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    Plenarprotokoll 16/92 Antrag der Abgeordneten Christine Scheel, Dr. Gerhard Schick, Kerstin Andreae, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Unter- nehmensteuerreform für Investitionen und Arbeitsplätze (Drucksache 16/4855) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peer Steinbrück, Bundesminister BMF . . . . . Dr. Hermann Otto Solms (FDP) . . . . . . . . . . . Roland Koch, Ministerpräsident (Hessen) . . . Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Christine Scheel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jörg-Otto Spiller (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . zur Änderung der Strafprozessord- nung) (Drucksache 16/3827) . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Jörg van Essen, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Mechthild Dyckmans, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der FDP: Reform der Telefonüberwachung zügig umsetzen (Drucksache 16/1421) . . . . . . . . . . . . . . . Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 9337 B 9337 D 9340 D 9343 A 9345 D 9347 B 9349 D 9360 C 9360 D 9361 A 9362 A 9364 C 9364 D Deutscher B Stenografisch 92. Sitz Berlin, Freitag, den I n h a l Tagesordnungspunkt 26: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Unternehmensteuer- reformgesetzes 2008 (Drucksache 16/4841) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Axel Troost, Werner Dreibus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN: Unternehmen leistungsge- recht besteuern – Einnahmen der öf- fentlichen Hand stärken (Drucksache 16/4857) . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 5: O D O R T a 9337 B 9337 B Dr. Volker Wissing (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU) . . . . . 9351 A 9352 B undestag er Bericht ung 30. März 2007 t : skar Lafontaine (DIE LINKE) . . . . . . . . . . r. Ingolf Deubel, Staatsminister (Rheinland-Pfalz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . tto Bernhardt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Dr. Hermann Otto Solms (FDP) . . . . . . . . einhard Schultz (Everswinkel) (SPD) . . . . . agesordnungspunkt 27: ) Erste Beratung des von den Abgeordneten Jerzy Montag, Hans-Christian Ströbele, Wolfgang Wieland, weiteren Abgeordneten und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der Telekom- munikationsüberwachung (... Gesetz 9354 A 9355 D 9357 A 9358 C 9359 B Jörg van Essen (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 9365 B 9366 C II Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2007 Brigitte Zypries, Bundesministerin BMJ . . . . Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Brigitte Zypries, Bundesministerin BMJ . . . . Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Uwe Benneter (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Petra Pau (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . Ralf Göbel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 28: Antrag der Abgeordneten Gudrun Kopp, Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der FDP: Engpässe beim grenzüberschreitenden Stromhandel abbauen – Wettbewerb auf dem Elektrizi- tätsmarkt intensivieren (Drucksache 16/3346) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gudrun Kopp (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Franz Obermeier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Hans-Kurt Hill (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Rolf Hempelmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 29: Antrag der Abgeordneten Oskar Lafontaine, Dr. Barbara Höll, Dr. Axel Troost, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN: Steuerpflichtige mit mehr als 500 000 Euro Einkommen gleichmäßig und regelmäßig prüfen (Drucksache 16/3699) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Antje Tillmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Volker Wissing (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . Gabriele Frechen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Christine Scheel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 30: Antrag der Abgeordneten Alexander Bonde, Winfried Nachtwei, Jürgen Trittin, weiterer A N w h ( A D E G P T a b W R D P W Z A d r d d C S S N 9368 B 9370 C 9371 A 9371 B 9372 C 9374 A 9375 B 9376 B 9378 B 9378 D 9380 D 9381 A 9381 D 9383 C 9384 A 9385 C 9386 B 9386 C 9387 C 9389 C 9390 C 9391 B 9392 C bgeordneter und der Fraktion des BÜND- ISSES 90/DIE GRÜNEN: US-Raketenab- ehr und Europa – Gemeinsame Sicher- eit und Abrüstung fördern Drucksache 16/4854) . . . . . . . . . . . . . . . . . . lexander Bonde (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . r. Karl A. Lamers (Heidelberg) (CDU/CSU) lke Hoff (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD) . . . . . . aul Schäfer (Köln) (DIE LINKE) . . . . . . . . agesordnungspunkt 31: ) Antrag der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Paul Schäfer (Köln), Monika Knoche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN: Einsatz des Kom- mandos Spezialkräfte in Afghanistan beenden (Drucksache 16/4674) . . . . . . . . . . . . . . . ) Antrag der Abgeordneten Monika Knoche, Dr. Norman Paech, Paul Schäfer (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN: Das Mandat für die Operation Enduring Freedom been- den – Einsätze des Kommandos Spezial- kräfte in Afghanistan einstellen (Drucksache 16/121) . . . . . . . . . . . . . . . . olfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . . . uprecht Polenz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . r. Rainer Stinner (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . etra Heß (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . infried Nachtwei (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . usatztagesordnungspunkt 6: ktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion er LINKEN: Konsequenzen der Bundes- egierung aus den UN-Berichten des Son- erberichterstatters, Vernor Muñoz, zum eutschen Bildungssystem ornelia Hirsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . teffen Flath, Staatsminister (Sachsen) . . . . . evim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . ächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9393 C 9393 D 9394 C 9396 B 9397 B 9398 C 9399 A 9399 C 9399 D 9400 D 9401 D 9403 A 9404 A 9405 D 9406 C 9407 B 9408 C 9409 C 9411 C Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2007 III Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zur Aktuellen Stunde: Konsequenzen der Bundesregierung aus den UN-Berichten des Sonderbericht- erstatters, Vernor Muñoz, zum deutschen Bil- dungssystem (Zusatztagesordnungspunkt 6 ) Andreas Storm, Parl. Staatssekretär BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Patrick Meinhardt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Jörg Tauss (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marcus Weinberg (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Swen Schulz (Spandau) (SPD) . . . . . . . . . . . . Dorothee Bär (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Gesine Multhaupt (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Uwe Schummer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Renate Schmidt (Nürnberg) (SPD) . . . . . . . . Anlage 3 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9413 A 9413 D 9414 C 9415 C 9416 B 9417 A 9417 D 9418 C 9419 A 9419 D 9420 B 9421 B Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2007 9337 (A) ) (B) ) 92. Sitz Berlin, Freitag, den Beginn: 9.0
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    1) Anlage 2 Sevim Dağdelen Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2007 9413 (A) ) (B) ) wegs ein „vernichtendes Urteil“, wie das bisweilen zu Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen in Genf vor- gestellt. Herrn Professor Muñoz ist für seinen Bericht zu dan- ken. Über das deutsche Bildungssystem fällt er keines- Müller-Sönksen, Burkhardt FDP 30.03.2007 Nitzsche, Henry fraktionslos 30.03.2007 Anlage 1 Liste der entschuldigt A d 2 D B f g Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Bartsch, Dietmar DIE LINKE 30.03.2007 Beck (Bremen), Marieluise BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 30.03.2007 von Bismarck, Carl-Eduard CDU/CSU 30.03.2007 Blumentritt, Volker SPD 30.03.2007 Bulmahn, Edelgard SPD 30.03.2007 Ernst, Klaus DIE LINKE 30.03.2007 Ernstberger, Petra SPD 30.03.2007 Friedhoff, Paul K. FDP 30.03.2007 Glos, Michael CDU/CSU 30.03.2007 Dr. Götzer, Wolfgang CDU/CSU 30.03.2007 Gröhe, Hermann CDU/CSU 30.03.2007 Heinen, Ursula CDU/CSU 30.03.2007 Hilsberg, Stephan SPD 30.03.2007 Hörster, Joachim CDU/CSU 30.03.2007 Humme, Christel SPD 30.03.2007 Ibrügger, Lothar SPD 30.03.2007 Dr. Koschorrek, Rolf CDU/CSU 30.03.2007 Lehn, Waltraud SPD 30.03.2007 Dr. Lötzsch, Gesine DIE LINKE 30.03.2007 Lopez, Helga SPD 30.03.2007 Mattheis, Hilde SPD 30.03.2007 Meckel, Markus SPD 30.03.2007 Merten, Ulrike SPD 30.03.2007 O P P R R S S S S T T W W A (C (D Anlagen zum Stenografischen Bericht en Abgeordneten nlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zur Aktuellen Stunde: Konsequenzen der Bun- desregierung aus den UN-Berichten des Sonder- berichterstatters, Vernor Muñoz, zum deutschen Bildungssystem (Zusatztagesordnungspunkt 6 ) Andreas Storm, Parl. Staatssekretär bei der Bun- esministerin für Bildung und Forschung: Im Februar 006 hat UN-Sonderberichterstatter Vernor Muñoz eutschland bereist, um sich ein Bild vom deutschen ildungssystem zu machen. Eine gute Woche war Pro- essor Muñoz seinerzeit in unserem Land. In der vergan- enen Woche hat er seinen offiziellen Bericht vor dem tto (Frankfurt), Hans- Joachim FDP 30.03.2007 ieper, Cornelia FDP 30.03.2007 ronold, Florian SPD 30.03.2007 aidel, Hans CDU/CSU 30.03.2007 unde, Ortwin SPD 30.03.2007 chäfer (Bochum), Axel SPD 30.03.2007 chily, Otto SPD 30.03.2007 chmidt (Mülheim), Andreas CDU/CSU 30.03.2007 teppuhn, Andreas SPD 30.03.2007 hiele, Carl-Ludwig FDP 30.03.2007 hönnes, Franz SPD 30.03.2007 ellenreuther, Ingo CDU/CSU 30.03.2007 olf (Frankfurt), Margareta BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 30.03.2007 bgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich 9414 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2007 (A) ) (B) ) lesen war. Er stellt vielmehr fest, dass sich seit Jahrzehn- ten die Bildungsbeteiligung und das allgemeine Bil- dungsniveau in Deutschland kontinuierlich verbessern und die Nachfrage nach höherwertigen Bildungsab- schlüssen wächst. Er betont den „hohen Entwicklungs- stand“ unseres Bildungssystems und lobt auch die Maß- nahmen von Bund und Ländern, um noch besser zu werden. Besser werden kann und muss man immer. KMK-Präsident Zöllner hat völlig recht, wenn er sagt: „Die Diskussion über Schulformen ist sekundär. Es gibt keinerlei eindeutige Belege, ob das gegliederte oder das integrierte Schulsystem besser ist. Auch das dreiglie- drige Schulsystem kann Durchlässigkeit gewährleisten. Wenn man allein Diskussionen um die Schulformen führt, kommt man in der Bildungspolitik keinen Schritt nach vorne.