)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 80. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Februar 2007 8089
(A) )
(B) )
Peter Rauen (CDU/CSU), Katherina Reiche abhängt.
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
Anlage 2
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Dr. Lale Akgün (SPD),
Dr. Hans-Peter Bartels (SPD), Dr. Axel Berg
(SPD), Lothar Binding (Heidelberg) (SPD),
Peter Bleser (CDU/CSU), Dr. Martina Bunge
(DIE LINKE), Martin Burkert (SPD), Thomas
Dörflinger (CDU/CSU), Dagmar Freitag (SPD),
Robert Hochbaum (CDU/CSU), Eike
Hovermann (SPD), Dr. Hans-Heinrich Jordan
(CDU/CSU), Christian Kleiminger (SPD),
Monika Knoche (DIE LINKE), Manfred Kolbe
(CDU/CSU), Gunther Krichbaum (CDU/CSU),
Volker Kröning (SPD), Katharina Landgraf
(CDU/CSU), Dr. Michael Luther (CDU/CSU),
Dirk Manzewski (SPD), Friedrich Merz (CDU/
CSU), Maria Michalk (CDU/CSU), Hans
Michelbach (CDU/CSU), Detlef Müller (Chem-
nitz) (SPD), Henry Nitzsche (fraktionslos),
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Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
Barthle, Norbert CDU/CSU 02.02.2007
Bülow, Marco SPD 02.02.2007
Burchardt, Ulla SPD 02.02.2007
Eichel, Hans SPD 02.02.2007
Eymer (Lübeck), Anke CDU/CSU 02.02.2007
Frankenhauser, Herbert CDU/CSU 02.02.2007
Gabriel, Sigmar SPD 02.02.2007
Hempelmann, Rolf SPD 02.02.2007
Hilsberg, Stephan SPD 02.02.2007
Kasparick, Ulrich SPD 02.02.2007
Kröning, Volker SPD 02.02.2007
Lopez, Helga SPD 02.02.2007
Merten, Ulrike SPD 02.02.2007
Pflug, Johannes SPD 02.02.2007
Schultz (Everswinkel),
Reinhard
SPD 02.02.2007
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(D
Anlagen zum Stenografischen Bericht
(Potsdam) (CDU/CSU), Maik Reichel (SPD),
Carsten Schneider (Erfurt) (SPD), Rolf Stöckel
(SPD), Jörn Thießen (SPD), Dr. Marlies
Volkmer (SPD), Dr. Wolfgang Wodarg (SPD)
zur Abstimmung über den Entwurf eines
Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der
gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wett-
bewerbsstärkungsgesetz – GKV-WSG) (Tages-
ordnungspunkt 27 a)
Dr. Lale Akgün (SPD): Die große Koalition hatte
ich zum Ziel gesetzt, mit der Gesundheitsreform eine
achhaltige und gerechte Finanzierung eines leistungsfä-
igen und solidarischen Gesundheitswesens zu sichern.
Der jetzt vorliegende Gesetzentwurf beinhaltet ein-
elne Strukturreformen, die positiv zu bewerten sind,
azu gehören: die Pflicht der gesetzlichen und privaten
rankenversicherung, ehemaligen Versicherten wieder
inen Versicherungsschutz anzubieten, der Erhalt des
isherigen Leistungskataloges der GKV und Verbesse-
ungen durch die Aufnahme von Mutter-Vater-Kind-Ku-
en, geriatrischer Rehabilitation, Palliativversorgung und
mpfungen in den Pflichtleistungskatalog der GKV, die
osten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln, die auch
en therapeutischen Nutzen berücksichtigt, Ausbau der
ntegrierten Versorgung und weitere Öffnung der Kran-
enhäuser für die ambulante Versorgung, der Ausbau
es steuerfinanzierten Anteils an der Finanzierung des
esundheitswesens.
Der vorliegende Gesetzentwurf führt jedoch auch
azu, dass die Solidarität in der gesetzlichen Kranken-
ersicherung geschwächt werden kann und eine zusätzli-
he Belastung der gesetzlich Versicherten entsteht.
Insbesondere folgende Punkte sind sehr kritisch zu
ehen: Der Gesundheitsfonds bezieht die private Kran-
enversicherung nicht in die solidarische Finanzierung
es Gesundheitswesens mit ein. Die einheitliche Festset-
ung des Beitragssatzes durch den Bund lässt befürch-
en, dass viele GKVen den Wettbewerb nur über Zusatz-
eiträge austragen können. Dazu kommt die Einführung
er geplanten Wahlleistungs- und Selbstbehalttarife, die
u einer weiteren Privatisierung der Krankheitskosten
ühren. Den Trägern des Gesundheitswesens, insbeson-
ere den Krankenhäusern, werden Einsparzwänge aufer-
egt, die sie an der Rand ihrer Leistungsfähigkeit bringen
nd letztlich zusätzlichen Druck auf die dort Beschäftig-
en ausüben.
Damit steht die Reform in Widerspruch zu den Be-
chlüssen von SPD-Parteivorstand und Parteirat, „Pau-
chalen jeder Art und Variante“ als unsolidarisch abzu-
ehnen.
Des Weiteren gibt es im Gesetzentwurf eine Vielzahl
on Unwägbarkeiten, da in etlichen Bereichen die kon-
rete Ausgestaltung der Regelungen erst in einem erneu-
en Verfahren frühestens Ende 2008 geregelt wird oder
on Bedingungen, Vorbehalten und noch offenen Fragen
8090 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 80. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Februar 2007
(A) )
(B) )
Ich stimme dem Gesetzentwurf daher nur mit großen
Bedenken zu, im Wissen, dass unter den zurzeit gegebe-
nen Mehrheitsverhältnissen kein weitergehender Gesetz-
entwurf mit einer sozialdemokratischeren Handschrift
erreichbar war. Ich stimme auch deshalb zu, weil sich
meine Fraktion mit großer Mehrheit für die Annahme
dieses Gesetzes ausgesprochen hat, und ich dieser demo-
kratisch gefällten Mehrheitsentscheidung nicht in den
Rücken fallen möchte.
Ich erwarte, dass sich die gesamte Fraktion nach Ver-
abschiedung des Gesetzes solidarisch und vehement da-
für einsetzt, dass alle noch offenen bzw. bis 2009 noch
zu klärenden Fragen mit dem Ziel größtmöglicher Soli-
darität im Gesundheitswesen gelöst werden.
Dazu gehören insbesondere: eine weitreichende Re-
gelung des morbiditätsbezogenen Risikostrukturaus-
gleichs (Morbi-RSA), der einen Kassenwettbewerb um
die beste Qualität und nicht um die geringsten Risiken
befördert, eine fachübergreifende und langfristig trag-
bare Regelung für einen zukünftig steigenden Steuerzu-
schuss des Gesundheitswesens und dessen Finanzierung,
eine Insolvenzordnung der Krankenkassen, die die Inte-
ressen der Beschäftigten ausreichend berücksichtigt.
Ich betone ausdrücklich, dass meine Vorstellungen ei-
nes solidarisch finanzierten Gesundheitswesens sich in
vielen Punkten deutlich von den Inhalten des vorliegen-
den Gesetzes unterscheiden bzw. weit darüber hinausge-
hen.
Ich werde mich daher künftig für parlamentarische
Mehrheiten einsetzen, die es ermöglichen, Zusatzbei-
träge in Form eines einkommensunabhängigen Pau-
schalbeitrages wieder abzuschaffen, solidarische Struk-
turen für den Bereich der gesetzlichen und privaten
Krankenversicherung auszubauen und die Finanzie-
rungsbasis durch Heranziehung von über Lohn und Ge-
halt hinausgehende Einkommensarten verbreitert (Stich-
wort Bürgerversicherung).
Ich sehe mich den Beschlüssen meiner Partei, beson-
ders auf die oben genannten Ziele hinzuwirken, weiter-
hin verpflichtet.
Meine Zustimmung zu dem heute vorliegenden Ge-
setzentwurf kann daher nur die Zustimmung zu einem
vorläufigen Kompromiss sein, der den augenblicklichen
parlamentarischen Mehrheiten geschuldet ist.
Dr. Hans-Peter Bartels (SPD): Ich stimme dem
GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz trotz erheblicher Be-
denken zu. Die Konsensbildung und die politische
Handlungsfähigkeit der Koalition sind dabei für mich
nicht unerheblich. Das Gesetz enthält zudem eine Reihe
substanzieller Verbesserungen der gegenwärtigen Situa-
tion. Bedenklich bleibt aber die ungeklärte künftige
Finanzierung des Steuerzuschusses aus dem Bundes-
haushalt ebenso wie die Verschiebung der Gewichte zwi-
schen gesetzlicher und privater Krankenversicherung zu-
gunsten der letzteren.
Dr. Axel Berg (SPD): Die große Koalition hatte zum
Ziel, mit der Gesundheitsreform eine nachhaltige und
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erechte Finanzierung des Gesundheitswesens zu si-
hern. Als Ergebnis der Reform sollte ein leistungsfähi-
es, solidarisches und demografiefestes Gesundheitswe-
en entstehen.
Trotz einzelner Strukturreformen, die positiv bewertet
erden können, wie den zunächst erreichten Erhalt des
eistungskatalogs der GKV sowie die Umwandlung bis-
eriger Ermessensleistungen und Verbesserungen (Mut-
er-Vater-Kind-Kuren, geriatrische Rehabilitation; Imp-
ungen) in Pflichtleistungen oder die Kosten-Nutzen-
ewertung von Arzneimitteln, die auch den therapeuti-
chen Nutzen berücksichtigt, ist das Ergebnis der Ge-
undheitsreform als Kompromiss innerhalb der großen
oalition enttäuschend und nicht zielführend.
Aus Gründen der Staatsräson stimme ich zu, halte
ber die Kritik aufrecht. Letztlich, so meine Befürch-
ung, schwächt diese Gesundheitsreform die Solidarität
n der gesetzlichen Krankenversicherung und führt zu ei-
er einseitigen Belastung der gesetzlich Versicherten.
leichzeitig ist zu befürchten, dass es als Folge der zur
bstimmung stehenden Regelungen zu Leistungsaus-
renzungen kommen wird und die Reform haushalts-
echnisch mittelfristig nicht finanziert ist.
Besonders folgende Gründe lassen mich an der Nach-
altigkeit der Reform zweifeln:
. Der Gesundheitsfonds lässt die private Krankenver-
sicherung außen vor, anstatt sie in die solidarische
Finanzierung des Gesundheitswesens einzubezie-
hen. Das Fondsmodell führt zu einem Wettbewerb
über die Zusatzbeiträge. Diese sind sozial ungerecht
und belasten einseitig die Versicherten.
. Es ist zu befürchten, dass die geplanten Neuregelun-
gen zum Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA) un-
zureichend sind. Die Morbiditäten der Versicherten
in den einzelnen gesetzlichen Krankenkassen werden
nur unzureichend abgebildet, sodass letztlich ein
Kassenwettbewerb um die besten Risiken statt um
die beste Qualität stattfinden wird. Es wird daher
Kassen geben, die sofort einen Zusatzbeitrag erheben
müssen, da der Betrag aus dem Fonds nicht ausreicht
und der Morbi-RSA unzureichend ist.
. Die geplanten Wahlleistungs- und Selbstbehalttarife
führen zu einer weiteren Privatisierung der Krank-
heitskosten. Die auf Druck der Privaten-Krankenver-
sicherungs-Lobby und der CDU/CSU entschärften
Regelungen beim Basistarif belasten die gesetzliche
Krankenversicherung weiter, weil sie zu einer Ab-
wanderung bisher freiwillig Versicherter in die pri-
vate Krankenversicherung führen werden.
. Die gesetzlichen Kassen haben für 2007 spürbare
Beitragserhöhungen beschlossen. Diese Entwicklung
ist im Zusammenhang steigender Lohnnebenkosten,
die dem notwendigen Ziel einer Konjunkturstabili-
sierung entgegenstehen, äußerst bedenklich.
. Gravierend ist, dass ein konkreter Vorschlag zur Ge-
genfinanzierung des Steuerzuschusses, den die GKV
pauschal für gesellschaftliche Leistung erhält, fehlt.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 80. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Februar 2007 8091
(A) )
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6. Die fehlende Gegenfinanzierung betrifft vor allen
Dingen den in der Gesundheitsreform enthaltenen
Aufwuchs der Steuermittel für die nächsten Jahre.
Ab 2009 ist ein Aufwuchs um jährlich weitere
1,5 Milliarden Euro notwendig, sodass bereits 2011
7 Milliarden Euro fällig werden, 14 Milliarden Euro
im Jahr 2016. Hinzu kommen weitere Risiken, die
mit circa 2 Milliarden Euro zu beziffern sind, unge-
achtet der Risiken, die in konjunkturellen Zyklen und
der Zinsentwicklung möglich sind.
Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Reformen der
Gesundheitsversorgung und der Krankenversicherung
berühren die Gesamtheit der Bevölkerung besonders
stark. Gesundheit ist für jeden Menschen ein existenziel-
les Anliegen. Das solidarische System der Krankenversi-
cherung ist ein zentraler Bestandteil unseres Sozialstaa-
tes. Das Gesundheitssystem benötigt heute jährlich über
250 Milliarden Euro und bildet den größten geschlosse-
nen Arbeitssektor in unserem Land.
Dem Grundverständnis sozialdemokratischer Ge-
sundheitspolitik folgend ist es mit dem GKV-Wettbe-
werbsstärkungsgesetz gelungen, zahlreiche strukturelle
Verbesserungen insbesondere für die Patienten und de-
ren Versorgung durchzusetzen: Erhalt des Leistungsan-
gebotes der gesetzlichen Krankenversicherung, Verhin-
derung einer weiteren Belastung der Versicherten durch
Ausweitung der Eigenbeteiligung, Ausbau der Palliativ-
medizin, Sicherung der häuslichen Krankenpflege für
Pflegebedürftige und Behinderte, Absicherung der Re-
habilitation in der Krankenversicherung, Stärkung der
Prävention, Ausbau der integrierten Versorgung und
weitere Öffnung der Krankenhäuser für die ambulante
Versorgung.
Es ist anzuerkennen, dass es einige bedeutende struk-
turelle – allerdings noch ausbaufähige – Veränderungen
geben wird: durch Erhöhung der Wirtschaftlichkeit im
Arzneimittelbereich, durch eine teilweise Stärkung der
Verhandlungsposition der Krankenkassen, durch Einlei-
tung von Reformen im Bereich der privaten Krankenver-
sicherung mit einer strukturellen Stärkung der Rechte
der Versicherten, wie Portabilität, Kontrahierungszwang
und Basistarif.
Insbesondere das gesundheitspolitische Ziel, dass je-
der Mensch in Deutschland in der Pflicht zum Schutz
durch eine Krankenversicherung steht, ist jetzt erreicht.
Positiv hervorheben möchte ich auch die Zielstellung,
die nachhaltige Finanzierung der gesetzlichen Kranken-
versicherung einerseits durch strukturelle Maßnahmen,
andererseits durch einen anwachsenden Bundeszuschuss
zu sichern.
Ich bedauere sehr, dass die Bundeskanzlerin im Juli
2006 unter dem Druck der CDU/CSU-Ministerpräsiden-
ten von dem vereinbarten Einstieg in eine nachhaltige
Steuerfinanzierung abgerückt ist. Es bleibt zukünftigen
Reformen vorbehalten, die Finanzierung des Gesund-
heitssystems von seiner fast ausschließlichen Anknüp-
fung der Finanzierungsgrundlage an die Lohnsumme zu
lösen, um sie anzuknüpfen an alle Einkommen aller
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enschen in unserer Gesellschaft. Dies kann naturge-
äß nur mit einem Systemwechsel im Zusammenhang
it der mittelfristigen Finanzplanung des Bundes und ei-
er langfristigen Finanzplanung – hinsichtlich der Aus-
aben und der Einnahmen – geschehen. Planungen, die
ich in einer fundierten Finanzplanung in einem längeren
inanzplanungszeitraum nicht abbilden lassen, schließen
as Moment zukünftiger Kreditfinanzierung im Bundes-
aushalt mit ein und bergen damit ein vermeidbares Zu-
unftsrisiko.
Damit ist mit dieser Reform, die zum Jahresanfang
007 im Bundestag verabschiedet wird, ein weiterer
ichtiger Baustein in seiner konkreten Projektierung
nd Realisierung mit allen Konsequenzen und in seiner
räzisen Umsetzung auf künftige Jahre verschoben.
Zu bedauern ist, dass hierin ein strukturelles Dilemma
ieser Reform liegt. Mit Wirksamkeit zum 1. April 2007
erden viele konkrete positive Strukturreformen be-
chlossen. Allerdings werden die zum 1. Januar 2009
orgesehenen Veränderungen in der Grundarchitektur
er gesetzlichen Krankenversicherung mit vielen Bedin-
ungen, Vorbehalten und noch offenen Fragen versehen.
In dieser Situation kommt es mir darauf an, dass die
inführung eines umfassenden zielgenauen morbiditäts-
ezogenen Risikostrukturausgleiches verbindlich reali-
iert wird und damit eine wirksame Solidarleistung zwi-
chen den unterschiedlichen Patientenstrukturen der
assen entsteht, der Fonds den Beitragssatz der Kran-
enkassen zum 1. Januar 2009 zu 100 Prozent abdeckt
nd es nur eine sehr begrenzte Zahl von Zusatzbeiträgen
eben wird, die berechtigten Interessen der Mitarbeite-
innen und Mitarbeiter der Krankenkassen bei den not-
endigen noch offenen Gesetzesregelungen über die In-
olvenzordnung ausreichend gewahrt bleiben.
Auf die Einhaltung dieser Bedingungen und Voraus-
etzungen wird im Vorfeld der Wirksamkeit des 2. Teils
er Gesamtreform zum 1. Januar 2009 sehr genau zu
chten sein.
Von besonderer Bedeutung bleibt weiterhin, dass die
eu geschaffene Möglichkeit, den Zusatzbeitrag in Form
ines einkommensunabhängigen Pauschalbeitrages ein-
uziehen, wieder abgeschafft wird und der Zusatzbeitrag
on Arbeitnehmern und Arbeitgebern paritätisch ge-
einsam finanziert wird, die Systeme der solidarischen
esetzlichen Krankenversicherung und der privaten ka-
italgedeckten Krankenversicherung nicht weiter gegen-
inander abgeschottet werden, sondern solidarische
trukturen auch für den Bereich der privaten Kranken-
ersicherung aufgebaut werden und es insgesamt zu ei-
er Verbreiterung der Finanzierungsbasis für die Kran-
enversicherung durch eine Heranziehung von über den
ohn und das Gehalt hinausgehenden Einkommensarten
ommt, das medizinisch notwendige Leistungsangebot
ür alle Versicherten in der Regelversicherung voll erhal-
en bleibt.
Mit meinem Abstimmungsverhalten im Bundestag
erbinde ich die Erwartung, dass bei nächster Gelegen-
eit ein solidarisches Krankenversicherungssystem
8092 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 80. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Februar 2007
(A) )
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orientiert am Leitbild einer Bürgerversicherung aufge-
baut und ausgebaut wird.
Peter Bleser (CDU/CSU): In dem GKV-Wettbewerbs-
stärkungsgesetz ist die Landwirtschaftliche Krankenversi-
cherung (LKV) bei der Verteilung der steuerfinanzierten so-
genannten gesamtgesellschaftlichen Leistungen, welche ab
2009 in einen Gesundheitsfonds fließen sollen, nicht be-
rücksichtigt.
Dies ist gegenüber der heutigen Situation eine deutli-
che Schlechterstellung. Damit sind die in der LKV versi-
cherten landwirtschaftlichen Familien die einzige
Gruppe, welche Mitglied in einer gesetzlichen Kranken-
versicherung ist und auch zukünftig keine Wechselmög-
lichkeiten hat, einseitig benachteiligt. Nur die Tatsache,
dass in dem ebenfalls heute beschlossenen Entschlie-
ßungsantrag, Bundestags-Drucksache 16/4220, ein Prüf-
auftrag für eine Gleichbehandlung der LKV enthalten
ist, ermöglicht mir, aufgrund der übrigen sinnvollen Re-
gelungen des Gesamtwerkes dem Gesetz zuzustimmen.
Dr. Martina Bunge (DIE LINKE): Dem heute vorge-
legten Gesetzentwurf kann ich aus vier Gründen nicht
zustimmen:
Erstens. Der Gesetzentwurf löst die Probleme, des
Gesundheitssystems nicht, im Gegenteil, es werden noch
neue geschaffen.
Zweitens. Die Finanzierungsgrundlagen und -aussich-
ten sind völlig unsolide.
Drittens. Die spezifischen Probleme Ost – drohende
gesundheitliche Unterversorgung – werden unzulänglich
angepackt.
Viertens. Der Gesetzentwurf wurde von der Koalition
in ein nach der Geschäftsordnung zwar zulässiges, dem
komplexen Reformwerk jedoch nicht angemessenes par-
lamentarisches Verfahren gedrückt.
Ziel der Koalition war, eine bedarfsgerechte Versor-
gung für alle – auch angesichts der großen Herausforde-
rungen aus Alterung der Gesellschaft und medizini-
schem Fortschritt – nachhaltig zu finanzieren. Dieses
unterstützenswerte Ziel wurde mit dem vorgelegten Ge-
setzentwurf nicht erfüllt. Auch die Vielzahl von Ände-
rungen der letzten Tage kann das missglückte Grundkon-
strukt des sogenannten Reformwerkes nicht mehr
ändern. Das GKV-WSG zeigt exemplarisch: Diese
Große Koalition vermag die anstehenden Probleme nicht
zu lösen.
Die Ausgangspositionen von CDU/CSU und SPD zur
Weiterentwicklung des Gesundheitssystems waren so
unterschiedlich – Kopfpauschale auf der einen Seite,
Bürgerversicherung auf der anderen Seite –, dass ein
vernünftiger Kompromiss der Quadratur des Kreises be-
durft hätte. Wirkliche Größe hätte die Koalition gezeigt,
wenn sie zu Ostern letzten Jahres nach der ersten Stufe
der Gespräche in ausgesuchter Runde ehrlich die Unver-
einbarkeit eingestanden hätte. Der Weg wäre dann frei
gewesen, in der gesundheitlichen Versorgung den Status
quo zu sichern und einen breiten gesellschaftlichen Dis-
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urs über die Zukunft des Gesundheitssystems zu star-
en, bevor man gesetzgeberisch noch einmal neu startet.
ber die Kanzlerin zog den Schluss, die Reform zur
hefsache zu machen. So wurde ein Gesetz zusammen-
ezimmert, das den Koalitionsfrieden sichert, aber nicht
as Gesundheitssystem.
Die Situationsanalyse blieb halbherzig. Wir haben im
esundheitssystem keine Kostenexplosion, sondern eine
innahmeerosion. Aber die Beitragsbemessungsgrenze
ird nicht angehoben, die Finanzierungsbasis nicht auf
lle Bürgerinnen und Bürger verbreitert, und andere Ein-
ommensarten, wie Kapital-, Miet- und Zinseinkünfte,
erden nicht einbezogen. Stattdessen steigen die Bei-
räge unaufhörlich. Einziges Ventil des neuen Gesund-
eitsfonds für benötigte Mehreinnahmen ist die kleine
opfpauschale. Das ist zutiefst unsozial.
Ein richtiger Schritt wurde gegangen, indem alle Bür-
erinnen und Bürger – leider nicht konsequent in der
KV – immerhin versicherungspflichtig werden. Den
ntrag, dass niemand ohne Versicherungsschutz bleibt,
abe ich bereits im Jahr 2000 als Sozialministerin Meck-
enburg-Vorpommerns in der Gesundheitsministerkonfe-
enz gefordert, es ist also ein überfälliger Schritt.
Mit Wahltarifen, Selbstbehalten und Beitragsrück-
rstattungen wird der Trend in Richtung Privatisierung
ortgesetzt und die solidarische Krankenversicherung
uroparechtlich fahrlässig aufs Spiel gesetzt. Es besteht
ie Gefahr, dass die gesetzlichen Krankenkassen ihren
tatus als Anstalten öffentlichen Rechts verlieren und
ünftig als Unternehmen dem freien Spiel der Markt-
räfte unterliegen. Damit ist für die Zukunft eine Bürge-
innen- und Bürgerversicherung kaum noch möglich.
Der Gesetzentwurf vollzieht nicht den dringend erfor-
erlichen Kurswechsel: Weg von einnahmeorientierten,
in zu einer aufgabenorientierten Ausgabenpolitik. Drin-
end erforderliche Einzelmaßnahmen für Problemlösun-
en und Leistungsverbesserungen werden finanziell un-
olide untersetzt. So bringen die wünschenswerten
eistungsverbesserungen – wie in der Palliativmedizin,
ür ambulante und stationäre Hospizarbeit, geriatrische
ersorgung – bisher unkalkulierte Kosten und setzen so-
it die Krankenkassen unter Druck bei Ermessens- und
atzungsleistungen, Kürzungen sind zu befürchten.
Zu begrüßende Zuschläge für unterversorgte Gebiete
hne Abschläge für überversorgte Gebiete – bei Aufgabe
er Beitragsstabilität – sind ungedeckte Schecks. Fortge-
ührt wird die Praxis der Verschiebebahnhöfe, wenn die
nter Kritik geratenen Zusatzbeiträge nun nicht mehr
on den Beschäftigten in Werkstätten für behinderte
enschen verlangt werden; aber dafür einfach den
erkstätten aufgebürdet werden.
Für mich sind die finanziellen Konsequenzen des
KV-WSG unwägbar. Ein fachlich und politisch verant-
ortungsvolles Gesetz sieht anders aus.
Obwohl der Ausschuss für Gesundheit sich im Vor-
eld mit Experten und Praxisvertretern intensiv mit der
esonderen Situation der Gefährdung der gesundheitli-
hen Versorgung durch den Ärztemangel im Osten be-
chäftigt hat, wird auf die Probleme halbherzig reagiert.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 80. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Februar 2007 8093
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Allein mit Zuschlägen wird der massive Generationen-
wechsel in der Ärzteschaft nicht zu bewältigen sein.
Junge Ärztinnen und Ärzte werden sich erst für ein Ar-
beiten und Leben in den neuen Bundesländern entschei-
den, wenn sie für gleiche Arbeit die gleiche Vergütung
erhalten. Das unermüdliche Engagement der heute dort
agierenden Ärztinnen und Ärzte zur Sicherung der ge-
sundheitlichen Versorgung der Bevölkerung hat längst
die vollständige Angleichung der Vergütung verdient.
Das dem Parlament aufgedrückte Verfahren setzt die
parlamentarische Demokratie aufs Spiel. Ganze drei
Monate Zeit wurden dem Parlament, dem eigentlichen
Gesetzgeber, gegeben, nachdem ein Jahr in kleinsten
Runden und über die Medien ewig diskutiert wurde. An-
erkennenswert ist, dass die Koalition nach den 26-stün-
digen Anhörungen die 600 Seiten Entwurf mit über
200 Änderungsanträgen auf 400 Seiten modifizierte.
Aber die Erarbeitung fand wieder nur in elitären Runden
statt. Parlamentarierinnen und Parlamentarier standen
ständig unter unermesslichem Zeitdruck, das Ganze zu
erfassen und zu bewerten. Dieses Verfahren werte ich als
Entmündigung des Parlaments.
Martin Burkert (SPD): Zur Abstimmung über das
Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der GKV in der
zweiten und dritten Beratung erkläre ich: Die Große Ko-
alition hatte zum Ziel, mit der Gesundheitsreform eine
nachhaltige und gerechte Finanzierung des Gesundheits-
wesens zu sichern. Als Ergebnis der Reform sollte ein
leistungsfähiges, solidarisches und demografiefestes Ge-
sundheitswesen entstehen. Dieses wurde aus meiner
Sicht nicht erreicht. Die Bedenken derer, die wie ich eine
Bürgerversicherung zum Ziel haben, sind für mich nach-
vollziehbar. Ich teile sie.
Aus Gründen der Staatsräson stimme ich dennoch zu,
halte aber meine Kritik aufrecht. Letztlich – so meine
Befürchtung – schwächt diese Gesundheitsreform die
Solidarität in der gesetzlichen Krankenversicherung und
führt zu einer einseitigen Belastung der gesetzlich Versi-
cherten. Gleichzeitig ist zu befürchten, dass es als Folge
der zur Abstimmung stehenden Regelungen zu Leis-
tungsausgrenzungen kommen wird und die Reform
haushaltstechnisch mittelfristig noch nicht gegenfinan-
ziert ist.
Nachdem die Mittel aus Steuereinnahmen im Zeitraum
von 2008 bis 2011 auf insgesamt 19 Milliarden Euro auf-
gestockt wurden und somit bis 2016 76 Milliarden Euro in
den Gesundheitsbereich gehen, wird das System insge-
samt sicherlich gestärkt. Welche Risiken sich allerdings
daraus für den Haushalt ergeben, ist derzeit noch nicht ab-
zuschätzen. Eine Gegenfinanzierung liegt hierzu noch
nicht vor.
Wie oben bereits dargestellt, ist zwar anzuerkennen,
dass in vielen Punkten Gutes erreicht wurde – mit der
allgemeinen Versicherungspflicht, bei der Beibehaltung
der Chronikerregelung, bei den Behinderten, bei den Re-
haleistungen, beim Hausarztmodell usw. –; dennoch ist
grundsätzlich zu bemängeln, dass das Grundziel der
Senkung der Lohnnebenkosten nicht erreicht worden ist.
Das Fondsmodell ist bürokratisch. Die Fortführung des
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m Gegensatz zu einem Bürgerversicherungsmodell ste-
enden Zweiklassenprinzips zwischen GKV und PKV
st ein gravierender Fehler, ebenso die Einführung der
kleinen Kopfpauschale“.
Mit meinem Abstimmungsverhalten im Bundestag
erbinde ich die Erwartung, dass bei nächster Gelegen-
eit falsche Weichenstellungen korrigiert werden und
as solidarische Krankenversicherungssystem mit dem
eitbild der Bürgerversicherung gefestigt und ausgebaut
ird.
Thomas Dörflinger (CDU/CSU): Trotz Bedenken
erde ich dem Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des
ettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung
eute meine Zustimmung erteilen. Der Gesetzentwurf
nthält trotz Verbesserungen gegenüber dem ursprüng-
ichen Entwurf eine Reihe von Problemen, die der
esetzgeber noch lösen muss.
Ich vermag nicht nachzuvollziehen, weshalb die land-
irtschaftlichen Krankenkassen ab 2009 nicht mehr an
en Bundesmitteln zur Finanzierung der beitragsfreien
amilienversicherung beteiligt werden sollen. Der formale
spekt, sie könnten ohne Beteiligung am Gesundheits-
onds auch keine Gelder hieraus erhalten, könnte durch
ine gesetzliche Regelung ausgeräumt werden. Diese
üsste festlegen, dass die landwirtschaftlichen Kranken-
assen ihren Anteil vor Einzahlung in den Gesundheits-
onds vom Bundesversicherungsamt erhielten. So entsteht
er Eindruck, die Kinder von Landwirten seien dem
taat weniger wert als die anderer in der GKV Versicherten.
Die Frage, ob die Steuerfinanzierung der beitrags-
reien Kinderversicherung nicht auch aus verfassungs-
echtlichen Gründen auf die in der privaten Kranken-
ersicherung Versicherten angewendet werden müsste,
rscheint geeignet, einer Prüfung durch das Bundes-
erfassungsgericht unterzogen zu werden.
Es sind meines Erachtens Zweifel erlaubt, ob die
euregelungen in den §§ 111 a und 137 d GKV-WSG
insichtlich einer bundeseinheitlichen Qualitäts-
icherung im Kurwesen nicht zu einer Regionalisierung
on Qualität und damit zu klaren Wettbewerbsnachteilen
er deutschen Kurorte im Unterschied zu ausländischen
nbietern führen.
