1) Anlage 17
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006 6253
(A) )
(B) )
schweig ist eingebettet in ein breites Spektrum
blieren. Insofern nehme ich Bezug auf die Ausführungen
mit laufender Nr. 10 des Entschließungsantrages (Bio-
masse Forschungszentrum). Das bereits erfolgreich ar-
beitende Biomasse-Forschungszentrum der FAL Braun-
Pofalla, Ronald CDU/CSU 09.11.2006
Raidel, Hans CDU/CSU 09.11.2006
Anlage 1
Liste der entschuldigt
*
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Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
Andreae, Kerstin BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
09.11.2006
Annen, Niels SPD 09.11.2006
Dr. Bartsch, Dietmar DIE LINKE 09.11.2006
Blumentritt, Volker SPD 09.11.2006
Caspers-Merk, Marion SPD 09.11.2006
Eymer (Lübeck), Anke CDU/CSU 09.11.2006
Friedhoff, Paul K. FDP 09.11.2006
Dr. Gerhardt, Wolfgang FDP 09.11.2006
Gleicke, Iris SPD 09.11.2006
Goldmann, Hans-
Michael
FDP 09.11.2006
Granold, Ute CDU/CSU 09.11.2006
Griese, Kerstin SPD 09.11.2006
Gröhe, Hermann CDU/CSU 09.11.2006
Grosse-Brömer,
Michael
CDU/CSU 09.11.2006
Hill, Hans-Kurt DIE LINKE 09.11.2006
Hoppe, Thilo BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
09.11.2006
Leutert, Michael DIE LINKE 09.11.2006
Löning, Markus FDP 09.11.2006
Merten, Ulrike SPD 09.11.2006
Montag, Jerzy BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
09.11.2006
Müller (Düsseldorf),
Michael
SPD 09.11.2006
Paula, Heinz SPD 09.11.2006
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Anlagen zum Stenografischen Bericht
en Abgeordneten
für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver-
sammlung des Europarates
nlage 2
Erklärung nach § 31 GO
des Abgeordneten Carsten Müller (Braun-
schweig) (CDU/CSU) zu der Abstimmung über
den Entschließungsantrag der Fraktionen der
CDU/CSU und der SPD zu der Unterrichtung
durch die Bundesregierung: Jahresbericht der
Bundesregierung zum Stand der deutschen Ein-
heit 2005 (Tagesordnungspunkt 3 d)
Hiermit erkläre ich, dass ich dem Entschließungsan-
rag der Koalitionsfraktionen im Grundsatz zustimme.
ch lege jedoch großen Wert auf die Feststellung, dass
ch ausdrücklich nicht die Auffassung teile, dass es zur
örderung der deutschen Einheit sinnvoll ist, bereits de
acto bestehende, erfolgreiche Einrichtungen in den ehe-
aligen innerdeutschen Grenzgebieten auf westlicher
eite aufzulösen und in den neuen Bundesländern zu eta-
iester, Walter SPD 09.11.2006*
öspel, René SPD 09.11.2006
ohde, Jörg FDP 09.11.2006
r. Schui, Herbert DIE LINKE 09.11.2006
r. Stinner, Rainer FDP 09.11.2006
hönnes, Franz SPD 09.11.2006
einberg, Marcus CDU/CSU 09.11.2006
eißgerber, Gunter SPD 09.11.2006
ellenreuther, Ingo CDU/CSU 09.11.2006
olff (Wolmirstedt),
Waltraud
SPD 09.11.2006
apf, Uta SPD 09.11.2006
ypries, Brigitte SPD 09.11.2006
bgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
6254 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006
(A) )
(B) )
landwirtschaftlicher Forschungsbereiche, die nahtlos in-
einander übergehen und so auch wichtige Synergieef-
fekte freisetzen. Es ist also sachlich richtig, dass dieses
Forschungszentrum in Braunschweig angesiedelt ist.
Angesichts der knappen öffentlichen Finanzen wäre es
richtiger, eine bestehende Einrichtung wie die FAL in
Braunschweig zu verstärken, anstatt in den neuen Län-
dern neu anzufangen. Im Rahmen der Wirtschaftsförde-
rung hat der Bund gerade Vorsorge getroffen, um ver-
gleichbare Vorgänge zu verhindern.
Anlage 3
Erklärungen nach § 31 GO
zu der Abstimmung über den Entwurf eines Ge-
setzes zur Änderung kraftfahrzeugsteuerlicher
Vorschriften auch hinsichtlich der Wohnmobil-
besteuerung (Tagesordnungspunkt 15)
Gabriele Groneberg (SPD): Ich stimme dem durch
Änderungsanträge veränderten Gesetzentwurf des Bun-
desrates zur Besteuerung von Wohnmobilen zu, um eine
noch höhere Steuerbelastung von Bürgerinnen und Bür-
gern durch die Bundesländer zu verhindern.
Die angestrebten Ziele der SPD, keine bzw. eine auf-
kommensneutrale Regelung zu erreichen, konnten durch
die Unnachgiebigkeit der Länderseite, die allein von der
Erhöhung profitiert, nicht erreicht werden.
Jetzt kann nur noch dafür Sorge getragen werden,
dass nicht 70 Millionen Euro Einnahmen bei den Län-
dern zu verzeichnen sein werden, sondern 50 Millionen
Euro.
Mit unserer Zustimmung verhindern wir somit eine
höhere Belastung der Betroffenen.
Roland Claus (DIE LINKE): Ich lehne den vom
Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurf ab.
Ich bin selbst seit vielen Jahren Camper (Caravan),
treffe bei meinen sommerlichen Reisen viele Familien,
die mit ihren Wohnmobilen unterwegs sind, und weiß,
wie viel Geld und Arbeitszeit in den Wohnmobilen
steckt und wie viele Reiseerlebnisse und Reiseträume
mit ihnen verbunden sind. Wohnmobile sind in vielen
Fällen die einzige größere Anschaffung der jeweiligen
Nutzerinnen und Nutzer. Sie stellen daher keineswegs
Luxusgüter dar.
Das im Gesetzentwurf vorgesehene Verfahren zielt in
eine Richtung, die zu einer aus meiner Sicht nicht ge-
rechtfertigten Belastung der Nutzerinnen und Nutzer der
Wohnmobile führt. Es wird mit diesem Verfahren in un-
gerechtfertigter Weise eine Gruppe von Bürgerinnen und
Bürgern zu Umweltsündenböcken gemacht, deren tat-
sächliche „Sünden“ unendlich viel kleiner sind als zum
Beispiel die der Flugzeug- und der Flugreisenindustrie.
Die ziehen aus der Nichtbesteuerung von Flugbenzin,
die ihnen einen ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteil
verschafft und sowohl aus ökologischer wie auch aus
volkswirtschaftlicher Sicht untragbar ist, kräftige Ge-
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inne. Es ist falsch, die dort zugelassenen Steuereinnah-
enverluste ausgerechnet durch die Wohnmobilnutzer
usgleichen lassen zu wollen.
Ich freue mich, dass sich – obwohl sie nicht zu den
ampern gehören – meiner hier vorgetragenen Erklä-
ung aus meiner Fraktion anschließen: die Parlamentari-
che Geschäftsführerin Dr. Dagmar Enkelmann, die
aushaltspolitische Sprecherin Dr. Gesine Lötzsch und
er tourismuspolitische Sprecher Dr. Ilja Seifert.
nlage 4
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Annette Faße, Renate
Gradistinac, Reinhold Hemker, Gabriele Hiller-
Ohm, Brundhilde Irber und Engelbert Wistuba
(alle SPD) zur Abstimmung über den Entwurf
eines Gesetzes zur Änderung kraftfahr-
zeugsteuerlicher Vorschriften auch hinsichtlich
der Wohnmobilbesteuerung (Tagesordnungs-
punkt 15)
Wir stimmen dem durch Änderungsanträge veränder-
en Gesetzentwurf des Bundesrates zur Besteuerung von
ohnmobilen zu, um eine noch höhere Steuerbelastung
on Bürgerinnen und Bürgern durch die Bundesländer
u verhindern.
Die angestrebten Ziele der SPD, keine bzw. eine auf-
ommensneutrale Regelung zu erreichen, konnten durch
ie Unnachgiebigkeit der Länderseite, die allein von der
rhöhung profitiert, nicht erreicht werden.
Jetzt kann nur noch dafür Sorge getragen werden,
ass nicht 70 Millionen Euro Einnahmen bei den Län-
ern zu verzeichnen sein werden, sondern 50 Millionen
uro. Mit unserer Zustimmung verhindern wir somit
ine höhere Belastung der Betroffenen.
nlage 5
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Klaus Brähmig, Helmut
Brandt, Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof), Uda
Carmen Freia Heller, Ingbert Liebing, Marlene
Mortler, Bernward Müller (Gera), Anita
Schäfer (Saalstadt), Wilhelm Josef Sebastian
und Kurt Segner (alle CDU/CSU) zur Abstim-
mung über den Entwurf eines Gesetzes zur Än-
derung kraftfahrzeugsteuerlicher Vorschriften
auch hinsichtlich der Wohnmobilbesteuerung
(Tagesordnungspunkt 15)
Wir stimmen dem durch Änderungsanträge veränder-
en Gesetzentwurf des Bundesrates zur Besteuerung von
ohnmobilen zu, um eine noch höhere Steuerbelastung
on Bürgerinnen und Bürgern durch die Bundesländer
u verhindern.
Das angestrebte Ziel der CDU/CSU, möglichst eine
ufkommensneutrale Regelung zu erreichen, konnte
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006 6255
(A) )
(B) )
durch die Unnachgiebigkeit der Länderseite, die allein
von der Erhöhung profitiert, nicht erreicht werden.
Jetzt kann nur noch dafür Sorge getragen werden,
dass nicht 70 Millionen Euro Einnahmen bei den Län-
dern zu verzeichnen sein werden, sondern 50 Millionen
Euro.
Das rückwirkende Inkrafttreten zum 1. Januar 2006
ist zwar problematisch, doch würde eine Ablehnung des
veränderten Gesetzentwurfs zu der ursprünglich geplan-
ten noch höheren Besteuerung für das Jahr 2006 führen.
Mit unserer Zustimmung verhindern wir somit eine
noch höhere Belastung der Betroffenen.
Anlage 6
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Dr. Matthias Miersch,
Christoph Pries, Gerd Bollmann, Petra
Bierwirth, Marco Bülow, Marko Mühlstein,
Martin Burkert, Dirk Becker, Detlef Müller
(Chemnitz), Frank Schwabe und Heinz Schmitt
(Landau) (alle SPD) zu den Abstimmungen
über
– den Entwurf eines Gesetzes über die Öffent-
lichkeitsbeteiligung in Umweltangelegenhei-
ten nach der EG-Richtlinie 2003/35/EG (Öf-
fentlichkeitsbeteiligungsgesetz)
– den Entwurf eines Gesetzes über ergänzende
Vorschriften zu Rechtsbehelfen in Um-
weltangelegenheiten nach der EG-Richtlinie
2003/35/EG (Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz)
– den Entwurf eines Gesetzes zu dem Überein-
kommen vom 25. Juni 1998 über den Zu-
gang zu Informationen, die Öffentlichkeits-
beteiligung an Entscheidungsverfahren und
den Zugang zu Gerichten in Umweltangele-
genheiten (Aarhus-Übereinkommen)
(Tagesordnungspunkt 17 a bis c)
Das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz, das Öffentlich-
keitsbeteiligungsgesetz und das Aarhus-Übereinkom-
men-Gesetz stellen wichtige Änderungen im bisherigen
Umweltrecht dar, die zu mehr Transparenz und – durch
die Einführung der Verbandsklage im Umweltrecht – zu
verbessertem Rechtsschutz führen werden.
Allerdings bezweifeln die Unterzeichner, dass das
Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz in der vorliegenden Fas-
sung den Vorgaben gerecht wird, die durch das Aarhus-
Übereinkommen vom 25. Juni 1998 und durch die EU-
Richtlinie 2003/35/EG bestehen. So wird vor allem die
Beschränkung des Verbandsklagerechts auf subjektiv-öf-
fentliche Rechte auch in der juristischen Fachliteratur
kontrovers diskutiert. Die Unterzeichner sind der Auf-
fassung, dass die europarechtlichen Ziele, wonach der
betroffenen Öffentlichkeit ein weiter Zugang zu den Ge-
richten gewährt werden soll, nur durch ein unbeschränk-
tes Verbandsklagerecht umgesetzt werden können. Nur
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uf diesem Weg werden die Verbände die Interessen der
llgemeinheit vertreten können, die sich zum Beispiel
m Klimaschutz, im Naturschutz oder im Gewässer-
chutz ergeben und die gerade nicht nur auf individuelle
echte einzelner Bürgerinnen und Bürger abzielen.
Angesichts des anhängigen Vertragsverletzungsver-
ahrens und des Diskussionsstandes zwischen Bundesre-
ierung, Bundesrat und Bundestag ist jedoch eine Be-
chlussfassung in der bisherigen Fassung unumgänglich.
Die Unterzeichner gehen jedoch davon aus, dass die
uropäische Rechtsentwicklung ihre Fortsetzung auch
m innerstaatlichen Recht finden wird. Es ist zu hoffen,
ass sich die Einsicht durchsetzt, wonach ein Mehr an
ransparenz und an gerichtlicher Kontrolle zu Fehler-
ermeidung und größerer Akzeptanz führen werden. In
iesem Zusammenhang wird auch überprüft werden
üssen, ob eine bessere Beteiligung der Öffentlichkeit
m Rahmen des Öffentlichkeitsbeteiligungsgesetzes
urch die Nutzung von Internet oder Tageszeitungen zu
rzielen ist oder durch die verbindliche Nutzung beider
edien.
nlage 7
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Fairen Wettbewerb
in der Entsorgungswirtschaft ermöglichen –
Steuerprivilegien öffentlich-rechtlicher Unter-
nehmen abschaffen (Tagesordnungspunkt 16)
Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU): Die FDP
pricht heute ein Thema an, das insbesondere vor Ort, in
en Kommunen wohlbekannt ist. Es geht nicht allein um
ie konkrete Forderung der FDP, die Steuern zu erhöhen
nd zukünftig die öffentlich-rechtlichen Unternehmen,
ie die Abwasserentsorgung durchführen, als Betriebe
ewerblicher Art einzustufen mit allen ertrags- und um-
atzsteuerlichen Konsequenzen. Es geht hier auch um
ie verfassungsrechtlich abgesicherten und seit Jahr-
ehnten in der Praxis bewährten Selbstverwaltungs-
echte der Städte und Gemeinden. Deshalb erfordert die
ielschichtige Problematik einer möglichen Besteuerung
er Abwasser- und Abfallentsorgung eine differenzierte
useinandersetzung.
Auch wir denken, dass überprüft werden sollte, ob ju-
istische Personen des öffentlichen Rechts im Bereich
er Abwasser- und Abfallentsorgung im Hinblick auf die
örperschaftsteuer, Gewerbesteuer und Umsatzsteuer zu
echt befreit sind oder ob ungerechtfertigte Wettbe-
erbsvorteile gegenüber privaten Wettbewerbern vor-
anden sind bzw. Vorteile vorhanden sind, die eine
rivatisierung öffentlicher Leistungen überhaupt verhin-
ern. Nun hat der Koalitionsvertrag festgehalten – ich zi-
iere: „Die Kommunen sollen auch in Zukunft eigenstän-
ig über die Organisation der Wasserversorgung wie
uch der Abfall- und Abwasserentsorgung entscheiden
önnen. Das Steuerprivileg für die Abwasser- und Ab-
allentsorgung soll erhalten bleiben.“ Damit könnten wir
igentlich den Tagungsordnungspunkt wegen abschlie-
ender Übereinstimmung in den Koalitionsparteien be-
nden.
6256 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006
(A) )
(B) )
Dieser Koalitionsbeschluss deckt sich mit den Be-
schlüssen der Ständigen Konferenz der Innenminister
und -senatoren der Länder sowie den Beschlüssen der
kommunalen Spitzenverbände. Denn in dem derzeitigen
Rechtssystem wird die Behandlung der Entsorgung als
hoheitliche Aufgabe verstanden. Es geht folglich nicht
nur um eine steuersystematische Frage. Wir müssen uns
mit sämtlichen Rahmenbedingungen auseinander setzen.
Hier müssten Bundes- und Landesgesetzgeber für die
Abwasserbeseitigung ein durchgehendes System dahin
gehend schaffen, dass kommunale Pflichtaufgaben zu-
künftig auf private Unternehmen vollständig übertragen
werden können. Dies wäre vergleichbar mit der Aus-
gangssituation im Bereich der Energie- und Wasserver-
sorgung. Damit werden eine Fülle verfassungsrechtli-
cher, fachgesetzlicher, kartellrechtlicher, steuerlicher,
finanzwirtschaftlicher und organisatorischer Fragestel-
lungen angesprochen. Denn aus Sicht der Gemeinde
muss im Ergebnis folgendes klar sein: Ein privatwirt-
schaftliches Unternehmen, das einen Auftrag zur Durch-
führung von Abwasser- und Abfallaufgaben hat, müsste
dafür auch haftbar gemacht werden. Die Haftung kann
dann nicht bei der Gemeinde verbleiben.
Heute ist zum Beispiel die Aufgabe der Abfallentsor-
gung als Pflichtaufgabe den öffentlich-rechtlichen Ent-
sorgungsträgern übertragen. Dies hat zur Folge, dass
sich diese Entsorgungsträger nicht ihrer Verantwortung
zur ordnungsgemäßen Durchführung der Abfallentsor-
gung entziehen können. Sie müssen die erforderlichen
Einrichtungen und Anlagen vorhalten und die Funkti-
onstüchtigkeit jederzeit sicherstellen. Deshalb mag man
die steuerliche Privilegierung von öffentlich-rechtlichen
Unternehmen aus Wettbewerbsgründen sicherlich hin-
terfragen. Auf dem hochsensiblen Bereich der Daseins-
vorsorge sind jedoch Schnellschüsse, wie von der FDP
offensichtlich ins Auge gefasst, nicht angezeigt. Hier be-
darf es einer maßvollen Annährung.
Für die meisten Bürger wird eine Frage von besonde-
rem Interesse sein: Wird die Überführung hoheitlicher
Tätigkeiten in den privatwirtschaftlichen Bereich durch
die dann einsetzende Besteuerung höhere Gebühren ver-
ursachen und damit für den Bürger teurer? Zwar können
die steuerlichen Auswirkungen im Einzelfall zum Bei-
spiel durch die Zusammenfassung von Ver- und Entsor-
gungseinrichtungen und damit verbundenen Synergieef-
fekten reduziert werden. Die bisherigen Untersuchungen
haben jedoch ergeben – auch wenn sie von der FDP
bezweifelt werden – dass sich zum Beispiel die Abwas-
serentsorgung für die Bürger verteuern wird, wenn sie
steuerlich als Betrieb gewerblicher Art behandelt wird.
Die Bundesregierung hält in ihrem Bericht zur Mo-
dernisierungsstrategie für die deutsche Wasserwirtschaft
und für ein stärkeres internationales Engagement der
deutschen Wasserwirtschaft vom 16. März 2006 fest,
dass eine Steuerpflicht im Bereich der Abwasserentsor-
gung ohne Mehrbelastung des Verbrauchers und der ge-
werblichen Wirtschaft nicht möglich ist. Ebenso ist eine
Anwendung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes auf die
Abwasserentsorgung nach der 6. EG-Richtlinie nicht
möglich. Auch das dort näher untersuchte Optionsmo-
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ell, wonach die Gebietskörperschaft als Träger des Ab-
asserentsorgungsgebiets für einen begrenzten Zeitraum
on zum Beispiel drei bis fünf Jahren auf die Besteue-
ung verzichten kann, soll das Problem etwaiger Mehr-
elastungen nicht befriedigend lösen. Es ist daher zu-
indest zum jetzigen Zeitpunkt sinnvoll, dass die
ommunen auch in Zukunft selbstständig über die Orga-
isationsform der Betriebe der Abfallwirtschaft und Ab-
asserentsorgung entscheiden können.
Nun hat insbesondere der Bundesrechnungshof gefor-
ert, die Umsatzbesteuerung der öffentlichen Hand
rundsätzlich zu überdenken und das nationale Steuer-
echt an die EU-rechtlichen Vorgaben anzupassen; denn
ie öffentliche Hand trete in ein Konkurrenzverhältnis
it der Privatwirtschaft und damit sei es aus Gründen
er Wettbewerbsgleichheit geboten, der öffentlichen
and keine steuerlichen Vorteile einzuräumen. Lediglich
estimmte hoheitliche Kernbereiche der öffentlichen
and, die einen Wettbewerb mit privaten Unternehmen
usschließen, dürften der Besteuerung entzogen bleiben.
Veränderungen diesbezüglich haben sich in den letz-
en Jahren im Bereich der Abfallentsorgung ergeben,
nsbesondere als Folge des Kreislaufwirtschafts- und
bfallgesetzes. Dieses Gesetz hat die Abfallwirtschaft
ür den Markt geöffnet, auch wenn immer noch die An-
ienungs- und Überlassungspflichten spezieller Abfälle
estehen. Hier wird deutlich, dass die öffentliche Hand
ie Abfallentsorgung zur Daseinsvorsorge zählt und sie
ür sich in Anspruch nimmt.
Gerade im Bereich der Abwasserbeseitigung befindet
ich das größte Know-how im Besitz der Städte und Ge-
einden, die in der Vergangenheit nahezu ausschließlich
iese Aufgabe in der Bundesrepublik Deutschland wahr-
enommen haben. Auch die Rechtsprechung des BFH
at die Abwasserbeseitigung dem hoheitlichen Bereich
iner Gemeinde zugeordnet. Und unterschätzen Sie bitte
icht dieses Thema vor Ort in unseren Kommunen. Ne-
en der Entsorgungssicherheit achten die Bürger insbe-
ondere auf die Kosten bzw. Gebührenbelastungen.
enn Sie als FDP zukünftig die Entsorgungseinrichtun-
en der Steuerpflicht unterwerfen wollen, um privaten
etreibern eine größere Chancengleichheit gegenüber
er öffentlichen Hand einzuräumen, muss schon der
onkrete Beweis erbracht werden, dass Entsorgungssi-
herheit gewährleistet ist und sich auch zusätzliche fi-
anzielle Vorteile für die Bürger ergeben. Allein ord-
ungspolitische Gesichtspunkte werden hier nicht
usreichen.
Wir erwarten einen größeren Einfluss durch die EU-
echtsprechung. Ein Urteil zur mangelnden Umsatzbe-
teuerung von Einrichtungen des öffentlichen Rechts mit
inweis auf Wettbewerbsverzerrungen kann in ihrer
rundsatzwirkung insbesondere auch für die umsatz-
teuerliche Behandlung der Abwasserentsorgung und
er Abfallentsorgung Wirkung entfalten.
Wir werden im Finanzausschuss die Einzelheiten be-
prechen. Steuersystematisch werden folgende Fragen
on Bedeutung sein: Inwiefern kommt bei einer Umsatz-
teuerpflicht ein Vorsteuerabzug für bereits getätigte In-
estitionen in Betracht? Und: Ist eine Billigkeitsregelung
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006 6257
(A) )
(B) )
möglich, die bei einem Übergang in die Steuerpflicht
eine nachträgliche Inanspruchnahme des Vorsteuerab-
zugs ermöglicht? Im oben genannten Bericht der Bun-
desregierung zur Modernisierungsstrategie wird dies
verneint.
Es geht bei diesem Thema also um mehr als eine
Frage der Steuersystematik. Eine Bund-Länder-Arbeits-
gruppe arbeitet seit langem an Lösungsvorschlägen.
Eine einfache Lösung mit einer Steuererhöhung für die
öffentlich-rechtlichen Unternehmen wird es sicherlich
nicht geben.
Lydia Westrich (SPD): Im Koalitionsvertrag haben
CDU/CSU und SPD vereinbart, dass die Kommunen
auch in Zukunft eigenständig über die Organisation der
Wasserversorgung wie auch der Abfall- und Abwasser-
entsorgung entscheiden können sollen. Dabei soll auch
das Steuerprivileg für die Abwasser- und Abfallentsor-
gung beibehalten werden. Das ist, wie alles im Koali-
tionsvertrag, eine wohl durchdachte Passage, die sich auf
die bisherige gute Praxis in diesem Bereich gründet. Die
Abwasserentsorgung ist zentraler Bestandteil der kom-
munalen Daseinsvorsorge, eingebettet im Recht auf
kommunale Selbstverwaltung.
Ich weiß aus meinen eigenen Erfahrungen in kommu-
nalen Ämtern, dass die Kommunen ihre Sache gut ma-
chen. Sie erbringen die Abwasserbeseitigung flächende-
ckend in wirklich hoher Qualität. Dabei sind die Preise
moderat und flexibel.
Ich entscheide Jahr für Jahr in meinem Gemeinderat
über die Abwasserpreise. Wir können sofort reagieren
auf Einsparungen, niedrigere Ausschreibungen und wie
letztes Jahr zum Beispiel die niedrigeren Kosten sofort
an die Verbraucher weitergeben, ohne auf die Gewinn-
erwartungen von Aktionären Rücksicht nehmen zu müs-
sen.
Ich bin ein bißchen erschüttert über den felsenfesten
Glauben der Kolleginnen und Kollegen aus der FDP-
Fraktion über die Wirkungen des freien Marktes auf al-
len Ebenen und in allen Bereichen. Inzwischen gibt es
mindestens ebenso viele Beispiele, dass Privatisierung
weder zu Minimierung der Kosten noch zur Versor-
gungssicherheit beiträgt, wie Sie positive Beispiele in
Ihrem Antrag anführen. Ich brauche nur an die liberali-
sierte Energieversorgung und die jüngsten Ereignisse
dazu erinnern. An die Diskussion über hohe Gewinne
und veraltete Netze oder Strommasten bei gleichzeitig
hohen Gebühren. Dabei behaupte ich keineswegs, dass
staatliche Betriebe alles besser könnten, sondern erwarte
nur eine differenzierte Betrachtung, auch von Ihnen.
Aber hier zeigt sich eine Betonhaltung, die einer libera-
len und sich einen modernen Anstrich gebenden Partei
wie der FDP eigentlich nicht angemessen ist.
Sie brauchen nur ihre wenigen, aber sicher kompeten-
ten Kommunalpolitiker zu fragen. Ich habe mit meinen
FDP-Kollegen im Gemeinderat gesprochen. Die halten
nichts von Ihrem Antrag. Diese, Ihre Parteifreunde, ken-
nen und begleiten unsere effektive Abwasserentsorgung
vor Ort, die beträchtliche Synergieeffekte und Rationali-
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ierungsreserven in unserer Selbstverwaltung beinhaltet
ie die gemeinsame Verwaltung, die koordinierte Auf-
abenerfüllung, die gute Kapitalausstattung und die er-
eichterte günstige Kapitalbeschaffung. Dazu kommen
ie gründlichen örtlichen Kenntnisse und die Ausnut-
ung der regionalen Potenziale in vielfältiger Art, sei es
ie Zusammenarbeit mit der Landwirtschaft oder mit der
achhochschule und Forschungsinstituten, die zum Bei-
piel ein Biomassenkraftwerk konzipierten. Die erhebli-
hen Kosten senkenden Rationalisierungseffekte kom-
en unmittelbar den Verbrauchern zugute.
Ich habe die Beschreibung unseres Abwasserwerkes
irekt aus Ihrem Antrag übernommen. Allerdings waren
ei Ihnen wohl eher die privaten Unternehmen gemeint.
atürlich trifft das auch dort zu. Die Betonung liegt aber
uf dem „auch“. Seltsam ist nur, dass Sie mit der Forde-
ung nach Liberalisierung gleichzeitig auch die Forde-
ung nach Steuergeschenken erheben wie den ermäßig-
en Mehrwertsteuersatz für das Abwasser zu erhalten,
nalog wie es ihn für das Lebensmittel Wasser gibt.
Sie reden von wettbewerblicher Ungleichbehandlung
nd stellen dann die These auf, dass – ich zitiere aus Ih-
em Antrag – „die Privatwirtschaft gegenüber der Kom-
unalwirtschaft derartige hohe Kostensenkungsmög-
ichkeiten sieht, dass die Frage der Besteuerung für die
ebührenhöhe nur von untergeordneter Bedeutung sein
ürde.“ Für was ist sie dann von Bedeutung, dass Sie ihr
inen ganzen Antrag widmen? Denn im nächsten Satz
erlangen Sie wieder staatliche Hilfe durch die Abschaf-
ung der Abwasserabgabe, die dem Umweltschutz und
er Kontrolle der Gewässerreinheit dient und sowieso
ur in entsprechenden Fällen erhoben wird.
Können es denn die privaten Unternehmen nun besser
der soll der Staat Aufgaben, die er gut gemacht hat,
uslagern, mit Steuergeschenken versehen natürlich,
hne die Sicherheit, dass die Verbraucher im Endeffekt
avon profitieren? Erst neulich habe ich im Fernsehen
inen Bericht über die privatisierte Wasserversorgung im
tuttgarter Raum gesehen. Mit den gleichen Begründun-
en wie in Ihrem Antrag: Mit dem Versprechen von
ynergie- und Rationalisierungseffekten und günstiger
erbraucherpreise haben die Betreiber die Wasserversor-
ung übernommen. Nur der Wasserpreis hat sich keines-
egs verbilligt, beim Verbraucher ist nichts angekom-
en und die Investitionen werden ebenfalls nicht im
rforderlichen Maße vorgenommen. Das Urteil im Fern-
ehbericht war: Hier hat sich Privatisierung nicht ge-
ohnt.
Die Städte und Gemeinden sind gesetzlich dazu ver-
flichtet, die Abwasserbeseitigung für die Bürger dauer-
aft zu gewährleisten, egal wo und egal wie die land-
chaftlichen Gegebenheiten sind. Ich weiß, was das
eißt, wenn Leitungen bergauf, bergab gelegt werden
üssen, wenn Aussiedlerhöfe und kleinste Ortschaften
n das Netz angeschlossen werden müssen, Schilfkläran-
agen, Pumpstationen und anderes installiert werden.
as kann kostengünstig für die Verbraucher eigentlich
ur durch Unternehmen erledigt werden, die wie unsere
ommunen keine Gewinnerzielungsabsicht verfolgen.
ie haben die Entsorgungssicherheit zu gewährleisten
6258 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006
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(B) )
für alle, und deshalb ist das Steuerprivileg für diese Auf-
gaben zu Recht im Koalitionsvertrag festgeschrieben.
Sie berufen sich in Ihrem Antrag auf einen Bericht
des Bundesrechnungshofes aus 2004, der die Wettbe-
werbsneutralität aus umsatzsteuerlicher Sicht anmahnt.
Ich habe in den letzten Jahren bis zur kürzlichen An-
hörung zum Jahressteuergesetz miterlebt, wie ungeniert
die Kollegen und Kolleginnen aus der Fraktion Anmer-
kungen des Bundesrechnungshofes beiseite schieben
können, wenn es zum Beispiel um Umsatzsteuermiss-
brauchsbekämpfung geht, wenn es sich um die Siche-
rung von Staatseinnahmen, oft in Milliardenhöhe, dreht.
Hier, wenn es Ihnen in den Kram passt, nehmen Sie den
Rechnungshof als Kronzeugen. Aber Sie wissen, oder
auch nicht, dass es schon längst eine Bund-Länder-Ar-
beitsgruppe gibt, die aus Vertretern der Bereiche Körper-
schaftsteuer und Umsatzsteuer besteht und ein Gesamt-
konzept zur künftigen Besteuerung der öffentlichen
Hand erarbeitet.
Die Koalition nimmt den Bundesrechnungshof eben
in allen Fragen ernst. Es hat keinen Sinn immer wieder
Stückwerk zu produzieren. Das ist doch für uns alle eine
Gesamtaufgabe, der Sie, Kolleginnen und Kollegen von
der FDP Ihre Arbeitskraft besser widmen könnten, als
von Selbstverpflichtungen von Unternehmen zu räsonie-
ren, deren Einhaltung Sie den Verbrauchern überhaupt
nicht garantieren können. Sie führen in Ihrem Antrag
selbst schon weitere mögliche Betätigungsfelder wie
Abfallwirtschaft und Stadtreinigung an. Sie wissen, dass
bei Ihren weitreichenden Forderungen ohne die Länder
gar nichts geht.
Also warten wir den Bescheid der Bund-Länder-Ar-
beitsgruppe ab. Er wird auch eine Prüfung der europa-
rechtlichen Zulässigkeit des geltenden Rechts sowie ei-
nen internationalen Vergleich bei der Besteuerung der
wirtschaftlichen Aktivitäten der öffentlichen Hand ent-
halten. Auf dieser fundierten Grundlage wird die Koali-
tion nach Lösungsmöglichkeiten suchen, wenn wir sie
denn brauchen. Auch die FDP-Fraktion brauchte keinen
sich selbst widersprechenden Antrag vorzulegen, son-
dern kann dann bei ihren Forderungen auf eine ausführli-
che Datenbasis zurückgreifen. Ihren jetzigen Antrag leh-
nen wir ab. Er kostet den Steuerzahler mindestens
350 Millionen Euro und bietet für den Verbraucher kei-
nerlei Sicherheit auf niedrigere Gebühren und flächende-
ckende Versorgung.
Horst Meierhofer (FPD): Wasserversorgung und
Abwasserentsorgung sind besonders sensible Wirt-
schaftsbereiche. Trinkwasser ist das Lebensmittel und
damit schutzbedürftig. Für Wasserversorgung und Ab-
wasserentsorgung müssen deshalb besonders anspruchs-
volle Qualitätsstandards gelten. In Deutschland sind
diese Standards vorbildlich. Qualitative europäische
Vorgaben werden sogar über die Maßen eingehalten. An
all dem wollen wir natürlich auch für die Zukunft nichts
ändern.
Vergleichbare Qualitätsstandards wie bei uns gibt es
in Holland und in Österreich. Dennoch sind die Abwas-
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ergebühren in diesen Ländern deutlich niedriger. Der
rund für die in Deutschland besonders hohe Kostenbe-
astung der Wasserverbraucher muss also an anderer
telle liegen.
Wasserversorgung und Abwasserentsorgung werden
n Deutschland ungleich behandelt. Die Wasserversor-
ung ist – unabhängig von der Rechtsform des jeweili-
en Unternehmens – eine wirtschaftliche Tätigkeit. Ob-
ohl sie der sensibelste Bereich der Wasserwirtschaft
st, zählt sie nicht mehr zu den Hoheitsaufgaben der
ommunen. Die Folge: Die Wasserversorgung ist stets
örperschafts-, gewerbe- und umsatzsteuerpflichtig,
enn auch zum reduzierten Satz.
Dagegen gehört die Abwasserentsorgung zu den ho-
eitlichen Aufgaben der Gemeinden. Die Besteuerung
m Abwasserbereich richtet sich deshalb nach der jewei-
igen Organisationsform des Unternehmens: Öffentlich-
echtliche Unternehmen unterliegen nicht der Gewerbe-
nd Körperschaftsteuerpflicht. Privatrechtliche Kapital-
esellschaften entrichten sowohl Gewerbe- als auch
örperschaftsteuer. Gleiches gilt für die Umsatzsteuer:
rivatrechtliche Unternehmen müssen auf ihre Leistun-
en den vollen Umsatzsteuersatz erheben – auch wenn
ie vollständig in öffentlicher Hand stehen. Öffentlich-
echtlich organisierte Betriebe sind dazu nicht verpflich-
et.
Den gleichen Wirrwarr gibt es übrigens auch in der
bfallwirtschaft. Eine steuerliche Bevorzugung öffent-
ich-rechtlicher Organisationsformen findet hier insbe-
ondere bei der Entsorgung von Abfällen gewerblicher
etriebe und von Sonderabfällen statt. Man muss sich
irklich fragen, ob diese steuerliche Ungleichbehand-
ung in der Entsorgungswirtschaft gerechtfertigt ist. Ich
eine, fairer Wettbewerb sieht anders aus. Das Steuer-
echt darf Unternehmen verschiedener Rechtsformen
icht unterschiedlich behandeln, wenn diese zueinander
n Konkurrenz treten können. Die jetzige Regelung führt
ber zu einer deutlich höheren steuerlichen Belastung
er Privatunternehmen und damit zu einem Wettbe-
erbsnachteil, der sich national und international aus-
irkt.
Hinzu kommt, dass die Nichtbesteuerung der öffent-
ich-rechtlichen Entsorger europarechtlich – um es vor-
ichtig auszudrücken – sehr bedenklich ist. Im Gemein-
chaftsrecht gilt für die Umsatzbesteuerung der
rundsatz der Wettbewerbsneutralität. Das bedeutet: Be-
ätigt sich die öffentliche Hand wirtschaftlich und tritt
ie damit in Konkurrenz zur Privatwirtschaft, dürfen ihr
eine steuerlichen Vorteile eingeräumt werden. Diesen
nforderungen muss auch das deutsche Steuerrecht ge-
ügen. Aus diesem Grund hat übrigens der Bundesver-
and der Deutschen Entsorgungswirtschaft bereits im
ommer eine Beschwerde bei der EU-Kommission ein-
ereicht.
Der Antrag der FDP-Bundestagsfraktion zielt deshalb
arauf ab, die Abwasserentsorgung und die Trinkwasser-
ersorgung steuerlich gleich zu behandeln. Vor allem
ber fordern wir die Schaffung einer Rechtslage, nach
er alle Abwasserentsorger – gleich welcher Rechtsform –
ewerbe-, körperschaft- und umsatzsteuerpflichtig wer-
en. Gleiches muss natürlich für die Abfallwirtschaft
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006 6259
(A) )
(B) )
gelten. Schließlich sind faire Wettbewerbsbedingungen
für eine funktionierende Marktwirtschaft unerlässlich.
Dass die steuerliche Gleichbehandlung zwangsläufig
zu steigenden Abwassergebühren für die Bürgerinnen
und Bürger in unserem Land führt, stimmt so pauschal
nicht. Die Gründe, die dagegen sprechen haben, wir in
unserem Antrag ausführlich erläutert.
Noch einmal herausheben möchte ich folgende
Punkte: Zum einen ist die steuerliche Belastung der Ab-
wasserentsorger in Europa fast nirgendwo so niedrig wie
in Deutschland – aber kaum irgendwo ist die Abwasser-
entsorgung so teuer wie bei uns. Der Grund, weshalb pri-
vate Haushalte in Deutschland so hohe Abwassergebüh-
ren zahlen müssen, kann also nicht in der Besteuerung
liegen. Dafür gibt es andere Gründe und dies ist vor al-
lem der fehlende Wettbewerb. Zum anderen belegen
zahlreiche Beispielsfälle in Deutschland, dass sich pri-
vate Unternehmen in Ausschreibungswettbewerben ge-
gen öffentlich-rechtlich organisierte Mitbewerber durch-
gesetzt haben. Die momentan bestehende einseitige
steuerliche Begünstigung kommunaler Entsorgungsbe-
triebe hat dem Verbraucher bislang nichts gebracht. Sie
kommt beim Verbraucher nicht an. Darüber hinaus kön-
nen Industrie- und Gewebekunden kommunaler Entsor-
gungsunternehmen nach der momentanen Rechtslage
keinen Vorsteuerabzug vornehmen. Daraus ergibt sich
für diese Kunden ein massiver Standortnachteil. Nach
Aussage des BDE haben einzelne Städte wie Magde-
burg, Chemnitz und Leipzig dieses Problem erkannt und
ihren kommunalen Betrieb als GmbH organisiert, der die
Umsatzsteuer ausweist.
Allen Argumenten zum Trotz soll nach dem Willen
der großen Koalition das Steuerprivileg öffentlich-recht-
licher Entsorger beibehalten werden. In Ihrem Koali-
tionsvertrag haben Sie die Bewahrung der kommunalen
Hoheit über die Wasserwirtschaft vereinbart. Sie haben
diese sogar noch über die Vereinbarung Ihrer Vorgänger-
regierung ausdrücklich auf den Bereich der Abwasser-
entsorgung ausgedehnt. Und dabei hat der Wirtschaftsrat
der CDU noch im Mai 2005 ausdrücklich die „Gleich-
stellung von Wasserversorgung und Abwasserbeseiti-
gung bei der Umsatzsteuer – unabhängig ob in kommu-
naler oder privater Trägerschaft“ – ausdrücklich
gefordert. Hinzu kommt die von der Bundesregierung
für das kommende Jahr beschlossene allgemeine Erhö-
hung der Umsatzsteuer um drei Prozentpunkte. Diese
wird die Folgen der steuerlichen Ungleichbehandlung
noch weiter verschärfen.
Für uns von der FDP-Bundestagsfraktion besteht
deshalb Handlungsbedarf. Die zitierte Vereinbarung im
Koalitionsvertrag ist ökologisch unbegründet, ökono-
misch widersinnig und europarechtlich bedenklich. Ich
fordere die große Koalition deshalb auf: Ermöglichen
Sie einen fairen Wettbewerb in der Entsorgungswirt-
schaft und schaffen Sie die Steuerprivilegien der öffent-
lich-rechtlichen Unternehmen ab.
Dr. Axel Troost (DIE LINKE): Das Schöne an Ihrer
Partei ist ja, dass sie in der Steuerpolitik eigentlich eine
relativ simple Programmatik vertritt, nämlich Steuern
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unter, Steuern runter und noch einmal Steuern runter.
eute aber legen Sie uns – ganz im Gegensatz zur Steu-
rn-runter-Programmatik – einen Antrag vor, in dem Sie
teuern rauf fordern und damit höhere Kosten für Ab-
asser und Abfall für die Bürgerinnen und Bürgern.
Es verwundert schon, wenn die Partei der Steuersen-
er und Besserverdiener den Bürgerinnen und Bürgern
uf einmal Steuererhöhungen zumutet. Da muss es Ihnen
a schon um etwas sehr Wichtiges gehen. Und in der Tat:
s geht um nicht weniger als darum, flächendeckende
rivatisierungen im Abwasserbereich zu ermöglichen.
azu sagt die Fraktion Die Linke klar Nein.
Bislang müssen Kunden von öffentlich-rechtlichen
bwasserentsorgern keine Umsatzsteuer zahlen. Steuer-
ystematisch ist das durchaus plausibel. Die Abwasser-
ntsorgung ist eine hoheitliche Aufgabe der Daseinsvor-
orge. Mir leuchtet nicht ein, warum Bürger und
ürgerinnen für eine hoheitliche Aufgabe Umsatzsteuer
ahlen sollen. Schließlich gelten Kommunen und nicht
ürger und Bürgerinnen in diesem Fall als letzte Kun-
en. Eine nachvollziehbare Logik, die kommunale
elbstverwaltung und Daseinsvorsorge auch steuerlich
eflektiert und nicht als Wirtschaftsunternehmen be-
rachtet.
Diese Regelung wird nun zum Problem für diejeni-
en, die diesen Bereich der Daseinsvorsorge privatisie-
en wollen. Privatrechtlich organisierte Anbieter müssen
hren Kunden nämlich schon heute die Umsatzsteuer be-
echnen. Völlig richtig stellt der Bundesverband der
eutschen Entsorgungswirtschaft fest: Die Abschaffung
ieser Regel ist der Schlüssel für weitere Privatisierun-
en der Abwasserwirtschaft. Erst wenn auch öffentlich-
echtliche Entsorger Mehrwertsteuer berechnen müssen,
önnen Private auf breiter Front mit ihnen konkurrieren.
ie Fraktion Die Linke sagt dazu aber: Weil Abwasser-
ntsorgung eine hoheitliche Aufgabe der Daseinsvor-
orge ist, darf Ziel nicht die Gewinnmaximierung priva-
er Konzerne sein. Nein, Ziel muss die sichere und
mweltschonende Abwasserentsorgung sein.
Natürlich, es gibt sie, die Fälle von Missmanagement
nd Fehlinvestitionen in der öffentlich-rechtlichen Ab-
asserentsorgung. Das sage ich ganz deutlich. Ich sage
ber auch: Missmanagement und Fehlinvestitionen gibt
s genauso bei privaten Unternehmen. Und ich sage: Wir
rauchen einen direkten demokratischen Einfluss auf die
nbieter. Was mit dem Abwasser passiert, sollen Kom-
unalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker vor Ort
ntscheiden können und nicht die Chefetagen der großen
ersorgungsunternehmen.
Deswegen sagt die Fraktion Die Linke klar Nein zu
em Antrag der FDP. Wir sagen klar Nein zu einem An-
tieg der Kosten für Abwasser. Wir sagen deutlich – zu-
ammen mit vielen Bürgerinitiativen – Ja zu einer moder-
en Entsorgungswirtschaft, in der öffentlich-rechtliche
on-Profit-Anbieter eine zentrale Rolle spielen.
Matthias Berninger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
ie Grünen sind für einen fairen Wettbewerb auf den
inzelnen Märkten. Diesbezügliche marode Strukturen
6260 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006
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in Deutschland basieren häufig auf der Tatsache, dass es
zu wenig Wettbewerb zwischen kommunalen Unterneh-
men untereinander sowie zwischen kommunalen und
privatrechtlichen Betrieben gibt. Nun haben wir in der
Vergangenheit häufig schlechte Erfahrungen mit Privati-
sierungen in unserem Land gemacht. Deshalb muss das
Bekenntnis zu mehr Markt und Wettbewerb durch einen
staatlichen Ordnungsrahmen untermauert werden, der
dafür sorgt, dass Arbeitnehmerrechte gewährleistet blei-
ben, Verbraucherinnen und Verbraucher nicht benachtei-
ligt werden und soziale Gerechtigkeit nicht hinter den
Interessen einzelner Unternehmen zurückfällt. Dem
Staat kommt daher die Verantwortung zu, die Rahmen-
bedingungen der Märkte durch klare Regelsetzungen zu
definieren.
Ein fairer Wettbewerb ist aber leider de facto wie in
so vielen anderen Bereichen, in denen Steuerprivilegien
nur den öffentlich-rechtlichen Unternehmen zugute
kommen, auch bei der Entsorgungswirtschaft bisher
nicht gewährleistet. So unterscheiden sich beispiels-
weise die steuerlichen Rahmenbedingungen von Trink-
wasser und Abwasser gravierend: Während für die
Wasserversorgung ein einheitlicher ermäßigter Umsatz-
steuersatz von 7 Prozent gilt, hängt die steuerliche Be-
handlung der Abwasserentsorgung von der jeweiligen
Organisationsform ab. Die Abwasserentsorgung für öf-
fentlich-rechtliche Betriebe ist steuerfrei. Wird sie je-
doch von privaten Unternehmen erbracht, gilt der volle
Umsatzsteuersatz von 16 Prozent. Bei der Abfallwirt-
schaft sieht die Sachlage genauso aus. Auch hier werden
öffentlich-rechtliche Organisationen steuerlich bevor-
zugt, insbesondere bei der Entsorgung von Abfällen aus
gewerblichen Betrieben und Sondermüll. Die Koalition
möchte diese wettbewerbsfeindliche Ungleichbehand-
lung verstetigen und hat daher die Beibehaltung dieses
Steuerprivilegs in ihre Koalitionsvereinbarung geschrie-
ben. Für uns eine klare Absage an fairen Wettbewerb
und freie Marktwirtschaft in unserem Land.
Dabei sind die wirtschaftlichen Konsequenzen dieser
Ungleichbehandlung immens und nicht von der Hand zu
weisen. Die entstehenden Wettbewerbsnachteile für die
Privatunternehmen wirken sich sowohl national als auch
international aus. Insbesondere unsere mittelständischen
Unternehmen ziehen hier den Kürzeren, wie das fol-
gende Beispiel zeigt: Beteiligt ein öffentlich-rechtlicher
Entsorger ein umsatzsteuerpflichtiges privates Unterneh-
men an der Abwasserentsorgung, wird Umsatzsteuer fäl-
lig. Diese schlägt sich zwar in den öffentlich eingefor-
derten Gebühren nieder, wird aber im kommunalen
Gebührenbescheid nicht ausgewiesen. Für die mittel-
ständischen Unternehmen heißt das ganz platt: ohne
Ausweis der Umsatzsteuer keine Möglichkeit zum Vor-
steuerabzug!
Wir sind der Meinung, dass die steuerlichen Rahmen-
bedingungen für private und öffentliche Entsorger im
Abwasser- und Abfallbereich endlich vereinheitlicht
werden müssen. Das würde zu mehr Effizienz, Wettbe-
werbsgleichheit und zu einer einheitlichen Reduzierung
der steuerlichen Gesamtbelastung führen. Die steuerli-
che Gleichbehandlung hätte darüber hinaus den Vorteil,
dass beispielsweise eine Zusammenführung von Wasser-
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nd Abwasserentsorgung wesentlich vereinfacht würde.
ie daraus resultierenden Synergieeffekte und Effizienz-
ewinne sowohl in technischer als auch in betriebswirt-
chaftlicher Hinsicht würden zur Schließung der regio-
alen Wasserkreisläufe beitragen und letztlich zu einem
ebührenrückgang führen.
Im Übrigen bildet Deutschland neben Irland hier wie-
er einmal eine unrühmliche Ausnahme innerhalb der
U. Denn in allen anderen Mitgliedstaaten werden
rinkwasser- und Abwasserentsorgung mittlerweile
teuerlich gleich behandelt. Nun wird als Argument für
en Erhalt des Status quo in Deutschland ja immer wie-
er gerne darauf verwiesen, dass eine steuerliche Gleich-
ehandlung verschiedener Organisationsformen zu ei-
er Erhöhung der Gebühren auf dem Entsorgungsmarkt
ühren würde – ein Argument, das nicht stichhaltig ist,
enn wir uns vor Augen führen, dass gerade Deutsch-
and im europäischen Vergleich besonders hohe Abwas-
ergebühren hat.
Wir fordern deshalb die Regierung auf, die steuerli-
hen Ungleichbehandlungen auf dem Entsorgungsmarkt
mgehend zu beseitigen und im Sinne der Verbrauche-
innen und Verbraucher für einen fairen und gerechten
ettbewerb zu sorgen!
nlage 8
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung:
– Entwurf eines Gesetzes über die Öffentlich-
keitsbeteiligung in Umweltangelegenheiten
nach der EG-Richtlinie 2003/35/EG (Öffent-
lichkeitsbeteiligungsgesetz)
– Entwurf eines Gesetzes über ergänzende
Vorschriften zu Rechtsbehelfen in Um-
weltangelegenheiten nach der EG-Richtlinie
2003/35/EG (Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz)
– Entwurf eines Gesetzes zu dem Übereinkom-
men vom 25. Juni 1998 über den Zugang zu
Informationen, die Öffentlichkeitsbeteili-
gung an Entscheidungsverfahren und den
Zugang zu Gerichten in Umweltangelegen-
heiten (Aarhus-Übereinkommen)
(Tagesordnungspunkt 17 a bis c)
Andreas Jung (Konstanz) (CDU/CSU): Wir werden
eute endlich die Ratifizierung und die Umsetzung des
arhusübereinkommens in deutsches Recht beschließen.
ch sage „endlich“, weil das Übereinkommen im Jahr
998 beschlossen wurde und seitdem acht Jahre vergan-
en sind. Wir sind damit die Letzten in Europa. Sieben
ahre davon ist überhaupt nichts passiert, nichts wurde
mgesetzt. Es waren die sieben Jahre eines grünen
mweltministers – dieser Hinweis sei an dieser Stelle
rlaubt.
