Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006 7473
(A) )
(B) )
Nitzsche, Henry CDU/CSU 15.12.2006
dem Fall strafrechtlich zu verfolgen. Hierin stimmen wir
(Tagesordnungspunkt 25)
Dr. Max Lehmer (CDU/CSU): Erstens. Die Feldzer-
störungen sind auf das Schärfste zu verurteilen und in je-
Merten, Ulrike SPD 15.12.2006
Möller, Kornelia DIE LINKE 15.12.2006
Anlage 1
Liste der entschuldigt
*
A
Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
Bierwirth, Petra SPD 15.12.2006
Binder, Karin DIE LINKE 15.12.2006
Bülow, Marco SPD 15.12.2006
Burkert, Martin SPD 15.12.2006
Dr. Eid, Uschi BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
15.12.2006
Eymer (Lübeck), Anke CDU/CSU 15.12.2006
Fuchtel, Hans-Joachim CDU/CSU 15.12.2006
Gabriel, Sigmar SPD 15.12.2006
Gleicke, Iris SPD 15.12.2006
Gloser, Günter SPD 15.12.2006
Granold, Ute CDU/CSU 15.12.2006
Freiherr zu Guttenberg,
Karl-Theodor
CDU/CSU 15.12.2006
Hartenbach, Alfred SPD 15.12.2006
Hilsberg, Stephan SPD 15.12.2006
Hinz (Herborn), Priska BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
15.12.2006
Holzenkamp, Franz-
Josef
CDU/CSU 15.12.2006
Kammer, Hans-Werner CDU/CSU 15.12.2006
Klimke, Jürgen CDU/CSU 15.12.2006
Dr. Kofler, Bärbel SPD 15.12.2006
Leutheusser-
Schnarrenberger,
Sabine
FDP 15.12.2006
Lintner, Eduard CDU/CSU 15.12.2006*
Löning, Markus FDP 15.12.2006
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Anlagen zum Stenografischen Bericht
en Abgeordneten
für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver-
sammlung des Europarates
nlage 2
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Eigentumsrechte
und Forschungsfreiheit schützen – Entschiede-
nes Vorgehen gegen Zerstörungen von Wert-
prüfungs- und Sortenversuchen sowie von Fel-
dern mit gentechnisch veränderten Pflanzen
r. Paziorek, Peter CDU/CSU 15.12.2006
oß, Joachim SPD 15.12.2006
iester, Walter SPD 15.12.2006
ix, Sönke SPD 15.12.2006
ager, Krista BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
15.12.2006
r. Scheer, Hermann SPD 15.12.2006
euchner, Jella SPD 15.12.2006
ellenreuther, Ingo CDU/CSU 15.12.2006
r. Westerwelle, Guido FDP 15.12.2006
ieczorek-Zeul,
Heidemarie
SPD 15.12.2006
inkler, Josef Philip BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
15.12.2006
r. Wodarg, Wolfgang SPD 15.12.2006
öhrl, Dagmar CDU/CSU 15.12.2006
olf (Frankfurt),
Margareta
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
15.12.2006
underlich, Jörn DIE LINKE 15.12.2006
ylajew, Willi CDU/CSU 15.12.2006
bgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
7474 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006
(A) )
(B) )
mit der FDP überein. Eine Entscheidung über die Zu-
kunft von Wissenschaftsdisziplinen kann nur auf der
Basis transparenter und reproduzierbarer Versuche ge-
funden werden. Zerstörung kann kein Mittel der Ausei-
nandersetzung sein!
Zweitens. Im Rahmen der notwendigen Forschungen
zur Grünen Gentechnik sind Freilandversuche unver-
zichtbar. CDU/CSU und SPD haben bereits bei ihren Ko-
alitionsverhandlungen die Bedeutung der Forschung für
diese innovative Technologie erkannt und deshalb in den
Koalitionsvertrag aufgenommen, die Forschung in der
Grünen Gentechnik zu fördern. Freilandversuche sind
die Voraussetzung, um verlässliche, wissenschaftlich
fundierte Erkenntnisse zu folgenden Fragestellungen zu
erlangen: Erkenntnisse zur Koexistenz – Anbauabstände,
Nachbarkulturen, Mantelsaat etc. –, Auswirkungen auf
das Bodenleben, Basisdaten und Fakten für die „Gute
landwirtschaftliche Praxis“ und praktikable Haftungsre-
gelungen.
Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass
ein Hauptargument der Gentechnikgegner immer war,
die Gentechnik sei nicht genug erforscht und es gebe zu
wenig Versuchsergebnisse, um die ökologischen Aus-
wirkungen durch den Anbau von GVO-Pflanzen umfas-
send beurteilen zu können. Genau dem helfen wir nun
ab. Wir tun also etwas zur Beruhigung der Gegner!
Drittens. Was können wir nun zum besseren Schutz
der Felder tun? Hier muss als erstes über das Standortre-
gister gesprochen werden. Es dient leider in der jetzigen
Form auch den Zerstörern der Versuchsfelder als verläss-
licher Wegweiser.
Wir müssen uns also fragen, ob die Einschränkung der
öffentlichen Zugänglichkeit der Standortregister eine Lö-
sung wäre. Ich stelle dies infrage, da unser Ziel bei der
Gentechnik sein muss, die öffentliche Akzeptanz zu ver-
bessern. Wenn wir die öffentliche Zugänglichkeit aber
einschränken, wirkt das, als gebe es etwas zu verbergen.
Das ist aber nicht der Fall. Wir stehen zur Öffentlichkeit
des Registers. Aber: Wir müssen die Wegweiserfunktion
entschärfen. Hierzu könnte man beispielsweise die ge-
naue Bezeichnung des Feldes oder Flurstücks streichen
und nur die Gemeinde nennen. Aber die Diskussion ist
noch völlig offen.
Viertens. Stichwort Akzeptanz und Kommunikation:
Die Ängste in der Bevölkerung gegenüber modernen
Technologien müssen sehr ernst genommen werden.
Ängste basieren meist auf fehlenden verständlichen In-
formationen. Die Bürger unseres Landes müssen endlich
sachlich aufgeklärt werden und wissenschaftlich fun-
dierte Fakten über die Grüne Gentechnik und die Zielset-
zungen der Freilandversuche erhalten.
Viele Ängste wurden und werden immer noch durch
sehr einseitige, überzogene Risikodarstellungen durch
Organisationen verursacht, die bewusst und absichtlich
die Grüne Gentechnik ablehnen, ja diese bekämpfen!
Eine Abwägung zwischen Chancen und Risiken kann
aber nur in angst- und ideologiefreiem Klima stattfinden.
Fünftens. Wir stimmen in vielen Punkten mit der FDP
überein, die aber im Wesentlichen schon erfüllt wurden.
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en Antrag halten wir aber in der vorgelegten Form
icht für zustimmungsfähig, und zwar aus folgendem
rund: Zuständig für die öffentliche Sicherheit und Ord-
ung in Deutschland und damit für die Unversehrtheit
er Versuchsfelder ist nicht der Bund, sondern die Län-
er. Der Antrag ist folglich abzulehnen!
Elvira Drobinski-Weiß (SPD): Ein solch überflüssi-
er Antrag wie der vorliegende ist mir selten unterge-
ommen; ich fasse mich deshalb kurz: Ich weiß nicht,
arum Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der
DP, zum wiederholten Mal den Eindruck zu erzeugen
uchen, Feldzerstörungen seien politisch motivierte
kte. Damit machen doch gerade Sie die Täter zu Mär-
yrern und ermöglichen denen, dass sie plumpe Sachbe-
chädigung als „große Tat im Dienste eines höheren
iels“ verkaufen können. Dass Sie Zeit und Energie da-
ür aufwenden, zu beobachten und zu dokumentieren,
er sich hier wie und wie deutlich von solchen Zerstö-
ungsakten distanziert, wundert mich auch. Ich gehe
icht davon aus, dass irgendjemand in diesem Saal mit
olchen Feldzerstörungen in Zusammenhang gebracht
erden kann. Trotzdem – zu Ihrer Beruhigung und um
ns weitere Debatten dieser Art zu ersparen – sage ich
as hier noch mal ganz deutlich und im Namen meiner
raktion: Wir distanzieren uns von Feldzerstörungen.
ie Zerstörung fremden Eigentums verurteilen wir, da-
it haben wir nichts zu tun, und wir machen auch nicht
it, wenn solche Debatten wie die heutige hier letztend-
ich den Tätern in die Hände spielen, die ihr Tun umso
tärker als politisch motiviert verkaufen werden.
Wir machen aber auch nicht mit, wenn solche Vorfälle
azu benutzt werden sollen, Geheimniskrämerei zu
echtfertigen. Damit meine ich Forderungen nach Ein-
chränkung des öffentlichen Standortregisters mit der
lurstückgenauen Angabe der Freisetzungsflächen, wie
s seit Februar 2005 auf den Internetseiten des BVL für
lle einsehbar ist. Es gibt keinen Zusammenhang zwi-
chen Feldzerstörungen und transparentem Standortre-
ister. Auf eine entsprechende Anfrage der Grünen lau-
et die Antwort der Bundesregierung: „Es konnte im Jahr
005 kein Anstieg der Anzahl der Feldzerstörungen von
reisetzungsversuchen mit gentechnisch veränderten
flanzen festgestellt werden.“ Damit wäre eigentlich al-
es gesagt.
