministerin für Bildung und Forschung: Mit dem nati-
nalen Bildungsbericht „Bildung in Deutschland“ liegt
rstmalig ein Überblick über das gesamte Bildungswe-
en in Deutschland vor. Er wurde von einen unabhängi-
en wissenschaftlichen Expertengremium im Auftrag
es Bundesministeriums für Bildung und Forschung und
er Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder
n der Bundesrepublik Deutschland erarbeitet.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007 10341
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Ich möchte die Gelegenheit nutzen, den Autoren, de-
ren Arbeit durch einen wissenschaftlichen Beirat beglei-
tet wurde, zu danken. Sie haben in mehrfacher Hinsicht
Pionierarbeit geleistet. Die enge Kooperation von Statis-
tikern, Jugend- und Bildungsforschern aus allen Bil-
dungsbereichen ist schon für sich genommen etwas
Neues. Neuland wurde auch im methodischen Bereich
beschritten. So gab es in Deutschland kaum Erfahrungen
mit einer indikatorengestützten Berichterstattung.
Eine ganz entscheidende Neuerung ist aber vor allem
darin zu sehen, dass mit dem nationalen Bildungsbericht
erstmals eine Betrachtung entlang der gesamten
Bildungsbiografie vorliegt, angefangen bei der frühkind-
lichen Bildung, Betreuung und Erziehung über die
allgemeinbildende Schule, die berufliche und Hoch-
schulbildung bis zur Weiterbildung im Erwachsenenalter
einschließlich des informellen Lernens. Mit dieser um-
fassenden Darstellung des Bildungswesens über die je-
weiligen Institutionen und Verantwortlichkeiten hinweg
wird deutlich, dass den Nahtstellen und Übergängen im
Bildungssystem besondere Bedeutung zukommt, wenn
wir über das Lernen im Lebenslauf sprechen. Deshalb
haben sich das Bundesbildungsministerium und die Kul-
tusministerkonferenz der Länder darauf verständigt, den
Schwerpunkt des nächsten Bildungsberichts, der im
Jahre 2008 erscheint, dem Thema „Übergänge Schule
– Berufsbildung/Hochschulbildung – Arbeitsmarkt“ zu
widmen.
Eine der zentralen Botschaften des ersten Berichtes
ist, dass Bildung in Deutschland in den letzten Jahren
besser geworden ist. So haben Bildungsbeteiligung und
Bildungsstand der Bevölkerung zugenommen. Interna-
tionale Vergleiche belegen aber, das andere Länder bei
der Verbesserung ihres Bildungssystems schneller sind.
Eine grundlegende gemeinsame Folgerung von Bund
und Ländern ist deshalb, die Reformanstrengungen zu
beschleunigen. Ein Hauptproblem in Deutschland ist
nach wie vor der enge Zusammenhang zwischen sozialer
Herkunft und Bildungserfolg.
Die Bundesregierung hat deshalb in ihrer Stellung-
nahme zum Bildungsbericht dem Thema „Migration“
besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Hervorzuheben
sind das verstärkte Engagement der Partner im nationa-
len Pakt für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs zur
Verbesserung der Ausbildungssituation von jungen Mi-
grantinnen und Migranten, Maßnahmen für Jugendliche
mit Migrationshintergrund in Programmen der berufli-
chen Bildung und Nachqualifizierung und die Unterstüt-
zung der Länder bei der individuellen Sprachförderung
durch Forschungsvorhaben.
Darüber hinaus haben wir neben den bereits darge-
stellten Verbesserungen in der Berufsausbildung – kon-
krete Aktivitäten im Hochschul- und Weiterbildungsbe-
reich in Angriff genommen. Beispiele dafür sind der mit
den Ländern verabredete Hochschulpakt zur Sicherung
der Ausbildungschancen der jungen Generation und die
Entwicklung einer Gesamtstrategie „Lernen im Lebens-
lauf“ mit Unterstützung des Innovationskreises „Weiter-
bildung“.
Der nationale Bildungsbericht und internationale
Leistungsvergleiche sind zentrale Elemente der neuen
Gemeinschaftsaufgabe von Bund und Ländern nach der
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öderalismusreform. Sie sind Teil eines modernen Steu-
rungsinstrumentariums, das sich stärker als bisher auf
mpirische Aussagen stützt. Darüber hinaus können
und und Länder künftig Konsequenzen in Form von
emeinsamen Empfehlungen ziehen. Sie geben uns die
öglichkeit, gemeinsame Ziele für die Weiterentwick-
ung des Bildungswesens festzulegen und diese koordi-
iert in den jeweiligen Zuständigkeiten umzusetzen.
Die bisherigen Erfahrungen sind ermutigend: Im Juni
006 wurde der erste nationale Bildungsbericht als unab-
ängiger Expertenbericht veröffentlicht. Bund und Län-
er haben noch im gleichen Jahr gemeinsame Schluss-
olgerungen aus dieser Analyse gezogen, bei denen
aßnahmen der Bildungsforschung eine wichtige Rolle
pielen. Generell brauchen wir mehr Wissen über Ursa-
hen und Wirkungen im Bildungswesen. Das Bundesmi-
isterium für Bildung und Forschung wird deshalb die
mpirische Bildungsforschung durch ein entsprechendes
ahmenprogramm strukturell stärken und die verschie-
enen Aktivitäten so bündeln, dass ein kontinuierlich
achsendes Potenzial entsteht. Wir werden darüber hi-
aus in enger Abstimmung mit den Ländern und der wis-
enschaftlichen Community die Voraussetzungen für die
tablierung eines nationalen Bildungspanels schaffen,
m empirisch tragfähige Erkenntnisse über „Bildung
nd Lebenslauf“ zu gewinnen.
Mithilfe von Forschung entwickeln wir auch den na-
ionalen Bildungsbericht weiter. So fördert das Bundes-
inisterium für Bildung und Forschung ein begleitendes
rojekt, mit dem insbesondere die Indikatorisierung von
ildungsverläufen und die Darstellung der Übergänge
m Bildungswesen verbessert werden sollen. Des Weite-
en streben die Autoren für den kommenden Bericht eine
tärkere Problemorientierung und eine Erhöhung der
ktualität an. Sie greifen damit ein Ergebnis der Anhö-
ung des Ausschusses für Bildung Forschung und Tech-
ikfolgenabschätzung Anfang dieses Jahres auf.
Der Bildungsbericht wird künftig alle zwei Jahre er-
cheinen. Damit haben Bund und Länder die Möglich-
eit, Entwicklungen im Bildungsbereich kontinuierlich
u beobachten und entsprechende politische Konsequen-
en für die Modernisierung von Bildung in Deutschland
u ziehen. Das Bundesministerium für Bildung und For-
chung wird sich dafür einsetzen, die neuen Koopera-
ionsmöglichkeiten von Bund und Ländern im Rahmen
er Gemeinschaftsaufgabe weiterzuentwickeln. Wir sind
uf einem guten Weg!
nlage 16
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts zu der Unterrichtung der Bundesregie-
rung:
Bericht der Bundesregierung über die deutsche
humanitäre Hilfe im Ausland 2002 bis 2005
(Tagesordnungspunkt 26)
Ute Granold (CDU/CSU): Seit Anfang der 1990er-
ahre legt die Bundesregierung am Ende jeder Legisla-
10342 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007
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turperiode einen Bericht über die von ihr im Ausland ge-
leistete humanitäre Hilfe vor. Heute debattieren wir über
die Bilanz für den Zeitraum von 2002 bis 2005. Dazu hat
am 28. Februar eine öffentliche Anhörung im Ausschuss
für Menschenrechte und humanitäre Hilfe des Deutschen
Bundestages stattgefunden. Die Hilfsorganisationen hat-
ten dabei Gelegenheit, den Bericht der Bundesregierung
zu bewerten und Vorschläge zur Weiterentwicklung der
humanitären Hilfe zu entwickeln.
Die Hilfsorganisationen stehen im Zentrum der deut-
schen Politik zur humanitären Hilfe. Mit ihnen leistet die
Bundesregierung bei Naturkatastrophen, Kriegen und
Konflikten humanitäre Hilfe. Sie unterstützt sie finan-
ziell – nach ihrem humanitären Imperativ unabhängig
von politischen, ethnischen oder religiösen Erwägungen.
Innerhalb der Bundesregierung ist das Auswärtige
Amt federführend für die humanitäre Hilfe zuständig.
An die von dort gewährte Soforthilfe schließt sich die
entwicklungsorientierte Not- und Übergangshilfe des
Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammen-
arbeit und Entwicklung an. Sie leistet einen Beitrag
dazu, die Lücke zwischen der kurzfristig angelegten hu-
manitären Hilfe und langfristiger Entwicklungshilfe zu
schließen. Diese Arbeitsteilung hat sich in der Vergan-
genheit bewährt und sollte auf jeden Fall fortentwickelt
werden. Bei der Koordinierung dieser Aktivitäten muss
ein fließender Übergang von der Soforthilfe zur entwick-
lungsorientierten Nothilfe sowie eine nahtlose An-
schlussfinanzierung sichergestellt werden.
In den Zeitraum des aktuellen Berichtes der Bundes-
regierung fallen eine ganze Reihe humanitärer Katastro-
phen. So ragt zweifellos der Tsunami vom 26. Dezember
2004 als eine der großen Naturkatastrophen der Mensch-
heitsgeschichte hervor. Dazu kommt eine bedrückend
lange Reihe von Krisen und Katastrophen, insbesondere
die weiter ungelösten Konflikte im Sudan (Darfur) und
im Kongo, die schweren Erdbeben im Iran 2003 und in
Pakistan 2005, die Wirbelstürme in Mittel- und Norda-
merika 2005 und nicht zuletzt der Krieg im Irak 2003.
Auch die Terroranschläge vom 11. September 2001 und
die Kriege in Afghanistan und Irak haben sich deutlich
auf die Rahmenbedingungen der humanitären Hilfe aus-
gewirkt. Die Erfahrungen im Umgang mit diesen Krisen
zeigen die zentralen Zukunftstrends auf, auf die wir re-
agieren müssen.
So ist abzusehen, dass vor allem durch Auswirkungen
des Klimawandels und die zunehmende Besiedelung kri-
tischer geografischer Räume – etwa an den Küsten, ent-
lang der großen Flüsse und im Gebirge – Naturkatastro-
phen sowie die dadurch verursachten Schäden weiter
zunehmen werden.
Da solche Ereignisse überwiegend Länder treffen
werden, die mit der Bewältigung der Notsituation orga-
nisatorisch und finanziell überfordert sind, wird der Be-
darf an humanitärer Hilfe anwachsen. Vor diesem Hin-
tergrund kommt Konzepten zur Katastrophenvorsorge,
mit denen den Risiken bereits im Vorfeld effektiv begeg-
net werden kann, eine besondere Bedeutung zu. Deshalb
sollten die in diesem Bereich von der Bundesregierung
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ereits unternommenen Schritte auch intensiv weiterge-
ührt werden.
Dem absehbaren Anwachsen des Bedarfs müssen wir
uch durch die Bereitstellung entsprechender finanziel-
er Mittel Rechnung tragen. So sollte der Haushaltstitel
ür humanitäre Hilfe mittel- bis langfristig auf 100 Mil-
ionen Euro aufgestockt werden. Die im Rahmen des
U-Stufenplans bis 2015 geforderte Erhöhung der finan-
iellen Mittel macht eine Anhebung der deutschen Auf-
endungen auf 100 Millionen Euro zwingend erforder-
ich. Mit den für 2007 bereitgestellten Mitteln in Höhe
on 50 Millionen Euro befindet sich Deutschland im in-
ernationalen Vergleich bisher nur im Mittelfeld.
Die Prinzipien der Subsidiarität und Diversität haben
ich bei den deutschen Hilfsmaßnahmen bewährt und
ollten deshalb auch bei der Reform des humanitären
ystems der VN Berücksichtigung finden. Eine Zentrali-
ierung der humanitären Hilfe zulasten der nationalen
ichtregierungsorganisationen muss in jedem Fall ver-
ieden werden. Gemäß dem Subsidiaritätsprinzip sollte
ie staatliche Förderpolitik auch weiterhin sicherstellen,
ass es zu keiner Konkurrenzsituation zwischen Nicht-
egierungsorganisationen (NGOs) und staatlichen
rganisationen kommt. Gleichzeitig sollte in der Förder-
olitik eine Konkurrenz zwischen deutschen Nichtregie-
ungsorganisationen und internationalen Organisationen
ermieden werden. Es darf nicht passieren, dass die
nappen Ressourcen in einer unnötigen Konkurrenz-
ituation verpuffen und den Bedürftigen nicht zugute-
ommen.
Bei Auslandseinsätzen deutscher Streitkräfte im Rah-
en humanitärer Hilfsmaßnahmen sollte darüber hinaus
arauf geachtet werden, dass diese nur dann unterstüt-
end zum Einsatz kommen, wenn zivile Kapazitäten
icht ausreichen. Der Verantwortungsbereich von Bun-
eswehr und Hilfsorganisationen sowie die Koordina-
ion untereinander müssen dazu in jeder Phase des Ein-
atzes klar definiert werden. Auch hier spiegelt sich das
rinzip der Subsidiarität wieder.
Ebenfalls dem Grundsatz der Subsidiarität entspricht
s, auch zukünftig am Konzept der Fehlsbedarfsfinan-
ierung festzuhalten. Danach sollen die Zuwendungen
abei helfen, die mangelnden Eigenmittel der Empfän-
er auszugleichen. Der von deutschen Nichtregierungs-
rganisationen aus eigenen Mitteln aufzubringende
igenanteil in Höhe von derzeit fünf Prozent orientiert
ich an deren durchschnittlicher Leistungsfähigkeit.
chwankungen im Spendenaufkommen wird bereits da-
urch Rechnung getragen, dass in Einzelfällen als Ei-
enanteil auch Eigenleistungen in nicht bezifferter Höhe
kzeptiert werden. Um die Handlungsfähigkeit der
GOs nicht zu gefährden, soll der geforderte Eigenan-
eil auch in Zukunft einen Wert von fünf Prozent nicht
berschreiten.
Die Anhörung am 28. Februar hat auch gezeigt, dass
s im Rahmen der Bemühungen zur Reform des Systems
er Humanitären Hilfe der Vereinten Nationen Möglich-
eiten für deutsche humanitäre Nichtregierungsorganisa-
ionen geben sollte, neben den VN-Organisationen direkt
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007 10343
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Mittel beim Central Emergency Response Fund (CERF)
beantragen zu können.
Die Erfahrungen der vergangen Jahre haben deutlich
gezeigt, dass man die staatliche humanitäre Hilfe losge-
löst von der Außen-, Entwicklungs-, Sicherheits- und
Verteidigungspolitik nicht sinnvoll betreiben kann. Die
Verzahnung der Arbeit des Auswärtigen Amtes und des
Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammen-
arbeit und Entwicklung ist eine wichtige nationale
Schlussfolgerung. Auch die Aufbauarbeit in Afghanistan
ist nur durch ein Ineinandergreifen von Sicherheitspoli-
tik und humanitärer Hilfe möglich.
Die nationale humanitäre Hilfe erfolgt eigentlich im-
mer im internationalen Kontext. Daher sollte Deutsch-
land innerhalb der EU verstärkt darauf hinarbeiten, die
Vorgehensweise bei humanitären Katastrophen unter den
Mitgliedstaaten abzustimmen. Nur so kann die humani-
täre Hilfe auf europäischer Ebene stärker als bisher zu
einem wichtigen Bestandteil einer gemeinsamen Außen-,
Entwicklungs-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik
weiterentwickelt werden.
Zum Abschluss meiner Ausführungen will ich noch
auf ein konkretes Problem hinweisen, dem wir uns in
Zukunft verstärkt widmen müssen. In vielen Kriegsge-
bieten wird der Wiederaufbau durch zahlreiche Minen
und Blindgänger stark erschwert. Deshalb müssen Pro-
jekte des humanitären Minenräumens konsequent fortge-
setzt und ausreichend finanziert werden. Deutschland
verfügt in diesem Bereich über umfangreiche Erfahrun-
gen und auch einmaliges technologisches Know-how.
Dieses sollten wir auch in Zukunft dafür einsetzen, den
Menschen in Afghanistan, in Kolumbien oder in den von
Bürgerkriegen erschütterten Regionen Afrikas den Wie-
deraufbau zu erleichtern und neue Perspektiven zu eröff-
nen.
Christel Riemann-Hanewinckel (SPD): Durch
Kriege, Naturereignisse oder Umweltkatastrophen über-
all auf der Welt geraten Menschen in die Lage, sich nicht
mehr selbst mit Nahrung versorgen zu können, kein
Dach mehr über dem Kopf zu haben, von Krankheit und
Tod bedroht zu sein. Sie können sich nicht aus eigener
Kraft aus ihrer Notlage befreien, auch die Regierungen
ihrer Länder sind dazu nicht in der Lage. Schnell und
möglichst unbürokratisch muss Hilfe für diese Men-
schen an den Ort des Geschehens gelangen.
Vergleicht man eine humanitäre Katastrophe mit der
Situation nach einem Verkehrsunfall, so wird klar, dass
es bei humanitärer Hilfe um lebensrettende Maßnahmen
geht, zu denen wir aus ethischer Verantwortung heraus
verpflichtet sind – alles andere wäre unterlassene Hilfe-
leistung.
