Anlage 16
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007 9627
(A) )
(B) )
LINKE) (93. Sitzung, Drucksache 16/5046, Frage 2): ner Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaft gelebt, 173 000 mehr
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
Anlage 2
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Hartmut Schauerte auf die
Frage der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann (DIE
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Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
Ahrendt, Christian FDP 26.04.2007
Bareiß, Thomas CDU/CSU 26.04.2007
Dr. Bartsch, Dietmar DIE LINKE 26.04.2007
Blumentritt, Volker SPD 26.04.2007
Brüning, Monika CDU/CSU 26.04.2007
Goldmann, Hans-
Michael
FDP 26.04.2007
Großmann, Achim SPD 26.04.2007
Hasselfeldt, Gerda CDU/CSU 26.04.2007
Hintze, Peter CDU/CSU 26.04.2007
Hoppe, Thilo BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
26.04.2007
Kasparick, Ulrich SPD 26.04.2007
Dr. Krings, Günter CDU/CSU 26.04.2007
Dr. Lauterbach, Karl SPD 26.04.2007
Leutert, Michael DIE LINKE 26.04.2007
Merten, Ulrike SPD 26.04.2007
Dr. Priesmeier, Wilhelm SPD 26.04.2007
Dr. Schavan, Annette CDU/CSU 26.04.2007
Schily, Otto SPD 26.04.2007
Steenblock, Rainder BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
26.04.2007
Teuchner, Jella SPD 26.04.2007
Wellenreuther, Ingo CDU/CSU 26.04.2007
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Anlagen zum Stenografischen Bericht
Anhand welcher konkreter Qualitätskriterien misst die
Bundesregierung die Innovationskraft und die Ausstrahlkraft
von wirtschaftlichen Clustern in die sie umgebenden ländli-
chen Räume, und welche Beispiele gibt es hierfür in den ost-
deutschen Bundesländern?
In einem marktwirtschaftlichen Wirtschaftssystem sollte
ich die öffentliche Hand aus direkten Bestimmungen
er Marktentwicklungen weitestgehend heraushalten
nd die Strukturbildungen den Akteuren des Marktge-
chehens überlassen. Es ist nicht Aufgabe der Bundesre-
ierung, deren Innovations- und Ausstrahlungskraft zu
essen und Cluster aus dem Nichts entstehen zulassen,
ie Bundesregierung beschränkt sich daher auf den Ab-
au von Wettbewerbsnachteilen und strukturellen Defi-
iten durch die Schaffung günstiger Rahmenbedingun-
en für die Entwicklung von Clustern. Dabei darf der
brige ländliche Raum nicht ins Hintertreffen geraten.
ie Bundesregierung geht jedoch in Anlehnung an die
issenschaftliche Literatur davon aus, dass sich Cluster
ufgrund der geografischen Konzentrationen von mitei-
ander verbundenen Unternehmen und Institutionen
insbesondere Forschungseinrichtungen und Hochschu-
en) in bestimmten Wirtschaftssegmenten (Branche oder
echnologie), die miteinander im Wettbewerb stehen
nd gleichzeitig auch kooperieren, durch ein überdurch-
chnittliches wirtschaftliches und wissenschaftliches
achstum sowie durch eine Ausstrahlkraft in andere Re-
ionen auszeichnen wie beispielsweise im Bereich der
ikrosystemtechnik der Chip-Standort Dresden. Ziel
er Schaffung günstiger Rahmenbedingungen für die
ntwicklung von Clustern ist es auch, dass sich Cluster
ach Möglichkeit in ausreichender regionaler Dichte bil-
en können sowie sie darin zu unterstützen, eine natio-
ale wie internationale Sichtbarkeit zu erlangen.
nlage 3
Zu Protokoll gegebene Rede
zur Beratung des Antrags: Ermäßigung des
Mehrwertsteuersatzes für Produkte und Dienst-
leistungen für Kinder auf 7 Prozent (Tagesord-
nungspunkt 8)
Dr. Gerhart Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
ir beraten heute einen Antrag der Linksfraktion, in dem
iese fordert, den Mehrwertsteuersatz für Produkte und
ienstleistungen für Kinder auf 7 Prozent zu senken. Ziel
er Initiative: Die Kinderarmut in Deutschland soll be-
ämpft werden. Die Linke hat wie so oft ein richtiges
nliegen mit einem populistischen Antrag auf die Tages-
rdnung des Plenums gehoben. In der Analyse stimmen
ir sicherlich alle überein: Es gibt zu viele arme Kinder in
eutschland, und was erschreckend ist es werden im-
er mehr, wie eine jüngst veröffentlichte Studie des Bre-
er Instituts für Arbeitsmarktforschung und Jugendbe-
ufshilfe zeigt. 2006 haben im Jahresdurchschnitt fast
Millionen Kinder unter 15 Jahren von Sozialgeld in ei-
9628 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007
(A) )
(B) )
als im Jahr davor. Das ist fast jedes sechste Kind. An der
Spitze des Zuwachses steht mit fast 13 Prozent mein Hei-
matbundesland Baden-Württemberg. Hier wird nach dem
Motto gehandelt: Wir können alles außer Kinder aus der
Armut raushalten. Das alles ist ein Skandal. Diese Ana-
lyse der Linksfraktion teilen wir.
Nun könnte man steuersystematisch argumentieren.
Das ist bei der Mehrwertsteuer allerdings schwierig,
denn ihre Erhebung folgt keiner überzeugenden Logik.
Sozialpolitische Steuerungsansätze, die Stärke von Lob-
bygruppen und EU-rechtliche Bestimmungen haben den
Mehrwertsteuerkatalog zu einem unübersichtlichen Re-
gelwerk werden lassen. Es gibt absurde Beispiele: Mine-
ralwasser wird voll besteuert, Leitungswasser nicht,
Hausschweine und Trüffel ermäßigt, Wildschweine und
Süßkartoffeln voll die Liste ließe sich beliebig fortset-
zen. Meine Fraktion hat bereits angeregt, die Mehrwert-
steuersystematik im Finanzausschuss grundsätzlich zu
diskutieren; es ist dringend notwendig.
Es stellt sich aber die Frage, ob der Schlüssel zu weni-
ger Kinderarmut in Deutschland wirklich bei der Mehr-
wertsteuer liegt und nicht bei der Kinderbetreuung.
Denn eine Ermäßigung an dieser Stelle bedeutet keines-
wegs, dass die Preise sinken. Sie würde der Handel mög-
licherweise konstant halten, seine Gewinnmarge würde
hingegen steigen. Kinderarmut wird aber nicht verrin-
gert, indem man die Gewinne der Anbieter von Kinder-
kleidung und Windeln erhöht.
Wir setzen die Prioritäten anders. Für uns stehen bes-
sere Angebote zur Kinderbetreuung bei der Bekämpfung
der Kinderarmut im Vordergrund. Alleinerziehende Müt-
ter und Väter und ihre Kinder haben das größte Risiko,
in die Armutsfalle zu geraten. Besonders die Union for-
dert, sie sollen flexibel dem Arbeitsmarkt zur Verfügung
stehen, auch weite Wege zur Arbeitsstelle in Kauf neh-
men. Viele sind dazu bereit wenn die Kinderbetreuung
gesichert wäre. Bessere Kinderbetreuungseinrichtungen
können übrigens nicht nur Alleinerziehende gut gebrau-
chen. Gäbe es in Deutschland mehr Zweiverdienerfami-
lien, würde das Armutsrisiko für Kinder sinken. Denn
wenn beide Eltern verdienen, ist das Risiko, im Falle
von Arbeitslosigkeit eines Elternteils in Armut zu lan-
den, weit geringer, als wenn die ganze Familie von nur
einem Verdiener abhängig ist.
Besonders in den westdeutschen Flächenländern ist
das Betreuungsangebot aber armselig. Hier muss die
Bundesregierung in dieser politischen Gemeinschafts-
aufgabe von Bund und Ländern dringend handeln; es
darf nicht noch mehr Zeit verschwendet werden. Warum
an dieser Stelle nicht endlich mal durchregieren und
gemeinsam mit den Ländern etwas tun gegen die Kinder-
armut in Deutschland? Stattdessen liefern SPD und
Union völlig unvereinbare Finanzierungsideen. Die Kon-
servativen wollen frisches Geld in die Hand nehmen, die
Sozialdemokraten bestehendes umschichten. Ja, was
denn nun?
Wir Grünen haben schlüssige Finanzierungskonzepte
vorgelegt. Allein schon das verfassungskonforme Ab-
schmelzen eines Teils des Ehegattensplittings in Höhe
von insgesamt 20 Milliarden Euro würde der öffentlichen
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and genügend Spielraum verschaffen, um die Kinder-
etreuung deutlich auszubauen. Stattdessen steckt der
taat das Geld bisher lieber in die Förderung möglichst
roßer Einkommensunterschiede bei Verheirateten. Un-
er Vorschlag der Individualbesteuerung würde 5 Milliar-
en Euro bringen. Damit könnte man eine Menge gegen
ie Kinderarmut in Deutschland tun.
nlage 4
Zu Protokoll gegebene Rede
zur Beratung:
Entwurf eines Gesetzes zur Einrichtung des
Deutschen Ethikrats (Ethikratgesetz
EthRG)
Beschlussempfehlung und Bericht zu den
Anträgen:
Einsetzung eines Ethik-Komitees des
Deutschen Bundestages
Einrichtung eines Parlamentarischen Bei-
rates für Bio- und Medizinethik
Antrag: Einrichtung eines Parlamentari-
schen Beirates zu Fragen der Ethik insbe-
sondere in den Lebenswissenschaften
(Ethikbeirat)
(Tagesordnungspunkt 11 a bis c)
Uwe Barth (FDP): Wir schließen heute eine sehr
ichtige Debatte ab. Wir entscheiden darüber, ob dem
eutschen Bundestag künftig ein unabhängiges und in-
erdisziplinär zusammengesetztes Sachverständigengre-
ium zur Beratung in Fragen mit starken ethischen As-
ekten zur Seite stehen wird. Mit fortschreitenden
issenschaftlichen Erkenntnissen werden die Möglich-
eiten für menschliche Handlungen, die man auch als
ingriffe in die Natur bezeichnen und verstehen kann,
mmer größer. Ethische Fragestellungen werden dabei
ine zunehmende Rolle spielen. Dies gilt sowohl auf me-
izinischem als auch auf naturwissenschaftlichem Ge-
iet.
Besonders wichtig für die Legitimation des Gre-
iums und gleichzeitig grundsätzlicher Unterschied
um Vorgängergremium ist die Benennung der Mitglie-
er durch das Parlament. Wenn beide Seiten, Legislative
nd Administrative je zur Hälfte die Mitglieder des
eutschen Ethikrats benennen, wird ein Geburtsfehler
es vormaligen Nationalen Ethikrates aus rot-grüner Re-
ierungszeit heute so nicht wiederholt. Der Deutsche
thikrat hat damit eine demokratische Legitimation.
Parlament und Bundesregierung brauchen für ihre Ar-
eit und für ihre Entscheidungsfindung unabhängige, be-
atende Gremien. Der Ethikrat ist ein Beratungsgremium
ür das Parlament. Er ist eben nicht ein Expertengre-
ium, das hinter verschlossenen Türen tagt, wie es ei-
ige Kollegen der Linken, Grünen und SPD vor einiger
eit formulierten. Der Ethikrat muss und wird sich in
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007 9629
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seiner Arbeit durch Transparenz und öffentliche Bericht-
erstattung auszeichnen.
Ich glaube, dass der Deutsche Ethikrat unabhängig ar-
beiten, sich Themen teils selbst setzen sowie Aufträge
von Parlament und Regierung entgegennehmen muss.
Da wir uns nicht selbst beraten wollen, ist eine ständige
Mitarbeit von Abgeordneten und Regierungsmitgliedern
im Ethikrat eben nicht notwendig.
Ich freue mich, dass meine Hinweise aus der ersten
Debatte Aufnahme in den nun vorliegenden Antrag fan-
den. So kann der Deutsche Ethikrat ein breites Aufga-
benfeld bearbeiten und ist eben nicht auf Lebenswissen-
schaften beschränkt. Es können ebenso angrenzende
Themen wie Patientenverfügung und Sterbehilfe be-
arbeitet und entsprechende Empfehlungen zur ethischen
Bewertung abgegeben werden. Mit dem Deutschen Ethik-
rat verfügen wir über ein Instrument der modernen
Politikberatung.
Klar ist aber auch: Der Deutsche Ethikrat wird eine
qualifizierte parlamentarische Debatte nicht ersetzen
können. Der Ort für politische Debatten ist das Parla-
ment. Wir als Abgeordnete müssen diese politische De-
batte im Plenum und den Ausschüssen führen. Es dürfen
eben nicht, wie bei Rot-Grün verstärkt geschehen, Dis-
kussionen um derart grundsätzliche Fragen in Räten, an
runden Tischen und in Kommissionen sozusagen ausge-
lagert werden.
Wir müssen als Parlamentarier weit vorausschauen
und dabei auch Entwicklungen beraten, die wir als künf-
tig bedeutsam erkennen, die aber heute vielleicht noch
nicht unmittelbar Bedeutung haben. Dazu gehört zum
Beispiel die Rolle der modernen Medizin vor dem Hin-
tergrund einer alternden Gesellschaft und stark belasteter
sozialer Sicherungssysteme. Es geht darum, schon heute
Entwicklungen zu erkennen, Chancen aufzuzeigen und
natürlich diese Prozesse auch ethisch zu bewerten und
entsprechend politisch verantwortungsbewusst zu gestal-
ten.
Ich freue mich deshalb, dass uns heute auch ein An-
trag der Koalition zur Einrichtung eines Parlamentari-
schen Beirats zu Fragen der Ethik insbesondere in den
Lebenswissenschaften, Ethikbeirat, zur Abstimmung
vorliegt. Genau an dieser Stelle setzte der Vorschlag der
FDP an, einen parlamentarischen Beirat für Bio- und
Medizinethik einzurichten.
Ich hatte Herrn Tauss in der ersten Plenardebatte ge-
beten, seinen Einfluss doch dahin gehend geltend zu ma-
chen, die Koalition von der Richtigkeit unseres Vor-
schlages überzeugen. Ich freue mich, dass auch Frau
Aigner unsere Bitte ernst genommen hat und sich für
eine Änderung am Gesetzentwurf eingesetzt und einem
parlamentarischen Beirat ihre Zustimmung gegeben hat.
Leider ist es nicht zu einem interfraktionellen Antrag ge-
kommen. Dem vorgeschlagenen Beirat werden wir aber
unsere Zustimmung geben, weil auch dieses Gremium
nicht nur auf die Bearbeitung lebenswissenschaftlicher
Themen beschränkt ist. Genau das ist nach meiner Lesart
durch den geänderten Entwurf der Regierungsfraktionen
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uch gegeben. Ich gebe der Hoffnung Ausdruck, dass
iese Lesart tatsächlich nicht in Frage gestellt wird.
Der Beirat soll einschlägige Gesetzgebungsprozesse
uf nationaler und europäischer Ebene in Zusammen-
rbeit mit den parlamentarischen Gremien, also auch mit
nderen Ausschüssen, begleiten. Insofern kann er auch
ußenstehende zu Beratungen hinzuziehen und Anhö-
ungen durchführen; hier unterliegt Kollegin Hinz einem
issverständnis. Keine Anhörungen darf der Beirat zu
tellungnahmen und Berichten des Ethikrates durchfüh-
en; er darf dem Ethikrat aber sehr wohl Aufträge ertei-
en und zu eigenen Themen, zu denen noch keine Stel-
ungnahmen und Berichte des Ethikrates vorliegen,
atürlich auch Anhörungen und inhaltliche Befassungen
urchführen. Deshalb stimmen wir dem Antrag der Re-
ierungsfraktionen und auch dem Gesetzentwurf zum
thikratgesetz zu.
nlage 5
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Anträge:
Mehr Anreize beim Bürokratieabbau Für
eine Kostenerstattung staatlicher Pflicht-
dienste
Entlastung kleiner und mittlerer Betriebe
durch Abbau bürokratischer Regelungen im
Sozialrecht
(Tagesordnungspunkt 12 a und b)
Peter Rauen (CDU/CSU): Keine Frage, unsere Un-
ernehmen sind mit zu viel Bürokratie belastet. Das gilt
atürlich auch für die Berichts- und Meldepflichten, wie
iese in dem Antrag zum Sozialrecht richtig beschrieben
ind. Es gilt also generell, Sinnvolles von Nutzlosem zu
cheiden. Denn nur der Nutzen beweist den Sinn und die
irkung eines Gesetzes.
Insofern begrüße ich jeden sinnvollen Vorschlag, der
nserer mittelständischen Wirtschaft Hürden aus dem
eg räumen will. Und ich freue mich schon jetzt auf an-
egende Gespräche im Ausschuss. Wer nämlich Unter-
ehmen von sinnlosen Meldepflichten entlasten will,
em sollte man in Ruhe zuhören!
Gleichwohl gebe ich zu bedenken, dass der von der
undesregierung eingesetzte Normenkontrollrat mit
ben diesen Aufgaben bereits intensiv beschäftigt ist.
nd er kontrolliert nicht nur neue Gesetze auf Bürokra-
iekosten, sondern eben auch bereits bestehende § 4
bs. l Ziffer 6 Normenkontrollratsgesetz , was im An-
rag der FDP allerdings bestritten wird.
Dass der Normenkontrollrat damit gut beschäftigt ist,
eigt allein schon die Anzahl der Gesetze, die allein zur
rbeitslosen-, Renten-, Kranken- und Pflegeversiche-
ung in den letzten zehn Jahren erlassenen wurden: Es
ind 120! Dazu kommen noch etliche Verordnungen.
as ist im Schnitt mehr als ein neues Regelwerk pro
9630 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007
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Monat. Kurzum: Wir sind für jeden Hinweis dankbar,
wenn er denn sinnvoll ist.
Nun zu dem konkreten Antrag zum Sozialrecht: Darin
wird gefordert, eine oder mehrere Meldepflichten nach
§ 28 a Abs. 1 SGB 4 zu streichen. Es geht hier konkret
um Beginn und Ende der versicherungspflichtigen Be-
schäftigung, Beginn und Ende von Altersteilzeit, Auflö-
sung von Arbeitsverhältnissen und Verschiedenes mehr,
somit um grundsätzliche und wesentliche Daten. Diese
noch weiter zu reduzieren drei wurden ja schon gestri-
chen , halte ich für wenig nützlich.
Die über die Hintertür des § 28 a Abs. 3 bei der An-
meldung anfallenden Angaben, ob eine lebenspartner-
schaftliche Beziehung zum Arbeitgeber besteht oder
aber ob die Tätigkeit geschäftsführende Funktionen be-
inhaltet, halte ich hingegen für durchaus entbehrlich.
Gleichwohl sind seit dem 1. Januar 2006 die Sozialversi-
cherungsmeldungen und Beitragsnachweise an die ge-
setzlichen Kassen inklusive Minijobzentrale generell
elektronisch zu übermitteln, und somit wäre der tatsäch-
lich wegfallende Aufwand als eher gering einzustufen.
Wir reden also von der Bedienung weniger Tasten am
Computer.
Insofern offenbart sich hier nicht nur der äußerst ge-
ringe Effekt der geforderten Maßnahme, sondern zeigt
dem Kenner der Materie, dass dieser Antrag offensicht-
lich ein wenig eingestaubt ist, da er noch Papier und Stift
im Sinne führt.
Der zweite Teil des Antrages der FDP ist da schon
feingliedriger, aber leider genauso ausgeblichen: Sie lis-
ten 28 Gesetzestexte auf, die sich mit den Verdienst-
bescheinigungen beschäftigen, die ein Arbeitgeber aus-
zufüllen hat. Kern der Problematik ist der wenig
einheitliche Verdienstbegriff bei der Einkommensbe-
rechnung. Das wiederum ist wirklich ein bürokratischer
Brocken, der jeden Unternehmer Zeit und Nerven kostet.
Diesen zu beseitigen, wäre verdienstvoll.
Allerdings ist in diesem Zusammenhang zu berück-
sichtigen, dass den im Antrag aufgezählten Gesetzen
jeweils eigene Zielsetzungen bei der jeweiligen Einkom-
mensberechnung zugrunde liegen. Das Einkommensteu-
ergesetz beispielsweise sorgt für staatliches Einkommen
unter der Prämisse wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit
und bei gleichzeitiger Beachtung des steuerrechtlichen
Existenzminimums. Es unterliegt dem sogenannten Zu-
flussprinzip. Demgegenüber gewähren die Leistungsge-
setze Transferzahlungen, um damit ein verfügbares Ein-
kommen in bestimmter Höhe zu garantieren. Diese
Gesetze unterliegen dem Entstehungsprinzip.
Es treffen somit in der Rechtsprechung hier zwei
Prinzipien aufeinander, die schwer miteinander zu ver-
einbaren sind: der steuerrechtliche Verdienstbegriff und
der sozialrechtliche Verdienstbegriff. Aus ebendieser
Spannung heraus ergibt sich der bürokratische Aufwand
verschiedener Formulare, unter denen unsere Firmen so
zu leiden haben.
Die Bemühungen, mit diesem Antrag dieses Problem
zu schultern, ehrt die FDP: Doch leider kommt sie mit
ihrem Hinweis schlichtweg zu spät. Denn, hätte sie den
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aßnahmenkatalog des Bundeswirtschaftsministeriums
um Ersten Mittelstandsentlastungsgesetz aufmerksam
elesen, wäre ihr sicherlich aufgefallen, dass sich mit
em Punkt 19 der dort genannten längerfristigen Vorha-
en ihr Antrag eigentlich erledigt hat.
Ich zitiere: Das Bundesministerium für Arbeit und
oziales erhält federführend den Prüfauftrag, eine Ver-
inheitlichung der Verdienstbescheinigungen und der
ntgeltbegriffe anzustreben, die den Sozialleistungen
ugrunde liegen. Dies gilt insbesondere für die Ver-
flichtung der Arbeitgeber zur Erstellung einer Voraus-
escheinigung nach § 194 SGB VI für die Rentenversi-
herung. Der Prüfauftrag ist derzeitig in vollem Gange,
nd wir können, so glaube ich, auf das Ergebnis sehr ge-
pannt sein.
Zum Abschluss möchte ich noch auf ein Thema len-
en, welches in der Begründung zum Antrag angeführt
ird. Ich halte dies für außerordentlich wichtig. Es ist
er Zusammenhang von Regelungsdichte und Schatten-
irtschaft. Nach einer aktuellen Studie des Institutes der
eutschen Wirtschaft IW-Trends Heft 1/2007 fei-
rte im März nicht nur das Gesetz zur Bekämpfung von
chwarzarbeit seinen 50. Geburtstag. Bis zu 500 000 Ar-
eitsplätze könnten in Deutschland aus der Schattenwirt-
chaft in den legalen Arbeitsmarkt überführt werden,
enn wir nur eine Regelungsdichte hätten, wie diese in
en angelsächsischen Ländern derzeitig existiert. Ich
eine, so etwas müsste doch zu schaffen sein, und wir
ollten diesen Ansatz gemeinsam weiterverfolgen.
Alexander Dobrindt (CDU/CSU): Es ist gut, dass
ir diese Debatte zum Bürokratieabbau unter dem Ein-
ruck einer sich erfolgreich entwickelnden Wirtschaft
it einer positiven Entwicklung am Arbeitsmarkt und
teigenden Erwartungen bei den Steuereinnahmen füh-
en können. Bundeswirtschaftsminister Michael Glos
onnte gestern die Wachstumsprognose für 2007 auf
,3 Prozent anheben. Unser wirtschaftspolitischer Kurs
rägt Früchte. Die Früchte des derzeitigen Auf-
chwungs werden jedoch für viele Unternehmer be-
onders die klein- und mittelständischen durch wei-
erhin hohe Bürokratiekosten geschmälert. Nach einer
tudie von Ernst & Young sind 80 Prozent der mittel-
tändischen Unternehmen 2007 mit den Rahmenbedin-
ungen am Standort Deutschland zufrieden. Aber
leichzeitig fordern sie einen deutlichen Bürokratieab-
au. Der Leidensdruck ist hier immer noch sehr stark.
em müssen wir uns weiterhin annehmen. Bürokratie-
bbau bleibt auf der Tagesordnung ganz oben. Es gehen
mmer noch zu viele produktive Energien durch über-
äßige Bürokratien verloren.
Das sind Energien, die Arbeitsplätze schaffen, Inno-
ationen freilegen und die den Aufschwung vorantreiben
önnten. Diese Energien wollen wir freilegen. Darin
ieht die CDU/CSU-Fraktion ein gewaltiges Mittel-
tandsprogramm.
Die Bundesregierung hat beim Thema Bürokratie
in konkretes Abbauziel genannt. Die gegenwärtigen
ostenbelastungen durch staatliche Informationspflich-
en wollen wir bis zum Jahr 2011 um 25 Prozent reduzie-
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007 9631
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ren. Mit der Einführung des Standardkostenmodells ha-
ben wir die Grundlage dafür bereits gelegt. Und der
frisch eingerichtete Normenkontrollrat wird neu verab-
schiedete Gesetze auf ihren Bürokratiegehalt kontrol-
lieren.
Ein Ergebnis des Normenkontrollrats wird zurzeit
aus meiner Sicht zu Recht vielerorts strapaziert: die
Neuregelung der GWGs im Unternehmensteuergesetz.
180 Millionen Euro Mehrkosten für die Unternehmen,
bei 905 Millionen Euro Mehreinnahmen beim Bund. Ich
glaube in der Tat, darüber sollte man noch einmal nach-
denken.
Das Institut der deutschen Wirtschaft hat festgestellt,
dass Bürokratieabbau bis zu 600 000 zusätzliche Ar-
beitsplätze in Deutschland bringt und neue Wachstums-
impulse setzen kann.
Die durchschnittliche jährliche Belastung eines Ar-
beitsplatzes in einem klein- und mittelständischen Unter-
nehmen liegt bei 4 361 Euro Bürokratiekosten pro Jahr.
Deswegen hat der Bundeswirtschaftsminister Glos ein
Mittelstandsentlastungsgesetz ins Leben gerufen.
Wir beraten inzwischen das zweite Mittelstandsentlas-
tungsgesetz. In dem steht zum Beispiel, dass kleine und
mittelständische Unternehmen mit weniger als 50 Be-
schäftigten zukünftig auf maximal drei Stichprobenerhe-
bungen im Jahr begrenzt werden. Das klingt vielleicht
nicht allzu ambitioniert; aber in der Praxis zeigt sich, dass
sie bei den Gutmütigen immer mehr werden, dass sich bei
denen, die auf Anforderungen einen Statistikbogen nach
dem anderen ausfüllen und sich nicht dagegen wehren,
das Ganze häuft. Deswegen müssen wir dies begrenzen.
Existenzgründer werden wir in den ersten drei Jahren
ganz von Statistiken befreien.
Die Entlastungswirkung des zweiten Mittelstandsent-
lastungsgesetzes wird schließlich deutlich höher sein als
jetzt beziffert. Außerdem müssen wir immer wieder da-
rauf hinweisen, dass in den betroffenen Unternehmen
die Entlastungswirkung meistens weit über den reinen
finanziellen Aspekt hinausgeht.
Man sieht also: Wir sind auf einem guten Weg, Büro-
kratie abzubauen. Ich zitiere aus dem FDP-Antrag: Die
Bundesregierung hat einige sinnvolle Schritte unternom-
men, bürokratische Hemmnisse zu reduzieren. Diesen
Weg gehen wir weiter und fordern alle auf, ihn positiv zu
begleiten.
Christian Lange (Backnang) (SPD): Bürokratieab-
bau in Deutschland ist ein Dauerbrenner. Und das ist gut
so! Zum letzten Mal haben wir am 2. März 2007 im Ple-
num darüber im Rahmen der ersten Lesung zum Zwei-
ten Mittelstandsentlastungsgesetz gesprochen.
Wir sind uns sicher alle einig: Es gibt viel zu tun: Bü-
rokratie und Überregulierung insbesondere in kleinen
und mittleren Unternehmen und bei Existenzgründern
binden und behindern in nicht vertretbarem Ausmaß be-
triebliche Ressourcen, wodurch Wachstumsdynamik und
Leistungsfähigkeit eingeschnürt und beschnitten wer-
den. Immerhin wendet die mittelständische Wirtschaft in
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eutschland vier bis sechs Prozent ihres Umsatzes allein
ür Bürokratie auf. Das Grundanliegen der FDP, die Bü-
okratiekosten deutlich senken zu wollen, kann ich nur
nterstreichen. Das wollen wir auch.
Deswegen haben wir mit dem sogenannten Ersten
ittelstandsentlastungsgesetz angefangen, das ein gan-
es Maßnahmenbündel für längerfristige mittelstands-
reundliche Reformvorhaben zusammenfasst. Es war
ber auch klar, dass wir nicht alles in einem einzigen Ge-
etz würden stemmen können. Deswegen haben wir zü-
ig das Nachfolgegesetz mit ähnlicher Intention, näm-
ich weitere bürokratische Hemmnisse abzubauen, im
ärz 2007 vorgelegt. Und es werden sicherlich weitere
esetze diese Art folgen. Wir werden unsere Politik des
ürokratieabbaus konsequent fortsetzen. Denn trotz
oder gerade wegen des Konjunkturaufschwungs, der
m Mittelstand seine Wurzeln hat, müssen wir aktiv bü-
okratische Pflichten, die der mittelständischen Wirt-
chaft auferlegt sind, aufspüren und beseitigen. Hier ste-
en wir in der Verpflichtung, die gesamte wirtschaftliche
ntwicklung Deutschlands voranzubringen.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit daran erinnern,
ass das Bundeswirtschaftsministerium lange Jahre un-
er der Führung von FDP-Ministern stand. Schon damals
ätte die FDP viel Gelegenheit gehabt, die Senkung der
ürokratischen Lasten für die Wirtschaft durchzusetzen.
tattdessen hat sie mit dazu beigetragen, dass Informa-
ions- und Statistikanforderungen an die Wirtschaft er-
öht und weitergegeben wurden.
Während die FDP eine Menge untauglicher Vor-
chläge unterbreitet, hat die Bundesregierung bereits
onstruktive Maßnahmen ergriffen. Der Normenkon-
rollrat, NKR, wurde installiert, um ebendiese Informa-
ionspflichten der Wirtschaft auf ihre kostenmäßigen bü-
okratischen Auswirkungen zu prüfen, zu quantifizieren
nd außerdem bei Bedarf auch Gegenvorschläge dazu zu
nterbreiten. Dabei ist der Normenkontrollrat ein unab-
ängiges Kontroll- und Beratungsgremium, der sich mit
llen Gesetzen und Rechtsverordnungen mit den beste-
enden und auch mit den neuen befassen kann.
Zur Messung der Bürokratiekosten ist das internatio-
al anerkannte sogenannte Standardkostenmodell, SKM,
orgesehen. Wie beispielsweise in den Niederlanden und
n Großbritannien wird das SKM bürokratische Belas-
ungen und Folgekosten gesetzlicher Vorschriften syste-
atisch erfassen. Die Bürokratiekosten werden auf Bun-
esebene ermittelt. Anschließend wird festgelegt, in
elchem Zeitrahmen die Bundesministerien Teile dieser
osten abbauen sollen. Die Umsetzung dieses Plans
ontrolliert das Bundeskanzleramt. Damit sind wir ein
anz großes Stück in Sachen Bürokratiekostenmessung
nd letztlich auch -abbau vorangekommen.
Die im Antrag der FDP gezogenen Schlussfolgerun-
en über den Normenkontrollrat kann ich nicht nachvoll-
iehen. Es wird kritisiert, der Normenkontrollrat könne
ie Bürokratie nicht einschränken, da er lediglich Emp-
ehlungen ausspreche und wenig Anreiz für die Bundes-
egierung biete, um Bürokratie wirklich abzubauen.
9632 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007
(A) )
(B) )
Da die bürokratischen Informations- und Dokumenta-
tionspflichten der Unternehmen eine Dienstleistung der
Unternehmen gegenüber dem Staat seien, sollten diese
die Dienstleistungen auch bezahlen. Damit müssten
Pflichtdienste der Wirtschaft vom Staat finanziert wer-
den.
Ich möchte zunächst etwas Grundsätzliches dazu fest-
halten: Die Bundesregierung benötigt keine Anreize zur
Senkung der bürokratischen Lasten; denn sie hat sich das
selbst ins Stammbuch geschrieben. Mit dem Koalitions-
vertrag hat sich die Bundesregierung zum konsequenten
Bürokratieabbau verpflichtet. Wir wissen, warum wir
das tun wollen und müssen: Die größtmögliche Entlas-
tung der mittelständischen Wirtschaft von diesen unpro-
duktiven Kosten ist das A und 0. Wir müssen wieder
mehr Freiraum für Kreativität, Innovation, ja letztlich
Produktivität ermöglichen, wenn wir ernst nehmen wol-
len, Wohlstand und Arbeitsplätze in Deutschland zu si-
chern und zu erhöhen. Und das nehmen wir sehr ernst!
Was die Forderung anbelangt, eine Bürokratiekosten-
erstattung für die Wirtschaft einzuführen, kann ich nur
den Kopf schütteln: Denn genau genommen bedeutet
dieser Ansatz die Einführung einer neuen Subvention
der Wirtschaft und steht damit im absoluten Wider-
spruch zur Politik der Bundesregierung. Wir wollen Sub-
ventionen für die Wirtschaft abbauen, nicht weitere auf-
bauen.
Damit dürfte sich gleichzeitig auch die Frage nach der
Finanzierbarkeit eines solchen Antrags stellen: Wenn die
im Antrag genannten Bürokratiekosten der Wirtschaft in
Höhe von 46 Milliarden Euro so wurde dort ausgeführt
selbst nur zum Teil von der Bundesregierung übernom-
men werden sollten, dann dürfte sich die Frage nach der
Seriosität des Anliegens der FDP von selbst erledigt ha-
ben. Zur Finanzierung macht die FDP im Antrag leider
keine Angaben. Die Prüfung wie verlangt , inwieweit
die Steuerberatergebührenverordnung als Anhaltspunkt
zur Vergütung der Bürokratiekosten gelten könne, ist
hiermit obsolet.
Zur Forderung nach der Einführung eines Nettore-
duktionsziels für den Bürokratieabbau: Das ist sinnvoll.
Da stimme ich mit den Damen und Herren der FDP
überein. Allerdings können wir solch ein Nettoreduk-
tionsziel erst dann einführen, wenn die Messphase des
Normenkontrollrats abgeschlossen ist und mehr Erfah-
rungen mit dem Abbauvolumen vorliegen. Dies dürfte
nach Meinung von Bernhard Beus, Staatssekretär im
Bundeskanzleramt, Mitte 2008 der Fall sein.
Sobald die Bestandsliste aller bürokratischen Infor-
mations- und Dokumentationspflichten bewertet worden
ist und Erfahrungen mit den angestrebten Verfahren vor-
liegen, wollen wir auch die Diskussion über Nettoreduk-
tionsziele führen. Jetzt ist allerdings nicht der richtige
Zeitpunkt dafür.
Den Wegfall der Ausrichtung der Bürokratiekosten-
messung des Normenkontrollrates auf die bürokrati-
schen Informationspflichten wie von der FDP gefor-
dert halte ich in der jetzigen Phase ebenso für nicht
sinnvoll. Es gilt allein 10 500 Informationspflichten zu
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egutachten. Das halte ich für einen wichtigen und guten
nfang. Inwieweit später noch andere Bereiche in die
ürokratiekostenmessung einzubeziehen sind, wird
och zu entscheiden sein.
Zum zweiten Antrag der FDP: Entlastung kleiner
nd mittlerer Betriebe durch Abbau bürokratischer Re-
elungen im Sozialrecht. Vorweg: Wenn sich die FDP
chon so ausführlich mit dem Normenkontrollrat be-
chäftigt, dann sollte sie genau hinschauen, bevor sie un-
erechtigte Kritik übt. So etwas macht sich nicht beson-
ers gut! Nach Auffassung der FDP gehört zum
rüfauftrag des Normenkontrollrates lediglich die neue
esetzgebung. Das ist falsch! Der Prüfauftrag des Nor-
enkontrollrates umfasst selbstverständlich auch die be-
tehende Gesetzgebung. Vielleicht macht das klarer,
elche Herausforderung allein mit der Aufstellung und
ewertung der Bestandsliste aller bürokratischen Infor-
ations- und Dokumentationspflichten zunächst zu be-
ältigen ist.
In ihrem Antrag fordert die FDP die Bundesregierung
uf, einen Gesetzentwurf vorzulegen, damit im Sozial-
echt bürokratische Regelungen abgebaut werden. Was
ie hier eigentlich will, ist, unter dem Deckmantel des
ürokratieabbaus soziale und arbeitsrechtliche Errun-
enschaften abzubauen. Die Bundesregierung beschäf-
igt sich dagegen mit echtem Bürokratieabbau, nämlich
unächst dem Abbau von übermäßigen Informations-
nd Dokumentationspflichten. Wir haben das Erste Mit-
elstandsentlastungsgesetz auf den Weg gebracht. Mit
em Zweiten Mittelstandsentlastungsgesetz stehen wir
urz davor. Was wir allerdings nicht betreiben wollen, ist
er klammheimliche Abbau der Sozialgesetzgebung un-
er dem Scheinargument von Bürokratieabbau.
Die FDP führt insbesondere die Vorverlegung des
älligkeitstermins von Sozialabgaben, die seit Anfang
etzten Jahres in Kraft ist, als ein Beispiel für steigende
ürokratiekosten im Sozialrecht an. Dass sie gerade die-
es Beispiel herausgreift, verwundert mich dann doch:
iese Regelung war zunächst heiß umstritten; aber sie
ar im Grunde unausweichlich, um einen drohenden
eitragssatzanstieg in der Rentenversicherung zu ver-
eiden. Nur aus diesem Grunde haben wir das gemacht.
Genau an dieser Stelle konnten wir alle erstmalig se-
en, wie erfolgreich Bürokratieabbau sein kann. Erstma-
ig wurde nämlich nach dem sogenannten Standardkos-
enmodell ermittelt, in welcher Höhe Kosten für den
ittelstand entstehen, wenn die Neuregelung zur An-
endung kommt. Mit dem neuen Verfahren zur Bürokra-
ekostenmessung, dem Standardkostenmodell, konnte in
iesem Fall gezeigt werden, dass die Ausgestaltung zur
rmittlung der Beitragsfälligkeit von Sozialversiche-
ungsbeiträgen in der Tat viel zu hohen Aufwand in be-
timmten Branchen verursacht. Das war so nicht ge-
ollt!
Ein Beratungsunternehmen, die Nord-West-Consult,
atte diese Messung im Auftrag der IHK Bonn/Rhein-
ieg durchgeführt. Es wurde ermittelt, dass die Mehrbe-
astung den Vorteil der Vorverlegung der Beitragsfällig-
eit der Sozialversicherungsbeiträge erheblich über-
chreitet und von Dauer sein würde. Außerdem wären
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007 9633
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nicht alle Unternehmen gleichmäßig von der Mehrbelas-
tung betroffen. Während knapp die Hälfte der Unterneh-
men so gut wie gar nicht betroffen wäre, hätten die
andere die gesamte Mehrbelastung getragen. Die Be-
rechnungen des Beratungsunternehmens hatten ergeben:
Wenn man, wie es das Standardkostenmodell vorsieht,
Gemeinkosten von 25 Prozent mit einbezieht, ergeben
sich insgesamt administrative Lasten durch die Regelung
zur Beitragsfälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge
von rund 1,03 Milliarden Euro, davon eine administra-
tive Mehrbelastung der deutschen Wirtschaft durch In-
formationspflichten durch die neue Regelung mit einer
Gesamtsumme von knapp 800 Millionen Euro pro Jahr.
Wie die FDP in ihrem Antrag hier auf etwa 4 Milliarden
Euro bürokratischen Mehraufwand jährlich kommt, ist
mir ein Rätsel. Diese Behauptung halte ich für unseriös.
Dank des neuen Instrumentariums zur Bürokratiekos-
tenmessung konnten die Beschwerden der betroffenen
Unternehmen eindeutig mit Zahlen belegt werden. Und
es hat auch gewirkt: Ich habe mich sehr gefreut, dass die
Bundesregierung insbesondere Bundesarbeitsminister
Müntefering sofort reagiert hat, als dieses Missverhält-
nis bekannt wurde. Durch eine gesetzliche Klarstellung
der Regelung wurde erreicht, dass jenen betroffenen Un-
ternehmen, dass heißt jenen Arbeitgebern, die durch re-
gelmäßige Mitarbeiterwechsel oder durch variable Ent-
geltbestandteile dauernd Änderungen berücksichtigen
müssen, viel Aufwand erspart wird. In Zahlen ausge-
drückt sind das eben jene 800 Millionen Euro, wie durch
das Standardkostenmodell errechnet wurde.
Gerade an diesem Beispiel zeigt sich das große Poten-
zial, das im Bürokratiekostenabbau steckt.
Und lieber gehen wir konsequent Schritt für Schritt
gegen Bürokratie und Überregulierung vor, als das
Kinde mit dem Bade auszuschütten, wie von der FDP
vorgeschlagen, die anstatt einer echten Bürokratieentlas-
tung gleich Teile unseres Sozialstaates mit abschaffen
will. Das stellen wir uns anders vor!
Birgit Homburger (FDP): Frondienste so bezeich-
nete man im Mittelalter die persönlichen Dienstleistun-
gen von Bauern für ihre Grundherren, die sie als Gegen-
leistung für den Schutz, das Land und die Jurisdiktion
der Grundherren leisten mussten. Mit der Bauernbefrei-
ung im 18. und 19. Jahrhundert wurden die Frondienste
allmählich abgeschafft.
Ein Blick in Unternehmen heute wirft die Frage auf,
ob zwischenzeitlich vom Staat eine moderne Form des
Frondienstes eingeführt wurde. Der Staat wälzt eine un-
überschaubare Zahl administrativer Pflichten auf die Un-
ternehmen ab und verpflichtet sie gesetzlich, diese
Dienste gratis zu erbringen. Für die FDP lässt sich dieser
Missstand nicht durch gutes Zureden lösen. Wenn die
Bundesregierung nicht in der Lage ist, die bürokrati-
schen Lasten der Wirtschaft zu reduzieren, dann müssen
materielle Anreize zum Bürokratieabbau eingeführt wer-
den. Der Staat lässt sich jeden Handschlag bezahlen,
während er den Unternehmen eine bürokratische Pflicht
nach der anderen auferlegt und das Abführen von Steu-
ern und Abgaben immer komplizierter macht. Dafür
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üssen die Unternehmen natürlich selbst aufkommen,
as wiederum Mittelständler viel stärker belastet als
roßunternehmen. So kann das nicht weitergehen. Da-
er soll der Staat künftig für die Arbeit, die er den Unter-
ehmen aufbürdet, bezahlen.
Trotz guter Konjunkturdaten hemmen diese bürokra-
ischen Pflichtdienste der Unternehmen das Wirtschafts-
achstum und die Erhaltung und Entstehung von Ar-
eitsplätzen in Deutschland. Ein Beispiel dafür ist das
uletzt geänderte Meldeverfahren für Sozialversiche-
ungsbeiträge durch die Vorverlegung des Fälligkeitster-
ins von Sozialabgaben seit dem Jahr 2006. Dies führt
azu, dass die Betriebe jetzt regelmäßig zwei Abrech-
ungen machen müssen: eine am Ende des Monats und
ine am Beginn des nächsten Monats, was zu geschätz-
en Kostenbelastungen in Höhe von 3 bis 5 Milliarden
uro jährlich für Betriebe und Krankenkassen führt. Das
st eine Katastrophe. Im Übrigen hätte dieses Gesetz
uch nicht vom neu geschaffenen Normenkontrollrat
berprüft werden können, da das Gesetz ihm dafür keine
ompetenz zuweist.
Gestern jährte sich der Beschluss der Bundesregie-
ung zum Programm Bürokratieabbau und bessere
echtsetzung zum ersten Mal. Was sind die Ergebnisse
es von Bundeskanzlerin Angela Merkel als Chefsache
ezeichneten Bürokratieabbaus nach einem Jahr? Es ist
ein Geheimnis, dass die Bilanz keinerlei Grund für die
oalitionsfraktionen sein kann, sich selbstzufrieden zu-
ückzulehnen. Die Einsetzung des Normenkontrollrats
ar ein erster Schritt in die richtige Richtung. Doch lei-
er muss sich der Normenkontrollrat bei seinen Über-
rüfungen auf Informationspflichten beschränken. Dabei
ntstehen bei Unternehmen dutzendweise andere Büro-
ratiekosten. Das erste Mittelstandsentlastungsgesetz
erpuffte ohne sichtbare Wirkung, trotz jährlicher Büro-
ratiekosten von 46 Milliarden Euro.
Bei der Rechtsbereinigung scheint sich die Bundesre-
ierung Helmut Schmidts Worte zu Herzen genommen
u haben. Er sagte: Jeder Politiker, der ein zusätzliches
esetz schafft, leistet uns einen Bärendienst. Jeder, der
in altes Gesetz vereinfacht oder sogar abschafft, sollte
as Bundesverdienstkreuz erhalten. Aber hat denn
irklich jemand in der Bundesregierung geglaubt, die
echtsbereinigungsgesetze, bei denen solch alte Normen
ie das Gesetz betreffend den Schutz des zur Anferti-
ung von Reichsbanknoten verwendeten Papiers gegen
nbefugte Nachahmung abgeschafft worden sind, leis-
eten irgendeinen signifikanten Beitrag zum Bürokratie-
bbau?
Die Bundesregierung hat sich ein 25-prozentiges Bü-
okratieabbauziel bis 2011 gesetzt und weigert sich nach
ie vor festzulegen, ob es ein Brutto- oder ein Nettoziel
ein soll. Dies ist jedoch entscheidend; schließlich kann
s nicht nur darum gehen, die angekündigten 25 Prozent
er Informationspflichten abzubauen. Vielmehr dürfen
n der Zwischenzeit auch keine neuen bürokratischen
elastungen beschlossen werden.
Das Zwischenzeugnis der Bundesregierung beim Bü-
okratieabbau ist ungenügend. Notwendig sind endlich
ntlastungen dort, wo die Belastungen entstehen. Dies
9634 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007
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sind laut Institut für Mittelstandsforschung in Bonn die
komplizierten Regelungen in den Bereichen Steuern und
Abgaben, Sozialversicherungen, Arbeitsrecht und Um-
weltrecht sowie zu viele Statistiken.
Es gibt viel zu tun. Die Bundesregierung sollte end-
lich damit anfangen. Die Frondienste des Mittelalters
wurden erst nach jahrzehntelangem Hin und Her abge-
schafft. Das sollte sich die Bundesregierung beim Büro-
kratieabbau nicht zum Vorbild nehmen.
Sabine Zimmermann (DIE LINKE): Mit den zwei
vorliegenden Anträgen macht es sich die FDP mal wie-
der ganz einfach: Die angebliche Bürokratielast in
Deutschland sei das Wirtschaftshemmnis und der Ar-
beitsplatzvernichter schlechthin. Nicht weniger schlimm:
Auch die Große Koalition hat sich diese einseitige Sicht
zum Teil zu eigen gemacht.
Um zunächst klar zustellen: Unser gegenwärtiges
Problem in Deutschland ist nicht eine übermäßige Büro-
kratiebelastung der Wirtschaft. Unser Problem ist viel-
mehr, dass an dem gegenwärtigen wirtschaftlichen Auf-
schwung die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
nicht teilhaben und dass der Aufschwung am Arbeits-
markt an den Langzeitarbeitslosen weitgehend vorbei-
geht.
Zurück zur Frage der Bürokratie: Natürlich ist es ver-
nünftig, doppelte und veraltete Regelungen abzubauen.
Dafür ist die Linke offen. So haben wir jüngst dem zwei-
ten Rechtsbereinigungsgesetz für die Bereiche Arbeit
und Wirtschaft zugestimmt. Damit wurden 69 Gesetze
und Vorschriften aufgehoben oder aktualisiert, die ihren
Anwendungsbereich verloren haben. Das macht ebenso
Sinn wie die Vorschläge, doppelte Meldepflichten zu
vereinheitlichen oder Meldemethoden zu vereinfachen.
Aber die FDP kippt das Kind mit dem Bade aus, wenn
sie Berichts-, Informations- und Meldepflichten für Un-
ternehmen per se als Bürokratiekosten bezeichnet. Die
meisten dieser Regelungen sind aus guten Gründen ent-
standen und erfüllen einen gesellschaftlichen Zweck.
Nehmen wir zum Beispiel die Pflicht von Unternehmen,
die Verdienste und Arbeitszeiten ihrer Beschäftigten zu
melden. Einzelnen Unternehmen mag dies als Belastung
erscheinen. Solche Informationen sind jedoch unabding-
bar für eine verantwortungsvolle Politik im Interesse der
Mehrheit der Menschen in diesem Land etwa wenn es
darum geht, Armutslöhne zu bekämpfen.
Bevor Informations- oder Meldepflichten gestrichen
werden, muss auf die gesellschaftlichen Auswirkungen
geschaut werden. Das hat die Große Koalition bei ihrem
Gesetz zum Abbau bürokratischer Hemmnisse leider
vernachlässigt.
Das Gesetz befreit Betriebe mit 50 und weniger Be-
schäftigten im verarbeitenden Gewerbe von der monatli-
chen Berichtspflicht. Warum ist das ein Problem? Der
Politik fehlen nun verlässliche Daten über die aktuelle
wirtschaftliche Lage der Klein- und Kleinstbetriebe. Ob
der gegenwärtige Aufschwung an diesen Unternehmen
vorbeigeht, kann damit nicht richtig beantwortet werden.
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ieder einmal vergisst die Große Koalition den kleinen
ittelstand.
Statt einfach Meldepflichten abzubauen, ist danach zu
uchen, wie man die Meldungen vereinfacht. Ein fal-
cher Weg ist auch, den Unternehmen für ihre Berichts-
flichten Geld zu geben oder die Verwaltungskosten ein-
eitig auf den Staat oder die Versicherungsträger
bzuwälzen.
Die FDP fordert das im Großen. Im Kleinen hat dies
ie Große Koalition mit ihren Änderungen in der Sozial-
esetzgebung beim letzten Bürokratieabbaugesetz be-
eits getan. Mit Bürokratieabbau hat dies nicht mehr viel
u tun. Das wäre vielmehr ein weiterer Baustein zum
orteil der Wirtschaft und zum Nachteil der öffentlichen
and. Dafür steht die Linke nicht zur Verfügung.
Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
ürokratische, ineffiziente RegElungen und schlecht
unktionierende Behörden erzeugen hohe Kosten vor al-
em für kleine und mittlere Unternehmen. In den letzten
ahren haben sich die Regierungen das Ziel des Bürokra-
ieabbaus immer wieder auf die Fahnen geschrieben. Da-
ei wurden Erfolge in einer Reihe von Punkte erreicht.
Bürokratieabbau braucht starke politische Unterstüt-
ung, effiziente Institutionen eine klare Analyse, wo die
reiber für Bürokratieaufbau sind. Schlechte Kompro-
isse sind ebenso die Ursache für bürokratische Rege-
ungen, wie der Versuch, für jeden Einzelfall eine
erechte Lösung im Gesetz zu regeln, sowie die Berück-
ichtigung auf Klientelinteressen und Lobbygruppen und
ahlkampfgeschenke an einzelne Interessengruppen.
Die Bundesregierung bezieht ihre Aktivitäten zum
ürokratieabbau nur auf einen Ausschnitt bürokratischer
asten, nämlich auf die durch Informationsverpflichtun-
en gegenüber dem Staat verursachten Kosten. Durch
enehmigungsverfahren verursachte Lasten bleiben au-
en vor. Die Bundesregierung lässt zwar die Kosten bü-
okratischer Verfahren nach dem Standardkostenmodell
xakt berechnen, sie legt sich aber nicht auf innerhalb
er Wahlperiode erreichbare Ziele fest! Bis 2011 will sie
ie informationsbedingten Bürokratiekosten um 25 Pro-
ent senken. Das reicht selbst den Wirtschaftspolitikern
er Koalition nicht aus. Auch Norbert Röttgen hat noch
m Tag vor der Kabinettssitzung gegenüber Reuters er-
lärt: Wir wollen schon in dieser Legislaturperiode bis
009 messbare Reduzierungen erreichen. Nach der Ka-
inettssitzung ist davon nichts mehr zu hören gewesen.
Ich fordere Sie auf: Setzen Sie ein Abbauziel bis zum
nde der Wahlperiode. Dann können die Bürgerinnen
nd Bürger bei der nächsten Wahl sehen, ob Sie Ihr Ziel
rreicht haben oder nicht. Wenn Sie tatsächlich von Ihrer
olitik überzeugt sind, dann brauchen Sie ja keine Angst
u haben. Aber sich ein Ziel für Mitte der nächsten
ahlperiode zu setzen, wenn hoffentlich längst eine an-
ere Koalition regiert, das ist schon ein bisschen feige.
nd es zeigt: Sie wissen selber, dass beim Bürokratie-
bbau außer warmen Worten nichts zu holen ist in dieser
oalition.
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007 9635
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Die Bundesregierung hat einen Normenkontrollrat
geschaffen, der die bürokratischen Kosten von Gesetz-
entwürfen aus dem Kabinett begutachten soll. Der
Grundfehler besteht darin, dass der Normenkontrollrat
nur ausgewählte Gesetzesvorhaben prüft. Und auswäh-
len tut in dem Fall die Regierung. Für die Fälle, wo Sie
selbst wissen, dass Sie bürokratische Ungetüme produ-
zieren, haben Sie sich nicht einfach nur ein Hintertür-
chen geschaffen, sondern gleich ein ganzes Scheunentor.
Die Gesetze werden einfach über die Regierungsfraktio-
nen eingebracht und so der Bewertung durch den Nor-
menkontrollrat entzogen. Das zeigt, wie wenig ernst Sie
es mit dem Bürokratieabbau meinen. Mit diesem be-
grenzten Ansatz führt die Bundesregierungen die Bürge-
rinnen und Bürger hinters Licht.
Bürgerorientierung und Effizienz, betriebswirtschaft-
liche Steuerungsinstrumente, Wettbewerb, Leistungs-
prinzip, Chancen- und Zugangsgerechtigkeit, Koopera-
tion mit Privaten und Einsatz neuer Technologien
charakterisieren den notwendigen Modernisierungspro-
zess der öffentlichen Verwaltung. Wir wollen den Mit-
arbeiterinnen und Mitarbeitern der öffentlichen Ver-
waltung mehr Entscheidungskompetenzen übertragen
und die strikte Trennung, zwischen beruflichen Karrie-
ren in der Privatwirtschaft und in der Verwaltung aufhe-
ben. Dafür wollen wir das Berufsbeamtentum auf den
Kernbereich hoheitlicher Verwaltung konzentrieren.
Durch einen Bundestagsauschuss Bürokratieabbau
wollen wir ein effizientes Gremium für gute Regierungs-
führung schaffen. So wie sich die Abgeordneten im
Haushaltsausschuss durch exakte Kontrolle der öffentli-
chen Mittel einen Namen machen, sollen sich die Abge-
ordneten im Ausschuss für Bürokratieabbau für gute Ge-
setzgebung verantwortlich fühlen.
Es geht darum, den bestehenden staatlichen Ord-
nungsrahmen und Verwaltungsapparat zu modernisieren
und in einer Reihe von Fällen zurückzuschneiden, um
den Unternehmen, den Bürgerinnen und Bürgern mehr
Freiheit zu gewähren. Bündnis 90/Die Grünen haben
dazu eine Reihe von Vorschlägen eingebracht.
Die Grenze für geringwertige Wirtschaftsgüter, die
bereits im Jahr der Anschaffung abgeschrieben werden
können, wollen wir anheben. Die Abschreibung zum
Beispiel eines PC über drei Jahre ist deutlich aufwendi-
ger als die Abschreibung im Jahr der Anschaffung. Die
Bundesregierung schlägt im Rahmen der Unternehmens-
steuerreform genau das Gegenteil vor.
Das unübersichtliche, durch Richterrecht geprägte
deutsche Arbeitsrecht muss durch die Vorlage eines ein-
heitlichen Arbeitsgesetzbuchs vereinfacht werden.
Durch die Vereinfachung sollen die Interessen von Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmern und Arbeitgeberin-
nen und Arbeitgebern in fairer Weise gewahrt werden.
Wir wollen außerdem das Teilzeit- und Befristungs-
gesetz weiterentwickeln. Nach geltendem Recht kann
ein Arbeitnehmer nur dann ohne sachlichen Grund be-
fristet eingestellt werden, wenn er vorher noch nie in
dem Unternehmen tätig war. Das sogenannte Ersteinstel-
lungsgebot bei sachgrundlosen Befristungen muss abge-
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chafft werden. Die Wartefrist, die zwischen zwei Ar-
eitsverhältnissen liegen muss, sollte maximal sechs
onate betragen, um Kettenbefristungen zu vermeiden.
amit wäre auf unbürokratische Weise sichergestellt,
ass kein Missbrauch stattfindet.
Mit dem Vorschlag der FDP, Kostenerstattungen für
taatlich verursachte Bürokratiekosten gegenüber der
irtschaft zu machen, würde neue Bürokratie geschaf-
en. Wie sollen diese Kosten exakt berechnet werden?
ie soll das effiziente Management von Informations-
flichten berechnet werden? Sollen die Bürgerinnen und
ürger auch für Informationen entlohnt werden, die sie
em Staat geben? All das macht nicht wirklich Sinn.
Den Vorschlag, einen einheitlichen Verdienstbegriff
ür alle Steuern und Abgaben und öffentlichen Leistun-
en zu schaffen, halten wir im Kern für richtig. Er muss
eiter geprüft und konkretisiert werden.
nlage 6
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des
geistigen Eigentums (Tagesordnungspunkt 13)
Norbert Geis (CDU/CSU): Die Produktpiraterie und
nsbesondere die Internetpiraterie verursachen weltweit
hrlich den außergewöhnlichen Schaden von 120 Milliar-
en Euro. Die Schadenssumme für Deutschland liegt bei
twa 25 Milliarden Euro im Jahr. Schätzungsweise ge-
en dadurch 70 000 Arbeitsplätze verloren. Allein 2005
urden in Deutschland 412 Millionen Musiktitel illegal
us File-Sharing-Systemen heruntergeladen. Demgegen-
ber wurden nur 21 Millionen Musiktitel legal über die
nline-Plattform verkauft. Das Gleiche gilt für die Film-
irtschaft, die ebenfalls von der massenhaften illegalen
erbreitung von Filmwerken durch das Internet schwer
etroffen ist. Von Januar 2005 bis Juni 2005 wurden al-
ein 11 Millionen deutschsprachige oder deutsch-syn-
hronisierte Filmwerke illegal heruntergeladen. Ähnlich
ind die Zahlen für das Jahr 2006. Es ist deshalb drin-
end erforderlich, dass das geistige Eigentum besser ge-
chützt wird.
Der vorgelegte Gesetzentwurf soll die bessere Durch-
etzung von Rechten des geistigen Eigentums ermögli-
hen. Mit dem Entwurf wird die EU-Durchsetzungs-
ichtlinie umgesetzt. Bislang haben die Rechteinhaber
ur unzulängliche rechtliche Mittel, um gegen den Raub
hrer geistigen Werke vorgehen zu können. Es ist aller-
ings zweifelhaft, ob es der Gesetzentwurf tatsächlich
chafft, besser als bisher vor Produktpiraterie zu schüt-
en. Im Forum der Inhaber der Rechte jedenfalls wird
er Gesetzentwurf als unzulänglich kritisiert. Es besteht
ort eine starke Skepsis gegenüber den vorgesehenen
aßnahmen. Man hat wenig Hoffnung, dass eine Besse-
ung eintritt. Auch wenn der Gesetzgeber sich noch so
ehr müht, durch gesetzliche Regelungen das Recht auf
eistiges Eigentum zu schützen: Wirklicher Schutz ist
ur möglich, wenn das Recht auf geistiges Eigentum
9636 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007
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weltweit anerkannt und auch weltweit durchgesetzt wer-
den kann. Das Internet ist weltumspannend. Die Piraterie
nutzt dieses weltumspannende Internet. Deshalb müssen
die Gegenmaßnahmen auch weltweit ausgerichtet sein.
Daher ist die Initiative der Bundesregierung zum G-8-
Gipfel Anfang Juni in Heiligendamm ausdrücklich zu
begrüßen. Es soll eine weltweite Zusammenarbeit der
Zollbehörden erreicht werden. In jedem Staat muss das
Bewusstsein wachsen, das geistige Eigentum gleicher-
maßen wie das Eigentum an Geldvermögen, Grundver-
mögen und beweglichen Sachen zu bewerten und zu
schützen ist.
Der vorgelegte Gesetzentwurf will diese Verpflich-
tung auf nationaler Ebene erfüllen und besser als bisher
geistiges Eigentum schützen. Allerdings kennt die deut-
sche Rechtsordnung kein allgemeines Gesetz zum
Schutz des geistigen Eigentums. Letztlich ist es wohl
aber besser, in den Spezialgesetzen, in denen bestimmte
Lebenssachverhalte geregelt werden, dort auch hinsicht-
lich der Verletzung geistigen Eigentums Sonderregelun-
gen vorzusehen. Ein eigenes Gesetz, durch das der
Schutz des geistigen Eigentums gewissermaßen vor die
Klammer gezogen würde, wäre notgedrungen unüber-
sichtlich. Bei dem Schutz geht es ja nicht nur um die Be-
kämpfung der Produktpiraterie, sondern es geht darum,
das ganze geistige Eigentum in all seinen verschiedens-
ten Erscheinungen entsprechend zu schützen. Ein Ma-
mutgesetz ist dafür ungeeignet. Besser sind Einzelfallre-
gelungen in Spezialgesetzen.
Bei der Frage, wie der beste Schutz möglich ist, ent-
scheidet sich der Entwurf für die Verbesserung zivil-
rechtlicher Möglichkeiten zur Rechtsverfolgung von
Verletzungen des geistigen Eigentums. Ein zivilrechtli-
ches Verfahren bringt für den Bürger dann das beste Er-
gebnis, wenn er dadurch schnell und unkompliziert die
Rechtsverfolgung aufnehmen kann. Deshalb ist in dem
Entwurf ein Auskunftsanspruch gegen Dritte vorgese-
hen. Häufig hat der Rechteinhaber nämlich nur die Mög-
lichkeit, sich an Personen zu wenden, die an der Eigen-
tumsverletzung nicht direkt beteiligt sind, die aber
Kenntnis über die Identität des Rechtsverletzers haben.
Das gilt zum Beispiel für den Spediteur, der zwar die ge-
fälschte Ware liefert, der aber mit der Rechtsverletzung
selber nichts zu tun hat. Nach dem Entwurf muss künftig
der Spediteur als Dritter gegenüber dem Rechteinhaber
Auskunft erteilen, von wem er die Ware erhalten hat.
Auf diesem Weg kommt der Rechteinhaber besser an
den Schädiger heran und kann so schnell und erfolgver-
sprechend seinen Unterlassungsanspruch und Schaden-
ersatzanspruch geltend machen.