Bevor ich zu speziellen Punkten komme, möchte ich
inige grundsätzliche Anmerkungen machen. Die Um-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006 6261
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setzung von „Aarhus“ in verbindliches deutsches Recht
mit dem Öffentlichkeitsbeteiligungsgesetz und dem Um-
welt-Rechtsbehelfsgesetz bedeutet einen ganz erhebli-
chen Fortschritt für die Mitwirkung der Bürgerinnen und
Bürger in Umweltfragen. Im Verfahrensrecht gehen wir
den bedeutenden Schritt von einer bloßen Anhörung der
Bürger zur Bürgerbeteiligung. Wir verpflichten die Be-
hörden, im Vorfeld einer Entscheidung detailliert über
das infrage stehende Vorhaben zu informieren, die Ein-
wände aus der Bürgerschaft aufzunehmen und in die
Entscheidung einfließen zu lassen. Das alles bedeutet
mehr Transparenz. Und mehr Transparenz wird zu mehr
Akzeptanz führen und damit zu weniger gerichtlichen
Verfahren.
Was diese Verfahren nun angeht, möchte ich auf eine
Sache hinweisen: Es wir künftig zusätzliche Klagemög-
lichkeiten geben. Neben den Bürgerinnen und Bürgern
wird im Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz auch den im Um-
welt- und Naturschutz engagierten Verbänden eine Kla-
gebefugnis zuerkannt, nicht so weitgehend wie diese es
sich gewünscht hätten. Aber unbestritten ist: Aus Sicht
der Verbände ist das ein Fortschritt gegenüber dem Sta-
tus quo.
Deshalb – wenn jetzt Kritik vonseiten der Fraktion der
Grünen kommt – rate ich Ihnen, diese Kritik nicht zu
übertreiben und unser Gesetz nicht an dem zu messen,
was Sie als Wunschvorstellungen haben, sondern an dem,
was Sie selbst in sieben Jahren umgesetzt haben. Das ist
nun einmal nicht zu bestreiten: Die große Koalition hat in
einem Jahr mehr gemacht als Rot-Grün in sieben Jahren.
Während nun einerseits an diesem Punkt in der ersten Le-
sung der Gesetze kritisiert wurde, es würde zu wenig ge-
macht, ist andererseits – insbesondere von der FDP – ge-
sagt worden, wir würden zu viel machen, würden über die
angestrebte Eins-zu-eins-Umsetzung hinausgehen. Wir
haben angekündigt, diese Einwände genauso wie die Stel-
lungnahme des Bundesrats ergebnisoffen zu prüfen, und
die jetzt eingebrachten Änderungsanträge der Koalition
sind auch Ausdruck dessen und die fast ausnahmslose Zu-
stimmung der FDP zu diesen Anträgen Beleg hierfür.
Einen Punkt möchte ich dabei besonders herausgrei-
fen: die Änderung von § 4 Abs. 1 des Rechtsbehelfsge-
setzes gegenüber der ursprünglichen Fassung. Diese
hätte nach unserer Auffassung die Gefahr mit sich ge-
bracht, dass auch solche Verfahrensfehler zur Aufhe-
bung von Entscheidungen geführt hätten, die für den In-
halt der Entscheidung ohne jeglichen Belang gewesen
sind. Damit hätten wichtige Investitionsvorhaben wegen
formaler, nicht maßgeblicher Fragen über Jahre verhin-
dert werden können. Dies kann niemand wollen, der für
eine Stärkung des Wirtschaftstandortes Deutschland ar-
beitet. Aus diesem Grund haben wir nun einen Vorschlag
des Bundesrates aufgegriffen und die Vorschrift so ge-
fasst, dass eine Aufhebung der Entscheidung auf evi-
dente Fälle von Verfahrensverstößen begrenzt wird. Im
Ergebnis wird der Umweltschutz damit nicht ge-
schwächt, den inhaltlichen Belangen wird voll Rech-
nung getragen, Förmelei wird aber verhindert.
Eine engagierte Diskussion haben wir über die in § 10
Abs. 3 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes enthaltene
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eröffentlichungspflicht in den letzten Tagen geführt.
abei stand die Frage im Mittelpunkt, ob mit der Lösung
es Gesetzentwurfes, nach dem die Veröffentlichung der
lanungen eines Vorhabens im amtlichen Veröffentli-
hungsblatt und außerdem in örtlichen Tageszeitungen
orgesehen war, größtmögliche Transparenz zu errei-
hen ist oder durch den Weg, den der Änderungsantrag
eht, nach dem zusätzlich zur Veröffentlichung im
mtsblatt alternativ die Veröffentlichung in der Zeitung
der der Weg über eine Bekanntmachung per Internet
ewählt werden kann.
Niemand, auch keine der Fraktionen dieses Hauses,
at sich dafür ausgesprochen – jedenfalls sind mir keine
ntsprechenden Anträge bekannt –, die Veröffentli-
hung müsse über alle drei Wege – Amtsblatt, Zeitung
nd Internet – erfolgen. Damit bleibt die Frage: Wie er-
eichen wir mehr Personen: Amtsblatt plus Zeitung oder
mtsblatt plus Zeitung oder Internet, also im Ergebnis
ann möglicherweise nur Amtsblatt plus Internet? Es ist
u fragen: Können wir mehr Menschen ansprechen,
enn wir das Amtsblatt durch das Internet ergänzen, das
inen schnellen, unkomplizierten Zugriff ermöglicht, an-
ere Personen erreicht, andererseits aber natürlich auch
uf den Personenkreis der Internetnutzer beschränkt ist
nd damit auch wieder nicht alle Bürgerinnen und Bür-
er erreichen kann?
Wir haben letztlich folgenden Weg gewählt: Wir be-
chließen den Änderungsantrag, wollen die Entschei-
ung für das Amtsblatt plus alternativ Zeitung oder In-
ernet aber als Modellversuch verstanden wissen, der
eitlich begrenzt ist. Wir haben die Bundesregierung
ufgefordert, in spätestens einem Jahr einen Erfahrungs-
ericht vorzulegen. Auf dessen Grundlage werden wir
ann neu entscheiden, welches der beste Weg ist.
Ich weiß, wir sind in manchen Punkten nicht einig.
ber ich wünsche mir, dass zumindest in einem Konsens
esteht: darin, dass die heutige Entscheidung einen Fort-
chritt für die Bürgerbeteiligung in Umweltfragen in
eutschland bedeutet.
Dr. Matthias Miersch (SPD): Für das deutsche Um-
eltrecht ist das heute schon ein bedeutender Tag. Erst-
als führen wir in diesem Umfang die Verbandsklage im
mweltrecht ein. Erstmals haben wir einen fest normier-
en Anspruch auf Aufhebung einer Entscheidung über
ie Zulässigkeit eines Vorhabens, wenn wesentliche Ver-
ahrensvorschriften verletzt worden sind.
Die unterschiedlichen Stellungnahmen der Verbände
nd die unterschiedlichen Stellungnahmen von Bundes-
egierung und Bundesrat machen deutlich, dass die Ge-
etze hoch umstritten gewesen sind. Auch in diesem
aus gab es Stimmen, die die Regelungen als zu weitge-
end betrachten. Lassen Sie mich deshalb ganz deutlich
agen: Wir begrüßen die Ausweitung des Verbandskla-
erechts der Umweltverbände und die Ausweitung der
eteiligungsrechte der Öffentlichkeit. Sie stellen wich-
ige Schritte in Richtung größerer Transparenz und Kon-
rolle dar. Mehr Transparenz und Kontrolle wird zu mehr
ehlervermeidung und damit zu mehr Akzeptanz führen.
6262 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006
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In diesem Zusammenhang möchte ich gleichzeitig be-
tonen, dass mehr Kontrolle und größere Transparenz
nicht zu längeren Verfahren führen müssen. Vielmehr
können Konfliktpunkte unter Umständen frühzeitig ge-
klärt werden. Darüber hinaus ist es weiter eine Heraus-
forderung – vor allem auch der Länder –, durch eine ent-
sprechende Organisation der Kontrollebenen zügige
Entscheidungen zu erreichen.
Ich möchte an dieser Stelle aber auch nicht ver-
schweigen, dass wir uns für ein generelles Verbandskla-
gerecht der Umweltverbände eingesetzt haben und er-
hebliche europarechtliche Zweifel haben, wie zum
Beispiel auch der Sachverständigenrat für Umweltfra-
gen. Das europäische Recht sieht gerade auch vor, die
Rechte der Allgemeinheit im Klima-, Natur- und Gewäs-
serschutz durch die Verbände überprüfen lassen zu kön-
nen. Es wird von einem „weiten Zugang“ der „betroffe-
nen Öffentlichkeit“ zu den Gerichten gesprochen. Bei
den von mir angesprochenen Rechten der Allgemeinheit
und damit der „betroffenen Öffentlichkeit“ geht es ge-
rade nicht nur um individuelle Rechte einzelner Bürge-
rinnen und Bürger.
Bekannt ist jedoch auch, dass angesichts des anhängi-
gen Verletzungsverfahrens und des Diskussionsstandes
zwischen Bundesregierung, Bundesrat und Bundestag
eine Beschlussfassung in der bisherigen Fassung unum-
gänglich ist und andernfalls nicht hinzunehmende Nach-
teile drohen. Dennoch möchte ich darauf hinweisen, dass
wir SPD-Umweltpolitiker in diesem Zusammenhang
eine Erklärung nach § 31 GO abgeben werden.
Noch ein weiterer Punkt, der bis zuletzt kräftig disku-
tiert worden ist: Der Bundesrat hat durchgesetzt, dass im
Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung eine Bekanntma-
chung lediglich in einer Tageszeitung oder im Internet
erfolgen müsse – neben dem amtlichen Mitteilungsblatt.
Ich habe bereits im Ausschuss darauf hingewiesen, dass
das Internet sicher Chancen bietet, die eine Tageszeitung
nicht erfüllt – zum Beispiel einen weiteren Verteilungs-
raum. Allerdings sind wir noch nicht so weit. Wenn wir
eine breite Öffentlichkeitsbeteiligung erreichen wollen,
können wir auf die Tageszeitungen nicht verzichten, so
dass wir uns eine Veröffentlichung im Internet und in
den Tageszeitungen gewünscht hätten. Leider war das
nicht durchsetzbar. Vielleicht gelingt es ja noch, diesen
– aus unserer Sicht – bestehenden Mangel demnächst
auf elegante Weise zu heilen, ohne dass wir die Verzöge-
rung der Gesetzesvorhaben riskieren.
Lassen Sie mich abschließend betonen, dass wir nach
unserer Auffassung mit den vorliegenden Gesetzen
durchaus einen beachtlichen Wechsel im Umweltrecht
einleiten. Ich bin überzeugt, dass gerade auch der Geist
von Åarhus noch weitere Bereiche erfassen wird und
dass wir in Zukunft eine Entwicklung haben werden, die
– gerade auch auf europäischer Ebene – für mehr Trans-
parenz und mehr Kontrolle sorgen wird. Ich wünsche
mir, dass wir bei einer entsprechenden Organisation und
Ausstattung der Instanzen dann zu dem Ergebnis kom-
men, dass dieser Geist von Åarhus schließlich auch zu
mehr Akzeptanz und Fehlervermeidung führen wird, da-
mit die Rechte der Allgemeinheit und auch die der nach-
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olgenden Generationen wirklich gewahrt werden kön-
en. Nicht umsonst nannte UN-Generalsekretär Kofi
nnan das Åarhus-Übereinkommen als „das ehrgei-
igste von den Vereinten Nationen gestartete Projekt für
kologische Demokratie“.
Horst Meierhofer (FDP): In diesem Herbst hat die
arhus-Konvention auch die Bundespolitik erreicht. Die
arhus-Konvention steht für Transparenz und Bürger-
ähe bei umweltrelevanten Entscheidungen – und das in
inem internationalen Rahmen.
Das Öffentlichkeitsbeteiligungsgesetz stärkt die Mit-
irkungsrechte der Bürger und der Umweltschutzverei-
igungen bei umweltrelevanten Genehmigungs- und
ulassungsverfahren. So wird beispielsweise bei Abfall-
irtschaftsplänen die Öffentlichkeitsbeteiligung neu ein-
eführt und bei Luftreinhalteplänen nach dem Bundes-
mmissionsschutzgesetz werden die bestehenden Rege-
ungen ergänzt. Schließlich soll es bei der Öffentlich-
eitsbeteiligung im Rahmen der UVP-Prüfung künftig
inen detaillierten Katalog geben, der Mindestvorgaben
arüber enthält, welche Informationen bei der Bekannt-
achung des Vorhabens mitzuteilen sind.
Kurz: Verfahren und Entscheidungen im Bereich der
mwelt werden nachvollziehbarer und transparenter.
as ist ein wichtiger Beitrag für die Entwicklung hin zu
iner verantwortungsbewussten Bürgergesellschaft. Das
egrüßen wir. Verfahren müssen deshalb auch nicht
wingend länger dauern. Im Gegenteil: Eine frühzeitige
nd umfassende Bürgerbeteiligung bedeutet auch die
öglichkeit, Bedenken gegen das eine oder andere Ver-
ahren schon im Anfangsstadium aus dem Weg zu räu-
en. Das kann nachher so manchen zeitraubenden Ärger
or Gericht ersparen.
Wir Liberale können mit dem Entwurf des Öffentlich-
eitsbeteiligungsgesetzes im Großen und Ganzen leben.
ie einzige Ausnahme: die neue Regelung, durch die
mmissionsschutzrechtliche Vorhaben im amtlichen Ver-
ffentlichungsblatt und außerdem entweder im Internet
der in örtlichen Tageszeitungen bekannt zu machen
ind. Was Sie da gestern im Ausschuss veranstaltet ha-
en, lässt sich auf die schlichte Formel „Ja, – Nein, weiß
icht“ reduzieren. So kann man doch keine Gesetze ma-
hen! Ganz abgesehen davon: Ihre jetzige Lösung, die
undesregierung zu beauftragen, die ganze Sache ein
ahr lang zu beobachten, ist nichts anderes als ein fauler
ompromiss. So wie das Gesetz jetzt ist, laufen Sie
chlichtweg Gefahr, weniger Menschen zu erreichen als
orher. Da hilft es auch nichts, wenn die Bundesregie-
ung zuschaut. Was für eine Absurdität bei einem Gesetz
ur Öffentlichkeitsbeteiligung!
Zum Umweltrechtsbehelfsgesetz: Mit diesem Gesetz
önnen Umweltschutzverbände in Deutschland erstmals
lagen, ohne dass sie in eigenen Rechten verletzt sein
üssen. Das ist zunächst einmal ein Fortschritt gegen-
ber dem Status quo, auch wenn die Verbände auf die
eltendmachung drittschützender Normen beschränkt
erden sollen.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006 6263
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(B) )
Die Frage ist: Reicht das, um die Vorgaben der
Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie umzusetzen? Bei
dem jetzigen Gesetzesentwurf muss man sich tatsächlich
ausnahmsweise einmal fragen, ob er die Brüssler Vorga-
ben eins zu eins umsetzt oder ob er hinter diesen Anfor-
derungen zurückbleibt. Für beide Seiten gibt es Argu-
mente. Letztendlich sind wir zu dem Ergebnis
gekommen, dass die europäischen Vorgaben erfüllt und
in sinnvollem Maße umgesetzt werden. Unserer Mei-
nung nach kann weder aus der Aarhus-Konvention noch
aus der Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie zwingend
gefolgert werden, dass den Verbänden ein weiter rei-
chendes Klagerecht einzuräumen ist als dem normalen
Bürger. Vielmehr ist den Besonderheiten des jeweiligen
nationalen Rechtssystems Rechnung zu tragen. In
Deutschland haben wir eben die Besonderheit, dass man
die Verletzung subjektiver Rechte geltend machen muss,
um klagen zu können. Man darf auch nicht vergessen:
Die Aarhus-Konvention haben Länder mit unterschiedli-
chen Rechtssystemen und unterschiedlichen Standards
gezeichnet. Das kann man nicht alles über einen Kamm
scheren.
Einen Punkt, den ich bereits in der ersten Lesung an-
gesprochen habe, ist die Regelung über die Beachtlich-
keit von Verfahrensfehlern, die sich auf das Verfahren
nicht ausgewirkt haben. Ich begrüße, dass diese Rege-
lung präzisiert wurde. Es geht nicht darum, Umweltstan-
dards zu verkürzen, sondern darum, ein Ausufern unnüt-
zer Bürokratie zu vermeiden. Die jetzige Fassung
berücksichtigt die Rechtsprechung des EuGHs, geht aber
ansonsten nicht über zwingende Vorgaben des Europa-
rechts hinaus. Ich denke, das ist eine sinnvolle Lösung.
Für zu eng halten wir allerdings die Anerkennungsvo-
raussetzungen für die klagebefugten Verbände. Unserer
Meinung nach sollten alle Verbände klagen können, die
sich für den Umweltschutz einsetzen, auch wenn der
Umweltschutz nicht ihr vorwiegendes Ziel oder
Hauptzweck ist. Ich denke da zum Beispiel an Fischerei-
oder Jagdverbände. Auch dass eine Vereinigung drei
Jahre bestehen muss, um als klagebefugt anerkannt zu
sein, ist nicht sachgerecht. Wenn ein Verband aus Flens-
burg in Bayern klagen kann, dann müssen sich die Be-
troffenen vor Ort doch erst recht zusammenzuschließen
können, um gegen ein bestimmtes Vorhaben gerichtlich
vorzugehen zu können. Das gehört für mich zu den zen-
tralen Bürgerrechten. Um Missbrauch an dieser Stelle zu
verhindern, reicht es aus, dass diese Gruppen Sachkom-
petenz mitbringen.
Das langjährige Bestehen einer Organisation allein
muss nicht zwangsläufig zu besseren Kenntnissen und
Erkenntnissen führen – anwesende Parteien natürlich
ausgeschlossen!
Lutz Heilmann (DIE LINKE): Wir beraten heute in
abschließender Lesung die Gesetzentwürfe zur Umset-
zung der Åarhuskonvention. An unserer Bewertung die-
ser Gesetzentwürfe hat sich nichts geändert. Insgesamt
wird das Gesetzespaket der Åarhuskonvention nicht ge-
recht. Es wird vielmehr deutlich, dass sich Koalition,
Regierung und Bundesrat einig sind, Bürgerinnen und
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ürgern sowie den Verbänden so wenig Rechte wie
öglich zuzugestehen.
Das Anliegen der Aarhuskonvention haben Sie ent-
eder gar nicht erst verstanden oder Sie teilen es nicht;
nders jedenfalls kann ich diese Gesetze nicht verstehen.
ie Åarhuskonvention ist aus der Erkenntnis entstanden,
ass Umweltschutz nur mit einem Mehr an Beteiligung
rreicht werden kann.
Denn: Durch eine breite Beteiligung der Öffentlich-
eit werden Mauscheleien zulasten der Umwelt ans
icht der Öffentlichkeit gezerrt. Bereits wegen der Mög-
ichkeit einer Klage muss zukünftig größte Sorgfalt da-
auf verwendet werden, dass Umweltbestimmungen
uch eingehalten werden. In der Folge gehen Umweltbe-
astungen zurück. In der ersten Lesung wurden die Ge-
etzentwürfe nicht nur durch die Opposition kritisiert.
elbst Ihr Kollege Miersch kritisierte diese an etlichen
tellen.
Die Änderungen, die Sie an ihren Gesetzentwürfen
orgenommen haben, führen zu einer weiteren Ein-
chränkung von Beteiligungsrechten. Ein Beispiel: Ur-
prünglich sollten nur wesentliche Verfahrensfehler ein-
lagbar sein – selbst das war bereits zu restriktiv. Mit
hrer Änderung gehen Sie nun komplett auf das allge-
eine Verfahrensrecht zurück, das bedeutet eine erhebli-
he Verschlechterung.
Um den Geist von Åarhus zu verdeutlichen, bringen
ir heute einen Entschließungsantrag zum Umwelt-
echtsbehelfsgesetz ein. Unsere Forderungen unter-
cheiden sich in drei wesentlichen Punkten von dem Ge-
etz, das Sie heute beschließen wollen.
Erstens darf es keine Beschränkung der Klagemög-
ichkeiten auf drittschützende Tatbestände geben. Es tor-
ediert und pervertiert die Arbeit der Umweltverbände,
enn sie gerade nicht im allgemeinen Interesse stehende
achverhalte beklagen dürfen, sondern nur dann, wenn
echte Einzelner betroffen sind. Wenn die Länder 2010
as Verbandsklagerecht im Naturschutz abschaffen,
ürften die Naturschutzverbände nicht einmal mehr in
aturschutzangelegenheiten klagen – von Klimaschutz,
ierschutz und anderem ganz abgesehen. Dass die Bun-
esregierung dies auch noch aus der Åarhuskonvention
bleiten will, weil Verbände angeblich nicht mehr
echte als Bürgerinnen und Bürger bekommen dürfen,
eigt mir, dass sie die Åarhuskonvention nicht genau ge-
esen haben. Denn eine Beschränkung, dass irgendetwas
icht erlaubt sei, ist in der ganzen Konvention nicht zu
inden. Vielmehr sollen sowohl Bürgerinnen und Bürger
ls auch Verbände einen umfassenden, weiten Zugang zu
erichten erhalten. Wenn Sie also Verbänden nicht mehr
echte als Bürgerinnen und Bürgern einräumen wollen,
ann geben Sie diesen doch auch mehr Rechte!
Zweitens müssen alle Verfahrensfehler zur Aufhe-
ung einer Entscheidung führen können. Gerade im Um-
eltbereich haben diese erhebliche Auswirkungen, des-
alb wurde Åarhus geschaffen.
Drittens sollte es keine Beschränkungen für Umwelt-
erbände aufgrund ihrer satzungsgemäßen Ziele geben.
st es denn so schlimm, wenn sich ein Vogelschutzverein
6264 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006
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auch für die Reinheit unserer Flüsse einsetzt? Bei Ihnen
besteht ja anscheinend die große Sorge, die Verbände
würden ausufernd von ihrem Klagerecht Gebrauch ma-
chen. Die Zahl der Klagen im Naturschutz, wo es eine
Verbandsklage bereits gibt, belegt das Gegenteil.
Glauben Sie im Ernst, dass der Bund Naturschutz aus
Bayern in Zukunft gegen eine Kläranlage in Mecklen-
burg klagt? Ich frage mich, ob Sie überhaupt wissen, wo-
von Sie reden, wenn Sie über Umweltverbände spre-
chen. Ich weiß ja, dass Sie sich bei BDI und DIHK
besser auskennen. Die Realität der Umweltverbände
sieht doch so aus, dass hier durch Spenden finanziert eh-
renamtliche Arbeit geleistet wird. Das ist bürgerschaftli-
ches Engagement, wie es im Buche steht – und wie es in
diesem Haus ständig eingefordert wird. Aber wenn sich
die Menschen dieses Landes für die Umwelt einsetzen,
dann passt es Ihnen nicht und Sie behindern dieses bür-
gerschaftliche Engagement, wo es nur geht.
Ich bin mir sicher, dass Sie mit diesem Gesetz vor
dem EuGH nicht durchkommen werden. Ein Wort noch
dazu: Wir finden es unverantwortlich ein Gesetz zu er-
lassen, bei dem Sie davon ausgehen, dass es letztlich
beim EuGH landen wird. Soll das ein verantwortungsbe-
wusstes Ausüben ihrer Mandate sein? Mitnichten! Für
die Gesetzgebung ist das Parlament zuständig. Die Ge-
richte wachen darüber, dass Gesetze richtig angewandt
werden. Das Ganze nennt man dann Gewaltenteilung,
ein Grundpfeiler unserer Verfassung. Sie aber missbrau-
chen die Rechtsprechung für politische Entscheidungen.
Mein abschließendes Fazit: Die vorliegenden Gesetz-
entwürfe werden dem Ziel der Aarhuskonvention nicht
gerecht.
Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
In unserer ersten Debatte zum Thema habe ich von der
offensichtlichen Überzeugung der großen Koalition ge-
sprochen, den Bürgerinnen und Bürgern nicht zuzu-
trauen, als gleichwertig Beteiligte in Planungsprozessen
zu besseren Planungsergebnissen und damit maßgeblich
zur Verbreiterung der Akzeptanz vor allem von Großpro-
jekten beizutragen. Heute will ich zum zweiten Baustein
bei der Umsetzung der Arhusrichtlinie sprechen, dem
Rechtsbehelfsgesetz. Der springende Punkt dieses Ge-
setzes ist sicher das Verbandsklagerecht, das wir ja be-
reits aus dem Naturschutz kennen. Der entscheidende
Unterschied soll nun allerdings sein, dass nicht die Be-
lange der Natur einklagbar sein sollen, sondern aus-
schließlich eine Verletzung von persönlichen, also sozu-
sagen menschlichen Rechten.
Aus Juristenkreisen wird uns nun zugetragen, dass
sich die Verbandsklage im Naturschutz verschlechtern
wird, wenn der Gesetzentwurf zum Rechtsbehelf in der
vorliegenden Fassung verabschiedet wird. Es steht näm-
lich zu befürchten, dass künftig die Verbandsklage im
Naturschutz praktisch wirkungslos ist, weil die Umwelt-
klage nach dem Rechtsbehelfsgesetz als allgemeine
Klage der naturschutzfachlichen Verbandsklage vorgeht.
Die Umweltklage beinhaltet aber nur umweltrelevante
Rechtsverletzungen gegen Personen, nicht gegen Flora
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nd Fauna. Insoweit könnte die naturschutzrechtliche
erbandsklage künftig völlig wirkungslos werden, weil
ie nicht mehr angewendet werden kann. Damit hätten
ir dann eine eindeutige Verschlechterung des Rechts
uf Verbandsklage erreicht. Das heißt also, dass kein er-
eichterter und schon gar kein weiter Zugang zu den Ge-
ichten mit der Regelung aus den Reihen der großen
oalition erzielt wird. Sie streben so ziemlich das Ge-
enteil des von Arhus avisierten Ziels an, die Beteili-
ung der Öffentlichkeit an allen umweltrelevanten Ver-
altungsentscheidungen nachhaltig zu verbessern.
Das ökologische Beratungsgremium der Bundesre-
ierung, der Sachverständigenrat für Umweltfragen un-
er der Leitung des von uns allen geschätzten Professors
och, hat uns kürzlich erneut in seiner unnachahmlichen
larheit die Tatsachen vor Augen geführt: Der Gesetz-
ntwurf weist erhebliche europarechtliche Defizite auf.
echtsbehelfsgesetz und Öffentlichkeitsbeteiligungsge-
etz gehen nicht mit den europäischen Vorgaben kon-
orm. Ich zitiere wörtlich aus Professor Kochs Brief an
ie Vorsitzende des Umweltausschusses zur Beratung
es Arhusgesetzespaketes vom 31. Oktober 2006:
Das eigentlich zentrale Anwendungsfeld einer Ver-
bandsklage liegt dort, wo Rechtsvorschriften des
Umweltrechts gerade keine individuellen Rechtspo-
sitionen der einzelnen Bürger/innen begründen,
sondern ausschließlich zum Schutz des Allgemein-
wohls – etwa im Naturschutz, im Gewässerschutz
und im Klimaschutz – erlassen worden sind, In die-
sen Fällen können mögliche Rechtsverstöße nicht
vor Gericht gebracht werden – es sei denn, man
räumt „qualifizierten“ Teilen der Öffentlichkeit ein
entsprechendes Verbandsklagerecht ein. Für das
Ziel sowohl der Arhuskonvention wie auch der
maßgeblichen EU-Regelungen in der Beteiligungs-
Richtlinie, nämlich für die konsequente Durchset-
zung des Umweltrechts, ist es wesentlich, dass ge-
rade keine Rechtsschutzlücken bestehen. Deshalb
kommt es darauf an, dass die Verbandsklagerechte
jedenfalls dort eröffnet werden, wo individuelle
Rechte nicht verletzt sein können, sondern nur sol-
che Normen, die alleine dem Wohl der Allgemein-
heit dienen. … Der Gesetzentwurf des Umwelt-
rechtsbehelfsgesetzes setzt nun voraus, dass
Deutschland berechtigt ist, die den Verbänden euro-
parechtlich verbindlich eingeräumten Rechte auf
solche zu reduzieren, die vom Mitgliedstaat auch
den einzelnen Bürgern zuerkannt werden. Der
Wortsinn der Richtlinie besagt dies ersichtlich
nicht.
Ich sage Ihnen, verehrte Kolleginnen und Kollegen
er großen Koalition: Mit der Verabschiedung dieser Ge-
etzentwürfe geben Sie ein verheerendes Signal für die
eginnende deutsche EU-Ratspräsidentschaft. Sie hal-
en offenbar wenig von der Umsetzung der europäischen
orgaben in deutsches Recht. Damit machen Sie
eutschland vom Öko-Vorreiter zum Umwelt-Nacht-
ächter. Na dann, gute Nacht.
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Anlage 9
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Für solidarische und
entwicklungspolitische kohärente Wirtschafts-
partnerschaftsabkommen (Tagsordnungspunkt 18)
Anette Hübinger (CDU/CSU): Zum 31. Dezember
2007 laufen die Ausnahmeregelungen für die einseitigen
Handelspräferenzen an die Länder aus Afrika, dem kari-
bischen Raum und dem Pazifischen Ozean, den so ge-
nannten AKP-Staaten, durch die Europäische Union aus.
Diese sollen durch neue Wirtschaftspartnerschaftsab-
kommen ersetzt werden, deren Verhandlungen derzeit in
die letzte Phase gehen. Konkrete Textentwürfe für die
Regionalabkommen sind bereits in der Beratung. Und
jetzt kommen die Damen und Herren von der Fraktion
Die Linke, stellen in einem Antrag einen pauschalen
Forderungskatalog auf und verlangen einen Stopp der
Verhandlungen. Damit gefährden sie nicht nur die Ver-
handlungen, sondern auch die bisher erreichten Verhand-
lungsergebnisse. Sie riskieren, dass diese Länder ab
2008 dem freien globalen Wettbewerb ohne entwick-
lungspolitische Abfederungen überlassen werden.
Bereits mit der Gründung der Welthandelsorganisa-
tion im Jahr 1995 war es notwendig geworden, die ver-
traglichen Vereinbarungen zwischen der EU und den
AKP-Staaten neu zu regeln. Deshalb haben im Jahr 2000
die AKP-Staaten und die EU im Cotonou-Abkommen
vereinbart, ab 2008 neue Wirtschaftspartnerschaftsab-
kommen zu schließen. Diese sollen dann den Regeln der
Welthandelsorganisation entsprechen. Die WPAs ver-
knüpfen erstmals handels- und entwicklungspolitische
Ansätze, um eine höhere Kohärenz der Handels- und
Entwicklungspolitik zu erreichen.
Die Linke verlangt in ihrem Antrag, sich dieser Ver-
einbarung zu widersetzen. Wir jedoch schließen Verträge
mit dem Ziel ihrer Erfüllung. Der Handel ist für das wirt-
schaftliche Wachstum einer Volkswirtschaft von enor-
mer Bedeutung. Und wirtschaftliches Wachstum nimmt
eine Schlüsselrolle bei der Armutsbekämpfung ein.
Schätzungen zufolge wird, um die Armut in Afrika bis
2015 zu halbieren, ein jährliches Wachstum von
8 Prozent benötigt.
Natürlich bedeutet eine Öffnung des Marktes nicht
automatisch mehr Handel für Entwicklungsländer. Und
mehr Handel bedeutet auch nicht automatisch weniger
Armut. Solch eine Schwarz-Weiß-Malerei wäre fatal.
Der Antrag der Linken lässt leider eine differenzierte
Darstellung der Tatsachen vermissen. Um Entwick-
lungsländern faire Chancen auf dem Weltmarkt einzu-
räumen, bedarf es vielmehr einer individuell ausgerich-
teten Marktöffnung. Die jeweiligen Bedürfnisse und
Voraussetzungen der Vertragspartner müssen berück-
sichtigt werden. Und genau dieses Konzept liegt den
Wirtschaftspartnerschaftsabkommen zugrunde. Die
neuen WTO-konformen Freihandelsabkommen sehen
eine gegenseitige Marktöffnung vor, mit der Option ei-
ner asymmetrischen Ausgestaltung. Das heißt zum Bei-
spiel, dass je nach Entwicklungsstand längere Über-
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angsfristen für eine Marktöffnung eingeräumt werden
önnen.
An dieser Stelle möchte ich auf die im Juli ergebnis-
os verlaufenen Verhandlungen der Welthandelsorgani-
ation eingehen. Der derzeitige Stand ist für uns alle sehr
nbefriedigend. Um Bewegung in die Verhandlungen zu
ringen, erklärte sich die EU mit dem Auslaufen der
grarexporthilfen bis Ende 2013 einverstanden. Doch
on anderer Seite bewegte sich in den Gesprächen we-
ig. Das ist sehr bedauerlich. Deshalb ist es umso drin-
ender, die bereits im Dezember letzten Jahres in Hong-
ong getroffenen Zusagen, erstens eine stärkere
andelsbezogene Entwicklungshilfe und zweitens den
m wenigsten entwickelten Ländern einen zoll- und quo-
enfreien Marktzugang zu ermöglichen, schnell rechtlich
erbindlich werden zu lassen. Die WPAs bieten dazu die
öglichkeit.
Und jetzt glauben die Damen und Herren der Fraktion
ie Linke, dass eine Verlängerung der WTO-Ausnahme-
egelung einfacher zu verhandeln wäre als die WTO-
onformen Wirtschaftspartnerschaftsabkommen zwi-
chen der EU und den AKP-Staaten. Wir jedenfalls wer-
en uns dafür einsetzen, dass die WTO-Verhandlungen
ieder in Gang kommen; denn multilaterale Verabre-
ungen sind kalkulierbarer, besser überprüfbar und wett-
ewerbstreuer. Natürlich stellen neue wirtschaftliche
ahmenbedingungen große Herausforderungen an alle
eteiligten. Das wissen wir am besten aus unserer eige-
en Erfahrung mit der deutschen Wiedervereinigung und
em europäischen Integrationsprozess.
Um die Anpassungsprobleme der AKP-Staaten zu be-
ältigen, stellt die EU technische und finanzielle Mittel
u Verfügung. 730 Millionen Euro wurden im 9. Europäi-
chen Entwicklungsfonds für Maßnahmen im Bereich
er makroökonomischen Stabilisierung, der Steuerrefor-
en, der Zollverwaltung und der Investitionen bereitge-
tellt. Im 10. EEF, der zeitgleich mit den Wirtschafts-
artnerschaftsabkommen in Kraft treten wird, wird sich
ie Summe auf 22,6 Milliarden Euro erhöhen, die als
ilfe an die AKP-Staaten gehen werden. Erst kürzlich
urde im europäischen Ministerrat vereinbart, ab dem
ahr 2012 die handelsbezogene Entwicklungshilfe auf
Milliarden Euro zu erhöhen. Auch davon werden die
KP-Länder erhebliche Mittel – circa 1,2 Milliarden
uro – erhalten.
Im Bereich der technischen Hilfe wurden, um die re-
ionalen Verhandlungen zu begünstigen, in vier Regio-
en „Regional Preparatory Task Forces“ gebildet. Die
ehauptung, die AKP-Staaten würden mit ihren Proble-
en allein gelassen, trifft einfach nicht zu. Für die Be-
ertung unserer Entwicklungsarbeit sind Regierungs-
ührung, Demokratieentwicklung, Rechtsstaatlichkeit
nd die Achtung der Menschenrechte tragende Faktoren.
er Erfolg und die Wirksamkeit von Entwicklungshilfe
erden entscheidend durch diese Elemente beeinflusst.
eshalb werden wir Ländern, die Menschenrechte und
echtsstaatlichkeit vehement verletzten, nicht kommen-
arlos unsere Entwicklungshilfe zur Verfügung stellen.
Und auch in diesem Punkt unterscheidet sich unsere
ntwicklungspolitik von der Fraktion Die Linke. Demo-
6266 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006
(A) )
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kratie und Rechtsstaatlichkeit lassen sich nicht beliebig
interpretieren, sondern beruhen auf universell gültigen
Grundsätzen.
Die neuen Wirtschaftspartnerschaftsabkommen
werden auch in dieser Hinsicht die AKP-Staaten stimu-
lieren, Reformen und Demokratieentwicklung voranzu-
treiben. Auf diese Weise wird auch mehr privatwirt-
schaftliches Engagement staatliche Entwicklungshilfe
ergänzen können. Die Wirtschaftspartnerschaftsabkom-
men zwischen der Europäischen Union und den AKP-
Staaten werden in einer neuen Dimension handelspoliti-
sche Vereinbarungen unter entwicklungspolitischen Ge-
sichtspunkten verbinden. Es sind federnde Verträge, die
den Rahmen für unsere zukünftigen wirtschaftlichen und
handelspolitischen Beziehungen bilden. Sie passen sich
der jeweiligen wirtschaftlichen Entwicklung an und wir-
ken im Sinne eines entwicklungspolitischen Instrumen-
tes.
Die Bundesregierung wird sich auch im Rahmen der
deutschen EU-Ratspräsidentschaft für den erfolgreichen
Abschluss der EU-AKP-Verhandlungen einsetzen. Die
Wirtschaftspartnerschaftsabkommen sollen zu einer
nachhaltigen Entwicklung in dieser Region beitragen
und so auch der Erreichung der Millenniumsziele, der
Armutsbekämpfung, in den AKP-Ländern dienen. Fal-
sche Behauptungen und undifferenzierte Darstellungen
von Fakten sind hierbei nicht dienlich. Die CDU/CSU-
Fraktion lehnt daher den Antrag der Fraktion Die Linke
ab.
Dr. Sascha Raabe (SPD): Es steht der Antrag der
Fraktion Die Linke mit dem Titel „Für solidarische und
entwicklungspolitische kohärente Wirtschaftspartner-
schaftsabkommen“ zur Debatte. Thematisch geht es hier
um die zurzeit stattfindenden Verhandlungen zwischen
der Europäischen Union und den ehemaligen Kolonien
im Afrikanischen, Karibischen und Pazifischen Raum,
AKP, die zu einem erfolgreichen Abschluss der so ge-
nannten Economic Partnership Agreements, EPA, führen
sollen. Seit 1975 wurden die politischen und ökonomi-
schen Beziehungen zwischen den beiden Blöcken durch
eine Reihe fünfjähriger Loméabkommen geregelt. Diese
sind von der Welthandelsorganisation, WTO, für wettbe-
werbswidrig erklärt worden. Das letzte Loméabkommen
endete 2000 und wurde durch das Cotonouabkommen
ersetzt. Darin sagten die EU den AKP-Staaten zu, das
Präferenzsystem bis Ende 2007 beizubehalten und es
dann durch neue, WTO-konforme Wirtschaftspartner-
schaftsabkommen zu ersetzen.
Die EPAs sollen kein rein handelspolitisches Instru-
ment sein, sondern entwicklungs- und handelspolitische
Aspekte verknüpfen. Uns Europäern ist selbstverständ-
lich klar, dass es für die über 70 AKP-Staaten um sehr
viel mehr geht als für uns. Schließlich gehen etwa
40 Prozent der AKP-Exporte in die EU, während umge-
kehrt die AKP-Länder einen für die EU relativ kleinen
Absatzmarkt darstellen. Dennoch liegt es im beiderseiti-
gen Interesse, die EPA-Verhandlungen erfolgreich abzu-
schließen. Schließlich kann uns Hunger und Armut in
Afrika nicht egal sein. Die Millenniumsentwicklungs-
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iele lassen sich nicht allein durch mehr Mittel für Ent-
icklungszusammenarbeit und eine gesteigerte ODA-
uote erreichen, sondern vor allem durch gerechtere
andelsbedingungen. Dabei ist aber auch klar, dass
elbst beste Handelsbedingungen nichts helfen, so lange
ie Entwicklungsländer nicht in der Lage sind, zu produ-
ieren und mit der nötigen Infrastruktur über Straßen,
äfen und Flughäfen ihre Waren zu exportieren. Des-
alb kommen den in der letzten WTO-Runde vereinbar-
en handelsbezogenen Hilfen – Stichwort: Aid for
rade – eine besondere Bedeutung zu.
Wir begrüßen, dass sich die Bundesministerin für
irtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung aus-
rücklich dafür ausgesprochen hat, die Mittel in diesem
ereich zur Verfügung zu stellen – unabhängig von der
rage, ob es noch zu einem erfolgreichen Abschluss der
TO-Runde insgesamt kommt oder nicht. Gleiches gilt
ür die anderen dort getroffenen positiven Beschlüsse
ie das Auslaufen der Exportsubventionen. Denn nur
it einer Abschaffung der Exportsubventionen und aller
andelsverzerrenden internen Stützungen eröffnen sich
aire Chancen für Entwicklungsländer.
Letztlich muss also beides geleistet werden: Wir brau-
hen mehr Mittel für Entwicklungszusammenarbeit, um
ie ärmsten Länder in die Lage zu versetzen, zu produ-
ieren und Handel zu treiben, und wir brauchen gerechte
elthandelsregeln, damit lokale Märkte nicht durch Ex-
ortdumping gestört werden und die Exportprodukte der
ntwicklungsländer auch in der EU und in den anderen
ndustrieländern ohne Hindernisse verkauft werden kön-
en. Was wir jedoch nicht brauchen, ist dieser Antrag
er Linkspartei, wonach die Entwicklungsländer sich auf
hre regionalen Märkte zurückziehen und sich nicht am
ettbewerb ausrichten sollen. Natürlich ist es notwen-
ig, den Entwicklungsländern Außenschutz für ihre im
ufbau befindlichen Industriezweige einzuräumen und
esonders die für die Ernährungssicherheit wichtigen
grarbereiche zu schützen.
In mehreren Anträgen zu den WTO-Verhandlungen
at sich die SPD-Bundestagsfraktion bereits klar dafür
nd für ein „special and differential treatment“ der Ent-
icklungsländer ausgesprochen. Allerdings – und da
iegt der große Unterschied zur Linkspartei – sehen wir
ie besonderen Schutzrechte der Entwicklungsländer
icht als Selbstzweck, damit die Entwicklungsländer für
lle Zeiten vor Wettbewerb geschützt und somit ausge-
chlossen sind, sondern wir sehen sie als Entwick-
ungschance mit dem Ziel, dass die Entwicklungsländer
ines Tages wettbewerbsfähig sind. Die Globalisierung
oll eben nicht nur den Industrienationen nützen, son-
ern auch Länder, die wir jetzt noch Entwicklungsländer
ennen, sollen eines Tages im Wettbewerb stehen und
omit zu echtem Wohlstand kommen können. Der An-
rag der Linkspartei lässt im Inhalt genau die Kohärenz
ehlen, die er im Titel einfordert.
Die Linkspartei und einige NGOs sollten zur Kennt-
is nehmen, dass die betroffenen Länder selbst keines-
egs einen Stopp der EPA-Verhandlungen oder ein ver-
ndertes Mandat fordern. Die afrikanischen Staaten sind
eutzutage zum Glück selbstbewusst genug, um für sich
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006 6267
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selbst sprechen zu können und brauchen keine Bevor-
mundung durch die Linkspartei. Unabhängig von der
Frage der WTO-Konformität haben viele AKP-Länder
mittlerweile selbst erkannt, dass ihnen das bisherige Prä-
ferenzsystem keineswegs nur geholfen hat. Im Gegenteil
sind durch Fehlanreize höchst korruptionsanfällige Ren-
tenökonomien geschaffen worden, die Hunger und Ar-
mut zementiert haben.
Für mich sind alle armen Menschen auf der Welt
gleich viel Wert. Deswegen halte ich es auch für richtig,
dass wir nicht nur den ehemaligen Kolonien der EU ei-
nen möglichst quoten- und zollfreien Marktzugang für
ihre Produkte einräumen, sondern allen Entwicklungs-
ländern. Dies fördert zum einen die Wettbewerbsfähig-
keit der AKP-Staaten und eröffnet zugleich vielen ande-
ren Entwicklungsländern Lateinamerikas und Asiens
neue Chancen. Auch der Süd-Süd-Handel soll durch den
Abbau von Handelsbarrieren und Zollschranken gestärkt
werden. Deshalb ist es richtig, die bisherigen Präferenz-
systeme für die AKP-Staaten, die oft zulasten anderer ar-
mer Länder gingen, umzuwandeln in Wirtschaftspartner-
schaftsabkommen und gleichzeitig auf WTO-Ebene
ähnliche Regelungen für alle Entwicklungsländer anzu-
streben.
Die SPD-Bundestagsfraktion wird sich auch weiter-
hin für die wirtschaftliche Entwicklung und für die Wett-
bewerbsfähigkeit von Entwicklungsländern einsetzen.
Deshalb können wir dem Antrag der Linkspartei nicht
zustimmen.
Hellmut Königshaus (FDP): Der Antrag spricht ein
sehr wichtiges Thema an, nämlich die Wirtschaftspart-
nerschaftsabkommen zwischen der EU und den AKP-
Staaten. Leider suchen die Antragssteller einmal mehr
ihr Heil in der Abschottung. Richtig ist aber: Das Gegen-
teil würde den Entwicklungsländern am meisten dienen.
Sie wollen gewiss das Beste, aber sie schaden damit in
Wirklichkeit den Ärmsten der Armen, den am schwächs-
ten entwickelten Volkswirtschaften der Welt. Denn diese
würden doch vom internationalen Austausch am meisten
profitieren.
Die einseitigen Handelspräferenzen der Loméver-
träge zugunsten der AKP-Staaten verstießen gegen
WTO-Handelsvereinbarungen, sodass eine grundsätzlich
neue Vertragsgrundlage erforderlich wurde. Mit dem
Abschluss des Cotonouabkommens im Jahr 2000 wurde
das Sonderverhältnis der EU zu den AKP-Staaten in
Form von WTO-konformen Wirtschaftspartnerschafts-
abkommen fortgesetzt. Bis Ende 2007 sollen nun die
Verhandlungen mit sechs einzelnen Regionalgruppen ab-
geschlossen sein, damit bis zum 1. Januar 2008 das Co-
tonou-Abkommen umgesetzt werden kann. Eine ent-
scheidende Phase der Verhandlungen über die
Wirtschaftspartnerschaftsabkommen fällt also in die Zu-
ständigkeit der Bundesregierung durch die deutsche
Ratspräsidentschaft.
Der Zugang zu den internationalen Märkten ist ein
wichtiges Instrument der Entwicklungspolitik. Die neu-
esten Zahlen der FAO zeigen, dass die Zahl der Men-
schen ohne ausreichende Nahrung von 840 Millionen in
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996 auf 854 Millionen in 2005 angestiegen ist. Nur in
sien sei die Zahl der Hungernden tatsächlich gesunken,
ufgrund von freiem Handel und wirtschaftlicher Ent-
icklung in China und Indien. Auch der UNCTAD-Jah-
esbericht 2006 attestiert, dass der Schlüssel für eine
achhaltige Armutsbekämpfung eine langfristige Ver-
esserung der Wirtschaftslage ist. Die geforderte Aufsto-
kung der handelsbezogenen Entwicklungshilfe, Büro-
ratieabbau bei den Zollverfahren, ein quotenfreier
arktzugang und vereinfachte Schlichtungsverfahren
ind Instrumente, die den Entwicklungsländern Chancen
röffnen, am Handel teilzunehmen. Das vorläufige
cheitern der Doharunde ist daher vor allem für die Ent-
icklungsländer ein Rückschlag. Es zeigt einmal mehr,
ass in unserer globalisierten Weltwirtschaft noch die
däquaten ordnungspolitischen Rahmenbedingungen
ehlen.
Wer das Gezerre bei den WTO-Verhandlungen be-
rachtet, mag schnell desillusioniert sein. Zu viele natio-
ale Eifersüchteleien, undurchschaubare Allianzen und
ftmals auch der schiere Unverstand blockieren die not-
endigen Veränderungen. Aber das bedeutet nicht, dass
iese deshalb unmöglich wären. Es ist eben einfacher,
uf Demonstrationen die Probleme zu beklagen und dies
ereits als Lösung anzubieten, als die notwendigen
trukturellen Veränderungen auch gegen Widerstände
urchzusetzen.
Auf der anderen Seite müssen sich die Marktteilneh-
er und damit auch die einzelnen Volkswirtschaften auf
ie globalisierten Märkte einlassen und sich ihnen öff-
en. Das gilt ganz besonders für die Staaten der Erde, die
isher kaum vom internationalen Warenaustausch profi-
iert haben, also vor allem die Staaten Zentralafrikas.
iesen Staaten muss und wird die weltweite Staatenge-
einschaft durch verstärkte Entwicklungszusammenar-
eit helfen. Deutschland kann da mit gutem Beispiel vo-
angehen. Aber diese Staaten müssen auch selbst das
eld bereiten, damit diese Saat aufgehen kann.
Entwicklungszusammenarbeit kann nur dann einen
irksamen Beitrag zur nachhaltigen Überwindung von
rmut und Unterentwicklung leisten, wenn die Entwick-
ungsländer selbst eine sozial und ökologisch verantwor-
ungsvolle Politik verfolgen, die die Leistungen des Ein-
elnen im Rahmen einer marktwirtschaftlichen Ordnung
nerkennt und den Aufbau demokratischer und rechts-
taatlicher Gesellschaftsstrukturen fördert. Überall dort,
o derartige ordnungspolitische Rahmenbedingungen
eschaffen wurden, konnten selbst ehrgeizige Entwick-
ungsziele schnell erreicht werden, und dort, wo das Ge-
enteil geschah, konnte man erleben, dass vormals blü-
ende Volkswirtschaften einen rapiden Absturz und eine
eängstigende Verarmung der Bevölkerung erlitten, wie
twa in Simbabwe.
