Berichtigung
75. Sitzung, Seite 7527 (C), dritter Absatz, der zweite
Satz ist wie folgt zu lesen: ,,Welcher Personalaufwand steht
dem gegenüber, und ist bei den im Aufbau befindlichen
Agenturen eventuell schon eine zur Umsetzung der Dienst-
leistungsrichtlinie REACH in Helsinki geplant?“
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Januar 2007 7657
(A) )
(B) )
für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver-
sammlung des Europarates dem Abgabenaufschlag betroffen sein werden aber nicht
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
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Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
Behm, Cornelia BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
18.01.2007
Bülow, Marco SPD 18.01.2007
Ernst, Klaus DIE LINKE 18.01.2007
Eymer (Lübeck), Anke CDU/CSU 18.01.2007
Hilsberg, Stephan SPD 18.01.2007
Hintze, Peter CDU/CSU 18.01.2007
Kasparick, Ulrich SPD 18.01.2007
Kipping, Katja DIE LINKE 18.01.2007
Kucharczyk, Jürgen SPD 18.01.2007
Dr. Küster, Uwe SPD 18.01.2007
Lintner, Eduard CDU/CSU 18.01.2007*
Lührmann, Anna BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
18.01.2007
Merten, Ulrike SPD 18.01.2007
Müntefering, Franz SPD 18.01.2007
Dr. Paziorek, Peter CDU/CSU 18.01.2007
Schäfer (Bochum), Axel SPD 18.01.2007
Scharfenberg, Elisabeth BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
18.01.2007
Schily, Otto SPD 18.01.2007
Dr. Schröder, Ole CDU/CSU 18.01.2007
Dr. Seifert, Ilja DIE LINKE 18.01.2007
Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
18.01.2007
Veit, Rüdiger SPD 18.01.2007
Weisskirchen
(Wiesloch), Gert
SPD 18.01.2007
Wellenreuther, Ingo CDU/CSU 18.01.2007
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(D
Anlagen zum Stenografischen Bericht
nlage 2
Zu Protokoll gegebene Rede
zur Beratung des Entwurfs eines Vierten Geset-
zes zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuerge-
setzes (Tagesordnungspunkt 15)
Ingrid Arndt-Brauer (SPD): Unsere Gesundheit ist
numstritten unser höchstes Gut. Ich freue mich daher,
ass es uns mit dem Entwurf zur Änderung des Kraft-
ahrzeugsteuergesetzes gelungen ist, einen weiteren
ichtigen Schritt für die Verbesserung des Gesundheits-
nd Umweltschutzes zu gehen. Dieselfahrzeuge verursa-
hen mit ihrem Ausstoß an Feinpartikeln erhebliche
esundheitliche Gefährdungen – besonders in größeren
tädten und Ballungsgebieten. Wissenschaftliche Studien
eisen schon lange auf diesen Umstand hin. Ich begrüße
s daher ausdrücklich, dass der Bund von seinem Ge-
etzgebungsrecht nach Art. 72 Abs. 2 des Grundgesetzes
ebrauch gemacht hat, die Rußpartikelbelastung zu
eduzieren. Auch wenn die Kfz-Steuer den Ländern
usteht und somit durch Landesgesetzgebung geregelt
erden kann, sollte allen Verantwortlichen klar sein:
ur eine bundeseinheitliche Regelung kann und wird
mgehungs- und Ausweichreaktionen der Betroffenen
erhindern. Ein Flickenteppich dagegen würde regional
u Ballungen oder Ausdünnungen von Fahrzeugen füh-
en, die gefördert werden. Das müssen wir vermeiden!
ch bin aber davon überzeugt, dass der Gesetzentwurf in
er vorliegenden Fassung auch für die Bundesländer zu-
timmungsfähig sein wird – zumal diese auch europa-
echtlich geboten ist.
Das Gesetz soll die weitere Verbreitung moderner
artikelminderungstechniken für neue und bereits im
erkehr befindliche Personenkraftwagen mit Dieselmo-
or beschleunigen. Es geht dabei nicht um die steuerliche
örderung bestimmter Techniken, sondern um technik-
eutrale Anreize für Fahrzeuge, die einen möglichst
eringen Partikelausstoß aufweisen. Die Gesetzesvor-
age orientiert sich dabei am voraussichtlichen Euro-5-
renzwert von 0,005 g/km für die Partikelmasse.
Für Dieselfahrzeuge, die bis zum 31. Dezember 2006
rstmals zugelassen wurden, erhalten die Fahrzeughalter
ine befristete Steuerbefreiung in Höhe von 330 Euro,
enn sie ihre Fahrzeuge bis zum 31. Dezember 2009 mit
artikelfiltern nachrüsten. Wir wollen aber nicht diejeni-
en Halter benachteiligen, die bereits Rußpartikelfilter
ingebaut haben. Die Steuerbefreiung wird daher rück-
irkend zum 1. Januar 2006 gewährt. Wir setzen damit
in Signal, dass vorauseilender Gesundheits- und Um-
eltschutz sich lohnt.
Wer jedoch sein Dieselfahrzeug weiterhin ohne Parti-
elfilter fährt und den Euro-5-Grenzwert nicht einhält,
ahlt ab dem 1. April dieses Jahres einen Steuerauf-
chlag von 1,20 Euro je 100 m3. Der Steueraufschlag
ird befristet und bis zum 31. März 2011 erhoben. Von
7658 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Januar 2007
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(B) )
nur Altfahrzeuge ohne Filter, die vor dem 31. Dezember
2006 zugelassen wurden. Mehr zahlen müssen auch die
Halter von Neufahrzeugen mit Zulassung nach dem
1. Januar 2007, welche den voraussichtlichen Euro-5-
Grenzwert nicht einhalten.
Das Gesetz sieht aber auch gut nachvollziehbare Aus-
nahmen vor: So werden Oldtimer nicht vom Steuerzu-
schlag betroffen sein. Auch Personenkraftwagen, deren
Schadstoffemissionen zwar nur die Grenzwerte der seit
2006 geltenden Euro-4-Abgasnorm erfüllen, deren Parti-
kelausstoß aber den Grenzwert für Partikelmasse von
0,005 g/km nicht überschreitet, werden keine erhöhten
Steuern zu entrichten haben.
Im Vorgriff auf die zu erwartenden neuen Grenzwerte
in der Europäischen Union haben auch die Automobil-
hersteller zugesagt, spätestens ab 2008/2009 alle neuen
Fahrzeuge mit einem Dieselpartikelfilter auszurüsten.
Politik und Wirtschaft ziehen an einem Strang, weil
Umweltschutz sich auszahlt. Das gilt ebenfalls für die
Hersteller von Partikelfiltern. Die steuerliche Förderung
der Nachrüstung ist aktive Mittelstandsförderung. Auch
im Interesse der Betriebe brauchen wir eine schnelle und
unverzügliche Umsetzung des Gesetzes!
Mir ist bewusst, dass die Förderung der Nachrüstung
von Altfahrzeugen allein natürlich nicht ausreicht, um
die Umweltbelastungen durch den Straßenverkehr in den
nächsten Jahren zu reduzieren. Sie ist freilich – und das
entgegne ich den Kritikern – nur ein Baustein im Kon-
zept der Bundesregierung, Mobilität umweltgerecht und
zukunftsfähig zu gestalten.
Es ist sehr wahrscheinlich, dass der Verkehr in
Deutschland auch in den kommenden Jahren weiter zu-
nehmen wird. Es daher notwendig, dass alle denkbaren
Register gezogen werden, um die Bedürfnisse der Be-
völkerung nach Mobilität in Einklang mit den Anforde-
rungen an Gesundheits- und Umweltschutz zu bringen.
Sowohl in der vergangenen Legislaturperiode als auch
in der jetzigen Wahlperiode hat die Bundesregierung ein
umfassendes Konzept entwickelt, Mobilität umweltge-
recht zu gestalten. Für den Verkehr heißt das vor allem:
Verkehrsvermeidung, Erhöhung des Anteils umwelt-
freundlicher Verkehrsträger am Gesamtverkehr, besonders
beim Güterverkehr, Steigerung der Energieeffizienz,
sprich Kraftstoffverbrauch und Verringerung der Schad-
stoffbelastungen.
Die Bundesregierung hat in den vergangenen Jahren
viel unternommen, um Verkehr umweltgerechter zu
gestalten. Einiges davon möchte ich Ihnen nochmals
kurz in Erinnerung rufen:
Am 1. Januar 2005 startete in Deutschland die satelli-
tengestützte LKW-Maut. Diese ist mittlerweile eine Er-
folgsgeschichte. Technischer Fortschritt und Verkehrs-
vermeidung durch intelligente Routenplanung zahlen
sich aus. Einerseits richtet sich die Mauthöhe nach der
Strecke, die ein LKW zurücklegt, andererseits aber auch
nach der Schadstoffkategorie. Emissionsarme LKW zah-
len niedrigere Mautsätze. Hierdurch wurde ein wichtiger
Beitrag zur verursachergerechten Anlastung der Wege-
kosten geleistet. Zudem werden Anreize geschaffen,
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astkraftwagen mit neusten Emissionsstandards zu nutzen,
üterverkehr auf Bahn und Schiff zu verlagern, Trans-
ortwege zu optimieren und Verkehr zu vermeiden.
Mit der Novellierung des Allgemeinen Eisenbahn-
esetzes hat die Bundesregierung zur Stärkung der
chiene beigetragen. Von dem besseren Wettbewerb im
chienenpersonenverkehr profitieren die Reisenden, für
ie sich die Attraktivität der Bahnen erhöht. Zum 1. Ja-
uar 2006 erfolgte die Liberalisierung im grenzüber-
chreitenden Schienengüterverkehr, die zum 1. Januar
007 auch auf den innerstaatlichen Schienengüterver-
ehr ausgeweitet wird.
Eine herausragende Rolle im grenzüberschreitenden
erkehr spielt die Schifffahrt. Viele Güter werden per
ee- oder Binnenschiff von und nach Deutschland
ebracht. Die deutschen Seehäfen sind als wichtiger Teil
er maritimen Wirtschaft ein wesentlicher Garant für die
ettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland auf
en wachsenden globalen Märkten. Zur Stärkung der
nternationalen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen
eehäfen hat die Bundesregierung beschlossen, die
nfrastruktur der Seehafenstandorte zu verstärken sowie
hre Strategie für die see- und landseitige Anbindung der
äfen fortzuentwickeln. Dabei ist es das Ziel der Bun-
esregierung, die notwendigen seewärtigen und land-
eitigen Anbindungen der deutschen Seehäfen gezielt
nd koordiniert auszubauen.
Wenn Wasserstraßen ausgebaut werden, kollidiert dies
ehr oft mit umweltpolitischen Interessen. Im Mai 2004
ntstand das „Forum Binnenschifffahrt und Logistik“.
ieses Gremium bindet unterschiedliche Interessen-
ruppen zusammen und entwickelt Möglichkeiten zur
tärkung der Binnenschiffahrt – bei gleichzeitiger
erücksichtigung der Belange von Umwelt- und Natur-
chutz. Für die Elbe hat die Bundesregierung zur
erücksichtigung ökologischer Belange bei der Fluss-
nterhaltung Grundsätze erarbeitet.
Um die Binnenschifffahrt zu stärken, unterstützt das
undesumweltministerium im Rahmen seines Umwelt-
novationsprogramms zwei Demonstrationsvorhaben
ür umweltfreundliche und wirtschaftliche Binnen-
chiffe. Im April 2002 beschloss die Bundesregierung
en Nationalen Radverkehrswegeplan, um den Anteil
es Radverkehrs im Nahbereich zu steigern. Der NRVP
oll neue Wege und Strategien initiieren und die enormen
otenziale ausschöpfen. Im Bundeshaushalt wurden die
aushaltsmittel für Zwecke des Fahrradverkehrs verstärkt.
eit Herbst 2002 erarbeitet der Bund-Länder-Arbeits-
reis „Fahrradverkehr“ detaillierte Konzepte, um den
ationalen Radverkehrswegeplan in die Praxis umzuset-
en. Im ersten Quartal 2007 geht voraussichtlich eine
ovelle der Straßenverkehrsordnung ins Gesetzgebungs-
erfahren. Sie soll die rechtlichen Rahmenbedingungen
nd vor allem die Verkehrssicherheit zugunsten der Rad-
ahrer verbessern.
2003 legte die Bundesregierung den neuen Bundes-
erkehrswegeplan vor. Er unterscheidet sich von seinem
orgänger aus dem Jahr 1992 vor allem durch eine mo-
ernisierte Bewertungsmethode. Die einzelnen Vorhaben
urchlaufen eine Kosten-Nutzen-Analyse. Sie werden zu-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Januar 2007 7659
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(B) )
dem umwelt- und naturschutzfachlich geprüft und nach
ökologischen Risiken eingestuft. Diejenigen Bundesfern-
straßenprojekte, die ein sehr hohes Umweltrisiko bergen,
benötigen eine noch weiter gehende Prüfung. Sie wurden
daher nur unter Vorbehalt in das Fernstraßenausbaugesetz
aufgenommen. Sie stehen dort in der Sonderkategorie
„mit besonderem naturschutzfachlichen Planungsauftrag“.
Das stellt sicher, dass im weiteren Verfahren die Belange
des Naturschutzes bei den einzelnen Projekten besonders
berücksichtigt werden.
Im Jahre 2004 hat die Bundesregierung das Baugesetz-
buch novelliert. Dabei wurde erstmals festgeschrieben,
dass die Bauleitplanung Verkehrs- und Mobilitätsbelange
berücksichtigen muss, um Verkehr zu vermeiden und zu
verringern.
Im Jahr 2006 ist die sogenannte Euro-4-Norm für
LKW in Kraft getreten. Sie reduziert für schwere Nutz-
fahrzeuge und Busse die zulässigen Grenzwerte für
Feinstaub von 100 auf 20 Milligramm pro Kilowatt-
stunde.
Am 31. Mai 2006 beschloss das Bundeskabinett zudem
die Verordnung zur Kennzeichnung emissionsarmer Fahr-
zeuge. Das Ziel: Personenkraftwagen, Lastkraftwagen
und Busse nach der Höhe ihrer Feinstaubemissionen bun-
desweit einheitlich zu kennzeichnen und ein entsprechen-
des Verkehrszeichen zur Anordnung von Verkehrverboten
einzuführen. Hierzu werden die Fahrzeuge bestimmten
Schadstoffgruppen gemäß der EU-Abgasrichtlinie zuge-
ordnet und erhalten die jeweilige Plakette. Das erleichtert
es den zuständigen Behörden, den Verkehr für solche
Fahrzeuge zu beschränken, die mit zu hohen Partikelemis-
sionen zur Feinstaubbelastung beitragen. Autobesitzer
können durch Nachrüstung erreichen, dass ihr Fahrzeug
besser eingestuft wird. Der Vorteil: „Freie Fahrt“ während
andere ihr Auto stehen lassen müssen.
Bis zum Jahr 2000 hat sich das BMU-Umweltinnova-
tionsprogramm im Bereich Verkehr vor allem darauf
konzentriert, Gasfahrzeuge in den Markt einzuführen.
Diese Auflistung ließe sich noch lange fortführen. Sie
verdeutlicht die Vielschichtigkeit und Komplexität einer
nachhaltigen Verkehrspolitik. Nur die Summe geeigneter
Einzelmaßnahmen – so auch die steuerliche Förderung
der Nachrüstung mit Partikelfiltern als Teil eines
Ganzen – kann zum Erfolg führen.
Es ist zudem wirtschaftlicher und kostengünstiger,
heute Fahrzeuge mit Standards anzuschaffen, die erst in
Zukunft gelten. Wer ein Fahrzeug kauft, das nur die ak-
tuellen gesetzlichen Mindeststandards erfüllt, trägt zum
Beispiel ein wirtschaftliches Risiko: So kann er aufgrund
örtlicher Fahrverbote in seiner Nutzung eingeschränkt
werden. Er muss es eventuell aufwendig nachrüsten oder
früher als geplant ein neues Fahrzeug anschaffen. Wer
hingegen rechtzeitig nachrüstet, schont nicht nur Ge-
sundheit und Umwelt, sondern erhöht auch den Wieder-
verkaufswert seines PKWs.
Ich bin daher fest davon überzeugt, dass viele Bürge-
rinnen und Bürger das Angebot der Bundesregierung an-
nehmen und ihre Altfahrzeuge umrüsten lassen werden.
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nlage 3
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Den Reichtum um-
verteilen – für eine sozial gerechte Reform der
Erbschaftsbesteuerung (Tagesordnungspunkt 14)
Otto Bernhardt (CDU/CSU): Bei dem vorliegenden
ntrag der Linken geht es um eine nachhaltige Erhö-
ung der Erbschaftsteuer, insbesondere auch für betrieb-
iches Vermögen. Ein solcher Antrag mag durchaus po-
ulär sein, ja populistisch; denn egal wie man Reich und
rm abgrenzt, es gibt natürlich immer mehr Nichtreiche
ls Reiche. Dennoch, schon die Diskussion über eine
eutliche Erhöhung der Erbschaftsteuer ist schädlich für
en Standort Deutschland. Eine gesetzliche Regelung im
inne der Fraktion Die Linke würde zur massiven Kapi-
alflucht führen, im erheblichen Umfang Arbeitsplätze
ernichten und zu einem Rückgang der Steuereinnah-
en führen.
Jeder, der sich mit diesem Thema beschäftigt, muss
issen, dass es einen engen Zusammenhang zwischen
er sozialen Marktwirtschaft, dem Privateigentum und
inem moderaten Erbrecht gibt. Wer die soziale Markt-
irtschaft will – und die weltweite Entwicklung zeigt,
ass dies das beste Wirtschaftssystem ist, was es bisher
ab und gibt –, der muss sich auch zum Privateigentum
nd zu einem moderaten Erbrecht bekennen.
Die Entwicklung in der Welt zum Thema Erbschaft-
teuer läuft genau in eine andere Richtung. Das gilt auch
ür für Deutschland und die große Koalition.
Erstens. Schweden kennt keine Erbschaftsteuer und
talien hat sie abgeschafft. Zweitens. Der Präsident-
chaftskandidat Sarkozy setzt sich in Frankreich für die
bschaffung der Erbschaftsteuer ein. Drittens. Auch in
sterreich und Spanien wird über eine Abschaffung dis-
utiert.
Vor diesem Hintergrund in einer globalisierten Welt
ie Erbschaftsteuer zu erhöhen, wäre kontraproduktiv.
Im Koalitionsvertrag vom 11. November 2005 ist
estgelegt, dass die Erbschaftsteuer auf betriebliches
ermögen im Erbfall praktisch entfällt. Wir haben uns
ekanntlich für das 10-jährige Stundungsmodell ent-
chieden, das darauf hinausläuft, dass die zu zahlende
rbschaftsteuer beim Übergang auf die nächste Genera-
ion zinslos gestundet wird, jedes Jahr 10 Prozent erlas-
en werden und die Erbschaftsteuer völlig entfällt, wenn
er Betrieb zehn Jahre weitergeführt wird. Dies ist ein
ichtiger Beitrag zur Sicherung von Arbeitsplätzen.
nd die Sicherung von Arbeitsplätzen und die Schaf-
ung neuer hat Priorität für die große Koalition. Wir wa-
en im ersten Jahr auf diesem Gebiet sehr erfolgreich:
rstens 600 000 Arbeitslose am Jahresende 2006 weni-
er als am Jahresanfang, zweitens 400 000 sozialversi-
herungspflichtige Beschäftigungen mehr am Jahres-
nde 2006 als am Jahresanfang.
Der Antrag der Linken kommt aus der ideologischen
ottenkiste des Klassenkampfes. Er hat keine Chance,
7660 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Januar 2007
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in Deutschland verwirklicht zu werden, und das ist im
Interesse der Arbeitsplätze gut.
Florian Pronold (SPD): Eine Reform der Erbschaft-
steuer ist notwenig. Das ist in diesem Haus sicherlich
unstrittig. Darüber, in welche Richtung diese Reform ge-
hen muss, gibt es jedoch sehr unterschiedliche Vorstel-
lungen.
Die Haltung der SPD in diesem Punkt ist klar: Ererb-
tes und geschenktes Vermögen stellt leistungsloses Ein-
kommen dar, das einen stärkeren steuerlichen Zugriff
der Allgemeinheit rechtfertigt. Dabei gilt es natürlich
insbesondere, die Weitergabe hoher Privatvermögen
konsequenter und höher zu besteuern, als das bisher der
Fall ist.
In der Tat ist die Vermögensbesteuerung bei uns im
internationalen Vergleich mit weniger als 1 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts extrem niedrig. Länder wie Groß-
britannien und die USA bitten die Vermögensbesitzer in
erheblich stärkerem Maße zur Kasse, als wir das tun.
Hier besteht – insbesondere seit die Regierung Kohl die
Vermögensteuer hat auslaufen lassen – deutlicher Nach-
holbedarf. In den nächsten Jahrzehnten werden immense
Reichtümer zwischen den Generationen weitergegeben,
der größte Teil der Bevölkerung wird dabei jedoch leer
ausgehen. Es muss gelingen, einen angemessenen Anteil
dieser Mittel zu mobilisieren, um vor allem die Finanzie-
rung des Bildungswesens deutlich zu verbessern. Die
SPD hat sich auf verschiedenen Parteitagen zu dieser
Aufgabe bekannt. Sie bleibt auch für die anstehenden
Reformen der Erbschaftsteuer aktuell.
Die Bundesregierung hat einen Gesetzentwurf zur Er-
leichterung der Unternehmensnachfolge auf den Weg
gebracht. Eine grundlegende Reform des Bewertungsge-
setzes muss folgen. Beide Gesetzesvorhaben müssen ge-
meinsam umgesetzt werden, um sicherzustellen, dass die
Erbschaftsteuer auch in Zukunft einen angemessenen
und steigenden Beitrag zur Finanzierung der öffentli-
chen Aufgaben leistet.
Die Reform des Bewertungsgesetzes und Veränderun-
gen bei der Besteuerung von Betriebsvermögen können
wir hier aber erst dann sinnvoll beraten, wenn das Bun-
desverfassungsgericht sein Urteil über die bestehende
Gesetzeslage gefällt hat. Das Verfassungsgericht prüft in
diesem Verfahren eine Vorlage des Bundesfinanzhofs,
der sowohl die unterschiedliche Bewertung unterschied-
licher Vermögensarten als auch die bestehende massive
Privilegierung des Betriebsvermögens für nicht verfas-
sungsgemäß hält. Die beiden zentralen Elemente der be-
vorstehenden Erbschaftsteuerreform sind also Gegen-
stand des Verfahrens. Es wäre deshalb völlig unsinnig,
diesem Urteil vorzugreifen und am Ende gezwungen zu
sein, das Erbschaftsteuerrecht kurz hintereinander mehr-
fach zu ändern. Das wird auch nicht dem Anspruch der
Bürgerinnen und Bürger auf Rechtssicherheit gerecht.
