Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. März 2007 8331
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        an dem erwähnten Untersuchungsausschuss beteiligt wa-Christian
        termingerechte Zulassung von Arzneimitteln. Der Pa-
        tientenschutz habe bei allen Entscheidungen absolute
        Priorität.
        An dieser Stelle möchte ich als einer der Politiker, die
        Dr. Schavan, Annette CDU/CSU 01.03.2007
        Schmidt (Fürth), CDU/CSU 01.03.2007
        Anlage 1
        Liste der entschuldigt
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        Abgeordnete(r)
        entschuldigt bis
        einschließlich
        Binding (Heidelberg),
        Lothar
        SPD 01.03.2007
        von Bismarck, Carl
        Eduard
        CDU/CSU 01.03.2007
        Frechen, Gabriele SPD 01.03.2007
        Gloser, Günter SPD 01.03.2007
        Götz, Peter CDU/CSU 01.03.2007
        Groneberg, Gabriele SPD 01.03.2007
        Hasselfeldt, Gerda CDU/CSU 01.03.2007
        Heller, Uda Carmen
        Freia
        CDU/CSU 01.03.2007
        Heynemann, Bernd CDU/CSU 01.03.2007
        Hilsberg, Stephan SPD 01.03.2007
        Irber, Brunhilde SPD 01.03.2007
        Dr. Jung, Franz Josef CDU/CSU 01.03.2007
        Kasparick, Ulrich SPD 01.03.2007
        Kleiminger, Christian SPD 01.03.2007
        Kolbow, Walter SPD 01.03.2007
        Dr. Koschorrek, Rolf CDU/CSU 01.03.2007
        Leibrecht, Harald FDP 01.03.2007
        Lopez, Helga SPD 01.03.2007
        Merten, Ulrike SPD 01.03.2007
        Möller, Kornelia DIE LINKE 01.03.2007
        Nouripour, Omid BÜNDNIS 90/
        DIE GRÜNEN
        01.03.2007
        Pronold, Florian SPD 01.03.2007
        Raidel, Hans CDU/CSU 01.03.2007
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        Anlagen zum Stenografischen Bericht
        en Abgeordneten
        nlage 2
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
        Errichtung einer Deutschen Arzneimittel- und
        Medizinproduktagentur (DAMA-Errichtungs-
        gesetz)
        Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Als Folge der Vor-
        ommnisse um HIV-infizierte Blutprodukte und der
        mpfehlungen des damaligen 3. Untersuchungsaus-
        chusses des Deutschen Bundestages wurde das Bundes-
        nstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, BfArM,
        or zehn Jahren neu organisiert. Es ist eine der größten
        rzneimittelzulassungsbehörden in der Europäischen
        nion und hatte in den vergangenen Jahren die größte
        nzahl von Zulassungs- und Nachzulassungsanträgen zu
        earbeiten. Darüber hinaus wirkt es intensiv im Rahmen
        er europäischen Zulassungsverfahren mit und leistet
        amit einen wichtigen Beitrag zum gesundheitlichen
        erbraucherschutz in Europa und Deutschland.
        Nach Angaben des Instituts konnte die durchschnittli-
        he Dauer für Arzneimittelzulassungen von über zwei
        ahren auf mittlerweile unter 200 Tage verkürzt werden.
        nzwischen werde Deutschland gleich oft bei europäi-
        chen Zulassungsverfahren beteiligt wie die zuvor füh-
        enden Länder Großbritannien und Niederlande. Somit
        teht das Institut inzwischen als Referenzbehörde ebenso
        ut da wie die Arzneimittelbehörden anderer Länder.
        In einer Pressemitteilung vom Juli 2005 konstatiert
        er kommissarische Chef des Instituts, Professor Kurth,
        ass die Neuorganisation und Umstrukturierung abge-
        chlossen sei und sich an internationalen Standards aus-
        ichte. Das neue flexible Leitungsmanagement ermögli-
        he nun schnelle und qualifizierte Entscheidungen.
        iese Umstrukturierung gewährleiste die schnelle und
        r. Schui, Herbert DIE LINKE 01.03.2007
        r. Seifert, Ilja DIE LINKE 01.03.2007
        hönnes, Franz SPD 01.03.2007
        ellenreuther, Ingo CDU/CSU 01.03.2007
        bgeordnete(r)
        entschuldigt bis
        einschließlich
        8332 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. März 2007
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        ren, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundes-
        instituts für Arzneimittel und Medizinprodukte für die
        geleistete Arbeit danken.
        Neben Qualität und Wirksamkeit ist die Unbedenk-
        lichkeit ein endscheidendes Kriterium bei der Beurtei-
        lung von Arzneimitteln. Bei der Neuorganisation des In-
        stituts hat die Politik deshalb einen Schwerpunkt auf die
        frühzeitige Erkennung von Arzneimittelrisiken gelegt.
        Ein wesentlicher Aspekt ist hierbei, das Vertrauen in
        staatliche Maßnahmen zur Risikoabwehr durch ein
        Höchstmaß an Transparenz zu untermauern.
        Nehmen wir das Beispiel der Zulassung von Arznei-
        mitteln. Es wird niemand ernsthaft behaupten wollen,
        dass unser Gesundheitswesen auf die Verdienste der
        Arzneimitteltherapie verzichten kann. Die Hoffnung vie-
        ler Menschen, die an noch nicht heilbaren Krankheiten
        leiden, ruht auf der pharmazeutischen Industrie. Selbst-
        verständlich können Arzneimittel sehr häufig auch
        Nebenwirkungen haben. Das lässt sich besonders bei
        hochwirksamen Medikamenten nicht vermeiden. Aber
        deshalb wird keiner auf die Idee kommen, diese Arznei-
        mittel, die Krankheiten heilen und Leiden mindern können,
        zu verbieten. Und die Patienten werden ganz sicher nicht
        auf Hilfen verzichten wollen, zu denen es keine wirksamen
        Alternativen gibt.
        Natürlich muss in jedem einzelnen Fall – und zwar
        nicht nur einmal, sondern ständig – geprüft und entschie-
        den werden, ob der Nutzen des Mittels die Risiken über-
        wiegt, sowohl bei der Zulassung von Medikamenten als
        auch bei jeder Anwendung beim Patienten. Verbraucher-
        und Patientenschutz müssen vor wirtschaftlichen Interes-
        sen stehen und die Mitarbeiter der Zulassungs- und
        Aufsichtsbehörden müssen bei diesem Kurs die volle
        Unterstützung der Politik haben.
        Die deutsche pharmazeutische Industrie hat eine
        großartige Vergangenheit und insbesondere in der Mitte
        des letzten Jahrhunderts Arzneimittel an führender Stelle
        mit entwickelt, die Leben gerettet und Krankheiten ver-
        hindert haben. Mit dieser innovativen Tätigkeit ist ein
        großer wirtschaftlicher Erfolg verbunden gewesen; nicht
        umsonst tragen deutsche Unternehmen erheblich zur posi-
        tiven Exportbilanz der Bundesrepublik Deutschland bei.
        Für die vergangenen 20 Jahre lässt sich aber konsta-
        tieren, dass der innovatorische Erfolg der deutschen
        pharmazeutischen Industrie im Vergleich zu den anderen
        großen Ländern, insbesondere den Vereinigten Staaten
        und Japan deutlich nachgelassen hat. Die forschende
        Arzneimittelindustrie ist in erster Linie für ihre Wettbe-
        werbsfähigkeit selbst verantwortlich. Kreativität und
        Optimierung der Abläufe im Unternehmen sind wahr-
        scheinlich die Schlüssel für den Erfolg in der Zukunft.
        Natürlich müssen im Zusammenhang mit der Arznei-
        mittelzulassung aber auch die Rahmenbedingungen für
        den Forschungs- und Wirtschaftsstandort Deutschland
        berücksichtigt werden. Die wirtschaftlichen Rahmenbe-
        dingungen für Innovationen im Arzneimittelbereich be-
        finden sich weltweit im Wandel, die schon erheblichen
        unternehmerischen Risiken im Innovationsprozess wer-
        den immer größer. Dies hängt mit der langen Dauer
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        ines Innovationsprozesses und mit den hohen Kosten
        ür die Entwicklung eines Arzneimittels zusammen. Das
        isiko wird verschärft durch den starken Wettbewerb
        wischen den einzelnen Unternehmen in wichtigen the-
        apeutischen Feldern. Zusätzlich verändern sich die
        arktsituationen in allen Ländern dadurch, dass nationale
        esundheitssysteme auf den Kostendruck reagieren.
        Die Koalition hat mit der aktuellen Gesundheitsre-
        orm einen Beitrag zu verbesserten Rahmenbedingungen
        ür Arzneimittelhersteller geschaffen: Wir wollen durch
        ehr Transparenz und internationale Standards die Wett-
        ewerbschancen für die deutschen Arzneimittel-
        ersteller verbessern. Die geplante Kosten-Nutzen-Be-
        ertung wird auf einer wissenschaftlich fundierten
        rundlage und unter Beteiligung der Hersteller erfolgen.
        Auch die Umwandlung des Bundesinstituts für Arz-
        eimittel und Medizinprodukte zu einer Arzneimittel-
        gentur hat das Ziel, die Rahmenbedingungen für Arz-
        eimittelhersteller zu verbessern. Ich unterstütze
        rundsätzlich eine Neuorganisation, die unbürokrati-
        chere Zulassungsverfahren, kürzere und transparentere
        bstimmungsprozesse mit den Herstellern und bessere
        ettbewerbschancen im internationalen Umfeld zum
        iel hat. All dies wird die Attraktivität und Effizienz der
        ulassungsbehörde steigern.
        Ich weise allerdings ausdrücklich darauf hin, dass bei
        ieser Neuorganisation die Arzneimittelüberwachung
        nd -sicherheit nicht zu kurz kommen dürfen. Sowohl
        er Contergan-Einstellungsbeschluss von 1971 als auch
        er Untersuchungsausschuss zu HIV-infizierten Blutpro-
        ukten von 1993 bis 1996 haben sehr deutlich gemacht,
        ass der Schutz der Gesundheit des Patienten höherrangig
        st als das Interesse des Herstellers an der ungehinderten
        ermarktung seines Produkts.
        Wir sollten daher die von Bundesärztekammer, Wis-
        enschaftlern und Krankenkassen geäußerte Kritik an
        em Gesetzentwurf sorgfältig prüfen. Das Thema ist es
        ert, gründlich und ohne Zeitdruck angegangen zu wer-
        en.
        Peter Friedrich (SPD): Die Standortbedingungen
        er pharmazeutischen Industrie werden maßgeblich
        urch das regulatorische Umfeld ihres Arzneimittel-
        arktes bestimmt. Die Industrie hat – zu Recht, wie ich
        eine – in den vergangenen Jahren wiederholt darauf
        erwiesen, dass die Zulassungsverfahren in Deutschland
        u lange dauern. Gesetzliche Fristen wurden überschrit-
        en, gelegentlich sogar ganz erheblich.
        Bereits in den zurückliegenden Jahren hat das Bundes-
        stitut für Arzneimittel und Medizinprodukte seine
        trukturen deutlich verbessert und die Verfahrensdauer
        tark verkürzt. Mit der Errichtung der Deutschen Arznei-
        ittel- und Medizinprodukteagentur, DAMA, gehen wir
        un jedoch einen Schritt weiter. Durch die Überführung
        es bisher bestehenden Bundesinstituts für Arzneimittel
        nd Medizinprodukte als Bundesbehörde in eine Agen-
        ur schaffen wir eine moderne Einrichtung, die in ihren
        ulassungs- und Bewertungsverfahren über eine größere
        lexibilität verfügt und qualifizierte Entscheidungen
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. März 2007 8333
        (A) )
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        schneller treffen kann, ohne jedoch Zugeständnisse bei
        den Sicherheitsstandards zu machen. Dieser Punkt ist
        mir besonders wichtig, weil beschleunigte Arzneimittel-
        zulassungsverfahren mitunter mit sinkenden Sicherheits-
        standards gleichgesetzt werden. Dies ist jedoch nicht der
        Fall.
        Die neu einzurichtende Agentur wird ihre Aufgaben
        weiterhin unter den Vorgaben und der Aufsicht des Bun-
        desgesundheitsminisieriums erfüllen. Sie wird sich dabei
        allerdings weniger behördentypisch ausrichten, sondern
        sich vermehrt am Markt orientieren und ökonomische
        Grundsätze stärker als bislang berücksichtigen. Damit
        setzen wir nicht nur das um, was in vielen unserer euro-
        päischen Nachbarländer bereits realisiert ist, sondern
        greifen zugleich die Empfehlungen auf, die eine hoch-
        rangige Arbeitsgruppe aus Regierungs-, Industrie- und
        Gewerkschaftsvertretern entwickelt hat. Neben ihrer
        Aufgabe als nationale Zulassungsbehörde neuer Arznei-
        mittel wird der DAMA auch die laufende Nutzen- und
        Risikobewertung der Arzneimittel nach ihrer Marktein-
        führung obliegen, was sich organisatorisch in einem
        zweiköpfigen Vorstand niederschlagen wird.
        Die durch die Errichtung der DAMA zu erwartenden
        Effizienzsteigerungen werden der deutschen Zulas-
        sungsstelle zu einer besseren Position im Netzwerk der
        in der EU bestehenden nationalen Behörden verhelfen.
        Dieses Netzwerk umfasst derzeit über 40 Institutionen,
        die allesamt der Europäischen Arzneimittelagentur,
        EMEA, zuarbeiten und an ihren Verfahren beteiligt sind.
        Mittelfristig ist damit zu rechnen, dass die europäische
        Zulassungsbehörde die Zahl derjenigen nationalen Ein-
        richtungen, die ihr unmittelbar zuarbeiten, deutlich redu-
        zieren wird. Mit der Errichtung der DAMA schaffen wir
        die Grundlage dafür, dass unsere nationale Zulassungs-
        stelle die besten Voraussetzungen für diesen Standort-
        wettbewerb bekommt.
        In europäischen wie nationalen Zulassungsverfahren
        wirken nationale Organisationen gleichermaßen mit, was
        eine effektive und auf hohem wissenschaftlichem Ni-
        veau arbeitende Behörde erfordert. Mit der DAMA
        schaffen wir eine Einrichtung, die im Konzert der Mit-
        gliedstaaten eine angemessene Rolle spielen kann. Wir
        freuen uns alle darüber, dass die pharmazeutische Indus-
        trie den Schritt hin zur DAMA heute begrüßt. Aber ich
        sage auch: Begrüßen allein reicht uns nicht.
        Wenn wir von der Politik aus die Forschungs- und Zu-
        lassungsbedingungen so deutlich verbessern, erwarten
        wir von denen, die das immer gefordert haben, dann
        auch Taten. Und da ist es natürlich eine Hiobsbotschaft,
        wenn wir heute in der Zeitung lesen, dass in Berlin bei
        Schering 950 Arbeitsplatze wegrationalisiert werden,
        oder wenn in meiner Heimatstadt Konstanz, wo das for-
        schende Unternehmen Altana von dem nichtforschenden
        Unternehmen Nycomed übernommen wurde, die Arbeit-
        nehmer aus der Zeitung vom neuen Chef erfahren, dass
        man zwar forschend bleiben will, aber just in der For-
        schung die meisten Stellen abbauen wird. Innovation im
        Pharmabereich braucht Kontinuität in der Forschungsan-
        strengung. Denn die eigentliche Wertschöpfung der Arz-
        neimittelindustrie liegt nicht in der Produktion, sondern
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        n der Forschung und in neuen Wirkstoffen und Thera-
        ien. Und deswegen ist es ein falsches Signal, wenn die
        usionitis unter den Pharmaunternehmen dazu führt,
        ass aus kurzfristigen Kapitalinteressen die eigentliche
        ukunft der Unternehmen eingespart wird, indem man
        ochqualifizierte Forscher an einem hochmodernen
        tandort auf die Straße setzt.
        Forschung funktioniert nicht auf Knopfdruck; das ha-
        en wir gerade bei dem Beispiel Altana oder Pfizer er-
        ebt. Mit der neuen DAMA bieten wir Planbarkeit, Ver-
        ässlichkeit und Geschwindigkeit in der Zulassung, ohne
        ie Sicherheit zu vernachlässigen. Und das Gleiche er-
        arten wir auch von der Industrie.
        Ich appelliere daher an die Industrie: Wir tun viel da-
        ür – auch mit diesem Gesetz –, die Standortbedingun-
        en permanent zu verbessern, und wir sind inzwischen
        ieder richtig gut. Nutzen Sie diese Möglichkeiten und
        andeln Sie als wirkliche Unternehmer und leben Sie
        icht von der Forschungssubstanz der letzten Jahre, son-
        ern schaffen Sie neue.
        Daniel Bahr (Münster) (FDP): Die FDP-Bundes-
        agsfraktion begrüßt grundsätzlich eine Reform des Bun-
        esinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte
        BfArM). Im Jahr 2001 hat eine Studie der Boston Con-
        ulting Group ein vernichtendes Urteil über die Effi-
        ienz, Transparenz und Reputation des BfArM gespro-
        hen. Mittlerweile ist einiges geschehen, um die
        rbeitsweise des BfArM zu verbessern. So sind Pro-
        esse rationalisiert, eine parallele Bearbeitung und inter-
        isziplinäre Teams eingeführt und die Organisation ins-
        esamt gestrafft worden.
        Allerdings ist die Bearbeitungszeit für Zulassungsan-
        räge unverändert lang und mit zurzeit etwa 17 Monaten
        om Ziel sieben Monate weit entfernt.
        Außerdem ist ein Bearbeitungsstau zu verzeichnen.
        ber 10 000 Anträge sind noch anhängig. Im Jahr 2005
        urden eben nur 6 500 Anträge beschieden.
        Im Wettbewerb der Zahlungsverfahren in Europa ist
        eutschland nur auf Platz fünf. Hersteller wählen leider
        ieber Großbritannien oder die Niederlande. Es ist unser
        ller Ziel, den Standort Deutschland bei der Zulassung
        ettbewerbsfähig zu machen. Deshalb unterstützt die
        DP-Bundestagsfraktion die Ziele dieses Gesetzes: Ab-
        au von Bürokratie, schnellere Zulassung, eine moderne,
        ffiziente und autonome Dienstleistungsagentur sollen
        rreicht werden.
        Werden sie auch erreicht? Wie ist es mit der ange-
        trebten Unabhängigkeit? Weiterhin bestimmt das Bun-
        esgesundheitsministerium den Vorstand und beruft den
        erwaltungsrat. Es vereinbart mit dem Vorstand Ziele,
        at Aufsichts- und Weisungsbefugnis und genehmigt
        atzung und Haushaltsplan.
        Allein der Name macht noch keine moderne Agentur.
        uch die Bundesanstalt für Arbeit wurde nicht effizien-
        er durch die Umbenennung. Und die Möglichkeit der
        esseren, das heißt höheren Bezahlung der Vorstände be-
        eutet noch keine moderne und effiziente Entschei-
        8334 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. März 2007
        (A) )
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        dungsstruktur. Wichtig ist uns der Einklang der Interes-
        sen von Patienten und Arzneimittelherstellern. Alle
        Vereinfachungen und Beschleunigungen im Zulassungs-
        verfahren müssen dahin gehend überprüft werden, ob
        größtmögliche Sicherheit für Patienten gewährleistet
        wird.
        Das mittelfristige Ziel, dass sich die DAMA vollstän-
        dig aus den bei der Arzneimittelzulassung erhobenen
        Gebühren finanziert, könnte zu Verwerfungen und Fehl-
        anreizen führen. In den weiteren Beratungen wollen wir
        darüber gemeinsam sprechen. Wie beispielsweise die
        Pharmakovigilanz am besten zu finanzieren ist, wird zu
        diskutieren sein.
        Den kommenden Beratungen im Ausschuss stehen
        wir konstruktiv gegenüber.
        Frank Spieth (DIE LINKE): Seit 1994 regelt eine
        Bundesbehörde, das Bundesinstitut für Arzneimittel und
        Medizinprodukte (BfArM), die Zulassung von Arznei-
        mitteln. Diese ist auch für die Medikamentensicherheit
        zuständig. Warum will die Bundesregierung jetzt dieses
        bestehende, funktionierende und bewährte Bundesinstitut
        auflösen und an dessen Stelle eine Deutsche Arzneimittel-
        und Medizinprodukteagentur (DAMA) setzen? Ist dieser
        Schritt nötig und zielführend? Was kann eine Agentur
        besser machen als dieses Institut? Nach Ansicht der
        Pharmaindustrie ist das jetzt zuständige BfArM zu langsam
        und ineffektiv. Die Bundesregierung folgt mit dem
        Gesetzentwurf offenkundig dieser Kritik und will das
        Zulassungsverfahren im Interesse der Industrie gestalten.
        Wir Linken fragen: Ist dies im Interesse der Bevölke-
        rung, der Patientinnen und Patienten?
        Der Großteil der Neuzulassungen besteht aus Nach-
        ahmerpräparaten und Variationen schon existierender
        Medikamente. Welcher gesundheitliche Schaden entsteht
        für Patientinnen und Patienten, wenn diese erst ein paar
        Monate später auf den Markt kommen? Bei den wirklich
        innovativen Arzneimitteln für neuartige Therapien wird
        die neue Agentur zukünftig nicht mehr zum Zuge kommen,
        da die entscheidenden Zulassungen in einem zentralen
        Verfahren auf europäischer Ebene geregelt werden sollen.
        Was für die Patientinnen und Patienten allerdings
        wichtig ist: Leidet die Arzneimittelsicherheit durch die
        beabsichtigte Umstrukturierung? Namhafte Gesundheits-
        experten schlagen Alarm, weil sie befürchten, dass die
        Verkürzung der Zulassungsprüfung das Sicherheitsniveau
        absinken lässt.
        Dazu nur ein kurzer Blick über die Landesgrenzen:
        Die einst so strenge und vorbildliche US-Behörde FDA
        wurde industriefreundlich umstrukturiert, und seitdem
        häufen sich Arzneimittelskandale in USA. Auch in
        Großbritannien mussten wiederholt Medikamente vom
        Markt genommen werden, nachdem sie von der an
        Schnelligkeit kaum zu überbietenden britischen Behörde
        MCA zugelassen worden waren. Die Arzneimittelsicher-
        heit sinkt zwangsläufig, wenn die DAMA und die anderen
        nationalen Zulassungsbehörden im europäischen Raum
        miteinander konkurrieren und sich gegenseitig in der
        Bearbeitungszeit unterbieten.
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        Wird die DAMA von der Bundesregierung nicht gera-
        ezu in eine industriefreundliche Haltung gedrängt, da
        ie finanziell zukünftig aufwachsend fast vollständig von
        er Pharmaindustrie abhängig sein wird? Ab 2012 muss
        ie DAMA sämtliche Kosten der Arzneimittelzulassung
        ber Gebühren und Entgelte der Industrie erwirtschaften.
        uss daher nicht befürchtet werden, dass diese neue
        ulassungsbehörde möglichst viele Arzneimittel in mög-
        ichst kurzer Zeit genehmigt, da sie sonst betriebswirt-
        chaftlich nicht überlebensfähig ist? Und wird nicht der
        weiköpfige Vorstand sogar ein ganz persönliches Interesse
        n einem solchen industriefreundlichen Verfahren haben,
        a dessen Vergütung auch erfolgsorientiert sein soll?
        Die Mitglieder des Verwaltungsrats, dem Kontrollorgan
        ber Vorstandsentscheidungen, sollen von den Bundes-
        inisterien für Gesundheit, Finanzen, Wirtschaft und
        echnologie sowie Bildung und Forschung berufen
        erden. Ich frage für die Linksfraktion: Ist in dieser
        truktur die Beteiligung von Patientenvertretern und
        erbraucherschutz gewährleistet? Besteht bei der jetzt
        orgesehenen Struktur nicht eher die Gefahr, dass vor-
        angig ökonomische Interessen wahrgenommen werden?
        ann dies die Struktur für eine Aufsichtsbehörde sein,
        ie Patientinnen und Patienten und ihre Krankenkassen
        or teuren und unnötigen Scheininnovationen schützt
        nd risikoreiche unsichere Arzneimittel von vorneherein
        usschließt?
        Der Gesetzentwurf muss genau entlang dieser Fragen
        uf seine Akzeptanz hin überprüft werden. Die Interessen
        on Patientinnen und Patienten dürfen nicht auf der
        trecke bleiben. Es ist zu erwarten, dass die Sachver-
        tändigen sich ähnlich kritisch äußern werden. Ich hoffe
        ur, dass wir hier eine ideologiefreie sachorientierte Rege-
        ng gemeinsam zustande bekommen, im Interesse aller
        eteiligten.
        Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
        eutschland als „Apotheke der Welt“ – das war einmal.
        nzwischen ist Deutschland als Pharmastandort hinter
        ndere Länder zurückgefallen. Das liegt auch daran, dass
        s hierzulande den Arzneimittelherstellern lange Zeit zu
        infach gemacht wurde, mit Scheininnovationen gut zu
        erdienen. Dementsprechend gering waren die Anreize,
        iel Geld in die Arzneimittelforschung zu investieren.
        Daran hat sich unter dem Druck der steigenden Arz-
        eimittelausgaben glücklicherweise etwas geändert, im
        ahmen der Gesundheitsreform 2004 wurde die Festbe-
        ragsregelung auch auf Scheininnovationen ausgeweitet.
        azu kommt mit der gerade beschlossenen Gesundheits-
        eform endlich – die bei der letzten Reform noch von der
        nion verhinderte – längst überfällige Kosten-Nutzen-
        ewertung von Arzneimitteln.
        Aber die Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche
        harmabranche gehen über Anreize im Krankenversi-
        herungssystem hinaus. Dazu gehören auch leistungsfä-
        ige Strukturen der Zulassung und Qualitätssicherung
        on Arzneimitteln. Und hier gibt es in Deutschland
        urchaus noch einiges zu verbessern.
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. März 2007 8335
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        Die Zulassung von Arzneimitteln dauert in Deutsch-
        land deutlich länger als in den meisten anderen Staaten.
        Das ist nicht nur ein zusätzliches Kostenrisiko für die
        Arzneimittelhersteller; das führt auch dazu, dass Arznei-
        mittelinnovationen erst mit Zeitverzögerung in die Ge-
        sundheitsversorgung kommen. Gleichzeitig ist die syste-
        matische Beobachtung, Sammlung und Auswertung von
        Risiken bereits zugelassener Arzneimittel immer noch
        unzureichend.
        Angesichts dieser Defizite halten wir Änderungen im
        Zulassungsprozess und den Ausbau der Pharmakovigi-
        lanz für erforderlich. Deshalb teilen wir die mit dem vor-
        liegenden Gesetzesentwurf verfolgten Ziele.
        Allerdings müssen wir uns über eines im Klaren sein:
        Wirtschafts- und gesundheitspolitische Ziele können
        sich überlappen. So liegt zum Beispiel eine schnellere
        Arzneimittelzulassung sowohl im Interesse der Pharma-
        industrie als auch in dem des schwer erkrankten Patien-
        ten, der auf ein neues Arzneimittel wartet. Aber sie sind
        längst nicht immer deckungsgleich. Die Gewinnerwar-
        tungen der Pharmaunternehmen und die Anforderungen
        an eine hohe Arzneimittelsicherheit können auch in den
        Gegensatz zueinander geraten.
        Kritikerinnen und Kritiker des Gesetzesvorhabens ha-
        ben deshalb in den vergangenen Jahren vielfach gewarnt,
        durch die vorgesehene Finanzierungsstruktur würde die
        neue Arzneimittelagentur in eine unheilvolle Abhängig-
        keit von der Pharmaindustrie geraten. Außerdem sei die
        Phamakovigilanz nicht hinreichend unabhängig ausge-
        staltet. Sie dürfe nicht in derselben Institution wie die
        Zulassung erfolgen.
        Auf diese und andere Kritik sollten wir in den anste-
        henden Gesetzesberatungen gründlich eingehen. Ich plä-
        diere dafür, den Gesetzesentwurf auf den Prüfstand zu
        heben. Die Arzneimittelsicherheit und die Wettbewerbs-
        bedingungen der Pharmabranche dürfen nicht gegenei-
        nander ausgespielt werden.
        Rolf Schwanitz, Parl. Staatssekretär bei der Bundes-
        ministerin für Gesundheit: Wir befassen uns heute mit
        dem Gesetz zur Errichtung der Deutschen Arzneimittel-
        und Medizinprodukteagentur – kurz DAMA. Sie soll das
        bisherige Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizin-
        produkte (BfArM) ablösen.
        Mit dem Regierungsentwurf zur Errichtung der
        DAMA will die Bundesregierung die Sicherheit von
        Arzneimitteln und Medizinprodukten erhöhen und einen
        wichtigen Beitrag für den Pharmastandort Deutschland
        leisten.
        Für die Pharmaindustrie schaffen wir eine moderne
        Zulassungsstelle, die den Wirtschafts- und Wissenschafts-
        standort Deutschland im internationalen Wettbewerb
        nachhaltig stärken wird. Gerade im europäischen Kontext
        wird dies immer wichtiger, weil die Arzneimittelbehörden
        ihre Aufgaben mehr und mehr im europäischen Verbund
        wahrnehmen und dabei auf die Dauer nur besonders
        kompetente, leistungsfähige und flexible Agenturen
        konkurrenzfähig sind. Die stark mittelständisch geprägte
        deutsche Arzneimittelindustrie braucht einen starken
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        artner in Deutschland, um sich in Europa wirksam zu
        ositionieren. Und was ebenso wichtig ist: Von einer
        odernen und effizient arbeitenden Agentur profitieren
        or allem die Patientinnen und Patienten. Denn eine höhere
        eistungsfähigkeit stärkt auch die Arzneimittelsicherheit.