Wer Familien in ihrer Erziehungskompetenz stärken
ill, muss nach meiner Auffassung den § 38 SGB V in
en Pflichtleistungskatalog der gesetzlichen Kranken-
ersicherung aufnehmen. Die heute gängige Praxis, dass
ie GKV beispielsweise einem Ehemann bedeutet, er
olle seine psychisch angeschlagene Ehefrau stationär
nterbringen, um in den Genuss der Kostentragung für
ie Haushaltshilfe seitens der GKV zu kommen, die bei
iner ambulanten oder teilstationären Behandlung der
hefrau nicht möglich sei, ist unangemessen und letztlich
ynisch.
Letztlich hätte mehr Wettbewerb dem Gesundheitswe-
en insgesamt gutgetan. Mindestens ist jedoch mit dem
orliegenden Gesetzentwurf ein Einstieg markiert – so-
ohl was den Wettbewerb angeht, als auch was die
bkopplung der Gesundheitskosten von den
8094 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 80. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Februar 2007
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Lohnnebenkosten betrifft. Dies rechtfertigt unter dem
Strich eine Zustimmung.
Dagmar Freitag (SPD): Ich stimme dem GKV-WSG
trotz grundsätzlicher Bedenken, die sich auf Teilbereiche
des Gesetzentwurfs beziehen, nach gründlicher Abwä-
gung zu.
Meine Bedenken beziehen sich insbesondere auf die
Ausgestaltung des geplanten Gesundheitsfonds und den
Zeitpunkt seiner Einführung sowie die Einführung des
Zusatzbeitrags. Hier sehe ich vor allem Probleme für die
großen Versorgerkassen, denen durch die Erhebung ei-
nes Zusatzbeitrages kaum zusätzlicher Spielraum entste-
hen wird, die aber gleichzeitig Gefahr laufen, gut verdie-
nende freiwillig Versicherte aufgrund der zu leistenden
Zusatzbeiträge zu verlieren.
Auch die zukünftig stärkere Steuerung des Gemeinsa-
men Bundesausschusses (G-BA) durch das Bundesge-
sundheitsministerium (BMG) halte ich nicht für zielfüh-
rend. Aus einer aus meiner Sicht sinnvollen und bislang
gewollten Selbstverwaltung wird in der Konsequenz
eine von außen beeinflusste Auftragsverwaltung, die die
Legitimation und Akzeptanz des G-BA infrage stellen
wird.
Entscheidend für meine Zustimmung sind die aus
meiner Sicht überwiegenden Vorteile der Reform.
Robert Hochbaum (CDU/CSU): Hiermit gebe ich
folgende Erklärung zur Abstimmung gemäß § 31 der
Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages zur dritten
Lesung des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der
gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbs-
stärkungsgesetz) – Bundestagsdrucksachen 16/3100,
16/3950 – ab:
Ziel des Gesetzentwurfes ist es, durch Veränderungen
auf der Einnahme- wie der Ausgabenseite die Qualität
der medizinischen Versorgung der Menschen unseres
Landes zu verbessern, die Wirtschaftlichkeit durch mehr
Transparenz und Wettbewerb zu stärken, Wahl- und
Entscheidungsmöglichkeiten der Versicherten, das heißt
Eigenverantwortung, zu erweitern und bürokratische
Aufwendungen bei allen Beteiligten zu vermindern.
Sowohl die demografischen Herausforderungen, die ver-
sorgungstechnischen Gesichtspunkte, die Nutzung des
wissenschaftlich-technischen Fortschritts im medizini-
schen Bereich für alle wie auch die Notwendigkeit der
Entkopplung der Kosten unseres sozialen Sicherungs-
systems von den Arbeitskosten machen grundlegende
Reformen insbesondere im Bereich der Krankenver-
sicherung notwendig.
Der Gesetzentwurf war ein Kompromiss der schwarz-
roten Koalition, in dem wesentliche Ansätze der oben
beschriebenen Zielstellung enthalten sind, wie zum Bei-
spiel die beitragsfreie Mitversicherung von Kindern, die
zunehmend aus Steuermitteln finanziert wird, die Ein-
führung der gesamtdeutschen Gebührenordnung für die
Honorierung der Ärzte ab 2009, die Pflichtversicherung
von Mutter-Kind-Kuren sowie die Erweiterung der
Wahlmöglichkeiten der Versicherten durch Selbstbehalt-
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nd Kostenerstattungstarife. Positiv vor allem in den
euen Ländern wird sich die Einführung des morbiditäts-
rientierten Risikostrukturausgleiches auswirken, weil
amit die Einnahmeseite gestärkt wird.
Die Beitragserhöhungen der Krankenkassen zum Jahres-
nfang sind nicht ein vorgezogenes Ergebnis dieser
eform, sondern resultieren aus der Vergangenheit, in
er unverantwortlich hohe Schulden aufgenommen worden
ind. Die Entschuldungserwartung der Politik gegenüber
en Krankenkassen ist ein Beitrag für mehr Generationen-
erechtigkeit.
Unberücksichtigt im Gesetzentwurf geblieben sind
edoch – trotz der unverzichtbaren Regelungen zur Ent-
chuldung der Krankenkassen innerhalb der Kranken-
assenarten – die unterschiedlichen Anstrengungen der
inzelnen Krankenkassen in der Vergangenheit, wirt-
chaftlich zu arbeiten, den Beitragssatz trotz sehr diffe-
enzierter Mitgliederstrukturen niedrig zu halten und
eine Schulden aufzubauen. Auch der Start des Gesund-
eitsfonds mit einer gesetzlichen Beitragserhöhung ist
us Sicht der Unterzeichner nicht zielführend.
Dennoch sind im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens
ine Reihe von Verbesserungen und Klarstellungen in
bstimmung mit allen Beteiligten erreicht worden. Dazu
ählt der Erhalt des dualen Versicherungssystems, die
inführung der Pflichtversicherung, die Klarstellungen
ur Nutzung des Basistarifs in der PKV, der Verzicht auf
ie 3-prozentige Kürzung der Rettungsdienstentgelte,
er Verzicht auf die Einführung der Höchstpreisverord-
ung in den Apotheken und die Reduzierung des Sanie-
ungsbeitrages der Krankenhäuser auf 0,5 Prozent.
berdies wurden Maßnahmen eingeleitet, die die Unter-
ersorgung mit Ärzten in den neuen Ländern auch vor
inführung der neuen ärztlichen Gebührenordnung
bbauen, indem die Kassen Sicherstellungszuschläge in
rforderlicher Höhe außerhalb des Budgets bereitstellen
üssen. Positive Wirkungen für die neuen Länder ergeben
ich auch aus der Aufstockung des Steuerzuschusses für
ie GKV.
Aus diesen Gründen stimme ich dem Gesetz zu.
Eike Hovermann (SPD): Von der zweiten Großen
oalition in Deutschland sind insbesondere in der Ge-
undheitspolitik große Dinge erwartet worden. So wurden
och zum Beispiel die umfassendsten Änderungen im Ge-
undheitssystem im Jahr 1992 von einer informellen Gro-
en Koalition in Lahnstein beschlossen. Auch ich hatte
ach der letzten Bundestagswahl große Hoffnungen da-
auf gesetzt, dass sich die Chancen für eine umfassendere
ösung der Strukturprobleme der gesetzlichen Kranken-
ersicherung, GKV, stark verbessert hätten. Doch statt
ich der drängenden Strukturprobleme auf der Ausgaben-
eite anzunehmen, konzentrierten sich die bisherigen Ge-
etzesberatungen fast ausschließlich auf die Einnahme-
eite des GKV-Systems – und das, obwohl sich hier mit
er Bürgerversicherung und der Kopfpauschale zwei in-
ompatible Reformmodelle gegenüberstanden. Das Er-
ebnis ist ein neues Finanzierungsmodell, das viele neue
ragen aufwirft, jedoch die entscheidende Frage nicht be-
ntwortet, wie unser Gesundheitssystem auf Dauer finan-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 80. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Februar 2007 8095
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zierbar bleiben kann. Die dringend notwendige Verstär-
kung des Wettbewerbs auf der Ausgabenseite leistet das
GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz, GKV-WSG, trotz sei-
nes verheißungsvollen Namens leider nicht. Mehr echter
Wettbewerb unter den Leistungserbringern und unter den
Kassen – nämlich um die beste Leistung und nicht um den
niedrigsten Beitragssatz bzw. Zusatzbeitrag – sowie mehr
Ehrlichkeit in Bezug auf die Grenzen der Leistungsfähig-
keit der GKV anstatt verdeckter Rationierung sind immer
noch ausgeblieben. Schon beim letzten „Jahrhundertge-
setz“, dem GKV-Modernisierungsgesetz, GMG, wollte ich
seinerzeit nicht zustimmen, weil unter anderem der Schul-
denstand der Krankenkassen nicht seriös ermittelt war.
Bei näherer Prüfung hätte man diesen jedoch mühelos
feststellen können. Schon zu Beginn der damaligen Geset-
zesberatung lag der Schuldenstand bei einem zweistelli-
gen Milliardenbetrag und damit weit oberhalb der offiziell
angegebenen rund 4,5 Milliarden Euro, die lange Zeit eine
völlig falsche Berechnungsgrundlage für Folgeannahmen
zu Be- und Entlastungsentwicklungen bildeten. Auch die
spätere Korrektur dieser Schätzung auf acht Milliarden
Euro erkannte das tatsächliche Ausmaß der Verschuldung
nicht in vollem Umfang, da wiederum langfristige Ver-
pflichtungen unberücksichtigt blieben. Diese realitätsfer-
nen Annahmen haben viel dazu beigetragen, dass einige
Kassen auch im Jahr 2006 noch mit einer eigentlich ge-
setzlich verbotenen Verschuldung kämpfen.
Hinzu kam, dass die Ankündigung, man werde mit
dem GMG in 2006 einen Beitragssatz von 12,15 Prozent
erreichen, keinen Bezug zur Versorgungswirklichkeit
hatte. Zum einen wurde die negative Entwicklung der
beitragspflichtigen Beschäftigung deutlich unterschätzt.
Zum anderen gab das Gesetz aber auch keine Antworten
auf die langfristigen Herausforderungen wie den demo-
grafischen Wandel, den voranschreitenden medizinisch-
technischen Fortschritt und die Auswirkungen der
Europäischen Integration auf das nationale Gesundheits-
system. Es ist daher nicht verwunderlich, dass wir trotz
des GMG den Beitragssatz von 12,15 Prozent bislang
nicht erreicht haben und stattdessen heute bei rund
14,2 Prozent liegen – und das trotz der Ausgliederung
von Leistungen und der Erhöhung von Zuzahlungen.
Handwerkliche Fehler bzw. Fehleinschätzungen hin-
sichtlich § 140a SBG V –, integrierte Versorgung und
anderes kamen hinzu. Außerdem wurde kein Beitrag ge-
leistet, die wettbewerbsfeindliche Koppelung der
Disease-Management-Programme, DMP, an den Risiko-
strukturausgleich, RSA, zu korrigieren. Durch das Krite-
rium „knappe Kanzlermehrheit“ bin ich seinerzeit zur
Zustimmung zum GMG bewegt worden, obwohl das
Gesetz mit all seinen Reparaturmechanismen insbeson-
dere die finanziellen Strukturprobleme nicht nachhaltig
lösen konnte. Dadurch sind viele Lasten entstanden, die
gravierende Auswirkungen auf jede nachfolgende Ge-
sundheitsreform haben.
Die aktuellen Gesetzesberatungen zum GKV-WSG
haben allerdings gezeigt, dass aus den Erfahrungen mit
dem GMG keine Lehren gezogen wurden. Auf Bundes-
ebene wie aufseiten der Länder fehlt weiterhin ein in
sich geschlossenes Konzept zu einer ganzheitlichen und
nachhaltig wirksamen Lösungsstrategie für die drängen-
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en Probleme des Gesundheitssystems. Hier hätte ich
ir gewünscht, dass den Worten des Bundespräsidenten,
ie Politik dürfe nicht davor zurückschrecken, „kompli-
ierte Sachverhalte zu erklären und Führung zu zeigen“
nd „Analysen und Konzepte zu erbringen, die über den
ächsten Wahltermin hinausreichten“, mehr Aufmerk-
amkeit geschenkt worden wäre.
Mit dem Gesetz werden weiterhin die bekannten In-
trumente und Regulierungstechniken zur Kostendämp-
ung eingesetzt, die bisher schon erfolglos waren. So
ind zum Beispiel die zusätzlich vorgesehenen Einspa-
ungen im Krankenhausbereich schon allein aufgrund
er wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in den nächs-
en Jahren kaum zu erwirtschaften. Der Beitragssatz der
esetzlichen Krankenkassen soll künftig von der Bun-
esregierung einheitlich festschrieben werden – erstma-
ig im November 2008 für 2009. Das wird auf Dauer die
echanismen der Selbstverwaltung ad absurdum führen
nd „unechte“ Beitragssätze produzieren, die von Wahl
u Wahl von der politischwirtschaftlichen Großwetter-
age abhängen. Durch die vorgesehene straffere Anbin-
ung des Gemeinsamen Bundesausschuss, G-BA, an das
undesgesundheitsministerium, BMG, wird aus der
elbstverwaltung zunehmend eine fremdgesteuerte Auf-
ragsverwaltung – mit der Folge, dass der G-BA nach in-
en wie nach außen zunehmend seine Legitimation ver-
ieren wird. Dies wird Zug um Zug die Akzeptanz und
urchsetzungsfähigkeit des G-BA bei seinen Bemühun-
en um eine qualitativ hochwertige, flächendeckende
ersorgung gegenüber seinen Mitgliedern und den Ver-
icherten schwächen. Juristische Auseinandersetzungen
nd/oder Ersatzvornahmen werden somit bald auf der
agesordnung stehen.
Auf Bundesebene soll ein neuer Spitzenverband Bund
er Krankenkassen geschaffen werden, der als Körper-
chaft des öffentlichen Rechts die bisherigen Bundesver-
ände ablösen soll. Die Bundesverbände sollen in Gesell-
chaften bürgerlichen Rechts umgewandelt werden. Auf
ie Länderebene soll diese Gestaltung jedoch nicht über-
agen werden; die Landesverbände bleiben als Körper-
chaften weiterhin bestehen. Es ist daher zu erwarten, dass
ie Kassen ihre Interessen zunehmend aus den Landesver-
änden heraus und somit in Konkurrenz zu dem einen
pitzenverband und dem G-BA artikulieren werden. Da-
ei werden die einzelnen Kassen zunehmend den Kontakt
u den Kassenärztlichen Vereinigungen, KVen, der Län-
er suchen – und damit einen zunehmenden Bedeutungs-
erlust der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, KBV,
ewirken. Anstelle der gesetzlich intendierten Vereinheit-
chung und Straffung des Entscheidungsprozesses wird
o ein sich weiter verschärfender Zersetzungsprozess tre-
n, der die Arbeit des G-BA bei der Aushandlung bun-
esweit geltender einheitlicher Standards und Honorie-
ungen massiv erschweren wird. Dies wird auch die Lage
er ambulanten Versorgung gegenüber der stationären
icht verbessern helfen. Und auch die gewünschte Inte-
rierte Versorgung wird so zwangsläufig leiden.
Die Ausgestaltung des Fonds inklusive des Beitrags-
inzugs bleibt diffus. Der Beitragseinzug soll zwar – der
rbeitsplätze wegen – bei den Krankenkassen bleiben,
iese verlieren jedoch jeden gestalterischen Einfluss. Die
8096 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 80. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Februar 2007
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Kassen sollen die Beiträge einsammeln, dann die einge-
sammelten Gelder an den Fonds beim Bundesversiche-
rungsamt, BVA, weiterleiten. Der Fonds verteilt die Gel-
der wiederum zurück an die Kassen – in Form einer
einheitlichen Grundpauschale pro Versichertem und risi-
koadjustierten Zu- und Abschlägen. Über diese risikoad-
justierten Abschläge wird der bisherige Risikostrukturaus-
gleich, RSA, in das neue Finanzierungsmodell integriert
und gleichzeitig massiv ausgeweitet. So soll der Fonds ne-
ben den bisherigen Ausgleichskriterien Alter und Ge-
schlecht auch erstmals die Morbidität der Versicherten,
die durch 50 bis 80 kostenintensive chronische Krankhei-
ten abgebildet werden soll, unter den Kassen ausgleichen.
Zudem sollen die Krankenkassen aus dem Fonds auch Zu-
weisungen für Satzungsleistungen und Verwaltungskosten
erhalten. In der entscheidenden Frage, ob dies über die ri-
sikoadjustierten Zu- und Abschläge oder über die Grund-
pauschale erfolgen soll, besteht im Gesetz allerdings noch
viel Interpretationsspielraum. Im RSA haben aber Sat-
zungsleistungen und Verwaltungskosten nichts zu suchen.
Um wichtige Wirtschaftlichkeitsanreize zu erhalten, gehö-
ren sie als standardisierte Werte in die Grundpauschale.
Insgesamt droht alsbald ein Transfervolumen von mögli-
cherweise 20 Milliarden Euro jeden kreativen Wettbewerb
der Kassen untereinander einzuebnen und den Weg zu ei-
ner bundesweiten Einheitskasse vorzubereiten. Daran än-
dert auch der verzerrte Wettbewerb um den niedrigsten
Zusatzbeitrag bzw. die höchste Überschussauszahlung an
die Mitglieder nichts.
Hinzu kommt, dass die Kassen bis Ende 2007 und un-
ter Nachweis besonderer Belastungen bis Ende 2008 in
toto entschuldet sein müssen. Ob dies allerdings tatsäch-
lich zu bewerkstelligen ist, bleibt trotz der vorab beschlos-
senen „Entschuldungshilfen“ via Vertragsarztrechtsände-
rungsgesetz, VAG, bislang fraglich. Common Sense der
Anhörung zum VAG am 23. Oktober 2006 war, dass ei-
nige Kassen die Entschuldung bis zum 31. Dezember
2007 überhaupt nicht schaffen können – auch nicht in der
zugestandnen Verlängerungsfrist bis zum 31. Dezember
2008. Berücksichtigt man zudem die bereits bestehenden
gesetzlichen Vorgaben der §§ 220, 222 und 261 SGB V,
so wird deutlich, dass viele Kassen bislang weder ihre
Beitragssätze noch ihre Sollrücklagen gesetzeskonform
gebildet haben – und dies wohl offensichtlich mit Zustim-
mung der Aufsichten.
Das Gesetz erlaubt den Kassen zwar, einen Zusatzbei-
trag von den Versicherten zu erheben. Die Begrenzung
dieses Zusatzbeitrages auf 1 Prozent des beitragspflichti-
gen Einkommens lässt den Kassen jedoch kaum zusätzli-
chen Spielraum, ihre Finanzprobleme selbst zu lösen.
Unabhängig von der Frage, ob diese Begrenzung denn
nun überhaupt ohne enormen bürokratischen Mehrauf-
wand umgesetzt werden kann, werden diese Regelungen
insbesondere die großen Versorgerkassen vor massive
Engpässe stellen. Viele von ihnen müssten dann, der Lo-
gik des Gesetzes folgend, in Insolvenz gehen oder fusio-
nieren, denn ab Start des Fonds soll ja der Weg in die
Verschuldung kategorisch verboten sein. Es ist jedoch
sehr wahrscheinlich, dass drohende „Pleiten“ mancher
Kassen in der Politik Begehrlichkeiten nach weiterer
Steuerzufinanzierung wecken werden, obwohl die Co-
Finanzierungsspielräume des Bundes gegen null gehen.
Die Verschuldung der öffentlichen Haushalte liegt der-
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eit bei etwa 1,5 Billionen Euro. Wenn wir dazu noch die
nverbrieften Schulden von ungefähr 3 bis 4 Billionen
uro rechnen, werden die Rahmenbedingungen für alle
kreativen“ Umfinanzierungsmodelle schnell deutlich –
nsbesondere wenn man die Entschuldung der öffentli-
hen Hände, zu denen die Kassen derzeit gehören, ent-
prechend Art. 115 GG und damit auch die Genera-
ionengerechtigkeit ebenso dauerhaft ernst nehmen will
ie das Maastrichtkriterium.
Durch die neuen Insolvenzregelungen in den gesetzli-
hen Krankenversicherungen – auch wenn die Details
un im Zuge der Änderungsanträge später in einem se-
araten Gesetz geregelt werden sollen – und die neuen
echtlichen Ausgestaltungsmöglichkeiten des Vertrags-
ettbewerbs geraten die Kassen zudem immer stärker in
ie Nähe von „Unternehmen“ im Sinne der europäischen
ettbewerbsordnung – mit der Folge, dass ihr im Sozi-
lversicherungsrecht privilegierter Status noch früher als
rwartet aufgehoben werden müsste.
Die alles entscheidende Debatte über die Grenzen des
achstums und damit die Frage nach den Grenzen der
eistungsfähigkeit unseres Sozialstaates bleibt hingegen
eiterhin außen vor. Somit mogeln wir uns an der wich-
igen Debatte über Grundversorgung mit eigenfinanzier-
en Zusatzpaketen und damit auch an dem Ziel der
Compliance“ und der Eigenverantwortung vorbei, die
um Beispiel deutlich im § l SGB V eingefordert wird.
o heißt es in § l SGB V:
Die Versicherten sind für ihre Gesundheit mitver-
antwortlich; sie sollen durch eine gesundheitsbe-
wusste Lebensführung, durch frühzeitige Beteili-
gung an gesundheitlichen Vorsorgemaßnahmen
sowie durch aktive Mitwirkung an Krankenbehand-
lungen und Rehabilitation dazu beitragen, den Ein-
tritt von Krankheit und Behinderung zu vermeiden
oder ihre Folgen zu überwinden.
Für die nachfolgenden Generationen ist damit eine
ntwicklung zu erneuter Verschuldung vorgezeichnet.
Die gesamte Debatte bleibt so im Grunde – wie im-
er – auf eine einzige Frage reduziert: Wie kommt mehr
eld ins System? Durch diese unselige Diskussionsver-
ngung konzentriert sich die öffentliche Debatte weiter-
in auf die inkompatiblen Finanzierungsmodelle Bürger-
ersicherung und Gesundheitsprämie, die sich im
ondsmodell treffen sollen. Genau diese Fokussierung
at bisher die Einsicht verhindert, dass neu fließende
elder, egal ob aus dem einen oder anderen Modell in
einkultur oder aus einer Mischung beider, im bestehen-
en System versickern und zu immer neuen Nachjustie-
ungen in immer kürzeren Zeiträumen zwingen werden.
as heißt auch: Die Frage des Einbezugs oder Nichtein-
ezugs der privaten Krankenversicherung, PKV, in das
KV-System bleibt ein Dauerthema. Unbeantwortet
leibt dabei aber die Frage, wie die schrittweise wegfal-
ende milliardenschwere Quersubventionierung der am-
ulanten und stationären Versorgungsstrukturen durch
ie PKV, zum Beispiel auch infolge des gesetzlich inten-
ierten Basistarifes inklusive Überforderungsklausel)
ufgefangen werden kann. Eine Kompensation wäre nur
urch zusätzliche Steuergelder möglich (vergleiche bei-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 80. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Februar 2007 8097
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tragsfreie Versicherung von Kindern). Hinzu kommt,
dass einige gesetzgeberische Vorhaben in Bezug auf die
PKV meines Erachtens verfassungsrechtlich höchst an-
greifbar sind. Letztlich bleibt auf die Binsenweisheit
hinzuweisen, dass allein mit dem Einbezug der PKV-
Versicherten, die rund 10 Prozent des Versichertenpoten-
zials ausmachen, die aufgewachsenen strukturellen Ver-
werfungen im GKV-Bereich, wo rund 90 Prozent der
Bevölkerung versichert sind, nicht gelöst werden kön-
nen. Das wird zulasten von Planungssicherheit auf allen
Ebenen gehen und damit auch zulasten von Transparenz
und Qualität. Echten Wettbewerb wird das Gesetz so we-
der bei den Kassen noch bei den Leistungserbringern be-
fördern können.
Und der Beitragszahler wird – schon allein im Rah-
men der Lohnnebenkostendebatte – weiterhin in der Er-
wartungshaltung bestärkt, sinkende Beiträge bei sich
ausweitenden Leistungsvolumina als realisierbare Ziel-
perspektive ansehen zu sollen, obwohl er selbst aus sei-
nem konkreten Alltag weiß, dass diese Erwartungen bis-
her immer enttäuscht worden sind. Anstelle einer
wirklichen strukturellen Reform wird nun zudem ein
Großteil der geplanten Regelungen auch noch auf 2009
verschoben, wodurch natürlich unablässig neue Spekula-
tionen über eine weitere Verschiebung angesichts der im
Jahr 2009 anstehenden Bundestagswahl geweckt wer-
den. Aber an die Stelle dieser verschobenen Regelungen
tritt nichts, was die sich anbahnende Beitragssatzent-
wicklungen in Richtung 16 Prozent für das Jahr 2009 ab-
fangen könnte, wenn man nur die Entschuldung und die
gesetzlich vorgeschriebenen Rücklagen nach
§ 261 SGB V seriös einrechnen würde – mal ganz abge-
sehen von den Kosten für Leistungsausweitungen, der
Mehrwertsteuererhöhung und den intransparenten Kos-
ten für die Einführung der elektronischen Gesundheits-
karte. Ein Blick in unsere Nachbarländer würde hier nüt-
zen. So steht man zum Beispiel in der Schweiz heute
trotz Einführung einer lohnunabhängigen Gesundheits-
prämie im Jahre 1996 vor ähnlichen Problemen wie in
Deutschland. Die Gesundheitskosten sind nicht kontrol-
lierbar, die Prämien steigen enorm und die öffentlichen
Krankenhäuser sind stark verschuldet. Ursache des Pro-
blems ist dort wie auch in Deutschland das übliche ver-
breitete irrationale Denkmuster: Die Prämien bzw. die
Beitragssätze sollen so niedrig wie möglich, die medizi-
nische Versorgung im Krankheitsfall soll jedoch nur die
allerbeste sein.
Dr. Hans-Heinrich Jordan (CDU/CSU): In dem
GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz ist die Landwirt-
schaftliche Krankenversicherung (LKV) bei der Vertei-
lung der steuerfinanzierten sogenannten gesamtgesell-
schaftlichen Leistungen, welche ab 2009 in einen
Gesundheitsfonds fließen sollen, nicht berücksichtigt.
Dies ist gegenüber der heutigen Situation eine deutliche
Schlechterstellung. Damit sind die in der LKV versi-
cherten landwirtschaftlichen Familien die einzige
Gruppe, welche Mitglied in einer gesetzlichen Kranken-
versicherung ist und auch zukünftig keine Wechselmög-
lichkeiten hat, einseitig benachteiligt. Nur die Tatsache,
dass in dem ebenfalls heute beschlossenen Entschlie-
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ungsantrag, Bundestagsdrucksache 16/4220, ein Prüf-
uftrag für eine Gleichbehandlung der LKV enthalten
st, ermöglicht mir, aufgrund der übrigen sinnvollen Re-
elungen des Gesamtwerkes, dem Gesetz zuzustimmen.
Christian Kleiminger (SPD): Dem GKV-Wettbe-
erbsstärkungsgesetz kann ich aus folgenden Gründen
icht zustimmen:
Zentraler Bestandteil unseres Sozialstaates ist ein so-
idarisches System der Krankenversicherung. In den ver-
angenen Jahren haben sich die Gewichte immer mehr
ulasten der gesetzlichen Krankenversicherung und zu-
unsten der privaten Krankenversicherung verschoben.
iese Entwicklung gefährdet tendenziell den Solidari-
ätsgedanken. Reformen im Bereich der Gesundheitsver-
orgung sind mit besonderer Verantwortung vorzuneh-
en. Das vorliegende Gesetz hat diese Problematik
ufgegriffen, begegnet der Entwicklung indes nicht mit
oller Konsequenz.
Die Finanzierungsprobleme werden durch die Reform
edauerlicherweise nicht nachhaltig gelöst. Insbeson-
ere die notwendige Öffnung der privaten Kassen – mit
em Ziel, einen fairen Wettbewerb zwischen GKV und
KV zu ermöglichen – wurde noch nicht in wünschens-
ertem Umfang durchgesetzt. Der strukturelle Wettbe-
erbsnachteil der gesetzlichen Krankenkassen bleibt da-
it einstweilen erhalten. Auch ist bedauerlich, dass die
u Beginn des Gesetzgebungsverfahrens vorgesehenen
insparungen nicht in dem wünschenswerten Ausmaß
urchgesetzt werden konnten.
Indes ist anzuerkennen, dass es aus dem Grundver-
tändnis sozialdemokratischer Gesundheitspolitik heraus
ehr wohl gelungen ist, zahlreiche strukturelle Verbesse-
ungen durchzusetzen. Dieses gilt beispielsweise für die
ualitative Versorgung von Krebspatienten durch die
ffnung der Krankenhäuser für die ambulante Versor-
ung, im Bereich der Palliativmedizin/Hospiz, Eltern-
ind-Kuren und der geriatrischen Rehabilitation. Aber
uch der Kontrahierungszwang in der privaten Kranken-
ersicherung stellt einen Schritt in die richtige Richtung
ar. Es ist auch positiv hervorzuheben, dass eine nach-
altige Finanzierung der gesetzlichen Krankenversiche-
ung zukünftig durch einen anwachsenden Bundeszu-
chuss erfolgen soll.
Nach gründlicher Abwägung enthalte ich mich der
timme und verbinde mit meinem Abstimmungsverhal-
en die Erwartung, dass das Krankenversicherungssys-
em in Deutschland mit dem Ziel einer solidarischen und
achhaltig fair finanzierten Bürgerversicherung ausge-
aut wird.
Monika Knoche (DIE LINKE): Das deutsche Ge-
undheitssystem hat seine überwiegende Finanzbasis in
er gesetzlichen Krankenversicherung. Dieses Solidar-
ystem hat sich als ein hochleistungsfähiges erwiesen.
s ist aufgrund des solidarischen Sachleistungsprinzips
n idealer Weise geeignet, Gleichheit und Gerechtigkeit
m Krankheitsfalle sicherzustellen. Diese soziale und
galitäre Grundlage wird mit dem heute verabschiedeten
esetz fundamental angegriffen.
8098 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 80. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Februar 2007
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Bereits die rot-grüne Bundesregierung hat tiefgrei-
fende Einschnitte in die paritätische Finanzierung vorge-
nommen sowie die Weichen für eine Privatisierungs-
welle, insbesondere der öffentlichen Krankenhäuser,
gestellt. Wettbewerb und Markt sind seither zu Versor-
gungsstrukturelementen geworden und machen Krank-
heit zu einer Ware, die mit Festpreisen behandelt wird.
Qualitative Fortschritte in der Versorgungsstruktur und
im Beschäftigungssektor Gesundheitswesen wurden
nicht erzielt. Im Gegenteil. Die neue Durchökonomisie-
rung der Daseinsvorsorge folgt einer fatalen ideologi-
schen Fehleinschätzung, derzurfolge der Staat als Garant
für Versorgungssicherheit und „Kontrolleur“ der Körper-
schaften des öffentlichen Rechts im ambulanten Bereich
seinen Aufgaben nicht mehr nachkommen kann. Eine
durchgreifend antidemokratische Politik erfasst mit
diesem Gesetz nunmehr auch die gesetzlichen Kranken-
kassen, die in Insolvenz geraten können sollen. Der
Wettbewerb unter den Krankenkassen um niedrige Bei-
tragssätze, jedoch ohne leistungsgerechten Risikostruk-
turausgleich, war schon unter der rot-grünen Regierung
eine verantwortungslose Entscheidung. Keine der Ursa-
chen für die Beitragssummeneinbrüche der GKV wurde
behoben. Im Gegenteil, die arbeitsmarktpolitische Dere-
gulierung führte zu einem wachsenden Sektor nicht ver-
sicherungspflichtiger Beschäftigung bei weiterhin hoher
Arbeitslosigkeit.