Humanitäre Hilfe wird unabhängig von politischen,
ethischen oder religiösen Erwartungen geleistet, sie
orientiert sich allein an der Bedürftigkeit der Menschen.
Pragmatisch und schnell werden lebensrettende Maß-
nahmen für die betroffenen Menschen ergriffen: Sie
müssen mit Nahrung versorgt werden, sie brauchen Me-
dikamente und ärztliche Betreuung, sie brauchen Klei-
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ung und zumindest ein provisorisches Dach über dem
opf.
Auf diese erste lebensrettende humanitäre Hilfe folgt
urch Deutschland die entwicklungsorientierte Not- und
bergangshilfe. Sie setzt unmittelbar nach der Katastro-
he ein und bietet Unterstützung, bis die eher langfristig
ngelegte Entwicklungszusammenarbeit ihre Wirkung
ntfalten kann. Das Bild des Verkehrsunfalls macht dies
nschaulich: Nach den lebensrettenden Maßnahmen am
nfallort kann die stabilisierende Versorgung erfolgen,
amit dann die Therapie ihre volle Wirkung entfalten
ann.
Die Unterscheidung zwischen humanitärer Hilfe und
ntwicklungsorientierter Not- und Übergangshilfe sind
ine deutsche Besonderheit. Während die humanitäre
ilfe in die Zuständigkeit des Auswärtigen Amtes fällt,
st die entwicklungsorientierte Not- und Übergangshilfe
ufgabe des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zu-
ammenarbeit und Entwicklung. Beide Ministerien müs-
en eng zusammenarbeiten. Die Federführung für die
umanitäre Hilfe der Bundesregierung liegt beim Aus-
ärtigen Amt. Von hier aus wird die Zusammenarbeit
it anderen Staaten, mit den Einrichtungen der EU und
en Vereinten Nationen sowie mit Nichtregierungsorga-
isationen koordiniert.
Die Nichtregierungsorganisationen sind die eigentli-
hen Akteure der humanitären Hilfe. Sie leisten den
rößten Teil der wichtigen harten Arbeit vor Ort. Für
ieses großartige Engagement möchte ich mich an dieser
telle ganz herzlich bedanken.
Das Geld für die Arbeit der Nichtregierungsorganisa-
ionen wird zu einem Teil von der Bundesregierung zur
erfügung gestellt. Den weitaus größeren Teil aber er-
alten sie aus Spenden der Bürgerinnen und Bürger un-
eres Landes. Jedes Jahr sind das mehrere Milliarden
uro, die so der Hilfe für Menschen in Not zugute kom-
en. Ich möchte denjenigen danken, die die Arbeit der
ichtregierungsorganisationen durch Geld, Sachspenden
der auch durch ihren persönlichen Einsatz vor Ort un-
erstützen und damit viele Menschenleben retten.
Humanitäre Hilfe greift nicht nur dann, wenn eine
atastrophe bereits eingetreten ist. Sie beginnt schon
ann, wenn es darum geht, Katastrophen zu verhindern:
ie Gelder prophylaktisch einzusetzen bedeutet, dass in
ukunft weniger humanitäre Hilfe nötig sein wird und
ukünftige Ereignisse, wie zum Beispiel Naturkatastro-
hen, weniger Menschenleben – im Idealfall keine Men-
chenleben kosten. Die Mitglieder des Ausschusses für
enschenrechte und humanitäre Hilfe sind sich deshalb
inig, dass die Mittel für die humanitäre Hilfe der Bun-
esregierung in den nächsten Jahren auf jährlich
00 Millionen Euro aufgestockt werden müssen.
Humanitäre Hilfe ist immer auch eine Gemeinschafts-
ufgabe vieler Staaten. Die Europäische Union ist welt-
eit der größte Akteur in der humanitären Hilfe. Ich be-
rüße es deshalb sehr, dass sich die deutsche Regierung
ährend ihrer EU-Ratspräsidentschaft für eine aufeinan-
er abgestimmte Vorgehensweise aller EU-Mitgliedstaa-
en im Falle humanitärerer Katastrophen einsetzt.
10344 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007
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Ein besonders wichtiges Aufgabengebiet der humani-
tären Hilfe der Bundesregierung ist das humanitäre Mi-
nenräumen. Landminen bedeuten nach der Beendigung
von Kriegen große Gefahr für das Leben aller, die dort
leben, sowie das Leben derer, die am Wiederaufbau mit-
wirken. Die finanziellen Mittel für das humanitäre Mi-
nenräumen müssen unbedingt weiter zur Verfügung ge-
stellt werden. Genauso wichtig ist es meiner Meinung
nach aber, dass sich Deutschland auf diplomatischer
Ebene dafür einsetzt, dass auch Russland, die USA und
China dem Ottawaabkommen vom 1. März 1999 beitre-
ten, das Antipersonenminen ächtet.
Im Menschenrechstausschuss haben wir eine Emp-
fehlung an die Bundesregierung zur Unterrichtung erar-
beitet. Ich habe sehr gehofft, dass alle Fraktionen dieser
Empfehlung zustimmen würden. Leider war dies aber
nicht möglich. Die Mitglieder der Fraktion von
Bündnis 90/Die Grünen in unserem Ausschuss haben
den Text der Empfehlung von SPD und CDU/CSU zum
größten Teil wörtlich übernommen und um wenige
Punkte ergänzt. Leider haben sie dem gemeinsamen Text
der Empfehlung daraufhin nicht zugestimmt.
Burkhardt Müller-Sönksen (FDP): Die FDP-Bun-
destagsfraktion kann der Beschlussempfehlung der Frak-
tionen von CDU/CSU und SPD zum Bericht der Bun-
desregierung über die deutsche humanitäre Hilfe im
Ausland 2002 bis 2005 nicht zustimmen; denn die Be-
schlussempfehlung kommt an einem sehr zentralen
Punkt zu einer Bewertung, die wir nicht teilen können.
Unter Punkt 10 heißt es:
Die Zusammenarbeit des AA und des BMZ im
Schnittpunktbereich zwischen humanitärer Hilfe
und entwicklungspolitischer Not- und Übergangs-
hilfe hat sich bewährt.
Diese Feststellung steht in einem diametralen Gegen-
satz zu den Feststellungen, die von der OECD im Rah-
men des letzten DAC-Peer-Review aus dem Jahr 2005
zur Verbesserung der deutschen humanitären Hilfe ge-
macht wurden. Dort heißt es zur humanitären Hilfe:
Das deutsche System der humanitären Hilfe ist
fragmentiert. Es fällt in die Zuständigkeit von zwei
Ministerien, deren Kompetenzbereiche sich zum
Teil überschneiden. Diese Zersplitterung wird
durch ein detailliertes und relativ rigides Bud-
getsystem noch verschärft. Auf der einen Seite ist
das Auswärtige Amt für die Aktivitäten eines gro-
ßen, unabhängigen Arbeitsstabs verantwortlich, der
auf Soforthilfe spezialisiert ist. Auf der anderen
Seite verfügt das BMZ über ein kleineres Referat
für entwicklungsorientierte Not- und Übergangs-
hilfe mit einem breiten, weniger präzise definierten
Mandat. Diese zweigleisige Managementstruktur
hat zur Folge, dass die Summe der Einzelelemente
kleiner ist als der potenzielle Gesamteffekt. Die
Konsequenz ist, dass die verschiedenen mit huma-
nitärer Hilfe befassten Stellen sowohl untereinander
als auch von den anderen Abteilungen der beiden
Ministerien isoliert sind. Das schränkt deren Fähig-
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keit ein, der komplexen Natur der heutigen Krisen-
situationen und Katastrophen gerecht zu werden,
und beeinträchtigt somit die Effektivität der Hilfe.
Auf diese Weise wird nicht nur die Synchronisie-
rung von Aktionen im Rahmen der humanitären
Hilfe, sondern auch deren Verknüpfung mit der
Entwicklungszusammenarbeit erschwert. Diese He-
rausforderung betrifft sämtliche Aspekte der Pla-
nung und Umsetzung, des Follow-up wie des ent-
wicklungspolitischen Lernprozesses.
Besser als in diesem DAC-Peer-Review kann das Zu-
tändigkeitsdilemma der deutschen humanitären Hilfe
icht auf den Punkt gebracht werden. Meine Fraktion
emängelt seit langem, dass Deutschland im Bereich der
umanitären Hilfe ein zu komplexes, teilweise undurch-
chaubares Zuständigkeitsgefüge hat.
Die Fragmentierung des deutschen Systems ließe sich
etztlich am besten durch eine Zusammenführung der
nterschiedlichen Zuständigkeiten für humanitäre Hilfe
n einem einzigen Ministerium überwinden. Dies wäre
udem ein durchaus hilfreicher Beitrag zur Verschlan-
ung der Bundesverwaltung. Kurzfristig ließe sich – wie
m DAC-Peer-Review empfohlen – eine stärkere Kohä-
enz aller Komponenten der humanitären Hilfe durch ein
emeinsames Budget herstellen.
Ferner empfiehlt der DAC-Peer-Review, eine Evalu-
erung der Gesamtergebnisse der deutschen humanitären
ilfe vorzunehmen. Auch diese Empfehlung hat in die
orliegende Beschlussempfehlung leider keinen Eingang
efunden. Die Koalitionsfraktionen verschließen hier
ewusst die Augen, um von dem allgemeinen Zuständig-
eitsdilemma abzulenken. Erforderlich ist eine Sofort-
ilfe aus einem Guss, indem humanitäre Soforthilfe und
ntwicklungsorientierte Not- und Übergangshilfe zu-
ammengeführt werden. Durch die jetzige Doppelstruk-
ur entsteht ein ineffizienter und zulasten der betroffenen
enschen geführter Konkurrenzkampf zwischen den
essorts – frei nach dem Motto: Wer das meiste und am
chnellsten die Mittel zusagt, hat die beste Presse. Das
ilft aber den Menschen wenig, vor allem, wenn dann
eine Mittel mehr zur Verfügung stehen, um die allzu
ichtige Übergangshilfe zu gewähren, die dringend not-
endig wird, wenn die Öffentlichkeit nachlässt und neue
atastrophen die Welt beschäftigen.
Lassen Sie mich noch eines zur Ausgestaltung der hu-
anitären Hilfe sagen: Wir müssen die Märkte der Re-
ion stärker nutzen und wir müssen die Nichtregierungs-
rganisationen besser unterstützen.
Die Koalition hat die Chance verpasst, Doppelstruk-
uren und Bürokratiehemmnisse abzubauen, nur um ei-
en schon lange schwelenden Brand nicht ausbrechen zu
assen – zulasten der betroffenen Menschen. Dem An-
rag können wir deshalb so nicht zustimmen.
Die Not- und Katastrophenhilfe ist und bleibt ein un-
ntastbarer humanitärer Grundauftrag. Umso wichtiger
st, dass diese Hilfe schnell, unbürokratisch, gut koordi-
iert und effizient gewährt wird. Dafür setzt die FDP
ich ein.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007 10345
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(B) )
Michael Leutert (DIE LINKE): Wenn man erwarten
darf, dass in einem Bericht auch wirklich etwas berichtet
wird, ist dieser Bericht der Bundesregierung ein guter
Bericht. Darüber hinaus liefert er Stoff, der Anregungen
für Nachfragen darstellt. Ich zitiere zwei Passagen. Zum
einen sieht sich die Bundesregierung einem Moralprin-
zip unterworfen, einem sogenannten humanitären Impe-
rativ:
Bundesregierung leistet humanitäre Hilfe unabhän-
gig von politischen, ethnischen oder religiösen Er-
wägungen, ein Grundsatz, der als humanitärer Im-
perativ bezeichnet wird.
Dann finden wir aber doch eine politische Erwägung,
die zeigt, dass humanitäre Hilfe eben nicht ausschließ-
lich dem sogenannten humanitären Imperativ folgen
kann:
Humanitäre Hilfe stößt an Grenzen, wo sie nicht
willkommen ist, behindert oder instrumentalisiert
wird. Auch unter schwierigen Rahmenbedingungen
findet humanitäre Hilfe noch statt, solange es eine
Gewähr dafür gibt, dass sie bei den bedürftigen
Menschen ankommt.
Diese Passagen zeigen meines Erachtens, dass huma-
nitäre Hilfe zumindest für die Bundesregierung nicht
klar definierbar ist.
Aber das ist unser Problem. Uns stellen sich andere
Fragen. Etwa hinsichtlich der Kostenrechnung für
ClMIC-Maßnahmen, die ich für irreführend halte:
Von 2002 bis 2005 hat die Bundeswehr fast
750 Maßnahmen mit einem Gesamtvolumen von
ca. 10,5 Mio. Euro durchgeführt. Diese wurden zu
85 Prozent durch private Spenden, zu einem gerin-
gen Prozentsatz auch aus Mitteln des BMZ finan-
ziert.
In eine derartige Kostenbetrachtung gehen offenbar
nicht die Kostenanteile ein, die ein Militäreinsatz als sol-
cher erst einmal erfordert. Das ist so, als würden in die
Kostenrechnung pro Tonne Steinkohle nur die Arbeits-
kosten und die Kosten anteilig vernutzter Arbeitsmittel
eingehen, ohne Erschließungskosten zu berücksichtigen.
Hier wäre zu fragen, ob CIM1C nicht durch traditio-
nelle zivile Entwicklungsmaßnahmen auch unter Kos-
tengesichtspunkten ersetzbar wäre. Es mag Sie ja er-
schüttern, aber wir halten die Auslandseinsätze der
Bundeswehr nicht für humanitäre Hilfsmaßnahmen.
Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Um
von vornherein eines klarzustellen: Die deutsche huma-
nitäre Hilfe ist von einer hohen Qualität gekennzeichnet
und erfreut sich in aller Welt einer großen Wertschät-
zung. All den haupt- und ehrenamtlichen Akteuren der
deutschen humanitären Hilfe zollen wir großen Respekt,
besonders denjenigen, die ihren Einsatz unter großen
Entbehrungen leisten und – wie aktuell zum Beispiel in
Afghanistan – sogar Risiken für Leib und Leben auf sich
nehmen. Doch die Einschätzung, dass etwas gut ist, ver-
wehrt noch lange nicht die Möglichkeit, Vorschläge zu
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nterbreiten, wie das Gute weiter verbessert werden
ann.
Die OECD-Staaten haben einen gegenseitigen Kon-
roll- und Beratungsmechanismus für die Bereiche Ent-
icklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe einge-
ührt: den sogenannten DAC-Peer-Review. Im Rahmen
ieses Prozesses haben in den letzten Jahren Experten
us verschiedenen anderen OECD-Staaten die Entwick-
ungszusammenarbeit und die humanitäre Hilfe
eutschlands unter die Lupe genommen. In ihrem Ab-
chlussbericht stellen sie Deutschland in diesen Sektoren
nsgesamt ein gutes Zeugnis aus, aber sie stellen auch
in paar kritische Fragen und machen Vorschläge, die
rnsthaft geprüft werden sollten.
Dabei geht es vor allem um eine bessere Verzahnung
er Soforthilfe, für die das Auswärtige Amt zuständig
st, mit der entwicklungsorientierten Not- und Über-
angshilfe sowie der langfristig angelegten Entwick-
ungszusammenarbeit, für die das BMZ verantwortlich
eichnet. Damit ich nicht missverstanden werde: Wir
lädieren für eine Verbesserung der Zusammenarbeit
nd nicht etwa, wie die FDP, für die Abschaffung des
ntwicklungsministeriums und Übertragung seiner Auf-
abenbereiche in die Zuständigkeit des Auswärtigen
mtes. Sowohl die Zuständigkeiten als auch die Budgets
ind bei uns etwas kompliziert geregelt. Dafür gibt es
ute Gründe. Aber in der Praxis führt das manchmal zu
ompetenzgerangel und Reibungsverlusten.
Die deutsche humanitäre Hilfe ist sowohl im staatli-
hen wie auch im nichtstaatlichen Bereich sehr vielge-
taltig. Das ist einerseits ein Vorteil, kann aber in man-
hen Katastrophenfällen auch zum Problem werden. In
er von den Koalitionsfraktionen ausgearbeiteten Be-
chlussempfehlung zum Regierungsbericht wird mehr-
ach gefordert, dass es keine Konkurrenz geben soll –
eder zwischen staatlichen und nichtstaatlichen noch
wischen nationalen und internationalen Organisationen,
ie humanitäre Hilfe leisten. Das Wünschen verändert
icht die Realität! Natürlich gibt es unter den vielen Or-
anisationen Konkurrenz: um Medienpräsenz, Spenden-
ufkommen, Aufträge.
Die Vielzahl der Organisationen stellt in Katastro-
henfällen die Empfängerländer der humanitären Hilfe
ft vor große logistische Probleme. Nach der Tsunami-
atastrophe haben sich allein in Sri Lanka mehr als
100 neue Hilfsorganisationen aus aller Welt akkreditie-
en lassen und dabei viele personelle und Transportkapa-
itäten beansprucht – um nicht zu sagen: blockiert. Auf
er internationalen Bühne wird deshalb sowohl für die
ntwicklungszusammenarbeit als auch für die humani-
äre Hilfe viel von der Notwendigkeit einer besseren
oordinierung, Abstimmung und Arbeitsteilung gespro-
hen.