        Ich will kurz erläutern, was der Gesetzentwurf zur Er-
        ichtung der neuen DAMA vorsieht:
        In organisatorischer Hinsicht wird eine bisher präsi-
        ial geleitete Bundesbehörde in eine moderne Agentur
        mgewandelt. Wichtige Kennzeichen dieser Agentur
        ind ihre weitreichende Autonomie, ihre eigene Rechts-
        ersönlichkeit und ihr modernes, an internationalen
        tandards ausgerichtetes Leitungsmanagement. Durch
        iese Organisationsform erhält die DAMA die erforder-
        iche Flexibilität, um als ebenbürtiger Akteur im interna-
        ionalen und insbesondere im europäischen Wettbewerb
        er Zulassungsstellen bestehen zu können.
        Gleichzeitig und gleichgewichtig mit den Fortent-
        icklungen im Zulassungsbereich soll im Interesse der
        rzneimittelsicherheit und zum Schutz der Bürgerinnen
        nd Bürger in Deutschland die sogenannte Pharmako-
        igilanz – das ist die fortlaufende Überwachung der Arz-
        eimittel nach deren Markteinführung – entscheidend
        estärkt werden. Zu diesem Zweck wird die Pharmako-
        igilanz unter dem Dach der DAMA als Bundesstelle
        achliche Eigenständigkeit besitzen. Dies wird insbeson-
        ere durch die Trennung der Zuständigkeiten für die
        harmakovigilanz von der Arzneimittelzulassung im
        weiköpfigen Vorstand der DAMA sichergestellt.
        Modernes Leitungsmanagement durch einen Vorstand
        edeutet insbesondere: flexible Vertragsgestaltung für die
        eiden Mitglieder des Vorstandes (im Rahmen privat-
        echtlicher Zeitverträge), Möglichkeit eines leistungs-
        ezogenen Anteils der Vergütung aufgrund von abzu-
        chließenden Zielvereinbarungen, selbstverständlich in
        ezug auf alle Aufgabenstellungen der DAMA, Möglich-
        eit der Gewinnung von Spitzenkräften, ausgewiesen
        urch wissenschaftliche Leistungen auf internationalem
        iveau bzw. mit ausgewiesenem betriebs- und volks-
        irtschaftlichem Sachverstand. Hierdurch wird eine
        ichtige Voraussetzung für ein effektives und auf hohem
        issenstand stehendes Zulassungsmanagement geschaffen.
        Die angestrebte weitgehende Autonomie der DAMA
        ird auch bei der Finanzierung berücksichtigt. Deshalb
        rhält die DAMA nur noch während einer Übergangszeit
        ür alle Aufgabenbereiche einen Bundeszuschuss. Dieser
        st der Höhe nach begrenzt und beträgt zunächst knapp
        0 Millionen Euro. Bis zum Jahr 2012 wird der Zuschuss
        tufenweise auf circa 10 Millionen Euro zurückgeführt.
        Diese Konzeption beruht im wesentlichen auf zwei
        unkten. Ab dem Jahr 2012 sollen die Ausgaben im
        ereich der Arzneimittelzulassung vollständig über
        ebühren gedeckt werden. Hingegen ist die Beibehaltung
        ines dauerhaften Bundeszuschusses für diejenigen Auf-
        abenbereiche der DAMA erforderlich, die im besonderen
        nteresse der allgemeinen Gesundheitsvorsorge liegen.
        iese Bereiche – dazu zählt insbesondere die Pharmako-
        igilanz, aber auch die Forschung oder die Bundesopium-
        telle – können und sollen vorwiegend aus öffentlichen
        8336 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. März 2007
        (A) )
        (B) )
        Mitteln finanziert werden. Selbst wenn sich daraus höhere
        Gebühren ergeben, bedeutet dies im Ergebnis keine Mehr-
        kosten für die Arzneimittelhersteller. Im Gegenteil wird
        sich die Reduzierung der Zulassungszeiten – durch straffere
        Organisation bei voller Wahrung der erforderlichen
        Prüftiefe – in dem gesetzlich vorgeschriebenen Rahmen
        – 210 Tage – zum finanziellen Vorteil für die Arzneimittel-
        hersteller auswirken.
        Ich bin überzeugt, dass mit der neuen DAMA eine inter-
        national und vor allem in Europa zukunftsfähige Arznei-
        mittelagentur geschaffen wird.
        Anlage 3
        Zu Protokoll gegebene Rede
        zur Beratung der Anträge
        – Den Europäischen Gerichtshof für Men-
        schenrechte vor dem Kollaps bewahren
        – Den Erfolg des Europäischen Gerichtshofs
        für Menschenrecht durch die konsequente
        Befolgung seiner Urteile sichern
        – Den Europäischen Gerichtshof für Men-
        schenrechte stärken
        (Tagesordnungspunkte 14 a bis c)
        Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der
        Bundesministerin für Justiz: Dass wir heute diese De-
        batte über den Menschenrechtsschutz in Europa führen,
        ist gut und wichtig. Wir haben mit dem Europäischen
        Gerichtshof für Menschenrechte eine äußerst wirksame
        Institution, die unsere Aufmerksamkeit und Unterstüt-
        zung verdient.
        Fünf Punkte möchte ich ansprechen. Erstens. Der Eu-
        ropäische Gerichtshof für Menschenrechte hat eine
        große Besonderheit, wenn wir ihn mit den meisten ande-
        ren internationalen Gerichten vergleichen: die Men-
        schenrechtsbeschwerde. Jeder Mensch, der in Europa
        lebt – und das sind circa 800 Millionen –, kann sein
        Menschenrechtsproblem nach Straßburg tragen. Die
        deutsche Richterin dort, Renate Jaeger, hat gesagt, es sei
        ein Wunder, dass es ein solches System gebe, bei dem
        auch Russland zu den Mitgliedern gehöre. Ich füge
        hinzu: Wunder oder nicht – es ist eine höchst sinnvolle
        und für die Menschen in Europa beruhigende Kontrolle
        aller Regierungen. Manchmal ist es eben erst der Blick
        von außen, der einen Fall in das rechte Licht rückt. Wir
        sollten auch daran denken, dass viele Beschwerdeführer
        in langen Auseinandersetzungen das Vertrauen in ihren
        Staat verloren haben. Für diese Menschen ist Straßburg
        häufig die letzte, manchmal auch die einzige Hoffnung.
        Zweitens. Wir haben – gemeinsam mit den anderen
        europäischen Staaten – schon etwas für den Europäi-
        schen Gerichtshof für Menschenrechte getan. Ich spre-
        che von der Ratifizierung des 14. Protokolls, das uns
        auch hier im Bundestag beschäftigt hat. Dieses Protokoll
        wird nach Schätzungen des Gerichtshofs eine Kapazi-
        tätssteigerung von circa 25 Prozent ermöglichen. Leider
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        ird sein Inkrafttreten durch Russland blockiert. Russ-
        and ist der einzige Staat, der noch nicht ratifiziert. Nur
        enn alle Europaratsmitglieder ratifiziert haben, kann
        as 14. Protokoll in Kraft treten und dem Gerichtshof
        elfen. Die Bundesregierung wird das Thema ,,14. Pro-
        okoll“ bei jeder Gelegenheit mit Russland ansprechen.
        ie Bundeskanzlerin hat das bereits bei ihrem Treffen
        it Präsident Putin in Sotschi getan.
        Drittens. Das 14. Protokoll wird nicht ausreichen; bei
        inem Bestand von circa 90 000 Beschwerden müssen
        ir weiter denken. Der Bericht der sogenannten Weisen
        iegt als Grundlage vor. Ich bin besonders froh, dass Frau
        rofessor Limbach als deutsche Teilnehmerin in diesem
        remium vertreten war. Wenn Sie sich den Weisenrats-
        ericht anschauen, wird klar: Vieles kann nur durch die
        itgliedstaaten selbst getan werden. Ausreichende
        echtsbehelfe, eine gut funktionierende Justiz – das sind
        ittel, mit denen man vielleicht nicht die Anzahl der
        eschwerden, aber doch die Anzahl der begründeten Be-
        chwerden senken kann. Damit sind wir an einem ent-
        cheidenden Punkt: Auch die vielen unbegründeten und
        nzulässigen Beschwerden müssen beschieden werden.
        an kann die Arbeit an diesen Fällen rationalisieren,
        ber man kann sie nicht abschaffen. Aus dieser Erkennt-
        is hat der Weisenrat ein sogenanntes Judicial Commit-
        ee vorgeschlagen, ein zusätzliches richterliches Gre-
        ium. Möglicherweise ist dies ein Ausweg.
        Damit bin ich bei meinem vierten Punkt. Umsonst
        ird die Reform des Gerichtshofs nicht zu haben sein.
        atürlich müssen wir so wirtschaftlich wie möglich vor-
        ehen. Natürlich müssen auch andere Tätigkeitsgebiete
        es Europarats auf den Prüfstand gestellt werden. Den-
        och muss man mit Zusatzkosten rechnen. Aber aus
        einer Sicht kann man das Geld kaum besser anlegen,
        enn man Rechtsstaat und Menschenrechte in Europa
        tützen will.
        Ein letzter Punkt: Dieses Menschenrechtssystem in
        traßburg, das wir nun alle so gelobt haben, kann natür-
        ich nur funktionieren, wenn die Urteile des Gerichtshofs
        uch befolgt werden. Manche Staaten vergessen, dass sie
        ich durch Art. 46 der Konvention verpflichtet haben,
        ämtliche Urteile des Gerichtshofs zu befolgen. Ich bin
        eshalb sehr froh, dass sich die Parlamentarische Ver-
        ammlung dieses Themas angenommen hat und nun de-
        en Mitglieder in ihren 46 Heimatstaaten Initiativen ent-
        alten, um die Umsetzung der Urteile zu verbessern. Das
        undesministerium der Justiz informiert den Deutschen
        undestag auch heute schon über die Urteile in deut-
        chen Fällen. Wir fertigen seit einigen Jahren eine Über-
        icht über alle Urteile und Entscheidungen in deutschen
        ällen an, die auch dem Bundestag überreicht wird. Wir
        ind natürlich gerne bereit, den Ausschüssen des Deut-
        chen Bundestages auch im Einzelfall Rede und Antwort
        u stehen.
        Es wird häufig gesagt, dass der Europäische Gerichts-
        of für Menschenrechte ein Opfer seines eigenen Erfolgs
        st. Das ist wohl wahr. Aber wir sollten alles daranset-
        en, ihn aus dieser Opferrolle zu befreien und ihn zu be-
        ähigen, frei und unabhängig, nur an Gesetz und Recht
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. März 2007 8337
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        gebunden, für die Menschenrechte in Europa zu arbei-
        ten.
        Anlage 4
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Antrags: Bürokratieabbau in
        Europa – Kein Freibrief zum Abbau von Arbeits-
        und Umweltschutz (Tagesordnungspunkt 16)
        Kai Wegner (CDU/CSU): Mit einem Maßnahmen-
        bündel zur besseren Rechtsetzung in der Europäischen
        Union hat die Kommission Anfang des Jahres 2005 ein
        Zeichen für weniger Bürokratie und eine effizientere
        Verwaltung gesetzt.
        Der Kommissionspräsident José Manuel Barroso be-
        zeichnete dieses längst überfällige Bekenntnis zum Bü-
        rokratieabbau als den besten Weg, um – ich zitiere – „die
        Verwirklichung unserer ehrgeizigen Ziele für Wirtschaft,
        Gesellschaft und Lebensqualität unserer Bürger voran-
        zutreiben“.
        Dieses Zitat belegt, dass der Antrag der Linksfrak-
        tion, den wir heute diskutieren, weniger mit der Wahr-
        heit, sondern viel mehr mit dem Schüren von Ängsten in
        der Bevölkerung zu tun hat. Niemand hat vor, unter dem
        Deckmantel des Bürokratieabbaus heimlich Arbeits- und
        Umweltschutzstandards zu streichen. Richtigerweise
        geht es um die Vereinfachung und Verbesserung der Ver-
        ständlichkeit von europäischem Recht, und zwar im
        Sinne aller Bürger der EU.
        Um dies zu gewährleisten, nimmt die Europäische
        Kommission bereits heute eine Folgenabschätzung ihrer
        Rechtsakte vor. Diese Abschätzung bezieht sowohl wirt-
        schaftliche als auch soziale und Umweltfolgen ein. Da-
        rüber hinaus wird dieses zugegebenermaßen noch junge
        Instrument ständig evaluiert und weiterentwickelt.
        Überregulierung wie bei der allseits bekannten „EU-
        Gurkenverordnung“ wird damit in Zukunft hoffentlich
        ausgeschlossen. In dieser Verordnung wird auch die
        Form einer Gurke gesetzlich festgeschrieben. Mit der bi-
        zarren Vorgabe, dass Gurken auf 10 Zentimeter Länge
        nur maximal 10 Millimeter Krümmung aufweisen dür-
        fen, haben wir es laut EU-Norm nur dann mit einer wohl
        geformten Gurke zu tun, wenn sie praktisch gerade ist.
        Zweifelsohne werden sich schlaue Menschen sehr lange
        über die Verordnung Gedanken gemacht haben. Aber
        diese Entscheidung sollte Brüssel dem mündigen Bürger
        wohl lieber selbst überlassen!
        Neben der Frage, inwieweit bestimmte Vorschriften
        wirklich notwendig sind, ist auch die Art und Weise, wie
        wir Bürokratie organisieren, zu hinterfragen. So kann die
        Ausnutzung bestehender technischer Möglichkeiten zu
        einer erheblichen Effizienzsteigerung der Verwaltung
        führen. Deutschland hat hier mit Projekten wie der elek-
        tronischen Lohnsteuererklärung Neuland betreten.
        Es gibt deshalb auch keinen Grund, Entbürokratisie-
        rung und Deregulierung zu verteufeln. Denn wo immer
        Freiheit durch unnötige bürokratische Regelungen ein-
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        eschränkt wird, erlahmen nicht nur unternehmerische
        igeninitiative und Innovationskraft, sondern Beschäfti-
        ungschancen gehen ebenfalls verloren. Dafür, Kolle-
        innen und Kollegen von der Linksfraktion, darf es
        elbstverständlich keinen Freibrief geben!
        Die Kommission setzte sich im Jahr 2005 das Ziel, in
        rei Jahren 222 Rechtsakte zu vereinfachen, neu zu
        chreiben oder – falls möglich – abzuschaffen.
        Die Zwischenbilanz fällt jedoch ernüchternd aus: Von
        4 Rechtsakten, die im vergangenen Jahr überprüft wer-
        en sollten, konnten lediglich die Hälfte abgeschlossen
        erden. Die Umsetzung des Bürokratieabbaus in der EU
        eht sehr viel langsamer als geplant voran.
        Umso erfreulicher war die Ankündigung der Bundes-
        anzlerin, das Thema Bürokratieabbau mit Beginn der
        eutschen Ratspräsidentschaft wieder verstärkt auf die
        agesordnung der Europäischen Union zu bringen.
        Der deutschen Initiative kommt gerade deshalb eine
        entrale Bedeutung in der EU zu, weil sie nicht nur be-
        eits eingeleitete Maßnahmen ergänzt, sondern diese
        benfalls weiter vorantreiben und in ihrer Wirksamkeit
        erstärken wird.
        Obwohl es noch keine verlässliche Berechnung der
        ürokratiekosten in Europa gibt, gehen Schätzungen
        on einem Volumen von 324 bis 600 Milliarden Euro
        us. Die Europäische Kommission hat in ihrer aktuellen
        itteilung „Strategische Überlegungen zur Verbesse-
        ung der Rechtsetzung in der Europäischen Union“ den
        irtschaftlichen Nutzen eines Abbaus von unnötigen
        erwaltungslasten um 25 Prozent – im Übrigen ohne Be-
        inträchtigung von deren Zielsetzung – auf 150 Milliar-
        en Euro beziffert.
        Der erste Schritt, um dieses Potenzial nutzbar zu ma-
        hen, wurde indes unter der deutschen Ratspräsident-
        chaft schon getan. Denn Kommission und Mitgliedstaa-
        en haben sich jüngst darauf festgelegt, ein verbindliches
        eduktionsziel bei den Informationspflichten von 25 Pro-
        ent bis zum Jahr 2012 zu erreichen.
        Damit nicht genug. Die Bundesregierung unterstützt
        arüber hinaus die Herangehensweise der Kommission,
        unächst Regelungskomplexe, die aufgrund der Erfah-
        ungen in den Niederlanden und in Dänemark mit beson-
        ers hohen Bürokratiekosten verbunden sind, zu verein-
        achen. Die Maßnahme, die bereits zum Frühjahrsgipfel
        erabschiedet werden könnte, würde die Belastungen
        er Unternehmen mit einem Schlag um 1,3 Milliarden
        uro pro Jahr senken.
        Um bessere Rechtsetzung und Bürokratieabbau auch
        uf europäischer Ebene zu realisieren, bedarf es ent-
        chlossener Schritte. Die deutsche Ratspräsidentschaft
        st meiner Meinung nach gemeinsam mit der Kommis-
        ion auf dem besten Weg, nachhaltig Bürokratie abzu-
        auen und Europa einfacher und für den Bürger ver-
        tändlicher zu machen.
        Mit dem Normenkontrollrat und der Einführung des
        tandardkostenmodells haben Bundesregierung und
        undestag die Weichen für eine nachhaltige Bürokratie-
        ostenentlastung gestellt. Damit es aber insgesamt zu ei-
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        ner wirksamen Entlastung von Unternehmen, Bürgern
        und Verwaltung kommt, darf gerade die europäische
        Ebene beim Abbau von unnötiger Bürokratie nicht feh-
        len.
        Gerne möchte ich meine Rede mit einem Zitat aus der
        Regierungserklärung der Bundeskanzlerin und amtieren-
        den Ratspräsidentin beschließen: Lassen Sie uns die
        Wachstumsbremsen lösen! Lassen Sie uns selbst be-
        freien von Bürokratie und altbackenen Verordnungen!
        Axel Schäfer (Bochum) (SPD): Erstens. Debatten
        über europäische Dimension von Politik führen wir nicht
        einfach entlang klassischer Grenzen von Regierungs-
        und Oppositionsparteien. Deshalb ist auch der vorlie-
        gende Antrag wichtig zu nehmen. Zugleich bringt es we-
        nig, wenn die Linksfraktion hier bereits in der Über-
        schrift mit polemischen Unterstellungen arbeitet.
        Das EU-Programm sagt ausdrücklich, dass die Verrin-
        gerung der Verwaltungslasten bei gleichzeitig weiterhin
        geltenden hohen Standards zu erreichen ist. Für die
        SPD-Fraktion jedenfalls kann ich versichern, dass wir
        auf die Einhaltung dieser Zusage große Aufmerksamkeit
        legen werden.
        Zweitens. Die Kommission verfolgt schon seit länge-
        rem das Ziel einer besseren Rechtsetzung. Ergänzt hat
        sie dies jüngst durch ein Aktionsprogramm zur Verringe-
        rung der Verwaltungslasten in der EU. Die Ziele der
        Kommission sind zu unterstützen, sowohl, was das gene-
        relle Thema besserer Rechtsetzung angeht, als auch, was
        das neue Programm zur Verringerung der Verwaltungs-
        lasten angeht.
        Neben den eigentlichen Regelungsinhalten sind ver-
        ständlichere, klarere und überschaubarere Rechtstexte
        ein wichtiges Ziel beim gesetzgeberischen Handeln. Das
        ist die Grundidee von besserer Rechtsetzung. Ebenso
        sinnvoll ist es, die möglichen Folgen von neuen Rechts-
        akten im Voraus zu beurteilen. Deshalb ist die von der
        Kommission durchgeführte umfassende Folgenabschät-
        zung ein gutes Instrument. Aber Politik ist keine Natur-
        wissenschaft. Sie sollte sich die Folgen ihres Handelns,
        soweit es eben möglich ist, vorab bewusst machen. Dies
        aber ersetzt nicht den Willen, die zunehmend komplexer
        werdende Welt zum Wohl der Menschen zu gestalten.
        Die Mitgliedstaaten haben den Ansatz der Folgenab-
        schätzung der Kommission zu Recht unterstützt. Dann
        müssen sie aber auch vor der eigenen Haustüre kehren:
        Auf europäischer Ebene bei der Folgenabschätzung,
        was die Änderungen durch den Ministerrat betrifft:
        Diese sind zum Teil sehr erheblich und können zu deut-
        lich anderen Ergebnissen führen. Es wäre nur konse-
        quent, wenn auch sie einer Folgenabschätzung unterzo-
        gen würden. Bisher stäubt sich der Ministerrat dagegen.
        Auf nationaler Ebene bei der Entlastung von Bürokra-
        tiekosten: Es macht Sinn, Unternehmen dadurch zu ent-
        lasten, dass beispielsweise Meldepflichten auf einfa-
        chere und schnellere Art erfüllt werden können. Ziel des
        Aktionsprogramms der Kommission ist es, die durch
        EU-Vorschriften verursachten Verwaltungskosten um
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        5 Prozent zu reduzieren. Ein wichtiges Ziel, denn Un-
        ernehmen können sich auf ihre eigentliche Tätigkeit,
        as effiziente Produzieren und Wirtschaften zum Wohle
        es Unternehmens und seiner Arbeitnehmer, konzentrie-
        en. Dieses Ziel ist jede Anstrengung wert. Wenn damit
        atsächlich die enormen Entlastungs- und Wachstumsef-
        ekte ausgelöst werden können, wie manche erhoffen,
        äre das sehr begrüßenswert.
        Wenn dies aber ein so wichtiges Ziel ist, sollten auch
        ie Mitgliedstaaten sich um die Verringerung der Belas-
        ungen bemühen. Es gibt Widerstand gegen eine in Pro-
        ent bemessene verbindliche Vorgabe. Dies ist teilweise
        erständlich, etwa bei den neuen Mitgliedstaaten, die ih-
        en gesamten Rechtsbestand an EU-Vorgaben angepasst
        aben. Jetzt die Gesetzgebungs- und Verwaltungsma-
        chine erneut anzuwerfen und die Dinge umzukrempeln,
        ann auch schädlich sein. Aber zumindest sollte doch
        as prinzipielle Ziel der Entlastung auch auf der nationa-
        en Ebene unbestritten sein.
        Drittens. Die Diskussion über Bürokratieabbau und
        essere Gesetzgebung wird verstärkt unter dem Schlag-
        ort „Diskontinuität bei EU-Gesetzesvorhaben“ geführt.
        ie SPD lehnt diese Position als generellen politischen
        nsatz ab. Der Ansatz der Befürworter entspricht einer
        ein deutschen Sicht auf eine spezifisch europäische Si-
        uation. Während in Deutschland der Bundestag ent-
        cheidender Gesetzgeber ist und die Länder nur über den
        undesrat an gesamtstaatlichen Legislativakten mitwir-
        en, gibt es in der EU faktisch ein Zweikammersystem,
        n dem das Europäische Parlament und der Rat zumeist
        leichberechtigt sind. Allerdings sitzt der Rat immer
        och oft am längeren Hebel. Während es in Deutschland
        in festes Verfahren mit Zeitplänen gibt, ist dies in der
        U mitnichten der Fall. Würde man also in Europa am
        nde der Legislaturperiode alle Gesetzesverfahren in
        en Papierkorb werfen, würde nur der Rat gewinnen: Er
        ennt keine Legislaturperioden.
        Was genauso wichtig ist: Die Kommission ist als Hü-
        erin der Verträge und Motor der Gemeinschaft mit ei-
        em exklusiven Initiativrecht ausgestattet. Sie wurde zu
        eginn des Einigungsprozesses geschaffen, weil man al-
        en Formen der Regierungszusammenarbeit nicht mehr
        nd neuen Formen der Supranationalität einer Volksver-
        retung noch nicht vertraute. Diese Konstruktion sui ge-
        eris ist bekanntlich mit dem Nationalstaat nicht gleich-
        usetzen. Auch geht es an der Sache vorbei, dass ständig
        on bestimmten Konservativen und Liberalen gegen die
        ürokratische Bevormundung aus Europa gewettert
        ird, wo jeder wissen sollte, dass hinter den meisten
        ommissionsinitiativen entweder die Verpflichtungen
        er Verträge oder aber konkrete Wünsche aus den Mit-
        liedstaaten stehen. Wer mit einem Finger auf die Kom-
        ission zeigt, auf den weisen oft vier Finger zurück.
        Viertens. Die Linkspartei fordert mehr Bürgerbeteili-
        ung bei besserer europäischer Gesetzgebung. Recht hat
        ie. Unrecht hat sie aber, weil die PDS/WASG die EU-
        erfassung ablehnt. Denn im Vertragsentwurf Art. 47
        bs. 4 steht ausdrücklich, dass im Rahmen der partizipa-
        orischen Demokratie auch Bürgerinitiativen – mit min-
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. März 2007 8339
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        destens einer Million Unterschriften – als neue Beteili-
        gungsmöglichkeit vorgesehen sind.
        Christian Ahrendt (FDP): Wir brauchen in Europa
        nicht mehr Bürokratie, sondern deutlich weniger. Büro-
        kratieabbau ist auch kein Arbeitsplatzkiller. Die Formel
        lautet anders: Weniger Bürokratie heißt mehr Wirtschafts-
        wachstum und damit mehr Arbeitsplätze.
        Wir haben die Regierungserklärung der Bundeskanz-
        lerin heute Morgen gehört. Bis 2011 soll die Bürokratie
        in Europa um 25 Prozent abgebaut werden.
        Die europäische Kommission erwartet eine nachhal-
        tige Entlastung der Unternehmen und neue Wachstums-
        impulse. Wir brauchen also keine Anträge zur Rettung
        der Bürokratie, sondern Initiativen zu deren Abbau.
        Man muss sich einfach deutlich machen, welche kon-
        kreten Folgen die ausufernden Regeln für die Menschen
        mit sich bringen: Die höchste Erhebung in Mecklenburg-
        Vorpommern erreicht stolze 179 Meter über dem Mee-
        resspiegel.
        Dieser Berg verfehlt also nur knapp das Niveau der
        Zugspitze. Deswegen brauchte er ein Seilbahngesetz.
        Ohne dieses wichtige Gesetz wäre es uns in Mecklen-
        burg-Vorpommern nicht möglich, eine Kabinenbahn hi-
        nauf auf den mit 179 Metern höchsten Berg des Landes zu
        bauen und ihn für die Menschen zu erschließen. Tatsa-
        che ist natürlich, dass der Berggipfel gut zu Fuß erreich-
        bar ist und Seilbahngondeln hierfür nicht benötigt wer-
        den. Tatsache ist aber auch, dass wir trotzdem ein
        Seilbahngesetz in Mecklenburg-Vorpommern haben, das
        nach allen Regeln der parlamentarischen Demokratie das
        Gesetzgebungsverfahren durchlaufen hat. Hätte der
        Landtag das Gesetz nicht verabschiedet, wären Strafgel-
        der in Höhe von rund 791 000 Euro nach Brüssel zu zah-
        len gewesen.
        Die Reihe von Beispielen unsinniger Vorschriften
        lässt sich fortsetzen – ich will in meinem Bundesland
        bleiben –: Sie wissen, Mecklenburg-Vorpommern ist in
        Deutschland Tourismusland Nummer eins. Gerade in
        diesem Wirtschaftszweig entstehen viele Arbeitsplätze.
        Dazu gehören zahlreiche Minijobs, was auf das Sai-
        songeschäft in dieser Branche zurückzuführen ist.
        Wichtigste Aufgabe eines Gastronomen ist die zu-
        frieden stellende Bewirtung seiner Gäste. Stattdessen
        plagen diese Unternehmer umfangreiche Meldepflich-
        ten. Bei jedem neuen Einsatz muss eine Aushilfe an-
        und wieder abgemeldet werden. Das ist nun nicht mit ei-
        nem Anruf getan. Das wäre auch zu einfach. Stattdessen
        müssen jedes Mal von neuem umfangreiche Fragebögen
        ausgefüllt werden, um der Meldepflicht ordnungsgemäß
        nachzukommen.
        Die meisten Betriebe bei uns im Land sind Klein- und
        Kleinstbetriebe. Die Zahl der Angestellten liegt in den
        meisten Unternehmen bei zehn bis 20 Angestellten.
        Die bürokratiebedingten Kosten liegen für einen Be-
        schäftigten der gerade genannten Betriebsgröße bei
        2 782 Euro pro Mitarbeiter und Jahr. Das heißt, ein klei-
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        es Unternehmen mit zehn Mitarbeitern wird im Jahr mit
        2 820 Euro belastet.
        Solche Kosten sind nicht hinnehmbar. Die ausufernde
        ürokratie ist zu einem gefährlichen Jobkiller geworden.
        enn das Geld für Melde- und Statistikpflichten fehlt
        en Unternehmen für Investitionen. Und schon sind wir
        ieder bei der ganz einfachen eingangs schon erwähnten
        ormel: Geringere Bürokratiekosten schaffen wirtschaft-
        iches Wachstum, und wirtschaftliches Wachstum schafft
        rbeitsplätze.
        Der Antrag der PDS geht deswegen in die falsche
        ichtung. Eine Initiative für den Bürokratieabbau wäre
        ie bessere Alternative gewesen, zumal die Bundesre-
        ierung über Ankündigungen nicht hinausgekommen ist.
        enn entgegen den Bekundungen von Frau Bundeskanz-
        erin Merkel, auch in Deutschland 25 Prozent Bürokratie
        bzubauen, wird mit dem Normenkontrollrat und der vor
        enigen Wochen beschlossenen Gesundheitsreform Bü-
        okratie aufgebaut.
        An die Adresse der Regierung bleibt deswegen nur zu
        ppellieren: Nehmen Sie die Gesundheitsreform zurück,
        ann haben Sie schon einen guten Schritt in Richtung
        ürokratieabbau geleistet, auch wenn damit nur auf den
        ufbau einer neuen Bürokratie verzichtet würde.