Was die Besteuerung des Betriebsvermögens angeht,
so gibt es viele, die die bestehenden Regelungen für aus-
reichend halten. In der Tat gibt es bis heute keinen empi-
rischen Beleg, dass die Erbschaftsteuer auch nur in
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inem einzigen Fall tatsächlich die Weiterführung eines
etriebs unmöglich gemacht hätte. Trotzdem wird dieses
rgument immer wieder ins Feld geführt, um die ohne-
in niedrige Besteuerung von Betriebsvermögen weiter
u reduzieren oder sogar faktisch abzuschaffen.
Wir haben uns dennoch bereit erklärt, eine neue Re-
elung für die Unternehmensnachfolge zu finden. Für
ie SPD-Fraktion geht das aber nur unter drei Bedingun-
en: Weitere Steuervergünstigungen kann es nur dann
eben, wenn die betroffenen Unternehmen nachweisen,
ass die Arbeitsplätze im Betrieb, die ja immer als Argu-
ent für Steuererleichterungen angeführt werden, tat-
ächlich erhalten werden. Deshalb bestehen wir auf einer
ogenannten atmenden Arbeitsplatzklausel. Eine allge-
eine Weiterführungsklausel ist nicht ausreichend.
Zweitens müssen wir zuverlässig verhindern, dass
ererbtes Privatvermögen in Betriebsvermögen umge-
idmet wird und sich Millionenerben damit ein Steuer-
chlupfloch schaffen. Hierfür ist bereits eine ganze
eihe von Vorkehrungen ausgearbeitet worden, die das
teuerlich anerkannte produktive Betriebsvermögen eng
egrenzen.
Schließlich muss die Erleichterung bei der Unterneh-
ensnachfolge, wie schon gesagt, mit der Reform des
ewertungsgesetzes im Paket beschlossen werden. Da-
an müssten auch die Länder ein vitales Interesse haben,
m sicherzustellen, dass die Einnahmen aus der Erb-
chaftsteuer in den nächsten Jahren auch tatsächlich flie-
en.
Wir werden in diesem Haus in den nächsten Monaten
och öfter Gelegenheit haben, über die Erbschaftsteuer
u diskutieren. Es werden im Gesetzgebungsverfahren
uch noch eine ganze Reihe strittiger Punkte zu klären
ein. Eventuell werden wir nach dem Urteil des Bundes-
erfassungsgerichts auch auf einer ganz neuen Grund-
age diskutieren. Diese wenigen Wochen müssen wir
och abwarten.
Ich denke, es gibt keinen Anlass für den vorliegenden
ntrag. Die Reform der Erbschaftsteuer steht auf der
genda der Koalition. Sobald das Verfassungsgericht
ntschieden hat, werden wird daran mit Hochdruck ar-
eiten.
Carl-Ludwig Thiele (FDP): Der Antrag der Links-
raktion zielt darauf ab, die Erbschaftsteuerbelastung
eutlich zu erhöhen. Insbesondere für Betriebsvermögen
ollen die aktuellen Vorschriften zu Bewertungsabschlä-
en und zusätzlichen Freibeträgen entfallen mit dem Ziel
iner umverteilenden Ausgestaltung der Erbschaftsteuer.
Ich glaube gerade dieser Passus des Gesetzes zeigt,
ie weit entfernt die Links-Fraktion von den Inhaber ge-
ührten Betrieben ist. Deshalb lassen Sie mich hierzu ei-
ige grundsätzliche Ausführungen machen.
Für uns Liberale gilt Artikel 14 des Grundgesetzes.
ie Eigentumsgarantie wird gewährleistet. Gleichzeitig
rgibt sich aus dem Eigentum eine soziale Verpflichtung.
Dies ist auch der Grund, warum das Bundesverfas-
ungsgericht den Gesetzgeber seinerzeit ausdrücklich
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Januar 2007 7661
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aufgefordert hat, die besondere Gemeinwohlbindung
und Gemeinwohlverpflichtung von Unternehmen als
Garant von Produktivität und Arbeitsplätzen anzuerken-
nen.
Aus dieser Gerneinwohlverpflichtung heraus hat der
Gesetzgeber seinerzeit die entsprechende Privilegierung
des Betriebsvermögens vorgenommen.
Gerade inhabergeführte Betriebe, gerade die Famili-
engesellschaften in Deutschland sind es, die häufig über
Generationen hinweg und für die nächsten Generationen
Betriebe aufbauen und dadurch Arbeitsplätze schaffen.
Gerade diese Betriebe sind durch die Erbschaftsteuer
massiv beeinträchtigt.
Es gibt einen großen Unterschied zwischen Personen-
gesellschaften und Kapitalgesellschaften, insbesondere
wenn sie börsennotiert sind: Im Todesfall eines Betriebs-
inhabers fehlt häufig der Kopf des Unternehmens. Das
Unternehmen wird bewertet und die Erben haben häufig
das für die Erbschaftsteuer aufzubringende Geld aus
dem Unternehmen zu entnehmen. Dieses schwächt die
Eigenkapitalbasis der Unternehmen und führt teilweise
dazu, dass Teile des Betriebes oder der Betrieb komplett
veräußert werden müssen.
Ganz anders ist die Situation bei den Kapitalgesell-
schaften, insbesondere bei den börsennotierten Kapital-
gesellschaften: Wenn ein Aktionär verstirbt, werden die
Aktien bewertet, die Steuer wird festgesetzt und die
Steuer kann aus einem Verkauf eines Teiles der Aktien
bestritten werden. Die Gesellschaft verliert keinen Cent
an Kapital. Deshalb ist die Erbschaftsteuer insbesondere
für Familienunternehmen eine echte Belastung für die
Familienunternehmen in Deutschland.
Dieses nimmt die Links-Partei überhaupt nicht wahr.
Mit ihrem Antrag setzen sie sich aus ideologischen
Gründen über die Interessen der mittelständischen Wirt-
schaft und damit der Arbeitsplätze in diesem Unterneh-
men hinweg.
Ich möchte einen zweiten Punkt ansprechen:
In dem Antrag der Linkspartei ist ferner gefordert, die
derzeit existierenden drei Steuerklassen zu einer Steuer-
klasse zusammenzufassen. Da der Antrag der Links-
Fraktion zur Erschließung steuerlicher Mehreinnahmen
zielt, soll die privilegierte Behandlung des Ehepartners
und der Kinder, also der Steuerklasse I, entfallen.
Dieses hält die FDP nicht für sachgerecht und es wi-
derspricht der Einstellung vieler Eltern. Viele Eltern
schaffen Werte und setzen sich ein, damit es ihren Kin-
dern besser geht als ihnen selbst. Zusätzlich sind viele
Bürger bestrebt, Werte und Eigentum aufzubauen, um
für die Kinder und die Ehepartner Vorsorge zu treffen.
Hieraus rechtfertigt sich auch die Privilegierung der Erb-
schaftsteuerklasse I. Der Staat hat nämlich ein ureigenes
Interesse daran, dass sich die Menschen füreinander ein-
setzen und füreinander sorgen, sei es als Eltern für die
Kinder, sei es als Kinder für die Eltern, sei es als Ehe-
partner untereinander,
Eine unterschiedliche Behandlung unterschiedlicher
Vermögen, sei es Kapitalvermögen, sei es Grundvermö-
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en oder Betriebsvermögen ergibt sich für uns Liberale
us Art. 3 des Grundgesetzes: Hiernach soll Gleiches
leich und Ungleiches ungleich behandelt werden,
Kapitalvermögen kann bewertet werden und hierauf
ann eine Steuer festgelegt und gezahlt werden. Immo-
ilienvermögen steht auch in einer stärkeren Sozialbin-
ung. Es ist nicht so fungibel und kann deshalb auch
icht so einfach veräußert werden wie Kapitalvermögen.
ie dritte Stufe ist das Betriebsvermögen. Hierbei ist
nsbesondere die stärkere Gemeinwohlbindung auch für
ie Arbeitsplätze zu berücksichtigen.
Dieses rechtfertigt unterschiedliche Differenzierun-
en bei den zur Vererbung stehenden Werten. Dieses ist
uch der Grund, warum gerade beim Betriebsvermögen
arauf geachtet werden muss, dass der Betrieb auch tat-
ächlich in die nächste Generation gelangt.
Eine Umfrage der Firma Ernst & Young hat ergeben,
ass gerade für mittelständische Betriebsinhaber die
ortführung des Betriebes an erster Stelle steht.
Deshalb ist in vielen europäischen Ländern zwischen-
eitlich die Vererbung von Betriebsvermögen komplett
teuerfrei gestellt worden. Im Vergleich mit Österreich
nd der Schweiz muss Deutschland feststellen, dass ge-
ade Unternehmer ihren Wohnsitz aus Deutschland we-
en der Erbschaftsteuer verlagern. Diese Verlagerung
at zur Folge, dass langfristig das Kapital dieser Perso-
en mit seinen Erträgen dem deutschen Fiskus als Be-
teuerungsgrundlage nicht mehr zur Verfügung steht.
ieses muss aus Sicht der FDP verhindert werden.
Die Vorschläge der Links-Fraktion sind dem gegen-
ber darauf angelegt, dass noch mehr Unternehmer ein
nteresse daran haben, aus erbschaftsteuerlichen Grün-
en Deutschland zu verlassen.
Neid und Umverteilung sind schlechte Ratgeber für
irtschaftliche Entwicklung eines Landes. Wohin ein
olches Denken führt, hat uns gerade in der ehemaligen
DR der wirtschaftliche Zustand des Landes gezeigt.
iesen Weg in den Sozialismus lehnt die FDP ab.
Für uns Liberale ist es wichtig, die Eigentumsrechte
u stärken und dem einzelnen Bürger die Möglichkeit zu
eben, Eigentum zu erwerben – aber Eigentum eben
uch auf seine Angehörigen zu vererben.
Dieses müsste auch den Linken im Deutschen Bun-
estag einleuchten. Auch angesichts der Probleme der
m Umlageverfahren finanzierten Sozialversicherungs-
weige müsste auch die Linkspartei anerkennen, dass
ir in Deutschland verstärkt Kapitalbildung und nicht
ur Umverteilung benötigen.
Deshalb werden wir als FDP den Antrag der Links-
artei ablehnen.
Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Es ist eine unum-
tößliche Tatsache, dass sich zwar am Sterben nicht rüt-
eln lässt, aber wohl am Erben. Hermann Ulrich Viskorf,
ichter am Bundesfinanzhof, geht in seinen Thesen zur
eform der Erbschaftsteuer davon aus, dass dank fehlen-
er Gesetzesregelungen 2002 von 800 000 Sterbefällen
7662 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Januar 2007
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nur 60 000 besteuert wurden. 2005 wurden 200 Mil-
liarden vererbt, aber nur 4 Milliarden Steuern gezahlt.
Dies ist ein Steuersatz von sage und schreibe 0,015 Pro-
zent. Die Länder erzielen durch die Kfz-Steuern mehr
Einnahmen als durch die Erbschaftssteuer, so das „Han-
delsblatt“.
Im internationalen Vergleich finden wir die USA mit
35,91 Prozent, Japan mit 24,79 Prozent bei den Erb-
schaftsteuern. Da, wo viel zu holen ist, wird also außer-
halb unserer Landesgrenzen richtig zugepackt. Vielleicht
haben wir diese Einnahmequellen dank sprudelnder an-
derer Quellen nicht mehr nötig? DIW Zahlen: In den
nächsten zehn Jahren stehen in Deutschland 2,2 Billio-
nen Euro zum Vererben an. Sie können sich leicht ausre-
chen, wie viel dringend benötigte Milliarden Einnahmen
der öffentlichen Hand entgehen werden, wenn dieser Re-
gierung weiter der Mut zu einer wirklichen Reform der
Erbschaftsteuer fehlen wird. Lassen sie mich Peter
Krämer, Reeder und Millionär aus Hamburg zitieren:
„Der Erbfall ist der reine Zufall. Es ist völliger Zufall, ob
Sie Erbe eines reichen Mannes oder eines armen Mannes
sind. Das heißt, es ist eigentlich ein Geschenk. Und wir
haben ja auch die Schenkungsteuer. Insofern brauchen
wir auch eine Erbschaftssteuer“ Zitat Ende.
Ja, wir brauchen vor allem eine verteilungsgerechte
Reform der Erbschaftsteuer und kein Gemurkse à la Ge-
sundheitsreform. Wir brauchen sie, weil diese Regierung
ausschließlich dafür sorgt, dass einige wenige immer
vermögender werden und die Mehrheit der Bürgerinnen
und Bürger verzichten muss. Das Geldvermögen ist in
Deutschland bei konstant ungleicher Verteilung um
6 Prozent auf 4,54 Billionen im vergangen Jahr gestie-
gen. Es ist die alte Leier: Geld ist ausreichend vorhan-
den, aber wie wird es verteilt?
Bei der Erbschaftsteuer handelt es sich doch eigent-
lich um eine ideale Einnahmequelle, da diese Art von
Zugewinn völlig leistungsfrei und einzig allein durch das
Glück und den Zufall der Geburt in der entsprechenden
Familie bestimmt ist. Eine Erbschaft ist also nicht der
steuerpolitische Sündenfall, sondern sie ist der Idealfall.
Zeigen Sie also Mut und reformieren Sie die Erbschafts-
steuer, so wie Sie es laut Koalitionsvereinbarung schon
für den 1. Januar 2007 versprochen haben.
Der Antrag meiner Fraktion Die Linke kann dabei für
Sie sehr hilfreich sein, weil er Steuer- und Verteilungsge-
rechtigkeit festschreibt. Wir wollen:
Erstens. Eine Gleichbehandlung aller der Steuer zu-
grunde liegenden Vermögensvorteile; das heißt eine
realitätsnahe Bewertung aller Vermögensarten und eine
Korrektur bei der Bewertung des Betriebsvermögens.
Zweitens. Eine Gleichbehandlung aller steuerpflichti-
gen Erben, unabhängig vom Verwandtschaftsgrad zum
Erblasser. Das heißt, wir wollen eine Steuerklasse und
nicht drei und eine Vereinheitlichung der Freibeträge.
Nur. Erben, die älter als 60 Jahre sind, Kinder, Ehe- und
Lebenspartner erhalten einen höheren Freibetrag.
Drittens. Keine Privilegierung des Betriebsvermö-
gens, die auch der Bundesfinanzhof für gesetzwidrig
hält. Das bedeutet, dass die Sondervorschriften zur steu-
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rlichen Behandlung des Betriebsvermögens, wie Be-
ertungsabschlag, gesonderter Freibetrag, entfallen.
Im Übrigen, sehr verehrter Herr Kollege Steinbrück,
n Beantwortung einer Kleinen Anfrage meiner Fraktion
um Thema Betriebsvermögen und Erbschaftsteuer ant-
ortet uns ihr Ministerium, dass in noch keinem konkre-
en Fall belegt werden konnte, dass der Fortbestand
ittelständischer Familienunternehmen durch eine
leichbehandlung des Betriebsvermögens gefährdet ist.
rotzdem planen Sie mit Ihrer Reform der Erbschaft-
teuer ein weiteres Geschenkpaket an reiche Familien-
rben aus dem Hause Aldi, Oetker und Schwarz usw.
Sie wollen das Firmeneigentum nicht besteuern und
ntlassen die Unternehmenserben aus ihrer Steuerpflicht.
arum, Herr Steinbrück? Nehmen Sie unseren Antrag,
ann ersparen Sie sich vielleicht den Ärger wie bei der
esundheitsreform, und Sie leisten etwas für eine drin-
end notwendige Verteilungsgerechtigkeit in diesem
and.
Im laufenden Jahrzehnt werden 2 000 Milliarden
uro geerbt und verschenkt. So viel wie nie zuvor in der
eschichte dieser Republik. Dass eine reiche Erbenge-
eration vor allem in den alten Ländern wartet und hofft,
ber dass auch beim Erben die Mehrheit der Bürgerinnen
nd Bürger leer ausgehen wird, sei nur am Rande ver-
erkt. Nehmen Sie Ihre Verantwortung für die Kommu-
en, für die Gemeinschaft, für Steuergerechtigkeit wahr,
nd legen Sie eine entsprechende Reform der Erbschaft-
teuer vor! Unser Antrag wird Ihnen dabei helfen.
Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
er Antrag der Linksfraktion beschäftigt sich nicht mit
en vielen schwierigen Fragen der Betriebsfortführung
Fall der Unternehmensnachfolge und damit dem wichti-
en politischen Ziel, Arbeitsplätze zu sichern und zu er-
alten, sondern vorrangig mit Fragen der Umverteilung
on Reichtum. Dabei wird leicht aus dem Auge verloren,
ass wesentlich die Investitionskraft eines Unterneh-
ens darüber entscheidet, ob es im Wettbewerb auf den
chnell sich verändernden Gütermärkten besteht oder
icht. Die Produktzyklen werden kürzer, deswegen muss
ie Innovationsfähigkeit der Betriebe gesteigert werden.
Umverteilen im Erbschaftsfall darf man nur auf einem
ege, der den Investitionsprozess von Unternehmen für
eue Patente und Produkte nicht gefährdet. Deswegen
uss die Unternehmensnachfolge für rund 70 000 Unter-
ehmen pro Jahr mit etwa 760 000 Arbeitsplätzen verant-
ortlich im Sinne des Gemeinwohls geregelt werden.
Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem
ohl der Allgemeinheit dienen“ (Art. 14 Abs. 2 Grundge-
etz). Die Sozialbindung des Eigentums muss bei einer
euregelung des Erbschaftsteuerrechts im Mittelpunkt
er Überlegungen stehen.
Die Vorschläge im Antrag der Linksfraktion schießen
eit über das Ziel einer gerechteren Erbschaftsteuer hinaus,
eil sie die Umverteilung von Reichtum zum wesent-
ichen Maßstab ihres Antrags gemacht haben. Dabei sind
hre Überlegungen, die Höhe des Erbschaftsteuertarifs
nd die Höhe der persönlichen Freibeträge nicht mehr
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Januar 2007 7663
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nach dem Verwandtschaftsgrad des Erben zum Erblasser
zu regeln, angesichts veränderter Lebensverhältnisse einer
genaueren Betrachtung wert. Familie und Verantwortung
füreinander liegt heute vermehrt außerhalb verwandt-
schaftlicher Bindungen, sodass hier Änderungsbedarf
meines Erachtens besteht. Die Linksfraktion will die Ein-
nahmen aus der Erbschaftsteuer von zurzeit etwa 4 Milliar-
den Euro mehr als verdoppeln. Vermögen umzuverteilen,
ist aber nicht das primäre Ziel einer gerechteren Erb-
schaftsteuer.
Im Kern geht es vielmehr um Fragen einer gleichmäßi-
gen Behandlung von Geldvermögen, Immobilien sowie
Betriebsvermögen im Erbschaftsfall. Das Bundesverfas-
sungsgericht will zu dieser Frage demnächst entscheiden.
Wenn es, wie erwartet wird, endlich vergleichbare Maß-
stäbe für die unterschiedlichen Vermögensarten bei der
Ermittlung der Berechnungsgrundlage für die Erbschaft-
steuer festlegt, dann wird es im Ergebnis Steuermehrein-
nahmen geben. Das wollen wir, denn breitere Schultern
können im Erbschaftsfall auch eine höhere Last tragen.
Wir wollen endlich von dem unhaltbaren Zustand
weg, dass Immobilien- und Betriebsvermögen systema-
tisch gegenüber Geldvermögen begünstigt bleiben. Wir
wollen jedoch nicht, dass die Betriebsfortführung im
Fall der Unternehmensnachfolge gefährdet wird. Kleine
Personenunternehmen haben häufig wenig Investitions-
kraft, sodass Vermögensentzug im Erbschaftsfall eine
Bedrohung der Betriebsfortführung bedeuten kann. Im
Rahmen der Beratungen zum Gesetzentwurf der Bun-
desregierung zur Unternehmensnachfolge werden wir
genau darauf unser Augenmerk richten. Die Abgrenzung
zwischen begünstigtem und nicht begünstigtem Vermögen
ist im vorliegenden Gesetzentwurf ein bürokratisches
Monstrum und wird immens streitanfällig werden. Die
Stellungnahme des Bundesrates befasst sich so gut wie
ausschließlich mit vielen ungelösten Abgrenzungsfra-
gen, zum Beispiel für die landwirtschaftlichen Betriebe.
Fazit: Die Bundesregierung hat dem Bundesrat einen
Gesetzentwurf zur Erleichterung der Unternehmensnach-
folge vorgelegt, der 450 Millionen Steuermindereinnah-
men bei den Ländern auslöst. Die Gegenfinanzierung
fehlt. Sie ist ungeklärt. Die Entscheidung des Bundesver-
fassungsgerichts soll die Gegenfinanzierung herbeiführen.
Solch ein Verfahren ist schlicht unseriös, wenn man Ver-
sprechungen für die Unternehmen in die Welt gesetzt
hat, ohne zu wissen, wer die Finanzierung der Steueraus-
fälle im Rahmen der Unternehmensnachfolge erbringen
soll. Die Politik hat den Bundesverfassungsrichtern die
Frage der Gegenfinanzierung zu klären zugeschoben,
durch Festlegung von Maßstäben zur gleichmäßigen Be-
steuerung von Immobilien-, Betriebsvermögen und
Geldvermögen.
Solch eine Methode, die dritte Gewalt zu beteiligen,
ist einmalig in der Republik. Mehrere Ministerpräsiden-
ten der Bundesländer haben bereits angekündigt, dass sie
Steuerausfälle bei der Erbschaftsteuer nicht hinnehmen
werden. Die Unternehmen beklagen zu Recht die
Rechtsunsicherheit, in der sie sich seit dem Jahreswechsel
befinden.
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nlage 4
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Siebten Geset-
zes zur Änderung des Bundesvertriebenengeset-
zes (Tagesordnungspunkt 17)
Maik Reichel (SPD): Wir beschäftigen uns heute in
rster Lesung mit dem siebten Gesetz zur Änderung des
undesvertriebenengesetzes. Etwa ein Dutzend zum Teil
esentliche Änderungen sind in diesen Gesetzentwurf
ingearbeitet worden, die zum einen auf die Erweiterung
er Europäischen Union seit dem l. Mai 2004 zurückzu-
ühren sind; es geht vor allem um die drei baltischen
taaten Estland, Lettland und Litauen, hier unter anderem
m die Aufhebung der gesetzlichen Kriegsfolgeschicksals-
ermutung für Spätaussiedlerbewerber.
Zum anderen geht es um die Erweiterung und Modifi-
ierung der Ausschlussgründe und eine entsprechende
egelung der Abfrage bei den verschiedenen Sicher-
eitsbehörden. Als Weiteres ändert das Gesetz die
uständigkeiten für die Gewährung der pauschalen Ein-
liederungshilfe von den Ländern zum Bund.
Es werden Regelungen getroffen, damit Behinderte
eine Nachteile bei der Aufnahme mehr erfahren. Wir
egeln die notwendige Erstattung der Fahrtkosten zu In-
egrationskursen und passen mit dem Gesetz neue Rege-
ungen in der gesetzlichen Krankenversicherung an.
Wir erweitern die Möglichkeit, einen deutschen Fa-
iliennamen zu führen.
Im Art. 1 § 45 regeln wir die eben angesprochenen
usschlussgründe, das heißt, unter welchen Bedingun-
en die deutsche Staatsangehörigkeit nach Art. 116 GG
rworben werden kann.
