Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. März 2007 8631
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Falle der Bundesrepublik nichts Illegitimes finden,
handelt. Ausnahmen sind nur mit Regierungsbeschluss
zu erreichen, wenn ein besonderes außen- oder sicherheits-
politisches Interesse besteht.
Also: In der Sphäre des Kreditgebers werden Sie im
Steinbach, Erika CDU/CSU 08.03.2007
Strothmann, Lena CDU/CSU 08.03.2007
Anlage 1
Liste der entschuldigt
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Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
Dr. Akgün, Lale SPD 08.03.2007
von Bismarck, Carl-
Eduard
CDU/CSU 08.03.2007
Blumenthal, Antje CDU/CSU 08.03.2007
Blumentritt, Volker SPD 08.03.2007
Dr. Eid, Uschi BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
08.03.2007
Flach, Ulrike FDP 08.03.2007
Frankenhauser, Herbert CDU/CSU 08.03.2007
Friedhoff, Paul K. FDP 08.03.2007
Gehring, Kai BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
08.03.2007
Gloser, Günter SPD 08.03.2007
Heller, Uda Carmen
Freia
CDU/CSU 08.03.2007
Hilsberg, Stephan SPD 08.03.2007
Kasparick, Ulrich SPD 08.03.2007
Dr. Koschorrek, Rolf CDU/CSU 08.03.2007
Leibrecht, Harald FDP 08.03.2007
Leutert, Michael DIE LINKE 08.03.2007
Lopez, Helga SPD 08.03.2007
Merten, Ulrike SPD 08.03.2007
Müntefering, Franz SPD 08.03.2007
Reiche (Potsdam),
Katherina
CDU/CSU 08.03.2007
Dr. Schmidt, Frank SPD 08.03.2007
Seehofer, Horst CDU/CSU 08.03.2007
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Anlagen zum Stenografischen Bericht
en Abgeordneten
nlage 2
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Berichts: Illegitime Schulden
von Entwicklungsländern streichen (Tagesord-
nungspunkt 14)
Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Ich hatte vor der
olitik eine Profession, die genauso schlecht angesehen
st wie die des Abgeordneten und dies genauso zu Un-
echt: ich war Banker. Aus Sicht des Bankfachmannes
ilt: Es gibt keine illegitimen Kredite. Ein Kreditverzicht
ird in der Bank nur diskutiert, wenn er dem Schuldner
ieder auf die Beine hilft. Ein Kreditverzicht einer Bank
st dabei immer an Bedingungen geknüpft. Unsere Kol-
egen der Linken werden es vermutlich als alte Berufs-
rankheit verteufeln: Ich kann nicht erkennen, warum
iese Bankgrundsätze beim Thema Schuldenverzicht ge-
enüber Entwicklungsländern keine Rolle spielen sollten.
Also zu der von Ihnen behaupteten Illegitimität von
chulden: Als Banker und als Politiker würde ich hier
ifferenzieren. Wenn Sie von Illegitimität sprechen,
üssten Sie sich auf die Sphäre des Kreditgebers beziehen.
ie hätten Recht, wenn wir beispielsweise Rüstungs-
redite an totalitäre Regime vergeben würden. Sie wollen
ber das doch nicht im Ernst behaupten?
In Deutschland sind Rüstungsexporte abhängig von
er Menschenrechtssituation in den jeweiligen Empfänger-
ndern. Rüstungsgeschäfte werden in aller Regel nur
ann durch Hermesbürgschaften abgesichert, wenn es
ich bei dem Exportland um ein NATO-Mitgliedsland
euchner, Jella SPD 08.03.2007
ellenreuther, Ingo CDU/CSU 08.03.2007
ieczorek-Zeul,
Heidemarie
SPD 08.03.2007
olf (Frankfurt),
Margareta
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
08.03.2007
underlich, Jörn DIE LINKE 08.03.2007
bgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
8632 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. März 2007
(A) )
(B) )
schließlich sind wir ein Rechtsstaat. Damit vergeben wir
ex definitione aber auch faktisch keine illegitimen Kredite.
Auf die Sphäre des Kreditnehmers kann es bei der
Beurteilung einer angeblichen Illegitimität eines Kredits
nicht ankommen. Wenn die Verwendung illegitim ist, ist
dann der Kredit illegitim? Der Kreditgeber hat nur
beschränkten Einfluss auf die Mittelverwendung. Wo
kommen wir denn da hin, wenn der Kreditgeber plötzlich
für die Zweckentfremdung der gewährten Mittel finanziell
geradestehen soll?
Selbst die Weltbank würde unter diesen Umständen
keine Kredite mehr vergeben können. Entsprechend setzt
die Weltbank nicht mehr auf diktierte Strukturanpassungs-
maßnahmen, sondern versucht den Entwicklungsländern
auch eigenen Handlungsspielraum zu lassen.
Sie fordern, jegliche vom Empfänger zweckentfremdete
Schulden zu streichen. Nicht nur einem Banker, sondern
auch jedem Entwicklungspolitiker sollten sich bei dieser
Forderung die Nackenhaare aufstellen. Haben Sie sich
überlegt, welches Signal Sie auf diese Weise an die Ent-
wicklungsländer geben? Kredite aufzunehmen und mit
den Geldern unverantwortlich umzugehen, wird mit
Schuldenerlass belohnt, während Schulden für seriöse
Entwicklungsprojekte mühsam abzustottern sind.
Nicht zu vergessen ist auch das Signal an die deutschen
Steuerzahler. Schon Horst Köhler hat auf seiner ersten
Afrikareise im Dezember 2004 festgestellt, dass die Bereit-
schaft der Steuerzahler, sich stärker in der Entwicklungs-
zusammenarbeit zu engagieren, auch davon abhängig ist,
dass sie wissen, dass ihr Geld gut angelegt und nicht
zweckentfremdet wird.
Nun hab ich einleitend gesagt, dass ein Banker Kredite
nie vorbehalt- und bedingungslos streicht. Auch hier
sollten wir uns politisch ein Beispiel nehmen: Denn es
herrscht bestimmt Konsens darüber, dass niemand aus
purem Gutmenschentum Schulden erlässt. Vielmehr sind
die Verhandlungen zum Schuldenerlass ein willkommenes
Mittel, in die Politikgestaltung der betroffenen Länder
auf positive Weise Einfluss zu nehmen.
Von entscheidender Bedeutung für die nachhaltige
Wirksamkeit eines Schuldenerlasses ist es, dass die frei
gewordenen Gelder in öffentliche Sektoren investiert
werden. Besonders den Investitionen in Infrastrukturpro-
jekte und Maßnahmen zur Etablierung von guter Regie-
rungsführung kommt hierbei eine große Bedeutsamkeit
zu. Um die wirtschaftliche Aktivität in den betroffenen
Ländern zu steigern, müssen für Investoren glaubwürdige
Rahmenbedingungen geschaffen werden. Statt pauschal
auf Schuldenbegleichung zu verzichten, sollte also jeder
Kreditverzicht in Einzelfällen beschlossen werden und
immer auch an Konditionen geknüpft sein, die im Zweifel
bilateral zu verhandeln sind.
Während dieses Verhandlungsprozesses kann man
immer noch überlegen, ob man – im Sinne des vorliegen-
den Antrags – Länder mit einem Schuldenerlass belohnen
möchte, die ihre Gelder für fragwürdige Zwecke
verwandt haben. Allerdings erlaube ich mir in diesem
Zusammenhang noch eine Frage: Was glauben Sie, wofür
dieser unvermutete konditionslose Spielraum mit großer
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ahrscheinlichkeit verwendet würde? Dazu, Löcher in
en Staatshaushalten zu stopfen? Vielleicht sogar für
üstungsgeschäfte? In jedem Fall würde man die Miss-
irtschaft von ineffizienten Regierungen finanzieren
nd moralisch aufwerten.
Lassen Sie mich meinen Standpunkt zusammenfassen:
rstens. Kredite sind immer legitim, solange sie nach
eltendem Gesetz abgeschlossen wurden. Zweitens.
reditgeber können für zweckentfremdete Gelder nicht
ur Verantwortung gezogen werden. Drittens. Weder der
eutsche noch der europäische Steuerzahler kann für
weckentfremdete Gelder in die Pflicht genommen
erden. Viertens. Schuldenerlass muss immer an Kondi-
ionen geknüpft sein. Fünftens. Die Konditionen für den
chuldenerlass müssen zum Ziel haben, Missstände
wirtschaftliche wie auch politische – in den Schuldner-
ändern zu beseitigen und positive Entwicklungen zu
tützen.
Aus diesem Fazit ergibt sich auch mein Standpunkt
ur Anrechenbarkeit solcherart Schuldenerlässe auf die
DA-Quote. Denn sie leisten nicht nur einen finanziellen
eitrag zur Entwicklung des betroffenen Landes, sondern
ind ebenfalls mit einem enormen Beratungs- und
bstimmungsaufwand verbunden. Sie sind Entwick-
ungshilfe, solange wie wir uns nicht so verhalten, wie es
ie versammelte Linke hier von uns fordert.
In diesem Sinne kann es von der Union keine Zustim-
ung für diesem Antrag geben.
Dr. Bärbel Kofler (SPD): Kein Zweifel besteht für
ich darin, dass es Schulden gibt, die politischer Verant-
ortung unterliegen, daher wollen wir sie auch finanziell
icht rückerstattet haben. Nun aber einfach zu sagen, wir
treichen alle Schulden der Vergangenheit, entschuldigen
ns und lassen die Länder dann allein mit der großen
ufgabe der Armutsbekämpfung fertigwerden, ist aller-
ings unserer Ansicht nach auch zu wenig.
Schuldenstreichen alleine ist noch kein Lösungsansatz.
nser Ansatz ist ein Schuldenerlass, der hilft, die Armut
er verschuldeten Entwicklungsländer zu reduzieren.
chuldenerlass ist für uns eine entwicklungspolitische
erantwortung, eine Arbeit, die differenzierter und nach-
altiger Konzepte bedarf.
Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktion
ie Linke, machen Sie es sich zu einfach und greifen
ie so oft zu kurz. Schuldenstreichen als eine politische
ohlfühlgeste ist aber noch keine Lösung für unser ge-
einsames Ziel, die Armut weltweit wirksam zu bekämp-
en.
HIPC und MDRI: Seit 1999 hat sich Deutschland in
rgänzung zu den klassischen Schuldenerleichterungen
es Pariser Clubs an zwei Entschuldungsinitiativen
ntensivst beteiligt, über die erstmalig auch multilaterale
chulden erlassen werden können: HIPC – Heavily In-
ebted Poor Countries Initiative – und darauf aufbauend
DRI – Multilateral Debt Relief Initiative.
Aufzählung erlassfähiger Schulden: Die Kategorien
on Schulden, die über die HIPC-Initiativen erlassen
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. März 2007 8633
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werden können, sind zahlreich: Schulden aus auf die
Regierung übergegangenen Handelsforderungen, die im
Rahmen des Pariser Clubs verhandelt werden; Schulden
aus der Entwicklungszusammenarbeit; Schulden gegen-
über privaten Gläubigern und Regierungen außerhalb
des Pariser Clubs; Schulden gegenüber der Weltbank,
dem IWF, den regionalen Entwicklungsbanken und einer
Vielzahl kleiner, subregionaler multilateraler Gläubiger.
Die multilaterale Schuldenerlassinitiative MDRI, die
2005 beim G-8-Gipfel in Gleneagles auf den Weg gebracht
wurde, sieht zusätzlich zu HIPC den 100-prozentigen
Erlass der verbleibenden erlassfähigen multilateralen
Schulden beim Währungsfond, der Weltbanktochter IDA
– International Development Association – und dem
Afrikanischen Entwicklungsfond – AfDf – vor.
Ich zähle die erlassfähigen Schulden hier nochmals
ausdrücklich auf, damit klar wird, wie umfassend, aber
auch konkret der Schuldenerlass der Bundesregierung
ist. Im Antrag der Linken sehe ich dazu keine belastbare
Aussage. Sie behelfen sich mit einem Zitat aus der „taz“,
das erwähnt, es gäbe auch in Deutschland Hermesbürg-
schaften und Kredite der KfW, die erlassen werden sollten.
Hätten Sie sich die Mühe gemacht, die erlassfähigen
Schulden der Initiativen HIPC und MDRI zu betrachten,
wäre Ihnen aufgefallen, dass die von der „taz“ benannten
Schulden im Rahmen dieser beiden Initiativen erlassfähig
sind.
Schuldenerlass als Instrument der EZ: Ich finde es be-
sonders wichtig, dass nicht nur Schulden aus der Ent-
wicklungszusammenarbeit, sondern gerade auch Schulden,
die gegenüber der Weltbank gemacht wurden oder die
aus Exportgeschäften herrühren, im Rahmen der Schulden-
erlassinitiativen zu einem Instrument der Entwicklungs-
politik werden.
Die politische Entscheidung der Bundesregierung,
Schulden nicht als rein rechtliche Ansprüche zu definieren
und durchzusetzen, koste es, was es wolle, sondern ent-
wicklungspolitisch mit Schuldansprüchen umzugehen
und einen entwicklungspolitisch wertvollen Erlass anzu-
streben, das ist die richtige politische Antwort auf die
Schuldenspirale, in denen sich einige der ärmsten Entwick-
lungsländer gefangen sahen.
Kernelemente der Entschuldungsinitiativen: Kern-
element der HIPC-Initiative ist eine Verknüpfung von
Entschuldung, Armutsbekämpfung und politischen Re-
formen.
Staaten, die von der HIPC-Initiative profitieren kön-
nen, haben ein Pro-Kopf-Einkommen von unter 895 US-
Dollar pro Jahr. Es handelt sich somit um die ärmsten
Entwicklungsländer, die auch nach Anwendung bisheriger
Schuldenerleichterungen eine außerordentlich hohe Ver-
schuldung aufweisen.
Weitere Voraussetzungen zur Teilnahme an der HIPC-
Initiative sind der Nachweis wirtschaftspolitischer Re-
formen und dauerhafte Armutsbekämpfung.
Entschuldung ist ein wichtiger Schritt, um hoch ver-
schuldeten armen Ländern zusätzliche finanzielle Spiel-
räume für deren Entwicklung zu schaffen. Aber ohne
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ine wirtschaftspolitische Reform und ohne Armutsredu-
ierungsstrategie droht ein entschuldetes Land durch
eue Kreditaufnahmen erneut in eine Schuldenspirale zu
eraten. Ohne eine wirtschaftliche Dynamisierung der
ntwicklungsländer sind die Armutsprobleme daher
angfristig nicht zu lösen. Wachstumsimpulse sind zu-
ätzlich nötig. Die Kriterien, an denen die HIPC-Länder
hre Armutsreduzierungsstrategien ausrichten, beför-
ern den Aufbau von sozialen Strukturen eines Landes
benso wie den Aufbau von wirtschaftlichen Strukturen.
angfristig ist es Ziel dieser Länder, die Armut ihrer Be-
ölkerung zu lindern, aber auch sich international wieder
ls glaubwürdiger Kreditnehmer zu etablieren.
Aktuelle Kriterien für Kreditvergaben der Bundes-
egierung: Die Bundesregierung hat als Geber gegenüber
er Weltbank erfolgreich darauf gedrungen, dass die
reditvergabe und die Kreditaufnahmekriterien verbessert
erden. IWF und Weltbank haben ein Rahmenwerk zur
chuldentragfähigkeit entwickelt, was durch Stärkung
er Transparenz bei der Verwendung der Kredite eine
berschuldung von Niedrigeinkommensländern zu ver-
indern sucht. Das Thema „Good Financial Governance“
ird auch im Rahmen des G-7/G-8-Prozesses diskutiert.
en Entschluss der Bundesregierung, das Thema „Verant-
ortungsvolle Kreditvergabe und Aufnahme“ in der Arbeit
er Ministerien zu verfestigen, inklusive der vom BMZ
azu veranstalteten Expertenworkshops, begrüße ich
ehr. Das ist ein guter Weg.
Kredite aus der Entwicklungszusammenarbeit, geleistet
urch die KfW-Entwicklungsbank, waren und sind immer
em Grundprinzip der ökologischen und nachhaltigen
ntwicklung verpflichtet gewesen, und natürlich
chließt das rüstungsrelevante Projekte aus.
Aber auch Exportkreditgarantien des Bundes, so-
enannte Hermesdeckungen, werden nur auf Antrag und
ach sorgfältiger Prüfung übernommen. Dabei wird auch
ie außen-, entwicklungs- und strukturpolitische Bedeutung
es Exportgeschäfts erwogen.
Seit 2004 sind Kriterien zur Förderungswürdigkeit
urch die OECD-Umweltleitlinien schriftlich festgelegt
orden. An dem Niveau dieser Standards ist auch in
ukunft zu arbeiten. Die Mitgliedstaaten der EU sollten
ine Außenwirtschaftspolitik betreiben, die sich Umwelt-
nd Sozialstandards verpflichtet sieht und diese mit
xportgeschäften „exportiert“. Von diesem Kurs sollte
ns auch ein Standarddumping anderer Länder wie bei-
pielsweise China nicht abbringen lassen.
Anrechnungsfähigkeit auf die ODA-Quote: Wenn
ntschuldung nicht nur ein Schuldenstreichen ist, sondern
ielmehr ein Schuldenerlasskonzept, das Armuts-
ekämpfungsstrategien der ärmsten Länder dieser Welt
inanziert, wenn wir diese Strategien und Reformen zu-
ätzlich durch sich ergänzende Projekte befördern, so ist
er Schuldenerlass gleich einer Budgethilfe ein Instrument
er Entwicklungszusammenarbeit und dient dem Ziel
er Halbierung der weltweiten Armut. Selbstverständlich
ollten dann Schuldenerlassinitiativen wie HIPC und
DRI ODA-anrechnungsfähig sein. Ich darf zudem daran
rinnern, dass nicht die Bundesregierung bestimmt, was
er nationalen ODA-Quote angerechnet wird, sondern
8634 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. März 2007
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dass diese Entscheidung bei der OECD liegt. Es gibt für
die Anrechnung von Entschuldungen auf die ODA-
Quote klar definierte Kriterien, die, auch wenn der An-
trag der Linken einen anderen Eindruck zu erwecken
sucht, die Anrechnung aller bisherigen Entschuldungen
durch die Bundesregierung zuließen.
Der Antrag der Linken bietet kein tragfähiges Konzept
zur Entschuldung an. Er verliert sich in pauschalen For-
derungen, mit denen das Ziel einer Armutsreduzierung
nicht zu erreichen ist.
Hellmut Königshaus (FDP): Der Antrag der Linken
spricht auf gerade einmal einer Seite eines der wichtigsten
Themen der Finanzierung der Entwicklungszusammen-
arbeit an. Von der Frage der Schuldenerlasse, der
Anrechnung auf die ODA-Quote bis hin zur Behandlung
von sogenannten illegitimen Schulden wird ein Rundum-
schlag durch das sehr anspruchsvolle Thema der
Entschuldung gemacht.
Sie selber fordern in Ihrem Antrag zu Recht eine
ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema. Das,
was Sie hier in Ihrem Antrag vorlegen, wird dem Thema
aber wirklich nicht gerecht!
Deutschland ist einer der größten Gläubiger der von
der HIPC-Initiative betroffenen Staaten und als Mitglied
des Pariser Clubs und der G-8-Staaten sehr stark in die
verschiedenen Entschuldungskampagnen involviert. In
den Jahren 2003 und 2004 hat Deutschland Schulden-
erlasse in Höhe von 1,3 Milliarden Euro bewilligt, im
Jahr 2005 wurden sogar Schulden in Höhe von 3,57 Mil-
liarden Euro erlassen.
Die Bundesregierung erklärt die Notwendigkeit der
Entschuldung als Maßnahme zur Armutsbekämpfung der
Entwicklungsländer. Tatsache ist jedoch, dass Schulden-
erlasse bereits unter der rot-grünen Regierung das zentrale
Instrument zur Erreichung der 0,7-Prozent-ODA-Quote
waren.
Auch unter der Großen Koalition ist die Entschuldung
unverändert eines der wichtigsten Mittel, um die deutsche
ODA-Quote zu steigern. In den Haushalten 2005 und
2006 trugen die Schuldenerlasse mit mehr als 36 Prozent
zum Anstieg der ODA-Quote bei. 2004 lag sie bei
29 Prozent. Damit sind Schuldenerlasse der zweitgrößte
EZ-Posten und nicht mehr wegzudenken, wenn man das
Ziel einer 0,7-Prozent-ODA-Quote nicht aus den Augen
lassen will.
Neben dem Vorwurf des Eigeninteresses an Schulden-
erlassen muss sich die Bundesregierung aber vielmehr
mit der ausbleibenden Wirkung der Schuldenerlasse auf
die Armutsbekämpfung auseinandersetzen.
Schuldenerlasse sind seit den 1990er-Jahren ein viel
diskutiertes Instrument der internationalen finanziellen
Entwicklungszusammenarbeit. Die 1996 ins Leben ge-
rufene Initiative für Schuldenerleichterungen für hoch-
verschuldete arme Länder HIPC – Heavily Indebted
Poor Countries Initiative –, sollte gemeinsame
Schuldenerleichterungen der internationalen Finanzinsti-
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utionen sowie der bilateralen öffentlichen Gläubiger er-
öglichen.
Auf dem Weltwirtschaftsgipfel 1999 in Köln wurde
ann eine deutlich erweiterte Variante, die HIPC-II-
nitiative, beschlossen. Durch sie wurden einerseits die
riterien für den Schuldenerlass heruntergesetzt und
ndererseits der Erlass aber an konkrete Bedingungen
eknüpft.
Auch nach den Beschlüssen der HIPC-II-Initiative
lieben leider die erhofften Erfolge aus. Vielmehr stiegen
ie Schulden der 61 Niedrigeinkommensländer von
980 bis 2003 erneut um 430 Prozent auf 523 Milliarden
S-Dollar an. Ergebnis war, dass auf dem G-8-Gipfel in
leneagles 2005 die heute angewandte Entschuldungs-
raxis Multilateral Debt Relief Initiative – MDRI – be-
chlossen wurde.
Selbst Repräsentanten der Weltbank räumen ein, dass
ie Entschuldungsinitiativen den betroffenen Ländern
isher keine nachhaltigen Entlastungen gebracht haben.
ies hängt damit zusammen, dass die bestehenden struktu-
ellen Ursachen der Schuldenkrise mit einem einmaligen
auschalerlass nicht behoben sind.
Die Gründe für die geringe Wirksamkeit von bisherigen
chuldenerlassen sind vielfältig. Neben zu optimisti-
chen Wachstumsprognosen der Weltbank und des IWF,
ie folglich viel zu hohe Potenziale der entschuldeten
änder vorspiegeln, spielt auch eine Rolle, dass exogene
chocks und unvorhersehbar schwankende Marktpreise die
ntschuldeten Volkswirtschaften aus dem Gleichgewicht
ringen und die Effekte der Entschuldungen so verpuffen
assen können. Des Weiteren bezieht die Berechnung der
chuldenlast einen Großteil der Schulden nicht mit ein,
um Beispiel kommerzielle Schulden, Schulden bei einigen
egionalen Entwicklungsbanken. Auch die Aussagekraft
er Indikatoren für Schuldendienstfähigkeit ist umstritten,
a sie nur einen kleinen Teil der Finanzprobleme der be-
offenen Staaten einbeziehen. Zusätzlich dazu verläuft die
mplementierung wegen vieler Auflagen und Finanzie-
ungsstreitigkeiten unter den Gläubigern sehr schleppend.
Die Symptome der Unterentwicklung werden mit der
ntschuldung zwar erkannt, eine Verbesserung im Bereich
er Ursachen – unter anderem fehlende Stabilität im
inanz- und Wirtschaftssektor, Aufbau eines fiskalischen
ystems – wird aber nur unzureichend erreicht, sodass
rneute Schuldenaufnahmen die Folge sind.
Als Beispiel für die Ineffektivität der Entschuldungs-
ktivitäten möchte ich Ihnen Bolivien vorstellen, ein
chwerpunktland der deutschen Entwicklungszusammen-
rbeit. Bolivien gehört zu den am häufigsten entschuldeten
ändern. Nach dem Erlass von 1,3 Milliarden US-Dollar
001, bei denen der deutsche Anteil knapp 350 Millionen
uro betrug, wurden infolge des G-8-Gipfels in Gleneagles
eitere 2 Milliarden US-Dollar Schulden erlassen, weil
ie Verbindlichkeiten Boliviens bereits wieder auf über
Milliarden US-Dollar gestiegen waren.
Ungeachtet dieser massiven Schuldenerlasse hat Boli-
ien bereits 2006 wieder neue Darlehen aufgenommen.
as Beispiel macht deutlich, wo die Probleme beim
omentan praktizierten Schuldenerlass liegen: Die
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. März 2007 8635
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(B) )
Entschuldung wird nicht konsequent genug an Auflagen
in Bezug auf die Verwendung der frei werdenden Mittel,
der Ansprüche an solide Haushaltsführung und Good
Governance, an die Bekämpfung von Korruption und
Misswirtschaft und an den Aufbau einer soliden Wirt-
schaftsstruktur gekoppelt.