        Sabine Zimmermann (DIE LINKE): Die Europäi-
        che Union hat sich in den letzten Jahren immer weit
        on den Menschen weg entwickelt. Warum? – Eine inte-
        essante Antwort gab Arbeitsminister Müntefering in ei-
        em Interview am letzten Wochenende: Die EU stehe
        ei vielen Menschen für Ökonomie und Wettbewerb,
        icht aber für sichere Arbeitsplätze und soziale Gerech-
        igkeit.
        Das ist eine Analyse, die die Linke teilt. Genau diesen
        urs verschärft jedoch die Bundesregierung in ihrer EU-
        atspräsidentschaft. Sie unterstützt ein Aktionspro-
        ramm der Europäischen Kommission für eine bessere
        echtsetzung, gern auch als Bürokratieabbau bezeich-
        et.
        In der Öffentlichkeit wird behauptet, hier werden
        berflüssige Vorschriften und Gesetze abgebaut, um die
        irtschaft von gesetzlichen Auflagen und Meldepflich-
        en zu befreien. Schon lange kritisieren jedoch Gewerk-
        chaften und Umweltverbände: Hier werden unter dem
        eckmantel des Bürokratieabbaus soziale Rechte von
        rbeitnehmern und Umweltschutz abgebaut.
        Ich erinnere nur an die sogenannte Sonnenschutz-
        ichtlinie. Ursprünglich sollte diese EU-Vorschrift Ar-
        eitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor übermäßiger
        onneneinstrahlung und damit möglichen Hautkrebser-
        rankungen schützen. Die Gewerkschaft der Bauarbeiter
        tellt völlig richtig fest: Bei der als bürokratisch diffa-
        ierten Richtlinie gehe es nicht um Regelungswut und
        raxisferne Gesetze, sondern um die Gesundheit und das
        ackte Leben von Menschen, die körperlich hart arbeiten
        nd dabei stunden- und tagelang der heißen Sonne aus-
        esetzt sind. In der dann „entbürokratisierten“ Richtlinie
        ar von übermäßiger UV-Strahlenbelastung nichts mehr
        u lesen.
        8340 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. März 2007
        (A) )
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        Die Maßnahmen der EU zum Bürokratieabbau sind
        grundsätzlich falsch aufgestellt: Sie messen die angeb-
        lich finanziellen Belastungen für Unternehmen, nicht
        aber den gesellschaftlichen Nutzen.
        Dieser „Bürokratieabbau“ hat nichts mit einer besse-
        ren Rechtssetzung zu tun, sondern ist ein sozialer Rück-
        schritt.
        Deshalb haben wir als Linke den vorliegenden Antrag
        eingebracht. Die Linke streitet dafür, den bisherigen
        Kurs des Bürokratieabbaus mit seiner einseitigen Aus-
        richtung auf die Interessen der Wirtschaft zu korrigieren.
        Die Linke will Gewerkschaften, Sozial- und Umwelt-
        verbände stärker in das Verfahren einer besseren Recht-
        setzung einbeziehen. Die Linke will Vorschriften und
        gesetzliche Regelungen zu allererst nach ihrem gesell-
        schaftliche Nutzen beurteilt wissen und nicht nur nach
        dem Aufwand und den Kosten, die möglicherweise für
        Unternehmen entstehen.
        „Gesetze fesseln die Kräfte des freien Marktes“, das
        war die Botschaft von Bundeskanzlerin Angela Merkel
        zum Thema Bürokratieabbau und Freiheit auf dem Welt-
        wirtschaftsforum in Davos im letzten Jahr.
        Die Linke ist der Ansicht, solche Fesseln sind not-
        wendig. Sozial- und Umweltgesetze müssen verteidigt
        und ausgebaut werden. Alles andere wäre eine Rückkehr
        zum Kapitalismus des 19. Jahrhunderts.
        Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
        Die europäische Initiative „Better Regulation“ hat das
        Ziel, bestehende Bürokratiekosten auf der europäischen
        Ebene abzubauen. Dazu soll endlich ein einheitliches eu-
        ropäisches Verfahren zur Messung von Bürokratiekosten
        durchgesetzt werden. Bis 2012 sollen die Verwaltungs-
        kosten insgesamt um 25 Prozent gesenkt werden.
        Die Vorschläge der EU-Kommission gehen aus mei-
        ner Sicht in die richtige Richtung. Ich halte gar nichts
        davon, bei der Diskussion um Bürokratieabbau von ei-
        nem Extrem ins andere zu fallen. Die FDP tut regelmä-
        ßig so, als ob Regelungen und Bürokratie prinzipiell von
        Übel seien. Dies gilt insbesondere dann, wenn damit so-
        ziale und ökologische Standards gesetzt werden sollen.
        Die Linkspartei vermutet hinter jeder Diskussion über
        Bürokratieabbau nichts anderes als den Abbau von so-
        zialen und ökologischen Standards.
        Ich meine, wir sollten es uns mit solchen Stereotypen
        nicht zu leicht machen. Selbstverständlich brauchen wir
        eine effiziente und handlungsfähige Bürokratie, um ei-
        nen sozialen und ökologischen Ordnungsrahmen zu set-
        zen, in dem sich Markt und Wettbewerb frei entfalten
        können. Wettbewerb braucht Spielregeln und eine effi-
        ziente Verwaltung, die diese Spielregeln definiert und
        durchsetzt. Bürokratie ist daher kein Selbstzweck. Rich-
        tig ist aber auch, dass nur eine effiziente, schlanke und
        transparente Regulierung den Marktteilnehmern klare
        Vorgaben gibt und sie in die Lage versetzt, gute Ergeb-
        nisse zu produzieren. Das hat für uns nichts mit dem Ab-
        bau von sozialen und ökologischen Standards zu tun. Im
        Gegenteil. Für uns gilt: Schlanke und effiziente Verwal-
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        ungen sind Voraussetzung, um soziale und ökologische
        tandards wirksam durchzusetzen.
        Mit der Schaffung des europäischen Binnenmarktes
        nd der Europäischen Union sind vielerlei Rechtset-
        ungskompetenzen auf die europäische Ebene verlagert
        orden. Dabei haben wir es häufig mit überkomplexen
        egulierungen zu tun oder mit Regelungen, die vollstän-
        ig überflüssig erscheinen. Besonders pikant erscheint
        ir dabei, dass dieser Unsinn häufig das Ergebnis politi-
        cher Tauschgeschäfte im europäischen Ministerrat ist,
        n der deutsche Regierungsvertreter, auch von der Lan-
        esebene, kräftig mitgewirkt haben.
        Ich begrüße es daher, wenn nun auf europäischer
        bene der Versuch unternommen wird, eine bessere Re-
        ulierung durchzusetzen und Verwaltung effizienter und
        chlagkräftiger zu organisieren. Darüber hinaus sollen
        ie Unternehmen von überflüssigen Kosten entlastet
        erden. Dies ist insbesondere für mittelständische Un-
        ernehmen von großer Bedeutung. In diesem Zusam-
        enhang möchte ich auch auf die Notwendigkeit einer
        inheitlichen europäischen Bemessungsgrundlage bei
        er Unternehmensteuerreform hinweisen. Damit kön-
        en Hürden abgebaut werden, die das unterschiedliche
        teuerrecht gerade für kleine und mittlere Unternehmen
        arstellt und sie von grenzüberschreitenden Aktivitäten
        bhält.
        Wir werden im Ausschuss noch Gelegenheit haben
        uf Einzelheiten des Antrages der Linksfraktion und der
        U-Initiative „Better Regulation“ einzugehen. Eines
        ber schon mal vorweg: Ein aussagekräftiges und ein-
        eitliches europäisches Verfahren zur Messung von Bü-
        okratiekosten ist Voraussetzung, um beim Bürokratieab-
        au voranzukommen. EU-Kommissar Verheugen setzt
        abei auf das Standardkostenmodell. Damit sollen die
        osten, die den Unternehmen durch Informationsver-
        flichtungen entstehen, berechnet werden. Mit der Kos-
        enberechnung durch das Standardkostenmodell wird die
        ommission etwas besser wissen, wodurch Bürokratie-
        osten tatsächlich entstehen. Aber genau wie die Bun-
        esregierung fasst sie den Auftrag, der mit dem Stan-
        ardkostenmodell erfüllt werden soll, zu eng: Erfasst
        erden nur die durch Informationsverpflichtungen ent-
        tehenden Bürokratiekosten. Besser wäre es dagegen,
        lle administrativen Kosten als Bürokratiekosten zu defi-
        ieren, die durch öffentliche Anforderungen ausgelöst
        erden.
        nlage 5
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Antrags: Oldtimer von Fein-
        staub-Fahrverboten ausnehmen (Tagesordnungs-
        punkt 19)
        Dr. Andreas Scheuer (CDU/CSU): Im Deutschen
        undestag sind wir alle daran interessiert, dass es in
        eutschland keinen Fleckenteppich an Regelungen, egal
        n welchem Einzelbereich, gibt. Die Diskussion über das
        auchverbot zeigt doch, wie positiv Kompromisse zwi-
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. März 2007 8341
        (A) )
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        schen Bund und Länder aufgenommen werden. So soll
        es auch bei der Feinstaubdebatte und den damit einher-
        gehenden Fahrverboten sein. Wir erleben eine große
        Verunsicherung auf diesem Gebiet und ungeklärte Zu-
        ständigkeitsdiskussionen. Wann tritt was wo in Kraft?
        Ausgelöst wurde diese grundsätzliche Fragestellung
        durch Regelungen der europäischen Ebene. Subsidiarität
        ist an sich sehr gut und das politische Ziel meiner Frak-
        tion, Entscheidungen und Zuständigkeiten möglichst vor
        Ort zu treffen, trägt zur Stärkung der Ebenen vor Ort bei;
        das heißt in diesem Fall bei den Kommunen. Bei der
        Fahrverbotsdiskussion kann es aber dazu führen, dass
        ein Durcheinander der Regelungen und Verbote zu Ver-
        unsicherungen beim Bürger führt. Deshalb finde ich es
        gut, dass, wie bei einer Podiumsdiskussion beim
        DEUVGT, dem Oldtimerdachverband, im Meilenwerk
        Berlin vor ein paar Monaten, alle daran teilnehmenden
        Fraktionen – CDU/CSU, SPD und FDP – sich des The-
        mas angenommen haben, die FDP eine Kleine Anfrage an
        die Bundesregierung gestartet hat und auf dieser Basis
        den dieser Debatte zugrunde liegenden Antrag formu-
        liert hat.
        Es gibt 470 000 Oldtimer in Deutschland, davon sind
        fest angemeldet mit H-Kennzeichen, also dem speziellen
        Oldtimerkennzeichen, 153 000. Der Wirtschaftsbereich
        Oldtimer boomt. Wir freuen uns, dass es Meilenwerke
        oder Ofenwerke genauso wie andere Oldtimerzentren
        wie Gut Hitzeisberg am Chiemsee gibt, wo großartige
        Investitionen von Unternehmern getätigt wurden.
        Deutschland, das Tourismusland wird auch durch eine
        tolle Oldtimerszene aufgewertet. Viele Übernachtungen
        – in Europa 2,68 Millionen – werden von Oldtimer-
        fahrern gebucht. 16 Milliarden Euro werden nach einer
        Studie der FIVA, in der zehn EU-Länder untersucht wur-
        den, im Bereich der historischen Fahrzeuge umgesetzt.
        Das heißt für Deutschland alleine 4,8 Milliarden Euro
        mit etwa 55 000 Vollzeitbeschäftigten. In Deutschland
        gibt es 1,2 Millionen Oldtimerinteressierte, die auch auf-
        lagenstarke Fachzeitschriften konsumieren; eine Zahl
        von circa 900 000 kann man hier nennen. Das ist ein
        wirtschaftlich sehr interessanter Bereich.
        Dies alleine ist sicher keine Begründung für oder ge-
        gen Fahrverbote. Die emotionale Ebene ist aus meiner
        Sicht entscheidend. Wissen die Kommunalpolitiker, die
        auch die Oldtimer mit Fahrverbot belegen wollen, dass
        ihre Stadt dann von der Landkarte der Oldtimerfahrer,
        der Organisatoren von Oldtimerveranstaltungen gestrichen
        wird? Wie schön sind „Classic Days“ von Mercedes
        Benz am Salzburgring und in Salzburg, an der viele Tau-
        send Zuschauer teilnehmen. Welchen Marketingeffekt
        haben solche Veranstaltungen in den Regionen? Viele
        Autokonzerne nehmen den Oldtimer zur Imageverbesse-
        rung oder für Marketingzwecke sehr gerne, siehe aktu-
        elle Werbung von Volkswagen für den Golf.
        Wir alle stellen uns gerne auf ein Foto zur Eröffnung
        einer Oldtimerrallye, auch eine Kulturveranstaltung zur
        Pflege automobilen Kulturgutes. Vielleicht bin ich hier
        zu emotional, weil ich selbst dieses Hobby habe, alte Au-
        tos zu pflegen und – wenn es die Zeit erlaubt – auch – oh
        Wunder – zu fahren. Ich weiß, als überzeugter Verkehrs-
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        olitiker meiner Fraktion nerve ich oft meine Kolleginnen
        nd Kollegen mit meinem Enthusiasmus. Ich entschul-
        ige mich schon im Voraus für kommende Diskussionen
        afür.
        Die Oldtimer sind nicht eine Sache von wohlhabenden
        evölkerungsgruppen oder – wie sagt man – „den obe-
        en Zehntausend“. Nein, weiß Gott nicht. Nicht jeder hat
        inen 300 SL Flügeltürer oder einen Bugatti Monoposto
        n der Garage stehen. Viele junge Leute mit ihren Eltern
        usammen, schrauben in Hinterhofgaragen an einem
        olf I oder einem 02er BMW. Sie treffen sich – davon
        eiß ich selbst ein Lied zu singen – in Garagen mit
        leichgesinnten und sparen auf das nächste Ersatzteil
        ür eine Restauration, müssen da so manchen Kampf
        insichtlich der Freigabe der finanziellen Mittel in der
        amilie eingehen. Das ist die Realität der Alters- und
        inkommensverteilung von Oldtimerbesitzern. Nicht
        ur die in Hochglanzbroschüren abgebildeten Fahrzeug-
        xoten, sondern die Fahrzeuge aus dem Alltag längst
        ergangener Zeit machen den größten Teil des Fuhrparks
        us.
        Etwa 70 Prozent aller historischer Fahrzeuge haben
        ine Jahresfahrleistung von weniger als 1 500 Kilometer.
        9 Prozent der Fahrzeuge werden nur zwischen Ostern
        is Ende Oktober eines Jahres bewegt. Verglichen mit
        er durchschnittlichen jährlichen Kilometerleistung aller
        ahrzeuge haben Oldtimer einen Anteil von 0,07 Pro-
        ent am gesamten Straßenverkehr. Bei der Restaurierung
        ines Oldtimers wird weitestgehend Altmaterial in Stand
        esetzt, das ist weit weniger energieintensiv und umwelt-
        chonender als bei der Produktion von Neuwagen. Vor
        llem ist hier wirklich handwerkliche Fähigkeit gefragt,
        hne dass Roboter zum Einsatz kommen.
        Mit diesem Plädoyer für den Wirtschaftbereich Oldtimer
        abe ich einmal grundsätzlich die interessanten, positiven
        ntwicklungen dargestellt, zugegeben etwas stark mit
        erzblut versehen. Gespannt bin ich, wenn eine Old-
        imerveranstaltung stattfindet, ob die Mandatsträger sich
        obwohl sie sich für Fahrverbote ausgesprochen haben –
        och aufs Foto stellen. Die „Retro Classic“ in Stuttgart
        der die „Techno Classica“ in Essen werden im Frühjahr
        ie ersten Prüfsteine sein.
        Zudem ein kleiner Exkurs: Was machen Sie mit den
        chaustellern und Zirkusfahrzeugen? Sie sind oft auch
        it sehr altem und historischen Wagenmaterial ausge-
        tattet. Die müssen sich erst vor einem Volksfest die
        usnahmegenehmigung vor Ort besorgen, dass sie auf
        en Festplatz kommen. Ich wünsche dabei jetzt schon
        iel Spaß!
        Gespannt bin ich, wie beispielsweise der Regierende
        ürgermeister Berlins, Herr Wowereit, sich bei Veran-
        taltungen im Meilenwerk in der Wiebestraße äußert,
        enn die Fahrzeuge aufgrund des Fahrverbots nur noch
        u Ausstellungsstücken degradiert sind. Ein Oldtimer-
        esitzer, der in den Plexiglasgaragen seinen Wagen hier
        ingestellt hat, braucht einen Trailer oder Hubschrauber,
        m den Wagen an die Stadtgrenze Berlins zu transportie-
        en, abzusetzen und dann nach dem Ortsschild Berlins
        osfahren zu können. Den Wahnsinn erkennt man dann,
        enn das Zugfahrzeug des Autoanhängers zum Beispiel
        8342 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. März 2007
        (A) )
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        ein Porsche Cayenne oder ein Q7 oder ein Toyota Land-
        cruiser ist, der einen heftigeren Ausstoß hat als der Old-
        timer selbst, der hinten drauf ist.
        Wir brauchen praktikable Lösungen. Deshalb bin ich
        dankbar für den Antrag der FDP-Fraktion. Lassen Sie
        uns gemeinsam diese offene Flanke beheben; denn die
        Bürger verstehen diesen Fleckenteppich doch nicht. Lassen
        Sie uns die Zuständigkeiten klären. Deshalb wird meine
        Fraktion vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages
        auch noch ein Gutachten einholen, wer was regeln kann
        und soll. Wir bitten die Bundesregierung, federführend
        das Verkehrsministerium und das Umweltministerium,
        mit den zuständigen Länderministerien und den kommu-
        nalen Spitzenverbänden hier eine Lösung zu erarbeiten.
        Wir haben steuerlich den Besitzern der roten 07er-Kenn-
        zeichen sicher schon einiges zugemutet. Lassen Sie uns
        überlegen, ob wir die H-Kennzeichen von der Fahrverbots-
        regelung ausnehmen und eine generelle Ausnahmeregelung
        mit der Schlüsselnummer 98 schaffen. Ich freue mich
        auf die Beratungen, um den Bereich Oldtimer im Lichte
        der Öffentlichkeit auch mal sehr positiv darzustellen und
        die Potenziale, die darin liegen. Ich appelliere an die
        Verbände, sich hierbei konstruktiv einzubringen. Meine
        Fraktion ist dazu bereit.
        Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD): In dem Antrag
        der FDP-Fraktion, über den wir uns hier unterhalten
        wollen, fehlt mir der Hinweis darauf, wieso Städte und
        Kommunen Fahrverbote in Umweltzonen aussprechen.
        Es klingt in Ihrem Text so, als ob die Fahrverbote erteilt
        werden, um die Liebhaber historischer Fahrzeuge zu
        ärgern, den Wirtschaftsfaktor kaputtzumachen und die
        Oldtimer-Werkstätten in den Zentren der Städte in den
        Ruin zu treiben. Der eigentliche Hintergrund für die
        Fahrverbote ist die Erkenntnis, dass Schadstoffe in der
        Luft zu Atemwegserkrankungen führen und krebserregend
        sind.
        Hierzu einige Fakten: Nach Untersuchungen der Welt-
        gesundheitsbehörde wurde im Jahr 2000 durch Partikel
        die durchschnittliche Lebenszeit aller Europäer im Mittel
        um 8,6 Monate und in Deutschland sogar um 10,2 Monate
        verkürzt. Schon 1954/55 – also vor mehr als fünfzig Jah-
        ren – wurde die tumorbildende Wirkung von Dieselmotor-
        abgasen auf Mäusehaut beschrieben. Tests in den 70er-
        Jahren und 80er-Jahren bestätigten den Verdacht, dass
        Dieselmotorabgas bei Ratten Lungentumore erzeugt.
        In neueren Untersuchungen wurde ein eindeutiger Zu-
        sammenhang zwischen Partikelexposition und Gesamt-
        mortalität, Mortalität durch Herz-Kreislauf-Erkrankun-
        gen und bei Lungenkrebs festgestellt. Kinder und
        Menschen über 65 Jahren reagieren auch auf niedrige
        Konzentrationen.
        Im Zuge der Umsetzung der Aktions- und Luftrein-
        haltepläne sind ganzjährige Fahrverbote für Fahrzeuge
        mit veralteter Abgastechnik der Schadstoffgruppe 1 in
        Umweltzonen vorgesehen. Die FDP möchte für das Kultur-
        gut Oldtimer eine generelle Ausnahmeregelung. Sie be-
        klagt, dass die gesamte Wirtschaftsbranche Oldtimer und
        die spezialisierten Werkstätten vor dem Aus stehen.
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        Obwohl die Oldtimer am gesamten Pkw-Bestand nur
        inen Anteil von circa 0,44 Prozent haben, betragen ihre
        nteile nach Berechnungen des Umweltbundesamtes an
        en gesamten Otto-Pkw-Schadstoffemissionen in Deutsch-
        nd – trotz der geringeren Fahrleistung – circa 6 Prozent
        ei den Kohlenmonoxidemissionen circa 5 Prozent bei
        en Kohlenwasserstoffen und circa 3 Prozent bei den
        tickoxidemissionen. Dies liegt an den hohen spezifi-
        chen Emissionen der alten Fahrzeuge. Im Vergleich zu
        inem modernen Euro-4-Otto-Pkw emittieren Oldtimer
        5-mal höhere CO-, 60-mal höhere VOC- und 45-mal hö-
        ere NOx-Emissionen. Der Anteil an den Feinstaub-
        missionen kann nicht quantifiziert werden.
        Auch wenn nicht der direkte Zusammenhang zum
        einstaubausstoß besteht, handelt es sich bei den Oldtimern
        m Dreckschleudern, die mit ihren Schadstoffen die
        mwelt und die Gesundheit der Bevölkerung belasten.
        ass allein in Deutschland pro Jahr 65 000 Menschen an
        en Folgen der Luftverschmutzung sterben und 30 Prozent
        er Kinder an Atemwegserkrankungen leiden, hat zu den
        ahrverboten für Fahrzeuge mit veralteter Abgastechnik
        n Umweltzonen geführt. Dies sollte nicht vergessen
        erden.
        Heute tritt die sogenannte Feinstaubverordnung in
        raft. Eigentlich handelt es sich dabei um die 35. Ver-
        rdnung zur Durchführung des Bundes-Immissions-
        chutzgesetzes.
        In Deutschland gilt seit Beginn des Jahres 2005 eine
        U-Richtlinie, die besagt, dass die Grenzwerte für Fein-
        taub „nur“ an 35 Tagen im Jahr überschritten werden
        ürfen. Allerdings wurden diese Grenzwerte für Fein-
        taub in den vergangenen Jahren in allen deutschen
        roßstädten um ein Vielfaches überschritten. Die Ver-
        rdnung soll die Kommunen nun in die Lage versetzen,
        ahrzeuge mit zu hohem Schadstoffausstoß aus Umwelt-
        onen in den Innenstädten zu verbannen.
        Wie groß eine Umweltzone wird, definiert die jeweilige
        ommune selber. In der Regel handelt es sich dabei um
        ie Bereiche einer Stadt, die besonders stark mit Fein-
        taub belastet sind. Die Umweltzonen werden durch
        childer gekennzeichnet sein. Auf diesen Schildern kann
        an ersehen, welche Plakettenfarbe zur Weiterfahrt nötig
        st. Stuttgart, München und Düsseldorf planen noch in
        iesem Jahr die Ausweisung einer Umweltzone. Ab
        . Januar 2008 will auch Berlin eine Umweltzone aus-
        eisen. Diese wird dann die größte in Deutschland sein
        nd 88 Quadratkilometer umfassen.
        Ob und, wenn ja, welche Plakette ein Fahrzeug erhält,
        ichtet sich nach der Schadstoffgruppe. Autos mit altem
        iesel-Motor – Euro 1 und schlechter – und Benziner ohne
        atalysator oder Kat-Fahrzeuge der ersten Generation
        allen in die Schadstoffgruppe 1 und bekommen keine
        lakette. Solche älteren Fahrzeuge wären also in Zukunft
        on Fahrverboten betroffen – es sei denn, sie werden mit
        inem Katalysator oder Rußfilter nachgerüstet.
        Das Umweltbundesamt geht davon aus, dass viele alte
        utos bald sowieso verschrottet werden, und spricht von
        ,9 Millionen Diesel-Fahrzeugen und 2,3 Millionen
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. März 2007 8343
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        Benzinern, die den Anforderungen nicht entsprechen
        werden.
        Bisher sind von Fahrverboten in den Umweltzonen
        ausgenommen nur Mofas, Motorräder, die wenigen Trikes
        und Quads, Arbeitsmaschinen, Krankenwagen, Polizei-
        und Militärfahrzeuge sowie Fahrzeuge von Schwer-
        behinderten.
        Eine Ausnahme für Oldtimer gibt es bisher nicht. Das
        Fahrverbot in der Umweltzone heißt im Übrigen nicht,
        dass Oldtimer gar nicht mehr fahren dürfen, sondern ledig-
        lich, dass diese in Zukunft auf die Sonntagsrunden um
        den Gendarmenmarkt verzichten oder diese einschrän-
        ken müssen.
        Die zuständigen Landesbehörden verfügen über
        Möglichkeiten, im eigenen Ermessen Ausnahmen vom
        Fahrverbot auszusprechen. Über mögliche Ausnahme-
        regelungen sollte vor Ort unter Berücksichtigung der
        vorhandenen Immissionsbelastungen entschieden werden,
        zumal die Belastungssituation nicht bundeseinheitlich
        ist. Das Land Berlin zum Beispiel überlegt, für Oldtimer
        ein Kilometerkontingent zu erteilen.
        Auch die Bundesregierung hält zum jetzigen Zeit-
        punkt eine bundesweite Ausnahmeregelung von der
        Kennzeichnungsverordnung für Oldtimer für nicht erfor-
        derlich. Für die Förderung des Brauchtums und des
        Kulturgutes sind meiner Meinung nach jedoch keine
        generellen Ausnahmegenehmigungen nötig, sondern es
        reichen Spezialgenehmigungen zu besonderen Ereignis-
        sen, zum Beispiel Sternfahrten, Oldtimer-Ralleys oder
        Jahres- und Gedenktage.
        Die vielen laut gewordenen Ansprüche auf Ausnahmen
        werden von den Ländern aufgegriffen und im Bundesrat
        neuerlich eingebracht. Eine einheitliche Anwendung der
        Ausnahmegenehmigungen durch die Bundesländer ist
        wünschenswert.
        Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP): Wir beraten
        heute in erster Lesung einen Antrag meiner Fraktion, mit
        dem wir den Bundesgesetzgeber auffordern, generelle
        bundesweite Ausnahmeregelungen für Oldtimer von
        feinstaubbedingten Fahrverboten zu ermöglichen.
        Hintergrund ist die vor einem Jahr beschlossene
        Kennzeichnungsverordnung, die heute in Kraft getreten
        ist. Sie sieht die bundeseinheitliche Kennzeichnung von
        Kraftfahrzeugen mit Schadstoffplaketten nach der Höhe
        ihrer jeweiligen Schadstoffemissionen vor. Mit dem
        ebenfalls neu eingeführten Verkehrszeichen „Umwelt-
        zone“ haben Städte und Kommunen die Möglichkeit, auf
        der Basis von Luftreinhalteplänen der Bundesländer
        Fahrverbote für Kraftfahrzeuge auszusprechen.
        Weithin ist eine große Verunsicherung bei den Men-
        schen darüber entstanden, welche Kommunen denn nun
        Umweltzonen einrichten werden und welche Fahrzeuge
        denn von Fahrverboten betroffen sein werden. Eine
        Fahrzeuggruppe, die beim Erlass von Fahrverboten ganz
        sicher betroffen sein wird sind historische Kraftfahr-
        zeuge, die sogenannten Oldtimer.
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        Oldtimer sind Fahrzeuge, deren Erstzulassung vor 30
        der mehr Jahren erfolgte und die weitestgehend original
        rhalten sind. Mit dem guten Erhaltungszustand dieser
        ahrzeuge dienen Oldtimer der Pflege des kraftfahrzeug-
        echnischen Kulturgutes in Deutschland. Eine Nachrüs-
        ung von Oldtimern mit Schadstofffiltern ist in vielen
        ällen technisch nicht möglich und verbietet sich nicht
        uletzt aufgrund der wünschenswerten Erhaltung des
        riginalzustands dieser Fahrzeuge.
        Die Zahl dieser Fahrzeuge in Deutschland ist mit rund
        50 000 als Oldtimer mit einem H-Kennzeichen zuge-
        assenen Fahrzeugen überschaubar. Schätzungen zufolge
        ürften insgesamt weniger als 300 000 Fahrzeuge in
        eutschland als Oldtimer gelten. Die überwiegende Zahl
        ieser Fahrzeuge ist mit Ottomotoren ausgerüstet, die im
        egensatz zu Dieselmotoren nur geringe oder überhaupt
        eine antriebsbedingten Feinstaubemissionen aufweisen.
        ie durchschnittliche Jahresfahrleistung von Oldtimern
        st zudem gering. Obwohl die Bundesregierung in ihrer
        ntwort auf eine Kleine Anfrage der FDP von etwa
        600 Kilometern pro Jahr und Fahrzeug spricht, liegt
        ie tatsächliche Jahresfahrleistung von Oldtimern ver-
        utlich bei weniger als der Hälfte dieser Zahl. Deshalb
        ann davon ausgegangen werden, dass ihr Anteil an den
        einstaubbelastungen insgesamt verschwindend niedrig
        ein dürfte. Ein generelles Fahrverbot für Oldtimer, das
        ielleicht durch einen Flickenteppich von kommunal un-
        erschiedlichen Ausnahmen ausgehöhlt wird, ist unsin-
        ig und wird das Feinstaubproblem in unseren Innen-
        tädten sicher nicht lösen. Deshalb sollten Oldtimer
        urch eine entsprechende Ergänzung der Verordnung zur
        ennzeichnung der Kraftfahrzeuge mit geringem Bei-
        rag zur Schadstoffbelastung generell von Fahrverboten
        usgenommen werden.