In die gleiche Richtung geht die Verbesserung der Be-
schlagnahme der Ware an der Grenze. Wird künftig die
gefälschte Ware sichergestellt, kann sie dann in einem
vereinfachten Verfahren vernichtet werden. Eine gericht-
liche Feststellung einer Rechtsverletzung und die ge-
richtliche Erlaubnis zur Vernichtung der Ware ist nicht
mehr zwingend geboten. Der Rechteinhaber kann so
schneller und kostengünstiger sein Recht gegenüber dem
Rechtsverletzer durchsetzen.
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Im Gesetz soll klargestellt werden, dass bei der Be-
echnung des Schadenersatzanspruches sowohl der vom
echtsbrecher gemachte Gewinn als auch alternativ eine
iktive Lizenzgebühr geltend gemacht werden kann.
Allerdings gibt es auch Kritik. Sie richtet sich vor al-
em gegen den Richtervorbehalt. Wie bereits oben vor-
etragen, ist die Umsetzung des zivilrechtlichen An-
pruchs gegen Dritte, die nicht selbst Rechtsverletzer
ind, für den Rechteinhaber von zentraler Bedeutung,
eil er auf diesem Weg schneller an den Rechtsverletzer
erankommt. Dies hat bei Rechtsverletzungen im Inter-
et große Bedeutung. Hier kann der Rechteinhaber über
ie Inanspruchnahme des ISP herausfinden, welcher
utzer zum gegebenen Zeitpunkt die festgestellte
echtsverletzung begangen hat. Der Entwurf sieht für
iese Fallkonstellation einen Richtervorbehalt vor, weil
ommunikationsdaten ins Spiel kommen. Diese Kom-
unikationsdaten genießen besonderen Schutz. Deshalb
ei, so der Entwurf, der Richtervorbehalt aus verfas-
ungsrechtlichen Gründen erforderlich. Dieser Richter-
orbehalt erschwert aber die Rechtsverfolgung. Sobald
in Urheber entdeckt, dass sein Werk illegal im Internet
ngeboten wird, bleibt ihm dann der direkte Weg zum
nternet-Provider abgeschnitten. Er muss sich zunächst
n das Gericht wenden, um von dort eine richterliche Er-
aubnis für die Auskunft des Internet-Providers über die
dentität des illegalen Nutzers zu erhalten. Das ist sehr
mständlich.
Im Übrigen ist diese Argumentation auch nicht stich-
altig. Der Urheber will ja gerade nicht Auskunft über
erkehrsdaten haben. Diese hat er schon, weil er sonst
ar nicht an den Internet-Service-Provider herantreten
önnte. Die Verkehrsdaten sind nämlich nichts anderes
ls die IP-Adresse, die der Rechteinhaber im Internet
usgemacht hat und mit der er später den illegalen Nut-
er identifizieren kann. Der Internet-Provider muss aber
uvor die Bestandsdaten mitteilen und sagen, wer sich
inter der IP-Adresse verbirgt. Es geht daher nicht da-
um, festzustellen, wer wann mit wem kommuniziert hat,
ondern es geht allein darum, der IP-Adresse, die nur ei-
er Person zugeordnet werden kann, ein Gesicht zu ge-
en. Damit hat die IP-Adresse keine andere Funktion als
ie Nummer eines gewöhnlichen Telefonanschlusses.
m aber einen Telefonanschluss ausfindig zu machen,
st der Richtervorbehalt nicht nötig, sonst müsste man
ede Telefonauskunft unter den Richtervorbehalt stellen.
n Österreich ist im Zuge der Umsetzung der fraglichen
U-Richtlinie ein entsprechender Auskunftsanspruch
hne Richtervorbehalt normiert worden.
Der Gesetzentwurf sieht auch vor, dass eine Auskunft
ur dann erteilt werden darf, wenn eine Urheberrechts-
erletzung im geschäftlichen Verkehr begangen wurde.
er Auskunftsanspruch gegen den Dritten kann also nur
rteilt werden, wenn der Dritte gewerblich gehandelt
nd der Verletzter selbst ebenfalls gewerblich gehandelt
at. Dadurch aber wird das Instrument des Auskunftsan-
pruchs gegenüber dem Dritten sehr stark beeinträchtigt,
m Grunde genommen marginalisiert. Die Vielzahl der
echtsverletzungen geht von denen aus, die nicht ge-
erbsmäßig illegal geistige Produkte herunterladen. Ge-
ade also der Auskunftsanspruch bei nicht gewerblichem
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007 9637
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Handeln des Verletzers ist deshalb von entscheidender
Bedeutung.
Das Erfordernis des gewerblichen Ausmaßes auf-
seiten der Rechtsverletzer ist daher zu streichen. Wie soll
im Übrigen der Rechteinhaber den Nachweis führen,
dass der illegale Nutzer gewerblich gehandelt hat?
Durch das einfache Aufrufen einer Dateiliste ist ein sol-
cher Beweis nicht zu führen. Es gibt nämlich inzwischen
Techniken, die eine derartige Dateiaufstellung verhin-
dern. Hinzu kommen dynamisch wechselnde IP-Adres-
sen, die das Auffinden einer bestimmten Person eben-
falls nicht erleichtern.
Ein weiteres Problem taucht bei der Deckelung der
Rechtsanwaltsgebühren auf. Hat nämlich der Urheber
den Rechtsverletzer ausfindig gemacht und will er einen
Rechtsanwalt beauftragen, den Unterlassungsanspruch
und vielleicht auch den Schadenersatzanspruch geltend
zu machen, kann er von den anfallenden Rechtsanwalts-
gebühren nur 50 Euro gegenüber dem illegalen Nutzer
geltend machen. Den Rest der angefallenen Gebühren
muss er selbst tragen. Das ist nicht einzusehen.
Dabei hilft es auch nichts, die Debatte emotional auf-
zuheizen, etwa: Schülerin S. hat eine einzelne Musikda-
tei illegal in eine Internet-Tauschbörse eingestellt. Sie
hat kein Geld, um den gegnerischen Anwalt zu bezahlen.
Egal ob es sich um eine Schülerin oder einen Minister
handelt: Das Verhalten stellt eine glasklare Urheber-
rechtsverletzung dar, und der Schädiger hat die Rechts-
verfolgungskosten zu tragen, wie dies in unserer Rechts-
ordnung ansonsten auch entsprechend vorgesehen ist. Es
ist nicht einzusehen, dass von diesem Grundsatz hier
eine Ausnahme gemacht werden soll.
Dennoch dürfen wir feststellen, dass die Bundesregie-
rung einen Gesetzentwurf vorgelegt hat, den es natürlich
noch zu diskutieren gilt, der aber alles in allem einen
Schritt nach vorne darstellt. Auch meinen wir, dass die
Anregungen des Bundesrates zu berücksichtigen sind.
Darüber hinaus werden auch durch die Anhörung der
Sachverständigen entsprechende Vorschläge gemacht
werden, die im Rahmen der parlamentarischen Beratung
berücksichtigt werden können.
Dirk Manzewski (SPD): Mit dem heute hier ande-
battierten Gesetzentwurf zur Verbesserung der Durchset-
zung von Rechten des geistigen Eigentums wollen wir
die entsprechende europäische Richtlinie umsetzen und
damit die Stellung der Rechteinhaber beim Kampf gegen
Produktpiraterie stärken.
Leider nimmt Produktpiraterie ständig zu und richtet,
insbesondere in Ländern wie Deutschland, die auf die
Kreativität und das Know-how ihrer Menschen setzen
müssen, erhebliche wirtschaftliche Schäden an. Dadurch
werden nicht nur Arbeitsplätze vernichtet, gefälschte
Produkte stellen auch oftmals ein erhebliches Sicher-
heitsrisiko dar.
Ein Hauptproblem bei der Verfolgung von Produkt-
piraterie liegt bislang darin, dass die Rechteverletzer oft
schwer zu identifizieren sind, da die entsprechenden
Informationen über deren Identität häufig bei Dritten lie-
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en. Die Rechteinhaber sollen daher künftig unter
estimmten Voraussetzungen auch einen Auskunfts-
nspruch gegen diese Dritte haben, um ihre Rechte bes-
er durchsetzen zu können.
Nun wird zum Beispiel vom Bundesrat kritisiert, dass
ieser Auskunftsanspruch unter dem Richtervorbehalt
tehen und nur dann gelten soll, wenn die Rechtsverlet-
ung im geschäftlichen Verkehr begangen worden ist.
ch bin hier nicht festgelegt, aber lassen Sie mich hierzu
nsoweit zwei Dinge anmerken. Erstens. Der Richtervor-
ehalt soll nur bei Auskunft von Verkehrsdaten im Sinne
on § 3 Nr. 30 TKG Anwendung finden, und wir sollten
ns darüber im Klaren sein, dass wir in diesem Zusam-
enhang von äußerst sensiblen Daten reden, die nicht
ur wegen ihrer Nähe zu Art. 10 Grundgesetz besonders
chutzwürdig sind. Zweitens. So wie ich die Richtlinie
erstanden habe, ist dort vorgegeben, dass der Aus-
unftsanspruch gegenüber Dritten nur bei Rechtsverlet-
ungen im geschäftlichen Verkehr gilt, sodass wir hier
ar keinen Spielraum haben dürften. Ich lasse mich aber
erne in der wohl anstehenden Sachverständigen-
nhörung vom Gegenteil überzeugen.
Gut finde ich, dass wir mit dem Gesetz klarstellen,
ass nach Wahl des Verletzten neben dem konkret ent-
tandenen Schaden auch der Gewinn des Verletzers oder
ine angemessene fiktive Lizenzgebühr als Grundlage
ür die Berechnung des Schadensersatzes dienen kann.
ir sollten hier allerdings den Vorschlag des Bundes-
ates, die doppelte Lizenzgebühr als Gewinnvermutung
estzulegen, zumindest weiterdiskutieren. Die ableh-
ende Gegenäußerung der Bundesregierung hat mich
islang noch nicht überzeugt. Dies kann aber noch pas-
ieren. Positiv hervorzuheben sind weiterhin die verbes-
erten Möglichkeiten der Vorlage und Sicherung von
eweismitteln, die Erleichterung des Schutzes geografi-
cher Herkunftsangaben sowie die Grenzbeschlagnah-
everordnung.
Abschließend möchte ich noch ein heikles Thema an-
prechen. Leider kommt es auch immer häufiger vor,
ass Otto Normalverbraucher Urheberrechtsverletzun-
en begeht. Wer Sachen im Internet verkauft, beschränkt
ich oft nicht nur auf den Text, sondern nutzt die neuen
echnischen Möglichkeiten und platziert als Anlagen
um Beispiel Bilder vom Verkaufsgegenstand, ohne zu
hnen, dass diese urheberrechtlich geschützt sind. Oder
eim Musik downloaden kann es passieren, dass man,
hne es zu ahnen, sich in ein System eingeklinkt hat, in
em man dann selbst dieses Musikstück unerlaubt anbie-
et. Auch die gedankenlose Verwendung von urheber-
echtlich geschützten Fotos und Karten aus dem Internet
uf der eigenen Homepage kommt nicht selten vor.
olge hiervon sind dann Abmahnungen, die sich nicht
elten genug im Bereich um 4 000 Euro bewegen. Damit
ir uns nicht falsch verstehen. Dies alles ist und bleibt
echtswidrig. Dem Bürger soll durchaus deutlich ge-
acht werden, dass er sich nicht einfach fremden geisti-
en Eigentums bedienen darf. Man muss jedoch attestie-
en, dass vielen dieses Unrecht einfach noch nicht
ekannt ist und man sich immer mehr des Eindrucks
icht erwehren kann, dass es sich bei den Abmahnwellen
eniger um Urheberrechtsschutz, sondern allein um Ge-
9638 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007
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schäftemacherei handelt. Ich halte es daher für richtig,
die Kosten für die erste Abmahnung ich betone dies:
für die erste Abmahnung bei einfach gelagerten Fällen
mit einer nur unerheblichen Rechtsverletzung außerhalb
des geschäftlichen Verkehrs zu beschränken. Ich meine
jedoch, dass der im Gesetzentwurf insoweit gewählte
Kostenansatz von 50 Euro wiederum zu niedrig ange-
setzt ist und eher dazu führen wird, Urheberrechtsver-
stöße aus Kostengründen überhaupt nicht mehr zu ver-
folgen.
Insgesamt halte ich den vorliegenden Gesetzesent-
wurf für gelungen und freue mich schon auf die anste-
henden Diskussionen.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP):
Heute ist der 26. April. Heute ist der Welttag des geisti-
gen Eigentums. Heute ist kein guter Tag für das geistige
Eigentum in Deutschland, denn der Regierungsentwurf
für die Umsetzung der EU-Richtlinie zur Verbesserung
der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums
ist eine Enttäuschung. Die Bundesregierung hat den
Schutz des geistigen Eigentums auf ihrer Agenda zu
Recht weit oben platziert. Auch im Rahmen der deut-
schen EU-Ratspräsidentschaft betont die Bundesregie-
rung die Bedeutung des geistigen Eigentums. Mit die-
sem Gesetzentwurf entlarvt die Bundesregierung ihre
eigenen Zielsetzungen aber einmal mehr als bloße Lip-
penbekenntnisse.
Produktfälschungen, Raubkopien oder illegale Down-
loads aus dem Internet sind keine Kavaliersdelikte, son-
dern eine ernsthafte wirtschaftliche Bedrohung. Durch
die Verletzung der gewerblichen Schutzrechte und des
Urheberrechts entstehen Jahr für Jahr Schäden in Millio-
nenhöhe. Und ich möchte hier ganz bewusst betonen,
dass ein erheblicher Teil dieser Schäden auf das Konto
von nicht gewerblichen Rechteverletzern geht. Das geis-
tige Eigentum bildet heute das Rückgrat wichtiger Teile
unserer Volkswirtschaft. Nur wenn die Rechte des geisti-
gen Eigentums angemessen geschützt werden, kann eine
angemessene Vergütung der Rechteinhaber gewährleis-
tet und ein zufriedenstellender Ertrag dieser Investitio-
nen in Innovation und Kreativität sichergestellt werden.
Auf der Grundlage der europäischen Vorgaben sieht
der Gesetzentwurf Neuregelungen in einer Fülle von Ge-
setzen zum Schutz des geistigen Eigentums vor, vom Pa-
tent- bis zum Sortenschutzrecht. Es ist aber kein Zufall,
dass die bisherige Debatte im Wesentlichen um die urhe-
berrechtlichen Aspekte des Regierungsentwurfs kreist.
Auch die FDP sieht hier die größten Mängel. Im Zen-
trum dieser Diskussion steht der Auskunftsanspruch ge-
gen Provider. Die digitale Technik eröffnet nicht nur für
die Herstellung und die Verwertung geschützter Werke
bisher ungeahnte neue Möglichkeiten. Zugleich schafft
die Digitaltechnik auch eine völlig neue Dimension der
Bedrohung für das geistige Eigentum. Einmal im Inter-
net zugänglich gemacht, kann das Werk dem Rechte-
inhaber in den Tiefen des digitalen Universums völlig
entzogen werden.
In ihrer Angst vor einem totalen Kontrollverlust stel-
len viele die Regelungskraft des Rechts infrage. Es wäre
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erheerend, wenn der Eindruck entsteht, das Internet sei
in rechtsfreier Raum. Es ist unsere Aufgabe als Gesetz-
eber, diese Befürchtungen zu zerstreuen. Voraussetzung
ür jede effektive Rechtsverfolgung ist die Feststellung
er Identität des Rechteverletzers. Das ist eine juristi-
che Selbstverständlichkeit. Die Richtlinie sieht bei
echtsverletzungen im Internet nun einen Auskunfts-
nspruch gegen die Provider vor.
Nach dem Regierungsentwurf soll der Auskunfts-
nspruch aber auf Rechtsverletzungen begrenzt sein, die
m geschäftlichen Verkehr erfolgen. Das ist verfehlt.
enn diese durch die Richtlinie nicht vorgegebene Ein-
chränkung würde dazu führen, dass der Hauptanwen-
ungsfall des Auskunftsanspruchs gegenüber Dritten,
ie Verletzung des Urheberrechts im Internet, leerlaufen
ürde und die Rechteinhaber schutzlos gestellt würden.
er gesamte Bereich der sogenannten Tauschbörsen
äre so zum Beispiel ausgenommen. Das geht nicht.
as Internet darf keine Blackbox sein, die durch unan-
reifbare Anonymität zu einem Paradies für Rechtsver-
etzer wird.
Eine andere schwierige Frage ist, welche zusätzlichen
echtlichen Voraussetzungen an den Auskunftsanspruch
u stellen sind. Konkret: Ist ein Richtervorbehalt erfor-
erlich oder nicht? Sie wissen, dass der Schutz perso-
enbezogener Informationen den Liberalen und mir ganz
ersönlich ein Herzensanliegen ist. Ob der Richtervorbe-
alt hier wirklich notwendig ist, lässt sich so einfach
ber nicht beantworten. Unstreitig unterfällt die Heraus-
abe von sogenannten Bestandsdaten jedenfalls nicht
em Fernmeldegeheimnis. Dies gilt auch für die Be-
anntgabe von Namen und Anschrift der Person, der
ine feste, sogenannte statische IP-Adresse vom Inter-
et-Service-Provider zugeordnet wurde.
Die Problematik, mit der wir es hier zu tun haben, hat
hre Ursache darin, dass die Internetserviceprovider nor-
alen Internetnutzern bei jeder Einwahl eine neue IP-
dresse zuordnen. Das hat allein technische Gründe.
m dieser dynamischen IP-Adresse einen Namen zuord-
en zu können, ist aber die Kenntnis der Verbindungs-
aten erforderlich. Inwieweit sind hier das Fernmeldege-
eimnis oder andere Rechtsgüter mit Verfassungsrang
angiert?
Mit dem neuen Auskunftsanspruch betreten wir juris-
isches Neuland. Die Frage lautet: Wie schutzbedürftig
ind die Identität und Daten desjenigen, der sich bewusst
ns Internet begibt, um dort Rechtsverletzungen zu bege-
en? Das ist eine schwierige Frage, die wir noch einmal
ehr ausführlich erörtern müssen. Hier darf der Gesetz-
eber es sich nicht leicht machen.
Lassen Sie mich noch auf einen weiteren Punkt im
esetzentwurf hinweisen, der gründlich misslungen ist:
ie geplante Begrenzung der erstattungsfähigen Rechts-
nwaltskosten bei Abmahnungen in einfach gelagerten
ällen mit unerheblichen Urheberrechtsverletzungen.
ie ist ein Irrweg. Ich bin sehr dafür, dass wir auf geeig-
ete Weise Missbrauch bekämpfen, wo wir Missbrauch
eststellen. Dass es auch im Bereich von Abmahnungen
issbräuchliches Verhalten gibt, ist bekannt. Aber die
on der Bundesregierung vorgesehene Regelung ist pu-
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007 9639
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rer Populismus und in der Sache verfehlt. Eine Begren-
zung der Abmahngebühren würde dazu führen, dass der
Rechteinhaber die Kosten selbst trägt, soweit die Vergü-
tung des Rechtsanwalts höher als 50 Euro ist, und zwar
auch dann, wenn die Abmahnung an sich berechtigt war.
Damit wird das in Deutschland geltende Prinzip des
Schadensersatzes durchbrochen. Das ist nicht akzepta-
bel. Und mit Stärkung des geistigen Eigentums hat das
Ganze wirklich nichts zu tun.
Lassen Sie uns in den kommenden Wochen den Re-
gierungsentwurf so ändern, dass wir das Ziel der Richtli-
nie auch wirklich erreichen: die Verbesserung der
Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums.
Wolfgang Neković (DIE LINKE): Betrachte ich
mir den vorliegenden Gesetzentwurf im Lichte der aktu-
ellen Streitereien innerhalb der Koalition, mache ich mir
vor allem Gedanken über den Schaden, den ein Lob aus-
lösen könnte.
Diese etwas kryptische Formel will ich Ihnen gerne
auflösen: Zunächst zum Lob und dann zum befürchteten
Schaden.
Weder ist der Entwurf aus unserer Sicht perfekt, noch
bestände etwa kein Diskussionsbedarf. Das Wesentliche
aber ist: Der Entwurf trägt tatsächlich einmal eine klar
erkennbare sozialdemokratische Handschrift.
Wenn man die Grundauffassung teilen will, dass die
gewachsenen technischen Möglichkeiten zur Verbrei-
tung geistiger Arbeitsergebnisse im Internet einen ge-
steigerten Schutz dieser Arbeitsergebnisse notwendig
machen dann sucht der Entwurf einen angemessenen
Ausgleich zwischen den gegebenen Interessen. Er sucht
einen Ausgleich zwischen dem Interesse der Rechtsinha-
ber nach der Verteidigung ihrer Rechte und dem Inte-
resse der Verbraucher, vor überzogenen Abmahnungs-
kosten wegen etwaiger Rechtsverletzungen geschützt zu
werden.
Dies ist ein kluges und sozial reflektiertes Anerkennt-
nis der veränderten Realität.
Eine Realität weltumspannender Kommunikation, in
der Unbedarfte ausgesprochen leicht und schnell in Kon-
flikt mit dem geistigem Eigentum Anderer gelangen
können, weil sie etwa einen Kartenausschnitt oder ein
Logo in ihren privaten Webauftritt einbauen, von dem
sie gutwillig annahmen, er unterläge keinen rechtlichen
Beschränkungen.
Eine Realität, in der eine effektive zivile Rechtsver-
folgung oft an der Unkenntnis über die Person eines
Verletzers scheitert, weil dessen Identifizierung die Klar-
legung einer IP-Adresse erforderte, zu der Provider na-
türlich nur eingeschränkt bereit sind. Eine zivilrechtliche
Klage aber kann nicht gegen Unbekannt erhoben wer-
den. IP-Adressen taugen eben nicht für die erforderliche
Bezeichnung des Beklagten im Antrag des Klägers. Bis-
lang war damit eine effektive Rechtsverfolgung oft nur
möglich, wenn der Verletzte sich dazu der Erkenntnisse
der Staatsanwaltschaft und der Strafgerichte in einem
vorgeschalteten Strafverfahren bedienen konnte. Man
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ird aber anerkennen müssen, dass zivilrechtliche Er-
atzansprüche gegen einen Verletzer häufig schon vor
er Grenze strafwürdigen Verhaltens bestehen können.
Außerdem ist es den Staatsanwaltschaften und Straf-
erichten kaum auf Dauer zumutbar, sich als notwendige
rfüllungsgehilfen zivilrechtlicher Kompensation bereit-
uhalten. Deshalb ist der vom Entwurf vorgesehene
uskunftsanspruch des Verletzten gegen den Dritten
berlegenswert.
Er ist aber nur überlegenswert, weil er im Wege einer
orangehenden richterlichen Anordnung durchgesetzt
erden soll. Ich erinnere daran: Der Vorbehalt richterli-
her Anordnung für sich genommen ist schon keine Ga-
antie für Rechtsstaatlichkeit. Fehlt er jedoch ganz, ist
icht einmal der Versuch unternommen worden, Rechts-
taatlichkeit durch ein formales Verfahren zu sichern.
Ich komme darauf gleich zurück.
Die vom Entwurf vorgesehenen Erleichterungen für
ie Rechtsverfolgung sind also in der Tendenz ebenso
ichtig, wie die Begrenzungen der Abmahnungskosten in
infach gelagerten Fällen. Diese richtige Tendenz ent-
immt der Entwurf natürlich den bestehenden europäi-
chen Vorgaben. Das hindert aber gar nicht das Lob. Na-
ürlich kann der Gärtner noch gründlich verderben, was
hm die Baumschule geliefert hat.
Doch nun zum befürchteten Schaden, den das Lob
uslösen kann. Es ist nicht etwa so, dass wir uns dafür
ürchten, einen Entwurf der Regierung in Teilen zu lo-
en, weil uns das unsere Anhänger übel nehmen. Die
enken in aller Regel hoch differenziert und werden
aum überrascht sein, dass eine Regierung unter sozial-
emokratischer Beteiligung auch einmal etwas Brauch-
ares produziert. Die Gefahr liegt ganz woanders.
Den befürchteten Schaden skizziert uns Frau Ministe-
in Zypries in der Presseerklärung ihres Hauses vom
4. Januar diesen Jahres.
Ich zitiere:
Ich weiß, dass insbesondere in der CDU im Deut-
schen Bundestag die Auffassung vertreten wird,
man könne auf den Richtervorbehalt in Teilen ver-
zichten. Diese Frage soll im Verfahren erörtert und
nach der Anhörung der Sachverständigen entschie-
den werden.
Es gibt eine gewachsene, ganz und gar nicht christli-
he Tradition der CDU, die SPD auf dem schwachen
uß zu suchen und auch zu erwischen. Der schwache
uß war stets der linke.
Frau Zypries strauchelt gerade auf dem linken Fuß,
enn sie bekannt gibt, die Frage des Richtervorbehaltes
ei diskutabel. Ich hoffe, dass es nur ein strategisches
traucheln zur Erhaltung der Verhandlungsbereitschaft
ar und die Ministerin unser Lob für die gegenwärtige
truktur des Entwurfes am Ende nicht aus dem Gleich-
ewicht bringt. Hier liegt der Schaden, von dem ich ein-
angs meinte, dass ihn unser Lob auslösen kann. Das
indeutig Falsche wäre nämlich, das zivile Auskunftsbe-
ehren ohne Richtervorbehalt zu verabschieden. Es wäre
9640 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007
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grundfalsch, weil dies eine Hexenjagd gegen die Ver-
braucher auslösen kann. Jeder Verdacht geriete unge-
prüft zum Anlass für die vielfache Offendeckung von
Identitäten und Adressen, von denen wir überdies ganz
und gar nicht annehmen können, dass sie nach Ausräu-
mung der Verdachte insbesondere von den Servern der
großen Unternehmer wieder brav gelöscht werden.
Frau Zypries, ich hoffe daher, dass Sie nun mit un-
serem Lob am linken Bein dennoch standfest bleiben.
Die zulässige Grenze zwischen der informationellen
Selbstbestimmung und Wirtschaftsinteressen verläuft
genau hier. Am Richtervorbehalt entlang. Bleibt der
Richter draußen, ist die Grenze in jedem Fall falsch ge-
zogen!
In diesem Fall dürfen Sie mit unserem energischen
Widerstand rechnen.
Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Un-
sere Rechtsordnung schützt das verfassungsrechtlich
verankerte Recht am geistigen Eigentum und verleiht da-
durch Kreativen Rechte an ihren Werken. Diese Rechte
sind aber nur dann wirksam, wenn sie tatsächlich auf
rechtsstaatlichem Weg durchsetzbar sind. Moderne
Vertriebsformen, insbesondere im Internet, bei denen
Rechtsverletzungen vorkommen, erschweren deren Gel-
tendmachung. Informationen, die zur Durchsetzung von
Rechten am geistigen Eigentum erforderlich sind, liegen
möglicherweise bei Dritten. Deshalb ist das Anliegen
der sogenannten Enforcement-Richtlinie und des vorlie-
genden Umsetzungsgesetzentwurfs, das Dreiecksver-
hältnis zwischen Rechtsinhaber, Verletzer und Drittem
neu auszugestalten, nachvollziehbar und im Grundsatz
richtig.
Im Mittelpunkt steht der Auskunftsanspruch gegen
Dritte: Künftig soll der Rechtsinhaber von einem Dritten
Auskunft über den Verletzer verlangen dürfen voraus-
gesetzt, die Rechtsverletzung ist offensichtlich oder es
wurde bereits Klage erhoben. Mit der offensichtlichen
Rechtsverletzung geht die Regierung über EU-Vorga-
ben hinaus. Ob es ihr gelungen ist, dabei Drittauskunfts-
ansprüche ausreichend restriktiv zu gestalten, werden
wir im weiteren Verfahren prüfen.
Der Dritte muss ferner im gewerblichen Ausmaß, der
Verletzer im geschäftlichen Verkehr gehandelt haben.
Gegen einen Internetprovider ist ein Auskunftsanspruch
somit ausgeschlossen, wenn die Handlung des Verletzers
nicht über das hinausgeht, was der Nutzung zum priva-
ten Gebrauch entspricht. Diese Begrenzungen entspre-
chen dem Wortlaut von Art. 8 und Erwägungsgrund 14
der Richtlinie. Dass auch der Verletzer im geschäftlichen
Verkehr gehandelt haben muss, gehört allerdings zur
Klarstellung in den Gesetzestext und nicht nur in die Be-
gründung. Weitere Formulierungsschwächen sind hier
noch auszubügeln.
Die Gemüter empören sich lautstark darüber, dass der
Drittauskunftsanspruch von einer gerichtlichen Prüfung
abhängig sein soll, wenn die Auskunft nur unter Verwen-
dung von Verkehrsdaten erteilt werden kann. Eigentlich
erstaunlich, denn Art. 8 der Richtlinie sieht dies vor
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brigens nicht nur begrenzt auf Verkehrsdaten. Es wäre
eshalb nicht fernliegend gewesen, einen allgemeinen
ichtervorbehalt für jeden Fall des Auskunftsanspruchs
egen einen immerhin stets unbeteiligten Dritten
orzusehen. Die Regierung hat lediglich dort eine rich-
erliche Prüfung vorgesehen, wo für die Auskunftsertei-
ung Verkehrsdaten verwendet werden. Ich gehe davon
us, dass die Koalition die Schutzwürdigkeit personen-
ezogener Daten im weiteren Verfahren nicht aus den
ugen verliert und im Übrigen der Prüfbitte des Bundes-
ats zu weiteren datenschutzrechtlichen Bedenken be-
onders im Zusammenhang mit der intendierten Vorrats-
atenspeicherung ernsthaft nachkommt.
Bereits jetzt werden Forderungen nach der Einfüh-
ung eines Strafschadenersatzes bei Verletzungen geisti-
er Eigentumsrechte erhoben. Diese Amerikanisierung
es Schadensrechts wollen wir nicht. Der Verletzer soll
ach geltender Rechtsdogmatik weiterhin verpflichtet
leiben, nur den tatsächlichen Schaden selbstverständ-
ich inklusive Gewinn zu ersetzen. Strafe aber erfolgt
ur dort, wo strafwürdiges Unrecht entsteht. Dies regelt
n Deutschland bekanntlich allein das Strafrecht.
Die Begrenzung der Abmahngebühr ist ein begrü-
enswerter Schritt, da Auswüchsen und völlig unverhält-
ismäßigen Gebühren Einhalt geboten werden muss.
arum die Gebühr nur im Urheberrecht und nicht im ge-
amten Recht des geistigen Eigentums begrenzt werden
oll, bleibt sachlich unbegründet.
Es gibt zu dem Entwurf trotz unserer grundsätzli-
hen Zustimmung also noch gewichtigen Diskussions-
edarf.
Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der
undesministerin der Justiz: Heute ist der internationale
ag des geistigen Eigentums; Anlass genug, um die be-
ondere Leistung von Künstlern und Kreativen, von
üftlern und Erfindern zu würdigen. Wir dürfen es aber
icht bei Lippenbekenntnissen belassen. Nur wenn wir
as hohe Schutzniveau, das wir in Deutschland bereits
aben, weiter verbessern und es an die technischen Ent-
icklungen anpassen, erhalten und fördern wir die Inno-
ationskraft unserer Wirtschaft. Und diese Innovations-
raft ist ein ganz wichtiger Motor für die Erhaltung von
rbeitsplätzen und die Schaffung neuer Arbeitsplätze.
Der vorliegende Gesetzentwurf erleichtert den Kampf
egen Produktpiraterie und stärkt damit das geistige Ei-
entum. Wer von Piraterie und Fälschungen betroffen
st, soll leichter an die Hintermänner herankommen und
ich besser gegen Rechtsverletzungen zur Wehr setzen
önnen. Die Neuerungen sollen das Patentrecht, das
arkenrecht und das Urheberrecht erfassen. Deshalb än-
ern wir unter anderem die drei entsprechenden Gesetze
eitgehend wortgleich. Im Mittelpunkt stehen dabei
uskunftsansprüche gegen Dritte, die wir erstmals
chaffen. Sehr häufig liegen die Informationen, die er-
orderlich sind, um den Rechtsverletzer zu identifizieren,
ei Dritten, die selbst gerade nicht Rechtsverletzer sind.
ehmen Sie etwa den Spediteur, der regelmäßig Waren
om Hamburger Hafen quer durch die Republik trans-
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007 9641
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portiert. Wenn sich herausstellt, dass das alles Plagiate
sind, dann ist es für den Rechteinhaber wichtig, von dem
Spediteur zu erfahren: Wo sitzen die Auftraggeber und
Hintermänner, wo hat man die Waren überall hintrans-
portiert? Der Spediteur soll Auskunft geben müssen, und
zwar auch dann, wenn er selbst arglos war und gar nicht
wusste, dass es sich um Plagiate handelte. Was für den
Transport auf der Autobahn gilt, soll im Grundsatz auch
für den Datenhighway des Internet gelten. Deshalb kön-
nen in Zukunft beispielsweise auch Internet-Service-
Provider zur Auskunft verpflichtet werden. Unser Vor-
schlag sieht dabei allerdings vor, dass ein Richter über
den Auskunftsanspruch entscheidet, wenn bei der Dritt-
auskunft Verkehrsdaten betroffen sind. Das können bei-
spielsweise Daten über die Nutzung von Tauschbörsen
sein.
Ich möchte für den gewählten Weg werben. Bei der
Auskunft über Verkehrsdaten sind sensible Daten betrof-
fen, die wegen ihrer Nähe zu Art. 10 des Grundgesetzes
besonders schützenswert sind. Diese sollten daher nur
herausgegeben werden, wenn vorher ein Richter den An-
spruch geprüft hat. Dabei müssen wir immer im Auge
behalten, dass die Dritten zur Auskunft verpflichtet wer-
den, obwohl sie selbst keine Rechtsverletzung begangen
haben. Sie sind Unbeteiligte.
Mit dem Gesetzentwurf haben wir ein anderes Ele-
ment verbunden, das nicht durch die Richtlinie vorgege-
ben wird: die Deckelung der Abmahnkosten. Es geht da-
bei darum, dass einige wenige mit den Abmahnkosten
Geschäftemacherei betrieben haben, bei der am Ende die
Gerechtigkeit auf der Strecke geblieben ist. Uns hat dazu
eine wahre Flut von Bürgerbriefen erreicht, die nach-
drücklich zeigen, dass wir hier handeln müssen. Es steht
aber außer Frage, dass auch in Zukunft der Rechteinha-
ber den Verletzer abmahnen kann, aber bitte mit Augen-
maß. Die Kosten für eine erstmalige Abmahnung sollen
deshalb unter drei Voraussetzungen begrenzt werden: Es
muss sich erstens um einen einfach gelagerten Fall
handeln. Die Sache muss sich zweitens außerhalb
des geschäftlichen Verkehrs abspielen, und drittens darf
es nur zu einer unerheblichen Rechtsverletzung gekom-
men sein. Unter diesen sehr engen Voraussetzungen ist
es zu vertreten, die Kosten gegenüber dem Verbraucher
zu begrenzen. Wir erschweren damit den Missbrauch
von Abmahnungen, aber wir sorgen zugleich dafür, dass
dieses Instrument für all jene erhalten bleibt, die sich
redlich gegen Verletzungen ihrer Rechte zur Wehr set-
zen.
Wir verfolgen gemeinsam das Ziel, einen angemesse-
nen Schutz des geistigen Eigentums zu erreichen. Mit
dem Regierungsentwurf haben wir bei der Vielzahl der
beteiligten Interessen eine faire und angemessene Lö-
sung vorgelegt. Ich bin überzeugt, dass die verschiede-
nen Aspekte bei den weiteren Beratungen noch intensiv
diskutiert und der Entwurf an der einen oder anderen
Stelle noch nachjustiert werden wird. Ich hoffe, dass am
Ende ein Gesetz steht, das sich auf eine breite Mehrheit
über die Parteigrenzen hinweg stützen kann.
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nlage 7
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung:
Antrag: Privatisierungsfolgen seriös bilan-
zieren Privatisierungen aussetzen
Entwurf eines
Gesetzes zur Änderung des
Gesetzes über den Bau und die Finanzierung
von Bundesfernstraßen durch Private (
Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetzes-
änderungsgesetz)
(Tagesordnungspunkt 14 a und b)
Georg Brunnhuber (CDU/CSU): Wir beraten heute
inen Gesetzentwurf der Linken, der die Bereitstellung
er finanziellen Mittel für dringend benötigte Verkehrs-
nfrastruktur allein aus der Haushaltsfinanzierung sicher-
tellen soll.
Mit diesem Entwurf nimmt die Linke die Realitäten
eim Zustand der Verkehrsinfrastruktur und die Misere
er öffentlichen Haushalte in Deutschland nicht zur
enntnis.
Bund, Länder und Gemeinden stecken in allen Berei-
hen der Infrastruktur in einem riesigen Investitionsstau.
esonders die Verkehrsinfrastruktur kann zukünftig
icht mehr Schritt halten mit den Anforderungen, die ein
erschärfter internationaler Wettbewerb an den Standort
eutschland stellt, wenn es uns nicht gelingt, diesen In-
estitionsstau aufzulösen.
Der von der Linken eingebrachte Entwurf gibt keine
ntworten auf dieses Problem im Gegenteil verschärft
r die vielfach prekäre Situation der Verkehrsinfrastruk-
ur noch und wird deshalb von der Fraktion der CDU/
SU abgelehnt.
Das Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetz, wel-
hes von der Linken jetzt de facto abgeschafft werden
oll, eröffnet die Möglichkeiten, zusätzliche Infrastruk-
ur zu schaffen, die über den Weg der alleinigen Haus-
altsfinanzierung in absehbarer Zeit nicht realisierbar
äre. Dies kann nach den Vorstellungen der Koalitions-
arteien nur durch die verstärkte Mobilisierung privaten
apitals geschehen. Das Instrument der öffentlich-priva-
en Partnerschaften, das die Linke nicht nur mit der Vor-
age des in Rede stehenden Gesetzentwurfs vom Grund-
atz her ablehnt, ist für uns daher ein Baustein zur
odernisierung unseres Staates und zur Bereitstellung
ringend benötigter öffentlicher Leistungen.
Der finanzielle Engpass öffentlicher Haushalte macht
ich gerade im Bereich der Verkehrsinfrastruktur in den
etzten Jahren zunehmend standortschädigend bemerk-
ar. Deshalb ist gerade hier das Instrument der öffent-
ich-privaten Partnerschaften als mögliche Finanzie-
ungsalternative zu berücksichtigen.
Eine ausschließliche Haushaltsfinanzierung, wie von
er Linken jetzt gefordert, ist vor diesem Hintergrund
eradezu illusorisch.
9642 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007
(A) )
(B) )
Die positiven Anreize für den Mittelstand, als bedeu-
tendster Arbeitgeber Deutschlands, der im Rahmen von
ÖPP-Projekten sein hohes Innovationspotenzial einbrin-
gen kann, um Arbeitsplätze zu schaffen, bleiben bei den
Vorstellungen der Linken ganz und gar unberücksichtigt.
Die Koalitionsparteien haben sich darauf verständigt,
das Finanzierungsmodell der öffentlich-privaten Partner-
schaften in vielen Bereichen weiter voranzutreiben. Mit
der Lkw-Maut, der Einrichtung der Verkehrinfrastruk-
turfinanzierungsgesellschaft (VIFG) und dem Einsatz
von Betreibermodellen sind die ersten Voraussetzungen
im Verkehrsinfrastrukturbereich dafür geschaffen wor-
den. Dieser Weg muss aber weiter konsequent beschrif-
ten werden. Daher haben sich die Koalitionsparteien
daauf verständigt, die Aufgabenstellung und Finanzie-
rungsinstrumente der VIFG zu erweitern. Hierzu wird
auch die Kreditfähigkeit der VIFG geprüft.
Konkrete Finanzierungsvorschläge außer der reinen
Haushaltsfinanzierung macht die Linke in ihrem Gesetz-
entwurf nicht. Selbst wie diese reine Haushaltsfinanzie-
rung von Verkehrsinfrastrukturvorhaben organisiert wer-
den soll, wo also das Geld konkret herkommen soll,
beantwortet sie nicht.
Die Union hat schon früh erkannt, welche Chancen
das Instrument der ÖPP für den Standort und die Be-
schäftigung in Deutschland bietet, und wird mit dem Ko-
alitionspartner ÖPP-Projekte zum Wohle unseres Allge-
meinwesens weiter vorantreiben.
Aus diesem Grund lehnt die Fraktion der CDU/CSU
den vorliegenden Entwurf der Linken ab.
Dr. Margrit Wetzel (SPD): Privatisierungen und öf-
fentlich-private Partnerschaften aussetzen möchte die
Fraktion Die Linke, und wer nur den Schafspelz des
Wolfes sehen will, mag gute Ansätze daran finden:
Selbstverständlich muss jeder Privatisierung eine gründ-
liche Nutzen-Kosten-Analyse vorausgehen, selbstver-
ständlich müssen möglichst alle Aspekte potenzieller
Veränderungen bedacht werden, ebenso selbstverständ-
lich ist die Notwendigkeit von Evaluierungen, von Ver-
hältnismäßigkeit und Zielgerichtetheit solcher Entschei-
dungen. Die von den Linken aufgelisteten Faktoren
müssen je nach konkreter Privatisierungsabsicht
ganz gewiss in der Prüfung der jeweiligen Einzelfallent-
scheidung seriös bedacht und geprüft werden. Und ge-
rade uns als Sozialdemokraten ist wichtig, dass Stand-
orte und Arbeitsplätze sicher und zukunftsfähig sind,
dass jeder Arbeitsplatz, der erhalten oder geschaffen
werden kann, sorgsam gehütet wird. Wir setzen unsere
ganze Kraft dafür ein, ein positives wirtschaftspoliti-
sches Klima und starke Arbeitnehmervertretungen zu
fördern, für uns ist der Einsatz für soziale Gerechtigkeit
und angemessene Löhne eine ständige Herausforderung!
Aber: Ihr vorliegender Antrag verlangt eine Bilanzie-
rung aller Privatisierungen seit 1995, bei der überhaupt
nicht klar wird, was eigentlich der politische Nutzen der
Ergebnisse sein soll? Ist das eine Arbeitsbeschaffungs-
maßnahme, die ganze Abteilungen im Regierungsappa-
rat für längere Zeit lahmlegen soll, bis die circa 23 Leitz-
ordner mit Antworten gefüllt wären? Was soll der
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olitische Mehrwert einer solchen Bilanz eigentlich
ein? Wollen Sie Preisveränderungen, die mit Markt und
ettbewerb zu tun haben, auf Privatisierungen reduzie-
en? Wollen Sie feststellen, ob der Anteil von Sonn- und
eiertagsarbeit sich in staatlichen oder privaten Kran-
enhäusern unterscheidet? Möchten Sie zusätzliche
chichtarbeit in modernen Industriebetrieben, die durch
ine hervorragende Auftragslage bedingt ist, als Folge
er Privatisierung veralteter Staatsbetriebe verteufeln?
teckt die platte Dämonisierung, die platte Gleichset-
ung von Privatisierung und Entlassung von Arbeitskräf-
en hinter Ihrem Antrag? Lässt Stamokap grüßen?
Ich habe einen konstruktiven Vorschlag für Ihren
raut-und-Rüben-Antrag: Herr Dr. Schui, Sie sind für
lle offensichtlich erkennbar als Initiator des Antrages.
ie haben doch immer noch das Promotionsrecht. Wa-
um loben Sie nicht Dissertationsthemen zu den Privati-
ierungsfolgen aus? Finden Sie keine Doktoranden da-
ür, und nun soll die Bundestagsverwaltung herhalten?
Doktoranden könnten dann als eigene Leistung die
otwendige Differenzierung, Kategorisierung und Expli-
ierung vornehmen, könnten feststellen, dass der von Ih-
en in Anspruch genommene DGB-Antrag mit dem Hin-
eis auf die Organisationsprivatisierung der Bahn und
eren soziale Folgen weitaus legitimer war als der jetzt
on Ihnen vorgelegte und würden vor allem die Begriffe
trukturwandel und weltweiten Kampf um Technologie-
ührerschaft ergänzen.
Was in Ihren Überlegungen oder sollte ich besser
agen: Privatisierungsalbträumen nun gar nicht vor-
ommt, ist der Umweltschutz. Keine Frage nach den Re-
uzierungen von Schadstoffen und CO2 durch die Still-
egung völlig veralteter Industriebetriebe und ihren
rsatz durch moderne, technologisch höchst fortschrittli-
he Unternehmen!
Nein, Sie bleiben uns die Erklärung schuldig, wel-
hen politischen Wert die Klärung der Frage hat, ob
ahn- oder Postreform sich auf die Frauenquote unter
en Beschäftigten ausgewirkt haben, oder wie Unter-
chiede zu bewerten sein mögen zwischen der Schichtar-
eit bei VW oder im ÖPNV? Also, ich bleibe dabei: Was
ut für wissenschaftliche Zuarbeit sein mag, ist noch
ange nicht ausreichend als Grundlage für parlamentari-
che Entscheidungen! Und wenn Sie, Herr Dr. Schui,
ann entsprechende Doktoranden fänden, die Ergebnisse
ritischer Dissertationen ließen sicher die Prognose zu,
ass die ökonomistische Brutalität des marxistischen
eynesianismus noch offenkundiger ist als die herr-
chender neoklassischer Lehren. Herzlich Willkommen
n der politischen Wirklichkeit!
Darüber hinaus wollen Sie dann auch noch das
ernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetz zu Grabe tra-
en und keine weiteren ÖPP-Projekte zulassen. Was ist
enn falsch daran, wenn wir versuchen, mehr Effizienz
urch die Partnerschaft von öffentlicher Hand und priva-
en Unternehmen zu generieren? Was ist falsch daran,
ass wir versuchen, privates Kapital für die schnellere
ealisierung von Infrastruktur einzuwerben? Ist es
alsch, wenn wir mit weniger Steuermitteln mehr und
chneller Verkehrsinvestitionen tätigen können? Sie be-
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007 9643
(A) )
(B) )
tonen zwar die Unterfinanzierung im Verkehrswege-
bau, lehnen aber alternative Finanzierungsmethoden
wie ÖPP ab und bezeichnen sie gar als Irrweg. Wieso
sollte es ein Irrweg sein, mehr privates Kapital in die Fi-
nanzierung der Verkehrswege einzubinden?
Kennen Sie eigentlich die Prognosen zur Entwicklung
des Verkehrsaufkommens? Sind Ihnen die massiven
Steigerungen, insbesondere im Güterverkehr, bewusst?
Ist Ihnen bewusst, dass die öffentlich-private Partner-
schaft in den F-Modellen nicht nur Akquise privaten Ka-
pitals ist, sondern auch einen wenn auch kleinen Ein-
stieg in die Nutzerfinanzierung von Straßen bedeutet?
Glauben Sie wirklich, dass mautpflichtige Straßenab-
schnitte für Personenfahrzeuge keine Akzeptanz in der
Bevölkerung hätten? Bei der Warnowquerung in Ros-
tock passieren täglich rund 10 000 Fahrzeuge den Tun-
nel. Sind die Interessen von über 10 000 Menschen Ih-
nen nicht eine Beachtung wert? Ich will gar nicht be-
streiten, dass die Betreiber zu Beginn mit 20 000
täglichen Fahrzeugen wesentlich höhere Erwartungen
hatten und ihre Prognosen ändern mussten. Das heißt
aber doch, dass man aus diesen Fehlern eines Pilotpro-
jektes lernen sollte. Die künftigen Verkehrsprognosen
müssen immer aktuell, umfassend sein und kritisch be-
leuchtet werden. Mit der Verlängerung der Vertragslauf-
zeit wurde bei der Warnowquerung übrigens ein für alle
Beteiligten gangbarer Weg entwickelt, der dem Leben-
szy-klusansatz der Projekte durchaus entspricht. Außer-
dem wurden in diesem Projekt bei einem Investitionsvo-
lumen von 219 Millionen Euro insgesamt nur 26
Millionen Euro aus EU Mitteln, vom Land und der Stadt
gemeinsam aufgebracht, der Bund wurde gar nicht be-
lastet.
Auch Ihr zweiter Beleg für ein vermeintliches Schei-
tern des Gesetzes, der Lübecker Herrentunnel, ist bei ge-
nauerem Hinsehen nicht angebracht. Sie kritisieren, dass
der Zuschuss des Bundes dort sogar 50 Prozent betrug.
Das ist richtig, aber richtig ist auch: Der Bund hat den
Bau zwar finanziell unterstützt, aber: Der Herrentunnel
hat die Herrenbrücke im Zuge der Bundesstraße 75 er-
setzt, deren Straßenbaulastträger der Bund war. Der
schlechte bauliche Zustand hatte den Ersatz der Brücke
erforderlich gemacht, der Bund hätte diesen leisten müs-
sen. Der Bund hat der Hansestadt Lübeck deshalb in
Höhe der ersparten Aufwendungen für den Bau und Be-
trieb eines Ersatzbrückenbauwerks in jährlichen Raten
nach Baufortschritt einen sogenannten Sockelbetrag in
Höhe von 87,8 Millionen Euro zur Verfügung gestellt.
Das heißt, hier entstand ein mit Blick auf die Hafenwirt-
schaft in Lübeck und die Schifffahrt gewünschtes Pro-
jekt, das den Bund nicht mehr Geld kostete als eine we-
niger leistungsfähige Standardlösung.
Das, was sie als komplett gescheiterte Modelle dar-
stellen, ist so gescheitert also nicht.
Dennoch ist es richtig, dass beim Fernstraßenbau-
privatfinanzierungsgesetz Verbesserungsbedarf besteht.
Das können Sie übrigens bei uns schon im Koalitions-
vertrag nachlesen, der eine Weiterentwicklung und Stär-
kung der öffentlich privaten Partnerschaften vorsieht.
Und daran arbeiten wir intensiv. Wir wollen und werden
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PP weiter voranbringen. Für mich bleibt der größte
utzen öffentlich-privater Partnerschaften nach wie vor
ie angemessene Risikoverteilung: Jeder Partner soll das
isiko übernehmen, das er am besten beherrscht, und für
en Part verantwortlich sein, worin er besser als sein
artner ist.
Ein weiterer Vorteil ist auch wenn die Linken das
bstreiten die Effizienzsteigerung, die durch viele an-
ere nationale, vor allem aber auch durch internationale
rfahrungen deutlich belegt wird.
Leider sind wir noch nicht so weit wie zum Beispiel
roßbritannien. Die Briten haben einen ÖPP-Anteil von
ut 15 Prozent bei Ihren Investitionen, also deutlich
ehr Erfahrung als wir. Oder nehmen Sie Großprojekte
ie den Flughafen in Athen, der auf der Basis einer ein-
elgesetzlichen Grundlage in kürzester Zeit unter Wah-
ung der archäologischen Schätze Griechenlands pünkt-
ich zur Olympiade fertig gestellt werden konnte. Sollten
ir wirklich die Erfahrungen deutscher Unternehmen,
ie dabei gewonnen wurden, nicht in unserem Land nut-
en? Sollen wir verzichten auf die Erfahrungsfortschritte
er beim Verkehrsministerium angesiedelte PPP Task
orce? Sollen wir verzichten auf die Kompetenz unserer
erkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft anstatt sie
uszubauen? Wir müssten mit dem Klammerbeutel ge-
udert sein, wenn wir uns nicht bemühten, Standards für
usschreibungsverfahren und Wirtschaftlichkeitsver-
leiche fortzuentwickeln und an der Verbesserung der
PP-spezifischen Rahmenbedingungen zu arbeiten.
In Deutschland beträgt das Investitionsvolumen von
PP-Projekten mit Vertragsabschluss allein im Hochbau
chon 1,4 Milliarden Euro.
Und auch Ihr Vorwurf, das Fernstraßenbauprivatfi-
anzierungsgesetz würde nicht mehr angewandt, stimmt
chlicht nicht. Der Bund lässt die Eignung von Bundes-
ernstraßenabschnitten wie zum Beispiel den Albauf-
tieg oder die Weserquerung auf ihre Eignung als F-Mo-
elle prüfen.
Immer wird es sich dabei um Einzelfallentscheidun-
en handeln, denn natürlich ist nicht jedes Projekt ÖPP-
eeignet. Öffentlich-private Partnerschaften sind nicht
er se ein Allheilmittel. Wirtschaftlichkeitsuntersuchun-
en, Machbarkeitsstudien und aktualisierte Nachfrage-
rognosen müssen die Sinnhaftigkeit von ÖPP-Projekten
elegen. Das Interesse der Privaten ist natürlich auch da-
on abhängig, ob eine angemessene Rendite für das ein-
esetzte Kapital zu erwarten ist. Für die wirtschaftliche
ntwicklung sind vorgezogene Investitionen in Infra-
truktur nicht falsch, sondern sinnvoll.
Wir sind weder bei öffentlich-privaten Partnerschaf-
en allgemein noch beim Fernstraßenbauprivatfinanzie-
ungsgesetz am Ende des Weges angelangt. Aber stehen
u bleiben, wäre verantwortungslos. Deshalb werden wir
it allem Nachdruck an der weiteren Verbesserung der
ahmenbedingungen für ÖPP in Deutschland arbeiten!
Jan Mücke (FDP): Wieder einmal haben wir einen
ntrag der Linken vorliegen, der unsinnigen Bürokratis-
us nach sich zieht. Diesmal sollen Privatisierungsmaß-
9644 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007
(A) )
(B) )
nahmen ausgesetzt werden, bis die Folgen scheinbar se-
riös bilanziert sind.
Aus diesem Antrag wird vor allem ein grundsätzli-
ches Unverständnis wirtschaftlicher Zusammenhänge
deutlich, das letztendlich auch zum wirtschaftlichen Nie-
dergang der DDR und anderer sozialistischer Staaten ge-
führt hat. Da die Linksfraktion daraus anscheinend
nichts gelernt hat, will ich es Ihnen nochmals vor Augen
führen:
Die Bilanz, die Sie fordern, soll den Privatisierungs-
erlösen die Vermögensverluste samt den etwaigen Folge-
kosten gegenüberstellen. Daran wollen Sie dann unter
anderem messen, ob eine Privatisierung sinnvoll ist oder
nicht nach dem Motto: Wenn der Vermögensverlust
höher ist als der Privatisierungsgewinn, sollte man nicht
privatisieren.
Ich frage Sie: Wie wollen Sie denn das Vermögen, das
Sie verkaufen, bewerten? Oder anders gefragt: Was ist
denn der Unterschied zwischen dem Privatisierungserlös
und dem Vermögensverlust? Glauben Sie, die Regierung
könnte das Vermögen besser bewerten als der Markt? Sie
erhalten reine Buchgewinne oder -verluste auf der
Grundlage äußerst fragwürdiger Daten. Eine solche Ge-
genüberstellung kann nur eines leisten: Sie kann anhand
des dann tatsächlich erzielten Erlöses verdeutlichen, wie
genau die Einschätzung vorher war. Dafür noch ein Heer
von Bürokraten zu beschäftigen, lohnt wahrlich nicht.
Die Linksfraktion vergisst gern die wichtigste Sache,
die der Markt für uns bereithält: Information. Genau
diese Information von tatsächlichen Werten, echten
Marktpreisen, lässt dieses System funktionieren und so-
zialistische Systeme eben nicht. Genau deswegen muss
auch unser Grundsatz privat vor Staat immer bestehen
bleiben, solange keine überzeugenden Gründe dagegen
sprechen. Nur originär staatliche Aufgaben sollten in öf-
fentlicher Hand bleiben.
Übrigens sind Ihre Kollegen von der Linksfraktion
auf kommunaler Ebene schon weiter. Sie haben mit mir
zusammen der Veräußerung des kommunalen Wohn-
eigentums in Dresden zugestimmt. Der tatsächliche Wert
war übrigens dann deutlich höher als der anfangs ge-
schätzte, sodass Dresden heute nicht nur schuldenfrei ist,
sondern unter anderem auch in die Zukunft unserer Kin-
der investieren kann.
Sie schreiben es ja in Ihrem Antrag selbst: Privatisie-
rungsmaßnahmen werden mit erwarteten Effizienzge-
winnen begründet. Hier liegen Sie absolut richtig. Pri-
vate Unternehmen sind effizienter, da sie einen höheren
Anreiz haben, effizienter zu wirtschaften als der Staat. In
den Fällen, in denen sich für den Verbraucher durch die
Privatisierung Nachteile ergeben, muss der Staat die
Rahmenbedingungen ändern, damit kundennaher Ser-
vice gewährleistet ist.
Sie formulieren in dem vorliegenden Antrag die
Sorge, dass durch Privatisierungserlöse vor allem Haus-
haltslöcher gestopft werden. Diese Sorge teile ich aus-
drücklich. Die laufenden Ausgaben müssen mit den lau-
fenden Einnahmen gedeckt werden. Dieser Grundsatz
muss immer bestehen bleiben. Dass die Regierenden
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inmalerlöse gern in den laufenden Haushalt fließen las-
en, daran wird aber auch Ihre geforderte Bilanzierung
ichts ändern. Wir als Oppositionsführer werden jeden
ersuch dazu kritisieren, die Bundesregierung jedoch
uch weiterhin dazu auffordern, Privatisierungen vorzu-
ehmen und die Staatsquote zu senken.
Ein totaler Privatisierungsstopp für die Bundes-
epublik bis zu einer nur scheinbar seriösen Bilanzierung
er Folgen ist dabei absolut kontraproduktiv.
Aus dem gleichen Holz ist auch der Gesetzentwurf
er Linken zur Änderung oder realisitischer: zur Auf-
ebung des Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgeset-
es geschnitzt. Tatsächlich hat das Gesetz bislang nicht
as gebracht, was man sich von ihm versprochen hat. Es
tellt aber nach wie vor eine attraktive Möglichkeit dar,
usgewählte Strecken, die sich dafür eignen, privat zu
inanzieren und das angesichts der Haushaltslage wohl
uch erst zu ermöglichen. Die rückwärtsgewandte Poli-
ik der Linken ist da absolut fehl am Platz. Statt das
inanzierungsmodell zu verteufeln, wären vielmehr kon-
rete Vorschläge angebracht gewesen, die eine Steige-
ung seiner Attraktivität zum Ziel haben. Dazu ist aber
ichts im Gesetzentwurf zu finden.
Der Entwurf der Linken geht am eigentlichen Pro-
lem vorbei und kann es so auch nicht lösen. Denn nicht
ie private Teilfinanzierung der Verkehrsinfrastruktur als
olche ist das Problem, vielmehr die Tatsache, dass trotz
unehmender Nutzerfinanzierung ich verweise insbe-
ondere auf die Einführung der Lkw-Maut ein Rück-
ang der Investitionen in Bundesfernstraßen zu ver-
eichnen ist.
Bundesverkehrsminister Tiefensee hat unlängst die
ittelfristprognose zur Entwicklung des Güterverkehrs
is 2010 vorgestellt. Aus ihr wird deutlich, dass auf der
traße bereits im Jahr 2009 ein Transportbedarf vorhan-
en sein wird, der bei der Aufstellung des Bundesver-
ehrswegeplans erst für das Jahr 2015 erwartet wurde.
ir stehen vor einer gewaltigen Herausforderung. Klot-
en, nicht kleckern, muss die Devise lauten.
Die Realität sieht indessen anders aus. So wurden die
nvestitonsmittel für Bundesfernstraßenprojekte in mei-
em Heimatland Sachsen im Jahr 2007 um 40 Prozent
egenüber dem Vorjahr gekürzt. Von Verstetigung oder
ar Erhöhung der Investitionen kann keine Rede sein.
rgebnis: Vielerorts muss der Baubeginn verschoben
erden, zusätzliche Kosten entstehen, eine Entlastung
er Anwohner ist nicht in Sicht.
Die Frage nach neuen Finanzierungsquellen stellte
ich gar nicht, wenn der Bund seiner Verantwortung
achkommen und gegebene Zusagen einhalten würde.
ei der Einführung der Lkw-Maut wurde vonseiten der
amaligen rot-grünen Bundesregierung zugesichert, mit
en zusätzlichen Einnahmen zusätzliche Verkehrspro-
ekte zu finanzieren. Doch schon bald zeigte sich, dass
it den erzielten Mauterlösen eine proportionale Kür-
ung der Haushaltsmittel einherging. Mehr noch: In den
ahren 2006 und 2007 wurden und werden acht bzw.
lf Prozent weniger in Fernstraßenprojekte investiert als
nter Rot-Grün in 2005.
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007 9645
(A) )
(B) )
Es ist angesichts des rasanten Verkehrswachstums er-
schreckend, dass sich der Infrastrukturrahmenplan im-
mer mehr zu einer reinen Wunschliste des Ministers ent-
wickelt. Der Plan weist für die Realisierung der in ihm
aufgeführten Straßenprojekte einen Finanzbedarf in
Höhe von 22,4 Milliarden Euro ab 2006 aus. Dem stehen
ausweislich der Haushaltspläne 2006, 2007 sowie der
Finanzplanung der Bundesregierung bis 2010 jedoch nur
10,42 Milliarden Euro Investitionsmittel für Bedarfs-
planmaßnahmen gegenüber. Es klafft somit allein im Be-
reich der Bundesfernstraßen eine Finanzierungslücke in
Höhe von 11,98 Milliarden Euro.
Diese Zahlen belegen, dass wir weit davon entfernt
sind, die anstehenden Herausforderungen meistern zu
können. Der Investitionsstau nimmt stetig zu und ver-
schärft die Lage. Der Gesetzentwurf der Linken ist in
diesem Rahmen alles andere als hilfreich. Er beschränkt
sich nicht nur auf eine pauschale Herabsetzung der bis-
her umgesetzten Projekte, sondern versperrt auch poten-
ziellen Investoren endgültig den Weg, sich auf diese
Weise beim dringend benötigten Ausbau des Straßennet-
zes eigenverantwortlich engagieren zu können.
Dr. Herbert Schui (DIE LINKE): Der Leitgedanke
des Art. 115 des Grundgesetzes ist, das staatliche Ver-
mögen zu erhalten: Die öffentliche Kreditaufnahme soll
den Vermögenszuwachs durch Investitionen nicht über-
schreiten. Um konjunkturelle Flauten zu überwinden,
lässt die Verfassung eine Ausnahme von der Regel zu.
Zwar halten sich hier die Zunahme an öffentlichem Ver-
mögen und die Kreditaufnahme nicht mehr die Waage,
aber die kreditfinanzierten Ausgaben steigern doch die
Produktion und damit den Reichtum wie auch immer
verteilt.
Privatisierungen verletzten diesen Grundgedanken
des Vermögenserhaltes. Ihr Erlös soll dem Ausgleich der
öffentlichen Haushalte dienen. Ihre Begründung sind die
leeren öffentlichen Kassen. Aber wer hat sie leer ge-
macht? Alles beginnt damit, dass die Besteuerung der
Unternehmens- und Vermögenseinkommen, der Vermö-
gen selbst, der Erbschaften, der Börsenumsätze gesenkt
wird. Dem werden dann im nächsten Schritt die Sozial-
ausgaben angepasst, der öffentliche Dienst wird dezi-
miert. Das verbleibende Defizit soll durch den Verkauf
von öffentlichem Vermögen ausgeglichen werden. Ver-
kauft an wen? Nicht zuletzt an diejenigen, die von den
Steuersenkungen profitieren, liquider sind als vorher und
eine Anlage für denjenigen neuen Reichtum suchen, den
ihnen der Staat verschafft hat.