All diese Tatsachen sollten uns dazu bewegen, die
Frage der Entschuldung als Mittel der Armutsbekämpfung
infrage zu stellen.
Die Forderung der Linken nach einer Kategorisierung
in legitime und illegitime Schulden führt aber noch dazu
zu einer Verunsachlichung der Diskussion, da nachvoll-
ziehbare Kriterien für die Unterscheidung leider fehlen.
Wer sollte nach Meinung der Linken beurteilen, welche
Schulden illegitim sind?
Ihr Antrag geht daher in die falsche Richtung. Ich
gebe Ihnen aber insoweit Recht, als die Entschuldungs-
praxis der Regierung auf den Prüfstand muss. Eine stärkere
Kontrolle der Verwendung der durch die Entschuldung
frei werdenden Mittel muss gewährleistet werden, um
eine sofortige Neuverschuldung und Missbrauch der frei
werdenden Mittel zu verhindern.
Heike Hänsel (DIE LINKE): „We don’t owe – we
won’t pay! Wir schulden nichts – wir werden nichts be-
zahlen!“ Mit dieser Losung stellten auf dem Weltsozial-
forum in Nairobi viele zivilgesellschaftliche – vor allem
christliche – Gruppen aus den Ländern des Südens die
Legitimität des Schuldendiensts, den ihre Länder leisten
müssen, infrage. Sie nannten zahlreiche Beispiele für
Kredite, die an frühere Diktatoren vergeben worden waren,
die für unsinnige Großprojekte ausgegeben wurden, die
nichts zur Entwicklung in den Empfängerländern beitru-
gen, sondern im Gegenteil sogar soziale und ökologische
Schäden anrichteten oder einfach nur der Exportförderung
für die Unternehmen der Geberstaaten dienten. Die Geber
im Norden tragen Verantwortung für ihre katastrophale
Vergabepolitik. Die Menschen im Süden tragen schwer
an den Schulden, die durch diese Politik entstanden sind.
Ich möchte Ihnen einige Beispiele nennen: Auf den
Philippinen gehen neu aufgenommene Kredite fast kom-
plett in den Schuldendienst. Unter der Diktatur von
Ferdinand Marcos wurden allein 2 Milliarden US-Dollar
Schulden für ein Atomkraftwerk in einem erdbeben-
gefährdeten Gebiet aufgenommen. Das Kraftwerk ging
glücklicherweise nie in Betrieb, aber die Filipinos zahlen
bis heute jährlich 100 Millionen US-Dollar für die
Bedienung der dafür aufgenommenen Kredite.
Haiti – ein kleines Land in schweren ökonomischen,
sozialen und politischen Turbulenzen – zahlt jährlich
80 Millionen US-Dollar in den Schuldendienst. Rund die
Hälfte der Verpflichtungen wurde von der Diktatoren-
familie Duvalier aufgenommen, die – milliardenschwer –
1986 ins Exil ging. Durch den Schuldendienst fehlen
Mittel, um den enormen sozialen Problemen zu begegnen,
die sie hinterlassen haben. Die Gewalt in Haiti wiederum
– Folge der sozialen Misere – soll durch eine UN-Truppe
eingedämmt werden, die jährlich 300 Millionen US-Dollar
verschlingt. Um diesen Wahnsinn zu beenden, setzen
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ich Organisationen wie Jubilee South für eine bedin-
ungslose Schuldenstreichung ein.
Brasilien hat 40 Prozent des letzten Haushalts für den
chuldendienst verwendet. Um diese Verpflichtungen zu
rwirtschaften, werden auch negative umweltpolitische
nd soziale Folgen in Kauf genommen.
Sage und schreibe 130 Milliarden US-Dollar Schulden
urden unter der Diktatur von Saddam Hussein angehäuft.
er deutsche Anteil an der Kreditsumme bezog sich vor
llem auf Infrastrukturmaßnahmen, Rüstungselektronik
nd Dual-Use-Güter: eine indirekte Finanzierung des
rakischen Kriegs gegen den Iran und eine Unterstützung
ür eine Politik, die viel Leid über die Menschen im Irak
nd in den Nachbarländern gebracht hat, und natürlich
uf gar keinen Fall ein Beitrag zur Entwicklung des Irak.
mso unverständlicher ist es, wenn jetzt der Erlass dieser
chulden als Entwicklungshilfe deklariert und auf die
DA-Quote – Anteil der offiziellen Entwicklungshilfe
m Bruttonationaleinkommen – angerechnet wird.
Die Investitionsruinen aus Kreditgeschäften – auch
it deutscher Beteiligung – sind zahlreich. Die Nicht-
egierungsorganisation Erlassjahr nennt unter anderem die
lei-Silber-Hütte in Karachipampa/Bolivien. Sie wurde
on der KfW kofinanziert – Gesamtkreditsumme über
0 Millionen US-Dollar –, arbeitete jedoch von Beginn
n mit Verlusten und musste schnell stillgelegt werden. Bis
001 zahlte Bolivien weiterhin die Zinsen. Mittlerweile
urden die Schulden im Rahmen der HIPC-Initiative
estrichen – und der Erlass auf die Entwicklungshilfe
ngerechnet.
Die Bundesregierung handelt unseriös, wenn sie ihre
DA-Quote mithilfe solcher Rechentricks hochschraubt.
ie OECD und selbst die EU-Kommission kritisieren
iese Anrechnungspraxis, die auch im Widerspruch zum
onsens der Entwicklungsfinanzierungskonferenz von
onterrey steht, und stellen infrage, wie ein effektiver
nstieg der Entwicklungshilfe mit dieser Anrechnungs-
raxis nachhaltig gesichert werden kann.
Die Verantwortung der Kreditgeber muss in der
chuldenproblematik deutlich angesprochen werden. Wir
ordern die Bundesregierung auf, politische Konsequenzen
araus zu ziehen. Beispielhaft ist hier die Initiative der
orwegischen Regierung, die wir in unserem Antrag
nsprechen und die – nebenbei erwähnt – von den Minis-
ern und Ministerinnen der norwegischen Linkspartei
orangetrieben und umgesetzt wird: Es geht um die
nerkennung der eigenen Schuld an der Einfädelung von
reditgeschäften, die mehr Schaden als Nutzen für die
enschen im Süden gebracht haben. Schuldenerlass ist
ein humanitärer Akt, sondern ein Anspruch der Menschen
m Süden, den wir endlich einlösen müssen. Wir fordern
ie Bundesregierung auf, sich der norwegischen Initiative
nzuschließen und alle illegitimen Schulden zu streichen.
Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich
öchte mich hier ausdrücklich bei einer großen Zahl
on Menschen im Norden und im Süden bedanken, die
mer wieder das Augenmerk auf die wirklich schlimmen
uswirkungen lenken, die die Verschuldung gerade für
ie ärmsten Menschen in den Entwicklungsländern hat.
8636 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. März 2007
(A) )
(B) )
Ich begrüße es ausdrücklich, dass nun in einer neuen
Initiative auch die Entstehung der Schulden hinterfragt
wird: Von wem, für was und zu wessen Nutzen wurden
und werden Schulden gemacht, die sich zu einer erdrü-
ckenden Last für die Ärmsten auftürmen? Da wird der
Blick auf Geschäfte gelenkt, die mit den Diktatoren in
Argentinien und Bolivien, mit der Familie Suharto in
Indonesien oder zu Zeiten des Irak-Iran-Krieges mit
Saddam Hussein gemacht wurden. Wir müssen auch
kritisch auf Großprojekte blicken, die mit Hermesbürg-
schaften abgesichert wurden und deren finanzielle Solidität
keiner vernünftigen Wirtschaftlichkeitsprüfung unterlag.
Nahm man dabei billigend in Kauf, dass die Bevölkerung
in Entwicklungsländern über Hermesbürgschaften Arbeits-
plätze in Deutschland subventioniert?
Dies sind wichtige Fragen, denen wir verstärkt nachge-
hen müssen. Es ist notwendig, mehr Transparenz zu
schaffen und aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen.
Es ist aber vor allem notwendig, für die Zukunft Regeln
aufzustellen, die verhindern, dass dubiose Handels-
geschäfte zum Mühlstein am Hals des deutschen Steuer-
zahlers und der Bevölkerung in den Entwicklungsländern
werden. Es sollte ein klares Signal für die Zukunft ausge-
hen, dass es sich für Kreditgeber nicht lohnt, Geschäfte
mit Diktatoren zu machen und Entwicklungsländern
Projekte aufzuschwatzen, die keinerlei Kriterien ökono-
mischer und ökologischer Nachhaltigkeit standhalten.
Obwohl ich weitgehend mit der Problembeschreibung
übereinstimme, die in dem Antrag der Linken vorge-
nommen wird, sehen ich doch einige gravierende
Probleme: Auf der einen Seite wird die Entwicklung von
transparenten Kriterien für „illegitime Schulden“
verlangt, was ich ausdrücklich unterstütze. Gleichzeitig
sollen aber sofort alle „illegitimen Schulden“ anerkannt
und gestrichen werden. Das ist auch nachvollziehbar,
aber schwer zu praktizieren. Was sind verabscheuungs-
würdige, illegitime Schulden? Was war nur fahrlässig,
zu risikofreudig? Da müsste eine Unzahl von Untersu-
chungsausschüssen installiert werden. Ich behaupte nicht,
dass dies unmöglich ist. Aber rückwirkend Schulden als
illegitim zu erklären, ist schwierig und wirft noch viele
Fragen auf, die geklärt werden müssen.
Außerdem soll die Entschuldung nicht auf die öffent-
liche Entwicklungshilfe angerechnet werden. Ich möchte
hier gerne einen Schritt nach dem anderen gehen, das
heißt, zuerst ein tragfähiges Konzept entwickeln und
dann auf dessen Grundlage über die Entschuldung ent-
scheiden.
Wir haben mit einer „kleinen Anhörung“ im Ausschuss
bereits einen ersten Aufschlag gemacht, bei dem ein Ver-
treter der deutschen Erlassjahrkampagne die Vorstellungen
zu „illegitimen Schulden“ dargelegt hat. Ebenso hat das
europäische Schuldennetzwerk EURODAD kürzlich
eine Studie veröffentlicht, in der aus allen G-8-Staaten
Beispiele für illegitime Schulden dargestellt werden. Für
Deutschland ist dort der Fall des Exports von Ex-DDR-
Kriegsschiffen nach Indonesien als Beispiel benannt.
Und doch sind viele Fragen bezogen auf ein schlüssiges
Verständnis eines Konzepts von „illegitimen Schulden“
offen. Ich schlage vor, das Jahr der G-8-Präsidentschaft zu
nutzen, sich eingehender mit diesem Thema auseinander-
zusetzen und die Entwicklung von Kriterien für „illegitime
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chulden“ voranzutreiben. Die Bundesregierung ist
efordert, hier einen Konsultationsprozess mit anderen
ilateralen Gebern – dafür käme der Pariser Club infrage –
it der Weltbank und mit zivilgesellschaftlichen Gruppen
inzuleiten.
Wir denken, dass von der norwegischen Initiative ein
ichtiger Anstoß zu einer gründlichen Auseinandersetzung
it dem Thema ausgeht. Es ist wichtig, die Diskussion
m illegitime Schulden in den Zusammenhang der aktu-
llen Diskussionen um die Weiterentwicklung des inter-
ationalen Schuldenmanagements zu stellen. Vor allem
as sogenannte „Free-Rider-Problem“, dass entschuldete
änder sich zu schlechteren Bedingungen als den eigent-
ch im Rahmen des Schuldenerlasses vorgesehenen neu
erschulden und dadurch schnell wieder in die Schulden-
alle tappen, ist hier von großer Bedeutung. Auch die
eudefinition der Schuldentragfähigkeit und eine unab-
ängige Schuldentragfähigkeitsanalyse, wie sie ansatz-
eise für Bolivien in Arbeit ist, spielen hier eine wichtige
olle.
Generell ist für uns der Schuldenerlass ein wirksames
ittel, um Entwicklung zu fördern. Dies trifft insbeson-
ere auf die Entschuldung im Rahmen von HIPC zu, die
nnerhalb eines partizipativen Prozesses stattfindet und
essourcen für Sozialausgaben und Investitionen in den
rmsten Länder freimacht. Bei „illegitimen Schulden“
riegt die ODA-Anrechenbarkeit aber ein Geschmäckle.
ass die Finanzierung des Saddam-Regimes und die
achfolgende Entschuldung des Irak jetzt dafür herhalten
uss, die deutschen ODA-Zahlen zu schönen, damit haben
ir ein Problem.
Um auf den vorliegenden Antrag zurückzukommen:
in guter Anstoß, das Problem intensiv zu diskutieren,
ffene Fragen zu klären. Aber einige Forderungen schie-
en über das Ziel hinaus und verringern die Chancen,
atsächlich Fortschritte zu erzielen. Ich denke, dass wir
ns im Entwicklungsausschuss noch intensiv mit dieser
roblematik befassen werden und auch zu Ergebnissen
ommen, zu Vorschlägen, die tatsächlich weiterführen.
nlage 3
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung
– Bericht: Verbraucherinformationsgesetz
nachbessern und das Lebensmittel-Kontroll-
system neu ordnen
– Antrag: Zweite Chance nutzen – Das Recht
auf Verbraucherinformation grundlegend
neu gestalten
– Antrag: Verbraucherinformationsrechte
stärken – Neues Verbraucherinformations-
gesetz zügig vorlegen
(Tagesordnungspunkt 12 a und b, Zusatztages-
ordnungspunkt 8)
Marlene Mortler (CDU/CSU): Am 29. Juni 2006 hat
er Deutsche Bundestag das Verbraucherinformations-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. März 2007 8637
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(B) )
gesetz in zweiter und dritter Lesung verabschiedet. Nach
fast fünf Jahren Diskussion wurde damit ein neues Kapitel
der Verbraucherpolitik aufgeschlagen; sowohl den
Verbrauchern als auch den Unternehmen eröffnen sich
neue Perspektiven. Daran werden auch die in der Zwi-
schenzeit eingetretenen Ereignisse nichts ändern. Nach
der doch überraschenden Entscheidung des Bundespräsi-
denten befindet sich das Gesetz derzeit in der Ressort-
abstimmung, um die nun erforderlichen Änderungen vor-
zunehmen. Das Wesen des Gesetzes bleibt jedoch
erhalten.
Ich möchte an dieser Stelle noch einmal hervorheben,
dass die Entscheidung des Bundespräsidenten nicht auf
inhaltlichen Kriterien beruhte, sondern auf formalen. Für
die von der Opposition geforderte neuerliche inhaltliche
Diskussion gibt es also nicht den geringsten Grund. Im
Gegenteil: Der Erfolg, nach fünf langen Jahren Diskussion
endlich ein Mehr an Verbraucherinformation gesetzlich
geregelt zu haben, darf nicht kaputtgemacht werden.
Außerdem sind die angeführten Forderungen von Bünd-
nis 90/Die Grünen und von der Fraktion Die Linke
längst bekannt und genügend diskutiert worden.
An dieser Stelle will ich daher nur ein paar Forderungen
exemplarisch aufgreifen, etwa die Forderung, dass der
Informationsanspruch ebenfalls gegenüber privaten Unter-
nehmen ausgeweitet werden soll. Ein solcher Anspruch
schadet vor allem den kleinen und mittleren Unternehmen,
die sich – anders als die „großen“ – ein aufwendiges
Anfragemanagement nicht leisten können.
Angesichts von Erzeugnissen, die aus vielerlei Aus-
gangsstoffen zusammengesetzt und weltweit eingekauft
werden, sowie vor dem Hintergrund immer komplexerer
Märkte erscheint ein derartiger Anspruch auch als unrea-
listisch und unvereinbar mit den Anstrengungen der
Bundesregierung zum Bürokratieabbau. Trotz immer
wieder gegenläufigen Behauptungen kommt selbst die
Verbraucherorganisation Foodwatch bei ihrer Recherche
zu dem Ergebnis, dass umfassende gesetzliche Informa-
tionsansprüche gegenüber Unternehmen im internationalen
Vergleich bislang nur in Südafrika existieren – und dort
auch nur, soweit es zur Geltendmachung eigener An-
sprüche erforderlich ist.
In diesem Zusammenhang hat meine Fraktion in der
hinter uns liegenden Debatte zum Verbraucherinforma-
tionsgesetz jedoch immer an die Unternehmen appelliert,
dass sie ihrer Verantwortung nachkommen müssen – im
Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher und in
ihrem eigenen. Eine entsprechende Selbstverpflichtung
zur Verbraucherinformation wäre für beide Seiten von
Vorteil. Die Bundesregierung ist aufgefordert, hier ein
entsprechendes Angebot der Unternehmen zu verfolgen.
Das haben Union und SPD im Entschließungsantrag
zum Verbraucherinformationsgesetz deutlich festge-
schrieben.
Ebenfalls empfehle ich einen Blick in unseren Entschlie-
ßungsantrag, wenn es um die Forderung der Ausweitung
des Geltungsanspruches geht. Mit dem Verbraucher-
informationsgesetz betreten wir gesetzliches Neuland.
Erstmals erhalten die Verbraucher in unserem Land ein
bundeseinheitliches Recht auf Zugang zu bei Behörden
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orhandenen Informationen über Lebensmittel und
edarfsgegenstände. Lassen Sie uns daher erst einmal die
rfahrungen mit dem Gesetz abwarten und dann prüfen,
b eine Ausweitung auf weitere Produkte und Dienst-
eistungen unter Berücksichtigung deren spezifischen
rfordernissen sinnvoll erscheint! Auch das haben wir in
nserem Entschließungsantrag bereits vorgesehen.
Aber an dieser Stelle noch einmal, weil es so wichtig
t: Der Anwendungsbereich des Verbraucherinformations-
esetzes beschränkt sich nicht auf Lebensmittel, sondern
ezieht sich auch auf Kosmetika und Bedarfsgegen-
tände wie Bekleidung, Spielwaren Lebensmittelverpa-
kungen, Schnuller, Bettwäsche, Putz- und Waschmittel
owie alles, was mit der Haut oder den Schleimhäuten in
erührung kommt. Damit erfasst er die für die Verbraucher
ichtigsten alltäglichen Erzeugnisse.
Als letzte Anmerkung zu Ihren Forderungen möchte ich
och den Aspekt der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse
ufgreifen. Im Nachgang zur Expertenanhörung zu diesem
hema haben wir unseren Willen in aller Deutlichkeit
ormuliert und im Gesetzestext ausdrücklich klargestellt.
o fallen Informationen über Rechtsverstöße nicht unter
en Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen
der sonstigen wettbewerbsrelevanten Informationen.
nformationen beispielsweise über Gammelfleisch sind
em Verbraucher also zugänglich bzw. werden von der
ehörde veröffentlicht. Auf der anderen Seite gilt aber
uch: Die Eigentumsrechte der Unternehmen müssen
ewahrt bleiben.
Zum Stichwort „Gammelfleisch“. Das ist ja das Leit-
otiv des grünen Antrages, wobei die logischen
erknüpfung mit den Forderungen hinsichtlich des Ver-
raucherinformationsgesetzes nicht immer ganz gegeben
ind. So erschließt sich mir die Ausweitung des Anwen-
ungsbereichs auf Dienstleistungen im Kampf gegen
ammelfleisch nicht wirklich. Aber seis drum. Völlig an
er Realität vorbei geht in jedem Fall die Kritik von
ündnis 90/Die Grünen, die Bundesregierung hätte auf
ie Gammelfleischskandale „nur schleppend und halb-
erzig“ reagiert. Minister Seehofer hat immer deutlich
emacht, dass nur eine zügige Verabschiedung des
erbraucherinformationsgesetzes ein wirkungsvolles
nstrument sein kann. Genau das versuchen Sie jetzt
urch Ihre neuerlichen Anträge zu blockieren. Ich sage
hnen: Fünf Jahre Diskussion sind genug.
Darüber hinaus möchte ich Ihnen in Erinnerung rufen,
ass die Bundesregierung in Absprache mit den Bundes-
ändern bereits im November 2005 mit dem Zehn-
unkte-Sofortprogramm ein wirksames Maßnahmenpaket
erabschiedet hat. Hinzu kommen noch die kontinuierliche
erbesserung der Lebensmittelkontrolle in den letzten
ahren sowie die Anpassung der Allgemeinen Verwal-
ungsvorschrift Rahmenüberwachung – AVV RÜB – an
uropäisches Recht. Bitte vergessen Sie aber nicht bei
hrer Kritik, dass die Zuständigkeit für die Durchführung
er Lebensmittelüberwachung in den Händen der Länder
iegt. Den Bemühungen vonseiten der Bundesregierung
ind also Grenzen gesetzt.
Beim Blick auf Ihre Vorschläge kann ich Ihnen sagen:
as Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft
8638 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. März 2007
(A) )
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und Verbraucherschutz ist derzeit damit befasst – im
Rahmen seiner Möglichkeiten –, die rechtlichen Voraus-
setzungen in der AVV RÜB bzw. über eine Änderung
des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuchs – LFGB –
vorzubereiten, damit das System der Lebensmittelkon-
trolle weiter verbessert wird. Ein „schleppendes und
halbherziges“ Vorgehen können Sie das wohl kaum nen-
nen. Diese Maßnahmen umfassen im Wesentlichen fol-
gende Punkte:
Erstens. Verbesserungen im Qualitätsmanagement durch
die Einführung des Rotationsprinzips bei den Lebensmittel-
kontrolleuren, Verankerung des Vier-Augen-Prinzips bei
der Kontrolle, Festschreibung unangekündigter Kontrollen
während der Produktionszeit des jeweiligen Betriebes
sowie die Verankerung eines Qualitätshandbuches, in
dem wesentliche Qualität sichernde Vorschriften auf der
Basis internationaler Standards verankert werden.
Zweitens. Einführung eines Frühwarnsystems: Ein
solches nationales Frühwarnsystem, welches das EU-
Schnellwarnsystem ergänzen soll, dient dem Zweck, den
Informationsaustausch über entdeckte Verstöße gegen das
Lebensmittel- und Futtermittelrecht zeitnah und unabhän-
gig von krisenhaften Vorgängen zwischen den Ländern
und den Bundesbehörden sicherzustellen. Ziel dieses
Informationsaustausches ist es, sich entwickelnde Pro-
bleme unterhalb einer Gefährdungsschwelle frühzeitig
zu erkennen, um rechtzeitig Gegenmaßnahmen ergreifen
zu können.
Sie sehen, sowohl die Verbesserung der Lebensmittel-
kontrolle als auch das Verbraucherinformationsgesetz
sind in guten Händen. Es geht voran. Ihre Anträge leisten
in meinen Augen hierbei keinen hilfreichen Beitrag. Ich
plädiere daher dafür, sie abzulehnen.
Elvira Drobinski-Weiß (SPD): Es ist unumstritten,
dass sich auf dem Lebensmittelmarkt etwas tun muss
und dass wir effektivere Kontrollen und mehr Transpa-
renz brauchen, um Lebensmittelskandale zu verhindern.
In der Sache sind wir einig. Aber den beiden Anträgen
der Fraktionen der Linken und des Bündnisses 90/Die
Grünen zum Verbraucherinformationsgesetz und zum
Lebensmittelkontrollsystem werden wir nicht zustim-
men, weil sie kaum Neues enthalten, nichts, was die
Bundesregierung nicht bereits umgesetzt hat oder zu-
mindest prüft.
Der Fleischskandal ist der Auslöser einer ganzen
Reihe von Maßnahmen, die hier bereits zur Sprache ge-
kommen sind. Deshalb will ich mich auf einen anderen
Aspekt konzentrieren: auf die Verantwortung der Unter-
nehmen gegenüber den Verbraucherinnen und Verbrau-
chern. Neben Lebensmittelkontrollen und harten
Sanktionen bei Verstößen sind Transparenz und lücken-
lose Rückverfolgbarkeit die wichtigsten Instrumente im
Kampf gegen Lebensmittelskandale. Für lückenlose
Rückverfolgbarkeit und Transparenz zu sorgen, ist vor
allem Aufgabe der Wirtschaft. Und wer Qualität produ-
ziert und anbietet, der braucht sich nicht zu verstecken,
der kann offensiv damit werben.
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Ohnehin stehen die Unternehmen in der Pflicht, denn
ach der seit Anfang 2005 geltenden EU-Verordnung
78/2002 müssen sie Verfahren und Systeme zur stufen-
bergreifenden Rückverfolgung bereitstellen. Die Wirt-
chaftsbeteiligten müssen sich gegenseitig kontrollie-
en, und Lebensmittel müssen lückenlos rückverfolgbar
ein, damit mangelhafte Produkte auf allen Produktions-
tufen schnell identifiziert und vom Markt genommen
erden können. Der Gammelfleischskandal zeigt erneut,
ie schwierig es ist, die Wege der verdorbenen Ware zu
echerchieren und schnell vom Markt zu holen.