Das vornehmste Ziel der Entwicklungspolitik muss
ein, sich selbst langfristig überflüssig zu machen. Dies
st gewiss eine Binsenweisheit, aber sie gerät in der Pra-
is oftmals aus dem Blickfeld. Entwicklungshilfe darf
icht Abhängigkeiten schaffen und zur Weltsozialhilfe
erden. Gute Entwicklungspolitik setzt daher bei der
rmutsbekämpfung auf die Bekämpfung der Ursachen
6268 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006
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und somit vor allem auf die Stärkung der Eigeninitiative
der Partner. Dabei darf der Grundsatz von Good Gover-
nance nicht zu einer begleitenden Floskel werden, son-
dern muss vielmehr zu einer verbindlichen Vorausset-
zung jeder Unterstützung werden. In diesem
Zusammenhang muss auch eine sinnvolle Entschul-
dungspolitik vorangetrieben werden. Dabei liegt die Be-
tonung auf „sinnvoll“. Leider ist dies nicht überall der
Fall.
Die Beispiele vieler erfolgreicher Schwellenländer
belegen, dass es möglich ist, unter den richtigen Rah-
menbedingungen die Entwicklungsziele zu erreichen.
Leider zeigt sich aber vereinzelt auch, dass diese dann
im Rahmen der Welthandelsorganisation keineswegs
durchgängig die Grundsätze vertreten, denen sie ihren
eigenen Aufschwung verdanken. Der zweifelhafte Pro-
tektionismus, wie er in der brasilianischen Zuckerpolitik
zum Ausdruck kommt, mag hier als Beispiel dienen.
Während Voraussetzungen für eine Teilhabe am inter-
nationalen Warenaustausch in den Entwicklungsstaaten
geschaffen und gefördert werden, muss gleichzeitig die
Globalisierung als Entwicklungsfaktor für die ganze
Welt vorangetrieben werden. Das entwicklungspoliti-
sche Potenzial des freien Welthandels ist noch lange
nicht ausgeschöpft. Die Chancen der Globalisierung
müssen für eine schnelle Einbeziehung der Entwick-
lungsländer genutzt und Handelsbarrieren müssen zu ih-
ren Gunsten aufgehoben werden. Dies setzt vor allem
einen weiteren Abbau des Industrie- und Agrarprotektio-
nismus der entwickelten Welt sowie von Exportsubven-
tionen voraus.
In einem Punkt stimme ich den Antragsstellern zu:
Wir brauchen mehr Transparenz bei den Verhandlungen.
Aber genau da liegt das Problem. Die Wirtschaftspart-
nerschaftsabkommen werden von dem Europäischen
Entwicklungsfonds finanziert und der unterliegt nicht
der Kontrolle der nationalen Parlamente oder des Euro-
päischen Parlaments. Um die Transparenz bei den Ver-
handlungen herzustellen, sollte die Intransparenz der
EU-Entwicklungszusammenarbeit beendet werden. Sie,
insbesondere die Kollegen der Koalition, sollten aufhö-
ren, jede Extra-Million an die EU zu bejubeln, sobald sie
nur ja auf die ODA-Quote angerechnet werden kann.
Das Grundproblem ist doch Folgendes: Seit Jahren
findet eine schleichende Europäisierung der entwick-
lungspolitischen Aktivitäten ohne eine entsprechende
vertragliche Erweiterung der Rechtsgrundlagen statt.
Die EU verhält sich entwicklungspolitisch faktisch wie
ein zusätzlicher Geber, der in denselben Ländern und
denselben Themenbereichen wie die Mitgliedstaaten
selbst tätig ist. Der Grundsatz der Subsidiarität wird zu-
nehmend missachtet.
Mit dem Argument, entwicklungspolitische Ziele
wirksamer verfolgen zu können, wird der Ruf nach einer
stärkeren Übertragung nationalstaatlicher Entwicklungs-
politik nach Brüssel immer lauter. Die Mitgliedstaaten
haben sich jedoch aus gutem Grund im Hinblick auf den
Grundsatz der Subsidiarität ausdrücklich gegen eine sol-
che Ausweitung der gemeinschaftlichen Entwicklungs-
politik entschieden. Weder der im November 2005 zwi-
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chen Rat, Kommission und Europäischem Parlament
eschlossene „Europäische Konsens über die Entwick-
ungspolitik“ noch der Verfassungsvertrag sehen hin-
ichtlich der Komplementarität der Europäischen Ent-
icklungszusammenarbeit Veränderungen vor. Wenn
er Grundsatz der Komplementarität europäischer Ent-
icklungszusammenarbeit Bestand haben soll, muss
ich die Europäische Kommission wieder auf ihre Kern-
ufgaben konzentrieren.
Im Mittelpunkt der Arbeit der EU-Kommission muss
ie Geberkoordination stehen. Sie soll koordinierend
ann tätig werden, wenn mehrere Mitgliedstaaten ge-
einsam ein Projekt oder ein Programm durchführen
der unterstützen wollen. Die Entwicklungspolitik der
uropäischen Union muss sich auf solche Länder und
hemen beschränken, die von den nationalen entwick-
ungspolitischen Aktivitäten nicht abgedeckt werden
önnen oder wo die Europäische Union eine originäre
ompetenz hat, etwa bei der Förderung des internationa-
en Handels oder grenzüberschreitender regionaler Ini-
iativen und Organisationen. Das ist bei den Wirtschafts-
artnerschaftsabkommen zweifellos der Fall.
Aber der EEF muss endlich im Interesse der Effekti-
ität der EU-Außenhilfe und zur demokratischen Legiti-
ierung durch parlamentarische Kontrolle in den EU-
aushalt integriert werden. Die Erfahrungen seit der Er-
ichtung des Fonds haben gezeigt, dass die Fondsstruk-
ur des EEF und seine Finanzierung außerhalb des EU-
aushaltes einer effektiven Hilfeleistung entgegenste-
en. Aufgrund mangelnder Absorptionskapazitäten der
mpfängerländer und einer unzureichenden Flexibilität
es EEF-Systems blieben die Auszahlungen weit hinter
er zugesicherten Gesamtdotation zurück, mit der Folge,
ass sich nicht gebundene und nicht ausgezahlte Restsal-
en in beträchtlicher Höhe angesammelt haben.
Mit der Integration des EEF in den EU-Haushalt wür-
en die AKP-Staaten mehr Eigenständigkeit erlangen, da
ie Abhängigkeit von Beiträgen der Mitgliedstaaten zum
EF, die nach freiem Ermessen und nach eigenem Inte-
esse geleistet werden, beendet wird. Ferner würde die
udgetierung des EEF für die Transparenz sämtlicher
usgaben an Drittländer sorgen, die bereits innerhalb
on Europe Aid verwaltungstechnisch gebündelt sind.
em Argument, die Aufrechterhaltung der partner-
chaftlichen Sonderbeziehungen zu der AKP-Region be-
inge die Beibehaltung der bisherigen Strukturen, be-
egnet die Kommission selbst damit, dass die seit
0 Jahren bestehenden engen Beziehungen zu einem
chten Besitzstand, im Sinne der „Acquis“, geworden
ei, der mit der Budgetierung des EEF nicht verloren
inge. Zudem ist zu fragen, ob solche „Besitzstände“
eiter verfestigt werden sollen oder ob sie nicht viel-
ehr einer regelmäßigen Überprüfung bedürfen, ob und
ieweit sie noch zu rechtfertigen sind.
Die Integration des EEF in den EU-Haushalt würde
icht nur für Budgetklarheit sorgen, sondern würde
urch die damit gewährleisteten Kontrollrechte des Eu-
opäischen Parlaments zu Transparenz und mehr Legiti-
ität der Europäischen Entwicklungszusammenarbeit
ühren. Darüber hinaus ist die unterschiedliche Behand-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006 6269
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lung der AKP-Staaten einerseits und der restlichen Ent-
wicklungsländer andererseits heute nicht mehr zu recht-
fertigen. Entweder sind diese Staaten und Gebiete
bedürftig – dann sollten sie nach den allgemeinen Krite-
rien im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit ge-
fördert werden – oder sie sind es nicht; dann sollten auch
keine Steuermittel mehr zur Verfügung gestellt werden.
So müssen wir auch die Wirtschaftspartnerschaftsab-
kommen beurteilen, nämlich als nötigen ersten Schritt,
der nicht auf die AKP-Länder beschränkt bleiben darf.
Heike Hänsel (DIE LINKE): „Wir müssen uns ein-
setzen für faire Bedingungen im Welthandel.“ Das sagte
die Bundeskanzlerin in ihrer wöchentlichen Videobot-
schaft am 7. Oktober, in der sie die Schwerpunkte der
deutschen EU-Ratspräsidentschaft beschreibt. Das klingt
zwar gut. Gemeint ist jedoch nicht etwa, faire Entwick-
lungs- und Handelsbedingungen für die Partnerinnen
und Partner im Süden zu schaffen; im Gegenteil: Bun-
desregierung und EU-Kommission geht es darum, EU-
ansässigen Unternehmen den Weg in die Märkte der
Schwellen- und Entwicklungsländer zu ebnen und dabei
alle Regulierungen – in der EU und in den Ländern des
Südens – zu beseitigen, die im globalen Wettbewerb da-
bei hinderlich sein könnten, schwächere Konkurrenten
aus dem Weg zu räumen.
Trotz aller Beschwörungen der Entwicklungsministe-
rin, die wir auch gestern wieder im Ausschuss gehört ha-
ben, teile ich die Kritik vieler Nichtregierungsorganisa-
tionen: Auch in den Verhandlungen zu den EPA, den
Wirtschaftspartnerschaftsabkommen zwischen der EU
und den AKP-Staaten, geht es in erster Linie um aggres-
sive Marktöffnung für EU-Konzerne.
Frau Wieczorek-Zeul bezeichnete gestern im Aus-
schuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklung die EPA als Alternative zur Doharunde der
Welthandelsorganisation (WTO) – in dem Sinne, dass
dort die Verknüpfung von Entwicklung und Handel vor-
bildhaft gelinge. Eines ist daran wahr: Die Energie, mit
der die EU-Kommission an den EPAs verhandelt, hängt
tatsächlich mit der Blockadesituation in der WTO zu-
sammen. Dabei geht es der EU-Kommission aber weni-
ger um Entwicklung, sondern vor allem um die Durch-
setzung von Handelsliberalisierungen. Es ist schließlich
nicht umsonst der Handels- und nicht der Entwicklungs-
kommissar der EU, der die Verhandlungen mit den
AKP-Staaten führt. Noch weit über die Agenda von
Doha hinaus strebt die EU-Kommission Freihandelsab-
kommen mit den Regionalgruppen der AKP-Staaten an.
Sie will eine sehr weitgehende und überwiegend rezi-
proke Handelsliberalisierung durchsetzen, obwohl das
Abkommen von Cotonou noch von „Differentiation“
spricht, also von der Berücksichtigung des Entwick-
lungsgefälles zwischen den Vertragspartnern. Zusätzlich
fordert die EU, die Bereiche Wettbewerbspolitik, Inves-
titionen und öffentliches Beschaffungswesen, die die
Länder des Südens erfolgreich aus den WTO-Verhand-
lungen heraushalten konnten, mit in die Verhandlungen
um die EPA einzubeziehen. Die Linke fordert deshalb,
dass der EU-Kommission das Verhandlungsmandat ent-
zogen und dass ein neues Mandat für solidarische und
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ntwicklungspolitisch kohärente Verhandlungen formu-
iert wird.
Sollte der Bundestag uns folgen, wäre er in guter Ge-
ellschaft: Der EU-Ausschuss der französischen National-
ersammlung – übrigens über alle Parteigrenzen hinweg –
nd etliche Abgeordnete des britischen Parlaments stellen
iese Forderung ebenfalls auf. Und auch wenn Frau
ieczorek-Zeul noch so oft betont, dass die AKP-Regie-
ungen den Abschluss von EPA anstreben und das gültige
erhandlungsmandat der EU-Kommission nicht infrage
tellen, haben die AKP-Regierungen doch ihre Kritik an
er Verhandlungsführung der EU-Kommission mehrfach
berdeutlich geäußert, zum Beispiel auf der Handelsmi-
isterkonferenz der Afrikanischen Union im April dieses
ahres. Dort wurde ganz klar kritisiert, die EU berücksich-
ge Entwicklungsbelange in den Verhandlungen nicht
usreichend.
In den EPA-Verhandlungen stehen sich ungleiche
artner gegenüber. Auf der einen Seite die EU-Kommis-
ion, die einen der mächtigsten Wirtschaftsblöcke ver-
ritt, auf der anderen die AKP-Staaten, von denen viele
u den am wenigsten entwickelten Staaten der Welt ge-
ören. Zur Kritik an der Verhandlungsführung der EU
ehört ja gerade, dass sie diese Asymmetrie und die
ohe Abhängigkeit der AKP-Staaten voll ausspielt und
ie AKP-Staaten entsprechend unter Druck setzt. 2007
äuft die Verlängerung des Präferenzsystems von Lomé
us und die AKP-Staaten haben viel zu verlieren: Sie
ühren 40 Prozent ihrer Exporte in die EU aus, während
as umgekehrt nur für 3 Prozent gilt. Auch die Auszah-
ungen aus dem Europäischen Entwicklungsfonds sind
etztlich an die Unterzeichnung der EPA geknüpft. Frau
ieczorek-Zeuls Hinweis ist deshalb zynisch. Die AKP-
taaten haben keine Wahl. Deshalb ist es genau richtig,
enn die Initiative für eine Neuformulierung des Ver-
andlungsmandats der EU-Kommission von Europa aus-
eht.
In den Dokumenten der Europäischen Union und in
nserem Ausschuss ist ständig die Rede von Politikko-
ärenz. Der Europäische Entwicklungskonsens fordert,
ass die Ziele der Entwicklungszusammenarbeit auf al-
en Politikfeldern der EU Berücksichtigung finden müs-
en. Die Praxis sieht völlig anders aus. In den EPA-Ver-
andlungen ist von Kohärenz nichts zu sehen. Sollte sich
ie EU-Kommission mit ihrer aktuellen Verhandlungsli-
ie durchsetzen, würden Entwicklungsziele massiv un-
erlaufen. Als Folge der EPA wären die Produzenten in
en AKP-Staaten einem ungleichen Wettbewerb mit den
ffizienteren und überdies oft subventionierten Produ-
enten der EU ausgesetzt, in dessen Ergebnis sie von ih-
en lokalen und nationalen Märkten verdrängt würden.
er EU-Ausschuss der Assemblée Nationale spricht von
inem vierfachen Schock, der auf die AKP-Staaten zu-
omme: für die Landwirtschaft, für im Aufbau befindli-
he Industrien, für die Haushalte (aufgrund sinkender
olleinnahmen) und für die Handelsbilanzen. Aminata
raoré, ehemalige Kultusministerin Malis, bezeichnete
ie Freihandelsabkommen gar als die „Massenvernich-
ungswaffen“ Europas.
6270 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006
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Die Linke setzt sich für eine andere EU-Außenhan-
delspolitik gegenüber den Ländern des Südens ein, die
dem UN-Menschenrecht auf Entwicklung, dem Schutz
heimischer und regionaler Märkte und den international
festgelegten Zielen der Armutsbekämpfung verpflichtet
ist. In deren Mittelpunkt darf nicht der Wettbewerb, son-
dern muss der solidarische Austausch mit den wirt-
schaftlich schwächeren Partnern stehen. Ich unterstrei-
che deshalb unsere Forderung, die wir heute hier im
Bundestag und zugleich gemeinsam mit vielen Abgeord-
neten in anderen EU-Ländern stellen, dass der EU-Kom-
mission das Mandat zu den EPA-Verhandlungen entzo-
gen und dass ein neues, entwicklungspolitisch
kohärentes Mandat formuliert wird. Sowohl in der Euro-
päischen Union als auch in ihren Partnerstaaten dürfen
soziale und ökologische Standards nicht der Wettbe-
werbsfähigkeit geopfert werden. Es darf kein Druck auf
die Verhandlungspartner ausgeübt werden, ihre Binnen-
bzw. regionalen Wirtschaftsräume durch Liberalisierung
zu gefährden. In volkswirtschaftlich, ökologisch, sozial
oder kulturell sensiblen Bereichen dürfen keine Liberali-
sierungen verlangt werden. Alle Verhandlungen müssen
künftig offen und öffentlich geführt werden. Sie müssen
von einer regelmäßigen sozialen, ökologischen und kul-
turellen Folgenabschätzung auf der Grundlage von ge-
meinsam mit zivilgesellschaftlichen Gruppen erarbeite-
ten Maßstäben begleitet werden. Dies wäre ein
wesentlicher Beitrag zur Umsetzung der UN-Millen-
niumsziele.
Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Co-
tonouabkommen von 2000 regelt die wirtschafts- und
handelspolitische Zusammenarbeit der Europäischen
Union, EU, mit den Staaten Afrikas, der Karibik und des
Pazifiks, AKP, – neu. Es sieht den Abschluss von Wirt-
schaftspartnerschaftsabkommen, EPA, – vor. Sie haben
das erklärte Ziel, die Armut zu bekämpfen und eine
nachhaltige Entwicklung zu fördern. Doch die traurige
Wahrheit ist, dass diese entwicklungspolitische Ausrich-
tung im bisherigen Verhandlungsprozess nicht konse-
quent und kohärent umgesetzt worden ist.
Wir Grünen wollen, dass es in diesen Verhandlungen
Fortschritte gibt und mit den AKP-Staaten belastbare
Entwicklungspartnerschaftsabkommen abgeschlossen wer-
den. Immerhin sind 39 der 50 so genannten LDCs zu-
gleich AKP-Länder. Ich verwende mit Bedacht den Be-
griff „Entwicklungspartnerschaftsabkommen“, denn nur
darum kann es gehen! Und wir müssen noch nicht einmal
einen neuen Namen erfinden: EPA bedeutet für Entwick-
lungspartnerschaftsabkommen; das passt perfekt!
Die EU muss ihre Strategie überdenken und die Part-
nerschaft mit den AKP-Ländern vom Kopf auf die Füße
stellen: Zukunft durch Entwicklung geht vor Freihandel.
Entscheidend ist, dass die Zusammenarbeit zur Armuts-
und Hungerbekämpfung beiträgt. Wir wissen: Wir haben
es bei den Verhandlungen zwischen der EU und den
AKP-Staaten mit sehr ungleichen Partnern zu tun. Das
Nationaleinkommen der AKP-Länder macht gerade ein-
mal 3 Prozent von dem der EU aus. Während mehr als
40 Prozent der AKP-Exporte in die EU gehen, findet
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mgekehrt nur der kleinste Teil der EU-Waren den Weg
n die AKP-Länder.
Partnerschaft kann unter solchen Rahmenbedingun-
en schnell zum Euphemismus werden. Die Probleme,
ie sich im Rahmen der EPA-Verhandlungen stellen, lie-
en für mich auf drei Ebenen.
a) Die ökonomischen Risiken liegen aufgrund der un-
leichen Gewichte eindeutig auf der Seite der AKP-Län-
er. Wir müssen diese Risiken für die ärmsten Länder
egrenzen und in Potenziale umwandeln. Dies kann aber
ur mit einem eindeutigen Entwicklungsmandat gesche-
en. Die EPAs müssen den Marktzugang zur EU verbes-
ern. Die EU-Agrarsubventionen müssen so einge-
chränkt werden, dass mit dem Agrardumping Schluss
emacht wird. Damit wird Druck von Millionen von
roduzenten in den AKP-Ländern genommen, die mit
er hoch subventionierten europäischen Lebensmittelin-
ustrie nicht konkurrieren können.
b) Während die EPAs für die AKP-Länder wirtschaft-
ich äußerst bedeutend sind, haben sie für die EU vor al-
em eine politische Bedeutung. Auf dieser Ebene liegen
us meiner Sicht auch die Hauptgefahren. Nach dem
cheitern der WTO-Verhandlungen gilt es, sehr genau
u beobachten, welche Exempel bei bilateralen und bire-
ionalen Handelsabkommen statuiert werden. Tragen
ie EPAs dazu bei, die Chancen für ein zukünftiges mul-
ilaterales Abkommen zu erhöhen, oder nehmen sie Ent-
cheidungen vorweg, die im Gegensatz zu den Zielen
er Dohaentwicklungsrunde stehen? Für mich ist klar,
ass im Rahmen der EPA keine Themen wie Investitio-
en, Wettbewerbspolitik und öffentliches Beschaffungs-
esen verhandelt werden dürfen, die als so genannte
ingapurthemen von der WTO-Entwicklungsrunde aus-
enommen wurden. Gleichzeitig dürfen keine weitge-
enden Abkommen in den Bereichen geistiger Eigen-
umsrechte, TRIPS, und Dienstleistungen abgeschlossen
erden, die das Lager der Entwicklungsländer für die
eiteren Verhandlungen im WTO-Prozess nachhaltig
palten.
c) Ich möchte auf ein ganz besonderes Problem hin-
eisen. Obwohl die EPAs im Zusammenhang mit dem
otonouabkommen stehen, werden sie vom EU-Han-
elskommissar und nicht von Louis Michel, dem Ent-
icklungskommissar, verhandelt. Dieser sitzt am Kat-
entisch der EPA-Verhandlungen. Es war schon absurd,
ass der Entwicklungskommissar der EU an den WTO-
inistertreffen nicht teilnehmen durfte. Dass er bei den
artnerschaftsabkommen aber nicht mindestens gleich-
erechtigt mitverhandelt, ist nicht hinnehmbar. Wer,
enn nicht die EU-Entwicklungspolitikerinnen und -po-
itiker, sollen denn für die Entwicklungsverträglichkeit
er Abkommen auf EU-Seite eintreten? Wenn ich das
anze auf deutsche Verhältnisse übertrage: Vom Wirt-
chaftsministerium erwarte ich nie und nimmer eine Ent-
icklungsagenda; dort steht die „Kampftruppe der deut-
chen Unternehmerschaft“. Dies mag für bestimmte
ufgaben seine Berechtigung haben, in Verhandlungen
it den ärmsten Ländern macht dies aber überhaupt kei-
en Sinn.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006 6271
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Glücklicherweise ist in Deutschland für die EPAs das
Entwicklungsministerium zuständig. Daraus erwächst
eine besondere Verantwortung für die deutsche EU-Rats-
präsidentschaft. Das entwicklungspolitische Mandat für
die EPAs muss entschieden gestärkt werden. Ich hoffe
darüber hinaus, dass von der deutschen EU-Präsident-
schaft starke Impulse für die WTO-Entwicklungsrunde
ausgehen. Es muss endlich Schluss sein mit dem ent-
wicklungsfeindlichen Protektionismus und der fehlgelei-
teten Agrarsubventionspolitik der EU. Nur neue und
weit reichende EU-Angebote können die WTO-Ver-
handlungen wieder beleben.
Anlage 10
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über
die Statstik der Verdienste und Arbeitskosten
(Verdienststatistikgesetz – VerdStatG) (Tages-
ordnungspunkt 19)
Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): Die Reform der
Lohnstatistik ist ein lobenswertes Beispiel für den Büro-
kratieabbau der großen Koalition. Die Wirtschaft wird
entlastet, ohne dass es zu wesentlichen Einschnitten in
die Leistungsfähigkeit der amtlichen Statistik kommt. Es
stellt einen weiteren wichtigen Schritt zur Entlastung der
Wirtschaft von statistischen Berichtspflichten dar.
Der Gesetzentwurf reiht sich ein in das Maßnahmen-
paket zum Bürokratieabbau, welches im Zuge des Ersten
Mittelstandsentlastungesetzes auf den Weg gebracht
wird. Anstelle der bisher vierteljährlichen und jährlichen
Verdiensterhebung soll nur noch die vierteljährliche Er-
hebung durchgeführt werden.
Verdiensterhebungen in der Landwirtschaft werden
nur noch alle vier Jahre durchgeführt; in der Zwischen-
zeit erfolgen Schätzungen durch das Statistische Bun-
desamt. Besondere Verdiensterhebungen im Handwerk
entfallen künftig, da sie nach EG-Recht nicht nötig sind.
Die aus EG-rechtlichen Gründen weiterhin erforderli-
che vierteljährliche Verdiensterhebung wird somit bei
unveränderter Stichprobengröße gleichmäßiger auf die
Gesamtwirtschaft verteilt. Dies verringert die Statistik-
lasten, insbesondere im besonders betroffenen verarbei-
tenden Gewerbe. Eine insgesamt gerechtere Verteilung
und vor allem eine Entlastung der kleinen und mittleren
Unternehmen des produzierenden Gewerbes werden da-
mit erreicht. Damit begrüßen wir die geplante Stoßrich-
tung des Gesetzes, nämlich die Erhebungen auf den
Dienstleistungssektor auszudehnen, ohne den Stichpro-
benumfang zu erhöhen.
Auch wenn dieser Tage interessengelenkt versucht
wird, das Bürokratieabbauprojekt zu zerreden, so sage
ich Ihnen als Mitglied der Koalitionsfraktion und mit In-
formationen aus erster Hand, dass die Bundesregierung,
respektive das Bundeskanzleramt, auf Kurs ist.
Die Identifizierung bestehender Informationspflich-
ten der Wirtschaft ist abgeschlossen. Im nächsten Jahr
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ird nach Abschluss der Messungen das Abbauziel ver-
ündet und mit der Selbstverpflichtung jedes einzelnen
essorts begonnen. Hier waren die Medien schlicht und
infach falsch informiert, wenn dieser Tage in der Zei-
ung von der Verkündung des Abbauziels in 2008 ge-
chrieben steht. Hüten Sie sich bitte vor diesen voreili-
en Falschmeldungen!
Bedenken Sie einfach nur, dass die Holländer heute
ach sechsjähriger Vorlaufzeit mit ihren SKM-Erfolgen
ufwarten. Wenn uns also Zeitvergeudung vorgeworfen
ird, so dürfte dies frühestens im Jahr 2012 erfolgen.
och wir freuen uns natürlich über Kritik und Druck von
ußen, zeigt es doch nur das fraktionsübergreifende Inte-
esse an diesem wichtigen Thema.
Parallel zur Implementierung des erfolgreichen SKM-
odells, dessen Einführung auf europäischer Ebene die
undeskanzlerin während ihrer Ratspräsidentschaft an-
trebt, betreibt die Bundesregierung auch materielle De-
egulierung – wie das heute vorliegende Gesetz beweist.
Ein rasches Erstes Mittelstandsentlastungsgesetz hat
as BMWi vor der Sommerpause verabschiedet, schon
ald wird das Zweite Mittelstandsentlastungsgesetz in
en Deutschen Bundestag eingebracht. Damit machen
ir also deutlich, dass wir nicht bis zum Vorliegen der
essergebnisse des jüngst vorgestellten deutschen Stan-
ard-Kosten-Modells abwarten, sondern schon jetzt die
irtschaft von Bürokratie befreien.
Auch die übrigen Ressorts werden eigene Bürokratie-
ntlastungsgesetze vorlegen. Hier ist jedes Haus am Zug,
uch schon vor Festlegung des jeweiligen prozentualen
bbauziels.
Der neue Normenkontrollrat hat ab Oktober seine Ar-
eit begonnen. So werden wir in Zukunft eine exakte
ostenbelastung für die Wirtschaft bei Gesetzentwürfen
or Augen haben und Bürokratie vermeiden können. Der
ormenkontrollrat wird sich zugleich auch bestehende
esetz vorknöpfen und uns konkrete Bürokratieabbau-
iele aufzeigen.
In der Vergangenheit wurde die Bürokratiekostendis-
ussion regelmäßig vor dem Hintergrund einer wenig
undierten Debatte geführt. Die Ermittlung der Gesamt-
elastung wurde nahezu ausschließlich auf Basis subjek-
iver Einschätzungen vorgenommen. Nun werden wir
rstmalig mit fundierten Zahlen arbeiten können. Dabei
st die Einführung des SKM für uns aber auch ein Entde-
kungsverfahren. Ich begrüße es dabei außerordentlich,
ass die so genannte Nullmessung durch die Beamten
ithilfe des Statistischen Bundesamtes selbst durchge-
ührt wird. Das hat auch etwas mit Mentalitätswechsel
u tun, den wir uns nicht einfach teuer durch externe Be-
ater einkaufen, sondern den wir uns – auch wenn es mü-
evoll sein kann – selbst aneignen.
Die Beamten in den Ressorts sind durch fundierte
chulungen auf das Messverfahren vorbereitet worden.
ie Schulungen sind gut angekommen; daher verwun-
ern mich ehrlich gesagt Äußerungen über angebliche
ehlende fachliche Qualifizierungen.
6272 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006
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Noch ein, zwei Bemerkungen zur Rolle des Statisti-
schen Bundesamtes: Das Amt verfügt über die notwen-
digen Erfahrungen im Umgang mit den gefragten Erhe-
bungsmethoden und steht regelmäßig in Kontakt mit der
Wirtschaft. Das Amt wird zentral den Messprozess steu-
ern. Das bedeutet eine Ressourcen sparende Umsetzung
des Verfahrens. Last, but not least werden die Unterneh-
mer nicht mit einer Vielzahl einzelner und unkoordinier-
ter Erhebungen durch verschiedene Akteure belastet.
Denn die eigentliche Anwendung des Standardkos-
tenmodells ist im Grunde Datenerhebung, Datenaufbe-
reitung und Datenauswertung. Dies ist das originäre Ar-
beitsgebiet der amtlichen Statistik. Die Bundesregierung
nutzt im Sinne moderater Haushaltspolitik bestehendes,
entsprechend geschultes Personal. Und dem Amt liegen
zahlreiche, für die SKM-Messung benötigte Informatio-
nen bereits vor.
Ich gebe zu, dieser gewaltige Prozess ist nach außen
hin weniger sichtbar. Doch nicht alles, was nach außen
getragen wird, muss auch gut sein. Tag für Tag vollzieht
sich aber diese Reform unter Eifer und Nachdruck der
politisch Verantwortlichen. Wir als Regierungsfraktion
begleiten diesen Prozess kritisch und als starker Partner.
Doris Barnett (SPD): Das Verdienststatistikgesetz,
das wir heute verabschieden, löst das Lohnstatistikgesetz
ab. Aber es ist mehr als nur eine neue Verpackung! Es
wird die Wirtschaft, insbesondere das Handwerk, nach-
haltig entlasten, ohne auf die notwendige Datenbasis zu
verzichten, die ja zu vielerlei Entscheidungen Grundvo-
raussetzung ist.
Gerade in der heutigen Zeit, in der für unser Land als
Standort wichtige wirtschaftspolitische Planungsent-
scheidungen fallen, sind aussagekräftige Statistiken zu
Arbeitsverdiensten und Arbeitskosten notwendig. Aber
nicht nur die korrekte Datenlage – auch die Erhebung
der Daten ist für die Wirtschaft ein Faktor, und zwar ein
nicht unerheblicher Kostenfaktor. Und der wird umso
mehr akzeptiert, je enger die mit ihm verbundenen Sta-
tistiken an die Bedürfnisse seiner Nutzer angepasst sind.
Das zehn Jahre alte, vor fünf Jahren zuletzt geänderte
Lohnstatistikgesetz ist für eine zeitgemäße Verdienst-
erhebung nicht mehr tauglich. Einerseits erfordert das
EG-Recht eine Anpassung der nationalen Rechtsgrund-
lagen gemäß der Berichtspflicht. Andererseits ist die
jetzt noch geltende Rechtslage nicht flexibel genug, um
auf einfachere Art Erhebungsmethoden zu verändern
und auch effizienter zu gestalten.
Darüber hinaus ist es für uns wichtig, die aufgrund
europäischer und auch deutscher Anforderungen vorzu-
nehmenden Datenerhebungen gut aufeinander abzustim-
men, um die Belastungen für die Betriebe gering zu hal-
ten. Dafür sorgen unter anderem die Möglichkeiten der
automatisierten Datengewinnung aus dem betrieblichen
Rechnungswesen, mit der so genannten Erhebungssoft-
ware „eSTATISTIK.core“. Angaben für die Verdienst-
erhebung können somit elektronisch aus den Lohnab-
rechnungssystemen zusammengestellt und papierlos an
eine zentrale Annahmestelle der statistischen Ämter
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bermittelt werden. Damit sind wir in der Lage, die EG-
erordnungen für ein integriertes System der Verdienst-
nd Arbeitskostenstatistik zu erfüllen.
Die Neuregelungen, die wir jetzt beschließen, umfas-
en: den Wegfall einer jährlichen Verdiensterhebung, die
m produzierenden und im Dienstleistungsgewerbe bis-
er neben den unterjährigen Erhebungen durchgeführt
urden; die Verdiensterhebungen in der Landwirtschaft,
ie jetzt nicht mehr jährlich, sondern nur noch alle vier
ahre durchgeführt werden; den Wegfall der besonderen
erdiensterhebungen im Handwerk, die eigentlich zur
rfüllung der Verpflichtungen nach EG-Recht gar nicht
ötig sind; und die mehrjährlichen Verdienststruktur- und
rbeitskostenerhebungen werden gemäß den einschlägi-
en EG-Verordnungen auf die gesamte Wirtschaft ausge-
ehnt. Dadurch werden bei gleich bleibendem Ge-
amtaufwand die Berichtspflichten gleichmäßiger auf die
esamtwirtschaft verteilt, was sich vor allem für kleine
nd mittelgroße Unternehmen des produzierenden Ge-
erbes als Entlastung auswirkt, wie insgesamt die
umme aller Maßnahmen des Verdienststatistikgesetzes
u einer deutlichen Entlastung der Wirtschaft führen
ird.
Weil aber die Berichtspflichten jetzt für die Unterneh-
en reduziert werden, ergibt sich aufseiten der Statisti-
chen Ämter der Länder und des Bundes auch ein verrin-
erter Erhebungsaufwand und damit eine Entlastung.
icher, es wird – wie immer bei solchen Gesetzen – zu-
ächst zu Mehrkosten bei den Ämtern in der Einfüh-
ungsphase kommen. Wenn wir allerdings die bisherigen
ufwendungen zur Durchführung des geltenden Lohn-
tatistikgesetzes zugrunde legen und sie mit den nun-
ehr zu verarbeitenden Daten und Zeiträumen verglei-
hen, werden wir feststellen, dass alle Geld sparen
erden. Die Länder werden der größte Nutznießer sein,
ie werden jährlich rund 590 000 Euro einsparen kön-
en, auch wenn diese Summe nicht sofort beim Finanz-
inister ankommt, weil zunächst Umstellungskosten ge-
engerechnet werden müssen.
Auch im Haushalt des Statistischen Bundesamtes
ird mit jährlichen Einsparungen von 20 000 Euro ge-
echnet, auch hier lasse ich die einmaligen Umstellungs-
osten außer Acht.
Für die Wirtschaft enthält das Gesetz – und das will
ch auch gar nicht unterschlagen – kostenbe- und -entlas-
ende Elemente. Aber in der Summe aller gesetzlichen
nderungen wird es zu weniger Kosten und Aufwand
ür die Wirtschaft kommen. Natürlich müssen wir immer
amit rechnen, dass durch unser Gesetz eventuell bei
em einen oder anderen Unternehmen möglicherweise
ie Kosten steigen und sich das auch für den Kunden be-
erkbar macht. Allerdings dürfte das wohl die absolute
usnahme sein, die die Regel eher bestätigt!
Die jetzt von uns zu verabschiedende Reform der
ohnstatistik ist Teil des Maßnahmenkatalogs der Bun-
esregierung in deren Programm „Bürokratieabbau und
essere Rechtsetzung“ in der Fassung des Eckpunktepa-
iers zum Mittelstandsentlastungsgesetz. Ich bin über-
eugt, dass wir mit dieser Gesetzesnovelle wieder einen
chritt – über dessen Größe ich gar nicht spekulieren
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006 6273
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will – zu einer besseren Verwaltung und somit Regie-
rungshandeln kommen. Das haben wir uns vorgenom-
men im Interesse des Standorts Deutschland – und das
setzen wir jetzt um. Ich wäre froh, wenn sich daran mög-
lichst viele Kolleginnen und Kollegen beteiligen wür-
den, ich lade Sie auf jeden Fall gerne dazu ein.
Martin Zeil (FDP): Wir beraten heute in zweiter und
dritter Lesung über das neue Verdienststatistikgesetz,
dass das geltende Gesetz über die Lohnstatistik zum
1. Januar 2007 ablösen soll. Unter der Maßgabe der eu-
ropäischen Verordnungen ist es das Ziel des neuen Ge-
setzes, die gegenwärtige Wirtschaftsstruktur in ihrer
ganzen Breite zu erfassen und der gestiegenen Bedeu-
tung des Dienstleistungssektors auch in der statistischen
Erfassung Rechnung zu tragen. Gleichzeitig sollen mit
dem neuen Gesetz kleine und mittelgroße Unternehmen
von Berichtspflichten entlastet werden.
Damit ist das neue Verdienststatistikgesetz ein Schritt
in die richtige Richtung. Wir begrüßen dabei ausdrück-
lich die geplante Entlastung durch die Reduzierung der
Verdiensterhebung und die Reduzierung der Erhebungen
im Bereich der Landwirtschaft und des Handwerks. Wir
begrüßen auch die Reduzierung der Kosten bei den sta-
tistischen Landesämtern und dem Statistischen Bundes-
amt.
Ich will Ihnen aber auch ganz klar sagen, warum wir
diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen können. Es muss
nämlich noch einmal deutlich gemacht werden, dass Sie
mit diesem Gesetz Gefahr laufen, Bürokratie auf- und
nicht abzubauen. Ich möchte Sie an Ihre Koalitionsver-
einbarung erinnern, in der Sie das Ziel festgeschrieben
haben, die milliardenschweren Bürokratielasten in unse-
rem Land zu reduzieren und neue zu vermeiden. Das
leisten Sie mit diesem Gesetz nicht. Zum einen wird
durch den Gesetzentwurf der Mittelstand vermehrt in die
Pflicht genommen, zum anderen bleiben Chancen der
Entlastung – die sich hier durchaus geboten hätten – un-
genutzt. Ich will Ihnen das näher erläutern: Da der Anteil
der kleineren und mittleren Unternehmen im Dienstleis-
tungssektor höher ist als in denjenigen Wirtschaftszwei-
gen, die von Berichtspflichten entlastet werden, wird es
in der Summe mit der Ausdehnung der Berichtspflicht
auf den Dienstleistungssektor zu einer Zunahme der Be-
lastung für eben diese kleineren und mittleren Unterneh-
men kommen. Das sollte man wissen und auch entspre-
chend berücksichtigen. Ein zentrales Ziel des
Verdienststatistikgesetzes, den durch Bürokratiekosten
überproportional belasteten Mittelstand von Berichts-
pflichten zu verschonen, wird damit verfehlt.
Es muss aber auch angemerkt werden, dass eine bun-
desländerspezifische Erhebung nicht notwendig gewe-
sen wäre. Es ist zu bedauern, dass die Bundesregierung
im Vorfeld einen Änderungsvorschlag des Bundesrates
abgelehnt hat. Die Länder befürchten hier einen starken
Anstieg der Arbeitsbelastung in den statistischen Lan-
desämtern. Die Bedenken der Länder sollten ernst ge-
nommen werden. Da das EU-Recht keine Ausweitung
auf Landesebene vorsieht, fordern wir, auf eine solche
zu verzichten.
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Darüber sind vor allem die folgenden Punkte zu be-
ängeln: Der geplante Stichprobenumfang der verschie-
enen Verdiensterhebungen ist zu weit. Danach sollen
ro Stichprobe 40 500 respektive 34 000 Unternehmen
erangezogen werden. Diese Stichprobenumfänge lassen
ich nicht aus den zugrunde liegenden EU-Verordnungen
bleiten. Unter der Zielsetzung einer geringen Belastung
ür die Unternehmen bei statistischen Berichtspflichten
natürlich weiter unter der gleichzeitigen Gewährung
ussagekräftiger Daten – wäre eine Reduzierung des
tichprobenumfangs in allen Erhebungen des Verdienst-
tatistikgesetzes auf die Hälfte der Grundgesamtheit
innvoll. Daraus würde sich ein Entlastungseffekt für die
nternehmen ergeben bzw. damit könnten über
0 000 Unternehmen von Berichtspflichten verschont
leiben.
Die Möglichkeit, in Zukunft im Rahmen der statisti-
chen Berichtspflichten vermehrt Daten elektronisch zu
bermitteln, ist grundsätzlich positiv zu bewerten. Die
ier zur Anwendung kommende Software eSTATIS-
IK.core kann mittel- bis langfristig eine geeignete da-
entechnische Voraussetzung bieten. Wir nehmen aber
uch hier die Bedenken der Unternehmen sehr ernst, die
nmerken, dass sich das automatisierte Datengewin-
ungsverfahren eSTATISTIK.core noch in der Erpro-
ungsphase befindet und ein voller Einsatz in den Unter-
ehmen bereits zu Beginn des nächsten Jahres sehr
nrealistisch ist. Die teils erheblichen Kosten, die mit
er Umstellung auf den Betrieb von eSTATISTIK.core
erbunden wären, halten vor allem viele kleinere Unter-
ehmen von der Umstellung ab. Zudem ist der Melde-
eg häufig noch technisch fehleranfällig.
Lassen Sie mich zum Schluss noch anmerken, dass
it der Ablösung des Lohnstatistikgesetzes durch das
eue Verdienststatistikgesetz die Chance hätte ergriffen
erden müssen, eine umfassende Revision der komplet-
en Unternehmensstatistik einzuleiten. Gerade im Be-
eich der amtlichen Statistik sind viele Gesetze und Ver-
rdnungen nicht aufeinander abgestimmt. Dazu wird in
ielen Bereichen das Potenzial von Datenbanksynergien
icht ausreichend genutzt, obwohl mit dem Verwal-
ungsdatenverwendungsgesetz die rechtliche Grundlage
ür den Datenaustausch geschaffen wurde.
Abschließend möchte ich sagen, dass die Belange der
irtschaft und der Länder hätten ernster genommen
erden müssen. Das neue Verdienststatistikgesetz wurde
icht genutzt, die Unternehmen und Bürger in diesem
and umfassender zu entlasten. Aus diesen Gründen leh-
en wir das Gesetz ab.
Sabine Zimmermann (DIE LINKE): Es kommt
anchmal vor, dass jemand genau das Gegenteil von
em tut, was er ständig erzählt. Das ist diesmal bei der
undesregierung der Fall. Bisher hat die Bundesregie-
ung beklagt, es gebe zuviel amtliche Statistik und diese
ürde kleine und mittlere Unternehmen übermäßig be-
asten und wirtschaftliches Wachstum hemmen. Diese
ehauptung entbehrt jeglicher Grundlage. Darauf
omme ich gleich. Zunächst zum vorliegenden Entwurf
es Verdienststatistikgesetzes. Damit soll die Erhebung
6274 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006
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der Arbeitsverdienste und Arbeitskosten auf nahezu die
gesamte Wirtschaft ausgeweitet werden. Bisher erfolgte
dies nach dem alten Lohnstatistikgesetz von 1951 nur in
der Industrie und einigen Teilen des Dienstleistungsge-
werbes.
Die Erfassung der Arbeitsverdienste und Arbeitskosten
ist politisch sinnvoll. Eine ordentliche und verlässliche
Statistik ist unabdingbar für eine verantwortungsvolle
Wirtschaftspolitik. Mit diesem Verdienststatistikgesetz
soll nun auch die Teilzeitbeschäftigung erfasst werden. In
einer Zeit, in der die Mini- und Midijobs, von denen man
nicht leben kann, um sich greifen, ist das nur zu begrüßen.
Die Linke stimmt deshalb dem vorliegenden Gesetzes-
entwurf zu – bei aller Kritik, die wir an einzelnen Punkten
haben. Ich nenne hier nur die unnötige Streichung be-
stimmter Erhebungen im Handwerk. In Zukunft wird es
einen weniger differenzierten Einblick in die dortige
Lage geben.
Sie sehen, meine Damen und Herren von Union und
SPD, wir machen unsere Ankündigung wahr und beglei-
ten die Vorhaben der Bundesregierung in punkto Büro-
kratieabbau konstruktiv und stimmen zu, wo etwas in die
richtige Richtung geht. Allerdings muss man sagen: Die
Bundesregierung hat dieses Gesetz nicht aus rein freien
Stücken vorgelegt. Sie folgt damit zu großen Teilen den
Maßgaben der EU, die Verdienststatistik an EG-Recht
anzupassen.
Ich sagte es bereits: Der bisherige Kurs der Bundesre-
gierung bestand darin, eine Kampagne zum Abbau von
Statistikpflichten zu führen. Sie hat dies mit dem Mode-
wort Bürokratieabbau gerechtfertigt und behauptet, vor
allem die mittelständischen Unternehmen würden von
Statistikpflichten quasi erdrückt. Was daran Propaganda
ist und was Realität, das hat jüngst eine verlässliche Un-
tersuchung gezeigt. Das Deutsche Institut für Wirt-
schaftsforschung hat mithilfe der statistischen Ämter die
Belastung der Unternehmen durch die amtliche Statistik
repräsentativ ermittelt – übrigens im Auftrag des Bundes-
wirtschaftsministeriums. Wir mussten lange auf eine sol-
che verlässliche Untersuchung warten. Alle anderen jün-
geren Studien basierten lediglich auf der subjektiven
Einschätzung einzelner Unternehmer. Was ist nun bei
der DIW-Untersuchung heraus gekommen? 85 Prozent
der knapp 3,5 Millionen Unternehmen in Deutschland
meldeten 2004 überhaupt keine Daten an die statisti-
schen Ämter. Die anderen etwa 500 000 befragten Un-
ternehmen mussten durchschnittlich eine Stunde im
Durchschnitt für Fragen der amtlichen Statistik aufwen-
den. Bei kleinen Unternehmen bis neun Beschäftigte be-
trug der durchschnittliche Meldeaufwand lediglich eine
halbe Stunde im Monat. Es ist also nichts dran an dem
Märchen einer erdrückenden Statistiklast für die kleinen
und mittleren Unternehmen.
„Gute Politik braucht gute Statistik“, sagt der Vize-
präsident des statistischen Bundesamtes. Auf die gute
Politik im Interesse der Menschen warten wir vergeb-
lich. Dafür hat die große Koalition begonnen, eine gute
und gesellschaftlich notwendige Statistik abzubauen. Ich
nenne hier nur das erste Mittelstandsentlastungsgesetz,
das Union und SPD vor der Sommerpause beschlossen
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aben. Danach fallen im produzierenden Gewerbe Be-
riebe mit weniger als 50 tätigen Personen aus der bishe-
igen Berichtspflicht heraus. Wenn nun aber keine ver-
ässlichen Daten über die Situation der kleinen
nternehmen vorliegen, wie soll dann eine vernünftige
irtschaftspolitik für diesen Bereich gemacht werden?
ielleicht ist das auch nur ein Zeichen der Ehrlichkeit,
ass die Politik der großen Koalition eine Politik des
roßen Kapitals ist.
Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
undeskanzlerin Merkel hatte zu Beginn ihrer Regie-
ungszeit angekündigt, sie wolle die Herkulesaufgabe
ürokratieabbau mit neuer Kraft angehen. In Würdigung
es vorliegenden Gesetzentwurfs kann ich dazu feststel-
en: Frau Merkel ist sicherlich kein neuer Herkules, denn
raft, Mut und Kondition reichen bei ihr beim Bürokra-
ieabbau nicht einmal zum Abarbeiten von Standards.
Meine Begründung für diese Einschätzung ist ganz
infach. Mit dem Gesetzentwurf soll das geltende Lohn-
tatistikgesetz durch ein neues Verdienststatistikgesetz
bgelöst werden. Ein erklärtes Ziel der Bundesregierung
st es, damit die Wirtschaft von Berichtspflichten zu ent-
asten. So weit, so löblich.
Aber: Das Ergebnis dieser Bemühungen ist mehr als
ager. Anstelle der bisher vierteljährlichen und jährli-
hen Verdiensterhebungen wollen Sie die Wirtschaft nur
och zu den vierteljährlichen Erhebungen über Ver-
ienste und Arbeitszeiten verpflichten.
Ich muss keine Prophetin sein, um Ihnen vorhersagen
u können, dass in der Wirtschaft wegen dieses Resultats
icherlich keine Sektkorken knallen werden.
Dabei ginge es auch anders. Wir hatten Ihnen in den
eratungen vorgeschlagen, lediglich die jährliche Erhe-
ung verpflichtend beizubehalten und stattdessen auf die
ierteljährlichen Datenerhebungen zu verzichten. Ein-
al Aufwand statt fünfmal Aufwand. Das wäre eine tat-
ächliche Entlastung der Wirtschaft, mit der viel Zeit
nd Geld hätte gespart werden können. Die Koalition
leibt aber lieber beim Klein-Klein und hat nicht den
ut aufgebracht, sich unserem Vorschlag anzuschließen
nd den Bürokratieabbau damit wirklich einmal voran
u bringen. Deshalb lehnen wir Ihren Gesetzentwurf
uch ab.
Der kleinmütige Umgang prägt Ihr Verhältnis zum
ürokratieabbau auch in der Gesamtschau. Kein Wun-
er, dass das Handelsblatt vom vergangenen Dienstag
hre Bemühungen bereits als drohenden Flop bezeich-
ete. Die Kritik am Handeln der Bundesregierung ist
ernichtend: Sie benennen keine konkreten Entlastungs-
iele. Sie befassen die falschen Leute mit den anstehen-
en Aufgaben, und Sie kaprizieren sich aufs Messen von
osten und nicht auf die faktische Kostenreduzierung.
Schon wird gespottet, bisher sei unter Ihrer Aegide le-
iglich eine „Bürokratieabbau-Bürokratie“ entstanden.
ür tatsächliche Änderungen aber fehlt Ihnen der Ehr-
eiz. Die Niederlande haben uns vorgemacht, dass es
uch anders geht: Sie haben nicht nur ein ehrgeiziges
iel formuliert, sondern werden dieses Ziel – Reduzie-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006 6275
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rung der Bürokratiekosten um ein Viertel – voraussicht-
lich auch erreichen. Dies entspräche übertragen auf die
deutschen Verhältnisse einem jährlichen Entlastungspo-
tenzial von 20 Milliarden Euro.
Dieses Potenzial für innovative Entwicklungen und
mehr Beschäftigung nutzbar zu machen, wäre ein loh-
neswertes Projekt. Darum appelliere ich an Sie: Verwal-
ten und vermessen Sie nicht länger den Bürokratieabbau,
sondern werden Sie initiativ. Dann können Sie auch mit
unserer Unterstützung rechnen, die wir Ihnen heute noch
versagen müssen.