Diese einfache Wahrheit vernebeln der Bund, die
Länder und die Gemeinden bei der Privatisierung. Vor-
geschwindelt werden die folgenden Gründe: Private Un-
ternehmen arbeiteten wirtschaftlicher als öffentliche, sie
kämen den Wünschen der Kunden mehr entgegen. Über-
dies seien private Unternehmen finanziell eher in der
Lage, die erforderlichen Investitionen vorzunehmen, für
technischen Fortschritt zu sorgen.
Um Klarheit hierüber zu schaffen, muss ein umfas-
sender Privatisierungsbericht her. Er muss über den Be-
teiligungsbericht des Bundes weit hinausgehen, und dies
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n zweifacher Hinsicht: Zu informieren ist über die Pri-
atisierungen aller Gebietskörperschaften, das heißt des
undes, der Länder und der Gemeinden. Weiterhin sind
lle Folgen der Privatisierungen darzustellen. Dies erfor-
ert, vor allem die folgenden Fragen zu beantworten:
ie hoch sind die Preise vor und nach der Privatisie-
ung? Hierbei sind die Erlöse, die Kosten und die Gehäl-
er der Geschäftsführung genau zu ermitteln. Die Ursa-
hen für allfällige Kostensenkungen sind darzustellen.
andelt es sich hierbei um Lohnsenkungen, um techni-
chen Fortschritt der ebenso gut im öffentlichen Unter-
ehmen hätte vorgenommen werden können oder um
erringerte Leistungen? Demnach sind genaue Aus-
ünfte über die Lohnentwicklung nach der Privatisie-
ung, die Arbeitsbedingungen, die Mitbestimmung, die
ualität der Leistungen und die Umweltstandards erfor-
erlich. Ebenfalls ist darzustellen, ob gegebenenfalls So-
ialtarife gestrichen wurden. Weiterhin ist eindeutig zu
lären, ob die Anlagen und Betriebssysteme durch Ersatz-
nvestitionen in einem technisch einwandfreien Zustand
ehalten werden, ob die Möglichkeiten des technischen
ortschrittes genutzt worden sind.
Des Weiteren muss eingehend darüber informiert
erden, wie sich die finanzielle Lage der entsprechen-
en Gebietskörperschaften nach der Privatisierung ver-
ndert hat. Da vor allem ertragreiche öffentliche Be-
riebe privatisiert werden, ist zu vermuten, dass die
rivatisierung die öffentlichen Einnahmen erheblich ver-
ingert hat.
Privatisierung ist im angeforderten Bericht weit zu
assen: Neben dem Verkauf von Beteiligungen und sons-
igen Vermögenswerten ist auch die Ausgliederung von
ffentlichem Vermögen in privatrechtlich organisierte
nternehmungen und die Übertragung von öffentlichen
ufgaben an private Unternehmen zu beachten.
Rechtsgrundlage für den Privatisierungsbereich ist
rt. 35 Abs. 1 des Grundgesetzes. Der Bund nutzt hier-
ei die rechtlichen Amtshilfeverpflichtungen der Länder,
emeinden, Gemeindeverbände und sonstiger Personen
es öffentlichen Rechts. Im Rahmen der Informations-
ilfe werden diese die erforderlichen Informationen er-
eben und weitergeben.
Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
ie Fraktion der Linken hat einen Antrag mit zwei zen-
ralen Forderungen vorgelegt. Darin wird die Bundesre-
ierung aufgefordert, gemeinsam mit den anderen
ebietskörperschaften dem Bundestag einen Privatisie-
ungsbericht über die Auswirkungen der Privatisierun-
en seit 1995 vorzulegen. Darüber hinaus wird die Bun-
esregierung aufgefordert, bis zur Vorlage des Berichtes
eine weiteren Privatisierungsschritte zu unternehmen.
Wenn ich mir vorstelle, was da alles an Empirie zu
eisten ist, müssen wir uns wohl auf einen Privatisie-
ungsstopp auf unbestimmte Zeit einstellen. Das ist wohl
enau das, was die Fraktion Die Linke beabsichtigt. Für
ie Linke steht das Ergebnis doch längst fest: Mehr
taat, weniger privates Engagement, und schon geht es
n diesem Land wieder gerecht zu.
9646 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007
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So einfach möchte ich es aber Herrn Schui und Frau
Höll nicht machen. Damit kein Missverständnis entsteht:
Sollte ein solcher Bericht mit einem vertretbaren Auf-
wand zu leisten sein, dann kann ich mir so etwas schon
vorstellen. Wir werden im Ausschuss ja Gelegenheit ha-
ben, uns über Fragestellung und Umfang eines solchen
Berichtes genauer Gedanken zu machen. Einen Privati-
sierungsstopp damit zu verknüpfen, ist aber polemisch
und kontraproduktiv.
Der amerikanische Nobelpreisträger und Globalisie-
rungskritiker Joseph Stiglitz hat sich in einem Buch
grundsätzlich zu der Privatisierung von staatlichen Un-
ternehmen geäußert. Er schreibt: Privatisierungen, die
von rechtlichen Rahmenvorschriften, der Sanierung der
Unternehmen und einer effizienten Corporate Gover-
nance begleitet wurden, führen zu mehr Wachstum.
Dies mag pauschal klingen, ist aber nachdenkenswert.
Was ist Aufgabe des Staates? Er muss die Vorausset-
zungen für nachhaltiges und qualitatives Wachstum
schaffen. Er muss eine intakte Infrastruktur zur Verfü-
gung stellen, damit Bürgerinnen und Bürger sowie Un-
ternehmen Zugang zu Gütern und Leistungen haben, die
für wirtschaftliches Handeln notwendig sind. Er ist in
der Verantwortung für die zahlreichen Leistungen der öf-
fentlichen Daseinsvorsorge, und er ist in der Verantwor-
tung, den Schutz der natürlichen Ressourcen und des
Klimas durchzusetzen. Kurz: Er setzt die rechtlichen und
politischen Rahmenbedingungen. Dafür braucht es einen
starken und handlungsfähigen Staat.
Das heißt aber nicht, dass der Staat auch in jedem Fall
aufgefordert ist, diese Aufgaben in Eigenregie selber zu
erbringen. Der Staat ist in der Pflicht, Aufgaben effizient
und wirtschaftlich zu gewährleisten. Das heißt konkret,
dass ein effizienter Staat Aufgaben dann an Private über-
tragen soll, wenn sie diese besser und wirtschaftlicher
erfüllen können. Wer dies infrage stellt, so wie dies die
Linke tut, trägt nicht zu einer Stärkung des Staates bei,
sondern bewirkt letztlich das Gegenteil.
Wo liegen die Grenzen der Privatisierung? Wo liegen
die Grenzen des Marktes? Ich bin der Meinung, dass so-
zial-, umwelt- und gesundheitspolitische Aufgaben, die der
Markt nicht befriedigend lösen kann, in der Verantwortung
des Staates belassen werden sollten. Bei netzabhängigen
Infrastrukturen muss der Staat die Rahmenbedingungen so
setzen, dass der Netzzugang diskriminierungsfrei zu ge-
währleisten ist. Im Fall der Bahn heißt das für uns bei-
spielsweise keine Privatisierung des Schienennetzes. Da-
mit stellen wir uns nicht gegen den Markt, sondern im
Gegenteil, wir stärken den Markt.
Wettbewerb braucht Wettbewerber. Wohin die Mono-
polbildung bei netzgebundem Leitungssystem führt, dis-
kutieren wir aktuell am Beispiel der Energiewirtschaft.
Auf dem Strommarkt verfügen Eon, RWE, Vattenfall
und EnBW über 90 Prozent der Stromerzeugung: Sie be-
treiben das gesamte Transportnetz und kontrollieren die
grenzübergreifenden Kuppelstellen. Sie haben überzahl-
reiche Beteiligungen bei Stadtwerken, einen nicht zu
vernachlässigenden Anteil auf der Verteilnetzebene und
im Endkundengeschäft, und sie dominieren den Regele-
nergiemarkt. Ein Schlüssel zu mehr Wettbewerb, zu ei-
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er Energiewende und zu verbraucherfreundlicheren
reisen ist der diskriminierungsfreie Netzzugang. Des-
alb setzen wir uns für die eigentumsrechtliche Entflech-
ung von Netz und Erzeugung aus. Die Energiekonzerne
üssen die Kontrolle über das Leitungsnetz verlieren.
ies sicherzustellen, ist Aufgabe des Staates.
nlage 8
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Zweiten Ge-
setzes zur Änderung des Ersten Gesetzes zur
Änderung des Bundesgrenzschutzgesetze (Ta-
gesordnungspunkt 17)
Günter Baumann (CDU/CSU): Deutschland liegt
m Herzen von Europa. Der Großteil aller Transport-
ege von Nord nach Süd und von West nach Ost sowie
uch entgegengesetzt gehen durch unser Land. Folglich
st Deutschland ein typisches Transitland mit neun
achbarstaaten, von denen wir mit sechs Staaten den
chengenraum teilen. In absehbarer Zeit werden durch
ie EU-Osterweiterung auch Tschechien, Polen sowie
uch die Schweiz den Schengenstatus erreichen, und so-
it werden auch hier die stationären Grenzkontrollen
egfallen. Infolgedessen werden wir zu allen unserer
eun Nachbarstaaten offene Grenzen unterhalten. Um
as Interesse der Inneren Sicherheit in Deutschland
leichsam auch in Europa zu wahren, braucht die Bun-
espolizei weiterhin die Befugnis, lageabhängige Kon-
rollen auf Einrichtungen der Eisenbahnen und Verkehrs-
lughäfen durchführen zu können.
In den vergangenen acht Jahren hat sich diese flexible
efugnis als sehr effektiv erwiesen. Nicht nur, dass
urch diese Kontrollen 60 Prozent aller festgestellten
nerlaubten Einreisen an den derzeitigen Schengenbin-
engrenzen ohne den nicht mehr stattfindenden stationä-
en Grenzkontrollen festgestellt wurden. Dies belegen
uch die absoluten Zahlen der Kontrollen, die für die
undespolizei erfolgreich im Zeitraum von 1999 bis No-
ember 2006 in Zügen, auf Bahnhöfen und Verkehrs-
lughäfen durchgeführt wurden. Insgesamt erfolgten
ber 2,5 Millionen, genaue Zahl: 2 527 113, Kontrollen
n den angesprochenen Bereichen. Dabei kam es zu über
80 000, genaue Zahl: 283 761, polizeilich relevanten
eststellungen, bei denen es sich vornehmlich um Perso-
en- und Sachfahndungserfolge handelte. Hierbei wur-
en knapp 9 000 unerlaubte Einreisen und fast 18 000
älle unerlaubter Aufenthalt festgestellt. Diese Fakten
eigen auf, dass bei jeder neunten lageabhängigen Kon-
rolle ein Fahndungserfolg erzielt wurde.
Wichtige und bedeutende Informationen zu den uner-
ubten Einreiseverhalten von ausländischen Staatsange-
örigen wurden erbracht, wie zum Beispiel über Reise-
ege, Schleusungskriminalität und deren Strukturen
owie deren Abholer und Hintermänner, über Urkunden-
älschung, Asylbetrug und Reisemittel. Diese Erfahrungs-
erte wurden zur Grundlage gezielter Präventivmaßnah-
en, wie Schwerpunktkontrollen auf Bahnhöfen, in
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007 9647
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Zügen und Flughäfen mit grenzüberschreitenden Anbin-
dungen.
Schon diese Ausführungen beweisen, dass diese 1998
erstmalig erteilte Befugnis durchaus sinnvoll ist und zu
einem unverzichtbaren Instrument der Bundespolizei
nicht nur in den Grenzregionen geworden ist. Nun, im
Jahr 2007, und vor dem Hintergrund des Evaluationsbe-
richts, kann man dem Instrument im Kampf gegen
Schleusungskriminalität, illegale Einwanderung, organi-
sierte Kriminalität ein gutes Zeugnis ausstellen. Es hat
sich bewährt in der Verhinderung und Unterbindung der
unerlaubten Einreise, Menschenhandel und auch in der
Terrorismusbekämpfung. Hervorzuheben ist in diesem
Zusammenhang die hervorragende Arbeit unserer Bun-
despolizei, die jene erweiterten Kontrollmöglichkeiten
nicht nur erfolgreich und mit hohen Trefferquoten umge-
setzt hat, sondern auch in einer Art und Weise, die unter
unserer Bevölkerung auf breite Zustimmung und Akzep-
tanz gestoßen ist und auch weiterhin stößt. Für diese er-
folgreiche Arbeit möchte ich im Namen der CDU/CSU-
Bundestagsfraktion allen Beamtinnen und Beamten der
Bundespolizei recht herzlich danken. Denn auch weiter-
blickend dient diese ausgezeichnete Aufgabenbewälti-
gung der Bundespolizei dem Sicherheitsgefühl der An-
wohner in den Grenzregionen, der Bürgerinnen und
Bürger, die sich deshalb für einen Urlaub in den Grenz-
regionen entscheiden. Nicht zuletzt ist das Sicherheits-
gefühl entscheidend für ansiedelndes Gewerbe.
Anhand dieser Argumente ist völlig eindeutig zu er-
kennen, dass die Befugnis der Bundespolizei zu lageab-
hängigen Kontrollen weiter bestehen muss. Allein von-
seiten der Opposition wird die Frage gestellt: Warum die
Befugnis nun gänzlich entfristet werden sollte? Die
Sinnhaftigkeit und Effektivität dieser bundespolizeili-
chen Kompetenz ist nicht zu leugnen. Jedoch wird diese
Kompetenz zunehmend wichtig nach dem Schengenbei-
tritt von Tschechien und Polen. Denn dann sind alle un-
sere Grenzen zu unseren europäischen Nachbarstaaten
Schengenbinnengrenzen, bei denen es zum Wegfall des
ersten Filtersystems namentlich der stationären Grenz-
kontrollen gekommen ist. Somit kommt den lageab-
hängigen Kontrollen der verkehrsreichen Punkte wie
Bahnhöfen und Verkehrsflughäfen und den Grenzen
nachgelagerten stichprobenartigen Kontrollen unum-
gänglich eine immense Bedeutung zu. Diese sind zum
Schutz Deutschlands vor drohendem Terrorismus, orga-
nisierter Kriminalität und illegaler Einreise unverzicht-
bar. Dies bestätigen auch nahezu alle europäischen Län-
der. Sie verfügen, bis auf die Inselstaaten Großbritannien
und Irland, über ähnliche und teilweise weiterführende
Kontrollmöglichkeiten.
Denn auch durch die zunehmende schnelle Mobilität
in und aus den neuen EU-Mitgliedstaaten entwickelt sich
eine ganz neue Dimension der Kriminalität, der im Hin-
blick auf die offenen Binnengrenzen unter anderen auch
mithilfe dieser Kontrollbefugnis begegnet werden kann.
Außerdem wird die Gesetzesänderung notwendig, da
sich auch die Lage in Deutschland und Europa verändert
hat. Die terroristische Bedrohung ist auch in Europa
durch beispielsweise die Anschläge in London und Ma-
drid und die versuchten Attentate mit Kofferbomben in
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oblenz und Dortmund ganz real geworden. Auch zu-
ünftig wird die Bedrohung durch organisierte Krimina-
ität, Terror und Schleusungskriminalität an den neuen
U-Außengrenzen nicht abnehmen. Unser Schengen-
aum, der in vielen Jahren durch viel gegenseitig er-
rachtes Vertrauen zwischen den Staaten aufgebaut
urde, soll durch diese vornehmlich terroristischen Be-
rohungen nicht zum leichten Angriffsziel werden. Ge-
au deshalb brauchen wir in Deutschland eine unbefris-
ete Kontrollbefugnis, um auch die Sicherheit für ganz
uropa gewährleisten zu können.
Diese Gesetzesänderung sollte uns generell zum
achdenken über die zukünftige Rolle der Bundespoli-
ei anregen. Man muss die Aufgabenfelder neu definie-
en, um sie an die aktuelle und vor allem zukünftige Si-
herheitslage anzupassen. Dabei könnte ich mir
orstellen, dass es zum Beispiel für eine wirkungsvolle
ekämpfung der illegalen Migration sinnvoll sein
önnte, die Kontrollbefugnis, die wir heute hier in der
lenardebatte diskutieren, eine räumliche Ausdehnung
uf Hauptverkehrswege und Bundesautobahnen in Be-
racht zu ziehen ist. Des Weiteren wäre es vonnöten, die
ür die Aufgabenwahrnehmung des Grenzschutzes fest-
elegten 30 Kilometer in die Tiefe des Grenzraums auf
indestens 50 wenn nicht sogar 70 Kilometer auszudeh-
en. Dies würde nur der erhöhten und schnelleren Mobi-
ität aller gerecht werden.
Somit hoffe ich, dass die Diskussion der nächsten
age zur Reform der Bundespolizei in diese Richtung er-
olgt.
Wolfgang Gunkel (SPD): Die mit dem Ersten Ge-
etz zur Änderung des Bundesgrenzschutzgesetzes vom
5. August 1998 eingeführte Befugnis zur Durchführung
ogenannter lageabhängiger Kontrollen auf Einrichtun-
en der Eisenbahnen und Verkehrsflughäfen durch den
undesgrenzschutz der heutigen Bundespolizei war
unächst bis zum 31. Dezember 2003 befristet. Mit dem
esetz zur Änderung des Ersten Gesetzes zur Änderung
es Bundesgrenzschutzgesetzes vom 22. Dezember 2003
urde die Befristung bis zum 30. Juni 2007 verlängert.
m die Anwendung der Befugnis auf Dauer sicherzu-
tellen, soll die Befristung des § 22 Abs. l a des Bundes-
olizeigesetzes aufgehoben werden. Außerdem wurde
estimmt, dass die Regelung vor Ablauf der Frist zu eva-
uieren ist. Der Erfahrungsbericht der Bundesregierung
iegt mit der Ausschussdrucksache 16 (4) 172 vor.
Der Bericht zeigt, dass sich diese Regelung bewährt
at. Sie hat sich als ein wichtiges Handlungsinstrument
ur Verhinderung und Unterbindung der unerlaubten
inreise, der Bekämpfung von Schleusungskriminalität
nd Menschenhandel und nicht zuletzt zur Terrorismus-
ekämpfung erwiesen.
Die präventivpolizeilichen Maßnahmen reichen von
ielgerechten Schwerpunktkontrollen auf Bahnhöfen, in
ügen und auf Flughäfen, grenzüberschreitenden, bina-
ionalen Zugstreifen über die Informationssteuerung in
as Netzwerk europaweit eingesetzter grenzpolizeilicher
erbindungsbeamter bis zum systematischen und zeit-
ich begrenzten Einsatz von Dokumentberatern in Visa-
9648 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007
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stellen an deutschen Botschaften und auf Flughäfen im
Ausland.
Wichtig ist mir hierbei insbesondere, dass die lageab-
hängigen Überprüfungen tatsächlich anlassbezogen sind
und keinen Generalverdacht der Bundespolizei gegen-
über bestimmten Bevölkerungsgruppen begründen. Inso-
weit ist die Rechtsnorm, die der Bundespolizei Kontrol-
len zur Verhinderung oder Unterbindung unerlaubter
Einreise in eindeutig festgelegten Bereichen und Situa-
tionen überhaupt erlaubt, auch hinreichend konkret.
Von über 2,5 Millionen lageabhängigen Kontrollen
ergab jede neunte eine polizeilich relevante Feststellung.
5,1 Prozent aller festgestellten unerlaubten Einreisen
und 10 Prozent aller festgestellten Fälle des unerlaubten
Aufenthalts sind auf den im Gesetz verankerten § 22 zu-
rückzuführen.
An dieser Stelle möchte ich den Kolleginnen und
Kollegen der Bundespolizei einmal recht herzlich für
ihre gute Arbeit danken. Ohne ihren tatkräftigen Einsatz
hätten viele Straftaten nicht verhindert werden können.
Gerade nach Wegfall der Grenzkontrollen zu Polen
und Tschechien sind lageabhängige Kontrollen unver-
zichtbar, denn sie schützen vor grenzüberschreitender
Kriminalität und illegaler Migration. Wegen seiner geo-
grafischen Lage mit vielen Binnengrenzen ist Deutsch-
land besonders anfällig für diese Delikte. Bei sich än-
dernden technischen Möglichkeiten für Schleuser und
illegal Einreisende müssen auch die Befugnisse der Poli-
zei angepasst werden. Und lageabhängige Kontrollen in
grenzüberschreitenden Zügen und auf Flughäfen mit
grenzüberschreitendem Personenverkehr stellen hierfür
eine unverzichtbare Maßnahme dar. Außerdem kann
man davon ausgehen, dass bundespolizeiliche Präsenz
das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung steigert und ab-
schreckende Wirkung auf potenzielle Straftäter hat.
Schon mit diesem Erfahrungsbericht wird mithin
deutlich, dass die vorliegenden Informationen die prakti-
sche Relevanz des Ermittlungsinstruments hinreichend
bestätigen.
Nicht zuletzt ziehen lageabhängige Kontrollen wohl
weniger schwerwiegende Eingriffe nach sich, als so
manches zurzeit diskutierte andere Instrument. Sie stel-
len vielmehr tatsächlich wirksame staatliche Maßnah-
men zur Kriminalitätsbekämpfung dar. Vor diesem Hin-
tergrund bitte ich Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen,
dem Gesetz Ihre Zustimmung zu geben.
Gisela Piltz (FDP): Schwarz-Rot will die Befristung
sogenannter lageabhängiger Kontrollen auf Einrichtun-
gen der Eisenbahnen und Verkehrsflughäfen durch den
Bundesgrenzschutz aufheben. Als Nachweis dafür, dass
diese Maßnahme erfolgreich gewesen sein soll, verweist
Schwarz-Rot auf etwas, das von Schwarz-Rot Evaluie-
rung genannt wird. Der vorliegende Bericht ist gera-
dezu überschwänglich. Schauen wir uns diese angebli-
che Erfolgsstory doch einmal genauer an. Von wem
stammt die von Schwarz-Rot so bezeichnete Evaluie-
rung? Eine Unterabteilung der Bundespolizei hat den
Bericht erarbeitet. Die Bundespolizei prüft also den Er-
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olg ihrer eigenen Maßnahmen und ihrer eigenen Befug-
isse. Und zur allgemeinen Überraschung kommt die
undespolizei dabei zu dem Ergebnis, dass sie ihren Job
anz hervorragend erledigt hat. Daran haben wir keine
weifel. Aber reicht das für eine echte Evaluierung?
Eine echte Erfolgsprüfung, eine Evaluierung, die die-
en Namen auch verdient und mit der die Rechtsgrund-
age für verdachtsunabhängige Überprüfung dauerhaft
estgeschrieben werden kann, muss aber aus der Sicht
er FDP-Bundestagsfraktion von einer unabhängigeren
telle kommen und nicht einfach von einer anderen Un-
erabteilung der betroffenen Behörde.
Wie sieht denn der gefeierte Erfolg im Einzelnen aus?
s gab mehr als zweieinhalb Millionen verdachtsunab-
ängige Kontrollen. Der Bericht teilt uns mit, es habe
araufhin knapp 140 000 Strafanzeigen gegeben. Der
ericht enthält keine Aussage darüber, auf welche De-
ikte im Einzelnen sich diese Strafanzeigen beziehen,
nd was noch viel schlimmer ist: Der Bericht enthält
eine Aussage darüber, ob diese Strafanzeigen auch zu
iner Verurteilung oder irgendeiner strafrechtlichen
olge geführt haben. Wie viele dieser Verfahren wurden
enn eingestellt? Dazu enthält der Bericht kein Wort. Im
rgebnis wissen wir also anhand des vorliegenden Be-
ichts nicht einmal, ob auch nur in einem einzigen Fall
ithilfe der bislang befristeten Befugnis eine Straftat
ufgeklärt wurde.
Der Bericht enthält aber noch weitere Schwächen.
nlassunabhängige Kontrollen sind ein Bruch mit dem
echtsstaatlichen Grundprinzip, wonach einer gezielten
ersonenkontrolle prinzipiell ein Verdacht gegenüber
ieser Person zugrunde liegen muss. Anlassunabhängige
ontrollen sind ein Ausdruck des Generalverdachts. Die
inführung der anlassunabhängigen Kontrollen sollte
em Zweck dienen, Einreisedelikte und grenzüber-
chreitende Kriminalität zu bekämpfen. Und nun stellt
ich doch die Frage: Sagt uns der Bericht irgendetwas
arüber, ob wir Einreisedelikte und grenzüberschrei-
ende Kriminalität mit dieser Befugnis effektiver be-
ämpfen als ohne die Befugnis? In dem Bericht wird
icht aufgeschlüsselt, auf welche Straftaten sich die
trafanzeigen beziehen, welche auf die Befugnis zurück-
eführt werden. Wir wissen also nicht, ob wir die Ziele
es Gesetzes erreicht haben. Das kann unmöglich eine
usreichende Evaluierung sein.
Der Bericht legt sogar vielmehr nahe, dass in breitem
mfang vor allem Kleinkriminalität aufgedeckt wurde.
er mit einem riesigen Schleppnetz blind alles abfischt,
er wird auch viele zumeist kleine Fische fangen. Die
egeisterung des Bundesgrenzschutzes für das Abfi-
chen der Kleinkriminalität ist so groß, dass die soge-
annte Evaluierung empfiehlt, anlasslose Kontrollen im-
er und überall einzuführen. Ich zitiere: Beachtlich ist
arüber hinaus die hohe Anzahl an weiteren polizeilich
elevanten Feststellungen ohne unmittelbaren oder mit-
elbaren Zusammenhang zur unerlaubten Einreise aus al-
en Deliktsbereichen der Kriminalität, welche die Er-
olge, die mit der Befugnis erzielt werden, ergänzen und
estätigen, vor allem aber die Notwendigkeit für anlass-
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007 9649
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(B) )
und verdachtsunabhängige Kontrollen im gesamtstaatli-
chen Sicherheitsinteresse aufzeigen.
Der Bundesgrenzschutz berichtet hier frei nach dem
Motto: Wenn wir nur alles und jeden kontrollieren kön-
nen, dann werden wir auch ständig irgendwelche Krimi-
nelle erwischen. Dies ist gerade keine Bestätigung der
Erfolge hinsichtlich Einreisekriminalität. Der Bundes-
grenzschutz verliert den Zweck der Befugnis offenbar
völlig aus den Augen.
Auch weitere wichtige Informationen liefert der Be-
richt nicht. Nach welchen Kriterien wurden die Personen
eigentlich kontrolliert wenn es nicht auf einen konkreten
Verdacht ankommt? Etwa ausländisches Aussehen? Hier
hätte ich mir eine Auskunft gewünscht. Zu einer brauch-
baren Evaluierung gehören neben den Erfolgen auch die
Kosten der Maßnahmen; auch hier ist der Bericht eine
völlige Fehlanzeige.
Ich fordere die Bundesregierung auf, zuerst eine un-
abhängige Bewertung des Erfolges anhand des Zwecks
der Befugnis vorzunehmen und uns eine ausreichende
Grundlage zu liefern, um über die Zukunft der Befugnis
entscheiden zu können. Anhand des vorliegenden Be-
richts können Sie eine solche Entscheidung unmöglich
verantworten.
Petra Pau (DIE LINKE): Erstens. Die Bundespolizei,
früher der Bundesgrenzschutz, wurde 1998 ermächtigt,
sogenannte lageabhängige Kontrollen auf Einrichtungen
der Eisenbahnen und auf Flughäfen vorzunehmen. Nach
Ablauf einer Fünfjahresfrist wurde dieser Auftrag für
2003 bis 2007 verlängert. Nunmehr soll dieser befristete
Passus per Gesetz in einen unbefristeten umgewandelt
werden. Dem wird die Fraktion Die Linke nicht zustim-
men.
Zweitens. Der erste Grund für unser Nein ist inhaltli-
cher Natur. Bevor wir etwas auf Dauer fortschreiben,
wollen wir zumindest wissen, ob es auch für die Dauer
taugt. Diese Prüfung blieb aus. Die Unionsfraktion und
die SPD berufen sich zwar auf einen vorliegenden Eva-
luierungsbericht. Was wiederum nur zeigt, dass wir un-
terschiedliche Maßstäbe an eine Evaluierung, zu
Deutsch: Analyse und Bewertung, anlegen.
Der vorliegende Bericht ist typisch für nahezu alle
Evaluierungen, die aus dem Innenministerium kommen.
Das Ministerium bescheinigt sich selbst, dass es gut und
prima ist. Wir erleben dasselbe Spiel ja bei den soge-
nannten Anti-Terror-Gesetzen. Uns reicht das nicht. Wir
wollen geprüft haben und sachlich prüfen können, bevor
wir Ja und Amen sagen. Eine normale Tugend, die offen-
bar nur noch in der Opposition anzutreffen ist.
Drittens. Der zweite Grund für unser Nein ist logi-
scher Natur. Die Bundespolizei um die geht es hier
steht vor einer umfangreichen Umstrukturierung. Das
hat Bundesinnenminister Schäuble mehrfach angekün-
digt. Worum es im Detail geht, ist unklar. Aber nach
dem, was man weiß, geht es um eine Strukturreform und
um eine Funktionalreform. Anders gesagt: Die Bundes-
polizei von heute existiert nur noch befristet.
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Wenn dem so ist, dann ist es geradezu unlogisch, ihr
inen unbefristeten Auftrag zu geben. Natürlich kann die
oalition das trotzdem beschließen. Es gibt keine Ge-
etze, die den Bundestag zur Logik verpflichten. Aber es
st das gute Recht der Linken, den gesunden Menschen-
erstand zu achten. Würden wir der Gesetzesänderung
ustimmen, dann ohne Vernunft. Also lehnen wir sie aus
en genannten zwei Gründen ab.
Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/DIE
RÜNEN): Völlig unstrittig ist, dass nach dem Wegfall
er Grenzkontrollen Schengenausgleichsmaßnahmen
uch im Bahnverkehr erforderlich sind. Eine verdachts-
nabhängige Kontrolle oder sogenannten Schleierfahn-
ung war aus guten Gründen immer umstritten. Es gilt,
ass es für Eingriffe gegen Bürgerinnen und Bürger ei-
en begründeten Anlass geben muss. Befristet einge-
ührt wurde die lageabhängige Kontrolle von
chwarz-Gelb, zeitlich befristet und mit dem Auftrag ei-
er Evaluierung versehen.
Der unter Rot-Grün von dem BMI vorgelegte Erfah-
ungsbericht entsprach in keiner Weise den Anforderun-
en, die an eine Evaluation zu stellen sind. Nur zeitlich
efristet und mit einem erneuten Evaluierungsauftrag
timmte die grüne Bundestagsfraktion einer Verlänge-
ung zu. Unsere Forderungen damals: die Dokumentation
er Lagebilder, die Anlass für Kontrollen der Bundespo-
izei waren, die Auswertung hinsichtlich der Zweckbe-
timmung, der Verhältnismäßigkeit und des grenzpolizei-
ichen Bezuges. Erneut liegt uns ein Erfahrungsbericht
es BMI vor, der noch nicht einmal den Versuch einer dif-
erenzierten Auswirkung enthält.
Ich sehe hier im Verhalten des BMI eine wiederholte
issachtung des Parlamentes. Die Parlamentsbeschlüsse
ur Evaluierung von Gesetzen werden ganz offensicht-
ich ignoriert. Wir ziehen daraus die Konsequenz, dass
er Auftrag zur Evaluierung mit einer konkreten Anfor-
erung an die Evaluierung zukünftig direkt in das Gesetz
ufgenommen werden muss.
Der Erfahrungsbericht des BMI bestätigt unsere kri-
sche Haltung zu verdachtsunabhängigen Kontrollen. Ge-
etzlicher Zweck der Kontrollen ist nach § 22 Abs. 1 a
undespolizeigesetz die Verhinderung oder Unterbin-
ung unerlaubter Einreise. Laut Zahlen aus dem BMI-
ericht wurden bei 2 527 113 Kontrollen gerade mal
7 963 unerlaubte Einreisen festgestellt. Die Norm
urde also in 0,72 Prozent der Fälle an ihrem Zweck
emessen erfolgreich angewendet. Nicht untersucht
urden bisher mögliche Verstöße gegen das Diskrimi-
ierungsverbot. Es ist diskriminierend, wenn Personen
n Zügen allein aufgrund ihres Äußeren oder wegen ihrer
autfarbe kontrolliert werden.
SPD und Union wollen jetzt diese Eingriffsbefugnis
hne Evaluierung entfristen. Wir haben die Befürchtung,
ass dies von der Bundespolizei als Freibrief für ver-
achtsunabhängige Kontrollen im reinen Polizeiermes-
en verstanden wird. Die aktuelle Neuorganisation der
undespolizei lässt befürchten, dass hier die Grundlage
ür eine umfassende Schleierfahndung durch die mobi-
9650 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007
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len Kontroll- und Überwachungseinheiten der Bundes-
polizei geschaffen werden soll.
Wir machen das nicht mit und stimmen gegen Ihren
Gesetzentwurf. Sicherheit ja, aber in rechtsstaatlichen
Grenzen und normenklar vom Parlament definiert.
Anlage 9
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Energiegetreide als Re-
gelbrennstoff zulassen (Tagesordnungspunkt 18)
Dr. Maria Flachsbarth (CSU/CSU): Die verstärkte
Nutzung von Biomasse zur Energieerzeugung ist eines
der wesentlichen umwelt- und energiepolitischen Instru-
mente der Bundesregierung. So wurde im Koalitionsver-
trag zwischen CDU, CSU und SPD vereinbart, den Bio-
masseanteil am Primärenergieverbrauch mittelfristig
deutlich zu steigern.
Die energetische Nutzung von Biomasse zeichnet sich
durch einen weitgehend geschlossenen CO2-Kreislauf
aus und liefert damit einen wichtigen Beitrag für eine
nachhaltige Energiewirtschaft. Durch die Nutzung ein-
heimischer Rohstoffe gelingt es zudem, Wertschöpfung
in ländlichen Regionen zu belassen und die Abhängig-
keit von Energieimporten zu vermindern.
Vor allem die Regelungen nach dem Erneuerbare-
Energien-Gesetz, der steuerlichen Begünstigung von Kraft-
stoffen auf Basis von Biomasse und die Förderung durch
das Marktanreizprogramm für erneuerbare Energien ha-
ben zu einer deutlichen Verbesserung der Einkommens-
situation in der Land- und Forstwirtschaft beigetragen.
Getreide ist besonders heizwertreiche Biomasse. Bis-
lang werden Getreidekorn und übriges Halmgut mit der
Ausnahme von Stroh dennoch nicht als zulässiger
Brennstoff nach § 3 der 1. Bundesimmissionsschutzver-
ordnung erfasst. Getreide darf daher in kleinen und mitt-
leren Feuerungsanlagen mit einer Nennwärmeleistung,
die kleiner als 100 kW ist, nur mit einer Ausnahmege-
nehmigung eingesetzt werden. Die Erteilung von Aus-
nahmegenehmigungen wird in den einzelnen Bundeslän-
dern jedoch unterschiedlich gehandhabt und führt damit
teilweise zu erheblicher Unsicherheit und Bürokratie.
Grundsätzlich gilt, dass der Ausbau der energetischen
Nutzung von Getreide einer Abwägung zwischen den
strengen Anforderungen des Immissions- und Umwelt-
schutzes einerseits und den Vorteilen für den Klimaschutz
sowie für die Schonung endlicher Ressourcen anderer-
seits bedarf. Hierbei dürfen die Aspekte der Luftreinhal-
tung, insbesondere vor dem Hintergrund der Feinstaub-
problematik, nicht vernachlässigt werden.
Die Staubemissionen moderner Biomasseheizungen
bestehen jedoch zum größten Teil aus anorganischen
Salzen, die erheblich weniger biologische Reaktivität
aufweisen als Feinstäube fossiler Brennstoffe.
Im Übrigen unterschreiten speziell für die Verbren-
nung von Getreidekörnern entwickelte Kesselanlagen
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ereits heute die strengen Vorgaben der aktuellen
. BlmSchV. Die Getreideverbrennung sollte daher ge-
erell in kleinen und mittleren Feuerungsanlagen ener-
etisch genutzt werden dürfen. Die Zulassung von Ge-
reide als Regelbrennstoff in der 1. BlmSchV würde
inen Markt eröffnen, der erforderlich ist, um die not-
endigen Impulse für die technische Entwicklung der
nlagen im Hinblick auf die Optimierung von Verbren-
ungs- und Abgastechnik zu geben. Allerdings sollte der
arktumfang zunächst begrenzt und die Verbrennung
on Getreide deshalb vorerst nur in landwirtschaftlichen
zw. getreideverarbeitenden Betrieben zulässig sein. Die
andwirtschaft sieht sich derzeit zum einen hohen Prei-
en für fossile Energieträger ausgesetzt; andererseits be-
tehen hohe Entsorgungskosten für nicht marktfähiges
etreide.
Doch Getreide hat einen im Vergleich zu Holz erhöh-
en Gehalt an Stickstoff und Chlor. Somit entstehen bei
er Verbrennung von Getreide vergleichsweise erhöhte
missionswerte für Stickstoffoxide, HCI und andere
ubstanzen. Ich denke, dass es deshalb sinnvoll ist, den
insatz von Getreide übergangsweise auf solche Be-
riebe zu begrenzen, die hinreichendes Wissen über die
ualität des zur Verbrennung bestimmten Getreides be-
itzen. Ein unbeschränkter Zugang zu dieser nachhalti-
en und preisgünstigen Energiequelle auch für alle Pri-
athaushalte sollte in einigen Jahren erfolgen, wenn die
urch Getreideverbrennung verursachten Emissionen
uf das Niveau der energetischen Nutzung von Holz re-
uziert werden können.
In der Vergangenheit wurden gegen die energetische
utzung von Getreide immer wieder ethische Bedenken
eltend gemacht. Diese begründen sich hauptsächlich
arauf, dass mit der Verbrennung von Getreide ein Le-
ensmittel vernichtet werde. Ich möchte diesen Beden-
en entgegnen, dass bereits heute Getreide zur Energie-
ewinnung genutzt wird. Ob im Rahmen der Mais- und
rünroggenvergärung oder auch im Rahmen der Bio-
thanolproduktion der Anbau steht heute sogar in Flä-
henkonkurrenz zur Erzeugung von Brotgetreide. Zudem
st ein Teil des in Deutschland wachsenden Getreides wie
um Beispiel Bruch oder Mindergetreide für den Verzehr
icht geeignet.
Besonders aufgrund der in Deutschland bestehenden
trengen Mykotoxingrenzwerte kann dieses Getreide ab-
ängig von der Wetterlage in großem Maße anfallen. Die
nergetische Verwertung bietet sich hier als sinnvolle
irtschaftliche Alternative an. Deshalb müssen wir die
. BlmSchV mit dem Ziel überarbeiten, die energetische
erwertung von Getreide, sonstigem Halmgut und übri-
er Biomasse in Feuerungsanlagen mit 15 bis 100 kW
ls Regelbrennstoff zuzulassen. Gleichzeitig sind auch
ie derzeitigen Grenzwerte der 1. BlmSchV zu überar-
eiten. Dabei müssen wir das Entwicklungspotenzial der
iomassebrenntechnik berücksichtigen und eine stufen-
eise Anpassung der Grenzwerte für alle Anlagen über
5 kW im Betrieb vornehmen. Weiterhin müssen wir
eranlassen, dass wir die Überprüfung der Emissions-
erte von Kesselanlagen für Biomasse mit Kesselanla-
en für fossile Brennstoffe gleichstellen. Ferner sind
egelungen zu schaffen, die eine missbräuchliche Ver-
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007 9651
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brennung von Abfällen aller Art ausschließen. Schließ-
lich müssen wir die Weiterentwicklung zur Technik der
energetischen Nutzung von Getreide und Biobrennstof-
fen durch Forschungsprojekte wie die Erforschung wirk-
samer und preiswerter Filtertechnik unterstützen. Dabei
sollten vor allem Luftreinhaltung sowie die Normungs-
aktivitäten des DIN-Spiegelausschusses CEN/TC 335
feste Biobrennstoffe Berücksichtigung finden.
Ich denke, dass wir mit diesem Ansatz, der die Bio-
massenutzung und insbesondere die Getreidenutzung ak-
tiv fördert, den Zielen des Koalitionsvertrages am Bes-
ten gerecht werden. Wir, die CDU/CSU-Fraktion im
Deutschen Bundestag, halten die Nutzung von Energie-
getreide zur Wärmeerzeugung unter den genannten
Voraussetzungen für ökologisch, ökonomisch und so-
zial sachgerecht. Vor diesem Hintergrund freue ich mich
auf eine ausführliche Debatte dieses Antrags und der
Vorstellungen der anderen Fraktionen im Ausschuss.
Detlef Müller (Chemnitz) (SPD): Wir haben es uns
zum Ziel gesetzt, dass auch in Zukunft eine effiziente,
nachhaltige und kostengünstige Energieversorgung,
auch vor dem Hintergrund steigender Preise bei fossilen
Rohstoffen, sichergestellt ist. Unbestritten ist, dass als
Alternative zu herkömmlichen fossilen Rohstoffen die
verstärkte Nutzung von Biomasse zur Energieerzeugung
eines der wesentlichen umwelt- und energiepolitischen
Ziele der Bundesregierung darstellt. Auch die Regie-
rungsfraktionen haben sich in ihrem Koalitionsvertrag
diesem Ziel verpflichtet. Der Vorteil der energetischen
Nutzung von Biomasse zeichnet sich dabei durch einen
weitgehend geschlossenen CO2-Kreislauf aus und
könnte dadurch einen wichtigen Beitrag für eine nach-
haltige Energiewirtschaft leisten. Somit wird auch Ge-
treide als Energieträger verstärkt attraktiv.
Die FDP-Fraktion fordert deshalb in ihrem Antrag, in
Zukunft das Potenzial von Getreide als Energielieferant
stärker zu nutzen und setzt sich daher für die Zulassung
von Getreide als Regelbrennstoff ein. Aber ehrlich ge-
sagt, verstehe ich nicht ganz den Grund des FDP-Antra-
ges. Sie wissen doch, dass im Referentenentwurf des
BMU zur Novellierung der 1. Bundes-Immissions-
schutzverordnung bereits Getreide als Regelbrennstoff
zugelassen wird, das ist genau das, was Sie hier in dem
Antrag fordern. Eigentlich wäre der Antrag damit
schlicht überflüssig.
Doch ich werde das Gefühl nicht los, dass Sie mit Ih-
rem Antrag noch über das vom BMU angestrebte Ziel,
nämlich den Getreideanbau in landwirtschaftlichen und
getreideverarbeitenden Betrieben zuzulassen, hinausge-
hen wollen, mit dem Ziel, eine unbeschränkte Freigabe,
unter anderem auch für Privathaushalte, zu erreichen.
Wäre dies die Lösung für einen eventuellen in der Zu-
kunft auftretenden Versorgungsengpass? Sollte man ein-
fach die Schleusen für einen verstärkten großflächigen
Getreideanbau öffnen? Wir sagen: Nein!
Diese Frage kann man schon deshalb nicht mit Ja be-
antworten, weil man dieses Problem von allen Seiten be-
trachten muss. So wird beispielsweise gerne, wenn man
das Wort Biomasse hört oder liest, die Betonung oder
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ie Beachtung auf Bio gelegt und mit Bio assozi-
ert man gut und gesund, das heißt, Biomasse kann nicht
chlecht sein.
Jetzt frage ich Sie, die Kolleginnen und Kollegen der
DP-Fraktion, aber einmal als Umweltpolitiker. Auch
hnen müsste doch bekannt sein, dass Getreide ausge-
prochen schlecht verbrennt. Das heißt, es werden neben
einstäuben auch Stickstoffoxyd, NOX, und Dioxine
mittiert. Es muss bei der energetischen Nutzung von
etreide deshalb ganz genau zwischen den strengen An-
orderungen des Immissions- und Umweltschutzes ei-
erseits und der Schonung endlicher Ressourcen ande-
erseits abgewogen werden.
Fakt ist, dass wir derzeit mit der Getreideverbrennung
im großen Stil noch große Probleme haben. Die For-
chungen und Erfahrungsberichte betreffen nur soge-
annte Minianlagen bis zu einer Kapazität von
2 Kilowatt. Wenn Sie in Ihrem Antrag erwähnen, dass,
ich zitiere Zwischenergebnisse von laufenden Feld-
sts mit Biobrennstoffen wie zum Beispiel Getreide zei-
en, dass Kleinfeuerungsanlagen beim Betrieb mit Bio-
rennstoffen die aktuellen Anforderungen der 1. Bundes-
mmissionsschutzverordnung, BImSchV, in Bezug auf die
bgasemission grundsätzlich erfüllen können, dann
erschweigen Sie, dass die Grenzwerte in der
. BImSchV aus dem Jahre 1988 stammen.
Auch vernachlässigen Sie das Dioxinproblem. Über
as bei der Verbrennung des Getreides entstehende Dio-
in haben Experten noch wenige Erkenntnisse. Deshalb
st auch hier äußerste Vorsicht geboten. Wir als Umwelt-
olitiker dürfen hier nicht dem Druck der Agrarlobby
achgeben, die die Tore möglichst weit öffnen will,
m sich eine zusätzliche finanzielle Einnahmequelle zu
rschließen.
Lassen Sie mich noch auf einen weiteren Punkt hin-
eisen. Sie argumentieren für eine verstärkte Nutzung
on Getreide zur Energieerzeugung mit dem Hinweis,
ass die Weltmarktpreise für fossile Brennstoffe stark
estiegen sind. Dies ist in der Tat der Fall. So liegt heute
um Beispiel der Weltmarktpreis für 1 Barrel Rohöl bei
ber 60 Dollar. Haben Sie aber schon einmal einen Blick
uf die Weltmarktpreise für nachwachsende Rohstoffe
eworfen? Der Kampf ums Getreide ist bereits richtig
ntbrannt, da die Getreidelager derzeit ziemlich leer
ind. Die Nachfrage nach dem Produkt ist enorm gestie-
en, die Anbauflächen aber sind begrenzt, und die Ernte
m vorigen Jahr war nur durchschnittlich. So stellt des-
alb das Statistische Bundesamt in seinen aktuellen
März-Zahlen fest, dass sich der Preis für die Tonne
eizen innerhalb weniger Monate von 110 Euro auf 150
is 160 Euro erhöht hat, also um gut circa 30 Prozent.
Dazu passt das Beispiel einer Bäckerei aus meinem
ahlkreis: Die stark gestiegenen Rohstoffpreise machen
s den kleinen und mittelständischen Unternehmen näm-
ich zunehmend schwerer. Da die Rohstoffe bei dieser
äckerei rund 25 Prozent der Kosten ausmachen und da-
it hinter den Löhnen den nächst größeren Kostenblock
arstellen, schlägt sich dies auch auf den Preis für Brot
der Brötchen nieder. So musste die Bäckerei ihre Preise
m knapp vier Prozent erhöhen.
9652 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007
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Der Preis für Mais hat sich innerhalb eines Jahres so-
gar um circa 80 Prozent erhöht. In Mexiko kam es kürz-
lich sogar zu Massendemonstrationen, weil Maismehl,
der Grundrohstoff der Nationalspeise Tortilla, seit Jah-
resbeginn fast doppelt so teuer geworden ist.
Diese starken Steigerungsraten zeigen, dass hier be-
reits eine erhöhte Nachfrage nach nachwachsenden Roh-
stoffen zu beobachten ist, die höchstwahrscheinlich zu
weiteren Preissteigerungen im Rohstoffsektor führen
wird. Eventuelle Engpässe für die Lebensmittelindustrie
und letztendlich bei der Versorgung der Bevölkerung mit
Lebensmitteln sind vor allem in Entwicklungsländern
nicht auszuschließen. Auch dieser Aspekt ist also nicht
zu unterschätzen. Die Bundesvereinigung der Deutschen
Ernährungsindustrie zeichnet in einer Analyse ein düste-
res Bild:
Der Hunger aufstrebender Schwellenländer wie
China und Indien nach dem Rohstoff Getreide ver-
knappt das Angebot weltweit und lässt die Preise
steigen. In spätestens drei Jahren werden die welt-
weiten Lagerbestände aufgebraucht sein und sich
Engpässe nicht mehr vermeiden lassen. Die Folge
sind sprunghafte Preiserhöhungen.
Ich fasse zusammen: Wir lehnen den FDP-Antrag ab,
weil die Zulassung von Getreide als Regelbrennstoff für
landwirtschaftliche und getreideverarbeitende Betriebe
bereits in der Novellierung der Bundes-Immissions-
schutzverordnung verankert wird; insofern ist der Antrag
überflüssig. Beabsichtigen Sie mit dem Antrag dagegen
eine darüber hinaus gehende Öffnung für andere Berei-
che, zum Beispiel auch für Privathaushalte, so lehnt dies
meine Fraktion ab, weil dies zulasten der Umwelt ginge.
Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Energiege-
treide soll auch in Deutschland als Regelbrennstoff zu-
gelassen werden. Das ist das Ziel des Antrags, den die
FDP-Bundestagsfraktion dem Deutschen Bundestag
heute vorlegt.
Damit dies rechtlich möglich ist, muss die 1. Bundes-
immissionsschutzverordnung geändert werden. Sie stammt
aus dem Jahr 1988 und ist nach knapp 20 Jahren veraltet.
Die Getreideverbrennung wird unter zwei völlig un-
terschiedlichen Gesichtspunkten diskutiert: Dürfen wir
Getreide verbrennen? Ist dies ethisch vertretbar ange-
sichts des Hungers in der Welt, der Erfahrungen von
Hunger vor Jahrzehnten in Deutschland?
Das Verbrennen von Getreide, das auch zum Brotba-
cken geeignet ist, stößt auf ethische Vorbehalte. Doch
gleichzeitig wird Getreide zur Herstellung von Bioetha-
nol genutzt. Bioethanol soll Kraftstoffen beigemischt
werden, die Verbrennung von Getreide der Wärmepro-
duktion dienen. In beiden Fällen wird Getreide energe-
tisch genutzt. Es ist nicht glaubwürdig, eine Form der
energetischen Nutzung zu gestatten und über den Beimi-
schungszwang politisch zu fördern, und die andere abzu-
lehnen.
Raps und Mais werden ebenfalls sowohl als Nah-
rungs- wie auch als Futtermittel genutzt und parallel
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nergetisch als Kraftstoff und als Grundlage für Biogas-
nlagen genutzt. In beiden Fällen werden nachwach-
ende Rohstoffe energetisch verwertet, die traditionell
benfalls als Futtermittel wie auch als Nahrungsmittel
enutzt werden. Die Bereitstellung von Energie ist in
leicher Weise lebensnotwendig wie die Erzeugung von
ahrungsmitteln. Getreide zu verbrennen, das aufgrund
er Belastung zum Beispiel mit Pilzgiften nicht zur Er-
ährung oder Verfütterung geeignet ist, ist inzwischen
nbestritten. Dies betrifft abhängig von der Witterung
twa 1 Million Tonnen pro Jahr.
Die andere Frage ist die der Luftreinhaltung. Die
undesimmissionsschutzverordnung hat das Ziel der
einhaltung der Luft. Es sind in den letzten Jahrzehnten
norme Fortschritte bei der Luftreinhaltung gemacht
orden. Diese dürfen nicht aufs Spiel gesetzt werden.
eine Luft ist Gesundheitsschutz.
Die energetische Nutzung bestimmter Getreidefrak-
ionen in Kleinfeuerungsanlagen ist technisch möglich.
wischenergebnisse von laufenden Feldtests mit Bio-
rennstoffen wie zum Beispiel Getreide zeigen, dass
leinfeuerungsanlagen beim Betrieb mit Biobrennstof-
en die aktuellen Anforderungen der 1. Bundesimmis-
ionsschutzverordnung BlmSchV in Bezug auf die
bgasemission grundsätzlich erfüllen können. Die Aus-
ertung der laufenden Forschungs- und Entwicklungs-
ktivitäteri FuE zum Einsatz von Biobrennstoffen in
leinfeuerungsanlagen zeigt deutliche Potenziale zur
eiteren Reduktion der Abgasemissionen solcher Anla-
en durch den Einsatz neuartiger Feuerungstechniken
uf. Während Stroh schon jetzt als Regelbrennstoff zu-
elassen ist, obwohl seine Verbrennungseigenschaften
chlechter sind als die von Getreide, ist Getreide zurzeit
icht als Regelbrennstoff zugelassen. Das wollen wir än-
ern.
Ergebnisse des Instituts für Luft- und Kältetechnik in
resden ILK für die Entwicklung eines Elektrofilters
ei der Getreideverbrennung zeigen vielversprechende
rgebnisse zur Staubabscheidung, insbesondere im Fein-
taubbereich auf. Zusätzliche Untersuchungen zur Praxis-
auglichkeit der Abscheidetechniken und zur Beurteilung
er Wirtschaftlichkeit von Energiegetreideverbrennungs-
iltern befinden sich in der Erprobung.
Jetzige Getreidesorten sind gezüchtet worden im Hin-
lick auf die Verwendung als Nahrungsmittel, zum Bei-
piel als Brotgetreide mit besonders hohem Eiweißge-
alt. Eine Verwertung als Energiegetreide erfordert
ndere Eigenschaften. Die Zulassung von Getreide als
egelbrennstoff wird zur Züchtung neuer Sorten führen
nd in gleicherweise die Entwicklung von Verbren-
ungstechniken stimulieren. Deswegen ist es wichtig,
iese Rahmenbedingungen möglichst bald zu schaffen.
ie Änderung der Bundesimmissionsschutzverordnung
st überfällig.
Die Bereitstellung einer effizienten, nachhaltigen und
ostengünstigen Energieversorgung hat in einem Indus-
rieland wie Deutschland eine herausragende Bedeutung.
ie landwirtschaftliche Produktion nachwachsender
ohstoffe und deren energetische Nutzung leisten hier-
ei derzeit noch einen vergleichsweise geringen Beitrag.
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007 9653
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Nur 5,3 Prozent des Primärenergieverbrauchs wurden in
2006 durch erneuerbare Energien gedeckt, davon etwa
60 Prozent aus Biomasse. Das Potenzial der energeti-
schen Nutzung von Biomasse ist jedoch bedeutend hö-
her. Bundeskanzlerin Merkel hat für die EU einen Anteil
von 20 Prozent erneuerbare Energien bis 2020 vorge-
schlagen. Wenn dieses ehrgeizige Ziel erreicht werden
soll, müssen alle Möglichkeiten genutzt und neue durch
Forschung geschaffen werden.
Der Weltmarktpreis für ein Barrel Rohöl liegt derzeit
bei fast 60 Euro. Wirtschaftsexperten gehen davon aus,
dass der Ölpreis weiter ansteigen wird. Unter diesen
Rahmenbedingungen gewinnt die energetische Nutzung
von Biomasse eine besondere Attraktivität. Dies wird
weiter begünstigt, weil die energetische Nutzung von
Biomasse CO2-neutral ist, denn es besteht ein geschlos-
sener CO2-Kreislauf.
Das bei der Nutzung frei werdende CO2 ist zuvor von
den Energiepflanzen aufgenommen worden. Derzeit
kostet ein Liter Heizöl in Deutschland für den Privatver-
braucher etwa 60 Euro-Cent. Zwei Kilogramm Indus-
triegetreide besitzen den Heizwert eines Liters Heizöl
und kosten nur etwa 20 Euro-Cent. Diese Zahlen ma-
chen deutlich: Die energetische Verwertung von Ener-
giegetreide schafft Wertschöpfung im ländlichen Raum.
Es gibt keinen Grund, das weiter hinauszuzögern.
Wir wollen: Energiegetreide in Deutschland in einem
ersten Schritt unter bestimmten Bedingungen, zum
Beispiel im landwirtschaftlichen Umfeld zunächst für
bestimmte Getreidefraktionen zum Beispiel mit Pilzen
kontaminiertes Getreide, Bruchgetreide als Regelbrenn-
stoff im Rahmen eines sinnvollen Abfallmanagements
zulassen; zur thermischen Nutzung von Getreide erfor-
derlichen Modifikationen der BlmSchV herbeiführen
mit dem Ziel, im Rahmen einer Einlaufkurve in den
kommenden Jahren Energiegetreide schrittweise auf das
Emissionsniveau vergleichbarer biogener Festbrenn-
stoffe heranzuführen das heißt Unterstützung der tech-
nischen Entwicklung durch die langsame und vorherseh-
bare sukzessive Verschärfung der Grenzwerte ; die
Entwicklung von genehmigungsfähigen und sicher
betreibbaren Feuerungsanlagen für die Energiegetreide-
verbrennung durch ein FuE-Programm, das nur von
Forschungseinrichtungen in Zusammenarbeit mit ent-
sprechenden Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft
vornehmlich kleiner und mittlerer Unternehmen in
Anspruch genommen werden kann, vorantreiben, damit
mittelfristig die zugelassenen Energiegetreidefraktionen
sicher und emissionsarm verbrannt werden können; die
forcierte Entwicklung von Filtertechniken zur Abschei-
dung von Feinstäuben aus den Abgasen vorantreiben,
damit die thermische Getreideverbrennung zu keiner
Minderung der bestehenden Standards der Luftreinhal-
tung führt; Analyse der Möglichkeiten einer weitgehen-
den Schließung der Nährstoffkreisläufe anstreben, damit
die bei der Verbrennung anfallenden Aschen im Rahmen
einer nachhaltigen Bewirtschaftung erneut der Pflanzen-
produktion zugeführt werden können das heißt Verbes-
serung der Möglichkeiten einer Ascherückführung auf
die landwirtschaftlichen Nutzflächen.
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Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Der vorlie-
ende Antrag der FDP greift eine Frage auf, die sehr
motional diskutiert wird und bei der sehr viele verschie-
ene Konsequenzen zu bedenken sind. Leichtfüßigkeit
st daher hier noch weniger angebracht als sonst auf dem
olitischen Podium.
Wir müssen bei diesem Thema eine Reihe wichtiger
spekte berücksichtigen.
Erstens: ethische Gesichtspunkte. Ich verstehe sehr
ut, dass es ein zumindest befremdlicher Gedanke ist, ei-
erseits zu wissen, dass das Milleniumziel, bis 2015 die
ahl der Hungernden auf der Welt zu halbieren, eher in
eitere Ferne rückt, als erreichbar scheint, und anderer-
eits in der sogenannten Ersten Welt darüber nachge-
acht wird, Getreide energetisch zu verwerten. Diese
thische Frage relativiert sich allerdings angesichts der
atsache, dass es weltweit ja nicht an Nahrung mangelt,
ondern diese ungerecht verteilt ist. Es ist daher eine
rage von Arm und Reich, die unter den aktuellen
achtverhältnissen in der Welt sogar zugespitzt werden
ürde, wenn wir überschüssiges Getreide in die soge-
annte Dritte Welt exportieren würden. Wir wissen doch
ängst, dass die subventionierten Milch- und Zuckerex-
orte aus der EU dazu führen, dass die so wichtigen re-
ionalen Märkte zerstört werden. Hungerbekämpfung
at also mit Verzicht auf die energetische Verwertung
on Getreide nur bedingt etwas zu tun. Wir sollten uns
ei dieser Frage allerdings trotzdem auf die Verwertung
on Getreide beschränken, das sich ohnehin nicht zur
ebensmittelherstellung eignet.
Zweitens: Notwendigkeit der Neubewertung von
nergieressourcen. Energie muss neu bewertet werden.
s geht nicht nur um die Abkehr von fossilen Energie-
uellen, sondern um eine wirkliche Energiewende. Es
eht also auch um eine Diskussion zur Sicherung der
ersorgung, zum Beispiel durch ökologische Energie
us erneuerbaren Ressourcen, regionale Energiekon-
epte, effizientere und sparsamere Nutzung. Wir müssen
eg von dem Denken, dass Energie selbstverständlich
er Steckdose zur Verfügung steht. Das heißt aber auch,
nergiequellen neu zu bewerten.
Drittens: reale Situation der energetischen Verwer-
ung von Nutzpflanzen. Eine Reihe landwirtschaftlicher
ohstoffe werden längst energetisch verwertet. Nahezu
hne Debatte ist die Nutzung von nachwachsenden Roh-
toffen zur Biogasgewinnung bzw. die Verwertung von
flanzenölen, insbesondere Rapsöl, als Treib- und Heiz-
toff in Form von natürlichem Öl und durch die Vereste-
ung modifiziert als Biodiesel Realität. Wachsend, wenn
uch vor allem ökologisch umstritten, ist die Gewinnung
on Bioethanol aus stärke- und zuckerhaltigen pflanzli-
hen Rohstoffen wie Kartoffeln, Getreide oder Zucker-
üben. Die grundsätzliche Frage der Akzeptanz einer
erwendung von lebensmitteltauglichen Pflanzen zur
nergiegewinnung ist also eigentlich längst entschieden.
Viertens: Flächenkonkurrenz zwischen NawaRos, Le-
ens- und Futtermitteln. Auch die Flächen, auf denen ak-
uell nachwachsende Rohstoffe NawaRos für die
toffliche oder energetische Verwertung angebaut wer-
en, könnten alternativ zur Lebens- oder Futtermitteler-
9654 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007
(A) )
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zeugung genutzt werden. Die Flächenkonkurrenz gibt es
also bereits jetzt. Es ist gleichzeitig klar, dass in
Deutschland und der EU insgesamt mehr lebensmittel-
taugliches Getreide auch umweltverträglich erzeugt
werden kann, als zur Versorgung in der Region benötigt
würde. Im Gegenteil: Wir haben ein Problem überschüs-
siger Getreideerzeugung. Die EU-Kommission hat erst-
mals seit Jahrzehnten bekannt gegeben, dass die Inter-
ventionsbestände an Getreide rückläufig sind und
Exportsubventionen nicht mehr gezahlt werden. Das
wiederum hat positive Auswirkungen: Länder außerhalb
Europas, die durch die Subventionen und Marktabschot-
tung der EU in die Krise geraten sind, können durchat-
men. Weltweit steigen die Erzeugerpreise für Getreide,
Ölsaaten und Eiweißpflanzen. Diese Entwicklung begrü-
ßen wir; denn die Landwirtschaft ist weltweit gesehen
nach wie vor der größte arbeits- und einkommenssi-
chernde Sektor. International hat die Spirale sinkender
Erzeugerpreise und landwirtschaftlicher Einkommen so-
ziale Katastrophen ausgelöst bzw. löst sie nach wie vor
aus. Die Frage einer energetischen Verwertung von nah-
rungsmitteltauglichen Pflanzen ist also nicht in erster Li-
nie eine der Sicherung der Nahrungsmittelversorgung
der Menschen, sondern eher eine der Verteilungsströme
an Einkommen und Versorgung. Dabei werden die Nah-
rungsmittelerzeugung und die Futterwirtschaft im Ver-
gleich auch in Zukunft der stärkste Sektor bleiben, wenn
es um die Frage geht, wie die Konkurrenz zur energeti-
schen Verwertung aussieht. Über die lange Zeit des Auf-
einanderzulaufens der Energiepreise und der Rohstoff-
preise landwirtschaftlicher Erzeugnisse ist heute unter
den historischen Höchstpreisen für Energie und den be-
sonderen Subventionsbedingungen der Bioenergieerzeu-
gung erstmals die Situation einer möglichen Wirtschaft-
lichkeit der Verwertung für die Energieerzeugung
entstanden. Dabei bleibt die Decke dünn. Steigen die Er-
zeugerpreise aus der Nahrungsmittelnachfrage nur rela-
tiv geringfügig um weitere 10 bis 20 Prozent an, ist die
Konkurrenzfähigkeit der energetischen Nutzung unter
heutigen Bedingungen schon dahin. Die ersten Betreiber
von Biogasanlagen, der Bioethanolerzeugung und sogar
der Biodieselhersteller haben diese Erfahrungen bereits
gemacht.
