1) Anlage 17
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006 6253
        (A) )
        (B) )
        schweig ist eingebettet in ein breites Spektrum
        blieren. Insofern nehme ich Bezug auf die Ausführungen
        mit laufender Nr. 10 des Entschließungsantrages (Bio-
        masse Forschungszentrum). Das bereits erfolgreich ar-
        beitende Biomasse-Forschungszentrum der FAL Braun-
        Pofalla, Ronald CDU/CSU 09.11.2006
        Raidel, Hans CDU/CSU 09.11.2006
        Anlage 1
        Liste der entschuldigt
        *
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        Abgeordnete(r)
        entschuldigt bis
        einschließlich
        Andreae, Kerstin BÜNDNIS 90/
        DIE GRÜNEN
        09.11.2006
        Annen, Niels SPD 09.11.2006
        Dr. Bartsch, Dietmar DIE LINKE 09.11.2006
        Blumentritt, Volker SPD 09.11.2006
        Caspers-Merk, Marion SPD 09.11.2006
        Eymer (Lübeck), Anke CDU/CSU 09.11.2006
        Friedhoff, Paul K. FDP 09.11.2006
        Dr. Gerhardt, Wolfgang FDP 09.11.2006
        Gleicke, Iris SPD 09.11.2006
        Goldmann, Hans-
        Michael
        FDP 09.11.2006
        Granold, Ute CDU/CSU 09.11.2006
        Griese, Kerstin SPD 09.11.2006
        Gröhe, Hermann CDU/CSU 09.11.2006
        Grosse-Brömer,
        Michael
        CDU/CSU 09.11.2006
        Hill, Hans-Kurt DIE LINKE 09.11.2006
        Hoppe, Thilo BÜNDNIS 90/
        DIE GRÜNEN
        09.11.2006
        Leutert, Michael DIE LINKE 09.11.2006
        Löning, Markus FDP 09.11.2006
        Merten, Ulrike SPD 09.11.2006
        Montag, Jerzy BÜNDNIS 90/
        DIE GRÜNEN
        09.11.2006
        Müller (Düsseldorf),
        Michael
        SPD 09.11.2006
        Paula, Heinz SPD 09.11.2006
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        Anlagen zum Stenografischen Bericht
        en Abgeordneten
        für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver-
        sammlung des Europarates
        nlage 2
        Erklärung nach § 31 GO
        des Abgeordneten Carsten Müller (Braun-
        schweig) (CDU/CSU) zu der Abstimmung über
        den Entschließungsantrag der Fraktionen der
        CDU/CSU und der SPD zu der Unterrichtung
        durch die Bundesregierung: Jahresbericht der
        Bundesregierung zum Stand der deutschen Ein-
        heit 2005 (Tagesordnungspunkt 3 d)
        Hiermit erkläre ich, dass ich dem Entschließungsan-
        rag der Koalitionsfraktionen im Grundsatz zustimme.
        ch lege jedoch großen Wert auf die Feststellung, dass
        ch ausdrücklich nicht die Auffassung teile, dass es zur
        örderung der deutschen Einheit sinnvoll ist, bereits de
        acto bestehende, erfolgreiche Einrichtungen in den ehe-
        aligen innerdeutschen Grenzgebieten auf westlicher
        eite aufzulösen und in den neuen Bundesländern zu eta-
        iester, Walter SPD 09.11.2006*
        öspel, René SPD 09.11.2006
        ohde, Jörg FDP 09.11.2006
        r. Schui, Herbert DIE LINKE 09.11.2006
        r. Stinner, Rainer FDP 09.11.2006
        hönnes, Franz SPD 09.11.2006
        einberg, Marcus CDU/CSU 09.11.2006
        eißgerber, Gunter SPD 09.11.2006
        ellenreuther, Ingo CDU/CSU 09.11.2006
        olff (Wolmirstedt),
        Waltraud
        SPD 09.11.2006
        apf, Uta SPD 09.11.2006
        ypries, Brigitte SPD 09.11.2006
        bgeordnete(r)
        entschuldigt bis
        einschließlich
        6254 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006
        (A) )
        (B) )
        landwirtschaftlicher Forschungsbereiche, die nahtlos in-
        einander übergehen und so auch wichtige Synergieef-
        fekte freisetzen. Es ist also sachlich richtig, dass dieses
        Forschungszentrum in Braunschweig angesiedelt ist.
        Angesichts der knappen öffentlichen Finanzen wäre es
        richtiger, eine bestehende Einrichtung wie die FAL in
        Braunschweig zu verstärken, anstatt in den neuen Län-
        dern neu anzufangen. Im Rahmen der Wirtschaftsförde-
        rung hat der Bund gerade Vorsorge getroffen, um ver-
        gleichbare Vorgänge zu verhindern.
        Anlage 3
        Erklärungen nach § 31 GO
        zu der Abstimmung über den Entwurf eines Ge-
        setzes zur Änderung kraftfahrzeugsteuerlicher
        Vorschriften auch hinsichtlich der Wohnmobil-
        besteuerung (Tagesordnungspunkt 15)
        Gabriele Groneberg (SPD): Ich stimme dem durch
        Änderungsanträge veränderten Gesetzentwurf des Bun-
        desrates zur Besteuerung von Wohnmobilen zu, um eine
        noch höhere Steuerbelastung von Bürgerinnen und Bür-
        gern durch die Bundesländer zu verhindern.
        Die angestrebten Ziele der SPD, keine bzw. eine auf-
        kommensneutrale Regelung zu erreichen, konnten durch
        die Unnachgiebigkeit der Länderseite, die allein von der
        Erhöhung profitiert, nicht erreicht werden.
        Jetzt kann nur noch dafür Sorge getragen werden,
        dass nicht 70 Millionen Euro Einnahmen bei den Län-
        dern zu verzeichnen sein werden, sondern 50 Millionen
        Euro.
        Mit unserer Zustimmung verhindern wir somit eine
        höhere Belastung der Betroffenen.
        Roland Claus (DIE LINKE): Ich lehne den vom
        Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurf ab.
        Ich bin selbst seit vielen Jahren Camper (Caravan),
        treffe bei meinen sommerlichen Reisen viele Familien,
        die mit ihren Wohnmobilen unterwegs sind, und weiß,
        wie viel Geld und Arbeitszeit in den Wohnmobilen
        steckt und wie viele Reiseerlebnisse und Reiseträume
        mit ihnen verbunden sind. Wohnmobile sind in vielen
        Fällen die einzige größere Anschaffung der jeweiligen
        Nutzerinnen und Nutzer. Sie stellen daher keineswegs
        Luxusgüter dar.
        Das im Gesetzentwurf vorgesehene Verfahren zielt in
        eine Richtung, die zu einer aus meiner Sicht nicht ge-
        rechtfertigten Belastung der Nutzerinnen und Nutzer der
        Wohnmobile führt. Es wird mit diesem Verfahren in un-
        gerechtfertigter Weise eine Gruppe von Bürgerinnen und
        Bürgern zu Umweltsündenböcken gemacht, deren tat-
        sächliche „Sünden“ unendlich viel kleiner sind als zum
        Beispiel die der Flugzeug- und der Flugreisenindustrie.
        Die ziehen aus der Nichtbesteuerung von Flugbenzin,
        die ihnen einen ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteil
        verschafft und sowohl aus ökologischer wie auch aus
        volkswirtschaftlicher Sicht untragbar ist, kräftige Ge-
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        inne. Es ist falsch, die dort zugelassenen Steuereinnah-
        enverluste ausgerechnet durch die Wohnmobilnutzer
        usgleichen lassen zu wollen.
        Ich freue mich, dass sich – obwohl sie nicht zu den
        ampern gehören – meiner hier vorgetragenen Erklä-
        ung aus meiner Fraktion anschließen: die Parlamentari-
        che Geschäftsführerin Dr. Dagmar Enkelmann, die
        aushaltspolitische Sprecherin Dr. Gesine Lötzsch und
        er tourismuspolitische Sprecher Dr. Ilja Seifert.
        nlage 4
        Erklärung nach § 31 GO
        der Abgeordneten Annette Faße, Renate
        Gradistinac, Reinhold Hemker, Gabriele Hiller-
        Ohm, Brundhilde Irber und Engelbert Wistuba
        (alle SPD) zur Abstimmung über den Entwurf
        eines Gesetzes zur Änderung kraftfahr-
        zeugsteuerlicher Vorschriften auch hinsichtlich
        der Wohnmobilbesteuerung (Tagesordnungs-
        punkt 15)
        Wir stimmen dem durch Änderungsanträge veränder-
        en Gesetzentwurf des Bundesrates zur Besteuerung von
        ohnmobilen zu, um eine noch höhere Steuerbelastung
        on Bürgerinnen und Bürgern durch die Bundesländer
        u verhindern.
        Die angestrebten Ziele der SPD, keine bzw. eine auf-
        ommensneutrale Regelung zu erreichen, konnten durch
        ie Unnachgiebigkeit der Länderseite, die allein von der
        rhöhung profitiert, nicht erreicht werden.
        Jetzt kann nur noch dafür Sorge getragen werden,
        ass nicht 70 Millionen Euro Einnahmen bei den Län-
        ern zu verzeichnen sein werden, sondern 50 Millionen
        uro. Mit unserer Zustimmung verhindern wir somit
        ine höhere Belastung der Betroffenen.
        nlage 5
        Erklärung nach § 31 GO
        der Abgeordneten Klaus Brähmig, Helmut
        Brandt, Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof), Uda
        Carmen Freia Heller, Ingbert Liebing, Marlene
        Mortler, Bernward Müller (Gera), Anita
        Schäfer (Saalstadt), Wilhelm Josef Sebastian
        und Kurt Segner (alle CDU/CSU) zur Abstim-
        mung über den Entwurf eines Gesetzes zur Än-
        derung kraftfahrzeugsteuerlicher Vorschriften
        auch hinsichtlich der Wohnmobilbesteuerung
        (Tagesordnungspunkt 15)
        Wir stimmen dem durch Änderungsanträge veränder-
        en Gesetzentwurf des Bundesrates zur Besteuerung von
        ohnmobilen zu, um eine noch höhere Steuerbelastung
        on Bürgerinnen und Bürgern durch die Bundesländer
        u verhindern.
        Das angestrebte Ziel der CDU/CSU, möglichst eine
        ufkommensneutrale Regelung zu erreichen, konnte
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006 6255
        (A) )
        (B) )
        durch die Unnachgiebigkeit der Länderseite, die allein
        von der Erhöhung profitiert, nicht erreicht werden.
        Jetzt kann nur noch dafür Sorge getragen werden,
        dass nicht 70 Millionen Euro Einnahmen bei den Län-
        dern zu verzeichnen sein werden, sondern 50 Millionen
        Euro.
        Das rückwirkende Inkrafttreten zum 1. Januar 2006
        ist zwar problematisch, doch würde eine Ablehnung des
        veränderten Gesetzentwurfs zu der ursprünglich geplan-
        ten noch höheren Besteuerung für das Jahr 2006 führen.
        Mit unserer Zustimmung verhindern wir somit eine
        noch höhere Belastung der Betroffenen.
        Anlage 6
        Erklärung nach § 31 GO
        der Abgeordneten Dr. Matthias Miersch,
        Christoph Pries, Gerd Bollmann, Petra
        Bierwirth, Marco Bülow, Marko Mühlstein,
        Martin Burkert, Dirk Becker, Detlef Müller
        (Chemnitz), Frank Schwabe und Heinz Schmitt
        (Landau) (alle SPD) zu den Abstimmungen
        über
        – den Entwurf eines Gesetzes über die Öffent-
        lichkeitsbeteiligung in Umweltangelegenhei-
        ten nach der EG-Richtlinie 2003/35/EG (Öf-
        fentlichkeitsbeteiligungsgesetz)
        – den Entwurf eines Gesetzes über ergänzende
        Vorschriften zu Rechtsbehelfen in Um-
        weltangelegenheiten nach der EG-Richtlinie
        2003/35/EG (Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz)
        – den Entwurf eines Gesetzes zu dem Überein-
        kommen vom 25. Juni 1998 über den Zu-
        gang zu Informationen, die Öffentlichkeits-
        beteiligung an Entscheidungsverfahren und
        den Zugang zu Gerichten in Umweltangele-
        genheiten (Aarhus-Übereinkommen)
        (Tagesordnungspunkt 17 a bis c)
        Das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz, das Öffentlich-
        keitsbeteiligungsgesetz und das Aarhus-Übereinkom-
        men-Gesetz stellen wichtige Änderungen im bisherigen
        Umweltrecht dar, die zu mehr Transparenz und – durch
        die Einführung der Verbandsklage im Umweltrecht – zu
        verbessertem Rechtsschutz führen werden.
        Allerdings bezweifeln die Unterzeichner, dass das
        Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz in der vorliegenden Fas-
        sung den Vorgaben gerecht wird, die durch das Aarhus-
        Übereinkommen vom 25. Juni 1998 und durch die EU-
        Richtlinie 2003/35/EG bestehen. So wird vor allem die
        Beschränkung des Verbandsklagerechts auf subjektiv-öf-
        fentliche Rechte auch in der juristischen Fachliteratur
        kontrovers diskutiert. Die Unterzeichner sind der Auf-
        fassung, dass die europarechtlichen Ziele, wonach der
        betroffenen Öffentlichkeit ein weiter Zugang zu den Ge-
        richten gewährt werden soll, nur durch ein unbeschränk-
        tes Verbandsklagerecht umgesetzt werden können. Nur
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        uf diesem Weg werden die Verbände die Interessen der
        llgemeinheit vertreten können, die sich zum Beispiel
        m Klimaschutz, im Naturschutz oder im Gewässer-
        chutz ergeben und die gerade nicht nur auf individuelle
        echte einzelner Bürgerinnen und Bürger abzielen.
        Angesichts des anhängigen Vertragsverletzungsver-
        ahrens und des Diskussionsstandes zwischen Bundesre-
        ierung, Bundesrat und Bundestag ist jedoch eine Be-
        chlussfassung in der bisherigen Fassung unumgänglich.
        Die Unterzeichner gehen jedoch davon aus, dass die
        uropäische Rechtsentwicklung ihre Fortsetzung auch
        m innerstaatlichen Recht finden wird. Es ist zu hoffen,
        ass sich die Einsicht durchsetzt, wonach ein Mehr an
        ransparenz und an gerichtlicher Kontrolle zu Fehler-
        ermeidung und größerer Akzeptanz führen werden. In
        iesem Zusammenhang wird auch überprüft werden
        üssen, ob eine bessere Beteiligung der Öffentlichkeit
        m Rahmen des Öffentlichkeitsbeteiligungsgesetzes
        urch die Nutzung von Internet oder Tageszeitungen zu
        rzielen ist oder durch die verbindliche Nutzung beider
        edien.
        nlage 7
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Antrags: Fairen Wettbewerb
        in der Entsorgungswirtschaft ermöglichen –
        Steuerprivilegien öffentlich-rechtlicher Unter-
        nehmen abschaffen (Tagesordnungspunkt 16)
        Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU): Die FDP
        pricht heute ein Thema an, das insbesondere vor Ort, in
        en Kommunen wohlbekannt ist. Es geht nicht allein um
        ie konkrete Forderung der FDP, die Steuern zu erhöhen
        nd zukünftig die öffentlich-rechtlichen Unternehmen,
        ie die Abwasserentsorgung durchführen, als Betriebe
        ewerblicher Art einzustufen mit allen ertrags- und um-
        atzsteuerlichen Konsequenzen. Es geht hier auch um
        ie verfassungsrechtlich abgesicherten und seit Jahr-
        ehnten in der Praxis bewährten Selbstverwaltungs-
        echte der Städte und Gemeinden. Deshalb erfordert die
        ielschichtige Problematik einer möglichen Besteuerung
        er Abwasser- und Abfallentsorgung eine differenzierte
        useinandersetzung.
        Auch wir denken, dass überprüft werden sollte, ob ju-
        istische Personen des öffentlichen Rechts im Bereich
        er Abwasser- und Abfallentsorgung im Hinblick auf die
        örperschaftsteuer, Gewerbesteuer und Umsatzsteuer zu
        echt befreit sind oder ob ungerechtfertigte Wettbe-
        erbsvorteile gegenüber privaten Wettbewerbern vor-
        anden sind bzw. Vorteile vorhanden sind, die eine
        rivatisierung öffentlicher Leistungen überhaupt verhin-
        ern. Nun hat der Koalitionsvertrag festgehalten – ich zi-
        iere: „Die Kommunen sollen auch in Zukunft eigenstän-
        ig über die Organisation der Wasserversorgung wie
        uch der Abfall- und Abwasserentsorgung entscheiden
        önnen. Das Steuerprivileg für die Abwasser- und Ab-
        allentsorgung soll erhalten bleiben.“ Damit könnten wir
        igentlich den Tagungsordnungspunkt wegen abschlie-
        ender Übereinstimmung in den Koalitionsparteien be-
        nden.
        6256 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006
        (A) )
        (B) )
        Dieser Koalitionsbeschluss deckt sich mit den Be-
        schlüssen der Ständigen Konferenz der Innenminister
        und -senatoren der Länder sowie den Beschlüssen der
        kommunalen Spitzenverbände. Denn in dem derzeitigen
        Rechtssystem wird die Behandlung der Entsorgung als
        hoheitliche Aufgabe verstanden. Es geht folglich nicht
        nur um eine steuersystematische Frage. Wir müssen uns
        mit sämtlichen Rahmenbedingungen auseinander setzen.
        Hier müssten Bundes- und Landesgesetzgeber für die
        Abwasserbeseitigung ein durchgehendes System dahin
        gehend schaffen, dass kommunale Pflichtaufgaben zu-
        künftig auf private Unternehmen vollständig übertragen
        werden können. Dies wäre vergleichbar mit der Aus-
        gangssituation im Bereich der Energie- und Wasserver-
        sorgung. Damit werden eine Fülle verfassungsrechtli-
        cher, fachgesetzlicher, kartellrechtlicher, steuerlicher,
        finanzwirtschaftlicher und organisatorischer Fragestel-
        lungen angesprochen. Denn aus Sicht der Gemeinde
        muss im Ergebnis folgendes klar sein: Ein privatwirt-
        schaftliches Unternehmen, das einen Auftrag zur Durch-
        führung von Abwasser- und Abfallaufgaben hat, müsste
        dafür auch haftbar gemacht werden. Die Haftung kann
        dann nicht bei der Gemeinde verbleiben.
        Heute ist zum Beispiel die Aufgabe der Abfallentsor-
        gung als Pflichtaufgabe den öffentlich-rechtlichen Ent-
        sorgungsträgern übertragen. Dies hat zur Folge, dass
        sich diese Entsorgungsträger nicht ihrer Verantwortung
        zur ordnungsgemäßen Durchführung der Abfallentsor-
        gung entziehen können. Sie müssen die erforderlichen
        Einrichtungen und Anlagen vorhalten und die Funkti-
        onstüchtigkeit jederzeit sicherstellen. Deshalb mag man
        die steuerliche Privilegierung von öffentlich-rechtlichen
        Unternehmen aus Wettbewerbsgründen sicherlich hin-
        terfragen. Auf dem hochsensiblen Bereich der Daseins-
        vorsorge sind jedoch Schnellschüsse, wie von der FDP
        offensichtlich ins Auge gefasst, nicht angezeigt. Hier be-
        darf es einer maßvollen Annährung.
        Für die meisten Bürger wird eine Frage von besonde-
        rem Interesse sein: Wird die Überführung hoheitlicher
        Tätigkeiten in den privatwirtschaftlichen Bereich durch
        die dann einsetzende Besteuerung höhere Gebühren ver-
        ursachen und damit für den Bürger teurer? Zwar können
        die steuerlichen Auswirkungen im Einzelfall zum Bei-
        spiel durch die Zusammenfassung von Ver- und Entsor-
        gungseinrichtungen und damit verbundenen Synergieef-
        fekten reduziert werden. Die bisherigen Untersuchungen
        haben jedoch ergeben – auch wenn sie von der FDP
        bezweifelt werden – dass sich zum Beispiel die Abwas-
        serentsorgung für die Bürger verteuern wird, wenn sie
        steuerlich als Betrieb gewerblicher Art behandelt wird.
        Die Bundesregierung hält in ihrem Bericht zur Mo-
        dernisierungsstrategie für die deutsche Wasserwirtschaft
        und für ein stärkeres internationales Engagement der
        deutschen Wasserwirtschaft vom 16. März 2006 fest,
        dass eine Steuerpflicht im Bereich der Abwasserentsor-
        gung ohne Mehrbelastung des Verbrauchers und der ge-
        werblichen Wirtschaft nicht möglich ist. Ebenso ist eine
        Anwendung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes auf die
        Abwasserentsorgung nach der 6. EG-Richtlinie nicht
        möglich. Auch das dort näher untersuchte Optionsmo-
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        ell, wonach die Gebietskörperschaft als Träger des Ab-
        asserentsorgungsgebiets für einen begrenzten Zeitraum
        on zum Beispiel drei bis fünf Jahren auf die Besteue-
        ung verzichten kann, soll das Problem etwaiger Mehr-
        elastungen nicht befriedigend lösen. Es ist daher zu-
        indest zum jetzigen Zeitpunkt sinnvoll, dass die
        ommunen auch in Zukunft selbstständig über die Orga-
        isationsform der Betriebe der Abfallwirtschaft und Ab-
        asserentsorgung entscheiden können.
        Nun hat insbesondere der Bundesrechnungshof gefor-
        ert, die Umsatzbesteuerung der öffentlichen Hand
        rundsätzlich zu überdenken und das nationale Steuer-
        echt an die EU-rechtlichen Vorgaben anzupassen; denn
        ie öffentliche Hand trete in ein Konkurrenzverhältnis
        it der Privatwirtschaft und damit sei es aus Gründen
        er Wettbewerbsgleichheit geboten, der öffentlichen
        and keine steuerlichen Vorteile einzuräumen. Lediglich
        estimmte hoheitliche Kernbereiche der öffentlichen
        and, die einen Wettbewerb mit privaten Unternehmen
        usschließen, dürften der Besteuerung entzogen bleiben.
        Veränderungen diesbezüglich haben sich in den letz-
        en Jahren im Bereich der Abfallentsorgung ergeben,
        nsbesondere als Folge des Kreislaufwirtschafts- und
        bfallgesetzes. Dieses Gesetz hat die Abfallwirtschaft
        ür den Markt geöffnet, auch wenn immer noch die An-
        ienungs- und Überlassungspflichten spezieller Abfälle
        estehen. Hier wird deutlich, dass die öffentliche Hand
        ie Abfallentsorgung zur Daseinsvorsorge zählt und sie
        ür sich in Anspruch nimmt.
        Gerade im Bereich der Abwasserbeseitigung befindet
        ich das größte Know-how im Besitz der Städte und Ge-
        einden, die in der Vergangenheit nahezu ausschließlich
        iese Aufgabe in der Bundesrepublik Deutschland wahr-
        enommen haben. Auch die Rechtsprechung des BFH
        at die Abwasserbeseitigung dem hoheitlichen Bereich
        iner Gemeinde zugeordnet. Und unterschätzen Sie bitte
        icht dieses Thema vor Ort in unseren Kommunen. Ne-
        en der Entsorgungssicherheit achten die Bürger insbe-
        ondere auf die Kosten bzw. Gebührenbelastungen.
        enn Sie als FDP zukünftig die Entsorgungseinrichtun-
        en der Steuerpflicht unterwerfen wollen, um privaten
        etreibern eine größere Chancengleichheit gegenüber
        er öffentlichen Hand einzuräumen, muss schon der
        onkrete Beweis erbracht werden, dass Entsorgungssi-
        herheit gewährleistet ist und sich auch zusätzliche fi-
        anzielle Vorteile für die Bürger ergeben. Allein ord-
        ungspolitische Gesichtspunkte werden hier nicht
        usreichen.
        Wir erwarten einen größeren Einfluss durch die EU-
        echtsprechung. Ein Urteil zur mangelnden Umsatzbe-
        teuerung von Einrichtungen des öffentlichen Rechts mit
        inweis auf Wettbewerbsverzerrungen kann in ihrer
        rundsatzwirkung insbesondere auch für die umsatz-
        teuerliche Behandlung der Abwasserentsorgung und
        er Abfallentsorgung Wirkung entfalten.
        Wir werden im Finanzausschuss die Einzelheiten be-
        prechen. Steuersystematisch werden folgende Fragen
        on Bedeutung sein: Inwiefern kommt bei einer Umsatz-
        teuerpflicht ein Vorsteuerabzug für bereits getätigte In-
        estitionen in Betracht? Und: Ist eine Billigkeitsregelung
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006 6257
        (A) )
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        möglich, die bei einem Übergang in die Steuerpflicht
        eine nachträgliche Inanspruchnahme des Vorsteuerab-
        zugs ermöglicht? Im oben genannten Bericht der Bun-
        desregierung zur Modernisierungsstrategie wird dies
        verneint.
        Es geht bei diesem Thema also um mehr als eine
        Frage der Steuersystematik. Eine Bund-Länder-Arbeits-
        gruppe arbeitet seit langem an Lösungsvorschlägen.
        Eine einfache Lösung mit einer Steuererhöhung für die
        öffentlich-rechtlichen Unternehmen wird es sicherlich
        nicht geben.
        Lydia Westrich (SPD): Im Koalitionsvertrag haben
        CDU/CSU und SPD vereinbart, dass die Kommunen
        auch in Zukunft eigenständig über die Organisation der
        Wasserversorgung wie auch der Abfall- und Abwasser-
        entsorgung entscheiden können sollen. Dabei soll auch
        das Steuerprivileg für die Abwasser- und Abfallentsor-
        gung beibehalten werden. Das ist, wie alles im Koali-
        tionsvertrag, eine wohl durchdachte Passage, die sich auf
        die bisherige gute Praxis in diesem Bereich gründet. Die
        Abwasserentsorgung ist zentraler Bestandteil der kom-
        munalen Daseinsvorsorge, eingebettet im Recht auf
        kommunale Selbstverwaltung.
        Ich weiß aus meinen eigenen Erfahrungen in kommu-
        nalen Ämtern, dass die Kommunen ihre Sache gut ma-
        chen. Sie erbringen die Abwasserbeseitigung flächende-
        ckend in wirklich hoher Qualität. Dabei sind die Preise
        moderat und flexibel.
        Ich entscheide Jahr für Jahr in meinem Gemeinderat
        über die Abwasserpreise. Wir können sofort reagieren
        auf Einsparungen, niedrigere Ausschreibungen und wie
        letztes Jahr zum Beispiel die niedrigeren Kosten sofort
        an die Verbraucher weitergeben, ohne auf die Gewinn-
        erwartungen von Aktionären Rücksicht nehmen zu müs-
        sen.
        Ich bin ein bißchen erschüttert über den felsenfesten
        Glauben der Kolleginnen und Kollegen aus der FDP-
        Fraktion über die Wirkungen des freien Marktes auf al-
        len Ebenen und in allen Bereichen. Inzwischen gibt es
        mindestens ebenso viele Beispiele, dass Privatisierung
        weder zu Minimierung der Kosten noch zur Versor-
        gungssicherheit beiträgt, wie Sie positive Beispiele in
        Ihrem Antrag anführen. Ich brauche nur an die liberali-
        sierte Energieversorgung und die jüngsten Ereignisse
        dazu erinnern. An die Diskussion über hohe Gewinne
        und veraltete Netze oder Strommasten bei gleichzeitig
        hohen Gebühren. Dabei behaupte ich keineswegs, dass
        staatliche Betriebe alles besser könnten, sondern erwarte
        nur eine differenzierte Betrachtung, auch von Ihnen.
        Aber hier zeigt sich eine Betonhaltung, die einer libera-
        len und sich einen modernen Anstrich gebenden Partei
        wie der FDP eigentlich nicht angemessen ist.
        Sie brauchen nur ihre wenigen, aber sicher kompeten-
        ten Kommunalpolitiker zu fragen. Ich habe mit meinen
        FDP-Kollegen im Gemeinderat gesprochen. Die halten
        nichts von Ihrem Antrag. Diese, Ihre Parteifreunde, ken-
        nen und begleiten unsere effektive Abwasserentsorgung
        vor Ort, die beträchtliche Synergieeffekte und Rationali-
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        ierungsreserven in unserer Selbstverwaltung beinhaltet
        ie die gemeinsame Verwaltung, die koordinierte Auf-
        abenerfüllung, die gute Kapitalausstattung und die er-
        eichterte günstige Kapitalbeschaffung. Dazu kommen
        ie gründlichen örtlichen Kenntnisse und die Ausnut-
        ung der regionalen Potenziale in vielfältiger Art, sei es
        ie Zusammenarbeit mit der Landwirtschaft oder mit der
        achhochschule und Forschungsinstituten, die zum Bei-
        piel ein Biomassenkraftwerk konzipierten. Die erhebli-
        hen Kosten senkenden Rationalisierungseffekte kom-
        en unmittelbar den Verbrauchern zugute.
        Ich habe die Beschreibung unseres Abwasserwerkes
        irekt aus Ihrem Antrag übernommen. Allerdings waren
        ei Ihnen wohl eher die privaten Unternehmen gemeint.
        atürlich trifft das auch dort zu. Die Betonung liegt aber
        uf dem „auch“. Seltsam ist nur, dass Sie mit der Forde-
        ung nach Liberalisierung gleichzeitig auch die Forde-
        ung nach Steuergeschenken erheben wie den ermäßig-
        en Mehrwertsteuersatz für das Abwasser zu erhalten,
        nalog wie es ihn für das Lebensmittel Wasser gibt.
        Sie reden von wettbewerblicher Ungleichbehandlung
        nd stellen dann die These auf, dass – ich zitiere aus Ih-
        em Antrag – „die Privatwirtschaft gegenüber der Kom-
        unalwirtschaft derartige hohe Kostensenkungsmög-
        ichkeiten sieht, dass die Frage der Besteuerung für die
        ebührenhöhe nur von untergeordneter Bedeutung sein
        ürde.“ Für was ist sie dann von Bedeutung, dass Sie ihr
        inen ganzen Antrag widmen? Denn im nächsten Satz
        erlangen Sie wieder staatliche Hilfe durch die Abschaf-
        ung der Abwasserabgabe, die dem Umweltschutz und
        er Kontrolle der Gewässerreinheit dient und sowieso
        ur in entsprechenden Fällen erhoben wird.
        Können es denn die privaten Unternehmen nun besser
        der soll der Staat Aufgaben, die er gut gemacht hat,
        uslagern, mit Steuergeschenken versehen natürlich,
        hne die Sicherheit, dass die Verbraucher im Endeffekt
        avon profitieren? Erst neulich habe ich im Fernsehen
        inen Bericht über die privatisierte Wasserversorgung im
        tuttgarter Raum gesehen. Mit den gleichen Begründun-
        en wie in Ihrem Antrag: Mit dem Versprechen von
        ynergie- und Rationalisierungseffekten und günstiger
        erbraucherpreise haben die Betreiber die Wasserversor-
        ung übernommen. Nur der Wasserpreis hat sich keines-
        egs verbilligt, beim Verbraucher ist nichts angekom-
        en und die Investitionen werden ebenfalls nicht im
        rforderlichen Maße vorgenommen. Das Urteil im Fern-
        ehbericht war: Hier hat sich Privatisierung nicht ge-
        ohnt.
        Die Städte und Gemeinden sind gesetzlich dazu ver-
        flichtet, die Abwasserbeseitigung für die Bürger dauer-
        aft zu gewährleisten, egal wo und egal wie die land-
        chaftlichen Gegebenheiten sind. Ich weiß, was das
        eißt, wenn Leitungen bergauf, bergab gelegt werden
        üssen, wenn Aussiedlerhöfe und kleinste Ortschaften
        n das Netz angeschlossen werden müssen, Schilfkläran-
        agen, Pumpstationen und anderes installiert werden.
        as kann kostengünstig für die Verbraucher eigentlich
        ur durch Unternehmen erledigt werden, die wie unsere
        ommunen keine Gewinnerzielungsabsicht verfolgen.
        ie haben die Entsorgungssicherheit zu gewährleisten
        6258 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006
        (A) )
        (B) )
        für alle, und deshalb ist das Steuerprivileg für diese Auf-
        gaben zu Recht im Koalitionsvertrag festgeschrieben.
        Sie berufen sich in Ihrem Antrag auf einen Bericht
        des Bundesrechnungshofes aus 2004, der die Wettbe-
        werbsneutralität aus umsatzsteuerlicher Sicht anmahnt.
        Ich habe in den letzten Jahren bis zur kürzlichen An-
        hörung zum Jahressteuergesetz miterlebt, wie ungeniert
        die Kollegen und Kolleginnen aus der Fraktion Anmer-
        kungen des Bundesrechnungshofes beiseite schieben
        können, wenn es zum Beispiel um Umsatzsteuermiss-
        brauchsbekämpfung geht, wenn es sich um die Siche-
        rung von Staatseinnahmen, oft in Milliardenhöhe, dreht.
        Hier, wenn es Ihnen in den Kram passt, nehmen Sie den
        Rechnungshof als Kronzeugen. Aber Sie wissen, oder
        auch nicht, dass es schon längst eine Bund-Länder-Ar-
        beitsgruppe gibt, die aus Vertretern der Bereiche Körper-
        schaftsteuer und Umsatzsteuer besteht und ein Gesamt-
        konzept zur künftigen Besteuerung der öffentlichen
        Hand erarbeitet.
        Die Koalition nimmt den Bundesrechnungshof eben
        in allen Fragen ernst. Es hat keinen Sinn immer wieder
        Stückwerk zu produzieren. Das ist doch für uns alle eine
        Gesamtaufgabe, der Sie, Kolleginnen und Kollegen von
        der FDP Ihre Arbeitskraft besser widmen könnten, als
        von Selbstverpflichtungen von Unternehmen zu räsonie-
        ren, deren Einhaltung Sie den Verbrauchern überhaupt
        nicht garantieren können. Sie führen in Ihrem Antrag
        selbst schon weitere mögliche Betätigungsfelder wie
        Abfallwirtschaft und Stadtreinigung an. Sie wissen, dass
        bei Ihren weitreichenden Forderungen ohne die Länder
        gar nichts geht.
        Also warten wir den Bescheid der Bund-Länder-Ar-
        beitsgruppe ab. Er wird auch eine Prüfung der europa-
        rechtlichen Zulässigkeit des geltenden Rechts sowie ei-
        nen internationalen Vergleich bei der Besteuerung der
        wirtschaftlichen Aktivitäten der öffentlichen Hand ent-
        halten. Auf dieser fundierten Grundlage wird die Koali-
        tion nach Lösungsmöglichkeiten suchen, wenn wir sie
        denn brauchen. Auch die FDP-Fraktion brauchte keinen
        sich selbst widersprechenden Antrag vorzulegen, son-
        dern kann dann bei ihren Forderungen auf eine ausführli-
        che Datenbasis zurückgreifen. Ihren jetzigen Antrag leh-
        nen wir ab. Er kostet den Steuerzahler mindestens
        350 Millionen Euro und bietet für den Verbraucher kei-
        nerlei Sicherheit auf niedrigere Gebühren und flächende-
        ckende Versorgung.
        Horst Meierhofer (FPD): Wasserversorgung und
        Abwasserentsorgung sind besonders sensible Wirt-
        schaftsbereiche. Trinkwasser ist das Lebensmittel und
        damit schutzbedürftig. Für Wasserversorgung und Ab-
        wasserentsorgung müssen deshalb besonders anspruchs-
        volle Qualitätsstandards gelten. In Deutschland sind
        diese Standards vorbildlich. Qualitative europäische
        Vorgaben werden sogar über die Maßen eingehalten. An
        all dem wollen wir natürlich auch für die Zukunft nichts
        ändern.
        Vergleichbare Qualitätsstandards wie bei uns gibt es
        in Holland und in Österreich. Dennoch sind die Abwas-
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        ergebühren in diesen Ländern deutlich niedriger. Der
        rund für die in Deutschland besonders hohe Kostenbe-
        astung der Wasserverbraucher muss also an anderer
        telle liegen.
        Wasserversorgung und Abwasserentsorgung werden
        n Deutschland ungleich behandelt. Die Wasserversor-
        ung ist – unabhängig von der Rechtsform des jeweili-
        en Unternehmens – eine wirtschaftliche Tätigkeit. Ob-
        ohl sie der sensibelste Bereich der Wasserwirtschaft
        st, zählt sie nicht mehr zu den Hoheitsaufgaben der
        ommunen. Die Folge: Die Wasserversorgung ist stets
        örperschafts-, gewerbe- und umsatzsteuerpflichtig,
        enn auch zum reduzierten Satz.
        Dagegen gehört die Abwasserentsorgung zu den ho-
        eitlichen Aufgaben der Gemeinden. Die Besteuerung
        m Abwasserbereich richtet sich deshalb nach der jewei-
        igen Organisationsform des Unternehmens: Öffentlich-
        echtliche Unternehmen unterliegen nicht der Gewerbe-
        nd Körperschaftsteuerpflicht. Privatrechtliche Kapital-
        esellschaften entrichten sowohl Gewerbe- als auch
        örperschaftsteuer. Gleiches gilt für die Umsatzsteuer:
        rivatrechtliche Unternehmen müssen auf ihre Leistun-
        en den vollen Umsatzsteuersatz erheben – auch wenn
        ie vollständig in öffentlicher Hand stehen. Öffentlich-
        echtlich organisierte Betriebe sind dazu nicht verpflich-
        et.
        Den gleichen Wirrwarr gibt es übrigens auch in der
        bfallwirtschaft. Eine steuerliche Bevorzugung öffent-
        ich-rechtlicher Organisationsformen findet hier insbe-
        ondere bei der Entsorgung von Abfällen gewerblicher
        etriebe und von Sonderabfällen statt. Man muss sich
        irklich fragen, ob diese steuerliche Ungleichbehand-
        ung in der Entsorgungswirtschaft gerechtfertigt ist. Ich
        eine, fairer Wettbewerb sieht anders aus. Das Steuer-
        echt darf Unternehmen verschiedener Rechtsformen
        icht unterschiedlich behandeln, wenn diese zueinander
        n Konkurrenz treten können. Die jetzige Regelung führt
        ber zu einer deutlich höheren steuerlichen Belastung
        er Privatunternehmen und damit zu einem Wettbe-
        erbsnachteil, der sich national und international aus-
        irkt.
        Hinzu kommt, dass die Nichtbesteuerung der öffent-
        ich-rechtlichen Entsorger europarechtlich – um es vor-
        ichtig auszudrücken – sehr bedenklich ist. Im Gemein-
        chaftsrecht gilt für die Umsatzbesteuerung der
        rundsatz der Wettbewerbsneutralität. Das bedeutet: Be-
        ätigt sich die öffentliche Hand wirtschaftlich und tritt
        ie damit in Konkurrenz zur Privatwirtschaft, dürfen ihr
        eine steuerlichen Vorteile eingeräumt werden. Diesen
        nforderungen muss auch das deutsche Steuerrecht ge-
        ügen. Aus diesem Grund hat übrigens der Bundesver-
        and der Deutschen Entsorgungswirtschaft bereits im
        ommer eine Beschwerde bei der EU-Kommission ein-
        ereicht.
        Der Antrag der FDP-Bundestagsfraktion zielt deshalb
        arauf ab, die Abwasserentsorgung und die Trinkwasser-
        ersorgung steuerlich gleich zu behandeln. Vor allem
        ber fordern wir die Schaffung einer Rechtslage, nach
        er alle Abwasserentsorger – gleich welcher Rechtsform –
        ewerbe-, körperschaft- und umsatzsteuerpflichtig wer-
        en. Gleiches muss natürlich für die Abfallwirtschaft
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006 6259
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        gelten. Schließlich sind faire Wettbewerbsbedingungen
        für eine funktionierende Marktwirtschaft unerlässlich.
        Dass die steuerliche Gleichbehandlung zwangsläufig
        zu steigenden Abwassergebühren für die Bürgerinnen
        und Bürger in unserem Land führt, stimmt so pauschal
        nicht. Die Gründe, die dagegen sprechen haben, wir in
        unserem Antrag ausführlich erläutert.
        Noch einmal herausheben möchte ich folgende
        Punkte: Zum einen ist die steuerliche Belastung der Ab-
        wasserentsorger in Europa fast nirgendwo so niedrig wie
        in Deutschland – aber kaum irgendwo ist die Abwasser-
        entsorgung so teuer wie bei uns. Der Grund, weshalb pri-
        vate Haushalte in Deutschland so hohe Abwassergebüh-
        ren zahlen müssen, kann also nicht in der Besteuerung
        liegen. Dafür gibt es andere Gründe und dies ist vor al-
        lem der fehlende Wettbewerb. Zum anderen belegen
        zahlreiche Beispielsfälle in Deutschland, dass sich pri-
        vate Unternehmen in Ausschreibungswettbewerben ge-
        gen öffentlich-rechtlich organisierte Mitbewerber durch-
        gesetzt haben. Die momentan bestehende einseitige
        steuerliche Begünstigung kommunaler Entsorgungsbe-
        triebe hat dem Verbraucher bislang nichts gebracht. Sie
        kommt beim Verbraucher nicht an. Darüber hinaus kön-
        nen Industrie- und Gewebekunden kommunaler Entsor-
        gungsunternehmen nach der momentanen Rechtslage
        keinen Vorsteuerabzug vornehmen. Daraus ergibt sich
        für diese Kunden ein massiver Standortnachteil. Nach
        Aussage des BDE haben einzelne Städte wie Magde-
        burg, Chemnitz und Leipzig dieses Problem erkannt und
        ihren kommunalen Betrieb als GmbH organisiert, der die
        Umsatzsteuer ausweist.
        Allen Argumenten zum Trotz soll nach dem Willen
        der großen Koalition das Steuerprivileg öffentlich-recht-
        licher Entsorger beibehalten werden. In Ihrem Koali-
        tionsvertrag haben Sie die Bewahrung der kommunalen
        Hoheit über die Wasserwirtschaft vereinbart. Sie haben
        diese sogar noch über die Vereinbarung Ihrer Vorgänger-
        regierung ausdrücklich auf den Bereich der Abwasser-
        entsorgung ausgedehnt. Und dabei hat der Wirtschaftsrat
        der CDU noch im Mai 2005 ausdrücklich die „Gleich-
        stellung von Wasserversorgung und Abwasserbeseiti-
        gung bei der Umsatzsteuer – unabhängig ob in kommu-
        naler oder privater Trägerschaft“ – ausdrücklich
        gefordert. Hinzu kommt die von der Bundesregierung
        für das kommende Jahr beschlossene allgemeine Erhö-
        hung der Umsatzsteuer um drei Prozentpunkte. Diese
        wird die Folgen der steuerlichen Ungleichbehandlung
        noch weiter verschärfen.
        Für uns von der FDP-Bundestagsfraktion besteht
        deshalb Handlungsbedarf. Die zitierte Vereinbarung im
        Koalitionsvertrag ist ökologisch unbegründet, ökono-
        misch widersinnig und europarechtlich bedenklich. Ich
        fordere die große Koalition deshalb auf: Ermöglichen
        Sie einen fairen Wettbewerb in der Entsorgungswirt-
        schaft und schaffen Sie die Steuerprivilegien der öffent-
        lich-rechtlichen Unternehmen ab.
        Dr. Axel Troost (DIE LINKE): Das Schöne an Ihrer
        Partei ist ja, dass sie in der Steuerpolitik eigentlich eine
        relativ simple Programmatik vertritt, nämlich Steuern
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        unter, Steuern runter und noch einmal Steuern runter.
        eute aber legen Sie uns – ganz im Gegensatz zur Steu-
        rn-runter-Programmatik – einen Antrag vor, in dem Sie
        teuern rauf fordern und damit höhere Kosten für Ab-
        asser und Abfall für die Bürgerinnen und Bürgern.
        Es verwundert schon, wenn die Partei der Steuersen-
        er und Besserverdiener den Bürgerinnen und Bürgern
        uf einmal Steuererhöhungen zumutet. Da muss es Ihnen
        a schon um etwas sehr Wichtiges gehen. Und in der Tat:
        s geht um nicht weniger als darum, flächendeckende
        rivatisierungen im Abwasserbereich zu ermöglichen.
        azu sagt die Fraktion Die Linke klar Nein.
        Bislang müssen Kunden von öffentlich-rechtlichen
        bwasserentsorgern keine Umsatzsteuer zahlen. Steuer-
        ystematisch ist das durchaus plausibel. Die Abwasser-
        ntsorgung ist eine hoheitliche Aufgabe der Daseinsvor-
        orge. Mir leuchtet nicht ein, warum Bürger und
        ürgerinnen für eine hoheitliche Aufgabe Umsatzsteuer
        ahlen sollen. Schließlich gelten Kommunen und nicht
        ürger und Bürgerinnen in diesem Fall als letzte Kun-
        en. Eine nachvollziehbare Logik, die kommunale
        elbstverwaltung und Daseinsvorsorge auch steuerlich
        eflektiert und nicht als Wirtschaftsunternehmen be-
        rachtet.
        Diese Regelung wird nun zum Problem für diejeni-
        en, die diesen Bereich der Daseinsvorsorge privatisie-
        en wollen. Privatrechtlich organisierte Anbieter müssen
        hren Kunden nämlich schon heute die Umsatzsteuer be-
        echnen. Völlig richtig stellt der Bundesverband der
        eutschen Entsorgungswirtschaft fest: Die Abschaffung
        ieser Regel ist der Schlüssel für weitere Privatisierun-
        en der Abwasserwirtschaft. Erst wenn auch öffentlich-
        echtliche Entsorger Mehrwertsteuer berechnen müssen,
        önnen Private auf breiter Front mit ihnen konkurrieren.
        ie Fraktion Die Linke sagt dazu aber: Weil Abwasser-
        ntsorgung eine hoheitliche Aufgabe der Daseinsvor-
        orge ist, darf Ziel nicht die Gewinnmaximierung priva-
        er Konzerne sein. Nein, Ziel muss die sichere und
        mweltschonende Abwasserentsorgung sein.
        Natürlich, es gibt sie, die Fälle von Missmanagement
        nd Fehlinvestitionen in der öffentlich-rechtlichen Ab-
        asserentsorgung. Das sage ich ganz deutlich. Ich sage
        ber auch: Missmanagement und Fehlinvestitionen gibt
        s genauso bei privaten Unternehmen. Und ich sage: Wir
        rauchen einen direkten demokratischen Einfluss auf die
        nbieter. Was mit dem Abwasser passiert, sollen Kom-
        unalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker vor Ort
        ntscheiden können und nicht die Chefetagen der großen
        ersorgungsunternehmen.
        Deswegen sagt die Fraktion Die Linke klar Nein zu
        em Antrag der FDP. Wir sagen klar Nein zu einem An-
        tieg der Kosten für Abwasser. Wir sagen deutlich – zu-
        ammen mit vielen Bürgerinitiativen – Ja zu einer moder-
        en Entsorgungswirtschaft, in der öffentlich-rechtliche
        on-Profit-Anbieter eine zentrale Rolle spielen.
        Matthias Berninger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
        ie Grünen sind für einen fairen Wettbewerb auf den
        inzelnen Märkten. Diesbezügliche marode Strukturen
        6260 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006
        (A) )
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        in Deutschland basieren häufig auf der Tatsache, dass es
        zu wenig Wettbewerb zwischen kommunalen Unterneh-
        men untereinander sowie zwischen kommunalen und
        privatrechtlichen Betrieben gibt. Nun haben wir in der
        Vergangenheit häufig schlechte Erfahrungen mit Privati-
        sierungen in unserem Land gemacht. Deshalb muss das
        Bekenntnis zu mehr Markt und Wettbewerb durch einen
        staatlichen Ordnungsrahmen untermauert werden, der
        dafür sorgt, dass Arbeitnehmerrechte gewährleistet blei-
        ben, Verbraucherinnen und Verbraucher nicht benachtei-
        ligt werden und soziale Gerechtigkeit nicht hinter den
        Interessen einzelner Unternehmen zurückfällt. Dem
        Staat kommt daher die Verantwortung zu, die Rahmen-
        bedingungen der Märkte durch klare Regelsetzungen zu
        definieren.
        Ein fairer Wettbewerb ist aber leider de facto wie in
        so vielen anderen Bereichen, in denen Steuerprivilegien
        nur den öffentlich-rechtlichen Unternehmen zugute
        kommen, auch bei der Entsorgungswirtschaft bisher
        nicht gewährleistet. So unterscheiden sich beispiels-
        weise die steuerlichen Rahmenbedingungen von Trink-
        wasser und Abwasser gravierend: Während für die
        Wasserversorgung ein einheitlicher ermäßigter Umsatz-
        steuersatz von 7 Prozent gilt, hängt die steuerliche Be-
        handlung der Abwasserentsorgung von der jeweiligen
        Organisationsform ab. Die Abwasserentsorgung für öf-
        fentlich-rechtliche Betriebe ist steuerfrei. Wird sie je-
        doch von privaten Unternehmen erbracht, gilt der volle
        Umsatzsteuersatz von 16 Prozent. Bei der Abfallwirt-
        schaft sieht die Sachlage genauso aus. Auch hier werden
        öffentlich-rechtliche Organisationen steuerlich bevor-
        zugt, insbesondere bei der Entsorgung von Abfällen aus
        gewerblichen Betrieben und Sondermüll. Die Koalition
        möchte diese wettbewerbsfeindliche Ungleichbehand-
        lung verstetigen und hat daher die Beibehaltung dieses
        Steuerprivilegs in ihre Koalitionsvereinbarung geschrie-
        ben. Für uns eine klare Absage an fairen Wettbewerb
        und freie Marktwirtschaft in unserem Land.
        Dabei sind die wirtschaftlichen Konsequenzen dieser
        Ungleichbehandlung immens und nicht von der Hand zu
        weisen. Die entstehenden Wettbewerbsnachteile für die
        Privatunternehmen wirken sich sowohl national als auch
        international aus. Insbesondere unsere mittelständischen
        Unternehmen ziehen hier den Kürzeren, wie das fol-
        gende Beispiel zeigt: Beteiligt ein öffentlich-rechtlicher
        Entsorger ein umsatzsteuerpflichtiges privates Unterneh-
        men an der Abwasserentsorgung, wird Umsatzsteuer fäl-
        lig. Diese schlägt sich zwar in den öffentlich eingefor-
        derten Gebühren nieder, wird aber im kommunalen
        Gebührenbescheid nicht ausgewiesen. Für die mittel-
        ständischen Unternehmen heißt das ganz platt: ohne
        Ausweis der Umsatzsteuer keine Möglichkeit zum Vor-
        steuerabzug!
        Wir sind der Meinung, dass die steuerlichen Rahmen-
        bedingungen für private und öffentliche Entsorger im
        Abwasser- und Abfallbereich endlich vereinheitlicht
        werden müssen. Das würde zu mehr Effizienz, Wettbe-
        werbsgleichheit und zu einer einheitlichen Reduzierung
        der steuerlichen Gesamtbelastung führen. Die steuerli-
        che Gleichbehandlung hätte darüber hinaus den Vorteil,
        dass beispielsweise eine Zusammenführung von Wasser-
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        nd Abwasserentsorgung wesentlich vereinfacht würde.
        ie daraus resultierenden Synergieeffekte und Effizienz-
        ewinne sowohl in technischer als auch in betriebswirt-
        chaftlicher Hinsicht würden zur Schließung der regio-
        alen Wasserkreisläufe beitragen und letztlich zu einem
        ebührenrückgang führen.
        Im Übrigen bildet Deutschland neben Irland hier wie-
        er einmal eine unrühmliche Ausnahme innerhalb der
        U. Denn in allen anderen Mitgliedstaaten werden
        rinkwasser- und Abwasserentsorgung mittlerweile
        teuerlich gleich behandelt. Nun wird als Argument für
        en Erhalt des Status quo in Deutschland ja immer wie-
        er gerne darauf verwiesen, dass eine steuerliche Gleich-
        ehandlung verschiedener Organisationsformen zu ei-
        er Erhöhung der Gebühren auf dem Entsorgungsmarkt
        ühren würde – ein Argument, das nicht stichhaltig ist,
        enn wir uns vor Augen führen, dass gerade Deutsch-
        and im europäischen Vergleich besonders hohe Abwas-
        ergebühren hat.