Anlage 11
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Anträge:
– Hochschulpakt 2020 zum Erfolg bringen –
Studienplätze bedarfsgerecht und zügig aus-
bauen
– Die Qualität der Hochschullehre sichern –
den Hochschulpakt 2020 erfolgreich ab-
schließen und weiterentwickeln
– Hochschulpakt 2020 – Kapazitätsausbau und
soziale Öffnung
(Tagesordnungspunkt 20 a bis c)
Monika Grütters (CDU): Hochschulpolitik hat ein-
mal mehr in der Republik Konjunktur – und das ist auch
gut so, möchte man sagen, auch wenn das Bundesland,
aus dem dieser Spruch seine Wirkung bezieht, sich in
Sachen Hochschulpolitik zur Zeit nicht gerade mit Ruhm
bekleckert …
Aber nachdem wir in der vergangenen Plenarwoche
die laufenden Verhandlungen um den Hochschulpakt in
der Aktuellen Stunde diskutiert haben, steht er heute
erneut auf der Agenda des Bundestages. Das zeigt die
enorme Bedeutung, die die Wissenschaft im Bewusst-
sein und auch in der bundesrepublikanischen Wirklich-
keit hat.
Grüne und Linke beantragen – und das ist lobenswert,
interessant und auch ein wenig kurios –, die bisher be-
reitgestellten Bundesmittel für den Ausbau der Studien-
platzkapazitäten zu erhöhen. Immerhin, darin schwingt
ja ein kleiner Teil Anerkennung für die Anstrengungen
mit, die in der Tat von der Bundesregierung in dieser
Sache unternommen werden. Schön. Man fragt sich aber
auch verwundert, warum denn die Grünen in der kürz-
lich zu Ende gegangenen Legislatur so gar nicht auf die
Idee gekommen sind, sich einmal bundespolitisch mit
den Hochschulen und den Studierendenzahlen auseinan-
der zu setzen. Und zu der Linken kann ich nur sagen,
dass Sie ganz brav die sozialpolitische Rede hier halten,
die Sie meinen, Ihrer Klientel schuldig zu sein – auch
das ist in Ordnung, hat aber mit Hochschulpolitik im
Jahr 2006 nur bedingt zu tun. Der Nachholbedarf Ihrer-
seits an diesem sensiblen Punkt ist aber auch unsererseits
nachvollziehbar.
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Also zur Sache:
Die Anstrengungen, den Hochschulpakt zu verhan-
eln, mögen ja gelegentlich Züge des Unmöglichen
ragen. Aber es ist doch die Bundesministerin Schavan,
ie die Bemühungen um den Hochschulpakt beharrlich
orantreibt, ja die sogar die Idee zu diesem Hochschul-
akt hatte.
Da macht es wenig Sinn, sondern verläuft sich als Op-
ositionsmasche, schon auf halbem Wege dahin sein
cheitern zu beschwören – dies nur an die Adresse der
rünen und der Linken. Aus Ihren Anträgen lese ich
edenfalls nur bedingt das Bemühen heraus, den Hoch-
chulpakt zum Erfolg zu führen. Sie überfrachten schon
ie Anfangsmühen mit neuen Forderungen – nach mehr
eld die einen und nach Kriterien, die wirklich erst dann
elevant werden, wenn man sich länder- und bundessei-
ig in Grundsätzlichem einig geworden ist. Nun gehört
as Schlechtreden zum Oppositionsritual, aber nützen
ut das hier niemandem.
Schließlich ist eine höhere Studierquote im gesamt-
taatlichen Interesse (das konstatieren immerhin auch
ie Grünen) und deshalb ist es auch gut, dass es mit dem
ochschulpakt endlich eine verabredete Zusammenar-
eit zwischen Bund und Ländern geben wird. Im Übri-
en wäre das in der Tat beinahe am starren Willen eini-
er Ministerpräsidenten gescheitert, die hier in
ußerordentlicher Weise auf ihrer Länderzuständigkeit
eharrten – aber es waren Bildungs- und Wissenschafts-
olitiker aller politischen Couleur, die sich dann doch er-
olgreich für die jetzigen Varianten im föderalistischen
efüge eingesetzt haben.
Im aktuell zu vereinbarenden Hochschulpakt werden
lso endlich beide Seiten in die Pflicht genommen, und
s ist der Bund, der seine Vorleistungen schon erbracht
at, indem hier 565 Millionen Euro als Finanzierungs-
ilfe für zusätzliche Studienplätze und 700 Millionen Euro
ür Programmittel für Forschungsprojekte an den Unis
ur Verfügung gestellt wurden. Da können Sie gerne
ehr, noch mehr fordern – als Opposition kommen Sie
a nicht in die Verlegenheit, zu sagen, wessen Ressort
afür geschröpft werden soll. Und immerhin fließen
urch diese Regierung erhebliche zusätzliche Mittel in
issenschaft und Forschung – so etwas hat es vorher nie
egeben! Da ist der Ruf nach immer mehr gerade einmal
illig.
Die Bundesmittel in Höhe von 565 Millionen Euro zur
apazitätserhöhung müssen komplementär von den Län-
ern gegenfinanziert werden, also könnten insgesamt
ogar 1,3 Milliarden Euro in die Universitäten fließen –
enn, ja wenn die Länder ihrer so eifersüchtig einge-
lagten Verantwortung für die Hochschulen tatsächlich
erecht würden.
Und was für eine Chance besteht in der Ausformulie-
ung der inhaltlichen Erwartungen an einen Hochschul-
akt: Frauenförderung, wachsende Internationalisierung,
inführung des Lecturers, Mobilität zwischen den Län-
ern, usw. Sie, die Linken, haben ja durchaus Recht,
enn Sie so etwas thematisieren – wie Sie sehen, sind
ie nicht die Ersten, die das tun.
6276 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006
(A) )
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Angesichts der unterschiedlichen Entwicklungen der
Studierendenzahlen könnten die Länder darüber hinaus
endlich auch einmal ein Miteinander üben: Etwas mehr
als ein Drittel der zusätzlichen Studienanfänger aus dem
Westen könnten im Osten studieren. Nur hängt die Wan-
derung der Studierenden von Faktoren ab, die bewusst po-
litisch gestaltet werden können und müssen, zum Beispiel
die Attraktivität der Studienorte, konkrete Bedingungen
des Studiums, Studienfinanzierung und Zulassungsfragen.
Für eine Mitverantwortung des Westens für den Osten
hat Hessen ein erstklassiges Angebot gemacht und vorge-
schlagen, 25 Prozent der Gesamtsumme an die ostdeut-
schen Unis zu überweisen. Baden-Württemberg – Herr
Minister Frankenberg hat das hier in der Aktuellen Stunde
erwähnt – plant bilaterale Vereinbarungen zwischen sei-
nen Unis und jeweils einer aus dem Osten. Das hat es
noch nie gegeben und sicher hätten noch vor kurzem viele
das für unmöglich gehalten.
Ein größerer Anteil als der bisherige unserer Studieren-
den könnte phasenweise im Ausland studieren, das könnte
man sogar belohnen – so würde auch unser Bildungs-
system noch internationaler.
Alle diese Möglichkeiten sind natürlich nicht kosten-
neutral zu haben. Aber in diesem Kontext seitens der
Oppostion Kritik an den Verhandlungen zum Hochschul-
pakt zu üben, ist schlichtweg unlauter: Denn unterfinan-
ziert sind die Hochschulen schon jetzt, und das ist ein
Versäumnis aller Länder!
Und klar, hier kann ich mir als Berliner Abgeordnete
auch einen Seitenhieb auf die KMK nicht verkneifen
(von den Vorschlägen bekannter Karlsruher Richter ganz
zu schweigen): Die Stadtstaaten haben ein Problem, weil
es in der Natur der Sache liegt, dass sie über ihrem Lan-
deskinder-Soll ausbilden, auch in finanziell schwierigen
Zeiten. Insbesondere die Hauptstadt. Wir haben in Berlin
bereits einen flächendeckenden Numerus clausus und
trotzdem wurden hier in diesem Wintersemester bereits
sechs von sieben Studienbewerber wieder weggeschickt.
Das können wir uns eigentlich alle nicht leisten. Und das
ist auch nur mit einer gemeinsamen Anstrengung zu
stemmen. Da ist es auch verständlich, dass Länder mit
einen höherem Anteil an Nicht-Landeskindern zunächst
diese Studienplätze ausfinanzieren wollen, bevor sie
neue zur Verfügung stellen. Aber es kann beim Hoch-
schulpakt andererseits auch nur um neue, „frische“ Stu-
dienplätze gehen, wenn man dem Ansturm gerecht wer-
den will. Soll allerdings die Qualität gewahrt bleiben
und will man über den Bacherlor-/Master-Abschluss,
also den Bolognaprozess, auch endlich die Absolventen-
(und nicht nur die Anfänger-)Quote erhöhen, dann muss
auch neues Geld in das System. Eine vernünftige Idee ist
es hier, einen erheblichen Anteil der zur Verfügung ste-
henden Mittel in neue Fachhochschul-Studienplätze zu
investieren. Das entspricht nicht nur den Bedürfnissen
des Arbeitsmarktes, sondern auch der Nachfrage unter
den Abiturienten, und es ist eben weniger kostenintensiv
als universitäre Studienplätze.
Es ist eben eine Vielzahl von Aufgaben, die erledigt
werden muss an den deutschen Hochschulen und nicht
alle kann der Hochschulpakt lösen. Und schon gar nicht
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ird das funktionieren, wenn sich die Länder nicht wirk-
ich endlich einigen. Das Druckmittel des Bundes ist das
eld, das nur dieser tatsächlich bereits für diese Aufgabe
ur Verfügung gestellt hat. Vielleicht können sich manche
änder nicht vorstellen, dass dieses Geld eventuell gar
icht fließt, falls sie sich nicht noch rechtzeitig einigen?
Dass wir bei allem schrillen Beharrungsvermögen der
änder auf ihrer Zuständigkeit für die Wissenschaft im
ahmen der Föderalismusreform wenig Hoffnung hatten,
ass ausgerechnet das zuständige Gremium KMK diese
usätzlichen Steuerungsaufgaben angemessen bewältigen
ürde – dieses unser Misstrauen wird nun leider einmal
ieder allzu deutlich bestätigt. Hatte man uns nicht hier
n der Anhörung ein allmähliches Abrücken vom Ein-
timmigkeitsprinzip in Aussicht gestellt? Nichts davon.
ber schon der damalige Kanzler Helmut Kohl hatte die
MK als den „letzten Hort der Reaktion“ bezeichnet.
Stattdessen also „haltlose Länderegoismen“, wie die
AZ so treffend titelte. Die gilt es in der Tat zu überwin-
en – und das dürfte sogar auch eine Aufgabe an uns alle
ein, die wir ja aus den Wahlkreisen all dieser Bundes-
änder kommen.
Das ist aber auch ein Appell an Sie, die Sie uns die
eutigen Anträge beschert haben: Zwar sind die Grünen
a auch in den Ländern nicht in der Regierungsverant-
ortung, denn dann könnten Sie immerhin Ihre Kritik
us dem „exekutiven Off“ in eine konstruktive Politik
mwandeln. Aber in der Gesamtverantwortung für ein
elingen des Hochschulpaktes stehen Sie auch. Also,
elfen Sie mit, wahr zu machen, was möglich ist. Helfen
ir alle mit, die Länder auf einen guten gemeinsamen
eg zu bringen. Das sind wir nämlich alle unseren Stu-
ierenden in Deutschland und unseren Hochschulen
chuldig.
Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Mit Recht dür-
en wir sagen: Kein bildungs- und forschungspolitisches
hema hat den Deutschen Bundestag in den vergange-
en Monaten im Plenum wie in den Ausschüssen derart
eschäftigt wie das ebenso notwendige wie weit rei-
hende Projekt des Hochschulpaktes. Dieses Projekt,
chon unter Rot-Grün als zweites Standbein neben der
xzellenzinitiative in der Aufwertung von Wissenschaft,
orschung und Lehre in Deutschland in die Diskussion
ebracht und mit vorbereitet, ist bereits Gegenstand von
ahlreichen Parlamentsdebatten gewesen, zuletzt noch
or knapp zwei Wochen in der Aktuellen Stunde des
undestages. Wir haben im zuständigen Ausschuss kon-
inuierlich dazu Berichte der Regierung erhalten und mit
er Regierung diskutieren können.
Anforderungen und Eckpunkte an einen solchen
ochschulpakt sind von den Fraktionen, die die Regie-
ung tragen, frühzeitig in die Diskussion gebracht wor-
en. Die SPD-Bildungspolitiker haben im März 2006
it einem Zehn-Punkte-Katalog für einen ehrlichen
ochschulpakt die Vorlage gegeben. Die CDU-Bil-
ungspolitiker haben im Juli 2006 nachgezogen.
Nach dem in diesem speziellen Punkt erfolgreichen
bschluss der Föderalismusreform, der nicht zuletzt
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006 6277
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durch den hartnäckigen Einsatz der SPD-Bildungspoliti-
ker und der SPD-Fraktion insgesamt überhaupt erst die
Grundlage dafür geschaffen hat, dass mit einer neuen
Gemeinschaftsaufgabe „Wissenschaft“ in Art. 91 b des
Grundgesetzes die rechtlichen Grundlagen für einen
Hochschulpakt geschaffen werden konnten, gibt es ge-
meinsame Verhandlungen von Bund und Ländern über
die Umsetzung eines solchen Vorhabens. Noch in die-
sem Jahr, im Dezember, beim abschließenden Jahrestref-
fen zwischen den Ministerpräsidenten und der Bundesre-
gierung in Form der Bundeskanzlerin soll es zu einem
Abschluss des Hochschulpaktes kommen. In der über-
nächsten Woche, am 20. November 2006, soll die Vor-
lage hierzu aus den Verhandlungen der Länder unter-
einander und mit dem Bund zu einem erfolgreichen
Abschluss geführt werden.
In dieser Situation legen jetzt die drei Oppositions-
fraktionen ihrerseits Anträge vor, die noch einmal in der
Analyse die Notwendigkeit eines Hochschulpaktes be-
gründen, den quantitativen wie qualitativen Zustand des
deutschen Hochschulwesens und seiner Entwicklung
analysieren und gleichzeitig Anforderungen an den
Hochschulpakt definieren. Man könnte etwas ketzerisch-
ironisch sagen, dass eine solche Vorlage, in die absolute
Schlussrunde der Verhandlungen platziert, sicherlich
nicht zu früh kommt, um es positiv auszudrücken. Ob sie
besonders hilfreich und wegweisend sein können zu die-
sem Zeitpunkt, darf gleichwohl bezweifelt werden. Aber
machen wir das Beste daraus.
Hierzu fünf Bemerkungen:
Erstens. Allen drei Anträgen der Oppositionsfraktio-
nen, so weit sie von ihrem politischen Spektrum auch
auseinander liegen mögen, ist eigen, dass sie eine große
Übereinstimmung in der Analyse und der Beschreibung
der qualitativen und quantitativen Anforderungen an die
Hochschulentwicklung der Zukunft haben, die Defizite
im deutschen Hochschulsystem und die Finanzierungs-
lücken übereinstimmend und richtig beschreiben und
auch die politischen Perspektiven und Chancen eines
Wachstums der Zahl der Studierenden und der Studien-
plätze in einer Weise herausarbeiten, dass sich denen
auch die SPD und sicherlich auch die CDU/CSU von der
Zielsetzung her anschließen können. Hier liegt, jenseits
des traditionellen Wechselspiels zwischen die Regierung
tragenden und gegen die Regierung opponierenden Frak-
tionen im Bundestag, durchaus eine Chance, die nicht
selbstverständlich ist. Im Interesse der Studierenden und
der Hochschulen ziehen alle Parteien des Deutschen
Bundestages im Grundsatz in die gleiche Richtung, auch
wenn es bei der Übereinstimmung in den Zielen, in der
Bewertung und der Wahl der Instrumente natürlich die
notwendigen politischen Unterschiede gibt.
Zweitens. Wenn es denn wirklich ein Hochschulpakt
zwischen Bund und Ländern werden soll, stehen beide
politischen Ebenen in gleicher Weise in der Verantwor-
tung, sind in gleicher Weise auf dieses Ziel verpflichtet
und müssen auch ihren Anteil verbindlich, nachvollzieh-
bar und effizient einbringen und umsetzen. In diesem
Zusammenhang ist es müßig, jetzt noch an den Regelun-
gen der Föderalismusreform in Art. 91 b „herumzukrit-
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eln“, selbst wenn sich auch die SPD dort noch vieles an-
eres gewünscht hat. Das Gebot der Einstimmigkeit der
änder mag die Verhandlungen nicht leichter machen,
ber bietet bei erfolgreichen Verhandlungen dann auch
ie Gewähr, dass alle Länder in gleicher verbindlicher
eise auf den Hochschulpakt verpflichtet sind. Sehen
ir hier also die Chance und weniger das Risiko.
Dies gilt umso mehr, als sich angesichts der politi-
chen Konstellationen der letzten Zeit und in der Breite
er Länder keine Partei über die andere erheben kann.
enn die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen, der
ir Sozialdemokraten in alter Verbundenheit natürlich
och besonders nahe stehen, jetzt zu überschießenden
orderungen kommen sollte, so dürfen wir Ihnen noch
agen, dass die mittelfristigen Finanzplanungen wie die
rundstrukturen von Exzellenzinitiative und Hochschul-
akt noch in gemeinsamen Regierungszeiten angelegt
nd damit auch verantwortet und durch den Wechsel in
en Oppositionsstatus bei Bündnis 90/Die Grünen weder
ergessen noch obsolet geworden sind. Vor einem zu
urzen Gedächtnis sei hier gewarnt.
Wenn die FDP und die Linkspartei vom Bund so viel
ehr Mittel für den Hochschulpakt einfordern, so wol-
en wir nicht vergessen, dass beide Parteien in Landesre-
ierungen in verantwortlicher Stelle mitwirken und ihre
laubwürdigkeit für eine deutliche Erhöhung des Hoch-
chulpaktes um so größer ist, je mehr sie hierfür ihr
ngagement in ihren Landesregierungen erfolgreich
achweisen können und je drängender aus ihren Landes-
egierungen die Forderungen nach zusätzlichen Länder-
itteln komplementär zu einem gleichen Anteil Bundes-
ittel durch Ministerpräsidenten, Finanzminister und
ildungsminister zusammen laut geäußert werden. Wir
aben allerdings den Eindruck, dass mit dem Finanzvo-
umen, das der Bund hier in die Debatte für die Jahre
007 bis 2010 bringt, durchaus das Maß getroffen ist,
as auch von den Ländern ernsthaft ins Auge gefasst
ird und faktisch dann bedient werden kann, so schwie-
ig dies auch noch werden mag.
Im Übrigen gehen Forderungen aus Linkspartei und
DP dann umso mehr in die Irre, wenn gleichzeitig in
en Ländern, in denen sie an der Regierungsmacht betei-
igt sind, – dies gilt insbesondere für die FDP in Nieder-
achsen, in Nordrhein-Westfalen und in Baden-
ürttemberg –, Kapazitätslücken an Hochschulen ent-
tanden sind bzw. sogar ein Abbau an Studienplätzen
orgenommen wird. Diesen beiden Fraktionen möchten
ir deshalb sagen: Der Ernstfall ist da. Die Glaubwür-
igkeit Ihrer Anträge bemisst sich auch an dem wahr-
ehmbaren Einsatz Ihrer Landesregierungen für das, was
ie hier im Bundestag fordern. Hic pacta, hic salta!
Drittens. Aus den Forderungskatalogen der drei Op-
ositionsanträge wird erkennbar, dass es nicht nur um
uantitäten, sondern auch um Qualitäten in Bezug auf
en Hochschulpakt geht. Tatsächlich erwarten auch wir
ozialdemokraten – und dies haben wir schon in unseren
ehn Eckpunkten für den Hochschulpakt im März 2006
usgedrückt und in vielen Parlaments- und Ausschusssit-
ungen immer wieder massiv eingefordert –, dass die
ereinbarungen zwischen Bund und Ländern nicht nur
6278 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006
(A) )
(B) )
eine kurze, der Diplomatie zwischen Bund und Ländern
genügende Umkleidung eines bloßen Finanztransfers ist,
sondern auch Verbindlichkeit, Transparenz in Finanzie-
rung und Umsetzung sowie auch qualitative Ziele ein-
schließt. Die Bundesregierung, die notwendig treuhän-
derisch die Verhandlungen für das Parlament und den
durch die Mehrheitsfraktionen repräsentierten Regie-
rungswillen wahrnimmt, hat uns im Parlament und im
Ausschuss immer wieder dargelegt, dass auch sie insge-
samt – hier die Ministerin für die Regierung – darauf
dringen, dass wichtige qualitative Zielsetzungen im ge-
meinsamen Hochschulpakt von Bund und Ländern ver-
bindlich verabredet werden. Zu nennen sind hier die Ab-
sicherung der Frauenförderung, die Verbesserung der
Lehre durch Erhöhung der Lehrkapazitäten und neue
Personalkategorien wie den Lecturer sowie der Ausbau
des Schwerpunktes in den technisch-naturwissenschaft-
lichen Fächern und die Stärkung der Fachhochschulen.
Die SPD hat in Penetranz, aber mit guter Begründung
gefordert, dass auch die Fortführung der Juniorprofessu-
ren als innovatives Element an den Hochschulen im
Hochschulpakt verbindlich abgebildet sein müsste. Wir
wollen der Opposition gerne versichern, dass wir ebenso
wie sie darauf setzen, dass diese Ankündigungen der
Bundesregierung auch in dem Pakt, den wir für den
20. November 2006 und dann zum Abschluss des Jahres
in der ratifizierten Form erwarten, ihren Niederschlag
finden.
Wir erwarten auch, dass in diesem Pakt eindeutig ab-
gesichert wird, dass der Ausbau der Lehrkapazitäten in
der gemeinsamen Verantwortung von Bund und Ländern
qualitativ im Vordergrund steht. Mit den ins Auge ge-
fassten Mitteln in Höhe von mindestens 565 Millionen
Euro durch den Bund und die mindestens gleiche
Summe durch die Länder, was dann in der ersten Säule
einem Umfang von 1,13 Milliarden Euro für die Jahre
2007 bis 2010 entspricht, würde diese Priorität für den
Ausbau der Hochschulkapazitäten klar erfüllt sein. Da-
neben steht dann die zweite, aus Sicht der SPD aller-
dings auch mit Recht an zweiter Stelle stehende Säule
von 700 Millionen Euro, die über die Programmpau-
schale bis 2010 die Forschungsstärke der Hochschulen
absichern und ausbauen soll und damit auch über diesen
Weg zur verbesserten Einheit von Forschung und Lehre
sowie zur Entlastung der Hochschulen bei den For-
schungsaufwendungen führen soll, auf dass die Hoch-
schulen an der anderen Stelle auch ihren Anteil über die
Bundes- und Landesmittel hinaus zum Ausbau der Lehr-
kapazitäten erbringen können. Ich will hier aber auch gar
kein Geheimnis daraus machen, dass im Zweifelsfall die
eindeutige Priorität bei der Sicherung der Mittel für den
direkten und unmittelbaren Ausbau der Hochschulkapa-
zitäten liegen muss und im Zweifelsfall die Programm-
pauschalen erst an zweiter Stelle kommen.
Dass die eigentliche Schlüsselaufgabe bei dem Hoch-
schulpakt konkret darin liegt, die verschiedenen Vo-
raussetzungen und Entwicklungstendenzen in Studien-
kapazitäten zwischen den Bundesländern so
auszubalancieren, dass die zusätzlichen Mittel auch
wirklich in Form von zusätzlichen Studienplätzen und
dem Belohnen von überproportionalen Studienanstren-
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ungen der Länder ankommen müssen, ist die eigentli-
he und schwierigste Aufgabe bei diesem Pakt. Lassen
ie mich an dieser Stelle ein ausdrückliches Dankeschön
peziell an den Kollegen Zöllner aus Rheinland-Pfalz
ichten, der in dieser Angelegenheit von Anfang an aktiv
ewesen ist und auch über die Veränderung in seinen üb-
igen Aufgaben hinaus an der Verantwortung für die Ver-
andlungen um diesen Verteilungsschlüssel festhält. Wir
ünschen jeden Erfolg für ihn und seinen Kollegen
lmert von der CDU-Seite, der jetzt kurzfristig das Ver-
andlungsgeschäft vom Kollegen der CDU aus Baden-
ürttemberg übernehmen musste.
Wenn die Oppositionsanträge hier jetzt noch in letzter
ekunde fordern, dass die Bundesbildungsministerin mit
etaillierten eigenen Vorschlägen in diese Verhandlun-
en hineingehen soll, unterstellen Sie erst einmal, dass
s solche Vorschläge nicht gegeben hat, und zum zwei-
en, dass die Bundesbildungsministerin besonders geeig-
et sei, den Interessenausgleich zwischen den Ländern
ier herbeizuführen. Wir gehen davon aus, dass die Bun-
esbildungsministerin tatsächlich nichts unversucht
ässt, insbesondere drei Interessenlagen aus der Vielfalt
er Länder besonders gerecht zu werden: den Kapazi-
ätsauslastungen in den neuen Bundesländern, den
esonderen Bedingungen in den Stadtstaaten und den
apazitätsvorleistungen und nachweisbaren Kapazitäts-
rweiterungen in den Flächenländern. Wir dürfen ge-
pannt sein, welche Erfolgsformel hier am Ende gefun-
en werden kann.
Viertens. Alle drei Anträge der drei Oppositionsfrak-
ionen weisen mit Recht darauf hin, dass der aktuell ver-
andelte Paktzeitraum 2007 bis 2010 nur ein erster
chritt sein kann und der Hochschulpakt nicht umsonst
ls Hochschulpakt 2020 die eigentliche Ausbauphase
it jährlich dann über 40 000 Hochschulplätzen ab 2010
mfasst. Wir halten es allerdings für einen falschen An-
atz, jetzt schon Finanz- und Verteilungsvolumina für
011 und die Folgejahre in die Debatte zu bringen und
arauf zu dringen, dass diese in die aktuellen Verhand-
ungen des Hochschulpaktes mit eingebracht werden.
as Entscheidende ist doch, das mühsam erkämpfte In-
trument des Hochschulpaktes, wie es überhaupt erst
urch den Einsatz bei der Föderalismusreform ermög-
icht werden konnte, im ersten Schritt erfolgreich zu be-
ältigen. Jedem muss doch klar sein, dass ohne einen
olchen Pakt für den Abschnitt 2007 bis 2010 die Chan-
en für den eigentlichen Pakt bis 2020 nur umso schlech-
er werden können. Deshalb kommt es für die SPD auch
ntscheidend darauf an, dass dieser erste Schritt wirklich
elingt. Zugleich wollen wir aber genauso deutlich ma-
hen, dass das Ergebnis für diesen ersten Paktabschnitt
und hier vor allen Dingen die Umsetzung in den Jahren
007/2008/2009 – entscheidend dafür sein wird, unter
elchen Vorzeichen dann der wesentlich bedeutsamere
nd auch vom Finanzvolumen her zwingend erweiterte
weite Teil des Hochschulpaktes bis 2020 wirklich zu-
tande kommen kann und in welcher Form dort quantita-
ive und qualitative Ziele dann verhandelt und in beleg-
are Vereinbarungen umgesetzt werden.
Fünftens. Dies gilt umso mehr, als wir Sozialdemo-
raten schon in unseren zehn Eckpunkten für einen ehrli-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006 6279
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chen Hochschulpakt drei zentrale Anliegen durchbuch-
stabiert haben: Erstens. Gute Hochschule braucht gute
Lehre und ein Hochschulpakt mit Substanz ist nur so
viel wert, wie er den Ausbau der Quantitäten mit dem
Ausbau der Qualitäten für alle verbindet.
Zweitens. Wir wollen einen Ausbau der Quantitäten
und Kapazitäten ohne soziale Schlagseite. Mehr Studien-
plätze, die dann von immer weniger Studenten aus sozia-
len und finanziellen Gründen wahrgenommen werden
können, wären ein schlechter Scherz. Die Weiterent-
wicklung und Stärkung des BAföG muss deshalb ein in-
tegraler Bestandteil einer langfristigen Strategie zum
Aufbau und Ausbau von Hochschulkapazitäten sein. Die
SPD hat im Koalitionsvertrag mit der CDU/CSU im
Streit durchgesetzt, dass es keine strukturellen Ver-
schlechterungen beim BAföG geben darf. Wir alle zu-
sammen müssen jetzt daran arbeiten, in absehbarer Zu-
kunft zu einer gemeinsamen und ausbauorientierten
Zukunftsstrategie für das BAföG zu kommen.
Drittens. Wir Sozialdemokraten haben mit Genugtu-
ung aufgenommen, dass speziell im Forderungskatalog
der FDP, die ja ein nicht ganz unbedeutender Koalitions-
partner der CDU in so wichtigen Flächenländern wie
Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Baden-
Württemberg ist, das Modell des Vorteilsausgleichs und
des Stammlandsprinzips zwischen den Bundesländern
mit aufgenommen worden ist. Die Frage deshalb an die
FDP: Dürfen wir die Hoffnung haben, dass Sie an dieser
Stelle den Kollegen Zöllner aus Rheinland-Pfalz, der
dieses Modell für die SPD-geführten Bundesländer
schon seit längerem in die Debatte gebracht hat, jetzt
auch tatsächlich mit aller Kraft unterstützen? Wenn das
Modell des Vorteilsausgleichs noch nicht hundertprozen-
tig im aktuell entstehenden Hochschulpakt verankert
werden kann und auch die von der SPD angeregte und
von der FDP aufgenommene Idee, den Bund stärker an
der Finanzierung der ausländischen Studierenden zu be-
teiligen, parallel hierzu dann Schritt für Schritt aufge-
baut werden könnte, so besteht doch die Hoffnung, dass
damit jedenfalls eine verbreiterte Allianz für die weite-
ren Verhandlungen zum möglichen zweiten Teil des
Hochschulpaktes mit gelegt sein könnte.
Zum guten Schluss: Am 20. November 2006, in nicht
einmal zehn Tagen, soll das Abschlusskonzept für den
Hochschulpakt 2007 bis 2010 vorgelegt werden. Wir
dürfen und wir müssen hoffen, dass sich die Länder ihrer
gestiegenen Verantwortung in der Form würdig zeigen,
dass sie einen Hochschulpakt mit Verstand und Perspek-
tive zusammen mit dem Bund verhandeln und dann am
20. November 2006 der Öffentlichkeit vorstellen kön-
nen. Für die weiteren Beratungen der jetzt noch in letzter
Sekunde vorgelegten Anträge der Oppositionsfraktio-
nen wünschen wir uns jedenfalls, dass in der nächsten
Sitzung des Bildungsausschusses, die sich voraussicht-
lich am 22. November 2006 mit dem erfolgreichen Ab-
schluss des Hochschulpaktes befassen kann, gemeinsam
festgestellt wird: Der Hochschulpakt für 2007 bis 2010
mag dann nicht jedem Wunsch von allen entsprechen
können, aber er ist erfolgreich auf den Weg gebracht und
sorgt jedenfalls dafür, dass für die Studierenden in
Deutschland neue Perspektiven entstehen und die Hoch-
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chulen in Quantität und Qualität auf die Höhe der Zeit
ommen.
Uwe Barth (FDP): In der Analyse sind wir uns mit
en beiden anderen Antragstellern, aber auch der Bun-
esregierung und den Ländern weitgehend einig: Die
tudierendenzahlen werden in den nächsten Jahren an-
teigen. Nach den Schätzungen der KMK um circa 20
is 30 Prozent auf bis zu 2,7 Millionen Studierende.
Dieser voraussehbare Anstieg der Zahl hochqualifi-
ierter junger Menschen ist insbesondere für unsere älter
erdende Gesellschaft eine großartige Möglichkeit, ihre
irtschaftliche und kulturelle Position in Europa und der
elt zu behaupten. Zugleich besteht für Bund und Län-
er die Herausforderung, die notwendige Zahl von Stu-
ienplätzen zur Verfügung zu stellen, den Bolognapro-
ess weiterzuführen und dabei die Qualität der
ochschullehre mindestens zu erhalten. Die mangel-
afte Qualität der Hochschullehre ist ein mitentscheiden-
er Faktor für die in Deutschland viel zu große Zahl der
tudienabbrüche.
Die Hochschulen und damit auch die Hochschullehre
ind in Deutschland seit Jahrzehnten unterfinanziert.
iese Unterfinanzierung ist in den letzten Jahren immer
rasser geworden: Deutschland wendet nur knapp
Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für die Hoch-
chulen auf, 0,6 Prozent für die Hochschullehre. Zum
ergleich: Die Vereinigten Staaten stecken 2,7 Prozent
hres riesigen Bruttoinlandsprodukts in die Hochschulen
OECD 2003). Bei den jährlichen Ausgaben pro Studie-
enden für die Lehre liegt Deutschland mit 6 342 US-
ollar deutlich unter dem OECD-Durchschnitt, der
822 US-Dollar beträgt.
Betrachtet man die Aufwendungen im Verhältnis zum
ruttoinlandsprodukt, so wird das Defizit noch deutli-
her: Die Ausgaben pro Studierenden liegen bei
5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts pro Kopf der Be-
ölkerung und liegen damit deutlich unter dem entspre-
henden OECD-Mittel von 34 Prozent (OECD 2005).
nd das, obwohl es in Deutschland vergleichsweise we-
ig Studenten gibt!
Wir stehen daher vor einer dreifachen Aufgabe: Es
uss ein ausreichendes Angebot von Studienplätzen für
ie zunehmende Zahl von Studierenden geschaffen wer-
en. Der Bolognaprozess mit seinen erhöhten Anforde-
ungen an die Hochschullehre muss erfolgreich weiter-
eführt werden. Die chronische Unterfinanzierung der
eutschen Hochschulen muss zumindest in der Tendenz
eendet werden.
Mit großem Recht hat der Bundespräsident in seiner
erliner Rede die Verbesserung des Bildungswesens
um zentralen Prüfstein der Zukunftsfähigkeit des Föde-
alismus erklärt. Hier entscheidet sich die Zukunftsfä-
igkeit unserer Gesellschaft. Hier entscheidet sich die
rage, ob Deutschland auch in Zukunft in der globali-
ierten Wissensgesellschaft mithalten kann. Die Hoch-
chulbildung, die dafür sorgen muss, dass der steigende
edarf unserer Gesellschaft an hochqualifizierten Men-
chen gedeckt werden kann, spielt dabei eine Schlüssel-
6280 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006
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rolle. Es geht dabei nicht nur um Bildungspolitik. Nach
den Berechnungen der OECD und des Sachverständi-
genrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen
Entwicklung (SVR) sind circa 50 Prozent des möglichen
Wirtschaftswachstums heute bildungsbedingt.
Die mittel- und langfristige Finanzierbarkeit des Sozial-
staates steht auf dem Spiel, wenn es jetzt nicht gelingt,
die Chancen, die die junge Generation durch ihre Bil-
dungsbereitschaft bietet, zu ergreifen. „Umso billiger an-
dere sind – umso besser müssen wir sein“ (Westerwelle).
Auch den Grünen stimme ich ausdrücklich zu, wenn
sie feststellen, dass es für die Gesellschaft teurer ist, die
Hochschulbildung nicht zu finanzieren, als ihre Finan-
zierung – und ich füge hinzu: jetzt kraftvoll – anzugehen.
Wir haben die Absicht des Koalitionsvertrages, eine
„Bund-Länder-Initiative zur Sicherung der Qualität und
der Bewältigung der steigenden Studierendenzahlen“ zu
starten, begrüßt. Ohne die Hilfe des Bundes geht es
nicht. Die Länder sind alleine nicht in der Lage, die ge-
samtstaatliche Verantwortung im Hochschulbereich aus-
zufüllen. Aber selbst der von der Bundesregierung jetzt
angebotene Hochschulpakt steht auf der Kippe. Unsere
Warnungen bei der Föderalismusreform, das unselige
Einstimmigkeitsprinzip der KMK auch noch auf die
Wissenschaftsförderung, also auch auf die Hochschulen,
auszudehnen, wurden von der Bundesregierung wider
besseres Wissen auch in den eigenen Reihen niedergebü-
gelt. Ich sage ganz klar: Scheitert der Hochschulpakt,
dann ist diese Koalition insgesamt hochschulpolitisch
gescheitert.
Der Hochschulpakt, auch wenn er schließlich in ei-
nem vermutlich schlechten Kompromiss zustande
kommt, ist nicht hinreichend, um die Probleme der
Hochschulen zu lösen. Zumindest muss er aber möglich
machen, dass der Erhalt der Studienplätze an den ost-
deutschen Hochschulen gesichert wird. Aus demografi-
schen und finanziellen Gründen sind sie derzeit vom Ab-
bau bedroht. Es ist nationales Interesse, sie im Hinblick
auf die zukünftigen Studierendenzahlen zu erhalten.
Dazu gehört ein aktives Hochschulmarketing für diese
ausgezeichneten Standorte bei Studieninteressenten ge-
rade in den alten Bundesländern.
Wir brauchen darüber hinaus ein Umsteuern bei der
Hochschulfinanzierung. Dabei geht es uns nicht nur um
mehr Geld, sondern vor allem um eine neue Qualität bei
der Hochschulfinanzierung. Wir brauchen echte Anreize
für die Hochschulen, gut ausgestattete Studienplätze be-
reitzustellen, um wirkliche Verbesserungen zu erreichen.
Dies kann nur durch ein neues Hochschulfinanzierungs-
system geschehen. Die FDP hat Möglichkeiten dafür be-
reits seit langem aufgezeigt Es geht um Bildungsgut-
scheine oder Bildungsschecks nach dem Muster „Geld
folgt Student“. Ganz aktuell haben sich die hochschulpo-
litischen Sprecher der FDP-Landtagsfraktionen einstim-
mig für die Einführung eines Bildungsgutscheinsystems
zur Hochschulfinanzierung ausgesprochen. Sogar die
Vertreter der „Netto-Studentenexporteure“ wie Baden-
Württemberg, Bayern und Hessen sind dazu bereit, ihren
Landeskindern Budgets in Form von Bildungsgutschei-
nen für die künftige Hochschule mit auf den Weg zu ge-
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en. Ein Ausgleich unter den Ländern ist auch dringend
ötig. Während zum Beispiel Bayern nach dem aktuel-
en Bildungsfinanzbericht der Bund-Länder-Kommis-
ion nur 0,56 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für
ie Hochschulen ausgibt, sind dies zum Beispiel in Thü-
ingen 1 Prozent und in Berlin sogar 1,64 Prozent. Die
irtschaftsschwachen Länder bilden den akademischen
achwuchs für die wirtschaftsstarken Länder aus. Das
ann so nicht funktionieren. Ein erster Schritt zu einem
olchem System ist von Rheinland-Pfalz mit dem Vor-
eilsausgleich unter den Bundesländern vorgeschlagen
orden. Jedes Bundesland ist für die Studienfinanzie-
ung derjenigen verantwortlich, die in seinem Gebiet die
ochschulzugangsberechtigung erworben haben. Die
ahlungen erfolgen aufgrund von berechneten Durch-
chnittsbeträgen. Dadurch würde ein Ausgleich für die
undesländer geschaffen, die Studienplätze bereitstel-
en. Wir wollen diesem Modell gerne folgen unter der
oraussetzung, dass das Geld nach dem Prinzip „Geld
olgt Student“ den Hochschulen unmittelbar zukommt.
umindest im Rahmen der Föderalismusreform 2 müs-
en hierfür die Weichen gestellt werden.
Wir lassen es aber nicht bei allgemeinen Forderun-
en, sondern schlagen einen konkreten Weg vor. In ei-
em solchen Rahmen kann und soll der Bund die Zah-
ungen für die Bildungsausländer übernehmen. Dieses
eld soll den Hochschulen zusätzlich zugute kommen.
er Anteil der Bildungsausländer, das heißt derjenigen
tudierenden, die ihre Hochschulzugangsberechtigung
icht in Deutschland erworben haben, betrug 2005 circa
,5 Prozent. Sie verursachen Studienkosten in Höhe von
irca 1,26 Milliarden Euro. Dieses Geld – zusätzlich in
ie Hochschullehre eingespeist – könnte zu der dringend
enötigten Trendwende bei der Unterfinanzierung der
ochschulen führen.
Dies kann nur gelten, wenn die Länder ihre selbst ge-
ollte und bei der Föderalismusreform durchgesetzte
erantwortung wahrnehmen, die Mittel für die Hoch-
chulen auf dem notwendigen hohen Niveau dauerhaft
estzuschreiben.
Der Hochschulpakt muss geschlossen werden. Dies
ann aber nur ein erster Schritt sein. Lassen Sie uns auf
em Weg zu einem neuen Finanzierungssystem, das die
ualität der Hochschulen, die notwendigen Studien-
lätze und damit die Zukunft unseres Landes in der Wis-
ensgesellschaft dauerhaft sichert, gemeinsam voran-
ommen.
Cornelia Hirsch (DIE LINKE): In der letzten Sit-
ungswoche haben wir in einer Aktuellen Stunde schon
inmal über den Hochschulpakt diskutiert. Die damals
eutlich gewordene Übereinstimmung der Oppositions-
raktionen bei einigen zentralen Fragen des Paktes zeigt
ich auch an den heute vorliegenden Anträgen: Die Linke
ordert – ebenso wie FDP und Bündnis 90/Die Grünen –
ine wesentlich bessere finanzielle Ausstattung des Pak-
es insbesondere für die erste Säule und mehr Transpa-
enz in den Verhandlungen. Wir kritisieren gemeinsam,
ass von der Bundesregierung bisher kaum Vorschläge
nterbreitet wurden, wie mit der Verteilung der Mittel
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006 6281
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(B) )
zwischen den Bundesländern umgegangen werden soll.
Schließlich weisen wir auch gemeinsam auf die Mängel
des neu gestalteten Art. 91 b des Grundgesetzes hin: Die
Verhandlungen zum Hochschulpakt zeigen deutlich,
dass es unsinnig ist, für Hochschulprogramme des Bun-
des die Zustimmung aller sechzehn Bundesländer einzu-
fordern.
Für Die Linke möchte ich noch eine weitere zentrale
Forderung ergänzen: Wir unterstützen das Ziel eines Ka-
pazitätsausbaus an den Hochschulen. Die damit erfolgte
Öffnung muss für uns aber vor allem eine soziale Öff-
nung sein. Ihnen allen ist bekannt, dass die Zahl der Stu-
dierenden aus einkommensschwachen Familien derzeit
nur bei rund 10 Prozent liegt. Das können wir bei der
Gestaltung und Ausarbeitung des Paktes nicht einfach
ignorieren.
Natürlich ist es richtig, dass die soziale Ausgrenzung
nicht erst an den Hochschulen, sondern bereits viel frü-
her beginnt. Die mangelhafte Qualität der vorschuli-
schen Bildung und der fehlende Rechtsanspruch auf ei-
nen gebührenfreien Kita-Platz sind einige der Gründe.
Den größten Knick im Bildungstrichter verursacht nach
wie vor das gegliederte Schulsystem. Wir halten es für
unverantwortlich, dass in den meisten Bundesländern
keine Schritte unternommen werden, um das gegliederte
Schulsystem endlich zu überwinden. Die Linke fordert
ein längeres gemeinsames und solidarisches Lernen an
Schulen. In Berlin haben wir den Einstieg in die Ge-
meinschaftsschule durchgesetzt.
Gegen die Ausgrenzungsmechanismen in Kita und
Schule kann die Bundesregierung aufgrund der aktuellen
Kompetenzverteilung im Bildungswesen leider nur we-
nig ausrichten. Gegen soziale Ausgrenzungsmechanis-
men im Hochschulbereich könnte sie aber sehr viel un-
ternehmen. Von der Bildungsministerin hören wir in
dieser Hinsicht aber so gut wie nichts. Maßnahmen, die
zu einer sozialen Öffnung der Hochschulen beitragen
könnten, werden nicht angegangen.
Ich möchte das an drei Beispielen deutlich machen.
Das erste Beispiel ist der Umgang mit dem BAföG:
SPD und Union haben sich in ihrem Koalitionsvertrag
darauf verständigt, das BAföG in seiner jetzigen Struk-
tur zu erhalten. Das ist natürlich deutlich besser, als das
BAföG abzuschaffen, wie Ministerin Schavan vor den
Wahlen – damals als baden-württembergische Kultus-
ministerin – gefordert hatte. Festzustellen ist aber auch:
Dieser Schritt reicht bei weitem nicht aus! Die Linke for-
dert eine Ausweitung des BAföG. Allen voran muss ein
Vollzuschuss gezahlt werden; kein 50-prozentiges Dar-
lehen. Außerdem sind die Bedarfssätze und Freibeträge
endlich an die gestiegenen Lebenshaltungskosten und
Freibeträge anzupassen. Das wäre eine wichtige Maß-
nahme, um den Hochschulzugang sozial zu öffnen.
Das zweite Beispiel ist die Frage von Studiengebüh-
ren. In immer mehr Bundesländern werden allgemeine
Studiengebühren eingeführt. Die Linke hält dies für den
vollkommen falschen Weg, gerade auch, weil es eine
weitere soziale Hürde auf dem Weg zu einem Studium
darstellt. Die Bundesregierung hat uns hier auf unsere
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achfragen stets mitgeteilt, dass sie diese Auffassung
icht teilt. Studiengebühren seien nicht sozial selektiv.
chließlich könnten Studierende Studienkredite in An-
pruch nehmen.
Diese Behauptung ist an Naivität kaum zu übertref-
en. Auch hier gibt es klare Belege, dass in diesem Fall
er nach dem Studium drohende Schuldenberg gerade
tudierende aus einkommensschwachen Schichten von
er Aufnahme eines Studiums abhält. Studienkredite
ind also keine Lösung!
Die Bundesregierung betont in all ihren Antworten
uch stets ihr unerschütterliches Vertrauen gegenüber
en Bundesländern, ausschließlich „sozial gerechte“
tudiengebührenmodelle zu verabschieden. Wir glau-
en nicht an das Märchen von „sozial gerechten Studien-
ebühren“. Wenn wir die Bundesregierung auf gegentei-
ige Entwicklungen hinweisen – etwa die derzeitige
ituation in NRW, wo wir einen Einbruch der Studienan-
änger- und Studienanfängerinnenzahlen in diesem Se-
ester zu verzeichnen haben –, dann weicht sie aus und
ehauptet, dass dies noch keine gesicherten Daten seien.
ie Linke ist der Auffassung, dass die Bundesregierung
icht mehr länger solche Ausweichspielchen betreiben
arf. In den Verhandlungen zum Hochschulpakt gehört
uch die Studiengebührenfrage auf den Tisch.
Drittes und letztes Beispiel ist der Zugang zu den
ochschulen mit Berufsabschluss. Hier eine generelle
ffnung zu beschließen, war eines der wenigen sinnvol-
en Vorhaben im Koalitionsvertrag. Bisher ist nichts pas-
iert. Wir wünschen uns eine klarere Positionierung der
undesregierung. Sie muss die Bundesmittel des Paktes
n die Bedingung knüpfen, dass die Bundesländer sich
uf einen bundesweit einheitlichen offenen Zugang ver-
tändigen.
Wenn diese drei Punkte berücksichtigt werden und
rundsätzlich eine bessere finanzielle Ausstattung des
aktes vorgenommen wird, dann würde der Pakt nicht
ur zu mehr und besseren Studienplätzen beitragen, son-
ern vor allem auch zu einer sozialen Öffnung der Hoch-
chulen führen.
Kai Boris Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
tellen Sie sich vor, im Juni hätte der Bundestag das
ooperationsverbot im Wissenschaftsbereich beschlos-
en – so, wie es sich die Länder, die Bundesregierung
nd große Teile der großen Koalition gewünscht haben.
ann müsste der Bund jetzt die Hände in den Schoß le-
en, während Zehntausende junge Menschen vor über-
üllten Hörsälen abgewiesen werden.
Aber den größten Sündenfall der Föderalismusreform
aben wir ja glücklicherweise verhindern können: Der
und kann dazu beitragen, allen Studierwilligen die
örsaaltüren zu öffnen. Und dieser Verantwortung müs-
en wir gemeinsam mit den Ländern gerecht werden!
ir müssen jungen Menschen den Zugang zu einer ihrer
ignung und Neigung entsprechenden Hochschulausbil-
ung ermöglichen. Wir müssen Zigtausende zusätzliche
biturienten für den Arbeitsmarkt der Wissensgesell-
chaft qualifizieren. Wir müssen die Studienkapazitäten
6282 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006
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an den Hochschulen unverzüglich, nachhaltig und be-
darfsgerecht ausbauen.
Es besteht die große, reale Gefahr, dass die Bundesre-
gierung und die Landesregierungen dieses Ziel verfeh-
len. Die auf unsere Initiative in der vergangenen Sit-
zungswoche angesetzte Aktuelle Stunde zum drohenden
Scheitern des Hochschulpakts hat uns diese Sorge nicht
nehmen können. Daher legen wir Grüne mit diesem An-
trag konkrete Forderungen vor, um mit einem wirksa-
men und gerechten Hochschulpakt die Studienkapazitä-
ten auszubauen:
Erstens. Bund und Länder müssen deutlich mehr Geld
in den Kapazitätsausbau investieren. Maßgabe sind aus
grüner Sicht die Zahlen des Wissenschaftsrates.
Zweitens. Der Ausbau von Studienplätzen muss so-
fort beginnen und er muss verbindlich über die Jahre des
Spitzenbedarfs hinaus bis zum Jahr 2020 vereinbart wer-
den.
Drittens. Die Mittel zum Studienplatzausbau müssen
nach einem intelligenten Schlüssel verteilt werden. Für
die einen Länder muss er Anreize setzen, Studienplätze
zu erhalten, für die anderen, zusätzliche Studienplätze zu
schaffen, und für weitere, Kapazitäten in anderen Län-
dern mitzufinanzieren.
Viertens. Der Ausbau der Lehrkapazitäten und die
Weiterentwicklung der Personalstruktur muss mit inno-
vativen Instrumenten gelöst werden: Vorübergehende
Doppelbesetzung von Professoren-Stellen, Einführung
des Hochschuldozenten („Lecturer“), Weiterförderung
der Junior-Professur. Dabei muss auch die Förderung
von Frauen in der Wissenschaft stärker verankert wer-
den.
Fünftens. Wir brauchen eine bundesweite Service-
agentur zum Bewerbungsmanagement bei zulassungsbe-
schränkten Fächern. So können die vorhandenen Studien-
plätze schnell, effizient und vollständig vergeben
werden. Damit für Studienberechtigte kein bundesweiter
„Suchwettbewerb“ zur Regel wird und die Hochschulen
Nachbesetzungsoffensiven von freien Kapazitäten gelin-
gen.