“ Worauf es vielmehr ankommt, ist die stärkere indivi- duelle Förderung des einzelnen Kindes. Die besonderen Anforderungen, die an unsere Schulen gestellt werden – zum Beispiel bei der Integration von Kindern und Ju- gendlichen aus sozial schwachen Familien oder jenen mit Migrationshintergrund –, kennen wir. Der im ver- gangenen Jahr von der Bundesregierung gemeinsam mit der KMK vorgelegte Nationale Bildungsbericht widmete sich ausführlich dem Thema „Bildung und Migration“. Das Recht auf Bildung für Menschen mit Behinderung setzen wir in Deutschland so gut um wie nirgendwo sonst. Und die Rolle der Sprachförderung in der früh- kindlichen Bildung haben wir auch ohne diesen Bericht erkannt. Gerade das duale System aus betrieblicher und schuli- scher Ausbildung trägt seinen Teil dazu bei. Ein Viertel der höheren Schulabschlüsse werden in der beruflichen Bildung erworben. So hat zum Beispiel Schweden jetzt ankündigt, sein international so hoch gelobtes Schulsys- tem zu reformieren. Vorbild ist das angeblich so schlechte deutsche Bildungssystem. Bildung ist die soziale Frage der Gegenwart. Bildung schafft die Voraussetzung dafür, dass niemand zum Mo- dernisierungsverlierer wird. Und zwar in zweifacher Hinsicht: Bildung ist der Schlüssel für kulturelle, sozia- le, ökonomische und politische Chancen zur Teilhabe, für individuelle Lebenschancen und für die gesellschaft- liche Entwicklung. Bildung formt nicht nur die Identität eines Menschen und gibt ihm einen kulturellen Halt in der modernen Welt. Bildung legt auch das Fundament, damit sich jeder einzelne nach seinen Fähigkeiten entfal- ten kann. Deshalb passen Bund und Länder gemeinsam unser Bildungssystem an die Herausforderungen der Zukunft an. Denn Bund und Länder haben aus den vielfältigen Studien der letzten Jahre die richtigen Schlüsse gezogen. Ich möchte hier nur die Bildungsberichterstattung nennen: Sie ist Teil eines umfassenden Monitoringsys- tems, zu dem auch Vergleichsuntersuchungen wie zum Beispiel PISA und Beiträge der Bildungsforschung ge- hören. Den nächsten Bildungsbericht erwarten wir im nächsten Jahr zum Themenfeld: „Übergänge Schule-Be- rufsausbildung-Hochschule-Arbeitsmarkt“. R d w f A n b B s e u s d d w N ü s o b w v B d d c w b D g g e u s d l K s s d d d s 6 a d s b D w s (C (D Eine Gesellschaft, die in Lernen und Leistung nur ein elikt aus alten Zeiten sieht, kann Schulen so viel Bil- ungsreformen verordnen wie sie will. Sie wird den ge- ünschten Erfolg nicht erzielen. Es kann nicht sein, dass ast jeder Zehnte die Schule ohne Abschluss verlässt. uch läuten ein Schulabschluss oder der Gesellenbrief icht das Ende des Lernens sein. Wir müssen Leistung würdigen und belohnen. Dafür rauchen wir einen Mentalitätswandel. Die Stärke eines ildungssystems hat etwas mit dem Klima in einer Ge- ellschaft zu tun. Da geht es nicht um Strukturen, da geht s viel grundlegender um den Stellenwert von Lernen nd Leistung in der Gesellschaft, da geht es um das An- ehen all jener, die sich um die Bildung und Erziehung er Kinder und Jugendlichen kümmern. Wenn der Bericht von Professor Muñoz dem dient, ann hat er einen wichtigen Beitrag geleistet. Patrick Meinhardt (FDP): Es ist schon bemerkens- ert: Da kommt ein Sonderberichterstatter der Vereinten ationen nach Deutschland, um sich einen Überblick ber unser Bildungssystem zu verschaffen. Er trifft Ent- cheidungsträger aus Politik, Lehrerverbänden, Eltern- rganisationen, Schüler und Studenten. Ein Riesenwir- el wird veranstaltet. Der Sonderberichterstatter reist ieder ab und legt nun, ein Jahr später, seinen Bericht or. Zunächst muss man feststellen, dass Muñoz in seinem ericht – ganz unabhängig von der Frage, ob der Son- erberichterstatter die deutsche Bildungslandschaft in er ihm zur Verfügung stehenden Zeit wirklich in ausrei- hender Ausführlichkeit begutachten konnte – wenig irklich Neues zu bieten hat. So wird in dem Bericht eispielsweise hinterfragt, ob es sinnvoll ist, dass in eutschland die Gliedrigkeit so unterschiedlich ist. Es ibt Länder mit einem dreigliedrigen Schulsystem, es ibt Länder mit einem zweigliedrigen Schulsystem und s gibt leider auch Länder, die den Weg wieder für die ralte und schon längst überkommene Einheitsschule be- chreiten wollen. Das Problem unseres Bildungssystems ist doch nicht ie Gliedrigkeit, sondern die häufig mangelnde Durch- ässigkeit. Wir haben die „wundervolle“ Einrichtung der ultusministerkonferenz. Die ureigenste Aufgabe die- er Konferenz ist es, für Durchlässigkeit und die gegen- eitige Anerkennung der Abschlüsse im deutschen Bil- ungssystem zu sorgen. Wenn Herr Muñoz jetzt zu dem och sehr überraschenden Schluss kommt, dass eben iese beiden Punkte bei uns nur unzureichend erfüllt ind, muss man deutlich sagen, dass die KMK seit bald 0 Jahren grandios gescheitert ist. Dieser neue Bericht zeigt deutlich: Uns fehlt es nicht n Erkenntnissen über die Mängel des deutschen Bil- ungssystems. Die sind uns alle längst bekannt. Wir müs- en endlich wegkommen von diesen ewigen Strukturde- atten. Wie häufig wollen wir eigentlich noch föderale ebatten führen? Wir brauchen Diskussionen darüber, as die Inhalte der Bildung unserer jungen Menschen ein sollen! Welches Wissen wollen wir vermitteln? Wel- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2007 9415 (A) ) (B) ) che Werte wollen wir vermitteln? Wie können wir den Schülerinnen und Schülern am besten Lernen beibrin- gen? Aber auch: Wie können wir Kindergärten und Kin- dertagesstätten zu wirklichen Bildungseinrichtungen ma- chen, ohne sie zu verschulen? Integrativer Unterricht, Unterricht mit stärkerem Mi- grationshintergrund, Förderung von e-learning und Fern- unterricht auch im schulischen Bereich, Stärkung einer privaten Bildungslandschaft: Die Reglementierungen in diesen Bereichen werden von uns Liberalen seit langem kritisiert. Diese Reglementierungen werden jetzt auch im Bericht von Señor Muñoz kritisiert. Wir Liberale füh- len uns dadurch bestätigt. Dass in dieser Diskussion ein Wettbewerb um die beste Bildung hilft, ist doch völlig klar. Wir brauchen keinen von oben diktierten einheitlichen Bildungsbrei. Die Chancen, dass wir die beste Bildung bekommen, sind viel höher, wenn 16 Bundesländer in einen Wettbe- werb um die beste Bildung treten, als wenn nur eine Bundesregierung daran arbeitet. Seien wir doch froh, dass die meisten Länder gerade dabei sind, die besten Modelle für sich zu finden, und lassen wir ihnen und vor allem den Schulen die Zeit, Ergebnisse zu setzen. Genau deswegen soll die Bundesrepublik Deutschland in der Schulpolitik wettbewerbsföderalistisch sein. PISA 2 hat gezeigt, dass genau dieser Grundgedanke die beste Grundlage für eine bessere Bildungspolitik ist. Hören wir endlich auf, jeden Tag neu in diesem Hohen Haus das Trauerlied auf die nicht vorhandene Bundeszustän- digkeit zu singen. Schule ist Ländersache, Schule bleibt Ländersache – Punkt. Auch die Forderung nach einer stärker pädagogischen und nicht nur fachlichen Ausrichtung der Ausbildung der „Helden des Alltags“ – wie sie unser Bundespräsi- dent genannt hat –, der Lehrer, und einem guten, wirk- lich guten Weiterbildungsangebot für Erzieherinnen und Erzieher ist bekannt. Die „Qualifizierung der Qualifizie- rer“ muss ein zentrales Thema sein. Dem fühlen wir Li- berale uns verpflichtet. Wir Liberale fühlen uns außerdem an einem ganz zen- tralen Punkt des Muñoz-Berichts bestätigt: Er stellt fest, dass die deutschen Schulen im OECD-Vergleich wesent- lich weniger autonom sind als Schulen in anderen Län- dern. In der Arbeitsübersetzung des Berichts heißt es wörtlich: „Gemessen am PISA-lndex für Schulautono- mie verfügen deutsche Schulen über eine geringere Au- tonomie als die anderen OECD-Schulen im Durch- schnitt.“ Wir fordern schon seit langem mehr Freiheit vor Ort und mehr Eigenverantwortlichkeit für die Schu- len. Die Schulen wissen in enger Kooperation mit Schü- lern und Lehrern selbst am besten, was gut für sie ist. Schulen brauchen deutlich mehr Entscheidungsfreihei- ten bei Personalangelegenheiten, Budgetfragen, sowie Unterrichtsinhalten und -methoden. Bundesländer wie Baden-Württemberg und Nord- rhein-Westfalen, Niedersachsen machen uns vor, wie er- folgreich Aufgaben von Verwaltungen von Landes- und Kommunalebene direkt auf Schulen übertragen werden können und wie so eine Diskussion in Gang gesetzt wer- den kann. Denn eines ist auch klar: Es ist bei den führen- d s m r d s s e u a d a ü n i w N g z l B R s t u e b L S d e a g d m d n s u g S c d r S K b a B g i i s s (C (D en PISA-Ländern ein klarer Zusammenhang darin zu ehen, wie gut sie abgeschnitten haben und wie viel ehr Eigenverantwortlichkeit sie ihren Schulen einge- äumt haben. Lassen wir die Strukturdebatten endlich sein. Nicht ie Menschen müssen sich dem Bildungssystem anpas- en, sondern das Bildungssystem muss sich den Men- chen anpassen. Jörg Tauss (SPD): Man sollte sich bei Herrn Muñoz ntschuldigen. Viele Reaktionen auf seine sachlichen nd konstruktiven Anregungen sind unverständlich und rrogant. Wenigstens in einem Punkt haben die vielen Kritiker es Berichts von Professor Vernor Muñoz Villalobos ber völlig recht: Der Bericht enthält wenig Erkenntnisse ber den Zustand unseres Bildungssystems, die wirklich eu sind. Das Schlimme ist nur, dass daraus noch nicht n allen Ländern die richtigen Konsequenzen gezogen orden sind. Nicht erst seit PISA, IGLU und auch dem ationalen Bildungsbericht sind die negativen Wirkun- en unseres überwiegend dreigliedrigen, früh differen- ierenden Schulsystems bekannt. Es selektiert die Schü- erinnen und Schüler viel zu früh in zumeist drei ildungsgänge, wobei die Durchlässigkeit oft nur in eine ichtung gegeben ist – nämlich nach unten. Junge Men- chen aus sozial schwachen Familien oder mit Migra- ionshintergrund haben bei uns bei gleicher Befähigung nd Begabung schlechtere Bildungschancen. Insgesamt rreichen unsere Schülerinnen und Schüler auch in den esten Bundesländern nur knapp den Durchschnitt der eistungen der Schülerinnen und Schüler in anderen taaten. Und weiterhin ist trotz intensiver Beschulung ie Integrationsquote von Menschen mit Behinderungen twa in den regulären Arbeitsmarkt viel zu niedrig. Dies alles ist nicht neu – aber eben nach wie vor Re- lität in Deutschland. Insofern sollte nicht der Überbrin- er der abermaligen schlechten Botschaft kritisiert wer- en, sondern die weiterhin bestehenden Missstände. Wir öchten Herrn Professor Muñoz Villalobos daher dafür anken, dass er das deutsche Bildungssystem mit all sei- en föderalen Untiefen und bildungspolitischen Ver- chränkungen sowie auch Stärken wie Schwächen fair nd sachorientiert erfasst hat. Es ist ihm außerordentlich ut gelungen. Weiterhin gilt es in Deutschland, die richtigen chlüsse aus den vorliegenden und zukünftigen Untersu- hungen zu ziehen. So erwarten wir im Herbst 2007 die ann dritte PISA-Untersuchung. Diese Aufforderung ichtet sich natürlich in erster Linie an die Länder, die für chulfragen zuständig sind. Die Stellungnahme der MK verweist zu Recht darauf, dass die Länder die Pro- leme unseres Bildungssystems bereits an vielen Stellen uch in Angriff genommen haben. Nicht zuletzt der und hat mit dem erfolgreichen Ganztagsschulpro- ramm, das in der Großen Koalition verlängert worden st, einen wichtigen Beitrag dazu leisten können. Er hat nsgesamt 4 Milliarden Euro für den Ausbau von schuli- chen Ganztagesangeboten bis 2009 zur Verfügung ge- tellt. Dennoch dürfen wir in unseren Anstrengungen 9416 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2007 (A) ) (B) ) nicht nachlassen, wenn wir es mit der Chancegleichheit in der Bildung, der Integration sowohl von jungen Mi- grantinnen und Migranten als auch von Menschen mit Behinderung ernst meinen. Dies ist nicht nur eine Frage der Zukunft der Haupt- schule, wie es gegenwärtig oft diskutiert wird. Die Se- lektivität unseres Schulsystems ist nach wir vor vielmehr ein grundlegendes Problem, das soziale Benachteiligun- gen direkt in schlechtere Bildungschancen hinein verlän- gert. Dies ist ein bildungspolitischer Skandal und kann nicht oft genug thematisiert werden. Die SPD-Bundes- tagsfraktion steht hier klar an der Seite der bildungsbe- nachteiligten Schülerinnen und Schüler und unterstützt nachdrücklich die Forderung nach einem möglichst lan- gen gemeinsamen Lernen in den Schulen. Die Empfehlungen von Herrn Professor Muñoz Villalobos sollten Bund und Länder daher ernst nehmen und auf den jeweiligen politischen Ebenen auf ihre Um- setzbarkeit prüfen. Das heißt natürlich nicht, dass wir alle Empfehlungen eins zu eins umsetzen müssen. So lehnen wir etwa den Vorschlag von Professor Muñoz Villalobos zum Homeschooling in Übereinstimmung mit der KMK ab. Kinder und Jungendliche sollten nicht in Parallelgesellschaften und Nischen aufwachsen, sondern in ihrem Schulalltag die Werte einer offenen, demokrati- schen und pluralen Gesellschaft gemeinsam erleben. Dennoch bleibt die intensive Prüfung der weiteren Emp- fehlungen unverzichtbar. Dies gebietet bereits sowohl der Respekt vor dem Auftrag des UN-Sonderbericht- erstatters als auch die unüberschätzbare Bedeutung der Chancengleichheit in der Bildung für die Zukunft vieler junger Menschen. Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Zunächst einmal stimmt es mich sehr nachdenk- lich, wie so mancher politische Repräsentant dieses Lan- des sich im Umgang mit internationalen Gremien gebärdet. Da hören wir, wie sich der Sprecher des nord- rhein-westfälischen Kultusministeriums ereifert, Herr Muñoz habe „offenbar das deutsche Bildungssystem nicht verstanden“, sein Bericht sei „völlig unbrauchbar für die bildungspolitische Diskussion“. Oder der Kultus- minister des Saarlandes empört sich darüber, das deut- sche Bildungssystem sein doch „kein Fall für Amnesty International“. Hier zeigen sich Ignoranz und auch Missachtung ge- genüber einem Gremium der Vereinten Nationen, die aus unserer Sicht nicht hinnehmbar sind. Wir erwarten eine deutliche Positionierung der Bundesregierung und keine Stellungnahme à la „In unserem Bildungssystem ist schon alles in Ordnung“ wie von Herrn Steiner vor der UN. Die Bundesregierung muss klarmachen, dass sie UN-Gremien und ihre Berichterstatter ernst nimmt und Berichtsergebnisse nicht mit dem lapidaren Verweis auf „Verständnisschwierigkeiten aufgrund soziokultureller Interpretationsunterschiede“ abtut, wie die Kultusminis- terkonferenz dies in ihrem internen Bericht nach der Reise von Herrn Muñoz getan hat. Nun zum Inhalt des Berichts. Ein zentraler Kritik- punkt von Professor Muñoz ist, dass das deutsche Schul- s l W n h n E S s d D d r d k e n u d s d d l r l z d b S d l a W s m s l d g g n a w l T v d h n E d K (C (D ystem zu „selektiv sei“ und man doch die frühe Auftei- ung der Schülerinnen und Schüler überdenken solle. enn sich nun der amtierende Präsident der Kultusmi- isterkonferenz, Herr Zöllner, hinstellt und im Fernse- en verbreitet, das dreigliedrige Schulsystem böte „ge- ügend Durchlässigkeit“, so ignoriert er nicht nur die rgebnisse zahlreicher nationaler und internationaler tudien, sondern auch Resultate eines Berichts, den er elbst mit in Auftrag gegeben hat. Im Nationalen Bil- ungsbericht 2006 heißt es nämlich auf Seite 53: „Die urchlässigkeit [im deutschen Bildungssystem] ist in er Praxis eher gering sowie überwiegend abwärts ge- ichtet.“ Da hilft auch das schöne Reden von der indivi- uellen Förderung nichts, das inzwischen ja sogar die onservativen Lehrerverbände beherrschen. Individu- lle Förderung ist gut, wichtig und richtig. Aber sie ist icht umsetzbar, wenn man Kinder mit zehn Jahren auf nterschiedliche Schulformen verteilt. Auch die Bundesregierung könnte sich hier öffentlich eutlicher äußern; in ihren eigenen Berichten tut sie dies chon. So ist im Abschlussbericht der Arbeitsgruppe Bil- ung/Arbeit für den Integrationsgipfel, die unter der Fe- erführung von Herrn Müntefering tagte, zu lesen: Eine frühzeitige Aufteilung auf Schulformen er- schwert im weiteren Verlauf eine Integration und die Erfolgschancen von Kindern aus sozial benach- teiligten und zugewanderten Familien. Zurzeit gibt es eine Negativauslese. Sozial benachtei- igte und Migrantenkinder werden nach unten durchge- eicht. Die Ergebnisse können Sie in vielen Hauptschu- en besichtigen. Daher ist unser System nicht mehr ukunftsfähig. Heute ist es übrigens ein Jahr her, dass er Brief der Lehrerinnen und Lehrer der Rütli-Schule ekannt wurde, die die Abschaffung ihrer eigenen chule forderten. Es ist ein Fakt – das belegen alle Stu- ien über das deutsche Bildungssystem – dass der sozia- e Hintergrund den Bildungserfolg bestimmt. Hier allein uf bessere Sprachkompetenz zu setzen, reicht nicht aus. ir brauchen echte Bildungsgerechtigkeit durch umfas- ende Bildungsangebote. Muñoz kritisiert in seinem Bericht auch den Umgang it behinderten Kindern, die selten eine Regelschule be- uchen, derzeit nur 12 Prozent. Die Bundesregierung ässt durch ihren Botschafter Steiner lapidar mitteilen, as sei doch alles kein Problem. Für behinderte Kinder elte die Schulpflicht, und überhaupt hätten wir doch ute Sonderpädagoginnen und -pädagogen. Das ist zy- isch. Behinderte Kinder werden bei uns systematisch usgegrenzt, weil sie auf Sonderschulen abgeschoben erden. Diese mögen im Einzelnen eine sehr gute Arbeit eisten, aber es ist und bleibt ein Absondern, das echte eilhabe verhindert. Professor Muñoz hat unser Bildungssystem sehr wohl erstanden, auch wenn das im Föderalismus-Klein-Klein urchaus manchmal schwer fällt. Ihm zu unterstellen, er abe sich ja keinen richtigen Eindruck verschaffen kön- en, weil seine Reise nur ein paar Tage dauerte, ist frech. s ist verständlich, dass manchen die Kritik peinlich ist; enn sie ist berechtigt. Die Bundesregierung und die ultusministerkonferenz müssen endlich Konsequenzen Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2007 9417 (A) ) (B) ) ziehen. Eine andere Struktur und eine bessere Qualität – beides ist wichtig für unser Bildungssystem. Alle Kinder werden gebraucht und müssen eine gerechte Chance auf Teilhabe in unserem Land haben. Marcus Weinberg (CDU/CSU): Lassen Sie mich einleitend einiges sagen zu der Frage, wie wir meines Erachtens mit dem Bericht des UN-Sonderberichterstat- ters umgehen sollten. Ich bin der Meinung, dass dieser Bericht wichtig ist und sich einreiht in eine Reihe von Berichten und von Vergleichsuntersuchungen über das deutsche Bildungssystem. Also sollten wir mit diesem Bericht respektvoll umgehen, aber auch kritisch. Einige Teile sind im Bericht meines Erachtens durchaus richtig dargestellt, sind allerdings schon seit geraumer Zeit, ins- besondere seit den PISA-Untersuchungen, bekannt. Hier muss das deutsche Bildungssystem nacharbeiten; das machen wir. Einige Teile im Bericht sehe ich als durch- aus problematisch und sachlich in der dargestellten Form als nicht richtig an. Deutlich muss gesagt werden, dass es auch positive Teile im Muñoz-Bericht gibt. So wird zum Beispiel er- wähnt, dass der hohe Entwicklungsstand des deutschen Bildungssystems zu begrüßen ist. Die Bildungsbeteili- gung ist kontinuierlich gestiegen, und mittlerweile haben 90 Prozent der alterstypischen Jahrgänge einen Ab- schluss der Sekundarstufe II. Auch tauchen im Bericht die zurzeit durchgeführten Reformen auf. Das deutsche Schulsystem reformiert sich in der Verantwortung der Länder, beginnend bei der Schulstruktur über die Frage von Methodik, Didaktik, Qualitätssicherung, Autonomie von Schulen, bis hin zur Frage des Ausbaus und der Qualitätsverbesserung der vorschulischen Bildung. Das deutsche Bildungssystem ist in Schwung gekommen und zieht aus den doch schlechten Daten der Vergleichs- untersuchungen die nötigen Konsequenzen. Ich teile nicht die Auffassung des UN-Sonderbericht- erstatters, dass Kinder und Jugendliche mit Behinderung ausgegrenzt werden. Wir haben in Deutschland ein qua- litativ hochwertiges System der sonderpädagogischen Förderung, und Kinder mit Behinderung werden in der Regel im Normalunterricht beschult. Dies erfolgt zum Beispiel über sogenannte Integrationsklassen. Es gilt im Grundsatz immer, dass die individuelle Förderung der Kinder übergeordnet betrachtet werden muss, und es gilt das Primat der integrativen Förderung. Allerdings kann es auch passieren und kommt vor, dass dies nicht möglich ist, und dann, glaube ich, haben wir in Deutschland ein sehr ausgeprägtes Angebot an anderen Bildungseinrichtungen. Richtig ist die Tatsache, dass Kinder mit Migrationshintergrund in Deutschland be- nachteiligt sind. Hier allerdings, glaube ich, haben die Bundesländer wie auch die Bundesregierung in den letz- ten Monaten wichtige Maßnahmen eingeleitet. Wir wer- den einen nationalen Integrationsplan entwickeln, der insgesamt zum Schwerpunkt hat, wie Kinder mit Migra- tionshintergrund besser gefördert werden können. Hinzu kommt, dass viele Länder – ich nenne das Beispiel Ham- burg – mittlerweile Handlungskonzepte im Bereich der Integration entwickelt haben. Hier werden die verschie- d l n K s b B P D t d d h s I i m t I r P s w l v d l a w o t a e i s b M s d b w l W k e e z s d c s d d s r (C (D enen Angebote verzahnt, und die Förderung wird deut- icher beschrieben. Aber es wird eine große Aufgabe der ächsten Jahre und Jahrzehnte sein, die Integration von indern mit Migrationshintergrund ins deutsche Schul- ystem weiter zu entwickeln. Zum Schluss noch zur sogenannten Schulstrukturde- atte. Ich teile die Auffassung von Herrn Baumerts, dem ildungsforscher, und von Herrn Zöllner, dem KMK- räsidenten, dass wir jetzt um Gottes willen nicht eine iskussion führen sollten über die Frage der Schulstruk- ur. Es ist nicht wichtig, was draufsteht, sondern was rinnen stattfindet. Das heißt, die Durchlässigkeit und ie individuelle Förderung müssen im Vordergrund ste- en. Gerade bei der Schulstruktur haben sich auch ver- chiedene Länder in den letzten Jahren massiv bewegt. n Hamburg wird es demnächst Stadtteilschulen geben, n Schleswig-Holstein sogenannte Regionalschulen. Ich ache an einem Beispiel deutlich, dass hier das födera- ive System durchaus positive Elemente mit sich bringt: n Bayern haben wir noch weitestgehend funktionie- ende Hauptschulen – diese werden reformiert mit dem rogramm Bayern 2020 –, in Hamburg haben die Haupt- chulen nicht mehr die nötigen Ergebnisse erzielt und erden deshalb aufgelöst zu sogenannten Stadtteilschu- en. Wir sehen also, dass man sich von Land zu Land erschieden dieser Problematik angenommen hat, mit urchaus auch verschiedenen Ergebnissen. Ich persön- ich bin Anhänger des Modells der Zweigliedrigkeit, ber – und das ist das Gute am föderativen System – ich ill mich nicht festlegen für Bayern oder für Sachsen der für Thüringen. Diese Länder und die Bildungspoli- iker sollen selbst entscheiden, welches Modell für sie m besten ist. Es darf auf jeden Fall nicht wieder zu inem Kulturkampf kommen zwischen verschiedenen deologisch bedingten Ansätzen des gegliederten Schul- ystems und des Gesamtschulsystems. Diese Diskussion ringt uns nicht weiter. Als Fazit bleibt festzuhalten: Der Bericht des Herrn uñoz ist wichtig, und er wird sich einreihen in die be- tehenden Berichte und Analysen über das deutsche Bil- ungssystem. Die kritischen Punkte sollten herausgear- eitet und dann auch vonseiten der Politik korrigiert erden. Ich kann für die Fraktion der CDU/CSU deut- ich sagen, dass wir diesen Bericht sehr ernst nehmen. ir machen aber dort, wo es angebracht ist, die nötigen ritischen Anmerkungen. Swen Schulz (Spandau) (SPD): Dass wir die Aktu- lle Stunde über den Bericht des UN-Sonderbericht- rstatters für das Recht auf Bildung, Herrn Muñoz, nicht u einer angemessenen Zeit diskutieren, stimmt mich chon etwas traurig. Aber