        Wir fordern deshalb die Regierung auf, die steuerli-
        hen Ungleichbehandlungen auf dem Entsorgungsmarkt
        mgehend zu beseitigen und im Sinne der Verbrauche-
        innen und Verbraucher für einen fairen und gerechten
        ettbewerb zu sorgen!
        nlage 8
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung:
        – Entwurf eines Gesetzes über die Öffentlich-
        keitsbeteiligung in Umweltangelegenheiten
        nach der EG-Richtlinie 2003/35/EG (Öffent-
        lichkeitsbeteiligungsgesetz)
        – Entwurf eines Gesetzes über ergänzende
        Vorschriften zu Rechtsbehelfen in Um-
        weltangelegenheiten nach der EG-Richtlinie
        2003/35/EG (Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz)
        – Entwurf eines Gesetzes zu dem Übereinkom-
        men vom 25. Juni 1998 über den Zugang zu
        Informationen, die Öffentlichkeitsbeteili-
        gung an Entscheidungsverfahren und den
        Zugang zu Gerichten in Umweltangelegen-
        heiten (Aarhus-Übereinkommen)
        (Tagesordnungspunkt 17 a bis c)
        Andreas Jung (Konstanz) (CDU/CSU): Wir werden
        eute endlich die Ratifizierung und die Umsetzung des
        arhusübereinkommens in deutsches Recht beschließen.
        ch sage „endlich“, weil das Übereinkommen im Jahr
        998 beschlossen wurde und seitdem acht Jahre vergan-
        en sind. Wir sind damit die Letzten in Europa. Sieben
        ahre davon ist überhaupt nichts passiert, nichts wurde
        mgesetzt. Es waren die sieben Jahre eines grünen
        mweltministers – dieser Hinweis sei an dieser Stelle
        rlaubt.
        Bevor ich zu speziellen Punkten komme, möchte ich
        inige grundsätzliche Anmerkungen machen. Die Um-
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006 6261
        (A) )
        (B) )
        setzung von „Aarhus“ in verbindliches deutsches Recht
        mit dem Öffentlichkeitsbeteiligungsgesetz und dem Um-
        welt-Rechtsbehelfsgesetz bedeutet einen ganz erhebli-
        chen Fortschritt für die Mitwirkung der Bürgerinnen und
        Bürger in Umweltfragen. Im Verfahrensrecht gehen wir
        den bedeutenden Schritt von einer bloßen Anhörung der
        Bürger zur Bürgerbeteiligung. Wir verpflichten die Be-
        hörden, im Vorfeld einer Entscheidung detailliert über
        das infrage stehende Vorhaben zu informieren, die Ein-
        wände aus der Bürgerschaft aufzunehmen und in die
        Entscheidung einfließen zu lassen. Das alles bedeutet
        mehr Transparenz. Und mehr Transparenz wird zu mehr
        Akzeptanz führen und damit zu weniger gerichtlichen
        Verfahren.
        Was diese Verfahren nun angeht, möchte ich auf eine
        Sache hinweisen: Es wir künftig zusätzliche Klagemög-
        lichkeiten geben. Neben den Bürgerinnen und Bürgern
        wird im Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz auch den im Um-
        welt- und Naturschutz engagierten Verbänden eine Kla-
        gebefugnis zuerkannt, nicht so weitgehend wie diese es
        sich gewünscht hätten. Aber unbestritten ist: Aus Sicht
        der Verbände ist das ein Fortschritt gegenüber dem Sta-
        tus quo.
        Deshalb – wenn jetzt Kritik vonseiten der Fraktion der
        Grünen kommt – rate ich Ihnen, diese Kritik nicht zu
        übertreiben und unser Gesetz nicht an dem zu messen,
        was Sie als Wunschvorstellungen haben, sondern an dem,
        was Sie selbst in sieben Jahren umgesetzt haben. Das ist
        nun einmal nicht zu bestreiten: Die große Koalition hat in
        einem Jahr mehr gemacht als Rot-Grün in sieben Jahren.
        Während nun einerseits an diesem Punkt in der ersten Le-
        sung der Gesetze kritisiert wurde, es würde zu wenig ge-
        macht, ist andererseits – insbesondere von der FDP – ge-
        sagt worden, wir würden zu viel machen, würden über die
        angestrebte Eins-zu-eins-Umsetzung hinausgehen. Wir
        haben angekündigt, diese Einwände genauso wie die Stel-
        lungnahme des Bundesrats ergebnisoffen zu prüfen, und
        die jetzt eingebrachten Änderungsanträge der Koalition
        sind auch Ausdruck dessen und die fast ausnahmslose Zu-
        stimmung der FDP zu diesen Anträgen Beleg hierfür.
        Einen Punkt möchte ich dabei besonders herausgrei-
        fen: die Änderung von § 4 Abs. 1 des Rechtsbehelfsge-
        setzes gegenüber der ursprünglichen Fassung. Diese
        hätte nach unserer Auffassung die Gefahr mit sich ge-
        bracht, dass auch solche Verfahrensfehler zur Aufhe-
        bung von Entscheidungen geführt hätten, die für den In-
        halt der Entscheidung ohne jeglichen Belang gewesen
        sind. Damit hätten wichtige Investitionsvorhaben wegen
        formaler, nicht maßgeblicher Fragen über Jahre verhin-
        dert werden können. Dies kann niemand wollen, der für
        eine Stärkung des Wirtschaftstandortes Deutschland ar-
        beitet. Aus diesem Grund haben wir nun einen Vorschlag
        des Bundesrates aufgegriffen und die Vorschrift so ge-
        fasst, dass eine Aufhebung der Entscheidung auf evi-
        dente Fälle von Verfahrensverstößen begrenzt wird. Im
        Ergebnis wird der Umweltschutz damit nicht ge-
        schwächt, den inhaltlichen Belangen wird voll Rech-
        nung getragen, Förmelei wird aber verhindert.
        Eine engagierte Diskussion haben wir über die in § 10
        Abs. 3 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes enthaltene
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        eröffentlichungspflicht in den letzten Tagen geführt.
        abei stand die Frage im Mittelpunkt, ob mit der Lösung
        es Gesetzentwurfes, nach dem die Veröffentlichung der
        lanungen eines Vorhabens im amtlichen Veröffentli-
        hungsblatt und außerdem in örtlichen Tageszeitungen
        orgesehen war, größtmögliche Transparenz zu errei-
        hen ist oder durch den Weg, den der Änderungsantrag
        eht, nach dem zusätzlich zur Veröffentlichung im
        mtsblatt alternativ die Veröffentlichung in der Zeitung
        der der Weg über eine Bekanntmachung per Internet
        ewählt werden kann.
        Niemand, auch keine der Fraktionen dieses Hauses,
        at sich dafür ausgesprochen – jedenfalls sind mir keine
        ntsprechenden Anträge bekannt –, die Veröffentli-
        hung müsse über alle drei Wege – Amtsblatt, Zeitung
        nd Internet – erfolgen. Damit bleibt die Frage: Wie er-
        eichen wir mehr Personen: Amtsblatt plus Zeitung oder
        mtsblatt plus Zeitung oder Internet, also im Ergebnis
        ann möglicherweise nur Amtsblatt plus Internet? Es ist
        u fragen: Können wir mehr Menschen ansprechen,
        enn wir das Amtsblatt durch das Internet ergänzen, das
        inen schnellen, unkomplizierten Zugriff ermöglicht, an-
        ere Personen erreicht, andererseits aber natürlich auch
        uf den Personenkreis der Internetnutzer beschränkt ist
        nd damit auch wieder nicht alle Bürgerinnen und Bür-
        er erreichen kann?
        Wir haben letztlich folgenden Weg gewählt: Wir be-
        chließen den Änderungsantrag, wollen die Entschei-
        ung für das Amtsblatt plus alternativ Zeitung oder In-
        ernet aber als Modellversuch verstanden wissen, der
        eitlich begrenzt ist. Wir haben die Bundesregierung
        ufgefordert, in spätestens einem Jahr einen Erfahrungs-
        ericht vorzulegen. Auf dessen Grundlage werden wir
        ann neu entscheiden, welches der beste Weg ist.
        Ich weiß, wir sind in manchen Punkten nicht einig.
        ber ich wünsche mir, dass zumindest in einem Konsens
        esteht: darin, dass die heutige Entscheidung einen Fort-
        chritt für die Bürgerbeteiligung in Umweltfragen in
        eutschland bedeutet.
        Dr. Matthias Miersch (SPD): Für das deutsche Um-
        eltrecht ist das heute schon ein bedeutender Tag. Erst-
        als führen wir in diesem Umfang die Verbandsklage im
        mweltrecht ein. Erstmals haben wir einen fest normier-
        en Anspruch auf Aufhebung einer Entscheidung über
        ie Zulässigkeit eines Vorhabens, wenn wesentliche Ver-
        ahrensvorschriften verletzt worden sind.
        Die unterschiedlichen Stellungnahmen der Verbände
        nd die unterschiedlichen Stellungnahmen von Bundes-
        egierung und Bundesrat machen deutlich, dass die Ge-
        etze hoch umstritten gewesen sind. Auch in diesem
        aus gab es Stimmen, die die Regelungen als zu weitge-
        end betrachten. Lassen Sie mich deshalb ganz deutlich
        agen: Wir begrüßen die Ausweitung des Verbandskla-
        erechts der Umweltverbände und die Ausweitung der
        eteiligungsrechte der Öffentlichkeit. Sie stellen wich-
        ige Schritte in Richtung größerer Transparenz und Kon-
        rolle dar. Mehr Transparenz und Kontrolle wird zu mehr
        ehlervermeidung und damit zu mehr Akzeptanz führen.
        6262 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006
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        In diesem Zusammenhang möchte ich gleichzeitig be-
        tonen, dass mehr Kontrolle und größere Transparenz
        nicht zu längeren Verfahren führen müssen. Vielmehr
        können Konfliktpunkte unter Umständen frühzeitig ge-
        klärt werden. Darüber hinaus ist es weiter eine Heraus-
        forderung – vor allem auch der Länder –, durch eine ent-
        sprechende Organisation der Kontrollebenen zügige
        Entscheidungen zu erreichen.
        Ich möchte an dieser Stelle aber auch nicht ver-
        schweigen, dass wir uns für ein generelles Verbandskla-
        gerecht der Umweltverbände eingesetzt haben und er-
        hebliche europarechtliche Zweifel haben, wie zum
        Beispiel auch der Sachverständigenrat für Umweltfra-
        gen. Das europäische Recht sieht gerade auch vor, die
        Rechte der Allgemeinheit im Klima-, Natur- und Gewäs-
        serschutz durch die Verbände überprüfen lassen zu kön-
        nen. Es wird von einem „weiten Zugang“ der „betroffe-
        nen Öffentlichkeit“ zu den Gerichten gesprochen. Bei
        den von mir angesprochenen Rechten der Allgemeinheit
        und damit der „betroffenen Öffentlichkeit“ geht es ge-
        rade nicht nur um individuelle Rechte einzelner Bürge-
        rinnen und Bürger.
        Bekannt ist jedoch auch, dass angesichts des anhängi-
        gen Verletzungsverfahrens und des Diskussionsstandes
        zwischen Bundesregierung, Bundesrat und Bundestag
        eine Beschlussfassung in der bisherigen Fassung unum-
        gänglich ist und andernfalls nicht hinzunehmende Nach-
        teile drohen. Dennoch möchte ich darauf hinweisen, dass
        wir SPD-Umweltpolitiker in diesem Zusammenhang
        eine Erklärung nach § 31 GO abgeben werden.
        Noch ein weiterer Punkt, der bis zuletzt kräftig disku-
        tiert worden ist: Der Bundesrat hat durchgesetzt, dass im
        Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung eine Bekanntma-
        chung lediglich in einer Tageszeitung oder im Internet
        erfolgen müsse – neben dem amtlichen Mitteilungsblatt.
        Ich habe bereits im Ausschuss darauf hingewiesen, dass
        das Internet sicher Chancen bietet, die eine Tageszeitung
        nicht erfüllt – zum Beispiel einen weiteren Verteilungs-
        raum. Allerdings sind wir noch nicht so weit. Wenn wir
        eine breite Öffentlichkeitsbeteiligung erreichen wollen,
        können wir auf die Tageszeitungen nicht verzichten, so
        dass wir uns eine Veröffentlichung im Internet und in
        den Tageszeitungen gewünscht hätten. Leider war das
        nicht durchsetzbar. Vielleicht gelingt es ja noch, diesen
        – aus unserer Sicht – bestehenden Mangel demnächst
        auf elegante Weise zu heilen, ohne dass wir die Verzöge-
        rung der Gesetzesvorhaben riskieren.
        Lassen Sie mich abschließend betonen, dass wir nach
        unserer Auffassung mit den vorliegenden Gesetzen
        durchaus einen beachtlichen Wechsel im Umweltrecht
        einleiten. Ich bin überzeugt, dass gerade auch der Geist
        von Åarhus noch weitere Bereiche erfassen wird und
        dass wir in Zukunft eine Entwicklung haben werden, die
        – gerade auch auf europäischer Ebene – für mehr Trans-
        parenz und mehr Kontrolle sorgen wird. Ich wünsche
        mir, dass wir bei einer entsprechenden Organisation und
        Ausstattung der Instanzen dann zu dem Ergebnis kom-
        men, dass dieser Geist von Åarhus schließlich auch zu
        mehr Akzeptanz und Fehlervermeidung führen wird, da-
        mit die Rechte der Allgemeinheit und auch die der nach-
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        olgenden Generationen wirklich gewahrt werden kön-
        en. Nicht umsonst nannte UN-Generalsekretär Kofi
        nnan das Åarhus-Übereinkommen als „das ehrgei-
        igste von den Vereinten Nationen gestartete Projekt für
        kologische Demokratie“.
        Horst Meierhofer (FDP): In diesem Herbst hat die
        arhus-Konvention auch die Bundespolitik erreicht. Die
        arhus-Konvention steht für Transparenz und Bürger-
        ähe bei umweltrelevanten Entscheidungen – und das in
        inem internationalen Rahmen.
        Das Öffentlichkeitsbeteiligungsgesetz stärkt die Mit-
        irkungsrechte der Bürger und der Umweltschutzverei-
        igungen bei umweltrelevanten Genehmigungs- und
        ulassungsverfahren. So wird beispielsweise bei Abfall-
        irtschaftsplänen die Öffentlichkeitsbeteiligung neu ein-
        eführt und bei Luftreinhalteplänen nach dem Bundes-
        mmissionsschutzgesetz werden die bestehenden Rege-
        ungen ergänzt. Schließlich soll es bei der Öffentlich-
        eitsbeteiligung im Rahmen der UVP-Prüfung künftig
        inen detaillierten Katalog geben, der Mindestvorgaben
        arüber enthält, welche Informationen bei der Bekannt-
        achung des Vorhabens mitzuteilen sind.
        Kurz: Verfahren und Entscheidungen im Bereich der
        mwelt werden nachvollziehbarer und transparenter.
        as ist ein wichtiger Beitrag für die Entwicklung hin zu
        iner verantwortungsbewussten Bürgergesellschaft. Das
        egrüßen wir. Verfahren müssen deshalb auch nicht
        wingend länger dauern. Im Gegenteil: Eine frühzeitige
        nd umfassende Bürgerbeteiligung bedeutet auch die
        öglichkeit, Bedenken gegen das eine oder andere Ver-
        ahren schon im Anfangsstadium aus dem Weg zu räu-
        en. Das kann nachher so manchen zeitraubenden Ärger
        or Gericht ersparen.
        Wir Liberale können mit dem Entwurf des Öffentlich-
        eitsbeteiligungsgesetzes im Großen und Ganzen leben.
        ie einzige Ausnahme: die neue Regelung, durch die
        mmissionsschutzrechtliche Vorhaben im amtlichen Ver-
        ffentlichungsblatt und außerdem entweder im Internet
        der in örtlichen Tageszeitungen bekannt zu machen
        ind. Was Sie da gestern im Ausschuss veranstaltet ha-
        en, lässt sich auf die schlichte Formel „Ja, – Nein, weiß
        icht“ reduzieren. So kann man doch keine Gesetze ma-
        hen! Ganz abgesehen davon: Ihre jetzige Lösung, die
        undesregierung zu beauftragen, die ganze Sache ein
        ahr lang zu beobachten, ist nichts anderes als ein fauler
        ompromiss. So wie das Gesetz jetzt ist, laufen Sie
        chlichtweg Gefahr, weniger Menschen zu erreichen als
        orher. Da hilft es auch nichts, wenn die Bundesregie-
        ung zuschaut. Was für eine Absurdität bei einem Gesetz
        ur Öffentlichkeitsbeteiligung!
        Zum Umweltrechtsbehelfsgesetz: Mit diesem Gesetz
        önnen Umweltschutzverbände in Deutschland erstmals
        lagen, ohne dass sie in eigenen Rechten verletzt sein
        üssen. Das ist zunächst einmal ein Fortschritt gegen-
        ber dem Status quo, auch wenn die Verbände auf die
        eltendmachung drittschützender Normen beschränkt
        erden sollen.
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006 6263
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        Die Frage ist: Reicht das, um die Vorgaben der
        Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie umzusetzen? Bei
        dem jetzigen Gesetzesentwurf muss man sich tatsächlich
        ausnahmsweise einmal fragen, ob er die Brüssler Vorga-
        ben eins zu eins umsetzt oder ob er hinter diesen Anfor-
        derungen zurückbleibt. Für beide Seiten gibt es Argu-
        mente. Letztendlich sind wir zu dem Ergebnis
        gekommen, dass die europäischen Vorgaben erfüllt und
        in sinnvollem Maße umgesetzt werden. Unserer Mei-
        nung nach kann weder aus der Aarhus-Konvention noch
        aus der Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie zwingend
        gefolgert werden, dass den Verbänden ein weiter rei-
        chendes Klagerecht einzuräumen ist als dem normalen
        Bürger. Vielmehr ist den Besonderheiten des jeweiligen
        nationalen Rechtssystems Rechnung zu tragen. In
        Deutschland haben wir eben die Besonderheit, dass man
        die Verletzung subjektiver Rechte geltend machen muss,
        um klagen zu können. Man darf auch nicht vergessen:
        Die Aarhus-Konvention haben Länder mit unterschiedli-
        chen Rechtssystemen und unterschiedlichen Standards
        gezeichnet. Das kann man nicht alles über einen Kamm
        scheren.
        Einen Punkt, den ich bereits in der ersten Lesung an-
        gesprochen habe, ist die Regelung über die Beachtlich-
        keit von Verfahrensfehlern, die sich auf das Verfahren
        nicht ausgewirkt haben. Ich begrüße, dass diese Rege-
        lung präzisiert wurde. Es geht nicht darum, Umweltstan-
        dards zu verkürzen, sondern darum, ein Ausufern unnüt-
        zer Bürokratie zu vermeiden. Die jetzige Fassung
        berücksichtigt die Rechtsprechung des EuGHs, geht aber
        ansonsten nicht über zwingende Vorgaben des Europa-
        rechts hinaus. Ich denke, das ist eine sinnvolle Lösung.
        Für zu eng halten wir allerdings die Anerkennungsvo-
        raussetzungen für die klagebefugten Verbände. Unserer
        Meinung nach sollten alle Verbände klagen können, die
        sich für den Umweltschutz einsetzen, auch wenn der
        Umweltschutz nicht ihr vorwiegendes Ziel oder
        Hauptzweck ist. Ich denke da zum Beispiel an Fischerei-
        oder Jagdverbände. Auch dass eine Vereinigung drei
        Jahre bestehen muss, um als klagebefugt anerkannt zu
        sein, ist nicht sachgerecht. Wenn ein Verband aus Flens-
        burg in Bayern klagen kann, dann müssen sich die Be-
        troffenen vor Ort doch erst recht zusammenzuschließen
        können, um gegen ein bestimmtes Vorhaben gerichtlich
        vorzugehen zu können. Das gehört für mich zu den zen-
        tralen Bürgerrechten. Um Missbrauch an dieser Stelle zu
        verhindern, reicht es aus, dass diese Gruppen Sachkom-
        petenz mitbringen.
        Das langjährige Bestehen einer Organisation allein
        muss nicht zwangsläufig zu besseren Kenntnissen und
        Erkenntnissen führen – anwesende Parteien natürlich
        ausgeschlossen!
        Lutz Heilmann (DIE LINKE): Wir beraten heute in
        abschließender Lesung die Gesetzentwürfe zur Umset-
        zung der Åarhuskonvention. An unserer Bewertung die-
        ser Gesetzentwürfe hat sich nichts geändert. Insgesamt
        wird das Gesetzespaket der Åarhuskonvention nicht ge-
        recht. Es wird vielmehr deutlich, dass sich Koalition,
        Regierung und Bundesrat einig sind, Bürgerinnen und
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        ürgern sowie den Verbänden so wenig Rechte wie
        öglich zuzugestehen.
        Das Anliegen der Aarhuskonvention haben Sie ent-
        eder gar nicht erst verstanden oder Sie teilen es nicht;
        nders jedenfalls kann ich diese Gesetze nicht verstehen.
        ie Åarhuskonvention ist aus der Erkenntnis entstanden,
        ass Umweltschutz nur mit einem Mehr an Beteiligung
        rreicht werden kann.
        Denn: Durch eine breite Beteiligung der Öffentlich-
        eit werden Mauscheleien zulasten der Umwelt ans
        icht der Öffentlichkeit gezerrt. Bereits wegen der Mög-
        ichkeit einer Klage muss zukünftig größte Sorgfalt da-
        auf verwendet werden, dass Umweltbestimmungen
        uch eingehalten werden. In der Folge gehen Umweltbe-
        astungen zurück. In der ersten Lesung wurden die Ge-
        etzentwürfe nicht nur durch die Opposition kritisiert.
        elbst Ihr Kollege Miersch kritisierte diese an etlichen
        tellen.
        Die Änderungen, die Sie an ihren Gesetzentwürfen
        orgenommen haben, führen zu einer weiteren Ein-
        chränkung von Beteiligungsrechten. Ein Beispiel: Ur-
        prünglich sollten nur wesentliche Verfahrensfehler ein-
        lagbar sein – selbst das war bereits zu restriktiv. Mit
        hrer Änderung gehen Sie nun komplett auf das allge-
        eine Verfahrensrecht zurück, das bedeutet eine erhebli-
        he Verschlechterung.
        Um den Geist von Åarhus zu verdeutlichen, bringen
        ir heute einen Entschließungsantrag zum Umwelt-
        echtsbehelfsgesetz ein. Unsere Forderungen unter-
        cheiden sich in drei wesentlichen Punkten von dem Ge-
        etz, das Sie heute beschließen wollen.
        Erstens darf es keine Beschränkung der Klagemög-
        ichkeiten auf drittschützende Tatbestände geben. Es tor-
        ediert und pervertiert die Arbeit der Umweltverbände,
        enn sie gerade nicht im allgemeinen Interesse stehende
        achverhalte beklagen dürfen, sondern nur dann, wenn
        echte Einzelner betroffen sind. Wenn die Länder 2010
        as Verbandsklagerecht im Naturschutz abschaffen,
        ürften die Naturschutzverbände nicht einmal mehr in
        aturschutzangelegenheiten klagen – von Klimaschutz,
        ierschutz und anderem ganz abgesehen. Dass die Bun-
        esregierung dies auch noch aus der Åarhuskonvention
        bleiten will, weil Verbände angeblich nicht mehr
        echte als Bürgerinnen und Bürger bekommen dürfen,
        eigt mir, dass sie die Åarhuskonvention nicht genau ge-
        esen haben. Denn eine Beschränkung, dass irgendetwas
        icht erlaubt sei, ist in der ganzen Konvention nicht zu
        inden. Vielmehr sollen sowohl Bürgerinnen und Bürger
        ls auch Verbände einen umfassenden, weiten Zugang zu
        erichten erhalten. Wenn Sie also Verbänden nicht mehr
        echte als Bürgerinnen und Bürgern einräumen wollen,
        ann geben Sie diesen doch auch mehr Rechte!
        Zweitens müssen alle Verfahrensfehler zur Aufhe-
        ung einer Entscheidung führen können. Gerade im Um-
        eltbereich haben diese erhebliche Auswirkungen, des-
        alb wurde Åarhus geschaffen.
        Drittens sollte es keine Beschränkungen für Umwelt-
        erbände aufgrund ihrer satzungsgemäßen Ziele geben.
        st es denn so schlimm, wenn sich ein Vogelschutzverein
        6264 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006
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        auch für die Reinheit unserer Flüsse einsetzt? Bei Ihnen
        besteht ja anscheinend die große Sorge, die Verbände
        würden ausufernd von ihrem Klagerecht Gebrauch ma-
        chen. Die Zahl der Klagen im Naturschutz, wo es eine
        Verbandsklage bereits gibt, belegt das Gegenteil.
        Glauben Sie im Ernst, dass der Bund Naturschutz aus
        Bayern in Zukunft gegen eine Kläranlage in Mecklen-
        burg klagt? Ich frage mich, ob Sie überhaupt wissen, wo-
        von Sie reden, wenn Sie über Umweltverbände spre-
        chen. Ich weiß ja, dass Sie sich bei BDI und DIHK
        besser auskennen. Die Realität der Umweltverbände
        sieht doch so aus, dass hier durch Spenden finanziert eh-
        renamtliche Arbeit geleistet wird. Das ist bürgerschaftli-
        ches Engagement, wie es im Buche steht – und wie es in
        diesem Haus ständig eingefordert wird. Aber wenn sich
        die Menschen dieses Landes für die Umwelt einsetzen,
        dann passt es Ihnen nicht und Sie behindern dieses bür-
        gerschaftliche Engagement, wo es nur geht.
        Ich bin mir sicher, dass Sie mit diesem Gesetz vor
        dem EuGH nicht durchkommen werden. Ein Wort noch
        dazu: Wir finden es unverantwortlich ein Gesetz zu er-
        lassen, bei dem Sie davon ausgehen, dass es letztlich
        beim EuGH landen wird. Soll das ein verantwortungsbe-
        wusstes Ausüben ihrer Mandate sein? Mitnichten! Für
        die Gesetzgebung ist das Parlament zuständig. Die Ge-
        richte wachen darüber, dass Gesetze richtig angewandt
        werden. Das Ganze nennt man dann Gewaltenteilung,
        ein Grundpfeiler unserer Verfassung. Sie aber missbrau-
        chen die Rechtsprechung für politische Entscheidungen.
        Mein abschließendes Fazit: Die vorliegenden Gesetz-
        entwürfe werden dem Ziel der Aarhuskonvention nicht
        gerecht.
        Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
        In unserer ersten Debatte zum Thema habe ich von der
        offensichtlichen Überzeugung der großen Koalition ge-
        sprochen, den Bürgerinnen und Bürgern nicht zuzu-
        trauen, als gleichwertig Beteiligte in Planungsprozessen
        zu besseren Planungsergebnissen und damit maßgeblich
        zur Verbreiterung der Akzeptanz vor allem von Großpro-
        jekten beizutragen. Heute will ich zum zweiten Baustein
        bei der Umsetzung der Arhusrichtlinie sprechen, dem
        Rechtsbehelfsgesetz. Der springende Punkt dieses Ge-
        setzes ist sicher das Verbandsklagerecht, das wir ja be-
        reits aus dem Naturschutz kennen. Der entscheidende
        Unterschied soll nun allerdings sein, dass nicht die Be-
        lange der Natur einklagbar sein sollen, sondern aus-
        schließlich eine Verletzung von persönlichen, also sozu-
        sagen menschlichen Rechten.
        Aus Juristenkreisen wird uns nun zugetragen, dass
        sich die Verbandsklage im Naturschutz verschlechtern
        wird, wenn der Gesetzentwurf zum Rechtsbehelf in der
        vorliegenden Fassung verabschiedet wird. Es steht näm-
        lich zu befürchten, dass künftig die Verbandsklage im
        Naturschutz praktisch wirkungslos ist, weil die Umwelt-
        klage nach dem Rechtsbehelfsgesetz als allgemeine
        Klage der naturschutzfachlichen Verbandsklage vorgeht.
        Die Umweltklage beinhaltet aber nur umweltrelevante
        Rechtsverletzungen gegen Personen, nicht gegen Flora
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        nd Fauna. Insoweit könnte die naturschutzrechtliche
        erbandsklage künftig völlig wirkungslos werden, weil
        ie nicht mehr angewendet werden kann. Damit hätten
        ir dann eine eindeutige Verschlechterung des Rechts
        uf Verbandsklage erreicht. Das heißt also, dass kein er-
        eichterter und schon gar kein weiter Zugang zu den Ge-
        ichten mit der Regelung aus den Reihen der großen
        oalition erzielt wird. Sie streben so ziemlich das Ge-
        enteil des von Arhus avisierten Ziels an, die Beteili-
        ung der Öffentlichkeit an allen umweltrelevanten Ver-
        altungsentscheidungen nachhaltig zu verbessern.
        Das ökologische Beratungsgremium der Bundesre-
        ierung, der Sachverständigenrat für Umweltfragen un-
        er der Leitung des von uns allen geschätzten Professors
        och, hat uns kürzlich erneut in seiner unnachahmlichen
        larheit die Tatsachen vor Augen geführt: Der Gesetz-
        ntwurf weist erhebliche europarechtliche Defizite auf.
        echtsbehelfsgesetz und Öffentlichkeitsbeteiligungsge-
        etz gehen nicht mit den europäischen Vorgaben kon-
        orm. Ich zitiere wörtlich aus Professor Kochs Brief an
        ie Vorsitzende des Umweltausschusses zur Beratung
        es Arhusgesetzespaketes vom 31. Oktober 2006:
        Das eigentlich zentrale Anwendungsfeld einer Ver-
        bandsklage liegt dort, wo Rechtsvorschriften des
        Umweltrechts gerade keine individuellen Rechtspo-
        sitionen der einzelnen Bürger/innen begründen,
        sondern ausschließlich zum Schutz des Allgemein-
        wohls – etwa im Naturschutz, im Gewässerschutz
        und im Klimaschutz – erlassen worden sind, In die-
        sen Fällen können mögliche Rechtsverstöße nicht
        vor Gericht gebracht werden – es sei denn, man
        räumt „qualifizierten“ Teilen der Öffentlichkeit ein
        entsprechendes Verbandsklagerecht ein. Für das
        Ziel sowohl der Arhuskonvention wie auch der
        maßgeblichen EU-Regelungen in der Beteiligungs-
        Richtlinie, nämlich für die konsequente Durchset-
        zung des Umweltrechts, ist es wesentlich, dass ge-
        rade keine Rechtsschutzlücken bestehen. Deshalb
        kommt es darauf an, dass die Verbandsklagerechte
        jedenfalls dort eröffnet werden, wo individuelle
        Rechte nicht verletzt sein können, sondern nur sol-
        che Normen, die alleine dem Wohl der Allgemein-
        heit dienen. … Der Gesetzentwurf des Umwelt-
        rechtsbehelfsgesetzes setzt nun voraus, dass
        Deutschland berechtigt ist, die den Verbänden euro-
        parechtlich verbindlich eingeräumten Rechte auf
        solche zu reduzieren, die vom Mitgliedstaat auch
        den einzelnen Bürgern zuerkannt werden. Der
        Wortsinn der Richtlinie besagt dies ersichtlich
        nicht.
        Ich sage Ihnen, verehrte Kolleginnen und Kollegen
        er großen Koalition: Mit der Verabschiedung dieser Ge-
        etzentwürfe geben Sie ein verheerendes Signal für die
        eginnende deutsche EU-Ratspräsidentschaft. Sie hal-
        en offenbar wenig von der Umsetzung der europäischen
        orgaben in deutsches Recht. Damit machen Sie
        eutschland vom Öko-Vorreiter zum Umwelt-Nacht-
        ächter. Na dann, gute Nacht.
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006 6265
        (A) )
        (B) )
        Anlage 9
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Antrags: Für solidarische und
        entwicklungspolitische kohärente Wirtschafts-
        partnerschaftsabkommen (Tagsordnungspunkt 18)
        Anette Hübinger (CDU/CSU): Zum 31. Dezember
        2007 laufen die Ausnahmeregelungen für die einseitigen
        Handelspräferenzen an die Länder aus Afrika, dem kari-
        bischen Raum und dem Pazifischen Ozean, den so ge-
        nannten AKP-Staaten, durch die Europäische Union aus.
        Diese sollen durch neue Wirtschaftspartnerschaftsab-
        kommen ersetzt werden, deren Verhandlungen derzeit in
        die letzte Phase gehen. Konkrete Textentwürfe für die
        Regionalabkommen sind bereits in der Beratung. Und
        jetzt kommen die Damen und Herren von der Fraktion
        Die Linke, stellen in einem Antrag einen pauschalen
        Forderungskatalog auf und verlangen einen Stopp der
        Verhandlungen. Damit gefährden sie nicht nur die Ver-
        handlungen, sondern auch die bisher erreichten Verhand-
        lungsergebnisse. Sie riskieren, dass diese Länder ab
        2008 dem freien globalen Wettbewerb ohne entwick-
        lungspolitische Abfederungen überlassen werden.
        Bereits mit der Gründung der Welthandelsorganisa-
        tion im Jahr 1995 war es notwendig geworden, die ver-
        traglichen Vereinbarungen zwischen der EU und den
        AKP-Staaten neu zu regeln. Deshalb haben im Jahr 2000
        die AKP-Staaten und die EU im Cotonou-Abkommen
        vereinbart, ab 2008 neue Wirtschaftspartnerschaftsab-
        kommen zu schließen. Diese sollen dann den Regeln der
        Welthandelsorganisation entsprechen. Die WPAs ver-
        knüpfen erstmals handels- und entwicklungspolitische
        Ansätze, um eine höhere Kohärenz der Handels- und
        Entwicklungspolitik zu erreichen.
        Die Linke verlangt in ihrem Antrag, sich dieser Ver-
        einbarung zu widersetzen. Wir jedoch schließen Verträge
        mit dem Ziel ihrer Erfüllung. Der Handel ist für das wirt-
        schaftliche Wachstum einer Volkswirtschaft von enor-
        mer Bedeutung. Und wirtschaftliches Wachstum nimmt
        eine Schlüsselrolle bei der Armutsbekämpfung ein.
        Schätzungen zufolge wird, um die Armut in Afrika bis
        2015 zu halbieren, ein jährliches Wachstum von
        8 Prozent benötigt.
        Natürlich bedeutet eine Öffnung des Marktes nicht
        automatisch mehr Handel für Entwicklungsländer. Und
        mehr Handel bedeutet auch nicht automatisch weniger
        Armut. Solch eine Schwarz-Weiß-Malerei wäre fatal.
        Der Antrag der Linken lässt leider eine differenzierte
        Darstellung der Tatsachen vermissen. Um Entwick-
        lungsländern faire Chancen auf dem Weltmarkt einzu-
        räumen, bedarf es vielmehr einer individuell ausgerich-
        teten Marktöffnung. Die jeweiligen Bedürfnisse und
        Voraussetzungen der Vertragspartner müssen berück-
        sichtigt werden. Und genau dieses Konzept liegt den
        Wirtschaftspartnerschaftsabkommen zugrunde. Die
        neuen WTO-konformen Freihandelsabkommen sehen
        eine gegenseitige Marktöffnung vor, mit der Option ei-
        ner asymmetrischen Ausgestaltung. Das heißt zum Bei-
        spiel, dass je nach Entwicklungsstand längere Über-
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        angsfristen für eine Marktöffnung eingeräumt werden
        önnen.
        An dieser Stelle möchte ich auf die im Juli ergebnis-
        os verlaufenen Verhandlungen der Welthandelsorgani-
        ation eingehen. Der derzeitige Stand ist für uns alle sehr
        nbefriedigend. Um Bewegung in die Verhandlungen zu
        ringen, erklärte sich die EU mit dem Auslaufen der
        grarexporthilfen bis Ende 2013 einverstanden. Doch
        on anderer Seite bewegte sich in den Gesprächen we-
        ig. Das ist sehr bedauerlich. Deshalb ist es umso drin-
        ender, die bereits im Dezember letzten Jahres in Hong-
        ong getroffenen Zusagen, erstens eine stärkere
        andelsbezogene Entwicklungshilfe und zweitens den
        m wenigsten entwickelten Ländern einen zoll- und quo-
        enfreien Marktzugang zu ermöglichen, schnell rechtlich
        erbindlich werden zu lassen. Die WPAs bieten dazu die
        öglichkeit.
        Und jetzt glauben die Damen und Herren der Fraktion
        ie Linke, dass eine Verlängerung der WTO-Ausnahme-
        egelung einfacher zu verhandeln wäre als die WTO-
        onformen Wirtschaftspartnerschaftsabkommen zwi-
        chen der EU und den AKP-Staaten. Wir jedenfalls wer-
        en uns dafür einsetzen, dass die WTO-Verhandlungen
        ieder in Gang kommen; denn multilaterale Verabre-
        ungen sind kalkulierbarer, besser überprüfbar und wett-
        ewerbstreuer. Natürlich stellen neue wirtschaftliche
        ahmenbedingungen große Herausforderungen an alle
        eteiligten. Das wissen wir am besten aus unserer eige-
        en Erfahrung mit der deutschen Wiedervereinigung und
        em europäischen Integrationsprozess.
        Um die Anpassungsprobleme der AKP-Staaten zu be-
        ältigen, stellt die EU technische und finanzielle Mittel
        u Verfügung. 730 Millionen Euro wurden im 9. Europäi-
        chen Entwicklungsfonds für Maßnahmen im Bereich
        er makroökonomischen Stabilisierung, der Steuerrefor-
        en, der Zollverwaltung und der Investitionen bereitge-
        tellt. Im 10. EEF, der zeitgleich mit den Wirtschafts-
        artnerschaftsabkommen in Kraft treten wird, wird sich
        ie Summe auf 22,6 Milliarden Euro erhöhen, die als
        ilfe an die AKP-Staaten gehen werden. Erst kürzlich
        urde im europäischen Ministerrat vereinbart, ab dem
        ahr 2012 die handelsbezogene Entwicklungshilfe auf
        Milliarden Euro zu erhöhen. Auch davon werden die
        KP-Länder erhebliche Mittel – circa 1,2 Milliarden
        uro – erhalten.
        Im Bereich der technischen Hilfe wurden, um die re-
        ionalen Verhandlungen zu begünstigen, in vier Regio-
        en „Regional Preparatory Task Forces“ gebildet. Die
        ehauptung, die AKP-Staaten würden mit ihren Proble-
        en allein gelassen, trifft einfach nicht zu. Für die Be-
        ertung unserer Entwicklungsarbeit sind Regierungs-
        ührung, Demokratieentwicklung, Rechtsstaatlichkeit
        nd die Achtung der Menschenrechte tragende Faktoren.
        er Erfolg und die Wirksamkeit von Entwicklungshilfe
        erden entscheidend durch diese Elemente beeinflusst.
        eshalb werden wir Ländern, die Menschenrechte und
        echtsstaatlichkeit vehement verletzten, nicht kommen-
        arlos unsere Entwicklungshilfe zur Verfügung stellen.
        Und auch in diesem Punkt unterscheidet sich unsere
        ntwicklungspolitik von der Fraktion Die Linke. Demo-
        6266 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006
        (A) )
        (B) )
        kratie und Rechtsstaatlichkeit lassen sich nicht beliebig
        interpretieren, sondern beruhen auf universell gültigen
        Grundsätzen.
        Die neuen Wirtschaftspartnerschaftsabkommen
        werden auch in dieser Hinsicht die AKP-Staaten stimu-
        lieren, Reformen und Demokratieentwicklung voranzu-
        treiben. Auf diese Weise wird auch mehr privatwirt-
        schaftliches Engagement staatliche Entwicklungshilfe
        ergänzen können. Die Wirtschaftspartnerschaftsabkom-
        men zwischen der Europäischen Union und den AKP-
        Staaten werden in einer neuen Dimension handelspoliti-
        sche Vereinbarungen unter entwicklungspolitischen Ge-
        sichtspunkten verbinden. Es sind federnde Verträge, die
        den Rahmen für unsere zukünftigen wirtschaftlichen und
        handelspolitischen Beziehungen bilden. Sie passen sich
        der jeweiligen wirtschaftlichen Entwicklung an und wir-
        ken im Sinne eines entwicklungspolitischen Instrumen-
        tes.
        Die Bundesregierung wird sich auch im Rahmen der
        deutschen EU-Ratspräsidentschaft für den erfolgreichen
        Abschluss der EU-AKP-Verhandlungen einsetzen. Die
        Wirtschaftspartnerschaftsabkommen sollen zu einer
        nachhaltigen Entwicklung in dieser Region beitragen
        und so auch der Erreichung der Millenniumsziele, der
        Armutsbekämpfung, in den AKP-Ländern dienen. Fal-
        sche Behauptungen und undifferenzierte Darstellungen
        von Fakten sind hierbei nicht dienlich. Die CDU/CSU-
        Fraktion lehnt daher den Antrag der Fraktion Die Linke
        ab.
        Dr. Sascha Raabe (SPD): Es steht der Antrag der
        Fraktion Die Linke mit dem Titel „Für solidarische und
        entwicklungspolitische kohärente Wirtschaftspartner-
        schaftsabkommen“ zur Debatte. Thematisch geht es hier
        um die zurzeit stattfindenden Verhandlungen zwischen
        der Europäischen Union und den ehemaligen Kolonien
        im Afrikanischen, Karibischen und Pazifischen Raum,
        AKP, die zu einem erfolgreichen Abschluss der so ge-
        nannten Economic Partnership Agreements, EPA, führen
        sollen. Seit 1975 wurden die politischen und ökonomi-
        schen Beziehungen zwischen den beiden Blöcken durch
        eine Reihe fünfjähriger Loméabkommen geregelt. Diese
        sind von der Welthandelsorganisation, WTO, für wettbe-
        werbswidrig erklärt worden. Das letzte Loméabkommen
        endete 2000 und wurde durch das Cotonouabkommen
        ersetzt. Darin sagten die EU den AKP-Staaten zu, das
        Präferenzsystem bis Ende 2007 beizubehalten und es
        dann durch neue, WTO-konforme Wirtschaftspartner-
        schaftsabkommen zu ersetzen.
        Die EPAs sollen kein rein handelspolitisches Instru-
        ment sein, sondern entwicklungs- und handelspolitische
        Aspekte verknüpfen. Uns Europäern ist selbstverständ-
        lich klar, dass es für die über 70 AKP-Staaten um sehr
        viel mehr geht als für uns. Schließlich gehen etwa
        40 Prozent der AKP-Exporte in die EU, während umge-
        kehrt die AKP-Länder einen für die EU relativ kleinen
        Absatzmarkt darstellen. Dennoch liegt es im beiderseiti-
        gen Interesse, die EPA-Verhandlungen erfolgreich abzu-
        schließen. Schließlich kann uns Hunger und Armut in
        Afrika nicht egal sein. Die Millenniumsentwicklungs-
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        iele lassen sich nicht allein durch mehr Mittel für Ent-
        icklungszusammenarbeit und eine gesteigerte ODA-
        uote erreichen, sondern vor allem durch gerechtere
        andelsbedingungen. Dabei ist aber auch klar, dass
        elbst beste Handelsbedingungen nichts helfen, so lange
        ie Entwicklungsländer nicht in der Lage sind, zu produ-
        ieren und mit der nötigen Infrastruktur über Straßen,
        äfen und Flughäfen ihre Waren zu exportieren. Des-
        alb kommen den in der letzten WTO-Runde vereinbar-
        en handelsbezogenen Hilfen – Stichwort: Aid for
        rade – eine besondere Bedeutung zu.
        Wir begrüßen, dass sich die Bundesministerin für
        irtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung aus-
        rücklich dafür ausgesprochen hat, die Mittel in diesem
        ereich zur Verfügung zu stellen – unabhängig von der
        rage, ob es noch zu einem erfolgreichen Abschluss der
        TO-Runde insgesamt kommt oder nicht. Gleiches gilt
        ür die anderen dort getroffenen positiven Beschlüsse
        ie das Auslaufen der Exportsubventionen. Denn nur
        it einer Abschaffung der Exportsubventionen und aller
        andelsverzerrenden internen Stützungen eröffnen sich
        aire Chancen für Entwicklungsländer.
        Letztlich muss also beides geleistet werden: Wir brau-
        hen mehr Mittel für Entwicklungszusammenarbeit, um
        ie ärmsten Länder in die Lage zu versetzen, zu produ-
        ieren und Handel zu treiben, und wir brauchen gerechte
        elthandelsregeln, damit lokale Märkte nicht durch Ex-
        ortdumping gestört werden und die Exportprodukte der
        ntwicklungsländer auch in der EU und in den anderen
        ndustrieländern ohne Hindernisse verkauft werden kön-
        en. Was wir jedoch nicht brauchen, ist dieser Antrag
        er Linkspartei, wonach die Entwicklungsländer sich auf
        hre regionalen Märkte zurückziehen und sich nicht am
        ettbewerb ausrichten sollen. Natürlich ist es notwen-
        ig, den Entwicklungsländern Außenschutz für ihre im
        ufbau befindlichen Industriezweige einzuräumen und
        esonders die für die Ernährungssicherheit wichtigen
        grarbereiche zu schützen.
        In mehreren Anträgen zu den WTO-Verhandlungen
        at sich die SPD-Bundestagsfraktion bereits klar dafür
        nd für ein „special and differential treatment“ der Ent-
        icklungsländer ausgesprochen. Allerdings – und da
        iegt der große Unterschied zur Linkspartei – sehen wir
        ie besonderen Schutzrechte der Entwicklungsländer
        icht als Selbstzweck, damit die Entwicklungsländer für
        lle Zeiten vor Wettbewerb geschützt und somit ausge-
        chlossen sind, sondern wir sehen sie als Entwick-
        ungschance mit dem Ziel, dass die Entwicklungsländer
        ines Tages wettbewerbsfähig sind. Die Globalisierung
        oll eben nicht nur den Industrienationen nützen, son-
        ern auch Länder, die wir jetzt noch Entwicklungsländer
        ennen, sollen eines Tages im Wettbewerb stehen und
        omit zu echtem Wohlstand kommen können. Der An-
        rag der Linkspartei lässt im Inhalt genau die Kohärenz
        ehlen, die er im Titel einfordert.
        Die Linkspartei und einige NGOs sollten zur Kennt-
        is nehmen, dass die betroffenen Länder selbst keines-
        egs einen Stopp der EPA-Verhandlungen oder ein ver-
        ndertes Mandat fordern. Die afrikanischen Staaten sind
        eutzutage zum Glück selbstbewusst genug, um für sich
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006 6267
        (A) )
        (B) )
        selbst sprechen zu können und brauchen keine Bevor-
        mundung durch die Linkspartei. Unabhängig von der
        Frage der WTO-Konformität haben viele AKP-Länder
        mittlerweile selbst erkannt, dass ihnen das bisherige Prä-
        ferenzsystem keineswegs nur geholfen hat. Im Gegenteil
        sind durch Fehlanreize höchst korruptionsanfällige Ren-
        tenökonomien geschaffen worden, die Hunger und Ar-
        mut zementiert haben.
        Für mich sind alle armen Menschen auf der Welt
        gleich viel Wert. Deswegen halte ich es auch für richtig,
        dass wir nicht nur den ehemaligen Kolonien der EU ei-
        nen möglichst quoten- und zollfreien Marktzugang für
        ihre Produkte einräumen, sondern allen Entwicklungs-
        ländern. Dies fördert zum einen die Wettbewerbsfähig-
        keit der AKP-Staaten und eröffnet zugleich vielen ande-
        ren Entwicklungsländern Lateinamerikas und Asiens
        neue Chancen. Auch der Süd-Süd-Handel soll durch den
        Abbau von Handelsbarrieren und Zollschranken gestärkt
        werden. Deshalb ist es richtig, die bisherigen Präferenz-
        systeme für die AKP-Staaten, die oft zulasten anderer ar-
        mer Länder gingen, umzuwandeln in Wirtschaftspartner-
        schaftsabkommen und gleichzeitig auf WTO-Ebene
        ähnliche Regelungen für alle Entwicklungsländer anzu-
        streben.
        Die SPD-Bundestagsfraktion wird sich auch weiter-
        hin für die wirtschaftliche Entwicklung und für die Wett-
        bewerbsfähigkeit von Entwicklungsländern einsetzen.
        Deshalb können wir dem Antrag der Linkspartei nicht
        zustimmen.
        Hellmut Königshaus (FDP): Der Antrag spricht ein
        sehr wichtiges Thema an, nämlich die Wirtschaftspart-
        nerschaftsabkommen zwischen der EU und den AKP-
        Staaten. Leider suchen die Antragssteller einmal mehr
        ihr Heil in der Abschottung. Richtig ist aber: Das Gegen-
        teil würde den Entwicklungsländern am meisten dienen.
        Sie wollen gewiss das Beste, aber sie schaden damit in
        Wirklichkeit den Ärmsten der Armen, den am schwächs-
        ten entwickelten Volkswirtschaften der Welt. Denn diese
        würden doch vom internationalen Austausch am meisten
        profitieren.
        Die einseitigen Handelspräferenzen der Loméver-
        träge zugunsten der AKP-Staaten verstießen gegen
        WTO-Handelsvereinbarungen, sodass eine grundsätzlich
        neue Vertragsgrundlage erforderlich wurde. Mit dem
        Abschluss des Cotonouabkommens im Jahr 2000 wurde
        das Sonderverhältnis der EU zu den AKP-Staaten in
        Form von WTO-konformen Wirtschaftspartnerschafts-
        abkommen fortgesetzt. Bis Ende 2007 sollen nun die
        Verhandlungen mit sechs einzelnen Regionalgruppen ab-
        geschlossen sein, damit bis zum 1. Januar 2008 das Co-
        tonou-Abkommen umgesetzt werden kann. Eine ent-
        scheidende Phase der Verhandlungen über die
        Wirtschaftspartnerschaftsabkommen fällt also in die Zu-
        ständigkeit der Bundesregierung durch die deutsche
        Ratspräsidentschaft.
        Der Zugang zu den internationalen Märkten ist ein
        wichtiges Instrument der Entwicklungspolitik. Die neu-
        esten Zahlen der FAO zeigen, dass die Zahl der Men-
        schen ohne ausreichende Nahrung von 840 Millionen in
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        996 auf 854 Millionen in 2005 angestiegen ist. Nur in
        sien sei die Zahl der Hungernden tatsächlich gesunken,
        ufgrund von freiem Handel und wirtschaftlicher Ent-
        icklung in China und Indien. Auch der UNCTAD-Jah-
        esbericht 2006 attestiert, dass der Schlüssel für eine
        achhaltige Armutsbekämpfung eine langfristige Ver-
        esserung der Wirtschaftslage ist. Die geforderte Aufsto-
        kung der handelsbezogenen Entwicklungshilfe, Büro-
        ratieabbau bei den Zollverfahren, ein quotenfreier
        arktzugang und vereinfachte Schlichtungsverfahren
        ind Instrumente, die den Entwicklungsländern Chancen
        röffnen, am Handel teilzunehmen. Das vorläufige
        cheitern der Doharunde ist daher vor allem für die Ent-
        icklungsländer ein Rückschlag. Es zeigt einmal mehr,
        ass in unserer globalisierten Weltwirtschaft noch die
        däquaten ordnungspolitischen Rahmenbedingungen
        ehlen.
        Wer das Gezerre bei den WTO-Verhandlungen be-
        rachtet, mag schnell desillusioniert sein. Zu viele natio-
        ale Eifersüchteleien, undurchschaubare Allianzen und
        ftmals auch der schiere Unverstand blockieren die not-
        endigen Veränderungen. Aber das bedeutet nicht, dass
        iese deshalb unmöglich wären. Es ist eben einfacher,
        uf Demonstrationen die Probleme zu beklagen und dies
        ereits als Lösung anzubieten, als die notwendigen
        trukturellen Veränderungen auch gegen Widerstände
        urchzusetzen.
        Auf der anderen Seite müssen sich die Marktteilneh-
        er und damit auch die einzelnen Volkswirtschaften auf
        ie globalisierten Märkte einlassen und sich ihnen öff-
        en. Das gilt ganz besonders für die Staaten der Erde, die
        isher kaum vom internationalen Warenaustausch profi-
        iert haben, also vor allem die Staaten Zentralafrikas.
        iesen Staaten muss und wird die weltweite Staatenge-
        einschaft durch verstärkte Entwicklungszusammenar-
        eit helfen. Deutschland kann da mit gutem Beispiel vo-
        angehen. Aber diese Staaten müssen auch selbst das
        eld bereiten, damit diese Saat aufgehen kann.
        Entwicklungszusammenarbeit kann nur dann einen
        irksamen Beitrag zur nachhaltigen Überwindung von
        rmut und Unterentwicklung leisten, wenn die Entwick-
        ungsländer selbst eine sozial und ökologisch verantwor-
        ungsvolle Politik verfolgen, die die Leistungen des Ein-
        elnen im Rahmen einer marktwirtschaftlichen Ordnung
        nerkennt und den Aufbau demokratischer und rechts-
        taatlicher Gesellschaftsstrukturen fördert. Überall dort,
        o derartige ordnungspolitische Rahmenbedingungen
        eschaffen wurden, konnten selbst ehrgeizige Entwick-
        ungsziele schnell erreicht werden, und dort, wo das Ge-
        enteil geschah, konnte man erleben, dass vormals blü-
        ende Volkswirtschaften einen rapiden Absturz und eine
        eängstigende Verarmung der Bevölkerung erlitten, wie
        twa in Simbabwe.
