Anlage 13
ung
dritter Absatz, der zweite
ass das Ministerium ein
einer Regelung zu kom-
zes entspricht – es muss
die die nach dem Stand
erforderliche Vorsorge ga-
eben.“ und
e Satz ist wie folgt zu le-
h § 9 b des Atomgesetzes
den Planfeststellungsbe-
nn zu erteilen, wenn opti-
echnik und Wissenschaft
tzer, Die Linke, und Rain-
ie Grünen.1)
in Kenntnis der Unterrich-
unehmen. Wer stimmt für
– Gegenstimmen? – Ent-
pfehlung ist mit den Stim-
gegen die Stimmen der
mmen.
spunkt 24 auf:
der Bundesregierung ein-
ines Gesetzes zur Verein-
zverfahrens
–
d Technologie
der Kollegen Dr. Günter
nette Faße, Gabriele
Gradistanac, weiterer
Fraktion der SPD
Den Fahrradtourismus
send fördern
– Drucksache 16/3609 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Tourismus (f)
Sportausschuss
Haushaltsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau un
Ausschuss für Umwelt, Naturs
Wir nehmen die Reden der K
CDU/CSU, Gabriele Hiller-Oh
cher, FDP, Dr. Ilja Seifert, Die L
reiter, Bündnis 90/Die Grünen,
Interfraktionell wird Überw
Drucksache 16/3609 zur Fede
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. November 2006 7045
(A) )
(B) )
setzes geschehen.Renate
Rechtsstaatlicher Grundsatz ist, dass kein Gesetzgeber
unter dem Eindruck von bereits abgeschlossenen Vor-
gängen neue Gesetze erlässt. Das soll jedoch mit dem
Siebten Gesetz zur Änderung des Stasi-Unterlagen-Ge-
Dr. Scheer, Hermann SPD 30.11.2006
Schmidt (Nürnberg), SPD 30.11.2006
Anlage 1
Liste der entschuldigt
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Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
Binder, Karin DIE LINKE 30.11.2006
Bluhm, Heidrun DIE LINKE 30.11.2006
Bollen, Clemens SPD 30.11.2006
Bülow, Marco SPD 30.11.2006
Bulling-Schröter, Eva DIE LINKE 30.11.2006
Dagdelen, Sevim DIE LINKE 30.11.2006
Dr. Dehm, Diether DIE LINKE 30.11.2006
Dobrindt, Alexander CDU/CSU 30.11.2006
Eymer (Lübeck), Anke CDU/CSU 30.11.2006
Gehrcke, Wolfgang DIE LINKE 30.11.2006
Glos, Michael CDU/CSU 30.11.2006
Heilmann, Lutz DIE LINKE 30.11.2006
Hilsberg, Stephan SPD 30.11.2006
Hoff, Elke FDP 30.11.2006
Hoppe, Thilo BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
30.11.2006
Kunert, Katrin DIE LINKE 30.11.2006
Merten, Ulrike SPD 30.11.2006
Möller, Kornelia DIE LINKE 30.11.2006
Pflug, Johannes SPD 30.11.2006
Pronold, Florian SPD 30.11.2006
Reiche (Potsdam),
Katherina
CDU/CSU 30.11.2006
Reinke, Elke DIE LINKE 30.11.2006
Röspel, René SPD 30.11.2006
Roth (Augsburg),
Claudia
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
30.11.2006
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A
(C
(D
Anlagen zum Stenografischen Bericht
en Abgeordneten
nlage 2
Erklärung nach § 31 GO
des Abgeordneten Jürgen Koppelin (FDP) zur
Abstimmung über den Entwurf eines Siebten
Gesetzes zur Änderung des Stasi-Unterlagen-
Gesetzes (Tagesordnungspunkt 9)
Ich werde dem Stasi-Unterlagen-Gesetz (Siebtes Ge-
etz zur Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes) nicht
ustimmen.
Für mich geht es bei dieser Entscheidung um eine
rage des Rechtes, nicht um eine politische Frage. „Ver-
ährung hat einen rechtspolitischen Sinn. Sie verzichtet
er Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens wegen auf
ie letzte Gerechtigkeit“. (Thomas Dehler)
Im „Tagesspiegel“ vom 3. November 2006 schreibt
rofessor Richard Schröder: „Zum Rechtsstaat gehört
er Gedanke der Verjährung. Aber die Opfer fühlen sich
eleidigt! Die Erfindung des unabhängigen Richters vor
inigen tausend Jahren beruht auf der Einsicht, dass die
iederherstellung der Gerechtigkeit bei den Opfern
icht in den besten Händen ist.“
Jedem Versuch einer Verlängerung der Verjährung
it rückwirkender Kraft werde ich nicht zustimmen.
chmidt (Aachen), Ulla SPD 30.11.2006
panier, Wolfgang SPD 30.11.2006
teppuhn, Andreas SPD 30.11.2006
rittin, Jürgen BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
30.11.2006
r. Troost, Axel DIE LINKE 30.11.2006
olf (Frankfurt),
Margareta
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
30.11.2006
eil, Martin FDP 30.11.2006
immermann, Sabine DIE LINKE 30.11.2006
bgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
7046 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. November 2006
(A) )
(B) )
Anlage 3
Erklärung nach § 31 GO
des Abgeordneten Detlef Parr (FDP) zur Ab-
stimmung über den Entwurf eines Siebten Ge-
setzes zur Änderung des Stasi-Unterlagen-Ge-
setzes (Tagesordnungspunkt 9)
Versehentlich habe ich mich bei der gestrigen Abstim-
mung im mitberatenden Sportausschuss bei der Drucksa-
che 16/2969 enthalten. Meine Enthaltung bezog sich al-
lerdings auf einen Änderungsantrag von Bündnis 90/
Die Grünen, nicht jedoch auf die Novellierung des Stasi-
Unterlagen-Gesetzes. Diesem Gesetz stimme ich – wie
die gesamte FDP-Bundestagsfraktion – zu. Diese Ab-
stimmung ist belegt durch zahlreiche öffentliche Äuße-
rungen zu diesem Thema, die in der Presse nachlesbar
sind.
Anlage 4
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Fortentwicklung der
Internationalen Rechnungslegungsstandards im
Rahmen der Präsidentschaft Deutschlands in
EU und G 8 thematisieren (Tagesordnungs-
punkt 16)
Klaus Uwe Benneter (SPD): Wenn ich mir den An-
trag „Fortentwicklung der Internationalen Rechnungs-
legungsstandards im Rahmen der Präsidentschaft
Deutschlands in EU und G 8 thematisieren“ zu Gemüte
führe, fallen mir viele Spruchweisheiten ein. Unweiger-
lich fühle ich mich durch den Antrag an „des Kaisers
neue Kleider“ erinnert. Denn er erweckt den Eindruck
eines neuen, prächtigen Gewandes, doch bei näherer Be-
trachtung zeigt sich, dass die aufgeworfenen Fragen und
Problemstellungen alte Hüte sind. Auch die Geschichte
von „Hase und Igel“ bietet sich an. Manchmal drängt es
sich einfach auf, dass nur vorgetäuscht werden soll, hier
sei jemand schon immer vorn gewesen.
Wie Sie sehr wohl wissen, rennen Sie von der FDP
mit Ihrem Antrag offene Scheunentore ein. Ich muss Sie
doch nicht daran erinnern, dass Sie es selbst waren, die
bereits mehrfach die Bundesregierung zu diesem The-
menkomplex um Stellungnahmen gebeten haben. Daher
ist Ihnen auch sehr wohl bekannt, dass sich die Bundes-
regierung für die aufgeführten Ziele einsetzt und bereits
an einer Lösung der Fragen und Probleme längst konti-
nuierlich arbeitet.
Die Bundesregierung hat mehrfach betont, dass die
Fortentwicklung der „International Financial Reporting
Standards“, IFRS, für das Bilanzrecht und die Bilanzie-
rung deutscher Unternehmen in der Tat sehr wichtig ist.
Auch die gegenseitige Anerkennung der IFRS und US-
amerikanischen Rechnungslegungsstandards ist ein
wichtiges Ziel und daher auch in der Koalitionsvereinba-
rung ausdrücklich erwähnt. Indessen hat aber die EU
gerade vor einigen Wochen im Rahmen von Ausfüh-
rungsbestimmungen zur EU-Transparenzrichtlinie und
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U-Prospektrichtlinie beschlossen, eine endgültige Ent-
cheidung über die weitere Anerkennung der US-GAAP
nnerhalb der EU erst Ende 2008 zu treffen. Im Vorfeld
ieser Entscheidung hat Frau Ministerin Zypries in
inem gemeinsamen Schreiben mit Herrn Minister
teinbrück an EU-Kommissar McCreevy darauf hinge-
iesen, dass dies zwar akzeptabel sei, aber jedenfalls
nde 2008 gleiche Voraussetzungen vorliegen müssten
In Anbetracht des Zeitplans und der bereits laufenden
emühungen ist keinesfalls erkennbar, warum in dieser
ache nun akuter Handlungsbedarf für den Zeitraum der
eutschen Präsidentschaft in EU und G 8 bestehen soll.
n Teilbereichen wäre eine gesonderte deutsche Prä-
identschaftsinitiative sogar hinderlich, wenn eine
ortentwicklung der IFRS unter stärkerer Berücksichti-
ung der Interessen deutscher Unternehmen, und hier
nsbesondere des deutschen Mittelstandes, erfolgen soll.
ine Initiative durch Deutschland während der Rats-
räsidentschaft, wie die FDP es vorschlägt, würde doch
ls plumper Versuch erkannt, einseitig deutsche Interes-
en durchsetzen zu wollen, und wäre damit von vornhe-
ein zum Scheitern verurteilt.
Hier gibt es weitaus elegantere und erfolgverspre-
hendere Wege. Selbstverständlich bemüht sich die deut-
che Regierung, die Belange deutscher Interessen so
eit wie möglich einzubringen. Dies geschieht auch
ereits auf zwei Wegen: Über die „private Schiene“ ar-
eitet das Deutsche Rechnungslegungs Standards Com-
ittee, DRSC, der deutsche privatrechtlich organisierte
tandardsetter für Rechnungslegung, mit dem BMJ stän-
ig und eng zusammen an der Erarbeitung der Standards
es IASB und bringt hierbei deutsche Positionen ein.
ber die „Regierungsschiene“ bringt die Bundesregierung
ntsprechende Standpunkte in den EU-Regelungsaus-
chuss für Bilanzrecht ein. Dieses Gremium entscheidet
m Rahmen des so genannten Komitologie-Verfahrens
ber die Übernahme der einzelnen IASB-Standards in
as europäische Recht.
Die Erfolgsaussichten einer Initiative der Bundesre-
ierung können zudem erst dann beurteilt werden, wenn
in konkreter IASB-Entwurf vorliegt. Die Entwicklung
es künftigen IASB-Standards „IFRS für KMU“ wird
erzeit im IASB fertig gestellt und wird voraussichtlich
m ersten Quartal 2007 der Öffentlichkeit vorgestellt
erden. Erst dann wird sich ein konkreter Handlungs-
edarf abschätzen lassen können.
Dessen ungeachtet hat das BMJ in den letzten Mona-
en immer betont, dass die IFRS mit der starken Beto-
ung des Informationsgedankens jedenfalls derzeit nicht
eeignet erscheinen, für die mittelständischen Unterneh-
en eine geeignete Bilanzierungsgrundlage darzustel-
en. Gerade deshalb bereiten wir den Entwurf des
ilanzrechtsmodernisierungsgesetzes vor, der – ohne
ufgabe der bisher in Deutschland geltenden Bilanzie-
ungsprinzipien – durch maßvolle Änderung einzelner
GB-Vorschriften dazu führen soll, dass mittelständi-
chen Unternehmen mit dem HGB-Bilanzrecht eine
ollwertige Alternative zu den IFRS zur Verfügung
teht. Ich verweise diesbezüglich auf die Ausführungen
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. November 2006 7047
(A) )
(B) )
aus dem Hause der Bundesministerin der Justiz und auf
die vorliegenden Antworten der Bundesregierung.
Der FDP-Antrag ist Rosstäuscherei. Niemand muss
uns im Zusammenhang neuer Rechnungslegungsvor-
schriften auf internationale Gegebenheiten hinweisen.
Der heimische Mittelstand ist bei uns in guten Händen.
Der Liebesdienerei der FDP bedarf der deutsche Mittel-
stand schon gar nicht.
Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Die Bundestags-
fraktion Die Linke steht dem Konzept des Shareholder-
Value, das einseitig auf die Steigerung des Marktwertes
von Unternehmen abzielt und die Managemententschei-
dungen stärker als bisher an die Interessen der Kapi-
taleigner, Shareholder bindet, kritisch gegenüber. Die
Diskussion um internationale Rechnungslegungsstan-
dards ist eng mit dem Trend zu einer so genannten wert-
orientierten Unternehmensführung verbunden. Spätes-
tens durch die Bilanzskandale um Enron, Worldcom und
andere Unternehmen rückten Fragen der Untemehmens-
berichterstattung und damit verbunden auch der Cor-
porate Governance in den Blickpunkt einer größeren Öf-
fentlichkeit. Zahlreiche Unternehmen versuchten und
versuchen immer noch durch fragwürdige Bilanzie-
rungsmethoden Umsätze und Gewinne aufzublähen und
dadurch die Aktienkurse zu steigern. Das Platzen der
New-Economy-Spekulation hat Tausenden Beschäftig-
ten ihre Arbeitsplätze gekostet.
Die FDP schweigt sich zu diesen Problemen in ihrem
Antrag aus. Stattdessen fordert sie die Bundesregierung
dazu auf, bei der Internationalisierung von Rechnungsle-
gungsvorschriften deutsche Interessen stärker zu berück-
sichtigen. Das geht nicht nur am Problem vorbei, son-
dern weist in eine völlig falsche Richtung!
Auf EU-Ebene wurden in den letzten Jahren intensive
Anstrengungen in Richtung einer internationalen Stan-
dardisierung der Rechnungslegungsvorschriften betrie-
ben, welche mit der Einführung der International Finan-
cial Reporting Standards, IFRS, seit Jahresbeginn 2005
ihren bisherigen Höhepunkt erreichten – mit unabsehba-
ren Auswirkungen auf die Corporate Governance, die
Bewertung der Unternehmen an den Aktienmärkten,
Veränderungen der unternehmensinternen Steuerung und
Berichterstattung und die Arbeitsbeziehungen.
Unter dem Diktat des Shareholder-Value wird die
Rendite der Anteilseigner heute immer mehr zur zentra-
len Kennziffer für alle Unternehmensstrategien. Einer-
seits sollen Entscheidungen und Aktivitäten, die sich als
nicht hinreichend rentabel erweisen und unkalkulierbar
und mit hohem Risiko behaftet sind, vermieden werden.
Andererseits wären nur solche Strategien zu verfolgen,
die sowohl kurzfristig als auch langfristig einen mög-
lichst hohen verfügbaren Cashflow erbringen und damit
den Unternehmenswert am Kapitalmarkt steigern.
Gleichzeitig wird ein „Ausschüttungsautomatismus“ eta-
bliert, um das Wachstum der stillen Reserven zu be-
grenzen bzw. den Kapitalgebern zugänglich zu machen.
Neben dem höchst spekulativen Charakter solcher
Kennziffern führt dieses Konzept zur internen Vermarkt-
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ichung von Unternehmen: Einzelne Geschäftsfelder oder
nternehmenssteile werden in einen schädlichen Wettbe-
erb zueinander gestellt, Unternehmen konzentrieren
ich zunehmend auf das Kerngeschäft, Kapitaleigner er-
öhen ihren Einfluss zuungunsten von Managern und Ar-
eitnehmervertretern und überhöhte Renditeansprüche
ühren zum Druck auf Löhne und die Arbeitsbedingun-
en der Beschäftigten.
Rechnungslegungsstandards sind einerseits ein Teil
ieses Problems. Andererseits würden transparente Un-
ernehmensberichte zwar an dieser falschen Ausrichtung
m kurzfristigen Cashflow nichts ändern; aber sie eröff-
en zumindest die Möglichkeit für Investoren, Gläubiger,
ber eben auch für kritische Aktionäre oder Arbeitneh-
ervertreter in den Aufsichtsräten, die Geschäftsprakti-
en und Zahlen kritisch zu prüfen. Dies gilt besonders für
uropean Works Councils, die Daten zum gesamten Kon-
ern, seinen Segmenten und Einzelunternehmen in den
erschiedenen Ländern brauchen. Wo Unklarheit über die
ahre wirtschaftliche Situation von Unternehmensteilen
esteht, fällt es den Konzernleitungen leichter, die Beleg-
chaften von Tochterunternehmen gegeneinander auszu-
pielen. Deshalb unterstützen auch die Gewerkschaften
m Prinzip eine internationale Vereinheitlichung von
echnungslegungsstandards.
Allerdings müssen die lAS-Regeln dringend verän-
ert werden: Immer noch gibt es zu viele Schlupflöcher,
uslegungsschwierigkeiten und auch zu viele Ermes-
ensspielräume bei der Bilanzierung, die eine Vergleich-
arkeit erschweren. Bei der Umstellung vom HGB auf
as IFRS gilt es zu beachten, dass das deutsche Bilanz-
echt vom Vorsichtsprinzip geprägt ist, das Kapitalerhal-
ung und Gläubiger sichern will. Die Bilanzregeln nach
FRS beinhalten dagegen mehr Informationen als die
echnungslegung nach dem Handelsgesetzbuch, HGB.
nsgesamt betrachtet sind die lAS-Regeln detaillierter
nd enger als das deutsche Handelsrecht. Ansatz- und
ewertungsspielräume sind geringer, steuerrechtlich
erursachte Verzerrungen stark eingeschränkt. Die Ge-
innermittlung hat realistischer zu erfolgen. Außerdem
ehen die Offenlegungsregeln sehr viel weiter als im
GB. Aber es gibt auch große Probleme: Wenn die Bil-
ung stiller Reserven erschwert wird und höhere Ge-
innausweise zu höheren Ausschüttungsforderungen
er Aktionären führen, entzieht das Unternehmen Liqui-
ität.
Damit sind wir bei den eigentlichen Problemen: Eine
ffentliche Debatte zu internationalen Rechnungsle-
ungsstandards in der auch die Sicht von Arbeitnehme-
innen und Arbeitnehmern an der Ausrichtung am Share-
older-Value zum Tragen kommt, kann nicht stattfinden,
eil der Regelsetzer IASB als privatrechtlicher Verein
ationaler Verbände von Rechnungslegern und Wirt-
chaftsprüfern organisiert ist. Private Standardsetzer wie
uch der US-amerikanische FASB, Financial Accoun-
ing Standards Board, sind beeinflussbar und eben nicht
nabhängig. Das hat der Enron-Skandal in den USA
eutlich gezeigt. Pikanterweise versuchte der Vorsit-
ende des IASB, Paul Volcker, ein Vordenker der neoli-
eralen Wende Ende der 70er-Jahre, noch im Februar
001, Enron zu einer Spende für die Arbeit des IASB zu
7048 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. November 2006
(A) )
(B) )
bewegen. Enron war dem nicht abgeneigt, wollte aber
wissen, inwieweit mit einer Spende Einfluss auf die Ar-
beit des IASB möglich wäre. Dies alles verschweigt die
FDP natürlich und fordert die Bundesregierung lediglich
auf, für eine langfristige und stabile Finanzierung der
IASB einzutreten. Am Skandal der privatwirtschaftli-
chen Finanzierung dieses Gremiums und den damit ver-
bundenen Abhängigkeiten ändert die FDP damit nichts.
Die einzelnen Standards des IASB gehen über einen
so genannten Endorsement-Prozess in EU-Verordnungen
direkt in europäisches Recht und damit in nationales
Recht über. Hier wäre anzusetzen; denn der IASB ist ein
undemokratisches Gremium. Nach unserer Auffassung
ist es ein fataler Rückzug des Staates aus seiner Verant-
wortung, wenn Wirtschaftsprüfer bzw. deren Verbände
nicht nur die Prüfung und Testierung von Unterneh-
mensbilanzen hoheitlich übertragen bekommen, sondern
auch noch die internationalen Regeln dafür aufstellen.
Die „Schriftgelehrten des Neoliberalismus“ – Rügemer –
degenerieren so von einer Kontrollinstanz zu einem ver-
längerten Arm der Unternehmensvorstände. Sie werden
vom Vorstand berufen und honoriert, der Folgeauftrag
hängt vom Wohlverhalten gegenüber dem Auftraggeber
ab.
Deshalb ist unsere Position klar: Wir brauchen eine
Initiative der Bundesregierung, die sich im Interesse der
Stakeholder und hier vor allem der Arbeitnehmerseite
dafür einsetzt, dass die Rechnungslegung und damit die
Unternehmenspolitiken von Unternehmen transparent
werden. Ein erster Schritt wäre, Gewerkschaften und
Parlamentarierinnen und Parlamentarier an der Diskus-
sion und Ausarbeitung von Rechnungslegungsstandards
zu beteiligen. Erst dann ließe sich auch über eine ange-
messene und zwischenstaatlich organisierte finanzielle
Ausstattung dieser Gremien reden.
Eine gute Corporate Governance benötigt neben einer
verbesserten Mitbestimmung natürlich auch unabhän-
gige Abschlussprüfer und ein starkes und unabhängiges
Überwachungsorgan. Die Adressaten von Jahresab-
schlüssen und Quartalsberichten – seien es Investoren,
Gläubiger oder Arbeitnehmer – müssen auf die verant-
wortliche Wahrnehmung der Prüfungsaufgabe vertrauen
können. Dazu braucht es eine international vergleich-
bare, transparente Rechnungslegung und dazu braucht es
demokratisch legitimierte Gremien, die diese Regeln
aufstellen.
Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die
Rechnungslegung in Unternehmen erfolgt zunehmend
nach internationalen Standards, den so genannten IFRS,
International Financial Reporting Standards. Rot-Grün
hat mit der Verabschiedung des Bilanzrechtsreformge-
setzes in der letzten Legislaturperiode kapitalmarkt-
orientierte Unternehmen dazu verpflichtet, ab dem 1. Ja-
nuar 2005 diese Standards für ihre Konzernabschlüsse
anzuwenden. Für alle anderen Konzernabschlüsse und
den Einzelabschluss haben wir, insbesondere zugunsten
der kleinen und mittelständischen Unternehmen, ein
Wahlrecht festgelegt. Diese Unternehmen können sich
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olglich aussuchen, ob sie nach den neuen IFRS oder
eiterhin nach HGB-Regeln bilanzieren wollen.
Wir haben dies bewusst so entschieden; denn die
tandards sind hoch komplex, einer fortwährenden
berarbeitung unterworfen und schaffen in erster Linie
ransparenz für Investoren und Anleger – sind also mehr
uf die Bedürfnisse am Kapitalmarkt als an die der klei-
en und mittelständischen Unternehmen zugeschnitten.
Anlässlich der Bilanzrechtsreform hat der Bundestag
005 die Bundesregierung aufgefordert, die Anwendung
nternationaler Rechnungslegungsstandards in Deutsch-
and sachgerecht und transparent fortzuentwickeln. Un-
er damaliger Beschluss hat nichts an Aktualität verlo-
en: Er ist darauf gerichtet, die parlamentarische
ontrolle bei der Standardsetzung zu verbessern. Noch
mmer werden die IFRS von einem kleinen Gremium
IAS-Board – nicht demokratisch gewählter Wirt-
chaftsvertreter entwickelt, um dann ohne große öffentli-
he Debatte ins europäische Recht zu „wandern“. Au-
erdem ist das IAS-Board angloamerikanisch geprägt
nd berücksichtigt europäische Interessen und Marktge-
ebenheiten zu wenig. Die Bundesregierung sollte sich
eshalb für eine regional ausgewogene Zusammenset-
ung des Gremiums stark machen.
Der Bundestagsbeschluss hat aber vor allem die Be-
ürfnisse von kleinen und mittelständischen Unterneh-
en im Blick, die überwiegend die deutsche Wirtschaft
rägen. Nach einer Studie der DIHK vom Juli 2005 zur
nternationalen Rechnungslegung bei mittelständischen
nternehmen sehen knapp 80 Prozent dieser Unterneh-
en keinen Bedarf für eine Bilanzierung nach den gel-
enden IFRS. Da einheitliche Standards aber generell zu
öherer Transparenz und internationaler Vergleichbar-
eit von Unternehmensabschlüssen beitragen, sind sie
uch für kleine und mittelgroße Unternehmen wün-
chenswert. Deshalb müssen so genannte IFRS light ent-
ickelt werden, die sich an den Bedürfnissen des Mittel-
tands orientieren.
Die Anwendung von IFRS light sollte aber freiwillig
nd die Möglichkeit zur ausschließlichen Anwendung
er HGB-Regeln erhalten bleiben. Die Komplexität der
tandards muss insgesamt reduziert werden. Sie müssen
ür kleine und mittelständische Unternehmen praktikabel
ein und auf die umfangreichen Angabepflichten der gel-
enden IFRS verzichten. Nur wenn es weniger Berichts-
flichten gibt, kann es für ein mittelständisches Unter-
ehmen sinnvoll sein, die ohnehin mit Mehrkosten
erbundene Umstellung auf das neue Bilanzierungssys-
em durchzuführen.
Wirf ordern die Bundesregierung deshalb auf, sich
auch im Rahmen ihrer EU-Ratspräsidentschaft – bei
er Fortentwicklung der internationalen Rechnungsle-
ungsstandards für mehr demokratische Kontrolle und
ie Bedürfnisse von kleinen und mittelständischen Un-
ernehmen einzusetzen. Zusätzlich soll sie den Deut-
chen Bundestag, wie in unserem Bundestagsbeschluss
efordert, über den Bericht informieren, den die Kom-
ission zur Funktionsweise der EU-Verordnung gegen-
ber dem Europäischen Parlament und dem Rat zu er-
tatten hat.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. November 2006 7049
(A) )
(B) )
Anlage 5
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Umsetzung der Richtlinie 2004/109/EG des
Europäischen Parlaments und des Rates vom
15. Dezember 2004 zur Harmonisierung der
Transparenzanforderungen in Bezug auf In-
formationen über Emittenten, deren Wertpa-
piere zum Handel auf einem geregelten Markt
zugelassen sind, und zur Änderung der Richtli-
nie 2001/34/EG (Transparenzrichtlinie-Umset-
zungsgesetz – TUG) (Tagesordnungspunkt 17)
Dr. Axel Troost (DIE LINKE): Was ist der Kern des
Transparenzrichtlinie-Umsetzungsgesetzes? Im Kern
spiegelt sich in der Transparenzrichtlinie der Konflikt
zwischen dem Finanzmarkt und dem gewerblichen Un-
ternehmenssektor wider. Die zentrale Frage lautet: Wol-
len wir dem Tatbestand weiter Vorschub leisten, dass
Unternehmen aus den Spekulationszentralen auf den
Kaimaninseln, den Bahamas und sonst woher gesteuert
werden? Hat die Transparenzrichtlinie und das, was die
Bundesregierung darüber hinaus getan hat, die Gewichte
zwischen den Unternehmen und damit zwischen den In-
teressen von Arbeitnehmern einer Region auf der einen
Seite und den Interessen des Kapitalmarktes auf der an-
deren Seite richtig verteilt? Wir meinen: Nein. Die Bun-
desregierung hat sich hier nicht nur, aber vor allem in
den Dienst der Spekulation, dubioser Hedge-Fonds und
gieriger Private-Equity-Gesellschaften gestellt und die
Interessen der Unternehmen vernachlässigt.
Deutlich wird das zum Beispiel an der über die Richt-
linie hinausgehenden Forderung Quartals- und Halbjah-
resberichte mit einer steuerlichen Prüfung zu versehen.
Das ist teurer und bürokratischer Unsinn zugunsten des
Finanzmarktes. Warum wollen die Bundesregierung und
die Europäische Kommission die Unternehmen ver-
pflichten, ihre Prognosen und Unternehmensmitteilungen
in den entferntesten Winkeln Europas für Hedge-Fonds
mundgerecht zuzubereiten? Hier soll die Herrschaft des
Finanz- über das Realkapital, nennen Sie es Sharehoul-
der-Value, verfestigt werden.
Ich will hier nicht verschweigen, dass die Transpa-
renzrichtlinie auch wichtige und richtige Bestandteile
enthält, nämlich da, wo sie der Volkwirtschaft und – ich
betone – dem Volk nützt. Die diesbezügliche Senkung
der Meldeschwelle für das Erreichen von bestimmten
Stimmrechtsquoten von fünf auf drei Prozent nützt den
Unternehmen. Das ist ein Beitrag, der das „Anschlei-
chen“ für Finanzinvestoren schwieriger macht. Wir be-
grüßen es auch ausdrücklich, dass die Bundesregierung
in diesem Punkt gegenüber dem Ansinnen des Bundesra-
tes hart geblieben ist. Damit wird ein erster kleiner
Schritt unternommen, die Unternehmer im Kampf vor
unerwünschten und in den allermeisten Fällen schädli-
chen bis desaströsen Übernahmeversuchen zu stärken.
Die Bundesregierung muss hier jedoch noch weiter ge-
hen.
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Wir sollten das Gesetz zur Namensaktie in diesem
inne verbessern und uns fragen, ob nicht etwa die so
enannten freien Meldebestände verkleinert werden
üssen, um den Unternehmen ein genaueres Bild über
hre Aktionäre zu ermöglichen. Damit verbunden wäre
ie Beförderung eines engen Verhältnisses zwischen Ak-
ionären und Unternehmen im Sinne einer langfristigen
usammenarbeit, also dem Gegenteil der Shareholder-
alue-Strategie.
Positiv ist auch der vorgesehene Bilanzeid zu bewer-
en. Vorstände, die fürstlich bezahlt werden, müssen als
egenleistung auch eine entsprechende persönliche Ver-
ntwortung übernehmen. Vor dem Hintergrund der an-
auernden und zum Teil als skandalös einzustufenden
ehaltssteigerungen der Vorstände ist das nur konse-
uent. Vor allem für diejenigen, die von ihren Arbeitneh-
ern ständig mehr Leistung und Verantwortung einfor-
ern.
Mit unserer Philosophie überhaupt nicht vereinbar ist
as Herkunftslandprinzip. Wenn Transparenzrichtlinien
ür hier gehandelte Unternehmen gelten, dann bitte schön
ür alle die gleichen. Deutschland als Schwergewicht und
ächtiger Player auf dem Weltmarkt sollte endlich die
orhandenen Spielräume zur Re-Regulierung der Fi-
anzmärkte nutzen und den Launen und Spekulations-
lasen der Finanzmärkte Grenzen setzen. Die fortlau-
ende Anpassung an die jeweils niedrigsten sozialen und
kologischen Standards muss beendet werden. Wir wol-
en kein sozial-ökologisches Race to the Bottom, sondern
tandortbedingungen, die die nachhaltige Innovationsfä-
igkeit der Unternehmen und damit die Wettbewerbsfä-
igkeit stärken. Diese Strategie steht eben nicht im
iderspruch zu den Arbeitnehmerinteressen. Sie steht
llerdings im Widerspruch zu den irrationalen Übertrei-
ungen der Finanzmärkte. Einer solchen Konzeption von
ukunftsfähiger und moderner Ökonomie wird die vorge-
egte Umsetzung der Transparenzrichtlinie leider nur in
nsätzen gerecht. Hier muss ein konsequenterer Weg be-
chriften werden.
Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
eute verabschieden wir das Transparenzrichtlinie-
msetzungsgesetz – kurz TUG. Die damit umgesetzte
U-Richtlinie ist Bestandteil des vom Europäischen
ats beschlossenen Aktionsplans zur Verbesserung des
innenmarkts für Finanzdienstleistungen. Sie zielt auf
U-weit einheitliche Regeln für die Berichtspflichten
er Wertpapieremittenten ab. Kern der Regelungen sind
estimmungen zur Kapitalmarktpublizität und zu
timmrechtsmitteilungen. Gemeinsam mit den Haf-
ungsbestimmungen für das Management sind das die
ichtigsten Bereiche des Gesetzes.
Im ersten Regierungsentwurf war geplant, die Halb-
ahresberichte der Unternehmen einer verpflichtenden
ateriellen und formalen Prüfung zu unterziehen. Dieser
orschlag ist in der Anhörung von vielen Expertinnen
nd Experten weder als zielführend im Sinne von mehr
ransparenz angesehen worden, noch hatte er irgendet-
as mit dem Vorhaben der Bundesregierung zu tun, für
ine schlanke Bürokratie zu sorgen. Genau das Gegenteil
7050 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. November 2006
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wäre nämlich der Fall gewesen: Mehrkosten für die Un-
ternehmen und kaum Informationsgewinne für die An-
teilseignerinnen und Anteilseigner. Diese Regelung ist
auf Initiative der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen
und der Koalitionsfraktionen gestrichen worden. Den-
noch sind börsennotierte Unternehmen mit der Vorlage
von Halbjahresberichten zu mehr Transparenz verpflich-
tet. Die Bilanzpolizei, also die Deutsche Prüfstelle für
Rechnungslegung, wird allerdings nur bei konkretem
Anlass aktiv. Das ist im Sinne einer schlanken Bürokra-
tie.
Um das korrekte Vorlegen von Bilanzen geht es auch
bei den Haftungsregelungen des Managements. Das Ge-
setz regelt die strafrechtlichen Bestimmungen bei
Bilanzbetrug; das ist als Minimalanforderung notwen-
dig. Wir wollen aber darüber hinaus gehen und haben die
Bundesregierung deswegen aufgefordert, in einem eige-
nen Gesetz zivilrechtliche Haftungsbestimmungen fest-
zulegen. Das würde dem Kampf gegen kriminelle Ma-
chenschaften im Management der Unternehmen ein
weiteres Instrument in die Hand gegeben. Denn bei den
Haftungsregelungen für das Management bleibt das Ge-
setz bei der EU-Vorgabe stehen – leider. Dabei wäre an
dieser Stelle ein Schritt über die zurückhaltende europäi-
sche Regelung hinaus sinnvoll gewesen. Die Anteilseig-
nerinnen und Anteilseigner sollten im Schadensfall bei
Gericht direkt gegen die Verantwortlichen im Unterneh-
men vorgehen können, Das haben wir in unserem Ent-
schließungsantrag deutlich gemacht. Denn nur wenn sie
über dieses wirkungsvolle Instrument verfügen, wird es
in den Unternehmen eine ausgeprägte Kultur der Sorg-
falt geben.
Damit die größtmögliche Akribie des Managements
bei der Bilanzerstellung erfolgt, müssen Verstöße gegen
dieses Prinzip mit deutlichen Sanktionen belegt werden
können. Das wäre mit der Möglichkeit einer zivilrechtli-
chen Klage der Anlegerinnen und Anleger gegeben ge-
wesen. Eine Klagemöglichkeit nur gegen die Gesell-
schaft genügt an dieser Stelle nicht. Denn – das haben
uns die Erfahrungen aus der Zeit der New Economy ge-
zeigt – das Unternehmen ist unter Umständen im Falle
einer Insolvenz nicht mehr greifbar und die Anteilseig-
ner schauen dann in die Röhre. Deswegen wäre die
Schaffung einer Möglichkeit zum zivilrechtlichen Vor-
gehen für die Teilhaber ein sinnvoller Schritt gewesen.
Sie hätte der Verantwortung des Individuums im Ma-
nagement entsprochen.
Die Koalitionsfraktionen behaupten, der nun vorlie-
gende Gesetzesentwurf sei eine Eins-zu-eins-Umsetzung
der EU-Vorgaben. Das ist wie so oft ein Irrtum. Denn
schon allein dann, wenn die EU-Richtlinien Wahlrechte
ermöglichen, kann ohnehin nicht mehr von einer Eins-
zu-eins-Umsetzung gesprochen werden.
An einer Stelle haben wir von diesem Wahlrecht Ge-
brauch gemacht und die Meldeschwelle bei Stimm-
rechtsänderungen von fünf Prozent auf drei Prozent ge-
senkt. Das ist zu begrüßen, denn diese Vorschrift
verschafft den Anlegerinnen und Anlegern mehr Trans-
parenz über die Eignerstruktur. Entsprechend können sie
auf dieser Information ihre Anlageentscheidung ausrich-
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en. Trotzdem hat die FDP laut aufgeschrieen: Wie bei
nderen Gelegenheiten auch meint sie, dass mehr Trans-
arenz automatisch zu weniger Wettbewerb führen
ürde. Dabei ist das Gegenteil richtig: Nur wenn die
arktteilnehmer über möglichst viele relevanten Infor-
ationen verfügen, können sie auch ihren eigenen Präfe-
enzen entsprechende Entscheidungen treffen – eine
ichtige Voraussetzung für das Funktionieren von
ärkten. Mit dieser Vorschrift wird besser als bisher da-
ür gesorgt, dass sich Emittenten und Anlegerinnen und
nleger auf Augenhöhe begegnen können.
Der Finanzplatz Deutschland wird gestärkt, weil er
un noch besser in den EU-weiten Binnenmarkt inte-
riert ist. Deswegen werden wir diesem Gesetz zustim-
en.
nlage 6
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Entschädigung für
Opfer nationalsozialistischer Verfolgung (Tages-
ordnungspunkt 18)
Günter Baumann (CDU/CSU): Der vorliegende
ntrag lenkt unseren Blick mal wieder auf die Thematik
es politischen Strafrechts in der Bundesrepublik zur
eit des Kalten Krieges. Es ist der Versuch, diejenigen,
ie erst einen freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat
eseitigen wollten und einen Unrechtsstaat nach DDR-
orbild etablieren wollten, von Kollaborateuren zu Op-
ern zu stilisieren, nicht zuletzt um das sozialistische Re-
ime der DDR mit dem der Bundesrepublik auf eine
tufe zu stellen. In der 14. Wahlperiode bedienten sich
ie Antragsteller zur Begründung einer Gesetzesinitia-
ive der SED-Opfer, nun etliche Jahre später sollen es die
pfer nationalsozialistischer Verfolgung sein. Wie schon
n der Debatte am 17. Juni 1992 wird die CDU/CSU-
raktion Ihren Antrag entschieden zurückweisen. Die
pfer, die Sie in ihrem Antrag ansprechen, sind gerade
eine Opfer einer Diktatur.
Die KPD wurde 1956 durch das Bundesverfassungs-
ericht verboten, weil sie nach ihren Zielen und dem
erhalten ihrer Anhänger darauf aus war, die freiheitli-
he demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen.
llein dem Bundesverfassungsgericht obliegt dieses
ntscheidungsmonopol nach Art. 21 Abs. 2 GG. Solange
ies nicht geschehen ist, kann sich eine Partei in der Öf-
entlichkeit gegenüber der freiheitlichen demokratischen
rundordnung noch so verfassungsfeindlich verhalten.
as Gericht kann aber im Gegenzug eine Partei auch
ann für verfassungswidrig erklären, wenn nach
enschlichem Ermessen keine Aussicht darauf besteht,
ass sie ihre verfassungswidrige Absicht in absehbarer
eit werde verwirklichen können. Damit spielte es aus
amaliger Sicht gar keine Rolle, ob die KPD ihren Auf-
uf zum „revolutionären Sturz Adenauers“ je in die Tat
msetzen konnte.
Diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
um KPD-Verbot kann aus heutiger Sicht nicht mehr
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. November 2006 7051
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aufgehoben werden und im Übrigen wollen wir dies
auch nicht. Das verbietet uns schon das Prinzip der Ge-
waltenteilung. Somit ist auch die von ihnen geforderte
Änderung des Bundesentschädigungsgesetzes nicht
durchsetzbar. Denn eines darf man nicht vergessen, das
damals zur Anwendung gekommene politische Straf-
recht beruht auf einer rechtsstaatlichen Grundlage. Auch
wenn der Gesetzgeber 1968 mit dem Achten Strafrechts-
änderungsgesetz rechtspolitisch gebotene Korrekturen
des politischen Strafrechts aus dem Jahr 1951 vorge-
nommen und mit dem Straffreiheitsgesetz eine Amnestie
geschaffen hat, sind die so genannten Staatsschutzurteile
der 50er- und 60er-Jahre in einem rechtsstaatlichen Ver-
fahren erfolgt.