Heute den Arbeitgeberbeitrag per Gesetz festzu-
schreiben und in Zukunft den Gesundheitsfonds einzu-
führen und dabei gleichzeitig den Beitragswettbewerb
fortzuführen, ist unter Berücksichtigung der Tatsache,
dass nunmehr den Kranken unter den Versicherten die
größten Zusatzlasten der Finanzierung, wie die Zusatz-
prämien es darstellen, aufgebürdet werden, gleichbedeu-
tend mit dem sprichwörtlichen Axtanlegen an ein gesun-
des System. Diese Reform zielt nicht auf eine
nachhaltige Entwicklung, sondern auf das Ende des soli-
darischen Krankenversicherung und des Sachleistungs-
prinzips.
Insbesondere die Bevorzugung der PKV durch das
Gesetz wird eine weitere Abwanderung freiwillig Versi-
cherter aus der GKV zur Folge haben. Mit einer Bürger-
versicherung, wie die SPD dies in der Bundestagswahl
versprach, hat dieses Gesetz nichts mehr zu tun. Eine
Bürgerversicherung allerdings wäre als neu ausgestaltete
gesetzliche Versicherungspflicht für alle die zeit- und zu-
kunftsgemäße Antwort im gesellschaftlichen Gleichstel-
lungssinne wie auch eine adäquate Reaktion auf die Ein-
nahmedepression der GKV.
Die nun eingeführten Elemente Beitragsrückerstat-
tung, Bonusmodelle und Kostenerstattung bevorzugen
die relativ gesunden Versicherten und diskriminieren die
kranken, sachleistungsabhängigen Versicherten in der
GKV. Das ist keine Wahlfreiheit, sondern Ungleichbe-
handlung von Zwangsversicherten im System.
Verfassungsrechtlich nicht geprüft ist der neu entstan-
dene Sachverhalt, dass freiwillig Versicherte der GKV
nunmehr in den Basistarifvertrag der PKV wechseln
können zu Sachleistungskonditionen und fixiertem
Höchstbetrag. Basistarifvertragversicherte sollen jedoch
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eine Zusatzprämien zahlen müssen. Diese Vorteile ha-
en die freiwillig in der GKV Versicherten nicht. Die ge-
etzlich Pflichtversicherten haben ebenfalls keine Option
ur Wahl und weiterhin nicht das Recht, in den Basista-
ifvertrag der PKV zu wechseln. Diese Gesetzeskautelen
iskriminieren einen großen Bevölkerungsteil. Da die
eitragssatzautonomie der GKV genommen wird, ist
iese Maßnahme als schwerer Eingriff in die Selbstver-
altungsautonomie zu werten. Das halte ich für einen
bergriff des Gesetzgebers.
Insbesondere die nicht mehr rückholbaren Privatisie-
ungs-, Risikoindividualisierungs- und Entdemokratisie-
ungswirkungen dieses Gesetzes sind meinem parlamen-
arischen Verständnis nach unvereinbar mit der
esetzgeberischen Aufgabe, zum Wohle der Bevölke-
ung zu wirken. Darüber hinaus werden alle Optionen,
m künftig die ambulante und stationäre Versorgung wie
uch die Pflege zu einem gestaltbaren und politisch ver-
ntworteten Strukturierungsprozess zu machen, nunmehr
en politischen Verantwortungsträgern und der Selbst-
erwaltung weitgehend aus der Hand geschlagen. Inter-
entionsfähig im Interesse der Daseinsvorsorge ist der
taat damit nicht mehr. Im Zusammenwirken mit
orausgegangenen Gesundheitsstrukturgesetzen können
ommunen, Länder und der Bund ihren Gemeinwohl-
erpflichtungen nicht mehr nachkommen. Das halte ich
ür eine hochgradig verantwortungslose Politik, der ich
iermit entschieden widerspreche. Ich lehne daher das
ettbewerbsstärkungsgesetz GKV ab.
Manfred Kolbe (CDU/CSU): Diese angeblich
Große Gesundheitsreform“ ist gründlich misslungen
nd wird keines der drängenden Zukunftsprobleme lö-
en:
Mehr Eigenverantwortung: Fehlanzeige. Vielmehr
ind auch teure Freizeitunfälle – Pferdesport, Fall-
chirmspringen – weiter mitversichert.
Mehr Gesundheitsbewusstsein: Fehlanzeige. Es gibt
eine Möglichkeiten, den eigenen Beitrag durch gesunde
ebensweise – Nichtrauchen, Nichttrinken – zu beein-
lussen.
Mehr Transparenz: Fehlanzeige. Nach wie vor erhal-
en gesetzlich Versicherte keine Rechnung, was das Kos-
enbewusstsein sicherlich fördern würde.
Mehr Wettbewerb: Fehlanzeige. Stattdessen wird ein
inheitlicher Gesundheitsfonds geschaffen.
Senkung Lohnnebenkosten: Fehlanzeige. Stattdessen
tiegen die Beiträge zum 1. Januar 2007.
Der einzige Grund, warum ich im Bundestag zu-
timme, ist der, dass ich die Amtszeit der ersten Bundes-
anzlerin aus dem Osten Deutschlands nicht beenden
ill und Angela Merkel in Zukunft bessere Reform-
rgebnisse wünsche.
Gunther Krichbaum (CDU/CSU): Bei der heutigen
bstimmung über das GKV-Wettbewerbsstärkungsge-
etz (TOP 27 a) werde ich mich der Stimme enthalten.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 80. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Februar 2007 8099
(A) )
(B) )
Ungeachtet vieler Schritte in die richtige Richtung
kann ich dem vorgelegten Gesetzesentwurf nicht zu-
stimmen. Eine nachhaltige Gesundheitsreform hätte Lö-
sungsansätze für den bevorstehenden demografischen
Wandel aufzeigen müssen. Dies ist nach meiner festen
Überzeugung das dringendste, oftmals aber nicht mit
der notwendigen Schärfe erkannte Problem der nächs-
ten Jahre. Somit wären entsprechende Maßnahmen ein
Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit und Generationen-
gerechtigkeit gewesen. Diese Chance wird durch das
vorliegende Gesetz nicht genutzt. Gleichwohl verkenne
ich nicht, dass dies mit dem Koalitionspartner nicht
durchzusetzen war, da dieser im Wesentlichen auf der
Beibehaltung des bisherigen Leistungskatalogs der gesetz-
lichen Krankenversicherung beharrte.
Die nunmehr in Kraft tretenden Regelungen, die zu
mehr Wettbewerb zwischen den gesetzlichen Kranken-
versicherungen führen, sind Beispiele, die grundsätzlich
in die richtige Richtung weisen. Die mangelnde Demo-
grafieresistenz bleibt jedoch ein kardinaler Webfehler des
Gesetzes, der mir eine Zustimmung nicht ermöglicht.
Volker Kröning (SPD): Mein Abstimmungsverhal-
ten zu der „Gesundheitsreform“ stützt sich auf den Be-
richt des Haushaltsausschusses nach § 96 Abs. 4 der Ge-
schäftsordnung des Deutschen Bundestages, Drucksache
16/4222. Der Gesetzentwurf hat nach der Beschlussemp-
fehlung des zuständigen Ausschusses auf Drucksache
16/4200 Auswirkungen auf den laufenden Haushalt und
Auswirkungen auf die künftigen Haushalte im Sinne des
Satzes 2 der Vorschrift. Die Auswirkungen sind sogar
nach eigener Darstellung der Bundesregierung, die in
den Bericht des Haushaltsausschusses aufgenommen
worden ist, erheblich und vermutlich mittelfristig nur
schätzbar und langfristig nicht absehbar. Möglichkeiten
der Deckung der Mehrausgaben gibt es, und sie sind
ebenso evident wie strittig. Deshalb ist im Haushaltsaus-
schuss keine andere Wahl geblieben, zumal unter den
Restriktionen zwischen der ersten und der zweiten Bera-
tung, als die Anforderungen der Vorschrift dadurch zu
erfüllen, die Bundesregierung, die das Recht und die
Pflicht zur Haushaltsinitiative und zur mittelfristigen Fi-
nanzplanung hat, aufzufordern, kurz- und mittelfristige
Deckungsvorschläge noch in diesem Jahr zu entwickeln.
Katharina Landgraf (CDU/CSU): Wesentliche Ziele
dieses Gesetzentwurfes sind, die medizinische Versorgung
der Bürgerinnen und Bürger zu stabilisieren sowie durch
mehr Transparenz und Wettbewerb die Wirtschaftlichkeit
zu stärken. Von besonderer Bedeutung ist ebenso, dass
die Wahl- und Entscheidungsmöglichkeiten der Ver-
sicherten auch durch mehr Eigenverantwortung erweitert
werden. Grundsätzlich unterstütze ich die Entkopplung
der Kosten unseres sozialen Sicherungssystems von den
Arbeitskosten. Das kann nur mit durchgreifenden Refor-
men auch im Bereich der Krankenversicherung erreicht
werden. Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens konnte
eine Reihe von Verbesserungen und Klarstellungen
vereinbart werden, die zu begrüßen sind. Dazu zählen
insbesondere der Erhalt des dualen Versicherungssystems,
die Einführung der Pflichtversicherung, die Klarstellun-
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en zur Nutzung des Basistarifs in der privaten Kranken-
ersicherung und der Verzicht auf die 3-prozentige
ürzung der Rettungsdienstentgelte. Außerdem sind der
erzicht auf die Einführung der Höchstpreisverordnung
n den Apotheken und die Reduzierung des Sanierungs-
eitrages der Krankenhäuser auf 0,5 Prozent wichtige
eränderungen.
Zugleich möchte ich darauf verweisen, dass der Gesetz-
ntwurf einen Kompromiss darstellt, der allerdings in
inigen Teilen unbefriedigende Regelungen enthält.
eshalb betrachte ich das Gesetz nur als einen ersten,
ber zugleich wichtigen Schritt für weitere Veränderungen
deutschen Gesundheitssystem. Unberücksichtigt blieben
Gesetzentwurf die Anstrengungen von Krankenkassen,
o konkret von der AOK Sachsen, in den zurückliegen-
en Jahren wirtschaftlich zu arbeiten, den Beitragssatz
ifferenzierter Mitgliederstrukturen niedrig zu halten
nd keine Schulden zuzulassen.
Der vorliegende Gesetzentwurf weist wichtige Ansätze
ür die Realisierung der wesentlichen eingangs erwähn-
en Zielstellungen der Gesundheitsreform auf. Deshalb
timme ich dem Gesetz grundsätzlich zu.
Dr. Michael Luther (CDU/CSU): Dem Gesetz zur
tärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Kranken-
ersicherung – GKV-WSG – stimme ich zu. Es enthält
aßgebliche Verbesserungen im Hinblick auf die medi-
inische Versorgung der Menschen in Deutschland, vor
llem in den neuen Ländern.
Ich nenne hier insbesondere:
Erstens. Die Einführung einer Pflichtversicherung für
lle.
Zweitens. Die Einführung einer Gebührenordnung für
esamtdeutschland. Damit wird die Trennung Ost-West
ei der Ärztevergütung beseitigt, das heißt, die Ärzte in
en neuen Ländern erhalten künftig höhere Honorare für
ie erbrachten Leistungen als bisher.
Drittens. Die Ausweitung der Leistungen für Mutter-
ind-Kuren.
Viertens. Besonders hervorzuheben ist die Einführung
es morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs, mit
em die Einnahmeseite der GKV gestärkt wird. Gerade
ie neuen Länder werden von der besseren Finanzierung
er Krankenkassenleistungen profitieren.
Problematisch sind für mich Regelungen zu den soge-
annten Hilfen in besonderen Notlagen, die im Hinblick
uf die Einführung des Gesundheitsfonds greifen sollen.
onkret geht es hier um die Entschuldung von Kranken-
assen innerhalb derselben Krankenkassenart – § 265 a
GB V –. Diese Regelung trägt dem besonderen wirt-
chaftlichen Handeln einiger Krankenkassen in Sachsen
icht Rechnung, sondern konterkariert es. Die solventen
rankenkassen sollen entsprechend ihrer Leistungsfä-
igkeit Zahlungen zugunsten notleidender Krankenkas-
en derselben Kassenart leisten. Die Definition des Ver-
chuldungsbegriffs ist dabei viel zu weit gefasst.
8100 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 80. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Februar 2007
(A) )
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Hiervon speziell betroffen ist die AOK Sachsen: Die
AOK Sachsen hat keine nennenswerten Schulden. Hinzu
kommt, dass sie in den letzten Jahren wirtschaftlich ge-
arbeitet hat. Eine strenge Landesaufsicht und eine spar-
same Landespolitik haben dieses Verhalten gefördert.
Deshalb lag der Beitragssatz trotz differenzierter Mit-
gliederstrukturen auf niedrigem Niveau. Durch eine re-
striktive Krankenhausplanung in Sachsen konnte ein
wichtiger Kostenblock für die GKV gering gehalten
werden.
Laut Gesetz muss zukünftig eine wirtschaftlich gut
geführte AOK für schlechtes Handeln anderer Kranken-
kassen bezahlen. Dies widerspricht dem Grundgedanken
des viel beachteten Verfassungsgerichtsurteils zur Ver-
schuldung Berlins, in dem das Bundesverfassungsge-
richt fordert, dass selbst verursachte Schulden aus eige-
ner Kraft getilgt werden müssen. Hinzu kommt, dass, im
Gegensatz zu anderen Krankenkassen in Deutschland,
die AOK Sachsen kaum beamtenstatusähnliche DO-An-
gestellte beschäftigt. Für diese müssen die Kassen jetzt
Rücklagen für Pensionsleistungen bilden, da dies bislang
von den Krankenkassen mit diesen Angestellten unter-
lassen wurde. Dies muss jetzt aber im Rahmen des
Schuldensausgleichs durch die AOK-Sachsen miter-
bracht werden.
Dennoch überwiegen für mich die Vorteile im Ver-
gleich zu den beschrieben Nachteilen, sodass ich dem
Gesetz zustimme.
Dirk Manzewski (SPD): Das Gesundheitssystem in
Deutschland gehört mit seiner solidarischen Ausrichtung
und seiner Leistungsfähigkeit zu den besten in der Welt.
Um es auch für die Zukunft zu sichern, bedurfte es einer
gemeinsamen Kraftanstrengung der Großen Koalition.
In den Verhandlungen zur Gesundheitsreform trafen
zwei sehr unterschiedliche Modellvorstellungen aufein-
ander. Zum Wohle des Landes mussten deshalb eigene
Positionen aufgegeben und ein tragfähiger Kompromiss
gefunden werden.
Das Ergebnis dieser Verhandlungen liegt uns heute
zur Abstimmung vor. Ich werde für den Gesetzentwurf
stimmen.
Ich hätte mir allerdings mit der Großen Koalition eine
mutigere und vor allem nachhaltigere Reform ge-
wünscht. Zudem muss ich mit Enttäuschung zur Kennt-
nis nehmen, dass es offenbar nicht gelungen ist, die not-
wendigen Belastungen gleichermaßen auf alle zu
verteilen. Die zunächst angedachten Einsparungen bei
den Lobbyisten wurden leider nur noch zu einem gerin-
gen Teil umgesetzt. Zudem verfehlt der Gesetzentwurf
sein Ziel beim Umbau der Strukturen in den gesetzlichen
Krankenkassen. Zwar werden mit der Schaffung des
Dachverbandes überflüssige Strukturen bei den einzel-
nen Kassen abgebaut, jedoch wird die Zahl der Kassen
dadurch nicht deutlich abnehmen. Hier hätte mehr er-
reicht werden können.
Dennoch sind vorteilhafte Entwicklungen für die
Versicherten zu erkennen. Es ist ein Fortschritt, dass zu-
künftig niemand mehr ohne Versicherungsschutz in
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eutschland leben wird. Auch der Ausbau des Leis-
ungskataloges der GKV wird für die Versicherten Vor-
eile bringen. Die Aufnahme von Rehabilitations- und
alliativbehandlungen als Pflichtleistungen der Kran-
enkassen ist deshalb sehr zu begrüßen. Auch die Ver-
esserung bei Impfungen, Eltern-Kind-Kuren sowie bei
er ambulanten Behandlung von Krebs, Mukoviszidose
nd Aids waren dringend notwendige Anpassungen der
esetzlich garantierten Pflichtleistungen. Für mich als
ecklenburger waren zudem der Gesundheitsfonds, die
erbesserung des Risikostrukturausgleiches und die Ver-
orgungssicherstellung wichtig.
Friedrich Merz (CDU/CSU): Ich stimme dem Ge-
etzentwurf nicht zu. Das Gesetz wird nach meiner
berzeugung den Wettbewerb bei den Dienstleistungen
m Gesundheitssektor nicht stärken, sondern schwächen.
as deutsche Gesundheitssystem wird durch dieses Ge-
etz teurer und ineffizienter. Es bleiben zudem erhebli-
he verfassungsrechtliche Bedenken gegen einzelne
egelungen, die durch dieses Gesetz neu in das Gesund-
eitssystem in Deutschland eingeführt werden.
Ich verkenne nicht, dass durch das Gesetz einige be-
tehende Missstände beseitigt werden. So wird die Be-
ahlung der Ärzte von Punktwerten wieder auf kalkulier-
are Geldleistungen umgestellt. Es soll auch für die
esetzlichen Krankenversicherungen einige zusätzliche
estaltungsmöglichkeiten bei Tarifen und Leistungen
eben. Insgesamt aber überwiegen Regelungen, die den
ettbewerb tendenziell eher einschränken und die den
eg zu einer staatlichen Einheitskasse eröffnen.
Die Koalitionspartner waren sich von Anfang an nicht
inig, welchen Weg die Gesundheitspolitik in Deutsch-
and nehmen soll. Herausgekommen ist ein Kompromiss
wischen zwei schon im Grundsätzlichen nicht mitein-
nder zu vereinbarenden politischen Konzepten. Die
leichwohl herbeigeführte Einigung in der Koalition
chafft allerdings auf Dauer Fakten, die spätere Korrek-
uren hin zu einem freiheitlichen und wettbewerbsorien-
ierten Gesundheitssystem erschweren, wenn nicht gar
nmöglich machen. Dies gilt insbesondere für den Fonds
nd für die nachhaltige Schwächung der privaten Kran-
enversicherung.
Meine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen dieses
esetz beziehen sich vor allem auf die geplante Steuerfi-
anzierung für die mitversicherten Kinder in der gesetz-
ichen Krankenversicherung, die den privat versicherten
indern vorenthalten werden soll. Verfassungsrechtlich
ngreifbar sind auch die Bestimmungen über die Einfüh-
ung eines Basistarifes in der privaten Krankenversiche-
ung und die Einstandspflicht der Versicherten für den
eitragsausfall durch privat versicherte Hilfsbedürftige.
chließlich bestehen aus meiner Sicht unverändert er-
ebliche europarechtliche Probleme durch die gewollte
ufweichung der Systemgrenzen zwischen gesetzlicher
nd privater Krankenversicherung.
Das Gesetzgebungsverfahren selbst hat eine ange-
essene Beratung und Beschlussfassung über ein Gesetz
on solcher Tragweite im Deutschen Bundestag nicht er-
öglicht. Insbesondere die noch in den letzten Tagen be-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 80. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Februar 2007 8101
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schlossenen, umfangreichen Änderungen des Gesetzent-
wurfs haben die Abgeordneten auch in den Ausschüssen
des Deutschen Bundestages kaum noch beraten und in
ihrer Wirkung beurteilen können.
Maria Michalk (CDU/CSU): Ziel des Gesetzentwur-
fes ist, durch Veränderungen auf der Einnahme- wie der
Ausgabenseite die Qualität der Versorgung der Men-
schen unseres Landes zu verbessern, die Wirtschaftlich-
keit durch mehr Transparenz und intensiven Wettbewerb
zu stärken, die Wahl- und Entscheidungsmöglichkeiten
der Versicherten, also die Eigenverantwortung, zu erwei-
tern und die bürokratischen Aufwendungen bei allen
Beteiligten zu vermindern. Sowohl die demografischen
Herausforderungen, die versorgungstechnischen Ge-
sichtspunkte, die Nutzung des wissenschaftlich-techni-
schen Fortschritts im medizinischen Bereich für alle wie
auch die Notwendigkeit der Entkopplung der Kosten un-
seres sozialen Sicherungssystems von den Arbeitskosten
machen grundlegende Reformen notwendig.
Der Gesetzentwurf war ein Kompromiss der Koali-
tion, in dem wesentliche Ansätze der Zielstellung enthal-
ten sind wie die Einführung der gesamtdeutschen Ge-
bührenordnung für die Honorierung der Ärzte ab 2009
oder die Pflichtversicherung von Mutter-Kind-Kuren,
die Erweiterung der Wahlmöglichkeiten der Versicherten
durch Selbstbehalt- und Kostenerstattungstarife und
Weiteres. Positiv wird sich vor allem in den neuen Län-
dern die Einführung des morbiditätsorientierten Risiko-
strukturausgleiches auswirken, weil damit die Einnah-
meseite gestärkt ist.
Die Beitragserhöhungen der Krankenkassen zum Jah-
resanfang sind nicht ein vorgezogenes Ergebnis dieser
Reform, sondern die Aufarbeitung der Vergangenheit, in
der unverantwortlich hohe Schulden aufgenommen wor-
den sind. Die Entschuldungserwartung der Politik ge-
genüber den Krankenkassen ist ein Beitrag für mehr Ge-
nerationengerechtigkeit.
Unberücksichtigt geblieben sind aber zum Beispiel
bei den notwendigen Regelungen zur Entschuldung der
Krankenkassen innerhalb der Krankenkassenarten die
unterschiedlichen Anstrengungen der einzelnen Kran-
kenkassen in der Vergangenheit, wirtschaftlich zu arbei-
ten, den Beitragssatz trotz sehr differenzierter Mitglie-
derstrukturen niedrig zu halten und keine Schulden
aufzubauen. Auch der Start des Gesundheitsfonds mit ei-
ner gesetzlichen Beitragserhöhung ist aus sächsischer
Sicht nicht zielführend.
Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens ist eine Reihe
von Verbesserungen und Klarstellungen in Abstimmung
mit allen Beteiligten erreicht worden. Dazu zählen der
Erhalt des dualen Versicherungssystems, die Einführung
der Pflichtversicherung, die Klarstellungen zur Nutzung
des Basistarifes in der GKV, der Verzicht auf die drei-
prozentige Kürzung der Rettungsdienstentgelte, der Ver-
zicht auf die Einführung der Höchstpreisverordnung in
den Apotheken sowie die Reduzierung des Sanierungs-
beitrages der Krankenhäuser auf 0,5 Prozent.
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Es wurden Maßnahmen eingeleitet, die die Unterver-
orgung mit Ärzten in den neuen Ländern auch vor Ein-
ührung der neuen ärztlichen Gebührenordnung ab-
auen, indem die Kassen Sicherstellungszuschläge in
rforderlicher Höhe außerhalb des Bugdets bereitstellen
üssen. Positive Wirkungen für die neuen Länder erge-
en sich auch aus der Aufstockung des Steuerzuschusses
ür die GKV.
Aus diesen Gründen stimme ich dem Gesetz zu.
Hans Michelbach (CDU/CSU): Ich bedauere, dass
s aufgrund des Widerstands der SPD nicht gelungen ist,
en wirtschafts- und beschäftigungspolitisch unverzicht-
aren Weg einer Abkopplung der Gesundheits- von den
rbeitskosten noch deutlicher zu beschreiten.
Durch diese Gesundheitsreform wird es deshalb im
rgebnis nicht zu einer Senkung der Beitragslast und der
ohnzusatzkosten in der Krankenversicherung kommen.
as ist der größte Wermutstropfen.
Dennoch sind der neue Zusatzbeitrag, neue Wettbe-
erbselemente wie Wahltarife und der Einstieg in eine
teuerfinanzierung gesamtgesellschaftlicher Aufgaben
ie der Kindermitversicherung wichtige erste Schritte in
ie richtige Richtung.
Ich begrüße insbesondere, dass durch den Einstieg in
ie Portabilität der Altersrückstellungen mehr Anbieter-
ettbewerb in der PKV entstehen kann und durch die
eränderung des neuen Basistarifs auf Intervention der
DU/CSU die Rahmenbedingungen für die private
rankenvollversicherung nicht über Gebühr geschwächt
erden; die PKV als bewährte Institution erhalten bleibt.
Positiv zu bewerten ist weiterhin, dass neue Vorkehrun-
en gegen die befürchtete Verdrängung mittelständischer
eistungserbringer und Arzneimittelhersteller geschaffen
erden, eine kollektive Zwangshaftung der Apotheken
usbleibt, das Honorar- und Vergütungssystem der Ärzte
erbessert wird und eine Verstaatlichung des Gemeinsamen
undesausschusses abgewendet werden konnte.
Oberstes Ziel muss es allerdings bleiben, den Faktor
rbeit weiter zu entlasten und das Ziel einer dauerhaften
nd nachhaltigen Lohnzusatzkostensenkung auf unter
0 Prozent zu erreichen. Dies gilt insbesondere für die
nstehenden Reformen der Pflegeversicherung und der
esetzlichen Unfallversicherung sowie mit Blick auf die
orhandenen weiteren Beitragssenkungspotenziale der
rbeitslosenversicherung. Eine neue Steuererhöhung darf
ich mit dieser Reform nicht entwickeln. Es ist deshalb
ine Reform mit einer bürgerlichen Mehrheit anzustreben.
Nur unter Zurückstellung größter persönlicher Bedenken
nd in Anerkennung der positiven Reformelemente sowie
er jetzt noch durch die Fraktion der CDU/CSU erreich-
en Nachbesserungen im GKV-Wettbewerbsstärkungsge-
etz stimme ich deshalb heute diesem Gesetzentwurf zu.
Detlef Müller (Chemnitz) (SPD): Ich stimme dem
esetzentwurf in der Drucksache zu, weil infolge des
esetzes unter anderem mit der Einführung des Gesund-
eitsfonds richtige Schritte hinsichtlich eines zukünftig
8102 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 80. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Februar 2007
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starken Verwaltungsaufwandsabbaus im Bereich der ge-
setzlichen Krankenkassen – Stichwort: Beitragseinzug
von den Hunderten Kassen weg und zu 16 Zahlstellen
des Gesundheitsfonds in den 16 Bundesländern hin –, ei-
ner massiven Entbürokratisierung im Bereich der Wirt-
schaft – Stichwort: lohnsummenbezogene Abführung
der Beiträge an die im Bundesland ansässige Zahlstelle
des Fonds –, die gesetzlichen Krankenkassen zur Ent-
schuldung verpflichtet werden, erstmalig alle Einwohner
in Deutschland krankenversichert sein werden, im priva-
ten Krankenversicherungssystem ein Basistarif geschaf-
fen wird, alle Kassen in der GKV den gleichen Grundbe-
trag erhalten, unabhängig vom Sitz der jeweiligen Kasse,
die Arzthonorare harmonisiert werden – Abschaffung
der Budgetierung, Verlagerung des Gesundheitsrisikos
von den Ärzten zu den Kassen –, ab 2010 unterversorgte
Regionen über Zuschläge höhere Anreize zur Niederlas-
sung bieten können, die Krankenhäuser für spezialisierte
ambulante Leistungen in strukturschwachen Regionen
geöffnet werden.
Schwere Bedenken habe ich angesichts der ehrgeizi-
gen, ursprünglichen Zielstellungen in Anbetracht der jet-
zigen minimal erscheinenden Änderungen.
Für mich bleibt leider der Eindruck, dass die großen
außerparlamentarischen Kräfte wie gesetzliche Kranken-
kassen, private Krankenkassen, Kassenärztliche Verei-
nigungen, Pharmaindustrie, Apothekern und andere
Lobbyisten, in trauter Einheit mit den föderalen Struktu-
ren der Bundesrepublik Deutschland – Bundesländer –
den engagierten Entwurf der Koalition vom Sommer
2006 aufgeweicht und entschärft haben. Beide Seiten der
Großen Koalition knickten vor den privaten Krankenver-
sicherungen, den gesetzlichen Krankenversicherungen,
der Pharmaindustrie und den Apothekern ein.
Eine dauerhaft sichere Finanzierung des Gesundheits-
systems wurde ebenso wenig erreicht, wie eine nachhal-
tige Senkung der Lohnnebenkosten. Statt der angestreb-
ten Kostensenkung werden vorerst Beitragserhöhungen
plus immenser Zuschüsse aus Steuermitteln auf uns, auf
alle Bürger zukommen. Hierüber muss weiter diskutiert
und in einem weiteren parlamentarischem Verfahren be-
raten werden.
Das Parlament ist die eigentliche Interessenvertretung
aller Beitrags- und Steuerzahler. In diesem Sinn gehen
wir mit dem GKV-WSG und dessen vielen Verbesserun-
gen hinsichtlich der Interessen der Beitragszahlerinnen
und Beitragszahler in die richtige Richtung.
Dies lässt mich letztlich, nach langem Abwägungs-
prozess, zustimmen.
Henry Nitzsche (fraktionslos): Am Freitag, dem
2. Februar, werde ich in namentlicher Abstimmung den
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines
Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzli-
chen Krankenversicherung ablehnen.
Was angeblich im letzten Wahlkampf von CDU und
SPD angekündigt war, nämlich eine wirksame und nach-
haltige Reform des Gesundheitswesens, hat mit dem
vorliegenden Gesetzentwurf der Großen Koalition
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ichts, aber auch gar nichts zu tun. Die Lohnnebenkos-
en werden nicht, wie versprochen, reduziert, sondern
teigen für die Arbeitnehmer. Die milliardenschwere Ge-
undheitsbürokratie wird nicht, wie versprochen, abge-
aut, sondern weiter aufgebläht. Dafür sorgt eine zusätz-
iche staatliche Geldverteilungsmaschinerie namens
esundheitsfonds. Die Zweiklassenmedizin wird nicht,
ie versprochen, durch ein System optimaler Versor-
ung für jeden Kranken, unabhängig vom jeweiligen
ostenträger, abgelöst, sondern verewigt. Der Anspruch
ls Wettbewerbsstärkungsgesetz steht im krassen Wider-
pruch zur Rechtslage: § 69 SGB V nimmt die Kassen
eiterhin vom Wettbewerbsrecht aus. In der Realität
ird sich nur eines ändern: Alles wird teurer, nichts
ird, wie versprochen, billiger. Deshalb ist das Gesetz
ufs Schärfste abzulehnen.
Peter Rauen (CDU/CSU): Dem Gesetzentwurf ge-
äß der Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/4200
ann ich nicht zustimmen.
Die bereits erfolgten und die zu erwartenden Beitrags-
rhöhungen der Krankenkassen konterkarieren das große
iel der Koalition, die Lohnzusatzkosten zu senken und
adurch mehr sozialversicherungspflichtige Arbeits-
lätze zu schaffen.
Die Wahlkampfaussage der Union, die Mehrwertsteu-
rerhöhung durch Beitragsentlastung der sozialversiche-
ungspflichtig Beschäftigten zu kompensieren, wird da-
urch weitestgehend verfehlt.
Katherina Reiche (Potsdam) (CDU/CSU): Ich
timme dem Gesetzentwurf zum GKV-Wettbewerbsstär-
ungsgesetz nur mit Bedenken zu. Es bestehen massive
weifel, ob das Gesetz den verfassungsrechtlichen An-
orderungen standhält. Allein die Übertragung der Aufga-
en der bisher sieben Kassenartenverbände auf einen
euen Spitzenverband Bund könnte gegen das Grundge-
etz verstoßen. Die Zentralisierung der bisher von den
ieben Verbänden erledigten Aufgaben auf einen Spitzen-
erband steht zudem im Widerspruch zum Ziel der Ge-
undheitsreform, den Wettbewerb unter den Kassen zu
tärken.