Ausschlussgründe bestehen demnach bei Personen, die
der nationalsozialistischen oder einer anderen Gewalt-
errschaft erheblich Vorschub“ geleistet haben, die „gegen
rundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit
erstoßen haben oder die in den Aussiedlungsgebieten die
igene Stellung zum eigenen Vorteil, aber auch zu anderer
achteil in schwerwiegendem Maße missbraucht haben.
Zwei weitere Buchstaben, nämlich d) und e) des § 5
r. 1 werden bezüglich der Ausschlussgründe einge-
ührt, um unter anderem Gesetzeslücken zu schließen.
Der Buchstabe d) betrifft Personen, die – wo auch
mmer – eine rechtswidrige Tat begangen haben, die in
nserem Land als Verbrechen gilt. Hierbei gelten unsere
erjährungsgrenzen. Wir wollen damit der Entziehung
iner drohenden Strafverfolgung im Ausland nicht Vor-
chub leisten.
Buchstabe e) gibt weitere Ausschlussgründe an. Dabei
eht es um Terroristen bzw. unterstützende Helfer von
erroristen oder terroristischen Vereinigungen. Auch
ewaltbereite Extremisten sind hier eingeschlossen. Wer
egen die freiheitlich demokratische Grundordnung oder
ie Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder
ines ihrer Länder eintritt oder dies aktiv betreibt, unter-
iegt einem Ausschlussgrund. Aber auch hier kann er
7664 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Januar 2007
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durch eine Glaubhaftmachung, dass er sich von seiner
früheren Handlung distanziert und – wie es im Gesetzes-
entwurf heißt – abgewandt hat, diesen Ausschluss ver-
hindern.
Dieser neu eingeführte Buchstabe e) steht unter der
aktuellen Bedrohungslage und reagiert damit auf die seit
langem, zumindest aber seit dem 11. September 2001,
bestehenden Bestrebungen, die Bundesrepublik sowie
alle Bürgerinnen und Bürger und alle, die sich innerhalb
unserer Grenzen aufhalten, so gut wie möglich zu schützen.
In diesem Zusammenhang sei darauf verwiesen, dass
das Bundesverwaltungsamt dadurch die Möglichkeit hat,
die sich auch aus dem Aufenthaltsgesetz ergibt, die ver-
schiedenen Sicherheitsbehörden, das heißt, den BND,
das Bundesamt für Verfassungsschutz, MAD, BKA und
das Zollkriminalamt, an der Feststellung möglicher
Versagungsgründe zu beteiligen. Dies gilt nicht nur für
Spätaussiedlerbewerber, sondern auch für deren Ehegat-
ten und Abkömmlinge.
Integration ist unentbehrlich für ein gutes, friedliches
und vor allem verständnisvolles Zusammenleben aller.
Deshalb ist es umso wichtiger, dass wir es auch jedem
Spätaussiedler ermöglichen, Integrationskurse zu besu-
chen, um die deutsche Sprache zu beherrschen. Denn ohne
sprachliche Integration ist eine weitere, tiefgründigere In-
tegration in unser Gemeinwesen schwerlich möglich.
Deshalb muss auch eine Erreichbarkeit von Kursorten
jederzeit gegeben sein. Zwar kann in der Regel ein Spät-
aussiedlerbewerber seinen ersten Wohnort nicht frei
wählen, dennoch muss das zuweisende Amt die Erreich-
barkeit solcher Kurse beachten.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge garan-
tiert flächendeckende Integrationskurse. Dieses Ange-
bot soll bedarfsorientiert sein, dennoch kann sich im
Einzelfall – denken wir an ländlich geprägte Regionen
unseres Landes – natürlich eine weitere Entfernung zu
einem Integrationskurs ergeben. Um unnötige Härten,
vor allem auch finanzieller Art, zu vermeiden, ist eine
Sonderregelung zu den Kosten für Fahrten zum und
vom Integrationskurs getroffen worden. Entsprechend
hohe finanzielle Summen sind dabei für den Bund nicht
zu erwarten – zirka 100 000 Euro –, zumal die Zahl der
Spätaussiedlerbewerber von etwa 35 000 im Jahre 2005
auf 7 700 im vergangenen Jahr 2006 zurückgegangen
ist.
Dies zeigt sich natürlich auch in den entsprechenden
Kursen bei den verschiedenen Bildungsträgern. In meinem
Heimatlandkreis Weißenfels, im südlichen Sachsen-Anhalt,
tritt seit Beginn der 1990er die Kreisvolkshochschule als
Träger sehr erfolgreich auf. So sank die Teilnehmerzahl
von 2004 bis 2006 um etwa 40 Prozent. Vor Ort wurde
mir bestätigt, wie wichtig solche Kurse sind, zumal in
manchen Kursen nicht nur Spätaussiedler sitzen, son-
dern auch Menschen anderer unterschiedlicher Spra-
chen. Die Brückensprache aller ist die deutsche Sprache.
Ich selbst habe vor vielen Jahren an solchen Kursen als
Dozent mitgewirkt, dort waren es vor allem homogene
Klassen mit Russischsprachlern.
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Ich will an dieser Stelle im Namen des Weißenfelser
ildungsträgers die gute Zusammenarbeit mit dem
AMF, im sachsen-anhaltischen Fall ist das Halberstadt,
nd mit der Ausländerbehörde, hervorheben, die sich
tets verlässlich dargestellt hat.
Mit diesem Gesetz leisten wir ebenfalls einen Beitrag
um Bürokratieabbau. Zurzeit ist es noch so, dass es beim
and und beim Bund eine doppelte inhaltliche Bearbei-
ng eines Antrags gibt, was unter anderem die Entschei-
ung über die Gewährung der pauschalen Eingliederungs-
ilfe betrifft. Zukünftig werden die Länderbehörden
ntlastet, indem der Bund, sprich das Bundesverwaltungs-
mt, allein diese Bearbeitung übernimmt.
Nach der gegenwärtigen Rechtslage des § 28 BVFG
arf ein vom Bundesverwaltungsamt zu erteilender Auf-
ahmebescheid erst nach Zustimmung des aufnehmen-
en Landes erteilt werden. Das Zustimmungsverfahren
ach § 28 Abs. 2 BVFG ist somit unverzichtbare Voraus-
etzung des Aufnahmebescheides.
Zu diesem Zweck lassen sich die Länder die jeweiligen
orgänge vom Bundesverwaltungsamt vorlegen, um im
ahmen einer Einzelfallprüfung über die Erteilung der
ustimmung zu entscheiden.
Obwohl es bereits heute zu den Aufgaben des Bundes-
erwaltungsamtes gehört, den Sachverhalt erschöpfend
u ermitteln, sind die Länder nicht gehindert, eigene – er-
änzende – Ermittlungen durchzuführen oder das Bun-
esverwaltungsamt durch Rückgabe des Vorgangs um
achermittlungen zu bitten. Das Land kann die Zustim-
ung aber nur dann verweigern, wenn die – zuvor bereits
om Bundesverwaltungsamt geprüften – Voraussetzungen
es § 27 BVFG zur Erteilung eines Aufnahmebescheides
icht vorliegen.
Der heutige Gesetzentwurf sieht daher vor, § 28 Abs. 2
VFG zu streichen und die bisherige „Doppelprüfung“
urch Bund und Land abzuschaffen. Diese Vereinfa-
hung des Aufnahmeverfahrens führt somit nicht nur zu
inem erheblichen Aufgaben- und Bürokratieabbau in
en Ländern, sondern macht die Verfahren – vor allem
urch Entfallen des kostspieligen Aktenversandes und
es hierfür notwendigen Personalaufwandes – effektiver
nd schneller für die betroffenen Personen.
Dies gilt auch für die von den Ländern geforderte
erlagerung der Zuständigkeit über die Gewährung der
auschalen Eingliederungshilfe nach § 9 Abs. 3 BVFG
uf das Bundesverwaltungsamt. Künftig soll die Gewäh-
ung von Leistungen nach § 9 Abs. 3 BVFG bereits im
uge der Entscheidung des Bundesverwaltungsamtes
ber die Erteilung einer Bescheinigung nach § 15 BVFG,
pätaussiedlerbescheinigung, erfolgen. Da die Länder für
re Entscheidung regelmäßig den beim Bund geführten
organg über das Bescheinigungsverfahren beiziehen
üssen – Voraussetzung für die Gewährung einer Einglie-
erungshilfe ist das Vorliegen der Spätaussiedlereigen-
chaft –, ist es nur konsequent, wenn das Bundesverwal-
ungsamt hierüber gleich im Bescheinigungsverfahren
ntscheiden kann, sodass auch hier der aufwendige
ktenversand an die Länder, die Prüfung jedes Antrages
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Januar 2007 7665
(A) )
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im Einzelfall und die entsprechende Verteilung der Bun-
desmittel auf die Länder entfallen kann.
Aufgrund der Veränderung der Zuständigkeit nach § 9
Abs. 3 von den Ländern auf den Bund – sprich Bundes-
verwaltungsamt – und der erweiterten Abfrage bei den
verschiedenen Sicherheitsbehörden sowie der Über-
nahme von Fahrtkosten ergeben sich auch Mehrkosten.
Diese belaufen sich auf etwa 370 000 Euro, die im Haus-
haltsplan entsprechend eingearbeitet bzw. im Haushalts-
vollzug berücksichtigt werden. Im Einzelplan 06 ist also
Vorsorge getroffen und die Kosten sind in der mehrjähri-
gen Finanzplanung vorgesehen.
Das Gesetz legt ebenfalls Wert darauf, dass Spätaus-
siedlerbewerber, die aufgrund einer Behinderung, sei sie
vor oder nach dem Aufnahmeantrag hervorgetreten, er-
klärlicherweise keinen Sprachtest durchführen können,
nicht befürchten müssen, damit einen Ausschlussgrund
zu liefern. Eine Bestätigung anderer, dass die deutsche
Sprache vermittelt wurde, reicht aus. Das SGB IX wird
hierbei herangezogen.
Und natürlich können wir niemandem, der aufgrund
seiner Behinderung nie die deutsche Sprache sprechen
konnte, im Übrigen auch keine andere, dies als Aus-
schlussgrund vorhalten. Eine Benachteiligung durch
eine Behinderung ist damit ausgeschlossen. Zum ande-
ren sind die Behörden auch sicher selbst in der Lage, sol-
che genauen Abschätzungen zu treffen.
Weitere wesentliche Änderungen sind bereits durch
meinen Vorredner aus der Koalitionsfraktion benannt
worden. Bis in manches Detail wurde neu geregelt, ob es
die Euroumstellung oder auch die Anpassung an die
neue Rechtschreibung oder der Fall einer Frühgeburt
während der Aussiedlung ist. Damit haben wir auch wei-
terhin ein sehr gutes Vertriebenengesetz, was mir auch
vor wenigen Tagen von einem Betroffenen unter Hin-
weis auf Gesetze anderer Länder bestätigt wurde.
Dem weiteren parlamentarischen Verfahren wünsche
ich ein gutes Gelingen. Die SPD-Fraktion wird diesen
Gesetzentwurf der Bundesregierung unterstützen.
Dr. Max Stadler (FDP): Der gesetzgeberische Hand-
lungsbedarf zur Änderung des Vertriebenen rechts er-
schließt sich bei Lektüre des Gesetzentwurfs nicht auf
Anhieb. Die Bundesregierung will das Bundesvertriebe-
nengesetz den politischen Entwicklungen anpassen, in
der Verwaltungspraxis aufgetretene Probleme lösen und
den Zuzug von Extremisten und Terroristen verhindern.
Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang die viel-
leicht ein wenig naiv anmutende Frage, ob sich das ver-
triebenenrechtliche Aufnahmeverfahren in der Vergan-
genheit zu einem Einfallstor für Extremisten und
Terroristen entwickelt hat. Mir ist eine solche Entwick-
lung nicht bekannt. Wenn es im Gesetzentwurf heißt,
hier müsse eine Lücke geschlossen werden, damit Extre-
misten und Terroristen keine Aufnahme finden, erwarte
ich hierzu von der Bundesregierung weiteren Tatsachen-
vortrag. Hat es in der Vergangenheit Fälle gegeben, in
denen Extremisten oder Terroristen versucht haben, über
Verfahren nach dem Bundesvertriebenengesetz Auf-
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ahme in Deutschland zu finden und hat das geltende
echt nicht ausgereicht, dies zu verhindern? Sollte es
ier wirklich ein Problem geben, wird sich die FDP einer
ernünftigen Lösung selbstverständlich nicht verschlie-
en.
Ohne Weiteres einleuchtend erscheint mir der gesetz-
eberische Handlungsbedarf im Bereich des Zuzugs
chwerkrimineller. Das geltende Recht stellt auf die Ab-
icht ab, sich durch Aussiedlung der drohenden Strafver-
olgung zu entziehen. Es erscheint in der Tat sachgerech-
er, nicht länger auf die Absicht, sondern auf die
chwere der Tat abzustellen. Auf diese Weise ist sicher-
estellt, dass Personen, die schwerwiegende rechtswid-
ige Taten begangen haben, von der Aufnahme ausge-
chlossen sind. Im Übrigen lege ich Wert auf die
eststellung, dass es sich auch hierbei nicht um ein Mas-
enphänomen handeln dürfte. In diesem Zusammenhang
ei der Hinweis erlaubt, dass die aktuellen Kriminalitäts-
nd Integrationsstatistiken zeigen, dass Spätaussiedler
anders als vielfach behauptet – keine besondere Pro-
lemgruppe darstellen und sich mehrheitlich gut in un-
ere Gesellschaft integrieren.
Die FDP unterstützt alle Maßnahmen, die zu einer
eiteren Verbesserung der Integration beitragen. Hierzu
ehört die im Gesetzentwurf vorgesehene Zahlung von
ahrkostenzuschüssen, um Spätaussiedlern und ihren
ngehörigen die Teilnahme an einem Integrationskurs
u ermöglichen. Das Geld ist gut angelegt. Es fördert die
ntegration von Spätaussiedlern und ihren Familienange-
örigen weiter und vermeidet Integrationskosten an an-
erer Stelle. Die Bitte des Bundesrats, den Kreis der An-
pruchsberechtigten moderat zu erweitern, wird zu
rüfen sein.
Die weiteren Änderungsvorschläge sind ganz über-
iegend rechtstechnischer und verwaltungspraktischer
atur. Sie werden einen Beitrag zum Bürokratieabbau
eisten. Das gilt vor allem für die Übertragung der Zu-
tändigkeit für die Entscheidung über die Gewährung
er pauschalen Eingliederungshilfe von den Ländern auf
as Bundesverwaltungsamt sowie die Abschaffung des
ustimmungsverfahrens im Rahmen des schriftlichen
ufnahmeverfahrens.
Ulla Jelpke (DIE LINKE): Früher wurden die Enkel
nd Urenkel deutscher Vorfahren aufgefordert, so
chnell wie möglich in die kapitalistische BRD zu kom-
en. Spätaussiedler galten als Kronzeugen gegen den
ozialismus und wurden hemmungslos als Mittel im
alten Krieg instrumentalisiert. Heute hingegen werden
ie vor allem diskriminiert. Wer einwandern will, ist
icht mehr willkommen, nach dem Motto: Die Russ-
anddeutschen haben ihre Schuldigkeit getan, sie sollen
ortbleiben.
Das vorgeschlagene Gesetz erweitert die Politik der
bschottung, eines der Markenzeichen dieser Bundesre-
ierung, auf die sogenannten Spätaussiedler. Dazu die-
en zwei Hebel: Die Deutschkenntnisse sollen künftig
u einem früheren Zeitpunkt nachgewiesen werden, da-
it auch ein Ablehnungsbescheid früher erfolgen kann.
amit werden Familien noch stärker auseinandergeris-
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sen. Innerhalb eines Familienverbandes gibt es dann
Deutsche und Ausländer, Menschen, die kommen dür-
fen, und solche, die draußen bleiben müssen. Das ist we-
der nachvollziehbar noch human.
Der zweite Hebel gibt vor, Schwerkriminelle, Extre-
misten und Terroristen von der Einreise abhalten zu wol-
len. Praktisch wird den Aussiedlern generelles Miss-
trauen entgegengebracht. Das Bundesverwaltungsamt
kann nach Gutdünken Abfragen beim BND, beim MAD,
beim Verfassungsschutz, beim BKA und beim Zollkri-
minalamt vornehmen. Wenn Spätaussiedler als soge-
nannte Extremisten gelten, die die freiheitlich-demokra-
tische Grundordnung gefährden, dürfen sie nicht
zuwandern. Das öffnet der Willkür Tür und Tor. Denn
gegen die Verdächtigungen der Schlapphüte können sich
die Betroffenen nicht effektiv zur Wehr setzen.
Wir wissen alle, wie die Geheimdienste arbeiten, und
wir können uns vorstellen, was bei diesen Extremismus-
abfragen herauskommt. Als Extremist gilt dem Verfas-
sungsschutz bekanntlich jeder, dessen Ansichten von der
Generallinie abweichen. Das Bekenntnis zum demokra-
tischen Sozialismus reicht ja schon aus, um als Verfas-
sungsfeind denunziert zu werden. Viele Abgeordnete un-
serer Fraktion haben es ja schriftlich, dass sie beobachtet
werden.
Ich frage mich, ob der Bundesregierung eigentlich
klar ist, was sie da für eine Ungeheuerlichkeit vor-
schlägt: Wer sich für sozialistische Ziele einsetzt, kann
nicht Deutscher sein. Überlegen Sie sich mal, an welche
Tradition Sie damit anknüpfen!
Das Bundesvertriebenengesetz hat sich überlebt. Es
basiert nach wie vor auf dem überkommenen Prinzip der
Blutsgemeinschaft. Dieses wird mit kulturrassistischen
Versatzstücken garniert, wie etwa dem „Bekenntnis zum
deutschen Volkstum“. Und um die schlechtesten deut-
schen Traditionen hochzuhalten, wird ausgeschlossen,
wer nicht dem politischen Wunschbild deutscher Behör-
den entspricht.
Faktisch gibt es für das Gesetz keine Berechtigung
mehr. Die Einreisequoten sind seit Jahren im Sinkflug.
Im Jahr 2005 sind noch 35 000 Spätaussiedler eingereist,
die Zahlen gehen weiter stark zurück. Deswegen plädie-
ren wir dafür, das Gesetz aufzuheben und stattdessen das
Zuwanderungsgesetz so zu reformieren, dass es seinen
Namen wirklich verdient. Dort kann auch der Umgang
mit Personen geregelt werden, deren Vorfahren deutsche
Staatsbürger waren.
Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung zur
Reform des Bundesvertriebengesetzes enthält ein wenig
Licht, aber auch sehr viel Schatten.
Die Möglichkeit der Fahrtkostenerstattung für Teil-
nehmer am Integrationskurs haben wir selbst immer ge-
fordert, und zwar für alle Integrationskursteilnehmer. Es
ist absolut unverständlich, warum diese Erstattung nicht
auch für die Familienangehörigen von Spätaussiedlern
gewährt wird, wie dies auch der Bundesrat in seiner Stel-
lungnahme zu diesem Gesetz gefordert hat.
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Rechtsstaatlich bedenklich ist hingegen die Verschär-
ung der Ausschlusstatbestände beim Zuzug von Spätaus-
iedlern. So wird in § 5 des Gesetzentwurfes mit sehr un-
laren Formulierungen geregelt, dass bei Verbrechen, die
Herkunftsland begangen und auch nach deutschem
echt strafbar sind, kein Zuzug erfolgen darf. Das gilt auch
ür die Beteiligung an Gewalttaten oder Aufruf zu Gewalt-
ten zur Verfolgung politischer Zwecke. Hier besteht noch
rheblicher Klärungsbedarf in den Ausschüssen welche
älle denn da gemeint sind. Es muß sicher sein, dass hier
icht mit Kanonen auf Spatzen geschossen wird.
Eine der wichtigsten Änderungen der Rechtslage für
pätaussiedler durch das Zuwanderungsgesetz war die
eu eingeführte Voraussetzung des Nachweises von
rundkenntnissen der deutschen Sprache für Ehegatten
nd Kinder eines Spätaussiedlers, also § 27 Abs. 1 Bun-
esvertriebenengesetz. Diese Neuregelung wird vom
undesinnenministerium in seinem Evaluierungsbericht
es Zuwanderungsgesetzes überwiegend als sachgerecht
ngesehen, während die meisten Wohlfahrtsverbände
iese Regelung ablehnen. Im vorliegenden Gesetzentwurf
ird jetzt eine Regelung eingeführt, auf das Vorliegen der
prachkenntnisse zu verzichten, wenn eine Behinderung
orliegt. Das reicht aber bei weitem nicht aus. Die Be-
timmungen müssen ganz allgemein gelockert werden.
Im Grenzdurchgangslager Friedland wurden im Jahre
006 insgesamt 8 000 Aussiedler aufgenommen. Seit Er-
ffnung des Lagers im Jahre 1945 habe es nie so wenige
eutschstämmige gegeben, die zurück in ihre ursprüng-
iche Heimat wollen, wird der Leiter der Einrichtung in
er Zeitung „Die Welt“ zitiert. Im Jahr 2005 waren noch
5 527 Aussiedler gekommen. Seit Inkrafttreten des Zu-
anderungsgesetzes ist der Zuzug von Spätaussiedlern
ach Deutschland im Durchschnitt um rund 40 Prozent
esunken.
Viele schrecken also offenbar vor der Deutschprüfung
urück, was auch klar ist, weil sie diese Sprache oft
chon seit langem nicht mehr anwenden konnten. Im
ahr 2005 haben zum Beispiel knapp 25 Prozent der An-
ragsteller den Test bestanden.
Anstatt dieses Problem zu lösen und Sprachförderung
ann gezielt in Deutschland nach der Einreise voranzu-
reiben, dürfen Spätaussiedlerbewerber, deren Sprach-
enntnisse nicht ausreichen, gar nicht erst einreisen. Und
ogar noch viel schlimmer: Im so genannten Zuwande-
ungs-Änderungsgesetz, auf das wir jetzt ja schon ein
ahr warten dürfen – weil Sie sich nicht einig sind – sol-
n jetzt auch nachziehende Ehegatten von in Deutschland
benden Ausländern ebenfalls ausreichende Deutsch-
enntnisse vor anstatt nach der Einreise nachweisen
üssen. Damit dürfte dann die Zahl der nachziehenden
amilienangehörigen zu Migranten nach Deutschland
benfalls drastisch zurückgehen. Wie das alles mit dem
rundgesetzlichen Schutz von Ehe und Familie zu ver-
inbaren ist, bleibt Ihr Rätsel. Dazu können Sie unsere
nterstützung nicht erwarten und daher werden wir
hren Gesetzentwurf ablehnen.
Es gibt auch Aspekte, mit denen wir keine Probleme ha-
en: Zunächst die Aufhebung der Kriegsfolgenschicksals-
ermutung für Spätaussiedler aus den baltischen Staaten.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Januar 2007 7667
(A) )
(B) )
Dies ist eine logische Folgeanpassung durch die Erweite-
rung der Europäischen Union. Eine kollektive Verfol-
gungslage wird also nur noch für die Nachfolgestaaten der
Sowjetunion angenommen. Auch gegen die Zusammen-
legung der bislang höchst umständlichen und für die Be-
troffenen langwierigen Verwaltungsverfahren bis zur Ertei-
lung des Aufnahmebescheids haben wir keine Einwände.
