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ID1607907400

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    Vokabeln: 1
    1. \n: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 16/79 c) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Sechzehntes Hauptgutachten der Mo- nopolkommission 2004/2005 (Drucksache 16/2460) . . . . . . . . . . . . . . . . d) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Anlagenband zum Sechzehnten Haupt- gutachten der Monopolkommission 2004/2005 (Drucksache 16/2461) . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Glos, Bundesminister BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rainer Brüderle (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ludwig Stiegler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Oskar Lafontaine (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/ Ruck, Anette Hübinger, Dr. Wolf Bauer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Sascha Raabe, Gabriele Groneberg, Dr. Bärbel Kofler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Die deutsche G-8- und EU-Präsidentschaft – neue Impulse für die Entwicklungspolitik (Drucksache 16/4160) . . . . . . . . . . . . . . . b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Zwölfter Bericht zur Entwicklungspoli- tik der Bundesregierung (Drucksache 15/5815) . . . . . . . . . . . . . . . c) Antrag der Abgeordneten Hellmut Königshaus, Dr. Karl Addicks, Harald Leibrecht, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Die Entwicklungszu- 7789 C 7789 D 7789 D 7792 C 7794 B 7797 A 7813 C 7813 D Deutscher B Stenografisch 79. Sitz Berlin, Donnerstag, de I n h a l Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachträgliche Ausschussüberweisungen . . . . Tagesordnungspunkt 3: a) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Jahreswirtschaftsbericht 2007 der Bun- desregierung Den Aufschwung für Reformen nutzen (Drucksache 16/4170) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Jahresgutachten 2006/07 des Sachver- ständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (Drucksache 16/3450) . . . . . . . . . . . . . . . . D M D R L J G T a 7787 A 7789 A 7789 B 7789 C DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Glos (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 7798 D 7801 A undestag er Bericht ung n 1. Februar 2007 t : r. Michael Meister (CDU/CSU) . . . . . . . . . artin Zeil (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . r. Rainer Wend (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Oskar Lafontaine (DIE LINKE) . . . . . . . . oland Claus (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . aurenz Meyer (Hamm) (CDU/CSU) . . . . . . oachim Poß (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . arrelt Duin (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . agesordnungspunkt 4: ) Antrag der Abgeordneten Dr. Christian 7802 B 7804 D 7806 A 7806 C 7807 C 7808 D 7811 A 7812 C sammenarbeit mit Schwellenländern auf eine neue Grundlage stellen (Drucksache 16/3839) . . . . . . . . . . . . . . . 7814 A II Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 d) Antrag der Abgeordneten Thilo Hoppe, Ute Koczy, Jürgen Trittin, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN: Reformen für eine gerechte Globalisierung – Deutsche G-8-Präsidentschaft für Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung nutzen (Drucksache 16/4151) . . . . . . . . . . . . . . . . Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin BMZ . . . . . . . . . . . . . . . Hellmut Königshaus (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Ute Koczy (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Christian Ruck (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE) . . . . . . . Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Walter Riester (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Anette Hübinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Dr. Sascha Raabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 34: a) Erste Beratung des vom Bundesrat einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reduzierung und Beschleunigung von immissionsschutzrechtlichen Genehmi- gungsverfahren (Drucksache 16/1337) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Paul Schäfer (Köln), Monika Knoche, Hüseyin-Kenan Aydin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN: Verzicht auf den Verkauf und das Überlassen von über- schüssigem Wehrmaterial (Drucksache 16/3350) . . . . . . . . . . . . . . . . c) Antrag der Abgeordneten Paul Schäfer (Köln), Monika Knoche, Hüseyin-Kenan Aydin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN: Stopp von staatli- chen Bürgschaften für Rüstungsexporte (Drucksache 16/3697) . . . . . . . . . . . . . . . . d) Antrag der Abgeordneten Cornelia Pieper, Dr. Christel Happach-Kasan, Hans- Michael Goldmann, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der FDP: Gründung eines Deutschen Biomasseforschungs- zentrums vorantreiben (Drucksache 16/3838) . . . . . . . . . . . . . . . . e) Antrag der Abgeordneten Dr. Karl Addicks, Hellmut Königshaus, Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und T A H g t ( Z a b T a b c 7814 A 7814 B 7816 A 7817 A 7818 B 7820 B 7821 A 7822 C 7823 D 7824 C 7826 A 7827 C 7827 C 7827 C 7827 D der Fraktion der FDP: Telekommunika- tionsmärkte in Entwicklungsländern liberalisieren – Die digitale Spaltung überwinden (Drucksache 16/4059) . . . . . . . . . . . . . . . agesordnungspunkt 32: ntrag der Abgeordneten Elke Hoff, Birgit omburger, Dr. Rainer Stinner, weiterer Ab- eordneter und der Fraktion der FDP: Attrak- ivität des Soldatenberufes steigern Drucksache 16/2836) . . . . . . . . . . . . . . . . . . usatztagesordnungspunkt 2: ) Erste Beratung des von den Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Volker Beck (Köln), Kai Gehring und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Re- form des Gesetzes über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonde- ren Fällen (Transsexuellengesetz – TSG) (Drucksache 16/4148) . . . . . . . . . . . . . . . ) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN: Diaspora – Potenziale von Migrantinnen und Migranten für die Entwicklung der Herkunftsländer nutzen (Drucksache 16/4164) . . . . . . . . . . . . . . . agesordnungspunkt 35: ) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Umwandlungsgesetzes (Drucksachen 16/2919, 16/4193) . . . . . . . ) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Umweltverträg- lichkeit von Wasch- und Reinigungsmit- teln (Wasch- und Reinigungsmittelge- setz – WRMG) (Drucksachen 16/3654, 16/4188) . . . . . . . ) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes über die Bereini- gung von Bundesrecht im Zuständig- keitsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie und des Bundesministeriums für Arbeit und So- ziales (Drucksachen 16/3657, 16/4196) . . . . . . . 7827 D 7828 A 7828 A 7828 A 7828 C 7828 D 7829 A Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 III d) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 21. Mai 2003 über Schadstofffreiset- zungs- und -verbringungsregister (Drucksachen 16/3755, 16/4189) . . . . . . . e) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ausführung des Pro- tokolls über Schadstofffreisetzungs- und -verbringungsregister vom 21. Mai 2003 sowie zur Durchführung der Ver- ordnung (EG) Nr. 166/2006 (Drucksachen 16/3756, 16/4189) . . . . . . . f) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu der Ver- einbarung vom 11. April 2006 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Re- publik Polen über die Durchführung des Übereinkommens vom 25. Februar 1991 über die Umweltverträglichkeits- prüfung im grenzüberschreitenden Rahmen (Vertragsgesetz zur Deutsch- Polnischen UVP-Vereinbarung) (Drucksachen 16/4011, 16/4190) . . . . . . . g) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einfüh- rung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen Ratsdok. 13076/06 (Drucksachen 16/4105 Nr. 2.96, 16/4192) h) Beschlussempfehlung des Rechtsaus- schusses: Übersicht 5 über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfas- sungsgericht (Drucksache 16/4058) . . . . . . . . . . . . . . . . i)–q) Beschlussempfehlungen des Petitionsaus- schusses: Sammelübersichten 162, 163, 164, 165, 166, 167, 168, 169 und 170 zu Petitionen (Drucksachen 16/4067, 16/4068, 16/4069, 16/4070, 16/4071, 16/4072, 16/4073, 16/4074, 16/4075) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 3: a)–i) Beschlussempfehlungen des Petitionsaus- schusses: Sammelübersichten 171, 172, Z A d s t O D D F I G W K M S D G A T a b c 7829 B 7829 C 7830 A 7830 B 7830 C 7830 C 173, 174, 175, 176, 177, 178 und 179 zu Petitionen (Drucksachen 16/4172, 16/4173, 16/4174, 16/4175, 16/4176, 16/4177, 16/4178, 16/4179, 16/4180) . . . . . . . . . . . . . . . . . . usatztagesordnungspunkt 4: ktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion er LINKEN: Protestaktionen der Gewerk- chaften zur Heraufsetzung des Rentenal- ers skar Lafontaine (DIE LINKE) . . . . . . . . . . r. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU) . . . . . . . . . . r. Heinrich L. Kolb (FDP) . . . . . . . . . . . . . . ranz Thönnes, Parl. Staatssekretär BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . rmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . erald Weiß (Groß-Gerau) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . erner Dreibus (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . laus Brandner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . ax Straubinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . ilvia Schmidt (Eisleben) (SPD) . . . . . . . . . . r. Michael Fuchs (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . regor Amann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . nton Schaaf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . agesordnungspunkt 5: ) Antrag der Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Marieluise Beck (Bre- men), Birgitt Bender, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN: Mädchen und Frauen vor Genitalverstümmelung schützen (Drucksache 16/3542) . . . . . . . . . . . . . . . ) Antrag der Abgeordneten Sibylle Laurischk, Dr. Karl Addicks, Burkhardt Müller-Sönksen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Genitalver- stümmelung von Mädchen und Frauen ächten und bekämpfen (Drucksache 16/3842) . . . . . . . . . . . . . . . ) Antrag der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann, Monika Knoche, Petra Pau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN: Weibliche Genitalver- 7831 A 7832 B 7833 C 7834 D 7836 A 7837 C 7839 A 7840 A 7841 B 7842 C 7843 C 7844 B 7845 C 7846 B 7847 C 7847 D IV Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 stümmelung verhindern – Menschen- rechte durchsetzen (Drucksache 16/4152) . . . . . . . . . . . . . . . . Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michaela Noll (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Sibylle Laurischk (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Angelika Graf (Rosenheim) (SPD) . . . . . . . . Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . . . Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Dr. Karl Addicks (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Christel Riemann-Hanewinckel (SPD) . . . . . Ursula Heinen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michaela Noll (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Renate Gradistanac (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 6: a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 20. Oktober 2005 über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen (Drucksachen 16/3711, 16/4144) . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Kultur und Medien zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Lukrezia Jochimsen, Dr. Petra Sitte, Dr. Lothar Bisky, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN: UNESCO-Übereinkommen zur kultu- rellen Vielfalt schnell ratifizieren (Drucksachen 16/457, 16/4144) . . . . . . . . c) – Zweite Beratung und Schlussabstim- mung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Übereinkommen vom 14. November 1970 über Maßnah- men zum Verbot und zur Verhütung der rechtswidrigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut (Drucksachen 16/1372, 16/4145) . . . . – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Ausführung des UNESCO-Übereinkommens vom 14. November 1970 über Maß- nahmen zum Verbot und zur Verhü- tung der rechtswidrigen Einfuhr, W C S D D M H M M T E e R ( B M M J D K T A ( K F z r ( H D D D W 7847 D 7848 A 7849 C 7850 D 7851 C 7852 D 7854 A 7855 A 7856 A 7857 B 7858 B 7858 D 7859 A 7859 D 7860 A 7860 B Ausfuhr und Übereignung von Kul- turgut (Ausführungsgesetz zum Kul- turgutübereinkommen – KGÜAG) (Drucksachen 16/1371, 16/4145) . . . . olfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . hristoph Waitz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . teffen Reiche (Cottbus) (SPD) . . . . . . . . . . . r. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE) . . . . . r. Uschi Eid (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . onika Grütters (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . ans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP) . . . . . . onika Grütters (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . onika Griefahn (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . agesordnungspunkt 7: rste Beratung des von der Bundesregierung ingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur eform des Versicherungsvertragsrechts Drucksache 16/3945) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . rigitte Zypries, Bundesministerin BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . echthild Dyckmans (FDP) . . . . . . . . . . . . . arco Wanderwitz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . erzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . irk Manzewski (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . laus-Peter Flosbach (CDU/CSU) . . . . . . . . agesordnungspunkt 8: ntrag der Abgeordneten Hans-Joachim Otto Frankfurt), Christoph Waitz, Jürgen oppelin, weiterer Abgeordneter und der raktion der FDP: Hauptstadtkulturfinan- ierung des Bundes in einem Staatsvertrag egeln Drucksache 16/3667) . . . . . . . . . . . . . . . . . . ans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP) . . . . . . orothee Bär (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . r. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . r. h. c. Wolfgang Thierse (SPD) . . . . . . . . . olfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7860 B 7860 C 7862 C 7864 B 7866 A 7867 B 7868 D 7870 C 7871 A 7871 C 7873 D 7874 A 7875 A 7876 B 7877 D 7878 C 7879 D 7881 A 7881 B 7882 C 7884 B 7885 B 7887 B Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 V Tagesordnungspunkt 9: a) Antrag der Abgeordneten Johann-Henrich Krummacher, Ilse Aigner, Michael Kretschmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Ab- geordneten Swen Schulz (Spandau), Jörg Tauss, René Röspel, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der SPD: Geistes- und Sozialwissenschaften stärken (Drucksache 16/4161) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Cornelia Hirsch, Volker Schneider (Saar- brücken), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN: Perspektiven für die Geistes- und Sozialwissenschaften verbessern (Drucksache 16/4154) . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 5: Antrag der Abgeordneten Cornelia Pieper, Uwe Barth, Patrick Meinhardt, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der FDP: Geis- tes-, Sozial- und Kulturwissenschaften stärken (Drucksache 16/4153) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Johann-Henrich Krummacher (CDU/CSU) . . Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Patrick Meinhardt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Swen Schulz (Spandau) (SPD) . . . . . . . . . . . . Jan Korte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . Krista Sager (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 10: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Ab- geordneten Wolfgang Gehrcke, Hüseyin- Kenan Aydin, Dr. Diether Dehm, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der LINKEN: Dauergenehmigungen für Militärflüge auf- heben (Drucksachen 16/857, 16/3831) . . . . . . . . . . . Niels Annen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Rainer Stinner (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G W J T Z d A c r s ( T A D s R ( i Z A S L F Z k ( M K D G W G T Z d G v ( 7888 B 7888 B 7888 C 7888 D 7889 B 7890 C 7891 C 7893 B 7894 A 7895 A 7895 B 7897 B 7898 B ert Winkelmeier (fraktionslos) . . . . . . . . . . olfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . . . Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . agesordnungspunkt 11: weite und dritte Beratung des von der Bun- esregierung eingebrachten Entwurfs eines chten Gesetzes zur Änderung des Versi- herungsaufsichtsgesetzes sowie zur Ände- ung des Finanzdienstleistungsaufsichtsge- etzes und anderer Vorschriften Drucksachen 16/1937, 16/2210, 16/4191) . . agesordnungspunkt 12: ntrag der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ IE GRÜNEN: Anforderungen an eine trategische Partnerschaft der EU mit ussland Drucksache 16/4155) . . . . . . . . . . . . . . . . . . n Verbindung mit usatztagesordnungspunkt 6: ntrag der Abgeordneten Dr. Werner Hoyer, abine Leutheusser-Schnarrenberger, Harald eibrecht, weiterer Abgeordneter und der raktion der FDP: Für eine konstruktive usammenarbeit mit Russland und einen ritischen Dialog Drucksache 16/4165) . . . . . . . . . . . . . . . . . . arieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . arl-Georg Wellmann (CDU/CSU) . . . . . . . . r. Werner Hoyer (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . ernot Erler, Staatsminister AA . . . . . . . . . . olfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . . . ert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD) . . . . . . agesordnungspunkt 13: weite und dritte Beratung des von der Bun- esregierung eingebrachten Entwurfs eines esetzes zur Vereinfachung des Insolvenz- erfahrens Drucksachen 16/3227, 16/4194) . . . . . . . . . . 7899 D 7900 B 7901 B 7901 B 7902 B 7902 D 7902 D 7903 A 7904 A 7905 B 7906 B 7907 A 7908 A 7909 B VI Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 Tagesordnungspunkt 14: Erste Beratung des von den Abgeordneten Ulrike Flach, Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes zur Änderung des Stammzell- gesetzes (Drucksache 16/383) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 15: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung eisenbahn- rechtlicher Vorschriften (Drucksachen 16/2703, 16/3037, 16/4169) . . Achim Großmann, Parl. Staatssekretär BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Patrick Döring (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Enak Ferlemann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Dorothée Menzner (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Uwe Beckmeyer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 15: Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsord- nung zum Widerruf der Genehmigung zur Durchführung von Ermittlungsmaßnah- men (Drucksache 16/4244) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 7: Bericht des Rechtsausschusses gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäftsordnung – zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Irmingard Schewe-Gerigk, Grietje Bettin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Gleichstellung der eingetra- genen Lebenspartnerschaft vollenden – zu dem Antrag der Abgeordneten Jörg van Essen, Sabine Leutheusser- Schnarrenberger, Michael Kauch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Gleiche Rechte, gleiche Pflichten – Be- nachteiligungen von Lebenspartner- schaften abbauen (Drucksachen 16/497, 16/565, 16/4057) . . . . V U M D C Z B s s B o A G V z p T d a K ( i Z B s H – – ( T A J F 7909 C 7909 D 7910 A 7911 A 7911 D 7913 A 7913 D 7914 D 7915 C 7915 D olker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . te Granold (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ichael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . r. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . hristine Lambrecht (SPD) . . . . . . . . . . . . . . usatztagesordnungspunkt 8: eschlussempfehlung und Bericht des Aus- chusses für die Angelegenheiten der Europäi- chen Union zu der Unterrichtung durch die undesregierung: Vorschlag für eine Ver- rdnung des Rates zur Errichtung einer gentur der Europäischen Union für die rundrechte orschlag für einen Beschluss des Rates ur Ermächtigung der Agentur der Euro- äischen Union für die Grundrechte, ihre ätigkeiten in den Bereichen nach Titel VI es Vertrags über die Europäische Union uszuüben OM (2005) 280 endg.; Ratsdok. 10774/05 Drucksachen 16/150 Nr. 2.65, 16/4246) . . . . n Verbindung mit usatztagesordnungspunkt 9: eschlussempfehlung und Bericht des Aus- chusses für Menschenrechte und Humanitäre ilfe zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Rainder Steenblock, Omid Nouripour, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Die Rechte der Bürgerinnen und Bürger in der EU stärken – Man- dat der Grundrechteagentur sinnvoll ausgestalten zu dem Antrag der Abgeordneten Markus Löning, Michael Link (Heilbronn), Christian Ahrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Eine Grund- rechteagentur der EU wird nicht ge- braucht Drucksachen 16/3617, 16/3621, 16/4195) . . agesordnungspunkt 16: ntrag der Abgeordneten Petra Pau, Ulla elpke, Sevim Dağdelen, Jan Korte und der raktion der LINKEN: Änderung des Bun- 7916 A 7917 A 7917 D 7918 C 7919 C 7920 B 7921 B 7921 C Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 VII despolizeigesetzes für Auslandseinsätze der Bundespolizei (Drucksache 16/3421) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 26: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung des Passgesetzes und weiterer Vorschriften (Drucksache 16/4138) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Gisela Piltz, Dr. Karl Addicks, Uwe Barth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Sicherheitslücken bei biometrischen Pässen beseitigen (Drucksache 16/854) . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Antrag der Abgeordneten Gisela Piltz, Dr. Karl Addicks, Daniel Bahr (Münster), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Keine Einführung des elektro- nischen Personalausweises (Drucksache 16/3046) . . . . . . . . . . . . . . . . d) Bericht des Ausschusses für Bildung, For- schung und Technikfolgenabschätzung ge- mäß § 56 a der Geschäftsordnung: Tech- nikfolgenabschätzung hier: TA-Projekt: Biometrie und Aus- weisdokumente – Leistungsfähigkeit, politische Rahmenbedingungen, rechtli- che Ausgestaltung Zweiter Sachstandsbericht (Drucksache 15/4000) . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 10: Antrag der Abgeordneten Wolfgang Wieland, Volker Beck (Köln) und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Daten- schutz und Bürgerrecht bei der Einfüh- rung biometrischer Ausweise wahren (Drucksache 16/4159) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 18: Antrag der Abgeordneten Bärbel Höhn, Jerzy Montag, Ulrike Höfken, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN: Verbot von Telefonwerbung zum Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher wirksam durchsetzen (Drucksache 16/4156) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 19: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur N ( T A G D n c s A f ( T E e E V ( T A K o H M ( T a b c 7922 A 7922 C 7922 C 7922 D 7922 D 7923 A 7923 B euregelung des Rechtsberatungsrechts Drucksache 16/3655) . . . . . . . . . . . . . . . . . . agesordnungspunkt 20: ntrag der Abgeordneten Hans-Michael oldmann, Dr. Christel Happach-Kasan, r. Edmund Peter Geisen, weiterer Abgeord- eter und der Fraktion der FDP: Planungssi- herheit für Landwirte und Milchwirt- chaft durch definitiven Beschluss zum uslaufen der Milchquotenregelung schaf- en Drucksache 16/3345) . . . . . . . . . . . . . . . . . . agesordnungspunkt 21: rste Beratung des von der Bundesregierung ingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur rgänzung des Rechts zur Anfechtung der aterschaft Drucksache 16/3291) . . . . . . . . . . . . . . . . . . agesordnungspunkt 22: ntrag der Abgeordneten Jörn Wunderlich, laus Ernst, Dr. Lothar Bisky, weiterer Abge- rdneter und der Fraktion der LINKEN: eimbericht im Bundestag diskutieren – issstände offenlegen und bekämpfen Drucksache 16/3696) . . . . . . . . . . . . . . . . . . agesordnungspunkt 23: ) Antrag der Abgeordneten Dorothee Bär, Ilse Aigner, Michael Kretschmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/ CSU sowie der Abgeordneten Renate Schmidt (Nürnberg), Dr. Ernst Dieter Rossmann, Jörg Tauss, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der SPD: BAföG an neue Entwicklungen anpassen – Aus- zubildende mit Kindern unterstützen, Auslandsaufenthalte erleichtern, Mi- grantenförderung verbessern und Hin- zuverdienstgrenzen erhöhen (Drucksache 16/4162) . . . . . . . . . . . . . . . ) Antrag der Abgeordneten Ina Lenke, Uwe Barth, Sibylle Laurischk, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der FDP: Stu- dierende Mütter durch die Sofortmaß- nahme Baby-BAföG unterstützen (Drucksache 16/3142) . . . . . . . . . . . . . . . ) Antrag der Abgeordneten Cornelia Hirsch, Dr. Petra Sitte, Volker Schneider (Saar- brücken), weiterer Abgeordneter und der 7923 D 7924 A 7924 B 7924 C 7924 D 7924 D VIII Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 Fraktion der LINKEN: Statt Nullrunde – BAföG angleichen (Drucksache 16/4157) . . . . . . . . . . . . . . . . d) Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Grietje Bettin, Ekin Deligöz, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN: Sofortmaß- nahmen beim BAföG – für mehr Zugangsgerechtigkeit und höhere Bil- dungsbeteiligung (Drucksache 16/4158) . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 17: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ab- satzfondsgesetzes und des Holzabsatz- fondsgesetzes (Drucksache 16/4149) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 25: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zusatzprotokoll vom 12. Septem- ber 2002 zum Übereinkommen vom 16. November 1989 gegen Doping (Drucksache 16/4012) . . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 11: Antrag der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN: Bekämpfung des Dopings im Sport (Drucksache 16/4166) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Berichtigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über die Be- schlussempfehlung: Sammelübersicht 167 zu Petitionen (Drucksache 16/4072) . . . . . . . . . . A N s F L F A Z E V p S A Z d d s t t K D F D D A Z d c n D D S W J A A Z d 7925 A 7925 A 7925 C 7925 C 7925 D 7926 C 7926 A, B 7927 A 2927 B nlage 3 euabdruck der Antwort des Parlamentari- chen Staatssekretärs Peter Altmaier auf die ragen der Abgeordneten Petra Pau (DIE INKE) (78. Sitzung, Drucksache 16/4133, ragen 6 und 7) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . nlage 4 u Protokoll gegebene Rede zur Beratung des ntwurfs eines Gesetzes zur Reform des ersicherungsvertragsrechts (Tagesordnungs- unkt 7) evim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . nlage 5 u Protokoll gegebene Reden zur Beratung es Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Än- erung des Versicherungsaufsichtsgesetzes owie zur Änderung des Finanzdienstleis- ungsaufsichtsgesetzes und anderer Vorschrif- en (Tagesordnungspunkt 11) laus-Peter Flosbach (CDU/CSU) . . . . . . . . r. Hans-Ulrich Krüger (SPD) . . . . . . . . . . . rank Schäffler (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . r. Axel Troost (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . r. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . nlage 6 u Protokoll gegebene Reden zur Beratung es Entwurfs eines Gesetzes zur Vereinfa- hung des Insolvenzverfahrens (Tagesord- ungspunkt 13) r. Günter Krings (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . irk Manzewski (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . abine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . olfgang Nešković (DIE LINKE) . . . . . . . . . erzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . lfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . nlage 7 u Protokoll gegebene Reden zur Beratung es Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung 7927 C 7927 D 7928 D 7929 D 7930 D 7931 B 7931 D 7932 C 7934 B 7935 A 7935 C 7936 C 7937 A Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 IX des Stammzellgesetzes (Tagesordnungs- punkt 14) Eberhard Gienger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . René Röspel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulrike Flach (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Monika Knoche (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Unterrichtung: Vorschlag für eine Verord- nung des Rates zur Errichtung einer Agen- tur der Europäischen Union für die Grund- rechte Vorschlag für einen Beschluss des Rates zur Ermächtigung der Agentur der Euro- päischen Union für die Grundrechte, ihre Tätigkeiten in den Bereichen nach Titel VI des Vertrags über die Europäische Union auszuüben – Antrag: Die Rechte der Bürgerinnen und Bürger in der EU stärken – Mandat der Grundrechteagentur sinnvoll ausgestalten – Antrag: Eine Grundrechteagentur der EU wird nicht gebraucht (Zusatztagesordnungspunkte 8 und 9) Holger Haibach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Thomas Silberhorn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Christoph Strässer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Axel Schäfer (Bochum) (SPD) . . . . . . . . . . . . Christian Ahrendt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Hakki Keskin (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Änderung des Bundespolizeige- setzes für Auslandseinsätze der Bundespolizei (Tagesordnungspunkt 16) Ralf Göbel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Gunkel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Gisela Piltz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . S G A Z – – – – – ( o F G J W P G A Z d S w p J D D H K B 7937 D 7939 A 7939 D 7940 C 7941 D 7942 D 7943 B 7944 A 7945 A 7945 D 7946 B 7946 B 7947 C 7948 C 7949 C 7950 A ilke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ert Winkelmeier (fraktionslos) . . . . . . . . . . . nlage 10 u Protokoll gegebene Reden zur Beratung Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Passgesetzes und weiterer Vorschriften Antrag: Sicherheitslücken bei biometri- schen Pässen beseitigen Antrag: Keine Einführung des elektroni- schen Personalausweises Bericht: Technikfolgenabschätzung hier: TA-Projekt: Biometrie und Ausweis- dokumente – Leistungsfähigkeit, politi- sche Rahmenbedingungen, rechtliche Ausgestaltung Zweiter Sachstandsbericht Antrag: Datenschutz und Bürgerrecht bei der Einführung biometrischer Ausweise wahren Tagesordnungspunkt 26 a bis d, Zusatztages- rdnungspunkt 10) rank Hofmann (Volkach) (SPD) . . . . . . . . . . isela Piltz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . an Korte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . olfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . eter Altmaier, Parl. Staatssekretär BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ert Winkelmeier (fraktionslos) . . . . . . . . . . . nlage 11 u Protokoll gegebene Reden zur Beratung es Antrags: Verbot von Telefonwerbung zum chutz der Verbraucherinnen und Verbraucher irksam durchsetzen (Tagesordnungs- unkt 18) ulia Klöckner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . r. Günter Krings (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . irk Manzewski (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . ans-Michael Goldmann (FDP) . . . . . . . . . . arin Binder (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . ärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7950 D 7951 B 7952 B 7953 B 7955 A 7956 A 7956 D 7958 B 7958 D 7960 A 7961 A 7961 D 7963 A 7963 C X Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts (Tagesordnungs- punkt 19) Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Christine Lambrecht (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Mechthild Dyckmans (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Planungssicherheit für Land- wirte und Milchwirtschaft durch definitiven Beschluss zum Auslaufen der Milchquotenre- gelung schaffen (Tagesordnungspunkt 20) Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD) . . . . . . . . . . . . Hans-Michael Goldmann (FDP) . . . . . . . . . . Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . . . Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär BMELV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Rechts zur Anfechtung der Vaterschaft (Tagesordnungspunkt 21) Ute Granold (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Uwe Benneter (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A Z d k k M W S D B A Z d – – – – ( D R U C K A A Z d d f M G H 7964 A 7965 B 7967 A 7968 A 7969 D 7970 D 7971 D 7973 B 7974 A 7974 D 7975 B 7976 B 7977 B 7978 A 7979 B 7980 A 7981 A nlage 15 u Protokoll gegebene Reden zur Beratung es Antrags: Heimbericht im Bundestag dis- utieren – Missstände offenlegen und be- ämpfen (Tagesordnungspunkt 22) arkus Grübel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . olfgang Spanier (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . ibylle Laurischk (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . r. Ilja Seifert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . ritta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . nlage 16 u Protokoll gegebene Reden zur Beratung er Anträge: BAföG an neue Entwicklungen anpassen – Auszubildende mit Kindern unterstützen, Auslandsaufenthalte erleichtern, Migran- tenförderung verbessern und Hinzuver- dienstgrenzen erhöhen Studierende Mütter durch die Sofortmaß- nahme Baby-BAföG unterstützen Statt Nullrunde – BAföG angleichen Sofortmaßnahmen beim BAföG – für mehr Zugangsgerechtigkeit und höhere Bildungsbeteiligung Tagesordnungspunkt 23 a bis d) orothee Bär (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . enate Schmidt (Nürnberg) (SPD) . . . . . . . . we Barth (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ornelia Hirsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . ai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ndreas Storm, Parl. Staatssekretär BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . nlage 17 u Protokoll gegebene Reden zur Beratung es Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung es Absatzfondsgesetzes und des Holzabsatz- ondsgesetzes (Tagesordnungspunkt 17) arlene Mortler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . ustav Herzog (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . ans-Michael Goldmann (FDP) . . . . . . . . . . 7981 A 7982 D 7983 C 7984 C 7985 C 7986 B 7987 A 7988 A 7989 A 7989 D 7990 D 7992 B 7993 D 7994 C Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 XI Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . . . Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 18 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zusatz- protokoll vom 12. September 2002 zum Übereinkommen vom 16. November 1989 gegen Doping – Antrag: Bekämpfung des Dopings im Sport (Tagesordnungspunkt 25, Zusatztagesord- nungspunkt 11) Bernd Heynemann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Dr. Peter Danckert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Dagmar Freitag (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Detlef Parr (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Katrin Kunert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7995 A 7996 B 7997 C 7998 C 7999 B 8000 B 8001 A 8001 D 8002 C Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 7787 (A) ) (B) ) 79. Sitz Berlin, Donnerstag, de Beginn: 9.0
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    Berichtigungen 78. Sitzung, Seite IV Anlage 6 und Seite 7782 (D), Die Frage 17 wurde von der Parlamentarischen Staats- sekretärin Marion Caspers-Merk beantwortet. 78. Sitzung, Seite 7782 (D) vierter Absatz, der erste Satz ist wie folgt zu lesen: „In der privaten Krankenver- sicherung waren im Jahr 2005 laut Angaben des PKV- Verbandes 1,55 Millionen Kinder voll versichert.“ Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 7927 (A) (C) (B) (D) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Volker Beck (Köln) (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung: Sammelübersicht 167 zu Petitionen (Drucksache 16/4072) Ich erkläre im Namen der Fraktion des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN, dass unser Votum „Nein“ lautet. Anlage 3 Neuabdruck der Antwort des Parl. Staatssekretärs Peter Altmaier auf die Fragen der Abgeordneten Petra Pau (DIE LINKE) (78. Sit- zung, Drucksache 16/4133, Fragen 6 und 7): Wie vielen Menschen in der Bundesrepublik Deutschland, die im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis oder ei- ner Aufenthaltsberechtigung waren, ist seit 1998 diese Auf- enthaltserlaubnis nach § 44 Abs. 1 Nr. 3 des Ausländergeset- zes nach unfreiwilliger Abwesenheit von sechs Monaten entzogen worden? Wie oft wurde in derlei Fällen von Bundes- oder Landes- behörden derjenige Staat und dessen Behörden, in dem sich der Ausländer unfreiwillig aufhielt, gebeten, ihm seinen Rei- sepass abzunehmen und einer deutschen konsularischen Ver- tretung zu überlassen, damit diese den darin befindlichen Auf- enthaltstitel für Deutschland als ungültig abstempeln konnte? Derzeit (Stand 31. Dezember 2006) sind im Auslän- derzentralregister (AZR) rund 2,9 Millionen aufhältige Drittstaatsangehörige mit einer unbefristeten Aufent- haltserlaubnis, Aufenthaltsberechtigung oder Niederlas- sungserlaubnis bzw. vom Erfordernis einer Aufenthalts- erlaubnis befreite Personen erfasst. Daneben wird gegebenenfalls der Sachverhalt „Aufenthaltstitel wider- rufen/erloschen“ gespeichert, nicht aber die Gründe für einen Widerruf oder ein Erlöschen des Aufenthaltstitels. Angaben zu den Fragen 1 und 2 können daher nicht ge- macht werden. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsrecht (Tages- ordnungspunkt 7) Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Wir sprechen heute über den Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Versi- cherungsvertragsrechts. Dies ist schon deshalb erfreu- lich, weil das bisher bestehende auf seinen 100. Geburts- tag zusteuert und sich schon längst nicht mehr auf der Höhe der Zeit befindet. Noch erfreulicher ist, dass die Reformbestrebungen – anders als in vielen anderen Bereichen der Justizpoli- tik – in die richtige Richtung gehen. Hat es die Große Koalition bisher nahezu ausnahmslos geschafft, das Wort „Reform“ als Synonym für Rechtsverkürzungen zu gebrauchen, erfährt der Verbraucherschutz hier tatsäch- lich einige grundlegende Verbesserungen. Zu nennen ist beispielsweise die überfällige Aufgabe des Alles-oder- Nichts-Prinzips. Die Neufassung des Versicherungsvertragsgesetzes war durch europarechtliche Vorgaben und ein Urteil der Ihnen gut bekannten Damen und Herren aus Karlsruhe entscheidend bedingt. Hinsichtlich des Knackpunktes der Reform, der Beteiligung der Kunden an den ange- häuften stillen Reserven der Versicherungen, war sie so- Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Barthle, Norbert CDU/CSU 01.02.2007 Bülow, Marco SPD 01.02.2007 Burchardt, Ulla SPD 01.02.2007 Eichel, Hans SPD 01.02.2007 Eymer (Lübeck), Anke CDU/CSU 01.02.2007 Heil, Hubertus SPD 01.02.2007 Hempelmann, Rolf SPD 01.02.2007 Hilsberg, Stephan SPD 01.02.2007 Kasparick, Ulrich SPD 01.02.2007 Dr. Krogmann, Martina CDU/CSU 01.02.2007 Lopez, Helga SPD 01.02.2007 Merten, Ulrike SPD 01.02.2007 Müller (Düsseldorf), Michael SPD 01.02.2007 Nahles, Andrea SPD 01.02.2007 Pflug, Johannes SPD 01.02.2007 Ramelow, Bodo DIE LINKE 01.02.2007 Schäfer (Bochum), Axel SPD 01.02.2007 Dr. Schavan, Annette CDU/CSU 01.02.2007 Schummer, Uwe CDU/CSU 01.02.2007 Dr. Tabillion, Rainer SPD 01.02.2007 Wellenreuther, Ingo CDU/CSU 01.02.2007 Westrich, Lydia SPD 01.02.2007 7928 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 (A) (C) (B) (D) gar erzwungen. Die Hüter unserer Verfassung prangerten nämlich an, dass die an den Inhaber einer Lebensver- sicherung ausgezahlte Gewinnbeteiligung zu gering sei, da eine Berücksichtigung der stillen Reserven der Versi- cherungen nicht erfolge. Dies verstoße gegen die Grund- rechte der Versicherten aus Art. 2 Abs. und Art. 14 Abs. l GG. Eine angemessene Beteiligung der Verbrau- cher sei durch den Gesetzgeber bis zum Ende des Jahres 2007 zu gewährleisten, so das Bundesverfassungsgericht weiter. Nur am Rande sei bemerkt: Im Umkehrschluss ergibt sich daraus, dass bislang eine verfassungswidrige und damit ungerechtfertigte Bereicherung der Versicherungs- unternehmen auf Kosten der Verbraucher erfolgte. Dafür trägt der Gesetzgeber die Verantwortung. Es ist seine originäre Aufgabe, eine Wirtschafts- und Rechtsordnung zu schaffen, die den Grundrechten der Bürgerinnen und Bürger gerecht wird. Davon sind wir weit entfernt. Aber wenigstens hier, wo der Bürger als Verbraucher auftritt, erscheint er der Bundesregierung schützenswert. Zumin- dest für ihn wird jetzt der Versuch unternommen, ein Mehr an Verteilungsgerechtigkeit herzustellen. Nach dem Gesetzentwurf sollen die Inhaber von Le- bensversicherungen nunmehr immerhin zur Hälfte an den stillen Reserven, die mit ihrem Vermögen und dem Vermögen anderer Versicherter erwirtschaftet wurden, beteiligt werden. Dies begrüßen wir ausdrücklich. Wir halten auch die gesetzliche Vorgabe einer festen Auszah- lungsquote für richtig. Diese schafft Rechtssicherheit, wohingegen die ursprünglich im Referentenentwurf vor- gesehene „angemessene“ Beteiligung die Definitionsho- heit über die Angemessenheit bei den Versicherungsun- ternehmen beließ. Der Verbraucher sollte in den vorprogrammierten Zweifelsfällen auf den langen und mühsamen Rechtsweg verwiesen werden. Die Frage der Überschussbeteiligung ist untrennbar mit einem anderen zentralen Punkt der Reform verbun- den. Denn nur wer weiß, wie groß der ganze Kuchen ist, kann erkennen, ob sein Stück angemessen ist oder ob er mit Krümeln abgespeist wird. Von entscheidender Be- deutung für die Überschussbeteiligung, aber auch für das gesamte Versicherungsvertragsrecht ist also Transparenz in allen Bereichen. Nur durch sie ist sichergestellt, dass der Verbraucher nicht das Opfer einer Mogelpackung wird. Nur sie befähigt ihn, das Versicherungswesen vom Versicherungsunwesen zu unterscheiden. Der Begriff Transparenz hat im Moment Hochkon- junktur. Doch nicht überall, wo „Transparenz“ drauf- steht, ist auch Transparenz drin. Gerade diejenigen, die wirkliche Transparenz scheuen wie der Teufel das Weih- wasser, reden von ihr allenthalben und verfahren dabei leider allzu oft nach dem Motto: Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast. Unter wirklicher Transparenz im Versicherungsvertragsrecht verstehen wir, dass die derzeit vermengten Vorgänge Versicherung, Sparen und Dienstleistungen und die dafür aufgebrach- ten und aufzubringenden Gelder der Versicherten vom Angebot des Versicherungsvertrags bis in die Bilanzen getrennt und identifizierbar gemacht werden. Nur so kann verhindert werden, dass – wie bisher – Gewinne aus Überschüssen der Versicherungs- und Sparvorgänge den Unternehmen statt den Versicherten zugutekommen. Im vorliegenden Entwurf sind in diesem Bereich ent- scheidende Fortschritte erzielt worden. Zu erwähnen sind die verbesserte Beratung und Information der Versi- cherungsnehmer im Vorfeld des Vertragsabschlusses und der Abschied vom Policenmodell. Allerdings besteht hier unter anderem an einem entscheidenden Punkt Nachbesserungsbedarf: Nach dem Entwurf sollen Minis- terien durch Verordnung festlegen, welche Informatio- nen der Versicherer vor dem Abschluss einer Lebensver- sicherung über zu erwartende Leistungen und Kosten mitteilen muss. Es ist sogar in das Belieben der Verwal- tung gestellt, ob sie Transparenz bei anderen Versiche- rungsverträgen, die entscheidende Elemente der Lebens- versicherung enthalten, überhaupt vorschreibt oder nicht. Diese Regelung lehnen wir aus zwei Gründen ab: Zum einen sind die Informationspflichten für Lebensver- sicherungen zwingend auch auf Unfall- und Berufsunfä- higkeitsversicherungen mit Beitragsrückgewähr und an- dere kapitalbildende Versicherungen auszuweiten. Zum anderen betrifft die Entscheidung über Informations- pflichten die Hauptleistungspflichten des Vertrages. Mit ihr steht und fällt ein guter Teil des intendierten Verbrau- cherschutzes. Sie hat der Gesetzgeber daher selbst zu treffen. Um zu diesem Schluss zu gelangen, muss man gar nicht die vielfältigen Medienberichte über den guten Kontakt zwischen Lobbyisten und Ministerien bemühen, denn schon das Prinzip der Gewaltenteilung legt nahe: Der Bundestag darf sich in dieser wesentlichen Frage nicht aus der Verantwortung stehlen. Er schuldet dem Verbraucher wie dem Bürger Transparenz. Keinem von beiden darf die Katze im Sack verkauft werden. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Achten Geset- zes zur Änderung des Versicherungsaufsichts- gesetzes sowie zur Änderung des Finanzdienst- leistungsaufsichtsgesetzes und anderer Vor- schriften (Tagesordnungspunkt 11) Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU): Wir debattie- ren heute über die Umsetzung einer europäischen Richt- linie. Es geht wieder einmal um das Thema der Schaf- fung eines Binnenmarktes in Europa. Konkret geht es unter anderem um die Aufsicht von Rückversicherungs- unternehmen. Das sind Versicherungsunternehmen, die sich wegen der Höhe des Risikos selbst bei anderen Versicherungsunternehmen versichern, also rückversi- chern. Hierzulande ansässige Rückversicherungsunter- nehmen unterliegen jetzt nach dem Sitzlandprinzip als Inländer in Deutschland der Aufsicht. Denn nicht nur für den Verbraucher ist es wichtig, dass sein Vertragspartner, das Versicherungsunternehmen, jederzeit den Versiche- rungsschutz gewährleistet. Das gilt auch für die Versi- cherungsunternehmen, die zusätzlichen Versicherungs- schutz bei einem Rückversicherungsunternehmen einge- kauft haben. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 7929 (A) (C) (B) (D) Dieses Thema hat für uns eine große Bedeutung, weil deutsche Rückversicherungsunternehmen weltweit füh- rend sind. Wenn wir also die Aufsicht über Rückversi- cherungsunternehmen in Europa harmonisieren, dann wollen wir gleiche Bedingungen für alle Versicherungs- unternehmen in Europa. Gleichzeitig müssen wir aber beachten, dass die Rückversicherungsunternehmen nicht nur in Europa, sondern weltweit tätig sind. Wir dürfen unseren Unternehmen keine Fußangeln anlegen, sondern wir müssen die internationale Wettbewerbsfähigkeit im Auge behalten. Das ist uns mit Umsetzung der Richtlinie in deutsches Recht gelungen. Und ich danke den Oppo- sitionsparteien, FDP und Bündnis 90/Die Grünen, dass wir mit großer Mehrheit das Gesetz verabschieden kön- nen. Eine gute Versicherungsaufsicht ist auch im interna- tionalen Geschäft ein Qualitätsmerkmal. Die Regeln der Aufsicht dürfen allerdings nicht strangulierend sein, ge- rade wenn es um weltweiten Wettbewerb geht. Wir müs- sen stets beachten, was weltweit Standard ist. Das heißt wenn wir Mindestbestimmungen definieren, müssen diese international kompatibel sein, denn Rückversiche- rungsunternehmen kooperieren wegen der großen Risi- ken in aller Regel mit anderen international tätigen Rückversicherern. Nationale Alleingänge machen kei- nen Sinn. Ich freue mich, dass auch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht – das ist die deutsche Versicherungsaufsicht – dies so sieht. Wir haben bei unseren Beratungen sehr intensiv die Aufsicht bei Konzernen diskutiert, insbesondere wenn eine Bündelung über Holdinggesellschaften erfolgt. Die 7. Novelle des Versicherungsaufsichtsgesetzes hat dies im Wesentlichen bereits geregelt, denn die Aufsicht kann heute in die Holdinggesellschaften eingreifen, wenn sie es für notwendig hält. Wir wollen die Aufsicht nur dort, wo Schutzgründe eine Versicherungsaufsicht verlangen. Wir wollen keine neue Bürokratie für die Unternehmen mit kostenträchtigen und zeitintensiven Berichtspflich- ten der Holdingsgesellschaften aufbauen, beispielsweise wenn aus betriebswirtschaftlichen Gründen ohne unmit- telbaren Kontakt zum Versicherungsnehmer oder wegen der Spartentrennung Zwischenholdings eingerichtet wer- den. Die Aufsicht muß überall dort Zugriff haben, wo Leitungsfunktionen für den Konzern und damit auch für Erstversicherungsunternehmen ausgeübt werden. Wir stimmen mit der Bundesanstalt für Finanzdienstleis- tungsaufsicht darin überein, dass die Aufsicht nicht greift, wo nachweislich keine Leitungsfunktion ausgeübt wird. Die öffentliche Anhörung von Experten sowie die Beratungen im Ausschuss haben zu zahlreichen Verän- derungen des Gesetzesentwurfes der Bundesregierung geführt, beispielsweise Veränderungen von Begriffsdefi- nitionen. So haben wir international tätige deutsche Unternehmen dadurch stärken können, dass die Versiche- rungsvermittlung als verbundenes Geschäft von Rück- versicherungsunternehmen angesehen wird. Die speziel- len Vorschriften über die Versicherungsvermittlung gelten damit nicht beim Betreiben von Rückversicherun- gen. Dies wäre im Auslandsgeschäft für deutsche Rück- versicherer von Nachteil gewesen. In einem anderen Zu- sammenhang haben wir die Definition der Pensionskasse geändert. Nach der bisherigen Definition sollten Leistun- gen aus der Pensionskasse erst dann möglich sein, wenn das Erwerbseinkommen weggefallen war. Wir bringen mit der Neudefinition das Aufsichtsrecht mit den arbeits- und steuerlichen Regeln in Einklang, wonach Zahlungen aus der BAV bereits ab dem 60. Lebensjahr möglich sind, also auch Teilrenten möglich sind, soweit das normale Erwerbseinkommen zum Beispiel wegen Teilzeitarbeit reduziert ist. Die weitere Entwicklung der BAV wird uns auch bei den Aufsichtsthemen begleiten. So wollen wir bei einer weiteren Novellierung des Versicherungsaufsichtsgeset- zes auch das Thema der kapitalmäßigen Unterdeckung bei Pensionsfonds angehen. Diese Durchführungsform der BAV wird nach der Umsetzung der Pensionsfonds-Richtlinie deutlich zu- nehmen. Wir haben insbesondere größeren Unternehmen hier eine Möglichkeit eröffnet, eine langfristig angelegte und finanzierte BAV für Mitarbeiter einzurichten. Wenn Pensionsfonds in Deutschland aufgelegt werden sollen, müssen kurzzeitige, für Pensionsfonds typische Unter- deckungen möglich sein, zumal eine Sicherung durch den PSV – Pensions-Sicherungs-Verein – und durch die Nachschusspflicht des Arbeitgebers gewährleistet ist. Ich fasse zusammen: Dieses Gesetz sichert eine quali- fizierte Aufsicht, unterstützt die in Deutschland ansässi- gen Unternehmen und macht den deutschen Finanzmarkt für neue und ausländische Anbieter von Finanzdienst- leistungen attraktiv. Dr. Hans-Ulrich Krüger (SPD): Der zur Abstim- mung stehende Entwurf eines Achten Gesetzes zur Än- derung des Versicherungsaufsichtsgesetzes setzt im We- sentlichen die europäische Richtlinie 2005/68/EG über die Rückversicherung in nationales Recht um. In den vergangenen Jahren wurde von globalen Fi- nanzmarktinstitutionen wie zum Beispiel dem Internatio- nalen Währungsfonds (IWF) immer wieder das Fehlen harmonisierter Regeln für die Rückversicherungsaufsicht auf Gemeinschaftsebene kritisiert. Diese Lücke im Aufsichtsrahmen für Finanzdienstleistungen wurde schließlich im Herbst 2005 durch die Rückversiche- rungsrichtlinie gefüllt. Sie harmonisiert die derzeit noch unterschiedlichen Aufsichtssysteme über Rückversiche- rungsunternehmen innerhalb der EU und bedeutet einen weiteren Schritt auf dem Weg zur Schaffung eines EU- Versicherungsbinnenmarktes. Deutschland hat mit der VAG-Novelle 2004 bereits Teile der damals noch in der Diskussion befindlichen Rückversicherungsrichtlinie vorweggenommen: Seit Ende 2004 werden die Rückversicherungsunternehmen in Deutschland wie Erstversicherungsunternehmen be- aufsichtigt. Das schließt Zulassung, gegebenenfalls Wi- derruf der Zulassung, eine laufende Rechts- und Finanz- aufsicht, die Überwachung der Kapitalanlagen und die Aufsicht über die vorhandenen Eigenmittel ein. Mit dem vorliegenden Umsetzungsgesetz wird das deutsche Versicherungsaufsichtssystem vervollständigt 7930 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 (A) (C) (B) (D) und steht darüber hinaus in Einklang mit internationalen Standards und Entwicklungen. Die Richtlinienbestimmungen werden eins zu eins umgesetzt. Von den nun erstmals für Rückversicherungs- unternehmen geltenden Regelungen möchte ich beson- ders hervorheben: die Einführung des Prinzips der Sitz- landaufsicht, die Europäische Aktiengesellschaft als zulässige Unternehmensrechtsform, die zusätzliche Be- aufsichtigung über Rückversicherer im Rahmen einer Versicherungsgruppe, die Einführung von Vorschriften über die Finanzrückversicherung, die Beaufsichtigung von Versicherungs-Zweckgesellschaften und die Einfüh- rung der Beaufsichtigung der Niederlassungen von Rückversicherungsunternehmen aus Drittstaaten. Die Finanzrückversicherung ist in letzter Zeit in der internationalen Öffentlichkeit sehr kritisch diskutiert worden. Finanzrückversicherung enthält oft keinen oder nur einen unbedeutenden Risikotransfer und versucht unter anderem Zahlungsströme zu glätten. Allerdings kann es so auch zur Bilanzkosmetik kommen; die Gren- zen sind insoweit fließend. So gibt es etwa verschleierte Darlehen: Das Versicherungsunternehmen erhält vom Rückversicherer eine Provision, die mit den Prämien getilgt wird. Daher trifft der Gesetzentwurf auch Rege- lungen zur Finanzrückversicherung, die nach der Richt- linie möglich, aber nicht zwingend sind. In Deutschland – also in einem der weltweit führenden Rückversiche- rungsmärkte – wird so der internationalen Entwicklung Rechnung getragen und für Rechtssicherheit und Trans- parenz in diesem bisher mehr oder weniger ungeregelten Bereich gesorgt. Die Rückversicherungsrichtlinie enthält eine weitere Option zur Einführung spezieller Versicherungszweck- gesellschaften, die Versicherungsrisiken übernehmen, ohne selbst Versicherungs- oder Rückversicherungsun- ternehmen zu sein, und diese Risiken vollständig über die Emission von Schuldtiteln oder über einen anderen Finanzierungsmechanismus absichern. Der Gesetzent- wurf erklärt essenzielle Bestimmungen des Aufsichts- rechts für auf solche Gesellschaften anwendbar und er- möglicht damit ihre Ansiedlung auch in Deutschland, was den Finanzplatz weiter fördert. Die öffentliche Anhörung am 29. November vergan- genen Jahres hat eine gute Gelegenheit gegeben, die kri- tischen Punkte des Gesetzentwurfs noch einmal zu über- prüfen. Der Finanzausschuss und die mitberatenden Ausschüsse für Wirtschaft und für Recht haben folgende Änderungen des Regierungsentwurfes beschlossen: Erstens: Holdingaufsicht. Es werden nur solche Zwi- schenholdings, die nachweislich Leitungsfunktionen ausüben, der Aufsicht der BaFin unterstellt. Damit wird eine unnötige Belastung der Versicherungskonzerne ver- mieden. Zweitens: Versicherungsvermittlung. Es wird klarge- stellt, dass es sich nicht um eine Vermittlungstätigkeit im Sinne der EU-Vermittler-Richtlinie handelt, wenn Erst- und Rückversicherungen füreinander Kunden akquirie- ren. Drittens: Eigenmittelanforderungen an die neuen Ver- sicherungszweckgesellschaften. Da diese Gesellschaf- ten Risiken verbriefen und an den Markt weitergeben, benötigen sie keine den Versicherungsunternehmen ent- sprechende Kapitalausstattung. Viertens: Definition der Pensionskassen. Es wird aus- drücklich klargestellt, dass auch vor Eintritt des Ruhe- standes, während der Altersteilzeit bereits entsprechende teilweise Rentenauszahlungen möglich sind. Dieses ist bereits jetzt so Praxis. Pensionskassen sind Einrichtun- gen der betrieblichen Altersvorsorge, nicht der Vermö- gensbildung, das heißt, sie sollen nicht Leistungen wäh- rend des vollen Erwerbslebens gewähren. Fünftens: Antidiskriminierungsrichtlinie. Dies ist für viele ein Reizwort, aber die Richtlinie hinterlässt ihre Spuren auch im Versicherungswesen. Soweit Versiche- rungsunternehmen unterschiedliche Prämien für Männer und Frauen verlangen, haben sie die Daten, auf deren Grundlage kalkuliert wurde, zu veröffentlichen. Das heißt nicht, dass wettbewerbssensible, unternehmensin- terne Daten zu veröffentlichen sind; es reicht der Hin- weis auf Veröffentlichungen anderer Stellen. Hinsicht- lich der Aktualisierung der Daten reicht es aus, dies richtlinienkonform „regelmäßig“ vorzuschreiben, aller- dings besteht aufgrund der EU-Richtlinie alle fünf Jahre Berichtspflicht der BaFin gegenüber der Kommission. Die Verabschiedung des vorliegenden Gesetzentwurfs ist sowohl für die Versicherten als auch für die Versiche- rer gut. Wir schaffen es, das Vertrauen in die Versiche- rungslandschaft weiter zu schützen und auszubauen und den Verbraucherschutz zu stärken. Frank Schäffler (FDP): Die FDP-Fraktion wird dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Novellierung des Versi- cherungsaufsichtsgesetzes zustimmen. Unser Ziel ist es, den Standort Deutschland für Rückversicherungsunter- nehmen zu stärken. Wir denken, dass uns dies durch die Einführung internationaler Standards zum Zweck der eu- ropäischen Harmonisierung gelingt. Zustimmungsfähig ist der Gesetzentwurf aber nicht von Anfang an gewe- sen, sondern er ist dies erst im Rahmen der Ausschuss- beratungen geworden. Insbesondere im Bereich der Hol- dingaufsicht hatte der vom Bundesfinanzministerium erarbeitete Gesetzentwurf zusätzliche Bürokratie vorge- sehen, indem die Aufsicht auch mittelbare Beteiligungen umfassen sollte. Dies wurde auch auf unser Drängen hin nachgebessert, sodass insbesondere Familienunterneh- men nun nicht unnötiger Bürokratie unterliegen. Als Wermutstropfen bleiben die zusätzlichen Ein- griffsrechte – beispielsweise Durchsuchungsrechte – der BaFin. Wir denken, dass die Versicherungsbranche kei- nen Anlass gegeben hat, die Kompetenzen der Aufsicht in diesem Maße auszuweiten, dies haben wir frühzeitig deutlich gemacht. Bei unserer Diskussion ist jedoch insgesamt nicht so sehr kontrovers, was im Gesetzentwurf steht, sondern was nicht darin steht. Union und SPD sind mit der 8. Novelle des VAG die notwendigen Veränderungen in der betrieblichen Altersvorsorge nicht angegangen, son- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 7931 (A) (C) (B) (D) dern haben die notwendigen Verbesserungen insbeson- dere beim Durchführungsweg der Pensionsfonds auf die 9. Novellierung des VAG verschoben. Zwar kommt diese bereits in diesem Jahr, dennoch wird mit dem Auf- schieben unnötige Zeit verloren. Dabei wäre gerade die Förderung von Pensionsfonds ein wichtiger Beitrag, um das von Union und SPD propagierte Vorhaben zu unter- stützen, die Beteiligung von Arbeitnehmern an Unter- nehmen zu verbessern. Pensionsfonds können bis zu 100 Prozent in Aktien- werte investieren und sind über den Pensionssicherungs- verein gegen den Verlust der Beiträge geschützt. Die Ko- alition will einen neuen Durchführungsweg schaffen, der eine direkte Beteiligung am Unternehmen vorsieht. Sie erhöht damit das Risiko eines Totalverlustes der Alters- vorsorge von vielen Arbeitnehmern, wenn sie dies tat- sächlich durchsetzt. Besser wäre es, wenn das Risiko der Aktienanlage breit gestreut würde, wie dies beispiels- weise bei Pensionsfonds der Fall ist. Eines zusätzlichen Durchführungswegs bedarf es nicht. Der Deutsche Aktienindex hatte im vergangenen Jahr eine Schwankungsbreite von 25 Prozent, am Ende ist der DAX um 22 Prozent in 2006 gestiegen. Das heißt: Schwankungen sind bei Aktienanlagen normal. Ent- scheidend für die Altersvorsorge ist, dass es langfristig zu einem Wertzuwachs kommt. Daher müssen wir im VAG auch die Möglichkeiten der Unterdeckung von Pensionsfonds verbessern. Eine höhere Bandbreite, über die bisherige 5-Prozent-Grenze hinaus, ist notwendig, um den Durchführungsweg attrak- tiv zu machen. Nur so können wir den Standort verbes- sern und die Auslagerung von Deckungsstöcken, insbe- sondere großer Unternehmen ins Ausland, zu verhindern. Wir sollten hier zügig nachlegen. Dr. Axel Troost (DIE LINKE): Vor zwei Wochen, um genau diese Uhrzeit, waren wir alle auf dem Nach- hauseweg, unfreiwillig. Wir haben die Plenarsitzung vorzeitig beendet, um vor dem Sturm „Kyrill“ sicher nach Hause zu kommen. Was hat das nun mit dem Versi- cherungsaufsichtsgesetz zu tun? Nicht nur wir mussten unsere Beratungen unterbrechen. In ganz Europa wurden Schäden angerichtet, die in die Milliarden gehen. Dass das keine größeren volkswirtschaftlichen Verwerfungen ausgelöst hat, zeigt einmal mehr, wie wichtig ein welt- weit stabiles Rückversicherungssystem ist. Aber wir wissen auch: Trotz des enorm gestiegenen Schadenaufwands, den die Rückversicherer schultern müssen, geht es der Branche insgesamt sehr gut: Fast alle Rückversicherer weisen Gewinne aus, bei nicht we- nigen finden wir außerordentliche Gewinne. Insgesamt fließen allein den deutschen Rückversicherern rund 50 Milliarden Euro an Beiträgen pro Jahr zu – eine Summe von erheblicher volkswirtschaftlicher Bedeu- tung. Vor diesem Hintergrund sage ich ganz deutlich: Auch aus volkswirtschaftlicher Perspektive brauchen wir eine Versicherungsaufsicht und eine Versicherungs- regulierung, die sicherstellt, dass im Fall des Falles Ver- sicherer die eingetretenen Risiken schultern können. Aus dieser Perspektive beinhaltet der Gesetzentwurf einige Regelungen, die in die richtige Richtung gehen. Andererseits finden sich aber auch Deregulierungen, die wir nicht unterstützen: Die Ausdehnung des Beobachtungshorizonts der BaFin, die in einigen Bereichen vorgesehen ist, begrü- ßen wir. Dies ist eine sinnvolle Verbesserung und kann dazu beitragen, dass riskante Operationen von (Rück-) Versicherern ausbleiben oder frühzeitiger aufgedeckt werden. Das Gesamtgefüge der Versicherungswirtschaft wird so gestärkt. Die Linke hat in der Anhörung die Änderung der Be- richtspflicht über die angesetzten Verkehrs- bzw. Bilanz- werte problematisiert. Diese Maßnahme lehnen wir ab: Gerade die Versicherungswirtschaft selbst betont, dass das Immobilienvermögen für sie von herausragender und zunehmender Bedeutung ist. Deshalb sollte es der Aufsichtsbehörde in diesem Bereich möglich sein, einen umfassenden Überblick über die Branche zu behalten. Einzelprüfungen allein werden dies nicht leisten können. Auch bei den nachgereichten Änderungen der Regie- rungsparteien ergibt sich für die Linke ein gemischtes Bild: So begrüßen wir etwa die Klarstellung, dass auch die Versicherungsvermittlung dem Geschäftsbetrieb ei- nes Versicherungsunternehmens zuzuordnen ist; damit fällt sie unter die Versicherungsaufsicht. Auch die An- passung der Kapitalausstattungsvorschriften an die Preis- entwicklung ist vernünftig, genauso wie Maßnahmen, die zur Stärkung der Handlungsfähigkeit der BaFin bei- tragen. Da gehen wir ganz mit Ihnen. Aber eins verstehe ich nicht, das müssen Sie mir ein- mal erklären: Dass Männer und Frauen von der Versi- cherungswirtschaft unterschiedlich behandelt werden dürfen, ist für uns schlicht und einfach ein Skandal und verstößt unserer Auffassung nach gegen das Grundge- setz. Hier kann man den Markt nicht einfach laufen las- sen und zusehen, wie Diskriminierung stattfindet. Hier müssen wir eingreifen und dafür sorgen, dass Männer und Frauen zu gleichen Konditionen eine Versicherung abschließen dürfen. Dies geht auch an die Adresse der Grünen: Auch Ihr Änderungsantrag flickschustert an der Festschreibung dieser Ungleichbehandlung herum, an- statt sie rundweg abzulehnen, wie man es bei Ihrer Partei vielleicht hätte erwarten dürfen. Vor diesem Hintergrund sagt die Fraktion Die Linke: Der Gesetzentwurf enthält Verbesserungen, kein Zwei- fel. Aber solange unsere Bedenken an vielen Punkten nicht ausgeräumt werden, können wir dem Gesetzent- wurf nicht zustimmen, sondern werden uns enthalten. Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit der 8. Novelle zum Versicherungsaufsichtsgesetz wird die Umsetzung der EU-Rückversicherungsrichtli- nie vervollständigt abgeschlossen. Damit vollzieht Deutschland einen weiteren Schritt im Sinne des 1999 beschlossenen Aktionsplans für Finanzdienstleistungen der Europäischen Union, FSAP: Es entstehen im Sektor der Rückversicherung die Voraussetzungen für einen europäischen Binnenmarkt. 7932 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 (A) (C) (B) (D) Was den Inhalt des Umsetzungsgesetzes anbelangt, befürworten wir die zentralen Punkte. So werden insbesondere die Einführung der Sitzland- aufsicht, die Beschränkung des Unternehmenszwecks auf die Rückversicherungstätigkeit und damit verbun- dene Geschäfte, die Europäische Aktiengesellschaft als zulässige Unternehmensrechtsform, die Einführung des Instituts der Bestandsübertragung und die zusätzliche Beaufsichtigung über Rückversicherer im Rahmen einer Versicherungsgruppe sowie die Einführung der Beauf- sichtigung der Niederlassungen von Rückversicherungs- unternehmen aus Drittstaaten zu erhöhter Rechtssicher- heit und Transparenz beitragen. Des Weiteren ist die Einführung der Finanzrückversicherung zu begrüßen, um Deutschland als einen der führenden Rückversiche- rungsmärkte mit Regelungen auf diesem Gebiet auszu- statten und der internationalen Entwicklung dieses bis- her kaum geregelten Bereichs Rechnung zu tragen. Auch die im Zuge der öffentlichen Anhörung gefundenen Ergebnisse zu den aufsichtsrechtlichen Fragen von Ver- sicherungs-Holdinggesellschaften und Versicherungs- Zweckgesellschaften finden unsere Zustimmung. Hingegen sind wir keineswegs mit dem Änderungs- antrag der Koalitionsfraktionen und der FDP zur Anti- diskriminierung im Versicherungsrecht einverstanden. Demnach wird lediglich eine Veröffentlichungspflicht für die Berechnungsgrundlagen von unterschiedlichen Tarifen für Männer und Frauen festgelegt. Das geht uns nicht weit genug. Es ist nicht gelungen, das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, AGG, für das Versicherungs- wesen weiterzuentwickeln und weitergehende Transpa- renz der Tarifermittlung der Versicherungsunternehmen wirksam zu verankern. Stattdessen wurde nur den Mini- malanforderungen der EU-Richtlinie zur Gleichbehand- lung von Männern und Frauen beim Zugang zu Dienst- leistungen Genüge getan. Die Bundesregierung scheint einer sturen Eins-zu-eins-Umsetzung von Richtlinien mehr Bedeutung beizumessen, als die Chance einer wirksamen Verhinderung von Diskriminierung zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger wahrzunehmen. Ein effektiver Minderheitenschutz sieht anders aus. In unserem Änderungsantrag treten wir deshalb dafür ein, dass nicht nur bei unterschiedlichen Prämien oder Leistungen für Frauen und Männer, sondern auch bei unterschiedlicher Behandlung wegen Religion, Behinde- rung, Alter oder sexueller Identität diejenigen versiche- rungsmathematischen und statistischen Daten in ver- ständlicher Form zu veröffentlichen sind, aus denen die Berücksichtigung dieser Merkmale als Faktor der Risi- kobewertung abgeleitet werden. Auf Verlangen müssten diese Informationen zudem schriftlich übermittelt wer- den. Auf diesem Wege würde die Berechnungsweise der Versicherungsunternehmen transparent gemacht und ei- ner politischen Bewertung zugeführt. Ferner sind die Vorgaben des AGG auch für bereits bestehende Kran- kenversicherungsverträge verpflichtend zu machen und Altverträge umzustellen, sofern das Versicherungsunter- nehmen grundsätzlich weiter geschlechtsabhängig kal- kuliert und nur die Kosten im Zusammenhang mit Mut- terschaft und Schwangerschaft auf alle Verträge verteilt. Wir befürworten in diesem Zusammenhang eine Prämi- enanpassungspflicht. Die von den Koalitionsfraktionen lediglich fakultativ vorgesehene Anpassungsberechti- gung ist nicht ausreichend. Es kann nicht im Ermessen der Unternehmen stehen, ob durch die Tarifgestaltung der bewährte Grundsatz des § 12 Abs. 4 Satz 2 VAG ge- wahrt bleibt. Wir formulieren nach wie vor das Ziel, die Regelungen des AGG für das Versicherungswesen dahin gehend weiterzuentwickeln, dass geschlechtsspezifische Unterschiede bei Prämien und Leistungen vollständig abgebaut werden – Unisex-Tarife – und nicht risikoad- äquate Kriterien ausscheiden. Unsere Vorschläge in diese Richtung wurden aber im parlamentarischen Verfahren mit Formalargumenten zur Seite gewischt, vor einer inhaltlichen Auseinanderset- zung hat sich die Koalition bis zuletzt gescheut. So stimmen wir zwar dem vorliegenden Gesetzent- wurf zu. Enttäuschend aber bleibt, dass die Bundesregie- rung im Bereich der Antidiskriminierung über eine euro- parechtlich vorgegebene Minimallösung nicht hinaus gekommen ist. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens (Tages- ordnungspunkt 13) Dr. Günter Krings (CDU/CSU): Mit dem Ersetzen der alten Konkursordnung durch die neue Insolvenzord- nung Anfang 1999 wurde nicht nur ein lateinischer Begriff durch einen anderen ersetzt, sondern damit war eine neue Weichenstellung verbunden, die einen Para- digmenwechsel für das deutsche Recht darstellte. Die Konkursordnung hatte ihrem Namen mehr als alle Ehre gemacht. Im Vordergrund stand die Befriedigung der Gläubiger und nicht eine mögliche Sanierung des Unter- nehmens. Was zunächst positiv für den Gläubiger er- scheint, muss aber gesamtwirtschaftlich gesehen nicht aufgehen. Je weniger Insolvenzen in ein geordnetes Verfahren überfuhrt werden können, desto weniger Rechtssicher- heit herrscht auch für den Gläubiger. Daher profitiert auch der Gläubiger davon, wenn es zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens kommt. Seit der Einführung der In- solvenzordnung haben sich die Eröffnungsquoten deut- lich erhöht. Das zeigt, dass die richtige Richtung einge- schlagen wurde. Nichtsdestotrotz gibt es Änderungs- und Optimie- rungsbedarf in dieser Insolvenzordnung. Wir müssen weiterhin nach Wegen suchen, wie möglichst viele Be- triebe gerettet werden können – gerettet werden nicht vor dem, sondern im Insolvenzverfahren. Der Wechsel von der Konkurs- zur Insolvenzordnung muss endlich auch in den Köpfen nachvollzogen werden. Nicht die Abwicklung und das Scheitern einer Unternehmung sollte zuerst gesehen werden, sondern der mögliche Neuanfang. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 7933 (A) (C) (B) (D) Nach der fundamentalen Umstellung zur Insolvenz- ordnung war davon auszugehen, dass sich im Zuge der Anwendung der neuen gesetzlichen Regelungen an der einen oder anderen Stelle Änderungsbedarf ergeben würde. Demnach geht es im vorliegenden Gesetzentwurf auch nicht um grundlegende Änderungen in der Insol- venzordnung, sondern wir nehmen mit den vorgeschla- genen Änderungen eine weitere Feinjustierung vor, die dem Ziel der Insolvenzordnung dient, möglichst viele Betriebe, die in Schwierigkeiten geraten sind, wieder auf eine gerade Bahn zu bringen. Dies wurde anscheinend auch so von der Öffentlichkeit wahrgenommen, da die- ses Gesetzesvorhaben der Bundesregierung selbst in der Fachöffentlichkeit kein größeres Echo auslöste. Trotz- dem gab es auch kritische Anmerkungen. Insbesondere wurde vonseiten potenzieller Gläubiger Einwände erho- ben. Große Befürchtungen hat bei den Gläubigern die Ein- fügung des § 21 Abs. 2 Satz l Nr. 5 in die Insolvenzord- nung ausgelöst. Nach dieser Vorschrift soll der Insolvenz- verwalter in die Lage versetzt werden, Gegenstände, die sich in seinem Besitz befinden, an denen der Gläubiger aber ein Absonderungsrecht oder ein Aussonderungs- recht hat, dem Zugriff des Gläubigers zu entziehen. Da- bei darf der Insolvenzverwalter keineswegs willkürlich vorgehen, sondern er kann die Herausgabe an den Gläu- bigern nur dann vereiteln, wenn dieser Gegenstand zur Fortführung des Unternehmens von erheblicher Bedeu- tung ist. Der Insolvenzverwalter muss also ein außeror- dentliches Interesse an dem Verbleib des Gegenstandes im insolventen Betrieb haben. Demnach sieht der Ge- setzentwurf durchaus Hürden vor, die eine unangemes- sene Inanspruchnahme des Gläubigers ausschließen. Die Bedenken von Warenlieferanten und Leasing- geber gegen diese Regelung sind zwar verständlich, schießen aber über das Ziel hinaus. Insbesondere kann hier nicht von einer Enteignung die Rede sein, wie dies in einigen Stellungnahmen vorgebracht wurde. Der für den Betrieb wichtige, geleaste Gegenstand wird vom Insolvenzverwalter für die Dauer des Eröffnungsverfah- rens weiter genutzt. Der Gegenstand als solcher bleibt aber erhalten. Ein problematischer Eingriff in die Eigentümerposi- tion würde nur dann stattfinden, wenn die Nutzung durch den Insolvenzverwalter entschädigungslos erfol- gen würde. Das ist aber nicht der Fall. Ein durch die Nutzung eingetretener Wertverlust ist auszugleichen. Außerdem findet auf diese Fälle auch Zinszahlungs- pflicht aus § 169 Insolvenzordnung Anwendung. Damit erhält der Leasinggeber auch einen Ausgleich dafür, dass ein eventuell schnellere Verwertung sich durch das Ein- ziehungsverbot nicht realisieren lässt. Schwierig ist al- lerdings, aus der heutigen Warte, die faktische Werthal- tigkeit dieser Forderung zu beurteilen, ich bin gerne bereit, mich dieser Problematik im Rahmen des heran- nahenden nächsten Entwurfs zur Änderung der Insolvenz- ordnung noch einmal zu stellen. Auch die Einwände der Warenlieferanten sind zwar verständlich, aber auch hier sollte man zunächst nüch- tern die Rechtslage betrachten. Denn der Insolvenzver- walter kann sich durch die Regelung in § 21 Insolvenz- ordnung keineswegs als Herr über das Warenlager aufschwingen und es nach seinem Belieben der Verwer- tung zuführen. Der Gegenstand als solcher muss auf jeden Fall weiterhin im Betrieb verbleiben. Von der er- laubten Nutzungshandlung ist demnach die Verwertung eines Gegenstandes nicht umfasst. Will der Insolvenz- verwalter daher Waren verkaufen, die dem insolventen Unternehmen unter Eigentumsvorbehalt geliefert wur- den, kann er dies nur mit Zustimmung des Lieferanten tun. Allerdings will ich auch nicht drum herumreden. Die Regelung stellt natürlich eine Verschlechterung der Rechtsposition des Gläubigers von Mobiliarsicherheiten dar. Aber es ist nun einmal unsere Aufgabe als Parla- mentarier, zwischen verschiedenen Interessen abzuwä- gen. Und dies tun wir an dieser Stelle. Dem Eingriff in die Rechte der Gläubiger steht die Möglichkeit gegen- über, mehr Betriebe als bisher zur Verfahrenseröffnung zu bringen und so die Chancen einer Sanierung zu erhö- hen. Mehr weitergeführte Betriebe bedeuten auch mehr weitergeführte Verträge. Ich hoffe, daß dies auch bei den Zahlen berücksichtigt wurde, die nun als Verlustzahlen in der Öffentlichkeit genannt wurden. Auf Kritik ist auch die Regelung gestoßen, dem Insol- venzverwalter bei einem Mietvertrag des Schuldners ein Sonderkündigungsrecht einzuräumen. Unabhängig von dem Bestehen einer längeren Kündigungsfrist soll der Insolvenzverwalter in Zukunft die Gelegenheit haben, das Miet- oder Pachtverhältnis innerhalb von drei Mona- ten zu beenden. Ein gleichgelagertes Recht wird dem Vermieter bzw. Verpächter jedoch nicht eingeräumt. Und dies hat durchaus seine Gründe. Es geht hier darum, den Gläubiger vor Kurzschlusshandlungen zu bewahren, die sich auch für ihn wirtschaftlich negativ auswirken kön- nen. Denn jede Kündigung eines Miet- oder Pachtvertra- ges innerhalb von drei Monaten durch den Eigentümer schneidet jedem Insolvenzverwalter die Möglichkeit ab, den Betrieb weiterzuführen und wieder auf ein wirt- schaftlich solides Fundament zu stellen. Dem Ziel der Insolvenzordnung würde daher eine derartige Regelung sogar entgegenstehen. Ähnlich der Debatte, die wir im Rahmen des Gesetzes über elektronische Handelsregister und Genossen- schaftsregister sowie das Unternehmensregister in die- sem Hause geführt haben, stellt sich auch bei den Insol- venzbekanntmachungen die Frage, wie wir mit der Veröffentlichungspflicht umgehen. Die endgültige Um- stellung auf elektronische Register ist nur noch eine Frage der Zeit. Der Staat kann nicht immer nur moderne Technologien propagieren, aber dann einen Rückzieher machen, wenn es um den praktischen Einsatz derartiger Mittel geht. Die Veröffentlichung von Insolvenzbekannt- machungen im Internet bietet eine schnelle, umfassende und kostengünstige Form der Information für die Gläu- biger. Gleichwohl war es richtig und wichtig, Übergänge zu schaffen, um die Personen, deren Informationsquelle noch primär das gedruckte Wort ist, an die Umstellung zu gewöhnen. Dabei sollten wir aber aufpassen, dass wir an dieser Stelle nicht einen Schritt vor und zwei zurück machen. 7934 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 (A) (C) (B) (D) Einen wichtigen Punkt möchte ich gerne noch anspre- chen, der leider keine Aufnahme in diesen Gesetzent- wurf mehr gefunden hat, der aber mittelfristig von uns aufgegriffen werden sollte: Es geht dabei um die Insol- venzfestigkeit von Lizenzverträgen über geistiges Eigen- tum. Dem Insolvenzverwalter steht es im Moment frei, über die Weiterführung von Lizenzverträgen zu ent- scheiden, da das Gesetz ihm hierzu ein Wahlrecht an die Hand gibt. Das kann aber zu fatalen wirtschaftlichen Folgen führen. Nehmen wir zum Beispiel ein Pharmaun- ternehmen, welches ein Wirkstoffpatent von einer Bio- technologiefirma lizenziert. Das Unternehmen kann nach dem Abschluss des Lizenzvertrages noch nicht sofort mit der Produktion beginnen. Vielmehr sind zu- nächst umfangreiche Forschungs- und Entwicklungsleis- tungen vorzunehmen, die nicht nur hohe Investitionen erfordern, sondern sich auch über einen langen Zeitraum erstrecken. Im Durchschnitt kostet die Entwicklung von Medikamenten über 600 Millionen Euro. Diese Investi- tionen verteilen sich über einen Zeitraum von zwölf Jahren. Macht der Insolvenzverwalter von seinem Wahlrecht in der Weise Gebrauch, dass er die Vertrags- bindung auflöst, bedeutet dies für den Lizenznehmer nicht nur das Ende der Forschungsarbeit, sondern even- tuell sogar das Ende der Produktion. Was hier für die forschende Industrie auf dem Spiel steht, geht weit über ein Sonderopfer hinaus und stellt eine Schwächung des Wirtschaftsstandortes Deutschland dar. Die Problematik ist in Juristenkreisen zwar schon länger bekannt, tauchte für uns Parlamentarier aber erst recht kurzfristig auf, sodass sie in diesem Gesetzentwurf noch keinen Nie- derschlag finden kann, zumal die Regelung mit dem internationalen Rechtsverkehr kompatibel sein muss. Nichtsdestotrotz sehe ich an dieser Stelle einen dringen- den Regelungsbedarf, den wir so schnell wie möglich in Angriff nehmen sollten. Da dieser Gesetzentwurf nicht der letzte zum Insol- venzrecht sein wird, bin ich auch zuversichtlich, dass wir in absehbarer Zeit zu einer Regelung kommen werden, die auch der wirtschaftlichen Bedeutung geistigen Eigen- tums gerecht wird. Dirk Manzewski (SPD): Am heutigen Abend debat- tieren wir hier abschließend über den Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Vereinfachung des Insolvenz- verfahrens. Mit dem Gesetzesentwurf werden erforderliche An- passungen an die Anfang 1999 in Kraft getretene Insol- venzordnung vorgenommen. Das Gesetz greift dabei ins- besondere in der Vergangenheit festgestellte Defizite im Unternehmensinsolvenzverfahren auf. Die in diesem Zusammenhang vorgenommenen Än- derungen halte ich insbesondere unter Berücksichtigung der Änderungsanträge für insgesamt sehr gelungen. Richtig ist, dass bei der Auswahl des Insolvenzver- walters nunmehr die Verwendung sogenannter geschlos- sener Listen unzulässig ist. Die Gerichte müssen künftig die Insolvenzverwalter aus dem Kreis aller Personen auswählen, die sich zur Übernahme von Insolvenzver- waltungen bereiterklärt haben. Der Gesetzesentwurf sorgt damit nicht nur für mehr Transparenz bei der Auswahl des Insolvenzverwalters durch das Gericht; er berücksichtigt damit auch die Ent- scheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2004, das insoweit die Beachtung des Gleichbehand- lungsgrundsatzes anmahnte. Ich habe mich übrigens im Laufe des Verfahrens da- von überzeugen lassen, das die im Gesetz vorgesehene Möglichkeit, die Bereitschaft zur Übernahme auf be- stimmte Insolvenzverwaltungen zu beschränken, richtig ist. Fehlt es jemand noch an praktischer Erfahrung, hilft es niemandem weiter, ihn mit einer schwierigen Unter- nehmensinsolvenz zu konfrontieren. Auch eine Speziali- sierung in diesem Bereich muss nicht unbedingt falsch sein. Soweit in Insolvenzsachen von Printveröffentlichun- gen Abstand genommen und als Regelfall nur noch eine elektronische Bekanntmachung im Internet stattfinden sollte, finde ich es richtig, dass nunmehr in einer Über- gangszeit noch „altes“ und „neues“ System nebeneinan- derlaufen können. Die Bekanntmachungen sollen in erster Linie den Gläubigern dienen. Ob diese von heute auf morgen im- mer wieder einmal pro forma diese Internetplattform aufsuchen werden, um sich über etwaige Insolvenzen von Schuldnern zu informieren, erscheint zweifelhaft. So durchgesetzt hat sich die Arbeit mit dem Internet ins- besondere bei den kleineren KMUs noch nicht. Insoweit macht es durchaus Sinn, sie sich zunächst hieran gewöh- nen zu lassen. Ich hoffe, dass die Länder dies aufgreifen werden. Insbesondere die IHKs und regionalen Handwerks- kammern sehe ich übrigens in der Verpflichtung inner- halb der Übergangszeit ihre Mitglieder auf die bundes- einheitliche Internetplattform vorzubereiten. Soweit eine Regelung geschaffen werden soll, nach der der Insolvenzverwalter die Möglichkeit hat, das Ver- mögen aus einer selbstständigen Tätigkeit des Schuld- ners nicht zur Insolvenzmasse zu zählen, um den Schuldner so zu der selbstständigen Tätigkeit zu moti- vieren, habe ich nach den vorgenommenen Änderungen keine Bedenken mehr. Es schien mir in diesem Zusammenhang nicht unpro- blematisch zu sein, bei reiner Duldung der Fortführung der gewerblichen Tätigkeit durch den Insolvenzschuld- ner, die durch den sogenannten Neuerwerb begründeten Verbindlichkeiten automatisch zu Masseverbindlichkei- ten werden zu lassen. Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens können an sich Masseverbindlichkeiten nur noch durch den Insol- venzverwalter oder aus der Insolvenzmasse heraus be- gründet werden, über die der Schuldner aber ja nicht mehr verfügen darf. Durch die nunmehr vorgenommene Klarstellung sehe ich diese Problematik als beseitigt an. Uns liegt damit nunmehr ein für mich gelungener Entwurf vor, um dessen Annahme ich Sie bitten möchte. Erlauben Sie mir, nochmals meiner Freude darüber Ausdruck zu verleihen, dass von der Bundesregierung in Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 7935 (A) (C) (B) (D) der Begründung zu diesem Gesetzesentwurf zutreffend darauf hingewiesen wird, dass die „neue“ Insolvenzord- nung sich bewährt und im Gegensatz zur „alten“ Kon- kursordnung zu einer viel größeren Eröffnungsquote ge- führt hat. Diese Erkenntnis hätte uns beim sogenannten Gesetz zur Anpassung des Rechts der Insolvenzanfech- tung viele Diskussionen erspart. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP): Es ist schon denkwürdig: Nun stehen wir beinahe sitzungs- wöchentlich hier und debattieren über das Insolvenz- recht. Zugegeben, hierbei handelt es sich um ein wichti- ges Rechtsgebiet. Doch das allein erklärt die Sitzungshäufigkeit nicht. Der Grund liegt vielmehr da- rin, dass das, was eigentlich zusammengehört, auseinan- dergerissen wird. Die Folge sind immer kleinteiligere und immer mehr am Einzelfall orientierte Gesetzent- würfe. Was fehlt, ist die große Linie, was fehlt, ist der Wille, zu kodifizieren und nicht nur den Einzelfall zu regeln. Darauf haben Sie, sehr geehrter Herr Kollege Dr. Krings, im Rechtsausschuss zu Recht hingewiesen. Es wäre schön, wenn die Bundesregierung zukünftig nach dieser Einsicht handelte und sich um mehr Kohä- renz in der Gesetzgebung bemühte. Wozu schlecht synchronisierte Gesetzgebungsverfah- ren führen, durften wir bei der Frage, wie der Ko- pierschutz auszugestalten sei, beobachten. Der Ge- setzentwurf der Bundesregierung sah vor, die Kopierschutzregelung mit der Begründung zu streichen, diese laufe ins Leere. Tatsächlich lief hier jedoch nichts leer, sondern etwas schief, denn die Regelung, die gestri- chen werde sollte, gab es schon gar nicht mehr, sie war bereits durch das zum 1. Januar 2007 in Kraft getretene EHUG in Wegfall geraten. Fehler passieren. Aber Fehler lassen sich auch vermeiden, beispielsweise durch Ver- zicht auf eine Gesetzgebung, die sich selbst überholt. Aber auch inhaltlich haben mich die Ausführungen der Bundesregierung zum Datenschutz ehrlich gesagt nicht überzeugt. Die Verbreitung von Daten im Internet hat schon eine andere Qualität als das Kopieren von Zei- tungsveröffentlichungen per Hand. Hier geht es nicht um ein paar Handzettel, die in Briefkästen landen. Hier geht es um die Potenzierung von Daten durch Kopiervor- gänge im weltweiten Netz. Dass hier ein zuverlässiger Kopierschutz technisch nicht möglich sei, trifft so nicht zu, denn es gibt technischen Kopierschutz. Die Absichts- erklärung der großen Koalition, die Frage im Zusam- menhang mit der Novellierung des Bundesdatenschutz- gesetzes regeln zu wollen, ist da nicht sehr befriedigend. Von einer solchen Novellierung ist seit vielen, vielen Jahren die Rede, ohne dass sich bis heute etwas getan hätte. Es wäre daher richtig gewesen, die Kopierschutz- regelung wieder ins Gesetz zu schreiben, wie von der FDP beantragt. Das wäre mehr gewesen als gar nichts, und man hätte die Zeit nutzen können, über technische und rechtliche Alternativen nachzudenken. Dass die FDP dem Gesetzentwurf heute gleichwohl zustimmen wird, hängt damit zusammen, dass wir das Ziel, das Insolvenzverfahren zu vereinfachen, uneinge- schränkt begrüßen und die hierzu vorgeschlagenen Maß- nahmen im Wesentlichen unterstützen. Hierzu gehört grundsätzlich auch die Umstellung auf den elektroni- schen Betrieb. Allerdings haben wir Wert darauf gelegt, dass zumindest für eine Übergangsfrist zusätzlich zu der öffentlichen Bekanntmachung im Internet eine Bekannt- machung in Printmedien erfolgen kann. Wir hätten uns gewünscht, Sie hätten sich dabei noch enger an die deut- lich großzügigere Übergangsregelung für die Publika- tion von Eintragungen in das Handelsregister angelehnt. Doch immerhin: Die jetzt vorgesehene Übergangsrege- lung ist mehr als gar nichts. Ich danke Ihnen ausdrück- lich, dass Sie sich hier vernünftigen Erwägungen nicht verschlossen haben. Diese Beratungskultur sollten wir beibehalten, wenn es nun darum gehen wird, das Verbraucherinsolvenzver- fahren zu überarbeiten und wenn es weiterhin darum ge- hen wird, Anliegen, die in diesem Gesetzgebungsverfah- ren nicht mehr berücksichtigt werden konnten, angemessen zu prüfen. Hierzu zählt für die FDP bei- spielsweise die Auseinandersetzung mit der Frage der Insolvenzfestigkeit von Lizenzverträgen über geistiges Eigentum. Wolfgang Nešković (DIE LINKE): Wenn eines Ta- ges aus dem Justizministerium eine Vorlage herein- kommt, in der durch fehlerhafte Gesetzesverweisung Hunde und Katzen für prozessführungsbefugt erklärt werden, dann können Sie eigentlich nur hoffen, dass eine der drei Oppositionsfraktionen Ihnen einen Änderungs- antrag schenkt, der diesen Unfug rechtzeitig verhindert – weil Sie ihn sonst ungerührt beschließen! Im Unter- schied zu Ihnen lesen wir die Vorlagen der Regierung tatsächlich, auch wenn das natürlich Schweiß kostet und Ärger verursacht. Der heute zu behandelnde Gesetzentwurf zur Verein- fachung des Insolvenzverfahrens hatte – bis vorgestern – noch die Aufhebung des § 9 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 Insol- venzordnung vorgesehen, eine Norm, die Sie zum Leid- wesen des Datenschutzes bereits am Ende des letzten Jahres aufgehoben hatten. Dieser Unfug fiel zuerst mei- ner Fraktion auf, sprach sich dann unter den Opposi- tionsfraktionen herum, gelangte auch zur Auskunft an den Bundesdatenschutzbeauftragten und sorgte bald al- lerorts für Kopfschütteln. Nur Ihnen ist natürlich überhaupt nichts aufgefallen. Sie haben es heute der FDP-Fraktion zu verdanken, die sich mit einem Antrag für die Wiedereinführung der ge- strichenen Norm einsetzte, dass Sie am Ende doch noch Bescheid bekamen. Dass den Mitarbeiterinnen und Mit- arbeitern im Justizministerium auch einmal dumme Feh- ler passieren, ist menschlich und verständlich. Ich frage mich aber, wie erklärt werden kann, dass Sie als Abge- ordnete trotz der umfangreichen inhaltlichen Schützen- hilfe eines Justizministeriums nicht dazu kommen, selbst zu lesen und zu prüfen, was Sie in der Verantwortung Ih- res Mandates als Gesetz verabschieden. Stimmen Sie doch zur Abwechslung auch mal für ein paar Vorlagen meiner Fraktion. Die müssen Sie ja vorher auch nicht unbedingt lesen, und dann ginge vielleicht auch einmal etwas Gutes aus dieser Praxis hervor. 7936 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 (A) (C) (B) (D) Ich will Ihnen aber sicherheitshalber sagen, was Sie heute aus der dritten Lesung in die nahe Rechtswirklich- keit schicken. § 9 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 der Insolvenzord- nung regelte bis zum Ablauf des 31. Dezember 2006 eine datenschutzrechtlich höchst bedeutsame Frage: Bei Veröffentlichungen des Insolvenzgerichtes in digitaler Form war sicherzustellen, dass die veröffentlichten Da- ten nicht kopiert werden können. Man muss durchaus kein IT-Fachmann sein, um den dahinterstehenden Zweck zu begreifen: Eine Löschungs- frist macht überhaupt nur dann Sinn, wenn nach ihrem Ablauf von einer grundsätzlichen Unzugänglichkeit der gelöschten Inhalte ausgegangen werden kann. Und da- von kann gerade nicht ausgegangen werden, wenn die an einer Stelle gelöschten Daten an Millionen anderen Stel- len weiterhin in kopierter Form vorhanden sind. Such- maschinen wie Google oder Altavista legen automatisch Spiegelungen aller Webinhalte und Datensätze an, auf die mit den möglichen Suchergebnissen verwiesen wird. Und auch private Nutzer sind in der Lage, mit genau drei Mausklicks jeden ungesicherten Webinhalt auf die hei- mische Festplatte zu ziehen. Eine Löschungsfrist wird damit zum allergrößten Unfug, weil sie regeln will, wor- auf gar kein Einfluss besteht. Ebenso könnten Sie sich mühen, per Gesetz das Wetter des nächsten Jahres fest- zulegen. Sie hatten zwei verfassungsgemäße Möglichkeiten zur Lösung des Problems, die Sie beide nicht genutzt ha- ben. Erstens hätten Sie von einer Veröffentlichung der Insolvenz im Internet Abstand nehmen können, weil Sie davon ausgehen, dass eine Kopie der Daten in keinem Fall verhindert werden kann. Das hätte das Problem ge- löst. Oder aber Sie hätten § 9 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 der In- solvenzordnung wieder einführen und zugleich dafür Sorge tragen müssen, dass veröffentlichte Daten gerade nicht kopiert werden können. Das wäre etwa möglich gewesen durch einen Kopierschutz oder durch einen da- teiinternen Prozess, der den Gebrauch der Daten nach dem Ablauf der Frist verhindert. Ihre Kinder werden Ih- nen vielleicht erklären können, dass es bereits heute ko- piergeschützte Musikdateien und auch Anwendungspro- gramme gibt, die nach dem Ablauf einer Lizenz absolut unbrauchbar werden. Sie aber wählten die dritte, nicht verfassungsgemäße Regelungsmöglichkeit, die Internetveröffentlichungen ohne Kopierschutz vorsieht. Sie muten dem Land heute ein Gesetz zu, in dem das Grundrecht auf informatio- nelle Selbstbestimmung nur deshalb verletzt wird, weil Sie keine Lust hatten, darüber nachzudenken, wie es zu schützen sei. Indem Sie zunächst beabsichtigten, § 9 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 zu streichen und nun nach Aufklärung über die Rechtslage eine Wiedereinführung ablehnen, bringen Sie zum Ausdruck, dass Ihnen ein Grundrecht nur so viel wert ist, wie der Stand der Technik hergibt. Das ist inak- zeptabel. Der Stand der Technik vermag Sie nicht von Ihren verfassungsmäßigen Pflichten zu entbinden. Es ist Ihre Pflicht als Gesetzgeber, Gesetze zu verab- schieden, die die Grundrechte wahren, und es ist Ihre Pflicht, ein Gesetz bleiben zu lassen, wenn Sie davon ausgehen, dass eine Grundrechtswahrung nicht garan- tiert werden kann. Und es ist jammerschade, dass man Ihnen diese Pflichten überhaupt erklären muss. Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Am 1. Januar 1999 ist das Konkursrecht durch ein neues In- solvenzrecht ersetzt worden. Nach über 120 Jahren – die alte Konkursordnung stammte aus dem Jahre 1871 – ging der Gesetzgeber zum Teil völlig neue Wege. Nicht mehr der Grundgedanke des wirtschaftlichen Endes von überschuldeten und zahlungsunfähigen Rechtspersonen, sondern die Idee einer zweiten Chance wurde dem neuen Insolvenzrecht zugrunde gelegt. Ein besonderer Beleg dafür ist die eingeführte Verbraucherinsolvenz. Im Jahre 2001 wurde dieser Grundgedanke mit der Ausdehnung der Regelinsolvenz auf Selbstständige und Freiberufler weitergeführt. Der Grundgedanke einer zweiten Chance ist Aus- druck eines menschenrechtlich und sozial geprägten Vorgehens. Dabei wird Menschen, die in unüberwind- bare wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten sind, ein – wenn auch schwieriger – Weg eröffnet, in Zukunft wieder am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben selbstbestimmt teilnehmen zu können. Dies geschieht nicht einseitig zulasten der Gläubiger, verschiebt aber die Gewichte zugunsten der insolventen Schuldner. Diese Folge der Reform des Konkursrechts zum Insol- venzrecht war gewollt und hat sich bis heute im Grund- satz als der richtige Weg erwiesen. Es kann nicht ausbleiben, dass bei einem so grund- sätzlichen gesetzlichen Neuanfang nach einiger Zeit der praktischen Überprüfung Schwachstellen zum Vorschein kommen und Ungereimtheiten sichtbar werden. Deshalb war es richtig, dass die Konferenz der Justizministerin- nen und Justizminister schon 1999 und dann in einem zweiten Schritt 2000 Überprüfungen des neuen Insol- venzrechts beschlossen hat. Der letzte Abschlussbericht datiert aus dem Juni 2002. Leider hat es über sechs Jahre gedauert, bis die Bundesregierung die Schlussfolgerun- gen dieses Berichts und weitere Anregungen aus der Pra- xis im jetzt vorliegenden Gesetzentwurf zur Vereinfa- chung des Insolvenzverfahrens umgesetzt hat. Das Gesetz kommt spät – das ist zu kritisieren –, aber es ist im Wesentlichen notwendig, gut und richtig; und dies wird von uns Grünen ausdrücklich gelobt. Im Einzelnen ist es gut und richtig – das wird auch vom Bundesverfassungsgericht gefordert –, dass an den Amtsgerichten keine geschlossenen Listen von poten- ziellen Insolvenzverwaltern mehr geführt werden. Ein Insolvenzverwalter ist aus dem Kreis aller zur Über- nahme bereiten Personen zu wählen. Die Behebung von Defiziten des Unternehmensinsol- venzverfahrens wird von uns unterstützt. Das Gleiche gilt für die neuen Vorschriften, mit denen noch besser als bisher Sanierungen durchgeführt und Selbstständigen die weitere Tätigkeit ermöglicht werden soll. Ich komme nun zu einem kritischen Punkt, den wir hier im Bundestag bereits anlässlich der Einrichtung des elektronischen Handelsregisters diskutiert haben. Die Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 7937 (A) (C) (B) (D) notwendige Verlagerung der öffentlichen Bekanntma- chungen auf das Internet schafft nicht nur Erleichterun- gen und spart nicht nur Kosten. Es bringt auch Probleme, besonders für die Zeitungsverlage, die seit vielen Jahr- zehnten eine Plattform dieser Veröffentlichungen waren und sich auf die neue Rechtslage einstellen müssen. Die im Rechtsausschuss eingefügte Frist bis zum Jahr 2008 hilft wenig, aber sie hilft etwas. Im Internet ist ein ver- stärkter Datenschutz gefragt. Deshalb bleibt es auch nach der Debatte im Rechtsausschuss gestern ungeklärt, weshalb die Koalition die Vorschrift des § 9 Insolvenz- ordnung partout ändern und auf den „nach dem Stand der Technik“ möglichen Kopierschutz verzichtet. Ob hierdurch gravierender Datenmissbrauch ermöglicht wird, werden die Datenschutzbeauftragten und werden wir alle zu beobachten haben. Sollte es insoweit zu einer Reform der Reform kommen müssen, bleibt zu hoffen, dass nicht Jahre ins Land gehen, bis die Bundesregie- rung reagiert. Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz: Mit dem vorliegenden Ge- setzentwurf beheben wir Defizite im Regelinsolvenzver- fahren, die uns von der Praxis aufgezeigt worden sind. Es geht daher überwiegend um technische Verbesserun- gen des Verfahrensablaufs, und unsere Vorschläge sind gut aufgenommen worden. Bei einigen Punkten wurden allerdings Zweifel angemeldet. Darauf möchte ich kurz eingehen. Zunächst zur Auswahl des Insolvenzverwalters: Hier wollen wir, dass Insolvenzverwalter ihre Bereitschaft zur Übernahme von Insolvenzverwaltungen auf bestimmte Verfahren beschränken können. Ich halte diese Regelung für richtig. Damit ermöglichen wir es den Richtern, im jeweiligen Verfahren eine zügige Eignungsprüfung vor- zunehmen und das Auswahlermessen unter Berücksich- tigung der Größe und Art des jeweiligen Verfahrens sachgerecht auszuüben. Hinzukommt: Es gibt heute Insolvenzverwalter, die sich auf Unternehmensinsolvenzen spezialisiert haben, und es gibt Insolvenzverwalter, die ausschließlich Ver- braucherinsolvenzen bearbeiten und oft nicht bereit sind, Unternehmensinsolvenzverfahren zu übernehmen. Wenn man so einen Verbraucherinsolvenzfachmann oder einen Berufsanfänger zur Übernahme der Verwaltung von gro- ßen Unternehmensinsolvenzen verpflichtet, nutzt das niemandem. Eine weitere wichtige Änderung betrifft die öffentli- che Bekanntmachung über das Internet. Bisher sah das Gesetz ein Wahlrecht für die Landesjustizveraltungen vor. Die Bekanntmachungen konnten entweder in die Printmedien oder in das Internet eingestellt werden. Mitt- lerweile haben alle Länder die Veröffentlichung im Inter- net gewählt. Allerdings steht es ihnen frei, wieder zu den Printveröffentlichungen zurückzukehren. Die Internet- veröffentlichung soll nun zur Pflicht werden. Für einen Übergangszeitraum von zwei Jahren wird den Landesjus- tizverwaltungen aber ein gewisses Wahlrecht erhalten bleiben: Die Länder können die Bekanntmachungen ne- ben dem Internet auch in Printmedien vornehmen. Die neu eingeführte Kann-Bestimmung erlaubt es den Län- dern, weiterhin flexibel auf eventuelle Veränderungen der Bekanntmachungsmöglichkeiten zu reagieren. Die Veröffentlichung im Internet kommt übrigens nicht zuletzt den Insolvenzgläubigern zugute, da sich da- mit die Verfahrenskosten ganz erheblich reduzieren. Das führt bereits jetzt zu einem statistisch erkennbaren An- stieg bei den Verfahrenseröffnungen. Abschließend möchte ich noch auf einen Punkt einge- hen, den wir in diesem Gesetzgebungsverfahren ändern wollen und der mehr Rechtssicherheit bringen wird: Falls der Schuldner eine selbstständige Tätigkeit ausübt, kann der Insolvenzverwalter zukünftig erklären, dass Vermögen aus dieser Tätigkeit nicht zur Masse gehört. Wo der Insolvenzverwalter schweigt und lediglich die Tätigkeit des Schuldners duldet, könnte über die Masse- zugehörigkeit des aus selbstständiger Tätigkeit resultie- renden Vermögens Zweifel entstehen. Deshalb ist vorge- sehen, dass der Insolvenzverwalter eine Erklärung darüber abgeben muss. ob dieses Vermögen zur Insol- venzmasse gehört oder nicht. Ich bin sicher: Das Gesetz wird zu einer deutlichen Entlastung der Insolvenzgerichte, zu Kosteneinsparun- gen bei den Ländern und zu mehr Verfahrenseröffnun- gen beitragen. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Stammzellgesetzes (Tagesord- nungspunkt 14) Eberhard Gienger (CDU/CSU): Mit der Biotechno- logie verbinden sich wie mit fast keinem anderen For- schungsgebiet große gesellschaftliche Hoffnungen. Die Hoffnungen werden aber begleitet von Ängsten und Sor- gen. Vielen Menschen wird „unheimlich“. Sie fragen sich, ob sich Forscher als „Zauberlehrlinge“ des Lebens betätigen. Sie fürchten ethische Dammbrüche, die unsere Gesellschaft verändern könnten. Die Menschen erwarten von der Politik zu Recht, dass sie Rahmenbedingungen so setzt, dass diese neue Technik zum Positiven genutzt werden kann. Für uns als CDU/CSU-Bundestagsfraktion stellt es eine enorme Herausforderung dar, Technologie- und Forschungsfreundlichkeit mit unserer klaren Position zum Lebensschutz verantwortlich in Einklang zu brin- gen. Als vor fast fünf Jahren das Stammzellimportgesetz verabschiedet worden ist, ist den deutschen Forschern erlaubt worden, mit embryonalen humanen Stammzellen zu arbeiten, ohne jedoch Anreize für die Tötung von Embryonen zu geben. Lassen Sie mich hier kurz den Unterschied zwischen dem Stammzellgesetz, um das es heute hier geht, und dem Embryonenschutzgesetz erläutern. Das Embryonenschutzgesetz schützt den Embryo, das Stammzellgesetz befasst sich nur mittelbar mit hohen 7938 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 (A) (C) (B) (D) Rechtsgütern. Stammzellen sind nicht totipotent und ha- ben kein Potenzial, sich zum Menschen zu entwickeln. Die Schutzintensität ist deshalb nicht vergleichbar. Am 1. Juli 2002 ist das Gesetz zur Sicherstellung des Embryonenschutzes im Zusammenhang mit der Einfuhr und Verwendung menschlicher embryonaler Stammzel- len in Kraft getreten. Mit diesem Stammzellgesetz sollte eine gesetzliche Regelung für die Einfuhr und Verwen- dung humaner embryonaler Stammzellen getroffen werden, die nicht in rechtlichem und ethischem Wertungswiderspruch zum hohen Schutzniveau des Em- bryonenschutzgesetzes steht. Gleichzeitig sollte der Forschungsfreiheit und den In- teressen kranker Menschen an der Entwicklung neuer Zelltherapien bzw. Zellgenerationsprodukte angemes- sen Rechnung getragen werden. Der Zweck des Stammzellgesetzes ist in § 1 Nr. 1, 2 und 3 verankert: Einfuhr und Verwendung embryonaler Stammzellen zu verbieten, zu vermeiden, dass von Deutschland aus eine Gewinnung embryonaler Stamm- zellen oder eine Erzeugung von Embryonen zur Gewin- nung embryonaler Stammzellen veranlasst wird und Vo- raussetzungen zu bestimmen, unter denen die Einfuhr und die Verwendung embryonaler Stammzellen aus- nahmsweise zu Forschungszwecken zulässig sind. Ich möchte nochmals klarstellen, dass es eine ganz klare Regelung gibt: Die Einfuhr und die Verwendung humaner embryonaler Stammzellen, hES-Zellen, sind grundsätzlich verboten und nur mit Genehmigung der zuständigen Behörde ausschließlich für Forschungszwe- cke erlaubt. Ohne Genehmigung sind die Einfuhr und die Verwendung strafbar. Es dürfen embryonale Stamm- zellen allenfalls importiert und verwendet werden, wenn nach Überzeugung der Genehmigungsbehörde und der Zentralen Ethik-Kommission für Stammzellforschung feststeht, dass hochrangige Forschungsziele damit ver- bunden sind und Erkenntnisse nicht ohne embryonale Stammzellen gewonnen werden können. Daran werden wir nicht rütteln. Zudem enthält das Stammzellgesetz eine Stichtagsre- gelung, die besagt, dass nur mit embryonalen Stammzel- len geforscht werden darf, die vor dem 1. Januar 2002 gewonnen wurden; dies gilt auch für das Herkunftsland. Mit dieser Stichtagsregelung will das Gesetz verhindern, dass im Ausland vorhandene Embryonen für Zwecke deutscher Forschung getötet werden. Aus dem Blickwinkel der in Deutschland tätigen For- scher stellt sich diese feste Stichtagsregelung als proble- matisch dar. Die Stellungnahme der Deutschen For- schungsgemeinschaft zur Stammzellforschung vom November 2006 macht deutlich, dass wir uns mit dem Stammzellgesetz von 2001 erneut beschäftigen müssen. Im Berichtzeitraum 2004/2005 hat es weltweit auf dem Gebiet der Stammzellforschung erhebliche Fort- schritte gegeben. Es ist gelungen, sowohl hES-Zelllinien ohne tierische Zusätze und Verunreinigung wie auch zu- nehmend Stammzelllinien mit spezifischen genetischen Defekten herzustellen, die der Krankheitsanalyse dienen können. Eine Aussage des Berichts ist, dass auf For- schungsarbeiten mit humanen embryonalen Stammzel- len derzeit nicht verzichtet werden kann. Grundlagen- kenntnisse für mögliche spätere therapeutische Ansätze könnten nur in parallelen Arbeiten an adulten wie em- bryonalen Stammzellen gewonnen werden. Zum anderen geht es um die Übertragbarkeit von Erkenntnissen aus der Arbeit mit tierischen Stammzellen auf die Anwen- dung am Menschen. Vor dem Hintergrund des aktuellen Forschungstandes ist vor allem die Frage zu klären, in- wieweit deutsche Forscher durch den Verzicht auf neu- ere Stammzelllinien von wichtigen Feldern der Grundla- genforschung abgekoppelt werden. Darüber hinaus haben Forscher ein weiteres Problem: das der Rechtsunklarheit bei internationalen Kooperatio- nen. Deutsche Forscher sind zunehmend verunsichert und fühlen sich von internationalen Kooperationen mehr und mehr ausgeschlossen. Denn bisher machen sich Amtsträger, beamtete Hochschullehrer, auch Wissen- schaftler an staatsnahen Forschungseinrichtungen straf- bar, wenn sie im Ausland an nach dem deutschen Stammzellgesetz nicht erlaubten humanen embryonalen Stammzellen arbeiten. Strittig ist, ob das Stammzellge- setz in seiner Wirkung auf das Inland beschränkt ist oder nicht. Wenn es nicht auf das Inland beschränkt ist, dann greift § 9 Strafgesetzbuch, und deutsche Wissenschaftler machen sich schon beim Austausch mit Kollegen im Ausland, die nicht mit gesetzeskonformen Stammzell- linien arbeiten, strafbar. Zwar hat die Stichtagsregelung seinerzeit die Mög- lichkeit eröffnet, Grundlagenforschung zu betreiben, aber die deutschen Forscher sind nun der Meinung, dass angesichts der inzwischen weltweit erzielten Erkenntnis- fortschritte in der Stammzellforschung und angesichts des zunehmend deutlicher werdenden Ausschlusses deutscher Stammzellforscher aus internationalen Ko- operationen die Stichtagsregelung nicht mehr genüge und zum gegenwärtigen Zeitpunkt immer mehr an ein völliges Verbot der Forschung mit hES-Zellen in Deutschland heranreiche. Dabei widerspricht eine vom Gesetz herbeigeführte verbotsgleiche Wirkung dem er- klärten Ziel des Stammzellgesetzes selbst, nämlich die Stammzellforschung in Deutschland nicht zu verhindern. Hier müssen wir gemeinsam Lösungen finden. Die Dinge sind schwierig. Was wir brauchen, ist eine echte Werteorientierung. Die Werteorientierung heißt Lebensschutz. Aber sie beinhaltet auch, dass wir uns in der Stammzellforschung Wege offenhalten müssen. Denn ein kategorisches Nein ist keine ethische Haltung. Ob unser Stammzellgesetz weiterentwickelt werden muss, gilt es vorurteilsfrei zu prüfen. Deshalb haben wir im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfol- genabschätzung einvernehmlich auf Vorschlag der Aus- schussvorsitzenden Ulla Burchardt beschlossen, eine öf- fentliche Anhörung zu diesem Thema anzusetzen, um sowohl die Aspekte der Forschung wie auch ethische und rechtliche Gesichtspunkte zu diskutieren. Im Mittel- punkt wird die Frage stehen, ob eine Änderung des be- stehenden Stammzellgesetzes wirklich nötig ist. Die An- hörung wird voraussichtlich am 9. Mai stattfinden. Doch eine gänzliche Abschaffung der Stichtagsregelung, so wie es die FDP und die DFG in ihren Anträgen fordern, Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 7939 (A) (C) (B) (D) ist mit der Union nicht zu machen. Eventuell wäre eine Verschiebung des Stichtages, so wie es sogar die EKD vorschlägt, ein Kompromiss. Wir fordern die Forscher auf, Alternativen zur jetzigen Regelung aufzuzeigen, ohne eine grenzenlose Freigabe zu ermöglichen. Rene Röspel (SPD): Am 30. Januar 2002 fand im Bundestag die Grundsatzdebatte zum Thema Stammzell- forschung und Embryonenschutz statt. Eine Vielzahl von Fragen wurde in einer sehr ernsthaften Debatte ange- sprochen: Wann beginnt menschliches Leben? Ab wann kommt menschlichem Leben der grundgesetzlich garan- tierte Schutz der Menschenwürde zu? Kann es gerecht- fertigt sein, dass menschliches Leben (auch in seiner frü- hesten Form) zu Forschungszwecken zerstört wird? Gibt es Alternativen zur embryonalen Stammzellforschung? Für diese parlamentarische Debatte und für die öffent- liche Diskussion gab es eine ganze Reihe guter theoreti- scher Grundlagen verschiedener Herkunft. Umfassende Bewertungen der juristischen Hintergründe, des natur- wissenschaftlichen und medizinischen Sachstands, mög- licher Entwicklungen und der ethischen Problematik wurden unter anderem von der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages, durch Stellungnahmen der Kir- chen, Forschungsorganisationen und der Wirtschaft ge- liefert. Die Antworten und Beiträge von 40 Abgeordneten fielen unterschiedlich aus und basierten auf den indivi- duellen Wertehaltungen. Zur Abstimmung standen drei Anträge: die Ablehnung der Forschung mit embryonalen Stammzellen, deren begrenzte Zulassung und ein An- trag, der einen begrenzten Import von Stammzelllinien zulassen wollte. Die sehr intensive Diskussion von mehr als zwei Jah- ren mündete letztlich in einer Entscheidung des Bundes- tages für das Stammzellgesetz, das es erlaubt, vor dem Stichtag 1. Januar 2002 hergestellte embryonale Stamm- zelllinien unter bestimmten Bedingungen aus dem Aus- land zu importieren. Auch wenn ich gegen die embryo- nale Stammzellforschung war und bin, habe ich das Stammzellgesetz wie viele andere mitgetragen, um es zu einem starken Kompromiss zu machen. Das am 1. Juli 2002 in Kraft getretene Stammzellgesetz gibt deutschen Forschern die Möglichkeiten, um die sie gebeten hatten. Es hat die gesellschaftliche und parlamentarische De- batte in einer ethisch umstrittenen Frage befriedet und in ruhige Bahnen gelenkt. Wer diesen starken, nicht einmal fünf Jahre jungen Kompromiss aufkündigen will, braucht sehr gute Gründe. Die FDP will mit ihrem vorgelegten Antrag diesen Kompromiss aufheben. Nachvollziehbare – geschweige denn gute – Gründe aber liefert sie nicht. Die FDP spricht in ihrem Antrag davon, dass bei der embryonalen Stammzellforschung die Entwicklungen zeigten, dass die Aussichten auf neue Heilungsmethoden für schwerste Erkrankungen wie zum Beispiel Herzinfarkt und Multiple Sklerose am größten sind. Ist das wirklich so? In den letzten Jahren hat es bereits gigantische Inves- titionen in die Stammzellforschung gegeben. Aus dem Bundeshaushalt der USA wurden seit 2001 130 Millio- nen US-Dollar für die Forschung mit embryonalen Stammzellen ausgegeben. Der US-Bundesstaat Kalifor- nien stellt 3 Milliarden US-Dollar für eine Stammzellini- tiative für die nächsten zehn Jahre zur Verfügung. Davon sind allein 300 Millionen US-Dollar für humane embryo- nale Stammzellen vorgesehen – ein Programm für adulte Stammzellen ist allerdings nur angekündigt. Großbritan- nien förderte die Stammzellforschung bis 2005 mit jähr- lich 40 Millionen Euro, ab 2006 sogar mit 75 Millionen Euro jährlich. Auch die Bundesrepublik Deutschland ist nicht untätig geblieben. Über das Bundesministerium für Bildung und Forschung wurden seit 1999 13 Millionen Euro und über die Deutsche Forschungsgemeinschaft über 50 Millionen Euro für Stammzellforschung ausge- geben. Allerdings: Der Großteil der deutschen Mittel wird für die ethisch unproblematische adulte Stammzell- forschung verwendet. Sieht man sich vor diesem Hintergrund die Ergeb- nisse an, wie sie der Stellungnahme der DFG, dem Stammzellbericht oder der Ausarbeitung des wissen- schaftlichen Dienstes entnommen werden können, wird deutlich, dass es trotz der immensen vom Ausland einge- setzten Mittel keinerlei therapeutischen Ansätze mit em- bryonalen Stammzellen des Menschen gibt. Berichte über erfolgreiche Versuche stammen maximal von Tier- modellen. Zu den adulten gewebespezifischen Zellen schreibt die DFG jedoch auf Seite 21 unten: … die therapeutische Nutzung gewebespezifischer Stammzellen ist bisher nur in Ausnahmefällen möglich. Es stimmt, dass adulte Stammzellen nur in Ausnah- mefällen therapeutisch genutzt werden können, aber sie können benutzt werden. Bei embryonalen Stammzellen gibt es die Therapie nicht einmal im Ansatz. Liegen wir also so falsch, wenn wir die begrenzten Mittel für die schon therapeutisch nutzbaren adulten Stammzellen verwenden und nicht den ethisch umstritte- nen Weg gehen? Nein. Wir sollten uns sogar noch stär- ker auf Stammzellen aus Nabelschnurblut und andere Alternativen konzentrieren. Die FDP spricht in ihrem Antrag wieder davon, em- bryonale Stammzellforschung sei „ein Gebot der Ethik“. Ich halte das für falsch. Ein Gebot der Ethik ist es, end- lich bei den vielen betroffenen kranken Menschen nicht durch falsche Heilsversprechen Hoffnungen zu wecken, die nicht erfüllbar sind. Wir wollen keine falschen Hoffnungen wecken, son- dern verantwortungsvoll mit ethisch schwierigen Fragen umgehen. Deshalb haben wir für den Mai die Durchfüh- rung einer Ausschussanhörung beschlossen, in der wir mit externen Sachverständigen darüber diskutieren wer- den, ob die Begründungen der Befürworter ausreichen, um den Stammzellkompromiss aufzukündigen. Ulrike Flach (FDP): Ziel des FDP-Antrages ist es, den Glaubensstreit um die Forschung an embryonalen 7940 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 (A) (C) (B) (D) Stammzellen auf rationale Entscheidungen zurückzufüh- ren. Wir wollen nicht aufrechnen, ob die Forschung mit embryonalen Stammzellen oder mit adulten Stammzellen erfolgversprechender ist; wir brauchen beides und wir haben bei beidem Erfolge und Rückschläge. Wir wollen deutlich machen, dass die bisherige Regelung weder denjenigen dient, die aus moralischen Gründen jede For- schung an embryonalen Stammzellen ablehnen, noch jenen, die aus ebenso moralischen Gründen jede Chance zur Entwicklung von Therapien für schwere Krankheiten nutzen wollen. Fakt ist: Wer fundamentalistisch jede Forschung ablehnt, der kann auch mit einer Verschiebung des Stichtages nicht zufrieden sein. Das ist der Widerspruch im Vorschlag von Bischof Huber: Entweder ist die Forschung mora- lisch nicht zu rechtfertigen; dann ist sie es zu keinem Zeitpunkt der Entstehung der Embryonen. Oder sie ist es, und dann ist sie moralisch sogar geboten, um kranken Menschen zu helfen. Dann bedarf es aber keines Stichtages. Wir meinen, wir brauchen inzwischen dringend eine Abschaffung des Stichtages: erstens, weil unsere Wis- senschaftler keinen Zugang zu Stammzelllinien haben, die jünger als fünf Jahre sind. Diese älteren Linien sind zum Teil kontaminiert, sie spielen in internationalen Forschungsprojekten keine Rolle mehr, und sie sind für unsere Forscher oft nur mit Auflagen und finanziellen Aufwendungen nach einem langen Genehmigungsverfah- ren nutzbar. Die deutsche Stammzellforschung isoliert sich international, weil Kooperationen immer unter dem Damoklesschwert der Strafbarkeit von Mitwirkung an Forschung im Ausland stehen. Deshalb brauchen wir zweitens eine Entkriminalisierung mit der Streichung der Auslandstatbestände. Es kann nicht sein, dass ein deutscher Wissenschaftler, der seinem englischen Kollegen Literatur schickt oder ihn telefonisch berät, Angst haben muss, sich strafbar zu machen. Das ist nicht nur die Meinung der FDP und der Deutschen Forschungsgemeinschaft, sondern auch vieler Abgeord- neter in nahezu allen Fraktionen dieses Hauses. Deshalb werden wir als Liberale bei allen Abgeordneten dafür werben, den Forschern in Deutschland die Mög- lichkeiten zu geben, die Wissenschaftler in Ländern mit uns verwandten ethischen Normen und Standards haben: Großbritannien, Belgien, Skandinavien. Das sind Länder, deren Menschenrechtsverständnis dem unseren nicht nachsteht und in denen die Kirchen zum Teil eine völlig andere Linie vertreten. Heilsversprechen sind fehl am Platze; das wissen wir, und das hat auch die DFG in ihrem sehr zurückhaltenden Gutachten deutlich gemacht. Wir gehen davon aus, dass diese Fragen wie in der Vergangenheit auch diesmal vom Parlament ohne Druck aus der Regierung in Form von Gruppenanträgen ent- schieden werden. Insofern ist es schade, dass die heutige Debatte nicht zu einer günstigeren Tageszeit stattfindet; denn wir wollen für dieses Thema eine große Medien- aufmerksamkeit und eine breite Diskussion in der Öffent- lichkeit. Die Umfrage zur Akzeptanz der Stammzellenforschung gibt nämlich nur einen Teil der öffentlichen Meinung wieder. Es ist immer eine Frage der Fragestellung: Wenn Sie fragen: Wollen Sie, dass Embryonen für die Forschung getötet werden, werden Sie ein überwiegendes Nein bekommen. Wenn Sie fragen, wollen Sie, dass embryonale Stammzellen für die Therapie schwerstkranker Menschen genutzt werden können, werden Sie ein überwiegendes Ja bekommen. Deshalb sind solche Momentbefragungen wenig aussagekräftig. Das Thema muss wieder auf die Tagesordnung: Unser FDP-Antrag gibt die Initialzündung zur Befassung im Forschungsausschuss. Ich bin sicher, dass sich nach der Anhörung im Frühjahr fraktionsübergreifende Gruppen bilden werden; und das ist auch gut so. Die Entschei- dungskompetenz liegt beim Parlament und nicht bei der Bundesregierung. Ich freue mich auf viele Gespräche mit den Kollegen und werbe für unsere liberale Position. Monika Knoche (DIE LINKE.): Schon die Problem- beschreibung, die den FDP-Antrag einleitet, ist nicht korrekt. Die Begründung entspricht nicht dem Stand heutiger Erkenntnisse. Es ist nämlich mitnichten richtig, dass das Stammzellgesetz aus dem Jahr 2002 die deut- sche Forschung in die internationale Isolation verweist. Richtig ist, dass es zu erstaunlichen neuen Funden ge- kommen ist. Der durch das Gesetz bewusst gesetzte Stichtag hat sich nicht als Forschungshindernis erwie- sen, sondern die Forschung nach Alternativen angeregt. Denn neben den bekannten embryonalen Stammzellen im Nabelschnurblut konnten zum Beispiel neben ande- ren embryonalen Stammzellfunden jetzt auch embryo- nale Stammzellen im Fruchtwasser gefunden werden. Das ist ein großartiger Gewinn für die Grundlagenfor- schung. Hier kann sich die Forschungslandschaft „frei“ bedienen und Erkenntnisse gewinnen, ohne dass ein Mensch in einem frühen Stadium der Verzweckung ge- opfert würde. Das herausragende Gebot der Menschenwürde, das einzuhalten dem Gesetzgeber auferlegt ist, hat erwiese- nermaßen nicht zu einem Ende der embryonalen Stamm- zellforschung geführt; sie kann auf ethisch unproblema- tische Felder verlegt werden. Die Forderung der adulten Stammzellforschung ist richtig und sollte auch weiter mit öffentlichen Mitteln stärker unterlegt werden. Dane- ben sollten aber auch neue Wege zur Gewinnung embryo- naler Stammzellen, ohne Embryonen töten zu müssen, vorrangig gefördert werden. Diesen gewichtigen neuen Sachverhalt würdigen Sie von der FDP leider nicht, obgleich er davon zeugt, dass es keiner Verwerfung und Vernichtung des menschlichen Lebens in seinen frühesten Stadien bedarf, um mehr über das Geheimnis des Werdens des Menschen zu erfahren. Der Deutsche Bundestag hat in einer verantwortungs- vollen Art und Weise im Jahr 2002 einen Kompromiss in der Frage des Imports embryonaler Stammzellen gefun- den. Wie viele andere Abgeordnete im Hause bin auch ich bei der Auffassung geblieben, dass die Gültigkeit des Menschenwürdeprinzips als historisch-humanisti- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 7941 (A) (C) (B) (D) sche Leistung in unserem Grundgesetz schon durch die- sen Kompromiss verletzt wird. Jedoch, niemand der Gegnerinnen und Gegner des Stammzellimports hat sich gegen die Stammzellforschung ausgesprochen, wohl aber ist der Forschungsschwerpunkt auf die adulte Stammzellforschung gelegt worden. Denn schon nach wenigen Jahren hat sich die Wichtigkeit der adulten Zel- len für Therapien erwiesen. Die embryonale Stammzell- forschung kann dies natürlich nicht aufweisen. Dies müssen Sie in Ihrem Antrag registrieren und dürfen nicht ein verzerrtes Bild zeigen. Das im Jahr 2007 entstandene Papier des Wissen- schaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages kann der embryonalen Stammzellenforschung, bezogen auf die von Ihnen behaupteten Potenziale, nur ein schmales Zeugnis ausstellen. Frühestens in 20 Jahren können eventuell die Grundlagenforschungen Ergebnisse zeiti- gen. Was für welche das dann sein werden, wissen wir nicht. Was wir aber heute genau wissen, ist, dass adulte Stammzellen seit vier Jahrzehnten klinisch angewandt werden können. Dabei werden bei verschiedenen Indika- tionen gute Effekte erzielt. Insbesondere ist in einigen Fällen nicht klar, wie die gesundheitsfördernden Wir- kungen zustande kommen. Hier noch intensiver zu for- schen und mehr Geld aufzuwenden ist vor dem ethischen Hintergrund und angesichts des Heilungsauftrages und Leidlinderungsanspekts das Gebot der Stunde. Und hier soll sich Deutschland etablieren – als der internationale Standort für adulte Stammzellforschung. Das halten wir für besonders anstrebenswert. Im Januar 2007 gab es in den USA 1 229 klinische Studien mit adulten Stammzellen, und die Grundlagen- forschung, das Tagesgeschäft, sind eben klinische Stu- dien mit embryonalen Stammzellen. Wenn Sie von der FDP sagen: „Die Ausschöpfung der Heilungsmöglichkeiten bei Krankheiten wie dem Herz- infarkt, wie sie zum Beispiel durch die embryonale Stammzellforschung entwickelt werden können, ist ein Gebot der Ethik“, dann ist das nahe an Irreführung. Ob sich mit solchen Botschaften heute noch Börsenhypes erzielen lassen, sei dahingestellt. Einzig für die Patent- gebung mag derzeit Nutzen generiert werden. Aber das ist nicht der Handlungsauftrag des Gesetzgebers. Bezogen auf die menschenrechtliche und verfas- sungsdogmatische Einordnung der Frage des Status des Embryos, den der Bundestag im Jahr 2002 im Stamm- zellgesetz und im Embryonenschutzgesetz vorgenom- men hat, muss man schon staunen, mit welcher Chuzpe die FDP-Fraktion ihren Antrag begründet. Sie sagt: Üb- rig gebliebene Embryonen, die nicht den Uterus der Frau erreichen, sollen künftig für die Gewinnung von Stamm- zellen vernichtet werden können. Dazu sage ich: Leben ist zweckfrei. Das gilt auch für den Embryo in einem frühen Stadium, der aus der künstlichen Befruchtung entstanden ist. Ihrem hierin geäußerten Utilitarismus, ihrer Nützlich- keitsethik fehlt jedwede verfassungs- und menschen- rechtliche Einordnung und Begründung. Dass die FDP einen so wenig komplex begründeten Antrag vorlegt, er- staunt mich. Dass sie bezogen auf die Embryonenver- werfung das Wort von der Doppelmoral einführt, mutet befremdlich an. Zwar bin auch ich der Auffassung, dass der beste- hende Stammzellimportkompromiss eine Doppelmoral darstellt. Deutsche Embryonen dürfen nicht getötet wer- den, ausländische embryonale Stammzellen aber impor- tiert werden. Zwischen Leben und Tod gibt es keinen Kompromiss. Die Natur kennt nur je einen der Zustände. Daran kommt auch eine Gesetzesakrobatik nicht vorbei. Aus dem Stammzellkompromiss aber zu schlussfolgern, es sollten gleich alle Regeln fallen, im Sinne von „anything goes“, ist meines Erachtens ein Zeugnis da- von, dass Sie einer interessengeleiteten Ethik den Vor- zug geben, einer Ethik, die bar von Barrieren ist. Das ist nicht der Grundgesetzauftrag, den ich aus der Verfas- sung ablese. Der FDP-Antrag ist heute in der ersten Lesung. Es wird eine öffentliche Anhörung geben. Dabei werden der Zweite Erfahrungsbericht der Bundesregierung über die Durchführung des Stammzellgesetzes und die Ausarbei- tung des Wissenschaftlichen Dienstes hilfreiche Beach- tung finden. Und so, hoffe ich, werden korrekte Darstel- lungen über das Leistungsvermögen von embryonalen Stammzellen für Therapien dazu beitragen können, dass Sie Ihre meines Erachtens übereuphorischen Erwartun- gen an die embryonale Stammzellforschung den Realitä- ten anpassen. Meine persönliche Erwartung ist auch, dass der Deutsche Bundestag den gebotenen Respekt ge- genüber der Gesetzgebung von 2002 aufbringt und seine Zukunftsfähigkeit anerkennt. Wir haben uns als Abge- ordnete der 14. Legislatur diesen Aufgabe gestellt und ein Gesetz geschaffen, dessen ethischer und rechtlicher Bestand sich nicht einfach relativieren lässt. Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Ende letzten Jahres ist die Debatte um das deut- sche Stammzellgesetz wieder neu entflammt, seit die DFG ihre Stellungnahme zur Änderung des Stammzell- gesetzes vorgestellt hat. Die Forderungen nach Aufhe- bung der Stichtagsregelung werden damit begründet, dass das Gesetz die Forschung in Deutschland behin- dere. Durch den Gesetzesentwurf der FDP wird die For- derung der DFG nun ins Parlament getragen und zur Ab- stimmung gestellt. Die damalige Festlegung auf eine gesetzliche Rege- lung für die Stammzellforschung war eine Verständi- gung, die von Abgeordneten getroffen wurde in Abwä- gung ethischer Positionen und der Möglichkeit, Grundlagenforschung zu betreiben. Gibt es nun gravie- rende Gründe, diesen gesellschaftlichen Frieden aufzu- kündigen? Die DFG führt dazu drei Hauptargumente an: erstens wissenschaftliche Gründe, zweitens rechtliche Gründe und drittens ethische Gründe. Zu Punkt eins. Als erheblichen Nachteil nennt die DFG die Verunreinigung der embryonalen Stammzellli- nien, die vor 2002 gewonnen wurden. Internationale Forschungsergebnisse mit neueren embryonalen Stamm- zelllinien in der Grundlagenforschung zeigen allerdings 7942 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 (A) (C) (B) (D) keine wesentlichen Erfolge, die Aussicht auf Anwen- dung in klinischen Studien und therapeutischen Erfolg geben würden. Weiterhin betont die DFG selbst, dass derzeit kein se- riöser Wissenschaftler einen Antrag auf klinische Stu- dien stelle, da die Forschung mit neueren embryonalen Stammzellen noch weit entfernt sei von dem Stadium, damit klinische Forschung zu betreiben. Auch sagen sie, dass alle embryonalen Stammzellen, also auch die neuen Stammzelllinien, mit der Zeit durch genetische und epi- genetische Veränderungen instabil würden und stärker zu Mutationen neigten. Eine Verschiebung des Stichtags, wie der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche Deutschland, Bi- schof Wolfgang Huber, vorschlug, ist demnach wenig sinnvoll und würde sich zu einem nachlaufenden Stich- tag entwickeln, da auch die dann neu zugelassenen Stammzellen irgendwann genetische bzw. epigenetische Veränderungen aufweisen würden. Zu Punkt zwei. Das rechtliche Argument der DFG ist, dass die mögliche Kriminalisierung durch das Stamm- zellgesetz nach wie vor einen erheblichen Nachteil für deutsche Forscher darstellen würde, da diese aus Angst vor Strafbarkeit sich nicht an Forschungsprojekten der embryonalen Stammzellforschung beteiligen würden. Zunehmend würden deutsche Forscher über Probleme in der Zusammenarbeit mit Forschern im Ausland auf die- sem Gebiet klagen. Der Inlandsbezug der entsprechenden Regelung im Stammzellgesetz bei Verstoß gegen die Genehmigung von Einfuhr und Arbeit an embryonalen Stammzellen in Deutschland ist nach wie vor unbestritten. Die Frage, ob es Beihilfe zu einer Straftat sei, wenn ein deutscher For- scher mit einem ausländischen Forscher ein Telefonat über ein Projekt mit embryonalen Stammzellen führt, die nach 2002 gewonnen wurden, verunsichere die Forscher. Dies führe zu Nichtbeteiligung an internationalen Pro- jekten auf diesem Gebiet. Wir sehen dieses angebliche Problem nicht so, nicht nur, weil es dazu unterschiedliche rechtliche Ausarbei- tungen gibt, sondern auch, weil unter anderem bisher keine Anzeige wegen Beihilfe zu einer Straftat bekannt ist. Trotzdem nehmen wir das Argument, dass Forscher deswegen verunsichert sein könnten, ernst und werden uns in einer Anhörung im Forschungsausschuss im Mai Klarheit verschaffen. Zu Punkt drei. Neue ethische Gesichtspunkte haben sich seit der Debatte um das Stammzellgesetz 2002 nicht ergeben. Der ethische Konflikt um die verschiedenen Positionen zur Menschenwürde konnte schon damals nicht ausgeräumt werden. Bedenken gegen den Ver- brauch menschlicher Embryonen für Forschung und the- rapeutische Anwendung bestehen immer noch, und es gibt keine neuen Erkenntnisse, die Waagschale in die eine oder andere Richtung zu verschieben. Das hat auch erst kürzlich eine Umfrage von Infratest ergeben. Frau Flach sagte hierzu in den Medien, dass Umfragen nicht ihre Politik bestimmen würde. Anschei- nend gilt das nur für bestimmte Umfragen; denn noch in einer Rede im Bundestag im September drängten Sie auf eine Änderung des Stammzellgesetzes, weil „laut Um- frageergebnissen“ deutsche Stammzellforscher auswan- dern würden. Wir halten das bestehende Stammzellgesetz nach wie vor für richtig und sehen keinen Anlass für Abschaffung oder Verschiebung des Stichtages. Diese Haltung wird nicht zuletzt durch die Ergebnisse des 2. Erfahrungsbe- richtes der Bundesregierung zum Stammzellgesetz und die jüngste Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Diens- tes bestätigt. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Unterrichtung: Vorschlag für eine Verord- nung des Rates zur Errichtung einer Agen- tur der Europäischen Union für die Grund- rechte Vorschlag für einen Beschluss des Rates zur Ermächtigung der Agentur der Europäi- schen Union für die Grundrechte, ihre Tä- tigkeiten in den Bereichen nach Titel VI des Vertrags über die Europäische Union auszu- üben – Antrag: Die Rechte der Bürgerinnen und Bürger in der EU stärken – Mandat der Grundrechteagentur sinnvoll ausgestalten – Antrag: Eine Grundrechteagentur der EU wird nicht gebraucht (Zusatztagesordnungspunkte 8 und 9) Holger Haibach (CDU/CSU): Die Einrichtung einer Agentur für die Grundrechte auf EU-Ebene hat den Deutschen Bundestag in vielen Ausschusssitzungen und einigen Plenardebatten beschäftigt. Das ist auch richtig so. Denn an der Einrichtung dieser Agentur kann man exemplarisch eine der Grundfragen des internationalen Grund- und Menschenrechtsschutzes festmachen: Wie viele neue Institutionen, Vereinbarungen und Überein- kommen braucht es zum Schutz der Menschenrechte? Wo soll in Zukunft unser Schwerpunkt liegen? Bei der Umsetzung und Stärkung der bereits reichlich vorhande- nen Instrumente und Verträge oder bei der Schaffung von neuen? Mein Eindruck, den ich in fünf Jahren Beschäftigung mit Menschenrechten gewonnen habe, ist, dass es uns nicht an Institutionen und Papieren fehlt, sondern vielerorts an dem Willen, die Leitsätze der Grund- und Menschen- rechte Wirklichkeit werden zu lassen. Insofern, und das kommt ja auch im Antrag der Koalition zum Ausdruck, gab und gibt es Gründe, an der Sinnhaftigkeit und dem Mandat der Grundrechteagentur zu zweifeln. Zweifel sind auch deshalb erlaubt, weil es bei den vorhandenen Instrumenten oftmals nicht nur an dem Willen zur Durch- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 7943 (A) (C) (B) (D) setzung mangelt, sondern auch an den entsprechenden Ressourcen, vor allem an Personal und Geld. Die EU verfügt bereits über ein beachtliches Instrumen- tarium zum Grundrechte- und Menschenrechtsschutz. Darüber hinaus gibt es mit dem Europäischen Men- schenrechtsgerichtshof eine ausgesprochen glaubwürdige und erfolgreiche Institution, an die sich Menschen in den Mitgliedstaaten des Europarats und damit auch der EU wenden können, um ihre individuellen Anliegen vorzu- bringen und durchzusetzen. Dieser Menschenrechts- gerichtshof hat sich in den letzten Jahren als dermaßen erfolgreich erwiesen, dass er inzwischen – so paradox es klingen mag – an diesem Erfolg quasi zu ersticken droht, weil die Zahl der anhängigen und nicht erledigten Fälle von Jahr zu Jahr immer größer wird und mittlerweile bei über 80 000 liegt. Dem ist nur abzuhelfen, wenn der Gerichtshof reformiert wird – hier sei auf das 14. Zusatz- protokoll zur EMRK verwiesen. Und gleichzeitig bedarf es eben auch eines erhöhten Einsatzes von Ressourcen – Geld und Personal. Wenn also der gesamte Europarat inklusive des Gerichtshofes mit gerade einmal 15 Millionen Euro pro Jahr finanziert wird und gleichzeitig für die Grund- rechteagentur beinahe 30 Millionen Euro im endgültigen Ausbau bereitgestellt werden sollen, dann muss die Frage erlaubt sein, ob die Mittel richtig gewichtet und eingesetzt sind. Wenn denn nun so viel Geld für diese Agentur zur Verfügung steht, dann gilt es jetzt, darauf zu achten, dass die Agentur einen klaren Auftrag bekommt und dass Doppelungen mit den Aufgaben des Menschenrechts- gerichtshofs vermieden werden. Dieser Aufgabe tragen meiner Meinung nach die Bemühungen der Bundes- regierung Rechnung. Dies zeigt sich unter anderem darin, dass ein Vertreter des Gerichtshofs ständig an der Arbeit der Agentur beteiligt ist und somit eine Chance besteht, dafür zu sorgen, dass Gerichtshof und Agentur sich ergänzen und sich nicht doppeln; dass die Agentur ihre Aufgabe, nämlich Hilfe bei Implementierung und Be- obachtung der Menschrechtslage innerhalb der EU, so wahrnimmt, dass ihre Arbeit einen tatsächlichen Mehr- wert bietet. Deshalb spreche ich auch dafür, die Beschlussemp- fehlung des Europaausschusses zu unterstützen, weil ich der Überzeugung bin, dass sie den Bedenken des Bundes- tags Rechnung trägt und zum anderen aber auch die Tatsache anerkennt, dass es aller Voraussicht nach eine solche Agentur geben wird. Es mag verwundern, dass auch die Menschenrechtspolitiker in diesem Hause sich schwertun mit der neuen Agentur. Aber gerade uns ist sehr bewusst, dass ein Mehr von Gremien nicht immer automatisch auch ein Mehr an Grund- und Menschen- rechten bedeutet. Zusammenfassend gilt: Wir haben viele Institutionen, wir produzieren viel Papier. Was wir jetzt und in Zukunft brauchen, ist der Wille zur Tat. Thomas Silberhorn (CDU/CSU): Fast ein Jahr lang haben wir uns nun ausführlich und immer wieder mit der Errichtung einer EU-Grundrechteagentur befasst. Eine der Schwierigkeiten in dieser Debatte lag darin, dass die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten schon einige Jahre länger über dieses Vorhaben verhandeln. Dieser Um- stand wird uns bei EU-Vorlagen weiterhin regelmäßig begegnen. Die vorbereitenden Arbeiten auf EU-Ebene sind meist schon weit gediehen, bis wir im Bundestag förmlich über eine Initiative unterrichtet werden. Um auf die Beschlussfassung im Rat Einfluss nehmen zu können, ist es deshalb besonders wichtig, die Ver- handlungen auf der Arbeitsebene kritisch und vor allem ständig zu begleiten. Darum haben wir uns mit großem Einsatz, wenn auch mit nur bescheidenem Erfolg be- müht. Den beteiligten Kolleginnen und Kollegen aus al- len Fraktionen danke ich dafür, dass wir uns bei dem Vorschlag zur Errichtung einer EU-Grundrechteagentur eine Art „schwebende Zuständigkeit“ erhalten haben, die nach meinem Dafürhalten unsere generelle Verfah- rensweise bei EU-Vorlagen werden muss, mit denen wir uns näher auseinandersetzen wollen. Solche Vorhaben dürfen nicht mit einer einmaligen Befassung im Aus- schuss abgewürgt werden, sondern müssen so lange of- fen gehalten werden, bis die Beschlussfassung in Brüssel erfolgt ist. Unsere intensiven Beratungen zur EU-Grund- rechteagentur in gleich fünf Ausschusssitzungen waren insoweit stilbildend. In der Sache nehme ich zur Kenntnis, dass die Bun- desregierung an der bereits im Jahr 2003 getroffenen po- litischen Grundentscheidung festhält, eine Agentur der Europäischen Union für die Grundrechte zu errichten. Die Tatsache, dass diese Zusage offenbar Bestandteil ei- nes Verhandlungspakets war, zu dem unter anderem die Errichtung der Europäischen Agentur für Flugsicherheit in Köln zählte, macht die Haltung der Bundesregierung zwar nachvollziehbar, aber nicht leichter akzeptabel. Den erheblichen und von allen Seiten dieses Hauses ge- äußerten Bedenken kommt es entgegen, dass die Agen- tur wenigstens nicht auf eigene Initiative im Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Straf- sachen tätig werden darf und ihre Arbeit grundsätzlich auf die EU und ihre Mitgliedstaaten begrenzt bleibt. Da der Verordnungsvorschlag nicht der Zustimmung des Bundestages bedarf, zu der ich mich – wie ich schon im Europaausschuss unablässig deutlich gemacht habe – niemals bereitgefunden hätte, müssen wir uns darauf konzentrieren, vernünftig zu gestalten, was wir nicht mehr aufhalten können. Es freut mich sehr, dass wir uns in breitem Einvernehmen darauf verständigen konnten, eine deutlich geringere personelle und finanzielle Aus- stattung der Grundrechteagentur anzustreben, als die Kommission vorgeschlagen hat. Es wäre nachgerade grotesk, wenn wir für Beamte, die über die Lage der Grundrechte im Allgemeinen Daten sammeln und Be- richte schreiben, mehr Geld übrig hätten, als etwa dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zur Ver- fügung steht, bei dem 80 000 Verfahren zu konkreten Menschenrechtsverletzungen anhängig sind. Es ist daher nur folgerichtig, dass wir uns gemeinsam für eine bes- sere Ausstattung des Menschenrechtsgerichtshofes in Straßburg aussprechen. Der Bundesregierung möchte ich ausdrücklich für ihre Bereitschaft danken, uns in diesen Punkten mit allen ihr zu Gebote stehenden Möglichkei- ten nachhaltig zu unterstützen. 