Zum Schluss möchte ich betonen, dass mir in meiner
politischen Arbeit die in ihrem Antrag angesprochene
Personengruppe – die Opfer der SED-Diktatur – beson-
ders am Herzen liegen. Anders als in der Bundesrepublik
waren die Richter und Staatsanwälte bei ihrer Urteilsfin-
dung innerhalb der DDR-Justiz nicht einem Rechtsstaat
verpflichtet. Unter diesem Blickwinkel waren dies hoch-
gradige Unrechtsurteile, die auf reine politische Verfol-
gung und Unterdrückung aus waren. Die politische
Strafjustiz der DDR war verbrecherisch und markantes
Merkmal einer Diktatur. Diese Opfer müssen endlich für
ihren mutigen Einsatz für Freiheit und Demokratie Ge-
rechtigkeit erfahren. Durch die Festschreibung im Koali-
tionsvertrag sind die Weichenstellungen für eine Opfer-
pension getätigt. Nun müssen wir diese Zielsetzung auch
zügig umsetzen.
Wenn Sie als Fraktion Die Linke nach Aufarbeitung
ihrer eigenen Geschichte in der Demokratie ankommen
wollen, dann sollten Sie Ihren Antrag zurückziehen.
Manfred Kolbe (CDU/CSU): Die durch nationalso-
zialistisches Unrecht verursachten Schäden erforderten
bereits unmittelbar nach Kriegsende Regelungen zur
Wiedergutmachung. Besonders betroffen waren Perso-
nen, die aus Gründen politischer Gegnerschaft zum Na-
tionalsozialismus oder aus Gründen der Rasse, des
Glaubens oder der Weltanschauung durch nationalsozia-
listische Gewaltmaßnahmen Schäden erlitten hatten. Für
diese Personen wurden deshalb frühzeitig von den Be-
satzungsmächten, den Gemeinden und seit ihrer Entste-
hung von den Ländern und dem Bund Regelungen ge-
troffen.
In der Anwendungspraxis des Bundesentschädi-
gungsgesetzes aus dem Jahr 1956 zeigte sich in den Fol-
gejahren Änderungsbedarf. Dabei war man sich darüber
klar, dass eine Novellierung nicht alle Forderungen der
Berechtigten berücksichtigen und auch im Hinblick auf
den hohen Erledigungsstand nicht alle abgeschlossenen
Fälle wieder neu aufgerollt werden konnten. Die aus die-
sem Grunde angestrebte Novellierung sollte den endgül-
tigen Abschluss der Gesetzgebung auf diesem Gebiet
bilden. Nach vierjährigen eingehenden Beratungen in
den zuständigen Ausschüssen des Bundestages und des
Bundesrates erging am 14. September 1965 unter aus-
drücklicher Kennzeichnung als Schlussgesetz das
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weite Gesetz zur Änderung des Bundesentschädi-
ungsgesetzes.
Nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 Bundesentschädigungsgesetz
st von der Entschädigung ausgeschlossen, wer nach
em 23. Mai 1949 die freiheitlich-demokratische Grund-
rdnung im Sinne des Grundgesetzes bekämpft hat.
ach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom
. Juli 1973 muss der Betroffene bewusst das Ziel ver-
olgt haben, mit seiner Tätigkeit einen aktiven Beitrag
um Kampf gegen die freiheitlich-demokratische Grund-
rdnung der Bundesrepublik Deutschland zu leisten.
ine strafrechtliche Verurteilung allein bildet keinen
usschlussgrund nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 BEG. Der Rege-
ung des § 6 Abs. 1 Nr. 2 BEG liegt vielmehr die Erwä-
ung zugrunde, dass es nicht gerechtfertigt ist, einer Per-
on eine öffentlich-rechtliche Entschädigung von einem
taat zukommen zu lassen, dessen freiheitlich-demokra-
ische Grundordnung ebendiese Person durch aktiven
olitischen Kampf zu beseitigen trachtet.
Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungs-
äßigkeit dieser Ausschlussregelung ausdrücklich ge-
illigt. Es führt hierzu aus, dass es angesichts der in
rt. 9 Abs. 2, Art. 18 und Art. 21 Abs. 2 Grundgesetz
um Ausdruck gekommenen Grundentscheidung des
erfassungsgebers für eine Bekämpfung der aktiven
einde der demokratischen Werteordnung angemessen
ei, Entschädigungen zu versagen. Entscheidend hierfür
st das Selbstverständnis der Bundesrepublik Deutsch-
and als demokratischer Rechtsstaat.
Soweit das Bundesverfassungsgericht mit vorgenann-
em Urteil bei einer Tätigkeit für die KPD vor deren Ver-
ot im Jahre 1956 nur dann ein Bekämpfen der freiheit-
ich-demokratischen Grundordnung angenommen hat,
enn dabei gegen allgemeine Strafgesetze verstoßen
urde, kommt darin nicht zum Ausdruck, dass das We-
en des Bekämpfens in einer Straftat zu sehen ist, son-
ern dass im Hinblick auf das Parteienprinzip gegen den
erfolgten in subjektiver Hinsicht kein strafrechtlicher
orwurf wegen einer Tätigkeit für eine verfassungs-
echtliche Partei erhoben werden kann, solange diese
icht verboten ist.
Im Übrigen würde eine Streichung der Ausschlussre-
elung weitestgehend ins Leere laufen, weil die gesetzli-
hen Antragsfristen des BEG seit langem abgelaufen
ind. Bundestag und Bundesregierung haben seit vielen
ahren zum Ausdruck gebracht, dass sie die Gesetzge-
ung im Rahmen des BEG mit dem BEG-Schlussgesetz
us dem Jahre 1965 als abgeschlossen betrachten und
ine Novellierung dieses Gesetzes nicht in Erwägung
iehen.
Diese Haltung wurde bei den parlamentarischen Be-
atungen über den Erlass und die Verbesserung außerge-
etzlicher Härteregelungen für Verfolgte und andere Op-
er von NS-Unrechtsmaßnahmen wiederholt bekräftigt.
er Gesetzgeber hat das Ende des Kalten Krieges nicht
um Anlass genommen, etwas an der bestehenden
echtslage zu ändern.
Der Antrag der PDS ist eine Verhöhnung derer, die in
eutschland Opfer von Diktaturen geworden sind. Er ist
7052 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. November 2006
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der untaugliche Versuch, diejenigen, die einen freiheit-
lich-demokratischen Rechtsstaat beseitigen und einen
Unrechtsstaat nach DDR-Muster etablieren wollten, von
Antidemokraten zu Opfern zu erheben.
Maik Reichel (SPD): Der heute hier eingebrachte
Antrag der Linksfraktion „Entschädigung für Opfer na-
tionalsozialistischer Verfolgung“, Drucksache 16/3536,
wird 50 Jahre nach dem Verbot der Kommunistischen
Partei Deutschlands 1956 besprochen. Der Antrag zielt
darauf, ehemaligen Mitgliedern der KPD bzw. politisch
tätigen Kommunisten ihnen versagte Ansprüche nach
erlittener Verfolgung durch den Nationalsozialismus zu-
zugestehen. Dieser Antrag unterstellt, dass ehemalige
Mitglieder der verbotenen KPD generell keine Entschä-
digung nach Bundesentschädigungsgesetz erhalten ha-
ben. Dies entspricht jedoch nicht den Tatsachen.
Eine bloße Mitgliedschaft oder eine Übernahme von
Funktionen in der seit 1956 verbotenen KPD hat zu kei-
nem Zeitpunkt zum Ausschluss von Leistungen nach
dem Bundesentschädigungsgesetz geführt. Dies wird un-
ter anderem deutlich in einem Urteil des Bundesgerichts-
hofes aus dem Jahre 1973. Nach richterlicher Auffas-
sung „muss der Betroffene bewusst das Ziel verfolgt
haben, mit seiner Tätigkeit zum Kampf gegen die frei-
heitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepu-
blik Deutschland“ beizutragen.
Demnach bezieht sich der § 6 des Bundesentschädi-
gungsgesetzes nicht allgemein auf die Parteimitglied-
schaft, sondern auf die Aktivitäten einer einzelnen Per-
son, die auch Mitglied der KPD sein kann. Dieser
Paragraph regelt einen Teil der Anspruchsgrundlage
bzw. in diesem Fall Ausschlussgründe. Er besagt näm-
lich – an dieser Stelle möchte ich kurz in Auszügen den
Gesetzestext zitieren:
„Von der Entschädigung ist ausgeschlossen …, 2. wer
nach dem 23. Mai 1949 die freiheitliche demokratische
Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekämpft
hat; 3. wer nach dem 8. Mai 1945 wegen eines Verbre-
chens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mehr als
drei Jahren verurteilt worden ist.“ Weiter heißt es in Ab-
satz 3: „Der Anspruch auf Entschädigung ist verwirkt,
wenn nach Festsetzung oder nach rechtskräftiger ge-
richtlicher Entscheidung einer der Ausschließungs-
gründe des Absatzes 1 Nr. 2 und 3 eintritt. Die nach Ein-
tritt eines Verwirkungsgrundes bewirkten Leistungen
können zurückgefordert werden.“
Im Übrigen ist im Einzelfall ein Härteausgleich nach
§ 171 des Bundesentschädigungsgesetzes bei Fällen be-
sonderer Härte möglich. Laut einer Umfrage unter den
Bundesländern Ende der 1990er-Jahre erhielten viele
nach § 6 BEG Ausgeschlossene in ebensolchen Härtefäl-
len finanzielle Unterstützung, was auch einem gemein-
samen Beschluss aller Länder vom Juli 1968 entsprach.
Baden-Württemberg zum Beispiel hat allen Betroffenen
einen solchen Härteausgleich nach § 171 gewährt. Somit
kann von einem „gesellschaftlichen Skandal in der Bun-
desrepublik (West)“, wie es in der Antragsbegründung
heißt, nicht gesprochen werden.
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Betroffen sind von § 6 des Bundesentschädigungsge-
etzes zwei Personengruppen, zwischen denen das Ge-
etz unterscheidet. Zum einen solche Opfer des Natio-
alsozialismus, die nach 1945 straffällig geworden sind,
nd auf der anderen Seite diejenigen, die aktiv für die
eseitigung der freiheitlichen demokratischen Grund-
rdnung gekämpft haben.
Um klarzustellen: Für eine Verurteilung zu drei Jah-
en Freiheitsstrafe reichte ein kleiner Ladendiebstahl
icht aus. Die Rede ist stattdessen von schwersten Delik-
en gegen körperliche Unversehrtheit oder Besitzstände.
o sind von diesem Passus unter anderem Täter betrof-
en, die rechtskräftig wegen Meineides, sexueller oder
örperlicher Gewalt bzw. schweren Raubes oder Dieb-
tahls verurteilt wurden.
Zur zweiten Personengruppe, den wegen ihrer verfas-
ungsfeindlichen Aktivität in Nähe zur KPD Betroffe-
en, ist Folgendes zu sagen:
Die KPD wurde am 17. August 1956 vom Ersten Se-
at des Bundesverfassungsgerichts verboten, als Partei,
ie die freiheitlich-demokratische Grundordnung be-
ämpft und somit gemäß Art. 21 Abs. 2 GG verfassungs-
idrig ist.
Eingeleitet wurde dieses Parteiverbotsverfahren
urch den „Antrag zur Feststellung der Verfassungswid-
igkeit“ vom 23. November 1951. Dieser durch die Re-
ierung Adenauer eingebrachte Antrag richtete sich
icht nur gegen die KPD, sondern auch gegen die Sozia-
istische Reichspartei, welche 1951 als nationalsozialis-
isch galt.
Nach etwa fünf Jahren kam das Bundesverfassungs-
ericht in seinem Urteil – BVerfGE 5,85 – zu der Er-
enntnis, dass es sich bei der KPD um eine verfassungs-
eindliche Organisation handelt. Die Richter beriefen
ich bei ihrer Entscheidung unter anderem auf das Be-
enntnis der KPD zum Marxismus-Leninismus und ih-
en Aufruf zum „Sturz des Adenauer-Regimes“.
In der Folge dieses Urteils hat man sowohl den Rich-
ern als auch den westdeutschen Bundesregierungen vor-
eworfen, antikommunistische Hexenjagd zu betreiben
nd allein wegen KPD-Mitgliedschaft ohne Augenmaß
rteile zu fällen. Dass dem nicht so war, wissen Sie hof-
entlich genauso gut wie ich. Auch von einer „morali-
chen und sozialen Ausgrenzung der kommunistischen
pfer des Nazi-Regimes“ und „Ausgrenzung der Kom-
unistinnen und Kommunisten aus den Opferentschädi-
ungsleistungen“, wie es der Antrag formuliert, kann
icht die Rede sein.
Es finden sich genügend Beispiele, die das damalige
erfahren detaillierter beschreiben. So wurden in den
chtzehn Jahren von 1950 bis 1968 schätzungsweise
50 000 bis 200 000 Ermittlungsverfahren im Zusam-
enhang mit einem Angriff auf die freiheitliche demo-
ratische Grundordnung bzw. dem später folgenden
PD-Verbot eingeleitet. Lediglich ein Bruchteil davon
ührte zu einer Verurteilung. Es wird davon ausgegan-
en, dass etwa fünf Prozent aller Verfahren zu einem Ur-
eil und einer damit verbunden Freiheitsstrafe geführt
aben.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. November 2006 7053
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Das Bundesverfassungsgericht hat übrigens in einem
Urteil von 1961 ausdrücklich die Ausschlussregelung
des BEG für verfassungsmäßig erklärt, der ja die Erwä-
gung zugrunde liegt, dass es nicht gerechtfertigt ist, eine
öffentlich-rechtliche Entschädigung einer Person zu-
kommen zu lassen, die die freiheitliche demokratische
Grundordnung durch aktiven politischen Kampf zu be-
seitigen trachtet.
Die Anerkennung erlittenen Leids gleicht keineswegs
die Unrechtmäßigkeit späterer antidemokratischer Betä-
tigung aus. Gerade aus 40 Jahren Geschichte der DDR
wissen wir sehr wohl, wie einer Diktatur die nächste fol-
gen kann, und sei sie auch die des Proletariats.
Aus all den genannten Gründen wird die SPD-Bun-
destagsfraktion an der bestehenden Regelung festhalten
und den Antrag der Linksfraktion ablehnen.
Dr. Max Stadler (FDP): Mit diesem Antrag zielt die
Fraktion Die Linke darauf ab, bestimmte Regelungen
des Bundesentschädigungsgesetzes zu revidieren. Nach
§ 6 Abs. 1 Nr. 2 BEG wurden Personen, die die freiheit-
liche demokratische Grundordnung im Sinne des Grund-
gesetzes bekämpft haben, von Entschädigungsleistungen
ausgeschlossen. Die Fraktion Die Linke möchte errei-
chen, dass dieser Entschädigungsausschluss nicht auf
Mitglieder der damaligen Kommunistischen Partei
Deutschlands, KPD, und andere Personen, die sich als
Kommunisten politisch betätigten, angewandt wird.
Wenn man diesem Antrag folgen würde, würde im
nachhinein eine gesetzgeberische Grundentscheidung
aus den 50er-Jahren aufgehoben, obwohl der Sachver-
halt bereits abgeschlossen ist. Dies begegnet rechtsstaat-
lichen Bedenken.
Zwar ist richtig, dass das KPD-Verbot historisch im
Kontext des Kalten Krieges zu sehen ist. Das damalige
Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht ist
historisch zu bewerten auf dem Hintergrund der deut-
schen Teilung. Ähnliche Verfahren gab es in anderen
westlichen Demokratien wie Frankreich, Österreich oder
Italien gerade nicht. Andererseits besteht kein Zweifel,
dass dieses Verbot auf der Grundlage des Art. 21 Abs. 2
des Grundgesetzes rechtmäßig zustande gekommen ist
und in Rechtskraft erwachsen ist.
Der Gesetzgeber des Bundesentschädigungsgesetzes
von 1956 hatte einen Ermessensspielraum, welcher Perso-
nenkreis Anspruch auf Entschädigungsleistungen haben
sollte und wer nicht. Hiervon hat er unter Berücksichti-
gung der damaligen Verhältnisse maßvoll Gebrauch ge-
macht. In der Gesetzesbegründung heißt es ausdrück-
lich: „Es sei staatspolitisch geboten und rechtlich
vertretbar, Verfolgte von der Entschädigung auszuschlie-
ßen, die durch ihr Verhalten die politische Ordnung des
heutigen Staates gestört haben. Doch liege in einer blo-
ßen Mitgliedschaft in einer Partei, zum Beispiel in der
KPD oder SED, noch kein Bekämpfen der freiheitlichen
demokratischen Grundordnung; dieser Tatbestand sei
nur bei einem aktiven Verhalten erfüllt.“ Das Bundesver-
fassungsgericht hat die Verfassungsmäßigkeit der Aus-
schlussformel bestätigt, aber zugleich festgestellt, dass
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er Ausschluss eines Verfolgten von Entschädigungs-
eistungen nicht damit begründet werden könne, er habe
ie freiheitliche demokratische Grundordnung „be-
ämpft“, wenn sich seine Tätigkeit darin erschöpfte, im
ahmen einer noch nicht verbotenen verfassungswidri-
en Partei sich für die Verwirklichung ihrer Ziele mit all-
emein erlaubten Mitteln einzusetzen. Von einem flä-
hendeckenden Ausschluss früherer Kommunisten von
ntschädigungsleistungen kann also keine Rede sein.
Wenn die Antragsteller mit ihrem Anliegen Erfolg ha-
en wollen, müssen sie mögliche Gerechtigkeitslücken
chon sorgfältiger herausarbeiten. Nach unserer Auffas-
ung muss eine Entschädigungsleistung jedenfalls dann
usgeschlossen bleiben, wenn der Betroffene die frei-
eitlich demokratische Grundordnung in strafrechtlich
elevanter Weise bekämpft hat.
Unabhängig davon ist es eine Sache der Diskussion
nter Historikern, den Widerstand gegen den National-
ozialismus und dabei auch den von Kommunisten
eleisteten Widerstand angemessen zu würdigen und
ich mit der Behandlung dieses Personenkreises in der
rühphase der Bundesrepublik Deutschland auseinander
u setzen.
Jan Korte (DIE LINKE): Am 17. August 1956 hat
as Bundesverfassungsgericht auf Antrag der Bundesre-
ierung unter Konrad Adenauer, CDU, die Kommunisti-
che Partei Deutschlands, KPD, verboten. Parallel zu
em fünfjährigen Verfahren wurden verschiedene Atta-
ken im Zuge eines antikommunistischen Konsenses der
olitischen Klasse und antikommunistischer Hysterie im
uge der Systemauseinandersetzung gegen Kommunis-
innen und Kommunisten gefahren.
Rund 80 kommunistische Organisationen und Bünd-
isgruppen wurden zwischen 1951 und 1958 verboten.
00 000 Personen waren von staatsanwaltschaftlichen
rmittlungsverfahren betroffen. Über 10 000 Verurtei-
ungen waren die Folge. Unter den Verurteilten befanden
ich nicht nur Personen, die in kommunistischen Organi-
ationen oder in der Kommunistischen Partei aktiv wa-
en. Auch das Engagement in Gruppen oder Initiativen
ie zum Beispiel im „Hauptausschuss für Volksbefra-
ung über die Wiederbewaffnung“ oder in der „Gesell-
chaft für Deutsch-sowjetische Freundschaft“ konnte
mpfindliche Strafen oder die Einschränkung von Bür-
er- und Freiheitsrechten nach sich ziehen. Auch Anhän-
er bürgerlicher Parteien oder Mitglieder der Sozialde-
okratischen Partei, SPD, die in diesen oder ähnlichen
ewegungen aktiv waren, wurden in den ersten beiden
ahrzehnten des Bestehens der Bundesrepublik Deutsch-
and zu Opfern politischer Justiz.
Viele der damals mit friedlichem Protest politisch
ngagierten Menschen waren zuvor Opfer der national-
ozialistischen Diktatur. Viele verbüßten mehrjährige
uchthaus- oder KZ-Haftstrafen, wurden gefoltert und
isshandelt. Viele befanden sich im Untergrund und
ämpften gegen das menschenverachtende Regime der
azis. Derartige Erfahrungen und das erlittene Leid un-
er dem NS-Regime waren für viele Beweggründe, sich
egen die Wiederbewaffnung Deutschlands oder für die
7054 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. November 2006
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Verteidigung der Demokratie in Westdeutschland zu en-
gagieren.
Wir, die Fraktion Die Linke, wollen mit dem nun vor-
liegenden Antrag ein besonderes moralisches Unrecht
aufheben helfen. Es ist unserer Ansicht nach moralisches
Unrecht und juristisch nicht hinnehmbar, wenn Opfer na-
tionalsozialistischer Verfolgung aufgrund ihrer Mitglied-
schaft in der 1956 verbotenen Kommunistischen Partei
Deutschlands oder wegen politischer Tätigkeit als Kom-
munisten nach 1949 die ihnen zustehenden Entschädi-
gungsleistungen nach dem Bundesentschädigungsgesetz
nicht erhalten bzw. erhalten haben oder schon gezahlte
Entschädigungen zurückzahlen mussten.
Kommunisten, die wegen Widerstands gegen das NS-
Regime im Konzentrationslager oder in den Fängen der
Gestapo litten, haben wie andere Opfer nationalsozialis-
tischer Verfolgung Anspruch auf Entschädigungsleistun-
gen nach dem Bundesentschädigungsgesetz erworben
und zudem unsere höchste Anerkennung. Im Zuge des
Kalten Krieges und des Antikommunismus in der Bun-
desrepublik Deutschland wurde Mitgliedern der KPD
eine Entschädigung verweigert oder gar die schon ge-
leistete wieder zurückgefordert.
Unser Antrag hat das Ziel, noch lebenden und bereits
verstorbenen Kommunistinnen und Kommunisten, die
Opfer nationalsozialistischen Terrors waren, eine morali-
sche, politische und juristische Anerkennung ihrer im
Widerstand gegen das Naziregime erbrachten Opfer
durch die Bundesrepublik Deutschland zuteil werden zu
lassen und sie endlich auch auf dieser Ebene anderen
Opfern nationalsozialistischer Verfolgung gleichzustel-
len.
Der derzeitige § 6 Abs. 1 Nr. 2 BEG legt fest, dass
Personen, die nach dem 23. Mai 1949 die freiheitlich de-
mokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes
bekämpft haben, von Entschädigungsleistungen ausge-
schlossen sind. In § 6 Abs. 3 BEG wird geregelt, dass ein
Anspruch auf Entschädigung verwirkt ist und Leistun-
gen zurückgefordert werden können, wenn Ausschluss-
gründe nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 vorliegen. Selbst Leistun-
gen, die nach Feststellen des Ausschlussgrundes gezahlt
wurden, können zurückgefordert werden.
Für Entschädigungsleistungen sollte meiner Meinung
nach ausschließlich, wie es im Vorwort des Bundesent-
schädigungsgesetzes formuliert ist, die „Wiedergutma-
chung für erlittenes Unrecht“ das entscheidende Krite-
rium sein, weil der „geleistete Widerstand ein Verdienst
um das Wohl des deutschen Volkes und des Staates“ war.
Die Ausgrenzung von Kommunistinnen und Kommunis-
ten aus den Opferentschädigungsleistungen mag der ju-
ristischen Umsetzung der Logik des Kalten Krieges ent-
sprochen haben. Sie aufrechtzuerhalten, widerspricht
heutigen rechtsstaatlichen Grundsätzen und dem morali-
schen Verständnis vieler in diesem Lande. Dies ist umso
bedrückender, als die Grundlage für den Ausschluss von
Entschädigungsansprüchen die Urteilssprüche von Staats-
anwälten und Richtern waren, die als Täter bereits unter
dem Naziregime politische Prozesse geführt hatten und
nach 1949 erneut über Widerstandskämpfer zu Gericht
saßen.
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Auch das Verbot der Kommunistischen Partei
eutschlands kann eine juristische Abwertung und die
oralische und soziale Ausgrenzung der kommunisti-
chen Opfer des Naziregimes – das bedeutet nämlich die
erweigerung der Entschädigungsleistung bis heute –
eder juristisch noch moralisch rechtfertigen.
Deshalb streiten wir mit unserem Antrag nicht nur für
iedergutmachung für die Opfer der NS-Herrschaft.
ein, wir suchen auch nach einem breiten gesellschaftli-
hen und parlamentarischen Konsens in dieser Frage.
uch deshalb bitte ich Sie, dem Ansinnen unseres Antra-
es zu folgen und die Bundesregierung aufzufordern, das
undesgesetz zur Entschädigung für Opfer nationalso-
ialistischer Verfolgung dahin gehend zu ändern, dass
ichergestellt wird, dass, Personen von Entschädigungs-
eistungen nach diesem Gesetz nicht wegen Mitglied-
chaft in der oder einer legalen Tätigkeit für die damalige
ommunistische Partei Deutschlands ausgeschlossen
erden, dass Personen von Entschädigungsleistungen
ach diesem Gesetz nicht ausgeschlossen werden, wenn
ie sich als Kommunisten politisch betätigten, und dass
chon geleistete Entschädigungen, die nach § 6 Abs. 3
EG zurückgezahlt wurden, den Betroffenen oder ihren
rben ausgezahlt werden.
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
ie Geschichte des Entschädigungsrechts für Opfer von
S-Unrecht in Deutschland ist wahrlich kein Ruhmes-
latt. Es hat jahrzehntelang gedauert, bis mehr und mehr
pfergruppen in den Kreis der Leistungsberechtigten
auf unterschiedlichster rechtlicher Grundlage – mit-
inbezogen wurden. Teilweise hochbetagte Opfer wur-
en so erst kurz vor ihrem Tod zu Anspruchsberechtig-
en. Dies ist eine Schande und das muss an dieser Stelle
och einmal klipp und klar gesagt werden.
Das Bundesentschädigungsgesetz, BEG, aus den
0er-Jahren war ein Gesetz, das Diskriminierung un-
weifelhaft festgeschrieben hat. Das BEG benachteiligte
or allem ausländische Verfolgte und verschiedene deut-
che Verfolgtengruppen, wie Sinti und Roma, Kommu-
isten, Wehrdienstverweigerer, Homosexuelle, von dem
S-Erbgesundheitsgesetz Betroffene und so genannte
soziale.
Erst unter Rot-Grün ist es maßgeblich gelungen, die
eistungen für NS-Opfer auf anderem Wege wesentlich
uszubauen. Ich erinnere nur daran: In der 14. Wahl-
eriode haben wir in einem großen Kraftakt die Entschä-
igung der NS-Zwangsarbeiter auf den Weg gebracht. In
er 15. Wahlperiode folgten Verbesserungen für weitere
S-Opfer im Inland, zum Beispiel für Menschen, die im
ationalsozialismus zwangssterilisiert wurden. In Folge
es Gesetzes zur Aufhebung nationalsozialistischer Un-
echtsurteile, NS-Aufhebungsgesetz, sind weitere NS-
pfer ab 2005 in den Kreis der Leistungsberechtigten
inbezogen worden. Dies betrifft zum Beispiel Militär-
ustizopfer sowie Homosexuelle. Bislang war Strafhaft
ufgrund des von den Nazis 1935 massiv verschärften
omosexuellenparagrafen 175 grundsätzlich nicht als
S-Unrecht anerkannt gewesen. Das hat Rot-Grün auf
nitiative meiner Fraktion geändert – entsprechend der
002 von uns durchgesetzten Ergänzung des NS-Aufhe-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. November 2006 7055
(A) )
(B) )
bungsgesetzes, mit der Verurteilungen nach §§ 175,
175 a Nr. 4 RStGB in der Zeit bis zum 7. Mai 1945 als
NS-Unrecht pauschal aufgehoben wurden.
Das im kalten Krieg befindliche Nachkriegsdeutsch-
land hat sich immer wieder geweigert, überhaupt anzuer-
kennen, dass ganze Opfergruppen in Deutschland von der
Entschädigung ausgeschlossen waren. Im Falle der kom-
munistischen Opfer gab es da nichts zu leugnen: Das war
ein ganz bewusstes Außenvorlassen, weil man diese Men-
schen einer Entschädigung nicht für würdig erachtete.
Der Bundestag hat in den 50er-Jahren nachträglich in das
Entschädigungsgesetz geschrieben, dass kommunistische
NS-Opfer keinen Anspruch auf Entschädigung hätten,
und das, obwohl die US-Militärregierung in ihrem ersten
Entschädigungsgesetz von 1947, an das sich das Bundes-
entschädigungsgesetz laut Vertrag ja eigentlich anlehnen
sollte, die Kommunisten nicht ausgenommen hatte.
Anders als der Antrag der Linken jetzt suggeriert,
sind Änderungen am BEG heute natürlich unsinnig, weil
es seit 1969 ein Schlussgesetz gibt, mit anderen Worten:
Das BEG ist ein totes Gesetz. Es werden danach zwar
noch Leistungen ausgezahlt, eine Antragstellung ist je-
doch heute nicht mehr möglich.
Gleichwohl gebe ich der Fraktion der Linken insofern
Recht, dass es nicht zuletzt eine moralische Verpflich-
tung der Bundesrepublik ist, das Unrecht dieses Aus-
schlusses einer Entschädigung für Kommunisten auszu-
sprechen. Es sollte auch ein Weg gefunden werden, dass
zumindest diejenigen, die damals ihre Entschädigung
wegen Unwürdigkeit zurückzahlen mussten, dieses Geld
wiederbekommen. Wie das aber konkret geschehen soll
– möglicherweise über Härtefonds –, dazu schweigt der
Antrag der Linken bedauerlicherweise. Hier hätte ich
mir etwas mehr Seriosität erhofft.
Kommunisten gehörten während der Nazidiktatur zu
den aktivsten Widerstandskämpfern; sie wurden in den
Konzentrationslagern mannigfach geschunden und ge-
quält. Es gab und gibt keinerlei Grund, Menschen aus
dieser Opfergruppe eine Entschädigung vorzuenthalten.
Anlage 7
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung:
– Unterrichtung: Bericht der Bundesregie-
rung über die Beschäftigung schwerbehin-
derter Menschen im öffentlichen Dienst des
Bundes
– Antrag: Recht statt Pflicht – Einschränkun-
gen behinderter Menschen bei der Teilhabe
am öffentlichen Leben entgegenwirken
– Antrag: Teilhabe von Menschen mit Behin-
derungen am öffentlichen Leben konsequent
sichern
(Tagesordnungspunkt 19)
Hubert Hüppe (CDU/CSU): Im Mittelpunkt dieses
Tagesordnungspunktes steht der „Bericht der Bundesre-
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ierung zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen
m öffentlichen Dienst des Bundes“. Daneben werden
och zwei Anträge, einer von der FDP und einer von
ündnis 90/Die Grünen, behandelt, die sich mit dem
erkzeichen B im Schwerbehindertenausweis beschäf-
igen. Die beiden Anträge gehen letztlich auf eine Initia-
ive der CDU/CSU aus der letzten Wahlperiode zurück.
ie FDP hat diesen Antrag der Union, einschließlich der
egründung, wortwörtlich abgeschrieben. Die CDU/
SU wollte schon damals eine Klarstellung durchsetzen:
s sollte deutlich gemacht werden, dass diejenigen, die
uf dem Schwerbehindertenausweis das Merkzeichen B
aben, zwar das Recht haben, sich im öffentlichen Per-
onenverkehr von einer Person begleiten zu lassen, dass
ie aber nicht von einer Person begleitet werden müssen.
In der Vergangenheit hatte der Satz, welcher neben
em Merkzeichen B auf dem Schwerbehindertenausweis
ufgedruckt wurde, zu Missverständnissen geführt. Dieser
atz lautete: „Die Notwendigkeit ständiger Begleitung
st nachgewiesen.“ Das führte zum Beispiel dazu, dass
enschen mit einem solchen Ausweis zurückgewiesen
urden, wenn sie allein ins Schwimmbad gehen wollten.
nderen ist es passiert, dass man sie nicht allein im Bus
itfahren lassen wollte. Inzwischen hat sich dieses Pro-
lem unbürokratisch lösen lassen. Nachdem jetzt auch
ie SPD-Fraktion sowie Bündnis 90/Die Grünen unser
nliegen unterstützen, wie man an ihrem Antrag erken-
en kann, konnten wir einvernehmlich eine Änderung
er Schwerbehindertenausweisverordnung vornehmen.
as Merkzeichen B wird jetzt durch den geänderten Satz
Die Berechtigung zu Mitnahme einer Begleitperson ist
achgewiesen“ ergänzt. Somit ist eindeutig klargestellt,
ass es sich dabei um ein Recht und nicht um eine
flicht zur Mitnahme handelt.
Da diese Änderung bereits im Rahmen des Zweiten
esetzes zur Änderung des Betriebsrentengesetzes um-
esetzt wurde, haben sich die vorliegenden Anträge von
DP und Bündnis 90/Die Grünen weitgehend erledigt.
uch wenn das Merkzeichen B nicht unbedingt in einem
achzusammenhang mit dem Betriebsrentengesetz steht,
o war es uns doch wichtig, dieses für die Betroffenen
elastende Problem möglichst schnell zu lösen. Es bleibt
llerdings ein weiterer Punkt im Antrag der FDP zu
rwähnen. Dabei geht es um eine bundeseinheitliche
egelung für Parkerleichterungen für Schwerbehinderte
hne das Merkzeichen aG, das für „außergewöhnlich
ehbehindert“ steht. Auch die Union sieht hier für her-
ömmliche Gruppen von Menschen mit Behinderungen,
ie zum Beispiel „Ohnarmer als Contergangeschädigter“,
egelungsbedarf. Wir bleiben weiterhin im Gespräch
nd ich wünsche mir, dass sich im Verkehrsministerium
ine vernünftige Lösung finden lässt.
Nun komme ich zum Bericht der Bundesregierung
ber die Beschäftigung schwerbehinderter Menschen im
ffentlichen Dienst des Bundes. Wie Sie wissen, wird bis-
er dieser Bericht jährlich erstellt. Das Problem ist, dass
ir erst jetzt – Ende 2006 – über die Entwicklung der
ahre 2003/2004 diskutieren. Der Ausschuss für Arbeit
nd Soziales hat mehrheitlich beschlossen, diesen Bericht
n den einmal pro Wahlperiode zu erstellenden „Bericht
er Bundesregierung zur Lage behinderter Menschen
7056 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. November 2006
(A) )
(B) )
und der Entwicklung ihrer Teilhabe“ zu integrieren. Im
Ausschuss wurde uns jedoch vonseiten des Ministeriums
signalisiert, dass auf Anfrage zeitnah weiter über die
Situation von Schwerbehinderten im öffentlichen Dienst
berichtet würde. Das gibt uns die Chance – und diese
Chance sollten wir nutzen – zeitnäher und unbürokrati-
scher zu reagieren und Fehlentwicklungen zu korrigieren.
Ich glaube, niemand hier im Hause bezweifelt, dass
der öffentliche Dienst bei der Bekämpfung der Arbeits-
losigkeit schwerbehinderter Menschen eine besondere
Vorbildfunktion hat. Angesichts der gesetzlich geforderten
Beschäftigungsquote von 5 bzw. 6 Prozent des Bundes
ist der tatsächliche Anteil schwerbehinderter Menschen
im öffentlichen Dienst in Höhe von 7,1 Prozent ein Er-
folg. Erfreulich ist, dass die Anzahl schwerbehinderter
Frauen im öffentlichen Dienst des Bundes um 3,8 Prozent
gestiegen ist. Auch die Zahl der beschäftigten schwerbe-
hinderten Menschen bei den öffentlichen Arbeitgebern
insgesamt, also Bund, Länder wie auch Kommunen,
konnte von 2002 auf 2003 auf nunmehr insgesamt 5,4 Pro-
zent gesteigert werden. Schaut man sich jedoch die Zah-
len etwas genauer an, dann stellt man fest, es gibt auch
Entwicklungen, die nicht zufrieden stellend sind. So ist
zwar im Berichtszeitraum, wie oben erwähnt, die Be-
schäftigungsquote beim Bund bei 7,1 Prozent gehalten
worden, allerdings hat sich die Zahl der Arbeitsplätze für
schwerbehinderte Menschen insgesamt um 224 Plätze
verringert. Dabei ist aus dem Bericht nicht deutlich zuer-
kennen, ob es tatsächlich nicht sogar noch weniger Be-
schäftigte sind, da im Jahr 2004 durch eine Änderung
des SGB IX mehrere Möglichkeiten von Mehrfachan-
rechnungen geschaffen wurden. Mit anderen Worten, es
gibt die Möglichkeit, besonders schwer zu vermittelnde
schwerbehinderte Menschen mehrfach auf die Beschäfti-
gungsquote anzurechnen.
Besonders bedauerlich ist allerdings, dass der Anteil
schwerbehinderter Menschen bei den Neueinstellungen
von 4,1 Prozent im Jahr 2003 auf 3,5 Prozent im Jahr 2004
zurückgegangen ist. Konkret bedeutet dies, dass nur
22 schwerbehinderte Menschen mehr eingestellt wurden,
obwohl es im Jahr 2004 insgesamt 2 281 Neueinstellun-
gen mehr gab als im Jahr 2003. Dieser Trend, der sich
unter der damaligen rot-grünen Regierung eingeschli-
chen hat, darf sich nicht weiter fortsetzen. Es ist auch
nicht hinnehmbar, dass die Gegenüberstellung der Zu-
und Abgänge beschäftigter schwerbehinderter Menschen
im Jahr 2004 einen negativen Saldo von 1 778 ergibt.
Wenn wir von der Wirtschaft mit Recht einfordern, mehr
schwerbehinderte Menschen zu beschäftigen und Pro-
gramme für Neueinstellungen mit entsprechender finan-
zieller Ausstattung aufzulegen, müssen wir uns fragen,
warum das beim Bund selbst nicht funktioniert.
Wir alle freuen uns darüber, dass die Zahl der Arbeits-
losen im letzten halben Jahr um circa eine halbe Million
zurückgegangen ist und wir endlich wieder einen Zu-
wachs an sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhält-
nissen haben. Allerdings müssen wir leider feststellen,
dass die schwerbehinderten Arbeitssuchenden nicht da-
von profitieren. Im Gegenteil, die Zahl der arbeitslosen
Schwerbehinderten ist sogar gestiegen. Teilhabe an der
Gesellschaft bedeutet für Menschen mit Behinderung
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or allem auch Teilhabe an der Arbeitswelt. Hier müssen
ringend neue Ansätze entwickelt und erprobt werden.
as im Juni 2006 aufgelegte Programm „Job 4 000“ ist
in Mosaikstein. Es müssen weitere Möglichkeiten
rprobt bzw. weitergeführt werden. Dazu könnte ein
Budget für Arbeit“ beitragen, aber auch der Kombilohn.
uf jeden Fall – das macht diese Debatte deutlich – dür-
en wir uns nicht zurücklehnen, wenn es um die betroffe-
en Menschen geht.
Karin Evers-Meyer (SPD): Ich will den vorliegen-
en Bericht zur Beschäftigungssituation schwerbehin-
erter Menschen im öffentlichen Dienst und die beiden
nträge von FDP und Bündnis 90/Die Grünen zum An-
ass nehmen, etwas Allgemeines zur Situation der behin-
erten Menschen in diesem Land zu sagen.