Auch der geplante Steuerzuschuss zur Kindermit-
ersicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung
önnte verfassungswidrig sein, da die Kinder der privat
rankenversicherten entgegen den Ankündigungen im
orfeld der Verabschiedung der Eckpunkte zur Gesund-
eitsreform nicht durch Steuermittel gefördert werden.
ies führt zu einer Ungleichbehandlung vor allem auch
er beihilfeberechtigten Beamten im einfachen und mitt-
eren Dienst. Ein rechtfertigender Grund für diese Un-
leichbehandlung ist nicht ersichtlich.
Die Ausgestaltung des Gesundheitsfonds wird nach
einer Auffassung zu mehr Bürokratie und höheren Ver-
altungskosten führen. Allein die Einrichtung einer
ondsverwaltung mit regionalen Einzugsstellen sowie
ie Führung von Einzelbeitragskonten werden zu einem
usätzlich überbordenden bürokratischen Mehraufwand
ühren. Die starke staatliche Steuerung der Finanzmittel
us dem Gesundheitsfond nimmt den Krankenkassen
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 80. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Februar 2007 8103
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(B) )
ihre Beitragsautonomie, führt nicht zu einer Senkung der
Lohnnebenkosten, reagiert nicht auf die Probleme des
demografischen Wandels und könnte zu einer Einheits-
versicherung führen.
Maik Reichel (SPD): Obwohl ich als Abgeordneter
nicht unmittelbar fachlich mit den anstehenden grund-
sätzlichen und speziellen Reformen im Gesundheitswe-
sen befasst war, habe ich mich gleichwohl intensiv mit
den Problemen, Lösungsvorschlägen und den ausgehan-
delten Kompromissen auseinandergesetzt.
Ich erkenne ausdrücklich an, dass es auch aus dem
Grundverständnis einer sozialdemokratischen Gesund-
heitspolitik heraus gelungen ist, zahlreiche strukturelle
Verbesserungen insbesondere für die Patientinnen und
Patienten durchzusetzen. Dazu gehören der Erhalt des
Leistungsangebotes der gesetzlichen Krankenversiche-
rung, die Verhinderung einer weiteren Belastung der
Versicherten durch Ausweitung der Eigenbeteiligung,
der Ausbau der Palliativmedizin, die Sicherung der
häuslichen Krankenpflege für Pflegebedürftige und Be-
hinderte, die Absicherung der Rehabilitation in der
Krankenversicherung, die Stärkung der Prävention und
der Ausbau der integrierten Versorgung und weitere Öff-
nung der Krankenhäuser für die ambulante Versorgung.
Ebenso erkenne ich an, dass es einige bedeutende
strukturelle Veränderungen geben wird, die durch die Er-
höhung der Wirtschaftlichkeit im Arzneimittelbereich,
durch eine teilweise Stärkung der Verhandlungsposition
der Krankenkassen, durch Einleitung von Reformen im
Bereich der privaten Krankenversicherung mit einer
strukturellen Stärkung der Rechte der Versicherten (Por-
tabilität, Kontrahierungszwang, Basistarif) entstehen.
Diese sind natürlich noch ausbaufähig. Insbesondere das
gesundheitspolitische Ziel, dass jeder Mensch in
Deutschland in der Pflicht zum Schutz durch eine Kran-
kenversicherung steht, ist jetzt erreicht.
Als positiv schätze ich die prinzipielle Absicht ein,
die nachhaltige Finanzierung der gesetzlichen Kranken-
versicherung durch einen anwachsenden Bundeszu-
schuss zu sichern, der über die Jahre bis 2010 hinaus bis
auf Weiteres zu einer Gesamthöhe von 14 Milliarden
Euro anwachsen soll.
In dieser Situation kommt es meines Erachtens insbe-
sondere darauf an, dass der Fonds den Beitragsatz der
Krankenkassen zum 1. Januar 2009 tatsächlich zu
100 Prozent abdeckt und es nur eine sehr begrenzte Zahl
von Zusatzbeiträgen geben wird.
Ebenso halte ich es für besonders wichtig, dass die
neu geschaffene Möglichkeit, den Zusatzbeitrag in Form
eines einkommensunabhängigen Pauschalbeitrages ein-
zuziehen, wieder abgeschafft und der Zusatzbeitrag von
Arbeitnehmern und Arbeitgebern paritätisch gemeinsam
finanziert wird. Auch dürfen die Systeme der solidari-
schen gesetzlichen Krankenversicherung und der priva-
ten kapitalgedeckten Krankenversicherung nicht weiter
gegeneinander abgeschottet werden, sondern es müssen
solidarische Strukturen auch für den Bereich der priva-
ten Krankenversicherung schrittweise aufgebaut werden,
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nd insgesamt muss eine Verbreiterung der Finanzie-
ungsbasis für die Krankenversicherung durch eine He-
anziehung von über den Lohn und das Gehalt hinausge-
enden Einkommensarten erreicht werden. Das
edizinisch notwendige Leistungsangebot für alle Versi-
herungen in der Regelversicherung muss voll erhalten
leiben, und es darf zu keiner Aufspaltung in eine
rundversicherung einerseits und Zusatzversicherungen
ndererseits kommen. Solchen Tendenzen zu einer
weiklassenmedizin muss konsequent entgegengetreten
erden.
Ausdrücklich begrüße ich die Vorteile, die durch die
euen Regelungen für die ostdeutschen Länder ent-
tehen. Neben einem 100-prozentigen Einkommens-
usgleich innerhalb des Gesundheitsfonds, einem ver-
esserten Risikostrukturausgleich werden auch die
rzthonorare harmonisiert. Darüber hinaus wird die Ver-
orgungssicherheit, die gerade in den ländlich geprägten
egionen von großer Relevanz ist, erheblich verbessert.
Im Detail heißt das, dass es nach Einführung des Ge-
undheitsfonds durch die Einführung eines 100-prozenti-
en Einkommensausgleichs keine Rolle mehr spielt, wie
ich das Einkommensgefälle zwischen Regionen oder
wischen Ost und West darstellt oder wie viele Gering-
erdiener oder auch Rentner oder Arbeitslose in einer
asse versichert sind. Der Vorteil für die ostdeutschen
assen: Sie bekommen für jeden Versicherten den glei-
hen (Grund-)Betrag wie die Kassen der westdeutschen
änder. Ein verbesserter Risikostrukturausgleich sorgt
afür, dass die Kassen in den neuen Ländern tendenziell
ehr Geld als bisher erhalten, da sie wegen einer im ge-
amtdeutschen Vergleich veränderten Altersstruktur re-
ativ betrachtet mehr chronisch Kranke versichern. Er-
eicht wird dies, indem im RSA die 50 bis 80 häufigsten
rankheiten berücksichtigt werden. Die Abschaffung
er Budgetierung und die dadurch erfolgende Verlage-
ung des Krankheitsrisikos eines jeden Versicherten von
en Ärzten hin zu den Kassen sorgt für eine Harmonisie-
ung der Arzthonorare. Der wichtigste Fortschritt für die
euen Länder besteht jedoch in der Verbesserung der
ersorgungssicherheit. Dazu trägt unter anderem die
ffnung der Krankenhäuser für spezialisierte ambulante
eistungen und seltene Erkrankungen bei – diese Maß-
ahme erhöht die Versorgungsqualität in strukturschwa-
hen Regionen, die leider häufiger in den ost- als in den
estdeutschen Ländern zu finden sind, erheblich. Da-
über hinaus werden zwischen 2007 und 2009 die
nreize zur Tätigkeit und Niederlassung in solchen Re-
ionen erheblich erhöht: durch flexiblere Sicherstel-
ungszuschläge, die künftig schon bei „absehbar drohen-
er Unterversorgung“ auch Ärzten, die bereits in der
etroffenen Region tätig sind, gewährt werden sollen.
b 2010 können solche Zuschläge dann generell verein-
art werden.
Ich verbinde mit meiner Befürwortung der Reformen
ei der Abstimmung im Deutschen Bund die Erwartung,
ass falsche Weichenstellungen bei nächster Gelegenheit
orrigiert werden und das solidarische Krankenversiche-
ungssystem mit dem Leitbild der Bürgerversicherung
efestigt und ausgebaut wird.
8104 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 80. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Februar 2007
(A) )
(B) )
Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): Ich stimme dem
GKV-WSG trotz einiger inhaltlicher Bedenken zu. Mit
dem Gesetz werden zahlreiche Verbesserungen für Ver-
sicherte und Patienten erreicht, unter anderem mit einer
Krankenversicherungsmöglichkeit für alle und einer Si-
cherstellung der Gesundheitsversorgung auch in Gebie-
ten mit abnehmender Bevölkerungszahl.
Die gesetzliche Fixierung des Bundeszuschusses, der
bis zu einer Höhe von 14 Milliarden Euro jährlich an-
wachsen soll, entspricht jedoch nicht den Vorstellungen
einer nachhaltigen und verantwortungsvollen Finanz-
und Haushaltspolitik.
Angesichts aktuell beschlossener oder angekündigter
Krankenkassenbeitragserhöhungen ist ein gesetzlich fi-
xierter Zuschuss des Bundes für ein wettbewerbsorien-
tiertes Gesundheitssystem nicht das richtige Signal. Für
eine stärkere Kostenentlastung müssten – bevor ein zu-
sätzlicher Zuschuss des Bundes erwogen werden kann –
zunächst die Leistungserbringer im Gesundheitssystem
einen eigenen Beitrag leisten. Dies ist mit der vorliegen-
den Reform nur unzureichend gelungen.
Einige Ministerpräsidenten der Unionsparteien haben
im Sommer letzten Jahres den Einstieg in ein aus Steu-
ern finanziertes Gesundheitssystem nur verzögert.
Ohne eine gesicherte wirkliche Steuermitfinanzierung
wäre diese Regierunskoalition bei einer ihrer wichtigsten
Zielstellungen, nämlich der Konsolidierung der Staatsfi-
nanzen, gescheitert. Die notwendige Reduzierung des
strukturellen Defizits und der weitere Abbau der Neu-
verschuldung können dabei nicht allein durch Ausgaben-
kürzungen erreicht werden.
Eine nachhaltige Gegenfinanzierung für den steigenden
Bundeszuschuss ist unerlässlich, wenn die Konsolidierung
der Staatsfinanzen weiterhin Priorität haben soll. Ange-
sichts steigender Kosten im Gesundheitsbereich auch vor
dem Hintergrund der höheren Lebenserwartung – im Jahr
2030 werden allein 3 Prozent des BIP für Kosten des Al-
terns aufgewendet werden – muss die Finanzierung dieser
zusätzlichen Ausgaben für den Zuschuss aus dem Bundes-
haushalt dringend geklärt werden.
Rolf Stöckel (SPD): Ich habe dem Gesetzentwurf zur
Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Kranken-
versicherung – GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz – zu-
gestimmt.
In einem hochentwickelten Land mit einer hervorragen-
den Medizininfrastruktur müssen die Rahmendingungen
für die Akteure am Gesundheitsmarkt stets weiterentwi-
ckelt und an die veränderten Bedingungen angepasst wer-
den. Die Menschen werden in Deutschland immer älter,
die Medizintechnik wird ständig weiterentwickelt. Dabei
ist klar, dass es die eine, große Reform nicht geben kann.
Vielmehr müssen in einem hochkomplexen System, das
nun einmal so ist, wie es ist, eine Vielzahl von Einzelmaß-
nahmen getroffen werden.
Mit der vorliegenden Reform werden keine Leistungen
gekürzt, sondern sogar ausgeweitet. Alle Menschen in
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eutschland sind künftig versichert – ein großer Fort-
chritt gerade für mich als Sozialdemokraten.
Diese Reform enthält für die Versicherten zahlreiche
erbesserungen: für Schwerstkranke wird die palliativ-
edizinische Versorgung verbessert. Ein wesentlicher
ortschritt ist, dass die geriatrische Rehabilitation eine
flichtleistung der gesetzlichen Krankenversicherung
ird. Das heißt, auch alte und pflegebedürftige sowie
chwerbehinderte Menschen haben einen Anspruch auf
ehabilitation. Für Behinderte wird dauerhaft sicher-
estellt, dass sie auch dann individuell mit Hilfsmitteln
ersorgt werden, wenn eine selbstbestimmte und gleich-
erechtigte Teilhabe am Leben der Gemeinschaft nicht
ehr vollständig möglich ist. Die Gesundheitsreform
ringt zudem Erleichterungen für Menschen mit Behinde-
ungen in Wohneinrichtungen: Sie haben zukünftig einen
nspruch auf häusliche Krankenpflege.
Die Wahlmöglichkeiten für die Versicherten werden er-
eitert durch Selbstbehalt- und Kostenerstattungstarife.
ersicherte können künftig besser vergleichen, ob ihre
asse für den Zusatzbeitrag die bessere medizinische
ersorgung anbietet.
Der Gesundheitsfonds garantiert eine wirtschaftliche
erwendung der Beitragsmittel. Der Wettbewerb zwischen
en Kassen wird deutlich intensiviert. Der Zusatzbeitrag
eranlasst die Kassen, sich im Wettbewerb mit anderen
erstärkt um eine qualitätsgestützte und effiziente Ver-
orgung zu bemühen und schlanke Verwaltungsstruktu-
en zu etablieren. Versicherte verfügen mit dem Zusatz-
eitrag über einen Indikator, der ihnen Informationen
ber die Leistungsfähigkeit ihrer Kasse gibt.
Nutznießer der Reform werden also vor allem die
ersicherten sein; für diese Versicherten ist diese Reform
emacht, nicht für die zahlreichen Interessengruppen,
ie vor allem ihr eigenes Wohl im Sinn haben.
Jörn Thießen (SPD): Ich stimme dem GKV-Wettbe-
erbsstärkungsgesetz trotz erheblicher Bedenken zu. In
ielen Bereichen haben sich durch die intensiven Debat-
en der vergangenen Wochen substanzielle Verbesserun-
en ergeben.
Bei meinem Abstimmungsverhalten sind Konsensbil-
ung und politische Handlungsfähigkeit der Koalition
ür mich von großem Gewicht.
Bedenklich bleibt aber die ungenügend geklärte künf-
ige Finanzierung des Steuerzuschusses aus dem Bun-
eshaushalt ebenso wie die Verschiebung der Gewichte
wischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung
ugunsten der letzteren.
Von besonderer Bedeutung bleibt weiterhin, dass die
eu geschaffene Möglichkeit, den Zusatzbeitrag in Form
ines einkommensunabhängigen Pauschalbeitrages ein-
uziehen, wieder abgeschafft wird, dass der Zusatzbei-
rag von Arbeitnehmern und Arbeitgebern paritätisch ge-
einsam finanziert wird, die Systeme der solidarischen
esetzlichen Krankenversicherung und der privaten ka-
italgedeckten Krankenversicherung nicht weiter gegen-
inander abgeschottet werden, sondern solidarische
trukturen auch für den Bereich der privaten Kranken-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 80. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Februar 2007 8105
(A) )
(B) )
versicherung aufgebaut werden und dass es insgesamt zu
einer Verbreiterung der Finanzierungsbasis für die Kran-
kenversicherung durch eine Heranziehung von über den
Lohn und das Gehalt hinausgehenden Einkommensarten
kommt, dass das medizinisch notwendige Leistungsan-
gebot für alle Versicherungen in der Regelversicherung
voll erhalten bleibt und es zu keiner Aufspaltung in eine
Grundversicherung einerseits und Zusatzversicherungen
andererseits kommt. Solchen Tendenzen zu einer Zwei-
klassenmedizin muss konsequent entgegengetreten wer-
den.
Mit meinem Abstimmungsverhalten im Bundestag
verbinde ich die Erwartung, dass bei nächster Gelegen-
heit falsche Weichenstellungen korrigiert werden und
das solidarische Krankenversicherungssystem mit dem
Leitbild der Bürgerversicherung gefestigt und ausgebaut
wird.
Dr. Marlies Volkmer (SPD): Ich habe mich bei der
namentlichen Abstimmung über die Gesundheitsreform
enthalten und gebe hierzu folgende Erklärung ab:
Ausdrücklich begrüße ich die durch diese Reform
eingeführte allgemeine Versicherungspflicht, die neuen
Instrumente zur Verbesserung der bedarfsgerechten Ver-
sorgung der Patienten, die Stärkung der Prävention, den
Ausbau des Leistungskatalogs der gesetzlichen Kran-
kenversicherung, GKV, und die Erhöhung der Wirt-
schaftlichkeit im Arzneimittelsektor.
Leider ist es nicht gelungen, die Finanzierung der
GKV auf eine breitere Basis zu stellen. Weder wurde die
Zahl der gesetzlich Versicherten vergrößert, noch wur-
den andere Einkommensarten als Erwerbseinkommen,
Lohnersatzleistungen und Renten zur Finanzierung des
Gesundheitswesens herangezogen. Eine grundsätzliche
Lösung war durch die nicht zu vereinbarenden Konzepte
von Bürgerversicherung und Kopfpauschale nicht zu er-
reichen. Es wäre aber zumindest notwendig gewesen,
mehr Steuermittel für die Finanzierung gesamtgesell-
schaftlicher Aufgaben in der GKV zur Verfügung zu
stellen. Es ist nicht akzeptabel, dass die Steuerfinanzie-
rung der GKV 2009 geringer ausfallen wird als 2006.
Stattdessen wird mit der Einführung der Zusatzprämie,
die einseitig die Versicherten belastet, die paritätische
und solidarische Finanzierung des Gesundheitssystems
ausgehöhlt.
Ursprünglich war das Ziel dieser Reform zu verhin-
dern, dass die unausweichlich steigenden Kosten des
medizinischen Fortschritts und der Alterung der Gesell-
schaft zu drastischen Beitragssatzerhöhungen führen.
Dieses Ziel wurde verfehlt. Darüber hinaus verursachen
die neuen Pflichtleistungen der GKV und die neue Ho-
norarordnung der Ärzte zusätzliche Kosten, die nicht
ausreichend durch Einsparungen im System gegenfinan-
ziert sind und somit zu einer noch stärkeren Belastung
der Versicherten und der Arbeitgeber führen werden.
Für circa 60 Prozent der Mitglieder der sächsischen
Krankenkassen werden die Beitragssätze durch die Ein-
führung des Gesundheitsfonds um mehr als zwei Pro-
zentpunkte steigen. Dieser drastische Anstieg belastet
die sächsischen Arbeitgeber und Versicherten und ver-
teuert die Lohnnebenkosten im Freistaat erheblich. Zu-
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leich wird durch die Reform zuwenig getan, um bis
um Jahr 2010 die ambulante medizinische Versorgung
er Patienten in den neuen Ländern sicherzustellen.
Aus den genannten Gründen kann ich dem GKV-
SG nicht zustimmen, sondern enthalte mich der
timme.
Dr. Wolfgang Wodarg (SPD): Das GKV-Wettbe-
erbsstärkungsgesetz belastet unser Solidarsystem. Es
reibt gerade jene Kassen in die Pleite, die sich um chro-
isch Kranke kümmern, und sorgt für Zulauf und gute
eschäfte bei den Privatversicherungen. Weiterhin wird
s keine Strukturverantwortung für eine effiziente Ver-
orgung geben; denn jede Kasse muss vor allem an die
igenen Versicherten denken. Was nützt es, wenn man
eue Leistungen ins Gesetz schreibt, aber gleichzeitig
iejenigen in den Ruin treibt, die diese Möglichkeiten
irklich umsetzen? Alte, chronisch Kranke, Behinderte
nd Sterbenskranke bleiben im verschärften Wettlauf der
assen ums Überleben eine Last. Und wer darauf hofft,
ass die Versprechen der CDU/CSU zum Morbi-RSA
Krankheitslastenausgleich zwischen den Kassen – und
um Basistarif für die privaten Krankenversicherungen
ach der Wahl in Bayern und vor der Bundestagswahl
009 wirklich umgesetzt werden, der hat das Schicksal
er Positivliste vergessen und setzt jetzt leichtfertig die
urch die SPD hart erkämpften Errungenschaften einer
olidarischen Gesundheitssicherung aufs Spiel. Ich
timme deshalb gegen das Gesetz und werde weiter für
en Erhalt unserer solidarischen Krankenversicherung
ämpfen und möchte den Sozialdemokraten sehen, der
as nicht will.
nlage 3
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Clemens Bollen, Dr. Michael
Bürsch, Ulla Burchardt, Elvira Drobinski-Weiß,
Gernot Erler, Monika Griefahn, Frank Hofmann
(Volkach), Gabriele Hiller-Ohm, Reinhold
Hemker, Christel Humme, Rolf Kramer, Anette
Kramme, Jürgen Kucharczyk, Ute Kumpf,
Christine Lambrecht, Waltraud Lehn,
Dr. Sascha Raabe, Mechthild Rawert, Gerold
Reichenbach, Christel Riemann-Hanewinckel,
Sönke Rix, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Michael
Roth (Heringen), Ortwin Runde, Anton Schaaf,
Axel Schäfer (Bochum), Dr. Frank Schmidt,
Swen Schulz (Spandau), Frank Schwabe,
Christoph Strässer, Dr. Rainer Tabillion,
Dr. h. c. Wolfgang Thierse, Waltraud Wolff
(Wolmirstedt) und Uta Zapf (alle SPD) zur Ab-
stimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur
Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen
Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstär-
kungsgesetz – GKV-WSG) (Tagesordnungs-
punkt 27 a)
Erstens. Reformen der Gesundheitsversorgung und
er Krankenversicherung berühren immer – mehr als
iele andere Fragen – die Gesamtheit der Bevölkerung.
8106 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 80. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Februar 2007
(A) )
(B) )
Reformen in diesem Bereich sind deshalb mit besonde-
rer Sorgfalt und Verantwortung anzugehen und zu ge-
stalten. Gesundheit ist für jeden Menschen ein existen-
zielles Anliegen. Das solidarische System der
Krankenversicherung ist ein zentraler Bestandteil unse-
res Sozialstaates. Das Gesundheitssystem bindet schließ-
lich über 250 Milliarden Euro an Mitteln und bildet in
sich den größten geschlossenen Arbeitssektor in unse-
rem Land.
Als Abgeordnete, die in ihrer Mehrzahl nicht direkt
fachlich und unmittelbar in den Verhandlungen mit den
anstehenden grundsätzlichen wie speziellen Reformen
im Gesundheitswesen befasst gewesen sind, haben wir
uns gleichwohl sehr intensiv mit den Problemen, den
Lösungsvorschlägen und den getroffenen Kompromis-
sen in der Großen Koalition auseinandergesetzt.
Zweitens. Die Unterzeichnenden dieser Erklärung
nach § 31 der Geschäftsordnung erkennen ausdrücklich
an, dass es auch aus dem Grundverständnis einer sozial-
demokratischen Gesundheitspolitik heraus gelungen ist,
zahlreiche strukturelle Verbesserungen insbesondere für
die Patienten und deren Versorgung durchzusetzen.
Beispielhaft nennen wir: Erhalt des Leistungsangebo-
tes der gesetzlichen Krankenversicherung, Verhinderung
einer weiteren Belastung der Versicherten durch Aus-
weitung der Eigenbeteiligung, – Ausbau der Palliativme-
dizin, Sicherung der häuslichen Krankenpflege für Pfle-
gebedürftige und Behinderte, Absicherung der
Rehabilitation in der Krankenversicherung, Stärkung der
Prävention und Ausbau der integrierten Versorgung und
weitere Öffnung der Krankenhäuser für die ambulante
Versorgung.
Auch erkennen wir an, dass es einige bedeutende
strukturelle – allerdings auch noch ausbaufähige – Ver-
änderungen geben wird durch Erhöhung der Wirtschaft-
lichkeit im Arzneimittelbereich, durch eine teilweise
Stärkung der Verhandlungsposition der Krankenkassen
und durch Einleitung von Reformen im Bereich der
privaten Krankenversicherung mit einer strukturellen
Stärkung der Rechte der Versicherten (Portabilität, Kon-
trahierungszwang, Basistarif).
Insbesondere das gesundheitspolitische Ziel, dass je-
der Mensch in Deutschland in der Pflicht zum Schutz
durch eine Krankenversicherung steht, ist jetzt erreicht.
Drittens. Positiv hervorheben möchten wir auch die
prinzipielle Absicht, die nachhaltige Finanzierung der
gesetzlichen Krankenversicherung durch einen anwach-
senden Bundeszuschuss zu sichern, der über die Jahre
bis 2010 hinaus bis auf Weiteres zu einer Gesamthöhe
von 14 Milliarden Euro anwachsen soll. Nach der wider-
sinnigen Festlegung im Koalitionsvertrag, den gerade
von SPD und Bündnis 90/Die Grünen erst eingeführten
Steuerzuschuss wieder zurückzunehmen, und nach dem
Einbruch der Bundeskanzlerin im Juli des letzten Jahres,
die unter dem Druck der CDU/CSU-Ministerpräsidenten
von dem fest verabredeten Einstieg in eine nachhaltige
Steuerfinanzierung über Nacht kleinmütig abrücken
musste, konstatieren wir also jetzt wieder einen Einstieg
in eine stärkere und aufwachsende Steuerfinanzierung.
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iese soll für die Jahre 2007 und 2008 konstant bei
,5 Milliarden Euro jährlich liegen und dann ab 2009
ährlich um 1,5 Milliarden Euro anwachsen. Dieses Ele-
ent wird allerdings bisher nicht durch eine klare Finan-
ierungsgrundlage gesichert.
Damit ist bei einer Reform, die wir zum Jahresanfang
007 im Bundestag verabschieden, ein weiterer ent-
cheidender Baustein in seiner konkreten Realisierung
uf das Jahr 2009 mit allen Konsequenzen und in seiner
räzisen Umsetzung verschoben.
Die Unterzeichnenden erklären ausdrücklich, dass sie
ierin ein strukturelles Dilemma dieser Reform sehen,
ass mit Wirksamkeit zum 1. April 2007 viele konkrete
ositive Strukturreformen beschlossen werden und dem
egenüber zum 1. Januar 2009 vorgesehene Veränderun-
en in der Grundarchitektur der gesetzlichen Kranken-
ersicherung mit vielen Bedingungen, Vorbehalten und
och offenen Fragen versehen sind.
Viertens. In dieser Situation kommt es für die Unter-
eichnenden insbesondere darauf an, dass die Einfüh-
ung eines umfassenden, zielgenauen, morbiditätsbezo-
enen Risikostrukturausgleiches verbindlich realisiert
ird und damit eine wirksame Solidarleistung zwischen
en unterschiedlichen Patientenstrukturen der Kassen
ntsteht, der Fonds den Beitragsatz der Krankenkassen
um 1. Januar 2009 tatsächlich zu 100 Prozent abdeckt
nd es nur eine sehr begrenzte Zahl von Zusatzbeiträgen
eben wird und die berechtigten Interessen der Mitarbei-
erinnen und Mitarbeiter der Krankenkassen bei den not-
endigen noch offenen Gesetzesregelungen über die In-
olvenzordnung ausreichend gewahrt bleiben.
Auf die Einhaltung dieser Bedingungen und Voraus-
etzungen wird im Vorfeld der Wirksamkeit des zweiten
eils der Gesamtreform zum 1. Januar 2009 sehr genau
u achten sein.
Von besonderer Bedeutung für die Unterzeichnenden
leibt weiterhin, dass die neugeschaffene Möglichkeit,
en Zusatzbeitrag in Form eines einkommensunabhängi-
en Pauschalbeitrages einzuziehen, wieder abgeschafft
ird und der Zusatzbeitrag von Arbeitnehmern und Ar-
eitgebern paritätisch gemeinsam finanziert wird, die
ysteme der solidarischen gesetzlichen Krankenversi-
herung und der privaten kapitalgedeckten Krankenver-
icherung nicht weiter gegeneinander abgeschottet wer-
en, sondern solidarische Strukturen auch für den
ereich der privaten Krankenversicherung schrittweise
ufgebaut werden und es insgesamt zu einer Verbreite-
ung der Finanzierungsbasis für die Krankenversiche-
ung durch eine Heranziehung von über den Lohn und
as Gehalt hinausgehenden Einkommensarten kommt
nd das medizinisch notwendige Leistungsangebot für
lle Versicherungen in der Regelversicherung voll erhal-
en bleibt und es zu keiner Aufspaltung in eine Grund-
ersicherung einerseits und Zusatzversicherungen ande-
erseits kommt. Solchen Tendenzen zu einer
weiklassenmedizin muss konsequent entgegengetreten
erden.
Fünftens. Mit unserem Abstimmungsverhalten im
undestag verbinden wir die Erwartung, dass bei nächs-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 80. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Februar 2007 8107
(A) )
(B) )
ter Gelegenheit falsche Weichenstellungen korrigiert
werden und das solidarische Krankenversicherungssys-
tem mit dem Leitbild der Bürgerversicherung gefestigt
und ausgebaut wird.
Anlage 4
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Hilde Mattheis, Lothar
Mark, Ewald Schurer, Klaus Barthel, Renate
Gradistanac, Angelika Graf (Rosenheim),
Dr. Bärbel Kofler und Ottmar Schreiner (alle
SPD) zur Abstimmung über den Entwurf eines
Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der
gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wett-
bewerbsstärkungsgesetz – GKV-WSG) (Tages-
ordnungspunkt 27 a)
Die Große Koalition hat sich zum Ziel gesetzt, mit der
Gesundheitsreform eine nachhaltige und gerechte Finan-
zierung des Gesundheitswesens zu sichern. Als Ergebnis
der Gesundheitsreform sollte ein leistungsfähiges, solida-
risches und demografiefestes Gesundheitswesen stehen.
Trotz einzelner Strukturreformen, die positiv bewertet
werden können, wie erstens die Pflicht der gesetzlichen
und privaten Krankenversicherung, ehemaligen Versi-
cherten wieder einen Versicherungsschutz anzubieten,
zweitens den zunächst erreichten Erhalt des Leistungs-
katalogs der GKV sowie die Umwandlung bisheriger
Ermessensleistungen und Verbesserungen (Mutter-Vater-
Kind-Kuren, geriatrische Rehabilitation; Impfungen)
in Pflichtleistungen und drittens die Kosten-Nutzen-
Bewertung von Arzneimitteln, die auch den therapeu-
tischen Nutzen berücksichtigt, ist das Ergebnis der
Gesundheitsreform als Kompromiss innerhalb der Großen
Koalition enttäuschend und nicht zielführend.
Diese Gesundheitsreform schwächt die Solidarität in
der gesetzlichen Krankenversicherung und führt zu einer
einseitigen Belastung der gesetzlich Versicherten.
Gleichzeitig ist zu befürchten, dass es zu Leistungsaus-
grenzungen für GKV-Versicherte kommen wird. Mittel-
fristig sind Teile des Gesetzes haushaltstechnisch nicht
abgesichert.
Besonders aus folgenden acht Gründen kann den
Reformplänen nicht zugestimmt werden:
Erstens. Der Gesundheitsfonds lässt die private Kran-
kenversicherung außen vor, anstatt sie in die solidarische
Finanzierung des Gesundheitswesens einzubeziehen.
Das Fondsmodell, in dem der Bund den einheitlichen
Beitragssatz festlegt und sowohl Arbeitgeber- als auch
Arbeitnehmerbeiträge fixiert sind, führt zu einem Wettbe-
werb über die Zusatzbeiträge. Diese sind sozial ungerecht
und belasten einseitig die Versicherten. Die Zusatzbei-
träge widersprechen dem einstimmigen Beschluss von
SPD-Parteivorstand und Parteirat vom 24. April 2006, der
„Pauschalen jeder Art und Variante“ als unsolidarisch
ablehnt.
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Zweitens. Der neue Spitzenverband Bund hemmt den
ettbewerb der gesetzlichen Kassen um die beste Qualität
er medizinischen Versorgung und drängt die Selbstver-
altung in eine Statistenrolle.