Ohne das Prinzip der Subsidiarität in Frage zu stellen,
ollte auch in Deutschland offen über eine bessere Ar-
eitsteilung zwischen nationalen und internationalen,
taatlichen und nichtstaatlichen Durchführungsorganisa-
ionen der humanitären Hilfe und der Entwicklungszu-
ammenarbeit diskutiert werden. Dabei darf es nicht al-
ein darum gehen, wer die bessere Lobbyarbeit macht
10346 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007
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und deshalb ein größeres Stück vom Kuchen abbe-
kommt. Vielmehr muss es um die Frage gehen, welche
Organisation in welchem Land für welche Aufgabe bes-
ser geeignet ist, mehr Fachkompetenz mitbringt und/
oder durch Partnerschaften mit regionalen Akteuren bes-
ser vernetzt ist.
Die Beschlussempfehlung, die aus den Koalitions-
fraktionen kommt, wirkt zu defensiv, so als ob es nur da-
rum gehen würde, die Existenzberechtigung vieler, vie-
ler deutscher NGOs gegenüber den Begehrlichkeiten
internationaler Organisationen – besonders aus dem Sys-
tem der Vereinten Nationen – zu verteidigen. Auch viele
kleine NGOs, die sich spezialisiert haben, leisten eine
engagierte und effektive Arbeit und sollten auch weiter-
hin Aufträge bekommen. Wichtig sind jedoch gute Ab-
sprachen mit allen anderen Akteuren, sodass bei der Be-
wältigung oder Verhütung einer Katastrophe alle
Hilfsorganisationen und die Menschen vor Ort an einem
Strang ziehen – und zwar in die selbe Richtung! Beim
Koordinierungskreis für humanitäre Hilfe, zu dem das
Auswärtige Amt regelmäßig einlädt, sollten alle Akteure
an einem Tisch sitzen und ihre Arbeit gut koordinieren –
auch die VN-Organisationen, die in Deutschland eine
Niederlassung haben.
Zum Schluss zu den Finanzen: Sowohl für die huma-
nitäre Hilfe als auch für die Entwicklungszusammenar-
beit brauchen wir mehr Geld. Eine Aufstockung der Mit-
tel für die humanitäre Hilfe auf 100 Millionen Euro pro
Jahr wird auch von uns unterstützt, ebenso wie ein ganz
kräftiger Aufwuchs der Mittel für die Entwicklungszu-
sammenarbeit.
In der von den Koalitionsfraktionen erarbeiteten Be-
schlussempfehlung wird jedoch eine unpassende Be-
gründung für eine berechtigte Forderung gegeben: Der
Anteil der von Deutschland geleisteten humanitären
Hilfe an den gesamten deutschen ODA-Leistungen, die
für humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit
erbracht werden, sei im Vergleich zu anderen Staaten
ziemlich gering. Das wäre so, als ob man die Qualität ei-
nes Gesundheitssystems daran messen würde, wie hoch
der Anteil der Kosten für chirurgische Eingriffe oder
Krankenwagenfahrten am gesamten Gesundheitsbudget
wäre! Dann würden Staaten, die mit Erfolg viel in Prä-
vention und Rehabilitation investieren, schlechter ab-
schneiden als Staaten, die sich nur auf Notfallmedizin
konzentrieren.
Entscheidend ist, dass Deutschland seiner Wirt-
schaftskraft entsprechend sowohl quantitativ als auch
qualitativ gute Beiträge leistet, um Katastrophen zu be-
wältigen und sie zu verhüten. Bei Naturkatastrophen und
in Kriegsfällen muss der notleidenden Bevölkerung so
schnell und effektiv wie möglich Soforthilfe gewährt
werden. Bei Katastrophen mit strukturellen Ursachen ist
eine Verzahnung mit längerfristig angelegten Strategien
der Entwicklungszusammenarbeit, die an die Ursachen
geht, Hilfe zur Selbsthilfe bietet und eine Wiederholung
der Katastrophe verhindert, ganz wichtig.
Überzogene, entmündigende, fehlgeleitete humani-
täre Hilfe – besonders in Form von planloser Verteilung
von Nahrungsmitteln – kann bei strukturell bedingten
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otlagen sogar kontraproduktiv sein, regionale Märkte
erstören und die Notleidenden noch tiefer in die Rolle
einer Almosenempfänger hineindrücken.
Ich bin froh, dass es jetzt Initiativen gibt, die Food-
id-Konvention zu überarbeiten. Wir werden uns an die-
en Bemühungen beteiligen und Vorschläge einbringen.
n diesem Bereich ist Deutschland aber schon recht gut
ufgestellt. Unter Reformdruck müssen hier vor allem
ie USA gesetzt werden.
Unser Beitrag muss es sein, sich sowohl national als
uch international für eine bessere Koordinierung und
rbeitsteilung in der humanitären Hilfe einzusetzen und
atürlich in die Zukunft zu investieren – in den Klima-
chutz, in die zivile Konfliktprävention, in Gerechtigkeit
nd in die strukturelle Überwindung von Hunger und ex-
remer Armut, damit die Zahl der Katastrophen geringer
ird.
nlage 17
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts zu den Anträgen
– Ächtung des Gesetzes zur Verhütung erb-
kranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933
– Nichtigkeitserklärung des Erbgesundheits-
gesetzes
(Tagesordnungspunkt 27)
Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU): Hintergrund der heu-
gen abschließenden Beratung der beiden Anträge der
oalitionsfraktionen und der Fraktion des Bündnisses 90/
ie Grünen ist ein Anliegen des Bundes der Euthanasie-
eschädigten und Zwangssterilisierten, das Gesetz zur
erhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933
das sogenannte Erbgesundheitsgesetz – „endlich und
ach über siebzig Jahren aufzuheben und für nichtig zu er-
lären“. Das Erbgesundheitsgesetz war eines der ersten
assistischen Gesetze des NS-Staates. Es besteht seit län-
erer Zeit kein Zweifel mehr daran, dass es sich dabei um
ationalsozialistisches Unrecht handelte.
Die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen hat sich
as Anliegen des Bundes der Euthanasiegeschädigten
nd Zwangssterilisierten zu eigen gemacht und in ihrem
ntrag die Bundesregierung aufgefordert, „einen Vor-
chlag vorzulegen, wie der Gesetzgeber dem Anliegen
es Bundes der ‚Euthanasie‘-Geschädigten und Zwangs-
terilisierten gerecht werden kann.“ Wir haben von An-
ang an darauf hingewiesen, dass diese Forderung nach
ufhebung und Nichtigerklärung des Erbgesundheits-
esetzes aus Rechtsgründen nicht erfüllbar ist. Entspre-
hende Forderungen der Grünen sind bereits in mehreren
arlamentarischen Beratungsverfahren zu der Thematik
eweils aus Rechtsgründen abgelehnt worden.
Die Bundesregierung hat im vergangenen Jahr in ihrer
ntwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke
rneut auf diese Rechtslage hingewiesen. In der mit
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007 10347
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Schreiben des Bundesministeriums für Gesundheit über-
mittelten Antwort vom 10. August 2006, Bundestags-
drucksache 16/2384, heißt es wörtlich:
Nach Artikel 123 Abs. 1 GG gilt Recht aus der Zeit
vor dem Zusammentritt des Deutschen Bundestages
(7. September 1949) fort, soweit es dem Grundgesetz
nicht widerspricht. Fortgelten können demnach nur
vorkonstitutionelle Rechtsnormen, die an diesem Tag
gültig waren (BVerfGE 4, 115, 138). Rechtsnormen,
die im Widerspruch zum Grundgesetz stehen, sind
bereits bei dessen Inkrafttreten am 24. Mai 1949 au-
ßer Kraft getreten. Die Gültigkeit des Erbgesund-
heitsgesetzes endete mit dem Inkrafttreten des
Grundgesetzes, soweit es dem Grundgesetz – insbe-
sondere dem Artikel 2 Abs. 2 GG – widersprach. Die
wenigen als Bundesrecht fortgeltenden Regelungen
über Unfruchtbarmachung und Schwangerschaftsab-
brüche mit Einwilligung bei Lebens- und Gesund-
heitsgefahr sind endgültig durch Art. 8 NR. 1 des
Gesetzes vom 18. Juni 1974 (BGBI. l S. 1297) auf-
gehoben worden. Das Erbgesundheitsgesetz existiert
nicht mehr. Der Forderung, das Gesetz durch rück-
wirkenden Akt für nichtig zu erklären, kann der Bun-
desgesetzgeber nicht entsprechen.
Diese Rechtslage ist natürlich auch den Grünen be-
kannt. Bezeichnend ist ja, dass die Forderung in den sie-
ben Jahren, in denen die Grünen in der Bundesregierung
vertreten waren, von dort auch nicht mehr erhoben wor-
den ist. In Anbetracht dessen, dass sie nunmehr, wo die
Grünen in der Opposition sind, erneut gestellt wird, kann
ich Ihnen den Vorwurf des Populismus wirklich nicht er-
sparen. Das Unrecht und das Leid, das den Betroffenen
mit dem Erbgesundheitsgesetz in der Zeit der national-
sozialistischen Gewaltherrschaft zugefügt worden ist,
vertragen aber keine populistischen Spielchen. Deshalb
haben wir mit unserem Antrag einen Weg beschritten,
mit dem erneut zum Ausdruck gebracht wird, dass das
Erbgesundheitsgesetz in seiner Ausgestaltung und An-
wendung typisches nationalsozialistisches Unrecht war
und deshalb keinen Eingang in die Rechtsordnung der
Bundesrepublik Deutschland gefunden hat. Ich sage „er-
neut“, weil der Deutsche Bundestag bereits in mehreren
Beschlüssen unzweideutig zum Ausdruck gebracht hat,
dass er dieses Gesetz als mit rechtsstaatlichen Grundsät-
zen absolut unvereinbar ansieht. Allerdings war die
Frage des formalen Fortbestandes nach dem Kriege in
der Tat leider lange Zeit unklar, weil sie ausschließlich
unter Berufung auf die Entstehungsgeschichte und die
Gesetzgebung anderer Staaten diskutiert wurde. Die
meisten Regelungen des Gesetzes waren bereits deshalb
gegenstandslos, weil die vorherigen Erbgesundheitsge-
richte nicht wieder errichtet wurden. Hinsichtlich der
Frage der Fortgeltung hat sich erst im Laufe der Zeit ein
Bewertungswandel vollzogen, der auf neuere Forschungs-
ergebnisse und eine vertiefte Auseinandersetzung mit der
tatsächlichen Durchführung dieses Gesetzes zurückzu-
führen war. Die Bundesregierung hat daher zu Recht
darauf verwiesen, dass das Erbgesundheitsgesetz durch
Art. 8 Nr. 1 des Strafrechtsreformgesetzes vom 18. Juni
1974, BGBI. I, S. 1297, auch förmlich außer Kraft ge-
setzt wurde, soweit es als Bundesrecht fortgalt, was im
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inblick auf einige Vorschriften, die keinen Unrechtsge-
alt aufwiesen, zunächst der Fall war. Die Sterilisations-
ntscheidungen der damaligen Erbgesundheitsgerichte
ind durch das Gesetz zur Aufhebung nationalsozialisti-
cher Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege und von
terilisationsentscheidungen der ehemaligen Erbgesund-
eitsgerichte vom 25. August 1998, BGBI. I, S. 2501,
ufgehoben worden.
Der Bewertungswandel fand auch seinen Nieder-
chlag in dem Beschluss des Deutschen Bundestages
om 26. Januar 1988, Bundestagsdrucksache 11/1714.
n diesem Beschluss wurde bereits eindeutig zum Aus-
ruck gebracht, dass der Deutsche Bundestag nicht nur
ie Durchführung von Zwangssterilisierungen in der
eit des Nationalsozialismus, sondern auch ihre gesetzli-
he Verankerung für nationalsozialistisches Unrecht hält.
örtlich heißt es hierzu:
l. Der Deutsche Bundestag stellt fest, daß die in dem
Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom
14. Juli 1933 vorgesehenen und auf der Grundlage
dieses Gesetzes während der Zeit von 1933 bis 1945
durchgeführten Zwangssterilisierungen national-
sozialistisches Unrecht sind.
2. Der Deutsche Bundestag ächtet diese Maßnah-
men, die ein Ausdruck der inhumanen nationalsozia-
listischen Auffassung vom „lebensunwerten Leben“
sind.
In dem Bericht zu der Beschlussempfehlung, Bundes-
agsdrucksache 11/1714, wird, worauf auch die Bundes-
egierung in ihrer oben erwähnten Antwort hingewiesen
at, weiterhin ausdrücklich festgestellt, dass eine Fort-
eltung des Erbgesundheitsgesetzes in der Bundesrepublik
eutschland nach Art. 123 Abs. 1 GG ausgeschlossen
st, weil dieses Gesetz mit dem Grundgesetz nicht zu
ereinbaren ist. Die Bewertung des Erbgesundheitsgeset-
es als nationalsozialistisches Unrecht ist danach noch in
ehreren weiteren Entscheidungen des Deutschen Bun-
estages bekräftigt worden, zuletzt in den Beratungen zu
em bereits erwähnten Gesetz zur Aufhebung national-
ozialistischer Unrechtsurteile im Jahre 1998.
Anträge der Grünen, die im Zusammenhang mit diesen
arlamentarischen Beratungen jeweils eine förmliche
ichtigerklärung des sogenannten Erbgesundheitsgeset-
es durch den Deutschen Bundestag forderten, fanden
us den bereits genannten rechtlichen Gründen nicht die
nterstützung der anderen Fraktionen. Der jetzt vorlie-
ende Vorschlag der Koalition hat – und das ist besonders
emerkenswert – auch die Billigung des Bundes der Eu-
anasiegeschädigten und Zwangssterilisierten gefunden.
n einem im Laufe der Beratungen des Rechtsausschusses
urchgeführten erweiterten Berichtserstattergespräch ha-
en die Vertreter dieser Organisation ausdrücklich den
ösungsansatz der Koalition begrüßt.
Dr. Carl-Christian Dressel (SPD): Das Gesetz zur
erhütung erbkranken Nachwuchses war das erste Rasse-
esetz der Nationalsozialisten. Die Idee des Gesetzes
ar durch und durch rassistisch. Ich zitiere:
10348 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007
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Ziel der dem deutschen Volk artgemäßen Erb- und
Rassenpflege ist: eine ausreichende Zahl Erbgesun-
der, für das deutsche Volk rassisch wertvoller, kin-
derreicher Familien zu allen Zeiten. Der Zucht-
gedanke ist Kerngehalt des Rassegedankens. Die
künftigen Rechtswahrer müssen sich über das
Zuchtziel des deutschen Volkes klar sein.
Ziel dieses Gesetzes war es, psychisch und physisch
kranke Menschen zu sterilisieren. Später wurde die
Unfruchtbarmachung auf sozial auffällige, nicht system-
konforme und politisch andersdenkende Menschen aus-
geweitet. Nach dem sogenannten Euthanasieerlass Hit-
lers ermordete man sie zunächst durch Gas, später durch
Injektionen und gezieltes Verhungernlassen.
Dieses Gesetz wollen wir mit dem vorliegenden Antrag
von SPD und CDU/CSU ächten! Der von uns einge-
brachte Antrag umfasst fünf Punkte, in denen sich diese
Ächtung manifestiert:
Erstens. Eine klare und zweifelsfreie Erklärung, dass
das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses nie-
mals Bestandteil der materiellen Rechtsordnung der
Bundesrepublik Deutschland war. Ich werde auf diesen
Sachverhalt später noch genauer eingehen.
Zweitens. Eine erneute Bekräftigung, dass die in dem
Gesetz vorgesehenen und auf der Grundlage dieses Ge-
setzes durchgeführten Zwangssterilisierungen national-
sozialistisches Unrecht sind.
Drittens. Diese Feststellung und die Ächtung soll laut
unserem Antrag ausdrücklich sowohl auf das Gesetz zur
Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933
selbst, soweit dieses Zwangssterilisierungen rechtlich
absichern sollte, als auch auf die gesetzlich vorgegebene
Handlungsanweisung und die aufgrund dieser Hand-
lungsanweisung durchgeführten Zwangssterilisationen
erstreckt werden.
Viertens. In unserem Antrag wird festgestellt, dass
mit dem Erbgesundheitsgesetz ein Weg beschritten
wurde, der in das Massenmordprogramm der National-
sozialisten führte.
Fünftens. Mit unserem Antrag bezeugen wir den Opfern
der Zwangssterilisierung und ihren Angehörigen erneut
Achtung und Mitgefühl in der Absicht, durch die nun er-
folgte Ächtung des Erbgesundheitsgesetzes selbst jegli-
che Zweifel hinsichtlich einer umfassenden Genugtuung
und Rehabilitierung der Betroffenen beseitigt zu haben.
Ich bin fest davon überzeugt, dass unser Antrag in die-
ser Form dazu geeignet ist, ein wichtiges und positives Si-
gnal an die Opfer auszusenden. Zum Antrag der Grünen:
Dieser Antrag, der den Vorschlag für eine Nichtigerklä-
rung des Erbgesundheitsgesetzes zum Ziel hat, ist nach
meiner Auffassung keinesfalls sachgerecht. Er verfolgt
zweifellos ein richtiges Ziel, dass ich in seinem ideellen
Sinne unbedingt unterstreichen möchte. Allerdings ist
dieser Antrag tatsächlich aus verfassungsrechtlichen
Gründen ungeeignet.