Umso erstaunlicher ist es dann, in einer Presseinfor-
ation der FDP-Fraktion vom 11. Dezember 2006 zu le-
en: „Die durch das Gentechnikgesetz gewährte Trans-
arenz ist missbraucht worden. Deshalb muss die
ffentlichkeit des Anbauregisters eingeschränkt wer-
en.“ Ich will natürlich vollständig zitieren. Der voraus-
egangene Satz der Presseinformation lautet: „Die Zahl
er Feldzerstörungen hat sich in diesem Jahr gegenüber
004 verfünffacht.“ Nun gibt es das öffentliche Anbau-
egister – wie gesagt – erst seit Februar 2005. Ich weiß
icht, woher die Zahlen der FDP stammen, aber wenn
ch der Auskunft der Bundesregierung glaube – und das
ue ich –, dann stagniert die Zahl seit Einführung des öf-
entlichen Registers. Also muss dieser enorme Anstieg
n Feldzerstörungen vor Einführung des transparenten
tandortregisters stattgefunden haben. Das wäre dann ei-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006 7475
(A) )
(B) )
gentlich ein weiteres Argument für die Transparenz,
denn damit wäre ja dann der Trend zum rasanten Anstieg
der Feldzerstörungen gestoppt worden!
Wegen der unsicheren Herkunft der Daten will ich es
aber dabei bewenden lassen; denn es gibt noch andere
gute Gründe für die Transparenz. Das flurstückgenaue
Standortregister hat sich bewährt. Die transparente Lö-
sung ist unbürokratisch und für alle unmittelbar und mit-
telbar Betroffenen am leichtesten handhabbar. Sie
schafft Vertrauen bei der Bevölkerung, und das ist der
Weg zu mehr Akzeptanz. Nicht unterschätzt werden
darf, welch enorme Erleichterung diese Transparenz für
Berufsstände wie zum Beispiel den Imker darstellt; na-
türlich auch für die Behörden, die nicht erst prüfen müs-
sen, ob jemand ein berechtigtes Interesse auf Informa-
tion hat.
Nicht nur Landwirte haben ein Interesse an solchen
Informationen, sondern auch Kleingärtner, Verarbei-
tungsindustrie, Handel sowie Imker und vor allem auch
die Verbraucher. Eine Einschränkung des öffentlich ein-
sehbaren Teils erleichtert nicht den GVO-Anbau, son-
dern erhöht die bürokratischen Lasten der Anbauenden
und der Verwaltung, weil alle Betroffenen ermittelt und
angeschrieben werden müssen.
Die FDP fordert den konstruktiven öffentlichen Dia-
log mit Gentechnikgegnern und Gentechnikbefürwor-
tern. Das ist ja an sich eine unterstützenswerte Forde-
rung. Ein solcher Dialog kann aber nur konstruktiv sein,
wenn er nicht auf Geheimniskrämerei setzt. Weniger
Transparenz im öffentlichen Register verträgt sich damit
nicht und ist gleichbedeutend mit mehr Bürokratie und
mit Einführung von neuen Informations-, Benachrichti-
gungs- und Dokumentationspflichten für die GVO-An-
bauer. Machen wir uns doch nichts vor: Feldzerstörun-
gen können durch eine Schränkung der Informationen
nicht verhindert werden, die Standorte für Freisetzungen
müssen auch ohne öffentliches Register angekündigt
werden und können zum Beispiel von Betroffenen veröf-
fentlicht werden. Sollen wir dafür die Transparenz
opfern und neues Misstrauen schaffen? Ich denke, nein;
damit ist niemandem gedient.
Wir lehnen den Antrag der FDP ab, denn die dort vor-
geschlagenen Maßnahmen sind nicht geeignet, die
Eigentumsrechte und die Forschungsfreiheit zu schüt-
zen.
Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Wir sprechen
heute über einen Antrag, der gar nicht nötig wäre, wenn
die Regierung die Skepsis oder Ablehnung der großen
Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger gegenüber der
Agro-Gentechnik respektieren würde.
Diese breite Ablehnung äußert sich in vielen Protest-
aktionen.
Anfang November bildeten 13 000 Luftballons in
Berlin den Schriftzug: „Gen-Food: Nein Danke!“ Es
gibt: Demonstrationen, Streitgespräche, Informations-
veranstaltungen und E-Mail- oder Postkartenaktionen.
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Kurzum: Die Menschen, die Agro-Gentechnik aus
ehr verschiedenen Gründen ablehnen, verschaffen sich
uf sehr unterschiedlichen Wegen Gehör, einige Wenige
uch durch die Vernichtung gentechnisch veränderter
aispflanzen. Meine Fraktion Die Linke hält das für
eine geeignete Protestform. Aber wir verstehen die
otschaft dieser so genannten Feldbefreiungen: Sie for-
ern uns zum Nachdenken auf. Zum Nachdenken da-
über, wie bedrohlich Menschen die Agro-Gentechnik
ahrnehmen!
Und das ist ja nicht unbegründet. Um nur ein paar
eispiele zu nennen: Der Reis LL601 gelangt europa-
eit in Lebensmittelregale, obwohl er angeblich nur in
inem kleinen wissenschaftlichen Versuch in den USA
ngebaut wurde und nicht zugelassen ist; es besteht zu-
indest das Risiko, dass Felder in der Umgebung konta-
iniert werden. Das entwertet das Erntegut der Nichtan-
ender. Haftung gibt es nur bei Verschulden;
ichtanwender müssen die Kosten für den Nachweis der
entech-Freiheit ihrer Ernte selbst bezahlen; auf dem
cker verbleibendes Erntegut entwertet Pachtflächen
nd gentechnisch veränderte DNA wird in Honig nach-
ewiesen, Imker bekommen daher Vermarktungspro-
leme.
Kann man nicht verstehen, dass sich Menschen gegen
ine solche Gefahr wehren, wenn die Politik sie nicht
urch Gesetze schützt? Eines habe ich aus meiner eige-
en Geschichte gelernt: Statt nur über die Art und Weise
es Protestes zu debattieren ist jede Regierung gut bera-
en, solche Aktionen als Warnsignal ernst zu nehmen.
er Versuch, die berechtigten Proteste zu kriminalisie-
en, löst das Problem nicht. Viel klüger wäre es, die da-
inter stehenden Ängste und Sorgen endlich ernst zu
ehmen. Es gibt aus Sicht der Linken, eine viel wirksa-
ere Form des Protests: die Bildung von Gentechnik-
reien Regionen oder Kommunen. Sie ist ein bürger-
chaftliches, demokratisches Mittel des Widerstands.
aher unterstützen wir diese Lösung ausdrücklich und
ehr konkret vor Ort.
Die Regierung handelt auch bei diesem Thema nicht
m Interesse der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger.
nders als zum Beispiel kürzlich in Südtirol – hier sucht
ie Regierung nach Möglichkeiten eines europarechts-
onformen Wegs ohne Agro-Gentechnik. Bis dahin ist
er Anbau über ein Moratorium verboten. In der
chweiz besteht das Moratorium nach einer Volksbefra-
ung.
Die Bundesregierung versucht stattdessen, das Volk
it zwei Versprechen im Koalitionsvertrag zu beruhi-
en: Erstens. Die Sicherung der Wahlfreiheit der Ver-
raucherinnen und Verbraucher und, zweitens, die Si-
herung der Koexistenz zwischen Anwendern und
ichtanwendern.
Die Realität sieht anders aus: Erstens. Es gibt keine
irkliche Wahlfreiheit bei Lebensmitteln: Gentechnik-
rei heißt nicht wirklich frei, sondern eine zufällige Kon-
aminationen bis zu 0,9 Prozent, und weder Milch noch
ier sind gekennzeichnet, wenn genetisch veränderte
uttermittel verwendet werden.
7476 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006
(A) )
(B) )
Zweitens. Koexistenz ist auf Dauer nicht zu sichern
und sehr teuer – aufgrund der großen Anzahl nicht oder
kaum kontrollierbarer Verschleppungsrisiken, wie zum
Beispiel Wind, Insekten, verunreinigte Erntetechnik,
Transportverluste, Resternte auf dem Feld, Eintragsrisi-
ken in die Produktionskette etc. Das war auch die über-
wiegende Meinung der Experten in unserer Ausschuss-
anhörung zur Koexistenz vor wenigen Wochen.
In einer Aussage würde ich Minister Seehofer unter-
stützen. Er will keinen Krieg in die Dörfer tragen, sagte
er im Sommer. Aber wer das nicht will, darf auch nicht
an der Lunte zündeln, sondern muss sich auf die Seite
der Mehrheit stellen.
Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wie-
der einmal verschwendet die FDP unsere Zeit mit einem
Antrag, den wir in steter Regelmäßigkeit aufs Neue von
den Liberalen präsentiert bekommen. Das Ziel dieses
Antrags ist es, die Kritik an der Gentechnik zu kriminali-
sieren und – entgegen dem Willen der Mehrheit der Be-
völkerung – den Verbrauchern die Agrogentechnik auf-
zudrängen.
Es ist unlauter, wenn Sie in ihrem Antrag davon re-
den, der Herr Minister Seehofer würde sich dadurch von
seiner Vorgängerin unterscheiden, dass er kriminelle
Handlungen verurteile. An dieser Stelle haben wir schon
einmal über diese dreiste Unterstellung verhandelt. Ende
Januar 2004 haben Sie schon einmal versucht, Frau
Künast etwas unterzujubeln, was sie nicht gesagt hat.
Aber auch diesmal läuft ihr Versuch ins Leere. Die Un-
terschiede zwischen der Verbraucherschutzministerin
Künast und ihrem Nachfolger Seehofer sind himmel-
weit, aber an diesem Punkt werden sie keinen Unter-
schied feststellen oder herbeireden können. Feldzerstö-
rungen sind gesetzeswidrige Handlungen – und als
solche lehnen wir Grüne sie kategorisch ab.
Zur inhaltlichen Kritik an diesem Antrag: Es ist of-
fensichtlich, dass Sie sich im Vorfeld dieses Antrages
scheinbar nicht ausreichend über die angeblich so stark
angestiegene Zahl der Feldzerstörungen informiert ha-
ben.