Fünftens: Auswirkung der energetischen Verwertung
von Getreide. In der aktuellen Diskussion um die Zulas-
sung von Getreide als Regelbrennstoff zu Heizzwecken
sollte man die Wirkung aber auch nicht überschätzen. Bis-
lang sind in Deutschland per Sonder- und Ausnahmege-
nehmigung bereits circa 10 000 Anlagen zur Verfeuerung
von Getreide zugelassen. Technisch ist die Einhaltung der
durch das Bundes-Immissionsschutzgesetz vorgegebenen
Grenzwerte für Feinstaub und Schadgase möglich. Wir
unterstützen die Feststellung im Antrag der FDP, dass es
bei der Zulassung der Verbrennung von Getreide nur um
Sortimente und Partien gehen soll, die regulär für die
Nahrungs- und Futtermittelnutzung nicht geeignet sind,
also Ausputzgetreide oder durch Schimmel und andere
Schadorganismen befallene Partien. Die Nutzung als
Brennstoff wird damit auch kein Massenmarkt, wie zum
Beispiel die Holzpellet-Heizungen, sondern würde sich
auf die Landwirtschaftsbetriebe selbst und vielleicht auf
landwirtschaftsnahe Verarbeiter an Getreide beschrän-
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en. Aus diesem Grunde erscheint das Risiko einer Fehl-
ntwicklung durch die Zulassung als Regelbrennstoff
her gering. Selbst wenn sich die Zahl der Anlagen ver-
reifachen oder verfünffachen würde, bleibt der Ver-
rauch an Getreide als Brennstoff, aber auch die ökologi-
che Wirkung überschaubar. Diese Beschränkung würde
uch definitiv verhindern, dass in der sogenannten Dritten
elt Getreide für die energetische Verwertung in den In-
ustrieländern angebaut wird, das als Lebensmittel ver-
endet werden könnte. Dieser Aspekt ist für meine Frak-
ion ein entscheidendes Argument für oder gegen die
ulassung.
Ein wichtiger Effekt liegt aus Sicht der Linken darin,
ass viele Betriebe, die diese Möglichkeit in Zukunft
utzen können und wollen, einen Teil der Wertschöp-
ung in der Region darstellen. Allein dadurch, dass be-
riebliche Ausgaben für den Einkauf fossiler, aus ande-
en Gebieten stammender Heizstoffe wie zum Beispiel
l und Gas entfallen, bleibt zusätzliches Einkommen er-
alten. Wir bewerten durchaus positiv, dass sich die Pa-
ette der energetisch verwerteten Nutzpflanzen etwas
erbreitern würde.
Sechstens: Effizienz der Nutzungsart. Eine Frage, mit
er sich die FDP in ihrem Antrag aber leider nicht aus-
inandersetzt, ist die der energetischen Effizienz. Bereits
rofessor Isermeyer von der FAL Braunschweig hat
ehrfach darauf hingewiesen, dass noch ein großer Klä-
ungsbedarf besteht in der Bewertung der ökonomischen
nd ökologischen Effizienz der verschiedenen Nut-
ungsmöglichkeiten von Biomasse. Es hat wenig Sinn,
ergleichsweise ungünstige Verfahren politisch und fi-
anziell zu fördern. Die Berücksichtigung der Energie-
nd Stoffströme sowie relativer Vor- und Nachteile ver-
chiedener Nutzungen müssen Einfluss auf die von der
esellschaft akzeptierten und geförderten Verfahren ha-
en. So ist im Moment offen, ob eine Verwertung von
etreideabfällen oder minderwertigen Partien in Biogas-
nlagen nicht vielleicht vorteilhafter ist, als die direkte
erfeuerung in Kleinfeuerungsanlagen. Es sollte deshalb
um Beispiel eine der dringenden Aufgaben des schon
eschlossenen Biomasseforschungszentrums werden,
iese Klärung zu betreiben.
Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir
ündnisgrüne sprechen uns bereits seit längerem dafür
us, die Verbrennung von Stroh und Getreide in Klein-
euerungsanlagen neu zu regeln. Auch die Getreidever-
rennung kann und sollte einen Beitrag leisten, um die
eltweite Abhängigkeit von Erdöl zu verringern. Durch
ie dezentrale Energieerzeugung bleibt die Wertschöp-
ung im ländlichen Raum. Getreideverbrennung ist auch
in Beitrag zum Klimaschutz, vorausgesetzt, es werden
trenge Schadstoffgrenzwerte eingehalten. Unter diesen
oraussetzungen muss und kann bei der Novelle der
. BImSchV die Verbrennung von Energie- und Aus-
chussgetreide zugelassen werden.
Wir als bündnisgrüne Bundestagsfraktion haben be-
eits vor einem Jahr einen entsprechenden Antrag einge-
racht. Den haben Große Koalition und FDP abgelehnt.
un will die FDP dieses Thema wieder aufgreifen. Im-
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007 9655
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merhin Sie sind aufgewacht, während die Regierungs-
parteien wohl so lange schlafen, bis sie vom Qualm der
illegalen Getreidefeuer aufgeweckt werden.
Der Antrag der FDP ist besser, als ich erwartet hatte.
Denn der Titel des Antrags ließ vermuten, dass Sie for-
dern würden, die Getreideverbrennung zu den aktuell
gültigen Bedingungen für alle zulassen. Ich begrüße
sehr, dass auch Sie erkannt haben, dass es sinnvoll ist,
die Getreideverbrennung auf Betriebe der Agrarbranche
zu beschränken. Denn bei einer Neuregelung geht es da-
rum, die entsprechende Feuerungstechnik zunächst ein-
mal zu entwickeln und zu etablieren. Dazu brauchen wir
einen Einstiegsmarkt. Außerdem soll Getreide prinzipi-
ell dort verbrannt werden, wo es anfällt. Es geht nicht
um die Versorgung jedweden Privathaushaltes. Auch
Ihre Forderung nach einem FuE-Programm zur Entwick-
lung von genehmigungsfähigen Getreideverbrennungs-
anlagen und für die Entwicklung von Filtertechniken ist
sinnvoll.
Unklar bleibt, ob Sie neben einer Beschränkung auf
Getreideausschuss auch eine Beschränkung auf speziel-
les Energiegetreide befürworten. Brotgetreide sollte aus
unserer Sicht aber von der Verbrennung ausgeschlossen
werden. Das gehört auf den Teller statt in den Ofen.
Konkreter werden müssten Sie auch bei der Frage,
wie Sie sich bei den Grenzwerten die Einlaufkurve vor-
stellen, mit der Sie die Getreideverbrennung schrittweise
an das Emissionsniveau vergleichbarer biogener Fest-
brennstoffe heranführen wollen. Ich lese Ihren Antrag
so, dass die Grenzwerte den Grenzwerten bei der Ver-
brennung von naturbelassenem Holz um einige Jahre
hinterherhinken sollen. Dies ist bei Kohlenmonoxid
nachvollziehbar, da man diese Schadstoffe vor allem
durch Feuerungstechnik in den Griff bekommen muss.
Hier besteht noch Entwicklungsbedarf. Angesichts der
Probleme mit der Einhaltung der Feinstaubgrenzwerte in
vielen Städten darf es bei Staub hingegen keine Abstri-
che geben.
Ich möchte hier an alle Akteure appellieren, für
strenge Grenzwerte für die Getreide- und die Holzver-
brennung zu sorgen. Entscheidender Hinderungsgrund
für die Zulassung der Getreideverbrennung war doch
bisher das hohe Schadstoffbildungspotenzial. Wir Grüne
wollen Rahmenbedingungen schaffen für technischen
Fortschritt, aber auch für eine Akzeptanz neuer Techno-
logien. Deshalb brauchen wir für die Verbrennung von
Holz, Stroh und Getreide strengere Grenzwerte für Staub
und Kohlenmonoxid als bisher. Denn die gesellschaftli-
che Zustimmung für die Getreideverbrennung droht bei
zu laschen Grenzwerten in Rekordgeschwindigkeit ver-
loren zu gehen das sollten alle Beteiligten von den ver-
breiteten Widerständen gegen große Feuerungsanlagen
und selbst gegen Biogasanlagen gelernt haben. Auch mit
dem Verzicht auf eine schrittweise Übertragung der
neuen Grenze auf Altanlagen würden Sie der Akzeptanz
der Holz-, Stroh- und Getreidefeuerung einen Bären-
dienst erweisen, meine lieben Kollegen von der Union.
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nlage 10
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes
zur Einführung eines Alkoholverbots für Fahr-
anfänger und Fahranfängerinnen (Tagesord-
nungspunkt 19)
Gero Storjohann (CDU/CSU): Alkohol am Steuer
st eine der Hauptunfallursachen im Straßenverkehr.
rotz eines starken Rückgangs der Verkehrsunfallzahlen
ingen 2005 in Deutschland immer noch 11 Prozent aller
erkehrstoten auf das Konto Alkohol im Straßenver-
ehr. In absoluten Zahlen bedeutet das: 603 Tote, 8 002
chwerverletzte und fast 20 000 Leichtverletzte.
Schon immer nehmen dabei junge Fahranfänger eine
raurige Spitzenreiterrolle bei den Alkoholunfällen ein.
ährend Frauen zwischen 18 und 50 Jahren nahezu al-
ersunabhängig und nur selten bei jedem neunten Un-
all durch Trunkenheit im Straßenverkehr auffallen,
ehört jeder vierte alkoholisierte Beteiligte zur Alters-
ruppe der männlichen 18- bis 24-Jährigen. Fast die
älfte der Alkoholunfälle geschehen am Sonnabend und
m Sonntag; ich spreche hier von den schlimmen soge-
annten Discounfällen, die uns alle immer wieder er-
chüttern.
Gerade bei Fahranfängern erhöht das Zusammentref-
en von Unerfahrenheit im Straßenverkehr und Alkohol
m Steuer das ohnehin schon hohe Unfallrisiko dieser
ersonengruppe. Sie sind mit Situationen des Straßen-
erkehrs noch nicht so gut vertraut. Fahranfänger reagie-
en in Gefahrensituationen häufig falsch. Ihr Anteil an
traßenverkehrsunfällen das zeigt jeder Verkehrsun-
allverhütungsbericht der Bundesregierung ist überpro-
ortional hoch. Schon durch die sogenannten Routine-
ufgaben wie Halten der Spur, Anpassen der
eschwindigkeit an Verkehrslage und Straßenverhält-
isse sowie durch die Bedienung des Fahrzeuges werden
ahranfänger in hohem Maße beansprucht. Sie müssen
ie an sie gestellten Aufgaben des Straßenverkehrs noch
ewusst nachvollziehen und sind daher für die negativen
lkoholwirkungen besonders anfällig. Wir müssen da-
er an die Fahranfänger und nur um diese geht es im
orliegenden Gesetzentwurf das klare und unmissver-
tändliche Signal setzen: Fahren und Trinken schließen
ich aus.
Meine Fraktion und ich begrüßen deshalb den Gesetz-
ntwurf der Bundesregierung zur Einführung eines Al-
oholverbots für Fahranfänger und Fahranfängerinnen.
ierdurch soll ein absolutes Alkoholverbot für Fahrer
nd Fahrerinnen während der Probezeit durch eine Er-
änzung des Straßenverkehrsgesetzes, des Güterkraft-
erkehrsgesetzes, der Fahrerlaubnis-Verordnung und der
ußgeldkatalog-Verordnung eingeführt werden.
Was sieht das neue Gesetz konkret vor? Wie schon
hnlich bei den Gefahrgut-, Taxi- und Omnibusfahrern
orgeschrieben, verbietet die Neuregelung in § 24 c
bs. 1 Straßenverkehrsgesetz künftig jeglichen Konsum
lkoholischer Getränke für Fahranfänger bzw. Fahran-
9656 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007
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fängerinnen beim Führen eines Kraftfahrzeugs. Dies gilt
während der gesamten Probezeit. Zwar längst nicht in
diesem Maße, aber immerhin nachweisbar, lässt sich die
Problematik auch auf ältere Fahranfänger übertragen.
Auch bei ihnen kommen erhöhtes Unfallrisiko durch Al-
kohol und fahranfängerspezifische Probleme zusammen.
Die Neuregelung gilt damit auch für ältere Fahranfänger.
Die neue Vorschrift stellt einerseits auf den Konsum
alkoholischer Getränke bei der Fahrt ab. Besonders her-
vorzuheben ist, dass es anders als bei den übrigen Rege-
lungen in diesem Bereich keinen besonderen Promille-
grenzwert gibt. Wenn also jemand beobachtet sei es
ein Polizist oder ein Zeuge , wie ein Fahranfänger am
Steuer nur einen Schluck aus der Flasche nimmt, ist
der Tatbestand erfüllt. Die Regelung nimmt aber die Ein-
nahme alkoholhaltiger Lebensmittel oder Medikamente
von dem Verbot aus. Die Einnahme von Weinbrandprali-
nen und Hustensäften erfüllt daher den Tatbestand nicht.
Zum anderen verbietet die neue Vorschrift das Antre-
ten der Fahrt unter der Wirkung alkoholischer Getränke.
Unter der Wirkung steht ein Betroffener, wenn der
aufgenommene Alkohol zu einer Veränderung physi-
scher oder psychischer Funktionen führen kann und in
einer nicht nur völlig unerheblichen Konzentration im
Spurenbereich im Körper vorhanden ist. Auf die Fest-
stellung einer konkreten alkoholbedingten Beeinträchti-
gung der für das Führen von Kraftfahrzeugen relevanten
Leistungsfähigkeit des Betroffenen kommt es dabei
nicht an. Durch diese Neuregelung wird bei Fahranfän-
gern bewusst von der Konzeption abgerückt, das Verbot
auf einen bestimmten Promillewert abzustellen. Dies ist
ganz bewusst so gemacht worden, um ein Sich-Heran-
Trinken an einen gewissen Promillewert zu unterbin-
den. Ziel ist es, ein möglichst umfassendes Verbot für
Fahranfänger zu normieren, unter Alkoholeinfluss ein
Fahrzeug im Straßenverkehr zu führen. Man sollte daher
in diesen Fällen nicht von einer Null-Promille-Rege-
lung, sondern vom absoluten Alkoholverbot spre-
chen.
Dennoch bleibt das Signal klar und eindeutig: Für
Fahranfänger werden bei einem Verstoß zwei Punkte in
Flensburg und eine Geldbuße in Höhe von 125 Euro fäl-
lig. Verstöße werden zudem als schwerwiegende Zuwi-
derhandlungen eingestuft. Sie fuhren außerdem zur An-
ordnung eines Aufbauseminars.
Wie Sie wissen, hat sich der Bundesrat mit den vorlie-
genden Gesetzentwurf bereits auseinandergesetzt, da es
sich um einen Gesetzentwurf der Bundesregierung han-
delt, welcher zunächst dem Bundesrat vorzulegen ist.
Der Bundesrat hat verschiedene ergänzende Vorschläge
unterbreitet. So gibt der Bundesrat zu bedenken, dass im
Fall des Erwerbs der Fahrerlaubnis für Krafträder A1
im Alter von 16 Jahren die Probezeit und damit das Al-
koholverbot im Zeitpunkt des Erwerbs der Pkw-Fahrer-
laubnis B bereits beendet sei. Die Koppelung des
Alkoholverbotes an die Probezeit werde daher mögli-
cherweise dazu führen, dass vermehrt 16-Jährige eine
Fahrerlaubnis erhalten, um im Alter von 18 Jahren das
Alkoholverbot zu umgehen. Gleiches gelte für die Teil-
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ehmer des äußerst erfolgreichen und sehr gut angenom-
enen begleiteten Fahrens ab 17. Der Bundesrat
chlägt deshalb vor, das Alkoholverbot neben der Probe-
eit auch an eine Altergrenze zu binden und schlägt hier-
ür das 21. Lebens-jahr vor.
Lassen Sie mich festhalten: Der vorliegende Gesetz-
ntwurf regelt einzig und allein ein absolutes Alkohol-
erbot für Fahranfängerinnen und Fahranfänger inner-
alb der Probezeit. Für alle anderen Verkehrsteilnehmer
elten hinsichtlich der Teilnahme am Straßenverkehr un-
er Alkoholeinfluss weiterhin die bestehenden gesetzli-
hen Regelungen. Es soll durch den Gesetzentwurf also
ediglich die Rechtslage für Fahranfänger geändert wer-
en. Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregie-
ung leistet damit einen wichtigen Beitrag zur Erhöhung
er Verkehrssicherheit in Deutschland. Er dient nicht nur
em Schutz der Fahranfänger, sondern auch dem Schutz
nderer Verkehrsteilnehmer, die durch angetrunkene
ahranfänger gefährdet werden können. Die CDU/CSU-
raktion begrüßt daher den vorliegenden Gesetzentwurf
er Bundesregierung. Darüber hinaus halte ich die Vor-
chläge des Bundesrates für diskussionswürdig. Wir
erden diese in den nun anstehenden Ausschussberatun-
en einer eingehenden Prüfung unterziehen.
Heidi Wright (SPD): Am Sonntag hat Bundesver-
ehrsminister Wolfgang Tiefensee in Berlin das Startsi-
nal für die Internationale Woche der Verkehrssicher-
eit der UN gegeben. Gemeinsam mit dem Deutschen
erkehrssicherheitsrat hat er mit jungen Fahrerinnen und
ahrern über Verkehrssicherheit diskutiert und die neue
undesweite Verkehrssicherheitskampagne vorgestellt.
in guter Start, eine gute Sache.
Da passt es auch gut in die Woche der Verkehrssicher-
eit, dass wir heute in erster Lesung den Gesetzentwurf
er Bundesregierung zur Einführung eines Alkoholver-
ots für Fahranfänger beraten. Auch dieses Alkoholver-
ot, das für alle Fahranfängerinnen und Fahranfänger
nabhängig vom Alter und für die Dauer ihrer Probezeit
on zwei Jahren gelten soll, ist ein gutes und richtiges
ignal: Alkohol und Fahren sind absolut nicht vereinbar.
Das Alkoholverbot ist konsequent, wenngleich längst
berfällig. Ziel ist die Reduzierung alkoholbedingter
nfälle. Gerade bei Fahranfängern wird das ohnehin
ohe Unfallrisiko durch einen oft verhängnisvollen Mix
us mangelnder Erfahrung im Straßenverkehr, Selbst-
berschätzung und Alkohol am Steuer noch erhöht. Mit
er Gesetzesvorlage wird § 24 c Straßenverkehrsgesetz
rgänzt und ein Alkoholverbot für Fahranfänger und
ahranfängerinnen während der Probezeit ausgespro-
hen.
Der Gesetzentwurf macht deutlich, warum auf die
estlegung einer Promillegrenze verzichtet wurde: Es
ollte verhindert werden, dass sich die Fahranfänger an
iese Grenze herantrinken und sie eventuell sogar
berschreiten.
Die Festlegung einer absoluten Null-Promille-Grenze
äre vor allem aus messtechnischen und medizinischen
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007 9657
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Gründen problematisch, und eine Grenzwertbestimmung
einschließlich des erforderlichen Sicherheitszuschlages
für die Alkoholmessung müsste im Bereich von 0,1 bis
0,3 Promille liegen. Diese Werte entsprechen einer Emp-
fehlung der Alkohol-Kommission der Deutschen Gesell-
schaft für Rechtsmedizin sowie einer Empfehlung der
Grenzwertekommission, die sich im Auftrag des Bun-
desverkehrsministeriums mit Nachweisfragen im Be-
reich Drogen im Straßenverkehr beschäftigt.
Um die Sache nicht zu verkomplizieren und für jeden
Fahrzeugführer nachvollziehbar und verständlich zu ma-
chen, nennt der Gesetzgeber gar keine Promillezahl, son-
dern untersagt den Alkoholgenuss während des Führens
eines Kraftfahrzeuges absolut. Das Alkoholverbot für
Fahranfänger während der Probezeit ist angelehnt an
entsprechende Regelungen für das im Fahrdienst des öf-
fentlichen Linienverkehrs mit Omnibussen eingesetzte
Betriebspersonal und für Fahrer von Taxen und Mietwa-
gen. Es entspricht weiterhin dem Vorgehen mehrerer
Mitgliedstaaten der EU.
Ausnahmeberücksichtigung finden alkoholhaltige Me-
dikamente wie Hustensäfte oder alkoholhaltige Le-
bensmittel. Verstöße werden mit Geldbuße bis zu
1 000 Euro sanktioniert, im Regelfall werden wohl
125 Euro verhängt. Ein Fahrverbot ist nicht vorgesehen.
Das Gesetz soll bereits im Juni 2007 in Kraft treten.
Aber eigentlich ist für jeden verantwortungsbewussten
Fahranfänger und jede verantwortungsbewusste Fahran-
fängerin auch bereits heute klar, dass Alkoholkonsum
und Fahren nicht tolerierbar ist. Gerade als Verkehrssi-
cherheitspolitikerin erkenne ich in vielen Gesprächen die
absolute Akzeptanz eines solchen Alkoholverbots, und
gerade junge Leute und Schulklassen bestärken mich in
den Diskussionen.
Was die Umsetzung des Gesetzes angeht, so erlaube
ich mir eine kritische Überlegung. Die Gewerkschaft der
Polizei weist zu Recht darauf hin, dass ein Alkoholverbot
nur dann Sinn macht, wenn es ausreichend kontrolliert
wird. Das jahrelange personelle Ausbluten der polizeili-
chen Verkehrsüberwachung lässt bei den Verantwortli-
chen immer wieder Zweifel aufkommen, ob sich der er-
wünschte Effekt einer Verringerung der Pkw-Unfälle
junger Fahranfänger unter Alkoholeinfluss sehr schnell
einstellen wird. Ein neues, wenn auch gutes Gesetz er-
setze keineswegs die präventive Abschreckung durch
flächendeckende polizeiliche Kontrolle, so die GdP. Die-
ser Überlegung schließe ich mich ausdrücklich an.
Absolut richtig finde ich, dass jegliche altersmäßige
Beschränkung in dem Gesetzentwurf entfällt. Zwar fal-
len statistisch im Zusammenhang mit Alkohol besonders
junge Fahrer zwischen 18 und 24 Jahren auf. Doch sind
auch ältere Fahranfänger nachweislich überdurchschnitt-
lich häufig an Alkoholunfällen mit Personenschaden be-
teiligt. Immerhin beträgt der Anteil älterer Fahranfänger
über 24 Jahre 11,7 Prozent der gesamten Gruppe der
Fahranfänger. Für die große Masse der Fahrerinnen und
Fahrer gilt jedoch, dass sie sich der besonderen Verant-
wortung als Verkehrsteilnehmer bewusst sind und schon
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mmer, längst vor Erreichen der 0,5-Promille-Grenze
icht mehr gefahren sind.
Der seit langem beobachtete Rückgang der Unfallzah-
en und insbesondere der Unfalltoten im Straßenverkehr
at sich auch in 2006 fortgesetzt trotz verdreifachtem
ahrzeugbestand und trotz verdreifachter Jahresfahrleis-
ung. Diese positive Entwicklung ist Folge vieler Maß-
ahmen der letzten Jahre: Absenkung der Promillegrenze
uf 0,5, begleitetes Fahren, Aufklärungs- und Verkehrssi-
herheitskampagnen, Einführung umfassender Verkehrs-
egelungen, aber auch Optimierung der Rettungsorgani-
ationen, straßenbauliche Maßnahmen, Verbesserungen
er passiven Sicherheit in Fahrzeugen und vieles mehr.
Wenngleich historischer Tiefststand seit Einführung
er Unfallstatistik: Jedes Todesopfer im Straßenverkehr
st ein Todesopfer zu viel; ganz bedrückend ist die hohe
nzahl der verletzten Verkehrsteilnehmer. Deshalb sind
eiterreichende Maßnahmen angesagt. Die Entschei-
ungen, die wir zur nachhaltigen Verbesserung des Ver-
ehrsklimas und der Verkehrssicherheit treffen können,
üssen mutiger sein. Ziel der Verkehrssicherheitsarbeit
uss sein: Vision zero, null Verkehrstote.
Alkoholkonsum ist eine der Hauptursachen des Un-
allgeschehens. Die absolute Hauptunfallursache ist je-
och unangepasste, also zu hohe Geschwindigkeit. Der
erkehrsminister hat diesen Aspekt am Sonntag bei der
röffnung der Internationalen Woche der Verkehrssi-
herheit selbst in den Vordergrund gestellt. Auch auf
em Verkehrsgerichtstag in Goslar haben sich die Refe-
ate des mit über 340 Fachleuten stärksten Arbeitskreises
it der Bedeutung nicht angepasster Geschwindigkeit
ür das Unfallgeschehen befasst mit einhelligem Fazit:
berhöhte, nicht angepasste Geschwindigkeit, ist die
auptursache für Unfälle mit Toten und Verletzten. In
eutschland ist dieser Ursache etwa ein Drittel aller Ver-
ehrstoten zuzurechnen.
Auch bei den von jungen Fahranfängern verursachten
nfällen steht an der Spitze die überhöhte, nicht ange-
asste Geschwindigkeit. Das Statistische Bundesamt lis-
et das Unfallgeschehen der 18- bis 24-Jährigen in 2005
uf: Nach Feststellungen der Polizei fuhr fast jeder vierte
er 90 313 unfallbeteiligten Pkw-Fahrer dieser Alters-
ruppe zu schnell. Mit weitem Abstand folgte die Unfall-
rsache Abstandsfehler, 11 Prozent, sowie Vorfahrt-/
orrangfehler, 10 Prozent der Unfallbeteiligten. Die
eiteren Unfallursachen waren Abbiegefehler, 6,2 Pro-
ent, erst dann folgt Alkoholeinfluss mit 4,7 Prozent der
nfallbeteiligten.
Hohe Geschwindigkeiten und insbesondere hohe Ge-
chwindigkeitsdifferenzen führen auf immer voller wer-
enden Autobahnen zu Ängsten und gefährlichen
erkehrssituationen. Wer rast und zu dicht auffährt, ge-
ährdet nicht nur sich selbst, sondern auch andere. Rasen
nd rowdyhaftes Fahren sind keine Kavaliersdelikte, sie
ind Straftaten und als solche streng zu ahnden.
Hier gilt: null Toleranz. Darüber sind wir uns einig.
enn Straßen sind öffentlicher Raum und als Verkehrs-
9658 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007
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politiker tragen wir für Bürgerinnen und Bürgern Verant-
wortung.
Wie groß der Handlungsbedarf angesichts des vor-
herrschenden Verkehrsklimas ist, zeigen die Aussagen
einer Pressemitteilung des Bundesverkehrsministeriums
vom 22. April 2007:
Vor allem junge männliche
Führerschein-Neulinge sind die größte Problemgruppe.
Das wird von zwei Dritteln der Verkehrsteilnehmer auch
so empfunden, wie eine repräsentative Befragung in un-
serem Auftrag ergeben hat. Über 80 Prozent der Ver-
kehrsteilnehmer empfinden das Verkehrsklima generell
als rücksichtslos und immer rauer. Deshalb müssen wir
große Anstrengungen unternehmen, um das Klima auf
unseren Straßen zu verbessern und das Miteinander im
Straßenverkehr zu stärken. Und: Größe zeigt, wer
auch mal den Fuß vom Gas nimmt
Angesichts dieser Befragungsergebnisse sprach der
Bundesverkehrsminister zu Recht von einem Alarmsi-
gnal.
Keiner bestreitet, dass wir gute Entwicklungen der
Straßenverkehrssicherheit haben. Das ist aber kein
Grund, weit unter unseren Möglichkeiten zu deren wei-
teren Verbesserung zu bleiben! Vernünftig wäre die Aus-
schöpfung aller möglichen Optionen.
Deutschland in der Mitte eines vereinigten Europa
und als das Transitland Nummer 1 muss mit klaren Re-
gelungen im Straßenverkehr aufwarten: Eine davon ist
das Alkoholverbot für Fahranfänger, eine weitere wäre
ein allgemeines Tempolimit auf Bundesautobahnen, das
heute allerdings noch nicht zur Debatte steht.
Patrick Döring (FDP): Das Ziel der Bundesregie-
rung, die Zahl der Verkehrsunfälle, die auf Alkoholein-
fluss zurückzuführen sind, deutlich zu senken, ist zu be-
grüßen. Die Begründung des Gesetzentwurfs klingt
zunächst überzeugend: Zwei Risiken, zum einen die Un-
erfahrenheit des Fahranfängers und zum Zweiten die
verminderte Steuerungsfähigkeit aufgrund des Alkohol-
konsums, ergeben zusammen ein großes Unfallrisiko für
alkoholisierte Fahranfänger. Nehmen wir eine der Ge-
fahren weg das ist ein einfacher Schluss , kann es zu
dieser gefährlichen Verbindung nicht mehr kommen.
Ein Alkoholverbot für Fahranfänger könnte ein
Schritt in die richtige Richtung sein. In Österreich hat
man gute Erfahrungen mit einer vergleichbaren Rege-
lung gemacht. Das Gesetz verdient daher eine wohlwol-
lende Prüfung. Allerdings: Das Gesetz mag das Risiko
der verminderten Steuerungsfähigkeit durch Alkoholein-
fluss verringern. Um die Unfallgefahr nachhaltig zu sen-
ken, brauchen wir aber mehr als dieses Verbot.
Unser eigentliches Problem sind nicht zu wenige Ver-
bote. Alkohol ist und bleibt eine legale Droge, die ab 16
legal konsumiert werden darf. Derzeit erleben wir bei
vergleichbaren Diskussionen den politischen Trend,
Konsumgesetze für legale Drogen zu erlassen. Aus Sicht
der FDP ist es viel notwendiger, den verantwortungsbe-
wussten Umgang mit Alkohol in den Vordergrund von
Aktionen zu stellen ob Verbote für Fahranfänger dieses
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iel erreichen helfen, wird die Ausschussberatung er-
eisen.
Vielmehr haben wir ein Vollzugsproblem: So führen
ereits bestehende Regeln derzeit nicht dazu, dass die
runkenheitsfahrt gerade auch bei erfahrenen Autofah-
ern eine Ausnahme darstellt, obwohl sie jedenfalls
n einem Bereich von mehr als 0,5 Promille verboten
st. Das Problem ist, dass die Chance, in eine Kontrolle
u geraten, gering ist. Erst Kontrollen, die auch die rea-
istische Gefahr für den betrunkenen Fahrer in sich ber-
en, erwischt zu werden und unangenehme Sanktionen
uferlegt zu bekommen, wirken der hohen Zahl der
runkenheitsfahrten entgegen. Davon sind wir weit ent-
ernt.
Die niedrigsten Schätzungen gehen davon aus, dass
uf eine entdeckte Autofahrt unter Alkoholeinfluss min-
estens 100 unentdeckte Trunkenheitsfahrten kommen.
ndere gehen sogar von 600 unentdeckten Fahrten aus.
ie sinnvoll ist es, neue Verbote zu formulieren, wenn
estehende Verbote nicht wirksam kontrolliert werden?
n Österreich, um noch einmal auf die Erfahrungen mit
er Regelung dort zurückzukommen, ist schließlich ein
edeutender Teil der positiven Wirkung darauf zurück-
uführen, dass verstärkte Kontrollen auch erfahrenere
ahrer davon abhalten, Alkohol zu trinken.
Wir dürfen außerdem nicht aus den Augen verlieren,
ass sich ein wesentlicher Teil der Trunkenheitsfahrten
m Bereich 1 Promille und weit darüber abspielt. Auf
ieses Problem gibt der Gesetzesentwurf keine Antwort.
n Zeiten von Flatrates und Alkoholkonsum bis zur
ewusstlosigkeit gilt es zu allererst, einen verantwor-
ungsbewussten Umgang mit Alkohol zu erreichen. Das
roblem Alkohol am Steuer wird zwei Jahre verscho-
en: Denn es ist richtig, wenn die Gesetzesbegründung
inngemäß sagt, dass Fehleinschätzungen der eigenen
ahrtüchtigkeit bei einem absoluten Verbot, alkoholhal-
ige Getränke zu konsumieren, nicht mehr vorkommen
önnten. Doch nach Ablauf der zweijährigen Probezeit
arf ja wieder getrunken werden. Der einzige Vorteil:
er Fahrer hat bereits mehr Erfahrung im Umgang mit
em Pkw. Ist aber der 18-jährige Fahranfänger per se
erantwortungsloser als ein 20-jähriger Fahrer?
Neben der nachdrücklichen Durchsetzung bestehen-
er Verbote gibt es eine weitere große Aufgabe, der sich
ie Politik stellen muss: Der gesellschaftliche Umgang
it Trunkenheitsfahrten muss sich ändern. Was für ein
orbild sind erfahrene Autofahrer, die sich betrunken
ns Steuer setzen, für junge Fahrer? Manche Fahrer un-
erhalten sich über ihre Trunkenheitsfahrten wie über
eldentaten. Da müssen wir ansetzen und die Aufklä-
ung über die Gefahren von Trunkenheitsfahrten verbes-
ern. Bereits im Fahrschulunterricht müsste ein stärkeres
ewicht als bisher auf das Problem des Alkoholkonsums
elegt werden und die Simulation einer Trunkenheits-
ahrt angeboten werden. Auch nach dem Discobesuch
önnen freiwillige Alkoholtestangebote die sogenannten
iscounfälle verhindern.
Ich will ein weiteres Beispiel für aktive Aufklärungs-
rbeit geben: Als Modellversuch wurde an niedersächsi-
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007 9659
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schen Schulen eine Führerschein-AG angeboten. Ne-
ben den Regeln und Normen waren auch die Themen
Alkohol und die sogenannten Discounfälle Gegenstand
der schulischen Führerschein-AG. Nach einer Evalua-
tion der Bundesanstalt für Straßenwesen kam die Füh-
rerschein-AG bei Jugendlichen, Lehrern und Fahrleh-
rern gut an. Die beteiligten Fahrlehrer stellten generell
ein umsichtigeres und rücksichtsvolleres Fahrverhalten
fest.
Sie sehen, ein Alkoholverbot kann allenfalls ein klei-
ner Baustein zur Lösung des Problems sein. Wenn wir
die Zahl der alkoholbedingten Unfälle mit teils schwer-
wiegenden Folgen insbesondere auch für andere Ver-
kehrsteilnehmer drastisch senken wollen, müssen wir
mehr tun. Der nachhaltigere Weg besteht aus Aufklä-
rung, der Ausweitung von Alkoholtestangeboten und
Kontrollen.
Daher fordere ich Sie auf: Setzen Sie sich für eine
bessere Aufklärung in der Schule und auch im Fahrun-
terricht ein! Machen Sie Werbung für eine Ausweitung
von Angeboten, den Blutalkoholgehalt nach dem Disco-
besuch auf freiwilliger Basis messen zu lassen! Drängen
Sie parallel zu diesen Maßnahmen auf eine verstärkte
Kontrolle!
Dies jedenfalls ist der Weg der FDP-Fraktion. Wir
lehnen die Initiative der Bundesregierung nicht ab und
werden sie wohlwollend prüfen und hoffen auf eine kon-
struktive Ausschussberatung. Aber wir warnen davor, zu
hoffen, dass durch das Alkoholverbot für Fahranfänger
auf Deutschlands Straßen alles gut werde. Dies wird
nicht der Fall sein.
Dorothée Menzner (DIE LINKE): Als ich die Be-
gründung des Gesetzesentwurfs las, schoss es mir gleich
durch den Kopf: ein an und für sich guter Redeentwurf,
dem eigentlich nicht mehr viel hinzuzufügen wäre. Ge-
statten Sie mir dennoch einige Bemerkungen.
Es ist richtig, dass wir Fahranfängerinnen und Fahr-
anfänger vom Fahren unter Alkoholeinfluss oder ande-
ren berauschenden Mitteln in der Probezeit abhalten
wollen. In vielen Gesprächen mit jungen Leuten, die ich
im Vorfeld dieser Debatte führte, konnte ich wie selten
bei den jungen Menschen eine große Zustimmung zu ei-
nem Gesetzesvorhaben erleben. Aber, dieses Gesetz zu
verabschieden und sich dann zurückzulehnen, ist nur das
halbe Glas, um mal im Bilde zu bleiben. Belassen wir es
dabei, könnte in breiten Kreisen der Bevölkerung der
Eindruck entstehen, nach zwei Jahren Abstinenz am
Steuer, dürfe man jederzeit besoffen ins Auto steigen;
denn nach zwei Jahren wird von der Null-Promille-
Grenze gleich auf die erlaubten 0,8 Promille durchge-
startet. Die eben erwähnten Jugendlichen warfen ein
zu Recht wie ich meine , dass Führerscheinneulinge
nichts trinken sollten, wenn sie sich ins Auto setzen, das
gehe klar. Sie fragten aber auch, warum sich ältere Auto-
fahrer mit Alkohol im Blut ans Steuer setzen dürfen.
Ältere Autofahrer? Das meint hier auch junge Men-
schen zwischen 20 und 30 Jahren. Fast die Hälfte der Ju-
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endlichen zwischen 15 und 24 Jahren praktiziert min-
estens ein Mal im Monat das sogenannte Binge
rinking, was bedeutet, dass mindestens fünf Gläser mit
lkohol hintereinander getrunken werden müssen, be-
orzugt an Wochenenden. Da sind die 0,8 Promille lo-
ker überschritten. Dabei wissen wir, dass schon ein Un-
all, der mit 0,3 Promille Alkohol im Blut verursacht
ird, erhebliche Folgen für den Verursacher haben kann,
on den Opfern mal ganz zu schweigen. Die Diskussion,
ie viel Alkohol im Blut wir am Steuer für tolerabel hal-
en, muss in Richtung einer Senkung der bisher erlaub-
en Alkoholmenge am Lenkrad weitergehen.
Damit bin ich beim Stichwort Disco-Unfälle. Auch
ieses Problem müssen wir betrachten, wenn wir für
ahranfängerinnen und Fahranfänger Alkohol am Steuer
erbieten. Ich rede hier nicht von den möglichen Ursa-
hen, warum Jugendliche sich berauschen, die da sind:
angel an Lehrstellen, Perspektivlosigkeit, Gruppen-
wang, Arbeitslosigkeit oder Heimweh von Jugendli-
hen, die zur Ausbildung in wirtschaftlich erfolgreiche
egionen abgewandert sind. Obwohl wir als Linke eini-
es zu den gesellschaftlichen Ursachen sagen könnten;
afür reicht die Redezeit hier nicht.
Lassen Sie mich trotzdem einen Aspekt herausgrei-
en: Besonders auf dem flachen Land haben junge Men-
chen allzuoft keine andere Möglichkeit, wenn sie zur
isco oder zu Feten fahren, als das eigene Auto zu be-
utzen selbst wenn nicht getrunken werden soll weil
s Busse und Bahnen, die zu später Stunde fahren, ein-
ach nicht mehr gibt. Im Haushaltsbegleitgesetz 2006
urde eine erhebliche Reduzierung der Gelder für den
ahverkehr beschlossen. Da kann obwohl es notwendig
äre kaum noch eine Kommune den Spätbus finanzie-
en. Hinzu kommt: In dem Landkreis, aus dem ich
omme, kann man ohne eigenes Rad nicht mal mehr zur
isco kommen, weil die letzten Busse gegen 19 Uhr fah-
en. Auch wenn es vereinzelt gut gemeinte, zum Teil so-
ar erfolgreiche Aktionen, wie den Discobus oder den
0-Prozent-Taxigutschein für die Fahrt vom Tanzschup-
en nach Hause gibt, so wird doch deutlich, dass Ver-
ehrspolitik und mangelnde Angebote des ÖPNV nicht
ur sozial ausgrenzend, sondern allzuoft auch sprich-
örtlich lebensgefährlich sind.
Die Linke begrüßt den Entwurf eines Gesetztes für
in Alkoholverbot für Führerscheinneulinge und stimmt
iesem auch zu. Aber das kann nur ein Schritt sein,
ahrten unter Alkoholeinfluss zu begrenzen. Wir müssen
ier im Hohen Hause demnächst weiter darüber spre-
hen, nämlich wie weit die generelle Senkung des er-
aubten Blutalkoholwertes gehen sollte, wie ein Angebot
ür Discobesucher, das Auto stehen lassen zu können,
uch auf dem Land halbwegs flächendeckend möglich
st, wie wir die Ursachen des Alkoholmissbrauchs durch
ugendliche wirksam bekämpfen wollen und wie wir den
usbau des öffentlichen Personennahverkehrs auf dem
and auch in den Abendstunden ermöglichen und för-
ern können. Sie sehen, der Handlungsbedarf geht viel
eiter, als nur das Fahren unter Alkohol in der Probezeit
u verbieten.
9660 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007
(A) )
(B) )
Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Um es gleich am Anfang klar deutlich zu machen: Wir
werden in Bezug auf Alkohol am Steuer nicht auf der
Bremse stehen, wie Sie, meine Damen und Herren von
der Bundesregierung, das beim Tempolimit tun und da-
mit in der Welt fast allein auf der Seite der Uneinsichti-
gen stehen. Die Grafik in Drucksache 16/5047 verdeut-
licht die Ausmaße der geschwindigkeitsbedingten
Unfälle mit Personenschaden.
Dieser Gesetzentwurf der Bundesregierung ist ein
deutlicher Schritt in die richtige Richtung. Die Statistik
betreffend die jungen Fahrerinnen und Fahrer spricht in
der Tat eine deutliche Sprache. Doch im Denken schei-
nen die jungen Fahrerinnen und Fahrer den Älteren und
Erfahrenen weit voraus zu sein: In einer Forschungsstu-
die des Deutschen Verkehrssicherheitsrates 2002 spra-
chen sich mehr als 80 Prozent der jungen Fahrerinnen
und Fahrer für eine Null-Promille-Grenze aus. Sie wol-
len das Alkoholverbot für alle Fahranfängerinnen und
Fahranfänger während der Probezeit. Das ist richtig.
Doch bleiben Sie bei diesem Gesetzentwurf nicht ste-
hen. Gehen Sie weiter, und entscheiden Sie sich für ein
klares Bekenntnis: Kein Alkohol am Steuer, und das für
alle, damit die sogenannten Erwachsenen, die oft mit
schlechtem Beispiel vorangehen, nicht weiterhin sich
und Unbeteiligte unnötigen Gefahren aussetzen. Laut ei-
ner Umfrage sind 20 Prozent der Befragten der Mei-
nung, dass ein oder zwei Glas Bier einen guten Autofah-
rer nicht beeinträchtigen. Zwei Gläser Bier à 0,3 Liter
reichen je Körpergröße und Konstitution unter Umstän-
den aus, um nach einer Stunde noch einen Promillewert
von 0,2 zu haben. Das reicht, um die Fahrfähigkeit ein-
zuschränken.
Viele Autofahrerinnen und Autofahrer treiben ein ge-
fährliches Spiel, indem sie sich durch Selbstüberschät-
zung an einen kritischen Wert herantrinken und ihre
physischen und psychischen Umstände, die den Promil-
lewert beeinflussen, unbeachtet lassen. Auch der Rest-
alkoholgehalt des Blutes am Tag danach wird häufig un-
terschätzt.
Mit null Promille für alle wären wir dem Ziel von Vi-
sion Zero, der Vision von null Verkehrstoten, schon wie-
der etwas näher gerückt. Hätten wir schon 2005 die Null-
Promille-Grenze gehabt, dann hätten theoretisch rund
22 000 Unfälle mit Personenschaden und 603 Toten ver-
hindert werden können.
Bündnis 90/Die Grünen wollen die Zahl der Verkehrs-
toten bis 2020 um 70 Prozent reduzieren, um langfristig
auf Null zu kommen. Dabei wollen wir die Menschen,
die lebenslange Gesundheitseinbußen oder Körperbehin-
derungen durch Verkehrsunfälle erleiden, nicht verges-
sen.
Natürlich brauchen wir auch mehr Kontrollen und
wesentlich höhere Bußgelder, die sich an schweizeri-
schen und französischen Bußgeldern orientieren, um die
Abschreckung zu erhöhen.
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nlage 11
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Rechte für Journa-
listinnen und Journalisten sichern und aus-
bauen (Tagesordnungspunkt 20)
Reinhard Grindel (CDU/CSU): An den Beginn mei-
er Ausführungen möchte ich eine grundsätzliche Be-
erkung stellen. Dass ausgerechnet die Nachfolgepartei
er SED hier einen Antrag stellt, dass in unserem Land
ngeblich die Rechte von Journalisten bedroht sind,
inde ich im Kern unerträglich. Sie haben sich bis heute
icht vom DDR-Unrechtsregime distanziert, das Presse-
reiheit nicht kannte. Sie haben nach wie vor in ihren
eihen DDR-Machthaber wie Hans Modrow, die zu ih-
er Regierungszeit die Rechte der Journalisten im eige-
en Land mit Füßen getreten und die Auslandskorres-
ondenten bespitzelt haben. Ihnen fehlt die politische
nd vor allem die moralische Legitimation, sich ankla-
end zur Frage der Rechte von Journalisten zu äußern.
Ihr Antrag enthält gleich im ersten Satz eine Behaup-
ung, die mit der Realität in unserem Land nichts zu tun
at. Sie schreiben: Die Pressefreiheit in der Bundesre-
ublik Deutschland ist in den vergangenen Jahren mehr
nd mehr eingeschränkt worden. Das ist grober Unfug!
ie stützen ihre Behauptung auf einen Bericht der Orga-
isation Reporter ohne Grenzen, die jedes Jahr eine
angliste aufstellt, anhand der man angeblich ablesen
ann, wie die einzelnen Staaten mit der Pressefreiheit
mgehen. Danach ist Deutschland ist 2006 von Platz 18
uf Platz 23 zurückgefallen. Womit wird das von Re-
orter ohne Grenzen begründet? Nicht etwa mit wissen-
chaftlichen Untersuchungen, sondern mit vier einzelnen
orgängen: Der Überwachung von zwei Journalisten
urch den BND, der Durchsuchung und Beschlagnahme
on Redaktionsmaterial beim Magazin Cicero, der
orddrohung gegen einen Karikaturisten des Tagesspie-
els dem Umstand, dass der ungehinderte Zugang von
ournalisten zu Daten trotz Verabschiedung des Informa-
ionsfreiheitsgesetzes nicht gewährleistet sei.
Ich habe ernste Zweifel, ob diese vier Gesichtspunkte
usreichen, um eine Verschlechterung der Pressefreiheit
n Deutschland zu begründen. Aber in jedem Fall zeigt
as, dass die Behauptung der Linken, die Pressefreiheit
erde immer mehr eingeschränkt nicht stimmt: Die
berwachung der Journalisten durch den BND ist been-
et und es wird sie künftig nicht mehr geben. Wir haben
m Bundestag festgestellt, dass das rechtswidrig war. Im
alle Cicero sind die Ermittlungsverfahren wegen Bei-
ilfe zum Geheimnisverrat eingestellt, und das Bundes-
erfassungsgericht hat die Durchsuchung der Redak-
ionsräume und die Beschlagnahme von Akten bei
ournalisten für verfassungswidrig erklärt. Die Morddro-
ungen gegen den Karikaturisten wie später ja auch ge-
en Journalisten in Zusammenhang mit den Moham-
ed-Karikaturen sind von Privatpersonen und nicht vom
taat ausgegangen. Und bei der Verweigerung des Zu-
angs zu Daten geht es trotz des lnformationsfreiheits-
esetzes ja wohl auch um den Schutz von Daten Drit-
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007 9661
(A) )
(B) )
ter, sodass dabei immer eine Rechtsgüterabwägung
vorzunehmen ist.
Insoweit gehe ich davon aus, dass wir bei der nächs-
ten Rangliste auf einem Platz für die Champions League
stehen werden, weil von der Kritik der Reporter ohne
Grenzen nichts übrig geblieben ist.
Hinzu kommt, dass die Bundesregierung mit dem Ge-
setzentwurf zur Neuregelung verdeckter Ermittlungs-
maßnahmen den Schutz von Journalisten erheblich ver-
bessert hat. Vor einer Observierung sind sorgfältige
Abwägungen der Verhältnismäßigkeit vorzunehmen.
Die Anforderungen an eine strafbare Teilnahmehand-
lung bei der Verletzung von Dienstgeheimnissen unterlie-
gen strengen Anforderungen.
Gleichwohl will ich betonen, was ich schon bei ande-
rer Gelegenheit hier im Hohen Haus gesagt habe: Die
Pressefreiheit ist für unseren freiheitlichen Rechtsstaat
schlechthin konstituierend. Alle Verantwortlichen in den
Sicherheitsbehörden müssen sich bewusst sein, dass das
Grundrecht der Pressefreiheit nicht irgendein Grund-
recht ist. Hier gibt es Defizite bis in die frühere Spitze
von Bundesministerien. Ich habe nicht vergessen, dass
der frühere Bundesinnenminister Otto Schily alle dieje-
nigen, die Kritik an seiner Zustimmung zur Durchsu-
chung bei Cicero geübt haben, als Hanseln be-
schimpft hat. Jetzt haben wir erlebt, dass selbst im
Bundesverfassungsgericht zumindest sieben Hanseln
sitzen, nämlich die, die diese Durchsuchung für verfas-
sungswidrig erklärt haben. Das war nicht nur für die Er-
mittlungsbehörden in Brandenburg, sondern gerade für
Otto Schily eine schallende Ohrfeige. Es ist völlig klar:
Eine Durchsuchung von Redaktionsräumen und die Be-
schlagnahme von Material von Informanten sind ein
schwerwiegender Eingriff in die Pressefreiheit.
Die Geheimhaltung von Informationsquellen und der
Schutz der Vertraulichkeit sind für die Presse unentbehr-
lich. Es darf nicht sein, dass unter dem Deckmantel einer
angeblichen Beihilfehandlung des Journalisten zum Ge-
heimnisverrat in dieses Grundrecht eingegriffen wird,
um in Wahrheit eine undichte Stelle im Sicherheitsappa-
rat aufzudecken. Die Beschlagnahme von Akten, die
noch dazu mit dem eigentlichen Fall von Geheimnisver-
rat nichts zu tun hatten, entzieht gerade einem freien
Journalisten seine wirtschaftliche Grundlage. Die Be-
schlagnahmefreiheit von Zufallsfunden muss von Ge-
richten stärker beachtet werden. Das Urteil des Bundes-
verfassungsgerichts muss sich jeder Staatsanwalt hinter
den Spiegel stecken. So ein Fall darf sich nicht wiederho-
len. Apropos Spiegel: In seinem berühmten Spiegel-Ur-
teil vom 5. August 1966 sagt das Bundesverfassungsge-
richt allerdings auch, dass es eine Mitverantwortung der
Presse für die Staatssicherheit gibt. Es ist so, dass in der
Vergangenheit durch Bücher und Zeitungsartikel auch
Leib und Leben von Quellen unserer Nachrichtendienste
und die Durchführung von Geheimoperationen gefährdet
worden sind. Insbesondere wenn es nicht um die Aufde-
ckung von Skandalen geht, gebietet es die journalisti-
sche Ethik, dass man die Folgen seines Tuns vor einer
Veröffentlichung selbstkritisch prüft.
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Wenn Die Linke in ihrem Antrag verlangt, die Bun-
esregierung solle dafür Sorge tragen, dass Journalisten
ngehindert und ohne Überwachung der Berichterstat-
ung nachgehen können, dann ist das so apodiktisch
icht zu unterstützen. Die Pressefreiheit gilt nicht
chrankenlos. Es gibt immer wieder Fälle von Güterab-
ägungen, die sich aus anderen Grundrechten der von
er Berichterstattung Betroffenen oder aus den allge-
einen Gesetzen ergeben. Man kann Journalisten von
trafverfolgungen wegen eines Geheimnisverrats sicher
icht grundsätzlich ausnehmen. Die Veröffentlichung
on geheimen Papieren ist allein kein Indiz für eine Bei-
ilfehandlung. Wenn ein Journalist aber etwa zur He-
ausgabe von Informationen gezielt anstiftet, wenn er sie
rpresst oder dafür bezahlt, ist in jedem Einzelfall zu
rüfen, ob das noch von der Pressefreiheit umfasst wird.
Auch was die Überwachung von Journalisten angeht,
uss man differenzieren. Natürlich gibt es Fälle, dass im
ahmen von Operationen zur Eigensicherung etwa
ND-Mitarbeiter, die man als undichte Stellen in Ver-
acht hat, überwacht werden. Wenn diese verdächtigen
itarbeiter sich dann tatsächlich mit Journalisten treffen
ollten, dann wird das möglicherweise auch von Über-
achungskameras aufgenommen. Das wissen investiga-
iv arbeitende Journalisten aber. Etwas ganz anderes und,
ie wir im Bundestag festgestellt haben, rechtswidrig ist
s, wenn diese Überwachungskameras vor Wohnungen
on Journalisten stehen, weil man sich über diesen Weg
in Aufspüren der undichten Stellen im Sicherheitsappa-
at erhofft. Diese rote Linie darf nicht überschritten wer-
en: Die nachrichtendienstlichen Mittel dürfen sich nur
egen Verräter aus den eigenen Reihen richten, nicht
ber gegen Journalisten.
Festzuhalten ist im Hinblick auf die Cicero-Ent-
cheidung aber auch: Wenn das Bundesverfassungsge-
icht gesetzgeberischen Handlungsbedarf gesehen hätte,
ann wären einzelne Vorschriften zumindest teilweise
ür verfassungswidrig erklärt worden, bzw. das Gericht
ätte dem Gesetzgeber Hinweise zur gesetzlichen Klar-
tellung gegeben. Das ist aber nicht der Fall gewesen.
iese Gesetze schützen die Journalisten, sie sind im
onkreten Fall von den Ermittlungsbehörden falsch an-
ewandt worden.
Völlig abwegig wird ihr Antrag, wenn sie als Aus-
ruck der Sicherung der Pressefreiheit die Zahlung von
bfindungen aufführen, falls der Journalist selbst kün-
igt, weil seine Zeitung einen neuen Eigentümer oder In-
estor hat oder sich die politische Ausrichtung eines
lattes ändert. Da offenbaren sie ein gruseliges Wirt-
chaftsverständnis, aber auch ein merkwürdiges Ver-
tändnis von Pressefreiheit. Einmal haben in der Vergan-
enheit neue Investoren gerade Blätter gerettet und
amit Meinungsvielfalt und Arbeitsplätze gesichert. Sol-
he Abfindungszahlungen könnten gerade kleineren Zei-
ungen wirtschaftlich so schaden, dass Redaktionen ver-
leinert und damit die Qualität eines Blattes
erschlechtert wird. Es ist Sache der Tarifpartner und
icht Aufgabe des Staates, Entgelte und Abfindungen
on Arbeitnehmern zu regeln. Ordnungspolitisch sind
hre Vorschläge völlig verfehlt. Entscheidend ist doch,
ass auch der Verleger, der Eigentümer einer Zeitung,
9662 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007
(A) )
(B) )
sich auf die Pressefreiheit berufen kann. Es muss doch
möglich sein, wenn eine Zeitung Auflage verliert und
sich ein Verleger von ihr trennt, dass ein neuer Eigentü-
mer mit einer neuen Redaktionsmannschaft antritt, um
wieder attraktiver für die Leser zu werden.
Wer immer nur das Neue Deutschland liest, dem
sind solche Zusammenhänge natürlich völlig fremd.
Deshalb haben wir im Arbeitsrecht gerade eingeschränk-
ten Kündigungsschutz, weil es sich bei Zeitungen um
Tendenzbetriebe handelt. Wie abwegig ihre Überlegun-
gen sind, zeigt gerade das Beispiel der Berliner Zei-
tung, das sie in ihrem Antrag ansprechen. Sie erwähnen
den Chefredakteur Uwe Vorkötter. Der ist von der Ber-
liner Zeitung unmittelbar zur Frankfurter Rundschau
gegangen. Ich kann nicht erkennen, dass dadurch seine
Pressefreiheit bedroht ist. Er hat was im Journalismus
üblich ist auch einige Redakteure von Berlin nach
Frankfurt mitgenommen. Sollen die jetzt noch eine Ab-
findung oben drauf bekommen? Was sie da vorschlagen
ist doch nicht von dieser Welt. Ich habe mich bei der
Berliner Zeitung erkundigt. Das, was sich nach dem
Einstieg der von ihnen als Heuschrecken bezeichneten
Investoren verändert hat, ist ein etwas intensiveres Kos-
tenmanagement, was zum Beispiel Reisen angeht. Das
machen viele Verlage so, auch alteingesessene Familien-
betriebe. Es sind aber jetzt sogar einige Pauschalisten
fest angestellt worden. Das bedeutet mehr wirtschaftli-
che Sicherheit und damit journalistische Freiheit. Die
Berliner Zeitung will eine Sonntagsausgabe auf den
Markt bringen, das heißt, ein größeres redaktionelles
Angebot. Das Zerrbild, das sie hier von der Entwicklung
des Zeitungsmarktes schildern, hat mit der Wirklichkeit
nichts zu tun.
Jörg Tauss (SPD): Wir beraten heute zu später
Stunde und in erster Lesung den Antrag der Fraktion Die
Linke Rechte für Journalistinnen und Journalisten si-
chern und ausbauen. Der Antrag beschreibt eine zuneh-
mende Einschränkung der nach Art. 5 Grundgesetz zu ge-
währleistenden Pressefreiheit in Deutschland. So sei die
Bundesrepublik Deutschland im aktuellen Bericht Re-
porter ohne Grenzen bei dem weltweiten Ranking von
Platz 18 auf Platz 23 zurückgefallen. Als Gründe dafür
wird neben verschiedenen Ermittlungserfahren gegen
Journalisten wegen Beihilfe zum Geheimnisverrat, der
Überwachung von Journalisten im Rahmen der Neurege-
lung der Telekommunikationsüberwachung auch die zu-
nehmende Einschränkung redaktioneller Freiheit durch
ökonomische Zwänge angeführt. Mit dem heute auf der
Tagesordnung stehenden Antrag soll die Bundesregierung
aufgefordert werden, dafür Sorge zu tragen, dass Journa-
listinnen und Journalisten ungehindert und ohne Überwa-
chung ihrem öffentlichen Auftrag der Berichterstattung
nachgehen können. Darüber hinaus fordert der Antrag
eine angemessene finanzielle Abfindung bei Kündigung
einer Journalistin oder eines Journalisten, wenn diese auf-
grund eines Verkaufs eines Verlages, einer Zeitung oder
Zeitschrift an einen neuen Investor erfolgt. Letzteres ist
erstens Sache der Tarifvertragsparteien, und zweitens gibt
es mit der Konzentrationsschutzregelung des § 17 im
Manteltarifvertrag Tageszeitung und im Anhang zum
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anteltarifvertrag eine solche Regelung bereits im Tages-
eitungsbereich, der im Übrigen auch für den Fall des
endenzwechsels gilt.
Diskutieren müssen wir allerdings in der Tat die Frage
er Sicherstellung der Pressefreiheit und der zunehmen-
en Einschränkungen der Pressefreiheit in den vergange-
en Jahren. Der Deutsche Journalistenverband (DJV) hat
ür die Jahre 1987 bis 2000 165 Fälle von Durchsuchun-
en und Beschlagnahmen analysiert und ist zu dem Er-
ebnis gekommen, dass nur in einem einzigen Fall eine
erhältnismäßigkeitsprüfung vorgenommen wurde. In
en Fällen, in denen auch gegen Journalisten ermittelt
urde, ist in keinem einzigen Fall Anklage erhoben wor-
en. Seit dem Jahr 2000 sind weitere Fälle bekannt ge-
orden: In mindestens fünf Fällen ist gegen Journalisten
rmittelt worden, davon in fünf Fällen wegen des Ver-
achts der Beihilfe bzw. Anstiftung zum Geheimnisver-
at(!). Drei dieser Fälle waren zum Zeitpunkt der Anhö-
ung im Rechtsausschuss (Oktober 2006) noch nicht
bgeschlossen. Zwei dieser Fälle betreffen die Durchsu-
hung der Redaktionsräume des Magazins Cicero sowie
er Arbeits- und Wohnräume des Journalisten Bruno
chirra im September 2005. Der dritte Fall betrifft die He-
ausgabe von Telekommunikationsverbindungsdaten ei-
es Journalisten der Dresdner Morgenpost, um den In-
ormanten des Journalisten aufzuspüren. In einem Fall
Cicero) wurde Verfassungsbeschwerde eingelegt. Das
undesverfassungsgericht hat inzwischen klar entschie-
en, dass es sich bei dieser Durchsuchung der Redaktions-
äume des Magazins Cicero sowie der Wohn- und Ar-
eitsräume um einen verfassungswidrigen Eingriff in die
ressefreiheit gehandelt hat. Diese Entscheidung des Bun-
esverfassungsgerichtes ist außerordentlich begrüßens-
ert.
Mit der StPO-Novelle aus dem Jahr 2002 konnte zwar
auch aus der Sicht der Medien- und Journalistenver-
ände ein durchaus verbesserter Schutz der Informa-
ionsquellen der Journalisten erreicht werden, vor allem
it Blick auf das selbstrecherchierte Material. Auch
urde in § 97 Abs. 5 StPO ausdrücklich festgehalten,
ass die Beschlagnahme bei Personen, die selbst straf-
erstrickt sind oder strafverstrickte Gegenstände in Ge-
ahrsam haben, nur unter Beachtung des Verhältnismä-
igkeitsgrundsatzes und des Subsidiaritätsprinzips
rfolgen darf, wenn sie an sich nach § 53 Abs. 1 Nr. 5
tPO zeugnisverweigerungsberechtigt sind. Dennoch
ibt es aus Sicht der Medienpolitiker der SPD-Bundes-
agsfraktion wie nicht zuletzt der Fall Cicero und an-
ere Durchsuchungen und Beschlagnahmen sowie die
urchgängige Rechtsprechung des Bundesverfassungs-
erichtes gezeigt haben und zeigen auch nach der
tPO-Novelle aus dem Jahr 2002 weiterhin Lücken des
chutzes der Informanten und des Redaktionsgeheimnis-
es beim Beschlagnahme- und Durchsuchungsgebot, bei
er Telekommunikationsüberwachung und auch im
trafrechtlichen Bereich, weswegen die Reichweite der
reistellung von Medienangehörigen sowohl von straf-
echtlichen als auch von strafprozessualen Maßnahmen
achjustiert werden sollte.