Ich will dies begründen: Der Bundestag kann das soge-
nannte Erbgesundheitsgesetz nicht für nichtig erklären:
Gemäß Art. 123 Abs. 1 GG gilt vorkonstitutionelles
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echt nur fort, „soweit es dem Grundgesetze nicht wider-
pricht“. Die Teile des Erbgesundheitsgesetzes, welche
ie Zwangsmaßnahmen legalisierten, sind dadurch be-
eits mit Inkrafttreten des GG außer Kraft getreten. Ich
ill vor diesem Hintergrund ausdrücklich unterstreichen,
ass „außer Kraft getreten“ bedeutet, dass aufgrund des
rt. 123 GG dieses Gesetz seit Inkrafttreten des Grund-
esetzes in seinen verfassungswidrigen Teilen nicht
ehr existiert.
Daher nochmals die klare Botschaft an die Verbände
nd die durch sie vertretenen Opfer: Unter dem Grund-
esetz kann das Erbgesundheitsgesetz keinesfalls mehr
n Kraft gesetzt werden.
Unser Antrag ist in dieser Hinsicht unmissverständlich.
ch möchte die betreffende Stelle aus dem Antrag des-
egen zitieren:
Die Gültigkeit des „Gesetzes zur Verhütung erb-
kranken Nachwuchses“ vom 14. Juli 1933 (RGBI. I
S. 529; geändert durch die Gesetze vorn 26. Juni
1935, RGBI. l S. 773, und 4. Februar 1936, RGBI. I
S. 119) endete mit Inkraftreten des Grundgesetzes,
soweit es dem Grundgesetz widersprach (Artikel 123
Abs. 1 GG). Die wenigen danach noch gültigen
Vorschriften über Maßnahmen mit Einwilligung
des Betroffenen wurden durch Artikel 8 Nr. 1 des
Gesetzes vom 18. Juni 1974 (BGBI. I S. 1297) auf-
gehoben. Das Gesetz ist damit definitiv in keiner
Weise mehr existent. Die Besorgnis mancher Op-
ferverbände, das Gesetz könne wieder in Kraft ge-
setzt werden, ist unbegründet.
Das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses
ar seit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes ohne
weifel niemals Bestandteil der materiellen deutschen
echtsordnung. Auf diese für die Opfer so wichtige
ussage wird in der Beschlussempfehlung deshalb noch
inmal explizit hingewiesen.
Ich denke, wir sind uns über die Parteigrenzen hinweg
arin einig, dass die Opfer ein Recht darauf haben, dass
er Deutsche Bundestag eine eindeutige und einheitliche
osition in dieser wichtigen Frage zum Ausdruck bringt.
Die Position des Bundes der „Euthanasie“-Geschädig-
n und Zwangssterilisierten zum Antrag der Koalition
st eindeutig. In seiner Stellungnahme wirbt der BEZ
usdrücklich für den Antrag von SPD und CDU/CSU.
Ich finde es daher sehr bedauerlich, dass die Abstim-
ung in der Ausschusssitzung nicht in diesem Sinne
usgefallen ist, da sich die PDS enthalten hat. Der Ände-
ungsantrag der PDS war in Nr. 1 widersprüchlich, in
r. 2 widersinnig. Ich rufe das Hohe Haus hiermit auf,
instimmig die Opfer zu achten und das verbrecherische
esetz zu ächten.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP):
er Deutsche Bundestag hat in den Jahren 1988 und
994 in seinen Entschließungen wiederholt an das Leid
er Opfer erinnert und das Erbgesundheitsgesetz sowie
ie auf dessen Grundlage gefällten Urteile geächtet. In
ieser Bewertung ist sich der Deutsche Bundestag auch
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007 10349
(A) )
(B) )
heute einig. Im Rahmen dieser Debatte hat die FDP-
Bundestagsfraktion betont, dass die Gültigkeit des
Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom
14. Juli 1933 in weiten Teilen durch Inkrafttreten des
Grundgesetzes 1949, insbesondere soweit es Art. 2
Abs. 2 GG widersprach, außer Kraft gesetzt und in den
verbleibenden Teilen endgültig durch Art. 8 Nr. 1 des
Gesetzes vom 18. Juni 1974 aufgehoben wurde. Es gibt
keinen Grund zur Befürchtung, das Erbgesundheitsge-
setz könnte wieder in Kraft gesetzt werden, und ein nicht
existierendes Gesetz kann rechtssystematisch nicht für
nichtig erklärt werden. Daran bestehen keine Zweifel.
Die FDP-Bundestagfraktion unterstützt jedoch uneinge-
schränkt das Ansinnen, die Erinnerung an das unsägliche
Unrecht und Leid, das Menschen infolge des NS-Erbge-
sundheitsgesetzes angetan wurde, wachzuhalten.
Rund 350 000 bis 360 000 Menschen wurden seit 1933
auf der Grundlage des Gesetzes zur Verhütung erbkranken
Nachwuchses zwangssterilisiert; 5 000 bis 6 000 Frauen
und ungefähr 600 Männer starben nach diesen Eingriffen.
Das Gesetz bildete zudem den Auftakt für die Verfol-
gung behinderter Menschen, die schließlich zu der soge-
nannten Euthanasie führte. Mit dem Gesetz vom 25. Au-
gust 1998 wurden sämtliche eine Unfruchtbarmachung
anordnenden und noch rechtskräftigen Beschlüsse der
Erbgesundheitsgerichte aufgehoben.
Entschädigungsansprüche hat es für die Opfer der
Zwangssterilisation jedoch praktisch nicht gegeben.
Diese waren davon abhängig, dass die Sterilisation ohne
vorangegangenes Gerichtsverfahren erfolgte.
Es darf in diesem Zusammenhang nicht vergessen
werden, dass nicht zuletzt die deutsche Gerichtsbarkeit
mit der Einrichtung sogenannter Erbgesundheitsgerichte
an der Rassenpolitik des Dritten Reiches einen entschei-
denden Anteil hatte. Bis heute ist auch in Juristenkreisen
das Vorhandensein einer solchen Erbgesundheitsgerichts-
barkeit relativ unbekannt. Ab 1980 konnten Geschädigte,
das heißt zwangssterilisierte Personen, eine einmalige
Entschädigungsleistung in Höhe von 5 000 DM beantra-
gen. Bis zum Jahr 2000 erhielten rund 16 000 Betroffene
diese Ausgleichszahlung. Ich habe bereits im Herbst
letzten Jahres angemahnt, dass für parteipolitische Profi-
lierungsversuche dieses Thema denkbar schlecht geeignet
ist. Es ist jedoch ein legitimes und unterstützenswertes
Interesse der Behinderten- und Opferverbände, die Erin-
nerung an das NS-Erbgesundheitsgesetz und das durch
dieses Gesetz ausgeübte Unrecht wachzuhalten und eine
aktive Auseinandersetzung der Gesellschaft und der Poli-
tik mit diesem Thema zu fordern.
Bis in die 3. Generation haben die NS-Opfer und ihre
Angehörigen von Zwangssterilisation und Euthanasie
noch heute unter der sogenannten nationalsozialistischen
Erbgesundheitspolitik zu leiden.
Es gilt, diesen Opfern und ihren Angehörigen erneut
Achtung und Mitgefühl zu bezeugen. Das Berichterstat-
tergespräch mit Vertretern der Opferverbände hat mich
in dieser Auffassung bestätigt.
Die FDP-Bundestagsfraktion wird dem Antrag der
Koalitionsfraktionen deshalb zustimmen.
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Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Es geht heute um
ie Achtung nationalsozialistischen Unrechts. Und es ist
n der Zeit. Endlich soll dem Ansinnen der Opferver-
ände Rechnung getragen werden, um auch den Opfern
echtssicherheit zu gewährleisten. Es geht hier immer
och um nationalsozialistisches Unrecht, welches nun
ndlich ein wirkliches Ende finden soll. Bedauerlich ist,
ass es in der Bundesrepublik Jahrzehnte gedauert hat,
m das abschließend in Angriff zu nehmen. Dass dieses
esetz als nationalsozialistisches Unrecht zu werten ist,
ürfte angesichts der Begründung zu diesem Gesetz au-
er Frage stehen. Die menschenverachtenden Bemer-
ungen aus der Gesetzesbegründung möchte ich mir des-
alb an dieser Stelle ersparen. Es handelt sich hierbei um
as erste Rassegesetz der NS-Diktatur. Dem steht auch
wenn man die Biografien etlicher westdeutscher Juris-
en aus dieser Zeit berücksichtigt – nicht entgegen, dass
as OLG Hamm 1952 dieses Gesetz als „mit rechtsstaat-
ichen Grundsätzen vereinbar“ bezeichnete und 1957
estgestellt wurde, dass es sich nicht um ein typisches
S-Gesetz handele. Erst 1974 wurde das Gesetz, aller-
ings auch nur halbherzig, außer Kraft gesetzt. Es geht
ier und heute um die endgültige Feststellung, dass die-
es Gesetz in seiner Gänze aufgrund der Bestimmung
es Art. 23 Abs.1 Grundgesetz nie Bestandteil der
echtsordnung der Bundesrepublik Deutschland gewor-
en ist, da es menschenverachtend und mit rechtsstaatli-
hen Grundsätzen unvereinbar war. Soweit es in weni-
en Teilen als Bundesrecht fortbestand, wurde es zwar
ußer Kraft gesetzt, ist gleichwohl aber noch Bestandteil
er Rechtsordnung. Zwar geht die Bundesregierung da-
on aus, dass das Gesetz nicht mehr existent sei, in die-
em Punkt irrt die Regierung jedoch! Das Gesetz, soweit
s als Bundesgesetz fortgalt, ist nach wie vor Bestandteil
er Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland. Es
st lediglich außer Kraft gesetzt. Es ist seinerzeit erlas-
en und in Kraft gesetzt worden. 1974 wurde es außer
raft gesetzt. Das Inkrafttreten betrifft jedoch nur die
nwendbarkeit der Vorschriften. Es handelt sich hier um
inen besonderen Fall, in dem allein das Außerkraftset-
en der Vorschriften nicht ausreicht, da sie als früherer
estandteil eines als solchen mit dem Grundgesetz un-
ereinbaren Gesetzes vollständig aus der Rechtsordnung
ntfernt werden müssen. Dies kann aber eindeutig nur
it deren Aufhebung geschehen. Dies entspricht der
orderung der Opferverbände. Von daher bedarf es der
indeutigen Beschlussfassung über die Aufhebung der
esagten Normen. Dies entspricht nicht nur der Ansicht
es heutigen, sondern wohl auch der eigentlichen Inten-
ion des damaligen Parlaments
Von daher ist die Bundesregierung aufgefordert, einen
esetzentwurf vorzulegen, nach welchem das „Gesetz
ur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ vom 14. Juli
933, soweit es eben als Bundesrecht fortgalt und ledig-
ich außer Kraft gesetzt worden ist, aufgehoben wird, um
s endgültig aus der Rechtsordnung zu verbannen.
Die Aussage der Koalition, das Gesetz zu ächten, ist
n jedem Falle unterstützenswert, wobei der Wortlaut in-
oweit missverständlich ist, dass in dem Wort „selbst“
ufgrund fehlender Interpunktion davor eine Einschrän-
ung bezogen auf das Gesetz liegen könnte. Zur eindeu-
10350 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007
(A) )
(B) )
tigen Klarstellung bedarf es weiterer Formulierungen im
Antrag der Koalition, welche eindeutig den Unrechtsge-
halt dieses gesamten verbrecherischen Gesetzes darstel-
len, welche die Ächtung des Gesetzes in Gänze klar und
ohne Einschränkungen ausspricht. Von daher kann ich
nur um Unterstützung unseres Antrags bitten, um den
Opfern, die bis heute unter den Folgen leiden, endlich
Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und nicht noch län-
ger hinzuwarten, bis keines der Opfer mehr seine
Stimme erheben kann. Ich denke, hier ist es an der Zeit,
ideologische Vorbehalte zurückzustellen und an die
Opfer zu denken: sowohl hinsichtlich der umfassenden
Ächtung des Gesetzes als auch zur Prüfung einer Aufhe-
bung.
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Die Opfer des sogenannten Erbgesundheitsgesetzes, die
Opfer von Zwangssterilisierungen, die Opfer des Mas-
senmordprogrammes der sogenannten Euthanasie und
deren hinterbliebene Angehörige erfuhren auch nach
Ende des Nationalsozialismus lange Zeit kaum Anerken-
nung und Würdigung. Erst sehr spät rückten diese Ver-
brechen und damit das Schicksal der Opfer des „Erbge-
sundheitsgesetzes“ ins gesellschaftliche Bewusstsein.
Ab den 80er-Jahren sprach man von „vergessenen Op-
fern“. Das war gut gemeint, aber auch nicht ganz richtig.
In Wahrheit handelte es sich um ausgegrenzte Opfer, die
auch nach 1945 statt Anerkennung weiterhin Demüti-
gung und Diskriminierung erlebten.
Das Leid dieser Menschen wurde lange nicht als typi-
sches NS-Unrecht anerkannt. Dabei war das „Erbge-
sundheitsgesetz“ das erste Rassegesetz des NS-Staates.
Es wurde bereits am 14. Juli 1933 verabschiedet und trat
im Januar 1934 in Kraft. Das Gesetz war durch und
durch rassistisch und menschenverachtend.
Auch von Entschädigung waren die Opfer des „Erb-
gesundheitsgesetzes“ lange ausgegrenzt. Es sei noch-
mals daran erinnert: Erst in den 80er-Jahren wurden Här-
teregelungen eingeführt, die auch Zwangssterilisierten
und „Euthanasie“-Geschädigten zugutekamen. In den
Jahren 2004 und 2005 ist es gelungen, diese Härteleis-
tungen erheblich auszubauen. So wurden beispielsweise
die Leistungen für Personen, die Opfer von Zwangssteri-
lisierungen wurden, fast verdoppelt. Dennoch können
diese Härteleistungen kein wirklicher Ausgleich für das
erlittene Unrecht sein. Sie sind eine Geste der Anerken-
nung und Unterstützung.
Erst 1988 und 1994 hat der Deutsche Bundestag in
Entschließungen das Unrecht ausdrücklich anerkannt,
das „Erbgesundheitsgesetz“ und seine Anwendung ge-
ächtet. Mit dem „NS-Aufhebungsgesetz“ von 1998 wur-
den die Entscheidungen der ehemaligen Erbgesundheits-
gerichte pauschal aufgehoben.
Die Betroffenen fühlen sich aber noch nicht ausrei-
chend rehabilitiert: Der Bund der „Euthanasie“-Geschä-
digten und Zwangssterilisierten e.V. ist mit einem Appell
an den Deutschen Bundestag herangetreten, das „Erbge-
sundheitsgesetz“ für nichtig zu erklären. Der Antrag von
Bündnis 90/Die Grünen hat dieses Anliegen aufgegriffen
und in den Bundestag getragen. Wir haben uns für eine
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esetzliche Klarstellung eingesetzt. Denn es braucht eine
weifelsfreie Klarstellung, dass das menschenverach-
ende „Erbgesundheitsgesetz“ zutiefst nationalsozialisti-
ches Unrecht war, als solches diametral dem Grundge-
etz widersprach und somit nie Teil der bundesdeutschen
echtsordnung war.
Daraufhin haben die Koalitionsfraktionen ihrerseits
inen Antrag eingebracht. Der Antrag der Koalition wür-
igt in Form einer Entschließung die Verbrechen als ty-
isches NS-Unrecht und bekräftigt die Ächtung des
Erbgesundheitsgesetzes“. Das geht in die richtige Rich-
ung, und daher kann dieser Entschließung selbstver-
tändlich zugestimmt werden.
Uns geht es darum, klare Signale zu setzen, damit
uch die letzten Zweifel der Betroffenen an ihrer Reha-
ilitierung und an der Anerkennung des ihnen zugefüg-
en Unrechts ausgeräumt werden. Es ist von großer Be-
eutung, dass dieses Anliegen vom ganzen Haus
etragen wird. Wir unterstützen daher jeden Schritt, der
ns diesem Ziel näherbringt.
Es geht darum, verfolgten, geschundenen und auch
ange Jahre nach Ende des Nationalsozialismus weiter
iskriminierten Menschen – soweit wir das vermögen –
hre Würde zurückzugeben. Das sind wir als Deutscher
undestag den Opfern schuldig.
nlage 18
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung
– Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des
Rechts der Verbraucherinformation
– Beschlussempfehlung und Bericht zu dem
Antrag: Bund-Länder-Staatsvertrag – Qua-
litätsmanagement Lebensmittelqualität
– Beschlussempfehlung und Bericht zu dem
Antrag: Verbraucherinformationsrechte
stärken – Neues Verbraucherinformations-
gesetz zügig vorlegen
– Beschlussempfehlung und Bericht zu dem
Antrag: Zweite Chance nutzen – Das Recht
auf Verbraucherinformation grundlegend
neu gestalten
(Tagesordnungspunkt 28 a bis c)
Ursula Heinen (CDU/CSU): Die Bundesregierung
erzögere die Neubefassung mit dem Verbraucherinfor-
ationsgesetz, heißt es im Antrag der FDP-Bundestags-
raktion „Verbraucherinformationsrechte stärken –
eues Verbraucherinformationsgesetz zügig vorlegen“
Drucksache 16/4447). Weiterhin fordert die FDP in die-
em Antrag die Bundesregierung auf, zügig, bis zum
0. Juni 2007 einen neuen Entwurf vorzulegen.
Die Bundesregierung hat bereits am 4. April 2007 ei-
en überarbeiteten Entwurf vorgelegt. Das ist wohl mehr
ls zügig. Um das Verfahren der Verabschiedung des
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007 10351
(A) )
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Verbraucherinformationsgesetzes weiter zu verkürzen,
haben die Bundestagsfraktionen von Union und SPD
diesen Entwurf ins Parlament eingebracht, wo wir ihn
heute in erster Lesung beraten. Unser Ziel ist es, das Ge-
setz zum 1. Januar 2008 in Kraft treten zu lassen.