Drittens. Es ist zu befürchten, dass die geplanten Neu-
egelungen zum Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA)
nzureichend sind. Die Morbiditäten der Versicherten in
en einzelnen gesetzlichen Krankenkassen werden nur
nzureichend abgebildet, sodass letztlich ein Kassen-
ettbewerb um die besten Risiken statt um die beste
ualität stattfinden wird. Es wird daher Kassen geben,
ie sofort einen Zusatzbeitrag erheben müssen, da der
etrag aus dem Fonds nicht ausreicht und der Morbi-
SA unzureichend ist.
Viertens. Die geplanten Wahlleistungs- und Selbst-
ehalttarife führen zu einer weiteren Entsolidarisierung
m Gesundheitswesen hin zu einer weiteren Privatisie-
ung der Krankheitskosten. Die auf Druck der privaten
rankenversicherungslobby und der CDU/CSU ent-
chärften Regelungen beim Basistarif belasten die Soli-
argemeinschaft der gesetzlichen Krankenversicherung
eiter, weil sie zu einer Abwanderung bisher freiwillig
ersicherter in die private Krankenversicherung führen
erden.
Fünftens. Die gesetzlichen Kassen haben für 2007
pürbare Beitragserhöhungen beschlossen. Diese Ent-
icklung ist im Zusammenhang mit steigenden Lohnne-
enkosten, die dem notwendigen Ziel einer Konjunktur-
tabilisierung entgegenstehen, äußerst bedenklich. Die
tabilisierung des Bundeshaushalts ist auf ein weiteres,
tabiles wirtschaftliches Wachstum unserer Volkswirt-
chaft angewiesen.
Sechstens. Gravierend ist, dass ein konkreter Vor-
chlag zur Gegenfinanzierung des Steuerzuschusses, den
ie GKV pauschal für gesellschaftliche Leistungen er-
ält, fehlt.
Siebtens. Die fehlende Gegenfinanzierung betrifft vor
llem den in der Gesundheitsreform enthaltenden Auf-
uchs der Steuermittel für die nächsten Jahre. Ab 2009
st ein Aufwuchs um jährlich weitere 1,5 Milliarden
uro notwendig, sodass bereits 2011 7 Milliarden Euro
ällig werden, 14 Milliarden im Jahr 2016. Hinzu kom-
en weitere Risiken, die mit circa 2 Milliarden Euro zu
eziffern sind, ungeachtet der Risiken, die in konjunktu-
ellen Zyklen und durch die Zinsentwicklung möglich
ind.
Achtens. Das Gesetz verschärft die Armut von Hartz-
V-Leistungsempfängerinnen und -empfängern, da der
usatzbeitrag (Kopfpauschale), wenn das Kündigungs-
echt aus unterschiedlichen Gründen nicht in Anspruch
enommen wird, aus dem Regelsatz finanziert werden
uss.
Aufgrund der skizzierten Kritikpunkte und der großen
edenken gegen das vorliegende Gesamtpaket stimmen
ir heute im Deutschen Bundestag gegen den Gesetzent-
urf der Fraktionen CDU/CSU und SPD zur Stärkung
es Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversiche-
ung.
8108 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 80. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Februar 2007
(A) )
(B) )
Anlage 5
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Renate Schmidt (Nürnberg),
Petra Ernstberger, Marianne Schieder, Dr. Carl-
Christian Dressel, Wolfgang Grotthaus, Nicolette
Kressl und Klaus Brandner (alle SPD) zur Ab-
stimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur
Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen
Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstär-
kungsgesetz – GKV-WSG) (Tagesordnungs-
punkt 27 a)
Nachdem denen, die dem Entwurf des Gesetzes zur
Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Kranken-
versicherung in zweiter und dritter Lesung zustimmen,
öffentlich unterstellt wird, sie würden ihrem Gewissen
nicht folgen und von ihren Fraktionen als „Stimmvieh“
missbraucht, erklären wir hiermit:
Erstens. Wir stimmen dem oben genannten Gesetz im
Sinne des Artikels 38 GG nach sorgfältiger Prüfung und
ausführlichen Gesprächen mit Betroffenen vor Ort zu.
Zweitens. Wir sind im Laufe des Gesetzgebungsver-
fahrens nicht belogen, getäuscht oder ausgetrickst wor-
den, haben im Gegenteil auf offene oder strittige Fragen
umfassende Antworten erhalten. Konstruktive und fi-
nanzierbare Vorschläge haben häufig zu Änderungen des
ursprünglichen Gesetzentwurfs geführt.
Drittens. Nicht wenige derer, die seitens der Unions-
fraktion nicht zustimmen, tun dies, weil sie weiterhin das
Modell einer Kopfpauschale und einer überwiegend pri-
vaten Vorsorge durchsetzen wollen. Andere führen für
ihr ablehnendes Stimmverhalten Sorgen von im Gesund-
heitswesen Tätigen und Institutionen an, ohne sich selbst
die Mühe gemacht zu haben, finanzierbare Änderungs-
vorschläge vorzulegen. Wir dagegen halten den gefunde-
nen Kompromiss für tragfähig und die Strukturreformen
für zukunftsweisend. Es ist begrüßenswert, dass Leistun-
gen nicht eingeschränkt werden. Wir halten es für
notwendig, dass die Grundlagen für den Morbiditätsaus-
gleich rechtzeitig vorliegen. Wir halten die Finanzie-
rungsstruktur für verbesserungsfähig; denn auch dieses
Gesetz ist keine „Jahrhundertreform“, wird verändert
werden und verändert werden müssen.
Anlage 6
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Ulrich Kelber und Ulrike
Merten (beide SPD) und Elisabeth
Winkelmeier-Becker (CDU/CSU) zur Abstim-
mung über den Entwurf eines Gesetzes zur
Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen
Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstär-
kungsgesetz – GKV-WSG) (Tagesordnungs-
punkt 27 a)
Die Beschlussempfehlung zum GKV-Wettbewerbs-
stärkungsgesetz enthält, anders als der ursprüngliche Ge-
setzentwurf, eine Festlegung des Sitzes des neuen Spit-
zenverbandes der Krankenkassen für Berlin. Dies
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iderspricht nach unserer festen Überzeugung dem Ber-
in/Bonn-Gesetz, in dem ausdrücklich festgehalten wird,
ass zum Erhalt politischer Funktionen in der Region
onn der Politikbereich Gesundheit dort gefördert wer-
en soll. Der Sitz des neuen Spitzenverbandes der Kran-
enkassen müsste deshalb in der Region Bonn angesie-
elt sein.
Trotz dieses Widerspruchs zum geltenden Berlin/
onn-Gesetz stimmen wir der Beschlussempfehlung
um GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz zu, weil die Ver-
esserungen im Gesundheitsbereich durch das Gesetz
nsgesamt für uns stärker wiegen.
nlage 7
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Iris Hoffmann (Wismar) und
Bernhard Brinkmann (Hildesheim) (beide SPD)
zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes
zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen
Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstär-
kungsgesetz – GKV-WSG) (Tagesordnungspunkt
27 a)
Das Gesundheitssystem in Deutschland gehört mit
einer solidarischen Ausrichtung und seiner Leistungsfä-
igkeit zu den besten in der Welt. Um es auch für die
ukunft zu sichern, bedurfte es einer gemeinsamen
raftanstrengung der Großen Koalition. In den Verhand-
ungen zur Gesundheitsreform trafen zwei sehr unter-
chiedliche Modellvorstellungen aufeinander. Zum
ohle des Landes mussten deshalb eigene Positionen
ufgegeben und ein tragfähiger Kompromiss gefunden
erden.
Das Ergebnis dieser Verhandlungen liegt uns heute
ur Abstimmung vor. Ich werde für den Gesetzentwurf
timmen.
Vorteilhafte Entwicklungen für die Versicherten sind
u erkennen. Es ist ein Fortschritt, dass zukünftig nie-
and mehr ohne Versicherungsschutz in Deutschland le-
en wird. Auch der Ausbau des Leistungskataloges der
KV wird für die Versicherten Vorteile bringen. Die
ufnahme von Rehabilitations- und Palliativbehandlun-
en als Pflichtleistungen der Krankenkassen ist deshalb
ehr zu begrüßen. Auch die Verbesserungen bei Impfun-
en, Eltern-Kind-Kuren sowie bei der ambulanten Be-
andlung von Krebs, Mukoviszidose und Aids waren
ringend notwendige Anpassungen der gesetzlich garan-
ierten Pflichtleistung.
Ich stimme mit dem Inhalt des Reformpakets in we-
entlichen Punkten aber nicht überein. Die Bundeszu-
chüsse zur GKV werden jährlich um 1,5 Milliarden
uro bis auf 14 Milliarden Euro steigen. Die Gegenfi-
anzierung aus dem Bundeshaushalt ist nicht gesichert.
ieser Zustand birgt enorme Risiken für die kommenden
aushaltsjahre, weil eine Deckung alleine über wirt-
chaftliches Wachstum nicht erreicht werden kann. Um
ie Maastrichtkriterien einzuhalten, ist eine alleinige Fi-
anzierung über die Erhöhung der Nettokreditaufnahme
icht möglich.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 80. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Februar 2007 8109
(A) )
(B) )
Deshalb müssen im Bundeshaushalt selbst in den
kommenden Jahren ausgabenseitig große Einsparungen
vorgenommen werden. Einnahmeseitig wird dieses
zwangsläufig zu weiteren Steuererhöhungen führen. In-
sofern ist für mich die Finanzierung des Gesetzesvorha-
bens mittel- und langfristig nicht gesichert.
Die Gesundheitsreform sollte zu Kosteneinsparungen
aufseiten der öffentlichen Hand führen. Das Ziel ist nicht
erreicht worden. Darüber hinaus werden auch die priva-
ten Haushalte über Beitragserhöhungen der gesetzlichen
Krankenkassen höher belastet.
Die privaten Krankenversicherungen sind ein wichti-
ger Faktor für die Sicherung eines leistungsfähigen Ge-
sundheitssystems. Die Einführung des Basistarifs wird
wegen der Belastung im Leistungsbereich zu gravieren-
den Beitragsanpassungen führen. Das belastet alle privat
Krankenversicherten, sowohl Beamte im einfachen,
mittleren und gehobenen Dienst als auch Selbstständige
und Freiberufler.
Das Gesundheitssystem in Deutschland beruht auf
dem Solidaritätsprinzip. Dies bedeutet vor allem, dass
sich alle Ebenen an der Sicherung und Verbesserung der
Gesundheitsversorgung beteiligen müssen. Dies gilt
auch für Krankenhäuser, Apotheken, Pharmaindustrie
und andere Dienstleistern im Gesundheitsbereich. Im
Gesetzentwurf waren deshalb auch Einsparziele für alle
Beteiligten vorgesehen. Diese wurden in den Verhand-
lungen – vor allem auch mit den Bundesländern – aufge-
weicht und deutlich nach unten korrigiert. Damit schul-
tern vor allem die Bürger und der Staat die Last der
Reform. Diese Entwicklung ist mehr als enttäuschend.
Zuletzt verfehlt das Gesetzespaket sein Ziel beim
Umbau der Strukturen in den gesetzlichen Krankenkas-
sen. Zwar werden mit der Schaffung des Dachverbandes
überflüssige Strukturen bei den einzelnen Kassen abge-
baut. Jedoch wird die Zahl der Kassen dadurch nicht
deutlich abnehmen. Hier hätte mehr erreicht werden
können.
Ich werde aber heute dennoch dem Gesetz zustim-
men, da ich das Mehrheitsvotum meiner Fraktion re-
spektiere und es sich hierbei nicht um eine Gewissens-
entscheidung handelt.
Anlage 8
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Dr. Karl Lauterbach, Andrea
Nahles und Niels Annen (alle SPD) zur Abstim-
mung über den Entwurf eines Gesetzes zur
Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen
Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstär-
kungsgesetz – GKV-WSG) (Tagesordnungs-
punkt 27 a)
Dem Entwurf der Fraktionen von SPD und CDU/
CSU eines GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes können
wir nicht zustimmen. Dieses Gesetz berührt die Gesund-
heitsversorgung der deutschen Bevölkerung und die Le-
bensschicksale einzelner Menschen so zentral, dass wir
von der Fraktionsmehrheit abweichen.
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Es war vor Beginn der Verhandlungen klar, dass we-
er die Einführung einer Bürgerversicherung noch eine
on der CDU geforderten Gesundheitsprämie Ergebnis
er Reform sein könne. Daher sollten die vier objektiv
ichtigsten Probleme pragmatisch und im Kompromiss
elöst werden:
Erstens. Stabilisierung oder Senkung der Beitrags-
ätze der gesetzlichen Krankenkassen, die mehr als
0 Prozent der Bevölkerung versichern.
Zweitens. Verbreiterung der Einnahmebasis der ge-
etzlichen Krankenkassen, da die einseitige Belastung
on Löhnen und Gehältern den Arbeitsmarkt verschlech-
ert und ungerecht ist.
Drittens. Abbau der sich verstärkenden Zweiklassen-
edizin.
Viertens. Schaffung eines fairen Wettbewerbs zwi-
chen gesetzlichen Krankenkassen und privaten Kran-
enversicherungen.
Keines dieser Ziele konnte erreicht werden. Die Bei-
ragssätze steigen bereits im Vorfeld der Reform. Durch
ie ständigen Verwässerungen der Strukturreform
chrumpften die Einsparungen auf einen Betrag, der
urch die Kostensteigerungen in nur wenigen Monaten
ufgezehrt sein wird. Die Belastung von Löhnen und
ehältern konnte kurz- und mittelfristig nicht reduziert
erden. Eine stärkere Steuerfinanzierung wurde lange
iskutiert, aber konnte nicht umgesetzt werden. Ergebnis
st nur, dass der Steuerzuschuss der gesetzlichen Kran-
enversicherung kurzfristig sinkt und langfristig ohne
esicherte Gegenfinanzierung ist. Für den Abbau der
weiklassenmedizin gibt es keine Impulse und es bleibt
abei, dass die privaten Krankenversicherungen schwer-
unktmäßig die einkommensstarken und gesunden Men-
chen versichern werden, die aufgrund einer besseren
ezahlung von Ärzten und Krankenhäusern auch in Zu-
unft eine bessere Versorgung als der gesetzlich Versi-
herte erwarten dürfen.
Noch problematischer als die Tatsache, dass die vier
entralen Ziele nicht erreicht werden konnten, ist die
chaffung neuer Probleme für das deutsche Gesund-
eitssystem. Das größte neu geschaffene Problem ist die
inführung eines neuen und gefährlichen Wettbewerbs
m einkommensstarke Mitglieder in der gesetzlichen
rankenversicherung, der sich langfristig negativ auf die
ualität der Versorgung auswirken muss. Die Unter-
eichner haben einen Wettbewerb für bessere Qualität in
er Vergangenheit immer unterstützt. Durch den Ge-
undheitsfonds aber werden die Krankenkassen, die
iele ältere und kranke Mitglieder versichern, gezwun-
en, zusätzliche Kopfpauschalen zum allgemeinen Bei-
ragssatz zu nehmen. Da Kopfpauschalen Einkommens-
chwache aber schnell überfordern, werden die
rankenkassen gezwungen sein, sich stärker als heute
uf das Anwerben einkommenstarker Neumitglieder zu
onzentrieren. Die Einführung von Kopfpauschalen
hne Sozialausgleich ist von der SPD daher immer als
ngerecht abgelehnt worden, weil davon Rentner, Ge-
ingverdiener und Familien belastet und nur Einkom-
ensstarke entlastet werden. Jetzt werden sie gleichzei-
ig mit einem neuen Wettbewerb um Gutverdiener und
esunde eingeführt. Die größten Verlierer sind dabei
8110 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 80. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Februar 2007
(A) )
(B) )
chronisch Kranke mit geringem Einkommen, besonders
dann, wenn sie unter einer Krankheit leiden, die nicht zu
den maximal 80 Krankheiten gehört, die in Zukunft im
Risikostrukturausgleich berücksichtigt werden. Kran-
kenkassen werden alles tun, solche Versicherte zu mei-
den, weil sie weder hohe Kopfpauschaleneinkünfte noch
Ausgleichszahlungen aus dem Risikostrukturausgleich
bringen. Somit benachteiligt die Reform ausgerechnet
die Gruppe von Menschen, die bereits am stärksten be-
nachteiligt ist, Einkommensschwache mit seltenen chro-
nischen Erkrankungen.
Im Gegenzug wird für diejenigen, deren Einkommen
oberhalb der Versicherungspflichtgrenze liegt, ein neuer
Basistarif in der privaten Krankenversicherung geschaf-
fen, der den Leistungskatalog der gesetzlichen Kranken-
kassen abdeckt, für die Versicherten aber billiger ist als
die Versicherung in der gesetzlichen Krankenkasse. Der
Basistarif bietet einen starken Anreiz für bislang freiwil-
lig gesetzlich Versicherte, das Solidarsystem zu verlas-
sen. Ohne Risikoprüfung garantiert er eine Versorgung
von hoher Qualität mit einer besseren Vergütung der
Ärzte, wobei auch garantiert ist, dass der Beitrag nicht
höher sein darf, als der für freiwillig Versicherte zu zah-
lende Beitrag der gesetzlichen Krankenkasse. Weil ein
Solidarbeitrag in den Gesundheitsfonds nicht anfällt,
dürfte der Versicherte im Einzelfall bis zu 300 Euro im
Monat beim Wechsel von der gesetzlichen Krankenkasse
in den Basistarif einer privaten Krankenversicherung
sparen. Nur derjenige, der mehr als die Versicherungs-
pflichtgrenze verdient, erhält das Recht, sich aus dem
Solidarsystem zu verabschieden und sich billiger und
besser im neuen Basistarif zu versichern. Es handelt sich
hier nicht um einen Einstieg, sondern um die Abkehr
von der Bürgerversicherung.
Dass weder die klassisch privat Versicherten noch die
Mitglieder im neuen Basistarif in das Solidarsystem ein-
zahlen, ist eine bittere Niederlage für die soziale Gerech-
tigkeit in Deutschland genauso wie die Einführung von
Kopfpauschalen ohne Arbeitgeberbeitrag oder Sozial-
ausgleich. Das Solidarsystem wird geschwächt und nicht
gestärkt. Die Einkommensschwachen müssen befürch-
ten, dass die Obergrenze der Kopfpauschalen von
1 Prozent des Einkommens bald fallen wird, wie dies
von der Union bereits jetzt gefordert wird. Alle Versuche
der Unterzeichner, diese Verschlechterungen auf dem
Verhandlungsweg abzuwenden, sind am Widerstand der
Lobbyisten und an ideologischen Barrieren einzelner
Verhandlungsteilnehmer gescheitert. Daher muss die
konzeptionelle Vorbereitung einer echten Reform für
eine bessere Versorgung und eine nachhaltige und ge-
rechte Finanzierung sofort beginnen.
Anlage 9
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Rainer Fornahl und Gunter
Weißgerber (beide SPD) zur Abstimmung über
den Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des
Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenver-
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sicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz –
GKV-WSG) (Tagesordnungspunkt 27 a)
Wir stimmen dem Gesetzentwurf in der Drucksache
u, weil infolge des Gesetzes unter anderem: mit der
inführung des Gesundheitsfonds richtige Schritte hin-
ichtlich einer zukünftig starken Reduzierung des Ver-
altungsaufwands im Bereich der Kassen (Stichwort:
eitragseinzug künftig durch 16 Zahlstellen des Fonds
n den 16 Bundesländern statt wie bisher durch Hunderte
inzelkassen) und einer massiven Entbürokratisierung
m Bereich der Wirtschaft (Stichwort: lohnsummenbezo-
ene Abführung der Beiträge an die im Bundesland an-
ässige Zahlstelle des Fonds) erfolgen; die gesetzlichen
rankenkassen zur Entschuldung verpflichtet werden;
er Bundesrechnungshof ein umfassendes Kassenüber-
rüfungsrecht erhält; erstmalig alle Einwohner in
eutschland krankenversichert sein werden; im privaten
rankenversicherungssystem ein Basistarif geschaffen
ird; alle Kassen in der GKV den gleichen Grundbetrag
rhalten, unabhängig vom geografischen Sitz der jewei-
igen Kasse; die tatsächlichen Krankheiten im Risiko-
trukturausgleich besser abgebildet, das heißt die 50 bis
0 häufigsten Krankheiten einbezogen werden; die
rzthonorare harmonisiert werden (Abschaffung der
udgetierung, Verlagerung des Gesundheitsrisikos von
en Ärzten zu den Kassen); ab 2010 unterversorgte Re-
ionen über Zuschläge höhere Anreize zur Niederlas-
ung bieten können; Sicherstellungszuschläge nicht
ehr hälftig zulasten der Ärzte, sondern zu 100 Prozent
ulasten der Kassen gewährt werden; Sicherstellungszu-
chläge nicht mehr durch eine Begrenzungsregelung ge-
eckelt (bisher 1 vom Hundert der Gesamtvergütung)
erden; Sicherstellungszuschläge auch an Ärzte gezahlt
erden, die bereits im betroffenen Gebiet tätig sind; Si-
herstellungszuschläge schon bei absehbarer Unterver-
orgung gewährt werden; die Krankenhäuser für spezia-
isierte ambulante Leistungen in strukturschwachen
egionen geöffnet werden.
Schwere Bedenken haben wir angesichts der ehrgeizi-
en ursprünglichen Zielstellungen in Anbetracht der jet-
igen, bescheiden erscheinenden Resultate.
Für uns bleibt der fatale Eindruck, dass die großen au-
erparlamentarischen Kräfte wie gesetzliche Kranken-
assen, private Krankenkassen, Kassenärztliche Vereini-
ungen, Pharmaindustrie und Apotheker in traurigem
erbund mit den reformunfähigen föderalen Strukturen
er Bundesrepublik Deutschland (Bundesländer) über
en engagierten Entwurf der Koalition vom Sommer
006 „obsiegt“ haben.
Es bleibt die Erkenntnis: Weder eine Große Koalition
ann einen großen Wurf durchsetzen, noch hätte es eine
ot-grüne oder eine schwarz-gelbe Koalition gekonnt.
ie große Koalition knickte auf Unionsseite vor der
KV, der Pharmaindustrie und den Apothekern ein, die
PD brachte ihr Opfer der GKV und der Industrie. Beide
urden zusätzlich vom Bundesrat düpiert. Andere parla-
entarische Mehrheiten wären vor diesen massiven Ein-
elinteressen ähnlich eingeknickt. Besonders fatal ist für
ns darüber hinaus Folgendes: Die Kassen sollen Inte-
essenvertreter ihrer Beitragszahler sein. Das ist in der
ealen Welt absolut nicht zutreffend! Die Kassen sind die
nteressenvertreter der Kassen, mehr nicht!
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 80. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Februar 2007 8111
(A) )
(B) )
Das Parlament ist die eigentliche Interessenvertretung
aller Beitrags- und Steuerzahler. In diesem Sinn gehen
wir mit dem GKV-WSG und dessen vielen Verbesserun-
gen hinsichtlich der Interessen der Beitragszahler in die
richtige Richtung. Dies lässt uns letztlich zustimmen,
obwohl statt der angestrebten Kostensenkung vorerst
Beitragserhöhungen plus immense Zuschüsse aus Steu-
ermitteln auf uns zukommen. Hierüber kann das letzte
Wort noch nicht gesprochen sein.
Anlage 10
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Steuervereinfachung –
Lohnsteuerklassen III, IV und V abschaffen
(Tagesordnungspunkt 31)
Patricia Lips (CDU/CSU): Der ganz offensichtlich
zugrunde liegende Anlass des vorliegenden Antrages ist
weitreichender, als es die Überschrift zunächst vermuten
lässt: Diese spricht von einer „Steuervereinfachung“ –
das klingt immer gut und könnte wohlmeinend als eine
Art Lockmittel dienen –, und in diesem Zusammenhang
fordern Sie die „Abschaffung einzelner Lohnsteuerklas-
sen.“
Bevor ich auf die Hintergründe zu sprechen komme,
lassen Sie mich noch eines anmerken: Eine Initiative, ein
Ziel, das man verfolgt, wird nicht allein dadurch über-
zeugender, indem man identische Anträge innerhalb kür-
zester Zeit gleich zweimal stellt. Im April vergangenen
Jahres lautete die Überschrift des identischen Antrages:
„Individualbesteuerung mit übertragbarem Höchstbe-
trag“. Es war ein Leichtes, zu erkennen, wie viele Text-
passagen wortgleich übernommen wurden. Aber ob nun
so oder so: Am Ende steht faktisch die Beerdigung des
Ehegattensplittings. Einziger Unterschied: Sie konkreti-
sieren diesmal die Vorgehensweise und schlagen für ein
gesellschaftlich elementares Thema eine steuerliche Ein-
zelmaßnahme vor.
Es ist in der Tat im Koalitionsvertrag vereinbart, dass
anstelle der Steuerklassen ein Anteilssystem eingeführt
werden soll. Und wie einfach wäre es, würden wir uns
heute tatsächlich ausschließlich über Lohnsteuerklassen
unterhalten. Aber: Ihr Antrag soll unter einem steuer-
rechtlichen Deckmantel auch bewusst zu einer nachhalti-
gen gesellschaftspolitischen Veränderung führen, die
eben mehr als Zahlen beinhaltet.
Dabei – und lassen Sie mich auch das an dieser Stelle
ausdrücklich erwähnen – werden unterschwellig zumeist
mehrere unstreitbar populäre, wenn auch mit Zweifeln
behaftete Begründungen gleich mitgeliefert: Erstens.
Das Ehegattensplitting sei schon fast kinderfeindlich.
Zweitens. Es sei ein steuerliches Privileg. Drittens. Es
gebe keine Frauen mehr, die bewusst und freiwillig ihren
Beruf zugunsten der Kindererziehung zumindest ausset-
zen.
Wir müssen uns schon sehr genau überlegen, ob wir
tatsächlich quasi mit einem Federstrich den verfassungs-
rechtlichen Schutz von Ehe und Familie infrage stellen
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ollen, welche steuerlichen bzw. gesellschaftlichen Len-
ungswirkungen wir erzielen wollen und wo wir die ei-
entlichen Ziele setzen, nämlich bei den Kindern sowie
em Schutz von Ehe und Familie oder bei der Abschaf-
ung eines vermeintlichen Privilegs, um die eigene Kli-
ntel zu bedienen.
Um dem Thema angemessen begegnen zu können,
üssen wir die gesamte Familienförderung in Verbin-
ung mit dem Einkommensteuerrecht in die Betrachtung
it einbeziehen. Als Grundlage des Splittings in beste-
ender Form dient die persönliche Leistungsfähigkeit:
ieses Prinzip soll eine besondere Ausprägung erfahren,
nsbesondere bei der Berücksichtigung der Familien mit
indern. Es ist damit ausdrücklich keine Sonderver-
ünstigung, sondern notwendiger steuerrechtlicher Aus-
ruck einer Lebens- und Fürsorgegemeinschaft von Ehe-
artnern, welche eigene Erziehungsleistung anerkennt.
ine Streichung, Kürzung oder Umwandlung trifft in der
eit überwiegenden Zahl Familien mit Kindern. Im Ge-
enzug dazu: Welchen Vorteil haben kinderlose Ehe-
aare, in welchen beide gleichermaßen zum Einkommen
es Haushaltes beitragen? Keinen. Es wären mithin nicht
enige Familien betroffen, in denen ein Elternteil wegen
er Kindererziehung die Erwerbstätigkeit einschränkt
der ganz darauf verzichtet.
Das Ehegattensplitting bietet ein gesichertes Maß an
ahlfreiheit in der Lebensgestaltung, und es ist am Ende
nsere Entscheidung, ob wir dies auch weiterhin unter-
tützen oder mit bestimmten steuerlichen Instrumenten
ewusst andere Lenkungswirkungen erzielen wollen. Es
st unbestreitbar, dass bei dem „Faktor“ Kind und bei
etrachtung der demografischen Entwicklung in unse-
em Land Maßnahmen und Komponenten zu entwickeln
ind, die diese stärker als bisher berücksichtigen können.
b dies jedoch mit der Abschaffung von Lohnsteuer-
lassen zu erreichen ist, lasse ich einmal dahingestellt.
m Ende jeder Diskussion ist es für uns wichtig, den
enschen auch weiterhin eigenverantwortlich die Ent-
cheidung zu überlassen, in welcher Weise sie Ehe und
amilie auf der einen und Erwerbstätigkeit auf der ande-
en Seite anteilig gestalten. Und genauso sollte sich die
teuerliche Berücksichtigung im System widerspiegeln.
Zum Schluss: Dass das System der Steuerklassen in
ich eine neue Form finden kann und soll, dass dies ein-
ergehen soll mit einer Steuervereinfachung – all dies ist
ahezu unstreitig, wenn auch im Detail Raum für Dis-
ussionen bleibt.
Welches Gesellschaftsbild wir künftig damit verbin-
en, wo die Schwerpunkte von Ehe, Familie und gesell-
chaftlichen Werten ihre Ausprägung erfahren, hierfür
st ein viel umfassenderer Prozess erforderlich.
Gabriele Frechen (SPD): Der Antrag, den wir heute
eraten, lautet: „Steuervereinfachung – Lohnsteuerklas-
en III, IV und V abschaffen“. Die Überschrift erweckt
amit den Eindruck, dass man durch diese Maßnahme
nser Steuerrecht vereinfachen könnte. Das ist falsch.
as Einzige, was dadurch vereinfacht würde, wäre die
ntscheidung der steuerpflichtigen Ehegatten, welche
teuerklassenkombination sie für sich als am besten
8112 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 80. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Februar 2007
(A) )
(B) )
geeignet halten. Das heißt, es würde nur die Entschei-
dungsfreiheit der Steuerpflichtigen eingeschränkt. Mehr
nicht.
Vielleicht würde in der Finanzverwaltung die eine
oder andere Steuererklärung entfallen. Dazu würde auch
reichen, die Steuerklassen III und V zu streichen. Das
hat aber nichts mit Steuervereinfachung zu tun.
Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass vor allem Frauen
die Motivation zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit
fehlen würde, weil sie unverhältnismäßig hohe Steuern
bezahlen müssen. Im Weiteren gestehen Sie aber ein,
dass diese Ungleichbehandlung am Ende des Jahres
durch die Steuererklärung ausgeglichen würde. Wollen
Sie allen Ernstes behaupten, die Motivation würde steigen,
wenn die Eheleute am Jahresende insgesamt mehr Steuern
bezahlen müssten als heute? Und genau das fordern Sie.
Ich stimme Ihnen zu: Bei einer Kombination Steuer-
klasse III und V bezahlt derjenige, der weniger verdient,
unverhältnismäßig mehr Steuern und derjenige, der mehr
verdient, unverhältnismäßig weniger. Ich stimme Ihnen
auch zu, dass in der Regel die Frauen die ungünstigere
Steuerklasse haben. Aber liegt das daran, dass sie Frauen
sind, oder nicht eher daran, dass ihr Einkommen niedriger
ist?
Ich glaube, die Steuerpflichtigen sind sehr wohl in der
Lage, zu erkennen, welche Steuerklassenkombination
monatlich für sie die beste ist, zumal auch heute die
Möglichkeit besteht, mit der Wahl der Steuerklassen IV,
jeden Ehepartner bereits monatlich entsprechend dem
Einkommen zu besteuern. Wie gesagt: Am Ende des
Jahres spielt das eh keine Rolle, da die Einkommen
addiert und die korrekte Steuer errechnet wird.
Aber darauf kommt es Ihnen ja gar nicht an. Denn die
Überschrift hat nichts mit dem Inhalt des Antrags zu tun. Es
geht in dem Antrag nämlich nicht um die reine Abschaf-
fung von Steuerklassen, sondern um die Abschaffung
der Splittingtabelle für verheiratete Steuerpflichtige.