7944 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 (A) (C) (B) (D) Wir müssen die Errichtung der Grundrechteagentur zum Anlass nehmen, die stetig wachsende Zahl neuer bü- rokratischer Einrichtungen der EU sehr kritisch zu hin- terfragen. Ich hege eine grundlegende Abneigung gegen das Ansinnen, immer neue Sonderbehörden zu schaffen, weil es unserem erklärten Ziel, Bürokratie abzubauen, dia- metral widerspricht. Die EU-Verwaltung verliert gewal- tig an Effizienz, wenn immer mehr Aufgaben auf neue Einrichtungen verlagert werden, die meist nicht in die Kommission eingegliedert sind, sondern ihr Eigenleben führen. Dieses Phänomen der „Institutionitis“ muss dringend therapiert werden. Wir werden uns deshalb in den nächs- ten Monaten daran machen, die Tätigkeit und Ausstat- tung aller EU-Agenturen – der bestehenden ebenso wie der geplanten – systematisch zu überprüfen und Vor- schläge zur Verwaltungsvereinfachung und zum Büro- kratieabbau vorzulegen. Die EU-Verwaltung darf nicht länger als Steinbruch für nationale Begehrlichkeiten missbraucht werden, sondern muss im Interesse der Bür- gerinnen und Bürger schlankere und effizientere Struktu- ren erhalten. Christoph Strässer (SPD): Im Zuge der fortschrei- tenden Integration und gerade auch des Erweiterungs- prozesses spielt die Achtung der Menschenrechte auch in der EU eine immer größere Rolle. Das ist eine wich- tige Entwicklung. Insofern ist die Idee einer EU-Grund- rechteagentur zur Stärkung des präventiven Menschen- rechtsschutz in der EU vom Grundsatz her richtig und wichtig. Die neue Grundrechteagentur soll den relevanten Or- ganen, Einrichtungen und Agenturen der Gemeinschaft und deren Mitgliedstaaten bei der Durchführung des Ge- meinschaftsrechts in Bezug auf die Grundrechte Unter- stützung gewähren und ihnen Fachkenntnisse bereitstel- len, um ihnen die uneingeschränkte Achtung der Grundrechte zu erleichtern. Die Behörde soll zugleich erfolgreiche Beispiele für den Schutz der Grundrechte in den EU-Staaten aufzeigen. Sie beschäftigt sich außer- dem mit Fragen häuslicher Gewalt, der Einwanderung und Diskriminierung, den Rechten von Asylbewerbern sowie Fragen des gesellschaftlichen Mehrwerts durch die Wahrung der Grundrechte. Dabei wird eine enge Zu- sammenarbeit mit Sozialpartnern, Hochschulen und Menschenrechtsorganisationen angestrebt. Die Agentur soll anders als der Gerichtshof für Menschenrechte keine Beschwerdeinstanz sein, sondern grundrechtsrelevante Informationen sammeln und auswerten sowie die Öf- fentlichkeit für Grundrechtsfragen sensibilisieren. Diese Zielsetzung ist als prinzipiell sinnvoll zu begrü- ßen. Doch gab und gibt es große Bedenken bezüglich der Ausgestaltung der Grundrechteagentur bis hin zu ihrer völligen Ablehnung. Diese Bedenken, von denen ich ei- nige teile, sind vor allem die befürchtete Doppelarbeit und die überflüssige Konkurrenz von existierenden und funktionierenden europäischen Menschenrechtsschutz- institutionen. Auch meiner Ansicht nach darf es auf gar keinen Fall dazu kommen, dass es eine Doppelung und Konkurrenz von Institutionen gibt, die zu einer Ein- schränkung des Menschenrechtsschutzes in Europa führt und zudem eine Verschwendung von Steuergeldern zur Folge hätte. Es ist dennoch – gerade bei dem gegenwärtigen Ver- handlungsstand – nicht mehr die Frage zu stellen, ob es eine Grundrechteagentur geben soll, sondern wie sie ausgestaltet sein muss, um unseren Ansprüchen von Menschenrechtsschutz, Effektivität, Bürokratieabbau und Bürgerfreundlichkeit zu entsprechen. Der nun ge- troffene Kompromiss von 5. Dezember 2006 im Rat für Justiz und Inneres versucht, nicht zuletzt aufgrund der Forderungen Deutschlands, diesen vielfach geäußerten Bedenken Rechnung zu tragen, Wichtig ist in diesem Zusammenhang vor allem die enge Begrenzung des inhaltlichen und räumlichen Tätig- keitsbereichs der Agentur in diesem Kompromiss. In- haltlich ist die Agentur begrenzt auf das Gemeinschafts- recht. Sie beinhaltet den Verzicht auf eine Verpflichtung der Einbeziehung der polizeilichen und justiziellen Zu- sammenarbeit in Strafsachen. Um ein Ausufern der räumlichen Anstrengungen der Grundrechteagentur zu vermeiden, sind ihre Aktivitäten außerdem auf die EU und deren Mitgliedstaaten beschränkt. Zudem hat die Agentur keine Rolle im Bereich des Art. 7 EUV, welcher ein Vorgehen bei Gefahr einer schwerwiegenden Verlet- zung grundlegender Prinzipien wie Menschenrechte und Demokratie durch einen Mitgliedstaat beinhaltet. Schließlich, und das ist bezüglich der allgemein geäu- ßerten Bedenken von besonderer Bedeutung, soll für die Grundrechteagentur ein Kooperationsabkommen zwi- schen der Gemeinschaft und dem Europarat zugrunde gelegt werden. Um eine Verselbstständigung der Arbeit der Agentur zu vermeiden, muss sie zudem ihre Arbeit mit dem Europarat koordinieren. Um also Doppelarbeit zu vermeiden und Synergien zu nutzen, ist eine beson- ders enge Zusammenarbeit mit dem Europarat vorgese- hen. Diese Kompromisslinien sind grundsätzlich zu begrü- ßen. Denn sie sind das Ergebnis der Vermeidung von Doppelungen und sinnloser verschwenderischer Kon- kurrenz. Es bleiben jedoch noch offene Fragen, die mit dem Kompromiss nicht geregelt werden konnten. So werden Haushalt und Personal nicht in der Verordnung geregelt. Sie sind vielmehr Gegenstand des ordentlichen Haus- haltsverfahrens. Wir müssen uns deshalb weiterhin für eine kooperativ und ökonomisch sinnvoll ausgerichtete Grundrechteagentur starkmachen, die ihre Arbeit effek- tiv verfolgen kann. Deshalb ist es nun in erster Linie wichtig, die praktische Ausgestaltung der Grundrechte- agentur achtsam zu begleiten. Grundsätzlich, und das ist von besonderer Bedeutung, sollte die Installation der Agentur zudem begleitet sein von dem Beitritt der Euro- päischen Union zur EMRK. Denn damit würde man den EU-Bürgern ermöglichen, den EGMR gegen grund- rechtswidrige Akte der EU-Institutionen anzurufen. Ich plädiere deshalb zum wiederholten Mal für den Beitritt der EU zur EMRK und unterstütze damit ausdrücklich hierauf gerichtete Aktivitäten der Bundesregierung. In Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 7945 (A) (C) (B) (D) Kombination mit der Agentur würde so der Menschen- rechtsschutz in Europa erheblich an Qualität gewinnen. Außerdem muss der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte finanziell und personell deutlich besser ausgestattet werden, damit die etwa 80 000 anhängigen Verfahren in angemessener Zeit abgeschlossen werden können. Denn das Menschenrechtsschutzsystem Euro- pas wird von den Bürgern erst dann ernst genommen, wenn ihre Klagen vor dem EGMR auch tatsächlich in ei- nem angemessenen Zeitrahmen behandelt werden kön- nen. Axel Schäfer (Bochum) (SPD): Die EU-Grundrech- teagentur hat eine doppelte Aufgabenstellung – viel- leicht ist die Debatte ja auch deshalb von doppelter Ver- wirrung geprägt. Aufgabe ist es, durch die Beobachtung der Grund- rechteentwicklung in den Mitgliedstaaten, der Samm- lung von Daten zum Beispiel über Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit sowie durch fachkundige Analysen alle Institutionen der EU und ihrer Länder bei der uneingeschränkten Achtung der Grundrechte zu un- terstützen. Zugleich wird mit der Einrichtung einer dezentralen Behörde in einem der Mitgliedstaaten, hier Österreich, der föderale Charakter des europäischen Einigungspro- zesses sichtbar gemacht und somit möglichen Gefähr- dungen durch einen europäischen Zentralstaat entgegen- gewirkt. Die Debatte in Deutschland über die Grundrechte- agentur hatte sich seit 2003 am Umfang der Aufgaben und dem folgend an der finanziellen und personellen Ausstattung entzündet. So weit, so verständlich. Unverständlich ist, warum zum Beispiel die FDP erst in der Schlussphase der Umsetzung die Einrichtung ge- nerell infrage stellt. Das hat zweierlei Konsequenzen: Zum einen tun die Liberalen so, als ließe sich jetzt noch an der generellen Zustimmung zweier Bundesre- gierungen etwas ändern. Wer in Europa bei einstimmi- gen Beschlüssen wie in diesem Fall glauben machen will, man könne in der Schlussrunde noch blockieren, der schadet entweder deutschen Einflussmöglichkeiten oder hat von den tatsächlichen Entscheidungsprozessen in der EU keine Ahnung – schlimmstenfalls beides. Der Deutsche Bundestag hat über drei Jahre hinweg unsere Regierung positioniert und kontrolliert. Wir ha- ben als Abgeordnete damit tatsächlich Einfluss auf Brüs- seler Entscheidungen genommen, kritisch, wie es unsere Aufgabe ist, zum Beispiel in Fragen Strafsachen, Ver- meidung von Doppelarbeit und Verhinderung unnötiger Bürokratie. Auch wenn wir nicht alle unsere Vorstellun- gen realisieren konnten, so wissen wir doch, dass Ent- scheidungen in Brüssel letztlich zwischen Rat und Parla- ment getroffen werden müssen, und das ist auch richtig so. Zum anderen ist es völlig unglaubwürdig, wenn man- che in Deutschland plötzlich eine neue Agentur im Nachbarland Österreich ablehnen, obwohl wir uns bisher als großer Profiteur dezentraler europäischer Einrichtun- gen erwiesen haben. Ich erinnere daran: Das europäische Währungsinstitut, heute als Europäische Zentralbank wichtigstes neues EU-Organ, hat seinen Sitz in Frankfurt am Main. Das europäische Patentamt – wenn auch for- mal nicht eine EU-Behörde, so doch von herausragender kontinentaler Bedeutung – arbeitet erfolgreich in Mün- chen. Die europäische Agentur für Flugsicherheit konnte auf unser Drängen hin in Köln angesiedelt werden. Die neue Gleichstellungsagentur wurde von manchen deutschen Politikern, die die Grundrechteagentur kriti- siert hatten, jetzt ausdrücklich unterstützt – das mag ver- stehen, wer will. Die SPD-Bundestagsfraktion kann dem vorliegenden Antrag, der natürlich auch ein Koalitionskompromiss ist, voll zustimmen. Wir befinden uns damit auch im Ein- klang mit den Sozialdemokratinnen und Sozialdemokra- ten im Europäischen Parlament. Die FDP ist gleich zweifach gespalten: zwischen der Bejahung des Grund- rechteschutzes und der Ablehnung der Agentur im Bun- destag einerseits und der Zustimmung der FDP in der li- beralen Fraktion des EP zur Grundrechteagentur andererseits. Mit einer solchen Haltung erreicht man in der Politik auf Dauer bekanntlich nichts. Erreicht hat die FDP allerdings, dass im Europäischen Parlament wie in vielen anderen EU-Staaten Kopfschütteln und Unver- ständnis über das herrscht, was seit zwei Monaten öffentlich durch die Debatten im Europaausschuss aus- getragen wurde. Die so wichtige deutsche Ratspräsident- schaft darf allerdings nicht durch politische Unkenntnis und taktische Spielchen beeinträchtigt werden. Christian Ahrendt (FDP): Wir brauchen in Europa weder eine Agentur für Gleichstellung noch eine Agentur für Grundrechte. Diese Auffassung teilen viele Abge- ordnete dieses Hauses. Die Regierungskoalition – und so etwas kommt nicht sehr oft vor – hat daher auch ein entsprechendes Votum in ihre Antragsbegründung aufge- nommen. Dort ist vermerkt – ich zitiere –: „Von einigen Abgeordneten wird die Einrichtung einer EU-Grund- rechteagentur generell abgelehnt.“ Tatsächlich dürfte es sich hierbei um die Mehrheit handeln. Und es gibt gute Gründe, die Einrichtung einer Grundrechteagentur abzu- lehnen: Erstens. Aufgabe der Agentur ist es, grundrechtsrele- vante Daten zu sammeln, etwa über die Folgen unions- rechtlicher Maßnahmen. Weiter stehen im Aufgabenfokus eine gutachterliche Tätigkeit sowie die Sensibilisierung der Öffentlichkeit für Grundrechte. Ein wirklicher Bedarf für ein solches Aufgabenspektrum besteht nicht. Ohne Not werden für eine neue Bürokratie anfänglich Haus- haltsmittel von 16 Millionen Euro bereitgestellt, die bis zum Jahr 2013 auf jährlich 29 Millionen Euro anwachsen. Mit dieser Agenturitis sind wir aber nicht am Ende. Die nächste Agentur ist schon beschlossen. Der Agentur für Grundrechte folgt die Agentur für Gleichstellung. Es geht tatsächlich nicht um Grundrechte und Grundrech- teschutz, sondern um Institutionenbildung, getreu dem Motto: Jedem Mitgliedstaat seine eigene Institution. 7946 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 (A) (C) (B) (D) Zweitens. Das Geld für die Grundrechteagentur wäre anderswo besser angelegt. Am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte sind 89 900 Klagen wegen konkreter Verletzungen von Grundrechten anhängig. Davon sind im Jahr 2006 rund 23 400 Verfahren nicht einmal einer Kammer zur Entscheidung zugewiesen worden. Die Kläger warten bis zu fünf oder mehr Jahre auf ein Urteil. Nun mag man meinen, so viele Gerichtsverfahren sprä- chen förmlich für die Einrichtung einer Grundrechte- agentur. Dies ist ein Trugschluss. Die Menschen wollen bei der Verletzung ihrer Grundrechte konkrete Hilfe. Deswegen wenden sie sich an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Dies erklärt auch die Zunahme der Klagen. Es gibt kein schärferes Schwert für die Durchsetzung von Grundrechten als ein Gerichts- urteil, in dem gegen einen beklagten Staat eine konkrete Grundrechtsverletzung festgestellt wird. Wer also Grund- rechte in Europa wirklich schützen und den Menschen helfen will, plädiert für eine bessere finanzielle Ausstat- tung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte. Um 16 Millionen Euro höhere Zuwendungen an den Europäischen Gerichtshof für Menschrechte im Jahr 2007 und bis 2013 dann 29 Millionen Euro würde eine nachhaltige Verfahrensbeschleunigung bedeuten und effektiven Grundrechteschutz schaffen. Die hohe Zahl der Eingaben belegt zudem auch, dass die Menschen längst für ihre Grundrechte sensibilisiert sind. Doch was nützt jede Sensibilisierung, wenn die Chance einer effektiven Rechtsdurchsetzung fehlt. Neue Bürokratien und Datensammelstellen verbessern den Grundrechte- schutz in Europa jedenfalls nicht. Drittens. Die Bundesregierung hat mit ihrem Ja zur Ein- richtung der Grundrechteagentur den Bundestag auf das Schärfste brüskiert. Dass alle Fraktionen diese Einrichtung für entbehrlich hielten, war vor der Abstimmung im Europäischen Rat bekannt. Gleichwohl hat sich die Regierung hierüber hinweggesetzt. Diese Missachtung des Parlaments kann künftig nicht ohne Folgen bleiben. Der Ausschuss für europäische Angelegenheiten muss des- wegen in der Zukunft der Bundesregierung verbindliche Vorgaben in der Europapolitik mit auf den Weg geben. Bei der bloßen Ankündigung anlässlich des Streites um die Grundrechteagentur kann es jedenfalls nicht bleiben. Dr. Hakki Keskin (DIE LINKE): Mit einer Mehrheit der Stimmen aus Vertretern der Union und der SPD hat der EU-Ausschuss des Deutschen Bundestages gestern der Errichtung einer EU-Grundrechteagentur mit Sitz in Wien zugestimmt. Diese Entscheidung ist bedauerlich. Wie bekannt ist, hat es hierüber im Ausschuss in den Monaten vorher wiederholt kontroverse Diskussionen gegeben. Wie die Vertreter der Linken, haben auch die Kollegen von der FDP oft ihre Kritik an einer solchen Agentur deutlich gemacht. Die Fraktion Die Linke, ist gegen die Errichtung der vorgesehenen Grundrechteagentur. Gründe hierfür gibt es viele. Ziel der Einrichtung sei, dass die Agentur den rele- vanten Organen, Einrichtungen, Ämtern und Agenturen der EU und deren Mitgliedstaaten bei der Durchführung des Gemeinschaftsrechts in Bezug auf die Grundrechte unterstützen und Fachkenntnisse bereitstellen soll, um ihnen die uneingeschränkte Einhaltung der Grundrechte zu erleichtern. Es ist nach wie vor nicht ersichtlich, wa- rum für diese Aufgabe eine solche Agentur aufgebaut werden soll. Nebenbei bemerkt, ist die neoliberale Be- zeichnung „Agentur“ für eine Einrichtung, die sich mit dem Schutz von Grundrechten befassen soll, höchst un- passend. Die bereits seit 1998 in Wien bestehende Euro- päische Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit ist mit den nötigen personellen wie finanziellen Mitteln ausgestattet, wenn auch diese Mittel bisher nicht effizient genug für die Bewältigung der Aufgaben genutzt worden sind. Zudem könnten andere, bereits vorhandene Institutio- nen wie der Europarat durch eine personelle und finanzi- elle Aufstockung die Funktionen, die nun die EU- Grundrechteagentur“ haben soll, problemlos überneh- men und diese Arbeiten sogar auf die Nachbarländer der EU ausweiten. Diese wären nämlich: europaweit ver- gleichbare Informationen und Daten zu sammeln, For- schungsarbeiten durchzuführen und Gutachten zu erstel- len. Nach Auffassung der Fraktion Die Linke wäre der Europarat die richtige Institution, in dessen Rahmen eine solche Einrichtung entstehen sollte. Für die Finanzierung des Aufbaus der vorgesehenen Einrichtung und für die späteren Budgets ist eine schritt- weise Aufstockung von 16 Millionen Euro im Jahr 2007 bis zu 29 Millionen Euro im Jahr 2013 geplant. Nur um eine Vorstellung zu bekommen: Der Jahreshaushalt der Europäischen Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, die bisher für diese Themen zuständig war, beträgt 8 Millionen Euro. Würde man weitaus geringere Summen, als für die Errichtung der „Agentur“ vorgesehen sind, beispielsweise dem Europa- rat zukommen lassen, könnte man innerhalb dieser be- reits bestehenden Institution zu dem gleichen Ergebnis kommen. Wir benötigen in Europa einen Abbau der Bürokratie, nicht den Aufbau weiterer Bürokratien. Zudem sollte verantwortungsvoller mit den finanziellen Mitteln der EU umgegangen werden. Die Funktionalität und Effi- zienz sollten stets das Ziel von Investitionen sein. Mit der Errichtung einer Grundrechteagentur in Wien wird man diesem Anspruch nicht gerecht! Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Eigentlich hatten wir erwartet, die Abgeordneten der Koalition würden sich in dieser Woche vor allem darauf konzentrieren, wenigstens die gröbsten Fehler ihrer völ- lig vermurksten Gesundheitsreform zu beheben. Doch wandten sich einige Koalitionsabgeordnete – sei es, um sich davor zu drücken, oder, weil sie eh alle Hoffnungen aufgeben haben – einem anderen Thema zu: der EU- Grundrechteagentur. Die Diskussion der letzten Monate zu diesem Thema wird dem Schutz der Grundrechte in der EU leider nicht gerecht. Wir alle wollen fraktionsübergreifend die Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 7947 (A) (C) (B) (D) Grundrechte in der EU und weltweit sichern. Wir alle wollen eine glaubwürdige Menschenrechtspolitik in der EU. Wir alle wollen, dass Mängel im Bereich des Grundrechteschutzes aufgehoben werden. Umstritten ist hier einzig die Frage, ob der Grundrechteschutz in der EU eine eigene Agentur braucht und wie eine solche Agentur aussehen sollte. Diese Frage ist aus der Sicht meiner Fraktion eher formaler Natur. Ganz anders ist dies im Falle der Grundrechtecharta. Auf deren Inkraft- treten muss die deutsche Ratspräsidentschaft einen abso- luten Fokus legen. Mich verwundert daher, mit welcher Intensität vor allem die FDP die Diskussion um die Grundrechteagentur führt. Mit ihrem Antrag richten sie ihren Blick in die Vergangenheit, aber leisten keinen Beitrag zu der Herausforderung, vor der wir nun stehen. Fakt ist, dass die Agentur zum 1. März 2007 ihre Ar- beit aufnehmen wird. Daher geht es nun darum, das Mandat der Agentur sinnvoll zu gestalten. Hierfür möchte ich drei der zentralen Kriterien benennen: Erstens. Es darf keine Doppelungen bei den Zustän- digkeiten mit den bereits bestehenden Institutionen ge- ben. Mit dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof gibt es bereits eine funktionierende Struktur, die Anlauf- stelle für die Bürgerinnen und Bürger Europas ist; sie ist aber heillos überlastet. Dies darf bei der EU-Grundrech- teagentur nicht der Fall sein. Sie ist keine Beschwerdein- stanz, sondern soll auf Anfrage der EU-Organe grund- rechterelevante Informationen zu den EU-Politiken und deren Umsetzung in den Mitgliedstaaten sammeln und auswerten. Dabei muss sichergestellt werden, dass die Agentur ihre gesammelte Expertise dem Europäischen Gerichtshof und dem Europäischen Menschenrechtsge- richtshof bereitstellt. Damit bin ich auch schon beim zweiten Kriterium. Es ist unabdingbar, das Mandat der Agentur so auszugestal- ten, dass sie wirklich unabhängig arbeitet und vor allem inhaltlich tätig wird, wo ihr Input am meisten gebraucht wird. Deshalb muss das Mandat der Agentur uneinge- schränkt auch auf die Politiken der polizeilichen und jus- tiziellen Zusammenarbeit ausgeweitet werden. Denn ge- rade in diesem grundrechtesensiblen Bereich ist eine zusätzliche Expertise häufig wünschenswert, um eine bessere Folgenabschätzung der Politik zu unterstützen. Drittens muss die geografische Reichweite der Agen- tur neben den Mitgliedstaaten der EU auch die Beitritts- länder, die Kandidatenstaaten und alle Staaten des west- lichen Balkans, die seit dem Gipfel von Thessaloniki über eine prinzipielle EU-Beitrittsperspektive verfügen, umfassen. Einige Worte zum Umgang der Bundesregierung mit der Grundrechteagentur: Die Bundesregierung hat bei der Aushandlung des Mandats der Agentur – ich zitiere aus dem Brief der Bundeskanzlerin Frau Dr. Angela Merkel vom 24. Januar diesen Jahres an den Vorsitzen- den des Europaausschusses – „eine restriktive Haltung“ eingenommen. Im Zuge der Verhandlungen ist der Bun- desregierung irgendwann aufgefallen, dass die Agentur mit dem Minimandat einen Personalstamm von etwa 100 Mitarbeitern vielleicht gar nicht mehr braucht. Statt aber nun nochmals zu überdenken, ob die „restriktive Haltung“ wirklich im Sinne des Grundrechteschutzes ist, bringen die Koalitionsfraktionen im letzten Augenblick einen Antrag ein, in dem sie für die Kürzung der Mittel der Agentur kämpfen. Dem Beobachter bleiben nur noch zwei Interpreta- tionsmöglichkeiten: Entweder überblickte die Bundesre- gierung nicht frühzeitig genug die Folgen ihres Handelns – das wäre kein Zeugnis von Kompetenz – oder wir haben es hier mit einer Salamitaktik der besonderen Art zu tun: Am einen Ende beschneidet die Bundesregierung die Kompetenzen der Agentur, am anderen Ende kürzen die Koalitionsfraktionen deren Mittel. Das wiederum wäre kein Zeugnis von Transparenz. Genau dies braucht Europa aber, um die Vertrauenskrise der Bürgerinnen und Bürger zu überwinden. Transparenz schafft Ver- trauen. Dem tragen wir Grüne mit unserem Antrag Rechnung. Wir hoffen dabei auf die breite Unterstützung des Hauses. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Änderung des Bun- despolizeigesetzes für Auslandseinsätze der Bundespolizei (Tagesordnungspunkt 16) Ralf Göbel (CDU/CSU): Wieder einmal versucht die Linke mit einem Antrag den Eindruck zu erwecken, die deutschen Sicherheitsbehörden würden sich verselbst- ständigen und außerhalb des ihnen vorgegebenen rechtli- chen Rahmens arbeiten. Das wird schon beim Lesen des ersten Satzes deutlich. Dort wird unterstellt, die Aus- landseinsätze der Bundespolizei würden sich zu einem „beliebigen und parlamentarisch unkontrollierbaren vor- militärischen Instrument der deutschen Außenpolitik in Krisen- und Konfliktregionen“ entwickeln. Ich halte diese Unterstellung schlicht für eine Unver- schämtheit, sie passt aber in die seit Monaten zu be- obachtende Strategie der Nachfolger der Staatspartei der ehemaligen DDR. Die deutschen Sicherheitsbehörden werden systematisch in ein schlechtes Licht gerückt. Nach den Nachrichtendiensten und der Bundeswehr ist jetzt die Bundespolizei an der Reihe. Für meine Fraktion weise ich diese böswilligen Unterstellungen zurück. Zu Beginn meiner Rede nehme ich die Gelegenheit wahr, allen Beamtinnen und Beamten der Bundespolizei, die im Ausland im Interesse unseres Landes und für unser Land Dienst verrichten, herzlich zu danken und ihnen Erfolg für die weitere Arbeit zu wünschen. Der Antrag der Linken zeigt neben der beschriebenen ideologischen Ausrichtung auch eine bedenkliche Un- kenntnis der einzelnen Rechtsvorschriften auf. Der Einsatz von Polizeibeamten nach § 65 Abs. 2 Bundespolizeigesetz setzt voraus, dass völkerrechtliche Vereinbarungen dies vorsehen oder das Bundesministe- rium des Innern im Einvernehmen mit den zuständigen Stellen des anderen Staates einer Tätigkeit von Beamten der Bundespolizei im Ausland allgemein oder im Einzel- fall zustimmt. Auf dieser Grundlage können einzelne 7948 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 (A) (C) (B) (D) Vollzugsbeamte entsandt werden. Es ist keine Auslands- verwendung der Organisation „Bundespolizei“, wie dies in § 8 Bundespolizeigesetz geregelt ist. Darauf werde ich noch zu sprechen kommen. Beispiele für diese Verwendung sind: Verbindungsbe- amte, polizeiliche Aus- und Fortbildungsmaßnahmen, Polizeiübungen, Dokumentenberater, Verhinderung von Sabotagehandlungen oder auch jetzt der Einsatz von fünf Polizeibeamten im Libanon, der die Unterstützung der libanesischen Polizei bei der Sicherheit des Luftverkehrs zum Gegenstand hat. Im letzteren Fall ist, wie die Linke in ihrem Antrag selber ausführt, eine Information des Parlamentes er- folgt. Ich sehe keine Notwendigkeit, bei diesen Fällen eine gesetzliche Regelung einzuführen, die eine ver- pflichtende Vorabinformation des Parlaments und ein Rückholrecht vergleichbar § 8 Abs. 1 letzter Satz konsti- tuiert. Die Möglichkeit des Einsatzes im Rahmen völker- rechtlicher Vereinbarungen wird im Übrigen durch das Parlament selber eröffnet. Ich denke etwa an das Mon- dorfer Abkommen oder jüngst den Vertrag von Prüm. Wir haben beide Vereinbarungen hier im Deutschen Bundestag debattiert und den Rahmen für den Einsatz von Bundespolizeibeamten durch unsere Zustimmung zu den jeweiligen Gesetzen selber gesetzt. Es kann also in keinem Fall die Rede davon sein, dass Bundespolizeibeamte sich in einer rechtlichen Grauzone bewegen, wie dies die Linke mit ihrem Antrag suggerie- ren will. Ich komme zum zweiten Teil, dem Einsatz der Bun- despolizei als Organisation nach § 8 Bundespolizeige- setz. Man stelle sich folgende Situation vor: Eine Bot- schaft im Ausland wird von einer radikalen Gruppierung besetzt. Deutsche Botschaftsangehörige werden als Gei- seln gefangen gehalten, ihre Ermordung wird angedroht. Der ausländische Staat unternimmt selber nichts, stimmt aber einer Befreiungsaktion durch deutsche Polizeiange- hörige zu. Oder eine weitere Situation: Ein deutsches Flugzeug wird gekapert und auf einem Flughafen im Ausland zur Landung gezwungen. Die Insassen sind Geiseln, ihre Er- schießung wird angedroht. Die nationale Polizei dieses Landes ist nicht in der Lage, dieser Situation Herr zu werden. Sie stimmt dem Einsatz deutscher Polizeikräfte zur Befreiung der Geiseln zu. Sie erinnern sich sicher- lich alle, dass wir diese Situation kennen, es geschah vor 30 Jahren in Mogadischu. Diese Fälle sind, was den Einsatz der Bundespolizei in solchen Lagen betrifft, geregelt in § 8 Abs. 2 Bundespo- lizeigesetz. Der Einsatz der Bundespolizei betrifft einen Einsatz zur Rettung von Personen aus einer gegenwärti- gen Gefahr für Leib und Leben nach einer bilateralen Ab- sprache mit dem betroffenen Staat. In diesen beiden beschriebenen Situationen soll nun nach dem Willen der Linken folgendes passieren: Wäh- rend die Geiseln um ihr Leben bangen, wird der Deut- sche Bundestag zu einer Beratung einberufen. Die Abge- ordneten debattieren in den Arbeitsgruppen, in der Fraktion, in den Ausschüssen und dann im Plenum über Einzelheiten des Einsatzes und über die Frage, ob die Bundespolizei zur Rettung eingesetzt werden darf. Alles wird von der Presse intensiv begleitet, was natürlich auch die Geiselnehmer in Zeiten moderner Kommunika- tionsmittel interessiert verfolgen werden. Die Geiseln bangen derweil um ihr Leben und warten weiterhin auf ihre Befreiung, während sich die Geiselnehmer in aller Ruhe auf den bevorstehenden Einsatz bundesdeutscher Polizisten vorbereiten. Dieses Szenario zeigt, wie absurd der Antrag der Lin- ken ist und welche unverantwortlichen Folgen daraus entstehen würden. Ich kann die Kolleginnen und Kolle- gen nur auffordern, diesen Antrag zurückzunehmen und bitte herzlich, uns mit solchen unsinnigen Anträgen in Zukunft zu verschonen. Wolfgang Gunkel (SPD): Die Fraktion der Linken verlangt mit ihrem Antrag auf Drucksache 16/3421 eine Änderung des Bundespolizeigesetzes für Auslandsein- sätze der Bundespolizei. Jeder Einsatz soll einem Parla- mentsvorbehalt unterliegen, das heißt, der Bundestag entscheidet, ob Polizeieinsätze im Ausland stattfinden sollen. Als ehemaliger Polizeipräsident stehe ich Einsätzen der Polizei – auch im Ausland – grundsätzlich positiv gegenüber. Denn die Hilfe, die in Krisenregionen wie Kosovo, Afghanistan oder Irak derzeit am dringendsten gebraucht wird, ist die Hilfe beim Aufbau von zivilge- sellschaftlichen und staatlichen Strukturen. Großer Teile dieser Hilfe können meiner Meinung nach sehr effektiv von deutschen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten geleistet werden. Man sollte auch nicht vergessen, dass ein besseres Bild bei der Bevölkerung entsteht, wenn sie nicht ständig mit militärischer Präsenz in Form von pa- trouillierenden Soldaten konfrontiert wird. Trotz meiner eben bereits beschriebenen grundsätzli- chen Akzeptanz von Auslandseinsätzen der Bundespoli- zei kann ich das Vorgehen der Fraktion Die Linke nicht unterstützen. Sie beantragt, dass die Einsätze nur noch unter dem Vorbehalt der Zustimmung des Parlamentes stattfinden sollen. Dass dieses Vorhaben nach der derzei- tigen Rechtslage zum einen verfassungsrechtlich be- denklich und zum anderen auch nicht zweckmäßig ist, möchte ich Ihnen an drei Punkten erläutern. Zum ersten missachten die Antragssteller das Gewal- tenteilungsprinzip, das bereits im Grundgesetz festge- schrieben ist. Die auswärtige Gewalt ist dem Kompe- tenzbereich der Exekutive zugeordnet. Lediglich der Einsatz bewaffneter Streitkräfte, also der Einsatz der Bundeswehr, stellt hier eine Ausnahme dar; ich finde: an dieser Stelle zu Recht. Ich bin froh, dass wir eine „Parla- mentsarmee“ in Deutschland haben und die Verantwor- tung für diese Einsätze auf die breiten Schultern des Bundestags gelegt wird. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat festgelegt, dass Einsätze der Bundeswehr unter einen Parlamentsvorbehalt zu stellen sind. In der Entscheidung Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 7949 (A) (C) (B) (D) des Bundesverfassungsgerichts gibt es nicht den gerings- ten Anhaltspunkt dafür, dass sich der Parlamentsvorbe- halt für die Streitkräfte auch auf die Bundespolizei er- strecken soll. In der Verfassungstradition Deutschlands war und ist der Einsatz der Polizei stets eine Angelegen- heit der Verwaltung – der Exekutive. Gerade der im Antrag kritisierte Fall – die Unterstüt- zung der Grenzkontrolle im Libanon durch vier Bundes- polizeibeamtinnen und -beamten, also der Einsatz zu nichtkriegerischen Zwecken – fällt damit primär in den Aufgaben- und Zuständigkeitsbereich der Exekutive. Dieser Eigenbereich exekutiver Handlungsbefugnis und Verantwortlichkeit ist verfassungsrechtlich festgelegt. Ein Verstoß dagegen würde die grundgesetzlich garan- tierte Gewaltenteilung ad absurdum führen. Und genau deshalb ist ein Parlamentsvorbehalt und damit eine Ent- scheidung der Legislative an dieser Stelle verfassungs- widrig. Zweitens ist ein solcher Parlamentsvorbehalt, wenn man sich einmal die Vielfalt polizeilicher Auslandsein- sätze vor Augen führt, auch nicht zweckmäßig. Deutsche Polizeibeamtinnen und -beamte schützen die deutschen Auslandsvertretungen, unterstützen europäische Grenz- polizeien im Rahmen der Europäischen Union oder sind als Kontaktbeamte in aller Welt unterwegs. Wollte man tatsächlich für jeden einzelnen Punkt dieses breiten Spektrums eine Entscheidung des Deutschen Bundesta- ges herbeiführen? Und wie entscheidet sich, ob ein Ein- satz unter Parlamentsvorbehalt zu stellen ist? Nach der Gefährlichkeit des Einsatzes? Nach dem Umfang des Einsatzes? Antworten auf diese Fragen findet der Antrag der Fraktion Die Linke leider nicht. Zuletzt stellt sich für mich noch eine weitere Frage: Warum soll ein nichtkriegerischer Einsatz der Bundes- polizei einem Parlamentsvorbehalt unterliegen, nicht aber die ebenfalls nichtkriegerische Intervention mit di- plomatischen Mitteln oder der ebenfalls nichtkriegeri- sche Einsatz ziviler Hilfsorganisation, zum Beispiel durch das Technische Hilfswerk, THW? Dieser Abgren- zung stellt sich der vorliegende Antrag ebenfalls nicht. Die Antragsteller fordern, Auslandseinsätze der Bun- despolizei nicht zu einem beliebigen und parlamenta- risch unkontrollierbaren vormilitärischen Instrument der deutschen Außenpolitik in Krisen- und Konfliktregionen werden zu lassen. An dieser Stelle interessiert mich sehr, wie die Antragsteller das von ihnen verwendete „vormi- litärisch“ definieren. Wenn nach der Logik der Links- fraktion hierfür das Umfeld der Krisen- und Konfliktsi- tuation entscheidend sein sollte, müsste sie auch andere humanitäre Interventionen wie durch das Rote Kreuz in einem ähnlichen Krisenumfeld als „vormilitärisch“ qua- lifizieren. Wenn jemand dieser Logik folgen möchte, dann würde er vielleicht auch dem Antrag zustimmen können. Ich kann das aus diesem Grund und den anderen von mir genannten Gründen nicht und lehne deshalb den An- trag der Linksfraktion im Namen der SPD-Fraktion ab. Ich möchte es aber nicht versäumen, darauf hinzuwei- sen, dass die Problematik eines Parlamentsvorbehalts für Auslandseinsätze der Bundespolizei anders zu bewerten ist, wenn die von Bundesinnenminister Dr. Schäuble ge- forderte Dienstpflicht für Auslandseinsätze in das zur angekündigten Reform der Bundespolizei zu ändernde Bundespolizeigesetz aufgenommen wird. Hier wird sehr wohl zu differenzieren sein, wen man und mit welchem Auftrag man in Auslandseinsätze schickt. Denkbär wäre es, die bisherige Rückholbefugnis des Bundestages ge- mäß § 8 Abs. l Satz 5 Bundespolizeigesetz in eine Ent- sendebefugnis umzuwandeln. Dies wird aber zu gegebe- ner Zeit zu entscheiden sein. Gisela Piltz (FDP): Seit 1989 beteiligt sich die Bundespolizei, vormals Bundesgrenzschutz, an interna- tionalen Friedensmissionen. Seitdem haben mehr als 1 700 Beamtinnen und Beamte der Bundespolizei an sol- chen Verwendungen freiwillig teilgenommen. An dieser Stelle möchte ich mich im Namen meiner Fraktion bei allen für ihren Einsatz bedanken. Die FDP-Bundestagsfraktion unterstützt die Beteili- gung deutscher Polizisten und Polizistinnen an Aus- landsmissionen. Die Schaffung sicherer Lebensbedin- gungen und Zukunftsperspektiven für die Menschen in den Krisengebieten ist nicht nur ein Aspekt von Außen- politik, sondern dient auch dem Schutz der inneren Si- cherheit. Hierbei darf aber Folgendes nicht vergessen werden: Der Einsatz darf nur im Rahmen zivilen Krisenmanage- ments nach Beendigung eventueller bewaffneter Ausei- nandersetzungen erfolgen. Damit das Trennungsgebot auch hier beachtet wird, ist das zivile Krisenmanage- ment dann allein Aufgabe der Polizei. Die Fraktion Die Linke beanstandet in ihrem Antrag, dass die Voraussetzungen für Auslandseinsätze der Bun- despolizei, Informationspflichten der Bundesregierung und Kontrollmöglichkeiten des Parlaments im Bundes- polizeigesetz nicht ausreichend geregelt sind. Tatsäch- lich bietet das Bundespolizeigesetz dem Parlament nur wenige Beteiligungsrechte bei Auslandseinsätzen der Bundespolizei: § 8 BPolG sieht für das Parlament das Recht auf Unterrichtung und ein sogenanntes Rückhol- recht vor. Stärkere Mitwirkungsrechte – wie zum Bei- spiel eine Zustimmungspflicht oder Kontrollmöglichkei- ten über den Einsatz – sind im Rahmen des § 8 BPolG nicht geregelt. Die von den Linken erhobene Forderung nach einem Parlamentsvorbehalt für Auslandseinsätze ist durchaus überdenkenswert. Aufgrund der deutlich erhöhten Aus- landseinsätze der Bundespolizei in den letzten Jahren bedarf es auch nach unserer Auffassung einer stärkeren Beteiligung des Parlaments. Oftmals erhalten die Parla- mentarier nur durch Nachfragen in den Ausschüssen oder direkte Anfragen an die Bundesregierung umfas- sende Informationen über aktuelle Einsätze. Hierbei ist die konkrete Ausgestaltung eines Parla- mentsvorbehalts nach Ansicht der FDP-Bundestagsfrak- tion noch völlig offen und sollte Gegenstand intensiver parlamentarischer Beratungen werden. 7950 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 (A) (C) (B) (D) Auch Auslandsverwendungen der Bundespolizei nach § 64 Bundespolizeigesetz unterliegen bisher keiner konkreten Vorabinformation des Parlaments. Hier sieht die FDP-Bundestagsfraktion Nachbesserungsbedarf. Zu- mindest entsprechende Beratungen in den Ausschüssen – wenn Sicherheitsinteressen geltend gemacht werden, natürlich auch vertraulich – sind notwendig, um den Par- lamentariern angemessener Form die notwendigen Infor- mationen zu geben. Die Bundesregierung hat im November letzten Jahres eine Umstrukturierung der Bundespolizei angekündigt. Die FDP-Bundestagsfraktion fordert die Bundesregie- rung auf, diese Ankündigungen auch zum Anlass zu nehmen, Beteiligungs- und Informationsrechte des Par- laments bei Auslandseinsätzen der Bundespolizei zu überdenken. Ulla Jelpke (DIE LINKE): Vor wenigen Tagen erst konnten wir erfahren, wie hochaktuell und notwendig unser Antrag ist, den Bundestag über Auslandseinsätze der Polizei abstimmen zu lassen. Die „Süddeutsche Zeitung“ berichtete am Montag über Pläne des Bundes- innenministeriums, Bundespolizisten künftig auch gegen ihren Willen ins Ausland zu schicken, sei es der Balkan oder Afghanistan. „Die Polizei wird in diesen Ländern ebenso dringend gebraucht wie das Militär“, wurde der Kollege Michael Hartmann von der SPD-Fraktion zi- tiert. Das zeigt: Die Bundesregierung militarisiert die Poli- zei, und die Polizei wird zur Militarisierung der Außen- politik missbraucht. Nicht nur die Fraktion Die Linke lehnt das ab, sondern auch die Betroffenen selbst. Konrad Freiberg, der Chef der Gewerkschaft der Polizei, stellte fest: „Wer zum Grenzschutz gegangen ist, hat doch niemals damit rechnen müssen, lebensgefährliche Jobs am Hindukusch zu übernehmen.“ Der Mann hat völlig Recht. Seit 1996 waren über 1 800 deutsche Polizisten in Bosnien-Herzegowina. Seit dem Angriff der NATO auf Jugoslawien sind außerdem über 2 300 Polizisten in die besetzte Provinz Kosovo geschickt worden. Deutsche Polizisten leiten in Afghanistan die Ausbildung der dor- tigen Polizei, und sie haben sich an der Ausbildung ira- kischer Polizisten beteiligt. Indem sie dort sogenannte Antiterrortechniken vermitteln, wird Deutschland zur aktiven Kriegspartei. Es ist absurd, dass der Bundestag hier nicht gefragt wird. Insgesamt waren in den letzten zehn Jahren weit über 4 000 Polizisten im Auslandseinsatz. Polizeimissionen sind ein herausragendes Instrument der deutschen Außenpolitik geworden. Die bevorzugten Ziele sind da- bei nicht zufällig jene Länder, in denen auch die Bundes- wehr steht. Polizeieinsätze werden zunehmend zum Mit- tel, um eine militarisierte, auf Krieg gestützte Außenpo- litik abzusichern. Die Militärdoktrin der Europäi- schen Union sieht vor, einen aus 6 000 Beamten bestehenden Polizeipool aufzubauen, der als flan- kierende Maßnahme für Militäreinsätze gedacht ist. Die Bundesregierung hat dafür 900 Polizisten zugesagt. Wenn sie Polizeibeamte auch noch zwangsweise in alle Welt schicken will, genauso wie Soldaten, dann be- stätigt sie damit: Die Entsendung von Polizeieinheiten und die Entsendung von Militäreinheiten sind zwei Sei- ten der gleichen Medaille. Wir sehen nicht ein, dass der Bundestag nur über die eine Seite abstimmen soll und bei der anderen nicht gefragt wird. Deswegen wollen wir, dass der Bundestag über Auslandseinsätze der Bun- despolizei vorab informiert wird und über Polizeimissio- nen der EU oder der UNO abstimmen muss. Der Parla- mentsvorbehalt für Polizeieinsätze ist überfällig. Er ist die logische Konsequenz aus dem Parlamentsvorbehalt, dem auch die Bundeswehr unterliegt. Lassen Sie mich noch auf Einsätze nach § 65 des Bundespolizeigesetzes eingehen. Die Bundesregierung kann aufgrund bilateraler Vereinbarungen mit einem an- deren Staat Polizeikräfte entsenden, ohne das Parlament überhaupt zu informieren. Für diese Politik der Geheim- haltung gibt es natürlich einen Grund. Die Polizisten, die vorigen Sommer ohne Wissen des Parlaments in den Libanon geschickt wurden, sollten am Flughafen Beirut dafür sorgen, dass niemand vor dem Krieg und dem Elend nach Deutschland fliehen konnte. Dafür hat sich Deutschland in den Krieg eingeschaltet, völlig am Parla- ment vorbei. Die Polizisten, die im Rahmen der Grenzschutzagen- tur FRONTEX eingesetzt werden, helfen dabei, die Fes- tung Europa dichtzumachen. Deswegen müssen immer mehr Menschen im Mittelmeer und im Atlantik weite und gefahrvolle Wege nehmen, und immer mehr kom- men dabei ums Leben. Das sind natürlich Aufgaben, über die man nicht gerne spricht. Wir sind aber der Mei- nung: Es muss öffentlich darüber diskutiert werden, was die Polizei im Ausland macht. Deswegen wollen wir dem Bundestag zu seinem längst überfälligen Recht ver- helfen. Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Bundespolizei wie die Polizeien der Länder sind beteiligt an internationalen und europäi- schen Polizeimissionen. Was vor einigen Jahren noch Modellcharakter hatte, ist heute zu einer dauerhaften Aufgabe der Polizei geworden. Die deutschen Polizeibe- amten leisten im Ausland eine hoch anerkannte Arbeit. Für den Einsatz in oft nicht ungefährlichen Polizeimis- sionen – lassen Sie mich hier insbesondere den Einsatz in Afghanistan, aber auch im Kosovo ansprechen – will ich mich an dieser Stelle im Namen der grünen Bundes- tagsfraktion bedanken. Durch jüngste Presseäußerungen von Bundesinnen- minister Schäuble sind die Auslandseinsätze der Bun- despolizei in die öffentliche Debatte gerückt. Wie schon bei der Reform der Bundespolizei erfahren die betroffe- nen Polizeibeamten von der geplanten Veränderung der Aufgabenwahrnehmung aus der Presse. Gewerkschaft- liche Beteiligung scheint im BMI und beim Bundes- innenminister ein Fremdwort zu sein. Wir fordern hier nachdrücklich eine transparente Auswertung der bisheri- gen Auslandseinsätze und eine frühzeitige Beteiligung Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 7951 (A) (C) (B) (D) der Beschäftigten und der Gewerkschaften an möglichen Veränderungen. Nachdem Schäuble in der Vergangenheit mit seinen Plänen, die Bundeswehr im Inneren einzusetzen, ge- scheitert ist, dreht er jetzt den Spieß um und will sich eine Ersatzarmee zulegen, die marschiert, wenn er es will. Wir wollen weder eine Militarisierung der Innen- politik noch eine Militarisierung der Polizei in Auslands- einsätzen. Für uns gelten klare Bedingungen für internationale und europäische Polizeimissionen: Polizeimissionen im Ausland brauchen ein Mandat, entweder von der UNO oder von der EU. Polizeimissionen im Ausland dürfen nur in militärisch befriedeten Gebieten stattfinden, und die Teilnahme an solchen Auslandseinsätzen muss frei- willig sein. Polizei darf nicht in einer Grauzone zwi- schen polizeilichen und militärischen Aufgaben einge- setzt werden. Die von Schäuble offensichtlich geplante Dienst- pflicht für Auslandseinsätze der Bundespolizei lehnen wir entschieden ab. Der Auslandseinsatz ist freiwillig, weil er im Vergleich zur Inlandsverwendung unter einem erhöhten Risiko erfolgt. Es gab auch nie einen Mangel an Freiwilligen. Insofern ist überhaupt kein sachlicher Grund ersichtlich, warum dieser Einsatz zu einer Zwangsveranstaltung gemacht werden sollte. Wir wollen zukünftig auch bei Auslandseinsätzen der Bundespolizei einen Parlamentsvorbehalt, wie er bei Einsätzen der Bundeswehr gute Parlamentstradition ist. In der Vergangenheit gab es Einsätze, von denen das Parlament nicht einmal formell unterrichtet wurde. Die parlamentarische Unterrichtung zu laufenden Auslands- einsätzen der Bundespolizei ist völlig unzureichend. Je nach Art des Einsatzes sollte das Parlament mit einer In- formationspflicht bzw. einem Parlamentsvorbehalt ein- gebunden werden. Die Auslandshundertschaft in Gifhorn, die derzeit aufgebaut wird, sehen wir sehr kritisch. In den laufenden Auslandsmissionen werden vielfältige Erfahrungen ge- braucht. Die hohe Qualität der deutschen Polizeimissio- nen wird gerade dadurch erreicht, dass je nach Auftrag und Inhalt des Mandates Polizeibeamte aus dem Einzel- dienst von Bund und Ländern sich freiwillig und auf Zeit für den Auslandseinsatz melden. Wir sehen die Gefahr, dass hier eine Sondereinheit der Bundespolizei aufge- baut wird, die dann mit militärischer Bewaffnung zur Unterstützung der Bundeswehr in noch nicht befriedeten Gebieten eingesetzt wird. Dann haben wir den militäri- schen Einsatz der Bundeswehr im Ausland, und auch das, Herr Schäuble, wollen wir nicht. Gert Winkelmeier (fraktionslos): Auslandseinsätze der Bundespolizei stehen erst seit wenigen Tagen wieder im Blickpunkt der Öffentlichkeit. Die Diskussion, die von Kollegen der SPD erneut angeheizt worden ist, dreht sich um die Freiwilligkeit. Unser Thema heute ist die parlamentarische Kon- trolle. Angeblich ist gewährleistet, dass militärische Ak- tionen der Bundeswehr und die Aufgaben der Polizei, beispielsweise in Afghanistan, strikt voneinander ge- trennt sind. Dennoch befinden sich die Angehörigen der Bundespolizei in Krisengebieten. Insofern darf nicht dem Innenministerium alleine überlassen sein, wohin, wann und wie viele Polizisten ins Ausland entsandt werden. Künftig muss mehr Trans- parenz herrschen und mehr parlamentarische Kontrolle möglich sein! Es zeugt entweder von schlechtem Stil oder aber von – zumindest ansatzweise – schlechtem Gewissen, wenn die Mitglieder dieses Parlamentes erst durch Medienbe- richte von bereits eingeleiteten oder erfolgten Auslands- einsätzen der Bundespolizei erfahren. Dieser Eindruck verstärkt sich, wenn es sich bei der betroffenen Region um ein Krisen – oder gar Kampfgebiet handelt – wie es im Libanon im vergangenen August zweifelsohne der Fall war. Öffentlichkeit war vonseiten der Regierung nicht ge- wollt, weil noch keine endgültige internationale Mission auf Basis einer UN-Resolution ausgehandelt war. Alles sollte so geheim wie möglich vonstattengehen. Eine schnelle und unmissverständliche Regelung im Bundespolizeigesetz für Auslandseinsätze der Bundes- polizei ist deshalb überfällig. Die Regierung darf den „außenpolitischen Exportschlager“ Bundespolizei – wie GdP-Chef Freiberg recht zutreffend formuliert hat – nicht nach eigenem Gutdünken einsetzen. Deutschland war schon immer Exportweltmeister, aber das muss doch nicht auch noch für die Bundespolizei gelten! Die Gewerkschaft der Polizei warnt davor, dass die zunehmenden Auslandseinsätze die ohnehin schon über- lasteten Kollegen im Inland noch empfindlich treffen werden. 7 000 Polizisten weniger als noch vor fünf Jahren be- finden sich in der Bundesrepublik Deutschland im Dienst. Zeitgleich aber wird immer wieder von politi- scher Seite gefordert, mehr Polizisten zur Aufbauhilfe in krisengeschüttelte Gebiete zu entsenden. Ich zitiere hierzu den Vorsitzenden der GdP, Konrad Freiberg: Es wird immer verrückter: Einerseits will der Bundesverteidigungsminister Jung die Bundes- wehr u. a. in Bosnien abziehen, weil sie überlastet ist, andererseits soll die Bundeswehr aber die Polizei im Innern verstärken. Und die Polizei ist nach Auffassung von Bundes- innenminister Schäuble personell nicht in der Lage, die Menschen im Innern vor Terroranschlä- gen zu schützen (siehe Fußballweltmeister- schaft), aber andererseits soll die Polizei verstärkt im Ausland eingesetzt werden. Ich glaube, es fehlt den politisch Verantwortlichen die Orientie- rung. Hier hat Herr Freiberg recht! Eine Änderung des Polizeigesetzes zur parlamentari- schen Kontrolle von Auslandseinsätzen der Bundespoli- zei könnte dazu beitragen, dass die Orientierungslosig- 7952 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 (A) (C) (B) (D) keit der Verantwortlichen gemindert wird. Zudem könnten Sie, meine Damen und Herren in der Regierung, dann auf die Hilfe der gewählten Parlamentarier zählen! Auch sollte gesetzlich geregelt werden: Erstens. Auslandseinsätze von Polizisten müssen prinzipiell freiwillig erfolgen. Es darf keine Dienstver- pflichtung geben. Zweitens. Der Einsatz der Bundespolizei darf auf kei- nen Fall in Kampfgebieten erfolgen. Drittens. Die Bundespolizei soll ausbilden: sie darf sich aber nicht in die Polizeiaufgaben vor Ort einmi- schen. Und das alles muss vom Parlament kontrolliert wer- den können. Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Passgesetzes und weiterer Vorschriften – Antrag: Sicherheitslücken bei biometrischen Pässen beseitigen – Antrag: Keine Einführung des elektroni- schen Personalausweises – Bericht: Technikfolgenabschätzung hier: TA- Projekt: Biometrie und Ausweisdokumente – Leistungsfähigkeit, politische Rahmenbe- dingungen, rechtliche Ausgestaltung Zweiter Sachstandsbericht – Antrag: Datenschutz und Bürgerrecht bei der Einführung biometrischer Ausweise wahren (Tagesordnungspunkt 26 a bis d, Zusatztages- ordnungspunkt 10) Frank Hofmann (Volkach) (SPD): In den Abend-/ Nachtstunden innerhalb von 30 Minuten einen Gesetz- entwurf, drei Anträge und einen Ausschussbericht zu be- raten, wie es ursprünglich vorgesehen war, ist eine Zu- mutung und wird dem Thema in keiner Weise gerecht. Soweit sich der Gesetzentwurf der Bundesregierung auf die Umsetzung der Verordnung (EG)2252/2004 be- zieht, sei daran erinnert, dass sich im Terrorismus- bekämpfungsgesetz vom 9. Januar 2002 noch der natio- nale Gesetzgeber für zuständig gehalten hat. Kann der EU-Rat diese Zuständigkeit durch eigene Aktivitäten einfach außer Kraft setzen? Die jetzt besonders eilbedürftige Vorlage soll nun bis Mai 2007 abgeschlossen sein. Weshalb dann aber gleich auch noch viele andere Gesetzesänderungen angehängt werden – vom Ausländerzentralregistergesetz bis zum Wehrpflichtgesetz –, die zwar zum großen Teil einen Sachzusammenhang, aber keine Eilbedürftigkeit haben, erschließt sich mir nur bedingt. Nach den Anschlägen am 11. September 2001 hat sich die Sicherheitsarchitektur Deutschlands, Europas und der Welt grundlegend verändert. Keine Rede zur in- neren Sicherheit unseres Landes kommt mehr ohne den eindringlichen Hinweis auf diesen schrecklichen Terror- anschlag aus. Die fortdauernde Bedrohung durch den internationa- len Terrorismus macht es erforderlich, auch das Pass- recht anzupassen, indem biometrische Merkmale – Ge- sichtsbild und Fingerabdrücke – in unsere Pässe eingefügt werden. So wird eine stärkere Bindung des Ausweisdokuments an den Passinhaber ermöglicht und ein Sicherheitsgewinn geschaffen: Die Fälschungs- sicherheit des Reisepasses wird erhöht, die Verwendung von gestohlenen Papieren wird erschwert und die Kon- trollen in sicherheitssensiblen Bereichen, wie beispiels- weise an Flughäfen, werden beschleunigt bzw. effizien- ter durchführbar. Jedoch dürfen weder sicherheitspolitisch sinnvolle Maßnahmen noch terroristische Bedrohungsszenarien den wesentlichen Blick auf den Schutz der bürgerlichen Freiheiten und Grundrechte verstellen. Das fragile Gleichgewicht zwischen Freiheit und Sicherheit muss immer wieder aufs Neue austariert werden. Dieser Pro- zess kann nur in Gestalt eines kritischen öffentlichen Diskurses stattfinden. Dazu gehört auch, dass wir uns als nationaler Gesetzgeber sicherheitspolitische Notwendig- keiten nicht von europäischen Ratsverordnungen diktie- ren lassen. Auch wenn diese Vorhaben von der eigenen Regierung initiiert sind, bleibt die schlussendliche Ver- antwortung für die konkrete Umsetzung beim Parlament. In der Zukunft ist es unerlässlich, dass die Parlaments- fraktionen stärker in die Europapolitik der Regierung eingebunden werden. So wird die SPD genau darauf achten, dass beispielsweise bei der Erfassung, Übermitt- lung und Speicherung der Fingerabdrücke die Interessen des Datenschutzes gewahrt bleiben. Für uns ist Daten- schutz kein Lippenbekenntnis, sondern ein wesentliches Element des Grundrechtsschutzes und damit Grund- voraussetzung für das Funktionieren unserer demokrati- schen Gesellschaft. Gleiches gilt auch für den Minder- heitenschutz, der in der Regelung zum Geschlechtsein- trag in Pässen bei transsexuellen Personen zum Aus- druck kommt. Der vorliegende Änderungsentwurf, insbesondere im nicht EU-spezifischen Teil, hat jedoch kleinere Schwä- chen, die es noch genauer unter die Lupe zu nehmen gilt: Wenn im Zusammenhang mit dem Passgesetz auch Än- derungen vorgenommen werden sollen, die Straßenver- kehrsordnungswidrigkeiten betreffen, dann hat dies nichts mehr mit den Folgen des 11. September zu tun. Wenn man solche Maßnahmen in Sicherheitsgesetzen verankert, dann macht man es den Gegnern leicht in ihrer Argumentation, es ginge vermehrt um die Krimina- lisierung und Bestrafung unbescholtener Bürger. Zum kritischen Diskurs in der Öffentlichkeit gehört auch die Berücksichtigung der Empfindungen der Bür- gerinnen und Bürger in unserem Land. So müssen wir Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 7953 (A) (C) (B) (D) uns bewusst machen, dass die erstmalige Erhebung von Fingerabdrücken zur Identifizierung in Personaldoku- menten in der Bevölkerung mit der erkennungsdienstli- chen Behandlung von Kriminellen verknüpft werden könnte. Allerdings werden heute Fingerabdruckscanner benutzt und keine Stempelkissen mehr. Diese moderne Technik hat eine höhere Akzeptanz. Die Anträge von FDP und Bündnis 90/Die Grünen Fraktion sind leider nur wenig hilfreich. Die Sicherheits- bedenken wirken wie in Anträge gekleidete Presseerklä- rungen, die weniger den rechtlichen und technischen Realitäten entsprechen als dem Versuch, mit einem dif- fusen Zerrbild Ängste in der Bevölkerung vor einem Überwachungsstaat zu erzeugen. Auch wir stellen uns die Frage nach der Fehleranfälligkeit und Manipulierbar- keit von biometrischen Systemen. Wir werden uns, ge- stützt auf technischen Sachverstand, ein realistisches Bild von der Lage machen und auch etwaige Risiken dieser Technologie im Verhältnis zu ihrem Nutzen abwä- gen. Parteipolitisch motivierte Polemik bringt uns an dieser Stelle aber nicht weiter. Das heißt nicht, dass wir uns den sicherheitspolitischen Herausforderungen nicht stellen müssen. Aber klar ist: Es gibt keine bundesweite Datenbank der biometrischen Daten. Die Fingerabdrü- cke sind lediglich im Pass, das Lichtbild ist im Pass und beim Passamt. Trotz Datenschutz dürfen wir uns technischen Inno- vationen nicht verschließen. Durch biometrische Merk- male im Pass wird es möglich, die Identität von Perso- nen, vor allem bei Grenzkontrollen, durch Vergleich mit den Merkmalen der kontrollierten Person festzustellen. Dies verhindert in großem Maße die missbräuchliche Nutzung und ermöglicht eine schnellere sowie exaktere Kontrolle. Mehr Sicherheit und geringere Wartezeiten an den Grenzen sind die Folge. Die Daten auf dem Chip im Pass sind gegen unberechtigten Zugriff gesichert und werden auch nur dort gespeichert. Eine anderweitige, möglicherweise gar zentrale Speicherung, wird es nicht geben; darf es nicht geben und ist in diesem Gesetzent- wurf ausgeschlossen. Durch die Einführung eines durch- gängig elektronischen Verfahrens zur Passbeantragung werden die Effizienz und die Sicherheit des Beantra- gungsvorgangs erhöht. Dies bringt also auch Vorteile für den Bürger, dem keine zusätzlichen, über die Passgebühr hinausgehenden Kosten entstehen. Die SPD wird an ihrer bewährten Maxime der Sicher- heitspolitik mit Augenmaß, die sie bereits bei der Anti- terrordatei und beim Terrorismusbekämpfungsergän- zungsgesetz unter Beweis gestellt hat, festhalten. Sozialdemokratische Politik führt nicht in den Überwa- chungsstaat, sondern gestaltet einen sicheren Bürger- rechtsstaat. Gisela Piltz (FDP): Biometrie in Pass und Ausweis ist offenbar ein heißes Eisen. Schon Rot-Grün und nun auch Schwarz-Rot haben es offenbar am liebsten, wenn dieses Thema möglichst gar nicht öffentlich zur Sprache kommt, deshalb auch heute wieder die Beratung zu spä- ter Stunde. Otto Schily hat kräftig daran gearbeitet, die Einfüh- rung biometrischer Merkmale einschließlich der sehr umstrittenen Fingerabdrücke in Reisedokumente europa- weit durchzudrücken, ohne dass darüber im Deutschen Bundestag überhaupt gesprochen wurde. Heute sitzt der damalige politische Akteur Otto Schily im Aufsichtsrat eines Biometrieunternehmens. Von dort mag Otto Schily auf die Vermeidung jeder Dis- kussion über Sinn und Unsinn von biometrischen Merk- malen in Reisepässen sehr zufrieden zurückblicken. Denn mit der Einführung der digitalen Gesichtsbilder hat Deutschland einen gigantischen Feldversuch für die Bio- metrietechnik gestartet, und das ohne jeden Probelauf. Es schadet aber der Demokratie, wenn eine gesellschaft- liche Auseinandersetzung über die Herrschaft der Men- schen über ihre biometrischen Daten nicht stattfindet, wenn diese Daten ohne jede Diskussion Gegenstand der staatlichen Kontrolle werden. Es geht bei den biometrischen Daten nicht um irgend- welche Daten, es geht um die elementarsten Daten, die es für einen Menschen geben kann. Es geht um unsere biologische Identität. Diese Daten können Auskunft über Erbkrankheiten geben und über die Abstammung, die Verwandtschaft der Menschen. Diese Daten geben Aus- kunft über den höchstpersönlichsten Lebensbereich, der sich denken lässt. Die Frage ist nun: Geht Schwarz-Rot mit diesem Thema verantwortungsvoller um als Otto Schily? Die FDP-Bundestagsfraktion hat bereits im März vergange- nen Jahres einen Antrag gestellt, die offenbarten Sicher- heitslücken der Reisepässe zu schließen. Über diesen Antrag beraten wir nun – fast ein Jahr später. Die Sicher- heit der Pässe hat sich inzwischen nicht verbessert. Lei- der hat sich der Umgang mit dem Thema nicht wirklich verändert. Trotz unseres Drängens wird der Punkt nun immer noch mehr in der Nacht als am Tag behandelt. Dieses Thema soll offenbar um keinen Preis zu einer Zeit behandelt werden, an dem eine Rede ein größeres Auditorium findet. Auch sonst versucht die Regierung alles, das Thema herunterzuspielen. Erst werden vollendete europäische Tatsachen geschaffen, nun heißt es, die – wohl bemerkt von Deutschland maßgeblich mit gesetzten – europäi- schen Vorgaben würden bloß umgesetzt. Dabei gehen wir über die ohnehin im weltweiten Maßstab sehr weit gehenden europäischen Vorgaben noch ein deutliches Stück weit hinaus. Die Bundesregierung möchte letztlich die biometri- schen Merkmale auch in jeden Personalausweis integrie- ren. Die Merkmale werden zwar noch nicht endgültig mit den hier von der Bundesregierung vorgelegten Än- derungen in die Personalausweise aufgenommen, aber die Pläne sind hinlänglich bekannt. Es wird so getan, als wäre Biometrie in Reisepass und Personalausweis letzt- lich dasselbe und die Veränderungen Europa geschuldet. Dies ist schlicht falsch. Richtig ist: Die EU schlägt lediglich einen Standard für biometrische Merkmale in Personalausweisen vor. Nationale ID-Dokumente fallen nach einhelliger Mei- 7954 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 (A) (C) (B) (D) nung nicht einmal in den Zuständigkeitsbereich der EU. Ob wir biometrische Merkmale auch in den Personalaus- weisen haben wollen, diese Entscheidung liegt allein bei uns hier im Bundestag. Wir sollten gut abwägen, ob wir diese Veränderung dann auch wollen. Aus welchen Gründen hat die Bundesregierung die Aufnahme auch der digitalen Fingerabdrücke europa- weit durchgesetzt, und aus welchen Gründen will die Bundesregierung biometrische Merkmale auch in die Personalausweise implementieren? Die Argumente, wel- che für die Einführung dieser Merkmale herhalten müs- sen, sind Fälschungssicherheit und die Möglichkeit der Identitätsüberprüfung. Nur für diese Zwecke sieht die EU-Verordnung die Verwendung der biometrischen Da- ten vor. Fälschungssicherheit, also die Gewissheit, dass die zuständigen Behörden in Deutschland den Pass bzw. Ausweis ausgestellt haben, erreicht man nicht durch bio- metrische Daten des Inhabers. Dafür gibt es zahlreiche technische Vorrichtungen. Die Identitätsüberprüfung, also die Gewissheit, dass derjenige, welcher den Pass oder Ausweis in den Händen hält auch derjenige ist, für den dieser ausgestellt wurde, ist in der Praxis ein zu ge- ringes Problem, um diese umfangreiche Aufrüstung zu rechtfertigen. Die kriminalistisch so interessanten Fin- gerabdrücke braucht es für diese Zwecke ohnehin nicht, das Gesichtsbild würde völlig ausreichen. Was sind also die wirklichen Motive für die Einfüh- rung der Biometrie in Pässen und Personalausweisen? Ein Blick in die Details der Veränderungen ist sehr auf- schlussreich. Da heißt es in dem von der Bundesregie- rung vorgeschlagenen neuen § 2 c des Gesetzes über Personalausweise: Im Falle der Übermittlung von Lichtbildern an die Polizei- und Ordnungsbehörden im Rahmen der Verfolgung von Verkehrsordnungswidrigkeiten kann der Abruf des Lichtbildes im automatisierten Verfahren erfolgen. Aha! Das klingt natürlich sehr praktisch. Einen Perso- nalausweis muss im Gegensatz zum Reisepass jeder ha- ben – jedenfalls jeder, der nicht schon einen Reisepass hat. Damit ist sichergestellt, dass letztlich jede durch Bil- der festgehaltene Ordnungswidrigkeit anhand der dann später in die Registerdatenbanken eingespeisten biome- trischen Gesichtsmerkmale des Täters aufgeklärt werden kann. Das eröffnet in Kombination mit der ebenfalls in- tensiv betriebenen Ausweitung der Videoüberwachung natürlich ganz neue Möglichkeiten – nicht nur für Ver- kehrsordnungswidrigkeiten. Mehrere biometrische Merkmale ergeben überhaupt nur Sinn, wenn mit den Daten eine Identitätsfeststellung ermöglicht werden soll. Das heißt, es soll letztlich völlig unabhängig von Pass und Ausweis anhand biometrischer Daten festgestellt werden können, um wen es sich han- delt. Einen automatischen Abgleich der Fingerabdrücke mit den Datenbanken des BKA – welcher von den EU- Vorgaben eben gerade nicht gedeckt ist – sehen die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Änderungen für Drittstaatsangehörige bereits vor. Für uns alle kann das später, wenn die Infrastruktur dafür steht, jederzeit um- gesetzt werden. Das hat aber mit der Funktion des Passes und des Personalausweises als Legitimationspapier nicht mehr das Geringste zu tun. Die Notwendigkeit eines Ausweispapiers wird offenbar nur benutzt, um an unsere biometrischen Daten zu kommen. Die räumliche Reichweite der Identifizierung ist un- begrenzt. Über die fortschreitende Vernetzung der Da- tenbanken trägt gerade Deutschland entscheidend zum Aufbau einer weltweiten Struktur allgegenwärtiger Iden- tifizierung bei. George Orwell hatte wohl einfach nicht genug Phantasie, um sich diese schöne neue Ordnungs- welt so vorzustellen. Um es klar zu sagen: Wir werden nicht von den USA getrieben; sie sammeln biometrische Daten ihrer eigenen Staatsbürger aus datenschutzrechtlichen Gründen bis- lang noch nicht ein. Wir werden nicht von Europa getrie- ben; vielmehr treiben wir die anderen Mitgliedstaaten in Europa. Deutschland ist der Vorreiter einer neuen bio- metrischen Überwachungswelle; dies darf nicht länger hinter zugezogenen Vorhängen passieren, über diese po- litischen Entscheidungen muss endlich auch von Grund auf diskutiert werden. Wenn man aber biometrische Merkmale der Men- schen in so großer Zahl speichert, dann ist es umso wich- tiger, die größte Sorgfalt auf die Korrektheit und die Verhinderung der Zweckentfremdung dieser Daten anzu- wenden. Wer hier konkrete, wirksame Maßnahmen er- wartet, wird von dem Gesetzentwurf leider bitter ent- täuscht. Es fehlt nach wie vor die Möglichkeit für den Passinhaber, sich selbstständig über den gespeicherten Inhalt seiner Daten Kenntnis zu verschaffen. Hierfür muss er sich erst mit seiner Passbehörde auseinanderset- zen. Zu konkreten Maßnahmen zur Datensicherheit schweigt sich der Gesetzentwurf vollständig aus. Die Kostenberechnungen im Gesetzentwurf sind nicht seriös. Dazu heißt es im Gesetzentwurf, die Kosten werden „im Wesentlichen“ durch die Passgebühren ab- gedeckt. Dies mag für die bloße Anschaffung der Tech- nik in den Passbehörden richtig sein. Es wird darüber hi- naus aber auch mehr Personal benötigt, um die biometrischen Pässe zu bearbeiten – bei den Passbehör- den wie bei allen anderen mit den Pässen befassten Be- hörden. Auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion hat das Auswärtige Amt bereits eingeräumt, ab 2007 den Konsularbereich wegen der bevorstehenden Einführung biometrischer Pässe weltweit personell nachhaltig ver- stärken zu müssen. Auch auf die Kommunen kommen zusätzliche Belas- tungen zu. Während das BMI den Verwaltungskostenan- teil auf 14,37 Euro herunterrechnet, schätzt der Deutsche Städtetag die Höhe auf 23,86 Euro pro Exemplar. Allein in meiner Stadt Düsseldorf wurden im letzten Jahr 350 000 Euro außerplanmäßig für die Kosten der Be- schaffung der neuen biometrischen Reisepässe einge- stellt. Im Ergebnis bedeutet das: Die Bundesdruckerei reicht ihre Rechnungen inklusive Gewinnanteil einfach weiter und die Kommunen zahlen die Zeche. Davon ist aber im Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 7955 (A) (C) (B) (D) Gesetzentwurf leider nicht die Rede, sondern die Bun- desregierung redet sich mit Unwissenheit heraus. Wir sollten uns alle miteinander fragen, ob und wofür wir die biometrischen Merkmale in den Pässen und Per- sonalausweisen wirklich brauchen. Denn der Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung wirkt bei biometrischen Daten schwer. Wir müssen uns bei je- dem Einsatz dieser Daten die Frage nach der Verhältnis- mäßigkeit stellen. Wenn es letztlich darum geht, jedwede Straftat oder auch Ordnungswidrigkeit anhand einer möglichst totalen Überwachung und der Möglichkeit der automatischen Identitätsfeststellung aufzuklären, dann geht dies über das für die FDP-Bundestagsfraktion er- trägliche Maß weit hinaus. Es ist noch nicht zu spät; wir können die umfassende Preisgabe unserer biometrischen Daten hier im Bundes- tag aufhalten. Wir brauchen keine automatisierten Fin- gerabdruckabgleiche der Passdaten mit Datenbanken des BKA. Haben wir die Biometrie in den Personalauswei- sen, dann entkommt niemand mehr der staatlichen Kon- trolle über seine biometrischen Daten. Jan Korte (DIE LINKE): Im von der Bundesregie- rung vorgelegten Gesetzentwurf zur Änderung des Pass- gesetzes ist ein wenig Licht, aber viel Schatten. Tatsäch- lich zu begrüßen sind Änderungen für Transsexuelle, deren Reisesituation deutlich verbessert wird, weil ihnen künftig erniedrigende Fragen und exzessive Leibesvisi- tationen an Flughäfen erspart bleiben. Das ist ein guter Schritt hin zur Wahrung der Würde dieser Menschen. Mehr ist zum Thema Licht nicht zu sagen. Denn an- sonsten tut die Bundesregierung, was sie immer tut. Ohne Not greift sie in die Rechte der Bürgerinnen und Bürger ein und will nach einschlägiger Meinung rechts- widrig Daten speichern. Die Debatte um die Gesichts- erkennung klingt mir noch in den Ohren. Nun geht es um die Speicherung von Fingerabdrücken, nicht nur in Päs- sen, sondern auch im Personalausweis und anderen Do- kumenten. Die Linke lehnt dieses Ansinnen aus vielen Gründen ab. Ich nenne vier: Erstens. Die Verschlüsselung der Daten auf den RFID-Chips ist nicht sicher. Experten ist es ohne große Mühe gelungen, bei den bisherigen Varianten die Daten der Chips, die kontaktlos per Funk übertragen werden, zu entschlüsseln. Die Bundesregierung gibt schon heute biometrische Daten aus der Gesichtserkennung preis. Künftig sollen es die Fingerabdruckdaten und langfristig womöglich auch noch die Iris sein. Unbeschadet aller anderen Kritik an der Verwendung biometrischer Merk- male in Ausweisdokumenten sollte es doch einleuchtend sein, dass die Mindestanforderung, nämlich eine sichere Verschlüsselung und damit der verlässliche Schutz vor Missbrauch, gewährleistet sein müssen. Wird weiterhin auf eine sichere Technik verzichtet, gefährdet die Bun- desregierung nicht nur die Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger, sie geht auch das Risiko ein, dass die neuen Ausweisdokumente zwar teuer, aber mitnichten fäl- schungssicher sind, wenn sich jeder mit einem billigen Empfänger der Daten bedienen kann, die von Funkchips ausgesendet werden. Zweitens. Die sichere Erfassung und Verwendung von Fingerabdrücken ist im Massenverfahren nicht mög- lich. Die optimistische Schätzung des Büros für Tech- nikfolgenabschätzung besagt, dass die Fehlerquote bei 2 Prozent liegt. Das bedeutet, dass bei weit mehr als 1 Million Bundsbürgern Daten fehlerhaft sein werden, Tendenz steigend. Die Konsequenz wird auch hier inqui- sitorisches Kontrollieren auf Flughäfen und bei Grenz- übergängen sein, die für die Betroffenen nicht nur pein- lich sind. Durch die hohe Fehlerquote kann es zu Verwechslungen kommen, die unschuldige Bürger wo- möglich mit Ermittlungsverfahren konfrontieren, in de- nen sie selbst technische Fehler nachweisen müssten, da die Behörden fälschlicherweise davon ausgehen, dass die Technik keine Fehler macht. Das Gegenteil ist der Fall. Ich halte es für unverantwortlich, eine derart unaus- gereifte Technik auf die Menschen loszulassen. Drittens. Wie alle elektronisch hinterlegten biometri- schen Daten wirkt auch der gespeicherte Fingerabdruck ausgrenzend, weil bei einer Vielzahl von Menschen die- ses Datum nicht korrekt erfassbar ist. Ein weiterer Grund, von diesem irrsinnigen Vorhaben abzurücken; denn es grenzt Menschen mit Handicaps weiter aus. Viertens. Jenseits der technischen Erwägungen stellt sich bei der Einführung biometrischer Ausweise auch besonders die Bürgerrechtsfrage. Die Linke hält biome- trische Ausweisdokumente, so wie es beabsichtigt ist, für nicht vereinbar mit den Bürgerrechten. Die biometri- schen Daten, die auf Funkchips in Ausweisdokumenten gespeichert werden sollen, sind personenbezogene Da- ten. Das heißt in der Konsequenz, dass sie einer strikten Zweckbindung unterliegen. Der Bundesinnenminister ist nicht in der Lage, diesen schlichten Grundsatz zu befol- gen; denn die Daten der Gesichtserkennung sollen künf- tig beispielsweise zur Klärung von Bußgeldverfahren automatisiert herangezogen werden können. Zweck der Daten auf einem Ausweisdokument ist es aber doch, dass der Inhaber identifiziert und das Dokument seinem Inhaber eindeutig zugeordnet werden können. Jede an- dere Verwendung der Daten wäre eine Erweiterung des Zwecks und damit eindeutig rechtswidrig. Innenminister Schäuble pflegt auch mit dem neuen Passgesetz seine Datensammelobsession. Auch dieses Mal plant der Innenminister einen weitreichenden Rechtsverstoß. Denn die Abrufbarkeit der biometrischen Daten für andere Zwecke kommt einer Speicherung der Daten auf Vorrat gleich. Das allein ist ein Problem. Weil aber nicht nur Pässe, sondern auch Personalausweise von der Änderung betroffen sind – und das ohne Not – werden die biometrischen Daten fast aller Bundesbürger auf Vorrat gespeichert und in einer Referenzdatei zusam- mengeführt. Das ist in der Konsequenz nichts anderes als die Einführung einer universellen Personenkennziffer durch die Hintertüre. Genau das ist nach einhelliger Mei- nung nahezu aller Experten nicht statthaft. Ich stelle fest, dass die Technik für die Verwendung biometrischer Daten in Ausweisdokumenten weder si- cher noch hinreichend leistungsfähig ist. Der Zweckbin- dungsgrundsatz wird durch die beabsichtigte Regelung verletzt. Die Maßnahme ist nicht verhältnismäßig, weil 7956 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 (A) (C) (B) (D) fatale Nebenwirkungen für die Betroffenen nicht mini- miert, sondern billigend in Kauf genommen werden. Deshalb lehnen wir die Einführung des biometrischen Personalausweises ab, deshalb wollen wir die Fingerab- drücke nicht gespeichert haben, deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, den Bürgerrechten und dem Da- tenschutz endlich die nötige Priorität einzuräumen. Neh- men Sie sich deshalb die vorliegenden Anträge zu Her- zen, und lassen Sie ab von dieser Änderung des Passgesetzes. Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Deutschland hat die Präsidentschaft in der Europäischen Union für sechs Monate übernommen. Da ist es gut, wenn man Vorreiter in europäischen Fragen ist. Dabei sollte man aber nicht vom Pferd fallen, wie sie das hier mit der beabsichtigten Änderung es Passgesetzes tun. Es stimmt, dass die EU-Verordnung biometrische Merk- male in Pässen vorschreibt. Sie sagt aber nicht, welche, und fordert auch nicht auf, sie jetzt schon einzuführen. Trotzdem wollen Sie mit Ihrem Gesetzesentwurf schon heute Fingerabdrücke in den Reisepässen einführen und morgen wollen Sie das auch im Bundespersonalausweis tun. Dafür haben Sie sich ausgerechnet den Fingerabdruck ausgesucht. Gerade der Fingerabdruck ist nun wirklich nicht fälschungssicher. Es gibt da eine sehr instruktive Anleitung von Chaos Computer Club im Internet. Zur Fälschung des Fingerabdrucks braucht es nur: den De- ckel einer Plastikflasche, etwas Sekundenkleber, eine Digitalkamera, etwas Holzleim und einen hautfreund- lichen Kleber. Sicherheit setzt sich anders zusammen. Reden Sie sich bitte nicht mit der EU-Verordnung heraus. Die zwingt sie weder, den Fingerabdruck über- haupt, geschweige denn ihn so früh einzuführen. Es heißt in der englischen Originalfassung – ich habe das extra einmal nachgeschlagen – nur „die Mitgliedstaaten sollen“ Fingerabdrücke einführen. Verpflichtend ist das nicht. Sie „sollten“ ja auch alle morgen der Gesundheits- reform zustimmen. Für die, die dagegen stimmen wol- len: Es wird Ihnen kein Leid daraus erwachsen. Verstehen Sie mich nicht falsch. Wir sind nicht strikt gegen die Einführung biometrischer Merkmale. Aber sie müssen sicher sein, und der Datenschutz muss gewahrt werden. Das können Sie und wollen Sie auch nicht ga- rantieren. Die neuen Pässe sind nicht fälschungssicher. Gegenüber den jetzigen guten Pässen wird es einen Rückschritt geben. Das sagen Ihre eigenen Experten bei der Bundesdruckerei. Gerade biometrische Erkennungs- systeme haben immer noch eine inakzeptabel hohe Feh- lerrate. Die neuen Pässe können damit sogar einen Ab- bau von Sicherheit bedeuten. Dort, wo man sich auf die scheinbar sichere Technik verlässt, kann man anschei- nend auf gut ausgebildete Beamte und Beamtinnen ver- zichten. Dabei weiß jeder: Die Technik ist immer nur so gut, wie derjenige, der sie bedient. Für die Entwicklung und Erprobung hätten wir uns noch mehr Zeit ge- wünscht. Stattdessen legen Sie überhastet ein Gesetz vor, das wegen der rasanten technischen Entwicklung sicher- lich bald nachbesserungsfahig sein wird. Datenschutz sieht anders aus, vor allem, weil durch die Speicherung der biometrischen Daten eine Referenz- datei entstehen kann. Die Gefahr gibt es. Ich meine, auch der Bundesinnenminister sieht darin gar keine Gefahr, sondern sogar eine Chance, eine Chance für noch mehr Überwachung und noch mehr Abbau von Freiheit. Worauf ich anspiele ist Folgendes: Sie planen eine Reform der Melderegister. Wenn man die Angaben über den Wohnort und die dort eingegebenen Lichtbilder mit der Datei verbindet, haben Sie die Referenzdatei, dann haben sie die Datei, die Ihnen die totale Überwachung der Bürgerinnen und Bürger ermöglicht. Je mehr Dateien Sie schaffen, desto stärker werden sie diese Dateien auch verknüpfen. Wenn sie es nicht durch Bundesgesetz oder Kooperationen mit den Ländern tun, machen Sie es über den Umweg EU oder indem Sie sich in eine völkerrecht- liche Verpflichtung wie bei den Fluggastdaten flüchten. Vor dem Weg des Passgesetztes warne ich Sie. Man kann biometrische Daten einführen. Aber das muss si- cher geschehen und den Datenschutz verbessern, nicht ihn abbauen. Deshalb fordere ich Sie auf: Verzichten Sie auf die Einführung biometrischer Daten im Bundesper- sonalausweis! Machen Sie die Speicherung und Auswer- tung dieser Daten erst einmal sicher, und erproben sie die Technik doch erst einmal ausgiebig in der Praxis. Verzichten Sie auch generell auf die Speicherung von Fingerabdrücken, denn diese sind nicht sicher. Lassen Sie lieber die Finger von der Referenzdatei und von al- lem, was dabei helfen kann, eine Referenzdatei aufzu- bauen. Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister des Innern: Zum 1. November 2005 wurde der elektronische Pass in Deutschland erfolgreich einge- führt. Er enthält einen Chip, auf dem als erstes biometri- sches Merkmal das Lichtbild des Passinhabers elektro- nisch gespeichert ist. Mit dem vorliegenden Gesetz werden die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass Deutschland ab November 2007 in Umsetzung der EG- Verordnung zu biometrischen Merkmalen in Pässen elektronische Reisepässe ausstellen kann, in deren Chips neben dem Lichtbild auch Fingerabdrücke gespeichert werden. Kern des Entwurfes sind die Schaffung einer Rechtsgrundlage für die Erhebung der Fingerabdrücke durch die Passbehörden sowie die Regelung der Befug- nisse der den Pass und dessen Inhaber kontrollierenden Stellen. Deshalb lassen Sie mich nachfolgend die wichtigsten Fragen in diesem Zusammenhang beantworten. Warum wollen wir den Einsatz von Biometrie in Per- sonaldokumenten? – Weil die Technik einen wichtigen Beitrag für die Innere Sicherheit leisten kann. Dies wird insbesondere deutlich, wenn wir den Schengenraum als Ganzes betrachten. Es gibt europäische Länder, deren Personaldokumente sich mit einem Farbkopierer täu- schend echt nachahmen lassen, weil Sicherheitsmerk- male wie Hologramme und dergleichen fehlen. Diese Schwachstellen haben sich Kriminelle in der Vergangen- heit systematisch zunutze gemacht. Dank der EG-Ver- ordnung zu Pässen und Reisedokumenten kann dieses Sicherheitsgefälle in Europa nun abgebaut werden, denn einheitliche, verbindliche Standards liegen jetzt vor. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 7957 (A) (C) (B) (D) Dazu gehört der Chip mit zwei biometrischen Merkma- len: zunächst mit digitalem Passfoto, im zweiten Schritt kommen die Fingerabdrücke hinzu. Die Chiptechnologie ist nicht nur eine erhebliche Hürde für Dokumentenfäl- scher, sondern sie ermöglicht eine neue Qualität der Grenzkontrolle: Zukünftig wird maschinell prüfbar sein, ob diejenige Person, die einen Pass vorlegt, auch tatsäch- lich der Passinhaber ist. Denn Foto und Fingerabdrücke im Chip können mit live an der Grenze erhobenen bio- metrischen Merkmalen verglichen werden. Selbstver- ständlich muss das auf nationaler Ebene im Detail gere- gelt werden. Das führt mich zu meiner nächsten Frage. Was wollen wir im neuen Passgesetz regeln? – Um es kurz zu sagen: die Erhebung, Speicherung und Kontrolle der Fingerabdrücke, also den elektronischen Reisepass der zweiten Generation. Bislang wird ja in den Chips der seit November 2005 ausgegebenen elektronischen Pässe nur ein biometrisches Merkmal gespeichert, das Pass- foto. Über 2,6 Millionen dieser Dokumente haben wir bislang in Deutschland ausgegeben. Während das Foto in Papierform schon seit jeher Bestandteil von Pässen war, stellen die Fingerabdrücke nun eine neue Qualität persönlicher Daten im Pass dar. Dem trägt der Passge- setzentwurf durch klare Vorgaben Rechnung: Zum einen wird eine bundesweite Datenbank mit biometrischen Da- ten ausdrücklich ausgeschlossen. Abgesehen von der Speicherung des Lichtbildes im örtlichen Passregister, werden die biometrischen Daten ausschließlich im E-Pass-Chip gespeichert. Bürgerinnen und Bürger haben ihre Daten also buchstäblich in der Hand. Zum anderen ist der Zugriff auf diese biometrischen Daten im Chip ausschließlich für klar definierte behördliche Kontroll- zwecke vorgesehen. Lassen Sie mich Ihnen weitere Punkte des Passge- setzentwurfs benennen, aus denen sich unsere sicher- heitspolitische Strategie in Sachen Biometrie deutlich ablesen lässt: Der E-Pass ist kein Selbstzweck, sondern Teil eines integrierten Konzepts. Dazu gehören auf EU-Ebene auch die geplante Einführung des Visuminformationssystems und der biometriegestützten Aufenthaltskarte. Ziel ist es, alle Menschen im Schengenraum sicher zu identifizie- ren – egal, ob sie als EU-Bürger, internationaler Tourist oder Asylsuchender die Grenze passieren. Entscheidend ist ein gemeinsamer hoher Dokumenten- und Kontroll- standard im gesamten Schengenraum. Dies spiegelt sich im Passgesetzentwurf wider. So sollen Rechtsgrundla- gen geschaffen werden, um biometriegestützte Identi- tätsüberprüfungen auch bei Unionsbürgern, Drittstaats- angehörigen und Asylbewerbern durchführen zu können. Bei Drittstaatsangehörigen soll darüber hinaus ein – verdachtsunabhängiger – Abgleich der Lichtbilder und Fingerabdrücke mit den Datenbeständen des BKA ermöglicht werden. Dies ist insbesondere bei der Ein- reise dann erforderlich, wenn im Rahmen der Visumer- teilung eine Identitätsüberprüfung noch nicht stattgefun- den hat. So viel zum Passgesetzentwurf. Ich möchte nun im letzten Teil meiner Ausführungen auf einige Details der FDP-Anträge eingehen, die ich un- ter folgende Frage subsumiert habe: Sind der elektronische Reisepass und der elektroni- sche Personalausweis für unsere Bürgerinnen und Bür- ger ein Datenschutzrisiko? Meine klare Antwort: Nein. Lassen Sie mich mit dem E-Pass beginnen. Dazu nenne ich als Stichworte das zuvor erwähnte Verbot einer bun- desweiten Datenbank und dass die Fingerabdrücke im Chip ausschließlich hoheitlichen Kontrollzwecken vor- behalten bleiben. Es bleibt also nur die Frage nach der Sicherheit der Daten im Chip selbst, und dafür haben wir Vorsorge getroffen. Aus dem FDP-Antrag zu biometri- schen Pässen wird deutlich, dass gegenüber diesen Vor- kehrungen Misstrauen besteht, aber auch, dass die tech- nischen Mechanismen im Detail nicht bekannt sind. Denn die im Antrag formulierten Annahmen entspre- chen nicht der Faktenlage. Ein Beispiel: Es wird behauptet, dass die im Chip ge- speicherten Daten bei aktivem Auslesen in bis zu 10 Me- ter Entfernung empfangen werden können. Das ist weit von der Realität entfernt: Nach Untersuchungen des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik ist das aktive Auslesen eines E-Pass-Chips nur in einer Entfernung von wenigen Zentimetern möglich. Um elek- tronische Pässe auslösen zu können, muss ein Lesegerät also bis auf eine geringe Entfernung an den Pass heran- kommen, Pass und Lesegerät müssen sich einige Sekun- den in Ruhe befinden, und die Passnummer, das Ge- burtsdatum des Inhabers und das Ablaufdatum des Reisepasses müssen bekannt sein bzw. in einem aufwen- digen Verfahren „geraten“ werden. Zweite Behauptung: beim passiven Auslesen, also dem Empfang der Daten eines von einem berechtigten Lesegerät aktivierten Chips, zum Beispiel bei der Grenz- kontrolle, sei der Empfang in bis zu 30 Metern Entfer- nung möglich. Auch das ist nicht richtig: Ein fehlerfreies passives Mitlesen ist nach Untersuchungen des BSI nur unter optimalen Bedingungen und in einer Entfernung von weniger als 3 Metern möglich. Und noch ein Beispiel aus dem FDP-Antrag: Die Ver- schlüsselungsstärke von rund 56 Bit sei nicht ausrei- chend. Auch das ist falsch. Stattdessen handelt es sich um ein sogenanntes Hybrid-Verfahren, bei dem die Kommunikation zwischen Chip und Lesegerät mit ei- nem 112-Bit-Schlüssel verschlüsselt ist. Lediglich der Schlüsselaustausch erfolgt mit einer Stärke von 56 Bit. Dies wird als völlig ausreichend angesehen. Der Auf- wand, einen solchen Schlüssel zu ermitteln, stünde doch in keinem Verhältnis zum Informationsgewinn. Wo ist also das Bedrohungspotenzial? Der Schutz der im E-Pass gespeicherten personenbezogenen Daten ist an- gemessen und ausreichend. Ich könnte hier noch mehr technische Details nennen, möchte mich aber kurz fas- sen. Die Bundesregierung sieht keinen Handlungsbedarf in Sachen Chipsicherheit. Bisher konnte in keinem einzi- gen Fall ein elektronischer Reisepass gefälscht oder ge- klont werden. Und das wird auch so bleiben. Auch die Ausführungen der FDP im Antrag zum elektronischen Personalausweis sind nicht geeignet, die Bundesregierung von ihrem Vorhaben der Einführung im Jahr 2008 abzubringen. Der elektronische Personal- ausweis wird kein Datenschutzrisiko sein. Im Gegenteil: Der neue Ausweis ist die Antwort auf bestehende Si- cherheitslücken – und damit Datenschutzdefizite –, die 7958 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 (A) (C) (B) (D) heute beispielsweise im Internet bestehen. Sie alle ken- nen das Problem der Datenspionage beim Onlineban- king! Der neue Ausweis gibt dem zukünftigen Doku- menteninhaber die Möglichkeit, unter eigener Kontrolle seine Daten zuverlässig im Internet zu übermitteln. Nie- mand braucht mehr Angst zu haben, dass ein Unbefugter heimlich Konten online abräumt oder im Internet unter falschem Namen Geschäfte macht. Der Ausweisinhaber wird sogar auswählen können, ob nur Name, Adresse oder vielleicht nur die Altersangabe elektronisch über- mittelt werden soll. Die technischen Möglichkeiten, die die Chiptechnologie insbesondere für Internetanwendun- gen bietet, sollten wir unseren Bürgerinnen und Bürgern nicht vorenthalten. Schließlich ist das Internet längst zu einem wichtigen Bestandteil unseres Alltags geworden. Für Behörden und Unternehmen – Stichworte E-Govern- ment und E-Business – ist eine solche sichere Online- identifizierung zudem Voraussetzung, um Gewissheit zu haben, mit wem sie kommunizieren. Für den elektronischen Personalausweis sehe ich da- her keine Veranlassung für einen Kurswechsel in unse- ren Planungen. Dennoch nimmt die Bundesregierung be- stehende Ängste und Vorbehalte gegen den Einsatz der Biometrie und Chiptechnologie ernst. Wir sind bestrebt, Irrtümer und Missverständnisse auszuräumen. Dabei set- zen wir auch auf Berichte wie den vorliegenden zur Technikfolgenabschätzung, der insgesamt einen guten Überblick zur Biometrienutzung für Dokumente und Grenzkontrollen bietet. Zwar ist der Ansatz des Berichts insgesamt richtig, jedoch sind eine Reihe der dort enthal- tenen Informationen mittlerweile überholt. Eine Befas- sung des fast zweieinhalb Jahre alten Berichts vor dem Hintergrund des inzwischen eingetretenen Fortschritts erscheint mir daher nicht mehr geboten. Lassen Sie mich noch eines zu den neuen Pässen und Ausweisen und der Biometrie insgesamt sagen: Wir soll- ten die neuen Technologien nicht pauschal verurteilen, sondern auf reeller Faktenbasis ihre Chancen prüfen und nutzen! Dabei muss das Grundrecht unserer Bürgerinnen und Bürger auf informationelle Selbstbestimmung ge- nauso geschützt werden wie ihre Sicherheit. Gert Winkelmeier (fraktionslos): „Denn sie wissen, was wir tun!“ titelte „Die Zeit“ vor anderthalb Jahren ei- nen aufschlussreichen Artikel zum Thema Geheim- dienste, Polizei und Bürgerrechte. Anlass war die bevor- stehende Einführung des biometrischen Reisepasses. Sicherheitsexperten, Computerfreaks und Bürgerrechtler hatten schon im Vorfeld auf erhebliche Risiken hinge- wiesen. Auch der oberste Datenschützer dieses Landes, Peter Schaar, warnte in seinem Tätigkeitsbericht im April 2005 vor einem Schnellschuss: Sorgfalt müsse vor Schnelligkeit gehen. Dennoch wurden die ersten neuen Pässe im November 2005 eingeführt. Der ehemalige In- nenminister Schily sah, wie eines seiner Lieblingskinder das Licht der Welt erblickte. Nur am Rande möchte ich nochmals auf die Anekdote hinweisen, dass der Innen- minister a. D. inzwischen eine Minderheitenbeteiligung an der Firma besitzt, die diese biometrischen Reisedoku- mente anbietet. Derweil haben die Experten ihre Bedenken auch praktisch belegen können: Den Code des RFID-Chips hatte eine niederländische Sicherheitsfirma bereits inner- halb von zwei Stunden nach der Aufzeichnung ent- schlüsselt. Danach lagen Geburtsdatum, Foto und Fin- gerabdruck des Passinhabers im Klartext vor. Anleitungen, wie man sich ein RFID-Chip-Lesegerät selber bauen kann, lassen sich inzwischen aus dem Inter- net runterladen. Dem deutschen Sicherheitsexperten Lukas Grunwald ist es gelungen, den Chip zu klonen. Auch ist es nach seinen Angaben möglich, einen Pass mit einem fremden Chip zu ergänzen. Die Lesegeräte nutzen nur den nächstgelegenen Chip. Grunwald nennt das Design der E-Pässe einen „totalen Hirnschaden“. Ein altes deutsches Sprichwort besagt: „Aus Schaden wird man klug.“ Nur scheint es nicht immer zuzutreffen. Es wäre wirklich vernünftig, auf die weitere Ausgabe der biometrischen Pässe zu verzichten, bis ein sicheres und anpassungsfähiges System für den Chip entwickelt worden ist. Sollte dies nicht gelingen – und davon ist bei der Rasanz der technischen Entwicklungen eigentlich auszugehen –, ließe sich auch problemlos ganz auf die- ses Dokument verzichten. Denn eigentlich hatte das Bundesverfassungsgericht in seinem Volkszählungsur- teil von 1983 die systematische, maschinell gestützte Durchleuchtung der Bevölkerung verboten. Nur will sich daran seit dem 11. September niemand mehr so recht erinnern. Am biometrischen Pass haben sich die Sicherheits- mängel des biometrischen Chips bereits offenbart. Wes- halb dann auf die Einführung des biometrischen Perso- nalausweises nicht gänzlich verzichtet wird, ist nur schwer nachvollziehbar. Zudem wird aufgrund der be- stehenden Ausweispflicht jeder Bürger verpflichtet, seine biometrischen Merkmale abzugeben. Das ist ein unverhältnismäßiger Eingriff in das Recht auf informa- tionelle Selbstbestimmung. Die bürgerlichen Freiheits- rechte werden ein weiteres Mal geschädigt. Wir haben es hier also mit einem doppelten Schaden zu tun: einem technischen am biometrischen Chip und einem von Sicherheitspolitikern gewollten ideellen an den Bürgerrechten. Aber aus Schaden wird man anschei- nend nicht immer klug; vor allen Dingen dann nicht, wenn man es nicht will! Im Sicherheitswahn nach dem 11. September will man lieber wissen, was wir tun. Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Verbot von Telefon- werbung zum Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher wirksam durchsetzen (Tages- ordnungspunkt 18) Julia Klöckner (CDU/CSU): Mit dem Antrag „Ver- bot von Telefonwerbung zum Schutz der Verbraucherin- nen und Verbraucher wirksam durchsetzen“, wird ein Problem angesprochen, womit wir uns schon seit gerau- mer Zeit beschäftigen. Deshalb stimme ich zunächst auch einmal zu: Wir brauchen eine bessere Durchset- zung des Gesetzes gegen unerlaubte Telefonwerbung. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 7959 (A) (C) (B) (D) Das Problem ist bekannt. Bleibt zu klären, wie wir hier zu einer Lösung kommen. Schauen wir uns doch einmal die jetzige Rechtslage an: In Deutschland gibt es seit drei Jahren ein Verbot von belästigender Telefon- werbung. Trotz dieses Verbotes durch Art. 7 Abs. 2 Nr. 2 des Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb haben sich ungebetene Telefonanrufe bei Verbrauchern immens ausgeweitet. Die Klagen und Erfahrungen von Bürgerin- nen und Bürgern sind uns allen bekannt. Das von der rot- grünen Bundesregierung in der vergangenen Legislatur eingebrachte Gesetz ist in seiner Anwendung leider zahnlos. Gerade die Fraktion der Grünen hatte sich genau für den jetzt geltenden Passus im UWG einge- setzt. Es sieht etwas nach „schlankem Fuß“ aus, aus der Oppositionslage heraus neue Lösungsansätze zu fordern, die man selbst in der damaligen Regierungsverantwor- tung hätte geben können, aber nicht hat. Warum wird gegen das geltende Gesetz verstoßen? Weil sich Anbieter durch diese Anrufe den Vertrieb oft minderwertiger, überteuerter und riskanter Produkte oder Verträge erhoffen und auch erzielen, und sich der Verbraucher nur selten dagegen wehrt. Natürlich dürfen wir die gesamte Callcenterbranche und das Telefon- marketing als solche nicht verteufeln. Wichtig ist, dass wir zwischen schwarzen Schafen und seriösen Unterneh- men unterscheiden. Die Callcenterbranche entwickelte sich in den vergangenen Jahren wirtschaftlich gut. Die Arbeitsplätze müssen hier langfristig gesichert sein und dürfen nicht unter dem schlechten Ruf krimineller Un- ternehmen leiden. Viele seriöse Callcenter rufen erst nach vorheriger und schriftlicher Einwilligung an oder betreuen auf diese Weise ihre Stammkunden. Nach der jetzigen Rechtslage handelt es sich aber bei den sogenannten Cold Calls, wenn also die Privatperso- nen zuvor nicht eingewilligt haben, um eine unzumut- bare Belästigung. Das Schema ist immer gleich: Die An- rufe erfolgen zumeist abends und am Wochenende und versprechen mit Stimmen vom Band oder Callcentermit- arbeitern eine Urlaubsreise, einen lukrativen Zweitjob, hohe Gewinne, günstige Kredite oder die Bitte um Teil- nahme an Meinungsumfragen. Die Beschwerden in mei- nem Wahlkreis, aber auch bei den Verbraucherzentralen haben enorm zugenommen. Besonders ältere Menschen wissen nicht, wie sie gegen solche Belästigungen vorge- hen sollen und welche Rechte sie haben. Oftmals geben sie dubiosen Firmen ihre Kontonummer und werden re- gelrecht abgezockt. Die Alternative kann hier aber ge- wiss nicht sein, immer erst den Anrufbeantworte laufen zu lassen. Neben den Anrufautomaten, die zumeist unwahre Ge- winnmitteilungen auf Anrufbeantwortern von Festnetz- telefonen hinterlassen, ist ein weiterer neuer Trend be- sonders ärgerlich: sogenannte Pin-Anrufe. Bei diesen Anrufen wird gezielt ein einmaliges Rufzeichen übertra- gen und danach die Anwahl beendet. Dies reicht aus, um über die Clip-Funktion etwa eine hochpreisige Mehr- wertdienstnummer zu übertragen. Das Erscheinen der Nummer animiert dann auf dem Telefondisplay zum teue- ren Rückruf. Wollen Verbraucher gegen solche illegalen Anrufe vorgehen, müssen sie eine Vielzahl von Informationen sammeln. Der Angerufene muss sich beispielsweise no- tieren, wann der Anruf eingeht und – wenn möglich – welche Nummer auf dem Display erscheint. Ebenso muss nach dem Namen der Firma und nach dem Grund des Anrufes gefragt werden. Mit diesen Notizen können sich die Betroffenen an die Verbraucherzentrale oder die Wettbewerbszentrale wenden, damit diese rechtlich mit Unterlassungsansprüchen gegen die schwarzen Schafe vorgehen können. Da dies aber die wenigsten Verbrau- cher wissen und der Weg umständlich und für die beläs- tigenden Anrufer nicht abschreckend genug ist, bleiben viele solcher Anrufe ungeahndet. Der Zuwachs unerlaubter Telefonwerbung lässt sich in Zahlen belegen: Die aktuelle Umfrage der Gesell- schaft für Konsumforschung vom Januar 2007 ist ein weiteres Indiz dafür, dass wir hier etwas tun müssen. Mit 72,5 Millionen Werbeanrufen im dritten Quartal ver- zeichnete die Branche im Vergleich zum vorherigen Quartal einen Zuwachs von 31,3 Prozent. Dabei haben vor allem Lotterien und Gewinnspiele mit 25,3 Prozent die Nase vorne, gefolgt vom Telekommunikationsbe- reich. Allein im ersten Quartal erfasste die Gesellschaft für Konsumforschung 82,6 Millionen ungebetene telefo- nische Werbekontakte. 66,1 Prozent der befragten Anru- fer empfanden die Anrufe als störend und 63,7 Prozent der Befragten brachen das Telefonat sogar frühzeitig ab. Man sieht, wir haben das Problem erkannt. Eine von der Fraktion der Grünen geforderte Gewinnabschöpfung ist wenig hilfreich und konstruktiv: Denn gerade der An- ruf zu Werbezwecken erfolgt stets vorsätzlich. Dies wird auch vor keinem Gericht mit Erfolg zu bestreiten sein. Eine Verschärfung des § 10 des UWG ist vor diesem Hintergrund und in diesem Zusammenhang deshalb we- der erforderlich noch zielführend. Anders ausgedrückt: Wir müssen bei allen Forderungen auf die Rechtssyste- matik achten; das UWG hat zivilgesetzlichen Charakter. Um illegaler Telefonwerbung gerecht zu werden, benöti- gen wir eine Vielzahl von Maßnahmenbündeln, und selbst dann ist vor allem auch der Verbraucher gefragt. Denn ohne eine ausreichende Sachverhaltsdarlegung oder eine Zeugenaussage im Verfahren wird eine effek- tive Rechtsverfolgung bei illegaler Telefonwerbung kaum möglich sein. Flächendeckende Aufklärung tut hier genauso not wie eine bessere Vernetzung der betei- ligten Gruppen, zum Beispiel der Verbraucherzentrale, der Netzagentur, der Wettbewerbszentrale, der Callcen- ter und der Unternehmen. Und eines darf man hierbei trotz allem nicht vergessen: Selbst wenn wir verschärft gegen illegale Telefonwerbung vorgehen, die Anrufe aus dem Ausland zum Beispiel werden wir so nicht verhin- dern. Die Kolleginnen und Kollegen können sicher sein, dass wir der Sache nachgehen werden. Deshalb werden wir auch eine fraktionsinterne Anhörung zu diesem Thema durchführen, um so konstruktive und vor allem zielführende Lösungsansätze zu finden. Die Einstufung als Ordnungswidrigkeit und das Belegen mit einem Buß- geld oder die Regelung, dass telefonische Verträge einer Unterschrift bedürfen oder dass das Widerrufsrecht an- 7960 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 (A) (C) (B) (D) ders gestaltet wird, sind zwar Überlegungen. Sinn macht aber nur das, was auch zum Ziel führt. Die Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion der Grünen wissen es doch am besten. Sie hätten ja in der vergangenen Legis- laturperiode handeln können. Nun gilt Gründlichkeit vor Schnelligkeit – Gesetze müssen auch anwendbar und wirkungsvoll sein. Mit Aktionismen allein ist dem Ver- braucher noch nicht geholfen. Dr. Günter Krings (CDU/CSU): Ein deutscher Schlagersänger beklagte sich vor einigen Jahren: „Kein Schwein ruft mich an, keine Sau interessiert sich für mich, solange ich hier wohn’, ist es fast wie Hohn, schweigt das Telefon.“ Diese Situation empfand der Sänger Max Raabe für die heutige Zeit wohl zu Recht als außergewöhnlich, und er fuhr deshalb fort: „Den Zu- stand find ich höchst fatal, für heut’ge Zeiten nicht nor- mal, wo jeder nur darüber klagt, das Telefon an Nerven nagt.“ Wir wissen nicht, welche Anrufe sich Herr Raabe wünschte. Allerdings wissen wir, dass allein im Zeit- raum von Januar bis März 2006 82,6 Millionen Werbe- anrufe in Deutschland getätigt wurden. Statistisch wurde damit jeder Deutsche in diesem Quartalsabschnitt min- destens einmal angerufen. Tendenz steigend. Nach Un- tersuchungen der Gesellschaft für Konsumforschung stieg die Zahl der Werbeanrufe in den ersten drei Quarta- len 2006 gegenüber dem Vorjahr um 31,3 Prozent, und bei einem Besuch in der Verbraucherzentrale meiner Heimatstadt Mönchengladbach hatte ich bereits im letz- ten Jahr Gelegenheit, mich von der Zunahme der Ver- braucherbeschwerden über unerbetene Werbeanrufe und unsolide Geschäftspraktiken am Telefon zu überzeugen. Allerdings – und auch das sollten wir uns vor Augen hal- ten – ist nicht jeder Werbeanruf auch gleich ein Verstoß gegen die Vorschriften des UWG. Daher halte ich grundsätzlich die Regelung in § 7 UWG für richtig und zielführend. Dieser Paragraf regelt, dass ein Anruf dann eine unzumutbare Belästigung darstellt, wenn er eine Werbung gegenüber einem Ver- braucher zum Inhalt hat, die ohne dessen Einwilligung geschieht Das erkennt offenbar auch der Antrag der Grünen an, der lediglich Änderungen auf der Rechtsfol- genseite vorschlägt. Der Gesetzgeber hat demnach einen Tatbestand geschaffen, der die Grenzen unerlaubter Telefonwerbung klar umreißt und daher auch in der Rechtspraxis handhabbar ist. Ob die zur Verfügung ge- stellten Sanktionsmechanismen allerdings abschreckend genug sind, um unseriöse Werbeanrufe vom Verbraucher fernzuhalten, steht auf einem ganz anderen Blatt. Die von den Grünen vorgeschlagenen Änderungen gehen in die gleiche Richtung wie die Forderungen, die bereits die Verbraucherschutzverbände in die öffentliche Debatte eingebracht haben. Diese Vorschläge sind zu- nächst auf ihre Tauglichkeit hin zu überprüfen. Die Ver- braucherverbände bieten gleich ein ganzes Arsenal von Sanktionsmöglichkeiten an. Unsere Aufgabe im Deut- schen Bundestag ist es nun, zu untersuchen, ob und in- wieweit die einzelnen Optionen die Verbraucher wirk- lich besser vor unerwünschten Werbeanrufen schützen können. Nicht alle Vorschläge überzeugen mich jeden- falls auf Anhieb. Als ein Beispiel will ich hier die Ausweitung des Ge- winnabschöpfungsanspruchs nennen. Nach den Vorstel- lungen der Grünen soll der Anspruch bereits bei einem grob fahrlässig handelnden Unternehmen eintreten, wäh- rend die jetzige Rechtslage ein vorsätzliches Verhalten vorschreibt. Die Gewinnabschöpfung ist ein scharfes Schwert. Auch wenn lediglich der Gewinn abgeschöpft wird und damit beispielsweise Herstellungskosten oder Betriebskosten noch in Abzug zu bringen sind, führt der Einbezug einer Vielzahl von Verträgen zu durchaus statt- lichen Summen. Da wo der Gesetzgeber bislang Ge- winnabschöpfung angeordnet hat, will er gerade diese drakonische Sanktion; denn schließlich steht bei der Ge- winnabschöpfung die Abschreckungswirkung im Vor- dergrund und nicht ein Vermögensausgleich. Diese abschreckende Wirkung darf sich schon aus rechtsstaatlichen Gründen aber nur dann entfalten, wenn dem auch ein entsprechendes Unrechtsverhalten gegen- übersteht. Schon im Rahmen der Debatte der letzten No- vellierung des UWG wurde die Frage erörtert, warum ein fahrlässiges Verhalten nicht ausreicht, um eine Ge- winnabschöpfung anzuordnen. Fahrlässig handelt grund- sätzlich nämlich bereits die Person, die in Kenntnis des Sachverhalts wettbewerbswidrig handelt. Insbesondere handelt im Wettbewerbsrecht nach BGH-Rechtspre- chung derjenige fahrlässig, der sich im Grenzbereich wettbewerbsrechtlicher Zulässigkeit bzw. Unzulässigkeit bewegt und daher mit einer anderen Beurteilung seines zumindest bedenklichen Verhaltens rechnen muss. Ob der jetzige Vorschlag der Grünen nun gänzlich an- ders zu bewerten ist als entsprechende Vorstöße bei der Novellierung des UWG in der letzten Wahlperiode, nur weil er sich nun auf „grobe“ Fahrlässigkeit beschränkt, ist mir noch nicht ganz ersichtlich. Auch wenn der Ge- winnabschöpfungsanspruch nur die Fälle betreffen soll, in denen die erforderliche Sorgfalt in besonderem Maße nicht beachtet wurde, macht es bei dieser Art der Sank- tion doch einen gravierenden Unterschied, ob sich eine Person bewusst für eine Rechtsverletzung entscheidet oder nicht. Aber auch hier sagen wir eine unvoreinge- nommene Prüfung zu. Noch mehr Probleme bereitet aus meiner Sicht aber der Vorschlag, den abgeschöpften Gewinn verpflichtend an Einrichtungen des Verbraucherschutzes zu übertra- gen. Das wäre aus meiner Sicht überhaupt nur dann zu diskutieren, wenn die Verbraucherschutzverbände die einzigen Einrichtungen wären, die den Anspruch auf Ge- winnabschöpfung geltend machen könnten. Der ein- schlägige § 10 UWG bezieht sich indes nicht nur auf Verbraucherschutzverbände, sondern beispielsweise auch auf Kammern. Mit welchen Argumenten hier eine Ungleichbehandlung unter den verschiedenen Klagebe- fugten gerechtfertigt werden soll, sehe ich mit großer Spannung entgegen. Die Einfuhrung eines Bußgeldtatbestandes halte ich da schon für interessanter. Auch hier werden wir uns ge- nau ansehen, ob hierdurch eine echte Verbesserung für die Verbraucher erreicht werden kann. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 7961 (A) (C) (B) (D) Die Änderungen der UWG-Novelle sind keine zwei- einhalb Jahre in Kraft, und eine solide Evaluation über die Bewährung dieser Vorschriften in der Rechtspraxis hat noch nicht stattgefunden. Es ist uns daher in dieser Debatte nicht damit geholfen, Schnellschüsse in typi- scher Oppositionsmanier abzufeuern, wie dies bei die- sem Antrag der Grünen offensichtlich geschieht. Innerhalb der CDU/CSU-Bundestagsfraktion haben wir bereits im letzten Jahr eine Arbeitsgruppe zu diesem Thema gegründet, weil auch wir mit der Einhaltung der Anrufverbote aus § 7 UWG nicht zufrieden sind. Wir werden uns in den nächsten Wochen mit der Problematik und mit möglichen Lösungsansätzen gründlich auseinan- dersetzen. Ich freue mich also dann auf konstruktive Gespräche mit den Fraktionen dieses Hauses im Inte- resse einer praktischen und verbraucherfreundlichen Lö- sung – schon alleine, damit Menschen wie Max Raabe sich noch wirklich auf Telefonanrufe freuen können und das Telefon kein Instrument wird, das nur noch „an Ner- ven nagt“. Dirk Manzewski (SPD): Wir debattieren am heuti- gen Abend über einen Antrag der Fraktion des Bünd- nisses 90/Die Grünen zur wirksamen Durchsetzung des Telefonwerbungsverbotes. Das Grundanliegen des Antrages ist durchaus begrü- ßenswert. Würde man in der Öffentlichkeit eine Um- frage starten, würde mit Sicherheit die Mehrheit der Be- völkerung Telefonwerbung ablehnen. Wir sollten uns jedoch vor populistischen Schnellschüssen hüten, die uns nicht weiterhelfen. Auch wenn ich selbst den Eindruck habe, dass es trotz des Telefonwerbungsverbots nach wie vor zu ungewoll- ten Werbeanrufen kommt, muss ich zum Beispiel ehrli- cherweise eingestehen, dass mir gesicherte Erkenntnisse über das tatsächliche Ausmaß dieser Belästigung nicht vorliegen. Dies sollte aber zunächst geklärt werden, um grundsätzlich den Bedarf nach etwaigen neuen Regeln festzustellen. Die Zahlen hierüber variieren nämlich er- heblich. Während der Antrag von circa 82,6 Millionen telefo- nischen Werbekontakten allein im ersten Quartal 2006 ausgeht, berichtet die Zentrale zur Bekämpfung unlaute- ren Wettbewerbs nur von einigen hundert Beschwerden pro Jahr, wobei allerdings eine hohe Dunkelziffer zuge- standen wird. Ich meine, dass dies zunächst geklärt wer- den sollte. Wir müssen uns auch fragen, ob die gemachten Vor- schläge geeignet sind, Verbraucher wirksamer vor unge- wollten Werbeanrufen zu schützen. Wir dürfen ja nicht verkennen, dass unerwünschte Werbeanrufe schon jetzt verboten sind. Dies beinhaltet übrigens, dass bereits jetzt Unterlas- sungs- und Schadensersatz- sowie Gewinnabschöp- fungsansprüche bestehen. Der Verbraucher ist zudem – es geht ja hier um Fernabsatzverträge – durch ein um- fassendes Widerrufs- und Rückgaberecht geschützt. Soweit konkret ein Bußgeldtatbestand gefordert wird, bleibt anzumerken, dass die Verfolgung unerwünschter Telefonwerbung in der Regel daran scheitert, dass die Identität des Anrufers auf der anderen Seite nicht zu er- mitteln ist. Hieran wird aber die Einführung eines Buß- geldtatbestandes nichts ändern. Zudem dürfen wir nicht verkennen, dass uner- wünschte Werbeanrufe zwar belästigend und nervend, aber gleichwohl nicht mit dem Vergleichbar sind, was wir ansonsten für ordnungswidrig oder strafwürdig er- achten. Letzteres wird im Übrigen auch dazu führen, dass es Probleme bei den Auskunftsersuchen zur Identitätsfest- stellung geben wird, jedenfalls dann, wenn es das Fern- meldegeheimnis betrifft. Soweit vorgeschlagen wird, dass die Gewinnabschöp- fung bereits bei grob fahrlässigem Verhalten greifen soll, bleibt anzumerken, dass dies keinen Sinn macht, weil Werbeanrufe in der Regel ohnehin vorsätzlich gemacht werden und damit bereits vom geltenden Recht umfasst werden. Ich nehme interessiert zur Kenntnis, dass man in die- sem Zusammenhang plötzlich offenbar den Gewinnab- schöpfungsanspruch für geeignet ansieht. Soweit der ab- geschöpfte Gewinn verpflichtend an Einrichtungen des Verbraucherschutzes abgeführt werden soll, halte ich dies für nichtzielführend. Ich meine, es sollte um die Sa- che gehen, und kein finanzieller Anreiz für die klagebe- fugten Verbände geschaffen werden. Ich rate daher den Beteiligten dazu, die Diskussion zu versachlichen. Das BMJ hat gestern mit den Beteiligten eine Verbändeanhörung durchgeführt. Ich bin gespannt auf die Auswertung und kündige schon jetzt an, dass wir uns an der Diskussion über das streitbefangene Thema rege beteiligen werden. Hans Michael Goldmann (FDP): Donnerstag, 23.20 Uhr, das Telefon klingelt. Und es ist nicht etwa mein Parlamentarischer Geschäftsführer, der mir sagen will, dass TOP 18 der heutigen Tagesordnung aufgerufen wird, sondern es ist eine nette weibliche Stimme vom Band, die mir ins Ohr säuselt, ich habe gewonnen und müsse nur noch diese 0900er-Nummer anrufen, um mei- nen tollen Gewinn abzurufen. Solche Anrufe sind nicht nur ärgerlich, sondern auch gefährlich denn sie verleiten gutgläubige Bürgerinnen und Bürger dazu, teure 0900er-Nummern anzurufen, um einen gar nicht existenten Gewinn abzurufen oder – noch schlimmer – um dann erst in die Fänge unseriöser Fir- men zu geraten, die ihnen mit diesen oder jenen Verträ- gen das Geld aus der Tasche ziehen wollen. Telefonanrufe zu gewerblichen Zwecken sind in Deutschland nur dann erlaubt, wenn bereits eine ge- schäftliche Beziehung besteht oder der Angerufene vorher eingewilligt hat. Doch dieses Verbot des soge- nannten Cold Callings interessiert eine Reihe von Unter- nehmen offensichtlich überhaupt nicht, wie die Zahlen der immer weiter ansteigenden unerlaubten Werbeanrufe 7962 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 (A) (C) (B) (D) zeigen. Solche Anrufe stellen einen besonders hinterlis- tigen Weg dar, um Menschen mit Überrumpelungstaktik zu unvorteilhaften Geschäftsabschlüssen zu bewegen. Denn das Telefon in der privaten Wohnung ist ein Teil der Privatsphäre. Ein Werbeanruf dort erwischt die meis- ten Menschen unvorbereitet – und genau das soll ausge- nutzt werden. Die Zunahme solcher unerlaubten Werbemethoden ist tatsächlich zu einem großen Problem geworden. Wir müssen deshalb auch ernsthaft überlegen, wie wir dem begegnen. Ich halte aber nichts davon, jetzt mit Schnell- schüssen Gesetze zu schaffen, die bestenfalls in Geset- zesform gegossener Good Will sind. Davon hat am Ende kein Verbraucher etwas. Es muss in diesem Zusammenhang auch klargestellt werden: Die weit überwiegende Mehrheit der Unterneh- men in Deutschland hält sich bezüglich Telefonmarke- ting an das geltende Recht, das zudem in Deutschland restriktiver ist als in fast allen anderen EU-Staaten. Es darf daher nicht sein, die gesamte Werbebranche unter Generalverdacht zu stellen, mit unerlaubten Werbeanru- fen die Verbraucherinnen und Verbraucher zu belästigen. Es darf auch nicht unser Ziel sein, gesetzliche Regelun- gen zu verlangen, die am Ende auch die seriösen Werbe- treibenden und werbenden Unternehmen knebeln, die durchaus ein Interesse an einer gesetzeskonformen Di- rektansprache von Verbrauchern haben können. Das gilt gerade für kleine und neu gegründete Unternehmen, die sich andere Formen der Kundenansprache nicht oder noch nicht leisten können. Nichtsdestotrotz stellen unerlaubte Werbeanrufe in Privathaushalten einen gesetzeswidrigen und grundsätz- lich mit dem Recht auf Privatsphäre unvereinbaren Ein- griff in Verbraucherrechte dar. Das Verbot des Cold Cal- lings im UWG muss konsequent durchgesetzt werden. Allerdings ist das Problem weniger, ob Bußgelder ver- hängt werden können oder nicht, sondern die Frage der Ermittlung, wer der Anrufer ist. Auf diese entscheidende Frage wird in dem Antrag keine Antwort gegeben. Denn Bußgelder können nur dann durchgesetzt werden, wenn bekannt ist, wer sich unerlaubter Methoden bedient hat. Dies ist aber in den allermeisten Fällen technisch fast unmöglich, wenn Nummern unterdrückt werden oder die Anrufe aus dem Ausland stammen. Fragwürdig ist auch die Forderung nach einer Locke- rung des Verschuldensmaßstabs bei der Abschöpfung von Unrechtsgewinnen. Es ist richtig, dass der Gewinn- abschöpfungsanspruch nur selten durchgesetzt werden kann. Es ist aber ebenso richtig, dass die Norm jedenfalls eine Ausnahme in unserem Rechtssystem darstellt, mit der dem Zivilrecht quasi eine strafende Funktion zu- kommt. Eine solche Ausnahme muss strenge Vorausset- zungen haben, um nicht durch einen zu weiten Anwen- dungsbereich die Funktion des Zivilrechts zur Regelung von Rechtsverhältnissen zwischen Privaten hin zu einem Instrument des Strafrechts auszudehnen. Die Abschöpfung von Unrechtsgewinnen im Zivil- prozess zugunsten des Fiskus kann durchaus eine diszi- plinierende Funktion erfüllen, da im Zweifel hohe Sum- men im Raume stehen. Aber auch genau deshalb muss die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben. Die geforderte Ausweitung der tatbestandlichen Voraussetzungen auf die grobe Fahrlässigkeit bedarf auf jeden Fall einer sehr genauen Abwägung sowohl hinsichtlich der Systematik des Zivilrechts als auch hinsichtlich der Verhältnis- mäßigkeit. Aus gutem Grunde ist im UWG vorgesehen, dass der abgeschöpfte Unrechtsgewinn dem Fiskus zufließen soll, um nicht die klagebefugten Verbände zum Kläger aus finanziellem Eigeninteresse zu machen, sondern die Klagen auf die Fälle zu beschränken, in denen ein über- greifendes Interesse durch die Verbände wahrgenommen wird. Die Forderung der Grünen, die abgeschöpften Ge- winne nunmehr durch die Hintertür quasi doch den Ver- bänden zukommen zu lassen, setzt diese einem Verdacht aus, der ihre Integrität beschädigen kann. Allerdings muss sehr wohl darüber nachgedacht wer- den, ob in Fällen, in denen die Verbände eine derartige Klage anstrengen wollen und ein größeres gesellschaft- liches und auch volkswirtschaftliches Interesse an der Klärung der Frage besteht, der Staat nicht eine Ausfall- bürgschaft für die Kosten der Rechtsverfolgung über- nehmen kann. Denn regelmäßig erreichen die Streitwerte eine Höhe, die bedingt, dass für die klagebefugten Ver- bände das Prozesskostenrisiko finanziell zu hoch ist. In solchen Fällen aber kann es auch durchaus im Interesse des Staates sein, die klagebefugten Verbände darin zu unterstützen, die Unrechtsgewinne für den Fiskus zu er- streiten. Bei der Frage des Gewinnanspruchs gilt es, sich noch einmal sorgfältig mit dem umfangreichen Material, das noch aus der UWG-Novelle aus der 15. Wahlperiode vorliegt, auseinanderzusetzen. Was noch vor kurzer Zeit richtig war, kann heute noch nicht komplett falsch sein. Wir müssen aufpassen, dass die Gesetzgebung in diesem Bereich nicht zu kurzatmig wird. Es wird eine Zeit dau- ern, bis sich das dem deutschen Recht eher fremde In- strument des Gewinnabschöpfungsanspruchs wirklich durchsetzen wird. Notwendig ist – und das kommt in dem Antrag, den wir hier beraten, leider überhaupt nicht vor – insbeson- dere Verbraucheraufklärung. Es muss jedem klarge- macht werden, dass er unerlaubte Werbeanrufe nicht dul- den muss und was er selbst aktiv dagegen tun kann. Besonders ist es erforderlich, eine höhere Sensibilität im Umgang mit den persönlichen Daten bei den Verbrau- cherinnen und Verbrauchern zu wecken – zur Vermei- dung von Spam am Telefon oder bei E-Mails trägt be- sonders bei, wenn Telefonnummern oder E-Mail- Adressen nicht wahllos gestreut werden. Jeder Verbrau- cher muss sich hier auch seiner Eigenverantwortung be- wusst sein, aber auch seine Rechte kennen und wissen, wie und mit wessen Unterstützung – beispielsweise nämlich der Verbraucherzentralen – er sie durchsetzen kann. Ich würde mir aber auch wünschen, dass der Ansatz der Werbebranche, sich durch einen Ehrenkodex selbst Maßnahmen aufzuerlegen, die es schwarzen Schafen schwerer machen, berücksichtigt wird, wenn wir über schärfere gesetzliche Maßnahmen beraten. Ich halte es Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 7963 (A) (C) (B) (D) für einen vielversprechenden Weg, die Selbstheilungs- kräfte des Marktes durch notwendige gesetzliche Maß- nahmen zu flankieren. Wir müssen dabei aber aufpassen, dass wir nicht das Kind mit dem Bade ausschütten und die Ansätze, die aus der Wirtschaft selbst kommen, ab- würgen. Karin Binder (DIE LINKE): „Guten Tag, unser Zu- fallsgenerator hat Sie als Gewinnerin eines unserer heu- tigen Hauptpreise ermittelt …“ Wer von uns hat nicht schon einmal eine ähnliche Begrüßung am Telefon er- fahren? Eine freundliche, aber unverbindliche Band- stimme fordert uns auf, nur noch unsere Adresse anzuge- ben, damit der Gewinn geliefert werden könne. Bei solchen Anrufen lege ich sofort auf, weil ich weiß, wozu sie stattfinden. Aber viele Menschen wissen es nicht, ge- ben im guten Glauben ihre Adresse an und befinden sich ab sofort im erlauchten Kreis derer, die jetzt öfter ange- rufen und telefonisch umworben werden. Unerwünschte Telefonwerbung ist ein wachsendes Problem. Die Rechtslage aber ist in der Praxis äußerst schwammig. Zwar hat jede Bürgerin und jeder Bürger einen Unterlassungsanspruch gegen unerwünschte und belästigende Telefonwerbung, aber den Schutz der eige- nen Privatsphäre durchzusetzen ist schwierig. Die Be- troffenen müssen die Belästigung selbst zivilrechtlich zur Ahndung bringen und diese detailliert beweisen. Es gibt zwar das Verbot, aber keinen durchgreifenden Buß- geldtatbestand. Das wird der massenhaften Anzahl der Verstöße nicht gerecht. In der aktuellen Ausgabe der Stiftung Warentest ist die Situation kurz und klar darge- legt. Die schwarzen Schafe werden namentlich benannt. Zwar sind die kalten Werbeanrufe verboten. Aber die Strafe für den Verstoß steht in keinem Verhältnis zu dem möglichen Gewinn. Selbst Firmen, die abgemahnt wur- den, machen munter weiter. Das Verbot im Rahmen des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb genügt of- fensichtlich nicht. Härtere Sanktionen wie höhere Buß- gelder und wirksamere Gewinnabschöpfungsmöglich- keiten scheinen erforderlich. Das nächste Problem stellt sich dann jedoch für die Bürgerinnen und Bürger bei der Anzeige- und Beweis- last im Bußgeldverfahren. Es werden praktikablere und sachgerechtere Lösungen zur Sicherstellung der Ahn- dung gebraucht. Die Verbraucherschutzorganisationen haben da bereits einiges geleistet. Die Verbraucherzen- tralen haben zwar die Möglichkeit, einen Unterlassungs- anspruch im Wege eines Abmahnverfahrens durchzuset- zen, notfalls mit einer Verbandsklage. Die Unterlassungsverpflichtungen der Firmen gelten dann gegenüber allen Betroffenen; bei Verstößen dagegen drohen empfindliche Geldstrafen. Aber auch hier ist die Voraussetzung für den Erfolg solcher Verfahren die Kenntnis und Beweisbarkeit der relevanten Daten. Sonst sind die von den zuständigen Ministerien im Oktober 2006 ins Gespräch gebrachten Bußgelder wirkungslos, ähnlich wie die bereits jetzt strafbelegten Unterlassungs- ansprüche. Bußgelder wirken nur, wenn auch das Risiko besteht, für die Rechtsverstöße belangt zu werden. Der Gesetzgeber muss die Telefonwerber verpflich- ten, gegenüber dem Angerufenen ihre Daten zu Beginn des Gesprächs zur Rückverfolgbarkeit offenzulegen. Der Gestörte darf nicht die alleinige Ermittlungs- und Be- weislast tragen. Geprüft werden muss der Vorgang mit- tels Verbindungsnachweis beim Störer. Um wirksame und effektive Lösungen zu finden, sollten wir die Erfah- rungen der Verbraucherschutzorganisationen und der Datenschützer ebenso nutzen wie die Möglichkeiten neuer Technik in der Telekommunikation. Es geht dabei nicht allein um den Schutz der Privat- sphäre. Es geht auch um den Schutz vor Überrumpelung und unlauteren Angeboten, denen vor allem Menschen mit kleinem Geldbeutel ausgeliefert sind. Die sehen sich nach solchen Telefongesprächen plötzlich mit Geldfor- derungen eines Unternehmens konfrontiert, mit dem sie angeblich irgendwelche Verträge eingegangen sind. Viele Menschen tappen so in die sogenannte Schulden- falle. Wenn wir nicht immer mehr Schuldnerberatungsstel- len einrichten wollen, müssen wir dagegen etwas tun. Es ist Aufgabe der Bundesregierung, jetzt zügig ihrer Ver- antwortung nachzukommen und wirksame Gesetzesvor- schläge zu erarbeiten. Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN): Uner- wünschte Telefonwerbung ist in der Bundesrepublik ein Massenphänomen. Jeden Tag werden Verbraucherinnen und Verbraucher tausdendfach durch belästigende Wer- beanrufe schikaniert und geschädigt. Allein für das erste Quartal 2006 hat eine Untersuchung der Gesellschaft für Konsumforschung über 80 Millionen unaufgeforderte Werbeanrufe festgestellt. Das bedeutet 900 000 Belästi- gungen pro Tag, 900 000 Störungen der Privatsphäre, 900 000 Versuche von Unternehmen, sich mit unlauteren Praktiken einen Wettbewerbsvorteil zu erschleichen. Und viel zu oft geht das Kalkül der schwarzen Schafe der Werbebranche auf. Wenn die überrumpelten Ver- braucher nicht immer wieder „Nein“ sagen, haben sie, ohne es zu ahnen, schon einen Vertragsabschluss einge- leitet, zu dem sie sich unter normalen Umständen nie- mals bereitgefunden hätten. Gerade die schwächsten und am wenigsten geschäftskundigen Marktteilnehmer dro- hen dabei, unter die Räder zu kommen. Diesem Unwe- sen muss ein Riegel vorgeschoben werden. Das von Rot-Grün 2004 im UWG verankerte Verbot von Telefonwerbung ohne vorheriges Einverständnis der Verbraucher war ein erster wichtiger Schritt in diese Richtung. Aber die Praxis zeigt, dass das Verbot die Werbetreibenden nicht abschreckt, weil wirksame Sank- tionsmöglichkeiten fehlen. Die schwarzen Schafe der Branche müssen derzeit weder empfindliche Bußgelder fürchten noch die Abschöpfung ihrer Unrechtsgewinne. An diesen beiden Punkten setzt unser grüner Antrag an, um belästigende Telefonwerbung endgültig unattraktiv zu machen. Wir fordern, dass unerbetene Telefonwerbung zu- künftig als Ordnungswidrigkeit geahndet und mit Bußgel- dern von bis zu 50 000 Euro sanktioniert wird. Außerdem 7964 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 (A) (C) (B) (D) müssen die Voraussetzungen der Gewinnabschöpfung er- leichtert werden, um bestehende Probleme beim Beweis vorsätzlichen Handelns zu beseitigen. Bisher hat die große Koalition im Verbraucherschutz wenig zustande gebracht. Auf eine Verbesserung der Fahrgastrechte oder auf ein Girokonto für jedermann warten Verbraucherinnen und Verbraucher bis heute ver- geblich, ebenso auf die angekündigte zügige Neuvorlage des Verbraucherinformationsgesetzes. Auch dem Pro- blem der belästigenden Telefonwerbung hat sich die Bundesregierung nur zögerlich genähert. Umso dringen- der ist es, jetzt zu handeln. Ich habe den ermutigenden Eindruck, das wird auch in den Koalitionsfraktionen zu- nehmend so gesehen. Lassen Sie uns in dieser Frage zu- sammenarbeiten und gemeinsam dafür sorgen, dass die tägliche Belästigung von Verbraucherinnen und Verbrau- chern durch unerwünschte Telefonwerbung bald ein Ende hat. Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts (Tages- ordnungspunkt 19) Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU): Wir beraten heute in erster Lesung das Gesetz zur Neuregelung des Rechtsbe- ratungsrechts. Kernpunkt dieses Gesetzentwurfs der Bundesregierung ist das neue Rechtsdienstleistungsge- setz, mit dem das bisherige – mittlerweile in die Jahre gekommene – Rechtsberatungsgesetz abgelöst werden soll. Die Neuregelung ist erforderlich geworden, weil die Rechtsprechung von Bundesverfassungsgericht, Bun- desgerichtshof und Bundesverwaltungsgericht verschie- dene Lockerungen des grundsätzlichen Rechtsbera- tungsverbots im Rechtsberatungsgesetz für Personen, die nicht Volljuristen sind, bewirkt hat. Die Gerichte ha- ben dabei dieses Rechtsberatungsverbot im Lichte des Grundrechts der Berufsfreiheit in Art. 12 des Grundge- setzes ausgelegt und den Begriff der erlaubnispflichtigen Rechtsberatung, definiert in diesem Lichte, einschrän- kend definiert. Sie liegt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur vor, wenn es sich um eine umfassende und vollwertige Beratung des Recht- suchenden in zumindest einem Teilgebiet des Rechts handelt und wenn Kern und Schwerpunkt der Tätigkeit auf rechtlichem Gebiet liegen. Daraus hat die gerichtli- che Praxis gefolgert, dass beispielsweise die Testaments- vollstreckung, die Insolvenzberatung – im Gegensatz zur Insolvenzverwaltung – oder auch eine unentgeltliche Rechtsberatung in bestimmten Ausnahmefällen ohne eine Rechtsberatungserlaubnis zulässig sind. Alles in al- lem wird das geltende Rechtsberatungsgesetz dieser Lage nicht mehr optimal gerecht, sodass eine Neukon- zeption notwendig geworden ist. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden diese verfassungsgerichtlichen Vorgaben aufgegriffen und in einem neuen Rechtsdienstleistungsgesetz umgesetzt. Das Rechtsdienstleistungsgesetz regelt nur die außer- gerichtliche Erbringung von Rechtsdienstleistungen. Oberste Maxime der Neuregelung muss der Erhalt der hohen Qualität der Rechtsberatung für die rechtsuchen- den Bürgerinnen und Bürger in Deutschland sein. Das Rechtsberatungsrecht muss in dieser Hinsicht vor allem auch Verbraucherschutzinteressen Rechnung tragen. Es ist Verbraucherschutz. Nur Volljuristen, das heißt in der Regel Rechtsanwältinnen oder Rechtsanwälte, können eine solche Beratung leisten. Nur diese Berufsgruppe ist sowohl von ihrer Ausbildung als auch aufgrund beson- derer berufsrechtlicher Anforderungen – Unabhängig- keit, Verschwiegenheitspflicht, Haftungsregeln – her in der Lage, den Erwartungen der Bürger in diesem Be- reich gerecht zu werden. Vor diesem Hintergrund ist es zu begrüßen, dass der Gesetzentwurf der Bundesregie- rung davon ausgeht, dass auch weiterhin eine umfas- sende und vollwertige Rechtsberatung nur von Rechts- anwältinnen und Rechtsanwälten geleistet werden soll. Deshalb ist es auch richtig, dass das Rechtsdienstleis- tungsgesetz hinsichtlich der Rechtsberatung bei der bis- herigen Systematik eines Verbots mit Erlaubnisvorbehalt bleibt. Das heißt, Rechtsberatung darf grundsätzlich nur mit einer entsprechenden Erlaubnis angeboten werden. Im Hinblick auf die im Gesetzentwurf vorgesehenen Öffnungen des Rechtsberatungsrechts für andere Berufs- gruppen ist von weiten Teilen der Anwaltschaft Kritik geäußert worden. Diese Kritik wird vonseiten der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion im Wesentlichen geteilt. Die aufgrund der Rechtsprechung der Bundesgerichte not- wendig gewordenen Öffnungen des anwaltlichen Bera- tungsmonopols werden deshalb im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens intensiv daraufhin überprüft werden, ob die insoweit gefundenen Regelungen insbe- sondere unter dem Aspekt der Qualitätssicherung ange- messen und zielführend sind. Dieser Prüfungsbedarf betrifft etwa die Begriffsdefi- nition der Rechtsdienstleistung, bei der darauf geachtet werden muss, dass die relevanten Fälle der Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten hinreichend erfasst wer- den. Vor diesem Hintergrund erscheint fraglich, ob etwa die komplette Herausnahme der Mediation aus dem Be- griff der Rechtsdienstleistung sachgerecht ist. Ein weiterer Schwerpunkt der Beratungen werden die im Gesetzentwurf vorgesehenen Regelungen der Rechts- dienstleistung im Zusammenhang mit einer anderen Tätig- keit, der sogenannten Nebenleistung, sein. Diese Tätig- keiten sollen nach dem Gesetzentwurf erlaubnisfrei sein. Hier wird zu beachten sein, dass die Nebenleistung im Verhältnis zur nichtrechtsdienstleistenden Hauptleistung immer nur dienende Funktion haben kann bzw. zur Erfül- lung der vertraglichen Pflichten erforderlich sein muss. Dabei müssen auch Umgehungsmöglichkeiten dergestalt vermieden werden, dass umfangreiche Rechtsdienstleis- tungen zur Vertragspflicht der nicht juristischen Haupt- tätigkeit gemacht werden können. Die Regelungen zur Zusammenarbeit von Rechtsan- wälten mit anderen Berufen bedürfen ebenfalls der kriti- schen Überprüfung. So soll nach dem Gesetzentwurf je- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 7965 (A) (C) (B) (D) dermann die Erbringung von Rechtsdienstleistungen erlaubt sein, wenn er sich hierfür nur eines Anwalts be- dient. Die Mandatsbeziehung kommt in diesen Fällen le- diglich durch die Vermittlung von Dritten zustande. Dies darf nicht dazu führen, dass Anwälte etwa im „Hinter- zimmer“ von Kfz-Werkstätten agieren und gegenüber dem Mandanten überhaupt nicht persönlich in Erschei- nung treten. Der Rechtsuchende hätte dann keinerlei Möglichkeiten, Qualität und Seriosität des Anwalts ein- zuschätzen und persönliches Vertrauen zum Anwalt auf- zubauen. Die Grundbedingung des Aufbaus einer ge- deihlichen Mandatsbeziehung bliebe unerfüllt und der Vorgang der Rechtsberatung für den Rechtsuchenden gänzlich intransparent. Er könnte weder beurteilen noch überprüfen, ob der juristische Laie sein Rechtsbera- tungsbedürfnis vollständig und unverfälscht an den An- walt weiterleitet. Umgekehrt könnte die Weiterleitung einer korrekten anwaltlichen Rechtsberatung durch den Laien unvollständig oder verfälschend sein. Letztlich muss in diesem Zusammenhang auch vermieden wer- den, dass der Rechtsuchende im Haftungsfalle mögli- cherweise nur einen Anspruch gegen den nicht haft- pflichtversicherten Laienanbieter hätte. Schließlich sollten auch die im Gesetzentwurf vorge- sehenen Änderungen in Bezug auf Sozietäten von Rechtsanwälten mit anderen Berufen überarbeitet wer- den. Bislang ist es Rechtsanwälten lediglich erlaubt, sich mit Steuerberatern, Steuerbevollmächtigten, Wirt- schaftsprüfern und vereidigten Buchprüfern zu einer So- zietät zusammenzuschließen. Dieser Kreis der sozietäts- fähigen Berufe soll nunmehr dahin gehend erweitert werden, dass Rechtsanwälten auch die gemeinsame Be- rufsausübung mit sogenannten vereinbaren Berufen ge- stattet wird. Hier erscheint aus verschiedenen Gründen eine Präzisierung notwendig. Einerseits muss der Schutz des rechtsuchenden Bürgers im Auge behalten werden – anwaltliches Berufsgeheimnis –, und andererseits darf es nicht zu einer ufer- und grundlosen Ausweitung von Zeugnisverweigerungsrechten, die Rechtsanwälten aus gutem Grunde zustehen, kommen. Es liegt also noch ein gehöriges Stück Arbeit vor uns. Ich bin zuversichtlich, dass es im Verlauf der Beratungen im Rechtsausschuss gelingen wird, in den genannten Punkten im konstruktiven Dialog mit der Bundesregie- rung zu entsprechenden Verbesserungen zu gelangen. Christine Lambrecht (SPD): Seit circa sechs Mona- ten liegen Anträge der Fraktion der Grünen und der FDP vor, die sich beide mit Veränderungen der Bedingungen von Lebenspartnerschaften beschäftigen. Im Rechtsaus- schuss konnten die Koalitionsfraktionen hierzu nicht ab- schließend Stellung nehmen, weil in dieser Frage noch keine Übereinstimmung erzielt werden konnte. Sie – von den Oppositionsfraktionen – haben daher nach der Ge- schäftsordnung des Deutschen Bundestages das Recht, einen Bericht zu fordern. Sie fordern mit Ihrem Antrag erneut die Vollendung der eingetragenen Lebenspartnerschaften. Auch ich sehe hier noch Handlungsbedarf, denn es geht um die Abrun- dung eines großen Reformprojekts, das bereits in der vorletzten Legislaturperiode mit dem Lebenspartner- schaftsgesetz begann. Aber ein kurzer Blick in die Vergangenheit zeigt: Wir könnten mit der Vollendung des Reformprojekts längst schon weiter sein, wenn es nicht in den letzten Jahren er- hebliche Widerstände gegeben hätte. Ich erinnere daran, dass im Jahr 2001 ein umfassender Gesetzentwurf vor- lag, der bis auf die Adoption genau das enthielt, was hier jetzt gefordert wird. All das, was heute in dem Antrag der Grünen und auch in dem Antrag der FDP gefordert wird, könnte schon seit 2001 für all die Betroffenen ei- nen Fortschritt in ihrer persönlichen Lebenssituation be- deuten. Warum ist dies noch keine Realität? Hier im Deut- schen Bundestag hat Rot-Grün dieses Gesetz mit seiner Mehrheit beschlossen. Die Stimmen dagegen kamen aus der CDU/CSU. Es gab aber auch Gegenstimmen aus der FDP. Sie haben mit der Begründung gegen dieses Gesetz gestimmt, es sei mit dem in der Verfassung garantierten Grundrecht auf den besonderen Schutz der Ehe nicht zu vereinbaren. Es folgte dann 2002 das bekannte Urteil des Bundes- verfassungsgerichts, das uns den Weg für die weitge- hende Gleichstellung der eingetragenen Lebenspartner- schaft mit der Ehe freigemacht hat. Dort heißt es unmissverständlich: „Der besondere Schutz der Ehe in Art. 6 Abs. 1 GG hindert den Gesetzgeber nicht, für die gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft Rechte und Pflichten vorzusehen, die denen der Ehe gleich oder nahe kommen.“ Es kam zu einer Wandlung. Das Gesetz war entgegen der Meinung der selbsternannten Verfas- sungsexperten der FDP sehr wohl mit dem besonderen Schutz von Ehe und Familie in Zusammenhang zu brin- gen. Die FDP hat dann erklärt, dass sie das Gesetz ak- zeptiert. Im Jahr 2005 war sie auch bereit, Änderungen mit zu tragen. Diesen richtigen und sinnvollen Weg haben wir in den vergangenen beiden Legislaturperioden mit dem Le- benspartnerschaftsgesetz und seiner Überarbeitung ein- geschlagen. Seit dem 1. August 2001 ist das Lebenspart- nerschaftsgesetz in Kraft und am 1. Januar 2005 ist auch unser Gesetz zur Überarbeitung des Lebenspartner- schaftsrechts in Kraft getreten. Die Beratungen haben gezeigt und die Erfahrungen haben uns recht gegeben: Die Lebenspartnerschaft ist ein Rechtsinstitut, dessen Akzeptanz – ebenso wie die damit verbundenen rechtli- chen Regelungen – immer weiter zunimmt. Damit ist es bereits jetzt möglich und in großen Teilen auch realisiert, Ehen und Lebensgemeinschaften gesetzlich gleichzu- stellen. Die offenen Punkte, welche die Lebenspartnerschaf- ten noch von der Ehe unterscheiden, waren bereits Ge- genstand des Zustimmungspflichtigen Lebenspartner- schaftsergänzungsgesetzes, das 2002 im Bundesrat gescheitert ist. Wir haben uns mit unserem Koalitions- partner über diese Punkte abzustimmen, und es bedarf diesbezüglich noch zahlreicher Beratungen. Frau Gra- nold hat sich in ihrer Rede fast vor einem Jahr offen für Änderungen gezeigt, was Anlass zur Hoffnung gibt. Sie hat eingeräumt, dass Anpassungen vorzunehmen sind, 7966 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 (A) (C) (B) (D) die das Steuerrecht, das Erbschaftsteuerrecht und auch das Beamtenrecht betreffen. Sie hat auch angekündigt, sich in den Ausschüssen eingehend damit befassen zu wollen, in welchem Umfang Anpassungen vorgenom- men werden müssen, und die Gleichstellung, auch was die Privilegien betrifft, BAföG, voranzutreiben. Sie hat sich gesprächs- und kompromissbereit gezeigt mit Aus- nahme der Adoption, auch hinsichtlich der Zuständigkeit für die Begründung der Lebenspartnerschaften. Von da- her bin ich verhalten optimistisch, dass wir hier zu Ver- änderungen kommen. Im Einzelnen wären meiner Meinung nach noch fol- gende fünf Punkte anzugehen: Die Einführung der Zuständigkeit des Standesbeam- ten für die Begründung der Lebenspartnerschaft. Damit soll endlich klargestellt werden: Lebenspartnerschaften könnten im gleichen Rahmen geschlossen werden wie Ehen. Deshalb wollen wir auch vorsehen, dass die Be- gründung der Lebenspartnerschaft in genauso würdiger Form erfolgen soll wie die Eheschließung. Die Lebenspartnerschaft ist ein rechtlich relevantes Merkmal des Personenstandes eines Menschen, zum Beispiel auf den Gebieten des Familienrechts und des Erbrechts. Deshalb sind die Mitwirkung bei der Begrün- dung der Lebenspartnerschaft, ihre Dokumentation in ei- nem Personenstandsregister und die weiteren damit ver- bundenen Tätigkeiten bei dem Standesbeamten anzusiedeln, dessen Hauptaufgabe in der Beurkundung des Personenstandes besteht. Die bis zum Inkrafttreten der Änderung begründeten Lebenspartnerschaften sollen in dieses neue Verfahren durch Abgabe der Lebenspartnerschaftsbücher oder ähn- licher Urkundensammlungen an den zuständigen Stan- desbeamten überführt werden. Die vollständige Gleichstellung im Steuerrecht. Es gibt in unserer Zeit angesichts der Vielzahl kinderloser Ehen einerseits und der wachsenden Zahl gleichge- schlechtlicher Partnerschaften, in denen Kinder aufgezo- gen werden, für eine Ungleichbehandlung keinen über- zeugenden Grund mehr. Im Einkommensteuergesetz geht es uns vor allem um Folgendes: Lebenspartner sol- len unter den gleichen Bedingungen zwischen getrennter Veranlagung und Zusammenveranlagung wählen können wie Ehegatten. Damit ergänzen wir das sogenannte Ehe- gatten-Splitting um ein Lebenspartner-Splitting. Außerdem sollen die Lebenspartner beim Aufbau ei- ner ergänzenden Altersvorsorge wie zum Beispiel der Riester-Rente die gleiche steuerliche Förderung wie Ehegatten erhalten. Für sie soll also die gleiche Kombi- nation aus staatlichem Zuschuss in Form der Altersvor- sorgezulage und steuerlichen Sonderausgabenabzugs- möglichkeiten zur Verfügung stehen. Zudem wollen wir es einem Lebenspartner ermöglichen, das vom verstor- benen Partner aufgebaute steuerlich geförderte Alters- vorsorgevermögen auf einen eigenen Vorsorgevertrag zu überführen, ohne dass diese Transaktion besteuert wird. Im Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz wollen wir unter anderem regeln: Lebenspartner sollen den gleichen Freibetrag wie Ehegatten erhalten. Der überlebende Le- benspartner soll wie ein überlebender Ehegatte einen be- sonderen Versorgungsfreibetrag erhalten. Die steuerlichen Folgen für das Ende von Güter- und Zugewinngemeinschaft durch Tod werden auf Lebens- partnerschaften erstreckt. Leben die Lebenspartner im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft und wird der Güterstand durch Tod beendet, soll ein entste- hender Ausgleichsanspruch in demselben Umfang steu- erfrei bleiben, wie er im Fall der Zugewinngemeinschaft unter Ehegatten steuerfrei bleibt. Im Grunderwerbsteuergesetz wollen wir unter ande- rem die Steuererleichterungen für Ehegatten und weitere Angehörige auf Lebenspartner und weitere Angehörige übertragen. Steuerbefreit wäre danach in Zukunft zum Beispiel die Grundstücksübertragung zwischen Lebens- partnern. Angleichungen im Beamten- und Soldatenrecht ein- schließlich der Hinterbliebenenversorgung. Wir wollen sicherstellen, dass die enge persönliche Bindung der Le- benspartner auch im Beamten- und Soldatenrecht gebüh- rend berücksichtigt wird. Deshalb sollen die Vorschrif- ten, die sich auf die Ehepartner der Beamten und Soldaten sowie ihre übrige Familie beziehen, entspre- chend auf Lebenspartner angewandt werden. Dafür soll es neben Änderungen im Bundesbeamten- und Soldatenrecht auch eine entsprechende Änderung des Beamtenrechtsrahmengesetzes geben, das Vorgaben für das gesamte Beamtenrecht macht. Damit sind neben den Bundesbeamten auch die Beamten in den Ländern, Gemeinden und in anderen Körperschaften des öffentli- chen Rechts von der Gleichstellung der Lebenspartner- schaft mit der Ehe erfasst Der Bund kann diese Gleichstellung für Bundesbe- amte und Soldaten näher ausgestalten: Es sollen nament- lich die Bestimmungen über Beamte, ihre Ehegatten und ihre weitere Familie auf Beamte, die in einer Lebens- partnerschaft leben, entsprechend Anwendung finden. Dies gilt zum Beispiel für den Familienzuschlag auf die Besoldung, der in der ersten Stufe bereits für verheira- tete Beamte gewährt wird. Auch die Vorschriften über verwitwete Beamte sollen für Beamte nach dem Tod des Lebenspartners entspre- chend gelten. Sie erhalten dann zum Beispiel Zahlungen, die dem Witwen- bzw. Witwergeld entsprechen. Anpassen wollen wir auch die Vorschriften über geschiedene Beamte für Beamte nach Auflösung einer Lebenspartnerschaft. So soll etwa das Ruhegehalt eines Beamten auch bei der Aufhebung einer Lebenspartner- schaft entsprechend den Rentenanwartschaften gekürzt werden, die sein Partner aus der aufgehobenen Lebens- partnerschaft vom Familiengericht zugesprochen be- kommen hat. Damit der Gleichlauf zwischen dem Recht der Beam- ten und der Rechtsstellung der Soldaten gewährleistet bleibt, wollen wir das Soldaten- und das Soldatenversor- gungsgesetz entsprechend dem Beamtenrecht ändern und die Lebenspartner und ihre Familie einbeziehen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 7967 (A) (C) (B) (D) Die Lebenspartnerschaft soll auch im Ausbildungs- und Ausbildungsförderungsrecht berücksichtigt werden. Bei der Förderung nach dem BAföG und dem Aufstiegs- fortbildungsförderungsgesetz wird zum Beispiel der Ehegatte unter anderm bei der Bedarfs- und der Einkom- mensberechnung berücksichtigt. Dies soll in Zukunft ge- nauso für Lebenspartner gelten. Wir von der SPD wollen die Partner einer Lebenspart- nerschaft schließlich auch in sozialrechtlichen Leis- tungsgesetzen den Ehegatten vollkommen gleichstellen. Die bisher von der Gleichstellung noch nicht erfassten sozialrechtlichen Leistungsgesetze wollen wir jetzt auch noch einbeziehen. Das betrifft etwa das Unterhaltsvor- schussgesetz, das HIV-Hilfegesetz und das Wohngeldge- setz. Wir werden uns mit dem Thema weiter beschäftigen, Überzeugungsarbeit leisten. Insofern bitte ich um etwas Geduld. Wir bleiben am Ball. Mechthild Dyckmans (FDP): Die Reform des Rechtsberatungsgesetzes hat einen langen Vorlauf. Be- reits im Frühjahr 2004 hat das Bundesjustizministerium einen entsprechenden Gesetzentwurf angekündigt. Da- mals drohte die Bundesregierung mit dem ganz großen Wurf. So war ursprünglich vorgesehen, die Rechtsbera- tung auch für Diplomjuristen zu öffnen. Von dieser Überlegung hat die Bundesregierung jedoch zum Glück schnell Abstand genommen. Erst jetzt, drei Jahre später, ist es der Bundesregierung endlich gelungen, einen Ge- setzentwurf zur ersten Lesung im Bundestag vorzulegen. Eine grundlegende Reform des Rechtsberatungs- gesetzes ist sicherlich grundsätzlich notwendig. Es ist er- forderlich, das Gesetz den Deregulierungsbestrebungen der Europäischen Kommission im Bereich des freien Dienstleistungsverkehrs und an die geänderten gesell- schaftlichen Bedürfnisse anzupassen. Der Beratungs- bedarf in Rechtsangelegenheiten ist insgesamt in den letzten Jahren erheblich gestiegen. Die zunehmende eu- ropäische und internationale Öffnung des Rechtsbera- tungsmarktes erhöht diesen Konkurrenzdruck weiter. Auch das Bundesverfassungsgericht hat in einem Be- schluss aus dem Jahre 2004 darauf hingewiesen, dass das Rechtsberatungsgesetz einem Alterungsprozess un- terliege und sich der Norminhalt mit dem Wandel des Umfelds sozialer Verhältnisse und gesellschaftspoliti- scher Anschauungen ändern könne. Wichtig und zentral für die FDP-Bundestagsfraktion ist es, dass der Rechtsu- chende qualifizierten Rechtsschutz erhält und daher das hohe Niveau unseres Rechtsgewährungssystems erhalten bleibt. Daher begrüßen wir, dass der Gesetzentwurf da- ran festhält, dass die Vertretung von Mandanten vor Ge- richt auch künftig nur durch Rechtsanwälte erfolgen darf. Für die FDP-Bundestagsfraktion ist entscheidend, dass der Schutz der rechtsuchenden Bürgerinnen und Bürger sowie ihr Vertrauen in eine qualifizierte Rechts- beratung auch weiterhin gewährleistet bleiben. Diesen Grundsätzen fühlen wir uns verpflichtet. Das Rechtsberatungsgesetz war und ist in erster Linie ein Verbraucherschutzgesetz. Auch das Bundesverfas- sungsgericht hat mehrfach klargestellt, dass das Rechts- beratungsgesetz dem Schutz des Rechtsuchenden sowie der geordneten Rechtspflege diene. Es ist ein verfehlter Denkansatz, zu glauben, mit der völligen Freigabe des Rechtsberatungsmarktes könne der Dienstleistungssek- tor gestärkt werden. Zwischen Rechtsanwälten und allen anderen rechtsberatenden Dienstleistern besteht ein er- heblicher Unterschied. Der Kontakt des Bürgers zum Recht ist keine handelsübliche Ware. Das dem Rechtsan- walt entgegengebrachte Vertrauen beruht nicht allein auf Fachwissen, sondern auf seiner Personen als Ganzes. Die FDP-Bundestagsfraktion begrüßt, dass der Gesetz- entwurf der Bundesregierung an diesen Maßstäben weit- gehend festhält. Dennoch möchte ich auf einige Rege- lungen hinweisen, die aus unserer Sicht bedenklich sind. Nicht gelungen ist der Begriff der Rechtsdienstleis- tung in § 2 Abs. l des Gesetzentwurfs. Die Formulie- rung, wonach Rechtsdienstleistung eine Tätigkeit ist, die eine „besondere“ rechtliche Prüfung des Einzelfalls er- fordere, ist sehr unbestimmt und wird in der Praxis zu Schwierigkeiten führen. Es ist davon auszugehen, dass sich die Gerichte damit zu beschäftigen haben, wann eine „allgemeine“ und wann eine „besondere“ rechtliche Prüfung erforderlich ist. Problematisch ist auch die Regelung über die Neben- leistung in § 5. Hiernach sind Nebenleistungen als Rechtsdienstleistungen auch dann erlaubt, wenn sie zur Erfüllung der mit der Haupttätigkeit verbundenen ver- traglichen Pflichten gehören. Diese Formulierung birgt die Gefahr in sich, dass vertraglich geregelt werden kann, welchen Umfang die Nebenleistung als Rechts- dienstleistung haben soll. Damit kann der eigentliche Zweck des Gesetzes, wonach die Nebenleistung im Hin- blick auf die Hauptleistung eine untergeordnete Rolle spielen soll, umgangen werden. Der Schutz der recht- suchenden Bürger muss auch bei der Rechtsberatung als Nebenleistung gewahrt werden. Auch die Rechtsbera- tung als Nebenleistung bedarf bestimmter Anforderun- gen an Qualität und Kontrolle. Für verfehlt halten wir die Regelung in § 5 Abs. 3, wonach Rechtsdienstleistungen unter Hinzuziehung ei- ner Person erbracht werden dürfen, der die selbststän- dige entgeltliche Erbringung dieser Rechtsdienstleistun- gen erlaubt ist. Damit wird der Anwalt zum Erfüllungsgehilfen degradiert. Es besteht kein vertragli- ches Verhältnis zwischen dem rechtsuchenden Bürger und dem Anwalt. Es ist sogar davon auszugehen, dass es in vielen Fällen zu keinerlei Kontakt zwischen beiden kommt. Diese Konstruktion ist mit dem Selbstverständ- nis und dem Berufsbild eines Rechtsanwalts nicht ver- einbar. Hinzu kommt, dass der Kunde keinerlei Ansprü- che gegen den Anwalt hat. Er kann sich lediglich an seinen Vertragspartner wenden, dem die anwaltlichen Berufspflichten nicht zustehen. Die Regelung in § 6, wonach unentgeltliche Rechts- dienstleistungen auch durch Laien erlaubt sind, wenn sie unter Anleitung einer rechtskundigen Person erfolgen, ist vor dem Hintergrund des Vertrauens des rechtsuchen- den Bürgers auf eine qualifizierte Rechtsberatung be- denklich. Im vergangenen Jahr hat der Bundesgerichts- hof einen Fall entschieden, in dem einem Mieter zu 7968 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 (A) (C) (B) (D) Recht das Mietverhältnis gekündigt wurde, weil dieser sich aufgrund einer unsorgfältigen Beratung durch den Mieterschutzverein falsch verhalten hatte. Der BGH hat darauf hingewiesen, dass Mieter auch für schuldhaftes Verhalten des von ihnen eingeschalteten Mieterschutz- vereins einzustehen haben. Dies zeigt, welche gravieren- den Auswirkungen eine unqualifizierte Rechtsberatung haben kann. Aus Sicht der FDP ist es daher notwendig, auch die unentgeltliche Rechtsberatung außerhalb fami- liärer oder ähnlich enger persönlicher Beziehungen auf Personen zu beschränken, die über eine entsprechende Qualifikation verfügen. Insgesamt zeigt sich, dass es noch einen erheblichen Beratungsbedarf gibt, um ein Einvernehmen über das Rechtsdienstleistungsgesetz herzustellen. Aus Sicht der FDP-Bundestagsfraktion ist eine Sachverständigenanhö- rung im federführenden Rechtsausschuss unumgänglich. Die FDP erklärt sich bereit, an einer Lösung mitzuwir- ken, die sowohl die unabhängige und qualifizierte Rechtsberatung im Interesse der Verbraucher sichert als auch insgesamt geeignet ist, auf die gesellschaftlichen Entwicklungen der vergangenen Jahre und den sich wan- delnden Rechtsberatungsmarkt angemessen zu reagie- ren. Es ist eine gute Tradition, dass Gesetzentwürfe zur Reform der Rechtspflege mit großer Mehrheit im Deut- schen Bundestag verabschiedet werden. In diesem Sinne hoffe ich auf eine konstruktive und sorgfältige Beratung des Gesetzentwurfs. Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Heute ist ein wichti- ger Tag für die bundesdeutsche Justiz. Denn das Bundes- justizministerium hat nach jahrelanger Weigerung einen längst überfälligen Schritt getan: Es legt einen Gesetz- entwurf vor, mit dem das aus dem Jahre 1935 stam- mende Rechtsberatungsgesetz aufgehoben werden soll. Eine Lobrede ist trotzdem nicht angebracht. Das ist keine besondere Leistung, sondern vielmehr ein – wie gesagt – spät und zudem halbherzig gegangener Schritt. Denn dieser Gesetzentwurf begnügt sich leider nicht mit der Aufhebung des nationalsozialistischen Rechtsbe- ratungsgesetzes, welches sich ursprünglich durch die Beseitigung der Gewerbe- und Betätigungsfreiheit im Bereich der Rechtsberatung vor allem gegen Juden, aber auch gegen alle anderen politisch missliebigen, aus ihren Berufen verjagten Juristen richtete. Vielmehr wird fast unverändert an der untragbaren Einschränkung der un- entgeltlichen, altruistischen Rechtsberatung festgehal- ten und die außergerichtliche Rechtsberatung weiter über Gebühr reglementiert. Damit wird das Herz des al- ten Rechtsberatungsgesetzes nicht angetastet und schlägt im neuen Rechtsdienstleistungsgesetz weiter. Unentgeltliche Rechtsberatung wurde durch das Rechtsberatungsgesetz 1935 einem Erlaubnisvorbehalt unterstellt. Diese Erlaubnis wurde aufgrund einer antise- mitischen Durchführungsvorschrift Juden generell nicht erteilt. Das zu Beginn des 20. Jahrhunderts von Gewerk- schaften, gemeinnützigen Organisationen und größeren Gemeinden in Form der öffentlichen Rechtsauskunft auf- gebaute Netz an Rechtsberatungsstellen eröffnete allen Bürgerinnen und Bürgern einen unentgeltlichen Zugang zur Rechtsberatung. Nach der Zerschlagung der Gewerk- schaften während des Nationalsozialismus wurde die Rechtsberatung durch die NSDAP und ihre Untergliede- rungen – alle sozialen Organisationen wurden zu Unter- organisationen derselben erklärt – übernommen, aber mit anderer Zwecksetzung: der Abwehr solidarischen Han- delns und der Durchsetzung nationalsozialistischer In- doktrination. Nach dem Ende des NS-Regimes erfolgte dann je- doch nicht, was jeder vernünftige Mensch erwarten würde: die Aufhebung des Rechtsberatungsgesetzes. Vielmehr begnügte man sich mit der Streichung der Worte „NSDAP“ und anderer gemäß den Alliierten Kontrollratsgesetzen. Dies führte nun dazu, dass das Un- recht an den bis 1933 tätigen Rechtsberatungsstellen nicht wieder gutgemacht wurde, sondern das Verbot ein quasiabsolutes wurde. Während der Geltung des Geset- zes diente dieses immer dazu, die Monopolstellung der Rechtsanwältinnen zu sichern und bürgerschaftliches Engagement zu verhindern. Selbst Gewerkschaften wurde anstelle der vor Geltung des Gesetzes möglichen, alle Lebensbereiche abdeckenden Beratung und Vertre- tung nach 1945 nur der Bereich des Arbeits- und Sozial- rechts geöffnet. Die juristischen Attacken gegenüber al- truistischer Rechtsberatung auf der Grundlage des Rechtsberatungsgesetzes sind unzählig. Die Fälle sind so unfassbar, dass ich eine kleine Auswahl darstellen will. Ordnungswidrigkeitsverfahren wurden unter anderem von Ausländerbehörden gegen in ihrer Freizeit tätige Helfer angestrengt, die sich um Flüchtlinge kümmerten. Nicht einmal vor der Androhung, die traumatisierten Folteropfer wegen der Rechtsberatung zu vernehmen, wurde zurückgeschreckt. Ein Konflikt mit dem Rechts- beratungsgesetz wurde auch angenommen bei der For- mulierung von Anträgen auf Gewährung des Bleibe- rechts. Selbst hauptamtlichen und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Kirchengemein- den wurde verboten, sozialhilfeberechtigten Flüchtlin- gen mit Rechtsrat zur Seite zu stehen, also beispiels- weise im Widerspruchsverfahren. In Stuttgart wurde auf Betreiben der dortigen Rechtsanwaltskammer der Cari- tasverband verurteilt, die Tätigkeit seiner Flüchtlingsbe- ratungsstelle einzuschränken. Nicht einmal ein Sozial- hilfeträger durfte einen Sozialhilfeempfänger gegenüber der Krankenkasse unterstützen. Auch ein von Jura- studenten gegründeter, unentgeltliche Rechtsberatung anbietender Verein „Studentische Selbsthilfe e. V.“ zählte zu den Leidtragenden des Rechtsberatungsgeset- zes. Nun mag man gewillt sein, diesen Verboten die Mög- lichkeiten des Beratungshilfegesetzes entgegenzuhalten. Doch dieses bot kein ausreichendes Äquivalent zur altru- istischen Rechtsberatung. Denn die Gebühren waren und sind viel zu gering, als dass ein wirklicher Anreiz für anwaltschaftliches Engagement von diesem ausgehen könnte. Ganz zu schweigen von dem bürokratischen Aufwand für die Erlangung der Beratungsgebühr! Das Rätsel, warum selbst der durch altruistische Beratung entstehende Spareffekt hinsichtlich der Gewährung von Prozesskosten und Beratungshilfe keinen Anreiz für die „Kassen leer“-Ideologen in der Bundesrepublik zu bie- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 7969 (A) (C) (B) (D) ten vermochte, bleibt unbeantwortbar. Die Geschichte der Entstehung und Fortgeltung des Rechtsberatungsge- setzes bis zum heutigen Tage zeigt, dass einzig die er- satzlose Streichung dieses Nazimachwerks angemessen ist. Was erleben wir nun stattdessen? Das vorgeschlagene Rechtsdienstleistungsgesetz tritt das traurige Erbe des Rechtsberatungsgesetzes an. Ent- gegen aller Beteuerungen ist dies kein Glanzwerk des Verbraucherschutzes, sondern vor allem ein Zugeständ- nis an die nach Marktöffnung schreienden Dienstleister, die das Quasimonopol der Anwaltschaft nicht länger ak- zeptieren wollen. Der Einleitungstext des Gesetzent- wurfs lässt zwar hoffen: eine „zeitgemäße gesetzliche Regelung“ solle das Rechtsberatungsgesetz ablösen, Ziele seien der Schutz der Rechtsuchenden und die „Stärkung bürgerschaftlichen Engagements“. Die Erwar- tungshaltung wird noch angereichert durch die Aussage, dies alles ginge einher mit „Deregulierung und Entbüro- kratisierung“. Doch Enttäuschung stellt sich ein mit der Lektüre des so wohlfeil beworbenen Gesetzes. Wir wer- den im Verlaufe der Beratungen im Rechtsausschuss auf die vielfältigen Bedenken gegenüber dem neuen Rechts- dienstleistungsgesetz im Einzelnen eingehen. Einige die- ser Bedenken möchte ich bereits hier näher ausführen. Die altruistische Rechtsberatung soll auch in Zukunft nur ausnahmsweise, nämlich innerhalb familiärer, nach- barschaftlicher oder ähnlich enger persönlicher Bezie- hungen möglich sein. Alle anderen juristisch Bewan- derten sollen nur dann anderen Menschen uneigennützig – nach dem Gesetzentwurf „unentgeltlich“ – helfen dür- fen, wenn sie entweder Volljurist oder -juristin sind oder unter deren Anleitung stehen. Genau an dieser willkür- lichen Unterscheidung macht sich die Ideologie des Gesetzentwurfs dingfest: Welchen Unterschied für die Qualität der Rechtspflege oder den Schutz der Rechtsu- chenden macht es, ob die Rechtsdienstleistung innerhalb nachbarschaftlicher Verhältnisse oder von engagierten Menschen gegenüber losen Bekannten erfolgt? Für das Bundesjustizministerium scheint festzustehen: Traue keinem, der Gutes will. Und nimm keine Leistung ohne Gegenleistung an. Hier nimmt das Verwertungsdenken schon groteske Züge an. Die Entwurfsverfasser bleiben den Nachweis schuldig, dass der Rechtsrat des Nachbarn per se besser sei als der einer ehemaligen Verwaltungs- angestellten, die ihren Mitmenschen einfach so Rat- schläge zum Widerspruchsverfahren in einem ihr be- kannten Rechtsgebiet erteilt. Die Angst vor dem Fremden nährt diese Ideologie, vielleicht auch die Furcht vor gut beratenen Bürgerinnen und Bürgern, die nicht hohe Gebühren scheuen müssten, um Rat in Din- gen zu erhalten, deren Verständnis ihnen zugleich durch die Bürokratie zwanghaft unterstellt wird. Man erwartet von den Bürgerinnen und Bürgern, dass diese sich an Recht und Gesetz halten, verwehrt ihnen aber die Mög- lichkeit, sich gegenseitig beim Verständnis des Paragra- fendschungels zu helfen. Schlichtweg empörend finde ich folgende Zeilen im Gesetzentwurf: Das Recht darf als höchstrangiges Gemeinschafts- gut grundsätzlich nicht in die Hände unqualifizier- ter Personen gelangen, da es als „gelebtes Recht“ maßgeblich durch die Personen beeinflusst und fortentwickelt wird, die Recht beruflich anwenden. Abgesehen davon, dass die Logik dieses Satz sich wohl nur Eingeweihten erschließt, ist die hier geäußerte Hal- tung gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern als Stö- renfriede ein Skandal. Ein weiteres Problem stellt sich für die uneigennützi- gen Vereinigungen. Ihnen soll die Rechtsberatung zwar prinzipiell nach dem Gesetz erlaubt sein, sie müssen sich dabei jedoch zumindest der Anleitung durch Volljuristin- nen und -juristen bedienen. Damit statuiert die vermeint- liche Erlaubnis durch die hohen Anforderungen in Wirklichkeit ein praktisches Verbot. Denn kleine Verei- nigungen können sich derartige Unterstützung wohl in den seltensten Fällen leisten. Selbst wenn sie einen Juris- ten zur unentgeltlichen Mitarbeit gewinnen könnten, bliebe es bei der Begrenzung auf die Beratung von Ver- einsmitgliedern. Zu guter Letzt möchte ich Folgendes nicht verschwei- gen: Auch wenn der Gesetzentwurf zur Begrenzung der Prozesskostenhilfe nicht auf dem Mist des Bundesjustiz- ministeriums gewachsen ist, ist er doch ganz nach Art des Hauses. Genauso wie der ebenfalls aus dem Bundes- rat stammende Gesetzentwurf zur Einführung von allge- meinen Gebühren für die Sozialgerichtsbarkeit dient er der Verkürzung des Rechtsstaats, nicht dessen Ausbau. Denkt man alle drei Entwürfe zusammen, ergibt sich in Wechselwirkung mit den sozialen Kürzungen der letzten Jahre folgendes Bild: Erst werden die Bürgerinnen und Bürger ihrer sozialen Rechte beraubt und anschließend jeder Möglichkeit, sich dagegen mit rechtsstaatlichen Mitteln zu wehren. Denn zukünftig soll die Gewährung von Prozesskostenhilfe grundsätzlich unter unzumutba- ren Voraussetzungen stehen und der Gang zum Sozialge- richt zusätzliches Geld kosten, was die Menschen nicht haben. Gegenseitige unentgeltliche Hilfe wird ihnen schließlich untersagt, weil das Recht ja „als höchstrangi- ges Gemeinschaftsgut grundsätzlich nicht in die Hände unqualifizierter Personen gelangen“ darf. Es wird ein hartes Stück Arbeit, aus dieser Mogel- packung ein Gesetz zu machen, dass die altruistische Rechtsberatung ihrer gesellschaftlichen Bedeutung ent- sprechend regelt. Wir werden uns darüber hinaus – im Interesse der Bürgerinnen und Bürger – dafür einsetzen, dass der Schutz der Schwachen auch im Bereich der ent- geltlichen Rechtsberatung im Vordergrund steht. Das Vertrauen der Rechtsuchenden in eine gute, kostengüns- tige Rechtdienstleistung muss in unserer verrechtlichten Gesellschaft wieder mehr Gewicht erlangen. Meine Fraktion steht hierfür bereit. Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): „Ver- trauen ist gut. Anwalt ist besser.“, mit diesem Slogan wirbt der deutsche Anwaltverein. Und die Bundesrechts- anwaltkammer erklärt: „Anwälte – mit Recht im Markt“. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist nicht nur Wer- bung für einen honorigen Beruf. Die Anwaltschaft er- füllt mit ihrem Angebot sachkundiger rechtlicher Bera- tung und Vertretung eine Aufgabe von Verfassungsrang. Sie garantiert, dass der postulierte Rechtsstaat Bundesre- 7970 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 (A) (C) (B) (D) publik Deutschland auch im praktischen Leben der Bür- gerinnen und Bürger ein Rechtsstaat ist. Deswegen ist die Neuregelung des Rechtsberatungsrechts weit mehr als eine Neuregelung der anwaltlichen Berufsausübung. Wir regeln damit den Zugang zum Recht für alle Bürge- rinnen und Bürger. Denn jeder kann in eine Situation ge- raten, in der er auf anwaltlichen Rat und anwaltliche Tat angewiesen ist. Bürgerinnen und Bürger erwarten zu Recht, dass sie dann kompetente, diskrete Hilfe und Ver- tretung ihrer Interessen erhalten. Der Zugang zu dieser Dienstleistung muss zugleich so schnell, leicht und bar- rierefrei sein, dass sie den Rat auch tatsächlich in An- spruch nehmen. Das Rechtsberatungsgesetz aus dem Jahr 1935, das nun vom Rechtsdienstleistungsgesetz und weiteren Re- gelungen abgelöst werden soll, ist trotz einiger Änderun- gen veraltet und bedarf dringend einer Generalrevision. Es ist historisch – das sollten wir nicht vergessen – nicht als ein Gesetz zur Herstellung der Rechtsstaatlichkeit, sondern zur Eliminierung der jüdischen Anwaltschaft in Deutschland entstanden. Vorarbeiten einer Reform gab es schon unter der rot-grünen Regierung. Das Projekt konnte aber wegen des vorzeitigen Endes der 15. Wahl- periode nicht abgeschlossen werden. Deswegen begrü- ßen wir Grüne, dass der Reformansatz weiterverfolgt wird. Was gilt es zu bewahren und wo müssen wir neues Recht schaffen? Wir Grüne wollen als Grundsatz hoch- halten: Die Rechtsberatung und die Vertretung rechtli- cher Interessen muss im Kern in der Hand einer dafür qualifizierten, verschwiegenen, unabhängigen, den Inte- ressen der Mandantschaft verpflichteten Anwaltschaft bleiben. Denn dieser Schutz der Rechtsuchenden auf hohem Niveau gehört zu den wichtigen Erfordernissen eines rechtsstaatlich organisierten Gemeinwesens. Das Vertrauen in das Recht muss gesichert werden durch die Rahmenbedingungen für die Beratung über eine immer kompliziertere Rechtsordnung in einer immer kompli- zierter werdenden Welt. Die beratende Person hat hier eine wichtige Mittlerposition. Der Staat kann dem Rechtsberatungsmarkt deshalb nicht einfach freien Lauf lassen. Er muss ihn in geordnete Bahnen lenken, damit alle sicher ans Ziel kommen, die auf rechtliche Beratung angewiesen sind. Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sind dafür ausgebildet. Sie bieten wegen ihrer Ver- schwiegenheit, ihrer einseitigen und eindeutigen Aus- richtung auf die Interessen ihrer Mandanten und ihrer strikten Verpflichtung auf das Recht und die Rechtsstaat- lichkeit, die mit nur ihnen zustehenden Vorrechten ein- hergehen, die beste Gewähr für eine objektive und quali- tativ hochwertige Rechtsdienstleistung. Auf der anderen Seite darf die Rechtsdienstleistung kein Pfrund einer Anwaltschaft sein, die sich nach Art der Zünfte gegen unliebsame, aber in Teilbereichen auch kompetente Konkurrenten abschottet. Gewisse einfache und ausdrücklich fachspezifische rechtliche Auskünfte können auch von Nichtanwälten erteilt werden. Eine ge- wisse Öffnung des Marktes ist daher erforderlich. Das Bundesverfassungsgericht hat hier bereits Maßstäbe ge- setzt. Ebenso müssen europarechtliche Vorgaben beach- tet werden. Wir wollen das Rechtsberatungsrecht so wei- terentwickeln, dass es seiner Funktion besser gerecht werden kann. Es soll Chancengleichheit herstellen, Schutz und Unterstützung für Menschen bieten, die sich in einer schwächeren Position als andere befinden, und es soll nicht zuletzt dazu beitragen, dass Rechtsnormen in Rechtswirklichkeit umgesetzt werden. Uns Grünen ist insbesondere die jetzt vorgesehene Erleichterung der so- genannten karitativen Rechtsberatung wichtig. Damit können Selbsthilfegruppen, soziale Beratungsstellen, Verbände wie zum Beispiel amnesty international oder die Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienst- verweigerer aus Gewissensgründen und Vereine der Flüchtlingshilfe mit juristischer Unterstützung im Hin- tergrund Menschen Rechtsrat erteilen, die wegen der da- mit verbundenen Kosten oder aus anderen Gründen kei- nen Anwalt und keine Anwältin aufsuchen würden. Der Regierungsentwurf packt die wichtigen Probleme an den Hörnern. Ob alle Griffe richtig gesetzt sind, muss jetzt im Einzelnen geprüft werden. Wir werden uns in den Beratungen einige wichtige Einzelfragen nochmals intensiv anschauen. Ich nenne nur die Annexberatung durch Nichtanwälte, die Öffnung der Beratung durch große und mächtige Verbände und Vereine oder die Aus- gestaltung der dauerhaften Zusammenarbeit zwischen Anwaltschaft und anderen Berufen. Die Regelung an- waltlicher Dienstleistungen für die Bürgerinnen und Bürger sollte kein parteipolitisches Streitthema werden. Wir Grüne sichern unsere konstruktive Mitarbeit zu und erwarten von der Großen Koalition eine Ausgestaltung der Beratungen und Beachtung der Argumente vor allem der Selbstorganisationen der deutschen Anwaltschaft, die am Ende eine einmütige Entscheidung des Bundesta- ges ermöglicht. Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz: Der Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts, den wir heute in erster Lesung beraten, schlägt vor, das Rechts- beratungsgesetz aus dem Jahr 1935 durch ein zeitgemä- ßes Rechtsdienstleistungsgesetz, das RDG, zu ersetzen. Es besteht dabei – übrigens auch innerhalb der Anwalt- schaft – ein breiter Konsens, dass diese grundlegende Reform notwendig ist, notwendig deshalb, weil das alte Rechtsberatungsgesetz in den vergangenen Jahren durch Urteile des Bundesverfassungsgerichts und der Bundes- gerichte so weit eingeschränkt wurde, dass es in seinem Wortlaut ohne genaue Kenntnis dieser Rechtsprechung gar nicht mehr angewandt werden kann, notwendig aber auch, weil wir eine moderne, zeitgemäße gesetzliche Re- gelung brauchen, um Forderungen nach einer immer weiter gehenden Freigabe der Rechtsberatung begegnen zu können, die vor allem aus Europa gekommen sind und weiter kommen werden. Mit dem RDG schaffen wir eine solche europarechts- und verfassungskonforme Regelung, mit der wir uns klar und eindeutig zu einer grundsätzlichen Beibehaltung des sogenannten Anwaltsmonopols für den gesamten Kern- bereich rechtlicher Dienstleistungen bekennen. Dies be- trifft einerseits die Vertretung vor Gericht, die auch künftig grundsätzlich in Anwaltshand gehört. Aber auch außergerichtliche Rechtsdienstleistungen sollen im Grundsatz den Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 7971 (A) (C) (B) (D) als den, wie es in § 3 der Bundesrechtsanwaltsordnung heißt, „berufenen unabhängigen Beratern und Vertretern in allen Rechtsangelegenheiten“ vorbehalten bleiben. Öffnungen gegenüber den Vorschriften des geltenden Rechtsberatungsgesetzes enthält der Entwurf des RDG allerdings dort, wo sie durch die erwähnten Gerichtsent- scheidungen vorgezeichnet sind: Zunächst soll das im Rechtsberatungsgesetz angelegte Verbot der unentgeltli- chen, insbesondere karitativen Rechtsberatung insge- samt aufgehoben werden. Bis heute untersagen Behör- den oder Gerichte unter Berufung auf das Rechtsberatungsgesetz sogar Steuerberatern oder Wirt- schaftsprüfern etwa die Beratung und Vertretung des ei- genen Ehe- oder Lebenspartners in dessen Rentenange- legenheiten, oder sie schränken die Sozialrechtsberatung bedürftiger Personen durch kirchliche Einrichtungen und Wohlfahrtsverbände ein. Eine so rigide Überregulierung ist, wie auch das Bundesverfassungsgericht für die un- entgeltliche altruistische Rechtsberatung durch einen pensionierten Richter im berühmt gewordenen Fall „Kramer“ entschieden hat, nicht zu rechtfertigen. Deshalb sollen künftig unentgeltliche Rechtsdienst- leistungen sowohl im Familien- und Freundeskreis als auch bei der Rechtsberatung durch karitative Einrichtun- gen grundsätzlich erlaubt sein. Der erforderliche Schutz der Rechtsuchenden wird bei der karitativen Rechtsbera- tung dadurch gewährleistet, dass sie nur durch oder unter Anleitung von Volljuristen erbracht werden darf und im Fall dauerhaft unqualifizierter Rechtsdienstleistungen untersagt werden kann. Im Mittelpunkt des Interesses der Anwaltschaft stand und steht allerdings nicht so sehr diese wichtige Öffnung der unentgeltlichen Rechtsberatung, sondern die Rege- lung zur Zulässigkeit rechtsdienstleistender Nebenleis- tungen durch Nichtanwälte im wirtschaftlichen, gewerb- lichen Bereich. Auch für diesen Bereich haben die Gerichte seit Mitte der 1990er-Jahre zunehmend Öffnun- gen überall dort durchgesetzt, wo rechtliche Tätigkeiten nicht den Kern und Schwerpunkt einer im Wesentlichen wirtschaftlich ausgerichteten Dienstleistung darstellen. Manche Bereiche, etwa die Fördermittelberatung oder die Testamentsvollstreckung, wurden ganz aus dem An- wendungsbereich des Rechtsberatungsgesetzes heraus- genommenen; in anderen Bereichen, etwa der Insolvenz- und Sanierungsberatung, wurde den in diesem Bereich hochqualifizierten Betriebswirten, Steuerberatern und Kaufleuten eine sehr weitreichende „Annexkompetenz“ zuerkannt. An diesen Mindeststandards ist der vorliegende Ge- setzentwurf ausgerichtet. Seine Formulierungen sind – übrigens in Abstimmung und zuletzt im Konsens mit Spitzenvertretern von Bundesrechtsanwaltskammer und Deutschem Anwaltverein – so gewählt, dass sie einer- seits die gebotenen Öffnungen ermöglichen und anderer- seits die Grenzen zulässiger Rechtsberatung deutlich hervorheben. Wer wie einzelne Verbandsvertreter vor- schlägt, hinter diesen Formulierungen zurückzubleiben und die Zulässigkeit rechtsdienstleistender Nebenleis- tungen noch weiter einzuschränken, wird den verfas- sungs- und europarechtlichen Vorgaben nicht mehr ge- recht. Zudem würde die Möglichkeit vertan, im Randbereich rechtlicher Dienstleistungen mehr Wettbe- werb, mehr wirtschaftliche Chancen und Entwicklungs- möglichkeiten zu schaffen. Erlaubt sei bei diesen Stichworten eine abschließende Anmerkung zu den Marktchancen, die der vorliegende Gesetzentwurf auch und gerade für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte eröffnet. Ihnen bleibt nicht nur der Kernbereich rechtsdienstleistender Tätigkeit exklusiv vorbehalten, was in Europa längst nicht die Regel ist. Anwälte sollen darüber hinaus die Möglichkeit erhalten, berufliche Verbindungen mit Angehörigen anderer freier oder auch gewerblicher Berufe einzugehen und sich so neue Beratungsmärkte und Tätigkeitsfelder zu erschlie- ßen. Eine künftig mögliche Sozietät etwa mit Unterneh- mensberatern, Architekten oder auch – man denke an das Arzthaftungsrecht – mit Medizinern wird der An- waltschaft und den Rechtsuchenden insgesamt nicht schaden, sondern nutzen. Voraussetzung ist allerdings, dass die Rechtsanwältin und der Rechtsanwalt innerhalb dieser beruflichen Verbindungen unabhängig und nur den Interessen des Mandanten verpflichtet bleiben. Dies gewährleisten die Regelungen des Gesetzentwurfs, die der Deutsche Anwaltverein übrigens fast wortgleich in seinen jüngst vorgelegten Vorschlag für eine BRAO-Re- form übernommen hat. Auch dies zeigt: Der Entwurf des Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts entspricht den Interessen aller Beteiligten, nicht zuletzt denjenigen einer aufgeschlossenen, zukunftsorientierten Anwaltschaft. Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Planungssicherheit für Landwirte und Milchwirtschaft durch defi- nitiven Beschluss zum Auslaufen der Milchquo- tenregelung schaffen (Tagesordnungspunkt 29) Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD): Auch wenn unser heutiger Tagesordnungspunkt zu sehr später Stunde auf- gerufen wird – Deutschlands Milchkühe schlafen um diese Uhrzeit bereits friedlich –, so soll das nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir heute über eine Fragestellung von großer Tragweite zu beraten haben. Es geht um nicht weniger als um grundlegende Weichenstellungen für die Zukunft der deutschen Milchproduktion und -wirtschaft. Der Milchsektor nimmt innerhalb der deutschen Land- und Ernährungswirtschaft eine herausragende Stellung ein: Die Bundesrepublik ist der größte Milchproduzent innerhalb der Europäischen Union, weltweit die Num- mer fünf. An der Milch hängen in hohem Maße Wert- schöpfung und Arbeitsplätze in der Landwirtschaft und in den ländlichen Regionen. Seit 1984 unterliegt die Milcherzeugung in der Euro- päischen Union dem Quotensystem. Dieses hat, das müssen wir unumwunden feststellen, alle ihr zugrunde- liegenden Zielsetzungen deutlich verfehlt: Die Überpro- duktion von 20 Prozent wurde nicht gesenkt; weder sind die Einkünfte der Milchproduzenten auf ein auskömmli- 7972 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 (A) (C) (B) (D) ches Maß angewachsen, noch wurde der in allen Berei- chen der Landwirtschaft stattfindende langfristige Struk- turwandel konstruktiv flankiert. Stattdessen wird in Deutschland jeder Milchproduzent unzumutbar belastet: Auf jedes Kilogramm abgelieferter Milch entfallen 3 bis 3,5 Cent reine Quotenkosten, mithin mehr als 10 Prozent des Erlöses. Auf die Jahresproduktion bezogen sprechen wir über eine Gesamtsumme von etwa 800 bis 900 Mil- lionen Euro, die unseren Milchbetrieben fehlen, nicht zuletzt zur Anpassung an das Weltmarktniveau und für die hierfür notwendigen Investitionen. Die negative Bilanz der Quotenregelung ist nicht nur meine private Meinung, sondern alle mit den Fragen des Milchmarktes befassten Fachleute sind sich in dieser Hinsicht einig. Die dem Antrag der FDP-Fraktion, über den wir heute zu beraten haben, zugrundeliegende Ana- lyse ist zweifelsohne richtig, aber sie ist mittlerweile Allgemeingut, um nicht zu sagen eine Binsenweisheit. In dieser Hinsicht zeigte sich die größte Oppositionsfrak- tion also weder besonders originell noch besonders weise. Die aus dem Scheitern des Quotensystems zu zie- hende Folgerung liegt ebenso auf der Hand: Es gehört abgeschafft! Auch dies ist keineswegs ein Geistesblitz des Kollegen Goldmann und seiner Fraktion – die Sache ist evident und bedarf keiner grundsätzlichen Diskus- sion. Es stellt sich also nicht die Frage des Ob, sondern wir müssen über das Wann und vor allem das Wie spre- chen. Zunächst einmal möchte ich feststellen, dass wir möglichst rasch die notwendigen Entscheidungen treffen und verbindliche Positionen erarbeiten müssen. Unsere Milchbauern und das milchverarbeitende Gewerbe brau- chen eine möglichst langfristige Planungs- und Investi- tionssicherheit. Die Bundesregierung ist dringend aufge- fordert, noch während der deutschen Ratspräsidentschaft einen eindeutigen Standpunkt einzunehmen und auf EU- Ebene die deutschen Interessen adäquat zu vertreten. Spätestens mit dem 2008 anstehenden „Health Check“ müssen wir einen Ausstiegskorridor aus der Quote ver- bindlich vereinbaren. Die wichtigste Wegmarke ist das Jahr 2013, nach dem die Exporterstattungen wegfallen und aller Voraussicht nach auch die aktuellen WTO-Ver- handlungen endlich abgeschlossen sein werden. Hinter die bereits gemachten Zugeständnisse werden wir – das muss allen klar sein – nicht mehr zurückgehen können. Es bleibt die letzte und in meinen Augen entschei- dende Frage: Wie soll der Ausstieg aus dem Quotensys- tem vollzogen, ausgestaltet und begleitet werden? Was das politische Instrumentarium für den Ausstieg angeht, so habe ich eine klare und eindeutige Meinung: Eine schrittweise Absenkung der Superabgabe ist in meinen Augen am besten geeignet, um einen allmählichen, glei- tenden Abschied von der Milchquote zu nehmen. Expan- dierende Betriebe würden auf ihrem Weg hin zur Wettbewerbsfähigkeit unter Weltmarktbedingungen zu- nehmend entlastet, die obsolet gewordene Quote allmäh- lich bis zur Bedeutungslosigkeit entwertet und damit faktisch beseitigt. Alle anderen in diesem Zusammen- hang diskutierten Instrumente, beispielsweise eine inter- oder besser transnationale Saldierung, ein Quotenhandel über Staatsgrenzen hinweg oder eine Aufstockung der Quote sind wegen des damit verbundenen immensen Bü- rokratieaufwandes und den zwangsläufig auf Brüsseler Ebene entstehenden politischen Streitereien mit Nach- druck abzulehnen. Die Frage nach dem Wie umfasst allerdings deutlich mehr als nur die politischen Ausstiegsoptionen. Wir müssen uns über die mittel- und langfristigen Folgen nicht nur für die internationalen Märkte, sondern auch für die Betriebe und für unsere ländlichen Regionen Ge- danken machen. Gerade zu diesem wesentlichen Punkt finde ich in dem vorliegenden Antrag überhaupt nichts: Einmal mehr wiederholen die Freidemokraten ihr Glau- bensbekenntnis, das auch durch jahre- und jahrzehnte- langes Wiederholen nicht richtig wird: Der Markt wird es schon richten. – Genau das wird er eben nicht! Eine solche Politik des reinen Marktliberalismus ließe viele Menschen in weiten Teilen unseres Landes im Regen stehen. Das ist unverantwortlich, kaltschnäuzig und mit uns Sozialdemokraten selbstverständlich nicht zu ma- chen! Natürlich wird die Zukunft einen beschleunigten Strukturwandel mit sich bringen. Diesen muss und wird die Politik flankierend begleiten und mitgestalten. Unter den künftigen Wettbewerbsbedingungen wird es in vie- len Regionen nicht mehr möglich sein, allein von der herkömmlichen Milchproduktion zu leben. Um eine flä- chendeckende Bewirtschaftung auch für die Zukunft zu gewährleisten, die Wertschöpfung in diesen Gebieten zu sichern und Arbeitsplätze zu schaffen, gilt es, alternative oder komplementäre Einkommensquellen zu erschlie- ßen, auszubauen und nachhaltig zu sichern. In diesem Zusammenhang gibt es zahlreiche Optionen. Über die Biomassestrategie, die rapide wachsende Nachfrage nach ökologisch erzeugten Lebensmitteln und Perspekti- ven des Tourismus ist bereits hinlänglich gesprochen worden. Unser besonderes Augenmerk verdient in diesem Zu- sammenhang die Honorierung öffentlicher Güter. Das bedeutet beispielsweise, dass die Landwirte in Regionen, aus denen sich die Milchkuhhaltung zurückzieht, die be- stehenden Grünlandstandorte erhalten und durch exten- sive Bewirtschaftung die Biodiversität erhalten und si- chern können. Eine solche gesellschaftlich erwünschte Dienstleistung kann durchaus zu einem durch Marktme- chanismen entstehenden Preis honoriert werden. Eine strukturell sinnlose Verteilung entsprechender Mittel nach dem altbekannten Gießkannenprinzip kann und darf es hier – das will ich klarstellen – jedoch ebenso wenig geben wie die Wahrung vermeintlicher Besitz- stände. Die politische Konsequenz ist klar: Umstellungshil- fen, um die Einkommens- und Wertschöpfungsbasis zu verbreitern wie auch die angemessene Entlohnung für gesellschaftlich erwünschte Leistungen stellen die Zweite Säule der Gemeinsamen Agrarpolitik vor große Aufgaben. Daher gilt es, diese Zweite Säule nicht zu überfordern, sondern sie zu stärken. Doch auch die zu- kunftsorientierten expandierenden Milchproduzenten brauchen unsere Hilfe. Zunächst einmal müssen wir of- fen darüber diskutieren, wie wir innerhalb der EU glei- che Wettbewerbsbedingungen gewährleisten können. Hier ist sicherlich zunächst darüber nachzudenken, die Top-ups über das Jahr 2010 hinaus bei diesen Betrieben Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 7973 (A) (C) (B) (D) zu belassen. Vielfach wird zudem der Weg zu Wettbe- werbsfähigkeit an den internationalen Märkten hohen Bedarf an Investitionen mit sich bringen. Auch hier kann die Politik durch befristete Programme zur Investitions- förderung helfen. Als Instrument der Wahl sehe ich staatlich garantierte Ausfallbürgschaften an – sie bieten gegenüber unmittelbaren Finanzhilfen bessere Perspekti- ven, dass die eingesetzten Mittel nachhaltige strukturelle Wirkungen zeitigen. Es ist mir ein besonderes Anliegen, die Milchindus- trie in diesem Zusammenhang in die Pflicht zu nehmen. Die Mittel für die Anpassung an künftige Marktstruktu- ren müssen aus eigener Kraft aufgebracht werden. Die zwangsläufig entstehenden Kosten dürfen nicht über niedrigere Auszahlungspreise den Landwirten aufgebür- det werden. Angesichts vielfach bestehender regionaler Nachfragemonopole ist über neue Mechanismen der Preisbildung, beispielsweise über Milchbörsen oder Er- zeugerzusammenschlüsse, nachzudenken. Sowohl die Sicherung von Arbeit und Wertschöpfung in benachtei- ligten Regionen als auch die Hinführung der wettbe- werbsfähigen Betriebe an härter werdende Wettbewerbs- bedingungen wird sehr viel Geld kosten. Doch das derzeitige Marktordnungssystem, das, wie gesagt, eher schadet als nützt, gibt es ja auch keineswegs umsonst: Im Jahr 2006 musste die EU hierfür mehr als 850 Millio- nen Euro aufwenden. In dieser Summe sind, darauf möchte ich deutlich hinweisen, die Milchprämien kei- neswegs enthalten. Dieses Geld ist einer sinnvollen und nachhaltigen Strukturpolitik zuzuführen. Ich fasse zusammen: Es besteht ein breiter Konsens darüber, dass das derzeitige Milchquotensystem versagt hat und ein frühestmöglicher Ausstieg die einzig ver- nünftige Option ist. Die dafür notwendigen politischen Entscheidungen sind umgehend zu treffen, um Pla- nungssicherheit für alle Beteiligten zu schaffen. Der Ausstieg aus der Quote wird den Strukturwandel in die- sem Bereich der Landwirtschaft deutlich beschleunigen. Diesen Prozess gilt es flankierend zu begleiten und zu- kunftsorientiert mitzugestalten. Dieser letzte Aspekt fehlt in dem vorliegenden Antrag völlig. Wir Sozialde- mokraten bekennen uns zu unserer Verantwortung für die Menschen. Sie ist die fundamentale Leitlinie unserer Politik für die ländlichen Räume. Daher können und werden wir diesem Antrag nicht zustimmen. Hans-Michael Goldmann (FDP): Die deutsche Milchwirtschaft ist mit einem Umsatz von etwa 20 Mil- liarden Euro/Jahr und einem Exportvolumen von rund 4 Milliarden Euro eine Schlüsselbranche der deutschen Ernährungswirtschaft. Über 100 000 landwirtschaftliche Betriebe bilden das Rückgrat der Milchwirtschaft. In über 100 überwiegend mittelständischen Unternehmen mit insgesamt fast 40 000 Mitarbeitern werden täglich 75 000 Tonnen Milch zu hochwertigen Nahrungsmitteln verarbeitet. Damit werden allein in Deutschland mehr als 20 Prozent der Milch aller 25 EU-Staaten verarbeitet. Doch mit der Milch verbinden viele auch Begriffe wie Milchseen und Butterberge. Diese beiden Begriffe präg- ten über lange Zeit die Agrardiskussion, in den 70er- und frühen 80er-Jahren. Die EU führte 1984 schließlich die Milchquote ein, die zunächst einen Teil der Überproduk- tion stoppte. Doch ihr zentrales Ziel, die Herstellung ei- nes Marktgleichgewichts, hat sie nie erreicht. In der Folge hat das Scheitern der Milchquote zu sinkenden Milcherzeugerpreisen und fallenden Einkommen in der Milchwirtschaft beigetragen. Weiterhin wurde durch die Milchquote der Strukturwandel in Landwirtschaft und Milchwirtschaft erheblich verteuert. Nur Spitzenbetriebe sind in der Lage, die notwendigen Nettoinvestitionen für ein Wachstum zu rentablen Größeneinheiten zu tätigen. Die so gekennzeichnete heutige Struktur birgt somit den zukünftigen, zwangsläufigen Strukturwandel in sich. Daran hat auch die Milchquotenregelung nichts geän- dert. Die hohen Quotenkosten bedeuten vor allem für Junglandwirte und Wachstumsbetriebe zusätzliche In- vestitionskosten und eine Wachstums- bzw. Einstiegs- hürde. Die staatliche Regulierung des europäischen Milchmarktes hat damit nicht die Erwartungen von Landwirten und Milchwirtschaft erfüllt, sodass in der Agrarpolitik verstärkt auf marktwirtschaftliche Lösun- gen gesetzt wird. Nun gilt es, den Landwirten so schnell wie möglich zu sagen, dass sie sich auf ein Ende der Milchquote ab 2015 einstellen müssen. Wir alle müssen dazu beitragen, dass überall die Erkenntnis wächst, dass staatliche Len- kungssysteme nicht funktionieren und die Landwirte sich wieder auf den Markt einstellen müssen. Wir müs- sen verhindern, dass durch ein zu zögerliches Handeln falsche Investitionssignale gesetzt werden. „Die Milch- quote ist gescheitert und läuft 2015 aus!“, das ist die Botschaft, die wir aussenden müssen. Deshalb bin ich dankbar, dass sowohl Frau Kommissarin Fischer Boel, auf der IGW, als auch Minister Seehofer, gestern in un- serer Ausschusssitzung, dies so klar gesagt haben. Viele Milchbauern sind immer noch gegen das Ende der Milchquote, weil sie Furcht vor freier Marktwirtschaft haben, Furcht vor Preisdruck und heftigerem Struktur- wandel. Sie bevorzugen Marktregulierungen, Eingriffe des Staates, Mengenbegrenzungen und Ausgleichszah- lungen. Sie meinen, dass das mit einer Milchquote zu schaffen ist, wenn „die Beamten das nur mal endlich richtig machen würden“. Doch diese Wünsche kann die Milchquote nicht erfül- len, das lehrt die Erfahrung der letzten 23 Jahre. Unab- hängig von der eigenen Meinung muss man auch klar sa- gen, dass die Milchquote schon deshalb auslaufen wird, weil es auf europäischer Ebene keinen Willen zur Fort- setzung gibt. Im Rat müssten jedoch 75 Prozent der Stimmen für eine Fortsetzung abgegeben werden. Dies wird nicht geschehen. Die FDP begrüßt, dass der Bauernverband sich der- zeit intensiv mit dieser Problematik beschäftigt und dies zum Schwerpunktthema des nächsten Bauerntages ma- chen wird. Unsere parlamentarischen Beratungen und die Auseinandersetzung mit dem Thema auf berufsstän- discher Ebene werden dazu beitragen, allen klar zu ma- chen, dass sie sich künftig auf den Markt einstellen müs- sen. Ich bin überzeugt, dass die Landwirte vor dem Markt keine Angst zu haben brauchen. Die weltweite Nachfrage nach Milch und Milchprodukten steigt. Un- 7974 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 (A) (C) (B) (D) sere leistungsfähigen Betriebe werden sich nicht nur am Markt behaupten können, sie werden auch davon profi- tieren. Auch wenn es unmodern geworden scheint: Manchmal kann ein Blick über den Atlantik weiterhel- fen. In den USA stand und steht man nämlich vor ähnli- chen Problemen wie in Europa. Allerdings gab es dort nie eine Quote. Stattdessen hat man dort ein freiwilliges Programm aufgelegt, das helfen soll, die Milchmenge zu verringern: Die Erzeuger zahlen einen Beitrag in eine Kasse ein, aus der wiederum Milchkühe aufgekauft und geschlachtet werden, um so Milch aus dem Markt zu nehmen. Inzwischen sind drei Viertel der Milchbauern an dieses System angeschlossen. Zwischen 2003 und 2005 ist es so gelungen 1,5 Prozent der Milchproduktion aus dem Markt zu nehmen. Dies Beispiel zeigt, dass Bauern ohne staatliche Bürokratie zu intelligenten Lö- sungen kommen, die dazu beitragen, Marktprobleme zu lösen. Ich verschließe allerdings nicht die Augen davor, dass der zu erwartende Verdichtungsprozess bei der Milch- produktion in den benachteiligten Regionen zu größeren Problemen führen wird. Die FDP begrüßt es daher, dass der Minister angekündigt hat, sich diesem Problem zu stellen. Ein Begleitprogramm für benachteiligte Gebiete ist richtig und sinnvoll. Wir werden diesen Diskussions- prozess konstruktiv begleiten. Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Die FDP for- dert einen möglichst schnellen Beschluss zum Ausstieg aus der Milchquote am 31. März 2015. Ihre Lösung der Probleme im Milchsektor lautet: Markt, Markt und noch mal Markt. Im Sinne ihrer neoliberalen Ideologie löst der globalisierte Markt alle Probleme. Jeder Milchvieh- halter in der Eifel, im Taunus, Schwarzwald oder Erzge- birge soll das Paradies des globalen Wettbewerbs genie- ßen. So würde der Freiraum geschaffen für Wachstum, steigende Produktion und die gewaltigen Einkommens- steigerungen, die sich mit den globalen Weltmarktbedin- gungen einstellen. Welch eine neoliberale Seifenblase! Der vor einer Woche in der bayerischen Landesvertre- tung stattgefundene milchpolitische Frühschoppen zeigte schon, wohin der Hase laufen soll: Nach den Vorstellungen eines französischen Managers der Milch- industrie – des familiengeführten Konzerns Lactalis – braucht Europa 2020 nur noch zwei Konzernzentralen – für Nord- und Südeuropa – um die Milcherfassung, die Verarbeitung und Vermarktung wettbewerbsfähig zu or- ganisieren. Die beiden Konzerne können dann – in enger Absprache natürlich – alles regeln: von der Regionalver- marktung und Bioproduktion bis zur industriellen Roh- stoffproduktion für Arzneimittel und anderes mehr. Es soll in diesem Szenario fast selbstverständlich sein, dass alle davon profitieren. Den Mengenbedarf regeln die Konzerne in Abstimmung mit der Marktlage, und die Preise natürlich auch. Keine Frage, dass damit die Milchbäuerinnenn und Milchbauern im Hunsrück, im Westen Frankreichs oder in Polen rosigen Zeiten entge- gensehen. Völlig richtig ist aus unserer Sicht die Analyse der FDP über die katastrophalen Folgen der Aufstockungen der Quoten in den vergangenen Jahren über die Selbst- versorgung hinaus. Der permanente Überschuss auf dem EU-Milchmarkt führt zum für die Milchviehbetriebe rui- nösen Preisdruck. Aktuell drohen die Betriebe mit Stopp der Lieferungen an die Molkereien, wenn der Basispreis nicht auf betriebswirtschaftlich notwendige 40 Cent pro Liter erhöht und damit fast verdoppelt wird. Der aktuelle Preis ist infolge der durch überhöhte Quoten ausgelösten Überschüsse auf einem Dumping-Niveau angekommen, auf dem nur ganz wenige Milchviehbetriebe in einigen Regionen noch kostendeckend arbeiten können. Gleich- zeitig kosten die Exportsubventionen der EU sehr viel Geld. Offen ist, ob die Weltmarktangebote aus der EU das gesamte Preisniveau in der Welt drücken und damit sogar landwirtschaftliche Existenzen außerhalb Europas bedrohen. Die subventionierten Exporte von Milchpro- dukten tun dies ganz bestimmt. Auf der anderen Seite ist es über die Quoten in den vergangenen Jahren gelungen, die Milchproduktion in Regionen zu halten, die ohne die Quote schon längst keine Milchviehhaltung mehr hätten. Diese ist übrigens durchaus auch von touristischer Bedeutung. Über lange Jahre ist und war die Planbarkeit für die Milcherzeuger gewährleistet. Vielen Betrieben ist mit einer alleinigen Ausrichtung auf einen globalisierten Agrarmarkt nicht geholfen. Viele Landwirtinnen und Landwirte sind daher beunruhigt; die Meinungsvielfalt über die Quote ist in- nerhalb des Berufsstandes mindestens ebenso groß wie in der Politik. Die Lösung der Probleme liegt dabei nicht allein in der Abschaffung der Quote, obwohl das heutige System natürlich nicht zukunftsfähig ist. Wie eine Weiterent- wicklung der Milchproduktion in Europa aussehen sollte, bedarf gründlicher Überlegungen. Für viele pro- duktive Standorte ist sicherlich die Abschaffung der Quote und die völlige Freigabe des Milchmarktes eine interessante Option. Aber wäre das die Lösung für die vielfältigen, sehr unterschiedlichen Regionen Europas? Muss nicht über Lösungen nachgedacht werden für Ge- biete, in denen die Milcherzeugung eine Grundlage schafft für weitaus mehr als für einen anonymen globa- len Wettbewerb um den „Rohstoff“ Milch? Mit einem vorschnellen Beschluss zum Ausstieg aus der Milchquote ohne Wenn und Aber und ohne eine Be- gleitung der Betriebe in eine Zukunft, die eine nachhal- tige Entwicklung bietet, werden ländliche Räume zer- stört und Perspektiven verbaut. Eine solche Lösung lehnt Die Linke ab. Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Beim Thema Milch wird die Diskussion häufig allzu sehr auf die Frage der Beibehaltung oder Abschaffung der Milch- quoten nach 2014 verkürzt. So auch im vorliegenden Antrag der FDP-Fraktion. Dabei geraten die Bedräng- nisse und Sorgen, unter denen viele Milchbauern und Milchbäuerinnen heute leiden, leicht aus dem Blick. Fakt ist: Der Verfall des Milchpreises bedroht immer mehr Milchviehbetriebe in ihrer Existenz. Dieses Pro- blem wird durch die von der Bundesregierung zu verant- wortenden drastischen Kürzungen bei den Fördermitteln Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 7975 (A) (C) (B) (D) der zweiten Säule und den Wegfall von Landesförderun- gen für die Grünlandregionen dramatisch verschärft. Von dieser politischen Verantwortung für die heutige Situa- tion der Milchbäuerinnen und Milchbauern dürfen De- batten über die Zukunft der Milchquote nicht ablenken. Richtig ist: Wir müssen uns auf ein Auslaufen des Milchquotensystems zum Milchwirtschaftsjahr 2014/ 2015 einstellen. Das heißt aber, wir müssen als Politik klarstellen, was an die Stelle des Quotensystems treten und wie es mit der Milchwirtschaft weitergehen soll. Aus Sicht meiner Fraktion stehen dabei drei Grund- sätze im Mittelpunkt. Erstens muss sich unsere Politik in erster Linie an den aktiv wirtschaftenden Milchbauern orientieren, nicht an den Sofamelkern. Zweitens muss Milchwirtschaft auch in den Mittelge- birgsregionen möglich bleiben. Gerade dort ist eine nachhaltige Milchwirtschaft mit Blick auf Wirtschafts- struktur, Tourismus und ökologische Vielfalt unverzicht- bar. Und schließlich wollen wir eine natur- und tierge- rechte Milchviehhaltung gewährleisten. Die Industriali- sierung der Tierhaltung, die wir gerade bei den Schwei- nen erleben, kann und darf für die Kühe kein Vorbild werden. Es kann also nicht darum gehen, einfach nur die Milchquote abzuschaffen und alles weitere den Markt- kräften zu überlassen, wie sich die FDP das vorstellt. Not tut eine aktive und vorausschauende Politik, für die wir mehr Spielräume im Rahmen der zweiten Säule der Agrarförderung brauchen. Deshalb wird die grüne Frak- tion nicht nachlassen, die Kürzungen bei der zweiten Säule und die Blockadehaltung der Bundesregierung bei der fakultativen Modulation zu kritisieren. Das sind grundlegend falsche Weichenstellungen, die der Zu- kunftsfähigkeit der Landwirtschaft insgesamt schaden und ganz besonders den Milchbäuerinnen und Milchbau- ern! Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- cherschutz: Die Einführung der Milchquotenregelung im Jahr 1984 erfolgte als Reaktion auf eine nicht mehr kon- trollierbare Situation auf dem EU-Milchmarkt. Die La- gerbestände an Butter und Magermilchpulver erreichten ein Rekordniveau. Die Ausgaben für den EU-Milch- markt drohten, den Haushaltsrahmen zu sprengen. Der subventionierte Absatz der Überschüsse auf Drittlands- märkten führte in einem zunehmenden Maße zu Konflik- ten mit wichtigen Handelspartnern. Die EG-Kommission wie auch die Mehrheit der Mit- gliedstaaten waren damals der Auffassung – und jetzt zi- tiere ich –: „dass zur Wiederherstellung des Gleichge- wichts im Milchsektor eine Kontingentierung die wirksamste und in ihrer Auswirkung auf die Erzeuger einkommen die am wenigsten einschneidende Maß- nahme sei“. Angesichts der gesunkenen Milchpreise und der zu erwartenden veränderten Rahmenbedingungen – hier vor allem der Abbau von Exporterstattungen und des Außen- schutzes – wird in Politik und Milchwirtschaft die Frage nach der Zukunft der Milchquote intensiv diskutiert. Wachstumswillige Betriebe fordern die Abschaffung der Quotenregelung. Andererseits befürchten Milcher- zeuger auf weniger wettbewerbsfähigen Standorten das Aus der Milcherzeugung in diesen Regionen. Beide Ar- gumente nimmt die Bundesregierung sehr ernst. Die derzeitige Quotenregelung läuft mit dem Quoten- jahr 2014/15 aus, wenn zuvor keine andere Entschei- dung getroffen wird. Sollte man in der EU mehrheitlich zu der Auffassung gelangen, dass mit einem mengenre- gulierenden Instrument wie der Quotenregelung die künftigen Herausforderungen auf dem EU-Milchmarkt nicht bewältigt werden können, ist es nur logisch, keine andere staatliche Regulierung einzuführen. Nun zur zeitlichen Perspektive: Es ist davon auszuge- hen, dass die Zukunft der Quotenregelung im Rahmen des sogenannten Health Check im Jahr 2008 seitens der EU-Kommission thematisiert wird. Agrarkommissarin Fischer Boel hat wiederholt erklärt, dass sie die Quoten- regelung nicht mehr für zeitgemäß hält und eine Verlän- gerung über das Jahr 2015 hinaus ablehnt. Sie hat ange- kündigt, die Kommission werde Ende 2007/Anfang 2008 einen Bericht zum Milchmarkt vorlegen. Mit der Vorlage dieses Berichts durch die Kommission fällt auf EU-Ebene der Startschuss für eine intensive Diskussion der Milchproblematik. Selbstverständlich wird Bundesminister Seehofer im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft auch Ge- spräche mit seinen Kollegen aus anderen EU-Mitglied- staaten zur künftigen Ausgestaltung der EU-Milch- marktordnung führen. Er beabsichtigt, zur Frage, ob die Quotenregelung noch ein Zukunftsmodell für den EU- Milchmarkt sein kann, bis zum Sommer eine Position aus deutscher Sicht zu formulieren. Eine Bund/Länder-Arbeitsgruppe wird – wie von den Amtschefs von Bund und Ländern auf ihrer Konferenz am 18. Januar beschlossen – die mit einem möglichen Quotenausstieg im Zusammenhang stehenden Fragen aufarbeiten und zur Herbstkonferenz der Agrarminister Ergebnisse für die weitere Diskussion auf EU-Ebene vorlegen. Hier geht es vor allem darum, wie ein Quoten- ausstieg, insbesondere auch im Hinblick auf notwendige Begleitmaßnahmen, gestaltet werden kann. In diesem Zusammenhang wird auch geprüft, welche Möglichkeiten Bund und Länder haben, die Landwirt- schaft auf den Standorten zu stärken, auf denen bei wei- terer Reduzierung der Stützung im Milchbereich und Auslaufen der Quote die Einstellung der landwirtschaft- lichen Flächennutzung droht. Wir wollen die Landwirte dabei unterstützen, auch auf diesen Standorten wirt- schaftliche Perspektiven zu entwickeln. Wir brauchen die landwirtschaftliche Wertschöpfung in den Regionen. Was die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen betrifft, so hat die Politik der Bundesregierung bereits zu einer deutlichen Verbesserung der Einschätzung der wirt- 7976 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 (A) (C) (B) (D) schaftlichen Lage durch die Landwirte beigetragen. Diese Verbesserung in der Einschätzung ihrer Zukunfts- perspektiven wird auch von den Milchviehbetrieben mit- getragen. Dies zeigen Erhebungen des Konjunkturbaro- meters Agrar. Milch und Milcherzeugnisse sind zudem die bedeu- tendsten Produkte im Bereich des deutschen Außenhan- dels Land- und Ernährungswirtschaft. Im Jahr 2005 wur- den für 5,2 Milliarden Euro Milch und Milcherzeugnisse exportiert. Dies entsprach einem Anteil von rund 15 Pro- zent der gesamten deutschen Ausfuhren an Gütern der Land- und Ernährungswirtschaft. Schätzungen für das Jahr 2006 zeigen, dass sich die Situation weiter verbes- sert hat. Demnächst werde ich ein Branchengespräch führen, um weitere Möglichkeiten der Exportförderung auszuloten. Wir brauchen den Absatz auf den heimischen Märk- ten und in Drittländern, und dazu brauchen wir eine wettbewerbsfähige Milch- und Molkereiwirtschaft. Zu deren Entwicklung wird die Bundesregierung auch wei- terhin mit allem Nachdruck beitragen. Regionale land- wirtschaftliche Wertschöpfung mit oder ohne Milch und Dienstleistungen der Landwirtschaft insbesondere für die Landschaftspflege, den Artenschutz und den Touris- mus werden zukünftig die Standbeine der Landwirt- schaft in den benachteiligten Regionen sein. Die Bundesregierung wird darauf drängen, bei der EU wie bei den Ländern, dass die notwendigen Rahmenbe- dingungen dafür geschaffen werden. Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Rechts zur Anfechtung der Va- terschaft (Tagesordnungspunkt 21) Ute Granold (CDU/CSU): Wir befassen uns heute in erster Lesung mit dem Gesetzentwurf der Bundesregie- rung „Zur Ergänzung des Rechts zur Anfechtung der Va- terschaft“. Die CDU/CSU-Fraktion hatte bereits in der vergange- nen Legislaturperiode auf die Problematik hingewiesen. Daraufhin haben wir uns im Koalitionsvertrag darauf ge- einigt, gemeinsam einen entsprechenden Gesetzentwurf zu erarbeiten. Lassen Sie mich in einigen Worten den Hintergrund unserer Initiative skizzieren. Bei Scheinvaterschaften erkennt ein Mann eine Vater- schaft an, obwohl er weder der leibliche Vater ist noch zu dem Kind in einer sozial-familiären Beziehung steht. Konkret heißt das, dass Frauen ohne Chance auf ein Asyl- oder Aufenthaltsrecht in Deutschland ihr Kind zur Welt bringen und ein deutscher oder ein ausländischer Mann mit gesichertem Aufenthaltsstatus unmittelbar vor bzw. nach der Geburt die Vaterschaft anerkennt. Mit der Anerkennung erwirbt das Kind die deutsche Staats- angehörigkeit. Die Mütter erhalten hingegen ein von der deutschen Staatsbürgerschaft des Kindes abgeleitetes Aufenthaltsrecht. Das Gleiche gilt für etwaige weitere Kinder, die nach Deutschland nachreisen bzw. hier ver- bleiben dürfen. Darüber hinaus erlangen alle Beteiligten einen Anspruch auf Sozialgeld. Wenn die Vaterschaftsanerkennung ausschließlich auf Vorteile im Staatsangehörigkeits- und Ausländerrecht zielt und nicht um des Kindes willen geschieht, muss es möglich sein, diese missbräuchliche Vaterschaftsanerken- nung anzufechten. Da jedoch eine Anfechtungsmöglichkeit durch Behörden derzeit gesetzlich nicht geregelt ist, muss das Bürgerliche Gesetzbuch um ein Anfechtungs- recht für eine öffentliche Stelle ergänzt werden. Wir müssen vor dem Hintergrund der ständig zuneh- menden Missbrauchsfälle diese Gesetzeslücke nun zügig schließen. Allein im Zeitraum von Frühjahr 2003 bis Frühjahr 2004 betrug die Zahl der Verdachtsfälle des Leistungsmissbrauchs und der Erschleichung von Auf- enthaltstiteln bundesweit 1 694. Zudem lässt sich feststellen, dass immer stärker profes- sionelle Schleuserbanden in der organisierten Vermittlung von „Vaterschaften“ ein neues und lukratives Geschäfts- feld entdeckt haben, in dem mit geringem Risiko sehr hohe Profite zu erzielen sind. Auf die anerkennenden Väter kommt dabei mangels finanzieller Leistungsfähigkeit keinerlei Unterhaltsver- pflichtung und somit kein materieller Nachteil zu. Auch strafrechtliche Konsequenzen brauchen sie bislang nicht zu fürchten. Anders als bei der Scheinehe ist die Anerken- nung nicht-leiblicher Kinder aus sachfremden Motiven legal. Außerdem haben sich in jüngster Zeit die Berichte von im Ausland lebenden Deutschen verstärkt, die die Vaterschaft von dort lebenden ausländischen Kindern anerkennen. Auch diese erhalten in der Folge die deutsche Staatsbürgerschaft, was ihnen, ihren Müttern sowie etwa- igen Geschwistern die Möglichkeit eröffnet, in Deutsch- land zu leben. Besonders drastisch ist in diesem Zusam- menhang der Fall eines in Paraguay lebenden Deutschen, der dort und in anderen Ländern die Vater- schaft von mehr als 300 ausländischen Kindern anerkannt hat. Dies unterstreicht noch einmal deutlich die Dring- lichkeit einer entsprechenden gesetzlichen Regelung. Der vorliegende Gesetzentwurf bietet eine umsichtige und ausgewogene Lösung an. Wir beabsichtigen damit – wie bereits gesagt –, die Regelungen zur Anfechtung der Vaterschaft im Bürgerlichen Gesetzbuch um ein Anfechtungsrecht für eine öffentliche Stelle zu ergänzen. Die für die Anfechtung zuständige Behörde sollen die Länder entsprechend den Bedürfnissen selbst bestimmen können. Die Anfechtung ist danach nur erfolgreich, wenn zwi- schen dem Kind und dem Anerkennenden keine sozial- familiäre Beziehung besteht oder zum Zeitpunkt der Anerkennung bestanden hat. Dadurch wird verhindert, dass durch die Anfechtung eine vom Grundgesetz in Art. 6 geschützte Familie auseinandergerissen wird. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 7977 (A) (C) (B) (D) Außerdem setzt die Anfechtung voraus, dass durch die Anerkennung der Vaterschaft rechtliche Voraussetzungen für die erlaubte Einreise oder den erlaubten Aufenthalt des Kindes oder eines Elternteils geschaffen werden. Hier- durch wird sichergestellt, dass nur jene Missbrauchsfälle erfasst werden, die wir mit diesem Gesetz unterbinden wollen. Soweit das Familiengericht der Anfechtungsklage stattgibt, entfällt die Vaterschaft des Anerkennenden mit Rückwirkung auf den Tag der Geburt des Kindes. Mit dem vorliegenden Entwurf wird das Konzept der Kindschafts- rechtsreform von 1998 gewahrt. Die damalige Reform hatte die Elternautonomie gestärkt und die Entstehung von Familien gefördert, indem sie das Zustandekommen einer wirksamen Vaterschaftsanerkennung allein an die notariell beurkundete Erklärung des Vaters sowie der Zustimmung der Mutter knüpft. Dieser Gedanke wird mit dem neuen Anfechtungsrecht der Behörden dem Grunde nach nicht angetastet. Soziale Vaterschaften, also jene Beziehungen, bei denen zwischen dem Anerkennenden und dem Kind tatsächlich eine sozial-familiäre Beziehung besteht bzw. bestanden hat, bleiben auch in Zukunft geschützt. Nicht schützenswert sind jedoch solche Anerkennun- gen, die ausschließlich erfolgen, um ausländerrechtliche Vorteile zu erlangen. In diesem Zusammenhang gilt es auch zu beachten, dass die Folgen solcher missbräuchlichen Anerkennungen besonders für die betroffenen Kinder verheerend sind. Die Anerkennung durch den „falschen“ Vater vereitelt ihre Rechte auf Kenntnis ihrer Abstammung sowie auf den Umgang mit dem leiblichen Vater. Wir stehen nun am Beginn des Gesetzgebungsverfah- rens. Die CDU/CSU hofft, dass am Ende ein Gesetz auf den Weg gebracht werden kann, das die Missbrauchs- möglichkeiten verhindert. Klaus Uwe Benneter (SPD): Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wollen wir unsere Vereinbarung im Ko- alitionsvertrag umsetzen, den „Missbrauch von Vater- schaftsanerkennungen zur Erlangung von Vorteilen im Ausländer- und Staatsangehörigkeitsrecht … durch ge- eignete Maßnahmen, beispielsweise die Schaffung eines Anfechtungsrechts einer öffentlichen Stelle, (zu) unter- binden“. Durch die Kindschaftsrechtsreform von 1998 hat der Gesetzgeber die Elternautonomie gestärkt und die Ent- stehung von Familien gefördert, indem das Zustande- kommen einer wirksamen Vaterschaftsanerkennung al- lein an formgebundene Erklärungen des Vaters und der Mutter geknüpft ist. Damit hat sich der Gesetzgeber be- wusst davon verabschiedet, die Anerkennung an eine be- hördliche Zustimmung zu knüpfen. Es geht darum, den- jenigen anerkennenden Vater zu unterstützen, der Verantwortungsbereitschaft für das Kind zeigt und unter- haltspflichtig wird. Nicht schützenswert jedoch ist der anerkennende Mann, der erkennbar keinen väterlichen Bezug – weder sozial noch biologisch – zum Kind aufweist, sondern le- diglich die aufenthaltsrechtliche Konsequenz einer Va- terschaftsanerkennung zum Ziel hat. Im Zusammenhang mit dem Aufenthaltsstatus beteiligter Personen gibt es nämlich Fälle, in denen Männer eine Vaterschaft aner- kennen, die weder die biologischen Väter der Kinder sind noch ein soziales Vater-Kind-Verhältnis haben oder anstreben und zudem die aus einer Vaterschaft folgende Unterhaltspflicht mangels Leistungsfähigkeit nicht zu fürchten brauchen. Derartige Vaterschaftsanerkennun- gen sind vom Schutzzweck der Kindschaftsrechtsreform nicht gedeckt. Mir fehlt bislang jedoch ausreichend belastbares Zah- lenmaterial über die Größenordnung der Missbräuche in diesem Bereich. Auch wenn mir klar ist, dass es keine konkreten Zahlen geben kann, solange es an Rechts- grundlagen fehlt, die eine Erhebung solcher Zahlen er- möglicht, erwarte ich von der notwendigen Sachverstän- digenanhörung hierzu weitere Erkenntnisse. Die Innenminister der Länder haben für die Zeit vom 1. April 2003 bis zum 31. März 2004 bei ihren Auslän- derbehörden Fallzahlen erhoben. Danach wurde 1 694 unverheirateten ausländischen Müttern eines deutschen Kindes, die im Zeitpunkt der Vaterschaftsanerkennung ausreisepflichtig waren, aufgrund der Vaterschaftsaner- kennung ein Aufenthaltstitel erteilt. Selbstverständlich können diese Zahlen nicht belegen, in wie vielen Fällen es sich tatsächlich um missbräuchliche Vaterschaftsaner- kennungen handelt. Sie zeigen aber einen nicht unerheb- lichen Rahmen, in dem missbräuchliche Vaterschafts- anerkennungen stattfinden können. Es ist nicht unser Anliegen, einen Generalverdacht gegen binationale Familien zu konstruieren. Ganz im Gegenteil wollen wir die Einzelfälle aufdecken, um da- durch zielgenau derartige Ansinnen zu entkräften und das Ansehen der Kindschaftsreform und die Elternrechte zu stärken. Der Gesetzentwurf sieht ausdrücklich vor, dass die Behörden nur tätig werden müssen, wenn „kon- krete Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die Vo- raussetzungen für ein behördliches Anfechtungsrecht … vorliegen“. Das geplante behördliche Anfechtungsrecht stellt da- her gerade keinen Eingriff in die Eltern-Kind-Beziehung dar, da weder eine leibliche noch eine soziale Beziehung zwischen Kind und angeblichem Vater besteht. Es han- delt sich schließlich weder um den biologischen noch um den sozialen Vater. Damit kann auch keine Verlet- zung der Rechte aus Art. 6 Grundgesetz vorliegen. Auch Bedenken im Hinblick auf Art. 16 Abs. 1 Grundgesetz in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip verfangen meines Erachtens nicht. Das Erschleichen ei- ner Aufenthaltserlaubnis durch Täuschung kann keinen Vertrauenstatbestand begründen. Dass das Kind seine deutsche Staatsangehörigkeit nachträglich wieder ver- liert, ist logische Konsequenz. Die zeitliche Begrenzung der behördlichen Anfechtungsmöglichkeit muss hier Schutz vor unbilligen Härten bieten. Zu erörtern bleibt weiter, ob und wenn ja in welcher Weise dieser Verlust der Staatsangehörigkeit einer ausdrücklichen gesetzli- chen Regelung bedarf. 7978 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 (A) (C) (B) (D) Persönlich freue ich mich, dass wir eine Regelung ge- funden haben, die die herausragende und wichtige Auf- gabe der Jugendämter honoriert. Anders als andere Be- hörden werden die Jugendämter nur dann zu einer aufenthaltsrechtlichen Mitteilung verpflichtet, wenn da- durch die eigene Aufgabe nicht gefährdet ist. Die Ju- gendämter werden in ihrer Neutralität gestärkt. Hilfebe- dürftige Familien dürfen nicht abgeschreckt werden. Sie können weiter auf vertrauensvolle Zusammenarbeit bauen. Dieser sensible Bereich braucht behutsame Regelun- gen. Sowenig wie die Vaterschaftsanerkennung miss- braucht werden darf, sowenig dürfen Elternautonomie angetastet oder binationale Ehen unter Generalverdacht gestellt werden. An diesen Prämissen werden wir den vorliegenden Entwurf messen und beurteilen. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP): Die Bundesregierung greift mit diesem Gesetzentwurf in den Kernbereich familiärer und personeller Selbstbe- stimmung ein. Das uns heute zur ersten Beratung vorlie- gende Gesetz basiert auf Vermutungen, Unterstellungen und Misstrauen gegenüber nichtehelicher Elternschaft in binationalen oder ausländischen Familien. Es geht der Bundesregierung um bisher nicht belegte Fälle von Va- terschaftsanerkennungen, die angeblich nur getätigt wer- den, um entweder Kind und Mutter oder dem anerken- nenden Vater einen gesicherten Aufenthaltsstatus in Deutschland zu ermöglichen. Dies soll durch ein Vater- schaftsanfechtungsrecht staatlicher Behörden verhindert werden. Als Grundlage für die Notwendigkeit dieses Gesetz- entwurfs wird vor allem eine Zahl angeführt: 1 694. Die Zahl stammt aus einer Erhebung bei Ausländerbehörden im Zeitraum vom l. April 2003 bis 31. März 2004 und umfasst die Anzahl der unverheirateten ausländischen Frauen, die im Zeitpunkt einer Vaterschaftsanerkennung ausreisepflichtig waren und einen Aufenthaltstitel erhiel- ten. Wie die Bundesregierung in der Begründung des Gesetzentwurfs zugibt, belegen diese Zahlen nur eines: Die Zahl der ausländischen unverheirateten Frauen, die zur Ausreise verpflichtet waren, als ein Mann ihr Kind als das seinige anerkannte. Diese Zahl kann nicht bele- gen, dass diese Anerkennungen missbräuchlich waren und nur getätigt wurden, um Mutter und Kind den Auf- enthalt in Deutschland zu ermöglichen. Über diese Zahl hinaus hat die Bundesregierung bis heute keine weiteren Daten oder Studien vorgelegt, die ansatzweise einen sol- chen Missbrauch belegen können. Staatliche Eingriffe in dem geplanten Umfang können auf der bisherigen Da- tengrundlage aus meiner Sicht nicht begründet werden. Die Idee eines Vaterschaftsanfechtungsrechts für staatliche Behörden zur Bekämpfung angeblicher miss- bräuchlicher Vaterschaftsanerkennungen ist nicht neu. Vaterschaftsanerkennungen zum Erhalt der Staatsange- hörigkeit und von Aufenthaltsrechten prangerte bereits die Unions-Fraktion in der vergangenen Wahlperiode an und forderte ein Anfechtungsrecht für Behörden. Diese Forderung der Union stieß damals nicht nur auf Ableh- nung der FDP, sondern auch auf Ablehnung der SPD. Ich darf Kollegin Fograscher an dieser Stelle zitieren: Es „wird ein Teil der Bevölkerung unter Generalverdacht genommen, denn es ist nicht gesichert, ob es sich bei diesen Zahlen wirklich um Scheinvaterschaften handelt oder die anerkennenden Väter nicht doch die biologi- schen Väter sind.“ Hier muss ich der Kollegin der SPD recht geben – warum sehen Sie das heute anders? Denn damals hielten sie einen „derart massiven Eingriff in das seit 1998 geltende neue Kindschaftsrecht“ auf „dieser ungesicherten Datenlage“ für „nicht vertretbar“. Die Zahlen des damaligen Antrags der Union bilden nun die Grundlage des Gesetzentwurfs. Wieso sind diese Zahlen nun eine ausreichende und sichere Datenlage? Und noch etwas anderes macht stutzig: Wenn von an- geblichen Missbrauchsfällen eine Notwendigkeit für gravierende Gesetzesänderungen abgeleitet wird – wie ist es zu erklären, dass der Gesetzentwurf auf alten Zah- len aus den Jahren 2003/2004 basiert und zwischenzeit- lich keine „gesicherte Datenlage“ geschaffen wurde? Nun zu den geplanten Änderungen: Staatliche Behör- den sollen das Recht bekommen, bestimmte Vater- schaftsanerkennungen vor Gericht anzufechten. Be- schränkt wird dieses Anfechtungsrecht auf die Anerkennungen, durch die die rechtlichen Voraussetzun- gen für eine erlaubte Einreise oder den erlaubten Aufent- halt des Kindes oder eines Elternteiles geschaffen wer- den können. Damit kommt dieses Anfechtungsrecht den Behörden nur zu, wenn entweder Mutter und Kind oder der Vater nicht deutsche Staatsangehörige sind oder kei- nen gesicherten Aufenthalt in Deutschland haben. Der Anfechtung vorgeschaltet sind Misstrauen gegenüber bi- nationalen und ausländischen Familien. Diese werden einem nicht zu akzeptierenden Generalverdacht unter- worfen. Eine weitere Voraussetzung einer für die Behörde er- folgreichen Vaterschaftsanfechtung ist, dass zwischen dem Kind und dem Anerkennenden keine sozial-famili- äre Beziehung besteht oder im Zeitpunkt der Anerken- nung oder des Todes bestanden hat. Dieser Tatbestand ist zum einen unklar und stellt zum anderen nicht nur für die Praxis der Verwaltungsbehörden, sondern vor allem für alle binationalen und ausländischen Familien eine große Unsicherheit dar. Eine Erforschung der Abstam- mung und der familiären Lebenssituation wird als Regel- fall die Folge der geplanten Gesetzesänderungen sein. Die künftigen massiven Eingriffe und Nachforschungen in der Intimsphäre der Familien sind durch Interessen des Allgemeinwohls nicht gerechtfertigt. Es ist vielmehr zu befürchten, dass eine ausländische oder binationale Familie, in der die Eltern nicht verheiratet sind, sich nur von dem Generalverdacht befreien kann, indem sie den Ausländerbehörden oder Standesämtern eine tatsächli- che genetische Vaterschaft nachweist. Dies kann nicht hingenommen werden. Die Auswirkungen und Ziele des Gesetzentwurfs wer- den auch durch die historische Entwicklung des Kind- schafts- und Abstammungsrechts deutlich: Der deutsche Gesetzgeber hat unter Regierungsbeteiligung der Libera- len mit der Kindschaftsreform 1998 deutlich gemacht, dass staatliche Interventionen in Kernbereiche der Fami- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 7979 (A) (C) (B) (D) lie – zu denen ohne Zweifel auch die Frage der Vater- schaft und der Vaterschaftsanerkennung gehört – keinen Platz in einem modernen Familien- und Abstammungs- recht haben. Wie der heute zu beratende Gesetzentwurf zutreffend feststellt, wurde mit gutem Grund die bis da- hin bestehende Bevormundung der Mutter eines nicht- ehelich geborenen Kindes durch die Amtspflegschaft des Jugendamtes abgeschafft und die Rechte der Mutter ge- stärkt. Wie die Gesetzesbegründung weiterhin richtig feststellt, sollte der Mutter eines nichtehelichen Kindes nicht weiter Misstrauen entgegengebracht werden. Nun will die Bundesregierung dieses Vertrauen wieder ein- schränken – aber nur bei Beteiligung von Ausländern, und dies in Zeiten des Antidiskriminierungsgesetzes. Wie erklären Sie diese so offensichtliche Diskriminie- rung und Stigmatisierung nichtehelicher Kinder binatio- naler und ausländischer Eltern? Denn die Rechte, die den unehelichen Kindern binationaler oder ausländischer Eltern durch eine staatliche Anfechtung genommen wer- den, bleiben bei ehelichen Kindern aus ausländischen und binationalen Familien bestehen. Eine Ungleichbe- handlung nichtehelicher Kinder und nichtehelicher El- ternschaft ist nicht vertretbar. Verfassungsrechtliche Bedenken sind ein weiterer As- pekt bei diesem Gesetzentwurf, sowohl in Bezug auf das Elternrecht, gem. Art. 6 Abs. 2 GG als auch hinsichtlich Art. 6 Abs. l GG. Eltern-Kind-Gemeinschaften sind in- sofern geschützt, als sie ihre Gemeinschaften in familiä- rer Verantwortlichkeit und Rücksicht frei gestalten können. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesver- fassungsgerichtes ist das Verhältnis des Kindes – auch des nichtehelichen – sowohl zu seiner Mutter als auch zu seinem Vater geschützt. Der Anerkennung einer Vater- schaft folgen Unterhalts- und erbrechtliche Ansprüche des Kindes. Diese Rechte werden dem Kind genommen, wenn der Staat die Vaterschaftsanerkennung erfolgreich anficht. Dies kann nicht die Absicht des Gesetzgebers sein, der sich seit Jahrzehnten bemüht, das Kindeswohl zu wahren und zu fördern. Eines ist am Ende der ersten Lesung in aller Deutlich- keit festzuhalten: Eine Stigmatisierung und Diskriminie- rung binationaler und ausländischer Familien ist mit der FDP nicht zu beschließen. Wenn sich Missbräuche im relevanten Maße nachweisen ließen, stehen wir der Dis- kussion über Lösungswege offen – das Abstammungs- recht ist hier aber der falsche Weg. Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Die Debatte um Scheinasylanten und Scheinehen erlebt heute ihre Fortsetzung. Die Union und SPD beabsichtigen, ein neues Feld zu eröffnen, auf dem sie Menschen mit aus- ländischer Staatsangehörigkeit des Missbrauchs guten deutschen Rechts verdächtigen können: die Scheinväter. Nach dem Asylrecht und der Ehe ist nun die Vaterschaft an der Reihe. Zukünftig können deutsche Behörden bi- nationale Paare einer ganzen Prozessur an Verdächtigun- gen, Befragungen und Entrechtung unterwerfen. Ideologisch lässt der hier vorliegende Gesetzentwurf das Bild des Asylmissbrauchs wieder aufleben. Praktisch ist der Kampf gegen die sogenannte Scheinvaterschaft eine weitere Maßnahme, um den Familiennachzug einzu- schränken. Dabei wird hier ein Gesetzentwurf vorgelegt, ohne dass überhaupt eine empirische Datenbasis exis- tiert, die die Häufigkeit von Scheinvaterschaften begrün- den kann. Den Umgang der Bundesregierung mit dem Mangel an empirischen Daten halte ich für höchst unse- riös. Denn der Gesetzentwurf heizt die Debatte mit be- achtlich hohen Zahlen auf. Warum tut sie dies, wenn sie gleichzeitig einräumt, dass diese Zahlen lediglich die un- verheirateten Mütter eines deutschen Kindes zusammen- fassen, die über eine Vaterschaftsanerkennung einen Auf- enthaltstitel erhielten? Die Bundesregierung tut das, weil sie diese Personengruppe generell unter Generalverdacht stellen will. Außerdem bringt das BMJ in einer Presse- mitteilung ein drastisches Beispiel eines Obdachlosen, der für eine Scheinvaterschaft Geld kassiert. Gleichzeitig sollen hier angeblich organisierte Strukturen am Werke sein – nachzulesen auf Seite 11 des Gesetzentwurfs. Diese Zahlen und diese Beispiele werden von der Presse gerne aufgegriffen, ohne dass sie auf real nachgewiese- nen Tatsachen beruhen. Das ist kein seriöser Umgang mit dem Thema, sondern ein Missbrauch von Zahlen. Der Gesetzgeber ist auch nicht daran interessiert, wahrheits- widrige Vaterschaftsanerkennungen grundsätzlich zu be- seitigen. Denn allein binationalen Partnerschaften wer- den unter einen Generalverdacht der Scheinvaterschaft gestellt. Die Konsequenzen dieses Generalverdachts sind für die Betroffenen gravierend. Um den Missbrauch von einigen wenigen zu bekämpfen, werden wichtige Grund- rechte von binationalen Familien eingeschränkt. Denn eins ist klar: Auch wenn der Gesetzentwurf so tut, als ob der Tatbestand der sozial-familiären Beziehung eindeutig bestimmt ist, ist dem realiter nicht so. Letztendlich müs- sen die Behördenmitarbeiter beurteilen und interpretie- ren, ob tatsächlich Verantwortung übernommen wird oder eine Scheinvaterschaft vorliegt. Ich möchte hier niemandem willkürliches Verhalten unterstellen, aber dieses Gesetz regt Standes- und Ju- gendämter sowie die Ausländerbehörden gerade zum Misstrauen an, weil es die Straftat voraussetzt. Es macht Vermutungen zu einem notwendigen Bestandteil, um ein Verfahren einzuleiten. Schon jetzt ist vorauszusehen, dass unzählige binationale Eltern zu Unrecht betroffen sein werden. Und wie wir das aus der deutschen Ge- schichte bereits kennen, wird es immer Bürgerinnen und Bürger geben, die Gesetze dafür nutzen, Unschuldige zu denunzieren. Allein schon der Verdacht hätte aber für die Betroffe- nen weitreichende Einschränkungen von Grundrechten zur Folge. So kann für die Dauer eines Verfahrens die Verlängerung eines Aufenthaltstitels ausgesetzt werden oder eine Familienzusammenführung unterbleiben. Für äußerst problematisch halte ich außerdem die allgemeine Mitteilungspflicht von öffentlichen Stellen an die Aus- länderbehörde bei Verdacht auf Scheinvaterschaften. Ich erachte es politisch für falsch, aufenthaltsrechtliche Kontrollfunktionen auf Behörden zu verlagern, die einen ganz anderen gesellschaftlichen Auftrag besitzen und deren Arbeit auf einem Vertrauensverhältnis beruht. Hiermit meine ich vor allem das Jugendamt, aber auch Kindertagesstätten würden darunter fallen. 