Wenn ich mir jedoch die vorliegenden Anträge von
FDP und der Faktion Die Linke anschaue, habe ich doch
meine berechtigten Zweifel, dass den Antragstellern
wirklich an einer schnellen Verabschiedung des Gesetzes
und damit mehr Informationen für die Verbraucherinnen
und Verbraucher gelegen ist – auch wenn zumindest der
Titel des Antrages der FDP eine solche Motivation ver-
muten ließe.
Wir haben jetzt sechs lange Jahre Diskussion um
mehr Verbraucherinformation hinter uns, in denen jedes
einzelne Argument genügend diskutiert wurde. Im Sinne
der Verbraucherinnen und Verbraucher sollten wir nun
endlich unser Vorhaben in die Tat umsetzen und nicht
weiter über die Ausgestaltung des Gesetzes debattieren,
wie Sie es durch Ihre zahlreichen – und darüber hinaus
hinreichend diskutierten – Änderungsvorschläge tun.
An dieser Stelle möchte ich lediglich kurz zwei der
immer wiederkehrenden Einwände gegen den vorliegen-
den Gesetzentwurf entkräften.
Zum einen wird immer wieder der Auskunftsan-
spruch gegenüber Unternehmen eingefordert. Ein ge-
setzlicher Anspruch gegenüber privaten Unternehmen
belastet vor allem kleine und mittlere Betriebe, die sich
– anders als die „Großen“ –, ein aufwendiges Anfrage-
management nicht leisten können. Daher würde die Um-
setzung dieser Forderungen in eine gesetzliche Pflicht
eine erhebliche Wettbewerbsverzerrung mit sich brin-
gen. Außerdem bitte ich zu bedenken, dass es umfas-
sende gesetzliche Informationsansprüche gegenüber Un-
ternehmen im internationalen Vergleich bislang nur in
Südafrika gibt – und dort auch nur, soweit es zur Gel-
tendmachung eigener Ansprüche erforderlich ist.
Ich möchte an dieser Stelle an die Unternehmen
appellieren, dass sie ihrer Verantwortung nachkommen –
im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher und
in ihrem eigenen. Das ist in meinen Augen der bessere
Weg, der den Interessen aller gerecht wird. Die Bundes-
regierung ist aufgefordert, hier ein entsprechendes An-
gebot der Unternehmen zu verfolgen.
Zum anderen wird immer wieder angeführt, dass In-
formationen unterhalb von Grenzwerten und sonstigen
Gefahren, die von dem Produkt ausgehen, nicht abge-
fragt werden können. Auch dies ist mit wenigen Ausnah-
men, wenn es um tatsächlich Betriebs- und Geschäftge-
heimnisse geht, nicht so.
Informationen können künftig abgerufen werden bei
Verstößen gegen das Lebensmittel- und Futtermittelge-
setz – zum Beispiel über Verstöße gegen Grenzwerte –;
falls es sich um Daten handelt, die Auskunft über Gefah-
ren oder Risiken für die Gesundheit und Sicherheit der
Verbraucher geben, sowie über Überwachungsmaßnah-
men der Behörden.
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Aber auch Informationen über verwendete Begriffe
der Gütesiegel bei der Kennzeichnung von Produkten
önnen zukünftig abgefragt werden. Gleiches gilt für In-
ormationen über die Herkunft, Herstellung und Behand-
ung von Produkten. In den letztgenannten Bereich fal-
en Informationen über Verstöße gegen das Mess- und
ichwesen; die Verbraucherinnen und Verbraucher ha-
en somit die Möglichkeit zu erfahren, ob ein Unterneh-
en regelmäßig weniger Inhalt in seine Verpackungen
üllt, als es die Gewichtsangabe veranschlagt, sofern
iese Informationen bei der Behörde vorhanden sind.
Darüber hinaus erhalten die Verbraucher neben Infor-
ationen über Produkte als Ganzes auch Informationen
ber Stoffe oder Teile, mit denen das Produkt hergestellt
urde – auch wenn sie im späteren Produkt nicht mehr
nthalten sind.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat in ihrer Regie-
ungserklärung 2005 zu mehr Mut in der Politik aufgeru-
en. Diesen Mut fordere ich auch von Ihnen ein: Sagen ja
u mehr Verbraucherinformation, geben Sie Ihre Verzö-
erungshaltung auf. Fünf Jahre Diskussion sind genug.
Sollten sich wider Erwarten in der Praxis Probleme
instellen – schließlich betreten wir mit diesem Gesetz
euland; denn das vorliegende Gesetz regelt zum ersten
al überhaupt den Anspruch der Verbraucher auf bei
en Behörden vorliegende Informationen über Produkte
es täglichen Bedarfs –, können diese in der vorgesehen
valuation nach zwei Jahren aufgefangen werden.
Ich möchte Ihnen an zwei Beispielen verdeutlichen,
ass die Erfordernis des Verbraucherinformationsgeset-
es aktueller denn je ist. So wurden in jüngster Zeit wie-
er 18 Tonnen Gammelfleisch gefunden. Außerdem ha-
en, wie es in der Begründung des Gesetzes so schön
eißt, „kampagneorientierte Verbraucherorganisatio-
en“ anhand der Veröffentlichung von Rückstandsmen-
en bei Obst und Gemüse gezeigt, dass ein erweiterter
nformationszugang Auswirkungen auf das Einkaufsver-
alten von qualitätsbewussten
Verbrauchern hat. Diesem berechtigten Bedürfnis
ach Informationen muss die Politik Rechnung tragen,
ntsprechende Rahmenbedingungen müssen endlich im-
lementiert werden. NRW hat dies mit der Einbringung
ines eigenen Verbraucherinformationsgesetzes deutlich
nterstrichen.
Der vorliegende Gesetzentwurf ist vom Ministerium
ür Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
berarbeitet worden. Die Bedenken des Bundespräsiden-
en sind aus dem Weg geräumt worden. Ansonsten ist es
nverändert geblieben – und das ist auch gut so!
Verlieren wir im Interesse von Transparenz nicht noch
ehr Zeit. Geben wir den Verbraucherinnen und Ver-
rauchern endlich die Instrumente an die Hand, die sie
u mündigen Marktteilnehmern machen – damit ist ih-
en am meisten genutzt.
Elvira Drobinski-Weiß (SPD): Verbraucherinnen
nd Verbraucher haben ein Recht auf Information. Die
ügige Verabschiedung des Verbraucherinformationsge-
10352 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007
(A) )
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setzes ist uns sehr wichtig; denn damit wird erstmals in
einem eigenständigen Gesetz den Verbraucherinteressen
der Stellenwert eingeräumt, der ihnen gebührt. Die Mög-
lichkeiten und Pflichten der Behörden zur Information
der Öffentlichkeit über Missstände im Lebensmittel-,
Futtermittel- und Bedarfsgegenständebereich werden
ausgeweitet. Außerdem können sich Verbraucherinnen
und Verbraucher künftig selbst bei den Behörden infor-
mieren – auch wenn keine Rechtsverstöße vorliegen.
Für die SPD ist dieses Gesetz ein wichtiger, erster
Schritt auf dem Weg zum transparenten Markt. Wir wer-
den dafür sorgen, dass weitere Schritte folgen. Das ha-
ben wir in unserem Entschließungsantrag aufgezeigt,
den wir bereits in der ersten Runde mit dem Verbraucher-
informationsgesetz eingebracht haben: Wir wollen, dass
auch die Wirtschaft ihre Verantwortung gegenüber den
Verbraucherinnen und Verbrauchern wahrnimmt und sie
informiert.
Denn bei den Unternehmen liegen alle Daten vor, die
eine bewusste Auswahl ermöglichen und eine eigenver-
antwortliche Marktteilnahme gewährleisten. Und wir
wollen auf Basis erster Erfahrungen mit dem Verbrau-
cherinformationsgesetz die Aufnahme weiterer Produkte
und Dienstleistungen in den Geltungsbereich erreichen.
Der Entschließungsantrag sieht die Dokumentation
und Auswertung der Erfahrungen mit dem Gesetz vor.
Damit werden wir zum Beispiel beobachten können, ob
und welche Ausschlussgründe zu nicht nachvollziehba-
rer Informationsverweigerung führen, wie sich die Kos-
ten entwickeln und wie lange die Bearbeitung der Aus-
kunftsanliegen dauert. Diese Auswertung gibt uns dann
die Möglichkeit, eventuellen Fehlentwicklungen mit ge-
setzlichen Maßnahmen gegenzusteuern. Sollte sich sei-
tens der Wirtschaft keine Bereitschaft zeigen, den Ver-
brauchern Zugang zu den bei den Unternehmen
vorhandenen Informationen zu gewähren, wird die SPD
auf gesetzliche Maßnahmen dringen.
Hans-Michael Goldmann (FDP): Nach liberalem
Grundverständnis gehört das Recht auf Verbraucherin-
formation zu den Kernelementen des Verbraucherschut-
zes. Nur der informierte Verbraucher kann Konsument-
scheidungen nach seinen Präferenzen treffen. Das
Leitbild des mündigen und aufgeklärten Verbrauchers
erfordert den Zugang zu allen wichtigen Informationen
über die Qualität von Produkten und Dienstleistungen.
Nur dann kann der Wettbewerb seine Auslesefunktion
übernehmen und Anbieter von Waren schlechter Qualität
durch Kaufentscheidungen der Konsumenten aus dem
Markt entfernen.
Von einem Verbraucherinformationsgesetz, das sei-
nen Namen verdient, wäre also zu erwarten, dass es drei
Mindestanforderungen erfüllt: klare und transparente
Regelungen die für Bürgerinnen und Bürger einfach an-
zuwenden sind, Informationsrechte, die das Vertrauen
der Verbraucher in das Handeln der Behörden und die
Qualität der Produkte stärken sowie Rechtssicherheit für
Unternehmen, Verbraucher und Behörden bei der prakti-
schen Anwendung.
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Das Ergebnis von fünf Jahren Diskussion um einen
ffektiveren Verbraucherschutz durch mehr Informa-
ionsrechte ist mehr als ernüchternd. Der Gesetzge-
ungsprozess ist eine Geschichte von Pannen und ver-
assten Chancen. Der Gesetzentwurf beschränkt sich auf
ine Reparatur der vom Bundespräsidenten gerügten
erfassungsrechtlichen Mängel. Und das, obwohl die
ängel des Gesetzentwurfs offenkundig sind und auch
us den Reihen der Koalitionsfraktionen bereits benannt
urden. Es ist ein Gesetz der Halbherzigkeiten. Nach
ünf Jahren Diskussion soll der Verbraucher anstelle ei-
er grundlegenden Stärkung seiner Rechte mit einem
chmalbrüstigen Gesetz abgespeist werden. Warum ist
er Anwendungsbereich auf Sachverhalte aus dem Le-
ensmittel- und Futtermittelgesetz beschränkt? Haben
ie Verbraucher nicht auch in anderen Bereichen ein In-
eresse an Information und ein Recht auf Information?
arum sollen Bürgern keine Informationen über gefähr-
iche Stoffe in Baumaterialien oder Sicherheitsrisiken
echnischer Produkte zustehen, wenn diese Informatio-
en bei den Behörden vorhanden sind?
Die FDP fordert daher den Zugang des Verbrauchers
u den bei Behörden verfügbaren Informationen für alle
rodukte und Dienstleistungen. Der ohnehin bereits ein-
eschränkte Anwendungsbereich des Gesetzes wird
urch unklare Ausnahme- und Ausschlussregelungen
eiter durchlöchert. Diese praxisfernen und schwerver-
tändlichen Tatbestände werden Behörden vor große
uslegungsschwierigkeiten stellen. Die Folge werden
eue Rechtsunsicherheiten bei den betroffenen Unter-
ehmen, aber auch bei anfragenden Bürgerinnen und
ürgern sein.
Kritikwürdig ist auch die Vorgabe von kostendecken-
en Gebühren. Hier hat es die Behörde praktisch selbst
n der Hand, eine prohibitive Gebührenhöhe anzusetzen,
ie das Instrument des Informationsanspruchs praktisch
ertlos macht. Der Zugang zu Informationen, die für die
esundheit und körperliche Unversehrtheit von Verbrau-
hern relevant sind, darf nicht durch abschreckende Ge-
ührenregelungen behindert werden. Unternehmen müs-
en darauf vertrauen können, dass nicht Vermutungen
der unbestätigte Untersuchungsergebnisse, die zwi-
chen Behörde und Unternehmen streitig sind, vor-
chnell an die Öffentlichkeit gelangen. Eine Verpflich-
ung zur Überprüfung der Richtigkeit der Daten fehlt
ber im Gesetzentwurf der Koalition – ein schwerwie-
ender Fehler!
Für einen bürgernahen und bürgerfreundlichen Ver-
raucherschutz, für den sich die FDP einsetzt, ist aber
uch das Wie der Informationsweitergabe von Bedeu-
ung. Für den Verbraucher muss die Information ver-
tändlich und verwertbar sein. Das heißt, die Behörden
üssen gegebenenfalls Erläuterungen beifügen und In-
ormationen in entsprechender Form aufbereiten. Dem
erbraucher nützt es nichts, wenn er mit Informationen
berschüttet wird. Genau das lässt aber der Gesetzent-
urf zu, da er keine Pflicht zur Aufbereitung der Infor-
ationen vorsieht.
Zweifel bleiben auch bei der verfassungsrechtlichen
ulässigkeit des Gesetzentwurfs. Ein Teil der Länder hat
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007 10353
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bereits eigene Informationsfreiheitsgesetze verabschie-
det. Die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit des
Bundes nach Art. 72 Abs. 2 Grundgesetz unterliegt nach
der Föderalismusreform I deutlich strengeren Anforde-
rungen, wenn es um die Begründung der Erforderlich-
keit eines Bundesgesetzes geht. Auch hier würde eine
breitere Anwendbarkeit des Verbraucherinformationsge-
setzes auf alle Produktbereiche die Argumentation für
eine bundeseinheitliche Regelung gerade im Bezug auf
die Herstellung einer wirtschaftlichen Einheit und glei-
cher Vermarktungschancen erheblich stärken.
Im Interesse der Verbraucher und eines effektiven Ver-
braucherschutzes sollten im Wege der weiteren parlamen-
tarischen Beratungen die erheblichen Defizite und Schwä-
chen des Gesetzentwurfs behoben werden. Die FDP hat
dazu in einem eigenen Antrag (Drucksache 16/4447) be-
reits die maßgeblichen Schwachpunkte aufgezeigt.
Eine erneute Anhörung ist ein notwendiges Instru-
ment, um den parteiübergreifenden Konsens für effekti-
vere Verbraucherinformation mit Expertenhilfe zu einer
Verbesserung des Entwurfs zu nutzen. Wir dürfen nicht
zulassen, dass ein weiteres Mal die Chance für mehr
Qualitätswettbewerb, der ein essenzieller Bestandteil un-
serer Marktwirtschaft ist, leichtfertig vertan wird.
Karin Binder (DIE LINKE): Das Trauerspiel Ver-
braucherinformationsgesetz geht in die nächste Runde –
fast könnte man inzwischen von einer „never ending
story“ sprechen. Falls die Planungen der Bundesregie-
rung diesmal aufgehen, dann tritt die Neuauflage des
Gesetzes nach fünf Jahren Diskussion frühestens Anfang
2008 in Kraft.
Nun ließe sich erwidern: Halb so schlimm, denn: Was
lange währt, wird endlich gut!, doch bedauerlicherweise
trifft dieser Spruch beim Verbraucherinformationsgesetz
nicht zu. Die Regierungskoalition hätte die notwendig
gewordenen Neuberatungen für eine Verbesserung des
Entwurfes nutzen können, doch er blieb inhaltlich unver-
ändert. Minister Seehofer hätte seinen ersten gescheiter-
ten Versuch als Chance begreifen können, doch er hat
nur die von Bundespräsident Köhler beanstandeten For-
malien überarbeitet. Anstatt die vielfältige Kritik von
Verbänden und Verbraucherschutzorganisationen ernst
zu nehmen und deren konstruktive Anregungen zu be-
rücksichtigen, liegt uns nun ein Verbraucherinforma-
tionsgesetz vor, das diesen Namen nicht verdient. Herr
Seehofer nennt es zwar effektiv und praktikabel, doch
glaubt er offensichtlich seiner eigenen Propaganda nicht
so recht, wenn er im gleichen Atemzug eventuell not-
wendige Nachbesserungen in zwei Jahren ankündigt.