Wir haben die Bundesregierung gebeten, einmal ge-
nauer aufzuschlüsseln, wie viele Feldzerstörungen es bei
Freisetzungsversuchen seit dem In-Kraft-Treten des
Gentechnikgesetzes 1990 gab, und zu beurteilen, ob es
einen Zusammenhang zwischen der Einführung des
Standortregisters im Jahr 2005 und der Anzahl der Feld-
zerstörungen gibt. Die Antwort der Regierung ist ein-
deutig: „Es konnte im Jahr 2005 kein Anstieg der Anzahl
der Feldzerstörungen von Freisetzungsversuchen mit
gentechnisch veränderten Pflanzen festgestellt werden.“
Und auch auf die Frage, ob es wegen des Standortregis-
ters im Jahr 2005 vermehrt zu Zerstörungen von Wert-
prüfungsstandorten gekommen ist, antwortet uns die Re-
gierung: „Im Jahr 2005 hat es keine Feldzerstörungen
von Wertprüfungen des Bundessortenamtes mit gentech-
nisch veränderten Sorten gegeben.“
Fakt ist: In den letzten Monaten kommen immer mehr
Informationen darüber zutage, dass das Bundessorten-
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mt jahrelang Sortenprüfungen von gentechnisch verän-
erten Pflanzen durchgeführt hat – ohne Wissen der Öf-
entlichkeit. Mit einer gewissen Häme wird nun darauf
erwiesen, dass diese geheimen Sortenprüfungen ja auch
chon in der rot-grünen Regierungszeit stattgefunden
ätten. Das stimmt – denn bis 2005 – also bis zum In-
raft-Treten des neuen Gentechnikgesetzes mit dem öf-
entlichen Standortregister – fehlte schlicht die Rechts-
rundlage dafür, diese Standorte zu veröffentlichen. Die
eheimhaltung der Standorte durch das Bundessorten-
mtes war nur möglich, weil wir bis 2005 kein öffentli-
hes und transparentes Standortregister im Gentechnik-
esetz hatten.
Gerade der Fall der Wertprüfungsstandorte zeigt: je
ehr Geheimhaltung, desto mehr Feldzerstörungen!
ies ergibt sich auch aus den Antworten der Regierung
uf unsere Fragen. Denn erst nachdem im Sommer 2006
iele Landwirte unter anderem in NRW, aber auch in
essen und anderen Bundesländern sich zu Recht da-
über empörten, dass jahrelang ohne ihr Wissen vom
undessortenamt Wertprüfungen von gentechnisch ver-
nderten Sorten durchgeführt wurden, nahmen die Feld-
erstörungen zu.
Wann und wo es zur Zerstörung von Feldern mit gen-
echnisch veränderten Pflanzen kommt, ist also offen-
ichtlich eine Frage der öffentlichen Debatte. Die Ge-
eimhaltung – und nicht die Transparenz des
tandortregisters – ist meines Erachtens ein Grund für
eldzerstörungen. Darum darf die Transparenz des Stand-
rtregisters, wie unter rot-grün geschaffen, nicht einge-
chränkt werden.
Dennoch bietet dieser Antrag auch die Möglichkeit,
inige Dinge ins rechte Licht zu rücken. Die Antragstel-
er von den Liberalen beklagen, dass die Feldzerstörun-
en zu einem mutmaßlichen Schaden von circa 1 Mil-
ionen Euro geführt haben. Dabei verursacht die
grogentechnik selbst derzeit nicht nur mutmaßliche,
ondern reale wirtschaftliche Schäden – zum Beispiel
urch die gentechnische Verunreinigung von Reis, aber
uch durch die Kosten, die der Lebensmittelwirtschaft
nd dem Steuerzahler durch die Testkosten aufgebürdet
erden, wenn sie – und das wollen derzeit die meisten,
gal ob konventionell oder ökologisch – ohne den Ein-
atz von gt-Pflanzen arbeiten wollen.
Darüber hat man die FDP noch nie klagen hören!
ehmen wir nur das Beispiel Gentech-Reis, welches uns
n jüngsten Zeit viel beschäftigt hat Nach Auskunft der
undesregierung beläuft sich der Schaden, der durch
entechnische Verunreinigungen von Reis entstanden
st, auf rund 10 Millionen Euro. Denn es mussten etwa
0 000 Tonnen Reis und eine Vielzahl von reishaltigen
rodukten in einer Rückrufaktion aus dem Verkehr gezo-
en werden, weil illegal nicht zugelassene gentechnisch
eränderte Produkte in Umlauf gebracht wurden. Hier-
ei handelt es sich um eine Straftat!
Wir brauchen keinen Bericht der Regierung über die
olgen von Zerstörungen auf die Hightechstrategie der
egierung, wie die FDP in ihrem Antrag fordert. Was
ir wirklich brauchen, ist, dass die Regierung endlich ei-
en Fortschrittsbericht zum Stand öffentlich finanzierter
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006 7477
(A) )
(B) )
Aktivitäten im Zusammenhang von Erforschung, Zulas-
sung, Anbau und Vermarktung von gentechnisch verän-
derten Pflanzen vorlegt, wie ihn das Büro für Technik-
folgenabschätzung in dem Bericht „Gentechnisch
veränderte Pflanzen der 2. und 3. Generation“, Drucksa-
che 16/121, sowie auf der Fachanhörung des For-
schungsausschusses am 22. Juni 2006 vorgeschlagen
hat.
Der Generalsekretär der CSU, Markus Söder, hat in
einem Artikel zur Gentechnik aus dem Juni diesen Jah-
res gefordert, „dass für uns die Sicherheit vor bloßen
Kommerz geht.“ Da kann ich ihm nur zustimmen. Diese
Frage genießt aber in der Forschungspolitik, die von der
Regierung betrieben wird, anscheinend keine Priorität.
Biologische Sicherheitsforschung findet unsere volle
Zustimmung, denn, wie sich GVO auf die Biodiversität
auswirken, und wie man die Umwelt vor Verunreinigun-
gen mit Risikostoffen schützen kann, sind für Bündnis 90/
Die Grünen wesentliche Fragen, die eingehender Studien
bedürfen. Unter biologischer Sicherheitsforschung wer-
den den Bürgern aber auch Projekte verkauft, die nicht
im entferntesten diesen Zielen dienen, sondern nur dar-
auf abzielen, die Produktentwicklung zu fördern und die
Bevölkerung zu manipulieren. Wir brauchen weniger PR
für Gentechnik, sondern mehr qualitativ anspruchsvolle
Forschung, welche die Risiken dieser Technologie
durchleuchtet.
Deswegen ist nach Meinung von Bündnis 90/Die Grü-
nen ein Gentechnik-Moratorium nach Vorbild der Schweiz
auch für Deutschland angebracht Denn solange wir nicht
im Bilde sind über die Langzeitfolgen der Agro-Gentech-
nik kann man nicht guten Gewissens einen derart gravie-
renden Eingriff in die Natur rechtfertigen. Deshalb lauten
unsere Forderungen an die Bundesregierung:
– den Ausbau der ökologischen Landbauforschung,
denn die angeblichen Vorteile der GVO wie Schäd-
lingsresistenzen und höhere Erträge, lassen sich viel
leichter über natürliche Züchtungen verfolgen,
– die Festlegung von Regeln der Gute Fachliche Praxis,
die sicherstellen, das ökologischer und konventionel-
ler Landbau weiterhin gentechnikfrei möglich sind,
das heißt zum Beispiel bei Abstandsregelungen den
Bestandsschutz der gentechnikfreien Landwirtschaft
Vorrang gegenüber der Agrogentechnik einzuräumen,
– die Schaffung eines internationalen unabhängigen
Datenbanksystems für Freisetzungsversuche weiter
voran zu treiben, damit illegal in Umlauf gebrachten
GVO schnell und zuverlässig auf den Verursacher zu-
rückgeführt und geeignete Gegenmaßnahmen getrof-
fen werden können, und
– die ablehnende Haltung der Mehrheit der Bevölke-
rung gegenüber der Gentechnik auch aufseiten der
Regierung endlich zur Kenntnis zu nehmen und ein
Gentechnik-Moratorium auf den Weg zu bringen.
Ich bin skeptisch, ob es uns weitere Anträge wie die-
ser erspart bleiben werden, der so weit an den dringen-
den Problemen der Landwirtschaft und der Verbraucher
vorbeigeht. Bitte behelligen Sie uns nicht weiter mit
solch lächerlichen Anträgen, sondern unterstützen Sie
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ns bei dem Ziel nachhaltige Landwirtschaft und ge-
unde Lebensmittel in Deutschland und der Welt zu för-
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Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Großen Anfrage: Haltung der
Bundesregierung zur Europäischen Dienstleis-
tungsrichtlinie (Tagesordnungspunkt 27)
Kurt Bodewig (SPD): Es gab kaum ein anderes eu-
opapolitisches Thema in den letzten Monaten, ja in den
etzten zweieinhalb Jahren, das die öffentliche Diskus-
ion derart bestimmt hat wie die Dienstleistungsricht-
inie. Endlich – so sage ich als Europapolitiker – hat
uropa mal in abendlichen Diskussionsrunden im Fern-
ehen und in der Tagesschau eine ausführliche Rolle ge-
pielt und Menschen konnten nachvollziehen, dass
uropa sie unmittelbar betrifft. Anfangs waren es die ne-
ativen Schlagzeilen über das vom liberalen Kommissar
olkestein beabsichtigte so genannte Herkunftslandprin-
ip, erhitzte Debatten wurden geführt. Dieses Prinzip hat
u Massendemonstrationen in nahezu allen Hauptstädten
er EU – allen voran in Brüssel – geführt. Erstmals ging
ie öffentliche Auseinandersetzung um dieses europäi-
che Thema über die spezifischen Probleme und Interes-
en einzelner Wirtschaftssektoren oder bestimmter Be-
ufsgruppen hinaus.
Nun ist aber endgültig der Weg für die Dienstleis-
ungsrichtlinie frei. Das Herkunftslandprinzip wurde
ufgrund sozialdemokratischer Initiative an dieser Stelle
us der DLR entfernt. Nach dem Europäischen Parla-
ent hat nun auch der Ministerrat über die Richtlinie
ntschieden. Damit wurde eines der wichtigsten wirt-
chaftspolitischen Projekte der EU im Rahmen der Ver-
irklichung der Lissabon-Strategie abgeschlossen, die
ffnung des Dienstleistungsmarktes für alle Staaten in
er EU – ohne Restriktionen und Inländer-Diskriminie-
ung.