das eigentliche Problem ist och, dass wir für die meisten in dem Bericht angespro- hen Fragen hier im Deutschen Bundestag gar keine Zu- tändigkeit haben. Vor ein paar Jahren noch haben wir gemeinsam mit en Ländern einen kräftigen und wichtigen Impuls für ie Schullandschaft gegeben, indem wir das Ganztags- chulprogramm aufgelegt haben. Bei der Föderalismus- eform haben die Ministerpräsidenten aber darauf be- 9418 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2007 (A) ) (B) ) standen, dass der Bund nie mehr helfen darf, um Schule zu verbessern. Das ist grotesk! Und diesen Unfug hat auch Muñoz angesprochen. Wo wir Bundespolitiker allerdings sehr wohl noch et- was machen können, das ist der Bereich vorschulischer Bildung. Die heftige familienpolitische Debatte der letz- ten Wochen hat auch einen bedeutenden bildungspoliti- schen Aspekt. Es ist zum Beispiel in Berlin ganz klar be- legt: Kinder, die in der Kindertagesstätte sind, gehen viel besser vorbereitet in die Schule und finden sich dort schneller und besser zurecht. Insbesondere bei der Sprachkompetenz ist das deutlich. Natürlich gibt es viele Kinder, die wunderbar von den Eltern betreut und vorbereitet werden. Doch das ist häu- fig nicht möglich, nicht gegeben. Ich finde, dass wir da- bei auch einen weiteren wichtigen Aspekt nicht verges- sen sollten: Kinder brauchen Kinder! Und so viele Nachbarskinder gibt es nicht mehr an allen Orten. Die Kita ist der Ort, an dem die Grundlagen gelegt werden. Die Kita ist eine Bildungseinrichtung und muss auch so behandelt werden: hinsichtlich der Qualifikation des Personals, hinsichtlich der Ausstattung und auch hinsichtlich der Gebührenfrage. Die SPD setzt sich, ganz im Sinne von Herrn Muñoz, für ein Recht auf Bildung auch vor der Einschulung ein. Das beinhaltet, dass dieses Bildungsangebot gebühren- frei gestellt werden muss. Denn erstens dürfen Einkom- mensschwache nicht abgeschreckt werden, und zweitens wollen wir gerade eine Mischung haben und nicht durch hohe Gebühren provozieren, dass Gutverdienende aus- weichen und ihre Kinder nicht in der Kita anmelden. Wir sollten also auch und gerade als Bildungspolitiker im Deutschen Bundestag die Initiativen für Betreuung und Bildung von Kindern vor dem Schuleintritt unter- stützen. Wenn die Familienministerin der SPD folgt und einen ordentlichen Finanzierungsvorschlag macht, kom- men wir auch gegen die beharrenden Kräfte voran. Der Muñoz-Bericht spricht zu Recht ein Thema an, dass in Deutschland kaum einmal sachlich debattiert wird: die Schulstruktur. Die Frage ist, ob es richtig sein kann, nach der vierten Klasse, also mit zehn Jahren etwa, über den weiteren Schulweg zu entscheiden. Ich hatte nach der Grundschule keine klare Empfehlung für Real- schule oder Gymnasium. Meine Eltern haben es mit dem Gymnasium versucht. Ich weiß nicht, ob ich studiert hätte, wenn ich auf die Realschule gekommen wäre. Ich weiß, dass das nicht die einzige wichtige Frage der Schulpolitik ist. Aber sie gehört auf die Tagesord- nung. Wann können wir in Deutschland endlich diesen Irrglauben abräumen, dass Lernen nur in homogenen Gruppen sinnvoll ist? Das ist ständisches Denken aus vergangenen Jahrhunderten! Wenn das richtig wäre, müssten unsere Gymnasiasten die besten der Welt sein, sind sie aber nicht. Nun kann ich ja viel erzählen und Herr Muñoz viel schreiben. Aber vielleicht hat der Bundespräsident mehr Autorität? Der hat nämlich 2006 den ersten „Deutschen Schulpreis“ verliehen. Das Ergebnis war bemerkens- w G l B P u i v w d s d j e d z M o S e i d g f f d d n B d c S d t K w H S s U S M s n d 9 S l s (C (D ert. Die Preisträger waren eine Grundschule sowie vier esamtschulen. Alles Schulen, in denen gemeinsam ge- ernt wird. Was sagt uns das? Ich zitiere als Antwort den undespräsidenten. Er hat in seinem Grußwort bei der reisverleihung gesagt: Die für den Preis nominierten Schulen zeigen zum Beispiel vorbildlich, wie behinderte und nichtbe- hinderte und wie lernschwache und hochbegabte Schüler erfolgreich gemeinsam unterrichtet werden können. Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Lassen Sie ns endlich vernünftig dieses Thema diskutieren anstatt mmer nur emotionale Debatten zu führen, die die Eltern erunsichern. Wenn das der Effekt des Muñoz-Berichtes äre, hätte er unglaublich viel erreicht. Dorothee Bär (CDU/CSU): Ich freue mich sehr, ass der Sonderberichterstatter der UN Deutschland be- ucht hat, um sich einen Eindruck vom deutschen Bil- ungssystem zu verschaffen. Gleichzeitig frage ich mich edoch, wie er während seines einwöchigen Besuchs zu inigen seiner Schlussfolgerungen kommt. Es gibt Bil- ungsforscher, die über Jahrzehnte ausführliche Studien u unserem Bildungssystem gemacht haben. Herr uñoz benötigt für die Erkenntnisse aus solchen Studien ffensichtlich nur einen flüchtigen Blick auf unser chulsystem. Ich möchte dennoch auf einige seiner Kritikpunkte ingehen. Er schlägt vor, das sogenannte Homeschooling n Deutschland zu stärken. Gleichzeitig möchte er aber ie Chancenungleichheit im deutschen Bildungssystem emindert sehen. Aber gerade das Unterrichten zu Hause estigt doch die Selektivität und – schlimmer noch – ührt zu Parallelgesellschaften, die wir doch alle verhin- ern wollen. Denn wo sonst als in der Schule lernen Kin- er im Austausch mit anderen unsere Werte einer offe- en, demokratischen und pluralen Gesellschaft? Widersprüchlichkeiten finden sich auch in anderen ereichen des Berichts. So stellt Herr Muñoz selbst fest, ass weder PISA noch andere internationale Untersu- hungen einen schlüssigen Zusammenhang zwischen chulsystem und Schulerfolg nachweisen. Dennoch for- ert er eine Überprüfung des dreigliedrigen Schulsys- ems und kritisiert es zudem. Außerdem kritisiert er, dass inder mit Behinderung nicht ausreichend integriert ürden. Als Vorsitzende der Lebenshilfe in meinem eimatlandkreis trifft mich dieser Vorwurf besonders. chließlich sehe ich dort, welche wertvolle und un- chätzbare Arbeit die Lebenshilfe für Behinderte leistet. nd auch die Integration von Behinderten in unser chulsystem ist seit langem gang und gäbe. Integrative odelle gibt es vom Kindergarten bis zur Schule. Völlig außer Acht lässt Herr Muñoz gleichzeitig un- er duales Ausbildungssystem, um das wir weltweit be- eidet werden und das als Vorbild gilt. In allgemeinbil- enden und beruflichen Ausbildungsgängen erwerben 0 Prozent der Jugendlichen einen Abschluss der ekundarstufe II. Der Blick des Sonderbeauftragten al- ein auf die Sekundarstufe I verengt sein Bild des deut- chen Schulsystems derart, dass es falsch wird. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2007 9419 (A) ) (B) ) Ich gebe Herrn Muñoz recht, dass die frühkindliche Förderung weiter verbessert werden kann. Er geht in sei- nem Bericht darauf aber leider nicht weiter ein. Insbe- sondere gezielte Sprachförderung ausländischer Kinder in vorschulischen Einrichtungen gemeinsam mit den El- tern wäre ein solcher Vorschlag, um den Zusammenhang von Herkunft und Bildungschancen zu verändern. Schließlich möchte ich noch als Berichterstatterin für das BAföG einige Worte zu Kindern mit Migrationshin- tergrund sagen. Herr Muñoz behauptet, dass sie in Deutschland besonders schlecht gestellt sein. Dem wirkt die Bundesregierung mit der Novellierung des BAföG entgegen, indem sie besonders die Förderung von Mi- granten in den Vordergrund stellt. Ausländische Auszu- bildende, die bereits langfristig aufenthaltsberechtigt sind oder wenigstens bereits lange in Deutschland leben und eine aufenthaltsrechtliche Dauerperspektive haben, sollen daher ohne Anknüpfung an eine vorherige Min- desterwerbsdauer der Eltern gefördert werden. Das deutsche Bildungssystem bietet sicherlich Ent- wicklungsmöglichkeiten. Unsere Bundesländer haben dafür nicht nur die rechtliche, sondern vor allem auch die sachliche Kompetenz. Deshalb freue ich mich auf eine angeregte Diskussion dieses Themas auf Länder- ebene. Gesine Multhaupt (SPD): Heute ist ein guter Tag für alle behinderten Menschen in Deutschland. Ungefähr zeitgleich zu unserer Plenardebatte unterzeichnet die Be- hindertenbeauftragte der Bundesregierung, Frau Karin Evers-Meyer, in New York die Menschenrechtskonven- tion und das Zusatzprotokoll über die Rechte behinderter Menschen. Damit kommt Deutschland einer Forderung aus dem Muñoz-Bericht nach. Ich freue mich sehr, dass wir also heute nicht nur reden, sondern nun auch aktuell im Interesse der behinderten Menschen in unserem Land handeln. Der UN-Sonderberichterstatter analysiert mit seinem Bericht, inwieweit in Deutschland das Men- schenrecht auf Bildung umgesetzt wird. Viele Kollegen haben bereits auf zahlreiche positive Sachverhalte im dem vorliegenden Bericht verwiesen. Bezogen auf die Bildung von behinderten Kindern sind eine Reihe von anerkennenden Punkten enthalten: Sie haben die gleichen Rechte wie nichtbehinderte Kinder. Zudem unternehmen alle Bundesländer große Anstren- gungen, um sie individuell zu fördern. Des Weiteren haben wir gut ausgebildete Sonderpädagogen, in allen Teilen unseres Landes, und unumstritten geben wir ins- gesamt viel Geld für ihre Beschulung aus. Die Anerken- nung für dieses Bemühen von vielen Menschen, die täg- lich hier ihre Arbeit tun, kommt in dem Bericht nicht zu kurz, und darum erwähne ich dies auch an dieser Stelle ganz ausdrücklich. Doch nun zu der Kritik: Herr Muñoz kritisiert meines Erachtens völlig zu recht, dass wir mit diesen Anstren- gungen insgesamt noch nicht erfolgreich genug sind. Las- sen Sie mich dazu nur zwei Zahlenbeispiele nennen: Mit unserem System von Sonder- und Förderschulen – den Rahmenrichtlinien für Körperbehinderte, für Sprachbe- hinderte, für Lernbehinderte, für Geistigbehinderte – ge- lingt es uns bundesweit nur 12 Prozent aller behinderten Kinder gemeinsam mit nichtbehinderten Kindern zu un- t s S k A w h 1 r s S M t h n n u w e n s d z d T L P d u g A n a d t B s t G j d V g m e h A d b b r (C (D errichten. Allein bei unseren europäischen Nachbarn ind es im Schnitt mehr als 80 Prozent. Wer heute als chüler auf eine Sonderschule gehen muss, hat nahezu eine Chance, auf dem regulären Ausbildungs- oder rbeitsmarkt einen Platz zu bekommen. Der ganz über- iegende Anteil landet gleich in den Werkstätten für Be- inderte, aus denen statistisch gesehen nur ungefähr Prozent wieder herauskommen. Angesichts dieser Zahlen – diese sind ungeachtet zahl- eicher nationaler Absichtserklärungen seit Jahren kon- tant – ist doch die Frage mehr als berechtigt, auf welcher prosse der Leiter unser Land bei der Verwirklichung des enschenrechts auf Bildung für behinderte Kinder. denn atsächlich steht. Der Umgang einer Gesellschaft, einer Nation mit be- inderten Kindern und Jugendlichen erfordert nach mei- er festen Überzeugung immer wieder neu die Frage ach dem Menschenbild, das dem jeweiligen Bildungs- nd Ausbildungssystem zugrunde liegt. Vor diesem Hintergrund wünsche ich mir sehr, dass ir diesen Teil der Kritik aus dem Muñoz-Bericht nicht infach nur zurückweisen, so wie es viele Kollegen in ei- er ersten Reaktion getan haben. Bei der Umsetzung des Menschenrechts auf Bildung ollten wir uns ernsthaft mit diesem Phänomen auseinan- ersetzen. Schaffen wir doch gemeinsam die Vorausset- ungen für ein integratives System. Wichtig dabei ist, ass wir die immer noch bestehende und praktizierte rennung – schon in der Ausbildung von Erziehern und ehrkräften – zwischen allgemeinbildenden Pädagogen, ädagogen mit interkulturellem Schwerpunkt und Son- erpädagogen überwinden. Wenn Kinder mit Migrationshintergrund, behinderte nd nichtbehinderte Kinder sich von früh auf im Kinder- arten und in der Schule kennen lernen, schafft dies kzeptanz und die Fähigkeit, sich mit Würde zu begeg- en. Der gemeinsame Weg von klein auf ist zusätzlich uch unter volkswirtschaftlichen Aspekten interessant, a unter dem Strich viel weniger öffentliche Mittel benö- igt werden. Lassen Sie mich mit einem Zitat von unserem Alt- undespräsidenten Johannes Rau schließen: „Men- chenrecht und Behinderung: Alle Fragen, die damit zu un haben, münden letztlich in die Frage, in welch einer esellschaft wir leben wollen. Die Antwort darauf muss ede und jeder von uns Tag für Tag selber geben.