Insofern FDP und Linkspartei Ähnliches fordern, sind
ihre Anträge unterstützenswert. Es bleiben jedoch Unge-
reimtheiten und offene Fragen: Das Konzept „Geld folgt
Studierenden“ der FDP überzeugt da, wo es von der
Heinrich-Böll-Stiftung abgeschrieben ist. Dort, wo Sie
abweichen, haben Sie leider nicht zu Ende gedacht: Sie
wollen, dass jedes Land für die Studienkosten seiner
Abiturienten zahlt, egal wo sie studieren. Damit beloh-
nen sie jedoch Länder wie Bayern, die sich mit einer
niedrigen Abiturientenquote einen schlanken Fuß ma-
chen. Und Sie müssen sich die Frage gefallen lassen:
Wie ist Ihr flammendes Plädoyer für mehr Studierende
mit der kalten Politik Ihres NRW-Wissenschaftsminis-
ters zu vereinbaren? Die von Minister Pinkwart ein-
geführten Studiengebühren führen nachweislich zu
weniger Studienanfängern und zu einem Verdrängungs-
wettbewerb auf dem Ausbildungsmarkt.
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Beim Antrag der Linksfraktion sehe ich vor allem die
efahr, den Hochschulpakt mit so vielen zum Großteil
icht konsensfähigen Wünschen und Zielen zu über-
rachten, dass er allein daran scheitert. Zudem fordern
ie, die Vollkostenfinanzierung schon im kommenden
ahr auf alle Forschungsbewilligungen auszudehnen.
adurch steigern Sie jedoch den Finanzbedarf für den
orschungsanteil im Hochschulpakt weiter – im Zweifel
uf Kosten des Studienkapazitätsausbaus.
Daher können wir weder dem Antrag der FDP noch
em der Linksfraktion zustimmen.
Einig sind wir uns mit den beiden anderen Opposi-
ionsfraktionen darin, dass die Bundesregierung drin-
end mit einem verbesserten Angebot und strategischen
eitzielen über den Hochschulpakt verhandeln muss.
ir müssen es gemeinsam mit den Ländern schaffen,
ass kein junger Mensch, der ein Studium beginnen
öchte, vor verschlossenen Hörsaaltüren stehen bleibt.
nlage 12
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Reform des Personenstandsrechts (Personen-
standsrechtsreformgesetz – PStRG) (Tagesord-
nungspunkt 21)
Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Mit dem
Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Personen-
tandsrechts“ wurde die zunehmende Kritik an dem
isher geltenden Recht hinsichtlich des Beurkundungs-
ystems, der Beurkundungsmedien, des Beurkundungs-
nhalts und der Voraussetzungen für eine Registerbenut-
ung aufgegriffen und reformiert.
Ohne dass die Personenstandsbuchführung an sich
nd ihre Servicefunktion gegenüber dem Bürger beein-
rächtigt werden, fanden bei dem Gesetzentwurf die
ereiche Deregulierung, Verwaltungsvereinfachung und
ostenreduzierung besondere Berücksichtigung. Durch
ie Einführung elektronischer Personenstandsregister
nstelle der bisherigen Personenstandsbücher, die Be-
renzung der Fortführung der Personenstandsregister
urch das Standesamt und die Abgabe der Register an
ie Archive, die Ersetzung des Familienbuches durch
eurkundungen in den Personenstandsregistern, die
eduzierung der Beurkundungsdaten auf das für die
okumentation des Personenstandes erforderliche Maß
owie die Neuordnung der Benutzung der Personen-
tandsbücher wird der laut gewordenen Kritik an der
isherigen Praxis Rechnung getragen.
Mit moderner Technik können nunmehr die Abläufe
chneller und kostengünstiger bewerkstelligt werden.
ie Möglichkeiten der elektronischen Kommunikation
estatten es, das mit großem Verwaltungsaufwand
eführte Familienbuch, das im Wesentlichen sowieso
eurkundungen enthält, die primär bereits in den
eburten-, Heirats- und Sterbebüchern enthalten sind,
bzuschaffen, sodass der bisherige Berg von Familien-
üchern, der permanent infolge der erheblich gestiege-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006 6283
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nen Mobilität in der Gesellschaft und dadurch deutlich
häufigeren Wohnortwechseln der Bevölkerung von einem
Standesbeamten zum anderen auf dem Postweg unter-
wegs war, entfällt, ohne dass ein Datenverlust eintritt.
Das in Zukunft schnellere Ausstellen von Personen-
standsurkunden und das leichtere Einsehen von Regis-
tern garantieren einen besseren Service gegenüber dem
Bürger.
Grundsätzlich ist der vorliegende Gesetzentwurf, der
schon wichtige Änderungen für die Praxis berücksich-
tigt, zu begrüßen, dennoch möchte ich eindringlich auf
die Beschlussempfehlung des Innenausschusses hin-
weisen, die auf Betreiben der Koalitionsfraktionen Än-
derungsmaßgaben, wie beispielsweise in einem neu
einzuführenden Abschnitt 6 die Länderöffnungsklausel,
enthält. Die Länderöffnungsklausel wurde bereits vom
Bundesrat in Ergänzung des Lebenspartnerschaftsge-
setzes vorgeschlagen – Bundestagsdrucksache 16/1831,
Seite 81 f. – und die Bundesregierung hat diesem Vor-
schlag entsprechend zugestimmt – Bundestagsdrucksache
16/1831, Seite 114. Mit der Länderöffnungsklausel wird
sichergestellt, dass das Personenstandsgesetz, das die
Begründung und die Beurkundung von eingetragenen
Lebenspartnerschaften einheitlich beim Standesbeamten
bzw. beim Standesamt vorsieht, keine Anwendung
findet, wenn landesrechtliche Vorschriften – bis zum
1. Januar 2009 – bestehen, die vorsehen, dass die jewei-
ligen Erklärungen für eine eingetragene Lebenspartner-
schaft auch gegenüber einer anderen Urkundsperson
oder einer anderen Behörde abgegeben werden können.
Diese Maßnahme ist ausdrücklich zu begrüßen, da
sich die landesrechtlichen Regelungen, zum Beispiel in
Baden-Württemberg – Landratsämter und Bürgermeis-
terämter – und in Bayern – Notare –, bewährt haben. In
Bayern beispielsweise ist durch das Gesetz zur Ausfüh-
rung des Lebenspartnerschaftsgesetzes die Zuständigkeit
für die Mitwirkung bei Begründung und Beurkundung
von Lebenspartnerschaften auf die Notare übertragen
worden. Rund 1 500 im Lebenspartnerschaftsbuch regis-
trierte Lebenspartnerschaften bestätigen die durchweg
positive Resonanz der Beteiligten, die Akzeptanz und
die Qualifikation der Notare. Die Kompetenz der Notare
bei der Beratung über Möglichkeiten und Folgen des
Rechtsinstituts der Lebenspartnerschaft, insbesondere
im Familien- und Erbrecht, werden von den künftigen
Lebenspartnern besonders geschätzt, was sich nicht zu-
letzt an den Paaren aus anderen Bundesländern und auch
aus dem Ausland zeigt, die die Begründung ihrer Part-
nerschaft vor einem bayerischen Notar wünschen. Viele
Paare schätzen überdies die Diskretion der Notarlösung
und das vielleicht doch ein oder andere Mal stilvollere
und angenehmere Ambiente in den Räumlichkeiten ei-
nes Notariats, die meist doch nicht den Charme eines
nüchternen Funktionalbaus haben.
Diese derzeit noch auf Bayern beschränkte Bürger-
nähe mit hoher Beratungskompetenz sollte der Bevölke-
rung durch das Personenstandsrechtsgesetz nicht wieder
entzogen werden bzw. sollte auch der Bevölkerung in
ganz Deutschland zugute kommen.
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Um Missverständnissen vorzubeugen und aufgrund
er Tatsache, dass ich gerne aus meiner Rede zur ersten
esung des PStRG falsch zitiert werde, möchte ich auch
ochmals kurz auf die Angaben zur Religionszugehörig-
eit eingehen. In meiner ersten Rede hatte ich erwähnt,
ass allgemein immer wieder die Kritik geäußert wurde,
ass Beurkundungsangaben auf das erforderliche Maß
eduziert werden sollten. Hierbei wurde unter anderem
ls nicht personenstandsrelevante Angabe auch die Reli-
ionszugehörigkeit genannt. Ich möchte darauf hinwei-
en, dass diese Kritik weder von der CDU/CSU noch
on mir persönlich geäußert wurde, wir selbstverständ-
ich aber diesen Kritikpunkt aufgegriffen und geprüft
aben. Aufgrund der Tatsache, dass die Angaben zur Re-
igionszugehörigkeit freiwillig, also entweder auf
unsch der Eltern – § 21 Abs. 1 Nr. 4 PStRG – oder auf
unsch des Kindes – § 27 Abs. 3 Nr. 5 PStRG – in das
eburtenregister eingetragen werden, sehen wir als
DU/CSU keine Veranlassung, diese Angaben aus dem
ngabenkatalog zu streichen. Die betroffenen §§ 57, 59,
0, 65 Abs. 2 und 3 des PStRG unterliegen demnach
benso der freiwilligen Eintragung, da hier nur Angaben
ur Religionsgemeinschaft aufgenommen werden, so-
ern sie sich schon aus dem Registereintrag ergeben. In-
ofern haben wir für das Anliegen der katholischen und
er evangelischen Kirche Verständnis, die Angaben zur
eligionszugehörigkeit im Angabenkatalog zu belassen.
Das Personenstandsreformgesetz ist eine längst über-
ällige Maßnahme, die langfristig erhebliche Kosten
inspart, und ein wichtiger Schritt zu einer modernen
erwaltung mit Bürgernähe. Mit diesem Gesetz können
ie Länder nunmehr zur Tat schreiten und die Moder-
isierung ihrer Verwaltung weiter vorantreiben. Aus
iesem Grunde bitte ich Sie, dem Gesetzentwurf mit den
aßgaben der Beschlussempfehlung des Innenausschus-
es zuzustimmen.
Gabriele Fograscher (SPD): Heute beraten wir in
weiter und dritter Lesung den Gesetzentwurf zur Re-
orm des Personenstandsrechts. Dieser Entwurf ist noch
n der letzten Wahlperiode eingebracht worden. Obwohl
ieses Thema politisch nicht brisant ist, betrifft es aber
eden einzelnen Bürger und jede einzelne Bürgerin in
nserem Land im täglichen Leben. Bei Geburt, Umzug,
ochzeit, Scheidung, Kindern und Tod spielt das Perso-
enstandsrecht eine wichtige Rolle.
Gegenstand des Gesetzentwurfes ist die grundlegende
eform des Personenstandsrechts. Schwerpunkt der Re-
orm ist die Nutzung der elektronischen Medien für die
egisterführung und die elektronische Kommunikation
it den Bürgerinnen und Bürgern sowie mit Behörden
nd anderen Stellen über Personenstandsvorgänge.
Der Gesetzentwurf sieht die Ablösung des geltenden
ersonenstandsgesetzes durch ein neues Personenstands-
esetz und die damit zusammenhängenden Änderungen
m Bundesrecht vor. Als Schwerpunkte der Reform sind
u nennen: Einführung elektronischer Personenstandsre-
ister anstelle der bisherigen Personenstandsbücher; Be-
renzung der Fortführung der Personenstandsregister
urch die Standesämter und Abgabe der Register an die
6284 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006
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Archive; Ersetzung des Familienbuches durch Beurkun-
dungen in den Personenstandsregistern; Reduzierung der
Beurkundungsdaten auf die Daten, die zur Dokumenta-
tion des Personenstandes notwendig sind; Neuordnung
der Nutzung der Personenstandsbücher und Schaffung
einer rechtlichen Grundlage für eine Testamentsdatei.
Die Umstellung auf elektronische Register bedeutet
zum einen Erleichterungen für die Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter in den Standesämtern und Archiven und zum
anderen eine Verbesserung des Services für die Bürge-
rinnen und Bürger. Dieses ist durchaus zu begrüßen.
Natürlich entstehen durch die Umstellung auf elektro-
nische Medien Kosten, die sich vorrangig auf die kom-
munalen Haushalte auswirken. In der Umstellungsphase,
die mit fünf Jahren berechnet wird, werden jährlich circa
17 Millionen Euro für die Anschaffungen und Umstel-
lungen – Lehrgänge etc. – anfallen.
Nach Beendigung der Umstellung stehen jährlich
Mehrausgaben von etwa 14 Millionen Euro einem Ein-
sparvolumen von etwa 18 Millionen Euro gegenüber,
was einer durchschnittlichen jährlichen Entlastung der
Kommunen von etwa 4 Millionen Euro entspricht. Er-
hebliche Einsparungen in Höhe von etwa 42 Millionen
Euro sind auch bei den Standesämtern durch den Weg-
fall des Familienbuches zu erwarten. Diese Einsparun-
gen werden voraussichtlich im sechsten Jahr der Reform
eintreten. Summa summarum kommt es zu einem jährli-
chen Einsparvolumen von etwa 46 Millionen Euro für
die Standesämter ab voraussichtlich 2014.
Nach den Ausschussberatungen gibt es einige Ände-
rungen zu dem ursprünglichen Entwurf. Diese sind aber
überwiegend technischer Natur.
Eine entscheidende Änderung gegenüber dem ehema-
ligen rot-grünen Entwurf ist die so genannte Länderöff-
nungsklausel. Zunächst war vorgesehen, dass auch ein-
getragene Lebenspartnerschaften vor dem Standesamt zu
schließen sind. Damit wären unterschiedliche Regelun-
gen in einzelnen Bundesländern abgeschafft worden und
das Schließen von Lebenspartnerschaften – seit 2001
gibt es 15 000 – würde dem gleichen Verfahren wie die
Eheschließung unterliegen.
Leider hat sich vor allem Bayern, wo eingetragene
Lebenspartnerschaften von einem Notar beurkundet
werden, gegen diese Regelung gestellt. Somit steht es
nun jedem Bundesland frei, Erklärungen zur eingetrage-
nen Lebenspartnerschaft gegenüber dem Standesamt, ei-
ner anderen Urkundsperson oder anderen Behörde abzu-
geben.
Die Länder sind aber verpflichtet, durch landesrecht-
liche Regelungen sicherzustellen, dass die Beurkundun-
gen fortlaufend dokumentiert werden und Mitteilungs-
pflichten, die das Personenstandsrecht voraussetzt,
erfüllt werden. Zudem muss sichergestellt werden, dass
ein Lebenspartnerschaftsregister eingerichtet wird.
Ich persönlich hätte mir gewünscht, dass es zu einer
bundeseinheitlichen Regelung zur Beurkundung von
eingetragenen Lebenspartnerschaften gekommen wäre.
Damit wäre es zu einer größeren rechtlichen und gesell-
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chaftlichen Anerkennung der Lebenspartnerschaften
ekommen, die heute bereits einen nicht kleinen Teil der
orm des Zusammenlebens von Menschen ausmachen.
eider war dieses aber mit den Bundesländern nicht zu
rreichen, die diesem Gesetzentwurf zustimmen müssen.
Der Gesetzentwurf ist längst überfällig und stellt ei-
en ersten, aber sehr wichtigen und recht umfassenden
chritt zur Modernisierung des Personenstandswesens
ar. Deshalb stimmt die SPD-Bundestagsfraktion dem
eänderten Entwurf in der Ausschussfassung zu.
Aber mit dem In-Kraft-Treten des Personenstands-
echtsreformgesetzes sollte dieses Thema nicht beendet
ein. Im Rahmen des weiteren Zusammenwachsens in
uropa müssen wir weitere Schritte unternehmen, um
icht ein rückständiges Personenstandsrecht zu haben.
Aufgrund der wachsenden Mobilität der Bürgerinnen
nd Bürger in der Europäischen Union werden wir mit-
elfristig zu einer Angleichung der Vorschriften im Per-
onenstandsrecht in Europa kommen müssen. Hier kön-
en wir von Ländern wie Slowenien lernen, die im
inblick auf die Digitalisierung und die Vereinfachung
es Personenstandsrechts eine Vorreiterrolle einnehmen.
In diesem Zusammenhang halte ich es für sinnvoll,
um Beispiel die ereignisbezogenen Register durch per-
onenbezogene Register zu ersetzen. Somit würde jeder
ensch ein Register bei seiner Geburt erhalten, das sein
eben lang weitergeführt wird und auch beim Umzug
itwandert. Der vorliegende Gesetzentwurf ist eine gute
rundlage für eine solche Systemumstellung. Es gibt be-
eits viele Länder in Europa, die personenbezogene Re-
ister führen und damit sehr erfolgreich sind. Deshalb
ollten wir uns bei unseren Nachbarländern informieren
nd von ihnen lernen.
Der vorliegende Gesetzentwurf löst das geltende Per-
onenstandsrecht von 1937 in der Fassung von 1957 ab.
ach langen Beratungen bringen wir heute die Perso-
enstandsreform zum Abschluss und können ein
0 Jahre altes Gesetz ablösen.
Deshalb möchte ich mich an dieser Stelle auch bei
einen Mitberichterstatterinnen und Mitberichterstat-
ern der anderen Fraktionen und auch beim Bundesin-
enministerium für die konstruktive Zusammenarbeit
edanken. Einen wertvollen Beitrag aus der Praxis für
ie Beratungen hat auch der Bundesverband der Deut-
chen Standesbeamtinnen und Standesbeamten geleistet.
uch ihnen gilt mein Dank.
Gisela Piltz (FDP): Heute abend zu später Stunde
oll eine weit reichende Reform des Personenstands-
echts in zweiter und dritter Lesung verabschiedet wer-
en. Leider fand schon die erste Lesung zur Nachtzeit
tatt. Damit werden wir den grundlegenden Änderungen
m Bereich des Personenstandsrechts nicht gerecht.
Die FDP begrüßt eine Vereinfachung und Verbesse-
ung des Personenstandsdrechts. Die Modernisierung
nd Entbürokratisierung in diesem Bereich ist eine For-
erung, die wir Liberale schon lange stellen und etwas,
as wir immer unterstützt haben. Gerade angesichts der
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006 6285
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Verbesserung der technischen Möglichkeiten ist eine
Reform in diesem Bereich dringend notwendig. Der
Übergang vom Papierbuch zur elektronischen Register-
führung ist zu begrüßen. Die fortschreitende Entwick-
lung im Bereich der elektronischen Medien sollte auch
für die Verwaltung nutzbar gemacht werden. Mit der
Einrichtung von elektronischen Personenstandsregistern
wird der Weg hin zu einem wesentlich kostengünstigeren
elektronischen Datenaustausch der Standesämter unter-
einander und mit anderen Behörden geebnet. Dieser Weg
geht in die richtige Richtung. Wir müssen diesen Weg
aber konsequent weitergehen. Unter den Gesichtspunk-
ten der Deregulierung, Verwaltungsvereinfachung und
Kostenreduzierung muss die öffentliche Verwaltung wei-
ter an sich arbeiten. In diesem Zusammenhang möchte
ich die Bundesregierung dazu auffordern, im Bereich
des E-Government deutlich aktiver zu werden. Deutsch-
land hinkt bei der Nutzung der neuen Medien in der öf-
fentlichen Verwaltung im internationalen Vergleich nach
wie vor hinterher. Warum ist es immer noch nicht mög-
lich, dass sich die Bürger sämtliche Anträge online auf
den heimischen Computer herunterladen und ausdru-
cken?
Positiv erwähnen möchte ich, dass die Bürger da-
durch, dass die Urkunden nicht mehr nur von dem Re-
gister zu führenden Standesamt ausgestellt werden kön-
nen, deutlich schneller als bisher an die benötigten
Personenstandsurkunden gelangen können. Auch die
Reduzierung der Beurkundungsdaten geht in die richtige
Richtung. Leider ist der Gesetzentwurf hier aber nicht so
konsequent, wie das insbesondere die Union in der ers-
ten Lesung versprochen hatte. Entgegen Ankündigungen
des Kollegen Stephan Mayer – ausweislich des Proto-
kolls –, die Angaben zur Religionszugehörigkeit zu strei-
chen, wird dieses Merkmal weiterhin – auf Wunsch –
aufgenommen. Das stößt auch auf die Ablehnung des
Bundesverbandes der Deutschen Standesbeamtinnen
und Standesbeamten e. V. Leider war die CDU/CSU im
Innenausschuss nicht in der Lage, dies zu erklären. Wir
hätten uns hier mehr Konsequenz gewünscht.
Leider ist davon abgewichen worden, dass bundes-
weit das Standesamt für Begründung und Registrierung
von eingetragenen Lebenspartnerschaften zuständig sein
soll. So war es noch in dem ersten Entwurf dieses Geset-
zes vorgesehen. Hier musste die große Koalition – wie in
so vielen Fällen – dem Druck der Ministerpräsidenten
nachgeben. Nicht nur in diesem Fall hätte ich mir ein
klares Votum der Bundesregierung gewünscht. Noch auf
dem Verbandstag 2006 des LSVD hat Bundesjustizmi-
nisterin Zypries unter dem Stichwort „Wir wollen das
Standesamt für alle“ eindeutig erklärt, dass die Lebens-
partnerschaft zukünftig wie die Ehe in allen Bundeslän-
dern vor dem Standesbeamten geschlossen werden soll.
Dieses Vorhaben hat sich jetzt in Luft aufgelöst. Durch
die Einführung einer Länderöffnungsklausel in das Le-
benspartnerschaftsgesetz sollen die Länder weiter selbst
bestimmen können, welche Behörde für die Begründung
und Registrierung von Lebenspartnerschaften zuständig
ist. Damit würde die Unübersichtlichkeit und der Flick-
enteppich bei der Schließung der Lebenspartnerschaften
beibehalten. Aus unserer Sicht sollte den Lebenspartner-
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chaften in ganz Deutschland der Weg zum Standesamt
rmöglicht werden. In den einzelnen Bundesländern in
eutschland sind unterschiedliche Behörden für Begrün-
ung und Registrierung von Lebenspartnerschaften zu-
tändig. In den jeweiligen Landesausführungsgesetzen
ind als zuständige Behörde unter anderem der Notar,
ie Gemeinden, die Kreisverwaltungen oder der Stan-
esbeamte zu lesen. Diese Uneinheitlichkeit bedeutet ei-
en erheblichen Aufwand im Vergleich mit Eheschlie-
ungen, für die immer das Standesamt zuständig ist.
leichgeschlechtliche Paare müssen sich jeweils vor Ort
rkundigen, wer zuständig ist. Das ist weder bürger-
reundlich noch sachgerecht. Darüber hinaus führen die
nterschiedlichen Regelungen in den einzelnen Bundes-
ändern zu komplizierten Folgeproblemen, da die Aus-
ührungsgesetze unzureichend aufeinander abgestimmt
ind.
Die FDP-Bundestagsfraktion hat einen Änderungsan-
rag gestellt, in dem durch die vorgeschlagenen Ände-
ungen eine einheitliche Behördenzuständigkeit geschaf-
en wird. Damit wird für die Entgegennahme der
rklärung, eine Lebenspartnerschaft führen zu wollen,
m gesamten Bundesgebiet der Standesbeamte zustän-
ig. Bereits in der ersten Lesung Mitte dieses Jahres ha-
en wir Liberale unsere Bedenken hinsichtlich einer
änderöffnungsklausel deutlich gemacht. Gegen die
inführung sprechen aus datenschutzrechtlicher Sicht
edenken, die ich hier noch einmal deutlich machen
öchte: Zentrale Datenbestände wecken generell Be-
ehrlichkeiten, die mit einer zunehmenden Automatisie-
ung der Datenverarbeitung eher noch wachsen als ab-
ehmen. Bei einem zentralen Register ist auch der Druck
ur Einrichtung automatischer Abrufverfahren wesent-
ich größer als bei zahlreichen dezentralen Registern mit
inem entsprechend geringerem Datenbestand. Vor allen
ingen hätte ich mir Aufklärung darüber gewünscht,
ieso die Einrichtung eines elektronischen Personen-
tandsregisters notwendig ist. Denn auch bei der Ein-
ichtung der vorgesehenen dezentralen elektronischen
ersonenstandsregister können Daten in kürzester Zeit
erschlüsselt übermittelt werden, ohne dass ein Direkt-
ugriff anderer Behörden erforderlich ist. Wie realistisch
iese Begehrlichkeiten einzuschätzen sind, zeigt die Be-
ründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung.
ort heißt es nämlich, dass im Zuge einer breiteren, ge-
ebenenfalls internationalen Datennutzung die bereits
m Verlaufe der Arbeiten an diesem Entwurf aufgewor-
ene Frage zu erörtern sei, ob es sinnvoll und zulässig
ei, bei der Beurkundung der Geburt ein persönliches
dentifikationsmerkmal zu vergeben, das aus einem
ummerncode bestehen könne. Dieser Code wäre als
ennziffer für die betreffende Person bereichsübergrei-
end nutzbar, ohne dass es regelmäßig weiterer Identi-
ätsangaben und -nachweise bedürfe. Auch wenn dies
nur“ die Begründung des Gesetzentwurfs ist und als
olche nicht mit beschlossen wird, so erinnert mich das
och an die Personenkennziffer der DDR, und es wird
lar, in welche Richtung die Regierung in nächster Zeit
ehen wird.
Mit dem Gesetzentwurf zum Personenstandsrecht
eht die Bundesregierung in die richtige Richtung. Wir
6286 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006
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Liberalen hätten uns aber an der einen oder anderen
Stelle eine Änderung des jetzt vorgelegten Gesetzes ge-
wünscht. Leider hat die große Koalition es nicht für not-
wendig erachtet, auf unsere Argumente einzugehen.
Demgemäß ist es uns nicht möglich, diesem Gesetzent-
wurf ohne die von uns eingebrachten Änderungen zuzu-
stimmen.
Ulla Jelpke (DIE LINKE): Angesichts der gestiege-
nen Mobilität in unserer Gesellschaft ist die Ersetzung
des papiernen Personenstandsbuchs durch einen elektro-
nischen Registereintrag sinnvoll und richtig. Wir begrü-
ßen ausdrücklich, dass dabei weitgehend dem Grundsatz
der Datensparsamkeit Genüge getan wurde: Erstens soll
es nur eine Stelle geben, die das elektronische Personen-
standsbuch führt, daneben ist nur eine Sicherungskopie
an einem anderen Ort vorgesehen. Zweitens werden ei-
nige Angaben nicht mehr zwingend erfasst, so der Be-
rufsstand und die Religionszugehörigkeit der Eltern. Die
Abschaffung des Familienbuchs, des Geburtsscheines
und der Abstammungsurkunde gehören ebenfalls zu den
begrüßenswerten Neuerungen.
Es gibt allerdings einige Punkte, die wir an diesem
Gesetzentwurf weiterhin strikt ablehnen. Es tun sich
auch einige Widersprüche im Gesetzentwurf auf. So
wird sowohl im Gesetzestext selbst als auch in der Be-
gründung daran festgehalten, dass die Standesämter und
mit ihnen die elektronischen Personenstandsbücher von
allen anderen Behörden strikt getrennt sein sollen. Dies
wird, ganz richtig, mit den besonders sensiblen Daten in
diesen Büchern begründet. Man muss sich dann aber die
Frage stellen, warum der Gesetzentwurf zur Übermitt-
lung an andere Behörden ermächtigt, wenn diese die Da-
ten „zur Erfüllung ihrer Aufgaben“ benötigen. Warum
können die Behörden nicht benannt werden, die auf Da-
ten aus den Personenstandsbüchern angewiesen sind?
Warum können anderweitige Zwecke, für die diese Da-
ten gebraucht werden, nicht benannt werden? Warum
diese unbestimmte Mitteilungspflicht? Außerdem fehlt
jeder Hinweis darauf, dass Betroffene von der Mittei-
lung ihrer Daten an Dritte unterrichtet werden müssen,
von einer Einverständniserklärung ganz zu schweigen.
Es ist zuletzt in der Anhörung des Innenausschusses
von den Sachverständigen klar gesagt worden, dass es in
Zeiten erleichterten elektronischen Datenverkehrs eine
Anpassung des Datenschutzes geben muss. Dass Daten
technisch leicht zu übermitteln sind, darf nicht automa-
tisch heißen, dass sie es auch rechtlich sein müssen. Dem
Recht auf informationelle Selbstbestimmung muss Ge-
nüge getan werden. Das berücksichtigt der Gesetzent-
wurf nicht.
Ich will noch auf einen weiteren Punkt eingehen, der
unseren Widerspruch hervorruft: Es soll nämlich auch
eine weitere Datensammlung geschaffen werden, das so
genannte Geburtenregister nach § 21 des neuen Perso-
nenstandsgesetzes. Hier wird ohne erkennbaren sachli-
chen Grund eine Doppelstruktur aufgebaut: In das Ge-
burtenregister sollen Eheschließung und Verpartnerung
ebenso eingetragen werden wie die Geburt von Kindern.
Dabei werden Eheschließung und Verpartnerung selbst
noch mal in ein eigenes Register eingetragen. Vom
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rundsatz der Datensparsamkeit wird hier also wieder
bgewichen, doch warum eigentlich?
Nun, die Gesetzesbegründung liefert einen Hinweis:
s sei die Frage zu erörtern, heißt es da, ob bei der Ge-
urt ein persönliches Identifikationsmerkmal vergeben
erden solle, etwa in Form eines Nummerncodes.
Einigen von Ihnen wird geläufig sein, worauf das hin-
usläuft: die Personenkennziffer, wie man sie aus dem
ersonenstandsgesetz der DDR kennt. Aber man will an-
cheinend noch weiter gehen: Diese Personenkennziffer
oll sowohl bereichsübergreifend als auch international
enutzt werden können. Was heißt das? Soll diese Perso-
enkennziffer mit anderen, zentral geführten Dateien
erknüpft werden können? Soll es ein EU-weites Perso-
enregister geben? Das sind offene Fragen, die befürch-
en lassen, dass uns hier ein Trojanisches Pferd unterge-
ubelt werden soll, hin zu noch mehr zentralisierter
rfassung der Bürgerinnen und Bürger. Wir werden die-
es Trojanische Pferd im Auge behalten!
Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/DIE
RÜNEN): Die CDU/CSU konnte sich nie mit der
leichstellung der gleichgeschlechtlichen Lebenspart-
erschaft anfreunden. Nur mit Widerwillen hat sie das
eformgesetz in den unionsregierten Bundesländern
mgesetzt. Die diskriminierende Einstellung der CDU/
SU gegenüber Lesben und Schwulen wurde in der De-
atte um das Personenstandsreformgesetz im Innenaus-
chuss erneut deutlich. Die Interessen der Notare wiegen
ben mehr als das überfällige Ende einer langen Ge-
chichte der Verfolgung und Diskriminierung.
Nach dem Willen der Koalitionsfraktionen soll das
lück der gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft
icht in allen Bundesländern im feierlichen Rahmen der
rauzimmer der Standesämter besiegelt werden. Durch
ie Öffnungsklausel darf Bayern weiterhin das Standes-
mt zur No-go-Area für Schwule und Lesben erklären.
n Rheinland-Pfalz werden Schwule und Lesben, die
ine Lebenspartnerschaft eingehen wollen, weiter ins
reisamt geschickt.
Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, kom-
en Sie endlich im toleranten und modernen Deutsch-
and an. Ganz gleich, ob Heteroehe oder gleichge-
chlechtliche Lebenspartnerschaft, was zählt, ist die
iebe und die Bereitschaft, füreinander einzustehen in
uten und in schlechten Zeiten.
Dass das Lebenspartnerschaftsgesetz ein grünes
esetz war, wird dadurch deutlich, dass die SPD das
orliegende Gesetz begrüßt und keinen Konflikt mit dem
oalitionspartner eingeht. Im Antrag der Koalitionsfrak-
ionen heißt es wörtlich:
Die bisher bereits bestehenden abweichenden Zu-
ständigkeitsregelungen in verschiedenen Bundes-
ländern haben sich bewährt.
Das glatte Gegenteil ist der Fall. Die unterschiedli-
hen Zuständigkeiten schaffen Verwaltungswirrwarr und
ind vor allem diskriminierend. Wir sagen den Schwulen
nd Lesben: Eure Beziehung ist genauso viel Wert wie
ie Ehe und wir setzen uns weiterhin dafür ein, dass bun-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006 6287
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deseinheitlich in allen Ländern die Standesämter für die
gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft zuständig
sind.
Das Personenstandsrechtsreformgesetz enthält eine
weitere Diskriminierung. Wir wollten ein Widerspruchs-
recht für eingetragene Lebenspartnerschaften gegen die
Weitergabe ihres Familienstandes an die Kirchen. Die
Weitergabe dieser Daten, die aus kirchensteuerrechtli-
chen Gründen nicht erforderlich ist, kann zum Verlust
des Arbeitsplatzes führen. Der Ständige Rat der Deut-
schen Bischofskonferenz hat in einer Erklärung vom
24. Juni 2002 festgestellt, das Rechtsinstitut der Lebens-
partnerschaft widerspräche der Auffassung über Ehe und
Familie, wie sie die katholische Kirche lehre. In Lebens-
partnerschaften lebende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
im kirchlichen Dienst machen sich deshalb eines
schwerwiegenden Loyalitätsverstoßes schuldig, der die
kirchlichen Arbeitgeber nach gefestigter Rechtspre-
chung zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses berech-
tigt. Anstatt dass Sie diese diskriminierende Praxis der
katholischen Kirche kritisieren, liefern Sie die Daten für
die mögliche Entlassung.
Von der CDU habe ich nichts anderes erwartet. Sie ist
und bleibt eine rückwärtsgewandte Partei, ohne Zugang
und Verständnis für eine moderne und tolerante Gesell-
schaftspolitik. Von der SPD bin ich enttäuscht. Sie waren
eben doch nur die Getriebenen des grünen Reformwil-
lens.
Eine Anmerkung zum Datenschutz. Die vorgesehene
Möglichkeit der Länder, zentrale elektronische Per-
sonenstandsregister einzurichten halten wir für proble-
matisch. Zentrale Datensammlungen sind hier nicht
erforderlich. Wir sehen die Gefahr, dass die Sicherheits-
behörden hier den automatisierten Zugriff fordern und
irgendwann auch erhalten.
Es wird Sie nicht verwundern, auch wenn das Gesetz
vernünftige Regelungen zum Bürokratieabbau enthält,
die noch aus dem früheren rot-grünen Entwurf stammen,
lehnen wir den Gesetzentwurf der großen Koalition ab.
Er diskriminiert Lesben und Schwule und ist daten-
schutzrechtlich problematisch.
Anlage 13
Zu Protokoll gegeben Reden
zur Beratung der Anträge:
– REACH – den gemeinsamen Standpunkt
weiter verfolgen
– REACH – letzte Chance zur Verbesserung
des Umwelt- und Verbraucherschutzes im
europäischen Chemikalienrecht nutzen
– REACH – Chance für eine fortschrittliche
Chemikalienpolitik nutzen
(Tagesordnungspunkt 25 a bis c)
Ingbert Liebing (CDU/CSU): Ein altbekanntes
Sprichwort sagt: „Was lange währt, wird endlich gut.“
Ich hoffe sehr, dass wir genau das auch bald über die
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U-Chemikalienverordnung REACH sagen können,
enn die Beratungen sind in diesen Tagen in die Schluss-
hase gekommen.
Im Jahr 2001 nahm dieses größte und umfassendste
esetzesvorhaben der Europäischen Union seinen
nfang. Seither sind die Kommission, das Europäische
arlament, die Mitgliedstaaten mit all ihren Gremien
nd nicht zuletzt hunderte nationaler und internationaler
nteressengruppen mit den Verhandlungen, der Aus-
rbeitung, den Neuverhandlungen und nicht enden wol-
ender Kompromissfindung beschäftigt. Oft genug
chien es, als seien Umwelt-, Gesundheits- und Wirt-
chaftsaspekte einfach nicht auf einen Nenner zu bringen
nd es stellte sich die Frage, ob sich die EU mit diesem
ahrhundertgesetzeswerk nicht schlicht und ergreifend
bernommen hätte. Zu undurchdringlich schien das Ge-
lecht unterschiedlicher und gegensätzlicher Interessen.
Aber Ende vergangenen Jahres hat es der EU-Wettbe-
erbsrat unter tatkräftiger Mitwirkung der neuen deut-
chen Bundesregierung trotzdem geschafft, einen aus-
ewogenen, sehr tragfähigen Kompromiss zu REACH
uszuhandeln. Den meisten Kritikpunkten konnte hierbei
ur Zufriedenheit der meisten Beteiligten Rechnung getra-
en werden.
Nun liegt es – das ist offensichtlich – in der Natur
ines Kompromisses, dass nicht jeder jedes seiner An-
iegen in Gänze verwirklicht sehen wird. Ein guter Kom-
romiss zeichnet sich dadurch aus, dass alle Beteiligten
en Verhandlungstisch mit dem Gefühl verlassen, das
eschlossene mittragen zu können. Der Gemeinsame
tandpunkt des Wettbewerbsrats ist ein solch guter
ompromiss.
Die Koalitionsfraktionen legen mit ihrem Antrag ein
lares Bekenntnis zu diesem Gemeinsamen Standpunkt
b. Indem wir heute über unsere Position abstimmen,
öchten wir ausdrücklich ein Signal für die Schluss-
erhandlungen in der EU absenden, gerade nach dem für
eine Fraktion äußerst unbefriedigenden Ergebnis im
mweltausschuss des Europäischen Parlaments.
Lassen Sie mich an dieser Stelle ein paar Punkte nen-
en, in denen der Gemeinsame Standpunkt des Rates
ine grundlegende Verbesserung der Verordnung gegen-
ber früheren Entwürfen bedeutet.
Wir haben erreicht, dass die Zulassung von Stoffen
icht generell befristet wird. Ich bin der Auffassung,
ass die ursprünglich vorgesehene Befristung auf fünf
ahre vor dem Hintergrund, dass es die Europäische
hemikalienagentur realistisch geschätzt schaffen wird,
twa zehn bis 15 Stoffe pro Jahr zu bearbeiten, ein büro-
ratischer Irrsinn ist. Bei circa 150 Stoffen, die das
ulassungsverfahren durchlaufen müssen, würde gerade
in Drittel der Stoffe geschafft sein, wenn die ersten
ulassungen auslaufen und das Verfahren neu beginnen
uss. Das Verfahren gemäß Gemeinsamem Standpunkt
rmöglicht eine nochmalige Überprüfung nach einer im
inzelfall festzulegenden Frist, wenn – und nur dann –
nformationen darauf hindeuteten, dass eine Gefährlich-
eit für Umwelt und Gesundheit besteht. Die Genehmi-
ung kann in diesem Fall bei der Erkenntnis, dass eine
6288 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006
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solche Gefahr besteht, widerrufen werden. Das nenne
ich eine vernünftige Lösung.
Wir haben erreicht, dass in größerem Maße neben der
Menge eines Stoffs auch die Gefährlichkeit und dessen
Exposition berücksichtigt werden. Mit dem Gemeinsa-
men Standpunkt wurden Verwendungs- und Exposi-
tionskategorien als wichtiges Kommunikationsmittel in
der Verordnung verankert. So sollen sich der Umfang
der bei der Registrierung anzugebenden Daten sowie die
Informationspflichten in der Lieferkette weitergehend an
der Verwendung des Stoffes und seiner Exposition orien-
tieren. Damit sind die aus REACH erwachsenden Pflich-
ten vor allem auch für mittelständische Unternehmen
handhabbar.
Im Bereich der Zulassung hat der Wettbewerbsrat
erreicht, dass über die Gefährlichkeit eines Stoffes als
Bewertungsmaßstab hinaus bei der Zulassungsentschei-
dung insbesondere die sichere Handhabung in Form der
adäquaten Kontrolle des Risikos eines sehr gefährlichen
Stoffes zur Grundlage gemacht wird. Wenn ein gefähr-
licher Stoff sich in einem geschlossenen und sicheren
Stoffkreislauf befindet, kann auch allein die theoretische
Substitutionsmöglichkeit noch kein Grund für das Ver-
sagen der Zulassung sein. Das hätte dann mit einem
sinnvollen Schutzszenario für Umwelt und Gesundheit
wenig zu tun.
Wir haben erreicht, dass für Stoffe in der produktbe-
zogenen Forschung und Entwicklung die Meldepflichten
erheblich vereinfacht werden und Forschungsprogram-
me bei der Notifizierung nicht mehr vorzulegen sind.
Wenn wir Innovation wollen, dürfen wir das Potenzial
hierfür nicht hemmen, indem wir die zur Verfügung ste-
henden Stoffe minimieren und Forschungskosten und
Zeitaufwand immens erhöhen.
Die ursprünglich vorgesehenen Informationspflichten
haben Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse von Unter-
nehmen in inakzeptabler Art und Weise gefährdet. Wir
haben erreicht, dass der Know-how-Schutz verbessert
wird, indem sensible Unternehmensdaten vertraulich
bleiben können. Nur so können auch langfristig faire
Wettbewerbsbedingungen gewährleistet werden. Auch
dieser Punkt ist besonders wichtig für die Schluss-
verhandlungen im Europäischen Parlament, da der Um-
weltausschuss in Brüssel wettbewerbsgefährdende Be-
lastungen für die Wirtschaft beschlossen hat, die es jetzt
zu verhindern gilt.
Ich könnte diese Liste fortsetzen.
Auf der anderen Seite gibt es aber auch Punkte, die
wir gerne anders geregelt gesehen hätten. So konnte zum
Beispiel mit dem Gemeinsamen Standpunkt für die Regis-
trierung von Stoffen mit Jahresmengen zwischen zehn
und 100 Tonnen keine wesentliche Erleichterung bei den
Testanforderungen erreicht werden. Diese treffen beson-
ders kleine und mittelständische Unternehmen. Bei den
Testanforderungen hätten wir uns auch im Interesse
eines besseren Tierschutzes mehr gewünscht; dies bleibt
ein Thema für die weitere praktische Umsetzung von
REACH. Die Eindämmung der Registrierungskosten für
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leinvolumige Stoffe wäre ein weiterer Wunsch für die
weite Lesung im Europäischen Parlament gewesen.
Aber auf der Grundlage des Gemeinsamen Stand-
unkts besteht nun die Chance, das Verfahren nach sehr
angwierigen Verhandlungen kurzfristig abzuschließen.
ei dieser Aufgabe den Gemeinsamen Standpunkt durch-
usetzen, dafür hat der Umweltminister die unein-
eschränkte Unterstützung der CDU/CSU-Fraktion.
amit könnten wir – und das geht ganz besonders an die
dresse der Kollegen und Kolleginnen der Grünen und
er Linken – zeitnah beginnen, den Weg eines noch siche-
eren Umgangs mit chemischen Stoffen zu beschreiten.
ie fordern deutliche Verschärfungen von REACH. Ich
age Ihnen: Daran scheitert REACH, und dann wird es
eniger statt mehr Umwelt- und Gesundheitsschutz ge-
en, als wir heute haben. Nur mit dem Kompromiss des
emeinsamen Standpunkts können wir für diese und
ommende Generationen ein hohes Schutzniveau für die
enschliche Gesundheit und die Umwelt gewährleisten.
Der Gemeinsame Standpunkt war ein ausgewogener
ompromiss zwischen dem ursprünglichen Verordnungs-
orschlag der Kommission und der Position des Europäi-
chen Parlaments aus erster Lesung. Der Umweltaus-
chuss des Europäischen Parlaments hat nun aber den
emeinsamen Standpunkt wieder weiter verschärft. Die
efundenen und mit großer Mehrheit verabschiedeten
orschläge zur Registrierung sowie zum Schutz von
etriebsgeheimnissen wurden abgelehnt. Das Zulas-
ungsverfahren wurde massiv weiter verschärft. Es geht
un nicht mehr um die sichere Verwendung eines Stoffs,
ondern nur noch um Verbote bestimmter Stoffgruppen,
elbst dann, wenn es keinen geeigneten Ersatz gibt. Die
efristung der Zulassung auf fünf Jahre wurde wieder
uf den Tisch gebracht, ungeachtet der Unmöglichkeit
iner praktischen Umsetzung. Wo bleibt da die Verein-
arkeit der eigentlichen Ziele von REACH, nämlich
esundheits- und Umweltschutz zu verbessern und
leichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen
irtschaft zu befördern?
Die zweite Lesung im Europäischen Parlament steht
urz bevor. Hinter den Kulissen brodelt es. Manchmal
ieht es so aus, als könne REACH an dieser Stelle noch
cheitern. Wir haben es also noch nicht geschafft. Des-
alb halte ich es für ausgesprochen wichtig, dass wir vor
ieser zweiten Lesung ein entsprechendes Signal nach
rüssel senden. Der Gemeinsame Standpunkt ist ein
airer und tragfähiger Kompromiss. Umwelt und Ge-
undheitsschutz werden im Vergleich zum Status quo
rheblich aufgewertet und auch die chemische Industrie,
ie anfangs mit großer Skepsis auf REACH reagiert hat,
ann sich mit den jetzt gefundenen Regelungen arran-
ieren. Jetzt ist es an uns, den Gemeinsamen Stand-
unkt, der in nicht unerheblichem Maße ein deutscher
tandpunkt ist, auch zu vermitteln. Wer glaubt, das Paket
ochmals aufschnüren zu können, hat schon verloren.
in wiederholtes Aufschnüren des gefundenen Kompro-
isses würde bedeuten, dass eine Einigung in weite
erne rückt. Die Konsequenz wäre, dass Hunderte von
ltstoffen langfristig unregistriert blieben. Das kann
icht in unserem Interesse sein. Deshalb muss der Deut-
che Bundestag sich nachdrücklich für die Beibehaltung
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006 6289
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des Gemeinsamen Standpunkts als Grundlage für die zu-
künftige Ausgestaltung von REACH aussprechen. Das
können wir heute tun, indem wir den Antrag der Regie-
rungsfraktionen beschließen. Dafür bitte ich Sie um Ihre
Unterstützung.
Heinz Schmitt (Landau) (SPD): REACH, die Ver-
ordnung für eine neue, eine fortschrittliche Chemiepoli-
tik in Europa, ist auf der Zielgeraden. Die zweite Lesung
im Europäischen Parlament hat begonnen. Wenn Rat und
Parlament noch einige gegensätzliche Positionen ausräu-
men, können die neuen Regeln für den Umgang mit
Chemikalien in absehbarer Zeit an den Start gehen.
Die Regierungskoalition hat heute einen Antrag
vorgelegt, der vor allen Dingen eines zum Ausdruck
bringen soll: Wir wollen mehr Sicherheit beim Umgang
mit chemischen Stoffen in Europa. Und: Wir stehen zu
REACH. Wir stehen zu dieser Reform.
Bei einem so großen Vorhaben waren in den zurück-
liegenden Jahren naturgemäß die Ansichten über die
Ausgestaltung sehr unterschiedlich. Von daher war zu
erwarten, dass bis zuletzt um Details gerungen wird.
Mitte dieses Jahres hat nun der Rat einen gemein-
samen Standpunkt zu REACH verabschiedet. Dieser ent-
hielt natürlich Kompromisse. Im Oktober hat der Um-
weltausschuss im Europäischen Parlament dazu Stellung
genommen. Mit großer Mehrheit hat er sich dafür ausge-
sprochen, einige zentrale Punkte in REACH zu verän-
dern.
Ich will nicht verheimlichen, dass mir als Umwelt-
politiker viele Forderungen der Kollegen im europäi-
schen Parlament sympathisch sind: dass eine allgemeine
Sorgfaltspflicht stärker betont werden soll, dass mehr
getan werden soll, um Alternativen zu Tierversuchen zu
entwickeln und dass man bei der Zulassung von beson-
ders gefährlichen Stoffen stärker darauf achten soll,
diese Chemikalien zu ersetzen. Damit könnte ich persön-
lich sehr gut leben.
Der Umweltausschuss fordert außerdem, dass es ge-
nerell mehr Daten für Stoffe geben soll, die in kleineren
Mengen hergestellt werden. Auch damit bin ich einver-
standen, wenn es um Stoffe geht, mit denen Menschen
und Umwelt unmittelbar in Berührung kommen.
Das wäre von der Wirtschaft auch problemlos zu leis-
ten. Denn unsere Chemieindustrie hat sich schon seit
Jahren selbst verpflichtet, den sicheren Umgang mit che-
mischen Stoffen zu gewährleisten. Die geforderten Da-
ten für kleinvolumige Stoffe sind ja eigentlich schon da.
Dort allerdings, wo es keinen Kontakt mit Mensch und
Umwelt gibt, macht es durchaus Sinn, die Registrierung
zu erleichtern.
Wenn die Industrie also belegen kann, dass etwa
Stoffe nur in einem geschlossenen Prozess eingesetzt
werden, dann halte ich es für vertretbar, auf umfangrei-
chere Daten zu verzichten.
Knackpunkt zwischen den beiden Gesetzgebern war
und ist bis zuletzt die Frage der Zulassung: Man kann
die Kontroverse vielleicht auf einen sehr einfachen Nen-
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er bringen: Wollen wir mehr Sicherheit im Umgang mit
esonders gefährlichen chemischen Stoffen? Reicht uns
lso die Zusage, dass solche Gefahrstoffe bei planmäßi-
em Einsatz keinen Kontakt mit Mensch und Umwelt
aben? Oder können wir nicht ruhiger schlafen, wenn
olche – ich nenne sie einmal Gruselstoffe – gar nicht
rst eingesetzt werden? Wäre es nicht besser, solche
toffe, wo immer möglich, auch konsequent durch weni-
er bedenkliche Stoffe zu ersetzen?
Auch einem strengeren Vorgehen beim Verfahren der
ulassung kann ich viel abgewinnen. Es ist zwar noch
icht ganz klar, worauf sich Rat und Parlament verständi-
en werden. Aber ich bin sicher: Sie werden sich einigen.
Politik ist nicht das Wünschenswerte. Das hat jeder
ier im Haus schon das eine oder andere Mal erfahren.
olitik ist die Kunst des Möglichen. Daher waren und
ind auch bei REACH Kompromisse in vielen Einzelfra-
en erforderlich. Wir dürfen dabei aber nicht das Große
nd Ganze aus den Augen verlieren. Ich will daher noch-
als betonen, wie wichtig es ist, dass REACH startet.
REACH wird – wie immer die Details letztendlich
ussehen – in jedem Fall den Umgang mit chemischen
toffen in Europa sicherer machen. Wir wissen heute
ber die Chemikalien auf dem europäischen Markt einfach
iel zu wenig. Das wird sich mit REACH ändern. Chemi-
alien werden nun systematisch erfasst. An zentraler
telle werden Daten zu chemischen Stoffen gesammelt
nd gespeichert, Daten, die wiederum für andere Berei-
he, etwa für den Verbraucherschutz und den Arbeits-
chutz, dringend gebraucht werden. REACH wird dafür
orgen, dass wir in Zukunft die Risiken von Stoffen bes-
er kennen und damit umgehen können.