Das alles reicht für uns aber nicht aus. In der jetzigen
Form können wir diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen.
Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär beim
Bundesminister des Innern: Das Bundesvertriebenenge-
setz, für das wir Ihnen heute einen Novellierungsentwurf
vorlegen, ist seit nunmehr 54 Jahren in Kraft. Die Vor-
lage dieses 7. Novellierungsgesetzes unterstreicht aber,
dass wir die Regelungen dieses Gesetzes nach wie vor
benötigen, mehr noch, dass das Grundanliegen des Ge-
setzes weiterhin Bedeutung besitzt.
„Wir bekennen uns auch weiterhin zu der Verantwor-
tung sowohl für diejenigen Menschen, die als Deutsche
in Ost- und Südosteuropa sowie in der Sowjetunion un-
ter den Folgen des Zweiten Weltkrieges gelitten haben
und in ihrer jetzigen Heimat bleiben wollen, als auch für
jene, die nach Deutschland aussiedeln. Dies gilt insbe-
sondere für die Deutschen in den Nachfolgestaaten der
Sowjetunion, bei denen das Kriegsfolgenschicksal am
längsten nachwirkt.“ – So steht es in unserer Koalitions-
vereinbarung.
Damit hebt die Koalitionsvereinbarung den Zusam-
menhang zwischen Aussiedlerpolitik und Kriegsfolgen-
bewältigung deutlich hervor. Ohne diesen Zusammen-
hang bleibt das Anliegen von Aussiedlerpolitik
unverständlich.
Dabei hilft der zeitgeschichtliche Rückblick auf die
Nachkriegssituation, die Dimensionen der Politik zur
Kriegsfolgenbewältigung besser zu erkennen. Nach dem
Grauen des Nationalsozialismus und den Katastrophen
des Zweiten Weltkrieges stand die Frage: Wie stellt sich
Deutschland, wie stellen sich die Deutschen ihrer natio-
nalen Verantwortung? Eine Frage, die ihre Bedeutung
bekanntlich bis heute nicht völlig verloren hat.
Dabei umfasste das Verständnis von nationaler Ver-
antwortung mindestens zwei Aspekte: Zum einen ging
es nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches um
Versöhnung und Wiedergutmachung gegenüber den Op-
fern des nationalsozialistischen Rassenwahns und der
Hitler’schen Eroberungskriege. Neben diesem Versöh-
nungsziel stand aber unabweislich die Herausforderung
zur Solidarität unter den Deutschen, die von den Folgen
von Krieg und Gewaltherrschaft sehr unterschiedlich, oft
willkürlich oder zufällig betroffen waren. Es gab solche,
die das Glück hatten, heil aus dem Krieg zurückzukeh-
ren, und solche, die getötet oder verletzt wurden. Es gab
diejenigen, die in ihrer Heimat weiterlebten, und diejeni-
gen, die aus der Heimat vertrieben wurden.
Nationale Verantwortung übernehmen bedeutete des-
halb neben den notwendigen deutschen Aussöhnungsbe-
mühungen auch, den solidarischen Ausgleich unter den
Deutschen unterschiedlicher Kriegsbetroffenheit zu su-
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hen. Die Felder dieser Politik des Lastenausgleiches
ind bekanntlich vielfältig gewesen.
Es entsprach der Logik dieser Solidarität – und war
ußerdem vor dem Hintergrund verfassungsrechtlicher
onsequenzen aus Art. 116 Grundgesetz geboten –, die
eutschen in den Ländern Osteuropas, die infolge des
rieges wegen ihrer Volkszugehörigkeit schwere Lasten
u tragen hatten, in den Hilfsanspruch gegenüber unse-
em deutschen Gemeinwesen einzubeziehen.
Eingedenk dieser Zusammenhänge wird deutlich:
ussiedlerpolitik ist nicht irgendeine Zuwanderungspo-
itik. Aussiedlerpolitik ist Teil des bis in unsere Tage
ortreichenden Bemühens der Bundesregierung, sich der
ationalen Verantwortung Deutschlands im Blick auf die
olgen von Nationalsozialismus und des Zweiten Welt-
rieges zu stellen. Deshalb bedarf es auch weiterhin der
esonderen Regelung des Bundesvertriebenengesetzes.
Das Bundesvertriebenengesetz hat über 4,4 Millionen
ieser Menschen ermöglicht, nach Deutschland zu kom-
en und hier ein neues Leben zu beginnen. Die durch
eiderseitige Anstrengung gelungene Eingliederung die-
er Menschen in unsere Gesellschaft stellt eine historisch
inmalige Leistung dar, deren positive Auswirkungen
uf unser Gemeinwesen überall gegenwärtig sind.
Auch heute noch finden Spätaussiedler nach dem
undesvertriebenengesetz Aufnahme in Deutschland.
war geht die Zahl der Aufgenommenen seit Jahren
eutlich zurück – im Jahr 2006 sind nur noch rund 8 000
pätaussiedler zu uns gekommen –, aber unsere beson-
ere Verantwortung für diese Menschen bleibt bestehen.
Die Randbedingungen auch für die Zuwanderung von
pätaussiedlern verändern sich jedoch. Deshalb bedarf
uch das Bundesvertriebenengesetz der Novellierung.
o soll das Gesetz mit dem von der Bundesregierung
orgelegten Entwurf eines 7. Änderungsgesetzes wieder
uf den neuesten Stand gebracht werden.
Dazu muss das Bundesvertriebenengesetz erstens an
ie Osterweiterung der Europäischen Union angepasst
erden. So sieht der vorgelegte Gesetzentwurf vor, dass
ersonen aus den baltischen Staaten, die als Spätaussied-
er nach Deutschland kommen wollen, in Zukunft wie
pätaussiedler aus den sonstigen mittel- und osteuropäi-
chen Staaten ein Kriegsfolgenschicksal nachweisen
üssen. Denn bei Mitgliedstaaten der Europäischen
nion kann man nicht mehr grundsätzlich davon ausge-
en, dass Menschen dort weiterhin unter einem Kriegs-
olgenschicksal leiden. Vermutet wird ein Kriegsfolgen-
chicksal damit in Zukunft nur noch für deutsche
olkszugehörige aus den Republiken der ehemaligen
owjetunion, die noch immer auf ihre gesetzliche Reha-
ilitierung warten. Außerdem wird die Wirksamkeit
och gültiger Altbescheide für Staatsangehörige eines
itgliedstaates der Europäischen Union zeitlich be-
chränkt.
Zweitens werden die Gründe für einen Ausschluss
on der vertriebenenrechtlichen Aufnahme an das Auf-
nthaltsgesetz und an das Staatsangehörigkeitsgesetz an-
epasst. Künftig sind auch Personen, die ein Verbrechen
egangen, den Terrorismus unterstützt oder sich gegen
7668 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Januar 2007
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die freiheitlich-demokratische Grundordnung gerichtet
haben, vom Erwerb des Spätaussiedlerstatus ausge-
schlossen. So wird verhindert, dass Personen mit krimi-
nellem oder terroristischem Hintergrund das vertriebe-
nenrechtliche Aufnahmeverfahren missbrauchen. Der
Schutz vor Zuwanderung von Schwerkriminellen, ge-
waltbereiten Extremisten und Terroristen wird damit
weiter verstärkt.
Drittens wird das vertriebenenrechtliche Aufnahme-
verfahren vereinfacht. In Zukunft ist allein das Bundes-
verwaltungsamt für das Verfahren zuständig. Die bisher
noch verbliebene Beteiligung der Länder entfällt. Damit
werden unnötige Doppelprüfungen in Zukunft vermie-
den und Bürokratie abgebaut. Dem Ziel der Verwal-
tungsvereinfachung dient auch der Vorschlag der Bun-
desregierung, festzulegen, dass die Bescheinigung, die
den Angehörigen der Spätaussiedler vom Bundesverwal-
tungsamt erteilt wird, auch ihren Deutschenstatus bestä-
tigt. Durch diese Änderung sollen abweichende Ent-
scheidungen der Staatsangehörigkeitsbehörden zum
Status der Angehörigen der Spätaussiedler vermieden
werden.
Viertens findet das grundgesetzliche Verbot, Behin-
derte zu benachteiligen, künftig bei Sprach- und Sprach-
standstests eine klare gesetzliche Grundlage: für Behin-
derte werden insoweit Ausnahmeregelungen geschaffen.
Außerdem werden die Möglichkeiten erweitert, einen
deutschen Familiennamen zu führen und sich damit von
Anfang an mehr als Teil der deutschen Gesellschaft zu
empfinden.
Schließlich verbessert das 7. Änderungsgesetz die
Regelungen des Bundesvertriebenengesetzes zur Inte-
gration der Spätaussiedler und ihrer Angehörigen. Sie
erhalten in Zukunft einen Fahrkostenzuschuss, wenn sie
einen Integrationskurs besuchen wollen, der von dem
Wohnort, der ihnen zugewiesen wurde, nicht zumutbar
erreicht werden kann.
Mit dem von der Bundesregierung vorgelegten Ent-
wurf eines 7. Änderungsgesetzes zum Bundesvertriebe-
nengesetz erfahren die Regelungen zur Aufnahme von
Spätaussiedlern die gebotenen Modernisierungen. Denn
Zuwanderung nach dem Vertriebenenrecht findet auch
heute noch statt. Lassen Sie uns die Chance nutzen, sie
weiterhin auf eine rechtliche Basis zu stellen, die den ak-
tuellen Anforderungen unserer Gesellschaft an Zuwan-
derung genügt
Anlage 5
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Umsetzung der Richtlinie über Märkte für Fi-
nanzinstrumente und der Durchführungsricht-
linie der Kommission (Finanzmarkt-Richtlinie-
Umsetzungsgesetz) (Tagesordnungspunkt 19)
Georg Fahrenschon (CDU/CSU): Das Finanzmarkt-
Richtlinie-Umsetzungsgesetz setzt die europäische Richt-
linie über Märkte für Finanzinstrumente – kurz MiFID –
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m und löst damit die Wertpapierdienstleistungsrichtlinie
us dem Jahr 1993 ab. Auf den ersten Blick mag der Inhalt
es Gesetzes für manch einen oder eine zunächst verwir-
end wirken. Und wirklich: Der Gesetzentwurf zur natio-
alen Umsetzung der europäischen Richtlinie über
ärkte für Finanzinstrumente – kurz MiFID – enthält eine
anze Masse an Detailregelungen und technischen Ände-
ungen.
Die bevorstehende Umsetzung der MiFId durch das
inanzmarkt-Richtlinie-Umsetzungsgesetz wird aller-
ings das deutsche wie auch das europäische Bank-, Bör-
en- und Kapitalmarktrecht von Grund auf verändern. An-
ers ausgedrückt: Die MiFID wird das neue Grundgesetz
es europäischen Kapitalmarktes. Denn im Vergleich zu
hrer Vorgängerin, der Wertpapierdienstleistungsrichtli-
ie, ISD, aus dem Jahr 1993, erweitert die MiFID das
pektrum der betroffenen Finanzdienstleistungen:
Neben Kreditinstituten, Wertpapierfirmen und organi-
ierten Märkten, Börsen, werden erstmals auch Anlage-
erater, Betreiber multilateraler Handelssysteme, MTF,
ußerhalb organisierter Märkte, Vermögensverwalter
nd vertraglich gebundene Vermittler erfasst.
Gleichzeitig vergrößert sich der Kreis der betroffenen
inanzinstrumente über die klassischen Wertpapiere und
erivate hinaus: Neu aufgenommen wurden Kredit-
erivate, Derivatkontrakte sowie finanzielle Differenz-
eschäfte. Und im Gegensatz zur Wertpapierdienstleis-
ungsrichtlinie, die den europäischen Mitgliedstaaten
och individuelle Auslegungen und Handhabungen er-
öglicht hatte, sieht die MiFID für alle verbindliche
orschriften vor.
Das Ziel: ein einheitlicher, harmonisierter europäi-
cher Finanzmarkt bei gleichzeitiger Stärkung des Wett-
ewerbs und des Anlegerschutzes. Daher zählen zu den
ernstücken der MiFID die Transparenzpflichten wie
or- und Nachhandelstransparenz, mit der in Zukunft
ktuelle Konditionen für den Kauf und Verkauf von Ak-
ieninstrumenten in Europa offengelegt werden müssen.
erade diese Neuregelung zeigt, wie eng der Zusam-
enhang von verbessertem Investorenschutz und grenz-
berschreitendem Wettbewerb ist: Anbieter und Han-
elsplätze werden so durch die neue Transparenz
ebunden, den Anlegern die jeweils besten Handelsmög-
ichkeiten und Kurse anzubieten.
Eine ähnliche Wirkung wird von der verschärften
flicht zur „bestmöglichen Ausführung von Kunden-Or-
ers“, der Best Execution erwartet. Des Weiteren sollen
ie Wohlverhaltensregeln sicherstellen, dass die Wertpa-
ierfirmen „ehrlich, redlich und professionell im best-
öglichen Interesse ihrer Kunden handeln und diese ein-
eutig über die Chancen und Risiken ihrer Geldanlage
nformieren“. So lautet der Text der Richtlinie.
Gänzlich neu an der MiFID ist in diesem Zusammen-
ang die Beweislastumkehr: In Zukunft müssen die An-
ieter nachweisen, dass sie alles getan haben, um eine
chädigung des Anlegers zu vermeiden.
Hier legt die MiFID eine spezifischere Klassifikation
er Kunden zugrunde als dies bisher der Fall war. Ent-
prechend wurden vom professionelle Kunden bis hin
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Januar 2007 7669
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zum Kleinanleger die Anforderungen an die Qualität des
internen Kontrollsystems und die Dokumentation in den
Unternehmen erhöht.
Wie Sie sehen, ist der Regelungsbereich der europäi-
schen MiFID weit. Absehbar werden wir uns im weite-
ren Verfahren der parlamentarischen Beratungen mit den
Petiten des Bundesrates auseinanderzusetzen haben wie
beispielsweise dem Thema Best Execution oder der Auf-
sicht über multilaterale Handelssysteme.
Des Weiteren werden wir uns bei diesem Gesetz auch mit
der Fragestellung auseinandersetzen müssen, dass wir wie-
der einmal die nationale Umsetzung einer europäischen
Richtlinie vollziehen sollen, bei der auf europäischer Ebene
im entsprechenden Gremium des Lamfalussy-Verfahrens
noch nicht einmal alle Punkte abgearbeitet wurden.
Nina Hauer (SPD): Die Umsetzung der MiFID-Richt-
linie – der EU-Richtlinie über Märkte für Finanzinstru-
mente – ist das Kernstück des Programms zur Schaffung
eines Finanzbinnenmarktes in der Europäischen Union.
Sie wird völlig zu Recht als das „Grundgesetz des
Finanzmarktes“ bezeichnet. Für den Wertpapiersektor ist
diese Richtlinie, was Basel II für die Banken oder
Solvency II für die Versicherungen ist. Und so ziemlich
jeder Marktteilnehmer auf dem Finanzmarkt wird vom
vorliegenden Gesetz – dem FRUG – betroffen sein.
Das Ziel der Richtlinie ist es, europaweit einheitliche
Regeln für die Erbringung von Wertpapierdienstleistun-
gen, wie zum Beispiel Anlageberatung, Vermittlung von
Investmentfonds und Dienstleistungen im Zusammen-
hang mit Warenderivaten zu schaffen.
Wer Wertpapierdienstleistungen erbringt, steht unter
Aufsicht der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsauf-
sicht, BaFin. Im Gegenzug bekommt er einen sogenannten
Europäischen Pass, kann also seine Dienstleistungen
grenzüberschreitend in Europa anbieten.
Auch für die Anleger bedeutet die Richtlinie Positives,
denn der Anlegerschutz wird ausgeweitet und europa-
weit harmonisiert. Insgesamt entsteht so mehr Wett-
bewerb – und auch ein besserer Wettbewerb –, um den
Kunden unter einheitlichen europaweiten Bedingungen.
Beispielsweise müssen bei der Ausführung von Wert-
papiergeschäften neue organisatorische Anforderungen
eingehalten werden, wie Risikokontrolle und die Offen-
legung von Interessenkonflikten. Neue Wohlverhaltensre-
geln gelten im Verhältnis zum Kunden: die Informations-
pflichten vor Abschluss eines Wertpapiergeschäfts, vor
allem die Offenlegung von Gebühren und Provisionen
und die Geeignetheitsprüfung von Wertpapiergeschäften
für die Kunden. Kunden werden in Privatkunden und
professionelle Kunden unterschieden, bei Privatkunden
fallen Informationspflichten umfangreicher aus. Bei der
Beratung der Kunden müssen umfangreiche Dokumen-
tationspflichten eingehalten werden, wie zum Beispiel
die Protokollierung des Beratungsgesprächs und dessen
Archivierung.
Es besteht die Pflicht zur bestmöglichen Ausführung
von Kundenaufträgen: Erbringer von Wertpapierdienstleis-
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ngen müssen ein System etablieren, das die kundengüns-
gste Ausführung ermöglicht.
Bei der nationalen Umsetzung der Richtlinie ist darauf
u achten, dass diese Transparenzanforderungen zwi-
chen Kunde und Wertpapierdienstleister ihre positive
irkung entfalten können – und nicht zum „Gläsernen
unden“ oder zu einem bürokratischen und kostspieligen
pparat führen.
Ein weiterer inhaltlicher Eckpunkt des FRUG ist der
ettbewerb für Handelsplattformen. In Zukunft sind Inter-
alisierungssysteme in ganz Europa erlaubt. Systematische
nternalisierer führen regelmäßig Kundenaufträge auf
igene Rechnung und nicht über Börsen oder multilaterale
andelssysteme aus. Vorher herrschte in einigen Ländern,
um Beispiel Frankreich, Börsenzwang. In Deutschland ist
ternalisierung bereits erlaubt.
In Zukunft ergeben sich durch die Richtlinie neue
renzüberschreitende Geschäftsmöglichkeiten für deut-
che Internalisierer, aber auch für Börsen und multilaterale
andelssysteme – denn alle haben jetzt einen Europäi-
chen Pass.
Bestandteil der Richtlinie sind auch Preistransparenz-
nforderungen für alle drei Arten von Handelsplattfor-
en. Diese Anforderungen sind wichtig für die Fairness
nd Transparenz am Finanzmarkt.
Ein Beispiel: Außerbörslich abgeschlossene Aktien-
eschäfte müssen künftig gegenüber anderen Marktteil-
ehmern transparent gemacht werden, da die Hälfte der
ktien außerbörslich gehandelt werden. Für die anderen
nleger werden durch die Meldung dieser Transaktionen
ichtige Informationen geboten.
Die europäische Richtlinie ist bahnbrechend für die
ertpapierbranche. Sie bietet große Vorteile gerade für
ie Privatkunden, die Anlageberatung in Anspruch neh-
en, und bietet einen hohen Anlegerschutz europaweit.
leichzeitig stellt sie Regeln für einen europaweiten
ettbewerb auf, bei dem unsere Dienstleister gut ab-
chneiden können.
Die Unternehmen arbeiten bereits an der Umsetzung:
eue Broschüren, AGBs und Formulare müssen erstellt
erden, Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen geschult wer-
en. Natürlich wird das ein Kraftakt für alle Beteiligten.
ieser Kraftakt wird aber den Finanzbinnenmarkt deut-
ich voranbringen und durch klare Spielregeln Nutzen
ür Anleger und Anbieter bringen.
Wir nehmen den Gesetzentwurf der Bundesregierung
ositiv entgegen – und werden ihn intensiv und sorgfältig
eraten.
Frank Schäffler (FDP): Mit dem vorliegenden Ge-
etzentwurf des Finanzmarkt-Richtlinie-Umsetzungsge-
etzes, FRUG, setzen wir die Richtlinie über Märkte für
inanzinstrumente, MiFID, um, eine Richtlinie, die in
er Finanzwirtschaft für erheblichen Aufwand und er-
ebliche Kosten sorgen wird. Die Bundesregierung
onnte auf meine Anfrage im Dezember die zu erwarten-
en Kosten nicht beziffern. Für Großbritannien hat die
ritische Finanzaufsicht FSA Einführungskosten von bis
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zu 1 Milliarde Pfund sowie laufende Kosten in Höhe von
100 Millionen Pfund pro Jahr errechnet. Die FSA geht
außerdem von positiven Effekten in Höhe von 200 Millio-
nen Pfund jährlich aus.
Die Finanzmarktrichtlinie ist der wichtigste Bestandteil
der Finanzmarktharmonisierung im Wertpapierbereich.
Bereits jetzt ist jedoch fraglich, inwieweit diese Harmoni-
sierung gelingt. Aus anderen EU-Mitgliedsländern gibt es
sehr unterschiedliche Meldungen, wie die MiFID dort
umgesetzt wird. In Deutschland haben wir uns seitens der
FDP-Fraktion das Ziel der Eins-zu-eins-Umsetzung ge-
setzt. Entgegen dem Vorgehen bei anderen Gesetzesvor-
haben haben sich bei diesem Gesetz auch die Koalitions-
fraktionen darauf verständigt. Dies ist im Sinne der
Verhinderung unnötiger Bürokratie geboten. Das ist aber
auch gerade im Hinblick auf die Unternehmen, die die
neuen Regelungen umsetzen müssen, dringend erforder-
lich. Wenn wir im europäischen Vergleich keine über die
Richtlinie hinausgehende Bürokratie haben, wird uns
das im Wettbewerb nicht schaden.
Es ist auch gut, wenn wir das Gesetz, so wie wir es
jetzt geplant haben, bis zum 30. März umsetzen, damit
die Unternehmen dann schnellstmöglich Rechtssicher-
heit haben, da sie die Regeln ja schon zum 1. November
anwenden müssen. Wir hätten es natürlich begrüßt,
wenn man auf europäischer Ebene noch eine längere
Umsetzungsfrist hätte aushandeln können.
Wir unterstützen die Bundesregierung bei der Ableh-
nung des Vorschlags des Bundesrates, die Best-Execution-
Regelungen auch auf Investmentanteile anzuwenden.
Eine solche Anwendung ginge über die Anforderungen
der Richtlinie hinaus. Sie ist auch, nicht erforderlich, da
der Kundenschutz über die Regelungen des Investment-
gesetzes gewährleistet ist.
Die von der Bundesregierung zwischenzeitlich unter
dem Stichwort „Bürokratieabbau“ geplante Übertragung
der Zulassung von Wertpapieren auf die BaFin hätten
wir nicht mitgetragen. Wir begrüßen, dass nun nach dem
Gesetzentwurf die Börsengeschäftsführung die Aufgabe
der Zulassungsstelle übernimmt. Ich betone das deshalb,
weil aus dem Bundesfinanzministerium geäußert wurde,
man treffe diese Regelung „wider besseres Wissen“ und
wolle die Zuständigkeit lieber auf die BaFin übertragen.
Im weiteren Gesetzgebungsverfahren wird zu prüfen
sein, welche Detailänderungen die Sachverständigen
noch vorschlagen. Wir sollten insbesondere auch darauf
achten, inwieweit das FRUG zu wirklicher Transparenz
für die Anleger beiträgt und nicht nur zu einem weiteren
Anwachsen der Papierberge führt, die die Anleger schon
heute überreicht bekommen.