Ich möchte an dieser Stelle unserer Berichterstatterin
m Europäischen Parlament, der sozialdemokratischen
bgeordneten Evelyne Gebhardt, ganz herzlich unseren
ank aussprechen. Evelyne Gebhardt hat großartige Ar-
eit im Rahmen der Verhandlungen zur Erzielung eines
ompromisses geleistet. Sie hat uns kontinuierlich über
hre Arbeit informiert und wir waren stets im Bilde da-
über, was SPD-Fraktion und das EP auch in unserem
inne tun, um den europäischen Binnenmarkt voran zu
ringen. Evelyne Gebhardt hat sich immer offen gegen
en horizontalen Ansatz der Kommission und gegen das
erkunftslandprinzip ausgesprochen und sie hat bereits
u Beginn der Verhandlungen auf massive Änderungen
epocht. Sie hat sowohl zwischen den Fachausschüssen
es EP als auch zwischen den politischen Fraktionen und
en nationalen Gruppen intensiv zu vermitteln versucht
nd nach Kompromissmöglichkeiten gerungen. Meines
rachtens zeigt der Verhandlungsprozess um die Richt-
inie die Bedeutung der politischen Gestaltungsmacht
7478 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006
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des Europäischen Parlaments, gerade auch im intensiven
Dialog mit den nationalen Parlamenten.
Nach Zustimmung im Rat kann nun die Richtlinie in
den nächsten Wochen in Kraft treten. Bis die geplanten
Erleichterungen tatsächlich greifen können, sind jedoch
noch zahlreiche Umsetzungsmaßnahmen notwendig. In
spätestens drei Jahren muss die Umsetzung allerdings er-
folgt sein. Wir werden die Bundesregierung regelmäßig
auffordern, zum Verlauf der Umsetzungsmaßnahmen
Stellung zu nehmen.
Insgesamt kann ich sagen, dass wir einen guten Kom-
promiss erzielt haben. Die Öffnung des Binnenmarktes
für Dienstleistungen war sowohl europarechtlich erfor-
derlich als auch politisch und ökonomisch gewollt. Die
Richtlinie ist unverzichtbar, um die vorhanden Hemm-
nisse für den freien Dienstleistungsverkehr abzubauen.
Nur so kann Wirtschaftswachstum generiert werden und
können neue Arbeitsplätze entstehen.
Der Hauptkonfliktpunkt, das Herkunftslandprinzip,
wurde gestrichen und durch eine „Bestimmung über die
Dienstleistungsfreiheit“ ersetzt. Diese besagt, dass das
Zielland für eine freie Aufnahme und Ausübung der
Dienstleistung zu sorgen hat, unabhängig von den Be-
stimmungen des Herkunftslands.
Auch wurde der Anwendungsbereich der Richtlinie
gegenüber dem ursprünglichen Entwurf deutlich einge-
schränkt. Ausgenommen sind nun alle Dienstleistungen,
für die es bereits spezielle EU-Regelungen gibt, wie
Finanz- und Verkehrsdienstleistungen, Telekommunika-
tion und Hafendienste. Ebenso sind ausgenommen Nota-
riatsdienstleistungen und private Sicherheitsdienste.
Auch die Dienstleistungen von allgemeinem Interesse
und soziale Dienstleistungen fallen nicht mehr in den
Anwendungsbereich. Ich freue mich über unseren Er-
folg, denn wir Sozialdemokraten treten für eine Siche-
rung der Daseinsvorsorge in Deutschland ein. Auch wer-
den das nationale Arbeitsrecht und Steuerwesen sowie
staatliche Bildungseinrichtungen nicht berührt.
Die Aufnahme und Ausübung von Dienstleistungen
insbesondere für ausländische Anbieter wird durch die
Richtlinie enorm erleichtert. Durch die Einrichtung so
genannter Einheitlicher Ansprechpartner – „one-stop-
shops“ – in den nationalen Verwaltungen verfügen die
Dienstleistungserbringer über eine Kontaktstelle, über
die alle Verfahren und Formalitäten abgewickelt werden
können.
Auch wir werden von der neuen Richtlinie profitie-
ren. So ist auch in Deutschland der Dienstleistungssektor
ein besonders dynamischer Wirtschaftsbereich, der hohe
Wachstumspotenziale und Beschäftigungsanreize birgt.
Abschließend möchte ich nochmals betonen, dass es
unser Auftrag war, die EU-Dienstleistungsrichtlinie so-
zial zu gestalten. Dies ist uns gelungen. Wir beteiligen
uns seit Beginn der Debatte im Jahr 2004 kritisch und
konstruktiv an der Gestaltung einer sozial ausgewogenen
Dienstleistungsrichtlinie. Ich sage an dieser Stelle noch
einmal: Wer nicht bereit ist, Verantwortung zu überneh-
men, kann auch nicht mitgestalten!
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Doris Barnett (SPD): In Europa hat die Dienstleis-
ungsrichtlinie mit dem 15. November 2006 nun alle
ürden genommen. Die Mitgliedstaaten, damit auch ins-
esondere wir im Parlament, haben nun die Aufgabe, die
ichtlinie innerhalb der nächsten drei Jahre in nationales
echt umzusetzen.
Für die Europäische Kommission gehört die Dienst-
eistungsrichtlinie zu den wichtigsten Teilen der Lissa-
onstrategie, die ja das Ziel hat, Europa bis zum Jahr
010 zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten
irtschaftsraum der Welt zu machen. Ob dieses Ziel er-
eicht wird, mag jetzt dahingestellt sein. Aber wichtig
st, dass wir auch Bewegung und damit Wettbewerb im
ienstleistungssektor brauchen.
Nun war der Bolkestein-Entwurf wirklich nicht dazu
ngetan, auf Verständnis oder gar Zustimmung in vielen
ändern zu stoßen. Deshalb löste er ja auch sofort Dis-
ussionen, Proteste, Ablehnung aus. Dank dem Einsatz
er Berichterstatterin im Europäischen Parlament,
velyne Gebhardt, aber auch der guten Zusammenarbeit
eutscher und französischer Parlamentarier gelang es,
ass die Richtlinie im parlamentarischen Prozess mas-
ive Veränderungen erfuhr.
Die heute zu behandelnde Große Anfrage der Frak-
ion Die Linke von vor einem Jahr geht allerdings – wie
uch ihr Antrag für die Anhörung – von dem ursprüngli-
hen Bolkestein-Entwurf aus, ist somit obsolet und auch
eitlich überholt. Inhaltlich hat sich so viel bewegt, wie
an es zu Beginn der Diskussion gar nicht erwarten
onnte. Die Antragsteller tun ja so, als brauche man nur
ut zu verhandeln und alles wird gut. Tatsache ist aber
ach wie vor, dass Deutschland nur eines von 25 Län-
ern ist und wir in Brüssel nicht „durchregieren“ kön-
en, also Rücksicht zu nehmen haben. In vielen Staaten,
esonders den neuen Mitgliedern, fielen deshalb unsere
edenken auf Unverständnis. Dass die Richtlinie dank
es Verhandlungsgeschicks und der Ausdauer und Hart-
äckigkeit von Evelyne Gebhardt und ihren Mitstreitern
och noch zu einem guten Ende geführt werden konnte,
arüber können wir uns auch wirklich einmal freuen.
Jetzt allerdings gilt es, die Richtlinie europaweit in
ationales Recht umzusetzen. Damit eröffnet sich für die
eutsche Dienstleistungswirtschaft die Möglichkeit, die
hancen des EU-Dienstleistungsmarktes optimal zu nut-
en. Denn bisher haben etliche nationale Regelungen
en europaweiten Austausch von Dienstleistungen ein-
eschränkt. Ich bin überzeugt, dass Deutschland von der
arktöffnung profitieren wird, weil hier ein deutlicher
achholbedarf besteht und es hier auch Wachstums-
otenziale gibt.
Es ist gelungen, die Richtlinie so auszugestalten, dass
ie eine Symbiose darstellt zwischen den Interessen der
rbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und der Verbrau-
herinnen und Verbraucher auf der einen Seite und den
nteressen der Wirtschaft auf der anderen Seite. Den
enschen auch bei der Dienstleistungsrichtlinie in den
ittelpunkt der politischen Zielsetzung zu stellen – das
st gelungen. Dabei wurde nicht vergessen, dass auch die
irtschaft, die Dienstleister einen Gewinn haben müs-
en.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006 7479
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Eine Erkenntnis allerdings können wir Parlamentarier
aus dem Verfahren um die Dienstleistungsrichtlinie al-
lerdings ziehen: Die Beratungen in der Kommission, im
Rat und im Europaparlament wurden begleitet durch
zum Teil heftige Diskussionen in den Nationalparlamen-
ten, allen voran Frankreich und Deutschland. Die De-
monstrationen der Gewerkschaften haben gerade der
Kommission und dem Rat deutlich gemacht, wie wichtig
zur Akzeptanz eines europäischen Vorhabens die Fähig-
keit ist, auf berechtigte Forderungen der Betroffenen mit
Kompromissen einzugehen. Der Platz, an dem die Kom-
promisse formuliert und letztlich auch durchgesetzt
wurde, war dann das Europaparlament. Ich begrüße es
gerade aus Demokratieüberlegungen heraus, dass es hier
zu einer gewissen Machtverschiebung von der Kommis-
sion und vom Rat hin zum Europaparlament gekommen
ist – wenn auch nicht freiwillig; das Europaparlament
hat dafür heftig und letztlich erfolgreich gestritten. Der
Umstand, dass SPD und EVP hier ganz gut kooperierten,
kam Gewinn bringend hinzu.