Die Vorgaben der EU-Basisverordnung 178/2002 gel-
en seit dem 1. Januar 2005, sind unmittelbar an die Un-
ernehmen gerichtet und enthalten die Verpflichtung zur
icherstellung der Rückverfolgbarkeit von Lebens- und
uttermitteln. Die „Rückverfolgbarkeit“ ist in Art. 3
r. 15 definiert als „… die Möglichkeit, ein Lebensmit-
el oder Futtermittel, ein der Lebensmittelgewinnung
ienendes Tier oder einen Stoff, der dazu bestimmt ist
der von dem erwartet werden kann, dass er in einem
ebensmittel oder Futtermittel verarbeitet wird, durch
lle Produktions-, Verarbeitungs- und Vertriebsstufen zu
erfolgen“:
Nach Art. 18 Nr. 2 und Nr. 3 müssen Lebensmittel-
nd Futtermittelunternehmen entsprechende Systeme
nd Verfahren bereitstellen, mit denen die Informationen
en zuständigen Behörden auf Aufforderung zur Verfü-
ung gestellt werden können. Nach Art. 17 Nr. 1 haben
ie Unternehmen auf allen Produktions-, Verarbeitungs-
nd Vertriebsstufen für die Einhaltung der Anforderun-
en des Lebensmittelrechts zu sorgen und diese Einhal-
ung zu überprüfen. Es existiert also bereits eine EU-
echtliche Grundlage dafür, dass jedes Unternehmen
erkunft und Weg seiner Produkte ausführlich doku-
entieren muss, und das in einer Form, die den Behör-
en auf Anfrage Einblick ermöglicht.
Der Gammelfleischskandal hat gezeigt, dass die be-
roffenen Unternehmen dieser EU-rechtlichen Verpflich-
ung bisher nicht nachkommen, denn der komplette Weg
er verdorbenen Ware war kaum nachvollziehbar. Rück-
erfolgbarkeit und Transparenz müssen garantiert wer-
en. Das hat gleich mehrere Vorteile. Zum einen kann
amit tatsächlich auf Lebensmittel- oder Futtermittel-
kandale ganz schnell reagiert, auf allen Stufen der Wa-
enkette eingegriffen und die Ware vom Markt genom-
en werden. Zum anderen würde diese Transparenz den
nreiz zur gegenseitigen Kontrolle der einzelnen am
arenstrom Beteiligten verstärken.
Die stufenübergreifende Verantwortung ist Ende No-
ember letzten Jahres vom Europäischen Gerichtshof
estätigt worden. Dabei ging es um einen von Lidl Ita-
ia vertriebenen Kräuterlikör, der vom Hersteller mit ei-
em falschen Alkoholgehalt etikettiert war. Im nationa-
en Verfahren wurde nicht die erste Stufe der
arenkette – der Hersteller – zur Verantwortung gezo-
en und mit Bußgeld belegt, sondern die letzte Stufe,
er Vertreiber Lidl. Diese Entscheidung wurde vom
uGH bestätigt. Das heißt, auch wenn Lidl als Vertrei-
er das Erzeugnis lediglich so weitergibt, wie es ihm
om Hersteller geliefert wurde, kann er für den Kenn-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. März 2007 8639
(A) )
(B) )
zeichnungsverstoß haftbar gemacht werden. Daraus er-
gibt sich eine entsprechende Verantwortlichkeit aller
Personen, die am Produktions- und Vertriebsprozess
beteiligt sind. Und daraus ergibt sich, dass spätestens
seit diesem Urteil des EuGH die Unternehmen der Le-
bensmittelindustrie ein eigenes Interesse daran haben
müssen, stufenübergreifende Qualitätsicherungssys-
teme einzurichten, um sich gegen etwaige Bußgelder
oder Strafbefehle zu wappnen.
Nicht zuletzt mit unserem Entschließungsantrag
zum Verbraucherinformationsgesetz haben wir die
Wirtschaft aufgefordert, Vorschläge zu erarbeiten, wie
sie für mehr Transparenz sorgen und die ihnen vorlie-
genden Informationen den Verbrauchern zugänglich
machen können. Mit den Daten, die die Unternehmen
nach der EU-Verordnung zur Rückverfolgbarkeit so-
wieso sammeln und zur Verfügung stellen müssen, ist
eigentlich der Grundstein schon gelegt. Diese Daten
könnten um weitere für Verbraucher wichtige Informa-
tionen ergänzt werden. Und auf dieser Grundlage
könnte also leicht der nächste Schritt gegangen werden,
und die „Systeme und Verfahren …, mit denen diese
Informationen den zuständigen Behörden auf Auffor-
derung mitgeteilt werden können“ – Art. 18 Nr. 2
Satz 2 –, könnten so ausgestaltet werden, dass sie auch
den Zugriff der Verbraucher ermöglichen.
Das Vertrauen in das deutsche Lebensmittelsicher-
heitssystem hat stark gelitten. Wir brauchen einen trans-
parenten Lebensmittelmarkt, damit Skandale verhindert
werden und Qualität sich durchsetzt. Die dazu nötigen
rechtlichen Regelungen gehen wir an. Die Politik trägt
aber nicht die alleinige Verantwortung: Wir sind es unse-
rem Ruf als Exportweltmeister in der Lebensmittelbran-
che schuldig, dass auch die Wirtschaft ihren Beitrag leis-
tet.
Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Die Koalitions-
fraktionen haben ganz klar gezeigt, dass sie sich für eine
umfangreiche Information der Verbraucher einsetzen.
Wir haben ein Verbraucherinformationsgesetz,VIG, vorge-
legt, in dem in Zukunft Ross und Reiter genannt werden,
das heißt Rechtsverstöße werden in der Regel veröffent-
licht.
Wir als Parlament, die Bundesregierung und auch der
Bundesrat haben dieses Gesetz beschlossen. Wie jeder
weiß, hat Herr Bundespräsident Köhler seine Unter-
schrift zu diesem Vorhaben nicht gegeben, weil er der
Meinung ist, dass es verfassungsrechtlichen Erfordernissen
entgegensteht. Was wir uns überhaupt nicht leisten können,
ist eine Wiederholung dieser Situation. Deshalb bin ich
auch für eine gründliche Bearbeitung. Die Menschen im
Lande kommen doch langsam auf die Idee, dass wir es
nicht wirklich ernst mit diesem Gesetz meinen.
Fast bin ich nun geneigt zu sagen: auf ein Neues! Der
geänderte Referentenentwurf befindet sich in der Ab-
stimmung zwischen den Ministerien und wird eingehend
geprüft.
Ich bin der Ansicht, dass das Verbraucherinformations-
gesetz ein Ansporn für die Länder und Kommunen ist,
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r Lebensmittelkontrollsystem auf Vordermann zu bringen.
in Ansporn ist anscheinend nötig; denn trotz der langen
erhandlungen zum VIG sind immer noch Schwachstellen
ei der Lebensmittelkontrolle offensichtlich und dafür
ind die Länder verantwortlich.
Wir Abgeordnete der SPD-Fraktion hatten erst im Fe-
ruar Gespräche mit Lebensmittelkontrolleuren geführt.
esonders deutlich wurde, dass die Länder noch Erheb-
iches leisten müssen, damit die Kontrollen einwandfrei
ufen. Angriffspunkte gibt es viele, beispielsweise unter-
cheiden sich die Fachaufsichtsbehörden von Bundesland
u Bundesland. Exemplarisch Bayern: Personelle Fragen
er Lebensmittelüberwachung unterliegen dem Innen-
inisterium, für fachliche Fragen hat das Verbraucher-
chutzministerium den Hut auf. In „meinem“ Heimatland,
achsen-Anhalt, findet die Überwachung von Veterinäran-
elegenheiten im Landwirtschafts- und von Lebensmittel-
ngelegenheiten im Gesundheitsministerium statt. Das
eißt, schon alleine die Aufgabenaufteilung erfolgt nach
anz anderen Kriterien. Weiter wurde klar, dass die
etriebe nicht nach einer Wichtung in Risikokategorien
ontrolliert werden, sondern dass die Kontrollen in etwa
leich verteilt erfolgen sollen.
Die Kontrollen nach fachlichen Kriterien und der
achlage entsprechend auszugestalten, sollte künftig
ang und gäbe werden. Der einzelne Kontrolleur muss
ich durch einen Dschungel von Vorgaben arbeiten. Zum
eil lässt sich durch eine effizientere Arbeitsaufteilung
urch die Länder Abhilfe schaffen.
Was ich hier ausführe, hat nichts damit zu tun, anderen
en „schwarzen Peter“ zuzuschieben. Fakt aber ist,
ammelfleischskandale lassen sich nicht alleine aufgrund
er Veröffentlichung von Firmennamen vermeiden.
ichtig ist eben auch die Beseitigung von bürokratischen
ürden schon bei der Kontrolle. Wesentlich ist auch die
essere Vernetzung und die Schulung der Kontrolleure.
ußerdem werde ich nicht müde, anzumahnen, dass die
erichte das mögliche Strafmaß von bis zu fünf Jahren
aftstrafe auch wirklich nutzen sollen. Das heißt, Men-
chen, die verdorbene Lebensmittel in den Handel bringen,
uss klipp und klar sein: Wer Verbraucherinnen und
erbrauchern verdorbene Lebensmittel unterjubelt, handelt
bsolut kriminell und schadet der Lebensmittelwirtschaft
nsgesamt. Der Staat sieht hier kein Kavaliersdelikt.
Wie oft haben wir in diesem Hause schon über das Ver-
raucherinformationsgesetz gesprochen. Ich jedenfalls
ag die Debatten nicht mehr zählen. Alle Verbraucherin-
en und Verbraucher haben ein Recht auf Sicherheit und
nformation. Lassen Sie uns nicht über neuerliche Änderun-
en der Grünen und der Linken abstimmen, sondern nach
er Ressortabstimmung weitreichende Verbesserungen
eschließen und endlich auch umsetzen.
Hans-Michael Goldmann (FDP): Die Beratungen
ber ein Verbraucherinformationsgesetz drohen zur un-
ndlichen Geschichte zu werden. Statt zu einem Meilen-
tein für die Verbraucher ist das von der Großen Koali-
ion geplante Gesetz zum Stolperstein geworden. Dass
ir jetzt erneut über die Frage beraten, was in einem sol-
hen Gesetz drinstehen sollte, ist der schlampigen Arbeit
8640 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. März 2007
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der Bundesregierung zuzuschreiben. Und dass wir jetzt
über Anträge beraten, nicht über einen Gesetzentwurf,
der endlich die berechtigten Kritikpunkte beachten wird,
die die Bundesregierung in den vorangegangenen Bera-
tungen schlichtweg ignoriert hat, stärkt überhaupt nicht
mein Zutrauen in die Fähigkeit der Regierung, ein gutes
Gesetz für mehr Verbraucherinformation auf den Weg zu
bringen.
Denn Ihre Lernfähigkeit scheint begrenzt zu sein. Ich
habe mal in das Plenarprotokoll der dritten Lesung des
Gesetzentwurfs der Bundesregierung für ein Verbrau-
cherinformationsgesetz vor knapp einem Jahr einen
Blick geworfen und möchte einmal in Erinnerung rufen,
was ich damals schon vorgetragen habe:
Was die Qualität angeht, weist es aus meiner Sicht
wirklich dramatische Mängel auf. […] in Ihrem
Entschließungsantrag […] schreiben Sie […], dass
Sie den ersten Erfahrungsbericht zwei Jahre nach
Inkrafttreten des Gesetzes vorlegen und alle gesetz-
lichen Informationsrechte miteinander abstimmen
und systematisieren wollen.
(Ursula Heinen [CDU/CSU]: Das ist ja klug!)
Das ist ja wohl ein Witz. Das heißt, das jetzt vor-
liegende Gesetz ist unsystematisch und mit vor-
handenen gesetzlichen Bestimmungen, zum Bei-
spiel dem Informationsfreiheitsgesetz, nicht in
Einklang zu bringen. Das ist eine schallende Ohr-
feige für Sie, die Sie diesen Gesetzentwurf heute
verabschieden wollen. Ich halte das wirklich für
dramatisch.
Liebe Kollegin Heinen, lieber Kollege Seehofer, jetzt
haben Sie die Gelegenheit, das gleich richtig zu machen
– und nicht erst einmal zwei Jahre – oder wer weiß, wie
lange – abzuwarten, ob das denn alles so passt. Es ist
nämlich – das sollten Sie ja aus dem Desaster mit dem
Verbraucherinformationsgesetz gelernt haben – so, dass
es besser und viel klüger ist, vorher sicherzustellen, dass
ein Gesetz mit der Verfassung und auch mit anderen ge-
setzlichen Regelungen in Einklang steht. Sonst führt das
fast zwangsläufig zu einer Bauchlandung.
Es ist schon ein bemerkenswerter Vorgang, dass der
Bundespräsident das Gesetz stoppen musste, weil es ge-
gen die Verfassung verstößt. Die FDP-Fraktion hat des-
halb gerade vor ein paar Wochen in einer Kleinen An-
frage nachgehakt – und ich muss ernüchtert feststellen,
dass die Antwort ebenso die Gründlichkeit vermissen
lässt wie der vorige Gesetzentwurf. Da ist wirklich nicht
zu erkennen, dass die Bundesregierung aus dem Schei-
tern gelernt hat. Auf die Frage des Verhältnisses des Ver-
braucherinformationsgesetzes zu in einigen Ländern be-
reits bestehenden Informationsfreiheitsgesetzen und die
daraus folgende Frage der Erforderlichkeit nach Art. 72
des Grundgesetzes antwortet die Bundesregierung nur
lapidar, dass das ja schon immer so war. Das ist doch
kein Umgang mit der Verfassung! Haben Sie denn nicht
spätestens jetzt gelernt, dass Gesetze mit der Verfassung
– und zwar mit der aktuellen Verfassung nach der Föde-
ralismusreform! – in Einklang stehen müssen? Der Ver-
weis auf „haben wir immer schon so gemacht“ und
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wird schon gut gehen“ ersetzt keine verfassungsrechtli-
he Prüfung!
Damit wir uns hier nicht missverstehen: Die FDP-
raktion will Verbraucherinformationsrechte endlich
undesweit gewährleistet sehen. Aber es hilft doch kei-
em, wenn der nächste Anlauf wieder am Grundgesetz
cheitert, weil möglicherweise die Erforderlichkeit, die
em Bund erst die Gesetzgebung gestattet, gar nicht ge-
eben ist. Deshalb muss die Bundesregierung Farbe be-
ennen: Wollen Sie nun einen neuen Anlauf machen
der nicht? Eine „zügige Neuvorlage“, wie von Ihnen,
err Seehofer, im Dezember angekündigt, ist ja ganz of-
ensichtlich ohnehin nicht in Sicht. Aber wenn Sie sich
chon so viel Zeit lassen, dann erwarte ich, dann erwar-
en die Menschen in Deutschland auch, dass Sie die Zeit
utzen, um Ihre Hausaufgaben zu machen und diesmal
in gutes Gesetz vorzulegen!
Die FDP-Fraktion fordert die Bundesregierung daher
uf, ein gründlich überarbeitetes Gesetz vorzulegen,
achdem sie vorher (!) ein paar Fragen geklärt hat, näm-
ich insbesondere, ob der Gesetzentwurf mit der Verfas-
ung übereinstimmt und wie sich der Gesetzentwurf in
as System der Informationsfreiheitsrechte einfügt. Die
erbraucherinnen und Verbraucher warten auf Taten,
err Seehofer. Ankündigungen alleine helfen den Men-
chen, den mündigen Verbrauchern, die sich informieren
ollen, die klug entscheiden wollen und daher nachfra-
en, nicht weiter.
Die FDP-Fraktion hat in der vergangenen Woche ei-
en Antrag eingebracht „Verbraucherinformationsrechte
tärken – Neues Verbraucherinformationsgesetz zügig
orlegen“, in dem wir deutlich machen, an welchen
unkten sich eine Neufassung eines Entwurfs für ein
erbraucherinformationsgesetz orientieren muss.
Die FDP-Fraktion erwartet von der Bundesregierung,
etzt zügig, spätestens aber bis zum 30. Juni 2007, einen
euen Entwurf für ein Verbraucherinformationsgesetz
orzulegen, der einerseits mit der Verfassung vereinbar
st und andererseits die Verbraucherrechte umfassend
tärkt. Dabei sind insbesondere folgende Punkte zu be-
ücksichtigen:
Das Gesetz muss für alle Produkte und Dienstleistun-
en gelten. Ausnahmetatbestände, die der Informations-
rteilung entgegenstehen, müssen auf das zum Schutz
ffentlicher Belange und der Betriebs- und Geschäftsge-
eimnisse erforderliche Maß reduziert werden. Es dür-
en keine abschreckend hohen Gebühren verlangt wer-
en. Der Zugang zu Informationen muss in der Regel
nverzüglich erfolgen, um eine kurze Verfahrensdauer
u erreichen. Die Unternehmen müssen ein Recht auf
ichtigstellung und Gegendarstellung erhalten. Die Be-
örden müssen für die Richtigkeit der herausgegebenen
nformation gerade stehen und gegebenenfalls beste-
ende Zweifel deutlich machen.
Und schließlich ist ein klares und verständliches In-
ormationsfreiheitsrecht notwendig. Das setzt eine ver-
assungsrechtlich konforme Verzahnung des Rechts der
erbraucherinformation mit dem allgemeinen Informa-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. März 2007 8641
(A) )
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tionsrecht, insbesondere unter Einbindung der Länder,
zwingend voraus.
Es ist wirklich an der Zeit, ein vernünftiges Gesetz vor-
zulegen! Es ist notwendig, die Rechte der Verbraucherin-
nen und Verbraucher tatsächlich zu stärken und ihnen Zu-
gang zu Informationen zu gewähren, die bei den
Behörden vorliegen und die zu einer klugen Verbraucher-
entscheidung beitragen können. Zugleich ist es notwen-
dig, für alle Beteiligten für Rechtssicherheit zu sorgen –
für die Unternehmen, für die Behörden und für die Ver-
braucher.
Notwendig ist ein grundlegend überarbeiteter Gesetz-
entwurf, um ein sinnvolles Gesetz auf den Weg zu brin-
gen, das Bestand haben kann. Die FDP-Fraktion erwartet
von der Bundesregierung gründliche Arbeit – und keine
halbgaren Ideen, die vom Aufwärmen auch nicht besser
werden, sondern nur fader.
Karin Binder (DIE LINKE): Vor kurzem hat Green-
peace einen Einkaufsratgeber aufgelegt. Der enthält eine
Übersicht in Scheckkartenformat fürs Portemonnaie, die
beim Einkaufen die Orientierung erleichtern soll: Wel-
ches Obst ist okay? Welches Gemüse enthält so viele
Pestizide, dass vom Verzehr dringend abzuraten ist? In
welchem Supermarkt kann ich einigermaßen beruhigt an
der Gemüsetheke auswählen, und in welchem Laden
kaufe ich das tägliche Vitamin C für die Kinder, wenn
ich ihnen eine gesundheitsschädigende Pestizid-Zufuhr
ersparen will?
Es kann doch nicht sein, dass Verbraucherinnen und
Verbraucher darauf angewiesen sind, auf diesem Weg
über Gifte und Verunreinigungen in Lebensmitteln zu er-
fahren. Es darf nicht länger eine Privatangelegenheit
sein oder dem Leistungsvermögen von Verbraucher-
schutzorganisationen anheim gestellt sein, die Öffent-
lichkeit entsprechend zu informieren. Die Gesundheit
und der Schutz der Bürgerinnen und Bürger muss doch
im vorrangigen Interesse des Staates liegen und als zen-
trale Aufgabe verstanden werden.
Deshalb brauchen wir endlich klare Regelungen. Un-
ternehmen, die vergiftetes Obst oder umetikettiertes
Gammelfleisch verkaufen oder verwenden, müssen na-
mentlich genannt werden. Herr Minister Seehofer hat in
der Vergangenheit mehrfach geäußert, dass mit seinem
Verbraucherinformationsgesetz die schwarzen Schafe
der Lebensmittelbranche geoutet würden. Aber daran
glaubt ja noch nicht mal sein Parteifreund und Länder-
kollege Schnappauf. Fakt ist: Beim Verbraucherinforma-
tionsgesetz hat sich die Bundesregierung selbst ein Bein
gestellt. Sie wollte den Verbraucherinnen und Verbrau-
chern partout keinen direkten Informationsanspruch ge-
genüber den Produktions-, Handels- und Dienstleis-
tungsunternehmen zugestehen. Stattdessen wird die
Verbraucherinformation zum kostenpflichtigen bürokra-
tischen Verwaltungsakt, der ausschließlich über die Be-
hörden realisiert werden soll. Daran ist das Gesetz am
Ende dann auch gescheitert.
Wir fordern die Bundesregierung auf, dieses Schei-
tern als Chance zu nutzen und im zweiten Anlauf das
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echt der Verbraucherinnen und Verbraucher auf Infor-
ation grundlegend neu zugestalten: Verbraucherinnen
nd Verbraucher haben einen Anspruch auf Informatio-
en gegenüber Privatunternehmen und auch gegenüber
undesbehörden. Ausnahmen von dieser Regel müssen
uf ein Minimum beschränkt und eindeutig vom Gesetz-
eber festgelegt sein. Ein pauschaler Verweis auf Be-
riebsgeheimnisse darf nicht wie bisher dazu führen,
ass Informationen nicht offengelegt werden. Der Zu-
ang zu Informationen muss für alle Verbraucherinnen
nd Verbraucher gleichermaßen möglich sein, unabhän-
ig von ihrer Mobilität, ihrem Lebensstandard und ihrem
eldbeutel. Informationen müssen allen Verbraucherin-
en und Verbrauchern kostenfrei zugänglich sein.
Eine neue Regelung zur Verbraucherinformation darf
uch nicht wie bisher auf Wein, Lebens- und Futtermittel
eschränkt sein. Ihr Geltungsbereich muss vielmehr alle
rodukte und alle Dienstleistungen umfassen.
Dass in allen Bereichen unserer Produktion, dem
irtschafts- und Warenverkehr wie auch im Bereich von
inanzdienstleistungen Transparenz nötig und überfäl-
ig ist, haben nicht zuletzt die jüngsten Ergebnisse der
tiftung Warentest zu den Gepflogenheiten etlicher Ban-
en bei der Vergabe von Privatkrediten gezeigt.
Und noch etwas halten wir für unabdingbar: die
flicht zur aktiven Information der Öffentlichkeit im
alle eines Falles. Sollten von einem Produkt oder einer
ienstleistung Risiken für die Gesundheit, die Sicherheit
der andere schützenswerte Interessen von Verbrauche-
innen und Verbrauchern ausgehen, dann muss die Öf-
entlichkeit darüber informiert werden, und zwar so
chnell wie möglich.
Ich bin mir sicher, dass verantwortungsbewusste Un-
ernehmerinnen und Manager sich an den Interessen ih-
er Kundinnen und Kunden orientieren und deshalb kein
roblem mit einem Verbraucherinformationsgesetz ha-
en werden, das seinen Namen auch verdient. Denn wer
icht nur den eigenen Profit im Auge hat, der fürchtet
ich nicht vor Offenheit und Transparenz gegenüber den
erbraucherinnen und Verbrauchern. Bürgerinnen und
ürger sollen endlich wissen, was sie im Essen vorge-
etzt bekommen, wer sie bei Finanzdienstleistungen
bervorteilt und welche Lebensmittelbetriebe immer
ieder bei Kontrollen auffallen. Das darf nicht am Föde-
alismus und auch nicht am Unwillen der politisch Ver-
ntwortlichen scheitern.
Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es ist
in Skandal, wie untätig die Bundesregierung den Män-
eln in der Verbraucherpolitik und auf dem Fleischmarkt
uschaut. Obwohl heute drei wichtige Tagesordnungs-
unkte aus dem Bereich des Bundesministeriums für Er-
ährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz im
undestag behandelt werden, ist Minister Seehofer nicht
a. Dieses Desinteresse hat die FDP zu Recht vorhin in
er Debatte zum Weingesetz beklagt.
Die Meldungen über neue Gammelfleischfunde rei-
en nicht ab. Nach dem Berliner Fleischskandal im De-
ember war schon wieder mal Bayern an der Reihe; es
8642 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. März 2007
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ist schon auffällig, wie sich da die Fälle häufen. Die
Fleisch- und Kühlhausfirma aus dem schwäbischen Iller-
tissen, wo Mitte Februar vergammeltes Fleisch gefunden
wurde und der jetzt die Zulassung entzogen wurde, hatte
bereits vor zwei Jahren 15 Tonnen angefaulte Schweine-
köpfe an einen Betrieb in NRW geliefert. Wie seit Jahr
und Tag hatte die zuständige Behörde im Kreis Neuss
die bayerischen Behörden nicht informiert, obwohl es
laut Minister Seehofer doch eine neue Mitteilungspflicht
geben sollte. Obwohl die Grünen im Bayerischen Land-
tag bereits im Mai vergangenen Jahres nachgehakt hat-
ten, sind die Behörden erst vor wenigen Wochen tätig
geworden.