Wir haben es in den vergangenen acht Jahren ge-
chafft, den viel beschworenen Paradigmenwechsel in
er Politik für behinderte Menschen einzuleiten. Wir
ollen weg davon, behinderte Menschen als reine Ob-
ekte der Fürsorge zu betrachten und gemeinsam mit den
ehinderten Menschen und ihren Interessenvertretungen
n einer Lebenswirklichkeit arbeiten, die es behinderten
enschen erlaubt, teilzuhaben und ein selbst bestimmtes
eben in einem natürlichen Umfeld zu führen. Dieser
rozess hat begonnen, und wir haben ganz wesentliche
eilensteine auf diesem Weg erreicht. Ich nenne hier nur
as Behindertengleichstellungsgesetz, das Sozialgesetz-
uch IX und das erst kürzlich in Kraft getretene Allge-
eine Gleichbehandlungsgesetz. Wenn mir vor 20 Jah-
en jemand erzählt hätte, wie heute behinderte Menschen
it Assistenz und Persönlichem Budget ihr Leben führen
önnen, hätte ich ihn für verrückt erklärt.
Wir sind aber noch längst nicht am Ende dieses We-
es angekommen. Es gibt noch ganz dicke Bretter zu
ohren. Denn nach wie vor gibt es große Barrieren in
en Köpfen. Nach wie vor wird auf beiden Seiten nicht
enügend Integration gewagt. Das gilt nicht nur für den
ereich Schule – in Deutschland werden nur 12 Prozent
er behinderten Kinder unter einem Dach mit nicht be-
inderten Kindern unterrichtet –, sondern auch für den
ereich Arbeitsmarkt, soweit sich hier die Betrachtungs-
eise überhaupt trennen lässt; denn wer glaubt, mit der
ntegration in den Arbeitsmarkt könne man beim Vor-
tellungsgespräch beginnen, der befindet sich meiner
nsicht nach auf einem Irrweg. Hier liegt noch viel Ar-
eit vor uns. Die Beschäftigungssituation schwerbehin-
erter Menschen in Deutschland ist nicht gut. Deshalb
in ich Arbeitsminister Müntefering sehr dankbar, dass
ein Haus mit der Aktion „Job 4 000“ weiter aktiv die
hancen schwerbehinderter Menschen auf dem Arbeits-
arkt verbessern wird. Mit dieser gut austarierten Mi-
chung aus Aufklärung und Unterstützung werden wir
chwerbehinderten Menschen weiterhelfen, einen Job zu
inden. Die Rahmenbedingungen müssen selbstverständ-
ich stimmen. Ziel muss echte Planungssicherheit für
ine dauerhafte Integration von behinderten Arbeitneh-
ern in neue Beschäftigung sein. Wir müssen dabei im-
er wieder überprüfen, ob die Eingliederungszuschüsse
n Arbeitgeber richtig ausgestaltet sind, ob es neue
ohnmodelle geben könnte oder ob andere bürokratische
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. November 2006 7057
(A) )
(B) )
Hürden einer Einstellung behinderter Menschen im Weg
stehen.
Wie gesagt, geht es aus meiner Sicht vor allem darum,
die Barrieren in den Köpfen zu überwinden. Neben der
Bereitstellung fachlicher und finanzieller Unterstützung
ist Aufgabe der Politik eben auch, in der Wirtschaft, bei
Unternehmen ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass
die Beschäftigung behinderter Arbeitnehmer kein Klotz
am Bein, sondern ein Gewinn für jeden Betrieb ist. In
den Personalabteilungen weit verbreitet ist immer noch
die Gleichung: behindert = leistungsgemindert. Das ist
natürlich fatal. Da muss sich in den Köpfen etwas än-
dern! Dieses seit langem überholte Defizitmodell ver-
nachlässigt völlig, dass angeblich leistungsgeminderte
Beschäftigte bei entsprechender Gestaltung des Arbeits-
umfelds in der Lage sind, hochwertige Leistungen zu er-
bringen. Es wird meines Erachtens auch übersehen, dass
Menschen mit Behinderung oftmals bei Arbeitsdisziplin,
Zuverlässigkeit und Loyalität Punkte einfahren. Ich habe
in den vergangenen Monaten viele gute Beispiele ken-
nen gelernt, dass Unternehmen die Beschäftigung behin-
derter Arbeitnehmer als festen Bestandteil ihrer Perso-
nalpolitik begreifen. Keines dieser Unternehmen hat
diesen Schritt bereut, ganz im Gegenteil. Ich werde wei-
ter mit diesen guten Beispielen durchs Land ziehen. Die
Überzeugungsarbeit ist mühsam; aber es ist eine Arbeit,
die sich lohnt.
Der Bund, und darüber freue ich mich natürlich, hat
sich offenbar schneller davon überzeugen lassen als die
Privatwirtschaft. Er gibt ausweislich des heute vorlie-
genden Berichts zur Beschäftigungssituation schwerbe-
hinderter Menschen im öffentlichen Dienst ein gutes
Bild ab. Mit über 7 Prozent liegen Bundesinstitutionen
deutlich über der gesetzlichen Pflichtquote. Ich freue
mich sehr darüber, auch wenn ich nicht verhehlen kann,
dass ich das eigentlich für eine Selbstverständlichkeit
halte. Ich freue mich vor allem darüber, dass die Zahl der
schwerbehinderten Frauen im öffentlichen Dienst des
Bundes weiter gestiegen ist, insgesamt um immerhin
3,8 Prozent. Einziger Wermutstropfen ist, dass der An-
teil schwerbehinderter Frauen in Führungspositionen ge-
genüber dem Vorjahr leicht zurückgegangen ist. Damit
bleibt der Anteil schwerbehinderter Frauen in Führungs-
positionen unter 1 Prozent und damit unakzeptabel.
Zu den Anträgen von FDP und Bündnis 90/Die Grü-
nen will ich an dieser Stelle nichts mehr sagen. Mein
Haus hat die Änderung zum Merkzeichen B ja bereits im
ersten Halbjahr dieses Jahres vorgelegt. Das hat viel zu
lange gedauert, da sind wir uns einig. Letztlich zählt aber
das Ergebnis und es geht jetzt darum, dass wir dieses Er-
gebnis mit Nachdruck bekannt machen. Das Merkzei-
chen B ist eine Berechtigung und keine Entmündigung!
Jörg Rohde (FDP): Die Teilhabe von Menschen mit
Behinderungen am allgemeinen gesellschaftlichen Le-
ben ist seit Jahren eines der wesentlichen Ziele der Be-
hindertenpolitik.
Selbstbestimmung und Teilnahme am Leben der Ge-
meinschaft, Barrierefreiheit und Beseitigung von behin-
derungsbedingten Nachteilen prägen den Paradigmen-
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echsel, den der Gesetzgeber in der Behindertenhilfe
it dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch, SGB IX, im
ahr 2001 eingeleitet hatte.
In ihrem Koalitionsvertrag vom 11. November 2005
aben CDU/CSU und SPD ein Gesamtkonzept zur Ge-
taltung der Teilhabe, Pflege und Betreuung von Behin-
erten, Pflegebedürftigen, chronisch Kranken und alten
enschen angekündigt. Nach einem Jahr der Regie-
ungskoalition müssen wir allerdings feststellen, dass ein
erartiges Gesamtkonzept nicht erkennbar und offen-
ichtlich auch nicht mehr geplant ist.
Wir stehen vor großen Herausforderungen, dennoch
ird die Behindertenpolitik von der Bundesregierung
nd den Koalitionsfraktionen weiterhin stiefmütterlich
ehandelt. Sonst hätten wir heute nach über einem Jahr
chwarz-roter Regierungszeit eine bessere Bilanz.
Unter anderem aufgrund des Drängens der FDP-Bun-
estagsfraktion können wir heute zumindest einen Er-
olg bilanzieren: Das Problem des Merkzeichens „B“ im
chwerbehindertenausweis, welches das Recht auf eine
egleitperson regeln sollte, wurde mittlerweile durch
ine entsprechende Gesetzesänderung behoben.
Seit Februar waren wir uns über die Fraktionsgrenzen
inweg einig, dass das Merkzeichen „B“ zu einem Hin-
ernis geworden war, weil das Recht auf Begleitung in
ine Pflicht auf Begleitung umgedeutet wurde. Hier-
urch wurde die eigenständige Teilnahme der Menschen
it Behinderungen am öffentlichen Leben deutlich ein-
eschränkt. Bis Oktober hat es dann letztlich gedauert,
is die neue Regelung per Gesetz erfolgte. Behinderte
enschen können jetzt besser und eigenständiger teilha-
en am öffentlichen Leben, zum Beispiel in Bus, Kino
der Schwimmbad, um nur einige Beispiele zu nennen.
Damit hat sich auch der erste Teil des heute zu disku-
ierenden FDP-Antrages erledigt. Wir können also einen
leinen Erfolg verbuchen.
Der ebenfalls vorliegende Antrag der Grünen zum
leichen Thema geht uns nicht weit genug, denn er ent-
ält nur die Forderung nach dem Merkzeichen „B“ und
icht die Forderung nach den Parkerleichterungen. Da-
er werden wir uns hier bei der Abstimmung enthalten.
Vom FDP-Antrag bleibt also der zweite Teil, die Park-
rleichterungen für Menschen mit Behinderungen, als
orderung bestehen. Wir sollten aber die Anregung aus
er CDU/CSU-Fraktion aus der letzten Legislaturpe-
iode bezüglich der Parkerleichterungen für Schwerbe-
inderte, bei denen die gesundheitlichen Voraussetzun-
en für die Zuerkennung des Merkzeichen „aG“ nicht
orliegen, hier im Bundestag diskutieren.
Hier wird seitens der SPD argumentiert, dies sei eine
ache der Länder. Ich dachte dagegen, die Straßenver-
ehrs-Ordnung sei Bundesangelegenheit in der Zuständig-
eit des Bundesverkehrsministers. Solange die Voraus-
etzungen für die Gewährung von Parkerleichterungen
icht bundeseinheitlich geregelt sind, bleibt es bei dem
eutigen Flickenteppich. Wir fordern die Bundesregie-
ung auf, eine entsprechende Vereinheitlichung auf bun-
esrechtlicher Ebene vorzubereiten. Aus unserer Sicht
7058 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. November 2006
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(B) )
würde sich eine Verankerung in der StVO bzw. den zu-
gehörigen Verwaltungsvorschriften anbieten.
Auch beim trägerübergreifenden persönlichen Budget,
das behinderten Menschen ein Leben in Selbstbestim-
mung und eigener Verantwortung ermöglicht, verschläft
die Bundesregierung Fehlentwicklungen beim laufenden
Modellversuch und unterlässt ein dringend notwendiges,
korrigierendes Nachjustieren. Das trägerübergreifende
persönliche Budget steht für die Grundsätze „Ambulant
vor stationär“ und „Hilfe aus einer Hand“. Beides sogar
Ziele des Koalitionsvertrages, die die Bundesregierung
bislang nicht aufgegriffen hat.
Die von der SPD im Wahlkampf – Wahlprüfstein
Deutscher Behindertenrat – angekündigte Überprüfung
einer Erhöhung des Pauschbetrages nach § 33 Einkom-
mensteuergesetz war unmittelbar nach der Wahl abge-
schlossen. Ergebnis: Der Betrag wird definitiv nicht er-
höht.
Dagegen wird das von Schwarz-Rot beschlossene
Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz den Interessen der
Menschen mit Behinderungen eher schaden als helfen.
Für Menschen mit Behinderung dürfte es künftig noch
schwerer werden, eine Beschäftigung auf dem ersten Ar-
beitsmarkt oder eine Wohnung zu finden. Das AGG
stellt für Arbeitgeber, Vermieter und viele andere nichts
anderes als eine bürokratische Hürde dar, die mit umso
ausgefeilteren juristischen Schachzügen zu umgehen ist,
allerdings auf Kosten der Menschen mit Behinderung.
Die Überwindung von Vorurteilen und Diskriminierun-
gen ist aber eine gesellschaftliche Aufgabe, die einen
Bewusstseinswandel beim Einzelnen voraussetzt. Ge-
setze können dies nicht erreichen. Die FDP-Bundestags-
fraktion hat daher in dieser Woche eine große Anfrage
bezüglich der Praxistauglichkeit des AGG auf den Weg
gebracht.
Abschließend möchte ich noch den „Bericht der Bun-
desregierung über die Beschäftigung schwerbehinderter
Menschen im öffentlichen Dienst des Bundes“ bewerten.
Auf den ersten Blick können wir feststellen, dass der
Bund hier vorbildlich handelt und mit einer Quote von
7,1 Prozent das selbst gesetzte Ziel von 5 bzw. 6 Prozent
deutlich übertrifft. Dies ist vorbildlich und sollte vor
dem Hintergrund der hohen Arbeitslosigkeit unter den
Behinderten die Wirtschaft motivieren, es uns gleichzu-
tun.
Auf den zweiten Blick täuscht diese Quote aber über
die derzeitige Entwicklung hinweg, denn bei den insge-
samt 11 935 Neueinstellungen werden Schwerbehinderte
und gleichgestellte behinderte Menschen nur unter-
durchschnittlich zu 3,5 Prozent berücksichtigt, sodass
wir das zurzeit erreichte hohe Niveau in der Zukunft
wahrscheinlich nicht halten können. Dies müssen wir als
Abgeordnete genau beobachten, damit der Bund seine
Vorbildfunktion nicht verliert.
Daher kritisiere ich auch scharf, dass dies wahr-
scheinlich der letzte Bericht in der vorliegenden Form
sein wird. Die Bundesregierung will den Bericht nicht
mehr wie bisher jährlich veröffentlichen, sondern nur
noch alle vier Jahre an den allgemeinen „Bericht über
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ie Lage behinderter Menschen und die Entwicklung ih-
er Teilhabe“ anhängen.
Die Argumentation bezüglich des Bürokratieabbaus
st bei diesem Thema lächerlich, zudem äußerte sich die
ollegin Silvia Schmidt von der SPD dahin gehend, dass
ir als Abgeordnete ja jedes Jahr entsprechende Fragen
n die Bundesregierung einreichen könnten. Das Daten-
aterial muss auf jeden Fall erhoben werden – es gilt
chließlich jährlich die geforderte Beschäftigungsquote
u überprüfen. Es wäre also leicht, den Bericht zusam-
enzustellen und zu veröffentlichen. Sicher werden wir
ukünftig nun jährlich die Regierung fragen, wie denn
ie Beschäftigungsquote der Behinderten beim Bund
ussieht – da hätte es des Hinweises der Kollegin
chmidt nicht bedurft. Aber dies hat lange nicht die öf-
entliche Wirkung wie der Bericht der Bundesregierung,
en wir heute wahrscheinlich zum letzten Mal diskutie-
en.
Hier vergeben wir eine Chance, durch die Vorbild-
unktion des Bundes die Wirtschaft jedes Jahr auf dieses
hema hinzuweisen. Und wenn das Thema nicht me-
ienwirksam diskutiert wird, dann werden auch weniger
anager und Unternehmer für das Thema sensibilisiert
nd den arbeitslosen Behinderten werden weniger Jobs im
rsten Arbeitsmarkt angeboten. Ich fordere die Bundesre-
ierung daher auf, den Bericht über die Beschäftigung
chwerbehinderter Menschen im öffentlichen Dienst des
undes weiterhin jährlich vorzulegen.
Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): Schon an der Tages-
rdnung zur Plenumsdebatte zeigt sich, wie wichtig der
undesregierung unmittelbar vor dem Welttag der Men-
chen mit Behinderungen am 3. Dezember das Thema
st: Nach 23.00 Uhr soll in einer halben Stunde über den
ericht über die Beschäftigung schwerbehinderter Men-
chen beim Bund sowie über zwei Anträge betreffend
er Teilhabe behinderter Menschen beraten werden. Zu
ieser Zeit wird niemand im Plenum sein. Angesichts
er Tatsache, dass Deutschland während seiner EU-
atspräsidentschaft auch maßgeblich an der Gestaltung
es „Europäischen Jahres der Chancengleichheit für
lle“ mitwirken soll, ist das schon ein merkwürdiges
orgehen. Es drängt sich der Eindruck auf, dass das Fa-
ilienministerium als nationale Durchführungsstelle des
ahres der Chancengleichheit den Sinn dieser Aktion
icht erfasst. In ihrer Schwerpunktplanung zur EU-Rats-
räsidentschaft kommt das Thema „Menschen mit Be-
inderung“ nicht vor und bei den einbezogenen Verbän-
en aus der Zivilgesellschaft ist keiner dabei, der explizit
eren Interessen vertritt. Ich empfehle der Bundesregie-
ung daher namens der Linksfraktion, eine der zahlrei-
hen Schulungen der Europäischen Kommission zu
ielfalt und Antidiskriminierung in Anspruch zu neh-
en, bevor sie diesen verantwortungsvollen Job in der
U übernimmt.
Zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit
nd Soziales, Drucksache 16/2840, ist klar zu sagen: Die
raktion Die Linke, lehnt diese ab. Den Bericht der Bun-
esregierung über die Beschäftigung schwerbehinderter
enschen im öffentlichen Dienst des Bundes, Drucksa-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. November 2006 7059
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che 16/1100, nehme ich dahin gehend wohlwollend zur
Kenntnis, als dass der Anteil schwerbehinderter Men-
schen von 7,1 Prozent die geforderte Mindestbeschäfti-
gungsquote übersteigt. Der zu geringe Anteil von Frauen
und der Anteil von Menschen mit Behinderungen im ge-
hobenen und höheren Dienst sind aber noch immer nicht
zufrieden stellend.
Der öffentliche Dienst ist das eine, die Situation von
Arbeitsuchenden mit Behinderungen auf dem allgemei-
nen Arbeitsmarkt das andere. Nach Angaben der Bun-
desagentur für Arbeit bleibt der Arbeitsmarkt für behin-
derte Arbeitslose weiterhin „angespannt“. Im Oktober
waren offiziell 167 200 Menschen mit körperlichen oder
geistigen Handicaps ohne Job gewesen. Das sind
3 800 oder 2,3 Prozent mehr, als vor einem Jahr. Von ei-
ner Beschäftigungsquote von 5 Prozent ist der Arbeits-
markt meilenweit entfernt und auch beim Angebot von
Lehrstellen für junge Menschen mit Behinderungen ist
die Lage auf dem ersten Arbeitsmarkt katastrophal. Inso-
fern erwarte ich von der Bundesregierung, dass sie ihre
positiven Erfahrungen über die Einstellung und Beschäf-
tigung von Menschen mit Behinderungen im öffentli-
chen Dienst an die freie Wirtschaft weitergibt, besser
motiviert und informiert und eine spürsame Erhöhung
der Ausgleichsabgabe für Unternehmen, die die Min-
destquote nicht erfüllen, vornimmt.
Mit Befremden habe ich der Presse entnommen, dass
der Vorstand der Bundesagentur für Arbeit plant, die Ar-
beitsvermittlung für schwerbehinderte Menschen bei der
ZAV, Zentralstelle für Arbeitsvermittlung, in Bonn zu re-
duzieren oder gar abzuschaffen Ich fordere die Bundes-
regierung auf, die Zentralstelle für Arbeitsvermittlung
für schwerbehinderte Akademiker in Bonn zu erhalten.
Der Entschließungsantrag der Koalition, nach dem
künftig nur noch einmal pro Legislaturperiode über die
Beschäftigung behinderter Menschen beim Bund berich-
tet werden soll, ist nicht akzeptabel. Der bisher jährlich
erscheinende Bericht soll als Unterkapitel im Bericht
über die Lage behinderter Menschen verschwinden. Wir
möchten aber jährlich nachvollziehen, wie sich die Be-
schäftigungssituation beim Bund entwickelt. Nur so
können Verantwortliche zeitnah reagieren, wenn sich die
Situation verändert. Noch besser wäre es, der Behinder-
tenbericht stünde jedes Jahr auf der Tagesordnung.
Der Ausschuss Arbeit und Soziales empfiehlt außer-
dem, die beiden Anträge zur besseren Teilhabe behinder-
ter Menschen von Bündnis 90/Die Grünen, Druck-
sache 16/949, und FDP, Drucksache 16/853, abzulehnen.
Darin geht es vorrangig um das alte Problem des Merk-
zeichens „B“ im Schwerbehindertenausweis mit dem
Verweis: „Die Notwendigkeit ständiger Begleitung ist
nachgewiesen.“ Das führte häufig dazu, dass Betroffe-
nen mit diesem Merkzeichen der Zugang zu Verkehrs-
mitteln und öffentlichen Einrichtungen verwehrt wird,
wenn sie ohne Begleitung unterwegs sind. Die Anträge
zielen sinnvollerweise auf klarstellende Formulierung
dahin gehend, statt der Pflicht das Recht auf ständige
Begleitung zu betonen. Da die Koalition mit einer eige-
nen parlamentarischen Initiative das Problem – hoffent-
lich – gelöst hat, haben sich die Anträge erledigt. Dank
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ilt aber trotzdem allen, die mit ihren Initiativen und Ak-
ivitäten dafür gesorgt haben, dass eine gesetzliche Klar-
tellung erfolgt.
Eine tatsächlich bessere Teilhabe behinderter Men-
chen und Chancengerechtigkeit wollen wir mit unserem
estern eingebrachten Antrag für ein „Gesetz zum Aus-
leich behinderungsbedingter Nachteile (NAG)“ errei-
hen. Danach wird allen schwerbehinderten Menschen
b einem Grad der Behinderung von 50 unabhängig von
inkommen oder Vermögen ein persönliches Budget zu-
estanden. Damit können sich die Betroffenen ihre not-
endigen Hilfen selbst einkaufen, ohne sich beim So-
ialamt einer Bedürftigkeitsprüfung zu unterziehen und
rst ihr gesamtes Hab und Gut veräußern zu müssen. Die
instellung personaler Assistenz oder Beschaffung von
ilfsmitteln wird dann für die Betroffenen wesentlich
nproblematischer sein. Ausgebende Stelle soll das Ver-
orgungsamt sein, das auch den Bedarf ermittelt. Grund-
egendes Prinzip soll sein: Gleiche Leistung bei gleicher
ehinderung. Bisher werden unterschiedliche Leistun-
en nach verschiedenen Gesetzen erbracht, je nachdem
b die Behinderung von Geburt an besteht oder durch ei-
en Unfall erworben wurde. Die Leistungen sollen aus
ahlungsverpflichtungen beispielsweise von Schadens-
erursachern sowie aus Steuermitteln bezahlt werden.
er bedarfsdeckende Ausgleich behinderungsbedingter
achteile ist ein modernes Instrument der Selbstver-
irklichung und der entscheidende Schritt zu einem
euen Grundsatz des Miteinanders.
Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit
em heute hier vorliegenden Bericht wird die Beschäfti-
ungssituation Schwerbehinderter im öffentlichen Dienst
es Bundes im Jahr 2004 dargestellt. Auch in diesem Be-
ichtsjahr ist es in den Bundesministerien sowie in den
örperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentli-
hen Rechts unter Bundesaufsicht gelungen, die Beschäf-
igungspflichtquote von 6 Prozent zu erfüllen.
Insgesamt liegt der Anteil Schwerbehinderter – wie
ereits im Vorjahr – bei 7,1 Prozent. Der Bund als Ar-
eitgeber dient erneut als gutes Beispiel für die gelun-
ene Integration von Menschen mit Behinderungen in
en ersten Arbeitsmarkt, auch wenn die Anzahl der mit
chwerbehinderten besetzten Arbeitsplätze nicht weiter
rhöht werden konnte, sondern weitgehend auf dem Ni-
eau des Jahres 2003 – minus 170 Arbeitsplätze – stabi-
isiert wurde. Besonders hervorheben möchte ich den
ohen Anteil der beschäftigten Frauen mit Behinderun-
en. Im öffentlichen Dienst des Bundes ist ihre Anzahl
uf 35,3 Prozent der Schwerbehinderten gestiegen. Dies
st leider keine Selbstverständlichkeit: Frauen mit Behin-
erungen werden nach wie vor am Arbeitsplatz doppelt
iskriminiert.
Kritisch erwähnen möchte ich, dass der Deutsche
undestag die Quote mit 6 Prozent nur sehr knapp er-
üllt und somit deutlich hinter den übrigen Bundesein-
ichtungen liegt. Hier brauchen wir weitere Anstrengun-
en der Bundestagsverwaltung und aller Fraktionen. Ich
reue mich sehr, verkünden zu können, dass die grüne
7060 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. November 2006
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Bundestagsfraktion die Anzahl ihrer Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter mit Behinderungen erhöht hat.
An der heutigen Debatte sieht man sehr deutlich, wie
wichtig eine regelmäßige Beschäftigung des Deutschen
Bundestags mit der Beschäftigungssituation Schwerbe-
hinderter im öffentlichen Dienst ist. Aus diesem Grund
kritisiere ich den Beschluss der Koalitionsfraktionen,
künftig nur noch einmal pro Legislaturperiode im Rah-
men des Berichts über die Lage behinderter Menschen
und die Entwicklung ihrer Teilhabe, der über die Be-
schäftigung schwerbehinderter Menschen im öffentli-
chen Dienst des Bundes, zu berichten.
Fehlentwicklungen werden künftig später erkannt.
Der heute vorliegende Bericht zeigt, dass die Neueinstel-
lungen Schwerbehinderter in den öffentlichen Dienst
leicht rückläufig sind. Es ist doch zentral, dass solche
Entwicklungen frühzeitig festgestellt werden, um dann
auch schnell handeln zu können. Wenn nun nur noch alle
vier Jahre berichtet wird, so wird die Möglichkeit ge-
schaffen, die Verantwortung für eventuelle Fehlentwick-
lungen leicht auf die vorherige Regierung zu schieben.
Zugleich wird den Abgeordneten die Möglichkeit ge-
nommen, regelmäßig in den Wahlkreisen die Beschäfti-
gungserfolge der öffentlichen Hand zu kommunizieren.
Nur so können wir aber mit Nachdruck an die freie Wirt-
schaft appellieren, diesem guten Beispiel zu folgen.
Ich möchte abschließend auch noch positiv hervorhe-
ben, dass die Regierungsfraktionen den Anregungen aus
unserem Antrag „Recht statt Pflicht – Einschränkungen
behinderter Menschen bei der Teilhabe am öffentlichen
Leben entgegenwirken“ weitgehend gefolgt ist. Mit den
Änderungen, die zusammen mit dem Betriebsrentenge-
setz verabschiedet wurden, konnte unserem Antrag Ge-
nüge getan werden. Künftig werden die Regelungen für
Nachteilsausgleiche im Schwerbehindertenrecht präziser
gefasst.
Ich freue mich, dass wir auch die Regierungsfraktio-
nen davon überzeugt haben, dass behinderten Menschen
ein selbstbestimmtes und von umfassender Teilhabe ge-
prägtes Leben in der Mitte der Gesellschaft ermöglicht
werden muss.
Franz Thönnes, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi-
nister für Arbeit und Soziales: Die Bundesregierung be-
richtet einmal in der Legislaturperiode über die Lage der
behinderten Menschen und die Entwicklung ihrer Teil-
habe, zuletzt im Dezember 2004 (Drucksache 15/4575).
Dieser Bericht erfasst alle relevanten Bereiche der Politik
für behinderte Menschen. Auf seiner Grundlage können
Maßnahmen zur Rehabilitation und Teilhabe behinderter
Menschen optimiert, mögliche Fehlentwicklungen recht-
zeitig erkannt und gegengesteuert werden. Ziel ist, dass
das SGB IX auch in Zukunft für eine verlässliche und
nachhaltige Integration behinderter Menschen steht.
Darüber hinaus berichtet die Bundesregierung jähr-
lich über die Beschäftigung schwerbehinderter Men-
schen im öffentlichen Dienst des Bundes. Diese Berichte
gehen auf Beschlüsse des Deutschen Bundestages aus
den Jahren 1959 und 1964 zurück. Durch die Berichts-
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flicht sollten ursprünglich die Bundesdienststellen dazu
ngehalten werden, verstärkt Kriegsbeschädigte einzu-
tellen. Heute wird dokumentiert, dass die Bundesver-
altung ihre Verpflichtung, schwerbehinderte Menschen
u beschäftigen, seit vielen Jahren mit steigender Ten-
enz erfüllt. Im Jahr 2004 konnten wiederum 7,1 Prozent
eschäftigtenquote erreicht werden. Sie liegt damit über
er Pflichtquote von 5 bzw. 6 Prozent.
Die Bundesverwaltung ist damit seit Jahren vorbild-
ich bei der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen.
leichzeitig ist die Steigerung der Quote in den letzten
ahren ein Indiz dafür, dass die beschäftigungsfördern-
en Maßnahmen der letzten beiden Legislaturperioden
irkung zeigen. Es ist letztlich das Zusammenspiel aller
aßnahmen und Initiativen, das die Situation der behin-
erten Menschen verbessert. Daher führt eine ganzheitli-
he Betrachtung weiter als die isolierte Betrachtung ein-
elner Aspekte.
Dies spricht dafür, die Beschäftigung schwerbehin-
erter Menschen im öffentlichen Dienst des Bundes
ünftig nicht mehr gesondert darzustellen, sondern mit
em Bericht über die Lage der behinderten Menschen
nd die Entwicklung ihrer Teilhabe zu verknüpfen, um
hn so umfassender und damit insgesamt aussagekräfti-
er zu gestalten. Den Informationsbedürfnissen des Ge-
etzgebers und der Öffentlichkeit kann damit künftig
esser Rechnung getragen werden. Dies ist das Ziel des
ntschließungsantrags, der Ihnen vorliegt und um des-
en Unterstützung ich Sie bitte.
Daneben liegen noch zwei Anträge zur Abstimmung
or, die die Teilhabe behinderter Menschen betreffen.
ies ist einmal ein Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die
rünen, mit dem Änderungen hinsichtlich der Schwer-
ehindertenausweise mit dem so genannten Merkzei-
hen „B“ (Begleitung) durchgesetzt werden sollen. Ziel
st, ungewollte Diskriminierungen von Menschen mit
ehinderung zu vermeiden. Die dafür erforderliche,
ichtige Klarstellung im Behindertenrecht haben wir be-
eits vorgenommen. Sie ist in dem Betriebsrentenände-
ungsgesetz enthalten, das von Bundestag und Bundesrat
ereits verabschiedet wurde und demnächst in Kraft tre-
en wird. Der vorliegende Antrag hat sich damit zeitlich
ereits überholt, sodass er abzulehnen ist.
Den zweiten Antrag hat die FDP-Fraktion vorgelegt
it dem Ziel, die Gruppe der Personen, die Parkerleich-
erungen in Anspruch nehmen können, zu erweitern.
ieser Antrag wird im Interesse der Menschen, die
chon heute einen Anspruch auf Parkerleichterungen ha-
en, abgelehnt. Denn bei allen Bestrebungen, Anliegen
on Menschen mit Behinderungen zu entsprechen, darf
icht aus dem Blickfeld geraten, dass eine Ausweitung
es Personenkreises für diejenigen schwerbehinderten
enschen nachteilig wäre, für die ursprünglich die Park-
rleichterungen geschaffen wurden. Dies sind außerge-
öhnlich gehbehinderte Menschen, deren Gehvermögen
uf das Schwerste eingeschränkt ist und die daher auf ei-
en möglichst kurzen Weg vom Fahrzeug zu ihrem
ielort angewiesen sind.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. November 2006 7061
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Zudem darf die Ursache für den Wunsch einzelner In-
teressengruppen, Parkerleichterungen in Anspruch neh-
men zu können, nicht aus dem Blick geraten. So haben
einzelne Länder vom Bundesrecht abweichende Länder-
regelungen erlassen und damit Personengruppen die In-
anspruchnahme von Parkerleichterungen verschafft, die
nicht außergewöhnlich gehbehindert sind. Bemühungen
des Bundes, hier eine Vereinheitlichung zu erzielen,
scheiterten bislang an dem Unwillen der Länder, bereits
begünstigte Personengruppen auszuschließen, sodass
nur eine bundeseinheitliche Regelung in Betracht käme,
die den Besitzstand aller Länder berücksichtigt.
Eine solche Vereinheitlichung würde aber zu einer zu
starken Ausdehnung des berechtigten Personenkreises
führen. So gibt es in Deutschland alleine 300 000 Perso-
nen, die an Morbus Crohn und Colitis Ulcerosa erkrankt
sind, und 100 000 Stomaträger. Damit stiege die Zahl
der Berechtigten um über 50 Prozent, ohne dass auch der
verfügbare Parkraum im gleichen Maße gesteigert
werden könnte. Für die eigentliche Zielgruppe der Park-
erleichterungen – außergewöhnlich gehbehinderte Men-
schen – bedeutete dies eine erhebliche Schlechterstel-
lung, die vermieden werden muss.
Der eine Antrag hat sich zeitlich überholt und der
zweite trägt noch zu einer Verbesserung von Menschen
mit Behinderungen bei bzw. sein Anliegen ist eher auf
Länderebene zu verfolgen.
Anlage 8
Zu Protokoll gegebene Rede
zur Beratung des Antrags: Für eine wirksame
Bleiberechtsregelung für langjährig in Deutsch-
land geduldete Personen (Tagesordnungspunkt 20)
Ulla Jelpke (DIE LINKE): Die Innenministerkonfe-
renz hat vor zwei Wochen eine Regelung beschlossen,
die alle Hoffnungen auf ein humanitäres Bleiberecht zer-
schlagen hat. In der Pressekonferenz haben sich die In-
nenminister zwar gegenseitig auf die Schulter geklopft
und waren offensichtlich stolz auf den gefundenen Kom-
promiss. Aber stolz können sie darauf sein, die Öffent-
lichkeit massiv getäuscht zu haben. Diese dachte näm-
lich, hier sei eine gute Lösung für zahlreiche Menschen
gefunden worden, die seit vielen Jahren mit so genann-
ten Duldungen in Deutschland leben, ohne bislang auch
nur die geringste Chance zur Integration bekommen zu
haben. Von insgesamt 100 000 Menschen war die Rede,
deren Schicksal sich nun bessern werde.
Wenn man sich den Beschluss genauer anschaut, wird
man feststellen müssen: Es ist ein fauler Kompromiss
mit vielen Löchern. Gerade bei denjenigen, die eine
großzügige Regelung brauchen, herrscht weiterhin Unsi-
cherheit. Ob eine allein stehende Mutter oder ein Rent-
ner eine Aufenthaltserlaubnis bekommen, soll auch
künftig im Ermessen der Ausländerbehörden stehen. Bei
dem Paket, das die Innenminister uns hier verkaufen
wollen, handelt es sich um eine Mogelpackung zulasten
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on Zehntausenden und nichts anderes. Verschiedene
usländerbehörden in Nordrhein-Westfalen haben be-
eits bestätigt, dass nur wenige Geduldete in ihrem Zu-
tändigkeitsbereich unter die Regelung fallen dürften.
Wie viel die Einigung der Innenministerkonferenz
irklich wert ist, zeigen die weiteren Beschlüsse. Bei
er Innenministerkonferenz wurde auch über das
chicksal von circa 10 000 geduldeten Irakern gespro-
hen. Dass sich der Irak faktisch im Bürgerkrieg befin-
et, wurde ignoriert. Stattdessen wird im Bericht lako-
isch festgehalten: „Die IMK stellt fest, dass nun mit der
ückführung von ausreisepflichtigen Irakern begonnen
erden kann.“ Zunächst sollen straffällig gewordene Ira-
er abgeschoben werden, dann auch alle übrigen. Wir
issen aber aus Berichten von Flüchtlingsorganisatio-
en, dass auch schon jetzt Iraker, gleich ob Christen oder
uslime, abgeschoben werden. Beschließt so etwas je-
and, der Menschen helfen will? Wohl kaum! Die In-
enminister haben mit beiden Beschlüssen deutlich ge-
acht, dass sie in erster Linie die Abschiebung von
öglichst vielen Menschen interessiert und sonst nichts.
Der Antrag der Grünen geht in die richtige Richtung,
st aber nicht entschieden genug. Er lässt den Ausländer-
ehörden in der Frage der angeblich oder tatsächlich
elbst geschaffenen Abschiebungshindernisse immer
och einen Ermessensspielraum. Die Erfahrungen aus
er Praxis zeigen, dass dieses Ermessen selten im Sinne
er Betroffenen ausgeübt wird. Daher muss hier eine
lare Linie gelten: Wer sich einen bestimmten Zeitraum
eduldet in Deutschland aufgehalten hat, hat automa-
isch Zugang zum Bleiberecht. Und dafür muss es eine
auerhafte gesetzliche Regelung geben, die auch in Zu-
unft Kettenduldungen verhindert.
Es gibt aber einen weiteren Punkt, zu dem der Antrag
er Grünen überhaupt nichts sagt: die Verweigerung des
leiberechts für Geduldete, denen extremistische Be-
trebungen vorgeworfen werden. Im Antrag fehlt die
bsage an Gesinnungsabschiebungen auch von Flücht-
ingen und Asylbewerbern, deren Anerkennung widerru-
en wurde. Da werden Menschen abgeschoben, denen
ine Straftat nicht nachgewiesen werden kann, denen le-
iglich irgendeine extremistische Gesinnung vorgewor-
en wird. Deshalb will man sie loswerden. Besonders be-
roffen sind davon Kurdinnen und Kurden, auch wenn in
er Öffentlichkeit so getan wird, als wären nur islami-
che Extremisten betroffen. Diese Politik, mithilfe von
bschiebungen anscheinend politische Konflikte in
eutschland zu lösen, wird inzwischen offenbar auch
on den Grünen getragen. Solange es dazu keine Klar-
tellung gibt, werden wir solchen Anträgen nicht zustim-
en.
Wir werden zur Einführung eines umfassenden und
umanitären Bleiberechts noch einen eigenen Antrag
inbringen. Denn wir wollen nicht, dass allein erzie-
ende Mütter und Väter, alte Menschen, Kinder im
chulalter oder Jugendliche in der Ausbildung vom gu-
en Willen der Innenminister und Behördenmitarbeiter
bhängen, wenn sie ein Bleiberecht in Anspruch nehmen
ollen.
7062 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. November 2006
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Anlage 9
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Sensible Ökosysteme
in der Tiefsee besser schützen (Tagesordnungs-
punkt 21)
Ingbert Liebing (CDU/CSU): Lange Zeit dachten
wir, Leben sei ohne Sonne nicht möglich. Geht man un-
ter Wasser, verlischt das letzte Sonnenlicht nach etwa
400 Metern vollständig. Deswegen ist die Menschheit in
der Vergangenheit dem Irrtum aufgesessen, dass es in
der Tiefsee keinerlei Leben geben kann. Inzwischen sind
wir klüger. Die durchschnittliche Tiefe des Ozeanbodens
liegt bei ungefähr 4 000 Metern, schon hier herrscht ab-
solute Finsternis. Fische aber wurden noch in einer Tiefe
unterhalb von 8 000 Metern gefangen!
Wir müssen also langsam umdenken in Bezug auf un-
sere Vorstellungen von der Tiefsee. In völliger Dunkel-
heit und kalten Strömungen gedeihen Korallen, die kein
Hobbytaucher je zu Gesicht bekommt. Die Korallen
strahlen in Weiß und leuchtendem Rot; Fische, Seesterne
und Krebse bewegen sich zwischen den verästelten
Kalkskeletten. Doch dieses Riff erstrahlt nur im Schein-
werferlicht eines Tauchboots. Wer jemals Videoaufnah-
men aus einem solchen Tauchboot gesehen hat, wird die
eindrucksvolle Vielfalt der Bilder nicht vergessen. Aber
außerhalb dieses Scheinwerferlichts herrscht die Finster-
nis der Tiefe. Kaltwasser-Korallenriffe, die Stiefge-
schwister der tropischen Schnorchelattraktionen, spie-
len aber offenbar eine zentrale Rolle für das Leben unter
Wasser. Als Laichgrund und Kinderstube vieler Fisch-
arten spielen die Riffe eine zentrale Rolle im Lebens-
kreislauf der Tiefsee und bilden so einen Hotspot der Ar-
tenvielfalt. Vom Meeresboden erheben sich gigantische
Seeberge. Würden sie an Land stehen und für unser
Auge sichtbar sein, so fielen sie unter die eindrucks-
vollsten Landschaftsgebilde der Welt. Die erhöhte Pro-
duktion von Biomasse an und auf diesen Seebergen
macht sie zu Oasen der Ozeane, deren vielfältiger Ein-
fluss für verschiedenste biologische Prozesse unschätz-
bar ist. Hydrothermale Quellen, so genannte Schwarze
und Weiße Raucher, die sich am Grund der Tiefsee fin-
den, bilden eigene Biotope mit vielen, meist nur in die-
ser Umgebung lebenden Arten. Einige Forscher weisen
der Umgebung von Schwarzen Rauchern eine zentrale
Bedeutung in der Entwicklung des Lebens auf der Erde
zu. Einige Biologen erwarten sogar, ähnliches Leben auf
Monden der Gasplaneten wie zum Beispiel dem Jupiter-
mond Europa zu finden. Sie sehen also, wir wissen
schon einiges, noch lange aber nicht alles über das Le-
ben der Tiefsee.