Ich glaube, dass gerade das Verfahren um die Dienst-
leistungsrichtlinie beispielhaft gezeigt hat, wie Europa
besser funktionieren und auch eine höhere Akzeptanz er-
fahren könnte: Es ist das demokratische Zusammenspiel
der Nationalparlamente mit dem Europaparlament. Na-
türlich werden auch die Kommission und der Rat seine
Bedeutung behalten. Aber die stärkere Einbindung des
parlamentarischen Prozesses führt auch direkt zu einer
Legitimation von Regelungen, die die Vorschläge der
Kommission sicherlich nicht in dem Umfange haben.
Martin Zeil (FDP): Ich sehe, ehrlich gesagt, wenig
Sinn darin, noch einmal über die Dienstleistungsricht-
linie zu diskutieren. Die Messen in dieser Frage sind ge-
lesen, seit das EU-Parlament am 15. November die
Dienstleistungsrichtlinie verabschiedet hat. Jetzt bleibt
eigentlich nur noch, die Richtlinie in nationales Recht
umzusetzen.
Unsere Position in dieser Frage dürfte inzwischen
hinlänglich bekannt sein. Wir sind der Meinung, dass die
Richtlinie im Ergebnis jahrelangen Meinungsstreites ge-
genüber dem Ursprungsentwurf des früheren Wettbe-
werbskommissars Bolkestein bis zur Unkenntlichkeit
verwässert wurde.
Die notorischen Bedenkenträger und Wettbewerbs-
verhinderer in der EU haben sich leider durchgesetzt und
nicht nur das Herkunftslandprinzip weitgehend ausgehe-
belt, sondern auch in vielen anderen Bereichen dafür
gesorgt, dass auf dem Dienstleistungsmarkt, wenn über-
haupt, nur ein schaumgebremster Wettbewerb stattfin-
det.
Die ganze Diskussion war geprägt von protektionis-
tischen Tendenzen, obwohl sich im Wirtschaftsleben an
vielen Stellen gezeigt hat, dass dies durchweg negative
Auswirkungen hat. Warum zum Beispiel die Dienstleis-
tungen im Gesundheitswesen, der Altenpflege sowie in
der Kinderbetreuung von der Richtlinie ausgenommen
wurden, bleibt völlig unerfindlich. Hier gibt es eindeutig
Angebotsdefizite in Deutschland, die man durch Leis-
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ungen aus den Mitgliedstaaten hätte kompensieren kön-
en, was dem Verbraucher zugute gekommen wäre.
Die Folgen des Protektionismus werden sich schon
ald offenbaren: Die Entstehung neuer wirtschaftlicher
ynamik auf dem Zukunftsmarkt Dienstleistungen wird
erhindert, die Schaffung neuer Arbeitsplätze unmöglich
emacht.
Insbesondere Deutschland, den derzeit größten
xporteur von Dienstleistungen in Europa, wird dies in
esonderem Maße treffen. Dass das Ganze unter dem
eckmantel „sozial“ geschieht, den die Konservativen
ie die Sozialisten wie eine Monstranz vor sich hertra-
en, ist ebenso tragisch wie schizophren. Die Linken ha-
en im Meinungsbildungsprozess wieder einmal eine be-
onders unrühmliche Rolle gespielt. Sie schürten, wo
mmer sie konnten, im Verein mit den Gewerkschaften
ngste in der Bevölkerung. Geradezu gebetsmühlenartig
prachen sie vom angeblich drohenden Lohn-und So-
ialdumping, ein Totschlagsargument, mit dem versucht
urde, jeden sachlichen Dialog im Keim zu ersticken.
Es ist im Gefolge dieser beispiellosen populistischen
ampagne zu Großdemonstrationen in Brüssel und zu
iner tief greifenden Verunsicherung aller Beteiligten ge-
ommen. Sowohl der Rat als auch die Kommission wa-
en weitgehend paralysiert. Im Rat taten sich Deutsch-
and und Frankreich eher bei der Organisierung einer
lockademinderheit als bei der Bildung einer Gestal-
ungsmehrheit hervor. Zum eigentlichen Ort der Verstän-
igung entwickelte sich schließlich das Europäische Par-
ament.
Der gefundene Kompromiss ist, wie das Kompro-
isse oft an sich haben, in vieler Beziehung unbefriedi-
end. In zentralen Fragen des Anwendungsbereichs und
es Herkunftslandprinzips ist er teilweise wenig konkret.
Ein Beispiel: Die Mitgliedstaaten werden verpflichtet,
ie freie Ausübung der Dienstleistungstätigkeit in ihrem
oheitsgebiet zu gewährleisten. Sie dürfen aber natio-
ale Auflagen vorgeben, um die öffentliche Sicherheit
nd Ordnung zu gewährleisten. Diese nationalen Regeln
üssen „verhältnismäßig und erforderlich“ sein. Ob sie
as im Einzelfall sind, entscheidet die Verwaltung vor
rt, von deren Interpretation und Auslegung viel abhän-
en wird.
Die Richtlinie ist insgesamt voller Rechtsunsicherhei-
en und unklarer Begriffe, die man hätte vermeiden kön-
en, wenn man das Herkunftslandprinzip konsequent an-
ewendet hätte. Dann müsste man sich nicht darüber
treiten, was denn nun Dienstleistungen von allgemei-
em Interesse oder Dienstleistungen in sozial sensiblen
ereichen sind. Das sind alles Definitionsfragen, die,
as ist vorhersehbar, zu unendlichen Streitereien führen
erden. Die Rechtsunsicherheiten werden zudem zu ei-
em Wust an Bürokratie führen, weil für die zahlreichen
usnahmen Regeln zu finden und umzusetzen sind, was
atürlich auch einen Beschäftigungseffekt hat, aber nicht
en, den man sich von der Dienstleistungsrichtlinie ei-
entlich erhofft hat.
Letztlich wird es wohl häufig der Rechtsprechung des
uGH überlassen bleiben, festzulegen, wie die Bestim-
7480 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006
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mungen im konkreten Einzelfall anzuwenden sind. Da-
mit wird der Gerichtshof einmal mehr in seiner Rolle als
Politik gestaltendes Verfassungsgericht der EU bestätigt.
Ich bedaure das, weil ich es für wesentlich besser halte,
wenn Politiker Politik gestalten, als wenn Richter es tun,
die dafür eigentlich gar kein Mandat haben.
Auf die Richter des EuGH wird also eine Menge Ar-
beit zukommen, aber auch die nationale Verwaltung
wird jetzt viel zu tun bekommen. Sie muss die deutsche
Rechtslage analysieren und auf ihre Vereinbarkeit mit
der europäischen Vorgabe überprüfen. Zudem muss sie
die einheitliche nationale Ansprechstelle für Dienstleis-
ter aus anderen Ländern, „one-stop-shop“ genannt,
schaffen. Das wird Zeit kosten und viel Geld.
Der Umsetzungszeitraum von drei Jahren erscheint
jedenfalls als sehr ambitioniert und ob er zu halten ist, ist
fraglich. Insbesondere ist offen, ob es Deutschland gelin-
gen wird, das E-Government bei Deutschland Online
fristgerecht auf- bzw. auszubauen und die Umsetzung
der Dienstleistungsrichtlinie dort mit einzubinden. Denn
es sind erhebliche Mengen an Daten zwischen den Insti-
tutionen der Mitgliedstaaten auszutauschen und abzu-
gleichen, ohne eine leistungsfähige elektronische Basis
ist das eine kaum lösbare Aufgabe.
Ulla Lötzer (DIE LINKE): Mit der Zustimmung zur
EU-Dienstleistungsrichtlinie hat das Europäische Parla-
ment eine umfassende Deregulierung, ein Sozial- und
Umweltdumping in großem Maßstab in die Wege gelei-
tet.
Eine Zeitlang sah es so aus, als würde die ursprüng-
liche Bolkestein-Richtlinie grundlegend geändert wer-
den – so groß war die Wut der Bürgerinnen und Bürger
über dieses Vorhaben. Die Änderungen am ursprüngli-
chen Entwurf, die mit viel Engagement und Protesten
von Gewerkschaften, Attac und anderen gesellschaftli-
chen Bewegungen durchgesetzt werden konnten, sind
wichtige Teilerfolge. Sie ändern aber leider nichts an der
grundsätzlichen Ausrichtung der Richtlinie gegen eine
Harmonisierung von Standards auf hohem Niveau, ge-
gen die Sicherung der öffentlichen Daseinsvorsorge und
gegen Umwelt- und Verbraucherschutz.
Wenn die Bundesregierung in der Antwort zu unserer
Großen Anfrage schreibt, die Dienstleistungsrichtlinie
würde die Bedingungen für alle verbessern, so spricht
die Realität eine andere Sprache: Mehr Wettbewerb, De-
regulierung und Privatisierung haben im Schnitt zu sin-
kenden Kosten und höheren Gewinnen geführt und das
durch Abbau von Arbeitsplätzen, Absenken von Real-
löhnen und einer Ausweitung der prekären Beschäfti-
gungsverhältnisse sowie zu höherer Konzentration, zur
Verfestigung von privaten Monopolen und Oligopolen.
Die Ergebnisse der Liberalisierung der Energiemärkte
spricht hier doch eine deutliche Sprache. Mit der Dienst-
leistungsrichtlinie wird diese Entwicklung enorm for-
ciert werden.
Die Anhörung im Wirtschaftsausschuss hat deutlich
gezeigt, dass die Richtlinie auch zu Rechtsunsicherheiten
und zu tiefen Eingriffen in die nationalen Rechtssysteme
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ühren wird. Rund 30 Anforderungen an Dienstleis-
ungserbringer müssen von den Mitgliedstaaten sofort
bgeschafft werden und weitere 60 dahin gehend über-
rüft werden, ob sie erforderlich sind.
Zwar haben insbesondere die Kolleginnen und Kolle-
en der SPD sich in der Anhörung an der kritischen Dis-
ussion beteiligt, ohne jedoch in einem einzigen Punkt
araus Konsequenzen zu ziehen.