Wir müssen heute feststellen: Es hat sich nichts geän-
dert im deutschen Lebensmittelmarkt. Nicht in der Kon-
trolle und nicht an den lebensmittelrechtlichen Grundla-
gen. Auch nichts an der personellen Ausstattung, wo die
Bundesregierung da nicht mal den Überblick hat, wie sie
uns auf eine schriftliche Anfrage hin mitgeteilt hat. Das
ist wirklich ein Trauerspiel.
Von der Länderarbeitsgemeinschaft gesundheitlicher
Verbraucherschutz erhielt das Bundesverbraucherminis-
terium im Februar eine Liste, die – Zitat –: „einen Über-
blick über die Personalkapazitäten nicht zulässt“, weil
sie nicht nach einheitlichen Kriterien zusammengestellt
wurde. Damit darf man sich doch nicht zufrieden geben.
Auf die Frage, ob die Personalkapazitäten aufgestockt
wurden, heißt es: Dazu liegen keine konkreten Informa-
tionen vor.
Auch das Vieraugenprinzip und das Rotationsprinzip
wurden bisher nicht eingeführt, einheitliche Standards
für die Kontrollen gibt es immer noch nicht. Sie werden
jetzt sicher sagen: Wir arbeiten dran. Doch das genügt
nicht. Die Umsetzung der guten Vorsätze erfolgt nur
schleppend und halbherzig. Das ist Mundwerk, kein
Handwerk, Herr Minister. Sie ruhen sich auf den grünen
Erfolgen aus, aber das reicht nicht. Das sehen wir doch
in der Klimafrage.
Unsere Forderungen sind nach wie vor aktuell und
dringlich: bessere finanzielle und personelle Ausstat-
tung, Unabhängigkeit der Kontrollen, bundeseinheitliche
Qualitätskontrolle mit stärkeren Aufsichts- und Richtli-
nienkompetenzen für den Bund, Einbeziehung der Gas-
tronomie.
Der beste Schutz gegen Lebensmittelskandale wären
aber umfassende Informationsrechte für Verbraucher
und eine kritische Öffentlichkeit. Schließlich befürchten
die meisten Unternehmen nichts mehr als die Schädi-
gung ihres Images in einem solch sensiblen Bereich.
Noch immer haben wir kein Verbraucherinforma-
tionsgesetz, und vorgestern im Ausschuss war das Bun-
desministerium für Verbraucherschutz nicht in der Lage,
Auskunft zu geben, wann der überarbeitete Gesetzent-
wurf dem Parlament zugeleitet wird. Aber schon jetzt ist
klar, dass der Neuanlauf die massiven Proteste der Ver-
braucher- und Umweltverbände nicht aufgreifen wird
und dass der Anspruch nach umfassender Verbraucher-
information überhaupt nicht erfüllt wird.
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Wir fordern jetzt die Bundesregierung erneut auf:
ehmen Sie die notwendigen Nachbesserungen am Ge-
etz vor, damit es seinen Namen verdient: Nehmen Sie
ie Wirtschaft in die Pflicht, und verankern Sie einen In-
ormationsanspruch der Verbraucher gegenüber Unter-
ehmen! Beseitigen Sie die zahlreichen Ausnahmetatbe-
tände, die einen wirksamen Informationsanspruch
erhindern! Weiten Sie den Anwendungsbereich auf alle
erbraucherprodukte aus! Sorgen Sie für verbraucher-
reundliche Regelungen bei Antragsverfahren und für
öglichst kostenlose Auskünfte! Starten Sie eine Initia-
ive für eine europäische Verbraucherinformationsricht-
inie!
Wir feiern nächste Woche den Verbrauchertag, und da
rlaube ich mir, noch einige Sätze zur Verbraucherpolitik
er Bundesregierung im Allgemeinen zu verlieren. Es ist
ine ziemliche desaströse Bilanz des Stillstands und der
ersäumnisse. Nicht umsonst verweigert die Bundesre-
ierung einen verbraucherpolitischen Bericht, der den
anzen Misstand offen legen würde: Schwächung des
erbraucherschutzes durch die Förderalismusreform;
ein gesetzgeberisches Handeln bei den Fahrgastrechten,
eim digitalen Verbraucherschutz, keine Bußgelder bei
elefonwerbung und kein Recht auf Girokonto; Projekte
erden eingestampft, zum Beispiel die Anti-Spam-Be-
chwerdestelle, „Ecotopten“ für energiesparsame Haus-
altsgeräte und die Kampagne „Echt gerecht – clever
aufen“ für einen nachhaltigen Konsum.
Diese große Koalition verliert leider nur Zeit. Beim
lima- ebenso wie beim Verbraucherschutz.
nlage 4
Zur Beratung der Berichte:
– Nach dem Wiener Gipfel – die Beziehungen
zwischen der EU und Lateinamerika solida-
risch gestalten
– Für einen europäischen zivilen Friedens-
dienst
(Tagesordnungspunkt 17 a und b)
Anette Hübinger (CDU/CSU): Der Antrag der Frak-
ion Die Linke „Nach dem Wiener Gipfel – die Bezie-
ungen zwischen der EU und Lateinamerika solidarisch
estalten“ unterstreicht wieder einmal deutlich, dass Sie,
ie Linke, eine Politik verfolgt, in der Wirtschaftspolitik
eglichen freien Handel unterbindet, dass Sie einem
taatssystem nacheifern, das die Freiheit des Einzelnen
ushöhlt und dass Sie Menschenrechtsverletzungen billi-
en, wenn sie mit ihrem sozialistischen Denken überein-
timmen. Das ist ungeheuerlich.
Die Fraktion Die Linke bezeichnet die europäische
olitik als hegemonial und ausbeuterisch und fordert die
undesregierung auf, diese durch eine solidarische Zu-
ammenarbeit zu ersetzen. Kuba, Venezuela und Bolivien
ezeichnen sie als die lateinamerikanischen Leuchttürme,
ie für eine gerechte und solidarische Politik stehen.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. März 2007 8643
(A) )
(B) )
Wir selbst sind Bürger eines Landes, in dem ein Teil
der Menschen über 40 Jahre lang sozialistisches Ein-
heitsdenken und Bevormundung ertragen musste und
eine freiheitliche Entwicklung unmöglich war. Das
Staatsmodell der Unfreiheit und Entbehrungen ist Gott
sei Dank gescheitert. Die CDU/CSU-Fraktion wird es
nicht hinnehmen, dass in anderen Teilen der Welt diese
menschenverachtende Ideologie wieder belebt wird.
In Lateinamerika haben vor etwa drei Dekaden die
Demokratisierungsprozesse begonnen. Heute müssen
wir aber feststellen, dass viele lateinamerikanische
Demokratien immer noch nicht auf rechtsstaatlichem
Boden stehen. Mit der Ausnahme von Kuba wurden in
allen lateinamerikanischen Staaten das Kernmerkmal der
repräsentativen Demokratie, freie und faire Wahlen,
etabliert. Freie Wahlen sind aber noch lange kein Garant
für eine demokratische Staatsführung. Vielerorts fehlen
konsolidierte rechtsstaatliche Demokratien und Demo-
kratisierungsprozesse, die auch mit einem tiefgreifenden
institutionellen Wandel einhergehen.
Soziale Spannungen konnten in vielen Ländern Latein-
amerikas nicht gelöst werden und haben sich zum Teil
noch verschärft. Die Menschen in Lateinamerika sind
vielerorts von der Demokratie enttäuscht und würden
heute wieder autoritäre Regime befürworten, wenn sie
eine wirtschaftliche Verbesserung ihrer Lage versprechen.
Populistische Versprechungen fallen in solchen Fällen
auf guten Nährboden.
Das Handeln des Ziehsohns Castros, dem venezuela-
nischen Präsident Hugo Chavez, der im Dezember 2006
zum zweiten Mal als Sieger der Präsidentschaftswahlen
hervorgegangen ist, unterstreicht einmal mehr, dass der
bestehende Ressourcenreichtum eines Landes nicht immer
für die Armutsbekämpfung im eigenen Land und für
eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung genutzt
wird, sondern oft dem Eigeninteresse der herrschenden
Führungselite zugute kommt und zur Zementierung der
eigenen Macht dient.
Erst Ende Januar lies sich Chavez von dem aus-
schließlich mit seinen Anhängern besetzten Parlament
durch ein Ermächtigungsgesetz Sondervollmachten geben.
Diese ermöglichen es ihm, durch Dekrete am Parlament
vorbeizuregieren. 2005 hat Chavez rund 36 Prozent des
venezolanischen Haushaltes, circa 20 Milliarden Dollar,
für Investitionen und Schenkungen im Ausland bestimmt.
So erhielt der bolivianische Präsident Morales nach seinem
Wahlsieg einen Scheck über 30 Millionen Dollar, oder er
schickt venezolanische Soldaten nach Kuba, um dort
Häuser zu bauen. Diese populistischen Praktiken
bezeichnet er dann als die „revolutionäre sozialistische
Solidarität“ und hofft, damit den Beifall der Volksmassen
zu erkaufen.
Im eigenen Land hingegen weisen seine Versprechungen
für den sozialen Bereich nur spärlichen Erfolg auf. Das
verwundert nicht, wenn man bedenkt, dass ein Gutteil
der Gelder für die Bezahlung von 50 000 kubanischen
Arbeitskräften aufgewendet wurden, die trotz der immens
hohen venezolanischen Arbeitslosenrate ins Land geholt
wurden. Diese Investitionen haben weder zur einer deut-
lichen Reduzierung der Armut geführt noch zu einer
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teigerung beim Angebot von Arbeitsplätzen. Die prekäre
ituation auf dem Wohnungsmarkt wurde kaum verbessert,
nd auch der Standard in den öffentlichen Krankenhäusern
der die Qualität der Schulbildung zeigt keine Fortschritte
uf.
Im Gegenteil, die Situation verschärft sich. Anfang
ebruar wurde auf offener Straße der venezolanische
enschenrechtsverteidiger Urbano angeschossen und
ebensbedrohlich verletzt. Urbano ist Vorsitzender der
enschenrechtsorganisation „Pro Defensa del Derecho
la Education“ in Venezuela. Diese hatte ein Tag zuvor
ie Bildungsmöglichkeiten für Kinder aus ärmeren Bevöl-
erungsschichten und die Regierung Chavez öffentlich
ritisiert und ihre Leistungen als mangelhaft bezeichnet.
Chavez weiß um seine Schwächen und versucht, sein
mage mit einem ausreichenden Propagandaetat, der
005 1,12 Milliarden US-Dollar betrug, wettzumachen.
egelmäßige Ansprachen per Radio und Fernsehen sowie
öchentlich ausgestrahlte Regierungswerbungen kenn-
eichnen seinen Regierungsstil.
In Bolivien sind ähnliche politische Entwicklungen
u beobachten. Im Januar dieses Jahres musste Morales
em Druck der Öffentlichkeit nachgeben und seinen
rziehungsminister entlassen. Dieser wollte die Verein-
eitlichung des Bildungssystems durchsetzen und den
eligionsunterricht in Schulen streichen.
Öffentliche Unruhen folgten den Vorfällen in der ver-
assunggebenden Versammlung. Bei Abwesenheit der
ppositionsfraktionen beschloss die Regierungspartei
AS, dass Verfassungsänderungen nun schon mit einer
bsoluten Mehrheit vorgenommen werden können.
orales und die MAS sind so in der Lage, nach ihrem
lleinigen Gusto, eine Verfassung zu erarbeiten, und das,
bwohl der Zweidrittelmodus für den Verfassungs-
rozess in einer Demokratie selbstverständlich ist.
Die Linke lobt die Demokratisierungsprozesse gerade
n diesen beiden Ländern und bezeichnet Chavez und
orales als die Vorzeigekämpfer gegen Ungerechtigkeit
nd Armut in Lateinamerika. Das ist ein Hohn gegenüber
en lateinamerikanischen Ländern, die für eine soziale
erechtigkeit ringen, ohne bürgerliche Freiheiten oder
ie Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen einzu-
chränken.
Wir werden auch einen demokratisch gewählten Prä-
identen kritisieren, wenn er die ihm anvertraute Macht
icht zum Gemeinwohl einsetzt und eine demokratische
itgestaltung seines Volkes unterhöhlt. Die Prinzipien
on Good Governance müssen wir gerade auch in diesen
ändern in Rahmen unserer Entwicklungszusammenarbeit
erstärkt fördern und den Dialog über die Bewahrung
on Demokratie und Rechtsstaatlichkeit intensivieren.
Wir als CDU/CSU-Fraktion haben es bedauert, dass
ie Zusammenarbeit mit Lateinamerika sowohl bilateral
it Deutschland als auch multilateral mit Europa in den
ergangenen Jahren zurückgegangen ist. Das wollen wir
ndern und werden unsere Partnerschaft neu beleben.
er jetzige Besuch unseres Bundespräsidenten Köhler in
ateinamerika ist dafür ein wichtiges Signal.
8644 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. März 2007
(A) )
(B) )
Lateinamerika ist nach Nordamerika die außereuropäi-
sche Region, mit der die Staaten der EU am engsten ver-
bunden sind. Neben den historischen Wurzeln, engen
kulturellen Banden und vielfältigen wirtschaftlichen
Verflechtungen geben die gemeinsamen Grundwerte,
Überzeugungen und Interessen den Beziehungen eine
besondere Qualität. Sie machen Lateinamerika zu einem
natürlichen Partner Europas in einer globalisierten Welt
und nicht zuletzt beim Kampf gegen den Terrorismus.
Biregionale Assoziationsabkommen zwischen der EU
und einzelnen Regionen Lateinamerikas eröffnen die
Möglichkeit für eine vertiefte wirtschaftliche Zusammen-
arbeit. Das zeigen die Länder Mexiko und Chile, die ihre
im Jahr 2000 bzw. 2005 abgeschlossenen Freihandels-
abkommen mit der EU als eine Chance betrachten. Die
Verhandlungen zwischen der EU und dem Mercosur
– Brasilien, Argentinien, Uruguay, Paraguay und seit
2006 Venezuela – sind noch nicht abgeschlossen.
Der Lateinamerikagipfel in Wien letzten Jahres hat
deutlich gezeigt, dass die interregionalen Spannungen
der lateinamerikanischen Länder, die gerade auch nach
der Verstaatlichung der bolivianischen Erdgasvorkommen
und durch die neue Rolle Venezuelas im Mercosur, noch
aufzuarbeiten sind. Der medienwirksam inszenierte Auftritt
von Hugo Chavez und Evo Morales auf dem Alternativ-
gipfel, gab den innerlateinamerikanischen Problemen
dann auch noch eine öffentliche Bühne. Ungeachtet dessen
bekräftigten die Präsidenten Fox, Toledo, Lula und
Bachelet ihren Wunsch nach einer verstärkten Zusammen-
arbeit mit Europa.
Wir in Europa und Deutschland stehen der regionalen
Integration des Mercosurs mit großem Interesse gegenüber.
Wir werden dessen Bemühungen weiterhin unterstützen
und die Verhandlungen mit dem Mercosur fortsetzen.
Dabei müssen meines Erachtens Aspekte von Fair trade,
partnerschaftliche Zusammenarbeit und entwicklungs-
politische Aspekte im Vordergrund stehen. Die europäi-
sche Kommission bekräftigte nach dem Wiener Gipfel,
dass die Verbindung zu Lateinamerika nicht nur eine
Selbstverständlichkeit, sondern auch eine zwingende
Notwendigkeit ist.
Wir als CDU/CSU-Fraktion streben eine Solidarität
mit Lateinamerika an, die auf unseren gemeinsamen
Werten von Demokratie, Freiheit und der Achtung der
Menschenrechte begründet ist.
Zu dem Antrag der Fraktion Die Linke „Für einen eu-
ropäischen zivilen Friedensdienst“ möchte ich Folgendes
anmerken: Die europäischen zivilen Friedensdienste
leisten einen ungemein wichtigen Beitrag zur Krisen- und
Konfliktprävention und bei der Konfliktnachbereitung.
Die Bundesregierung hat mit dem 2004 beschlossenen
Aktionsplan „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung
und Friedenskonsolidierung“ den zivilen Friedensdienst
als das „wichtigste friedenspolitische Instrument zur
Förderung von Friedenspotentialen in der Zivilgesellschaft“
gewürdigt und unterstützt ihn.
Ihre Forderungen, den zivilen Friedensdienst mit Mitteln
des europäischen Entwicklungsfonds zu finanzieren sind
sachlich falsch und unrealistisch. Der EEF ist ein länder-
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pezifisches Instrument, das der Zusammenarbeit zwischen
er Europäischen Union und den Ländern der AKP-
egion dient. Der europäische zivile Friedensdienst
rbeitet jedoch überregional mit einem starken sektoralen
chwerpunkt.
Ihre Forderung nach dem Aufbau eines festen Personal-
estandes lehnen wir als CDU/CSU-Fraktion ab. Sie
ird auch von den zivilen Friedensdiensten bemängelt.
ie zivilen Friedensdienste hingegen streben einen losen
etzwerkverbund von erfahrenen Nichtregierungsorga-
isationen ohne stehenden Personalbestand an. Darüber
inaus befürchtet die Zivilgesellschaft, dass mit der von
hnen verlangten Struktur eine zu starke politische Ver-
innahmung erfolgt und die Souveränität und Neutralität
er zivilen Friedensdienste verloren geht. Und genau das
t aber für die Mediation zwischen verfeindeten Gruppen
ine Voraussetzung.
Die CDU/CSU-Fraktion lehnt beide Anträge ab.
Dr. Sascha Raabe (SPD): Ich bin seit nun fast vier-
inhalb Jahren Bundestagsabgeordneter, und selten hat
ich ein Antrag derart verärgert wie der heute zur
ebatte vorliegende Antrag der Fraktion Die Linke zu
ateinamerika. Viele Forderungen in diesem Antrag sind
usdruck schierer Ignoranz, von Inkompetenz und einem
otalitären Staatsverständnis. Die Linke fordert, dass die
undesregierung damit aufhören solle, den lateinamerika-
ischen Staaten ihre „eigene Vorstellung von einer
emokratischen Staats- und Gesellschaftsordnung aufzu-
rängen“. Stattdessen solle man sich an der lupenreinen
artizipativen Demokratie in Venezuela orientieren.
Die Legitimation der venezolanischen Regierung
urch eine demokratische Wahl bedeutet leider noch
ange nicht, dass auch eine demokratische Regierungs-
ührung erfolgt. So zeigt dies Präsident Hugo Chavez in
einen täglichen Amtshandlungen. Unter anderem hat er
ngst ein Bevollmächtigungsgesetz erlassen, das ihn er-
ächtigt, Gesetze am Parlament vorbei zu verabschieden.
r hat Fernsehlizenzen von kritischen Privatsendern ein-
ezogen, die Parteien gleichgeschaltet und will Präsident
uf Lebenszeit werden. Sind das demokratische Vorgehens-
eisen? Mehreren Menschenrechtsorganisationen zufolge
at sich die Situation in Venezuela drastisch verschlechtert.
arüber hinaus steht Venezuela nach wie vor auf dem
38. Platz von insgesamt 163 Ländern des Korruptions-
ndexes. Und das, obwohl der von der Linksfraktion viel
epriesene Hugo Chavez bereits seit 1999 im Amt ist.
nd die Zukunft sieht nicht besser aus.
Kuba wird im Antrag der Linksfraktion ebenfalls völlig
nkritisch behandelt. Die Anstrengungen der Europäischen
nion, demokratische Kräfte in Kuba zu stärken, werden
on der Linkspartei sogar ausdrücklich kritisiert. Nach
uffassung der Linkspartei ist Kuba eine gelungene
emokratie. Die Linksfraktion sollte, wenn sie hier im
arlament ihre Meinung so frei äußern kann, sich der
atsache bewusst sein, dass ihre parlamentarischen Kol-
egen in der Opposition in Kuba und Venezuela diese
echte so gut wie gar nicht ausüben dürfen.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. März 2007 8645
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Zum anderen möchte ich zu Kuba noch ein paar Sätze
loswerden: Wie bereits einigen bekannt, plante die
Deutsch-Mittelamerikanische Parlamentariergruppe Ende
letzten Jahres eine Delegationsreise nach Kuba. Diese
wurde in letzter Minute vonseiten der kubanischen
Regierung verhindert, weil wir auch mit Oppositionellen
sprechen wollten. Einen derartigen Affront hat es selten
gegeben, und das zeigt wieder einmal: Während wir den
Dialog mit den Kubanern suchen, wird uns dieser von
Castros Schergen verweigert. Auch frage ich mich:
Warum fliehen so viele kubanische Ärzte, die in den
„Misiones“ in Venezuela arbeiten, in das Nachbarland
Kolumbien und bitten um Asyl? Warum findet dieser
Exodus auch weiterhin statt? Weil es auf Kuba ein vorbild-
haftes Modell gibt? Das kann man wohl nicht annehmen.
Des Weiteren wird im Antrag die UN-Stabilisierungs-
mission MINUSTAH als eine Besatzungsmacht in Haiti
dargestellt. Dabei leisten die UN-Truppen unter Einsatz
ihres eigenen Lebens einen wichtigen Beitrag zum
Schutz der Ärmsten vor Vertreibung, Mord und Folter.
Wer wie die Linkspartei das Ende dieser Mission fordert,
macht sich schuldig am Tod vieler unschuldiger Menschen.
Und diese Mission wird ja keinesfalls von vermeintlich
bösen US-Soldaten angeführt, sondern wird von Brasilien
geleitet, und die meisten Soldaten kommen aus latein-
amerikanischen Ländern wie aus Bolivien und Uruguay.
An dieser Stelle ist der Antrag der Linkspartei peinlich
und gefährlich zugleich.
Mir sind noch mehr Unzulänglichkeiten in dem Antrag
aufgefallen. Im Antrag wird die Situation der Ureinwohner
Lateinamerikas kaum erwähnt, obwohl sich die Lebens-
situation für diese Bevölkerungsgruppe so gut wie gar
nicht geändert hat. Und ebenso wird das wichtige Thema
„Energie“ so gut wie kaum angesprochen. Den chinesi-
schen Bestrebungen bei ihrer Suche nach Energiequellen
in Lateinamerika schauen die Politiker der Linksfraktion
anscheinend unkommentiert zu. Dabei müsste der Um-
stand, dass Umwelt- und Sozialstandards größtenteils
von chinesischen Firmen vernachlässigt werden, Anlass
zur Sorge sein.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Der vorliegende
Antrag beschreibt die Situation auf dem lateinamerikani-
schen Kontinent einseitig und wird der Realität nicht
gerecht. Der Antrag der Linkspartei ist unsinnig, völlig
verfehlt und ein Schlag ins Gesicht der Menschen in
Lateinamerika.
„Afrika“ ist momentan in aller Munde, und das ist auch
sehr gut so. Lange genug ist der afrikanische Kontinent
vernachlässigt worden. Dabei aber darf der lateinamerika-
nische Kontinent nicht vergessen werden. Schließlich leben
in Südamerika – nach den neusten Angaben des CEPAL-
Berichtes – weiterhin rund 38 Prozent der Menschen in
Armut, davon 14,7 Prozent in extremer Armut. Und dies
liegt nicht, wie im Antrag der Linkspartei dreist und
unverschämt formuliert, an der bisherigen Politik der
Bundesregierung, die auf Hegemonie und Ausbeutung
ziele. Sondern es liegt in erster Linie daran, dass der
vorhandene Reichtum in Lateinamerika ungerecht und
ungleich verteilt ist, so wie in kaum einer anderen Region
der Welt. Deswegen ist die bisherige Politik der Bundes-
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egierung richtig, gute Regierungsführung und Demo-
ratie in Lateinamerika weiter zu fördern und zu stärken.
n den letzten Jahrzehnten sind in vielen lateinamerikani-
chen Ländern auch beachtliche Fortschritte erzielt worden
nd auch dank dieses deutschen Beitrages viele Staaten
uf dem Gebiet der Rechtsstaatlichkeit und Wahrung der
enschrechte gut vorangekommen. Auch wenn es immer
och zu viele arme Menschen in Lateinamerika gibt, ist
ie Zahl in den letzten Jahren dank besserer Regierungs-
ührung und dank besserer wirtschaftlicher Bedingungen
urückgegangen.
Für uns wird Lateinamerika weiterhin wichtig bleiben.
as zeigt nicht nur die aktuelle Reise des Bundespräsiden-
n in drei Länder des lateinamerikanischen Kontinents.
uch die deutschen Mittel der Entwicklungszusammen-
rbeit, die nach Lateinamerika gehen, konnten in diesem
ahr um fast 50 Millionen Euro aufgestockt werden.
eutschland ist und bleibt ein gern gesehener Partner in
er Region.