Die FDP-Fraktion freut sich auf konstruktive Aus-
schussberatungen und wird ihren Teil dazu beitragen,
dass die Umsetzung der MiFID in Deutschland ein Erfolg
wird.
Dr. Axel Troost (DIE LINKE): Am Finanzmarkt-
Richtlinie-Umsetzungsgesetz ist aus meiner Sicht ein
zentraler Punkt entscheidend: die Verbesserung des Ver-
braucherschutzes für Kleinanleger. Wenn man, wie die
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egierungspolitik es in beklagenswerter Kontinuität tut,
ie Lohnabhängigen durch reale Rentenkürzungen in die
rivate Altersvorsorge treibt, ist dies nur konsequent.
enn dann kann auch erwartet werden, dass die „kleinen
eute“ vor den „schwarzen Schafen“ der Finanzmärkte
eschützt werden. Die gute Nachricht ist, dass das
inanzmarkt-Richtlinie-Umsetzungsgesetz hier einen
ortschritt gegenüber dem Status quo darstellt.
Zu begrüßen ist an dem vorgelegten Entwurf unter an-
erem das Erfordernis einer Berufshaftpflichtversicherung
it seinen für die Anleger verbesserten haftungsrechtli-
hen Konsequenzen. Gleiches gilt für die detaillierteren
ohlverhaltensregeln bei der Beratung, Verwaltung und
ermittlung von Finanzprodukten im Sinne des Verbrau-
hers. Positiv sind auch die konkreten Bedingungen zur
ffenlegung der Kosten der Finanzprodukte. Zudem wurde
ie Anlageberatung zur Hauptdienstleistung gemacht,
oraus höhere Ansprüche an die fachliche Eignung der
erater resultieren.
Wie jedoch so oft in der Gesetzgebung werden ins-
esamt gute Regelungen durch Ausnahmetatbestände
onterkariert. Dies ist leider auch in puncto verbesserter
nlegerschutz der Fall. Ich will hier gar nicht näher
arauf eingehen, dass die geschlossenen Fonds aus ver-
raucherfreundlichen Anforderungen der MiFID-Richt-
inie herausgenommen wurden. Geschlossene Fonds
ind primär etwas für vermögende Finanzjongleure, die
in hohes Risiko eingehen. Das sollen sie meinetwegen
uch tun. Allerdings berichten Verbraucherschützer, dass
eschlossene Fonds mittlerweile auch zur Altersvor-
orge genutzt werden. Dies ist besorgniserregend. Sie
aben es schlichtweg versäumt, den schwarzen Schafen
uf diesem Markt mit der Anwendung der Regulierungen
as Handwerk zu legen. Ein ärgerlicher Tatbestand!
Ein weiterer Ausnahmetatbestand zulasten der Ver-
raucher ist der Ausschluss der freien Fondsvermittler
us dem Anwendungsbereich des Gesetzes. Daraus resul-
ert, dass diese Vermittler weder den Wohlverhaltensregeln
nterliegen, noch den Nachweis der Sachkunde und
iner Berufshaftpflichtversicherung erbringen müssen.
ie Verbraucher werden nicht erkennen, dass ein Pro-
ukt unterschiedlichen Schutzniveaus je nach Vertriebs-
eg unterliegt. Hier müssen einheitliche Regelungen
eschaffen werden.
Ich bekomme oft Zuschriften von Kleinanlegern, die
ich bitter darüber beklagen, dass sie ihr schwer verdien-
es Geld verloren haben. Es ist ein äußerst verwerflicher
atbestand, dass geschädigte Anleger nach wie vor die
ehler bei der Anlageberatung beweisen müssen. Man
ann sich vorstellen, dass gerade Kleinanleger damit
berfordert sind. Obwohl der Berater im Zusammenhang
it der Geeignetheits- und Angemessenheitsprüfung ge-
enüber der BaFin jederzeit entsprechende Informationen
arlegen muss, ist er dazu nicht im Falle eines Rechts-
treits gegenüber den Gerichten gezwungen. Diesbezüg-
ich muss schnellstmöglich Abhilfe geschaffen werden.
Last, but not least brauchen wir in diesem Kontext
ürzere Verjährungsfristen bei fehlerhafter Beratung.
erbraucher erhalten auch bei der Altersvorsorge erst
ann Kenntnis über bestehende Ansprüche, wenn die
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Fristen abgelaufen sind. Was unter dem Finanzminister
Eichel bereits auf dem Weg war, muss erneut aufgegrif-
fen werden. Die Verjährung in der Anlagenberatung
sollte den längeren zivilrechtlichen Regelungen ange-
passt werden.
Das Angesprochene wird die Altersvorsorge der auf
Solidarität angewiesenen Einkommensschwachen nicht
verbessern.; denn dazu taugt die private Vorsorge nicht.
Jedoch würde den erzwungenermaßen privat Versorgenden
mit konsequenteren Regelungen des Verbraucherschut-
zes zumindest die eine oder andere böse Überraschung
erspart.
Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Mit der Finanzmarkt-Richtlinie, der sogenannten
MiFID, reagiert die EU auf die rasanten Entwicklungen
im Bereich des Kapitalmarktes. Einerseits finanzieren
sich Unternehmen zunehmend über den Kapitalmarkt
anstelle der klassischen Aufnahme von Krediten. Ande-
rerseits dient der Kapitalmarkt einem immer breiteren
Anlegerpublikum zum Vermögensaufbau für die Alters-
vorsorge. Die Anzahl der Akteure und die Vielfalt der
Produkte steigen kontinuierlich, nur der gesetzliche Rah-
men hielt in der Vergangenheit nicht immer Schritt. Es
kam vielfach zu Intransparenz sowie zu Schutzlücken.
Mit der MiFID hat sich die EU daher zum Ziel ge-
setzt, einen effizienteren Markt zu gestalten, durch eine
Stärkung des Anlegerschutzes das Vertrauen und damit
die Liquidität des Marktes zu sichern und schließlich die
Harmonisierung des Binnenmarktes durch klarere Zu-
ständigkeiten bei der Finanzaufsicht voranzutreiben.
Dieses Ziel teilen wir und begrüßen daher auch das
Grundanliegen des Finanzmarkt-Richtlinie-Umsetzungs-
gesetz, FRUG: konkretisierte Wohlverhaltensregeln für
die Finanzdienstleister, festgesetzte Bedingungen zum
Abschluss von Berufshaftpflichtversicherungen sowie
eine Verpflichtung zur Offenlegung von bestimmten
Kosten. Gleichwohl gibt es nach wie vor diverse Schutz-
lücken sowie Unstimmigkeiten, die es aufzuzeigen und
im parlamentarischen Beratungsverlauf zu beheben gilt.
Die große Koalition trägt ja immer stolz die Eins-zu-
eins-Umsetzung europäischer Richtlinien vor sich her.
Das scheint allerdings nur dann zu gelten, wenn die An-
bieterseite das will. Beim Finanzmarkt-Richtlinie-Um-
setzungsgesetz weicht sie an wesentlichen Stellen, so
beispielsweise bei den geschlossenen Fonds, von ihrem
Vorhaben ab.
Es ist unverständlich, dass geschlossene Fonds aus-
weislich der Gesetzesbegründung nicht den Vorschriften
des Wertpapierhandelsgesetzes, WpHG, unterfallen sol-
len. Damit wird die Chance vertan, den sogenannten
grauen Kapitalmarkt stärker zu regulieren und einer Auf-
sicht durch die BaFin zuzuführen. Gerade in diesem Be-
reich verlieren Anleger jedes Jahr Milliarden durch un-
seriöse Marktakteure. Hier besteht bislang nur eine
ungenügende Prospektpflicht, die ledigliche eine Prü-
fung auf Vollständigkeit und nicht des Inhalts beinhaltet.
Eine umfassendere Regulierung und mehr Transparenz
durch die Einbeziehung im FRUG muss dagegen auch
im Interesse der Fondsbetreiber sein. Nur integre Märkte
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önnen langfristig das Vertrauen der Anleger gewinnen
nd damit einen Anreiz zur Investition bieten. Wichtig
ird es allerdings sein, Lösungen zu finden, die für die
nternehmen auch tragbar sind. Eine Einbeziehung ge-
chlossener Fonds könnte etwa großzügigere Über-
angsfristen erfordern.
Auch in Bezug auf ein weiteres Finanzprodukt beste-
en noch immense Regelungdefizite. Die Rede ist von
ertifikaten, einem Anlageprodukt, das sich in jüngster
ergangenheit besonderer Beliebtheit bei deutschen An-
egern erfreut. Zwar werden Zertifikate im Gegensatz zu
eschlossenen Fonds eindeutig von den Änderungen
urch das FRUG erfasst. Allerdings werden die neuen
nforderungen durch die MiFID den besonderen Risi-
en dieses Anlageproduktes nicht gerecht. So wird es
ach wie vor keine ausreichende Transparenz hinsicht-
ich einer fairen ersten Preisbildung von Zertifikaten ge-
en. Auch objektive Mistrade-Regeln, die sich an inter-
ationalen Standards orientieren, sind nicht absehbar. Es
edarf also der gesetzlichen Nachbesserung, um der Ei-
enheit und Komplexität von Zertifikaten angemessen
u begegnen und den Anlegerschutz umfassend zu ge-
ährleisten.
Der Regierungsentwurf sieht eine Bereichsausnahme
ür ungebundene Vermittler von Investmentfonds vor.
reie Vermittler müssen im Gegensatz zum gebundenen
erater einer Bank geringere Pflichten erfüllen und un-
erliegen keiner Kontrolle durch die Finanzaufsicht. Das
ührt zu dem absurden Ergebnis, dass der Kunde je nach
ertriebsweg ein unterschiedliches Schutzniveau ge-
ießt. Sind dem Anleger aufgrund der MiFID künftig
rovisionen und andere Kosten offenzulegen, so gilt dies
aradoxerweise ausgerechnet dort nicht, wo Vermittler
egelmäßig in Finanzstrukturvertriebe eingebunden sind
nd maßgeblich durch Provisionszahlungen gesteuert
erden. Es ist folglich angezeigt, dass die ungebundenen
ermittler künftig auch unter die Regeln des WpHG so-
ie des KWG fallen. Die MiFID stellt dies sogar explizit
en Mitgliedstaaten als fakultative Möglichkeit anheim.
Ein weiterer wichtiger Punkt betrifft Vorschriften des
eutschen Rechts, die die entscheidenden Neuerungen
er MiFID verwässern. Hier haben wir Diskussionsbe-
arf. Denn obwohl die EU mit der MiFID im Grundsatz
arauf bedacht ist, den Anlegerschutz zu stärken, könn-
en viele der Anlegerschutzvorschriften in Deutschland
edeutungslos bleiben. Aufgrund entgegenstehender na-
ionaler Vorschriften wird es deutschen Anlegern
chwerfallen, etwaige Ansprüche, die aus den neuen Re-
elungen resultieren, auch wirklich durchzusetzen. Nicht
msonst heißt es im Volksmund: Recht haben und recht
ekommen ist zweierlei.
Zur Verdeutlichung möge folgendes Beispiel dienen:
in deutscher Anleger wird bei seiner Bank falsch bera-
en. Ob tatsächlich eine Falschberatung oder eine sons-
ige Pflichtverletzung vorliegt, ist nach Umsetzung der
iFID leichter feststellbar. Denn im Zuge der Umset-
ung werden die Wohlverhaltenspflichten, die das Ver-
ältnis des Finanzdienstleisters zum Kunden regeln, aus-
ührlicher und konkreter ausgestaltet. Somit hat der
nleger bei dadurch entstehendem Schaden grundsätz-
7672 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Januar 2007
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lich das Recht, einen Schadensersatzanspruch geltend zu
machen. Ob er dieses Recht auch zugesprochen be-
kommt, erscheint zweifelhaft und war in der Vergangen-
heit nur selten der Fall.
In der Mehrheit der Fälle ist ein solcher Anspruch
verjährt, bevor der Anleger von der Existenz des An-
spruchs Kenntnis erlangt. Grund für diese Schieflage ist
eine verjährungsrechtliche Sondervorschrift im WpHG.
Diese sieht eine Verjährung nach drei Jahren vor und legt
für den Beginn der Verjährungsfrist die objektive An-
spruchsentstehung und damit den Zeitpunkt der Bera-
tung bzw. des Erwerbs des Finanzproduktes fest. Das ist
allerdings insbesondere im Bereich der Anlageberatung
unsachgemäß. Häufig handelt es sich nämlich um
Anlageempfehlungen mit einem langfristigen Anlage-
horizont. Die Anleger erkennen vielmals zu spät, dass
entstehende Verluste nicht mit Marktgegebenheiten zu-
sammenhängen, sondern auf einer Falschberatung beru-
hen. Vertröstende Worte des Beraters über volatile und
zyklische Märkte sowie bessere Zeiten sorgen damit re-
gelmäßig für eine Verjährung potentieller Ansprüche.
Abhilfe schafft hier die simple Streichung der Sonder-
vorschrift des § 37 a WpHG. Dann würden die üblichen
Verjährungsvorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches
greifen. Jene sehen den Beginn einer dreijährigen Ver-
jährungsfrist erst ab Kenntnis des Anlegers von den
anspruchsbegründenden Umständen vor. Eine ewig dro-
hende Haftung für die Finanzdienstleister und damit ent-
stehende Rechtsunsicherheit ist insofern nicht zu be-
fürchten, als die Verjährung jedenfalls zehn Jahre nach
Anspruchsentstehung eintritt.
Selbst wenn aber der Anspruch aus der Falschbera-
tung nicht verjährt ist, obliegt es nach gegenwärtiger Ge-
setzeslage dem geschädigten Anleger die Pflichtverlet-
zung seitens des Finanzdienstleisters zu beweisen. Es ist
dem Anleger aber nur schwer möglich, beispielsweise
eine unterlassene Risikoaufklärung nachzuweisen. Vor
dem Hintergrund, dass den Finanzdienstleistern im Ver-
hältnis zur beaufsichtigenden BaFin durch die MiFID
ohnehin umfangreiche Dokumentationspflichten aufer-
legt werden, erscheint es angemessen, eine Beweislast-
umkehr im Gesetz zu verankern. Demnach müssten die
Berater den Beweis einer ordnungsgemäßen Beratung
führen, während der Anleger den Schadensnachweis zu
erbringen hat.
Abschließend möchte ich auf das Problem hinweisen,
das sich aus einer unterschiedlichen Gesetzesregelung
für den Vertrieb von Versicherungsprodukten und ande-
ren Finanzprodukten ergibt. Diese Produkte treten zu-
nehmend in Konkurrenz, wenn es beispielsweise um die
Frage der Altersvorsorge geht. Sie werden auch häufig
bereits aus einer Hand angeboten. Sowohl Versicherun-
gen als auch Finanzprodukte und die entsprechenden
Dienstleister unterliegen zudem der Allfinanzaufsicht
der BaFin. Vor diesem Hintergrund ist es aber dem Kun-
den nur schwer begreiflich und auch ein logischer Bruch
in der Gesetzgebung, dass teilweise divergierende Vor-
schriften existieren. Langfristig muss ein Anliegen des
deutschen Gesetzgebers sein, die Anlagenberatung, -ver-
waltung und -vermittlung beider Produktsegmente in
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inem einheitlichen Regelwerk zu vereinen, wie dies
eispielsweise in Großbritannien bereits der Fall ist.
Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim
undesministerium der Finanzen: Mit diesem Gesetzes-
orhaben wird die Umsetzung des EU-Aktionsplans Fi-
anzdienstleistungen in das deutsche Recht – soweit der
ertpapierbereich betroffen ist – abgeschlossen.
Eine zügige Umsetzung der EU-Vorgaben ist drin-
end notwendig. Unsere Banken und Wertpapierfirmen
ollen möglichst frühzeitig eine gesicherte Rechtsgrund-
age für die anstehenden Umsetzungsarbeiten erhalten.
amit sollen sie weiterhin gut im Wettbewerb mit den
uropäischen Mitkonkurrenten dastehen.
Der hohe Umsetzungsbedarf erfordert gerade für klei-
ere Wertpapierfirmen eine ausreichende Vorlaufzeit,
m den Umstellungsbedarf aus eigener Kraft bewerk-
telligen zu können und nicht auf teuere externe Bera-
ungskapazitäten zurückgreifen zu müssen. Gemäß der
U-Richtlinie sind die neuen Vorgaben ab November
007 von der Industrie anzuwenden. Die Bundesanstalt
ür Finanzdienstleistungsaufsicht, BaFin, wird die Ein-
altung der neuen Regeln ab dem Wirtschaftsjahr 2008
berwachen.
Die Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente tritt
n die Stelle der im Jahr 1993 erlassenen EU-Wert-
apierdienstleistungsrichtlinie. Sie führt im Wesent-
ichen in folgenden drei Bereichen zu grundlegenden
nderungen: Erweiterung des Anwendungsbereichs der
ichtlinie, einheitliche Regelungen – insbesondere
ransparenzanforderungen – für Handelsplattformen,
eue rechtliche Grundlagen für die Ausführung von
ertpapiergeschäften durch die Banken.
Der Anwendungsbereich der Richtlinie wird um die
nlageberatung, die Vermittlung von Investmentfonds
nd Dienstleistungen im Zusammenhang mit Warenderi-
aten erweitert. Dies hat zur Folge, dass diese Tätigkei-
en in der Zukunft der umfassenden Wertpapieraufsicht
er BaFin nach dem Wertpapierhandelsgesetz unterlie-
en. Gleichzeitig gilt auch für diese Dienstleistungen,
enn sie grenzüberschreitend angeboten werden, der so-
enannte Europäische Pass.
Hinsichtlich der Investmentfondsanteile macht der
ntwurf von der fakultativen Ausnahme in Art. 3 der Fi-
anzmarktrichtlinie Gebrauch. Personen, die nur Anla-
eberatung und Vermittlung in Bezug auf Investment-
ondsanteile betreiben, werden nicht als Wertpapierfirma
ingestuft. Sie unterliegen der Registrierungspflicht
ach der Gewerbeordnung.
Investmentfondsanteile sind standardisierte Pro-
ukte, die einer besonderen Überwachung unterliegen.
udem sind nur Vermittler ausgenommen, die keine
undengelder verwahren. Die Ausnahme ist daher auch
nter dem Gesichtspunkt des Anlegerschutzes – der
urch die Richtlinie insgesamt eine Stärkung erfahren
oll – gerechtfertigt.
Ein Ziel der Richtlinie ist auch die Stärkung des Wett-
ewerbs zwischen den Handelsplattformen. Die EU-Vor-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Januar 2007 7673
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gaben unterscheiden nur zwischen Börsen, multilatera-
len Handelssystemen und Internalisierungssystemen.
Für diese Handelsplätze werden die neuen Transparenz-
regeln eingeführt.
Zur Stärkung des Anlegerschutzes werden neue recht-
liche Grundlagen für die Ausführung von Wertpapierge-
schäften eingeführt. Dieses sind insbesondere die soge-
nannten Wohlverhaltensregeln und die Pflicht zur
bestmöglichen Ausführung der Kundenaufträge.
Die von der MiFID vorgegebene Pflicht zur bestmög-
lichen Ausführung ist dem deutschen Recht nicht völlig
fremd. Sie gilt bereits heute aufgrund privatrechtlicher
Vorschriften des Handelsgesetzbuches und ist als allge-
meine Verhaltenspflicht bereits im Wertpapierhandels-
gesetz angelegt. Neu ist allerdings, dass sie jetzt auch
Gegenstand der Wertpapieraufsicht wird und damit von
der BaFin zu überprüfen ist.
Neben der Umsetzung der EU-Richtlinie enthält der
Entwurf Elemente zum Bürokratieabbau, die im Wesent-
lichen das Börsengesetz betreffen. Unsere Börsen sollen
für den zu erwartenden zunehmenden Wettbewerb mit
nichtbörslichen Handelsplattformen vorbereitet werden.
Anlage 6
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrages: Verbraucher-
freundliche Kennzeichung strahlungsarmer
Mobilfunkgeräte (Tagesordnungspunkt 18)
Jens Koeppen (CDU/CSU): Den vorliegenden Antrag
der FDP-Fraktion zur Kennzeichnung strahlungsarmer
Mobilfunkgeräte greife ich gerne auf, um daran einmal
einige grundsätzliche Bemerkungen zum Thema „Ver-
antwortungsvoller Umgang mit den Verbrauchern“ zu
machen. Zunächst einmal: Ja, es ist richtig, dass sich
die Bevölkerung über elektromagnetische Strahlen immer
noch große Sorgen macht. Nach Auskunft des Bundes-
amtes für Strahlenschutz gaben im vergangenen Jahr
30 Prozent der Teilnehmer einer Befragung an, im Hin-
blick auf Mobilfunk „besorgt“ zu sein. Einige behaup-
ten, sie fühlten sich gesundheitlich beeinträchtigt.
Aber worum genau geht es hier eigentlich? Was heißt
in diesem Fall „gesundheitlich beeinträchtigt“?
Mir fällt auf, dass zwar über die möglichen Folgen der
Technologie viel geredet wird; am weitesten verbreitet ist
jedoch eine diffuse Angst, die sich oft auf Unkenntnis
gründet. Dieses Phänomen ist natürlich nicht neu, ebenso
wenig wie der daraus resultierende Auftrag, nämlich
durch Forschung und Aufklärung zu einer Versachlichung
der Debatte beizutragen. Wir müssen die Sorgen der Men-
schen ernst nehmen und dürfen auch nicht zu unkritisch
sein gegenüber einer neuen Technologie, nur weil sie eben
schon weit verbreitet und mittlerweile fast unverzichtbar
ist.
Die Bundesregierung nimmt diese Verantwortung
wahr. In diesem Fall trifft das ausnahmsweise sogar auf
die Vorgängerregierung zu, die sehr viel getan hat, um
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ie Folgen der Mobilfunktechnik zu untersuchen, mögli-
he Gefahren zu erkennen und ihnen zu begegnen.
Um die Belastung der Strahlung für den Körper zu
ergleichen, wird der so genannte SAR-Wert genutzt.
as ist der Anteil der Sendeleistung, den das Gewebe
ufnimmt. Je kleiner also dieser Wert, desto geringer
ird das Gewebe durch die Strahlung erwärmt. Der
mpfohlene obere Grenzwert der Weltgesundheitsorga-
isation liegt bei 2,0 Watt pro Kilogramm.
Bei sämtlichen modernen Mobilfunkgeräten liegt der
ert zwischen 0,04 und 1,94 Watt pro Kilogramm, also
eutlich unter der zulässigen Obergrenze. Das heißt im
lartext, ob ein Handy 0,4 oder 0,7 Watt pro Kilogramm
trahlt, macht keinen Unterschied in Bezug auf die
esundheitlichen Risiken! Mit anderen Worten: Die
ussagekraft eines niedrigeren Wertes würde lediglich
azu verführen, ein Gerät als vermeintlich „gesünder“
nzusehen als ein anderes. Und eben das wäre falsch.