Ein völlig unhaltbarer Zustand ist, dass nach dieser
ienstleistungsrichtlinie nicht einmal mehr nach dem
uchstaben in einem Land alle „vor dem Gesetz gleich“
ein werden. Das grenzt an politisch gewolltes Chaos
nd führt zu hoher Rechtsunsicherheit. Wie kann die
undesregierung denn einem inländischen Handwerker
egenüber rechtfertigen, dass dieser sich selbstverständ-
ich in allen Punkten an die deutschen Gesetze zu halten
at, sein Konkurrent aus einem anderen EU-Land, der
ier tätig wird, aber nicht? In der Antwort auf unsere
roße Anfrage schreibt die Bundesregierung, das sei
och kein Problem, weil der andere Anbieter ja schon
ie Gesetze seines Herkunftslandes einhalten müsse.
ies wird jedoch niemanden beruhigen, der einen Auf-
rag verliert, weil er teurer anbieten muss. Stufe zwei ist
och schon absehbar: die generelle Absenkung der An-
orderungen im Inland. Und dann haben wir die Harmo-
isierung in der EU auf das jeweils niedrigste Niveau.
Ein großes Problem wird die Einschränkung einer
irksamen Wirtschaftsaufsicht und Kontrolle der
ienstleistungserbringer. Die Kontrollrechte liegen zwar
ntgegen dem Ursprungsentwurf beim Zielland, werden
ber stark beschnitten. Es bleibt für nationale Behörden
öllig unklar, welche Vorschriften denn nun gelten:
enn Vorschriften des Ziellandes nach der Richtlinie für
nzulässig erklärt werden, gelten dann diejenigen des
erkunftslandes oder gar keine Vorschriften mehr?
berhaupt wird es in der EU zu 25 unterschiedlichen
uslegungen kommen. Mehr Rechtssicherheit für Ver-
raucherinnen und Verbraucher wird das nicht bringen
nd auch nicht für Unternehmen. Vom Dienstleister darf
ukünftig keine Registrierung, keine Genehmigung,
eine Zertifizierung und kein Beitritt zu einer Kammer
ehr verlangt werden.
Leider ist es nicht gelungen, dass alle Bereiche der öf-
entlichen Daseinsvorsorge aus der Richtlinie ausge-
ommen werden. Dazu sind die Aussichten auf profi-
able Geschäfte in Bereichen wie zum Beispiel
eiterbildung, Kindergärten, Alten- oder Behinderten-
flege zu verlockend. Diese Dienste am und für den
enschen sind jedoch ein Grundrecht und dürfen nicht
en Regeln eines freien Marktes überlassen werden.
Eines ist jedoch schon heute klar: Viele Aspekte re-
elt die Dienstleistungsrichtlinie nur sehr ungenau. Die
olge ist absehbar: Viele strittige Fragen werden an den
uropäischen Gerichtshof delegiert. Die politische Ge-
taltung Europas wird an den Europäischen Gerichtshof
bgetreten. Dass sich ein Parlament das gefallen lässt, ist
in Armutszeugnis für die Demokratie. Wie der Europäi-
che Gerichtshof entscheidet, wissen wir: konsequent
ugunsten der neoliberalen Wirtschafts- und Wettbe-
erbsdoktrin.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006 7481
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Jetzt kommt es darauf an, bei der nationalen Umset-
zung das Bestmögliche für die Bürgerinnen und Bürger
daraus zu machen. Gerade vor dem Hintergrund der
Richtlinie gewinnen ein gesetzlicher Mindestlohn und
die Ausweitung des Entsendegesetzes auf alle Branchen
noch einmal eine ganz neue Bedeutung. Nur so können
die Beschäftigten im Dienstleistungsbereich vor einem
Leben in Armut geschützt werden. Handeln Sie endlich.
Der Durchsetzung von gewerkschaftlichen Rechten im
grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr kommt
ebenso eine Schlüsselstellung zu wie der möglichst wei-
ten Beibehaltung von Kontroll- und strafrechtlichen
Sanktionsmöglichkeiten.
Die öffentliche Daseinsvorsorge muss soweit als
möglich vor jeder weiteren Privatisierung geschützt wer-
den. Die Bundesregierung fordern wir auf, einen Rechts-
folgebericht in die Wege zu leiten und dabei mit den
betroffenen Branchen und Gewerkschaften eine umfas-
sende Information vorzubereiten, die der Öffentlichkeit,
Betrieben und Selbstständigen zur Verfügung steht.
Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Die Dienstleistungsrichtlinie ist nach jahrelangem Tau-
ziehen vom Ministerrat und dem Europäischen Parla-
ment endgültig verabschiedet worden. Damit ist es nun
an der Zeit, losgelöst von den teilweise aufgeregten und
instrumentalisierten Debatten der vergangenen Jahre,
eine Bewertung der Richtlinie vorzunehmen.
Die Bewertung aus grüner Sicht lautet: Es hat zwar
lange gewährt, ist aber trotzdem nicht gut geworden.
Natürlich ist das, was jetzt verabschiedet wurde deutlich
besser als der ursprüngliche Vorschlag von Bolkestein. Et-
was Besseres als den Tod finden wir allemal, wussten
schon die Bremer Stadtmusikanten. Viel besser ist es
aber nicht geworden.
In einem typisch großkoalitionären Kompromiss
wurde keines der beiden Ziele erreicht: weder die Öff-
nung der Dienstleistungsmärkte einerseits noch der
Schutz nationaler Standards andererseits. Weil man sich
nicht einigen konnte, ob man nun links oder rechts am
Hindernis vorbei soll, ist man geradeaus an die Wand ge-
fahren und hat hinterher auch noch verkündet: Wenigs-
tens sind wir nicht falsch abgebogen.
Kleine und mittlere Unternehmen müssen nach wie
vor mit Hürden rechnen, wenn sie ihre Dienstleistungen
europaweit anbieten wollen. Unklare Rechtsbegriffe und
faule Formelkompromisse machen die Richtlinie zu ei-
ner ABM für Rechtsanwälte. Zumindest dieser Dienst-
leistungsbereich wird garantiert von der Richtlinie profi-
tieren.
Auch die nationalen Sozial- und Verbraucherschutz-
standards sind nicht gesichert. Nötig wären Ausnahmen
für die gesamte Daseinsvorsorge, sowie für Sozial- und
Bildungsdienstleistungen gewesen. Das nationale Ar-
beitsrecht kann durch die Richtlinie unterlaufen werden.
Die Mitgliedstaaten sind nicht in der Lage, die Dienst-
leistungserbringung effektiv zu kontrollieren.
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Das Grundproblem besteht darin, dass Sie an dem
erkunftslandprinzip – wenn auch unter neuem Na-
en – festgehalten haben. Weil aber dieses Herkunfts-
andprinzip gravierende Folgen für Sozial-, Umwelt-
nd Verbraucherschutzstandards hat, haben Sie unter
em Druck der Öffentlichkeit Auflagen unter bestimm-
en Bedingungen ermöglicht, Branchen ausgenommen
sw.
Das mindert zwar die Probleme – deshalb ist die
ichtlinie jetzt auch besser als der ursprüngliche Ent-
urf –, führt aber zu neuen Abgrenzungsproblemen und
echtsunsicherheit. Wenn eine Regel so viele Ausnah-
en braucht wie das Herkunftslandprinzip, dann muss
ine andere Regel her.
Wir Grünen haben uns für eine andere Regel einge-
etzt: das Herkunftslandprinzip beim Marktzugang, das
iellandprinzip bei der Ausübung der Dienstleistung.
as wäre eine saubere Lösung gewesen und hätte viel
echtsunsicherheit vermieden.
Die Union wollte das von Anfang an nicht und die
PD hat ihre Berichterstatterin Gebhardt, die genau die-
en Vorschlag vertreten hat, nicht entschlossen unter-
tützt. Insofern ist jede Klage beim Europäischen Ge-
ichtshof – und jeder, der sich mit der Sache beschäftigt,
eiß, dass es viele Klagen sein werden – auch Ergebnis
er falschen Politik dieser Bundesregierung.
Bei der nun anstehenden Umsetzung der Richtlinie in
eutsches Recht werden wir eine Vielzahl von schwieri-
en Fragen zu lösen haben. Ich möchte hier nur einen
unkt herausgreifen, der uns Grünen besonders wichtig
st: Die Dienstleistungsrichtlinie vergrößert die Notwen-
igkeit von verbindlichen Mindestlöhnen. Hier muss die
undesregierung etwas vorlegen, bevor die Dienstleis-
ungsrichtlinie in Deutschland greift. Drei Jahre sind für
ie Umsetzung der Richtlinie Zeit. Doch angesichts der
eillosen Zerstrittenheit der Koalition beim Thema Min-
estlohn könnte selbst diese lange Frist nicht reichen.
ir Grünen haben einen Vorschlag gemacht, wie wir zu
ranchen- und regionalspezifischen Mindestlöhnen
ommen, die auch für ausländische Arbeitnehmerinnen
nd Arbeitnehmer gelten würden.
Europa und seine Bürger hätten aus zwei Gründen
ine bessere Richtlinie verdient:
Erstens wäre es der EU zu wünschen gewesen, dass
ie eine Richtlinie hinbekommt, bei die Bürgerinnen und
ürger das Gefühl haben: Jawohl, hier hat Europa für
ich ganz konkret etwas gebracht.
Zweitens sind im Dienstleistungssektor noch unge-
utzte Beschäftigungspotenziale, die wir dringend er-
chliessen müssen, wenn wir die Arbeitslosigkeit dauer-
aft senken wollen.
Leider hat diese Bundesregierung mit einen Anteil
aran, dass es mit einer besseren Richtlinie nichts ge-
orden ist.
Peter Hintze, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi-
ister für Wirtschaft und Technologie: Die Möglichkeit,
ienstleistungen innerhalb der Europäischen Union über
7482 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006
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nationale Grenzen hinweg erbringen zu können, gehört
zu den tragenden Säulen des europäischen Binnenmark-
tes. Leider wird diese Freiheit noch durch viele Hürden
erheblich eingeschränkt. Dies geht zulasten vieler deut-
scher Dienstleistungsunternehmen und ihrer Beschäftig-
ten. Zentrales Ziel der Dienstleistungsrichtlinie ist es,
bestehende Barrieren auf sozialverträgliche Weise abzu-
bauen und der Dienstleistungsbranche in Europa neue
Impulse zu verleihen.