“ Uwe Schummer (CDU/CSU): Das deutsche Bil- ungssystem ist differenziert. Differenzierung ist ein orteil, wenn es faire Chancen der Beteiligung für alle ibt. Menschen sind unterschiedlich. Bildungsstrukturen üssen sich diesen Unterschieden anpassen. Wir haben ine hohe Bildungsbeteiligung; das Recht auf Bildung aben wir durch die allgemeine Schulpflicht verankert. uch bei den Hauptschülern gelingt es, 85 Prozent nach er Schule in Lohn und Brot zu bringen. Die Jugendar- eitslosigkeit ist unterdurchschnittlich. In Deutschland eträgt sie 9 Prozent, in Finnland 19 Prozent, in Frank- eich 25 Prozent. 9420 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2007 (A) ) (B) ) Eine Woche Deutschland reichen sicher nicht, um die gesellschaftliche, kulturelle und föderative Vielfalt auf- zuarbeiten. Ein Blick aus der Distanz kann jedoch hilf- reich sein, um Entscheidungen zu prüfen. Professor Muñoz hat mit seinem Bericht die engagierte Bildungs- debatte in Deutschland weiter angetrieben. Keine ideolo- gische Systemdebatte. Die Wahrheit ist immer konkret: Wir müssen Klassengrößen verkleinern, mehr Lehrer einstellen, weniger Unterrichtsausfall organisieren – egal in welcher Schulform. Entscheidend ist die gezielte Ein- zelförderung. Deutschland hat weniger Abiturienten, weil wir mit der dualen Berufsausbildung eine eigene Form gleicher Qualifizierung geschaffen haben. Die Me- chatroniker-Ausbildung ist wie das Abitur, der Meister- brief ist wie der Bachelor zu bewerten. 43 Prozent der Schüler erreichen das Abitur nicht über das Gymnasium, sondern über den beruflichen Bil- dungsweg. Wir müssen die Eltern stärker einbeziehen; Integra- tion ist auch Hausaufgabe. Notwendig ist Breitenbildung, nicht nur Spezialisten. Das Berufsprinzip der dualen Ausbildung: Neben dem Staat finanzieren auch die Betriebe mit fast 30 Milliar- den Euro die Berufsausbildung. Von 342 Berufsbildern sind aber nur 20 offen für Hauptschüler. Zugangsbeschränkungen müssen wir be- seitigen durch eine qualifizierte Stufenausbildung nach dem Kammervorschlag. Reformen, die in die richtige Richtung gehen: Ab dem vierten Lebensjahr Sprachtest in nordrhein-westfä- lischen Kindergärten. Eine gezielte Förderung, wenn Mängel auftreten. Ferner: Ganztagsunterricht. Nicht als Zwangsveranstaltung, sondern bedarfsgerecht, um die Wahlfreiheit zu verbessern. Ebenso: Mehr Durchlässig- keit zwischen den Bildungssystemen und Kompetenzen aufwerten, egal ob sie schulisch, akademisch oder beruf- lich erworben wurden. Hierzu gibt es einen gemeinsamen Antrag zum Euro- päischen Bildungsraum. Für uns ist der Muñoz-Bericht eine gute Momentauf- nahme. Er wird in die weitere Bildungsberatung einflie- ßen. Renate Schmidt (Nürnberg) (SPD): Zehn kurze Punkte zu dem Bericht von Herrn Muñoz mit seinen 108 Absätzen. In einer Stunde, die inaktueller nicht sein könnte, weil dieser Bericht landauf/landab bereits disku- tiert, kritisiert und kommentiert wurde, nur noch nicht von uns. Dennoch, ich bin ein optimistischer Mensch, deshalb: Erstens. Ich freue mich, dass dem Bericht von Profes- sor Muños hier, im Ausschuss und durch die Bundesre- gierung den Respekt erteilt wird, der ihm zukommt. Dies hebt sich wohltuend von manch anderen Äußerungen ab. Ich freue mich, dass wir diesen Respekt mit der not- wendigen Selbstkritik, aber auch mit berechtigtem Selbstbewusstsein paaren; mit Selbstbewusstsein, weil wir nicht wie einige den Eindruck erwecken wollen, bil- dungspolitisches Entwicklungsland zu sein, sondern, wie e d u f w v d S n c O A g L g s g d p z e 1 e s s w z o u B F v d h r a i f e o S e z d d M K t z U s B (C (D s auch der Muñoz-Bericht sagt, eine der führenden Bil- ungsnationen; mit Selbstbewusstsein, weil wir in einem mfangreichen Reformprozess steckern nach dem ein olgender Bericht zu besseren Ergebnissen kommen ird. Zweitens. Auch wenn vieles nach PISA/IGLU und ielen anderen Untersuchungen nicht mehr neu ist, ist ie Außensicht eines UN-Sonderbotschafters hilfreich. Drittens. Sie ist hilfreich, weil wir uns, ohne uns in trukturdiskussionen zu verlieren, fragen müssen, ob wir ach dem PISA-Schock für alle Kinder und Jugendli- hen schon die richtigen Maßnahmen eingeleitet haben. hne erste Erfolge der Länder zu schmälern, wird die ntwort lauten: In einigen Ländern ja, in anderen weni- er. Viertens: Natürlich ist es gut, wenn es in nahezu allen ändern Bildungspläne für den frühkindlichen Bereich ibt. Nur: Werden sie mit ausreichend Personal mit ent- prechender Qualifikation und genügend Zeit auch um- esetzt? In einigen Ländern ja, in anderen Ländern sind iese Pläne noch zu sehr ausschließlich gedrucktes Pa- ier. Fünftens. Es gibt den Beginn kostenloser Kitas, wie um Beispiel in Rheinland-Pfalz, anderswo gibt es nicht inmal ausreichend kostenpflichtige Plätze, um den seit 996 verankerten Rechtsanspruch für 3- bis 6-Jährige zu rfüllen, wie zum Beispiel in Niedersachsen. Sechstens. Es gibt mehr Ganztagsschulen als noch vor ieben Jahren mit individueller Förderung und rhythmi- iertem Unterricht – Rheinland-Pfalz – es gibt sie nach ie vor zu selten, und zu häufig sind sie nur die Fortset- ung des Frontalunterrichts in den Nachmittag hinein hne ausreichende Aufenthaltsräume, ohne sportliche nd Freizeitmöglichkeiten, wie zum Beispiel bei G 8 in ayern. Siebtens. Es gibt zunehmend das Ziel individueller örderung von Kindern. Existieren tut es häufig an pri- aten Schulen, seltener an öffentlichen. Es gibt mehr pä- agogische Ausbildung der Lehrer, aber immer noch zu äufig werden Fächer und nicht junge Menschen unter- ichtet. Achtens. Ja, wir strengen uns an, Migrantenkindern usreichenden Sprachunterricht zu bieten, der – hier teile ch die Kritik von Professor Muñoz nicht – der Schlüssel ür jedweden Lernerfolg ist. Aber wir sind noch weit ntfernt davon, allen Kindern, auch zum Beispiel denen hne Ausweispapiere, in ausreichendem Umfang den chulbesuch zu ermöglichen. Es wäre hoch an der Zeit, ndlich den Vorbehalt der Bundesrepublik Deutschland ur Kinderrechtskonvention zurückzunehmen. Hier sind ie Länder am Zug. Neuntens. Wir leben in Zeiten der Globalisierung, iese verlangt von jungen Erwachsenen, also den Eltern, obilität und Flexibilität. Tun wir genug, dass unsere inder und Jugendlichen dabei nicht unter die Mobili- ätsbildungsräder kommen? Was tun wir bei allem zu ak- eptierenden förderalen Bildungswettbewerb, damit der mzug der Eltern nicht regelmäßige Ehrenrunden oder ogar Schulartwechsel für ihre Kinder bedeutet? Und: rauchen wir nicht gerade in föderalen Strukturen einen Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 92. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2007 9421 (A) ) (B) ) einheitlichen Bildungskern gleichlautend in allen Län- derverfassungen? Zehntens und letztens. Der Muñoz-Bericht sollte mangels Zuständigkeit auf Bundesebene nicht als Instru- ment zu einer weiteren Schlacht um das dreigliedrige Schulsystem verwendet werden. Dabei sollte aber den- noch die deutsche Einmaligkeit der sehr frühen, der zu frühen Einteilung der Schüler nach Schularten nicht nur zu denken geben, sondern auch zu Konsequenzen führen. Wir müssen uns fragen: Warum glauben nur wir im deutschsprachigen Raum, dass eine Einteilung nach Be- gabungen und zukünftig nach Elternhäusern am besten mit zehn Jahren vorgenommen wird? Und warum disku- tieren wir als Folge davon – wie es Muñoz auch anmahnt – immer wieder über Institutionen und Strukturen und viel zu selten über Bildungsinhalte, Bildungsvermittlung, Bildungslust und Bildungsaufstieg? Die Konsequenzen davon gehen uns auf Bundesebene nämlich schon etwas an. Frühe Einteilung der Kinder, ihre mangelnde individuelle Förderung und zu geringe pädagogische Lehrerausbildung bedeuten eine hohe Quote an Schulabbrechern und eine zu niedrige an Abi- turienten und Studienanfängern. Die Folgen davon trägt der Bund. Sie schlagen sich in Arbeitslosenquoten und Eingliederungsmaßnahmen, in Mangel an Akademike- rinnen und Akademikern nieder. Die Durchlässigkeit un- seres Schulsystems ist bisher noch im Wesentlichen eine Rutschbahn nach unten. Wenn ein Kind aus einer bil- dungsfernen Familie in Bayern bei gleicher Intelligenz eine sechsmal schlechtere Chance hat, das Abitur zu ma- chen, als ein Kind aus einer bildungsnahen Familie, dann ist das keine Durchlässigkeit, sondern vor allem eine der größten sozialen Ungerechtigkeiten in Deutschland. Aus diesen zehn Gründen bin ich Herrn Professor Muñoz für seinen differenzierten Bericht dankbar, er ist kein Skandalbericht, wie ihn manche darstellen wollen, er ist in seinen Augen nicht neu, er würdigt die in An- griff genommenen Reformen und er ist kein bildungspo- litisches Ruhekissen, sondern ein Auftrag, in Dankbar- keit gegenüber allen Eltern, Lehrern und Lehrerinnen, Schülern und Schülerinnen, die sich trotz manchen Wid- rigkeiten mühen, das Beste aus sich und aus unserem fö- deralen Bildungssystem zu machen, schnell und effizient zu handeln. Anlage 3 Amtliche Mitteilung Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Auswärtiger Ausschuss – Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Ver- sammlung der Westeuropäischen Union/Interparlamentari- sche Europäische Versammlung für Sicherheit und Vertei- digung (WEU/IEVSV) m V P t (C (D Tagung der Versammlung vom 19. bis. 21. Juni 2006 in Paris – Drucksachen 16/2600, 16/4248 Nr. 1.1 – Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Unterrichtung durch die Bundesregierung – Zweiter Bericht über die Substitution risikoreicher durch risikoärmere Biozid-Wirkstoffe und Biozid-Pro- dukte, über den aktuellen Sachstand zur Umsetzung der Biozid-Richtlinie und des Überprüfungs-Program- mes der Altwirkstoffe sowie der aktuellen Entwicklun- gen auf EU-Ebene – Drucksache 16/2909, 16/3194 Nr. 1.1 – Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben itgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU- orlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische arlament zur Kenntnis genommen oder von einer Bera- ung abgesehen hat. Auswärtiger Ausschuss Drucksache 16/150 Nr. 1.66 Innenausschuss Drucksache 16/4105 Nr. 2.2 Drucksache 16/4258 Nr. 2.23 Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Drucksache 16/150 Nr. 2.112 Drucksache 16/150 Nr. 2.174 Drucksache 16/2555 Nr. 2.108 Drucksache 16/4105 Nr. 1.6 Drucksache 16/4105 Nr. 2.24 Drucksache 16/4105 Nr. 2.25 Drucksache 16/4105 Nr. 2.28 Drucksache 16/4105 Nr. 2.88 Drucksache 16/4258 Nr. 1.6 Drucksache 16/4258 Nr. 2.11 Drucksache 16/4258 Nr. 2.21 Drucksache 16/4258 Nr. 2.61 Ausschuss für Arbeit und Soziales Drucksache 16/4258 Nr. 2.46 Ausschuss für Gesundheit Drucksache 16/4501 Nr. 2.8 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 16/3196 Nr. 1.43 Drucksache 16/3196 Nr. 1.46 Drucksache 16/4258 Nr. 2.50 Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Drucksache 16/2555 Nr. 1.43 Drucksache 16/4105 Nr. 1.4 92. Sitzung Berlin, Freitag, den 30. März 2007 Inhalt: Redetext Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Hermann Otto Solms