Abschließend noch ein paar Worte zu einem Bereich,
er für unser Staatswesen selbstverständlich ist: das
teuersystem. Ein gut funktionierendes Steuersystem ist
ls Einnahmequelle für einen Staat unerlässlich. Die
teuerquote Lateinamerikas lag jedoch im Schnitt der
ahre 1990 und 2005 bei nur 15 Prozent. Im Gegensatz
azu lag die Durchschnittsquote der OECD-Länder bei
6 Prozent. Verlässliche und faire Steuerquellen sind aber
ichtig, wenn man bedenkt, dass den lateinamerikanischen
ändern durch die derzeit laufenden WTO-Verhandlungen
olleinnahmen entfallen könnten. Bei einem Zollabbau
er Lateinamerikaner sollen im Gegenzug der Markt-
ugang für Agrarprodukte in Europa gewährt sowie die
andelsverzerrenden Agrarsubventionen abgeschafft wer-
en. Denn Lateinamerika ist abgesehen von seinem
roßen Rohstoffreichtum ein überaus fruchtbarer Konti-
ent. Im Agrarbereich weist er weltweit hervorragende
ettbewerbsvorteile auf. Und diese gilt es auszubauen.
Ähnlich sieht es bei den derzeit auf Hochtouren laufen-
en Verhandlungen über ein Wirtschaftspartnerschafts-
bkommen zwischen der EU und den AKP-Staaten aus.
s ist nicht zu ignorieren, dass die Verhandlungen mit
en sechs regionalen Ländergruppen aus Afrika, dem
azifiks und der Karibik unterschiedlich verlaufen.
ennoch, gerade was die Karibikstaaten betrifft, die so-
enannte CARIFORUM-Gruppe, ist diese Gruppe am
eitesten fortgeschritten. Ein Abkommensentwurf liegt
ereits vor, sodass es zu einem planmäßigen Abschluss
n diesem Jahr kommen könnte. Wir werden bei allen
bkommen darauf achten, dass sie fair gestaltet werden,
m eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung zu er-
öglichen, die auch den Armen zugute kommt.
In unserer Entwicklungszusammenarbeit werden wir
eiterhin einen Schwerpunkt auf den Bereich gute
egierungsführung, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und
enschenrechte setzen, auch wenn es der Linkspartei
icht passt.
Andreas Weigel (SPD): Die Militärs – das sind die
ösen, und die Zivilisten – das sind die Guten. Darum
ehmt das Geld den Militärs und gebt es den Zivilisten!
8646 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. März 2007
(A) )
(B) )
Die Linke spielt mal wieder Robin Hood. Wenn man
sich Ihren Antrag so durchliest, bekommt man schon den
Eindruck, dass Sie ihn aus einer eher reduzierten Weltsicht
heraus entwerfen.
Ich halte nichts von diesem Ansatz des gegeneinander
Aufwiegelns! Und ich bin davon überzeugt, dass wir in
der Debatte um zivil-militärische Kooperationen heute
qualitativ bereits ein ganzes Stück weit darüber hinaus
sind. Die zivilen Friedensdienste sagen ja schließlich
selbst, dass es für die Erfüllung ihrer Aufgaben wenig
hilfreich ist, wenn sie von der Politik gegen das Militär
in Stellung gebracht werden. Schließlich ist man in vielen
Konfliktregionen wechselseitig aufeinander angewiesen.
Deutsche Initiativen der „zivilen Konfliktbearbeitung“
– also des Einsatzes nichtmilitärischer Mittel zur Präven-
tion, Beilegung und Nachsorge gewaltsamer Auseinan-
dersetzungen – nehmen bereits heute eine Vorreiterrolle
ein. Das gilt nicht zuletzt für das 1999 unter Rot-Grün
entworfene Programm „Ziviler Friedensdienst“, ZFD.
Im Rahmen des ZFD werden Friedensfachkräfte in
Krisenregionen vermittelt, um dort lokale Partner beim
Aufbau friedensfördernder Strukturen zu unterstützen –
zum Beispiel durch Stärkung traditioneller Schlichtungs-
instanzen, zum Beispiel durch die Unterstützung lokaler
und regionaler Friedenskomitees zur Lösung von Land-
streitigkeiten, zum Beispiel durch Reintegration und Re-
habilitation der von Gewalt besonders betroffenen Grup-
pen.
Der „zivile Friedensdienst“ wird als freiwilliger
Dienst von lebens- und berufserfahrenen Frauen und
Männern geleistet. Sie kommen weltweit in 40 Ländern
zum Einsatz, unter anderem in Afghanistan, im Tschad
und im Sudan und auch in den Balkanstaaten. Die Frie-
densfachkräfte des ZFD können Gewaltkonflikte nicht
im Alleingang lösen, aber sie leisten konkrete Beiträge zu
Versöhnungs- und Dialogprozessen in den betroffenen
Gesellschaften und damit zur Ausbildung einer gewalt-
freien Streitkultur.
Ich denke, wir sind uns im Grunde alle einig, dass
Maßnahmen der zivilen Konfliktbearbeitung weltweit
aufgewertet, also besser gefördert werden müssen. Das
Potenzial solcher Initiativen ist gegenwärtig bei weitem
noch nicht ausgeschöpft, und das gilt sicherlich auch für
den deutschen „Zivilen Friedensdienst“. Immerhin sieht
der Haushalt für 2007 eine Aufstockung der Mittel für
den ZFD von 14 auf 17 Millionen Euro vor. Und auch
für 2008 ist eine weitere Aufstockung vorgesehen. Mit
dieser von Bundesentwicklungshilfeministerin Heidemarie
Wieczorek-Zeul, SPD, zugesagten Stellenausweitung
soll die zentrale Forderung der Kampagne „500 Fach-
kräfte für den Frieden“ umgesetzt werden.
Auch auf europäischer Ebene hat die Berücksichtigung
der Möglichkeiten ziviler Konfliktbearbeitung im Verlauf
des vergangenen Jahrzehnts deutlich zugenommen.
Durch die Beschlüsse des Gipfels von Helsinki 1999
wurde festgelegt, die Instrumente im Bereich des nicht-
militärischen Krisenmanagements auszubauen und ef-
fektiver zu gestalten. Dass sich die Trägerorganisationen
auf europäischer Ebene weiter vernetzen, ist insofern
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elbstverständlich zu begrüßen. Die Einrichtung eines
uropean Civilian Peace Corps erscheint mir als eine
eitere vielversprechende Möglichkeit, zivile Konflikt-
earbeitung als Instrument europäischer Außenpolitik zu
tärken und ihren Nutzen konkreter sichtbar zu machen.
Es stimmt, dass auf europäischer Ebene ein gewisses
ngleichgewicht besteht, dass also die militärischen
ähigkeiten zur Krisenbewältigung bis dato besser ent-
ickelt sind als die zivilen. Ich halte es aber für grund-
alsch, so wie im Tenor des hier zur Diskussion stehen-
en Antrags, militärische und zivile Instrumente in erster
inie als Gegensatzpaar zu begreifen. Vielmehr müssen
ivile und militärische Maßnahmen miteinander gedacht
nd eben nicht gegeneinander ausgespielt werden. In der
ealität sind doch Sicherheits- und Entwicklungspolitik
eute zunehmend aufeinander angewiesen. Sowohl der
ktionsplan Zivile Krisenprävention der Bundesregierung
us dem Jahr 2004 als auch das neue Weißbuch für Si-
herheitspolitik verweisen auf diesen Zusammenhang.
Natürlich kann zivil-militärische Kooperation nur
ann wirksam funktionieren, wenn auch die zivile Kom-
onente ihrer Bedeutung entsprechend ausgestaltet und
inanziert ist. Diesbezüglich besteht auf europäischer
bene durchaus Nachholbedarf. Eine Schwächung der
ilitärischen Kriseninterventionsfähigkeiten der Europäi-
chen Union ist dazu jedoch sicherlich nicht das passende
ezept.
Dr. Karl Addicks (FDP): Die Fraktion Die Linke
eigt uns in ihrem Antrag, welche Vorstellungen sie von
iner solidarischen Beziehung zwischen der EU und La-
einamerika hat. Lassen Sie mich kurz die wichtigsten
ckpunkte des Antrages zusammenfassen: Verstaatli-
hungen, weitere Schuldenerlasse, keine Freihandelsab-
ommen, keine Liberalisierungen und Privatisierungen,
eine Public-Private Partnerships und die Unterstützung
er Politik à la Chavez und Castro!
Für uns Liberale ist der Antrag so weit weg von der
ealität und schlicht in seinen Forderungen einfach nur
nakzeptabel. Man kann es auch kurz sagen: Die ganze
alette linker Träumereien! Angefangen bei der soge-
annten neoliberalen Wirtschaftspolitik, die als die Wur-
el allen Übels betrachtet wird und endend bei antieuro-
äischen und antiamerikanischen Parolen. Doch nicht
ur das, Sie preisen auch noch die Politik des venezola-
ischen Präsidenten Chavez an. An dieser Stelle sei nur
arauf hingewiesen, dass dieser sich erst kürzlich ein
mfangreiches Bevollmächtigungsgesetz erlassen hat,
as ihn ermächtigt, Gesetze am Parlament vorbei zu ver-
bschieden – von der Gleichschaltung der Parteien und
ingriffen in die Medienfreiheit nicht zu reden. Und das
st für die Fraktion Die Linke der neue Ansatz partizipa-
iver Demokratie. Wenn das für Sie Demokratie ist, dann
ollten Sie einmal grundsätzlich überlegen, ob Sie im
eutschen Bundestag richtig sind. Ganz zu schweigen
on den Zuständen, die in Venezuela herrschen! Dort
ommt nämlich bei der Bevölkerung nicht viel von den
normen Öleinnahmen an. Das Gegenteil ist der Fall.
ie Venezulaner stehen vor leeren Regalen, und ihr Prä-
ident vergibt großzügig Gelder in der ganzen Welt, rüs-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. März 2007 8647
(A) )
(B) )
tet fleißig das Militär auf und verteilt massenhaft Klein-
waffen. Das sind genau die Entwicklungen, die wir
vorausgesagt haben. Verstaatlichungen haben noch nie
der Bevölkerung geholfen, sondern immer nur den Re-
gierungen.
Es gibt noch weitere Punkte in dem Antrag, die wir
Liberale ganz klar ablehnen. Die Linken fordern die Ab-
lehnung von Freihandels- und Assoziierungsabkom-
men, speziell mit dem Mercosur. Das ist nach unserer
Auffassung ein immenser Rückschritt. Sicherlich ist der
Zustand der lateinamerikanischen Regionalbündnisse
derzeit nicht so vielversprechend und ein erfolgreicher
multilateraler Abschluss vielleicht in weiter Ferne. Aus
diesem Grund muss die Europäische Union Alternativen
suchen, finden und diese auch verfolgen.
Demnach muss die EU einen dreifachen Verhand-
lungsansatz verfolgen: Dieser beinhaltet die Bestrebung
der EU, auch weiterhin zu einem Abschluss der WTO-
Doha-Runde zu kommen, aber auch der Abschluss von
Assoziierungsabkommen mit Mercosur, Andengemein-
schaft und Zentralamerika muss verstärkt betrieben wer-
den. Sollte dies angesichts der teilweise geschwächten
Zustände einiger Regionalbündnisse nicht möglich sein,
so sollte die EU bestrebt sein, mit einzelnen lateinameri-
kanischen oder karibischen Staaten bilaterale Assoziie-
rungsabkommen abzuschließen, wie es mit Mexiko und
Chile teilweise geschehen ist. Wenngleich es grundsätz-
lich erfolgversprechender ist, mit regionalen Staaten-
bündnissen Handelspolitik zu betreiben, um Assoziie-
rungsabkommen abzuschließen, als dies mit
Einzelstaaten zu tun. Besser bilaterale als gar keine! Un-
ser Standpunkt ist, dass Handelsliberalisierungen und
Freihandelsabkommen als Chance für Lateinamerika ge-
sehen werden müssen. Für uns Liberale ist es der falsche
Weg, die linken Entwicklungen in Lateinamerika, inklu-
sive Verstaatlichungen, zu unterstützen.
Anders als meine Kollegen von der Fraktion Die
Linke, sehe ich in der EU einen wichtigen Partner für
Lateinamerika. Dessen müssen wir uns bewusst sein.
Die EU ist in der Entwicklungszusammenarbeit mit La-
teinamerika der größte Geldgeber und nach den USA der
wichtigste Handelspartner in Lateinamerika. Den natio-
nalistischen und populistischen Forderungen einzelner
südamerikanischer Regierungen, die eine Destabilisie-
rung der lateinamerikanischen Regionalbündnisse errei-
chen wollen, muss eine klare Absage erteilt werden.
Was uns wichtig ist in der Zusammenarbeit zwischen
der EU und Lateinamerika, ist der gleichberechtigte Dia-
log unter Partnern. Trotz der wichtigen Rohstoffvorkom-
men finden wir in Lateinamerika auch enorme Einkom-
mensunterschiede, und einige Länder gehören zu den
höchstverschuldeten der Welt. Nehmen wir einmal Boli-
vien als Beispiel: Hier ist doch fraglich, ob die stattge-
fundenen Entschuldungsmaßnahmen – nominal wurden
Bolivien im internationalen Rahmen insgesamt 1,3 Mil-
liarden Euro erlassen – und im Sinne der Nachhaltigkeit
und Wirksamkeit das richtige Mittel zur Armutsursa-
chenbekämpfung darstellen. Eine gemeinsame Freihan-
delszone sowie die Unterstützung und Förderung von
Landwirtschaft, Kleingewerbe sowie Handwerk in den
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taaten von Lateinamerika und der Karibik sind unserer
einung nach die besseren Mittel. Von der Entschul-
ung haben die Armen meist sowieso nichts.
Neosozialistische Rezepte, wie sie in Ihrem Antrag
orgeschlagen werden, sind ein gefährlicher Weg. Dem-
ach lehnen wir den Antrag ab.
Lassen Sie mich noch zu einem weiteren Antrag der
raktion Die Linke, der einen europäischen zivilen Frie-
ensdienst fordert, kurz etwas sagen, wenngleich ich et-
as erstaunt bin, warum diese beiden Anträge in einem
agesordnungspunkt zusammengefasst wurden. Für
ich stellt sich kein innerer Zusammenhang dar. Nun
ut!
Wenn Friedensdienst für Die Linke das Gleiche wäre
ie für Liberale, würde ich vielleicht die Idee des An-
rags positiv bewerten. Aber Die Linke als Friedens-
ngel? Tut mir leid, ich bin da sehr, sehr misstrauisch.
inen Entwicklungsdienst, wie ihn die Bundesregierung
nfang des Jahres vorschlug, könnte ich mir vielleicht
orstellen. Aber die Forderung der Linken nach einem
esten Stellenpool mit sozial abgesicherten Arbeitsplät-
en und, und, das geht uns alles einfach zu weit. Das
önnen wir nicht mittragen, und deswegen lehnen wir
uch diesen Antrag ab.
Heike Hänsel (DIE LINKE): Die Zeit der neolibera-
en Hegemonie in Lateinamerika ist vorbei. Neoliberale
irtschafts- und Handelspolitik hat die lateinamerikani-
chen Gesellschaften zerrüttet, die sozialen Ungleichhei-
en zugespitzt und Millionen Menschen in Armut ge-
türzt. Der soziale Aufbruch in Lateinamerika, der als
bwehrkampf gegen die Auswirkungen dieser katastro-
halen alten Politik begonnen hatte, hat neue Kräftekon-
tellationen hervorgebracht und politische Alternativen
öglich gemacht. Mit der Vertiefung demokratischer
rozesse – beginnend in den Kommunen, wie am Bei-
piel der brasilianischen Bürgerinnen-und-Bürger-Haus-
alte, bis hin zur Etablierung plebiszitärer Mitbestim-
ung auf nationaler Ebene wie in Venezuela und
olivien – und einer neuen Wirtschafts- und Sozialpolitik
ielen die linken Regierungen in Lateinamerika jetzt auf
ie Integration aller Mitglieder der Gesellschaften. Von
iesen Prozessen sollten wir hier in Deutschland lernen.
Horst Köhler besucht ja in diesen Tagen – neben Bra-
ilien – auch zwei nicht links regierte Staaten: Paraguay
nd Kolumbien. Vor allem die rechtskonservative Regie-
ung des kolumbianischen Präsidenten Alvaro Uribe
urde von der Bundesregierung und der EU als strategi-
cher Partner gegen die linken Regierungen und Bewe-
ungen in Lateinamerika – unter anderem gegen Vene-
uela – aufgebaut. Jetzt blamiert sich in Kolumbien die
enschenrechtsrhetorik, die dabei gegen Venezuela und
uba ins Feld geführt wurde. Die kolumbianische Au-
enministerin, gerade noch Gast im Auswärtigen Amt,
usste zurücktreten, weil ihre Verstrickungen mit den
echtsradikalen Paramilitärs überdeutlich zu Tage traten.
eitere Mitglieder der Regierung und ein Drittel der
bgeordneten im kolumbianischen Parlament sind in die
Para-gate“ verstrickt. Die Paramilitärs zeichnen verant-
ortlich für Tausende von Toten in Kolumbien.
8648 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. März 2007
(A) )
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Menschenrechtsaktivist/innen haben schon lange auf
die Verstrickung der gegenwärtigen Machthaber mit den
rechten Todesschwadronen hingewiesen. Die Bundesre-
gierung hat diese Hinweise ignoriert. Die Frontstellung
gegen die erstarkte Linke des Kontinents war ihr wichti-
ger. Die Integrationsprozesse, die sich in Lateinamerika
unter dem Namen ALBA (Bolivarianische Alternative)
vollziehen, sind der Versuch, Handel solidarisch, kom-
plementär und auf der Grundlage asymmetrischer und
heterogener Verträge zu organisieren. Hier könnte sich
eine echte Alternative zur neoliberalen Handelspolitik
der EU entwickeln. ALBA als regionales Modell einer
eigenständigen, vom Norden unabhängigen Integration,
gewinnt an Ausstrahlung. Nach Venezuela, Kuba und
Bolivien hat sich Nicaragua angeschlossen und Ecuador
seinen Beitritt angekündigt. Die EU-Handelspolitik ori-
entiert sich leider weiterhin an ihrer WTO-plus-Agenda.
Mit standardisierten Verhandlungsmandaten, die den Zu-
gang der europäischen Unternehmen auf die lateinameri-
kanischen Märkte in den Mittelpunkt stellen und die da-
bei noch weit über die Liberalisierungsagenda der
Welthandelsorganisation hinausgehen, geht die EU-
Kommission in die Verhandlungen mit den vermeintlich
schwächeren Verhandlungspartnern in Lateinamerika.
Sie versucht, den ALBA-Prozess zu untergraben. EU-
Kommission und Bundesregierung müssen aber zur
Kenntnis nehmen, dass diese Politik zunehmend auf Wi-
derstand stößt. Auf dem letztjährigen Wiener EU-La-
teinamerika-Gipfel wurde das ganz deutlich: Von den
vollmundigen Ankündigungen einer europäisch-latein-
amerikanischen Freihandelszone ist dort nicht allzu
viel übrig geblieben. Die EU muss die entwicklungspo-
litischen Potenziale, die durch den sozialen Aufbruch
und die regionale Integration erschlossen werden, end-
lich anerkennen. Wir brauchen für die EU eine völlig
neue Strategie, die den sozialen Umbruch in Lateiname-
rika unterstützt, anstatt ihn zu hintertreiben.
Zu unserem zweiten Antrag: Wir wollen weg von der
Militarisierung der europäischen Außenpolitik. Deshalb
müssen die notwendigen Mittel und Instrumente bereit-
gestellt werden, um eine aktive Friedenspolitik zu entwi-
ckeln und in der Praxis umzusetzen. Wir fordern in unse-
rem Antrag die Bundesregierung auf, die deutsche EU-
Ratspräsidentschaft zu nutzen, um eine Initiative für ei-
nen zivilen Friedensdienst im Rahmen der Europäischen
Union auf den Weg zu bringen. Bislang hören wir über-
wiegend Vorschläge, die genau in die andere Richtung
gehen. Im Rahmen des Europäischen Verfassungspro-
zesses wird einer Militarisierung das Wort geredet: Die
Mitgliedstaaten sollen ihre militärischen Kapazitäten
aufstocken, eine europäische Rüstungsagentur wurde ge-
gründet, europäische „battle groups“ werden aufgestellt.
Zivile Alternativen enthielt der – glücklicherweise bis-
her gescheiterte – Verfassungsentwurf jedoch nicht. Die
Stärkung des Militärischen drückt sich auch in der zu-
nehmenden Vermischung mit zivilen Bereichen der in-
ternationalen Politik aus: Die Linke lehnt es ab, dass aus
dem Europäischen Entwicklungsfonds die Militärmis-
sionen auf dem afrikanischen Kontinent unterstützt wer-
den! Die sogenannte afrikanische Friedensfazilität muss
aus dem Europäischen Entwicklungsfonds herausge-
nommen werden. Die Linke fordert dies explizit in ei-
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em weiteren Antrag, den wir gerade auf den Weg ge-
racht haben. Auf diesem Weg würden sich innerhalb
es EEF finanzielle Spielräume ergeben, um eine Initia-
ive für einen Europäischen Zivilen Friedensdienst anzu-
chieben. Um einen solchen Friedensdienst dann zu
inem wirksamen Instrument der zivilen Konfliktbear-
eitung und zu einer echten Alternative zu militärischer
onfliktbearbeitung auszubauen, müssen sicher noch
ndere Quellen erschlossen werden – auch außerhalb des
EF –, aber zunächst einmal gilt es, den politischen Wil-
en aufzubringen und an einer Stelle anzufangen. Es gibt
ahlreiche Gruppen in verschiedenen Ländern der EU,
ie versuchen, im Rahmen des zivilen Friedensdienstes
ivile und präventive Konfliktbearbeitung konzeptionell
u entwickeln und praktisch umzusetzen, und die sich
unehmend untereinander vernetzen. Mit einem institu-
onellen Rahmen für diese Vernetzung und einer entspre-
henden umfassenden finanziellen Ausstattung könnte
ie wichtige Arbeit dieser Gruppen wirksam unterstützt
erden.
Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Im Ti-
el des Antrages, den wir hier debattieren, heißt es „nach
em Gipfel“. Der Inhalt ist jedoch weitestgehend iden-
isch mit einem Vorgängerantrag, der „vor dem Gipfel“
ieß. Da der erste Antrag schlecht war, ist es auch dieser.
as Hauptproblem liegt nicht in den vielen einzelnen
lein-Klein-Punkten. Das Problem dieses Antrags ist
in sehr politisches. Der Antrag wird aus einer vollkom-
en defensiven Haltung heraus geschrieben. Es gibt kei-
erlei Elemente für eine lebendige, konstruktive Zusam-
enarbeit zwischen Lateinamerika und Europa. Nach
ektüre ihres Antrags hat man den Eindruck, dass Eu-
opa ein neoliberales Feuerwerk gegen den lateinameri-
anischen Kontinent abfeuert, dem sich die Indigenen,
ie Schwarzen und die Kubaner mit aller Kraft zu er-
ehren haben. Ich glaube sie legen sich da eine Schein-
elt zurecht.
In Wirklichkeit haben wir es mit einem stark abneh-
enden Interesse in Deutschland und Europa gegenüber
ateinamerika zu tun. Dies hat mehrere Gründe: Die La-
einamerikaner tauchen bei uns nicht als Flüchtlinge auf,
ie Wirtschaftsdynamik dort ist eher schwach, nicht zu
ergleichen mit den asiatischen Tigern. Und selbst die
edrohung durch lateinamerikanische Drogen hat abge-
ommen. Sie wurden zum Teil durch synthetische Dro-
en ersetzt oder kommen aus anderen Regionen, zum
eispiel aus Afghanistan, zu uns.
Wir wollen die rückläufigen Beziehungen mit Latein-
merika ausbauen. Dafür müssen wir aber kreativ sein,
üssen offen und konstruktiv sein, müssen bereit sein,
irkliche strategische Partnerschaften einzugehen.
Aus unserer Sicht lohnt sich das sehr, und es gibt
underbare Anknüpfungspunkte: Die jüngsten Wahl-
iege in Lateinamerika bringen deutlich den Wunsch der
enschen nach sozialen Reformen und nach einer stär-
eren Einbeziehung der bisher rechtlosen indigenen Be-
ölkerung zum Ausdruck. Positiv sind auch das Bestre-
en nach einer deutlichen Differenzierung in den
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. März 2007 8649
(A) )
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Außenbeziehungen sowie der ausgesprochene Wille zur
regionalen Integration.