        Bevor man nun die Hände über dem Kopf zusammen-
        chlägt und sagt, bundesweite Ausnahmeregelungen für
        ldtimer kommen auf gar keinen Fall infrage, bedenke
        an Folgendes: Das Auto wurde in Deutschland erfun-
        en. Es ist Teil unserer Geschichte, Teil unseres histori-
        chen Kulturgutes, und bei allen Herausforderungen, de-
        en wir uns heute gegenüber sehen, ist es auch Teil
        nserer Zukunft; denn auf absehbare Zeit ist es aus unse-
        em Wirtschaftsleben nicht wegzudenken. Welches Sig-
        al senden wir in die Welt, wenn wir den historischen
        harme von Oldtimern, die die Aufmerksamkeit auf sich
        iehen, wenn sie durch die Stadt fahren, für immer aus
        nseren Innenstädten verbannen? Welches Signal senden
        ir, wenn wir diesen Teil unserer Geschichte für immer
        ns Museum verbannen?
        Oldtimer waren bisher in Deutschland ein wachsen-
        er und sind damit ein zunehmend wichtiger Wirt-
        chaftsfaktor. Allein in Deutschland lassen sich mehrere
        illiarden Euro Umsatz jährlich den Bereichen Versi-
        herungen, Fahrzeughandel, Reparatur und Restaurie-
        ung von Oldtimern zuordnen. Eine große Zahl von
        essen, Oldtimervorführungen und -fahrten finden je-
        es Jahr statt und ziehen damit Hunderttausende Besu-
        her an. Bereits die seit Monaten laufende Diskussion
        m Fahrverbote hat zu spürbaren Umsatzeinbußen in
        iesem Wirtschaftszweig geführt. In vielen deutschen
        roßstädten sind zahlreiche Handwerksbetriebe auf Old-
        8344 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. März 2007
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        timer spezialisiert. Etliche Oldtimergaragen im Ruhrge-
        biet sind von der Schließung bedroht, in München und
        Stuttgart – so war vor wenigen Tagen in einer großen
        Zeitung zu lesen – haben Besitzer von Oldtimern bereits
        begonnen, ihre Fahrzeuge zu verkaufen. Und all das ver-
        antworten Koalitionsfraktionen in der irrigen Annahme,
        sie würde das Feinstaubproblem lösen, wenn sie Oldti-
        mer aus unseren Innenstädten verbannen. Ich fordere,
        Fakten und Tatsachen zur Kenntnis zu nehmen und nicht
        – wie schon viel zu oft geschehen – die Menschen zu
        gängeln und Wirtschaftszweige in der Annahme zu-
        grunde zu richten, irgendein Problem damit zu lösen.
        Lutz Heilmann (DIE LINKE): Heute ist die soge-
        nannte Plakettenverordnung in Kraft getreten – die Sie
        von der FDP mit ihrem Antrag ändern wollen. Sie kom-
        men mit Ihrem Antrag also reichlich spät, zumal diese
        Verordnung jahrelang zwischen Bund und Ländern
        diskutiert wurde. Dabei wurde eine Ausnahmegenehmi-
        gung für Oldtimer abgelehnt, weil diese auch im Ver-
        gleich zu den von Fahrverboten ausgenommen Motorrä-
        dern keine emissionsarmen Fahrzeuge sind.
        Feinstaub ist eine der größten Umweltbelastungen,
        die direkt die Gesundheit von uns allen gefährdet. Wenn
        man also über Ausnahmegenehmigungen spricht, muss
        man auch immer die Zahl derjenigen Menschen betrach-
        ten, deren Belastung durch Fahrverbote zurückgehen
        würde. Der Berliner Senat geht davon aus, dass durch
        eine wirksame Reduktion der Feinstaubbelastung die
        Gesundheit von etwa 10 000 Menschen verbessert wird.
        Wenn nun alle von Fahrverboten Betroffenen großzü-
        gige Ausnahmegenehmigungen erhalten, dann wird es
        zu dieser Entlastung der Menschen nicht kommen. Des-
        wegen muss man sorgfältig überlegen, wer von Fahrver-
        boten befreit wird – und wer nicht.
        Die Oldtimer stehen dabei für mich nicht an erster
        Stelle. Denn auch wenn es für die Besitzer von Old-
        timern schade wäre, wenn sie nicht mehr am Branden-
        burger Tor vorbeifahren dürften, ist es doch etwas ande-
        res, wenn Menschen nicht mehr zur Arbeit kommen oder
        wenn die Existenz von Kleinunternehmen bedroht ist,
        weil ihre Fahrzeuge nicht mehr in den Innenstädten fah-
        ren dürfen.
        Deswegen unterstützen wir die Bestrebungen aus den
        Ländern, die Plakettenverordnung dahin gehend nachzu-
        bessern, dass Benziner mit geregelten Katalysatoren, die
        noch vor Inkrafttreten der EURO-1-Norm zugelassen
        wurden, dieser gleichgestellt werden. Mit der jetzigen
        Einstufung älterer Benziner mit G-Kat in die Schadstoff-
        klasse 1 werden diejenigen bestraft, die einen Katalysator
        eingebaut haben, als der noch gar nicht vorgeschrieben
        war. Eine Ausnahme dieser Gruppe von Fahrzeugen
        würde auch die Debatten in den Kommunen entspannen,
        da es sich hierbei um etwa 4,5 Millionen potenziell betrof-
        fene Fahrzeuge handelt.
        Zum Vergleich: Die Zahl der potenziell von Fahrverbo-
        ten betroffenen Oldtimer mit einem H-Kennzeichen liegt
        deutschlandweit etwas über 150 000. Das zeigt wieder
        einmal, dass Sie von der FDP nur die Interessen Ihrer Kli-
        entel vertreten. Noch erstaunlicher aber finde ich, dass Sie
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        ie Bedenken der Wirtschaft nicht aufgegriffen haben.
        enn auch wenn Oldtimer Werkstätten zu Aufträgen ver-
        elfen, ist die Zahl der von Fahrverboten betroffenen Un-
        rnehmen deutlich größer. Gerade für Kleinunternehmer
        ie den Gemüsehändler an der Ecke kann es den Betrieb
        edrohen, wenn er sein Fahrzeug nicht mehr nutzen kann.
        uallererst gilt hier wie für alle alten Dieselfahrzeuge,
        ass die Besitzer dazu aufgerufen werden, die vorhin vom
        undestag beschlossene steuerliche Förderung für eine
        achrüstung in Anspruch zu nehmen. Da diese aber deut-
        ch zu niedrig ist, sollte betroffenen Kleinunternehmen,
        ie innerhalb der nächsten Monate nachweislich keine
        achrüstung finanzieren können, eine befristete Ausnah-
        egenehmigung erteilt werden. Noch besser wäre es
        llerdings, wenn es hier Förderprogramme oder Unterstüt-
        ungsfonds gäbe, um die Umrüstung oder die Neuan-
        chaffung emissionsarmer Fahrzeuge zu beschleunigen.
        Zurück zu den Oldtimern: Ich frage mich, ob Sie die
        ntwort der Bundesregierung auf Ihre eigene Anfrage
        elesen haben. Daraus ist doch zu entnehmen, dass die
        ,4 Prozent, die Oldtimer an der gesamten Pkw-Flotte,
        eutschlands ausmachen, für 3 Prozent der Stickoxid-
        missionen verantwortlich sind. Oldtimer, auch wenn es
        ich um Benziner handelt, sind also „Dreckschleudern“.
        hr Schadstoffausstoß liegt nicht nur um ein paar Pro-
        ent, sondern um einen Faktor zwischen 35 bis 60 über
        inem modernen EURO-4-Benziner.
        Außerdem haben Sie in Ihrem Antrag einen Aspekt
        ergessen – oder bewusst unterschlagen –: Ziel der Um-
        eltzonen ist nicht nur, die Feinstaubbelastung zu sen-
        en. Auch der Ausstoß der Stickstoffoxide muss redu-
        iert werden. Hier greift ab 2010 ein strenger EU-
        renzwert, der ebenfalls vielerorts überschritten wird.
        Deswegen habe ich meine Zweifel, ob man „die paar
        ldtimer“ wirklich gänzlich von Fahrverboten ausneh-
        en sollte. Ich halte es für sinnvoller, wenn die betrof-
        enen Kommunen selber darüber entscheiden, ob und
        elche Ausnahmegenehmigungen sie für Oldtimer zu-
        assen. Und ich bitte, hier nicht den Teufel an die Wand
        u malen. Wir reden ja nicht über ein deutschlandwei-
        es Fahrverbot für Oldtimer, sondern über Fahrverbote
        n den Innenstädten einiger Kommunen. Außerdem bin
        ch mir sicher, dass diese Kommunen Fahrten zu Werk-
        tätten oder der eigenen Wohnung, den Einsatz von
        ldtimern bei Hochzeiten oder historische Busfahrten
        chon aus eigenem Interesse zulassen werden.
        Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
        as Timing für die Debatte um das Feinstaubfahrverbot
        st gut gewählt, weil heute die Plakettenverordnung in
        raft tritt, die die Voraussetzung für die Einrichtung von
        mweltzonen ist. Es besteht dringender Handlungsbe-
        arf, weil Feinstaub nach Angaben der Weltgesundheits-
        rganisation für 65 000 vorzeitige Todesfälle in
        eutschland jährlich verantwortlich ist. Das sind rund
        wölf Mal so viele, wie durch Verkehrsunfälle umkom-
        en!
        Es gibt Proteste, dass Pkw mit Ottomotoren, die einen
        atalysator der ersten Generation haben, keine Plakette
        rhalten, die die Einfahrt in Umweltzonen erlaubt. Die
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. März 2007 8345
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        Proteste sind berechtigt, denn diese Fahrzeuge stoßen
        nicht mehr Schadstoffe aus als sogenannte Euro-1-Ben-
        ziner, die eine grüne Plakette haben. Das sollte schnell
        korrigiert werden, damit keine Rechtsunsicherheit bei
        der Einrichtung von Umweltzonen besteht, von denen
        die ersten schon Mitte des Jahres eingerichtet werden
        sollen. Ärgerlich an der Plakettenverordnung ist, dass es
        keine eigene Plakette für Dieselfahrzeuge mit geschlos-
        senen Rußpartikelfiltersystemen gibt. Eine grüne Pla-
        kette hätte es eigentlich nur für solche Fahrzeuge geben
        dürfen, die heute schon die Euro-5-Norm erfüllen. Auf
        Lobbydruck der Automobilhersteller haben die Länder
        im Bundesrat die Verordnung verwässert. Dabei ist heute
        schon absehbar, dass in einigen Jahren nur noch Diesel
        mit Vollfilter in Umweltzonen einfahren dürfen
        Zum FDP-Antrag: Mit Ausnahmeregelungen von
        Verboten ist das immer so eine Sache, wie wir bei der
        Diskussion um den Nichtraucherschutz merken. Beim
        FDP-Antrag geht es aber nicht darum, dass „Oldtimer“
        in Kneipen weiter rauchen dürfen, sondern um „rau-
        chende“ Autos auf der Straße,
        Oldtimer sind Fahrzeuge, die mindestens 30 Jahre alt
        sind und dementsprechend alte Motorentechnik haben.
        Ein alter Diesel-Oldtimer stößt im Vergleich zu einem
        modernen Diesel ein Vielfaches an Feinstaub aus – im
        Vergleich zu einem Fahrzeug mit Rußpartikelfilter sogar
        um den Faktor 100 und mehr!
        Das Hauptproblem einer Sonderregelung für Oldti-
        mer sehe ich darin, dass wesentlich jüngere Fahrzeuge,
        – also beim Benziner Fahrzeuge ohne geregelten Kat
        und beim Diesel Euro 1 und schlechter –, nicht in Um-
        weltzonen einfahren dürfen. Davon sind Dieselfahr-
        zeuge betroffen, die teilweise nicht älter als zwölf bis
        15 Jahre sind. Wie will man den Besitzern dieser Fahr-
        zeuge erklären, dass wesentlich ältere Autos in Umwelt-
        zonen fahren dürfen, während sie nicht einfahren dürfen,
        obwohl sie emissionsseitig größtenteils deutlich besser
        sind als Oldtimer?
        Pragmatische Regelungen sollten für Oldtimerveran-
        staltungen in Städten gefunden werden. Und wer seinen
        Wohnsitz und seine Garage mit einem Oldtimer ausge-
        rechnet in einer Umweltzone hat, die ja zumeist nur In-
        nenstädte betrifft, kann auch eine Sondergenehmigung
        erhalten, um damit zu Oldtimerveranstaltungen zu fah-
        ren, die außerhalb liegen.
        Die Intention des FDP-Antrags, alle Oldtimer mit
        H-Kennzeichen – das sind 154 000 – und möglicher-
        weise auch denen mit dem „roten 07er-Kennzeichen“ –
        das sind weitere 130 000 Fahrzeuge – pauschal von der
        Verordnung auszunehmen, halte ich aber für zu weitge-
        hend. Es stellt sich dann die Frage, ob es nicht zu erfolg-
        reichen Klagen von Besitzern älterer Autos käme, die
        nicht den Status Oldtimer haben. Von daher werde ich
        meiner Fraktion die Enthaltung zum vorliegenden An-
        trag empfehlen.
        Die FDP hat sich an dieser Stelle sicher um ein ganz
        spezielles Klientel verdient gemacht. Das eigentliche
        Problem ist freilich, dass wir in allen Ballungsräumen
        eine gefährlich hohe Feinstaubbelastung haben, die
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        urch Fahrverbote für rußende Fahrzeuge dringend be-
        ämpft werden muss.
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        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Antrags: Freistellung der
        Kommunen von der Mitfinanzierung bei Bau-
        maßnahmen im Kreuzungsbereich von Eisen-
        bahnen und Straßen (Tagesordnungspunkt 20)
        Hubert Deittert (CDU/CSU): Wir beraten heute einen
        ntrag der Fraktion Die Linke, der die Freistellung der
        ommunen von der Mitfinanzierung bei Baumaßnah-
        en im Kreuzungsbereich von Eisenbahnen und Straßen
        ordert. Zu diesem Zweck soll das Eisenbahnkreuzungs-
        esetz geändert werden.
        Diese Forderung ist alles andere als neu. In unregel-
        äßigen Abständen trägt die Linksfraktion diese Forde-
        ung vor. Der Antrag hat in den vergangenen Jahren in
        hnlicher Form bereits mehrere Male dem Deutschen
        undestag vorgelegen und ist aus guten Gründen jedes
        al abgelehnt worden.
        Unser föderaler Staatsaufbau sieht eine klare Zuweisung
        on Rechten und Pflichten an die einzelnen Ebenen vor.
        ie Verteilung der Einnahmen aus Steuern ist ebenso ge-
        egelt wie die Pflichten zum Unterhalt der Infrastruktur.
        Im konkreten Fall sieht das Eisenbahnkreuzungsgesetz
        lare Regeln vor, die sich bewährt haben. § 3 lautet wie
        olgt:
        Wenn und soweit es die Sicherheit oder die Ab-
        wicklung des Verkehrs unter Berücksichtigung der
        übersehbaren Verkehrsentwicklung erfordert, sind
        nach Maßgabe der Vereinbarung der Beteiligten
        (§ 5) oder der Anordnung im Kreuzungsrechtsver-
        fahren (§§ 6 und 7) Kreuzungen
        1. zu beseitigen oder
        2. durch Baumaßnahmen, die den Verkehr an der
        Kreuzung vermindern, zu entlasten oder
        3. durch den Bau von Überführungen, durch die
        Einrichtung technischer Sicherungen, insbesondere
        von Schranken oder Lichtsignalen, durch die Her-
        stellung von Sichtflächen an Bahnübergängen, die
        nicht technisch gesichert sind, oder in sonstiger
        Weise zu ändern.
        Wird an einer Kreuzung eine solche Maßnahme
        urchgeführt, dann tragen die Beteiligten gemäß
        13 EBKrG je ein Drittel der Kosten. Die Kommunen
        ragen deshalb, zum Beispiel wenn sie der Baulastträger
        iner überführenden Straße sind, ein Drittel der Kosten
        es Brückenbauwerkes.
        Nach jahrelangen intensiven Diskussionen auch mit den
        ändern wurde im Jahr 1998 das Eisenbahnkreuzungs-
        esetz nach einem Kompromiss im Vermittlungsausschuss
        ovelliert. Für die neuen Länder wurde damals übrigens
        ine besondere Regelung getroffen. Da auf dem Gebiet
        8346 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. März 2007
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        der ehemaligen DDR die Unterhaltung der kommunalen
        Straßenbrücken bereits 1953 von der Deutschen Reichs-
        bahn auf die kommunalen Straßenbaulastträger überging,
        brachte die Neuregelung keine finanzielle Entlastung für
        die Straßenbaulastträger in den neuen Bundesländern.
        Um für die aufgrund der unterschiedlichen Ausgangs-
        situation entstandenen finanziellen Probleme der Kommu-
        nen eine Lösung zu finden, wurde eine Arbeitsgruppe
        vom Vermittlungsausschuss eingesetzt. Im Ergebnis
        wurden in den Art. 2 und 3 des Gesetzes zur Änderung
        des Eisenbahnkreuzungsgesetzes Änderungen des Inves-
        titionsförderungsgesetzes Aufbau Ost – IFG – und des
        Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes – GVFG – vor-
        gesehen.
        Diesen sinnvollen und mühsam errungenen Kompro-
        miss möchte die Linksfraktion nun kurzerhand aufkün-
        digen. Der vorliegende Antrag reiht sich ein in die
        bekannten populistischen Forderungen der Linksfrak-
        tion, wenn es um den Umgang mit öffentlichen Mitteln
        geht. Sie folgen alle dem gleichen Muster. Man beklagt
        tatsächliche oder vermeintliche Missstände, spielt sich
        als Anwalt ostdeutscher Interessen auf und formuliert
        politische Wunschzettel, ohne auch nur ein einziges
        Wort über die Kosten bzw. die damit verbundene Lasten-
        verschiebung zu verlieren.
        Der Antrag der Linksfraktion ignoriert, dass die Ver-
        antwortung für die Brückenbauwerke schon seit langem
        klar geregelt ist. Er läuft schlicht und einfach auf eine
        Verschiebung der finanziellen Verantwortung auf den
        Bund hinaus und ist deshalb aus gutem Grund in allen
        damit befassten Ausschüssen abgelehnt worden.
        Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang ein Wort zur
        Verbesserung der finanziellen Lage unserer Kommunen
        sagen. Als ehemaliger Kommunalpolitiker und lang-
        jähriger Bürgermeister meiner Heimatstadt kenne ich die
        Haushalts- und Finanzprobleme der Kommunen sehr
        genau. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass aus alleini-
        ger Sicht der Kommunen eine elegantere Regelung im
        Bereich der Eisenbahnkreuzungen denkbar ist. Als Deut-
        scher Bundestag müssen wir aber das Ganze im Auge be-
        halten. Die Haushaltssituation des Bundes ist nun einmal,
        trotz der von uns erfolgreich eingeleiteten Konsolidierung,
        immer noch angespannt. Es wäre deshalb unsinnig, eine
        bewährte Regelung aufzugeben und die Kosten einfach
        zu verschieben.
        Dass die wichtige Aufgabe der Stärkung unserer
        Kommunen bei uns in den richtigen Händen ist, zeigt die
        positive Entwicklung der letzten Zeit. Trotz der unbe-
        streitbaren Schwierigkeiten vieler Städte, Gemeinden
        und Landkreise hat sich die finanzielle Situation der
        Kommunen insgesamt verbessert.
        Die unionsgeführte Koalition hat zudem mit der erfolg-
        reich beschlossenen Föderalismusreform dem Bundes-
        gesetzgeber die Möglichkeit genommen, den Kommunen
        kostenträchtige Aufgaben durch Bundesgesetz aufzubür-
        den. Endlich gilt der Grundsatz „Wer bestellt, bezahlt“.
        Eine verantwortungsvolle Politik, wie wir als Union
        sie verstehen, sorgt deshalb für eine solide finanzielle
        Basis der Kommunen und schafft so die Voraussetzungen
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        ür Erhalt und Investitionen. Es geht also, kurz gesagt,
        m seriöse, langfristig angelegte Politik, nicht um popu-
        istische Schnellschüsse. Aus diesem Grund lehnen wir
        ls CDU/CSU den vorliegenden Antrag ab.
        Uwe Beckmeyer (SPD): Der Antrag der Linken, den
        ir heute abschließend beraten, zielt auf eine Freistel-
        ung der Kommunen von finanziellen Lasten, die sie be-
        eits seit mehr als zehn Jahren bei Baumaßnahmen im
        reuzungsbereich von Straße und Schiene tragen. Diese
        inanzielle Verantwortung der Kommunen nach dem Ei-
        enbahnkreuzungsgesetz ist im Zuge der Bahnreform
        994 entstanden. Sie ist damals von den Ländern und
        en kommunalen Spitzenverbänden – als Teil des Bahn-
        eformpakets – letztlich so akzeptiert worden.
        Worum geht es im Einzelnen?
        Es geht zum einen um die Beseitigung von Bahnüber-
        ängen, wenn dies aus Gründen der Verkehrssicherheit
        der der Verkehrsabwicklung notwendig ist. Für derartige
        älle sieht das Gesetz eine Drittelfinanzierung von Bund
        wenn das von der DB AG betriebene Schienennetz
        reuzt – dem Land und der örtlichen Kommune vor. Hier
        ird die Kommune also nur mit einem Drittel der Kosten
        elastet. Dies scheint mir nicht unangemessen, zumal
        ede Gemeinde einen nicht unerheblichen Vorteil davon
        at. Unangemessen wäre es, wenn der Bund die Kosten
        ür verkehrliche Vorteile, die überwiegend den Kommu-
        en zukommen, mehrheitlich übernehmen würde.
        Es geht zum anderen um die Erhaltungslast für Stra-
        enüberführungen. Diese Erhaltungslast lag in den so-
        enannten alten Ländern früher bei der Deutschen
        undesbahn. Seit der Bahnreform ist sie auf die Straßen-
        aulastträger übergegangen. Die Kommunen trifft die
        traßenbaulast nur bei kommunalen Straßen. Im Übrigen
        st das jeweilige Land – bei Landesstraßen – oder der
        und – bei den Bundesstraßen – verantwortlich. Für die
        traßenüberführungen gilt also nichts anderes als für alle
        nderen Straßen: Bei kommunalen Straßen würde auch
        iemand auf die Idee kommen, vom Bund die Über-
        ahme der Straßenbaulast zu verlangen.
        Auch insoweit ist Ihre Forderung nach Freistellung
        er Kommunen von der Erhaltungslast nicht angemes-
        en.
        Übrigens: In Ostdeutschland lag die Erhaltungslast
        ür Straßenüberführungen schon seit jeher bei den Stra-
        enbaulastträgern. Das heißt: In der früheren DDR galt
        xakt das, was Sie heute in Ihrem Antrag kritisieren. Der
        undesgesetzgeber hat also mit der Beseitigung der Son-
        erunterhaltungslast der Deutschen Bundesbahn ab 1994
        ine Rechtsvereinheitlichung für das gesamte Bundesge-
        iet nach dem Vorbild der DDR hergestellt. Das will ich
        ier einmal deutlich sagen.
        Abschließend möchte ich noch diejenigen Fälle er-
        ähnen, in denen eine Baumaßnahme durchgeführt
        ird, die der Ertüchtigung der örtlichen Schienenstrecke
        ient. Derartige Maßnahmen werden regelmäßig von
        em jeweiligen Eisenbahninfrastrukturunternehmen ver-
        nlasst. Folgerichtig sind die Kosten einer solchen Maß-
        ahme auch ausschließlich vom Träger der Schienen-
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. März 2007 8347
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        baulast zu finanzieren. In diesen Fällen werden die
        Kommunen in keiner Weise finanziell in Anspruch ge-
        nommen.
        Der einzige Nachteil, der den Kommunen in diesen
        Fällen entsteht, ist: Sie müssen die Baumaßnahme – ein-
        schließlich der damit verbundenen Verkehrsbeeinträchti-
        gungen – vor Ort dulden. Ein finanzieller Nachteil ent-
        steht ihnen nicht.
        Im Übrigen möchte ich Sie noch darauf aufmerksam
        machen, dass Ihre Forderung nach Freistellung der Kom-
        munen von den Erhaltungslasten für Straßenüberführun-
        gen und dem kommunalen Drittel bei der Beseitigung
        von Eisenbahnkreuzungen gegen die Grundsätze unserer
        Finanzverfassung verstößt. Nach Art. 104 a Abs. 1 des
        Grundgesetzes haben nämlich Bund, Länder und Kom-
        munen alle Ausgaben zu tragen, die sich aus der Wahr-
        nehmung ihrer Aufgaben ergeben. Die Straßenbaulast für
        die kommunalen Straßen ist nun einmal seit jeher Auf-
        gabe der Kommunen.
        Für die SPD-Fraktion kann ich daher nur feststellen:
        Eine Zustimmung zu Ihrem Antrag wäre ein Bruch der
        Finanzverfassung und würde die finanzielle Lastenver-
        teilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen zum
        Nachteil des Bundes unangemessen verändern. Wir wer-
        den den Antrag daher ablehnen.
        Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP): Um nicht den
        Eindruck zu erwecken, wir würden hier über graue Theo-
        rie – Was-wäre-wenn-Fragen“ – debattieren, veran-
        schauliche ich an einem Beispiel, was passieren kann,
        wenn Kommunen ihrer Verkehrssicherungspflicht nicht
        mehr nachkommen können:
        Am 25, Oktober 2004 kollidierte im Markt Winterhau-
        sen, Freistaat Bayern, Regierungsbezirk Unterfranken,
        der Auflieger eines Kipplasters mit einer 115 Jahre alten
        Eisenbahnstahlbrücke der ICE-Trasse München–Würz-
        burg. Durch den Aufprall entstanden erhebliche Schäden
        an der Gleisanlage. Nur durch das rasche und geistesge-
        genwärtige Handeln eines zufällig vor Ort befindlichen
        Passanten konnte ein größeres Unglück verhindert und
        der heranrasende ICE gewarnt und gestoppt werden. Nun
        möge man einwenden, dies sei ein Einzelfall. Vielleicht.
        Laut Antwort der Bundesregierung auf unsere Kleine
        Anfrage zur Sicherheit von Eisenbahnbrücken besteht je-
        doch keine Dokumentations- und Unterrichtungspflicht
        der Kommunen gegenüber dem Bund, sodass niemand
        sagen kann, wie oft es in Deutschland schon zu ähnlichen
        Vorfällen gekommen ist.
        Nach Angaben der Bundesregierung gibt es in
        Deutschland rund 28 400 Eisenbahnbrücken, von denen
        circa 13 200 Fernstraßen kreuzen. In welchem Zustand
        diese Brücken derzeit sind, ist völlig offen – die Bundes-
        regierung lässt das Parlament weiter auf den längst ange-
        forderten Netzzustandsbericht für die Schienenwege
        warten, und der neue Straßenbaubericht 2006 enthält
        keine Angaben zum Zustand der Brückenbauwerke
        mehr. Zwischenzeitlich sehen sich viele Kommunen vor
        die Frage gestellt, wie sie angesichts der angespannten
        Haushaltslage ihrer Verkehrssicherungspflicht nachkom-
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        en sollen. Wenn wir Städte und Gemeinden mit dem
        roblem der Mitfinanzierung von Brückensanierungs-
        aßnahmen nun im Regen stehen lassen, werden wir un-
        erer Verantwortung an dieser Stelle nicht gerecht.
        Meine Fraktion hat mit dem Antrag „Sonderpro-
        ramm Kommunaler Brückenbau auflegen“ einen mög-
        ichen Lösungsweg aufgezeigt. Die Koalitionsfraktionen
        aben diesen Antrag abgelehnt und damit dokumentiert,
        ass sie den Städten und Gemeinden in Deutschland
        icht helfen wollen; sie lassen die Kommunen in dieser
        rage im Stich.
        Mit dem nun vorliegenden Antrag der Links-Fraktion
        acht man es sich aber ein wenig zu einfach. Die Ent-
        cheidung, die Baulastträgerschaft im Zuge der Bahnre-
        orm an die Kommunen zu übertragen, war 1994 und ist
        uch heute noch ordnungspolitisch richtig. Allerdings
        at sich inzwischen durch eine Reihe von Entscheidun-
        en der damaligen rot-grünen Bundesregierung die Fi-
        anzsituation der Kommunen so stark verschlechtert,
        ass viele Bürgermeister vor Ort nur noch eine Möglich-
        eit haben: die Sperrung maroder Brücken. In unserer
        eutigen Zeit kann das jedoch nicht die Antwort einer
        esellschaft sein, die für sich reklamiert, ihren Bürgern
        obilität zu ermöglichen. Den Bürgermeistern und
        ämmerern fehlt schlichtweg das Geld, Geld, welches
        icht bedarfsgerecht zur Verfügung gestellt werden
        ann, um die Sicherheit von Brückenbauwerken wirk-
        ich gewährleisten zu können.