        Das vornehmste Ziel der Entwicklungspolitik muss
        ein, sich selbst langfristig überflüssig zu machen. Dies
        st gewiss eine Binsenweisheit, aber sie gerät in der Pra-
        is oftmals aus dem Blickfeld. Entwicklungshilfe darf
        icht Abhängigkeiten schaffen und zur Weltsozialhilfe
        erden. Gute Entwicklungspolitik setzt daher bei der
        rmutsbekämpfung auf die Bekämpfung der Ursachen
        6268 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006
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        und somit vor allem auf die Stärkung der Eigeninitiative
        der Partner. Dabei darf der Grundsatz von Good Gover-
        nance nicht zu einer begleitenden Floskel werden, son-
        dern muss vielmehr zu einer verbindlichen Vorausset-
        zung jeder Unterstützung werden. In diesem
        Zusammenhang muss auch eine sinnvolle Entschul-
        dungspolitik vorangetrieben werden. Dabei liegt die Be-
        tonung auf „sinnvoll“. Leider ist dies nicht überall der
        Fall.
        Die Beispiele vieler erfolgreicher Schwellenländer
        belegen, dass es möglich ist, unter den richtigen Rah-
        menbedingungen die Entwicklungsziele zu erreichen.
        Leider zeigt sich aber vereinzelt auch, dass diese dann
        im Rahmen der Welthandelsorganisation keineswegs
        durchgängig die Grundsätze vertreten, denen sie ihren
        eigenen Aufschwung verdanken. Der zweifelhafte Pro-
        tektionismus, wie er in der brasilianischen Zuckerpolitik
        zum Ausdruck kommt, mag hier als Beispiel dienen.
        Während Voraussetzungen für eine Teilhabe am inter-
        nationalen Warenaustausch in den Entwicklungsstaaten
        geschaffen und gefördert werden, muss gleichzeitig die
        Globalisierung als Entwicklungsfaktor für die ganze
        Welt vorangetrieben werden. Das entwicklungspoliti-
        sche Potenzial des freien Welthandels ist noch lange
        nicht ausgeschöpft. Die Chancen der Globalisierung
        müssen für eine schnelle Einbeziehung der Entwick-
        lungsländer genutzt und Handelsbarrieren müssen zu ih-
        ren Gunsten aufgehoben werden. Dies setzt vor allem
        einen weiteren Abbau des Industrie- und Agrarprotektio-
        nismus der entwickelten Welt sowie von Exportsubven-
        tionen voraus.
        In einem Punkt stimme ich den Antragsstellern zu:
        Wir brauchen mehr Transparenz bei den Verhandlungen.
        Aber genau da liegt das Problem. Die Wirtschaftspart-
        nerschaftsabkommen werden von dem Europäischen
        Entwicklungsfonds finanziert und der unterliegt nicht
        der Kontrolle der nationalen Parlamente oder des Euro-
        päischen Parlaments. Um die Transparenz bei den Ver-
        handlungen herzustellen, sollte die Intransparenz der
        EU-Entwicklungszusammenarbeit beendet werden. Sie,
        insbesondere die Kollegen der Koalition, sollten aufhö-
        ren, jede Extra-Million an die EU zu bejubeln, sobald sie
        nur ja auf die ODA-Quote angerechnet werden kann.
        Das Grundproblem ist doch Folgendes: Seit Jahren
        findet eine schleichende Europäisierung der entwick-
        lungspolitischen Aktivitäten ohne eine entsprechende
        vertragliche Erweiterung der Rechtsgrundlagen statt.
        Die EU verhält sich entwicklungspolitisch faktisch wie
        ein zusätzlicher Geber, der in denselben Ländern und
        denselben Themenbereichen wie die Mitgliedstaaten
        selbst tätig ist. Der Grundsatz der Subsidiarität wird zu-
        nehmend missachtet.
        Mit dem Argument, entwicklungspolitische Ziele
        wirksamer verfolgen zu können, wird der Ruf nach einer
        stärkeren Übertragung nationalstaatlicher Entwicklungs-
        politik nach Brüssel immer lauter. Die Mitgliedstaaten
        haben sich jedoch aus gutem Grund im Hinblick auf den
        Grundsatz der Subsidiarität ausdrücklich gegen eine sol-
        che Ausweitung der gemeinschaftlichen Entwicklungs-
        politik entschieden. Weder der im November 2005 zwi-
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        chen Rat, Kommission und Europäischem Parlament
        eschlossene „Europäische Konsens über die Entwick-
        ungspolitik“ noch der Verfassungsvertrag sehen hin-
        ichtlich der Komplementarität der Europäischen Ent-
        icklungszusammenarbeit Veränderungen vor. Wenn
        er Grundsatz der Komplementarität europäischer Ent-
        icklungszusammenarbeit Bestand haben soll, muss
        ich die Europäische Kommission wieder auf ihre Kern-
        ufgaben konzentrieren.
        Im Mittelpunkt der Arbeit der EU-Kommission muss
        ie Geberkoordination stehen. Sie soll koordinierend
        ann tätig werden, wenn mehrere Mitgliedstaaten ge-
        einsam ein Projekt oder ein Programm durchführen
        der unterstützen wollen. Die Entwicklungspolitik der
        uropäischen Union muss sich auf solche Länder und
        hemen beschränken, die von den nationalen entwick-
        ungspolitischen Aktivitäten nicht abgedeckt werden
        önnen oder wo die Europäische Union eine originäre
        ompetenz hat, etwa bei der Förderung des internationa-
        en Handels oder grenzüberschreitender regionaler Ini-
        iativen und Organisationen. Das ist bei den Wirtschafts-
        artnerschaftsabkommen zweifellos der Fall.
        Aber der EEF muss endlich im Interesse der Effekti-
        ität der EU-Außenhilfe und zur demokratischen Legiti-
        ierung durch parlamentarische Kontrolle in den EU-
        aushalt integriert werden. Die Erfahrungen seit der Er-
        ichtung des Fonds haben gezeigt, dass die Fondsstruk-
        ur des EEF und seine Finanzierung außerhalb des EU-
        aushaltes einer effektiven Hilfeleistung entgegenste-
        en. Aufgrund mangelnder Absorptionskapazitäten der
        mpfängerländer und einer unzureichenden Flexibilität
        es EEF-Systems blieben die Auszahlungen weit hinter
        er zugesicherten Gesamtdotation zurück, mit der Folge,
        ass sich nicht gebundene und nicht ausgezahlte Restsal-
        en in beträchtlicher Höhe angesammelt haben.
        Mit der Integration des EEF in den EU-Haushalt wür-
        en die AKP-Staaten mehr Eigenständigkeit erlangen, da
        ie Abhängigkeit von Beiträgen der Mitgliedstaaten zum
        EF, die nach freiem Ermessen und nach eigenem Inte-
        esse geleistet werden, beendet wird. Ferner würde die
        udgetierung des EEF für die Transparenz sämtlicher
        usgaben an Drittländer sorgen, die bereits innerhalb
        on Europe Aid verwaltungstechnisch gebündelt sind.
        em Argument, die Aufrechterhaltung der partner-
        chaftlichen Sonderbeziehungen zu der AKP-Region be-
        inge die Beibehaltung der bisherigen Strukturen, be-
        egnet die Kommission selbst damit, dass die seit
        0 Jahren bestehenden engen Beziehungen zu einem
        chten Besitzstand, im Sinne der „Acquis“, geworden
        ei, der mit der Budgetierung des EEF nicht verloren
        inge. Zudem ist zu fragen, ob solche „Besitzstände“
        eiter verfestigt werden sollen oder ob sie nicht viel-
        ehr einer regelmäßigen Überprüfung bedürfen, ob und
        ieweit sie noch zu rechtfertigen sind.
        Die Integration des EEF in den EU-Haushalt würde
        icht nur für Budgetklarheit sorgen, sondern würde
        urch die damit gewährleisteten Kontrollrechte des Eu-
        opäischen Parlaments zu Transparenz und mehr Legiti-
        ität der Europäischen Entwicklungszusammenarbeit
        ühren. Darüber hinaus ist die unterschiedliche Behand-
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006 6269
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        lung der AKP-Staaten einerseits und der restlichen Ent-
        wicklungsländer andererseits heute nicht mehr zu recht-
        fertigen. Entweder sind diese Staaten und Gebiete
        bedürftig – dann sollten sie nach den allgemeinen Krite-
        rien im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit ge-
        fördert werden – oder sie sind es nicht; dann sollten auch
        keine Steuermittel mehr zur Verfügung gestellt werden.
        So müssen wir auch die Wirtschaftspartnerschaftsab-
        kommen beurteilen, nämlich als nötigen ersten Schritt,
        der nicht auf die AKP-Länder beschränkt bleiben darf.
        Heike Hänsel (DIE LINKE): „Wir müssen uns ein-
        setzen für faire Bedingungen im Welthandel.“ Das sagte
        die Bundeskanzlerin in ihrer wöchentlichen Videobot-
        schaft am 7. Oktober, in der sie die Schwerpunkte der
        deutschen EU-Ratspräsidentschaft beschreibt. Das klingt
        zwar gut. Gemeint ist jedoch nicht etwa, faire Entwick-
        lungs- und Handelsbedingungen für die Partnerinnen
        und Partner im Süden zu schaffen; im Gegenteil: Bun-
        desregierung und EU-Kommission geht es darum, EU-
        ansässigen Unternehmen den Weg in die Märkte der
        Schwellen- und Entwicklungsländer zu ebnen und dabei
        alle Regulierungen – in der EU und in den Ländern des
        Südens – zu beseitigen, die im globalen Wettbewerb da-
        bei hinderlich sein könnten, schwächere Konkurrenten
        aus dem Weg zu räumen.
        Trotz aller Beschwörungen der Entwicklungsministe-
        rin, die wir auch gestern wieder im Ausschuss gehört ha-
        ben, teile ich die Kritik vieler Nichtregierungsorganisa-
        tionen: Auch in den Verhandlungen zu den EPA, den
        Wirtschaftspartnerschaftsabkommen zwischen der EU
        und den AKP-Staaten, geht es in erster Linie um aggres-
        sive Marktöffnung für EU-Konzerne.
        Frau Wieczorek-Zeul bezeichnete gestern im Aus-
        schuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
        wicklung die EPA als Alternative zur Doharunde der
        Welthandelsorganisation (WTO) – in dem Sinne, dass
        dort die Verknüpfung von Entwicklung und Handel vor-
        bildhaft gelinge. Eines ist daran wahr: Die Energie, mit
        der die EU-Kommission an den EPAs verhandelt, hängt
        tatsächlich mit der Blockadesituation in der WTO zu-
        sammen. Dabei geht es der EU-Kommission aber weni-
        ger um Entwicklung, sondern vor allem um die Durch-
        setzung von Handelsliberalisierungen. Es ist schließlich
        nicht umsonst der Handels- und nicht der Entwicklungs-
        kommissar der EU, der die Verhandlungen mit den
        AKP-Staaten führt. Noch weit über die Agenda von
        Doha hinaus strebt die EU-Kommission Freihandelsab-
        kommen mit den Regionalgruppen der AKP-Staaten an.
        Sie will eine sehr weitgehende und überwiegend rezi-
        proke Handelsliberalisierung durchsetzen, obwohl das
        Abkommen von Cotonou noch von „Differentiation“
        spricht, also von der Berücksichtigung des Entwick-
        lungsgefälles zwischen den Vertragspartnern. Zusätzlich
        fordert die EU, die Bereiche Wettbewerbspolitik, Inves-
        titionen und öffentliches Beschaffungswesen, die die
        Länder des Südens erfolgreich aus den WTO-Verhand-
        lungen heraushalten konnten, mit in die Verhandlungen
        um die EPA einzubeziehen. Die Linke fordert deshalb,
        dass der EU-Kommission das Verhandlungsmandat ent-
        zogen und dass ein neues Mandat für solidarische und
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        ntwicklungspolitisch kohärente Verhandlungen formu-
        iert wird.
        Sollte der Bundestag uns folgen, wäre er in guter Ge-
        ellschaft: Der EU-Ausschuss der französischen National-
        ersammlung – übrigens über alle Parteigrenzen hinweg –
        nd etliche Abgeordnete des britischen Parlaments stellen
        iese Forderung ebenfalls auf. Und auch wenn Frau
        ieczorek-Zeul noch so oft betont, dass die AKP-Regie-
        ungen den Abschluss von EPA anstreben und das gültige
        erhandlungsmandat der EU-Kommission nicht infrage
        tellen, haben die AKP-Regierungen doch ihre Kritik an
        er Verhandlungsführung der EU-Kommission mehrfach
        berdeutlich geäußert, zum Beispiel auf der Handelsmi-
        isterkonferenz der Afrikanischen Union im April dieses
        ahres. Dort wurde ganz klar kritisiert, die EU berücksich-
        ge Entwicklungsbelange in den Verhandlungen nicht
        usreichend.
        In den EPA-Verhandlungen stehen sich ungleiche
        artner gegenüber. Auf der einen Seite die EU-Kommis-
        ion, die einen der mächtigsten Wirtschaftsblöcke ver-
        ritt, auf der anderen die AKP-Staaten, von denen viele
        u den am wenigsten entwickelten Staaten der Welt ge-
        ören. Zur Kritik an der Verhandlungsführung der EU
        ehört ja gerade, dass sie diese Asymmetrie und die
        ohe Abhängigkeit der AKP-Staaten voll ausspielt und
        ie AKP-Staaten entsprechend unter Druck setzt. 2007
        äuft die Verlängerung des Präferenzsystems von Lomé
        us und die AKP-Staaten haben viel zu verlieren: Sie
        ühren 40 Prozent ihrer Exporte in die EU aus, während
        as umgekehrt nur für 3 Prozent gilt. Auch die Auszah-
        ungen aus dem Europäischen Entwicklungsfonds sind
        etztlich an die Unterzeichnung der EPA geknüpft. Frau
        ieczorek-Zeuls Hinweis ist deshalb zynisch. Die AKP-
        taaten haben keine Wahl. Deshalb ist es genau richtig,
        enn die Initiative für eine Neuformulierung des Ver-
        andlungsmandats der EU-Kommission von Europa aus-
        eht.
        In den Dokumenten der Europäischen Union und in
        nserem Ausschuss ist ständig die Rede von Politikko-
        ärenz. Der Europäische Entwicklungskonsens fordert,
        ass die Ziele der Entwicklungszusammenarbeit auf al-
        en Politikfeldern der EU Berücksichtigung finden müs-
        en. Die Praxis sieht völlig anders aus. In den EPA-Ver-
        andlungen ist von Kohärenz nichts zu sehen. Sollte sich
        ie EU-Kommission mit ihrer aktuellen Verhandlungsli-
        ie durchsetzen, würden Entwicklungsziele massiv un-
        erlaufen. Als Folge der EPA wären die Produzenten in
        en AKP-Staaten einem ungleichen Wettbewerb mit den
        ffizienteren und überdies oft subventionierten Produ-
        enten der EU ausgesetzt, in dessen Ergebnis sie von ih-
        en lokalen und nationalen Märkten verdrängt würden.
        er EU-Ausschuss der Assemblée Nationale spricht von
        inem vierfachen Schock, der auf die AKP-Staaten zu-
        omme: für die Landwirtschaft, für im Aufbau befindli-
        he Industrien, für die Haushalte (aufgrund sinkender
        olleinnahmen) und für die Handelsbilanzen. Aminata
        raoré, ehemalige Kultusministerin Malis, bezeichnete
        ie Freihandelsabkommen gar als die „Massenvernich-
        ungswaffen“ Europas.
        6270 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006
        (A) )
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        Die Linke setzt sich für eine andere EU-Außenhan-
        delspolitik gegenüber den Ländern des Südens ein, die
        dem UN-Menschenrecht auf Entwicklung, dem Schutz
        heimischer und regionaler Märkte und den international
        festgelegten Zielen der Armutsbekämpfung verpflichtet
        ist. In deren Mittelpunkt darf nicht der Wettbewerb, son-
        dern muss der solidarische Austausch mit den wirt-
        schaftlich schwächeren Partnern stehen. Ich unterstrei-
        che deshalb unsere Forderung, die wir heute hier im
        Bundestag und zugleich gemeinsam mit vielen Abgeord-
        neten in anderen EU-Ländern stellen, dass der EU-Kom-
        mission das Mandat zu den EPA-Verhandlungen entzo-
        gen und dass ein neues, entwicklungspolitisch
        kohärentes Mandat formuliert wird. Sowohl in der Euro-
        päischen Union als auch in ihren Partnerstaaten dürfen
        soziale und ökologische Standards nicht der Wettbe-
        werbsfähigkeit geopfert werden. Es darf kein Druck auf
        die Verhandlungspartner ausgeübt werden, ihre Binnen-
        bzw. regionalen Wirtschaftsräume durch Liberalisierung
        zu gefährden. In volkswirtschaftlich, ökologisch, sozial
        oder kulturell sensiblen Bereichen dürfen keine Liberali-
        sierungen verlangt werden. Alle Verhandlungen müssen
        künftig offen und öffentlich geführt werden. Sie müssen
        von einer regelmäßigen sozialen, ökologischen und kul-
        turellen Folgenabschätzung auf der Grundlage von ge-
        meinsam mit zivilgesellschaftlichen Gruppen erarbeite-
        ten Maßstäben begleitet werden. Dies wäre ein
        wesentlicher Beitrag zur Umsetzung der UN-Millen-
        niumsziele.
        Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Co-
        tonouabkommen von 2000 regelt die wirtschafts- und
        handelspolitische Zusammenarbeit der Europäischen
        Union, EU, mit den Staaten Afrikas, der Karibik und des
        Pazifiks, AKP, – neu. Es sieht den Abschluss von Wirt-
        schaftspartnerschaftsabkommen, EPA, – vor. Sie haben
        das erklärte Ziel, die Armut zu bekämpfen und eine
        nachhaltige Entwicklung zu fördern. Doch die traurige
        Wahrheit ist, dass diese entwicklungspolitische Ausrich-
        tung im bisherigen Verhandlungsprozess nicht konse-
        quent und kohärent umgesetzt worden ist.
        Wir Grünen wollen, dass es in diesen Verhandlungen
        Fortschritte gibt und mit den AKP-Staaten belastbare
        Entwicklungspartnerschaftsabkommen abgeschlossen wer-
        den. Immerhin sind 39 der 50 so genannten LDCs zu-
        gleich AKP-Länder. Ich verwende mit Bedacht den Be-
        griff „Entwicklungspartnerschaftsabkommen“, denn nur
        darum kann es gehen! Und wir müssen noch nicht einmal
        einen neuen Namen erfinden: EPA bedeutet für Entwick-
        lungspartnerschaftsabkommen; das passt perfekt!
        Die EU muss ihre Strategie überdenken und die Part-
        nerschaft mit den AKP-Ländern vom Kopf auf die Füße
        stellen: Zukunft durch Entwicklung geht vor Freihandel.
        Entscheidend ist, dass die Zusammenarbeit zur Armuts-
        und Hungerbekämpfung beiträgt. Wir wissen: Wir haben
        es bei den Verhandlungen zwischen der EU und den
        AKP-Staaten mit sehr ungleichen Partnern zu tun. Das
        Nationaleinkommen der AKP-Länder macht gerade ein-
        mal 3 Prozent von dem der EU aus. Während mehr als
        40 Prozent der AKP-Exporte in die EU gehen, findet
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        mgekehrt nur der kleinste Teil der EU-Waren den Weg
        n die AKP-Länder.
        Partnerschaft kann unter solchen Rahmenbedingun-
        en schnell zum Euphemismus werden. Die Probleme,
        ie sich im Rahmen der EPA-Verhandlungen stellen, lie-
        en für mich auf drei Ebenen.
        a) Die ökonomischen Risiken liegen aufgrund der un-
        leichen Gewichte eindeutig auf der Seite der AKP-Län-
        er. Wir müssen diese Risiken für die ärmsten Länder
        egrenzen und in Potenziale umwandeln. Dies kann aber
        ur mit einem eindeutigen Entwicklungsmandat gesche-
        en. Die EPAs müssen den Marktzugang zur EU verbes-
        ern. Die EU-Agrarsubventionen müssen so einge-
        chränkt werden, dass mit dem Agrardumping Schluss
        emacht wird. Damit wird Druck von Millionen von
        roduzenten in den AKP-Ländern genommen, die mit
        er hoch subventionierten europäischen Lebensmittelin-
        ustrie nicht konkurrieren können.
        b) Während die EPAs für die AKP-Länder wirtschaft-
        ich äußerst bedeutend sind, haben sie für die EU vor al-
        em eine politische Bedeutung. Auf dieser Ebene liegen
        us meiner Sicht auch die Hauptgefahren. Nach dem
        cheitern der WTO-Verhandlungen gilt es, sehr genau
        u beobachten, welche Exempel bei bilateralen und bire-
        ionalen Handelsabkommen statuiert werden. Tragen
        ie EPAs dazu bei, die Chancen für ein zukünftiges mul-
        ilaterales Abkommen zu erhöhen, oder nehmen sie Ent-
        cheidungen vorweg, die im Gegensatz zu den Zielen
        er Dohaentwicklungsrunde stehen? Für mich ist klar,
        ass im Rahmen der EPA keine Themen wie Investitio-
        en, Wettbewerbspolitik und öffentliches Beschaffungs-
        esen verhandelt werden dürfen, die als so genannte
        ingapurthemen von der WTO-Entwicklungsrunde aus-
        enommen wurden. Gleichzeitig dürfen keine weitge-
        enden Abkommen in den Bereichen geistiger Eigen-
        umsrechte, TRIPS, und Dienstleistungen abgeschlossen
        erden, die das Lager der Entwicklungsländer für die
        eiteren Verhandlungen im WTO-Prozess nachhaltig
        palten.
        c) Ich möchte auf ein ganz besonderes Problem hin-
        eisen. Obwohl die EPAs im Zusammenhang mit dem
        otonouabkommen stehen, werden sie vom EU-Han-
        elskommissar und nicht von Louis Michel, dem Ent-
        icklungskommissar, verhandelt. Dieser sitzt am Kat-
        entisch der EPA-Verhandlungen. Es war schon absurd,
        ass der Entwicklungskommissar der EU an den WTO-
        inistertreffen nicht teilnehmen durfte. Dass er bei den
        artnerschaftsabkommen aber nicht mindestens gleich-
        erechtigt mitverhandelt, ist nicht hinnehmbar. Wer,
        enn nicht die EU-Entwicklungspolitikerinnen und -po-
        itiker, sollen denn für die Entwicklungsverträglichkeit
        er Abkommen auf EU-Seite eintreten? Wenn ich das
        anze auf deutsche Verhältnisse übertrage: Vom Wirt-
        chaftsministerium erwarte ich nie und nimmer eine Ent-
        icklungsagenda; dort steht die „Kampftruppe der deut-
        chen Unternehmerschaft“. Dies mag für bestimmte
        ufgaben seine Berechtigung haben, in Verhandlungen
        it den ärmsten Ländern macht dies aber überhaupt kei-
        en Sinn.
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006 6271
        (A) )
        (B) )
        Glücklicherweise ist in Deutschland für die EPAs das
        Entwicklungsministerium zuständig. Daraus erwächst
        eine besondere Verantwortung für die deutsche EU-Rats-
        präsidentschaft. Das entwicklungspolitische Mandat für
        die EPAs muss entschieden gestärkt werden. Ich hoffe
        darüber hinaus, dass von der deutschen EU-Präsident-
        schaft starke Impulse für die WTO-Entwicklungsrunde
        ausgehen. Es muss endlich Schluss sein mit dem ent-
        wicklungsfeindlichen Protektionismus und der fehlgelei-
        teten Agrarsubventionspolitik der EU. Nur neue und
        weit reichende EU-Angebote können die WTO-Ver-
        handlungen wieder beleben.
        Anlage 10
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über
        die Statstik der Verdienste und Arbeitskosten
        (Verdienststatistikgesetz – VerdStatG) (Tages-
        ordnungspunkt 19)
        Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): Die Reform der
        Lohnstatistik ist ein lobenswertes Beispiel für den Büro-
        kratieabbau der großen Koalition. Die Wirtschaft wird
        entlastet, ohne dass es zu wesentlichen Einschnitten in
        die Leistungsfähigkeit der amtlichen Statistik kommt. Es
        stellt einen weiteren wichtigen Schritt zur Entlastung der
        Wirtschaft von statistischen Berichtspflichten dar.
        Der Gesetzentwurf reiht sich ein in das Maßnahmen-
        paket zum Bürokratieabbau, welches im Zuge des Ersten
        Mittelstandsentlastungesetzes auf den Weg gebracht
        wird. Anstelle der bisher vierteljährlichen und jährlichen
        Verdiensterhebung soll nur noch die vierteljährliche Er-
        hebung durchgeführt werden.
        Verdiensterhebungen in der Landwirtschaft werden
        nur noch alle vier Jahre durchgeführt; in der Zwischen-
        zeit erfolgen Schätzungen durch das Statistische Bun-
        desamt. Besondere Verdiensterhebungen im Handwerk
        entfallen künftig, da sie nach EG-Recht nicht nötig sind.
        Die aus EG-rechtlichen Gründen weiterhin erforderli-
        che vierteljährliche Verdiensterhebung wird somit bei
        unveränderter Stichprobengröße gleichmäßiger auf die
        Gesamtwirtschaft verteilt. Dies verringert die Statistik-
        lasten, insbesondere im besonders betroffenen verarbei-
        tenden Gewerbe. Eine insgesamt gerechtere Verteilung
        und vor allem eine Entlastung der kleinen und mittleren
        Unternehmen des produzierenden Gewerbes werden da-
        mit erreicht. Damit begrüßen wir die geplante Stoßrich-
        tung des Gesetzes, nämlich die Erhebungen auf den
        Dienstleistungssektor auszudehnen, ohne den Stichpro-
        benumfang zu erhöhen.
        Auch wenn dieser Tage interessengelenkt versucht
        wird, das Bürokratieabbauprojekt zu zerreden, so sage
        ich Ihnen als Mitglied der Koalitionsfraktion und mit In-
        formationen aus erster Hand, dass die Bundesregierung,
        respektive das Bundeskanzleramt, auf Kurs ist.
        Die Identifizierung bestehender Informationspflich-
        ten der Wirtschaft ist abgeschlossen. Im nächsten Jahr
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        ird nach Abschluss der Messungen das Abbauziel ver-
        ündet und mit der Selbstverpflichtung jedes einzelnen
        essorts begonnen. Hier waren die Medien schlicht und
        infach falsch informiert, wenn dieser Tage in der Zei-
        ung von der Verkündung des Abbauziels in 2008 ge-
        chrieben steht. Hüten Sie sich bitte vor diesen voreili-
        en Falschmeldungen!
        Bedenken Sie einfach nur, dass die Holländer heute
        ach sechsjähriger Vorlaufzeit mit ihren SKM-Erfolgen
        ufwarten. Wenn uns also Zeitvergeudung vorgeworfen
        ird, so dürfte dies frühestens im Jahr 2012 erfolgen.
        och wir freuen uns natürlich über Kritik und Druck von
        ußen, zeigt es doch nur das fraktionsübergreifende Inte-
        esse an diesem wichtigen Thema.
        Parallel zur Implementierung des erfolgreichen SKM-
        odells, dessen Einführung auf europäischer Ebene die
        undeskanzlerin während ihrer Ratspräsidentschaft an-
        trebt, betreibt die Bundesregierung auch materielle De-
        egulierung – wie das heute vorliegende Gesetz beweist.
        Ein rasches Erstes Mittelstandsentlastungsgesetz hat
        as BMWi vor der Sommerpause verabschiedet, schon
        ald wird das Zweite Mittelstandsentlastungsgesetz in
        en Deutschen Bundestag eingebracht. Damit machen
        ir also deutlich, dass wir nicht bis zum Vorliegen der
        essergebnisse des jüngst vorgestellten deutschen Stan-
        ard-Kosten-Modells abwarten, sondern schon jetzt die
        irtschaft von Bürokratie befreien.
        Auch die übrigen Ressorts werden eigene Bürokratie-
        ntlastungsgesetze vorlegen. Hier ist jedes Haus am Zug,
        uch schon vor Festlegung des jeweiligen prozentualen
        bbauziels.
        Der neue Normenkontrollrat hat ab Oktober seine Ar-
        eit begonnen. So werden wir in Zukunft eine exakte
        ostenbelastung für die Wirtschaft bei Gesetzentwürfen
        or Augen haben und Bürokratie vermeiden können. Der
        ormenkontrollrat wird sich zugleich auch bestehende
        esetz vorknöpfen und uns konkrete Bürokratieabbau-
        iele aufzeigen.
        In der Vergangenheit wurde die Bürokratiekostendis-
        ussion regelmäßig vor dem Hintergrund einer wenig
        undierten Debatte geführt. Die Ermittlung der Gesamt-
        elastung wurde nahezu ausschließlich auf Basis subjek-
        iver Einschätzungen vorgenommen. Nun werden wir
        rstmalig mit fundierten Zahlen arbeiten können. Dabei
        st die Einführung des SKM für uns aber auch ein Entde-
        kungsverfahren. Ich begrüße es dabei außerordentlich,
        ass die so genannte Nullmessung durch die Beamten
        ithilfe des Statistischen Bundesamtes selbst durchge-
        ührt wird. Das hat auch etwas mit Mentalitätswechsel
        u tun, den wir uns nicht einfach teuer durch externe Be-
        ater einkaufen, sondern den wir uns – auch wenn es mü-
        evoll sein kann – selbst aneignen.
        Die Beamten in den Ressorts sind durch fundierte
        chulungen auf das Messverfahren vorbereitet worden.
        ie Schulungen sind gut angekommen; daher verwun-
        ern mich ehrlich gesagt Äußerungen über angebliche
        ehlende fachliche Qualifizierungen.
        6272 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006
        (A) )
        (B) )
        Noch ein, zwei Bemerkungen zur Rolle des Statisti-
        schen Bundesamtes: Das Amt verfügt über die notwen-
        digen Erfahrungen im Umgang mit den gefragten Erhe-
        bungsmethoden und steht regelmäßig in Kontakt mit der
        Wirtschaft. Das Amt wird zentral den Messprozess steu-
        ern. Das bedeutet eine Ressourcen sparende Umsetzung
        des Verfahrens. Last, but not least werden die Unterneh-
        mer nicht mit einer Vielzahl einzelner und unkoordinier-
        ter Erhebungen durch verschiedene Akteure belastet.
        Denn die eigentliche Anwendung des Standardkos-
        tenmodells ist im Grunde Datenerhebung, Datenaufbe-
        reitung und Datenauswertung. Dies ist das originäre Ar-
        beitsgebiet der amtlichen Statistik. Die Bundesregierung
        nutzt im Sinne moderater Haushaltspolitik bestehendes,
        entsprechend geschultes Personal. Und dem Amt liegen
        zahlreiche, für die SKM-Messung benötigte Informatio-
        nen bereits vor.
        Ich gebe zu, dieser gewaltige Prozess ist nach außen
        hin weniger sichtbar. Doch nicht alles, was nach außen
        getragen wird, muss auch gut sein. Tag für Tag vollzieht
        sich aber diese Reform unter Eifer und Nachdruck der
        politisch Verantwortlichen. Wir als Regierungsfraktion
        begleiten diesen Prozess kritisch und als starker Partner.
        Doris Barnett (SPD): Das Verdienststatistikgesetz,
        das wir heute verabschieden, löst das Lohnstatistikgesetz
        ab. Aber es ist mehr als nur eine neue Verpackung! Es
        wird die Wirtschaft, insbesondere das Handwerk, nach-
        haltig entlasten, ohne auf die notwendige Datenbasis zu
        verzichten, die ja zu vielerlei Entscheidungen Grundvo-
        raussetzung ist.
        Gerade in der heutigen Zeit, in der für unser Land als
        Standort wichtige wirtschaftspolitische Planungsent-
        scheidungen fallen, sind aussagekräftige Statistiken zu
        Arbeitsverdiensten und Arbeitskosten notwendig. Aber
        nicht nur die korrekte Datenlage – auch die Erhebung
        der Daten ist für die Wirtschaft ein Faktor, und zwar ein
        nicht unerheblicher Kostenfaktor. Und der wird umso
        mehr akzeptiert, je enger die mit ihm verbundenen Sta-
        tistiken an die Bedürfnisse seiner Nutzer angepasst sind.
        Das zehn Jahre alte, vor fünf Jahren zuletzt geänderte
        Lohnstatistikgesetz ist für eine zeitgemäße Verdienst-
        erhebung nicht mehr tauglich. Einerseits erfordert das
        EG-Recht eine Anpassung der nationalen Rechtsgrund-
        lagen gemäß der Berichtspflicht. Andererseits ist die
        jetzt noch geltende Rechtslage nicht flexibel genug, um
        auf einfachere Art Erhebungsmethoden zu verändern
        und auch effizienter zu gestalten.
        Darüber hinaus ist es für uns wichtig, die aufgrund
        europäischer und auch deutscher Anforderungen vorzu-
        nehmenden Datenerhebungen gut aufeinander abzustim-
        men, um die Belastungen für die Betriebe gering zu hal-
        ten. Dafür sorgen unter anderem die Möglichkeiten der
        automatisierten Datengewinnung aus dem betrieblichen
        Rechnungswesen, mit der so genannten Erhebungssoft-
        ware „eSTATISTIK.core“. Angaben für die Verdienst-
        erhebung können somit elektronisch aus den Lohnab-
        rechnungssystemen zusammengestellt und papierlos an
        eine zentrale Annahmestelle der statistischen Ämter
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        bermittelt werden. Damit sind wir in der Lage, die EG-
        erordnungen für ein integriertes System der Verdienst-
        nd Arbeitskostenstatistik zu erfüllen.
        Die Neuregelungen, die wir jetzt beschließen, umfas-
        en: den Wegfall einer jährlichen Verdiensterhebung, die
        m produzierenden und im Dienstleistungsgewerbe bis-
        er neben den unterjährigen Erhebungen durchgeführt
        urden; die Verdiensterhebungen in der Landwirtschaft,
        ie jetzt nicht mehr jährlich, sondern nur noch alle vier
        ahre durchgeführt werden; den Wegfall der besonderen
        erdiensterhebungen im Handwerk, die eigentlich zur
        rfüllung der Verpflichtungen nach EG-Recht gar nicht
        ötig sind; und die mehrjährlichen Verdienststruktur- und
        rbeitskostenerhebungen werden gemäß den einschlägi-
        en EG-Verordnungen auf die gesamte Wirtschaft ausge-
        ehnt. Dadurch werden bei gleich bleibendem Ge-
        amtaufwand die Berichtspflichten gleichmäßiger auf die
        esamtwirtschaft verteilt, was sich vor allem für kleine
        nd mittelgroße Unternehmen des produzierenden Ge-
        erbes als Entlastung auswirkt, wie insgesamt die
        umme aller Maßnahmen des Verdienststatistikgesetzes
        u einer deutlichen Entlastung der Wirtschaft führen
        ird.
        Weil aber die Berichtspflichten jetzt für die Unterneh-
        en reduziert werden, ergibt sich aufseiten der Statisti-
        chen Ämter der Länder und des Bundes auch ein verrin-
        erter Erhebungsaufwand und damit eine Entlastung.
        icher, es wird – wie immer bei solchen Gesetzen – zu-
        ächst zu Mehrkosten bei den Ämtern in der Einfüh-
        ungsphase kommen. Wenn wir allerdings die bisherigen
        ufwendungen zur Durchführung des geltenden Lohn-
        tatistikgesetzes zugrunde legen und sie mit den nun-
        ehr zu verarbeitenden Daten und Zeiträumen verglei-
        hen, werden wir feststellen, dass alle Geld sparen
        erden. Die Länder werden der größte Nutznießer sein,
        ie werden jährlich rund 590 000 Euro einsparen kön-
        en, auch wenn diese Summe nicht sofort beim Finanz-
        inister ankommt, weil zunächst Umstellungskosten ge-
        engerechnet werden müssen.
        Auch im Haushalt des Statistischen Bundesamtes
        ird mit jährlichen Einsparungen von 20 000 Euro ge-
        echnet, auch hier lasse ich die einmaligen Umstellungs-
        osten außer Acht.
        Für die Wirtschaft enthält das Gesetz – und das will
        ch auch gar nicht unterschlagen – kostenbe- und -entlas-
        ende Elemente. Aber in der Summe aller gesetzlichen
        nderungen wird es zu weniger Kosten und Aufwand
        ür die Wirtschaft kommen. Natürlich müssen wir immer
        amit rechnen, dass durch unser Gesetz eventuell bei
        em einen oder anderen Unternehmen möglicherweise
        ie Kosten steigen und sich das auch für den Kunden be-
        erkbar macht. Allerdings dürfte das wohl die absolute
        usnahme sein, die die Regel eher bestätigt!
        Die jetzt von uns zu verabschiedende Reform der
        ohnstatistik ist Teil des Maßnahmenkatalogs der Bun-
        esregierung in deren Programm „Bürokratieabbau und
        essere Rechtsetzung“ in der Fassung des Eckpunktepa-
        iers zum Mittelstandsentlastungsgesetz. Ich bin über-
        eugt, dass wir mit dieser Gesetzesnovelle wieder einen
        chritt – über dessen Größe ich gar nicht spekulieren
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006 6273
        (A) )
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        will – zu einer besseren Verwaltung und somit Regie-
        rungshandeln kommen. Das haben wir uns vorgenom-
        men im Interesse des Standorts Deutschland – und das
        setzen wir jetzt um. Ich wäre froh, wenn sich daran mög-
        lichst viele Kolleginnen und Kollegen beteiligen wür-
        den, ich lade Sie auf jeden Fall gerne dazu ein.
        Martin Zeil (FDP): Wir beraten heute in zweiter und
        dritter Lesung über das neue Verdienststatistikgesetz,
        dass das geltende Gesetz über die Lohnstatistik zum
        1. Januar 2007 ablösen soll. Unter der Maßgabe der eu-
        ropäischen Verordnungen ist es das Ziel des neuen Ge-
        setzes, die gegenwärtige Wirtschaftsstruktur in ihrer
        ganzen Breite zu erfassen und der gestiegenen Bedeu-
        tung des Dienstleistungssektors auch in der statistischen
        Erfassung Rechnung zu tragen. Gleichzeitig sollen mit
        dem neuen Gesetz kleine und mittelgroße Unternehmen
        von Berichtspflichten entlastet werden.
        Damit ist das neue Verdienststatistikgesetz ein Schritt
        in die richtige Richtung. Wir begrüßen dabei ausdrück-
        lich die geplante Entlastung durch die Reduzierung der
        Verdiensterhebung und die Reduzierung der Erhebungen
        im Bereich der Landwirtschaft und des Handwerks. Wir
        begrüßen auch die Reduzierung der Kosten bei den sta-
        tistischen Landesämtern und dem Statistischen Bundes-
        amt.
        Ich will Ihnen aber auch ganz klar sagen, warum wir
        diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen können. Es muss
        nämlich noch einmal deutlich gemacht werden, dass Sie
        mit diesem Gesetz Gefahr laufen, Bürokratie auf- und
        nicht abzubauen. Ich möchte Sie an Ihre Koalitionsver-
        einbarung erinnern, in der Sie das Ziel festgeschrieben
        haben, die milliardenschweren Bürokratielasten in unse-
        rem Land zu reduzieren und neue zu vermeiden. Das
        leisten Sie mit diesem Gesetz nicht. Zum einen wird
        durch den Gesetzentwurf der Mittelstand vermehrt in die
        Pflicht genommen, zum anderen bleiben Chancen der
        Entlastung – die sich hier durchaus geboten hätten – un-
        genutzt. Ich will Ihnen das näher erläutern: Da der Anteil
        der kleineren und mittleren Unternehmen im Dienstleis-
        tungssektor höher ist als in denjenigen Wirtschaftszwei-
        gen, die von Berichtspflichten entlastet werden, wird es
        in der Summe mit der Ausdehnung der Berichtspflicht
        auf den Dienstleistungssektor zu einer Zunahme der Be-
        lastung für eben diese kleineren und mittleren Unterneh-
        men kommen. Das sollte man wissen und auch entspre-
        chend berücksichtigen. Ein zentrales Ziel des
        Verdienststatistikgesetzes, den durch Bürokratiekosten
        überproportional belasteten Mittelstand von Berichts-
        pflichten zu verschonen, wird damit verfehlt.
        Es muss aber auch angemerkt werden, dass eine bun-
        desländerspezifische Erhebung nicht notwendig gewe-
        sen wäre. Es ist zu bedauern, dass die Bundesregierung
        im Vorfeld einen Änderungsvorschlag des Bundesrates
        abgelehnt hat. Die Länder befürchten hier einen starken
        Anstieg der Arbeitsbelastung in den statistischen Lan-
        desämtern. Die Bedenken der Länder sollten ernst ge-
        nommen werden. Da das EU-Recht keine Ausweitung
        auf Landesebene vorsieht, fordern wir, auf eine solche
        zu verzichten.
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        Darüber sind vor allem die folgenden Punkte zu be-
        ängeln: Der geplante Stichprobenumfang der verschie-
        enen Verdiensterhebungen ist zu weit. Danach sollen
        ro Stichprobe 40 500 respektive 34 000 Unternehmen
        erangezogen werden. Diese Stichprobenumfänge lassen
        ich nicht aus den zugrunde liegenden EU-Verordnungen
        bleiten. Unter der Zielsetzung einer geringen Belastung
        ür die Unternehmen bei statistischen Berichtspflichten
        natürlich weiter unter der gleichzeitigen Gewährung
        ussagekräftiger Daten – wäre eine Reduzierung des
        tichprobenumfangs in allen Erhebungen des Verdienst-
        tatistikgesetzes auf die Hälfte der Grundgesamtheit
        innvoll. Daraus würde sich ein Entlastungseffekt für die
        nternehmen ergeben bzw. damit könnten über
        0 000 Unternehmen von Berichtspflichten verschont
        leiben.
        Die Möglichkeit, in Zukunft im Rahmen der statisti-
        chen Berichtspflichten vermehrt Daten elektronisch zu
        bermitteln, ist grundsätzlich positiv zu bewerten. Die
        ier zur Anwendung kommende Software eSTATIS-
        IK.core kann mittel- bis langfristig eine geeignete da-
        entechnische Voraussetzung bieten. Wir nehmen aber
        uch hier die Bedenken der Unternehmen sehr ernst, die
        nmerken, dass sich das automatisierte Datengewin-
        ungsverfahren eSTATISTIK.core noch in der Erpro-
        ungsphase befindet und ein voller Einsatz in den Unter-
        ehmen bereits zu Beginn des nächsten Jahres sehr
        nrealistisch ist. Die teils erheblichen Kosten, die mit
        er Umstellung auf den Betrieb von eSTATISTIK.core
        erbunden wären, halten vor allem viele kleinere Unter-
        ehmen von der Umstellung ab. Zudem ist der Melde-
        eg häufig noch technisch fehleranfällig.
        Lassen Sie mich zum Schluss noch anmerken, dass
        it der Ablösung des Lohnstatistikgesetzes durch das
        eue Verdienststatistikgesetz die Chance hätte ergriffen
        erden müssen, eine umfassende Revision der komplet-
        en Unternehmensstatistik einzuleiten. Gerade im Be-
        eich der amtlichen Statistik sind viele Gesetze und Ver-
        rdnungen nicht aufeinander abgestimmt. Dazu wird in
        ielen Bereichen das Potenzial von Datenbanksynergien
        icht ausreichend genutzt, obwohl mit dem Verwal-
        ungsdatenverwendungsgesetz die rechtliche Grundlage
        ür den Datenaustausch geschaffen wurde.
        Abschließend möchte ich sagen, dass die Belange der
        irtschaft und der Länder hätten ernster genommen
        erden müssen. Das neue Verdienststatistikgesetz wurde
        icht genutzt, die Unternehmen und Bürger in diesem
        and umfassender zu entlasten. Aus diesen Gründen leh-
        en wir das Gesetz ab.
        Sabine Zimmermann (DIE LINKE): Es kommt
        anchmal vor, dass jemand genau das Gegenteil von
        em tut, was er ständig erzählt. Das ist diesmal bei der
        undesregierung der Fall. Bisher hat die Bundesregie-
        ung beklagt, es gebe zuviel amtliche Statistik und diese
        ürde kleine und mittlere Unternehmen übermäßig be-
        asten und wirtschaftliches Wachstum hemmen. Diese
        ehauptung entbehrt jeglicher Grundlage. Darauf
        omme ich gleich. Zunächst zum vorliegenden Entwurf
        es Verdienststatistikgesetzes. Damit soll die Erhebung
        6274 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006
        (A) )
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        der Arbeitsverdienste und Arbeitskosten auf nahezu die
        gesamte Wirtschaft ausgeweitet werden. Bisher erfolgte
        dies nach dem alten Lohnstatistikgesetz von 1951 nur in
        der Industrie und einigen Teilen des Dienstleistungsge-
        werbes.
        Die Erfassung der Arbeitsverdienste und Arbeitskosten
        ist politisch sinnvoll. Eine ordentliche und verlässliche
        Statistik ist unabdingbar für eine verantwortungsvolle
        Wirtschaftspolitik. Mit diesem Verdienststatistikgesetz
        soll nun auch die Teilzeitbeschäftigung erfasst werden. In
        einer Zeit, in der die Mini- und Midijobs, von denen man
        nicht leben kann, um sich greifen, ist das nur zu begrüßen.
        Die Linke stimmt deshalb dem vorliegenden Gesetzes-
        entwurf zu – bei aller Kritik, die wir an einzelnen Punkten
        haben. Ich nenne hier nur die unnötige Streichung be-
        stimmter Erhebungen im Handwerk. In Zukunft wird es
        einen weniger differenzierten Einblick in die dortige
        Lage geben.
        Sie sehen, meine Damen und Herren von Union und
        SPD, wir machen unsere Ankündigung wahr und beglei-
        ten die Vorhaben der Bundesregierung in punkto Büro-
        kratieabbau konstruktiv und stimmen zu, wo etwas in die
        richtige Richtung geht. Allerdings muss man sagen: Die
        Bundesregierung hat dieses Gesetz nicht aus rein freien
        Stücken vorgelegt. Sie folgt damit zu großen Teilen den
        Maßgaben der EU, die Verdienststatistik an EG-Recht
        anzupassen.
        Ich sagte es bereits: Der bisherige Kurs der Bundesre-
        gierung bestand darin, eine Kampagne zum Abbau von
        Statistikpflichten zu führen. Sie hat dies mit dem Mode-
        wort Bürokratieabbau gerechtfertigt und behauptet, vor
        allem die mittelständischen Unternehmen würden von
        Statistikpflichten quasi erdrückt. Was daran Propaganda
        ist und was Realität, das hat jüngst eine verlässliche Un-
        tersuchung gezeigt. Das Deutsche Institut für Wirt-
        schaftsforschung hat mithilfe der statistischen Ämter die
        Belastung der Unternehmen durch die amtliche Statistik
        repräsentativ ermittelt – übrigens im Auftrag des Bundes-
        wirtschaftsministeriums. Wir mussten lange auf eine sol-
        che verlässliche Untersuchung warten. Alle anderen jün-
        geren Studien basierten lediglich auf der subjektiven
        Einschätzung einzelner Unternehmer. Was ist nun bei
        der DIW-Untersuchung heraus gekommen? 85 Prozent
        der knapp 3,5 Millionen Unternehmen in Deutschland
        meldeten 2004 überhaupt keine Daten an die statisti-
        schen Ämter. Die anderen etwa 500 000 befragten Un-
        ternehmen mussten durchschnittlich eine Stunde im
        Durchschnitt für Fragen der amtlichen Statistik aufwen-
        den. Bei kleinen Unternehmen bis neun Beschäftigte be-
        trug der durchschnittliche Meldeaufwand lediglich eine
        halbe Stunde im Monat. Es ist also nichts dran an dem
        Märchen einer erdrückenden Statistiklast für die kleinen
        und mittleren Unternehmen.
        „Gute Politik braucht gute Statistik“, sagt der Vize-
        präsident des statistischen Bundesamtes. Auf die gute
        Politik im Interesse der Menschen warten wir vergeb-
        lich. Dafür hat die große Koalition begonnen, eine gute
        und gesellschaftlich notwendige Statistik abzubauen. Ich
        nenne hier nur das erste Mittelstandsentlastungsgesetz,
        das Union und SPD vor der Sommerpause beschlossen
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        aben. Danach fallen im produzierenden Gewerbe Be-
        riebe mit weniger als 50 tätigen Personen aus der bishe-
        igen Berichtspflicht heraus. Wenn nun aber keine ver-
        ässlichen Daten über die Situation der kleinen
        nternehmen vorliegen, wie soll dann eine vernünftige
        irtschaftspolitik für diesen Bereich gemacht werden?
        ielleicht ist das auch nur ein Zeichen der Ehrlichkeit,
        ass die Politik der großen Koalition eine Politik des
        roßen Kapitals ist.
        Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
        undeskanzlerin Merkel hatte zu Beginn ihrer Regie-
        ungszeit angekündigt, sie wolle die Herkulesaufgabe
        ürokratieabbau mit neuer Kraft angehen. In Würdigung
        es vorliegenden Gesetzentwurfs kann ich dazu feststel-
        en: Frau Merkel ist sicherlich kein neuer Herkules, denn
        raft, Mut und Kondition reichen bei ihr beim Bürokra-
        ieabbau nicht einmal zum Abarbeiten von Standards.
        Meine Begründung für diese Einschätzung ist ganz
        infach. Mit dem Gesetzentwurf soll das geltende Lohn-
        tatistikgesetz durch ein neues Verdienststatistikgesetz
        bgelöst werden. Ein erklärtes Ziel der Bundesregierung
        st es, damit die Wirtschaft von Berichtspflichten zu ent-
        asten. So weit, so löblich.
        Aber: Das Ergebnis dieser Bemühungen ist mehr als
        ager. Anstelle der bisher vierteljährlichen und jährli-
        hen Verdiensterhebungen wollen Sie die Wirtschaft nur
        och zu den vierteljährlichen Erhebungen über Ver-
        ienste und Arbeitszeiten verpflichten.
        Ich muss keine Prophetin sein, um Ihnen vorhersagen
        u können, dass in der Wirtschaft wegen dieses Resultats
        icherlich keine Sektkorken knallen werden.
        Dabei ginge es auch anders. Wir hatten Ihnen in den
        eratungen vorgeschlagen, lediglich die jährliche Erhe-
        ung verpflichtend beizubehalten und stattdessen auf die
        ierteljährlichen Datenerhebungen zu verzichten. Ein-
        al Aufwand statt fünfmal Aufwand. Das wäre eine tat-
        ächliche Entlastung der Wirtschaft, mit der viel Zeit
        nd Geld hätte gespart werden können. Die Koalition
        leibt aber lieber beim Klein-Klein und hat nicht den
        ut aufgebracht, sich unserem Vorschlag anzuschließen
        nd den Bürokratieabbau damit wirklich einmal voran
        u bringen. Deshalb lehnen wir Ihren Gesetzentwurf
        uch ab.
        Der kleinmütige Umgang prägt Ihr Verhältnis zum
        ürokratieabbau auch in der Gesamtschau. Kein Wun-
        er, dass das Handelsblatt vom vergangenen Dienstag
        hre Bemühungen bereits als drohenden Flop bezeich-
        ete. Die Kritik am Handeln der Bundesregierung ist
        ernichtend: Sie benennen keine konkreten Entlastungs-
        iele. Sie befassen die falschen Leute mit den anstehen-
        en Aufgaben, und Sie kaprizieren sich aufs Messen von
        osten und nicht auf die faktische Kostenreduzierung.
        Schon wird gespottet, bisher sei unter Ihrer Aegide le-
        iglich eine „Bürokratieabbau-Bürokratie“ entstanden.
        ür tatsächliche Änderungen aber fehlt Ihnen der Ehr-
        eiz. Die Niederlande haben uns vorgemacht, dass es
        uch anders geht: Sie haben nicht nur ein ehrgeiziges
        iel formuliert, sondern werden dieses Ziel – Reduzie-
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006 6275
        (A) )
        (B) )
        rung der Bürokratiekosten um ein Viertel – voraussicht-
        lich auch erreichen. Dies entspräche übertragen auf die
        deutschen Verhältnisse einem jährlichen Entlastungspo-
        tenzial von 20 Milliarden Euro.
        Dieses Potenzial für innovative Entwicklungen und
        mehr Beschäftigung nutzbar zu machen, wäre ein loh-
        neswertes Projekt. Darum appelliere ich an Sie: Verwal-
        ten und vermessen Sie nicht länger den Bürokratieabbau,
        sondern werden Sie initiativ. Dann können Sie auch mit
        unserer Unterstützung rechnen, die wir Ihnen heute noch
        versagen müssen.