Auch in meiner Fraktion wird offen über das Für und
Wider der Splittingtabelle diskutiert, genauso wie bei
den Kolleginnen und Kollegen der Union. Wir haben
deshalb in den Koalitionsvertrag aufgenommen, dass wir
eine Neuformulierung des Einkommensteuerrechts in
diesem Punkt anstreben. Selbstverständlich spricht
nichts dagegen, dass Sie unseren Koalitionsvertrag immer
griffbereit haben und aus unseren Arbeitsaufträgen vorab
fix Anträge formulieren. Wir brauchen Ihre Anträge aller-
dings nicht wirklich, um unseren Koalitionsvertrag
umzusetzen, schon gar keine Anträge, die die Realität
ausblenden. Sie handeln ein bisschen wie Pippi
Langstrumpf: 2 mal 3 macht 4 Widdewiddewitt und Drei
macht Neune!! Ich mach’ mir die Welt Widdewidde wie
sie mir gefällt.
Sie tun so, als wäre die Wirklichkeit so, wie wir sie
gerne hätten, und nicht so, wie sie nun mal ist. Das Geld
in den Familien wird eben nicht zu gleichen Teilen von
Vater und Mutter erwirtschaftet, und die Eheleute teilen
auch nicht Erwerbs- und Familienarbeit gleichmäßig
untereinander auf. Wir können uns jetzt fragen, ob unser
Familienbild nicht den Wünschen der Menschen ent-
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pricht oder ob es nur daran liegt, dass sie unsere
orstellungen, so sie denn auch die ihren sind, nicht aus-
eben können. Ich glaube, Letzteres trifft zu. Es liegt
um größten Teil daran, dass die Rahmenbedingungen
icht so sind, wie sie unserem modernen Familienbild
ntsprechen müssten.
Ihr Antrag sagt: Wir erhöhen jetzt mal die Steuern für
ie Familien, in denen nur ein Elternteil einer Erwerbs-
rbeit nachgehen kann, weil zum Beispiel die Kinder-
etreuung nicht gewährleistet ist, die Teilzeitarbeits-
odelle sich noch nicht genug durchgesetzt haben oder die
öglichkeiten für Telearbeit noch nicht genutzt werden,
nd regeln mit diesem Geld dann die Kinderbetreuung.
ch finde, wir müssten erst die Bedingungen schaffen
nd danach die Konsequenzen ziehen. Nicht umgekehrt.
Und was sagen Sie eigentlich einem Ehepaar, das
eute um die 60 Jahre alt ist? Er hat als Facharbeiter die
amilie ernährt, und sie hat drei Kinder großgezogen.
enau das war das Familienmodell ihrer Gesellschaft in
er Zeit, als die beiden eine Familie gegründet haben.
och lange nicht alle Frauen in dem Alter haben eine
erufsausbildung, auf die sie nach 20 Jahren Familien-
rbeit – wenn die Kinder aus dem Gröbsten raus sind, wie
as so schön hieß – zurückgreifen konnten. Vielleicht sind
ie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen,
lle so viel jünger als ich, dass Sie sich daran nicht mehr
rinnern können, oder Sie kommen alle aus der Groß-
tadt, wo alles vielleicht ein bisschen anders war als auf
em Land. Ich kenne diese Ehepaare, die Sie heute mit
öheren Steuern bestrafen wollen, nur weil sie sich nicht
egen die ungeschriebene, von allen akzeptierte Norm in
hrer Umgebung gestellt haben.
Ich denke, diese beiden Beispiele reichen, um zu zei-
en, dass man eine so gravierende Änderung nicht ver-
eckt unter einer beschönigenden Überschrift mit heißer
adel stricken darf. Mit Änderungen im Steuerrecht er-
eichen wir keine Erhöhung der Berufstätigkeit von
rauen. Das schaffen wir nur mit Verbesserung der ge-
ellschaftlichen Rahmenbedingungen. Danach können wir
ie steuerlichen Rahmenbedingungen anpassen.
Dr. Volker Wissing (FDP): „Ehe und Familie stehen
nter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung.“
s ist traurig, hier in diesem Hohen Hause immer wieder
aran erinnern zu müssen. Es ist schon erstaunlich, wie
enig präsent unsere Verfassung bei vielen Kolleginnen
nd Kollegen ist. Der Bundespräsident muss die Bun-
esregierung immer wieder an unser Grundgesetz erin-
ern, und heute zeigt der Antrag der Grünen, dass man
uch dort vergessen hat, vor der Antragstellung in die
erfassung zu schauen. Das ist eine sehr bedenkliche
ntwicklung.
Meine sehr geehrten Damen und Herren von den Grü-
en, Ihre Ziele in Ehren. Die Förderung von Familien
it Kindern ist ein hehres Ziel. Aber Sie können auf
em Weg dorthin nicht über den Umweg des Steuerrech-
es mal eben die Verfassung umgehen. Das Grundgesetz
tellt Ehe und Familie unter den besonderen Schutz der
taatlichen Ordnung, und zwar unabhängig voneinander.
enn Sie das so nicht wollen, müssen Sie die Verfas-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 80. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Februar 2007 8113
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sung entsprechend ändern. So geht das in einem Rechts-
staat und nicht anders. Solange Sie dazu keine Vor-
schläge machen, bleibt nur eine Schlussfolgerung: Sie
meinen das Ganze nicht ernst. Sie treiben ein merkwür-
diges Spiel. Sie suggerieren, dass Sie sich engagieren,
und tun es letztlich doch nicht. Ihr Antrag ist deshalb
nicht seriös. Sie stellen einen Antrag, der von vornherein
chancenlos ist, weil er gegen die Verfassung verstößt.
Das ist typische Wohlfühlpolitik à la Grün. Große Ver-
sprechungen, aber kleine Taten und schon gar keine Er-
gebnisse.
Das ist umso bedauerlicher, als wir durchaus bereit
wären, einen Teil Ihrer Forderungen zu unterstützen.
Auch die FDP fordert die Abschaffung der Steuerklasse
V. Auch wir sehen die Auswirkungen der Steuerklasse V
in der Praxis durchaus kritisch. Es ist unstrittig, dass es
hier Fehlanreize gibt. Und wir wollen diese Fehlanreize
beseitigen – gerne auch mit den Grünen. Aber was wir
nicht wollen und auch keinesfalls mittragen können, ist
der Versuch, die Verfassung beiseite zu legen und über
das Steuerrecht Dinge zu regeln, die unser Grundgesetz
ausdrücklich anders geregelt haben will. Ich weiß nicht,
wie oft wir noch über Familiensplitting diskutieren müs-
sen, bis alle verstanden haben, welche Vorgaben uns das
Grundgesetz hier macht. Auch die Bundesregierung
bringt das Familiensplitting immer aufs Neue ins Ge-
spräch. Erst kürzlich hat Frau von der Leyen eine Einbe-
ziehung der Kinder gefordert.
Noch einmal: Verfassungsrechtlich ist die Ehe um ih-
rer selbst willen geschützt. Es kommt dabei nicht darauf
an, ob Kinder vorhanden sind. Herr Bernhardt von der
CDU hat es im Prinzip wunderbar auf den Punkt ge-
bracht. Ich zitiere: „Das Splitting ist eben keine beliebig
gestaltbare Sondervergünstigung, sondern Ausdruck des
verfassungsrechtlichen Schutzes von Ehe und Familie.“
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist richtig,
sich für Familien und Kinder in unserem Land zu enga-
gieren. Ich halte es aber für sehr bedenklich, dieses auf
Kosten der Ehe zu tun, die -– auch das muss man an die-
ser Stelle deutlich sagen – alles andere als eine altmodi-
sche Variante des Zusammenlebens ist. Und es ist auch
nicht angebracht, Ehe und Familie gegeneinander auszu-
spielen. Genau in diese Richtung gehen nämlich die Vor-
schläge von Frau von der Leyen, und genau in diese
Richtung geht der Antrag der Grünen. Die Familienpoli-
tik darf nicht zu der Unterscheidung zwischen zwei Qua-
litäten der Ehe führen. Das Grundgesetz kennt nicht die
guten Ehen mit Kindern und die weniger guten ohne.
Frau von der Leyen und die Grünen mögen so etwas gut-
heißen. Das Verfassungsgericht wird so etwas bestimmt
nicht akzeptieren.
Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Es gibt einen nach-
vollziehbaren Wunsch bei vielen Menschen für Steuer-
vereinfachungen, das ist wahr. Genauso wahr ist auch,
dass die Bürgerinnen und Bürger steuerliche Regelungen
als schwer nachvollziehbar und auch als ungerecht emp-
finden. So liegt dem Antrag der Grünen zweifelsohne
eine gute Absicht zugrunde: die Vereinfachung durch
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en Wegfall der Lohnsteuerklassen III, IV und V und die
eseitigung von steuerlichen Benachteiligungen.
In der Tat ist es so, dass die Zugehörigkeit zur Lohn-
teuerklasse V hoch besteuert ist und im Fall von Er-
erbslosigkeit und Elterngeld eine geringe Bemessungs-
röße für Sozialtransfers zugrunde liegt. Dass dies
umeist Frauen betrifft in diesem Land, wo weibliche
rbeit noch immer weniger wert scheint als männliche,
st eine bedenkliche Tatsache im Jahre 2007. Wenn es
m Benachteiligungen im Steuer- und Lohnsystem geht,
ann sind die jeweiligen Lohnsteuerklassen und ihre
ombination Teil des Problems, aber eben nur Teil. Im
ern geht es um die Gleichbehandlung aller steuerzah-
enden Menschen, unabhängig von ihrer Lebensweise,
nd es geht natürlich um mehr Verteilungsgerechtigkeit.
eder das konservative lebensfremde Ehegattensplitting
och der bloße Wegfall von Lohnsteuerklassen sind die
ösung.
19 Milliarden Euro werden in unserem Land jährlich
ür das Ehegattensplitting ausgegeben, das ein völlig
eraltetes steuerliches Privileg darstellt. Die Untersu-
hung des Statistischen Bundesamtes „Leben in
eutschland; Haushalt, Familien und Gesundheit – Er-
ebnisse des Mikrozensus 2005“ zeigt, dass die Zahl
ichtehelicher Lebensgemeinschaften seit 1996 um rund
in Drittel auf 2,4 Millionen in 2005 gestiegen ist. Im
leichen Zeitraum stieg die Zahl der Ehepaare ohne Kin-
er um 5 Prozent (West) bzw. 6 Prozent (Ost) an. Wie
ir wissen, steigt auch die Zahl verschiedener anderer
ebensformen permanent, wie die der Alleinerziehenden
nd der Gemeinschaften mit Kindern.
Entstanden ist das Ehegattensplitting, als Männer
auptverdiener waren, Frauen etwas dazuverdienten
der zu Hause blieben. Diesem Modell liegt eine tradi-
ionelle, immer weniger gelebte Rollenverteilung zu-
runde.
Im vorliegenden Antrag wird die Abschaffung der
ohnsteuerklassen II, IV und V vorgeschlagen. Die Re-
ierung will uns gerade ein Familiensplitting schmack-
aft machen, das teuer ist und wieder nur die Gutverdie-
enden bevorzugt. Paare mit geringen Einkommen und
indern wären wieder einmal die Verlierer. Wir halten
eide Varianten für nicht alternativ zum bestehenden
ystem. Im Kern muss es um die steuerliche Gleichbe-
andlung aller Steuerpflichtigen gehen. Leider haben Sie
s, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Bündnisgrü-
en, in Ihrer Regierungszeit auch nicht vollbracht, das
hegattensplitting in eine gerechte Individualbesteue-
ung und eine kinderbezogene Förderung umzuwandeln.
Die Lebensform der Ehe wird wider die realen Le-
ensverhältnisse vieler Menschen privilegiert, damit
erden gleichzeitig alleinerziehende Eltern und Men-
chen in nichtehelichen Partnerschaften diskriminiert.
eine Fraktion Die Linke ist für eine Umwandlung des
hegattensplittings in eine Freibetragsregelung zur steu-
rlichen Berücksichtigung von Unterhaltsleistungen bis
n Höhe des steuerfreien Existenzminimums. Diese Um-
andlung der Ehegattenbesteuerung könnte mindestens
1 Milliarden Steuermehreinnahmen produzieren. Ge-
en eine Individualisierung der Besteuerung gibt es kei-
8114 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 80. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Februar 2007
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nerlei verfassungsrechtliche Einwände. Der einfache
Wegfall von Steuerklassen ist zu kurz gegriffen, weil nur
in der steuerlichen Gleichbehandlung aller Steuerpflich-
tigen, unabhängig ob sie allein, in einer Ehe, mit Freun-
din, Bruder, Opa oder Tante wohnen, die Lösung des
Problems besteht.
Das Leben in seiner einzigartigen Vielfalt und die
Buntheit menschlicher Formen des Zusammenlebens ei-
len der Gesetzgebung immer etwas voraus. Es wäre jetzt
endlich an der Zeit, die Ehe zu entprivilegieren.
Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Die Lohnsteuerklassen für verheiratete Paare sind anti-
quiert. Sie wirken ungerecht, benachteiligen einseitig
Frauen und sind leistungsfeindlich. Sie müssen deshalb
dringend modernisiert und vereinfacht werden.
Beim Elterngeld sind diese Wirkungen besonders
drastisch sichtbar geworden. Pech haben diejenigen, die
vor der Babypause Lohnsteuerklasse V gewählt hatten.
Bei einem Monatsbrutto von 2 500 Euro bekommen sie
bis zu 5 800 Euro im Jahr weniger Elterngeld als bei der
Wahl der günstigeren Steuerklasse III. Ähnlich sieht es
beim Arbeitslosengeld I aus. Denn auch bei der Berech-
nung des Arbeitslosengeldes I springt bei Lohnsteuer-
klasse V weniger heraus.
Diese absurden Wirkungen kommen zustande, weil
der Ehepartner mit Lohnsteuerklasse V von seinem Ein-
kommen deutlich weniger netto ausbezahlt bekommt.
Das Netto wiederum bildet die Basis für die Berechnung
des Eltern- und Arbeitslosengeldes I. In der Regel nutzt
der Ehepartner mit dem kleinen Einkommen die
Steuerklasse V und das sind leider immer noch in neun
von zehn Fällen Frauen. Vom Bruttoeinkommen bleibt
so wenig übrig, dass sich das Arbeiten gehen finanziell
kaum lohnt. Wenn die Frau dann noch die Kosten einer
Kinderbetreuung hinzurechnet, kommt sie schnell auf
die Idee, lieber zu Hause zu bleiben, zumindest bis die
Kinder größer sind. So darf es in einer modernen Gesell-
schaft nicht bleiben. Es bedarf generell einer verbesser-
ten Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Mit unserem
Antrag wollen wir eine gerechte, einfache und moderne
Besteuerung von Ehepaaren und Lebenspartnerschaften
erreichen.
Die Lohnsteuerklassen III, IV und V dienen allein
dazu, die steuerliche Wirkung des Ehegattensplittings
vorwegzunehmen. Wir wollen weg vom Ehegattensplit-
ting und wir wollen auch keine Familiensplittingmo-
delle, weil sie überproportional besser verdienende Ein-
kommen begünstigen. Diese Tatsache hat jetzt auch der
Sozialflügel der Union erkannt und davor gewarnt, nur
die obersten Einkommensschichten zusätzlich zu be-
günstigen. Die CDU verschiebt ihre Splittingüberlegun-
gen in den nächsten Bundestagswahlkampf und damit in
die nächste Legislaturperiode. Für uns steht die Förde-
rung von Kindern im Mittelpunkt. Unser Vorschlag der
Individualbesteuerung mit übertragbarem Höchstbetrag
für Unterhaltleistungen will erreichen, dass die Begüns-
tigung hoher Einkommen abgeschmolzen und das mehr
Mittel direkt für mehr Angebote zur Kinderbetreuung
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ur Verfügung stehen. Die bessere Vereinbarkeit von Be-
uf und Familie ist unser Ziel.
Bisher ist es so: Bei Wahl der Lohnsteuerklassen-
ombination III/V wird das höhere Einkommen niedrig
nd das geringere Einkommen hoch besteuert. Im Jahr
001 waren von den in die Lohnsteuerklasse III – mit
iedrigem Lohnsteuerabzug – eingestuften Personen
3,1 Prozent Männer und 16,9 Prozent Frauen.
Gleichzeitig waren von den in Lohnsteuerklasse V
mit höherem Lohnsteuerabzug – eingestuften Personen
0,4 Prozent Männer und 89,6 Prozent Frauen. Diese
ahlen belegen die ungerechte Lohnbesteuerung vor al-
em erwerbstätiger Ehefrauen, die sich aus der Lohn-
teuerklassenkombination III/V ergibt. Erst später bei
er Einkommensteuerveranlagung kommt es zu einer
esamtberechnung der gemeinsamen Einkommensteu-
rlast. Auch wegen der hohen Lohnsteuerabzüge geht
ielen Frauen ihre positive Motivation zur Erwerbsarbeit
erloren.
Union und SPD haben im Koalitionsvertrag verein-
art, statt der bisherigen Steuerklassen ein Anteilssystem
inzuführen, mit dem jeder Ehegatte künftig so viel
ohnsteuer zahlt, wie es seinem Anteil am gemeinsamen
ruttolohn entspricht. Mit diesem Vorschlag wird nicht
om Ehegattensplitting abgerückt, sondern ein neues
ohnsteuerermäßigungsverfahren eingeführt, das zusätz-
ichen Verwaltungsaufwand auslöst. Die kontinuierliche
rfassung der anteiligen Bruttoeinkommen erfordert ein
ollständig elektronisches Besteuerungsverfahren, um
eitnah Veränderungen bei den monatlichen Bruttoein-
ommen der Steuerpflichtigen erfassen zu können. Auf
iesem Wege werden den Arbeitgebern die personenbe-
ogenen Daten der Ehepartner ihrer Beschäftigten be-
annt. Das ist problematisch hinsichtlich des im Grund-
esetz verankerten Rechts auf Datenschutz. Im Vergleich
u heute wird der geringer Verdienende weniger und der
öher Verdienende mehr Lohnsteuer vorauszahlen müs-
en. Wegen der ungleichen Be- und Entlastungswirkun-
en vereinnahmt der Fiskus allerdings in der Summe
ehr Lohnsteuern unmittelbar an den Einkommensquel-
n. Erst nachträglich bei der Einkommensteuerveranla-
ung kann dies zugunsten der Steuerpflichtigen korrigiert
erden. Für den Fiskus entstehen so Liquiditätsvorteile.
ie Steuerpflichtigen müssen dem Fiskus zinslose Darle-
en gewähren. Verzichten die Steuerpflichtigen auf die
eranlagung zur Einkommensteuer völlig, dann erzielt
er Fiskus sogar nachhaltig höhere Steuereinnahmen.
Wir fordern mit unserem Antrag die Bundesregierung
uf, eine Individualbesteuerung anstelle der Zusammen-
eranlagung von Ehegatten einzuführen. Die Steuer-
lassen III, IV und V sollen als große Steuervereinfa-
hung wegfallen. Für die Alleinerziehenden soll die
teuerklasse II erhalten bleiben, um den Vorteil des Ent-
astungsfreibetrags in die Steuerkarte eintragen lassen zu
önnen. Für weitere Beschäftigungsverhältnisse soll
uch die Lohnsteuerklasse VI erhalten bleiben. Für alle
nderen Lohnsteuerpflichtigen soll die Steuerklasse I
elten, sie werden nach der Grundtabelle versteuert. Das
teuerliche Privileg des Ehegattensplittings soll in eine
ndividualbesteuerung mit übertragbarem Höchstbetrag
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 80. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Februar 2007 8115
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in Höhe von 10 000 Euro für Unterhaltspflichten unter
Ehe- und Lebenspartnem umgewandelt werden.
Die Neuregelung soll in gleicher Weise für Ehepaare
und gleichgeschlechtliche Paare nach dem Lebenspart-
nerschaftsgesetz gelten. Bei unterschiedlichen Einkom-
men beider Ehegatten oder Lebenspartner soll ein Teil
des Einkommens des einen Ehegatten oder Lebenspart-
ners bis zu maximal 10 000 Euro auf den anderen Ehe-
gatten oder Lebenspartner steuerfrei übertragbar sein.
Alle einkommensteuerpflichtigen Personen werden an-
sonsten in Höhe ihres individuell erzielten Einkommens
besteuert.
Damit sinkt für einkommensstarke Haushalte die bis-
herige Ersparnis aus dem Ehegattensplitting. Wir wol-
len, dass die steuerlichen Mehreinnahmen zum Ausbau
und zur Finanzierung der Kinderbetreuung verwandt
werden sollen. Durch den übertragbaren Höchstbetrag
werden die Unterhaltspflichten zwischen Ehe- und Le-
benspartnern steuerlich berücksichtigt und damit das
verfassungsrechtliche Gebot der sozialrechtlichen Ein-
standspflicht in der Ehe eingehalten.
Im Ergebnis ergibt sich durch die Abschaffung der
Lohnsteuerklassen III, IV und V für jede steuerpflichtige
Person je nach Einkommenshöhe ein realistischeres Net-
toeinkommen, was in vielen Fällen zu einer günstigeren
Berechnungsgrundlage für das Elterngeld und im Fall
von Arbeitslosigkeit beim Arbeitslosengeld I führen
wird. Die rechtzeitige Wahl der Lohnsteuerklasse kann
nicht mehr verpasst werden.
Anlage 11
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Für ein Turkmenis-
tan mit Zukunft (Tagesordnungspunkt 24)
Holger Haibach (CDU/CSU): Turkmenistan ist mit
Sicherheit das Land in der zentralasiatischen Region,
dessen menschenrechtliche Situation am schwierigsten
ist, und dies in einer Region, in der die Zahl der Muster-
schüler im Bereich Menschenrechte überschaubar groß
ist. Der überraschende Tod des bisherigen Staatspräsi-
denten, des „Turkmenbaschi“, der das Land autokratisch
und quasidiktatorisch regiert hat, und das, was danach
geschehen oder besser nicht geschehen ist, zeigen deut-
lich, dass man mit Voraussagen, wie sich die Situation in
diesem Land entwickeln wird, sehr vorsichtig sein muss.
Waren sich doch alle Beobachter einig, dass der Tod
des Turkmenbaschi Diadochenkämpfe und länger anhal-
tende Unruhen auslösen würde. Doch genau das ist nicht
geschehen. Obwohl der verstorbene Präsident keinen
Nachfolger benannt hat, ist der Machtübergang unter
dem Übergangspräsidenten Berdymuchammedow erstaun-
lich reibungslos verlaufen. Um keine Missverständnisse
aufkommen zu lassen: Diese Entwicklung ist nicht ein
Gut an und für sich. Sie zeigt lediglich, dass die Zukunft
Turkmenistans ganz offensichtlich sehr schwer vorher-
sehbar ist. Deshalb sollte man sich davor hüten, so sehr
ich die Einschätzung in dem uns vorliegenden Antrag
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es Bündnisses 90/Die Grünen teile, allzu apodiktisch in
ie Zukunft zu schauen.
Jawohl, es stimmt: Es gibt nicht allzu viele ermutigende
eichen. Der jetzt amtierende Übergangspräsident hat als
räsidentschaftskandidat angekündigt, die Zensur des
nternets lockern und Reformen im Bereich der Renten-
ahlungen, der Landwirtschaft, Soziales, Bildung und
irtschaft durchführen zu wollen. Das kann man als
ositives Zeichen werten. Doch bisher sind es eben nur
nkündigungen, keine Taten, und es wird abzuwarten
ein, was davon nach der Wahl übrig bleiben wird. Aber
s darf – hier liegen die deutsche und auch die europäische
erantwortung – beim Abwarten nicht bleiben. Die Bun-
esregierung hat zu Recht die Region Zentralasien nicht
ur zu einem Schwerpunkt der EU-Ratspräsidentschaft,
ondern auch der künftigen deutschen Außenpolitik
berhaupt gemacht. Dafür gibt es viele Gründe: Die
egion ist strategisch bedeutsam; sie verfügt über Öl-
nd Erdölvorkommen; wir haben die Region zu lange
ernachlässigt und zugelassen, dass andere Mächte wie
ussland sie als ihre persönliche Einflusssphäre betrachtet
aben; die Region grenzt direkt an die Krisenregion um
fghanistan. Es ließen sich viele Gründe nennen. Daher
un wir gut daran, Zentralasien und gerade Turkmenistan
ehr in den Fokus unserer Aufmerksamkeit zu rücken.
Das bedeutet aber nicht nur – das betont der Antrag
uch richtigerweise –, dass wir unsere Interessen in wirt-
chafts- und sicherheitspolitischer Hinsicht dort wahr-
ehmen müssen. Nein, unser Interesse muss auch einer
tabilen und an den Prinzipien von Menschenrechten
nd Rechtsstaatlichkeit orientierten Entwicklung dieser
egion gelten.
Die vorsichtigen Zeichen der Öffnung, wenn es denn
icht nur potemkinsche Dörfer für einen Wahlkampf
ind, wie frei er auch immer geführt werden mag, sollten
ir nutzen. Denn offensichtlich gibt es einen Wunsch
ach Zusammenarbeit mit Europa und insbesondere
eutschland. Zumindest was die Wahlen betrifft, hat
ich die turkmenische Führung auch bereit erklärt, eine
DIHR Election Needs Assessment Mission, also eine
ahlvorbreitungsmission der OSZE, Anfang Januar
ach Turkmenistan einreisen zu lassen.
Dass allerdings offensichtlich keiner der Kandidaten
er Opposition angehört, dass weiterhin die Verfassung
eändert wurde, um dem Übergangspräsidenten eine
andidatur zu ermöglichen, dass schließlich die Verfassung
uch noch geändert wurde, indem als Voraussetzung
ür die Wahl ein mindestens 15-jähriger Aufenthalt in
urkmenistan erforderlich ist, was die Kandidatur eines
ppositionellen Exilpolitikers ausschließt: Dies alles legt
icht gerade die Vermutung nahe, dass die bevorstehen-
en Wahlen so vonstattengehen werden, dass sie unseren
tandards freier, demokratischer und unabhängig durch-
eführter Wahlen entsprechen werden.
Beides, die offensichtlichen Versuche, das System als
olches zu erhalten und trotzdem die Öffnung hin zu
uropa zu suchen, sind Entwicklungen, die nur sehr
chwer miteinander in Einklang zu bringen sein werden.
8116 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 80. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Februar 2007
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Deutschland und die EU sollten jedenfalls dieses
Momentum, wenn es denn eines ist, nicht nur dazu nut-
zen, um wirtschafts- und sicherheitspolitische Interessen
wahrzunehmen. Es wird vielmehr eben auch wichtig
sein, auf die notwendigen Veränderungen im Bereich
Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte zu dringen.
Dafür gibt es gute Gelegenheiten. Ich begrüße ausdrück-
lich, dass es Überlegungen der Bundesregierung gibt,
auf Ebene der EU neben einem Menschenrechtsdialog
mit Usbekistan auch eine solche Institution mit anderen
Staaten Zentralasiens, unter anderem Turkmenistan,
einzurichten. Aber dieser Dialog muss zielgerichtet sein.
Dialog um des Dialogs willen ist nicht das Mittel der
Wahl. Dialog, Austausch und Zusammenarbeit müssen
an klare Bedingungen geknüpft sein. Wir brauchen über-
prüfbare Schritte und klare Verabredungen über das, was
einen Austausch bedingt, was eine Zusammenarbeit
erreichen soll und mit welchem Ziel ein Dialog geführt
wird.
Diesen aus meiner Sicht wichtigen Baustein sollte
eine Zentralasienstrategie der Bundesregierung und der
EU auf jeden Fall enthalten. Das ist nicht nur eine Frage
der Glaubwürdigkeit und der Selbstachtung, sondern
auch eine Notwendigkeit. Denn auch in dieser Region
wird die EU nur dann ernst genommen werden, wenn sie
mit deutlich erkennbaren Zielvorgaben und Absichten
handelt.
Ich möchte an dieser Stelle deutlich machen, dass ich
die wirtschaftlichen Interessen im Übrigen nicht zwin-
gend im Gegensatz zum Interesse an Durchsetzung von
Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten sehe. Ja, es
gibt ein Spannungsfeld, aber es gibt auch gemeinsame In-
teressen. Der Kollege Beck, der als Vertreter von
Bündnis 90/Die Grünen mit mir zusammen in Usbekistan
war und der ausweislich des Antrags hier zu den Mitver-
fassern gehört, hat doch auch wie ich gesehen, wie Fir-
men, vor allem westliche, auf das Fehlen von Rechts-
staatlichkeit reagieren. Wenn ein Unternehmen Interesse
an einem langfristigen Engagement in einem Land hat,
dann passt das nicht mit der Tatsache zusammen, dass
im Erfolgsfalle ein Unternehmen aus vorgeschobenen
Gründen quasi über Nacht enteignet werden kann. Es ist
doch kein Zufall, dass in einem Land wie Usbekistan so
gut wie keine westlichen Unternehmen tätig sind; das ist
übrigens nicht nur eine Frage von Boykotten oder Sank-
tionen, sondern auch der Vertretung von Interessen.
Gleiches gilt für Turkmenistan. Fazit: Ohne Rechtsstaat-
lichkeit und stabile Verhältnisse ist unternehmerisches
Handeln auf die Dauer nicht erfolgreich zu gestalten.
Diesen Zusammenhang müssen wir deutlich machen.
Wenn ich gerade den Kollegen Beck angesprochen
habe, will ich dann auch noch sagen, dass ich ein wenig
verwundert bin, zu welchem Zeitpunkt dieser Antrag
entstanden ist. Anfang April wird eine kleine Delegation
des Menschenrechtsausschusses, zu der auch der Kollege
Beck gehören wird, nach Turkmenistan reisen, um sich
vor Ort ein Bild von der Situation zu machen. Warum
also jetzt dieser Antrag? Weil Anfang Februar Wahlen
stattfinden? Um die Delegation mit einem Rüstzeug an
Forderungen auszustatten? Es bleibt abzuwarten, wie
sich der Antrag auf das, was bevorsteht, auswirken wird.
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Wenn ich zum Schluss noch einen Blick auf den For-
erungsteil ihres Antrags werfe, so denke ich, dass die
orderungen im Wesentlichen diejenigen sind, die man
n Turkmenistan und die internationale Gemeinschaft
tellen muss. Was jedoch die Durchsetzbarkeit und Reali-
tsnähe betrifft, so habe ich Zweifel. Wie zu Beginn
ereits bemerkt: Turkmenistan ist die „härteste Nuss“ in
entralasien, wenn es um die Frage der Menschenrechte
eht. Ob es da tatsächlich gelingt, gleichsam auf einen
chlag all diese Forderungen – so richtig sie sind –
urchzusetzen, daran kann wahrlich gezweifelt werden.
Nichtsdestoweniger sind nicht nur die turkmenischen
utoritäten, die Bundesregierung, die EU, die OSZE und
ndere gefordert. Es liegt eben auch an uns als Parlamen-
rier, einen Beitrag zur Verbesserung der Zukunftsaus-
ichten Turkmenistans zu leisten. Dafür braucht es eine
eutliche Sprache, eine klare Haltung, aber eben auch
lare Prioritäten und einen klaren Blick.
Hedi Wegener (SPD): Wer kennt Turkmenistan? Es
ibt Kenner, die sagen, nur Korea sei ein so abgeschotteter
taat, wie Turkmenistan. Nun wollen wir hier den Antrag:
Für ein Turkmenistan mit Zukunft“ beraten.
In der Tat hat sich durch das plötzliche Ableben des
urkmenischen Präsidenten im Dezember vergangenen
ahres eine Tür einen Spalt breit geöffnet. Durch diesen
palt könnte es für Turkmenistan eine andere Zukunft
eben. Unter dem verstorbenen Staatspräsidenten Nijasow,
em Turkmenbaschi, dem Vater aller Turkmenen, wie er
ich selber genannt hat, war Turkmenistan ein bizarres
and.