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)


    Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

    abe den Aufruf des Bundesfinanzministers zu Augen-
    aß als einen Aufruf in seine eigenen Reihen verstan-

    en.






    (A) )



    (B) )


    Dr. Hermann Otto Solms

    (Ute Berg [SPD]: Das haben Sie falsch verstanden!)


    Denn die Oppositionstätigkeit innerhalb der Koalitions-
    fraktionen und zwischen den Koalitionsfraktionen ist
    sehr viel reger als das, was die Opposition gegenwärtig
    leisten kann.


    (Olaf Scholz [SPD]: Ist das jetzt Selbstkritik? – Volker Kauder [CDU/CSU]: Nur keinen Neid!)


    Wir können uns ja kaum noch Gehör verschaffen, weil
    Sie die Oppositionsrolle mit übernommen haben.


    (Beifall bei der FDP – Reinhard Schultz [Everswinkel] [SPD]: Alles muss man selber machen!)


    Das Zweite, was ich dazu sagen wollte: Sie haben
    eine sehr wortreiche Verteidigungsrede für dieses Mo-
    dell der Unternehmensteuerreform vorgetragen. Aus vie-
    len Worten wird aber noch kein schönes Gedicht, Herr
    Finanzminister; denn die Frage lautet: Welchen Maßstä-
    ben muss eine solche Unternehmensteuerreform gerecht
    werden? Sie muss doch offenkundig dem Maßstab ge-
    recht werden, die internationale Wettbewerbsfähigkeit
    hinsichtlich des Forschungsstandorts Deutschland, des
    Investitionsstandorts Deutschland – und damit des Ar-
    beitsplatzmarkts Deutschland – und schließlich auch des
    Finanzplatzes Deutschland im Bereich der Steuern zu-
    rückzugewinnen. Hier sind wir international enorm zu-
    rückgefallen. Daran gibt es keine Zweifel.

    Eine Unternehmensteuerreform ist aus Sicht der FDP
    überfällig. Sie muss mit Entlastungen der Unterneh-
    men verbunden sein. Wenn ich mir die Diskussion inner-
    halb der Reihen der SPD gegenwärtig anhöre und das
    betrachte, was die Fraktion der Linken vorträgt, dann
    kann ich mich nur wundern. Der Volkskongress Chinas,
    einer der letzen kommunistischen Staaten dieser Welt
    – und zwar kein kleiner –, hat vor 14 Tagen beschlossen,
    dass alle Unternehmen jedweder Rechtsform nur noch
    mit 25 Prozent besteuert werden sollen.


    (Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Hier zahlen sie weniger als die Hälfte!)


    Das hat man in Deutschland noch nicht verstanden. Das
    ist der Maßstab, der gesetzt wird.


    (Beifall bei der FDP)


    Die Frage ist, wie wir dagegen bestehen wollen. Sie
    diskutieren darüber, ob 30 Prozent niedrig genug sind.
    Ganz egal, ob Sie das gut oder schlecht finden: Diesen
    Maßstäben können Sie sich in einem globalisierten Wett-
    bewerb nicht entziehen. Die Reform, die Sie uns vor-
    schlagen, ist bedauerlicherweise völlig unzusammen-
    hängend und ein Bündel von Einzelmaßnahmen, die sich
    teilweise widersprechen. Sie ist unsystematisch, unge-
    recht und verfassungsrechtlich äußerst bedenklich. Da-
    rauf will ich eingehen.


    (Beifall bei der FDP)


    Zunächst einmal begrüßen wir die Senkung der nomi-
    nalen Steuersätze. Kommt denn aber wirklich eine Steu-

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    (C (D rsenkung bei der Wirtschaft an, oder fangen Sie die ositiven Effekte durch Ihre Gegenfinanzierungsmaßahme nicht gerade wieder ein? Sie gaukeln der Wirtchaft vor, sie würde entlastet, sagen aber nicht öffentich, dass die Wirtschaft die Entlastung selbst bezahlen uss. Noch viel schlimmer ist aber, dass Sie die Wirt chaft mit Ihren Maßnahmen nicht gleichmäßig treffen. Es mag richtig sein, dass der Vorwurf einer Mitteltandslücke nicht genau trifft; allerdings stimmt es, dass ie die gewinnschwachen, kapitalschwachen und forchungsintensiven Unternehmen zusätzlich belasten, ährend Sie die ertragsstarken, international tätigen Un ernehmen entlasten. Sie erzeugen genau die falsche enkungswirkung. (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Joachim Poß [SPD]: Das hängt davon ab, wofür gestaltet wird!)


    as ist eine Steuerreform für Siegerunternehmen.


    (Joachim Poß [SPD]: Das ist so nicht richtig!)


    ie müssten dagegen die forschungsintensiven, die
    euen und die noch kapitalschwachen Unternehmen
    tärken, damit sie im internationalen Wettbewerb überle-
    en können und neue wirtschaftliche Tätigkeit entstehen
    ann. Das ist offenkundig nicht in Ordnung.

    Darüber hinaus ist die Reform verfassungsrechtlich
    ußerst bedenklich, weil Sie die Grundprinzipien der Be-
    teuerung über Bord geworfen haben. Ich erinnere die
    ollegen von der CDU/CSU und besonders den Kolle-
    en Wolfgang Schäuble an die Steuerreformkommission
    es Jahres 1996 unter dem Vorsitz von Theo Waigel. In
    er ersten Sitzung ist die Frage gestellt worden, ob wir
    n den Grundprinzipien der Besteuerung nach der Leis-
    ungsfähigkeit und dem objektiven Nettoprinzip festhal-
    en wollen. Niemand hat sich dagegen ausgesprochen.
    lle waren selbstverständlich dafür. Diese Prinzipien

    ind ja verfassungsrechtlich fundiert. – Heute spielt das
    eine Rolle mehr.

    Umso mehr habe ich mich darüber gewundert, dass
    inisterpräsident Koch aus Hessen zusammen mit Herrn

    teinbrück durch das bekannte Koch/Steinbrück’sche
    apier damit begonnen hat, die Grundprinzipien der Be-
    teuerung sozusagen zur Beliebigkeit zu erklären.


    (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das ist doch Quatsch!)


    Gegenwärtig wird ein Gutachten beim Bundesfinanz-
    of eingereicht – alle Fraktionen dieses Hauses sind da-
    über informiert und tragen dies mit –, in dem der Ver-
    assungsrechtler Professor Waldhoff noch einmal darauf
    inweist, dass diese Prinzipien Verfassungsrang haben.
    ch will nur zwei Sätze zitieren:

    Die ständige Rechtsprechung des Bundesverfas-
    sungsgerichts leitet aus dem allgemeinen Gleich-
    heitssatz ein grundsätzliches Gebot der Steuerge-
    rechtigkeit her, das sich als Gebot der Besteuerung
    nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit er-
    weist.






    (A) )



    (B) )


    Dr. Hermann Otto Solms
    Und an anderer Stelle:

    In § 2 Abs. 2 EStG hat das objektive Nettoprinzip
    insofern seine Verwirklichung gefunden, als dass
    Einkünfte nur Reineinkünfte sind, das heißt der Ge-
    winn bzw. der Überschuss der Einnahmen über die
    Werbungskosten. Durchbrechungen dieses Prinzips
    bedürfen der verfassungsrechtlichen Rechtspre-
    chung.

    Jetzt möchte ich gerne von Herrn Koch hören, wie er
    verfassungsrechtlich begründet – er ist ja ein anerkannter
    Jurist –,


    (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja!)


    dass das objektive Nettoprinzip nun offenkundig keine
    Rolle mehr spielt, weil Verluste und Kostenbestandteile
    in die steuerliche Bemessungsgrundlage aufgenommen
    worden sind. Das ist in unseren Augen überhaupt nicht
    akzeptabel.


    (Beifall bei der FDP)


    Das ist im Übrigen wirtschaftlich auch gar nicht not-
    wendig. Verfassungsgrundsätze können sich nicht an der
    politischen Tagesnotwendigkeit orientieren, sondern sie
    müssen gelten. Es ist aber auch deshalb nicht notwendig,
    weil es nicht stimmt, was Sie hinsichtlich der Gewinn-
    verschiebungen ins Ausland behaupten. Es wurde ja ge-
    rade nachgewiesen, dass die international tätige Wirt-
    schaft etwa 75 Prozent ihrer Gewinne im Ausland
    erzielt, trotzdem aber über 50 Prozent der Steuern in
    Deutschland abliefert. Das heißt, der deutsche Fiskus hat
    einen überproportionalen Anteil an der Gewinnbesteue-
    rung der deutschen international tätigen Unternehmen.
    Es gibt also überhaupt keinen Anlass, diese Gewinnver-
    schiebungen zu unterstellen. Deswegen bin ich der Mei-
    nung, dass in diesem Bereich eine Korrektur notwendig
    ist.