        Anlage 11
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung der Anträge:
        – Hochschulpakt 2020 zum Erfolg bringen –
        Studienplätze bedarfsgerecht und zügig aus-
        bauen
        – Die Qualität der Hochschullehre sichern –
        den Hochschulpakt 2020 erfolgreich ab-
        schließen und weiterentwickeln
        – Hochschulpakt 2020 – Kapazitätsausbau und
        soziale Öffnung
        (Tagesordnungspunkt 20 a bis c)
        Monika Grütters (CDU): Hochschulpolitik hat ein-
        mal mehr in der Republik Konjunktur – und das ist auch
        gut so, möchte man sagen, auch wenn das Bundesland,
        aus dem dieser Spruch seine Wirkung bezieht, sich in
        Sachen Hochschulpolitik zur Zeit nicht gerade mit Ruhm
        bekleckert …
        Aber nachdem wir in der vergangenen Plenarwoche
        die laufenden Verhandlungen um den Hochschulpakt in
        der Aktuellen Stunde diskutiert haben, steht er heute
        erneut auf der Agenda des Bundestages. Das zeigt die
        enorme Bedeutung, die die Wissenschaft im Bewusst-
        sein und auch in der bundesrepublikanischen Wirklich-
        keit hat.
        Grüne und Linke beantragen – und das ist lobenswert,
        interessant und auch ein wenig kurios –, die bisher be-
        reitgestellten Bundesmittel für den Ausbau der Studien-
        platzkapazitäten zu erhöhen. Immerhin, darin schwingt
        ja ein kleiner Teil Anerkennung für die Anstrengungen
        mit, die in der Tat von der Bundesregierung in dieser
        Sache unternommen werden. Schön. Man fragt sich aber
        auch verwundert, warum denn die Grünen in der kürz-
        lich zu Ende gegangenen Legislatur so gar nicht auf die
        Idee gekommen sind, sich einmal bundespolitisch mit
        den Hochschulen und den Studierendenzahlen auseinan-
        der zu setzen. Und zu der Linken kann ich nur sagen,
        dass Sie ganz brav die sozialpolitische Rede hier halten,
        die Sie meinen, Ihrer Klientel schuldig zu sein – auch
        das ist in Ordnung, hat aber mit Hochschulpolitik im
        Jahr 2006 nur bedingt zu tun. Der Nachholbedarf Ihrer-
        seits an diesem sensiblen Punkt ist aber auch unsererseits
        nachvollziehbar.
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        Also zur Sache:
        Die Anstrengungen, den Hochschulpakt zu verhan-
        eln, mögen ja gelegentlich Züge des Unmöglichen
        ragen. Aber es ist doch die Bundesministerin Schavan,
        ie die Bemühungen um den Hochschulpakt beharrlich
        orantreibt, ja die sogar die Idee zu diesem Hochschul-
        akt hatte.
        Da macht es wenig Sinn, sondern verläuft sich als Op-
        ositionsmasche, schon auf halbem Wege dahin sein
        cheitern zu beschwören – dies nur an die Adresse der
        rünen und der Linken. Aus Ihren Anträgen lese ich
        edenfalls nur bedingt das Bemühen heraus, den Hoch-
        chulpakt zum Erfolg zu führen. Sie überfrachten schon
        ie Anfangsmühen mit neuen Forderungen – nach mehr
        eld die einen und nach Kriterien, die wirklich erst dann
        elevant werden, wenn man sich länder- und bundessei-
        ig in Grundsätzlichem einig geworden ist. Nun gehört
        as Schlechtreden zum Oppositionsritual, aber nützen
        ut das hier niemandem.
        Schließlich ist eine höhere Studierquote im gesamt-
        taatlichen Interesse (das konstatieren immerhin auch
        ie Grünen) und deshalb ist es auch gut, dass es mit dem
        ochschulpakt endlich eine verabredete Zusammenar-
        eit zwischen Bund und Ländern geben wird. Im Übri-
        en wäre das in der Tat beinahe am starren Willen eini-
        er Ministerpräsidenten gescheitert, die hier in
        ußerordentlicher Weise auf ihrer Länderzuständigkeit
        eharrten – aber es waren Bildungs- und Wissenschafts-
        olitiker aller politischen Couleur, die sich dann doch er-
        olgreich für die jetzigen Varianten im föderalistischen
        efüge eingesetzt haben.
        Im aktuell zu vereinbarenden Hochschulpakt werden
        lso endlich beide Seiten in die Pflicht genommen, und
        s ist der Bund, der seine Vorleistungen schon erbracht
        at, indem hier 565 Millionen Euro als Finanzierungs-
        ilfe für zusätzliche Studienplätze und 700 Millionen Euro
        ür Programmittel für Forschungsprojekte an den Unis
        ur Verfügung gestellt wurden. Da können Sie gerne
        ehr, noch mehr fordern – als Opposition kommen Sie
        a nicht in die Verlegenheit, zu sagen, wessen Ressort
        afür geschröpft werden soll. Und immerhin fließen
        urch diese Regierung erhebliche zusätzliche Mittel in
        issenschaft und Forschung – so etwas hat es vorher nie
        egeben! Da ist der Ruf nach immer mehr gerade einmal
        illig.
        Die Bundesmittel in Höhe von 565 Millionen Euro zur
        apazitätserhöhung müssen komplementär von den Län-
        ern gegenfinanziert werden, also könnten insgesamt
        ogar 1,3 Milliarden Euro in die Universitäten fließen –
        enn, ja wenn die Länder ihrer so eifersüchtig einge-
        lagten Verantwortung für die Hochschulen tatsächlich
        erecht würden.
        Und was für eine Chance besteht in der Ausformulie-
        ung der inhaltlichen Erwartungen an einen Hochschul-
        akt: Frauenförderung, wachsende Internationalisierung,
        inführung des Lecturers, Mobilität zwischen den Län-
        ern, usw. Sie, die Linken, haben ja durchaus Recht,
        enn Sie so etwas thematisieren – wie Sie sehen, sind
        ie nicht die Ersten, die das tun.
        6276 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006
        (A) )
        (B) )
        Angesichts der unterschiedlichen Entwicklungen der
        Studierendenzahlen könnten die Länder darüber hinaus
        endlich auch einmal ein Miteinander üben: Etwas mehr
        als ein Drittel der zusätzlichen Studienanfänger aus dem
        Westen könnten im Osten studieren. Nur hängt die Wan-
        derung der Studierenden von Faktoren ab, die bewusst po-
        litisch gestaltet werden können und müssen, zum Beispiel
        die Attraktivität der Studienorte, konkrete Bedingungen
        des Studiums, Studienfinanzierung und Zulassungsfragen.
        Für eine Mitverantwortung des Westens für den Osten
        hat Hessen ein erstklassiges Angebot gemacht und vorge-
        schlagen, 25 Prozent der Gesamtsumme an die ostdeut-
        schen Unis zu überweisen. Baden-Württemberg – Herr
        Minister Frankenberg hat das hier in der Aktuellen Stunde
        erwähnt – plant bilaterale Vereinbarungen zwischen sei-
        nen Unis und jeweils einer aus dem Osten. Das hat es
        noch nie gegeben und sicher hätten noch vor kurzem viele
        das für unmöglich gehalten.
        Ein größerer Anteil als der bisherige unserer Studieren-
        den könnte phasenweise im Ausland studieren, das könnte
        man sogar belohnen – so würde auch unser Bildungs-
        system noch internationaler.
        Alle diese Möglichkeiten sind natürlich nicht kosten-
        neutral zu haben. Aber in diesem Kontext seitens der
        Oppostion Kritik an den Verhandlungen zum Hochschul-
        pakt zu üben, ist schlichtweg unlauter: Denn unterfinan-
        ziert sind die Hochschulen schon jetzt, und das ist ein
        Versäumnis aller Länder!
        Und klar, hier kann ich mir als Berliner Abgeordnete
        auch einen Seitenhieb auf die KMK nicht verkneifen
        (von den Vorschlägen bekannter Karlsruher Richter ganz
        zu schweigen): Die Stadtstaaten haben ein Problem, weil
        es in der Natur der Sache liegt, dass sie über ihrem Lan-
        deskinder-Soll ausbilden, auch in finanziell schwierigen
        Zeiten. Insbesondere die Hauptstadt. Wir haben in Berlin
        bereits einen flächendeckenden Numerus clausus und
        trotzdem wurden hier in diesem Wintersemester bereits
        sechs von sieben Studienbewerber wieder weggeschickt.
        Das können wir uns eigentlich alle nicht leisten. Und das
        ist auch nur mit einer gemeinsamen Anstrengung zu
        stemmen. Da ist es auch verständlich, dass Länder mit
        einen höherem Anteil an Nicht-Landeskindern zunächst
        diese Studienplätze ausfinanzieren wollen, bevor sie
        neue zur Verfügung stellen. Aber es kann beim Hoch-
        schulpakt andererseits auch nur um neue, „frische“ Stu-
        dienplätze gehen, wenn man dem Ansturm gerecht wer-
        den will. Soll allerdings die Qualität gewahrt bleiben
        und will man über den Bacherlor-/Master-Abschluss,
        also den Bolognaprozess, auch endlich die Absolventen-
        (und nicht nur die Anfänger-)Quote erhöhen, dann muss
        auch neues Geld in das System. Eine vernünftige Idee ist
        es hier, einen erheblichen Anteil der zur Verfügung ste-
        henden Mittel in neue Fachhochschul-Studienplätze zu
        investieren. Das entspricht nicht nur den Bedürfnissen
        des Arbeitsmarktes, sondern auch der Nachfrage unter
        den Abiturienten, und es ist eben weniger kostenintensiv
        als universitäre Studienplätze.
        Es ist eben eine Vielzahl von Aufgaben, die erledigt
        werden muss an den deutschen Hochschulen und nicht
        alle kann der Hochschulpakt lösen. Und schon gar nicht
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        ird das funktionieren, wenn sich die Länder nicht wirk-
        ich endlich einigen. Das Druckmittel des Bundes ist das
        eld, das nur dieser tatsächlich bereits für diese Aufgabe
        ur Verfügung gestellt hat. Vielleicht können sich manche
        änder nicht vorstellen, dass dieses Geld eventuell gar
        icht fließt, falls sie sich nicht noch rechtzeitig einigen?
        Dass wir bei allem schrillen Beharrungsvermögen der
        änder auf ihrer Zuständigkeit für die Wissenschaft im
        ahmen der Föderalismusreform wenig Hoffnung hatten,
        ass ausgerechnet das zuständige Gremium KMK diese
        usätzlichen Steuerungsaufgaben angemessen bewältigen
        ürde – dieses unser Misstrauen wird nun leider einmal
        ieder allzu deutlich bestätigt. Hatte man uns nicht hier
        n der Anhörung ein allmähliches Abrücken vom Ein-
        timmigkeitsprinzip in Aussicht gestellt? Nichts davon.
        ber schon der damalige Kanzler Helmut Kohl hatte die
        MK als den „letzten Hort der Reaktion“ bezeichnet.
        Stattdessen also „haltlose Länderegoismen“, wie die
        AZ so treffend titelte. Die gilt es in der Tat zu überwin-
        en – und das dürfte sogar auch eine Aufgabe an uns alle
        ein, die wir ja aus den Wahlkreisen all dieser Bundes-
        änder kommen.
        Das ist aber auch ein Appell an Sie, die Sie uns die
        eutigen Anträge beschert haben: Zwar sind die Grünen
        a auch in den Ländern nicht in der Regierungsverant-
        ortung, denn dann könnten Sie immerhin Ihre Kritik
        us dem „exekutiven Off“ in eine konstruktive Politik
        mwandeln. Aber in der Gesamtverantwortung für ein
        elingen des Hochschulpaktes stehen Sie auch. Also,
        elfen Sie mit, wahr zu machen, was möglich ist. Helfen
        ir alle mit, die Länder auf einen guten gemeinsamen
        eg zu bringen. Das sind wir nämlich alle unseren Stu-
        ierenden in Deutschland und unseren Hochschulen
        chuldig.
        Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Mit Recht dür-
        en wir sagen: Kein bildungs- und forschungspolitisches
        hema hat den Deutschen Bundestag in den vergange-
        en Monaten im Plenum wie in den Ausschüssen derart
        eschäftigt wie das ebenso notwendige wie weit rei-
        hende Projekt des Hochschulpaktes. Dieses Projekt,
        chon unter Rot-Grün als zweites Standbein neben der
        xzellenzinitiative in der Aufwertung von Wissenschaft,
        orschung und Lehre in Deutschland in die Diskussion
        ebracht und mit vorbereitet, ist bereits Gegenstand von
        ahlreichen Parlamentsdebatten gewesen, zuletzt noch
        or knapp zwei Wochen in der Aktuellen Stunde des
        undestages. Wir haben im zuständigen Ausschuss kon-
        inuierlich dazu Berichte der Regierung erhalten und mit
        er Regierung diskutieren können.
        Anforderungen und Eckpunkte an einen solchen
        ochschulpakt sind von den Fraktionen, die die Regie-
        ung tragen, frühzeitig in die Diskussion gebracht wor-
        en. Die SPD-Bildungspolitiker haben im März 2006
        it einem Zehn-Punkte-Katalog für einen ehrlichen
        ochschulpakt die Vorlage gegeben. Die CDU-Bil-
        ungspolitiker haben im Juli 2006 nachgezogen.
        Nach dem in diesem speziellen Punkt erfolgreichen
        bschluss der Föderalismusreform, der nicht zuletzt
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006 6277
        (A) )
        (B) )
        durch den hartnäckigen Einsatz der SPD-Bildungspoliti-
        ker und der SPD-Fraktion insgesamt überhaupt erst die
        Grundlage dafür geschaffen hat, dass mit einer neuen
        Gemeinschaftsaufgabe „Wissenschaft“ in Art. 91 b des
        Grundgesetzes die rechtlichen Grundlagen für einen
        Hochschulpakt geschaffen werden konnten, gibt es ge-
        meinsame Verhandlungen von Bund und Ländern über
        die Umsetzung eines solchen Vorhabens. Noch in die-
        sem Jahr, im Dezember, beim abschließenden Jahrestref-
        fen zwischen den Ministerpräsidenten und der Bundesre-
        gierung in Form der Bundeskanzlerin soll es zu einem
        Abschluss des Hochschulpaktes kommen. In der über-
        nächsten Woche, am 20. November 2006, soll die Vor-
        lage hierzu aus den Verhandlungen der Länder unter-
        einander und mit dem Bund zu einem erfolgreichen
        Abschluss geführt werden.
        In dieser Situation legen jetzt die drei Oppositions-
        fraktionen ihrerseits Anträge vor, die noch einmal in der
        Analyse die Notwendigkeit eines Hochschulpaktes be-
        gründen, den quantitativen wie qualitativen Zustand des
        deutschen Hochschulwesens und seiner Entwicklung
        analysieren und gleichzeitig Anforderungen an den
        Hochschulpakt definieren. Man könnte etwas ketzerisch-
        ironisch sagen, dass eine solche Vorlage, in die absolute
        Schlussrunde der Verhandlungen platziert, sicherlich
        nicht zu früh kommt, um es positiv auszudrücken. Ob sie
        besonders hilfreich und wegweisend sein können zu die-
        sem Zeitpunkt, darf gleichwohl bezweifelt werden. Aber
        machen wir das Beste daraus.
        Hierzu fünf Bemerkungen:
        Erstens. Allen drei Anträgen der Oppositionsfraktio-
        nen, so weit sie von ihrem politischen Spektrum auch
        auseinander liegen mögen, ist eigen, dass sie eine große
        Übereinstimmung in der Analyse und der Beschreibung
        der qualitativen und quantitativen Anforderungen an die
        Hochschulentwicklung der Zukunft haben, die Defizite
        im deutschen Hochschulsystem und die Finanzierungs-
        lücken übereinstimmend und richtig beschreiben und
        auch die politischen Perspektiven und Chancen eines
        Wachstums der Zahl der Studierenden und der Studien-
        plätze in einer Weise herausarbeiten, dass sich denen
        auch die SPD und sicherlich auch die CDU/CSU von der
        Zielsetzung her anschließen können. Hier liegt, jenseits
        des traditionellen Wechselspiels zwischen die Regierung
        tragenden und gegen die Regierung opponierenden Frak-
        tionen im Bundestag, durchaus eine Chance, die nicht
        selbstverständlich ist. Im Interesse der Studierenden und
        der Hochschulen ziehen alle Parteien des Deutschen
        Bundestages im Grundsatz in die gleiche Richtung, auch
        wenn es bei der Übereinstimmung in den Zielen, in der
        Bewertung und der Wahl der Instrumente natürlich die
        notwendigen politischen Unterschiede gibt.
        Zweitens. Wenn es denn wirklich ein Hochschulpakt
        zwischen Bund und Ländern werden soll, stehen beide
        politischen Ebenen in gleicher Weise in der Verantwor-
        tung, sind in gleicher Weise auf dieses Ziel verpflichtet
        und müssen auch ihren Anteil verbindlich, nachvollzieh-
        bar und effizient einbringen und umsetzen. In diesem
        Zusammenhang ist es müßig, jetzt noch an den Regelun-
        gen der Föderalismusreform in Art. 91 b „herumzukrit-
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        eln“, selbst wenn sich auch die SPD dort noch vieles an-
        eres gewünscht hat. Das Gebot der Einstimmigkeit der
        änder mag die Verhandlungen nicht leichter machen,
        ber bietet bei erfolgreichen Verhandlungen dann auch
        ie Gewähr, dass alle Länder in gleicher verbindlicher
        eise auf den Hochschulpakt verpflichtet sind. Sehen
        ir hier also die Chance und weniger das Risiko.
        Dies gilt umso mehr, als sich angesichts der politi-
        chen Konstellationen der letzten Zeit und in der Breite
        er Länder keine Partei über die andere erheben kann.
        enn die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen, der
        ir Sozialdemokraten in alter Verbundenheit natürlich
        och besonders nahe stehen, jetzt zu überschießenden
        orderungen kommen sollte, so dürfen wir Ihnen noch
        agen, dass die mittelfristigen Finanzplanungen wie die
        rundstrukturen von Exzellenzinitiative und Hochschul-
        akt noch in gemeinsamen Regierungszeiten angelegt
        nd damit auch verantwortet und durch den Wechsel in
        en Oppositionsstatus bei Bündnis 90/Die Grünen weder
        ergessen noch obsolet geworden sind. Vor einem zu
        urzen Gedächtnis sei hier gewarnt.
        Wenn die FDP und die Linkspartei vom Bund so viel
        ehr Mittel für den Hochschulpakt einfordern, so wol-
        en wir nicht vergessen, dass beide Parteien in Landesre-
        ierungen in verantwortlicher Stelle mitwirken und ihre
        laubwürdigkeit für eine deutliche Erhöhung des Hoch-
        chulpaktes um so größer ist, je mehr sie hierfür ihr
        ngagement in ihren Landesregierungen erfolgreich
        achweisen können und je drängender aus ihren Landes-
        egierungen die Forderungen nach zusätzlichen Länder-
        itteln komplementär zu einem gleichen Anteil Bundes-
        ittel durch Ministerpräsidenten, Finanzminister und
        ildungsminister zusammen laut geäußert werden. Wir
        aben allerdings den Eindruck, dass mit dem Finanzvo-
        umen, das der Bund hier in die Debatte für die Jahre
        007 bis 2010 bringt, durchaus das Maß getroffen ist,
        as auch von den Ländern ernsthaft ins Auge gefasst
        ird und faktisch dann bedient werden kann, so schwie-
        ig dies auch noch werden mag.
        Im Übrigen gehen Forderungen aus Linkspartei und
        DP dann umso mehr in die Irre, wenn gleichzeitig in
        en Ländern, in denen sie an der Regierungsmacht betei-
        igt sind, – dies gilt insbesondere für die FDP in Nieder-
        achsen, in Nordrhein-Westfalen und in Baden-
        ürttemberg –, Kapazitätslücken an Hochschulen ent-
        tanden sind bzw. sogar ein Abbau an Studienplätzen
        orgenommen wird. Diesen beiden Fraktionen möchten
        ir deshalb sagen: Der Ernstfall ist da. Die Glaubwür-
        igkeit Ihrer Anträge bemisst sich auch an dem wahr-
        ehmbaren Einsatz Ihrer Landesregierungen für das, was
        ie hier im Bundestag fordern. Hic pacta, hic salta!
        Drittens. Aus den Forderungskatalogen der drei Op-
        ositionsanträge wird erkennbar, dass es nicht nur um
        uantitäten, sondern auch um Qualitäten in Bezug auf
        en Hochschulpakt geht. Tatsächlich erwarten auch wir
        ozialdemokraten – und dies haben wir schon in unseren
        ehn Eckpunkten für den Hochschulpakt im März 2006
        usgedrückt und in vielen Parlaments- und Ausschusssit-
        ungen immer wieder massiv eingefordert –, dass die
        ereinbarungen zwischen Bund und Ländern nicht nur
        6278 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006
        (A) )
        (B) )
        eine kurze, der Diplomatie zwischen Bund und Ländern
        genügende Umkleidung eines bloßen Finanztransfers ist,
        sondern auch Verbindlichkeit, Transparenz in Finanzie-
        rung und Umsetzung sowie auch qualitative Ziele ein-
        schließt. Die Bundesregierung, die notwendig treuhän-
        derisch die Verhandlungen für das Parlament und den
        durch die Mehrheitsfraktionen repräsentierten Regie-
        rungswillen wahrnimmt, hat uns im Parlament und im
        Ausschuss immer wieder dargelegt, dass auch sie insge-
        samt – hier die Ministerin für die Regierung – darauf
        dringen, dass wichtige qualitative Zielsetzungen im ge-
        meinsamen Hochschulpakt von Bund und Ländern ver-
        bindlich verabredet werden. Zu nennen sind hier die Ab-
        sicherung der Frauenförderung, die Verbesserung der
        Lehre durch Erhöhung der Lehrkapazitäten und neue
        Personalkategorien wie den Lecturer sowie der Ausbau
        des Schwerpunktes in den technisch-naturwissenschaft-
        lichen Fächern und die Stärkung der Fachhochschulen.
        Die SPD hat in Penetranz, aber mit guter Begründung
        gefordert, dass auch die Fortführung der Juniorprofessu-
        ren als innovatives Element an den Hochschulen im
        Hochschulpakt verbindlich abgebildet sein müsste. Wir
        wollen der Opposition gerne versichern, dass wir ebenso
        wie sie darauf setzen, dass diese Ankündigungen der
        Bundesregierung auch in dem Pakt, den wir für den
        20. November 2006 und dann zum Abschluss des Jahres
        in der ratifizierten Form erwarten, ihren Niederschlag
        finden.
        Wir erwarten auch, dass in diesem Pakt eindeutig ab-
        gesichert wird, dass der Ausbau der Lehrkapazitäten in
        der gemeinsamen Verantwortung von Bund und Ländern
        qualitativ im Vordergrund steht. Mit den ins Auge ge-
        fassten Mitteln in Höhe von mindestens 565 Millionen
        Euro durch den Bund und die mindestens gleiche
        Summe durch die Länder, was dann in der ersten Säule
        einem Umfang von 1,13 Milliarden Euro für die Jahre
        2007 bis 2010 entspricht, würde diese Priorität für den
        Ausbau der Hochschulkapazitäten klar erfüllt sein. Da-
        neben steht dann die zweite, aus Sicht der SPD aller-
        dings auch mit Recht an zweiter Stelle stehende Säule
        von 700 Millionen Euro, die über die Programmpau-
        schale bis 2010 die Forschungsstärke der Hochschulen
        absichern und ausbauen soll und damit auch über diesen
        Weg zur verbesserten Einheit von Forschung und Lehre
        sowie zur Entlastung der Hochschulen bei den For-
        schungsaufwendungen führen soll, auf dass die Hoch-
        schulen an der anderen Stelle auch ihren Anteil über die
        Bundes- und Landesmittel hinaus zum Ausbau der Lehr-
        kapazitäten erbringen können. Ich will hier aber auch gar
        kein Geheimnis daraus machen, dass im Zweifelsfall die
        eindeutige Priorität bei der Sicherung der Mittel für den
        direkten und unmittelbaren Ausbau der Hochschulkapa-
        zitäten liegen muss und im Zweifelsfall die Programm-
        pauschalen erst an zweiter Stelle kommen.
        Dass die eigentliche Schlüsselaufgabe bei dem Hoch-
        schulpakt konkret darin liegt, die verschiedenen Vo-
        raussetzungen und Entwicklungstendenzen in Studien-
        kapazitäten zwischen den Bundesländern so
        auszubalancieren, dass die zusätzlichen Mittel auch
        wirklich in Form von zusätzlichen Studienplätzen und
        dem Belohnen von überproportionalen Studienanstren-
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        ungen der Länder ankommen müssen, ist die eigentli-
        he und schwierigste Aufgabe bei diesem Pakt. Lassen
        ie mich an dieser Stelle ein ausdrückliches Dankeschön
        peziell an den Kollegen Zöllner aus Rheinland-Pfalz
        ichten, der in dieser Angelegenheit von Anfang an aktiv
        ewesen ist und auch über die Veränderung in seinen üb-
        igen Aufgaben hinaus an der Verantwortung für die Ver-
        andlungen um diesen Verteilungsschlüssel festhält. Wir
        ünschen jeden Erfolg für ihn und seinen Kollegen
        lmert von der CDU-Seite, der jetzt kurzfristig das Ver-
        andlungsgeschäft vom Kollegen der CDU aus Baden-
        ürttemberg übernehmen musste.
        Wenn die Oppositionsanträge hier jetzt noch in letzter
        ekunde fordern, dass die Bundesbildungsministerin mit
        etaillierten eigenen Vorschlägen in diese Verhandlun-
        en hineingehen soll, unterstellen Sie erst einmal, dass
        s solche Vorschläge nicht gegeben hat, und zum zwei-
        en, dass die Bundesbildungsministerin besonders geeig-
        et sei, den Interessenausgleich zwischen den Ländern
        ier herbeizuführen. Wir gehen davon aus, dass die Bun-
        esbildungsministerin tatsächlich nichts unversucht
        ässt, insbesondere drei Interessenlagen aus der Vielfalt
        er Länder besonders gerecht zu werden: den Kapazi-
        ätsauslastungen in den neuen Bundesländern, den
        esonderen Bedingungen in den Stadtstaaten und den
        apazitätsvorleistungen und nachweisbaren Kapazitäts-
        rweiterungen in den Flächenländern. Wir dürfen ge-
        pannt sein, welche Erfolgsformel hier am Ende gefun-
        en werden kann.
        Viertens. Alle drei Anträge der drei Oppositionsfrak-
        ionen weisen mit Recht darauf hin, dass der aktuell ver-
        andelte Paktzeitraum 2007 bis 2010 nur ein erster
        chritt sein kann und der Hochschulpakt nicht umsonst
        ls Hochschulpakt 2020 die eigentliche Ausbauphase
        it jährlich dann über 40 000 Hochschulplätzen ab 2010
        mfasst. Wir halten es allerdings für einen falschen An-
        atz, jetzt schon Finanz- und Verteilungsvolumina für
        011 und die Folgejahre in die Debatte zu bringen und
        arauf zu dringen, dass diese in die aktuellen Verhand-
        ungen des Hochschulpaktes mit eingebracht werden.
        as Entscheidende ist doch, das mühsam erkämpfte In-
        trument des Hochschulpaktes, wie es überhaupt erst
        urch den Einsatz bei der Föderalismusreform ermög-
        icht werden konnte, im ersten Schritt erfolgreich zu be-
        ältigen. Jedem muss doch klar sein, dass ohne einen
        olchen Pakt für den Abschnitt 2007 bis 2010 die Chan-
        en für den eigentlichen Pakt bis 2020 nur umso schlech-
        er werden können. Deshalb kommt es für die SPD auch
        ntscheidend darauf an, dass dieser erste Schritt wirklich
        elingt. Zugleich wollen wir aber genauso deutlich ma-
        hen, dass das Ergebnis für diesen ersten Paktabschnitt
        und hier vor allen Dingen die Umsetzung in den Jahren
        007/2008/2009 – entscheidend dafür sein wird, unter
        elchen Vorzeichen dann der wesentlich bedeutsamere
        nd auch vom Finanzvolumen her zwingend erweiterte
        weite Teil des Hochschulpaktes bis 2020 wirklich zu-
        tande kommen kann und in welcher Form dort quantita-
        ive und qualitative Ziele dann verhandelt und in beleg-
        are Vereinbarungen umgesetzt werden.
        Fünftens. Dies gilt umso mehr, als wir Sozialdemo-
        raten schon in unseren zehn Eckpunkten für einen ehrli-
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006 6279
        (A) )
        (B) )
        chen Hochschulpakt drei zentrale Anliegen durchbuch-
        stabiert haben: Erstens. Gute Hochschule braucht gute
        Lehre und ein Hochschulpakt mit Substanz ist nur so
        viel wert, wie er den Ausbau der Quantitäten mit dem
        Ausbau der Qualitäten für alle verbindet.
        Zweitens. Wir wollen einen Ausbau der Quantitäten
        und Kapazitäten ohne soziale Schlagseite. Mehr Studien-
        plätze, die dann von immer weniger Studenten aus sozia-
        len und finanziellen Gründen wahrgenommen werden
        können, wären ein schlechter Scherz. Die Weiterent-
        wicklung und Stärkung des BAföG muss deshalb ein in-
        tegraler Bestandteil einer langfristigen Strategie zum
        Aufbau und Ausbau von Hochschulkapazitäten sein. Die
        SPD hat im Koalitionsvertrag mit der CDU/CSU im
        Streit durchgesetzt, dass es keine strukturellen Ver-
        schlechterungen beim BAföG geben darf. Wir alle zu-
        sammen müssen jetzt daran arbeiten, in absehbarer Zu-
        kunft zu einer gemeinsamen und ausbauorientierten
        Zukunftsstrategie für das BAföG zu kommen.
        Drittens. Wir Sozialdemokraten haben mit Genugtu-
        ung aufgenommen, dass speziell im Forderungskatalog
        der FDP, die ja ein nicht ganz unbedeutender Koalitions-
        partner der CDU in so wichtigen Flächenländern wie
        Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Baden-
        Württemberg ist, das Modell des Vorteilsausgleichs und
        des Stammlandsprinzips zwischen den Bundesländern
        mit aufgenommen worden ist. Die Frage deshalb an die
        FDP: Dürfen wir die Hoffnung haben, dass Sie an dieser
        Stelle den Kollegen Zöllner aus Rheinland-Pfalz, der
        dieses Modell für die SPD-geführten Bundesländer
        schon seit längerem in die Debatte gebracht hat, jetzt
        auch tatsächlich mit aller Kraft unterstützen? Wenn das
        Modell des Vorteilsausgleichs noch nicht hundertprozen-
        tig im aktuell entstehenden Hochschulpakt verankert
        werden kann und auch die von der SPD angeregte und
        von der FDP aufgenommene Idee, den Bund stärker an
        der Finanzierung der ausländischen Studierenden zu be-
        teiligen, parallel hierzu dann Schritt für Schritt aufge-
        baut werden könnte, so besteht doch die Hoffnung, dass
        damit jedenfalls eine verbreiterte Allianz für die weite-
        ren Verhandlungen zum möglichen zweiten Teil des
        Hochschulpaktes mit gelegt sein könnte.
        Zum guten Schluss: Am 20. November 2006, in nicht
        einmal zehn Tagen, soll das Abschlusskonzept für den
        Hochschulpakt 2007 bis 2010 vorgelegt werden. Wir
        dürfen und wir müssen hoffen, dass sich die Länder ihrer
        gestiegenen Verantwortung in der Form würdig zeigen,
        dass sie einen Hochschulpakt mit Verstand und Perspek-
        tive zusammen mit dem Bund verhandeln und dann am
        20. November 2006 der Öffentlichkeit vorstellen kön-
        nen. Für die weiteren Beratungen der jetzt noch in letzter
        Sekunde vorgelegten Anträge der Oppositionsfraktio-
        nen wünschen wir uns jedenfalls, dass in der nächsten
        Sitzung des Bildungsausschusses, die sich voraussicht-
        lich am 22. November 2006 mit dem erfolgreichen Ab-
        schluss des Hochschulpaktes befassen kann, gemeinsam
        festgestellt wird: Der Hochschulpakt für 2007 bis 2010
        mag dann nicht jedem Wunsch von allen entsprechen
        können, aber er ist erfolgreich auf den Weg gebracht und
        sorgt jedenfalls dafür, dass für die Studierenden in
        Deutschland neue Perspektiven entstehen und die Hoch-
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        chulen in Quantität und Qualität auf die Höhe der Zeit
        ommen.
        Uwe Barth (FDP): In der Analyse sind wir uns mit
        en beiden anderen Antragstellern, aber auch der Bun-
        esregierung und den Ländern weitgehend einig: Die
        tudierendenzahlen werden in den nächsten Jahren an-
        teigen. Nach den Schätzungen der KMK um circa 20
        is 30 Prozent auf bis zu 2,7 Millionen Studierende.
        Dieser voraussehbare Anstieg der Zahl hochqualifi-
        ierter junger Menschen ist insbesondere für unsere älter
        erdende Gesellschaft eine großartige Möglichkeit, ihre
        irtschaftliche und kulturelle Position in Europa und der
        elt zu behaupten. Zugleich besteht für Bund und Län-
        er die Herausforderung, die notwendige Zahl von Stu-
        ienplätzen zur Verfügung zu stellen, den Bolognapro-
        ess weiterzuführen und dabei die Qualität der
        ochschullehre mindestens zu erhalten. Die mangel-
        afte Qualität der Hochschullehre ist ein mitentscheiden-
        er Faktor für die in Deutschland viel zu große Zahl der
        tudienabbrüche.
        Die Hochschulen und damit auch die Hochschullehre
        ind in Deutschland seit Jahrzehnten unterfinanziert.
        iese Unterfinanzierung ist in den letzten Jahren immer
        rasser geworden: Deutschland wendet nur knapp
        Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für die Hoch-
        chulen auf, 0,6 Prozent für die Hochschullehre. Zum
        ergleich: Die Vereinigten Staaten stecken 2,7 Prozent
        hres riesigen Bruttoinlandsprodukts in die Hochschulen
        OECD 2003). Bei den jährlichen Ausgaben pro Studie-
        enden für die Lehre liegt Deutschland mit 6 342 US-
        ollar deutlich unter dem OECD-Durchschnitt, der
        822 US-Dollar beträgt.
        Betrachtet man die Aufwendungen im Verhältnis zum
        ruttoinlandsprodukt, so wird das Defizit noch deutli-
        her: Die Ausgaben pro Studierenden liegen bei
        5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts pro Kopf der Be-
        ölkerung und liegen damit deutlich unter dem entspre-
        henden OECD-Mittel von 34 Prozent (OECD 2005).
        nd das, obwohl es in Deutschland vergleichsweise we-
        ig Studenten gibt!
        Wir stehen daher vor einer dreifachen Aufgabe: Es
        uss ein ausreichendes Angebot von Studienplätzen für
        ie zunehmende Zahl von Studierenden geschaffen wer-
        en. Der Bolognaprozess mit seinen erhöhten Anforde-
        ungen an die Hochschullehre muss erfolgreich weiter-
        eführt werden. Die chronische Unterfinanzierung der
        eutschen Hochschulen muss zumindest in der Tendenz
        eendet werden.
        Mit großem Recht hat der Bundespräsident in seiner
        erliner Rede die Verbesserung des Bildungswesens
        um zentralen Prüfstein der Zukunftsfähigkeit des Föde-
        alismus erklärt. Hier entscheidet sich die Zukunftsfä-
        igkeit unserer Gesellschaft. Hier entscheidet sich die
        rage, ob Deutschland auch in Zukunft in der globali-
        ierten Wissensgesellschaft mithalten kann. Die Hoch-
        chulbildung, die dafür sorgen muss, dass der steigende
        edarf unserer Gesellschaft an hochqualifizierten Men-
        chen gedeckt werden kann, spielt dabei eine Schlüssel-
        6280 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006
        (A) )
        (B) )
        rolle. Es geht dabei nicht nur um Bildungspolitik. Nach
        den Berechnungen der OECD und des Sachverständi-
        genrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen
        Entwicklung (SVR) sind circa 50 Prozent des möglichen
        Wirtschaftswachstums heute bildungsbedingt.
        Die mittel- und langfristige Finanzierbarkeit des Sozial-
        staates steht auf dem Spiel, wenn es jetzt nicht gelingt,
        die Chancen, die die junge Generation durch ihre Bil-
        dungsbereitschaft bietet, zu ergreifen. „Umso billiger an-
        dere sind – umso besser müssen wir sein“ (Westerwelle).
        Auch den Grünen stimme ich ausdrücklich zu, wenn
        sie feststellen, dass es für die Gesellschaft teurer ist, die
        Hochschulbildung nicht zu finanzieren, als ihre Finan-
        zierung – und ich füge hinzu: jetzt kraftvoll – anzugehen.
        Wir haben die Absicht des Koalitionsvertrages, eine
        „Bund-Länder-Initiative zur Sicherung der Qualität und
        der Bewältigung der steigenden Studierendenzahlen“ zu
        starten, begrüßt. Ohne die Hilfe des Bundes geht es
        nicht. Die Länder sind alleine nicht in der Lage, die ge-
        samtstaatliche Verantwortung im Hochschulbereich aus-
        zufüllen. Aber selbst der von der Bundesregierung jetzt
        angebotene Hochschulpakt steht auf der Kippe. Unsere
        Warnungen bei der Föderalismusreform, das unselige
        Einstimmigkeitsprinzip der KMK auch noch auf die
        Wissenschaftsförderung, also auch auf die Hochschulen,
        auszudehnen, wurden von der Bundesregierung wider
        besseres Wissen auch in den eigenen Reihen niedergebü-
        gelt. Ich sage ganz klar: Scheitert der Hochschulpakt,
        dann ist diese Koalition insgesamt hochschulpolitisch
        gescheitert.
        Der Hochschulpakt, auch wenn er schließlich in ei-
        nem vermutlich schlechten Kompromiss zustande
        kommt, ist nicht hinreichend, um die Probleme der
        Hochschulen zu lösen. Zumindest muss er aber möglich
        machen, dass der Erhalt der Studienplätze an den ost-
        deutschen Hochschulen gesichert wird. Aus demografi-
        schen und finanziellen Gründen sind sie derzeit vom Ab-
        bau bedroht. Es ist nationales Interesse, sie im Hinblick
        auf die zukünftigen Studierendenzahlen zu erhalten.
        Dazu gehört ein aktives Hochschulmarketing für diese
        ausgezeichneten Standorte bei Studieninteressenten ge-
        rade in den alten Bundesländern.
        Wir brauchen darüber hinaus ein Umsteuern bei der
        Hochschulfinanzierung. Dabei geht es uns nicht nur um
        mehr Geld, sondern vor allem um eine neue Qualität bei
        der Hochschulfinanzierung. Wir brauchen echte Anreize
        für die Hochschulen, gut ausgestattete Studienplätze be-
        reitzustellen, um wirkliche Verbesserungen zu erreichen.
        Dies kann nur durch ein neues Hochschulfinanzierungs-
        system geschehen. Die FDP hat Möglichkeiten dafür be-
        reits seit langem aufgezeigt Es geht um Bildungsgut-
        scheine oder Bildungsschecks nach dem Muster „Geld
        folgt Student“. Ganz aktuell haben sich die hochschulpo-
        litischen Sprecher der FDP-Landtagsfraktionen einstim-
        mig für die Einführung eines Bildungsgutscheinsystems
        zur Hochschulfinanzierung ausgesprochen. Sogar die
        Vertreter der „Netto-Studentenexporteure“ wie Baden-
        Württemberg, Bayern und Hessen sind dazu bereit, ihren
        Landeskindern Budgets in Form von Bildungsgutschei-
        nen für die künftige Hochschule mit auf den Weg zu ge-
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        en. Ein Ausgleich unter den Ländern ist auch dringend
        ötig. Während zum Beispiel Bayern nach dem aktuel-
        en Bildungsfinanzbericht der Bund-Länder-Kommis-
        ion nur 0,56 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für
        ie Hochschulen ausgibt, sind dies zum Beispiel in Thü-
        ingen 1 Prozent und in Berlin sogar 1,64 Prozent. Die
        irtschaftsschwachen Länder bilden den akademischen
        achwuchs für die wirtschaftsstarken Länder aus. Das
        ann so nicht funktionieren. Ein erster Schritt zu einem
        olchem System ist von Rheinland-Pfalz mit dem Vor-
        eilsausgleich unter den Bundesländern vorgeschlagen
        orden. Jedes Bundesland ist für die Studienfinanzie-
        ung derjenigen verantwortlich, die in seinem Gebiet die
        ochschulzugangsberechtigung erworben haben. Die
        ahlungen erfolgen aufgrund von berechneten Durch-
        chnittsbeträgen. Dadurch würde ein Ausgleich für die
        undesländer geschaffen, die Studienplätze bereitstel-
        en. Wir wollen diesem Modell gerne folgen unter der
        oraussetzung, dass das Geld nach dem Prinzip „Geld
        olgt Student“ den Hochschulen unmittelbar zukommt.
        umindest im Rahmen der Föderalismusreform 2 müs-
        en hierfür die Weichen gestellt werden.
        Wir lassen es aber nicht bei allgemeinen Forderun-
        en, sondern schlagen einen konkreten Weg vor. In ei-
        em solchen Rahmen kann und soll der Bund die Zah-
        ungen für die Bildungsausländer übernehmen. Dieses
        eld soll den Hochschulen zusätzlich zugute kommen.
        er Anteil der Bildungsausländer, das heißt derjenigen
        tudierenden, die ihre Hochschulzugangsberechtigung
        icht in Deutschland erworben haben, betrug 2005 circa
        ,5 Prozent. Sie verursachen Studienkosten in Höhe von
        irca 1,26 Milliarden Euro. Dieses Geld – zusätzlich in
        ie Hochschullehre eingespeist – könnte zu der dringend
        enötigten Trendwende bei der Unterfinanzierung der
        ochschulen führen.
        Dies kann nur gelten, wenn die Länder ihre selbst ge-
        ollte und bei der Föderalismusreform durchgesetzte
        erantwortung wahrnehmen, die Mittel für die Hoch-
        chulen auf dem notwendigen hohen Niveau dauerhaft
        estzuschreiben.
        Der Hochschulpakt muss geschlossen werden. Dies
        ann aber nur ein erster Schritt sein. Lassen Sie uns auf
        em Weg zu einem neuen Finanzierungssystem, das die
        ualität der Hochschulen, die notwendigen Studien-
        lätze und damit die Zukunft unseres Landes in der Wis-
        ensgesellschaft dauerhaft sichert, gemeinsam voran-
        ommen.
        Cornelia Hirsch (DIE LINKE): In der letzten Sit-
        ungswoche haben wir in einer Aktuellen Stunde schon
        inmal über den Hochschulpakt diskutiert. Die damals
        eutlich gewordene Übereinstimmung der Oppositions-
        raktionen bei einigen zentralen Fragen des Paktes zeigt
        ich auch an den heute vorliegenden Anträgen: Die Linke
        ordert – ebenso wie FDP und Bündnis 90/Die Grünen –
        ine wesentlich bessere finanzielle Ausstattung des Pak-
        es insbesondere für die erste Säule und mehr Transpa-
        enz in den Verhandlungen. Wir kritisieren gemeinsam,
        ass von der Bundesregierung bisher kaum Vorschläge
        nterbreitet wurden, wie mit der Verteilung der Mittel
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006 6281
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        zwischen den Bundesländern umgegangen werden soll.
        Schließlich weisen wir auch gemeinsam auf die Mängel
        des neu gestalteten Art. 91 b des Grundgesetzes hin: Die
        Verhandlungen zum Hochschulpakt zeigen deutlich,
        dass es unsinnig ist, für Hochschulprogramme des Bun-
        des die Zustimmung aller sechzehn Bundesländer einzu-
        fordern.
        Für Die Linke möchte ich noch eine weitere zentrale
        Forderung ergänzen: Wir unterstützen das Ziel eines Ka-
        pazitätsausbaus an den Hochschulen. Die damit erfolgte
        Öffnung muss für uns aber vor allem eine soziale Öff-
        nung sein. Ihnen allen ist bekannt, dass die Zahl der Stu-
        dierenden aus einkommensschwachen Familien derzeit
        nur bei rund 10 Prozent liegt. Das können wir bei der
        Gestaltung und Ausarbeitung des Paktes nicht einfach
        ignorieren.
        Natürlich ist es richtig, dass die soziale Ausgrenzung
        nicht erst an den Hochschulen, sondern bereits viel frü-
        her beginnt. Die mangelhafte Qualität der vorschuli-
        schen Bildung und der fehlende Rechtsanspruch auf ei-
        nen gebührenfreien Kita-Platz sind einige der Gründe.
        Den größten Knick im Bildungstrichter verursacht nach
        wie vor das gegliederte Schulsystem. Wir halten es für
        unverantwortlich, dass in den meisten Bundesländern
        keine Schritte unternommen werden, um das gegliederte
        Schulsystem endlich zu überwinden. Die Linke fordert
        ein längeres gemeinsames und solidarisches Lernen an
        Schulen. In Berlin haben wir den Einstieg in die Ge-
        meinschaftsschule durchgesetzt.
        Gegen die Ausgrenzungsmechanismen in Kita und
        Schule kann die Bundesregierung aufgrund der aktuellen
        Kompetenzverteilung im Bildungswesen leider nur we-
        nig ausrichten. Gegen soziale Ausgrenzungsmechanis-
        men im Hochschulbereich könnte sie aber sehr viel un-
        ternehmen. Von der Bildungsministerin hören wir in
        dieser Hinsicht aber so gut wie nichts. Maßnahmen, die
        zu einer sozialen Öffnung der Hochschulen beitragen
        könnten, werden nicht angegangen.
        Ich möchte das an drei Beispielen deutlich machen.
        Das erste Beispiel ist der Umgang mit dem BAföG:
        SPD und Union haben sich in ihrem Koalitionsvertrag
        darauf verständigt, das BAföG in seiner jetzigen Struk-
        tur zu erhalten. Das ist natürlich deutlich besser, als das
        BAföG abzuschaffen, wie Ministerin Schavan vor den
        Wahlen – damals als baden-württembergische Kultus-
        ministerin – gefordert hatte. Festzustellen ist aber auch:
        Dieser Schritt reicht bei weitem nicht aus! Die Linke for-
        dert eine Ausweitung des BAföG. Allen voran muss ein
        Vollzuschuss gezahlt werden; kein 50-prozentiges Dar-
        lehen. Außerdem sind die Bedarfssätze und Freibeträge
        endlich an die gestiegenen Lebenshaltungskosten und
        Freibeträge anzupassen. Das wäre eine wichtige Maß-
        nahme, um den Hochschulzugang sozial zu öffnen.
        Das zweite Beispiel ist die Frage von Studiengebüh-
        ren. In immer mehr Bundesländern werden allgemeine
        Studiengebühren eingeführt. Die Linke hält dies für den
        vollkommen falschen Weg, gerade auch, weil es eine
        weitere soziale Hürde auf dem Weg zu einem Studium
        darstellt. Die Bundesregierung hat uns hier auf unsere
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        achfragen stets mitgeteilt, dass sie diese Auffassung
        icht teilt. Studiengebühren seien nicht sozial selektiv.
        chließlich könnten Studierende Studienkredite in An-
        pruch nehmen.
        Diese Behauptung ist an Naivität kaum zu übertref-
        en. Auch hier gibt es klare Belege, dass in diesem Fall
        er nach dem Studium drohende Schuldenberg gerade
        tudierende aus einkommensschwachen Schichten von
        er Aufnahme eines Studiums abhält. Studienkredite
        ind also keine Lösung!
        Die Bundesregierung betont in all ihren Antworten
        uch stets ihr unerschütterliches Vertrauen gegenüber
        en Bundesländern, ausschließlich „sozial gerechte“
        tudiengebührenmodelle zu verabschieden. Wir glau-
        en nicht an das Märchen von „sozial gerechten Studien-
        ebühren“. Wenn wir die Bundesregierung auf gegentei-
        ige Entwicklungen hinweisen – etwa die derzeitige
        ituation in NRW, wo wir einen Einbruch der Studienan-
        änger- und Studienanfängerinnenzahlen in diesem Se-
        ester zu verzeichnen haben –, dann weicht sie aus und
        ehauptet, dass dies noch keine gesicherten Daten seien.
        ie Linke ist der Auffassung, dass die Bundesregierung
        icht mehr länger solche Ausweichspielchen betreiben
        arf. In den Verhandlungen zum Hochschulpakt gehört
        uch die Studiengebührenfrage auf den Tisch.
        Drittes und letztes Beispiel ist der Zugang zu den
        ochschulen mit Berufsabschluss. Hier eine generelle
        ffnung zu beschließen, war eines der wenigen sinnvol-
        en Vorhaben im Koalitionsvertrag. Bisher ist nichts pas-
        iert. Wir wünschen uns eine klarere Positionierung der
        undesregierung. Sie muss die Bundesmittel des Paktes
        n die Bedingung knüpfen, dass die Bundesländer sich
        uf einen bundesweit einheitlichen offenen Zugang ver-
        tändigen.
        Wenn diese drei Punkte berücksichtigt werden und
        rundsätzlich eine bessere finanzielle Ausstattung des
        aktes vorgenommen wird, dann würde der Pakt nicht
        ur zu mehr und besseren Studienplätzen beitragen, son-
        ern vor allem auch zu einer sozialen Öffnung der Hoch-
        chulen führen.
        Kai Boris Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
        tellen Sie sich vor, im Juni hätte der Bundestag das
        ooperationsverbot im Wissenschaftsbereich beschlos-
        en – so, wie es sich die Länder, die Bundesregierung
        nd große Teile der großen Koalition gewünscht haben.
        ann müsste der Bund jetzt die Hände in den Schoß le-
        en, während Zehntausende junge Menschen vor über-
        üllten Hörsälen abgewiesen werden.
        Aber den größten Sündenfall der Föderalismusreform
        aben wir ja glücklicherweise verhindern können: Der
        und kann dazu beitragen, allen Studierwilligen die
        örsaaltüren zu öffnen. Und dieser Verantwortung müs-
        en wir gemeinsam mit den Ländern gerecht werden!
        ir müssen jungen Menschen den Zugang zu einer ihrer
        ignung und Neigung entsprechenden Hochschulausbil-
        ung ermöglichen. Wir müssen Zigtausende zusätzliche
        biturienten für den Arbeitsmarkt der Wissensgesell-
        chaft qualifizieren. Wir müssen die Studienkapazitäten
        6282 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006
        (A) )
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        an den Hochschulen unverzüglich, nachhaltig und be-
        darfsgerecht ausbauen.
        Es besteht die große, reale Gefahr, dass die Bundesre-
        gierung und die Landesregierungen dieses Ziel verfeh-
        len. Die auf unsere Initiative in der vergangenen Sit-
        zungswoche angesetzte Aktuelle Stunde zum drohenden
        Scheitern des Hochschulpakts hat uns diese Sorge nicht
        nehmen können. Daher legen wir Grüne mit diesem An-
        trag konkrete Forderungen vor, um mit einem wirksa-
        men und gerechten Hochschulpakt die Studienkapazitä-
        ten auszubauen:
        Erstens. Bund und Länder müssen deutlich mehr Geld
        in den Kapazitätsausbau investieren. Maßgabe sind aus
        grüner Sicht die Zahlen des Wissenschaftsrates.
        Zweitens. Der Ausbau von Studienplätzen muss so-
        fort beginnen und er muss verbindlich über die Jahre des
        Spitzenbedarfs hinaus bis zum Jahr 2020 vereinbart wer-
        den.
        Drittens. Die Mittel zum Studienplatzausbau müssen
        nach einem intelligenten Schlüssel verteilt werden. Für
        die einen Länder muss er Anreize setzen, Studienplätze
        zu erhalten, für die anderen, zusätzliche Studienplätze zu
        schaffen, und für weitere, Kapazitäten in anderen Län-
        dern mitzufinanzieren.
        Viertens. Der Ausbau der Lehrkapazitäten und die
        Weiterentwicklung der Personalstruktur muss mit inno-
        vativen Instrumenten gelöst werden: Vorübergehende
        Doppelbesetzung von Professoren-Stellen, Einführung
        des Hochschuldozenten („Lecturer“), Weiterförderung
        der Junior-Professur. Dabei muss auch die Förderung
        von Frauen in der Wissenschaft stärker verankert wer-
        den.
        Fünftens. Wir brauchen eine bundesweite Service-
        agentur zum Bewerbungsmanagement bei zulassungsbe-
        schränkten Fächern. So können die vorhandenen Studien-
        plätze schnell, effizient und vollständig vergeben
        werden. Damit für Studienberechtigte kein bundesweiter
        „Suchwettbewerb“ zur Regel wird und die Hochschulen
        Nachbesetzungsoffensiven von freien Kapazitäten gelin-
        gen.