Riesige goldene Statuen und Portraits des Diktators
rägten das Bild der Stadt, aller Amtsstuben, öffentlichen
nd nicht öffentlichen Gebäude. Wenn nicht schon
otemkin für Katharina die Große ganze Städte und
örfer als Silhouette hätte errichten lassen, hätte
ijasow den Anspruch erheben können, einer der
rößten Illusionisten zu sein. Ganze Stadtviertel wur-
en niedergerissen, um Fassaden von Prunkgebäuden
u errichten, die leer stehen. Die Namen von Monaten
urden nach Familienangehörigen des Alleinherr-
chers benannt. Die Schulzeit wurde auf acht Jahre
egrenzt. Einziger Prüfungsinhalt war die sogenannte
uhnama, das Werk des Präsidenten, in dem er seine
icht der Welt darstellte. Die Krankenhäuser in den
rovinzen wurden geschlossen, die Renten gestrichen.
inen Zugang zu Internet oder eine freie Presse gab es
icht. Opposition – ein Fremdwort. Wie uns der Parla-
entspräsident im Herbst letzten Jahres mitteilte,
eien verschiedene Parteien auch gar nicht notwendig,
eil alle ja nur das Beste für das Volk wollen.
Die Straßen sind zum Teil menschenleer, und wenige
chritte hinter den Prachtfassaden herrscht bittere Armut.
urkmenistan war auf dem besten Wege, neben der
elbstisolierung auch die Bildung der Menschen von
nternationalen Standards so weit abzukoppeln, dass
ald eine ganze Generation verloren gewesen wäre. So
tellte sich Turkmenistan im Dezember 2006 dar, als
räsident Nijasow starb, nicht besonders hoffnungsvoll.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 80. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Februar 2007 8117
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Gleichzeitig verfügt Turkmenistan über enorme Roh-
stoffreserven, freundliche, neugierige Menschen, eine
interessierte Jugend. Und: Turkmenistan ist ein direkter
Nachbar Afghanistans. Ich brauche nicht zu betonen,
was das für uns bedeutet.
Ja, es ist richtig, dass Turkmenistan immer ein
schwieriger Partner war, aber – da stimme ich mit unserer
jetzigen Regierung und auch der vorherigen, der rot-
grünen, liebe Kollegen von der grünen Fraktion überein –:
Dialog, und sei er noch so schwierig, ist immer besser
als Konfrontation.
Eine zweite Erkenntnis aus dem jahrelangen Umgang
mit schwierigen Ländern: Nichts kommt über Nacht und
eine 180-Grad-Wende innerhalb kürzester Zeit gibt es
nicht. Deswegen ist der unerwartete Wechsel an der
Spitze Turkmenistans eine Chance für das Land und
seine Menschen, die nicht von vornherein mit Maximal-
forderungen erstickt werden sollten. Wir können nicht
erwarten, dass in einem Land, dass 15 Jahre unter einem
autoritären Regime gelitten hat, das zuvor eine sowjetische
Provinz war, dessen Menschen und Politiker von diesem
Regime geprägt wurden, über Nacht alle zu Demokraten
erwachsen.
Deswegen plädiere ich dafür, den eingeschlagenen
deutschen Weg weiter zu verfolgen. Natürlich ist es
unwahrscheinlich, dass die Präsidentenwahlen allen
OSZE-Standards genügen, aber es ist ein Fortschritt,
dass es immerhin sechs Kandidaten gibt, ein Novum für
Turkmenistan.
Ungewöhnlich, dass diese sechs Kandidaten vor
1 000 Menschen diskutiert haben. Erstmalig seit der
Unabhängigkeit Turkmenistans ist die OSZE zur Wahl-
beobachtung eingeladen und wird, wenn auch in
bescheidenem Umfang, die Wahlen beobachten. Der
amtierende Präsident hat angekündigt, dass die Schul-
bildung wieder zehn Jahre dauern soll, dass die Kran-
kenhäuser in den Provinzen wieder geöffnet werden
sollen, wenn er gewählt werden sollte. Man möchte
wieder junge Menschen mit den vom Ausland angebote-
nen Stipendien im Ausland studieren lassen.
Aus unserer Sicht sind es vielleicht nur Tropfen auf
den heißen Stein. Aus turkmenischer Sicht ist das schon
eine Kehrtwendung um 180 Grad. Das gibt den Men-
schen Hoffnung und eine Perspektive, und die brauchen
die Menschen am meisten.
Die nächsten Wochen werden ein Lackmustest für die
Haltung der turkmenischen Regierung werden. Wie
schnell und wie viele Reformen werden nach der Wahl
umgesetzt? Wird sich etwas im Bildungswesen ändern,
wird es freien Zugang zum Internet geben? Oder waren
es alles hohle Wahlversprechen, die das verfassungs-
widrige und wenig demokratische Verfahren zur Bestim-
mung des Nachfolgers überdecken sollen. Ein gutes
Zeichen wäre es, wenn Turkmenistan Ende März an den
Gesprächen der EU-Außenministertroika teilnimmt.
Ich sagte es bereits, ich bin überzeugt, dass die Bundes-
regierung hier in der Kontinuität den richtigen Weg
einschlägt. Wir haben jetzt die Chance, während der EU-
Ratspräsidentschaft mit dem neuen Zentralasienkonzept
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uch Turkmenistan einzubeziehen und eine Entwicklung
in zu Demokratie und Menschenrechten zu unterstützen.
Ich führe regelmäßig Gespräche mit Oppositionellen
nd Menschenrechtlern aus Turkmenistan und kenne
eren zum Teil dramatische Schicksale, von Flucht,
ertreibung und Inhaftierungen. Ich weiß, mit welchem
ngagement gerade die Deutsche Botschaft vor Ort sich
ür diese Menschen einsetzt, aber ich weiß auch, was für
in dickes Brett es zu bohren gilt, will man etwas in
urkmenistan erreichen.
Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte
ind für uns in Europa und Deutschland unveräußerliche
rundwerte. Wir wünschen uns, dass die Menschen in
urkmenistan eines Tages in einem Staat leben werden,
er auf genau diesen Grundrechten basiert. Turkmenistan
at die Chance eines neuen Anfangs. Wir sollten uns
ber nicht der Illusion hingeben, als herrsche in Turkme-
istan jetzt eine Stunde Null. Veränderungen und Refor-
en werden nur langsam vonstatten gehen.
Lassen Sie uns die neue Situation nutzen. Sollten sich
atsächlich Reformen und Reformer abzeichnen, müs-
en wir diese unterstützen. Die deutsche EU-Ratspräsi-
entschaft und die Entwicklung einer neuen Zentral-
sienstrategie für Europa bieten ein gutes Fundament
afür. Noch herrscht kein Frühling in Turkmenistan,
ber das Eis beginnt zu schmelzen.
Burkhardt Müller-Sönksen (FDP): Die FPD-Frak-
ion unterstützt den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen
Für ein Turkmenistan mit Zukunft“, auch wenn bedau-
rlicherweise geradezu ein Übermaß an Optimismus er-
orderlich erscheint, um aus heutiger Sicht an eine unge-
rübt positive Zukunft Turkmenistans zu glauben.
llerdings hat der Tod des „großen Turkmenbaschi, des
ührers aller Turkmenen“ – wie sich der turkmenische
taatspräsident Saparmurad Nijasow von seinem Volk
ennen ließ – zumindest eine kleine Chance eröffnet,
ass sich die Entwicklung in Turkmenistan in die Rich-
ung eines Staatsmodells entwickelt, das auf Rechtsstaat-
ichkeit, Demokratie und der Achtung von Menschen-
echten basiert. Denn ein Machtübergang wie der
egenwärtige in Turkmenistan beinhaltet immer auch
ie Möglichkeit für einen Neuanfang in den diplomati-
chen Beziehungen, die Deutschland bilateral und auf
U-Ebene zu Turkmenistan unterhält. Ein solcher Neu-
nfang schließt denn auch die Möglichkeit ein, konstruk-
iven Einfluss auf die weitere Entwicklung dieses Lan-
es zu nehmen. Dies gilt in besonderem Maße für
urkmenistan, das bisher eines der am stärksten isolier-
en Länder der Welt war, vergleichbar nur mit Nord-
orea. Die Bundesregierung trägt deshalb im Zuge der
U-Ratspräsidentschaft Deutschlands eine besondere
erantwortung, das gegenwärtig bestehende „window of
pportunity“ zu nutzen, um vor allem auf EU-Ebene ent-
prechende diplomatische Initiativen zu ergreifen und
influss auf die neue turkmenische Führung auszuüben.
udem kann die Bundesregierung in Turkmenistan zei-
en, dass sie bereit ist, die EU-Zentralasienstrategie, die
egenwärtig von ihr erarbeitet wird, auch durch tatkräfti-
es Engagement für politische und wirtschaftliche Re-
8118 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 80. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Februar 2007
(A) )
(B) )
formen in Zentralasien zu untermauern. Denn was wäre
eine Strategie wert, die nicht durch entsprechende Taten
flankiert wird?
Die Bedingungen, unter denen gegenwärtig der Über-
gang zu einer neuen Führung in Turkmenistan erfolgt,
sind jedoch alles andere als verheißungsvoll. Die vorüber-
gehende Machtübernahme durch Übergangspräsident
Gurbanguly Berdymuchammedow erfolgte nach dem Tod
Nijasows am 21. Dezember 2006 unter Verletzung selbst
der turkmenischen Verfassung. Diese sah bei Nijasows
Tod für den Fall, dass der Präsident zur Ausübung seines
Amtes nicht mehr in der Lage ist, die vorübergehende
Amtsübernahme durch den Vorsitzenden des Mejlis, des
turkmenischen Parlaments, vor. Der amtierende Vorsit-
zende des turkmenischen Mejlis, Ovezgeldy Ataev,
wurde allerdings nur einen Tag nach dem Tod Nijasows
gewaltsam an der Wahrnehmung seiner verfassungsmäßi-
gen Rechte in der Weise gehindert, dass er verhaftet wurde.
Zudem wurde kurzerhand die Verfassung dahin gehend ge-
ändert, dass fortan auch der vorübergehend amtierende
Staatspräsident bei den Wahlen kandidieren kann, was die
Verfassung bisher nicht erlaubte. Man kann deshalb mit
Fug und Recht behaupten, dass sich die derzeit amtie-
rende turkmenische Regierung unter Übergangspräsident
Berdymuchammedow unter Missachtung der turkmeni-
schen Verfassung an die Macht geputscht hat. Wie berich-
tet wird, wurde übrigens der Vorsitzende des Obersten
Gerichts in Turkmenistan, nachdem er die vorüberge-
hende Amtsübernahme durch Berdymuchammedow als
verfassungswidrig bezeichnete, unter Hausarrest gestellt.
Leider gibt es keine Anzeichen dafür, dass die für den
11. Februar 2007 vorgesehenen Wahlen auch nur in An-
sätzen frei und fair verlaufen werden, nachdem der offi-
zielle Wahlleiter bereits angekündigt hat, alles zu unter-
nehmen, um einen Sieg von Übergangspräsident
Berdymuchammedow sicherzustellen. Um den Wahlen
den Anschein der Legalität zu verleihen, treten neben
Gurbanguly Berdymuchammedow fünf weitere Kandi-
daten für die Wahl an. Keiner von ihnen ist jedoch der
Opposition zuzurechnen. Der turkmenischen Opposi-
tion im Exil wird die Einreise nach Turkmenistan ver-
weigert, damit sie das Ergebnis der Wahl nicht beeinflus-
sen kann. Es wird berichtet, dass diejenigen Kandidaten,
die gegen Berdymuchammedow zur Wahl antreten, von
diesem selbst Anweisungen erhalten, was sie bei ihren
„Wahlkampfveranstaltungen“ sagen dürfen und wo sie
diese abzuhalten haben. Zur Kontrolle werden Berichten
zufolge alle Veranstaltungen unter Aufsicht von Mitar-
beitern des turkmenischen Sicherheitsdienstes durchge-
führt.
Trotz dieser deprimierenden Aussicht auf die anste-
hende Wahl fordere ich die Bundesregierung auf, alle
Anstrengungen zu unternehmen, um die neue turkmeni-
sche Führung zur Öffnung ihres Landes zu bewegen,
auch wenn das nur in kleinen Schritten möglich ist. Als
Angebot könnte aus meiner Sicht eine – nach Möglich-
keit konditionierte – Unterstützung beim Wiederaufbau
des Bildungs- und Gesundheitswesens dienen. Denn das
Bildungs- und das Gesundheitssystem sind in Turkme-
nistan unter Präsident Nijasow derart degeneriert wor-
den, dass sie am ehesten noch mit dem Adjektiv „stein-
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eitlich“ zu beschreiben sind. Die Schulausbildung
urde unter Nijasow auf neun Jahre, die Hochschulaus-
ildung auf zwei Jahre verkürzt. Dies führt dazu, dass
um Beispiel turkmenische Studenten nicht außerhalb
hres Landes studieren können. Zudem war das turkme-
ische Bildungssystem bisher durch die Lehre der
Ruhnama“ dominiert, ein vom „Turkmenbaschi“ für
einen bizarren Führerkult verfasstes Werk mit religiös-
hilosophischer Verbrämung. Das turkmenische Ge-
undheitssystem ist dadurch zu charakterisieren, dass es
eitgehend nicht existiert; denn unter Präsident Nijasow
urden alle Krankenhäuser außerhalb der Hauptstadt
schgabat geschlossen.
Die Möglichkeit, die im Antrag von Bündnis 90/
ie Grünen geforderte Sperrung des Kontos zu veranlas-
en, welches die turkmenische Regierung nach Recher-
hen von Nichtregierungsorganisationen bei der Deut-
chen Bank hält und auf das Gewinne aus dem
asexport eingehen, beurteile ich allerdings eher skep-
isch. Nichtsdestotrotz sollte die Bundesregierung in der
at überprüfen, ob eine rechtliche Handhabe für eine vo-
übergehende Sperrung des Kontos besteht und von die-
er gegebenenfalls auch Gebrauch machen. Denn es
üssen alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, damit
as auf diesem Konto geparkte Vermögen für das turk-
enische Volk als Staatsvermögen erkennbar bleibt und
icht beliebig einem Machtclan als „Privateigentum“ zur
reien Verfügung steht.
Eine im Januar 2006 von der Organisation The Eura-
ian Transition Group in Turkmenistan durchgeführte
mfrage zeigt, dass sich 81 Prozent der Bevölkerung de-
okratische Reformen in ihrem Land wünschen. Eine
lare Mehrheit der Turkmenen bewertet dieser Umfrage
ufolge die vorübergehende Machtübernahme durch
erdymuchammedow als unrechtmäßig und erwartet
uch keine faire und freie Durchführung der Wahlen. Die
offnung des turkmenischen Volkes auf politische Re-
ormen in ihrem Land ist also auch nach der verheeren-
en Diktatur des „Turkmenbaschi“ ungebrochen.
Ich fordere die Bundesregierung auf, diese Hoffnung
es turkmenischen Volkes nicht zu enttäuschen und
ruck auf die turkmenische Führung zur Umsetzung von
olitischen Reformen auszuüben, auch wenn es viel Ge-
uld und einen langen Atem erfordert.
Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Turkmenistan ist
weifellos eine Diktatur. Auch nach Auffassung der Lin-
en müssen die besorgniserregenden Berichte über den
ustand demokratischer und Menschenrechte in diesem
entralasiatischen Land ernst genommen werden. Ob es
ich um Berichte bzw. Beschlüsse von Amnesty Interna-
ional, Human Rights Watch, OSZE oder der UN-Gene-
alversammlung handelt – Zweifel scheinen nicht ange-
racht, dass die Menschen in Turkmenistan, wenn sie ihr
echt auf freie Meinungsäußerung, politischer Partizipa-
ion und andere Bürgerrechte wahrnehmen wollen, mit
epressionen, Inhaftierung bis hin zu Folterungen rech-
en müssen. So verhielt es sich unter der Regierung des
erstorbenen Präsidenten Nijasow, und – das ist zu be-
ürchten – so wird es vermutlich auch unter dem neuen
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 80. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Februar 2007 8119
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(B) )
Präsidenten, der am 11. Februar 2007 gewählt werden
soll, weitergehen.
Verhältnisse, die denen in Turkmenistan ähneln, gibt
es zweifellos in vielen Ländern der Erde. Die Frage ist,
wie Deutschland mit solchen Staaten seine kulturellen,
wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zum Nut-
zen der Menschen gestalten soll. Sie formulieren im
Falle Turkmenistans in 21 Punkten Forderungen, die die
Bundesregierung an die turkmenische zu richten habe.
Kein souveräner Staat wird so etwas akzeptieren und
Diktaturen schon gar nicht. Im Interesse der Verbesse-
rung der Menschenrechtssituation in Turkmenistan, an
der uns gelegen sein muss, ist ein Vorgehen, das als Dik-
tat angesehen werden kann, alles andere als produktiv.
Natürlich würde ich mir für die Bevölkerung Turkme-
nistans wünschen, dass sie in den Genuss aller dieser im
Antrag eingeforderten bürgerlich-demokratischen Frei-
heiten gelangt. So wie ich das auch für alle anderen Völ-
ker wünsche, umso mehr, wenn die Bundesrepublik gute
und umfassende Beziehungen zu ihren Regierungen un-
terhält. Ökonomischen Druckmitteln, sofern sie nicht die
Bevölkerung trifft, würde ich gern zustimmen. Aber:
Wenn von Dritten Forderungen nach Einhaltung von de-
mokratischen und Menschenrechten gestellt werden,
möchte ich hinterfragen, ob und welche anderen Interes-
sen mit solchen Forderungen – unter der Hand – mit-
transportiert werden.
Ich gebe Ihnen dafür ein Beispiel: Das Auswärtige
Amt hat in seinen „Länderinformationen“ Turkmenistan
zum Stichwort Religionsfreiheit folgendes notiert:
Durch den Druck insbesondere der USA „sind mittler-
weile folgende weitere Religionsgemeinschaften zuge-
lassen: Baptisten, Sieben-Tage-Adventisten, Bahai, Hare
Krishna, Greater Christchurch, Church of Christ, Light
of East, Full Gospel Christian und New Apostolic
Church“.
Ich bin kein Experte, was religiöse Sekten anlangt,
aber ein Blick ins Internet bestätigt meine Befürchtun-
gen, dass es mehr als zweifelhaft ist, ob die Zulassung
solcher Sekten bzw. Religionsgemeinschaften unter dem
Markenzeichen „Religionsfreiheit“ den Turkmeninnen
und Turkmenen einen echten Zugewinn an Freiheit
bringt.
Ich bin nicht so naiv zu ignorieren, dass unter dem
Mantel von Forderungen zum Beispiel nach Pressefrei-
heit oder Religionsfreiheit, der Freiheit der Meinungsäu-
ßerung, freie Wahlen usw. ganz andere Interessen trans-
portiert werden; Interessen, die zum Beispiel auf die
Verbreitung von Bewusstseinsinhalten, Einstellungen
und Wünschen gerichtet sind, die mit der Ausbreitung
neoliberaler Ideen und Haltungen kompatibel sind. Die
Forderung nach Freiheit von und für was auch immer
bietet unter den Bedingungen wirtschaftlicher Ungleich-
heit dem Stärkeren immer auch die Möglichkeit, den
Schwächeren zu manipulieren, zu dominieren und auf
indirektem Wege zu unterwerfen.
Dieser Antrag ist ein Musterbeispiel für das Messen
mit zweierlei Maß. Denn es ist ja keineswegs so, dass
die Bundesregierung aufgefordert wird, ihre anderen
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artner, die ebenfalls grundlegende Defizite in Sachen
emokratie und Menschenrechte aufweisen, nach den
leichen Kriterien zu messen. Bei Turkmenistan traut
an sich eben, was man sich bei Saudi-Arabien nicht
raut. Messen mit zweierlei Maß macht nicht nur un-
laubwürdig, sondern verstärkt auch den Verdacht, dass
m Zweifelsfall wirtschaftliches Interesse und geostrate-
ische Brauchbarkeit über Menschenrechte gestellt wer-
en.
Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
EN): Der Despot, im Westen zu trauriger Berühmtheit
ekommen, ließ nicht nur die Monate nach seinen Fami-
ienmitgliedern benennen und verbot Theater. Der Name
teht vielmehr für Willkür, für Despotie und grausamste
enschenverachtung. Umso mehr könnte sein Tod eine
hance für das Land sein.
Im November 2002 entging der Präsident Saparmurad
ijasow knapp einem Attentat. Das Regime in Zentral-
sien hatte einen Vorwand, um wieder einmal eine Welle
illkürlicher Festnahmen und Verhaftungen zu initiie-
en. Der ehemalige turkmenische Außenminister Boris
ikkhmuradow sowie der Geschäftsmann Guvanch
zumaew als angebliche Drahtzieher des Attentates
urden verhaftet, und mit ihnen unzählige andere Be-
chuldigte, deren Familienangehörige oder einfach nur
olitisch unliebsame Personen.
Ohne Aussicht auf faire Gerichtsverfahren, ohne
ontakt zur Außenwelt wurden sie gefangen gehalten
der nach zumeist geheimen Verfahren zu lebenslangen
aftstrafen verurteilt. Obwohl Mitglied der OSZE, ließ
as Regime keine unabhängigen Beobachter ins Land.
ach Recherchen unter schwierigen Bedingungen
prach der OSZE-Berichterstatter Professor Emmanuel
ecaux in seinem im März 2003 erschienenen Bericht
on „ungeheuren Verletzungen aller Prinzipien der
echtsstaatlichkeit. Gefangene sterben wie die Fliegen
n den Gefängnissen“.
Laut dem Jahresbericht 2006 von amnesty internatio-
al sind Folterungen und Misshandlungen in den Ge-
ängnissen an der Tagesordnung. Infektionen mit Tuber-
ulose und völlig ausgehungerte Insassen gehören zum
rausamen Alltag. Zwangseinweisungen in die Psychia-
rie sind ein weiteres perfides Mittel der Repression. In
en letzen Jahren kürzte Nijasow die Sozialausgaben des
taates drastisch. Das Bildungssystem ist in einem ver-
eerenden Zustand. Die Arbeitslosenquote liegt bei
0 Prozent. 15 000 Ärzten wurde seit 2004 gekündigt.
eit dem Frühling 2005 gibt es nur noch ein Kranken-
aus in der Hauptstadt Aschgabat. Die Kindersterblich-
eit ist eine der höchsten der Welt.
Nach dem Tod von Nijasow ist die internationale Ge-
einschaft in der politischen Verantwortung, mit Nach-
ruck auf politische und wirtschaftliche Reformen zu
rängen und dem Land so eine Chance auf Anbindung
n die Moderne zu geben.
Diktatorische Regime sind sicherheitspolitische Risi-
ofälle. Aus sicherheitspolitischer Sicht muss die EU ein
reigenstes Interesse an der Stabilität der Region haben.
8120 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 80. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Februar 2007
(A) )
(B) )
Hier spielt Turkmenistan eine zentrale Rolle, denn es
grenzt an Afghanistan sowie den Iran und Russland.
Auch unter der neuen Interimsregierung wird nach
wie vor die Opposition unterdrückt, ihre Akteure be-
droht und misshandelt, Presse und Internet strengstens
kontrolliert. Zivilgesellschaftliches Engagement wird in
der Wurzel erstickt, dem VN-Sonderberichterstatter für
Folter der Zugang verwehrt. Im Exil lebenden Opposi-
tionellen wird die Einreise verweigert. Opposition im
Land existiert nicht.
Der turkmenische Wahlleiter spricht vom vorrausicht-
lichen Sieg des amtierenden Interimspräsidenten
Berdymuchammedov. Zwar hat ODHIR, das innerhalb
der OSZE für menschenrechtliche Fragen zuständige
Gremium inzwischen eine sogenannte Unterstützer-
gruppe zur Beobachtung der Wahlen geschickt an der
auch Deutsche beteiligt sind. Es ist allerdings zu be-
fürchten, dass mit den Wahlen am 11. Februar eine Dik-
tatur abgesegnet werden wird.
Die Bundesregierung hat die EU-Ratspräsidentschaft
inne und will bis Mitte dieses Jahres eine Neue Ostpoli-
tik mit Leben füllen. Einer der Schwerpunkte soll dabei
Zentralasien sein: Deutschland zählt neben der Russi-
schen Föderation, China, der Türkei, Iran und den USA
zu den bevorzugten Wirtschaftpartnern Turkmenistans.
Zu Recht gibt es wirtschaftliche und insbesondere ener-
giewirtschaftliche Interessen an Turkmenistan, das be-
deutende Öl- und Gasreserven besitzt.
Für Deutsche und europäische Unternehmen muss es
Rechtssicherheit geben. Dafür sind Rechtsstaatlichkeit
und Wahrung der Menschenrechte aber eine Grundvo-
rausetzung. In der Liste der Handelspartner Turkmenis-
tans belegt Deutschland den siebenten Platz. In der Liste
der Einschränkung der Pressefreiheit rangiert das Land
an vorletzter Stelle, vor Nordkorea.
Die Bundesregierung in ihrer Rolle als Ratspräsiden-
tin ist aufgefordert, innerhalb der Zentralasienstrategie
in den nächsten Wochen ein besonderes Augenmerk auf
eine Entwicklung hin zu einem Turkmenistan legen, dass
sich nach und nach von den diktatorischen Zuständen
löst.
Anlage 12
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Anträge:
– Für eine demokratische, freiheitliche, soziale
und Frieden sichernde Verfassung der Euro-
päischen Union
– Berliner Erklärung – Werte und Aufgaben
der EU im 21. Jahrhundert
(Tagesordnungspunkt 33 und Zusatztagesord-
nungspunkt 13)
Hans Peter Thul (CDU/CSU): Ich zitiere sinngemäß
aus dem Antrag der Fraktion Die Linke: Die Europäi-
sche Union sichert den Frieden seit mehr als 60 Jahren,
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ie vermeidet kriegerische Auseinandersetzungen zwi-
chen den Mitgliedstaaten, sie ermöglicht einen freien
arenverkehr bei offenen Grenzen zum Wohle ihrer
ürgerinnen und Bürger und sie gibt Impulse zur
leichstellung von Frauen und Männern, bietet Schutz
or Diskriminierung und sichert die Einhaltung von
rundrechten. – Hätten sie es bei diesen Feststellungen
u Beginn Ihres Antrages belassen, geehrte Damen und
erren der Linken, wäre Ihnen die Zustimmung des ge-
amten Hohen Hauses sicher gewesen.
Das haben Sie aber nicht getan. Vielmehr verfallen Sie
der weiteren Formulierung Ihres Antrages in alte klas-
enkämpferische Parolen, was zwar Ihren Wiedererken-
ungswert, nicht aber Ihre Akzeptanz steigert. Sie geißeln
erbal neoliberale Marktrigorismen und verkennen wieder
inmal, dass es gerade die soziale Marktwirtschaft Ehr-
ard’scher Prägung war, die Arbeitnehmerrechte, soziale
icherheit, Produktvielfalt, Produktqualität und somit
irtschaftlichen Erfolg im globalen Wettbewerb erst er-
öglichte.
Mit Europa und in Europa werden die Rechte der Ar-
eitnehmerinnen und Arbeitnehmer mehr als anderswo
n der Welt auf hohem Niveau gesichert und durch sehr
erantwortungsvolle Tarifpartner weiterentwickelt. Ge-
ade hier in der Bundesrepublik werden Chancengleich-
eit zwischen den Generationen, zwischen den Ge-
chlechtern, zwischen jungen und alten Menschen und
wischen Arm und Reich mehr gelebt als anderswo in
er Welt. Wir haben nach meiner Überzeugung nur in-
erhalb dieser EU die Chance, dieses Erfolgsmodell ei-
er freien und sozialen Marktwirtschaft den anderen
olkswirtschaften der mit uns befreundeten Völker zu
mpfehlen.
Gott sei Dank haben die Väter und Mütter der Römi-
chen Verträge vor etwa 50 Jahren bereits die Vision ei-
es befriedeten und geeinten Europas vor Augen gehabt,
ls sie sich nach einem der verheerendsten Kriege des
ahrhunderts zusammenfanden, diesen Vertrag formu-
ierten und letztendlich beschlossen. Europa hat sich seit
ieser Zeit zu einem weltweit geachteten Modell entwi-
kelt, um das wir glühend beneidet werden. Geehrte Da-
en und Herren der Linksfraktion, nicht auszudenken,
ie sich unser Land entwickelt hätte, wären Politiker Ih-
er Überzeugung an der damaligen Entscheidung betei-
igt gewesen. Die Geschichte des 20. Jahrhunderts hat
uf fatale Weise verdeutlicht, dass sozialistische und to-
alitäre Systeme mit abgeschotteten Märkten im globalen
ettbewerb immer weiter zurückfallen – mit der Folge,
ass es den Menschen und der Umwelt dort sehr viel
chlechter geht und ging als hier in unserem Wirtschafts-
aum.
Die EU wird doch nach wie vor von Beitrittskandida-
en umworben; sie wollen doch hinein in das System und
icht hinaus. Wäre die Wirklichkeit innerhalb unserer
irtschafts-, Währungs- und Wertegemeinschaft so, wie
ie sie im ersten Abschnitt Ihres Antrages beschrieben
aben, würden die Menschen in Scharen Europa verlas-
en. Das Gegenteil ist der Fall. Wir leben dank der Euro-
äischen Union in dem mittlerweile befriedetsten Konti-
ent der Erde, in einer kulturell und religiös befriedeten
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 80. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Februar 2007 8121
(A) )
(B) )
Gemeinschaft, in einer auch sozial weitestgehend ausge-
glichenen Gesellschaft, in Gebieten mit ausreichenden
und sauberen Trinkwasservorkommen, mit stabilen Ver-
sorgungsstrukturen, in einer intakten Natur. Dieses Eu-
ropa wollen wir erhalten, sichern und als nachahmens-
wertes Modell mit den Menschen weiterentwickeln.
Sie reden von einem gefährlichen Weg der Militari-
sierung. Sie verkennen, dass unsere Soldatinnen und
Soldaten in friedenserhaltenden und humanitären Einsät-
zen für die Menschen tätig sind, insbesondere da, wo die
Menschenrechte buchstäblich mit Füßen getreten wur-
den, etwa in Afrika, Afghanistan und in anderen Krisen-
gebieten dieser Erde. Ich weiß, wovon ich rede. Unser
Sohn ist gerade erst von einem solchen Einsatz wohlbe-
halten zurückgekehrt. Wir sind froh und dankbar dafür,
dankbar auch für die Erfahrungen, die die jungen Men-
schen bei solchen Einsätzen machen. Ich bin ebenso der
Meinung, dass wir eine Art Bringschuld für die benach-
teiligten Regionen dieser Welt haben. Für die CDU/
CSU-Fraktion gilt: Das sind wir unserem christlichen
Menschenbild und unserem Humanitätsgedanken schul-
dig.
Europa hat sich aus der griechisch-römischen Tradi-
tion und der jüdisch-christlichen Ethik entwickelt. Spu-
ren römischer Gesetzgebung sind bis heute in unseren
Gesetzestexten zu finden. Wir sollten jetzt die EU-Präsi-
dentschaft der kommenden sechs Monate nutzen – so
wie es unsere Bundeskanzlerin, Frau Dr. Angela Merkel,
in ihrer Rede am 17. Januar dieses Jahres vor dem Euro-
päischen Parlament ausgeführt hat – und alle Anstren-
gungen unternehmen, um den ins Stocken geratenen
Prozess hin zu einem Verfassungsvertrag wieder zu bele-
ben.
Europa eine Seele geben und Europas Seele ist die
Toleranz.
Das ist eine der Kernaussagen in der Rede unserer
Kanzlerin. Und: Europa gelingt nur gemeinsam – ge-
meinsam mit den Menschen.
Gemeinsamkeit setzt Vertrauen voraus. Vertrauen
wiederum entsteht aus Verlässlichkeit, etwa dann, wenn
Politik vorher ankündigt, was sie vorhat, es dann tut und
sich dann auch noch herausstellt, dass die angedachten
Konzepte funktionieren. Die Bundesregierung hat ange-
kündigt, wo sie ihre Arbeitsschwerpunkte setzen will:
Bei Klima- und Energiefragen und bei der Überzeu-
gungsarbeit für einen gemeinsamen europäischen Ver-
fassungsvertrag.