In Zukunft ist die chemische Industrie für ihre Pro-
ukte verantwortlich. Die Beweislast wird umgekehrt.
efährliche Stoffe, die sich im Körper ansammeln und
rebs oder Mutationen auslösen können, dürfen in Zu-
unft nur dann weiterverwendet werden, wenn zumin-
est der sichere Umgang mit diesen Stoffen garantiert
st. Das ist vorteilhaft für kleinere und mittlere Unter-
ehmen:
Es soll möglich sein, dass ein Stoff nur einmal re-
istriert werden muss. Dieses Prinzip – ein Stoff – eine
egistrierung – soll so ausgestaltet sein, dass auch dem
ierschutz sehr weit gehend entsprochen wird. Un-
ermeidbare Versuche an Wirbeltieren sollen danach
atsächlich nur einmal durchgeführt werden.
Das alles sind bedeutende Fortschritte in der europäi-
chen Chemiepolitik, bedeutende Fortschritte für mehr
esundheits-, Verbraucher- und Umweltschutz.
Noch ein Blick auf die anderen Anträge zu REACH,
ie wir heute behandeln: Sie, meine Damen und Herren
on der Linken, sollten sich mal überlegen, was es be-
euten würde, auf Maximalpositionen und auf Total-
onfrontation gegenüber der Wirtschaft zu bestehen. So
ann man das nicht angehen, um Erfolg zu haben. Es
ind auch viele kleine Betriebe, die REACH umzusetzen
aben.
Dieses neue System muss auch für den Mittelstand
andhabbar und praktikabel sein. Daher kann REACH
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nur mit der Wirtschaft und nicht gegen sie gelingen.
Sonst stehen Sie am Ende mit hehren Zielen, aber mit
leeren Händen da und REACH würde auf den letzten
Metern scheitern. Das wäre ein zu hoher Preis. Das darf
nicht passieren. Deshalb: REACH muss kommen.
Michael Kauch (FDP): Ziel der FDP – und ich denke,
der Mehrheit dieses Hauses – ist eine neue europäische
Chemikalienpolitik, die Umwelt und Gesundheit effek-
tiver schützt und zugleich unbürokratisch und mittel-
standsfreundlich ist.
Wie dieses Ziel zu erreichen ist, darüber gehen die
Meinungen auseinander. Ein Ausdruck dafür sind die
jüngsten Beschlüsse des Umweltausschusses des Euro-
päischen Parlaments. Sie sind eindeutig ein Rückschritt
im Vergleich zum gemeinsamen Standpunkt des Rates
aus dem letzten Jahr und gefährden die Wettbewerbs-
situation gerade deutscher, vornehmlich kleiner und mit-
telständischer Unternehmen.
Insbesondere die Verschärfungen im Bereich der Zu-
lassung werden zu Belastungen führen, die eine Vielzahl
von Unternehmen in ihrer wirtschaftlichen Existenz ge-
fährden.
Dabei waren wir mit dem im Rat gefundenen Kom-
promiss bereits einen gutes Stück vorangekommen. Die
FDP-Bundestagsfraktion unterstützt im Wesentlichen die
politische Position des EU-Ministerrates. Diese sollten
die Bundesregierung und die deutschen Abgeordneten
des Europäischen Parlaments im weiteren Verfahren
unterstützen. Denn der Kompromiss im Rat enthält we-
sentliche Fortschritte im Vergleich zu vergangenen Ent-
würfen einer europäischen Chemikalienverordnung. Er
verwirklicht zudem langjährige Forderungen der FDP.
An diesem Kompromiss muss festgehalten werden.
Das gilt insbesondere für die unbefristete Zulassung
von Stoffen. Eine Befristung würde besonders die wei-
terverarbeitende Industrie belasten. Investitionen der
Unternehmen würden damit infrage gestellt werden. In
Deutschland wäre hier unter anderem die Automobil-
industrie negativ betroffen. Die nun wieder vom Um-
weltausschuss des Europäischen Parlaments ins Spiel
gebrachte Befristung auf fünf Jahre muss verhindert
werden.
Gleiches gilt für die vom Rat beschlossene Risiko-
bewertung des Einzelfalls. Diese Position war und ist
richtig. Es wäre der falsche Weg, wenn, wie der EP-Aus-
schuss fordert, trotz Nachweises einer sicheren Verwen-
dung zusätzlich der Nachweis erbracht werden müsste,
dass keine Ersatzstoffe vorliegen. Eine Entscheidung für
eine zwingende Substitution darf nicht Bestandteil von
REACH werden. Aus Gründen der Chemikaliensicher-
heit ist sie nicht notwendig. Vielmehr werden die Unter-
nehmen vor große Herausforderungen gestellt. Die
Folge: Bestimmte Stoffe werden aus dem Markt ge-
drängt, ohne dass dies aus Sicht von Umwelt und Ge-
sundheit erforderlich wäre.
Wir bedauern darüber hinaus, dass die bereits vom
EU-Parlament beschlossenen Fortschritte im Registrie-
rungsverfahren nicht aufgegriffen wurden. Die Registrie-
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ung eines Stoffes sollte sich stärker an Risiken und nicht
ur an Mengen orientieren, wie es auch der Ministerrat
eschlossen hat. Das ist eine langjährige Forderung der
DP. An dieser Regelung gilt es festzuhalten. Allerdings
uss ich an dieser Stelle betonen, dass auch der Kom-
romiss im Ministerrat zu Belastungen der Unternehmen
ühren wird. Die für das Registrierungsverfahren be-
chlossenen Testanforderungen für die Stoffe von 10 bis
00 Tonnen sind teuer und bürokratisch. Trotzdem war
er gefundene Kompromiss ein Fortschritt. Er darf nicht
ufgeweicht werden. Aber genau das wäre der Fall,
enn sich die Vorstellungen des Umweltausschusses des
uropäischen Parlaments durchsetzen würden. Wir brau-
hen eine praxisgerechte Ausgestaltung des Registrie-
ungsverfahrens.
Für Deutschland ist der künftige Weg, der mit REACH
egangen werden soll, von entscheidender Bedeutung,
eil wir der mit Abstand wichtigste Chemiestandort in
uropa sind. REACH wird nicht nur Auswirkungen auf
ie chemische Industrie haben, sondern auf alle Indus-
riezweige, die Chemikalien oder chemische Produkte
erwenden.
Für die FDP stand von Anfang an fest: Gesundheits-
chutz gewährleisten, ohne Arbeitsplätze zu gefährden.
EACH muss im Interesse des Umwelt- und Gesund-
eitsschutzes wirkungsvoll und im Interesse der betrof-
enen Unternehmen praktikabel sein. Sonst droht eine
chwächung der Innovationsfähigkeit der deutschen
irtschaft. Wir appellieren an die Abgeordneten des
uropäischen Parlaments, den Beschlüssen ihres Um-
eltausschusses nicht zuzustimmen. Insbesondere die
eutschen Abgeordneten sollten sich ihrer Verantwor-
ung bewusst sein.
Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Wir reden
eute über eines der wichtigsten Umweltgesetze in der
eschichte der Europäischen Union. Wie Sie wissen,
urden bislang nur etwa 4 000 Stoffe darauf geprüft, ob
ie Gesundheit oder Ökosysteme schädigen. Auf dem
U-Markt befinden sich jedoch etwa 100 000 so ge-
annte Altstoffe, die vor 1981 auf den Markt kamen.
twa 30 000 davon werden gegenwärtig mit mehr als ei-
er Tonne Jahresproduktion eingesetzt. Mit ihnen läuft
aktisch ein Großversuch an Mensch und Umwelt.
In den letzten Jahrzehnten haben auch als Folge die-
er Politik Allergien sowie Brustkrebs- und Atem-
egserkrankungen zugenommen. Giftcocktails lassen
ich selbst noch in der Muttermilch nachweisen.
Die EU-Kommission wollte mit dieser unhaltbaren
ituation Schluss machen. Doch der Richtlinienvor-
chlag war von Anfang an ein mit harten Bandagen
mkämpftes Werk. Umwelt- und Verbraucherorganisa-
ionen sowie Gewerkschaften standen mächtigen Lobby-
rganisationen der chemischen Industrie gegenüber.
etztere haben nichts unversucht gelassen, um beim
angwierigen Gesetzesverfahren die wirtschaftlichen In-
eressen der Chemiekonzerne durchzusetzen.
Und sie waren erfolgreich: Der ursprüngliche Kom-
issionsentwurf wurde infolge der ersten Lesung dras-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006 6291
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tisch verschlechtert. Von den 30 000 als relevant be-
trachteten Chemikalien müssten nach diesem Entwurf
nun nur noch 12 000 gründlich überprüft werden. Zudem
wanderte die Beweislast bezüglich der Unbedenklichkeit
von den Herstellern wieder zurück zu den Behörden. Ge-
nau dies sollte jedoch durch REACH eigentlich umge-
kehrt werden.
In der ersten Lesung hatte sich das EU-Parlament zu-
mindest noch dafür ausgesprochen, gefährliche Chemi-
kalien zu ersetzen, wenn es sicherere Alternativen gibt.
Aber selbst diese einzige positive Veränderung zum
Kommissionsentwurf wurde vom Rat kassiert.
Insgesamt stellte sich damit die Frage, ob ein solches
Chemikalienrecht nicht hinter das bisherige zurückfallen
würde. Schließlich würden die niedrigen Registrierungs-
und Zulassungskriterien nun ebenfalls für die Neustoffe
gelten, welche gegenwärtig noch einem vorbildlichen
Registrierungsverfahren unterliegen.
Nunmehr hat der Umweltausschuss des Europaparla-
ments am 10. Oktober 2006 einen wichtigen Schritt für
den besseren Schutz von Umwelt und Gesundheit vor
gefährlichen Chemikalien getan: Er sprach sich mit gro-
ßer Mehrheit dafür aus, dass Chemieunternehmen ge-
fährliche Chemikalien ersetzen müssen, wenn sichere
Alternativen zur Verfügung stehen.
Zudem hat sich der Umweltausschuss für die Auf-
nahme einer allgemeinen Sorgfaltspflicht in den Verord-
nungsentwurf entschieden. Danach würden die Chemie-
produzenten für die Sicherheit all ihrer Produkte
– unabhängig von der jährlich hergestellten Menge –
verantwortlich gemacht. Verbraucher sollen zudem mehr
Informationen über jene Chemikalien bekommen, die in
den von ihnen erworbenen Alltagsgegenständen enthal-
ten sind.
Insgesamt wurde mit den Veränderungen zwar im Be-
reich der Testanforderungen nicht das ursprüngliche
Schutzniveau des Kommissionsentwurfs erreicht. REACH
wurde aber in wichtigen Teilen verbessert.
Aus diesem Grund – das ist auch der Inhalt unseres
Antrags – fordern wir die Bundesregierung auf, im EU-
Wettbewerbsministerrat darauf hinzuarbeiten, dass die
umwelt- und gesundheitsfreundlichen Positionen des
Umweltausschusses des Europaparlaments übernommen
werden. Die Bundesregierung muss dazu insbesondere
ihren Widerstand gegen die Substitution gefährlicher
Stoffe aufgeben.
Die letzte Chance zu einem fortschrittlichen europäi-
schen Chemikalienrecht darf nicht vergeben werden.
Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Dass die große Koalition diesen Tagesordnungspunkt ur-
sprünglich für die Zeit von 3 Uhr bis 3.35 Uhr auf die
Tagesordnung des Deutschen Bundestages hat setzen
lassen, spricht Bände: Vor dem Hintergrund der bemer-
kenswerten Ankündigung des Umweltministers von
vergangener Woche, dass man nur durch eine aktive
ökologisch-industriepolitische Strategie den umweltpoli-
tischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht
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erden könne, möchte man einen Antrag der großen
oalition, der tatsächlich das Gegenteil dessen ist, offen-
ichtlich nachts – wenn alles schläft – durchs Parlament
ogeln.
An fehlender Bedeutung des Themas Chemiepolitik
edenfalls kann der späte Aufsetzungstermin sicher nicht
elegen haben: Die Neugestaltung der europäischen
hemikalienpolitik ist nach dem Emissionshandel das
edeutendste und ambitionierteste europäische Umwelt-
esetzgebungsverfahren der letzten Jahre. Es ist für den
chutz von Umwelt und Gesundheit von genauso zentra-
er Bedeutung wie für die europäische Chemieindustrie.
Wenn man sich den Antrag der großen Koalition ein-
al genau anschaut, wird schnell klar, dass sie sich of-
ensichtlich nur mit allergrößter Mühe überhaupt auf ei-
en gemeinsamen Antrag haben einigen können. Im
rgebnis hat die große Koalition heute einen Antrag vor-
elegt, der eine ambitionierte Umweltpolitik noch im-
er als Gängelung der Wirtschaft sieht und eben nicht
ls Chance begreift, dass sich die Wirtschaft durch öko-
ogische Innovationen rechtzeitig Zukunftsmärkte si-
hert. So begrüßt sie die Entscheidung des europäischen
ettbewerbsrates als einen insgesamt tragfähigen Kom-
romiss, obwohl die Beschlüsse hinsichtlich der Verbes-
erung des Umwelt- und Gesundheitsschutzes mehr als
nttäuschend waren. Nicht ohne Grund hat Wirtschaft-
inister Michael Glos die Einigung im Rat damals mit
en Worten begrüßt, dass es gelungen sei, eine wirt-
chaftsfreundliche Lösung bei REACH durchzusetzen.
or allem die Tatsache, dass nach der gemeinsamen Po-
ition des europäischen Rates gefährliche Chemikalien
uch dann zugelassen werden können, wenn es sicherere
lternativen gibt, ist kein Anreiz zu Entwicklung neuer
toffe. Eine ökologische Industriepolitik oder ein New
eal sieht für uns Grüne tatsächlich anders aus. Ihr Han-
eln in der Chemiepolitik wäre tatsächlich wohl weitaus
reffender als „no deal“ zu bezeichnen.
Wir bedauern, dass im Verlaufe des europäischen
esetzgebungsverfahrens von der Vorlage eines ersten
ntwurfes bis hin zur gemeinsamen Position des Minister-
ates für Wettbewerb am 13. Dezember 2005 der Verord-
ungsentwurf immer weiter zugunsten kurzfristiger wirt-
chaftlicher Ziele abgeschwächt wurde. Es ist derzeit
ffen, ob das erklärte Ziel von REACH, den Umwelt-
nd Gesundheitsschutz zu verbessern, überhaupt noch
rreicht werden kann. Nach derzeitigem Verhand-
ungstand auf europäischer Ebene bedeutet es vor allem
ber eines: Eine verpasste wirtschaftliche Chance.
Wir fordern die Bundesregierung deshalb auf, die
och bestehenden Spielräume auszuschöpfen, um noch
u einer Verbesserung des Umwelt- und Verbraucher-
chutzes in der REACH-Verordnung zu kommen. Herr
inister Gabriel, lassen Sie ihren Ankündigungen zur
kologischen Industriepolitik nun Taten folgen und grei-
en sie unter anderem den Vorschlag des Europäischen
arlamentes zur Stärkung der allgemeinen Sorgfalts-
flicht auf. Setzen sie sich dafür ein, dass Hersteller, Im-
orteure und nachgeschaltete Anwender sicherstellen
üssen, dass ihre Substanzen der Umwelt und der
6292 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006
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menschlichen Gesundheit nicht schaden und sich zu ent-
sprechenden Maßnahmen verpflichten.
Zu unseren zentralen Forderungen an die Bundesre-
gierung gehört vor allem aber auch, den Substitutionsan-
reiz für Unternehmen zu stärken, indem eine Zulassung
gefährlicher Chemikalien nur befristet erteilt wird. Auch
muss der verpflichtende Ersatz gefährlicher Stoffe vor-
geschrieben werden. Gefährliche Stoffe dürfen zukünftig
nur dann zugelassen werden, wenn es tatsächlich keine
sicheren Alternativen gibt, ihr Nutzen das Risiko nach-
weislich überwiegt und die Risiken beherrschbar sind.
Wenn die Märkte der Zukunft tatsächlich grün sind,
wie Sie, Herr Minister Gabriel, es in Ihrem Memoran-
dum für „Ökologische Industriepolitik“ erwarten, dann
müssen Sie auch wirksame Anreize für ökologische In-
novationen schaffen. Das gilt in ganz besonderem Maße
für die Chemieindustrie. Denn die von Ihnen, Herr Mi-
nister Gabriel, eingeforderte Notwendigkeit einer dritten
industriellen Revolution wird nicht vom Himmel fallen.
Deshalb fordern wir Sie auf: Unterstützen Sie unseren
Antrag und schaffen Sie auch in der Chemieindustrie
wirksame Anreize für echte ökologische Innovation.
Anlage 14
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts zu dem Antrag: Bundesweiter Ab-
schiebestopp für Flüchtlinge aus Togo (Tages-
ordnungspunkt 24)
Reinhard Grindel (CDU/CSU): Der Antrag der
Fraktion Die Linke für einen Abschiebestopp von
Flüchtlingen aus Togo reiht sich ein in eine Vielzahl von
Versuchen, mit denen auf unterschiedlichste Art und
Weise erreicht werden soll, eine vernünftige Steuerung
der Zuwanderung zu unterlaufen und die konsequente
Rückführung ausreisepflichtiger Ausländer zu verhindern.
Sie wollen die Rückführung von Personen verhindern,
deren Asylverfahren rechtskräftig abgelehnt wurde und
die jetzt zum Teil nicht unerhebliche Sozialleistungen in
Anspruch nehmen. Sie wollen die Rückführung von Per-
sonen verhindern, die zum Teil schwarz arbeiten und die
– auch solche Fälle sind darunter und sollen zuförderst
abgeschoben werden – nicht unerhebliche Straftaten in
Deutschland verübt haben. Um es zusammenzufassen:
Ihr Antrag ist völlig unverantwortlich!
Sie sprechen in Ihrem Antrag davon, in Togo herrsche
ein Klima des Terrors und der Angst und es seien dem-
entsprechend abschieberelevante Schlussfolgerungen zu
ziehen. Sie erwähnen in Ihrem Antrag auch die aktuelle
Stellungnahme des UNHCR, des Hohen Flüchtlings-
kommissars der Vereinten Nationen, vom 7. August 2006.
Sie unterschlagen aber, was er dort festgestellt hat und
was ihrem Antrag diametral widerspricht.
Die Sicherheitslage hat sich gegenüber der Einschät-
zung von 2005 nämlich entscheidend verbessert. Die
Situation in Togo habe sich stabilisiert, heißt es in der
Stellungnahme des UNHCR. Basierend auf verläss-
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ichen Quellen sei derzeit keine Bedrohung zurückkeh-
ender Personen festzustellen. Ernsthafte und wahllose
edrohungen für Leben, körperliche Unversehrtheit
der Freiheit, die auf allgemeiner Gewalt oder öffent-
icher Gewalt beruhen, fänden gegenwärtig nicht mehr
tatt. Der UNHCR erhebt gegen die Rückführung von
usreisepflichtigen Personen nach Togo dementspre-
hend auch keine Einwände.
Wie vom UNHCR angeregt, findet gleichwohl seitens
es Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge nach
60 Abs. 7 des Aufenthaltsgesetzes in jedem Einzelfall
ine Prüfung statt, ob dem ausreisepflichtigen Ausländer
usnahmsweise nicht doch Gefahren drohen, die einen
ubsidiären Schutz begründen könnten. Dabei werden
uch exilpolitische Aktivitäten oder regimekritische Äu-
erungen berücksichtigt. Die Prüfungen laufen in allen
ußenstellen des Bundesamtes ausgesprochen gewis-
enhaft und haben trotzdem in keinem einzigen Fall zu
inem Abschiebeschutz geführt.
Ganz im Gegenteil ist am 19. September 2006 sogar
in EU-Sammelcharter erfolgreich durchgeführt worden,
er mit ausreisepflichtigen Ausländern aus verschiedenen
U-Ländern besetzt war und der von der EU kofinan-
iert wurde. Bisher ist nicht ansatzweise bekannt, dass
rgendeinem der zurückgeführten Ausländer ein Leid
ngetan worden wäre. Schon alleine das zeigt die Frag-
ürdigkeit Ihres Antrages: Andere EU-Mitgliedstaaten
rganisieren einen Sammelcharter zur Rückführung von
ogolesen, an dem wir uns dankenswerterweise beteili-
en dürfen, und Sie wollen einen Abschiebestopp durch-
etzen. Sie schaden den Interessen unseres Landes. Das
st die zentrale Konsequenz, die man aus Ihrem Antrag
iehen muss!
Es gab bisher nur ein Bundesland, das sich für einen
bschiebestopp entschlossen hatte, Mecklenburg-Vor-
ommern. Das dürfte sich mit dem Regierungswechsel
un auch erledigt haben. Ich will aber schon verdeut-
ichen, dass selbst Ihre Genossen in Schwerin wussten,
ie schwach Ihre Argumente waren. Mecklenburg-
orpommern hatte für die Innenministerkonferenz im
rühjahr 2006 das Thema „Situation in Togo“ für die
agesordnung angemeldet, dann aber kurz vor der Ta-
ung das Thema von sich aus wieder zurückgezogen und
en Abschiebestopp auf sechs Monate befristet. Ich gehe
avon aus, dass beim nächsten EU-Sammelcharter jetzt
uch ausreisepflichtige Togolesen aus Mecklenburg-
orpommern dabei sein werden.
Ich will nochmals eines ganz klar betonen: Zu einer
laubwürdigen Steuerung der Zuwanderung gehört auch
ine konsequente Rückführungspolitik. Dass es sehr
ohl eine erhebliche Sogwirkung haben kann, wenn
ine solche Rückführungspolitik nicht konsequent
urchgeführt und Illegalen Hoffnung gemacht wird, sie
önnten sich trotz Ausreisepflicht sich in einem Land
eiter aufhalten, kann man an der Situation vor den
üsten Spaniens und Italiens eindrucksvoll beobachten.
er Legalisierungskampagnen für Illegale durchführt,
er darf sich nicht wundern, wenn Schlepper und
chleuser darauf sofort reagieren. Dass wir einen erheb-
ichen Rückgang beim Missbrauch des Asylrechts und
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der Zuwanderung von Illegalen in Deutschland haben,
hängt auch mit unserer konsequenten Steuerung der Zu-
wanderung zusammen. Und das heißt auch, dass wir
Schleuserbanden keine Chance geben, den Menschen in
Afrika Hoffnungen zu machen, dass sie, wenn sie
Schleusern nur viele Dollars geben, auf Dauer in
Deutschland bleiben. Der Kampf gegen Schleuser und
Schlepper setzt neben einer Bekämpfung von Flucht-
ursachen in den Heimatländern der Flüchtlinge eben
auch voraus, dass sich dort herumspricht, dass es wegen
einer konsequenten Zuwanderungspolitik keinen Sinn
macht, sich auf einen manchmal leider eben auch lebens-
bedrohlichen Weg zu machen.
In diesem Zusammenhang will ich die gemeinsame
deutschfranzösische Initiative für eine „zirkulierende“
Migration hervorheben. Es mögen sich dabei noch ei-
nige Fragen und Verbesserungsvorschläge ergeben, aber
sie ist eine glaubwürdigere Alternative als der Antrag,
den die Linke hier heute zur Abstimmung stellt.
Ich freue mich, dass unsere Argumentation im Aus-
schuss zumindest auch die Kollegen von der FDP-Frak-
tion überzeugt hat. Wir haben insofern mit einer sehr
breiten Mehrheit den Antrag der Fraktion Die Linke im
Innenausschuss abgelehnt. Ich darf Sie herzlich bitten,
diesem Votum des Innenausschusses zu folgen.
Rüdiger Veit (SPD): Niemand darf in einen Staat
abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Frei-
heit bedroht ist. So gebietet es die Genfer Flüchtlings-
konvention und in Anknüpfung daran auch der seit dem
1. Januar 2005 in der umfassenden Form geltende § 60
Abs. l des Aufenthaltsgesetzes. Das sollte und wird auch
hier niemand in diesem Hohen Hause bezweifeln.
Nach allem, was wir aus Berichten des Auswärtigen
Amtes oder auch von Nichtregierungsorganisationen
– namentlich des UNHCR – wissen, hätten vor diesem
Hintergrund vor einem bis eineinhalb Jahren wegen der
aktuellen Lage und der menschenrechtswidrigen Über-
griffe in Togo Rückführungen von Flüchtlingen dorthin
nicht stattfinden sollen und dürfen.
Betrachtet man indessen die aktuellen Lageberichte des
Auswärtigen Amtes – zuletzt vom 23. Februar 2006 – und
denjenigen des UNHCR – zuletzt vom 7. August 2006 –
hat sich die politische und auch die Sicherheitslage in
Togo insgesamt nachhaltig verbessert. Die Berichte
geben jedenfalls keine Anhaltspunkte mehr dafür her,
dass insbesondere zurückkehrende Flüchtlinge im allge-
meinen mit staatlicher oder nichtstaatlicher Verfolgung
wegen ihrer Rasse, Religion, wegen ihrer Staatsangehö-
rigkeit oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen
Gruppe oder aufgrund ihrer politischen Überzeugung zu
rechnen hätten.
Insofern bedarf es keines generellen Abschiebestopps
vonseiten einzelner Bundesländer gemäß § 60 a Abs. l
des Aufenthaltgesetzes für die Dauer von sechs Monaten
und für die Zeit darüber hinaus keiner entsprechenden
Zustimmung des Bundesministers des Inneren gemäß
§ 23 des Aufenthaltgesetzes.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge,
BAMF, prüft zudem vor jeder Abschiebung im kon-
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reten Einzelfall eventuell bestehende Gefährdungen.
nsbesondere solchen Personen wird Abschiebeschutz
ewährt, bei denen eine neuerliche Verfolgung wegen
hrer vormaligen politischen oder auch exilpolitischen
ktivitäten nicht mit hinreichender Sicherheit ausge-
chlossen werden kann. So wird uns dies vonseiten des
undesamtes für Migration und Flüchtlinge versichert,
essen Amtsleitung unser volles Vertrauen hat. So sieht
s auch der Bundesminister des Inneren. Wir erwarten
ngeachtet dessen, dass auch in aller Zukunft mit der
otwendigen Sensibilität letztlich nach dem Motto „Im
weifel nie“ anstehende Abschiebungen im Einzelnen
eiterhin auf das Sorgfältigste geprüft werden.
Aus den genannten Gründen gibt es auf Grundlage
er heutigen Situation in Togo und vorbehaltlich neuerer
rkenntnisse durch neue Berichte bzw. Ereignisse ak-
uell jedenfalls keine Veranlassung, dem Antrag der
raktion der Linken zuzustimmen.
Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Die verschiede-
en Bemühungen um eine Verbesserung der Menschen-
echtslage in Togo haben – begrenzt – Früchte getragen.
o wurden laut Auswärtigem Amt politische Gefangene
reigelassen, Gerichtsverfahren beschleunigt, Bewe-
ungs- und Meinungsfreiheit verbessert und bessere
rundlagen für eine freie Presse geschaffen.
Die Präsidentschaftswahlen vom 24. April 2005 waren
llerdings eine Farce. Sie haben erhebliche Rückschläge
m Menschenrechtsbereich mit sich gebracht. Togo hat
en bereits mehrfach von der Genfer VN-Menschen-
echtskommission angeforderten Folterbericht immer
och nicht abgegeben. Trotz verschiedener öffentliche
bsichtserklärungen von Staatspräsident und Regierung
ehlen nach Einschätzung der Opposition noch über-
eugende Aktionen, die eine ernsthafte Bereitschaft be-
egen, das politische Leben auf eine eindeutig neue
rundlage zu stellen. Die Teilhabe der wichtigsten Op-
ositionsparteien am Staatsgeschehen erscheint zurzeit
och ausgeschlossen. Hier obliegt es der Regierung von
ogo, im Rahmen ihrer Führungsrolle ernsthaft aktiv zu
erden.
Ohne Frage ist die Menschenrechtslage in Togo
chwierig. Allerdings geht der jüngste UNHCR-Bericht
nzweideutig von einer wesentlichen Verbesserung der
enschenrechtslage aus. Der Antrag der Linkspartei ist
nsofern in seiner Analyse der politischen und men-
chenrechtlichen Situation in Togo nicht mehr auf dem
ktuellen Stand. Der UNHCR hat seine Stellungnahme
om August 2005 überarbeitet und ist nunmehr auf der
rundlage langwieriger Recherchen zu der Einschät-
ung gelangt, dass sich die Sicherheitslage in Togo trotz
inzelner verbleibender Probleme entscheidend verbes-
ert hat. Auch Pro Asyl teilt diese Bewertung.
Vor diesem Hintergrund bezweifelt die FDP, dass ein
enereller Abschiebestopp, wie ihn die Linkspartei fordert,
ie richtige Antwort ist. Wir sind allerdings der Auffas-
ung, dass die Menschenrechtslage in Togo weiterhin
er kritischen Aufmerksamkeit bedarf. Gerade vor dem
intergrund der Verantwortung für andere Fälle muss
ie Notwendigkeit eines Abschiebestopps genau geprüft
6294 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006
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werden. Für Togo besteht nach weitgehend übereinstim-
mender Auffassung kein derartig allgemeines Schutzbe-
dürfnis mehr. Natürlich müssen wir leider davon aus-
gehen, dass es politische Verfolgung in Togo auch heute
noch gibt. Aber dafür besteht nach wie vor das Recht für
politisch Verfolgte, in Deutschland einen Asylantrag zu
stellen.
Der generelle Abschiebestopp ist ein politisches
Instrument im Falle einer akuten Entwicklung, die
rasches Handeln erfordert. Dieses Instrument darf nicht
inflationär verwendet werden. Dauerhafte Probleme mit
der Menschenrechtslage in einem bestimmten Land kön-
nen damit nicht gelöst werden. Dazu ist das Asylrecht
das richtige Instrument. Die FDP lehnt daher den Antrag
der Linkspartei ab.
Sevim Dagdelen (DIE LINKE): In einer Nacht- und
Nebelaktion Anfang diesen Jahres wurde der togoische
Flüchtling Alassane Moussbauo aus Deutschland abge-
schoben. Sofort nach seiner Ankunft musste er untertau-
chen, weil das Militär dem Oppositionellen drohte, ihn
zu „eliminieren“. Sein Fall war Anlass für den Abschie-
bestopp des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Wäh-
rend der Abschiebestopp vor wenigen Wochen ausgelau-
fen ist, befindet sich Alassane Moussbauo immer noch
auf der Flucht. Über 700 Flüchtlinge könnten sein
Schicksal bald teilen. Sie könnten wieder in ein Land
abgeschoben werden, in dem ihnen konkret Gefahr für
Leib, Leben und Freiheit droht Ein Abschiebestopp in
einem Bundesland wie Mecklenburg-Vorpommern
macht Sinn, wenn Abschiebungen nicht bundesweit aus-
gesetzt werden. Deshalb hat Die Linke diesen Antrag ge-
stellt und fordert die Bundesregierung auf, die Erteilung
einer Aufenthaltserlaubnis für togoische Flüchtlinge
nach § 23 AufenthG zu ermöglichen und sich gegenüber
den Bundesländern für einen Abschiebestopp nach
§ 60 a Abs. l AufenthG einzusetzen.
Bisher windet sich die Bundesregierung immer mit
dem Verweis auf die Einzelfallprüfung aus ihrer Verant-
wortung. Aber auch eine Einzelfallprüfung kann eine
Gefährdung von abgeschobenen Flüchtlingen nicht ein-
deutig ausschließen. Zu willkürlich und zu unberechen-
bar verfolgt das togolesische Regime die Opposition. In
der Vergangenheit waren von Verfolgung nicht nur deren
ranghohe Vertreter betroffen, sondern auch einfache Op-
positionsmitglieder. Selbst der bloße Verdacht einer Mit-
gliedschaft reichte aus, um in den Zugriff des Regimes
zu gelangen. Außerdem beobachtet das Regime genau
die exilpolitischen Tätigkeiten von togolesischen Flücht-
lingen in Deutschland.
Die Menschenrechtssituation hat sich seit den Aus-
schreitungen im Frühjahr 2005 nicht wesentlich verbes-
sert. In der Diskussion im Innenausschuss hat Herr
Grindel dies bestritten und auf den aktuellen Bericht des
UNHCR vom 7. August 2006 verwiesen. Im Gegensatz
zu ihm habe ich diesen Bericht jedoch genau gelesen. Es
kann sein, dass sich die großen Führer der Opposition
gegenwärtig in Lomée sicher fühlen. Das sagt aber
nichts darüber aus, ob sich die Situation von einfachen
Oppositionellen außerhalb der Hauptstadt verbessert hat.
Im Gegenteil: Der UNHCR stellt an keiner Stelle ein
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nde der nächtlichen Entführungen und Morde von Op-
ositionsmitgliedern fest. Stattdessen wiederholt der
NHCR seine Aussage vom Sommer 2005, dass sich
ie Struktur und Rolle der Armee – die Herrschaft des
iktators Gnassingbé militärisch abzusichern – nicht
erändert habe. Strukturelle Reformen des politischen
ystems sind bisher ausgeblieben.
Wer vor diesem Hintergrund behauptet, die Lage in
ogo habe sich entspannt, stellt ein durch Einschüchte-
ung und polizeiliche Willkür und Verfolgung entstande-
es Klima der Angst als innenpolitischen Frieden dar.
ie Diktatur Gnassingbés ist lediglich sensibler gegen-
ber der internationalen Öffentlichkeit geworden. Immer-
in hat die EU dem Regime in Lomée circa 55 Millionen
uro in Aussicht gestellt, wenn diese einen nationalen
ialog mit der Opposition beginnt. Demokratische Fort-
chritte hat dieser Dialog bis heute nicht gebracht.
Flüchtlingen, die exilpolitisch in Deutschland tätig
aren und abgeschoben werden sollen, sind jedoch wei-
erhin einer beträchtlichen Bedrohung ausgesetzt. Das
at die fatale Abschiebung von Alassane Moussbauo ge-
eigt. Wie viele untergetauchte, gefolterte oder sogar er-
ordete Flüchtlinge sind nötig, damit eine Gefährdung
on abgeschobenen Flüchtlingen vom Auswärtigen Amt
nd verantwortlichen Politikern wahrgenommen wird?
ch möchte an dieser Stelle auf ein Urteil des Freiburger
erwaltungsgericht im März dieses Jahres hinweisen: Es
tellte fest, dass es im Asylrecht keiner Lebendversuche
ulasten von Flüchtlingen braucht, um die systematische
epression von abgeschobenen Flüchtlingen beweisen
u können.
Wenn die konkrete Gefahr für Leib und Leben von
itgliedern der Opposition bzw. denjenigen, die dafür
ehalten werden, nicht ausgeschlossen werden kann, ist
ede Abschiebung von Flüchtlingen nach Togo ein sol-
her „Lebendversuch“!
Die CDU/CSU-Fraktion hat im Innenausschuss je-
och deutlich gemacht, dass sie an einer Klärung der Ge-
ährdung für abgeschobene Flüchtlinge nicht interessiert
st. Vom Primat abzuschieben, egal was mit den Flücht-
ingen passiert, will die Union nicht abrücken. Das
acht der Vorschlag des bayerischen Innenministers
ünther Beckstein in der aktuellen Bleiberechtsdebatte,
rakische Flüchtlinge von dieser Regelung auszuschlie-
en und konsequent abzuschieben, nochmals deutlich.
Wenn doch aber widersprüchliche Aussagen zur Men-
chenrechtssituation in Togo vorliegen, dann müssen Sie
enigstens bereit sein, auf Grundlage einer aktualisierten
assung des Lageberichts des Auswärtigen Amtes zu ent-
cheiden. Wir müssen vom Auswärtigen Amt fordern, die
ktuelle Situation zu prüfen und den Lagebericht zu kor-
igieren. Der Berichterstatter der SPD hat richtigerweise
ie Aussagen des Freiburger Verwaltungsgerichts ernst
enommen und eine weitere Klärung des Sachverhalts
efordert. Leider hat die SPD sich dann ihrem Koaliti-
nspartner gebeugt und den Antrag der Bundestagsfrak-
on Die Linke im Innenausschuss abgelehnt. Ich finde es
kandalös, dass das Recht auf Schutz vor Verfolgung dem
oalitionszwang geopfert wird.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006 6295
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Bevor Alassane Moussbauo zwangsweise abgescho-
ben wurde, hatte es etliche Warnungen und Hinweise zu
seiner Gefährdung gegeben. Erst nach langen Protesten
vor allen von Flüchtlingsgruppen war die SPD in Meck-
lenburg-Vorpommern bereit, die Menschenrechtssitua-
tion in Togo realistisch einzuschätzen und Abschiebun-
gen auszusetzen. Ich halte die Bedrohung für Flüchtlinge
aus Togo weiterhin für sehr hoch. Stellungnahmen von
Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisationen zeigen
dies und unser Antrag stützt sich darauf. Abschiebungen
von Menschen, die vom Regime in Togo für Oppositio-
nelle gehalten werden könnten, sind unverantwortlich.
„Lebendversuche“ lehnt die Linke ab. Deswegen fordern
wir die Bundesregierung auf, alles zu tun, um einen bun-
desweiten Abschiebestopp durchzusetzen.
Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Die instabile Menschenrechtslage auch im Jahr nach den
Präsidentschaftswahlen in Togo muss sich in der Zahl
der Anerkennung von Asylgesuchen von Togoern durch
das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nieder-
schlagen. Ein Abschiebestopp, ob nun bundesweit oder
für ein halbes Jahr von einem einzelnen Bundesland ver-
hängt, kann immer nur der letzte „Strohhalm“ sein, um
Flüchtlingen einen Aufschub der Abschiebung zu ge-
währen, weil ihnen allgemeine Gefahren für Leib und
Leiben drohen.
Seit mehr als drei Jahrzehnten leidet die togoische
Bevölkerung darunter, dass es kein rechtsstaatliches Sys-
tem in Togo gibt. Die Sicherheitskräfte können sich ge-
setzeswidrig verhalten, ohne eine Ahndung durch staatli-
che Stellen befürchten zu müssen und ohne für
Übergriffe zur Rechenschaft gezogen zu werden. Diese
völlige Straflosigkeit prägt auch im Jahr 2006 noch die
Situation im Lande. Eigentlich müsste dies alles zur
Asylanerkennung bzw. zur Zuerkennung von Abschie-
bungshindernissen durch das Bundesamt für Migration
und Flüchtlinge für in Deutschland asylsuchende Togoer
führen. Das Gegenteil ist der Fall. Innerhalb von vier
Jahren wurden gerade einmal 159 Togoer vom Bundes-
amt als Flüchtlinge anerkannt.
Nach Berichten von UNHCR und anderen Menschen-
rechtsorganisationen ist es in Togo seit dem Tod des Prä-
sidenten Gnassingbé Eyadéma und dem sich daran an-
schließenden Staatsstreich seines Sohnes Faure
Gnassingbé im Februar 2005 zu gravierenden und syste-
matischen Menschenrechtsverletzungen gekommen. In
den Wochen und Monaten vor und nach der Präsident-
schaftswahl vom 24. April 2005 war ein extremer An-
stieg exzessiver Gewaltanwendung durch Sicherheits-
kräfte und bewaffnete Banden zu verzeichnen;
vergleichbare Gewaltausbrüche hat es in Togo in den
letzten Jahren nicht gegeben. Auch nach der offiziellen
Bekanntgabe der Wahlergebnisse durch das Verfassungs-
gericht hielten die Repressionen gegen die Bevölkerung
an. Zahlreiche Personen wurden durch Schüsse und
Schläge getötet oder verletzt. Oppositionelle und mut-
maßliche Oppositionelle wurden inhaftiert und gefoltert.
Der Regierung nahe stehende Milizen drangen wahllos
in Häuser ein, die Bewohner wurden geschlagen und be-
raubt und die Häuser verwüstet.
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Seither hat sich die allgemeine Sicherheitslage in
ogo zwar etwas beruhigt: dies beschreibt auch der
NHCR in seinem jüngsten Bericht vom August 2006.
ngriffe von Milizen während und nach den Präsident-
chaftswahlen hatten zur Folge, dass mehrere zehntau-
end Menschen aus ihrer Heimat vertrieben wurden und
um Teil ins Ausland flüchten mussten. Nach Angaben
umanitärer Hilfsorganisationen hatten bis August
0 000 Menschen in den Nachbarländern Benin und
hana Zuflucht gesucht. Ende 2005 befanden sich noch
mmer mehrere tausend Flüchtlinge in den Nachbarlän-
ern Togos, Zahlreiche Ausländer haben das Land ver-
assen. Immer wieder gibt es Berichte von Übergriffen
egen Personen, die aus Benin und Ghana nach Togo zu-
ückgekehrt sind. Auf der Grundlage einer veränderten
agebeurteilung, wonach sich insbesondere die Sicher-
eitslage gegenüber dem Sommer 2005 verbessert habe,
pricht sich UNHCR aktuell nicht mehr grundsätzlich
egen Rückführungen nach Togo aus. Gemeint sind al-
erdings überwiegend die togoischen Flüchtlinge, die
ich in die Nachbarstaaten gerettet hatten. Keineswegs
ntendiert ist mit dem UNHCR-Bericht die Abschiebung
on abgelehnten togoischen Asylbewerbern aus Europa
n großem Stil. Denn mit einer Stabilisierung der Lage
nd einer Beendigung der massiven Menschenrechtsver-
etzungen ist in unmittelbarer Zukunft nicht zu rechnen.
benso wenig ist damit zu rechnen, dass es schnell zur
usbildung rechtsstaatlicher Strukturen kommt. Daher
leiben wir dabei, dass sich an der Entscheidungspraxis
es Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge im Hin-
lick auf togoische Asylbewerber grundlegend etwas än-
ern muss.
nlage 15
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Arbeitnehmer-Entsendegesetz
(Tagesordnungspunkt 27)
Gitta Connemann (CDU/CSU): „Handwerk hat gol-
enen Boden“, so sagt der Volksmund. Golden ist am
andwerk ohne Frage die Qualität seiner Arbeit. Die
erkunftsbezeichnung „Made in Germany“ steht in der
elt für Prädikatsleistung, zu Recht. Denn in unseren
andwerksbetrieben werden die denkbar besten Pro-
ukte und Dienstleistungen erzeugt, von hervorragend
usgebildeten Betriebsinhabern und deren Mitarbeitern.
ie Nachfrage nach diesen qualitativ hochwertigen Leis-
ungen ist vorhanden.
Der Volksmund irrt jedoch, soweit es um die Vergü-
ung dieser handwerklichen Leistungen geht. Golden ist
ieser Boden schon lange nicht mehr immer. Ertrag und
ualität stehen nicht mehr stets in einem ausgeglichenen
erhältnis.
Das Handwerk ist geprägt durch seine Vielfalt: Viel-
alt an Fertigkeiten, Vielfalt an Qualifikationen, aber
uch einer Vielfalt an Herausforderungen. Die hand-
erkliche Expertise muss sich insbesondere gegenüber
en Anforderungen des innereuropäischen und interna-
6296 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006
(A) )
(B) )
tionalen Wettbewerbs behaupten. Und dies ist nicht im-
mer leicht bei einer Unternehmensphilosophie, die wir in
den mittelständischen Handwerksbetrieben antreffen, ei-
ner Philosophie, die den Menschen in den Mittelpunkt
stellt, den Kunden und insbesondere die Mitarbeiter.
Ein Handwerker, der heute erfolgreich sein will, wird
eben nicht mehr nur an seiner fachlichen Qualität gemes-
sen. Vielmehr muss er sein Denken und Handeln dem in
einem stetigen Wandel begriffenen Markt anpassen. Dies
bedeutet eine große Herausforderung an die Unterneh-
mensführung des Betriebsinhabers. Er muss den Markt
aufmerksam beobachten, Veränderungen rechtzeitig er-
kennen und sein Unternehmen entsprechend umstruktu-
rieren. Er muss aktiv auf seine Kunden zugehen und
neue Märkte erschließen. Dies sind keine Neuigkeiten.
Es verdeutlicht allein unsere Verpflichtung, für diese
Handwerker Rahmenbedingungen zu schaffen, mit de-
nen diese der Vielfalt der Herausforderung genügen kön-
nen.
Die Vielfalt des Handwerks verpflichtet zur genauen
Betrachtung der einzelnen Branchen. Die Anforderun-
gen, Steuerungsbedürfnisse und Wettbewerbsbedingun-
gen der einzelnen Sparten unterscheiden sich massiv.
Was der einen Branche gut tut, bringt die andere in Ge-
fahr. Dies gilt auch für die Ausweitung des Arbeitneh-
mer-Entsendegesetzes.
Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz wurde für die Be-
triebe der Bauwirtschaft und der Seeschifffahrtsassistenz
in Kraft gesetzt. Das zuständige Ministerium kann da-
nach auf Antrag einer Tarifvertragspartei durch Rechts-
verordnung einen Tarifvertrag auf alle inländischen
nicht-tarifgebundenen und aus dem Ausland entsandten
Arbeitnehmer erstrecken. Es wird kein Tarifausschuss zu
der Entscheidung gehört und es gibt keinerlei materielle
Voraussetzungen für den Erlass.
Es war eine kluge Entscheidung zum Schutz der in
diesen Branchen beschäftigten Arbeitnehmer. Denn im
Ausland ansässige Arbeitgeber in diesen Branchen sind
dadurch verpflichtet, den entsandten Arbeitnehmer nach
in Deutschland geltenden Bedingungen zu beschäftigen.
Diese gesetzliche Regelung hat sich als ein Instrument
gegen das Lohn- und Sozialdumping von ausländischen
Anbietern in der Baubranche erwiesen.
Die Erfahrungen aus der Baubranche zeigen jedoch
auch, dass die Ausweitung des Arbeitnehmer-Entsende-
gesetzes kein Allheilmittel ist. Die Absicht, Lohndum-
ping zu unterbinden, hat nicht zur abschließenden Siche-
rung bestehender Arbeitsplätze geführt.
Die Zahl der Beschäftigten im Bauhauptgewerbe
ohne -nebengewerbe ist kontinuierlich zurückgegangen:
Von 1996 bis 2002 ist ein Drittel der ursprünglich etwa
1,3 Millionen Arbeitsplätze weggefallen. Der Anteil
ausländischer Entsendearbeitnehmer von gut 16 Prozent
ist in diesem Zeitraum gleich geblieben. Während die
Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in
West- und Ostdeutschland jeweils um 1,0 Prozent zuge-
nommen hat, erlitt die Baubranche einen Beschäfti-
gungsverlust von 0,2 Prozent. So waren in 2003 im
Jahresdurchschnitt 683 163 Arbeitnehmer in der Bau-
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irtschaft beschäftigt. Im Jahr 2004 verringerte sich die
ahresdurchschnittszahl auf 634 930, im Jahr 2005 fiel
ie auf 572 655.
Ein Kernelement des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes
st der Kontrollmechanismus. Nur durch beständige
ontrollen kann die Zielsetzung des Entsendegesetzes
uch realisiert werden. Eine Ausweitung darf daher kei-
esfalls zulasten der Effizienz von Kontrollen in der
aubranche führen. Sollten die Kontrollen rückgängig
ein, besteht die Gefahr, dass ein Anstieg von Schwarz-
rbeit mit der Bekämpfung des Lohndumpings einher-
eht.
Wir wissen um die kriminellen Energien Einzelner.
edauerlicherweise sind diese Energien eine Variable,
ie es zu berücksichtigen gilt. Eine Negierung dieser
nergien wäre fatal für die heimischen Betriebe. Illegale
eschäftigungen, Scheinselbstständigkeiten und Lohn-
umping müssen weiterhin bekämpft werden. Das
andwerk selbst fordert dazu auf, den Kontrollmecha-
ismus zu bewahren. Diese Forderung muss ernst ge-
ommen werden.
Unter Kenntnis dieser Fakten debattieren wir heute
ie Ausweitung des Entsendegesetzes auf die Branche
er Gebäudereiniger. Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz
oll laut der Gesetzesvorlage der Bundesregierung auf
rundlage der EU-Entsenderichtlinie auf das Gebäude-
einigerhandwerk ausgeweitet werden. Damit soll eine
enachteiligung der entsandten Arbeitnehmerinnen und
rbeitnehmer vermieden und zugleich verhindert wer-
en, dass durch unfairen Wettbewerb insbesondere die in
eutschland ansässigen kleinen und mittleren Unterneh-
en sowie die bei ihnen bestehenden Arbeitsplätze ge-
ährdet werden.
Mit der Aufnahme in das Arbeitnehmer-Entsendege-
etz würde das Gebäudereinigerhandwerk Zugang zum
nstrument der Mindestlohn-Verordnung erhalten. Dies
ntspricht einem zentralen Anliegen der Branche.
Denn das Gebäudereinigerhandwerk ist ähnlich auf-
estellt wie die Baubranche. Auch hier sind die Arbeit-
ehmer an wechselnden Einsatzorten tätig, woraus ein
erstärktes Schutzbedürfnis der Mitarbeiter resultiert.
as Gebäudereinigerhandwerk ist wie das Baugewerbe
ohnkostenintensiv und steht damit in besonderer Weise
m Wettbewerb mit Anbietern aus Ländern mit deutlich
iedrigerem Lohnniveau. Darüber hinaus gilt bei den
ebäudereinigern bereit ein bundesweiter Lohntarifver-
rag mit einheitlichen Strukturen. Die Vergleichbarkeit
it dem Baugewerbe ist offensichtlich. Daneben besteht
wischen den Tarifvertragsparteien Einigkeit über die
ufnahme der Branche in das Arbeitnehmer-Entsende-
esetz und über die Durchsetzung der dort vorgeschrie-
enen Arbeitsbedingungen.
Denn die Beschäftigten des Gebäudereinigerhand-
erks müssen vor der unfairen Konkurrenz mit unterta-
iflich entlohnten Arbeitnehmern geschützt werden. Der
rundsatz der Gleichbehandlung muss zwingend für
iese 850 000 Beschäftigten gelten.
Das Gebäudereinigerhandwerk hat selbst die Forde-
ungen formuliert „unter das Arbeitnehmerentsende-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006 6297
(A) )
(B) )
gesetz zu fallen“, UDH, 18. Juli 2006. Das Gebäu-
dereinigerhandwerk erfüllt die tarifrechtlichen
Voraussetzungen. Als eine Reform im Arbeitsrecht ist
die Erweiterung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes im
Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD vorgesehen.
Der Vorlage der Bundesregierung ist daher zuzustim-
men.
Die Erweiterung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes
wird zur Stärkung des Gebäudereinigerhandwerks im in-
nereuropäischen Wettbewerb beitragen. Das Handwerk
erwartet faire Wettbewerbsbedingungen – insbesondere
für den Mittelstand. Dabei muss eines klar sein: Bauge-
werbe und Gebäudereiniger bilden nicht zwingend ein
Vorbild für andere Branchen.