Und dennoch: wir wissen heute über die Rückseite
des Mondes weit mehr als über das Leben in der Tiefsee
– und das, obwohl die Weltmeere unser Leben vielfältig
beeinflussen: Sie decken einen Großteil des Nahrungs-
bedarfs von Milliarden von Menschen. Die Haupttrans-
portwege für den Güterverkehr ziehen sich wie ein Netz
über das Wasser, ohne die das Weltwirtschaftssystem
schlicht zum Erliegen käme. Und am Meeresgrund la-
gern wahrscheinlich Bodenschätze, die wir früher oder
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päter dringend benötigen könnten. Die Meere nehmen
ie Hälfte des weltweiten CO2-Ausstoßes auf und tragen
amit eine wesentliche Last der globalen Klimaverände-
ung. Versauerung der Meere verändert die Ökosysteme,
ahrungsketten reißen. Dennoch fließt in die Erfor-
chung der Meere nach wie vor nur ein Bruchteil der
ittel, die für die Erforschung des Weltraums zur Verfü-
ung stehen.
Es hat in der Vergangenheit auf regionaler, nationaler
nd auch globaler Ebene viele Anstrengungen gegeben,
er Gefährdung der Meere zu begegnen. Aber gerade die
iefsee, zu der vornehmlich Meeresregionen gehören,
ie außerhalb der nationalen Hoheitsgewässer liegen, ist
is heute unzureichend geschützt und eine wirkungs-
olle Kontrolle von Schutzmechanismen, zum Beispiel
ischereiauflagen, ist hier kaum möglich.
Vor einigen Monaten haben wir hier einen Antrag der
raktion des Bündnisses 90/Die Grünen diskutiert, der
in generelles Moratorium für Grundschleppnetzfische-
ei in der Tiefsee verlangt. Wir haben diesen Antrag sei-
erzeit abgelehnt, weil er ein wichtiges Thema leider zu
ndifferenziert abhandeln wollte. Das Thema ist wichtig,
eil in der Tat bestimmte Arten von Grundschleppnetz-
ischerei die eingangs beschriebenen Ökosysteme, Kalt-
asserkorallenriffe oder Seeberge, unwiederbringlich
erstören. Es ist gut, dass die deutsche Fischerei dies
icht praktiziert. Aber das Thema der Tiefseeökologie
uss breiter aufgegriffen werden. Wir tun dies mit unse-
em Antrag.
Zwei Drittel der Erdoberfläche zählen zum maritimen
ebensraum. Die Bevölkerung dieser Regionen und die
ort ansässige Wirtschaft leben vom Meer und dessen
ewirtschaftung. Es geht hier also auch um eine faire
nd vernünftige Güterabwägung. Zugleich geht es ge-
auso darum, diese maritime Lebensgrundlage auch für
ünftige Generationen zu erhalten und dem Gebot der
achhaltigkeit Rechnung zu tragen.
Sicher – es gibt unterschiedliche Interessenlagen. Ich
abe deshalb diese unterschiedlichen Interessen an einen
isch geholt. Können Sie sich vorstellen, dass Green-
eace und der Deutsche Fischereiverband auch gemein-
ame Interessen vertreten? Ja, genau das haben wir
rreicht und auf dieser Grundlage unseren Antrag erar-
eitet. Greenpeace spendet Beifall und der Fischereiver-
and unterstützt es – das ist ein Erfolg für den gemeinsa-
en Schutz der Tiefseeökologie, dessen Wert wir gar
icht hoch genug schätzen können.
Kernforderung ist es, die Erforschung der Ökosys-
eme der Tiefsee massiv zu beschleunigen, damit wir
ensible Habitate auf hoher See gezielt schützen können.
as muss dann auch die Einrichtung notwendiger
chutzgebiete beinhalten. Und wenn es die regionalen
ischereimanagementorganisationen auch in Zukunft
ersäumen, effektive Schutzmaßnahmen zu ergreifen,
chließt das auch ein befristetes Verbot von Fischerei-
raktiken, die das marine Ökosystem dauerhaft schädi-
en, mit ein. Ein Fehlverhalten der regionalen Fischerei-
anagementorganisationen scheint mir aber momentan
ar nicht das vordringlichste Problem zu sein. Viel ver-
eerender sind offensichtlich die Folgen der illegalen Fi-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. November 2006 7063
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scherei. In diesem Punkt ist schnelles Handeln gefordert.
Wir brauchen effektive Kontrollen und wirksame Sank-
tionen – und zwar weltweit. All das sind Forderungen
unseres Antrags.
Die mittel- und langfristigen Auswirkungen von zer-
störerischen Fischereipraktiken, Verschmutzung und in
zunehmendem Maße auch des fortschreitenden Klima-
wandels auf die Meere rücken zunehmend in den Blick-
punkt der Öffentlichkeit. Frank Schätzings Bestseller
„Der Schwarm“ hat dem Thema der Meere und der Tief-
see sicherlich einen kräftigen Schutz im öffentlichen Be-
wusstsein verliehen.
Damit das Thema „Schutz der Tiefsee“ und damit
verbunden der „Schutz der Meere“ noch weiter ins Be-
wusstsein der Menschen und im Besonderen der Kinder
rückt, die später mit den schwerwiegenden Folgen der
Umweltzerstörung zu kämpfen haben, rufen die CDU-
Abgeordneten aus Schleswig-Holstein in Zusammen-
arbeit mit dem Kieler Leibniz-lnstitut für Meereswissen-
schaften IFM-GEOMAR zu einem Malwettbewerb auf:
Unter dem Motto „Malt die Tiefsee, wie Ihr sie Euch
vorstellt“ können sich alle 5. und 6. Klassen in Schles-
wig-Holstein beteiligen. Dies ist ein praktisches Beispiel
für Bewusstseinsbildung.
Wir müssen dafür sorgen, dass die Nutzung der Meere
nachhaltig erfolgt und sowohl deren einzigartige Arten-
vielfalt als auch altbekannte sowie noch unentdeckte
Ressourcen für die kommenden Generationen erhalten
bleiben. Dazu ist es auch notwendig, Schutzmechanis-
men in Kraft zu setzen, selbst dann, wenn der Schutzbe-
darf noch nicht nachgewiesen ist. Wir bekennen uns zum
Vorsorgeprinzip. Wenn wir so lange warten wollen, bis
die Tiefseeökologie erforscht ist, bevor wir überlegen,
ob es dort etwas zu schützen gibt, dann dürfte jeglicher
Schutz zu spät kommen. Wir dürfen nicht abwarten, bis
alles zerstört ist, bevor Schutzmechanismen greifen. Wir
müssen jetzt handeln. Wir wissen aber auch: Dies kön-
nen wir nicht in nationalen Alleingängen regeln. Wir
brauchen hierfür eine gemeinsame Linie in der EU und
Durchsetzungskraft auf internationaler Ebene. Deshalb
ist es gut, dass die Bundesregierung die Zielsetzung un-
seres Antrags unterstützt.
Gemeinsam können wir unseren Beitrag dafür leisten,
dass die einzigartigen Schätze der Tiefsee, die Geheim-
nisse und Wunder der Meere, auch für künftige Genera-
tionen erhalten bleiben und ihnen sichere Lebensgrund-
lagen bieten.
Gabriele Groneberg (SPD): Mit Schleppnetzen, die
2 Kilometer hinunter reichen auf den Meeresgrund, kön-
nen heutzutage Fische gefangen werden, die sogar der
Wissenschaft noch weitgehend unbekannt sind. Von deren
Existenz haben wir bisher gar nichts gewusst. Einige
dieser Fische, die in den dunklen Tiefen der Ozeane ge-
fangen werden, werden bis zu 80 Jahre alt. Diese Arten
reagieren besonders sensibel auf Veränderungen in ihrer
Population.
Das massive Eingreifen in dieses hochempfindliche
Ökosystem der Tiefsee hat gravierende Folgen für das
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esamte Gleichgewicht des Meeres. Grundschleppnetz-
ischerei und andere zerstörerische Fischereipraktiken,
ber auch Überfischung und illegale Fischerei führen zu
reversiblen Störungen des ökologischen Gleichgewichts
es Meeres, deren Folgen besonders für die Entwick-
ungs- und Schwellenländer spürbar sind.
Heute sind bereits 60 Prozent der weltweit 200 wirt-
chaftlich bedeutendsten Fischarten bis an ihre Grenzen
efischt oder sogar schon überfischt. Neben der eben
eschriebenen nicht auf Nachhaltigkeit ausgerichteten
efischung der Weltmeere ist hierfür auch der stetig stei-
ende Bedarf an Fisch die Ursache. Denn von den inter-
ational agierenden Fischereiflotten werden mehr Fische
efangen als geboren werden.
Welche Auswirkungen hat dies auf die Entwicklungs-
nd Schwellenländer? Zwei Drittel der Weltbevölkerung
ecken nach Angaben der Ernährungs- und Landwirt-
chaftsorganisation der Vereinten Nationen über 40 Pro-
ent ihres Proteinbedarfs mit Fischereiprodukten. Für
ehr als 1 Milliarde Menschen in Süd- und Ostasien bei-
pielsweise gilt Fisch als die wichtigste Eiweißquelle.
ie Entwicklungsländer liefern mehr als 70 Prozent der
esamten Fischereierträge. Sie sind vom Rückgang der
ischbestände besonders hart betroffen. Wir wissen, dass
ie Nutznießer vorrangig die Industrieländer sind. Sie
nterhalten Fischereiflotten in den fischreichen Gewäs-
ern vieler Entwicklungsländer.
Mit dem vorliegenden Antrag lenken wir den Blick auf
ie Notwendigkeit, das empfindliche ökologische Gleich-
ewicht der Ozeane zu erhalten. Ebenso notwendig ist es
ber auch, die gravierenden Beeinträchtigungen der
rnährungssicherheit für die Entwicklungs- und Schwel-
enländer abzuwenden. Eine nachhaltige und verantwor-
ungsvolle Fischerei ist wichtig, damit den Fischern an
en Küsten Afrikas, Lateinamerikas und Asiens nicht
ie Existenzgrundlage entzogen wird.
Dieser Antrag bringt die Bedeutung einer nachhaltigen
ntwicklung zum Ausdruck und steht somit im Kontext
er Millenniumsentwicklungsziele. Ziel 7 besagt, dass
ir uns für die Sicherung der ökologischen Nachhaltig-
eit einsetzen. Deshalb ist es richtig und wichtig, wie wir
n unserem Antrag fordern, dass im politischen Dialog
ie Bedeutung der ökologischen Systeme der Tiefsee
erade für die Entwicklungs- und Schwellenländer ver-
ittelt wird – und dass es in unser aller Interesse liegt,
as marine Ökosystem vor zerstörerischen Fischerei-
raktiken zu schützen.
Dirk Becker (SPD): Das Meer ist noch immer ein
eitestgehend unerforschtes Gebiet. Vor allem die Tief-
ee, die 80 Prozent der Weltmeere repräsentiert und ins-
esamt 62 Prozent der gesamten Erdoberfläche bedeckt,
st bisher minimal erforscht. Von den 318 Millionen
uadratkilometern, die die Tiefsee umfasst, sind erst
,1 Prozent genauer untersucht worden. Obwohl die
eltmeere eine doppelt so große Fläche unserer Erde
edecken wie alle Kontinente zusammen, wissen wir
ber sie weniger als über den Mond.
7064 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. November 2006
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(B) )
Vor allem Kleinstlebewesen, die Mikroben – das sind
Bakterien, Viren und mikroskopisch kleine Algen –,
sind, obwohl sie fast die gesamte Biomasse stellen, wei-
testgehend unerforscht. Lediglich 7 000 Arten, das sind
rund 5 Prozent der geschätzten Gesamtanzahl, sind kata-
logisiert. Mikroben übernehmen nicht nur für das marine
Ökosystem äußerst wichtige Funktionen. Neben ihrer
Fähigkeit, durch den Abbau von Methan auch unter
Wasser ohne Sauerstoff die Entstehung von Ökosyste-
men zu ermöglichen, produzieren sie ferner große Teile
des Sauerstoffs der Erde.
Der im Jahre 2000 begonnene globale „census of ma-
rine life“, den man als „Volkszählung unter Wasser“ be-
zeichnen kann, ist ein erster, dringend notwendiger Ver-
such, sämtliche Arten der Weltmeere zu katalogisieren.
Seit Beginn des Zensus wurden 13 000 neue marine Ar-
ten registriert, darunter 106 bis zu diesem Zeitpunkt un-
bekannte Fischarten. Allein vor der Küste Afrikas wur-
den seit Beginn der Untersuchungen pro Quadratmeter
500 neue Arten von Pflanzen, Mikroben oder Fischen
entdeckt.
Taxonomen kommen offensichtlich angesichts der
großen, unbekannten biologischen Vielfalt der Meere
mit ihrer Arbeit kaum nach. Bisher sind nur 250 000 ma-
rine Tier- und Pflanzenarten bekannt, was aber tatsäch-
lich alles in den Weltmeeren wächst und schwimmt, lässt
sich nur vage vermuten. Experten schätzen, dass in der
Tiefsee bis zu mehrere Millionen verschiedene Arten le-
ben. Doch obwohl wir so geringe Kenntnisse über diesen
faszinierenden und für den Menschen so wichtigen Le-
bensraum besitzen, gefährden wir täglich dieses hoch-
komplexe marine Ökosystem.
Bis zum heutigen Tag sind durch Überfischung be-
reits 47 Prozent der Ressourcen in den Weltmeeren kom-
plett ausgeschöpft. Einhergehend mit illegalen und zer-
störerischen Fischereipraktiken stellen sie eine immense
Bedrohung nicht nur für die biologische Vielfalt der
Meere dar. Besonders in Entwicklungs- und Schwellen-
ländern nehmen Überfischung und gefährdende Fische-
reipraktiken den Menschen sowohl ihre Nahrungsgrund-
lage als auch nachhaltige ökonomische Potenziale.
Ferner sind die Meere durch den anthropogenen Kli-
mawandel weiteren Bedrohungen ausgesetzt. So führt
die Erderwärmung zu einer gleichzeitigen Erwärmung
der Weltmeere und zu einer starken Übersäuerung. Diese
Faktoren haben nachweislich schädigende und irrever-
sible Konsequenzen für die biologische Vielfalt der
Meere. So verursachen sie beispielsweise nicht von der
Natur vorgesehene Artenwanderungen in arktische Ge-
biete, was eine gravierende Veränderung der Ökosys-
temstruktur zur Folge hat. Besonders hervorzuheben ist
die daraus resultierende Gefährdung der Kaltwasser-
Korallenriffe. Sie gelten als „Regenwald des Meeres“
und übernehmen wichtige Funktionen im Schutz vor
Tsunamis. Zudem stellen sie einen großen kulturellen
Wert dar, der auch für den Tourismus bedeutsam ist.
Allerdings sprechen Experten schon seit mehr als
zehn Jahren von einer „Korallenriffkrise“. Ihre Anpas-
sungsfähigkeit an sich verändernde Umweltbedingungen
ist weltweit überschritten. Bereits 20 Prozent aller exis-
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ierenden Korallenriffe sind irreversibel zerstört, 24 Pro-
ent stehen kurz vor dem Kollaps und weitere 26 Pro-
ent sind längerfristig gefährdet. Diese Tatbestände
rfordern verstärkte Maßnahmen zum Schutz dieser sen-
iblen Ökosysteme in der Tiefsee.
Vor dem Hintergrund der erläuterten Entwicklungen
üssen wir dafür Sorge tragen, dass vor allen Dingen
ie Erforschung der Tiefsee beschleunigt und besonders
efördert wird. Nur so lassen sich neue Erkenntnisse
um Schutz der Tiefsee gewinnen.
In Hinsicht auf die ökonomischen Folgen der Überfi-
chung und illegaler Fischereitechniken, besonders für
ntwicklungs- und Schwellenländer, ist es unerlässlich,
estruktive Fischereiregelungen zu unterbinden sowie
achhaltige Fischereipraktiken zu fördern. Aber vor al-
em müssen wir die immense Bedrohung der biologi-
chen Vielfalt der Tiefsee unverzüglich stoppen.
Um dieses Ziel zu erreichen, sollten wir uns an den
mpfehlungen des Wissenschaftlichen Beirats der Bun-
esregierung Globale Umweltveränderungen – WBGU –
rientieren, der die Errichtung von internationalen Mee-
esschutzgebieten anrät. Diese Schutzgebiete sollen min-
estens 20 bis 30 Prozent der Fläche mariner Ökosysteme
mfassen. Sie übernehmen wichtige Schutzfunktionen,
ie darin bestehen, erstens die Anpassungsfähigkeit der
kosysteme zu erhöhen, zweitens anthropogene Fakto-
en wie die Überfischung und die Habitatzerstörung ein-
udämmen und schließlich drittens Schutzgebiete als
nstrument des Fischereimanagements zur Erhaltung
ommerziell nutzbarer Fischbestände einzurichten.
Um die Integrität von Bioregionen zu bewahren, bio-
ogische Ressourcen zu sichern, zukünftige Biopoten-
iale zu erhalten und die Regelungsfunktionen dieses un-
rmesslichen globalen Naturerbes zu bewahren, sind die
aßnahmen, die im Koalitionsantrag stehen, umzuset-
en. Diese Ziele und ihre globale Bedeutung müssen zu-
em stärker durch einen politischen Dialog in der inter-
ationalen Gemeinschaft kommuniziert werden.
Damit wir diesen faszinierenden Lebensraum der
iefsee nicht weiter zerstören, bevor er uns in seiner
anzen Vielfalt bekannt ist, möchte ich Sie bitten, dem
ntrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD zur
erbesserung des Schutzes sensibler Ökosysteme in der
iefsee zuzustimmen.
Angelika Brunkhorst (FDP): Die Meere mit ihren
ielfältigen Ökosystemen sind unterschiedlichsten Be-
inträchtigungen ausgesetzt. Die wirtschaftliche Nut-
ung der Meere hat in den vergangenen Jahrzehnten
tark zugenommen und neue Nutzungsinteressen gewin-
en heute zunehmend an Bedeutung.
Trotz einiger Erfolge, die seit den ersten internationa-
en Abkommen im Meeresschutz zu verzeichnen sind,
st nach wie vor der Schutz der Meere eine große He-
ausforderung. Alarmierend sind weiterhin die Auswir-
ungen einer schonungslosen Ausbeutung der Fisch-
auna sowie die Ausrottung vieler Arten im Lebensraum
eer. Die Schäden, die den Meeresregionen durch
chadstoffeinträge und durch unangepasstes menschli-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. November 2006 7065
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ches Handeln zugefügt werden, sind oft irreparabel. Es
sind vor allem schleichende Prozesse, die langfristig be-
sonders schädigend wirken.
Ein Beispiel sind die noch immer zu hohen Nährstoff-
und Schwermetalleinträge. Dazu kommen Schädigungen
durch die Schifffahrt, unterschiedliche Offshore-Nutzun-
gen sowie Veränderungen durch den Klimawandel. Na-
tionalparke und Schutzgebiete müssen auch in Zukunft
unangetastet bleiben. Der Schutz ökologisch hochsensi-
bler Meeresgebiete, wie zum Beispiel der Antarktis, muss
auch auf internationaler Ebene weiterentwickelt werden.
Der globale Verlust biologischer Vielfalt und die Zer-
störung von Lebensräumen an Land setzen sich auch in
den Weltmeeren fort. Gleichgewichte in der Nahrungs-
kette der Meerestiere verschieben sich und die Klima-
erwärmung führt zu einer Versauerung der Meere, Tem-
peraturen und Wasserstände steigen.
Über den Lebensraum Tiefsee wissen wir bislang zu
wenig. Es bedarf hier zusätzlicher Forschungsanstren-
gungen, um die unterschiedlichen Prozesse zu beschrei-
ben, effektive Schutzmaßnahmen ergreifen und ausge-
wogene Nutzungen definieren zu können.
Die politische Entscheidungsfindung zum Schutz der
Meere kann nur unter der Betrachtung des ganzen Öko-
systems erfolgen. Dieser Ökosystemansatz soll demnach
auch zur Etablierung der effizientesten Schutzmaßnah-
men führen. Grundsätzlich sollte im Meeresumwelt-
schutz nach dem Vorsorge- und Verursacherprinzip ge-
handelt werden.
Eine nachhaltige Fischerei, die die Bestände erhält,
und der art- und tierschutzgerechte Fischfang sind zen-
trale Ziele der Liberalen. Es ist dringend geboten, um-
weltfreundlichere Fangmethoden einzusetzen. Es ist
dazu eine kohärente Fischereipolitik erforderlich, die die
Fischbestände schonend bewirtschaftet. Der politische
Weg sollte hinführen zu einem Management der welt-
weiten Fischbestände.
Die Festlegung und Überwachung von Fangquoten ist
konsequenter zu verfolgen. Bisher fügen illegale Fang-
praktiken den Fischbeständen erhebliche Schäden zu
und unterlaufen die internationalen Abkommen. Die ge-
meinsame Fischereipolitik der EU hat beim Schutz der
Fischpopulationen nicht die gewünschten Erfolge ge-
bracht. Um der Überfischung weiter entgegenzutreten,
sollte entsprechend den wissenschaftlichen Erkenntnis-
sen die Einstellung der Fischerei von bestimmten Fisch-
arten oder in bestimmten Fanggebieten umgesetzt wer-
den. Zu einer Verbesserung der Situation kann ebenfalls
die Öko-Zertifizierung von Fischprodukten dienen.
In Anbetracht der Probleme mit der illegalen Fische-
rei, Überschreitung der Fangquote und Fischen in frem-
den Gewässern, ist eine weitere Reduzierung der Fang-
quoten allein nicht zielführend. Nur wenn diese
Vorgaben in der Praxis auch durchgesetzt und überwacht
werden, haben weitere Beschränkungen der Fangquoten
einen Sinn.
Die Tiefsee muss besonderen Schutz genießen. Zum
einen ist sie für uns weitestgehend noch immer unbe-
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annt und zum anderen laufen die natürlichen Prozesse
n den Tiefen der Meere deutlich langsamer ab. Abgese-
en von den Fangquoten sind die Fangmethoden an sich
in weiteres Problem. Beim Tiefseefischfang entstehen
mmense Schäden am Meeresboden. Auch für den Geo-
örper Meeresboden gilt, dass er noch wenig erforscht
t.
Ziel der Politik muss gesicherter Schutz der Tiefsee
ein, bei einer gut überwachten, nachhaltigen Nutzung
er Meeresressourcen.
Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Anlass des
ntrags der Koalition dürften zwei Dinge gewesen sein:
rstens die bevorstehende Beratung der Meeresstrategie-
ichtlinie im Rat und im Parlament, die unter deutscher
räsidentschaft weitergeführt oder sogar abgeschlossen
ird, und zweitens natürlich der letztens bereits beratene
ntrag der Grünen zum Verbot der Grundschleppnetz-
ischerei.
Angesichts der Herausforderungen an den Meeres-
chutz ist der Koalitionsantrag in seiner Allgemeinheit
ber eine traurige Nummer. Er fällt hinter den Antrag der
rünen Kollegen zurück. Union und SPD konnten sich
icht zu einer klaren Forderung nach einem Moratorium
ür die Grundschleppnetzfischerei durchringen, geschweige
enn zu einer Verbotsforderung.
Wir denken, die Politik der Bundesregierung ist ähnlich
wiespältig wie dieser Antrag. Da gibt es allgemeine,
nverbindliche Forderungen in Papieren auf der einen
eite. Auf der anderen Seite steht dann das Agieren der
undesregierung beispielsweise im Fischereiministerrat.
nd hier ist bislang nicht durchgedrungen, dass sich
eutschland besonders intensiv für den Meeresschutz
ingesetzt hätte.
Dieser Ministerrat hat aber eine Reihe von Beschlüssen
u verantworten, die einer nachhaltigen Meeresschutz-
olitik Hohn sprechen. So werden die Empfehlungen des
issenschaftsgremiums ICES regelmäßig in den Wind
eschlagen, beispielsweise beim Dorsch in der östlichen
stsee. Statt einem Fangstopp wurde für 2007 nur eine
ehnprozentige Reduzierung der Fangmenge auf circa
0 000 Tonnen beschlossen. Im letzten Jahr war dies
hnlich. Die Chancen, dass sich der Ostseedorsch erholt,
ind nach Einschätzung des WWF nunmehr gering.
Diese Ignoranz ist vollkommen unverständlich.
chließlich sind die Nachrichten von der Überfischung der
eltmeere dramatisch, wie auch gerade die in „Science“
eröffentlichte Studie kanadischer Wissenschaftler zeigte.
anach sagen die Experten einen Kollaps aller wirt-
chaftlich genutzten Fischbestände bis 2048 voraus.
Die EU-Fischereiminister haben dessen ungeachtet
erade beschlossen, das Verbot der Treibnetzjagd auf
chwertfische und auf Rote Thunfische im Mittelmeer
ieder aufzuheben, anstatt dem illegalen Treiben dort
in Ende zu setzen. Trotz eines seit 2002 bestehenden
U-Verbotes für Treibnetzfischereien operiert eine Flotte
on über 440 Treibnetzfischern im Mittelmeer und
immt den qualvollen Tod von jährlich Tausenden von
eeressäugern, Schildkröten und Seevögeln in Kauf.
7066 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. November 2006
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Das ist ein Skandal und zeigt, wie ernst es die Fischerei-
minister mit dem Meeresschutz tatsächlich meinen!
Die Koalition hat angesichts dieser Entwicklung leider
nicht den Mut, klare Forderungen an die Bundesregie-
rung zu stellen, und zwar anscheinend deshalb nicht, weil
man sich hinter wolkigen Formulierungen schön verste-
cken kann. Und mit der Fischereiwirtschaft möchte sich
das Land mit dem größten Fischverbrauch in Europa
nicht so recht anlegen.
Auch im Hinblick auf die Meeresstrategie-Richtlinie
geht die Koalition auf keinen der Kritikpunkte ein, die
der Sachverständigenrat für Umweltfragen formuliert
hat. Stichworte wären hier vor allem: Eine Re-Nationali-
sierung der Meeresschutzpolitik darf in Europa nicht
zugelassen werden. Zudem ist in der Richtlinie die bis-
lang fehlende Verbindung von der europäischen Meeres-
schutzgesetzgebung zu den internationalen Abkommen
und zu anderen europäischen Umweltgesetzen herzustel-
len.
Wir meinen im Übrigen, den Forderungen der Umwelt-
verbände, wie Greenpeace und WWF, nach Meeresschutz-
gebieten sollte endlich Rechnung getragen werden.
Zudem muss sich der Fangdruck erheblich verringern.
Insgesamt steht sicher auch nichts Falsches im Antrag.
Aber das ist irgendwie zu wenig für eine Zustimmung.
Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir
Bündnisgrüne freuen uns darüber, dass die Koalition die-
sen Antrag zum Schutz der Tiefseeökosysteme einge-
bracht hat. Denn damit reagieren Sie endlich auf unseren
Antrag für ein Moratorium der Grundschleppnetzfische-
rei in der Tiefsee. Allerdings mussten wir sehr lange
– über ein halbes Jahr – darauf warten. Wir hatten ei-
gentlich einen eigenen Antrag zum Moratorium von Ih-
nen erwartet, nachdem wir unseren vorgelegt hatten.
Über fünf Monate haben wir Ihnen Zeit dazu gegeben.
Weil wir dann Ende September die Hoffnung aufgeben
hatten, beraumten wir für Ende September die zweite
Lesung unseres Antrages an. Und dann die Überra-
schung: Einen Monat später legten Sie doch noch einen
Antrag vor. Nun ja. Besser spät als nie.
Wir werden diesem Antrag zustimmen. Denn wir ha-
ben keine Aussagen darin gefunden, die wir für falsch
hielten. Natürlich unterstützen wir die bessere Erfor-
schung und den Schutz der Tiefsee, die Einrichtung von
Schutzgebieten auf der hohen See, die Beförderung
nachhaltiger Fischereipraktiken, ein Verbot zerstöreri-
scher Fischereipraktiken, Fischereiregelungen, die Über-
fischung verhindern, eine wirksame Kontrolle dieser Fi-
schereiregelungen und den internationalen politischen
Dialog über alles das.
In all diesen Forderungen können wir durchaus einen
Erfolg unserer Initiative sehen. Denn ohne unseren An-
trag für das Moratorium – so viel lässt sich, glaube ich,
feststellen – hätte es Ihren Antrag sicher nicht gegeben.
Nun gilt es, das Handeln der Bundesregierung an den
Forderungen Ihres Antrags zu messen.
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Lieber Kollege Ortel, unsere Zustimmung hat nichts
amit zu tun, dass wir damit von unserem eigenen Antrag
brücken und Ihren als den besseren anerkennen würden.
war ist Ihr Antrag umfassender, das will ich gerne aner-
ennen. Mit unserem Antrag wollten, wir hingegen sehr
okussiert auf ein spezielles Problem aufmerksam ma-
hen und eine bestimmte politische Forderung in die Dis-
ussion bringen. Denn die Grundschleppnetzfischerei in
er Tiefsee zerstört einen der letzten ökologischen
chätze unserer Erde. Sie ist purer Raubbau. Und gemes-
en daran ist Ihr Antrag für uns letztlich doch eine Ent-
äuschung. Denn Sie konnten sich als Koalitionsfraktio-
en nicht dazu durchringen, sich ausdrücklich für ein
oratorium für die Grundschleppnetzfischerei auf der
ohen See auszusprechen, wie wir Grüne es mit unserem
ntrag gefordert haben.
Zwar ist kaum vorstellbar, wie die Bundesregierung
ie weit reichenden Forderungen dieses Antrags zum
chutz der Tiefsee umsetzen könnte, ohne für ein Mora-
orium zu stimmen. Dennoch bleibt als Manko, dass Ihr
ntrag die Bundesregierung eben nicht ausdrücklich da-
an bindet, sich öffentlich für ein solches Moratorium
uszusprechen, geschweige denn, sich gegenüber ande-
en Ländern dafür einzusetzen. Damit wird es wohl da-
ei bleiben, dass die deutsche Regierung beim Thema
oratorium für die Tiefsee-Grundschleppnetzfischerei
it einer unklaren Haltung herumeiern wird. Denn Um-
elt-, Agrar- und Außenministerium sind offensichtlich
icht in der Lage, sich auf eine eindeutige Unterstützung
es Moratoriums zu einigen. Sei es, weil das Außenamt
iplomatische Rücksichten auf Länder wie Spanien neh-
en will, das wesentlicher Akteur in der Grundschlepp-
etzfischerei in der Tiefsee ist, sei es weil die Beamten
m Agrarministerium eine zu große Nähe zu Fischereiin-
eressen haben.
Ich will Ihnen sagen, warum uns eine eindeutige und
ffentliche Positionierung der Bundesregierung in dieser
rage so wichtig ist und warum wir glauben, dass es
hne diese klare Haltung keine Chance geben wird, das
oratorium zu erreichen. Ich habe den spanischen Bot-
chafter deswegen angeschrieben. Denn Spanien lehnt
ls Hauptakteur in dieser Branche – wen wundert es –
as Moratorium ab. Ich habe daher in meinem Schreiben
n Spanien appelliert, seine Position zu überdenken.
issen Sie, was mir der Herr Botschafter antwortete? Er
chrieb mir, dass die Haltung Spaniens mit der der EU
bereinstimme, dass also die EU der Ansicht sei, dass
as Moratorium für die Grundschleppnetzfischerei keine
ösung darstellen würde.
Wenn also Spanien die EU bei dieser Frage in der Ta-
che hat, dann bedarf es schon einer klaren Haltung ge-
enüber den Mitgliedstaaten, um erreichen zu können,
ass diese Festlegung auf EU-Ebene korrigiert wird.
ber auch dann, wenn sich die EU gar nicht so klar ge-
ußert haben sollte, gälte es, dieser Lesart der EU-Posi-
ion deutlich zu widersprechen. Ansonsten bleibt sie so
ls Fakt im Raume stehen.
Wenn ich nun Ihre Weigerung sehe, die Bundesregie-
ung zu einer aktiven Haltung für das Moratorium zu
erpflichten, dann muss man sehr skeptisch sein, dass es
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. November 2006 7067
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zu einer klaren Positionierung der EU kommen wird.
Und ohne diese klare Haltung der EU wird es auch in der
UN-Generalversammlung kaum eine Mehrheit geben.
Aus diesem Grund muss ich sagen: Ja, wir können
Ihrem Antrag zustimmen, weil alle Forderungen unter-
stützenswert sind. Aber dennoch ist Ihr Antrag eine Ent-
täuschung, weil er nicht die Konsequenz zieht, die
Grundschleppnetzfischerei umgehend zu stoppen. Sonst
ist in einigen Jahren, wenn die vorgeschlagenen Initiati-
ven greifen, überhaupt nichts mehr da, was man schüt-
zen kann.
Anlage 10
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung:
– Beschlussempfehlung und Bericht: Defizite
im Kampf gegen Trunkenheitsfahrten in der
Seeschifffahrt beseitigen
– Antrag: Umweltfreundliche Stromversor-
gung von Schiffen in Häfen unterstützen
(Tagesordnungspunkt 22 a und b)
Enak Ferlemann (CDU/CSU): „The same procedure
as last year?“, fragt Butler James Miss Sophie in der
Kultsendung „Dinner for one“ an ihrem neunzigsten Ge-
burtstag. „The same procedure as every year, James“
antwortet Miss Sophie ihrem Butler und das Publikum
lacht. Ich hoffe, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
FDP, sie haben nicht vor, das Thema Trunkenheitsfahr-
ten in der Seeschifffahrt in den gleichen Kultstatus zu
heben, den dieser Sketch hat.
Ich bin mit Ihnen sehr wohl der Meinung, dass das
Thema ernst ist. Sie ziehen es aber erneut aus dem Hut,
nachdem wir es gerade erst Mitte 2005 ausführlich bera-
ten haben. In 2005 gab es gleich drei Anträge, den der
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
– damals noch gemeinsam in der Regierungsverantwor-
tung – meiner Fraktion und Ihren Vorläuferantrag „Pro-
millegrenze in der Seeschifffahrt“.
In 2005 habe ich an gleicher Stelle ausgeführt:
Heute sind hohe Sicherheitsstandards für die See-
schifffahrt von großer Bedeutung. Die aber schließen
den Genuss von Alkohol am Steuer eines Seeschiffes
aus. Zu groß sind die Risiken und Folgen für unsere
Küsten und Seestraßen, wenn es alkoholbedingt zu
Schäden kommt. Ich begrüße deshalb die Einigkeit aller
Fraktionen, gemeinsam an mehr Sicherheitsbewusstsein
auf dem Meer durch die jetzt geforderten Maßnahmen
arbeiten zu wollen.
Mehr Sicherheit tut Not. Das haben uns die Zahlen
der unfallunabhängigen Kontrollen in der Seeschifffahrt
aus den Jahren 2001 bis 2003 gezeigt. In diesen Jahren
haben Trunkenheitsfahrten in der Seeschifffahrt dreifach
zugenommen.
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Im Grundsätzlichen, wenn auch nicht in allen Einzel-
eiten, gab es über alle Fraktionen Konsens, dem Pro-
lem des Alkoholmissbrauchs den Kampf anzusagen.
as ist in der Debatte im letzten Jahr deutlich geworden.
Deshalb finde ich es erstaunlich, dass Sie, liebe Kol-
eginnen und Kollegen von der FDP-Fraktion, ein Jahr
päter das gleiche Thema erneut bewegen. Aber immer-
in – das ist zu begrüßen – haben Sie als Oppositions-
raktion die Nachfrage angeregt, was sich inzwischen
ufgrund der Debatte in 2005 getan hat. Meine Fraktion
at also in der Ausschusssitzung Ende Juni 2006 den
all aufgenommen und die Bundesregierung gebeten,
em Verkehrsausschuss einen Bericht zu geben, welche
aßnahmen gegen Trunkenheitsfahrten auf See bereits
rgriffen worden sind und bei welchen Vorhaben eine
msetzung noch aussteht.
Staatssekretär Großmann hat in der Ausschussbera-
ung Mitte August dieses Jahres einen Bericht der Bun-
esregierung übermittelt. Aus diesem Bericht geht her-
or, dass Maßnahmen gegen den Alkoholmissbrauch auf
ee eingeleitet worden sind. Die Bundesregierung
immt das Problem ernst, wie im Übrigen die Koali-
ionsfraktionen auch.
Nun schauen wir einmal, wo wir stehen. Es hat erste
echtsänderungen auf nationaler Ebene gegeben und
eitere Maßnahmen sollen demnächst folgen. Die
wölfte Verordnung zur Änderung seeverkehrsrechtli-
her Vorschriften hat im Bereich der Sportschifffahrt und
urch Herabsetzung der Promillegrenze in deutschen
ewässern von 0,8 auf 0,5 für alle Schiffe sowie null
romille für Schiffsführer bestimmter Fahrzeugarten,
ämlich den Fahrgastschiffen und bestimmte Gefahrgut-
chiffe, erste Verbesserungen gebracht. Die zur Führung
on Fahrgast- bzw. Gefahrgutschiffen im Rahmen der
olitischen Diskussion vorgeschlagenen Klarstellung,
ass im Dienst befindliche Besatzungsmitglieder – die
ntsprechende Null-Promille-Grenze gilt nur für die
chiffsführer – nicht unter der Wirkung von Alkohol ste-
en dürfen, ist durch Artikel 1 bis 3 der Achten Sicher-
eitsanpassungsverordnung erfolgt.
Die Verordnung zur Umsetzung europarechtlicher
orschriften auf dem Gebiet der Seeschifffahrt tritt am
. Dezember 2006 in Kraft. Sie enthält insbesondere im
ereich des Erwerbs und Entzugs von Befähigungszeug-
issen in der Handelsschifffahrt Verschärfungen bei Al-
oholmissbrauch. Sie enthält zusätzliche Kriterien im
inblick auf die Zuverlässigkeit und persönliche Eig-
ung von Bewerbern und Inhabern von Befähigungs-
eugnissen in der Berufsschifffahrt. Als unzuverlässig
ird eingestuft, wer wiederholt gegen die Vorschriften
um Alkoholkonsum verstoßen hat. Unzuverlässigkeit
ann zum Entzug des Befähigungszeugnisses führen
zw. schließt die Erteilung eines Befähigungszeugnisses
us.
Sie können sicher sein, dass auch die Reedereien
urch diese Vorschriften sensibilisiert worden sind und
ntsprechend auf ihr Personal achten werden.
Ein erstes Gesetz zur Änderung seeverkehrsrechtli-
her Vorschriften ist in Vorbereitung, das durch Ände-
7068 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. November 2006
(A) )
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rung des Seeaufgabengesetzes und des Seeunfalluntersu-
chungsgesetzes Fahrverbote auch außerhalb konkreter
Gefährdungen und Datenaustausch über Alkoholauffäl-
ligkeiten regeln soll. Die Bundesregierung prüft in die-
sem Zusammenhang auch, inwieweit der sofortige Ent-
zug einer Fahrerlaubnis für Sportbootfahrer wegen
Alkoholmissbrauchs angeordnet werden kann. Die Ab-
stimmungen dazu laufen.