        Auch wenn die Gewerbesteuereinnahmen – und diese
        ind eine der Haupteinnahmequellen der Kommunen –
        nzwischen wieder anziehen, so ändert das nichts an der
        rundlegenden Problematik der stark konjunkturabhän-
        igen Einnahmen. Nach wie vor sind die kommunalen
        aushalte durch Hartz IV und andere Regelungen zu
        tark gebunden. Vor diesem Hintergrund hat meine Frak-
        ion bereits in der 15. Legislaturperiode die Abschaffung
        er Gewerbesteuer und die Einführung einer Kommu-
        alsteuer mit eigenem kommunalem Hebesatzrecht so-
        ie einen höheren kommunalen Anteil an der Umsatz-
        teuer vorgeschlagen. Hierdurch würden Städte und
        emeinden in die Lage versetzt, auf der Basis von ver-
        ässlichen, planbaren Einnahmen valide Haushalte auf-
        ustellen, um so auch ihrer Verantwortung zum Erhalt
        on Infrastruktur nachzukommen.
        Unsere liberalen Konzepte greifen also nahtlos inein-
        nder. Von dem Vorschlag der Links-Fraktion kann man
        as nicht behaupten, daher werden wir diesen Antrag ab-
        ehnen.
        Heidrun Bluhm (DIE LINKE): Eine Hauptforderung
        einer Fraktion ist und bleibt, die Kommunen in der
        undesrepublik Deutschland rechtlich und finanziell in
        ie Lage zu versetzen, ihre Aufgaben in der kommuna-
        en Daseinsvorsorge im Rahmen der kommunalen
        elbstverwaltung wahrnehmen zu können. Stattdessen
        tellt sich aber die Finanzausstattung der Städte und Ge-
        einden immer schlechter dar. Es ist offensichtlich, dass
        ie angespannte finanzielle Lage der Kommunen längst
        ein regionales, sondern ein gesamtdeutsches Problem
        st. Doch was tut die Koalition? Statt konstruktiver Poli-
        8348 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. März 2007
        (A) )
        (B) )
        tik unterteilt sie den Kommunen in der Debatte am
        1. Juni vergangenen Jahres, Finanzmittel zur Sanierung
        der ihnen nach 1998 mit der Novellierung des Eisen-
        bahnkreuzungsgesetzes übertragenen Brücken zum Teil
        zweckentfremdet genutzt zu haben. Beweise bleibt sie
        schuldig. Aber selbst wenn Kommunen dies getan hät-
        ten, so doch nur, weil ihnen vom Bund die entscheidende
        Unterstützung zur Reform der Gemeindefinanzen bisher
        versagt geblieben ist und, wie in den Ausschussberatun-
        gen geschehen, mit Achselzucken auf die Haushaltslage
        verwiesen wird, obwohl es nach Meinung meiner Frak-
        tion auch dort genügend Spielraum für richtige Schwer-
        punktsetzungen gibt. Wir freuen uns deshalb schon auf
        ein Wiedersehen bei den nächsten Haushaltsberatungen.
        Bringen sie endlich ein kommunales Investitionspro-
        gramm auf den Weg, um den Kommunen im Rahmen ih-
        rer Selbstverwaltungskompetenz mehr finanziellen
        Spielraum für Schwerpunktsetzungen bei Investitionen
        zu geben und hören sie auf, ständig Missbrauchsdebatten
        anzuzetteln.
        Mehr als die Hälfte aller Landkreise in der Bundesre-
        publik hat mittlerweile unausgeglichene Haushalte. Als
        einziger Ausweg blieb vielen Städten und Gemeinden
        nur, ihre Investitionen drastisch zurückzuführen. Anga-
        ben der KfW besagen, dass 1999 durch die Kommunen
        Investitionen in Höhe von 19 Milliarden Euro, 2004 aber
        nur noch in Höhe von 15 Milliarden Euro ausgelöst wor-
        den sind. Das ist in fünf Jahren ein Fünftel weniger.
        Diese traurigen Zahlen zeigen: Eine verantwortungs-
        volle kommunale Selbstverwaltung ist zusehends nicht
        mehr möglich. Die Folgen für die Bürgerinnen und Bür-
        ger werden offensichtlich. Ein Beispiel: Die Gemeinde
        Dornburg im Landkreis Köthen in Sachsen-Anhalt hat
        2004 auf Grundlage des Eisenbahnkreuzungsgesetzes
        für Maßnahmen der Instandsetzung und Modernisierung
        einer auf ihrem Territorium gelegenen Bahnanlage eine
        Rechnung von knapp 250 000 Euro erhalten. Der Inves-
        titionshaushalt jedoch umfasste nur ganze 80 000 Euro
        in diesem Jahr. Damit war die Gemeinde zahlungsunfä-
        hig.
        Ein weiteres Beispiel: die Landeshauptstadt Schwe-
        rin. Allein für eine Eisenbahnunterführung muss die Ge-
        meinde, entsprechend dem Drittel der Gesamtsumme,
        1,2 Millionen Euro zahlen. Schwerin hat allerdings ins-
        gesamt sechs Bahnbaustellen mit finanzieller Beteili-
        gung zu bedienen und einen Investitionshaushalt von
        insgesamt nur 6 Millionen Euro, und das auch nur über
        Kreditgenehmigungen; denn schon lange zahlen die
        Kommunen nicht mehr aus Vermögen, sondern aus Dar-
        lehen.
        Warum machen wir es uns und unseren Kommunen
        so schwer? Es besteht Handlungsbedarf und die meisten
        Kommunen sind schon seit Jahren mit der Übernahme
        eines Drittels der Kosten, wie es das Eisenbahnkreu-
        zungsgesetz aktuell vorsieht, finanziell absolut überfor-
        dert. Es wäre unverantwortlich, dass nötige Sanierungen
        liegen bleiben, auf unbestimmte Zeiten vertagt werden,
        bis nichts mehr geht. Marode Brücken sind keine Lappa-
        lie. Gefahren müssen beseitigt werden. Darüber sollten
        wir uns alle einig sein. Stattdessen zahlen die Gemein-
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        en für die notwenigen Streckenveränderungen bei der
        ahn kräftig mit, obwohl sie nicht die Verursacher sind.
        ir können die Verantwortung dafür nicht den Kommu-
        en zuschieben, vor allem, wenn sie nicht in der Lage
        ind, diese finanziell zu schultern.
        Verkehrspolitisch bedeuten marode Kreuzungsanla-
        en im Bahn-Straßennetz ohne Frage die Gefährdung
        es Ziels, mehr Verkehr von der Straße auf die Schiene
        u holen, da bei fehlender Instandhaltung und Moderni-
        ierung der Güterverkehr nicht optimal organisiert wer-
        en kann oder gar Streckenstilllegungen drohen. Das
        ann auch vor dem Hintergrund der momentan sehr in-
        ensiv geführten Klimaschutzdebatte und der Diskussion
        m die Reduzierung des CO2-Ausstoßes nicht unser An-
        pruch sein.
        Mit dem Antrag meiner Fraktion Die Linke wollen
        ir stattdessen die Kostenübernahme für kommunale
        rückenbauwerke, welche Bahnanlagen betreffen, neu
        egeln und dadurch die Gemeinden entlasten. Auch in
        nbetracht der Privatisierungsbestrebungen der Koali-
        ion ist das den Kommunen nicht weiter zuzumuten. Un-
        er Antrag zeigt daher die beste und auch zugleich ein-
        achste Lösung auf: Wir müssen die Gemeinden von der
        ischfinanzierung befreien. Dies heißt zum einen die
        ealität in den Gemeinden, die finanziell prekäre Situa-
        ion, anzuerkennen und zum anderen, verantwortungs-
        oll mit der Infrastruktur umzugehen, und zwar nach
        em Verursacherprinzip. Das Eisenbahnkreuzungsgesetz
        uss so geändert werden, dass Kommunen bei Baumaß-
        ahmen im Kreuzungsbereich von Eisenbahnen und
        traßen von der Mitfinanzierung freigestellt werden.
        Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
        er Antrag der Linken befasst sich mit einem Thema,
        as für Kommunen teilweise ein Problem darstellt. Vor
        ahren mussten die Kommunen Brücken von der Bahn
        bernehmen. Diese Brücken waren nicht immer auf dem
        euesten Stand instand gehalten. Die Kommunen müs-
        en seither für den Unterhalt teilweise maroder Brücken
        orgen. Bei Baumaßnahmen müssen sie sich außerdem
        it einem Drittel der Kosten finanziell beteiligen. Das
        ann Kommunen finanziell überfordern.
        Eine Lösungsmöglichkeit sieht die Fraktion der Lin-
        en darin, die Kommunen bei Baumaßnahmen von der
        itfinanzierung freizustellen. Zur Frage der Finanzie-
        ung macht der Antrag der Linken allerdings keine Aus-
        age. Da hätte man sicher etwas deutlicher werden kön-
        en. Es ist nicht erkennbar, ob das Kostendrittel der
        ommunen von der Bahn, dem Bund oder dem jeweili-
        en Bundesland zu übernehmen ist.
        Aus unserer Sicht hätte sich angeboten, aus den zu-
        ätzlichen Verkehrsinvestitionen bis 2009 in Höhe von
        ,3 Milliarden Euro neben Sanierungsprogrammen für
        ie Bundesverkehrswege auch ein Sonderprogramm für
        ommunale Brückenbauwerke aufzulegen. Damit würde
        nterstrichen, dass wir im Bereich der Verkehrsinfra-
        truktur vorrangig ein Substanzerhaltungsproblem und
        eine Neubauproblem haben. Der Finanzierungszeit-
        aum wäre außerdem überschaubar.
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. März 2007 8349
        (A) )
        (B) )
        Anlage 7
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Antrags: Verlässliche und
        aussagekräftige Datenbasis für die Ermittlung
        der Unternehmensteuern erfassen (Tagesord-
        nungspunkt 21)
        Peter Rzepka (CDU/CSU): Der Antrag der Fraktion
        des Bündnisses 90/Die Grünen ist gut gemeint, aber
        überflüssig. Zum einen ist er deshalb überflüssig, weil
        aussagekräftige Daten sowohl über die nominale als
        auch die effektive Steuerbelastung der Unternehmen be-
        reits in beachtlichem Umfang vorhanden sind. Die Daten
        belegen, dass insbesondere die Kapitalgesellschaften in
        Deutschland eine der höchsten nominalen und effektiven
        Steuerbelastungen zu tragen haben. Zum anderen geht
        der Antrag auch mit dem Teil ins Leere, der sich mit der
        Simulation von Auswirkungen konkreter Steuerrechts-
        änderungen auseinandersetzt; denn das Bundesministe-
        rium der Finanzen, BMF, ist gerade mit wissenschaftli-
        cher Unterstützung dabei, ein Mikrosimulationsmodell
        zur Unternehmensbesteuerung zu entwickeln.
        Allerdings stimme ich der Zielsetzung des Antrages
        insoweit zu, als wir als Gesetzgeber alle Anstrengungen
        unternehmen müssen, die Auswirkungen von Rechtsän-
        derungen zu quantifizieren. Dafür brauchen wir belast-
        bare Daten.
        Das Problem hierbei ist, dass es keine Messmethode
        für die Auswirkungen von Steuerrechtsänderungen auf
        Wirtschaftssubjekte und den Staatshaushalt gibt, die all-
        gemeine Gültigkeit beanspruchen könnte. Bei uns in
        Deutschland ist es die Aufgabe der amtlichen Steuersta-
        tistiker der Statistischen Ämter des Bundes und der Län-
        der, das Aufkommen und die Belastungswirkungen von
        Steuern zu dokumentieren. Die Mitarbeiter der statisti-
        schen Ämter des Bundes und der Länder arbeiten nicht
        mit „vagen Annahmen und Vermutungen“, sondern
        – mittelbar – mit den Erklärungen der Steuerpflichtigen.
        Das funktioniert wie folgt: In den Rechenzentren der Fi-
        nanzverwaltung fallen im Zusammenhang mit der IT-
        technischen Bearbeitung der Steuerveranlagungen die sta-
        tistisch relevanten Angaben der Steuerbürger an. Diese
        werden zu Datensätzen zusammengefasst, und zwar für
        jeden Steuerbürger jeweils ein Datensatz. Die Daten-
        sätze gehen über die statistischen Ämter der Länder an
        das Statistische Bundesamt in Wiesbaden, welches das
        amtliche Bundesergebnis zusammenstellt. Aus methodi-
        scher Sicht spricht für die Verwendung von Steuerstatis-
        tiken, dass sie die Steuern mit hohem Detaillierungsgrad
        erfassen und periodengerecht abgrenzen.
        Bereits im Jahr 1996 wurde das Steuerstatistikgesetz
        geändert, damit die Einzeldatensätze der verschiedenen
        Steuerstatistiken für Zusatzaufbereitungen zugänglich
        sind. Es wurde ein Datenpool geschaffen, der auch kurz-
        fristig aufkommenden Analysebedarf der Bundesregie-
        rung und der Wissenschaft abdecken kann. Insbesondere
        bei Gesetzesvorhaben ist es seitdem möglich, Ad-hoc-
        Sonderauswertungen im Zusammenhang mit geplanten
        Rechtsänderungen bereitzustellen.
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        Mit dem Steueränderungsgesetz 2007 ist die rechtli-
        he Grundlage dafür gelegt worden, dass die Statistiken
        ür die wichtigsten Steuerarten – darunter die Körper-
        chaft – und die Gewerbesteuer – ab dem Veranlagungs-
        ahr 2004 für jeden Jahrgang erhoben werden. Mit dem
        entral vorliegenden Einzeldatenmaterial und der jährli-
        hen Erhebungsweise lassen sich verbesserte Simula-
        ionsrechnungen durchführen. Darüber hinaus bemühen
        ich das BMF und das Statistische Bundesamt, die Aus-
        agekraft der amtlichen Steuerstatistiken durch die Er-
        eiterung des Datenkranzes weiter zu erhöhen.
        Zudem ist das BMF gerade dabei, sein Schätzinstru-
        entarium auszuweiten. Zurzeit entwickelt es gemein-
        am mit dem Deutschen Institut für Wirtschaftsfor-
        chung, DIW, ein Mikrosimulationsmodell für die
        nternehmensteuer. Damit können die bisher makroöko-
        omisch orientierten Bezifferungen auf dem Gebiet der
        nternehmensbesteuerung durch ein wissenschaftlich
        bgesichertes Mikromodell ergänzt werden. Schließlich
        ewinnt die auf Einzeldaten basierende wissenschaftli-
        he Analyse von Steuerrechtsänderungen – auch interna-
        ional gesehen – zunehmend an Bedeutung.
        Für die Einkommensteuer existiert bereits seit langem
        in solches Mikrosimulationsmodell, dessen Berech-
        ungsergebnisse allgemein anerkannt werden. Zurzeit
        ird es mit wissenschaftlicher Beteiligung des Fraunho-
        erinstituts für angewandte Informationstechnik überar-
        eitet und erweitert.
        Auch auf anderen Wegen ist das BMF – gemeinsam
        it den Bundesländern – bemüht, die Transparenz über
        ie Besteuerung deutscher Unternehmen zu erhöhen. So
        rreicht es durch die Beteiligung von Vertretern der Län-
        erfinanzministerien im „Arbeitskreis Quantifizierung“,
        ass die praktischen Erfahrungen des Verwaltungsvoll-
        uges in die Schätzungen einfließen.
        Problematisch bleibt jedenfalls – unabhängig von der
        ualität der Datenbasis –, die Verhaltensanpassungen
        er Steuersubjekte an Rechtsänderungen richtig einzu-
        chätzen. Dies lässt sich aus keiner amtlichen Statistik
        blesen. Überraschungen wie die Einbrüche bei den
        örperschaftsteuereinnahmen des Jahres 2001 beruhen
        icht auf einer ungenauen Datenbasis, sondern auf Pro-
        nosefehlern. Das Risiko für Fehlprognosen ist bei sol-
        hen Steuerrechtsänderungen besonders hoch, die in das
        ystem der Besteuerung eingreifen, so geschehen beim
        bergang vom Anrechnungs- zum Halbeinkünfteverfah-
        en. Daraus sollten wir für die Zukunft lernen.
        In diesem Zusammenhang möchte ich anregen, bei
        esentlichen Steuerrechtsänderungen die einmal getrof-
        enen Prognosen ex post zu überprüfen: Haben sich die
        rognosen erfüllt? Wo hat es Abweichungen gegeben?
        ie sind diese zu erklären? – Solche nachträglichen Un-
        ersuchungen finden leider nicht statt. Sie können aber
        in Beitrag zu einer zielgenauen Gesetzgebung sein.
        eshalb sollten wir dieses Thema im Finanzausschuss
        eiter verfolgen.
        Demgegenüber sind Erhebungen bei den Finanzäm-
        ern vor Ort über die tatsächliche Steuerlast der Unter-
        ehmen – wie die Grünen in ihrem Antrag fordern – mit
        8350 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. März 2007
        (A) )
        (B) )
        erheblichen Problemen verbunden. Oft dauert es eine
        Reihe von Jahren, bis der endgültige Steuerbescheid
        – teilweise erst aufgrund einer Betriebsprüfung und/oder
        eines Gerichtsverfahrens – die tatsächliche Steuerbelas-
        tung ausweist. Zeitlich davor ergehen ein Vorauszah-
        lungsbescheid, ein erster Steuerbescheid unter Vorbehalt
        der Nachprüfung und eventuelle Änderungsbescheide.
        Um den Stichproben für die Gesetzesfolgenabschät-
        zung, wie von den Grünen gewünscht, zu repräsentativer
        Aussagekraft zu verhelfen, müssen die Besteuerungsver-
        fahren aber abgeschlossen sein. Die Ergebnisse der Ver-
        anlagung der Steuerpflichtigen mit den höchsten Ein-
        kommen müssen sogar nahezu vollständig von der
        Stichprobe erfasst sein. So tragen beispielsweise die
        oberen 5 Prozent der Steuerpflichtigen mit den höchsten
        Einkommen zu rund 45 Prozent zum Aufkommen der
        Einkommensteuer bei. Im Bereich der Unternehmensbe-
        steuerung verhält es sich ähnlich. Gerade die Veranla-
        gungsergebnisse dieser Steuerpflichtigen liegen aber erst
        zu einem relativ späten Zeitpunkt vor.
        Aus dem bisher Gesagten ergibt sich Folgendes: Die
        Grünen verkennen, dass Bund und Länder schon heute
        Gesetzesfolgenabschätzung auf zunehmend verlässlicher
        Datengrundlage betreiben und weiter daran arbeiten, die
        Auswirkungen von Steuerrechtsänderungen auf die Un-
        ternehmen und das Steueraufkommen insgesamt zu si-
        mulieren. Die Grünen rennen offene Türen ein; das BMF
        stellt sich der Herausforderung.
        Zu den geforderten repräsentativen Stichproben bei
        den Finanzämtern vor Ort habe ich im letzten Teil mei-
        ner Rede ausgeführt, dass dies auf erhebliche praktische
        Probleme stößt und nur begrenzt zielführend ist. Wir
        werden den Antrag deshalb ablehnen.
        Lassen Sie mich schließen mit der Aufforderung an
        uns alle, an der vor uns liegenden Reform der Unterneh-
        mensbesteuerung tatkräftig und konstruktiv mitzuarbei-
        ten, damit die Unternehmen in Deutschland – vor allem
        diejenigen, die im harten, internationalen Wettbewerb
        stehen – zukünftig so besteuert werden, dass sie im
        Wettbewerb nicht durch das deutsche Steuerrecht behin-
        dert werden. Mit der Reform wollen wir stattdessen den
        Standort Deutschland für Investitionen und die Schaf-
        fung von Arbeitsplätzen stärken.
        Jörg-Otto Spiller (SPD): Die deutsche Steuerstatis-
        tik ist in mancherlei Hinsicht unzulänglich. Gerade für
        die beiden wichtigsten direkten Steuern, die Einkom-
        men- und die Körperschaftsteuer, gilt dies im besonderen
        Maße. Wer mehr erfahren will als das rein kassenmäßige
        Steueraufkommen, stößt rasch auf Erkenntnisgrenzen.
        Oder schlimmer noch: Wer diese nicht durchgängig mar-
        kierten Grenzen bei der Interpretation der amtlichen Zah-
        len nicht bemerkt, läuft glatt in die Irre.
        Beispielsweise verleitet die gängige Untergliederung
        der Einkommensteuerstatistik in Lohnsteuer und veran-
        lagte Einkommensteuer immer wieder zu voreiligen
        Schlüssen über die soziale Verteilung der Steuerlast.
        Den Arbeitnehmern wird von ihrem Arbeitslohn an
        der Quelle Lohnsteuer abgezogen, während Unterneh-
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        er und andere Selbstständige Vorauszahlungen zur
        inkommensteuer leisten, die verwaltungsmäßig als ver-
        nlagte Einkommensteuer verbucht werden. Es liegt
        ahe, dass die statistische Aufteilung der Einkommen-
        teuer in Lohnsteueraufkommen und Aufkommen aus
        er veranlagten Einkommensteuer häufig als Kennzei-
        hen für die Verteilung der Steuerlast zwischen Arbeit-
        ehmern und Selbständigen gewertet wird. In Wirklich-
        eit besagen die Zahlen aus diesen beiden statistischen
        eihen über die gesellschaftliche Verteilung der Steuer-
        ast herzlich wenig.
        Denn zum einen kann die Zuordnung der veranlagten
        inkommensteuer zu den Selbstständigen und der Lohn-
        teuereinnahmen zu den Arbeitnehmern schon deshalb
        icht aufgehen, weil beide Gruppen von Steuerpflichti-
        en nicht eindeutig zu trennen sind. Ehegatten werden
        eist gemeinsam veranlagt und als ein Steuerpflichtiger
        ehandelt. Ist der eine Ehegatte Arbeitnehmer, der an-
        ere selbstständig, fallen Zahlungen in beiden Bereichen
        n. Zum anderen ist auch die Lohnsteuer nur eine Vo-
        auszahlung auf die Einkommensteuer, und häufig sind
        ie im Laufe des Jahres einbehaltenen Lohnsteuerabzüge
        u hoch, sodass Erstattungen anfallen. Die Einkommen-
        teuererstattungen aber werden statistisch bei der veran-
        agten Einkommensteuer verbucht, also von deren Brut-
        oaufkommen abgezogen. Genauso übrigens wie die
        igenheimzulage, egal ob sie an Selbständige oder Ar-
        eitnehmer gezahlt wird.
        Noch weniger erhellend ist die amtliche Steuerstatis-
        ik für den, der nach der effektiven Steuerbelastung deut-
        cher Unternehmen fragt. Ein Hauptgrund dafür ist
        benfalls die geringe Aussagekraft der statistischen Da-
        en zur veranlagten Einkommensteuer. Denn die von
        ersonenunternehmen oder Personengesellschaften ge-
        ahlte Einkommensteuer wird in dieser Statistik nicht
        esondert ausgewiesen. Ein Vorstoß der Koalitionsfrak-
        ionen, die notwendige gesetzliche Grundlage dafür zu
        chaffen, damit die von den Unternehmen gezahlte Ein-
        ommensteuer statistisch sauber erfasst werden kann, ist
        eider im vorigen Jahr an dem mir unverständlichen Wi-
        erstand des Bundesrates gescheitert.
        Auch die statistische Aufbereitung des Körperschaft-
        teueraufkommens lässt manche Wünsche offen. Vom
        nsatz her, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der
        raktion Bündnis 90/Die Grünen, kann und will ich Ihrer
        ehklage über den traurigen Zustand der deutschen
        teuerstatistik, insbesondere der Unternehmensteuersta-
        istik, nicht widersprechen. Ihre politischen Schlussfol-
        erungen aber teile ich ganz und gar nicht.
        Ja, die deutsche Steuerstatistik ist verbesserungsbe-
        ürftig. Doch auch die verfügbaren, zugegebenermaßen
        twas groben Daten zum Steueraufkommen und aus der
        olkswirtschaftlichen Gesamtrechnung führen zu einer
        indeutigen Erkenntnis: Vergleichsweise hohe Sätze sind
        eine Gewähr für munteres Sprudeln der Steuerquellen.
        Die sehr verdienstvolle Untersuchung zur effektiven
        teuerbelastung der Unternehmen in Deutschland, die
        as DIW Berlin in seinem Wochenbericht 5/2007 jüngst
        orgelegt hat, liefert hierzu nicht allein ein hohes Maß
        n Erkenntnisgewinn. Das DIW bescheinigt der Koali-
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. März 2007 8351
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        tion auch, auf dem richtigen Weg zu sein. Die internatio-
        nal betrachtet vergleichsweise hohen Steuersätze, so das
        DIW, machen Deutschland anfällig gegenüber steuerop-
        timierenden Gestaltungsstrategien. Die von der großen
        Koalition geplante Unternehmensteuerreform sei darauf
        die richtige Antwort: Senkung der Steuersätze, Verbrei-
        terung der Bemessungsgrundlage. „Die Lücke zwischen
        den ökonomischen Gewinnen und den steuerlich er-
        fassten Gewinnen bietet Potenzial zur Ausweitung der
        Steuerbasis.“
        Dr. Hermann Otto Solms (FDP): Nach langer Dis-
        kussion hat die schwarz-rote Koalition nun endlich einen
        Referentenentwurf zur Reform der Unternehmensbe-
        steuerung vorgelegt. Wer sich eine spürbare Verbesserung
        der steuerlichen Standortbedingungen in Deutschland
        versprochen hat, wird enttäuscht: Steuersystematisch und
        steuerpolitisch ist der Entwurf ein Flop.
        Zu begrüßen ist die geplante Steuerentlastung.
        Deutschland ist ein Hochsteuerland, auch wenn die Grü-
        nen mit ihrem Antrag das Gegenteil suggerieren. Es gibt
        schließlich umfangreiche Untersuchungen wissenschaft-
        licher Forschungsinstitute wie dem ZEW oder auch die
        Ausführungen des Sachverständigenrates in jedem sei-
        ner Gutachten der letzten Jahre.
        Es ist schon erstaunlich, dass die Grünen sich nach
        dem Verlust jeglicher Regierungsverantwortung in
        Deutschland mit ihrem Antrag auf die Seite derer schla-
        gen, die sich gern und ausgiebig in einer unreflektierten
        Unternehmensschelte ergehen. Statt inhaltliche Vor-
        schläge zur Unternehmensteuerreform zu machen, be-
        zweifeln nun die Grünen tatsächlich, dass eine Senkung
        der Steuerbelastung für Unternehmen überhaupt notwen-
        dig sei. Dabei ist der jetzt in Deutschland bemerkbare
        Aufschwung doch auch das Ergebnis einer Politik, die
        die Grünen zumindest mitgetragen haben, auch wenn es
        ihnen offensichtlich nie ein Herzensanliegen war. Die
        Verbesserung der steuerlichen Standortbedingungen
        durch die Eichel’schen Steuerreformen, denen durch die
        FDP im Bundesrat zum Erfolg verholfen wurde, ist ein
        Grund für den Boom in Deutschland. Die immense He-
        belwirkung einer positiven Konjunktur ist jeden Monat
        bei den Arbeitsmarktdaten und den Steuereinnahmen zu
        beobachten. Wer hätte denn vor einem Jahr damit gerech-
        net, dass das Erreichen der Maastrichtkriterien möglich
        ist?
        Statt sich aber dieser volkswirtschaftlichen Gegeben-
        heiten bewusst zu werden, flüchten sich die Grünen mit
        ihrem Antrag in die Rolle buchhalterischer Bedenkenträ-
        ger ohne eigene Vorschläge. Das ist bedauerlich.
        Denn der jetzt von der Regierung präsentierte Ent-
        wurf ist nicht einmal ansatzweise eine Reform. Ich habe
        ja schon betont, dass die FDP die angekündigte Steuer-
        entlastung begrüßt. Es bleibt nur zu hoffen, dass diese
        auch tatsächlich eintritt. Wir befürchten allerdings, dass
        bei der breiten Masse der Unternehmen, insbesondere
        der mittelständischen, davon nichts ankommt.
        Es ist ein Armutszeugnis, dass weder Steuervereinfa-
        chung noch ein modernes Umwandlungsteuerrecht oder
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        ine europagerechte Konzernbesteuerung auch nur ver-
        ucht werden. Ein klares, einfaches und verlässliches
        nternehmensteuerrecht lässt weiterhin auf sich warten.
        Zwar ist die Einführung einer Abgeltungsteuer auf
        insen und Dividenden zu begrüßen. Mit 28,5 Prozent
        nklusive Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer ist der
        teuersatz im internationalen Wettbewerb aber deutlich
        u hoch. Fatal auf die Attraktivität des Investitionsstand-
        rtes Deutschland werden sich die Abschaffung der Spe-
        ulationsfrist und die Einbeziehung der Veräußerungsge-
        inne in die Abgeltungsteuer auswirken. Schon jetzt
        ind deutliche Kapitalabflüsse aus Deutschland zu beob-
        chten. Die private Altersvorsorge der Bürger wird deut-
        ich erschwert.
        Die systemwidrige Einbeziehung der Zinsen in die
        esteuerung ist gerade für mittelständische Unterneh-
        en eine existenzielle Bedrohung. Die durchschnittliche
        igenkapitalquote in Deutschland liegt bei 12 Prozent.
        as heißt, die Mehrzahl der Unternehmen ist existenziell
        uf Fremdfinanzierung angewiesen. Wenn diese aber
        etzt durch die Besteuerung der Zinsen erschwert wird,
        eraten diese Unternehmen in Existenznot.
        Es bleibt zu hoffen, dass die anstehenden parlamenta-
        ischen Beratungen hier noch Verbesserungen bringen.
        ie Beratungen zur Gesundheitsreform lassen mich al-
        erdings zweifeln, dass die Abgeordneten der Regie-
        ungsfraktionen den Willen und die Kraft dazu aufbrin-
        en. Nach dem hier vorliegenden Antrag der Grünen
        cheint bei der Opposition die FDP die einzig verblie-
        ene Fraktion mit ökonomischem Sachverstand zu sein.
        ir werden unsere Vorschläge jedenfalls konstruktiv
        inbringen.
        Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Mit dem Monat
        ärz beginnt der meterologische Frühling, auf diesen
        olgt schnell der Sommer, so ist der Zeitdruck der Gro-
        en Koalition bei der Umsetzung ihrer Reformvorhaben
        achzuvollziehen. Die Reform der Unternehmensteuer,
        ie deutsche Unternehmen mit Steuergeschenken im
        and halten soll, gerät jedoch nicht nur unter Zeitdruck,
        ondern auch unter Rechtfertigungsdruck. Der Wider-
        tand innerhalb der SPD gegenüber den milliarden-
        chweren Entlastungen für Unternehmen wächst. Der
        arteirat der SPD verlangt Nachbesserungen, Korrektu-
        en und ein Nachverhandeln mit der Union. Hintergrund
        ind die verschwommenen Zahlen der wirklichen Entlas-
        ung für Unternehmen. Im Entwurf wurde zunächst von
        Milliarden Euro ausgegangen, nun hält der Sprecher
        es Bundesfinanzministers, Torsten Albig, es auch für
        öglich, dass die Summe über einen Mittelwert von
        Milliarden Euro gehen könnte. 6 Milliarden Euro oder
        ar 8 Milliarden Euro, wie es manche Experten prophe-
        eien?
        Peer Steinbrück hat an das Durchsetzen der Reform
        nzwischen sein politisches Schicksal geknüpft und ver-
        ichert, dass die Belastungen der ersten Jahre für den
        aushalt sich durch einen späteren wahren Segen an
        teuereinnahmen rechfertigen lasse. Aber weder die
        öhe der Belastungen für die Haushalte und besonders
        ie der Kommunen noch die effektive steuerliche Entlas-
        8352 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. März 2007
        (A) )
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        tung der Unternehmen lassen sich offensichtlich in Zah-
        len fassen. An manchen Stellen gleicht die Finanzpolitik
        der Regierung einem Russischen Roulette mit katastro-
        phalen Auswirkungen für die öffentlichen Haushalte und
        die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land.
        Die Einkommensverluste durch die Erhöhung der
        Mehrwertsteuer und das fortgesetzte Lohndumping für
        die Mehrheit der Menschen sind gigantisch. Sie bezah-
        len mit ihrem Geld die großzügigen Geschenke an die
        Unternehmer.
        In ihrem Antrag fordern die Bündnisgrünen die Bun-
        desregierung auf, eine aussagekräftige Datenbasis zur
        tatsächlichen Unternehmensteuerbelastung vorzulegen,
        um die Auswirkungen und die Sinnhaftigkeit der Reform
        abschätzen zu können. Was uns an dieser Stelle eint, ist
        das Prinzip Hoffnung, denn auch meine Fraktion bemüht
        sich seit dem vergangenen Sommer um verlässliche
        Daten zur tatsächlichen Belastung der Unternehmer,
        über die Höhe und Struktur der überperiodischen Ver-
        lustrechnung bei Unternehmen und auch über Einnah-
        menverluste durch Steuerumgehung und Hinterziehung
        deutscher Unternehmen. Die entsprechenden Antworten
        der Bundesregierung lassen diesbezügliche Erwartungen
        jedoch schwinden.
        Ein Beispiel: Auf Antrag der Fraktionen der Großen
        Koalition beschloss der Finanzausschuss am 28. Juni des
        vergangen Jahres eine Reihe von Änderungen seiner Be-
        schlussempfehlungen zum Steueränderungsgesetz 2007,
        darunter auch eine Änderung des Gesetzes über Steuer-
        statistiken. Am 29. Juni fand eine kurzfristig anberaumte
        weitere Sitzung des Finanzausschusses statt, wo der glei-
        che Änderungsantrag wieder zurückgenommen wurde.
        Begründet wurde dies mit den ausstehenden Gesetzes-
        vorhaben der Unternehmens und der Erbschaftsteuer-
        reform. Es sei so nicht möglich, die mit dem bestehen-
        den Gesetz der Statistik genaue Informationen zur
        geplanten Rechtsformneutralität zwischen Kapital- und
        Personengesellschaften liefern zu können. In einer Klei-
        nen Anfrage meiner Fraktion baten wir die Bundesregie-
        rung um Auskunft, wer denn mit welcher Begründung
        die avisierte Änderung des Gesetzes über Steuerstatistik
        verhindern wollte. Darüber gäbe es keine gesicherten
        Erkenntnisse. Auf die Frage, ob die Bundesregierung
        ihre Planungen zur Schaffung von Rechtsformneutralität
        zwischen Kapital- und Personengesellschaften auf wis-
        senschaftlich begründetes Datenmaterial stütze, erfolgte
        die Antwort, dass dazu ausschließlich die Statistiken des
        Statistischen Bundesamtes insbesondere zur Gewerbe-,
        Körperschaft- und Einkommensteuer zur Verfügung
        stünden.
        Die Antwort auf die Frage, ob die Bundesregierung
        eine Änderung des Steuerstatistikgesetzes angesichts des
        bevorstehenden Verfahrens zur Unternehmensteuerre-
        form beabsichtige, lautete: Ja, nach wie vor plane die
        Regierung eine Umsetzung der im Steueränderungsge-
        setz 2007 nicht aufgenommen Regelungen zur Einfüh-
        rung jährlicher Statistiken für die Erbschaft-, Schen-
        kung- und Umsatzsteuer. Von der Unternehmensteuer ist
        nicht die Rede.
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        In einer weiteren Kleine Anfrage erhielten wir die
        ntwort der Bundesregierung, dass es auch kein belast-
        ares Zahlenmaterial über die jährlichen Steuerminder-
        innahmen durch die Steuerbefreiung für Veräußerungs-
        ewinne seit dem Jahre 2002 gäbe. Auch das Volumen
        er Steuerausfälle durch Gestaltungsmöglichkeiten im
        rtragsteuerbereich kann die Bundesregierung nicht be-
        iffern, nur dass die Ausfälle durch gesetzliche Regelun-
        en begrenzt seien. Das teilt sie auf Anfrage zu Steuer-
        mgehung und Hinterziehung deutscher Unternehmen
        einer Fraktion mit. Auf die Frage, wie denn die Maß-
        ahmen zur Einschränkung steuerlicher Gestaltungs-
        öglichkeiten und zur Beseitigung der Diskrepanz
        wischen erwirtschafteten und steuerlich erfassten Un-
        ernehmensgewinnen deutscher Kapitalgesellschaften
        ussähen, erfahren wir, dass das internationale Steuerge-
        älle Schuld sei daran, dass man die Unternehmen bevor-
        ugt behandele, um sie am Weggehen zu hindern. Die
        ominale Steuerbelastung von 39 Prozent für Kapitalge-
        ellschaften sei auf ein wettbewerbsfähiges Niveau zu
        enken, erfuhren wir als Antwort. Vielleicht auf das von
        ettland, möchte man da fragen.
        Mit den Steuerpräsenten für Unternehmen, wie sie in
        er Reform geplant sind, baut Deutschland seine Vorrei-
        errolle im internationalen Steuerdumpingwettbewerb
        eiter aus. Die Regierung windet sich in ihren Aussagen
        ur Steuerlast- oder besser Entlastung der Unternehmen;
        ie präsentiert der Öffentlichkeit unseriöse Zahlenspiele,
        ie unternimmt keine oder halbherzige Anstrengungen
        ur Schaffung einer belastbaren Datenbasis als Voraus-
        etzung einer realen wirklichkeitsnahen Unternehmens-
        esteuerung.
        In völligem Gegensatz dazu stehen die geforderten
        aten der Einkommenssteuererklärung für das Jahr 2006
        er Bürgerinnen und Bürger mit durchschnittlichen und
        eringen Einkommen. Diese Menschen haben keine Ge-
        taltungsspielräume und können Gewinne nicht ins Aus-
        and verlagern. Sie werden kontrolliert, steuerlich veran-
        agt und zur Kasse gebeten. Liegt da die Vermutung
        icht nahe, dass es seitens der Großen Koalition gar kein
        nteresse an verlässlichen Daten und Statistiken zur rea-
        en Steuerbelastung von Unternehmen und zu realen
        ermögenswerten gibt, weil sie die ungerechte Umver-
        eilung und die immer größere Ungleichheit stiftende
        teuerpolitik in diesem Land ganz besonders deutlich
        achen würden?
        Die Kluft zwischen Unternehmensgewinnen und ihrer
        ffektiven Steuerbelastung wächst. Die Steuergestal-
        ungsmodelle und Schlupflöcher für Unternehmen bieten
        it und ohne Reform genügend Spielraum, sich dem
        rinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit zu
        ntziehen. Wir unterstützen den Antrag der Fraktion des
        ündnisses 90/Die Grünen, weil belastbare Daten und
        hre Transparenz Voraussetzung für steuerliche Gesetz-
        ebungsverfahren sein sollten. Von einer nachvollzieh-
        aren Begründung für eine Sinnhaftigkeit dieser Reform
        er Unternehmensteuer ist jedoch ganz sicher nicht aus-
        ugehen.
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. März 2007 8353
        (A) )
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        Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
        Demnächst wird sich dieses Haus mit einer Gesetzesvor-
        lage zur Reform der Unternehmensteuern befassen. Fast
        30 Milliarden Euro Steuerausfälle werden dort einkalku-
        liert. Insgesamt 25 Milliarden Euro sollen durch eine
        gigantische Umschichtung innerhalb der Bemessungs-
        grundlage bei den Unternehmensteuern wieder hereinge-
        holt werden.
        Mit der Unternehmensteuerreform geht nicht nur ein
        erhebliches Risiko für die öffentlichen Haushalte von
        Bund, Ländern und Kommunen einher. Es kommt auch
        zu Belastungsverschiebungen zwischen Mittelstand und
        Großunternehmen. Solche weitreichenden Entscheidun-
        gen verlangen nach einem verlässlichen Wissen darüber,
        welche Unternehmensgruppe von welchen Maßnahmen
        profitiert und welche Unternehmensgruppe belastet
        wird. Es darf nämlich nicht passieren, dass am Ende die
        Bürgerinnen und Bürger und die mittelständischen Un-
        ternehmen die Entlastung der international aufgestellten
        Großkonzeme bezahlen.
        Fakt ist aber, dass es derzeit auf der Bundesebene
        kaum empirische amtliche Echtdaten zur Steuerbelas-
        tung der Unternehmen in Deutschland gibt. Entschei-
        dungen werden also auf der Grundlage vager Annahmen
        und Vermutungen gefällt, nicht auf der Basis konkreter
        Fakten. Ich war deshalb grundsätzlich erst einmal hoch-
        erfreut, dass die Parlamentarische Staatssekretärin, Frau
        Dr. Barbara Hendricks, sich zu meinen Forderungen
        nach einer verlässlichen Datenbasis für die Unterneh-
        mensbesteuerung ähnlich geäußert hat. Sie stellt zusam-
        menfassend fest, „dass nach derzeitiger Lage eine ge-
        naue Aufstellung der von deutschen Unternehmen in
        Deutschland gezahlten Steuern nicht möglich ist“. Also,
        die Regierung hat das Problem erkannt. Was mich an
        dem Schreiben der Staatssekretärin weniger gefreut hat:
        Die Bundesregierung plant trotz dieser Erkenntnis offen-
        bar nicht, die Datengrundlage zu verbessern.
        Wenn keine eindeutige Aussage möglich ist, wie viel
        Steuern die Unternehmen denn nun tatsächlich zahlen,
        dann stellt sich ernsthaft die Frage, wie das Bundesfi-
        nanzministerium Zahlentableaus vorlegen kann, die bis
        auf die Million genau ausrechnen, welche Steuerausfälle
        oder Steuermehreinnahmen durch bestimmte Elemente
        der Steuerreform entstehen werden und das dazu noch
        über die nächsten fünf Jahre. Hier wird den Abgeordne-
        ten eine Scheingenauigkeit vorgetäuscht, die gar nicht
        existiert. Tatsächlich stochert das Ministerium bei den
        Zahlen ebenfalls im Nebel.
        Ähnlich sieht das das Zentrum für europäische Wirt-
        schaftsforschung, ZEW, in Mannheim. Auch die Wissen-
        schaftler hier wissen nicht, wie viel Steuern deutsche
        Unternehmen wirklich zahlen. Ihre Steuerbelastungsbe-
        rechnungen sind wohl international anerkannt, aber sie
        spiegeln die Steuerbelastung auf einer Modellebene wi-
        der, und diese ist relativ weit weg von der Realität, wenn
        es um die tatsächlich gezahlten Steuern geht. Sämtliche
        Analysen zur Steuerbelastung von Unternehmen stützen
        sich auf Hilfszahlen und Berechnungsmodelle, die letzt-
        endlich angreifbar sind.
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        Es verwundert mich deshalb nicht, dass schon bei ei-
        er einfachen Bestandsaufnahme, wie viel Steuern Un-
        ernehmen tatsächlich zahlen, die Expertenmeinungen
        eit auseinandergehen Die Analyseergebnisse reichen
        on Aussagen, Deutschland sei mit einer Unternehmen-
        teuerbelastung von 10 Prozent eine Steueroase, bis zur
        hese, Deutschland sei mit einer Unternehmensteuerbe-
        astung von über 40 Prozent ein Hochsteuerland.
        Es ist ganz klar, dass es bei so hochkomplexen Steuer-
        echtsänderungen, wie zum Beispiel der von der Großen
        oalition geplanten Zinsschranke, noch deutlich schwie-
        iger sein wird, die tatsächlichen Wirkungen auf die
        teuereinnahmen abzuschätzen.
        Ich kann nur feststellen, dass ohne eine deutlich ver-
        esserte Datenbasis Steuerpolitik zur reinen Glaubens-
        rage wird. Im Sinne einer soliden Finanzpolitik ist es
        eshalb dringend notwendig, eine verlässliche und aus-
        agekräftige Datengrundlage für die Ermittlung der Un-
        ernehmensteuern auf der Basis von Echtzahlen zu erfas-
        en. Da die Finanzämter vor Ort bereits über dieses
        atenmaterial verfügen, wie hoch die Steuerlast der Un-
        ernehmen wirklich ist, kann eine repräsentative und an-
        nymisierte Stichprobe erhoben werden, ohne dass dies
        usätzlichen bürokratischen Aufwand für die Unterneh-
        en verursacht. Auf dieser Grundlage muss dann als
        ächster Schritt ein Simulationsansatz ermittelt werden,
        it dem Auswirkungen konkreter Steuerrechtsänderun-
        en sowohl auf die Unternehmen als auch auf das Steu-
        raufkommen berechenbar werden.
        Es ist deshalb dringend notwendig, dass die Bundes-
        egierung sich umgehend daranmacht, eine aussagekräf-
        ige Datenbasis zur tatsächlichen Unternehmensteuerbe-
        astung zu erstellen. Nur so können die Auswirkungen
        nd damit die Sinnhaftigkeit der Unternehmensteuer-Re-
        ormpläne der Bundesregierung verlässlich abgeschätzt
        erden.
        Es ist im Sinn aller Abgeordneten hier im Bundestag,
        enn die Grundlagen, auf denen wir entscheiden, trans-
        arenter werden. Wir fordern Sie deshalb auf, unseren
        ntrag zu unterstützen.
        nlage 8
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Antrags: Sport- und Freizeit-
        schifffahrt in Deutschland erleichtern (Tages-
        ordnungspunkt 22)
        Renate Blank (CDU/CSU): Spätestens seit einer
        om geschätzten Kollegen Ernst Hinsken geleiteten öf-
        entlichen Anhörung im Ausschuss für Touristik im Juli
        003 wissen wir, dass der Wassertourismus sich zu ei-
        em eigenständigen Angebotssegment entwickelt hat,
        as in vielen Fällen sogar ein bedeutender Standortfaktor
        st, von dem wichtige Impulse für neue Arbeitsplätze
        usgehen. So gesehen, kann ich den FDP-Kollegen vier
        ahre später zu ihrem teilweise in die richtige Richtung
        ehenden Antrag nur zurufen: Willkommen im Boot!
        8354 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. März 2007
        (A) )
        (B) )
        Kein Zweifel: In den letzten Jahren und Jahrzehnten
        haben Freizeit und aktive Freizeitgestaltung als Aus-
        gleich zum Berufsleben oder an dessen Stelle zuneh-
        mend an Bedeutung gewonnen, die Sport- und Freizeit-
        schifffahrt hat sich von einer ehemals exklusiven
        Beschäftigung Begüterter zum Breitensport entwickelt.
        Aktivitäten auf dem Wasser begeistern mehr und mehr
        nicht nur Urlauber in fernen Regionen; auch in Deutsch-
        land erleben immer mehr deutsche und ausländische
        Touristen die Faszination der Nord- und Ostsee, der Bin-
        nenseen und der Flüsse. 1,85 Millionen Deutsche sind in
        Sportvereinen organisierte Wassersportler. 17,1 Millio-
        nen Deutsche surfen, tauchen, segeln, angeln, fahren
        Kanu, Motorboot oder Wasserski in ihrer Freizeit oder in
        ihrem Urlaub.
        Eine Befragung aus dem Jahr 2000 ermittelte
        6,34 Millionen Deutsche, die „mehr oder weniger aktiv
        Wassersport betreiben“. Das entspricht einem beachtli-
        chen Anteil von 9,2 Prozent der erwachsenen Bevölke-
        rung – die Tendenz ist steigend. Das Angebot für Aktivi-
        täten rund ums Wasser ist hierzulande beachtlich:
        Angeln, Hausboot, Bootsverleih, Badeseen, Strandbä-
        der; Touren mit dem Kanu, dem Motor- oder Hausboot
        führen über stille Seen, ruhige Flüsse und historische
        Kanäle. Wer will, kann sich mit der Fahrgastschifffahrt
        auf Seen und Flüssen durch die Landschaft schippern
        lassen, bei einer Segeltour selbst das Steuer in die Hand
        nehmen oder beim Angeln einen ganz dicken Fisch aus
        dem Wasser holen. Und nicht zu vergessen: mit der
        „Boot“ in Düsseldorf beheimatet Deutschland die welt-
        größte Wassersportmesse.
        Rund 1 000 Kilometer lange Binnenwasserstraßen,
        zahlreiche reizvolle Seen sowie rund 23 000 Quadratki-
        lometer Seewasserstraßen an Nord- und Ostsee machen
        Deutschland zu einem interessanten Wassersport- und
        Urlaubsrevier in zentraler Lage Europas. Hinzu kommen
        noch viele Tausende Kilometer Fließgewässer, die nur
        für Kanus und Ruderboote befahrbar sind. Die Verbin-
        dungen auf dem Wasserweg mit den europäischen Nach-
        barn in Ost und West öffnen zusätzliche Märkte und
        schaffen hervorragende Ausgangsbedingungen. Aller-
        dings sind die vielfältigen Möglichkeiten zur touristi-
        schen Nutzung des Wassers hierzulande bei weitem noch
        nicht ausgeschöpft und der Öffentlichkeit zu wenig be-
        kannt – so das Ergebnis der Grundlagenuntersuchung
        „Wassertourismus in Deutschland“.
        Dennoch lag allein der Umsatz des Wassersportmark-
        tes Deutschland nach aktueller Schätzung des Bundes-
        verbandes der Wassersportwirtschaft bei rund 1,75 Mil-
        liarden Euro für den deutschen Markt. Insbesondere die
        Nachfrage nach Kreuzfahrten erfreut sich konstanter Zu-
        wächse: Im Jahr 2005 wurden auf Flusskreuzfahrten
        rund 326 000 deutsche Passagiere registriert. Sie gene-
        rierten einen Umsatz von 370 Millionen Euro. Dies ent-
        spricht einer Steigerung gegenüber dem Vorjahr um
        4,1 Prozent, gegenüber 1996 um fast 260 Prozent. Die
        Donau gehörte mit 125 000 Passagieren zu den belieb-
        testen Flussreisezielen der deutschsprachigen Touristen,
        gefolgt von weiteren deutschen Flüssen.
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        Wird das wassertouristische Segment ausgebaut, so
        tärkt dies den gesamten Tourismus einzelner Regionen.
        ine gezielte Förderung des Wassertourismus nicht nur
        n der Nord- und Ostsee trägt maßgeblich zum Ausbau
        es Tourismus sowie zur Stärkung der touristischen
        ettbewerbsfähigkeit Deutschlands bei. Die ökonomi-
        chen Effekte des Wassertourismus sollten nicht unter-
        chätzt werden. Sie sind weiter ausbaufähig, insbeson-
        ere da Bootstouristen und Wassersportler längst nicht
        ehr die klassischen Selbstversorger sind.
        Zu den infrastrukturellen Basisangeboten auf und am
        asser gehören qualitativ gut ausgebaute Anlegestellen
        nd Wasserwanderrastplätze. Deutschlandweit kenn-
        eichnen zurzeit über 260 „Gelbe Wellen“ – überwie-
        end in Brandenburg, Berlin und Mecklenburg-Vorpom-
        ern – Anlegemöglichkeiten und signalisieren dem
        assertouristen und Wassersportler ein „Herzliches
        illkommen“. Allein Schleswig-Holstein bietet seinen
        ästen rund 250 Sportboothäfen mit über 30 000 Liege-
        lätzen. Diese sollten sich nach den Kriterien der Sterne-
        lassifizierung von DTV und BWVS ausrichten und
        ehr Möglichkeiten zum Tanken sowie für Abfallent-
        orgung, Wasser und Stromversorgung etc. bereitstellen.
        und 30 Sportboothäfen und Marinas, hauptsächlich in
        ecklenburg-Vorpommern, sind bislang mit den „Blauen
        ternen“ ausgezeichnet worden. Sie sind Vorreiter, si-
        hern Qualitätsstandards, bauen ihre bestehenden Ange-
        ote aus und geben dem Verbraucher bessere Vergleichs-
        öglichkeiten zu Infrastruktur- und Serviceangebot.
        Erfreulich ist, dass die deutschen Bootswerften nach
        ie vor auf einer Welle des Erfolgs schwimmen. Die
        ührenden Hersteller haben ihre Marktposition in Europa
        eiter ausgebaut. 2006 hat die Nachfrage nach neuen
        ooten und Yachten deutlich zugenommen. Die europäi-
        che Bootswirtschaft berechnet einen Gesamtumsatz an
        aritimen Gütern und Dienstleistungen in Höhe von
        und 24,3 Milliarden Euro, der von rund 37 200 Unter-
        ehmen mit mehr als 272 000 Beschäftigten erwirtschaf-
        et wird. Davon entfallen rund 8 Milliarden Euro auf den
        erkauf neuer Boote und Yachten.
        Dies sind allgemeine Ausführungen zum Wassertou-
        ismus und zur wirtschaftlichen Bedeutung dieser Bran-
        he.
        Ich bin dem ADAC, dem Bundesverband Wasser-
        portwirtschaft und dem deutschen Boots- und Schiff-
        auer-Verband dankbar, dass sie sich mit einem Posi-
        ionspapier zum Thema „Deregulierung im Bereich der
        portschifffahrt und des Wassertourismus“ fachkundig
        nd ausführlich zu Wort gemeldet haben. Das kann dem
        einungsbildungsprozess nur gut tun.
        Die Forderung des Positionspapiers nach verlässli-
        hen Unfallstatistiken, der Entwicklung von Qualitäts-
        tandards für die Ausbildung der Weiterentwicklung
        raktischer Prüfungsteile, der Bindung der Mindestaus-
        üstung auch an das Fahrtgebiet, der Änderung der Trink-
        asserverordnung, gemeinsame Kampagnen zur Schaf-
        ung eines Sicherheitsbewusstseins im Sportbootbereich,
        iner Kennzeichnungspflicht auch im Seebereich sowie
        er Schaffung eines einheitlichen Sportschifffahrtsrechts
        efürworte ich im Grundsatz.
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. März 2007 8355
        (A) )
        (B) )
        Die These, dass die bisherige bundesweite Führer-
        scheinpflicht für Sportboote auf die Entwicklung des
        Wassertourismus entwicklungshemmend wirkt, kann
        man – allerdings mit einigen Abstrichen – durchaus dis-
        kutieren. Um sich künftig mit konkurrenzfähigen Ange-
        boten auf dem europäischen Markt behaupten zu kön-
        nen, empfiehlt es sich, die positiven Erfahrungen aus
        dem Pilotprojekt zur Einführung eines Charterscheins in
        den Ländern Brandenburg. Mecklenburg-Vorpommern
        und dem Saarland in einer bundesweiten Regelung zu
        berücksichtigen. Hier ist ein deutlicher Nachfrageanstieg
        bei wassertouristischen Angeboten spürbar. Beispiel
        Brandenburg: Laut Aussagen der Vercharterer ist der
        Anteil der führerscheinfreien Abfahrten seit Beginn der
        Regelung im Jahr 2000 kontinuierlich gestiegen. Der
        Anteil der führerscheinfreien Abfahrten liegt bei großen
        Vercharterern bei rund 30 Prozent der Abfahrten; das
        Gesamtgeschäft hat sich durch diesen Anteil auf einer
        guten Basis stabilisiert.
        Wie die Unternehmen der Wassersportwirtschaft be-
        grüße auch ich die Überführung in dauerhaftes Recht und
        die Erweiterung um neue Fahrtgebiete. Die Gleichstel-
        lung mit dem internationalen Wettbewerb, Frankreich.
        Niederlande etc., hat für die Betriebe in den Regionen,
        die von der Öffnung profitieren, zu kontinuierlichen Um-
        satzsteigerungen geführt. Erfreulich ist, dass jetzt auch
        mobilitätseingeschränkte Menschen ihren Traum vom
        Hausbootfahren verwirklichen können. Das erste roll-
        stuhlgerechte Hausboot „Tristan“ in Brandenburg wurde
        für den Deutschen Tourismuspreis 2006 nominiert.
        Allerdings halte ich – das sei auch zum Antrag der
        FDP angemerkt – die Bestrebungen zur Ausweitung des
        ungeregelten Bereichs auch wegen der Zunahme des
        Schiffsverkehrs für problematisch. Die Charterscheinre-
        gelung im Binnenbereich ist aus gutem Grund auf jene
        Gewässer beschränkt, deren Beschaffenheit und Ver-
        kehrsdichte sehr geringe Anforderungen an die Schiffs-
        führer stellen. Eine grundsätzliche Übertragbarkeit der
        durch diese Regelung gewonnenen Erfahrungen auf an-
        dere, stärker befahrene und mit Blick auf Wetter-, Gezei-
        ten- und Grundverhältnisse anspruchsvollere Gewässer
        ist wohl kaum möglich.
        Außerdem halte ich die Argumente der Verbände und
        des FDP-Antrags zur Zusammenlegung der amtlichen
        Bootsführerscheine Binnen und See zu einem allgemei-
        nen Bootsführerschein für nicht schlüssig. Für einen Be-
        werber, der ein Sportboot ausschließlich auf Binnenge-
        wässern betreiben möchte, ist nicht einzusehen, warum
        er die Regeln der Seeschifffahrt beherrschen muss. Im
        Interesse der Verbraucher wurde daher auf eine Zusam-
        menlegung der Führerscheine wohlweislich verzichtet.
        Entgegen dem im Positionspapier der Verbände und dem
        FDP-Antrag formulierten Interesse, die Hemmschwelle
        für den Einstieg in die Sportschifffahrt zu senken, würde
        eine Zusammenlegung der beiden Bereiche in der Praxis
        wohl eher sogar das Gegenteil bewirken.
        Ich möchte daran erinnern: Das Sicherheitsmanage-
        ment zum Beispiel auf deutschen Straßen beruht seit je-
        her auf dem Grundsatz, dass die Reglementierung der
        Verkehrsausübung umso geringer sein kann, je besser
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        ie Fahrzeugführer qualifiziert sind. Die Ausbildung zur
        eilnahme am Straßenverkehr beginnt Gott sei Dank be-
        eits mit der Verkehrserziehung im Kindergarten und in
        en Schulen und ist ein lebenslanger Lernprozess. Ich
        ahne in diesem Zusammenhang auf den Wassersport
        ezogen eine deutliche Verbesserung der Schwimmaus-
        ildung bereits in den Schulen an. Seit mehreren Jahren
        eisen die in der Wasserrettung tätigen Organisationen
        arauf hin, dass der Anteil von Nichtschwimmern an der
        evölkerung drastisch zunimmt. Hier ist noch einiges
        ufzuholen.
        Die Anzahl der absolvierten Führerscheinprüfungen
        ür die amtlichen Sportbootführerscheine Binnen und
        ee sind in den vergangenen Jahren kontinuierlich ge-
        unken, dennoch scheint das Interesse am Wassersport
        llgemein ungebrochen: der Verband deutscher Windsur-
        ing- und Wassersportschulen berichtet 2006 von einem
        uwachs von 18 Prozent für die Bereiche Katamaranse-
        eln, Windsurfing und Kiteboarding. Auch ohne staatlich
        erordnete Führerscheinpflicht sind also die Einsteiger
        ereit, in Ausbildung zu investieren.
        Wie durchaus belebend einige Deregulierungsmaß-
        ahmen sein können, zeigt die Charterbescheinigungsre-
        elung auf vielen Wasserstraßen in Mecklenburg-Vor-
        ommern und Brandenburg, nach der Hausboote auch
        hne amtlichen Sportbootführerschein während eines
        rlaubs gefahren werden dürfen. Seit Einführung der
        egelung im Jahr 2000 haben sich die Umsätze der Un-
        ernehmen um 41 Prozent erhöht, ohne die Sicherheit auf
        em Wasser zu gefährden.