Insoweit führe ich vor allem ordnungspolitische Be-
denken an. Wir müssen uns vor der Illusion hüten, dass
die staatliche Festlegung von Mindestlöhnen ein Allheil-
mittel ist. Die Wirkungen des Entsendegesetzes dürfen
nicht überschätzt werden. Die Zahlen sprechen für sich.
Die Erstreckung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes auf
die Baubranche hat nicht zu einem Stoß des Abbaus von
sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhält-
nissen geführt, sondern diesen allenfalls verlangsamt.
Durch seine Ausweitung werden die allgemeinen
Wettbewerbsbedingungen nicht verbessert. Dies muss
aber unser Ziel sein: ein nachhaltiger Fortschritt für die
Wettbewerbssituation von Handwerksbetrieben. Die Er-
weiterung soll lediglich gleiche Lohn- und Arbeitsbedin-
gungen für in- und ausländische Anbieter herstellen. Ob
dieser Weg für eine Branche sinnvoll ist, muss einzeln
geprüft werden. Für die Gebäudereinigerbranche hat es
sich als sinnvoll erwiesen.
Es geht uns darum, Beschäftigungsrisiken zu min-
dern. Ob ein ausländischer Arbeitnehmer zu den niedri-
gen Löhnen seines Heimatlandes ein Gut in Deutschland
produziert, oder ob er es im Heimatland herstellt und es
nach Deutschland exportiert, erzielt im Hinblick auf die
Beschäftigungsrisiken das gleiche Ergebnis.
Es zeigt sich, dass die Ausweitung des Entsendegeset-
zes mit Bedacht umgesetzt werden muss. Denn eine
Ausweitung per se auf alle Branchen führt ausschließlich
zur Abschottung der kartellierten Lohnsetzung am Ar-
beitsmarkt gegen die Konkurrenz von Außen.
Dies muss durch eine verantwortliche Erweiterung
des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes verhindert werden.
Das Handwerk bildet mit seinen kleinen und mittleren
Betrieben ohne Zweifel den Kern der deutschen Wirt-
schaft. Handwerk ist und war immer einem stetigen
Wandel ausgesetzt. Gleichzeitig wahrt es traditionelle
Fertigkeiten auf höchstem Niveau.
Etwa 4,8 Millionen Menschen sind im Handwerk tä-
tig. Für diese Menschen sind vernünftige und prakti-
kable Rahmenbedingungen unerlässlich. Unternehmer
im Handwerk gehen einer hohen moralischen Verpflich-
tung nach.
Der Betrieb stellt den Menschen in den Mittelpunkt.
Diese moralische Verpflichtung darf nicht zum Wettbe-
werbsnachteil mutieren. Dies gilt es zu verhindern. Und
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er heute debattierte Gesetzesentwurf der Bundesregie-
ung liefert insoweit für das Gebäudereinigerhandwerk
inen klugen Beitrag.
Wir sollten diesem Antrag deshalb nach Überweisung
n die Ausschüsse dem Grunde nach zustimmen.
Anette Kramme (SPD): Gestatten Sie mir eingangs
in Zitat: „Ohne Aufnahme in das Entsendegesetz ist
ach gemeinsamer Einschätzung der Tarifvertrags-
arteien in Kürze damit zu rechnen, dass das Gebäude-
einigerhandwerk als ‚Musterbeispiel‘ für den breiten
insatz osteuropäischer Billigarbeitnehmer gelten wird.
ur Dank der 3 + 2 + 3-Regelung (…) konnte das zum
ktuellen Zeitpunkt noch vermieden werden.“ Ich habe
us einem Schreiben des Bundesinnungsverbands des Ge-
äudereinigerhandwerks aus dem vergangenen Jahr zi-
ert.
Ich bin froh, dass wir dieser Forderung nun endlich
achkommen. Bislang verpflichtet das Arbeitnehmer-
ntsendegesetz nur im Ausland ansässige Arbeitgeber
es Baugewerbes, ihren nach Deutschland entsandten
rbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bestimmte hier
wingend geltende tarifvertragliche Rahmenbedingun-
en zu gewähren.
Die Erfahrungen hier sind positiv. Auch seitens des
auptverbandes der Deutschen Bauindustrie wurde dies
estgestellt. Ohne das Entsendegesetz hätten wohl rund
50 000 deutsche Bauarbeiter ihren Job verloren. Das
tellte Michael Knipper, Hauptgeschäftsführer des
auptverbandes der Deutschen Bauindustrie, im vergan-
enen Jahr fest.
Die Arbeitgeberseite und auch der Freistaat Bayern
ersuchten im Vorfeld mit ihren Forderungen die Ein-
eziehung der Gebäudereiniger in das Entsendegesetz
uszuhöhlen. So sollte die Möglichkeit der Allgemein-
erbindlicherklärung nach dem Tarifvertragsgesetz,
icht aber die spezielle Rechtsverordnungsermächtigung
ach dem Entsendegesetz vorgesehen werden. Einigt
ich der Tarifausschuss nicht, kommt die AGVE nicht
ustande. In die Röhre schauen die Gebäudereiniger, die
erade eine solche Situation künftig vermeiden wollen.
ch zitiere aus einem „Zeit“-Interview mit dem Verbands-
hef der Gebäudereiniger vom August diesen Jahres:
Bislang musste der Tarifausschuss aus BDA und
DGB unserem Tarif zustimmen. Beim Entsendege-
setz kann sich der Minister jedoch über das Veto
von BDA oder DGB hinwegsetzen. Die BDA fühlt
sich als Kontrollinstanz für unseren Tarifabschluss.
… Was geht es andere an, wenn sich Arbeitgeber
und Arbeitnehmer einer Branche einigen?
Bayern forderte zudem eine Befristung des Ände-
ungsgesetzes bis zum 31. Dezember 2009. Das wäre
chon angesichts der 2009, spätestens aber 2011 aus-
aufenden Übergangsfristen zur Dienstleistungsfreiheit
ür die EU-Beitrittsstaaten nicht hinnehmbar gewesen.
Die Ausdehnung des Arbeitnehmer-Entsendegeset-
es auf die Gebäudereiniger ist ein erster Schritt in die
ichtige Richtung. Ich sage aber hier und heute ganz klar,
6298 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006
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dass wir es hierbei nicht bewenden lassen dürfen. Es gibt
weit mehr Branchen, die von Lohn- und Sozialdumping
betroffen sind.
Auch wenn es sich vielleicht die Klientel der FDP
nicht vorstellen kann, es gibt Menschen, die jeden Mor-
gen aufstehen, 40 oder sogar mehr Stunden pro Woche
arbeiten und am Monatsende oft kaum 1 000 Euro aufs
Konto bekommen. Nehmen wir das Sicherheitsgewerbe,
wo es zum Teil Stundenlöhne von drei Euro gibt. Oder
die Friseurin in Kassel, die sich mit einem Stundenlohn
von 5,30 Euro netto über Wasser halten muss. Oder die
Spülhilfe, die bei einer 40-Stunden-Woche gerade ein-
mal 762 Euro monatlich erhält. Erklären Sie diesen
Leuten doch einmal, warum ein Josef Ackermann
11,9 Millionen Euro im Jahr verdient, zusammen mit
Kapitalerträgen und weiteren Bezügen sogar 15 bis
20 Millionen Euro!
Die „Geiz-ist-geil“-Mentalität hat schon längst Ein-
zug gehalten auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Das
sprichwörtliche Fass ohne Boden finden wir immer häu-
figer.
Wir brauchen eine untere Auffanglinie. Das dürfen
wir nicht auf die lange Bank schieben. Schon allein weil
wir in drei oder maximal in fünf Jahren die Arbeitneh-
merfreizügigkeit haben werden.
Auch wenn Frau Merkel verlauten ließ, es werde kei-
nen flächendeckenden, einheitlichen Mindestlohn geben,
ist für die SPD die Diskussion damit keinesfalls beendet
und schon gleich gar nicht zu den Akten gelegt.
An dieser Stelle kommt für gewöhnlich der Aufschrei
von der FDP, wir würden damit Arbeitsplätze zerstören
bzw. Beschäftigungsmöglichkeiten verhindern. Ich
werde jedoch nicht müde, es immer wieder zu erwähnen:
Die Erfahrungen in anderen Ländern belegen das Gegen-
teil.
In Großbritannien zum Beispiel, wo der gesetzliche
Mindestlohn den Lebenshaltungskosten entsprechend
angepasst und damit erheblich, nämlich um 40 Prozent,
angehoben wurde, stieg trotzdem die Beschäftigungs-
rate. Laut IAT, Institut Arbeit und Technik, hat sich dort
die Lage von rund 1,5 Millionen Beschäftigten verbes-
sert oder wurde zumindest abgesichert.
Mit der Einbeziehung des Gebäudereinigerhandwerks
in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz sind wir auf einem
guten Weg, um Lohn- und Sozialdumping Einhalt zu ge-
bieten. Lassen Sie uns diesen Weg im Interesse der
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gemeinsam wei-
tergehen.
Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Das Arbeitnehmer-
Entsendegesetz gilt derzeit nur für die Baubranche und
die Seeschiffahrtsassistenz und soll nun auf die Branche
der Gebäudereiniger ausgedehnt werden. Erst einmal auf
diese Branche, muss man hier deutlich sagen, denn im
Grunde ist der Gesetzentwurf von der Koalition, jeden-
falls vom federführenden Ministerium, als Türöffner
gedacht. Nach und nach sollen weitere Branchen folgen.
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as bedeutet faktisch die Einführung von Mindest-
öhnen durch die Hintertür!
Mit der Ausweitung des Gesetzes wären statt heute
00 000 Beschäftigten künftig doppelt so viele Arbeit-
ehmer davon betroffen, nämlich zusätzliche 850 000 im
ereich der Gebäudereiniger.
Bundesminister Müntefering macht kein Geheimnis
araus, dass er die Einführung von tariflichen Mindest-
öhnen in allen Branchen für „das Optimale“ hält – „Die
elt“ vom 24. August 2006. Weiter sagt er, es wäre gut,
enn man dies für möglichst viele Branchen organisie-
en könnte. Es gebe „Dutzende und Hunderte“, die in
iner vergleichbaren Situation wie die rund 850 000 Ge-
äudereiniger seien. „Da muss man jetzt versuchen, das
eld Zug um Zug aufzurollen.“
Dass es darum geht, bestätigt auch die Einbeziehung
n die Verordnungsermächtigung, nach der der Bundes-
inister für Arbeit und Soziales ohne Einvernehmen der
ozialpartner auf Antrag nur einer Tarifvertragspartei
arifliche Regelungen auf Außenseiter erstrecken kann.
ür die Einbeziehung des Gebäudereinigerhandwerks
edenfalls brauchen sie diese Regelung nicht, da es hier
ereits einen allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag
rgibt. Im Übrigen ginge eine Anwendung der Verord-
ungsermächtigung auch über die Aussagen im Koali-
ionsvertrag hinaus, nach dem die Einbeziehung weiterer
ranchen in das Entsendegesetz nur erfolgen soll, wenn
uvor der Tarifvertrag nach den Regeln des Tarif-
ertragsgesetzes für allgemeinverbindlich erklärt wurde.
Es ist also nur ein erster Schritt. Weitere werden folgen,
m eine Branche nach der anderen einzubeziehen, ob
reiwillig oder unfreiwillig. Der unterste tariflich verein-
arte Lohn wird so über das Entsendegesetz faktisch
um Mindestlohn aller Beschäftigten der jeweiligen
ranche erklärt.
Allen wissenschaftlichen Forderungen nach einer De-
egulierung des Arbeitsmarktes zum Trotz beschreitet
ie große Koalition mit diesem Gesetzentwurf den
alschen Weg in Richtung zusätzlicher Regulierung. Damit
etzt die große Koalition den fatalen Weg staatlichen
irigismus der letzten Bundesregierung fort.
Erneut – wie schon zuvor etwa beim Thema
ündigungsschutz – gibt die Union den Ritter von der
raurigen Gestalt. Ich zitiere aus dem CDU/CSU-Regie-
ungsprogramm 2005 bis 2009 vom 11. Juli 2005: Auf
eite 18 steht dort klar und unmissverständlich: „Die
usweitung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes auf alle
ranchen und gesetzlichen Mindestlöhne über die Hin-
ertür können einen Missbrauch der europäischen
ienstleistungsfreiheit nicht verhindern. Deshalb setzen
ir auf schnelle, wirksame und grenzüberschreitende
ontrollen und werden zur Bekämpfung des Miss-
rauchs der Niederlassungsfreiheit die Zusammenarbeit
er zuständigen Stellen, Ordnungsämter und Kammern
erbessern.“
Nun weiß natürlich jeder, dass die 180-Grad-Wendung
er CDU/CSU – wider besseres Wissen – der Koalitions-
ereinbarung mit der SPD geschuldet ist. Aber, liebe
olleginnen und Kollegen von der Union, Sie können
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006 6299
(A) )
(B) )
nicht beliebig den ökonomischen Sachverstand ein- oder
ausschalten. Ich sehe keinen Grund, warum das, was Sie
damals für richtig erkannt haben, nicht auch heute weiter
richtig sein sollte.
Fest steht: Dieser Gesetzentwurf ist ein Konjunktur-
programm für die Schwarzarbeit. Er wird die Arbeits-
losigkeit – besonders in den neuen Ländern – durch die
Erhöhung der Lohnkosten für einfache Tätigkeiten ver-
schärfen.
Auch wenn seitens der Koalition immer betont wird,
Ziel des Gesetzentwurfes sei, dass ausländische Gebäude-
reinigungsfirmen, die ihre Beschäftigten vorübergehend
nach Deutschland schicken, sich an deutsche Tarifver-
träge halten müssten, steht doch fest: Die Ausweitung
des Gesetzes zwingt nicht nur ausländische Unterneh-
men dazu, deutsche Tariflöhne zu zahlen, sondern auch
die nicht tarifgebundenen heimischen Betriebe. Und da-
mit werden ganz konkret sozialversicherungspflichtige
Arbeitsplätze gefährdet.
Wer das nicht glauben will, der richte seinen Blick auf
die bisherigen Erfahrungen mit dem Arbeitnehmer-
Entsendegesetz. Dieses war von Anfang an vor allem
protektionistisch motiviert und ausgerichtet auf Konser-
vierung der Struktur in der Bauindustrie. Schauen wir
uns nun die Entwicklung der Beschäftigung in der Bau-
industrie an, so muss man feststellen: Die gut gemeinte
Absicht, Lohndumping zu unterbinden, hat nicht dazu
geführt, die bestehenden Arbeitsplätze durch das Entsen-
degesetz zu sichern. Aufgrund des Strukturwandels und
der Nachfrageschwäche ist die Zahl der Beschäftigten im
Baugewerbe seit Bestehen des Entsendegesetzes konti-
nuierlich und deutlich zurückgegangen. Nicht vermin-
dert hat sich aber der Anteil ausländischer Entsende-
arbeitnehmer. Ein positiver Trend in der Bauindustrie hat
sich erst jüngst durch die leichte konjunkturelle Erho-
lung eingestellt.
Statt zusätzliche und schädliche Eingriffen in die
Wirtschaft und in die Tarifautonomie sollte die Bundes-
regierung daher besser betriebliche Bündnisse für Arbeit
zulassen. Die deutsche Volkswirtschaft leidet unter über-
bordender Bürokratie, hohen Steuer- und Abgabenlasten
und einer hohen Regelungsdichte im Arbeitsrecht. Um
von größeren und offeneren Märkten zu profitieren,
braucht der Arbeitsmarkt ein höheres Maß an Flexibili-
tät, als ihm bisher zugestanden wird. Wir helfen nieman-
dem, wenn notwendige strukturelle Anpassungen, die im
Einzelfall auch Härten mit sich bringen können, durch
Protektionismus auf Kosten aller aufgeschoben werden.
Im Gegenteil, wir müssen uns rechtzeitig bemühen,
einen Arbeitsmarkt mit wirklichen Wiedereinstiegs-
chancen auch für Geringqualifizierte zu schaffen. Jede
Ausweitung des Entsendegesetzes hat im Ergebnis zur
Folge, dass sich die Arbeit verteuert und weitere Arbeits-
plätze ins Ausland gehen, in die Schwarzarbeit abge-
drängt werden oder ganz wegfallen. Der von Ihnen ein-
geschlagene Weg der Abschottung wird das
grundsätzliche Problem des Lohngefälles und des Gefäl-
les der Arbeitskosten in Europa nicht lösen. Im Gegen-
teil. Er wird zulasten von Wachstum und Wohlstand ins-
gesamt gehen. Personalabbau verhindern Sie nur, wenn
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rbeit bezahlbar bleibt. Die Einführung eines Mindest-
ohnes durch Ausweitung des Arbeitnehmer-Entsende-
esetzes bewirkt das Gegenteil.
Werner Dreibus (DIE LINKE): Der vorliegende
esetzentwurf stellt zutreffend fest, dass neben der Bau-
ranche auch das Gebäudereinigerhandwerk vor Lohn-
umping geschützt werden sollte. Ebenso zielt der Ge-
etzentwurf darauf ab, die ungleiche Entlohnung von
nländischen und nach Deutschland entsandten Beschäf-
igten zu unterbinden. Beide Zielsetzungen unterstützt
eine Fraktion ohne Vorbehalte.
Anzufügen ist aber, dass neben dem Gebäudereiniger-
andwerk auch viele andere Branchen unter Lohn-
umping leiden: Sicherheit, Tourismus, Landwirtschaft,
inzelhandel – in diesen und anderen Wirtschaftsbereichen
ahlen viele Unternehmen Löhne, die nicht zum Leben
eichen.
Löhne von drei, vier, fünf Euro brutto die Stunde sind
n Deutschland weit verbreitet. Aktuelle Berechnungen
ehen von etwa 6 Millionen Menschen aus, die derzeit in
ollzeit weniger als drei Viertel des durchschnittlichen
ruttoeinkommens in Deutschland verdienen. Darunter
ind mehr als drei Millionen Beschäftigte, die sich mit
inem Armutslohn – weniger als der Hälfte des durch-
chnittlichen Bruttoeinkommens – begnügen müssen.
arüber hinaus arbeiten mehrere Millionen Menschen in
eringfügigen Beschäftigungsverhältnissen und in Teil-
eit zu Niedrig- und Armutslöhnen.
Der SPD-Parteivorstand leitet daraus die Forderung
ach Mindestlöhnen ab, die „garantieren, dass Menschen,
ie Vollzeit arbeiten, von den Löhnen menschenwürdig
eben können“; Positionspapier „Gerechter Lohn für
ute Arbeit“. Weil das so ist, ist es vollkommen unver-
tändlich, dass die SPD-Fraktion einen Gesetzentwurf
it trägt, der durch seine Formulierung nahe legt, dass
as Problem von Niedriglöhnen und Lohndumping vor
llem bei den Gebäudereinigern auftritt.
Die Position von Kanzlerin Merkel zum Mindestlohn
ann ich in diesem Zusammenhang nur als ignorant
ezeichnen: Wer den Mindestlohn pauschal ablehnt, der
agt Millionen Menschen, die Politik wolle an ihrer
isere nichts ändern und sie müssten deshalb trotz Arbeit
eiter in Armut leben.
Unter Punkt C führt der Gesetzentwurf selbst eine
lternative zur beschränkten Ausweitung des Entsende-
esetzes ein: den gesetzlichen Mindestlohn. Meine Frak-
ion hat zur Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns
m Oktober einen konkreten Vorschlag unterbreitet, der
ich in weiten Teilen mit den Vorstellungen der DGB-
ewerkschaften deckt.
Wir sehen unseren Vorschlag aber auch durch die
nhörung der Koalitionsarbeitsgruppe „Arbeitsmarkt“
estätigt. Der Kollege Brandner wird in der Presse mit
en Worten zitiert: „Die Experten haben verdeutlicht,
ass ein gesetzlicher Mindestlohn am praktikabelsten
äre“, „Handelsblatt“, 6. Oktober 2006. Und Minister
üntefering hat zugestanden, dass differenzierte Branchen-
6300 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006
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mindestlöhne intransparent wären und zu Abgrenzungs-
problemen führen würden.
Unsere Forderung lautet deshalb: Das eine tun und
das andere nicht lassen. Ohne Probleme kann der
Abschluss tariflicher Mindestlöhne per Entsendegesetz
gefördert und zugleich eine verbindliche, allgemeingül-
tige gesetzliche Untergrenze für Löhne definiert werden.
Wie hoch dieses Mindesteinkommen sein muss, hat der
Gesetzgeber bereits an anderer Stelle festgelegt: Es ist
dasjenige Einkommen, das nicht gepfändet werden kann,
also etwa 1 000 Euro netto im Monat. Bei üblicher
Arbeitszeit entspricht dies in etwa einem Stundenlohn
von acht Euro brutto.
Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir
begrüßen, dass das Arbeitnehmer-Entsendegesetz auf
das Gebäudereinigerhandwerk ausgedehnt werden soll.
Dies ist ein wichtiger Schritt zur Vermeidung von Lohn-
dumping in dieser Branche. Denn damit werden auch im
Ausland ansässige Arbeitgeber dazu verpflichtet, sich
nach den hier geltenden tariflichen Bedingungen zu
richten. So werden nicht nur die Arbeitnehmer und Ar-
beitnehmerinnen geschützt, sondern auch hier ansässige
Unternehmen, die sonst gegen die Unterbietungskonkur-
renz tariflich ungebundener Unternehmen keine Chance
besäßen.
So gut und richtig aber dieser Umstand für sich be-
trachtet auch ist: Die Koalition bleibt damit weit hinter
ihren Möglichkeiten zurück. Denn Lohndumping ist kein
Alleinstellungsmerkmal im Gebäudereinigerhandwerk,
sondern eine zunehmend um sich greifende Erscheinung
in vielen Handwerks- und Dienstleistungsbranchen. Die
Durchsetzung von Mindestlöhnen – in welcher Variante
auch immer – wurde vorgestern von der Kanzlerin für
diese Wahlperiode ad acta gelegt. Dabei wäre die gene-
relle Anwendung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes
der erste notwendige und wirksame Schritt, um gegen
Lohndumping und Schmutzkonkurrenz vorzugehen.
So zaghaft wie jetzt von der Bundesregierung vorge-
gangen wird, wirkt es so, als würde man mit einer Nagel-
feile einen meterdicken Stahlblock durchtrennen wollen.
Wir fordern, den Anwendungsbereich des Arbeitneh-
mer-Entsendegesetzes auf alle Branchen auszuweiten.
Das wäre im Sinne der zugrunde liegenden EU-Richtli-
nie, vor allem würde es aber für die Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer in zahlreichen Branchen eine greif-
bare Verbesserung bringen.
Würde unser Vorschlag umgesetzt, dann könnten bei
Vorliegen eines bundesweit geltenden Tarifvertrages da-
rin festgelegte Mindestlöhne und Urlaubsbestimmungen
sowohl auf Arbeitnehmer von nicht tarifgebundenen in-
ländischen Betrieben als auch auf Arbeitnehmer von
ausländischen Betrieben übertragen werden.
Aber dies lässt der vorliegende Gesetzentwurf durch
seine Beschränkung nicht zu. Das verzagte Vorgehen der
Bundesregierung führt deshalb aktuell sogar dazu, dass
der im Mai 2006 von den Arbeitgebern der Zeitarbeits-
branche gemeinsam mit dem Deutschen Gewerkschafts-
bund abgeschlossene Tarifvertrag über Mindestarbeits-
bedingungen nicht in Kraft treten kann. Fast 1 Million
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rbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Deutschland
ird damit die Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen
ersagt. So wäre es das Mindeste gewesen, das Arbeit-
ehmer-Entsendegesetz mit dem vorliegenden Entwurf
uch für die Zeitarbeitsbranche zu öffnen.
Noch ist nicht aller Tage Ende, die Beratungen im
usschuss stehen noch aus. Wie drängend das Problem
st und wie notwendig eine größer angelegte Lösung ist,
ill ich Ihnen deshalb an dieser Stelle nur anhand einer
ahl verdeutlichen: Im Jahr 2004 waren in Deutschland
8,4 Prozent oder rund 3,6 Millionen Vollzeitbeschäf-
igte zu Löhnen unterhalb der Niedriglohnschwelle tätig,
rmut trotz Arbeit ist für viele Menschen in der Bundes-
epublik Realität. Wir alle sind deswegen aufgefordert,
icht nur in Debatten unserer Betroffenheit darüber Aus-
ruck zu verleihen, sondern auch im Sinne dieser Men-
chen für bessere Mindestarbeitsbedingungen tätig zu
erden.
Gerd Andres, Parl. Staatssekretär im Bundesminis-
erium für Arbeit und Soziales: Die Europäische Union
rmöglicht dauerhaften Frieden und Freiheit in Europa.
it der Erweiterung im Osten haben sich für die deut-
che Wirtschaft große Chancen eröffnet. Nicht wenige
rbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland
ürchten in diesem Zusammenhang aber, dass auslän-
ische Billigkonkurrenz ihre Jobs bedroht. Und das gilt
icht nur im Baubereich.
Mit dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz besteht ein ef-
ektives und flexibles Instrumentarium zur Verhinderung
on Lohndumping. Bislang besteht im Wesentlichen nur
m Baubereich die Möglichkeit, tarifvertraglich fest-
elegte Mindestlöhne und Urlaubsbedingungen auch auf
us dem Ausland entsandte Arbeitnehmer zu erstrecken.
n der Baubranche werden die wesentlichen Mindest-
rbeitsbedingungen über Mindestlohnverordnungen auf
lle in Deutschland tätigen Arbeitnehmer erstreckt. Hier-
it haben wir gute Erfahrungen gemacht.
Künftig sollen diese Möglichkeiten auch für das Ge-
äudereinigerhandwerk genutzt werden können. Mit der
inbeziehung der Gebäudereiniger in das Arbeitnehmer-
ntsendegesetz wird eine Vereinbarung des Koalitions-
ertrages umgesetzt.
Die Anwendung der Entsenderichtlinie war vor zwei
ochen Gegenstand von Beratungen auf europäischer
bene. In einer Entschließung hat das Europäische Par-
ament auf die Zielsetzungen der Richtlinie hingewiesen.
in Ziel der Richtlinie ist die Anwendung der im Gast-
and maßgebenden Mindestlohnsätze und Arbeitsbedin-
ungen auf entsandte Arbeitnehmer.
Das Europäische Parlament hat zugleich wirksame
ontrollen zur Einhaltung dieser Mindestarbeitsbedin-
ungen für unverzichtbar erklärt. Dies setzt voraus, dass
as Gastland vom entsendenden Unternehmen Doku-
ente verlangen kann, um die Einhaltung der in der Ent-
enderichtlinie festgelegten Beschäftigungsbedingungen
berprüfen zu können. Darüber hinaus muss im Gastland
ine Person zur Verfügung stehen, die als Vertreter des
ntsendeunternehmens fungieren kann, um die Vor-
chriften und Bedingungen der Entsenderichtlinie um-
etzen zu können. Über diese Bestimmungen herrscht
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006 6301
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Konsens zwischen den Sozialpartnern auf nationaler und
auf europäischer Ebene, der durch die Entschließung des
Europäischen Parlaments gestützt wird.
Diese vom Europäischen Parlament für erforderlich
erklärten Kontrollinstrumente sind in Deutschland
im Arbeitnehmer-Entsendegesetz verankert. Auf dieser
Grundlage konnte die „Finanzkontrolle Schwarzarbeit“
bereits in der Vergangenheit die Einhaltung der Mindest-
arbeitsbedingungen in der Baubranche überprüfen. Mit
der Erstreckung des Gesetzes auf die Gebäudereiniger
wird der Weg für wirksame und effektive Kontrollen
auch für diese Branche eröffnet.
Die Einbeziehung der Gebäudereiniger erfolgt im
Gleichklang mit der bisher allein relevanten Baubranche.
Die Gründe hierfür sind bereits im Gesetzentwurf
der Bundesregierung niedergelegt. Sie resultieren im
Wesentlichen aus der Vergleichbarkeit der Bau- und der
Gebäudereinigerbranche. Lassen Sie mich hierfür einige
Beispiele nennen:
In beiden Branchen gibt es die für die Anwendung
des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes erforderliche Tarif-
vertragsstruktur. Beide Branchen sind durch ständig
wechselnde Einsatzorte der Arbeitnehmer und ein damit
einhergehendes erhöhtes Schutzbedürfnis der Arbeitneh-
mer geprägt und in beiden Branchen ist die Arbeit ausge-
sprochen lohnkostenintensiv.
Vor diesem Hintergrund ist es nur zu verständlich,
wenn die Gebäudereiniger eine gleichberechtigte Be-
handlung mit der Baubranche bei einer Einbeziehung in
das Arbeitnehmer-Entsendegesetz wünscht. Dem kommt
die Bundesregierung mit dem Gesetzentwurf nach. Auch
der Bundesrat hat im ersten Durchgang keine Bedenken
geäußert.
Mit der Ausdehnung des Arbeitnehmer-Entsende-
gesetzes wird die Grundlage geschaffen, dass aus dem
Ausland entsandte Gebäudereiniger hier nicht zu
Niedrigstlöhnen beschäftigt werden dürfen. Nur so kann
den inländischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern
die Angst vor ausländischer Billigkonkurrenz genom-
men werden. Auf der Grundlage des Arbeitnehmer-
Entsendegesetzes können in- und ausländische Arbeit-
nehmer zu fairen Bedingungen beschäftigt werden.
Diesen sozialen Schutz wollen die Menschen in Europa
und den wollen die Menschen in Deutschland. Der Ihnen
vorliegende Gesetzentwurf beinhaltet die notwendigen
Regelungen. Er stellt damit einen wichtigen Beitrag für
ein sozial gerechtes Europa dar.
Anlage 16
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Nachhaltige Res-
sourcennutzung durch Agroforstwirtschaft (Zu-
satztagesordnungspunkt 7)
Uda Carmen Freia Heller (CDU/CSU): Mit dem
vorliegenden Antrag „Nachhaltige Ressourcennutzung
durch Agroforstwirtschaft“ wird die Förderung und
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tablierung von Agroforstsystemen im ökologischen
der im traditionellen Landbau als alternative Form der
andnutzung gefordert. Entscheidend über die Weiter-
erfolgung dieser Form der Landbautechnik, die Ele-
ente der Landwirtschaft mit denen der Forstwirtschaft
erbindet, ist nach Ansicht der Union die praktische
elevanz. Bevor diese Art der Landbewirtschaftung
mgesetzt wird, sollten zunächst einmal gesicherte wis-
enschaftliche Erkenntnisse darüber gewonnen werden.
Grundsätzlich strebt die Union eine Ausweitung der
olznutzungspotenziale an, denn in Deutschland ist die
achfrage nach Holz in den vergangenen Jahren derart
prunghaft angestiegen, dass jede Form des Holz-
uwachses willkommen ist. Zwar ist Deutschland das
and mit den größten Holzvorräten in Europa – nach
en Ergebnissen der zweiten Bundeswaldinventur mit
und 3,4 Milliarden Kubikmeter –, aber der Pro-Kopf-
erbrauch von Holz und Holzprodukten hat seit der Ver-
bschiedung der Charta für Holz deutlich zugenommen.
udem stammt die aus erneuerbaren Energien gewon-
ene Wärme fast zu 95 Prozent aus Biomasse. In diesem
ereich dominiert ganz klar Holz. Die Anzahl der Holz-
elletanlagen in Deutschland stieg allein im Jahr 2006
m 28 000 auf circa 67 000. Man kann angesichts dieser
teigerungsraten von über 70 Prozent zu Recht von einem
nergieholzboom sprechen. In den neuen Bundesländern
ind mit einem Investitionsvolumen von mehr als
0 Millionen Euro allein in den vergangenen zehn Jah-
en 15 neue Verarbeitungsstätten wie zum Beispiel Säge-
erke, Holzverarbeitungs- und Zellstoffwerke entstanden.
n den letzten Jahren ist zudem eine Wiederbelebung des
rennholzmarktes zu verzeichnen, denn viele private
aushalte steigen angesichts steigender Energiepreise
ieder auf Kamin und Kachelofen um. Und wenn man
edenkt, dass ein Kubikmeter Holz circa 230 Liter Heizöl
ubstituiert, dann ist sehr wohl nachvollziehbar, warum
ie Bundesregierung den Ausbau dieser alternativen und
kologisch wertvollen Energiequelle „Holz“ vehement
orantreibt.
Die Bundesregierung verfolgt verschiedene For-
chungprojekte zu agroforstlichen Bewirtschaftungs-
onzepten auf nationaler Ebene. Bei dem Projekt „Agro-
orst – neue Optionen für eine nachhaltige Landnutzung“
oll untersucht werden, ob diese Agroforstsysteme in
ebieten, die von einem starken Rückgang der Land-
irtschaft und dem damit verbundenen Aufforstungs-
ruck betroffen sind, als Alternative infrage kommen.
er regionale Schwerpunkt dieser Projekte liegt in Baden-
ürttemberg und Mecklenburg-Vorpommern – also zwei
egionen, die sich erheblich in ihren ökologischen so-
ie land- und forstwirtschaftlichen Rahmenbedingungen
nterscheiden.
Das mit 1,6 Millionen Euro geforderte Projekt „Agro-
ood“ soll im Rahmen dieses Verbundvorhabens klären,
wieweit agroforstwirtschaftliche Bewirtschaftungskon-
epte mit Laubbäumen aus ökonomischer, ökologischer
nd sozialer Sicht als Alternativen zu den bislang übli-
hen forstwirtschaftlichen bzw. agrarischen Nutzungen
nfrage kommen. Dieses Projekt wurde 2005 mit einer
aufzeit von vier Jahren aufgelegt.
6302 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006
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Außerdem wird vom BMBF unter dem Arbeitstitel
„DENDROM – Zukunftsrohstoff Dendromasse“ ein Pro-
jekt zu den Fragen der nachhaltigen energetischen und
stofflichen Verwendung von Dendromasse aus Wald-
und Feldgehölzen mit 1,7 Millionen Euro gefördert. Bei
diesem Vorhaben wird davon ausgegangen, das die
Nachfrage nach Dendromasse in Zukunft deutlich
ansteigen wird und nur ein Teil des Bedarfs durch die
Aktivierung von Holzreserven aus der Forstwirtschaft
gedeckt werden kann. Dieses Vorhaben hat zum Ziel,
Grundlagenwissen und konkrete Handlungskonzepte zur
Lösung des Konfliktes zu erarbeiten, der sich aus dem
klima- uns energiepolitisch erforderlichen Ausbau der
Nutzung erneuerbarer Energien einerseits und der um-
weltpolitisch erforderlichen naturnahen Waldbewirt-
schaftung andererseits ergibt.
Auf EU-Ebene hat das EU-Forschungsprojekt
„Agroforstwirtschaft für Europa“, kurz SAFE genannt
(Silvorable Agroforestry for Europe), zwischen 2001
und 2005 untersucht, wie sich verschiedene Baumarten
und Ackerkulturen in Europa kombinieren lassen. Die
Ergebnisse basieren im Wesentlichen auf Modellrech-
nungen und werden derzeit der Öffentlichkeit präsen-
tiert. Auf der Tagung zum Thema „Anbau und Nutzung
von Bäumen auf landwirtschaftlichen Flächen“ am 6. und
7. November in Tharandt in Sachsen-Anhalt wurden be-
reits einige Erkenntnisse vorgestellt. Leider müssen
viele dieser Aussagen relativiert werden, weil die Daten
in diesen Modellen auf relativ kurzen Zeitreihen beru-
hen. Auch die Aussagen zur Klimarelevanz sind entspre-
chend ungenau. Weiterführender Forschungsbedarf wird
auch gesehen bei der Übertragung in Gebiete mit ande-
ren klimatischen Bedingungen.
Interessant sind die Ergebnisse einer SAFE-Umfrage
bei 270 Landwirten in sieben europäischen Ländern in
insgesamt 14 Regionen. Tatsächlich erwog knapp jeder
zweite von ihnen die Einführung eines Agroforstsystems
auf nur 20 Prozent ihrer Betriebsfläche. Durchaus posi-
tiv bewertet wurde von ihnen unter anderem die recht
einfache Umsetzung der Maßnahme, die Imageverbesse-
rung und die sozialen Kontakte, die sich daraus ergaben.
Es gab aber ein entscheidendes Argument der Bauern
gegen diese Maßnahmen: Im ersten Jahr sanken die Er-
träge pro Hektar, unter anderem auch deshalb, weil die
Bäume natürlich erst ab einem gewissen Alter „geerntet“
werden können. Dieser finanzielle Hinderungsgrund be-
wog die Mehrzahl der Landwirte, von dieser Form der
Bewirtschaftung Abstand zu nehmen.
Am Beispiel Frankreichs wird deutlich, welche Rolle
die Subventionierung spielt. Nachdem 2001 die gesetz-
lichen Regelungen für die entsprechenden Fördermaß-
nahmen eingeführt wurden, entstanden 2002 immer
mehr moderne Agrarforstsysteme. Übertragen auf
Deutschland ist sicherlich auch zu erwarten, dass bei
entsprechender Subventionierung zum Beispiel durch
Mittel aus der Gemeinschaftsaufgabe „Agrarstruktur und
Küstenschutz“, GAK, diese Form der Landnutzung in
Deutschland eine größere Rolle spielen wird.
Ich möchte festhalten: Bisher liegen für die Durch-
führung von Agroforstsystemen in Deutschland noch
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eine aussagekräftigen Erkenntnisse bzw. belastbaren
ahlen über Erträge vor, welche die Bauern dazu bewe-
en würden, auf Agroforstsysteme zu setzen. Die Ak-
eptanz bei den Landwirten ist bisher sehr gering, trotz
er von Forschern geschätzten Realisierung von Mehr-
rträgen von maximal 30 Prozent.
Der Antrag fordert konkret einen finanziellen Beitrag
er Bundesregierung für Forschungsprojekte und zum
usbau der Agroforstwirtschaft. Diese Subventionen
ollen aus GA-Mitteln und aus ELER-Mitteln bereit-
estellt werden. Ich möchte Sie an dieser Stelle daran
rinnern, dass die Gelder über die 2. Säule aus der
LER-Verordnung dringend gebraucht werden, um die
irtschaftskraft des ländlichen Raumes zu stärken. Die
A-Mittel sind längst verplant. Wenn ich mich recht ent-
inne, war es Ministerin Künast von Bündnis 90/Die Grü-
en, die während ihrer Amtszeit die GA-Mittel erheblich
ekürzt hat. Es stellt sich in Anbetracht der begrenzten
inanziellen Mittel die Frage, ob man sich in Deutsch-
and überhaupt ein subventioniertes Agroforstsystem
eisten kann und will.
Für den Fall, dass sich aus den Versuchsprojekten pra-
isrelevante Ergebnisse ziehen lassen und auf dieser
asis tatsächlich erwogen wird, eine Etablierung von
groforstsystemen in Deutschland umzusetzen, so
önnte dies nach Auffassung der Union in Deutschland
ur ohne Subventionierungen – seien es GA-Mittel oder
U-Mittel – umgesetzt werden. Einige Beispiele aus
eutschland zeigen, dass Agroforstsysteme auch ohne
taatliche Beihilfen durchaus rentabel sein können. Ent-
cheidend sind die richtigen Strategien hinsichtlich der
irtschaftlichkeit und Rentabilität. Diese liegen bei-
pielsweise in der Erschließung von Marktnischen – zum
eispiel medizinale oder floristisch bedeutsame Pflan-
en –, der Herstellung besonders hochwertiger Produkte
nd der Direktvermarktung. Bei der Bewirtschaftung
acht es oftmals Sinn, wenn sich Agrargemeinschaften
u Verbünden zusammentun, damit beispielsweise die
emeinsame Anschaffung einer Erntemaschine finan-
iert wird. Die Anschaffung einer Apfelauflesemaschine
der eines Haselnusssaugers muss sich lohnen.
Lassen Sie mich noch auf einige weitere Punkte des
orliegenden Antrages eingehen, wo die CDU/CSU-
undestagsfraktion noch Gesprächsbedarf sieht. Der
orderung im vorliegenden Antrag, dass im Falle von
ukünftiger Zulassung gentechnisch veränderter Baum-
nd Gehölzsorten deren Verwendung in Agroforstsyste-
en ausgeschlossen werden solle, steht die CDU/CSU-
undestagsfraktion ebenfalls kritisch gegenüber. Die
osition der Union in Sachen Gentechnik ist Ihnen hin-
eichend bekannt. Wir verschließen uns nicht grundsätz-
ich der Gentechnik. Außerdem wollen Sie die rechtliche
tellung des Pächters im Zusammenhang mit der An-
flanzung von Gehölzen und der bisher damit verbunde-
en Wiederherstellung des Ursprungszustandes stärken.
ie Union hält gesetzliche Eingriffe in das bestehende
achtrecht für problematisch.
Im Ergebnis würde ich deshalb vorschlagen, dass wir
iesen Antrag des Bündnisses 90/Die Grünen zur Bera-
ung in die Ausschüsse überweisen.
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Dr. Gerhard Botz (SPD): Mit den modernen Agro-
forstsystemen greifen wir mit neuen Wortschöpfungen
eine uralte Tradition der Flächenbewirtschaftung auf.
Streuobstwiesen und Ackerraine sind wohl die bekann-
testen Formen der traditionellen Agroforstnutzung. Sie
gehören nicht nur ins Kulturlandschaftsbild früherer
Zeiten, sondern prägen auch heute noch in einigen
Regionen unsere ländlichen Räume. Die Nutzung von
Gehölzen auf oder am Rande landwirtschaftlicher Fläche
ist eine sinnvolle ökologische Bereicherung. Neben der
Erweiterung der biologischen Vielfalt der Flora, bieten
die Gehölzstrukturen Lebensraum für zahlreiche Tier-
arten und leisten einen großen Beitrag zum Artenschutz.
Ein wichtiger Punkt für die Landwirtschaft ist aber
zum Beispiel der Beitrag dieser Verfahren zum Boden-
schutz. Gehölze tragen dazu bei, Bodenerosion durch
Wind und Wasser zu mindern, halten das Grundwasser
im Boden und vermindern ebenfalls die Auswaschungs-
gefahr von Düngemitteln in das Grundwasser, besonders
in der vegetationsarmen Jahreszeit, und bilden eine Koh-
lendioxidsenke. Nicht zuletzt in der aktuellen Debatte um
den Klimaschutz sollte dies alles mit bedacht werden.
In den zurückliegenden drei Jahrzehnten wurden
Bäume nicht als ein Teil der Feldbewirtschaftung verstan-
den. Die Vernichtung von unseren traditionellen Agro-
forstsystemen in ganz Europa führte zu einem Verlust von
Wissen bei den Landwirten, zur Vereinfachung und Stan-
dardisierung von Landschaft, zu Umweltproblemen, zur
Verminderung von Biodiversität und auch zum Verlust
von alternativen Einkommensquellen für die Landwirte.
Für unsere Landwirte ist mit Blick auf die zukünftige
Agrarpolitik wichtig, dass auch die ökonomischen Fak-
ten stimmen. Hier gibt es gute Ansätze und Erfahrungen
zu Agroforstsystemen aus England und Frankreich, je-
doch ist die Nutzung in Deutschland bisher nur vereinzelt
erprobt. Es scheint sich aber abzuzeichnen, dass ein ver-
ständiger Umgang und die gezielte Auswahl von Pflan-
zenkombinationen aus Gehölz und Ackerkultur teilweise
sogar zu ansehnlicher Ertragssteigerung gegenüber der
herkömmlichen Nutzung von Agrarflächen führen kann.
Hierzu – da stimme ich dem Antrag von Bündnis 90/
Die Grünen zu – fehlen uns noch fundierte Erkenntnisse.
Ich halte es für sinnvoll, die Agroforstsysteme auch in
die Diskussion um die derzeit angestrebten Reformpläne
des Bundesministers für Landwirtschaft zur Ressortfor-
schung einzubringen. Eine sinnvolle Verflechtung mit
bereits bestehenden Forschungsprogrammen des Bundes-
ministeriums für Bildung und Forschung, beispielsweise
an der Universität Freiburg, ist hier meines Erachtens
ebenfalls zu bedenken.
Die derzeitigen Entwicklungen auf dem europäischen
Agrarsektor, aber auch in anderen Bereichen, zeigen
eine deutliche Abkehr von der Politik der grundsätz-
lichen finanziellen Förderungsmöglichkeit von neuen Ver-
fahren. Wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass es
so etwas gibt, man es ausprobieren sollte, auch wenn der
Staat nicht die finanzielle Gießkanne darüber hält.
Ebenso erachte ich die Einrichtung einer speziellen
„Informations- und Koordinationsstelle Agroforstwirt-
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chaft“ für wenig sinnvoll. Gerade für die von der Frak-
ion des Bündnisses 90/Die Grünen geforderte Fach-
ffentlichkeit erreiche ich mit den bereits vorhandenen
trukturen das Ziel wesentlich einfacher und ohne Um-
ege. Hier muss das Rad nicht neu erfunden werden,
enn man auf intakte Strukturen und funktionierende
nstitutionen zurückgreifen kann. Sehr vorsichtig wäre
ch in diesem Zusammenhang auch mit dem Versuch,
as Pachtrecht grundsätzlich zu ändern, um Landwirten
erartige Wirtschaftsweisen zu erleichtern.
Die grundsätzlich positiven Ansätze der Agroforst-
irtschaft sind durchaus in dem Antrag zur nachhaltigen
essourcennutzung durch Agroforstwirtschaft der Frak-
ion des Bündnisses 90/Die Grünen zu finden, doch es
leiben starke Bedenken und entsprechender Diskussions-
edarf zu den oben angeführten Punkten. Aus diesem
rund können wir dem Antrag in dieser Form nicht zu-
timmen, empfehlen aber eine Überweisung des Antrages
Nachhaltige Ressourcennutzung durch Agroforstwirt-
chaft“ in den zuständigen Ausschuss für Ernährung,
andwirtschaft und Verbraucherschutz.
Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Die FDP steht
em Anliegen, die Einrichtung von Agroforstsystemen
uch in Deutschland zu ermöglichen, positiv gegenüber.
groforstsysteme sind keine Wälder. Sie sind eine Son-
erform der Ackernutzung, bei der abwechselnd mit
ckerbaulich oder als Weide genutzten Flächen Gehölz-
flanzen angepflanzt werden.
Voraussetzung für die Einrichtung von Agroforstsys-
emen ist die Änderung des Bundeswaldgesetzes. Es
uss sichergestellt werden, dass die für die Errichtung
on Agroforstsystemen verwendeten Flächen nicht, wie
ie gegenwärtig geltenden Bestimmungen des Bundes-
aldgesetzes es vorsehen, aus der agrarischen Nutzung
allen.
Agroforstsysteme sind besonders geeignet, um schnell
achsende Holzarten zur energetischen Verwertung oder
ür die Papierherstellung anzubauen. Sie bieten zahlreiche
kologische Vorteile, mindern die Erosion, bieten für
eidetiere Schutz bei extremen Witterungsverhältnissen,
agen zur Erhöhung der Biodiversität bei.
Der Papierbedarf steigt weltweit. Für die nächsten
ehn Jahre wird ein Anstieg um 50 Prozent prognosti-
iert. In der Papierherstellung ist insbesondere das im
olz enthaltene Lignin störend, da es nur durch sehr
nergieaufwendige Verfahren entfernt werden kann.
aher ist es nahe liegend, dass mit gentechnischen
üchtungsverfahren versucht wird, den Ligninanteil im
olz zu verringern. In den USA, Neuseeland und China
ibt es entsprechende Forschungen.
Inzwischen gibt es auch Erfolge. In China ist es ge-
ungen, Pappeln mit einem um 50 Prozent verringerten
igningehalt zu züchten. Parallel dazu gibt es Züchtun-
en zur Herstellung von Insektenresistenz.
Es dient dem Schutz unserer multifunktional genutz-
en Wälder, wenn für die Zelluloseherstellung Holz aus
groforstsystemen und Plantagen zur Verfügung steht.
6304 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006
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Transgene Bäume eignen sich nur für die Plantagen-
wirtschaft oder zur Anpflanzung in Agroforstsystemen.
Durch die Erzeugung von Sterilität kann eine Weitergabe
der für naturnahe Wälder unerwünschten genetischen
Eigenschaften verhindert werden. Es gibt erheblichen
weiteren Forschungsbedarf, um Methoden für die Erzie-
lung einer dauerhaften Sterilität zu entwickeln.
Erste Freisetzungsversuche von gentechnisch verän-
derten Pappeln sind in Deutschland vom forstgeneti-
schen Institut in Großhansdorf in den Jahren 1996 bis
2001 erfolgreich durchgeführt worden. Pappeln werden
weltweit von Gentechnikern gern als Modellpflanze ge-
nutzt, weil sie schnell wachsen und weil die gängigen
gentechnischen Verfahren bei ihnen genauso gut wie bei
Ackerpflanzen funktionieren. Weitere Baumarten sind
Kiefer, Fichte, Birke und Eukalyptus.
Die 9. UNO-Klimakonferenz hat beschlossen, dass
zur Reduktion von Treibhausgasen künftig auch gen-
technisch veränderte Pflanzen eingesetzt werden kön-
nen. Die Nutzung von Holz aus Agroforstsystemen ver-
folgt zumeist auch klimapolitische Ziele und steht damit
im Einklang mit den Beschlüssen der 9. UNO-Konfe-
renz.
Vor dem Hintergrund der vielfältigen, oft innovativen
Nutzungsmöglichkeiten von Agroforstsystemen ist der
Antrag der Grünen völlig unbefriedigend. Er schließt
von vornherein die Anpflanzung von gentechnisch ver-
änderten Pflanzen aus, selbst wenn diese in der Gesamt-
ökobilanz Vorteile gegenüber anderen Pflanzen haben.
Wer so mit Scheuklappen an das spannende Thema
Agroforstsysteme herangeht, als erstes besonders attrak-
tive Nutzungsformen ausschließt, dem ist nur die Schaf-
fung neuer Fördermöglichkeiten wichtig, nicht jedoch
die Entwicklung wirtschaftlich konkurrenzfähiger und
ökologisch besonders geeigneter Landnutzungsformen.
Daher lehnt die FDP den Antrag ab.
Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Wir sprechen
heute über ein Thema, das eigentlich uralt und sehr tra-
ditionell ist, aber in Deutschland mittlerweile weitgehend
unbekannt. Hudewälder, extensiv bewirtschaftete Streu-
obstwiesen und ausgedehnte Hecken sind historische
Agroforstsysteme, die bewusst die Nutzung von Bäumen
und Sträuchern und der landwirtschaftlichen Fläche mit-
einander verbinden. Die heute bei uns bestehende deut-
liche Trennung von Landwirtschaft auf der einen Seite
und Forstwirtschaft auf der anderen Seite gab es nicht
immer und es gibt sie auch heute nicht überall.