Aus dem von mir zitierten Bericht der Bundesregie-
rung folgt allerdings auch, dass eine grundlegende Revi-
sion des SUG nicht beabsichtigt ist. Das frühere SUG
hatte eine Reihe von Schwachstellen, die durch Einfüh-
rung der Vorprüfungsstelle und der Neugestaltung der
Seeämter beseitigt wurden. Diese Haltung ist nicht neu
und deshalb nützt Ihnen Ihre Trotzkopfhaltung nichts,
Forderungen in Wiederholung aufzustellen, die schon in
der Vergangenheit keine Mehrheiten gefunden haben.
Im Übrigen gilt auch bei diesem Thema, sich von der
kleinräumigen nationalen Sichtweise abzuwenden. In
dieses Feld gehört die Absenkung der Promillegrenze.
Viel wichtiger ist es, auf die europäische und internatio-
nale Sicht abzuheben. Die Bundesregierung will das tun.
Sie ist nach ihrem Bericht bestrebt, über die nationale
Gesetzgebung hinaus auf internationaler Ebene eine
weltweite Einführung von Obergrenzen beim Alkohol-
konsum in der Seeschifffahrt zu erreichen.
Sie haben den 44. Verkehrsgerichtstag in Goslar zum
Anlass für Ihren Antrag genommen. Was dort an Überle-
gungen und Forderungen geäußert worden ist, hat die
Bundesregierung auch gehört. Aufgrund der Forderun-
gen, die da als sinnvoll und notwendig beschrieben wor-
den sind, hat sie aktuell im Rahmen der internationalen
Rechtssetzung und durch Initiativen auf internationaler
Ebene vor, weiter gegen den Alkoholmissbrauch auf See
zu Felde zu ziehen.
Gemeinsam mit anderen EU-Mitgliedstaaten im
Schiffssicherheitsausschuss der Internationalen See-
schifffahrts-Organisation in London hat Deutschland eine
weltweit geltende Regelung von Alkoholbeschränkungen
durch Änderung der Wachdienstvorschriften des Inter-
nationalen Übereinkommens über die Normen für die
Ausbildung, die Erteilung von Befähigungszeugnissen
und den Wachdienst von Seeleuten – STCW-Überein-
kommen – vorgeschlagen. Darüber ist man aber noch in
der Diskussion. Auch wenn dies Zeit braucht, so ist doch
klar, dass eine internationale Lösung der auf der europäi-
schen Ebene vorzuziehen ist. Der Charakter der See-
schifffahrt ist nun einmal global.
Nun zu Ihren letzten vier Forderungen Ihres Antra-
ges:
Erstens: Was soll eine wissenschaftliche Untersu-
chung unter Auswertung aller national und international
bekannt gewordenen Alkoholmissbräuche? Das erinnert
mich an die „Feuerzangenbowle“ und den viel zitierten
Satz des Professors Bommel, gespielt von Paul Hen-
ckels: „Da stellen wir uns mal janz dumm.“
Zweitens: Was soll das bringen? Wir kennen doch die
Ursachen der Alkoholabhängigkeit genauso wie die Wir-
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ung des Alkoholkonsums. Die sind ausreichend und
mfassend erforscht und liegen in den Ergebnissen vor.
Drittens: Es ist bereits jetzt Aufgabe der Ärzte, bei
esundheitsuntersuchungen zur Seediensttauglichkeit
uf den Missbrauch von Suchtmitteln zu achten.
Viertens: Soweit Sie ein zentrales Überwachungsre-
ister fordern, hält Ihnen die Bundesregierung zu Recht
as Seeleute-Befähigungsregister beim Bundesamt für
eeschifffahrt und Hydrographie vor. Das ist doch nichts
nderes als ein Zentralregister und kann deshalb unter
eachtung der datenschutzrechtlichen Voraussetzungen
eiter ausgestaltet werden.
Ich komme zum Schluss: Wie heißt der letzte Satz
on James, dem Butler in „Dinner for one“? „I will do
y very best.“ Ich denke, wir Verkehrspolitiker konnten
ie Bundesregierung ganz in diesem Sinne mit unseren
nträgen in 2005 dazu antreiben, ihr Bestes zu geben.
us diesen Gründen lehnt meine Fraktion Ihren Antrag
b.
Mit dem Antrag der Bündnis 90/Die Grünen, der mit
em Thema des Alkoholmissbrauchs auf See nichts zu
un hat, dennoch unter dem gleichen Tagesordnungs-
unkt eingebracht wird, sollten wir uns im Hinblick auf
ie Vorstellungen, die hier von der EU gekommen sind,
ald im Ausschuss auseinandersetzen. Ich kann mir vor-
tellen, dass auch hier eine sachliche Vorarbeit vom
inisterium wünschenswert und hilfreich wäre. Das
hema hat ernste Hintergründe. Es gibt aber auch Be-
roffene außerhalb dieses Hauses, deren Interessen wir
echtzeitig einbeziehen sollten. Einen zeitlichen Druck
aben wir nicht. Es ist damit genügend Zeit zur Beratung
orhanden.
Annette Faße (SPD): Nahezu bei jedem zweiten
erkehrsunfall mit tödlichem Ausgang ist Alkohol im
piel. Wir wissen, dass bereits ab 0,2 Promille BAK
Blutalkoholkonzentration – die Reaktionsgeschwin-
igkeit abnimmt: Fehleinschätzungen häufen sich, die
onzentrationsfähigkeit wird deutlich geringer.
Aus diesen Gründen nehmen wir Verkehrspolitiker
er SPD-Bundestagsfraktion den Alkoholmissbrauch im
erkehr sehr ernst. Das haben wir schon immer getan.
ereits in der letzten Legislaturperiode haben wir einen
ntrag beschlossen, der dem Alkoholmissbrauch auf
ee entgegenwirken sollte. Dieser Antrag wurde übri-
ens von der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen
nd von der damaligen Oppositionsfraktion CDU/CSU
emeinsam verabschiedet. Seitdem hat es die ersten
echtsänderungen auf nationaler Ebene gegeben, wei-
ere Maßnahmen werden demnächst folgen.
Erste Verbesserungen auf nationaler Ebene hat die
2. Verordnung zur Änderung seeverkehrsrechtlicher
orschriften gebracht: zum Beispiel im Bereich Sport-
chifffahrt und durch die Herabsetzung der Promille-
renze in deutschen Gewässern von 0,8 auf 0,5 bezie-
ungsweise Nullpromille.
Jetzt gilt wie in der Binnenschifffahrt und im Straßen-
erkehr auch auf deutschen Seeschifffahrtsstraßen eine
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. November 2006 7069
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Promillegrenze von 0,5 Promille. Für besonders gefähr-
liche Gefahrguttransporte und Fahrgastschiffe haben wir
die Null-Promille-Grenze eingeführt. Diese Null-Pro-
mille-Grenze gilt nur für die Schiffsführer.
Die 12. Verordnung zur Änderung seeverkehrsrechtli-
cher Vorschriften mit weiteren Maßnahmen ist bereits
am 6. August 2005 in Kraft getreten.
Die geplante Verordnung zur Umsetzung europa-
rechtlicher Vorschriften auf dem Gebiet der Seeschiff-
fahrt wird insbesondere im Bereich des Erwerbs und
Entzugs von Befähigungszeugnissen in der Handels-
schifffahrt Verschärfungen bei Alkoholmissbrauch ent-
halten.
Zusätzlich werden Kriterien im Hinblick auf die Zu-
verlässigkeit und persönliche Eignung von Bewerbern
und Inhabern von Befähigungszeugnissen in der Berufs-
schifffahrt eingeführt. Danach wird derjenige als un-
zuverlässig eingestuft, der wiederholt gegen die Vor-
schriften zum Alkoholkonsum verstoßen hat.
Unzuverlässigkeit kann zum Entzug des Befähigungs-
zeugnisses führen bzw. schließt die Erteilung eines Befä-
higungszeugnisses aus.
Reine Trunkenheitsfahrten – das heißt ohne konkrete
Gefährdung der Schiffsicherheit oder der Meeresum-
welt – sollen durch Änderung des Seeaufgabengesetzes,
SeeAufG, und des Seeunfalluntersuchungsgesetzes,
SUG, geahndet werden. Wir wollen nicht warten, bis et-
was passiert. Das, was im Straßenverkehr bereits gang
und gäbe ist, soll auch in der Seeschifffahrt so sein.
In diesem Zusammenhang wird auch geprüft, inwie-
weit der sofortige Entzug einer Fahrerlaubnis für Sport-
bootfahrer wegen Alkoholmissbrauchs angeordnet wer-
den kann. Der Abstimmungsprozess dazu läuft
momentan.
Für die wirksame Bekämpfung von Alkoholmiss-
brauch in der Seeschifffahrt brauchen wir jedoch keine
grundlegende Revision des SUG, wie von der FDP ge-
wünscht. Das frühere SUG hatte eine Reihe gravierender
Schwachstellen, die zum Beispiel durch die Einführung
der Vorprüfungsstelle und die Neugestaltung der Aufga-
ben der Seeämter beseitigt wurden. Ein von der FDP ge-
fordertes Zentralregister besteht bereits beim Bundesamt
für Seeschifffahrt und Hydrographie in Gestalt des See-
leute-Befähigungsregisters! Dieses Register kann unter
Beachtung der datenschutzrechtlichen Voraussetzungen
weiter ausgestaltet werden.
Neben all diesen nationalen Regelungen dürfen wir
nicht außer Acht lassen, dass eine internationale Lösung
wegen des globalen Charakters der Seeschifffahrt einer
Lösung auf nur europäischer oder gar nationaler Ebene
vorzuziehen ist!
Gemeinsam mit anderen EU-Mitgliedstaaten hat
Deutschland im Schiffssicherheitsausschuss der Interna-
tionalen Seeschifffahrts-Organisation, IMO, in London
eine weltweit geltende Regelung von Alkoholbeschrän-
kungen durch Änderung der Wachdienstvorschriften des
Internationalen Übereinkommens über Normen für die
Ausbildung, die Erteilung von Befähigungszeugnissen
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nd den Wachdienst von Seeleuten vorgeschlagen, die
och im Einzelnen diskutiert werden.
Wir sind gut aufgestellt, wir benötigen keine wissen-
chaftliche Untersuchung unter Auswertung aller natio-
al und international bekannt gewordenen Alkoholmiss-
räuche, wie Herr Goldmann fordert. Die Ursachen für
lkoholabhängigkeit und die Wirkung von Alkoholkon-
um sind uns ausreichend bekannt und bereits umfassend
rforscht.
Auch die Gesundheitsuntersuchungen zur Seedienst-
auglichkeit ist bereits Aufgabe der Ärzte. Dazu gehört
elbstverständlich, dass die Ärzte auf Suchtmittelmiss-
rauch bzw. -abhängigkeit achten. Als Unterstützung für
en Arzt gibt es durch die Bundeszentrale für gesund-
eitliche Aufklärung sowohl Handlungsempfehlungen
ur Frühintervention bei Menschen mit Alkoholproble-
en als auch entsprechende Screeninginstrumente.
Dr. Margrit Wetzel (SPD): Ein spannendes Zu-
unftsthema hat uns die Fraktion des Bündnisses 90/Die
rünen da am späten Plenarabend beschert und zualler-
rst gebührt ihr dafür durchaus Dank. Der Antrag enthält
ine Fülle absolut richtiger und wichtiger Informationen.
ein Wunder, ist er doch in vielen Passagen nahezu
ortgleich mit der Empfehlung der EU-Kommission
ber die Förderung der Landstromversorgung von Schif-
en in Häfen vom Mai 2006. Zumindest eine Bitte der
ommission erfüllen Sie damit: den Punkt 5 der Emp-
ehlung, das maritime Umfeld für dieses wichtige
hema zu sensibilisieren.
Damit hört meine Begeisterung dann aber auch schon
uf. Schade, dass Sie sich nur um Schiffsliegeplätze sor-
en, die in der Nähe von lärmbelasteten Wohngebieten
iegen. Durch meine Mitarbeit in Seemannsmission und
eutschem Nautischem Verein weiß ich, welche Pro-
leme durch Übermüdung der Besatzungen entstehen,
ie gequält durch den ständigen Motorenlärm der Hilfs-
iesel nicht ausreichend schlafen können. Man muss
ich die Frage stellen, ob Sie sich überhaupt wirklich mit
em Problem befasst haben, ja sogar, ob Sie über mögli-
he Realisierungschancen der Landstromversorgung
berhaupt ernsthaft nachgedacht haben:
Erstens. Die Landstromversorgung ist nur eine der
öglichkeiten, von Schiffen ausgehende Schadstoffe in
äfen zu reduzieren. Die für 2010 geplante Reduzierung
es Schwefelgehalts auf 0,1 Prozent bei Kraftstoffen, die
chiffe in Häfen verbrauchen, ist eine weitere. Darüber
inaus blasen Schiffe ihre Abgase ungefiltert in die Luft.
uch mit Filtertechniken wäre viel zu gewinnen, Letzte-
es übrigens nicht nur in Häfen, sondern auch auf den
eeren.
Zweitens. Die Landstromversorgung müsste für viele
rten sehr verschiedener Schiffe konzipiert werden: Was
ür kleinere Schiffe, die oft im Hafen liegen, bereits er-
olgt, weil es umweltfreundlich und durchaus wirtschaft-
ich sein kann, ist auch für Fähren mit immer gleichen
outen, Liegeplätzen und einem geringeren Stromver-
rauch im Hafen durchaus darstellbar und wird auch
chon praktiziert. Auch für einige andere Schiffstypen
7070 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. November 2006
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würde die Entwicklung zeitnah erfolgen können und
kann durchaus sinnvoll und auch wirtschaftlich sein.
Kritisch allerdings wird es für solche Schiffe, die zum
Beispiel bei wechselnden Routen und Häfen sehr viel
Energie für ihre Ladung – zum Beispiel für Schwergut,
Ladungspumpen etc. – brauchen oder während der ge-
samten Hafenliegezeit eine hohe Zahl von Kühlcontai-
nern versorgen müssen. Der Strombedarf eines solchen
Schiffes wird mit fünf bis sieben Megawatt angenom-
men. Das sind Spitzenlasten, die zurzeit noch dafür sor-
gen würden, dass ganze Stadtteile aufgrund der Sicher-
heitsmaßnahmen der EVU vom Netz fallen würden. Wie
stellt sich das bei mehren, ja bei vielen Schiffen gleich-
zeitig dar?
Drittens. Dabei zeigt sich das eigentliche Problem:
Die Häfen bräuchten leistungsstarke eigene Kraftwerke
für die Versorgung der Schiffe. Das aber ist eine richtig
teure Sache, die kaum durch Bundestagsbeschluss über
das BIMSCHG geregelt werden kann. Auch rechtlich
müsste eine Anbindung an das BIMSCHG gründlich ge-
prüft werden. Das ist im Zuge der Ausschussberatungen
sicher zu leisten. Aber eine gründliche Skepsis, dass
teure Großinvestitionen der Energieversorgungsunter-
nehmen mit den entsprechenden aufwendigen Planungen
und kostenintensiven Maßnahmen in den Häfen, in der
Zuständigkeit der Länder, der Hafenbetreiber und den
von teuren Umrüstungen betroffenen Terminals, der
Reeder, die ihre Schiffe entsprechend bauen bzw. umrüs-
ten müssen und wie Sie, liebe Kollegen von den Grünen,
das alles über das BIMSCHG veranlassen wollen, ist
wohl schon angebracht.
Während die Empfehlung der EU-Kommission abso-
lut ernst genommen und unterstützt werden muss, kann
man über Ihren Antrag aber nur den Kopf schütteln. Na-
türlich müssen wir, sprich die Bundesregierung, gemein-
sam mit den anderen Mitgliedstaaten der EU bei interna-
tionalen Zusammentreffen der IMO und ISO energisch
daran arbeiten, internationale Mindestanforderungen
und harmonisierte Normen für die landgestützte Strom-
versorgung zu entwickeln. Was nützt es uns, wenn die
Kontinente verschiedene technische Systeme aufbauen,
die mit den eintreffenden Schiffen nicht kompatibel
sind? Nichts! Im Gegenteil: Dann sind Schiffe von öko-
logisch und ökonomisch bewussten Reedern teuer aus-
gerüstet worden und fahren ihr Equipment nutzlos auf
den Meeren herum. Wie überzeugen wir die Energiever-
sorger, dass sie in große Kraftwerke investieren, wenn
nicht sicher ist, dass die Schiffe – allein deutsche Reeder
haben derzeit über 700 Neubauten geordert – so ausge-
rüstet sind, dass sie Landstrom für ihre Hafenbetriebs-
zeiten abnehmen können?
Die Industrie, zumal die deutsche Industrie, ist perfekt
vorbereitet: Namhafte Anbieter sind mit marktfähigen
Entwicklungen in Vorleistung getreten und haben die po-
litischen Entwicklungen der nächsten Jahre antizipiert.
Sie verdienen unsere volle politische Unterstützung. Die
Probleme, die zu bewältigen sind, liegen schließlich
nicht nur in der Menge des verfügbaren Stroms; sie lie-
gen auch in den unterschiedlichen Spannungen von
Land- und Schiffsstrom. Es braucht also Umspannstatio-
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en, Transformatoren, entsprechende Höchstspannungs-
abeltrommelsysteme, die passgenau zwischen Schiff
nd Landstation sind. Außerdem muss die Frequenz der
0-Hz-Landversorgung für die auf 60 Hz ausgelegten
ordnetze kompatibel gemacht werden. Das sind techni-
che Herausforderungen, die sehr kostenintensiv sind
nd die auch nicht über das BIMSCHG oder eine ge-
einsame Planung von Bund, Ländern und Energiever-
orgern allein zu bewältigen sind. Was passiert denn bei
tromausfall – bei dem Spitzenbedarf? Haben Sie be-
acht, dass wir auch neue Sicherheitsrisiken für Leib und
eben der Arbeiter mit zu bewältigen hätten?
Einig sind wir aber sicherlich darin, dass wir uns in-
ensiv mit dem Thema befassen müssen, dass die Indus-
rie unsere Unterstützung für ihre innovativen Lösungen
at, dass die IMO internationale Mindestanforderungen
chnellstmöglich definieren und die ISO die Schnittstel-
en klären muss, damit die „Stecker auch in die Dose
assen“, dass die für die Häfen zuständigen Länder ein
igenständiges politisches Interesse an „sauberen“ Häfen
aben müssen und dass die Reeder bei zukünftigen
chiffsneubauten vorausschauend planen müssen; denn
mmerhin sind einige amerikanische Häfen bereits seit
ahren zumindest konzeptionell Vorreiter auf dem Weg
ur landgestützten Stromversorgung.
Wenn das alles auf einem guten Weg ist, dann bin ich
icher, dass auch unsere Haushälter und Finanzpolitiker
issen, dass deutsche Häfen im europäischen Verbund
ettbewerbsfähige Strompreise brauchen. Bis dahin ist
ber noch ein vor allem technisch harter Weg zurückzu-
egen, bei dem immer die Einzelfallprüfung, die je ein-
elne Abwägung des Nutzen-Kosten-Verhältnisses der
eeigneten Lösung zur Schadstoff- und Lärmreduzie-
ung von Schiffen in Häfen voranstehen muss.
Fazit: Ihr Antrag ist gut gemeint, aber nicht gut ge-
acht. Er hilft umweltpolitisch nicht wirklich, schafft
eue Probleme statt die richtige Entwicklung nachdrück-
ich zu unterstützen – kurz: Ob Sie hier nicht doch eher
as Kind mit dem Bade ausschütten, werden wir in den
nstehenden Ausschussberatungen prüfen.
Hans-Michael Goldmann (FDP): Eigentlich ist es
icht zu glauben, dass wir uns im Plenum des Bundes-
ages schon wieder mit dem Thema Verbesserungen im
ampf gegen Alkoholmissbrauch in der Seeschifffahrt
eschäftigen müssen. Man sollte meinen, dass solche
echtstechnischen Probleme schnell von einer Regierung
bgestellt werden und wir uns wieder anderen Themen
uwenden können. Doch leider weit gefehlt.
Es hat mich wirklich erschüttert, dass die große Koali-
on in der Ausschusssitzung schlicht bestritten hat, dass
s in diesem Bereich überhaupt noch Probleme gibt. Sie
ind einfach abgetaucht und weigern sich die offensicht-
ichen Probleme zur Kenntnis zu nehmen. Dabei habe
ch einige Kollegen, wie Wolfgang Börnsen, noch im
hr, wie sie im Sommer 2004 laut tönten, dass es nicht
ngehen könne, dass besoffene ausländische Kapitäne
ach der Ausnüchterung wieder die Brücke besteigen
nd weiterfahren können.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. November 2006 7071
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Doch leider ist dies immer noch Realität. Seit der Ver-
abschiedung des unseligen SUG im Jahr 2002 haben wir
die Gesetzeslücke, die es der Wasserschutzpolizei unmög-
lich macht, solchen Trunkenbolden im Sofortvollzug das
Handwerk zu legen.
Es interessiert Sie einfach nicht, dass sowohl der
Deutsche Nautische Verein, als auch der Deutsche Ver-
kehrsgerichtstag übereinstimmend festgestellt haben,
dass diese Regelungslücke besteht und sie durch eine
kleine Gesetzesänderung zu schließen ist.
Offensichtlich muss erst wieder ein Unfall passieren,
bis die werten Kollegen von SPD und CDU/CSU auf-
tauchen und dann sicher wieder die Schlagzeilen der
Boulevardblätter füllen werden. Ich sehe es schon vor
meinem geistigen Auge: CDU/SPD fordern: Wir brau-
chen umgehend schärfere Gesetze! Es ist wirklich traurig,
dass Sie sich weigern, schon vor dem nächsten Unfall
für mehr Sicherheit auf deutschen Gewässern zu sorgen.
Stattdessen haben sie die Schiffsoffiziersausbildungsver-
ordnung und innerhalb eines Jahres jetzt schon zweimal
die Seeschifffahrtsstraßenordnung geändert und behaup-
ten, damit ihren Auftrag erfüllt zu haben.
Über die Ausbildungsverordnung hat das Ministerium
nun festgelegt, dass bei Beinahe-Unfällen künftig nicht
die Seeämter, sondern das Bundesamt für Seeschifffahrt
und Hydrografie für Patententzüge zuständig ist. Ich
frage: Wo ist hierfür die dem Grundgesetz entsprechende
Ermächtigungsgrundlage, die solche Eingriffe in die
Berufsausübungsfreiheit nach Art, Zweck und Ausmaß
erlaubt? § 142 Seemannsgesetz genügt diesen Ansprüchen
jedenfalls in keiner Weise.
Dasselbe Ministerium hat übrigens bei entsprechenden
Rechtsgrundlagen im Straßenverkehr alles Wesentliche
im STVG geregelt. Es kommt wohl auf die Abteilung im
BMVBS an, ob Verfassungsrecht geprüft wird oder nicht.
Abgesehen davon hat der Deutsche Bundestag 2005 be-
schlossen, dass auch dieser Teil der Patenentziehung von
der WSD Nord als Aufgabe ausgeführt werden soll, damit
die Einheitlichkeit der Bewertungsmaßstäbe erhalten
bleibt. Doch dieser Beschluss hat offensichtlich weder das
Ministerium noch die sie tragende Koalition interessiert.
Auch diese Vorschrift lässt im Übrigen weder Rechts-
grundlagen gegen Inhaber ausländischer Kapitäne erken-
nen noch sieht sie die Möglichkeit einer vorläufigen
Anordnung der Patententziehung vor. Erst wenn die Ent-
ziehung bereits stattgefunden hat und der Betroffene die
Entscheidung anficht, kann der sofortige Vollzug ange-
ordnet werden. Das hat nichts mit der vorläufigen
Anordnung zu tun, ein Instrument, das der Behörde
ermöglicht, sofort und ohne vorausgegangen Grundver-
waltungsakt einen volltrunkenen Kapitän aus dem Ver-
kehr zu ziehen, wie das im alten SeeUG ohne Probleme
möglich war.
Weiterhin hat das Ministerium im August 2005 in der
Seeschifffahrtsstraßenordnung für Fahrgastschiffe und
bestimmte Gefahrguttransporte einen Passus aufgenom-
men, wonach ein Kapitän auf seinem Schiff keinen
Alkohol zu sich nehmen darf. Für diese Formulierung
gab es viel Kritik, Kritik sowohl aus dem Ministerium
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elbst, als auch von Verdi und maritimen Verbänden. Es
urde ausgeführt, dass diese Regelung zu unvertret-
aren Wertungswidersprüchen führen würde, weil schon
ie Einnahme eines Löffels Hustensaft den Tatbestand
rfüllte. Der Deutsche Nautische Verein und der Deut-
che Verkehrsgerichtstag haben ihnen schließlich ins
tammbuch geschrieben, dass die juristisch bessere
ormulierung wäre: „Darf in der Dienstzeit nicht unter
irkung alkoholischer Getränke stehen.“
Der wohlmeinende Dritte würde jetzt sicher glauben,
ass man auf solchen Ratschluss sicher gehört habe,
och wiederum weit gefehlt. Stattdessen hat man dieses
ahr wiederum § 3 Abs. 5 in dieser Vorschrift geändert:
In Ruhezeiten und sonstigen Erholungszeiten darf er
der Kapitän
alkoholische Getränke zu sich nehmen, wenn sicher-
gestellt ist, dass er bei der Übernahme sicherheitsre-
levanter Aufgaben nicht mehr unter Wirkung solcher
Getränke steht.
Man kann sich nur wundern. Offensichtlich kommen
ur den Fachleuten von der Küste dazu kritische Fragen in
en Sinn, den Damen und Herren von der Regierung und
er sie tragenden Koalition leider nicht. Wann sind diese
uhezeiten und wer definiert sie? Genau: Der Kapitän! Er
ann nun jederzeit selbst bestimmen, und das auch noch
anz kurzfristig, wenn die Wasserschutzpolizei gerade
n Bord kommt, dass er nun seine Ruhezeit nehme. Die
ignalwirkung einer solchen Vorschrift ist vor dem Hin-
ergrund der Diskussion, die wir seit über zwei Jahren
nter dem Motto „Null Toleranz für Alkohol an Bord“
ühren, verheerend. Wasserschutzpolizisten haben mir
estätigt, dass die Regelung völlig unpraktikabel ist.
inige Kollegen von der Koalition wissen das doch
uch. Ausgerechnet für die sensibelsten Sicherheits-
ereiche – Passagiere und gefährliche Gefahrgüter –
erden solche Weichmacher eingebaut. Das ist jetzt
och schlimmer als unter dem alten Recht.
Nach ständiger Rechtsprechung passiert einem Kapitän
ichts, wenn er mit einem Blutalkoholwert unterhalb
on 0,3 Promille kontrolliert wird. Nach den Vorstellun-
en der Regierung darf er sich nur nicht dabei beobachten
assen, wie er den Alkohol innerhalb der Dienstzeiten zu
ich nimmt. Oder er erklärt sich während einer Kontrolle
er Einfachheit halber kurzerhand als in der Ruhephase
efindlich, um ungeschoren saufen zu können. Er muss
ur rechtzeitig einen seiner Offiziere wecken.
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen:
ch weiß, dass die allermeisten Kapitäne sehr verantwor-
ungsvoll ihre Aufgaben wahrnehmen. Doch um diese
eht es hier ja auch nicht. Es geht um die, bei denen
igentlich schon die regelmäßigen Kontrollen der See-
erufsgenossenschaft zutage fördern müssten, dass sie ein
lkoholproblem haben. Es geht um die Kapitäne, die
egelmäßig einen über den Durst trinken. Angesichts der
ntwicklung der Seeschifffahrt bedarf es in unseren Tagen
ar nicht mehr eines Tankerunfalls, um an unseren Küsten
ür verheerende Schäden zu sorgen. Großcontainerschiffe
ansportieren heutzutage oft mehr Öl als früher so man-
7072 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. November 2006
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cher Tanker. Mit Ignoranz spielen Sie mit der Sicherheit
von Mensch und Natur an den deutschen Küsten.
Dorothée Menzner (DIE LINKE): Hier sind zwei
Anträge zu beraten, die auf den ersten Blick wenig ge-
mein haben. Doch wenn wir uns klarmachen, dass beide
sich erheblicher Gefahrenquellen annehmen, dann sieht
das schon anders aus.
Zunächst zu den Schiffen, dann zu den Seeleuten.
Schiffsmotoren, die auch die Generatoren mit Strom ver-
sorgen, werden meist mit schwerem Bunkeröl betrieben,
nicht nur auf See, sondern auch in den Häfen. Durch ihre
Abgase – besonders Schwefeldioxid ist zu nennen – tra-
gen sie zur Luftbelastung bei, insbesondere die Motoren
der Kühlcontainerschiffe, die viel Energie schlucken.
Nicht nur den Verband Deutscher Reeder beschäftigt
dieses Problem, auch die EU-Kommission hat das
Thema seit 2002 auf der Agenda. Sie will die landseitige
Stromversorgung für Schiffe fördern, die in den Häfen
liegen. Sie empfiehlt dies allen Mitgliedsländern. Die
meisten der Ostseeanrainerstaaten haben sich bereits
verständigt, die landseitige Stromversorgung von Schif-
fen in Häfen zu fördern. Ab 2010 müssen alle Schiffe in
den EU-Häfen ohnehin Kraftstoffe mit höchstens einem
Zehntel Prozent Schwefelgehalt verwenden. Nur
Schiffe, die eine landseitige Stromversorgung nutzen
können, werden von dieser Auflage befreit.
Die Linke unterstützt den Antrag der Bündnisgrünen.
Die Bundesregierung muss alles tun, um die Belastung,
die von Schiffen in Häfen ausgeht, zu verringern. Die
landseitige Stromversorgung muss Standard sein.
Nun zu den Seeleuten: Die Seefahrt und die „Buddel
voll Rum“? Da gibt es Klischees, die Seemannsgarn
sind. Hier wird verklärt, was unverantwortlich ist: See-
fahrer, die betrunken ein Schiff lenken. Natürlich gilt
kein Generalverdacht. Doch Alkohol ist ein Problem. Da
gilt nun mal für alle: Die Lizenz ist futsch, wenn zu viel
Alkohol im Spiel ist und gegen betrunkene Seeleute gibt
es zuweilen zu wenig Handhabe. Das Thema beschäf-
tigte im Januar 2006 sogar den Verkehrsgerichtstag in
Goslar.
Wie die FDP in ihrem Antrag zu Recht feststellt, ist es
bei manchen Schiffsführern, die keine deutschen Staats-
angehörigen sind, schwierig, diesen das Patent zu entzie-
hen. Nach der Ausnüchterung wieder aufs Schiff? Ein
unhaltbarer Zustand! Da müssen wir nachbessern.
Alle, die sich in der Seeschifffahrt nur etwas ausken-
nen, wissen, dass das Bordleben bei langer Seefahrt auf
die Kraft, auf die Nerven und auf die Seele drücken kann.
Alkoholmissbrauch kann die Folge sein. Deshalb legt Die
Linke Wert darauf, auch die Bekämpfung der Ursachen,
Therapie einleitende und begleitende Maßnahmen mit in
das Repertoire zu nehmen. Das gehört – neben regel-
mäßiger Kontrolle – zur Vorbeugung unbedingt mit dazu.
Eine reine Überprüfung, so wie im FDP-Antrag formu-
liert, reicht nicht, um das Problem ernsthaft anzupacken.
Trotzdem sehen wir – die Fraktion Die Linke – im Antrag
der FDP einen Schritt in die richtige Richtung, sodass wir
auch diesem zustimmen.
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Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
EN): Am 25. November meldete die Deutsche Presse-
gentur, dass ein junger Matrose völlig betrunken mit ei-
em Fischkutter unkontrolliert durch den Büsumer
afen gefahren sei. Was nach einer Posse klingt, kann
erheerende Folgen haben, wie die traurigen Beispiele
er verunglückten Öl- und Chemietanker „Erika“ und
Prestige“ gezeigt haben. Besorgniserregend ist, dass die
ahl der amtlich festgestellten erhöhten Alkoholwerte in
en letzten Jahren stark gestiegen ist. Um es deutlich zu
agen: Alkoholmissbrauch gefährdet die Sicherheit von
ensch und Meeresumwelt. Hinzu kommen die Folge-
osten für Tourismus, Fischfang und Schadensbeseiti-
ung. Darum ist es dringend an der Zeit, Alkoholmiss-
rauch in der Seeschifffahrt zu bekämpfen und die
icherheitsstandards in der Seeschifffahrt in ganz Eur-
pa zu erhöhen. Jedes Jahr werden zum Beispiel
00 Millionen Tonnen Öl allein über die Häfen in der
uropäischen Union umgeschlagen. Insbesondere die
ord- und Ostsee sind einem erheblichen Unfallrisiko
nd damit der Gefahr einer Ölpest ausgesetzt. Hier be-
teht dringender Handlungsbedarf.
Für Gefahrguttransporte, also Tankschiffe oder See-
chiffe, die radioaktive Stoffe befördern, fordern wir
ine Nulltoleranzregelung, also eine Null-Promille-
renze. Die Promillegrenze für alle anderen Schiffe und
portboote soll von derzeit 0,8 auf 0,5 Promille gesenkt
erden. Was bei Autofahrern selbstverständlich ist, wol-
en wir auch für den Seeverkehr: Wir wollen eine stär-
ere Prävention durch mehr Kontrollen in den Häfen und
tandardmäßige Blutuntersuchungen bei der Seetaug-
ichkeitsuntersuchung. Die rechtlichen Voraussetzungen
ollen so geändert werden, dass die zuständige „Wasser-
chifffahrtsdirektion Nord“ ein Aussetzen der Fahrer-
aubnis verfügen kann, wenn Eignungszweifel bestehen.
Wenn wir über Meeresverschmutzung und Seesicher-
eit sprechen, müssen wir auch über die Schadstoffbe-
astung durch Schiffe reden. Schiffe sind Hauptverursa-
her giftiger Emissionen wie Stickoxide und
chwefeloxide, Schiffsemissionen belasten nicht nur die
eeresumwelt, in Hafenstädten verursachen sie bis zu
0 Prozent der Belastung mit diesen Gasen. Dabei
immt die Bedeutung des Seeverkehrs zu: Heute werden
und 95 Prozent des interkontinentalen Warenaustau-
ches über See abgewickelt. Die Hafenumschlagszahlen
teigen. Damit steigen aber auch die seeverkehrsbeding-
en Emissionen auf See und während der Liegezeit der
chiffe in den Häfen: Wissenschaftler haben im Auftrag
er Europäischen Kommission herausgefunden, dass die
eltweiten Schiffsemissionen bis zum Jahr 2010 auf die
rößenordnung von 75 Prozent aller an Land verursach-
en Emissionen ansteigen werden.
Wir wollen die Belastung durch Schiffsemissionen
erringern. Damit müssen wir im Hafen anfangen. Eine
öglichkeit dazu ist die so genannte Landanschlussver-
orgung. Wenn wir die Schiffe während ihrer Liegezeit
n den Häfen mit Landstrom versorgen, können die
ilfsmotoren abgeschaltet werden. So gewinnen alle:
eniger Abgase der Dieselmotoren bedeuten saubere
uft, die Hafenanrainer freuen sich über den Lärm-
chutz, die Stadtwerke profitieren vom zusätzlichen
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. November 2006 7073
(A) )
(B) )
Stromabsatz und die Energiekosten der Fähren sinken,
da der Strom der Stadtwerke günstiger ist als der durch
Hilfsdiesel erzeugte. Der Ausstoß an Kohlenmonoxid re-
duziert sich auf nahezu Null, der von Kohlendioxid und
Stickoxiden um mehr als die Hälfte.
Mit unserem Antrag „Umweltfreundliche Stromver-
sorgung von Schiffen in Häfen unterstützen“ fordern wir
die Bundesregierung auf, Schritte zu unternehmen, um
die Landanschlussversorgung in Häfen sicherzustellen.
Die Europäische Kommission hat die Einsparpotenziale
erkannt und fordert die Mitgliedstaaten auf, zu prüfen,
wie sich der Aufbau einer Landstromversorgung reali-
sieren lässt.
Lübeck macht es vor: In einem EU-Projekt, das vom
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reak-
torsicherheit gefördert wird, wird an der Einrichtung ei-
nes ersten Landanschlusses gearbeitet.
Die Bundesregierung sollte diesem guten Beispiel
folgen. In Kooperation mit Hamburg, Bremen, Nieder-
sachsen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpom-
mern bietet sich ihr die Chance, die Initiative für einen
umweltfreundlichen Seeverkehr in Deutschland und der
Europäischen Union zu ergreifen. Einheitliche und ver-
bindliche Normen müssen international für alle Häfen
gelten. Hier kann die Bundesregierung eine Vorreiter-
rolle übernehmen und bei der Überarbeitung des „Inter-
nationalen Übereinkommens zur Verhütung von Meeres-
verschmutzung durch Schiffe“ die Steckdose im Hafen
zum internationalen Standard machen.
Anlage 11
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts: Vorschlag für eine Verordnung des
Europäischen Parlaments und des Rates zur
Einrichtung des Europäischen Fonds für die
Anpassung an die Globalisierung (inkl. 7301/06
ADD 1, 7301/06 ADD 2 und 7301/06 ADD 3)
(Tagesordnungspunkt 23)
Veronika Bellmann (CDU/CSU): Der Deutsche
Bundestag befasst sich heute mit der Einführung eines
neuen EU-Fonds. Dieser Fonds steht exemplarisch für
eine verfehlte Politik der EU-Kommission. Anstatt sich
auf Kernaufgaben zu beschränken, wird versucht, immer
neue Aufgabenfelder zu erschließen und parallel dazu
immer mehr Finanzmittel zu verteilen.
Der europäische Globalisierungsfonds soll mit 500 Mil-
lionen Euro im Jahr die Wiedereingliederung von Arbeit-
nehmern in den Arbeitsmarkt unterstützen, die durch weit
reichende Veränderungen im Welthandelsgefüge ihren
Arbeitsplatz verloren haben.
Die Unterstützung von Menschen, die ihre Arbeit ver-
loren haben, ist sicher sinnvoll und richtig. Allerdings
muss das unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität ge-
schehen, das heißt in diesem Fall durch die Mitgliedstaa-
ten. Diese verfügen über die notwendige Kompetenz in
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achen Arbeitsmarktpolitik und wissen genau, an wel-
hen Stellen Handlungsbedarf besteht.
In Deutschland stehen eine ganze Reihe von arbeits-
arktpolitischen Instrumenten zur Verfügung, um Men-
chen zu unterstützen, die – sei es durch die Globalisie-
ung oder aufgrund anderer Zwänge – ihre Arbeit
erloren haben.
Die nationalen Instrumente bieten gemeinsam mit
em seit langem existierenden Europäischen Sozialfonds
ereits ausreichende Möglichkeiten zur Förderung von
rbeitslosen.
Warum also dieser Fonds? – Eine Antwort lässt sich
rahnen, wenn man betrachtet, wer den Vorschlag für
eistungen aus dem Globalisierungsfonds macht: die
U-Kommission. Sie wird also der Heilsbringer für in
kute Not geratene Arbeitnehmer sein und ihnen zur
eite springen. Das wird ihrem Image sicher nicht scha-
en. Wir kennen diese Vorgehensweise in Deutschland
ut aus vergangenen Tagen – beispielsweise im Zuge der
olzmann-Pleite.
Die Kommission betätigt sich also als Wunderheiler.
ie Kosten tragen – wie immer – die Mitgliedstaaten
nd damit die Steuerzahler.