        Die Wassersportwirtschaft schaut also mit berechtig-
        em Optimismus in die Zukunft; denn der Wassersport
        esitzt im Vergleich zu fast allen anderen Freizeitaktivi-
        äten mit die größten Wachstumspotenziale. Davon muss
        ie maritime Wirtschaft künftig in noch stärkerem Maße
        rofitieren. Zur Sicherung einer dauerhaft positiven Ent-
        icklung wollen wir – wo notwendig und sinnvoll – zur
        ptimierung beitragen und sind bereit, die Vorschläge
        es FDP-Antrags zu prüfen.
        Annette Faße (SPD): Die FDP hat uns einen Antrag
        orgelegt, in dem sie auf die Schnelle die Zwischener-
        ebnisse eines laufenden Arbeitsprozesses zusammenge-
        asst hat. Nur ist es so, dass uns Zwischenergebnisse in
        er Sache nicht voranbringen. Deshalb werten wir zur-
        eit die Diskussion unserer gemeinsamen Arbeitsgruppe
        us, in der sich Vertreter aus den Bereichen Verkehr und
        ourismus sowie beteiligte Verbände zu einer konstruk-
        iven Sacharbeit zusammengefunden haben. In einem
        bgestimmten Antrag, den wir gerade erarbeiten, werden
        ie Koalitionsfraktionen aus ihrer Sicht den Handlungs-
        edarf zur Deregulierung und Förderung des Wassertou-
        ismus darlegen. Gleichzeitig leisten die Verbände jetzt
        ie Vorbereitungen zum Thema der Verbesserung der In-
        rastruktur. Die erarbeiteten Vorschläge werden wir se-
        arat behandeln.
        Ich möchte kurz in Erinnerung rufen, welche Bedeu-
        ung der Wassertourismus in Deutschland besitzt. In
        eutschland betreiben über 6 Millionen Wassersport:
        ie surfen, tauchen, segeln, angeln, fahren Kanu, Motor-
        8356 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. März 2007
        (A) )
        (B) )
        boot oder Wasserski. Die Nachfrage nach Kreuzfahrten
        wächst. Die Donau gehört mit 67 000 Passagieren zu den
        beliebtesten Kreuzfahrtrouten, Tendenz steigend. Frei-
        zeitschifffahrt, Kanufahrten, Bootscharter und Tradi-
        tionsschifffahrt klettern ebenfalls in der Beliebtheits-
        skala. Mit anderen Worten: Es tummeln sich, zusätzlich
        zur Berufsschifffahrt, eine ganze Menge „Wasserbegeis-
        terte“ auf unseren Flüssen und Seen und auf Nord- und
        Ostsee.
        Wir besitzen in Deutschland ein rund 10 000 Kilome-
        ter langes zusammenhängendes Wasserwegenetz, viele
        schöne Seen sowie rund 23 000 Quadratkilometer See-
        wasserstraßen. Die Potenziale für den Tourismus sind
        bei weitem noch nicht ausgeschöpft und zielgerichtete
        Marketingmaßnahmen, unter anderem in Zusammenar-
        beit mit der Deutschen Zentrale für Tourismus und dem
        Deutschen Tourismusverband, werden dafür sorgen,
        dass mehr und mehr Menschen in den nächsten Jahren
        auf diese Möglichkeiten aufmerksam und diese nutzen
        werden. Wir haben zur Förderung des Wassertourismus
        auf der Grundlage einer Studie in der letzten Legislatur-
        periode bereits einen ersten ausführlichen Antrag vorge-
        legt.
        Ich stelle diese Zahlen bewusst an den Anfang, weil
        ich klar machen möchte, dass bei so viel Trubel auf dem
        Wasser Regeln wichtig und sinnvoll sind und vorgebli-
        che Erleichterungen nicht unbedingt als solche wirksam
        werden, sondern – im Gegenteil – sehr schnell zu einem
        Risiko werden können. Gleichwohl prüfen wir im Rah-
        men unserer Arbeitsgruppe Möglichkeiten der Deregu-
        lierung. Wir müssen aber in diesem schwierigen Prozess
        der Sicherheit eine hohe Bedeutung einräumen.
        Jetzt möchte ich aber zunächst auf die Forderungen
        der Kolleginnen und Kollegen von der FDP eingehen.
        Sie machen in Ihrem Antrag sehr konkrete Vorschläge,
        wie aus Ihrer Sicht die Sport- und Freizeitschifffahrt de-
        reguliert werden soll. Ihre Grundaussage, die bestehen-
        den Regelungen seien verwirrend und überkomplex,
        kann ich zwar nachvollziehen, schließlich haben wir
        nicht umsonst in unserer Arbeitsgruppe Deregulierungs-
        vorschläge gesammelt und sehr ausführlich diskutiert.
        Nur ist die Situation nicht ganz so drastisch, wie Sie uns
        mit Ihrer sehr starken Formulierung glauben machen
        möchten. Schließlich boomt der Wassertourismus und
        weist bisher recht niedrige Unfallzahlen auf. Da schei-
        nen doch nicht alle Regeln an der Realität vorbeizuge-
        hen.
        Aber nun zu Ihren Vorschlägen, mit denen sie ent-
        sprechend ihrer Grundauffassung leider das Kind mit
        dem Bade ausschütten. Sie möchten den Bootsführer-
        schein Binnen und See zu einem Führerschein zusam-
        menzufassen. Dies hätte eine erhebliche Erweiterung des
        Prüfungsumfangs zur Folge, die den Bewerbern aus mei-
        ner Sicht einfach nicht zumutbar ist.
        Die Voraussetzungen für das Führen von Sportbooten
        auf See- bzw. auf Binnenwasserstraßen sind so unter-
        schiedlich, dass es fast gar nicht möglich ist, den ganzen
        notwendigen Prüfungsstoff in einem Durchlauf abzufra-
        gen. Und für Bewerber, die zum Beispiel ein Sportboot
        nur auf einem Binnengewässer führen möchten, ist es
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        udem wenig einsehbar, dass sie dazu die Regeln der
        eeschifffahrtsstraßen beherrschen sollen.
        Ihre Vorschläge würden, da bin ich sicher, bei den
        rüfungskandidaten auf wenig Freude stoßen. Wir
        öchten, auch im Sinne der Förderung des Wasser-
        ports, die Hemmschwellen nicht durch gut gemeinte
        ber an der Praxis vorbeiformulierte Wünsche von Ihnen
        nnötig hochsetzen.
        Ich sehe auch durchaus Handlungsbedarf in der Über-
        rüfung des Anteils von Theorie und Praxis bei den Prü-
        ungen und damit auch in der Ausbildung, für die im Üb-
        igen die Länder zuständig sind. Ich kann mir auch
        orstellen, theoretische und praktische Fähigkeiten beim
        rwerb eines zweiten Scheines anzuerkennen. Grund-
        ätzlich aber müssen wir auch theoretisches Wissen ab-
        ragen, um sicherzustellen, dass ein breites Basiswissen
        orhanden ist. Es ist für die Bootsführer in der Praxis
        ichtig, zu wissen, wie ein Containerschiff dreht oder
        ie schnell bestimmte Schiffstypen sich bewegen. Ich
        asse auch gerne mit mir über eine stärkere Gewichtung
        er praktischen Kenntnisse und Ausbildungsinhalte re-
        en. Beispielsweise denke ich hier daran, Nachtfahrten
        ls Bestandteil für die Ausbildung aufzunehmen.
        Dabei muss gewährleistet sein, dass das Niveau der
        usbildung angemessen auf die Prüfung vorbereitet.
        as BMVBS ist ja auch schon aktiv geworden und hat
        005 die praktischen Inhalte für den Sportbootführer-
        chein See weiterentwickelt. Dieses Basiswissen sollte
        ogar regelmäßig in Weiterbildungen aufgefrischt wer-
        en. Entsprechende Lehrgänge werden auf freiwilliger
        asis angeboten, und dies soll auch so bleiben.
        Das Ministerium und auch die Sportbootverbände
        eisen in Kampagnen, Veranstaltungen und in ihren
        roschüren immer wieder darauf hin. Der Bestand an
        portbooten nimmt in Deutschland konstant zu, die ge-
        erbliche Schifffahrt boomt, diesem wachsenden Ver-
        ehrsaufkommen müssen wir aus Sicherheitsgründen
        echnung tragen.
        Nicht nachvollziehen kann ich Ihre Aussage, dass der
        esitz eines Führerscheins nicht zu geringen Unfallzah-
        en führt. Ja, wofür brauchen wir dann überhaupt ir-
        endeinen Führerschein? Das können Sie doch nicht
        rnsthaft behaupten. Zunächst muss es doch wohl darum
        ehen, eine ordentliche Unfallstatistik aufzubauen, da-
        it die Ursachen von Unfällen besser analysiert werden
        önnen. Hierzu erarbeitet die Wasser- und Schifffahrts-
        erwaltung gemeinsam mit der Bundesstelle für Seeun-
        alluntersuchung ein Konzept für eine bundesweite Da-
        enbank. Diesen Weg begrüße ich.
        Dann fordern Sie in ihrem Antrag die Ausweitung der
        harterscheinregelung auf gleichwertige Gewässer. Dies
        st ja schon lange möglich. Nach dem erfolgreichen Ab-
        chluss der Pilotprojekte in der Müritz und im Saarland
        aben wir die Ausweitung schon längst umgesetzt. Das
        MVBS prüft regelmäßig entsprechende Anträge, die zu
        iner weiteren Freigabe von Binnengewässern gestellt
        erden.
        Hierzu gibt es einen festgelegten Kriterienkatalog.
        ann wird der Antrag von den Wasserschutzpolizeien,
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. März 2007 8357
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        von den regionalen Wasser- und Schifffahrtsämtern und
        der jeweiligen Wasser- und Schifffahrtsdirektion bewer-
        tet. Bei einem positiven Votum erfolgt dann die Frei-
        gabe. Ich sehe aber durchaus auch noch Potenzial für die
        Freigabe weiterer Binnengewässer. In Brandenburg oder
        Mecklenburg-Vorpommern zum Beispiel kann man da
        sicher noch etwas machen. Wir warten auf die entspre-
        chenden Anträge.
        Ihre Forderung nach einer Ausweitung des ungeregel-
        ten Bereichs auf andere Gewässer muss ich ganz ent-
        schieden ablehnen. Ich habe eingangs die Situation unse-
        rer Wasserwege beschrieben: Der Schiffsverkehr nimmt
        stetig zu. Die Charterscheinregelung im Binnenbereich
        ist auf Gewässer beschränkt, deren Beschaffenheit und
        Verkehrsdichte nur sehr geringe Anforderungen an die
        Schiffsführer stellen. Eine Ausweitung der Regelung auf
        stärker befahrene und beispielsweise strömungsintensi-
        vere, wetteranfälligere oder ebbe- und flutbeeinflusste
        Gewässer ist nicht möglich, das würde der Schiffsführer
        ganz einfach nicht schaffen.
        Ihre Anregung dagegen, die Mindestausrüstung ver-
        stärkt an das Fahrgebiet zu koppeln, nehme ich gerne
        auf. Grundsätzlich können wir aber die Schiffsgröße
        nicht völlig außer Acht lassen. So würde ich beispiels-
        weise ungern ein zwölf Meter langes Boot auf ein oder
        zwei Befestigungsleinen reduzieren, auch wenn es sich
        in einem ruhigen Fahrgebiet befindet.
        Die Empfehlungen des Verkehrsgerichtstags in Gos-
        lar gilt es, in die Entscheidungsfindung einzubeziehen.
        Ziel muss es weiterhin bleiben, den Wassertourismus
        und den Wassersport unter Beachtung der Sicherheit at-
        traktiver zu machen, indem Regeln verändert oder ge-
        strichen werden. Ziel ist eine verantwortbare Deregulie-
        rung und nicht zusätzliche Regulierung. Alle Fragen der
        notwendigen Infrastruktur und des gemeinsamen Marke-
        tings von A- und B-Ländern dürfen nicht unbeantwortet
        bleiben. Hier ist die Politik gefordert.
        Sie sehen, es muss noch etwas Wasser den Rhein he-
        runterfließen, bevor dem Hohen Haus vernünftige Vor-
        schläge vorgelegt werden können. Ich empfehle deshalb,
        unseren Antrag abzuwarten, der ein abgestimmtes und
        durchdachtes Konzept zur Deregulierung und zur Förde-
        rung des Wassertourismus enthalten wird.
        Patrick Döring (FDP): Früher hieß es einmal, das
        Meer sei der letzte freie Ort auf der Welt – Ernest
        Hemingway. Auf deutschen Gewässern gilt das jedoch
        leider schon lange nicht mehr. Wer in unserem Land in
        seiner Freizeit mit einem Segel- oder Motorboot fahren
        möchte, sieht sich mit unglaublich verwirrenden, kom-
        plexen und unpraktischen Regelungen konfrontiert.
        Ohne Führerschein ist es in Deutschland zum Beispiel
        nahezu unmöglich, auch nur das kleinste Boot zu fahren:
        Ab 5 PS gilt die Führerscheinpflicht. Ebenso gut
        könnte man da im Straßenverkehr auch Führerscheine
        für Radfahrer verlangen.
        Ein Zeichen deutschen Regulierungsbedürfnisses ist
        auch das Führerscheinsystem selbst. Da gibt es den
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        portbootführerschein Binnen und den Sportbootführer-
        chein See und außerdem noch amtliche, nicht verpflich-
        ende – aber rechtlich unter Umständen wichtige – Sport-
        üsten-, Sportsee- und Sporthochseeführerscheine. Vor
        llem die Trennung zwischen Binnen und See führt zu
        er abstrusen Situation, dass viele Bootsführer gleich
        wei Führerscheine machen müssen, um das gleiche
        oot zum Beispiel auf der Elbe und vor Sylt fahren zu
        ürfen. Nach dieser Logik müsste man im Straßenver-
        ehr wohl auch unterschiedliche Führerscheine für Land-
        traßen und Autobahnen verlangen. Der ganz überwie-
        ende Teil aller Bootsführer macht deshalb notgedrungen
        eide Führerscheine – mit doppelten Kosten und doppel-
        em Aufwand.
        Die Begründung für diese Regelungen ist einfach:
        ie Sicherheit aller Beteiligten. Die ausgesprochen
        iedrigen Unfall- und Todeszahlen in diesem Sport
        cheinen diesem Argument sogar auf den ersten Blick
        echt zu geben: Bei einem Bestand von knapp 450 000
        ooten in Deutschland und einer weitaus größeren
        ahl von Seglern und Motorbootfahrer gab es im Jahr
        005 nur 14 Tote und 240 Verunglückte. Das Risiko,
        eim Skifahren verletzt zu werden, ist etwa 20-mal
        rößer und die Gefahr, beim Motorradfahren zu Tode
        u kommen, 14-mal so hoch.
        Der Blick ins Ausland zeigt jedoch, dass dieses hohe
        icherheitsniveau nicht auf das dichte und strenge Rege-
        ungswerk in Deutschland zurückzuführen ist. Denn die
        m internationalen Vergleich niedrigste Unfallquote hat
        icht etwa Deutschland, sondern Großbritannien, ein
        and, das überhaupt keine verpflichtenden Bootsführer-
        cheine kennt. Auch die skandinavischen Länder und
        rland haben – ohne jede Führerscheinpflicht – kein nen-
        enswert größeres Risiko in der Sport- und Freizeit-
        chifffahrt. Diese Beobachtung wird auch durch eine
        euseeländische Studie untermauert: Im Vergleich der
        egelungen von 30 Ländern wurde festgestellt, dass
        ein direkter Zusammenhang zwischen Sicherheitsni-
        eau und Führerscheinpflicht zu erkennen ist.
        Diese Beobachtungen werden auch durch Erfahrun-
        en aus unserem eigenen Land bestätigt: In einem – in-
        wischen verstetigten – Modellversuch in Brandenburg
        nd Mecklenburg-Vorpommern wurde eine sogenannte
        harterregelung geprüft. Auf bestimmten Wasserstra-
        en, ohne gewerbliche Nutzung, wurde das Fahren mit
        harterbooten auch ohne Führerschein erlaubt, wenn zu-
        or eine praktische Einführung absolviert wurde. Das
        nde der Geschichte: Die Unfallhäufigkeit der „ange-
        ernten“ Bootsführer war nicht höher als das der Kapi-
        äne mit Führerschein.
        Ich muss die Freude aller, die daraus jetzt folgern,
        an bräuchte dann bestimmt auch keinen Pkw-Führer-
        chein, leider dämpfen. Dass kein Zusammenhang zwi-
        chen Sicherheit und Führerscheinpflicht besteht, ist
        ine Besonderheit der Sport- und Freizeitschifffahrt, die
        inen einfachen Grund hat: Anders als das Auto wird das
        oot nur gelegentlich, in der Freizeit bewegt. Das in den
        ührerscheinprüfungen angelernte Wissen ist deshalb
        chnell vergessen. Wichtig ist dagegen die Kenntnis der
        raktischen Handgriffe – und da scheint es nur einen ge-
        8358 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. März 2007
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        ringfügigen Unterschied zu machen, ob man diese prak-
        tisch anlernt oder einmal vor langer Zeit geübt hat.
        Diese Erfahrungen und Erkenntnisse aus dem In- und
        Ausland lassen mich daran zweifeln, dass das immense
        Regelungsdickicht für die Sport- und Freizeitschifffahrt
        in Deutschland tatsächlich seine Berechtigung hat. Denn
        natürlich verlangt das deutsche Verbotswesen seinen
        Preis: Die restriktiven Führerscheinregelungen sind ab-
        schreckend für Neueinsteiger und Gelegenheitsfahrer,
        von denen vielleicht viele sich dauerhaft für dieses
        Hobby begeistern könnten. Neben einer Einschränkung
        bürgerlicher Freiheiten bedeutet dies nicht zuletzt einen
        wirtschaftlichen Schaden – für die Bootsbauer und Ver-
        eine, vor allem aber für wassertouristisch interessante
        Regionen. In den Testgebieten Mecklenburg-Vorpom-
        merns und Brandenburgs sieht man, welch großes Poten-
        zial durch eine liberalere Führerscheinregelung gehoben
        werden kann: Über 40 Prozent aller Bootsvermietungen
        in diesen Revieren machen inzwischen die Inhaber eines
        Charterscheins aus, die also keinen regulären Führer-
        schein besitzen. Für die Region bedeutet das weit über
        70 000 Übernachtungen.
        Angesichts dessen müssen wir uns fragen, ob durch
        das Regelungsdickicht nicht eine Schneise geschlagen
        werden muss. Die FDP hat dem Hohen Hause deshalb
        den vorliegenden Antrag unterbreitet. Wir hoffen, da-
        durch eine konstruktive Debatte anzustoßen.
        Unsere Vorschläge gehen vor allem in die Richtung,
        erstens die bisherigen Führerscheine Binnen und See zu-
        sammenzulegen und Lehrgang und Prüfungen prakti-
        scher auszugestalten, zweitens einen erweiterten Ein-
        stiegsbereich zu schaffen wie etwa in den Niederlanden,
        wo bis zu einer Geschwindigkeit von 20 Kilometer pro
        Stunde keine Führerscheinpflicht besteht, und drittens
        die Charterscheinregelung vorsichtig zu erweitern, um
        zusammenhängende und damit touristisch und wirt-
        schaftlich interessantere Reviere zu schaffen. Außerdem
        sollte natürlich davon abgesehen werden, durch weitere
        Vorschriften mit nur geringer Sicherheitswirkung den
        Gesetzes- und Verordnungsdschungel noch dichter zu
        gestalten.
        Im Detail besteht hier sicherlich noch Diskussionsbe-
        darf. Ich hoffe hier auf eine konstruktive Auseinander-
        setzung im Ausschuss, wie ich sie auch schon beim
        Thema Wassertaxen erleben durfte. Wie zum Beispiel
        die Zusammenlegung der Bootsführerscheine genau aus-
        gestaltet werden soll, dazu gibt es naturgemäß verschie-
        dene Auffassungen. Eine vorsichtige Ausdifferenzierung
        des Führerscheinsystems ist zum Beispiel auch weiterhin
        durchaus sinnvoll, damit Bootsführer, die nur ein be-
        stimmtes Revier befahren wollen, nicht gezwungen wer-
        den, für sie überflüssige Lehrgänge und Prüfungen zu
        absolvieren. Das wäre kontraproduktiv.
        Der jetzige Zustand indes, der so viele dazu zwingt,
        den immensen Zeit- und Kostenaufwand zur Erlangung
        zweier Führerscheine zu betreiben, ist in meinen Augen
        unhaltbar. Hier kann die Politik mit geringem Aufwand
        große Erleichterung schaffen, indem sie, für alle Leute,
        die dies wollen, aus zwei Prüfungen eine macht.
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        Bei diesem Unterfangen hoffe ich auf Ihre Unterstüt-
        ung.
        Dorothée Menzner (DIE LINKE): Es ist doch im-
        er wieder erquickend, mit welchen Einfallen uns die
        DP-Fraktion beglückt: Wassertaxis in Berlin, beleuch-
        ete Reklameflächen auf Dächern von Taxis usw. Das al-
        es wohl aus der Sorge, die Antragsflut könnte versiegen,
        nd, wie ich gestern im Ausschuss lernen durfte, um Bü-
        okratie abzubauen. An sich ja ein ehrenwertes Unter-
        angen, aber bitte doch nicht nach dem Motto: Quantität
        or Qualität. Diesen Eindruck könnte man hin und wie-
        er schon bekommen.
        So beschäftigen wir uns heute zu dieser späten Stunde
        it der Erleichterung der Sport- und Freizeitschifffahrt
        n Deutschland.
        Bei einem Punkt möchte ich Ihnen recht geben. Es
        pricht vieles dafür, das Führerscheinwesen in der Sport-
        nd Freizeitschifffahrt übersichtlicher, universaler und
        eniger bürokratisch zu gestalten. Aber der Idee, die
        ingangshürden zur Erlangung eines Motorboot- oder
        egelführerscheins herabzusetzen, damit Bootseigner
        ahrzeuge unter 5 PS motorseitig aufrüsten können,
        ann meine Fraktion nicht folgen.
        Jeder, der sich auf unseren dicht befahrenen Wasser-
        traßen bewegt, braucht dringend Grundkenntnisse über
        as Führen eines Bootes sowie die Gefahren der Wasser-
        chifffahrt.
        Woran Sie denken, ist das gemütliche Schippern mit
        ausbooten etwa in der französischen Camargue oder
        lten Kanälen in England. Sie führen in Ihrem Antrag ja
        elbst aus, dass die Unfallzahlen im Schiffscharterver-
        ehr in anderen Ländern niedrig seien.
        Das mag für die genannten Touristenwasserstraßen in
        rankreich oder England gelten. Aber ich kann mir aus
        igener Erfahrung nicht vorstellen, dass jeder Unbe-
        arfte vor meiner Haustür in Wolfsburg auf Mittelland-
        anal und Elbeseitenkanal nach eigenem Gutdünken mit
        inem Boot fahren kann, ohne Grundkenntnisse wasser-
        traßenrechtlicher Vorschriften zu haben, besonders
        ann, wenn dieser PS-starke Motorboote führen will.
        on speziellen Anforderungen, wie sie etwa Schleusun-
        en an Bootsführer stellen, ganz zu schweigen.
        Die Einschränkung der Führerscheingrenze auf 5 PS
        st daher sehr sinnvoll. Es kann nicht darum gehen, je-
        em Bürger das ungezügelte Rasen auf Wasserstraßen zu
        rmöglichen, womöglich als Äquivalent dafür, dass wir
        och in naher Zukunft dazu kommen werden, das Tempo
        uf Autobahnen endlich zu begrenzen.
        Das Rasen mit Booten auf den Gewässern sollte auch
        us ganz anderen Gründen unterbleiben. Wir stecken
        erzeit voll und zu Recht in der Klimaschutzdebatte.
        nd das Rasen mit PS-starken Gefährten auf Wasser ist
        em Klimaschutz alles andere als dienlich. In Berlin ha-
        en wir auch aus gutem Grunde Geschwindigkeitsbe-
        renzungen – auch zum Schutz der Uferbereiche. Eine
        S-Begrenzung, die wir im Führerscheinwesen auf Was-
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. März 2007 8359
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        serstraßen haben, ist in dieser Beziehung auch eine gute
        Maßnahme.
        Wir schlagen vor, in wassersportrelevanten Gegenden
        das Schulangebot in diese Richtung zu erweitern, das
        Führerscheinwesen durch – wie von Ihnen vorgeschla-
        gen – Einführung eines Allgemeinen Amtlichen Boots-
        führerscheins übersichtlicher zu machen, aber die Unter-
        grenze für das Führen von Motorbooten nicht
        anzuheben.
        Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Auf
        den ersten Blick macht der Antrag der FDP-Fraktion
        durchaus Sinn. Denn die Vielzahl – fünf an der Zahl – an
        verschiedenen Sportbootführerscheinen und offensichtli-
        che Überschneidungen in den Ausbildungsanforderun-
        gen für den Sportbootführerschein-Binnen – SBF-Bin-
        nen – und den Sportbootführerschein-See – SBF-See –
        sind auffallend. Eine Zusammenlegung der letzteren zu
        einem Allgemeinen Amtlichen Bootsführerschein
        – AAB – könnte daher zunächst als sinnvoll erscheinen.
        Wir stimmen unseren Kollegen von der FDP bei den
        Forderungen 1 und 3 zu, in denen es darum geht, die
        Sportbootführerscheinregelungen zu vereinfachen und
        zu lockern. Auch die Ausweitung des Charterscheins auf
        gefährdungsarme Strecken oder mäßig befahrene, kurze
        Wasserstraßen und die Beschränkung der Führerschein-
        pflicht auf Fahrzeuge bzw. Verkehrsflächen mit wesent-
        lichem Gefährdungspotenzial halten wir gerade auch im
        internationalen Vergleich für richtig und sinnvoll. Und
        wir sehen ebenfalls die Notwendigkeit einer stärker pra-
        xisbezogenen Ausbildung, die praktische Vorkenntnisse
        besser berücksichtigen sollte.
        Aber die nähere Behandlung mit dem Wortungetüm
        „Allgemeiner Amtlicher Bootsführerschein“ zeigt auch
        auf, daß wir einige Fragen in Ruhe klären sollten. Der
        Antrag erscheint uns – aus welchen Gründen auch im-
        mer – mit der heißen Nadel gestrickt worden zu sein.
        Unsere geschätzten Kollegen von der FDP wollen ver-
        mutlich damit belegen, dass nur sie sich wahrhaftig um
        die Belange der Sport- und Freizeitschiffer kümmern.
        Interessant ist übrigens in diesem Zusammenhang,
        daß gestern in „Welt kompakt“ berichtet wurde, dass in
        Niedersachsen die geplante völlige Freigabe von Was-
        sersport auf – bestimmten – Seen von der schwarz-gel-
        ben Regierung gerade ad acta gelegt werden musste.
        Vielleicht sollten sich unsere Kollegen doch noch einmal
        mit ihren Landespolitikern in Niedersachsen rückkop-
        peln.
        Bezüglich des Allgemeinen Amtlichen Bootsführer-
        scheins ist uns die vorliegende Datenbasis zu unsicher,
        zumal wir die Zahlen der FDP nicht nachvollziehen kön-
        nen. Wir haben uns die aktuellen Zahlen von 2006 über
        die Zugänge vom Deutschen Segler Verband – DSV –
        und vom Deutschen Motoryachtverband – DMYV – be-
        sorgt. Aus diesen können wir beispielsweise nicht erse-
        hen, daß 95 Prozent sowohl den SBF-Binnen als auch
        den SBF-See erwerben. Die überwiegende Zahl – näm-
        lich 52 Prozent – machen den SBF-Binnen und nur
        39 Prozent den SBF-See.
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        See- und Binnengewässer sind aus unserer Sicht zu
        nterschiedliche Reviere, so dass bei der Ausbildung
        um jeweiligen Sportbootführerschein auch die unter-
        chiedlichen Verhältnisse, Anforderungen und Gefähr-
        ungen berücksichtigt werden sollten. Warum sollten
        ir den vielen Binnenschiffern die Erlernung der erwei-
        erten Regeln für den SBF-See auferlegen? Das würde
        och nur Sinn machen, wenn die Anforderungen an den
        BF-See auf ein entsprechendes Niveau gesenkt werden,
        avon raten wir jedoch dringend ab. Man sollte die De-
        egulierung nicht übertreiben.
        Was wir nicht nachvollziehen können, ist Ihre Forde-
        ung 2, die Mindestausrüstung für Sportboote künftig an
        ahrgebiete anstatt an die Schiffsgröße anzupassen. Das
        st nur eine andere Form von neuer Bürokratie, denn
        hne eine verstärkte Prüfungsmöglichkeit durch die
        asserpolizei und/oder eine Fahrtenbuchpflicht wäre
        ine derartige Regelung ein stumpfes Schwert. Wir hal-
        en diese Forderung daher für kontraproduktiv und leh-
        en sie daher auch ab.
        Wir schlagen vor, dass wir uns dieses Themas im
        usschuss auch weiterhin annehmen sollten und halten
        s in diesem Zusammenhang für geboten, die Bundes-
        egierung aufzufordern, einen Bericht zur Sport- und
        reizeitschifffahrt in Deutschland unter besonderer Be-
        ücksichtigung der aktuellen Situation bei den Sport-
        ootführerscheinen vorzulegen.
        Manche Ansätze des Antrags erscheinen uns sinnvoll,
        ndere gehen uns an bestimmten Stellen jedoch zu weit
        nd sind zu wenig durchdacht. Wir wollen aber keinen
        ktionismus. Und wir wollen keine „Leichtmatrosen“
        uf unseren Gewässern, für die der Leitspruch gilt: „Na-
        igation ist, wenn man trotzdem ankommt.“
        nlage 9
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Antrags: Ratifizierung des
        IAO-Übereinkommens über Heimarbeit (Tages-
        ordnungspunkt 23)
        Dr. Wolf Bauer (CDU/CSU): Heimarbeit ist in
        ielen Entwicklungsländern oft die gängigste Form von
        eschäftigung. Dies geschieht vielfach unter unmensch-
        ichen Bedingungen und bedeutet für viele Menschen
        angelhafte und/oder gar keine soziale Absicherung,
        ntrechtung und/oder schlichtweg miserabelste Arbeits-
        edingungen.