Die Agroforstwirtschaft spielt in der aktuellen Ent-
wicklungszusammenarbeit eine viel größere Rolle als
bei uns. Das, was für landwirtschaftliche Probleme in
anderen Ländern eine Lösung sein kann, kann doch auch
für uns interessant sein und neue Chancen und Möglich-
keiten erschließen. Also: Es lohnt sich, genauer hinzu-
sehen.
Die positiven Effekte der Agroforstwirtschaft sind im
Antrag der Grünen hinreichend beschrieben: Wind- und
Erosionsschutz, Förderung von Nützlingen durch zusätz-
liches Lebensraumangebot, Kohlendioxidsenken, Ver-
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esserung des Mikroklimas und Diversifizierung der
andwirtschaftlichen Produktion – alles Effekte, die wir
m Zusammenhang mit Nachhaltigkeitsaspekten und mit
er Stabilisierung der biologischen Vielfalt in Wald und
lur bewirken wollen. Trotzdem werden in diesem
ause sicherlich einige Abneigungen bestehen. Oft gilt
er am Feldrand stehende Baum immer noch eher als
indernis. Mühevoll mussten zum Beispiel Ackerrand-
treifen und die Anlage von Hecken oder Feldgehölzen
inanziell gefördert werden. Freiwillig passierte da fast
ichts!
Moderne Konzepte der Agroforstwirtschaft wider-
prechen nicht den heute geläufigen Techniken und Ver-
ahren der landwirtschaftlichen Produktion, egal ob kon-
entionell oder ökologisch produziert wird. Trotzdem
toßen diese Ideen und Konzepte bislang nur auf wenig
egenliebe, da sie weder in aktuelle Förderkulissen
assen noch ausreichend Kenntnisse und Erfahrungen
erbreitet sind, die agroforstwirtschaftliche Verfahren
on sich aus in die Praxis bringen würden.
Dabei liegen durchaus schon aktuelle Erfahrungen
it moderner, an hiesige Verhältnisse angepasster Agro-
orstwirtschaft vor. Die Erträge der jeweils angebauten
andwirtschaftlichen Kulturen sind ähnlich, teilweise so-
ar höher als bei herkömmlicher Produktion. Vor allem
ie Wintergerste kann sehr gut in Agroforstsystemen
ngebaut werden. In einer Studie der Universität Leeds
onnten sogar höhere Erträge nachgewiesen werden.
azu kommt noch die Nutzungsmöglichkeit der Bäume:
nergie- oder Wertholz, Früchte oder Nüsse. Es gibt eine
anze Reihe interessanter Projekte und Erfahrungen. So
ann offensichtlich der Schafbesatz auf einer Agroforst-
läche im Vergleich zu einer Wiese mehr als verdoppelt
erden und trotzdem nachhaltig bleiben. Die Branden-
urger Technische Universität in Cottbus hat positive
rfahrungen mit Kurzumtrieb oder Pappeln in Tagebau-
olgelandschaften. Möglicherweise bieten Agroforstsys-
eme auch einen Lösungsansatz für die viel diskutierte
lächenkonkurrenz.
Besonders interessant erscheinen die Konzepte im Hin-
lick auf eine nachhaltige und wirtschaftliche Nutzung
on landwirtschaftlichen Grenzstandorten, die zuneh-
end – bei sinkender öffentlicher Förderung – ganz aus
er Produktion fallen könnten. Angesichts der wieder
teigenden Nutzungsintensität durch Energieerzeugung
us Biomasse und den Anbau von nachwachsenden Roh-
toffen auf dem Acker ist schon jetzt der Flächenbedarf
estiegen.
So weit zu möglichen Potenzialen.
Wo stecken die Probleme? Die Förderpolitik ist auf
uropäischer Ebene der Agroforstwirtschaft gegenüber
ffen – so zu finden in Art. 44 in der EU-Verordnung zur
ntwicklung des ländlichen Raums, der ELER-Verord-
ung. Die deutsche Spezifizierung im Rahmen der
emeinschaftsaufgabe „Agrarstruktur und Küstenschutz“
ibt dagegen nicht viel her, hier muss nachgebessert
erden!
Des Weiteren muss das Waldgesetz geändert werden,
ollen Agroforstsysteme eine Chance bekommen. Eine
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006 6305
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(B) )
klare Abgrenzung von Wald- zu Agroforstflächen ist
hier erforderlich. Die Definition, nach der auf einer
Agroforstfläche mindestens 50 Prozent landwirtschaft-
liche Kulturen stehen müssen, damit sie nicht als Wald,
sondern immer noch als Acker oder Grünland gilt,
könnte zum Beispiel übernommen werden.
Aber es bedarf auch zusätzlicher finanzieller Mittel,
um die Forschung und Erprobung solcher Agroforstwirt-
schaftssysteme zu unterstützen. Zumindest eine Prüfung
der Potenziale hat aus Sicht der aktuellen Diskussionen
über eine sichere Versorgung aus ökologisch erzeugten,
erneuerbaren Energiequellen eine neue Motivation ge-
wonnen.
Doch was nützt ein guter Vorschlag, wenn ihn nie-
mand hört? Informationsveranstaltungen, Exkursionen
und die Einrichtung einer Kommunikationsstelle würden
dazu dienen, die Potenziale der Agroforstwirtschaft be-
kannt zu machen.
Auf einen Aspekt möcht ich zum Schluss noch kurz
Ihre Aufmerksamkeit lenken. Auch beim Thema „nach-
wachsende Rohstoffe in der Forstwirtschaft“ droht
uns wieder eine Diskussion über die Agrogentechnik.
Transgene Pappeln und Co. betrachtet Die Linke ge-
nauso kritisch wie andere genetisch manipulierte Kultur-
pflanzen. Es gibt andere Lösungen für unsere land- und
forstwirtschaftlichen Probleme. Dieser Antrag ist ein
gutes Beispiel dafür.
Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die
Landwirtschaft in Deutschland steht an der Schwelle
einer neuen Ära: Nicht allein qualitativ hochwertige
Nahrungsmittel werden von ihr erwartet, sondern auch
zunehmend ein Wirtschaftsgut, das die Landwirtschaft
bisher eher eingekauft als produziert hat, nämlich Ener-
gie. Darüber hinaus sollen Arbeitsplätze geschaffen,
hohe Sozial- und Umweltstandards eingehalten und eine
tourismusfreundliche Kulturlandschaft gestaltet werden.
Um diesen vielen Anforderungen gerecht zu werden,
muss über neue Landnutzungsformen nachgedacht wer-
den. Zwangsläufig stößt man da auf das Thema Agro-
forstwirtschaft. Mit unserem Antrag wollen wir die Auf-
merksamkeit der Politik auf dieses Thema lenken und
die erforderlichen Fördermaßnahmen auf den Weg brin-
gen, damit es bei der Agroforstwirtschaft nicht bei einer
schönen Idee bleibt, sondern sie breiten Einzug in die
Praxis hält. Zwar gibt es inzwischen auch in Deutsch-
land eine Reihe von Landwirten, die auf diesem Gebiet
experimentieren. Von einem Durchbruch kann bisher
aber noch keine Rede sein. Hierfür bleibt noch viel zu
tun. Die EU legte bereits 2001 mit SAFE – Silvoarable
Agroforestry for Europe – ein Forschungsprojekt auf,
das Grundlagen zur Beurteilung der Rentabilität von
Agroforstsystemen liefern sollte. Dieses im Jahr 2005
abgeschlossene Projekt hat gezeigt, dass Agroforst-
systeme nicht nur aus Umweltsicht Vorteile bringen,
sondern auch wirtschaftlich interessant sein können.
Denn der Ertrag aus Acker- und Baumkultur zusammen-
genommen kann durchaus das heute übliche hohe Er-
tragsniveau erreichen oder übertreffen.
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Das Prinzip der Agroforstwirtschaft ist nicht neu.
ekannte Beispiele für traditionelle Agroforstsysteme
ind Streuobstwiesen und Hecken. Sie gehören seit jeher
ur Kulturlandschaft. Aber in Deutschland gibt es heute
aum mehr Agroforstsysteme. Moderne und gleichzeitig
achhaltige Agroforstsysteme müssen so angelegt wer-
en, dass nicht nur ökologische Aspekte, sondern auch
etriebswirtschaftliche Erfordernisse berücksichtigt wer-
en. Dazu gehört, dass der Einsatz moderner Landtech-
ik ermöglicht wird. Dazu gehört auch, dass die Aus-
ahl der angebauten Kulturen sich am Markt orientieren
uss. Nach wie vor besteht Nachfrage nach Wertholz
nd nach Früchten wie Holunder, Hasel- oder Wal-
üssen. Neu ist das rasant angestiegene Interesse an
nergieholz. Während auf der einen Seite das Land-
chaftspflegeholz, das beim Schnitt von Hecken und
nderen Gehölzstreifen anfällt, vielfach nach wie vor
infach vor Ort verbrannt wird, denken etliche Land-
irte bereits darüber nach, wie sie auf ihren Äckern sys-
ematisch Energieholz produzieren können. Meist geht
s ihnen dabei um Kurzumtriebsplantagen. Aber auch
as so genannte Alley-Cropping – also regelmäßige
ehölzstreifen auf größeren Ackerschlägen – kommen
ier in Betracht. Letztlich kann jede Form der Agroforst-
irtschaft auch der Produktion von Energieholz dienen.
Es ist also nicht nur aus umweltpolitischen Gründen
innvoll, diese Form der Landbewirtschaftung in
eutschland und Europa zu etablieren. Um sich diesem
iel zu nähern, muss jedoch noch einiges an Vorarbeiten
eleistet werden. Wir wollen daher mit unserem Antrag
rreichen, dass die Bundesregierung die erforderlichen
aßnahmen ergreift. Dazu gehört, dass die Forschung
u Agroforstsystemen in Deutschland finanziell abgesi-
hert wird. Diese Forschung muss vor allem regional
nd betriebswirtschaftlich angepasste Agroforstsysteme
ntwickeln und optimieren. Denn bisher ist der Kennt-
isstand über Agroforstwirtschaft in Mitteleuropa noch
u gering, um den Landwirten ausreichende Optionen
it einer gesicherten wirtschaftlichen Perspektive bieten
u können. Um die Landwirte überzeugen zu können,
uf Agroforstsysteme zu setzen, ist es jedoch notwendig,
hnen Faustzahlen über Anbauvarianten und Erträge lie-
ern zu können.
Außerdem muss die Bundesregierung eine „Informa-
ions- und Koordinationsstelle Agroforstwirtschaft“ ein-
ichten. Sie muss die Aufgabe erfüllen, die vorliegenden
rkenntnisse über Agroforstsysteme der Fachöffentlich-
eit und der Landwirtschaft bekannt zu machen und
aßnahmen der aktiven Öffentlichkeitsarbeit für die
groforstwirtschaft und der Forschungsförderung zu ko-
rdinieren. Dies ist notwendig, um das Thema in der
orschung, in der Öffentlichkeit und bei den Landwirten
tärker zu verankern.
Außerdem muss sich die Bundesregierung dafür ein-
etzen, dass die Förderung von extensiven Agroforst-
ystemen in die GAK aufgenommen wird. Die ELER-
erordnung sieht in Art. 44 vor, dass Beihilfen zur Ein-
ichtung von Agroforstsystemen auf landwirtschaft-
ichen Flächen gewährt werden können. Eine Refinan-
ierung mit EU-Mitteln ist also möglich – eine
örderung mit Mitteln der GAK bisher allerdings nicht.
6306 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006
(A) )
(B) )
Denn die konservative Mehrheit der Agrarminister in
Bund und Ländern hat die Förderung von Agroforst-
systemen im PLANAK für 2007 abgelehnt. Diese Ent-
scheidung müssen sie so schnell wie möglich korrigieren.
Nicht zuletzt muss die Bundesregierung im Bundes-
waldgesetz Agroforstsysteme gegenüber Wald abgren-
zen und dort festlegen, dass Agroforstsysteme nicht
Wald im Sinne des Bundeswaldgesetzes sind. Dies ist
notwendig, um auszuschließen, dass landwirtschaftliche
Nutzflächen, die zu Agroforstsystemen aufgewertet wer-
den, zukünftig den Vorgaben des Bundeswaldgesetzes
unterliegen. Ich hoffe sehr, dass die Bundesregierung die
angekündigte Änderung des Bundeswaldgesetzes zügig
vorlegt und diese Gelegenheit nutzt, um diese Änderung
vorzunehmen.
Der Tradition dieses Hauses folgend, werden die Re-
gierungsfraktionen unseren Antrag ablehnen. Das kann,
muss aber nicht heißen, dass die Kollegen damit auch
unsere Anliegen ablehnen. Ich möchte die Bundesregie-
rung und die Kollegen der Regierungsfraktionen daher
herzlich bitten, das Anliegen unseres Antrags ernst zu
nehmen und möglichst viel von dem zu realisieren, was
wir hier beantragen. Damit würden Sie für unsere Kul-
turlandschaft und die Agrobiodiversität und letztlich
auch für die Landwirte und sogar für den Klimaschutz
etwas Gutes tun.
Anlage 17
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über
die Qualität und Sicherheit von menschlichen
Geweben und Zellen (Gewebegesetz) (Tagesord-
nungspunkt 28)
Hubert Hüppe (CDU/CSU): Der heute vorliegende
Entwurf eines Gewebegesetzes legt Kriterien fest, die
der Sicherheit von Patientinnen und Patienten dienen,
denen Gewebe oder Zellen übertragen werden sollen.
Zur Vermeidung der Übertragung von Krankheiten sol-
len Qualität und Sicherheit von Geweben und Gewebe-
zubereitungen verbessert werden. Ich denke, wir sind
uns einig in diesem Ziel, dem die EU-Geweberichtlinie
dient. Diese EU-Geweberichtlinie haben wir in nationa-
les Recht umzusetzen.
In Deutschland gibt es Gesetze, die verwandte Sach-
zusammenhänge regeln, vor allem Transplantations-
gesetz, Transfusionsgesetz und Arzneimittelgesetz. Dass
die Geweberichtlinie innerhalb dieser Gesetze umgesetzt
werden soll, ist zwar durch die Richtlinie nicht zwingend
vorgegeben. Weil es aber mit diesen Regelungen lang-
jährige gesetzgeberische und Vollzugserfahrung gibt,
spricht vieles für den durch den Entwurf gewählten Weg
der Umsetzung innerhalb dieser Gesetze.
Um das Ziel des Gesetzes, die Qualität und Sicherheit
von Zellen und Geweben, zu erreichen, sind unter ande-
rem hohe Anforderungen für Gewebeentnahmestellen
bzw. für Gewebeeinrichtungen vorgesehen, darunter die
Herstellungserlaubnis nach Arzneimittelgesetz, die Benen-
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ung eines Stufenbeauftragten sowie eines Informations-
eauftragten und eine verschuldensunabhängige Haftung
is zu 120 Millionen Euro. Im Falle der vorgesehenen
bgabe von Geweben an Dritte bedarf es einer Zulas-
ung gemäß Arzneimittelgesetz.
Durch das Transplantationsgesetz, das bisher die
ntnahme von Organen regelt, sollen zukünftig auch
ellen und Gewebe, embryonale und fötale Organe
owie Knochenmark erfasst werden.
Durch vorgeschriebene Dokumentation soll es
ukünftig möglich sein, Gewebe vom Spender bis zum
mpfänger und umgekehrt zu verfolgen, schwer-
iegende Zwischenfälle und unerwünschte Reaktionen
ollen Meldevorschriften unterworfen werden.
Grundlagen für die Umsetzung der Geweberichtlinie
ind im Arzneimittelgesetz bereits heute enthalten.
ereits seit der 12. und der 14. Novelle ist eine Herstel-
ungserlaubnis nicht nur für die Herstellung von Arznei-
itteln, sondern auch für die Entnahme und Gewinnung
on zur Arzneimittelherstellung bestimmten Stoffen
enschlicher Herkunft wie Blut, Plasma, Gewebe und
ellen erforderlich, kam aber bislang aufgrund der Über-
angsbestimmung noch nicht zum Tragen.
Jetzt regelt der Entwurf, dass Einrichtungen, die
toffe menschlicher Herkunft entnehmen oder gewinnen,
eine eigene Herstellungserlaubnis beantragen müssen,
ondern in die Erlaubnis des mit ihnen kooperierenden
erstellers einbezogen werden können.
Von Anfang an war die Erarbeitung des Gesetzent-
urfs von vielfältiger Kritik vonseiten der Fachverbände
egleitet. Der Bundesrat hat eine ausführliche Stellung-
ahme vorgelegt. Es ist gut, dass das Gesundheitsminis-
erium in den Vorgesprächen signalisiert hat, sich dieser
ritik konstruktiv anzunehmen und etwaige Änderungen
orzunehmen.
Werden die Bedingungen der künftig erforderlichen
erstellungserlaubnis oder Haftungsvorschriften für
eute aktive Gewebeentnahmeeinrichtungen unerfüllbar
ein? Werden ihren Platz industrielle Investoren einneh-
en, wird es eine zusätzliche Kommerzialisierung durch
en Arzneimittelstatus von Geweben geben? Wird die
nterstellung von Zellen und Geweben unter das Arz-
eimittelgesetz deshalb den Vorrang der Organspende
or der Gewebegewinnung gefährden?
Werden Gewebetransplantate mit dem Gewebegesetz
rheblich teurer, und werden sie dies, ohne dass ein Zu-
achs an Sicherheit für Patienten zu erwarten ist? Wäre
s genauso sicher, etwa Gewebetransplantate, die weder
e- noch verarbeitet werden, sondern nur konserviert
nd zur Transplantation zwischengelagert werden, recht-
ich eher als Organe statt als Arzneimittel zu behandeln?
Begriffsbestimmungen und Anwendungsbereiche
erfen – auch ethische – Fragen auf. Es ist durchaus
ichtig, Begriffe wie menschliche Keimzelle, Embryo
nd Fötus so genau wie möglich zu definieren. Auch
ine Klarstellung, dass der menschliche Embryo – wie er
m Embryonenschutzgesetz und im Stammzellgesetz de-
iniert ist – ausdrücklich nicht zum Arzneimittel wird,
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006 6307
(A) )
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scheint notwendig und ethisch angemessen. Wir werden
prüfen, ob durch den Entwurf sicher ausgeschlossen ist,
dass der Arzt, der eine Abtreibung vornimmt, in die wei-
tere Verwertung des Gewebes der abgetriebenen Embryo-
nen und Föten eingebunden ist.
Eine zu diskutierende Frage ist die Knochenmarks-
entnahme bei minderjährigen und nicht einwilligungs-
fähigen volljährigen Personen, für die das Gewebegesetz
einen strafrechtlich relevanten Rechtfertigungsgrund
schafft. Auch wenn die Empfänger nahe Verwandte sein
müssen, handelt es sich um einen fremdnützigen Eingriff
in die körperliche Unversehrtheit der Minderjährigen
bzw. nicht einwilligungsfähigen Erwachsenen. Wir werden
zu klären haben, ob dieser nur mit minimalem Risiko
und minimaler Belastung einhergeht oder ob allein eine
Vorschrift zustimmungsfähig wäre, die nur bei einwil-
ligungsfähigen Minderjährigen eine Knochenmarks-
entnahme nach ihrer Aufklärung und Einwilligung sowie
der des gesetzlichen Vertreters zulässt.
Wir haben uns auch damit zu befassen, ob der Daten-
schutz eindeutig genug formuliert ist.
Die Frist zur Umsetzung der Geweberichtlinie hat am
7. April 2006 geendet. Wir können uns daher keine Zeit
lassen. Dennoch werden wir die Regelungen des Gesetzes
in den kommenden Beratungen und Sachverständigenan-
hörungen sorgfältig auf den Prüfstand stellen.
Wir werden die Richtlinie so umsetzen, dass das deut-
sche Recht den europarechtlichen Anforderungen genügt.
Wir werden prüfen, ob Kritik an dem erwarteten Verwal-
tungsaufwand, an Kommerzialisierungsgefahr und unver-
tretbaren Kosten für die Allgemeinheit berechtigt sein
könnte. Insbesondere aber werden wir jede Vorschrift
daraufhin prüfen, ob sie der Versorgung der Patienten mit
sicheren Zellen und Geweben dient.
Dr. Wolfgang Wodarg (SPD): Die Verwendung von
menschlichen Zellen und Geweben stellt in der moder-
nen Medizin einen stark wachsenden Sektor dar, der
große Chancen für die Behandlung schwerer Erkrankun-
gen bietet, die zum Beispiel mit einer konventionellen
Arzneimitteltherapie nicht geheilt werden können. Um
für die Gewebemedizin, speziell die Beschaffung, Tes-
tung, Verarbeitung, Lagerung und Verteilung von Gewe-
ben und Zellen einheitliche Qualitäts- und Sicherheits-
standards festzulegen, ist in der Europäischen Union
2004 nach langer Diskussion eine EU-Richtlinie erlassen
worden, die bis zum 7. April dieses Jahres in nationales
Recht hätte umgesetzt werden sollen. Mit dem vorlie-
genden Gesetzentwurf will die Bundesregierung die Ge-
weberichtlinie umsetzen.
Der Bundesrat hat eine eindrucksvolle Stellungnahme
zu diesem ausgesprochen komplexen Fachgesetz abge-
geben. In den Beratungen des zuständigen und eigens
eingerichteten Unterausschusses standen zunächst nicht
weniger als 87 Änderungsanträge zur Diskussion. Ange-
nommen wurden schließlich 46. Da das Gesetz nach der
Föderalismusreform nicht mehr zustimmungspflichtig
ist, können die Änderungsvorschläge der Länderkammer
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unmehr abgetan werden. Es gibt jedoch nicht nur for-
ale, sondern auch inhaltliche Gründe, dies nicht zu tun.
Kernpunkte der Kritik an dem als Artikelgesetz kon-
ipierten Entwurf betreffen zum einen die arzneimittel-
echtliche Ausrichtung der Umsetzung, die im Bereich
er Fortpflanzungsmedizin besonders bizarr ist. Es wer-
en nämlich zum Beispiel menschliche Geschlechtszel-
en als Arzneimittel eingestuft. Zum anderen werden die
nzureichenden Regelungen der Schnittstellen zur Organ-
ansplantation und zu dem dafür vor rund zehn Jahren in
raft getretenen Transplantationsgesetz gerügt. Hier
iegt das folgenschwerste Problem des vorgelegten Ent-
urfs. Denn mit der Unterstellung aller Zellen und Ge-
ebe unter das Arzneimittelgesetz ist eine Kommerziali-
ierung dieses Bereichs verbunden. Hierdurch entsteht
in erheblicher Konflikt mit der Praxis der Organtrans-
lantation.
Ich will dieses Problem anschaulich darstellen, denn
ir müssen wissen, was wir tun, wenn wir menschliche
örperteile zu Arzneimitteln machen wollen. In New
ork hat gerade ein Prozess für großes Aufsehen ge-
orgt, in dem Beerdigungsunternehmen und Ärzte verur-
eilt wurden, die im großen Stil ein makaberes Geschäft
it Leichenteilen organisiert hatten. Der Rohstoff
ensch wird je nach Mangelstatus bestimmter Gewebe
ereits zu Schwindel erregenden Preisen gehandelt. Eine
ommerzielle Ausrichtung der Gewebemedizin würde
ich darum notwendig negativ auf den Bereich der altru-
stischen Organspende auswirken. Wir wissen dabei,
ass das Spendenaufkommen in Deutschland im europäi-
chen Vergleich ohnehin nicht groß ist. Die Wartelisten
agegen werden länger und länger. Um eine postmortale
rganspende, für die keine Einwilligung des Patienten
elbst vorliegt, zu ermöglichen, müssen Ärzte gegenwär-
ig mit den Angehörigen sprechen, um von diesen eine
ustimmung zu erhalten (erweiterte Zustimmung). Auch
ür Gewebespenden gilt diese Regelung gegenwärtig,
eil Gewebe als Transplantate jetzt unter das Transplan-
ationsgesetz fallen. Die Situation der mit dieser schwie-
igen Kommunikation betrauten Ärzte wird sich nach In-
raft-Treten des vorliegenden Gesetzes weiter erschwe-
en. Künftig muss auch auf eine mögliche kommerzielle
utzung von Gewebespenden verwiesen werden. Ange-
örige könnten damit den sehr abschreckenden Gedan-
en eines „Ausschlachtens“ des Körpers verbinden.
Auch eine formal-rechtliche Vorrangstellung der Organ-
ansplantation, wie sie jetzt im Gesetzentwurf vorgese-
en ist, wird nur mit sehr umfassenden Kontrollmecha-
ismen verhindern können, dass transplantierbare
rgane in den lukrativeren Bereich der Gewebemedizin
erschoben werden. Bereits bei der Untersuchung mög-
icher Spender müsste künftig kontrolliert werden, ob
ie Verwerfung von Organen für die Transplantation
ach objektiven medizinischen Gesichtspunkten erfolgt
st. Schon jetzt funktionieren die Kontrollmechanismen
m Bereich der Organtransplantation nicht gut. Die Pro-
leme werden sich auch hier verschärfen, wenn in Zu-
unft noch eine Wettbewerbssituation mit den Organisa-
ionen der Gewebemedizin hinzutritt. Bestehende
ersonelle und organisatorische Verflechtungen in bei-
6308 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006
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den Bereichen erschweren Kontrollen und sind darum
kontraproduktiv.
Die weitreichenden Probleme, die sich durch das Ge-
webegesetz an der Schnittstelle zum Transplantationsge-
setz ergeben, können wir durch Änderungsanträge kaum
abwenden. Auch der Bundesrat hat neben den zahlrei-
chen konkreten Vorschlägen zu einzelnen Regelungen
deshalb seine Zuflucht in einer Generalkritik gesucht
und die Bundesregierung gebeten, die Geweberichtlinie
in einem eigenständigen Gesetz umzusetzen. Dieses
würde sich am Vorbild des Transplantationsgesetzes
orientieren, das ja auch eine ganz eigene Regelungs-
systematik im Vergleich zum Arzneimittelbereich mit
seinen völlig anders gestalteten formalen Abläufen hat.
Was mich im Zusammenhang mit dem Gewebegesetz
sehr umtreibt, ist die knappe Zeitfrist, in der die parla-
mentarische Beratung jetzt abgeschlossen werden soll.
Wir entscheiden hier über wichtige Weichenstellungen
und viele unter uns haben nicht genug Wissen, Erfah-
rung und Problemeinsicht, um was es dabei eigentlich
geht. Hätten wir noch eine Enquete-Kommission zu me-
dizinethischen Fragen wie in den beiden vergangenen
Legislaturperioden, wäre das Thema Gewebegesetz
frühzeitig auf die Agenda gesetzt worden. Abgeordnete
aus verschiedenen Fachausschüssen hätten sich mit der
Thematik beschäftigt, in der Diskussion mit Sachver-
ständigen Fachwissen erworben und dieses dann wie zu-
vor üblich in Form einer gutachtlichen Stellungnahme
einbringen und an Kolleginnen und Kollegen weiterge-
ben können.
Das Gewebegesetz ist darum auch eine traurige Illus-
tration für unseren derzeitigen Mangel an parlamentari-
schen Instrumenten. Es darf nicht so bleiben, dass
komplexe, ethisch hoch brisante Abwägungen des Ge-
setzgebers nur wenigen Abgeordneten aufgebürdet wer-
den. Das Konzept der Forschungsministerin zum Deut-
schen Ethikrat bringt hier keine Abhilfe. Wir brauchen
für medizinethische Fragen ein Gremium, in dem wie in
einer Enquete-Kommission regelmäßig Abgeordnete al-
ler Fraktionen, aus verschiedenen Fachausschüssen zu-
sammen mit Sachverständigen beraten, um dann ihre je-
weiligen Arbeitsgruppen rechtzeitig informieren und
einbeziehen zu können.
Ich will aber mit einem positiven Ausblick schließen:
Das Potenzial der Gewebemedizin zusammen mit dem
zugehörigen neuen Querschnittsgebiet der regenerativen
Medizin ist enorm. Wir müssen jedoch aus den in der
Vergangenheit gemachten Fehlern im Gesundheitsbe-
reich lernen: Wir brauchen nicht nur immer neue Geräte
und Produkte, wir brauchen auch eine aktivierende Me-
dizin, die den Menschen ins Zentrum stellt und Ärzte
nicht zu Anwendern und Bedienern von Technologie de-
gradiert. Es gibt zwei Wege zu neuen Zellen und Gewe-
ben für den Menschen:
Erstens. Man entnimmt diese anderen Menschen, be-
reitet sie auf, transplantiert sie und sorgt dafür, dass sie
nicht als Fremdkörper abgestoßen werden.
Zweitens. Man nutzt die immanente Fähigkeit
menschlicher Gewebe zur Regeneration und stimuliert
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ie überall im Körper vorhandenen Stammzellen durch
usgefeilte Übungs- und Trainingsprogramme zur Ver-
ehrung und Übernahme defekter Funktionen.
Erstere Lösung führt zu neuen aufwändigen medika-
entösen Therapien und wird von investitionsbereiten
kteuren der Pharmabranche mit großem Druck europa-
eit gefördert. Die zweite Lösung ist das tägliche Ge-
chäft der rehabilitativen Medizin, die mit Aktivierung,
hysiotherapie, Ergotherapie, Funktionstraining, Logo-
ädie und vielen weiteren Verfahren sensationelle Er-
olge aufweist. Hier gibt es keine milliardenschweren In-
estitionen, sondern personalintensive und von der
ersorgungsforschung völlig vernachlässigte Chancen
ür viele Patienten – das Ganze kostengünstig und fast
hne Nebenwirkungen.
Michael Kauch (FDP): Reichlich spät legt die Bun-
esregierung den Gesetzentwurf zur Umsetzung der
eweberichtlinie der EU vom 31. März 2004 vor. Sie
egt ihn in einer Form vor, die sowohl vom Bundesrat als
uch – das ist das Entscheidende – von den fachlich
ompetenten Experten der Bundesärztekammer und der
eutschen Stiftung Organtransplantation grundsätzlich
urückgewiesen wird. Die Einwände sind so gravierend,
ass sich das Parlament ausreichend Zeit zur Beratung
nd zur Anhörung von Sachverständigen nehmen muss.
Ein entscheidender Punkt ist die Frage, ob Gewebe
atsächlich generell unter das Arzneimittelgesetz fallen
oll. Gewichtige Gründe sprechen dagegen. Eine der
onsequenzen liegt in deutlich erhöhten Anforderungen
n die Betriebsstätten und an Wirksamkeitsnachweise.
eides erhöht die Kosten der Bereitstellung von Gewebe.
as kann im Blick auf die Kostensituation im Gesund-
eitswesen nicht einfach en passant beschlossen werden.
Hinzu kommen die Bedenken, ob eine mit der Einord-
ung als Arzneimittel verbundene Kommerzialisierung
er Gewebespende auf einer frühen Stufe nicht die
pendenbereitschaft der Bevölkerung beeinträchtigen
ann oder die Konkurrenz zur Organspende erhöht. Ins-
esondere der im Gesetz vorgesehene Vorrang der
rganspende vor der Gewebespende könnte durch kom-
erzielle Anreize zur Gewebespende aufseiten der
rankenhäuser konterkariert werden.
Es spricht daher vieles dafür, dass beim Gewebe die
ntnahmestufe nicht dem Arzneimittelgesetz unterliegen
ollte. Hier müssen in einer Anhörung die Vor- und
achteile deutlich herausgearbeitet werden. Eventuell
äre es auch eine Option, zwischen Gewebespenden zur
eiterverarbeitung und solchen zur Konservierung
wecks Übertragung zu unterscheiden. Auch die EU-
ichtlinie stellt an die Gewebeentnahme deutlich gerin-
ere Anforderungen als an die Gewebeverarbeitung. Sie
ordert keineswegs die pauschale Unterstellung unter das
rzneimittelrecht.
In jedem Fall brauchen wir hier Rechtssicherheit. Die
wölfte AMG-Novelle in Verbindung mit der
4. Novelle hat das Gewebe zwar dem Arzneimittel-
esetz unterstellt, jedoch wegen der vorgesehenen Über-
angsfristen bisher ohne praktische Relevanz. Daher ist
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006 6309
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nun die Gelegenheit, im Zuge der umfassenden Umset-
zung der EU-Richtlinie noch einmal neu nachzudenken.
Völlig offen ist im Gesetz im Übrigen ein Allokations-
mechanismus für die Gewebespende. Zumindest dann,
wenn man sich für eine späte Kommerzialisierung
ausspricht, braucht es Antworten, wie wir sie von der
Organspende her kennen. Weiter ist zu prüfen, ob der
von der Bundesregierung vorgesehene Vorrang der
Organspende vor der Gewebespende tatsächlich in
dieser Form durchgesetzt werden kann.
Sorge bereiten aber auch einige Änderungsvorschläge
des Bundesrates. So trifft die vom Bundesrat geforderte
Anonymität der Gewebespende auf Kritik der Deutschen
Knochenmarkspenderdatei. Diese führt aus, dass es ge-
rade im Bereich der Stammzellspende aus Knochenmark
die Spendenbereitschaft oft erhöht, wenn dem Spender
der Empfänger bekannt gemacht wird. Eine ethisch zu
begründende Notwendigkeit zu dieser Änderung der
bestehenden Rechtslage ist nicht zu erkennen. Daher
sollte man sehr vorsichtig sein, in der Praxis erfolgreiche
Regelungen ohne Not zu verändern und die Versorgung
der Betroffenen so zu gefährden.
Dies sind einige der Aspekte, die der Gesundheitsaus-
schuss bei der Beratung des Gesetzes beleuchten muss.
Angesichts der grundlegenden Kritik der Experten
scheint eine ebenso grundlegende Überarbeitung des
Gesetzentwurfes erforderlich.
Frank Spieth (DIE LINKE): Derzeit bewegt uns die
Debatte zum GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz. Noch
nie waren sich sämtliche gesundheitspolitischen Akteure
so einig in der Ablehnung des Gesetzesvorhabens wie
derzeit. Immer mehr zeigt sich in den Expertenanhörungen
zum so genannten Wettbewerbsstärkungsgesetz, dass
niemand das Vorhaben in dieser Form will; dennoch
peitscht die Regierung den Gesetzentwurf durch das Par-
lament.
Ganz ähnlich verhält es sich auch bei dem hier vor-
liegenden Gesetzentwurf, dem Gewebegesetz. Es geht
darin um Regelungen zur Entnahme von Organen und
darum, was damit passieren soll. Auch in diesem Gesetz-
gebungsverfahren hagelt es Kritik: Bundesrat, Bundes-
ärztekammer, die Deutsche Krankenhausgesellschaft,
Transplantationsverbände, die Spitzenverbände der
Krankenkassen und andere sind sich in ihrer ablehnen-
den Haltung einig. Wieder zeigt sich eine unglaubliche
Beratungsresistenz der Regierung. Sie ist geprägt von einer
pauschalen arzneimittelrechtlichen Ausrichtung und
lässt notwendige juristische Differenzierungen bei den
doch medizinisch gänzlich unterschiedlichen Geweben
vermissen. Eine Organtransplantation ist die Übertra-
gung eines ganzen Organs. Eine Gewebetransplantation
ist im Gegensatz dazu die Verpflanzung nur eines Teils
eines Organs, wie etwa Herzklappen, Knochenmark oder
Augenhornhaut.
Aus ethischer Sicht ergeben sich neue Verwerfungen,
wenn die entnommenen Organe zukünftig unter das Arz-
neimittelgesetz fallen und damit Teil des kommerzia-
lisierbaren Arzneimittelhandels werden sollen: Eigent-
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ich sollte der Grundsatz „Organspende hat Vorrang vor
ewebespende“ gelten. Mit Organspenden kann man,
umindest auf legalem Wege, keinen Gewinn erzielen.
rganspenden sind rein aufwandsorientiert finanziert.
enn die Bundesregierung jetzt durch das Gewebe-
esetz Teile von eigentlich vermittlungspflichtigen
penderorganen als Gewebeprodukte wirtschaftlich inte-
essanter als die eigentlich sinnvolle Organspende
acht, schafft man eine Situation, die falsche Anreize gibt.
Aus Sicht der Bevölkerung wird sich bei einer zuneh-
enden Kommerzialisierung verständlicherweise die
rage auftun, warum eine Organspende aus altruisti-
chen, also aus nicht monetären Motiven erfolgen soll
nd im Gegensatz dazu mit Gewebe ganz legal Geld ver-
ient werden kann, wie mit Arzneimitteln auch. Es ist zu
efürchten, dass dies ein negatives Image auf Organ-
penden wirft und so die ohnehin zu geringe Zahl der
rganspender weiter sinkt.
Die Bundesregierung will zu einem großen Teil das
ransplantationsgesetz durch das Arzneimittelrecht er-
etzen. Die Spende und Entnahme werden dem Arznei-
ittelrecht unterworfen. Damit macht das Gesetz die
liniken und Gewebebanken zu pharmazeutischen Un-
ernehmern und geht weit über die Forderungen der EU-
ichtlinie hinaus. Für die Versicherten hat das weit-
eichende Folgen: Denn Kliniken, die bisher in der Lage
aren, Gewebe aufzuarbeiten und den eigenen Patienten
u verabreichen, müssen nun erst als „pharmazeutischer
etrieb“ zugelassen werden. Dadurch werden so hohe
ürden aufgebaut, dass beispielsweise Brandopfer auf
otwendige Hauttransplantate Wochen warten müssen.
leichzeitig wird ein kommerzielles Interesse geweckt;
enn nach dem Arzneimittelgesetz gilt kein Handelsverbot.
Auf mögliche Interessenkonflikte, die etwa bei
leichzeitigem Betrieb eines Krankenhauses und einer
ewebeeinrichtung oder eines Transplantationszentrums
uftreten könnten, wurde die Bundesregierung hinge-
iesen, unter anderem durch den Bundesrat. Es könnte
ach dieser unsinnigen Regelung wirtschaftlich sinnvol-
er sein, wenn ein Organ „in Einzelteilen“ verwertet
ürde, als wenn eine Transplantation stattfände. Die Ab-
äufe bei Gewebespende, -gewinnung, -vermittlung und
verteilung, sollten daher voneinander getrennt sein.
Insofern ist die arzneimittelrechtliche Zuordnung im
egierungsentwurf ein absoluter Irrweg. Die Logik, was
n fachlicher Hinsicht an einer Kochsalzlösung und an
ntnommenem Lebergewebe so ähnlich ist, dass man
eides zukünftig den gleichen rechtlichen Regelungen
nterwerfen sollte, bleibt im Dunklen. In der EU jeden-
alls stünde die Bundesrepublik recht alleine da mit
ieser arzneimittelrechtlichen Regelung.
Sollte es tatsächlich der Bundesregierung darum
ehen, neue kommerzielle Märkte aufzubauen, egal mit
elchem Produkt? Professor Dr. med. Jörg-Dietrich
oppe, Präsident der Ärztekammer, befürchtet genau
ies: „Wenn das Gewebegesetz in seiner jetzigen Form
n Kraft tritt, dann ist dem gewerblichen Markt für
ewebetransplantate Tür und Tor geöffnet.“ Man kann
as ja – vorausgesetzt, man wirft alle ethischen Beden-
en über Bord – so wollen. Aber dann bitte ich Sie:
6310 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006
(A) )
(B) )
Seien Sie so ehrlich und sagen Sie, was sie wirklich wol-
len, oder erklären Sie zumindest, welche Folgen ihre
eigenen Gesetze haben werden.
Meine Fraktion wird aber aus den dargelegten Grün-
den dagegen sein.
Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll nach Ihren
Worten die EU-Geweberichtlinie umgesetzt werden. Um
es gleich zu Beginn klar zu sagen: Die wirklich wichti-
gen Forderungen der EU-Richtlinie werden von Ihnen
nicht umgesetzt.
Ziel der EU-Richtlinie sind europaweit vergleichbare
hohe Qualitäts- und Sicherheitsstandards bei der Über-
tragung menschlicher Gewebe. Wenn man dagegen Ih-
ren Gesetzentwurf liest, gewinnt man aber den Eindruck,
dass er weniger der Absicherung der in Deutschland
schon bisher hohen Qualitätsstandards als vielmehr der
Kommerzialisierung des Umgangs mit Geweben dienen
soll: Der Entwurf unterstellt Gewebe pauschal dem Arz-
neimittelgesetz. Dieser Weg wird von keinem anderen
europäischen Land gewählt. Damit eröffnen Sie einen
legalen Markt für den Handel mit Geweben, der sich
potenziell nicht mehr an den medizinischen Bedürfnis-
sen der Betroffenen, sondern vielmehr an kommerziellen
Interessen orientieren wird. Damit ist der bisherige
gesellschaftliche Konsens der Nichtkommerzialisierung
in Gefahr.
Auch wird mit gravierenden Auswirkungen zu rech-
nen sein, vor allem wenn der Vorrang der Organ- vor der
Gewebespende weiterhin so halbherzig umgesetzt wird,
wie es im Entwurf der Fall ist. Zwar ist – recht ver-
steckt – festgelegt, dass eine Gewebeübertragung eine
mögliche Organtransplantation nicht beeinträchtigen
darf. Dies wird aber durch keine ergänzende Regelung
sichergestellt. Angesichts der Knappheit von Spender-
organen in diesem Land ist es sträflich, die nicht ge-
werblichen Institutionen der Organtransplantation in ei-
nen Wettbewerb mit gewerblichen Gewebeeinrichtungen
zu schicken, den sie nicht gewinnen können.
Zudem müssen Sie sich die Frage gefallen lassen, ob
Sie wirklich einen Handel mit Keimzellen und embryo-
nalen Zellen wollen. Das Handelsverbot des Transplan-
tationsgesetzes dient hier wohl lediglich als Feigenblatt,
da aufgrund seines begrenzten Anwendungsbereichs ein
solcher Handel nicht sicher verhindert werden kann.
Sobald ein Markt für embryonale Gewebe und Eizellen
besteht, werden sie damit – vorbei an allen ethischen
Bedenken – zu einer Ware. Auch hier werden im Ent-
wurf die Vorgaben der Richtlinie, nämlich die Verhinde-
rung einer Kommerzialisierung der Organ- und Gewebe-
beschaffung, nicht umgesetzt.
Auf der anderen Seite gaukeln Sie dem Bürger Si-
cherheit vor. Die Gewebeeinrichtungen undifferenziert
den Zulassungs- und Erlaubnisvorschriften des Arznei-
mittelgesetzes zu unterstellen, führt in der Praxis zu
einem Mehr an bürokratischem und finanziellem Auf-
wand für diese Einrichtungen, ohne dass dieser Nachteil
zu einem erkennbaren Vorteil für die Therapiesicherheit
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er Patienten bzw. der Qualitätssicherung führt. Im
egenteil dürfte dies zu einer geringeren Reserve an
ringend nötigen Geweben führen.
Der vorliegende Gesetzentwurf bedarf also einer
rundlegenden Überarbeitung. Auch wenn die Frist für
ie Umsetzung der Geweberichtlinie bereits abgelaufen
st, darf nicht übereilt ein Gesetz verabschiedet werden,
as dem Handel mit menschlichen Geweben Tür und Tor
ffnet.
Rolf Schwanitz, Parl. Staatssekretär bei der Bun-
esministerin für Gesundheit: Das Gesetz über die
ualität und Sicherheit von menschlichen Geweben und
ellen setzt abschließend die Inhalte der EG-Gewebe-
ichtlinie 2004/23/EG in nationales Recht um. Hierzu ist
ie Bundesrepublik Deutschland verpflichtet. Der Gesetz-
ntwurf der Bundesregierung enthält die maßgeblichen
egelungen zur Wahrung und Verbesserung der Qualität
nd Sicherheit von Gewebetransplantaten und sorgt für
in hohes Gesundheitsschutzniveau, wie die EG-Gewebe-
ichtlinie es vorsieht.
Diese Notwendigkeit besteht für alle Gewebe und
ellen von Menschen, die in der Medizin zur Anwen-
ung kommen, also nicht nur für Herzklappen, Augen-
ornhäute und Knochen, sondern auch für menschliche
eimzellen sowie für fötale Gewebe und Organe. Alle
iese Gewebe und Zellen können Krankheiten über-
ragen. Sie müssen daher sehr sorgfältig entnommen und
e- oder verarbeitet werden. Mit dem neuen Recht stel-
en wir Gewebe und Zellen rechtlich den Blutprodukten
leich, die bereits nach der HIV/Blut-Katastrophe An-
ang der 90er-Jahre und auch nach der EG-Blutrichtlinie
002/98/EG neuen Regelungen unterworfen worden sind.
Grundlegende Anforderungen der EG-Richtlinie, die
ich eng an das EG-Arzneimittelrecht anlehnt, sind bereits
nationalen Recht verankert, nämlich im Arzneimittel-
esetz, im Transplantationsgesetz und im Transfusions-
esetz. Die Bundesregierung hat sich entschlossen, auch
ie verbliebenen Umsetzungsinhalte in diesen Gesetzen
u regeln. Das ist gerechtfertigt und notwendig, da wir
ereits in den Jahren 2004 und 2005 mit dem zwölften
nd 14. AMG-Änderungsgesetz wichtige Regelungs-
nhalte der EG-Geweberichtlinie gemeinsam mit den
ändern im Arzneimittelgesetz umgesetzt haben. Des-
alb halten wir es nicht für sinnvoll, jetzt ein völlig
eues Gesetz für Gewebe und Zellen zu schaffen, das
ieselben Regelungen enthalten müsste, die wir schon
aben oder jetzt ergänzen wollen. Auch die kommende
G-Verordnung über Arzneimittel für neuartige Therapien
ird Tissue-Engineering-Produkte, die Gewebezuberei-
ngen sind, dem Arzneimittelrecht unterstellen. Zwischen
ieser Verordnung und der EG-Geweberichtlinie besteht
in enger sachlicher Zusammenhang.
Lassen Sie mich noch einmal betonen: Die Bundes-
egierung wird mit dem Gewebegesetz ausschließlich
ie Qualitäts- und Sicherheitsanforderungen der EG-
eweberichtlinie umsetzen. Dies entspricht der Staats-
raxis und ist auch mit Blick auf die Umsetzungsfrist
numgänglich.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006 6311
(A) (C)
(B) )
Der Gesetzentwurf ist mit Augenmaß vorbereitet
worden und verzichtet auf überzogene Regelungen. Das
gilt vor allem auch für die arzneimittelrechtlichen Rege-
lungen. Hier geht es insbesondere um die Vorschriften
zur Genehmigung der Entnahme von Geweben in den
Krankenhäusern, die äußerst flexibel gestaltet sind und
sogar eine Erleichterung gegenüber dem geltenden
Recht darstellen. Den Fachkreisen verbleibt genügend
Spielraum, die konkreten Entnahme- und Herstellungs-
bedingungen selber festzulegen, soweit sie nicht durch
EG-Recht vorgegeben sind. Solche fachlichen Empfeh-
lungen können dann auch Grundlage für die behörd-
lichen Entscheidungen sein.
Gelegentlich hört man Bedenken wegen der Kosten-
belastung. Sie kann aber insgesamt als gering eingestuft
werden. Wer heute schon qualitativ hochwertig Gewebe
entnimmt und verarbeitet, hat weder einen hohen Auf-
wand noch hohe Kosten zu befürchten. Auch die Gebüh-
ren für die arzneimittelrechtliche Herstellungserlaubnis
und für die Produktzulassungen sind gering angesichts
des Wertes, den Gewebearzneimittel haben können. Eine
Kommerzialisierung des Gewebesektors ist nicht zu
erwarten. Das war schon bisher nicht der Fall, obwohl
Gewebezubereitungen bereits nach geltender Rechtslage
grundsätzlich zulassungspflichtig sind. Es ist also davon
auszugehen, dass auch in Zukunft Gewebe unter gemein-
durch das Embryonenschutzgesetz und das Stammzell-
gesetz gesetzt werden, bleiben unberührt.
Ferner wird im Transplantationsgesetz der Vorrang
der Organspende verankert. Dadurch wird sichergestellt,
dass eine mögliche Organspende nicht durch eine Gewebe-
entnahme beeinträchtigt werden darf. Darüber hinaus-
gehende Forderungen, das Transplantationsgesetz zu än-
dern, das heißt Änderungen, die sich nicht aus der EG-
Geweberichtlinie ergeben, werden wir im Rahmen einer
späteren Novellierung des Transplantationsgesetzes dis-
kutieren.
Wichtig ist auch ein weiterer Punkt: Der Bundesrat
empfiehlt, die Verordnungsermächtigung im Transplan-
tationsgesetz und im Transfusionsgesetz zugunsten einer
Richtlinienkompetenz der Bundesärztekammer zu strei-
chen. Dies ist aber aus rechtlichen Gründen nicht mög-
lich. Europäische Richtlinien müssen durch die Mit-
gliedstaaten immer verbindlich – also mindestens durch
Rechtsverordnungen – umgesetzt werden.
Die Änderungswünsche des Bundesrates lassen
erkennen, dass die Länder mehrheitlich grundsätzlich
unserer Konzeption, Gewebezubereitungen dem Arznei-
mittelgesetz zu unterstellen, folgen. Einer Reihe von Än-
derungswünschen stimmen wir zu. So soll zum Beispiel
die Anonymität bei der Gewebespende grundsätzlich ge-
nützigen Bedingungen entnommen, be- oder verarbeitet
und verfügbar gemacht werden.
Ein weiterer wichtiger Bereich ist das Transplantations-
gesetz. Hier werden embryonale und fötale Organe und
Gewebe sowie Knochenmark und Zellen in den Anwen-
dungsbereich des Gesetzes einbezogen. Hierzu werden
die für die Umsetzung des europäischen Rechts notwen-
digen Regelungen getroffen. An dieser Stelle ist beson-
ders wichtig: Die ethischen Schranken, die vor allem
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ahrt werden. Ferner werden wir klarstellen, dass die
berwachung der Gewebe entnehmenden Einrichtungen
ie örtlich zuständige Behörde vornimmt. Darüber hi-
aus soll im Transfusionsgesetz eine Vorschrift zu den
ntersuchungslaboren entsprechend der Regelung im
ransplantationsgesetz aufgenommen werden.
Ich halte das für eine gute Basis, um auch im weiteren
esetzgebungsverfahren zu tragfähigen Lösungen zu
ommen.
63. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 9. November 2006
Inhalt:
Redetext
Anlagen zum Stenografischen Bericht
Anlage 1
Anlage 2
Anlage 3
Anlage 4
Anlage 5
Anlage 6
Anlage 7
Anlage 8
Anlage 9
Anlage 10
Anlage 11
Anlage 12
Anlage 13
Anlage 14
Anlage 15
Anlage 16
Anlage 17