Abgesehen davon enthebt sie vor allem die großen
nternehmen ihrer Fürsorge- und Sozialpflicht nach dem
otto: „Es ist überhaupt nicht schlimm, mein Unterneh-
en ins Ausland zu verlagern. Ich kann weiter profitabel
rbeiten. Das Schicksal der Arbeitnehmer kann ich ge-
rost der EU überlassen. Die wird das Schlimmste schon
inanziell abfedern.“ Dies zeugt von Verantwortungslo-
igkeit, das mag sein. Ein solches Denken wird durch den
on der EU-Kommission installierten Fonds aber gera-
ezu befördert.
Darüber hinaus gibt es zahlreiche Ungereimtheiten im
erordnungsentwurf. So steht der Globalisierungsfonds
m Widerspruch zu den von der Kommission selbst
achdrücklich angemahnten Wirtschafts- und Arbeits-
arktreformen. Es besteht die Gefahr, dass nun Mit-
liedstaaten Mittel erhalten, die ihre Hausaufgaben bei
en notwendigen strukturellen Reformen nur unzurei-
hend erledigt haben.
Zu kritisieren sind auch die äußerst technokratischen
riterien, welche für die Erlangung einer entsprechen-
en Hilfe erfüllt werden müssen. Mir ist noch immer un-
lar, wie es gelingen soll, den Nachweis zu erbringen,
ass Arbeitsplatzverluste eindeutig auf die Auswirkun-
en der Globalisierung zurückzuführen sind. Ergebnis
ieser Unklarheiten ist ein erneutes Aufblähen der Büro-
ratie, denn unkomplizierte Entscheidungen sind bezüg-
ich dieses Fonds wohl kaum zu erwarten.
Viel eher ist zu erwarten, dass die ausgereichten Mit-
el vor allem bei Pleiten und Verlagerungen großer Fir-
en und Konzerne wirksam werden. Die in den Krite-
ien genannten mindestens 1 000 abgebauten Stellen
ind zumindest für große Teile Ostdeutschlands kaum zu
rreichen. Dass Stellenverluste in solcher Höhe nicht zu
rwarten sind, ist nur vordergründig positiv. Im Um-
ehrschluss bedeutet es, dass ehemalige Beschäftigte
7074 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. November 2006
(A) )
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kleiner und mittelgroßer Unternehmen kaum oder gar
nicht von einer Förderung durch den EGF profitieren
werden. Und jeder weiß, dass gerade diese Unternehmen
das Rückgrat der deutschen Wirtschaft – insbesondere
der im Osten Deutschlands – bilden. Der Mittelstand
bleibt im bisherigen Verordnungsentwurf zu diesem
Fonds außen vor. Hier geht es um die großen, medien-
wirksamen Pleiten.
Würde man ernsthaft struktur- und beschäftigungspo-
litischen Gesichtspunkten Rechnung tragen, wären Maß-
nahmen zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit durch
den Ausbau von Forschung, Bildung, Qualifizierung und
die Modernisierung der Infrastruktur vorzuziehen, so
wie die Bundesregierung es in ihrem nationalen Reform-
programm angekündigt hat und nun umsetzt.
Deutschland befindet sich auf einem guten Weg und
die Bundesregierung hilft durch ihre Wirtschaft- und Ar-
beitsmarktpolitik den Arbeitnehmern direkt. Dadurch
verbesserte Arbeitsplatzchancen helfen Arbeitnehmerin-
nen und Arbeitnehmern letztlich mehr als zeitlich be-
grenzte Unterstützungsgelder. Ohnehin bleibt fraglich,
inwiefern die Kommission in der Lage ist, wirklich
schnelle Hilfe zu leisten. Arbeitnehmer, die von Entlas-
sungen betroffen sind, brauchen direkte Unterstützung,
welche durch nationale Soforthilfeprogramme wesent-
lich besser geleistet werden kann. Die Bundesagentur für
Arbeit ist in Deutschland mit den entsprechenden Mit-
teln ausgestattet.
Aus den genannten Gründen ist es bedauerlich, dass
die Bundesregierung der Einrichtung dieses Fonds zuge-
stimmt hat, auch wenn er Teil des Gesamtpakets zur fi-
nanziellen Vorausschau für die Jahre 2007 bis 2013 ist.
Der Deutsche Bundestag will durch den heute einge-
brachten Antrag deutlich machen, dass er seine Pflichten
gemäß § 23 Grundgesetz ernst nimmt. Ein bloßes Durch-
winken solcher europäischer Bürokratiemonster darf es
nicht mehr geben. Deshalb haben die mit dem Fonds be-
fassten Ausschüsse des Deutschen Bundestags sich in-
tensiv mit dem Thema auseinander gesetzt und ihn in-
haltlich abgelehnt. Dennoch lässt sich an der Existenz
des Fonds nichts mehr ändern. Allerdings muss die Aus-
gestaltung so vorgenommen werden, dass die Mittel
sachgerecht eingesetzt werden. So muss gewährleistet
werden, dass der Fonds nur zum Einsatz kommt, wenn
tatsächlich schwer wiegende branchenbezogene Notla-
gen entstanden sind, die auf die Globalisierung zurück-
zuführen sind. Nichtsdestotrotz dürfen die Arbeitnehmer
aus kleinen und mittelgroßen Unternehmen nicht außen
vor bleiben.
Weiterhin muss sichergestellt werden, dass die Mit-
gliedstaaten einen angemessenen Eigenanteil erbringen
müssen, um Mitnahmeeffekte zu verhindern. Der Globa-
lisierungsfonds darf ausschließlich aus budgetierten und
nicht ausgenutzten Verpflichtungen des Vorjahres finan-
ziert werden. Auch wenn die Laufzeit sechs Jahre be-
trägt, muss schnellstmöglich evaluiert werden, inwiefern
der Fonds überhaupt Wirkung erzielt. Sollte dies nicht
der Fall sein, fordere ich die Kommission auf, diesen
Fonds abzuwickeln und der Farce ein Ende zu bereiten.
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Deutschland wird auch ohne diesen Fonds in der Lage
ein, in Zukunft im globalen Wettbewerb bestehen zu
önnen. Dafür muss es allerdings seine Innovationskraft
eiter ausbauen und Bildung, Forschung und Entwick-
ung weiter fördern, wie es beispielsweise mit dem In-
estitionsprogramm der Bundesregierung in Höhe von
Milliarden Euro geschieht.
Die Europäische Union sollte sich in Zukunft auf die
m- und Durchsetzung der bereits existierenden Pro-
ekte zur Struktur- und Wirtschaftsförderung konzentrie-
en. Eine effektive und gezielte Mittelverwendung und
atsächlicher Bürokratieabbau würden bereits den Mehr-
ert erbringen, der beim vorliegenden Globalisierungs-
onds vergeblich gesucht wird. Eine verbesserte Öffent-
ichkeitsarbeit sowie eine konsequente, am Bürger
usgerichtete Politik würde auch die angestrebte Image-
erbesserung für die Kommission bewirken.
Dr. Martin Schwanholz (SPD): „Die Soziale Markt-
irtschaft europäischer Prägung muss sich gegenüber
nderen Wirtschaftsmodellen in Asien und Amerika
tärker durchsetzen. […] Europa muss ein aktiver Ge-
talter der Globalisierung sein.“ Das hat vorgestern nicht
iner meiner Parteifreunde gesagt, sondern Edmund
toiber in seiner Rede vor dem CDU-Parteitag in Dres-
en. Ich stimme Herrn Stoiber da voll und ganz zu. Die
PD fordert seit langem, dass wir in Europa endlich da-
it anfangen, unser Sozialmodell als Standortvorteil zu
egreifen und nicht als Wettbewerbshindernis.
Wir Sozialdemokraten sagen zudem: Europa muss die
lobalisierung sozial gestalten. Das große Erfolgspro-
ekt Binnenmarkt wird auf Dauer nicht funktionieren
hne faire Rahmenbedingungen und ohne europäische
ntworten auf die negativen Folgen von Globalisierung.
Mit dem Europäischen Globalisierungsfonds unter-
immt Europa den Versuch, denjenigen unter die Arme
u greifen, die ihre Jobs aufgrund globaler Handelsent-
icklungen verloren haben. Bis zu 500 Millionen Euro
ollen dafür ab kommendem Jahr aus dem europäischen
aushalt zur Verfügung stehen. Dabei wird es sich aus-
chließlich um Gelder handeln, die an anderer Stelle
icht ausgeschöpft wurden. Die Bedenken gegen den
lobalisierungsfonds sind klar und liegen auf der Hand:
it dem Europäischen Sozialfonds verfügt die EU be-
eits über ein erprobtes Instrument, um die Beschäfti-
ung in der EU zu fördern. Worin der Mehrwert des
euen Fonds liegt, ist zweifelhaft. Der Nachweis, dass
ntlassungen eindeutig durch Globalisierung bedingt
ind, wird schwer zu erbringen sein. Letztlich liegt die
ntscheidung darüber bei der Kommission. Hier sind
ngerechtigkeiten und Streit geradezu vorprogrammiert.
udem ist es schwer zu erklären, dass Arbeitnehmern
eine Unterstützung erhalten, wenn ihr Unternehmen in
in anderes EU-Land abwandert, während ein anderer
rbeitsloser Hilfe erhalten kann, weil sein Unternehmen
n einen Drittstaat abwandert. Mit den 500 Millionen
uro – allein die Strukturfonds schlagen mit circa
4 Milliarden Euro pro Jahr zu Buche – liegt der Ver-
acht von Symbolpolitik nahe.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. November 2006 7075
(A) )
(B) )
Wir aus dem Europaausschuss empfehlen dennoch
nicht, diese Brüsseler Vorlage abzulehnen. Warum? Ers-
tens: Den Beschluss, den Globalisierungsfonds einzu-
richten, haben die europäischen Staats- und Regierungs-
chefs getroffen, als sie im Dezember letzten Jahres nach
zähem Ringen endlich eine Einigung über den EU-Haus-
haltsrahmen in den Jahren 2007 bis 2013 gefunden ha-
ben. Der Fonds war Teil dieses Kompromisspakets. Alle
haben dem zugestimmt, auch die Frau Bundeskanzlerin.
Zu Recht. Erinnern wir uns kurz an die verfahrene Situa-
tion: Europa in der Krise, weil die Franzosen und die
Niederländer den Verfassungsvertrag abgelehnt hatten.
Nettozahler wie Deutschland wollten den EU-Haushalt
strikt auf 1 Prozent des Bruttonationaleinkommens be-
grenzen. Die Nettoempfänger wollten natürlich mehr
Geld. Und dazwischen Tony Blair, der seinen Britenra-
batt mit Händen und Füßen verteidigen wollte. Deutsch-
land hat bei den Verhandlungen entscheidend dazu bei-
getragen, einen für alle tragfähigen Kompromiss zu
stiften. Am Ende ist es nicht 1 Prozent geworden, son-
dern sind es 1,045 Prozent oder gut 860 Milliarden Euro,
die Brüssel maximal in den kommenden Jahren aus den
nationalen Haushalten zufließen. Gegenüber den ur-
sprünglichen Plänen der Kommission bedeutet das für
uns jährliche Entlastungen in Milliardenhöhe.
Hätten Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
Opposition, diesen Kompromiss wegen des Europäi-
schen Globalisierungsfonds platzen lassen? Dann hätten
Sie nicht nur eine unkluge Entscheidung im Sinne deut-
scher Interessen getroffen. Sie hätten auch verantwor-
tungslos gehandelt. Es war entscheidend, dass die EU
Ende des letzten Jahres eine Lösung in dieser schwieri-
gen Frage gefunden hat. Europa hat damit bewiesen,
dass es auch in einer schweren Krise handlungsfähig ist
und zu Ergebnissen gelangen kann.
Zweitens: Mit bloßer Ablehnung kommt man in Eu-
ropa häufig nicht weiter. Vor allem dann nicht, wenn
eine Mehrheit im Rat die Entscheidungen trifft. Der Eu-
ropäische Globalisierungsfonds wird kommen, so oder
so. Schlicht und ergreifend, weil eine Mehrheit der euro-
päischen Regierungen ihn will. Und er wird dann auch
für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutsch-
land zur Verfügung stehen. Bei aller Kritik in der Sache:
Der nächste Fall Benq kommt bestimmt. Ich bin ge-
spannt, wer von Ihnen sich nicht um Gelder bemühen
wird, sobald Menschen in seinem Wahlkreis betroffen
sind. Daher ist es wichtig und richtig, dass wir Einfluss
auf die konkrete Ausgestaltung des Fonds nehmen. Es
nutzt niemanden hier, wenn der zuständige Bundesar-
beitsminister als Totalverweigerer an den Brüsseler Ver-
handlungstischen sitzt. Auch nicht, wenn er dafür das
Mandat des Deutschen Bundestages in der Tasche hat.
Unter den beschriebenen Umständen sind wir zu al-
lererst daran interessiert, dass der Globalisierungsfonds
nicht ausufert zu einem Ersatzinstrument für nationale
Arbeitsmarktpolitik in einigen Staaten. Die Mitglieds-
staaten sind in erster Linie dafür verantwortlich, dass
Menschen wieder in Arbeit kommen. Und sie sollen es
auch bleiben. Der Globalisierungsfonds soll ausschließ-
lich in erheblichen Fällen zum Tragen kommen: wenn
mindestens 1 000 Arbeitsplätze in einer kurzen, über-
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chaubaren Zeitspanne betroffen sind und wenn die Ent-
assungen eine beträchtliche negative Auswirkung auf
ie regionale Wirtschaft haben. Aus demselben Grund
ollen die Mitgliedstaaten die aus dem Globalisierungs-
onds geförderten Maßnahmen mindestens zur Hälfte
ofinanzieren. Sie sollen mit den Geldern auch keines-
alls ihre sozialen Sicherungssysteme entlasten: Einkom-
ensbeihilfen oder Lohnsubventionen, wie ursprünglich
on der Kommission vorgeschlagen, sollen nicht aus
em Globalisierungsfonds gezahlt werden. Verhand-
ungserfolge in den genannten Punkten sind bereits
bsehbar. Und so wie es aussieht, wird der Globalisie-
ungsfonds zunächst nur die Laufzeit der Finanzierungs-
eriode von 2007 bis 2013 als Instrument zur Verfügung
tehen. Danach wird neu entschieden.
Zu guter Letzt: Die SPD findet es richtig und überfäl-
ig, dass nun auch in Brüssel die Erkenntnis gereift ist,
ass Globalisierung Gewinner und Verlierer hat. Globa-
isierung führt nicht automatisch und überall zu mehr
obs und zu besseren Arbeits- und Lebensbedingungen
ür jeden. Es wird nicht reichen, den Binnenmarkt zu
ollenden. Wir müssen die Europäische Union endlich
ls sozialen Raum entwickeln. Aus diesem Grund haben
ir uns dafür stark gemacht, dass bloße Standortverlage-
ungen von Unternehmen nicht mehr mit europäischen
eldern gefördert werden. Mit Erfolg. Aus diesem
rund arbeiten wir daran, die Bemessungsgrundlage bei
er Besteuerung von Unternehmen europaweit zu ver-
inheitlichen.
Die Menschen in Frankreich haben die EU-Verfas-
ung mehrheitlich abgelehnt, weil sie sich mit ihren
ngsten von Europa allein gelassen fühlen. Weil Europa
eine Antworten hat auf die schwierigen Seiten der Glo-
alisierung, die den Einzelnen im Kern seiner Existenz
reffen können. Die Ängste sind groß, auch bei uns in
eutschland. Die Menschen erwarten zu Recht, dass sie
on der Politik nicht im Stich gelassen werden, wenn sie
hre Jobs verlieren, weil die Arbeiter in China zu einem
ruchteil ihres Lohnes produzieren. Der Europäische
lobalisierungsfonds ist da ganz sicher nicht das non
lus Ultra. Aber eines ist auch klar: Den Menschen ist
iemlich egal, ob die Unterstützung, die sie bekommen,
us Berliner oder Brüsseler Geldern stammt.
Das Soziale Europa wird ein Schwerpunktthema un-
erer Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2007 sein.
enn Europa die Globalisierung aktiv und sozial gestal-
en soll, müssen wir sagen, wie wir das anstellen wollen.
ur so kann Europa bei den Bürgerinnen und Bürgern
ertrauen und Glaubwürdigkeit wiedergewinnen. Nur so
erden wir unseren European Way of Life – wie der
merikanische Ökonom Jeremy Rifkin unser europäi-
ches Gesellschaftsmodell genannt hat – auch in Zeiten
er Globalisierung weiterführen können.
Markus Löning (FDP): Es ist schon ein beachtlicher
organg: Da macht die Bundeskanzlerin auf dem Euro-
äischen Rat im Dezember 2005 Zugeständnisse in
öhe dreistelliger Millionenbeträge und die Regierungs-
raktionen runzeln die Stirn und stimmen dem Ganzen
m Ende doch zu.
7076 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. November 2006
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Mit der Beschlussempfehlung zum europäischen Glo-
balisierungsfonds macht die Regierungskoalition einen
schweren Fehler. In den nächsten sieben Jahren sollen gut
500 Millionen Euro jährlich für arbeitsmarktpolitische
Maßnahmen vonseiten der EU ausgegeben werden. Über
den gesamten Zeitraum der gesamten finanziellen Vo-
rausschau sind das 3,5 Milliarden Euro. Niemand weiß
heute, wie genau diese Maßnahmen aussehen sollen und
wie lange es diesen Fonds geben wird.
Was in dem Verordnungsentwurf steht, der am
1. Dezember 2006 abschließend im Rat beraten werden
soll, könnte genauso gut aus der Feder ihres Vizekanzlers
stammen. So soll bei der Arbeitssuche, Weiterbildung
und bei der Gründung von Unternehmen durch Arbeits-
lose finanzielle Unterstützung an die Betroffenen fließen.
Unbeschadet der inhaltlichen Würdigung dieser Maß-
nahmen ist kritikwürdig, dass diese Maßnahmen neben
bereits bestehenden nationalstaatlichen Anstrengungen
stehen sollen. Die Mittel werden also draufgesattelt.
Nicht nur, dass Sie damit Arbeitslose erster und zweiter
Klasse schaffen; denn dass machen Sie, wenn sie die
Unterstützung im Fall von Arbeitslosigkeit davon abhän-
gig machen, ob man von einem größeren Unternehmen
entlassen wird oder von einem kleineren Unternehmen.
Sie schaffen auch doppelte Strukturen mit doppelten
Verwaltungen.
Das ist der entscheidende Kritikpunkt der Liberalen an
dem Globalisierungsfonds. Sie schaffen mehr Bürokratie,
um der Europäischen Union ein sozialeres Erschei-
nungsbild zu verpassen, anstelle dass Sie hier zu Hause
in Deutschland endlich die Reformen in Gang setzen, die
nötig sind, um das zarte Pflänzchen Aufschwung weiter
wachsen zu lassen.
Da beruhigt es auch nicht, dass die Bundesregierung
ständig betont, dass man sich im Rat bemühen werde,
den Anwendungsbereich des Fonds einzugrenzen. Wie
das in der Praxis aussieht, konnten wir erst heute bei der
Grundrechteagentur sehen.
Sie tragen dazu bei, dass zusätzliche Bürokratie ge-
schaffen und bereits bestehende Ressourcen dupliziert
werden. Mit der Beschlussempfehlung setzen Sie sich im
Übrigen über die Stellungnahmen des Haushalts-, Finanz-
und Wirtschaftsausschusses hinweg. Alle drei Ausschüsse
haben die Vorlage abgelehnt – auch mit den Stimmen
Ihrer Kollegen, meine Damen und Herren aus den Regie-
rungsfraktionen. Das ist schon deshalb bemerkenswert,
weil offensichtlich die Kollegen und Kolleginnen der
Regierungsfraktionen in den Fachausschüssen, die ganz
wesentlich von dem europäischen Globalisierungsfonds
betroffen sind, eine gänzlich andere Auffassung als ihre
Kollegen im Europaausschuss vertreten.
Das zeigt vor allem eines: Inhaltliche Unterstützung
hat dieser Globalisierungsfonds im Deutschen Bundestag
nicht. Letztlich geht es allein darum, die längst überwun-
den geglaubte Scheckbuchdiplomatie Ihrer Kanzlerin im
deutschen Parlament still und leise absegnen zu lassen.
Der Kompromiss zur finanziellen Vorausschau, der als
großer europäischer Erfolg der Bundeskanzlerin verkauft
wurde, entpuppt sich Stück für Stück als viel zu teuer mit
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teuergeldern erkauft. Die Bürger haben ein Recht da-
auf, dass mit ihrem Geld sorgsam umgegangen wird.
as ist vor allem dann der Fall, wenn ihnen Europa in ih-
em täglichen Leben einen echten Mehrwert bietet, sei es
ei Banküberweisungen oder bei den Roaminggebühren.
in milliardenschwerer Globalisierungsfonds gehört nicht
azu.
Im Übrigen ist er auch mit Steuergeldern erkauft, die
ierzulande dringend an anderen Stellen benötigt wer-
en; denn – das muss auch einmal festgehalten werden –
er Fonds wird sich aus Mitteln zusammensetzen, die
ich aus Einsparungen innerhalb des Haushaltes der EU
rgeben und eigentlich den Mitgliedstaaten zurücküber-
iesen werden müssten.
Zum einen sollte man sich diese Art der Argumentation
ut merken, wenn es um die nächste Mittelausstattung
eht; denn offensichtlich bestehen erhebliche Einsparpo-
enziale. Zum anderen werden diese Mittel in Bildung,
nnovation und Forschung dringend benötigt. Ich kann
ir lebhaft vorstellen, wie Ihre Pressemitteilungen aus-
ehen würden, wenn Sie die gleiche Summe in Bildung,
nnovation oder Forschung gesteckt hätten. Dass Sie
leiches nicht beim Globalisierungsfonds machen,
pricht Bände.
Auch die in der Beschlussvorlage benutzte Argumen-
ation der Regierungsfraktionen, man könne bereits be-
chlossene Finanzkompromisse im Nachhinein nicht
ehr infrage stellen, steht auf wackligen Füßen. Denn
enn der Bundestag seine Kontrollfunktion wirklich
rnst nehmen will, muss er sich dieses Recht nehmen.
nsonsten besteht die Gefahr, dass der Bundestag in Eu-
opafragen zu einem reinen Abnickgremium verkommt.
it dieser Logik des nacheilenden Gehorsams höhlen
ie Regierungsfraktionen letztlich auch die Vereinba-
ung zwischen Bundesregierung und Bundestag aus.
Sie verpassen hier eine Chance, nicht nur Ihr Recht
egenüber der Bundesregierung wahrzunehmen, son-
ern auch eine Chance, Ihr gutes Recht einzufordern,
chneller und umfassender durch die Bundesregierung
arüber informiert zu werden, welchen Dingen sie in eu-
opäischen Räten zustimmt.
Ulla Lötzer (DIE LINKE): Wir haben mit Interesse
ur Kenntnis genommen, dass auch von der EU-Kom-
ission die negativen Auswirkungen der Globalisierung
uf den Arbeitsmarkt zur Kenntnis genommen worden
ind. Die Kommission schreibt selbst dazu: „Es besteht
eträchtliche Asymmetrie zwischen den Vorteilen der
ffnung, die diffus sind und häufig einige Zeit brauchen,
is sie zutage treten, und den ungünstigen Wirkungen,
ie deutlicher sichtbar sind, unmittelbar eintreten und
ich auf bestimmte Einzelpersonen und Gebiete konzen-
rieren.“
Tatsächlich führt die neoliberale Globalisierung zu ei-
er Verdrängungskonkurrenz um Weltmarktanteile. Sie
ührt zu einer Politik, die sich an Wettbewerbsfähigkeit
nd den Interessen der großen Konzerne und Finanz-
arktakteure orientiert und in diesem Sinne reguliert be-
iehungsweise dereguliert. An die Stelle wohlfahrtstaat-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. November 2006 7077
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lichen Ausgleichs durch Politik ist das Leitbild des
Wettbewerbsstaates getreten – auch in der EU. Men-
schen, Länder und Ländergruppen werden sozial und
wirtschaftlich marginalisiert.
Trotzdem können wir dem Globalisierungsanpas-
sungsfonds nicht zustimmen, da er in der vorliegenden
Form eine reine PR-Maßnahme darstellt.
Erstens kommt der Globalisierungsfonds nur Großun-
ternehmen zugute. Er greift erst bei mindestens 1 000
Entlassungen. Die Großunternehmen können sich da-
durch bei Massenentlassungen indirekt einen Sozialplan
mitfinanzieren lassen. Das heißt, dass im Endeffekt die
Entscheidung für Massenentlassungen und Standortver-
lagerung in ein Nicht-EU-Land sogar noch erleichtert
wird. Standortverlagerungen und Flexibilisierung der
Wertschöpfungsketten betreffen heute jedoch nicht mehr
nur große multinationale Unternehmen. Grenzüber-
schreitende Standortverlagerungen und Umstrukturie-
rungen sind vermehrt auch für kleine und mittelständige
Unternehmen von existenzieller Bedeutung. Diese sind
aber von dem Fonds ausgeschlossen.
Zweitens greift der Fonds nicht bei Arbeitsplatzverla-
gerungen innerhalb der Europäischen Union. So können
die belgischen Volkswagenbeschäftigten, deren Arbeits-
plätze nach Deutschland verlagert werden, nicht auf Hil-
fen aus diesem Fonds zurückgreifen.
Drittens unterstellt ein Sonderfonds für Globalisie-
rungsopfer, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer,
die aufgrund der Globalisierung arbeitslos werden, be-
sondere Härten zu tragen hätten. Die Kommission ver-
sucht dies damit zu begründen, dass diese Arbeitnehme-
rinnen und Arbeitnehmer älter und nicht adäquat
ausgebildet wären. Damit seien sie länger arbeitslos und
nur in geringer entlohnte Beschäftigungsverhältnisse
wieder vermittelbar. Das ist eine kühne These, mit der
sich nur um die Anforderungen einer generellen Beschäf-
tigungspolitik herumgedrückt wird; ganz zu schweigen
davon, dass es im Einzelfall schwierig werden könnte,
nachzuweisen, welche Massenentlassung Folge der Glo-
balisierung und welche Folge anderer Entwicklungen ist.
Doch die Probleme liegen nicht nur beim Geltungsbe-
reich des Fonds, sie liegen auch bei der Art der geförder-
ten Maßnahmen. Einerseits droht bei Maßnahmen wie
vorübergehenden Lohnkostenzuschüssen für ältere Ar-
beitnehmer, dass diese dauerhaft in Niedriglohnsektoren
abgedrängt werden können. Andererseits zeigen alle Er-
fahrungen, dass Unternehmen Arbeitnehmer nicht des-
wegen einstellen, weil sie Lohnkostenzuschüsse bekom-
men. Sie stellen ein, wenn sie Bedarf an Arbeitskräften
haben. Die Gefahr bei solchen Instrumenten ist, dass es
zu hohen Mitnahmeeffekten kommen kann.
Der Globalisierungsanpassungsfonds dient letztlich
nur als Feigenblatt für eine Politik, die insgesamt auf den
globalen Wettbewerb setzt. Das zeigt neben aller ande-
ren Kritik die geringe Kapitalausstattung von 500 Mil-
lionen Euro für 25 Mitgliedstaaten. Was wir brauchen,
ist jedoch keine Alibihandlung, sondern eine Abkehr
von dieser neoliberalen Wirtschaftspolitik der Europäi-
schen Union. Wir brauchen keinen Sonderfonds zur Un-
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erstützung der Sozialpläne von Großunternehmen. Statt-
essen brauchen wir eine koordinierte umfassende
uropäische Wirtschaftspolitik, die sozial und tariflich
eschützte Beschäftigung fördert und europäische Kon-
erne in die soziale und ökologische Verantwortung ein-
indet, statt ihre Verantwortungslosigkeit finanziell aus
teuermitteln zu fördern.
Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
EN): Die Globalisierung ist weder Schicksal noch Na-
urgesetz, sondern ein Prozess, der politisch gestaltet
erden muss. Mit ihr stehen wir vor zentralen Heraus-
orderungen: Armutsbekämpfung und Entwicklung von
irtschaft und Arbeitsmärkten, ökologische Nachhaltig-
eit und globale Sicherheit. Wir wollen die Globalisie-
ung mithilfe reformierter Institutionen, wirksamer Kon-
liktschlichtungsmechanismen und klarer Regeln positiv
estalten. Der Fonds zur Anpassung an die Globalisie-
ung ist jedoch kein geeignetes Instrument hierzu; dop-
elt er doch genau die Maßnahmen, die auf nationaler
bene und mit den bisherigen europäischen Struktur-
onds bereits durchgeführt werden.
Beschlossen wurde er bei Frau Merkels großem An-
rittsauftritt beim Europäischen Rat am 15./16. Dezem-
er 2005. Mit ihm sollen Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
ehmer, die wegen größerer Strukturveränderungen im
elthandelsgefüge arbeitslos geworden sind, unterstützt
erden. Somit sollen Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
ehmer, die als Folge der Globalisierung von Entlassun-
en bedroht sind, zusätzliche Unterstützung erhalten,
icht aber diejenigen, die aus anderen nicht von ihnen zu
erantwortenden Gründen ihren Arbeitsplatz verloren
aben. Diese künstliche Unterscheidung ist zutiefst un-
erecht. Fraglich ist auch, wie nachgewiesen werden
oll, dass ein Arbeitsplatzverlust eindeutig auf die Aus-
irkungen der Globalisierung zurückzuführen ist. Das
iel dieses Fonds ist also begrüßenswert, die Ausgestal-
ung jedoch mangelhaft und ungerecht.
Ebenso spricht gegen diesen neuen Fonds, dass wir mit
en europäischen Strukturfonds bereits äußerst erfolgrei-
he Strukturen haben, die Maßnahmen für Arbeitslose ini-
iieren und finanzieren. Gerade der Europäische Sozial-
onds unterstützt zum Beispiel die Qualifikation und Be-
chäftigung von Arbeitslosen, berufsvorbereitende Maß-
ahmen für Jugendliche, die berufliche Weiterbildung
on Erwerbstätigen, die soziale Integration von Benach-
eiligten oder die Chancengleichheit von Frauen und
ännern. Er geht also weit über das hinaus, was der Glo-
alisierungsfonds erreichen soll, soll aber künftig mit die-
em in Konkurrenz stehen.
Diese mangelnde Logik sehen wir auch in der unsi-
heren und unklaren Positionierung der großen Koali-
ion. In ihrem im EU-Ausschuss vorgelegten Antrag
um Globalisierungsfonds zeigt sie deutlich, dass sie
roße Bedenken gegenüber diesem Fonds hegt, stimmt
it Bündnis 90/Die Grünen darin überein, dass der
ehrwert dieses Fonds mehr als fraglich ist und lehnt
ie auch wir eine künstliche und intransparente Un-
leichbehandlung der Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
ehmer ab, um sich aber dann bereits vor der morgigen
7078 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. November 2006
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Abstimmung geschlagen zu geben, da eine Ablehnung ja
wirkungslos wäre. Im Antrag heißt das dann so: Da die
Entscheidung über den EGF mit qualifizierter Mehrheit
im Rat getroffen wird und die erforderliche Mehrheit als
gesichert gilt, wäre eine Ablehnung des EGF durch die
Bundesregierung wirkungslos. Aufgeben schon vor der
Abstimmung? Und das, obwohl Deutschland nach dem
üblichen EU-Finanzschlüssel an der Finanzierung dieses
Fonds mit 20 Prozent beteiligt ist, was jährlich 100 Mil-
lionen Euro ausmacht? Wie passt das zusammen mit
dem eisernen Sparwillen, der während der Verhandlun-
gen um die Ausgestaltung des nächsten mehrjährigen
EU-Finanzrahmens exerziert wurde? Dies mündete da-
rin, dass bevor überhaupt über inhaltliche Prioritäten der
politischen Arbeit der Europäischen Union für die kom-
menden Jahre verhandelt wurde, erst mal eine Grenze
von einem Prozent der EU-Wirtschaftskraft als maxi-
male Obergrenze für diesen Finanzrahmen sowohl von
CDU/CSU als auch von der SPD gefordert wurde. Wie
passt das zusammen mit der Ablehnung des Fonds im
Haushaltsausschuss und im Ausschuss für Wirtschaft
und Technologie? Gar nicht! Es ist einfach Ausdruck ei-
ner in sich zerstrittenen großen Koalition.
Anlage 12
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Vereinfachung des Insolvenzverfahrens (Tages-
ordnungspunkt 24)
Dr. Günter Krings (CDU/CSU): Die beste Politik
gegen die Insolvenz von Unternehmen ist eine gute
Wirtschaftspolitik. Die steigenden Konjunkturdaten füh-
ren zugleich zu einer sinkenden Zahl von Firmenpleiten.
Dies zeigen auch aktuelle Zahlen. Der Bundesverband
Deutscher Inkasso-Unternehmen rechnet in diesem Jahr
mit knapp über 30 000 zahlungsunfähigen Unternehmen –
ein Rückgang von 17 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Trotz dieser erfreulichen Entwicklung bedürfen die ver-
bleibenden Insolvenzfälle einer Regelung, die möglichst
zu einer Sanierung des Unternehmens führt, ohne dabei
den Gläubigerschutz außer Acht zu lassen.
Mit der Einführung der Insolvenzordnung im Jahre
1999 und der Ablösung der Konkursordnung ist ein Pa-
radigmenwechsel herbeigeführt worden. In dem Zeit-
raum zwischen 1985 und 1990 wurden über drei Viertel
der Konkursanträge mit der Begründung abgewiesen, es
sei keine hinreichende Vermögensmasse vorhanden.
Durch die Insolvenzordnung konnte dieser Trend ge-
stoppt werden. So liegt beispielsweise bei insolventen
Kapitalgesellschaften die Eröffnungsquote inzwischen
bei über 60 Prozent. Nur wenn es zur Eröffnung des In-
solvenzverfahrens kommt, kann ein geordnetes Verfah-
ren in Gang gesetzt werden, um die Gläubiger wenigs-
tens mit einem Teil ihrer Forderung vernünftig zu
befriedigen, was letztendlich im Interesse aller Beteilig-
ten ist und den Mangel in der Insolvenz gerecht verteilt.
Mehr eröffnete Verfahren führen daher auch zu mehr
Verlässlichkeit und Berechenbarkeit.
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Mit der Einführung der Insolvenzordnung hat der da-
alige Gesetzgeber Neuland betreten, sodass es nun an
er Zeit ist, die Vorschriften einer kritischen Würdigung
u unterziehen. Die Bundesregierung hat dies getan und
nterbreitet uns heute einige gute Vorschläge, wie die In-
olvenzordnung für die Regelinsolvenz in einigen Berei-
hen sinnvoll fortentwickelt werden kann.
Die Weiterführung des Betriebs nach der Insolvenz
ann dadurch erschwert werden, dass dem Unternehmen
berlebenswichtige Betriebsmittel entzogen werden.
ehlt der Firma beispielsweise eine wichtige Maschine,
eil der Sicherungsnehmer sie wieder an sich genom-
en hat, ist an eine Aufrechterhaltung der Produktion
icht mehr zu denken. Die Sanierung des Unternehmens
ann damit zum Scheitern verurteilt sein. Der Vorschlag
er Bundesregierung zur erleichterten Fortführung des
nternehmens im Eröffnungsverfahren greift diese Pro-
lematik auf und führt zu mehr Rechtssicherheit. Da-
ach wird es nun nicht mehr darauf ankommen, wann
er Insolvenzverwalter die betroffenen Gegenstände in
esitz genommen hat, sondern das Gericht kann bereits
it der Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters
leichzeitig die Einziehung und Verwertung untersagen,
m den Betrieb weiter laufen zu lassen.
Für den Gläubiger bedeutet dies selbstverständlich ei-
en Eingriff in seine Eigentümerposition. Aber dieser
ingriff bleibt an strenge Voraussetzungen geknüpft und
ird nicht ohne einen Entschädigungsanspruch gewährt.
ie Anordnung darf daher richtigerweise nur für Gegen-
tände ergehen, die für die Fortführung des Betriebes
on erheblicher Bedeutung sind und daher unerlässlich
ür den Sanierungszweck sein müssen.
Ein weiterer Eingriff in die Rechte des Gläubigers,
ofern er Vermieter oder Verpächter ist, ergibt sich aus
er Einführung einer Kündigungsfrist von drei Monaten.
raktisch wichtig wird dies insbesondere für den Fall der
aummiete. Bislang wird der Insolvenzverwalter auf die
esetzlichen Kündigungsfristen hingewiesen und damit
uf die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches. Bei
ewerbeimmobilien kann daher der Zeitraum bis zu
eun Monate ausmachen, in dem der Insolvenzverwalter
n den Mietvertrag gebunden bleibt.
Eine derartig langfristige Bindung belastet jedoch die
asse in erheblicher Weise. Dies wäre noch zu rechtfer-
igen, wenn andere Dauerschuldverhältnisse ebenso be-
andelt würden. Der Arbeitnehmer eines insolventen Un-
ernehmens ist indes nicht in einer derart komfortablen
ituation. Seinem Anspruch aus dem Kündigungsschutz-
esetz oder auch aus dem BGB kann der Insolvenzver-
alter die Kündigungsfrist aus § 113 Insolvenzordnung
ntgegenhalten. Demnach hat der Insolvenzverwalter die
öglichkeit, das Arbeitsverhältnis innerhalb von drei
onaten zum Monatsende zu kündigen. Vom Arbeitneh-
er wird hier ein Sonderopfer verlangt, sodass es in der
at nicht unbillig erscheint, die Kündigungsfrist für
ienstverträge auch auf Miet-und Pachtverhältnisse aus-
udehnen.
Im Hinblick auf andere Gesetzesvorhaben im Bereich
es Insolvenzrechts möchte ich aber klar herausstellen,
ass die Einschränkung der Rechte privater Gläubiger im
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. November 2006 7079
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Insolvenzverfahren einzig und allein der Sanierung des
Unternehmens zugute kommen soll. Daher gibt es keinen
Sinn, die Privilegierung auf der Seite der privaten Gläu-
biger herunterzuschrauben, um sie dann bei den öffentli-
chen Gläubiger gleich wieder hochzudrehen – wenn sie
mir an dieser Stelle diesen sich geradezu aufdrängenden
Hinweis auf ein ebenfalls anhängiges Gesetzgebungsver-
fahren zum Insolvenzrecht erlauben. Ein anderes Ziel der
Insolvenzordnung war und ist nämlich auch weiterhin die
Gleichbehandlung der Gläubiger. Wenn aber die Insol-
venzordnung von allen Betroffenen akzeptiert werden
soll, dürfen wir nicht die Bevorzugung einer bestimmten
Gläubigergruppe zulassen.
Ebenso zu begrüßen ist die Absicht der Bundesregie-
rung, den Insolvenzschuldner zu einer selbstständigen
Tätigkeit zu bewegen, ohne dabei die Insolvenzmasse zu
belasten. Der Schuldner soll wieder in ein geregeltes Er-
werbsleben zurückfinden können. Wir wären allerdings
schlecht beraten, dem Schuldner dabei den Weg in die
Selbstständigkeit zu versperren.
Die jetzige Gesetzeslage hingegen führt faktisch zu
diesem Ergebnis, da alle Einkünfte, die ein selbstständi-
ger Schuldner nach der Insolvenzeröffnung erzielt, zur
Insolvenzmasse gezählt werden. Sofern ein Schuldner
nun doch selbstständig tätig wird, steht der Insolvenz-
verwalter vor dem Problem, dass bei Duldung oder Billi-
gung dieser Tätigkeit die Verbindlichkeiten, die der
Schuldner im Rahmen seiner neuen Tätigkeit eingegan-
gen ist, zu Masseverbindlichkeiten werden können.