Nicht zuletzt die aktuelle Diskussion bezüglich einer
rneuten Verschärfung der Sicherheitsgesetze Stich-
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007 9663
(A) )
(B) )
worte hier sind: Onlinedurchsuchung, Vorratsdatenspei-
cherung, Onlineabgleich von biometrischen Merkmalen
etc. macht deutlich, dass immer wieder um die Balance
zwischen Freiheit und Sicherheit und zwar sowohl be-
züglich der bürgerlichen Freiheiten wie auch der Medien-
freiheiten gerungen werden muss und dass diese Ba-
lance zwischen Freiheit und Sicherheit immer wieder
auch infrage gestellt wird. Ich stimme dem Innenminister
aus Schleswig-Holstein, Ralf Stegner, ausdrücklich zu in
der Feststellung, dass durch die Ermöglichung von heim-
lichen Onlinedurchsuchungen im Unterschied zur offen
durchzuführenden Hausdurchsuchung nicht nur die In-
timsphäre der Bürgerinnen und Bürger massivst verletzt
wird, sondern zugleich auch die freie Recherche und Be-
richterstattung der Medien infrage gestellt wird. Notwen-
dig ist in einer demokratisch verfassten Gesellschaft auch
in einer neuen Gefährdungssituation durch organisierte
Kriminalität und Terrorismus eine verfassungskonforme
Abwägung zwischen den notwendigen Mitteln der Terro-
rismusbekämpfung und der Strafverfolgung auf der einen
Seite und dem Grundrechteschutz und den Medienfreihei-
ten auf der anderen Seite.
Im parlamentarischen Verfahren befinden sich bereits ein
Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum
Schutz der Journalisten und der Pressefreiheit im Straf- und
Strafprozessrecht (Bundestagsdrucksache 16/576) sowie
ein Gesetzentwurf der Fraktion der FDP zur Sicherung
der Pressefreiheit (Bundestagsdrucksache 16/956).
Beide Entwürfe sehen Änderungen im Strafrecht und im
Strafprozessrecht vor, um die grundgesetzlich geschützte
Pressefreiheit besser zu schützen. Zu beiden Gesetzent-
würfen hat der federführende Rechtsausschuss im Okto-
ber 2006 eine öffentliche Anhörung durchgeführt, welche
gegenwärtig ausgewertet wird. Vermutlich bereits in der
nächsten Sitzungswoche im Mai wird der Deutsche Bun-
destag den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen in zweiter bzw. dritter Lesung abschließend
beraten.
Das Bundeskabinett hat in der vergangenen Woche ei-
nen Gesetzentwurf beschlossen, der die Telekommuni-
kationsüberwachung und andere verdeckte Ermittlungs-
maßnahmen im Strafverfahren neu regeln soll. Mit
dieser Neuregelung soll so das Ziel des Gesetzentwur-
fes der Rechtsschutz der Betroffenen verbessert und
den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, das einen
gesetzlichen Schutz des Kernbereichs privater Lebens-
gestaltung bei Telekommunikationsüberwachungsmaß-
nahmen gefordert hat, Rechnung getragen werden. Ent-
halten sind in diesem Paket ebenfalls die Regelungen zur
Umsetzung aus dem Übereinkommen des Europarats
über Computerkriminalität und der europäischen Richtli-
nie zur sogenannten Vorratsdatenspeicherung.
Für die Medienpolitiker der SPD-Bundestagsfraktion
möchte ich in aller Deutlichkeit feststellen, dass wir an
diesem Gesetzespaket noch erheblichen Änderungs- und
Überarbeitungsbedarf sehen. Dies gilt vor allem für die
vorgesehene Neuordnung der Zeugnisverweigerungs-
rechte und die damit einhergehende Relativierung der
Zeugnisverweigerungsrechte und des Informantenschut-
zes für Journalisten und Medienvertreter. In diesem
Kontext zu erwähnen ist außerdem das gegenwärtig in
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en Ausschüssen beratene Zollfahndungsdienstgesetz,
elches in § 23 a Abs. 5 mit einer wortgleichen Formu-
ierung diese Änderung bereits vorwegnimmt. Ange-
ichts des nun vorliegenden Gesetzentwurfes zur Neu-
rdnung der Telekommunikationsüberwachung und
nderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen, der gegen-
ärtig im Bundesrat beraten und dem Deutschen Bun-
estag vermutlich vor der Sommerpause zugeleitet wer-
en wird, bleiben aus Sicht der Medienpolitiker meiner
raktion mit Blick auf den Grundrechteschutz erhebliche
weifel und massive auch verfassungsrechtliche Be-
enken bestehen. Hier muss der Gesetzentwurf der Bun-
esregierung grundlegend überarbeitet werden.
Diskutiert werden muss insgesamt auch noch einmal
zunächst unabhängig von den Zeugnisverweigerungsrech-
n die vorgesehenen Neuordnung der Telekommunika-
onsüberwachung. Telekommunikationsüberwachungsmaß-
ahmen und andere verdeckte Ermittlungsmaßnahmen
reifen besonders intensiv in die Grundrechte der Bürge-
innen und Bürger wie auch in die Medienfreiheiten ein.
us diesem Grund müssen für ihre Zulässigkeit strenge
oraussetzungen gelten und der Rechtsschutz wirksam
usgestaltet sein. Auch hier bleibt der Gesetzentwurf
och viele Antworten schuldig, und auch hier sehen die
edienpolitiker meiner Fraktion noch deutlichen Ab-
timmungsbedarf. Gleiches gilt hinsichtlich der Umset-
ung der Vorgaben der Richtlinie zur Vorratsdatenspei-
herung. Zwar ist es richtig, dass sich der Gesetzentwurf
ng an die Vorgaben hält, die der Deutsche Bundestag be-
chlossen hat. Entsprechend diesen Vorgaben soll die
peicherungsfrist auf sechs Monate begrenzt, und dürfen
aten, die über den Inhalt einer Kommunikation Auf-
chluss geben, nicht gespeichert werden. Dennoch blei-
en aber nach wie vor massive Bedenken hinsichtlich der
otwendigkeit und Verhältnismäßigkeit einer solchen
lächendeckenden Speicherung von Telekommunika-
ionsdaten auf Vorrat wie auch bezüglich der gewählten
echtsgrundlage bestehen. Der Deutsche Bundestag
ollte daher die Verabschiedung des Gesetzes so lange
ussetzen, bis die Frage der Rechtmäßigkeit vom Europäi-
chen Gerichtshof abschließend geklärt ist. Darüber hin-
us hat der Deutsche Bundestag in seinem Beschluss zur
msetzung der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung
uch klargestellt, dass bei der Anwendung der Richtlinie
nsbesondere auch die Berufsgeheimnisse beispiels-
eise die bereits mehrfach angesprochenen Zeugnisver-
eigerungsrechte von Journalistinnen und Journalisten
owie der Informantenschutz gewahrt bleiben müssen.
us diesem Grund müssen die Vorgaben zur Vorratsda-
enspeicherung auch hier im Zusammenhang mit der Neu-
rdnung der Zeugnisverweigerungsrechte diskutiert wer-
en.
Lassen Sie mich abschließend feststellen, dass wir aus
icht unserer Arbeitsgruppe Kultur und Medien noch
rheblichen Diskussions- und Korrekturbedarf im parla-
entarischen Verfahren zum Gesetzentwurf der Bundes-
egierung zur Neuordnung der Telekommunikationsüber-
achung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen
owie zur Umsetzung der Vorgaben der Richtlinie zur
orratsdatenspeicherung und in diesem Zusammen-
ang auch zum Zollfahndungsdienstgesetz, in dem in
9664 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007
(A) )
(B) )
§ 23 a Abs. 5 diese Formulierung wortgleich vorwegge-
nommen ist anmelden. Dieser Beratungsbedarf ergibt
sich insbesondere aus der vorgesehenen Neufassung des
§ 53 b und der sich hieraus ergebenden Relativierung der
Zeugnisverweigerungsrechte und des Informantenschut-
zes sowie im Zusammenhang mit der Umsetzung der
Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung. Notwendig ist
darüber hinaus eine Neufassung der §§ 97 und 98 StPO,
um diese inhaltlich an die veränderten Gegebenheiten der
Medien anzupassen.
Die Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und FDP ha-
ben in ihren Gesetzentwürfen Regelungen vorgeschla-
gen, die einen besseren Schutz der Pressefreiheit sicher-
stellen sollen und die durchaus in die richtige Richtung
weisen. Es wäre gut, wenn sich die Medienpolitiker über
Fraktionsgrenzen hinweg für eine deutliche Verbesse-
rung des Schutzes der Journalistinnen und Journalisten,
der Pressefreiheit wie auch des Informantenschutzes bei
den Beratungen des Gesetzentwurfes zur Neuordnung
der Telekommunikationsüberwachung und anderer ver-
deckter Ermittlungsmaßnahmen und zur Umsetzung der
Vorgaben der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung so-
wie zum Zollfahndungsdienstgesetz stark machen könn-
ten!
Christoph Pries (SPD): Ich denke, wir alle hier im
Hause sind uns einig, dass die in Art. 5 des Grundgeset-
zes verankerte Pressefreiheit ein hohes, ein schützens-
wertes Gut ist.
Die Pressefreiheit wird betrachtet man ihre histori-
sche Entwicklung als Schutzinstrument gegen staatli-
che Eingriffe verstanden und ist somit Wesensmerkmal
und gleichwohl konstituierend für unsere Demokratie.
Dass es bei der Ausübung der Pressefreiheit gelegent-
lich zu Überschneidungen zwischen dem Informations-
bedürfnis der Öffentlichkeit auf der einen und dem Inte-
resse der staatlichen Organe auf der anderen Seite
kommt, liegt auf der Hand.
Wenn aufgrund dieses Konfliktpotenzials Deutsch-
land im weltweiten Pressefreiheitsranking der Reporter
ohne Grenzen im vergangenen Jahr von Platz 18 auf
Platz 23 der Liste zurückgefallen ist, so sollte man sich
die Gründe auch genau anschauen.
Ein Beleg für die Behauptung der Antragsteller, dass
Zitat : die Pressefreiheit in der Bundesrepublik
Deutschland in den vergangenen Jahren mehr und mehr
eingeschränkt wurde, lässt sich aber weder aus dem
Ranking der Reporter ohne Grenzen und schon gar
nicht aus dem hier vorliegendem Antrag der Linksfrak-
tion ableiten.
Nicht zuletzt das Urteil des Bundesverfassungsge-
richts vom 27. Februar im Fall des Magazins Cicero,
sowie die Tatsache, dass Verstöße gegen die Pressefrei-
heit eine breite auch parlamentarische Diskussion zur
Folge hatten und haben, macht deutlich, dass die Mecha-
nismen zum Schutz der Pressefreiheit hierzulande weit-
gehend funktionieren.
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Im Übrigen habe ich mit Blick auf die Linksfraktion
ewisse Bedenken, was die Glaubwürdigkeit ihrer Forde-
ungen bezüglich einer Ausweitung der Rechte für Journa-
stinnen und Journalisten anbelangt: War es doch ihr Frak-
onsvorsitzender und Mitunterzeichner des Antrages, Herr
afontaine, der seinerzeit eine Änderung des saarländi-
chen Presserechts durchsetzte. Diese Änderung hatte zur
olge, dass Redaktionen, die in den Augen von Herrn
afontaine Schweinejournalismus betrieben, verboten
urde, Gegendarstellungen zu kommentieren.
Das Bundesverfassungsgericht musste später dafür
orgen, dass die Pressefreiheit auch im Saarland wieder
inzug hielt.
Sicherlich wird jeder hier den Antragstellern zustim-
en, dass die Pressefreiheit im politischen und juristi-
chen Rahmen verteidigt und gewährleistet werden
uss, doch habe ich erhebliche Schwierigkeiten mit ih-
er Vorstellung davon, wie die Rechte der Journalistin-
en und Journalisten zusätzlich auszubauen seien.
Da wird ein wenig in der ausländischen in diesem
all in der französischen Arbeitsgesetzgebung gestö-
ert und flugs auf Grundlage vermeintlich geeigneter
assagen ein Antrag formuliert, französisches Recht in
eutsches Recht zu übertragen. Ich denke, damit machen
ie es sich zu einfach.
Dies gilt erst recht vor dem Hintergrund, dass es, ich
itiere aus dem von ihnen angeführten Bericht der Re-
orter ohne Grenzen, in den USA, in Japan und in
rankreich zu einer alarmierenden Aushöhlung der Pres-
efreiheit gekommen ist.
Davon kann hierzulande ja wohl kaum die Rede sein.
Die Antragsteller fordern eine Abfindung für Journa-
istinnen und Journalisten für quasi jede Gelegenheit.
abei übersehen Sie allerdings, dass im deutschen Ar-
eitsrecht bis auf wenige Ausnahmen grundsätzlich
ein Anspruch auf Abfindung vorgesehen ist. Bereits
etzt steht es allerdings jedem Journalisten frei, bei einer
nderung der politischen Orientierung des Verlages ge-
äß § 9 und 10 des Kündigungsschutzgesetzes ein Auf-
ösungsurteil des Arbeitsgerichts wegen Unzumutbarkeit
er Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses anzustreben.
as Gericht kann auf Antrag des Arbeitnehmers das Ar-
eitsverhältnis aufzulösen und den Arbeitgeber zur Zah-
ung einer angemessenen Abfindung verurteilen.
Auch treten Sie dafür ein, dass eine Abfindung in dem
all zu zahlen ist, falls eine Kündigung aufgrund einer
instellung des Betriebes, eines Verlages oder einer Zei-
ung oder der Zeitschrift erfolgt.
Seit dem 1. Januar 2004 bedarf die Kündigung durch
en Arbeitgeber in Betrieben mit mehr als zehn Arbeit-
ehmern eines rechtfertigenden Grundes, da sie ansons-
en unwirksam ist.
Einen Kündigungsgrund im Hinblick auf die Einstel-
ung des Betriebes aufgrund eines Verkaufs gibt es in
eutschland nicht. Bei einem Betriebsübergang gehen
ielmehr gemäß § 613 a BGB die Arbeitsverhältnisse
it allen Rechten und Pflichten auf den Erwerber des
etriebes über. Ausdrücklich geregelt ist das Kündi-
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007 9665
(A) )
(B) )
gungsverbot, wonach eine Kündigung wegen Betriebsü-
bergangs grundsätzlich unwirksam ist.
Wieso, sehr geehrte Damen und Herren von der Frak-
tion Die Linke, wünschen Sie eine Abfindungsregelung
für einen Kündigungsfall, der nach geltendem Recht in
Deutschland gar nicht eintreten kann bzw. von vornhe-
rein unwirksam ist?
Grundsätzlich obliegt es den Leserinnen und Lesern,
eine Neuorientierung des Charakters einer Zeitung zu
beurteilen. Die Leserinnen und Leser entscheiden durch
Kauf oder Nichtkauf, ob und wie sich neue Besitzver-
hältnisse auf die journalistische Qualität einer Zeitung
ausgewirkt haben.
Ob es uns gefällt oder nicht: Bei einem Verlag handelt
es sich nicht um ein öffentliches Gut, sondern um ein
Anlageobjekt, welches unter anderem dazu dient, Geld
zu verdienen.
Sowohl bei der Übernahme der Berliner Zeitung
durch Gruner + Jahr 1992, als auch bei der letztendlich
untersagten Übernahme des Verlages durch die Verlags-
gruppe Holtzbrinck im Jahre 2002 waren unternehmeri-
sche und nicht journalistische Beweggründe ausschlag-
gebend für das jeweilige Engagement.
Warum Sie es erwähnenswert finden, dass auch 2005
bei der Übernahme des Berliner Verlages durch die Fi-
nanzgruppe um David Montgomery unstrittig finanzielle
Interessen im Vordergrund standen, ist mir ein Rätsel. Im
Fall der Berliner Zeitung hat jedoch durch die Über-
nahme weder die journalistische Qualität des Blattes
noch haben die Arbeitnehmer gelitten. Im Gegenteil: Die
Vereinbarungen, die zwischen den neuen Eigentümern
auf der einen und den Vertretern von Konzernbetriebsrat,
Verdi und DJV, auf der anderen Seite erzielt wurden,
können sich sehen lassen.
So ist der ausgehandelte Tarifvertrag bundesweit der
einzige, der einem Betriebsrat in einem Medienunter-
nehmen Informationsrechte in wirtschaftlichen Angele-
genheiten und Personalplanung zugesteht. Darüber hi-
naus wurden Vereinbarungen zur Altersteilzeit sowie
beschäftigungssichernde Regelungen zur Weiterbeschäf-
tigung bei Umsetzungen getroffen.
Sicherlich müssen wir Engagements von Finanzin-
vestoren, gerade wenn sie nicht aus dem Pressebereich
kommen, genauestens beobachten.
Gerade die beispielhaft angeführten Geschehnisse um
den Verkauf des Berliner Verlages zeigen jedoch, dass
die von den Antragstellern angestrebte Ausweitung des
deutschen Arbeitsrechts nicht nur juristisch zweifelhaft,
sondern darüber hinaus unnötig ist.
Christoph Waitz (FDP): In der jüngsten Vergangen-
heit gab es massive Angriffe auf das Grundrecht der
Pressefreiheit in Deutschland. Ich erinnere an die Bespit-
zelungen von Journalisten durch den Bundesnachrich-
tendienst. Ich erinnere an die Durchsuchung der Redak-
tion der Zeitschrift Cicero sowie der Wohnung des
recherchierenden Journalisten hier in Berlin. Seit der
Spiegel-Affäre im Jahr 1962 hat es keine vergleichba-
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en Angriffe durch Ermittlungsbehörden auf die Presse-
reiheit in der Bundesrepublik Deutschland gegeben.
Es ist daher auch nicht zu beanstanden, wenn die
inksfraktion in ihrem Antrag die Bundesregierung auf-
ordert, die Pressefreiheit zu gewährleisten. Das ist nicht
ehr als eine Selbstverständlichkeit. Denn in dem
Cicero-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom
7. Februar 2007 erklärt das Gericht ich zitiere das
rteil, weil es prägnanter und kürzer nicht zu formulie-
en ist :
Die Freiheit der Medien ist konstituierend für die
freiheitliche demokratische Grundordnung (vgl.
BVerfGE 7, 198 <208>; 77, 65 <74>; stRspr). Eine
freie Presse und ein freier Rundfunk sind daher von
besonderer Bedeutung für den freiheitlichen Staat
(vgl. BVerfGE 20, 162 <174>; 50, 234 <239 f.>;
77, 65 <74>). Dementsprechend gewährleistet
Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG den im Bereich von Presse
und Rundfunk tätigen Personen und Organisationen
Freiheitsrechte und schützt darüber hinaus in seiner
objektiv-rechtlichen Bedeutung auch die institutio-
nelle Eigenständigkeit der Presse und des Rund-
funks (vgl.BVerfGE 10, 118 <121>; 66, 116 <133>;
77, 65 <74 ff.> ). Die Gewährleistungsbereiche der
Presse- und Rundfunkfreiheit schließen diejenigen
Voraussetzungen und Hilfstätigkeiten mit ein, ohne
welche die Medien ihre Funktion nicht in angemes-
sener Weise erfüllen können. Geschützt sind na-
mentlich die Geheimhaltung der Informationsquel-
len und das Vertrauensverhältnis zwischen Presse
beziehungsweise Rundfunk und den Informanten
(vgl. BVerfGE 100, 313 <365> m. w. N.). Dieser
Schutz ist unentbehrlich, weil die Presse auf private
Mitteilungen nicht verzichten kann, diese Informa-
tionsquelle aber nur dann ergiebig fließt, wenn sich
der Informant grundsätzlich auf die Wahrung des
Redaktionsgeheimnisses verlassen kann
(vgl.BVerfGE 20, 162 <176, 187>; 36, 193 <204>).
Dieses Zeugnisverweigerungsrecht von Journalisten
st das Rückgrat der journalistischen Arbeit. Informanten
ertrauen Journalisten in einer geschützten Sphäre Infor-
ationen an, die es den Medien ermöglichen, auf Miss-
tände in unserer Gesellschaft hinzuweisen oder Mängel
nd Rechtsverletzungen durch Maßnahmen der Exeku-
ive aufzudecken. Dieses Zeugnisverweigerungsrecht
urch Maßnahmen der Geheimdienste und der Staatsan-
altschaft untergraben zu lassen, können wir nicht hin-
ehmen, auch dann nicht, wenn sie in bester Absicht,
ie zum Beispiel zur Terrorbekämpfung, geschehen.
ournalisten müssen weiterhin umfassenden Schutz ge-
ießen; das ist essenziell für unsere freiheitliche Gesell-
chaft.
Wie Sie wissen, hat die FDP-Fraktion daher das Ge-
etz zur Sicherung der Pressefreiheit in den Bundestag
ingebracht. Auch nach der zitierten Entscheidung des
undesverfassungsgerichtes müssen wir schnell zu einer
erabschiedung dieses Gesetzes kommen. Wir brauchen
lare Regelungen über die Grenzen der Beschlagnahme,
urchsuchung, Telekommunikationsüberwachung und
er Ermittlung wegen des Verdachts der Beihilfe zum
9666 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007
(A) )
(B) )
Geheimnisverrat. Das Bundesverfassungsgericht kann
nicht die heißen Kohlen für den Gesetzgeber aus dem
Feuer holen. Dies ist unsere Aufgabe. Dafür sind wir von
den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes gewählt
worden. Ich bitte Sie daher um Unterstützung unseres
Gesetzentwurfes.
Leider formuliert die Linke in ihrem Antrag weitere For-
derungen im Zusammenhang mit der Übernahme des Ber-
liner Verlages durch den britischen Investor Montgomery.
Diese Forderungen gehen an den eigentlichen Proble-
men vorbei. In ihrem Antrag prangern sie die Gewinn-
maximierungsabsichten des Unternehmenskäufers und
Kündigungen nach der strategischen Neuausrichtung des
Berliner Verlages an. Der Bezug auf Heuschrecken fehlt
in ihrem Antrag natürlich auch nicht.
Ich frage Sie: Was hätte es für den Berliner Zeitungs-
markt bedeutet, wenn die möglicherweise wichtigsten
zwei Tageszeitungen der Hauptstadt in der Hand nur ei-
ner Verlagsgruppe verblieben wären? Was wären Ihrer
Auffassung nach die Auswirkungen auf die Medienplu-
ralität gewesen? Glauben Sie wirklich, dass bei einer Zu-
sammenlegung der Redaktionen von Tagesspiegel und
Berliner Zeitung keine Kündigungen erfolgt wären?
Mit der Veräußerung des Berliner Verlages durch die
Holtzbrink-Gruppe an eine Investorengruppe um Herrn
Montgomery ist vielmehr die Basis dafür geschaffen
worden, eine zusätzliche journalistische Stimme für Ber-
lin zu erhalten. Bei einer Neuausrichtung eines Verlags-
hauses ist es nicht ungewöhnlich, dass personelle Verän-
derungen erfolgen und Chefredakteure ausgetauscht
werden. Damit wird die Pressefreiheit in Deutschland
nicht aus den Angeln gehoben.
Eines hat der neue Eigentümer mit seinem Engage-
ment bei der Berliner Zeitung, aber auch bei der
Hamburger Morgenpost deutlich gemacht: Er plant ein
langfristiges Engagement im deutschen Zeitungsmarkt.
Eine Filetierung der Verlage oder ein Verkauf beider
Verlagshäuser ist nicht in Sicht. Und letzten Endes muss
der Eigentümer eines Verlagshauses auch das Recht ha-
ben, dieses zu verkaufen, wenn dies im Einklang mit
wettbewerbs- und kartellrechtlichen Vorschriften ge-
schieht. Alles andere wäre eine grobe Verletzung unseres
Grundgesetzes, nämlich des Eigentumsrechts nach
Art. 14 GG.
Deutschland hat zum Erhalt der Medienvielfalt ein
besonders ausgefeiltes System zur Kontrolle der Mei-
nungsmacht und Marktdominanz. Diese Regelungen ha-
ben im Fall Berliner Verlag, einem Sachverhalt aus dem
Printmarkt, gut gegriffen.
Ich möchte an dieser Stelle aber noch einmal an die
besonderen Probleme der crossmedialen Medienfusion
erinnern. Wie sich im Zusammenhang mit den Untersa-
gung der geplanten Übernahme von Pro 7/Sat1 durch
den Springer-Verlag ergeben hat, ist eine Übernahme im
Heimatmarkt für deutsche Medienunternehmen zu ei-
nem kaum kalkulierbaren Risiko geworden. Wer deut-
sche Beteiligungen im nationalen Medienstandort stär-
ken will, der muss deshalb über Klarstellungen der
Kriterien vorherrschende Meinungsmacht und marktbe-
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errschende Stellung nachdenken. Solange Medien aus
em Print- und Fernsehbereich zur Berechnung einer
orherrschenden Meinungsmacht in nicht nachvollzieh-
arer Weise zusammengerechnet werden, darf sich nie-
and darüber beschweren, dass bei großen Beteili-
ungsverkäufen auf dem deutschen Medienmarkt
usländische Unternehmen das Rennen machen.
Jan Korte (DIE LINKE): Das Berufsbild des Journa-
isten fasziniert nach wie vor viele junge Menschen nicht
ur in diesem Lande. Viele engagieren sich bereits wäh-
end der Schulzeit bei sogenannten Schülerzeitungen,
ndere entscheiden sich bewusst für Praktika in Zei-
ungs- oder Hörfunkredaktionen, um einen ersten kon-
reten Einblick in den Journalismus zu bekommen. Un-
ebrochen ist seit Jahrzehnten der Ansturm auf die
enigen Studienplätze in Journalistikstudiengängen an
eutschen Universitäten oder Journalistenschulen.
Dem Wunsch, Journalist oder Journalistin zu werden,
iegt vor allem zu Grunde, gesellschaftliche Verantwor-
ung zu übernehmen, sich einzubringen und gesellschaft-
iche Verhältnisse abzubilden oder gar zu verändern.
ierfür gehen Journalistinnen und Journalisten manches
al hohe Risiken ein. Und ohne dieses Eingehen von
isiken wären beispielsweise die wahren Bilder des Viet-
amkrieges nie nach Europa oder in die USA gedrungen,
ätte die Welt nicht miterleben können, wie rechte Mili-
aristen und Putschisten um Pinochet die demokratisch
ewählte Regierung von Salvador Allende blutig nieder-
eschossen haben. Ohne den Einsatz und die Recherchen
on Journalisten wäre aber auch eine breite Abbildung
on gesellschaftlichen Entwicklungen in Deutschland
nvorstellbar und der Wert einer Gesellschaft ein ganz
nderer.
Aus diesen und vielen weiteren Gründen ist deshalb
ber auch immer versucht worden, die Pressefreiheit ein-
uschränken, die Arbeit von Journalisten zu behindern.
n Lateinamerika und Afrika, aber auch in Europa stehen
ournalisten auf Todeslisten und fallen gewaltsamen
taatlichen oder terroristischen Anschlägen zum Opfer.
as letzte prominente Opfer war die russische Journalis-
in Politkowskaja.
So wundert es denn auch nicht, dass der Journalismus
n den westlichen Demokratien auch als vierte Gewalt
m Staate bezeichnet wird. Dieser Umstand ergibt sich in
er Bundesrepublik Deutschland auch Art. 5 des Grund-
esetzes. Dieser stellt die Arbeit von Journalisten und
ie Pressefreiheit im Besonderen unter Schutz. Diesen
eschützten Raum gilt es zu verteidigen.
Doch auch in der Bundesrepublik Deutschland ist in
en vergangenen Jahren mehr und mehr die Pressefrei-
eit eingeschränkt worden. Zusammenfassend wird dies
m aktuellen Bericht der Reporter ohne Grenzen deut-
ich. Demnach ist die Bundesrepublik bei dem weltwei-
en Ranking von Platz 18 auf Platz 23 zurückgefallen.
rsachen hierfür sind die Überwachung von Journalisten
nd Redaktionen durch bundesdeutsche Geheimdienste
nd die Durchsuchung von Redaktionsräumen oder Pri-
atwohnungen von Journalisten. Demnächst wird diese
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007 9667
(A) )
(B) )
Situation durch die geplante Onlinedurchsuchung oder
die Vorratsdatenspeicherung weiter verschärft werden.
Die Linke kritisiert nicht nur diese Entwicklungen,
sondern stellt sich dieser entschieden entgegen. Unserer
Meinung nach muss das hohe Gut der Pressefreiheit nach
Art. 5 des Grundgesetzes im politischen und juristischen
Rahmen weiter verteidigt und gewährleistet werden. Auch
deshalb haben wir heute diesen Antrag zur Debatte ge-
stellt. Damit wollen wir erreichen, dass der Bundestag
die Bundesregierung auffordert, dafür Sorge zu tragen,
dass Journalisten ungehindert und ohne Überwachung
ihrem öffentlichen Auftrag, der Berichterstattung, nach-
gehen können.
Journalistinnen und Journalisten werden aber nicht nur
durch staatliche Eingriffe und Gewalt an ihrer Tätigkeit
gehindert. Auch wirtschaftlich wird der Journalismus im-
mer mehr zu einem Spielball im wirtschaftlichen auch
globalisierten Wettbewerb. Zwei Beispiele: Erstens.
2005 verkaufte der Holtzbrinck-Verlag den Berliner Verlag
an eine Gruppe um den britischen Investor Montgomery.
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Berliner
Zeitung, des Stadtmagazins TIP und des Berliner
Kuriers wehrten sich intern und öffentlich gegen den
Verkauf mit der Begründung, dass Montgomery den Ver-
lag aus Gewinnmaximierungsgründen und nicht aus
journalistischen Beweggründen erwerben wolle. Die
Einschätzung der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen hat
sich bewahrheitet. Kritiker des Briten, wie der ehemalige
Chefredakteur Uwe Vorkötter, verließen die Berliner
Zeitung
Zweitens. Im Januar 2007 drückte der Verleger der
Münsterschen Zeitung eine komplette Lokalredaktion
ins Aus. Erst ließ er sie in ein zugiges Druckhaus umzie-
hen, in dem freie Mitarbeiter ihre Artikel in ehemaligen
Damenumkleidekabinen schreiben mussten. Kurz darauf
wurden die gesamte Lokalredaktion, der Lokalsport und
das Redaktionssekretariat vom Dienst freigestellt. Der
Verleger hatte entschieden, die Erstellung des Lokalteils
der Lokalredaktion zu entziehen und diese Aufgabe an
eine Firma namens Media Service GmbH & Co. KG
weiterzureichen. Ziel der Maßnahme war schlichte Kos-
tenersparnis und so wird gemutmaßt eine politische
Neuausrichtung des Blattes.
Verlage, Zeitungen wie Zeitschriften werden in der
globalisierten Wirtschaftswelt immer mehr zum Ziel ge-
winnmaximierender Interessen von Investoren. Die Heu-
schreckendebatte im politischen Raum der Gesellschaft
war Ausdruck dieser Analyse. Im Vordergrund des Inter-
esses sogenannter Investoren liegen nicht mehr der jour-
nalistische Gehalt einer Zeitung oder Zeitschrift, son-
dern die Gewinne kapitalkräftiger Anteilseigner. Verlage
werden aufgekauft, saniert, ausgesaugt, Mitarbeiterin-
nen und Mitarbeiter entlassen, Gewinne von bis zu
20 Prozent werden aus dem Unternehmen rausgezogen
und der Rest dann wieder auf den Markt geworfen. Da-
bei zählen Inhalte und Artikel in Zeitungen und Zeit-
schriften immer weniger, Anzeigenkunden indes immer
mehr. Hierfür wird die Meinungsvielfalt in vielen Blät-
tern aufgegeben, sogenannte Auftragsartikel im Sinne
der neuen Besitzer, Anzeigenkunden und stillen
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eilhaber veröffentlicht. Der geistige Mehrwert für den
eser geht dabei gegen null, der Anspruch an gutem,
ufklärerischen und kritischen Journalismus vor die
unde.
Der Schutz von Journalisten vor derartigen Entwick-
ungen in Deutschland ist nach Meinung vieler Journa-
isten und Journalistinnen und der Fraktion Die Linke
nzureichend und muss ausgebaut werden. In anderen
uropäischen Staaten ist der Schutz von journalistischer
rbeit vor wirtschaftlichen und gewinnmaximierenden
nteressen wesentlich höher. Der EU-Mitgliedstaat
rankreich beispielsweise hat diesen Schutz ausgeweitet
nd im französischen Arbeitsgesetzbuch für Kündigun-
en von Journalisten nach dem Verkauf von Zeitungen
nd Zeitschriften vorgesehen, dass Abfindungen, gemes-
en an der geleisteten Arbeitszeit, gezahlt werden.
In Art. L 761-5 und L 761-7 Arbeitsgesetzbuch heißt
s ich zitiere :
Die Abfindung wird auch im Falle der Kündigung
eines Journalisten gezahlt, wenn die Kündigung be-
gründet ist mit dem Verkauf der Zeitung oder Zeit-
schrift, der Einstellung der Zeitung oder Zeitschrift
oder wenn eine erhebliche Veränderung des Cha-
rakters oder der Orientierung der Zeitung oder Zeit-
schrift derart vorliegt, dass dies die Ehre, den Ruf
oder die moralischen Belange des Journalisten be-
schädigt.
Die Franzosen haben es im Gegensatz zu Deutschland
eschafft, den inhaltlichen und moralischen Anspruch
on Journalisten zu formulieren und gesetzlich zu veran-
ern. Denn die französische Gesellschaft weiß anschei-
end sehr genau, was sie an dem hohen Gut der Presse-
reiheit und journalistischer Arbeit hat. Und sie weiß
uch, dass es dies zu verteidigen gilt und nicht aus-
chließlich wirtschaftlichen Interessen zu opfern ist.
Diesem Beispiel möchte die Fraktion Die Linke fol-
en. Sie fordert die Bundesregierung in ihrem Antrag
uf, dafür Sorge zu tragen, dass eine finanzielle Abfin-
ung, gemessen an der geleisteten Arbeitszeit, bei Kün-
igung eines Journalisten gezahlt wird, wenn diese auf-
rund eines Verkaufs eines Verlages, einer Zeitung oder
eitschrift an einen neuen Investor oder einer Änderung
er politischen Orientierung des Verlages, der Zeitung
der der Zeitschrift erfolgt. Außerdem fordern wir die
egierung auf, dafür Sorge zu tragen, dass eine finanzielle
bfindung, gemessen an der geleisteten Arbeitszeit, bei
ündigung eines Journalisten gezahlt wird, wenn diese
ufgrund einer Einstellung des Betriebes eines Verlages,
iner Zeitung oder Zeitschrift oder durch Verkauf an einen
euen Eigentümer oder eine neue Eigentümerin erfolgt.
Wir sind der Meinung, dass eine solche Regelung ge-
ignet ist, den Schutz der Pressefreiheit und der journa-
istischen Tätigkeit auszubauen. Maxim Gorki hat ein-
al über Journalisten gesagt: Der Arzt und der
ournalist haben etwas Gemeinsames: Der eine wie der
ndere diagnostizieren und charakterisieren Krankhei-
en. Wenn wir wollen, dass Journalisten auch weiterhin
en Finger in Wunden legen können, dann müssen wir
ie Pressefreiheit schützen und verhindern, dass sich
9668 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007
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diese noch mehr den gewinnmaximierenden Interessen
von Finanzinvestoren und Börsenfonds unterordnen
muss.
Ich freue mich auf die Debatte und hoffe auf ihre Zu-
stimmung.
Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir
beraten heute in erster Lesung einen Antrag der Fraktion
Die Linke zur Stärkung der Pressefreiheit. Die Linke
fordert darin nicht nur eine Änderung des Arbeitsrechts,
sondern auch den Schutz von Journalistinnen und Jour-
nalisten vor Überwachung. Letzteres hat durch den ver-
gangene Woche im Kabinett verabschiedeten Gesetzent-
wurf zur Vorratsdatenspeicherung an Brisanz gewonnen.
Der Schäuble-Katalog und insbesondere der Gesetzent-
wurf zur Vorratsdatenspeicherung und Telekommunika-
tionsüberwachung betreffen insbesondere Journalistinnen
und Journalisten. Durch die geplante Datenerfassung
können staatliche Behörden im Bedarfsfall sämtliche
Daten der elektronischen Kommunikation von Journalis-
ten auswerten. Somit wäre ein zuverlässiger Informan-
tenschutz nicht mehr gewährleistet. Journalisten jedoch
bauen sich Informantennetzwerke mühsam auf einem
gläsernen Journalisten wäre das nicht mehr möglich. Ich
sehe die Pressefreiheit durch die geplanten Schritte deut-
lich gefährdet.
Wir sollten uns daran erinnern, dass der Weg zur
freien Presse in diesem Land schwer und steinig war. Im
vergangenen Jahrhundert haben zwei Regime einen
Überwachungsstaat installiert. Die Pressefreiheit war er-
heblich eingeschränkt, wenn nicht gar abgeschafft. Ich
gehöre zur jüngeren Generation, die diese Zeit nicht be-
wusst miterlebt hat. Für mich und meine Generation ist
es eine Selbstverständlichkeit, dass die Presse frei und
ungehindert recherchieren und berichten kann. Ich
möchte, dass dies auch so bleibt. Die Pressefreiheit ist
ein kostbares und leicht verletzliches Gut, das wir hüten
müssen. Die Pläne des Innenministers können dieser fra-
gilen Freiheit enormen Schaden zufügen. Die Pressefrei-
heit darf nicht vorschnell der Verbrechensbekämpfung
geopfert werden. Kritischer Journalismus muss auch
weiterhin möglich sein. Ein Klima der Angst in Redaktio-
nen erstickt jedoch investigativen Journalismus im Kern.
Wir Grünen haben im Gegensatz zu den sehr vagen
Forderung des vorliegenden Antrags differenzierte
Vorschläge unterbreitet, um entgegenzuwirken. Bereits
Anfang des vergangenen Jahres haben wir als erste Bun-
destagsfraktion einen Gesetzesentwurf zum Schutz von
Journalistinnen und Journalisten in den Bundestag ein-
gebracht. Journalisten sind immer wieder der Ermitt-
lungspraxis von Strafverfolgungsbehörden ausgesetzt,
die dazu geeignet sind, die Pressefreiheit zu gefährden.
Zwar hat das Bundesverfassungsgericht mit seinem Ur-
teil in der Cicero-Affäre die Pressefreiheit bereits ge-
stärkt, es sind jedoch weitere Schritte erforderlich. Jour-
nalisten, die Material von Informanten zugespielt
bekommen, dürfen nicht kriminalisiert werden. Redak-
teurinnen und Redakteure sollen straflos bleiben, wenn
sie brisantes Material veröffentlichen. Mit unserem Ge-
setzentwurf hätten wir Journalistinnen und Journalisten
vor der erschreckend grundrechtswidrigen Ermittlungs-
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raxis von Polizei und Staatsanwaltschaft besser ge-
chützt.
Die Reformbedürftigkeit der Telekommunikationsüber-
achung sehen auch wir Grüne, allerdings aus anderen
ründen als die Bundesregierung: Die Anzahl der Tele-
ommunikationsüberwachungen in Deutschland hat sich
n den vergangenen Jahren vervielfacht. Um einen Ein-
ruck davon zu bekommen, will ich einige Fakten nennen:
ie Zahl der Fälle ist von 2 500 im Jahr 1999 auf 42 000
m vergangenen Jahr gestiegen. Jedes Mal wurde in das
eschützte Grundrecht auf freie Telekommunikation, auf
reien Telefonverkehr eingegriffen. Bei der gerichtlichen
ontrolle der Telekommunikationsüberwachung gibt es
n der Praxis gravierende Defizite. Auch mit unserem
esetzentwurf zur Telekommunikationsüberwachung,
en wir im März ins Parlament eingebracht haben, wollen
ir Journalistinnen und Journalisten wie auch andere
erufsgeheimnisträger umfassend vor Bespitzelung
hrer Kommunikation schützen. Wir hoffen, dass die an-
eren Fraktionen uns bei der Umsetzung unterstützen
erden.
Die Linke sieht die Pressefreiheit nicht nur durch
berwachung der Journalistinnen und Journalisten, son-
ern auch aufgrund materieller Ängste der Journalistin-
en und Journalisten gefährdet. Auch wir beobachten die
ituation auf dem Pressemarkt nicht ohne Sorge. Die an-
espannte wirtschaftliche Lage der vergangenen Jahre
st auch an den Medien nicht spurlos vorüber gegangen:
erlage wurden übernommen, Redaktionen zusammen-
elegt, Magazine gestrichen. Der Antrag der Linken be-
ieht sich auf die Problematik bei Verkäufen und Be-
riebsübergängen. Die Erfahrung der letzen Jahre zeigt
edoch: In Deutschland ergeben sich die Schwierigkeiten
n der Neuausrichtung von Zeitungsredaktionen bei blei-
enden Eigentümerverhältnissen. Eine dezidierte politi-
che Wertorientierung war in den bekannten und von der
inken genannten Fällen nicht das Problem. Finanzin-
estoren ist die politische Ausrichtung ihrer Unterneh-
en oft gleichgültig. Viel gravierender sind die Ein-
chnitte in einigen klassischen Verlagsunternehmen.
ier sehen wir drastische Einschränkungen, die Zusam-
enlegung redaktioneller Bereiche, Schließung lokaler
edaktionen. Das hat aber nichts mit Verkäufen zu tun.
Die Ausweitung von publizistisch begründeten Ab-
ehrrechten vonseiten der Journalistinnen und Journa-
isten lehnen wir generell sicherlich nicht ab. Der Vor-
chlag der Linken schießt jedoch über das Ziel hinaus.
um einen würde eine Abfindungsregelung bei Kündi-
ung seitens der Journalistinnen und Journalisten eine
rbeitsrechtliche Sonderstellung gegenüber anderen Be-
ufsgruppen bedeuten. Gewiss: Medien sind kein Gut
ie jedes andere, und Journalisten erfüllen eine beson-
ere Aufgabe in unserem demokratischen System. Den-
och halte ich einen Anspruch auf eine Art Entschädi-
ung bei einer politischen Neuausrichtung des
rbeitgebers für schwierig. Das wäre so, als würde eine
bgeordnete oder ein Abgeordneter eine finanzielle Ent-
chädigung von seiner Partei verlangen, wenn diese
icht mehr seine oder ihre politischen Werte vertritt. Ich
alte es für sinnvoller, vorzubeugen und die Redaktionen
nabhängiger vom Eigentümer zu machen. Qualitäts-
tandards in den Redaktionen wären ein guter Weg. Re-
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007 9669
(A) )
(B) )
daktionsstatute können hierfür hilfreich sein. Zwar sind
sie für Journalistinnen und Journalisten keine Lebens-
versicherung, können aber Schutz vor Tendenzwillkür
bieten. Hier sind die Länder aufgerufen, über eine Re-
form der Landespressegesetze und einen Medienstaats-
vertrag nachzudenken. Langfristig wäre über ein gesetz-
geberisches Rahmenwerk nachzudenken, in dem
vorhandene Normen und Kodizes aller medienrelevan-
ten Branchen zu einem Bestandteil der Medienaufsicht
zusammengefasst sind. Ich denke dabei vor allem an die
Selbstkontrolle der Medien in Bezug auf publizistische
Qualität.
Es sollte darüber diskutiert werden, wie die innere
Pressefreiheit gestärkt werden kann. Lösungen für diese
heikle Frage zu finden, ist nicht einfach. Vor allem als Po-
litiker setzt man sich damit unmittelbar dem Vorwurf des
Eingriffs in die Pressefreiheit aus. Es gibt jedoch in kei-
nem anderen EU-Staat den Tendenzschutz auch in
Frankreich nicht. Und ich kann dort keine Einschrän-
kung der Pressefreiheit feststellen. Journalisten müssen
die Freiheit haben, sich in ihrer Arbeit allein an journa-
listischen und ethischen Standards zu orientieren. Dann
ist zumindest die Chance größer, trotz Finanzinvestoren
und fusionierten Verlagshäusern vielfältige Meinungen
zu erhalten. Die Vorschläge der Linken sind mir zu vage.
Weder die Konsequenzen noch die Umsetzbarkeit der
Forderungen scheinen bedacht. Wir lehnen den Antrag
in der vorliegenden Form ab.
Gert Winkelmeier (fraktionslos): Die Presse muss
die Freiheit haben, alles zu sagen, damit gewissen Leuten
die Freiheit genommen wird, alles zu tun. Dies hat der
französische Journalist und Politiker Louis Terrenoire
Mitte des vergangenen Jahrhunderts sehr richtig erkannt.
Und dies gilt eben auch und ganz besonders für die
Politik. Deshalb ist es erschreckend, dass Deutschland
im letzten Ranking der Reporter ohne Grenzen beim Kri-
terium Pressefreiheit nur noch auf Rang 23 liegt, ge-
meinsam mit Staaten wie Benin und Jamaika.
In den Erläuterungen beziehen sich die Reporter ohne
Grenzen auf die Bespitzelung von Journalisten, Redak-
tions- und Hausdurchsuchungen, ein Verfahren wegen
Geheimnisverrats und Morddrohungen. Zudem ist der
Zugang zu Daten trotz des Informationsfreiheitsgesetzes
kaum leichter geworden und kostet oft genug auch Geld.
Es waren vornehmlich Journalistinnen und Journalis-
ten, die sich vehement dafür eingesetzt haben, dass end-
lich auch in Deutschland Informationsfreiheit herrscht.
Dafür ist ihnen zu danken. In anderen Ländern ist Infor-
mationsfreiheit schon seit Jahrzehnten oder gar Jahrhun-
derten üblich.
Inzwischen aber stellt sich heraus, dass manche Be-
hörden entweder gar nichts von der Existenz dieses Ge-
setzes wissen oder aber von seinen zahlreichen Ausnah-
men Gebrauch machen. Sollten die gewünschten
Informationen dann doch gewährt werden, kosten sie
nicht selten richtig Geld.
Hohe Gebühren treffen vor allem die vielen freien
Journalistinnen und Journalisten, die oft sehr wenig Geld
verdienen. Diese verzichten vermutlich dann eher auf
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ie Zuarbeit aus den Behörden. Zudem mahlen die büro-
ratischen Mühlen bekanntlich langsam, und welcher
edienvertreter kann es sich in der schnelllebigen Zeit
chon leisten, monatelang auf eine Information zu war-
en?
Rechte von Journalisten werden oft auch durch Verle-
er eingeschränkt. So kritisierte die IG Medien bereits
or Jahren, dass der Mittelrhein-Verlag das Unterneh-
en Rhein-Zeitung in kleine lokale Betriebe zerschlagen
at, um die Arbeit des Betriebsrates massiv behindern zu
önnen. Leider musste das Bundesarbeitsgericht bestäti-
en, dass die Beschäftigten der Einzelbetriebe kein
echt auf einen Gesamtbetriebsrat beim Unternehmen
hein-Zeitung haben. Der Verleger, für den sozialer
rieden anscheinend ein Fremdwort ist, kann damit
ournalisten einschüchtern und Betriebsangehörigen sei-
en Willen aufzwingen.
Schwer wiegt auch die staatliche Kontrolle, der Jour-
alistinnen und Journalisten zunehmend ausgesetzt sind.
rschreckend hierbei ist die Selbstverständlichkeit, mit
er hochrangige Politiker diese Entwicklung hinnehmen.
Wenn Minister Wolfgang Schäuble zu den Vorfällen
m BKA und Focus nur einfällt, dass dies vor Beginn
einer Amtszeit gewesen sei und es deshalb nicht vorran-
ige Aufgabe seines Hauses sei, die Umstände aufzuklä-
en, zeugt das nicht gerade von freiheitlichem Denken.
Aber es passt in das erschreckende Bild, das Minister
r. Wolfgang Maßlos Süddeutsche Zeitung, 3. April
007 derzeit mit seinen restriktiven Vorstellungen zur
icherheitspolitik zeichnet. Ihm fehlt die kluge Einsicht
es ehemaligen Präsidenten der Vereinigten Staaten von
ordamerika Thomas Jefferson: Wo Pressefreiheit
errscht und jedermann lesen kann, da ist Sicherheit.
uf den nahezu schon hysterischen Sicherheitswahn, der
n diesem Land seit dem 11. September herrscht, treffen
ann doch eher die Worte des französischen Philosophen
laude Adrien Helvetius zu, der schon im 18. Jahrhundert
ormulierte: Die Presse wird umso mehr eingeschränkt,
e kurzsichtiger die Ansichten des Ministers sind.
nlage 12
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung:
Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Ände-
rung des Bundesnaturschutzgesetzes
Beschlussempfehlung und Bericht: Verstöße
gegen FFH-Richtlinie umgehend abstellen
Beschlussempfehlung und Bericht: Natio-
nale Biodiversitätsstrategie zügig vorlegen
Antrag: Allgemeine Grundsätze für den
Naturschutz in Deutschland
(Tagesordnungspunkt 21 a bis c und Zusatz-
tagesordnungspunkt 6)
Josef Göppel (CDU/CSU): Die Mitgliedstaaten der
U haben sich bereits auf dem EU-Gipfel in Göteborg
9670 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007
(A) )
(B) )
(2001) verpflichtet, den weiteren Verlust an biologischer
Vielfalt bis zum Jahr 2010 zu stoppen (2010-Ziel). Die
EG-Vogelschutz- (1979) und die Fauna-Flora-Habitat-
Richtlinie (1992) wurden von allen Mitgliedstaaten der
EG bzw. EU einvernehmlich verabschiedet und sind
zentrale, unverzichtbare Bausteine zum Schutz der bio-
logischen Vielfalt, zur Umsetzung der Konvention über
biologische Vielfalt (CBD, 1992) und zur Erreichung
des 2010-Zieles.
Bis 2050 rechnen Fachleute mit einem weiteren Ver-
lust der Artenvielfalt um 30 Prozent. Entscheidend ist,
dass das Tempo des Artensterbens tausendmal höher ist
als der normale evolutionsbedingte Artenaustausch.
Wenn wir die Datenbank der Erde weiter in diesem
Tempo löschen, wird das auch wirtschaftlich nicht fol-
genlos bleiben. Der Umsatz mit aus Pflanzen hergestell-
ten Medikamenten liegt bei 500 Milliarden Dollar jähr-
lich, die Tourismuseinnahmen bei 700 Milliarden Dollar.
Es war daher richtig, dass Umweltminister Gabriel
beim G-8-Umweltministertreffen vor einigen Tagen in
Potsdam neben dem Klimaschutz den Schutz der Arten-
vielfalt ganz oben auf die politische Agenda des deut-
schen G-8-Vorsitzes gestellt hat. Sein Vorschlag, der
angenommen wurde, analog zum Bericht des Weltbank-
ökonomen Stern die Kosten des Artenverlustes weltweit
zu beziffern, kann sicher nur ein Anfang sein, wird aber
die Grundlage für eine ähnliche Debatte wie nach dem
Stern-Bericht bieten.
In diesem Zusammenhang darf auch darauf hingewie-
sen werden, dass die Bundesregierung bei der Übertra-
gung des Nationalen Naturerbes Koalitionsvertrag:
80 000 bis 125 000 Hektar kostenlos an die Länder oder
die DBU jetzt bereits ein gutes Stück vorangekommen
ist. Die Flächenkulisse von 100 000 Hektar plus
25 000 Hektar Reserveflächen inklusive des Grünen
Bandes steht seit Januar 2007 fest, die Verhandlungen
zwischen BMU, den Ländern, der DBU und der BIMA
sind bereits weit gediehen. Das wird der größte Beitrag
zum Schutz der Biodiversität, den je eine Bundesregie-
rung erbracht hat! Frau Dr. Merkel hatte es bei ihrer
Rede zum 100-jährigen Jubiläum des amtlichen Natur-
schutzes vor einigen Monaten auf den Punkt gebracht:
Ein Geschenk in der Größenordnung von etwa zehn
Nationalparks, das sich sehen lassen kann.
Nun zur Umsetzung des FFH-Urteils. Das Bundeska-
binett hat am 14. Februar 2007 dem Entwurf des Ersten
Gesetzes zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes
zur Umsetzung des Urteils des Europäischen Gerichts-
hofes vom 10. Januar 2006 zugestimmt. In seinem Urteil
vom 10. Januar 2006 hat der Europäische Gerichtshof
festgestellt, dass die Bundesrepublik Deutschland die
Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der Europäischen Ge-
meinschaft unter Rot-Grün nicht in allen Punkten
hinreichend in nationales Recht umgesetzt hat.
Der Gesetzentwurf beschränkt sich auf eine Eins-zu-
eins-Umsetzung des Urteils. Im Wesentlichen umfasst
der Gesetzentwurf folgende Regelungsinhalte:
Der für die Frage der Erforderlichkeit einer Verträg-
lichkeitsprüfung maßgebliche Projektbegriff wird in An-
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ehnung an das UVP-Recht gefasst. Dabei wird künftig
icht mehr zwischen Projekten innerhalb oder außerhalb
esonderer Schutzgebiete unterschieden.
Die Verträglichkeitsprüfung für nach dem Bundes-
mmissionsschutzgesetz genehmigungsbedürftige Anla-
en wird nicht mehr von vornherein auf den immissions-
chutzrechtlich definierten Einwirkungsbereich der
nlagen begrenzt. Damit werden diese Anlagen den üb-
igen Projekten gleichgestellt.
Im Gesetzesentwurf ist nun auch klar geregelt: Eine
and- und forstwirtschaftliche Bodennutzung nach den
egeln der guten fachlichen Praxis verstößt nicht gegen
rtenschutzrechtliche Vorgaben. Die artenschutzrechtli-
hen Verbotstatbestände werden in enger Anlehnung an
ie entsprechenden Bestimmungen der FFH- und Vogel-
chutzrichtlinie gefasst und eine vom Europäischen Ge-
ichthofs gerügte Ausnahmeregelung wird aufgehoben.
it den vorgesehenen Änderungen soll insbesondere er-
eicht werden, dass entsprechend der FFH-Richtlinie
ede Beschädigung oder Vernichtung der Fortpflan-
ungs- und Ruhestätten von bestimmten Tierarten verbo-
en ist, die im Anhang IV der FFH-Richtlinie aufgeführt
erden. Im Hinblick auf die in Anhang IV der FFH-
ichtlinie aufgeführten Tierarten wie beispielsweise den
eldhamster sowie für europäische Vogelarten soll die
usnahme der guten fachlichen Praxis allerdings nur
elten, solange sich der Erhaltungszustand der jeweili-
en lokalen Population nicht verschlechtert. Diese Spiel-
äume erlauben im Bereich der Land- und Forstwirt-
chaft eine auf den Erhaltungszustand der lokalen
opulation bezogene und nicht rein individuenbezogene
ewirtschaftung.
Es muss aber auch klar gesagt werden: Das Abholzen
ines einzelnen Höhlenbaumes in einem Wald voller
öhlenbäume muss auch künftig ohne große wissen-
chaftliche Untersuchungen möglich sein. Die traditio-
elle Bewirtschaftung hat über Jahrhunderte zu hoher
kologischer Qualität der Gebiete geführt. Deswegen
alte ich es für wichtig, auch in Zukunft eine nachhaltige
ewirtschaftung in der Land- und Forstwirtschaft wei-
erzuführen.
Zurückhaltend beurteile ich auch die Regelung, nach
er die zuständigen Behörden der Länder erforderliche
ewirtschaftungsvorgaben für die Land- und Forstwirte
rlassen können, wenn diese nicht durch Artenschutz-
rogramme oder vertragliche Vereinbarungen erreicht
erden können.
Ich halte aber den Gesetzentwurf insgesamt für einen
ragmatischen Ansatz zur Umsetzung des FFH-Urteils,
er beides erreicht: einen besseren Schutz der FFH-Ar-
en gegenüber dem Status quo und die Sicherung der tra-
itionellen Bewirtschaftung.
Die vorliegende Kleine Novelle des Bundesnatur-
chutzgesetzes wurde in den letzten Wochen auch in
iesem Hause leider oft mit grundsätzlichen Fragen
es Naturschutzes und der FFH-Richtlinie vermischt.
Die allgemeinen Akzeptanzprobleme der Richtlinien
zw. des Schutzgebietsnetzes Natura 2000 müssen wir
rnst nehmen. Sie resultieren vor allem aus mangelhafter
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007 9671
(A) )
(B) )
Kommunikation mit den Nutzern sowie der unzurei-
chenden finanziellen Unterstützung der in den Gebieten
erforderlichen Managementmaßnahmen. Viele Bei-
spiele zeigen, dass Landnutzer und vor allem der Touris-
mus von Natura 2000 erheblich profitieren können!
Wir brauchen neben behördlichen Auflagen künftig
mehr freiwillige Instrumente wie beispielsweise den
Vertragsnaturschutz.
Ich begrüße daher die Initiative des Umweltministers
Dr. Christian von Boetticher, der angekündigt hat, dass
Natura 2000-Netz in Schleswig-Holstein mit lokalen
Bündnissen vor Ort zu sichern. Maßnahmen sind immer
dann erfolgreich, wenn der Naturschutz sich vor Ort
ständig und kooperativ mit den Landnutzern abstimmt.
Die Landesregierung will die Bildung solcher regionalen
Zusammenschlüsse aus Eigentümern, Landnutzern,
Kommunen und Naturschützern fördern. Den Natur-
schutz muss die ortsansässige Bevölkerung maßgeblich
mitgestalten und mittragen.
Dirk Becker (SPD): Der Naturschutz droht in Zeiten
des Klimawandels gleich doppelt unter die Räder zu ge-
raten: zum einen wegen der massiven Auswirkungen des
Klimawandels auf den Naturhaushalt und im Besonde-
ren durch den Verlust der biologischen Vielfalt, zum an-
deren weil einige in der Klimadebatte sehr schnell der
Versuchung erliegen könnten, diese ausschließlich auf
den Schutz der Menschheit oder die ökonomischen Fol-
gen zu begrenzen.
Umso wichtiger ist ein effektives und wirkungsvolles
Naturschutzrecht. Zu diesem Zweck beraten wir heute
den Antrag der Bundesregierung zur Novellierung des
Bundesnaturschutzgesetzes.
Tatsache ist, dass der Europäische Gerichtshof im Ja-
nuar des letzten Jahres festgestellt hat, dass das beste-
hende Bundesnaturschutzgesetz in der Fassung von 2002
Regelungen der FFH-Richtlinie nicht ausreichend um-
setzt. Mitverantwortlich für diese Regelungen waren un-
ter anderem auch die Kolleginnen und Kollegen der Grü-
nen. Sie sollten diesen Fakt nicht vergessen, wenn Sie
nun an uns massive Forderungen richten, die von Ihnen
mitzuverantwortenden Verstöße gegen die FFH-Richtli-
nie umgehend abzustellen.
Die Bundesregierung ist nach Auffassung der SPD-
Bundestagsfraktion mit dem nun vorliegenden Entwurf
zur Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes ihrer
Verpflichtung verantwortungsvoll nachgekommen, in-
dem sie das Urteil des Europäischen Gerichtshofes ent-
sprechend umsetzt. Sämtliche Verstöße werden behoben
und die Richtlinie vollständig und umfassend in nationa-
les Recht umgesetzt.
So werden der vom Europäischen Gerichtshof kriti-
sierte Projektbegriff sowie die artenschutzrechtlichen
Verbots- und Ausnahmebestimmungen europarechtskon-
form formuliert. Dies ist im Sinne des Naturschutzes, der
nun gestärkt aus der Novellierung des Bundesnatur-
schutzgesetzes hervorgeht.
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Striktere Regelungen, auch im Bereich der Forst- und
andwirtschaft, garantieren den außerordentlich wichti-
en Schutz der Artenvielfalt.
Die Natur und ihre immense Vielfalt an Tier- und
flanzenarten sind für uns Menschen nicht nur Lebens-
ualität; auch ihre ökologischen und ökonomischen
unktionen sind für uns und unsere nachfolgenden Ge-
erationen von großem Wert.
Wir nehmen unsere nationale Verantwortung für den
chutz der Natur an dieser Stelle verantwortungsvoll
ahr und handeln im Sinne eines effektiven und wir-
ungsvollen Naturschutzes.
Die Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes ist
llerdings erst ein kleiner Schritt in die richtige Rich-
ung. Weitergehende Regelungen müssen und werden
mplementiert werden. Wir befinden uns zu diesem
weck in einem intensiven Vorbereitungsprozess.
Ziel ist es, mit der Schaffung eines Umweltgesetzbu-
hes (UGB) die Grundlage für einen auch weiterhin am-
itionierten Naturschutz zu schaffen und Grundsätze mit
iesem Anspruch im UGB zu verankern, damit unsere
atürlichen Lebensgrundlagen und die Ressourcen der
iologischen Vielfalt geschützt und für nachfolgende
enerationen erhalten bleiben.
Lassen Sie mich an dieser Stelle einige Anmerkungen
um Antrag der FDP Allgemeine Grundsätze für den
aturschutz in Deutschland machen. Ihre Vorschläge
ielen auf eine immense Aufweichung des staatlichen
aturschutzes ab. Sie setzen auf freiwillige Regelungen
nd Vertragsnaturschutz, ohne Vollzugskompetenzen des
undes. Dies findet unseren erklärten Widerstand und
ird mit uns nicht zu machen sein.
Ein wirkungsvoller Naturschutz bedarf stringenter
nd einheitlicher Regelungen, für die wir entsprechend
erben und eintreten. Dabei sind aber auch die Länder
efordert, ihrer Verantwortung der Natur gegenüber ge-
echt zu werden. Sie werden nun beweisen müssen, wie
rnst sie es mit dem Naturschutz wirklich meinen.
Da kommen bei mir in diesen Tagen allerdings Zwei-
el auf, wenn ich mir die Stellungnahme des Bundesrates
ur Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes an ei-
igen Stellen anschaue. Ich fände es bedauerlich, wenn
ie im Rahmen der Föderalismusreform geäußerten Be-
enken bezüglich der Kompetenzverlagerung im Natur-
chutz hin zu den Ländern so schnell ihre Bestätigung
änden und damit Anlass gäben, über Sinn und Unsinn
öderaler Kompetenzen oder gar Strukturen in diesem
ereich öffentlich zu diskutieren.
Änderungsanträge mit dem Ziel, striktere und wir-
ungsvollere Regelungen im Naturschutz zu umgehen,
prechen jedenfalls nicht für das naturschutzrechtliche
ewusstsein einiger Landesregierungen.
Umso bedeutsamer ist es, abschließend zu sagen, dass
ir mit der nun vorliegenden Novelle des Bundesnatur-
chutzgesetzes und der Vorbereitung für ein Umweltge-
etzbuch bewusst den Naturschutz stärken, um so zum
chutz der Natur und zur Erhaltung der unwiederbringli-
hen biologischen Vielfalt beizutragen.
9672 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007
(A) )
(B) )
Angelika Brunkhorst (FDP): Vier Wochen ist es
her, das wir uns hier in einer Aktuellen Stunde schon
einmal mit genau demselben Gesetzentwurf auseinander
gesetzt haben. Bündnis 90/Die Grünen konnte es nicht
abwarten, ihre besondere Kompetenz in Sachen Natur-
schutz noch einmal zu verdeutlichen und für heute
schon einmal vorzubauen; denn bereits am 28. März
durften wir vernehmen, dass Ihnen, liebe Bündnisgrüne,
die Schwäche des Bundesnaturschutzgesetzes von An-
fang an bekannt war. Und obwohl Sie zu der Zeit selber
in der Regierung saßen, konnten Sie sich nicht gegen
den bösen Koalitionspartner durchsetzen. Auch sonst ka-
men die Sozialdemokraten in Ihrer Rede nicht gut weg.
Wir waren alle Zeugen, dafür hat Sie Staatssekretär
Müller dann aber ganz schön abgewatscht. Das sollte
reichen!
Bezogen auf die Verhältnisse in der Regierungskoali-
tion steuern wir aber vielleicht auf einen ähnlichen Zwist
zu. Der Bundesrat hat in einer ausführlichen Debatte
eine Stellungnahme zum Gesetzentwurf mit verschiede-
nen Änderungen beschlossen. Diese Änderungen gehen
vor allen Dingen auf unionsgeführte Länder zurück.