Im Gegensatz zur Bundesregierung halten wir es
nicht für sinnvoll, noch weitere zwei Jahre zu warten –
zwei Jahre, in denen wie schon in der Vergangenheit Le-
bensmittelskandale und Gammelfleischfunde bei den
Verbraucherinnen und Verbrauchern ein Gefühl der Hilf-
losigkeit und des Ausgeliefertseins erzeugen. Denn trotz
ausufernder Informationsflut existieren gerade in ver-
braucherrelevanten Fragen teilweise erhebliche Informa-
tionsdefizite.
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Wenn Bürgerinnen und Bürger aber ein aktives und
erantwortungsbewusstes Marktverhalten an den Tag le-
en möchten und sollen, das über eine reine Reaktion
uf Skandale und Gefahrenabwehr hinausgeht, dann be-
ötigen sie umfassende Informationen über die Produk-
ion und Qualität der am Markt angebotenen Produkte.
erade Herr Seehofer, der so gerne das Leitbild des
ündigen Verbrauchers bemüht, müsste das wissen.
Die Linke fordert eine grundlegende Neugestaltung
es Verbraucherinformationsgesetzes. Darin muss das
echt der Verbraucherinnen und Verbraucher auf umfas-
ende Information und Transparenz verankert sein. Es
uss die Interessen der Verbraucherinnen und Verbrau-
her gegenüber der Wirtschaft stärken und die Schwä-
heren gegenüber den Stärkeren schützen. Die Bürgerin-
en und Bürger müssen die Wahl haben und sich frei
ntscheiden können.
Um diesem Anspruch gerecht zu werden, brauchen
ir ein Gesetz, dessen Geltungsbereich sich über das Le-
ens- und Futtermittelgesetzbuch hinaus auf alle Pro-
ukte und Dienstleistungen erstreckt. Und insbesondere
uss es einen individuellen Auskunftsanspruch der Bür-
erinnen und Bürger gegenüber privaten Unternehmen
einhalten. Es liegt in der Natur der Sache, dass diese
ber weit mehr Informationen verfügen als die Behör-
en. An dieser Stelle geht es uns ausdrücklich um Trans-
arenz für alle objektiven Verbraucherinteressen, also
uch konsumrelevante Entscheidungsfaktoren der Bür-
erinnen und Bürger. Denn ein verantwortungsbewuss-
es Verhalten, das beispielsweise auf ökologische oder
oziale Standards in der Produktion und der Zuliefer-
ette achtet, ist ohne die entsprechenden Informationen
icht möglich.
Auch wegen der zunehmenden Zahl von Allergien und
nverträglichkeiten muss ein Informationsanspruch auch
ber Bestandteile und Substanzen unterhalb von Grenz-
erten und Gefahrennachweisen bestehen. Vor allem bei
ebensmitteln und Kleidung sollen die Bürgerinnen und
ürger alle Inhaltsstoffe und Verunreinigungen erfahren
önnen. Es gibt nicht „den Standardverbraucher“ – im
egenteil: Verbraucherinnen und Verbraucher stellen eine
ehr differenzierte und heterogene Gruppe dar. Ein gutes
erbraucherinformationsgesetz sollte dies berücksichti-
en.
Nicht zuletzt werden durch eine offene und transpa-
ente Informationspolitik auch die korrekt arbeitenden
nternehmen belohnt: Indem sie sich an den Interessen
hrer Kundinnen und Kunden orientieren, schaffen sie
ertrauen für ihre Produkte und können von dem einset-
enden Wettbewerb um Qualität profitieren. Leider zei-
en die Unternehmen bisher wenig Bereitschaft, von
ich aus aktiv zu werden und auch nur ansatzweise eine
usreichende Informationspolitik zu betreiben.
Der Verweis auf „Betriebs- und Geschäftsgeheim-
isse oder sonstige wettbewerbsrelevante Informatio-
en“ im Gesetzentwurf der Koalition stellt daher eine
teilvorlage für Auskunftsverweigerung der Unterneh-
en dar. Gegen die gerne praktizierte Geheimniskräme-
ei ist es unseres Erachtens unerlässlich, die Ausnahmen
om Informationsanspruch auf den notwendigen Kern-
10354 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007
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bereich zu reduzieren und den Begriff des Betriebs- und
Geschäftsgeheimnisses gesetzlich genau zu definieren.
Auch die Behörden sollten mehr zur Verbraucherin-
formation beitragen als bisher von Herrn Seehofer ge-
plant: Wir wollen sie zur Hilfeleistung bei der Informa-
tionsbeschaffung und zur aktiven Information der
Öffentlichkeit verpflichten. Letztere muss beispielsweise
schon dann erfolgen, wenn hinreichende Anhaltspunkte
vorliegen, dass von einem Produkt Risiken für die Ge-
sundheit oder die Sicherheit ausgehen oder schützens-
werte Verbraucherinteressen gefährdet werden. Weiter-
hin halten wir es in diesem Zusammenhang für
unerlässlich, den Zugang zu Verbraucherinformationen
für die Bürgerinnen und Bürger einfach und grundsätz-
lich kostenfrei zu gestalten, damit ihre Nutzung nicht
vom sozialen Status abhängig ist.
Unsere Vorschläge für eine grundlegende Neugestal-
tung und Verbesserung des Rechtes auf Verbraucherin-
formation liegen auf dem Tisch und das nicht erst seit
gestern.
Sollte der Gesetzesentwurf der Regierungskoalition
in dieser Form in Kraft treten, ist er ein weiterer Aus-
druck für die Halbherzigkeit der aktuellen Verbraucher-
politik. Um den Verbraucherschutz nach vorn zu brin-
gen, sind – statt rhetorischem Getöse und hektischer,
aber folgenloser Betriebsamkeit nach den regelmäßig
auftretenden Lebensmittelskandalen – deutliche und
manchmal auch unkonventionelle Schritte nach vorn
vonnöten. In diesem Sinn ist auch unser Vorschlag zum
Bund-Länder-Staatsvertrag für ein Qualitätsmanagement
der Lebensmittelqualität zu verstehen.
Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vier
Uhr morgens in Deutschland. Für diese Zeit ist das Ver-
braucherinformationsgesetz auf die Tagesordnung des
Bundestages gesetzt worden. Bei allem Verständnis für
volle Tagesordnungen, aber hier handelt es sich um ein
für Verbraucherinnen und Verbraucher, um ein für uns
alle durchaus bedeutendes Gesetz. Das sollte wirklich
nicht zu nachtschlafender Zeit, sondern im Lichte der
Öffentlichkeit diskutiert werden. Ich kann mich des Ein-
drucks nicht erwehren, dass die Große Koalition dieses
heftig kritisierte Gesetz am liebsten ohne Debatte be-
schließen würde.
Minister Seehofer hat schon so oft so viel verspro-
chen, und wieder ist nichts daraus geworden: Dieses Ge-
setz sollte ein Aushängeschild werden, und was bleibt,
ist nun doch nur wieder ein Etikettenschwindel. Die Ver-
braucher sollen nach den Vorstellungen der Bundesre-
gierung auch in Zukunft keinen schnellen und unbüro-
kratischen Zugang zu den für sie interessanten und
wichtigen Informationen erhalten. Das Gesetz, das bei
Nacht und Nebel jetzt einfach durchgereicht werden soll,
bleibt voller Anwendungslöcher und bürokratischer Hür-
den, auch nachdem der Bundespräsident die Unterschrift
verweigert hatte und die Bundesregierung minimal nach-
gearbeitet hat. Die Chance zur Verbesserung wurde ver-
tan: Schwarze Schafe dürfen sich weiter von der Bun-
desregierung geschützt fühlen.
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Wie wir wissen, hat auch das neue Gesetz keine Be-
eisterung in der Gesellschaft ausgelöst. Verbraucher-
nd Umweltverbände, Wirtschaft, Datenschutzbeauf-
ragte und Journalistenverbände haben ihre Kritik sehr
eutlich zum Ausdruck gebracht, zum Beispiel CorA,
as Netzwerk für Unternehmensverantwortung, dem die
ewerkschaft verdi ebenso angehört wie der Verbrau-
herzentrale Bundesverband, der Evangelische Entwick-
ungsdienst, terre des hommes, Greenpeace und viele
eitere zivilgesellschaftliche Organisationen.
Die Organisation foodwatch hatte vor einem Jahr mit
chtzehn weiteren gesellschaftlichen Organisationen ei-
en Verbändebrief veröffentlicht, der das Verbraucherin-
ormationsgesetz der Bundesregierung heftig kritisiert.
s ist nun an den Fraktionen von SPD und CDU, die be-
tehenden Fehler und Mängel zu beheben, sonst wird
ier eine weitere Ursache für Politikverdrossenheit ge-
chaffen, wie sie die große Koalition derzeit an vielen
tellen zu verantworten hat.
Die Länder scheinen bereit für Nachbesserungen zu
ein. Erste Signale des Vorsitzenden der Verbrauchermi-
isterkonferenz, des Ministers für Ernährung und ländli-
hen Raum aus Baden-Württemberg, Peter Hauk, der
ritisiert, dass es bisher an einer zentralen Stelle fehlt,
ei der Verbraucher Warnhinweise erhalten und sich
um Beispiel über mögliche Gesundheitsgefahren infor-
ieren können, sind ermutigend. Auch aus NRW kennen
ir die weitergehenden Vorschläge beim Betriebs- und
eschäftsgeheimnis und bei den Antragsverfahren.
Über all diese Anmerkungen und Bemühungen setzt
ich die Bundesregierung allerdings bisher einfach hin-
eg. Die letzte Hoffnung der Öffentlichkeit und der Ver-
raucherinnen und Verbraucher liegt nun bei Ihnen, den
amen und Herren Volksvertretern. Lassen Sie uns das
arlamentarische Verfahren dazu nutzen, die notwendi-
en Korrekturen vorzunehmen.
Beseitigen Sie die zahlreichen Ausnahmetatbestände,
ie einen wirksamen Informationsanspruch verhindern
nd weiten Sie den Anwendungsbereich auf alle Ver-
raucherprodukte und Dienstleistungen aus.
Vor allem darf der vorgeschobene Begriff des Be-
riebs- und Geschäftsgeheimnisses das Verbraucherrecht
uf Information nicht verhindern. Unternehmen und Be-
örden dürfen nicht zu Geheimniskrämern werden, son-
ern müssen die Bürgerinterressen an die erste Stelle rü-
ken. Die generelle Ausnahme für „Betriebs- und
eschäftsgeheimnisse oder sonstige wettbewerbsrele-
ante Informationen, die in ihrer Bedeutung für den Be-
rieb mit einem Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis ver-
leichbar sind“, ist nicht hinnehmbar, da sie den
nternehmen weitgehende Möglichkeiten zur Aus-
unftsverweigerung einräumt. Wir brauchen mindestens
ine Abwägung zwischen Informationsinteressen der
erbraucher und den „schutzwürdigen Interessen der
der des Dritten“, so wie sie bei den personenbezogenen
aten vorgesehen ist.
Der Geltungsbereich des Gesetzes muss sich über den
ereich des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches
inaus auf alle Produkte und Dienstleistungen erstre-
ken.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007 10355
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Es muss einen Informationsanspruch gegenüber Un-
ternehmen geben und eine Informationspflicht aufseiten
der Unternehmen. Es kann nicht angehen, dass eine in-
formationspflichtige Behörde eines Bundeslandes in ei-
nem konkreten Fall keine Auskunft geben kann, obwohl
die Informationen im Unternehmen vorliegen. Unterneh-
men arbeiten schließlich über die Landesgrenzen hin-
weg.
Es muss unbürokratische und kostenfreie Regeln zur
Antragstellung geben. Verbraucher, die einen Antrag auf
Informationsherausgabe stellen, und dann erstmal ein
bürokratisches Wunder erleben müssen – 8 Wochen Be-
arbeitungszeit, saftige Gebühren –: Das kann es nicht
sein.
Die Bezeichnung „Verbraucherinformationsgesetz“
ist Verbraucherirreführung. Dieses Verbraucherinforma-
tionsgesetz bleibt hinter dem Informationsfreiheitsgesetz
weit zurück.
Nachdem Bundespräsident Köhler das Gesetz ge-
stoppt hatte, hat die Bundesregierung für die rein for-
melle Änderung vier Monate Zeit verschwendet. Die
Zeit, Änderungsanträge zur Verbesserung zu machen
und die Anhörung durchzuführen, haben wir aber nun
auch noch. Dafür soll das Gesetz dann rasch an dem Tag
der Verkündigung in Kraft treten – und nicht erst Monate
später, wie die Koalition plant.
Anlage 19
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Einführung eines Alkoholverbots für Fahran-
fänger und Fahranfängerinnen (Tagesord-
nungspunkt 29)
Gero Storjohann (CDU/CSU): Das Gesetz zur Ein-
führung eines Alkoholverbots für Fahranfänger und
Fahranfängerinnen, das wir heute in abschließender Le-
sung beraten, leistet einen wichtigen Beitrag zur Erhö-
hung der Verkehrssicherheit auf Deutschlands Straßen.
Der ursprüngliche Gesetzentwurf der Bundesregie-
rung, den wir am 9. Mai im Verkehrsausschuss des Deut-
schen Bundestages beraten haben, enthält zwei Tatbe-
stände.
Er sah ein Verbot des Konsums alkoholischer Ge-
tränke bei der Fahrt und Verbot des Antretens der Fahrt
unter der Wirkung alkoholischer Getränke durch Fahr-
anfängern vor. Fahranfänger, die dagegen verstoßen,
müssen mit einem Bußgeld in Höhe von 125 Euro und
zwei Punkten beim Kraftfahrtbundesamt in Flensburg,
der Teilnahme an einem Aufbauseminar sowie der Ver-
längerung der Probezeit von zwei auf vier Jahre rechnen.
Der ursprüngliche Gesetzentwurf der Bundesregie-
rung sah ein absolutes Alkoholverbot für Fahrer und
Fahrerinnen während der Probezeit durch eine Ergän-
zung des Straßcnverkehrsgesetzes, des Güterkraftver-
kehrsgesetzes, der Fahrerlaubnis-Verordnung und der
Bußgeldkatalog-Verordnung vor. Hierzu ist von den Re-
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ierungsfraktionen CDU/CSU und SPD ein Änderungs-
ntrag eingebracht worden, mit dem Ziel, das absolute
lkoholverbot neben der Probezeit auch an die Alters-
renze von 21 Jahren zu binden.
Warum haben wir diesen Änderungsantrag in die Aus-
chussberatungen eingebracht? In der Bundesrepublik
eutschland haben Jugendliche ein überdurchschnittli-
hes Unfallrisiko im Straßenverkehr. Hauptverantwort-
ich dafür sind zum einen eine hohe Risikobereitschaft
nbesondere junger männlicher Fahranfänger sowie die
berschätzung der eigenen Fähigkeiten und zum ande-
en die noch mangelnde Fahrerfahrung.
Gerade bei Fahranfängern erhöht das Zusammentref-
en von Unerfahrenheit im Straßenverkehr und „Alkohol
m Steuer“ das ohnehin schon hohe Unfallrisiko dieser
ersonengruppe. Junge Fahrer und Fahrerinnen unter
1 Jahren sind überdurchschnittlich häufig unter Alko-
oleinfluss an Unfällen mit Personenschäden beteiligt.
o war im Jahr 2005 von jeweils 1 000 beteiligten Kraft-
ahrzeugführern an Unfällen mit Personenschaden in der
ltersgruppe der 18- bis 20-jährigen jeder 44. alkoholi-
iert. Im Vergleich dazu war dies bei den über 24-jähri-
en durchschnittlich nur jeder 27. Kraftfahrzeugführer.
Diese Zahlen resultieren einerseits teilweise daraus,
ass die Gruppe der unter 21-Jährigen die meisten Fahr-
nfänger und Fahranfängerinnen stellt. Andererseits be-
teht jedoch für junge Fahrer und Fahrerinnen darüber
inaus entwicklungsbedingt und wegen der alterstypi-
chen Freizeitgestaltung in besonderem Maße die Versu-
hung von Fahrten unter Alkoholeinfluss – ich spreche
ier insbesondere von den Fahrten nach Besuchen von
iskotheken, die ein hohes Unfallrisiko bergen.
Junge Fahranfänger unterscheiden sich damit aufgrund
rer gesamten Lebenssituation von älteren Fahranfän-
ern. Zudem sind junge Fahranfänger im Gegensatz zu äl-
eren gruppendynamischen Aspekten unterworfen. Au-
erdem werden die Gefahren von Alkohol im
traßenverkehr in dem Lebensabschnitt vom 18. bis zum
1. Lebensjahr häufig verharmlost – wir sehen dies ge-
ade aktuell bei der Diskussion um ein Verbot der soge-
annten Flat-Rate-Partys, die mit einem erheblichen Al-
oholkonsum einhergehen. Daher halten wir von der
DU/CSU-Bundestagsfraktion die Einführung eines Al-
oholverbots beim Führen eines Kraftfahrzeuges im
traßenverkehr für Fahranfänger in der Probezeit und
or Vollendung des 21. Lebensjahres im Interesse der
erkehrssicherheit für sinnvoll. Es ist davon auszuge-
en, dass nach einer mindestens dreijährigen Übung der
trikten Trennung von Fahren und Alkoholkonsum bei
ungen Fahranfängern und Fahranfängerinnen ein Erzie-
ungs- und Gewohnheitseffekt eintritt, der sich auf diese
ielgruppe positiv auswirkt. Ich begrüße es deshalb,
ass in den Ausschussberatungen eine breite Mehrheit
em Antrag der Regierungsfraktionen zugestimmt hat.