        Es gibt oftmals keinen Arbeitsplatzschutz, Mutterschutz,
        rlaubsanspruch oder einen rechtsgültigen Arbeitsver-
        rag – Dinge, die wir in Deutschland für selbstverständ-
        ich halten. Dabei ist das Tragische, dass viele dieser
        enschen in Entwicklungsländern kaum eine andere
        öglichkeit haben, für ihre Familien zu sorgen, da es
        aum Alternativen zur Heimarbeit gibt. Die Folgen für
        ie Entwicklung dieser Länder sind verheerend. Und ich
        in mir sicher, dass sich dieser Analyse jeder in diesem
        ause anschließt.
        8360 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. März 2007
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        Es stellt sich die Frage, was wir dagegen tun können.
        Der Antrag der Fraktion Die Linke fordert zum einen,
        das Übereinkommen 177 der IAO über Heimarbeit in
        Deutschland zu ratifizieren, und zum anderen, bei der
        internationalen Staatengemeinschaft dafür zu werben,
        dies ebenfalls zu tun. Nun ist dieses Übereinkommen aus
        dem Jahr 1996, und bislang haben es erst fünf von fast
        180 Unterzeichnerstaaten ratifiziert. Dies ist nicht gerade
        eine überwältigende Anzahl und es stellt sich die Frage,
        warum dem so ist.
        In Deutschland hat dazu das Bundesministerium für
        Wirtschaft und Arbeit im entsprechenden Ausschuss
        Stellung bezogen, welche Auswirkungen eine Ratifizierung
        des Übereinkommens über Heimarbeit für Deutschland
        hätte. Schließlich darf man nicht vergessen, dass die
        Ratifizierung von internationalen Abkommen auch Aus-
        wirkungen auf das deutsche Recht haben kann.
        Das Ministerium kommt bei der angesprochenen
        rechtlichen Bewertung zu der Auffassung, dass das
        Übereinkommen über Heimarbeit nicht mit den in
        Deutschland geltenden Gesetzen im Einklang steht, weil
        auch die Telearbeit unter den Heimarbeitsbegriff des
        Übereinkommens fällt und dies nicht mit den entspre-
        chenden Bestimmungen des SGB IV vereinbar ist. Außer-
        dem übernimmt das Übereinkommen das romanische
        System der Arbeitsinspektion, das sich auch auf die
        Regelungen von Entlohnung und Arbeitsbedingungen
        erstreckt. Doch genau dies ist in Deutschland Aufgabe
        der Tarifvertragsparteien oder Gremien nach dem soge-
        nannten Heimarbeitsgesetz. Würden wir das Überein-
        kommen also ratifizieren, würden wir damit tief in das
        System des Tarif- und Arbeitsrechts eingreifen und dies
        kann nun wirklich nicht gewollt sein. Ob das vom Antrag-
        steller bedacht wurde, vermag ich nicht zu beurteilen,
        aber allein deshalb kann die Fraktion der CDU/CSU die-
        sem Antrag nicht zustimmen.
        Ich glaube auch, dass unabhängig von dieser rechtlichen
        Bewertung – und diese können wir nicht einfach so abtun –
        nicht vorrangig Deutschland Adressat des Übereinkom-
        mens ist; denn unsere Standards bei der Heimarbeit sind
        nicht zu beanstanden. Ich glaube vielmehr, dass der
        Adressat des Übereinkommens Entwicklungsländer sind,
        in denen kein Mindestmaß an Schutz vor Ausbeutung
        bei der Heimarbeit existiert. Doch gerade diese Länder
        scheinen sich nicht in das enge Korsett des Übereinkom-
        mens einpassen zu wollen oder zu können. So wünschens-
        wert es wäre, dass weltweit Standards bei der Heimarbeit
        gelten, so wenig ist das Übereinkommen offensichtlich
        dafür geeignet, diese zu implementieren. Wir brauchen
        vielmehr flexiblere Instrumente, die den Regierungen
        mehr Raum lassen für länderspezifische Anpassungen
        und Ausgestaltungen, ohne dadurch die notwendigen
        Standards zu unterminieren. Damit wir uns richtig ver-
        stehen: Ich teile ausdrücklich die Auffassung, dass ein
        Mindestmaß an Schutz vor Ausbeutung bei der Heimarbeit
        weltweit gelten sollte. Allerdings ist das Übereinkommen
        über Heimarbeit nicht dazu in der Lage, dies zu ändern.
        Kurz gesagt: richtige Analyse – falsches Instrumentarium.
        Und solange wir dieses Instrumentarium – eine funktio-
        nierende internationale Vereinbarung – nicht haben, müs-
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        en wir im Rahmen der bilateralen oder der international
        ernetzten Entwicklungszusammenarbeit darauf hinarbei-
        n, dass ein Mindestmaß an Standards bei der Heimarbeit
        den Partnerländern eingehalten wird. Dabei unterstützen
        ir diese Länder, und ich glaube, zu diesem Weg gibt es
        urzeit keine Alternative. Denn eins dürfen wir nicht
        ergessen: Soziale und rechtliche Standards bei der
        eimarbeit sind im Interesse der betroffenen Menschen
        nd unabdingbar notwendig für die Entwicklung ihrer
        eimatländer. Aber nicht nur das; es wäre auch in unserem
        reigenen Interesse; denn von weltweit geltenden Stan-
        ards bei der Heimarbeit profitieren nicht zuletzt auch
        ir selbst. Ich möchte an dieser Stelle aus einer Rede
        on Bundespräsident Köhler an der Universität Tübingen
        on vor gut zwei Jahren zitieren, in der er diese Zusam-
        enhänge deutlich macht:
        Wir müssen endlich begreifen, dass wir in einer
        Welt leben! Nicht in einer ersten, zweiten oder dritten
        Welt. Das liegt auch in unserem eigenen Interesse:
        Denn wir in den sogenannten entwickelten Ländern
        werden weder unseren Wohlstand noch unsere Si-
        cherheit noch unseren Frieden erhalten, wenn wir
        uns nicht als Partner der Armen begreifen.
        Die Verbesserung der Bedingungen von Heimarbeit
        st dafür ein immens wichtiger Beitrag. Ich glaube, wir
        ind uns im Ziel, soziale und rechtliche Missstände bei
        er Heimarbeit in Entwicklungsländern zu bekämpfen,
        raktionsübergreifend einig, und ich hoffe, dass wir in
        ukunft – bei aller notwendigen Diskussion über den
        eg – auf dieses Ziel gemeinsam hinarbeiten, nicht nur
        m Interesse der Menschen in den Partnerländern, auch
        m Interesse Deutschlands. Wenn wir das begreifen und
        en Menschen deutlich machen, wird auch die Akzeptanz
        ür Entwicklungszusammenarbeit insgesamt zunehmen
        nd die Bereitschaft, dafür Opfer zu bringen, steigen.
        Walter Riester (SPD): Heimarbeit ist gerade in Ent-
        icklungs- und Schwellenländern häufig zwischen in-
        ormeller und formeller Arbeit angesiedelt und dadurch
        ekennzeichnet, dass in diesem Bereich .sehr schlechte
        rbeitsbedingungen vorherrschen und Familienmitglie-
        er und Kinder durch ihre Mitarbeit ebenfalls betroffen
        ind. Insofern ist es gerade hier wichtig, für die besonde-
        en Bedingungen der Heimarbeit auch entsprechende
        chutzrechte zu vereinbaren. In Deutschland haben wir
        ies schon im Jahre 1951 mit dem Heimarbeitsgesetz ge-
        etzlich geregelt.
        Die Initiative der ILO ist also vom Grundsatz her ab-
        olut notwendig, und in der Präambel des Übereinkom-
        ens 177 über Heimarbeit aus dem Jahre 1996 ist auch
        utreffend ausgeführt, dass die besonderen Bedingun-
        en, die die Heimarbeit kennzeichnen – ich zitiere wört-
        ich –, ,,es wünschenswert erscheinen lassen, die An-
        endung dieser Übereinkommen und Empfehlungen auf
        eimarbeiter zu verbessern und sie durch Normen zu er-
        änzen, die den besonderen Merkmalen der Heimarbeit
        echnung tragen“.
        Problematisch ist allerdings dann Art. 4 Abs. 2 des
        bereinkommens, in dem eine absolute Gleichbehand-
        ung insbesondere in Bezug auf acht Positionen gefor-
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. März 2007 8361
        (A) )
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        dert wird, die teilweise eben nicht eine Gleichbehand-
        lung, sondern – aufgrund der Unterschiedlichkeit von
        Heimarbeit und formeller Arbeit – eine unterschiedliche
        Behandlung erforderlich machen. Dies beginnt bei-
        spielsweise schon beim Arbeitsschutz. In unserem Land
        gilt im formellen Bereich die Arbeitsstättenverordnung.
        Sie gilt natürlich nicht in den Haushallen, in denen
        Heimarbeit praktiziert wird. Auch der Schutz durch ge-
        setzliche Systeme der sozialen Sicherheit ist in diesen
        Ländern nicht ohne Weiteres auf die Heimarbeit zu über-
        tragen.
        Ähnlich verhält es sich mit der Entgeltregelung und
        dem Zugang zur Ausbildung.
        Kurzum: Die Besonderheiten der Arbeitsbedingungen
        der Heimarbeit bedürfen auch besonderer Regeln. Das
        Übereinkommen 177 ist jedoch nicht dazu geeignet, die
        in Heimarbeit Beschäftigten zu schützen, da es den be-
        sonderen Merkmalen der Heimarbeit nicht ausreichend
        Rechnung trägt. Es fordert die Gleichbehandlung mit
        formellen Arbeitsverhältnissen und würde somit Unglei-
        ches gleich behandeln. Insofern müsste meiner Meinung
        nach das ILO-Übereinkommen auch geändert werden.
        Es sollte die ILO auch zumindest nachdenklich stimmen,
        dass das Übereinkommenden bisher nur von fünf der
        176 Mitgliedsländer ratifiziert worden ist.
        Aus diesen Gründen lehnen wir den Antrag der Frak-
        tion der Linken auf Ratifizierung des ILO-Übereinkom-
        mens über Heimarbeit ab. Da das generelle Anliegen,
        differenzierte Regeln für die Heimarbeit zu schaffen, je-
        doch von großer Bedeutung ist, wäre es durchaus wün-
        schenswert, wenn in dieser Sache ein Gespräch zwi-
        schen Parlamentariern des Deutschen Bundestages,
        deutschen Vertretern in der ILO und deutschen Gewerk-
        schaften geführt werden könnte.
        Dr. Karl Addicks (FDP): Beim Lesen des Antrags
        der Kollegen der Linken ist wieder ein Bild von der „bö-
        sen Globalisierung“ gezeichnet worden, die an allem
        Elend auf der Welt schuld ist – nach dem Motto: Große
        global agierende Unternehmen beuten Heimarbeiter oder
        andere kleinere Zulieferfirmen, vorrangig in Entwick-
        lungsländern, aus. Das trifft in einigen Fällen sicher zu.
        Aber das sind Ausnahmen. Ein immer nur negatives Bild
        von einer weltweiten Entwicklung zu zeichnen, das wi-
        derstrebt mir. Es gilt die Vorteile und Chancen der Glo-
        balisierung zu nutzen. Gerade für Entwicklungsländer
        und ihre Bevölkerung ergeben sich viele Entwick-
        lungschancen, Chancen zur weltweiten Durchsetzung
        von Freiheit, Menschenrechten und Marktwirtschaft.
        Globalisierung ist mehr als Handel. Sie deckt gute und
        schlechte Politik auf, führt zu Transparenz der politi-
        schen und gesellschaftlichen Systeme und damit zur
        Durchsetzung von Menschenrechten, zum Ausbau
        rechtsstaatlicher Strukturen und zum Wohlstand für alle.
        Die Ausbreitung von Freiheit, Menschenrechten, Demo-
        kratie und Marktwirtschaft ist daher die zentrale Auf-
        gabe der Entwicklungspolitik im Rahmen der Globali-
        sierung. Das sind meiner Meinung nach die Ansätze, die
        wir verfolgen sollten.
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        Die Ratifizierung eines Übereinkommens zur Heim-
        rbeit der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO),
        ie es im Antrag der Linken gefordert wird, kann mei-
        er Meinung nach keine Verbesserung der Lage für die
        eimarbeiter in Entwicklungs- und Schwellenländern
        rwirken. Und auch das oft angebrachte Argument der
        Ausstrahlungskraft“ einer Ratifizierung durch Deutsch-
        and auf die betroffenen Länder, kann ich nicht gelten
        assen. Ein Land wie Botswana, wo 77 Prozent aller
        Betriebe“ in Haushalten sind, wird dieses Übereinkom-
        en nicht ratifizieren, nur weil Deutschland dies getan
        at. Wenn das so einfach wäre, dann wären wir in eini-
        en anderen Punkten schon viel weiter. Wir müssen in
        en betroffenen Ländern das Bewusstsein und die Mög-
        ichkeiten schaffen, dass die Menschen in der Lage sind,
        ich selbst zu helfen, und sich ihrer Rechte bewusst sind.
        Lassen Sie mich drei Stichworte nennen, die für Libe-
        ale Grundvoraussetzungen zur Beseitigung der Armuts-
        rsachen sind: Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und der
        iskriminierungsfreie Zugang zur Bildung.
        Eine funktionierende Demokratie ist der beste Schutz
        egen Ausbeutung und Zweckentfremdung von Hilfs-
        eistungen und eine wesentliche Voraussetzung für nach-
        altige Hilfe. Sie öffnet zudem traditionell benachteilig-
        en Gruppen die Möglichkeit politischer Partizipation.
        Darüber hinaus ist Rechtsstaatlichkeit das wichtigste
        chutzinstrument der Armen. Wo es an Rechtsstaatlich-
        eit fehlt, müssen sich die Armen in Abhängigkeiten be-
        eben, die ihre wirtschaftlichen und politischen Freihei-
        en beschränken oder ganz unmöglich machen.
        irtschaftliche Entwicklung braucht den Markt. Wo er
        ehlt, gibt es keinen wirtschaftlichen Erfolg. Erfolgreich
        ind nur jene Staaten, die ein hohes Maß an wirtschaftli-
        her Freiheit erlauben. Die Entwicklungspolitik muss
        aher den Aufbau funktionierender Marktwirtschaften
        um Ziel haben, wenn sie die Armut und ihre Ursachen
        auerhaft beseitigen will.
        Und nicht zu vergessen der Zugang zur Bildung.
        enschen, die lesen und schreiben können, sind viel
        her in der Lage, ihre Rechte zu kennen und auch einzu-
        ordern. Das muss unser Ziel sein. Ich kann mir nicht
        orstellen, dass ein Heimarbeiter in Indien oder wo auch
        mmer, wenn er nicht lesen und schreiben kann, jemals
        on den im Übereinkommen festgelegten Rechten erfah-
        en wird. Alles andere wäre illusorisch.
        Es gibt aber noch weitere Punkte, die uns von einer
        ustimmung zu ihrem Antrag abhalten. Es ist Tatsache,
        ass bei einer Ratifizierung des Übereinkommens durch
        eutschland erhebliche arbeitsrechtliche Probleme auf-
        reten. Ohne umfassende arbeitsrechtliche Änderungen
        ann Deutschland dieses Übereinkommen nicht ratifizie-
        en. Wir haben in Deutschland bereits ein völlig ausrei-
        hendes Heimarbeitsgesetz und zusätzlich noch weitere,
        um Teil überflüssige arbeitsrechtliche Vorschriften. Da
        rage ich mich doch, warum wir dieses Übereinkommen
        och ratifizieren sollen, gerade vor dem Hintergrund,
        ass es für die Heimarbeiter in Deutschland keine Ver-
        esserung der rechtlichen Situation ergeben würde?
        8362 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. März 2007
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        Ferner geht der Anwendungsbereich des Überein-
        kommens weit über den nationalen Begriff der Heimar-
        beit hinaus. Demnach würden auch Telearbeitsplätze un-
        ter den weiten Begriff Heimarbeit fallen. Darüber hinaus
        enthält das Übereinkommen Regelungen zur Entlohnung
        und Arbeitsbedingungen. Dies ist aber in Deutschland
        Aufgabe der Tarifparteien.
        Ich könnte Ihnen noch weitere Punkte nennen. Doch
        ich will es kurz machen: Die Ratifizierung des Überein-
        kommens würde einen tiefgreifenden, systemwidrigen
        Eingriff in unser arbeitsrechtliches System bedeuten.
        Das kann nicht in unserem Interesse sein. Ganz zu
        schweigen von dem bürokratischen Aufwand, den eine
        solche Ratifizierung nach sich zieht. Ein langes und auf-
        wendiges Berichtsystem ist nach einer Ratifikation die
        Folge. Dieser bürokratische Aufwand macht nur dann
        Sinn, wenn das Übereinkommen auch eine Verbesserung
        der Lage bringt. Bei diesem bezweifle ich das.
        Ich möchte nicht, dass Sie mich falsch verstehen. Es
        gibt Übereinkommen, die sind richtig und wichtig. Doch
        warum soll Deutschland ein Übereinkommen ratifizie-
        ren, wo doch viel bessere und weitergehende gesetzliche
        Regelungen vorhanden sind? Das ist meines Erachtens
        ein Bürokratismus, den wir uns sparen können, auch vor
        dem Hintergrund der Wirksamkeit des Übereinkom-
        mens.
        Wir Liberale sind uns einig, dass wir diesem Antrag
        nicht zustimmen können.
        Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE): Die Bundes-
        regierung hat sich den UN-Millenniumszielen verpflich-
        tet, die im Zeitraum zwischen 2000 und 2015 die Halbie-
        rung des Hungers und der extremen Armut auf der Welt
        vorsehen. Auch auf der kommenden Tagung der G 8 in
        Heiligendamm wird sich die deutsche Präsidentschaft
        dieses Ziel wieder werbewirksam auf die Fahnen schrei-
        ben.
        Nur: Was heißt das konkret? Extreme Armut entsteht
        dort, wo Menschen von Arbeitslosigkeit betroffen sind
        oder in unsicheren Arbeitsverhältnissen beschäftigt wer-
        den. Diese sogenannte prekäre Beschäftigung ist welt-
        weit auf dem Vormarsch. Der Grund ist einfach: Die
        neoliberale Ideologie, der sich die G 8 und die Bundes-
        regierung verschrieben haben, sieht überall nur Deregu-
        lierung, Privatisierung und Liberalisierung der Wirt-
        schaft vor. Als Folge wächst weltweit der informelle
        Sektor. Nach Angaben der Internationalen Arbeitsorga-
        nisation IAO beträgt der Anteil der in der Schattenwirt-
        schaft Beschäftigten in vielen Ländern Asiens und Afri-
        kas zwischen 50 und 80 Prozent. Heimarbeit nimmt
        dabei eine bedeutsame Rolle ein.
        Ich konnte mir von den Auswirkungen informeller
        Arbeitsverhältnisse anlässlich des Weltsozialforums in
        Kenia ein Bild machen. Von den rund 10 Millionen Be-
        schäftigten befinden sich dort nur 1,8 Millionen in einer
        regulären, durch Arbeitsverträge abgesicherten Beschäf-
        tigung. Ich habe gesehen, wie unter ärmlichsten Bedin-
        gungen in Nairobi Zehntausende auf einem improvisier-
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        en Markt für Alt-Textilien und andere Second-Hand-
        are unter freiem Himmel arbeiten und handeln.
        Heimarbeit ist eine besonders perfide Form informel-
        er Beschäftigung. Häufig handelt es sich um Arbeit, die
        rüher unter dem Dach großer Unternehmen stattfand
        nd durch Arbeitsverträge abgesichert war. Doch im
        uge der neoliberalen Umstrukturierungsmaßnahmen
        aben gerade die transnationalen Unternehmen systema-
        isch bestimmte Produktionsbereiche ausgelagert. So be-
        indet sich heute ein Drittel aller kenianischen „Be-
        riebe“ in Privathaushalten.
        Die sozialen Folgen der Heimarbeit in solchen Ent-
        icklungsländern sind häufig dramatisch. Aufgrund der
        chwachen Verhandlungsposition der in Heimarbeit Be-
        chäftigten sind die Entgelte niedrig. Die betroffenen Fa-
        ilien leben in permanenter Unsicherheit. Jede Krank-
        eit ist existenzbedrohend. Heimarbeit bedeutet, dass die
        bhängig Beschäftigten für die Produktionsvorausset-
        ungen selber zahlen müssen.
        Und: Die Mehrheit der in Heimarbeit Beschäftigten
        ind weiblich, in Industriestaaten ebenso wie in Ent-
        icklungsländern. Heimarbeit bedeutet die Aushebelung
        eglichen Mutterschutzes – sofern sie nicht von Schutz-
        esetzen begleitet wird.
        Genau solch eine Gesetzgebung zum Schutz der
        eimarbeiterinnen fordert das IAO-Übereinkommen
        77. Es trat im April 2000 in Kraft, und dennoch haben
        s bis heute nur fünf Länder ratifiziert – Albanien, Ar-
        entinien, Finnland, Irland und die Niederlande.
        eutschland verweigert sich bislang. Kanzlerin Merkel
        at in der letzten Woche wohl Weltbank und Afrikani-
        che Union aufgefordert – ich zitiere – „ihr Bekenntnis
        ur Gleichstellung von Mann und Frau messbar umzu-
        etzen“. Gleichzeitig aber blockiert sie die IAO in ihren
        emühungen, konkrete Gesetze zum Schutz von Millio-
        en von Heimarbeiterinnen weltweit durchzusetzen.
        cheinheiliger geht es nicht.
        Nun fragt man sich, was die Regierungsfraktionen in
        eutschland gegen eine Ratifizierung des IAO-Überein-
        ommens über Heimarbeit einzuwenden haben. Abs-
        rakte Bekenntnisse zur IAO gibt es schließlich genug.
        o lesen wir in einer Broschüre unter dem Titel „Globa-
        isierung sozial gestalten“ des Ministeriums für Entwick-
        ung und Zusammenarbeit: „Die Bundesregierung legt
        esonderen Wert auf die Umsetzung international gülti-
        er Sozialstandards … Die Internationale Arbeitsorgani-
        ation verweist in diesem Zusammenhang zu Recht da-
        auf, dass Arbeitsstandards eine besondere Rolle beim
        treben nach einer größeren Balance zwischen sozialem
        ortschritt und wirtschaftlichem Wachstum zukommt.“
        Doch solche Bekenntnisse haben in der Praxis keine
        olgen. Seit Beginn dieser Wahlperiode hat die Bundes-
        egierung dem Bundestag kein einziges Abkommen der
        AO zur Ratifizierung vorgelegt. Dabei handelt es sich
        icht um ein Versehen. Das Übereinkommen über Heim-
        rbeit stand bereits auf der Tagesordnung der rot-grünen
        orgängerregierung zum Ende der letzten Wahlperiode.
        och auf Anraten des federführenden Ministeriums
        urde seine Ratifizierung abgelehnt.
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 82. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. März 2007 8363
        (A) (C)
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        Die Bundesrepublik Deutschland ist Mitglied in der
        IAO. Wir müssen feststellen, dass sowohl die rot-grüne
        Regierung als auch die derzeit amtierende Große Koali-
        tion die Verpflichtungen Deutschlands gegenüber der
        IAO systematisch hintertreiben.
        Dabei geht es nicht immer direkt um die Gesetze hier-
        zulande. Deutschland hat seit 1964 ein Heimarbeitsgesetz,
        das sogar zum Teil noch über die von der IAO beschlosse-
        nen Standards hinausgeht. Aber die Ratifizierung hierzu-
        zwar jene, die weltweit mit am schlechtesten bezahlt
        wird.
        Um die schlimmsten Formen von Ausbeutung zu ver-
        hindern, braucht die Heimarbeit daher besonderen
        Schutz. Das hebt die ILO-Konvention 177 richtig her-
        vor, und damit stimmen wir ganz klar überein.
        Wir brauchen weltweit festgelegte Mindestarbeits-
        und Mindestschutznormen für Heimarbeiterinnen. Nur so
        lande würde natürlich sofort die Frage nach den Partner-
        ländern in der Entwicklungszusammenarbeit aufwerfen.
        Deutschland ist Exportweltmeister. Investitionen deut-
        scher Firmen auf globalem Maßstab begleiten diesen Ex-
        pansionsprozess. Sie haben kein Interesse, in Ländern wie
        Kenia oder Indien Gesetze vorzufinden, die das allge-
        meine Lohnniveau stabilisieren. Wenn es nach den Herren
        und Damen in den Chefetagen geht, dann liefern sich die
        verschiedenen Länder einen Wettlauf um die schlechtes-
        ten Arbeits- und Lebensbedingungen.
        Die Durchsetzung weltweiter Kernarbeitsnormen und
        anderer von der IAO vereinbarter sozialer Mindeststan-
        dards ist Voraussetzung, um dieser Abwärtsspirale Ein-
        halt zu gebieten. Doch daran haben die Hartz-IV-Par-
        teien offenbar kein Interesse. So wie sie in Deutschland
        nicht willens sind, durch die Einführung eines allgemei-
        nen Mindestlohnes die Lage der Niedrigverdiener zu
        verbessern, so wenig wollen sie andere Länder dazu er-
        mutigen, gesetzgeberische Maßnahmen zum Schutz der
        zahllosen informell Beschäftigten einzuführen. Das
        nenne ich Interessenpolitik für das große Kapital.
        Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die De-
        batte über die Bedeutung der Heimarbeit ist sinnvoll. Sie
        muss weitergeführt und intensiviert werden. Der Rah-
        men, der durch den vorliegenden Antrag gewählt wird,
        kann jedoch nicht überzeugen.
        Auch wenn es auch in Deutschland gute Gründe ge-
        ben mag, die ILO-Konvention Nr. 177 zur Heimarbeit zu
        ratifizieren, muss erst einmal festgehalten werden, dass
        Heimarbeit – als Teil des informellen Sektors – in we-
        sentlichen Aspekten besonders Entwicklungsländer be-
        trifft. So ist in Lateinamerika und Nordafrika etwa die
        Hälfte der arbeitenden Bevölkerung im informellen Sek-
        tor tätig. In einigen Ländern Asiens und in fast ganz
        Subsahara-Afrika sind es mehr als zwei Drittel der Be-
        völkerung.
        Gerade in Entwicklungsländern bewegt sich Heimar-
        beit fast immer in einer ungeregelten Grauzone der Öko-
        nomie. Daher ist sie besonders anfällig für Diskriminie-
        rung. Heimarbeit ist im wesentlichen Frauenarbeit, und
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        ann verhindert werden, dass die Unternehmen verschie-
        ene Länder gegeneinander ausspielen. Unternehmen ge-
        en oftmals dorthin, wo die Standards gerade am tiefsten
        ängen. Damit wird einer weiteren Ausbeutung und einer
        ynamik nach unten – dem „race to the bottom“ – immer
        ehr Spielraum eröffnet. Auch um die bestehenden Stan-
        ards und Schutzbestimmungen für Heimarbeiterinnen in
        ndustrieländern beibehalten zu können, sind daher ver-
        indliche Sozialstandards nötig.
        In der Realität macht allerdings – bezogen auf Ent-
        icklungsländer – das Übereinkommen 177 den zweiten
        chritt vor dem ersten. Denn in Entwicklungsländern be-
        tehen vielfach lediglich rudimentäre soziale Sicherungs-
        ysteme, und auch im formellen Sektor ist die Einhaltung
        er Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorga-
        isation nicht immer selbstverständlich. So ist es kein
        under, dass es aus vielen Entwicklungsländern selbst
        eringe politische Bemühungen gibt, die Konvention 177
        u befördern. Die Ratifizierung Deutschlands würde da-
        an wenig ändern.
        Wir halten es auch im Moment nicht für den richtigen
        nsatz, die Heimarbeit mit dem formellen Sektor gleich-
        ustellen, wie es die Konvention fordert. Hier besteht ein
        iderspruch zu der – bereits erwähnten – Anforderung
        erselben Konvention, wonach die Heimarbeit spezieller
        egeln und besonderen Schutzes bedarf. Um die Lage
        on Heimarbeiterinnen in Entwicklungsländern real zu
        erbessern, hatten wir derzeit andere Ansätze für Erfolg
        ersprechender als die Zeichnung der Konvention.
        So bietet die zweite Stufe der Reform des Vergabe-
        echts die ideale Gelegenheit für die Bundesregierung,
        in gesellschaftlich verantwortungsbewusstes Beschaf-
        ungswesen zu verankern. Unternehmen können dadurch
        u mehr Transparenz über ihre Zulieferketten und die
        ortige Einhaltung sozialer und ökologischer Mindest-
        tandards verpflichtet werden. Dies wäre eine Möglich-
        eit der Einflussnahme, die mit Sicherheit zu einer bes-
        eren Durchsetzung der ILO-Kernarbeitsnormen im
        ormellen Sektor in Entwicklungsländern führen würde.
        udem hätte es auch bestimmt positive Effekte auf den
        nformellen Sektor und damit auf die Situation der
        eimarbeiterinnen.
        82. Sitzung
        Berlin, Donnerstag, den 1. März 2007
        Inhalt:
        Redetext
        Anlagen zum Stenografischen Bericht
        Anlage 1
        Anlage 2
        Anlage 3
        Anlage 4
        Anlage 5
        Anlage 6
        Anlage 7
        Anlage 8
        Anlage 9