        Insofern FDP und Linkspartei Ähnliches fordern, sind
        ihre Anträge unterstützenswert. Es bleiben jedoch Unge-
        reimtheiten und offene Fragen: Das Konzept „Geld folgt
        Studierenden“ der FDP überzeugt da, wo es von der
        Heinrich-Böll-Stiftung abgeschrieben ist. Dort, wo Sie
        abweichen, haben Sie leider nicht zu Ende gedacht: Sie
        wollen, dass jedes Land für die Studienkosten seiner
        Abiturienten zahlt, egal wo sie studieren. Damit beloh-
        nen sie jedoch Länder wie Bayern, die sich mit einer
        niedrigen Abiturientenquote einen schlanken Fuß ma-
        chen. Und Sie müssen sich die Frage gefallen lassen:
        Wie ist Ihr flammendes Plädoyer für mehr Studierende
        mit der kalten Politik Ihres NRW-Wissenschaftsminis-
        ters zu vereinbaren? Die von Minister Pinkwart ein-
        geführten Studiengebühren führen nachweislich zu
        weniger Studienanfängern und zu einem Verdrängungs-
        wettbewerb auf dem Ausbildungsmarkt.
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        Beim Antrag der Linksfraktion sehe ich vor allem die
        efahr, den Hochschulpakt mit so vielen zum Großteil
        icht konsensfähigen Wünschen und Zielen zu über-
        rachten, dass er allein daran scheitert. Zudem fordern
        ie, die Vollkostenfinanzierung schon im kommenden
        ahr auf alle Forschungsbewilligungen auszudehnen.
        adurch steigern Sie jedoch den Finanzbedarf für den
        orschungsanteil im Hochschulpakt weiter – im Zweifel
        uf Kosten des Studienkapazitätsausbaus.
        Daher können wir weder dem Antrag der FDP noch
        em der Linksfraktion zustimmen.
        Einig sind wir uns mit den beiden anderen Opposi-
        ionsfraktionen darin, dass die Bundesregierung drin-
        end mit einem verbesserten Angebot und strategischen
        eitzielen über den Hochschulpakt verhandeln muss.
        ir müssen es gemeinsam mit den Ländern schaffen,
        ass kein junger Mensch, der ein Studium beginnen
        öchte, vor verschlossenen Hörsaaltüren stehen bleibt.
        nlage 12
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
        Reform des Personenstandsrechts (Personen-
        standsrechtsreformgesetz – PStRG) (Tagesord-
        nungspunkt 21)
        Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Mit dem
        Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Personen-
        tandsrechts“ wurde die zunehmende Kritik an dem
        isher geltenden Recht hinsichtlich des Beurkundungs-
        ystems, der Beurkundungsmedien, des Beurkundungs-
        nhalts und der Voraussetzungen für eine Registerbenut-
        ung aufgegriffen und reformiert.
        Ohne dass die Personenstandsbuchführung an sich
        nd ihre Servicefunktion gegenüber dem Bürger beein-
        rächtigt werden, fanden bei dem Gesetzentwurf die
        ereiche Deregulierung, Verwaltungsvereinfachung und
        ostenreduzierung besondere Berücksichtigung. Durch
        ie Einführung elektronischer Personenstandsregister
        nstelle der bisherigen Personenstandsbücher, die Be-
        renzung der Fortführung der Personenstandsregister
        urch das Standesamt und die Abgabe der Register an
        ie Archive, die Ersetzung des Familienbuches durch
        eurkundungen in den Personenstandsregistern, die
        eduzierung der Beurkundungsdaten auf das für die
        okumentation des Personenstandes erforderliche Maß
        owie die Neuordnung der Benutzung der Personen-
        tandsbücher wird der laut gewordenen Kritik an der
        isherigen Praxis Rechnung getragen.
        Mit moderner Technik können nunmehr die Abläufe
        chneller und kostengünstiger bewerkstelligt werden.
        ie Möglichkeiten der elektronischen Kommunikation
        estatten es, das mit großem Verwaltungsaufwand
        eführte Familienbuch, das im Wesentlichen sowieso
        eurkundungen enthält, die primär bereits in den
        eburten-, Heirats- und Sterbebüchern enthalten sind,
        bzuschaffen, sodass der bisherige Berg von Familien-
        üchern, der permanent infolge der erheblich gestiege-
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006 6283
        (A) )
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        nen Mobilität in der Gesellschaft und dadurch deutlich
        häufigeren Wohnortwechseln der Bevölkerung von einem
        Standesbeamten zum anderen auf dem Postweg unter-
        wegs war, entfällt, ohne dass ein Datenverlust eintritt.
        Das in Zukunft schnellere Ausstellen von Personen-
        standsurkunden und das leichtere Einsehen von Regis-
        tern garantieren einen besseren Service gegenüber dem
        Bürger.
        Grundsätzlich ist der vorliegende Gesetzentwurf, der
        schon wichtige Änderungen für die Praxis berücksich-
        tigt, zu begrüßen, dennoch möchte ich eindringlich auf
        die Beschlussempfehlung des Innenausschusses hin-
        weisen, die auf Betreiben der Koalitionsfraktionen Än-
        derungsmaßgaben, wie beispielsweise in einem neu
        einzuführenden Abschnitt 6 die Länderöffnungsklausel,
        enthält. Die Länderöffnungsklausel wurde bereits vom
        Bundesrat in Ergänzung des Lebenspartnerschaftsge-
        setzes vorgeschlagen – Bundestagsdrucksache 16/1831,
        Seite 81 f. – und die Bundesregierung hat diesem Vor-
        schlag entsprechend zugestimmt – Bundestagsdrucksache
        16/1831, Seite 114. Mit der Länderöffnungsklausel wird
        sichergestellt, dass das Personenstandsgesetz, das die
        Begründung und die Beurkundung von eingetragenen
        Lebenspartnerschaften einheitlich beim Standesbeamten
        bzw. beim Standesamt vorsieht, keine Anwendung
        findet, wenn landesrechtliche Vorschriften – bis zum
        1. Januar 2009 – bestehen, die vorsehen, dass die jewei-
        ligen Erklärungen für eine eingetragene Lebenspartner-
        schaft auch gegenüber einer anderen Urkundsperson
        oder einer anderen Behörde abgegeben werden können.
        Diese Maßnahme ist ausdrücklich zu begrüßen, da
        sich die landesrechtlichen Regelungen, zum Beispiel in
        Baden-Württemberg – Landratsämter und Bürgermeis-
        terämter – und in Bayern – Notare –, bewährt haben. In
        Bayern beispielsweise ist durch das Gesetz zur Ausfüh-
        rung des Lebenspartnerschaftsgesetzes die Zuständigkeit
        für die Mitwirkung bei Begründung und Beurkundung
        von Lebenspartnerschaften auf die Notare übertragen
        worden. Rund 1 500 im Lebenspartnerschaftsbuch regis-
        trierte Lebenspartnerschaften bestätigen die durchweg
        positive Resonanz der Beteiligten, die Akzeptanz und
        die Qualifikation der Notare. Die Kompetenz der Notare
        bei der Beratung über Möglichkeiten und Folgen des
        Rechtsinstituts der Lebenspartnerschaft, insbesondere
        im Familien- und Erbrecht, werden von den künftigen
        Lebenspartnern besonders geschätzt, was sich nicht zu-
        letzt an den Paaren aus anderen Bundesländern und auch
        aus dem Ausland zeigt, die die Begründung ihrer Part-
        nerschaft vor einem bayerischen Notar wünschen. Viele
        Paare schätzen überdies die Diskretion der Notarlösung
        und das vielleicht doch ein oder andere Mal stilvollere
        und angenehmere Ambiente in den Räumlichkeiten ei-
        nes Notariats, die meist doch nicht den Charme eines
        nüchternen Funktionalbaus haben.
        Diese derzeit noch auf Bayern beschränkte Bürger-
        nähe mit hoher Beratungskompetenz sollte der Bevölke-
        rung durch das Personenstandsrechtsgesetz nicht wieder
        entzogen werden bzw. sollte auch der Bevölkerung in
        ganz Deutschland zugute kommen.
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        Um Missverständnissen vorzubeugen und aufgrund
        er Tatsache, dass ich gerne aus meiner Rede zur ersten
        esung des PStRG falsch zitiert werde, möchte ich auch
        ochmals kurz auf die Angaben zur Religionszugehörig-
        eit eingehen. In meiner ersten Rede hatte ich erwähnt,
        ass allgemein immer wieder die Kritik geäußert wurde,
        ass Beurkundungsangaben auf das erforderliche Maß
        eduziert werden sollten. Hierbei wurde unter anderem
        ls nicht personenstandsrelevante Angabe auch die Reli-
        ionszugehörigkeit genannt. Ich möchte darauf hinwei-
        en, dass diese Kritik weder von der CDU/CSU noch
        on mir persönlich geäußert wurde, wir selbstverständ-
        ich aber diesen Kritikpunkt aufgegriffen und geprüft
        aben. Aufgrund der Tatsache, dass die Angaben zur Re-
        igionszugehörigkeit freiwillig, also entweder auf
        unsch der Eltern – § 21 Abs. 1 Nr. 4 PStRG – oder auf
        unsch des Kindes – § 27 Abs. 3 Nr. 5 PStRG – in das
        eburtenregister eingetragen werden, sehen wir als
        DU/CSU keine Veranlassung, diese Angaben aus dem
        ngabenkatalog zu streichen. Die betroffenen §§ 57, 59,
        0, 65 Abs. 2 und 3 des PStRG unterliegen demnach
        benso der freiwilligen Eintragung, da hier nur Angaben
        ur Religionsgemeinschaft aufgenommen werden, so-
        ern sie sich schon aus dem Registereintrag ergeben. In-
        ofern haben wir für das Anliegen der katholischen und
        er evangelischen Kirche Verständnis, die Angaben zur
        eligionszugehörigkeit im Angabenkatalog zu belassen.
        Das Personenstandsreformgesetz ist eine längst über-
        ällige Maßnahme, die langfristig erhebliche Kosten
        inspart, und ein wichtiger Schritt zu einer modernen
        erwaltung mit Bürgernähe. Mit diesem Gesetz können
        ie Länder nunmehr zur Tat schreiten und die Moder-
        isierung ihrer Verwaltung weiter vorantreiben. Aus
        iesem Grunde bitte ich Sie, dem Gesetzentwurf mit den
        aßgaben der Beschlussempfehlung des Innenausschus-
        es zuzustimmen.
        Gabriele Fograscher (SPD): Heute beraten wir in
        weiter und dritter Lesung den Gesetzentwurf zur Re-
        orm des Personenstandsrechts. Dieser Entwurf ist noch
        n der letzten Wahlperiode eingebracht worden. Obwohl
        ieses Thema politisch nicht brisant ist, betrifft es aber
        eden einzelnen Bürger und jede einzelne Bürgerin in
        nserem Land im täglichen Leben. Bei Geburt, Umzug,
        ochzeit, Scheidung, Kindern und Tod spielt das Perso-
        enstandsrecht eine wichtige Rolle.
        Gegenstand des Gesetzentwurfes ist die grundlegende
        eform des Personenstandsrechts. Schwerpunkt der Re-
        orm ist die Nutzung der elektronischen Medien für die
        egisterführung und die elektronische Kommunikation
        it den Bürgerinnen und Bürgern sowie mit Behörden
        nd anderen Stellen über Personenstandsvorgänge.
        Der Gesetzentwurf sieht die Ablösung des geltenden
        ersonenstandsgesetzes durch ein neues Personenstands-
        esetz und die damit zusammenhängenden Änderungen
        m Bundesrecht vor. Als Schwerpunkte der Reform sind
        u nennen: Einführung elektronischer Personenstandsre-
        ister anstelle der bisherigen Personenstandsbücher; Be-
        renzung der Fortführung der Personenstandsregister
        urch die Standesämter und Abgabe der Register an die
        6284 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006
        (A) )
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        Archive; Ersetzung des Familienbuches durch Beurkun-
        dungen in den Personenstandsregistern; Reduzierung der
        Beurkundungsdaten auf die Daten, die zur Dokumenta-
        tion des Personenstandes notwendig sind; Neuordnung
        der Nutzung der Personenstandsbücher und Schaffung
        einer rechtlichen Grundlage für eine Testamentsdatei.
        Die Umstellung auf elektronische Register bedeutet
        zum einen Erleichterungen für die Mitarbeiterinnen und
        Mitarbeiter in den Standesämtern und Archiven und zum
        anderen eine Verbesserung des Services für die Bürge-
        rinnen und Bürger. Dieses ist durchaus zu begrüßen.
        Natürlich entstehen durch die Umstellung auf elektro-
        nische Medien Kosten, die sich vorrangig auf die kom-
        munalen Haushalte auswirken. In der Umstellungsphase,
        die mit fünf Jahren berechnet wird, werden jährlich circa
        17 Millionen Euro für die Anschaffungen und Umstel-
        lungen – Lehrgänge etc. – anfallen.
        Nach Beendigung der Umstellung stehen jährlich
        Mehrausgaben von etwa 14 Millionen Euro einem Ein-
        sparvolumen von etwa 18 Millionen Euro gegenüber,
        was einer durchschnittlichen jährlichen Entlastung der
        Kommunen von etwa 4 Millionen Euro entspricht. Er-
        hebliche Einsparungen in Höhe von etwa 42 Millionen
        Euro sind auch bei den Standesämtern durch den Weg-
        fall des Familienbuches zu erwarten. Diese Einsparun-
        gen werden voraussichtlich im sechsten Jahr der Reform
        eintreten. Summa summarum kommt es zu einem jährli-
        chen Einsparvolumen von etwa 46 Millionen Euro für
        die Standesämter ab voraussichtlich 2014.
        Nach den Ausschussberatungen gibt es einige Ände-
        rungen zu dem ursprünglichen Entwurf. Diese sind aber
        überwiegend technischer Natur.
        Eine entscheidende Änderung gegenüber dem ehema-
        ligen rot-grünen Entwurf ist die so genannte Länderöff-
        nungsklausel. Zunächst war vorgesehen, dass auch ein-
        getragene Lebenspartnerschaften vor dem Standesamt zu
        schließen sind. Damit wären unterschiedliche Regelun-
        gen in einzelnen Bundesländern abgeschafft worden und
        das Schließen von Lebenspartnerschaften – seit 2001
        gibt es 15 000 – würde dem gleichen Verfahren wie die
        Eheschließung unterliegen.
        Leider hat sich vor allem Bayern, wo eingetragene
        Lebenspartnerschaften von einem Notar beurkundet
        werden, gegen diese Regelung gestellt. Somit steht es
        nun jedem Bundesland frei, Erklärungen zur eingetrage-
        nen Lebenspartnerschaft gegenüber dem Standesamt, ei-
        ner anderen Urkundsperson oder anderen Behörde abzu-
        geben.
        Die Länder sind aber verpflichtet, durch landesrecht-
        liche Regelungen sicherzustellen, dass die Beurkundun-
        gen fortlaufend dokumentiert werden und Mitteilungs-
        pflichten, die das Personenstandsrecht voraussetzt,
        erfüllt werden. Zudem muss sichergestellt werden, dass
        ein Lebenspartnerschaftsregister eingerichtet wird.
        Ich persönlich hätte mir gewünscht, dass es zu einer
        bundeseinheitlichen Regelung zur Beurkundung von
        eingetragenen Lebenspartnerschaften gekommen wäre.
        Damit wäre es zu einer größeren rechtlichen und gesell-
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        chaftlichen Anerkennung der Lebenspartnerschaften
        ekommen, die heute bereits einen nicht kleinen Teil der
        orm des Zusammenlebens von Menschen ausmachen.
        eider war dieses aber mit den Bundesländern nicht zu
        rreichen, die diesem Gesetzentwurf zustimmen müssen.
        Der Gesetzentwurf ist längst überfällig und stellt ei-
        en ersten, aber sehr wichtigen und recht umfassenden
        chritt zur Modernisierung des Personenstandswesens
        ar. Deshalb stimmt die SPD-Bundestagsfraktion dem
        eänderten Entwurf in der Ausschussfassung zu.
        Aber mit dem In-Kraft-Treten des Personenstands-
        echtsreformgesetzes sollte dieses Thema nicht beendet
        ein. Im Rahmen des weiteren Zusammenwachsens in
        uropa müssen wir weitere Schritte unternehmen, um
        icht ein rückständiges Personenstandsrecht zu haben.
        Aufgrund der wachsenden Mobilität der Bürgerinnen
        nd Bürger in der Europäischen Union werden wir mit-
        elfristig zu einer Angleichung der Vorschriften im Per-
        onenstandsrecht in Europa kommen müssen. Hier kön-
        en wir von Ländern wie Slowenien lernen, die im
        inblick auf die Digitalisierung und die Vereinfachung
        es Personenstandsrechts eine Vorreiterrolle einnehmen.
        In diesem Zusammenhang halte ich es für sinnvoll,
        um Beispiel die ereignisbezogenen Register durch per-
        onenbezogene Register zu ersetzen. Somit würde jeder
        ensch ein Register bei seiner Geburt erhalten, das sein
        eben lang weitergeführt wird und auch beim Umzug
        itwandert. Der vorliegende Gesetzentwurf ist eine gute
        rundlage für eine solche Systemumstellung. Es gibt be-
        eits viele Länder in Europa, die personenbezogene Re-
        ister führen und damit sehr erfolgreich sind. Deshalb
        ollten wir uns bei unseren Nachbarländern informieren
        nd von ihnen lernen.
        Der vorliegende Gesetzentwurf löst das geltende Per-
        onenstandsrecht von 1937 in der Fassung von 1957 ab.
        ach langen Beratungen bringen wir heute die Perso-
        enstandsreform zum Abschluss und können ein
        0 Jahre altes Gesetz ablösen.
        Deshalb möchte ich mich an dieser Stelle auch bei
        einen Mitberichterstatterinnen und Mitberichterstat-
        ern der anderen Fraktionen und auch beim Bundesin-
        enministerium für die konstruktive Zusammenarbeit
        edanken. Einen wertvollen Beitrag aus der Praxis für
        ie Beratungen hat auch der Bundesverband der Deut-
        chen Standesbeamtinnen und Standesbeamten geleistet.
        uch ihnen gilt mein Dank.
        Gisela Piltz (FDP): Heute abend zu später Stunde
        oll eine weit reichende Reform des Personenstands-
        echts in zweiter und dritter Lesung verabschiedet wer-
        en. Leider fand schon die erste Lesung zur Nachtzeit
        tatt. Damit werden wir den grundlegenden Änderungen
        m Bereich des Personenstandsrechts nicht gerecht.
        Die FDP begrüßt eine Vereinfachung und Verbesse-
        ung des Personenstandsdrechts. Die Modernisierung
        nd Entbürokratisierung in diesem Bereich ist eine For-
        erung, die wir Liberale schon lange stellen und etwas,
        as wir immer unterstützt haben. Gerade angesichts der
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006 6285
        (A) )
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        Verbesserung der technischen Möglichkeiten ist eine
        Reform in diesem Bereich dringend notwendig. Der
        Übergang vom Papierbuch zur elektronischen Register-
        führung ist zu begrüßen. Die fortschreitende Entwick-
        lung im Bereich der elektronischen Medien sollte auch
        für die Verwaltung nutzbar gemacht werden. Mit der
        Einrichtung von elektronischen Personenstandsregistern
        wird der Weg hin zu einem wesentlich kostengünstigeren
        elektronischen Datenaustausch der Standesämter unter-
        einander und mit anderen Behörden geebnet. Dieser Weg
        geht in die richtige Richtung. Wir müssen diesen Weg
        aber konsequent weitergehen. Unter den Gesichtspunk-
        ten der Deregulierung, Verwaltungsvereinfachung und
        Kostenreduzierung muss die öffentliche Verwaltung wei-
        ter an sich arbeiten. In diesem Zusammenhang möchte
        ich die Bundesregierung dazu auffordern, im Bereich
        des E-Government deutlich aktiver zu werden. Deutsch-
        land hinkt bei der Nutzung der neuen Medien in der öf-
        fentlichen Verwaltung im internationalen Vergleich nach
        wie vor hinterher. Warum ist es immer noch nicht mög-
        lich, dass sich die Bürger sämtliche Anträge online auf
        den heimischen Computer herunterladen und ausdru-
        cken?
        Positiv erwähnen möchte ich, dass die Bürger da-
        durch, dass die Urkunden nicht mehr nur von dem Re-
        gister zu führenden Standesamt ausgestellt werden kön-
        nen, deutlich schneller als bisher an die benötigten
        Personenstandsurkunden gelangen können. Auch die
        Reduzierung der Beurkundungsdaten geht in die richtige
        Richtung. Leider ist der Gesetzentwurf hier aber nicht so
        konsequent, wie das insbesondere die Union in der ers-
        ten Lesung versprochen hatte. Entgegen Ankündigungen
        des Kollegen Stephan Mayer – ausweislich des Proto-
        kolls –, die Angaben zur Religionszugehörigkeit zu strei-
        chen, wird dieses Merkmal weiterhin – auf Wunsch –
        aufgenommen. Das stößt auch auf die Ablehnung des
        Bundesverbandes der Deutschen Standesbeamtinnen
        und Standesbeamten e. V. Leider war die CDU/CSU im
        Innenausschuss nicht in der Lage, dies zu erklären. Wir
        hätten uns hier mehr Konsequenz gewünscht.
        Leider ist davon abgewichen worden, dass bundes-
        weit das Standesamt für Begründung und Registrierung
        von eingetragenen Lebenspartnerschaften zuständig sein
        soll. So war es noch in dem ersten Entwurf dieses Geset-
        zes vorgesehen. Hier musste die große Koalition – wie in
        so vielen Fällen – dem Druck der Ministerpräsidenten
        nachgeben. Nicht nur in diesem Fall hätte ich mir ein
        klares Votum der Bundesregierung gewünscht. Noch auf
        dem Verbandstag 2006 des LSVD hat Bundesjustizmi-
        nisterin Zypries unter dem Stichwort „Wir wollen das
        Standesamt für alle“ eindeutig erklärt, dass die Lebens-
        partnerschaft zukünftig wie die Ehe in allen Bundeslän-
        dern vor dem Standesbeamten geschlossen werden soll.
        Dieses Vorhaben hat sich jetzt in Luft aufgelöst. Durch
        die Einführung einer Länderöffnungsklausel in das Le-
        benspartnerschaftsgesetz sollen die Länder weiter selbst
        bestimmen können, welche Behörde für die Begründung
        und Registrierung von Lebenspartnerschaften zuständig
        ist. Damit würde die Unübersichtlichkeit und der Flick-
        enteppich bei der Schließung der Lebenspartnerschaften
        beibehalten. Aus unserer Sicht sollte den Lebenspartner-
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        chaften in ganz Deutschland der Weg zum Standesamt
        rmöglicht werden. In den einzelnen Bundesländern in
        eutschland sind unterschiedliche Behörden für Begrün-
        ung und Registrierung von Lebenspartnerschaften zu-
        tändig. In den jeweiligen Landesausführungsgesetzen
        ind als zuständige Behörde unter anderem der Notar,
        ie Gemeinden, die Kreisverwaltungen oder der Stan-
        esbeamte zu lesen. Diese Uneinheitlichkeit bedeutet ei-
        en erheblichen Aufwand im Vergleich mit Eheschlie-
        ungen, für die immer das Standesamt zuständig ist.
        leichgeschlechtliche Paare müssen sich jeweils vor Ort
        rkundigen, wer zuständig ist. Das ist weder bürger-
        reundlich noch sachgerecht. Darüber hinaus führen die
        nterschiedlichen Regelungen in den einzelnen Bundes-
        ändern zu komplizierten Folgeproblemen, da die Aus-
        ührungsgesetze unzureichend aufeinander abgestimmt
        ind.
        Die FDP-Bundestagsfraktion hat einen Änderungsan-
        rag gestellt, in dem durch die vorgeschlagenen Ände-
        ungen eine einheitliche Behördenzuständigkeit geschaf-
        en wird. Damit wird für die Entgegennahme der
        rklärung, eine Lebenspartnerschaft führen zu wollen,
        m gesamten Bundesgebiet der Standesbeamte zustän-
        ig. Bereits in der ersten Lesung Mitte dieses Jahres ha-
        en wir Liberale unsere Bedenken hinsichtlich einer
        änderöffnungsklausel deutlich gemacht. Gegen die
        inführung sprechen aus datenschutzrechtlicher Sicht
        edenken, die ich hier noch einmal deutlich machen
        öchte: Zentrale Datenbestände wecken generell Be-
        ehrlichkeiten, die mit einer zunehmenden Automatisie-
        ung der Datenverarbeitung eher noch wachsen als ab-
        ehmen. Bei einem zentralen Register ist auch der Druck
        ur Einrichtung automatischer Abrufverfahren wesent-
        ich größer als bei zahlreichen dezentralen Registern mit
        inem entsprechend geringerem Datenbestand. Vor allen
        ingen hätte ich mir Aufklärung darüber gewünscht,
        ieso die Einrichtung eines elektronischen Personen-
        tandsregisters notwendig ist. Denn auch bei der Ein-
        ichtung der vorgesehenen dezentralen elektronischen
        ersonenstandsregister können Daten in kürzester Zeit
        erschlüsselt übermittelt werden, ohne dass ein Direkt-
        ugriff anderer Behörden erforderlich ist. Wie realistisch
        iese Begehrlichkeiten einzuschätzen sind, zeigt die Be-
        ründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung.
        ort heißt es nämlich, dass im Zuge einer breiteren, ge-
        ebenenfalls internationalen Datennutzung die bereits
        m Verlaufe der Arbeiten an diesem Entwurf aufgewor-
        ene Frage zu erörtern sei, ob es sinnvoll und zulässig
        ei, bei der Beurkundung der Geburt ein persönliches
        dentifikationsmerkmal zu vergeben, das aus einem
        ummerncode bestehen könne. Dieser Code wäre als
        ennziffer für die betreffende Person bereichsübergrei-
        end nutzbar, ohne dass es regelmäßig weiterer Identi-
        ätsangaben und -nachweise bedürfe. Auch wenn dies
        nur“ die Begründung des Gesetzentwurfs ist und als
        olche nicht mit beschlossen wird, so erinnert mich das
        och an die Personenkennziffer der DDR, und es wird
        lar, in welche Richtung die Regierung in nächster Zeit
        ehen wird.
        Mit dem Gesetzentwurf zum Personenstandsrecht
        eht die Bundesregierung in die richtige Richtung. Wir
        6286 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006
        (A) )
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        Liberalen hätten uns aber an der einen oder anderen
        Stelle eine Änderung des jetzt vorgelegten Gesetzes ge-
        wünscht. Leider hat die große Koalition es nicht für not-
        wendig erachtet, auf unsere Argumente einzugehen.
        Demgemäß ist es uns nicht möglich, diesem Gesetzent-
        wurf ohne die von uns eingebrachten Änderungen zuzu-
        stimmen.
        Ulla Jelpke (DIE LINKE): Angesichts der gestiege-
        nen Mobilität in unserer Gesellschaft ist die Ersetzung
        des papiernen Personenstandsbuchs durch einen elektro-
        nischen Registereintrag sinnvoll und richtig. Wir begrü-
        ßen ausdrücklich, dass dabei weitgehend dem Grundsatz
        der Datensparsamkeit Genüge getan wurde: Erstens soll
        es nur eine Stelle geben, die das elektronische Personen-
        standsbuch führt, daneben ist nur eine Sicherungskopie
        an einem anderen Ort vorgesehen. Zweitens werden ei-
        nige Angaben nicht mehr zwingend erfasst, so der Be-
        rufsstand und die Religionszugehörigkeit der Eltern. Die
        Abschaffung des Familienbuchs, des Geburtsscheines
        und der Abstammungsurkunde gehören ebenfalls zu den
        begrüßenswerten Neuerungen.
        Es gibt allerdings einige Punkte, die wir an diesem
        Gesetzentwurf weiterhin strikt ablehnen. Es tun sich
        auch einige Widersprüche im Gesetzentwurf auf. So
        wird sowohl im Gesetzestext selbst als auch in der Be-
        gründung daran festgehalten, dass die Standesämter und
        mit ihnen die elektronischen Personenstandsbücher von
        allen anderen Behörden strikt getrennt sein sollen. Dies
        wird, ganz richtig, mit den besonders sensiblen Daten in
        diesen Büchern begründet. Man muss sich dann aber die
        Frage stellen, warum der Gesetzentwurf zur Übermitt-
        lung an andere Behörden ermächtigt, wenn diese die Da-
        ten „zur Erfüllung ihrer Aufgaben“ benötigen. Warum
        können die Behörden nicht benannt werden, die auf Da-
        ten aus den Personenstandsbüchern angewiesen sind?
        Warum können anderweitige Zwecke, für die diese Da-
        ten gebraucht werden, nicht benannt werden? Warum
        diese unbestimmte Mitteilungspflicht? Außerdem fehlt
        jeder Hinweis darauf, dass Betroffene von der Mittei-
        lung ihrer Daten an Dritte unterrichtet werden müssen,
        von einer Einverständniserklärung ganz zu schweigen.
        Es ist zuletzt in der Anhörung des Innenausschusses
        von den Sachverständigen klar gesagt worden, dass es in
        Zeiten erleichterten elektronischen Datenverkehrs eine
        Anpassung des Datenschutzes geben muss. Dass Daten
        technisch leicht zu übermitteln sind, darf nicht automa-
        tisch heißen, dass sie es auch rechtlich sein müssen. Dem
        Recht auf informationelle Selbstbestimmung muss Ge-
        nüge getan werden. Das berücksichtigt der Gesetzent-
        wurf nicht.
        Ich will noch auf einen weiteren Punkt eingehen, der
        unseren Widerspruch hervorruft: Es soll nämlich auch
        eine weitere Datensammlung geschaffen werden, das so
        genannte Geburtenregister nach § 21 des neuen Perso-
        nenstandsgesetzes. Hier wird ohne erkennbaren sachli-
        chen Grund eine Doppelstruktur aufgebaut: In das Ge-
        burtenregister sollen Eheschließung und Verpartnerung
        ebenso eingetragen werden wie die Geburt von Kindern.
        Dabei werden Eheschließung und Verpartnerung selbst
        noch mal in ein eigenes Register eingetragen. Vom
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        rundsatz der Datensparsamkeit wird hier also wieder
        bgewichen, doch warum eigentlich?
        Nun, die Gesetzesbegründung liefert einen Hinweis:
        s sei die Frage zu erörtern, heißt es da, ob bei der Ge-
        urt ein persönliches Identifikationsmerkmal vergeben
        erden solle, etwa in Form eines Nummerncodes.
        Einigen von Ihnen wird geläufig sein, worauf das hin-
        usläuft: die Personenkennziffer, wie man sie aus dem
        ersonenstandsgesetz der DDR kennt. Aber man will an-
        cheinend noch weiter gehen: Diese Personenkennziffer
        oll sowohl bereichsübergreifend als auch international
        enutzt werden können. Was heißt das? Soll diese Perso-
        enkennziffer mit anderen, zentral geführten Dateien
        erknüpft werden können? Soll es ein EU-weites Perso-
        enregister geben? Das sind offene Fragen, die befürch-
        en lassen, dass uns hier ein Trojanisches Pferd unterge-
        ubelt werden soll, hin zu noch mehr zentralisierter
        rfassung der Bürgerinnen und Bürger. Wir werden die-
        es Trojanische Pferd im Auge behalten!
        Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/DIE
        RÜNEN): Die CDU/CSU konnte sich nie mit der
        leichstellung der gleichgeschlechtlichen Lebenspart-
        erschaft anfreunden. Nur mit Widerwillen hat sie das
        eformgesetz in den unionsregierten Bundesländern
        mgesetzt. Die diskriminierende Einstellung der CDU/
        SU gegenüber Lesben und Schwulen wurde in der De-
        atte um das Personenstandsreformgesetz im Innenaus-
        chuss erneut deutlich. Die Interessen der Notare wiegen
        ben mehr als das überfällige Ende einer langen Ge-
        chichte der Verfolgung und Diskriminierung.
        Nach dem Willen der Koalitionsfraktionen soll das
        lück der gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft
        icht in allen Bundesländern im feierlichen Rahmen der
        rauzimmer der Standesämter besiegelt werden. Durch
        ie Öffnungsklausel darf Bayern weiterhin das Standes-
        mt zur No-go-Area für Schwule und Lesben erklären.
        n Rheinland-Pfalz werden Schwule und Lesben, die
        ine Lebenspartnerschaft eingehen wollen, weiter ins
        reisamt geschickt.
        Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, kom-
        en Sie endlich im toleranten und modernen Deutsch-
        and an. Ganz gleich, ob Heteroehe oder gleichge-
        chlechtliche Lebenspartnerschaft, was zählt, ist die
        iebe und die Bereitschaft, füreinander einzustehen in
        uten und in schlechten Zeiten.
        Dass das Lebenspartnerschaftsgesetz ein grünes
        esetz war, wird dadurch deutlich, dass die SPD das
        orliegende Gesetz begrüßt und keinen Konflikt mit dem
        oalitionspartner eingeht. Im Antrag der Koalitionsfrak-
        ionen heißt es wörtlich:
        Die bisher bereits bestehenden abweichenden Zu-
        ständigkeitsregelungen in verschiedenen Bundes-
        ländern haben sich bewährt.
        Das glatte Gegenteil ist der Fall. Die unterschiedli-
        hen Zuständigkeiten schaffen Verwaltungswirrwarr und
        ind vor allem diskriminierend. Wir sagen den Schwulen
        nd Lesben: Eure Beziehung ist genauso viel Wert wie
        ie Ehe und wir setzen uns weiterhin dafür ein, dass bun-
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006 6287
        (A) )
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        deseinheitlich in allen Ländern die Standesämter für die
        gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft zuständig
        sind.
        Das Personenstandsrechtsreformgesetz enthält eine
        weitere Diskriminierung. Wir wollten ein Widerspruchs-
        recht für eingetragene Lebenspartnerschaften gegen die
        Weitergabe ihres Familienstandes an die Kirchen. Die
        Weitergabe dieser Daten, die aus kirchensteuerrechtli-
        chen Gründen nicht erforderlich ist, kann zum Verlust
        des Arbeitsplatzes führen. Der Ständige Rat der Deut-
        schen Bischofskonferenz hat in einer Erklärung vom
        24. Juni 2002 festgestellt, das Rechtsinstitut der Lebens-
        partnerschaft widerspräche der Auffassung über Ehe und
        Familie, wie sie die katholische Kirche lehre. In Lebens-
        partnerschaften lebende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
        im kirchlichen Dienst machen sich deshalb eines
        schwerwiegenden Loyalitätsverstoßes schuldig, der die
        kirchlichen Arbeitgeber nach gefestigter Rechtspre-
        chung zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses berech-
        tigt. Anstatt dass Sie diese diskriminierende Praxis der
        katholischen Kirche kritisieren, liefern Sie die Daten für
        die mögliche Entlassung.
        Von der CDU habe ich nichts anderes erwartet. Sie ist
        und bleibt eine rückwärtsgewandte Partei, ohne Zugang
        und Verständnis für eine moderne und tolerante Gesell-
        schaftspolitik. Von der SPD bin ich enttäuscht. Sie waren
        eben doch nur die Getriebenen des grünen Reformwil-
        lens.
        Eine Anmerkung zum Datenschutz. Die vorgesehene
        Möglichkeit der Länder, zentrale elektronische Per-
        sonenstandsregister einzurichten halten wir für proble-
        matisch. Zentrale Datensammlungen sind hier nicht
        erforderlich. Wir sehen die Gefahr, dass die Sicherheits-
        behörden hier den automatisierten Zugriff fordern und
        irgendwann auch erhalten.
        Es wird Sie nicht verwundern, auch wenn das Gesetz
        vernünftige Regelungen zum Bürokratieabbau enthält,
        die noch aus dem früheren rot-grünen Entwurf stammen,
        lehnen wir den Gesetzentwurf der großen Koalition ab.
        Er diskriminiert Lesben und Schwule und ist daten-
        schutzrechtlich problematisch.
        Anlage 13
        Zu Protokoll gegeben Reden
        zur Beratung der Anträge:
        – REACH – den gemeinsamen Standpunkt
        weiter verfolgen
        – REACH – letzte Chance zur Verbesserung
        des Umwelt- und Verbraucherschutzes im
        europäischen Chemikalienrecht nutzen
        – REACH – Chance für eine fortschrittliche
        Chemikalienpolitik nutzen
        (Tagesordnungspunkt 25 a bis c)
        Ingbert Liebing (CDU/CSU): Ein altbekanntes
        Sprichwort sagt: „Was lange währt, wird endlich gut.“
        Ich hoffe sehr, dass wir genau das auch bald über die
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        U-Chemikalienverordnung REACH sagen können,
        enn die Beratungen sind in diesen Tagen in die Schluss-
        hase gekommen.
        Im Jahr 2001 nahm dieses größte und umfassendste
        esetzesvorhaben der Europäischen Union seinen
        nfang. Seither sind die Kommission, das Europäische
        arlament, die Mitgliedstaaten mit all ihren Gremien
        nd nicht zuletzt hunderte nationaler und internationaler
        nteressengruppen mit den Verhandlungen, der Aus-
        rbeitung, den Neuverhandlungen und nicht enden wol-
        ender Kompromissfindung beschäftigt. Oft genug
        chien es, als seien Umwelt-, Gesundheits- und Wirt-
        chaftsaspekte einfach nicht auf einen Nenner zu bringen
        nd es stellte sich die Frage, ob sich die EU mit diesem
        ahrhundertgesetzeswerk nicht schlicht und ergreifend
        bernommen hätte. Zu undurchdringlich schien das Ge-
        lecht unterschiedlicher und gegensätzlicher Interessen.
        Aber Ende vergangenen Jahres hat es der EU-Wettbe-
        erbsrat unter tatkräftiger Mitwirkung der neuen deut-
        chen Bundesregierung trotzdem geschafft, einen aus-
        ewogenen, sehr tragfähigen Kompromiss zu REACH
        uszuhandeln. Den meisten Kritikpunkten konnte hierbei
        ur Zufriedenheit der meisten Beteiligten Rechnung getra-
        en werden.
        Nun liegt es – das ist offensichtlich – in der Natur
        ines Kompromisses, dass nicht jeder jedes seiner An-
        iegen in Gänze verwirklicht sehen wird. Ein guter Kom-
        romiss zeichnet sich dadurch aus, dass alle Beteiligten
        en Verhandlungstisch mit dem Gefühl verlassen, das
        eschlossene mittragen zu können. Der Gemeinsame
        tandpunkt des Wettbewerbsrats ist ein solch guter
        ompromiss.
        Die Koalitionsfraktionen legen mit ihrem Antrag ein
        lares Bekenntnis zu diesem Gemeinsamen Standpunkt
        b. Indem wir heute über unsere Position abstimmen,
        öchten wir ausdrücklich ein Signal für die Schluss-
        erhandlungen in der EU absenden, gerade nach dem für
        eine Fraktion äußerst unbefriedigenden Ergebnis im
        mweltausschuss des Europäischen Parlaments.
        Lassen Sie mich an dieser Stelle ein paar Punkte nen-
        en, in denen der Gemeinsame Standpunkt des Rates
        ine grundlegende Verbesserung der Verordnung gegen-
        ber früheren Entwürfen bedeutet.
        Wir haben erreicht, dass die Zulassung von Stoffen
        icht generell befristet wird. Ich bin der Auffassung,
        ass die ursprünglich vorgesehene Befristung auf fünf
        ahre vor dem Hintergrund, dass es die Europäische
        hemikalienagentur realistisch geschätzt schaffen wird,
        twa zehn bis 15 Stoffe pro Jahr zu bearbeiten, ein büro-
        ratischer Irrsinn ist. Bei circa 150 Stoffen, die das
        ulassungsverfahren durchlaufen müssen, würde gerade
        in Drittel der Stoffe geschafft sein, wenn die ersten
        ulassungen auslaufen und das Verfahren neu beginnen
        uss. Das Verfahren gemäß Gemeinsamem Standpunkt
        rmöglicht eine nochmalige Überprüfung nach einer im
        inzelfall festzulegenden Frist, wenn – und nur dann –
        nformationen darauf hindeuteten, dass eine Gefährlich-
        eit für Umwelt und Gesundheit besteht. Die Genehmi-
        ung kann in diesem Fall bei der Erkenntnis, dass eine
        6288 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006
        (A) )
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        solche Gefahr besteht, widerrufen werden. Das nenne
        ich eine vernünftige Lösung.
        Wir haben erreicht, dass in größerem Maße neben der
        Menge eines Stoffs auch die Gefährlichkeit und dessen
        Exposition berücksichtigt werden. Mit dem Gemeinsa-
        men Standpunkt wurden Verwendungs- und Exposi-
        tionskategorien als wichtiges Kommunikationsmittel in
        der Verordnung verankert. So sollen sich der Umfang
        der bei der Registrierung anzugebenden Daten sowie die
        Informationspflichten in der Lieferkette weitergehend an
        der Verwendung des Stoffes und seiner Exposition orien-
        tieren. Damit sind die aus REACH erwachsenden Pflich-
        ten vor allem auch für mittelständische Unternehmen
        handhabbar.
        Im Bereich der Zulassung hat der Wettbewerbsrat
        erreicht, dass über die Gefährlichkeit eines Stoffes als
        Bewertungsmaßstab hinaus bei der Zulassungsentschei-
        dung insbesondere die sichere Handhabung in Form der
        adäquaten Kontrolle des Risikos eines sehr gefährlichen
        Stoffes zur Grundlage gemacht wird. Wenn ein gefähr-
        licher Stoff sich in einem geschlossenen und sicheren
        Stoffkreislauf befindet, kann auch allein die theoretische
        Substitutionsmöglichkeit noch kein Grund für das Ver-
        sagen der Zulassung sein. Das hätte dann mit einem
        sinnvollen Schutzszenario für Umwelt und Gesundheit
        wenig zu tun.
        Wir haben erreicht, dass für Stoffe in der produktbe-
        zogenen Forschung und Entwicklung die Meldepflichten
        erheblich vereinfacht werden und Forschungsprogram-
        me bei der Notifizierung nicht mehr vorzulegen sind.
        Wenn wir Innovation wollen, dürfen wir das Potenzial
        hierfür nicht hemmen, indem wir die zur Verfügung ste-
        henden Stoffe minimieren und Forschungskosten und
        Zeitaufwand immens erhöhen.
        Die ursprünglich vorgesehenen Informationspflichten
        haben Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse von Unter-
        nehmen in inakzeptabler Art und Weise gefährdet. Wir
        haben erreicht, dass der Know-how-Schutz verbessert
        wird, indem sensible Unternehmensdaten vertraulich
        bleiben können. Nur so können auch langfristig faire
        Wettbewerbsbedingungen gewährleistet werden. Auch
        dieser Punkt ist besonders wichtig für die Schluss-
        verhandlungen im Europäischen Parlament, da der Um-
        weltausschuss in Brüssel wettbewerbsgefährdende Be-
        lastungen für die Wirtschaft beschlossen hat, die es jetzt
        zu verhindern gilt.
        Ich könnte diese Liste fortsetzen.
        Auf der anderen Seite gibt es aber auch Punkte, die
        wir gerne anders geregelt gesehen hätten. So konnte zum
        Beispiel mit dem Gemeinsamen Standpunkt für die Regis-
        trierung von Stoffen mit Jahresmengen zwischen zehn
        und 100 Tonnen keine wesentliche Erleichterung bei den
        Testanforderungen erreicht werden. Diese treffen beson-
        ders kleine und mittelständische Unternehmen. Bei den
        Testanforderungen hätten wir uns auch im Interesse
        eines besseren Tierschutzes mehr gewünscht; dies bleibt
        ein Thema für die weitere praktische Umsetzung von
        REACH. Die Eindämmung der Registrierungskosten für
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        leinvolumige Stoffe wäre ein weiterer Wunsch für die
        weite Lesung im Europäischen Parlament gewesen.
        Aber auf der Grundlage des Gemeinsamen Stand-
        unkts besteht nun die Chance, das Verfahren nach sehr
        angwierigen Verhandlungen kurzfristig abzuschließen.
        ei dieser Aufgabe den Gemeinsamen Standpunkt durch-
        usetzen, dafür hat der Umweltminister die unein-
        eschränkte Unterstützung der CDU/CSU-Fraktion.
        amit könnten wir – und das geht ganz besonders an die
        dresse der Kollegen und Kolleginnen der Grünen und
        er Linken – zeitnah beginnen, den Weg eines noch siche-
        eren Umgangs mit chemischen Stoffen zu beschreiten.
        ie fordern deutliche Verschärfungen von REACH. Ich
        age Ihnen: Daran scheitert REACH, und dann wird es
        eniger statt mehr Umwelt- und Gesundheitsschutz ge-
        en, als wir heute haben. Nur mit dem Kompromiss des
        emeinsamen Standpunkts können wir für diese und
        ommende Generationen ein hohes Schutzniveau für die
        enschliche Gesundheit und die Umwelt gewährleisten.
        Der Gemeinsame Standpunkt war ein ausgewogener
        ompromiss zwischen dem ursprünglichen Verordnungs-
        orschlag der Kommission und der Position des Europäi-
        chen Parlaments aus erster Lesung. Der Umweltaus-
        chuss des Europäischen Parlaments hat nun aber den
        emeinsamen Standpunkt wieder weiter verschärft. Die
        efundenen und mit großer Mehrheit verabschiedeten
        orschläge zur Registrierung sowie zum Schutz von
        etriebsgeheimnissen wurden abgelehnt. Das Zulas-
        ungsverfahren wurde massiv weiter verschärft. Es geht
        un nicht mehr um die sichere Verwendung eines Stoffs,
        ondern nur noch um Verbote bestimmter Stoffgruppen,
        elbst dann, wenn es keinen geeigneten Ersatz gibt. Die
        efristung der Zulassung auf fünf Jahre wurde wieder
        uf den Tisch gebracht, ungeachtet der Unmöglichkeit
        iner praktischen Umsetzung. Wo bleibt da die Verein-
        arkeit der eigentlichen Ziele von REACH, nämlich
        esundheits- und Umweltschutz zu verbessern und
        leichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen
        irtschaft zu befördern?
        Die zweite Lesung im Europäischen Parlament steht
        urz bevor. Hinter den Kulissen brodelt es. Manchmal
        ieht es so aus, als könne REACH an dieser Stelle noch
        cheitern. Wir haben es also noch nicht geschafft. Des-
        alb halte ich es für ausgesprochen wichtig, dass wir vor
        ieser zweiten Lesung ein entsprechendes Signal nach
        rüssel senden. Der Gemeinsame Standpunkt ist ein
        airer und tragfähiger Kompromiss. Umwelt und Ge-
        undheitsschutz werden im Vergleich zum Status quo
        rheblich aufgewertet und auch die chemische Industrie,
        ie anfangs mit großer Skepsis auf REACH reagiert hat,
        ann sich mit den jetzt gefundenen Regelungen arran-
        ieren. Jetzt ist es an uns, den Gemeinsamen Stand-
        unkt, der in nicht unerheblichem Maße ein deutscher
        tandpunkt ist, auch zu vermitteln. Wer glaubt, das Paket
        ochmals aufschnüren zu können, hat schon verloren.
        in wiederholtes Aufschnüren des gefundenen Kompro-
        isses würde bedeuten, dass eine Einigung in weite
        erne rückt. Die Konsequenz wäre, dass Hunderte von
        ltstoffen langfristig unregistriert blieben. Das kann
        icht in unserem Interesse sein. Deshalb muss der Deut-
        che Bundestag sich nachdrücklich für die Beibehaltung
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006 6289
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        des Gemeinsamen Standpunkts als Grundlage für die zu-
        künftige Ausgestaltung von REACH aussprechen. Das
        können wir heute tun, indem wir den Antrag der Regie-
        rungsfraktionen beschließen. Dafür bitte ich Sie um Ihre
        Unterstützung.
        Heinz Schmitt (Landau) (SPD): REACH, die Ver-
        ordnung für eine neue, eine fortschrittliche Chemiepoli-
        tik in Europa, ist auf der Zielgeraden. Die zweite Lesung
        im Europäischen Parlament hat begonnen. Wenn Rat und
        Parlament noch einige gegensätzliche Positionen ausräu-
        men, können die neuen Regeln für den Umgang mit
        Chemikalien in absehbarer Zeit an den Start gehen.
        Die Regierungskoalition hat heute einen Antrag
        vorgelegt, der vor allen Dingen eines zum Ausdruck
        bringen soll: Wir wollen mehr Sicherheit beim Umgang
        mit chemischen Stoffen in Europa. Und: Wir stehen zu
        REACH. Wir stehen zu dieser Reform.
        Bei einem so großen Vorhaben waren in den zurück-
        liegenden Jahren naturgemäß die Ansichten über die
        Ausgestaltung sehr unterschiedlich. Von daher war zu
        erwarten, dass bis zuletzt um Details gerungen wird.
        Mitte dieses Jahres hat nun der Rat einen gemein-
        samen Standpunkt zu REACH verabschiedet. Dieser ent-
        hielt natürlich Kompromisse. Im Oktober hat der Um-
        weltausschuss im Europäischen Parlament dazu Stellung
        genommen. Mit großer Mehrheit hat er sich dafür ausge-
        sprochen, einige zentrale Punkte in REACH zu verän-
        dern.
        Ich will nicht verheimlichen, dass mir als Umwelt-
        politiker viele Forderungen der Kollegen im europäi-
        schen Parlament sympathisch sind: dass eine allgemeine
        Sorgfaltspflicht stärker betont werden soll, dass mehr
        getan werden soll, um Alternativen zu Tierversuchen zu
        entwickeln und dass man bei der Zulassung von beson-
        ders gefährlichen Stoffen stärker darauf achten soll,
        diese Chemikalien zu ersetzen. Damit könnte ich persön-
        lich sehr gut leben.
        Der Umweltausschuss fordert außerdem, dass es ge-
        nerell mehr Daten für Stoffe geben soll, die in kleineren
        Mengen hergestellt werden. Auch damit bin ich einver-
        standen, wenn es um Stoffe geht, mit denen Menschen
        und Umwelt unmittelbar in Berührung kommen.
        Das wäre von der Wirtschaft auch problemlos zu leis-
        ten. Denn unsere Chemieindustrie hat sich schon seit
        Jahren selbst verpflichtet, den sicheren Umgang mit che-
        mischen Stoffen zu gewährleisten. Die geforderten Da-
        ten für kleinvolumige Stoffe sind ja eigentlich schon da.
        Dort allerdings, wo es keinen Kontakt mit Mensch und
        Umwelt gibt, macht es durchaus Sinn, die Registrierung
        zu erleichtern.
        Wenn die Industrie also belegen kann, dass etwa
        Stoffe nur in einem geschlossenen Prozess eingesetzt
        werden, dann halte ich es für vertretbar, auf umfangrei-
        chere Daten zu verzichten.
        Knackpunkt zwischen den beiden Gesetzgebern war
        und ist bis zuletzt die Frage der Zulassung: Man kann
        die Kontroverse vielleicht auf einen sehr einfachen Nen-
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        er bringen: Wollen wir mehr Sicherheit im Umgang mit
        esonders gefährlichen chemischen Stoffen? Reicht uns
        lso die Zusage, dass solche Gefahrstoffe bei planmäßi-
        em Einsatz keinen Kontakt mit Mensch und Umwelt
        aben? Oder können wir nicht ruhiger schlafen, wenn
        olche – ich nenne sie einmal Gruselstoffe – gar nicht
        rst eingesetzt werden? Wäre es nicht besser, solche
        toffe, wo immer möglich, auch konsequent durch weni-
        er bedenkliche Stoffe zu ersetzen?
        Auch einem strengeren Vorgehen beim Verfahren der
        ulassung kann ich viel abgewinnen. Es ist zwar noch
        icht ganz klar, worauf sich Rat und Parlament verständi-
        en werden. Aber ich bin sicher: Sie werden sich einigen.
        Politik ist nicht das Wünschenswerte. Das hat jeder
        ier im Haus schon das eine oder andere Mal erfahren.
        olitik ist die Kunst des Möglichen. Daher waren und
        ind auch bei REACH Kompromisse in vielen Einzelfra-
        en erforderlich. Wir dürfen dabei aber nicht das Große
        nd Ganze aus den Augen verlieren. Ich will daher noch-
        als betonen, wie wichtig es ist, dass REACH startet.
        REACH wird – wie immer die Details letztendlich
        ussehen – in jedem Fall den Umgang mit chemischen
        toffen in Europa sicherer machen. Wir wissen heute
        ber die Chemikalien auf dem europäischen Markt einfach
        iel zu wenig. Das wird sich mit REACH ändern. Chemi-
        alien werden nun systematisch erfasst. An zentraler
        telle werden Daten zu chemischen Stoffen gesammelt
        nd gespeichert, Daten, die wiederum für andere Berei-
        he, etwa für den Verbraucherschutz und den Arbeits-
        chutz, dringend gebraucht werden. REACH wird dafür
        orgen, dass wir in Zukunft die Risiken von Stoffen bes-
        er kennen und damit umgehen können.