Wenn die Bundesregierung bzw. das SPD-geführte Um-
weltministerium diese Bedenken jetzt einfach beiseite
wischt, ist der Knatsch vorprogrammiert.
Nach der Föderalismusreform macht die Bundesre-
gierung von ihrer abweichungsfesten Regelungskompe-
tenz Gebrauch und lehnt die Änderungsanträge der Län-
der barsch ab. Dabei weisen die Vorschläge des
Bundesrates auf mögliche erneute Verstöße gegen EU-
Recht hin. Vielleicht stehen wir dann ja in einem oder
zwei Jahren wieder hier, und die einstigen Koalitions-
partner beschimpfen sich gegenseitig. Auf eine solche
Politik verzichten wir in Deutschland gern!
Die FDP ist grundsätzlich den Änderungsformulie-
rungen der Länder gegenüber aufgeschlossen. Sind sie
es doch auch, die am besten wissen, welche Auswirkun-
gen bei der praktischen Umsetzung zu erwarten sind.
Am vorliegenden Gesetzesentwurf ist zu kritisieren,
dass die Definition des Projektbegriffs nicht eindeutig ist.
Anhand der dortigen Ausgestaltung kann nicht bestimmt
werden, welche Vorhaben von dem Projektbegriff erfasst
werden. Für die Naturschutzbehörden besteht die Gefahr
eines ausufernden Verwaltungsaufwandes. Die Einschrän-
kungen hinsichtlich der ordnungsgemäßen land-, forst-
und fischereiwirtschaftlichen Nutzung scheinen hingegen
nicht notwendig zu sein.
Die Natur in Deutschland ist als Kulturlandschaft
vom Menschen mitgestaltet. Es geht also auch um die
Verantwortung für vom Menschen maßgeblich beein-
flusste Naturzustände. Der Erhalt der Biodiversität, der
Schutz gefährdeter Arten ist ein sehr hohes Ziel, dem
auch die FDP alle Aufmerksamkeit widmet.
Uns geht es darum, flexiblere und fallgerechtere Be-
urteilung von Projekten und Bewirtschaftungen zu er-
möglichen. Naturschutz muss mit der Nutzung Hand in
Hand gehen, um so eine Verbesserung des Naturzustan-
des zu erreichen. Der Naturschutz in Deutschland sollte
deshalb zunächst und vordringlich auf freiwillige Maß-
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ahmen und auf den Vertragsnaturschutz setzen. Neueste
issenschaftliche Studien belegen, dass mit dem Ver-
ragsnaturschutz große Erfolge beim Artenschutz zu er-
ielen sind. Gleichsam steigt die Akzeptanz für den Na-
urschutz.
In diesem Sinne unterstützen wir auch Pläne, anstelle
on Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen direkte Ersatz-
ahlungen zuzulassen. Wir sehen hier deutliche Mög-
ichkeiten, gleichzeitig mehr Erfolg für den Schutz der
atur zu erzielen sowie ein breiteres Verständnis in der
evölkerung zu erreichen.
Mit Blick auf den Antrag der Grünen möchte ich an-
erken, dass es nicht darum gehen kann, die europäi-
chen Vorgaben immer vorauseilend zu erfüllen. In An-
etracht der Vielfalt der Landschaft in Deutschland ist
ine dezidierte Vorgabe der Bewirtschaftungsregeln
urch den Bund eine ungeheure Überregulierung und
iderstrebt gleichzeitig dem Prinzip der Subsidiarität.
abei gilt es auch, auf der Instrumentenebene einen
ettbewerb von Lösungen zuzulassen. Wir lehnen Ihren
ntrag zu FFH ab und werden uns Ihren Forderungen
ach einer nationalen Biodiversitätsstrategie enthalten.
Eine nationale Biodiversitätsstrategie ist nicht nur
otwendig, sie wird auch kommen, das hat das BMU
ehrfach angekündigt. Allerdings werden wir genau be-
bachten, welches Ergebnis nach sechs Monaten EU-
atspräsidentschaft vorliegt und wie die Vorbereitungen
er Biodiversitätskonferenz verlaufen. Beim Schutz der
iodiversität geht es uns vor allem um die Indienst-
ahme von Naturnutzung für den Naturschutz und nicht
m Verbote. Wir pochen auf eine verbesserte Umweltbil-
ung und ein besseres Verständnis für die Natur und de-
en Schutz.
Lutz Heilmann (DIE LINKE): Mit dem vorliegenden
esetzentwurf kommt zum 1. Mal die Abweichungsge-
etzgebung zur Anwendung. Diese beschlossen Sie im
etzten Jahr. Man könnte sagen: ein historischer Mo-
ent. Mal schauen, wie die Reaktionen der Länder sein
erden.
Gestern wurde im Parlamentarischen Beirat für nach-
altige Entwicklung der Indikatorenbericht zur Nachhal-
igkeitsstrategie diskutiert. Der Indikator 5 ist Arten-
ielfalt und Landschaftsqualität. Das Ziel für 2015 ist,
en Zustand von 1975 wieder zu erreichen. Davon sind
ir meilenweit entfernt. Es hat keine Verbesserung, son-
ern eine Verschlechterung bei der Artenvielfalt gege-
en. Dass zeigen auch die Roten Listen und die EU-Mit-
eilung zum Verlust der biologischen Vielfalt.
Besondere Anstrengungen der Bundesregierung im
rtenschutz sind nirgends zu erkennen. Das einzige, was
ie derzeit vorantreiben, ist die Vorbereitung der
. Vertragstaatenkonferenz der Biodiversitätskonvention
008 in Bonn. Dort wollen Sie die nationale Biodiversi-
ätsstrategie präsentieren und sich dafür feiern lassen.
ch sage Ihnen: So billig lassen wir Sie nicht davonkom-
en!
Papier ist geduldig. Für die gefährdeten Arten ist Ge-
uld aber das falsche Rezept. Hier ist entschlossenes
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007 9673
(A) )
(B) )
Handeln gefragt. Der zweite Teil des IPCC-Berichts
zeigt, dass selbst bei einer Erderwärmung um etwa
2 Grad bis zu 30 Prozent aller Arten vom Aussterben be-
droht sind.
Derzeit arbeiten Sie angestrengt an einem Umweltge-
setzbuch. Darin enthalten ist die große Novelle des Bun-
desnaturschutzgesetzes. Ich frage Sie; Wie soll diese
aussehen? Wenn ich mir die kleine Novelle ansehe, graut
es mir. Ihr Ziel ist es offenbar, den Naturschutz abzuser-
vieren.
Ob das Umweltgesetzbuch den Umweltschutz voran-
treibt, da habe ich erhebliche Zweifel. Sie waren es, die
den Landesfürsten die Abweichungsrechte gegeben ha-
ben. Machen Sie anspruchsvolle Gesetze, weichen die
Länder ab. Deshalb gehen Sie gleich in den Ansprüchen
zurück. Genau das zeigt der vorliegende Gesetzentwurf.
Obwohl Sie sich über ein Jahr für diese Gesetzesän-
derung Zeit ließen, enttäuscht das Ergebnis. Schlimmer
noch: In vielen Regelungen versuchen Sie erneut, das
EU-Recht auszuhebeln. Ein erneutes Vertragsverlet-
zungsverfahren wird kommen. Das ist so sicher wie das
Amen in der Kirche.
Doch nun einige Punkte, bei denen Sie Probleme mit
der EU-Kommission bekommen:
Erstens untersagt die FFH-Richtlinie nicht nur eine
erhebliche, sondern grundsätzlich jede Störung streng
geschützter Arten.
Zweitens begrenzen Sie das Verbot der Störung unter
anderem auf Fortpflanzungszeiten. Der EuGH hingegen
hat schon mehrfach klargestellt, dass regelmäßig ge-
nutzte Fortpflanzungsstätten auch dann zu schützen sind,
wenn sie gerade nicht genutzt werden.
Drittens wird eine erhebliche Störung dadurch defi-
niert, dass sich der Erhaltungszustand der lokalen Popu-
lation verschlechtert. Dies ist nicht ausreichend, weil es
für die Beurteilung von Eingriffen einen Unterschied
macht, ob sich eine Art in einem ungünstigen oder in ei-
nem günstigen Erhaltungszustand befindet.
Viertens wenden Sie sich durch diese Einschränkung
des Schutzes der lokalen Population von dem Schutz
einzelner Exemplare ab. Dies mag zwar EU-rechtlich
zulässig sein, damit werden aber die Beweislast umge-
kehrt und der Artenschutz erheblich geschwächt. Behör-
den müssen nun nachweisen, dass durch die Tötung ei-
nes oder mehrerer Exemplare einer Art eine Gefährdung
der lokalen Population entsteht.
Fünftens erlauben Sie durch die erneute weitgehende
Befreiung für Land- und Forstwirtschaft großzügig die
absichtliche Tötung von Tieren oder die Zerstörung von
Ruhestätten. Der Verweis auf die gute fachliche Praxis
wäre nur dann zulässig, wenn diese so definiert wäre,
dass Störungen ausgeschlossen wären. Das ist aber nicht
der Fall.
Sechstens und letztens definieren Sie den Projektbe-
griff viel zu eng. Diese Bestimmung ist nicht abwei-
chungsfest. Das zeigt, dass Sie keinen Mut haben, den
Ländern strenge und richtlinienkonforme Vorgaben zu
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achen. Das zeigt, wohin die Reise im Naturschutz
eht.
Fazit: Diese Novelle entspricht nicht den Anforderun-
en des EuGH. Sie ist keine ausreichende Umsetzung
er FFH-Richtlinie. Diese Novelle darf so nicht be-
chlossen werden.
Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/DIE
RÜNEN): Die Artenvielfalt der Erde nimmt ab, wäh-
end der Mensch über seine Verhältnisse lebt. Der Welt-
limarat IPCC warnte in seinem zweiten Bericht vom
pril 2007 vor einem dramatischen Artensterben. Bis zu
0 Prozent der Tier- und Pflanzenarten seien vom Aus-
terben bedroht, wenn die Temperaturen um 1,5 bis 2,5
rad stiegen. All das sollte uns endlich für den Natur-
nd Artenschutz sensibilisieren. Die Warnsignale aus der
atur müssen ernst genommen werden.
Die Bundesregierung bekennt sich verbal zu dieser
ufgabe, wie aber sieht die politische Realität aus? Die
ktuellen Entwicklungen im Bereich Natur- und Arten-
chutz sind nicht nur ernüchternd, sondern besorgniser-
egend. Von der notwendigen Stärkung des Naturschut-
es kann keine Rede sein. Im Gegenteil, mit ihren
orschlägen zur Änderung des Naturschutzgesetzes
chwächt die Bundesregierung den rechtlichen Schutz
er Natur.
Ich komme hierauf zurück, möchte aber schon zuvor
eststellen, dass diese rechtliche Schlechterstellung zu
inem Zeitpunkt erfolgt, an dem sich die Vollzugsorgane
es Natur- und Artenschutzes, also die Umweltverwal-
ungen, in einem wahrlich prekären Zustand befinden.
Das vom Sachverständigenrat Umwelt des BMU vor-
elegte Sondergutachten Umweltverwaltungen unter
eformdruck hat dargestellt, dass die Naturschutzver-
altungen überproportional vom Personalabbau betrof-
en sind von 1998 bis 2004 um 34 Prozent. Prüfungen
nd Entscheidungen werden zunehmend nach unten
or Ort verlagert, wo die wenigen Bearbeiterinnen und
earbeiter aber objektiv nicht in der Lage sind, die viel-
ältigen Fachkompetenzen vorzuhalten, um Eingriffe in
ie Natur hinsichtlich ihres Gefährdungspotenzials kom-
lex zu bewerten. Noch haben sie in dieser Konstellation
ie erforderliche Handhabe, mächtigen lokalen oder re-
ionalen Nutzer- oder Investoreninteressen entgegenzu-
reten.
Ein effektiver Vollzug gesetzlicher, insbesondere eu-
oparechtlicher Vorgaben, oder ein effektives Monito-
ing sind unter diesen Bedingungen kaum noch möglich,
bwohl die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter oft bis an
ie Grenze ihrer Belastbarkeit arbeiten.
Auf diese verwaltungsseitige Situation treffen nun die
orgelegten Änderungen der Bundesregierung am Natur-
chutzgesetz. Dass überhaupt etwas geändert werden
uss, ist ja nicht der Einsicht der Bundesregierung zu
erdanken, sondern dem Urteil des Europäischen Ge-
ichtshofes vom Januar 2006. Anstatt aber die dort ge-
achten klaren Vorgaben zur Änderung des deutschen
aturschutzrechtes eins zu eins umzusetzen wie in un-
erem heute zur Abstimmung stehenden Antrag Ver-
9674 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007
(A) )
(B) )
stöße gegen FFH-Richtlinie umgehend abstellen gefor-
dert , wird der Versuch unternommen, diese Änderungen
mit weiteren sogenannten Erleichterungen zu verbinden.
Wir garantieren Ihnen heute schon, dass dieses Ände-
rungsgesetz zu einem weiteren Vertragsverletzungsver-
fahren der Europäischen Kommission führen wird.
Ihr Vorgehen, Herr Minister Gabriel, ist auch insofern
bedrückend, als der EuGH ja in seinem Urteil richtung-
weisend festgestellt hatte, dass EU-Recht, in diesem Fall
die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie, geltendes Recht ist
und keiner nationalen Auslegung unterliegt. Es ist unein-
geschränkt in nationales Recht umzusetzen. Die Mit-
gliedstaaten müssen im Rahmen der Richtlinie in beson-
derer Weise dafür Sorge tragen, dass ihre der Umsetzung
der Richtlinie dienenden Rechtsvorschriften klar und be-
stimmt sind. Davon ist Ihr vorgelegter Gesetzentwurf
weit entfernt.
Die Zeit reicht nicht, um an dieser Stelle ins Detail zu
gehen. Aber folgende Kritikpunkte möchte ich zumin-
dest benennen:
Erstens. Der EuGH hatte Deutschland mit auf den
Weg gegeben, auch im Pflanzenschutzgesetz europa-
rechtkompatible Änderungen vorzunehmen. Das ist
nicht erfolgt. Ich weiß nicht, wie lange Sie sich noch
Zeit lassen wollen, hier endlich Rechtsverstöße abzustel-
len.
Zweitens. Es werden zahlreiche neue, unbestimmte,
tatbestandslose Rechtsbegriffe eingeführt, die gegen den
Natur- und Artenschutz gerichtete Entscheidungen er-
leichtern. Was etwa sind unzumutbaren Belastungen?
Der räumliche Schutz wird aufgegeben zugunsten eines
nur noch zeitlichen Schutzes, geschützte Exemplare
werden auch nicht mehr vor Störungen geschützt, son-
dern nur noch vor erheblichen Störungen eine neue
Spielwiese für unsere Juristen.
Drittens. Obwohl mit der Föderalismusreform dem
Bund gerade im Artenschutz eine abweichungsfeste Re-
gelungsmöglichkeit zugestanden wurde, überlässt die
Bundesregierung ausgerechnet den für den Artenschutz
besonders kritischen Bereich von Ausnahmeregelungen
für die Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft und den Er-
lass von Bewirtschaftungsregelungen den Ländern und
sogar nachgeordneten Behörden und privilegiert die
Landwirtschaft zudem, indem sie sie von der FFH-Ver-
träglichkeitsprüfung in der Regel ausnimmt. Regel
kann man hier wohl mit ausnahmslos übersetzen.
Viertens. Jeder kann sicherlich auch die Tragweite er-
kennen, die darin liegt, dass nunmehr nicht mehr Einzel-
exemplare bedrohter Arten geschützt werden sollen,
sondern nur noch deren Population. Wie der Sachbear-
beiter einer kommunalen Umweltbehörde die Population
einer in Deutschland oder gar europaweit geschützten
Art einschätzen soll, entzieht sich meiner Vorstellungs-
kraft. Der Abgeordnete Göppel von der CSU hat ja dann
auch in dankenswerter Klarheit am 28. März in diesem
Hohen Hause bekannt, dass es der Bundesregierung da-
rum gehe, Eingriffe in die Natur zu erleichtern. Waldbe-
sitzer, Verkehrsplaner und Investoren sollen einzelne
Exemplare geschützter Arten wenn sie im wahrsten
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inne des Wortes im Wege sind töten dürfen, oder
wie er es euphemistisch nannte es wird das Recht
ingeräumt, einzelne Exemplare im Sinn der Gesamtpo-
ulation wegzunehmen.
Es ist aber genau diese Denkart, immer wieder beim
atur- und Artenschutz zugunsten von Vorhaben und
rojekten zurückzustecken, die unser ökologisches Sys-
em ins Ungleichgewicht gebracht hat.
Deshalb müssen wir leider auch feststellen, dass der
esetzentwurf nicht vom Geist des internationalen Ab-
ommens zum Schutz der biologischen Vielfalt erfüllt
st, für deren neunte Vertragsstaatenkonferenz die Bun-
esregierung im Mai 2008 Gastgeberin ist.
Beschämend ist es, dass die Bundesregierung noch
mmer keine nationale Biodiversitätsstrategie vorgelegt
at, obwohl der damalige Umweltminister Trittin bereits
m Sommer 2005 einen Entwurf der Öffentlichkeit vor-
estellt hatte. Auch wenn Sie unseren diesbezüglichen
ntrag heute ablehnen werden, sagen wir Ihnen noch
inmal laut und deutlich: Legen Sie zügig eine nationale
iodiversitätsstrategie vor.
Bis zum Jahre 2010 will die Europäische Union den
rtenschwund stoppen. Dieses Ziel kann nicht erreicht
erden, wenn Deutschland den Natur- und Artenschutz
chwächt, anstatt ihn zu stärken.
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Umwelt, Natur-
chutz und Reaktorsicherheit: Wir beraten heute über
wei unterschiedliche Anträge zum Naturschutz und den
on der Bundesregierung eingebrachten Entwurf zur Än-
erung des Bundesnaturschutzgesetzes. Das gibt mir Ge-
egenheit, deutlich zu machen, wo ich den Naturschutz
n Deutschland und auch international sehe.
Naturschutz steht im Mittelpunkt meiner Politik, und
as hat seine guten Gründe: Vor vier Wochen haben wir
ie aktuelle Rote Liste der gefährdeten Biotoptypen vor-
elegt. Erfreulich ist, dass mittlerweile für eine Reihe
on Biotoptypen, die in der Vergangenheit auf dem
ückzug waren, eine Stabilisierung erreicht werden
onnte. Aber Entwarnung können wir nicht geben: Rund
2 Prozent aller 690 verschiedenen Lebensraumtypen in
eutschland gelten nach wie vor als gefährdet oder so-
ar als akut von der Vernichtung bedroht.
Die Vernichtung der Natur hat nicht nur ökologische,
ondern auch erhebliche ökonomische Auswirkungen.
m hierüber einmal konkrete Zahlen zu bekommen,
erden wir auf meine Initiative hin gemeinsam mit der
U eine ökonomische Studie über die Folgen des Natur-
erlustes in Auftrag geben. Der Stern-Report hat gezeigt,
ass Handeln zur Vermeidung der Klimaveränderungen
eitaus günstiger ist als die Bewältigung von deren Aus-
irkungen. Das Gleiche gilt auch für den Schwund der
iologischen Vielfalt. Wir dürfen die Festplatte Natur,
on der wir leben, nicht löschen.
Die Anstrengungen zum Schutz der Arten- und Le-
ensraumvielfalt müssen auf allen Ebenen fortgeführt
erden, um unser Naturerbe dauerhaft zu sichern und
as international vereinbarte Ziel zu erreichen, den
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007 9675
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Rückgang der biologischen Vielfalt bis zum Jahr 2010
aufzuhalten. Die Umweltminister der G-8-Staaten haben
hierzu letzten Monat unter meinem Vorsitz in der Pots-
dam Initiative zur biologischen Vielfalt 2010 ausdrück-
lich betont, dass der Erhaltung der biologischen Vielfalt
die gleiche globale Bedeutung zukomme wie dem Kli-
maschutz.
National werde ich mit der Strategie zur biologischen
Vielfalt ein umfassendes Zukunftsprogramm für Schutz
und nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt vorle-
gen. Die Strategie enthält zukunftsorientierte Ziele und
Maßnahmenpakete für alle biodiversitätsrelevanten Be-
reiche. Der Entwurf wird im Mai in die Länderbeteili-
gung und Verbändeanhörung gehen.
Als Gastgeber des weltweiten Naturschutzes wollen
wir auf der UN-Naturschutzkonferenz im Mai 2008 ef-
fektive Maßnahmen durchsetzen, um den Rückgang der
biologischen Vielfalt zu stoppen. Dabei denke ich vor al-
lem an den Schutz noch vorhandener Urwälder, die Si-
cherung der Ausgleichsfunktionen naturnaher Wälder
für unser Klima, den Aufbau eines weltweiten Schutzge-
bietsnetzes und die Beteiligung der ärmeren Länder an
den Vorteilen, die wir aus der Nutzung der biologischen
Vielfalt ziehen. Wir nutzen die EU-Ratspräsidentschaft,
damit Europa zu diesen Themen eine führende Rolle
übernimmt.
Jetzt noch ein Wort zur kleinen Novelle des Bundes-
naturschutzgesetzes: Das Urteil des EuGH rügt, verehrte
Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, Mängel des
geltenden Bundesnaturschutzgesetzes, das von meinem
Vorgänger zu verantworten ist. Ich will ihm das gar nicht
vorwerfen; aber ich meine auch, dass die grüne Fraktion
in diesem Hause am wenigsten Grund hat, sich zu die-
sem Punkt lautstark zu Wort zu melden. Wir haben es
jetzt übernommen, die vom Europäischen Gerichtshof
gerügten Vorschriften rasch an die Anforderungen des
Europarechts anzupassen. Dadurch erreichen wir eine
Stärkung des Naturschutzes auch im Bereich der Land-
und Forstwirtschaft sowie bei Eingriffsvorhaben. Wir
haben dabei großes Augenmerk darauf gelegt, eine prag-
matische Handhabung zu ermöglichen, ohne den Schutz
der Arten und Lebensräume zu vernachlässigen. Ich
hoffe, dass dies auch einmal von denjenigen gewürdigt
werden wird, die derzeit noch gegen angeblich überzo-
gene Vorgaben zu Felde ziehen.
Anlage 13
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Innovationsfähigkeit
des Standortes stärken Wagniskapital fördern
(Tagesordnungspunkt 22)
Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU): Die Große
Koalition hat in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart,
international attraktive Rahmenbedingungen für Wag-
niskapital zu schaffen, also Kapital, das vor allem
Hightechgründer und junge Technologieunternehmen
benötigen. Dazu werden wir ein Private-Equity-Gesetz
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orlegen, als Fortentwicklung des bestehenden Unter-
ehmensbeteiligungsgesetzes.
Das geplante Gesetz wird die Hightechstrategie der
roßen Koalition ergänzen. Die Entwicklung neuer Pro-
ukte in jungen Unternehmen soll gefördert werden.
azu müssen insbesondere die steuerlichen Rahmenbe-
ingungen für Investoren und Unternehmen der Venture-
apital- und Private-Equity-Branche verbessert werden.
ir wollen Deutschland in einer globalisierten Welt bes-
er positionieren. Die Eckpunkte zur Neufassung des
nternehmensbeteiligungsgesetzes sollen Mitte Mai
orliegen.
Wir freuen uns, dass Bündnis 90/Die Grünen dieses
hema nach unseren Ankündigungen auch entdeckt und
iesen Antrag vorgelegt haben. Wir sehen auch viele
bereinstimmungen.
Der Grünen-Antrag geht aber fehl hinsichtlich der
ewertung der Unternehmensteuerreform. Uns war stets
ewusst, dass es durch die Unternehmensteuerreform
icht zu Einschränkungen im Private-Equity-Bereich
ommen darf. Ganz im Gegenteil: Die Koalition legt
roßen Wert darauf, dass die wesentlichen Eckpunkte
or Verabschiedung der Unternehmensteuerreform fest-
elegt werden. Auch ist der Antrag des Bündnisses 90/
ie Grünen zu eng gefasst, da er sich auf Venturecapital
eschränkt und nicht die Frage stellt: Wie kann Kapital
ür Investitionen in deutsche Unternehmen mobilisiert
erden, insbesondere auch für die Unternehmensnach-
olge, für Restrukturierungen und für Sanierungen?
Wenn es um Ranglisten der führenden Industrienatio-
en in Bezug auf Investorenkapital für die Venturecapi-
al- und Private-Equity-Wirtschaft geht, landet Deutsch-
and stets im unteren Viertel. Solange es keine verlässli-
hen und günstigen steuerlichen Regelungen gibt,
erden Investoren andere Länder bevorzugen. Nur die
älfte des von Private-Equity-Gesellschaften in
eutschland angelegten Geldes wird auch von Gesell-
chaften mit Sitz in Deutschland verwaltet.
Regelungsbedarf gibt es auf der Ebene der Beteiligungs-
onds, der Ebene der Investoren, der Ebene der finanzierten
nternehmen sowie auf der Managementebene von
onds und Portfoliounternehmen. Auf der Fondsebene
ollte die Besteuerung transparent wie bei vermögens-
erwaltenden Fonds sein. Steuer sollte nur auf die Aus-
chüttungen beim Fondsanleger erhoben werden.
Bei der Veräußerungsgewinnbesteuerung sollte man
ich an der Besteuerung der Fondsinvestoren orientieren.
ie Wesentlichkeitsgrenze des § 17 EStG in Höhe von
Prozent sollte für Business-Angels angehoben werden.
Auf der Ebene der Portfoliogesellschaften sollten die
orhandenen Verluste steuerlich nicht verlorengehen.
ies ist heute der Fall, wenn durch Finanzierungsrunden
it Mehrheitsübertragungen aufgrund von Kapitalerhö-
ungen neue Investoren in die Beteiligungsgesellschaft
intreten. Es sollte auch keine Mindestbesteuerung für
unge, wachsende Unternehmen geben.
Eine klare und strukturell verbesserte Regelung der
esteuerung des Carried Interest ist im Hinblick auf
9676 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007
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das Management von Venturecapital- und Private-
Equity-Unternehmen notwendig.
Investoren und Beteiligte im Private-Equity-Markt
suchen verlässliche Rahmenbedingungen, insbesondere
steuerlich verlässliche Rahmenbedingungen. Privates
Beteiligungskapital erfüllt eine wichtige ökonomische
Funktion. Wir sollten uns diese Chancen für unsere
Volkswirtschaft und neue Arbeitsplätze in Deutschland
nicht entgehen lassen.
Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU): In Deutschland
hat sich in den letzten Jahren eine starke und lebendige
Landschaft von jungen Technologiefirmen entwickelt. So
gibt es heute zum Beispiel rund 400 Biotechnologieunter-
nehmen, die sich mit neuem Wissen im Markt behaupten,
für stetig wachsenden Umsatz in der Branche sorgen und
neue anspruchsvolle Arbeitsplätze schaffen.
Gründung und Wachstum junger Hightechunterneh-
men sind insgesamt wichtig für die deutsche Marktfüh-
rerschaft bei Spitzentechnologien und in Zukunftsmärk-
ten. Sie sichern unsere Wettbewerbsfähigkeit in der
globalisierten Wissensgesellschaft und bereiten den Bo-
den für mehr Wachstum und Arbeit.
Um ihre Produkte zur Marktreife zu entwickeln und
ihr Wachstum zu finanzieren, brauchen Hightechgründer
und junge Technologieunternehmen vor allem Wagnis-
kapital. Für Bankkredite ist ihr Geschäft in der Regel
viel zu riskant: denn oft dauert es Jahre, bis die Ge-
schäftsidee zum Markterfolg führt und sich rechnet.
Doch die Rahmenbedingungen für Wagniskapital in
Deutschland lassen im internationalen Vergleich sehr zu
wünschen übrig. Der deutsche Biotechnologie-Report
2007 hat vor einigen Tagen erneut beklagt, dass sich die
Wagniskapitalfinanzierung junger Biotechnologieunter-
nehmen in Deutschland im Gegensatz zu anderen euro-
päischen Ländern und den USA weiter verschlechtert
hat. Sie lag 2006 bei uns um 35 Prozent niedriger als im
Vorjahr. Das behindert nicht nur die Gründung und Ent-
wicklung junger Unternehmen, sondern auch den Reife-
prozess in der Branche und die Entwicklung neuer Medi-
kamente.
Die Jahresstatistik des Bundesverbandes Deutscher
Kapitalbeteiligungsgesellschaften, BVK, weist nach,
dass die Wagniskapitalinvestitionen in Deutschland im
letzten Jahr insgesamt von 1,3 Milliarden Euro auf
1 Milliarde Euro gesunken sind. Gerade im wichtigen
Frühphasenbereich, Seed und Start-up, herrscht weiter
besondere Kapitalknappheit. Betroffene sind vor allem
die Hightechbranchen: Computerfirmen, Biotechnolo-
gie- und Pharmaunternehmen.
Die European Private Equity and Venture Capital
Association, EVCA, hat dem Beteiligungskapitalmarkt
in Deutschland im Dezember insgesamt ein schlechtes
Zeugnis ausgestellt und sieht uns in seiner neuen Bench-
mark-Studie bei den steuerlichen und rechtlichen Rah-
menbedingungen für Private Equity und Unternehmer-
tum nur noch auf Platz 20 von 25. Dies ist umso
bedenklicher, als Europa bei Wagniskapitalinvestitionen
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nsgesamt gegenüber den USA zurückliegt, wo das In-
estitionsvolumen mehr als viermal so groß ist.
Hauptgründe für die Defizite im deutschen Wagniska-
italmarkt sind vor allem fehlende verlässliche und in-
ernational wettbewerbsfähige steuerliche Regelungen
ür Wagniskapitalinvestitionen, und zwar auf allen Ebe-
en: auf der Ebene der Fonds, der Initiatoren von Fonds,
es Fondsmanagements, der Business Angels und der
ortfoliounternehmen.
Wir freuen uns, dass die Bundesregierung bereits in
er letzten Legislaturperiode einige Verbesserungen für
agniskapitalinvestitionen eingeleitet hat: durch die Be-
teuerung der Gewinnbeteiligung des Fondsmanage-
ents, Carried interest, nach dem Halbeinkünfteverfah-
en, durch das BMF-Schreiben zur steuerlichen
instufung von Beteiligungskapitalfonds als vermögens-
erwaltend und durch die Einrichtung neuer Fonds
RP/EIF-Fonds, Hightech-Gründerfonds und ERP-
tartfonds.
All dies reicht noch nicht. Deshalb hat die Bundesre-
ierung im Koalitionsvertrag Ende 2005 versprochen,
nternational attraktivere Rahmenbedingungen für Wag-
iskapital zu schaffen und das Unternehmensbeteili-
ungsgesetz zu einem Private-Equity-Gesetz bzw. Betei-
igungsfinanzierungsgesetz fortzuentwickeln. Als
esonders nachteilig wurden in diesem Zusammenhang
ie steuerlichen Verlustverrechnungsbeschränkungen für
leine und mittlere Technologieunternehmen und die
bsenkung der Wesentlichkeitsgrenze bei Beteiligungen
uf 1 Prozent genannt. Hier müssen wir Abhilfe schaf-
en.
Der Bundesfinanzminister bereitet das Beteiligungsfi-
anzierungsgesetz, das zeitgleich mit der Unternehmen-
teuerreform zum 1. Januar 2008 in Kraft treten soll, zur-
eit vor. Er hat dazu ein Gutachten bei der TU München
n Auftrag gegeben, das sehr weitgehende Vorschläge
nthält.
Diese Vorschläge bestätigen im Wesentlichen die Vor-
tellungen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und des
undeswirtschaftsministers zur Mobilisierung von Wag-
iskapital, über deren Umsetzung wir bereits seit fast ei-
em Jahr mit den Finanzpolitikern der SPD verhandeln.
Aus unserer Sicht muss das geplante Beteiligungsfi-
anzierungsgesetz verschiedene Mindestanforderungen
rfüllen: So sollten Beteiligungskapitalfonds wie vermö-
ensverwaltende Fonds transparent besteuert werden.
as heißt Steuerfreiheit auf der Ebene der Fonds; statt-
essen sollen die Anleger so besteuert werden, als hätten
ie unmittelbar in die Beteiligungsgesellschaft des Fonds
nvestiert. Das schafft eine klare und verlässliche Be-
teuerung von Private-Equity und Wagniskapitalfonds
nd soll so insbesondere Investitionen im Frühphasen-
nd Restrukturierungsbereich verstärken. Bisher wurde
ie Frage, ob der einzelne Wagniskapital- oder Private-
quity-Fonds als private Vermögensverwaltung und
icht als gewerblich einzustufen ist, erst im Nachhinein
ntschieden.
Auch vor dem Hintergrund der geplanten Zins-
chranke im Unternehmensteuerreformgesetzentwurf ist
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007 9677
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es wichtig, dass Beteiligungsfonds als vermögensver-
waltend eingestuft werden, damit sie nicht unter die Re-
gelungen der Zinsschranke fallen. Denn diese sieht unter
anderem vor, dass maximal 30 Prozent des Gewinnes
vor Zinsen und Steuern, Ebit, mit den angefallenen Zin-
sen sofort verrechenbar sind. Die vorgesehene Frei-
grenze von 1 Million Euro ist bei größeren Investitionen
schnell erreicht und wäre bei Wagniskapitalinvestitionen
daher nicht hilfreich.
Für junge Technologieunternehmen entscheidend ist
es, dass ihre Verluste, die durch hohe Investitionen in
Forschung und Entwicklung entstehen und die in der
Anfangsphase sehr hoch sein können, ohne dass schon
ein entsprechender Gewinn in Aussicht wäre, steuerlich
angemessen berücksichtigt werden. Wir müssen junge
Biotechnologieunternehmen dabei unterstützen, ihre mit
hohen Kosten erarbeitete Forschungssubstanz und ihr
Potenzial zukunftsfähiger Arbeitsplätze zu erhalten. Im
Rahmen von Wagniskapitalfinanzierungsrunden dürfen
Verlustvorträge auch bei Mehrheitsübertragungen nicht
verloren gehen, denn kleine innovative Firmen müssen
oft in kurzer Zeit durch mehrere Finanzierungsrunden
gehen, bei denen Beteiligungswechsel von 50 Prozent
keine Seltenheit sind.
Die Beteiligungswechsel in diesen Unternehmen sind
zu unterscheiden vom sogenannten Mantelkauf, bei dem
mehr oder weniger wertlose Unternehmen nur zu dem
Zweck aufgekauft werden, steuerliche Verluste geltend
machen zu können. Dieser Missbrauch soll zu Recht
durch die geplante Unternehmensteuerreform erschwert
werden. Kapitalsuche und Wachstum junger For-
schungsunternehmen dagegen dürfen durch die geplante
Verschärfung der sogenannten Mantelkaufregelung nicht
behindert werden. Eine mögliche Lösung wäre deshalb,
den Anwendungsbereich des Mantelkaufparagrafen § 8
KStG, so zu modifizieren, das Anteilsverschiebungen
auch über 50 Prozent die durch Barkapitalerhöhungen
zustande kommen, von der Beschränkung des Verlust-
vortrags ausgenommen werden, sofern das Kapital für
einen definierten Zeitraum im Unternehmen verbleibt.
Wenn wir wirklich die Dynamik junger Unternehmen
entfalten wollen, die durch schwierige Entwicklungs-
phasen gehen, bis sie dauerhaft stabile Arbeitsplätze
schaffen und die Wirtschaft durch innovative Lösungen
voranbringen, dann gibt es eine Reihe weiterer Ansätze,
die wir in unsere Gesamtstrategie zur Mobilisierung von
Wagniskapital einbeziehen müssen.
Wir brauchen eine günstigere Veräußerungsgewinnbe-
steuerung für private Investoren und Business Angels.
Diese sollte sich künftig an der Besteuerung der Fondsin-
vestoren orientieren, damit mehr Kapital in ganz junge
Unternehmen investiert wird. Beachtenswert ist auch die
Empfehlung aus dem Gutachten der TU München, Inves-
toren, die in Technologieunternehmen investieren, zum
Beispiel in Anlehnung an britische Modelle wie EIS,
Enterprise Investment Scheme, oder VCT, Venture Capi-
tal Trust, unter bestimmten Voraussetzungen ganz von der
Veräußerungsgewinnbesteuerung zu befreien.
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Wir brauchen klarere Strukturen bei der steuerlichen
ehandlung der Erfolgsbeteiligung von Private-Equity-
nd Venture-Capital-Managern.
Wir wollen eine Lockerung der strengen Anlage-
renzen, die institutionelle Investoren wie Banken, Ver-
icherungen und Pensionsfonds heute oft daran hindern,
agniskapital in junge Technologieunternehmen zu in-
estieren. Denn wir brauchen sie als zuverlässige Quel-
en für neues Beteiligungskapital.
Die Regelungen des neuen Beteiligungsfinanzie-
ungsgesetzes müssen für in- und ausländische Wagnis-
apital- und Beteiligungskapitalfonds gleichermaßen
elten. Dafür ist eine klare Abgrenzung von Beteili-
ungskapitalfonds gegenüber sogenannten Heuschre-
ken, bestimmten Hedge-Fonds, notwendig. Die Einfüh-
ung einer Zulassungspflicht für Private-Equitiy-Fonds
nd deren Fondsmanager mit Kontrolle auf Bundes-
bene, wie sie die Gutachter der TU München vorschla-
en, könnte hier hilfreich sein.
Wünschenswert sind international vergleichbare steu-
rliche Regelungen für Mitarbeiteraktienoptionen bzw.
tock options, für die wir seit Jahren kämpfen. Stock op-
ions spielen für junge Hightechfirmen oft eine wichtige
olle, weil sie ihnen die Chance geben, tüchtige Mitar-
eiter zu gewinnen, die sie zwar noch nicht marktgerecht
ezahlen können, durch die Option auf die Beteiligung
m künftigen Unternehmenserfolg aber dennoch an sich
inden. Unser geltendes Steuerrecht führt jedoch bisher
nter anderem dazu, dass im Erfolgsfall ein Großteil des
ermögenszuwachses aus dieser Option, die im vollen
isiko des Mitarbeiters steht, verloren geht. Denn dieser
uwachs wird nicht als das Risikokapital besteuert, das
s wirklich ist, sondern er wird doppelt so hoch besteu-
rt, weil er der vollen Einkommensteuer unterliegt.
Die durch die geplante Einführung der Abgeltung-
teuer zu erwartende Schlechterstellung von Beteiligungs-
apitalfinanzierung gegenüber Fremdkapitalfinanzierung
ollte zumindest im Fall von Wagniskapitalinvestitionen
berdacht werden. Vor allem inländische Eigenkapitalin-
estoren würden dadurch benachteiligt. Denn ihre Ge-
innanteile würden mit über 50 Prozent künftig doppelt
o hoch besteuert wie Zinserträge. Das erhöht die Ge-
ahr, dass Beteiligungskapital aus Deutschland abwan-
ert. Die Besteuerung von Dividenden und privaten Ver-
ußerungsgewinnen der Anteilseigner nur mit dem
alben Steuersatz der Abgeltungsteuer könnte das ver-
indern.
Die Administrations- und Managementberatungsleis-
ungen von Private-Equity-Fonds-Fonds oder separater
esellschaften sollten, wie international üblich, von der
msatzsteuerpflicht befreit werden. Denn die umfas-
ende Beratung von Portfoliounternehmen ist gerade ein
ualitätskennzeichen seriöser Beteiligungskapitalinves-
oren.
Die Wunschliste der Union ist lang und im Rahmen
er Großen Koalition womöglich nicht umfassend
urchsetzbar. Doch wir werben mit Nachdruck dafür,
ass junge Technologieunternehmen bei uns den besten
9678 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007
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Standort vorfinden, und dafür können alle diese Instru-
mente hilfreich sein.
Unsere Vorstellungen sind damit viel weitergehender
als der Antrag der Grünen, der in die gleiche Richtung
zielt. Auch die Grünen wollen die Verlustverrechnungs-
möglichkeiten und die Besteuerung der privaten Veräu-
ßerungsgewinne von Investoren und der Carried Inte-
rests verbessern. Auch sie wollen Wagniskapitalfonds
generell als vermögensverwaltend einstufen.
Falls sich herausstellen sollte, dass steuerliche Er-
leichterungen für den gesamten Bereich Beteiligungska-
pital im Finanztableau zum Beteiligungsfinanzierungs-
gesetzes nicht in wünschenswertem Maße darstellbar
sind, dann müssen zumindest Definitionen gefunden
werden, die es ermöglichen, die steuerliche Begünsti-
gung auf den strategisch so wichtigen Bereich der Wag-
niskapitalfinanzierung einzugrenzen. Wir sehen die hohe
Bedeutung von Private Equity im Ganzen, aber es geht
uns vor allem um bessere Bedingungen für junge Tech-
nologieunternehmen, die mithilfe von Wagniskapital,
durch Krisen hindurch, zu starken Firmen im Markt he-
ranwachsen sollen. Davon profitiert letztendlich auch
der Bundesfinanzminister.
Der Antrag der Grünen schlägt dazu vor, dass die
steuerliche Förderung nur für die Wagniskapitalinvestitio-
nen gelten soll, die in Unternehmen erfolgen, die min-
destens 30 Prozent ihres Umsatzes in Forschung und
Entwicklung investieren und nicht von Großunterneh-
men beherrscht werden. Diese enge Eingrenzung kann
allerdings dazu führen, dass zum Beispiel viele Soft-
wareunternehmen, deren Forschungsaufwand im Ge-
gensatz zu Biotechnologieunternehmen vergleichs-
weise gering ist, aus diesem Konzept herausfallen
würden.
Deshalb sind auch weitere Vorschläge zur Definition
von Wagniskapitalinvestitionen zu diskutieren. Die
Kunst der klugen Finanzexperten wird darin bestehen,
Formulierungen so präzise zu fassen, dass die miss-
bräuchliche Nutzung notwendiger Strukturverbesserun-
gen im Bereich Beteiligungs- oder Wagniskapitalfinan-
zierung vermieden wird. Nach wie vor bin ich jedoch der
Meinung, dass ein enges Fördergesetz zu kurz gesprun-
gen wäre.
Vorrangig ist zunächst, dass der Bundesfinanzminis-
ter die Eckpunkte für das geplante Beteiligungsfinanzie-
rungsgesetz so schnell wie möglich vorlegt, damit wir
eine konkrete Diskussionsgrundlage haben. Bei diesen
Eckpunkten sind die zielführenden Empfehlungen der
Gutachter der TU München unbedingt einzubeziehen.
Dabei sollte die Vorlage der Eckpunkte möglichst
nicht erst kurz vor Verabschiedung des Unternehmen-
steuerreformgesetzes erfolgen. Denn es muss genügend
Zeit sein, um die beiden Gesetze im Zusammenhang zu
diskutieren und um, wo nötig, frühzeitig Korrekturen
vornehmen zu können.
Auf jeden Fall müssen wir bei der Unternehmensteu-
erreform sicherstellen, dass das geplante Beteiligungsfi-
nanzierungsgesetz nicht von vornherein blockiert wird,
insbesondere durch zu rigide Festschreibungen bei ge-
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lanten Gegenfinanzierungsmaßnahmen wie der Zins-
chranke und der Einschränkung der Verlustverrech-
ung. Sinnvoll wäre es zudem, Ausnahmeregelungen für
eteiligungskapitalinvestitionen in junge Technologie-
nternehmen bereits in der Unternehmensteuerreform di-
ekt zu berücksichtigen.
Im Ziel sind wir uns einig. Wir brauchen nun drin-
end auch wirksame Regelungen zur Mobilisierung von
agniskapital für ein innovationsstarkes Deutschland.
Nina Hauer (SPD): Als ich den Antrag der Fraktion
es Bündnisses 90/Die Grünen gelesen habe, kamen mir
ie Vorschläge zur Wagniskapitalförderung so bekannt
or. Liebe grüne Kolleginnen und Kollegen, haben Sie
ie aus dem Gutachten der TU München, das die Bun-
esregierung in Auftrag gegeben hat, abgeschrieben?
Glaubt man Ihrem Antrag, ist die Wagniskapitalförde-
ung eine einfache Sache: Da wird diese von Ihnen nicht
enau definierte Branche von einer ganzen Reihe steuerli-
her Vorschriften einfach ausgenommen zum Beispiel
ie Mindestgewinnbesteuerung abgeschafft, Verlustvor-
agsmöglichkeiten verbessert und Ausnahmetatbestände
on der Abgeltungssteuer eingeführt.
Das führt zu immensen Steuermindereinnahmen. Be-
or solche Maßnahmen erwogen werden, müssen wir
issen, welche Unternehmen wir eigentlich fördern wol-
en und welche Maßnahmen im steuerlichen Bereich tat-
ächlich den Zugang zu Wagniskapital erleichtern. Han-
eln wir hier übereilt und mit einem Kahlschlag
ahlreicher steuerlicher Vorschriften, würden wir uns
ald mit neuen Steuersparmodellen konfrontiert sehen,
ie aber nicht mehr Wagniskapital bringen.
Die Förderung von Wagniskapital ist eine wichtige
ufgabe, der sich die Große Koalition schon früh durch
ie Aufnahme in den Koalitionsvertrag verpflichtet hat.
n den letzten Jahren boomte der deutsche Beteiligungs-
arkt, in 2006 hatten die im Bundesverband Deutscher
apitalbeteiligungsgesellschaften zusammengeschlosse-
en Unternehmen rund 23 Milliarden Euro in Unterneh-
en investiert. Nur leider profitieren von dieser guten
nvestitionsstimmung junge mittelständische Unterneh-
en, die neue Technologien entwickeln, nur wenig. Le-
iglich l Milliarde Euro fiel im Jahr 2006 den Wagniska-
italinvestitionen zu. Dabei sind es gerade diese
nternehmen, die zu unserem langfristigen Wirtschafts-
achstum entscheidend beitragen, indem sie Innovatio-
en an den Markt bringen und Arbeitsplätze mit Zukunft
chaffen. Wir können daher nicht akzeptieren, dass diese
nternehmen nur schwerlich einen Wagniskapitalgeber
inden.
Daher freue ich mich, dass das Bundesministerium
er Finanzen derzeit ein Gesetz zur Förderung von Wag-
iskapital erarbeitet, das den Zugang dieser jungen inno-
ativen Unternehmen zu privatem Wagniskapital verein-
acht. Das Gesetz soll zum 1. Januar 2008 in Kraft
reten. Dabei werden die Koalitionspartner darauf ach-
en, dass die Maßnahmen mit der Unternehmensteuerre-
orm in Einklang sind, damit deren positive Effekte für
ie gesamte Wirtschaft unterstützt werden.
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007 9679
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Außerdem ist es wichtig, dass wir nicht die Augen vor
den möglichen negativen Auswirkungen von Beteili-
gungskapital verschließen. Wagniskapital und anderes
Beteiligungskapital, das die Wettbewerbsfähigkeit und
damit Zukunftsfähigkeit unserer Unternehmen sichern
und zum Wirtschaftswachstum beitragen, sind uns hoch
willkommen.
In manchen Fällen führte die Übernahme durch eine
Beteiligungsgesellschaft aber auch zur Ausbeutung und
hohen Verschuldung des Unternehmens und gefährdete
zahlreiche Arbeitsplätze. Dem wollen wir entgegenwir-
ken. Mit dem Wagniskapitalbeteiligungsgesetz wollen
wir solche negativen Auswirkungen verhindern.
Wichtig für innovative junge Unternehmen sind die
gesamtwirtschaftliche Lage und ein gewisser Optimis-
mus, was neue Geschäftsideen angeht. Das derzeitige
wirtschaftliche Klima stimmt daher sehr zuversichtlich
für Unternehmensgründungen.
Wie im Koalitionsvertrag vereinbart, arbeiten die Koali-
tionspartner daran, durch eine Verbesserung der Standort-
bedingungen für Wagniskapital noch bessere Startmög-
lichkeiten zu schaffen. Der vorliegende Antrag vermag
diesen Anspruch nicht zu erfüllen und wird daher von
uns abgelehnt.
Ulrike Flach (FDP): Der Hightech-Gründerfonds ist
ein guter Ansatz, aber die Beteiligung von bisher sechs
Unternehmen ist sehr mager. Die Forschungsprämie ist
eine richtige, von uns seit langem geforderte Verbesse-
rung.
Der vorliegende Antrag der Grünen geht ebenfalls in
die richtige Richtung. Ebenso wie wir in unserem kürz-
lich eingebrachten Technologieantrag wollen auch Sie
die steuerlichen Bedingungen für Hochtechnologiegrün-
dungen verbessern. Dazu gehört der Erhalt der Verlust-
vorträge bei Übertragung und Verkauf von Anteilen von
Kapital. Verluste sollen zeitlich und in der Höhe unbe-
schränkt vorgetragen und mit Gewinnen verrechnet wer-
den können. Es macht ja keinen Sinn, jungen Unterneh-
men, die oftmals in den ersten Jahren Verluste machen
und oft nur ein Produkt in der Pipeline haben, durch die
Mindestbesteuerung die kargen Gewinne zu schmälern.
Venturecapitalfonds, die in Hightechunternehmen in-
vestieren, sollten als vermögensverwaltend eingestuft
werden, wodurch auf der Fondsebene keine Besteuerung
stattfindet. Ob wir ein Hightechunternehmen so definie-
ren, wie es die Grünen tun 30 Prozent des Umsatzes
werden für FuE aufgewendet, und Großunternehmen
dürfen dort nicht beherrschend engagiert sein müssen
wir sehen. Was ist eine beherrschende Stellung? Oftmals
haben gerade KMU aus dem Bereich der Hightech ja am
Anfang nur einen Finanzier, solange zum Beispiel ein
Medikament noch in der Entwicklungsphase ist.
Der Antrag hat aber viele positive Aspekte. Ich hätte
mir gewünscht, dass die Bundesregierung einiges aus
diesem oder auch aus unserem Technologieförderungs-
antrag in die Unternehmensteuerreform aufgenommen
hätte. Denn hier werden gerade die forschungsintensiven
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nternehmen durch die Gegenfinanzierung zur Unter-
ehmensteuerreform belastet.
Drei Beispiele:
Mit der Einführung einer Zinsschranke verstößt die
undesregierung gegen das steuerliche Nettoprinzip.
ufwendungen, die der Erzielung von Einkünften die-
en, müssen immer steuerlich abzugsfähig sein. Zumin-
est müssten die Aufwendungen für Forschung und Ent-
icklung von der Zinsschranke ausgenommen sein.
Die Herabsetzung der Sofortabschreibung für gering-
ertige Wirtschaftsgüter von 410 auf 60 Euro ausge-
echnet für Großunternehmen ist völlig unsinnig und
tellt kleine Gründer schlechter.
Auch das Streichen der degressiven Abschreibung be-
astet besonders die in Deutschland investierenden und
orschenden Unternehmen. Wir werden uns dazu noch
m Rahmen der Unternehmensteuerreform auseinander-
usetzen haben.
Ich stelle nur fest, dass die Bundesregierung zwar das
iel, Hightechgründungen zu erleichtern, gebetsmühlen-
rtig vor sich her trägt, aber dort, wo sie Gestaltungs-
pielraum hat, diesen eben nicht nutzt.
Letzter Punkt: Wagniskapital hat etwas mit Risikobe-
eitschaft zu tun Risiko für denjenigen, der den Schritt
n die Selbstständigkeit wagt und Risiko für den, der das
apital gibt. Wir brauchen von beiden mehr: mehr Grün-
er und mehr Finanzinvestoren. Dazu gehört eine Kultur
er Selbstständigkeit, des Wollens und Wagens, die wir
eider oftmals vermissen.
Die Ansätze der Bundesregierung im Rahmen der
nternehmensteuerreform werden nicht dazu beitragen,
ass diese Kultur eine Chance in Deutschland hat. Im
egenteil: Sie verschlechtern die Rahmenbedingungen
nd erhöhen den Druck auf forschungsintensive Unter-
ehmen.
Der vorliegende Antrag versucht, dem entgegenzu-
irken. Die FDP kann ihm auf weiten Strecken folgen.
Dr. Axel Troost (DIE LINKE): Sie möchten die steu-
rlichen Bedingungen für Hochtechnologiegründungen
nd für junge innovative Unternehmen attraktiv ausge-
taltet wissen das ist die Stoßrichtung Ihres Antrages.
ch sehe im Wesentlichen zwei große Problemfelder bei
hrem Antrag. Die will ich heute deutlich machen, noch
hne auf Details einzugehen. Dazu wird ja in den Aus-
chussberatungen noch Gelegenheit sein.
Das erste Problemfeld ist steuerpolitischer Art: Die aktu-
lle Unternehmensteuerreform senkt Steuersätze und will
ie Bemessungsgrundlage verbreitern. Gerade gestern hat
ich die Ausschussanhörung in meinen Bedenken bestä-
igt: Während alle sich über die Steuersatzsenkungen
reuen, werden die Gegenfinanzierungsmaßnahmen, also
ie Ausweitung der Bemessungsgrundlage, zerredet und
on Interessenverbänden durchlöchert. Da geht es der
ktuellen Steuerreform kaum anders als der Vorgänger-
eform, die unter der politischen Verantwortung von
ot-Grün beschlossen wurde und zu milliardenschweren
9680 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007
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Steuerausfällen geführt hat unter anderem weil ur-
sprünglich vorgesehene Gegenfinanzierungsmaßnahmen
spätestens im Laufe der parlamentarischen Beratungen
aufgeweicht wurden. Dieses Schicksal wird auch dem
aktuell vorliegenden Gesetzentwurf zur Unternehmen-
steuerreform bevorstehen, und unter anderem deswegen
werden die Steuerausfälle weit über denen liegen, die
uns im offiziellen Finanztableau angekündigt wurden.
Deswegen sage ich: Man muss sehr vorsichtig sein
und sehr gute Gründe haben, wenn man sich wie Sie es
jetzt tun Forderungen zu eigen macht, die zu noch grö-
ßeren Steuerausfällen führen werden. Freilich: Die Aus-
fälle aufgrund des von Ihnen skizzierten Kreises der zu
Begünstigenden mögen relativ bescheiden sein. Aber:
Sie machen ein Fass auf, wecken Begehrlichkeiten auch
anderswo und können damit ungewollt weitaus größere
Ausfälle provozieren. Es müssen also wirklich gute
Gründe sein, um das zu fordern.
Damit komme ich zu meinem zweiten Gegenargu-
ment: Ihre Gründe überzeugen mich nicht. Und ich
glaube, Sie überzeugen nicht nur mich nicht, sondern
auch einen großen Teil der Wählerinnen und Wähler von
Bündnis 90/Die Grünen nicht. Lassen Sie mich das kurz
erläutern: Sie wollen mit den geforderten Maßnahmen
nach dem Gießkannenprinzip Hochtechnologiegründun-
gen und junge innovative Unternehmen fördern. Das
heißt aber auch: Sie wollen damit das Startup fördern,
das gerade daran arbeitet, gentechnisch manipulierten
Reis weiterzuentwickeln oder das Unternehmen, das an
einem Puzzleteil zum Bau neuer Atomkraftwerke arbei-
tet. Das wollen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von
Bündnis 90/Die Grünen. Das fordern Sie mit diesem An-
trag.
Ich will das nicht, das sage ich ganz ehrlich. Ich finde
es schade, dass Sie hier jegliche Lenkungsaufgabe der
Gesellschaft und der Politik verleugnen. Sie sagen damit
ganz klar: Bündnis 90/Die Grünen opfert ökologische
Belange für ein blindes Mitmachen im Standort-Rennen,
ein Rennen, das blind ist für die ökologischen und sozia-
len Folgen von Marktprozessen. Sie vertreten hier eine
Politik, die nicht einmal ganz sanft eingreift und ver-
sucht, die technologischen Entwicklungen gesellschaft-
lich zu steuern.
Deswegen bin ich von Ihrem Antrag enttäuscht. Las-
sen Sie uns doch lieber gemeinsam Programme entwi-
ckeln, mit denen wir gezielt solche jungen innovativen
Unternehmen fördern, die am ökologischen und sozialen
Umbau dieser Gesellschaft arbeiten. Da gibt es genug zu
tun. Dazu lade ich Sie ein.
Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Die gestrige Sachverständigenanhörung zur geplanten
Unternehmensteuerreform hat die Kritik, die wir Grünen
von Anfang an am Gesetzentwurf hatten, Punkt für
Punkt bestätigt: Die Reform ist eine High-Tax-Initia-
tive für im Inland forschende und investierende Unter-
nehmen. Während sich Wirtschaftsministerium und
Finanzministerium im Hinterzimmer streiten, wer denn
nun von dem bereits zugesagten Private-Equity-Gesetz
profitieren darf, schafft die Große Koalition mit der Un-
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ernehmensteuerreform harte Fakten, die den Innova-
ionsprozess gefährden und ein Rückschritt für die steu-
rliche Attraktivität des Innovationsstandortes sind:
Der erste Rückschritt ist die Verschärfung beim Man-
elkauf: Verlustvorträge sollen schneller wegfallen,
enn der Eigentümer wechselt, und können dann nicht
ehr zur Verrechnung mit Gewinnen genutzt werden.
as zur Missbrauchsbekämpfung durchaus sinnvoll sein
ann, ist für innovative Start-ups ein Desaster. Die Un-
ernehmen brauchen Liquidität, um sich schnell entwi-
keln zu können. Gerade junge innovative Unternehmen
üssen atmen können. Die Gefahr einer Besteuerung ih-
er Substanz sollte deshalb absolut ausgeschlossen wer-
en.
Der zweite Rückschritt ist die Besteuerung des Ge-
innpotenzials, wenn Funktionen, Abteilungen, ins
usland verlagert werden. Diese Besteuerung schadet
em Innovationsprozess. Die Probleme mit Verlagerun-
en sind zweifellos vorhanden, die Große Koalition
ackt sie aber falsch an. Bislang wird hier geforscht und
ft im Ausland produziert. Die Entwicklung des Faxge-
ätes, des MP3-Players oder des Hybridantriebs sind ein-
ängige Beispiele hierfür. Hier muss etwas geschehen.
n Zukunft sollten wir es uns nicht mehr leisten, Innova-
ionen und damit Märkte, Wachstumsdynamik und Ar-
eitsplätze abzugeben. Das aktuelle Vorhaben der Gro-
en Koalition geht in die falsche Richtung, denn
usätzlich wird so noch zu einer Verlagerung der For-
chung und Entwicklung ins Ausland angereizt. Das ist
er falsche Weg. Wir dürfen unsere Innovationspoten-
iale nicht verlieren, sondern sollten alles tun, diese zu
ktivieren und ihnen genug Entfaltungspotenziale zu
ieten.
Der dritte Rückschritt ist die Ausgestaltung der Ab-
eltungsteuer. Nicht die Idee, sondern die Art und Weise,
ie die Abgeltungsteuer ausgestaltet ist, wird dem Wag-
iskapitalstandort schweren Schaden zufügen. Die für ri-
ikoreiche Start-ups typische Eigenkapitalfinanzierung
ird gegenüber Fremdkapitalfinanzierungen steuerlich
assiv benachteiligt. Auf Zinsen müssen nur 25 Prozent
teuern gezahlt werden, auf Dividenden fast 50 Prozent.
ie inländischen Finanzierungsquellen von Wagniskapi-
al werden systematisch ausgetrocknet. Wenn die Koali-
ion ihr Modell der Abgeltungsteuer tatsächlich aufrecht-
rhält, dann muss sie die Schlechterstellung von
igenkapital vermeiden, der halbe Steuersatz für Divi-
enden und Veräußerungsgewinne wäre eine Lösung.
Mein Fazit: Die Unternehmensteuerreform ist für
tart-ups ein Desaster. Das steht völlig im Widerspruch
ur Hightechinitiative der Bundesregierung und wider-
pricht dem Koalitionsvertrag, denn dort haben Union
nd SPD versprochen, die steuerlichen Bedingungen für
agniskapital international attraktiver zu machen. Prak-
isch passiert aber soeben das Gegenteil. Wir Grünen
ordern, dass die Große Koalition ihren Ankündigungen
etzt endlich Taten folgen lässt und die steuerlichen Be-
ingungen für junge innovative Unternehmen zeitgleich
it der Unternehmensteuerreform verbessert.
An die Ausgestaltung dieser guten Bedingungen für
nnovationen darf man allerdings nicht allzu erbsenzäh-
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007 9681
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lerisch herangehen. Forschung ist ein Prozess mit offe-
nem Ausgang. Nicht jede geniale Erfindung erobert die
Welt und zahlt sich in barer Münze für den Erfinder und
den Fiskus aus. Der Staat muss hier strategisch denken:
Innovationen sind die Triebfedern für nachhaltiges
Wachstum und damit für Wertschöpfung und zukunftsfä-
hige Arbeitsplätze. Der Standort braucht mehr Unterneh-
men, die hierzulande forschen und in die Entwicklung
und Vermarktung ihrer Produkte investieren. Entgegen
manchem Unkenruf ist Forschung hierzulande durchaus
attraktiv: Nach den USA und Japan belegen die Deut-
schen einen Spitzenplatz bei der Anmeldung von Paten-
ten. Auch die Infrastrukturen für den Technologietrans-
fer schneiden international gut ab.
Wenn es allerdings um die Finanzierung geht, um
diese Forschungsergebnisse zu marktfähigen Produkten
und Verfahren weiterzuentwickeln, haben innovative
Unternehmen hierzulande häufig Schwierigkeiten. In
Kalifornien, in Silicon Valley, wird im Laufe eines Mo-
nats mehr Risikokapital in neue Ideen investiert als in
der ganzen Bundesrepublik in zwei Jahren. Sogar im eu-
ropäischen Vergleich schneidet Deutschland schlecht ab.
Gemessen am Bruttoinlandsprodukt werden nur etwa
halb so viele Wagniskapitalfinanzierungen getätigt wie
im europäischen Durchschnitt. Hier liegt wertvolles
Potenzial brach.
Die Grünen wollen Deutschland zum attraktivsten
Standort für innovative Unternehmensgründer machen.
Das bedeutet, der Anteil von privatem Wagniskapital an
der Wirtschaftsleistung muss sich drastisch erhöhen.
Diese Dynamik kann nur mit deutlich besseren steuerli-
chen Bedingungen entstehen, damit die Geldströme pri-
vater Investoren in innovative Unternehmen gelenkt
werden und in Unternehmen, die an der Schnittstelle
Forschung/Markt agieren und in der Frühphase Finan-
zierungen brauchen. Damit wir nicht ins Abseits geraten,
brauchen wir Gesetze, die den neuen Unternehmen keine
Steine in den Weg legen, sondern ihnen den Weg ebnen
und Rechtssicherheit geben.
Es geht hier ausdrücklich nicht um die großen Pri-
vate-Equity- oder Hedgefonds, die mit gigantischen Ka-
pitalsummen von den USA oder Großbritannien aus in-
vestieren. Hier geht es um regionale Wagniskapitalgeber.
Denn ob ein innovatives Unternehmen in der Frühphase
Kapital bekommt, hängt ganz entscheidend davon ab, ob
im Umfeld Wagniskapitalfirmen angesiedelt sind. Er-
folgreiche Wirtschaftsregionen brauchen ein regionales
Kapitalangebot, das die Risiken junger Unternehmen
mitträgt. Trotz Internet, Globalisierung und weltweit
vernetzten Kapitalmärkten ist die simple Standortnähe
ein Schlüssel zum Erfolg. Schon 2004 haben die Grünen
das erkannt und in der Schröder-Koalition maßgeblich
dafür gesorgt, dass die Initiatoren von Wagnisfonds in-
ternational wettbewerbsfähig besteuert werden.