7980 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 (A) (C) (B) (D) Das eigentliche Problem mit den Scheinvaterschaften ist ein ganz anderes. Sie sollten sich mal die Frage stel- len, warum Menschen überhaupt Scheinvaterschaften eingehen. Warum klammern sich Menschen, die hier seit Jahren leben und von Abschiebung bedroht sind, an je- den Strohhalm, der sich ihnen bietet? Die Bundestags- fraktion Die Linke hält das restriktive Aufenthaltsgesetz für das eigentliche Problem: Erst eine Politik, die Ein- wanderung verhindert, Flüchtlingen kaum noch Schutz vor Verfolgung bietet, die Abschiebemaschinerie ankur- belt und ein dauerhaftes Bleiberecht verweigert, zwingt Menschen dazu, solche Rechtslücken zu nutzen. Statt den Generalverdacht gegen binationale Paare zu schü- ren, sollten Sie die Aufenthaltsmöglichkeiten verbes- sern. Damit würden Sie mal was Sinnvolles tun. Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜ- NEN): Ein zentraler Schwachpunkt des vorliegenden Entwurfs eines Gesetzes der Bundesregierung zur Er- gänzung des Rechts auf Anfechtung der Vaterschaft ist es, dass die Bundesregierung nicht imstande ist, darzule- gen, ob es in Deutschland überhaupt in relevantem Um- fang den behaupteten Missbrauch von Vaterschaftsaner- kennungen gibt. Die Zahlen, auf die sich der Gesetzentwurf stützt, können nämlich – so auf Seite 11 in der Gesetzesbegründung – „nicht belegen, in wie vie- len Fällen es sich tatsächlich um missbräuchliche Vater- schaftsanerkennungen handelt (...) Sie zeigen aber einen nicht unerheblichen Rahmen, in dem missbräuchliche Vaterschaftsanerkennungen stattfinden können.“ Ein Ge- setz zur Ergänzung des Rechts auf Anfechtung der Va- terschaft bedarf aber einer validen rechtstatsächlichen Datengrundlage über das Phänomen, das man bekämp- fen möchte, und keine hypothetischen Vermutungen über einen möglicherweise stattfindenden Rechtsmiss- brauch. Schließlich ist der Gesetzentwurf mit gravieren- den Eingriffen in die Persönlichkeitsrechte der Betroffe- nen verbunden. Die Ermächtigung einer – von den Bundesländern zu bestimmenden – Behörde zur Anfechtung der Vater- schaft schwächt überdies die seit 1961 schrittweise er- reichte familienrechtliche Absicherung der Elternauto- nomie. Die Elternautonomie gewährleistet insbesondere § 1595 BGB, der für die wirksame Vaterschaftsanerken- nung allein die formgebundenen Erklärungen des aner- kennenden Vaters und der Mutter verlangt. Um vermute- ten ausländerrechtlichen Belangen Rechnung zu tragen, lässt der Entwurf der Bundesregierung das 1961 abge- schaffte Anfechtungsrecht öffentlicher Stellen wieder aufleben. Auf diese Weise werden schwerwiegende Ein- griffe in den Bestand der Familie und die Elternautono- mie möglich, die das Familienrecht nicht zuletzt auch mit der Kindschaftsreform gegen Eingriffe staatlicher Behörden abgesichert hatte. Die im Entwurf vorgesehene Ermächtigung staatli- cher Behörden zur Anfechtung der Vaterschaft stellt die Elternautonomie infrage, ohne dass vorrangige schutz- bedürftige familiäre Beziehungen diesen Eingriff recht- fertigen. Das vorgeschlagene Mittel des behördlichen Anfechtungsrechtes ist zur Abwehr des behaupteten Missbrauchs weder erforderlich noch angemessen. Die Bundesregierung hat es weiterhin nicht geschafft, das zentrale Problem ihres Anliegens, nämlich die be- hördliche Beweis- und Begründungspflicht im Zusam- menhang mit der Anfechtung einer Vaterschaft, zu lösen. Bei der von der Bundesregierung vorgeschlagenen Lö- sung darf es aus unserer Sicht keinesfalls bleiben; denn diese stellt Eltern, die nur über einen unsicheren Aufent- haltsstatus verfügen, unter einen unzulässigen Gene- ralverdacht. Auch Menschen mit ungesichertem Auf- enthaltsstatus, mit finanziellen und psychischen Schwierigkeiten versuchen, ein ganz normales Leben zu führen. Sie verlieben sich, gehen Beziehungen ein und gestalten diese. Wenn dabei Bindungen mit einem Deut- schen entstehen, dürfen diese nicht generell unter dem Verdacht des Erschleichens von Vorteilen gesehen wer- den. Aus der Gesetzesbegründung wird ersichtlich, dass die anfechtungsberechtigte Behörde im Hinblick auf ihre Darlegungslast einseitig begünstigt wird; Sie muss ledig- lich „Umstände“ vortragen, die gegen die Vaterschaft sprechen. Hierfür soll es – so die Gesetzesbegründung weiter – schon genügen, wenn die Anfechtungsbehörde das (Nicht-)Vorliegen des Zusammenlebens in häusli- cher Gemeinschaft in Beziehung setzt zur aus fänder- rechtlichen Situation der Beteiligten. Soweit dies ge- schehen ist, sei es Aufgabe der Anfechtungsgegner, zu ihrer Beziehung im Einzelnen vorzutragen. Darüber hinaus kann der Umstand, dass keine häusli- che Gemeinschaft vorliegt oder noch keine sozial-fami- liäre Beziehung aufgebaut wurde, allein nicht ausrei- chend sein für ein Anfechtungsrecht des Staates. Es kann hierfür eine Vielzahl objektiver Gründen geben, etwa wenn sich ein Elternteil im Ausland befindet. Völlig aus dem Blick geraten sind bei dem Gesetzent- wurf die Kinder und damit die Achtung des Kindes- wohls. Die Kinder werden durch Anfechtungsverfahren ihrer Väter beraubt, ohne einen anderen Vater als Be- zugsperson zu erhalten. Sie werden für wahrheitswidrige Angaben ihrer Mütter bestraft, auch noch nach Jahren, und dies härter als die verursachenden Personen, ob- gleich sie nichts dazu beigetragen haben. Die Kinder können nicht in Rechtssicherheit aufwachsen, da diese nur vermeintlich besteht. Gleichwohl fühlt sich das Kind dieser Gesellschaft zugehörig und wird in dieser soziali- siert. Der vorliegende Gesetzentwurf steht daher dem Kindeswohl in vielen Punkten entgegen. Der vorliegende Gesetzentwurf stellt eine bestimmte spezielle Personengruppe unter Generalverdacht, rechtli- che Vorteile durch wahrheitswidrige Angaben zu erlan- gen. Bei einer derart niedrigen Verdachtsschwelle, wie sie die Bundesregierung vorschlägt, wird praktisch jede soziale Vaterschaft für ein Kind, dessen Mutter lediglich über einen unsicheren Aufenthaltsstatus verfügt, mit ei- ner Anfechtungsklage rechnen müssen, wenn Vater und Kind nicht zusammenleben – und dies, obwohl bislang nur Einzelfälle bekannt geworden sind. Wir sind klar gegen ein Zurückdrehen der Kind- schaftsrechtsreform. Der Gesetzgeber hatte damals bei dieser Reform bewusst auf eine behördliche Beteiligung bei der Vaterschaftsfeststellung unehelicher Kinder ver- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 7981 (A) (C) (B) (D) zichtet und damit die Rechte der Mütter gestärkt. Staatli- che Stellen haben weder bei ehelichen noch bei uneheli- chen Kindern von Deutschen das Recht, die Vaterschaft des biologischen oder auch des sozialen Vaters in Zwei- fel zu ziehen. Gleiches muss auch für die Kinder von ausländischen Vätern oder Müttern und binationale Paare gelten. Wir lehnen den vorliegenden Gesetzesent- wurf daher ab. Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz: Der vorliegende Gesetzent- wurf hat viel mit der Kindschaftsrechtsreform von 1998 zu tun, die seit über acht Jahren mit viel Engagement umgesetzt wird. Die Reform hat die Elternautonomie ge- stärkt und die Entstehung von Familien gefördert, weil unsere Gesellschaft Kinder braucht und weil Kinder Vä- ter brauchen. Die Vaterschaftsanerkennung ist deshalb nicht mehr von einer staatlichen Überprüfung oder gar Genehmigung abhängig. Damit fördern und schützen wir gemäß dem Auftrag des Grundgesetzes die leibli- chen wie die sozialen Vaterschaften. Soziale Vaterschaft bedeutet aber, die elterliche Ver- antwortung tatsächlich und nicht nur auf dem Papier zu übernehmen. Die Länder haben hier in ihrer Verwaltungs- praxis eine problematische Entwicklung festgestellt und den Sachverhalt in der Innenministerkonferenz aufgear- beitet. Es gibt Vaterschaften, die nur aus einem einzigen Grund anerkannt werden: um staatsangehörigkeits- und ausländerrechtliche Vorteile zu erlangen. Die Vaterschaft wird nur zum Schein anerkannt und ist nicht auf ein Va- ter-Kind-Verhältnis gerichtet. Die Unterhaltspflichten brauchen den Scheinvater oft mangels Leistungsfähig- keit nicht weiter zu kümmern. Das ist ein Missbrauch der Kindschaftsrechtsreform und gefährdet die Akzep- tanz dieser Reform. Deshalb hat die Bundesregierung eine Ergänzung des Anfechtungsrechts vorgelegt. Bei diesem Gesetz handelt sich um ein sensibles Un- terfangen. Wir mussten das Anfechtungsrecht zielgenau auf die zweckwidrigen Vaterschaftsanerkennungen rich- ten, damit wir nicht in die Rechte der Familien eingrei- fen. Die Reaktionen des Bundesrates und vieler Fachver- bände bescheinigen uns, dass dieses Ziel erreicht worden ist. Die Anfechtung der Vaterschaft kann nur Erfolg ha- ben, wenn erstens der Anerkennende nicht der biologi- sche Vater des Kindes ist, wenn zweitens zwischen dem Kind und dem Anerkennenden keine sozial-familiäre Beziehung besteht oder im Zeitpunkt der Anerkennung bestanden hat und drittens die Vaterschaftsanerkennung tatsächlich ausländerrechtliche Vorteile nach sich gezo- gen hat. Ich betone: Auf Ablehnung stößt dabei nicht der legi- time Wunsch ausländischer Menschen nach einem gesi- cherten Aufenthalt in Deutschland. Missbilligt wird aber der Missbrauch einer Vaterschansanerkennung für diese Zwecke. Wenn das Vorhaben gleichwohl bei manchen Verbän- den auf Ablehnung stößt, liegt das vor allem an der Sorge vor einem „Generalverdacht“ gegen binationale Familien und Partnerschaften. Wir haben diese Kritik sehr ernst genommen und jedes Detail unseres Entwurfs in den letzten Monaten nochmals sorgfältig auf den Prüf- stand gestellt, ob es entweder die Effektivität des Geset- zes gefährden oder aber umgekehrt über das Ziel hinaus- schießen und binationale Familie beinträchtigen kann. Die Bestimmung der anfechtungsberechtigten Be- hörde haben wir dabei aus guten Gründen den Ländern überlassen. Die Stellungnahmen zum Gesetzentwurf ha- ben uns sehr deutlich gemacht, dass auf Länderebene ganz verschiedene Lösungen sachgerecht sein können. Ich bin zuversichtlich, dass der Gesetzentwurf der Bundesregierung eine gute Grundlage für zügige und zielführende Beratungen im Bundestag sein wird. Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Heimbericht im Bundestag diskutieren – Missstände offenlegen und bekämpfen (Tagesordnungspunkt 22) Markus Grübel (CDU/CSU): Wir beschäftigen uns mit einem Antrag der Fraktion Die Linke, der – das ist keine Frage – ein sicherlich bedeutsames Thema, näm- lich das Heimrecht bzw. den Heimbericht, anspricht, je- doch ist der Bundestag für diesen Antrag der falsche Adressat. Daher – ich schicke es gleich voraus – lehnen wir den Antrag ab. Man kann ja gerne unterschiedlicher Ansicht darüber sein, ob es richtig war, das Heimrecht weitgehend auf die Länder zu übertragen. Aber es ist nun einmal Fakt, dass mit dem Inkrafttreten der Föderalismusreform die öffentlichrechtlichen Vorschriften des Heimrechts, zu denen auch die Berichtspflicht gemäß § 22 des Heimge- setzes gehört, in die ausschließliche Gesetzgebungskom- petenz der Länder übergegangen sind. Sowohl Bundes- tag als auch Bundesrat sind damit für diese Materie nicht mehr die zuständigen gesetzgebenden Körperschaften. Im Übrigen wurde diese Frage schon einmal im Plenum – im Rahmen einer Fragestunde vor zwei Monaten – ausführlich debattiert. Abgesehen von der rechtlichen Sachlage würde es kaum Sinn machen, über etwas zu diskutieren, für das man nicht mehr zuständig ist und bei dem man folglich auch keine Gestaltungsmöglichkeiten mehr besitzt. Es wäre sicherlich auch nicht angemessen, gegenüber der Öffentlichkeit Eindruck zu erwecken, dass der Bund noch eine Zuständigkeit besäße. Die Schlussfolgerungen oder besser gesagt die politi- schen Konsequenzen müssen zukünftig die Länder zie- hen. Da muss man einfach einmal abwarten. Nach mei- nen Informationen haben die Länder zwar noch keine eigenen Heimgesetze verabschiedet; ich bin aber sehr zuversichtlich, dass die Länder mit den Informationen des Heimberichts sorgfältig umgehen, sie bewerten wer- den und dann auch die notwendigen und richtigen Kon- sequenzen ziehen werden. Es gibt keinen Grund, an dem Gestaltungswillen bzw. der Kompetenz der Länder zu zweifeln. 7982 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 (A) (C) (B) (D) Der Heimbericht, der sich aufgrund einer komplexen Auswertung von Daten- und Zahlenmaterial um ein Jahr verzögerte, ist seit Mitte Oktober 2006 als Onlinepubli- kation auf der Homepage des BMFSFJ eingestellt und damit für alle Interessierten öffentlich zugänglich. Hie- rüber wurden auch die Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Die Linke in Kenntnis gesetzt. Zudem haben alle Mitglieder des zuständigen Ausschusses ein Druck- exemplar erhalten. Damit wurde meines Erachtens aus- reichend Öffentlichkeit gewährt. Zur Qualitätssicherung in Heimen möchte ich Folgen- des anmerken: Entgegen ihrer Wertung kommt der Heimbericht auf Seite 2 Mitte zu folgender Einschät- zung: Die Qualität der stationären Versorgung ist, wie die Fakten dieses Berichts belegen, erheblich besser als es öffentlich geführte Debatten und einzelne Berichte gele- gentlich vermuten lassen. Gute Pflege und Betreuung ist möglich und wird in den Heimen grundsätzlich auch praktiziert. Der Heimbericht belegt eindeutig, dass sich die Be- dingungen für ältere Menschen in Heimen stetig verbes- sert haben: Der steigende Anteil an Einzelzimmern trägt dem Bedürfnis nach Privatheit Rechnung. Moderne und bewohnerfreundliche Standards werden beim Neubau und bei der Renovierung von Einrichtungen stationärer Altenhilfe zugrunde gelegt. Die sogenannten neuen Wohnmodelle, in denen die Bewohnerinnen und Bewoh- ner ihren Alltag weitestgehend eigenständig gestalten können, breiten sich immer mehr aus. In den Kernberei- chen der Pflege und Betreuung wurde in den vergange- nen Jahren mehr Personal eingesetzt. Die gesetzlich vorgeschriebene Fachkraftquote wird in allen Bundes- ländern erfüllt. Bei den Einrichtungsträgern und ihren Verbänden haben Fragen der Qualitätssicherung und des Qualitätsmanagements einen hohen Stellenwert, sodass erforderliche Änderungen in der Betriebsorganisation der Heime zum Wohl der Bewohnerinnen und Bewohner umgesetzt werden können. Neben diesen Verbesserungen im Bereich der Heim- versorgung nimmt der Bericht auch künftige Herausfor- derungen und noch bestehende Defizite stationärer Ver- sorgung und Pflege in den Blick: So sollen bestimmte, auf demenzerkrankte ältere Menschen ausgerichtete Be- treuungskonzepte überall feste Bestandteile der Heim- versorgung werden. Zudem werden Ansätze zur Verbes- serung der Sterbebegleitung und der palliativen Versorgung gesehen. Befürchtungen, dass mit der Verlagerung der Gesetz- gebungskompetenz für das Heimrecht auf die Länder ge- mäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG ein Qualitätsverlust ver- bunden sein könnte, teile ich nicht. Mehr Wettbewerb kann auch zu höheren Qualitätsgewinnen führen. Im Üb- rigen ist die Umsetzung des Heimgesetzes und damit die Auslegung der im Heimrecht verankerten Standards schon immer eigenverantwortliche Angelegenheit der Länder gewesen. Mit Blick auf die jetzt anstehende Reform der Pflege- versicherung ist eine Diskussion über den künftigen Stellenwert stationärer Versorgung unverzichtbar. Eine wichtige Aufgabe bleibt die Entbürokratisierung in der Pflege, damit die Qualität der stationären Versorgung er- halten und auch bezahlbar bleibt. In nicht allzu langer Zeit werden wir uns an dieser Stelle darüber unterhalten, wie man das Ziel erreichen kann, die stationäre Heim- versorgung so zu gestalten, dass Lebensqualität, Würde und Selbstbestimmung auch vor dem Hintergrund der tiefgreifenden Veränderungen aufgrund des demografi- schen Wandels garantiert bleiben. Zur angeführten Kritik eines UN-Ausschusses aus dem Jahr 2001, die in der deutschen Öffentlichkeit große Aufmerksamkeit erregte und mitunter zu einer Verunsi- cherung älterer Menschen führte, möchte ich gerne Fol- gendes anmerken: Die Zahlenangaben in Bezug auf Pfle- gemängel waren nicht hinreichend valide, das wurde auch von der Mehrzahl der Länder bestätigt. Im Prinzip handelte es sich damals um pauschale Vorwürfe, die nicht belegt werden konnten. Mängel und Missstände gab und gibt es immer wieder; das kann man nicht in Gänze verhindern. Man kann aber dafür sorgen, dass sich die Situation in Pflegeheimen verbessert. Das hat die damalige Bundesregierung mit einer Reihe von Maß- nahmen auch getan. Sowohl das novellierte Heimgesetz als auch das Pflege-Qualitätssicherungsgesetz (PQsG) von 2002 waren Grundlage für eine verbesserte interne und externe Qualitätssicherung in den Pflegeeinrichtun- gen. Weiterhin wurde zur bundeseinheitlichen Ausbil- dung und zur Verbesserung des Berufsbildes der Alten- pflegerin und des Altenpflegers ein Altenpflegegesetz verabschiedet. Zudem wurden zur Umsetzung des Heim- gesetzes und des PQsG die Heimmindestbauverordnung zur Verbesserung der räumlichen Bedingungen und die Heimmitwirkungsverordnung erarbeitet. Daneben wur- den vielfältige Vorhaben und Projekte in Angriff genom- men, wie zum Beispiel die Entwicklung von Expertenstandards, die Expertise „Qualität in stationären Pflegeeinrichtungen“, das Modellprogramm „Altenhil- festrukturen der Zukunft“. Darüber hinaus wurden lang- fristig Gelder für die angewandte Pflegeforschung zur Verfügung gestellt. Alles in allem zeigt doch auch der jetzt vorgelegte Heimbericht, dass die Vorwürfe bzw. Behauptungen des UN-Ausschusses für wirtschaftliche, soziale und kultu- relle Rechte von 2001 für Deutschland nicht zutreffen. Wolfgang Spanier (SPD): Wir diskutieren und ent- scheiden heute über den Antrag der Fraktion Die Linke „Heimbericht im Bundestag diskutieren – Missstände offen legen und bekämpfen“. Um es gleich vorweg zu sagen: Die SPD-Bundestagsfraktion wird diesen Antrag ablehnen. Ich weiß, das könnte Anlass zu Missverständnissen und Fehlinterpretationen sein. Ist der erste Heimbericht der Bundesregierung so unwichtig, dass es sich für den Bundestag nicht lohnt, ihn zu debattieren? Hat die SPD- Bundestagsfraktion etwa kein Interesse, Missstände in Heimen offenzulegen und zu bekämpfen? Beides ist natürlich nicht der Fall. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 7983 (A) (C) (B) (D) Der Bericht über die Situation der Heime und die Betreuung der Bewohnerinnen und Bewohner verdient die besondere Aufmerksamkeit aller politisch Verant- wortlichen. Wir erwarten, dass er als Informationsquelle und als Planungsgrundlage von den Verantwortlichen in Politik, Praxis und Fachöffentlichkeit genutzt wird. Die Lebensqualität der Menschen, die in Heimen leben, ist für uns eine moralische, aber auch eine politische Verpflichtung. Selbstverständlich bedeutet das nicht nur, dass die Hinweise des Heimberichts auf Missstände und Mängel ernst genommen werden müssen, sondern dass alles getan werden muss, um diese zu beseitigen. Ich bin davon überzeugt, in dieser Einschätzung stimmen wir alle überein, über die Parteigrenzen hinweg. Der Bericht hätte bereits im Jahre 2004 vorgelegt werden müssen und wurde erst im Oktober 2006 auf der Homepage des Bundesministeriums für Frauen, Senioren, Familie und Jugend veröffentlicht. Er ist also der Öffent- lichkeit und damit allen politisch Verantwortlichen zugänglich. Alle Mitglieder unseres Fachausschusses haben selbstverständlich ein Druckexemplar erhalten. Die Bundesregierung verzichtete auf eine offizielle Weiterleitung des Berichts an den Deutschen Bundestag, da das Heimrecht nach der Föderalismusreform in die Gesetzgebungskompetenz der Länder übergegangen ist. Nach § 22 des Heimgesetzes muss das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend den gesetz- gebenden Körperschaften des Bundes berichten. Der Bund hat aber eben keine gesetzgebenden Kompetenzen mehr. An dieser Stelle will ich noch einmal ausdrücklich betonen: Die Fachpolitiker der SPD-Bundestagsfraktion wie auch der Union und – dessen bin ich mir sicher – aller Fraktionen des Bundestages wollten die Kompetenz für das Heimrecht beim Bund erhalten. Das war leider nicht durchsetzbar. Bis auf ganz wenige Ausnahmen haben die Bundesländer darauf bestanden, die gesetz- gebende Kompetenz für das Heimrecht übertragen zu bekommen. Entsprechend haben die Landesregierungen votiert – unabhängig von der parteipolitischen Konstel- lation, ob das Land Bayern, das Land NRW oder auch Berlin. Das Bundesministerium hat hier nur konsequent ge- handelt. Der Bundestag hat nun einmal nicht mehr die Gesetzgebungskompetenz. Natürlich könnte er über den Bericht debattieren, aber er könnte keinerlei politische Konsequenzen ziehen. Der Eindruck in der Öffentlichkeit wäre fatal. Der Bund würde den Eindruck erwecken, als habe er eine Verantwortung für diesen Bereich, obwohl er keinerlei Gestaltungsmöglichkeiten mehr hat. Die Öffentlichkeit würde aber zu Recht erwarten, dass wir aus diesem Bericht Konsequenzen ziehen. Das ist der Grund, weswegen wir Ihren Antrag ab- lehnen, die Bundesregierung aufzufordern, den Heim- bericht offiziell dem Deutschen Bundestag zuzuleiten. Wir wenden uns auch gegen die polemische Überspitzung Ihres Antrags. Der Antrag der Linken überzeichnet und verzerrt den sachlichen Befund des Berichts, der – das steht auf Seite 12 des Berichts – tatsächlich davon ausgeht, dass „schwere Missstände … vereinzelt vorkommen, jedoch nicht den Heimalltag prägen“. Natürlich ist es wichtig, Missstände zu erkennen. Selbstverständlich erwarten wir, dass diese Missstände und die Mängel in der Pflege beseitigt werden. Für Ihre Skandalisierung und Diffa- mierung der Heime gibt der Heimbericht aber keinerlei Anlass. Im Übrigen darf ich daran erinnern, dass die Situation der Heimbewohnerinnen und -bewohner durch zahlreiche Maßnahmen, die Pflegequalität und die Selbstbestimmung der Pflegebedürftigen zu gewährleisten, verbessert wurde. Ich nenne das verpflichtende Instrument des Qualitätsmanagements, verankert im SGB XI, die Stärkung der Heimmitwirkung über Heimbeiräte, die Selbstbestimmung von betreuten Personen im Zweiten Betreuungsrechtsänderungsgesetz 2005, die Verbesserung der Altenpflegeausbildung, pflegerische Verbesserungen, wie zum Beispiel Modelle zur Sturz- und Dekubitus- prophylaxe. Dazu gehören auch das Modellprogramm „Altenhilfestrukturen“ und verschiedene Programme, die neue Wohnformen unterstützen, die neue Wohnformen als Alternative zum Heim bzw. als Strukturveränderung im Heim fördern. Wir erwarten, dass diese positiven Ansätze, soweit sie jetzt in der Gesetzgebungskompetenz der Länder liegen, weiterentwickelt werden. Wir erwarten, dass die Landes- parlamente ihrer neuen Verantwortung gemäß die Anre- gungen und Schlussfolgerungen aus dem Heimbericht aufgreifen. Sibylle Laurischk (FDP): Der Umgang der Bundes- regierung mit dem Ersten Heimbericht zeigt, welch of- fene Flanke die Pflegepolitik für sie darstellt. Bereits die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion zur Reform der Pflegeversicherung, die nur als ungenügend bezeichnet werden kann, lässt uns für die Zukunft das Schlimmste befürchten. Die im Koalitionsvertrag vereinbarten Leistungsverbesserun- gen werden schon wieder zurückgenommen, ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff soll erst nach der Reform de- finiert werden. Das bedeutet, den zweiten Schritt vor dem ersten zu machen. Und nun drückt sich die Regierung auch noch vor einer Bewertung des Heimberichts. Man sei mit der Verschiebung der Gesetzeskompetenz durch die Födera- lismusreform an die Bundesländer für eine Weiterent- wicklung des Heimrechts nicht mehr zuständig und müsse sich daher den Ergebnissen des Berichts nicht mehr widmen. Übersehen wird dabei, dass die Bundes- regierung für den im Heimbericht betrachtenden Zeit- raum für das Heimrecht zuständig war. Daher ist eine Befassung im Bundestag mit den Zuständen in den deut- schen Heimen politisch geboten, wenn auch vielleicht für die Regierung nicht besonders schmeichelhaft. Daher stimme ich dem Antrag auf formelle Zuleitung des Be- richts an den Bundestag ausdrücklich zu. Eine Debatte über diese Fragen des Älterwerdens steht dem Bundes- tag gut an. Die öffentliche Meinung über Pflegeheime ist verhee- rend. Schockierende Berichte in den Medien und eine immer hilfloser erscheinende Pflegebürokratie lassen die Menschen nach Auswegen suchen. Nach einer Studie 7984 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 (A) (C) (B) (D) wollen sich 32 Prozent der Befragten lieber das Leben nehmen, als zum Pflegefall zu werden. Die Zahlen für die Zustimmung zur aktiven Sterbehilfe steigen immer mehr an. Die Angst, in hilfloser Lage im Heim dahinzu- vegetieren, ist die Schreckensvorstellung Nummer eins in unserer Gesellschaft. Der Heimbericht versucht, dem überzeichneten Bild entgegenzuwirken: Die Qualität der stationären Versor- gung sei erheblich besser, als es öffentlich geführte De- batten und einzelne Berichte vermuten lassen. Gute Pflege und Betreuung sei möglich und werde in den Hei- men grundsätzlich auch praktiziert. Dies ist in dieser Pauschalität genauso wenig zielführend wie reißerische Presseberichte über Vernachlässigung. Die Realität muss nüchtern betrachtet werden, um dann die Konsequenzen daraus zu ziehen. Ob 83 Minuten durchschnittliche individuelle Pflege- zeit am Tag, wie der Heimbericht eine Studie aus Nordrhein-Westfalen zitiert, ausreichen, um ein men- schenwürdiges Leben, wie wir alle es verstehen, zu er- möglichen, kann man diskutieren. Wichtiger ist: Die Mitarbeiter müssen endlich die Möglichkeit bekommen, sich ausreichend um den einzelnen Bewohner zu küm- mern. Die starke Zunahme der physischen und vor allem der psychischen Krankheitsfälle bei den Mitarbeitern sind aber die Symptome der Überforderung. Exempla- risch sieht man das Dilemma bei der steigenden Zahl der freiheitsentziehenden Maßnahmen. Diese sind leider an der Tagesordnung – und besonders zu kritisieren, wenn sie zur Arbeitserleichterung des Personals und nicht zum Schutz der Betroffenen unternommen werden. Realistischerweise darf man aber auch keine indivi- duelle soziale Betreuung rund um die Uhr erwarten. Hier sind flankierende Initiativen zu unterstützen, die gerade auf Basis bürgerschaftlichen Engagements Ansprache und Zerstreuung für Bewohner bieten, die dies in zuneh- mendem Maße nicht mehr durch die Familie erwarten können. Leider äußert sich der Bericht nicht detailliert zur psychosozialen Situation der Bewohner. Ebenso feh- len weiterführende Hinweise auf Probleme im Zusam- menhang mit der steigenden Zahl von Bewohnern mit Migrationshintergrund. Angesichts der ersten türkischen Altenheime, die in Berlin eröffnen, ist ein kurzer Hin- weis auf die Notwendigkeit von kultursensibler Alten- pflege zu wenig. Hier hätte ich mir einen größeren Schwerpunkt gewünscht. Der Bericht schlägt zur Weiterentwicklung der Heime folgende Maßnahmen vor: Position der Bewohnerinnen und Bewohner stärken, bedarfsgerechte Wohn- und Be- treuungsformen ausbauen, die Pflege entbürokratisieren sowie endlich einen sichtbaren Qualitätswettbewerb der Einrichtungen ermöglichen. Letzteres muss durch ein verbessertes Qualitätsmanagement und eine höhere Transparenz des Heimgeschehens erreicht werden. Dies geht in die richtige Richtung. Die FDP-Fraktion hat in ihrem Antrag „Entbürokratisierung der Pflege vorantrei- ben – Qualität und Transparenz der stationären Pflege erhöhen“ Forderungen aufgestellt, deren Erfüllung zu einer deutlichen, auch kurzfristigen Verbesserung der Situation in den Heimen führen werden und die über die allgemeinen Forderungen des Berichtes sowie des „Run- den Tisches Pflege“ vom Herbst 2005 hinausgehen. Die Debatte über die Situation in unseren Heimen ist dringend erforderlich, und die Bundesregierung verpasst eine Chance für eine rationale Beschäftigung mit diesem Thema, um unrealistischen Schreckenszenarien entge- genzutreten. Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): 160 000 Menschen le- ben derzeit in der Bundesrepublik in sogenannten Groß- einrichtungen. Ich nehme an, keiner der Bundestagsab- geordneten, kein Mitglied der Bundesregierung und keiner ihrer Spitzenbeamten möchte Nummer 160 001 sein. Warum ist das Leben im Heim für Sie persönlich so ziemlich das Schlimmste, was Sie sich vorstellen können, wenn Sie infolge von Krankheit, Unfall oder Alter auf Hilfe und Assistenz angewiesen sind? Weil Sie wissen oder ahnen, wie es ist in so einem „Heim“! Am l. Dezember 2006 startete die Bundesinitiative „Daheim statt Heim“. Unsere Kollegin Silvia Schmidt, die Behindertenbeauftragte der SPD-Fraktion, hat mit weiteren Persönlichkeiten aus der Behindertenbewegung, aus Politik und Medien diese Initiative angestoßen. Als einer der Erstunterzeichner möchte ich von dieser Stelle ausdrücklich für die Bundesinitiative und deren Forderun- gen werben: Schließen Sie sich an! „Daheim statt Heim“, das heißt für Menschen mit Behinderungen und/oder Pflege- und Assistenzbedarf, in ihrer eigenen Wohnung im selbst gewählten und gewohn- ten Umfeld leben zu können. Zur Verwirklichung des gesetzlich normierten Wunsch- und Wahlrechtes müssen sie die nötige Unterstützung bekommen. Um dieses Ziel zu erreichen, fordern die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner der Bundesinitiative: einen Baustopp für neue Heime, den Abbau bestehender Heimplätze, den flächendeckenden Aus- und Aufbau individuell-bedarfs- deckender vernetzter Unterstützungsangebote für ältere und behinderte Menschen, die Garantie der Wahl- möglichkeiten der Betroffenen, unter anderem durch persönliche Budgets, die Gewährleistung des Grundsatzes „Daheim statt Heim“ in allen gesetzes- und verwaltungs- technischen Regelungen auf allen Ebenen und in der Praxis, die Beteiligung der Betroffenen an dem Reform- prozess nach der Devise „Nichts über uns ohne uns“. Ich hoffe und wünsche, dass viele weitere Mitglieder des Bundestages die Initiative unterzeichnen, aktiv unter- stützen und der Bundestag diese Forderungen sehr bald gemeinsam mit dem Heimbericht der Bundesregierung debattieren wird. Anlässlich des Welttages der Menschen mit Behinderun- gen am 3. Dezember stand am 30. November 2006 der Bericht der Bundesregierung über die Beschäftigung schwerbehinderter Menschen beim Bund sowie zwei weitere Anträge betreffend der Teilhabe behinderter Menschen auf der Tagesordnung des Bundestages. Nach 23.00 Uhr sollten in einer halben Stunde die behinderten- politischen Themen beraten werden. Der Antrag der Linksfraktion zum Heimbericht der Bundesregierung Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 7985 (A) (C) (B) (D) sollte heute Nacht nach 2 Uhr in einer halben Stunde diskutiert werden. Die Einordnung von behindertenpoli- tischen Themen in die Tagesordnung spricht für sich, die Abgabe der Reden zu Protokoll statt die Rede vor leerem Haus zu solcher Uhrzeit ist die logische Konsequenz. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend veröffentlichte im Oktober dieses Jahres mit zweijähriger Verspätung den ersten Bericht über die Situation der Heime und der Betreuung ihrer Bewohnerinnen und Bewohner auf ihrer Internetseite. In diesem Heimbericht ist erwähnt, dass auf eine offizielle Weiterleitung des Berichts an den Deutschen Bundestag verzichtet wird, da nach der Föderalismusreform das Heimrecht nicht mehr in Bundeskompetenz liege. Das Heimgesetz gilt aber (inklusive der in § 22 genannten Berichtspflicht an die gesetzgebenden Organe) so lange fort, bis die Länder eigene Heimgesetze beschlossen haben. Das ist bisher nicht der Fall. Die Bundesregierung ist also weiterhin an das Heimgesetz gebunden. Außerdem bestand die Berichtspflicht schon vor mehr als zwei Jahren. Der Heimbericht weist darauf hin, dass Qualitätsmängel in den unterschiedlichen Bereichen des Heimgeschehens sowie in verschiedenen Schweregraden auftreten. Das Spektrum reicht von offener Gewalt bis hin zu gefährlicher Pflege. Repräsentative Daten dazu liegen bislang nicht vor. Einer jährlichen Prüfung werden nicht alle Heime unter- zogen, obwohl dies in § 15 des Heimgesetzes gesetzlich vorgeschrieben ist. Die genaue Prüfquote ist nicht bekannt. Der Anteil unangemeldeter – und damit effektiver – Prü- fungen schwankt in den Bundesländern erheblich. Internationale Menschenrechtsausschüsse kritisierten bereits die sehr unbefriedigenden Zustände in deutschen Pflegeheimen. So äußerte 2001 der UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (CESCR), der die Einhaltung des UN-Sozialpakts überwacht, seine „große Besorgnis über die menschenunwürdigen Zustände in Pflegeheimen“ und forderte die Bundesrepublik Deutschland auf, „Sofortmaßnahmen“ zur Verbesserung der Situation zu ergreifen. Große soziale Verbände doku- mentieren immer wieder, dass sich die Situation in vielen Heimen noch immer nicht verbessert hat und Pflege- bedürftige – häufig aus Personalmangel – menschenunwür- dig behandelt werden. Für den Bereich Menschenrechte/ Menschenwürde ist die Bundesregierung weiterhin – auch nach der Föderalismusreform – zuständig. Deswegen fordert die Linksfraktion die Bundesregie- rung auf, den Bericht über die Situation der Heime und der Betreuung ihrer Bewohnerinnen und Bewohner, wie in § 22 des Heimgesetzes vorgeschrieben, offiziell dem Deutschen Bundestag zuzuleiten, damit dieser den Bericht ausführlich (und hoffentlich nicht erst wieder spät in der Nacht) debattiert. Mit dem Antrag der Linksfraktion auf Einsetzung einer Enquete-Kommission „Ethik, Recht und Finanzierung des Wohnens mit Assistenz“ vom April 2006 sowie dem Antrag der Linksfraktion zur Vorlage eines Gesetzes zum Ausgleich behinderungsbedingter Nachteile vom November 2006 gibt es zur Thematik Diskussionsange- bote, die von großen Teilen der Behindertenbewegung getragen werden. Es mangelt also nicht an Lösungsange- boten für dringende Probleme. Aber – bisher – an der Bereitschaft der Mehrheit dieses Hohen Hauses, diese Vorschläge aufzugreifen. Wir brauchen die Debatte und vor allem endlich einen wirklichen Paradigmenwechsel: Nicht mehr Heim son- dern „Daheim statt Heim!“ Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Diesen Antrag der Fraktion Die Linke hätte sich die Bundesregierung ersparen können. Er ist die Konse- quenz einer missglückten Föderalismusreform. Der An- trag konnte nur zustande kommen, weil zwar in den Be- schlüssen zur Föderalismusreform festgelegt wurde, dass das Heimrecht in Zukunft Ländersache sein soll, Landesgesetze aber noch nicht vorhanden sind und folg- lich der Bund zuständig bleibt. Unsere Fraktion hat er- hebliche Bedenken gegen die Verlagerung des Heim- rechts auf die Länder geäußert, sie war in keiner Weise sachlich begründet. Wir haben früh auf den Umstand aufmerksam gemacht, dass gerade beim Heimrecht un- klare Zustände entstehen werden, wenn diese Materie an die Länder gegeben wird. Und wie sich zeigt, sollten wir recht behalten. Niemand – weder die Ministerin noch der Staatsse- kretär – konnte uns erklären, warum beispielsweise in Schleswig-Holstein in Zukunft andere Qualitätsstan- dards oder Regelungen möglich sein sollten als in Rhein- land-Pfalz, für die Betroffenen und ihre Angehörigen ein äußerst irritierender und intransparenter Zustand. „Keine Sorge“, so wurde uns vonseiten der Bundesregierung versichert, „sobald das Heimrecht an die Länder geht, werden die sich zusammensetzen und umgehend Lan- desgesetze auf den Weg bringen.“ Kaum war die Födera- lismusreform beschlossen, sah die Lage ganz anders aus. Es sei rechtlich sowieso nicht möglich, dass sich die Länder mit dem gesamten Heimrecht auseinandersetzen; denn ein Großteil der Bestimmungen sei auch weiterhin ureigene Bundeskompetenz, so die Bundesregierung – völlig neue Töne plötzlich. Mir scheint, der Bundesregierung selbst fehlt zurzeit der Überblick. Man versucht derzeit, sämtliche Bestim- mungen zum Heimrecht auseinanderzudividieren, um überhaupt sagen zu können, wer für was in Zukunft zu- ständig sein wird. Dieses Problem hatten nicht nur zahl- reiche Verbände in ihren Stellungnahmen schon früh zum Ausdruck gebracht, es war auch das Ergebnis eines Fachgesprächs unserer Fraktion. Die einhellige Auffas- sung war: keine Verlagerung des Heimrechts an die Län- der. Das sahen auch die Expertinnen und Experten in der Anhörung zur Föderalismusreform so. Sie plädierten in der Mehrzahl eindringlich dafür, das Heimrecht zu refor- mieren, aber im Interesse der Betroffenen und ihrer An- gehörigen sowie einheitlicher Qualitätsstandards dieses in Bundeskompetenz zu belassen. Bis heute hat noch kein einziges Bundesland einen konkreten neuen Vor- schlag vorgelegt, wie es in Zukunft in dieser Frage ver- fahren will. Die Lage ist äußerst kompliziert und hat durch die Föderalismusreform eher zur Verwirrung als zu Klarheit und Transparenz beigetragen. 7986 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 (A) (C) (B) (D) In dieser Situation nun veröffentlicht das Familienmi- nisterium einen Bericht auf ihrer Homepage, der einen Einblick in die Situation von Heimen und den Menschen, die dort leben, gibt. Eine parlamentarische Diskussion ist vonseiten der Großen Koalition mit Verweis auf die Verla- gerung des Heimrechts an die Länder nicht vorgesehen. Dabei ist der Bericht eine erste Quelle für umfassendes Datenmaterial und vergleichende Betrachtungen. Er ist also mehr als notwendig, um uns verlässliche Zahlen und Fakten zu nennen. Er fokussiert sich insbesondere auf Pflegeheime, weil hier der Informationsstand noch erheb- lich zu wünschen übrig lässt. In Anbetracht der demogra- fischen Entwicklung, die auf eine Zunahme von Pflegebe- dürftigen hindeutet, sind wir gut beraten, diesem Thema eine erhöhte Aufmerksamkeit zu schenken. Noch haben wir Zeit, mit den Kenntnissen und Daten die Entwicklung von morgen zu beeinflussen, und noch sind wir, die Bun- desebene, zuständig. Noch ist es unsere Pflicht, sich mit diesem Sachverhalt zu beschäftigen, auch wenn man- chem das nicht passt. Die Bundesregierung macht es sich zu einfach, wenn sie diesen Bericht – mit Hinweis auf fehlende Zuständig- keit – einer parlamentarischen Debatte vorenthält. Es be- steht nicht nur Handlungsbedarf, wofür dieser Bericht eine gute Grundlage ist, es ist auch nach wie vor die Zu- ständigkeit des Bundes, in diesem Bereich tätig zu sein. Hierin stimmen wir mit der Fraktion Die Linke überein. Nicht teilen können wir jedoch die ausschließliche Fo- kussierung auf mögliche Missstände. Es ist richtig und wichtig, Missstände in Heimen offenzulegen, sich für den Schutz und die Rechte von Menschen in Heimen einzusetzen, aber ihre Herangehensweise wird dem Be- richt insgesamt nicht gerecht. Auch wir sehen die Bun- desregierung in der Pflicht, eine Diskussion des Berichts im Parlament zu ermöglichen. Anlage 16 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – BAföG an neue Entwicklungen anpassen – Auszubildende mit Kindern unterstützen, Auslandsaufenthalte erleichtern, Migran- tenförderung verbessern und Hinzuver- dienstgrenzen erhöhen – Studierende Mütter durch die Softortmaß- nahme Baby-BAföG unterstützen – Statt Nullrunde – BAföG angleichen – Sofortmaßnahmen beim BAföG – für mehr Zugangsgerechtigkeit und höhere Bildungs- beteiligung (Tagesordnungspunkt 23 a bis d) Dorothee Bär (CDU/CSU): Unser Ziel ist: Die För- derung durch das BAföG muss an neue Entwicklungen angepasst werden. Was bedeutet das? Für uns sind dabei fünf Punkte wichtig, mir persönlich davon einer ganz be- sonders: Erstens. Die Förderung von Familien während der Ausbildungszeit. Schon jetzt wird die Erziehung von Kindern im BAföG berücksichtigt: Wird beispielsweise während der Ausbildungszeit ein Kind betreut, kann die Förderungsdauer verlängert werden. Das ist für uns jedoch noch nicht ausreichend. Wir wollen Studierende mit Kind während des Studiums di- rekt fördern. Dies halte ich insbesondere für wichtig, um Akademikern eine frühere Familiengründung zu erleich- tern. Es darf nicht mehr heißen: Kind oder Studium, son- dern Kind und Studium! Ein pauschaler Betreuungszuschlag von 113 Euro pro Kind und Monat ist dafür aus meiner Sicht der Weg in die richtige Richtung. Diese Förderung soll allen förde- rungsberechtigten Auszubildenden mit Kind zustehen, nicht nur den Studierenden. In den Verhandlungen werde ich mich deshalb für eine Förderung einsetzen, die abhängig von der Zahl der Kinder ist. Ich fordere Herrn Steinbrück auf, die Mittel dafür freizugeben. Es muss bereits für junge Menschen deutlich sein, dass Kinder in dieser Gesellschaft will- kommen sind. Kind und Karriere dürfen genauso wenig ein Widerspruch sein wie Kind und Ausbildung. Ein zweiter wichtiger Punkt ist die Auslandsausbil- dung. Ich habe selbst erlebt, wie bereichernd ein Aufent- halt im Ausland ist. Ich halte es deshalb für elementar, dass eine solche Möglichkeit allen offensteht. Die För- derung eines Vollstudiums im Ausland ist derzeit nicht möglich. Europa wächst jedoch immer weiter zusam- men. Der Bolognaprozess macht gute Fortschritte und ermöglicht flexibles Studieren. Wir halten es daher für folgerichtig, auf die einjährige Orientierungsphase im Inland zu verzichten. Diese Zeit kann sinnvoller einge- setzt werden. Auch ein Auslandsaufenthalt im Rahmen eines Prak- tikums wird vereinfacht. Für solche Aufenthalte gilt künftig im europäischen wie außereuropäischen Ausland die gleiche Regelung. Ein dritter wichtiger Punkt ist die Migrantenförde- rung. Leben junge Migranten in Deutschland mit der Perspektive, hier längerfristig zu bleiben, ist es in unser aller Interesse, dass sie eine gute Ausbildung erhalten und sich integrieren können. Eine Ausdehnung der För- derung durch das BAföG erscheint deshalb sinnvoll. Es sollen viertens die Zuverdienstmöglichkeiten er- leichtert werden. Eine einheitliche Regelung ist das ein- fachste: Zuverdienst in Höhe eines Minijobs, also 400 Euro, sollte nicht auf das BAföG angerechnet wer- den. Eine Tätigkeit im Rahmen eines solchen Jobs ver- längert die Studienzeit sicherlich nicht. Fünftens. Die elternunabhängige Förderung muss auf- grund der angespannten Haushaltslage leider konzen- triert werden. Das bedeutet selbstverständlich keinen kompletten Ausstieg aus der Ausbildungsförderung für Schüler auf dem sogenannten zweiten Bildungsweg. All diese Neuerungen tragen den veränderten Bedin- gungen für Ausbildung und Studium Rechnung. Sie er- möglichen auch in Zukunft das Studium oder eine Aus- bildung für alle und sichern die Chancengleichheit. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 7987 (A) (C) (B) (D) Ich hoffe, dass wir alle gemeinsam in den nächsten Wochen und Monaten an einem Strang ziehen, um be- sonders das Studium mit Kind oder mehreren Kindern zu erleichtern und zu forcieren. Renate Schmidt (Nürnberg) (SPD): Wie angekün- digt, wollen wir aus dem jetzt vorliegenden BAföG-Be- richt die notwendigen Schlussfolgerungen ziehen. Diese Schlussfolgerungen gliedern sich in zwei Teile: Erstens die grundsätzliche Aussage, dass eine Erhö- hung der Bedarfssätze, Freibeträge und Vomhundert- sätze nicht nur geboten, sondern nach mehrjähriger Stag- nation dringend überfällig ist. Dieser Feststellung widerspricht auch nicht, dass die Ausgaben für das BAföG ebenso gestiegen sind wie die Anzahl der geför- derten Studierenden, Schüler und Schülerinnen. Das be- grüßt meine Fraktion. Dies darf aber den Blick nicht da- vor verstellen, dass die in der HIS-Studie ermittelten Bedarfe für Studierende deutlich unterschritten werden und der Prozentsatz der Geförderten nach dem steilen Anstieg nach der BAföG-Reform im Jahr 1999 in den letzten Jahren zwar nur leicht mit jährlich 0,1 Prozent pro Jahr, aber kontinuierlich wieder sinkt. Ziel meiner Fraktion, Ziel der Koalition und auch der Bundesregie- rung ist es aber, dass das BAföG als eines der wichtigs- ten Instrumente zur materiellen Absicherung von Schü- lern und Schülerinnen, Studenten und Studentinnen aus einkommensschwachen Familien genauso erhalten bleibt, wie als Instrument um die Zahl hochqualifizierter junger Leute zu erhöhen. Studienkredite können eine sinnvolle Ergänzung, aber kein Ersatz für BAföG sein, wenn wir nicht junge Leute mit Schuldenbergen ins Be- rufsleben entlassen wollen. Ich sage hier ganz deutlich: Vorsicht ist bei der Inanspruchnahme von solchen Kredi- ten geboten, denn zurückgezahlt werden mit Zins und Zinseszins müssen sie, wie wir an den jüngst veröffent- lichten Zahlen unschwer erkennen können. Für das Jahr 2007 kann eine spürbare Erhöhung der Bedarfssätze, Einkommensfreigrenzen und Vomhundert- sätze haushaltsmäßig nicht mehr dargestellt werden. Na- türlich stimmt es, wie es die Bundesregierung im BAföG-Bericht darstellt, dass die Haushaltskonsolidie- rung gerade auch im Interesse der jungen Generation liegt. Von genauso großer Bedeutung nicht nur für die heute Lernenden und Studierenden, sondern für uns alle aber sind möglichst viele, möglichst hochqualifizierte junge Menschen, die ihre Qualifikation unabhängig vom Geldbeutel ihrer Eltern erwerben können. Deshalb stim- men wir der Bundesregierung zu, dass auch vor Vorlage des nächsten BAföG-Berichts Vorschläge zur Erhöhung der bereits genannten Parameter gemacht werden kön- nen. Für meine Fraktion kündige ich an, dass wir genau das tun werden, und Sie können sicher sein, dass wir ei- nen Vorschlag zur spürbaren Erhöhung insbesondere der Bedarfssätze, aber auch der Einkommensgrenzen, die noch in dieser Legislatur wirksam werden, machen wer- den. Der zweite Teil unserer Schlussfolgerungen nicht nur aus dem BAföG-Bericht, sondern aus sich verändernden Entwicklungen betrifft mehrere Punkte: Zum Ersten wollen wir die Situation der BAföG- Empfänger und -Empfängerinnen, die Kinder zu be- treuen haben, deutlich verbessern und sie genauso be- handeln wie diejenigen, die Meister-BAföG beziehen. Dafür wollen wir das unzeitgemäße „Abkindern“, die Reduzierung der Darlehenssumme bei Nichterwerbstä- tigkeit wegen Betreuung eines Kindes, abschaffen. Zum Zweiten wollen wir die ebenso unzeitgemäße Regelung abschaffen, dass einem Auslandsstudium ein mindestens einjähriges Studium in Deutschland voraus- gehen muss. Gleichzeitig soll für Auslandsstudierende auch für Reisekosten und sonstige Auslandszuschläge die Normalförderung als Zuschuss und Darlehen gelten. Studiengebühren für ein Jahr sollen in diese Regelung mit einbezogen werden. Für die meisten BAföG-Geför- derten wird sich die Darlehenssumme durch die Decke- lung bei 10 000 Euro dadurch nicht erhöhen. Wir wollen auch, dass Auslandspraktika erleichtert werden. Zum Dritten wollen wir einen Beitrag zur besseren Integration von Migranten und Migrantinnen dadurch leisten, dass EU- und Nicht-EU-Ausländer und Auslän- derinnen, wenn sie in Deutschland einen Daueraufent- halt haben, nach den gleichen Kriterien und unabhängig von der Dauer der Erwerbstätigkeit ihrer Eltern gefördert werden können. Zum Vierten sollen die Hinzuverdienstgrenzen auf einheitlich 400 Euro angehoben werden. Zum Fünften halten wir es für gerechtfertigt, dass der klassische zweite Bildungsweg, also Abendgymnasium und Kolleg, von einer beruflichen Ausbildung und einer Erwerbstätigkeit oder einer längern Erwerbstätigkeit, wenn keine berufliche Ausbildung vorhergeht, abhängig ist – wie es ursprünglich auch gedacht war. In den Fäl- len, in denen diese Kriterien erfüllt werden, ist eine el- ternunabhängige BAföG-Förderung angebracht, wo nicht, eine elternabhängige, wie an anderen Berufsfach- schulen auch, die selbstverständlich wie für alle Schüle- rinnen und Schüler voll als Zuschuss gezahlt wird. Wir halten allerdings eine vergleichsweise kurze Erwerbstä- tigkeit für ausreichend. Eine nur einjährige Berufspraxis nützt den jungen Leuten und verhindert gleichzeitig eine ungerechtfertigte Verzögerung einer eventuell beabsich- tigten Studienaufnahme. Das Studium wird im Übrigen bei den allermeisten der Abendgymnasiasten und Kolle- giaten nach der elternunabhängigen schulischen Förde- rung elternabhängig gefördert. Selbstverständlich brau- chen wir für eine solche Regelung eine großzügige Übergangsregelung. Ich habe gerade gesagt, ich halte diese Maßnahme auch im Sinne der Gleichbehandlung von Schülern und Schülerinnen unterschiedlicher Schularten, die die glei- chen Voraussetzungen mitbringen, für gerechtfertigt – mehr aber auch nicht. Ich sage klar: Wir wollen mit dieser Regelung weder die Zahl der Schülerinnen und Schüler des zweiten Bildungswegs reduzieren noch gewachsene Strukturen gefährden. Wir werden im Gesetzgebungsver- fahren auch klären, ob die vorgesehenen Minderausgaben nicht durch Mehrausgaben zum Beispiel nach dem SGB II wieder aufgebraucht werden. Wir werden deshalb im Rah- men des Gesetzgebungsverfahrens sehr genau darauf 7988 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 (A) (C) (B) (D) achten, ob das Ziel eines Aufrechterhaltens der Schüler- zahl des zweiten Bildungswegs erreicht wird, und for- dern die Bundesregierung auf, das verbindliche Einver- nehmen in dieser Frage mit den Ländern herzustellen. Und weil die Schulstrukturen von Bundesland zu Bundesland so unterschiedlich sind, wollen wir insbe- sondere zum Bereich der Kollegs und Abendgymnasien eine sehr zeitnahe Evaluation. Dies gilt auch für die Ent- wicklung der im Ausland Studierenden. Denn wir wol- len erreichen, dass der zweite Bildungsweg von mög- lichst vielen in Anspruch genommen wird und die Zahl der Auslandsstudierenden steigt. Diese kleine BAföG-Novelle enthält viele wichtige Verbesserungen. Die eine oder andere Idee der Opposi- tion wird mit ihr auch aufgegriffen, aber mit Augenmaß und finanzierbar. Die größere BAföG-Novelle mit der Erhöhung der Bedarfssätze und Einkommensfreibeträge kündige ich für meine Fraktion für diese Legislatur an und freue mich jetzt schon über die ebenso bereits ange- kündigte Unterstützung unseres Koalitionspartners. Herzlichen Dank, Herr Kretschmer. Uwe Barth (FDP): Ich frage mich schon, warum wir das für die Zukunft unserer Gesellschaft so außerordent- lich wichtige Thema der staatlichen Ausbildungsförde- rung von jungen Menschen aus eher einkommensschwa- chen Schichten in diesem Hohen Hause erst nach Mitternacht diskutieren. Liegt es an der Botschaft des Antrages von CDU/CSU und SPD, dessen einzige Ant- wort auf den 17. Bericht nach § 35 BAföG zur Überprü- fung der Bedarfssätze, Freibeträge sowie Vomhundert- sätze und Höchstbeträge nach § 21 Abs. 2 eine Erhöhung von Hinzuverdienstgrenzen bei Studierenden ist? Trotz steigender Steuerbelastungen der Familien, die letztlich auch durch sprunghaft steigende Lebenshal- tungskosten von den Studierenden getragen werden müssen, trotz steigender Kosten für die Krankenversi- cherung, trotz Reduzierung des Kindergeldanspruches vom 27. auf das 25. Lebensjahr reagiert diese Bundesre- gierung nicht auf die Notwendigkeit einer längst fälligen Anpassung der Bedarfssätze und Freibeträge. Der Hinweis, dass der Haushalt eine Anpassung nicht hergebe, kann an dieser Stelle nicht genügen. Mindes- tens das Bekenntnis, bei der Aufstellung des nächsten Haushaltes eine Anpassung mit einzuplanen, ist als Sig- nal an die Studenten notwendig. Dazu sind Sie im Übri- gen nach § 35 BAföG auch verpflichtet! Der Populismus der Linken hilft uns hier nicht weiter. Ihre Vorschläge beschränken sich wie immer darauf, zu verteilen. In Wahrheit ist das alles aber nur ein Herumdoktern an Symptomen. Was wir wirklich brauchen, ist eine Sys- temumstellung des BAföG, das die Geförderten wie junge Erwachsene behandelt und ihnen elternunabhän- gig eine Grundförderung, die sich aus Kindergeld, Steu- erfreibetrag und Ausbildungsfreibetrag zusammensetzt, zukommen lässt. In früheren Diskussionen waren wir alle bereits einen Schritt weiter. Wir wollten die eltern- unabhängige Förderung stärken. Wir wollten erreichen, dass Studierende eben nicht mehr darauf angewiesen sind, während des Studiums zu arbeiten. Wir wollten eine Verteilungsgerechtigkeit zugunsten unterer und mittlerer Einkommensschichten. Wir wollten das Ver- hältnis von Zuschuss und Darlehen für Geförderte aus einkommensschwachen Verhältnissen grundsätzlich ver- ändern. Wir wollten eine Vereinfachung der gesetzlichen Vorschriften und des Verwaltungsvollzuges erreichen. Kurz gesagt, wir wollten eine große Strukturreform des Bundesausbildungsförderungsgesetzes. SPD und GRÜNE hatten mit ihrer 21. Novellierung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes – sie nannten es hochtrabend Ausbildungsförderungsreformgesetz – endgültig Abschied von diesen weitreichenden Reform- vorstellungen genommen. Die Große Koalition setzt nun genau diese Politik der „Reparaturnovellen“ weiter fort und verzichtet auf die nötige Strukturreform. Vor Jahren hat die FDP-Bundestagsfraktion diesem Hohen Hause bereits einen wirklichen Reformantrag zum BAföG vorgelegt. Der Grundtenor: eine elternunab- hängige Ausbildungsförderung, die den Studierenden eine ihrem Alter angemessene Eigenverantwortung überträgt! Sehr geehrte Frau Schavan, anstatt mit einer Anhe- bung der Bedarfssätze und Freibeträge zumindest um 3,5 Prozent bzw. 1 Prozent – so wie es der 17. Bericht for- dert – die Lebenssituation der Studierenden zu verbes- sern und ihnen ein zielgerichtetes Studium zu ermögli- chen, sagen Sie: Na, dann arbeitet doch ein bisschen mehr neben dem Studium und studiert dafür ein bisschen länger! Was ist das für eine Logik? Schon heute sind unsere Hochschulabsolventen an Fachhochschulen mit rund 27,9 Jahren und an Universi- täten mit 28,1 Jahren die ältesten in Europa. Allein durch die Verkürzung der Studiendauer um nur ein Jahr könn- ten Bund und Länder viele Millionen Euro sparen. Das Thema Studiengebühren wurde bislang auch nur unzu- reichend in die Debatten einbezogen. In den letzten Jahren seit 2004 sind die Verbraucher- preise jedes Jahr wieder deutlich angestiegen. Allein 2005 betrug der Anstieg 2,5 Prozent. Auch in diesem Jahr erwarten wir 2,3 Prozent! Die letzte Anpassung der Bedarfssätze erfolgte im Jahr 2001! Dass sich die BAföG-Ausgaben von Bund und Ländern in den letzten Jahren erhöht haben, ist auf die Steigerung der Geförder- tenquote zurückzuführen. Jetzt muss es zu einer Verbes- serung der Lebensumstände der Studierenden kommen. Auf diesem Weg ist auch der Vorschlag der FDP, Müttern im Studium eine Zulage von 280 Euro zu ge- währen, als Reaktion auf das neue Elterngeld und als ein erster Schritt zu werten. Dieser berücksichtigt unsere Pflicht, die Mütter dann zu unterstützen, wenn sie die Hilfe am nötigsten brauchen. Dies ist unbestritten unmit- telbar nach der Geburt des Kindes und nicht gegebenen- falls erst Jahre nach Beendigung des Studiums. Wir kön- nen und dürfen es nicht hinnehmen, dass eine Schwangerschaft für eine Studentin ein erhöhtes Risiko mit sich bringt, ihr Studium abzubrechen. Im Ergebnis müssen wir dazu kommen, dass die jun- gen Menschen ihr Studium in einer vernünftigen Zeit ab- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 7989 (A) (C) (B) (D) solvieren können. Dies erreichen wir aber nicht, indem wir von ihnen verlangen, noch mehr zu jobben. Wir müssen die Struktur der Finanzierung des Studiums so umgestalten, dass sich die Betroffenen auf ihr Studium konzentrieren können. Dabei müssen wir natürlich auch die Finanzierung der Hochschulen ohne eine ideologi- sche Stigmatisierung von Studiengebühren im Blick hal- ten. Die Belastung der Absolventen muss sich in einem Rahmen bewegen, der den Start ins Berufs- und Famili- enleben nicht unvertretbar erschwert. Das klingt wie die Quadratur des Kreises. Aber das ist die Herausforderung, der wir uns stellen müssen. Für die FDP erkläre ich an dieser Stelle, dass wir an Lösungen gerne konstruktiv mit Ihnen zusammenarbeiten werden. Cornelia Hirsch (DIE LINKE): Laut Tagesordnung soll das Thema BAföG heute zwischen 3.20 Uhr und 3.55 Uhr mitten in der Nacht aufgerufen werden: Das ist also die Bedeutung, die die Große Koalition dem BAföG beimisst. Man könnte darüber hinwegsehen, wenn die BAföG-Politik der Großen Koalition auf einem guten Wege wäre. Leider ist das Gegenteil der Fall: Der vor kurzem veröffentlichte Bericht zum BAföG bewies ein- drucksvoll, dass die Gefördertenquote nicht steigt, son- dern im letzten Jahr gesunken ist. Diese Entwicklung dürfen Sie nicht einfach hinnehmen! Genau das machen Sie aber mit Ihrem Antrag. Es handelt sich dabei nicht um einen ernsthaften Versuch, das BAföG zu verbessern, sondern um ein Ablenkungs- manöver zur Verschleierung des Reformbedarfs! Ihre minimalen strukturellen Veränderungen bringen herzlich wenig, wenn nicht gleichzeitig auch eine finanzielle An- passung erfolgt. Dies wäre aber längst überfällig. Die letzte Anpassung der Bedarfssätze und Freibeträge war im Jahr 2001. Seitdem hat der BAföG-Bericht alle zwei Jahre Anpassungen gefordert. Sie haben diese Warnungen jedes Mal aufs Neue ignoriert. Seit der Wiedervereinigung hat keine Regierung die Anhebung der Bedarfssätze und Freibeträge so lange verschleppt. Das ist für uns nicht akzeptabel. Wir fordern, dass sie noch in diesem Jahr um mindestens 10 Prozent erhöht werden. Zweitens werden wir keine weiteren Verschlechterungen beim BAföG hinnehmen. In Ihren Antrag haben Sie aber gleich mehrere hineingemogelt: Als Beispiel möchte ich auf Ihre Vorschläge beim Auslands-BAföG hinweisen. Sie schlagen vor, dass Studiengebühren an ausländischen Hochschulen und Auslandszuschläge künftig kein Vollzu- schuss, sondern zur Hälfte ein Darlehen werden sollen. Nach zwei Semestern sollen die Studierenden dann voll- kommen alleine für die Finanzierung der Studiengebühren an ausländischen Hochschulen aufkommen. Ihnen wird lediglich ein Darlehen angeboten. Untersuchungen haben gezeigt, dass schon heute die Teilnahme an Auslandsaufenthalten mit der sozialen Herkunft korreliert. Wer aus einem einkommensschwachen Elternhaus kommt, studiert seltener im Ausland. Für Studierende aus reichen Elternhäusern ist dies viel leichter realisierbar. Mit Ihren Vorschlägen werden Sie diese soziale Ungleichheit weiter verschärfen. Die von Ihnen immer wieder eingeforderte Internationalisierung der Hochschulen ist dann – noch mehr als heute – eine Inter- nationalisierung für wenige. Die Linke findet das falsch. Wir fordern deshalb, dass Studiengebühren und Auslands- zuschläge weiterhin als Vollzuschuss übernommen werden. Ein weiteres Beispiel für klare Verschlechterungen beim BAföG sind die von Ihnen vorgeschlagenen Ein- schränkungen bei der elternunabhängigen Förderung. Auch das halten wir für einen falschen Schritt. Wenn an Abendschulen und Kollegs kein elternunabhängiges BAföG mehr gezahlt wird, bedeutet das eine Einschrän- kung der Möglichkeiten des zweiten Bildungsweges. Wir wollen diese Möglichkeiten dagegen ausbauen. Mindestens müssten also die bisherigen Möglichkeiten einer elternunabhängigen Förderung erhalten bleiben. Schließlich zeigt Ihr Antrag, dass wir über die weitere Entwicklung des BAföG offensichtlich grundsätzlich unterschiedliche Auffassungen haben. Sie sehen das BAföG als eine Förderungsmöglichkeit unter vielen. Gleichzeitig begrüßen Sie die finanzielle Steigerung bei der sogenannten Begabtenförderung und das Angebot von Studienkrediten der KfW. Wir wollen das BAföG dagegen perspektivisch zu einer elternunabhängigen Grundsicherung mit Vollzuschuss für alle Studierenden ausbauen. Nur auf diesem Weg ließe sich ein offener Hochschulzugang und eine eigenständige Studiengestal- tung realisieren. Darlehen, Kredite und Stipendien sind für uns der falsche Weg, um soziale Ungleichheit an der Hochschule abzubauen. In unserem Antrag fordern wir in einem ersten Schritt deshalb, das Angebot der KfW- Studienkredite zurückzunehmen. Abschließend noch eine letzte Bemerkung: Wir bestrei- ten nicht, dass Sie mit dem Antrag auch einige sinnvolle und richtige Vorschläge machen. Vieles davon haben Sie eins zu eins aus unserem Antrag vom letzten Jahr ab- geschrieben – aber das sei nur nebenbei bemerkt. Dazu gehören die Anhebung der Hinzuverdienstgrenzen, die Abschaffung der Orientierungsphase im Inland vor einem Auslandsstudium oder die besseren Fördermöglichkeiten für Migrantinnen und Migranten. An unserer Ablehnung für einen insgesamt unzureichenden und in vielen Berei- chen schlechten Antrag wird das aber nichts ändern. Nach fünf Jahren halten Sie es immer noch nicht für nötig, die Bedarfssätze und Freibeträge zumindest an die gestiegenen Lebenshaltungskosten anzupassen. Faktisch legen Sie uns hier also einen BAföG-Kürzungsantrag vor. Wir wollen aber kein SPARföG. Und deshalb werden wir Ihren Antrag ablehnen. Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der BAföG-Satz „wird den Kostenbelastungen von Studie- renden aus sozial schwächeren Bevölkerungsschichten nicht mehr gerecht und hält begabte junge Menschen von einem Studium ab“. „Ich erwarte, dass Haushalts- mittel für eine Anhebung der BAföG-Sätze bereitgestellt werden.“ Erkennen Sie hier Ihre eigenen Aussagen wie- der? Diese Sätze stammen von den Bildungspolitikern von SPD und Union. Eigentlich weckt dies Hoffnungen für die BAföG-Novelle der Bundesregierung. Aber Fehl- anzeige: Die Große Koalition verordnet Schülerinnen, Schülern und Studierenden eine Nullrunde. Damit igno- 7990 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 (A) (C) (B) (D) rieren Sie nicht nur Ihre eigenen Aussagen und Ihren Koalitionsvertrag mit dem Ziel einer bedarfsdeckenden Förderung, sondern auch die Forderungen von uns Grü- nen, den Studierendenorganisationen, den Studentenwer- ken und sogar dem BAföG-Beirat der Bundesregierung. Das BAföG hat in den letzten 35 Jahren über 8 Mil- lionen jungen Menschen aus einkommensschwachen Fa- milien den Zugang zu Studium und Ausbildung eröffnet. Es hat damit die Chancengerechtigkeit im Bildungssys- tem entscheidend verbessert. Die rot-grüne BAföG-Re- form hat hierzu besonders beigetragen. So ist während unserer Regierungszeit die Zahl der BAföG-Geförderten um über 50 Prozent gestiegen. Gleichzeitig stieg die Stu- dierendenquote unter Rot-Grün um fast 10 Prozent- punkte auf knapp 38 Prozent. Unter Schwarz-Rot droht das BAföG dagegen zu ver- kümmern. Die Große Koalition setzt lieber auf Studien- kredite mit eingebauter Schuldenfalle. Das BAföG-,,Re- förmchen“ der Koalition darf keinen einzigen Cent kosten. Doch mehr Zugangsgerechtigkeit im Bildungs- system gibt es nicht zum Nulltarif. Studierwilligen aus finanzschwachen Familien helfen keine Sonntagsreden, sondern nur eine verlässliche und auskömmliche Le- bensunterhaltsfinanzierung ohne ausufernden Schulden- berg. Wir müssen dafür sorgen, dass Förder- und Le- benswirklichkeit wieder in Einklang gebracht werden. Einer kostenneutralen Reform können wir daher nicht zustimmen. Daher schlagen wir Grüne für das BAföG – ungeach- tet langfristig erforderlicher Strukturreformen – unter anderem folgende Sofortmaßnahmen vor: Erstens. BAföG rauf! Die Bedarfssätze und Freibe- träge müssen entsprechend der Entwicklung von Le- benshaltungskosten und Einkommen erhöht werden. Studiengebühren in sieben unionsregierten Ländern bringen erhebliche finanzielle Mehrbelastungen für einen Großteil der Studierenden mit sich. Hinzu kommen die Altersbeschränkung des Kindergelds auf 25 Jahre und die Umstellung von Elterngeld auf Erzie- hungsgeld, die studierende Eltern benachteiligt. Zweitens. Familien besser unterstützen! Wir brauchen familienfreundlichere Hochschulen, mehr Unterstüt- zung für studierende Eltern sowie mehr und bessere Kin- derbetreuungsangebote mittels eines Rechtsanspruchs ab dem vollendeten ersten Lebensjahr. Zudem müssen BAföG-Empfängerinnen und -Empfänger während der Ausbildung einen Kinderzuschuss erhalten. In diesem Anliegen unterstützen wir die Bundesregierung. Der bis- herige Darlehensteilerlass nach dem Studium muss zu- mindest für diejenigen Eltern erhalten bleiben, für die die neue Kinderkomponente zu spät kommt. Drittens: Elternunabhängig fördern! Das Vorhaben der Großen Koalition, die elternunabhängige Förderung im zweiten Bildungsweg beim Besuch von Abendgym- nasien und Kollegs zu beschneiden, ist ein fatales Signal an junge Menschen eher bildungsferner Herkunft. Die Sicherheit des elternunabhängigen BAföGs ist für viele Schülerinnen und Schüler eine entscheidende Motiva- tion, sich nach Lehre oder Beruf höher zu qualifizieren. Hier legt Schwarz-Rot einem sozialen Aufstieg durch Bildung Steine in den Weg. Ziel der geplanten BAföG-Novelle muss es sein, Ge- rechtigkeitslücken zu schließen. Wir machen hierzu wei- tere Vorschläge, zum Beispiel auch für Studierende mit Migrationshintergrund, für Studierende im Teilzeit- oder Auslandsstudium, für gleichgeschlechtliche Lebenspart- ner. Der Antrag der Koalition zeigt: Wer eine Bundes- ministerin stützt, die das BAföG für ein Auslaufmodell hält, kann keine zukunftsweisenden Reformen der Aus- bildungsförderung auf den Weg bringen. Die Anträge von Linkspartei und FDP decken sich in Teilen mit unse- rem Maßnahmenpaket. Die Wünsche der Linkspartei driften jedoch teilweise ins Schlaraffenland – ohne Rücksicht auf haushaltspolitische Vernunft und Nachhal- tigkeit. So laufen ihre Forderungen zum Beispiel darauf hinaus, dass der deutsche Steuerzahler die exorbitanten Auslandsstudiengebühren in Harvard in voller Höhe über die gesamte Studiendauer als Vollzuschuss über- nimmt. Bei der FDP freut uns die (späte) Einsicht, dass der „BAföG-Höchstsatz heute bei weitem nicht mehr zur Existenzsicherung ausreicht“. Wieso fordern Sie dann aber keine Erhöhung der BAföG-Sätze? Das ist genauso inkonsequent wie die eingangs erwähnten Aussagen der Koalitionspolitiker. Reden und Handeln müssen zusammenpassen. Über- arbeiten Sie Ihre BAföG-Novelle! Andernfalls wird die Gefördertenquote weiter sinken und Sie gefährden Ihr Ziel einer 40-prozentigen Studierendenquote. Eine wei- tere BAföG-Nullrunde ist keinesfalls akzeptabel. Andreas Storm, Parl. Staatssekretär bei der Bun- desministerin für Bildung und Forschung: Vor gut zwei Wochen hat die Bundesregierung den 17. BAföG-Be- richt vorgelegt. Er weist einen weiteren Anstieg der Ge- fördertenzahlen und des finanziellen Engagements von Bund und Ländern in der Ausbildungsförderung aus. Auch der Anteil derjenigen, die eine Vollförderung er- halten, ist weiter gestiegen. Erfreulich ist zudem die deutliche Zunahme der Geförderten im Ausland, die be- legt, dass die Internationalisierung der Ausbildung auch für BAföG-Geförderte zunehmend selbstverständlich wird. Der 17. BAföG-Bericht macht deutlich: Das Niveau der Ausbildungsförderung konnte auch in einer wirt- schaftlich und finanzpolitisch schwierigen Zeit konstant gehalten werden. Dies ist ebenso wie die nach wie vor angespannte Haushaltslage von Bund und Ländern zu beachten, wenn nun Forderungen nach einer baldigen Anhebung der Bedarfssätze und Freibeträge erhoben werden. Zurzeit ist der hierfür erforderliche finanzielle Spielraum angesichts der unverändert bestehenden Not- wendigkeit zur Konsolidierung der öffentlichen Haus- halte nach Ansicht der Bundesregierung nicht vorhan- den. Gleichwohl gibt es einen hinreichenden Bedarf zur Anpassung des BAföG an veränderte Rahmenbedingun- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 7991 (A) (C) (B) (D) gen. Wir wollen den Schülern und Studierenden neue Möglichkeiten und Chancen in ihrer Ausbildung eröff- nen. Deshalb wird die Bundesregierung in Kürze einen Gesetzentwurf vorlegen, der vier Schwerpunkte für ge- zielte strukturelle Verbesserungen in der Ausbildungs- förderung setzt. Erster Schwerpunkt: Wir wollen Familien schon wäh- rend der Ausbildung fördern und entlasten. Aus den bis- herigen Gesprächen über unsere Pläne habe ich den Eindruck gewonnen, dass die Richtigkeit einer familien- politischen Umsteuerung innerhalb des BAföGs von nie- mandem ernsthaft bezweifelt wird. Es ist bildungs- und familienpolitisch sinnvoll, sich stärker den finanziellen Belastungen junger Eltern während der Ausbildung zu widmen als den sehr viel später, nach abgeschlossener Ausbildung, entstehenden Lasten bei einer erst dann fol- genden Kinderbetreuung. Damit wir uns hier nicht missverstehen: Es geht uns nicht um ein „Baby-BAföG“, wie es die Liberalen for- dern. Es geht uns gerade nicht um Unterstützungsleis- tungen für und wegen des Babys – hier greifen bereits andere staatliche Leistungen. Was aber dringend nottut, ist eine Unterstützung für die Auszubildenden selbst, die ihnen eine Betreuung von Kindern auch zu Zeiten er- möglicht, zu denen Kindertagesstätten nicht geöffnet haben, aber Seminare und Veranstaltungen an der Uni die Präsenz des Auszubildenden fordern. Es geht also nicht um „Baby-BAföG“ nicht um den bildungs- und erziehungsbedingten Bedarf des Babys, wie es im FDP- Antrag fälschlicherweise dargestellt wird, sondern es geht, wenn Sie so wollen, um „Mütter-BAföG“ oder „Väter-BAföG“. Mit einem Kinderbetreuungszuschlag von 113 Euro pro Monat haben wir hierbei die richtigen Bemessungs- parameter im Blick und können eine spürbare Hilfe für die betroffenen Auszubildenden bieten, die ihre eigene Ausbildung mit der gleichzeitigen Elternverantwortung unter einen Hut bringen müssen. Über die Frage, welche Höhe für einen solchen pauschalen Betreuungszuschlag bei Auszubildenden mit mehreren Kindern die richtige ist, werden wir sicher im Verlauf der parlamentarischen Beratungen noch sprechen. Zweiter Schwerpunkt: Wir wollen die Ausbildung im Ausland erleichtern. Wir werden als weiteren Schritt zur Internationalisierung der Ausbildung die sogenannte Orientierungsphase abschaffen. Damit dehnen wir die BAföG-Förderung auf vollständige Ausbildungen im EU-Ausland und in angrenzenden Nachbarstaaten, ins- besondere der Schweiz, aus. Voraussetzung ist, dass sich die betreffenden Auszubildenden zuvor wenigstens drei Jahre im Inland aufgehalten haben. Damit verzichten wir auf den bisher zwingend erforderlichen Beginn der Ausbildung im Inland, der von einzelnen Auszubilden- den, die sich für ganz bestimmte Ausbildungsgänge im europäischen Ausland interessieren, als unnötiger Um- weg und Zeitverschwendung wahrgenommen wird. Ich will ganz deutlich sagen, dass wir hier zusammen und fast zeitgleich mit den Niederlanden, die in ihrem Aus- bildungsförderungsrecht eine vergleichbare Öffnung noch in diesem Jahr planen, innerhalb Europas eine ein- deutige Vorreiterrolle übernehmen. Als zweites Element des Internationalisierungspakets werden wir die Förderung außereuropäischer Praktika von dem bisherigen zusätzlichen Erfordernis „beson- derer Förderlichkeit für die Ausbildung“ befreien. Das Sammeln praktischer internationaler Erfahrungen wäh- rend der Ausbildung macht nicht an den Grenzen Euro- pas halt. Entbehrlich hingegen sind bei diesen in aller Regel kürzeren Praktikumsaufenthalten die Auslands- zuschläge, die ansonsten für Auslandsaufenthalte außer- halb der EU anfallen. Hiermit begegnen wir zugleich einer möglichen Missbrauchsgefahr durch eher touris- tisch motivierte Auslandsaufenthalte. Für Studienaufenthalte selbst haben wir Anlass gese- hen, die bisherige Regelung für Auslandszuschläge und im Ausland erhobene Studiengebühren zu modifizieren. In beiden Fällen sollte die Förderung künftig zur Hälfte als Zuschuss, zur anderen Hälfte als Darlehen gewährt werden. Mit Blick auf die im Inland geltenden Regelun- gen erscheint es zudem sinnvoll, ausländische Studien- gebühren künftig nur noch für die Dauer bis zu einem Jahr und bis zu einer Höchstgrenze von 4 600 Euro in- nerhalb der BAföG-Normalförderung zu berücksichti- gen. Die Finanzierung von Studiengebühren während länger andauernder Auslandsaufenthalte bis hin zu kompletten Auslandsstudien sollte hingegen außerhalb des BAföGs und unabhängig vom BAföG-Bezug erfol- gen – beispielsweise über das Studienkreditprogramm der Kreditanstalt für Wiederaufbau. Dies würde dann auch denjenigen Studierenden aus dem Mittelstand helfen, die einerseits keine BAföG-Berechtigung haben, andererseits aber die finanziellen Mittel für lang andau- ernde Auslandsstudien ohne ein solches Finanzie- rungsinstrument nicht aufbringen könnten. Dritter Schwerpunkt: Wir wollen die Förderung für Migranten verbessern. Bildung und Ausbildung sind ein wesentlicher Schlüssel für gelungene Integration. Des- halb wollen wir es ausbildungswilligen jungen Men- schen mit Migrationshintergrund erleichtern, diesen Weg zu beschreiten – auch dann, wenn sie nicht schon über ihre Eltern und deren Erwerbseinkünfte zum deutschen Steueraufkommen haben beitragen können, aus dem die Ausbildungsförderung finanziert wird. Wer mit dauer- hafter Bleibeperspektive in Deutschland lebt, sollte nicht dadurch von einer sinnvollen Ausbildung abgehalten werden, dass mit dem Beginn der Ausbildung ein Verlust von Transferleistungen nach dem SGB II droht und da- mit der Lebensunterhalt nicht mehr gesichert ist. Vierter Schwerpunkt: Wir wollen die Hinzuverdienst- grenzen erhöhen. Bislang sind die Obergrenzen für an- rechnungsfreie bleibende Hinzuverdienste je nach Art der Ausbildung gestaffelt. Weil es hierfür keine überzeu- gende Begründung mehr gibt, streben wir eine Verein- heitlichung der Hinzuverdienstgrenzen an und verbinden dies mit einer Anhebung auf das Minijob-Niveau von 400 Euro brutto monatlich. Viele Auszubildende haben ein Bedürfnis nach flexibel nutzbaren Möglichkeiten, selbst etwas zur Finanzierung ihrer Ausbildung beizutra- gen. Diesem Bedürfnis kommen wir nach. Lassen Sie 7992 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 (A) (C) (B) (D) mich an dieser Stelle ausdrücklich klarstellen: Es geht keineswegs darum, einen Rückzug aus der staatlichen Ausbildungsförderung einzuleiten oder vorzubereiten. Es geht vielmehr um mehr Spielräume für diejenigen, die aus eigenem Antrieb heraus zusätzliche individuelle Bedürfnisse befriedigen oder schlicht selbst stärker zur Finanzierung beitragen und ihre zum Unterhalt ver- pflichteten Eltern entlasten wollen. Um die genannten, wichtigen strukturellen Korrektu- ren innerhalb des BAföG finanziell abfangen zu können, werden wir im Bereich der Kollegschulförderung durch Rückbesinnung auf den eigentlichen Kern des zweiten Bildungswegs die Voraussetzungen für die elternunab- hängige Förderung nachsteuern. Wir halten es nur dann für gerechtfertigt, auf die Beteiligung zahlungskräftiger Eltern an der Ausbildungsfinanzierung zu verzichten, wenn diese unterhaltsrechtlich auch wirklich nicht mehr herangezogen werden könnten. Das scheint jedenfalls dann nicht ohne Weiteres der Fall, wenn die Kinder nicht wenigstens einmal durch eigene Erwerbstätigkeit im An- schluss an eine berufliche Ausbildung bereits auf eige- nen Füßen gestanden haben. Es ist nur konsequent und gerecht im Verhältnis zu anderen Auszubildenden, dies konkret zur Voraussetzung zu erheben und nicht länger als typischen Regelfall bei Kollegschülern und Abend- gymnasiasten ohne Weiteres zu unterstellen. Mir ist sehr wichtig, klarzustellen, dass dies nichts mit einer Beendi- gung der Ausbildungsförderung für Schüler auf dem zweiten Bildungsweg zu tun hat. Ziel ist ausschließlich eine Konzentration der Förderung auf diejenigen, die fi- nanziell auch tatsächlich darauf angewiesen sind, weil sie nicht auf Unterstützung aus dem Elternhaus zurück- greifen können. Mit diesen geplanten Änderungen werden wir wich- tige strukturelle Verbesserungen und Umsteuerungen er- reichen, die für die weitere Sicherung von Chancen- gleichheit in der Ausbildung geboten sind. Ich freue mich daher, dass die Koalitionsfraktionen mit ihrem Antrag diesen Weg vorbereiten und damit die Bundes- regierung darin bestärken, in wenigen Wochen einen ent- sprechenden Gesetzentwurf zu verabschieden. Dies ist ein gutes Signal für die Studierenden und die Schüler in unserem Land! Anlage 17 Zu Protokoll gegebene Reden Zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Absatzfondsgesetzes und des Holz- absatzfondsgesetzes (Tagesordnungspunkt 17) Marlene Mortler (CDU/CSU): Unsere Bäuerinnen und Bauern werden gebraucht und sind wichtige Leis- tungsträger in Wirtschaft und Gesellschaft. Das war auf der Grünen Woche in Berlin wieder deutlich zu spüren: Land- und Forstwirtschaft sind eine Zukunftsbranche! Für die deutsche Land- und Forstwirtschaft ist eine schlagkräftige Vermarktung ihrer Produkte – sowohl re- gional als auch national und international – sehr wichtig. Deshalb müssen wir erschlossene Märkte pflegen, aber auch neue erschließen. Dies kann sowohl die Land- als auch die Ernährungswirtschaft nicht allein, sondern nur gemeinsam in der „Kette“. Eines der wichtigsten Glieder in dieser Kette bildet der Absatzfonds. Er hat die Förderung des Absatzes und der Verwertung von Erzeugnissen der deutschen Land-, Ernährungs- und Forstwirtschaft zur Aufgabe. Würde man auf die zentrale Absatzförderung im Bereich der Land- und Ernährungswirtschaft verzichten, entfiele ein wichtiges Instrument zur Sicherung der Marktstellung und damit der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Land- und Ernährungswirtschaft. Die Bedeutung des Absatzfonds wird auch im Binnenmarkt infolge des ein- geleiteten Abbaus der Markt- und Preisstützung weiter zunehmen. Für den Sektor Landwirtschaft brauchen wir auch in Zukunft eine zentrale Marketingagentur – die CMA –, die diese Aufgaben wahrnimmt. Wir müssen über Marktent- wicklungen, Preise und Verbrauch informiert sein. Wir brauchen Markttransparenz. Wir brauchen auch unbedingt die ZMP. Diese Notwendigkeit wird derzeit leider ange- zweifelt. Ich erinnere an den Beschluss des Verwaltungsgerichts Köln vom 18. Mai 2006. Drei Unternehmen hatten in ei- nem Verfahren gegen die Pflichtbeiträge zum Absatz- fonds geklagt. Die Frage der Rechtmäßigkeit liegt dem Bundesverfassungsgericht vor. Mit einem Spruch des Bundesverfassungsgerichtes ist aller Voraussicht nach frühestens in zwei Jahren zu rechnen. Ich gehe aber fest davon aus, dass das Absatzfondsgesetz verfassungskon- form ist. Dies zeigt auch ein aktueller Beschluss des Verwal- tungsgerichts München. In dem Beschluss wurde unter anderem festgestellt, dass keine schwerwiegenden Zweifel an der Vereinbarkeit des Absatzfondsgesetzes mit dem Grundgesetz bestehen. Ebenso hat der Europäische Ge- richtshof in einem Urteil aus dem Jahr 2002 die zentrale Absatzförderung an sich nicht infrage gestellt. Erst 2004 hatte die EU-Kommission das Absatzfondsgesetz beihil- ferechtlich erneut genehmigt. Maßnahmen mit Her- kunftsbezug werden sogar mit EU-Mitteln kofinanziert. Viele EU-Mitgliedstaaten haben dem Absatzfonds vergleichbare nationale Institutionen. Dies zeigt sich ins- besondere an den jüngsten beihilferechtlichen Genehmi- gungen von Maßnahmen der österreichischen AMA und den britischen staatlichen Institutionen „Food from Britain“ und „English Beef and Lamb Executive“ durch die EU- Kommission. Beide Organisationen vergeben ebenfalls Qualitätssiegel für landwirtschaftliche Produkte, deren Herkunft und Qualität sie überprüft haben. Auch das CMA-Gütezeichen wird bei Vorliegen objek- tiver, innerer Merkmale der Erzeugnisse vergeben, wobei die Produktqualität unverändert im Vordergrund steht. Darüber hinaus gestatten die künftigen „Rahmenrege- lungen der Gemeinschaft für staatliche Beihilfen im Agrarsektor“ in ihrer jüngsten Entwurfsfassung die Ver- knüpfung von Gütezeichen und Ursprungsbezeichnung. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 7993 (A) (C) (B) (D) Begründet werden die Widersprüche in Deutschland mit Verweis auf den Beschluss des Verwaltungsgerichtes Köln. Getragen werden sie jedoch von prüfungsrecht- lichen Argumenten, von der Auffassung, dass die CMA wenig erfolgreich arbeitet, oder von der Sorge, im Falle einer Abschaffung des Absatzfonds abgeführte Beiträge nicht zurückzuerhalten. Nach einer aktuellen Studie allerdings wird die Wich- tigkeit einer Institution wie der CMA von der großen Mehrheit der Landwirte bestätigt. Nur eine verschwin- dend geringe Minderheit will die Abschaffung der CMA. Allerdings hatten die Widersprüche bereits zur Folge, dass der Verwaltungsrat des Absatzfonds auf Grund der schwebenden Rechtslage beschlossen hat, die Ausgaben rigide zu drosseln. Die Drosselung der Ausgaben wird erhebliche Folgen für Absatz und Verwertung von Erzeugnissen der Land- und Ernährungswirtschaft haben. Darüber hinaus leidet durch Einsparungen bei der ZMP die Markttransparenz, die bei Kauf und Einkauf von großer Hilfe für die Landwirte ist. Die Folgen der durch die Widersprüche erzwungenen Mittelkürzungen werden gravierend sein. Es wird im Inland zu tiefen Ein- schnitten beim zentral-regionalen Marketing kommen. Leider ist der Kontakt zum Landwirt für die Mehrheit der Bevölkerung nicht mehr selbstverständlich. Deutsche Bäuerinnen und Bauern produzieren heute in einem gesellschaftlichen Umfeld, das sich immer weiter von der Landwirtschaft entfernt. Es geht also auch darum, die Wertigkeit und Wertschätzung heimischer Nahrungsmittel stärker in den Fokus der Verbraucherinnen und Verbraucher zu rücken. Außerdem trägt die zentrale Absatzförderung zu einer höheren Wertschöpfung der deutschen Land- und Ernährungswirtschaft bei. Wenn wir zudem unsere Produkte in Deutschland und in fernen Ländern absetzen wollen, wenn wir in einigen Bereichen sogar höhere Erlöse erzielen wollen, weil wir höhere Standards bieten, müssen wir dies auch den Kon- sumenten erklären. Wir dürfen auch nicht zulassen, dass die Kommunikation zum Thema Sicherheit der Lebens- mittel nur noch auf Sparflamme betrieben wird. Darüber würden sich ausländische Anbieter ebenso freuen wie selbsternannte Verbraucherschützer. Deutschland zählt zu den größten Agrarexporteuren der Welt. 2004 wurden Agrargüter im Wert von rund 34,1 Milliarden Euro im Ausland abgesetzt. 1970 waren es erst 1,3 Milliarden Euro. Wir haben bereits beachtliche Märkte in den EU-Beitrittsländern und in Russland ge- wonnen. Diese Märkte erschließen sich nicht von selbst. In einem solch mittelständisch geprägten Umfeld wie der Agrar- und Ernährungswirtschaft braucht man starke Partner. Die CMA unterstützt vor allem kleine und mittlere Unternehmen, die im Exportgeschäft alleine kaum eine Chance hätten. CMA-Auslandsbüros in wichtigen Ländern der EU, in Amerika, Japan und China führen vor Ort Aktionen durch und stehen als Ansprechpartner für deut- sche Exporteure und ausländische Importeure zur Verfü- gung. So würde die CMA auch ihr äußerst erfolgreiches Marketing auf den expandierenden Auslandsmärkten zurückfahren müssen. Die gerade erwähnten Aufgaben, können nur mit Hilfe des Absatzfonds erfüllt werden. Diese Einrichtung ist enorm wichtig für die Wettbewerbsfähigkeit unserer landwirtschaftlichen Betriebe. Ich halte den Absatzfonds für das wichtigste Marketing- instrument der deutschen Land-, Forst-, und Agrarwirt- schaft für die Erschließung und Pflege von Märkten im In- und Ausland. Ich warne davor, bewährte und von ausländischen Anbietern kopierte Einrichtungen wie ZMP und CMA zu unterschätzen. Jeder Widerspruch trägt dazu bei. Um den Absatzfonds zukunftsfähig zu gestalten, hat die Koalition den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Absatzfondsgesetzes vorgelegt. Mit diesem Änderungsgesetz möchten wir die aufgaben- bezogene Verteilung der Ausgabenlast neu regeln, die im Absatzfondsgesetz verankerte gegenseitige personelle Verzahnung des Verwaltungsrates des Absatzfonds mit dem Aufsichtsorgan der Durchführungseinrichtung zur Absatzförderung aufheben und die Zahl der Mitglieder des Verwaltungsrates des Absatzfonds erhöhen und seine Zusammensetzung ändern. Außerdem sollen die Amts- zeiten des Vorstandes und des Verwaltungsrates des Holzabsatzfonds sowie die Fristen zur Entlastung des Vorstandes des Holzabsatzfonds und der Vorlage des Jahresabschlusses des Holzabsatzfonds verlängert werden. Ich verstehe mich als deutsche Agrarpolitikerin. Die Interessen unserer Landwirtschaft stehen für mich im Vordergrund. Unsere Land- und Forstwirtschaft steht für heimische Wirtschaftskraft und Arbeitsplätze. Wir sind stolz auf ihre Produkte und Leistungen. Die Wichtigkeit einer Institution wie der CMA wird nach einer aktuellen Studie von der großen Mehrheit der Landwirte bestätigt. Nur eine verschwindend geringe Minderheit will die Abschaffung der CMA. Wir sollten deshalb alles dafür tun, den Absatzfonds zu erhalten. Hier möchte ich besonders meinem Kollegen Herzog für seine geleistete Arbeit danken, und dem Gesetzentwurf nach den Ausschussberatungen zustimmen. Gustav Herzog (SPD): Wir beraten heute in erster Lesung das von den Koalitionsfraktionen vorgelegte Ge- setz zur Änderung des Absatzfondsgesetzes und des Holzabsatzfondsgesetzes. Dieses Gesetz hatten wir bereits in letzter Legislatur, im ersten Halbjahr 2005, in- tensiv beraten und beschlossen. Nun, wieso dann die Wiederholung, mögen sich einige fragen – ich muss ein- gestehen, dass das damalige Gesetzgebungsverfahren leider durch eine gewisse Unverständigkeit eines dama- ligen Koalitionskollegen blockiert wurde, der mit De- tails in der Sache und mit Parteizugehörigkeit Schwie- rigkeiten hatte. Letzten Endes kam es dann nicht zu einer, wie zunächst vorgesehen, überfraktionellen Eini- gung und daher vielmehr zu einer Beerdigung des Vor- gangs im Vermittlungssausschuss. So weit zur Historie. Das nun vorliegende Gesetz regelt im Wesentlichen die Erstattung der Personal- und Sachkosten, die der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung im Zuge der Erhebung der Sonderabgabe entstehen durch 7994 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 (A) (C) (B) (D) den Absatz- bzw. Holzabsatzfonds und die personelle Entflechtung des Verwaltungsrates des Absatzfonds mit dem Aufsichtsrat der CMA. In diesem Zuge wird die Zahl der Mitglieder des Verwaltungsrates des Absatz- fonds erhöht und ihre Zusammensetzung verändert, wei- terhin werden einige Fristen und Amtszeiten angepasst. Im Grunde sind das Hüte von gestern über die wir heute reden könnten, doch im Kielwasser der sich über- schlagenden Ereignisse des vergangenen halben Jahres bekommt die aktuelle Debatte einen anderen Zungen- schlag. Wir haben eine passende Gelegenheit, allgemein zum zentralen Agrarmarketing Stellung zu nehmen. Der Absatzfonds und seine Ausführungsgesellschaf- ten CMA und ZMP sind in jüngster Vergangenheit Ge- genstand heftiger Diskussionen in der Land- und Ernäh- rungswirtschaft, der Wissenschaft und leider auch der Gerichte geworden. Die geäußerte Kritik ist nicht neu. Aber auch nicht gänzlich falsch. Falsch sind Behauptungen, dass wir kein zentrales Agrarmarketing brauchen. Wir brauchen sogar dringend ein zentrales Werkzeug, um den Absatz landwirtschaftli- cher Produkte auf den Märkten im In- und Ausland zu befördern, um Inhalte an die Verbraucher zu transportie- ren und um Markttransparenz aufrechtzuerhalten und zu verbessern. Ein zentrales Instrument kann vieles leisten, was einzelwirtschaftlich niemals umzusetzen wäre. Wir brauchen also nicht weniger Agrarmarketing, sondern besseres. Ich bin auch davon überzeugt, dass die Behauptun- gen, das Absatzfondsgesetz sei verfassungswidrig und die Erhebung der Abgaben damit illegal, ins Leere lau- fen werden. Diese Entscheidung obliegt nun dem Bun- desverfassungsgericht. Doch ich bin zuversichtlich, dass es nach Prüfung des Sachverhalts dem Vorlagenbe- schluss nicht folgen wird. Denn zum einen haben sich nicht nur der Deutsche Bundestag, die Bundesregierung und der Bundesrat inklusive Vermittlungssausschuss in- tensiv mit dem Gesetz beschäftigt und beschlossen. Zu- dem wurden die vorgesehenen Änderungen und damit auch das Gesetz selber ebenfalls von der EU-Kommis- sion notifiziert und damit auch für gemeinschaftstaug- lich befunden. Es würde mich doch sehr verwundern, wenn diese geballte Kompetenz die Basisprüfung auf Verfassungsgerechtheit vergessen hätte. Auch die Landwirtschaft gibt laut der neuesten Um- frage an der Basis ein anderes Meinungsbild als es die Berichterstattung der letzten Monate hatte vermuten las- sen. Als Fazit des eingeholten, sehr differenzierten Mei- nungsbildes steht ein „Ja, aber“ zum Absatzfonds und insbesondere zur CMA. Nutzen wir gemeinsam die parlamentarische Bera- tung zu diesem Änderungsgesetz und die anberaumte Expertenanhörung, eine Grundlage für eine breite Dis- kussion zur Optimierung des zentralen Agrarmarketings zu legen. Ich kann mich in dieser Sache nur wiederho- len: Wir brauchen nicht weniger sondern besseres Agrar- marketing! Betrachten wir die Krise als Chance und neh- men wir die an den Absatzfonds gestellten Forderungen nach Optimierung der Struktur und Strategie ernst. Nur gemeinsam mit den Beitragszahlenden macht es Sinn, den Fonds zu erhalten. Hans-Michael Goldmann (FDP): Durch die anste- hende kleine Novelle des Absatzfondsgesetzes, die wir heute in erster Lesung beraten, werden durchaus sinn- volle Änderungen auf den Weg gebracht, aber sie geht am Kernproblem vorbei. Ein Blick in die Begründung offenbart uns allerdings, worum es bei dieser Novelle wirklich geht, nämlich dem Bundesverfassungsgericht eine Rechtfertigung zu lie- fern, das Absatzfondsgesetz im Grundsatz als verfas- sungsgemäß einzustufen. Ob dieser Weg Erfolg verspre- chend ist, bleibt abzuwarten. Worum geht es denn nun eigentlich bei diesem Thema? Seit 1969 wird von den Produzenten des grünen Bereichs eine Zwangsabgabe erhoben, um mit zentralen Marketingstrategien den Absatz und Export landwirt- schaftlicher Produkte zu fördern. Wir kennen die alten Werbesprüche noch: Qualität aus deutschen Landen! Doch wir alle wissen auch, dass die Werbung für speziell deutsche landwirtschaftliche Produkte seit einem Urteil des EuGH verboten ist und nur noch ganz allgemein für Milch oder Blumen oder Ähnliches geworben werden darf, wovon dann nicht nur unsere heimischen Produ- zenten profitieren, sondern natürlich auch die Impor- teure. Ich bin froh, dass unser Ausschuss bereits eine Anhö- rung zum Absatzfonds beschlossen hat. Da werden wir die Gelegenheit haben, ausführlich über die Vor- und Nachteile der zentralen Absatzförderung zu diskutieren. Zwangssysteme unterliegen in einer rechtsstaatlichen Demokratie immer einem besonderen Rechtfertigungs- druck. Der Nutzen für die zwanghaft Beglückten muss offensichtlich sein. Als Liberaler bevorzuge ich grund- sätzlich freiwillige Systeme, aber in manchen Fällen muss man auch eine Pflicht verfügen, wie zum Beispiel bei der Kfz-Haftpflicht oder bei der Kranken- und Ren- tenversicherung. Doch ist die Gruppennützigkeit, die Voraussetzung für die Verfassungsmäßigkeit des jeweiligen Zwangssys- tems, auch noch beim Absatzfonds so offensichtlich? Das Verwaltungsgericht Köln, das mit seinem Urteil im letzten Jahr für das anstehende Verfahren vor dem Ver- fassungsgericht gesorgt hat, bezweifelt die Gruppennüt- zigkeit der Zwangsabgabe. Ich weiß natürlich, dass die überwiegende Zahl der Verbände für den Erhalt des Absatzfonds eintritt. So wird zum Beispiel auf den Nutzen der Exportförderung durch den Absatzfonds hingewiesen. Doch wir alle wis- sen auch, dass die Unzufriedenheit unter den Bauern über die Effizienz der CMA hoch ist. Viele fühlen sich durch die Werbung schlicht nicht vertreten, müssen aber trotzdem die Abgabe zahlen, und andere bezweifeln, dass die Werbung der CMA für sie irgendwelche Vor- teile bietet. Betrachten wir einige der Probleme einmal etwas näher. Ist die Exportförderung wirklich so entscheidend Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 7995 (A) (C) (B) (D) für die Landwirte? In einem Fernsehbericht des Bayeri- schen Fernsehens wurde letzte Woche davon berichtet, dass die Auslandsmessenbetreuung vor allem von den Vertrieben landwirtschaftlicher Produkte genutzt wür- den, also zum Beispiel von Lidl und Aldi. Welcher land- wirtschaftliche Produzent setzt denn seine Produkte tat- sächlich über Auslandsmessen direkt im Ausland ab? Der Hähnchenmäster beliefert Wiesenhof, der Fleisch- produzent Tönnies, der Obst- und Gemüsebauer Krefeld usw. Wie profitieren diese Landwirte denn von der Ex- portförderung oder der Absatzförderung allgemein? Ich finde es auch seltsam, dass die Landwirte ihre Ex- portförderung selber bezahlen, während das Bundeswirt- schaftsministerium 180 Millionen Euro Steuermittel für die gesamte Außenwirtschaftsförderung des nichtgrünen Bereichs einsetzt und allein 36 Millionen Euro für die Auslandsmessenbetreuung. Warum müssen Bauern dies aus eigener Tasche bezahlen und für den nichtgrünen Bereich bezahlt dies der Steuerzahler? Insbesondere die sogenannten Flaschenhalsbetriebe wenden sich immer wieder gegen den Absatzfonds und bestreiten den Sinn und Zweck des zentralen Absatzmar- ketings. Angesichts dessen, dass die meisten landwirt- schaftlichen Betriebe doch nur noch beim regionalen Marketing einen direkten Kontakt zum Endverbraucher haben, stellt sich auch mir die Frage, worin der Sinn liegt, in allgemeiner Werbung zum Beispiel Milch anzu- preisen? Der Bauernverband spricht davon, dass die CMA-Werbung ganz allgemein dem Verbraucher die Werthaltigkeit landwirtschaftlicher Produkte vermitteln soll. Aber glaubt denn wirklich jemand, dass die CMA Einfluss auf die Verbraucherentscheidung nehmen könnte, lieber ein Buch, einen CD-Player, Design-Klei- dung oder ein Stück Qualitätsfleisch zu kaufen? Das sind alles Fragen, denen wir im weiteren parla- mentarischen Verfahren nachgehen müssen. Das sind Fragen, die deutlich machen, unter welchem Rechtferti- gungsdruck der Absatzfonds und damit auch wir als Agrarpolitiker stehen. Mir scheint, dass die Regierung es sich mit ihrer klei- nen Novelle zu leicht gemacht hat. Das Urteil des Bun- desverfassungsgerichts wird nicht vor 2009 erwartet. Warum hat die Regierung nicht eine umfassende Reform auf den Weg gebracht und angestoßen? Selbst von de- nen, die grundsätzlich für den Erhalt des Absatzfonds eintreten, gibt es eine Reihe von grundlegenden Reform- forderungen, um die Effizienz der Werbung zu erhöhen. Diese Diskussion bis nach einem Urteil zu verschieben, halte ich für sehr riskant. Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Der Gesetz- entwurf der Bundesregierung zur Änderung des Absatz- fondsgesetzes geht mit Eleganz an den eigentlichen Fra- gen zur Notwendigkeit und Struktur der CMA und ZMP vorbei. Im Mai 2006 entschied das Verwaltungsgericht Köln, dass die Zwangsabgaben, die die Molkereien, Schlacht- höfe, Mühlen usw. an den Absatzfonds abführen müs- sen, verfassungswidrig seien, und überwiesen das Urteil zur Überprüfung an das Bundesverfassungsgericht. In der Folge gab es eine Kampagne unter Landwirten. In direkten Schreiben wiesen sie die Schlachthöfe, Molkereien usw. darauf hin, gegebenenfalls die für die Zwangsabgabe abgezogenen Beiträge wieder zurückzu- fordern. Die Konsequenzen sind bekannt: Durch die er- forderlichen finanziellen Rückstellungen können die CMA und auch die ZMP nicht mehr in gewohnter Weise weiterarbeiten. Die Bauern, die für ihre Rückforderungs- optionen die Briefe an die Verarbeitungsbetriebe ge- schrieben haben, waren allerdings vermutlich nicht die- jenigen 1 000 Landwirte, die in einer Umfrage des Bauernverbands während der Grünen Woche als große Befürworter der CMA vorgestellt wurden. Die Frage stellt sich: Welcher Teil der Landwirtschaft stellt die Mehrheit dar? Es waren immerhin genügend Landwirtinnen und Landwirte, die zur Wahrung ihres eigenen Rechtes auf die Rechtslage hingewiesen haben, um die CMA und die mit ihr verbundene ZMP in eine finanzielle Notlage zu brin- gen. Die zeitlich befristeten Stellen in den Institutionen wurden bereits gekündigt, einige der üblichen – allerdings auch nicht unumstrittenen – Kampagnen der CMA muss- ten auf Eis gelegt werden. Das ist unbestritten eine schwierige Situation. Aller- dings bleibt offen, ob der Schaden für die Absatzsitua- tion inländischer Produkte wirklich so dramatisch ist, wie er beschrieben wird. Der Absatzfonds existiert bereits seit 1969. Trotzdem ist bis heute durchaus um- stritten, ob die durch ihn finanzierten Werbe- und Ab- satzkampagnen wirklich zu einem höheren Absatz ein- heimischer Produkte geführt haben. Zudem leben wir unterdessen in einem gerade auf dem Agrarsektor weit- gehend harmonisierten europäischen Binnenmarkt mit offenen Grenzen. Nach EU-Recht darf unterdessen nicht mehr für staatlich, das heißt national abgegrenzte Pro- dukte geworben werden. Die CMA hat das durchaus be- rücksichtigt, indem für Warengruppen wie Milch oder Fleisch ohne Kennzeichnung der nationalen Herkunft geworben wurde. Haben diese Marketingaktionen dann aber die beabsichtigte große Wirkung, dass es noch messbare Absatzvorteile für heimische Produkte gibt? Das bleibt zumindest umstritten. Tatsache ist, dass viele Betriebe offensichtlich die Arbeit des Absatzfonds nicht bemerken – außer bei den regelmäßigen Abzügen in den Lieferabrechnungen für Milch, Getreide oder Tiere. Andererseits: Die CMA-Siegel erfreuen sich bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern trotz der Präsenz über Jahrzehnte immer noch erstaunlicher Unbekannt- heit. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Absatzwer- bung von Markenprodukten der Lebensmittelindustrie nichts mit der CMA-Werbung zu tun hat. Die Lebens- mittelindustrie wirbt für sich und für ihre Produkte, wie wir wissen, mit zum Teil großen Erfolg. Diese Werbung finanziert sie selbst und völlig freiwillig. Im Übrigen macht das auch jede Landwirtin oder jeder Landwirt bei der eigenen Direktvermarktung oder für den eigenen Hofladen! 7996 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 (A) (C) (B) (D) Die Freiwilligkeit ist dabei der große Knackpunkt, der auch vor dem Verfassungsgericht womöglich entschei- dend ist. Landwirte, die wegen Verbandsproduktionen, zum Beispiel bei Neuland oder Bioland, zum Teil noch erhebliche eigene Beiträge zum Marketing dieser Ver- bände zahlen, sehen erst Recht nicht ein, warum sie noch Zwangsbeiträge an eine so anonyme Institution wie die CMA zahlen sollen. Aber: Es gibt durchaus Tätigkeiten des Absatzfonds, die gerade aus heutiger Sicht als unverzichtbar erschei- nen. So sind die Preismeldesysteme der ZMP für viele Betriebe eine wichtige Orientierungshilfe geworden. Auch für sich entwickelnde Marktbereiche wie der Bio- markt kann die ZMP viel zur Orientierung in der Preis- findung beitragen. Fragt man die Betriebsleiterinnen und Betriebsleiter nach der CMA und der ZMP, kommt so- fort und viel Positives über den Nutzen, den die ZMP für die Betriebe bringt. Aus unserer Sicht sollte es in der Diskussion der Ge- setzesnovelle auch darum gehen, die CMA und ZMP zu- kunftsfähig zu machen. Das heißt: eine Evaluation und dann Konzentration auf die Aufgaben, die aus der Sicht der beteiligten Beitragszahler sinnvoll und notwendig er- scheinen. Die Linke fordert ein Zukunftskonzept der CMA und der ZMP, wobei vielleicht notwendige Um- strukturierungen natürlich sozialverträglich und unter Wahrung der Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehme- rinnen und Arbeitnehmer vollzogen werden müssen. Da- bei muss es auch darum gehen, dass die betroffenen Beitragszahlerinnen und Beitragszahler das Finanzie- rungssystem der Institutionen akzeptieren. Ein Auftrag, der im Gesetzentwurf der Regierung noch nicht im An- satz aufgenommen worden ist. Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN): Die CMA veröffentlichte jüngst die Ergebnisse einer Befra- gung: Demnach halten 71 Prozent der Landwirte die Ar- beit der CMA für wichtig, um die Wertschätzung für hei- mische Produkte bei den Verbrauchern zu unterstützen, 58 Prozent sind der Ansicht, die CMA stehe hinter den deutschen Bauern. Die Werbeaktivitäten der CMA be- werteten 59 Prozent der Befragten mit „gut“. Die CMA präsentiert diese Zahlen mit Stolz und wer- tet sie als Bestätigung ihrer Arbeit. Es kann bezweifelt werden, ob diese Schlussfolgerung berechtigt ist. Im Umkehrschluss deuten die Ergebnisse allerdings darauf hin, dass fast 30 Prozent der Landwirte die Arbeit der CMA für unwichtig halten, dass mehr als 40 Prozent nicht den Eindruck haben, die Organisation, die sie aus ihren Abgaben finanzieren, steht wirklich hinter ihnen, und von der Qualität der Werbemaßnahmen sind auch mehr als 40 Prozent nicht überzeugt. Das ist also gerade kein gutes Zeugnis, das die Landwirtschaft der Zentralen Marketingagentur hier ausgestellt hat. Die Legitimationskrise des Absatzfonds ist nicht neu. Das EU-Recht lässt für herkunftsbezogene Werbemaß- nahmen nur noch einen geringen Spielraum. Die Frage, ob überhaupt und in welchem Maße die Abgabe zahlen- den deutschen Erzeuger auch wirklich profitieren, wird seit Jahren kontrovers diskutiert. Durch die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln vom Mai 2006 und der darin geäußerten Zweifel an der Verfassungskonformität wurde aus der schwelenden Krise dann schlagartig eine existenzielle Bedrohung. Die Flut an Klageverfahren, die folgte, zeigte das Ausmaß an Misstrauen und Unzufriedenheit in weiten Kreisen der Verarbeitungsbetriebe und bei den Landwirten. Kritik kommt auch vonseiten der Verbraucherverbände. Mit ihren Werbesprüchen hat die CMA doch einige Male daneben gelegen. Mit stark gekürzten Etats müssen sich CMA und ZMP nun vorerst über die Runden retten. Eine Entschär- fung der Krise erhoffen sie sich durch den hier vorlie- genden Gesetzentwurf. Daher wird im Begründungsteil sehr ausführlich zum Zweck und zur Aufgabenstellung des Absatzfonds Stellung genommen und die Bedeutung der Absatzförderung für die deutsche Land- und Ernäh- rungswirtschaft dargestellt. Bei der kleinen Novelle des Absatzfondsgesetzes geht es ja eigentlich um eher unbedeutende, technische Ände- rungen. Die neue Regelung zur Erstattung der Personal- und Sachkosten aus dem Absatzfonds an die Bundesan- stalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) entspricht dem Gebot einer aufgabenbezogenen Verteilung der Aus- gabenlast. Rot-grün hatte diese Kostenerstattung – unter massiver Kritik der Union – bereits beschlossen. Im Er- gebnis hat die CDU das Gesetz im Bundesrat vor der vor- gezogenen Neuwahl sterben lassen. Interessant ist, dass sie diese Regelungen jetzt völlig widerstandslos mitträgt. Die vorgesehene Änderung in der Zusammensetzung des Verwaltungsrates, die Verlängerung der Amtszeiten des Vorstandes und der Verwaltungsratsmitglieder, die Fristverlängerungen: hier lohnt es sich eigentlich auch nicht wirklich, groß drüber zu streiten. Ich möchte hier und heute zur verfassungsrechtlichen Frage keine Stellung beziehen. Diese Frage wird noch eingehend zu prüfen sein. Wir haben ja auch die Anhö- rung dazu am 7. März im Ausschuss. Ich gehe momen- tan nicht davon aus, dass der Absatzfonds durch Karls- ruhe zu Fall gebracht wird. Die Legitimationskrise des Absatzfonds lässt sich aber nicht durch eine kleine Novelle lösen, und auch nicht durch Gerichtsurteile, wie jüngst durch das Ver- waltungsgericht München. Das eigentliche Problem ist: Der Absatzfonds hat keine wirkliche Rückendeckung, weder seitens der Lebensmittelwirtschaft noch seitens der Bäuerinnen und Bauern. Das wird aus den Pressebe- richten und auch aus den zahlreichen Zuschriften, die ich und sicher auch die Kollegen aus den anderen Fraktio- nen in den letzten Monaten erhalten haben, allzu deut- lich. Seit langem fordern die Grünen und kritische Organi- sationen wie das Agrarbündnis, aber auch die Wirt- schaft, eine radikale Reform. Der Absatzfonds braucht ein neues Konzept. Die Arbeit der CMA gehört auf den Prüfstand. Kritik kommt nicht nur von den Beitragszah- lern, auch von unabhängigen Wissenschaftlern, wie bei- spielsweise Prof. Dr. Tilman Becker von der Universität Hohenheim. Er vertritt die These, dass insbesondere die Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 7997 (A) (C) (B) (D) Maßnahmen der gattungsbezogenen Werbung weitge- hend wirkungslos sind und vermutlich kaum zu einer Einkommensverbesserung der Landwirte beitragen. Akzeptanz findet die Absatzförderung dagegen im Bereich des zentral-regionalen Marketings, denn hier be- stehen echte Chancen, den Absatz regionaler Produkte zu fördern und zur Steigerung der Wertschöpfung und zum Erhalt von Arbeitsplätzen beizutragen. Auch Ex- portförderung hat ihre Berechtigung. Ebenfalls sehr sinnvoll sind Maßnahmen zur Schaffung von mehr Transparenz für die Verbraucher und zur Qualitätssiche- rung. Hauptkritik ist auch die fehlende Evaluierung von un- abhängiger Seite. Die Erfolgskontrolle der CMA ist un- zureichend. Ein hoher Bekanntheitsgrad der CMA ist ein Beleg für erfolgreiche Werbung in eigener Sache, doch das nützt nicht unbedingt auch den Beitragszahlern, dem Image und dem Absatz der Produkte. Ich fordere daher eine transparente und objektive Erfolgskontrolle, ebenso eine Transparenz bei der Mittelverwendung statt perma- nenter Heimlichtuerei. Die Beitragszahler, aber auch die Steuerzahler haben ein Anrecht darauf, zu erfahren, wo- für ihre Gelder verwendet werden und ob Maßnahmen die gewünschte Wirkung erzielt haben oder nicht. Ich stelle auch in Frage, ob die CMA als zentrale Agentur alles abwickeln muss. Viel besser wäre es, die unterschiedlichen Aufgabenbereiche jeweils im Aus- schreibungsverfahren an geeignete Bewerber zu verge- ben. Auch in diesem Bereich wäre weniger Monopol und mehr Wettbewerb sicherlich ein Gewinn an Effi- zienz und Qualität. Dennoch halte ich die Arbeit des Absatzfonds für wichtig. Es wäre sehr gefährlich, das Instrument des staatlich geförderten Agrarmarketings in Deutschland aufzugeben. Damit würde dieses Feld der Nahrungsmit- telindustrie überlassen, mit möglichen weiteren negati- ven Folgewirkungen für das Ernährungsverhalten. Die anderen Mitgliedstaaten der EU verfügen über ver- gleichbare Instrumente des aus Abgaben und öffentli- cher Kofinanzierung gespeisten Gemeinschafsmarke- tings, in Frankreich beispielsweise betragen die Aufwendungen dafür 286 Millionen Euro in 2003, in Deutschland 159 Millionen Euro und in den Niederlan- den 102 Millionen Euro. Die deutsche Land- und Ernährungswirtschaft braucht dieses Instrument, um im Wettbewerb weiterhin bestehen zu können. Lebensmittel brauchen mehr Wert- schätzung, ebenso wie Agrarkultur, Genuss und Gesund- heit. Marktorientierung und Wettbewerb in der Land- wirtschaft werden zunehmen, wie wir alle wissen, und ja auch vom Grundsatz her begrüßen. Wir Grüne setzen uns dafür ein, dass im Wettbewerb Qualität sowie hohe Standards und die besonderen Leistungen der Landwirt- schaft für Tierschutz oder Naturschutz gestärkt werden. Dafür können die Möglichkeiten der mit öffentlichen Geldern bezuschussten Absatzförderung genutzt wer- den. In jeder Krise steckt auch eine Chance. Ich hoffe, der Absatzfonds nutzt endlich diese Chance, zum Wohle der Landwirtschaft und Lebensmittelwirtschaft in Deutsch- land. Ohne grundlegende Reform kann das Instrument „Zwangsabgabe“ nicht mehr aufrechterhalten werden. Anlage 18 Zu Protokoll gegebene Reden – Entwurf eines Gesetzes zu dem Zusatzproto- koll vom 12. September 2002 zum Überein- kommen vom 16. November 1989 gegen Do- ping – Antrag: Bekämpfung des Dopings im Sport (Tagesordnungspunkt 25, Zusatztagesordnungs- punkt 11) Bernd Heynemann (CDU/CSU): Der Deutsche Olympische Sportbund hat in seinem Positionspapier zum Staatsziel Sport unter Punkt 3.3 – Wertevermittlung – Fol- gendes festgehalten: Der Sport bietet vor allem jungen Menschen die Gelegenheit, ihre Grenzen auszuloten. Damit verbunden ist auch das Lernen, mit Misserfolgen umzugehen, seine Gegner zu respektieren, sich an Spielregeln zu halten, als Teamplayer zu agieren. Sportvereine sind „Schulen der Demokratie“, da sie viele Beteiligungsmöglichkeiten – gerade für Jugendliche – bieten. Sie vermitteln in großem Umfang die Werte unserer Gesellschaft. Gerade der sportliche Wettkampf ist eine Herausfor- derung an die eigene Leistungsfähigkeit. Dopingmittel werden eingesetzt, um Sieger zu sein. Das ist Betrug und hat keinen Wert. Seit dem Vorliegen des Gesetzentwurfes vom Oktober 2005 sind viele unrühmliche, aber medien- wirksame Dopingfälle passiert. Das größte Beispiel ist aus meiner Sicht der Dopingverdacht bzw. der wahr- scheinliche Dopingbetrug von Jan Ullrich, dem ehemaligen Tour-de-France-Sieger. Aber allein dieses Beispiel zeigt uns, wie mehrdimensionial dieser Dopingbetrug ist und wie gut koordiniert er abläuft. Der vor wenigen Wochen debattierte Gesetzentwurf gegen Doping hat in seinen Paragrafen 5, 7 und 8 Maßnahmen zur innerstaatlichen Koordinierung sowie zur Einschränkung der Verfügbar- keit von verbotenen Wirkstoffen festgelegt. Die Frage ist nun: Wie kann Doping verhindert werden? Es gab viele Beispiele für eine freiwillige Verpflichtung der Athleten, für Verpflichtungen zur Rückzahlung erhaltener unberech- tigter Prämien, zu mehr Transparenz, Trainingskontrol- len, und auch für schärfere Gesetzesanwendungen. Do- ping war und ist noch immer ein Thema. Gerade zu DDR-Zeiten wurde es wissenschaftlich und teilweise ohne Wissen der Athleten flächendeckend betrieben. So hat der Nachfolgekonzern des VEB Jenapharm, die jet- zige Jenapharm, im letzten Jahr 184 Dopingopfern des DDR-Sports ein Schmerzensgeld in Höhe von je 9 250 Euro auf freiwilliger Basis gezahlt, und ebenso hat sich der DOSB mit 167 DDR-Dopingopfern verständigt. Wir befassen uns im Bundestag schon längere Zeit mit dem Thema Doping und Antidopingmaßnahmen, 7998 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 (A) (C) (B) (D) und das nicht nur seit Vorliegen des Gesetzentwurfes aus dem Jahr 2005. Wir hatten im letzten Jahr zu diesem Thema eine Anhörung im Sportausschuss. Am Ende stellte sich die Frage nach der Unterstützung des Staates bei der Dopingbekämpfung: Ist politisches Handeln not- wendig? Im Kern war folgende juristische Frage zu beantworten: Soll der Besitz von Dopingsubstanzen straf- frei bleiben? Der DOSB hat sich mit seinem 10-Punkte- Programm vom Dezember 2006 in Weimar für ein ver- schärftes Arzneimittelgesetz, gegen ein Strafgesetz und gegen den Straftatbestand des Besitzes von Dopingmitteln ausgesprochen. Wer aber ein Strafgesetz fordert, muss wissen, dass ein solches Gesetz nicht nur für den Hoch- leistungssport gemacht werden kann; es gilt dann für alle Bürger, das heißt auch für die Nutzer der vielen Fitness- studios. Wer sollte das dann – mit welcher Konsequenz und welchem Aufwand – kontrollieren und umsetzen? Ganz zu schweigen vom eingeleiteten Anfangsverdacht, sprich Anzeige bzw. Denunziation! Den Straftatbestand Sportbetrug im Gesetz zu verankern ist äußerst schwierig und fragwürdig. Dann ist beim Fußball die Schwalbe im Strafraum ein Gesetzesverstoß. Das kann doch niemand ernsthaft staatlich verfolgen wollen. Wir als CDU/CSU-Fraktion sehen uns hier auf einer Linie mit Dr. Michael Vesper, dem Generaldirektor des DOSB. Er sagt unter anderem: Im Kampf gegen Doping müssen Sport und Staat Hand in Hand arbeiten. Jeder da, wo er am besten ist. Sportler, die dopen, bestraft der Sport selbst und geradezu brutal. Bei positiven Tests kennt er keine Unschuldsvermutung, er verhängt Sperren, die nicht nur in Deutschland, sondern international greifen und einem Berufsverbot gleichkommen. Und er tut das sofort ohne langwierige Verfahren. Für ein Urteil braucht man oft Jahre. Ich glaube, das ist das härteste Mittel, das einen Sportler treffen kann: dass er nicht mehr seinen Sport ausüben darf. Außerdem ist es im Sport so, dass ein positiv getesteter Athlet seine Unschuld beweisen muss. Im staatlichen Rechtssystem ist es dagegen umgekehrt: Hier muss der Staat die Schuld nachweisen. Der Athlet könnte aufgrund seines Zeugnisverweigerungsrechts Tests ablehnen. In der Sportgerichtsbarkeit würde dies dagegen zu einer sofortigen Sperre führen. Gäbe es aber den Fall, dass ein vermeintlicher Dopingsünder durch die Sportgerichtsbarkeit gesperrt ist und ein Gericht ihn zwei Jahre später mangels Beweisen freispricht, dann würden die Strafen des Sports angreifbar, der konse- quente Kampf gegen das Doping würde ausgehebelt. Den Athleten mit dem Strafrecht nur zu drohen, ist keine Problemlösung. Das nun vorliegende Zusatzprotokoll zum Kampf gegen Doping ist eine praktikable und notwendige Ergänzung zum Übereinkommen vom 16. November 1989. Mit der Unterzeichnung durch die Bundesrepublik Deutschland hat sich eine bedeutende Sportnation klar bekannt, die Wirksamkeit der Kontrollen zu erhöhen, zu harmonisieren, zu akzeptieren und multilateral umzusetzen. Wer sich als Staat nicht per Unterschrift zu diesem Protokoll und seiner inhaltlichen Umsetzung bekennt, darf sich durchaus dem Ruf ausgesetzt sehen, dem Doping etwas Positives abge- winnen zu wollen. Die WADA, die Anti-Doping-Welt- agentur, und auch die NADA, die Nationale Antidoping- agentur, werden jetzt in ihrer Kompetenz und ihrer begleitenden Rolle im Hochleistungssport gestärkt. Es bedarf keines zusätzlichen Antrages durch die Frak- tion der Grünen, weil dieses vorliegende Zusatzprotokoll den Umsetzungsaufgaben voll gerecht wird. Die CDU/ CSU-Bundestagsfraktion stimmt für die Ratifizierung dieses Protokolls und sieht darin einen weiteren Schritt in Richtung eines sauberen Sports. Dr. Peter Danckert (SPD): Bereits in der vergangen Sitzungswoche haben wir uns hier an dieser Stelle mit der Dopingproblematik auseinandergesetzt. Dabei ging es darum, das Internationale Übereinkommen der UNESCO vom 19. Oktober 2005 gegen Doping im Sport zu verabschieden. Das Übereinkommen enthält wichtige Regelungen zur weltweiten Vereinheitlichung staatlicher Maßnahmen gegen Doping im Sport. Damit ist der Weg für eine internationale Bekämpfung von Do- ping im Sport frei. Dass das Thema Doping auch heute erneut auf der Ta- gesordnung des Deutschen Bundestages steht, zeigt, dass Doping im Bereich des nationalen und des internationa- len Spitzensports ein ernsthaftes Problem darstellt, das der Sport allein nicht in der Lage ist zu lösen. Doping im Sport ist Betrug am Mitbewerber, an den Zuschauern und an der Öffentlichkeit. Das heute in erster Lesung zu beratende Gesetz zu dem Zusatzprotokoll vom 12. September 2002 zum Übereinkommen des Europarates vom 16. November 1989 ist ein weiteres Instrument für eine effektive Do- pingbekämpfung. Es verpflichtet alle Vertragsparteien zur gegenseitigen Anerkennung der Durchführung von Dopingkontrollen. Bisher war dies nur auf der Grund- lage bilateraler Abkommen geregelt. In Zukunft erken- nen die Vertragsparteien gegenseitig die Zuständigkeit von Sportorganisationen oder nationalen Antidoping- Stellen an, in ihrem Hoheitsgebiet Dopingkontrollen bei Sportlern aus dem Hoheitsgebiet anderer Vertragspar- teien durchzuführen. Entscheidend ist auch, dass die Er- gebnisse gegenseitig anerkannt werden. Damit ist zu- mindest auf europäischer Ebene sichergestellt, dass zwischenstaatliche Dopingkontrollen besser koordiniert werden können. Darüber hinaus erkennen die Vertragsparteien durch das Zusatzprotokoll die Zuständigkeit der Welt-Anti-Do- ping-Agentur (WADA) und anderer ihr unterstellter Do- pingkontrollorganisationen für die Durchführung von Kontrollen auch außerhalb von Wettkämpfen bei den Sportlern an. Dies ist ein ganz entscheidender Punkt. Denn gerade bei den Dopingkontrollen – national wie in- ternational – liegt noch vieles im Argen. Die brisante Reportage der beiden Journalisten Hajo Seppelt und Jo Goll, die am 18. Januar 2007 in der ARD ausgestrahlt worden ist, hat sicherlich vielen von uns die Augen ge- öffnet. Hier war von 400 Fällen im Jahr 2006 die Rede, bei denen Athleten zu Dopingtests nicht angetroffen worden waren. Wie kann das sein? Bei den strengen Re- geln von NADA und WADA-Code dürfte das eigentlich nicht der Fall sein. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 7999 (A) (C) (B) (D) In der gestrigen öffentlichen Anhörung des Sportaus- schusses mit Vertretern der Nationalen Antidoping- agentur (NADA), des DOSB, Dopingkontrolleuren und Spitzenathleten – wer die Sitzung gestern verpasst hat, kann sich diese am 7. Februar 2007 auf Phoenix nach- träglich anschauen – hatte ich alle Beteiligten um Auf- klärung gebeten. Dabei hat die NADA Fehler bei der Umsetzung des Dopingkontrollsystems eingeräumt. Im vergangenen Jahr hätten 201 Fälle von nicht angetroffe- nen Sportlern – so genannte Missed Tests – an die Sport- verbände, die für die Sanktionierung des Athleten zu- ständig sind, weitergegeben werden müssen. Dies ist nicht geschehen. Noch etwas anderes ist bei der gestrigen Anhörung zutage getreten: Viele Athleten wissen nicht, dass sie al- lein dafür verantwortlich sind, die erforderlichen Anga- ben zu Aufenthaltsort und Erreichbarkeit zu machen. Hier muss eine bessere Aufklärung der Athleten erfol- gen. Gestatten Sie mir noch einige Bemerkungen zu dem vorliegenden Antrag der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Ich bedauere, dass die Grünen den in der ver- gangenen Woche von der Koalition eingebrachten Vor- schlag, den Besitz nicht geringer Mengen bestimmter Dopingsubstanzen (auch beim Sportler) unter Strafe zu stellen, ablehnen. Stattdessen unterbreiten sie uns in ih- rem gestern nachträglich eingebrachten Antrag den Vor- schlag zur Verankerung eines Straftatbestandes der „Ver- fälschung des wirtschaftlichen Wettbewerbs im Sport, der im wirtschaftlich relevanten Bereich des Sports die Wettbewerbsverzerrungen durch Einsatz von Doping- mitteln“ unter Strafe stellt. In dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen heißt es: „Sportlerinnen und Sportler, die nicht geringe Mengen von Dopingmitteln mit sich führen, können schon heute strafrechtlich belangt werden, wenn wegen der Menge nicht davon auszugehen ist, dass es sich nur um Doping- substanzen zur eigenen Verwendung handelt.“ Diese Auffassung ist schlicht falsch, weil bislang allein der Be- sitz von unerlaubten Substanzen nach dem Arzneimittel- gesetz (AMG) nicht strafbar ist. Ich bin überzeugt, dass der Kompromiss der Koali- tionsfraktionen der Durchbruch im Kampf gegen Doping ist. Selbst der Deutsche Olympische Sportbund, der be- kanntlich in der Frage der Besitzstrafbarkeit anderer Auffassung war, beteuert, „dass alles das, was nun in das Gesetzgebungsverfahren von Bundestag und Bundesrat eingebracht wird, im Einklang steht mit dem, was wir in Weimar nach eingehenden Beratungen in unserem Ak- tionsplan beschlossen haben“. Na bitte! Dagmar Freitag (SPD): Am 15. Februar 2006 hatte die Bundesrepublik Deutschland in Straßburg das Zu- satzprotokoll vom 12. September 2002 zum Überein- kommen des Europarates vom 16. November 1989 ge- gen Doping unterzeichnet. Mit dem nun von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf stimmen wir dieser Zusatzvereinbarung formal zu. Wir erwarten, dass durch die im Zusatzprotokoll gere- gelten Vereinbarungen zwischen den Vertragsstaaten die Effektivität der Dopingkontrollen erhöht wird. Bisher war eine gegenseitige Durchführung und Anerkennung von Dopingkontrollen zwischen den einzelnen Vertrags- staaten nicht geregelt. In Zukunft werden sich die Staa- ten, die das Zusatzprotokoll in nationales Recht umset- zen, gegenseitig ermächtigen, Dopingkontrollen bei Sportlerinnen und Sportlern aus dem Hoheitsgebiet an- derer Vertragsparteien nicht nur durchzuführen und an- zuerkennen, sondern das Ergebnis dieser Kontrollen auch den jeweiligen nationalen Antidopingorganisa- tionen und dem betroffenen Sportverband zur Verfügung zu stellen. Dies ist ein weiterer Schritt in Richtung einer effektiveren Bekämpfung des Dopings über Landesgren- zen hinaus, nachdem wir in der vergangenen Sitzungs- woche das Gesetz zum Internationalen Übereinkommen vom 19. Oktober 2005 gegen Doping im Sport verab- schiedet haben, das eine UNESCO-Konvention umset- zen und den Staaten erstmals ein weltweites Instrument für eine umfassende Dopingbekämpfung zur Verfügung stellen wird. Mit dem heute in erster Lesung beratenen Gesetzent- wurf wird zumindest in den europäischen Vertragsstaa- ten eine weitere Lücke geschlossen, die bisher von Ath- letinnen und Athleten, die Doping zur unerlaubten Leistungssteigerung anwenden, genutzt werden konnte. Das Zusatzprotokoll erkennt über die europäische Ebene hinaus die „Zuständigkeit der Welt-Anti-Doping-Agen- tur (WADA) und anderer ihr unterstellter Dopingkon- trollorganisationen für die Durchführung von Kontrollen auch außerhalb von Wettkämpfen bei ihren Sportlerin- nen und Sportlern“ an. Wir müssen – auf politischer und sportpolitischer Ebene – auch weiterhin auf eine Harmo- nisierung der auf internationaler Ebene geltenden Regu- larien hinarbeiten. Doping ist ein internationales Problem, dass sowohl die Sportverbände, die Antidopingorganisationen, aber auch die Regierungen weltweit dazu veranlassen muss, härtere Bandagen im Kampf gegen das Doping anzule- gen. Die Koalitionsfraktionen haben auf diesem Weg mit der vor kurzem getroffenen Vereinbarung einen großen Schritt in Richtung einer effektiven und wirksamen Ahn- dung von Dopingvergehen gemacht. In Zukunft soll der Besitz nicht geringer Mengen von bestimmten Doping- substanzen unter Strafe gestellt werden. Eins muss jedoch klar sein: auf diesem unbestrittenen Fortschritt dürfen wir uns nicht ausruhen; im Gegenteil: alle, denen an einem glaubwürdigen Antidopingkampf gelegen ist, sind nach den Erkenntnissen der letzten Sportausschussitzung aufgefordert, sich den dort offen- kundig gewordenen Problemen zu stellen und für Ab- hilfe zu sorgen. Verbände müssen sicher sein können, zeitnah über Regelverstöße ihrer Athletinnen und Athle- ten informiert zu werden; nur dann können die Sanktio- nen umgesetzt werden. Weitere Versäumnisse darf es an dieser Stelle nicht mehr geben. Weiterhin muss die Frage beantwortet werden, ob das derzeitige System der Urin- kontrollen den Aufwand und das Geld wirklich wert ist. Denn, wie verwundbar muss ein System sein, in dem Spitzensportler offenkundig jahrelang unentdeckt dopen 8000 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 (A) (C) (B) (D) können? Die NADA hat die Spitzenverbände zu einem Gespräch eingeladen; wir erwarten, dass dort auch Vor- schläge gemacht werden, wie das Kontrollsystem zu- mindest weitgehend wasserdicht werden kann. Hierzu gehört sicher auch der Vorschlag, sich nicht ausschließ- lich auf Urinkontrollen zu beschränken. Zusätzlich zu dem vorliegenden Gesetzentwurf zu dem Zusatzprotokoll vom 12. September 2002 zum Übereinkommen vom 16. November 1989 gegen Do- ping liegt uns ein Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Bekämpfung des Dopings im Sport“ vor. Nachdem die Koalitionsfraktionen sich in der vergan- genen Sitzungswoche auf die bereits angesprochene Re- gelung verständigen konnten – leider gab es für die auch vom Kollegen Hermann in der Vergangenheit favori- sierte Besitzstrafbarkeit dort in der Fraktion keine Mehr- heit – haben wir es heute mit einem neuen Vorschlag zu tun. Er scheint allerdings nach der Abstimmungsnieder- lage in der Fraktion mit der berühmten heißen Nadel ge- strickt zu sein. Anders ist kaum zu erklären, dass der Forderungsteil fast ausschließlich auf den Vermögens- schutz abhebt – von Doping gehen unbestritten erheblich mehr Gefahren und Nachteile aus. Der Schutz der Ge- sundheit spielt im vorliegenden Antrag eine völlig unter- geordnete Rolle, kommt in eher lyrischer Form im Ein- leitungsteil am Rande vor. Und ebenso bedauerlich: die von der Koalition verab- redete Einführung der Strafbarkeit des Besitzes nicht ge- ringer Mengen näher bezeichneter Dopingsubstanzen wird abgelehnt. Nicht nur bedauerlich – eigentlich un- fassbar! Es findet ein Paradigmenwechsel statt, den auch Nicht-Juristen verstehen können. Aber ich erkläre es gerne noch einmal. Der heutige § 6 a AMG hat sich als „totes Recht“ erwiesen, weil danach der Nachweis des Inverkehrbringens erbracht werden musste. Die Erfolgs- quote war gleich null. Nach der von uns vorgesehenen Regelung muss zukünftig die Abgabeabsicht nicht mehr nachgewiesen werden; der bloße Besitz einer nicht ge- ringen Menge der betreffenden Substanzen reicht aus. Damit wird die entscheidende Schwachstelle beseitigt. Und das soll kein Fortschritt sein? Insgesamt geht es im vorliegenden Antrag fast ausschließlich um den Schutz der Interessen des Kommerzes im Sport und weniger um die Ideale und den Schutz der Gesundheit von Sportlern. Und die auch von uns geforderte Einführung von Schwerpunktstaatsanwaltschaften macht natürlich nur Sinn, wenn ein tatsächlich anwendbares Gesetz vorliegt. Das ist bei der von uns vorgesehenen Regelung der Fall, da hieran bei Dopingverdacht ein Tätigwerden der Staatsanwaltschaft geknüpft werden kann. Fazit: Dieser Antrag wird die Bekämpfung von Doping in Deutsch- land nicht weiterbringen, deshalb wird dafür von uns keine Zustimmung gegeben. Detlef Parr (FDP): Erneut befassen wir uns heute mit der Dopingproblematik im Plenum, wegen des Zusatz- protokolls zum Übereinkommen vom 16. November 1989 gegen Doping, das wir vor zwei Wochen im Bun- destag bereits angenommen haben, und des Antrags von Bündnis 90/Die Grünen, auf den wir seit Jahren gewartet haben, genauer gesagt, seit fast neun Jahren. In den sieben Jahren Regierungsbeteiligung zusammen mit der SPD kam es – trotz mehrfacher, großer Ankündigungen – zu keiner nennenswerten Antidopinginitiative dieser Frak- tion. Jetzt hat sie einen ausführlichen Antrag vorge- legt. Die beschriebenen Feststellungen beschreiben die gegenwärtige Lage im Großen und Ganzen zu- treffend, und die Forderungen decken sich zum großen Teil mit denen des organisierten Sports, so zum Beispiel was die Änderung des Arzneimittelgesetzes, die Rück- forderung von Mitteln bei Verstößen gegen geleistete Zusagen, die Kennzeichnungspflicht von Arzneimitteln oder die Einrichtung von Schwerpunktstaatsanwalt- schaften angeht. Grundsätzlich könnten wir dem Antrag in diesen Punkten zustimmen. Vor allem die Ablehnung der Be- sitzstrafbarkeit des einzelnen Sportlers ist auch aus libe- raler Sicht überzeugend. In der Tat ist es bereits heute so, dass man gegen diejenigen vorgehen kann, die Doping- substanzen zum Handel besitzen. Auch Sportlerinnen und Sportler, die nicht geringe Mengen von Dopingmit- teln bei sich haben, können heute nach geltendem Recht strafrechtlich belangt werden. Die Kritik an dem Vorstoß der Großen Koalition bezüglich der Festlegung dieser Mengen ist gerechtfertigt. Probleme beim Vollzug dieser Gesetzesvorschrift sind – wie das BTMG beweist – leicht vorherzusagen. Die Forderung in Teil II, Punkt 4, „Verankerung eines Straftatbestandes der Verfälschung des wirtschaft- lichen Wettbewerbs im Sport“, können wir allerdings nicht mittragen. Die Möglichkeit eines Straftatbestandes Sportbetrug wurde auch innerhalb der ReSpoDo disku- tiert und fand schon damals keine Mehrheit. Auch im Laufe der Anhörung zum Doping im Sportausschuss im letzten Herbst wurde deutlich, dass diese Forderung nicht umzusetzen sei. Wie soll eine effektive Abgren- zung zwischen Freizeit- und Berufssport gewährleistet sein? Ab welchem Vermögensvorteil würde man eingrei- fen müssen? Die Gefahr einer Kriminalisierung großer Bevölkerungskreise ist nicht zu übersehen. Darüber hinaus scheint mir der Auffangtatbestand der Manipulationen uferlos. Bei gleicher Anwendung müsste man auch die Schwalbe im Strafraum – man denke an die Millionen, die beispielsweise ein Champions-League- Finale bringt – oder das unzulässige technische Equip- ment in der Formel 1 unter Strafe stellen. Keiner kann sich einen solchen Sachverhalt wünschen! Zu Recht weist der Antrag der Grünen in der Einlei- tung auf die Bedeutung des Sports und auf die Tatsache hin, dass in vielen Landesverfassungen der Sport bereits verankert ist. Kollege Hermann hat selber einst erklärt: „Die Diskussion um eine Aufnahme des Sports in das Grundgesetz muss vorangebracht werden.“ Genau dies machen Sie mit diesem Antrag nicht. Hier hätte ich ein stärkeres Zeichen erwartet: ein Plädoyer für den Sport im Grundgesetz, auch in diesem Zusammenhang. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 8001 (A) (C) (B) (D) Die Grünen haben nun die Chance, im Sportausschuss diese strittigen Punkte zu klären. Ich freue mich auf die weiteren Beratungen im Sportausschuss. Katrin Kunert (DIE LINKE): Nachdem Deutschland dem internationalen Übereinkommen gegen Doping im Sport beigetreten ist, müssen noch ausstehende Regularien international geklärt werden. Somit ist der Entwurf eines Gesetzes zu dem Zusatzprotokoll zum Übereinkommen gegen Doping nur folgerichtig. Das Zusatzprotokoll schafft die Grundlage für die gegenseitige Durchführung und Anerkennung von Dopingkontrollen. Dadurch kann die Wirksamkeit der Kontrollen erhöht werden. Bilaterale und multilaterale Vereinbarungen können transparenter und effizienter werden. So positiv die Tatsache auch zu werten ist, dass in- zwischen über 40 Staaten dem Übereinkommen gegen Doping im Sport beigetreten sind, so vermisse ich schon einige Sportnationen, die im wirksamen Kampf gegen Doping wichtig wären. Wenn wir über die Bekämpfung des Dopings im Sport reden und über geeignete Maßnahmen streiten, müssen viele Gesichtspunkte berücksichtigt werden. So finde ich die Feststellung in der Einleitung des Antrages der Grünen vom Ansatz her richtig. Dort heißt es: „Erkennbar ist auch, dass der Sport alleine mit den Problemen nicht fertig werden kann. Dies bedeutet nicht, dass staatliche Maß- nahmen anstelle der Dopingbekämpfung durch den Sport treten sollen. Vielmehr müssen Sport und Staat ihre Maßnahmen und Strategien zur Dopingbekämpfung verbessern.“ Die Grünen schlagen eine Vielzahl von Maßnahmen vor, die in der Tat diskussionswürdig sind. Dieser Antrag ist als Grundlage besser geeignet als die von der Koalition nach hartem Ringen veröffentlichte Presseerklärung zu diesem Thema. Die Erhöhung der bundesstaatlichen Finanzmittel zur Dopingbekämpfung ist erforderlich. Das sehen wir genauso. Ein Sportfördergesetz des Bundes hat die Linke bereits im Rahmen der Debatte um das Sportwettenmonopol vorgeschlagen. Wir brauchen ein Sportfördergesetz – un- abhängig vom Kampf gegen das Doping. Ein solches Gesetz sollte sich nicht nur auf die Dopingbekämpfung beschränken. Problematisch an dem Antrag der Grünen ist jedoch, dass ausweislich der Begründung auch bei Verstößen durch einzelne Sportlerinnen und Sportler den Sport- fachverbänden finanzielle Mittel gesperrt, gekürzt oder zurückgefordert werden können. Hier würde ein ganzer Verband für das Fehlverhalten eines einzelnen Sportlers in Haftung genommen. Die Frage, ob und inwieweit bestehende strafrechtliche Sanktionen verschärft bzw. weitere Sanktionsmöglichkei- ten – insbesondere gegen die Athletinnen und Athleten – geschaffen werden sollten, sollte nicht vorschnell mit Ja beantwortet werden. Auch ich lehne die Einführung der sogenannten Besitzstrafbarkeit bei den Sportlern ab. Der Vorschlag der Koalitionsfraktionen lässt offen, wie die nicht geringe Menge zu bestimmen ist. Für den Bereich des Sports ist es wohl unzumutbar, erst nach zeitintensiven rechtlichen Auseinandersetzungen in dieser Frage Klar- heit zu bekommen. Im Übrigen sind die Grenzwerte des Betäubungsmittelgesetzes auf Dopingsubstanzen nicht anwendbar. Die vorgeschlagene Zusammenarbeit mit den Ländern, Informations- und Aufklärungskampagnen oder der Infor- mationsaustausch zwischen Staatsanwaltschaften, NADA und Sportorganisationen und die Berichterstattung der Bundesregierung zum Antidopingkampf sind zweifels- ohne wichtige Maßnahmen im Kampf gegen Doping. Aber bewältigen wir das Problem nur mit Sanktionen; nur mit Maßnahmen gegen etwas? Wir müssen für Bedingungen in dieser Gesellschaft sorgen, die Doping uninteressant machen! Mir fehlen im Antrag der Grünen Maßnahmen zur Stärkung des Sport- lers oder besser gesagt das Wirken für den Sportler. Die Gesellschaft verlangt von unseren Athleten immer nur Spitzenleistungen. Die Öffentlichkeit kann himmel- hoch jauchzend Siege feiern, aber wehe, die Deutschen versagen mal. Die Linke ist für eine umfassende Debatte zum Sport; angefangen beim Schulsport bis hin zum Leistungssport. Wie begleitet der Staat den Sportler von der Talentför- derung bis zum Karriereende? Wie werden die Möglich- keiten der Vereinbarkeit von Sport, Studium oder Berufsausbildung geschaffen? Wie wird Sportwissen- schaft betrieben, um effektivere Trainingsmethoden zu entwickeln? Es gibt interessante Projekte, die sich diesen Themen widmen. Abschließend möchte ich noch einmal kurz auf die gestrige Anhörung im Sportausschuss eingehen. Es hat sich herausgestellt, dass die handelnden Akteure bei den Dopingkontrollen sowohl Kommunikations- als auch Auslegungsschwierigkeiten haben. Wichtig aber war für alle Beteiligten, dass der Wille da ist, gemeinsam etwas gegen Doping zu tun. In diesem Sinne werden wir, sobald der bereits angekündigte Gesetzentwurf der Bundes- regierung vorliegt, noch eine intensive Debatte führen müssen. Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Seit langem kündigt die Koalition Antragspakete und Maßnahmenkataloge in der Dopingbekämpfung an. Aber nichts haben Sie seit Ihrem Regierungsantritt vor- gelegt. Es gibt keinen Antrag von Ihnen, es gibt keine Gesetzesinitiative; Sie produzieren zahlreiche Inter- views, die Ihre politische Handlungsunfähigkeit über- spielen sollen. Denn seit Monaten blockieren Sie sich selbst in der Frage der Besitzstrafbarkeit von Dopingmit- teln. Das einzige, was Sie als Kompromiss in der Frage einer Gesetzesveränderung zur Dopingbekämpfung an- zubieten haben, ist eine Presseerklärung vom Januar die- ses Jahres. Das ist jedoch eine ganz erstaunliche Lö- sungsvariante, denn, meine sehr geehrten Damen und Herren aus den Regierungsfraktionen, Pressemitteilun- 8002 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 (A) (C) (B) (D) gen sind nicht antragsfähig im Sinne der Geschäftsord- nung des Deutschen Bundestages. Aber nicht nur die Regierungsfraktionen sind in die- sem zentralen Bereich der Sportpolitik außer Tritt gera- ten. Auch der für den Sport zuständige Bundesminister Schäuble schwankt mit und trägt zur Verwirrung und zur politischen Richtungslosigkeit in der Dopingbekämp- fung bei. Einmal spricht er sich im September in einem Interview für eine Besitzstrafbarkeit bei Dopingmitteln aus. Aber schon kurze Zeit später ist er eingeknickt und hat auf der Mitgliederversammlung des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB) in Weimar einen Rückzieher gemacht. Alles nach dem Motto: Unter kei- nen Umständen darf es in Deutschland ein Antidoping- gesetz geben, denn nichts darf gegen den organisierten Sport entschieden werden. Der Applaus bei einem Groß- teil des organisierten Sports war ihm somit gewiss; das Murren – auch aus den Koalitionsfraktionen heraus – über dieses Übergehen des Parlaments bleibt. Eigentlich hätte dem Minister in Weimar eine Diskre- panz innerhalb des organisierten Sports auffallen müs- sen: Denn besonders die Sportverbände, die besonders von Dopingfällen ihrer Sportler betroffen sind – ich nenne die Leichtathletik, den Bund Deutscher Radfahrer und die Triathleten – haben deutlich für eine strafrechtli- che Verantwortung von einzelnen Athletinnen und Ath- leten Stellung bezogen. Dabei wird zu Recht darauf hin- gewiesen, dass sich Strafrecht und Sportgerichtsbarkeit weder gegenseitig aufheben noch gegenseitig blockie- ren. Auch in einem anderen wichtigen Bereich der Do- pingbekämpfung sind die bestehenden Probleme offen- sichtlich. Die von der Nationalen Antidopingagentur (NADA) für das Jahr 2006 eingeräumten 201 sogenann- ten „missed tests“, also verpasste Trainingskontrollen bei deutschen Athleten, können nicht auf persönliche Fehler zurückgeführt werden. Es ist deutlich geworden: Wir haben ein lückenhaftes Dopingkontrollsystem, das in einer Legitimitätskrise steckt. Es werden zu viele Athletinnen und Athleten nicht bei Trainingskontrollen angetroffen, und es bestehen erhebliche Defizite beim Nachweis von Dopingstoffen und angewendeten Dopingmethoden. Darüber hinaus sind Manipulationen durch die Athleten selbst und auch durch deren Umfeld möglich. Es ist doch offensichtlich, dass etwas nicht stimmt, wenn die in den zurückliegenden Jahren die scheinbar am besten kontrollierten Athletinnen und Athleten jetzt die Dopingschlagzeilen beherrschen. Wir müssen das Kulturgut Sport, den fairen Wettbe- werb besser schützen. Es müssen auch endlich die richti- gen Schlussfolgerungen daraus gezogen werden, dass sich Teile des Sports weiter kommerzialisiert haben und daher auch Regeln ähnlich dem Wirtschaftsrecht ange- wendet werden müssen. Der Sportbetrug durch Doping muss bestraft werden, und die längst international täti- gen kriminellen Dopingnetzwerke müssen stärker dem Strafrecht unterzogen werden. Und auch der Sportler, der durch Doping den wirtschaftlichen Wettbewerb im Sport verfälscht, überwiegend also der Profisportler, muss zukünftig mit strafrechtlichen Sanktionen rechnen. Damit zeigt unsere Fraktion einen zeitgemäßen und auch verfassungsrechtlich tragbaren Weg auf. Ich bedauere es sehr, dass die große Koalition sich leider bisher nicht ernsthaft damit auseinander gesetzt hat und nur schlicht- weg Ablehnung signalisiert hat. Lassen Sie mich zusammenfassen: Die Dopingbe- kämpfung muss konzeptionell und strukturell weiter ent- wickelt werden: Wir brauchen erstens ein modernes und funktionsfähiges Dopingkontroll- und Sanktionssystem, wir brauchen zweitens eine finanziell gut ausgestattete Antidopingforschung, und drittens muss eine wirkungs- volle und umfassende Gesamtstrategie mit dem Schwer- punkt Dopingprävention entwickelt werden. In diese Richtung geht der vorliegende Antrag unse- rer Fraktion. Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Mit dem vorliegenden Gesetz zum Zusatzprotokoll vom 12. September 2002 zum Übereinkommen vom 16. November 1989 gegen Doping liegt uns nach Verabschiedung der entsprechen- den UNESCO-Konvention in der letzten Plenarwoche erneut ein internationales Vertragsgesetz zur Doping- bekämpfung vor. Das unterstreicht: Doping ist kein aus- schließlich nationales Problem und kann daher nur in einem abgestimmten internationalen Zusammenwirken bekämpft werden. Vor diesem Hintergrund hat die Bun- desregierung bereits 1992 das Übereinkommen des Europarates vom 16. November 1989 gegen Doping gezeichnet und 1994 ratifiziert. Auf dieser Grundlage und den mit dem Übereinkom- men bisher gesammelten Erfahrungen wurde das nun- mehr zur Beratung anstehende Vertragsgesetz zum er- gänzenden Zusatzprotokoll erarbeitet. Das Zusatzprotokoll dient der internationalen Verein- heitlichung der Verfahrensweise bei Dopingkontrollen innerhalb der Vertragsstaaten sowie einer Verbesserung der Beobachtung der Umsetzung der Verpflichtungen nach dem Europäischen Übereinkommen vom 16. No- vember 1989 gegen Doping. Ziel ist es, die Wirksamkeit der Kontrollen zu erhöhen und zur Harmonisierung, Transparenz und Effizienz der bilateralen und multi- lateralen Dopingvereinbarungen beizutragen. In dem Übereinkommen gegen Doping verpflichten sich die Vertragsparteien, in den in ihm behandelten An- gelegenheiten eng zusammenzuarbeiten und eine ähnli- che Zusammenarbeit zwischen ihren Sportorganisatio- nen zu fördern. Bisher wurden zur Erfüllung dieser Verpflichtung zwischen einzelnen Staaten meist bilate- rale Abkommen geschlossen. Zur Effizienzsteigerung der Dopingkontrolltätigkeit und zur Gleichbehandlung aller Athletinnen und Athleten ist die einheitliche Form und die Ausdehnung der gegenseitigen Kontrolltätigkeit auf alle Unterzeichnerstaaten ein Meilenstein. Die Umsetzung der von den Unterzeichnerstaaten freiwillig eingegangenen Verpflichtungen ist ein wesent- liches Element der Harmonisierung und Verbesserung Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 8003 (A) (C) (B) (D) der Maßnahmen gegen das Doping. Die bisherige Vorge- hensweise erschöpfte sich in der Sammlung von Einzel- daten, die mithilfe eines Fragebogens abgefragt und gesammelt veröffentlicht wurden. Die Fragestellung konnte hierbei nicht die jeweiligen Besonderheiten der Rechtslage in den Unterzeichnerstaaten berücksichtigen. Deshalb ist das neue Instrumentarium deutlich weiter- führend. Zweck des Zusatzprotokolls ist die Schaffung einer international anerkannten rechtlichen Grundlage zur Verbesserung der Dopingkontrolltätigkeit (Art. 7 Abs. 3 Nr. b) und die Stärkung der beobachtenden Be- gleitgruppe bei der Beobachtung der Umsetzung der Maßnahmen (Art. 11 Abs. 1 Satz 1). Durch die Zustimmung zu diesem Protokoll wird mehr Gerechtigkeit im Spitzensport geschaffen, weil alle Sportlerinnen und Sportler der Unterzeichnerstaaten gleichermaßen einem dichten Kontrollnetz unterworfen werden. Allerdings bedingt dies auch, dass Verstöße ge- meldet werden. Das auch auf diesem Gebiet Verbesse- rung und Harmonisierung notwendig sind, hat die letzte Sitzung des Sportausschusses verdeutlicht. Durch das Verfahren der Evaluierung wird eine bes- sere Vergleichbarkeit und damit Harmonisierungsgrund- lage für die Umsetzung der Konvention geschaffen. Auf das dem Zusatzprotokoll zugrunde liegende Eu- roparatsübereinkommen wurde in der Diskussion der letzten Monate um eine effektive Dopingbekämpfung vielfach auch mit dem Argument verwiesen, Art. 4 Abs. 1 „fordere“ Maßnahmen zur Verhinderung des Be- sitzes von Dopingmitteln. Die Einführung einer Besitz- strafbarkeit des Sportlers sei daher geboten, Wortlaut so- wie Sinn und Zweck von Art. 4 Abs. 1 fordern allerdings nicht, den Besitz von Dopingmitteln unter Strafe zu stel- len. Vielmehr haben – so wie bei der UNESCO-Konven- tion gegen Doping – die Vertragsstaaten verschiedene Handlungsoptionen zur Umsetzung dieser Bestimmung, zum Beispiel Präventionsmaßnahmen, Verschreibungs- pflicht, Verschärfung der Kontrollen und konsequente Wettkampfsperren, um nur einige zu nennen. Allerdings wäre die Besitzstrafbarkeit eine der mög- lichen Alternativen, um der Zielrichtung des Europarats- übereinkommens nachzukommen. Ich bitte um Zustim- mung zum vorliegenden Gesetz. 79. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 1. Februar 2007 Inhalt: Redetext Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3 Anlage 4 Anlage 5 Anlage 6 Anlage 7 Anlage 8 Anlage 9 Anlage 10 Anlage 11 Anlage 12 Anlage 13 Anlage 14 Anlage 15 Anlage 16 Anlage 17 Anlage 18
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Oskar Lafontaine