        In Zukunft ist die chemische Industrie für ihre Pro-
        ukte verantwortlich. Die Beweislast wird umgekehrt.
        efährliche Stoffe, die sich im Körper ansammeln und
        rebs oder Mutationen auslösen können, dürfen in Zu-
        unft nur dann weiterverwendet werden, wenn zumin-
        est der sichere Umgang mit diesen Stoffen garantiert
        st. Das ist vorteilhaft für kleinere und mittlere Unter-
        ehmen:
        Es soll möglich sein, dass ein Stoff nur einmal re-
        istriert werden muss. Dieses Prinzip – ein Stoff – eine
        egistrierung – soll so ausgestaltet sein, dass auch dem
        ierschutz sehr weit gehend entsprochen wird. Un-
        ermeidbare Versuche an Wirbeltieren sollen danach
        atsächlich nur einmal durchgeführt werden.
        Das alles sind bedeutende Fortschritte in der europäi-
        chen Chemiepolitik, bedeutende Fortschritte für mehr
        esundheits-, Verbraucher- und Umweltschutz.
        Noch ein Blick auf die anderen Anträge zu REACH,
        ie wir heute behandeln: Sie, meine Damen und Herren
        on der Linken, sollten sich mal überlegen, was es be-
        euten würde, auf Maximalpositionen und auf Total-
        onfrontation gegenüber der Wirtschaft zu bestehen. So
        ann man das nicht angehen, um Erfolg zu haben. Es
        ind auch viele kleine Betriebe, die REACH umzusetzen
        aben.
        Dieses neue System muss auch für den Mittelstand
        andhabbar und praktikabel sein. Daher kann REACH
        6290 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006
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        nur mit der Wirtschaft und nicht gegen sie gelingen.
        Sonst stehen Sie am Ende mit hehren Zielen, aber mit
        leeren Händen da und REACH würde auf den letzten
        Metern scheitern. Das wäre ein zu hoher Preis. Das darf
        nicht passieren. Deshalb: REACH muss kommen.
        Michael Kauch (FDP): Ziel der FDP – und ich denke,
        der Mehrheit dieses Hauses – ist eine neue europäische
        Chemikalienpolitik, die Umwelt und Gesundheit effek-
        tiver schützt und zugleich unbürokratisch und mittel-
        standsfreundlich ist.
        Wie dieses Ziel zu erreichen ist, darüber gehen die
        Meinungen auseinander. Ein Ausdruck dafür sind die
        jüngsten Beschlüsse des Umweltausschusses des Euro-
        päischen Parlaments. Sie sind eindeutig ein Rückschritt
        im Vergleich zum gemeinsamen Standpunkt des Rates
        aus dem letzten Jahr und gefährden die Wettbewerbs-
        situation gerade deutscher, vornehmlich kleiner und mit-
        telständischer Unternehmen.
        Insbesondere die Verschärfungen im Bereich der Zu-
        lassung werden zu Belastungen führen, die eine Vielzahl
        von Unternehmen in ihrer wirtschaftlichen Existenz ge-
        fährden.
        Dabei waren wir mit dem im Rat gefundenen Kom-
        promiss bereits einen gutes Stück vorangekommen. Die
        FDP-Bundestagsfraktion unterstützt im Wesentlichen die
        politische Position des EU-Ministerrates. Diese sollten
        die Bundesregierung und die deutschen Abgeordneten
        des Europäischen Parlaments im weiteren Verfahren
        unterstützen. Denn der Kompromiss im Rat enthält we-
        sentliche Fortschritte im Vergleich zu vergangenen Ent-
        würfen einer europäischen Chemikalienverordnung. Er
        verwirklicht zudem langjährige Forderungen der FDP.
        An diesem Kompromiss muss festgehalten werden.
        Das gilt insbesondere für die unbefristete Zulassung
        von Stoffen. Eine Befristung würde besonders die wei-
        terverarbeitende Industrie belasten. Investitionen der
        Unternehmen würden damit infrage gestellt werden. In
        Deutschland wäre hier unter anderem die Automobil-
        industrie negativ betroffen. Die nun wieder vom Um-
        weltausschuss des Europäischen Parlaments ins Spiel
        gebrachte Befristung auf fünf Jahre muss verhindert
        werden.
        Gleiches gilt für die vom Rat beschlossene Risiko-
        bewertung des Einzelfalls. Diese Position war und ist
        richtig. Es wäre der falsche Weg, wenn, wie der EP-Aus-
        schuss fordert, trotz Nachweises einer sicheren Verwen-
        dung zusätzlich der Nachweis erbracht werden müsste,
        dass keine Ersatzstoffe vorliegen. Eine Entscheidung für
        eine zwingende Substitution darf nicht Bestandteil von
        REACH werden. Aus Gründen der Chemikaliensicher-
        heit ist sie nicht notwendig. Vielmehr werden die Unter-
        nehmen vor große Herausforderungen gestellt. Die
        Folge: Bestimmte Stoffe werden aus dem Markt ge-
        drängt, ohne dass dies aus Sicht von Umwelt und Ge-
        sundheit erforderlich wäre.
        Wir bedauern darüber hinaus, dass die bereits vom
        EU-Parlament beschlossenen Fortschritte im Registrie-
        rungsverfahren nicht aufgegriffen wurden. Die Registrie-
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        ung eines Stoffes sollte sich stärker an Risiken und nicht
        ur an Mengen orientieren, wie es auch der Ministerrat
        eschlossen hat. Das ist eine langjährige Forderung der
        DP. An dieser Regelung gilt es festzuhalten. Allerdings
        uss ich an dieser Stelle betonen, dass auch der Kom-
        romiss im Ministerrat zu Belastungen der Unternehmen
        ühren wird. Die für das Registrierungsverfahren be-
        chlossenen Testanforderungen für die Stoffe von 10 bis
        00 Tonnen sind teuer und bürokratisch. Trotzdem war
        er gefundene Kompromiss ein Fortschritt. Er darf nicht
        ufgeweicht werden. Aber genau das wäre der Fall,
        enn sich die Vorstellungen des Umweltausschusses des
        uropäischen Parlaments durchsetzen würden. Wir brau-
        hen eine praxisgerechte Ausgestaltung des Registrie-
        ungsverfahrens.
        Für Deutschland ist der künftige Weg, der mit REACH
        egangen werden soll, von entscheidender Bedeutung,
        eil wir der mit Abstand wichtigste Chemiestandort in
        uropa sind. REACH wird nicht nur Auswirkungen auf
        ie chemische Industrie haben, sondern auf alle Indus-
        riezweige, die Chemikalien oder chemische Produkte
        erwenden.
        Für die FDP stand von Anfang an fest: Gesundheits-
        chutz gewährleisten, ohne Arbeitsplätze zu gefährden.
        EACH muss im Interesse des Umwelt- und Gesund-
        eitsschutzes wirkungsvoll und im Interesse der betrof-
        enen Unternehmen praktikabel sein. Sonst droht eine
        chwächung der Innovationsfähigkeit der deutschen
        irtschaft. Wir appellieren an die Abgeordneten des
        uropäischen Parlaments, den Beschlüssen ihres Um-
        eltausschusses nicht zuzustimmen. Insbesondere die
        eutschen Abgeordneten sollten sich ihrer Verantwor-
        ung bewusst sein.
        Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Wir reden
        eute über eines der wichtigsten Umweltgesetze in der
        eschichte der Europäischen Union. Wie Sie wissen,
        urden bislang nur etwa 4 000 Stoffe darauf geprüft, ob
        ie Gesundheit oder Ökosysteme schädigen. Auf dem
        U-Markt befinden sich jedoch etwa 100 000 so ge-
        annte Altstoffe, die vor 1981 auf den Markt kamen.
        twa 30 000 davon werden gegenwärtig mit mehr als ei-
        er Tonne Jahresproduktion eingesetzt. Mit ihnen läuft
        aktisch ein Großversuch an Mensch und Umwelt.
        In den letzten Jahrzehnten haben auch als Folge die-
        er Politik Allergien sowie Brustkrebs- und Atem-
        egserkrankungen zugenommen. Giftcocktails lassen
        ich selbst noch in der Muttermilch nachweisen.
        Die EU-Kommission wollte mit dieser unhaltbaren
        ituation Schluss machen. Doch der Richtlinienvor-
        chlag war von Anfang an ein mit harten Bandagen
        mkämpftes Werk. Umwelt- und Verbraucherorganisa-
        ionen sowie Gewerkschaften standen mächtigen Lobby-
        rganisationen der chemischen Industrie gegenüber.
        etztere haben nichts unversucht gelassen, um beim
        angwierigen Gesetzesverfahren die wirtschaftlichen In-
        eressen der Chemiekonzerne durchzusetzen.
        Und sie waren erfolgreich: Der ursprüngliche Kom-
        issionsentwurf wurde infolge der ersten Lesung dras-
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006 6291
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        tisch verschlechtert. Von den 30 000 als relevant be-
        trachteten Chemikalien müssten nach diesem Entwurf
        nun nur noch 12 000 gründlich überprüft werden. Zudem
        wanderte die Beweislast bezüglich der Unbedenklichkeit
        von den Herstellern wieder zurück zu den Behörden. Ge-
        nau dies sollte jedoch durch REACH eigentlich umge-
        kehrt werden.
        In der ersten Lesung hatte sich das EU-Parlament zu-
        mindest noch dafür ausgesprochen, gefährliche Chemi-
        kalien zu ersetzen, wenn es sicherere Alternativen gibt.
        Aber selbst diese einzige positive Veränderung zum
        Kommissionsentwurf wurde vom Rat kassiert.
        Insgesamt stellte sich damit die Frage, ob ein solches
        Chemikalienrecht nicht hinter das bisherige zurückfallen
        würde. Schließlich würden die niedrigen Registrierungs-
        und Zulassungskriterien nun ebenfalls für die Neustoffe
        gelten, welche gegenwärtig noch einem vorbildlichen
        Registrierungsverfahren unterliegen.
        Nunmehr hat der Umweltausschuss des Europaparla-
        ments am 10. Oktober 2006 einen wichtigen Schritt für
        den besseren Schutz von Umwelt und Gesundheit vor
        gefährlichen Chemikalien getan: Er sprach sich mit gro-
        ßer Mehrheit dafür aus, dass Chemieunternehmen ge-
        fährliche Chemikalien ersetzen müssen, wenn sichere
        Alternativen zur Verfügung stehen.
        Zudem hat sich der Umweltausschuss für die Auf-
        nahme einer allgemeinen Sorgfaltspflicht in den Verord-
        nungsentwurf entschieden. Danach würden die Chemie-
        produzenten für die Sicherheit all ihrer Produkte
        – unabhängig von der jährlich hergestellten Menge –
        verantwortlich gemacht. Verbraucher sollen zudem mehr
        Informationen über jene Chemikalien bekommen, die in
        den von ihnen erworbenen Alltagsgegenständen enthal-
        ten sind.
        Insgesamt wurde mit den Veränderungen zwar im Be-
        reich der Testanforderungen nicht das ursprüngliche
        Schutzniveau des Kommissionsentwurfs erreicht. REACH
        wurde aber in wichtigen Teilen verbessert.
        Aus diesem Grund – das ist auch der Inhalt unseres
        Antrags – fordern wir die Bundesregierung auf, im EU-
        Wettbewerbsministerrat darauf hinzuarbeiten, dass die
        umwelt- und gesundheitsfreundlichen Positionen des
        Umweltausschusses des Europaparlaments übernommen
        werden. Die Bundesregierung muss dazu insbesondere
        ihren Widerstand gegen die Substitution gefährlicher
        Stoffe aufgeben.
        Die letzte Chance zu einem fortschrittlichen europäi-
        schen Chemikalienrecht darf nicht vergeben werden.
        Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
        Dass die große Koalition diesen Tagesordnungspunkt ur-
        sprünglich für die Zeit von 3 Uhr bis 3.35 Uhr auf die
        Tagesordnung des Deutschen Bundestages hat setzen
        lassen, spricht Bände: Vor dem Hintergrund der bemer-
        kenswerten Ankündigung des Umweltministers von
        vergangener Woche, dass man nur durch eine aktive
        ökologisch-industriepolitische Strategie den umweltpoli-
        tischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht
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        erden könne, möchte man einen Antrag der großen
        oalition, der tatsächlich das Gegenteil dessen ist, offen-
        ichtlich nachts – wenn alles schläft – durchs Parlament
        ogeln.
        An fehlender Bedeutung des Themas Chemiepolitik
        edenfalls kann der späte Aufsetzungstermin sicher nicht
        elegen haben: Die Neugestaltung der europäischen
        hemikalienpolitik ist nach dem Emissionshandel das
        edeutendste und ambitionierteste europäische Umwelt-
        esetzgebungsverfahren der letzten Jahre. Es ist für den
        chutz von Umwelt und Gesundheit von genauso zentra-
        er Bedeutung wie für die europäische Chemieindustrie.
        Wenn man sich den Antrag der großen Koalition ein-
        al genau anschaut, wird schnell klar, dass sie sich of-
        ensichtlich nur mit allergrößter Mühe überhaupt auf ei-
        en gemeinsamen Antrag haben einigen können. Im
        rgebnis hat die große Koalition heute einen Antrag vor-
        elegt, der eine ambitionierte Umweltpolitik noch im-
        er als Gängelung der Wirtschaft sieht und eben nicht
        ls Chance begreift, dass sich die Wirtschaft durch öko-
        ogische Innovationen rechtzeitig Zukunftsmärkte si-
        hert. So begrüßt sie die Entscheidung des europäischen
        ettbewerbsrates als einen insgesamt tragfähigen Kom-
        romiss, obwohl die Beschlüsse hinsichtlich der Verbes-
        erung des Umwelt- und Gesundheitsschutzes mehr als
        nttäuschend waren. Nicht ohne Grund hat Wirtschaft-
        inister Michael Glos die Einigung im Rat damals mit
        en Worten begrüßt, dass es gelungen sei, eine wirt-
        chaftsfreundliche Lösung bei REACH durchzusetzen.
        or allem die Tatsache, dass nach der gemeinsamen Po-
        ition des europäischen Rates gefährliche Chemikalien
        uch dann zugelassen werden können, wenn es sicherere
        lternativen gibt, ist kein Anreiz zu Entwicklung neuer
        toffe. Eine ökologische Industriepolitik oder ein New
        eal sieht für uns Grüne tatsächlich anders aus. Ihr Han-
        eln in der Chemiepolitik wäre tatsächlich wohl weitaus
        reffender als „no deal“ zu bezeichnen.
        Wir bedauern, dass im Verlaufe des europäischen
        esetzgebungsverfahrens von der Vorlage eines ersten
        ntwurfes bis hin zur gemeinsamen Position des Minister-
        ates für Wettbewerb am 13. Dezember 2005 der Verord-
        ungsentwurf immer weiter zugunsten kurzfristiger wirt-
        chaftlicher Ziele abgeschwächt wurde. Es ist derzeit
        ffen, ob das erklärte Ziel von REACH, den Umwelt-
        nd Gesundheitsschutz zu verbessern, überhaupt noch
        rreicht werden kann. Nach derzeitigem Verhand-
        ungstand auf europäischer Ebene bedeutet es vor allem
        ber eines: Eine verpasste wirtschaftliche Chance.
        Wir fordern die Bundesregierung deshalb auf, die
        och bestehenden Spielräume auszuschöpfen, um noch
        u einer Verbesserung des Umwelt- und Verbraucher-
        chutzes in der REACH-Verordnung zu kommen. Herr
        inister Gabriel, lassen Sie ihren Ankündigungen zur
        kologischen Industriepolitik nun Taten folgen und grei-
        en sie unter anderem den Vorschlag des Europäischen
        arlamentes zur Stärkung der allgemeinen Sorgfalts-
        flicht auf. Setzen sie sich dafür ein, dass Hersteller, Im-
        orteure und nachgeschaltete Anwender sicherstellen
        üssen, dass ihre Substanzen der Umwelt und der
        6292 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006
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        menschlichen Gesundheit nicht schaden und sich zu ent-
        sprechenden Maßnahmen verpflichten.
        Zu unseren zentralen Forderungen an die Bundesre-
        gierung gehört vor allem aber auch, den Substitutionsan-
        reiz für Unternehmen zu stärken, indem eine Zulassung
        gefährlicher Chemikalien nur befristet erteilt wird. Auch
        muss der verpflichtende Ersatz gefährlicher Stoffe vor-
        geschrieben werden. Gefährliche Stoffe dürfen zukünftig
        nur dann zugelassen werden, wenn es tatsächlich keine
        sicheren Alternativen gibt, ihr Nutzen das Risiko nach-
        weislich überwiegt und die Risiken beherrschbar sind.
        Wenn die Märkte der Zukunft tatsächlich grün sind,
        wie Sie, Herr Minister Gabriel, es in Ihrem Memoran-
        dum für „Ökologische Industriepolitik“ erwarten, dann
        müssen Sie auch wirksame Anreize für ökologische In-
        novationen schaffen. Das gilt in ganz besonderem Maße
        für die Chemieindustrie. Denn die von Ihnen, Herr Mi-
        nister Gabriel, eingeforderte Notwendigkeit einer dritten
        industriellen Revolution wird nicht vom Himmel fallen.
        Deshalb fordern wir Sie auf: Unterstützen Sie unseren
        Antrag und schaffen Sie auch in der Chemieindustrie
        wirksame Anreize für echte ökologische Innovation.
        Anlage 14
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung der Beschlussempfehlung und des
        Berichts zu dem Antrag: Bundesweiter Ab-
        schiebestopp für Flüchtlinge aus Togo (Tages-
        ordnungspunkt 24)
        Reinhard Grindel (CDU/CSU): Der Antrag der
        Fraktion Die Linke für einen Abschiebestopp von
        Flüchtlingen aus Togo reiht sich ein in eine Vielzahl von
        Versuchen, mit denen auf unterschiedlichste Art und
        Weise erreicht werden soll, eine vernünftige Steuerung
        der Zuwanderung zu unterlaufen und die konsequente
        Rückführung ausreisepflichtiger Ausländer zu verhindern.
        Sie wollen die Rückführung von Personen verhindern,
        deren Asylverfahren rechtskräftig abgelehnt wurde und
        die jetzt zum Teil nicht unerhebliche Sozialleistungen in
        Anspruch nehmen. Sie wollen die Rückführung von Per-
        sonen verhindern, die zum Teil schwarz arbeiten und die
        – auch solche Fälle sind darunter und sollen zuförderst
        abgeschoben werden – nicht unerhebliche Straftaten in
        Deutschland verübt haben. Um es zusammenzufassen:
        Ihr Antrag ist völlig unverantwortlich!
        Sie sprechen in Ihrem Antrag davon, in Togo herrsche
        ein Klima des Terrors und der Angst und es seien dem-
        entsprechend abschieberelevante Schlussfolgerungen zu
        ziehen. Sie erwähnen in Ihrem Antrag auch die aktuelle
        Stellungnahme des UNHCR, des Hohen Flüchtlings-
        kommissars der Vereinten Nationen, vom 7. August 2006.
        Sie unterschlagen aber, was er dort festgestellt hat und
        was ihrem Antrag diametral widerspricht.
        Die Sicherheitslage hat sich gegenüber der Einschät-
        zung von 2005 nämlich entscheidend verbessert. Die
        Situation in Togo habe sich stabilisiert, heißt es in der
        Stellungnahme des UNHCR. Basierend auf verläss-
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        ichen Quellen sei derzeit keine Bedrohung zurückkeh-
        ender Personen festzustellen. Ernsthafte und wahllose
        edrohungen für Leben, körperliche Unversehrtheit
        der Freiheit, die auf allgemeiner Gewalt oder öffent-
        icher Gewalt beruhen, fänden gegenwärtig nicht mehr
        tatt. Der UNHCR erhebt gegen die Rückführung von
        usreisepflichtigen Personen nach Togo dementspre-
        hend auch keine Einwände.
        Wie vom UNHCR angeregt, findet gleichwohl seitens
        es Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge nach
        60 Abs. 7 des Aufenthaltsgesetzes in jedem Einzelfall
        ine Prüfung statt, ob dem ausreisepflichtigen Ausländer
        usnahmsweise nicht doch Gefahren drohen, die einen
        ubsidiären Schutz begründen könnten. Dabei werden
        uch exilpolitische Aktivitäten oder regimekritische Äu-
        erungen berücksichtigt. Die Prüfungen laufen in allen
        ußenstellen des Bundesamtes ausgesprochen gewis-
        enhaft und haben trotzdem in keinem einzigen Fall zu
        inem Abschiebeschutz geführt.
        Ganz im Gegenteil ist am 19. September 2006 sogar
        in EU-Sammelcharter erfolgreich durchgeführt worden,
        er mit ausreisepflichtigen Ausländern aus verschiedenen
        U-Ländern besetzt war und der von der EU kofinan-
        iert wurde. Bisher ist nicht ansatzweise bekannt, dass
        rgendeinem der zurückgeführten Ausländer ein Leid
        ngetan worden wäre. Schon alleine das zeigt die Frag-
        ürdigkeit Ihres Antrages: Andere EU-Mitgliedstaaten
        rganisieren einen Sammelcharter zur Rückführung von
        ogolesen, an dem wir uns dankenswerterweise beteili-
        en dürfen, und Sie wollen einen Abschiebestopp durch-
        etzen. Sie schaden den Interessen unseres Landes. Das
        st die zentrale Konsequenz, die man aus Ihrem Antrag
        iehen muss!
        Es gab bisher nur ein Bundesland, das sich für einen
        bschiebestopp entschlossen hatte, Mecklenburg-Vor-
        ommern. Das dürfte sich mit dem Regierungswechsel
        un auch erledigt haben. Ich will aber schon verdeut-
        ichen, dass selbst Ihre Genossen in Schwerin wussten,
        ie schwach Ihre Argumente waren. Mecklenburg-
        orpommern hatte für die Innenministerkonferenz im
        rühjahr 2006 das Thema „Situation in Togo“ für die
        agesordnung angemeldet, dann aber kurz vor der Ta-
        ung das Thema von sich aus wieder zurückgezogen und
        en Abschiebestopp auf sechs Monate befristet. Ich gehe
        avon aus, dass beim nächsten EU-Sammelcharter jetzt
        uch ausreisepflichtige Togolesen aus Mecklenburg-
        orpommern dabei sein werden.
        Ich will nochmals eines ganz klar betonen: Zu einer
        laubwürdigen Steuerung der Zuwanderung gehört auch
        ine konsequente Rückführungspolitik. Dass es sehr
        ohl eine erhebliche Sogwirkung haben kann, wenn
        ine solche Rückführungspolitik nicht konsequent
        urchgeführt und Illegalen Hoffnung gemacht wird, sie
        önnten sich trotz Ausreisepflicht sich in einem Land
        eiter aufhalten, kann man an der Situation vor den
        üsten Spaniens und Italiens eindrucksvoll beobachten.
        er Legalisierungskampagnen für Illegale durchführt,
        er darf sich nicht wundern, wenn Schlepper und
        chleuser darauf sofort reagieren. Dass wir einen erheb-
        ichen Rückgang beim Missbrauch des Asylrechts und
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006 6293
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        der Zuwanderung von Illegalen in Deutschland haben,
        hängt auch mit unserer konsequenten Steuerung der Zu-
        wanderung zusammen. Und das heißt auch, dass wir
        Schleuserbanden keine Chance geben, den Menschen in
        Afrika Hoffnungen zu machen, dass sie, wenn sie
        Schleusern nur viele Dollars geben, auf Dauer in
        Deutschland bleiben. Der Kampf gegen Schleuser und
        Schlepper setzt neben einer Bekämpfung von Flucht-
        ursachen in den Heimatländern der Flüchtlinge eben
        auch voraus, dass sich dort herumspricht, dass es wegen
        einer konsequenten Zuwanderungspolitik keinen Sinn
        macht, sich auf einen manchmal leider eben auch lebens-
        bedrohlichen Weg zu machen.
        In diesem Zusammenhang will ich die gemeinsame
        deutschfranzösische Initiative für eine „zirkulierende“
        Migration hervorheben. Es mögen sich dabei noch ei-
        nige Fragen und Verbesserungsvorschläge ergeben, aber
        sie ist eine glaubwürdigere Alternative als der Antrag,
        den die Linke hier heute zur Abstimmung stellt.
        Ich freue mich, dass unsere Argumentation im Aus-
        schuss zumindest auch die Kollegen von der FDP-Frak-
        tion überzeugt hat. Wir haben insofern mit einer sehr
        breiten Mehrheit den Antrag der Fraktion Die Linke im
        Innenausschuss abgelehnt. Ich darf Sie herzlich bitten,
        diesem Votum des Innenausschusses zu folgen.
        Rüdiger Veit (SPD): Niemand darf in einen Staat
        abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Frei-
        heit bedroht ist. So gebietet es die Genfer Flüchtlings-
        konvention und in Anknüpfung daran auch der seit dem
        1. Januar 2005 in der umfassenden Form geltende § 60
        Abs. l des Aufenthaltsgesetzes. Das sollte und wird auch
        hier niemand in diesem Hohen Hause bezweifeln.
        Nach allem, was wir aus Berichten des Auswärtigen
        Amtes oder auch von Nichtregierungsorganisationen
        – namentlich des UNHCR – wissen, hätten vor diesem
        Hintergrund vor einem bis eineinhalb Jahren wegen der
        aktuellen Lage und der menschenrechtswidrigen Über-
        griffe in Togo Rückführungen von Flüchtlingen dorthin
        nicht stattfinden sollen und dürfen.
        Betrachtet man indessen die aktuellen Lageberichte des
        Auswärtigen Amtes – zuletzt vom 23. Februar 2006 – und
        denjenigen des UNHCR – zuletzt vom 7. August 2006 –
        hat sich die politische und auch die Sicherheitslage in
        Togo insgesamt nachhaltig verbessert. Die Berichte
        geben jedenfalls keine Anhaltspunkte mehr dafür her,
        dass insbesondere zurückkehrende Flüchtlinge im allge-
        meinen mit staatlicher oder nichtstaatlicher Verfolgung
        wegen ihrer Rasse, Religion, wegen ihrer Staatsangehö-
        rigkeit oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen
        Gruppe oder aufgrund ihrer politischen Überzeugung zu
        rechnen hätten.
        Insofern bedarf es keines generellen Abschiebestopps
        vonseiten einzelner Bundesländer gemäß § 60 a Abs. l
        des Aufenthaltgesetzes für die Dauer von sechs Monaten
        und für die Zeit darüber hinaus keiner entsprechenden
        Zustimmung des Bundesministers des Inneren gemäß
        § 23 des Aufenthaltgesetzes.
        Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge,
        BAMF, prüft zudem vor jeder Abschiebung im kon-
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        reten Einzelfall eventuell bestehende Gefährdungen.
        nsbesondere solchen Personen wird Abschiebeschutz
        ewährt, bei denen eine neuerliche Verfolgung wegen
        hrer vormaligen politischen oder auch exilpolitischen
        ktivitäten nicht mit hinreichender Sicherheit ausge-
        chlossen werden kann. So wird uns dies vonseiten des
        undesamtes für Migration und Flüchtlinge versichert,
        essen Amtsleitung unser volles Vertrauen hat. So sieht
        s auch der Bundesminister des Inneren. Wir erwarten
        ngeachtet dessen, dass auch in aller Zukunft mit der
        otwendigen Sensibilität letztlich nach dem Motto „Im
        weifel nie“ anstehende Abschiebungen im Einzelnen
        eiterhin auf das Sorgfältigste geprüft werden.
        Aus den genannten Gründen gibt es auf Grundlage
        er heutigen Situation in Togo und vorbehaltlich neuerer
        rkenntnisse durch neue Berichte bzw. Ereignisse ak-
        uell jedenfalls keine Veranlassung, dem Antrag der
        raktion der Linken zuzustimmen.
        Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Die verschiede-
        en Bemühungen um eine Verbesserung der Menschen-
        echtslage in Togo haben – begrenzt – Früchte getragen.
        o wurden laut Auswärtigem Amt politische Gefangene
        reigelassen, Gerichtsverfahren beschleunigt, Bewe-
        ungs- und Meinungsfreiheit verbessert und bessere
        rundlagen für eine freie Presse geschaffen.
        Die Präsidentschaftswahlen vom 24. April 2005 waren
        llerdings eine Farce. Sie haben erhebliche Rückschläge
        m Menschenrechtsbereich mit sich gebracht. Togo hat
        en bereits mehrfach von der Genfer VN-Menschen-
        echtskommission angeforderten Folterbericht immer
        och nicht abgegeben. Trotz verschiedener öffentliche
        bsichtserklärungen von Staatspräsident und Regierung
        ehlen nach Einschätzung der Opposition noch über-
        eugende Aktionen, die eine ernsthafte Bereitschaft be-
        egen, das politische Leben auf eine eindeutig neue
        rundlage zu stellen. Die Teilhabe der wichtigsten Op-
        ositionsparteien am Staatsgeschehen erscheint zurzeit
        och ausgeschlossen. Hier obliegt es der Regierung von
        ogo, im Rahmen ihrer Führungsrolle ernsthaft aktiv zu
        erden.
        Ohne Frage ist die Menschenrechtslage in Togo
        chwierig. Allerdings geht der jüngste UNHCR-Bericht
        nzweideutig von einer wesentlichen Verbesserung der
        enschenrechtslage aus. Der Antrag der Linkspartei ist
        nsofern in seiner Analyse der politischen und men-
        chenrechtlichen Situation in Togo nicht mehr auf dem
        ktuellen Stand. Der UNHCR hat seine Stellungnahme
        om August 2005 überarbeitet und ist nunmehr auf der
        rundlage langwieriger Recherchen zu der Einschät-
        ung gelangt, dass sich die Sicherheitslage in Togo trotz
        inzelner verbleibender Probleme entscheidend verbes-
        ert hat. Auch Pro Asyl teilt diese Bewertung.
        Vor diesem Hintergrund bezweifelt die FDP, dass ein
        enereller Abschiebestopp, wie ihn die Linkspartei fordert,
        ie richtige Antwort ist. Wir sind allerdings der Auffas-
        ung, dass die Menschenrechtslage in Togo weiterhin
        er kritischen Aufmerksamkeit bedarf. Gerade vor dem
        intergrund der Verantwortung für andere Fälle muss
        ie Notwendigkeit eines Abschiebestopps genau geprüft
        6294 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006
        (A) )
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        werden. Für Togo besteht nach weitgehend übereinstim-
        mender Auffassung kein derartig allgemeines Schutzbe-
        dürfnis mehr. Natürlich müssen wir leider davon aus-
        gehen, dass es politische Verfolgung in Togo auch heute
        noch gibt. Aber dafür besteht nach wie vor das Recht für
        politisch Verfolgte, in Deutschland einen Asylantrag zu
        stellen.
        Der generelle Abschiebestopp ist ein politisches
        Instrument im Falle einer akuten Entwicklung, die
        rasches Handeln erfordert. Dieses Instrument darf nicht
        inflationär verwendet werden. Dauerhafte Probleme mit
        der Menschenrechtslage in einem bestimmten Land kön-
        nen damit nicht gelöst werden. Dazu ist das Asylrecht
        das richtige Instrument. Die FDP lehnt daher den Antrag
        der Linkspartei ab.
        Sevim Dagdelen (DIE LINKE): In einer Nacht- und
        Nebelaktion Anfang diesen Jahres wurde der togoische
        Flüchtling Alassane Moussbauo aus Deutschland abge-
        schoben. Sofort nach seiner Ankunft musste er untertau-
        chen, weil das Militär dem Oppositionellen drohte, ihn
        zu „eliminieren“. Sein Fall war Anlass für den Abschie-
        bestopp des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Wäh-
        rend der Abschiebestopp vor wenigen Wochen ausgelau-
        fen ist, befindet sich Alassane Moussbauo immer noch
        auf der Flucht. Über 700 Flüchtlinge könnten sein
        Schicksal bald teilen. Sie könnten wieder in ein Land
        abgeschoben werden, in dem ihnen konkret Gefahr für
        Leib, Leben und Freiheit droht Ein Abschiebestopp in
        einem Bundesland wie Mecklenburg-Vorpommern
        macht Sinn, wenn Abschiebungen nicht bundesweit aus-
        gesetzt werden. Deshalb hat Die Linke diesen Antrag ge-
        stellt und fordert die Bundesregierung auf, die Erteilung
        einer Aufenthaltserlaubnis für togoische Flüchtlinge
        nach § 23 AufenthG zu ermöglichen und sich gegenüber
        den Bundesländern für einen Abschiebestopp nach
        § 60 a Abs. l AufenthG einzusetzen.
        Bisher windet sich die Bundesregierung immer mit
        dem Verweis auf die Einzelfallprüfung aus ihrer Verant-
        wortung. Aber auch eine Einzelfallprüfung kann eine
        Gefährdung von abgeschobenen Flüchtlingen nicht ein-
        deutig ausschließen. Zu willkürlich und zu unberechen-
        bar verfolgt das togolesische Regime die Opposition. In
        der Vergangenheit waren von Verfolgung nicht nur deren
        ranghohe Vertreter betroffen, sondern auch einfache Op-
        positionsmitglieder. Selbst der bloße Verdacht einer Mit-
        gliedschaft reichte aus, um in den Zugriff des Regimes
        zu gelangen. Außerdem beobachtet das Regime genau
        die exilpolitischen Tätigkeiten von togolesischen Flücht-
        lingen in Deutschland.
        Die Menschenrechtssituation hat sich seit den Aus-
        schreitungen im Frühjahr 2005 nicht wesentlich verbes-
        sert. In der Diskussion im Innenausschuss hat Herr
        Grindel dies bestritten und auf den aktuellen Bericht des
        UNHCR vom 7. August 2006 verwiesen. Im Gegensatz
        zu ihm habe ich diesen Bericht jedoch genau gelesen. Es
        kann sein, dass sich die großen Führer der Opposition
        gegenwärtig in Lomée sicher fühlen. Das sagt aber
        nichts darüber aus, ob sich die Situation von einfachen
        Oppositionellen außerhalb der Hauptstadt verbessert hat.
        Im Gegenteil: Der UNHCR stellt an keiner Stelle ein
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        nde der nächtlichen Entführungen und Morde von Op-
        ositionsmitgliedern fest. Stattdessen wiederholt der
        NHCR seine Aussage vom Sommer 2005, dass sich
        ie Struktur und Rolle der Armee – die Herrschaft des
        iktators Gnassingbé militärisch abzusichern – nicht
        erändert habe. Strukturelle Reformen des politischen
        ystems sind bisher ausgeblieben.
        Wer vor diesem Hintergrund behauptet, die Lage in
        ogo habe sich entspannt, stellt ein durch Einschüchte-
        ung und polizeiliche Willkür und Verfolgung entstande-
        es Klima der Angst als innenpolitischen Frieden dar.
        ie Diktatur Gnassingbés ist lediglich sensibler gegen-
        ber der internationalen Öffentlichkeit geworden. Immer-
        in hat die EU dem Regime in Lomée circa 55 Millionen
        uro in Aussicht gestellt, wenn diese einen nationalen
        ialog mit der Opposition beginnt. Demokratische Fort-
        chritte hat dieser Dialog bis heute nicht gebracht.
        Flüchtlingen, die exilpolitisch in Deutschland tätig
        aren und abgeschoben werden sollen, sind jedoch wei-
        erhin einer beträchtlichen Bedrohung ausgesetzt. Das
        at die fatale Abschiebung von Alassane Moussbauo ge-
        eigt. Wie viele untergetauchte, gefolterte oder sogar er-
        ordete Flüchtlinge sind nötig, damit eine Gefährdung
        on abgeschobenen Flüchtlingen vom Auswärtigen Amt
        nd verantwortlichen Politikern wahrgenommen wird?
        ch möchte an dieser Stelle auf ein Urteil des Freiburger
        erwaltungsgericht im März dieses Jahres hinweisen: Es
        tellte fest, dass es im Asylrecht keiner Lebendversuche
        ulasten von Flüchtlingen braucht, um die systematische
        epression von abgeschobenen Flüchtlingen beweisen
        u können.
        Wenn die konkrete Gefahr für Leib und Leben von
        itgliedern der Opposition bzw. denjenigen, die dafür
        ehalten werden, nicht ausgeschlossen werden kann, ist
        ede Abschiebung von Flüchtlingen nach Togo ein sol-
        her „Lebendversuch“!
        Die CDU/CSU-Fraktion hat im Innenausschuss je-
        och deutlich gemacht, dass sie an einer Klärung der Ge-
        ährdung für abgeschobene Flüchtlinge nicht interessiert
        st. Vom Primat abzuschieben, egal was mit den Flücht-
        ingen passiert, will die Union nicht abrücken. Das
        acht der Vorschlag des bayerischen Innenministers
        ünther Beckstein in der aktuellen Bleiberechtsdebatte,
        rakische Flüchtlinge von dieser Regelung auszuschlie-
        en und konsequent abzuschieben, nochmals deutlich.
        Wenn doch aber widersprüchliche Aussagen zur Men-
        chenrechtssituation in Togo vorliegen, dann müssen Sie
        enigstens bereit sein, auf Grundlage einer aktualisierten
        assung des Lageberichts des Auswärtigen Amtes zu ent-
        cheiden. Wir müssen vom Auswärtigen Amt fordern, die
        ktuelle Situation zu prüfen und den Lagebericht zu kor-
        igieren. Der Berichterstatter der SPD hat richtigerweise
        ie Aussagen des Freiburger Verwaltungsgerichts ernst
        enommen und eine weitere Klärung des Sachverhalts
        efordert. Leider hat die SPD sich dann ihrem Koaliti-
        nspartner gebeugt und den Antrag der Bundestagsfrak-
        on Die Linke im Innenausschuss abgelehnt. Ich finde es
        kandalös, dass das Recht auf Schutz vor Verfolgung dem
        oalitionszwang geopfert wird.
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006 6295
        (A) )
        (B) )
        Bevor Alassane Moussbauo zwangsweise abgescho-
        ben wurde, hatte es etliche Warnungen und Hinweise zu
        seiner Gefährdung gegeben. Erst nach langen Protesten
        vor allen von Flüchtlingsgruppen war die SPD in Meck-
        lenburg-Vorpommern bereit, die Menschenrechtssitua-
        tion in Togo realistisch einzuschätzen und Abschiebun-
        gen auszusetzen. Ich halte die Bedrohung für Flüchtlinge
        aus Togo weiterhin für sehr hoch. Stellungnahmen von
        Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisationen zeigen
        dies und unser Antrag stützt sich darauf. Abschiebungen
        von Menschen, die vom Regime in Togo für Oppositio-
        nelle gehalten werden könnten, sind unverantwortlich.
        „Lebendversuche“ lehnt die Linke ab. Deswegen fordern
        wir die Bundesregierung auf, alles zu tun, um einen bun-
        desweiten Abschiebestopp durchzusetzen.
        Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
        Die instabile Menschenrechtslage auch im Jahr nach den
        Präsidentschaftswahlen in Togo muss sich in der Zahl
        der Anerkennung von Asylgesuchen von Togoern durch
        das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nieder-
        schlagen. Ein Abschiebestopp, ob nun bundesweit oder
        für ein halbes Jahr von einem einzelnen Bundesland ver-
        hängt, kann immer nur der letzte „Strohhalm“ sein, um
        Flüchtlingen einen Aufschub der Abschiebung zu ge-
        währen, weil ihnen allgemeine Gefahren für Leib und
        Leiben drohen.
        Seit mehr als drei Jahrzehnten leidet die togoische
        Bevölkerung darunter, dass es kein rechtsstaatliches Sys-
        tem in Togo gibt. Die Sicherheitskräfte können sich ge-
        setzeswidrig verhalten, ohne eine Ahndung durch staatli-
        che Stellen befürchten zu müssen und ohne für
        Übergriffe zur Rechenschaft gezogen zu werden. Diese
        völlige Straflosigkeit prägt auch im Jahr 2006 noch die
        Situation im Lande. Eigentlich müsste dies alles zur
        Asylanerkennung bzw. zur Zuerkennung von Abschie-
        bungshindernissen durch das Bundesamt für Migration
        und Flüchtlinge für in Deutschland asylsuchende Togoer
        führen. Das Gegenteil ist der Fall. Innerhalb von vier
        Jahren wurden gerade einmal 159 Togoer vom Bundes-
        amt als Flüchtlinge anerkannt.
        Nach Berichten von UNHCR und anderen Menschen-
        rechtsorganisationen ist es in Togo seit dem Tod des Prä-
        sidenten Gnassingbé Eyadéma und dem sich daran an-
        schließenden Staatsstreich seines Sohnes Faure
        Gnassingbé im Februar 2005 zu gravierenden und syste-
        matischen Menschenrechtsverletzungen gekommen. In
        den Wochen und Monaten vor und nach der Präsident-
        schaftswahl vom 24. April 2005 war ein extremer An-
        stieg exzessiver Gewaltanwendung durch Sicherheits-
        kräfte und bewaffnete Banden zu verzeichnen;
        vergleichbare Gewaltausbrüche hat es in Togo in den
        letzten Jahren nicht gegeben. Auch nach der offiziellen
        Bekanntgabe der Wahlergebnisse durch das Verfassungs-
        gericht hielten die Repressionen gegen die Bevölkerung
        an. Zahlreiche Personen wurden durch Schüsse und
        Schläge getötet oder verletzt. Oppositionelle und mut-
        maßliche Oppositionelle wurden inhaftiert und gefoltert.
        Der Regierung nahe stehende Milizen drangen wahllos
        in Häuser ein, die Bewohner wurden geschlagen und be-
        raubt und die Häuser verwüstet.
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        Seither hat sich die allgemeine Sicherheitslage in
        ogo zwar etwas beruhigt: dies beschreibt auch der
        NHCR in seinem jüngsten Bericht vom August 2006.
        ngriffe von Milizen während und nach den Präsident-
        chaftswahlen hatten zur Folge, dass mehrere zehntau-
        end Menschen aus ihrer Heimat vertrieben wurden und
        um Teil ins Ausland flüchten mussten. Nach Angaben
        umanitärer Hilfsorganisationen hatten bis August
        0 000 Menschen in den Nachbarländern Benin und
        hana Zuflucht gesucht. Ende 2005 befanden sich noch
        mmer mehrere tausend Flüchtlinge in den Nachbarlän-
        ern Togos, Zahlreiche Ausländer haben das Land ver-
        assen. Immer wieder gibt es Berichte von Übergriffen
        egen Personen, die aus Benin und Ghana nach Togo zu-
        ückgekehrt sind. Auf der Grundlage einer veränderten
        agebeurteilung, wonach sich insbesondere die Sicher-
        eitslage gegenüber dem Sommer 2005 verbessert habe,
        pricht sich UNHCR aktuell nicht mehr grundsätzlich
        egen Rückführungen nach Togo aus. Gemeint sind al-
        erdings überwiegend die togoischen Flüchtlinge, die
        ich in die Nachbarstaaten gerettet hatten. Keineswegs
        ntendiert ist mit dem UNHCR-Bericht die Abschiebung
        on abgelehnten togoischen Asylbewerbern aus Europa
        n großem Stil. Denn mit einer Stabilisierung der Lage
        nd einer Beendigung der massiven Menschenrechtsver-
        etzungen ist in unmittelbarer Zukunft nicht zu rechnen.
        benso wenig ist damit zu rechnen, dass es schnell zur
        usbildung rechtsstaatlicher Strukturen kommt. Daher
        leiben wir dabei, dass sich an der Entscheidungspraxis
        es Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge im Hin-
        lick auf togoische Asylbewerber grundlegend etwas än-
        ern muss.
        nlage 15
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
        Änderung des Arbeitnehmer-Entsendegesetz
        (Tagesordnungspunkt 27)
        Gitta Connemann (CDU/CSU): „Handwerk hat gol-
        enen Boden“, so sagt der Volksmund. Golden ist am
        andwerk ohne Frage die Qualität seiner Arbeit. Die
        erkunftsbezeichnung „Made in Germany“ steht in der
        elt für Prädikatsleistung, zu Recht. Denn in unseren
        andwerksbetrieben werden die denkbar besten Pro-
        ukte und Dienstleistungen erzeugt, von hervorragend
        usgebildeten Betriebsinhabern und deren Mitarbeitern.
        ie Nachfrage nach diesen qualitativ hochwertigen Leis-
        ungen ist vorhanden.
        Der Volksmund irrt jedoch, soweit es um die Vergü-
        ung dieser handwerklichen Leistungen geht. Golden ist
        ieser Boden schon lange nicht mehr immer. Ertrag und
        ualität stehen nicht mehr stets in einem ausgeglichenen
        erhältnis.
        Das Handwerk ist geprägt durch seine Vielfalt: Viel-
        alt an Fertigkeiten, Vielfalt an Qualifikationen, aber
        uch einer Vielfalt an Herausforderungen. Die hand-
        erkliche Expertise muss sich insbesondere gegenüber
        en Anforderungen des innereuropäischen und interna-
        6296 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006
        (A) )
        (B) )
        tionalen Wettbewerbs behaupten. Und dies ist nicht im-
        mer leicht bei einer Unternehmensphilosophie, die wir in
        den mittelständischen Handwerksbetrieben antreffen, ei-
        ner Philosophie, die den Menschen in den Mittelpunkt
        stellt, den Kunden und insbesondere die Mitarbeiter.
        Ein Handwerker, der heute erfolgreich sein will, wird
        eben nicht mehr nur an seiner fachlichen Qualität gemes-
        sen. Vielmehr muss er sein Denken und Handeln dem in
        einem stetigen Wandel begriffenen Markt anpassen. Dies
        bedeutet eine große Herausforderung an die Unterneh-
        mensführung des Betriebsinhabers. Er muss den Markt
        aufmerksam beobachten, Veränderungen rechtzeitig er-
        kennen und sein Unternehmen entsprechend umstruktu-
        rieren. Er muss aktiv auf seine Kunden zugehen und
        neue Märkte erschließen. Dies sind keine Neuigkeiten.
        Es verdeutlicht allein unsere Verpflichtung, für diese
        Handwerker Rahmenbedingungen zu schaffen, mit de-
        nen diese der Vielfalt der Herausforderung genügen kön-
        nen.
        Die Vielfalt des Handwerks verpflichtet zur genauen
        Betrachtung der einzelnen Branchen. Die Anforderun-
        gen, Steuerungsbedürfnisse und Wettbewerbsbedingun-
        gen der einzelnen Sparten unterscheiden sich massiv.
        Was der einen Branche gut tut, bringt die andere in Ge-
        fahr. Dies gilt auch für die Ausweitung des Arbeitneh-
        mer-Entsendegesetzes.
        Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz wurde für die Be-
        triebe der Bauwirtschaft und der Seeschifffahrtsassistenz
        in Kraft gesetzt. Das zuständige Ministerium kann da-
        nach auf Antrag einer Tarifvertragspartei durch Rechts-
        verordnung einen Tarifvertrag auf alle inländischen
        nicht-tarifgebundenen und aus dem Ausland entsandten
        Arbeitnehmer erstrecken. Es wird kein Tarifausschuss zu
        der Entscheidung gehört und es gibt keinerlei materielle
        Voraussetzungen für den Erlass.
        Es war eine kluge Entscheidung zum Schutz der in
        diesen Branchen beschäftigten Arbeitnehmer. Denn im
        Ausland ansässige Arbeitgeber in diesen Branchen sind
        dadurch verpflichtet, den entsandten Arbeitnehmer nach
        in Deutschland geltenden Bedingungen zu beschäftigen.
        Diese gesetzliche Regelung hat sich als ein Instrument
        gegen das Lohn- und Sozialdumping von ausländischen
        Anbietern in der Baubranche erwiesen.
        Die Erfahrungen aus der Baubranche zeigen jedoch
        auch, dass die Ausweitung des Arbeitnehmer-Entsende-
        gesetzes kein Allheilmittel ist. Die Absicht, Lohndum-
        ping zu unterbinden, hat nicht zur abschließenden Siche-
        rung bestehender Arbeitsplätze geführt.
        Die Zahl der Beschäftigten im Bauhauptgewerbe
        ohne -nebengewerbe ist kontinuierlich zurückgegangen:
        Von 1996 bis 2002 ist ein Drittel der ursprünglich etwa
        1,3 Millionen Arbeitsplätze weggefallen. Der Anteil
        ausländischer Entsendearbeitnehmer von gut 16 Prozent
        ist in diesem Zeitraum gleich geblieben. Während die
        Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in
        West- und Ostdeutschland jeweils um 1,0 Prozent zuge-
        nommen hat, erlitt die Baubranche einen Beschäfti-
        gungsverlust von 0,2 Prozent. So waren in 2003 im
        Jahresdurchschnitt 683 163 Arbeitnehmer in der Bau-
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        irtschaft beschäftigt. Im Jahr 2004 verringerte sich die
        ahresdurchschnittszahl auf 634 930, im Jahr 2005 fiel
        ie auf 572 655.
        Ein Kernelement des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes
        st der Kontrollmechanismus. Nur durch beständige
        ontrollen kann die Zielsetzung des Entsendegesetzes
        uch realisiert werden. Eine Ausweitung darf daher kei-
        esfalls zulasten der Effizienz von Kontrollen in der
        aubranche führen. Sollten die Kontrollen rückgängig
        ein, besteht die Gefahr, dass ein Anstieg von Schwarz-
        rbeit mit der Bekämpfung des Lohndumpings einher-
        eht.
        Wir wissen um die kriminellen Energien Einzelner.
        edauerlicherweise sind diese Energien eine Variable,
        ie es zu berücksichtigen gilt. Eine Negierung dieser
        nergien wäre fatal für die heimischen Betriebe. Illegale
        eschäftigungen, Scheinselbstständigkeiten und Lohn-
        umping müssen weiterhin bekämpft werden. Das
        andwerk selbst fordert dazu auf, den Kontrollmecha-
        ismus zu bewahren. Diese Forderung muss ernst ge-
        ommen werden.
        Unter Kenntnis dieser Fakten debattieren wir heute
        ie Ausweitung des Entsendegesetzes auf die Branche
        er Gebäudereiniger. Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz
        oll laut der Gesetzesvorlage der Bundesregierung auf
        rundlage der EU-Entsenderichtlinie auf das Gebäude-
        einigerhandwerk ausgeweitet werden. Damit soll eine
        enachteiligung der entsandten Arbeitnehmerinnen und
        rbeitnehmer vermieden und zugleich verhindert wer-
        en, dass durch unfairen Wettbewerb insbesondere die in
        eutschland ansässigen kleinen und mittleren Unterneh-
        en sowie die bei ihnen bestehenden Arbeitsplätze ge-
        ährdet werden.
        Mit der Aufnahme in das Arbeitnehmer-Entsendege-
        etz würde das Gebäudereinigerhandwerk Zugang zum
        nstrument der Mindestlohn-Verordnung erhalten. Dies
        ntspricht einem zentralen Anliegen der Branche.
        Denn das Gebäudereinigerhandwerk ist ähnlich auf-
        estellt wie die Baubranche. Auch hier sind die Arbeit-
        ehmer an wechselnden Einsatzorten tätig, woraus ein
        erstärktes Schutzbedürfnis der Mitarbeiter resultiert.
        as Gebäudereinigerhandwerk ist wie das Baugewerbe
        ohnkostenintensiv und steht damit in besonderer Weise
        m Wettbewerb mit Anbietern aus Ländern mit deutlich
        iedrigerem Lohnniveau. Darüber hinaus gilt bei den
        ebäudereinigern bereit ein bundesweiter Lohntarifver-
        rag mit einheitlichen Strukturen. Die Vergleichbarkeit
        it dem Baugewerbe ist offensichtlich. Daneben besteht
        wischen den Tarifvertragsparteien Einigkeit über die
        ufnahme der Branche in das Arbeitnehmer-Entsende-
        esetz und über die Durchsetzung der dort vorgeschrie-
        enen Arbeitsbedingungen.
        Denn die Beschäftigten des Gebäudereinigerhand-
        erks müssen vor der unfairen Konkurrenz mit unterta-
        iflich entlohnten Arbeitnehmern geschützt werden. Der
        rundsatz der Gleichbehandlung muss zwingend für
        iese 850 000 Beschäftigten gelten.
        Das Gebäudereinigerhandwerk hat selbst die Forde-
        ungen formuliert „unter das Arbeitnehmerentsende-
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006 6297
        (A) )
        (B) )
        gesetz zu fallen“, UDH, 18. Juli 2006. Das Gebäu-
        dereinigerhandwerk erfüllt die tarifrechtlichen
        Voraussetzungen. Als eine Reform im Arbeitsrecht ist
        die Erweiterung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes im
        Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD vorgesehen.
        Der Vorlage der Bundesregierung ist daher zuzustim-
        men.
        Die Erweiterung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes
        wird zur Stärkung des Gebäudereinigerhandwerks im in-
        nereuropäischen Wettbewerb beitragen. Das Handwerk
        erwartet faire Wettbewerbsbedingungen – insbesondere
        für den Mittelstand. Dabei muss eines klar sein: Bauge-
        werbe und Gebäudereiniger bilden nicht zwingend ein
        Vorbild für andere Branchen.