Um die Innovationsfähigkeit des Standortes Deutsch-
land weiter zu steigern, sind bessere steuerliche Bedingun-
gen für Hochtechnologiegründungen, junge innovative Un-
ternehmen und diese finanzierende Wagniskapitalgeber
vordringlich. Voraussetzung soll deshalb eine Forschungs-
und Entwicklungsquote von zunächst 30 Prozent sein. Die-
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er klare Fokus sichert, dass keine unerwünschten Steuerge-
taltungspielräume entstehen, zugleich werden aber im
inne von mehr Innovationen und Arbeitsplätzen dringend
otwendige Investitionen ermöglicht. Der Anteil des Um-
atzes, der in Forschung und Entwicklung investiert werden
uss, soll dann in der Wachstumsphase sinken dürfen.
Im Einzelnen fordern die Grünen folgende steuerli-
hen Verbesserungen:
Bei Übertragung und Verkauf von Anteilen und Neu-
nvestition von Kapital sollen Verlustvorträge voll erhal-
en bleiben. Die beschränkenden Regelungen beim Man-
elkauf sollen nicht greifen. Es liegt hier eindeutig kein
issbrauch vor. Bei der Finanzierung junger, innovati-
er Unternehmen ist es typisch, dass es zu mehreren Fi-
anzierungsrunden kommt, bei denen sich die Anteils-
ignerstrukturen verschieben. Die Verlustvorträge
üssen über diese Finanzierungsrunden hinweg erhalten
leiben. Auch ist es Kern des Geschäftsmodells Venture-
apital, dass der Beteiligungskapitalgeber nach einer ge-
issen Zeit seine erfolgreichen Investments verkauft,
m neu zu investieren. Dabei muss das Geschäft noch
icht so weit entwickelt sein, dass bereits Gewinne ge-
acht werden. Verluste müssen daher auch beim Ver-
auf übertragen werden können.
Verluste sollen zeitlich und in der Höhe unbeschränkt
orgetragen und mit Gewinnen verrechnet werden kön-
en. Die Mindestbesteuerung soll zur Verbesserung der
achstumschancen bei Hochtechnologien nicht greifen,
eil gerade hier auf fünf oder mehr Jahre verlustreich in-
estiert werden muss, bevor ein innovatives Unterneh-
en Gewinne macht.
Sofern eine Abgeltungsteuer realisiert wird, sollen
ividenden und private Veräußerungsgewinne der An-
eilseigner mit dem halben Steuersatz der Abgeltung-
teuer belegt werden, um eine Benachteiligung der Ei-
enkapitalfinanzierung zu verhindern.
Venturecapitalfonds, die in die Hightechunternehmen
nvestieren, werden generell als vermögensverwaltend
ingestuft. Damit wird für diese Fonds Rechtssicherheit
eschaffen, dass auf der Fondsebene keine Besteuerung
tattfindet. Besteuert werden das finanzierte Unterneh-
en und der Anteilseigner. Obwohl es hier schon Ver-
esserungen auf der Verwaltungsebene gegeben hat, ist
ie weiter bestehende Rechtsunsicherheit eines der
aupthindernisse für die Einwerbung von Beteiligungs-
apital.
Der Carriedinterest der Fondsinitiatoren, die Entloh-
ung für die Vermittlung von Beteiligungen, unterliegt
eiterhin generell dem Halbeinkünfteverfahren, denn
iese international wettbewerbsfähige Besteuerung hat
ie steuerliche Attraktivität des Standortes für Venture-
apital deutlich verbessert.
Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim
undesminister der Finanzen: Mit Interesse nehme ich
ur Kenntnis, dass die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
laubt, für die Umsetzung des Koalitionsvertrages zwi-
chen CDU/CSU und SPD Sorge tragen zu müssen.
och ich kann Sie beruhigen: Diese Sorge ist unnötig.
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Die Bundesregierung weiß, was im Koalitionsvertrag
vereinbart worden ist, und sie hat auch das Ziel der Ver-
besserung der Rahmenbedingungen für Wagniskapitalfi-
nanzierungen nicht aus den Augen verloren.
Eine seriöse Politik setzt jedoch voraus, dass konkre-
ten Beschlüssen zur Umsetzung eines als richtig erkann-
ten Ziels eine sorgfältige Vorbereitung vorausgeht. Dies
erfordert unter anderem eine gründliche Prüfung, welche
Maßnahmen zur Erreichung einer Zielsetzung in Be-
tracht kommen. Deshalb haben wir uns die Zeit genom-
men, den konkreten Handlungsbedarf und Handlungs-
optionen zunächst zu analysieren.
Hinzu kommt in diesem Fall die Notwendigkeit, die
Dinge schlicht in der logisch richtigen Reihenfolge zu
tun und in einem Zusammenhang zu sehen. Das heißt,
auch wenn man bestimmte steuergesetzliche Regelungen
zu Wagniskapitalfinanzierungen für notwendig hält,
müssen diese Maßnahmen in ein steuerpolitisches Ge-
samtkonzept passen. Konkret bedeutet das: Die vorge-
schlagenen Maßnahmen müssen selbstverständlich auch
mit der Unternehmensteuerreform korrespondieren. Das
eine muss auf das andere abgestimmt sein.
Derzeit werden die steuerlichen Rahmenbedingun-
gen für die deutschen Unternehmen allgemein verbes-
sert. Diese Verbesserungen müssen natürlich berücksich-
tigt werden, wenn es um Antworten auf die Frage geht,
welche weiteren Maßnahmen im Bereich der Wagnis-
kapitalfinanzierungen darüber hinaus noch erforderlich
sind. Zugleich ist natürlich auch zu beachten, welche
finanziellen Spielräume noch zur Verfügung stehen.
Eine übereilte Beschlussfassung über beliebige steu-
erliche Entlastungen, ohne näher zu prüfen, wem sie nut-
zen und was sie bewirken, ist hingegen reiner Aktionis-
mus. Nichts anderes; meine Damen und Herren
Kollegen, ist dieser Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen. Auf die vage Vorstellung hin, für eine be-
stimmte Branche etwas Gutes tun zu wollen, sollen be-
liebig alle steuerlichen Regelungen geändert werden,
von der diese Branche betroffen sein könnte: Abschaf-
fung der Mindestgewinnbesteuerung, Verbesserung der
Verlustvortragsmöglichkeiten, Ausnahmetatbestände bei
der Abgeltungsteuer, Vermeidung der Besteuerung auf
der Fondsebene und großzügige Entlastung des Manage-
ments durch weitere steuerliche Begünstigung des
Carried Interest.
Das ist nichts anderes als ein beliebiges Drehen an
sämtlichen erreichbaren steuerlichen Stellschrauben, bei
dem nur ein Erfolg garantiert ist: gigantische Steuermin-
dereinnahmen.
Wichtig ist, gezielt dort anzusetzen, wo tatsächlich
Handlungsbedarf besteht. Der deutsche Beteiligungs-
markt hat sich seit Beginn der 90er-Jahre rasant ent-
wickelt. Das Gesamtportfolio der im Bundesverband
Deutscher Kapitalbeteiligungsgesellschaften zusammen-
geschlossenen Unternehmen stieg von 1,7 Milliarden
Euro im Jahr 1990 auf 23 Milliarden Euro im Jahr 2006.
Zum Jahresende 2006 hielten die in Deutschland erfass-
ten Beteiligungskapitalgeber Beteiligungen an rund
6 000 Unternehmen. Die Buy-Out-Investitionen, also
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igentümerwechsel bei bestehenden Unternehmen durch
in internes oder externes Management, bilden mit fast
2 Prozent das dominierende Marktsegment und legten
n Volumen sogar noch weiter zu.
Anders sieht es jedoch bei den Wagniskapitalinvesti-
ionen aus. Diese betrugen im Jahr 2006 nur rund
Milliarde Euro mit fallender Tendenz. Gerade die jun-
en, technologieorientierten Unternehmen des deutschen
ittelstands, die ein besonders großes Wachstumspoten-
ial aufweisen und zukunftsträchtige Arbeitsplätze
chaffen, haben Probleme, Kapitalgeber zu finden. Im
bgegrenzten Bereich des Wagniskapitals ist somit ein
ersagen des Marktes feststellbar. Im Spannungsfeld
wischen hohem Kapitalbedarf auf der einen und hohem
isikopotenzial auf der anderen Seite können Wagnis-
apitalgeber die entscheidende Rolle spielen.
Das Bundesministerium der Finanzen erarbeitet der-
eit ein Gesetz, das zum 1. Januar 2008 in Kraft treten
oll, mit dem gerade die Bereitstellung von privatem
agniskapital für junge insbesondere technologieori-
ntierte Unternehmen erleichtert werden soll. Um die-
es Ziel tatsächlich zu erreichen, bedarf es einer ange-
essenen Ausgestaltung der Anlagevorschriften und der
teuerlichen Regelungen. Anlagevorschriften sollten le-
iglich einen Rahmen vorgeben, innerhalb dessen Wag-
iskapitalgesellschaften flexibel agieren können.
Zugleich gilt es aber auch, potenziell negative Aus-
irkungen von Beteiligungskapital nicht aus dem Auge
u verlieren. Beteiligungskapital, das zu Effizienzver-
esserungen und Wachstumseffekten führt, ist positiv zu
ewerten. Eine Auszehrung gesunder Unternehmen, die
ie langfristige Lebensfähigkeit von Portfoliounterneh-
en und Arbeitsplätze gefährdet, ist hingegen gesamt-
irtschaftlich unerwünscht. Vor diesem Hintergrund be-
asst sich das Bundesministerium der Finanzen im
ahmen der Erarbeitung eines Wagniskapitalbeteili-
ungsgesetzes auch mit der Frage, mit welchen Maßnah-
en negativen Entwicklungen entgegengewirkt werden
ann.
Allzu einseitig ausgerichtete Vorschläge helfen uns
icht weiter; hierzu zähle ich auch den Antrag der Frak-
ion Bündnis 90/Die Grünen.
nlage 14
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Für solidarische
Assoziierungsabkommen der EU mit den zen-
tralamerikanischen Staaten und den Staaten
der Andengemeinschaft (Tagesordnungs-
punkt 23)
Anette Hübinger (CDU/CSU): In der vergangenen
oche fanden verschiedene Treffen zwischen Ministern
er Andenstaaten und den zentralamerikanischen Staa-
en einerseits und der EU-Kommission andererseits statt,
n der von deutscher Seite Außenminister Steinmeier
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007 9683
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(B) )
teilnahm. Auf diesem Treffen hat die EU-Kommissarin
für Außenbeziehungen und europäische Nachbarschafts-
politik, Frau Ferrero-Waldner, ein für den Zeitraum 2007
bis 2013 vorgesehenes Hilfspaket für Lateinamerika mit
einem Gesamtvolumen von über 2,6 Milliarden Euro an-
gekündigt. Für die Andenregion sind 713 Millionen
Euro vorgesehen; die zentralamerikanischen Staaten sol-
len 840 Millionen Euro der Finanzhilfe erhalten.
Der Grund für diese Ankündigung war die vor knapp
einem Jahr auf dem Wiener Gipfel gemeinsam bekundete
Absicht, die bilateralen Beziehungen beider Regionen
Lateinamerikas und der EU weiter zu vertiefen. Dabei
wurde gegenseitig der Wunsch geäußert, baldmöglichst
mit den Aushandlungen von bilateralen Assoziierungs-
abkommen zu beginnen, die einen verstärkten politi-
schen Dialog, die wirtschaftliche Zusammenarbeit und
die Handelsbeziehungen miteinander neu gestalten sol-
len. Diese Verhandlungen sollen demnächst aufgenom-
men werden.
Die angekündigte finanzielle Hilfe der EU-Kommis-
sion sollen die Anstrengungen der lateinamerikanischen
Verhandlungspartner bereits im Vorfeld der neuen Ab-
kommen unterstützen. Denn sie stehen vor der doppelten
Herausforderung, die regionale Integration einerseits
und den sozialen Zusammenhalt andererseits voranzu-
bringen. Die Hilfe wird den Aufbau der regionalen
Märkte fördern, Investitionen erleichtern und die vieler-
orts immer noch dringend benötigten institutionellen Re-
formen beschleunigen.
Die EU-Kommission wie auch die Partnerländer der
Anden- und der zentralamerikanischen Länder sind sich
einig, dass die Assoziierungsabkommen auf der Förde-
rung der Menschenrechte, der Demokratie und des ver-
antwortlichen Regierens gründen und eine gegenseitige
Verpflichtung zum Eintreten für diese gemeinsamen
Wertvorstellungen in aller Welt sein werden. Darüber hi-
naus werden sie Rahmenbedingungen für die schritt-
weise Errichtung einer Freihandelszone zwischen der
EU und den beiden Regionen beinhalten und so den
Handel innerhalb der Region als auch zwischen den Re-
gionen fördern.
Die Wirtschaftskraft der einzelnen Länder in diesen
beiden Regionen ist zum Teil sehr unterschiedlich ausge-
prägt. Die Assoziierungsabkommen werden sensibel die
bestehenden Unterschiede und die Wirtschaftsbeziehun-
gen innerhalb der Regionen berücksichtigen. Je nach
Verlauf des jeweiligen Integrationsprozesses ist eine dif-
ferenzierte und flexible Behandlung vorgesehen, um
Asymmetrien abzufedern und Wettbewerbschancen auf-
zubauen. Diese schrittweise Integration, ähnlich den der-
zeitig laufenden Verhandlungen zu den Wirtschafts-
partnerschaftsabkommen, wird es den sich noch
entwickelnden Industrien ermöglichen, wirtschaftliche
Entwicklung und Handel schrittweise dem globalen
Wettbewerb anzupassen.
Ihr Antrag unterstreicht wieder einmal deutlich, dass
Sie, meine Damen und Herren der Fraktion Die Linke,
eine Politik verfolgen, die Wirtschaftspolitik, freien
Handel und Wettbewerb unterbindet. Dagegen entspricht
die Initiative Alternativa Bolivariana para America
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atina y Caribe der ALBA-Vertrag, eine Kooperation
wischen Kuba, Venezuela, Bolivien und Nicaragua
anz Ihren sozialistischen Vorstellungen.
Das Prinzip der ALBA-Kooperation basiert auf Kom-
lementarität und Austausch statt auf Wettbewerb und
reiem Handel. So beinhaltet zum Beispiel das erste Ab-
ommen der ALBA zwischen Venezuela und Kuba die
ieferung von Erdöl an Kuba, das durch die Entsendung
on kubanischen Ärzten nach Venezuela bezahlt wurde.
er ALBA-Vertrag ist eine Kooperation von souveränen
taaten. Die angekündigten Assoziationsabkommen
wischen den Andenstaaten und Zentralamerika werden
eder diese Kooperation gefährden oder ihr entgegen-
irken, wie Sie es in ihrem Antrag behaupten.
Meine Damen und Herrn der Linken, Sie müssen aber
ur Kenntnis nehmen, dass die wichtigsten Export-
ärkte der ALBA-Staaten außerhalb der ALBA liegen.
chon allein aus diesem Grund, ohne die stark ausge-
rägt ideologische Komponente dieser Kooperation
äher zu betrachten, ist es sehr fraglich, die ALBA-Ko-
peration als eine Alternative wirtschaftlicher Zusam-
enarbeit von Staaten zu bezeichnen. Denn der Welt-
andel setzt eben nicht auf Komplementarität und
ustausch. Nicht nur wir als CDU/CSU-Fraktion stehen
ieser Art von Zusammenarbeit sehr kritisch gegenüber,
uch viele Länder in Lateinamerika distanzieren sich
on dieser Kooperation.
Damit wäre ich auch schon bei einem weiteren Punkt,
er mir in diesem Antrag wie auch in anderen Anträgen
hrer Fraktion immer wieder auffällt. Für Sie scheint La-
einamerika nur aus Venezuela, Kuba, Bolivien und
icaragua zu bestehen. Diese Länder ziehen Sie immer
ieder heran, um ihr sozialistisches Ideengut zu vertei-
igen und die Entwicklungen in diesen Ländern als die
ustergültige lateinamerikanische Antwort zu preisen.
Sie verschließen die Augen vor dem zunehmenden
bbau von demokratischen Strukturen, vor dem Anstei-
en der Menschenrechtsverletzungen und vor den fort-
estehenden sozialen Missständen in diesen Ländern.
ben dort verschärfen sich momentan die politischen
onflikte zwischen den Regierungen und der Opposi-
ion, zwischen den Verfassungsinstitutionen und zwi-
chen den sozialen Gruppen.
Lassen Sie es mich an einigen Beispielen verdeutli-
hen. Der venezolanische Präsident trat am 10. Januar
ieses Jahres eine neue Amtszeit als Präsident an. Sie
teht unter dem Motto Vertiefung, Erweiterung und
usbau der Revolution auf dem venezolanischen Weg
um Sozialismus. Chavez bemüht sich derzeit, die Ver-
assung zu ändern, um so erneut 2013 kandidieren zu
önnen. Mittels eines Ermächtigungsgesetzes gab er sich
ie Befugnis, nun per Dekret am Parlament vorbei zu re-
ieren.
Allein im Jahr 2005 hat Chavez rund 36 Prozent des
enezolanischen Haushaltes rund 20 Milliarden Dollar
ür Investitionen und Schenkungen im Ausland be-
timmt. Der bolivianische Präsident Morales erhält nach
einer gewonnen Wahl einen Scheck über 30 Millionen
ollar, oder venezolanische Soldaten werden nach Kuba
9684 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007
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geschickt, um dort Häuser zu bauen. Im eigenen Land
weisen seine Versprechungen im sozialen Bereich, für
deren Sozialprogramme er 10 Prozent des Haushaltes
verwendet, nur spärlichen Erfolg auf.
Das verwundert nicht, wenn man bedenkt, dass ein
Gutteil der Gelder für die Bezahlung von 50 000 kubani-
schen Arbeitskräften aufgewendet wurden, wenngleich
die eigene Bevölkerung unter der hohen Arbeitslosigkeit
leidet. 80 Prozent der Familien haben Schwierigkeiten,
ihren Grundbedarf von 690 US-Dollar im Monat zu ver-
dienen. Denn der durchschnittlich gezahlte Monatslohn
liegt bei 170 US-Dollar. Die Sozialleistungen des Staates
von 93 US-Dollar können die Armut der Familien kaum
verringern. Genauso wenig wurde die prekäre Situation
auf dem Wohnungsmarkt verbessert, und der Standard in
den öffentlichen Krankenhäusern oder die Qualität der
Schulbildung zeigen keinerlei Fortschritte auf. Der Bru-
der des Präsidenten, der als Bildungsminister agiert, ver-
kündete kürzlich: Bildung hat die Aufgabe, Jugendliche
zu ideologisieren.
Während sich andere Ländern der Region bemühen,
das Militär zu professionalisieren, wird es in Venezuela
immer stärker politisiert und um Volksmilizen erweitert.
Chavez verlangte in einer öffentlichen Kundgebung von
seinem Militär, sich zu Vaterland, Sozialismus oder
Tod zu bekennen, Andersdenkende sollten aus der Ar-
mee ausscheiden.
In Bolivien sind ähnliche politische Entwicklungen zu
beobachten. Erst im Januar dieses Jahres musste Morales
dem Druck der Öffentlichkeit nachgeben und seinen Er-
ziehungsminister entlassen. Dieser wollte die Vereinheit-
lichung des Bildungssystems durchsetzen und private
Bildungseinrichtungen verbieten. Bürgerkriegsähnliche
Unruhen folgten jüngsten Vorfällen in der verfassung-
gebenden Versammlung, als bei Abwesenheit der Oppo-
sitionsfraktionen die Regierungspartei MAS kurzerhand
Verfassungsänderungen beschloss. Auch münden Kon-
frontationen zwischen den Anhängern Morales und den
oppositionellen Präfekten immer wieder in Streiks, Stra-
ßenblockaden und gewaltsamen Ausschreitungen, die
Morales mithilfe des Militärs aufzulösen versucht. In
Kuba finden bis heute keine freien demokratischen Wah-
len statt und stehen Menschenrechtsverletzungen auf der
Tagesordnung.
Meine Damen und Herren der Fraktion Die Linke, Sie
loben die Demokratisierungsprozesse in diesen Ländern
und bezeichnen Chavez und Morales als die Vorzeige-
kämpfer gegen Ungerechtigkeit und Armut in Latein-
amerika. Das ist ein Hohn gegenüber den lateinamerika-
nischen Ländern, die um eine soziale Gerechtigkeit
ringen, ohne Menschenrechtsverletzungen und ohne bür-
gerliche Freiheiten und die Wettbewerbsfähigkeit von
Unternehmen einzuschränken.
Deshalb werden wir Good Governance gerade auch in
den Ländern, wo der institutionelle Demokratisierungs-
prozess zu hinken scheint, im Rahmen unserer Entwick-
lungszusammenarbeit intensivieren und den Dialog über
die Bewahrung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit
fortsetzen.
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Die Andenstaaten und die zentralamerikanischen
taaten wollen ihre freie demokratische Entwicklung
ortsetzen, die es Ihnen ermöglicht, ihre wirtschaftlichen
otenziale zu entwickeln unter der Wahrung von Demo-
ratie, Rechtsstaatlichkeit und der Menschenrechte. De-
en Anstrengungen respektieren wir und werden sie da-
ei weiterhin unterstützen.
Die Verhandlungen zu den Assoziationsabkommen
wischen der EU und den Andenstaaten werden voraus-
ichtlich Ende Mai in La Paz aufgenommen werden. Die
entralamerikanischen Staaten sind momentan bemüht,
eitere Fortschritte bei den institutionellen Reformen
nd der Gründung einer Zollunion zu vollziehen, um so
uch baldmöglichst die Verhandlungen mit der EU zu
eginnen.
Ich betone, wie schon öfters, die schrittweise Integra-
ion von Entwicklungsländern in die globalen Handels-
ärkte ist ein Schlüsselelement für eine nachhaltige
irtschaftliche Entwicklung und für die Armutsbekämp-
ung. Das, sehr geehrte Damen und Herren der Fraktion
er Linken, verkennen, bestreiten und ignorieren Sie
ieder einmal durch Ihren Antrag.
Es bleibt leider der Eindruck nicht aus, dass es doch
ei all Ihren Anträgen nur darum geht, für Ihre hier in
uropa gescheiterten sozialistischen Ideologien in ande-
en Teilen der Welt neuen Nährboden zu finden. Es ist
ehr als bedauerlich, dass Sie es offensichtlich nicht
ermögen, aus den bitterlich gemachten Erfahrungen,
ie Menschen 40 Jahre lang in einem Teil unseres Lan-
es erleiden mussten, zu lernen.
Wir als CDU/CSU-Fraktion begrüßen es ausdrück-
ich, dass die Zusammenarbeit zwischen der EU und den
ändern Lateinamerikas durch neue Assoziationsab-
ommen endlich wieder einen neuen Aufschwung er-
ält. Ich kann mich hier der Meinung der EU-Kommis-
ion anschließen, die unser Verhältnis zu Lateinamerika
o formulierte: Die Verbindungen zu Lateinamerika
ind nicht nur eine Selbstverständlichkeit, sondern auch
ine zwingende Notwendigkeit.
Den Antrag der Fraktion Die Linke lehnt die CDU/
SU-Fraktion ab.
Dr. Sascha Raabe (SPD): Zum zweiten Mal inner-
alb weniger Monate bereiste unser Außenminister
rank-Walter Steinmeier kürzlich Mittel- und Südame-
ika. Nur wenige Wochen vorher besuchte unser Bundes-
räsident Horst Köhler drei Länder Lateinamerikas: Bra-
ilien, Kolumbien und Paraguay. Obwohl derzeit im
ahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft und dem
orsitz der G-8-Gruppe der Kontinent Afrika in aller
unde ist, zeigen diese Reisen: Lateinamerika rückt für
ns nicht in den Hintergrund. Ich selbst war vor einer
oche in Zentralamerika. Dort habe ich unter anderem
n einer mehrtägigen Konferenz der Friedrich-Ebert-
tiftung zum Thema Assoziierungsabkommen zwi-
chen der EU und Zentralamerika teilgenommen. Ich
atte die hervorragende Gelegenheit, mich direkt vor Ort
it zentralamerikanischen Parlamentariern und Vertre-
ern der Zivilgesellschaft ausführlich über das Thema
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007 9685
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auszutauschen. Die Gesprächsteilnehmer teilten mir ihre
Sorgen sowie ihre an die Verhandlungen geknüpften Er-
wartungen mit.
Vor allem eines lernte ich aus den vielfältigen Gesprä-
chen: Die Bürgerinnen und Bürger Zentralamerikas su-
chen den Kontakt zu uns Europäern und freuen sich über
eine noch engere künftige Zusammenarbeit. Insbeson-
dere Deutschland genießt große Sympathie und es wird
uns ein hohes Vertrauen entgegengebracht. Deshalb set-
zen die Menschen in Lateinamerika Hoffnung in unseren
Beitrag zu einer fairen und gerechten Ausgestaltung des
Assoziierungsabkommens zwischen der EU und Zen-
tralamerika. In Costa Rica herrscht zurzeit in weiten Tei-
len der Bevölkerung großer Unmut über das Freihan-
delsabkommen mit den Vereinigten Staaten, CAFTA,
das vom Parlament noch nicht ratifiziert wurde. Jetzt soll
ein Referendum darüber entscheiden. Kritikpunkt ist
vor allem die Befürchtung, dass ein reines Freihandels-
abkommen mit dem mächtigen Partner USA zu ähnli-
chen Verwerfungen im ländlichen Raum führen könnte
wie beim Freihandelsabkommen zwischen Mexiko und
den USA, NAFTA. Hier wurde der traditionelle Maisan-
bau Mexikos durch den Wegfall der Schutzzölle und die
Überflutung mit hochsubventioniertem US-Mais zerstört
und somit die Einnahmequelle vieler Kleinbauern ver-
nichtet. Deshalb müssen wir in den laufenden Verhand-
lungen beweisen, dass es uns nicht nur um Freihandels-
fragen geht, sondern in erster Linie um eine nachhaltige
Entwicklung im Sinne der ärmsten Menschen. Ein wich-
tiger Aspekt wird dabei sein, die nötige Transparenz bei
den Verhandlungen zu bieten. Genauso wichtig ist es,
den Parlamentariern in Zentralamerika ein Mitwirkungs-
recht bei den Gesprächen zu gewährleisten. In diesem
Zusammenhang möchte ich die Friedrich-Ebert-Stiftung
ausdrücklich loben, die in der oben genannten Konfe-
renz in Costa Rica eines der wenigen Foren für Parla-
mentarier und Vertreter der Zivilgesellschaft geschaffen
hat, um über das aktuelle Thema zu diskutieren.
Ich möchte an dieser Stelle den zur Debatte vorliegen-
den Antrag der Linken aufgreifen. Denn einige Forde-
rungen wie diejenige nach möglichst großer Transparenz
können wir durchaus teilen. Sie ist allerdings in dem
Grundgerüst der Verhandlungsrichtlinien bereits vorge-
sehen, das aus drei gleichgewichtigen Säulen besteht:
dem politischen Dialog, dem Handelsteil sowie der Ent-
wicklungszusammenarbeit. Eines der Hauptziele des
Abkommens ist es, die Armut zu bekämpfen und die
Einkommensungleichheiten zu reduzieren.
Während viele Forderungen des hier zur Debatte ste-
henden Antrags bereits im Verhandlungsmandat enthal-
ten sind, trifft der Vorwurf der Linksfraktion, dass die
Assoziierungsverhandlungen die eigenen zentralameri-
kanischen Integrationsbemühungen vor Ort behindern
würden, schlichtweg nicht zu. Im Gegenteil: Die EU for-
dert die zentralamerikanischen Staaten auf, ihre Integra-
tionsbemühungen unter anderem auf Grundlage des
Panama-Abkommens schneller und effektiver voran-
zubringen. Die EU betont auch stets, dass sie im Block
verhandeln möchte. Und es ist gerade die Europäische
Union, die den lateinamerikanischen Staaten bei ihren
Integrationsbestrebungen als Vorbild dient. Gerade das
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uropäische Sozialmodell mit seinen hohen Arbeits-, So-
ial- und Umweltstandards und das Wirtschaftssystem
er sozialen Marktwirtschaft wird im Gegensatz zum
einen Marktwirtschaftssystem der USA von der Mehr-
eit der lateinamerikanischen Menschen bevorzugt.
Einen wichtigen integrativen Beitrag in der Region
entralamerikas wie auch innerhalb der Andengemein-
chaft leistet die deutsche Entwicklungszusammenarbeit.
as Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenar-
eit und Entwicklung ist an den Assoziierungsverhandlun-
en mitbeteiligt und wird die entwicklungspolitischen
uswirkungen der Ergebnisse stets im Auge behalten. So
irkte das BMZ von Anfang an darauf hin, dass sich die
erhandlungen nicht allein auf ein Freihandelsabkom-
en beschränken. Ebenso besteht das Entwicklungsmi-
isterium darauf, dass keine Reziprozität der ungleichen
artner eingefordert. Im Aufbau befindliche Industrie-
weige müssen ebenso wie einige für die Ernährungssi-
herheit wichtige landwirtschaftliche Sektoren geschützt
leiben können; im letzteren Fall insbesondere, solange in
uropa noch so hohe Agrarsubventionen fließen.
Auch die von der EU geleistete Entwicklungspolitik
n der Region ist beträchtlich. Die EU ist der größte Ge-
er nicht rückzahlbarer finanzieller Hilfe in Zentralame-
ika. Für den Zeitraum 2002 bis 2006 sind mehr als
63,2 Millionen Euro in die zentralamerikanische Re-
ion geflossen. Hinzu kamen 300 Millionen Euro für
ilfsmaßnahmen nach den Katastrophen des Hurrikans
Mitch und des Erdbebens in El Salvador.
Entwicklungszusammenarbeit kann aber nur erfolg-
eich sein, wenn sie in Kohärenz mit den Handelsbedin-
ungen erfolgt. Deshalb werden wir uns in dem Assozi-
erungsabkommen dafür einsetzen, dass in dem für viele
entralamerikanische Staaten wichtigen Agrarsektor ein
uoten- und zollfreier Zugang auch für weiterverarbei-
ete Produkte in die EU möglich wird. Gleichzeitig müs-
en wir nicht nur unsere Agrarexportsubventionen, son-
ern alle handelsverzerrenden internen Stützungen
chnellstmöglich abschaffen. Letztlich ist die Lösung
er Agrarfrage auch die Voraussetzung für einen Durch-
ruch bei der festgefahrenen Welthandelsrunde. Ein er-
olgreicher Abschluss liegt auch im Interesse der deut-
chen Exportwirtschaft.
Ebenso werden wir auf die Verankerung von Kernar-
eitsnormen, Umwelt- und Sozialstandards achten. Denn
ie von einem Wirtschaftsabkommen zu erwartenden
ewinne dürfen nicht nur den Unternehmen, sondern
üssen vor allem den Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
ehmern zugute kommen.
Mein Besuch in Zentralamerika hat es mir ermöglicht,
icht nur tiefe Einblicke in die komplizierte Verhand-
ungsmaterie zu gewinnen, sondern insbesondere auch
it den Menschen vor Ort zu reden und ihre Sorgen und
rwartungen aufzunehmen. Mit dieser Botschaft komme
ch nach Europa zurück. Ich werde mich weiterhin dafür
insetzen, dass die Verhandlungen über die Assoziie-
ungsabkommen mit Zentralamerika und der Andenge-
einschaft erfolgreich im Interesse aller Beteiligten und
or allem zum Wohle der ärmsten Menschen abge-
chlossen werden.
9686 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007
(A) )
(B) )
Dr. Karl Addicks (FDP): Nachdem der Wiener EU-
Lateinamerika-Gipfel im Mai 2006 ohne nennenswerte
Ergebnisse geblieben ist, wurde es wieder still um die
europäisch-lateinamerikanischen Beziehungen. Vergeblich
bemüht sich die Europäische Union um die Abschlüsse
von Assoziierungsabkommen mit den regionalen Bünd-
nissen in Lateinamerika. Ob nun mit dem Mercosur, der
Andengemeinschaft oder Zentralamerik, wirkliche Ergeb-
nisse sind nicht zu vermelden. Ein Grund sind die ge-
schwächten lateinamerikanischen Regionalbündnisse,
die ein Abschließen der Verhandlungen nicht ermöglichen.
Ich denke da nur an Venezuela, wo Hugo Chávez mit aller
Macht versucht, seine linken populistischen Parolen auf
ganz Lateinamerika auszudehnen. Diesen Entwicklungen
muss mit den entsprechenden Konzepten entgegenge-
wirkt werden.
Angesichts dieser desintegrierenden Entwicklungen in
Südamerika ist die EU gut beraten, in der Lateinamerika-
politik umzusteuern. Das bedeutet, dass die EU mit
Mercosur, Andengemeinschaft und Zentralamerika ruhig
verhandeln sollte. Aber gleichzeitig sollte sie weitere
bilaterale Assoziierungsabkommen anstreben. Schließ-
lich hat die EU bereits in der Vergangenheit bilaterale
Handelsabkommen mit den Einzelstaaten Mexiko und
Chile erfolgreich abgeschlossen. Gerade vor dem Hinter-
grund der chinesischen Bestrebungen in Lateinamerika
kann es sich die Europäische Union nicht leisten, den An-
schluss beim politischen Dialog mit Lateinamerika zu
verlieren. Die EU muss also auf drei Ebenen verhandeln:
weiterhin versuchen, zu einem Abschluss der Doha-Ver-
handlungen zu kommen, Assoziierungsabkommen mit den
lateinamerikanischen Regionalbündnissen abzuschließen
und drittens die bilateralen Assoziierungsabkommen an-
zustreben.
Grundsätzlich halten wir es schon für aussichtsreich,
mit regionalen Staatenbündnissen Handelspolitik zu be-
treiben. Aber wenn das nicht geht, dann heißt es: besser
bilaterale Abschlüsse als gar keine! Unser Standpunkt
ist, dass Handelsliberalisierungen und Freihandelsab-
kommen als Chance für Lateinamerika gesehen werden
müssen. Der derzeitige Linksruck in Lateinamerika ist
der Weg zurück in Chaos und Verstaatlichung. Chávez
ist ein Unglück für sein Land, und für seine Andenpart-
ner in Bolivien und Ecuador gilt das Gleiche! An Vene-
zuela kann man aber auch sehen, dass Wahlboykott das
Dümmste ist, was eine Opposition tun kann. Chávez sitzt
inzwischen völlig allein und unkontrolliert an den
Schalthebeln der Macht. Und die Linke unbelehrbar
und erfahrungsresistent unterstützt diesen Weg in die
Diktatur!
Anders als die Fraktion Die Linke es immer behauptet,
hat nicht nur die Europäische Union ein Interesse an einer
starken und vielfältigen Zusammenarbeit. Auch Latein-
amerika und die Karibikstaaten streben eine partner-
schaftliche Zusammenarbeit mit Europa an. Auch von
deutscher Seite wird Lateinamerika wieder verstärkt be-
achtet. Die Reisen von Bundespräsident Köhler und jüngst
vom Bundesaußenminister Steinmeier zeigen dies.
Die EU und Lateinamerika teilen, mit Ausnahme von
Kuba, gemeinsame westliche Werte wie Menschen-
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echte, gemeinsame kulturelle Wurzeln und demokrati-
che Grundsätze. Das will die Fraktion Die Linke nur
icht wahrhaben.
Außer der politischen und wirtschaftlichen Entwick-
ung wollen wir mit einer strategischen Partnerschaft vor
llem auch diese gemeinsamen Werte, Demokratie, Frei-
eit, Bildung und Kultur, entwickeln helfen, damit Latein-
merika auch in Zukunft ein lebenswerter Raum für alle
enschen wird und bleibt!
Wir dürfen nicht vergessen, dass die Europäische
nion bei weitem der größte Zahler von finanzieller und
echnischer Hilfe in Lateinamerika ist. Seit 1996 wurden
m jährlichen Durchschnitt circa 500 Millionen Euro an
ntwicklungszusammenarbeit von der EU an Latein-
merika zugesagt, nicht eingerechnet die bilaterale Ent-
icklungszusammenarbeit der einzelnen EU-Mitglied-
taaten. Darüber hinaus erhalten die karibischen Staaten
m Rahmen des Europäischen Entwicklungsfonds zu-
ätzliche Unterstützung.
Wir Liberale sehen in der EU einen wichtigen Partner
ür Lateinamerika. Dessen müssen wir uns bewusst sein.
ie EU ist nach den USA der wichtigste Handelspartner
ateinamerikas. Den nationalistischen und populisti-
chen Forderungen einzelner südamerikanischer Regie-
ungen, die eine Destabilisierung der lateinamerikani-
chen Regionalbündnisse erreichen wollen, muss eine
lare Absage erteilt werden. Und auch dem Antrag der
olleginnen und Kollegen von der Linken erteilen wir
ine klare Absage. Was sie in ihrem Antrag fordern,
äre ein schlimmer Rückschritt in den europäisch-latein-
merikanischen Beziehungen. Dem können und wollen
ir Liberale nicht zustimmen.
Heike Hänsel (DIE LINKE): Außenminister
teinmeier zeigte sich nach seiner jüngsten Lateinameri-
areise enttäuscht über die eigensinnige Haltung der la-
einamerikanischen Regierungen: Die Freihandelsab-
ommen, die die EU mit mehreren lateinamerikanischen
taatengruppen abschließen will, kämen nicht von der
telle, klagte er; Regierungen wie die Venezuelas oder
oliviens störten das Vorankommen. Steinmeiers Pro-
lem: Die lateinamerikanischen Regierungen beginnen
gestützt auf die sozialen Bewegungen in ihren Län-
ern eigene politische Vorstellungen zu formulieren,
uch in ihren Außenwirtschaftsbeziehungen. Das waren
nsere Regierungen bislang nicht von ihnen gewohnt.
Die bolivianische Regierung beispielsweise hat
ereits im Juli 2006 ihre Vorstellungen von Handelsbe-
iehungen mit der EU in einem 17-Punkte-Papier zu-
ammengefasst. Wenn ich mir jetzt die Verhand-
ungsmandate anschaue, mit denen der Rat für
ußenbeziehungen der EU am vergangenen Montag die
U-Kommission für die anstehenden Assoziierungsver-
andlungen ausgestattet hat, muss ich feststellen: Eine
ücksichtnahme auf die Haltung der bolivianischen
artner ist nicht zu erkennen. Die EU geht mit einer kla-
en neoliberalen Agenda in die Verhandlungen mit den
nden- und den zentralamerikanischen Staaten. Sie will
wie auch in Verhandlungen mit anderen Staatengrup-
en des Südens das durchsetzen, womit sie in der
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007 9687
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(B) )
Welthandelsorganisation bislang nicht durchkam: Har-
monisierung des Wettbewerbsrechts, Investitionsschutz-
abkommen, Öffnung der Beschaffungsmärkte der öffent-
lichen Hand die berühmten Singapurthemen, deren
Aufnahme auf die Verhandlungsagenda der Welthan-
delsorganisation durch die Entwicklungs- und Schwel-
lenländer verhindert werden konnte.
Wenn sich die EU in diesen Punkten durchsetzt, wür-
den die politischen Handlungsspielräume der lateiname-
rikanischen Regierungen massiv eingeschränkt, staatli-
che Strukturpolitik würde erschwert, demokratische
Entscheidungen zur Ausgestaltung der Daseinsvorsorge
und der Versorgungsmärkte würden zugunsten des un-
eingeschränkten Marktzugangs für europäische Kon-
zerne untergraben.
Ich frage deshalb: Wer zeigt mangelhaften Koopera-
tionswillen diejenigen, die in Lateinamerika solidari-
sche, gleichberechtigte und entwicklungsförderliche Be-
ziehungen zu Europa einfordern, oder diejenigen in der
EU, die an neoliberalen Freihandelsdiktaten festhalten?
Steinmeier und EU-Außenkommissarin Ferrero-Waldner
hatten im Vorfeld der Ratsentscheidung in Lateiname-
rika heftig für die Freihandelsabkommen geworben.
Dort mussten sie feststellen, dass die Europäische Union
in Lateinamerika längst nicht mehr als die freundliche
Alternative zum Hegemonialstreben der USA wahrge-
nommen wird. Die Menschen in Lateinamerika haben
genug von den neoliberalen Wirtschafts- und Handelsre-
zepten aus dem Norden, die vor allem den Konzernen
des Nordens helfen und in Lateinamerika soziale und
wirtschaftliche Flurschäden hinterlassen.
Neue, alternative und vor allem solidarische Wege
wirtschaftlicher Kooperation werden in Lateinamerika
nicht nur ohne die USA, sondern auch ohne die EU aus-
probiert bzw. müssen gegen die USA und leider auch ge-
gen die EU verteidigt werden. Interessant ist, wie Au-
ßenminister Steinmeier und die Regierungsfraktionen
diese regionalen Integrationsbestrebungen bewerten,
nämlich in erster Linie als Störung der EU-Politik. Wir
fordern dagegen, die regionale Integration nicht als Stö-
rung, sondern als Chance für Lateinamerika zu begreifen
und unsere Politik gegenüber Lateinamerika so zu ge-
stalten, dass sie diese Bestrebungen unterstützt und nicht
behindert.
Handel muss nicht auf Wettbewerb und Verdrängung
basieren. Im Abkommen ALBA Bolivarische Alterna-
tive für Amerika wird vielmehr versucht, einen kom-
plementären, am Bedarf der Partner orientierten Aus-
tausch und konkrete Maßnahmen solidarischer Hilfe zu
organisieren. Davon profitieren viele Menschen bereits
jetzt sehr konkret. Immer mehr Länder schließen sich
der Initiative an. Das zeigt: Ein anderer Handel ist mög-
lich! Deshalb fordern wir von der EU, Maßstäbe für soli-
darische Handelsabkommen zu entwickeln.
Wir haben dazu in unserem Antrag ganz konkrete
Vorschläge gemacht und dabei Forderungen sozialer Be-
wegungen und linker Regierungen aufgegriffen: Die
Verhandlungen zwischen der EU und der Andengemein-
schaft bzw. den zentralamerikanischen Staaten müssen
auf gleicher Augenhöhe und mit dem Ziel einer verstärk-
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en Entwicklungspartnerschaft geführt werden. Sie müs-
en für die Beteiligung der Zivilgesellschaft und der
arlamente geöffnet werden. Sie müssen das Wohl-
tandsgefälle zwischen Europa und Lateinamerika be-
ücksichtigen und sollten deshalb heterogen ausgestaltet
erden. Die sogenannten Singapurthemen müssen von
er Verhandlungsagenda genommen werden. Wir beste-
en darauf: Soziale, ökologische und arbeitsrechtliche
tandards müssen Vorrang vor Konzerninteressen haben.
Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Meine
raktion geht bei allen Handelsverhandlungen, die sich
or allem an Entwicklungsländer richten ob in der
TO, bei bilateralen oder biregionalen Abkommen
on der Maxime aus: Entwicklungsverträglichkeit first!
n der Regel handelt es sich, wie auch bei den Abkom-
en mit den Andenländern und Zentralamerika, um Ver-
andlungen zwischen sehr ungleichen Partnern. Daraus
olgt, dass die Prinzipien des Special and Differential
reatments und einer nicht reziproken Marktöffnung
espektiert werden müssen. Nur so wird dem unter-
chiedlichen Entwicklungsstand Rechnung getragen.
ransparenz und zivilgesellschaftliche Begleitung der
erhandlungsprozesse müssen gewährleistet sein, ge-
auso wie die Respektierung grundlegender internatio-
aler Abkommen und Regeln. Ganz besonders relevant
ind hier der Schutz der indigenen Völker siehe die
LO-Konvention 169 , bestehende Umweltabkommen
nd selbstverständlich auch die ILO-Kernarbeitsnormen.
Dieses vorausgeschickt, möchte ich auf unsere politi-
chen Probleme im Antrag der Linken zu sprechen kom-
en. Diese Probleme ziehen sich durch alle Lateiname-
ikainitiativen der Linksfraktion: Sie wollen den
uropäischen Aggressor in Lateinamerika bändigen. Die
ealität ist jedoch eine ganz andere. In Wirklichkeit ha-
en wir es mit einem stark abnehmenden Interesse Euro-
as gegenüber Lateinamerika zu tun. Der ganze Riopro-
ess, der sich eine strategische Partnerschaft zwischen
uropa und Lateinamerika auf die Fahnen geschrieben
at, lahmt vor sich hin. Auch beim EU-Mercosur-Asso-
iierungsabkommen, das aufgrund seines ökonomi-
chen Gewichtes noch am ehesten politische Zeichen
ätte setzen können, geht nichts voran.
Sie argumentieren wie in allen Ihren vorherigen An-
rägen defensiv: Sie igeln sich in der bolivarianischen
evolution ein, wo es doch eigentlich notwendig wäre,
ie strategischen Optionen der Andenländer und Zen-
ralamerikas zu erweitern. Gerade weil diese Länder bis-
er so einseitig und stark auf die USA ausgerichtet sind,
treben sie nach einer stärkeren Differenzierung in den
ußenbeziehungen. Es gibt aber in Ihrem Antrag keiner-
ei konstruktiven Elemente für eine lebendige Zusam-
enarbeit zwischen Lateinamerika und Europa.
Aus der Sicht meiner Fraktion lohnt es sich sehr, in
ie Beziehungen zwischen der Europäischen Union und
ateinamerika zu investieren: Die jüngsten Wahlsiege in
ateinamerika bringen deutlich den Wunsch der Men-
chen nach sozialen Reformen und nach einer stärkeren
inbeziehung der bisher rechtlosen indigenen Bevölke-
ung zum Ausdruck.
9688 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007
(A) )
(B) )
Wir fordern die EU auf, die positive politische
Konjunktur in Lateinamerika zu nutzen, um eine echte
strategische Partnerschaft aufzubauen, für die die Asso-
ziierungsabkommen mit der Andengemeinschaft und
Zentralamerika wichtige Bausteine sein können. Selbst-
verständlich muss eine enge Kooperation dabei auf die
Respektierung und die politische und wirtschaftliche
Unterstützung der regionalen Integration aufbauen.
Große Potenziale liegen für uns vor allem in der umwelt-
und energiepolitischen Zusammenarbeit, beim Schutz
der Biodiversität, bei der Förderung der demokratischen
Konsolidierung und der Menschenrechte. Assoziie-
rungsabkommen sollten diese Potenziale fördern.
Ganz wichtig ist es uns jedoch, dass die Abkommen
dazu beitragen, Staatlichkeit in Lateinamerika zu stärken
und nicht zu zerstören. Wir haben es in manchen Län-
dern der Region mit privatisierten Staatsapparaten zu
tun, die von den Eliten als Selbstbedienungsläden ge-
führt werden. Ergebnis ist, dass der Subkontinent die un-
gerechteste Region der Welt, diejenige mit den größten
Einkommensunterschieden, ist. Die Eliten dieser Länder
müssen endlich Verantwortung für Armutsbekämpfung
und die Schaffung von mehr sozialer Gerechtigkeit über-
nehmen. Dafür sind sie selbst verantwortlich. Abkom-
men mit der EU dürfen Anstrengungen in diese Richtung
aber nicht unterminieren. Alles was nach Politik des
Washingtoner Konsenses, nach Privatisierung und Frei-
handel über alles riecht, hat heute in Lateinamerika
keine politische Legitimation mehr.
Anlage 15
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Nanotechnologie-Be-
richt vorlegen (Tagesordnungspunkt 24)
Johann-Henrich Krummacher (CDU/CSU):
Schön, dass heute auch die Nanotechnologie im Mittel-
punkt unserer Aufmerksamkeit steht. Da gehört sie an-
gesichts der großen Potenziale nämlich auch hin: von der
Hilfe bei der Zahnpflege bis zum Kampf gegen Krebs;
von Nano-Textilien mit UV-Schutz bis zu selbstreini-
genden Gebäudefassaden; vom Umweltschutz im Klei-
nen, beispielsweise durch leistungsfähigere Batterien,
bis hin zum Umweltschutz im großen Stil, wenn etwa für
den Straßenverkehr hocheffiziente Katalysatoren bereit
stehen oder wenn auf den großen Schifffahrtslinien
quasi die Lebensadern unseres Wohlstandes die
Frachter durch Spezialbeschichtungen knapp 40 Prozent
ihres Treibstoffes sparen.
Nichts scheint unmöglich, alles ist drin! Sich diese
Möglichkeiten zu vergegenwärtigen, hilft zu verstehen,
warum die Nanotechnologie von der Wissenschaft zu
Recht als eine der bedeutendsten Zukunftsfelder gesehen
wird.
Man kann mit Blick auf die Winzigkeit von Nano-
partikeln durchaus sagen: weniger ist oft mehr! Um es
bei allem Respekt sehr deutlich zu sagen: Auch beim
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orliegenden Antrag wäre weniger vielleicht mehr
ewesen!
Denn dieser Antrag fordert von der Bundesregierung
inen Bericht zum Schutz der Gesundheit und der Um-
elt hinsichtlich nanotechnologischer Produkte und An-
endungen, des Weiteren mehr Mittel für die Nanofor-
chung in den Bereichen Umwelt- und Klimaschutz
owie eventuell den Erlass von Moratorien. Insgesamt
ird die Risikoforschung angeregt, auch unter Beteili-
ung eines breiten Spektrums von Akteuren und in Rich-
ung einer Gesamtstrategie.
Der eigentliche Adressat des Antrags von Bündnis 90/
ie Grünen ist natürlich die frühere Bundesregierung, an
er der Antragsteller selbst beteiligt war. Schon im Jahre
004 ist ein solcher Antrag wie gesagt: gerichtet an die
amalige Bundesregierung gestellt worden. Allerdings
onnte oder wollte die Vorgängerregierung diesem An-
innen bis zum Herbst 2005 nicht nachkommen. Die jet-
ige Bundesregierung hingegen hat ihrerseits aus eige-
em Antrieb und in enger Kooperation mit den
oalitionsfraktionen im Bundestag bereits alles in die
ege geleitet, um sowohl die Chancen als auch die offe-
en Fragen der Nanotechnologie solide zu erfassen. Das
st dem Antragsteller eigentlich auch bekannt, aber seis
rum.
Jedenfalls: Bei der Arbeit der Bundesregierung ist die
isiko- und Sicherheitsforschung von vornherein voll
ntegriert. Darum ist die große Ausgewogenheit auch
ervorzuheben.
Erstens: Die Bundesregierung hat letztes Jahr unter
ederführung von Ministerin Dr. Annette Schavan und
es BMBF einen erweiterten, ressourcenübergreifenden
ktionsrahmen vorgelegt, nämlich die Nano-Initiative
ktionsplan 2010. Darin kommen die Bereiche Erfor-
chung, Umsetzung und Verbreitung der Nanotechnolo-
ie gebündelt und ausgewogen zum Tragen.
Zweitens: Das Bundesumweltministerium wiederum
lankiert dies seit Anfang des Jahres mit dem sogenann-
en Nanodialog. Auch darin werden sowohl die Chancen
ls auch die noch offenen Fragen ausgewogen gestellt
nd beantwortet.
Drittens: Darüber hinaus soll ein Leitfaden für einen
erantwortungsvollen Umgang mit Nanomaterialien er-
rbeitet werden. Daran beteiligt sind verschiedene Res-
orts, Umwelt- und Verbraucherschutzverbände, Wissen-
chaft und Unternehmen. Der Dialog ist auf zwei Jahre
also bis 2008 angelegt.
Viertens: Das BMBF fördert verschiedene Projekte
ur Sicherheitsforschung wie etwa NanoCare mit
,6 Millionen Euro.
Insgesamt ist festzuhalten: Die Bundesregierung wird
en von der Vorgängerregierung versäumten Bericht
nde des Jahres und aus eigenem Antrieb vorlegen. Da-
ei werden auch alle Erkenntnisse einfließen, die etwa
urch die genannten Gespräche und Initiativen gewon-
en werden. Im Übrigen werden wesentliche Forderun-
en des Antrags mit eben diesen Maßnahmen bereits
mgesetzt.
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007 9689
(A) )
(B) )
Man kann also mit dem Satz aus der Bibel vom Predi-
ger Salomo Vers 3 Satz 1 ruhig sagen: Ein jegliches hat
seine Zeit, und alles unter dem Himmel hat seine
Stunde! Und an die Adresse der Grünen: Manche ver-
schlafen sie auch.
Ulla Burchardt (SPD): Aufbruch in den Nano-Kos-
mos Chancen nutzen, Risiken abschätzen das war
der Titel eines Antrags, mit dem der Bundestag in der
letzten Wahlperiode seine Nanostrategie abgesteckt hat.
Über zwei Jahre ist das jetzt her in der Welt der Winz-
linge sind das fast schon Lichtjahre.
Sicher ist vieles, woran Forscher heute arbeiten, im-
mer noch Theorie und Vision und so manches hat den
Hauch von Science-Fiction. Aber das meiste wird abseh-
bar kommen, und längst schon haben nanotechnologi-
sche Verfahren und Produkte die Labors der Grundla-
genforschung verlassen und ganz unauffällig Einzug in
unseren Alltag gefunden.
Die Zwerge werden erwachsen, das lässt sich auch an
der Marktentwicklung ablesen: In ganzen Industriezwei-
gen wären Produkte ohne die Nanotechnologie längst
nicht mehr konkurrenzfähig. Beeindruckend ist auch die
Zahl von mittlerweile 120 Großunternehmen und 480
kleinen und mittleren Unternehmen, die nanotechnologi-
sche Produkte entwickeln, anwenden und vertreiben.
Und die 50 000 Industriearbeitsplätze, die direkt oder in-
direkt davon abhängen, sind alles andere als nano.
Das Bild vom Nano-Kosmos ist treffend: Die potenziel-
len Beiträge der Nanotechnologie zur Lösung globaler
Zukunftsfragen reichen fast ins Unendliche, jedenfalls
weit über das hinaus, was wir heute schon kennen. So ist
die Versorgung mit sicherer und sauberer Energie eine
der größten Herausforderungen unserer Zeit, der jüngste
Bericht des Weltklimarats sollte jetzt auch den Letzten
aufgeweckt haben.
Dafür ist auch weiterhin noch Grundlagenforschung
nötig: sei es für Solarzellen, Leichtbaumaterialien, Ener-
giespeicher in Brennstoffzellen oder für Komponenten
aus neuen, supraleitenden Materialien, die verlustfreien
Stromtransport oder Transformation erlauben. Wenn es
durch Forschung gelingt, die zugrunde liegenden Me-
chanismen, die großen Zusammenhänge zu begreifen,
dann ist der Nutzen ein globaler: Dann rückt die ökologi-
sche Effizienzrevolution in greifbare Nähe.
Heute nun debattieren wir über einen Antrag, der in
doppelter und ich betone das ausdrücklich auch guter
Kontinuität steht. Erstens zum Nanotechnologiebericht
des Büros für Technikfolgenabschätzung beim Deut-
schen Bundestag aus dem Jahr 2003. Von uns For-
schungspolitikern beauftragt, hat das TAB damals eine
erste umfassende und systematische Bestandsaufnahme
vorgelegt über das, was Nanotechnologie ist, kann und
möglich machen könnte im Guten wie im Schlechten.
Das TAB identifizierte auch den weiteren politischen
Handlungsbedarf, und damit komme ich zur zweiten
Traditionslinie: dem bereits erwähnten Antrag der SPD-
geführten Regierungskoalition, den ich damals für meine
Fraktion federführend erarbeitet habe. In diesem Antrag
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aben wir die Empfehlungen des TAB in allen Teilen
ufgegriffen und ein umfassendes politisches Hand-
ungsprogramm für die Nanotechnologie formuliert.
Weil es diese Kontinuitätslinien gibt, die im Übrigen
is zu einzelnen Formulierungen reichen, halte ich vieles
us dem bündnisgrünen Antrag für durchaus berechtigt
nd unterstützenswert. An erster Stelle sicherlich die
orderung, dass die Bundesregierung den Bericht zum
eränderungsbedarf des für nanotechnologische Anwen-
ungen relevanten Rechtsrahmens nun unverzüglich
orlegen soll. Wir alle wollen eine menschen-, gesell-
chafts- und umweltverträgliche Nutzung der Nanotech-
ologie und dafür ist eine solche systematische Überprü-
ung unabdingbar.
Dass die Bundesregierung einen solchen Bericht jetzt
chnellstmöglich vorlegt, sollte auch im Sinne eines
onstruktiven Miteinanders von Parlament und Regie-
ung selbstverständlich sein immerhin hatte der Bun-
estag ursprünglich um Zuleitung bis September 2005
ebeten. Im Forschungsministerium hat man das jetzt of-
ensichtlich verstanden, was ich sehr begrüße.
Berechtigt ist es sicherlich auch, wenn gefordert wird,
ie Begleitforschung weiter auszubauen und ein konti-
uierliches und standardisiertes Untersuchungs-, Be-
ichts- und Veröffentlichungsverfahren zu etablieren.
nerwünschte Folgen der Nanotechnologie für Gesund-
eit und Umwelt sind möglich, aber erst ansatzweise er-
orscht.
Deshalb macht es Sinn, sich neben den Chancen und
nwendungspotenzialen auch frühzeitig mit Risiken und
nerwünschten Nebenfolgen der Nanotechnologie zu be-
assen. Nur auf der Basis einer rationalen Bewertung der
hancen und Risiken, jenseits von Horrorszenarien und
eilsversprechen, entsteht Technikakzeptanz, und die ist
oraussetzung für nanotechnologische Innovation im
egamaßstab.
Wieder verweise ich auf unseren Antrag aus der letzten
ahlperiode: Schon damals hatten wir darauf gedrungen,
ass 5 Prozent der Nanofördermittel im Bundeshaushalt
ür die integrale Begleitforschung ausgegeben werden. Ob
ieses 5-Prozent-Ziel für eine menschen-, gesellschafts-
nd umweltverträgliche Nanotechnologie schon als er-
eicht gelten kann, ist aber wie so oft auch eine Frage der
efinition.
So zählt das Forschungsministerium dazu auch Auf-
endungen etwa für die Kompetenznetze oder die Natio-
ale Kontaktstelle Nanotechnologie für das 7. EU-For-
chungsrahmenprogramm, was einer durchaus weiten
nterpretation gleichkommt. Richtschnur sollte auch hier
nser Bundestagsbeschluss sein, mit dem wir die 5 Prozent
räzise für eine ökologische, ethische, soziale, friedens-
olitische und verbraucher- und gesundheitsschutzorien-
ierte Begleitforschung einfordert haben.
Kontinuität schützt vor Auslassung nicht. In seiner
esamtschau greift der bündnisgrüne Antrag dann doch
eutlich zu kurz. Erstens werden der internationale Spit-
enplatz Deutschlands und wichtige Fragen der For-
chungsförderung komplett ausgespart. Dabei sprechen
ie Kennzahlen eine eindeutige Sprache: Rang vier bei
9690 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007
(A) )
(B) )
den Publikationen, Rang drei bei den Patentanmeldun-
gen und in Europa mit großem Abstand der Champion!
Die Forschungsleistung ist exzellent, nicht zuletzt
dank einer Förderpolitik, die schon unter der SPD-ge-
führten Regierungskoalition die Weichen gestellt hat:
Seit 1998 hat sich das Fördervolumen von Verbundpro-
jekten des Bundesforschungsministeriums mehr als ver-
vierfacht. Bereits 1998 und damit zwei Jahre vor den
USA wurde der strategische Aufbau von Infrastruktur
begonnen, Stichwort Nanokompetenzzentren. Seit 2002
gibt es den Nanonachwuchswettbewerb, der exzellenten
jungen Forschern aus dem In- und Ausland das eigen-
ständige Forschen ermöglicht.
Doch bei allen Erfolgen gilt: Wer in der Welt der Nano-
teilchen sein Ziel auch nur um Haaresbreite verfehlt,
liegt meilenweit daneben. So brauchen junge Nano-
unternehmen und generell der Mittelstand noch leichteren
Zugang zur Forschungsförderung: durch zentrale An-
laufstellen, bessere Beratungsangebote, mehr Transpa-
renz und deutlich weniger Verwaltungsaufwand. Daran
arbeiten wir. Die von der Bundesforschungsministerin
im Rahmen der Hightechstrategie vorgestellte Nanoini-
tiative 2010 wird auch in dieser Hinsicht ein wichtiger
Schritt sein.
Zweitens lassen die Antragsteller das Thema Bildung
und Qualifizierung fast völlig unter den Tisch fallen. Ex-
zellente Forschungsergebnisse aber verpuffen, wenn es
nicht genug Menschen gibt, die Innovationen in die be-
triebliche Praxis, neue Produkte und Verfahren umsetzen
können. Schon bald werden die Unternehmen in Schlüs-
seltechnologien händeringend nach qualifiziertem Nach-
wuchs suchen.
Auch deshalb ist es so wichtig, jungen Menschen eine
Brücke zu bauen in die faszinierende Welt des Aller-
kleinsten. So braucht es für die weitere Erschließung des
Nanokosmos eine neue Wissenschaftlergeneration praxis-
nah und interdisziplinär ausgebildet. Benötigt werden
aber auch qualifizierte Fachkräfte, die Anlagen und Ge-
räte bauen, bedienen und in Stand halten können. Des-
halb muss die Berufsausbildung fit gemacht werden für
das Nanozeitalter.
Mehr noch: Eine breit angelegte Nanoweiterbildungs-
offensive ist auch angesichts der demografischen Ent-
wicklung ein Muss. Nur mit Mitarbeitern, die up to
date sind, wird sich die industrielle Nanotechnologie er-
folgreich und dauerhaft in Deutschland etablieren kön-
nen.
Diese Liste ließe sich fortsetzen: Was ist mit der mili-
tärischen Nutzung der Nanotechnolgie? Oder mit ethi-
schen Konsequenzen nanotechnologischer Anwendun-
gen in der Medizin? Wo bleibt die Frühphasen- und
Gründungsfinanzierung für die jungen, innovativen Un-
ternehmen und akademischen Spin-Offs? Wo die Nor-
mung und Standardisierung als Türöffner in globale
Märkte? Alles Themen, die zu einem umfassenden poli-
tischen Handlungsprogramm für die Nanotechnologie
gehören.
Hinreichend für die gewaltige nanotechnologische
Herausforderung ist der bündnisgrüne Antrag deshalb
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icht. Der Aufbruch in den Nanokosmos war erfolgreich,
er Orbit ist erreicht. Lassen Sie uns also die Nanoreise
uf der bewährten Bahn fortsetzen: Visionen wagen,
hancen nutzen und Risiken abschätzen.
Cornelia Pieper (FDP): Die Nanotechnologie gilt
ür die FDP wegen ihres hohen Potenzials zur grundle-
enden Durchdringung ganzer Technologiefelder als
ine der Schlüsseltechnologien des 21. Jahrhunderts. Sie
at maßgeblichen Einfluss auf die Weiterentwicklung
on Ökonomie, Ökologie und Gesellschaft und wird
ünftig alle Lebensbereiche beeinflussen. Nanotechno-
ogie ist eine der wichtigsten Zukunftstechnologien mit
roßen Potenzialen für zukunftssichere Arbeitsplätze,
in nachhaltiges Ressourcen schonendes Wachstum so-
ie eine bessere Gesundheitsvorsorge und -versorgung.