Seit Jahren, im Grunde seit Beginn der kommerziellen
utzung des Mobilfunks, werden die möglichen gesund-
eitlichen Risiken elektromagnetischer Felder umfassend
ntersucht, sowohl von staatlicher Seite als auch vonsei-
en der Industrie.
Die Forschungsförderung zu Auswirkungen elektro-
agnetischer Felder ist in den vergangenen Jahren
rheblich erweitert worden. Im Rahmen des Deutschen
obilfunk-Forschungsprogramms wurden vom Bundes-
mweltministerium im Zeitraum von 2002 bis 2007 Mittel
n Höhe von 8,5 Millionen Euro für die Forschung mit
chwerpunkt Mobilfunk bereitgestellt. Die Mobilfunk-
etzbetreiber beteiligen sich mit weiteren 8,5 Millionen
uro an diesen Vorhaben. Darüber hinaus werden weitere
rogramme vom Wirtschafts- und vom Bildungsministe-
ium durchgeführt.
Außerdem fördert die Bundesregierung Verbände, die
achliche und verbraucherorientierte Informationen zum
hema Mobilfunk für eine Bevölkerungsgruppe zur Verfü-
ung stellen, die den wissenschaftlichen und „amtlichen“
ußerungen zum Teil skeptisch gegenübersteht. Ins-
esamt sind von staatlicher Seite in den vergangenen
ahren über elf Millionen Euro in Forschung und Auf-
lärung investiert worden. Weltweit gibt es mittlerweile
ber 20 000 Untersuchungen zu den Auswirkungen elek-
omagnetischer Felder auf Menschen, Tiere und Umwelt.
Der letzten WHO-Studie zu diesem Thema zufolge be-
teht kein begründeter Zusammenhang zwischen Mobil-
unkstrahlung und steigendem Risiko einer Erkrankung.
iese Studien werden zudem regelmäßig wiederholt und
berprüft.
Das Bundesamt für Strahlenschutz stellt seit langem
in umfassendes Informationsangebot in Form von Bro-
chüren und Internetauftritten zur freien Verfügung.
ämtliche Fragen des Mobilfunks und angrenzender
hemen werden hier sehr gründlich behandelt. Jedes im
andel befindliche Gerät kann hier mit Blick auf seine
trahlung abgerufen werden. Zudem wird alle zwei Jahre
em Deutschen Bundestag umfassend über laufende und
bgeschlossene Forschungsergebnisse in Bezug auf die
esamte Mobilfunktechnologie berichtet.
7674 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Januar 2007
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Richtig ist: Eine schlussendliche, alles erschöpfende
Analyse der gesundheitlichen Risiken ist nicht bzw. noch
nicht möglich. Wer sich aus diesem Grund gefährdet sieht,
dem steht es frei, auf ein Mobiltelefon zu verzichten.
Wenn aber suggeriert würde, dass es „gute“ und
„böse“ Mobiltelefone gibt, schädliche und unschädliche, so
wäre das reine Irreführung der Verbraucher, Aktionismus,
den wirklich keiner braucht – und der auch keinen Sinn
hätte außer dem, dass Geräte, die so gut oder schlecht
wie alle anderen sind, stigmatisiert würden. Die einzigen
Effekte, die so eine Verfahrensweise im Sinne Ihres An-
trages hätte, wären:
Erstens: eine weitere Bürokratisierung durch noch
mehr gesetzliche Regelungen. Und, liebe Kollegen von
der FDP, ist es nicht eines Ihrer Hauptanliegen, eben
diese ausufernde Bürokratie zu verringern? Im Übrigen
sehe ich gar keine Notwendigkeit, eine weitere staatliche
Regelung zu schaffen, da es ja die Möglichkeit längst
gibt, über das Gütesiegel „Blauer Engel“ die besondere
Verträglichkeit eines Gerätes zu zeigen. Dass die Industrie
bis dato davon kaum Gebrauch gemacht hat, finde ich
angesichts der eben von mir ausgeführten Sachlage aber
auch verständlich.
Zweitens würde eine gesetzliche Kennzeichnungs-
pflicht einen unverantwortlichen Eingriff in die produ-
zierende Wirtschaft bedeuten, deren Produkte völlig zu
Unrecht in gut und böse geteilt wären. Schließlich orien-
tiert sich die Mobilfunktechnologie an internationalen
Standards. Nationale Einschränkungen im Sinne Ihres
Antrages verhindern den weltweiten Vertrieb und Einsatz
dieser Technik. Ein weiterer Wettbewerbsnachteil für
Deutschland wäre damit geboren.
Und drittens – und nun komme ich zu meinem Ein-
gangssatz zurück – würden die Verbraucher in Deutsch-
land in die Irre geführt. Ihre Wunschregelung, liebe
Kollegen, suggeriert ja, dass eine Kennzeichnung not-
wendig ist, um die Menschen vor schädlichen Geräten
zu schützen, und gerade das ist nicht der Fall.
Meine Damen und Herren von der FDP-Fraktion,
auch wenn ich großes Verständnis dafür habe, dass es
nicht immer leicht ist, in der Opposition zu sitzen, und
die Verführungen groß sind, der Regierungskoalition zu
unterstellen, sie würde auf den Schutz der Verbraucher
zu wenig Wert legen – ein Mindestmaß an Verantwor-
tungsbewusstsein gegenüber den Menschen sollte schon
gewahrt bleiben. Und in diesem Sinne warne ich vor
Panikmache und übertriebenem Aktionismus – besonders
dort, wo er nicht angebracht ist.
Ich habe eben ausgeführt, wie groß die Anstrengungen
der Bundesregierung sind, die Risiken der Mobilfunk-
technik zu erforschen und zu minimieren. Ich hoffe, Sie
haben verstanden, warum meine Fraktion und ich Ihren
Antrag daher ablehnen werden.
Detlef Müller (Chemnitz) (FDP): Wir diskutieren
heute einen Antrag der FDP-Fraktion, der eine verbrau-
cherfreundliche Kennzeichnung von strahlungsarmen
Mobilfunkgeräten fordert.
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Lassen Sie mich zum Anfang kurz auf die weiter zu-
ehmende Bedeutung des Mobilfunks in Deutschland
ingehen. Der Mobilfunk hat sich in den vergangenen
ahren zu einer außergewöhnlichen Wachstumsbranche
ntwickelt; allein in Deutschland wurden Ende 2005
irca 79 Millionen Mobilfunkanschlüsse gezählt. Längst
at die Anzahl der Mobilfunkgeräte die der Festnetzan-
chlüsse deutlich übertroffen.
Derzeit stehen wir an der Schwelle zur nächsten Mo-
ilfunkgeneration. Die UMTS-Technologie, die neben
er einfachen Sprachübertragung eben auch mobile Mul-
imedia- und Internetanwendungen ermöglichen wird,
efindet sich im Aufbau und wird einer der Schlüssel-
ektoren für die ökonomische Entwicklung in Deutsch-
and in den nächsten Jahren sein.
Die Strahlenschutzkommission des Bundes hat in ihrer
mpfehlung „Grenzwerte und Vorsorgemaßnahmen zum
chutz der Bevölkerung vor elektromagnetischen Fel-
ern“ darauf hingewiesen – ich zitiere –, „bei der Ent-
icklung von Geräten und der Errichtung von Anlagen
ie Minimierung von Expositionen zum Qualitätskrite-
ium zu machen“. In diesem Zusammenhang weist die
trahlenschutzkommission darauf hin, dass, entgegen der
ffentlichen Besorgnis, die vor allem Mobilfunkbasissta-
ionen – ortsfeste Anlagen, also Sendemaste – betrifft, die
mmission insbesondere durch elektromagnetische Fel-
er aus Endgeräten der mobilen Telekommunikation zu
etrachten sei, weil es hier am ehesten zu einer hohen Ex-
osition eines Nutzers kommen könne.
Die Sorgen der Bevölkerung müssen sehr ernst ge-
ommen werden, obwohl nach dem derzeitigen Stand
er Forschung von einer für die Bürger nicht gefährli-
hen Belastung ausgegangen wird. Allerdings muss auch
n Zukunft gewährleistet sein, dass die Geräte und Anla-
en ständig überprüft werden. Die Untersuchung und
eobachtung der auf die Kopfregion einwirkenden Han-
ystrahlung erscheint mir, worauf auch die Strahlen-
chutzkommission besonders hinweist, in diesem Zu-
ammenhang als besonders wichtig.
In ihrem Antrag fordert die FDP-Fraktion die Bun-
esregierung auf, unverzüglich Gespräche zwischen
undesregierung und Herstellern zwecks einer verbind-
ichen Selbstverpflichtung mit dem Ziel einer besseren
erbraucherinformation aufzunehmen.
Außerdem wird von der Bundesregierung Offenheit
ür andere Kennzeichensymbole und eventuell auch wei-
ere Bewertungsmaßstäbe gefordert. Sollte die Selbst-
erpflichtung nicht innerhalb eines Zeitraumes von zwei
ahren den gewünschten Erfolg bringen, so soll eine ge-
etzliche Regelung geschaffen werden, heißt es im An-
rag der FDP-Fraktion.
Die Feststellungen, die die FDP im Antrag formuliert
at, die Situationsbeschreibungen, sind im Wesentlichen
utreffend. Die Forderungen an die Bundesregierung
ingegen sind schon lange Gegenstand der Bemühungen
es Bundesumweltministeriums und im politischen Um-
eld bereits seit einigen Jahren in der Diskussion.
Dass die FDP bei ihrem Antrag den Schutz der Ver-
raucher vor strahlungsintensiven Anlagen und Geräten
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Januar 2007 7675
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im Sinn hat, möchte ich ihr nicht absprechen. Allerdings
fehlt mir eine Berechenbarkeit und Geradlinigkeit ihrer
Politik, denn wenn Ihnen so viel am Verbraucherschutz
liegt, hätten Sie unter anderem auch bei der Verabschie-
dung des Verbraucherinformationsgesetzes zustimmen
können.
Es existieren bereits Anforderungen und Grenzwerte,
wonach ein Handy als strahlungsarm gilt. So soll die
maximale Strahlungsintensität des Gerätes, ausgedrückt
als Spezifische Absorptionsrate, kurz SAR-Wert, nicht
mehr als 0,6 Watt pro Kilogramm betragen.
Und auch die von Ihnen geforderte Selbstverpflich-
tung der Mobilfunkhersteller existiert als solche bereits
seit über fünf Jahren. Die Hersteller sind somit in der
Pflicht, vor allem auch deshalb, weil den Betreibern der
Mobilfunknetze eine besondere Verantwortung zu-
kommt. Diese Selbstverpflichtung beinhaltet einen we-
sentlichen Beitrag der Netzbetreiber, die Vorsorge im
Bereich des Mobilfunks auf hohem Niveau weiter zu
verstärken. So verpflichten sich die Mobilfunkbetreiber
unter Punkt 4 ihrer Selbstverpflichtung – ich zitiere –,
„zu Verbraucherschutz und einer Kennzeichnung von
Handys und zu einer Einflussnahme auf Hersteller, ver-
stärkt Handys mit geringem SAR-Wert auf den Markt zu
bringen“; so weit die Selbstverpflichtung.
Das Bundesumweltministerium hat bereits 2002 den
Blauen Engel als Kennzeichen für strahlungsarme Han-
dys vorgeschlagen.
Dieses Kennzeichen wurde von den Herstellern von
Anfang an abgelehnt. Dabei wurde der Blaue Engel als
erste und älteste umweltschutzbezogene Kennzeichnung
der Welt für Produkte und Dienstleistungen vor mittler-
weile 25 Jahren ins Leben gerufen. Heute tragen etwa
3 600 Produkte und Dienstleistungen von circa 580 Zei-
chennehmern des In- und Auslandes den Blauen Engel,
er ist damit keinesfalls – wie uns die Mobilfunkhersteller
suggerieren wollen – ein untaugliches Instrument für
globalisierte Märkte.
Ich kann die abwartende bzw. abwehrende Haltung
der Hersteller nicht nachvollziehen. Der Blaue Engel
bietet der Industrie die Chance, ihre Umweltkompetenz
für alle sichtbar unter Beweis zu stellen. Mit der Ver-
wendung des Umweltzeichens könnten die Mobilfunk-
hersteller die Marktchancen ihrer Angebote im Wettbe-
werb deutlich und nachhaltig erhöhen. Als ein modernes
Marketinginstrument könnten sie den Blauen Engel in
ihrer Kommunikation einsetzen, damit beim Verbrau-
cher ein verlässliches Zeichen setzen und sich somit ei-
nen Wettbewerbsvorteil gegenüber ihren Konkurrenten
verschaffen. Man muss den Herstellern vorwerfen, dass
die Bereitschaft fehlt, mit dem Blauen Engel einen zu-
sätzlichen aktiven Beitrag zum vorsorgenden Gesund-
heits- und Verbraucherschutz zu leisten. Über die Anfor-
derungsnormen für die Verleihung des Blauen Engels
könnte man sicherlich diskutieren.
Wahrscheinlich kann man nicht nur mit einer einfa-
chen Kennzeichnung „gesundheits- und umweltfreund-
lich: Ja oder Nein“ operieren, auch eine SAR-Kenn-
zeichnung reicht nicht aus, da unter anderem die
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erschiedenen Netze mit ihren unterschiedlichen Strah-
ungswerten zu berücksichtigen sind. Vorbild könnte
ber eine Klassifizierung sein, wie sie derzeit beispiels-
eise bei der sogenannten weißen Ware, also zum Bei-
piel bei Kühlschränken, üblich ist.
Die Bundesregierung hat sich immer wieder mit
achdruck dafür eingesetzt, dass die Hersteller die In-
ormationen für die Verbraucherinnen und Verbraucher
ber die Strahlungswerte ihrer Mobilfunkgeräte verbes-
ern und deutlich sichtbar auf Geräten und Verpackun-
en anbringen.
Das Zugänglichmachen der Daten im Internet oder
ie Ausweisung der Daten in der Bedienungsanleitung
eicht bei weitem nicht aus.
Zu bedenken ist weiterhin, dass eine gesetzliche
ennzeichnungspflicht auch auf europarechtliche Be-
enken stößt. Es handelt sich ja hier um das sogenannte
nverkehrbringen von Produkten im harmonisierten Be-
eich. Eine gesetzliche Regelung könnte daher als unzu-
ässiger Eingriff in den freien Warenverkehr gedeutet
erden.
Wenn wir aber handeln wollen, brauchen wir eine
erlässliche und belastbare Datenbasis.
Die Auswertung des Deutschen Mobilfunk-For-
chungsprogramms wird voraussichtlich bis Frühjahr
008 erfolgen. Gemeinsam mit den dann vorliegenden
rgebnissen aus den Forschungsprogrammen der Länder
önnen wir dann eine neue, fundierte Bewertung der Er-
enntnisse über mögliche gesundheitliche Auswirkun-
en der elektromagnetischen Felder vornehmen.
Lassen Sie mich abschließend feststellen: Die Bun-
esregierung hat ihre Hausaufgaben gemacht.
Die SPD-Bundestagsfraktion fordert deshalb die Mo-
ilfunkhersteller und -betreiber nachdrücklich auf, end-
ich ihrer Selbstverpflichtung nachzukommen und ihre
usagen einzulösen.
Eine erneute Selbstverpflichtung, wie von der FDP
efordert, zur Einhaltung der bestehenden Selbstver-
flichtung wird nichts bringen.
Horst Meierhofer (FDP): Dem jüngsten Bericht der
undsnetzagentur zufolge gab es Ende 2005 in Deutsch-
and rund 79 Millionen Mobilfunkteilnehmer; damit
tieg die Zahl im Vergleich zu 2004 um fast 10 Prozent.
ie Exposition des Menschen gegenüber den unter-
chiedlichsten elektromagnetischen Feldern nimmt seit
ahren ständig zu. Die gegenwärtige Situation ist durch
ine besonders dynamische Entwicklung und Umset-
ung neuer Technologien gekennzeichnet, die – neben
ereits bestehenden – zusätzliche elektromagnetische
elder in unserer Umwelt erzeugen. Ob und, wenn ja, ab
elchem Grenzwert hochfrequente elektromagnetische
elder wie der Mobilfunk Auswirkungen auf die
enschliche Gesundheit haben, ist immer noch nicht
ndgültig geklärt.
Um nicht falsch verstanden zu werden: Wir als FDP-
raktion sind weit davon entfernt, hier Ängste zu schü-
7676 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Januar 2007
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ren, aber man muss sich fragen: Was kann man gegen
die in der Bevölkerung leider vorhandenen Ängste tun?
In meinem Büro gehen jeden Monat zahlreiche E-Mails
besorgter Bürger ein, insbesondere wenn es darum geht,
dass irgendwo mal wieder ein neuer Mobilfunkmast auf-
gestellt werden soll.
Die Strahlenschutzkommission weist jedoch auch
darauf hin – und dies greift auch unser Antrag auf –, dass
unter dem Gesichtspunkt des vorsorgenden Gesundheits-
schutzes besonders die Endgeräte mobiler Telekommu-
nikation und damit auch die Handys zu beachten seien.
Durch den Gebrauch von Handys und Mobiltelefonen
könne es eher zu einer hohen Strahlenexposition kommen
als durch die ortsfesten Sendeanlagen. Die kabellosen
Endgeräte besonders im Auge zu behalten, hat die FDP
übrigens bereits auf ihrem letzten Parteitag in Rostock
beschlossen.
Aus unserer Sicht ist vor allem eine bessere Verbrau-
cherinformation dringend erforderlich. Es geht uns da-
rum, die Befürchtungen, die Skepsis der Bevölkerung
ernst zu nehmen und den Verbrauchern die Möglichkeit
zu bieten, selbst zu entscheiden, wie wichtig ihnen das
Thema „Strahlenschutz“ beim Kauf eines neuen Handys
ist.
Für uns Liberale ist es eine Selbstverständlichkeit,
dass die Bürgerinnen und Bürger selbst entscheiden kön-
nen, welche Präferenzen sie setzen wollen. Staatliche Be-
vormundung lehnen wir auch hier ab. Aber: Ein mündiger
Bürger muss alle notwendigen Informationen haben, um
auch eine mündige Entscheidung treffen zu können. Das
ist für uns praktizierter Verbraucherschutz.
Von den Mobilfunkbetreibern und -herstellern wird
dieses Thema bis jetzt aber eher stiefmütterlich behandelt:
Wenn Sie sich zum Beispiel heute über Handys im Inter-
net informieren wollen, liebe Kolleginnen und Kollegen,
dann müssen Sie sich erst einmal bis zu den technischen
Daten des jeweiligen Geräts durchklicken. Da finden Sie
dann ganz am Ende den sogenannten SAR-Wert, also
den Wert über die Spezifische Absorptionsrate. Nicht
immer oder erst auf Extra-Seiten wird erklärt, was dieser
Wert bedeutet, dass er nämlich angibt, wie viel Sende-
leistung der Körper beim mobilen Telefonieren auf-
nimmt, ausgedrückt in Watt pro Kilogramm. Meistens
finden Sie auch noch, dass der empfohlene Grenzwert
von 2 Watt pro Kilogramm eingehalten wurde.
Das war ein erster Schritt, aber echte Verbraucher-
freundlichkeit sieht anders aus. Unserer Auffassung nach
ist die Kennzeichnung der Verpackung mit einem „Öko-
label“ nicht entbehrlich. Schließlich sagt der SAR-Wert
allein nichts darüber aus, ob das Gerät als strahlungsarm
eingestuft wird. Ab welchem Wert ein Handy aber zum
Beispiel als besonders strahlungsarm gilt (0,6 Watt),
steht nirgends; nicht gerade sehr verbraucherfreundlich,
wie ich meine.
Umso bedauerlicher, dass die Handyhersteller das vom
BMU vorgeschlagene Umweltzeichen „Blauer Engel“
nach wie vor geschlossen ablehnen. Vergabekriterium
hierfür ist, dass die maximale Strahlungsintensität des
Geräts nicht mehr als 0,6 Watt pro Kilogramm beträgt.
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Das Argument der Kritiker, eine solche Kennzeichnung
uggeriere, dass entsprechend gekennzeichnete Handys
esundheitlich unbedenklicher seien, trifft meiner Mei-
ung nach nicht zu. Mit einer verbraucherfreundlichen
lassifizierung geht es ausschließlich um die objektive
nformation hinsichtlich der Strahlungsintensität.
Deshalb fordern wir in unserem Antrag die Bundesre-
ierung dazu auf, bei den Herstellern und Vertreibern
obiler Kommunikationsgeräte eine bindende Selbst-
erpflichtung zu erwirken, insbesondere mit dem Ziel,
ine verbraucherfreundliche und transparente Strahlen-
lassifizierung zu schaffen. Ich denke da zum Beispiel
n die Klassifizierungen, wie sie es für den Energiever-
rauch bei Kühlschränken gibt. Denn der „Blaue Engel“,
en vor allem der damalige Umweltminister Jürgen Trit-
in besonders präferierte, ist hier wohl gescheitert. Mit
iner Klassifizierung analog den Kühlschränken weiß je-
er: ein „A“ bedeutet einen besonders niedrigen Ener-
ieverbrauch, ein Kühlschrank, der mit einem „B“ ge-
ennzeichnet ist, verbraucht schon mehr etc. Welchen
ühlschrank Sie letztendlich kaufen, bleibt trotzdem
hnen überlassen. Aber Sie haben auf unkomplizierte
eise die notwendigen Informationen, um frei entschei-
en zu können. Warum also nicht auch bei Handys?
Eines muss natürlich klar sein: Eine solche Selbstver-
flichtung muss in einer festzulegenden überschaubaren
eitspanne in Kraft treten. Zur Erinnerung: 2001 erklärten
ich die Hersteller bereits dazu bereit, und es ist leider
icht geschehen. Dennoch wollen wir zum jetzigen Zeit-
unkt nicht auf Zwang setzen, sondern auf ein Miteinander
it den Herstellern, und hoffen hier auf deren Bereit-
chaft.
Wir glauben: Je mehr Informationen der Verbraucher
ber sein Produkt erhält, desto geringer ist die Gefahr
uch für vielleicht unberechtigte Ängste, denn die Her-
teller zeigen: Wir haben nichts zu verbergen. Eine solche
ennzeichnung ist gut für die Mobilfunkbranche und für
ie Kunden: also eine klassische Win-Win-Situation!
Daher meine Bitte an die Koalitionsparteien: Raffen
ie sich auf und stimmen Sie dem Antrag in Ausschuss
nd Plenum zu!
Lutz Heilmann (DIE LINKE): Die Gefahren des Mo-
ilfunks bewegen viele Menschen. Mittlerweile besitzen
ast alle Deutschen ein Mobiltelefon, viele sogar meh-
ere.
Nun hören wir immer wieder von der Bundesregie-
ung, dass eine schädliche Wirkung von Mobilfunkstrah-
en bislang nicht nachgewiesen ist. Das ist aber nur die
albe Wahrheit, denn es gibt sehr wohl Untersuchungen,
ie negative Effekte auf die Gesundheit von Menschen
elegen, wobei im 2. Mobilfunkbericht der Bundesregie-
ung all diesen Studien irgendein methodischer Mangel
achgewiesen wurde. Ohne jemandem etwas unterstel-
en zu wollen, hat dies doch ein ziemliches „Ge-
chmäckle“, wenn man bedenkt, dass die Bundesregie-
ung durch die Versteigerung der UMTS-Lizenzen
einerzeit 50 Milliarden Euro eingenommen hat. Darf
icht sein, was nicht sein soll?