    Ich sage Ihnen schon jetzt: Wenn Sie diese verfas-
    sungsrechtlich bedenklichen Vorschriften im Gesetzge-
    bungsverfahren nicht korrigieren, dann werden Sie
    zwangsläufig – auf wessen Initiative hin auch immer –
    vor den Schranken des Bundesverfassungsgerichtes lan-
    den.


    (Beifall bei Abgeordneten der FDP)


    Aber was erreichen Sie damit eigentlich politisch? Sie
    versuchen, um Deutschland herum eine Steuermauer
    hochzuziehen, und zwar aus Angst, die Steuerpflichtigen
    würden Deutschland verlassen. Was erreichen Sie denn
    damit, wenn Sie eine Mauer bauen? Die DDR hat es Ih-
    nen doch vorgemacht!


    (Widerspruch bei der CDU/CSU und der SPD – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Nicht alles, was hinkt, ist ein guter Vergleich!)


    Kein Ausländer wird mehr hierher kommen, um hier zu
    investieren, und alle Inländer, die schnell und clever
    sind, werden das Land verlassen. Das ist die Konse-
    quenz, wenn Sie eine solche Steuermauer aufbauen.

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    (C (D Oder wie es Manfred Schäfers von der „Frankfurter llgemeine Zeitung“ schon im Sommer letzten Jahres eschrieben hat: Wenn Unternehmen mit ihren Gewinnen nicht zurückkommen, sperrt man wenigstens die ein, die noch da sind. Das sind sozialistische Rezepte. as kann nicht funktionieren. Wenn Sie die Gewinne in eutschland einsperren wollen, dann werden die Unterehmen ihren Sitz nach und nach ins Ausland verlegen. enau das Gegenteil ist aber die Politik, die wir für eutschland brauchen. Herr Steinbrück, die Österreicher haben es uns doch orgemacht: Sie haben eine exzellente Unternehmenteuerreform gemacht, die, im Gegensatz zu dem, was ie hier bieten, auch europarechtsfähig ist. (Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war aber auch eine Lohnsummensteuer!)


    (Beifall bei der FDP)


    nd was haben die Österreicher erreicht? Sie haben ei-
    en riesigen wirtschaftlichen Erfolg, dort liegt die Ar-
    eitslosenquote nur halb so hoch wie in Deutschland, es
    ibt Wachstum und Auslandsinvestitionen – verhältnis-
    äßig betrachtet, Österreich ist ja ein relativ kleines
    and – in einem Ausmaß, wie wir es uns nur erträumen
    önnen.

    Schließlich ein Wort zur Gewerbesteuer. Natürlich
    st die Gewerbesteuer ein Fremdkörper. Reden Sie doch
    icht drum herum! Es geht doch nicht darum, den Ge-
    einden die Finanzierungsgrundlage zu entziehen. Es

    eht darum, ein modernes, wettbewerbsfähiges, flexibles
    nternehmensteuerrecht zu schaffen. Dabei hat die Ge-
    erbesteuer nichts verloren.


    (Beifall bei der FDP)


    Über die Abschaffung der degressiven AfA will ich
    ar nicht erst reden. Sie haben die degressive AfA für
    wei Jahre angehoben und glauben, das wäre es gewe-
    en, sie könnten die AfA jetzt abschaffen, die Wirtschaft
    oomt und das geht so weiter. Ich sage: Nein, beim
    ächsten Konjunktureinbruch wird sich das rächen. Sie
    erden sehen, dass die degressive AfA auch in Zukunft
    otwendig sein wird. Die Länder um uns herum machen
    s doch genauso. Wir sind doch nicht auf einer einsamen
    nsel.

    Zusammenfassend möchte ich sagen, Herr Steinbrück:
    ir brauchen eine Steuerreform. Die FDP hat ihre Vor-

    chläge in Gesetzestextform vorgelegt. Wir sind bereit,
    arüber zu reden. Eine Senkung der Unternehmensteuer-
    elastung ist zwingend notwendig. Aber sie muss sich an
    en internationalen Maßstäben orientieren. Sie muss zu-
    em auf der Basis der Prinzipien unserer Verfassung ge-
    taltet werden. Eine Alternative dazu kann es nicht ge-
    en.

    Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


    (Beifall bei der FDP)







    (A) )



    (B) )



Rede von Dr. Norbert Lammert
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

Ich erteile das Wort dem hessischen Ministerpräsiden-

ten Roland Koch.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: ()


    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

    Herren! Die Unternehmensteuerreform ist ein wichtiger
    Baustein zur Verbesserung der wirtschaftlichen Chancen
    in der Bundesrepublik Deutschland. Sie ist aber nicht der
    einzige Baustein. Sicherlich muss sie im Zusammenhang
    mit den Fragen betreffend den Forschungs- und Ent-
    wicklungsstandort Deutschland, wie es in den letzten
    Monaten mehr und mehr – auch als eine Konsequenz aus
    dem 25-Milliarden-Euro-Programm, das die Große
    Koalition national aufgelegt hat und das die Länder er-
    gänzen müssen – deutlich wurde, und manch anderer
    Maßnahme gesehen werden. Wenn ich lobend über die
    Unternehmensteuerreform als eine Chance spreche,
    dann will ich nicht verhehlen, dass aus meiner Sicht die
    offene Flanke bleibt, dass man ohne die notwendige
    Flexibilisierung des Arbeitsrechts die Attraktivität des
    Wirtschaftsstandorts Deutschland nicht alleine durch
    eine Unternehmensteuerreform sichern kann. Es bleibt
    also auch in Zukunft noch etwas zu tun.


    (Beifall bei der CDU/CSU)


    Das darf und soll aber nicht mindern, was wir hier ge-
    meinsam erreichen können.

    Der Gesetzentwurf, den Herr Kollege Steinbrück für
    die Bundesregierung eingebracht hat, ist das Ergebnis ei-
    ner engen Zusammenarbeit zwischen der Bundesregie-
    rung, den Koalitionsfraktionen und einem großen Teil
    der Bundesländer. Wir sind für diese Zusammenarbeit,
    die zu einem frühen Zeitpunkt begann und in die der
    Sachverstand der Landesfinanzverwaltungen einbezogen
    wurde, außerordentlich dankbar. Es war in der Tat wich-
    tig, dass ein solches Thema nicht von Anfang an in die
    Mühlsteine ideologischer Auseinandersetzungen geraten
    ist. Wir sehen jeden Tag, dass diese Gefahr besteht. Ich
    bin Herrn Kollegen Steinbrück dankbar, dass wir auf
    beiden Verhandlungsseiten ein Klima geschaffen haben,
    das es uns ermöglicht, weitergehende Schritte zu ma-
    chen, als es viele in den Reihen der Großen Koalition für
    möglich gehalten haben.

    Herr Kollege Solms, es stimmt, dass diese Unterneh-
    mensteuerreform zu einer veränderten Unternehmensbe-
    steuerung führt. Aber wir müssen zum Beispiel von Ös-
    terreich lernen. Eines der wesentlichen Hindernisse im
    deutschen Steuerrecht, die wir in der Vergangenheit als
    Problem mit uns herumgeschleppt haben, war, dass alle
    steuerlichen Systeme so eng miteinander vernetzt waren,
    dass die mit der Funktion des sozialen Ausgleichs be-
    legte individuelle Einkommensteuer unmittelbare Kon-
    sequenzen für die Unternehmensbesteuerung im Ganzen
    hatte. Das bedeutet nüchtern gesehen, dass man, wenn
    man die Funktion des sozialen Ausgleichs der individu-
    ellen Einkommensbesteuerung nicht aufgeben will, die
    Unternehmensbesteuerung in ein enges Korsett zwängt.

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    (C (D adurch haben wir zunehmend an internationaler und uropäischer Wettbewerbsfähigkeit verloren. Das Unternehmensteuerrecht, das nun geschaffen ird, ermöglicht uns zwei Dinge getrennt zu sehen: die ndividuelle Besteuerung persönlichen Einkommens und ie Belastung der Unternehmenserträge im internationaen Vergleich. Dies ist die einzige Chance, mittelfristig it Nachbarländern wie den Niederlanden und Östereich sowie den großen Wettbewerbern in der Welt zu onkurrieren. Deshalb ist diese Unternehmensteuerreorm ein entscheidender Schritt zur Verbesserung der ettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Die Entscheidung der beiden Koalitionsfraktionen
    nd derjenigen, die den Gesetzentwurf begleitet haben,
    inserträge zu unternehmerischen Erträgen und nicht
    ehr zu privaten Erträgen zu rechnen, das heißt, sie in

    ie Pauschalierung durch eine Abgeltungsteuer einzube-
    iehen, ist für ein Land wie die Bundesrepublik Deutsch-
    and, das nicht nur viel Kapital braucht, sondern das
    uch eine außerordentlich große Kompetenz darin hat,
    apital zu verwalten, ein wichtiger Schritt, die Wettbe-
    erbsfähigkeit Deutschlands im internationalen Konzert

    u erhalten.


    (Beifall bei der CDU/CSU)


    Ich, der ich das Bundesland Hessen vertrete und aus
    rankfurt komme, das mit London im Wettbewerb steht,
    ann nur sagen: Wir haben aufgrund bestimmter Fehler
    m Investmentbanking nicht mehr ganz die Nase vorne,
    ohl aber im Asset Management. Um das Asset Ma-
    agement auf Dauer in Deutschland zu halten, ist es au-
    erordentlich wichtig, ein einfaches und überschaubares
    teuerrecht – auch bei der Besteuerung von Zinserträgen
    nd Unternehmenserträgen – zu haben. Ich erlaube mir,
    n dieser Stelle zu sagen: Auch wegen des Verhetzungs-
    otenzials, das bei solchen Reformen bestehen kann, ist
    as eine Aufgabe, die eine große Koalition erledigen
    uss. Ich bin froh darüber, dass sich die beiden Koali-

    ionsfraktionen im Deutschen Bundestag entschlossen
    aben, diese Aufgabe zu leisten. Sie wird weit über die
    ahre einer solchen Regierung hinaus Bedeutung für die
    eutsche Wirtschaft haben.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


    Wir befinden uns doch in einer Situation, in der wirk-
    ich niemand auf den Gedanken kommen kann, man
    önnte in dieser Frage eine Mauer ziehen. Das hat Kon-
    equenzen: Man muss sicherstellen, dass Menschen, die
    berall auf der Welt unternehmerische Entscheidungen
    reffen, die Frage, ob sie denn hier in der Bundesrepublik
    eutschland unternehmerisch aktiv sein wollen, positiv
    eantworten können. Wenn ich einem Unternehmer
    age, dass der Spitzensteuersatz zwar grob 25 Prozent
    ehr – 40 statt 30 Prozent – als in jedem anderen Land

    n Europa und in der Welt beträgt, in dem sie ihre unter-
    ehmerischen Entscheidungen treffen könnten, und dann
    inzufügen muss: „Nimm das aber nicht so tragisch;
    enn wenn man alle Verrechnungs-, Ausgleichs- und
    bschreibungsmöglichkeiten berücksichtigt, dann sieht






    (A) )



    (B) )


    Ministerpräsident Roland Koch (Hessen)

    man, dass die Realbesteuerung viel niedriger ist“, dann
    muss dieser Unternehmer über die Frage entscheiden:
    Nehme ich ein Land mit einem einfachen Steuergesetz
    und einem niedrigen Steuersatz, oder nehme ich ein
    Land mit einem hohen Steuersatz und beschäftige einen
    guten Steuerberater? Warum soll er die zweite Alterna-
    tive wählen? Wir geben ihm in Zukunft die Möglichkeit,
    die erste zu wählen, meine Damen und Herren. Das ist
    ein wichtiger Teil internationaler Wettbewerbsfähigkeit.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


    Es sei auch klar gesagt: Natürlich verursacht eine sol-
    che Steuerreform am ersten Tag einen Ausfall, schon
    deshalb, weil die niedrigeren Sätze am ersten Tag gelten,
    die Gegenfinanzierungsmechanismen aber erst lang-
    sam wirken, und auch deshalb, weil ein Unternehmen
    sich überhaupt erst entscheiden muss, hierherzukommen
    – das dauert – und sich anzusiedeln – das dauert –, und
    für das erste Jahr Steuern zahlen muss – das dauert noch
    einmal –, bis wir tatsächlich Wirkungen feststellen. Es
    ist aber ein entscheidender Schritt, dass man in einem in-
    ternationalen Standortwettbewerb sagen kann: Wir kom-
    men jetzt auf einen Steuersatz, der dem durchschnitt-
    lichen Steuersatz internationaler Konzerne – wo immer
    auf der Welt sie angesiedelt sind – entspricht; es gibt kei-
    nen Grund mehr, einen Bogen um Deutschland zu ma-
    chen. Das ist eine wichtige Botschaft, die wir mit dieser
    Unternehmenssteuerreform senden.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


    Es gibt aber auch die andere Seite. Herr Kollege
    Solms, hier bin ich wirklich anderer Meinung als Sie.
    Wir haben bei dieser Steuerreform mit den Länder-
    finanzverwaltungen etwas gemacht, was nicht selbstver-
    ständlich ist: Wir haben sehr viele Steuerakten gezogen,
    sehr viele Realvergleiche gemacht, über den letzten
    Sommer sehr viele Basistests gemacht und uns Unter-
    nehmen angeschaut, sodass wir jetzt einen ziemlich prä-
    zisen Überblick darüber haben, was in den Unternehmen
    in der Bundesrepublik Deutschland wirklich steuerlich
    geschieht. Zu sagen, dass es keine Verlagerung ins Aus-
    land gebe, widerspricht jedem Gespräch, das doch auch
    Sie mit Beteiligten in den Wirtschaftskreisen geführt ha-
    ben, in dem mit stolz geschwellter Brust über die Opti-
    mierungsmöglichkeiten der steuerberatenden Gesell-
    schaften in den letzten Jahren geredet wurde.