Die von der Bundesregierung vorgeschlagene Rege-
lung sorgt an dieser Stelle für eine Klarstellung und er-
möglicht es dem Insolvenzverwalter, derartige Verbind-
lichkeiten aus der Masse herauszuhalten, vorausgesetzt
selbstverständlich, die Gläubiger stimmen zu. Das heißt
aber nicht, dass ein selbstständiger besser gestellt wer-
den würde als ein abhängig beschäftigter Schuldner, da
die Pfändungsgrenzen wie beim Arbeitseinkommen
gelten. Alles, was über diesem Betrag liegt, fließt dann
in die Insolvenzmasse. Letztlich kommt diese Lösung
dem Insolvenzschuldner und seinen Gläubigern zustat-
ten. – Letztendlich kommt diese Lösung dem Insolvenz-
schuldner und seinen Gläubigern zugute.
Das Justizministerium hat sich in seinem Entwurf
auch intensiv mit der Frage beschäftigt, wie die Auswahl
der Insolvenzverwalter verbessert werden kann. Ich
glaube, das BMJ hat gut daran getan, es bei der Klarstel-
lung in § 56 Insolvenzordnung zu belassen. Die aufge-
zeigten Beispiele aus Österreich und Frankreich über-
zeugen nicht. Insbesondere das französische Modell
würde deutlich mehr Reglementierung an einer Stelle
bringen, wo dies in der Praxis nicht vonnöten ist.
Die Insolvenzverwalter in Deutschland machen eine
gute Arbeit. Die Zulassung als Insolvenzverwalter nun an
eine Prüfung zu knüpfen, der zudem noch ein mehrjähri-
ger Vorbereitungsdienst vorherzugehen hat, würde nur
unnötigen bürokratischen Aufwand bringen, ohne die Ge-
währ zu geben, nachher tatsächlich eine bessere Abwick-
lung der Insolvenzen zu erreichen. Richtig und wichtig
vor dem Hintergrund des Bundesverfassungsgerichtsur-
teils ist die Klarstellung, dass geschlossene Listen von In-
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olvenzverwaltern bei den Gerichten nicht erlaubt sind.
erade wenn man keine zusätzlichen Voraussetzungen an
ie Ausübung der Insolvenzverwaltung stellt, kann man
icht eine geschlossene Gesellschaft von Insolvenzver-
altern zulassen. Die verfassungsrechtlichen Bedenken
egen die geschlossenen Listen aufzugreifen, war daher
otwendig.
Die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Ände-
ungen fügen sich in das System der Insolvenzordnung
in und ergänzen es an Stellen, an denen sich Korrektur-
edarf gezeigt hat. Wir als CDU/CSU-Fraktion begrüßen
iesen Regierungsentwurf in seiner Grundausrichtung
aher nachdrücklich. Über etwaige Optimierungen und
robleme in Detailfragen zu sprechen, werden wir im
echtsausschuss noch ausreichend Gelegenheit haben.
urch keinen Änderungsvorschlag der Bundesregierung
erden jedoch die Koordinaten derart verschoben, dass
ie ursprünglichen Ziele der Insolvenzordnung aus den
ugen verloren würden. Ich wäre froh, ich könnte dies
uch über andere Gesetzesvorhaben der Regierung zum
nsolvenzrecht sagen.
Vor allen Dingen warne ich davor, eine bestimmte
läubigergruppe zu bevorzugen. Wer vom privaten
läubiger Opfer verlangt, der sollte dies bei seinen
berlegungen im Hinterkopf behalten, wenn er sich für
ine Besserstellung von öffentlichen Gläubigern im In-
olvenzverfahren einsetzt. Die prinzipielle Gleichbe-
andlung von privaten und öffentlichen Gläubigern war
in wichtiger Regelungszweck der Insolvenzordnung.
aran sollte auch weiterhin nicht gerüttelt werden.
Dirk Manzewski (SPD): Am heutigen Abend debat-
ieren wir hier über den Gesetzesentwurf der Bundesre-
ierung zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens. Das
iel des Gesetzesentwurfs ist es, erforderliche Anpas-
ungen an die Anfang 1999 in Kraft getretene Insolvenz-
rdnung vorzunehmen. Das Gesetz greift dabei insbe-
ondere in der Vergangenheit festgestellte Defizite im
nternehmensinsolvenzverfahren auf.
Ich halte die in diesem Zusammenhang vorgeschlage-
en Änderungen für insgesamt genommen sehr gelun-
en. Lassen Sie mich aufgrund des fortgeschrittenen
bends und der mir verbleibenden geringen Zeit zum
esetzentwurf nur eine besonders positive Anmerkung
achen und einige Nachfragen stellen.
Soweit der Gesetzesentwurf klarstellt, dass bei der
uswahl des Insolvenzverwalters die Verwendung so ge-
annter geschlossener Listen unzulässig ist, halte ich dies
ür richtig. Die Gerichte müssen künftig die Insolvenz-
erwalter aus dem Kreis aller Personen auswählen, die
ich zur Übernahme von Insolvenzverwaltungen bereit
rklärt haben. Der Gesetzentwurf sorgt damit nicht nur
ür mehr Transparenz bei der Auswahl des Insolvenz-
erwalters durch das Gericht; er berücksichtigt damit
uch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
us dem Jahr 2004, das insoweit die Beachtung des
leichbehandlungsgrundsatzes anmahnte.
Ich frage mich allerdings, ob die im Gesetz vorgese-
ene Möglichkeit, die Bereitschaft zur Übernahme auf
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bestimmte Insolvenzverwaltungen zu beschränken, im
Licht der jüngsten Rechtsprechung des BVerfG nicht
problematisch ist; denn ein zu bestellender Insolvenzver-
walter muss bereit und aufgrund seiner Qualifikation
auch in der Lage sein, allen Anforderungen gerecht zu
werden. Insofern halte ich den Vorschlag des Bundesra-
tes, diese Regelung zu streichen, für überlegenswert.
Soweit in Insolvenzsachen von Printveröffentlichun-
gen Abstand genommen und als Regelfall nur noch eine
elektronische Bekanntmachung im Internet stattfinden
soll, melde ich auch leichte Bedenken an. Richtig ist si-
cherlich, dass durch diese Art der Bekanntmachung die
entsprechenden Kosten gesenkt werden können. Ob die
hierfür einzuführende bundeseinheitliche Internetplatt-
form jedoch die gewünschten Erfolge bringen, werden
die anstehenden Beratungen zeigen.
Immerhin werden Gläubiger hierdurch gezwungen,
immer wieder einmal pro forma diese Internetplattform
aufzusuchen, um sich über etwaige Insolvenzen von
Schuldnern zu informieren. Vielleicht wäre es deshalb
sinnvoller, altes und neues System zunächst noch etwas
nebenher laufen zu lassen. Interessant wäre es auch, zu
erfahren, welche Erfahrungen Nordrhein-Westfalen mit
ihrer diesbezüglichen Internetplattform gemacht hat.
Soweit im Gesetzesentwurf vorgeschlagen wird, im
Wege gerichtlich angeordneter Sicherungsmaßnahmen
ein Verwertungs- und Einziehungsverbot gegenüber
Aussonderungsberechtigten und Sicherungsgläubigern
zu verhängen, um insbesondere die Nutzung von solchen
sicherungsübereigneten Betriebsmitteln zu ermögli-
chen, die für eine Fortführung des Betriebes von wesent-
licher Bedeutung sind, habe ich noch Klärungsbedarf.
Zwar soll den Interessen der absonderungsberechtigten
Gläubiger sowie der Aussonderungsberechtigten durch
Anordnung einer Zinszahlungspflicht sowie einer Ent-
schädigungsregelung für den durch die Nutzung einge-
tretenen Wertverlust Rechnung getragen werden. Es
stellt sich mir jedoch die Frage, ob ein Verwalter in die-
sem frühen Verfahrensstadium überhaupt einschätzen
kann, hierfür dann nach vollzogener Nutzung zum späte-
ren Zeitpunkt auch noch genug Geld für die Erstattung
des Wertverlustes zu haben, und wonach sich die Ent-
schädigungsregelung dann richtet.
Klärungsbedarf habe ich auch noch, soweit eine Re-
gelung geschaffen werden soll, nach der der Insolvenz-
verwalter die Möglichkeit hat, das Vermögen aus einer
selbstständigen Tätigkeit des Schuldners nicht zur Insol-
venzmasse zu zählen, um den Schuldner so zu der selbst-
ständigen Tätigkeit zu motivieren. Gerade diese Erwei-
terung der Insolvenzmasse gehörte bislang zu den
maßgeblichen Änderungen der „neuen“ Insolvenzord-
nung, da sich hierdurch die Aussicht der Insolvenzgläu-
biger auf eine bessere Quote bei der Befriedigung ihrer
Forderungen erhöhen sollte.
Abgesehen davon, dass zu erwarten ist, dass die Gläu-
biger gegen die entsprechende so genannte Freigabeer-
klärung gerichtlich vorgehen und damit die Insolvenzge-
richte zusätzlich belasten dürften, erscheint es mir nicht
unproblematisch zu sein, wie in der Begründung des Ge-
setzentwurfs einfach davon auszugehen, dass, wenn der
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erwalter von der Freigabe keinen Gebrauch macht und
ie Fortführung der gewerblichen Tätigkeit durch den
nsolvenzschuldner duldet, die durch den so genannten
euerwerb begründeten Verbindlichkeiten automatisch
u Masseverbindlichkeiten werden sollen. Eine direkte
andlung des Verwalters liegt ja nicht vor.
Wie gesagt ist dieses ansonsten ein für mich gelunge-
er Entwurf. Erlauben Sie mir noch, meiner Freude Aus-
ruck darüber zu verleihen, dass von der Bundesregie-
ung in der Begründung zu diesem Gesetzesentwurf
utreffend darauf hingewiesen wird, dass die „neue“ In-
olvenzordnung sich bewährt und im Gegensatz zur „al-
en“ Konkursordnung zu einer viel größeren Eröffnungs-
uote geführt hat. Diese Erkenntnis hätte uns beim so
enannten Gesetz zur Anpassung des Rechts der Insol-
enzanfechtung viele Diskussionen erspart.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP):
o Licht ist, da ist auch Schatten. Das gilt ganz besonders
ür die Reformbemühungen der Bundesregierung im
ereich Insolvenzrecht. Nach der Pleite – anders kann
an es wirklich nicht nennen – mit der beabsichtigten
esserstellung des Fiskus und der Sozialkassen im Insol-
enzverfahren und dem Schlingerkurs in Sachen Ver-
raucherinsolvenzverfahren wird nun bei den Unterneh-
ensinsolvenzen etwas vorgelegt, was sich nach erster
urchsicht als ganz brauchbar erweist.
Bevor ich zu den Inhalten komme, möchte ich noch ein
ort zum Verfahren sagen. Ich finde es absolut nicht in
rdnung, dass Änderungen, die die Insolvenzordnung auf
en Kopf gestellt hätten, teilweise durch die Hintertür
ingeführt werden sollten. Ich erinnere in diesem Zusam-
enhang nur an den fehlgeschlagenen Versuch, in das
ahressteuergesetz 2007 Vorrechte für den Fiskus hinein-
uschreiben. Hier sollte das Parlament offensichtlich
inter die Fichte geführt werden. Erst nachdem die Oppo-
itionsfraktionen massiv Krach geschlagen hatten und
uch die Presse auf das Thema aufmerksam geworden
ar, hat die Bundesregierung von dem Versuch, wesent-
che Grundprinzipien und Errungenschaften der neuen
nsolvenzordnung auszuhebeln, Abstand genommen.
Wenig zielführend war auch der Versuch der Bundes-
egierung, im Entwurf eines Gesetzes zum Pfändungs-
chutz der Altersvorsorge und zur Anpassung des Rechts
er Insolvenzanfechtung Unstreitiges und Streitiges mit-
inander zu vermischen. Es bedurfte erst der Sachver-
tändigenanhörung, die mit einer beispiellosen Ohrfeige
ür die Bundesregierung endete, um zu verhindern, dass
ie Sozialkassen und der Fiskus in der Insolvenz eine
eutlich bessere Behandlung erfahren als alle anderen
läubiger.
Ich appelliere an die Bundesregierung, wieder zur
ernunft zu kommen. Die Insolvenzordnung darf nicht
um Experimentierfeld der Finanzminister werden. Der
undeshaushalt lässt sich nicht mit Vorrechten für den
iskus sanieren, die sozialen Sicherungssysteme nicht
it Vorrechten für die Sozialkassen und die Justizhaus-
alte der Länder nicht mit Einsparungen zulasten der
chwächsten, namentlich der mittellosen Verbraucher.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. November 2006 7081
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Nach all diesen insolvenzrechtlichen Irrungen und
Wirrungen ist es nun das Ziel der Bundesregierung, das
Insolvenzverfahren zu vereinfachen. Unter anderem sollen
künftig öffentliche Bekanntmachungen in Insolvenzsa-
chen nur noch über das Internet vorgenommen werden.
Zur Begründung führen Sie an, der Verbreitungsgrad des
Internet sei stark gestiegen. Es bestünden keine techni-
schen Hindernisse mehr, von Printveröffentlichungen
Abschied zu nehmen und als Regelfall nur noch eine
elektronische Bekanntmachung vorzusehen. Dies ist
grundsätzlich richtig. Es wird aber die Frage zu diskutieren
sein, ob nicht für eine Übergangszeit beide Veröffent-
lichungsformen gleichberechtigt nebeneinander stehen
sollten.
Ferner planen Sie, so genannte geschlossene Listen zu
verbieten, in die Bewerbungen als Insolvenzverwalter nur
aufgenommen werden, wenn eine Person ausscheidet. Ge-
gen die Verwendung geschlossener Listen gab es schon
lange verfassungsrechtliche Bedenken. Eine gesetzliche
Klarstellung dahin, dass der Insolvenzverwalter aus dem
Kreis aller zur Übernahme bereiten Personen ausgewählt
werden muss, ist daher zu begrüßen.
Was die Frage des Rechtsschutzes übergangener Be-
werber anbetrifft, werden wir uns auch mit der Entschei-
dung des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Mai 2006
zur Insolvenzverwalterbestellung auseinander setzen
müssen. Karlsruhe hat festgestellt, dass es mit dem
grundgesetzlichen Gebot des effektiven Rechtsschutzes
vereinbar sei, eine Anfechtung der Bestellung zum
Insolvenzverwalter durch Mitbewerber zu versagen. Ich
denke, die Entscheidung ist richtig. Das Verfassungsge-
richt hat die Interessen der Gläubiger und der Schuldner
an einem zügigen Ablauf des Insolvenzverfahrens höher
bewertet als die Interessen des Mitbewerbers an beruf-
licher Betätigung. Wo jedoch keine Anfechtung möglich
ist, kommt der Entscheidung des Gerichts bei der Aus-
wahl des vorläufigen Insolvenzverwalters umso größere
Bedeutung zu. Hier ist von den Gerichten eine besondere
Verantwortung zu fordern. Da der Gesetzentwurf davon
absieht, das Auswahlverfahren Einschränkungen zu
unterwerfen, die über das Verbot der Verwendung
geschlossener Listen hinausgehen, sind die Fachgerichte
umso mehr aufgefordert, unter Beteiligung aller Ver-
bände für die Vorauswahlliste Kriterien zu entwickeln.
Des Weiteren sieht die Bundesregierung vor, dass
Sanierungen unter engen Voraussetzungen im eröffneten
Verfahren bereits vor dem Gerichtstermin zugelassen wer-
den, um außergewöhnlich günstige Bewertungschancen
bereits in diesem frühen Verfahrensstadium nutzen zu
können. Für den Insolvenzverwalter wird ferner die
Möglichkeit eröffnet, einzelne Gegenstände aus der
Masse freizugeben. Nach summarischer Prüfung sind
diese Änderungen als moderat zu bewerten. Ob es richtig
ist, davon abzusehen, dem vorläufigen Insolvenzver-
walter im Eröffnungsverfahren die Möglichkeit zur
Gesamtveräußerung des Betriebes zu geben, werden die
weiteren Beratungen zeigen. Als Eigentumspartei legt
die FDP jedenfalls Wert darauf, dass dem Schuldner sein
Unternehmen nicht bereits zu einem Zeitpunkt entzogen
wird, in dem möglicherweise noch gar kein Insolvenz-
grund vorliegt und zu dem folglich keine Berechtigung
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ür einen derart schwer wiegenden Eingriff in das Eigen-
um existiert.
Alles in allem können wir bereits heute feststellen,
ass sich die beabsichtigten Änderungen im Rahmen
alten und die gesetzgeberische Grundentscheidung im
usammenhang mit der am 1. Januar 1999 in Kraft
etretenen Insolvenzordnung achten. Offensichtlich hat
ie Bundesregierung bei diesem Gesetzentwurf auf die
raxis gehört und deren Anregungen in den Gesetzent-
urf eingearbeitet. Darin hebt sich dieser Gesetzentwurf
ohltuend von den erwähnten Entwürfen zur Insolvenz-
rdnung ab, bei denen die Bundesregierung den Einflüs-
erungen des Fiskus nachgegeben und die berechtigten
nliegen der Praxis ignoriert hatte.
Wolfgang Nešković (DIE LINKE): Der vorliegende
ntwurf ist tatsächlich geeignet, dem Regel-lnsolvenz-
erfahren einige begrüßenswerte Vereinfachungen zu
escheren. Sie werden aber verstehen, dass ich mich mit
einer knappen Redezeit zunächst solchen Aspekten des
ntwurfs widmen werde, die mir nicht gefallen, und das
ob strategisch an das Ende stelle.
Ausweislich der Entwurfsbegründung erheben die
ntwurfsverfasser für sich den sehr umfassenden An-
pruch, die Erfahrungen aus der Reform des Jahres 1999
iner Evaluierung unterzogen und die daraus zu behe-
enden Mängel erkannt und beseitigt zu haben. Dem ist
u widersprechen. Der Entwurf leidet vor allem an sol-
hen Mängeln, die er gerade nicht beseitigt.
Kaum ein Wort wird im Entwurf zum Insolvenzar-
eitsrecht verloren, insbesondere keines zu der Notwen-
igkeit einer Neufassung des § 113 Insolvenzordnung.
abei hat die befasste Bund/Länder-Gruppe diesem
hema in ihrem Abschlussbericht immerhin neun dichte
eiten gewidmet, in denen sie ihrer ablehnenden Stel-
ungnahme zumindest Erwägungen des Für und Wider
ur Seite stellt. Im vorliegenden Entwurf vermisse ich
iese Auseinandersetzung.
Vor allem die Gewerkschaften haben in der Vergan-
enheit wiederholt und deutlich auf einen Novellie-
ungsbedarf zu § 113 Insolvenzordnung hingewiesen. Zu
echt; denn die durch § 113 Insolvenzordnung ermög-
ichte dreimonatige Fristprivilegierung für die Kündi-
ung von Dienstverhältnissen – unterhalb der individual-
ertraglichen, tarifvertraglichen und der gesetzlichen
renzen – ist schlicht unerträglich.
§ 113 enthält ein Menschenbild, das abzulehnen ist,
as der vorliegende Entwurf jedoch bestätigt. Die Be-
chäftigten eines Unternehmens sind gerade kein Hin-
ernis zur Sanierung und auch keine zu vermeidende Be-
astung der Insolvenzmasse. Die Beschäftigten sind
ielmehr die ersten und wichtigsten Gläubiger dieser
asse; denn sie haben dem Unternehmen seine Masse
eschert, indem sie diesem Unternehmen an jedem Ar-
eitstag ihre Kraft, ihren Einsatz, ihre Zeit und einen
roßen Teil ihrer Freiheit geopfert haben. Es sind daher
hre Beschäftigung und ihre unverkürzten Ansprüche,
ie absoluten Vorzug verdienen und vor jeder Beein-
rächtigung zu schützen sind. Die Macher des § 113 In-
7082 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. November 2006
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(B) )
solvenzordnung dagegen überlassen die Beschäftigten
zum baldmöglichsten Zeitpunkt sich selbst und schützen
stattdessen vorwiegend die Kreditgeber und die Ge-
schäftspartner des Unternehmens.
Des Weiteren sieht der Entwurf – trotz der bejahenden
und eindeutigen Empfehlung der Bund/Länder-Gruppe
Insolvenzrecht – immer noch keine gerichtliche Über-
prüfung der Feststellung der Masseunzulänglichkeit
durch den Insolvenzverwalter vor. Im Entwurf wird dies
in erster Linie mit fehlenden Dokumentationen zum Be-
darf eines solchen Rechtsmittels begründet.
Ich erinnere zum Verständnis des Problems an die
geltende Rechtslage, insbesondere daran, dass das Mittel
der Erinnerung gemäß § 766 Zivilprozessordnung für
den angesprochenen Fall gerade keine Handhabe bietet.
Demnach ist eine judikative Beurteilung der Rechtmä-
ßigkeit der Masseunzulänglichkeitsfeststellung allenfalls
inzident möglich, und zwar im Rahmen der prozessge-
richtlichen Beurteilung einer Haftung des Insolvenzver-
walters. Dessen Haftung wollten Sie als Gläubiger viel-
leicht gar nicht breit klären lassen. Dennoch ist diese
Erörterung derzeit der einzige Weg, um zur Beurteilung
Ihres eigentlichen Problems zu gelangen. Es ist dies
auch ein ungerechter Weg, da er jeden, der nur mit der
Masseunzulänglichkeitsprüfung unzufrieden ist, zwingt,
den Insolvenzverwalter in die Haftung zu nehmen, ob-
wohl er ansonsten dazu weder Antrieb noch Veranlas-
sung hätte.
Die Entwurfsersteller stellen fest, zur Häufigkeit sol-
cher Umgehungsprozesse lägen leider ebenfalls keine
Dokumentationen vor. Man kann die Entwurfsersteller
beruhigen. Dokumentationen sind gar nicht erforderlich.
Denn selbst wenn sich bis heute kein Bedarf nach einem
gesonderten Rechtsmittel gegen Masseunzulänglich-
keitsanzeigen herausgestellt hätte oder sich dieser Be-
darf niemals dokumentieren ließe, gilt dennoch der Jus-
tizgewähranspruch, ein Prinzip jenseits von Angebot
und Nachfrage. Zu allen Akten der öffentlichen Gewalt
ist in einem Rechtsstaat zwingend judikative Kontrolle
bereitzustellen.
Auch das Lob zum Schluss betrifft eine Auslassung
im Entwurf, jedoch in diesem Fall eine sehr sinnvolle
Auslassung, für die sich auch die Linke stark gemacht
hat. Was in diesem Entwurf dankbarerweise nicht erneut
auftaucht, ist der Versuch einer Selbstprivilegierung der
öffentlichen Hand im Insolvenzverfahren. Diesen Ver-
such gab es im Mai. Als die Mehrheit dieses Hauses
während der 35. Sitzung den Regierungsentwurf eines
Gesetzes zum Pfändungsschutz der Altersvorsorge und
zur Anpassung des Rechts der Insolvenzanfechtung kri-
tiklos durch die erste Beratung winkte, hatte sie gar nicht
bemerkt, dass sich hinter dem harmlosen Namen des
Entwurfs auch eine teilweise Wiedereinführung des Fis-
kusprivilegs verbarg. Es folgte das bisher einzigartige
Beispiel für einen echten Diskurs im Rechtsauschuss, in
dem es den Vertretern der Opposition gemeinsam mit
den Sachverständigen gelang, die Vertreter der Koalition
und die Entwurfsersteller des Ministeriums von diesem
Vorhaben vorläufig abzubringen. Wir hoffen, dass die
bessere Einsicht bis zur Beschlussfassung anhält und
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uch für die Diskussion zum vorliegenden Gesetzesent-
urf nicht abhanden kommt.
Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dem
orliegenden Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur
ereinfachung des Insolvenzverfahrens stimmt die Frak-
ion des Bündnisses 90/Die Grünen grundsätzlich zu.
as geplante Gesetz kann einige der in der Praxis ent-
tandene Defizite beheben.
Durch die beabsichtigten Änderungen soll klargestellt
erden, dass der Insolvenzverwalter aus dem Kreis aller
ur Übernahme bereiten Personen ausgewählt werden
uss. Das ist besonders erfreulich. So wird die gegen-
ärtig übliche Praxis beendet, dass manche Insolvenz-
erichte einen Insolvenzverwalter oder eine Insolvenz-
erwalterin nur auswählen, wenn er oder sie auf einer
iste des Gerichts steht. Die Einführung solcher Listen
st gesetzlich nicht vorgesehen und rechtsstaatlich be-
enklich. Für außenstehende Interessenten besteht so-
ange keine Möglichkeit, Zugang zu dieser Liste zu fin-
en, wie nicht ein Insolvenzverwalter von der Liste
erstirbt und Platz für einen Nachrücker macht. Diese
raxis behindert aber die verfassungsrechtlich ge-
chützte freie Berufswahl. Die geplante Regelung in der
nsolvenzordnung wird diese Praxis hoffentlich beenden.
Positiv ist auch, dass in Zukunft die öffentlichen Be-
anntmachungen in Insolvenzsachen im Internet vorge-
ommen werden sollen. Wir unterstützen diese Moderni-
ierung. Die Veröffentlichungskosten können durch die
nternetöffnung gesenkt werden. Das entlastet die Insol-
enzmasse und damit die Insolvenzgläubiger und in
tundungsfällen auch die Justizhaushalte. Allerdings be-
eutet es auch Nachteile, wenn die Veröffentlichung im
nternet zum Regelfall wird. Gegenwärtig werden die öf-
entlichen Bekanntmachungen in Insolvenzsachen im
undesanzeiger, aber auch in Tageszeitungen veröffent-
icht. Für die Gläubiger kann die Internetveröffentli-
hung zu einem Nachteil führen, weil sie nicht mehr
eim Lesen der Zeitung über Insolvenznachrichten stol-
ern. Vor allem müssen die Tageszeitungen Umsatzein-
ußen hinnehmen, wenn die Insolvenzbekanntmachun-
en nur noch im Internet veröffentlicht werden. Wir
ollten deshalb eine mehrjährige Übergangszeit schaf-
en, in der Insolvenzbekanntmachungen sowohl im In-
ernet als auch in den Printmedien möglich sind. Es
eicht nicht aus, es den Ländern zu überlassen, ob sie
eitere Veröffentlichungen zulassen wollen. Mit dem
HUG haben wir eine solche Übergangssituation gesetz-
ich geregelt.
Wir freuen uns vor allem, dass die Bundesregierung
egenwärtig das Insolvenzrecht in mehreren Bereichen
eformiert. Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Anpas-
ung des Rechts der Insolvenzanfechtung werden Rege-
ungen geschaffen, um die Alters- und Hinterbliebenen-
ente vor Vollstreckung zu schützen. Zugleich hat das
undesjustizministerium in einem Eckpunktepapier auf-
ezeigt, wie das Verfahren der Verbraucherinsolvenz so
estaltet werden soll, dass verschuldeten Privatpersonen
n absehbarer Zeit ein wirtschaftlicher Neuanfang mög-
ich ist, ohne dass dabei – wie bislang – für die Justiz-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. November 2006 7083
(A) )
(B) )
haushalte unnötige Kosten entstehen. Wir werden in der
weiteren Diskussion darauf achten, dass dabei der Erfolg
der Verbraucherinsolvenz nicht wieder aufgegeben wird.
Die ständige Anpassung des Insolvenzrechts an die
Bedürfnisse der Praxis ist wichtig. Die bundesdeutsche
Marktwirtschaft bedeutet für alle Marktteilnehmenden
– Verbraucher und Verbraucherinnen ebenso wie für Un-
ternehmer und Unternehmerinnen – das ständige Risiko,
sich zu verschulden. Mit diesem Risiko der Insolvenz
muss jeder leben. Wir brauchen aber Regelungen, die im
Falle einer Insolvenz für alle Beteiligten eine akzeptable
Situation schaffen. Den Verschuldeten muss der wirt-
schaftliche Neustart möglich sein, sie müssen sich in ab-
sehbarer Zeit von den Schulden lösen können. Die Gläu-
biger müssen darauf vertrauen können, dass sie im Fall
der Insolvenz nicht gegenüber anderen Gläubigern be-
nachteiligt werden. Zudem dürfen sie erwarten, dass die
Verschuldeten sich anstrengen, um die Schulden abzube-
zahlen. Wir wollen uns deshalb dafür einsetzen, dass das
Insolvenzrecht jeweils so gestaltet wird, dass es diese
unterschiedlichen Bedürfnisse der Praxis befriedigen
kann.
Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Justiz: Der Gesetzentwurf verfolgt
das Ziel, die von der Bund/Länder-Arbeitsgruppe „Insol-
venzrecht“, den angehörten Kreisen und der insolvenz-
rechtlichen Fachliteratur aufgezeigten Defizite im Regel-
insolvenzverfahren zu beheben. Ein Gutteil der in dem
Gesetzentwurf enthaltenen Änderungsvorschläge sind
lediglich rechtstechnischer Natur und dürften – so haben
auch die eingegangenen Stellungnahmen gezeigt – nicht
weiter umstritten sein. Lassen Sie mich von den etwas
bedeutsameren Änderungen beispielhaft einige nennen.
Aus meiner Sicht ist hier an erster Stelle die Auswahl
des Insolvenzverwalters zu nennen. Insofern beschränkt
sich der Gesetzentwurf zunächst auf eine minimale Rege-
lung, als er lediglich in Übereinstimmung mit der Recht-
sprechung des Bundesverfassungsgerichts klarstellt, dass
die Verwendung geschlossener Verwalterlisten durch die
Insolvenzgerichte unzulässig ist. Insofern ist eine Ver-
fahrensgestaltung bei der Auswahl vorzusehen, die
einerseits dem Richter eine zügige Eignungsprüfung für
das konkrete Verfahren ermöglicht, andererseits ihm
jedoch auch hinreichende Informationen für eine pflicht-
gemäße Ausübung des Auswahlermessens verschafft.
Insofern hat das Bundesverfassungsgericht die Forde-
rung erhoben, die Gerichte dürften sich nicht auf das
Erstellen einer Liste mit Namen und Anschriften interes-
sierter Bewerber beschränken, sondern hätten die für
eine sachgerechte Ermessensausübung notwendigen Da-
ten zu erheben, zu verifizieren und zu strukturieren.
Ich halte es für sinnvoll, dass wir uns zunächst mit die-
sem zurückhaltenden Regelungskonzept begnügen und
die weitere Entwicklung beobachten. Ich begrüße es inso-
fern nachdrücklich, dass die Insolvenzverwalter initiativ
geworden sind und selbst Qualitätskriterien für die
Eignung von Insolvenzverwaltern festlegen wollen. Wir
sollten deshalb zunächst abwarten, zu welchem Ergebnis
die von den Insolvenzverwaltern eingesetzte Arbeits-
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ruppe kommen wird. Gegebenenfalls wird man dann
berlegen können, ob diese Qualitätskriterien auch gesetz-
ch verankert werden sollen.
In dem Gesetzentwurf ist auch eine Klarstellung ent-
alten, die zumindest bei einigen Betroffenen zu einer
ewissen Verunsicherung geführt hat. Ich meine die An-
rdnung des Insolvenzgerichts, dass Aussonderungsan-
prüche im Insolvenzeröffnungsverfahren nicht durchge-
etzt werden können. Dies ist wohl aber nach Auffassung
ahlreicher Gerichte und der überwiegenden Auffassung
er Literatur bereits geltendes (Richter-)Recht. Mir ist
ewusst, dass dies für einige Berechtigte mit gewissen
ärten verbunden sein kann, doch sind diese im Interesse
er Sanierung erhaltenswerter Unternehmen hinzunehmen.
Von den Änderungen, auf die die Praxis längst wartet,
t die öffentliche Bekanntmachung über das Internet zu
ennen. Nachdem der Verbreitungsgrad des Internets in
en letzten Jahren weiter stark angestiegen ist und nach-
em die technischen Voraussetzungen geschaffen wurden,
uf einer bundeseinheitlichen Internetplattform das Insol-
enzgeschehen lückenlos zu dokumentieren, bestehen
eine Hindernisgründe mehr, von Printveröffentlichungen
Insolvenzsachen Abschied zu nehmen und als Regelfall
ur noch eine elektronische Bekanntmachungsform vor-
usehen. Insofern darf ich an unsere österreichischen
achbarn erinnern, die bereits seit mehreren Jahren ledig-
ch noch eine Veröffentlichung über ihre internetgestützte
diktsdatei vorsehen. Wie mir berichtet wurde, ist diese
rt der Veröffentlichung deutlich effektiver als jede Ver-
ffentlichung in einer Tageszeitung.
Lassen Sie mich abschließend zu meinen Ausführungen
och auf einen Vorschlag eingehen, der für selbstständig
ätige Schuldner von erheblicher Bedeutung sein, kann.
ch glaube, wir sind alle einer Auffassung: Es ist sinn-
oll, wenn der Schuldner erwerbstätig ist, und es kann
ein Ziel des Insolvenzverfahrens sein, den Schuldner
uf mehrere Jahre als Empfänger von ALG II abzustem-
eln. Deshalb sieht in Anlehnung an das insolvenzrecht-
iche Institut der Freigabe der Gesetzentwurf vor, dass
er Insolvenzverwalter erklären kann, Vermögen aus einer
elbstständigen Tätigkeit des Schuldners gehöre nicht
ur Insolvenzmasse. Dies hätte sowohl für die Gläubiger
ls auch für den Schuldner einen erheblichen Vorteil.
er Schuldner könnte eine selbstständige Tätigkeit wei-
r fortführen oder sich durch die Ausübung einer solchen
ätigkeit eine neue wirtschaftliche Existenz schaffen.
Macht der Verwalter allerdings von dieser Möglichkeit
einen Gebrauch und duldet er wissentlich die Fortfüh-
ung der gewerblichen Tätigkeit durch den Insolvenz-
chuldner, dann würden nach diesem Konzept die durch
en Neuerwerb begründeten Verbindlichkeiten zu Masse-
erbindlichkeiten, da insofern eine dem Insolvenzver-
alter zurechenbare Handlung vorliegt. Der Insolvenz-
erwalter hat somit künftig abzuwägen, was für die
asse vorteilhafter ist: die Einbeziehung des Neuerwerbs
n die Insolvenzmasse und damit die Inkaufnahme der
egründung von Masseverbindlichkeiten durch den
chuldner oder die Freigabe und damit der Verzicht auf
en Neuerwerb des Schuldners. Nur zur Klarstellung sei
och darauf hingewiesen, dass auch im letztgenannten
7084 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. November 2006
(A) )
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Fall die einfachen Insolvenzgläubiger nicht leer ausgehen
würden, sondern der Schuldner die Masse so zu stellen
hat, als wäre er ein angemessenes Dienstverhältnis einge-
gangen. Nehmen wir an, der Schuldner verdient als selbst-
ständiger Handelsvertreter im Durchschnitt 2 000 Euro
und ein abhängig beschäftigter Handelsvertreter würde
ebenfalls 2 000 Euro erhalten, so hätte unser Schuldner
1 115 Euro an die Insolvenzmasse abzuführen.
Die Änderungsvorschläge des Gesetzentwurfs werden
auch nach Einschätzung der Landesjustizverwaltungen zu
einer deutlichen Entlastung der Insolvenzgerichte beitra-
gen. Ich hoffe deshalb im Interesse der Insolvenzpraxis,
aber auch im Interesse der Schuldner, dass der Gesetzent-
wurf möglichst bald verabschiedet werden kann.
Anlage 13
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Den Fahrradtouris-
mus in Deutschland umfassend fördern (Tages-
ordnungspunkt 25)
Jürgen Klimke (CDU/CSU): Der Fahrradtourismus
hat sich zu einer touristischen Wachstumsbranche entwi-
ckelt, die erhebliche positive Auswirkungen sowohl auf
die Entwicklung des Deutschlandtourismus als auch auf
die wirtschaftliche Entwicklung vieler strukturschwacher
Regionen hat. Die ADFC-Radreiseanalyse 2006 ergibt,
dass im Jahr 2005 45,4 Prozent der Deutschen das Fahrrad
im Urlaub nutzten – 2004 waren es nur 40,7 Prozent –,
14,3 Prozent nutzten es häufig oder sehr häufig. Zwei Mil-
lionen Deutsche planen in den nächsten drei Jahren „ziem-
lich sicher“ eine Radreise. Über 4 200 fahrradfreundliche
Beherbergungsbetriebe – Bett & Bike – haben sich auf
Radreisende spezialisiert. Die Angebote der Deutschen
Zentrale für Tourismus zum Fahrradtourismus verzeich-
nen monatlich 70 000 Zugriffe, der Katalog „Deutschland
per Rad entdecken“ wird in 500 000 Exemplaren gedruckt
und in 26 Ländern vertrieben. Allein diese Fakten zeigen
den Stellenwert, den der Fahrradtourismus in Deutschland
genießt.
Fahrradtourismus ermöglicht ein intensives Natur- und
Kulturerlebnis in Verbindung mit sportlicher Betätigung.
Dabei kann man die Fortbewegung auf dem Fahrrad mit
dem Aufenthalt im Luxushotel ebenso kombinieren wie
mit der Unterkunft auf Zeltplätzen oder in Jugendherber-
gen. Das macht Fahrradtourismus für viele Menschen in
Deutschland so interessant.
Ein Familienurlaub auf dem Fahrrad stellt sicher eine
der kostengünstigsten Möglichkeiten dar, auf einer Rund-
reise die Schönheiten einer Region kennen zu lernen.
Gleichzeitig bietet eine Radreise auch dem gestressten
Manager oder leitenden Angestellten eine Gelegenheit,
den Kopf freizubekommen und der Bewegungsarmut des
Berufs abzuhelfen. Ich selbst bin ein leidenschaftlicher
Radfahrer, sowohl in meiner unmittelbaren Umgebung
als auch auf überregionalen Radwegen: So bin ich in die-
sem Jahr bereits zum zweiten Mal von Hamburg nach
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erlin geradelt und habe dabei auch eine weite Strecke
uf dem Elberadweg zurückgelegt.
Die stärkere Nutzung des Fahrrads ist gesundheitsför-
ernd, weil die Fitness verbessert und Übergewicht vor-
ebeugt wird. Gleichzeitig hat Rad fahren positiven Ein-
luss auf Blutdruck, Muskulatur und Atemwege. Es
irkt präventiv gegen Rückenleiden und Herz-Kreis-
auf-Erkrankungen. Diese Effekte sind immer wieder
urch Studien belegt worden, zuletzt durch die Studie
Radfahren und Gesundheit“ der Sporthochschule Köln.
ine Fahrradreise kann Anstoß für eine verstärkte Nut-
ung des Fahrrads im Alltag, zum Beispiel für den Weg
um Arbeitsort, sein. Es ist also festzuhalten, dass
adreisen die Gesundheit der Menschen nachhaltig stär-
en können.
Es ist der zunehmende Stellenwert, den Naturerlebnis
owie sportliche und gesundheitliche Aspekte beim Rei-
en spielen, der zum Wachstum des Fahrradtourismus
eigetragen hat. Doch die positiven Nebeneffekte sind
uch außerhalb der gesundheitlichen Aspekte beträcht-
ich:
So reisen Fahrradtouristen besonders gern in Deutsch-
and. Mehr als 50 Prozent entscheiden sich für das Inland
ls Urlaubsort. Schließlich bietet Deutschland ein gut aus-
ebautes Radwegenetz, fahrradfreundliche Unterkünfte
nd eine Vielzahl von noch unentdeckten Sehenswürdig-
eiten und Naturlandschaften.
Fahrradtouristen konzentrieren sich gerade nicht auf
ouristische Hotspots. Es zählt vielmehr ein intaktes
andschaftsbild mit Sehenswürdigkeiten am Wege.
ährend der Bustourist in Würzburg anhält und dann
ieder in Rothenburg ob der Tauber, wird der Radrei-
ende auch die Sehenswürdigkeiten im Main- und Tau-
ertal anschauen. Ländliche Regionen ohne touristische
ighlights, die es sonst schwer haben, Touristen anzu-
prechen, können sich zu erstrangigen Radreisezielen
ntwickeln. Wenn Sie sich die Bedeutung des Radtouris-
us in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern oder
iedersachsen anschauen, wird deutlich, dass Fahrrad-
ourismus gerade für strukturschwache Gebiete erhebli-
he wirtschaftliche Potenziale bietet.