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Januar 2007 7677
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Jedenfalls kann offensichtlich niemand Gefahren
durch den Mobilfunk ausschließen. Das folgt aus der
Empfehlung des Bundesamtes für Strahlenschutz, wo-
nach Kinder nicht oder nur wenig mit einem Handy tele-
fonieren sollten.
Deshalb ist die Debatte über strahlungsarme Mobil-
funkgeräte hier und heute richtig und wichtig. Es ist
wohl unstrittig, dass die größere Gefahr von den Geräten
beim Telefonieren am Ohr ausgeht, als von den Sende-
masten. Das heißt nicht, dass die Sendemasten zu ver-
nachlässigen sind, es heißt aber, dass die Handys das
vordringlichere Problem sind. Und es heißt auch, dass
sich jede und jeder selber einigermaßen schützen kann,
indem er oder sie aufs Handy verzichtet – oder eine Frei-
sprecheinrichtung benutzt.
Auch wir sind der Auffassung, dass es endlich eine
verbraucherfreundliche Kennzeichnung der Strahlung
der Mobiltelefone geben muss. Wir teilen auch die Fest-
stellung, dass die freiwillige Selbstverpflichtung der
Mobilfunkbetreiber gescheitert ist. Der SAR-Wert eines
Gerätes, dessen Bedeutung die meisten ohnehin nicht
kennen, wird doch irgendwo zwischen der Akkulaufzeit
und dem verfügbaren Zubehör angezeigt.
Zudem sagt auch der Präsident des Bundesamtes für
Strahlenschutz, dass der Blaue Engel von den Herstel-
lern boykottiert wird. Diese wollen nicht einige ihrer Ge-
räte als umweltfreundliche kennzeichnen, weil die ande-
ren dann als nicht umweltfreundlich gebrandmarkt
wären.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP: Wenn
Sie so weit mit Ihrer Analyse gekommen sind, dann ver-
stehe ich nicht, warum Sie trotz allem den Bock zum
Gärtner machen und mit der Industrie über eine „bin-
dende Selbstverpflichtung“ sprechen wollen.
Erstens haben Sie bislang nicht erklärt, was das ei-
gentlich sein soll. Wenn etwas bindend ist, dann müssen
Verstöße doch mit Sanktionen belegt werden können.
Sanktionen aber sind nach meiner Überzeugung eine
staatliche Aufgabe und nicht Sache der Wirtschaft. Dann
aber ist es auch keine reine Selbstverpflichtung.
Zweitens haben die Erfahrungen der letzten Jahre
doch eines klar gezeigt: Hersteller und Netzbetreiber ha-
ben kein Interesse daran, das Problem der Mobilfunk-
strahlung ins Licht der Öffentlichkeit zu zerren. Gesprä-
che mit der Industrie werden nur zu einer weiteren
Verzögerung führen. Daher fordern wir von der Bundes-
regierung, eine verbraucherfreundliche Strahlungskenn-
zeichnung auf dem Verordnungswege zu erlassen.
Die PDS-Fraktion brachte bereits in der 14. Legisla-
turperiode einen Antrag ein, in dem wir eine verpflich-
tende Kennzeichnung der Strahlung aller Mobiltelefone
und Schnurlostelefone gefordert hatten. Daneben ent-
hielt der Antrag 17 weitere Forderungen – mit halbherzi-
gen Gesprächen mit der Industrie ist es bei weitem nicht
getan.
Ich jedenfalls halte es mit dem Staatssekretär Müller,
der auf der Internetseite des BMU zum Strahlenschutz
mit den Worten zitiert wird: „Krebs lässt sich am besten
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urch Vorsorgemaßnahmen vermeiden“ – wobei das
icht explizit im Zusammenhang mit Mobilfunk steht.
Die Linke ist deshalb der Auffassung, dass ein SAR-
ert von 0,6, der für den Blauen Engel eingehalten wer-
en muss und der deshalb aus Sicht der Vorsorge als
bere Grenze anzusehen ist, als verbindlicher Grenzwert
estzusetzen ist. Bevor Sie mir vorwerfen, ich betreibe
en Ruin der Mobilfunkhersteller – wobei die Geräte ja
un ohnehin nicht mehr aus Deutschland kommen –
ann der bestehende Richtwert von 2 auch stufenweise
unächst auf 1 abgesenkt werden – diesen Wert halten
ber 90 Prozent der Geräte ein.
Zudem müssen aus Gründen der Vorsorge auch die
öllig veralteten Grenzwerte für Sendeanlagen von 1991
erschärft werden. In einigen europäischen Staaten wie
talien und der Schweiz gelten um den Faktor 100 stren-
ere Grenzwerte für Mobilfunkanlagen als in Deutsch-
and – da ist es kein Wunder, dass die Grenzwerte in
eutschland nie überschritten werden.
Zum Abschluss möchte ich noch auf einen Punkt hin-
eisen: Schnurlostelefone senden immer, sogar dann,
enn die Geräte in der Basisstation stehen. Der Einbau
ines Schalters, mit dem man dies unterbinden könnte,
ostet gerade einmal zehn Cent. Da bedeutet es nicht den
uin der Telefonhersteller, wenn wir diesen Schalter zur
flicht machen würden.
Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
ie FDP legt einen Antrag zur verbraucherfreundlichen
ennzeichnung strahlungsarmer Mobilfunkgeräte vor.
as freut das grüne Herz erst einmal, wissen wir doch
lle, dass die fehlende Handykennzeichnung Ausdruck
ines klaren wirtschaftlichen Willens ist.
Die FDP Seit´ an Seit´ mit den Grünen für Verbrau-
herinteressen gegen Wirtschaftswillkür? Grundsätzlich
erne, aber schaun mer mal!
Wie sieht denn die Geschichte dieses nicht vorhandenen
abelings aus: Wir haben seit 2001 eine Selbstverpflich-
ng der Mobilfunkbranche, erstens vermehrt strahlungs-
rme Handys auf den Markt zu bringen und zweitens ein
ualitätssiegel für Handys mit besonders niedrigem
AR-Wert zu entwickeln. Nachdem sich nichts tat, gab
s 2002 einen Antrag von SPD und Grünen, in dem es
ieß: „... zur Verbesserung des Verbraucherschutzes sollen
obilfunkgeräte hinsichtlich ihrer Strahlungsintensität
o gekennzeichnet werden, das der Kunde vor der Kauf-
ntscheidung die höchstmögliche Absorptionsrate (SAR)
es Gerätes in Erfahrung bringen kann.“ Enthalten war
uch die Forderung, „ein Qualitätssiegel für Handys mit
esonders niedrigem SAR-Wert zu entwickeln.“ Die
nion hat den Antrag damals abgelehnt, die FDP hat
ich immerhin nur enthalten. Es tat sich weiterhin nichts,
nd so wurde die Jury Umweltzeichen Mitte 2002 aktiv
nd entwickelte Kriterien für die Vergabe des Blauen
ngel an strahlungsarme Mobiles. 21 Prozent aller Handys
uf dem Markt hätten zu diesem Zeitpunkt das Umwelt-
eichen tragen dürfen, weil sie die Kriterien bereits er-
üllten. Im März 2005 waren es schon knapp 34 Prozent.
ur – kaufen konnte man kein einziges Handy mit dem
7678 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Januar 2007
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Umweltzeichen. Die Hersteller boykottierten es schlicht.
Sie wollten ihre Handys nicht in gute und schlechte eintei-
len. Wir sind also immer noch in derselben Situation:
Wer sich ein Handy kauft, hat keine Ahnung von der
Strahlenbelastung – es sei denn, er schaut im Klein-
gedruckten der Betriebsanleitung nach. Im Ernst: Wer
liest die Betriebsanleitung beim Kauf!
Die Handy-SAR-Wert-Story ist nicht die einzige, in der
die Selbstverpflichtung der Wirtschaft zu nichts geführt
hat. Ob es die Verbrauchsobergrenzen bei Fahrzeugen
oder Schadstoffemissionen sind – die Geschichte indus-
trieller Selbstverpflichtungen in der Umweltpolitik ist
die Geschichte gebrochener Versprechen.
Deshalb freue ich mich über den Antrag der FDP, der
sagt: Jetzt ist Schluss mit Warten! Jetzt müssen wir han-
deln! Aber dann kommt das Erwachen, und es kommt
mit grausamer Klarheit: Sie fordern kein Ende der
SelbstverpfIichtung, Sie fordern „bindende“ Selbstver-
pflichtung und, wenn die nicht zieht, zwei Jahre später
eine gesetzliche Regelung. Lieber Herr Meierhofer, das
erinnert mich an Momente in meiner Kindererziehung,
die nicht zu den Sternstunden gehörten: „Und ich sag's
dir jetzt zum letzten Mal ...“ Meinen Sie nicht mit mir,
dass es oft genug gesagt wurde? Meinen Sie nicht, dass
es Zeit ist, effektiv zu handeln?
Sie haben einen Antrag eingebracht, den wir Grünen
in der Begründung völlig unterschreiben können. Alles
ist richtig. Wir geben Ihnen auch Recht, dass der Blaue
Engel hier offenbar nicht das richtige Kennzeichen ist.
Es ist ein freiwilliges und kann nur wirksam funktionieren
innerhalb einer Wirtschaft, in der ökologisches Profil ein
Wert ist. Das ist bei der Mobilfunkbranche ganz offen-
sichtlich nicht der Fall.
Lassen Sie uns diesen Antrag befürworten und seine
Schlussfolgerung der vorausgegangenen Begründung an-
passen. Streichen wir die beabsichtigten zwei weiteren
Jahre Selbstverpflichtung – zwei weitere Jahre des War-
tens –, und fordern wir von der Bundesregierung eine
gesetzliche Regelung zur Kennzeichnung. Diese Forde-
rung können die in dem Antrag benannten 79,2 Millionen
Mobilfunkteilnehmer von ihren Vertretern verlangen.
Anlage 7
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Für solidarische und
entwicklungspolitisch kohärente Wirschaftspart-
nerschaftsabkommen (Tagesordnungspunkt 20)
Georg Nüßlein (CDU/CSU): Die Europäische Union
unterhält mit Ländern aus Afrika, dem karibischen Raum
und dem Pazifischen Ozean – AKP-Staaten – Verhandlun-
gen um sogenannte Wirtschaftspartnerschaftsabkommen.
Diese Wirtschaftspartnerschaftsabkommen – Economic
Partnership Agreements, kurz EPAs – sind Entwicklungs-
und Handelsabkommen. Sie knüpfen an das im Jahr
2000 zwischen der EU und den AKP-Staaten geschlossene
Cotonouabkommen an und sind vor dem Hintergrund zu
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ehen, dass zum 31. Dezember 2007 die einseitigen
andelspräferenzen an die AKP-Staaten auslaufen, wel-
he die EU ungeachtet der geltenden Regeln der Welt-
andelsorganisation, WTO, gewähren konnte.
Ziel der Wirtschaftspartnerschaftsabkommen sind die
ekämpfung der Armut und zugleich die Einbeziehung
er Entwicklungsländer in die Weltwirtschaft. Unter die-
er Zielsetzung kommt eine einseitige Verhandlungsfüh-
ung zugunsten der EU-Staaten nicht infrage. Allerdings:
an darf wirtschaftliche Interessen der EU nicht komplett
ernachlässigen. Es geht schließlich auch um die Akzep-
nz der Entwicklungshilfe. Wir brauchen also keine ein-
eitige Betrachtung, wie sie die Linke vorschlägt, sondern
ine wohlabgewogene Verhandlungsführung, die den
KP-Staaten hilft und uns zumindest nicht schadet.
Nachdem die Notwendigkeit des Abschlusses neuer
irtschaftspartnerschaftsabkommen vor dem 1. Januar
008 bereits im Jahr 2000 im Cotonouabkommen nie-
ergelegt und vereinbart wurde, stellt sich die Frage:
ie steht der hier zu behandelnde Antrag der Linken zu
ieser Vereinbarung?
Der Antrag auf Drucksache 16/3193 gefährdet die bis
ato gefundenen Verhandlungsergebnisse, die auf dem
eg zum Abschluss der Wirtschaftspartnerschaftsab-
ommen bereits erzielt wurden, und damit insbesondere
uch das notwendige Verhandlungsziel einer entwick-
ungspolitischen Unterstützung und Absicherung der
KP-Staaten: Einmal sind die Hintergründe der Antrag-
tellung sowie die Einschätzung der Verhandlungssituation
öchst fragwürdig, und der im Antrag niedergelegte For-
erungskatalog ist trotz einiger entwicklungspolitisch
innvoller Ansätze teils nicht aussagekräftig, teils
chlichtweg unrealistisch. Im Übrigen soll – ungeachtet
er im Cotonouabkommen niedergelegten Vereinbarung
euer Wirtschaftspartnerschaftsabkommen vor 2008 – ein
erhandlungsstopp bei den Wirtschaftspartnerschaftsab-
ommen erfolgen.
Den letzteren Aspekt greife ich angesichts seiner Un-
eheuerlichkeit zuerst auf: Die Linken fordern in ihrem
ntrag zu Recht einen entwicklungspolitisch sensiblen
nd fairen Umgang mit den AKPs, und gleichzeitig
edienen sie sich des Mittels eines Vertragsbruchs zur
msetzung dieser „guten Tat“. Bereits an dieser Stelle
ntbehrt der Antrag jeder rechtsstaatlichen Grundlage.
Die offen zutage tretenden Hintergründe der Antrag-
tellung sind gleichfalls indiskutabel: Bereits zu Beginn
es Antrags greifen die Linken tief in die sozialistische
lamottenkiste, wenn sie formulieren: Der Deutsche
undestag hält es jedoch für notwendig, dass die Politik
er Bundesregierung bei der Gestaltung der Außenwirt-
chaftsbeziehungen nicht primär den Interessen einiger
eniger Großunternehmen und ihrer Verbände folgt.
Nachdem die Damen und Herren von den Linken in
ostparteiideologischer Manier altsozialistische Geister
ufen und auf dieser Grundlage die bis dato erzielten
erhandlungsergebnisse und die damit errungene ent-
icklungspolitische Abfederung der AKP-Staaten
iskieren, kann ich angesichts solcher Verantwortungs-
osigkeit nur fragen: Wenn die Linken so agieren, wie
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Januar 2007 7679
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können sie sich dann als eine verantwortliche Repräsen-
tative in einem demokratischen Rechtsstaat betrachten?
Die dem Antrag der Linken zugrunde gelegte Annahme,
eine Verlängerung der WTO-Ausnahmeregelung wäre
einfacher zu verhandeln als WTO-konforme Wirtschafts-
partnerschaftsabkommen zwischen der EU und den AKP-
Staaten, halte ich schlichtweg für eine absolute Fehlein-
schätzung.
Der im Antrag niedergelegte Forderungskatalog ist
insgesamt gleichermaßen unüberlegt und unqualifiziert.
Auch wenn der Antrag an der einen oder anderen
Stelle sinnvoll erscheinende entwicklungspolitische For-
derungen beinhaltet, so stellt man bei näherer Prüfung
mit Erstaunen fest, dass die Linken kein Problem haben,
einen bereits bestehenden entwicklungspolitischen Kon-
sens als Forderung zu formulieren. So geschehen in
Ziff. II Nr. 1 des Antrags – denn Ziff. II Nr. 1 greift auf
Grundlagen im Koalitionsvertrag in Kap. IX Ziff. 7
– Entwicklungspolitik – zurück. An dieser Stelle möchte
ich generell an die Damen und Herren der Opposition
appellieren, die Arbeit des Gesetzgebers nicht mit Wie-
derholungen zu blockieren.
Eine traurige Belegfundstelle für eine nicht umsetzbare
Niederlegung gibt etwa Ziff. II Nr. 2, wonach Assoziie-
rungsverhandlungen grundsätzlich offen und öffentlich
geführt werden sollen: Die Forderung ist in dieser Form
sicher nicht realisierbar, da eine konstruktive Verhand-
lungsführung einer gewissen Vertraulichkeit bedarf und
das Verhandlungsmandat bei der EU-Kommission liegt.
Auch wenn die deutsche Öffentlichkeit insofern nicht
unmittelbar in den Verhandlungsprozess einbezogen
werden kann, steht das Bundesministerium für wirt-
schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung – BMZ –
im regen Kommunikationsfluss mit der EU-Kommission
und gewährleistet sowohl gegenüber der Öffentlichkeit
als auch gegenüber dem Deutschen Bundestag eine um-
fassende Information.
Ein weiterer disqualifizierender Beleg findet sich etwa
in der Antragsziffer II Nr. 9, wonach entsprechend dem
Wunsch der afrikanischen Handelsminister die Themen
Investition, Wettbewerb und öffentliches Beschaffungs-
wesen nicht auf die Agenda der EPA-Verhandlungen
gesetzt werden sollen. Diese Feststellung gibt bedauer-
licherweise nicht die aktuelle Position der AKP wieder.
Mehrere EPA-Regionen verhandeln über diese Themen
und stehen den handelsbezogenen Themen positiv gegen-
über. Im Cotonouabkommen wurden diese Themen
bereits im Sinne einer Unterstützung des Entwicklungs-
prozesses erwähnt. Wichtig ist an dieser Stelle vielmehr,
dass die entsprechenden Regelungen entwicklungsförder-
lich ausgestaltet werden.
Zuletzt möchte ich auf die Erwägung der Linken einge-
hen, der EU-Kommission das Mandat zur Verhandlung
der Wirtschaftspartnerschaftsabkommen zu entziehen.
Zwar ist es rechtlich gesehen möglich, der EU-Kommission
das Mandat zu den EPA-Verhandlungen zu entziehen
bzw. ein neues Mandat zu verhandeln. Notwendig ist
hierfür jedoch Einstimmigkeit unter den EU-Mitglied-
staaten, und dies ist politisch absolut unrealistisch. In der
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ache wäre ein Entzug des Mandats zudem nicht sinnvoll,
a die EPA-Verhandlungen, wie eingangs bereits er-
ähnt, bis Ende 2007 abgeschlossen werden müssen.
ine Neuverhandlung des Mandats würde dieses Ziel
nmöglich machen, und dies trotz der laut BMZ in den
etzten Wochen erzielten Fortschritte bei den Verhand-
ungsprozessen. Unter Bezugnahme auf die eingangs
ereits dargestellte Problemlage schließt sich hier der
reis der Beurteilung: Die Antragstellung entbehrt in
ehrerlei Hinsicht eines tragfähigen Fundaments.
Dr. Sascha Raabe (SPD): Wie nicht anders zu er-
arten, ist der Antrag der Fraktion Die Linke zu den
irtschaftspartnerschaftsabkommen seit der letzten De-
atte in diesem Haus um keinen Deut besser geworden.
ir lehnen ihn daher auch weiterhin ab. Und so wichtig
as Thema für sich genommen auch ist, so möchte ich an
ieser Stelle doch die Gelegenheit nutzen und mein Un-
erständnis darüber zum Ausdruck bringen, dass es den
amen und Herren von der Opposition nicht möglich
ar, die beiden Debatten dazu in dieser Woche zusam-
enzulegen. Eine gemeinsame Debatte wäre dem
hema sicher mehr gerecht gewordene als dieses Hin
nd Her. Ich finde es höchst bedauerlich, dass es Ihnen
ffenbar nicht um die Sache, sondern nur um Ihren An-
rag geht.
Die Argumente, warum wir den Antrag ablehnen,
abe ich bereits beim letzten Mal hinreichend klar ge-
acht. So kann ich mich im Wesentlichen auf meine da-
aligen Ausführungen beziehen sowie auf das, was ich
n der morgigen Debatte zum gleichen Thema sagen
erde.
Betonen möchte ich lediglich noch einmal, dass es
em vorliegenden Antrag der Fraktion Die Linke an
ben jener Kohärenz fehlt, die der Titel verheißt. Der
ntrag ist zu eindimensional und vereinfacht stark die
egebenheiten. Nichts anderes sind wir von dieser Frak-
ion gewohnt.
Wir wollen – und daher werden wir auch einen eige-
en Antrag vorlegen –, dass allen Entwicklungsländern
ine faire Chance im Welthandel eingeräumt wird. Un-
bhängig davon, ob es sich um ehemalige Kolonien han-
elt oder nicht. Eine Ungleichbehandlung der Entwick-
ungsländer beim Marktzugang ist durch nichts
erechtfertigt. Zahlreiche AKP-Länder haben selbst er-
annt, dass ihnen dieses System bislang keineswegs nur
eholfen hat. Es kommt daher darauf an, von den Präfe-
enzsystemen hin zu einem zoll- und quotenfreien Zu-
ang zu den europäischen Märkten zu gelangen, der al-
en Entwicklungsländern gewährt wird.
Natürlich brauchen einige dieser Länder mehr Außen-
chutz als andere, insbesondere im für die Ernährungssi-
herheit wichtigen Agrarbereich. Die SPD-Bundestags-
raktion spricht sich daher klar für den notwendigen
chutz und ein „special and differential treatment“ der
ntwicklungsländer aus. Aber unser Ziel muss es sein,
uch diese Länder an den Wettbewerb heranzuführen, sie
ettbewerbsfähig zu machen.
7680 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Januar 2007
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Viele dieser Länder verfügen durchaus und zu Recht
über ein gehöriges Maß an Selbstbewusstsein. In diesem
Gefühl sollten wir sie bestätigen und sie als Partner auf
Augenhöhe sehen.
Ein Großteil der AKP-Staaten betrachtet die EPA-Ver-
handlungen als Chance. Klar ist aber auch, dass in den
nächsten Monaten noch große Anstrengungen unternom-
men werden müssen, um am Ende zu einem erfolgrei-
chen, entwicklungsorientierten Abschluss zu kommen.
Deutschland hat im Rahmen der EU-Ratpräsidentschaft
die Chance, die EPA-Verhandlungen voranzutreiben und
darüber hinaus ähnliche Regelungen für alle Entwick-
lungsländer im Rahmen der WTO-Entwicklungsrunde
durchzusetzen. Diese Chance sollten wir nutzen.
Hellmut Königshaus (FDP): Es ist nicht das erste
Mal, dass wir hier im Plenum die Wirtschaftspartner-
schaftsabkommen zwischen der EU und den AKP-Staa-
ten diskutieren. Ich freue mich darüber, da es sich hier-
bei um ein sehr wichtiges Thema handelt. Aber Ihr
Antrag überzeugt nicht.
Sie werfen der FDP ja gerne vor, dass ihre Position in
Handelsfragen zu einfach sei. Es sei zu schlicht, auf den
positiven Zusammenhang von freiem Handel und wirt-
schaftlicher Entwicklung hinzuweisen, von der auch die
Armen profitieren würden. In Wirklichkeit sei ja alles
viel komplizierter. Die Welt ist kompliziert, und gerade
der weltweite Warenaustausch, der ja gerne als Globali-
sierung bezeichnet wird, ist nicht gerade einfach zu
verstehen. Sie aber sollten es mit einiger Mühe doch
schaffen. Denn es gibt belastbare Zahlen über den inter-
nationalen Handel, die belegen, dass ausschließlich of-
fene Wirtschaften sich positiv entwickeln während abge-
schlossene zurückfallen.