    Wir haben es hier mit konkreten Fällen zu tun. Ich
    sehe ja, wer jetzt zu mir kommt, wer Probleme hat und
    wo er die Schwierigkeiten sieht. Das ist alles geltendes
    Recht. Wenn ich eine Investition in einem anderen euro-
    päischen Land oder in Amerika tätige und meine Er-
    träge, die ich dort erziele – die aber sehr hoch sind, weil
    ich die Kosten nicht in diesem Land geltend gemacht
    habe –, vollständig in diesem Land versteuere und nach
    dem Doppelbesteuerungsabkommen am Ende steuerfrei
    nach Deutschland transferiere, gleichzeitig aber hier in
    Deutschland die vollen Kreditkosten geltend gemacht
    habe, weil ich sie in Deutschland verrechnet habe, dann
    ist das geltendes Recht in der Bundesrepublik Deutsch-
    land. Das ist niemandem übel zu nehmen. Es ist wahr-
    scheinlich in einer Kapitalgesellschaft sogar Untreue,
    wenn man es nicht so machen würde. Aber wenn der

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    (C (D urchschnittliche Steuersatz dem Weltsteuersatz entpricht, dann kann ich erwarten, dass die Allokationen ieder da stattfinden, wo die wirtschaftlichen Erträge ind. Ein Unternehmen, das 60 Prozent des Umsatzes in eutschland macht und 40 Prozent der Produktion in eutschland hat, kann nicht 98 Prozent der Zinskosten n Deutschland haben. Das geht nicht. as ist kein ganz theoretischer Fall. Es ist eine notwendige Balance, auf der einen Seite nternationale Steuersätze zu haben und auf der anderen eite diesen Schritt in einer solchen Weise zu ermöglihen. Wir werden eine solche Steuerreform immer zwichen den unterschiedlichen Triebkräften der Wirtschaft alancieren müssen. Hier geht es auch um einen Wettbeerb von internationalen Konzernen. Ich glaube, das ollte man auch nicht bestreiten; denn wenn wir die inernationalen Konzerne nicht mehr in Deutschland haen, dann werden Millionen von Arbeitsplätzen in mitelständischen Unternehmen, die eng mit diesen onzernen vernetzt sind, nicht mehr da sein. Ich kann in großes internationales Unternehmen, etwa einen Auomobilkonzern, nicht unter dem Motto betrachten: Da ind die Superreichen, die entlaste ich steuerlich. Wenn ich dieses Unternehmen aus steuerlichen Gründen dazu ntscheidet, nicht mehr hier tätig zu sein, dann hat dies uswirkungen auf eine riesige Zahl von mittelständi chen Unternehmen. Gehen Sie durch das Land: Das ist n der Automobilindustrie so, das ist in der Dienstleisungsindustrie so. Es ist nicht richtig, zwischen den roßunternehmen und dem Mittelstand zu unterscheien. Wir brauchen in der Steuerpolitik eine Kombinaion, die beide berücksichtigt. Wir müssen schauen, mit elchen Maßnahmen wir den Mittelstand in den letzten ahren entlastet haben, und wir dürfen ihn nicht erneut elasten. Wir müssen aber auch dafür sorgen, dass die ualität des Standortes Bundesrepublik Deutschland in ernationales Niveau erreicht. Genau das geschieht in iesen Tagen. Ich glaube, dass in den Beratungen im Bundestag und m Bundesrat noch über manches Detail gesprochen erden wird. Eines sollte dabei deutlich werden: Wir haen eine neue Philosophie von Freigrenzen und Freiberägen eingeführt, die logischerweise Mittelstandsgrenen sind. Mit Freigrenzen und Freibeträgen kann ich inen Weltkonzern nicht besonders glücklich machen. enn der Freigrenzen braucht, ist er kein Weltkonzern ehr. Aber ein mittelständisches Unternehmen, das bis er bei der Gewerbesteuerhinzurechnung vom ersten ent an gezahlt hat, in Zukunft aber eine Freigrenze von 00 000 Euro hat, erhält dann einen massiven Spielraum nd erfährt eine massive Entbürokratisierung. Wenn man edenkt, dass ein Unternehmen einen Kredit in Höhe on 20 Millionen Euro aufnehmen muss, bevor die Zinschranke und andere Maßnahmen greifen, dann ist erichtlich, dass der überwiegende Teil der mittelständichen Industrie davon gar nicht betroffen ist. Das ist die bsicht. Wir wollen international wettbewerbsfähige roßkonzerne im Land haben, die im Zusammenwirken Ministerpräsident Roland Koch mit mittelständischen Unternehmen neue Arbeitsplätze in Deutschland schaffen und neue Unternehmensgründungen ermöglichen. Ich bin mir sehr wohl im Klaren darüber, dass über manches Detail der Unternehmensteuer auch in Zukunft im Deutschen Bundestag gestritten werden wird. Ich nenne die Stichworte Funktionsverlagerung, Mantelkauf, PPP-Geschäfte und Venture Kapital. Ich weiß, dass in den Beratungen der Ausschüsse in den nächsten Wochen viel Papier gewendet werden wird. Ich finde, dass es denen, die an dem Gesetzentwurf mitgewirkt haben, nicht schlecht ansteht zu sagen, dass sie wissen, dass sie Kompromisse gemacht und manchmal technisches Neuland beschritten haben und sie auch nicht die Allerklügsten in der Welt sind. Das heißt, man kann über die Frage, was im Einzelfall gemacht werden kann, sicherlich auch an der einen oder anderen Stelle reden. Wir sehen, dass zum Beispiel in der Leasingbranche manche Diskussion geführt wird. Leasing hat sich etwas anders entwickelt, als es eigentlich unternehmerisch gedacht war. Leasingunternehmen sind manchmal in ihrem realen Verhalten zu Banken geworden. Das macht ihnen jetzt Schwierigkeiten. Darüber muss man miteinander sprechen. Ich glaube, dass es Lösungen für die Probleme gibt. Wir müssen weiter über die Frage reden, was uns die Forschung wert ist. Das betrifft auch die Frage der Bewertung gerade von jungen Unternehmen. Die Diskussion, ob man bei kleinen und mittleren Unternehmen im Bereich der Forschung, die neu an den Markt kommen, die Zinsschranke mit dem EBIT in irgendeiner Weise verbinden kann, ist vollkommen unideologisch. Es interessiert beide Seiten der politischen Lager, wie forschungsintensive Unternehmen angelockt werden können. Es wird jedoch am Ende ein ausgewogenes Verhältnis von Einnahmen und Ausgaben geben müssen. Die 5 Milliarden Euro Entlastung mögen manchem als eine fixe Grenze erscheinen. Sie ist in der Tat eine politische Grenze und ein Ergebnis des politischen Kompromisses. Manchmal wäre es uns leichter gefallen, unseren sozialdemokratischen Kollegen zu sagen, dass es vielleicht nicht ganz so entscheidend ist, ob es 5,2 Milliarden Euro oder 4,9 Milliarden Euro sind, vor allem wenn man weiß, wie solche Zahlen errechnet werden. Aber eines will ich auch sagen: Wenn jetzt über diese Frage eine Diskussion stattfindet, dann muss jedermann klar sein, dass es die feste Überzeugung derer ist, die diese Unternehmensteuerreform vorgelegt haben, dass es sich dabei um eine unternehmerische Aktivität der Bundesrepublik Deutschland handelt. Es geht um die Frage: Wie schafft man es, auf einem internationalen Markt, auf dem es keine Grenzen gibt, Unternehmen dazu zu bringen, in die Bundesrepublik Deutschland zu investieren? Wie gebe ich ihnen eine Chance, ihre wirtschaftliche Zukunft hier zu sehen? Denn die einzige Möglichkeit für uns als Steuereinnehmer, „Geld zu verdienen“, besteht darin, dass sich Unternehmen entscheiden, sich hier anzusiedeln und auch hier zu bleiben. In einem Europa ohne Grenzen kann man in Frankreich, in Polen, in Österreich und an vielen anderen Plätzen in K a p z p W k m a m b m g m u g D D H „ d l r l s b v d R s w p B d t h W a D f T M e (C (D ilometerentfernung, nicht in kontinentaler Entfernung, lle Aktivitäten entfalten, die man auch in der Bundesreublik Deutschland entfalten kann. Man kann Waren ollfrei und ohne nennenswerte Kosten in die Bundesreublik Deutschland bringen. Wer nicht will, dass wir am ettbewerb um den besten Standort teilnehmen, der ann sich auf den Standpunkt stellen, einem Unternehen keinen einzigen Cent als Anreiz zu geben. Der wird ber am Ende weniger Steuereinnahmen haben. Wenn an aber jetzt wettbewerbsorientierte Steuerpolitik etreibt, dann gibt man kein Geschenk an die Unternehen, sondern ein Geschenk an die Bürgerinnen und Bür er der Bundesrepublik Deutschland, die auf Dauer ehr Geld zur Verfügung haben (Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Das ist ja dreist!)


    (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


    (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)





    (A) )


    (B) )


    (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


    nd in diesem Land mit hohem Standard und vernünfti-
    er sozialer und politischer Infrastruktur leben.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


    arüber werden wir auch in den nächsten Monaten eine
    ebatte führen.

    Ich glaube sehr wohl, dass man – das schreibt auch
    err Professor Lang in der heutigen Ausgabe der

    Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ – alle Probleme, von
    en verfassungsrechtlichen bis hin zu den finanziellen,
    ösen kann. Ich bin nach wie vor davon überzeugt: Zahl-
    eiche Punkte dieser Unternehmensteuerreform sind vie-
    en in den Wirtschaftsverbänden, in den beiden politi-
    chen Lagern und in der Wissenschaft, die uns lange
    eraten hat, schwergefallen. Dennoch sind nahezu alle
    on ihnen der Auffassung – das finde ich spannend –,
    ass das Gesamtwerk ein großer Schritt in die richtige
    ichtung ist und dass daher nicht jeder Punkt, der per-

    önliche Beschwernis bereitet, zum Anlass genommen
    erden sollte, wieder mit großem Geschrei gegen diese
    olitische Entscheidung vorzugehen.

    Ich wünsche den Beratungen von Bundestag und
    undesrat, dass das in den nächsten Wochen nicht an-
    ers wird. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir etwas
    un, was Menschen, die in diesem Land Arbeit suchen,
    ilft, was dem Standort Deutschland im internationalen
    ettbewerb hilft und was, wenn es gelingt, nicht zuletzt

    uch dem Ansehen der Politik in der Bundesrepublik
    eutschland keineswegs schadet.

    Vielen herzlichen Dank.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)