Zwischen 50 000 und 100 000 Arbeitsplätze hängen
n Deutschland schon heute direkt oder indirekt von der
anotechnologie ab. Als Querschnitttechnologie wird
ie Nanotechnologie in den verschiedensten Anwen-
ungsbereichen, von der Medizin, Chemie, Raumfahrt
ber die Optik bis hin zur Sensorik ihren Einzug halten.
ereits im Jahr 2015 wird es kaum noch einen Bereich
n unserem Leben mehr geben, in dem nicht Materialien
n Nanogröße eine Rolle spielen.
Nanomaterialien werden künftig zu einer verbesser-
en und verträglichen Individualmedizin und somit zu ei-
er verbesserten Diagnose und Therapie führen. Sie wer-
en Wirkstoffe von Medikamenten im menschlichen
örper zielgenau zum Ort der Erkrankung transportieren
nd eine optimale Dauermedikation ermöglichen. In der
linischen Forschung sind bereits Nanomaterialien mit
agnetischen Eigenschaften bekannt, die der gezielten
icht invasiven Tumorbekämpfung dienen.
Nanotechnologie bringt aber nicht nur ökonomische,
ondern auch ökologische Vorteile das zeigt die dritte
tudie Nachhaltigkeitseffekte der Nanotechnologie
es Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung der
niversität Bremen. Die Ökobilanzen verschiedener
nwendungsbeispiele zeigten positive Nachhaltig-
eitseffekte durch den Einsatz der Nanotechnologie.
eeindruckende Ergebnisse zeigen Lacke mit nanotech-
ologischen Komponenten, deren Energie- und Schad-
toffbilanz wesentlich besser als bei herkömmlichen
erfahren ist.
Ein weiteres Beispiel ist die Licht emittierende Diode,
ED. Sie ist schon heute energetisch günstiger als die
erkömmliche Glühbirne, in den Labors wird daran ge-
rbeitet, ihre Lichtausbeute noch erheblich zu steigern.
ann ist ihre Energiebilanz noch günstiger als bei Ener-
iesparlampen.
Auch in neue Berufsbilder und der Novellierung von
erufsausbildungs- und Studienordnungen wird die Na-
otechnologie ihren Einzug halten. Nur mit entsprechen-
er Fachkompetenz und einem gut ausgebildeten Berufs-
achwuchs sind die Vorsprünge Deutschlands in der
anotechnologie zu halten. Das schließt ein, dass zu-
leich die Lehreraus- und Lehrerweiterbildung auf diese
ntwicklung reagieren muss, um die junge Generation in
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007 9691
(A) )
(B) )
die Lage zu versetzen, wieder mehr nach den Chancen
neuer Technologien zu fragen ohne dabei den kritischen
Blick für die Risiken zu verstellen.
Der Standort Deutschland hat in der Nanotechnologie
ein hohes Niveau erreicht. Deutschland nimmt in der
Forschung zur Nanotechnologie weltweit den zweiten
Platz nach den USA ein. In der Umsetzung in marktfä-
hige Produkte und Anwendungen liegt es allerdings hin-
ter den USA und Japan.
Es besteht jedoch die Gefahr, dass wie bei vielen
anderen Technologien, die in Deutschland entwickelt
wurden die herausragenden Forschungsergebnisse aus
der Grundlagenforschung und der anwendungsorientier-
ten Forschung bei uns nicht im erforderlichen Umfang in
neue innovative Produkte einfließen. Das würde wie-
derum nach sich ziehen, dass die Wertschöpfung und die
Schaffung von Arbeitsplätzen wieder einmal mehr im
Ausland stattfinden.
Die Chemikerin Marie Curie sagte einmal: Man
braucht nichts im Leben zu fürchten, man muss nur alles
verstehen. Diesem Denkansatz müssen wir uns ver-
pflichtet fühlen. Ja, wir müssen unseren Erkenntnisge-
winn auch nutzen, um die Wirkzusammenhänge besser
zu verstehen und Gefahren frühzeitig zu erkennen. Nur so
können wir Vorbehalte und Ängste überwinden. Sicher-
lich wurden in der Vergangenheit große Fehler gemacht.
Eine unkritische Technikgläubigkeit ging oft mit Leicht-
sinn einher. Das Ergebnis: Die Angst scheint sich wie
Mehltau über unsere Gesellschaft zu legen. Vielfach
wird zuerst nach den Risiken gefragt. Die Frage nach
den Chancen steht oft erst an zweiter Stelle.
Wir beraten heute den Antrag von Bündnis 90/Die
Grünen, die die Vorlage eines Nanotechnologie-Berichts
fordern. Auf den ersten Blick scheint die Forderung
durchaus berechtigt. Doch bei genauerer Betrachtung lese
ich heraus: Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie
Ihren grünen Abgeordneten oder die grüne Partei. Der
von den Grünen geforderte Bericht stellt einerseits nano-
technologische Produkte und Verfahren unter General-
verdacht und fordert eine Vielzahl von Moratorien zu er-
lassen. Andererseits wird, und das hat mit einem Bericht
sehr wenig zu tun, der Aufwuchs von Haushaltsmitteln
für 2008 gefordert, mit denen problemorientierte Nano-
forschung in den Bereichen Umwelt, Klimaschutztech-
nologien mit erneuerbaren Energien und Energieeinspa-
rung, Materialeffizienz und Nanobionik verstärkt
gefördert werden sollen. Das ist sehr kurz gesprungen!
Eine wirkliche ressortübergreifende, konsistente Ge-
samtforschungsstrategie zur Nanotechnologie ist auch aus
unserer Sicht notwendig. Sie kann die Forschungsziele im
Bericht des Bildungs- und Forschungsausschusses des
Deutschen Bundestages, Drucksache 15/2713, zum Tech-
nikfolgenabschätzungsprojekt Nanotechnologie aufgrei-
fen und somit einen wirksamen Beitrag zur Risikoab-
schätzung und Begleitforschung leisten. Hierzu gehört
eben auch die Forschung zu Auswirkungen auf Gesund-
heit und Umwelt und nicht zuletzt die Information der
Öffentlichkeit!
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Wir werden unseren Kindern sicherlich eine viel sau-
erere Natur, sauberere Flüsse und gesündere Wälder
bergeben, als wir sie von unseren Eltern übernommen
aben. Wir dürfen aber nicht vergessen, ihnen die Werk-
euge zu übergeben, die sie einst in die Lage versetzen,
hr Leben selbst zu gestalten.
Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Nanotechnologie hat
as Potenzial für Innovationsschübe in vielen Branchen.
wischenzeitlich jedoch gehen Experten nicht mehr von
inem technologischen Paradigmenwechsel über alle In-
ustrien und Anwendungsfelder hinweg aus. Dennoch
erden ständig neue Anwendungsbereiche bzw. -mög-
ichkeiten bekannt. Schon heute befinden sich weltweit
ehr als 300 Produkte der Nanotechnologie im Handel.
Bedeutung wird der Nanotechnologie vor allem bei
ptimierung und Ergänzung von vorhandenen Produk-
en und Verfahren zugemessen. Für die Linke sind je-
och nicht allein wirtschaftliche Wirkungen interessant,
ondern auch Chancen für Umwelt, Medizin und Ge-
undheitsschutz, um nur einige zu nennen. Die Verklei-
erung von Material auf Nanopartikelgröße bringt ganz
rstaunliche Effekte. Wir reden hier über Größenberei-
he zwischen 1 und 100 Nanometer. Und ein Nanometer
st der millionste Teil eines Millimeters. Zur Veran-
chaulichung: Es handelt sich um das Größenverhältnis
ines Fußballs zur Erde.
Die Materialien als Nanopartikel verhalten sich an-
ers und unterscheiden sich damit von den Eigenschaf-
en, die sie als Festkörper in größeren Dimensionen be-
itzen. Sie reagieren stärker oder sogar gegenteilig und
ind ausgesprochen mobil. Das macht sie in gewisser
eise auch unberechenbar.
Aus diesem Grund haben auch von Anfang an und
as ist neu Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
uf mögliche Gefährdungen hingewiesen. Es wird der
ufbau einer internationalen Risikoforschung von den
ntwicklern der Nanotechnologie selbst gefordert. Na-
opartikel werden von ihnen als eine neue Klasse von
einstäuben beschrieben. Diese können beispielsweise
ber die Lunge tief in den menschlichen Organismus
indringen. Daher müssen die speziellen Eigenschaften
ines jeden Nanowerkstoffs untersucht werden.
Was passiert, wenn Nanopartikel sich lösen? Wohin
erschwinden sie? Neu ist nicht nur, dass Wissenschaft-
erinnen und Wissenschaftler in ganz frühen Entwick-
ungsphasen bereits auf die Notwendigkeit von Risiko-
orschung hingewiesen haben. Neu ist auch, dass
egleitforschung nicht mehr reicht. Statt dessen muss
orraussetzungs- bzw. Vorlaufforschung betrieben wer-
en. Diese hat Anwendungsbedingungen zu untersuchen
nd zu beschreiben. Die Ergebnisse müssen schließlich
n entsprechenden Regelwerken bzw. Anwendungsvor-
chriften festgelegt werden. Das alles wäre vor der
arkteinführung entsprechender Produkte zu leisten. So
ie es auch in anderen europäischen Ländern üblich ist.
Aspekte des Gesundheits-, Lebensmittel-, Arbeits-
chutzes, der Arzneimittelzulassung aber auch der Wir-
ungen auf Kommunikations- und Informationstechno-
9692 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007
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logien greift der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen auf.
Das ist richtig und wird von uns unterstützt.
Ich will aber auch deutlich sagen, dass die Debatte
selbst nicht neu ist. Man hätte schon vor Jahren vonsei-
ten der Vorgängerregierung konsequenter handeln kön-
nen und müssen.
In einem Antrag von SPD und Grünen vom Mai 2004
war zu lesen, dass es notwendig sei, ,,
die derzeitige
frühe Phase der Nanotechnologieentwicklung als Zeit
der Weichenstellung in Richtung möglichst nachhaltiger
Entwicklungspfade zu nutzen und die Forschung zu den
gesellschaftlichen und ethischen Aspekten der Entwick-
lung und verbreiteten Anwendung der Nanotechnologie
zu intensivieren. Hierzu gehören vor allem Fragen des
Datenschutzes und des Schutzes der Privatsphäre.
Für
die ökologische, ethische, soziale, friedenspolitische und
Verbraucher- und gesundheitsschutzorientierte Begleit-
forschung sollten 5 Prozent der zur Verfügung stehenden
Forschungsmittel für Nanotechnologie im Bundeshaus-
halt eingesetzt werden. Wir erwarten, dass die Bundesre-
gierung auch auf EU-Ebene bei der Entwicklung des
7. Forschungsrahmenprogramms auf eine ähnlich starke
Beachtung der Begleitforschung drängt.
Eine gute Absicht. Wie aber sieht die Realität aus?
Laut Auskunft der Bundesregierung sind 2006 für die
Bearbeitung von Chancen und Risiken beispielsweise
für NanoCare, INOS und ITA-Studien 1,582 Millionen
Euro vorgesehen. Dem steht eine Gesamtfördersumme
für Nanotechnologie in Höhe circa 640 Millionen für
den Zeitraum 2006 bis 2009 gegenüber also rund 160
Millionen Euro pro Jahr. Die anvisierte 5-Prozent-Marke
liegt demnach bei 8 Millionen Euro pro Jahr. Ein Defizit
von nahezu 6,5 Millionen Euro.
Neben dieser Fehlstelle, Frau Schavan, ist auch kein
kontinuierlicher Planungsprozess mit Blick auf Begleit-
forschung und Bürgerbeteiligung zu erkennen. Im Som-
mer 2006 wurde auf Bundesebene eine Forschungs-
strategie Gesundheits- und Umweltrisiken von
Nanopartikeln entworfen. Diese wurde endlich im
November vorgestellt und mit Vertreterinnen und Vertre-
tern aus Wissenschaft, Wirtschaft und Verbänden disku-
tiert. Trotz Ergänzungsbedarf wurde dieser Entwurf breit
unterstützt. Allerdings kritisierten Beteiligte die man-
gelnde Verbindlichkeit des Papiers bezüglich weiterer
Schritte und behördlicher Zuständigkeiten bei Umset-
zung der Strategie. Seit dieser Diskussion ist kein weite-
rer Handlungsfortschritt erkennbar. Wohl gibt es eine
neue Nanokommission, die im März auch ein erstes
Treffen gehabt haben soll. Wer neben Herrn Catenhusen
Mitglied ist, worin Aufgabe und erste Ergebnisse beste-
hen, bleibt der Öffentlichkeit verborgen.
Auch über den sogenannten Nanodialog beim Um-
weltminister lässt sich nichts lesen oder hören. Da soll
zudem ein Rechtsgutachten beim Bundesministerium für
Umwelt abgeschlossen worden sein. Aber auch dessen
Ergebnisse bekommt die Welt nicht zu Gesicht.
Überall lassen sich nur Hinweise auf noch zu aktuali-
sierende Websites und Konzepte finden. Und letztlich
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eben auch die Seiten des BMBF nichts zur Risikofor-
chung preis.
Frau Minister, ich kann nur sagen, Ihren angekündig-
en Initiativen in Sachen Risikoforschung geht es ein bis-
el wie den Nanopartikeln selbst: Man kann sie nicht er-
ennen.
Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
EN): Die Chancen, die die Nutzung der Nanotechnolo-
ie eröffnet, sind groß. Dies haben wir schon zu Regie-
ungszeiten erkannt und die Forschung im Bereich dieser
chlüsseltechnologie deswegen umfassend gefördert.
mmer stärker zeigt sich nun, dass nicht nur Medizin und
nformations- und Telekommunikationstechnologie, son-
ern auch der Umweltbereich von der Forschung und
nwendung der Nanotechnologie profitieren werden.
rößte Potenziale sehen wir bei Ressourceneffizienz, in
rneuerbaren Energien und Materialforschung. Die na-
otechnologische Forschung und Anwendung werden
bsehbar zu einer nachhaltigen Umwelt- und Klimapoli-
ik beitragen können.
Immer mehr Forschungsergebnisse haben in den letz-
en Jahren schon zu umsetzbaren Erkenntnissen geführt,
um Beispiel bei der Oberflächengestaltung von Gebäu-
en und Gegenständen, der Haltbarmachung von Ge-
rauchsgegenständen und der Effizienzsteigerung bei
nergiegewinnung und Rohstoffnutzung.
Wir sehen aber neben all den Chancen und Potenzia-
en auch die ernst zu nehmenden Hinweise darauf, dass
ie winzigen Nanopartikel Risiken bergen. Deswegen
aben wir von Beginn an die Forschung zu Risiken der
euen Technologie gleichermaßen mit gefördert. Die
leichzeitige Erforschung aller möglichen Folgen des
insatzes von Nanopartikeln für Gesundheit und Um-
elt, vor allem mit Blick auf Bioethik und Datenschutz,
uss auch weiterhin zwingend bleiben. Aus den For-
chungsergebnissen müssen dann die notwendigen Kon-
equenzen gezogen werden, um Mensch und Umwelt
or eventuellen Risiken rechtzeitig und umfassend zu
chützen. Nur wenn diese Risikoperspektive ernst ge-
ommen wird, kann die Gesellschaft das notwendige
ertrauen in die Nanotechnologie entwickeln.
Die Risikoforschung ist aber nur dann sinnvoll, wenn
hre Ergebnisse auch beachtet und umgesetzt werden.
hre Erkenntnisse machen deutlich, wo durch die Erfor-
chung und Nutzung von Nanotechnologie Regulie-
ungsbedarf entsteht. Deswegen müssen die Forschungs-
rgebnisse zunächst zentral gesammelt und ausgewertet
erden. Dann kann der Gesetzgeber handeln und die
otwendigen Regelungen zum Schutz von Mensch und
mwelt treffen.
Schon in der letzten Legislaturperiode haben wir die
amalige Bundesregierung deswegen aufgefordert, ei-
en Bericht vorzulegen, der den Regelungsbedarf nennt,
er durch die Nutzung von Nanotechnologie in den ver-
chiedensten Bereichen entsteht. Zu diesem Bericht ist
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007 9693
(A) )
(B) )
es aufgrund des Regierungswechsels nicht mehr gekom-
men.
Die schwarz-rote Bundesregierung weigert sich nun
aber, diesen Bericht vorzulegen. Stattdessen verwies sie
in ihrer Antwort auf unsere Kleine Anfrage im Sommer
2006, dass es keinen Bedarf weder für einen Bericht
noch für eine Regelung gebe (Bundestagsdrucksache 16/
2322). Wir fordern die Bundesregierung nun mit diesem
Antrag auf, bis zum Sommer 2007 endlich diesen drin-
gend notwendigen Bericht vorzulegen.
Warum dies, anders als die Bundesregierung es ein-
schätzt, so dringend nötig ist, zeigen zwei Beispiele: So
ist die Wirtschaft durch bestehende Gesetzeslücken bis-
her nicht gezwungen, Nanopartikel in Produkten zu de-
klarieren. Wenn Verbraucherinnen und Verbraucher nun
beispielsweise beim Hersteller von Lebensmitteln nach-
fragen, wird ihnen mitgeteilt, dass Nanopartikel nach
dem Gesetz nicht als Zusatzstoffe deklariert werden
müssen, deswegen werden sie verschwiegen. Umgekehrt
kann der Begriff nano ungeprüft von Herstellern für
die bessere Vermarktung ihrer Produkte benutzt werden,
wo sie das für wirksam halten, ohne dass es Konsequen-
zen hätte, wenn gar keine Nanobestandteile enthalten
sind. Beides zeigt: Wir brauchen Regulierung bei der
Herstellung, Verwendung und Vermarktung von Nano-
partikeln.
In der Antwort auf die Kleine Anfrage der Linken
(Bundestagsdrucksache 16/3981) verweist die Bundesre-
gierung darauf, dass ein freiwilliges Meldeverfahren der
Wirtschaft die beste Lösung zur Erfassung potenzieller
Risiken sei. Wir halten dieses Vorgehen für fahrlässig.
Gerade die Lebensmittelwirtschaft hat uns in den letzten
Jahren keinen Anlass geboten, ihr einen derartigen Ver-
trauensvorschuss zu geben. Deswegen fordern wir ein
Moratorium. Solch offensichtliche Regelungslücken wie
die fehlende Kennzeichnungspflicht bei Lebensmitteln
müssen bei ernsthaften Anzeichen für eine Gefährdung
für Mensch und Umwelt durch ein Verbot bis zur Klä-
rung der Lage geschlossen werden.
Grundsätzlich fordern wir von der Bundesregierung,
Verbraucherbedenken und Risiken von nanotechnolo-
gisch veränderten Produkten ernst zu nehmen. Sie sollte
unsere Forderungen hinsichtlich eines Moratoriums für
Lebensmittel umsetzen. Gerade in Bereichen, wo der er-
wartbare Mehrwert der Nutzung von Nanotechnologie
sehr gering ist wie bei Lebensmitteln und Kosmetik, die
Anwendung aber besonders nah am menschlichen Orga-
nismus, müssen potenzielle Risiken höher gewichtet
werden als die wenig bedeutsamen Potenziale.
Im Haushalt für 2008 sollten die Finanzmittel für risi-
koorientierte Forschung erhöht werden. Dabei muss die
Entwicklung von aussagekräftigen und standardisierba-
ren Test- und Messmethoden vorangebracht werden.
Auch im internationalen Vergleich fällt auf, dass viele
Regierungen wie zum Beispiel die Großbritanniens Risi-
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oforschung zur Entwicklung und Anwendung von Na-
opartikeln bisher als unzureichend ansehen. Es reicht
ber nicht aus, wenn die Bundesregierung sich aufgrund
egonnener Initiativen als besonders aktiv im europäi-
chen Vergleich lobt. Deutschland muss einen Beitrag
ur internationalen Nanotechforschung leisten. Vor al-
em der Prozess innerhalb der EU lahmt, wenn Deutsch-
and nichts beiträgt. Die angekündigten Internetportale
ur Information über nanotechnologische Forschungser-
ebnisse, NanoCare und Inos, sind bisher inhaltslose
üllen. Das eine schläft beispielsweise seit Februar
006 den Dornröschenschlaf.
Frau Schavan, wecken Sie nanotox auf! Wenn die
hancen der Nanotechnologie genutzt werden sollen,
enn das Verbrauchervertrauen gestärkt werden soll,
üssen wir uns unserer Verantwortung stellen und die
isiken klären. Tragen Sie endlich das Ihre dazu bei! Le-
en Sie den Bericht vor, bevor die Haushalte verabschie-
et sind. Es muss genügend Geld für die Risikofor-
chung bereitgestellt werden. Die ressortübergreifende
roblemorientierung muss gestärkt werden. Es reicht
icht aus, wenn nur das BMU handelt, die anderen Res-
orts müssen mitmachen. In ihren Entscheidungen dür-
en die Ministerien dabei nicht nur die Wirtschaftsver-
ände anhören, sondern müssen die Beteiligung der
erbraucherverbände und kritischer Fachleute sicher-
tellen.
nlage 16
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung:
Antrag: Den neuen Menschenrechtsrat der
Vereinten Nationen effektiv gestalten
Beschlussempfehlung und Bericht: Weitere
Verschlechterung der Rechtssituation von
Homosexuellen in Nigeria verhindern
(Tagesordnungspunkt 25 a und b)
Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU): Die nigeria-
ische Regierung hat im Jahre 2005 einen umfassenden
esetzentwurf gegen gleichgeschlechtliche Partner-
chaften verabschiedet. Nach diesem soll nicht nur die
nerkennung solcher Partnerschaften ausgeschlossen
ein, nein, sogar die Eingehung einer gleichgeschlechtli-
hen Partnerschaft, Vorbereitungshandlungen hierzu und
ie Mitwirkung daran sollen mit bis zu fünf Jahren Frei-
eitsentzug bewehrt werden.
Gleiches soll danach für die Werbung für und die Dar-
tellung solcher Partnerschaften sowie die Eintragung
omosexueller Vereine und Clubs gelten.
Die 1999 in den nördlichen Bundesstaaten einge-
ührte Scharia-Strafgesetzgebung sieht noch härtere
trafen für Homosexualität vor, die dort als Sodomie
ezeichnet wird. So stellt zum Beispiel der nördliche
undesstaat Zamfara den gleichgeschlechtlichen Kon-
9694 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007
(A) )
(B) )
takt von zwei Frauen aufgrund der Scharia mit bis zu
50 Stockschlägen unter Strafe.
Ich möchte hier nur eine bekannte Verurteilung an-
führen: Anfang 2002 wurde ein Mann im Bundesstaat
Zamfara wegen Sodomie zu hundert Stockschlägen und
einer einjährigen Gefängnisstrafe verurteilt.
Die geringe Zahl an bekannten Verurteilungen erklärt
sich dadurch, dass die Betroffenen Schutzgelder zahlen
oder in den Süden des Landes fliehen und überhaupt sehr
vorsichtig agieren, um sich nicht erwischen zu lassen,
und dass zudem sehr wenige Informationen nach außen
dringen. Durch Berichte von amnesty-international ist
bekannt, dass viele Homosexuelle ein Doppelleben führen.
Auf der einen Seite führen sie eine heterosexuelle Bezie-
hung, aber nur damit sie damit ihre homosexuelle Bezie-
hung vor dem Staat verdecken können.
Am 14. Februar gab es zu dem Gesetzesvorschlag der
nigerianischen Regierung eine öffentliche Anhörung im
Repräsentantenhaus mit NROs, an der nach anfängli-
chen Schwierigkeiten auch Vertreter von Interessen-
gruppen der Homosexuellenverbände teilnehmen konn-
ten. Am 22. Februar wurde der Senat mit dem
Gesetzesvorschlag befasst. Nach Einschätzungen von
Beobachtern vor Ort gibt es im Repräsentantenhaus Un-
terstützung für das Gesetz, während der Senat gespalten
scheint. Vor einer möglichen Verabschiedung wird der
Entwurf nun im Ausschuss für Justiz, Menschenrechte
und Rechtsangelegenheiten des Senats behandelt. Die
nigerianischen Zeitungen berichten allerdings offen über
das Thema.
Ist das, was sich gerade in Nigeria abspielt, ein Ein-
zelfall? Mit Verlaub, nein! In den meisten afrikanischen
Ländern werden Schwule und Lesben verfolgt. In Sim-
babwe verglich Staatschef Mugabe Schwule mit Schwei-
nen und Hunden. In Namibia hat die Polizei Anweisung,
Homosexuelle festzunehmen und des Landes zu verweisen.
Auch in Kenia ist Homosexualität unter Männern gesetz-
lich verboten.
Aber es gibt auch andere afrikanische Länder, die mit
diesem Thema weit offener umgehen. Ich möchte dabei
noch mal das Augenmerk auf Südafrika lenken.
Südafrika hat als erstes afrikanisches Land die Homo-
Ehe seit dem 30. November 2006 legalisiert. Es ist nicht
zu verschweigen, dass dies auch in Südafrika ein steini-
ger Weg war und die Abstimmung im Parlament sehr
knapp war. Dieser positive Ansatz muss ein Signal an
alle anderen afrikanischen Staaten sein. Denn Südafrika
zeigt damit, dass es gegen jede Art von Diskriminierung
und Vorurteilen ist. Diese Offenheit Südafrikas und die
Achtung der Menschenrechte müssen unterstützt werden.
Wie kann die Bundesrepublik Deutschland nun aber
den Menschen in Nigeria helfen? Im Zusammenhang mit
der Verabschiedung des Gesetzentwurfes zur gleichge-
schlechtlichen Partnerschaft gab es sowohl eine EU-
Troika als auch Demarchen aller EU-Missionschefs bei
verschiedenen nigerianischen Dienststellen. Dazu gehören
unter anderem der nigerianische Menschenrechtsbeauf-
tragte, der Justizminister sowie der Rechtsausschuss von
Senat und Repräsentantenhaus. Bei diesen Demarchen
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urde deutlich gemacht, dass das vorgesehene Gesetz in
ahlreichen Bestimmungen im Widerspruch zu interna-
ionalen Verträgen steht, deren Partei auch Nigeria ist.
ie EU-Missionsleiter haben die Angelegenheit seit
006 aufmerksam verfolgt und sie auch mit den Organi-
ationen der nigerianischen Zivilgesellschaft erörtert, die
egen den Gesetzentwurf ins Feld ziehen. Die EU hat
abei hervorgehoben, dass dieses Gesetz, falls es verab-
chiedet wird, gegen universelle Menschenrechtsstan-
ards verstößt. Neben den Bemühungen der EU-Mis-
ionsleiter hat der nigerianische Senator, der dem
uständigen Ausschuss vorsteht, eine Überarbeitung des
ntwurfs zugesagt und will sicherstellen, dass dieser auf
nternationaler Ebene akzeptabel ist und mit der nigeria-
ischen Verfassung im Einklang steht.
Wir müssen allen Staaten, die mit Deutschland zu-
ammenarbeiten wollen, deutlich machen, dass eine ver-
rauensvolle Zusammenarbeit nur möglich ist, wenn das
and die Menschenrechte achtet und einhält. Wir müs-
en Nigeria deutlich machen, dass sie sich mit einem sol-
hen Gesetz von der sich bisher positiven Entwicklung
ntfernen und in alte Zeiten zurückfallen. Nigeria muss
eutlich gemacht werden, dass die Einhaltung der Men-
chenrechte ein Grundbaustein einer lebendigen Demo-
ratie ist und der vorliegende Gesetzesentwurf ein Ein-
chnitt in die Menschenrechte von Homosexuellen in
igeria ist und von den europäischen Ländern nicht zu
kzeptieren ist.
Holger Haibach (CDU/CSU): Auf Antrag der Grünen
eschäftigt sich der Deutsche Bundestag heute erneut
it dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen. Der
orliegende Antrag beschreibt aus meiner Sicht im
esentlichen die Situation, wie sie sich augenblicklich
arstellt:
Nach den ersten Sitzungen des Rates gibt es positive
ie negative Signale. Darüber hinaus ist noch nicht end-
ültig abzusehen, welche institutionelle Ausgestaltung
ie Arbeit des Rates endgültig haben wird. Das gilt
owohl für die Arbeit der Sonderberichterstatter, die
ukunft der sogenannten Länderresolutionen als auch
ie Form des Universal Periodic Review, also des von
er Hochkommissarin für Menschenrechte vorzulegenden
egelmäßigen Berichts über die menschenrechtliche
age in den Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen.
Der Antrag weist auch von seiner Intention in die
ichtige Richtung. Gefordert werden eine intensive und
reite Diskussion über die oben genannten Fragen in den
itgliedstaaten des Rates, eine ebenso intensive Einbin-
ung von Nichtregierungsorganisationen in die Arbeit
es Rates, das Einwirken auf die USA im Hinblick auf
ine Kandidatur für einen Sitz im Rat und schließlich die
utzung der besonderen Rolle Deutschlands als des
taates, der im ersten Halbjahr 2007 die EU-Ratspräsident-
chaft innehat.
All dies und noch einiges mehr war allerdings bereits
egenstand des Antrags Der Menschenrechtsrat der
ereinten Nationen Wirksamkeit sichern und Glaub-
ürdigkeit schaffen, den die Koalition im Oktober des
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007 9695
(A) )
(B) )
letzten Jahres vorgelegt und der dankenswerterweise die
Stimmen des gesamten Hauses hat.
Aus zwei Gründen tun wir uns schwer mit dem Antrag
der Grünen, der eben im Wesentlichen noch einmal das
aufgreift, was wir bereits im Oktober 2006 beschlossen
haben. Ich verstehe den Antrag als nochmalige Bekräfti-
gung unserer Erwartungen an die Bundesregierung und
den Rat im Vorfeld einer nun endgültigen Entscheidung
über die Arbeitsweise des Rates.
Aber: Sosehr ich diese Intention verstehe, so sehr
komme ich nicht umhin zu bemerken, dass es wie be-
reits erwähnt zwei Gründe gibt, die eine Zustimmung
zu diesem Antrag ausschließen. Abgesehen davon, dass
man schon überlegen sollte, ob der Antrag zum jetzigen
Zeitpunkt wirklich sinnvoll ist, wenn er nichts Neues
bringt, fehlt mir, wenn wir schon bereits Beschlossenes
bekräftigen wollen, der Hinweis auf den Deutschen G-8-
Vorsitz. Gerade vor dem Hintergrund des demnächst
stattfindenden Gipfels in Heiligendamm wäre es doch
auch eine Forderung wert gewesen, diese Institution zu
nutzen, um Menschenrechtsfragen über den europäi-
schen Rahmen hinaus anzusprechen und eine Zusam-
menarbeit jenseits von sogenannten Blöcken oder Gren-
zen von Kontinenten anzumahnen.
Das führt mich zu dem zweiten Punkt, der mir bei Ihrem
Antrag fehlt. Es wird von entscheidender Bedeutung
sein, die schon von der alten Menschenrechtskommission
bekannte und auch jetzt im Rat wieder zu beobachtende
Blockbildung und die Abstimmung nach Staatengruppen
und nicht nach sachlichen Kriterien zu unterbinden.
Diese Blockbildung führt zu einer Blockadenhaltung
und schließlich zur Arbeitsunfähigkeit eines Gremiums,
bevor prozedurale Fragen auch nur geklärt werden können.
Die Bundesregierung hat bei der Verabschiedung einer
Dafurresolution hier vorbildliche Arbeit geleistet und
Europäer, Afrikaner und andere zusammengeführt. Diesen
Weg gilt es fortzusetzen.
Da ich diesen zentralen Punkt vermisse, und da insofern
der Antrag keinen tatsächlichen Mehrwert bietet, komme
ich leider dazu, diesen Antrag ablehnen zu müssen.
Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD): Wir beschäftigen
uns heute erneut mit einem Gesetzesvorhaben des nigeria-
nischen Parlaments, das die Absicht verfolgt, gleichge-
schlechtlich orientierte Menschen nicht nur in übler
Weise zu diskriminieren, sondern auch strafrechtlich zu
verfolgen. Wie wichtig dieses Anliegen von der Sache
her ist, habe ich bereits in der ersten Lesung des Antrags
deutlich gemacht. Auch heute betone ich, dass ein sol-
ches Gesetzesvorhaben dem Grundgedanken der Men-
schenrechte widerspricht. Wir sind deshalb der Bundes-
regierung und auch der Europäischen Union, deren
Präsidentschaft die Bundesrepublik Deutschland inne-
hat, dankbar, dass sie sehr genau beobachtet, was dort
geschieht und notfalls, wie sie das zugesagt hat, auch die
geeigneten Schritte unternimmt.
Allerdings ist der Zeitpunkt, hier im Bundestag über
den Antrag der Grünen abzustimmen denkbar ungünstig.
Am letzten Wochenende haben ja bekanntlich Präsident-
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chafts- und Parlamentswahlen in Nigeria stattgefunden.
eren Verlauf das wissen Sie alle ist zum Ärger wei-
er Kreise der Bevölkerung Nigerias weit hinter demo-
ratischen Standards zurückgeblieben. Die anwesenden
ahlbeobachter der Europäischen Union, aber auch die
itglieder der größten Organisation der nigerianischen
ahlbeobachter (TMG), haben Schlamperei, schlechte
rganisation, Wahlbetrug und Wahlfälschungen an vie-
en Orten angeprangert und die Wahl insgesamt als nicht
kzeptabel bezeichnet. Auch ist die Forderung aufge-
aucht, die Wahl ganz zu annullieren. Wie es weiter geht,
st im Augenblick nicht absehbar. Zwar hat die nigeriani-
che Wahlkommission am Montag Umaru Musa
arAdua zum Sieger der Präsidentschaftswahl erklärt,
och weigert sich die Opposition, das Ergebnis anzuer-
ennen. Ob und wann das neue Parlament zusammentre-
en kann, steht ebenfalls noch nicht fest. Zwar ist das alte
arlament im Augenblick noch nicht am Ende seiner Sit-
ungsperiode angelangt, es ist jedoch nicht abzusehen,
ass oder wann das Gesetzesvorhaben beraten oder gar
erabschiedet würde, mit dem der Antrag der Grünen
ich beschäftigt. Aus diesem Grunde wäre es nicht nur
lug, sondern eigentlich selbstverständlich gewesen, den
ntrag zunächst nicht weiter zu behandeln, sondern ihn
rst dann wieder aufzurufen, wenn sich zu einem späte-
en Zeitpunkt herausstellen sollte, dass, was wir aller-
ings nicht hoffen, auch ein neues nigerianisches Parla-
ent die Beratungen zu diesem schändlichen Vorhaben
ortsetzen sollte.
Gerade die Abgeordneten der SPD haben den Kolle-
en diesen Behandlungsverschlag immer wieder unter-
reitet, der zusätzlich deshalb sinnvoll ist, weil der Deut-
che Bundestag sich nicht mit vagen Überlegungen,
ondern mit realen Problemen auseinandersetzen sollte.
eider haben die Grünen dennoch deutlich gemacht,
ass sie heute auf der Abstimmung bestehen. Wenn sie
abei bleiben, werden wir aus den genannten Überlegun-
en heraus den Antrag ablehnen. Der Deutsche Bundes-
ag ist, wie gesagt, nicht der Ort und das Gremium, um
ich mit vagen Möglichkeiten zu beschäftigen. Dafür ha-
en wir zu viel zu tun.
Die Grünen haben einen zweiten Antrag vorgelegt,
er auf ihren Antrag hin ebenfalls sofort abgestimmt
erden soll. Er beschäftigt sich mit der Arbeit des Men-
chenrechtsrats der Vereinten Nationen und sollte schon
egen dieses Gegenstandes ausführlich beraten werden.
etzt wird er sofort zur Abstimmung gestellt. Auch die-
em Verfahren können wir nicht folgen, in diesem Fall
icht nur aus formalen, sondern auch aus inhaltlichen
ründen. Dieser Antrag ist nämlich das wird beim
urchlesen leicht erkennbar eine nicht besonders ge-
ungene Kopie des Antrags, der vor Monaten schon dem
eutschen Bundestag vorgelegen hat. Neue Fragen
immt er nicht auf. Das ist schade; deshalb lehnen wir
hn ab.
Wir erinnern uns: Schon vor einigen Monaten haben
lle Fraktionen dieses Hauses in wiederholten Debatten
u unseren Anträgen auf die Chancen, aber auch die Pro-
leme hingewiesen, die sich im Zusammenhang mit der
euen Konzeption und Zusammensetzung des Men-
chenrechtsrates der Vereinten Nationen ergeben. Da-
9696 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007
(A) )
(B) )
mals hat der Deutsche Bundestag ebenfalls als Aus-
druck der Meinung aller Fraktionen dieses Hauses die
deutsche Präsidentschaft der EU aufgefordert, die nöti-
gen Schritte zu ergreifen, um die Menschenrechtshaltung
der Europäischen Union auch unter den grundlegend
neuen Bedingungen im Menschenrechtsrat deutlicher
zur Geltung kommen zu lassen. Wir sehen mit großer
Zufriedenheit, dass der Bundesaußenminister, die Men-
schenrechtsabteilung des Auswärtigen Amts, aber insbe-
sondere auch Botschafter Steiner und sein Team in Genf
wichtige Arbeit leisten und dabei auch, so mühsam das
ist, vorankommen. Dafür gebührt ihnen der klare Dank
des Deutschen Bundestages und den will ich hier aus-
drücklich aussprechen.
Nach der Beendigung der 4. Sitzungsrunde des Men-
schenrechtsrates Ende März geht es in den kommenden
Wochen jetzt darum, in ständigen Verhandlungen bis
zum Juni sowohl das in der Resolution 60/251 vorgese-
hene menschenrechtliche universelle Prüfungsverfahren,
den UPRM, so auszugestalten, dass ein hoher Men-
schenrechtsstandard in den einzelnen Mitgliedstaaten
der Vereinten Nationen, aber auch auf globaler Ebene
befördert wird. Desgleichen muss ebenfalls in mühe-
vollen Verhandlungen sichergestellt werden, dass die
bewährten menschenrechtlichen Instrumente der Län-
der- und Sonderberichte durch unabhängige Experten als
Berichterstatter auf Dauer beibehalten und die Einbezie-
hung unabhängiger NGOs und Informationen im Men-
schenrechtsbereich sichergestellt werden. Auch das legt
Resolution 60/251 der Generalversammlung ausdrück-
lich und aus gutem Grund fest.
Da Mitte Mai die 2. Runde der Wahlen von Mitglie-
dern zum Menschenrechtsrat ansteht, muss des Weiteren
dafür geworben werden, dass trotz regionaler Quoten die
Wahlmöglichkeit durch die Generalversammlung erhal-
ten bleibt. Es geht also nicht an, immer nur so viele Kan-
didaten zu präsentieren clean slate , wie Sitze zu
vergeben sind. Vielmehr müssen die Mitglieder der Ge-
neralversammlung auch die Möglichkeit zur Auswahl
haben; auch hierfür legt die erwähnte Resolution die
Grundlage. Alle diese Fragen sind von der Bundesregie-
rung erkannt und wir, der Deutsche Bundestag, ermuti-
gen die Bundesregierung deshalb ausdrücklich, ihre her-
vorragende Arbeit gerade auch in diesem Bereich weiter
zu verfolgen.
Auch der Ausschuss für Menschenrechte und Huma-
nitäre Hilfe wird seinen parlamentarischen Beitrag dazu
leisten, die Stimmen der Europäischen Union und ihrer
Mitgliedstaaten im Menschenrechtsrat der Vereinten Na-
tionen deutlicher zugunsten der Menschenrechte hörbar
zu machen. Dem wird die Gründung des europäischen
parlamentarischen Netzwerks zur Förderung der Men-
schenrechte dienen, die am 15. Juni 2007 in einer ersten
gemeinsamen Sitzung der Menschenrechtsausschüsse
der Mitgliedstaaten der EU und des Europäischen Parla-
ments zusammen mit den Menschenrechtsbeauftragten
von EU und Europarat hier in Berlin erfolgen wird. Über
diese Fragen, Planungen und Vorhaben enthält der An-
trag der Grünen nichts. Er nimmt die anstehenden neuen
und aktuellen Fragen nicht auf. Deshalb lehnen wir ihn
ab.
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Florian Toncar (FDP): Wir beraten heute zwei An-
räge der Grünen. Einen Antrag, der sich mit der Ausge-
taltung des UN-Menschenrechtsrates befasst. Der
weite Antrag widmet sich Nigeria. Da dieses Land mo-
entan aufgrund der Wahlen vom letzten Wochenende
nternational Aufmerksamkeit findet, möchte ich hierauf
uerst eingehen.
Der Antrag, der hier zur Debatte steht, weist auf einen
eplanten massiven staatlichen Eingriff in die Rechte
on Homosexuellen in Nigeria hin. Wie so oft bei Men-
chenrechtsverletzungen werden auch in diesem Fall
enschen nur deswegen diskriminiert, weil ihnen ein
estimmtes Merkmal zu eigen ist, dessen Ausprägung
ich die Betroffenen nicht aussuchen können. Egal, ob es
ich um die staatliche Verfolgung von Menschen mit ande-
er Hautfarbe, anderer ethnischer Herkunft oder, wie in
iesem Falle, mit einer bestimmten sexuellen Orientie-
ung handelt: Staatliche Diskriminierung von Minder-
eiten widerspricht den grundlegenden Anliegen jegli-
her Normen, die für den Schutz der Menschenrechte
efasst worden sind. Und wie so oft sind es fadenschei-
ige Argumente, mit denen derartige Diskriminierungen
erechtfertigt werden sollen.
Im vorliegenden Fall soll etwa unter dem Vorwand,
ie Ausbreitung von HIV/Aids eindämmen zu wollen,
urch den momentan in Nigeria diskutierten Gesetzent-
urf jedwede gleichgeschlechtliche Aktivität hart be-
traft werden. So sieht der Gesetzentwurf eines Same
ex Marriage Prohibition Bill fünf Jahre Freiheitsstrafe
ür jeden vor, der eine Beziehung mit einer Person des
leichen Geschlechts führt. Gleiches droht jedem, der
ine gleichgeschlechtliche Heirat durchführt, bezeugt
nd begünstigt. Menschenrechtsvertreter, welche sich
ür Rechte von lesbischen, schwulen, bisexuellen und
ransgender-Personen einsetzen, können ebenfalls mit
iner Gefängnisstrafe belegt werden. Ferner sollen der
etrieb von homosexuellen Clubs, Vereinen und Organi-
ationen sowie der Besitz oder Konsum von Medien mit
omosexuellen Inhalten strafbar sein.
Diese drakonischen Maßnahmen schränken die
rundrechte von Menschen aufgrund ihrer sexuellen
rientierung gleich in mehrfacher Hinsicht ein; denn
enn dieses Gesetz zustande kommt, werden den Ho-
osexuellen, Bisexuellen, Transgendern und den Akti-
isten, die sich in Nigeria für deren Interessen einsetzen,
hre Vereinigungsfreiheit, die Versammlungsfreiheit, das
echt auf freie Meinungsäußerung und die Rezipienten-
reiheit genommen. Ganz offensichtlich sollen diese
eile der nigerianischen Bevölkerung unsichtbar und
undtot gemacht werden.
Dabei verstößt dieses Gesetzesvorhaben nicht nur ge-
en den Internationalen Pakt über bürgerliche und politi-
che Rechte, dem Nigeria im Jahre 1993 ohne Vorbe-
alte beigetreten ist, sondern auch gegen die Allgemeine
rklärung der Menschenrechte sowie die Afrikanische
harta der Menschenrechte und der Rechte der Völker.
iese Charta auch Banjul-Charta genannt hat Nigeria
m Jahre 1982 ebenfalls unterzeichnet. Offenbar sind die
ugehörigkeit Nigerias zu diesen Bündnissen zum
chutz der Menschenrechte jedoch nur Lippenbekennt-
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007 9697
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nisse, denn Nigeria ist im Hinblick auf die Menschen-
rechtssituation im Land alles andere als ein Vorbild.
Dass Nigeria erst seit wenigen Jahren seinen Weg hin
zur Demokratie sucht, kann nicht als Entschuldigung
hierfür dienen. Denn die Erfüllbarkeit von menschen-
rechtlichen Mindeststandards ist nicht an die bestimmte
Entwicklungsstufe eines Landes gebunden. Deshalb darf
auch der Gesetzentwurf der Same Sex Marriage Prohi-
bition Bill international nicht unkommentiert bleiben.
Denn wenn wir solche Maßnahmen, die Menschenrechte
derart massiv einschränken, nicht lautstark kritisieren,
verlören Menschenrechtsschutzabkommen dauerhaft an
Substanz.
Ich sage dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass
nigerianische Menschenrechtsaktivisten und Vertreter von
Homosexuellenverbänden im Gesetzgebungsprozess der
Same Sex Marriage Prohibition Bill eine Strategie des
Schweigens gewählt haben. Sie blieben stumm in der
Hoffnung, dass dieser Gesetzentwurf keine Aufmerk-
samkeit in den nationalen und internationalen Medien
erlangt und die Abgeordneten des Parlamentes in Nigeria
angesichts des Wahlkampfes für die Wahlen am letzten
Wochenende das Interesse daran verlieren. Dies zeugt
von einem Klima der Angst, dem sich Homosexuelle
und Menschenrechtsaktivisten in Nigeria ausgesetzt sehen.
Daher war es richtig, dass der britische Schwulenaktivist
Peter Tatchell den Gesetzentwurf in seinem internationalen
Appell vom 19. Januar 2006 zur Sprache brachte, auch
wenn dies bei den nigerianischen Verbänden Unmut er-
regte. Denn nur mit internationalem Druck kann auf die
Staatsführung Nigerias eingewirkt werden.
Neben der Kriminalisierung von Homosexuellen und
ihres gesamten Umfeldes würde mit dem Inkrafttreten
des Gesetzes überdies ein weiteres drängendes Problem
Nigerias verschärft: das Problem der Bekämpfung von
HIV und Aids. Wenn wie nach dem Gesetzentwurf
jede Unterstützung von Homosexuellen verboten würde,
bestünde die Gefahr, dass jede Person oder Organisation,
die sich um die Aufklärung über die Folgen von HIV/
Aids und deren Prävention bemüht, in Verdacht gerät.
Träte dieser Fall ein, hätte dies für das Land unabsehbare
Folgen. Nach Aussagen des UNAIDS-Koordinierungs-
programmes liegt die HIV-Rate bei den 15- bis 49-Jährigen
bereits heute bei 3,9 Prozent. Folglich sind in Nigeria
schätzungsweise 2,9 Millionen Menschen mit dem töd-
lichen Virus infiziert. Damit leben nur in Indien und
Südafrika zahlenmäßig mehr Menschen, die HIV-positiv
sind.
Hierbei wird deutlich, dass das angebliche Ziel des
geplanten Gesetzes, nämlich die Bekämpfung von HIV
und Aids, mit dem gewählten Weg der Kriminalisierung
der Homosexuellen keinesfalls erreicht werden kann.
Denn HIV und Aids sind zwar in stärkerem Maße, aber
nicht ausschließlich ein Problem von gleichgeschlechtli-
chen Partnern. Dies zeigt sich schon allein daran, dass in
Nigeria bei ungefähr 4,4 Prozent der Frauen, die im Jahr
2005 eine Schwangerschaftsvorsorgeklinik aufsuchten,
eine HIV-Infektion festgestellt wurde. Vielmehr ist zu
befürchten, dass diese geplante Diskriminierung von
Homosexuellen sogar zu einer weiteren Ausbreitung der
HIV-Infektion in der gesamten Bevölkerung Nigerias
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ührt, da die Präventionsarbeit erschwert, wenn nicht gar
änzlich unmöglich gemacht würde.
Diese Aspekte und, wie dargelegt, die weitere Be-
chneidung der Rechte von Homosexuellen in Nigeria sind
ür die FDP nicht hinnehmbar. Daher werden wir dem vor-
iegenden Antrag zustimmen. Darüber hinaus fordern
ir die Bundesregierung auf, von ihren Einwirkungs-
öglichkeiten auf die nigerianische Regierung Gebrauch
u machen, damit der vorliegende Gesetzentwurf nicht
eschlossen wird. Hierzu muss sie insbesondere auch die
öglichkeiten nutzen, die ihr aus der EU-Ratspräsident-
chaft erwachsen, um der nigerianischen Regierung
nmissverständlich deutlich zu machen, dass dieses
esetz nicht hinnehmbar ist.
Zum ebenfalls von den Grünen eingebrachten Antrag
ur effektiven Ausgestaltung des UN-Menschenrechtsrates,
er gemeinsam debattiert wird, möchte ich zuerst fest-
alten, dass die FDP diesen Antrag gleichermaßen unter-
tützt. Der Menschenrechtsrat wurde geschaffen, um die
enschenrechtskommission abzulösen, da diese ihrer
ufgabe, die weltweite Durchsetzung der Menschen-
echte zu überwachen, nicht im gewünschten Maße
achgekommen ist. So wurden in den letzten Jahren des
estehens der Menschenrechtskommission fast keine
änderresolutionen mehr verabschiedet. Staaten, die
enschenrechte zum Teil systematisch und massiv
erletzen, aber selbst Mitglied der Menschenrechtskom-
ission waren, haben es durch geschicktes Taktieren
erstanden, eine eigene Verurteilung zu verhindern. Ziel
er Gründung des UN-Menschenrechtsrates war es, sol-
hes Verhalten nicht mehr zu ermöglichen und ein In-
trument zu schaffen, das sich aktiver um die Einhaltung
on Menschenrechten kümmern kann und kümmert als
hre Vorgängerin. Bislang hat sich diese Hoffnung leider
icht erfüllt. Die bisherige Arbeit des Menschenrechts-
ates setzt sich bislang gemessen an den Ergebnissen
aum von jener der Menschenrechtskommission ab.
ies hat zwei Gründe. Zum einen sitzen in diesem Gre-
ium wieder auch Länder, in denen Menschenrechte
äufig und oft massiv verletzt werden. Zum anderen
st der Menschenrechtsrat momentan noch damit befasst,
eeignete Verfahren für seine Arbeit zu finden, obwohl er
chon seit fast einem Jahr seine Tätigkeit aufgenommen
at. Man befindet sich also gewissermaßen auf einem
chiff in voller Fahrt, muss aber noch die Seekarten
eichnen und den Kompass fertigen. Dabei wird deutlich,
ass die Passagiere an Bord ganz unterschiedliche Vorstel-
ungen davon haben, wie Karte und Kompass auszuse-
en haben und wohin die Reise eigentlich gehen soll.
Wenn, wie jetzt zum Teil überlegt wird, ausgerechnet
inige jener sinnvollen Sondermechanismen abgeschafft
erden sollen, die noch aus der Zeit der Menschen-
echtskommission stammen, fiele die internationale Ge-
einschaft noch hinter diese Zeit zurück. So ist es auch aus
icht der FDP unabdingbar, an den länder- oder themen-
pezifischen Sonderberichterstattern festzuhalten. Genauso
innvoll und auch nur folgerichtig ist es, für die Arbeit
Menschenrechtsrat und insbesondere an Länderresolu-
onen mit Vertretern von Nichtregierungsorganisationen
usammenzuarbeiten. Denn gerade diese Gruppen, die
um Teil unter schwierigsten Bedingungen vor Ort tätig
9698 Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007
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sind, sind oftmals eine wichtige Quelle für Informationen
über die Menschenrechtslage in dem Land, in dem sie
sich engagieren.
Wenig einleuchtend ist auch, warum es Überlegungen
gibt, das mit der Schaffung des Menschenrechtsrates
eingeführte Verfahren der Universal Periodic Review,
demgemäß jedes Land der Erde regelmäßig im Hinblick
auf seine Menschenrechtssituation überprüft werden
soll, wieder abzuschaffen. Die Absicht der Länder, die
dies fordern, ist natürlich einsichtig: Sie wollen sich un-
bequemen Nachfragen entziehen, die menschenrechtliche
Missstände und fehlende Aktivitäten zur Verbesserung
der Menschenrechte im eigenen Land offenbaren würden.
Die Liste der Versuche, dem Menschenrechtsrat Instru-
mente für seine Arbeit zu entziehen bzw. deren Wirk-
samkeit begrenzen zu wollen, ließe sich fortsetzen.
Deutschland muss die Zeit bis zum 18. Juni daher nutzen,
um sich diesen Versuchen entschieden entgegenzustellen.
Hierfür ist aus Sicht der FDP ein geschlossenes Auftre-
ten aller politischen Kräfte im Deutschen Bundestag
vonnöten, um ein deutliches Signal auszusenden, dass
der UN-Menschenrechtsrat mit weitreichenden Kompe-
tenzen ausgestattet werden muss, um seinem Auftrag
wirkungsvoll nachgehen zu können. Dieses Ziel und die
dafür notwendigen Maßnahmen sind im vorliegenden
Antrag so dargelegt, dass die FDP ihn unterstützen kann.
Michael Leutert (DIE LINKE): Ich habe schon in
meiner letzten Rede darauf hingewiesen, dass in Bezug
auf Homosexualität die geltende Rechtsprechung in gro-
ßen Teilen Nigerias aus dem vorletzten Jahrhundert
stammt und auf dem britischen Common Law beruht,
eine Erbschaft aus der Kolonialzeit eben. Hier zeigt sich
europäische Verantwortung für die Geschichte, die für
Afrika überwiegend Ausbeutung und Unterdrückung
bedeutete. Sie weist Europa damit auch eine Verantwor-
tung für die Zukunft dieser Länder zu.
14 Jahre Haft ist gegenwärtig das Strafmaß für homo-
sexuelle Handlungen in Nigeria, ausgenommen die
zwölf Bundesstaaten, in denen die Scharia gilt und Stei-
nigung erfolgt. Stellt der Gesetzesentwurf dann nicht
etwa eine Verbesserung für verfolgte Homosexuelle dar?
Sieht er doch eine Haftstrafe von 5 Jahren vor. Nein, na-
türlich nicht. Zum einen bleibt es völlig inakzeptabel,
dass Homosexualität ein Straftatbestand ist. Zum ande-
ren wird der Umfang der Strafbarkeit erheblich ausge-
weitet und erstreckt sich auf viele gesellschaftliche Be-
reiche, wie öffentliche Darstellung, Meinungsbildung,
Berichterstattung und zivilgesellschaftliches Engage-
ment. Darüber hinaus droht das Gesetz, Wasser auf die
Mühlen wirkungsmächtiger gesellschaftlicher Gruppen
wie Christian Association of Nigeria und National Mus-
lim Centre, die das Vorhaben ausdrücklich unterstützen,
zu gießen. Das bedeutet nichts anderes als eine wach-
sende Bedrohung von Menschen, die homosexuell leben
oder auch nur darüber aufklären. Es gibt daher keinen
Grund, den vorliegenden Antrag nicht zu unterstützen.
Es liegt ein weiterer Antrag zu diesem Tagesordnungs-
punkt vor. Die Thematik ist freilich eine andere. Es geht
um den UN-Menschenrechtsrat. Aber Nigeria spielt auch
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ier eine Rolle. Denn eines der 13 Mitglieder Afrikas ist
igeria. Das zeigt exemplarisch die Schwierigkeiten,
it denen dieses Gremium zu kämpfen hat. Tatsächlich
ibt es einige Länder, die von der UN-Generalversamm-
ung in den UN-Menschenrechtsrat gewählt wurden und
enen die VN-Charta und die Menschenrechtskonvention
er Vereinten Nationen nur bedingt Richtschnur ihres poli-
schem Handelns sind. Insofern ist dem Antrag von der
raktion des Bündnisses 90/Die Grünen im Großen und
anzen zuzustimmen. Dennoch seien mir folgende Be-
erkungen erlaubt.
Menschenrechtspolitik scheint in diesem hohen
ause ausschließlich auswärtige Politik. Menschen-
echte werden nur im Ausland verletzt. Aber ein kriti-
cher Blick nach innen auf die Gefährdungen von Bür-
er- und Freiheitsrechten in unserem Land zum Beispiel
urch Überwachungsbestrebungen und Eingriffe in die
rivatsphäre würde dem Streiten der Bundesrepublik
eutschland für Menschenrechte in der Welt mehr
laubwürdigkeit verleihen. Der stete Fingerzeig auf die
Anderen verweist eher auf eine Anmaßung, nämlich,
orzugsweise zusammen mit anderen westeuropäischen
taaten, letzter Gralshüter der Menschenrechte zu sein,
nd auch letzter Richter. So ist es nicht zufällig, dass der
orliegende Antrag vom UN-Menschenrechtsrat objek-
ive Resolutionen verlangt. Wer aber Objektivität ein-
ordert, weiß offenbar, was objektiv ist. Von diesem ho-
en Ross sollte schnellstens abgestiegen werden.
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
er neue Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen hat
or einem Jahr seine Arbeit aufgenommen, es aber leider
isher nicht geschafft, differenzierte, objektive und über-
arteiliche Resolutionen zu verabschieden. Viele Mit-
liedstaaten des Menschenrechtsrates richten ihre Ent-
cheidungen nicht ausreichend an den Maßstäben der
N-Charta und der Menschenrechtskonvention der Ver-
inten Nationen aus. Die Arbeit der Vorgängerin des
enschenrechtsrates, der Menschenrechtskommission,
ar durch selektive und einseitige Resolutionen gekenn-
eichnet. Der Menschenrechtsrat hat dieses Muster bis-
er noch nicht durchbrechen können.
Unabhängig von den Menschenrechtsverletzungen im
ahen Osten durch alle Konfliktparteien kann es nicht
ufriedenstellen, dass der Menschenrechtsrat seit seiner
ründung vor einem Jahr zu insgesamt vier Sondersit-
ungen zu Israel zusammengekommen ist, aber die erste
esolution zur humanitären und menschenrechtlichen
atastrophe im Sudan erst im November 2006 zu einer
esolution und erst im Dezember 2006 zu einer Sonder-
itzung führte. Bis heute hat sich der Menschenrechtsrat
icht mit der Situation der Menschenrechte im Irak be-
chäftigt.
Der Menschenrechtsrat muss ein effektives Instru-
ent der internationalen Menschenrechtspolitik wer-
en. Deutschland hat hier als Mitglied des Menschen-
echtsrates eine besondere Verantwortung und wir
ordern mit unserem Antrag die Bundesregierung auf,
ieser Verantwortung gerecht zu werden. Die von eini-
en Staaten betriebene Blockbildung im Rat muss aufge-
Deutscher Bundestag 16. Wahlperiode 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007 9699
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löst werden. Es darf nicht sein, dass die kritischen Stim-
men zur Gründung des Menschenrechtsrates letztendlich
Recht behalten und der Menschenrechtsrat die Fehler der
Menschenrechtskommission wiederholt.
Die institutionelle Ausgestaltung des Menschen-
rechtsrates ist Gegenstand intensiver Debatten im Men-
schenrechtsrat und in der Zivilgesellschaft.
Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat
den Menschenrechtsrat bei seiner Arbeit zu Objektivität
verpflichtet. Deshalb ist es unverzichtbar, dass er auf die
Informationen von unabhängigen Experten und Nichtre-
gierungsorganisationen zurückgreift und diese entspre-
chend an der Arbeit des Rates beteiligt werden. Länder-
spezifische Resolutionen müssen auch in Zukunft in
regulären Sitzungen des Rates möglich sein. Auch die
Möglichkeit, Sonderberichterstatter für länderspezifi-
sche Untersuchungen einzusetzen, darf auf keinen Fall
abgeschafft werden. Dabei muss jede Anstrengung un-
ternommen werden, dass die betroffenen Länder auch
mit diesen Sonderberichterstattern kooperieren.
Ein neues Merkmal des Menschenrechtsrates ist der
Sollte der Gesetzesentwurf in der aktuellen Form in
Kraft treten, so wäre dies eine weltweit einmalige, ge-
setzlich verankerte, massive Verletzung der Menschen-
rechte von Homosexuellen. Es wäre ein Verstoß gegen
die allgemeine Erklärung der Menschenrechte, gegen
den von Nigeria ratifizierten Internationalen Pakt über
bürgerliche und politische Rechte und gegen die afrika-
nische Charta der Menschenrechte. Man sollte meinen,
dass es keiner großen Diskussionen bedarf, um eine Ver-
urteilung dieses Gesetzentwurfs im Deutschen Bundes-
tag zu erreichen, insbesondere auch vor dem Hinter-
grund der sich durch dieses Gesetz ergebende massive
Verschlechterung bis zur Verhinderung der Arbeit vom
Menschenrechtsorganisationen in Nigeria.
Ich finde es schlicht gesagt erbärmlich, dass es nicht
gelungen ist, hierzu eine gemeinsame Entschließung al-
ler Fraktionen des Bundestages zu erreichen. Die von
CDU und SPD vorgeschobene Begründung zur Ableh-
nung des Antrages, aufgrund der chaotischen Wahlen in
Nigeria sei in naher Zukunft nicht mit einer Verabschie-
dung des Gesetzentwurfes zu rechnen, ist schlichtweg
sogenannte Univeral Periodic Review. Seiner derzeit
diskutierten Ausgestaltung kommt eine wichtige Bedeu-
tung zu. Der Reformprozess des Rates insgesamt ist ge-
fährdet, falls es bis Juni nicht gelingt, den UPR so auszu-
gestalten, dass unabhängige Experten und NGOs am
gesamten UPR-Prozess beteiligt sind. Der Menschen-
rechtsrat ist eine wichtige Säule im VN-System. Wir for-
dern die Bundesregierung auf, alles zu tun, damit er auch
zu einer tragenden Säule wird.
Ich komme nun zu unserem Antrag, der sich gegen
die geplante Verschlechterung der Rechtssituation von
Homosexuellen in Nigeria ausspricht. In bisher nicht ge-
kannter Form will die nigerianische Regierung mit ei-
nem Gesetzesentwurf Homosexuelle verfolgen. Sie will
bereits jede Diskussion über Homosexualität tabuisieren.
Die Verletzung des Tabus soll mit fünf Jahren Gefängnis
bestraft werden.
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alsch. Unabhängig vom chaotischen Verlauf der Wahlen
n Nigeria werden das bisherige Parlament und die bis-
erige Regierung in Nigeria noch bis zum 2. Juni dieses
ahres ihre Arbeit fortführen. Auch gibt es keinerlei In-
izien dafür, dass das neu zusammengesetzte Parlament
nd die neue Regierung in Nigeria in dieser Frage eine
ndere Auffassung vertreten. Umso wichtiger wäre jetzt
in klares Signal des Deutschen Bundestages zur Verur-
eilung dieses Gesetzesentwurfes gewesen. Diese
hance vertut die Koalition, wenn sie heute diesen An-
rag wie angekündigt ablehnt.
Das Europäische Parlament hat in einer gemeinsamen
esolution die übrigens auf eine Initiative der Christ-
emokraten zurückging den Gesetzesentwurf in Nige-
ia verurteilt. Es ist mir unbegreiflich, warum dies im
eutschen Bundestag nicht möglich ist.
94. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 26. April 2007
Inhalt:
Redetext
Anlagen zum Stenografischen Bericht
Anlage 1
Anlage 2
Anlage 3
Anlage 4
Anlage 5
Anlage 6
Anlage 7
Anlage 8
Anlage 9
Anlage 10
Anlage 11
Anlage 12
Anlage 13
Anlage 14
Anlage 15
Anlage 16