Durch die Ausdehnung des Alkoholverbots auf den
reis der Personen unter 21 Jahren wird zugleich eine
inheitliche und nachvollziehbare Regelung geschaffen,
ie nach Ansicht meiner Fraktion einen Fortschritt bei
er Verbesserung der Verkehrssicherheit bringt. Die
DU/CSU-Fraktion leistet damit nach der Einführung
10356 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007
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des Begleiteten Fahrens ab 17 erneut einen Beitrag zur
Minimierung des Unfallrisikos junger Fahrerinnen und
Fahrer. In Verbindung mit einem erhöhten Kontrolldruck
durch die Polizeivollzugsdienste der Länder erwarte ich
mir durch das Gesetz zur Einführung eines Alkoholver-
bots für Fahranfänger und Fahranfängerinnen eine ver-
kehrssicherheitsfördernde Wirkung. Ich plädiere an die-
ser Stelle darüber hinaus für eine europaweite
Einführung des Alkoholkonsumverbotes für Fahranfän-
ger.
Lassen Sie mich zusammenfassen: Durch vorliegende
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau
und Stadtentwicklung zu dem Gesetzentwurf der Bun-
desregierung wird ein absolutes Alkoholverbot für Fahr-
anfänger innerhalb der zweijährigen Probezeit einge-
führt; für junge Fahranfänger gilt dieses absolute
Alkoholverbot in der Probezeit und vor Vollendung des
21. Lebensjahres. In den gesetzlich normierten Zeiträu-
men ist es Fahranfängern mit Inkrafttreten des Gesetzes
untersagt, als Führer eines Kraftfahrzeuges im Straßen-
verkehr alkoholische Getränke zu sich zu nehmen oder
die Fahrt anzutreten, obwohl sie unter der Wirkung eines
solchen Getränkes stehen. Dies wird durch den neuen
§ 24 c Straßenverkehrsgesetz eindeutig geregelt. Für alle
anderen Verkehrsteilnehmer verbleibt es bei den beste-
henden gesetzlichen Regelungen.
Mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zum
Entwurf eines Gesetzes zur Einführung eines Alkohol-
verbots für Fahranfänger und Fahranfängerinnen in der
Fassung der heute zur Abstimmung stehenden Be-
schlussempfehlung des Verkehrsausschusses wird ein
wichtiger Schritt zur Verbesserung der Verkehrssicher-
heit in Deutschland getan. Die CDU/CSU-Fraktion wird
dieser Beschlussempfehlung daher zustimmen.
Heidi Wright (SPD): Der Gesetzentwurf zur Einfüh-
rung eines Alkoholverbots für alle Fahranfänger und
Fahranfängerinnen, mit dem § 24 StVG geändert wird,
und über den wir heute in zweiter und dritter Lesung ab-
stimmen, hat große Einigkeit bei den Fraktionen erzielt.
Lediglich die FDP hat nun einen Schwenk vollzogen und
entzieht der Gesetzesänderung ihre Gunst. Das Alkohol-
verbot ist ein wichtiger Schritt, es ist ein Baustein zur
Reduzierung von Alkoholunfällen, und es ist ein richti-
ges Signal: Alkohol und Fahren sind absolut nicht ver-
einbar.
Wie unvereinbar, zeigen auch die Ergebnisse einer
speziellen Erhebung des Statistischen Bundesamtes, auf
die der ACE Auto Club Europa erst vor wenigen Tagen
hingewiesen hat: Demnach stellt der Himmelfahrtstag
– bundesweit auch bekannt als „Vatertag“ und gefeiert
als feucht-fröhlicher Männerwandertag – seit Jahren
traurige Rekordwerte auf: 2006 registrierte die Polizei
bundesweit insgesamt 383 Unfälle, bei denen jeweils
mindestens ein Beteiligter unter Alkoholeinfluss stand.
Insgesamt gab es dabei 251 Unfallopfer, fünf Menschen
starben, 246 wurden verletzt. An allen anderen Tagen in
2006 registrierte die Polizei im Schnitt „nur“ 140 Alko-
holunfälle. Das ist ein Anstieg auf fast das Dreifache!
Schon in den Jahren zuvor hatte sich „Himmelfahrt“ als
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reignis mit den meisten Verkehrsunfällen wegen be-
runkener Fahrer erwiesen. So ereigneten sich 2005
81 Alkoholunfälle – „normaler“ Tagesdurchschnitt 146 –,
004 hatte es sogar noch 458 Alkoholunfälle gegeben,
agesdurchschnitt 142. Ich wiederhole: Alkohol und
ahren sind absolut nicht vereinbar.
Das Alkoholverbot für Fahranfänger ist schlüssig und
onsequent. Gerade bei Fahranfängern wird das ohnehin
ohe Unfallrisiko durch einen oft verhängnisvollen Mix
us mangelnder Erfahrung im Straßenverkehr, Selbst-
berschätzung und Alkohol am Steuer noch erhöht.
Es ist richtig, dass der Gesetzentwurf auf die Festle-
ung einer Promillegrenze verzichtet hat, weil damit
erhindert werden soll, dass sich Fahranfänger an diese
renze „herantrinken“. Es ist auch richtig, dass der
esetzgeber keine Promillezahl nennt, sondern den Al-
oholgenuss während des Führens eines Kraftfahrzeuges
bsolut untersagt.
Einigkeit in den Beratungen bestand auch über die
otwendigkeit verstärkter polizeilicher Kontrollen.
enn ein neues, wenn auch gutes Gesetz ersetzt keines-
egs die präventive Abschreckung durch flächen-
eckende polizeiliche Kontrolle. Frankreich und Öster-
eich sollten uns hier als Vorbilder dienen, denn sie
achen uns vor, dass konsequentere Kontrollen und
rastischere Bußgelder viele Fahrer davon abhalten kön-
en, sich alkoholisiert ans Steuer zu setzen. Dies schützt
icht nur potenzielle Verkehrsopfer, sondern auch sie
elbst. Zu Recht weist bei uns die Gewerkschaft der
olizei immer wieder darauf hin, dass ein Alkoholverbot
ur dann Sinn macht, wenn es ausreichend kontrolliert
ird. Das jahrelange personelle Ausbluten der polizeili-
hen Verkehrsüberwachung lässt deshalb bei den Verant-
ortlichen Zweifel aufkommen, ob sich der erwünschte
ffekt einer Verringerung der Pkw-Unfälle junger Fahr-
nfänger unter Alkoholeinfluss sehr schnell einstellen
ird. Die Länder sind daher dringlich aufgefordert, die
eue Gesetzesregelung durch erhöhten Kontrolldruck zu
nterstützen.
In den Beratungen wurde von einigen Kolleginnen
nd Kollegen darauf hingewiesen, dass über eine konse-
uentere polizeiliche Kontrolle hinaus weitere flankie-
ende Maßnahmen zur Reduzierung der Alkoholunfälle
otwendig seien. Dazu gehöre die Diskussion über den
mgang mit Alkohol. Dem stimme ich voll und ganz zu.
enn das Problem ist bereits so gravierend, dass eine
abuisierung unverantwortlich wäre.
Am 23. Mai 2007, also erst gestern, hat die „Berliner
eitung“ auf die erschreckenden Ergebnisse einer
egleitforschung des Prognos-lnstituts zu einem Anti-
lkohol-Modellprojekt der Bundesregierung hingewiesen.
iese Ergebnisse belegen den exzessiven Alkoholkon-
um von Jugendlichen und Kindern. Dies muss uns auf-
orchen lassen.
Gewiss: Unser Thema ist hier nicht das „Komasaufen“.
ber diese Ergebnisse fordern auch uns Verkehrspolitiker
eraus, denen an einer weiteren Verbesserung der Ver-
ehrssicherheit gelegen ist. Auch die Drogenbeauftragte
er Bundesregierung sprach von einem wachsenden Pro-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 24. Mai 2007 10357
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blem, dem man nicht tatenlos zusehen dürfe und verwies
auf das 2003 von der Bundesregierung gestartete Projekt
„Halt“, in dessen Rahmen Betroffene beraten und Präven-
tionsaktionen organisiert werden. Mit Jugendlichen muss
es an Schulen und Fahrschulen Gespräche geben. Betrof-
fene Jugendliche dürfen nicht alleingelassen oder einer
weitverbreiteten Gruppendynamik überlassen werden.
Es geht hier nicht darum, Jugendliche und Kinder zu
stigmatisieren. Alkoholmissbrauch ist ein Problem der
ganzen Gesellschaft, also auch vieler erwachsener Ver-
kehrsteilnehmer. Diesem Umstand hat der Gesetzent-
wurf auch Rechnung getragen, indem bei dem Alkohol-
verbot jegliche Altersbeschränkung entfallen ist. Denn
auch ältere Fahranfänger sind häufig an Alkoholunfällen
mit Personenschaden beteiligt. Immerhin beträgt ihr An-
teil 11,7 Prozent der gesamten Gruppe der Fahranfänger.
Weil aber junge Fahranfänger unter 21 Jahren über-
durchschnittlich häufig unter Alkoholeinfluss an Unfällen
mit Personenschäden beteiligt sind, haben wir eine Än-
derung in das Gesetz aufgenommen: Das absolute Alko-
holverbot wird sowohl an die Probezeit gebunden als
auch an die Altersgrenze „bis zur Vollendung des 21. Le-
bensjahres“. Damit verbindet sich die Hoffnung, dass
nach einer mindestens dreijährigen Übung der strikten
Trennung von Fahren und Alkoholkonsum bei den jungen
Fahranfängern ein „Erziehungs- und Gewohnheitsef-
fekt“ eintritt, der sich dann positiv auf diese Zielgruppe
auswirkt.
Der seit langem beobachtete Rückgang der Unfall-
zahlen und insbesondere der Zahl der Unfalltoten im
Straßenverkehr hat sich auch 2006 fortgesetzt – trotz
verdreifachtem Fachzeugbestand und trotz verdreifach-
ter Jahresfahrleistung. Diese positive Entwicklung ist
Folge vieler Maßnahmen der letzten Jahre: Absenkung
der Promillegrenze auf 0,5 Prozent, begleitetes Fahren,
Aufklärungs- und Verkehrssicherheitskampagnen, Ein-
führung umfassender Verkehrsregelungen, aber auch Op-
timierung der Rettungsorganisationen, straßenbauliche
Maßnahmen, Verbesserungen der passiven Sicherheit in
Fahrzeugen und vieles mehr.
Wenngleich historischer Tiefststand seit Einführung
der Unfallstatistik: Jedes Todesopfer im Straßenverkehr
ist ein Todesopfer zu viel; ganz bedrückend ist die hohe
Anzahl der verletzten Verkehrsteilnehmer. Deshalb sind
weiter reichende Maßnahmen angesagt. Die Entschei-
dungen, die wir zur nachhaltigen Verbesserung des Ver-
kehrsklimas und der Verkehrssicherheit treffen können,
müssen mutiger sein. Ziel der Verkehrssicherheitsarbeit
muss sein: Vision Zero, null Verkehrstote.
Alkoholkonsum ist eine der Hauptursachen des
Unfallgeschehens. Die absolute Hauptunfallursache ist
jedoch unangepasste, also zu hohe Geschwindigkeit. Der
Verkehrsminister hat diesen Aspekt genau vor vier
Wochen, anlässlich der Eröffnung der Internationalen
Woche der Verkehrssicherheit vom 23. bis 29. April
2007, selbst in den Vordergrund gestellt.
Auch bei den von jungen Fahranfängern verursachten
Unfällen steht an der Spitze die überhöhte, nicht ange-
passte Geschwindigkeit. Das Statistische Bundesamt listet
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as Unfallgeschehen der 18- bis 24-Jährigen in 2005 auf:
ach Feststellungen der Polizei fuhr fast jeder vierte der
0 313 unfallbeteiligten Pkw-Fahrer dieser Alters-
ruppe, 22 Prozent, zu schnell. Mit weitem Abstand
olgten die Unfallursachen „Abstandsfehler“, 11 Pro-
ent, sowie „Vorfahrt-/Vorrangfehler“, 10 Prozent der
nfallbeteiligten. Die weiteren Unfallursachen waren
Abbiegefehler“, 6,2 Prozent. Erst dann folgt Alkohol-
influss mit 4,7 Prozent der Unfallbeteiligten.
Wie groß der Handlungsdruck angesichts des vorherr-
chenden aggressiven Verkehrsklimas ist, zeigen die
ussagen einer Pressemitteilung des Bundesverkehrsmi-
isteriums vom 22. April 2007:
Vor allem junge männliche Führerschein-Neulinge
sind die größte Problemgruppe. Über 80 Prozent
der Verkehrsteilnehmer empfinden das Verkehrs-
klima generell als rücksichtslos und immer rauer.
Deshalb müssen wir große Anstrengungen unter-
nehmen, um das Klima auf unseren Straßen zu ver-
bessern und das Miteinander im Straßenverkehr zu
stärken. … Größe zeigt, wer auch mal den Fuß vom
Gas nimmt …
Keiner bestreitet, dass wir gute Entwicklungen der
traßenverkehrssicherheit haben. Das ist aber kein Grund,
eit unter unseren Möglichkeiten zu deren weiteren Ver-
esserung zu bleiben. Vernünftig wäre die Ausschöpfung
ller möglichen Optionen.
Eine weitere Option wäre ein allgemeines Tempolimit
uf Bundesautobahnen. Das Thema stand heute eben-
alls auf der Tagesordnung des Deutschen Bundestages –
it der Beratung von zwei Anträgen der Opposition zur
inführung eines generellen Tempolimits von 120 Kilo-
eter pro Stunde bzw. 130 Kilometer pro Stunde auf
eutschen Autobahnen. Eine solche europäisch harmoni-
ierte Regelung sucht in Deutschland wohl noch nach ei-
er gesellschaftlichen und insbesondere politischen
ehrheit und Akzeptanz. Deutschland, in der Mitte ei-
es vereinigten Europa und als Transitland Nummer
ins, muss mit klaren Regelungen im Straßenverkehr
ufwarten. Eine davon ist das Alkoholverbot für Fahran-
änger. Weitere werden folgen.
Patrick Döring (FDP): Erlauben Sie mir eine Be-
erkung vorab: Die Behandlung des Gesetzentwurfs
urch das Parlament wird der Bedeutung dieses Alkohol-
erbots für Fahranfängerinnen und Fahranfänger sowie
lle Fahrer unter 21 Jahren nicht gerecht. Nach Auskunft
es Kraftfahrtbundesamts sind jedes Jahr über 670 000
ahranfänger jünger als 24 Jahre. Viele von ihnen erwer-
en den Führerschein bereits mit 18 Jahren. Bereits die
rste Lesung im Plenum fand am späten Abend statt.
ass die zweite und dritte Lesung auf der Tagesordnung
m 4.45 Uhr platziert wurde, halte ich für nicht angemes-
en. Das Thema ist zu wichtig, als dass jede Diskussion
arüber außerhalb der Öffentlichkeit allein in Hinterzim-
ern ausreichend wäre. Wer Akzeptanz für politische
ntscheidungen – zumal für Einschränkungen und Ver-
ote – erreichen will, der sollte diese auch öffentlich be-
ründen können. Ein schweigendes Parlament stellt sich
elbst in Frage und erzeugt bei den Betroffenen den Ein-
ruck von Gleichgültigkeit.
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Nun zum Inhaltlichen: In den Ausschussberatungen
hat die Koalition die Regelungen weiter verschärft. An-
statt die Dauer des Alkoholverbotes an der Dauer der
Probezeit zu orientieren, wie es die Bundesregierung vor-
gesehen hatte, wurde ein weiteres Kriterium eingefügt:
Nun sollen alle Fahranfänger unter 21 Jahren generell
vom Alkoholverbot betroffen werden, egal wann sie die
Fahrerlaubnis erworben haben.
Schaut man sich den Hauptanwendungsbereich dieser
Änderung an, stellt man fest, dass im Wesentlichen die
18-Jährigen von der Regelung betroffen sind. Denn sie
haben danach zwei Jahre Probezeit und drei Jahre Alko-
holprobezeit. Erwirbt ein 19-Jähriger dagegen den Füh-
rerschein erstmalig, bleibt es beim Parallellauf von Pro-
bezeit und Alkoholverbot.
Dass der 20-jährige Fahranfänger nach zwei Jahren
Probezeit grundsätzlich unvernünftiger ist als der
21-jährige, habe ich nirgendwo lesen können. Für den
Fall, dass sich die Koalition an dem Alter von 21 Jahren
orientiert haben sollte, weil die statistische Behandlung
von Unfallzahlen bei Fahranfängern zu Dreijahresstufen
neigt – was ich für sehr gut möglich halte – hätte ich es
begrüßt, wenn sich die Koalition etwas mehr Mühe mit
der Erforschung des statistischen Materials gegeben
hätte, anstatt eigene Informationsdefizite mit Verboten
zulasten der Bürger auszugleichen.