Bei den jetzt erfolgreich abgeschlossenen Verhand-
lungen ging es darum, eine vernünftige Balance zwi-
schen der Erleichterung des Dienstleistungsverkehrs und
den Schutzinteressen der Mitgliedstaaten herzustellen.
Nach fast drei Jahren intensiver Diskussion ist es ge-
lungen, einen ökonomisch wie sozial ausgewogenen
Kompromiss herzustellen, der auch unsere deutschen In-
teressen berücksichtigt.
Dies ist ein gutes Signal für Europa, für Deutschland
und für die Unternehmen in unserem Land!
Erstens. Chancen der Richtlinie nutzen. Eines möchte
ich gleich zu Anfang sehr deutlich betonen: Abschottung
und Protektionismus sind der falsche Weg! Denn sie be-
hindern innovative Unternehmen und gefährden Arbeits-
plätze in Deutschland. Als exportorientiertes Land sind
wir im Gegenteil essentiell darauf angewiesen, dass un-
seren Unternehmen auch im Ausland die Türen offen
stehen.
Deutsche Dienstleister verfügen über weltweit aner-
kannte, hohe Qualitäts- und Kompetenzstandards. Diese
Stärken können unsere Unternehmen aber vielfach noch
nicht ausspielen, weil sie – wie wir aus vielen Berichten
wissen – im EU-Ausland immer wieder auf ungerecht-
fertigte Hindernisse stoßen.
Die Zahlen sprechen für sich: Dienstleistungen stehen
für rund 70 Prozent unserer Wertschöpfung und Be-
schäftigung, doch sind bislang nur 14 Prozent unserer
Ausfuhren Dienstleistungen!
Hier schlummern erhebliche Wachstums- und Be-
schäftigungschancen, auch und gerade für Deutschland.
Diese Chancen zu nutzen und nicht abzuwürgen, zählt
ganz sicher zu den zentralen Interessen Deutschlands.
Zweitens. Ängste aufnehmen. Aber wir haben auch
sehr deutlich gemacht – ich zitiere als Beispiel die
Koalitionsvereinbarung –, dass dabei die Ordnung auf
dem Arbeitsmarkt gewahrt werden muss und dass wei-
terhin hohe Standards für die Sicherheit und Qualität von
Dienstleistungen gewährleistet sein müssen.
Wir alle hier kennen die Befürchtungen, die der ur-
sprüngliche Kommissionsentwurf in dieser Hinsicht bei
vielen Menschen ausgelöst hat. Die Bundesregierung hat
daher mit Nachdruck eine Änderung des Entwurfs gefor-
dert, die sowohl die ökonomischen Chancen einer
Marktöffnung als auch die berechtigten Sorgen der Men-
schen berücksichtigt.
So haben wir erfolgreich darauf gedrängt, das umstrit-
tene Herkunftslandprinzip fallen zu lassen und notwen-
dige Ausnahmen für sensible Bereiche zu verankern. Ich
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reue mich, dass wir hierfür eine breite Unterstützung
uer durch Europa gefunden haben. Dies war keines-
egs selbstverständlich. Wir hatten mit unseren Forde-
ungen auch deshalb Erfolg, weil wir bei den Verhand-
ungen immer auch mehrheitsfähige Kompromisse im
lick behalten haben, statt uns mit Maximalpositionen
u isolieren.
Ich weiß, dass sich auch manche unter den Kollegen
ier noch mehr gewünscht hätten – in der einen wie der
nderen Richtung. Doch mehr als das jetzt Erreichte war
uf europäischer Ebene nicht durchsetzbar, das muss
an in aller Deutlichkeit sagen.
Drittens. Eckpunkte der neuen Richtlinie. Ich erinnere
n die Kernpunkte des jetzt verabschiedeten Textes: Das
mstrittene Herkunftslandprinzip wurde durch eine Re-
elung ersetzt, bei der einerseits nationale Barrieren
bgebaut werden müssen, was zu deutlichen Erleichte-
ungen für den Dienstleistungssektor führen wird. Ande-
erseits sind Ausnahmen der Mitgliedstaaten zum Schutz
er öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung,
er öffentlichen Gesundheit oder der Umwelt weiter zu-
elassen.
Einige besonders sensible Bereiche sind – auch auf
nser Drängen – von der Richtlinie ausgenommen. Dies
ilt zunächst für wichtige Querschnittsthemen wie die
nerkennung beruflicher Qualifikationen, das gesamte
rbeitsrecht und das Recht der sozialen Sicherheit.
Ausgenommen sind aber auch sensible Branchen wie
esundheit, soziale Dienstleistungen und Verkehr, Zeit-
rbeit und das Glücksspiel.
Umgekehrt bleiben wichtige Branchen wie die techni-
chen Dienstleister und die IT-Dienstleister, die For-
chung und Entwicklung, Berater und Unternehmens-
ienstleister sowie die Bauwirtschaft, der Handel und
ie Gastronomie einbezogen. Für sie wird es spürbare
ereinfachungen im In- und Ausland geben.
Es sind vor allem drei Eckpfeiler, die die Richtlinie
azu vorsieht: den konsequenten Abbau bürokratischer
ürden, eine verbesserte Unterstützung für Dienstleister
nd Dienstleistungsempfänger, beispielsweise durch die
euen „Einheitlichen Ansprechpartner“ sowie eine Ver-
iefung der europäischen Verwaltungszusammenarbeit.
Besonders hervorheben will ich aus diesem Katalog
ie Einrichtung eines „Einheitlichen Ansprechpartners“.
ier können Dienstleister künftig europaweit alle not-
endigen Informationen erhalten und Behördengänge
entral über eine Stelle erledigen. Der Einheitliche An-
prechpartner wird als „Dienstleister für Dienstleister“
en Zugang zur Verwaltung entscheidend vereinfachen.
Wichtig sind aber auch die Verbesserungen bei der
erwaltungszusammenarbeit zwischen den Mitglied-
taaten. Erstmals erhalten damit die deutschen Kontroll-
ehörden die Möglichkeit, effektiv mit den zuständigen
ollegen im Ausland zusammenzuarbeiten.
Auftretende Fragen – zum Beispiel bei Verdacht auf
cheinselbstständigkeit – können künftig damit ebenso
chnell wie verbindlich geklärt werden.
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Viertens. Ausblick auf die Umsetzung. Wir haben
große Fortschritte gegenüber dem ursprünglichen Kom-
missionsentwurf erreicht, Fortschritte, auf die wir stolz
sein können. Für die Umsetzung haben wir nun drei
Jahre Zeit, was nicht viel ist, wenn man die Fülle an
Aufgaben und die Vielzahl der Beteiligten auf allen Ebe-
nen bedenkt.
Ich nenne als Beispiel die Errichtung der Einheitli-
chen Ansprechpartner für die Information und die Erle-
digung aller notwendigen Formalitäten. Hierzu müssen
wir die komplexe föderale Struktur in der Bundesrepu-
blik in ein effizientes Netzwerk einbinden, und zwar
– das betone ich als Vertreter des Wirtschaftsministe-
riums – vor allem unter dem Aspekt der Nutzerfreund-
lichkeit für die Dienstleister.
Aber auch die von der Richtlinie geforderte Prüfung
des für Dienstleister geltenden Rechts dürfte die Abkehr
von einigen lieb – und teuer – gewordenen Regelungen
bedeuten.
Fünftens. Fazit. Viel Arbeit und manche Diskussion
liegen also noch vor uns. Doch das Ziel ist diese Mühen
allemal wert: Lassen Sie uns die Dienstleistungsricht-
linie jetzt konsequent als Anstoß für mehr Wachstum
und Beschäftigung in Deutschland nutzen!
Anlage 4
Zu Protokoll gegebene Rede
zur Beratung der Anträge:
– Fahrplan zur Wiederbelebung des Friedens-
prozesses im Nahen Osten nach der Resolu-
tion 1701 (2006) des Sicherheitsrats der Ver-
einten Nationen vom 11. August 2006
– Den Friedensprozess im Nahen Osten wieder
aufnehmen
– Für eine Konferenz für Sicherheit und Zu-
sammenarbeit im Nahen Osten (KSZNO)
(Tagesordnungspunkt 28 und Zusatztagesord-
nungspunkt 11)
Dr. Rolf Mützenich (SPD): Eine Wiederbelebung
des stagnierenden Nahostfriedensprozesses ist in der Tat
dringend geboten. Deshalb ist es nur zu begrüßen, dass
die Bundesregierung die EU-Ratspräsidentschaft auch
dazu nutzen will, um das Nahostquartett wieder zu bele-
ben. Entscheidend dabei ist, dass auch die USA wieder
eine konstruktive Rolle im nahöstlichen Friedensprozess
spielen. Der Baker-Bericht setzt hier hoffnungsvolle Ak-
zente, wenn er auch meiner Meinung nach nicht über-
schätzt werden sollte. Es stimmt jedoch hoffnungsvoll,
dass man in Washington offenbar die Konzepte und In-
strumente des „alten Europa“ wieder zu entdecken be-
ginnt. Parallel zur Reaktivierung des Quartetts wäre es
auch sinnvoll, wenn der Sonderbeauftragte der EU für
den Nahen Osten künftig wesentlich enger mit dem ame-
rikanischen Sondergesandten zusammenarbeiten würde.
Mit der Wiederbelebung des Quartetts sind auch Überle-
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ungen verbunden, die auf eine Vergrößerung des Teil-
ehmerkreises zielen. Zu nennen wären hier vor allem
as ständige Sicherheitsratsmitglied China und die Insti-
ution der Arabischen Liga.