Kurzum: Wenn Sie einen guten Antrag zum Thema
lesen wollen, dann verweise ich Sie auf unseren Antrag
vom 15. März letzten Jahres. Wir fordern die EU auf, die
positive politische Konjunktur in Lateinamerika zu nut-
zen, um eine echte strategische Partnerschaft aufzu-
bauen. Inhaltlich soll sich die enge Kooperation auf die
politische und wirtschaftliche Unterstützung der regio-
nalen Integration, eine umwelt- und energiepolitische
Zusammenarbeit, die Förderung der demokratischen
Konsolidierung und der Menschenrechte sowie der Ko-
operation im Hochschulbereich konzentrieren. Um in
diesen Bereichen deutlich Flagge zu zeigen, gilt es, auch
die Mittel aufzustocken. Auf EU-Ebene und in der deut-
schen Entwicklungszusammenarbeit mit Lateinamerika.
Ganz besonders möchte ich noch unsere Position zu
Kolumbien hervorheben. Die Koalition scheint da ja
heillos zerstritten zu sein. Bisher war sie nicht in der
Lage, überhaupt einen Antrag zu Lateinamerika vorzule-
gen, nicht mal zum EU-Lateinamerikagipfel letztes Jahr
in Wien. Der Umgang mit Kolumbien und seinem auto-
ritären Präsidenten Uribe scheint ein wesentlicher Kon-
fliktpunkt zu sein. Es ist beunruhigend, dass die kolum-
bianische Regierung in der deutschen Außenpolitik
hofiert wird. In keinem anderen Land Lateinamerikas
gibt es so eklatante Menschenrechtsverletzungen, soviel
Zusammenspiel zwischen Regierung, Politik und para-
militärischen Mörderbanden wie in Kolumbien. In kei-
nem anderen Land gibt es Millionen von Binnenflücht-
lingen. Wir möchten nicht, dass Deutschland und Europa
sich immer mehr zum Juniorpartner des „Plan Colom-
bia“ der USA machen.
Wir fordern, dass bei der bilateralen und europäischen
Entwicklungszusammenarbeit mit Kolumbien zuvor-
derst der Schutz der Menschenrechte und die Sicherheit
von Menschenrechtsaktivisten stehen. Und es gilt, sich
keinen Initiativen wie dem Plan Colombia anzuschlie-
ßen, die zum Ziel haben, den Drogenanbau durch rein
militärische und umweltzerstörende Mittel einzudäm-
men. Es macht auch keinen Sinn, bei der Bekämpfung
der Guerilla allein auf militärische Mittel zu setzen. Nur
eine Verhandlungslösung kann Kolumbien aus der jahr-
zehntelangen bewaffneten Konfrontation herausführen.
Anlage 5
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung:
– Antrag: Europäische Datenschutzstandards
bei der Weitergabe von Fluggastdaten
(PNR) an die USA sicherstellen
– Bericht: Konsequenzen ziehen aus dem
Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom
30. Mai 2006 zur Weitergabe europäischer
Fluggastdaten an die Vereinigten Staaten
von Amerika
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– Antrag: Stärkung des Daten- und Rechts-
schutzes bei der Weitergabe von Fluggast-
daten an die USA
(Tagesordnungspunkt 18 und Zusatztagesord-
nungspunkte 9 und 10)
Wolfgang Gunkel (SPD): Die Anträge der Fraktion
ündnis 90/Die Grünen und der FDP beschäftigen sich
it einem sehr wichtigen Problem.
Der Europäische Gerichtshof hat am 30. Mai 2006
en Beschluss des Rates über das Abkommen zwischen
er EG und den USA zur Weitergabe von Fluggastdaten
on 2004 – Passenger Name Records, PNR – an die US-
ehörden sowie die Entscheidung der Kommission über
ie Angemessenheit des Schutzes der Daten für nichtig
rklärt. Das Gericht begründete seine Entscheidung damit,
ass beide Rechtsakte gegen Gemeinschaftsrecht verstoßen,
a sie nicht auf einer geeigneten Rechtsgrundlage beruhen.
ur materiellen Frage, ob das Datenschutzniveau ausrei-
hend ist, hat der Europäische Gerichtshof nicht Stellung
enommen.
Das Abkommen von 2004 ist jedoch nicht sofort außer
raft getreten. Die Kommission hat es aufgrund des Urteils
it Wirkung zum 30. September 2006 gekündigt. Am
6. Oktober 2006 unterzeichnete die EU ein Interims-
bkommen mit den USA über die Weitergabe von Flug-
astdaten – Passenger Name Records, PNR –, das bis
um 31. Juli 2007 gilt. Es ersetzte das vom Europäischen
erichtshof für nichtig erklärte Abkommen vom 28. Mai
004. Das Übereinkommen regelt die elektronische Daten-
eitergabe aus den Buchungs- und Abflugkontrollsys-
emen der Fluggesellschaften an die Zoll- und Grenz-
ehörde des Department of Homeland Security, DHS.
em DHS und den anfragenden Behörden wird somit
er Zugriff auf 34 Datensätze ermöglicht.
Dazu gehören unter anderem E-Mail-Adresse und
elefonnummer, Ticketinformationen samt allen Infor-
ationen zur Bezahlung des Tickets. Unter Datenschutz-
esichtspunkten, das führt der Antrag der Grünen auch
u Recht aus, ist dieses Abkommen nicht unbedingt
ositiv zu bewerten. Schließlich können schon die Ess-
ewohnheiten eines einzelnen Passagiers die Fahnder
us den USA auf seine Fährte locken und ihn unter Terror-
erdacht stellen.
Bei allen Bedenken, die gegen das Abkommen erhoben
erden können, sollte jedoch nicht vergessen werden,
ass der Datenschutz in den USA nicht die herausragende
olle spielt und die wichtige Bedeutung hat, wie dies in
uropa – zum Glück – der Fall ist. Die Bekämpfung des
errorismus scheint seit dem 11. September 2001 nahezu
eden Eingriff in die Bürgerrechte zu rechtfertigen.
Dennoch können wir davon ausgehen, dass mögliche
bkommen mit jedem einzelnen Mitgliedstaat und nicht
it der gesamten EU und ihren Verhandlungsoptionen
ohl insgesamt noch schlechter für den Datenschutz
usgefallen wären.
Die Forderung der FDP-Fraktion, den Datentransfer
uszusetzen, bis eine Rechtsgrundlage gefunden wurde,
8650 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. März 2007
(A) )
(B) )
bedeutet ein noch größeres Risiko für den Datenschutz.
Denn ohne Abkommen gäbe es auch keine rechtliche
Verpflichtung der USA, gewisse Datenschutzstandards
einzuhalten. Weniger Rechtsklarheit wäre die Folge.
Außerdem dürfen wir nicht ignorieren, dass sich die
Fluggesellschaften ja geradezu verpflichtet fühlen, die
Passagierdaten weiterzugeben, um nicht den Entzug der
Landerechte zu riskieren.
Dennoch spreche ich mich gegen die Anträge aus.
Der Antrag auf Drucksache 16/1876 der FDP-Fraktion
wurde bereits im Innenausschuss mit den Stimmen der
SPD- und der CDU/CSU-Fraktion abgelehnt, da der
Abschluss des Interimsabkommens einen Zeitgewinn
bedeutet, um weitere Verhandlungen zu führen. Die
Bundesregierung hat am 22. Februar diese Verhandlungen
mit den USA aufgenommen, um bis zum Ende der deut-
schen Ratspräsidentschaft ein neues Abkommen auszu-
handeln. Die Anträge sind derzeit irrelevant, denn ich
glaube und hoffe, dass es der Bundesregierung mit
Unterstützung der anderen EU-Staaten gelingen wird,
ausreichende datenschutzrechtliche Standards während
der Verhandlungen einzufordern und diese in eine
entsprechende Vertragsform zu bringen. Dabei wären
„europäische Rechte“ schon als Erfolg zu werten.
Mit Abschluss des Vertrages ist dann ein vom Deutschen
Bundestag zu verabschiedendes Vertragsgesetz erforder-
lich.
Ernst Burgbacher (FDP): Bei der heutigen Debatte
geht es um ein Thema, welches uns seit mehreren Jahren
begleitet, jedoch nichts von seiner Aktualität verloren
hat. Daran nicht ganz unschuldig ist die Bundesregierung,
die versäumt hat, sich auf europäischer Ebene frühzeitig
für ein Abkommen mit den USA einzusetzen, welches
europäische Datenschutzstandards angemessen berück-
sichtigt.
Mehrfach haben wir die Bundesregierung aufgefordert,
mit den USA auf Augenhöhe zu verhandeln. Leider
haben wir noch immer keine Anzeichen seitens der
Bundesregierung erhalten, dass bei neuerlichen Verhand-
lungen die europäische Position endlich angemessen
berücksichtigt wird. Noch ist Zeit, da Mitte dieses Jahres
ein Abkommen mit den USA über die Weitergabe von
Passagierdaten durch die EU ausgehandelt werden muss.
Das Interimsabkommen, welches bislang in äußerst
unbefriedigender Weise die Weitergabe von Fluggastdaten
regelt, läuft befristet bis zum 31. Juli 2007. Für die Bundes-
regierung bleibt somit während ihrer Ratspräsidentschaft
die Aufgabe, aber auch die Zeit, sich für ein neues
Abkommen einzusetzen.
Wir fordern die Bundesregierung auf: Nehmen Sie un-
sere Bedenken auf, setzen Sie sich für eine Änderung des
bestehenden Abkommens ein. Es muss ein Abkommen
geschaffen werden, welches nun endlich einen angemes-
senen Ausgleich zwischen Sicherheitsinteressen der USA
und den Bürger- und Freiheitsrechten der Flugpassagiere
schafft. Hierfür muss überprüft werden, welche der
34 angeforderten Passagierdaten tatsächlich für eine Ver-
besserung der Sicherheit des Luftverkehrs unabdingbar
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ind. Ist es wirklich notwendig, ein Feld für „allgemeine
emerkungen“ vorzuhalten? Ist es zur Verbesserung der
icherheit des Luftverkehrs unablässig, dass das Reisebüro
nd der Bearbeiter mitgeteilt werden oder die Nummern
er Gepäckanhänger?
Eines ist klar: Vor Abschluss eines Abkommens über
ie Weitergabe von Passagierdaten muss eine umfassende
valuation des bisherigen Abkommens erfolgen. Bevor
ber die endgültige Weitergabe von Passagierdaten verhan-
elt wird, muss geprüft werden, welche der 34 Daten, die
ie USA momentan heranziehen können, tatsächlich
uch dem Zweck der Terrorismusbekämpfung dienen.
uch die übrigen Daten müssen eingehend daraufhin unter-
ucht werden, ob sie unter dem Gesichtspunkt des euro-
äischen Datenschutzes weitergegeben werden können.
ier ist die Bundesregierung gefordert. Sorgen Sie dafür,
ass die Europäische Kommission hier europäische Daten-
chutzrechte umfassend beachtet.
Dringend revidiert werden muss aber auch das System
er Datenweitergabe. Das bislang praktizierte „pull“-
erfahren muss unverzüglich auf ein „push“-Verfahren
mgestellt werden. Hierdurch bleibt die Möglichkeit
estehen, auf die Weitergabe Einfluss zu nehmen. Ich
ordere die Bundesregierung daher auf, auf die Umstel-
ung auf das „push“-Verfahren hinzuwirken.
Um den europäischen Datenschutzstandards Rechnung
u tragen, muss aber vor allem auch bei den Verhandlungen
ber ein Nachfolgeabkommen auf eine strikte Zweck-
indung der Datenübermittlung gedrängt werden. Bei
ieser Vielzahl der zu übermittelnden Daten muss durch
ie Partner des Abkommens eindeutig klargestellt werden,
ofür diese Daten verwendet werden. Eine Verwendung
ber einen im Abkommen festzuschreibenden Zweck darf
icht erfolgen. Hier obliegt es der Bundesregierung, sich
afür einzusetzen, insbesondere durch die US-amerikani-
che Seite bindende Verpflichtungserklärungen zu erhalten,
ass die Passagierdaten von der allgemeinen Informations-
reiheit des „Freedom of Information Act“ ausgenommen
erden.
Ich fordere die Bundesregierung auf, darauf zu drängen,
ass auch die Speicherfristen so kurz wie möglich gehalten
erden und die Passagiere nicht nur über die Sammlung
nd Speicherung der Daten unterrichtet werden, sondern
uch unabhängige Beschwerdeinstanzen errichtet werden.
llein hierdurch kann eine rechtsstaatliche Kontrolle ge-
ichert werden. Allein hierdurch kann ein effektiver
chutz der Freiheits- und Bürgerrechte der europäischen
lugpassagiere gewährleistet werden.
Ich fordere die Bundesregierung auf: Ziehen Sie im
ahmen ihrer Ratspräsidentschaft die Konsequenzen aus
em Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 30. Mai
006. Setzen Sie sich für eine gleichberechtigte
erhandlung zwischen der EU und den USA ein und
chaffen Sie ein Abkommen, welches den Daten- und
echtsschutz bei der Weitergabe von Fluggastdaten um-
assend stärkt.
Jan Korte (DIE LINKE): Wer aus Europa in die USA
liegt, wird durchleuchtet, titelte eine Tageszeitung Anfang
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. März 2007 8651
(A) )
(B) )
dieses Jahres. Dieser Auffassung waren nicht zuletzt
auch die Mitglieder des Europäischen Parlaments, als sie
ihre Kritikpunkte an dem Abkommen zwischen der EU
und den USA zur Übermittlung von Fluggastdaten
benannten. Auch der Europäische Gerichtshof hatte
Probleme mit dem 2004 geschlossenen Abkommen und
kippte das Verfahren im Mai 2006, vor allem aus juristi-
schen Gründen. Eilig wurde daraufhin nachverhandelt,
und nun haben wir ein sogenanntes Interimsabkommen,
das noch bis Juli 2007 Gültigkeit besitzt.
Im Rahmen der deutschen Ratspräsidentschaft obliegt
es nun der Kanzlerin und ihrem Fachminister, Wolfgang
Schäuble, ein neues, langfristiges Abkommen zwischen der
Union und den USA auszuhandeln. Die Verhandlungen
stehen jedoch aus Sicht der Linksfraktion unter keinem
guten Stern. Haben wir doch miterleben müssen, wie
zum einen die US-amerikanischen Behörden verabredete
Zusagen über das Verfahren der Übermittlung und die
Verwendung der Daten nicht eingehalten haben. Zum
anderen erleben wir, wie uns die Bundesregierung seit
2004 detaillierte Informationen zu den beiden bisherigen
Abkommen verweigert. So wurde zum Beispiel vereinbart,
dass einmal im Jahr eine Überprüfung der Datenweiter-
gabepraxis stattfinden soll. Diese fand bisher nur ein ein-
ziges Mal statt. Die Ergebnisse werden seitdem geheim-
gehalten.
Überhaupt scheint vieles im Dunkeln zu liegen, wenn
man nach den konkreten Verabredungen des Interims-
abkommens fragt. Recherchen einer Nachrichtenagentur
ergaben im Dezember 2006, dass die 34 übermittelten
personenbezogenen Daten von Flugpassagieren mit Ziel
Vereinigte Staaten mit anderen Daten verknüpft, bis zu
40 Jahre gespeichert und die Reisenden nach ihrem indi-
viduellen Sicherheitsrisiko bewertet werden – alles unter
dem Vorwand des Kampfes gegen den Terrorismus.
Technisch wird dieses bürgerrechtsfeindliche Vorgehen
von US-amerikanischer Seite durch das so genannte ATS
– das „Automated Targeting System“ – flankiert. Die
Existenz und Nutzung des Systems soll den EU- und
bundesdeutschen Verantwortlichen nicht bekannt gewesen
und erst im November durch einen Vermerk im „Federal
Register“ öffentlich geworden sein. Seltsam, denn bereits
im März 2005, also ein Jahr vor Abschluss des Interims-
abkommens, hatte der Beauftragte des US-Zolls, Robert
C. Bonner, in einer Anhörung vor dem Repräsentanten-
haus auf die Existenz und Nutzung des ATS aufmerksam
gemacht. Die Empörung, besonders von Justizkommissar
Frattini, war dennoch zumindest gegenüber der Öffentlich-
keit groß. Zur selben Zeit erklärte aber Telmo Baltazar,
Rechtsberater der Europäischen Union bei deren Vertretung
in Washington und Unterhändler des Abkommens, dass
die Risikobewertung von Reisenden durch das ATS im
Einklang mit dem getroffenen Vertrag stünde. Zitat aus
der „Washington Post“: „Die Risikoeinschätzung ist ein
normales Werkzeug der Strafverfolgung“.
Was sollen wir denn nun glauben? Einerseits steht der
Umgang mit den europäischen Daten durch US-Behörden
nicht im Einklang mit den Verabredungen, andererseits
erklärt ein EU-Vertreter, dass darin kein Problem zu sehen
sei. Auch die Tatsache, dass die USA bis heute nicht von
dem sogenannten „pull-“ auf das datenfreundlichere
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push“-Verfahren umgestellt haben, trägt nicht gerade
ur Vertrauensbildung bei. Daneben bleibt festzuhalten,
ass das sich in Anwendung befindliche Verfahren zur
bermittlung von Fluggastdaten nicht mit den geltenden
uropäischen und nationalen Datenschutzbestimmungen
ereinbar ist. In eklatantem Maße wird hier gegen
rundrechte verstoßen, insbesondere gegen das Recht
uf den Schutz personenbezogener Daten.
Die Linksfraktion hat vor diesem Hintergrund einem
ntrag der FDP im Innenausschuss zugestimmt und begrüßt
ie Initiative der Grünen. Gleichzeitig aber frage ich mich,
arum in einigen zentralen Punkten der vorliegende Antrag
er Grünen eher vorsichtig Kritik übt. So sind wir der
einung, dass die Bundesregierung nicht nur auf eine
Reduzierung der 34 Datenelemente hinwirken“ soll.
ir fordern in diesem Zusammenhang die Reduzierung
uf die Kerndaten. Denn wozu brauchen die US-Behörden
ensible Daten wie die Kreditkartennummern und -konten?
hne eine Korrektur in diesem Bereich können wir einem
euen Abkommen nicht zustimmen.
Auch wir vertreten die Auffassung, dass das Verfahren
ransparent gestaltet werden muss, dass das ATS für die
luggastdaten nicht weiter genutzt werden darf, dass die
ofortige Umstellung von „pull“ auf „push“ umgesetzt
erden, dass kurze Speicherfristen vereinbart und ein
ffektiver Rechtsschutz gewährleistet werden müssen,
ass eine strikte Zweckbindung der Daten vorgenommen
nd ein Verbot der Weiterleitung der Daten an US-Ge-
eimdienste eingefordert werden müssen. In Bezug auf
ie bisherige Informationspolitik durch EU-Kommissar
rattini und Bundesinnenminister Schäuble steht für uns
ußer Frage, dass Bundestag und Europäisches Parlament
urch Mitbestimmung ihre Kontrollfunktion gegenüber
undesregierung und EU wahrnehmen können müssen.
Für mich ist völlig unbegreiflich, dass zu diesem
hema erst am morgigen Tage – wir debattieren bereits
eute über das Problem – ein Berichterstattergespräch
it Staatssekretär Peter Altmaier stattfinden soll.
Zum Schluss möchte ich deutlich sagen, dass wir eine
mfassende Evaluierung der Datenweitergabepraxis
ordern, die bisher nicht stattgefunden hat. Im Moment
edenfalls ist kein Sinn in der Datenübermittlung und
atenspeicherung zur Bekämpfung des Terrorismus zu
rkennen. Die einzige Evaluierung der nach 2001 ver-
nderten Einreisebestimmung in die USA hat die US-
ourismusindustrie vorgenommen. Sie stellt fest, viele
esucher empfänden die Behandlung durch die Grenz-
eamten bei der Einreise in die USA als „schrecklich“.
as Verfahren sei „unfreundlich und ineffizient“. Das
esultat: Seit 2001 sind 58 Millionen Besucher weniger
n die Staaten geflogen; 194 000 Arbeitsplätze in der
ourismusbranche sind weggefallen; Umsatzeinbußen
on bis zu 94 Milliarden US-Dollar sind zu verkraften.
ie Auswirkungen auf Europa sind darin noch nicht auf-
eführt. Dass die derzeitige Praxis der Datenweitergabe
n die USA nicht dem Wohle der europäischen Bürge-
innen und Bürger dient, sollte auch die deutsche Rats-
räsidentschaft zur Kenntnis nehmen und dementspre-
hend handeln.
8652 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. März 2007
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Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Die Bekämpfung der Kriminalität und der Kampf gegen
den internationalen Terrorismus können nur erfolgreich
sein, wenn wir grenzüberschreitend handlungsfähig sind
und mit verbündeten Staaten zusammenarbeiten. Daher
ist die Kooperation mit den Vereinigten Staaten von
Amerika unverzichtbar. Diese Kooperation erfolgt auf
verschiedenen Ebenen. Der Erfolg dieser Zusammenarbeit
hängt allerdings maßgeblich davon ab, dass wir rechts-
staatliche Normen und Grundsätze uneingeschränkt zum
Maßstab unseres Handelns machen. Bürger- und Freiheits-
rechte dürfen nicht unverhältnismäßigen Mitteln der
Auseinandersetzung mit dem internationalen Terrorismus
geopfert werden. Die Feinde der Demokratie wollen
unsere freie Gesellschaft beschädigen. Wenn wir selbst
unsere Freiheit aufgeben, haben die Extremisten ihr Ziel
erreicht.
Die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit zu
bewahren, das muss auch für die Weitergabe von Flug-
gastdaten an die US-Behörden – unser heutiges Thema –
gelten. Die Weitergabe von Fluggastdaten betrifft den
sensiblen Bereich des Datenschutzes und damit auch die
Frage der Persönlichkeitsrechte der Bürgerinnen und
Bürger. Worum geht es hier eigentlich genau? Flug-
gesellschaften mit Reiseziel USA werden von den US-
Grenzbehörden aufgefordert, Daten ihrer Fluggäste zu
übermitteln. Konkret handelt es sich hierbei um nicht
weniger als 34 Angaben pro Person, die auch auf den
Gesundheitszustand, die Essgewohnheiten und die Reli-
gionszugehörigkeit der Fluggäste schließen lassen. Da
die Fluggesellschaften frühzeitig die zuständigen EU-
Stellen über diese Anforderung informierten, kam im
Mai 2004 ein erstes Abkommen zwischen den USA und
der EU zum Datenaustausch zustande. Dieses Abkom-
men wurde vom Europäischen Gerichtshof für nichtig
erklärt, weil die Persönlichkeitsrechte der Passagiere
nicht ausreichend geschützt waren. Mittlerweile gibt es
ein Interimsabkommen, das bei Datenschützern jedoch
weiterhin auf erhebliche Bedenken stößt. Dieses Interims-
abkommen läuft zum 31. Juli aus, es muss also ein neues
Abkommen verhandelt werden.
Hierbei kommt der Bundesregierung als EU-Rats-
präsidentin und damit Verhandlungsführerin der Euro-
päischen Union eine besondere Verantwortung zu. Sie
hat die Möglichkeit, wieder die richtige Balance herzu-
stellen zwischen dem Schutz der Persönlichkeitsrechte
der EU-Bürgerinnen und Bürger und einer effektiven
Sicherheitskooperation mit den USA. In unserem Antrag
fordern wir daher die Bundesregierung auf, bei den Neu-
verhandlungen auf folgende Punkte zu achten: Die
Bundesregierung muss sich bei den Verhandlungen am
adäquaten Abkommen mit Kanada und den Forderungen
der Art.-29-Datenschutzgruppe des Europäischen Parla-
ments orientieren. Das heißt konkret, dass die 34 Merk-
male auf ein sinnvolles Maß reduziert werden. Es gibt
keinen logischen Grund, warum die Essgewohnheiten
von Passagieren sicherheitsrelevant sind. Es heißt weiter,
dass die Weitergabe von Daten an eine strikte Zweck-
bindung gekoppelt werden muss. Die erhobenen Daten
müssen ausschließlich für Sicherheitsmaßnahmen verwen-
det werden und nicht etwa für kommerzielle Zwecke. Und
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chließlich, dass für die Übermittlung, Verarbeitung und
eitergabe von Fluggastdatensätzen rechtsverbindliche
atenschutzverpflichtungen geschaffen werden müssen,
enn diese gibt es bisher nicht.
Lassen Sie mich zu einem weiteren Risiko bei der
eitergabe von Fluggastdaten kommen, Die Fluggast-
aten dürfen nicht für das von den US-Behörden genutzte
utomated Targeting System – ATS – verwendet werden.
ei diesem System werden unter anderem die Daten von
luggästen ausgewertet, um eine „Risikoeinschätzung“
on Reisenden zu erstellen.