        Insoweit führe ich vor allem ordnungspolitische Be-
        denken an. Wir müssen uns vor der Illusion hüten, dass
        die staatliche Festlegung von Mindestlöhnen ein Allheil-
        mittel ist. Die Wirkungen des Entsendegesetzes dürfen
        nicht überschätzt werden. Die Zahlen sprechen für sich.
        Die Erstreckung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes auf
        die Baubranche hat nicht zu einem Stoß des Abbaus von
        sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhält-
        nissen geführt, sondern diesen allenfalls verlangsamt.
        Durch seine Ausweitung werden die allgemeinen
        Wettbewerbsbedingungen nicht verbessert. Dies muss
        aber unser Ziel sein: ein nachhaltiger Fortschritt für die
        Wettbewerbssituation von Handwerksbetrieben. Die Er-
        weiterung soll lediglich gleiche Lohn- und Arbeitsbedin-
        gungen für in- und ausländische Anbieter herstellen. Ob
        dieser Weg für eine Branche sinnvoll ist, muss einzeln
        geprüft werden. Für die Gebäudereinigerbranche hat es
        sich als sinnvoll erwiesen.
        Es geht uns darum, Beschäftigungsrisiken zu min-
        dern. Ob ein ausländischer Arbeitnehmer zu den niedri-
        gen Löhnen seines Heimatlandes ein Gut in Deutschland
        produziert, oder ob er es im Heimatland herstellt und es
        nach Deutschland exportiert, erzielt im Hinblick auf die
        Beschäftigungsrisiken das gleiche Ergebnis.
        Es zeigt sich, dass die Ausweitung des Entsendegeset-
        zes mit Bedacht umgesetzt werden muss. Denn eine
        Ausweitung per se auf alle Branchen führt ausschließlich
        zur Abschottung der kartellierten Lohnsetzung am Ar-
        beitsmarkt gegen die Konkurrenz von Außen.
        Dies muss durch eine verantwortliche Erweiterung
        des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes verhindert werden.
        Das Handwerk bildet mit seinen kleinen und mittleren
        Betrieben ohne Zweifel den Kern der deutschen Wirt-
        schaft. Handwerk ist und war immer einem stetigen
        Wandel ausgesetzt. Gleichzeitig wahrt es traditionelle
        Fertigkeiten auf höchstem Niveau.
        Etwa 4,8 Millionen Menschen sind im Handwerk tä-
        tig. Für diese Menschen sind vernünftige und prakti-
        kable Rahmenbedingungen unerlässlich. Unternehmer
        im Handwerk gehen einer hohen moralischen Verpflich-
        tung nach.
        Der Betrieb stellt den Menschen in den Mittelpunkt.
        Diese moralische Verpflichtung darf nicht zum Wettbe-
        werbsnachteil mutieren. Dies gilt es zu verhindern. Und
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        er heute debattierte Gesetzesentwurf der Bundesregie-
        ung liefert insoweit für das Gebäudereinigerhandwerk
        inen klugen Beitrag.
        Wir sollten diesem Antrag deshalb nach Überweisung
        n die Ausschüsse dem Grunde nach zustimmen.
        Anette Kramme (SPD): Gestatten Sie mir eingangs
        in Zitat: „Ohne Aufnahme in das Entsendegesetz ist
        ach gemeinsamer Einschätzung der Tarifvertrags-
        arteien in Kürze damit zu rechnen, dass das Gebäude-
        einigerhandwerk als ‚Musterbeispiel‘ für den breiten
        insatz osteuropäischer Billigarbeitnehmer gelten wird.
        ur Dank der 3 + 2 + 3-Regelung (…) konnte das zum
        ktuellen Zeitpunkt noch vermieden werden.“ Ich habe
        us einem Schreiben des Bundesinnungsverbands des Ge-
        äudereinigerhandwerks aus dem vergangenen Jahr zi-
        ert.
        Ich bin froh, dass wir dieser Forderung nun endlich
        achkommen. Bislang verpflichtet das Arbeitnehmer-
        ntsendegesetz nur im Ausland ansässige Arbeitgeber
        es Baugewerbes, ihren nach Deutschland entsandten
        rbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bestimmte hier
        wingend geltende tarifvertragliche Rahmenbedingun-
        en zu gewähren.
        Die Erfahrungen hier sind positiv. Auch seitens des
        auptverbandes der Deutschen Bauindustrie wurde dies
        estgestellt. Ohne das Entsendegesetz hätten wohl rund
        50 000 deutsche Bauarbeiter ihren Job verloren. Das
        tellte Michael Knipper, Hauptgeschäftsführer des
        auptverbandes der Deutschen Bauindustrie, im vergan-
        enen Jahr fest.
        Die Arbeitgeberseite und auch der Freistaat Bayern
        ersuchten im Vorfeld mit ihren Forderungen die Ein-
        eziehung der Gebäudereiniger in das Entsendegesetz
        uszuhöhlen. So sollte die Möglichkeit der Allgemein-
        erbindlicherklärung nach dem Tarifvertragsgesetz,
        icht aber die spezielle Rechtsverordnungsermächtigung
        ach dem Entsendegesetz vorgesehen werden. Einigt
        ich der Tarifausschuss nicht, kommt die AGVE nicht
        ustande. In die Röhre schauen die Gebäudereiniger, die
        erade eine solche Situation künftig vermeiden wollen.
        ch zitiere aus einem „Zeit“-Interview mit dem Verbands-
        hef der Gebäudereiniger vom August diesen Jahres:
        Bislang musste der Tarifausschuss aus BDA und
        DGB unserem Tarif zustimmen. Beim Entsendege-
        setz kann sich der Minister jedoch über das Veto
        von BDA oder DGB hinwegsetzen. Die BDA fühlt
        sich als Kontrollinstanz für unseren Tarifabschluss.
        … Was geht es andere an, wenn sich Arbeitgeber
        und Arbeitnehmer einer Branche einigen?
        Bayern forderte zudem eine Befristung des Ände-
        ungsgesetzes bis zum 31. Dezember 2009. Das wäre
        chon angesichts der 2009, spätestens aber 2011 aus-
        aufenden Übergangsfristen zur Dienstleistungsfreiheit
        ür die EU-Beitrittsstaaten nicht hinnehmbar gewesen.
        Die Ausdehnung des Arbeitnehmer-Entsendegeset-
        es auf die Gebäudereiniger ist ein erster Schritt in die
        ichtige Richtung. Ich sage aber hier und heute ganz klar,
        6298 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006
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        dass wir es hierbei nicht bewenden lassen dürfen. Es gibt
        weit mehr Branchen, die von Lohn- und Sozialdumping
        betroffen sind.
        Auch wenn es sich vielleicht die Klientel der FDP
        nicht vorstellen kann, es gibt Menschen, die jeden Mor-
        gen aufstehen, 40 oder sogar mehr Stunden pro Woche
        arbeiten und am Monatsende oft kaum 1 000 Euro aufs
        Konto bekommen. Nehmen wir das Sicherheitsgewerbe,
        wo es zum Teil Stundenlöhne von drei Euro gibt. Oder
        die Friseurin in Kassel, die sich mit einem Stundenlohn
        von 5,30 Euro netto über Wasser halten muss. Oder die
        Spülhilfe, die bei einer 40-Stunden-Woche gerade ein-
        mal 762 Euro monatlich erhält. Erklären Sie diesen
        Leuten doch einmal, warum ein Josef Ackermann
        11,9 Millionen Euro im Jahr verdient, zusammen mit
        Kapitalerträgen und weiteren Bezügen sogar 15 bis
        20 Millionen Euro!
        Die „Geiz-ist-geil“-Mentalität hat schon längst Ein-
        zug gehalten auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Das
        sprichwörtliche Fass ohne Boden finden wir immer häu-
        figer.
        Wir brauchen eine untere Auffanglinie. Das dürfen
        wir nicht auf die lange Bank schieben. Schon allein weil
        wir in drei oder maximal in fünf Jahren die Arbeitneh-
        merfreizügigkeit haben werden.
        Auch wenn Frau Merkel verlauten ließ, es werde kei-
        nen flächendeckenden, einheitlichen Mindestlohn geben,
        ist für die SPD die Diskussion damit keinesfalls beendet
        und schon gleich gar nicht zu den Akten gelegt.
        An dieser Stelle kommt für gewöhnlich der Aufschrei
        von der FDP, wir würden damit Arbeitsplätze zerstören
        bzw. Beschäftigungsmöglichkeiten verhindern. Ich
        werde jedoch nicht müde, es immer wieder zu erwähnen:
        Die Erfahrungen in anderen Ländern belegen das Gegen-
        teil.
        In Großbritannien zum Beispiel, wo der gesetzliche
        Mindestlohn den Lebenshaltungskosten entsprechend
        angepasst und damit erheblich, nämlich um 40 Prozent,
        angehoben wurde, stieg trotzdem die Beschäftigungs-
        rate. Laut IAT, Institut Arbeit und Technik, hat sich dort
        die Lage von rund 1,5 Millionen Beschäftigten verbes-
        sert oder wurde zumindest abgesichert.
        Mit der Einbeziehung des Gebäudereinigerhandwerks
        in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz sind wir auf einem
        guten Weg, um Lohn- und Sozialdumping Einhalt zu ge-
        bieten. Lassen Sie uns diesen Weg im Interesse der
        Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gemeinsam wei-
        tergehen.
        Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Das Arbeitnehmer-
        Entsendegesetz gilt derzeit nur für die Baubranche und
        die Seeschiffahrtsassistenz und soll nun auf die Branche
        der Gebäudereiniger ausgedehnt werden. Erst einmal auf
        diese Branche, muss man hier deutlich sagen, denn im
        Grunde ist der Gesetzentwurf von der Koalition, jeden-
        falls vom federführenden Ministerium, als Türöffner
        gedacht. Nach und nach sollen weitere Branchen folgen.
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        as bedeutet faktisch die Einführung von Mindest-
        öhnen durch die Hintertür!
        Mit der Ausweitung des Gesetzes wären statt heute
        00 000 Beschäftigten künftig doppelt so viele Arbeit-
        ehmer davon betroffen, nämlich zusätzliche 850 000 im
        ereich der Gebäudereiniger.
        Bundesminister Müntefering macht kein Geheimnis
        araus, dass er die Einführung von tariflichen Mindest-
        öhnen in allen Branchen für „das Optimale“ hält – „Die
        elt“ vom 24. August 2006. Weiter sagt er, es wäre gut,
        enn man dies für möglichst viele Branchen organisie-
        en könnte. Es gebe „Dutzende und Hunderte“, die in
        iner vergleichbaren Situation wie die rund 850 000 Ge-
        äudereiniger seien. „Da muss man jetzt versuchen, das
        eld Zug um Zug aufzurollen.“
        Dass es darum geht, bestätigt auch die Einbeziehung
        n die Verordnungsermächtigung, nach der der Bundes-
        inister für Arbeit und Soziales ohne Einvernehmen der
        ozialpartner auf Antrag nur einer Tarifvertragspartei
        arifliche Regelungen auf Außenseiter erstrecken kann.
        ür die Einbeziehung des Gebäudereinigerhandwerks
        edenfalls brauchen sie diese Regelung nicht, da es hier
        ereits einen allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag
        rgibt. Im Übrigen ginge eine Anwendung der Verord-
        ungsermächtigung auch über die Aussagen im Koali-
        ionsvertrag hinaus, nach dem die Einbeziehung weiterer
        ranchen in das Entsendegesetz nur erfolgen soll, wenn
        uvor der Tarifvertrag nach den Regeln des Tarif-
        ertragsgesetzes für allgemeinverbindlich erklärt wurde.
        Es ist also nur ein erster Schritt. Weitere werden folgen,
        m eine Branche nach der anderen einzubeziehen, ob
        reiwillig oder unfreiwillig. Der unterste tariflich verein-
        arte Lohn wird so über das Entsendegesetz faktisch
        um Mindestlohn aller Beschäftigten der jeweiligen
        ranche erklärt.
        Allen wissenschaftlichen Forderungen nach einer De-
        egulierung des Arbeitsmarktes zum Trotz beschreitet
        ie große Koalition mit diesem Gesetzentwurf den
        alschen Weg in Richtung zusätzlicher Regulierung. Damit
        etzt die große Koalition den fatalen Weg staatlichen
        irigismus der letzten Bundesregierung fort.
        Erneut – wie schon zuvor etwa beim Thema
        ündigungsschutz – gibt die Union den Ritter von der
        raurigen Gestalt. Ich zitiere aus dem CDU/CSU-Regie-
        ungsprogramm 2005 bis 2009 vom 11. Juli 2005: Auf
        eite 18 steht dort klar und unmissverständlich: „Die
        usweitung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes auf alle
        ranchen und gesetzlichen Mindestlöhne über die Hin-
        ertür können einen Missbrauch der europäischen
        ienstleistungsfreiheit nicht verhindern. Deshalb setzen
        ir auf schnelle, wirksame und grenzüberschreitende
        ontrollen und werden zur Bekämpfung des Miss-
        rauchs der Niederlassungsfreiheit die Zusammenarbeit
        er zuständigen Stellen, Ordnungsämter und Kammern
        erbessern.“
        Nun weiß natürlich jeder, dass die 180-Grad-Wendung
        er CDU/CSU – wider besseres Wissen – der Koalitions-
        ereinbarung mit der SPD geschuldet ist. Aber, liebe
        olleginnen und Kollegen von der Union, Sie können
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006 6299
        (A) )
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        nicht beliebig den ökonomischen Sachverstand ein- oder
        ausschalten. Ich sehe keinen Grund, warum das, was Sie
        damals für richtig erkannt haben, nicht auch heute weiter
        richtig sein sollte.
        Fest steht: Dieser Gesetzentwurf ist ein Konjunktur-
        programm für die Schwarzarbeit. Er wird die Arbeits-
        losigkeit – besonders in den neuen Ländern – durch die
        Erhöhung der Lohnkosten für einfache Tätigkeiten ver-
        schärfen.
        Auch wenn seitens der Koalition immer betont wird,
        Ziel des Gesetzentwurfes sei, dass ausländische Gebäude-
        reinigungsfirmen, die ihre Beschäftigten vorübergehend
        nach Deutschland schicken, sich an deutsche Tarifver-
        träge halten müssten, steht doch fest: Die Ausweitung
        des Gesetzes zwingt nicht nur ausländische Unterneh-
        men dazu, deutsche Tariflöhne zu zahlen, sondern auch
        die nicht tarifgebundenen heimischen Betriebe. Und da-
        mit werden ganz konkret sozialversicherungspflichtige
        Arbeitsplätze gefährdet.
        Wer das nicht glauben will, der richte seinen Blick auf
        die bisherigen Erfahrungen mit dem Arbeitnehmer-
        Entsendegesetz. Dieses war von Anfang an vor allem
        protektionistisch motiviert und ausgerichtet auf Konser-
        vierung der Struktur in der Bauindustrie. Schauen wir
        uns nun die Entwicklung der Beschäftigung in der Bau-
        industrie an, so muss man feststellen: Die gut gemeinte
        Absicht, Lohndumping zu unterbinden, hat nicht dazu
        geführt, die bestehenden Arbeitsplätze durch das Entsen-
        degesetz zu sichern. Aufgrund des Strukturwandels und
        der Nachfrageschwäche ist die Zahl der Beschäftigten im
        Baugewerbe seit Bestehen des Entsendegesetzes konti-
        nuierlich und deutlich zurückgegangen. Nicht vermin-
        dert hat sich aber der Anteil ausländischer Entsende-
        arbeitnehmer. Ein positiver Trend in der Bauindustrie hat
        sich erst jüngst durch die leichte konjunkturelle Erho-
        lung eingestellt.
        Statt zusätzliche und schädliche Eingriffen in die
        Wirtschaft und in die Tarifautonomie sollte die Bundes-
        regierung daher besser betriebliche Bündnisse für Arbeit
        zulassen. Die deutsche Volkswirtschaft leidet unter über-
        bordender Bürokratie, hohen Steuer- und Abgabenlasten
        und einer hohen Regelungsdichte im Arbeitsrecht. Um
        von größeren und offeneren Märkten zu profitieren,
        braucht der Arbeitsmarkt ein höheres Maß an Flexibili-
        tät, als ihm bisher zugestanden wird. Wir helfen nieman-
        dem, wenn notwendige strukturelle Anpassungen, die im
        Einzelfall auch Härten mit sich bringen können, durch
        Protektionismus auf Kosten aller aufgeschoben werden.
        Im Gegenteil, wir müssen uns rechtzeitig bemühen,
        einen Arbeitsmarkt mit wirklichen Wiedereinstiegs-
        chancen auch für Geringqualifizierte zu schaffen. Jede
        Ausweitung des Entsendegesetzes hat im Ergebnis zur
        Folge, dass sich die Arbeit verteuert und weitere Arbeits-
        plätze ins Ausland gehen, in die Schwarzarbeit abge-
        drängt werden oder ganz wegfallen. Der von Ihnen ein-
        geschlagene Weg der Abschottung wird das
        grundsätzliche Problem des Lohngefälles und des Gefäl-
        les der Arbeitskosten in Europa nicht lösen. Im Gegen-
        teil. Er wird zulasten von Wachstum und Wohlstand ins-
        gesamt gehen. Personalabbau verhindern Sie nur, wenn
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        rbeit bezahlbar bleibt. Die Einführung eines Mindest-
        ohnes durch Ausweitung des Arbeitnehmer-Entsende-
        esetzes bewirkt das Gegenteil.
        Werner Dreibus (DIE LINKE): Der vorliegende
        esetzentwurf stellt zutreffend fest, dass neben der Bau-
        ranche auch das Gebäudereinigerhandwerk vor Lohn-
        umping geschützt werden sollte. Ebenso zielt der Ge-
        etzentwurf darauf ab, die ungleiche Entlohnung von
        nländischen und nach Deutschland entsandten Beschäf-
        igten zu unterbinden. Beide Zielsetzungen unterstützt
        eine Fraktion ohne Vorbehalte.
        Anzufügen ist aber, dass neben dem Gebäudereiniger-
        andwerk auch viele andere Branchen unter Lohn-
        umping leiden: Sicherheit, Tourismus, Landwirtschaft,
        inzelhandel – in diesen und anderen Wirtschaftsbereichen
        ahlen viele Unternehmen Löhne, die nicht zum Leben
        eichen.
        Löhne von drei, vier, fünf Euro brutto die Stunde sind
        n Deutschland weit verbreitet. Aktuelle Berechnungen
        ehen von etwa 6 Millionen Menschen aus, die derzeit in
        ollzeit weniger als drei Viertel des durchschnittlichen
        ruttoeinkommens in Deutschland verdienen. Darunter
        ind mehr als drei Millionen Beschäftigte, die sich mit
        inem Armutslohn – weniger als der Hälfte des durch-
        chnittlichen Bruttoeinkommens – begnügen müssen.
        arüber hinaus arbeiten mehrere Millionen Menschen in
        eringfügigen Beschäftigungsverhältnissen und in Teil-
        eit zu Niedrig- und Armutslöhnen.
        Der SPD-Parteivorstand leitet daraus die Forderung
        ach Mindestlöhnen ab, die „garantieren, dass Menschen,
        ie Vollzeit arbeiten, von den Löhnen menschenwürdig
        eben können“; Positionspapier „Gerechter Lohn für
        ute Arbeit“. Weil das so ist, ist es vollkommen unver-
        tändlich, dass die SPD-Fraktion einen Gesetzentwurf
        it trägt, der durch seine Formulierung nahe legt, dass
        as Problem von Niedriglöhnen und Lohndumping vor
        llem bei den Gebäudereinigern auftritt.
        Die Position von Kanzlerin Merkel zum Mindestlohn
        ann ich in diesem Zusammenhang nur als ignorant
        ezeichnen: Wer den Mindestlohn pauschal ablehnt, der
        agt Millionen Menschen, die Politik wolle an ihrer
        isere nichts ändern und sie müssten deshalb trotz Arbeit
        eiter in Armut leben.
        Unter Punkt C führt der Gesetzentwurf selbst eine
        lternative zur beschränkten Ausweitung des Entsende-
        esetzes ein: den gesetzlichen Mindestlohn. Meine Frak-
        ion hat zur Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns
        m Oktober einen konkreten Vorschlag unterbreitet, der
        ich in weiten Teilen mit den Vorstellungen der DGB-
        ewerkschaften deckt.
        Wir sehen unseren Vorschlag aber auch durch die
        nhörung der Koalitionsarbeitsgruppe „Arbeitsmarkt“
        estätigt. Der Kollege Brandner wird in der Presse mit
        en Worten zitiert: „Die Experten haben verdeutlicht,
        ass ein gesetzlicher Mindestlohn am praktikabelsten
        äre“, „Handelsblatt“, 6. Oktober 2006. Und Minister
        üntefering hat zugestanden, dass differenzierte Branchen-
        6300 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006
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        mindestlöhne intransparent wären und zu Abgrenzungs-
        problemen führen würden.
        Unsere Forderung lautet deshalb: Das eine tun und
        das andere nicht lassen. Ohne Probleme kann der
        Abschluss tariflicher Mindestlöhne per Entsendegesetz
        gefördert und zugleich eine verbindliche, allgemeingül-
        tige gesetzliche Untergrenze für Löhne definiert werden.
        Wie hoch dieses Mindesteinkommen sein muss, hat der
        Gesetzgeber bereits an anderer Stelle festgelegt: Es ist
        dasjenige Einkommen, das nicht gepfändet werden kann,
        also etwa 1 000 Euro netto im Monat. Bei üblicher
        Arbeitszeit entspricht dies in etwa einem Stundenlohn
        von acht Euro brutto.
        Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir
        begrüßen, dass das Arbeitnehmer-Entsendegesetz auf
        das Gebäudereinigerhandwerk ausgedehnt werden soll.
        Dies ist ein wichtiger Schritt zur Vermeidung von Lohn-
        dumping in dieser Branche. Denn damit werden auch im
        Ausland ansässige Arbeitgeber dazu verpflichtet, sich
        nach den hier geltenden tariflichen Bedingungen zu
        richten. So werden nicht nur die Arbeitnehmer und Ar-
        beitnehmerinnen geschützt, sondern auch hier ansässige
        Unternehmen, die sonst gegen die Unterbietungskonkur-
        renz tariflich ungebundener Unternehmen keine Chance
        besäßen.
        So gut und richtig aber dieser Umstand für sich be-
        trachtet auch ist: Die Koalition bleibt damit weit hinter
        ihren Möglichkeiten zurück. Denn Lohndumping ist kein
        Alleinstellungsmerkmal im Gebäudereinigerhandwerk,
        sondern eine zunehmend um sich greifende Erscheinung
        in vielen Handwerks- und Dienstleistungsbranchen. Die
        Durchsetzung von Mindestlöhnen – in welcher Variante
        auch immer – wurde vorgestern von der Kanzlerin für
        diese Wahlperiode ad acta gelegt. Dabei wäre die gene-
        relle Anwendung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes
        der erste notwendige und wirksame Schritt, um gegen
        Lohndumping und Schmutzkonkurrenz vorzugehen.
        So zaghaft wie jetzt von der Bundesregierung vorge-
        gangen wird, wirkt es so, als würde man mit einer Nagel-
        feile einen meterdicken Stahlblock durchtrennen wollen.
        Wir fordern, den Anwendungsbereich des Arbeitneh-
        mer-Entsendegesetzes auf alle Branchen auszuweiten.
        Das wäre im Sinne der zugrunde liegenden EU-Richtli-
        nie, vor allem würde es aber für die Arbeitnehmerinnen
        und Arbeitnehmer in zahlreichen Branchen eine greif-
        bare Verbesserung bringen.
        Würde unser Vorschlag umgesetzt, dann könnten bei
        Vorliegen eines bundesweit geltenden Tarifvertrages da-
        rin festgelegte Mindestlöhne und Urlaubsbestimmungen
        sowohl auf Arbeitnehmer von nicht tarifgebundenen in-
        ländischen Betrieben als auch auf Arbeitnehmer von
        ausländischen Betrieben übertragen werden.
        Aber dies lässt der vorliegende Gesetzentwurf durch
        seine Beschränkung nicht zu. Das verzagte Vorgehen der
        Bundesregierung führt deshalb aktuell sogar dazu, dass
        der im Mai 2006 von den Arbeitgebern der Zeitarbeits-
        branche gemeinsam mit dem Deutschen Gewerkschafts-
        bund abgeschlossene Tarifvertrag über Mindestarbeits-
        bedingungen nicht in Kraft treten kann. Fast 1 Million
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        rbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Deutschland
        ird damit die Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen
        ersagt. So wäre es das Mindeste gewesen, das Arbeit-
        ehmer-Entsendegesetz mit dem vorliegenden Entwurf
        uch für die Zeitarbeitsbranche zu öffnen.
        Noch ist nicht aller Tage Ende, die Beratungen im
        usschuss stehen noch aus. Wie drängend das Problem
        st und wie notwendig eine größer angelegte Lösung ist,
        ill ich Ihnen deshalb an dieser Stelle nur anhand einer
        ahl verdeutlichen: Im Jahr 2004 waren in Deutschland
        8,4 Prozent oder rund 3,6 Millionen Vollzeitbeschäf-
        igte zu Löhnen unterhalb der Niedriglohnschwelle tätig,
        rmut trotz Arbeit ist für viele Menschen in der Bundes-
        epublik Realität. Wir alle sind deswegen aufgefordert,
        icht nur in Debatten unserer Betroffenheit darüber Aus-
        ruck zu verleihen, sondern auch im Sinne dieser Men-
        chen für bessere Mindestarbeitsbedingungen tätig zu
        erden.
        Gerd Andres, Parl. Staatssekretär im Bundesminis-
        erium für Arbeit und Soziales: Die Europäische Union
        rmöglicht dauerhaften Frieden und Freiheit in Europa.
        it der Erweiterung im Osten haben sich für die deut-
        che Wirtschaft große Chancen eröffnet. Nicht wenige
        rbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland
        ürchten in diesem Zusammenhang aber, dass auslän-
        ische Billigkonkurrenz ihre Jobs bedroht. Und das gilt
        icht nur im Baubereich.
        Mit dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz besteht ein ef-
        ektives und flexibles Instrumentarium zur Verhinderung
        on Lohndumping. Bislang besteht im Wesentlichen nur
        m Baubereich die Möglichkeit, tarifvertraglich fest-
        elegte Mindestlöhne und Urlaubsbedingungen auch auf
        us dem Ausland entsandte Arbeitnehmer zu erstrecken.
        n der Baubranche werden die wesentlichen Mindest-
        rbeitsbedingungen über Mindestlohnverordnungen auf
        lle in Deutschland tätigen Arbeitnehmer erstreckt. Hier-
        it haben wir gute Erfahrungen gemacht.
        Künftig sollen diese Möglichkeiten auch für das Ge-
        äudereinigerhandwerk genutzt werden können. Mit der
        inbeziehung der Gebäudereiniger in das Arbeitnehmer-
        ntsendegesetz wird eine Vereinbarung des Koalitions-
        ertrages umgesetzt.
        Die Anwendung der Entsenderichtlinie war vor zwei
        ochen Gegenstand von Beratungen auf europäischer
        bene. In einer Entschließung hat das Europäische Par-
        ament auf die Zielsetzungen der Richtlinie hingewiesen.
        in Ziel der Richtlinie ist die Anwendung der im Gast-
        and maßgebenden Mindestlohnsätze und Arbeitsbedin-
        ungen auf entsandte Arbeitnehmer.
        Das Europäische Parlament hat zugleich wirksame
        ontrollen zur Einhaltung dieser Mindestarbeitsbedin-
        ungen für unverzichtbar erklärt. Dies setzt voraus, dass
        as Gastland vom entsendenden Unternehmen Doku-
        ente verlangen kann, um die Einhaltung der in der Ent-
        enderichtlinie festgelegten Beschäftigungsbedingungen
        berprüfen zu können. Darüber hinaus muss im Gastland
        ine Person zur Verfügung stehen, die als Vertreter des
        ntsendeunternehmens fungieren kann, um die Vor-
        chriften und Bedingungen der Entsenderichtlinie um-
        etzen zu können. Über diese Bestimmungen herrscht
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006 6301
        (A) )
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        Konsens zwischen den Sozialpartnern auf nationaler und
        auf europäischer Ebene, der durch die Entschließung des
        Europäischen Parlaments gestützt wird.
        Diese vom Europäischen Parlament für erforderlich
        erklärten Kontrollinstrumente sind in Deutschland
        im Arbeitnehmer-Entsendegesetz verankert. Auf dieser
        Grundlage konnte die „Finanzkontrolle Schwarzarbeit“
        bereits in der Vergangenheit die Einhaltung der Mindest-
        arbeitsbedingungen in der Baubranche überprüfen. Mit
        der Erstreckung des Gesetzes auf die Gebäudereiniger
        wird der Weg für wirksame und effektive Kontrollen
        auch für diese Branche eröffnet.
        Die Einbeziehung der Gebäudereiniger erfolgt im
        Gleichklang mit der bisher allein relevanten Baubranche.
        Die Gründe hierfür sind bereits im Gesetzentwurf
        der Bundesregierung niedergelegt. Sie resultieren im
        Wesentlichen aus der Vergleichbarkeit der Bau- und der
        Gebäudereinigerbranche. Lassen Sie mich hierfür einige
        Beispiele nennen:
        In beiden Branchen gibt es die für die Anwendung
        des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes erforderliche Tarif-
        vertragsstruktur. Beide Branchen sind durch ständig
        wechselnde Einsatzorte der Arbeitnehmer und ein damit
        einhergehendes erhöhtes Schutzbedürfnis der Arbeitneh-
        mer geprägt und in beiden Branchen ist die Arbeit ausge-
        sprochen lohnkostenintensiv.
        Vor diesem Hintergrund ist es nur zu verständlich,
        wenn die Gebäudereiniger eine gleichberechtigte Be-
        handlung mit der Baubranche bei einer Einbeziehung in
        das Arbeitnehmer-Entsendegesetz wünscht. Dem kommt
        die Bundesregierung mit dem Gesetzentwurf nach. Auch
        der Bundesrat hat im ersten Durchgang keine Bedenken
        geäußert.
        Mit der Ausdehnung des Arbeitnehmer-Entsende-
        gesetzes wird die Grundlage geschaffen, dass aus dem
        Ausland entsandte Gebäudereiniger hier nicht zu
        Niedrigstlöhnen beschäftigt werden dürfen. Nur so kann
        den inländischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern
        die Angst vor ausländischer Billigkonkurrenz genom-
        men werden. Auf der Grundlage des Arbeitnehmer-
        Entsendegesetzes können in- und ausländische Arbeit-
        nehmer zu fairen Bedingungen beschäftigt werden.
        Diesen sozialen Schutz wollen die Menschen in Europa
        und den wollen die Menschen in Deutschland. Der Ihnen
        vorliegende Gesetzentwurf beinhaltet die notwendigen
        Regelungen. Er stellt damit einen wichtigen Beitrag für
        ein sozial gerechtes Europa dar.
        Anlage 16
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Antrags: Nachhaltige Res-
        sourcennutzung durch Agroforstwirtschaft (Zu-
        satztagesordnungspunkt 7)
        Uda Carmen Freia Heller (CDU/CSU): Mit dem
        vorliegenden Antrag „Nachhaltige Ressourcennutzung
        durch Agroforstwirtschaft“ wird die Förderung und
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        tablierung von Agroforstsystemen im ökologischen
        der im traditionellen Landbau als alternative Form der
        andnutzung gefordert. Entscheidend über die Weiter-
        erfolgung dieser Form der Landbautechnik, die Ele-
        ente der Landwirtschaft mit denen der Forstwirtschaft
        erbindet, ist nach Ansicht der Union die praktische
        elevanz. Bevor diese Art der Landbewirtschaftung
        mgesetzt wird, sollten zunächst einmal gesicherte wis-
        enschaftliche Erkenntnisse darüber gewonnen werden.
        Grundsätzlich strebt die Union eine Ausweitung der
        olznutzungspotenziale an, denn in Deutschland ist die
        achfrage nach Holz in den vergangenen Jahren derart
        prunghaft angestiegen, dass jede Form des Holz-
        uwachses willkommen ist. Zwar ist Deutschland das
        and mit den größten Holzvorräten in Europa – nach
        en Ergebnissen der zweiten Bundeswaldinventur mit
        und 3,4 Milliarden Kubikmeter –, aber der Pro-Kopf-
        erbrauch von Holz und Holzprodukten hat seit der Ver-
        bschiedung der Charta für Holz deutlich zugenommen.
        udem stammt die aus erneuerbaren Energien gewon-
        ene Wärme fast zu 95 Prozent aus Biomasse. In diesem
        ereich dominiert ganz klar Holz. Die Anzahl der Holz-
        elletanlagen in Deutschland stieg allein im Jahr 2006
        m 28 000 auf circa 67 000. Man kann angesichts dieser
        teigerungsraten von über 70 Prozent zu Recht von einem
        nergieholzboom sprechen. In den neuen Bundesländern
        ind mit einem Investitionsvolumen von mehr als
        0 Millionen Euro allein in den vergangenen zehn Jah-
        en 15 neue Verarbeitungsstätten wie zum Beispiel Säge-
        erke, Holzverarbeitungs- und Zellstoffwerke entstanden.
        n den letzten Jahren ist zudem eine Wiederbelebung des
        rennholzmarktes zu verzeichnen, denn viele private
        aushalte steigen angesichts steigender Energiepreise
        ieder auf Kamin und Kachelofen um. Und wenn man
        edenkt, dass ein Kubikmeter Holz circa 230 Liter Heizöl
        ubstituiert, dann ist sehr wohl nachvollziehbar, warum
        ie Bundesregierung den Ausbau dieser alternativen und
        kologisch wertvollen Energiequelle „Holz“ vehement
        orantreibt.
        Die Bundesregierung verfolgt verschiedene For-
        chungprojekte zu agroforstlichen Bewirtschaftungs-
        onzepten auf nationaler Ebene. Bei dem Projekt „Agro-
        orst – neue Optionen für eine nachhaltige Landnutzung“
        oll untersucht werden, ob diese Agroforstsysteme in
        ebieten, die von einem starken Rückgang der Land-
        irtschaft und dem damit verbundenen Aufforstungs-
        ruck betroffen sind, als Alternative infrage kommen.
        er regionale Schwerpunkt dieser Projekte liegt in Baden-
        ürttemberg und Mecklenburg-Vorpommern – also zwei
        egionen, die sich erheblich in ihren ökologischen so-
        ie land- und forstwirtschaftlichen Rahmenbedingungen
        nterscheiden.
        Das mit 1,6 Millionen Euro geforderte Projekt „Agro-
        ood“ soll im Rahmen dieses Verbundvorhabens klären,
        wieweit agroforstwirtschaftliche Bewirtschaftungskon-
        epte mit Laubbäumen aus ökonomischer, ökologischer
        nd sozialer Sicht als Alternativen zu den bislang übli-
        hen forstwirtschaftlichen bzw. agrarischen Nutzungen
        nfrage kommen. Dieses Projekt wurde 2005 mit einer
        aufzeit von vier Jahren aufgelegt.
        6302 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006
        (A) )
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        Außerdem wird vom BMBF unter dem Arbeitstitel
        „DENDROM – Zukunftsrohstoff Dendromasse“ ein Pro-
        jekt zu den Fragen der nachhaltigen energetischen und
        stofflichen Verwendung von Dendromasse aus Wald-
        und Feldgehölzen mit 1,7 Millionen Euro gefördert. Bei
        diesem Vorhaben wird davon ausgegangen, das die
        Nachfrage nach Dendromasse in Zukunft deutlich
        ansteigen wird und nur ein Teil des Bedarfs durch die
        Aktivierung von Holzreserven aus der Forstwirtschaft
        gedeckt werden kann. Dieses Vorhaben hat zum Ziel,
        Grundlagenwissen und konkrete Handlungskonzepte zur
        Lösung des Konfliktes zu erarbeiten, der sich aus dem
        klima- uns energiepolitisch erforderlichen Ausbau der
        Nutzung erneuerbarer Energien einerseits und der um-
        weltpolitisch erforderlichen naturnahen Waldbewirt-
        schaftung andererseits ergibt.
        Auf EU-Ebene hat das EU-Forschungsprojekt
        „Agroforstwirtschaft für Europa“, kurz SAFE genannt
        (Silvorable Agroforestry for Europe), zwischen 2001
        und 2005 untersucht, wie sich verschiedene Baumarten
        und Ackerkulturen in Europa kombinieren lassen. Die
        Ergebnisse basieren im Wesentlichen auf Modellrech-
        nungen und werden derzeit der Öffentlichkeit präsen-
        tiert. Auf der Tagung zum Thema „Anbau und Nutzung
        von Bäumen auf landwirtschaftlichen Flächen“ am 6. und
        7. November in Tharandt in Sachsen-Anhalt wurden be-
        reits einige Erkenntnisse vorgestellt. Leider müssen
        viele dieser Aussagen relativiert werden, weil die Daten
        in diesen Modellen auf relativ kurzen Zeitreihen beru-
        hen. Auch die Aussagen zur Klimarelevanz sind entspre-
        chend ungenau. Weiterführender Forschungsbedarf wird
        auch gesehen bei der Übertragung in Gebiete mit ande-
        ren klimatischen Bedingungen.
        Interessant sind die Ergebnisse einer SAFE-Umfrage
        bei 270 Landwirten in sieben europäischen Ländern in
        insgesamt 14 Regionen. Tatsächlich erwog knapp jeder
        zweite von ihnen die Einführung eines Agroforstsystems
        auf nur 20 Prozent ihrer Betriebsfläche. Durchaus posi-
        tiv bewertet wurde von ihnen unter anderem die recht
        einfache Umsetzung der Maßnahme, die Imageverbesse-
        rung und die sozialen Kontakte, die sich daraus ergaben.
        Es gab aber ein entscheidendes Argument der Bauern
        gegen diese Maßnahmen: Im ersten Jahr sanken die Er-
        träge pro Hektar, unter anderem auch deshalb, weil die
        Bäume natürlich erst ab einem gewissen Alter „geerntet“
        werden können. Dieser finanzielle Hinderungsgrund be-
        wog die Mehrzahl der Landwirte, von dieser Form der
        Bewirtschaftung Abstand zu nehmen.
        Am Beispiel Frankreichs wird deutlich, welche Rolle
        die Subventionierung spielt. Nachdem 2001 die gesetz-
        lichen Regelungen für die entsprechenden Fördermaß-
        nahmen eingeführt wurden, entstanden 2002 immer
        mehr moderne Agrarforstsysteme. Übertragen auf
        Deutschland ist sicherlich auch zu erwarten, dass bei
        entsprechender Subventionierung zum Beispiel durch
        Mittel aus der Gemeinschaftsaufgabe „Agrarstruktur und
        Küstenschutz“, GAK, diese Form der Landnutzung in
        Deutschland eine größere Rolle spielen wird.
        Ich möchte festhalten: Bisher liegen für die Durch-
        führung von Agroforstsystemen in Deutschland noch
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        eine aussagekräftigen Erkenntnisse bzw. belastbaren
        ahlen über Erträge vor, welche die Bauern dazu bewe-
        en würden, auf Agroforstsysteme zu setzen. Die Ak-
        eptanz bei den Landwirten ist bisher sehr gering, trotz
        er von Forschern geschätzten Realisierung von Mehr-
        rträgen von maximal 30 Prozent.
        Der Antrag fordert konkret einen finanziellen Beitrag
        er Bundesregierung für Forschungsprojekte und zum
        usbau der Agroforstwirtschaft. Diese Subventionen
        ollen aus GA-Mitteln und aus ELER-Mitteln bereit-
        estellt werden. Ich möchte Sie an dieser Stelle daran
        rinnern, dass die Gelder über die 2. Säule aus der
        LER-Verordnung dringend gebraucht werden, um die
        irtschaftskraft des ländlichen Raumes zu stärken. Die
        A-Mittel sind längst verplant. Wenn ich mich recht ent-
        inne, war es Ministerin Künast von Bündnis 90/Die Grü-
        en, die während ihrer Amtszeit die GA-Mittel erheblich
        ekürzt hat. Es stellt sich in Anbetracht der begrenzten
        inanziellen Mittel die Frage, ob man sich in Deutsch-
        and überhaupt ein subventioniertes Agroforstsystem
        eisten kann und will.
        Für den Fall, dass sich aus den Versuchsprojekten pra-
        isrelevante Ergebnisse ziehen lassen und auf dieser
        asis tatsächlich erwogen wird, eine Etablierung von
        groforstsystemen in Deutschland umzusetzen, so
        önnte dies nach Auffassung der Union in Deutschland
        ur ohne Subventionierungen – seien es GA-Mittel oder
        U-Mittel – umgesetzt werden. Einige Beispiele aus
        eutschland zeigen, dass Agroforstsysteme auch ohne
        taatliche Beihilfen durchaus rentabel sein können. Ent-
        cheidend sind die richtigen Strategien hinsichtlich der
        irtschaftlichkeit und Rentabilität. Diese liegen bei-
        pielsweise in der Erschließung von Marktnischen – zum
        eispiel medizinale oder floristisch bedeutsame Pflan-
        en –, der Herstellung besonders hochwertiger Produkte
        nd der Direktvermarktung. Bei der Bewirtschaftung
        acht es oftmals Sinn, wenn sich Agrargemeinschaften
        u Verbünden zusammentun, damit beispielsweise die
        emeinsame Anschaffung einer Erntemaschine finan-
        iert wird. Die Anschaffung einer Apfelauflesemaschine
        der eines Haselnusssaugers muss sich lohnen.
        Lassen Sie mich noch auf einige weitere Punkte des
        orliegenden Antrages eingehen, wo die CDU/CSU-
        undestagsfraktion noch Gesprächsbedarf sieht. Der
        orderung im vorliegenden Antrag, dass im Falle von
        ukünftiger Zulassung gentechnisch veränderter Baum-
        nd Gehölzsorten deren Verwendung in Agroforstsyste-
        en ausgeschlossen werden solle, steht die CDU/CSU-
        undestagsfraktion ebenfalls kritisch gegenüber. Die
        osition der Union in Sachen Gentechnik ist Ihnen hin-
        eichend bekannt. Wir verschließen uns nicht grundsätz-
        ich der Gentechnik. Außerdem wollen Sie die rechtliche
        tellung des Pächters im Zusammenhang mit der An-
        flanzung von Gehölzen und der bisher damit verbunde-
        en Wiederherstellung des Ursprungszustandes stärken.
        ie Union hält gesetzliche Eingriffe in das bestehende
        achtrecht für problematisch.
        Im Ergebnis würde ich deshalb vorschlagen, dass wir
        iesen Antrag des Bündnisses 90/Die Grünen zur Bera-
        ung in die Ausschüsse überweisen.
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006 6303
        (A) )
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        Dr. Gerhard Botz (SPD): Mit den modernen Agro-
        forstsystemen greifen wir mit neuen Wortschöpfungen
        eine uralte Tradition der Flächenbewirtschaftung auf.
        Streuobstwiesen und Ackerraine sind wohl die bekann-
        testen Formen der traditionellen Agroforstnutzung. Sie
        gehören nicht nur ins Kulturlandschaftsbild früherer
        Zeiten, sondern prägen auch heute noch in einigen
        Regionen unsere ländlichen Räume. Die Nutzung von
        Gehölzen auf oder am Rande landwirtschaftlicher Fläche
        ist eine sinnvolle ökologische Bereicherung. Neben der
        Erweiterung der biologischen Vielfalt der Flora, bieten
        die Gehölzstrukturen Lebensraum für zahlreiche Tier-
        arten und leisten einen großen Beitrag zum Artenschutz.
        Ein wichtiger Punkt für die Landwirtschaft ist aber
        zum Beispiel der Beitrag dieser Verfahren zum Boden-
        schutz. Gehölze tragen dazu bei, Bodenerosion durch
        Wind und Wasser zu mindern, halten das Grundwasser
        im Boden und vermindern ebenfalls die Auswaschungs-
        gefahr von Düngemitteln in das Grundwasser, besonders
        in der vegetationsarmen Jahreszeit, und bilden eine Koh-
        lendioxidsenke. Nicht zuletzt in der aktuellen Debatte um
        den Klimaschutz sollte dies alles mit bedacht werden.
        In den zurückliegenden drei Jahrzehnten wurden
        Bäume nicht als ein Teil der Feldbewirtschaftung verstan-
        den. Die Vernichtung von unseren traditionellen Agro-
        forstsystemen in ganz Europa führte zu einem Verlust von
        Wissen bei den Landwirten, zur Vereinfachung und Stan-
        dardisierung von Landschaft, zu Umweltproblemen, zur
        Verminderung von Biodiversität und auch zum Verlust
        von alternativen Einkommensquellen für die Landwirte.
        Für unsere Landwirte ist mit Blick auf die zukünftige
        Agrarpolitik wichtig, dass auch die ökonomischen Fak-
        ten stimmen. Hier gibt es gute Ansätze und Erfahrungen
        zu Agroforstsystemen aus England und Frankreich, je-
        doch ist die Nutzung in Deutschland bisher nur vereinzelt
        erprobt. Es scheint sich aber abzuzeichnen, dass ein ver-
        ständiger Umgang und die gezielte Auswahl von Pflan-
        zenkombinationen aus Gehölz und Ackerkultur teilweise
        sogar zu ansehnlicher Ertragssteigerung gegenüber der
        herkömmlichen Nutzung von Agrarflächen führen kann.
        Hierzu – da stimme ich dem Antrag von Bündnis 90/
        Die Grünen zu – fehlen uns noch fundierte Erkenntnisse.
        Ich halte es für sinnvoll, die Agroforstsysteme auch in
        die Diskussion um die derzeit angestrebten Reformpläne
        des Bundesministers für Landwirtschaft zur Ressortfor-
        schung einzubringen. Eine sinnvolle Verflechtung mit
        bereits bestehenden Forschungsprogrammen des Bundes-
        ministeriums für Bildung und Forschung, beispielsweise
        an der Universität Freiburg, ist hier meines Erachtens
        ebenfalls zu bedenken.
        Die derzeitigen Entwicklungen auf dem europäischen
        Agrarsektor, aber auch in anderen Bereichen, zeigen
        eine deutliche Abkehr von der Politik der grundsätz-
        lichen finanziellen Förderungsmöglichkeit von neuen Ver-
        fahren. Wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass es
        so etwas gibt, man es ausprobieren sollte, auch wenn der
        Staat nicht die finanzielle Gießkanne darüber hält.
        Ebenso erachte ich die Einrichtung einer speziellen
        „Informations- und Koordinationsstelle Agroforstwirt-
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        chaft“ für wenig sinnvoll. Gerade für die von der Frak-
        ion des Bündnisses 90/Die Grünen geforderte Fach-
        ffentlichkeit erreiche ich mit den bereits vorhandenen
        trukturen das Ziel wesentlich einfacher und ohne Um-
        ege. Hier muss das Rad nicht neu erfunden werden,
        enn man auf intakte Strukturen und funktionierende
        nstitutionen zurückgreifen kann. Sehr vorsichtig wäre
        ch in diesem Zusammenhang auch mit dem Versuch,
        as Pachtrecht grundsätzlich zu ändern, um Landwirten
        erartige Wirtschaftsweisen zu erleichtern.
        Die grundsätzlich positiven Ansätze der Agroforst-
        irtschaft sind durchaus in dem Antrag zur nachhaltigen
        essourcennutzung durch Agroforstwirtschaft der Frak-
        ion des Bündnisses 90/Die Grünen zu finden, doch es
        leiben starke Bedenken und entsprechender Diskussions-
        edarf zu den oben angeführten Punkten. Aus diesem
        rund können wir dem Antrag in dieser Form nicht zu-
        timmen, empfehlen aber eine Überweisung des Antrages
        Nachhaltige Ressourcennutzung durch Agroforstwirt-
        chaft“ in den zuständigen Ausschuss für Ernährung,
        andwirtschaft und Verbraucherschutz.
        Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Die FDP steht
        em Anliegen, die Einrichtung von Agroforstsystemen
        uch in Deutschland zu ermöglichen, positiv gegenüber.
        groforstsysteme sind keine Wälder. Sie sind eine Son-
        erform der Ackernutzung, bei der abwechselnd mit
        ckerbaulich oder als Weide genutzten Flächen Gehölz-
        flanzen angepflanzt werden.
        Voraussetzung für die Einrichtung von Agroforstsys-
        emen ist die Änderung des Bundeswaldgesetzes. Es
        uss sichergestellt werden, dass die für die Errichtung
        on Agroforstsystemen verwendeten Flächen nicht, wie
        ie gegenwärtig geltenden Bestimmungen des Bundes-
        aldgesetzes es vorsehen, aus der agrarischen Nutzung
        allen.
        Agroforstsysteme sind besonders geeignet, um schnell
        achsende Holzarten zur energetischen Verwertung oder
        ür die Papierherstellung anzubauen. Sie bieten zahlreiche
        kologische Vorteile, mindern die Erosion, bieten für
        eidetiere Schutz bei extremen Witterungsverhältnissen,
        agen zur Erhöhung der Biodiversität bei.
        Der Papierbedarf steigt weltweit. Für die nächsten
        ehn Jahre wird ein Anstieg um 50 Prozent prognosti-
        iert. In der Papierherstellung ist insbesondere das im
        olz enthaltene Lignin störend, da es nur durch sehr
        nergieaufwendige Verfahren entfernt werden kann.
        aher ist es nahe liegend, dass mit gentechnischen
        üchtungsverfahren versucht wird, den Ligninanteil im
        olz zu verringern. In den USA, Neuseeland und China
        ibt es entsprechende Forschungen.
        Inzwischen gibt es auch Erfolge. In China ist es ge-
        ungen, Pappeln mit einem um 50 Prozent verringerten
        igningehalt zu züchten. Parallel dazu gibt es Züchtun-
        en zur Herstellung von Insektenresistenz.
        Es dient dem Schutz unserer multifunktional genutz-
        en Wälder, wenn für die Zelluloseherstellung Holz aus
        groforstsystemen und Plantagen zur Verfügung steht.
        6304 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006
        (A) )
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        Transgene Bäume eignen sich nur für die Plantagen-
        wirtschaft oder zur Anpflanzung in Agroforstsystemen.
        Durch die Erzeugung von Sterilität kann eine Weitergabe
        der für naturnahe Wälder unerwünschten genetischen
        Eigenschaften verhindert werden. Es gibt erheblichen
        weiteren Forschungsbedarf, um Methoden für die Erzie-
        lung einer dauerhaften Sterilität zu entwickeln.
        Erste Freisetzungsversuche von gentechnisch verän-
        derten Pappeln sind in Deutschland vom forstgeneti-
        schen Institut in Großhansdorf in den Jahren 1996 bis
        2001 erfolgreich durchgeführt worden. Pappeln werden
        weltweit von Gentechnikern gern als Modellpflanze ge-
        nutzt, weil sie schnell wachsen und weil die gängigen
        gentechnischen Verfahren bei ihnen genauso gut wie bei
        Ackerpflanzen funktionieren. Weitere Baumarten sind
        Kiefer, Fichte, Birke und Eukalyptus.
        Die 9. UNO-Klimakonferenz hat beschlossen, dass
        zur Reduktion von Treibhausgasen künftig auch gen-
        technisch veränderte Pflanzen eingesetzt werden kön-
        nen. Die Nutzung von Holz aus Agroforstsystemen ver-
        folgt zumeist auch klimapolitische Ziele und steht damit
        im Einklang mit den Beschlüssen der 9. UNO-Konfe-
        renz.
        Vor dem Hintergrund der vielfältigen, oft innovativen
        Nutzungsmöglichkeiten von Agroforstsystemen ist der
        Antrag der Grünen völlig unbefriedigend. Er schließt
        von vornherein die Anpflanzung von gentechnisch ver-
        änderten Pflanzen aus, selbst wenn diese in der Gesamt-
        ökobilanz Vorteile gegenüber anderen Pflanzen haben.
        Wer so mit Scheuklappen an das spannende Thema
        Agroforstsysteme herangeht, als erstes besonders attrak-
        tive Nutzungsformen ausschließt, dem ist nur die Schaf-
        fung neuer Fördermöglichkeiten wichtig, nicht jedoch
        die Entwicklung wirtschaftlich konkurrenzfähiger und
        ökologisch besonders geeigneter Landnutzungsformen.
        Daher lehnt die FDP den Antrag ab.
        Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Wir sprechen
        heute über ein Thema, das eigentlich uralt und sehr tra-
        ditionell ist, aber in Deutschland mittlerweile weitgehend
        unbekannt. Hudewälder, extensiv bewirtschaftete Streu-
        obstwiesen und ausgedehnte Hecken sind historische
        Agroforstsysteme, die bewusst die Nutzung von Bäumen
        und Sträuchern und der landwirtschaftlichen Fläche mit-
        einander verbinden. Die heute bei uns bestehende deut-
        liche Trennung von Landwirtschaft auf der einen Seite
        und Forstwirtschaft auf der anderen Seite gab es nicht
        immer und es gibt sie auch heute nicht überall.