Der Krieg im Libanon hat diesen Sommer gezeigt,
ie groß die Gefahr nach wie vor ist, dass solche Vor-
ommnisse sich zu einem großen Krieg in der Region
usweiten. Deshalb ist es richtig, dass wir UNIFIL unter-
tützt haben. Die internationale Friedenstruppe ist der-
eit ein Garant für die Einhaltung der Waffenruhe und
oraussetzung für die Wiederherstellung der Souveräni-
ät des Libanon, der von allen ausländischen Einflüssen
nd Mächten soweit wie möglich frei sein muss.
Dies führt mich zu Syrien. Es war wichtig und richtig,
ass der Außenminister in diesem Jahr bereits sechsmal
ie Region bereist hat. Und dies gilt ausdrücklich auch
ür seinen Besuch in Syrien Anfang des Monats. Es geht
abei in erster Linie darum, Gespräche zu führen, Empa-
hie zu entwickeln und Gesprächswünsche und -kanäle
u sondieren.
Dabei hat der Außenminister in Damaskus klarge-
tellt: Nur wenn Syrien konstruktiv und stabilisierend
giert, wird Europa Syrien helfen, den Ausweg aus der
nternationalen Isolation zu finden. Die Reise nach Sy-
ien war richtig und das Gespräch mit Assad schon des-
egen sinnvoll, weil praktische Fortschritte in der Re-
ion auch die Mitwirkung Syriens erfordern. Assad hatte
n einem „Spiegel“-Interview entsprechende Andeutun-
en gemacht. Diese mussten überprüft werden. Jetzt ist
s an Syrien, die nächsten, belastbaren Schritte zu tun.
enn wenn den Worten Taten folgen und Syrien aktiv
ur Stabilisierung und Befriedung des Nahen Ostens bei-
rägt, würden sich dem Land auch neue Perspektiven
ffnen.
Entscheidend für eine Wiederbelebung des Friedens-
rozesses bleibt jedoch eine Lösung des israelisch-paläs-
inensischen Kernkonfliktes, der wiederum nur Teil ei-
es weitergehenden regionalen Lösungsansatzes sein
ann. Hier möchte ich doch meine Zweifel äußern, ob
ie von Abbas ins Auge gefassten vorzeitigen Wahlen
weckdienlich sind. Angesichts der finanziellen Hilfen
us dem Iran sollte die EU überlegen, ob die bisherige
trategie nicht variiert werden könnte. Eine palästinensi-
che Regierung, die die entscheidenden drei Vorausset-
ungen für einen tragfähigen Frieden akzeptiert – Ge-
altverzicht, Anerkennung des Existenzrechts Israels
owie die Anerkennung der bisherigen internationalen
erträge – ist unabdingbar. Hamas könnte sich dann als
olitische Partei in Folge verändern.
Der israelische Ministerpräsident Ehud Olmert hat am
7. November eine wichtige Rede gehalten und seine
ereitschaft zu umfassenden Zugeständnissen an die pa-
ästinensische Seite unterstrichen. Jetzt müssen weitere
chritte folgen. Nach dem Krieg gegen die Hisbollah ist
ie israelische Regierung in einer schwierigen Situation.
ir tun gut daran, Olmert und Perez zu unterstützen,
eil unter einer anderen Regierung wohl kaum bessere
ortschritte erzielt werden könnten.
7484 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006
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Zum Thema der israelischen Kernwaffen nur so viel:
Meines Erachtens kann es keine einfache Übertragung
der nuklearen Abschreckungsdoktrin auf den Nahen Os-
ten geben. Wenn aber Lehren aus der Abschreckungspo-
litik des Kalten Krieges gezogen werden können, dann
die, dass rationale Schritte, Gespräche, Institutionen,
Verträge und vor allem Rüstungskontrolle unterhalb di-
rekter nuklearer Abrüstung maßgeblich zur Überwin-
dung des Gleichgewichts des Schreckens beigetragen
haben. Deutschland sollte hierbei assistieren und seine
Erfahrungen an der Nahtstelle des Systemkonflikts ein-
bringen.
Nochmals: Eine gerechte und umfassende Lösung des
israelisch-palästinensischen Konflikts ist auch der
Schlüssel zur Lösung der anderen Konflikte in der Re-
gion. Der Friedensplan des Nahostquartetts aus EU,
USA, Russland und UNO bleibt dabei die wichtigste Ba-
sis der politischen Bemühungen. Das Ingangsetzen eines
Friedensprozesses ist zudem nur durch massive multila-
terale Anstrengungen zu erreichen. Vorrangig bleibt da-
bei der bessere Schutz der Menschen vor der Gewalt im
Nahen Osten.
Die internationale Gemeinschaft sollte deshalb Israel
bei den Verhandlungen mit seinen drei Nachbarn, mit
denen es noch keine Friedensverträge gibt, unterstützen.
Israels Sicherheit, ein lebensfähiger palästinensischer
Staat, die Wiederherstellung der Souveränität des Liba-
non sind dabei die Zielvorgaben.
Ich möchte hier jedoch zugleich vor einer zu großen
Erwartungshaltung an die deutsche EU-Ratspräsident-
schaft warnen. Deutschland kann sicherlich eine aktive
Rolle spielen, Initiativen starten, mit den Akteuren spre-
chen und Botschaften transportieren. Hier geht es in ers-
ter Linie auch darum, Denkblockaden auf allen Seiten
aufzubrechen. Deutschlands kann als wichtiger Akteur
in der EU einen Beitrag leisten, um den Teufelkreis der
Gewalt zu durchbrechen – aber nicht allein, sondern nur
im Konzert mit den beteiligten regionalen und externen
Akteuren.
Eine Lösung des Nahostkonflikts, der einer der ältes-
ten und kompliziertesten Konflikte der Welt ist, wird je-
doch auch die deutsche EU-Ratspräsidentschaft nicht
leisten können. Es führt kein Weg an der Erkenntnis vor-
bei, dass tragfähige Lösungen letztendlich die Konflikt-
parteien vor Ort aushandeln müssen in dem Bewusst-
sein, dass sie keine Alternative zum Friedensprozess
haben.
Religiöser Fanatismus und übersteigerter Nationalis-
mus sind keine tragfähigen Antworten auf die Heraus-
forderungen des 21. Jahrhunderts. Mehr als je zuvor sind
politische Antworten und der Mut zu Kompromissen ge-
fragt. Das Existenzrecht des Staates Israel und die Si-
cherheit seiner Bürgerinnen und Bürger stehen dabei
nicht zur Disposition. Alten und neuen Antisemitismus
wird die internationale Gemeinschaft nicht hinnehmen –
ebenso wenig wie die unsägliche Konferenz der Holo-
caustleugner in Teheran, deren Veranstalter sich damit
selbst diskreditiert haben. Zugleich sind realistische po-
litische Regelungen und Lösungswege vonnöten, um die
nationalen Rechte der Palästinenser zu gewährleisten
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nd ihnen menschenwürdige Lebensbedingungen zu
chaffen.
Momentan sind die Erwartungen an Deutschland und
uropa überaus hoch, vielleicht zu hoch. Aber Europa
ird gebraucht, umso mehr je überforderter die USA
ind, Gebrauch mit zivilen, glaubwürdigen Initiativen
nd viel Geduld.
Die Umsetzung der durch Schimon Peres geprägten
ision von einem „Neuen Nahen Osten“ erfordert sowohl
uf israelischer als auch auf arabischer Seite Verständi-
ungsbereitschaft, gegenseitige Akzeptanz und den Wil-
en zur Zusammenarbeit.
nlage 5
Amtliche Mitteilung
Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben
itgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU-
orlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische
arlament zur Kenntnis genommen oder von einer Bera-
ung abgesehen hat.
Auswärtiger Ausschuss
Drucksache 16/1748 Nr. 2.7
Innenausschuss
Drucksache 16/2555 Nr. 2.78
Drucksache 16/3196 Nr. 1.34
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Drucksache 16/2695 Nr. 1.10
Drucksache 16/3196 Nr. 1.6
Drucksache 16/3196 Nr. 1.8
Drucksache 16/3196 Nr. 1.9
Drucksache 16/3196 Nr. 1.10
Drucksache 16/3196 Nr. 1.11
Drucksache 16/3196 Nr. 1.14
Drucksache 16/3196 Nr. 1.15
Drucksache 16/3196 Nr. 1.35
Drucksache 16/3196 Nr. 1.39
Drucksache 16/3196 Nr. 1.42
Drucksache 16/3196 Nr. 1.47
Drucksache 16/3196 Nr. 1.51
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Drucksache 16/820 Nr. 1.42
Drucksache 16/993 Nr. 1.2
Drucksache 16/1101 Nr. 1.2
Ausschuss für Gesundheit
Drucksache 16/3196 Nr. 1.48
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
Drucksache 16/150 Nr. 2.8
Drucksache 16/820 Nr. 1.52
Drucksache 16/820 Nr. 1.53
Drucksache 16/820 Nr. 1.54
Drucksache 16/820 Nr. 1.55
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006 7485
(A) (C)
(B) (D)
Drucksache 16/820 Nr. 1.60
Drucksache 16/820 Nr. 1.64
Drucksache 16/820 Nr. 1.65
Drucksache 16/901 Nr. 2.7
Drucksache 16/901 Nr. 2.28
Drucksache 16/1748 Nr. 2.7
Drucksache 16/1748 Nr. 2.8
Drucksache 16/1942 Nr. 2.6
Drucksache 16/2555 Nr. 1.38
Drucksache 16/2555 Nr. 2.128
Drucksache 16/2555 Nr. 2.132
Ausschuss für Kultur und Medien
Drucksache 16/419 Nr. 2.65
Drucksache 16/2695 Nr. 1.14
Drucksache 16/2695 Nr. 1.15
74. Sitzung
Berlin, Freitag, den 15. Dezember 2006
Inhalt:
Redetext
Anlagen zum Stenografischen Bericht
Anlage 1
Anlage 2
Anlage 3
Anlage 4
Anlage 5