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DIE LINKE.)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)


    ch möchte für die Fraktion Die Linke erklären, dass wir
    iese betrieblichen Maßnahmen der deutschen Gewerk-
    chaften nachhaltig unterstützen.


    (Beifall bei der LINKEN)


    Wir sehen in diesen betrieblichen Maßnahmen politi-
    che Streiks. Wir sind der Auffassung, dass es notwendig
    äre, in Deutschland ebenso wie in den meisten anderen

    uropäischen Staaten und in vielen Ländern der Welt
    uch die Möglichkeit des politischen Streiks zuzulassen,


    (Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Sie stellen sich gegen das Recht! – Paul Lehrieder [CDU/ CSU]: Sie fordern zum Rechtsbruch auf!)


    amit die Bevölkerung die Möglichkeit hat, sich gegen
    nsoziale Maßnahmen der Regierung und der Parla-
    entsmehrheit zur Wehr zu setzen.


    (Beifall bei der LINKEN)


    Dass diese Maßnahme notwendig ist, zeigen erschüt-
    ernde Befragungsergebnisse, die zum Jahreswechsel
    eröffentlicht worden sind. Nach Meinungsbefragungen
    ind 80 Prozent der Bevölkerung der Auffassung, dass es
    owieso keinen Sinn mehr habe, zur Wahl zu gehen, weil
    iejenigen, die sie in die Parlamente entsenden, sowieso
    achten, was sie wollten, und die Interessen der Wähler

    icht mehr vertreten würden. Nach einer anderen Unter-
    uchung sind 60 Prozent der Bevölkerung der Auffas-
    ung, dass es in Deutschland ungerecht zugeht, während
    0 Prozent der Parlamentarier der Auffassung sind, dass
    s in Deutschland gerecht zugeht. Noch nie hat sich die
    olksvertretung so weit von dem Volk entfernt wie der-
    eit. Auch deshalb brauchen wir das demokratische In-
    titut des politischen Streiks.


    (Beifall bei der LINKEN)


    Meine Damen und Herren, selbst wenn Sie diesen Be-
    ragungen nicht glauben, dann sollten Sie selbstkritisch
    it sich zurate gehen und sich einmal die Frage stellen,
    er Sie eigentlich so erleuchtet hat, dass Sie in allen ent-

    cheidenden Fragen, über die in den letzten Jahren und
    onaten abgestimmt wurde, gegen die Mehrheit des

    olkes abstimmten.

    Nehmen Sie beispielsweise die Rentenfrage: Sie stim-
    en mit großer Mehrheit gegen die Mehrheit des Volkes.
    ehmen Sie die Steuerfrage – Mehrwertsteuererhö-
    ung –: Sie stimmen mit großer Mehrheit gegen die
    ehrheit des Volkes. Nehmen Sie die Gesundheitsre-

    orm: Sie stimmen mit großer Mehrheit gegen die Mehr-
    eit des Volkes. Nehmen Sie die Kürzung vieler sozialer
    eistungen: Sie stimmen immer mit großer Mehrheit ge-
    en die Mehrheit des Volkes. Auch bei den ausufernden
    uslandseinsätzen der Bundeswehr stimmen Sie gegen
    ie Mehrheit des Volkes. Meine Damen und Herren, Sie
    ollten mit sich zurate gehen. Ein Parlament, das sich
    olksvertretung nennt, aber mit großer Mehrheit immer






    (A) )



    (B) )


    Oskar Lafontaine
    gegen das Volk abstimmt, ist im Grunde genommen
    keine Volksvertretung mehr.


    (Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei der SPD)


    Deshalb wird der Ruf nach direkter Demokratie laut,


    (Ute Kumpf [SPD]: Warum haben Sie kein Direktmandat geschafft, Herr Lafontaine?)


    nach der Möglichkeit, dass die Bevölkerung sich in
    Volksabstimmungen zu einzelnen Fragen äußern kann,
    weil die Bevölkerung – nach unserer Auffassung zu
    Recht – der Meinung ist, dass sie selbst in bestimmten
    Fragen genauso sachkundig entscheiden kann wie ihre
    Volksvertreter. Deshalb brauchen wir direkte Formen der
    Demokratie, damit nicht immer wieder gegen die Inte-
    ressen des Volkes abgestimmt wird.


    (Beifall bei der LINKEN)


    Dass dies hervorragende Effekte zeigen kann, haben
    beispielsweise unsere französischen Nachbarn gezeigt.
    Dort hat die Regierung entgegen dem mehrheitlichen
    Willen der Bevölkerung den Kündigungsschutz für junge
    Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer abgeschafft. Die
    Bevölkerung hat gesagt: Das wollen wir nicht hinnehmen.
    Insbesondere junge Menschen haben gesagt: Das wollen
    wir nicht hinnehmen. Sie kennen die sozialen Probleme
    der Jugendlichen in Frankreich. Die Bevölkerung ging mit
    den Gewerkschaften auf die Straße und hat die Regierung
    gezwungen, dieses Gesetz zurückzunehmen. Wir wün-
    schen uns solche Möglichkeiten auch für Deutschland.


    (Beifall bei der LINKEN – Dirk Niebel [FDP]: Brennende Autos!)


    Es ist schlicht und einfach eine Anmaßung, zu glauben,
    all das, was die Bevölkerung in den Sachfragen für richtig
    hält, sei falsch, sei nicht begründet und diejenigen, die
    dies hier vertreten, seien Populisten, während diejenigen,
    die gegen die Bevölkerung argumentieren und ihre Ab-
    stimmungen gegen die Interessen der Bevölkerung
    durchführen, von Sachverstand usw. geprägt seien. Das
    ist eine Form der Anmaßung. Ihr ständiger Vorwurf des
    Populismus fällt letztendlich anklagend auf Sie selbst
    zurück. Sie entscheiden immer gegen die Mehrheit der
    Bevölkerung. Wir brauchen letztendlich wieder einmal
    direkte Demokratie in Deutschland.


    (Beifall bei der LINKEN – Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Nein, die brauchen wir nicht!)


    Gestatten Sie mir folgenden Hinweis: Auch der Um-
    gang mit den Bergleuten zeigt wieder, dass es in der
    Vergangenheit möglich war, Interessen der Bergleute
    durchzusetzen; damals waren die Bergleute nämlich
    noch stark genug. Ich erinnere an die großen Demonstra-
    tionen in Bonn. Es kam zu einem vernünftigen Kompro-
    miss, aber letztendlich nur deshalb, weil die Bergleute
    stark genug waren, ihre Interessen durchzusetzen. Jetzt
    sind sie einem unwürdigen Hin und Her ausgesetzt. Ich
    kann mir vorstellen, dass viele Bergleute ihr Vertrauen in
    die parlamentarischen Institutionen verlieren.

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    (C (D Die zitierten Umfragen sind auf jeden Fall eindeutig. as Institut des politischen Streiks ist ein elementares nstitut jeder funktionierenden Demokratie. Das Wort hat der Kollege Dr. Ralf Brauksiepe, CDU/ SU-Fraktion. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! oziale Marktwirtschaft ist keine reine Staatsveranstalung. Sie lebt von starken Interessenorganisationen. Sie raucht starke und freie Gewerkschaften. Deswegen ist es o bedauerlich, dass sich Teile der Gewerkschaftsbeweung mit ihren Aktionen in diesen Tagen aus dem seriösen eil der Debatte um die Zukunft unseres Rentensystems erabschiedet haben. Ich wiederhole: Das ist das eigentich Bedauerliche an dieser Debatte. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang zitieren, as Peter Struck dem IG-Metall-Vorsitzenden dieser age ins Stammbuch geschrieben hat – wo der Kollege truck recht hat, hat er recht –: Der oft wiederholte Vorwurf, die Erhöhung des Rentenalters bedeute eine Rentenkürzung, ist angesichts einer im Durchschnitt weiter steigenden Rentenbezugsdauer haltlos. Tatsächlich sorgen gerade unsere Maßnahmen dafür, dass die heutigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Rentnerinnen und Rentner keine Einbußen fürchten müssen. Wer die Augen vor der Realität und vor gesellschaftlichen Entwicklungen verschließt, untergräbt langfristig die Stabilität unserer sozialen Sicherungssysteme. enau das, was der Kollege Peter Struck der Führung ieser Gewerkschaft ins Stammbuch geschrieben hat, ist atsache. Wir machen eine Politik, die auf die Nachhal igkeit der Rentenversicherung abzielt und die deswegen uch sozial gerecht ist. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Widerspruch bei der LINKEN)


    (Beifall bei der LINKEN)


Rede von Dr. h.c. Susanne Kastner
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

(Beifall bei der CDU/CSU)

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Ralf Brauksiepe


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)


    Ich will deutlich sagen: So äußert sich in der Tat in
    ieser Zeit nicht nur die Spitze einer Gewerkschaft. Wenn
    h mich über meinen Freund Klaus Brandner ärgere
    das kommt gelegentlich vor –, dann nehme ich mir
    eine Heimatzeitung, um zu lesen, was die dortigen
    ewerkschaftsfunktionäre sagen. Dort kann ich folgende
    ussage des örtlichen IG-Metall-Bevollmächtigten lesen:

    Die einen arbeiten sich zu Tode, die anderen stehen vor
    em Arbeitsamt.“ Wenn ich das lese, weiß ich, was ich
    n Klaus Brandner habe,


    (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist ja eine richtige Liebeserklärung, Herr Brauksiepe!)


    nd bin froh, dass es im Gewerkschaftslager auch andere
    timmen gibt.

    Meine Damen und Herren, wie weit muss man von
    er Realität entfernt sein, wenn man angesichts einer






    (A) )



    (B) )


    Dr. Ralf Brauksiepe
    gegenwärtigen durchschnittlichen Rentenbezugsdauer von
    17 Jahren, die bis zum Jahre 2030 auf 18 Jahre steigen
    wird, behauptet, die Leute in Deutschland arbeiteten sich
    zu Tode? Wie borniert und realitätsfern sind die Gewerk-
    schaftsfunktionäre, die solch einen Blödsinn verbreiten?


    (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der LINKEN)


    Es gibt viele gute Gründe, warum wir Gewerkschaften
    brauchen, und viele wichtige Ziele, für die sie sich en-
    gagieren können. Es gibt viele Themen, über die man
    streitige Diskussionen führen kann, indem man Pro- und
    Kontraargumente austauscht. Aber diese Auseinander-
    setzung, die Teile – ich betone: Teile – der deutschen
    Gewerkschaftsbewegung führen, ist ein Kampf gegen
    Adam Riese und gegen alle mathematischen Gesetze.
    Diesen Kampf kann keine Gewerkschaft gewinnen.


    (Beifall bei der CDU/CSU)


    Die durchschnittliche Rentenbezugsdauer beträgt schon
    heute 17 Jahre. Aber das ist nicht alles. Aufgrund der
    steigenden Lebenserwartung und trotz der Maßnahmen,
    die wir durchführen müssen, um die Rente zukunftsfähig
    zu machen, wird sie weiter steigen. In den 60er-Jahren
    betrug die Rentenbezugsdauer zehn Jahre, heute beträgt
    sie mehr als 17 Jahre und bis zum Jahre 2030 wird sie
    auf 18 Jahre steigen.

    Die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt insgesamt wie
    auch die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt für Ältere
    gibt uns recht: In einem Jahr haben wir die Zahl der
    Arbeitslosen um 764 000 Personen reduziert. Wir sind
    damit noch nicht am Ziel. Aber wir haben einen großen
    Schritt getan, um bei der Bekämpfung der Arbeitslosig-
    keit voranzukommen.

    Wenn man sich die Arbeitslosenzahlen von Älteren
    ansieht, stellt man fest: Bei den über 55-Jährigen ging
    die Arbeitslosigkeit in einem Jahr um 12 Prozent und bei
    den über 50-Jährigen um fast 13 Prozent zurück. Was
    will man denn noch verlangen außer einem solch starken
    Rückgang der Arbeitslosigkeit, den wir in nur einem
    Jahr erreicht haben und den wir auch für die nächsten
    Jahre anpeilen, und zwar bevor die behutsame An-
    hebung des Renteneintrittsalters überhaupt einsetzt? Die
    Behauptungen, dass es keine lange Rentenbezugsdauer
    gibt und dass auf dem Arbeitsmarkt für Ältere keine
    Fortschritte erzielt worden sind, sind unsinnig. Das wei-
    sen wir entschieden zurück.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Abschließend möchte ich eines zu Herrn Lafontaine
    und seiner falschen, aber immer wieder aufgestellten
    Behauptung sagen, wir würden gegen die Interessen des
    Volkes regieren.


    (Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Aber so ist es doch! – Weitere Zurufe von der LINKEN: Genau! – Richtig!)


    Herr Lafontaine, dass Sie entscheiden, wer das Volk ist,
    das kennen wir aus der Tradition der Partei, der Sie sich
    angeschlossen haben. Sie von den Linken sind vor dem

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    (C (D intergrund Ihrer Geschichte die Allerletzten, die sich reien Gewerkschaften an den Hals werfen sollten. Sie ind die Letzten, die dafür eine politische Legitimation aben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Klaus Brandner [SPD] – Widerspruch bei der LINKEN)


    ir stehen für ein Land mit freien Gewerkschaften, nicht
    ie. Sie wurden von 8 Prozent der Menschen gewählt; das

    st wahr. Wir Demokraten haben daher anzuerkennen:
    Prozent haben Sie gewählt, 92 Prozent haben andere
    arteien gewählt, nämlich die demokratischen Parteien,
    ie in diesem Hause verantwortungsvolle Politik machen.


    (Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Haben Sie etwa Angst vor dem Volk?)


    ir haben für die Politik, die wir machen, ein Mandat.
    ir machen sie im Interesse der Menschen, für eine zu-

    unftsfähige Rentenversicherung und gegen Ihre Pole-
    ik und Ihren Widerstand.

    Vielen Dank.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Widerspruch bei der LINKEN)