        Die Agroforstwirtschaft spielt in der aktuellen Ent-
        wicklungszusammenarbeit eine viel größere Rolle als
        bei uns. Das, was für landwirtschaftliche Probleme in
        anderen Ländern eine Lösung sein kann, kann doch auch
        für uns interessant sein und neue Chancen und Möglich-
        keiten erschließen. Also: Es lohnt sich, genauer hinzu-
        sehen.
        Die positiven Effekte der Agroforstwirtschaft sind im
        Antrag der Grünen hinreichend beschrieben: Wind- und
        Erosionsschutz, Förderung von Nützlingen durch zusätz-
        liches Lebensraumangebot, Kohlendioxidsenken, Ver-
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        esserung des Mikroklimas und Diversifizierung der
        andwirtschaftlichen Produktion – alles Effekte, die wir
        m Zusammenhang mit Nachhaltigkeitsaspekten und mit
        er Stabilisierung der biologischen Vielfalt in Wald und
        lur bewirken wollen. Trotzdem werden in diesem
        ause sicherlich einige Abneigungen bestehen. Oft gilt
        er am Feldrand stehende Baum immer noch eher als
        indernis. Mühevoll mussten zum Beispiel Ackerrand-
        treifen und die Anlage von Hecken oder Feldgehölzen
        inanziell gefördert werden. Freiwillig passierte da fast
        ichts!
        Moderne Konzepte der Agroforstwirtschaft wider-
        prechen nicht den heute geläufigen Techniken und Ver-
        ahren der landwirtschaftlichen Produktion, egal ob kon-
        entionell oder ökologisch produziert wird. Trotzdem
        toßen diese Ideen und Konzepte bislang nur auf wenig
        egenliebe, da sie weder in aktuelle Förderkulissen
        assen noch ausreichend Kenntnisse und Erfahrungen
        erbreitet sind, die agroforstwirtschaftliche Verfahren
        on sich aus in die Praxis bringen würden.
        Dabei liegen durchaus schon aktuelle Erfahrungen
        it moderner, an hiesige Verhältnisse angepasster Agro-
        orstwirtschaft vor. Die Erträge der jeweils angebauten
        andwirtschaftlichen Kulturen sind ähnlich, teilweise so-
        ar höher als bei herkömmlicher Produktion. Vor allem
        ie Wintergerste kann sehr gut in Agroforstsystemen
        ngebaut werden. In einer Studie der Universität Leeds
        onnten sogar höhere Erträge nachgewiesen werden.
        azu kommt noch die Nutzungsmöglichkeit der Bäume:
        nergie- oder Wertholz, Früchte oder Nüsse. Es gibt eine
        anze Reihe interessanter Projekte und Erfahrungen. So
        ann offensichtlich der Schafbesatz auf einer Agroforst-
        läche im Vergleich zu einer Wiese mehr als verdoppelt
        erden und trotzdem nachhaltig bleiben. Die Branden-
        urger Technische Universität in Cottbus hat positive
        rfahrungen mit Kurzumtrieb oder Pappeln in Tagebau-
        olgelandschaften. Möglicherweise bieten Agroforstsys-
        eme auch einen Lösungsansatz für die viel diskutierte
        lächenkonkurrenz.
        Besonders interessant erscheinen die Konzepte im Hin-
        lick auf eine nachhaltige und wirtschaftliche Nutzung
        on landwirtschaftlichen Grenzstandorten, die zuneh-
        end – bei sinkender öffentlicher Förderung – ganz aus
        er Produktion fallen könnten. Angesichts der wieder
        teigenden Nutzungsintensität durch Energieerzeugung
        us Biomasse und den Anbau von nachwachsenden Roh-
        toffen auf dem Acker ist schon jetzt der Flächenbedarf
        estiegen.
        So weit zu möglichen Potenzialen.
        Wo stecken die Probleme? Die Förderpolitik ist auf
        uropäischer Ebene der Agroforstwirtschaft gegenüber
        ffen – so zu finden in Art. 44 in der EU-Verordnung zur
        ntwicklung des ländlichen Raums, der ELER-Verord-
        ung. Die deutsche Spezifizierung im Rahmen der
        emeinschaftsaufgabe „Agrarstruktur und Küstenschutz“
        ibt dagegen nicht viel her, hier muss nachgebessert
        erden!
        Des Weiteren muss das Waldgesetz geändert werden,
        ollen Agroforstsysteme eine Chance bekommen. Eine
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006 6305
        (A) )
        (B) )
        klare Abgrenzung von Wald- zu Agroforstflächen ist
        hier erforderlich. Die Definition, nach der auf einer
        Agroforstfläche mindestens 50 Prozent landwirtschaft-
        liche Kulturen stehen müssen, damit sie nicht als Wald,
        sondern immer noch als Acker oder Grünland gilt,
        könnte zum Beispiel übernommen werden.
        Aber es bedarf auch zusätzlicher finanzieller Mittel,
        um die Forschung und Erprobung solcher Agroforstwirt-
        schaftssysteme zu unterstützen. Zumindest eine Prüfung
        der Potenziale hat aus Sicht der aktuellen Diskussionen
        über eine sichere Versorgung aus ökologisch erzeugten,
        erneuerbaren Energiequellen eine neue Motivation ge-
        wonnen.
        Doch was nützt ein guter Vorschlag, wenn ihn nie-
        mand hört? Informationsveranstaltungen, Exkursionen
        und die Einrichtung einer Kommunikationsstelle würden
        dazu dienen, die Potenziale der Agroforstwirtschaft be-
        kannt zu machen.
        Auf einen Aspekt möcht ich zum Schluss noch kurz
        Ihre Aufmerksamkeit lenken. Auch beim Thema „nach-
        wachsende Rohstoffe in der Forstwirtschaft“ droht
        uns wieder eine Diskussion über die Agrogentechnik.
        Transgene Pappeln und Co. betrachtet Die Linke ge-
        nauso kritisch wie andere genetisch manipulierte Kultur-
        pflanzen. Es gibt andere Lösungen für unsere land- und
        forstwirtschaftlichen Probleme. Dieser Antrag ist ein
        gutes Beispiel dafür.
        Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die
        Landwirtschaft in Deutschland steht an der Schwelle
        einer neuen Ära: Nicht allein qualitativ hochwertige
        Nahrungsmittel werden von ihr erwartet, sondern auch
        zunehmend ein Wirtschaftsgut, das die Landwirtschaft
        bisher eher eingekauft als produziert hat, nämlich Ener-
        gie. Darüber hinaus sollen Arbeitsplätze geschaffen,
        hohe Sozial- und Umweltstandards eingehalten und eine
        tourismusfreundliche Kulturlandschaft gestaltet werden.
        Um diesen vielen Anforderungen gerecht zu werden,
        muss über neue Landnutzungsformen nachgedacht wer-
        den. Zwangsläufig stößt man da auf das Thema Agro-
        forstwirtschaft. Mit unserem Antrag wollen wir die Auf-
        merksamkeit der Politik auf dieses Thema lenken und
        die erforderlichen Fördermaßnahmen auf den Weg brin-
        gen, damit es bei der Agroforstwirtschaft nicht bei einer
        schönen Idee bleibt, sondern sie breiten Einzug in die
        Praxis hält. Zwar gibt es inzwischen auch in Deutsch-
        land eine Reihe von Landwirten, die auf diesem Gebiet
        experimentieren. Von einem Durchbruch kann bisher
        aber noch keine Rede sein. Hierfür bleibt noch viel zu
        tun. Die EU legte bereits 2001 mit SAFE – Silvoarable
        Agroforestry for Europe – ein Forschungsprojekt auf,
        das Grundlagen zur Beurteilung der Rentabilität von
        Agroforstsystemen liefern sollte. Dieses im Jahr 2005
        abgeschlossene Projekt hat gezeigt, dass Agroforst-
        systeme nicht nur aus Umweltsicht Vorteile bringen,
        sondern auch wirtschaftlich interessant sein können.
        Denn der Ertrag aus Acker- und Baumkultur zusammen-
        genommen kann durchaus das heute übliche hohe Er-
        tragsniveau erreichen oder übertreffen.
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        Das Prinzip der Agroforstwirtschaft ist nicht neu.
        ekannte Beispiele für traditionelle Agroforstsysteme
        ind Streuobstwiesen und Hecken. Sie gehören seit jeher
        ur Kulturlandschaft. Aber in Deutschland gibt es heute
        aum mehr Agroforstsysteme. Moderne und gleichzeitig
        achhaltige Agroforstsysteme müssen so angelegt wer-
        en, dass nicht nur ökologische Aspekte, sondern auch
        etriebswirtschaftliche Erfordernisse berücksichtigt wer-
        en. Dazu gehört, dass der Einsatz moderner Landtech-
        ik ermöglicht wird. Dazu gehört auch, dass die Aus-
        ahl der angebauten Kulturen sich am Markt orientieren
        uss. Nach wie vor besteht Nachfrage nach Wertholz
        nd nach Früchten wie Holunder, Hasel- oder Wal-
        üssen. Neu ist das rasant angestiegene Interesse an
        nergieholz. Während auf der einen Seite das Land-
        chaftspflegeholz, das beim Schnitt von Hecken und
        nderen Gehölzstreifen anfällt, vielfach nach wie vor
        infach vor Ort verbrannt wird, denken etliche Land-
        irte bereits darüber nach, wie sie auf ihren Äckern sys-
        ematisch Energieholz produzieren können. Meist geht
        s ihnen dabei um Kurzumtriebsplantagen. Aber auch
        as so genannte Alley-Cropping – also regelmäßige
        ehölzstreifen auf größeren Ackerschlägen – kommen
        ier in Betracht. Letztlich kann jede Form der Agroforst-
        irtschaft auch der Produktion von Energieholz dienen.
        Es ist also nicht nur aus umweltpolitischen Gründen
        innvoll, diese Form der Landbewirtschaftung in
        eutschland und Europa zu etablieren. Um sich diesem
        iel zu nähern, muss jedoch noch einiges an Vorarbeiten
        eleistet werden. Wir wollen daher mit unserem Antrag
        rreichen, dass die Bundesregierung die erforderlichen
        aßnahmen ergreift. Dazu gehört, dass die Forschung
        u Agroforstsystemen in Deutschland finanziell abgesi-
        hert wird. Diese Forschung muss vor allem regional
        nd betriebswirtschaftlich angepasste Agroforstsysteme
        ntwickeln und optimieren. Denn bisher ist der Kennt-
        isstand über Agroforstwirtschaft in Mitteleuropa noch
        u gering, um den Landwirten ausreichende Optionen
        it einer gesicherten wirtschaftlichen Perspektive bieten
        u können. Um die Landwirte überzeugen zu können,
        uf Agroforstsysteme zu setzen, ist es jedoch notwendig,
        hnen Faustzahlen über Anbauvarianten und Erträge lie-
        ern zu können.
        Außerdem muss die Bundesregierung eine „Informa-
        ions- und Koordinationsstelle Agroforstwirtschaft“ ein-
        ichten. Sie muss die Aufgabe erfüllen, die vorliegenden
        rkenntnisse über Agroforstsysteme der Fachöffentlich-
        eit und der Landwirtschaft bekannt zu machen und
        aßnahmen der aktiven Öffentlichkeitsarbeit für die
        groforstwirtschaft und der Forschungsförderung zu ko-
        rdinieren. Dies ist notwendig, um das Thema in der
        orschung, in der Öffentlichkeit und bei den Landwirten
        tärker zu verankern.
        Außerdem muss sich die Bundesregierung dafür ein-
        etzen, dass die Förderung von extensiven Agroforst-
        ystemen in die GAK aufgenommen wird. Die ELER-
        erordnung sieht in Art. 44 vor, dass Beihilfen zur Ein-
        ichtung von Agroforstsystemen auf landwirtschaft-
        ichen Flächen gewährt werden können. Eine Refinan-
        ierung mit EU-Mitteln ist also möglich – eine
        örderung mit Mitteln der GAK bisher allerdings nicht.
        6306 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006
        (A) )
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        Denn die konservative Mehrheit der Agrarminister in
        Bund und Ländern hat die Förderung von Agroforst-
        systemen im PLANAK für 2007 abgelehnt. Diese Ent-
        scheidung müssen sie so schnell wie möglich korrigieren.
        Nicht zuletzt muss die Bundesregierung im Bundes-
        waldgesetz Agroforstsysteme gegenüber Wald abgren-
        zen und dort festlegen, dass Agroforstsysteme nicht
        Wald im Sinne des Bundeswaldgesetzes sind. Dies ist
        notwendig, um auszuschließen, dass landwirtschaftliche
        Nutzflächen, die zu Agroforstsystemen aufgewertet wer-
        den, zukünftig den Vorgaben des Bundeswaldgesetzes
        unterliegen. Ich hoffe sehr, dass die Bundesregierung die
        angekündigte Änderung des Bundeswaldgesetzes zügig
        vorlegt und diese Gelegenheit nutzt, um diese Änderung
        vorzunehmen.
        Der Tradition dieses Hauses folgend, werden die Re-
        gierungsfraktionen unseren Antrag ablehnen. Das kann,
        muss aber nicht heißen, dass die Kollegen damit auch
        unsere Anliegen ablehnen. Ich möchte die Bundesregie-
        rung und die Kollegen der Regierungsfraktionen daher
        herzlich bitten, das Anliegen unseres Antrags ernst zu
        nehmen und möglichst viel von dem zu realisieren, was
        wir hier beantragen. Damit würden Sie für unsere Kul-
        turlandschaft und die Agrobiodiversität und letztlich
        auch für die Landwirte und sogar für den Klimaschutz
        etwas Gutes tun.
        Anlage 17
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über
        die Qualität und Sicherheit von menschlichen
        Geweben und Zellen (Gewebegesetz) (Tagesord-
        nungspunkt 28)
        Hubert Hüppe (CDU/CSU): Der heute vorliegende
        Entwurf eines Gewebegesetzes legt Kriterien fest, die
        der Sicherheit von Patientinnen und Patienten dienen,
        denen Gewebe oder Zellen übertragen werden sollen.
        Zur Vermeidung der Übertragung von Krankheiten sol-
        len Qualität und Sicherheit von Geweben und Gewebe-
        zubereitungen verbessert werden. Ich denke, wir sind
        uns einig in diesem Ziel, dem die EU-Geweberichtlinie
        dient. Diese EU-Geweberichtlinie haben wir in nationa-
        les Recht umzusetzen.
        In Deutschland gibt es Gesetze, die verwandte Sach-
        zusammenhänge regeln, vor allem Transplantations-
        gesetz, Transfusionsgesetz und Arzneimittelgesetz. Dass
        die Geweberichtlinie innerhalb dieser Gesetze umgesetzt
        werden soll, ist zwar durch die Richtlinie nicht zwingend
        vorgegeben. Weil es aber mit diesen Regelungen lang-
        jährige gesetzgeberische und Vollzugserfahrung gibt,
        spricht vieles für den durch den Entwurf gewählten Weg
        der Umsetzung innerhalb dieser Gesetze.
        Um das Ziel des Gesetzes, die Qualität und Sicherheit
        von Zellen und Geweben, zu erreichen, sind unter ande-
        rem hohe Anforderungen für Gewebeentnahmestellen
        bzw. für Gewebeeinrichtungen vorgesehen, darunter die
        Herstellungserlaubnis nach Arzneimittelgesetz, die Benen-
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        ung eines Stufenbeauftragten sowie eines Informations-
        eauftragten und eine verschuldensunabhängige Haftung
        is zu 120 Millionen Euro. Im Falle der vorgesehenen
        bgabe von Geweben an Dritte bedarf es einer Zulas-
        ung gemäß Arzneimittelgesetz.
        Durch das Transplantationsgesetz, das bisher die
        ntnahme von Organen regelt, sollen zukünftig auch
        ellen und Gewebe, embryonale und fötale Organe
        owie Knochenmark erfasst werden.
        Durch vorgeschriebene Dokumentation soll es
        ukünftig möglich sein, Gewebe vom Spender bis zum
        mpfänger und umgekehrt zu verfolgen, schwer-
        iegende Zwischenfälle und unerwünschte Reaktionen
        ollen Meldevorschriften unterworfen werden.
        Grundlagen für die Umsetzung der Geweberichtlinie
        ind im Arzneimittelgesetz bereits heute enthalten.
        ereits seit der 12. und der 14. Novelle ist eine Herstel-
        ungserlaubnis nicht nur für die Herstellung von Arznei-
        itteln, sondern auch für die Entnahme und Gewinnung
        on zur Arzneimittelherstellung bestimmten Stoffen
        enschlicher Herkunft wie Blut, Plasma, Gewebe und
        ellen erforderlich, kam aber bislang aufgrund der Über-
        angsbestimmung noch nicht zum Tragen.
        Jetzt regelt der Entwurf, dass Einrichtungen, die
        toffe menschlicher Herkunft entnehmen oder gewinnen,
        eine eigene Herstellungserlaubnis beantragen müssen,
        ondern in die Erlaubnis des mit ihnen kooperierenden
        erstellers einbezogen werden können.
        Von Anfang an war die Erarbeitung des Gesetzent-
        urfs von vielfältiger Kritik vonseiten der Fachverbände
        egleitet. Der Bundesrat hat eine ausführliche Stellung-
        ahme vorgelegt. Es ist gut, dass das Gesundheitsminis-
        erium in den Vorgesprächen signalisiert hat, sich dieser
        ritik konstruktiv anzunehmen und etwaige Änderungen
        orzunehmen.
        Werden die Bedingungen der künftig erforderlichen
        erstellungserlaubnis oder Haftungsvorschriften für
        eute aktive Gewebeentnahmeeinrichtungen unerfüllbar
        ein? Werden ihren Platz industrielle Investoren einneh-
        en, wird es eine zusätzliche Kommerzialisierung durch
        en Arzneimittelstatus von Geweben geben? Wird die
        nterstellung von Zellen und Geweben unter das Arz-
        eimittelgesetz deshalb den Vorrang der Organspende
        or der Gewebegewinnung gefährden?
        Werden Gewebetransplantate mit dem Gewebegesetz
        rheblich teurer, und werden sie dies, ohne dass ein Zu-
        achs an Sicherheit für Patienten zu erwarten ist? Wäre
        s genauso sicher, etwa Gewebetransplantate, die weder
        e- noch verarbeitet werden, sondern nur konserviert
        nd zur Transplantation zwischengelagert werden, recht-
        ich eher als Organe statt als Arzneimittel zu behandeln?
        Begriffsbestimmungen und Anwendungsbereiche
        erfen – auch ethische – Fragen auf. Es ist durchaus
        ichtig, Begriffe wie menschliche Keimzelle, Embryo
        nd Fötus so genau wie möglich zu definieren. Auch
        ine Klarstellung, dass der menschliche Embryo – wie er
        m Embryonenschutzgesetz und im Stammzellgesetz de-
        iniert ist – ausdrücklich nicht zum Arzneimittel wird,
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006 6307
        (A) )
        (B) )
        scheint notwendig und ethisch angemessen. Wir werden
        prüfen, ob durch den Entwurf sicher ausgeschlossen ist,
        dass der Arzt, der eine Abtreibung vornimmt, in die wei-
        tere Verwertung des Gewebes der abgetriebenen Embryo-
        nen und Föten eingebunden ist.
        Eine zu diskutierende Frage ist die Knochenmarks-
        entnahme bei minderjährigen und nicht einwilligungs-
        fähigen volljährigen Personen, für die das Gewebegesetz
        einen strafrechtlich relevanten Rechtfertigungsgrund
        schafft. Auch wenn die Empfänger nahe Verwandte sein
        müssen, handelt es sich um einen fremdnützigen Eingriff
        in die körperliche Unversehrtheit der Minderjährigen
        bzw. nicht einwilligungsfähigen Erwachsenen. Wir werden
        zu klären haben, ob dieser nur mit minimalem Risiko
        und minimaler Belastung einhergeht oder ob allein eine
        Vorschrift zustimmungsfähig wäre, die nur bei einwil-
        ligungsfähigen Minderjährigen eine Knochenmarks-
        entnahme nach ihrer Aufklärung und Einwilligung sowie
        der des gesetzlichen Vertreters zulässt.
        Wir haben uns auch damit zu befassen, ob der Daten-
        schutz eindeutig genug formuliert ist.
        Die Frist zur Umsetzung der Geweberichtlinie hat am
        7. April 2006 geendet. Wir können uns daher keine Zeit
        lassen. Dennoch werden wir die Regelungen des Gesetzes
        in den kommenden Beratungen und Sachverständigenan-
        hörungen sorgfältig auf den Prüfstand stellen.
        Wir werden die Richtlinie so umsetzen, dass das deut-
        sche Recht den europarechtlichen Anforderungen genügt.
        Wir werden prüfen, ob Kritik an dem erwarteten Verwal-
        tungsaufwand, an Kommerzialisierungsgefahr und unver-
        tretbaren Kosten für die Allgemeinheit berechtigt sein
        könnte. Insbesondere aber werden wir jede Vorschrift
        daraufhin prüfen, ob sie der Versorgung der Patienten mit
        sicheren Zellen und Geweben dient.
        Dr. Wolfgang Wodarg (SPD): Die Verwendung von
        menschlichen Zellen und Geweben stellt in der moder-
        nen Medizin einen stark wachsenden Sektor dar, der
        große Chancen für die Behandlung schwerer Erkrankun-
        gen bietet, die zum Beispiel mit einer konventionellen
        Arzneimitteltherapie nicht geheilt werden können. Um
        für die Gewebemedizin, speziell die Beschaffung, Tes-
        tung, Verarbeitung, Lagerung und Verteilung von Gewe-
        ben und Zellen einheitliche Qualitäts- und Sicherheits-
        standards festzulegen, ist in der Europäischen Union
        2004 nach langer Diskussion eine EU-Richtlinie erlassen
        worden, die bis zum 7. April dieses Jahres in nationales
        Recht hätte umgesetzt werden sollen. Mit dem vorlie-
        genden Gesetzentwurf will die Bundesregierung die Ge-
        weberichtlinie umsetzen.
        Der Bundesrat hat eine eindrucksvolle Stellungnahme
        zu diesem ausgesprochen komplexen Fachgesetz abge-
        geben. In den Beratungen des zuständigen und eigens
        eingerichteten Unterausschusses standen zunächst nicht
        weniger als 87 Änderungsanträge zur Diskussion. Ange-
        nommen wurden schließlich 46. Da das Gesetz nach der
        Föderalismusreform nicht mehr zustimmungspflichtig
        ist, können die Änderungsvorschläge der Länderkammer
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        unmehr abgetan werden. Es gibt jedoch nicht nur for-
        ale, sondern auch inhaltliche Gründe, dies nicht zu tun.
        Kernpunkte der Kritik an dem als Artikelgesetz kon-
        ipierten Entwurf betreffen zum einen die arzneimittel-
        echtliche Ausrichtung der Umsetzung, die im Bereich
        er Fortpflanzungsmedizin besonders bizarr ist. Es wer-
        en nämlich zum Beispiel menschliche Geschlechtszel-
        en als Arzneimittel eingestuft. Zum anderen werden die
        nzureichenden Regelungen der Schnittstellen zur Organ-
        ansplantation und zu dem dafür vor rund zehn Jahren in
        raft getretenen Transplantationsgesetz gerügt. Hier
        iegt das folgenschwerste Problem des vorgelegten Ent-
        urfs. Denn mit der Unterstellung aller Zellen und Ge-
        ebe unter das Arzneimittelgesetz ist eine Kommerziali-
        ierung dieses Bereichs verbunden. Hierdurch entsteht
        in erheblicher Konflikt mit der Praxis der Organtrans-
        lantation.
        Ich will dieses Problem anschaulich darstellen, denn
        ir müssen wissen, was wir tun, wenn wir menschliche
        örperteile zu Arzneimitteln machen wollen. In New
        ork hat gerade ein Prozess für großes Aufsehen ge-
        orgt, in dem Beerdigungsunternehmen und Ärzte verur-
        eilt wurden, die im großen Stil ein makaberes Geschäft
        it Leichenteilen organisiert hatten. Der Rohstoff
        ensch wird je nach Mangelstatus bestimmter Gewebe
        ereits zu Schwindel erregenden Preisen gehandelt. Eine
        ommerzielle Ausrichtung der Gewebemedizin würde
        ich darum notwendig negativ auf den Bereich der altru-
        stischen Organspende auswirken. Wir wissen dabei,
        ass das Spendenaufkommen in Deutschland im europäi-
        chen Vergleich ohnehin nicht groß ist. Die Wartelisten
        agegen werden länger und länger. Um eine postmortale
        rganspende, für die keine Einwilligung des Patienten
        elbst vorliegt, zu ermöglichen, müssen Ärzte gegenwär-
        ig mit den Angehörigen sprechen, um von diesen eine
        ustimmung zu erhalten (erweiterte Zustimmung). Auch
        ür Gewebespenden gilt diese Regelung gegenwärtig,
        eil Gewebe als Transplantate jetzt unter das Transplan-
        ationsgesetz fallen. Die Situation der mit dieser schwie-
        igen Kommunikation betrauten Ärzte wird sich nach In-
        raft-Treten des vorliegenden Gesetzes weiter erschwe-
        en. Künftig muss auch auf eine mögliche kommerzielle
        utzung von Gewebespenden verwiesen werden. Ange-
        örige könnten damit den sehr abschreckenden Gedan-
        en eines „Ausschlachtens“ des Körpers verbinden.
        Auch eine formal-rechtliche Vorrangstellung der Organ-
        ansplantation, wie sie jetzt im Gesetzentwurf vorgese-
        en ist, wird nur mit sehr umfassenden Kontrollmecha-
        ismen verhindern können, dass transplantierbare
        rgane in den lukrativeren Bereich der Gewebemedizin
        erschoben werden. Bereits bei der Untersuchung mög-
        icher Spender müsste künftig kontrolliert werden, ob
        ie Verwerfung von Organen für die Transplantation
        ach objektiven medizinischen Gesichtspunkten erfolgt
        st. Schon jetzt funktionieren die Kontrollmechanismen
        m Bereich der Organtransplantation nicht gut. Die Pro-
        leme werden sich auch hier verschärfen, wenn in Zu-
        unft noch eine Wettbewerbssituation mit den Organisa-
        ionen der Gewebemedizin hinzutritt. Bestehende
        ersonelle und organisatorische Verflechtungen in bei-
        6308 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006
        (A) )
        (B) )
        den Bereichen erschweren Kontrollen und sind darum
        kontraproduktiv.
        Die weitreichenden Probleme, die sich durch das Ge-
        webegesetz an der Schnittstelle zum Transplantationsge-
        setz ergeben, können wir durch Änderungsanträge kaum
        abwenden. Auch der Bundesrat hat neben den zahlrei-
        chen konkreten Vorschlägen zu einzelnen Regelungen
        deshalb seine Zuflucht in einer Generalkritik gesucht
        und die Bundesregierung gebeten, die Geweberichtlinie
        in einem eigenständigen Gesetz umzusetzen. Dieses
        würde sich am Vorbild des Transplantationsgesetzes
        orientieren, das ja auch eine ganz eigene Regelungs-
        systematik im Vergleich zum Arzneimittelbereich mit
        seinen völlig anders gestalteten formalen Abläufen hat.
        Was mich im Zusammenhang mit dem Gewebegesetz
        sehr umtreibt, ist die knappe Zeitfrist, in der die parla-
        mentarische Beratung jetzt abgeschlossen werden soll.
        Wir entscheiden hier über wichtige Weichenstellungen
        und viele unter uns haben nicht genug Wissen, Erfah-
        rung und Problemeinsicht, um was es dabei eigentlich
        geht. Hätten wir noch eine Enquete-Kommission zu me-
        dizinethischen Fragen wie in den beiden vergangenen
        Legislaturperioden, wäre das Thema Gewebegesetz
        frühzeitig auf die Agenda gesetzt worden. Abgeordnete
        aus verschiedenen Fachausschüssen hätten sich mit der
        Thematik beschäftigt, in der Diskussion mit Sachver-
        ständigen Fachwissen erworben und dieses dann wie zu-
        vor üblich in Form einer gutachtlichen Stellungnahme
        einbringen und an Kolleginnen und Kollegen weiterge-
        ben können.
        Das Gewebegesetz ist darum auch eine traurige Illus-
        tration für unseren derzeitigen Mangel an parlamentari-
        schen Instrumenten. Es darf nicht so bleiben, dass
        komplexe, ethisch hoch brisante Abwägungen des Ge-
        setzgebers nur wenigen Abgeordneten aufgebürdet wer-
        den. Das Konzept der Forschungsministerin zum Deut-
        schen Ethikrat bringt hier keine Abhilfe. Wir brauchen
        für medizinethische Fragen ein Gremium, in dem wie in
        einer Enquete-Kommission regelmäßig Abgeordnete al-
        ler Fraktionen, aus verschiedenen Fachausschüssen zu-
        sammen mit Sachverständigen beraten, um dann ihre je-
        weiligen Arbeitsgruppen rechtzeitig informieren und
        einbeziehen zu können.
        Ich will aber mit einem positiven Ausblick schließen:
        Das Potenzial der Gewebemedizin zusammen mit dem
        zugehörigen neuen Querschnittsgebiet der regenerativen
        Medizin ist enorm. Wir müssen jedoch aus den in der
        Vergangenheit gemachten Fehlern im Gesundheitsbe-
        reich lernen: Wir brauchen nicht nur immer neue Geräte
        und Produkte, wir brauchen auch eine aktivierende Me-
        dizin, die den Menschen ins Zentrum stellt und Ärzte
        nicht zu Anwendern und Bedienern von Technologie de-
        gradiert. Es gibt zwei Wege zu neuen Zellen und Gewe-
        ben für den Menschen:
        Erstens. Man entnimmt diese anderen Menschen, be-
        reitet sie auf, transplantiert sie und sorgt dafür, dass sie
        nicht als Fremdkörper abgestoßen werden.
        Zweitens. Man nutzt die immanente Fähigkeit
        menschlicher Gewebe zur Regeneration und stimuliert
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        ie überall im Körper vorhandenen Stammzellen durch
        usgefeilte Übungs- und Trainingsprogramme zur Ver-
        ehrung und Übernahme defekter Funktionen.
        Erstere Lösung führt zu neuen aufwändigen medika-
        entösen Therapien und wird von investitionsbereiten
        kteuren der Pharmabranche mit großem Druck europa-
        eit gefördert. Die zweite Lösung ist das tägliche Ge-
        chäft der rehabilitativen Medizin, die mit Aktivierung,
        hysiotherapie, Ergotherapie, Funktionstraining, Logo-
        ädie und vielen weiteren Verfahren sensationelle Er-
        olge aufweist. Hier gibt es keine milliardenschweren In-
        estitionen, sondern personalintensive und von der
        ersorgungsforschung völlig vernachlässigte Chancen
        ür viele Patienten – das Ganze kostengünstig und fast
        hne Nebenwirkungen.
        Michael Kauch (FDP): Reichlich spät legt die Bun-
        esregierung den Gesetzentwurf zur Umsetzung der
        eweberichtlinie der EU vom 31. März 2004 vor. Sie
        egt ihn in einer Form vor, die sowohl vom Bundesrat als
        uch – das ist das Entscheidende – von den fachlich
        ompetenten Experten der Bundesärztekammer und der
        eutschen Stiftung Organtransplantation grundsätzlich
        urückgewiesen wird. Die Einwände sind so gravierend,
        ass sich das Parlament ausreichend Zeit zur Beratung
        nd zur Anhörung von Sachverständigen nehmen muss.
        Ein entscheidender Punkt ist die Frage, ob Gewebe
        atsächlich generell unter das Arzneimittelgesetz fallen
        oll. Gewichtige Gründe sprechen dagegen. Eine der
        onsequenzen liegt in deutlich erhöhten Anforderungen
        n die Betriebsstätten und an Wirksamkeitsnachweise.
        eides erhöht die Kosten der Bereitstellung von Gewebe.
        as kann im Blick auf die Kostensituation im Gesund-
        eitswesen nicht einfach en passant beschlossen werden.
        Hinzu kommen die Bedenken, ob eine mit der Einord-
        ung als Arzneimittel verbundene Kommerzialisierung
        er Gewebespende auf einer frühen Stufe nicht die
        pendenbereitschaft der Bevölkerung beeinträchtigen
        ann oder die Konkurrenz zur Organspende erhöht. Ins-
        esondere der im Gesetz vorgesehene Vorrang der
        rganspende vor der Gewebespende könnte durch kom-
        erzielle Anreize zur Gewebespende aufseiten der
        rankenhäuser konterkariert werden.
        Es spricht daher vieles dafür, dass beim Gewebe die
        ntnahmestufe nicht dem Arzneimittelgesetz unterliegen
        ollte. Hier müssen in einer Anhörung die Vor- und
        achteile deutlich herausgearbeitet werden. Eventuell
        äre es auch eine Option, zwischen Gewebespenden zur
        eiterverarbeitung und solchen zur Konservierung
        wecks Übertragung zu unterscheiden. Auch die EU-
        ichtlinie stellt an die Gewebeentnahme deutlich gerin-
        ere Anforderungen als an die Gewebeverarbeitung. Sie
        ordert keineswegs die pauschale Unterstellung unter das
        rzneimittelrecht.
        In jedem Fall brauchen wir hier Rechtssicherheit. Die
        wölfte AMG-Novelle in Verbindung mit der
        4. Novelle hat das Gewebe zwar dem Arzneimittel-
        esetz unterstellt, jedoch wegen der vorgesehenen Über-
        angsfristen bisher ohne praktische Relevanz. Daher ist
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006 6309
        (A) )
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        nun die Gelegenheit, im Zuge der umfassenden Umset-
        zung der EU-Richtlinie noch einmal neu nachzudenken.
        Völlig offen ist im Gesetz im Übrigen ein Allokations-
        mechanismus für die Gewebespende. Zumindest dann,
        wenn man sich für eine späte Kommerzialisierung
        ausspricht, braucht es Antworten, wie wir sie von der
        Organspende her kennen. Weiter ist zu prüfen, ob der
        von der Bundesregierung vorgesehene Vorrang der
        Organspende vor der Gewebespende tatsächlich in
        dieser Form durchgesetzt werden kann.
        Sorge bereiten aber auch einige Änderungsvorschläge
        des Bundesrates. So trifft die vom Bundesrat geforderte
        Anonymität der Gewebespende auf Kritik der Deutschen
        Knochenmarkspenderdatei. Diese führt aus, dass es ge-
        rade im Bereich der Stammzellspende aus Knochenmark
        die Spendenbereitschaft oft erhöht, wenn dem Spender
        der Empfänger bekannt gemacht wird. Eine ethisch zu
        begründende Notwendigkeit zu dieser Änderung der
        bestehenden Rechtslage ist nicht zu erkennen. Daher
        sollte man sehr vorsichtig sein, in der Praxis erfolgreiche
        Regelungen ohne Not zu verändern und die Versorgung
        der Betroffenen so zu gefährden.
        Dies sind einige der Aspekte, die der Gesundheitsaus-
        schuss bei der Beratung des Gesetzes beleuchten muss.
        Angesichts der grundlegenden Kritik der Experten
        scheint eine ebenso grundlegende Überarbeitung des
        Gesetzentwurfes erforderlich.
        Frank Spieth (DIE LINKE): Derzeit bewegt uns die
        Debatte zum GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz. Noch
        nie waren sich sämtliche gesundheitspolitischen Akteure
        so einig in der Ablehnung des Gesetzesvorhabens wie
        derzeit. Immer mehr zeigt sich in den Expertenanhörungen
        zum so genannten Wettbewerbsstärkungsgesetz, dass
        niemand das Vorhaben in dieser Form will; dennoch
        peitscht die Regierung den Gesetzentwurf durch das Par-
        lament.
        Ganz ähnlich verhält es sich auch bei dem hier vor-
        liegenden Gesetzentwurf, dem Gewebegesetz. Es geht
        darin um Regelungen zur Entnahme von Organen und
        darum, was damit passieren soll. Auch in diesem Gesetz-
        gebungsverfahren hagelt es Kritik: Bundesrat, Bundes-
        ärztekammer, die Deutsche Krankenhausgesellschaft,
        Transplantationsverbände, die Spitzenverbände der
        Krankenkassen und andere sind sich in ihrer ablehnen-
        den Haltung einig. Wieder zeigt sich eine unglaubliche
        Beratungsresistenz der Regierung. Sie ist geprägt von einer
        pauschalen arzneimittelrechtlichen Ausrichtung und
        lässt notwendige juristische Differenzierungen bei den
        doch medizinisch gänzlich unterschiedlichen Geweben
        vermissen. Eine Organtransplantation ist die Übertra-
        gung eines ganzen Organs. Eine Gewebetransplantation
        ist im Gegensatz dazu die Verpflanzung nur eines Teils
        eines Organs, wie etwa Herzklappen, Knochenmark oder
        Augenhornhaut.
        Aus ethischer Sicht ergeben sich neue Verwerfungen,
        wenn die entnommenen Organe zukünftig unter das Arz-
        neimittelgesetz fallen und damit Teil des kommerzia-
        lisierbaren Arzneimittelhandels werden sollen: Eigent-
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        ich sollte der Grundsatz „Organspende hat Vorrang vor
        ewebespende“ gelten. Mit Organspenden kann man,
        umindest auf legalem Wege, keinen Gewinn erzielen.
        rganspenden sind rein aufwandsorientiert finanziert.
        enn die Bundesregierung jetzt durch das Gewebe-
        esetz Teile von eigentlich vermittlungspflichtigen
        penderorganen als Gewebeprodukte wirtschaftlich inte-
        essanter als die eigentlich sinnvolle Organspende
        acht, schafft man eine Situation, die falsche Anreize gibt.
        Aus Sicht der Bevölkerung wird sich bei einer zuneh-
        enden Kommerzialisierung verständlicherweise die
        rage auftun, warum eine Organspende aus altruisti-
        chen, also aus nicht monetären Motiven erfolgen soll
        nd im Gegensatz dazu mit Gewebe ganz legal Geld ver-
        ient werden kann, wie mit Arzneimitteln auch. Es ist zu
        efürchten, dass dies ein negatives Image auf Organ-
        penden wirft und so die ohnehin zu geringe Zahl der
        rganspender weiter sinkt.
        Die Bundesregierung will zu einem großen Teil das
        ransplantationsgesetz durch das Arzneimittelrecht er-
        etzen. Die Spende und Entnahme werden dem Arznei-
        ittelrecht unterworfen. Damit macht das Gesetz die
        liniken und Gewebebanken zu pharmazeutischen Un-
        ernehmern und geht weit über die Forderungen der EU-
        ichtlinie hinaus. Für die Versicherten hat das weit-
        eichende Folgen: Denn Kliniken, die bisher in der Lage
        aren, Gewebe aufzuarbeiten und den eigenen Patienten
        u verabreichen, müssen nun erst als „pharmazeutischer
        etrieb“ zugelassen werden. Dadurch werden so hohe
        ürden aufgebaut, dass beispielsweise Brandopfer auf
        otwendige Hauttransplantate Wochen warten müssen.
        leichzeitig wird ein kommerzielles Interesse geweckt;
        enn nach dem Arzneimittelgesetz gilt kein Handelsverbot.
        Auf mögliche Interessenkonflikte, die etwa bei
        leichzeitigem Betrieb eines Krankenhauses und einer
        ewebeeinrichtung oder eines Transplantationszentrums
        uftreten könnten, wurde die Bundesregierung hinge-
        iesen, unter anderem durch den Bundesrat. Es könnte
        ach dieser unsinnigen Regelung wirtschaftlich sinnvol-
        er sein, wenn ein Organ „in Einzelteilen“ verwertet
        ürde, als wenn eine Transplantation stattfände. Die Ab-
        äufe bei Gewebespende, -gewinnung, -vermittlung und
        verteilung, sollten daher voneinander getrennt sein.
        Insofern ist die arzneimittelrechtliche Zuordnung im
        egierungsentwurf ein absoluter Irrweg. Die Logik, was
        n fachlicher Hinsicht an einer Kochsalzlösung und an
        ntnommenem Lebergewebe so ähnlich ist, dass man
        eides zukünftig den gleichen rechtlichen Regelungen
        nterwerfen sollte, bleibt im Dunklen. In der EU jeden-
        alls stünde die Bundesrepublik recht alleine da mit
        ieser arzneimittelrechtlichen Regelung.
        Sollte es tatsächlich der Bundesregierung darum
        ehen, neue kommerzielle Märkte aufzubauen, egal mit
        elchem Produkt? Professor Dr. med. Jörg-Dietrich
        oppe, Präsident der Ärztekammer, befürchtet genau
        ies: „Wenn das Gewebegesetz in seiner jetzigen Form
        n Kraft tritt, dann ist dem gewerblichen Markt für
        ewebetransplantate Tür und Tor geöffnet.“ Man kann
        as ja – vorausgesetzt, man wirft alle ethischen Beden-
        en über Bord – so wollen. Aber dann bitte ich Sie:
        6310 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006
        (A) )
        (B) )
        Seien Sie so ehrlich und sagen Sie, was sie wirklich wol-
        len, oder erklären Sie zumindest, welche Folgen ihre
        eigenen Gesetze haben werden.
        Meine Fraktion wird aber aus den dargelegten Grün-
        den dagegen sein.
        Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
        Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll nach Ihren
        Worten die EU-Geweberichtlinie umgesetzt werden. Um
        es gleich zu Beginn klar zu sagen: Die wirklich wichti-
        gen Forderungen der EU-Richtlinie werden von Ihnen
        nicht umgesetzt.
        Ziel der EU-Richtlinie sind europaweit vergleichbare
        hohe Qualitäts- und Sicherheitsstandards bei der Über-
        tragung menschlicher Gewebe. Wenn man dagegen Ih-
        ren Gesetzentwurf liest, gewinnt man aber den Eindruck,
        dass er weniger der Absicherung der in Deutschland
        schon bisher hohen Qualitätsstandards als vielmehr der
        Kommerzialisierung des Umgangs mit Geweben dienen
        soll: Der Entwurf unterstellt Gewebe pauschal dem Arz-
        neimittelgesetz. Dieser Weg wird von keinem anderen
        europäischen Land gewählt. Damit eröffnen Sie einen
        legalen Markt für den Handel mit Geweben, der sich
        potenziell nicht mehr an den medizinischen Bedürfnis-
        sen der Betroffenen, sondern vielmehr an kommerziellen
        Interessen orientieren wird. Damit ist der bisherige
        gesellschaftliche Konsens der Nichtkommerzialisierung
        in Gefahr.
        Auch wird mit gravierenden Auswirkungen zu rech-
        nen sein, vor allem wenn der Vorrang der Organ- vor der
        Gewebespende weiterhin so halbherzig umgesetzt wird,
        wie es im Entwurf der Fall ist. Zwar ist – recht ver-
        steckt – festgelegt, dass eine Gewebeübertragung eine
        mögliche Organtransplantation nicht beeinträchtigen
        darf. Dies wird aber durch keine ergänzende Regelung
        sichergestellt. Angesichts der Knappheit von Spender-
        organen in diesem Land ist es sträflich, die nicht ge-
        werblichen Institutionen der Organtransplantation in ei-
        nen Wettbewerb mit gewerblichen Gewebeeinrichtungen
        zu schicken, den sie nicht gewinnen können.
        Zudem müssen Sie sich die Frage gefallen lassen, ob
        Sie wirklich einen Handel mit Keimzellen und embryo-
        nalen Zellen wollen. Das Handelsverbot des Transplan-
        tationsgesetzes dient hier wohl lediglich als Feigenblatt,
        da aufgrund seines begrenzten Anwendungsbereichs ein
        solcher Handel nicht sicher verhindert werden kann.
        Sobald ein Markt für embryonale Gewebe und Eizellen
        besteht, werden sie damit – vorbei an allen ethischen
        Bedenken – zu einer Ware. Auch hier werden im Ent-
        wurf die Vorgaben der Richtlinie, nämlich die Verhinde-
        rung einer Kommerzialisierung der Organ- und Gewebe-
        beschaffung, nicht umgesetzt.
        Auf der anderen Seite gaukeln Sie dem Bürger Si-
        cherheit vor. Die Gewebeeinrichtungen undifferenziert
        den Zulassungs- und Erlaubnisvorschriften des Arznei-
        mittelgesetzes zu unterstellen, führt in der Praxis zu
        einem Mehr an bürokratischem und finanziellem Auf-
        wand für diese Einrichtungen, ohne dass dieser Nachteil
        zu einem erkennbaren Vorteil für die Therapiesicherheit
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        er Patienten bzw. der Qualitätssicherung führt. Im
        egenteil dürfte dies zu einer geringeren Reserve an
        ringend nötigen Geweben führen.
        Der vorliegende Gesetzentwurf bedarf also einer
        rundlegenden Überarbeitung. Auch wenn die Frist für
        ie Umsetzung der Geweberichtlinie bereits abgelaufen
        st, darf nicht übereilt ein Gesetz verabschiedet werden,
        as dem Handel mit menschlichen Geweben Tür und Tor
        ffnet.
        Rolf Schwanitz, Parl. Staatssekretär bei der Bun-
        esministerin für Gesundheit: Das Gesetz über die
        ualität und Sicherheit von menschlichen Geweben und
        ellen setzt abschließend die Inhalte der EG-Gewebe-
        ichtlinie 2004/23/EG in nationales Recht um. Hierzu ist
        ie Bundesrepublik Deutschland verpflichtet. Der Gesetz-
        ntwurf der Bundesregierung enthält die maßgeblichen
        egelungen zur Wahrung und Verbesserung der Qualität
        nd Sicherheit von Gewebetransplantaten und sorgt für
        in hohes Gesundheitsschutzniveau, wie die EG-Gewebe-
        ichtlinie es vorsieht.
        Diese Notwendigkeit besteht für alle Gewebe und
        ellen von Menschen, die in der Medizin zur Anwen-
        ung kommen, also nicht nur für Herzklappen, Augen-
        ornhäute und Knochen, sondern auch für menschliche
        eimzellen sowie für fötale Gewebe und Organe. Alle
        iese Gewebe und Zellen können Krankheiten über-
        ragen. Sie müssen daher sehr sorgfältig entnommen und
        e- oder verarbeitet werden. Mit dem neuen Recht stel-
        en wir Gewebe und Zellen rechtlich den Blutprodukten
        leich, die bereits nach der HIV/Blut-Katastrophe An-
        ang der 90er-Jahre und auch nach der EG-Blutrichtlinie
        002/98/EG neuen Regelungen unterworfen worden sind.
        Grundlegende Anforderungen der EG-Richtlinie, die
        ich eng an das EG-Arzneimittelrecht anlehnt, sind bereits
        nationalen Recht verankert, nämlich im Arzneimittel-
        esetz, im Transplantationsgesetz und im Transfusions-
        esetz. Die Bundesregierung hat sich entschlossen, auch
        ie verbliebenen Umsetzungsinhalte in diesen Gesetzen
        u regeln. Das ist gerechtfertigt und notwendig, da wir
        ereits in den Jahren 2004 und 2005 mit dem zwölften
        nd 14. AMG-Änderungsgesetz wichtige Regelungs-
        nhalte der EG-Geweberichtlinie gemeinsam mit den
        ändern im Arzneimittelgesetz umgesetzt haben. Des-
        alb halten wir es nicht für sinnvoll, jetzt ein völlig
        eues Gesetz für Gewebe und Zellen zu schaffen, das
        ieselben Regelungen enthalten müsste, die wir schon
        aben oder jetzt ergänzen wollen. Auch die kommende
        G-Verordnung über Arzneimittel für neuartige Therapien
        ird Tissue-Engineering-Produkte, die Gewebezuberei-
        ngen sind, dem Arzneimittelrecht unterstellen. Zwischen
        ieser Verordnung und der EG-Geweberichtlinie besteht
        in enger sachlicher Zusammenhang.
        Lassen Sie mich noch einmal betonen: Die Bundes-
        egierung wird mit dem Gewebegesetz ausschließlich
        ie Qualitäts- und Sicherheitsanforderungen der EG-
        eweberichtlinie umsetzen. Dies entspricht der Staats-
        raxis und ist auch mit Blick auf die Umsetzungsfrist
        numgänglich.
        Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006 6311
        (A) (C)
        (B) )
        Der Gesetzentwurf ist mit Augenmaß vorbereitet
        worden und verzichtet auf überzogene Regelungen. Das
        gilt vor allem auch für die arzneimittelrechtlichen Rege-
        lungen. Hier geht es insbesondere um die Vorschriften
        zur Genehmigung der Entnahme von Geweben in den
        Krankenhäusern, die äußerst flexibel gestaltet sind und
        sogar eine Erleichterung gegenüber dem geltenden
        Recht darstellen. Den Fachkreisen verbleibt genügend
        Spielraum, die konkreten Entnahme- und Herstellungs-
        bedingungen selber festzulegen, soweit sie nicht durch
        EG-Recht vorgegeben sind. Solche fachlichen Empfeh-
        lungen können dann auch Grundlage für die behörd-
        lichen Entscheidungen sein.
        Gelegentlich hört man Bedenken wegen der Kosten-
        belastung. Sie kann aber insgesamt als gering eingestuft
        werden. Wer heute schon qualitativ hochwertig Gewebe
        entnimmt und verarbeitet, hat weder einen hohen Auf-
        wand noch hohe Kosten zu befürchten. Auch die Gebüh-
        ren für die arzneimittelrechtliche Herstellungserlaubnis
        und für die Produktzulassungen sind gering angesichts
        des Wertes, den Gewebearzneimittel haben können. Eine
        Kommerzialisierung des Gewebesektors ist nicht zu
        erwarten. Das war schon bisher nicht der Fall, obwohl
        Gewebezubereitungen bereits nach geltender Rechtslage
        grundsätzlich zulassungspflichtig sind. Es ist also davon
        auszugehen, dass auch in Zukunft Gewebe unter gemein-
        durch das Embryonenschutzgesetz und das Stammzell-
        gesetz gesetzt werden, bleiben unberührt.
        Ferner wird im Transplantationsgesetz der Vorrang
        der Organspende verankert. Dadurch wird sichergestellt,
        dass eine mögliche Organspende nicht durch eine Gewebe-
        entnahme beeinträchtigt werden darf. Darüber hinaus-
        gehende Forderungen, das Transplantationsgesetz zu än-
        dern, das heißt Änderungen, die sich nicht aus der EG-
        Geweberichtlinie ergeben, werden wir im Rahmen einer
        späteren Novellierung des Transplantationsgesetzes dis-
        kutieren.
        Wichtig ist auch ein weiterer Punkt: Der Bundesrat
        empfiehlt, die Verordnungsermächtigung im Transplan-
        tationsgesetz und im Transfusionsgesetz zugunsten einer
        Richtlinienkompetenz der Bundesärztekammer zu strei-
        chen. Dies ist aber aus rechtlichen Gründen nicht mög-
        lich. Europäische Richtlinien müssen durch die Mit-
        gliedstaaten immer verbindlich – also mindestens durch
        Rechtsverordnungen – umgesetzt werden.
        Die Änderungswünsche des Bundesrates lassen
        erkennen, dass die Länder mehrheitlich grundsätzlich
        unserer Konzeption, Gewebezubereitungen dem Arznei-
        mittelgesetz zu unterstellen, folgen. Einer Reihe von Än-
        derungswünschen stimmen wir zu. So soll zum Beispiel
        die Anonymität bei der Gewebespende grundsätzlich ge-
        nützigen Bedingungen entnommen, be- oder verarbeitet
        und verfügbar gemacht werden.
        Ein weiterer wichtiger Bereich ist das Transplantations-
        gesetz. Hier werden embryonale und fötale Organe und
        Gewebe sowie Knochenmark und Zellen in den Anwen-
        dungsbereich des Gesetzes einbezogen. Hierzu werden
        die für die Umsetzung des europäischen Rechts notwen-
        digen Regelungen getroffen. An dieser Stelle ist beson-
        ders wichtig: Die ethischen Schranken, die vor allem
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        ahrt werden. Ferner werden wir klarstellen, dass die
        berwachung der Gewebe entnehmenden Einrichtungen
        ie örtlich zuständige Behörde vornimmt. Darüber hi-
        aus soll im Transfusionsgesetz eine Vorschrift zu den
        ntersuchungslaboren entsprechend der Regelung im
        ransplantationsgesetz aufgenommen werden.
        Ich halte das für eine gute Basis, um auch im weiteren
        esetzgebungsverfahren zu tragfähigen Lösungen zu
        ommen.
        63. Sitzung
        Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006
        Inhalt:
        Redetext
        Anlagen zum Stenografischen Bericht
        Anlage 1
        Anlage 2
        Anlage 3
        Anlage 4
        Anlage 5
        Anlage 6
        Anlage 7
        Anlage 8
        Anlage 9
        Anlage 10
        Anlage 11
        Anlage 12
        Anlage 13
        Anlage 14
        Anlage 15
        Anlage 16
        Anlage 17