Es gibt viele Beispiele dafür. Lesen Sie einfach nur im
„Spiegel“ dieser Woche die Titelgeschichte über den
enormen wirtschaftlichen Aufschwung der Volksrepu-
blik China, der vor allem auf die Öffnung der eigenen
Märkte und den internationalen Warenaustausch zurück-
zuführen ist.
Der Antrag der Linksfraktion belegt einmal mehr,
dass Sie das nicht zur Kenntnis nehmen wollen oder sich
vor dieser erdrückenden Faktenlage sperren. Wahr-
scheinlich weckt das bei Ihnen antikapitalistische Re-
flexe, deshalb plädieren Sie erst einmal für das Gegen-
teil, also für Abschottung und Autarkie.
Sie fordern ja sogar, dass Liberalisierungen in „ökolo-
gisch, sozial oder kulturell sensiblen Bereichen“ nicht
einmal verhandelt werden sollen. Leider sagen Sie aber
nicht, was sie damit meinen. Sie sorgen sich mehr um
die Zolleinnahmen als um die Entwicklungschancen.
Das ist ungefähr so einleuchtend, als würde man fordern,
in Deutschland die überbordende Bürokratie aufrechtzu-
erhalten, um die Gebühreneinnahmen nicht zu verlieren.
So können nur staatsgläubige Bürokraten denken. Man
könnte das ja amüsant finden, da es so gar nicht mehr in
unsere heutige Zeit passt, aber das Thema ist dazu viel
zu ernst. Im Endeffekt schaden Sie nämlich mit Ihren an-
timarktwirtschaftlichen Parolen genau denen, die Sie
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och eigentlich schützen wollen, nämlich den Ärmsten
er Armen.
Ich will darum noch einmal die Gelegenheit nutzen,
en Nutzen des freien Warenaustausches zu erklären.
iesen Nutzen haben übrigens nicht nur die AKP-Staa-
en, sondern alle Entwicklungsländer gleichermaßen, in-
ofern ist diese Unterscheidung auch immer weniger
achvollziehbar.
Ich will im Allgemeinen beginnen und anschließend
uf die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen eingehen.
Offene Märkte verbessern die Entwicklungschancen
er ärmsten Länder der Welt. Mehr noch: Sie sind die
oraussetzung einer nachhaltigen Entwicklung. Alle em-
irischen Untersuchungen belegen, dass die Öffnung
igener Märkte zu mehr Wohlstand, Bildung, Gesund-
eit und Rechtssicherheit führt, und zwar unabhängig
avon, welche Politik andere Staaten betreiben. Die Öff-
ung der Märkte darf dabei für die Entwicklungsländer
atürlich keine Einbahnstraße sein. Nicht nur die Ent-
icklungsländer müssen ihre Märkte öffnen, sondern die
ntwickelten Länder selbstverständlich auch.
Problematisch ist beispielsweise, dass die USA Le-
ensmittelhilfe mit staatlichen Mitteln unterstützen,
benso wie die Subventionierung ihrer Baumwollfarmer.
ber auch die Förderung der europäischen Baumwoll-
roduktion, die zurzeit mit 700 Millionen Euro jährlich
ubventioniert wird, ist ein Problem für die Entwick-
ungsländer.
Die Bundesregierung sollte ihre Möglichkeiten durch
ie EU-Präsidentschaft nutzen, um entsprechende Maß-
ahmen mit den Partnerländern abzustimmen. Zölle und
andelshemmnisse auf verarbeitete Agrarprodukte, wie
um Beispiel auf Kaffee, müssen beseitigt werden. Nur
o haben die Entwicklungsländer die Chance, dass ein
rößerer Teil der Wertschöpfung bei ihnen stattfinden
ann. Auch die Zölle auf verarbeitete Textilien müssen
esenkt bzw. ganz abgeschafft werden. Dies wäre übri-
ens auch im Interesse der europäischen Verbraucher:
ehr Wettbewerb im Textilbereich würde das Angebot
erbreitern und die Preise sinken lassen, und zwar zulas-
en der Handelsorganisationen, nicht der Erlöse der Pro-
uzenten.
Auch in anderen Handelsbereichen müssen die Ent-
icklungsländer ihre komparativen Vorteile im interna-
ionalen Wettbewerb nutzen. Dies sind im Wesentlichen
ie geringeren Arbeitskosten und unterschiedliche Sozi-
lstandards. International verpflichtende Standards in
iesen Bereichen würden den Zugang zu den Märkten
er Industrieländer beschränken und den armen Ländern
ntwicklungschancen nehmen, also das genaue Gegen-
eil dessen, was mit solchen Verpflichtungen bezweckt
ird.
Die Entwicklungsländer stehen aber auch selbst in der
erantwortung. Nur der Aufbau von Demokratie, Markt-
irtschaft und funktionierender Rechtssysteme ermög-
icht auf Dauer die nachhaltige Entwicklung ihrer
änder. Die Chancen, die durch Zugeständnisse der In-
ustrieländer im Handelsbereich und in der Entwick-
ungszusammenarbeit entstehen, müssen auch wahrge-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Januar 2007 7681
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nommen werden. Leider gehört es zur Realität der
Entwicklungspolitik, dass viele Entwicklungschancen
nach wie vor durch korrupte, autoritäre Regime verspielt
werden.
Diese Voraussetzungen sollten schon im Rahmen der
Dohawelthandelsrunde der WTO geschaffen werden, die
ja explizit als Entwicklungsrunde bezeichnet wurde. Lei-
der konnten die Verhandlungen bisher nicht erfolgreich
beendet werden, zum Nachteil vor allem der Entwick-
lungsländer. Die laufenden Verhandlungen zwischen der
EU und den AKP-Staaten könnten die aus dem vorläufi-
gen Scheitern der Doharunde folgende Nachteile etwas
abmildern, da zumindest ein Teil der Entwicklungslän-
der somit dennoch von Handelsliberalisierungen profi-
tieren kann.
Zum Glück können die Verhandlungen über die neuen
Wirtschaftspartnerschaftsabkommen nicht ewig verzö-
gert werden, wie das im Rahmen der WTO ja leider zur
Normalität geworden ist. Die Wirtschaftspartnerschafts-
abkommen müssen schnell verhandelt und bald abge-
schlossen werden, da die bisherigen einseitigen Handels-
präferenzen der Lomé-Verträge zugunsten der AKP-
Staaten gegen bindende WTO-Handelsvereinbarungen
verstoßen und schon deshalb die Schaffung einer grund-
sätzlich neuen Vertragsgrundlage erforderlich ist.
Mit dem Abschluss des Cotonouabkommens im Jahr
2000 wurde das Sonderverhältnis der EU zu den AKP-
Staaten in Form von WTO-konformen Wirtschaftspart-
nerschaftsabkommen fortgesetzt. Bis Ende 2007 sollen
nun die Verhandlungen mit sechs einzelnen Regional-
gruppen abgeschlossen sein, damit bis zum 1. Januar
2008 das Cotonouabkommen umgesetzt werden kann.
Eine entscheidende Phase der Verhandlungen über die
Wirtschaftspartnerschaftsabkommen fällt also jetzt in
die Zuständigkeit der Bundesregierung durch die deut-
sche EU-Ratspräsidentschaft. Ich fordere die Bundes-
regierung auf, die Monate ihrer Präsidentschaft zu nut-
zen, um die Verhandlungen mit den AKP-Staaten zu
einem erfolgreichen Abschluss zu bringen. Diese Wirt-
schaftspartnerschaftsabkommen dürfen wir aber nur als
nötigen ersten Schritt betrachten, dem weitere auch für
die Nicht-AKP-Staaten folgen müssen.
Von der Liberalisierung des Handels werden vor
allem die Entwicklungsländer profitieren und nicht, wie
Sie befürchten, nur „einige wenige Wirtschaftsunterneh-
men“. Lassen Sie sich überraschen, welche Dynamik der
Freihandel entfalten kann!
Heike Hänsel (DIE LINKE): Auf dem Weltsozialfo-
rum, das morgen in Nairobi beginnt, werden sich zahlrei-
che afrikanische, karibische und pazifische Nichtregie-
rungsorganisationen damit auseinandersetzen, welche
Auswirkungen sie von den Wirtschaftspartnerschaftsab-
kommen (EPA) zwischen der EU und den AKP-Staaten
für ihre Gesellschaften zu erwarten haben und wie alterna-
tive Abkommen, eben solidarische und entwicklungsför-
derliche, aussehen könnten. Wir finden es wichtig, dass
diese sozialen Bewegungen stärker gehört und einbezogen
werden, deshalb werden wir – mein Kollege Hüseyin Ay-
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in und ich – in Nairobi sein und uns die Kritik gegenüber
er bisherigen EU-Verhandlungsführung anhören.
Ich bin auch gespannt auf die alternativen Vorstellun-
en, die in Nairobi zur Ausgestaltung von Handel und
artnerschaft zwischen Europa und den AKP-Staaten
ntwickelt werden. Der Kollege Raabe wird ja ebenfalls
or Ort sein und die Gelegenheit haben, sich mit der
altung der Nichtregierungsorganisationen aus den
etroffenen Ländern zu den EPA auseinanderzusetzen.
ch könnte mir vorstellen, dass er dort einiges von dem,
as hier in diesem Antrag steht, wieder finden wird.
Ich hatte in der ersten Lesung zu unserem Antrag be-
eits die ehemalige Kultusministerin von Mali, Aminata
raoré, zitiert. Sie spitzte die Kritik an der europäischen
andelspolitik gegenüber Afrika in einem Interview in
er Taz 2005 so zu: „Europa schickt uns seine Hühner-
eine, seine Gebrauchtwagen, seine abgelaufenen Medi-
amente und seine ausgelatschten Schuhe, und weil eure
este unsere Märkte überschwemmen, gehen unsere
andwerker und Bauern unter. Jetzt schickt China seine
rodukte nach Europa, und zwar nicht einmal Reste, son-
ern saubere, wettbewerbsfähige Waren. Und was tut
uropa? Es diskutiert Zölle. Also sage ich: Auch Afrika
arf sich schützen. Europa kann doch nicht vor China Panik
riegen und zugleich von Afrika Öffnung verlangen.“
nd konkret zu den EPA sagte sie: „Für uns sind diese
bkommen die Massenvernichtungswaffen Europas.“
Ich will einige wesentliche Kritikpunkte an den bishe-
igen Verhandlungen zu den EPA zusammenfassen. Sie
erden, wie Sie wissen, nicht nur von der Fraktion Die
inke vorgetragen, sondern von zivilgesellschaftlichen
ruppen und Parlamentarierinnen und Parlamentariern
n vielen Ländern, insbesondere etwa von unseren Kolle-
innen und Kollegen im Europaausschuss der französi-
chen Nationalversammlung:
Erstens. Der Zugang zu den Beschaffungsmärkten der
ffentlichen Hand und der Abschluss von Investitions-
chutzabkommen dürfen auf keinen Fall weiter auf der
genda der EPA-Verhandlungen stehen. Dass die EU-
ommission versucht, diese Themen, die sie im Rahmen
er WTO nicht voranbringen konnte, jetzt über den Um-
eg der Verhandlungen mit vermeintlich schwächeren
artnern doch noch auf die internationale Handelsagenda
u setzen, ist nicht akzeptabel. Dass diese Themen aus der
oharunde ausgeklammert werden konnten, war ein Er-
olg, den die Entwicklungs- und Schwellenländer gegen
ie Handelsinteressen des Nordens durchsetzen mussten.
nd entgegen dem wiederholt vorgetragenen Hinweis
us der Bundesregierung, die AKP-Staaten hätten an den
PA-Verhandlungen nichts auszusetzen, ist es doch ge-
ade dieser Punkt, den die AKP-Regierungen auf ihren
inistertreffen immer wieder kritisch anführen.
Zweitens. Wir wissen alle, dass das Präferenzsystem
on Lomé den AKP-Staaten nicht die großen Entwick-
ungserfolge eingebracht hat. Aber zumindest basierte es
och auf dem Prinzip der Nichtreziprozität, das auch
och im Abkommen von Cotonou verankert ist. Die For-
erung an die AKP-Staaten nach Abschaffung eines
roßteils ihrer Zölle hat damit allerdings nichts mehr zu
un. Die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen werden,
7682 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Januar 2007
(A) )
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wenn sie so wie bislang weiterverhandelt werden, des-
halb katastrophale ökonomische und soziale Auswirkun-
gen haben. Diese Auswirkungen können überall dort, wo
schwache, sich entwickelnde Ökonomien bereits einer
Handelsliberalisierung ausgesetzt wurden, betrachtet
werden. Überall haben sich ähnliche Effekte eingestellt:
Rückgang der kommerziellen Landwirtschaft und im
produzierenden Gewerbe, Verlagerung der Beschäfti-
gung in die exportorientierten Produktionszonen mit den
bekannten katastrophalen Arbeitsbedingungen und in
den informellen Sektor, noch mehr Raubbau an den
natürlichen Ressourcen. Wir fordern mit vielen anderen
deshalb, volkswirtschaftlich, sozial, kulturell und ökolo-
gisch sensible Bereiche auf jeden Fall von einer Liberali-
sierung auszunehmen.
Drittens. Die AKP-Staaten rechnen mit enormen Kom-
pensationskosten, um die Begleitschäden der Handels-
liberalisierung auffangen zu können: sinkende Zoll- und
Steuereinnahmen, hohe soziale Kosten, erforderliche In-
vestitionen in eine infrastrukturelle Anpassung etc. Nach
Auffassung der EU – bestätigt durch den Entwicklungs-
kommissar, der hier neulich im Bundestag zu Besuch
war – wären diese Kosten aus dem 10. Europäischen
Entwicklungsfonds zu begleichen. Ich bin der Meinung,
dass die Durchsetzung von europäischen Handelsinteres-
sen nicht die Mittel für Entwicklung belasten darf. Wir
fordern deshalb eine Bereitstellung von Kompensations-
mitteln weit über den bisher im 10. EEF vorgesehenen
Rahmen hinaus.
Viertens. Der Zeitdruck auf die Verhandlungen muss
abgebaut werden. Auf keinen Fall dürfen die AKP-Staaten
– vom Auslaufen der Verlängerungsregelung zum Lomé-
abkommen Ende 2007 bedroht – dazu gezwungen werden,
Abkommen abzuschließen, von denen sie negative Aus-
wirkungen auf die eigene wirtschaftliche und soziale
Entwicklung befürchten müssen. Die EU-Kommission
muss jetzt Anstrengungen unternehmen, bei der WTO
eine Verlängerung der Lomépräferenzen zu erwirken.
Wir fordern in unserem Antrag, dass die Bundesregierung
ihren Einfluss im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsi-
dentschaft in diesem Sinne nutzt.
Fünftens. Ein wesentlicher Kritikpunkt an den bisheri-
gen Verhandlungen zu den EPA ist, dass sie weitgehend
hinter verschlossenen Türen stattfinden und stark von
den Interessen der EU dominiert werden. Auf der afrika-
nischen Handelsministerkonferenz im April 2006 wurde
kritisiert, dass die EU zuviel Druck ausübe, um ihre
Ziele durchzusetzen, und dass sie dabei zu wenig Rück-
sicht auf die Entwicklungsbelange der Partner nehme.
Die AKP-Staaten stehen unter Druck, weil sie wissen, dass
ihnen mit dem Auslaufen des Lomépräferenzsystems der
Zugang zu den europäischen Märkten ganz versperrt
werden kann. Erst recht fühlen sich viele Vertreterinnen
und Vertreter der afrikanischen Zivilgesellschaft bisher
nicht in den Verhandlungsprozess einbezogen. Hätte die
EU-Kommission ihre Debatten für diese Stimmen geöff-
net, würde ihre Verhandlungsagenda vielleicht anders
aussehen.
Wir wollen, dass die EPAs nicht in erster Linie Han-
delsabkommen werden, sondern dass in den Abkommen
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ntwicklung und Partnerschaft an erster Stelle stehen,
ass es solidarische und entwicklungspolitisch kohärente
bkommen werden. Dazu braucht es einen Neuanfang.
ass die EPA-Verhandlungen bisher vom EU-Handels-
ommissar anstatt vom Entwicklungskommissar geführt
erden, ist kennzeichnend für den völlig falschen bis-
erigen Ansatz. Wir fordern ein Moratorium für die
erhandlungen und die Formulierung eines neuen Ver-
andlungsmandats, das die Entwicklungsbelange der
artnerstaaten berücksichtigt und die Asymmetrie
wischen den Verhandlungspartnern in Rechnung stellt.
ann wäre auch genug Zeit, die Verhandlungsagenda so zu
erändern, dass sie dem Anspruch des europäischen Ent-
icklungskonsenses gerecht wird, dass sie sich nämlich
n den dort formulierten Entwicklungszielen orientiert.
Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das
otonouabkommen von 2000 sieht den Abschluss von
irtschaftspartnerschaftsabkommen (EPAs) vor. Sie ha-
en das erklärte Ziel, die Armut zu bekämpfen und eine
achhaltige Entwicklung zu fördern. Bisher steuert die
U-Kommission haarscharf an diesem Ziel vorbei. Han-
elspolitisch gesehen steht in Gestalt der EU ein reicher
iese einer großen Zahl ärmster AKP-Zwerge gegen-
ber. Um auf gleiche Augenhöhe zu kommen, müssen
ich die einen sehr nach der Decke strecken und die an-
eren die Demut aufbringen, sich tief zu verbeugen. Ein
ntwicklungsverträgliches Ergebnis können wir nur
ann erzielen, wenn der Verhandlungsprozess und das
erhandlungsergebnis der enormen Ungleichheit der
artner gerecht wird. Wir brauchen vor allem ein Ent-
icklungspartnerschaftsabkommen. Ich sage mit Be-
acht Entwicklungspartnerschaftsabkommen weil es aus
einer Sicht nur darum gehen kann. Hier unterscheiden
ir uns von der Linken, die der EU-Kommission über-
aupt das Verhandlungsmandat entziehen möchte.
Das Recht der AKP-Länder auf Entwicklung zu ge-
ährleisten, heißt für uns, ihnen zunächst die entspre-
henden politischen Spielräume zur Förderung einer
ozialen und umweltverträglichen Entwicklung einzu-
äumen. Die EU muss ihr Vorgehen überdenken und ihre
trategische Partnerschaft mit den AKP-Ländern vom
opf auf die Füße stellen: Entwicklungsverträglichkeit
eht vor Freihandel.
Nun zu einigen Herausforderungen, die sich im Rah-
en der EPA-Verhandlungen konkret stellen:
Erstens. Wir haben ökonomische Risiken, die auf-
rund der ungleichen Gewichte eindeutig auf der Seite
er AKP-Länder liegen. Wir müssen diese Risiken für
ie ärmsten Länder begrenzen und in Potenziale umwan-
eln. Dies kann aber nur mit einem eindeutigen Ent-
icklungsmandat geschehen. Die EPAs müssen den
arktzugang zur EU verbessern. Die EU-Agrarsubven-
ionen müssen so eingeschränkt werden, dass mit dem
grardumping Schluss gemacht wird. Damit wird Druck
on Millionen von Produzenten in den AKP-Ländern ge-
ommen, die mit der hochsubventionierten europäischen
ebensmittelindustrie nicht konkurrieren können.
Zweitens. Während die EPAs für die AKP-Länder
irtschaftlich sehr bedeutend sind, haben sie für die EU
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 76. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Januar 2007 7683
(A) (C)
(B) (D)
hauptsächlich politische Bedeutung. Nach dem Schei-
tern der WTO-Verhandlungen gilt es, sehr genau zu beo-
bachten, welche Exempel bei bilateralen und biregiona-
len Handelsabkommen statuiert werden sollen. Es stellt
sich die Frage: Tragen die EPAs dazu bei, die Chancen
für ein zukünftiges multilaterales Abkommen zu erhö-
hen, oder nehmen sie Entscheidungen vorweg, die im
Gegensatz zu den Zielen der Doharunde stehen? Für
mich ist klar, dass im Rahmen der EPAs keine Themen
wie Investitionen, Wettbewerbspolitik und öffentliches
Beschaffungswesen verhandelt werden sollen. Diese so-
genannten Singapurthemen wurden nach hartem Tauzie-
hen aufgrund massiver Gegenwehr der Entwicklungslän-
der von der WTO-Tagesordnung genommen. Im April
letzten Jahres hat sich die Afrikanische Union in der
Nairobierklärung dafür ausgesprochen, diese Themen
„außerhalb des Geltungsbereiches der EPAs“ zu belas-
sen, aber die EU will „keine EPAs ohne Investitionsre-
geln und volle Reziprozität“, so der Originalton von Ver-
handlungsführer Falkenberg. Wir brauchen auch keine
WTO-Plus-Veranstaltung in Form weitgehender Ab-
kommen bei geistigen Eigentumsrechten (TRIPS) und
Dienstleistungen. Die EPA-Verhandlungen dürfen zu
keinem Hebel gemacht werden, der das Lager der Ent-
wicklungsländer für die weiteren WTO-Verhandlungen
nachhaltig spaltet.
Drittens möchte ich auf ein ganz besonderes Problem
hinweisen: Obwohl die EPAs im Zusammenhang mit
dem Cotonouabkommen stehen, werden sie vom EU-
Handelskommissar und nicht von Louis Michel, dem
Entwicklungskommissar, verhandelt. Dieser sitzt am
Katzentisch der EPA-Verhandlungen. Es war schon ab-
surd, dass der Entwicklungskommissar der EU an den
WTO-Ministertreffen nicht teilnehmen durfte. Dass er
bei den Partnerschaftsabkommen aber nicht mindestens
gleichberechtigt mitverhandelt, ist nicht hinnehmbar.
Wer wenn nicht die EU-Entwicklungspolitiker sollen
denn für die Entwicklungsverträglichkeit der Abkom-
men auf EU-Seite eintreten? Wenn ich das Ganze auf
deutsche Verhältnisse übertrage, würde man sagen: Vom
Wirtschaftsministerium erwarte ich keine Entwicklungs-
agenda, dort werden knallhart die deutschen Exportinte-
ressen verteidigt.
Glücklicherweise ist in Deutschland für die EPAs das
Entwicklungsministerium zuständig. Daraus erwächst
eine besondere Verantwortung für die deutsche EU-Rats-
präsidentschaft. Das entwicklungspolitische Mandat für
die EPAs muss entschieden gestärkt werden. Ich hoffe
darüber hinaus, dass von der deutschen EU-Präsident-
schaft starke Impulse für die WTO-Entwicklungsrunde
ausgehen. Es muss endlich Schluss sein mit dem ent-
wicklungsfeindlichen Protektionismus und der fehlgelei-
teten Agrarsubventionspolitik der EU. Nur neue weitrei-
chende EU-Angebote können die WTO-Verhandlungen
wiederbeleben.
76. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 18. Januar 2007
Inhalt:
Redetext
Anlagen zum Stenografischen Bericht
Anlage 1
Anlage 2
Anlage 3
Anlage 4
Anlage 5
Anlage 6
Anlage 7