Aus diesem Material des Kraftfahrt-Bundesamts er-
gibt sich noch ein Hinweis: Die Probezeit für Fahranfän-
ger gilt unabhängig von dessen Alter. Mehr als
100 000 Menschen erwerben jährlich erstmals ihren
Führerschein im Alter von mehr als 24 Jahren. Diesen
jetzt ebenfalls ein Alkoholverbot aufzuerlegen, ist aus
Sicht der FDP weder sachgerecht noch vernünftig.
Nicht übertrieben ist es jedenfalls, von einem Sonder-
recht für 18-Jährige zu sprechen, das der in geänderter
Fassung vorliegende Gesetzentwurf statuiert. Es wird
eine Ungleichbehandlung geschaffen, von der ich nicht
glaube, dass sie überhaupt zur Verkehrssicherheit beiträgt,
sehr wohl aber zu einem Gefühl der Diskriminierung der
Jugendlichen. Von wem Sie erwarten, dass er mit 18 Jahren
– zum Teil auch schon mit 16 – wählen geht und andere
staatsbürgerliche Pflichten übernimmt, dem sollte man
auch die entsprechende Eigenverantwortung zubilligen.
Dem ursprünglichen Entwurf hätte die FDP – wenn
auch mit Bauchschmerzen – noch zustimmen können.
Obwohl die Freiheit und Eigenverantwortung der Fahr-
anfänger eingeschränkt wurde, war der Regierungs-
entwurf ein Schritt in die richtige Richtung zu mehr Ver-
kehrssicherheit. Nun überwiegen aber durch die
Änderungen die Einschränkungen der Freiheit und vor
allem der Gleichbehandlung der Menschen. Denn es
kann nicht außer Acht bleiben, dass allein die Schaffung
neuer Verbote nur ein minimaler Beitrag zu mehr Ver-
kehrssicherheit bedeuten kann. Viel wichtiger wäre es,
das bestehende Vollzugsdefizit anzugehen und die Kon-
trolle der vorhandenen Gesetze so zu gestalten, dass es
endlich unattraktiv wird, betrunken Auto zu fahren, weil
man sowieso nicht unentdeckt zu Hause ankommt. Von
diesem Zustand sind wir leider weit entfernt.
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Dafür spricht auch, dass das eigentliche Problem – das
st nichts Neues – in einem ganz anderen Promillebe-
eich irgendwo über 1,0 liegt und hier der Verdacht von
ymbolpolitik aufkommt. Wie so oft, wenn man mit Ka-
onen auf Spatzen schießt.
In Zeiten, in denen sich Jugendliche zu Tode trinken,
erden wir allein mit Verboten nicht weit kommen. Die
ochprozentigen Alkoholika, die einige Jugendliche
eute konsumieren, sind für sie auch verboten. Wir brau-
hen ein Umdenken in der Gesellschaft – zum Thema
lkohol insgesamt und besonders zum Thema Alkohol
m Straßenverkehr. Wer mit seinen erfolgreichen oder
uch missglückten Trunkenheitsfahrten prahlt und dafür
och nicht einmal Widerspruch erntet, der lebt der jungen
eneration einen leichtfertigen Umgang mit Alkohol im
traßenverkehr vor. Deshalb ist es so viel wichtiger, die
ufklärung und nicht die Verbote zu verbessern und den
erantwortungsbewussten Umgang mit Alkohol vorzule-
en. Zu beidem kann die Schule einen Beitrag leisten,
ie die Führerschein AG an niedersächsischen Schulen
eigt. Letztlich ist aber die Gesellschaft gefordert.
Ich möchte abschließend noch einige grundsätzliche
orte sagen: Es ist derzeit im Trend, an sich erlaubte
erhaltensweisen mit Einzelverboten irgendwie einzu-
chränken, gerade bei an sich legalen Drogen. Kaum
ine Woche vergeht ohne eine neue Verbotsforderung in der
ffentlichkeit. Manchmal kommen sie im Tagesrhythmus:
lkoholverbote, Rauchverbote, Musikhörverbote und
ndere Forderungen, über die man mal mehr und mal
eniger – sagen wir vorsichtig – überrascht ist. Daher ist
as „Alkoholverbot für Fahranfängerinnen und Fahran-
änger sowie Autofahrer unter 21 Jahren“ symptoma-
isch für die politische Aktivität nicht nur der Großen
oalition. Allein mit Verboten werden wir die ge-
ünschten und erwarteten Erfolge nicht haben. Daher
ird die FDP-Fraktion das Gesetz ablehnen.
Dorothée Menzner (DIE LINKE): Wir reden hier
eute eigentlich über zweierlei, einerseits über das
hema Alkohol, andererseits über das Thema Fahran-
änger. Beides zusammen in Kombination ist kein Rie-
enthema, sondern ein Riesenproblem, eines, bei dem es
ur eine Lösung geben darf: Wir müssen es lösen. Und
eshalb sagt die Linke uneingeschränkt Ja zu allen
chritten, die geeignet sind, dem Alkoholproblem entge-
enzusteuern. – Ja zu diesem Gesetz, und auch ein klares
a zur Einschränkung der Rechte junger Erwachsener,
peziell in diesem Falle, wozu ich erst am Schluss mei-
es Beitrags ein paar Worte sagen möchte.
Dem Alkoholproblem als psychologischem Problem
llein mit Gesetzen beikommen zu wollen, greift zu
urz. Die rechtlichen Einschränkungen, die vorgenom-
en werden, sind politisch eine Beruhigungspille. Wer
enkt, damit sei alles getan, irrt sich gewaltig. Um ein
roblem zu lösen, bedarf es immer erst der Ursachenfor-
chung. – Damit meine ich natürlich nicht, jenen im Par-
ament so beliebten Hebel, Gutachten und Experten zu
ören, um zu Lösungen zu kommen! Wir wissen näm-
ich schon längst, wo die Ursachen des um sich greifen-
en Alkoholkonsums liegen. Zunehmende Perspektivlo-
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sigkeit und zunehmender Leistungsdruck in einer
Spaßgesellschaft – das sind die Ursachen!
Anderen etwas vorzumachen, das treibt Menschen zu
mehr Sein als Schein und dazu, den persönlichen Aus-
nahmezustand im „Alkoholpegel“ zu ertränken. Beim
jugendlichen Alkoholkonsum kommt aber noch etwas
dazu: Hier wird der Notstand der einen in einer sich in
Völlerei verlierenden Wohlstandsgesellschaft zur Zapf-
säule. Die Getränkebranche und findige Gaststätten-
betreiber nutzen den vermeintlichen Kult, Sinne zu
vernebeln, für Renditezwecke. Beide machen damit Rie-
sengeschäfte. Wir müssen gezielt etwas dagegen unter-
nehmen!
Vielleicht fällt uns allen noch etwas ein. Ich möchte
fürs Erste hier nur eine Feststellung treffen: Bei vielen
– und beileibe nicht nur bei Jugendlichen – führt die Su-
che nach Wohlergehen mit Schwipps zum ersten Rausch.
Und wenn später nur noch der Rausch gesucht wird,
dann sind wir bei Sucht. Diesen Mechanismus, der in un-
serer Gesellschaft ausgenutzt und zu einem inszenierten
Spiel wird, gilt es zu durchbrechen.
Nun zu den jungen Erwachsenen: Ob wir wollen oder
nicht, wir behandeln hier die jungen Erwachsenen, also
diejenigen zwischen 18 und 21, anders als die älteren.
Die Bewährungsfrist, die für Fahranfänger ansonsten
zwei Jahre dauert, ist damit nur für die jüngeren Erwach-
senen, um eine kurze Zeitspanne verlängert.
Ich sehe darin durchaus eine Beschneidung der
Rechte von Menschen, die volljährig sind und uneinge-
schränkte Freiheit haben. Mir fällt diese Freiheitsbe-
schneidung nicht leicht!
Aber angesichts der Freiheit, die es zulässt, durch Al-
kohol und jugendlichen Übermut Leben aufs Spiel zu
setzen und für immer zu vernichten, halte ich in diesem
Falle eine Freiheitsbeschneidung für hinnehmbar.
Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
„Alkohol hat am Steuer nichts zu suchen!“ Darin sind
wir uns, was bei verkehrspolitischen Fragen selten vor-
kommt, alle einig – mit Ausnahme der FDP. Das F in ih-
rem Kürzel steht offenbar immer noch für „freie Fahrt
für freie Bürger“. Des Deutschen liebstes Kind – oft zum
Schaden unserer Menschenkinder – sind unsere Autos,
und die müssen fahren, möglichst schnell, überall und
ohne Einschränkungen. Denn das Fahren muss Spaß ma-
chen. Nur bei Alkohol hört der Spaß auf. Das hat zumin-
dest die Bundesregierung verstanden, weshalb sie zu-
mindest Fahranfängern das Fahren im Straßenverkehr
unter Alkoholeinfluss verbieten will.
Die FDP-Fraktion sieht eher ein Vollzugsdefizit als
ein Regelungsdefizit. Ich frage Sie, warum Sie das Voll-
zugsdefizit nicht beseitigen. Schließlich regieren Sie in
einigen Bundesländern mit. Vollzugsdefizite gehen an
die Adresse der Länder.
Wer beim Alkohol auf privatisierte Eigenverantwort-
lichkeit setzt, der nimmt die Gefahren in Kauf, die allzu
oft mit dem Leben anderer bezahlt werden. Schwere Un-
fälle würden vor allem von Fahrern verursacht, deren
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lutalkoholkonzentration bei 1,0 Promille liege, wie die
DP feststellt. Sie übersehen, dass Unaufmerksamkeit
chon bei 0,2 Promille je nach Körpergröße und Konsti-
ution beginnt. Des Deutschen liebstes Kind ist zu zäh-
en. Dazu gehören auch stärkere Kontrollen, höhere
ußgelder und die Ausschöpfung des Strafrahmens, um
ie Wirksamkeit des Alkoholverbotes für Fahranfänge-
innen und Fahranfänger zu verstärken. Wir unterstützen
uch die Einfügung der Altersgrenze „21. Lebensjahr“,
m die Lücke, die beim Übergang vom Erwerb der Fahr-
rlaubnis für Krafträder (A1) zur Pkw-Fahrerlaubnis (B)
ntstehen kann, zu schließen. Gleiches gilt für Modell-
ersuche des „begleiteten Fahrens“, wobei die Prüfungs-
escheinigung meistens mit 17 Jahren ausgehändigt
ird.
Wir wollen jedoch mehr. Wir wollen ein generelles
lkoholverbot für alle, damit die sogenannten Erwach-
enen, die oft mit schlechten Beispielen vorangehen,
icht weiterhin sich und Unbeteiligten unnötigen Gefah-
en aussetzen. Das führt nicht nur zu mehr Verkehrs-
icherheit; es beseitigt auch den Wirrwarr, der bei unse-
en Bürgerinnen und Bürgern festzustellen ist: Wie viel
lkohol darf’s denn sein, um keine Punkte in Flensburg
u bekommen? Ab wann muss ich wie viel Bußgeld zah-
en, auch wenn ich keinen Unfall verursacht habe? Und
as ist, wenn ich bei 0,3 Promille fahrunsicher bin und
inen Unfall verursache? Eine groteske Situation: Wie
iel darf ich trinken, um leer auszugehen, wenn ich er-
ischt werde? Darum geht es sicher nicht, sondern es
eht um mehr Verkehrssicherheit auf deutschen Straßen,
nd das für alle. Daher fordere ich die Bundesregierung
uf, endlich zu handeln und ein Alkoholverbot für alle
uf den Weg zu bringen.
Achim Großmann, Parl. Staatssekretär beim Bun-
esminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Ich
reue mich, dass wir heute mit der zweiten und dritten
esung des Gesetzentwurfs zur Einführung eines absolu-
en Alkoholverbots für Fahranfänger und Fahranfänge-
innen endlich das dringend benötigte Signal schaffen
önnen: Du hast getrunken? Dann Hände weg vom
teuer! Dies wird Fahranfängern und Fahranfängerinnen
it dem Alkoholverbot, über dessen Einführung wir
eute beraten, deutlich vermittelt. Das Signal ist notwen-
ig. Denn bei mangelnder Erfahrung im Straßenverkehr
ind Leistungsgrenzen rasch erreicht, und auch geringe
engen Alkohol am Steuer sind damit schnell zu viel.
enn Unerfahrenheit und Alkohol aufeinandertreffen,
st die Folge ein gefährlicher Risikococktail.
Dabei haben wir die Regelung bewusst auf alle Fahr-
nfänger und Fahranfängerinnen – ob jung oder alt –
rstreckt. Denn auch ältere Fahranfänger und Fahranfän-
erinnen sind überdurchschnittlich häufig in alkoholbe-
ingte Verkehrsunfälle verwickelt.
Bei jungen Fahrern und Fahrerinnen kommt noch ein
eiterer Risikofaktor hinzu: Entwicklungsbedingt und
or allem wegen der alterstypischen Freizeitgestaltung
Stichwort: nächtliche Diskobesuche – unterliegen jun-
e Fahrer und Fahrerinnen in besonderem Maße der Ver-
uchung von Fahrten unter Alkoholeinwirkung. Eine
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Ausweitung des absoluten Alkoholverbots auf alle Fah-
rer und Fahrerinnen, die das 21. Lebensjahr noch nicht
vollendet haben, ist daher durchaus sinnvoll und stützt
dieses neue Instrument zur Verbesserung der Verkehrssi-
cherheit.
Das Vorhaben ist ein wichtiger Baustein unserer bun-
desweiten Verkehrssicherheitskampagne, mit der wir uns
unter dem Motto „Hast du die Größe? Fahr mit Verant-
wortung“ direkt an die im Straßenverkehr besonders ge-
fährdete Zielgruppe der jungen Fahrer und Fahrerinnen
richten. Wir setzen auf zweierlei: Zum einen wollen wir
in einer breitangelegten Kommunikationsstrategie junge
Fahrer und Fahrerinnen stärker für die Gefahren von
Leichtsinn, Selbstüberschätzung, Alkohol- und Drogen-
missbrauch im Straßenverkehr sensibilisieren. Gleich-
zeitig gilt es, jungen Fahrern und Fahrerinnen klare Re-
geln zu setzen. Denn nur beides zusammen – Aufklärung
und Orientierung – bewegen junge Fahrer und Fahrerin-
nen dauerhaft zu einem verantwortungsvollen Fahren
auf unseren Straßen.
Was bedeutet das Alkoholverbot für die jungen sowie
die unerfahrenen Fahrer und Fahrerinnen konkret? Nun,
für sie ist es künftig absolut tabu, als Führer oder Führe-
rin eines Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr alkoholische
Getränke zu sich zu nehmen oder die Fahrt anzutreten,
obwohl sie noch unter der Wirkung eines alkoholischen
Getränks stehen. Denn zu einem verantwortungsvollen
tränke vor und während der Fahrt. Um die Signalwir-
kung zu erhöhen und ein Trinken an Grenzwerte heran
auszuschließen, kommt es nicht darauf an, ob im Einzel-
fall die Leistungsfähigkeit des Betroffenen konkret be-
einträchtigt war. Dies gilt für beide Tatbestandsalternati-
ven.
Auch bei der zweiten Handlungsalternative gilt, dass
schon die Zusichnahme einer geringen Alkoholmenge
für eine Tatbestandsverwirklichung ausreicht, wenn sie
so groß ist, dass die Alkoholkonzentration bei Fahrtan-
tritt noch in nennenswertem Umfang, also nicht nur im
Spurenbereich, im Körper der Betroffenen vorhanden
ist. Dies kann durch Aussagen von Polizeibeamten oder
anderen Zeugen nachgewiesen werden.
Die vorgesehenen Rechtsfolgen wahren, wie wir mei-
nen, das rechte Maß. So hat die einmalige Zuwiderhand-
lung in der Regel eine Geldbuße in Höhe von 125 Euro
und die Eintragung von zwei Punkten im Verkehrszen-
tralregister zur Folge. Gegebenenfalls verlängert sich
auch die Probezeit um weitere zwei Jahre, und es kann
ein besonderes Aufbauseminar mit den entsprechenden
Kosten, die über dem durchschnittlichen Bußgeld liegen,
angeordnet werden. Die Sanktion verbleibt damit im un-
teren, aber trotzdem spürbaren sanktionsrechtlichen Be-
reich.
Ich bin überzeugt, dass wir mit dem vorliegenden Ge-
Fahren gehört für Fahranfänger und Fahranfängerinnen,
nach einem Glas Alkohol deutlich Nein zu sagen, das
heißt sich nicht ans Steuer zu setzen, auch wenn Freunde
sie hierzu drängen.
In der Regelung stellen wir ab auf den Konsum – das
heißt: die Handlung des Trinkens – alkoholischer Ge-
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etzentwurf zur Einführung eines Alkoholverbots für
ahranfänger und Fahranfängerinnen einen deutlichen
ückgang alkoholbedingter Unfälle im Straßenverkehr
ewirken können. Im Interesse der Fahranfänger und
ahranfängerinnen wie auch im Interesse der Verkehrssi-
herheit bitte ich Sie um Zustimmung zu diesem Gesetz.
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100. Sitzung
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Inhalt:
Redetext
Anlagen zum Stenografischen Bericht
Anlage 1
Anlage 2
Anlage 3
Anlage 4
Anlage 5
Anlage 6
Anlage 7
Anlage 8
Anlage 9
Anlage 10
Anlage 11
Anlage 12
Anlage 13
Anlage 14
Anlage 15
Anlage 16
Anlage 17
Anlage 18
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