Ich möchte in diesem Fall auf die Inhaftierung des
eutschen Staatsbürgers Majid Shehadeh verweisen.
err Shehadeh wurde aller Wahrscheinlichkeit nach auf
rundlage des ATS als „Risikopassagier“ eingestuft. Am
lughafen in Las Vegas wurde ihm die Einreise in die
SA ohne Angabe von Gründen verwehrt. Erst nach einer
reitägigen Inhaftierung konnte Herr Shehadeh wieder
n die Bundesrepublik ausreisen. Das ATS stößt aber
uch bei der EU-Kommission auf Kritik. So bemängelt
U-Kommissar Franco Frattini, dass die den US-Behörden
bermittelten Daten entgegen dem Abkommen zwischen
er USA und der EU nicht nach vier Jahren gelöscht, son-
ern 40 Jahre lang gespeichert werden. Hier muss unver-
üglich Klarheit geschaffen werden. Darüber hinaus ist es
otwendig, dass die Bundesregierung bei den Neuver-
andlungen darauf hinwirkt, dass die Passagiere voll-
tändig über Zweck und Umfang der Datenerhebung un-
errichtet werden.
Wir werden das weitere Vorgehen der Bundesregierung
ei den Verhandlungen mit den USA kritisch begleiten.
ie muss dafür Sorge tragen, dass Grundrechtsschutz
nd Sicherheitsinteressen im Folgeabkommen nicht im
iderspruch stehen. Unser aller Grundrechte können
ur gewahrt werden, wenn in der Kooperation mit Dritt-
taaten europäische Datenschutzstandards gewährleistet
erden. Während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft
at die Bundesregierung die Gelegenheit, diese Missstände
ndlich zu beheben – zum Schutz der Bürgerrechte, aber
benso zur Verwirklichung einer glaubwürdigen, rechts-
taatlichen und effektiven Bekämpfung des internationalen
errorismus. „Wer Freiheiten aufgibt, um Sicherheit zu
ewinnen, wird am Ende beides verlieren.“ Dieses Zitat
tammt nicht von einem Grünen, sondern von einem US-
räsidenten namens Benjamin Franklin. Und es war
och nie so richtig wie heute.
Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
inister des Innern: Der Rat hat das Verhandlungsmandat
ür ein neues PNR-Abkommen am 22. Februar 2007
ngenommen. Das neue Abkommen soll nach den Vor-
tellungen der EU das derzeitige Interimsabkommen, das bis
um 31. Juli 2007 befristet ist, ersetzen. Am 26. Februar
007 fand in Washington die erste Verhandlungsrunde
ber ein neues PNR-Abkommen statt; dabei bestätigte
ich, dass die Verhandlungen extrem schwierig werden.
ie EU-Seite hat aber keinen Zweifel gelassen, dass im
egensatz zu den US-Vorstellungen auf rechtlich verbind-
che, spezifische datenschutzrechtliche Regelungen
icht verzichtet werden kann.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. März 2007 8653
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Ziel der deutschen EU-Ratspräsidentschaft ist ein Ab-
kommen mit den USA, das langfristig Rechtssicherheit
schafft, einen angemessenen Datenschutz bietet und ein
hohes Maß an Sicherheit gewährleistet. Mit abwegigen
Rechtsauffassungen und unzutreffenden Schlussfolge-
rungen, wie sie den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen
kennzeichnen, wird man dieses Ziel aber nicht erreichen.
Der Antrag lässt erkennen, dass die Antragsteller offen-
bar nur sehr oberflächlich recherchiert haben. So behaup-
ten die Antragsteller zum Beispiel, dass die gegenwärtige
Praxis der Übermittlung von PNR-Daten rechtswidrig
sei, weil sie nicht der EG-Datenschutzrichtlinie entspreche.
Dies ist schlicht und ergreifend unzutreffend. Die Verfas-
ser des Antrages müssen sich fragen lassen, ob ihnen das
Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 30. Mai 2006
nicht bekannt ist. Der EuGH hat darin eindeutig festgestellt,
dass die Übermittlung der PNR-Daten an die USA eine
Verarbeitung darstellt, die die öffentliche Sicherheit und
die Tätigkeiten des Staates im strafrechlichen Bereich
betrifft und dass auf derartige Verarbeitungen die EG-
Datenschutzrichtlinie keine Anwendung findet.
Das heißt natürlich nicht, dass das Datenschutzniveau
in den USA bei der PNR-Verwendung im Belieben der
US-Behörden stehen kann. Hierzu haben die USA
Verpflichtungserklärungen zum Datenschutz – die soge-
nannten Undertakings – abgegeben. Die Antragsteller
versuchen den Eindruck zu erwecken, als ob die Under-
takings unverbindlich und damit gleichsam wertlos
seien. Auch dies ist nicht richtig. Bei den Undertakings
handelt es sich keinesfalls um bloße Absichtserklärungen,
sondern um Verpflichtungen, die die Grundlage für die
PNR-Übermittlungen bilden. Bereits 2004 – also zu Zeiten
der Regierungsbeteiligung von Bündnis 90/Die Grünen –
hatte die EG die Angemessenheit dieser Grundlage aner-
kannt, und Deutschland hatte dem ausdrücklich zuge-
stimmt. Hieran ist im Kern festzuhalten, wenngleich in
einzelnen Punkten weitere Verbesserungen wünschens-
wert wären.
Die Antragsteller behaupten, es sei zweifelhaft, ob die
USA ihre datenschutzrechtlichen Verpflichtungen einhiel-
ten. Wenn derartige Behauptungen nicht durch Tatsachen
unterlegt werden, ist damit nichts anzufangen. Worauf
die Antragsteller zum Beispiel ihre Behauptung stützen,
die von den USA in Zusammenarbeit mit der Kommission
durchgeführte gemeinsame Überprüfung sei „unvoll-
ständig“ gewesen, entzieht sich meiner Kenntnis. Über
Kritik an der Praxis der PNR-Datenübermittlung kann
man sicher im Einzelnen sachlich diskutieren. Polemik
und unzutreffende Behauptungen helfen jedoch keinem
weiter. Auf diese Weise wird man die USA nicht partner-
schaftlich für einen neuen Vertrag gewinnen können.
Unrichtig ist auch, dass die von den USA zugesagte
Umstellung vom sogenannten pull- auf das push-Verfahren
noch nicht eingeleitet worden sei. Hierzu heißt es wörtlich
in den Undertakings: „Das CBP, Bureau of Customs and
Border Protection, wird die Passagierdaten aus den Re-
servierungssystemen der Fluggesellschaften abrufen
(„pull“), bis die Fluggesellschaften in der Lage sind, ein
System für die aktive Übermittlung der Daten („push“)
an das CBP in Betrieb zu nehmen. Tatsache ist, dass ein
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eil der Fluggesellschaften – hiesigen Erkenntnissen zu-
olge sind es derzeit circa 15 – die PNR-Daten bereits im
ush-Verfahren übermitteln. Andere Fluggesellschaften
ehen im Benehmen mit den USA noch einige technische
ragen als klärungsbedürftig an. Es ist natürlich ein zen-
rales Anliegen der EU, mit dem neuen Vertrag zu einer
ollständigen Umstellung auf push zu kommen. Insoweit
ollte bei allen Fraktionen Einigkeit bestehen. Wenn aber
n diesem Punkt bereits volle Übereinstimmung mit der
osition der Bundesregierung besteht, ist eine Aufforde-
ung durch den Bundestag völlig überflüssig und als reiner
chaufensterantrag zu bewerten.
Die angestrebte neue Vereinbarung mit den USA
uss insbesondere zu den Bereichen Speicherdauer, An-
ahl der Datenelemente, Behandlung sensitiver Daten,
weckbeschränkungen und Rechtsbehelfsmöglichkeiten
ine sachgerechte Balance zwischen Sicherheit und Frei-
eitsrechten finden. Dies darf aber nicht darüber hinweg-
uschen, dass die Verhandlungen mit den USA extrem
chwierig sind, weil die USA eigentlich kein neues
bkommen wollen. Man sollte den USA einen solchen
usstieg nicht noch durch unrealistische und überzogene
orderungen erleichtern, die die Verhandlungen eher
lockieren als voranbringen.
Ich mache noch einige Bemerkungen zu den in dem
ntrag von Bündnis 90/Die Grünen aufgestellten
ehauptungen über einen angeblich mangelhaften
atenschutz in der dritten Säule. Im Bereich der dritten
äule besteht ein engmaschiges System maßgeschnei-
erter bereichsspezifischer Datenschutzbestimmungen,
as sich bislang hervorragend bewährt hat. Von einem
angelhaften Datenschutz in der dritten Säule zu sprechen,
st daher reine Polemik. An der Notwendigkeit bereichs-
pezifischer Regelungen würde auch ein allgemeiner
ahmenbeschluss zum Datenschutz nichts ändern. Viel-
ehr haben die Beratungen des Rahmenbeschlusses zum
atenschutz in der dritten Säule gezeigt, wie schwierig
der wenig sachgerecht es ist, bereichsspezifische Detail-
egelungen zu verallgemeinern. Die bestehenden rund
50 Vorbehalte der Mitgliedstaaten gegenüber dem Rah-
enbeschlussentwurf sind nicht Ausdruck datenschutz-
eindlicher Haltung, sondern der begründeten Sorge,
ass Arbeitsabläufe, die seit Jahren in den Mitgliedstaaten
raktiziert und bisher keinerlei Anlass zu Beanstandungen
egeben haben, durch gut gemeinte, aber unpassende
etailregelungen zum Datenschutz erschwert werden.
Gleichwohl tritt Deutschland mit Nachdruck in seiner
räsidentschaft für einen allgemeinen Rahmenbeschluss
um Datenschutz in der dritten Säule ein. Deutschland
ird sich im Rahmen seiner Präsidentschaft intensiv um
ine Einigung zwischen den Mitgliedstaaten bemühen,
ie zu einer weiteren Optimierung des Datenschutzes in
er dritten Säule führt.
Die Bundesregierung hat sich in Bezug auf den Daten-
chutz keinerlei Versäumnisse vorzuwerfen. Der Antrag
on Bündnis 90/Die Grünen ist kontraproduktiv. Er beruht
uf mangelhafter Tatsachenrecherche, die darüber hinaus
it rechtlich falschen Schlussfolgerungen verbunden
ird. Dieser Antrag hilft den europäischen Interessen
icht; er schadet der Verhandlungsposition der EU und der
8654 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. März 2007
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deutschen EU-Ratspräsidentschaft. Daher ist der Antrag
abzulehnen.
Ebenfalls abzulehnen ist der Antrag der FDP. Er ist
zeitlich überholt, da zwischenzeitlich mit dem Interims-
abkommen vom Oktober 2006 und den derzeitigen Ver-
handlungen über ein langfristiges Abkommen die erfor-
derlichen Konsequenzen aus dem Urteil des EuGH vom
30. Mai 2006 gezogen worden sind. Die dem Antrag der
FDP zugrundeliegende Intention, die Übermittlung von
PNR-Daten generell zu unterbinden und deren Nutzung
für Sicherheitszwecke zu verhindern, ist in Anbetracht
der Bedrohungen durch den Terrorismus völlig abwegig.
Dies wird weder den US-amerikanischen noch den euro-
päischen Sicherheitsinteressen gerecht.
Anlage 6
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Anträge:
– Keine Hermes-Bürgschaft für das Ilisu-
Staudammprojekt
– Keine Hermes-Bürgschaft für den Ilisu-
Staudamm in der Türkei
(Tagesordnungspunkt 19)
Bernward Müller (Gera) (CDU/CSU): Ich freue
mich, heute mit Ihnen über ein wichtiges Thema disku-
tieren zu können: die Vergabe von Bürgschaften der
Bundesrepublik Deutschland für das Staudammprojekt
Ilisu.
Der Ilisu-Staudamm ist ein Teil des Südanatolien-Pro-
jektes, das mehrere Staumauern an den Flüssen Euphrat
und Tigris umfasst. Mit ihrer Hilfe will die Regierung in
Ankara die Region bewässern und entwickeln. So soll
der steigende Energiebedarf der Region durch die Energie-
gewinnung aus Wasserkraft gedeckt werden.
In Planung ist dieses gewaltige Projekt bereits seit 1997.
Aufgrund sozialer und ökologischer Bedenken zogen die
Hauptinvestoren 2001 ihre Angebote zurück. Nach einer
längeren Überarbeitungsphase legte das Betreiberkonsor-
tium Anfang 2006 erneut Pläne zur Umweltverträglichkeit
und Umsiedlung vor. Doch auch diese genügten weder
den Standards der Weltbank noch den Vorgaben der
Weltstaudammkommission.
Sehr geehrte Damen und Herren von den Linken und
Bündnis 90/Die Grünen, ich stimme mit Ihnen darin
überein, dass das Projekt dringend einer Weiterentwick-
lung, insbesondere in sozialer und ökologischer Hinsicht,
bedarf. Daher müssen wir mit realistischem Blick unsere
Möglichkeiten prüfen, als Bundesrepublik Deutschland
mit unseren sozialen und ökologischen Standards auf
dieses Megaprojekt Einfluss zu nehmen.
Festgehalten werden muss: Das Projekt wird kom-
men – mit oder ohne deutsche Beteiligung. Der unbe-
dingte Wille der türkischen Regierung, das Projekt in je-
dem Fall zu realisieren, ist durch die Grundsteinlegung
durch den Ministerpräsidenten Recep Erdoğan im letzten
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ahr sowie durch die bereits laufenden Arbeiten um die
austelle herum und auf der Baustelle dokumentiert.
Zudem gibt es einen wesentlichen Unterschied zu der
ituation im Jahre 2001: Es sind neue Kräfte aufgetreten:
ie New Global Player. Es sind wirtschaftlich boomende
chwellenländer wie China und Indien, die nach lang-
ristigen Infrastrukturprojekten, Handelsabkommen und
ergbaukontrakten suchen und dabei deutlich andere
tandards als wir anwenden.
Nehmen Sie das Beispiel Afrika: Die New Global
layer kümmert es nicht, wie und unter welchen Standards
rojekte umgesetzt werden. Sie mischen sich grundsätz-
ch nicht in die inneren Angelegenheiten der Partnerländer
in und knüpfen die Zusammenarbeit auch nicht an
trenge Konditionen, wie es die westlichen Geberländer
un.
Wir müssen der Tatsache ins Auge sehen, dass sich
ie Bedingungen, unter denen wir an Großprojekten teil-
aben können, verändert haben. Tun wir dies nicht, so
erden andere Länder diese Projekte mit ihren eigenen
aßstäben realisieren. Das aber verstellt uns selbst den
eg, Einfluss zu nehmen auf die Konditionen, unter denen
s geschieht. Noch haben wir es in unserer Hand.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken und
ündnis 90/Die Grünen, können Sie es verantworten,
ass die in Ihren Anträgen beschriebenen möglichen
olgen, die – und das möchte ich an dieser Stelle aus-
rücklich betonen – hier im Deutschen Bundestag mit
icherheit niemand gutheißen wird, zur Realität werden?
ass über 50 000 Menschen ohne Sicherheiten umgesiedelt
erden, dass Umwelt und unwiederbringliches Kulturgut
erstört werden, dass wir jegliche Möglichkeiten, auf
ieses oder verwandte Projekte Einfluss zu nehmen, ver-
ieren? Meine Fraktion kann das nicht und wird dies
uch nicht zulassen!
Die Debatte, die wir hier heute führen, dreht sich um
iel mehr als nur das Ilisu-Staudammprojekt. Die Anzahl
er Global Player in der Weltpolitik nimmt seit dem
nde des Ost-West-Konfliktes stetig zu. Die Wirtschaften
er Transformations- und Schwellenländer wachsen be-
tändig. Damit wird ihr Gewicht immer stärker. Vielerorts
reten sie schon heute als ernst zu nehmende Partner auf.
och internationale Vereinbarungen zum Klimaschutz,
ur Nachhaltigkeit und zum Schutz der Menschenrechte
ehen dabei häufig unter.
Sehen wir der Tatsache ins Auge: In den kommenden
ahren werden wir noch oft mit Sachlagen, die dem Fall
lisu ähneln, zu tun haben. Wir werden lernen müssen,
it diesen Situationen verantwortungsvoll und wirksam
mzugehen. Im Klartext bedeutet dies: Auch wenn nicht
lle unsere Standards erfüllt werden können, dürfen wir
ns nicht von solchen Vorhaben abwenden und den Lauf
er Dinge sich selbst überlassen.
Wollen wir unter dem Druck der internationalen Kon-
urrenz langfristige und wirkungsvolle Beziehungen der
usammenarbeit mit unseren Partnerländern entwickeln
nd unseren Einfluss im positiven Sinne für die Menschen
nd die Umwelt geltend machen, müssen wir einen klaren
lick für die Realität bewahren und auf die Situation
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. März 2007 8655
(A) )
(B) )
unserer Partner eingehen. Nur so behalten wir unsere
Einwirkungsmöglichkeiten.
Daher haben sich die Regierungen in Deutschland,
Österreich und der Schweiz – entgegen den kurzsichtigen
Vorschlägen der uns hier vorliegenden Anträge – entschie-
den, weiter mit der türkischen Regierung an nachhaltigen
Projektverbesserungen zu arbeiten. Und diese Strategie
hat sich für Mensch und Umwelt bislang gelohnt: Es
konnten erhebliche Verbesserungen erreicht werden.
Ich will Ihnen gerne einige nennen: Erstens. Sicherung
der Einflussmöglichkeiten der Exportkreditversicherer
auch nach der Übernahme der Exportkreditgarantie.
Werden die Verträge nicht eingehalten, können Sanktionen
durch Liefer- und Auszahlungsstopps bzw. Fälligstellung
des gesamten Kredites erfolgen.
Zweitens. Einrichtung eines unabhängigen Experten-
gremiums, das die Durchführung des Projektes in allen
Details untersucht und über diese regelmäßig an die drei
Exportkreditagenturen berichtet.
Drittens. Vereinbarte Quoten für den Mindestdurchfluss
zu den Unterliegern Irak und Syrien sowie eine Experten-
bewertung zu ihren Auswirkungen. Diese Maßnahmen
sichern eine unproblematische Wasserversorgung der
Grenzregionen ab.
Mit den vereinbarten Verbesserungen erreicht das
Projekt nun auch Weltbank-Standard und erfüllt damit
die Anforderungen der OECD-Umweltleitlinien, der
Common Approaches. Sogar der renommierte Umsied-
lungsexperte Professor Dr. Michael Cernea, der dem
Staudammprojekt bislang kritisch gegenüberstand,
wurde von den erzielten Ergebnissen überzeugt und wird
den Bauprozess als unabhängiger internationaler Experte
begleiten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken und
vom Bündnis 90/Die Grünen, mit diesen neueren Verein-
barungen sind wir bereits über den Stand hinaus, der Ihren
Anträgen zugrunde liegt und die schon deshalb abzulehnen
sind. Außerdem bin ich der Meinung, wir sollten es uns
nicht zu einfach machen und uns nicht aus der Ver-
antwortung stehlen, indem wir das Großprojekt Ilisu
boykottieren. Stattdessen sollte die Bundesrepublik
Deutschland in Verantwortung für Mensch und Umwelt
in der Region daran arbeiten, ihren Einfluss auf die
Gestaltung des Projekts zu erhalten, und sich bei der
Durchführung des Baus konsequent für die Einhaltung
wesentlicher sozialer und ökologischer Standards einsetzen.
Gabriele Groneberg (SPD): Wie derzeit den türki-
schen Zeitungen zu entnehmen ist, ist die türkische Re-
gierung fest entschlossen, das Ilisu-Staudammprojekt zu
realisieren. Wir können davon ausgehen, dass sie dies
auch ohne Beteiligung von deutscher, österreichischer
und schweizerischer Seite tun wird.
In gewisser Hinsicht habe ich dafür sogar Verständ-
nis. Man muss berücksichtigen, dass der türkische Ener-
giebedarf pro Jahr um sechs bis acht Prozent steigt. Vor
diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, dass auf eine
schnelle Realisierung des Projekts gedrängt wird.
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chließlich kann mit diesem Staudamm ein enormer Teil
ieses Bedarfs gedeckt werden, und zwar für circa zwei
illionen Haushalte.
Verständnis habe ich auch deshalb, weil wir, Deutsch-
and, die Schweiz und Österreich, Wasserkraft zur Ener-
iegewinnung nutzen. Denn wir alle wissen um die Vor-
eile, die mit der Stromerzeugung aus Wasserkraft
inhergehen.
Man muss in diesem Zusammenhang auch einen
ichtigen Punkt in der aktuellen Diskussion über die
uswirkungen des Klimawandels besonders betonen:
it dem Ilisu-Staudamm werden im Vergleich zur
tromerzeugung durch Kohlekraftwerke Millionen Ton-
en von Kohlendioxid im Jahr eingespart.
Wenn wir also über das gesamte Projekt reden, müs-
en wir die vorgenannten Argumente berücksichtigen.
ies darf uns aber nicht daran hindern, uns mit den ne-
ativen Auswirkungen zu beschäftigen, die die Realisie-
ung des Ilisu-Staudammprojekts nach sich zieht.
Eines möchte ich richtig stellen, auch wenn das einige
ichtregierungsorganisationen anders sehen mögen: Ge-
ade bei der Entscheidung über die Hermesbürgschaft
ür das Ilisu-Staudammprojekt haben wir uns keines-
egs unter Druck setzen lassen, im Gegenteil.
Bereits vor 10 Jahren wurde das Vorhaben zum Bau
es Staudamms auf den Weg gebracht. Gescheitert ist
ie Umsetzung im Jahr 2001 aufgrund ökologischer
nd sozialer Bedenken. Diese ökologischen und sozia-
en Bedenken sind sehr ernst genommen worden: In ei-
em außergewöhnlich aufwendigen Verfahren durch
ie deutschen, schweizerischen und österreichischen
andatargesellschaften ist die Förderungswürdigkeit
ieses Projekts geprüft worden. Unter Mitwirkung von
nternationalen Experten auf den Gebieten Kulturgüter,
kologie und Umsiedlung sind umfangreiche Verbes-
erungen erarbeitet und vereinbart worden. Selbst der
on Ihnen erwähnte Professor Cernea, der zuvor ein
ritisches Gutachten zum Staudammbau im Auftrag ei-
iger Nichtregierungsorganisationen verfasst hatte, hat
etzt die erzielten Ergebnisse positiv bewertet.
Mit den jetzt erreichten Verbesserungen wird das Pro-
ekt Weltbankstandardniveau erreichen und damit die
nforderungen der OECD-Umweltleitlinien, der „Com-
on Approaches“, erfüllen.
Vergessen wir zum Schluss eines nicht: Die türkische
egierung wird diesen Staudamm bauen – ob mit oder
hne uns. Positiven Einfluss auf die Durchführung die-
es Projektes können wir nur nehmen, solange wir durch
nsere Mandatargesellschaften am Bau des Staudamms
eteiligt sind. Nur auf diese Weise können wir sicherstel-
en, dass die sozialen und ökologischen Anforderungen
nd Bedingungen auch erfüllt werden.
Aus den von mir vorgetragenen Gründen müssen wir
ugunsten einer sozial und ökologisch verträglichen
urchführung des Staudammprojekts Ihre Anträge ab-
ehnen.
8656 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. März 2007
(A) )
(B) )
Rolf Hempelmann (SPD): Ilisu beschäftigt uns nun
schon bald ein Jahrzehnt. Fakt ist heute, dass das Stau-
dammprojekt umgesetzt wird, und zwar unabhängig da-
von, ob wir uns mit einer Exportkreditgarantie für das
Unternehmen Züblin daran beteiligen oder nicht. Ich
plädiere dafür, dass wir die deutlichen Fortschritte in der
Projektplanung anerkennen und mit unserer Beteiligung
sicherstellen, dass das Vereinbarte auch Wirklichkeit
wird.
Im Rahmen des Ostanatolienprojekts sieht die Türkei
vor, am Tigris einen Staudamm und ein Wasserkraftwerk
mit einer Gesamtkapazität von 1 200 Megawatt zu bauen.
Das hat viele Gemüter erregt. Das ursprüngliche Konsor-
tium hat sich 2001 aufgrund von umwelt- und sozialpoliti-
schen Bedenken aufgelöst. Es ist eine Tatsache, dass das
zur Absicherung beantragte Exportgeschäft für die Über-
nahme von Ausfuhrgewährleistungen die Kriterien der
Förderungswürdigkeit und der risikomäßigen Vertretbar-
keit erfüllen muss. Gerade bei der Beurteilung der Förde-
rungswürdigkeit spielen umweltpolitische Maßstäbe eine
wichtige Rolle. Für die Prüfung der Umwelt- und Sozial-
verträglichkeit richtet sich die Bundesregierung nach von
der OECD festgelegten Verfahrensregeln, Common Ap-
proaches, und ergänzend nach den Umweltleitlinien für
Exportkreditgarantien der Bundesrepublik. Maßgeblich
sind dabei die Standards der Weltbank. Im Jahr 2001 hat
das Ilisu-Projekt diesen internationalen Standards noch
nicht entsprochen. Ausschlaggebend für unsere Entschei-
dung heute müssen jedoch die tiefgreifenden Änderungen
sein, die das Projekt seitdem erfahren hat. Ein neues inter-
nationales Mandatarkonsortium hat sich zusammengefun-
den und in Zusammenarbeit mit der Bundesregierung,
Österreich und der Schweiz zahlreiche Auflagen für um-
welt- und sozialpolitische Verbesserungen mit der Türkei
ausgehandelt. Allein für diese Begleitmaßnahmen werden
neben den Gesamtkosten von 1,2 Milliarden Euro zusätz-
liche 800 Millionen Euro veranschlagt. Das Ilisu-Projekt
ist unter Berücksichtigung der neuen Auflagen nicht mehr
das gleiche. Einer der Verhandlungsführer bedauerte kürz-
lich, der einzige Fehler des Projekts sei nun eigentlich,
dass es noch immer den gleichen Namen trage.
Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass diese
Zugeständnisse an Umwelt und Bevölkerung, die die
Türkei gegenüber dem Konsortium gemacht hat, nur Re-
alität werden können, wenn wir uns mit einer Exportkre-
ditversicherung an dem Ilisu-Staudammprojekt beteili-
gen. Sonst bleibt es bei den kritikwürdigen Plänen von
2001.
Ich will einige Beispiele dafür nennen, was Ilisu heute
zu einem förderungswürdigen Projekt macht. Im Herzen
der Verhandlungen zwischen Mandatsträgern und dem
türkischen Besteller stand die Bevölkerung, die von den
Umsiedlungsmaßnahmen betroffen sein wird.
Insgesamt sind das etwa 50 000 Menschen. 10 000 bis
15 000 Menschen werden ihr Heim verlieren und ihre
Existenz an anderer Stelle neu aufbauen müssen. Das ist
kein leichter Eingriff. Deshalb galt es zunächst sicherzu-
stellen, dass die Menschen nicht allein mit Geld abge-
funden und dazu veranlasst werden, in die Armenviertel
der schon überfüllten Großstädte wie Diyarbakir abzu-
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andern. Die türkische Seite hat sich dazu verpflichtet,
eit stärker auf die individuellen Bedürfnisse der Be-
roffenen einzugehen als zuvor. Dabei soll allen Gruppen
auch Unterprivilegierten und Landlosen – die gleiche
ufmerksamkeit zukommen. Der Kernpunkt ist jedoch,
ass diese Menschen die Möglichkeit haben sollen, ihre
ebensgrundlage wiederherzustellen. Deshalb werden
ie frühzeitig und umfassend über Umsiedlungsmaßnah-
en informiert und können sich wahlweise für Land-für-
and-Entschädigungen oder Weiterbildungen entschei-
en. Der Projektbetreiber garantiert, 60 Prozent der Ar-
eitsplätze, die mit Bau und Betrieb des Wasserkraft-
erks neu entstehen, lokal zu besetzen.
Den Verhandlungsführern war an Nachhaltigkeit ge-
egen. Das betrifft auch die von der Überflutung bedroh-
en Kulturgüter von Hasankeyf. Sie sollen in einen neu
u errichtenden archäologischen Park überführt werden.
abei wird einerseits die Erhaltung der ebenfalls vom
atürlichen Verfall bedrohten archäologischen Schätze
ichergestellt. Die Türkei erhofft sich von dieser Lösung
edoch auch, den Tourismus als weitere Einkommens-
uelle für die Region auszubauen. Die hierfür anfallen-
en Arbeitsaufträge werden ebenfalls mindestens zur
älfte an die lokale Bevölkerung vergeben.
Das Projekt ist wiederholt auf seine Umweltverträg-
ichkeit und möglichen Auswirkungen auf Flora und
auna überprüft worden. Ein wichtiges Verhandlungser-
ebnis mit dem türkischen Besteller ist der Bau von drei
reistufigen Kläranlagen, um die Wasserqualität des Ti-
ris und des späteren Reservoirs zu gewährleisten. Heute
st die Situation katastrophal: In der Großstadt Diyarba-
ir fließt das Abwasser noch immer ungefiltert in den
igris. Ohne die Auflagen des internationalen Konsor-
iums wird sich die Türkei wahrscheinlich mit dem ur-
prünglich vorgesehenen Bau von zweistufigen Kläran-
agen begnügen. Deren Einsatzfähigkeit wäre unter
mständen erst in zehn bis 15 Jahren gegeben. Sagen
ir die Hermesdeckung zu, so wird eine fachübergrei-
ende Projekteinheit, Project Implementation Unit, über
ie Durchführung der Bauten sowie der vereinbarten Zu-
atzmaßnahmen wie den umweltgerechten Wasseraufbe-
eitungsanlagen wachen. Zusätzlich wird diesem Gre-
ium ein unabhängiges Team aus einheimischen und
nternationalen Experten beratend zur Seite stehen. Es
ird während der Bauzeit und der sogenannten kriti-
chen Phase der Wasserstauung über die Auswirkungen
uf Flora und Fauna wachen, und gegebenenfalls Ver-
eidungs- oder Minderungsmaßnahmen mit der türki-
chen Seite aushandeln.
Das Expertenkomitee ist seit Februar 2007 opera-
ionsfähig. Die auch zuvor teilweise in den Konsultati-
ns- und Prüfungsprozess einbezogenen Fachleute, unter
nderem für Umsiedlungsmaßnahmen und Umweltfra-
en, haben zu diesem Zeitpunkt festgestellt, dass die Er-
üllung der Vorbedingungen, an die die grundsätzliche
usage des IMA vom November 2006 gebunden war, als
ufriedenstellend erledigt betrachtet werden kann.
Die Nachrichten über die entscheidenden Fortschritte,
ie in den Verhandlungen mit den türkischen Bauherrn
rzielt werden konnten, scheinen noch nicht zu allen
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. März 2007 8657
(A) )
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vorgedrungen zu sein. So scheint es mir, wenn ich die
vorliegenden Anträge betrachte. Die Fraktion Die Linke
beruft sich beispielsweise auf das Gutachten eines ange-
sehenen Umsiedlungsexperten mit langjähriger Welt-
bank- und OECD-Erfahrung. Dieser Experte ist laut
Linksfraktion nicht von dem Projekt überzeugt. Nun ist
aber genau ihr Mann, nämlich Herr Professor Dr.
Michael M. Cernea, Mitglied jenes Expertengremiums,
das dem türkischen Besteller bei der Durchführung des
Ilisu-Projekts beratend zur Seite stehen wird. Wollen Sie
ihm nun unterstellen, dass er das Projekt aus seiner bera-
tenden Funktion heraus verhindern möchte?
Ein weiterer wichtiger Punkt sind die Wasserrechte
der Anrainerstaaten. Kritiker des Bauvorhabens fürch-
ten, dass die Stauung des Tigris Wasserkonflikte mit
dem Irak und Syrien schüren könnte. Wir können den
wasserpolitischen Konflikt um Euphrat und Tigris wohl
kaum dadurch lösen oder ihm entkommen, dass wir un-
sere Investitionen zurückziehen. Das Mandatarkonsor-
tium hat allerdings durchsetzen können, dass die iraki-
sche und die syrische Seite umfassend über das Projekt
informiert und zu Gesprächen in Ankara eingeladen
wurden. Der Staudammbetreiber garantiert zudem einen
ununterbrochenen Mindestdurchfluss von 60 Kubikme-
ter pro Sekunde.
Noch einmal: Wenn die Hermesdeckung nicht erteilt
wird, wird es ob der vielen Fortschritte beim guten Wil-
len bleiben. Die Durchsetzung der vereinbarten Besse-
rungsmaßnahmen hängt davon ab, dass wir dabei sind.
Spielen wir doch einmal durch, was passiert, wenn wir
uns aus dem Projekt zurückziehen. Die Türkei ist ein
Land, das wächst, wirtschaftlich und demografisch. Die
Stromnachfrage steigt entsprechend. Deshalb ist mit ho-
her Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Tür-
kei den Staudamm trotzdem bauen wird. Der türkische
Besteller verfügt für ein Vorgehen in Einzelprojekten
über ausreichenden finanziellen Spielraum. Ministerprä-
sident Erdoğan hat bereits im vergangenen Jahr den
Grundstein gelegt. Hinzu kommt, dass er sich ein so gro-
ßes Prestigeobjekt vor den im Mai anstehenden Wahlen
schwerlich nehmen lassen wird. Die deutsche Export-
wirtschaft verlöre einen äußerst lukrativen Auftrag im
Volumen von bis zu 150 Millionen Euro. Diese Arbeiten
könnten, so die Einschätzung von Fachleuten, chinesi-
sche Wettbewerber übernehmen, die bereits in Ankara an
entsprechende Türen klopfen.
Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass wir mit
einem Rückzug unsere Einflussmöglichkeiten auf die
Durchführung des Ilisu-Projekts verlieren würden.
China ist nicht an die OECD-Umweltleitlinien gebunden
und wird voraussichtlich weit weniger Wert auf ökologi-
sche Standards und die Beachtung regionaler Interessen
legen. Damit hätten wir nichts gewonnen.
Das Staudammprojekt von Ilisu birgt zum heutigen
Stand der Verhandlungen erhebliches Entwicklungs-
potenzial für Ostanatolien. Dazu trägt nicht nur die
nachhaltige Stromerzeugung aus einer erneuerbaren
Energiequelle bei, was uns allen am Herzen liegen
sollte, sondern auch umfassende Infrastrukturmaßnah-
men, neue Arbeitsplätze und Perspektiven im Touris-
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us. In den vergangenen Jahren haben Wien, Bern
nd Berlin ungewöhnlich eng mit Ankara zusammen-
earbeitet. Aufgrund dieser partnerschaftlichen Koo-
eration sind unsere Möglichkeiten, Einfluss auf die
urchführungsmaßnahmen zu nehmen, deutlich höher
ls in vergleichbaren Projekten.
Wir haben hier eine eindeutige Win-Win-Situation
nd deshalb bitte ich, den Antrag der Linken gegen eine
ermesdeckung abzulehnen. Der Antrag der Grünen
ird mit der offiziellen Feststellung der zufrieden stel-
enden Erfüllung der Vorbedingungen im Rahmen von
eltbankstandards hinfällig.
Gudrun Kopp (FDP): Der beabsichtigte Bau des
lisu-Staudamms ist in der Tat eine hochkomplexe und
chwierige Entscheidung, Viele Bedenken, die von den
ntragstellern in den beiden vorliegenden parlamentari-
chen Initiativen geäußert werden, erfordern tatsächlich
ine eingehende Prüfung.
Berücksichtigt werden müssen dabei jedoch nicht nur
ie konkreten Auswirkungen des Projekts, sondern auch
ie prinzipiellen Erwägungen, die einer Vergabe von Ex-
ortausfallbürgschaften durch die Bundesregierung zu-
runde liegen. Sowohl der Antrag der Linken als auch
er der Grünen schildern in epischer Breite die großen
robleme sicherheitspolitischer, kulturpolitischer, ökolo-
ischer und menschenrechtspolitischer Art, die mit dem
rojekt verbunden sind. Vieles von dem, was dort geäu-
ert wird, nimmt auch die FDP sehr ernst. Wobei ich mir
ie Frage stelle, wie das, was beide Fraktionen hier über
ie Türkei und ihr Verhalten in der vorliegenden Frage
ußern, eigentlich zusammenpasst mit dem vehementen
intreten derselben Fraktionen für einen möglichst zügi-
en Beitritt der Türkei zu Europäischen Union! Noch
ichtiger ist für uns als Liberale aber insbesondere die
rundsätzliche Frage, ob es wirklich richtig ist, dass hier
as Parlament in die Einzelprüfung derartiger Projekte
ingreift.
Aus diesem Grunde ist aus unserer Sicht der Antrag
er Linken in keiner Weise zustimmungsfähig. Es gibt
us guten Gründen einen Kriterienkatalog, der festlegt,
elche Projekte überhaupt geeignet sind, eine Hermes-
ürgschaft in Anspruch zu nehmen. Über die Ausgestal-
ung dieser Kriterien ließe sich in der Tat streiten, aber
as muss dann eben auch gemacht werden. Insofern ist
er hier vorliegende Antrag der Fraktion des Bündnis-
es 90/Die Grünen auch anders zu bewerten, weil Sie
mmerhin auch vorschlagen, nicht nur in diesem Einzel-
all eine Exportausfallbürgschaft zu verweigern, sondern
rundsätzlich argumentieren, dass es keine Hermesbürg-
chaften für große Wasserkraftwerke geben dürfe, wenn
iese den Empfehlungen und Standards der Weltstau-
ammkommission, WCD, nicht entsprechen.
Gleichwohl wird die FDP-Fraktion auch diesem An-
rag nicht zustimmen können, weil wir bei einer Güter-
bwägung zwischen den Auswirkungen des konkreten
rojektes und der von Ihnen angestrebten Veränderung
es Kriterienkatalogs zur Vergabe von Hermesbürg-
chaften zu anderen Ergebnissen gelangen als Sie. Für
ie FDP ist klar, dass wie im Bereich des Welthandels
8658 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. März 2007
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auch bei der Vergabe von Exportbürgschaften durch den
deutschen Staat vergabefremde Aspekte wie Umwelt-
und Sozialstandards keine Rolle spielen sollten. Die
Bundesrepublik Deutschland sollte sich nicht zum Zen-
sor der türkischen, indischen oder chinesischen Energie-
politik machen.
Wir als Liberale haben stets betont, dass die Nutzung
komparativer Kostenvorteile durch Entwicklungs- und
Schwellenländer völlig legitim ist. Deshalb ist der intel-
lektuelle Ansatz, diesen Ländern unsere weit fortge-
schrittenen Umwelt- und Sozialstandards aufzuzwin-
gen, nicht nur illegitim, er schadet auch der Entwicklung
dieser Staaten. Überträgt man nun diesen Grundgedan-
ken auf den vorliegenden Fall einer Hermesbürgschaft
für den Ilisu-Staudamm, so kommt man nicht umhin,
festzustellen, dass auch hier derartige Erwägungen keine
Rolle spielen sollten. Bei Hermesbürgschaften geht es
um die Exportförderung deutscher Unternehmen und
nicht darum, anderen Ländern unsere Standards aufzu-
zwingen.
Im Übrigen enthalten beide vorliegenden Anträge ei-
nen Duktus, der die Pläne zum Bau des Ilisu-Staudamms
in ein Licht taucht, als wäre dieses Projekt der Ausfluss
der Überlegungen einer dunklen Macht. Sie ignorieren
beide vollständig, dass es aus türkischer Sicht eben doch
auch gute Gründe für den Bau des Staudamms gibt. So
geht es immerhin um die Errichtung einer leistungsfähi-
gen Energieerzeugungsanlage auf Basis erneuerbarer
Energien, etwas was gerade die Grünen den Entwick-
lungs- und Schwellenländern bei jeder passenden und
unpassenden Gelegenheit ins Stammbuch schreiben.
Weiterhin kann das Projekt natürlich bei allen Schwie-
rigkeiten durchaus zur Entwicklung in einer bisher stark
benachteiligten Region der Türkei beitragen.
Alles in allem will ich zum Abschluss nicht verheh-
len, dass es sicherlich Projekte gibt, bei denen es eingän-
giger ist, dass es zu einer Hermesbürgschaft kommt.
Gleichwohl lehnt die FDP-Fraktion aus prinzipiellen
entwicklungs- und außenwirtschaftspolitischen Grün-
den beide vorliegenden Anträge ab.
Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE): In der Ent-
wicklungszusammenarbeit fordert die Bundesregierung
von anderen Staaten Transparenz. Sie fordert die soziale
und ökologische Nachhaltigkeit der beantragten Projekte.
Das nennt sie gute Regierungsführung. Leider scheint
dieses Prinzip immer nur für andere zu gelten.
In einer Antwort auf unsere Kleine Anfrage vom Juni
2006 verweigerte die Bundesregierung jegliche Auskunft
über den Entscheidungsfindungsprozess über die Bewilli-
gung einer Hermesbürgschaft zum Ilisu-Staudamm. Alles
sei noch in der Prüfung, so hieß es. Doch vor Abschluss
der Prüfungen erfuhren wir dann aus der Presse, dass die
türkische Regierung im August 2006 mit dem Bau
begonnen hatte. Gestern habe ich die Regierung gefragt
– konkreter geht es nicht –, ob heute im zuständigen
interministeriellen Ausschuss eine Entscheidung gefällt
würde. Erneut bekam ich keinerlei Auskunft. So bin ich
als Obmann im entwicklungspolitischen Ausschuss in
diese Plenarsitzung hineingegangen, ohne die offizielle
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altung der Bundesregierung in Erfahrung bringen zu
önnen. Das nenne ich mangelnde Transparenz oder
chlicht: schlechte Regierungsführung.
Diese Politik des Verschweigens und Vertuschens hat
inen Grund. Denn das Projekt selbst ist alles andere als
kologisch oder sozial nachhaltig. Der geplante Ilisu-
taudamm ist ein Umweltkiller. Experten sagen ein
ischsterben, die Zerstörung des Lebensraums bedrohter
ierarten und eine Zunahme von Malaria voraus. Der
taudamm ist ein Kulturkiller. Er wird Hasankeyf über-
luten und damit ein jahrtausendealtes Kulturdenkmal
erstören. Schließlich werden über 50 000 Menschen
wangsumgesiedelt werden.
Gegen diese Proteste haben sich Tausende Bewohner
er Region gewehrt. Der Bürgermeister von Hasankeyf
at öffentlich Nein gesagt. Sie wissen warum. Denn
uch die anderen Staudammprojekte im Rahmen des
Großanatolienprojektes“ GAP haben der lokalen
evölkerung massive Verschlechterungen gebracht.
enken wir nur an den Birecik-Staudamm, für den
0 000 Menschen zwangsumgesiedelt wurden. Statt der
on der türkischen Regierung versprochenen Wohl-
tandsmehrung wurde vielen Fischern und Bauern durch
as Absterben von Fischpopulationen und das Einsetzen
iner Bodenversalzung die Existenzgrundlage genommen.
ein Wunder, dass in der Türkei nun in der Presse darüber
pekuliert wird, ob zum Schutz der Bauarbeiten am Ilisu-
taudamm 5 000 Soldaten eingesetzt werden müssen.
Ein solches Wahnsinnsprojekt darf nicht durch eine
ermesbürgschaft unterstützt werden. Die Bundesregierung
ürde sich – wie bereits im Fall des berüchtigten Drei-
chluchten-Staudamms in China – mitschuldig machen
egenüber den Opfern einer menschenverachtenden
nergiepolitik. Und wofür das alles? Für ein Milliarden-
eschäft zum Nutzen von Großkonzernen wie die deutsche
üblin AG. Die Linke sagt: Die Lebensgrundlagen
ehntausender Menschen sind wichtiger als ihre Profite.
Es heißt, die türkische Regierung habe jetzt ein Ultima-
m gestellt. Die Regierungen Deutschlands, Österreichs
nd der Schweiz hätten sich bis Ende März für die bean-
ragte Exportkreditversicherung des Projektes in Höhe
on 100 Millionen Euro zu entscheiden; sonst werde neu
usgeschrieben. Na und? Die türkische Regierung beweist
amit lediglich, dass der Erpressungsversuch durch den
orgezogenen Baubeginn im Sommer 2006 nicht funktio-
iert hat. Tatsächlich nimmt aufgrund der immensen
osten des llisu-Staudammprojektes die Frage der Absi-
herung durch Exportkreditversicherungen eine zentrale
edeutung ein. Bereits 2002 scheiterte der Bau des Stau-
amms an den finanziellen Risiken. Das kann sich heute
iederholen, wenn die Bundesregierung ihrer internatio-
alen Verantwortung gerecht wird.
Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Ilisu-
taudamm in der Türkei ist ein skandalträchtiges Pro-
ekt. Der erste Bauversuch 2001/2002 ging schief, da
ich wegen der großen sozialen und ökologischen Risi-
en der größte Finanzier und einige Unternehmen aus
em Projekt zurückzogen. Doch auch beim zweiten An-
auf sind die grundlegenden Probleme des Projekts unge-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. März 2007 8659
(A) (C)
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löst. Zwar hat es inzwischen Nachbesserungen in der
Umweltverträglichkeitsprüfung und im Umsiedlungs-
plan gegeben, doch die ökologischen und sozialen Em-
pfehlungen und Standards der Weltstaudammkommis-
sion, WCD, für den Bau von großen Wasserkraftwerken
wurden wiederum nicht eingehalten.
Durch die Ende 2006 erfolgte Grundsatzentscheidung
zur Vergabe einer Hermesbürgschaft an das deutsche
Bauunternehmen Züblin für das Projekt macht die Bun-
desregierung sich mitschuldig an den vorhersehbaren
gravierenden sozialen und ökologischen Folgen sowie
den zu befürchtenden Konflikten mit den Nachbarstaa-
ten.
Die türkische Regierung treibt dieses Prestigeprojekt
mit dem Argument des wachsenden Energiebedarfs der
Türkei voran. Zwei Milliarden Euro sind dafür ange-
setzt. Dieses Geld wäre wesentlich sinnvoller in Projek-
ten für die örtliche Bevölkerung eingesetzt. Nachhaltige
Tourismusentwicklung sowie dezentrale Stromproduk-
Ilisu-Staudamms in der Türkei – unter anderem in den
Bereichen Umsiedlung, Umwelt, Kulturgüterschutz und
Wahrung der Interessen der Unterlieger – würde es keine
endgültige Zusage für die Erteilung von Hermesbürg-
schaften für den Bau des Staudamms geben.
Mehrfach wies die Bundesregierung darauf hin, dass
die Verhandlungsposition Deutschlands, Österreichs und
der Schweiz durch ihr gemeinsames Auftreten besonders
stark sei. Die Türkei sei sehr interessiert daran, dass der
Ilisu-Staudamm vom Konsortium deutscher, österreichi-
scher und Schweizer Unternehmen gebaut werde und
werde deshalb die Auflagen sicherlich schnell erfüllen,
Doch jetzt drängt die türkische Regierung darauf,
ohne Rücksicht auf diese Auflagen noch in diesem Jahr
den Bau zu starten, nicht ohne anklingen zu lassen, dies
auch dann zu forcieren, wenn aufgrund der zu erwarten-
den Proteste eine Absicherung durch 5 000 Soldaten nö-
tig sein sollte. Auch daher hat die türkische Regierung
eine Art Ultimatum gestellt: Sollte das oben genannte
tion aus Solarkraft und anderen nachhaltigen erneuerba-
ren Energiequellen würden die Region wirklich voran-
bringen. Außerdem ist der Energiebeitrag des
Staudamms gar nicht so notwendig. Durch Investitionen
in erneuerbare Energien und Energieeffizienz könnte der
Beitrag des Ilisu-Staudamms mit Leichtigkeit ersetzt
werden.
Die Bundesregierung handelt trotz ihrer Lippenbe-
kenntnisse zu nachhaltiger Entwicklung in diesem Fall
nicht nachhaltig. Sie müsste helfen, die Schätze des Ti-
gristals zu heben – nicht, sie durch den Staudammbau zu
zerstören. Sie macht sich mitschuldig am Untergang des
Kulturerbes der 10 000 Jahre alten Stadt Hasankeyf, de-
ren Aufnahme als Weltkulturerbe das Europaparlament
kürzlich vorgeschlagen hat.
Vor einigen Monaten war die Bundesregierung noch
zuversichtlich. Sie hatte der türkischen Regierung ge-
meinsam mit den Regierungen der Schweiz und Öster-
reichs ein – geheimes – Auflagenpaket abgerungen.
Ohne substanzielle Verbesserungen in der Planung des
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von der Türkei für die Durchführung des Gesamtpro-
ekts ausgewählte Lieferkonsortium hierzu bis Ende
ärz nicht in der Lage sein“, würde eine „Neuvergabe
n Tranchen“ vorgenommen. Das bedeutet eine Neuaus-
chreibung des Projekts an andere Firmen.
Zweifel am Interesse an einer Erfüllung der sozialen
nd ökologischen Auflagen durch die türkische Regie-
ung sind daher erlaubt. Es sieht ganz danach aus, dass
ie Auflagen offensichtlich noch nicht erfüllt wurden,
eschweige denn der notwendige neue Umsiedlungsplan
orgelegt wurde. Doch die Bundesregierung kuscht, wie
s in der Beantwortung einer Frage vom heutigen
. März nachzulesen ist: In diesem Fall – der Neuaus-
chreibung – würden die vereinbarten Verbesserungen
es Projekts … hinfällig. Wir Grünen rechnen jetzt da-
it, dass die Bundesregierung dem Unternehmen Züblin
ndgültig die Hermesbürgschaft zusagt. Wir stellen fest,
ass zur Wahrung der Unternehmensinteressen die Stan-
ards heruntergeschraubt werden. Soziale, kulturelle und
kologische Werte spielen nun beim Bau des Ilisu-Stau-
ammes keine Rolle mehr. Was für eine Blamage.
85. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 8. März 2007
Inhalt:
Redetext
Anlagen zum Stenografischen Bericht
Anlage 1
Anlage 2
Anlage 3
Anlage 4
Anlage 5
Anlage 6