Fahrradtouristen kaufen qualitativ hochwertigere Fahr-
äder und umfangreiches Zubehör oft aus deutscher Pro-
uktion. Sie tragen damit ganz entscheidend zum Um-
atzwachstum der deutschen Fahrradhersteller bei.
Fahrradtouristen schonen die Umwelt: Ein Urlaub auf
em Rad hilft aktiv bei der Senkung der Kohlendioxid-
missionen, besonders wenn auch für An- und Abreise
mweltfreundliche Verkehrsmittel genutzt werden. Zu-
em benötigen Fahrradfahrer nur wenig Verkehrsraum
nd beugen somit Staus vor. Gleichzeitig entspannt
ahrradbenutzung am Urlaubsort die angespannte Park-
latzsituation im Umfeld touristischer Ziele. Schließlich
erursachen Fahrräder auch fast keine Lärmemissionen.
Vor diesem Hintergrund ist es besonders erfreulich,
ass sich der Fahrradtourismus in Deutschland so positiv
ntwickelt. Allerdings sollte dies für die Politik kein An-
ass sein, diesem Trend tatenlos zuzuschauen; denn
ahrradtourismus ist ein Tourismussektor, der mehr als
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. November 2006 7085
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(B) )
andere der Aufmerksamkeit der Politik bedarf. Diesen
Bedarf habe ich bereits in der vergangenen Legislaturpe-
riode erkannt und die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat
bereits Ende 2003 einen Antrag mit dem Titel „Fahrrad-
tourismus umfassend fördern“ eingebracht. Der vorlie-
gende Antrag ist eine Weiterentwicklung dieser Initia-
tive, die wir gemeinsam mit unserem Koalitionspartner
SPD vorangebracht haben.
Fahrradtouristen benötigen ein Netz gut ausgebauter
und ausgeschilderter Radwege. Um weiterhin auch aus-
ländische Fahrradreisende nach Deutschland zu holen,
brauchen wir weitere attraktive Radwege und müssen die
vorhandenen instand setzen. Die Radwege sollten den
Bedürfnissen der Radfahrer entsprechen, das heißt, sie
sollten über einen ausreichend ebenen Fahrbahnbelag,
eine ausreichende Breite und eine gute Beschilderung
verfügen. Doch genauso wichtig ist, dass die Radwege
durch eine attraktive Umgebung führen: Wünschenswert
sind mehr Einzelradwege, die nicht direkt neben Fern-
straßen liegen, sondern dem Radfahrer ein ungetrübtes
Naturerlebnis bieten. Mehr als alles andere benötigen wir
mehr Radwege an Flussläufen und Wasserwegen: Wenn
man sich die Liste der beliebtesten Radwege in Deutsch-
land anschaut, dann findet man dort in den vergangenen
Jahren den Donauradweg, den Ostseeradweg und vor al-
lem den Elberadweg ganz oben. Wasserwege an Fluss-
läufen sind außerordentlich beliebt:
Das Reisen am Flussufer bietet immer wieder reiz-
volle Ausblicke und bietet alle Annehmlichkeiten, die
wir mit Reisen am Wasser verbinden. Radwege am Was-
ser sind weitgehend eben und damit auch für Familien
oder ältere Radfahrer geeignet. Viele historische Orte
und Sehenswürdigkeiten konzentrieren sich entlang von
Flussläufen, so dass eine Radreise am Flussufer nicht
nur landschaftliche, sondern auch kulturelle Höhepunkte
zu bieten vermag.
Diese Argumente überzeugen offenbar immer mehr
Radtouristen: So wurden 2005 auf Deutschlands belieb-
testem Radweg, dem Elberadweg, eine Anzahl von etwa
140 000 Radlern geschätzt, die eine mehrtägige Tour auf
dem Elberadweg unternommen haben. Noch einmal so
viele Radfahrer unternahmen eine Tagestour auf diesem
Radweg.
Deshalb ist es mir ein ganz besonderes Anliegen
– wie wir es auch in unserem Antrag festgeschrieben ha-
ben –, gemeinsam mit den Ländern auf den Aus- und
Neubau von Radwegen an Wasserwegen hinzuwirken.
Generell ist es aus meiner Sicht sinnvoll, dass beim
Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwick-
lung eine länderübergreifende Koordinierungsstelle ein-
gerichtet wird, die die Weiterentwicklung und Verein-
heitlichung des Radverkehrswegenetzes vorantreiben
sowie sich um Abstimmung zwischen Ministerium und
den Ländern und Kommunen bemühen soll. Das Bei-
spiel maritimer Koordinator hat aus meiner Sicht bewie-
sen, wie wichtig eine konkrete Ansprechstelle für ein ab-
gegrenztes Thema sein kann. Ich würde mich deshalb
sehr freuen, wenn die von uns im Antrag geforderte Prü-
fung ergibt, dass eine solche Koordinierungsstelle einge-
richtet werden kann.
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Ein anderer Punkt betrifft die Deutsche Bahn: Ob-
ohl Fahrradtourismus immer beliebter wird, geht die
ahrradmitnahme im Fernverkehr der Deutschen Bahn
G eher zurück. Das hat aus meiner Sicht damit zu tun,
ass eine Fahrradmitnahme in ICE-Zügen immer noch
icht möglich ist. Gleichzeitig werden auf immer mehr
trecken ICEs eingesetzt: Wenn wir uns in Zukunft
zum Beispiel – über eine neue ICE-Strecke Berlin–Ro-
tock freuen können, dann hat das für mich einen bitte-
en Beigeschmack. Denn im selben Moment schränkt
ich das Angebot an Fahrradstellplätzen auf der Strecke
in. Die Folge davon ist, dass Fahrradtouristen in den
ahrzeiten unflexibler werden oder sogar Umwege in
auf nehmen müssen.
Sicher, es gibt bauartbedingte Hindernisse für eine
ahrradmitnahme in der jetzigen ICE-Generation. Der
adtransport erfordert zudem eine besonders ausgeklü-
elte Planung, damit sich die Aufenthaltsdauer an den
ahnhöfen nicht verlängert. Doch diese Hindernisse
ollten sich in zukünftigen ICE-Generationen beseitigen
assen. Ich vertrete außerdem die Auffassung, dass eine
ahrradmitnahme sich durchaus auch für die Bahn renta-
el gestalten lässt. Der Freizeitradler, der am Zielort ge-
egentlich Rad fahren möchte, ist mit einem Leihrad vor
rt sicher besser bedient. Der Fahrradtourist, der für
eine Radtouren ein teures Markenfahrrad gekauft hat,
ird darauf im Urlaub ebenso wenig verzichten wollen
ie auf die direkte Anreise im ICE. Diesen Personen-
reis, der für die Fahrradmitnahme auch etwas mehr zu
ahlen bereit ist, sollte die Bahn mit der Fahrradmit-
ahme im ICE durchaus ansprechen. Gleichzeitig ist je-
och darauf zu achten, dass es in anderen Zügen weiter-
in ein ausreichendes, kostengünstiges Angebot zur
ahrradmitnahme gibt.
Wir fordern deshalb Gespräche der Bundesregierung
it der Deutschen Bahn AG, mit dem Ziel, eine Steige-
ung der Fahrradmitnahme zu erreichen. Ich meine, dass
ie ökologischen Verkehrsträger Bahn und Fahrrad ko-
perieren sollten, weil gerade für umweltbewusste Rad-
ouristen eine Anreise per Bahn dazugehört. Gute An-
ätze – wie der Prospekt „Bahn und Bike“ oder die er-
eiterten Angebote im Nachtzugbereich – können nicht
arüber hinwegtäuschen, dass es an anderen Stellen,
urchaus auch im Nahverkehr, noch Nachholbedarf gibt.
Ein weiteres Bedürfnis der Fahrradfahrer betrifft den
icherheitsaspekt: Dabei ist zunächst einmal der best-
ögliche Schutz vor Fahrraddiebstählen zu nennen. Hier
aben sich die Fahrradstationen an einigen deutschen
ahnhöfen als probates Mittel erwiesen. Die Einrichtung
eiterer Fahrradstationen ist jedoch sinnvoll und not-
endig. Sinnvoll zur Abschreckung vor Diebstählen und
ur besseren Wiederauffindbarkeit gestohlener Räder ist
uch die weitere Codierung von Fahrrädern. Diese Maß-
ahme fordern wir von der Bundesregierung in Zusam-
enarbeit mit den Ländern.
Noch wichtiger ist jedoch der Aspekt der Sicherheit
on Radfahrern im Verkehrsgeschehen. Hier sehe ich
or allem das Problem der schlechten Sichtbarkeit von
ahrrädern und Radfahrern aufgrund der schmalen Sil-
ouette dieser Verkehrsteilnehmer im Vergleich zu
7086 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. November 2006
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Kraftfahrzeugen. Hier sollte sich die Verbesserung der
Sichtbarkeit nicht nur auf das Fahrrad reduzieren, son-
dern es sollten auch Überlegungen angestellt werden, in-
wieweit Radfahrer in das Sicherheitskonzept integriert
werden können. Dieses könnte zum Beispiel durch das
Tragen von Kleidung mit reflektierenden Elementen ge-
schehen.
Deutschland hat sich als radtouristische Destination
etabliert, weil hier hervorragende Bedingungen für Fahr-
radtourismus bestehen, die weiter ausgebaut werden.
Doch auch hier gilt das Motto „Tue Gutes und rede da-
rüber!“ Denn während der Elberadweg in Deutschland
schon einen hohen Bekanntheitsgrad erreicht hat, sind
unsere attraktiven Radwege im europäischen Ausland
eher Geheimtipps. Ich halte es für wichtig, dass gerade
im Auslandsmarketing der Deutschen Zentrale für Tou-
rismus, DZT, der Aspekt Fahrradtourismus eine größere
Rolle spielt. Zwar hat sich hier der von der DZT und
dem Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club, ADFC,
gemeinsam erarbeitete zweisprachige Katalog „Deutsch-
land per Rad entdecken“ als erfolgreiches Marketingin-
strument erwiesen; es besteht jedoch noch Verbesse-
rungsbedarf. Auch hier möchte ich gerade auf die großen
Radrouten an Elbe, Weser, Donau und Ostsee verweisen,
die sich für deutsche Besucher als besonders attraktiv er-
wiesen haben und die auch ein hohes Potenzial für aus-
ländische Besucher bieten dürften.
Ich freue mich, dass es mir gemeinsam mit meiner
Kollegin Hiller-Ohm von der SPD gelungen ist, einen
Antrag zu entwickeln, der nicht nur das Thema Fahrrad-
tourismus stärker in die Öffentlichkeit bringt, sondern
eine Reihe ganz konkreter und durchweg sinnvoller For-
derungen aufstellt. Diese Punkte reichen von einer länder-
übergreifenden Koordinierungsstelle über den weiteren
Radwegebau – auch und gerade an Flüssen und Wasser-
wegen – bis zur Verbesserung der Fahrradmitnahme durch
die Deutsche Bahn AG. Konkrete Verbesserungen beim
Marketing sind ebenso in unserem Antrag enthalten wie
Vorschläge für mehr Sicherheit für Radfahrer.
Ich meine, dass es uns mit dem vorliegenden Antrag
gelungen ist, eine Reihe sinnvoller Forderungen, unter
anderem des ADFC, aufzugreifen und konkrete Umset-
zungsvorschläge zu machen. Mit diesem Antrag der
Koalitionsfraktionen stellen wir die Weichen für eine
weitere positive Entwicklung des Fahrradtourismus in
Deutschland. Außerdem macht die Initiative ebenso wie
die sachorientierte Zusammenarbeit mit meiner Kollegin
Gabriele Hiller-Ohm deutlich, dass die Kooperation in
der großen Koalition viel besser funktioniert als von den
Medien gern behauptet wird.
Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Begeisterte Radfahrer
und Radfahrerinnen finden sich in allen politischen La-
gern, allen gesellschaftlichen Schichten und jeder Al-
tersklasse. Und das nicht erst seit gestern. Der deutsche
Industrielle Adam Opel erkannte bereits im 19. Jahrhun-
dert: „Bei keiner anderen Erfindung ist das Nützliche mit
dem Angenehmen so innig verbunden wie beim Fahr-
rad.“ Die Firma Opel war damals der größte Fahrradher-
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teller Deutschlands. Autos wurden bei Opel erst nach
em Tode des Firmengründers gebaut.
Dass Radfahren etwas Schönes und Angenehmes ist,
as muss ich Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen,
icht näher erläutern. Hier wird jede und jeder seine ei-
enen Erfahrungen gesammelt haben. Doch wie sieht es
un mit dem Nutzen des Radfahrens, und insbesondere
er Fahrradreisen, aus? Ich greife vier Aspekte heraus!
Erstens. Rad fahren ist gesund. Es verbessert die Fit-
ess, hilft gegen Bewegungsmangel und Übergewicht,
tärkt die Muskulatur, die Gelenke und die Atemwege.
s trägt zudem zur Prävention von Herz-Kreislauf-Er-
rankungen und Rückenleiden bei.
Zweitens. Rad fahren schont Klima, Umwelt und
essourcen. Dies gilt beim Fahrradtourismus besonders
ann, wenn auch Hin- und Rückreise mit umweltfreund-
ichen Verkehrsmitteln erfolgen. Weitere Vorteile sind
ie kaum vorhandenen Lärmemissionen sowie der von
ahrrädern beanspruchte geringe Verkehrsraum, der zur
ermeidung von Staus und zur Entspannung der Park-
latzsituation beiträgt. Auch Autofahrer profitieren so-
it vom wachsenden Radverkehr.
Drittens. Der Fahrradtourismus ist ein wichtiger wirt-
chaftlicher Faktor. Er stärkt die heimische, besonders
ie mittelständische Wirtschaft und schafft Arbeits-
lätze. Im Jahr 2005 wurden in Deutschland fast 5 Mil-
ionen Fahrräder verkauft. Der Umsatz des Fahrradhan-
els lag bei über 4 Milliarden Euro. Im Fahrradhandel
ind mehr als 50 000 Menschen in über 6 800 Betrieben
eschäftigt. Im Fahrradtourismus betrug der jährliche
msatz rund 5 Milliarden Euro. Darüber hinaus findet
ahrradtourismus vorwiegend in ländlichen Gebieten
tatt, die dadurch eine Chance auf wirtschaftlichen Auf-
chwung erhalten. In einigen Flächenländem entsteht
ast ein Drittel des tourismusbedingten Umsatzes durch
adfahrer. Vor allem für Hotelbetreiber und Gastwirte
rschließt der zunehmende Fahrradtourismus ein beacht-
iches Gästepotenzial.
Viertens: Rad fahren ist ein demokratisches Vergnü-
en, weil es quer durch alle Altersgruppen und soziale
chichten betrieben wird. Bei den Radurlaubern reicht
ie Bandbreite von jungen, preisbewussten Rucksack-
ouristen über Familien bis zu kaufkräftigen Reisenden,
ie für die höherpreisige Hotellerie und Gastronomie so-
ie die Fahrradhersteller besonders interessante Kundin-
en und Kunden sind.
Die Förderung des Fahrradtourismus erfreut sich
chon seit längerer Zeit einer breiten Zustimmung in die-
em Hause. Das hat sich in den vergangenen Jahren
icht nur in mehreren Anträgen aus den verschiedenen
raktionen niedergeschlagen, sondern vor allem im Jahr
002 auf unsere Initiative hin verabschiedeten Nationa-
en Radverkehrsplan 2002 bis 2012. Dieser hat als erster
asterplan für die Förderung des Radverkehrs auf allen
olitischen Ebenen bereits wichtige Impulse für den
ahrradtourismus gesetzt. Viele der Maßnahmen des
adverkehrsplanes kommen den Pedaltouristen zugute,
llen voran der durch das D-Netz angestoßene Ausbau
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. November 2006 7087
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regionaler und überregionaler Radwege sowie die Weg-
weisung der Routen.
Da viele Maßnahmen zur Förderung des Fahrradur-
laubs in der Verantwortung von Ländern und Kommu-
nen liegen, hat der Bund in erster Linie eine koordinie-
rende Funktion. In vielen Bereichen können wir nur
gemeinsam mit den Ländern und Kommunen Fort-
schritte erzielen oder auf sie einwirken, damit sie aktiv
werden. Die Möglichkeiten, die wir auf Bundesebene
haben, werden wir jedoch noch stärker nutzen. Daran
orientieren sich die Forderungen unseres Antrages. Ich
werde nun auf die Kernpunkte eingehen.
Eine wesentliche Aufgabe sehen wir in der Zusam-
menführung, Bündelung und Abstimmung der Aktivitä-
ten zur Förderung des Fahrradtourismus. Bei einer span-
nenden Konferenz der SPD-Bundestagsfraktion zum
Thema „Mobil in den Urlaub – Mobil am Urlaubsort“, die
in dieser Woche stattfand, war der Fahrradtourismus ein
zentrales Thema. Mir wurde von Vertreterinnen und Ver-
tretern der Radverkehrsverbände bestätigt, dass im Be-
reich der bundesweiten Vereinheitlichung von Fahr-
radrouten und Beschilderung noch große Defizite
bestehen.
Wir schlagen daher zweierlei vor: Erstens. Wir brau-
chen eine länderübergreifende Koordinierungsstelle. Es
soll geprüft werden, ob diese beim Bundesministerium
für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung eingerichtet wer-
den kann. Sie soll sich insbesondere um die Weiterent-
wicklung und Vereinheitlichung der Infrastruktur sowie
um die notwendige Abstimmung zwischen den Bundes-
ministerien und mit Ländern und Kommunen kümmern.
Wir würden dadurch den Überblick über die bestehende
Infrastruktur und bereits erfolgte oder laufende Maßnah-
men verbessern, mehr Transparenz schaffen und auch
den Erfahrungsaustausch zwischen den Ebenen optimie-
ren. Die Etablierung von bundesweit einheitlichen Stan-
dards könnte erleichtert werden.
Nicht alle Maßnahmen zur Förderung des Radtouris-
mus lassen sich jedoch am besten durch eine staatliche
Stelle regeln. Bei der Vermarktung der Angebote setzen
wir daher auf das Know-how, das im Verbandsbereich
bereits besteht und seit Jahren erfolgreich eingesetzt
wird. Als Beispiel nenne ich hier den Katalog „Deutsch-
land per Rad entdecken“, der von der Deutschen Zen-
trale für Tourismus gemeinsam mit dem Allgemeinen
Deutschen Fahrrad-Club, ADFC, herausgegeben wird.
Wir halten deshalb zweitens die Schaffung einer zen-
tralen Vermarktungsstelle des Fahrradtourismus für nö-
tig, die bei einem Verein oder Verband angesiedelt wer-
den könnte. Ziel ist, dass die touristischen Angebote und
das Marketing für den Tourismusstandort Deutschland
verstärkt auf die Bedürfnisse der Fahrradtouristinnen
und -touristen abgestimmt werden.
Diese beiden Forderungen fanden bei unserer Konfe-
renz große Zustimmung, ebenso unser Anliegen, das
Radreiseziel Deutschland, insbesondere auf internatio-
naler Ebene, noch intensiver über nationale Tourismus-
verbände und die Deutsche Zentrale für Tourismus zu
vermarkten. Wichtig ist uns auch eine stärkere Vernet-
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ung und gemeinsame Bewerbung fahrradtouristischer
ngebote mit dem Städte- und Kulturtourismus sowie
assertouristischen Angeboten.
Was nun den Ausbau der Infrastruktur für den Fahr-
adtourismus betrifft, sind wir im Wesentlichen auf die
ktivitäten von Ländern und Kommunen angewiesen.
ie Bundesregierung soll hier jedoch ihre koordinieren-
en Möglichkeiten noch stärker ausschöpfen und darauf
inwirken, dass das D-Netz weiter ausgebaut und ge-
flegt wird. Eine gute Grundlage sind die Empfehlungen
er Studie „Analyse und Perspektiven der Bundesrad-
outen im Rahmen des Nationalen Radverkehrsplanes“.
Die Bundesregierung soll sich weiterhin dafür einset-
en, dass der Ausbau und die einheitliche Ausschilde-
ung von Radwegen vorangetrieben werden, dass die
ualität der touristischen und baulichen Infrastruktur
on bzw. entlang der Radfernrouten regelmäßig geprüft
ird. Fahrradwege in der Nähe von Flüssen und Wasser-
traßen sind besonders beliebt. Deshalb wollen wir, dass
iese Routen neu- beziehungsweise ausgebaut werden.
ierfür stellt der Bund bereits jetzt jährlich 10 Millionen
uro zur Verfügung. Diese Mittel wurden jedoch in der
ergangenheit nur zu einem geringen Teil abgerufen.
as muss sich ändern.
Um eine bessere Ausnutzung zu erreichen, sollen
tädte und Gemeinden deshalb verstärkt auf die Mög-
ichkeit hingewiesen werden, beim Ausbau von Be-
riebswegen an Bundeswasserstraßen Verträge mit den
asser- und Schifffahrtsämtern über die Nutzung und
erkehrssicherungspflicht für den Fahrradverkehr abzu-
chließen. Dem Fahrradverkehr darf kein Cent der zur
erfügung gestellten Mittel verloren gehen. Deshalb ha-
en wir im Haushaltsplan bereits vorgesorgt. Durch eine
egenseitige Übertragbarkeit des Haushaltstitels mit an-
eren Radverkehrstiteln ist jetzt sichergestellt, dass die
elder auf jeden Fall den Radfahrern zugute kommen.
ir setzen uns außerdem dafür ein, dass die vorhande-
en Radwege an Wasserstraßen national und internatio-
al stärker vermarktet werden.
Ein wichtiger Partner für die Stärkung des Fahrradur-
aubs ist die Deutsche Bahn AG. Leider ist die Fahrrad-
itnahme im Fernverkehr immer noch unzureichend, vor
llem im ICE, der auf immer mehr Strecken verkehrt. Die
enutzung von Nahverkehrszügen ist aufgrund der län-
eren Fahrzeiten und des häufigen Umsteigens mit
epäck und Rädern keine wirkliche Alternative. Wir set-
en dennoch weiterhin auf den Dialog mit der Bahn.
chließlich liegt es auch in ihrem eigenen Interesse, die
achsende Zielgruppe der Radurlauber nicht auszugren-
en. Die Erweiterung des Angebotes in den City-Night-
ine- und den DB-Nachtzügen hat ja gezeigt, dass durch
ie Fahrradmitnahme deutliche Zuwächse zu erzielen
ind.
Mit unserem Antrag erfinden wir das Rad nicht neu.
ir zeigen Wege auf, wie wir den Fahrradtourismus-
tandort Deutschland weiter voranbringen und noch er-
olgreicher machen können. Denn, wie der ehemalige
tuttgarter Oberbürgermeister Manfred Rommel so tref-
end sagte: „Es ist auf dem Fahrrad wie in der Wirt-
chaft: Wer sich nicht fortbewegt, fällt um.“
7088 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. November 2006
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Ernst Burgbacher (FDP): Fahrradtourismus ist
ohne Zweifel eine Wachstumsbranche, ein wichtiger
Wirtschaftsfaktor, eine umweltschonende Art der Fort-
bewegung und eine gesundheitsfördernde Urlaubsform.
Dies wird ausführlich im Antrag der Koalitionsfraktio-
nen dargelegt, und soweit stimme ich mit den Antrag-
stellern völlig überein.
Deutschland ist ein beliebtes Radreiseziel. 2005 hat
der Fahrradtourismus erneut zugelegt. 45,4 Prozent aller
Deutschen nutzen das Rad im Urlaub, 14,3 Prozent von
ihnen sogar „häufig“ bis „sehr häufig“. Dies geht aus
den „Zahlen, Daten, Fakten – Tourismus in Deutschland
2005“ vom Deutschen Tourismusverband hervor. 2 Mil-
lionen Deutsche planen in den nächsten drei Jahren laut
„ADFC Radreiseanalyse 2006“ „ziemlich sicher“ min-
destens eine Radreise. Für weitere 3,4 Millionen Deut-
sche kommt ein Fahrradurlaub generell infrage. 89 Pro-
zent der Radurlaube sind Haupturlaubsreisen.
Die touristischen Angebote für Fahrradtourismus ha-
ben sich in den vergangenen Jahren erheblich vergrößert
und verbessert. Gab es im Jahr 1995 lediglich 215 vom
ADFC zertifizierte fahrradfreundliche Beherbergungs-
betriebe „Bett & Bike“, so stieg diese Zahl bis März
2006 auf über 4 238 Betriebe in 2 910 Orten Deutsch-
lands. Allein im letzten Jahr war im Osten Deutschlands
ein Zuwachs von 26 Prozent zu verzeichnen.
Die Branche hat sich auf die gestiegene Nachfrage
nach fahrrad- und radlerfreundlichen Unterkünften und
Angeboten eingerichtet und das größere, vielfältige An-
gebot gewinnt neue, zusätzliche Fahrradtouristen.
Radreiseveranstalter verbuchten im Jahr 2005 zweistel-
lige Zuwachsraten. Auch Busreiseveranstalter, die sich
auf die Bedürfnisse dieser Klientel eingestellt haben, er-
zielten mit speziellen Fahrradanhängern und besonderen
Pauschalangeboten im vergangenen Jahr deutliche Zu-
wachsraten. Durch die Schaffung attraktiver Fahrradan-
gebote können insbesondere in strukturschwachen Ge-
bieten, die sich für diese Urlaubsform besonders
anbieten, Arbeitsplätze geschaffen werden. Der jährliche
Umsatz beim Fahrradtourismus liegt über 5 Milliarden
Euro und kann durch eine bessere Koordinierung des
deutschlandweiten Radfernwegenetzes weiter gesteigert
werden.
Der Antrag der Koalitionsfraktionen ist sicher gut ge-
meint, aber nicht notwendig, um auf die wirtschaftliche
Bedeutung des Fahrradtourismus aufmerksam zu ma-
chen. Konkrete politische Handlungsfelder werden in
dem Antrag nicht aufgezeigt. Es geht vielmehr darum,
die Bundesregierung aufzufordern, Sachverhalte „zu
prüfen“, auf Länder und Kommunen oder auch Touris-
musorganisationen und Verbände „hinzuwirken“ bzw.
„einzuwirken“ oder etwas „nachzufragen“.
Punkt 1 in diesem „Forderungskatalog“ des Antrags
richtet sich auf eine länderübergreifende Koordinie-
rungsstelle beim Bundesministerium für Verkehr, Bau
und Stadtentwicklung. Dies verwundert mich sehr. Denn
gibt es nicht eigens einen Tourismusbeauftragten der
Bundesregierung, der im Bundeswirtschaftsministerium
angesiedelt ist?
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„Aufgabe des Beauftragten wird es sein, die Aktivitä-
en der Bundesregierung im Bereich der Tourismuspolitik
tärker zu koordinieren und konzeptionell auszubauen.“
o heißt es in der Pressemitteilung des Bundeswirt-
chaftsministeriums vom 14. Dezember 2005, mit der be-
annt gegeben wurde, dass Ernst Hinsken zum Touris-
usbeauftragten der Bundesregierung ernannt wurde.
un hat der Tourismusbeauftragte der Bundesregierung
elbst einen Antrag unterzeichnet, in dem gefordert wird,
m Ministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
ine länderübergreifende Koordinierungsstelle mit Blick
uf den Fahrradtourismus einzurichten. Was soll man
avon halten? Die FDP-Bundestagsfraktion setzt sich je-
enfalls entschieden für eine Bündelung der Tourismus-
ompetenzen in der Bundesregierung, konkret im Bun-
eswirtschaftsministerium ein.
In Punkt 7 des Antrags wird die Bundesregierung auf-
efordert, die Realisierungsmöglichkeit einer zentralen
telle für die Vermarktung des Fahrradtourismus zu prü-
en. Vor allem die Deutsche Zentrale für Tourismus wirbt
emeinsam mit dem ADFC sehr erfolgreich für Radrei-
en in Deutschland. Ein Blick auf die Homepage der
ZT illustriert dies. Informationen zu „Bahn & Bike“,
Bett & Bike“, auch Wellness per Rad – um nur einige
tichworte zu nennen – werden informativ präsentiert,
benso Tourenvorschläge und eine Fülle weiterer Tipps
ür den informations- und ratsuchenden Radler. Das er-
olgreichste Marketinginstrument für den deutschen
adtourismus ist laut „ADFC-Radreiseanalyse 2006“ der
emeinsame Katalog „Deutschland per Rad entdecken“,
essen 5. Auflage mit 500 000 deutschen und englischen
xemplaren 140 Radrouten in Deutschland präsentiert
nd in 26 Ländern vertrieben wird.
Für eine „zentrale Fahrradtourismusvermarktungs-
telle“ besteht daher kein Bedarf. Auch unter Wettbe-
erbsgesichtspunkten lehnt die FDP eine solche Zentral-
telle ab.
Ich bin ferner überzeugt, dass Tourismuswirtschaft,
ourismusverantwortliche und auch die Länder und
ommunen das Potenzial des Fahrradtourismus erkannt
aben, und ich bezweifle stark, dass auf DZT und Tou-
ismusverbände seitens der Bundesregierung eingewirkt
erden muss, damit „sie den Gesundheitsaspekt bei der
erbung für den Fahrradtourismus stärker berücksichti-
en“, wie in Punkt 11 des Antrags gefordert. Ich bin der
berzeugung, dass wir den Tourismuswerbern schon
elbst überlassen sollten, wie sie ihre Arbeit machen. Die
eachtlichen Erfolge, die sie vorzuweisen haben, zeigen,
ass sie ihr Handwerk verstehen.
Kurzum, die im Antrag von CDU/CSU und SPD auf-
eführten Forderungen gehen entweder an den falschen
dressaten, da die konkrete politische Umsetzung nicht
m Aufgabenbereich der Bundesregierung liegt, oder
ber in die falsche Richtung. Selbstverständlich gilt es,
en Fahrradtourismus wie auch andere Urlaubsformen
m Interesse des Tourismusstandorts Deutschland poli-
isch zu fördern und zu unterstützen, doch ich sehe nicht,
ass dieser Antrag der Koalitionsfraktionen hierfür das
eeignete Instrument ist.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. November 2006 7089
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(B) )
Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): Mein Wahlkreis – die
Oberlausitz – ist ein Mekka für Radfahrer. Begeisterte
Radfahrerinnen und Radfahrer finden in der Oberlausitz,
zum Beispiel entlang der Neiße, ein sehr gut ausgebautes
und beschildertes Radwegenetz, dazu eine Landschaft
mit ausgedehnten Wäldern, mit stillen Teichen und Seen,
mit Berggipfeln und herrlichen Aussichten, mit sorgsam
restaurierten, Jahrhunderte alten Häusern in stillen Dör-
fern, mit interessanten Städten voller Geschichte.
Die Oberlausitz per Rad entdecken – das neue Güte-
siegel „Oberlausitz per Rad“ garantiert hohe Servicequa-
lität rund ums Rad fahren. Problemlos kann man jeder-
zeit bei allen zertifizierten Partnern Fahrräder mieten
und sie dort oder bei einem anderen Partner wieder abge-
ben. Diese Flexibilität durch den Hol- und Bringservice
bzw. den Gepäcktransfer ist nur einer der zahlreichen
Vorteile, die die Oberlausitz für Urlauber und Freizeit-
radler anbietet. Auf reizvolle Weise lassen sich hier
Freude am Rad fahren, Entspannen in der Natur und
Kennenlernen von Traditionen und Geschichte der Ober-
lausitz verbinden.
Ähnliches lässt sich sicher auch über andere Regio-
nen in Deutschland berichten, denn es gibt inzwischen
viele sehr attraktive Angebote für den Fahrradtourismus.
Den Antrag zur Förderung des Fahrradtourismus hat
sich der Bundestag als letzten Punkt auf die heutige Ta-
gesordnung gesetzt. Statt der geplanten 30 Minuten De-
batte um 2.40 Uhr werden die Reden nicht gehalten, son-
dern zu Protokoll gegeben. Ich nehme an, dass in allen
zu Protokoll gegebenen Reden steht, dass der Fahrrad-
tourismus wichtig, wachsend und förderwürdig ist. Da-
gegen ist nichts einzuwenden. Die Fortbewegung zu Fuß
und mit dem Fahrrad, ob im Alltag oder im Urlaub, ist
gesund und gut für die Umwelt.
Mit der Förderung des Fahrradtourismus befasst sich
der Bundestag nicht zum ersten Mal. 1992 gab es zum
Beispiel einen Antrag der SPD, der dem jetzt vorliegen-
den der Koalitionsfraktionen sehr ähnelt. Da die SPD
nicht in der Regierung war, wurde ihr Antrag zwei Jahre
später abgelehnt. 2003 hat dann die CDU/CSU einen
Antrag zur Förderung des Fahrradtourismus gestellt.
Auch dieser wurde abgelehnt, weil er nicht von einer Re-
gierungsfraktion gestellt wurde. Nun also ein Antrag von
CDU/CSU und SPD gemeinsam. Damit ist diesmal die
Zustimmung zum Antrag gewiss.
Unbestritten ist, dass auf dem Gebiet des Fahrradtou-
rismus und der Entwicklung von Radwegenetzen einiges
in den letzten Jahren passiert ist. Trotzdem kommen wir
bei bestimmten Problemen nicht oder nur sehr langsam
voran. Wenn wir den Fahrradverkehr fördern wollen,
brauchen wir überall Verkehrsschulen, in denen alle Kin-
der rechtzeitig lernen, sich sicher mit dem Fahrrad im
öffentlichen Verkehr zu bewegen. Wenn wir den Fahr-
radverkehr fördern wollen, brauchen wir überall fahrrad-
freundliche Städte und Gemeinden mit entsprechenden
Wegen, Verkehrswegeeinrichtungen und Abstellplätzen.
Mich ärgert, wenn ich immer wieder neue oder erneuerte
Bundes- und Landesstraßen sehe, bei denen wieder der
Radweg „vergessen“ wurde.
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Wenn wir den Fahrradverkehr fördern wollen, brau-
hen wir eine durchgängige barrierefreie Infrastruktur in
en Kommunen.
Wenn wir den Fahrradverkehr fördern wollen, sollten
ir aufhören mit der Privatisierung und Ausdünnung
on Bahnen und anderen öffentlichen Verkehrsträgern
nd -linien. Wenn wir den Fahrradverkehr fördern wol-
en, sollten barrierefreie Bahnhöfe überall Pflicht wer-
en und nicht erst ab einer willkürlich festgelegten Zahl
on ein- bzw. aussteigenden Fahrgästen.
Wenn wir den Fahrradverkehr im Alltag fördern, för-
ern wir auch den Fahrradtourismus. Wir sollten aber
icht nur den Radverkehr, sondern auch die Fortbewe-
ung zu Fuß, mit Rollstühlen oder dem Skateboard im
lick haben. Notwendig ist auch ein Mehr an gegenseiti-
er Rücksichtnahme und an Sicherheit im Straßenver-
ehr. Sie kennen das Problem des Radfahrers im toten
inkel des Autofahrers, zugeparkte Radwege, aber auch
robleme mit Radfahrern, die die Straßenverkehrsord-
ung nicht kennen oder kennen wollen.
Vielen der im Antrag aufgeführten Punkte kann die
raktion Die Linke zustimmen. Über manche Punkte
erden wir in den Ausschüssen noch einmal diskutieren
üssen, damit es nicht bei zahnlosen Appellen in Rich-
ung Länder und Kommunen sowie Bahn und touristi-
chen Einrichtungen bleibt.
Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
ünf Jahre nach Vorlage des unter Rot-Grün aufgelegten
ationalen Radverkehrsplans 2002 bis 2012 zur Förde-
ung des Radverkehrs hat die große Koalition es ge-
chafft, sich zum ersten Mal parlamentarisch initiativ
it dem Fahrradverkehr zu beschäftigen. Glückwunsch!
Der Nationale Radverkehrsplans ist nächstes Jahr
ünf Jahre in Kraft. Es wäre an der Zeit, Bilanz zu ziehen
nd Konzepte zur Förderung des Fahrradverkehrs vorzu-
egen. Stattdessen legt die große Koalition einen Antrag
or, der Bekanntes und Richtiges aus dem Nationalen
adverkehrsplan zitiert und an die Bundesregierung ge-
ichtete Forderungen enthält, die im Kern zwar alle nicht
alsch, aber in ihrer Unverbindlichkeit nicht mehr zu
berbieten sind. Von den 13 Punkten, zu denen der Bun-
estag die Bundesregierung auffordern soll, sind zwei
rüfaufträge und neun Aufforderungen an die Bundes-
egierung, einzuwirken oder hinzuwirken. Es soll auch
rgriffen und vorangebracht werden. Bei der bundes-
igenen DB soll sogar nur nachgefragt werden.
Den Feststellungen und den Aufforderungen können
ir problemlos zustimmen. Ob es dem Fahrradverkehr
ilft, wenn dieser Antrag einmal hier beschlossen wird,
age ich zu bezweifeln.
Der Antrag ist gegenüber dem bisherigen Diskus-
ionsstand in Sachen Fahrradverkehrsförderung sogar
in Rückschritt, wenn man ehrlich ist. Sie machen aus
inem nachgewiesenermaßen vollwertigen Verkehrsmit-
el – das Fahrrad hat einen Anteil am Verkehrsaufkom-
en wie der öffentliche Personenverkehr – ein Freizeit-
nd Tourismusvehikel.
7090 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. November 2006
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Dort, wo weitgehend gesellschaftlicher Konsens be-
steht, nämlich beim Fahrradtourismus, machen Sie einen
schönen Antrag. Dort, wo es ans Eingemachte geht,
nämlich bei der Alltagsnutzung des Fahrrads, kneifen
Sie. Ich gebe zu, dass man die Straßenbaulastträger in
den Kommunen nicht aus Ihrer Verantwortung, mehr für
den Fahrradverkehr zu tun, entlassen soll. Den Ord-
nungsrahmen bestimmt aber zum großen Teil der Bund.
Straßenverkehrs-Ordnung, Richtlinien und Verwaltungs-
vorschriften sind nicht fahrradverkehrsgerecht.
Lassen Sie mich an einem Beispiel aus dem Forde-
rungskatalog illustrieren, wie wenig hilfreich Ihr Antrag
ist: Das noch bundeseigene Unternehmen Deutsche
Bahn AG wird, wenn das dritte Eisenbahnpaket umge-
setzt sein wird, auf internationalen Strecken Fahrräder
mitnehmen müssen. Da führt doch eine Aufforderung an
die Bundesregierung, die DB zu fragen, ob und unter
welchen Voraussetzungen eine Steigerung der Fahrrad-
beförderung insbesondere im Fernverkehr erreicht wer-
den kann, vorsichtig ausgedrückt, in die Irre.
Es reicht nicht, sich auf dem Gebiet des Fahrradtou-
rismus zu sonnen. Das Fahrrad ist nach Veröffentlichun-
gen aus Ihren eigenen Häusern das einzige Verkehrsmit-
tel mit dem Ihre eingegangenen CO2-Reduzierungsziele
im Verkehrsbereich erreicht werden können. Da tut sich
aber nichts bei der großen Koalition.
Vielleicht erlauben Sie mir noch eine Anmerkung
zum Ende meiner Rede: Wenn den Kollegen von der
großen Koalition der Fahrradverkehr so wichtig ist, soll-
ten Sie Ihre Anträge in Zukunft etwas früher veröffentli-
chen.
70. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 30. November 2006
Inhalt:
Redetext
Anlagen zum Stenografischen Bericht
Anlage 1
Anlage 2
Anlage 3
Anlage 4
Anlage 5
Anlage 6
Anlage 7
Anlage 8
Anlage 9
Anlage 10
Anlage 11
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