Technologie, Talente und Toleranz sind Begriffe, die
unsere Bundeskanzlerin in ihrer bereits zitierten Rede
immer wieder zu recht verwendet. Sie hingegen zeich-
nen ein Zerrbild von Europa, wenn Sie von Demokratie-
abbau und mangelnder Bürgerbeteiligung sprechen und
sogar die Vorteile einer einheitlichen Währungsunion
bezweifeln. Gerade die einheitliche Währung, die, vor
einiger Zeit – ausgerechnet von einem Niedersachsen –
noch als „kränkelnde Frühgeburt“ bezeichnet wurde, er-
weist sich als außerordentlich stabil und werthaltig, so-
dass sie sogar als kommende Leitwährung diskutiert
wird.
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Sie haben recht, wenn Sie von einer hohen Verant-
ortung der Bundesregierung sprechen, aber Sie können
icher sein, dass diese Bundesregierung und die sie tra-
enden Fraktionen von CDU/CSU und SPD alles dafür
un werden, damit diese Prozesse erfolgreich verlaufen.
Im Gegensatz dazu erscheint es vor dem politischen
intergrund von Teilen Ihrer Fraktion geradezu absurd,
enn Sie in Ihrem Antrag von mangelnder Demokratie,
echtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit reden. Wir
enötigen den von Ihnen vorgeschlagenen alternativen
erfassungsvertrag nicht. Der vorliegende Vertragsent-
urf ist eben nicht juristisch zweifelhaft, moralisch un-
ulässig und erst recht nicht politisch verfehlt. Nach un-
erer Überzeugung spricht alles für eine vertraglich
ereinbarte Verfassung, die die erreichte demokratische
nd soziale Ordnung auf der Grundlage der europäi-
chen Wertegemeinschaft zum Ausdruck bringt.
Bezeichnenderweise kommt ein Bekenntnis zur ge-
annten Werteordnung an keiner Stelle Ihres Antrages
or, stattdessen die altbekannten populistischen und
lassenkämpferischen Begriffe. So wollen Sie unter an-
erem kostenfreie Verfassungsbeschwerden, das Recht
uf menschenwürdige und existenzsichernde Arbeit, ein
echt auf soziale Sicherheit, einen Rechtsschutz vor Ar-
ut und einen Rechtsschutz vor sozialer Ausgrenzung.
ur: In keinem einzigen der – glücklicherweise – weni-
en verbleibenden Staatsformen dieser Erde, die nach
hren Vorstellungen geführt werden, wird auch nur annä-
ernd eines dieser vorgenannten Ziele erreicht. Das
ollte Ihnen zu denken geben.
Wir glauben an die Fähigkeit jedes einzelnen Men-
chen. Wir denken nicht in Kollektiven, und wir wollen
ie Entfaltung des einzelnen Individuums in eigener Ver-
ntwortung vor Gott und den Mitmenschen. Dieser Weg
ird auch weiterhin zu Wohlstand und Wohlfahrt und zu
iner Angleichung der Lebensverhältnisse in ganz Eu-
opa führen. Auf dem Weg dahin sollten wir jeden Ver-
uch wagen, diese Gesellschaft zu einen, statt zu spalten.
egleiten Sie uns auf diesem Weg, ziehen Sie Ihren un-
auglichen Antrag zurück, und geben Sie Ihre überholten
enkschemata auf!
Michael Roth (Heringen) (SPD): Der Antrag der
raktion Die Linke ist populistisch und verantwortungs-
os. Die Pose der vermeintlich großen Europäer steht Ih-
en nicht: Ihr Vorschlag, einen neuen Verfassungstext zu
rarbeiten, käme einer Lähmung der EU gleich.
Ja, es stimmt: Die Unzufriedenheit mit Europa ist in
ielen Mitgliedstaaten gewachsen. Die Kluft zwischen
en Skeptikern und den Befürwortern eines politischen
uropas ist größer geworden. Der politische Konsens
ber Qualität und Ausrichtung des Integrationsprozesses
st brüchiger geworden. Entsprechend schwieriger wäre
ine Einigung auf einen grundlegend neuen Text. Die
erhandlungen wären langwierig und das Ergebnis si-
herlich weniger geeignet, Europa demokratischer, ent-
cheidungs- und zukunftsfähiger zu machen. Die Pro-
leme Europas blieben ungelöst, die Krise Europas
erschärfte sich.
8122 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 80. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Februar 2007
(A) )
(B) )
Der Verfassungsvertrag wurde von allen Staats- und
Regierungschefs der EU unterzeichnet. Er ist zwischen-
zeitlich von 18 Mitgliedstaaten ratifiziert worden. Das
sind zwei Drittel der 27 Mitgliedstaaten, die eine Mehr-
heit der Bürgerinnen und Bürger der EU repräsentieren.
Vier weitere Mitgliedstaaten haben signalisiert, dass sie
die Verfassung ratifizieren wollen. Schon deswegen
sollte er nicht ad acta gelegt werden.
Der jetzige Vertragstext ist das Ergebnis umfangrei-
cher und schwieriger Verhandlungen. Die Einigung auf
diesen Text beruht auf einem fragilen Gleichgewicht
zwischen den unterschiedlichen politischen, gesell-
schaftlichen, wirtschaftlichen und rechtlichen Interessen
der Mitgliedstaaten. Es geht dabei nicht nur um Ände-
rungen technischer Details. Es geht darum, Europa nach
innen und außen handlungsfähiger und demokratischer
zu machen. Die Europäische Union verpflichtet sich und
ihre Politik auf gesellschaftliche Werte, die in der
Grundrechtecharta verbrieft sind.
Die Bürger und Bürgerinnen wollen ein Europa, das
Antworten geben kann auf ihre Sorgen angesichts der
Globalisierung. Sie wollen ein besseres Europa, eines,
das handlungsfähiger, transparenter und demokratischer
ist. Dieses Europa ist im Verfassungsvertrag vorgesehen.
Der Verfassungsvertrag wagt mehr Demokratie: Er be-
kennt sich zu direkter Demokratie, er stärkt das Europäi-
sche Parlament, er bindet den Kommissionspräsidenten
stärker an die parlamentarische Mehrheit, er eröffnet den
nationalen Parlamenten neue Chancen der Mitwirkung.
Die EU braucht die im Verfassungsvertrag enthaltenen
Reformen dringend. Sie sind längst überfällig.
Der Verfassungskonvent war ein qualitativer Quan-
tensprung für die EU. Mit seiner mehrheitlich parlamen-
tarischen Zusammensetzung machte er Schluss mit der
„Hinterzimmerdiplomatie“. Aber es stimmt, dass sich
immer noch zu wenige Bürgerinnen und Bürger an der
Diskussion über die Verfassung beteiligt haben, obwohl
sie dazu eingeladen waren und ihnen zahlreiche Mög-
lichkeiten der Teilhabe offenstanden. Es stimmt auch,
dass die Berichterstattung über Entscheidungen auf EU-
Ebene in den deutschen Medien noch zu wünschen übrig
lässt. Offensichtlich hat die Öffentlichkeitsarbeit sowohl
der EU- als auch der nationalen Stellen die Bevölkerung
nicht wirklich erreicht. Hier muss in Zukunft mehr und
besser kommuniziert werden. Eine breite gesellschaftli-
che Unterstützung für das Projekt Europa ist eine we-
sentliche Voraussetzung für seine Zukunftsfähigkeit. Das
heißt aber nicht, dass wir einen neuen Verfassungstext
brauchen. Vielmehr müssen wir den jetzigen Verfas-
sungsvertrag so weit wie möglich erhalten und für seine
zügige Ratifizierung in allen Mitgliedstaaten sorgen.
Ihre Vorwürfe, die Verfassung sei unsozial, trüge zum
Lohnverfall, zur Arbeitslosigkeit und zur Verarmung bei,
ist nichts als billiger Populismus:
Der EU-Verfassungsvertrag erwähnt explizit die
Werte, auf denen die Union sich gründet und denen euro-
päische Politik verpflichtet ist. Dazu gehören „Solidari-
tät, Gerechtigkeit und Nichtdiskriminierung“. „Die
Union strebt ein Europa der nachhaltigen Entwicklung
auf der Grundlage eines ausgewogenen Wirtschafts-
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achstums an, eine in hohem Maße wettbewerbsfähige
oziale Marktwirtschaft, die auf Vollbeschäftigung und
ozialen Fortschritt abzielt, sowie ein hohes Maß an Um-
eltqualität. … Sie bekämpft soziale Ausgrenzung und
iskriminierungen und fördert soziale Gerechtigkeit und
ozialen Schutz …“ Das alles können Sie in den Artikeln
bis 3 des Verfassungsvertrages nachlesen. Was, bitte,
at das mit neoliberalem Marktrigorismus zu tun?
Ich glaube, ein Fehler den Sie, aber auch viele andere
achen, ist, dass Sie zu viel von einer Verfassung erwar-
en. Eine Verfassung allein schafft keine Politik der Soli-
arität und Gerechtigkeit. Sie bietet nur den Rahmen, in
em Politik gestaltet wird. Und dafür braucht man politi-
che Mehrheiten, auf nationaler und europäischer Ebene.
iese Mehrheiten fehlen Ihnen – zu unserem Glück.
Es steht im Übrigen jedem Mitgliedstaat frei, Gesetze
u verabschieden, die weitergehen als das EU-Recht.
echtsvorschriften zur sozialen Sicherheit, zur Tarifpoli-
ik, zum Streikrecht, zum Arbeitsmarkt waren und blei-
en auf der nationalen Ebene verankert.
Die EU war, ist und bleibt dem Frieden verpflichtet.
ass Europa außen- und sicherheitspolitisch zur Förde-
ung und Erhaltung des Friedens beitragen will und
uss, ist in der Verfassung festgeschrieben. Die Union
… trägt bei zu Frieden, Sicherheit, nachhaltiger Ent-
icklung der Erde, Solidarität und gegenseitiger Ach-
ung unter den Völkern, freiem und gerechtem Handel,
eseitigung der Armut und Schutz der Menschenrechte
sowie zur strikten Einhaltung und Weiterentwicklung
es Völkerrechts, insbesondere zur Wahrung der Grund-
ätze der Charta der Vereinten Nationen“. Diese Zielset-
ung beinhaltet ein sehr umfassendes Konzept von Frie-
en.
Kein Mitgliedstaat kann zu militärischen Einsätzen
erpflichtet werden. Diese bleiben in der nationalen Ent-
cheidungshoheit; auch der deutsche Parlamentsvorbe-
alt wird durch die Verfassung nicht angetastet. Aber je-
es Land kann sich an europäischen Einsätzen beteiligen.
ntscheidungen über solche Einsätze müssen einstimmig
m Ministerrat getroffen werden. Die Verfassung verbie-
et auch den Alleingang einzelner Staatengruppen der
U: Sie müssen sich zumindest im Rahmen der „ständi-
en strukturierten Zusammenarbeit“ und somit im Rah-
en der EU-Institutionen bewegen. Die von Ihnen gefor-
erten zivilen Einsatzkräfte gibt es bereits – sie werden
ier in Berlin beim Zentrum für Internationale Frie-
enseinsätze ausgebildet. Die Verfassung sieht außerdem
issionen vor, „bei deren Durchführung die Union auf
ivile und militärische Mittel zurückgreifen kann“.
Die Verfassung beinhaltet auch keine Verpflichtung
ur Aufrüstung, sie überlässt Rüstungsentscheidungen
en jeweiligen Mitgliedstaaten. Sie sieht aber vor, dass
ie militärischen Fähigkeiten der EU-Mitgliedsländer
ebündelt und der neuen Sicherheitslage angepasst wer-
en. Die „Rüstungsagentur“, die Sie abgeschafft sehen
ollen, entwickelt sich gerade zum europäischen Vorzei-
eprojekt. Sie heißt Europäische Verteidigungsagentur
nd ist vor allem mit der Ausschreibung und Vergabe der
üstungsaufträge beauftragt, die ohnehin von den Mit-
liedstaaten getätigt werden. Dabei dient sie der Verrin-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 80. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Februar 2007 8123
(A) )
(B) )
gerung von Kosten, indem sie Forschungs- und Entwick-
lungsbemühungen sowie Anschaffungskosten innerhalb
Europas koordiniert und Verdoppelungen verhindert.
Wenn wir die Welt sicherer und friedlicher machen
wollen, kommen wir um eine stringente gemeinsame
Außenpolitik nicht herum. Dazu gehört auch eine ge-
meinsame Sicherheits-, Verteidigungs- und vor allem
Entwicklungspolitik. Der Verfassungsvertrag sieht die
hierfür erforderliche Kompetenzbündelung in der Person
des gemeinsamen EU-Außenministers vor.
Der Verfassungsvertrag steht keineswegs für Still-
stand: er behebt den Stillstand. Den Stillstand hatten wir
vor Nizza, und den hätten wir wieder 2009, wenn bis da-
hin eine Einigung nicht zustande käme.
Der Verfassungsvertrag ist nicht tot. Er ist die Basis
für weitere Verhandlungen. Einen besseren Text bekom-
men wir nicht. Es ist nun an den Mitgliedstaaten, die ihn
abgelehnt haben, Vorschläge zu machen. Die Mitglied-
staaten, die bereits ratifiziert haben, erklärten sich ver-
gangenen Freitag in Madrid ausdrücklich bereit, Ände-
rungsvorschläge zu prüfen und zu verhandeln. Wichtig
ist, alle Mitglieder der EU unter das Dach dieses Vertra-
ges zu bekommen.
Die SPD-Fraktion wünscht der Bundesregierung allen
Erfolg bei ihren diplomatischen Bemühungen, den Rati-
fizierungsprozess wieder in Gang zu bringen und kon-
krete Lösungsvorschläge zu erarbeiten. Der Deutsche
Bundestag wird seinen Beitrag zum Gelingen dieses Pro-
jektes leisten. Der Antrag der Fraktion Die Linke leistet
allerdings nichts dergleichen. Er ist ein trauriger Beleg
des Scheiterns und der Verantwortungslosigkeit. Die
SPD-Fraktion lehnt ihre Vorschläge deshalb ab.
Markus Löning (FDP): Beiden hier vorliegenden
Anträgen ist eines gemeinsam: Sie stellen beide die
Bedeutung einer Verfassung für Europa heraus.
Auch die FDP sieht in einer europäischen Verfassung
eine große Chance, die Handlungsfähigkeit der Union
langfristig zu sichern und damit einen weiteren Schritt in
der europäischen Entwicklung zu gehen. Von Anfang an,
von Walter Scheel bis Klaus Kinkel, haben sich liberale
deutsche Außenminister leidenschaftlich für die europäi-
sche Idee eingesetzt. Europa ist bis zum heutigen Tag
nicht zuletzt deshalb eine außerordentliche Erfolgsge-
schichte.
Auch die heutige FDP-Bundestagsfraktion fühlt sich
mit der europäischen Idee und deren Werten verbunden
und auch verpflichtet. Das befreit uns aber nicht davon,
eine kritische Bestandsaufnahme vorzunehmen.
Die vielfältigen Beiträge in den letzten Wochen, vom
Altbundespräsidenten Roman Herzog bis hin zu Ihren
und unseren Anträgen, zeigen, dass es erheblichen
Bedarf an Diskussionen gibt. In meinen Augen ist diese
aktuelle Diskussion nicht der Untergang der europäischen
Idee oder der Beginn von Renationalisierungsbestrebun-
gen, wie es einem manchmal von allzu glühenden
Verfechtern entgegengeworfen wird. Nein, es ist der
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eginn von Normalität in der politischen Diskussion um
uropa – und das ist ein echter Fortschritt.
Sie schlagen heute zwei mögliche Wege aus der Ver-
assungsdiskussion vor. Die Linken fordern erwartungs-
emäß den Abschied von Freiheit und Marktwirtschaft
n Europa. Die Grünen fordern eine breite öffentliche
ebatte, ohne jedoch den Verfassungsentwurf inhaltlich
iskutieren zu wollen.
Meine Damen und Herren auf der linken Seite des
auses, beiden Anträgen wird die FDP nicht zustimmen.
ie Bundesregierung geht den Weg der Konsultation
nserer europäischen Partner. Nur so kann man auf Basis
es Unstrittigen das noch Strittige diskutieren. Die FDP-
raktion unterstützt diesen Weg und hat dies zu Beginn
er Ratspräsidentschaft auch öffentlich deutlich gemacht.
n den vorliegenden Anträgen soll nun praktisch das
rgebnis dieses Konsultationsverfahrens vorweggenom-
en werden. Das wäre nicht hilfreich.
Ich möchte noch einmal daran erinnern – allen
echenspielchen und Aufzählungen, wer nun schon alles
ugestimmt hat, zum Trotz –: Am Ende werden wir die
ustimmung aller Mitgliedstaaten brauchen, auch derer,
ie bisher eine ablehnende Position eingenommen haben.
lles, was man bisher von Tschechien, Polen, Frank-
eich, den Niederlanden oder Großbritannien hört, klingt
icht so, als ob Ihre Anträge dort Begeisterungsstürme
uslösen würden. Deshalb lassen Sie uns vor allem hören,
as unsere europäischen Partner zur Verfassung zu
agen haben, und lassen Sie uns dann die Diskussion
ühren. Am Ende werden wir die Menschen in Europa
nd in der Welt nicht durch die Verfassung begeistern.
nteressante Verfassungsprobleme gibt es überall auf der
elt.
Die Menschen überzeugen wir von Europa, indem wir
ie EU zu einem Europa der Erfolge machen. Dazu
ehört beispielsweise die Vollendung des Binnenmarktes,
ie letztendlich jedem Verbraucher in Europa – sei er
trom-, Gas-, Mobilfunkkunde oder sei es im Supermarkt,
ls Fluggastpassagier oder als Tourist in Europa – jeden
ag aufs Neue beweisen kann, dass sich Europa für
eden Einzelnen lohnt. Dazu brauchen wir Wettbewerb.
iesen herzustellen, wo er noch nicht vorhanden ist, wo
ich Monopole gebildet haben, das ist eine der vornehms-
n Aufgaben Europas. Hierzu brauchen wir aber mehr
ut, als ihn die Bundesregierung zeigt. Hier hat die EU
chon lange die Kompetenz, und genau an dieser Stelle
aben wir Liberale uns wesentlich mehr Ehrgeiz von der
atspräsidentschaft erhofft. Ermutigende Signale oder
nitiativen sind an dieser Stelle nicht gekommen.
Das, Frau Bundeskanzlerin, ist nicht nur schade,
ondern es ist auch schädlich für das Ansehen Europas.
ier könnten Sie für die Menschen in Deutschland und
uropa ungleich mehr erreichen. Hier verschläft
eutschland eine Riesenchance, wichtige Weichen für
ine EU der Erfolge für die Bürger zu stellen.
Alexander Ulrich (DIE LINKE): Auch wenn sich
er Club der Ja-Sager kürzlich in Madrid traf und die
undeskanzlerin einen geheimen Kreis zur Wiederbele-
8124 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 80. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Februar 2007
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(B) )
bung der EU-Verfassung zusammenruft: Die Verfassung
ist gescheitert.
Die Linke schließt sich der mehrheitlichen Kritik der
Franzosen und Niederländer am Verfassungsvertrag an.
In den Volksabstimmungen in Frankreich und den Nie-
derlanden ist das Vorhaben aus gutem Grunde geschei-
tert. Die jetzigen Debatten zeigen deutlich: Beide Länder
lehnen es ab, darüber in unveränderter Form noch ein-
mal abzustimmen. In Großbritannien, Polen oder Tsche-
chien ist die Verfassung in ihrer jetzigen Form zum Un-
thema geworden. Die jüngsten Äußerungen von
Altbundespräsident Roman Herzog sind ein deutlicher
Beweis dafür, dass die Kritik an der derzeitigen Verfasst-
heit der Europäischen Union immer breiter wird. Grüne
wie FDP fordern eine neue Verfassung. Die Staats- und
Regierungschefs haben die Reflektionsphase nicht ge-
nutzt. Stattdessen halten die 18 Befürworterländer an
dem gescheiterten Verfassungsvertrag fest.
Die Bundesregierung muss endlich zur Kenntnis neh-
men, dass der Ratifikationsprozess wegen des anhängi-
gen Verfahrens beim Bundesverfassungsgericht unter-
brochen ist. Der Bundestag hat am 12. Mai 2005 fast
ohne Aussprache den Entwurf eines Gesetzes zu dem
Vertrag vom 29. Oktober 2004 über eine EU-Verfassung
mit wenigen Gegenstimmen durchgewunken. Wir for-
dern den Bundestag auf, diesen Beschluss aufzuheben.
Erst dann hat die Bundesregierung wieder Handlungs-
freiheit, um nach Alternativen zu suchen.
Die Linke sagt Nein zu diesem neoliberalen und mili-
taristischen Verfassungsvertrag der europäischen Regie-
rungen. Diese Verfassung verfestigt das Demokratiedefi-
zit in der EU und legt die EU auf einen wirtschafts- und
währungspolitischen Kurs des rigorosen Neoliberalis-
mus fest.
Die EU präsentiert sich als „Binnenmarkt mit freiem
und unverfälschtem Wettbewerb“. Zahlreiche Richtli-
nien führen zur Privatisierung und Liberalisierung.
Große Teile der Daseinsvorsorge wurden schon für
Markt und Wettbewerb geöffnet. Lohn- und Sozialdum-
ping sind die Folge. Die EU-Dienstleistungsrichtlinie ist
zum Synonym dieser unsozialen Politik geworden.
Die sozialen und demokratischen Lebensinteressen
der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen wie-
der in den Vordergrund gerückt werden. In einer neuen
europäischen Verfassung muss das Grundprinzip des eu-
ropäischen Sozialmodells mit starker Sozial- und Wohl-
fahrtsstaatlichkeit verankert sein. Die bisher rechtlich
nicht verbindliche Grundrechtecharta ist zu präzisieren
und zu ergänzen und in die Verfassung aufzunehmen.
Darüber hinaus fordern wir die soziale Bindung des Ei-
gentumsrechts. Solche Bestimmungen, die den Marktra-
dikalismus einschränken, fehlen bisher völlig.
Im Bereich der Sicherheitspolitik enthält die Verfas-
sung die Verpflichtung, die militärischen Fähigkeiten der
EU schrittweise zu verbessern. Man muss sich schon fra-
gen, was eine Aufrüstungsverpflichtung überhaupt in der
Verfassung zu suchen hat. Um diesen Auftrag noch zu
erfüllen, sieht die Verfassung eine Rüstungsagentur vor,
die bereits eingerichtet wurde. Die EU verkauft die zu-
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ehmende Militarisierung der EU mit dem Argument
es Antiterrorkampfs.
Wie soll eine europäische Außenpolitik überhaupt
ussehen? Wir fordern eine europäische Außen- und Si-
herheitspolitik mit zivilem Charakter. Erste Schritte in
iese Richtung sind der Aufbau eines europäischen Frie-
ensdienstes und die Umwandlung der Rüstungsagentur
n eine Agentur für Abrüstung, Rüstungskontrolle und
onversion.
Wir gehen mit unserem Antrag mit klar formulierten
ckpunkten „Für eine demokratische, soziale und Frie-
en sichernde Verfassung der Europäischen Union“ in
ie Auseinandersetzung. Die Linke setzt auf einen de-
okratischen Neustart in der Verfassungsfrage. Wir
rauchen einen alternativen Verfassungsvertrag, der im
uropawahljahr 2009 den EU-Bürgerinnen und -Bür-
ern in Volksabstimmungen vorgelegt wird.
Ich fordere den Deutschen Bundestag auf, das Nein
er Franzosen und Niederländer zur Verfassung als
hance für eine soziale, friedliche und demokratische
uropäische Union zu nutzen. Nur so werden wir Euro-
as Bürgerinnen und Bürger für die europäische Idee
ewinnen. Die Linke, fordert die Bundesregierung wie-
erholt auf, während der Ratspräsidentschaft die Voraus-
etzungen für eine alternative Verfassung zu schaffen.
ur durch einen Neuanfang ist Europa aus der Krise zu
ühren. Europa muss sich verändern – damit es gelingt.
Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
EN): Lassen Sie mich das Wichtigste vorweg sagen:
ir Grüne wollen den Verfassungsvertrag für die Euro-
äische Union, und die Europäische Union braucht den
erfassungsvertrag. Denn der Vertrag von Nizza ist nicht
emacht für eine EU, in der 27 Mitglieder Entscheidun-
en treffen müssen. Die geltenden rechtlichen Grundla-
en sind zu eng geworden für die erweiterte EU. Sie be-
indern die Handlungsfähigkeit und sie entsprechen
icht unseren Demokratievorstellungen.
Für beides brauchen wir strukturelle Reformen. Die
rreichen wir mit dem Verfassungsvertrag: Er macht die
U demokratischer, effizienter und bürgernäher. Kriti-
er, wie jüngst Altbundespräsident Roman Herzog, be-
aupten das Gegenteil, aber das macht ihre Behauptun-
en nicht zutreffend. Ich nenne Ihnen drei Beispiele:
Erstens. Das Europäische Parlament erhält mehr
echte zur Kontrolle des Ministerrats.
Zweitens. Der Übergang zu Mehrheitsentscheidungen
m Rat und das System der doppelten Mehrheit machen
ie Entscheidungsfindung schneller und einfacher.
Drittens. Das Bürgerbegehren als ein Instrument di-
ekter Demokratie sichert den Bürgerinnen und Bürgern
ehr Mitspracherechte.
Es geht aber um mehr als die Strukturreformen. Es
eht um die Europäische Union als politische Union. Die
U ist kein statisches Gebilde. Vielmehr befindet sie
ich in einem ständigen Prozess, Veränderung ist ihr
erkmal. In ihrem dynamischen und kooperativen Cha-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 80. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Februar 2007 8125
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rakter liegen ihre Einzigartigkeit, ihr Potenzial und ihre
Strahlkraft. Wir wollen diesem dynamischen Projekt ei-
nen Rahmen geben und es zukunftsfähig machen.
Es ist viel von den Herausforderungen die Rede, die
die Nationalstaaten nicht mehr alleine bewältigen kön-
nen. Wenn wir die Aufgaben globaler Klimawandel,
sozial gerechte Gestaltung der Globalisierung, Energie-
versorgung, Proliferation, grenzüberschreitende Krimi-
nalität – um nur einige Stichworte zu nennen – gemein-
sam bewältigen wollen, brauchen wir eine ungefähre
Vorstellung davon, nach welchen Leitlinien wir handeln
wollen.
Wir Grüne wollen eine politische Union, die sich an
den Leitlinien nachhaltiger und ökologischer Politik, so-
zial gerechter Gestaltung der Globalisierung, einer sozia-
len und friedlichen Union, die als globale Akteurin mul-
tilaterale Strukturen stärkt und mit einer Stimme spricht,
orientiert. Wir müssen darüber reden, wie wir diese Leit-
linien in konkrete Politik übersetzen wollen und uns fra-
gen: Reicht der Verfassungsvertrag aus? Regelt er zu viel
oder zu wenig? Helfen Abkommen über bestimmte Poli-
tiken wie eine Energiestrategie oder eine Sozialcharta?
Ein dritter Punkt ist, wie über ein solches Dokument
mit den Bürgern und Bürgerinnen diskutiert wird und wie
sie in die Entscheidung einbezogen werden. Wir brau-
chen mehr Dialog mit den Bürgern und Bürgerinnen, die
sich mit dem Projekt identifizieren sollen. Die deutsche
Ratspräsidentschaft verhält sich hier äußerst unklug. Sie
erarbeitet die Berliner Erklärung über die Ziele und
Werte der EU in einem Closed Shop unter Ausschluss der
Öffentlichkeit. Selbst die Kritik der Europäischen Kom-
mission beeindruckt die Kanzlerin nicht.
Wir werden uns weiter für eine bürgernahe, demokra-
tische, rechtsstaatliche, friedliche und ökologischen wie
sozialen Standards verpflichtete EU einsetzen. Der Ver-
tragsentwurf bietet dafür eine gute Grundlage. Darum
wollen wir den Verfassungsvertrag, darum wollen wir
eine breite Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger, und
darum lehnen wir den Antrag der Linken ab.
Anlage 13
Amtliche Mitteilungen
Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben
mitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2
der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den
nachstehenden Vorlagen absieht:
Auswärtiger Ausschuss
– Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Parla-
mentarischen Versammlung der OSZE
Fünfzehnte Jahrestagung der Parlamentarischen Ver-
sammlung der OSZE vom 3. bis 7. Juli 2006 in Brüssel,
Belgien
– Drucksachen 16/2491, 16/3563 Nr. 1.1 –
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Ausschuss für Arbeit und Soziales
– Unterrichtung durch die Bundesregierung
Lagebericht der Bundesregierung über die Alterssiche-
rung der Landwirte 2005
– Drucksache 16/907 –
– Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung über die gesetzliche Ren-
tenversicherung, insbesondere über die Entwicklung
der Einnahmen und Ausgaben, der Nachhaltigkeits-
rücklage sowie des jeweils erforderlichen Beitragssatzes
in den künftigen 15 Kalenderjahren (Rentenversiche-
rungsbericht 2006)
und
Gutachten des Sozialbeirats zum Rentenversicherungs-
bericht 2006
– Drucksache 16/3700 –
Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben
itgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU-
orlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische
arlament zur Kenntnis genommen oder von einer Bera-
ung abgesehen hat.
Innenausschuss
Drucksache 16/2555 Nr. 2.120
Drucksache 16/3573 Nr. 1.7
Drucksache 16/3573 Nr. 2.25
Sportausschuss
Drucksache 15/3403 Nr. 1.1
Drucksache 16/629 Nr. 1.3
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Drucksache 16/150 Nr. 2.182
Drucksache 16/150 Nr. 2.222
Drucksache 16/288 Nr. 2.5
Drucksache 16/1748 Nr. 2.10
Drucksache 16/3382 Nr. 1.2
Drucksache 16/3382 Nr. 1.3
Drucksache 16/3382 Nr. 2.9
Drucksache 16/3382 Nr. 2.11
Drucksache 16/3573 Nr. 1.5
Drucksache 16/3573 Nr. 1.10
Drucksache 16/3573 Nr. 1.11
Drucksache 16/3897 Nr. 1.8
Drucksache 16/3897 Nr. 1.27
Drucksache 16/3897 Nr. 1.29
Ausschuss für Gesundheit
Drucksache 16/3573 Nr. 1.13
Drucksache 16/3573 Nr. 1.14
Drucksache 16/3573 Nr. 1.15
Drucksache 16/3573 Nr. 2.26
Drucksache 16/3713 Nr. 1.13
Drucksache 16/3897 Nr. 1.23
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Drucksache 16/3382 Nr. 2.24
Drucksache 16/3573 Nr. 1.16
Drucksache 16/3573 Nr. 1.17
Drucksache 16/3573 Nr. 1.18
Drucksache 16/3573 Nr. 1.19
8126 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 80. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Februar 2007
(A) (C)
(B) (D)
Drucksache 16/3573 Nr. 1.20
Drucksache 16/3573 Nr. 2.17
Drucksache 16/3573 Nr. 2.18
Drucksache 16/3573 Nr. 2.19
Drucksache 16/3897 Nr. 1.4
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit
Drucksache 16/481 Nr. 1.8
Ausschuss für die Angelegenheiten der
Europäischen Union
Drucksache 16/3713 Nr. 1.25
Ausschuss für Kultur und Medien
Drucksache 16/1942 Nr. 1.11
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80. Sitzung
Berlin, Freitag, den 2. Februar 2007
Inhalt:
Redetext
Anlagen zum Stenografischen Bericht
Anlage 1
Anlage 2
Anlage 3
Anlage 4
Anlage 5
Anlage 6
Anlage 7
Anlage 8
Anlage 9
Anlage 10
Anlage 11
Anlage 12
Anlage 13