Anlage 11
Anlage 12
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Oktober 2006 5627
(A) )
(B) )
gend auch für Kündigungen, wie die EU-Richtlinien Mittelalter waren öffentliche Hinrichtungen ein
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
* für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver-
sammlung des Europarates
Anlage 2
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Silvia Schmidt (Eisleben)
(SPD) zur Abstimmung über den Entwurf eines
Zweiten Gesetzes zur Änderung des Betriebs-
rentengesetzes (Tagesordnungspunkt 9 a)
Ich stimme dem vorliegenden Gesetzentwurf zu.
Trotzdem weise ich auf zwei Punkte in Art. 8 (Änderung
von Vorschriften im Allgemeinen Gleichbehandlungsge-
setz und in anderen Gesetzen) des Gesetzentwurfes hin,
die meiner Meinung nach europarechtswidrig sind.
Erstens. Die Änderungsvorschläge sehen vor, in § 10
AGG Regelungen zu streichen, die festlegen, wie das
AGG bei betriebsbedingten Kündigungen anzuwenden
ist. Wenn das AGG auf Kündigungen nicht anzuwenden
ist, braucht man diese Vorschriften nicht. Hier geht es
um ein grundsätzliches Problem. Das AGG gilt zwin-
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Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
Bierwirth, Petra SPD 19.10.2006
Fischbach, Ingrid CDU/CSU 19.10.2006
Friedhoff, Paul K. FDP 19.10.2006
Gröhe, Hermann CDU/CSU 19.10.2006
Dr. Kofler, Bärbel SPD 19.10.2006
Müller-Sönksen,
Burkhardt
FDP 19.10.2006
Nitzsche, Henry CDU/CSU 19.10.2006
Dr. Reimann, Carola SPD 19.10.2006
Rupprecht
(Tuchenbach),
Marlene
SPD 19.10.2006*
Schily, Otto SPD 19.10.2006
Dr. Schwall-Düren,
Angelica
SPD 19.10.2006
Stiegler, Ludwig SPD 19.10.2006
Stöckel, Rolf SPD 19.10.2006
(C
(D
Anlagen zum Stenografischen Bericht
larstellen. Die anders lautende Regelung des AGG ist
egenüber den EU-Richtlinien nachrangig. Verstößt eine
egelung des Kündigungsschutzgesetzes beispielsweise
egen die Richtlinien, ist sie unanwendbar. Mit dem Ur-
eil vom 11. Juli 2006 hat der EuGH festgestellt, dass die
ntidiskriminierungsvorschriften zwingend auf nationa-
es Kündigungsrecht anzuwenden sind.
Zweitens. Der vorliegende Gesetzentwurf befasst sich
icht mit der Fristenregelung. Die bestehende Fristen-
egelung muss dringend geändert werden. Nach dem
ortlaut des AGG muss der Beschäftigte seine Ansprü-
he auf Schadensersatz innerhalb von zwei Monaten
ach Zugang der Ablehnung der Bewerbung bzw. nach
enntnis von der Diskriminierung schriftlich geltend
achen (§ 15 Abs. 4 AGG). Tarifliche Ausschlussfristen
ind einzuhalten (§ 15 Abs. 4 Satz l AGG). Anschlie-
end hat der Benachteiligte drei Monate Zeit bis zur Kla-
eerhebung (§ 61 b ArbGG).
Die Zweimonatsfrist verstößt gegen EU-Vorgaben, da
ie die bisherige Regelung bei Diskriminierung wegen
es Geschlechts, § 611 a Abs. 4 BGB, verschlechtert.
ies verstößt gegen das EU-Verbot, den bislang bereits
rreichten Schutzstandard vor Diskriminierung durch die
euregelung abzusenken („Absenkungsverbot“). Zudem
erstößt es gegen die Forderung der EU-Richtlinien nach
inem effektiven Schutz vor Diskriminierung. Mit hoher
ahrscheinlichkeit wird diese Regelung vom Europäi-
chen Gerichtshof aufgehoben.
Gegen die Anwendung der tarifvertraglichen Aus-
chlussfristen bestehen insbesondere – bei Bewerbungen –
rhebliche europarechtliche Bedenken. Bewerber wer-
en diese sehr kurzen Ausschlussfristen nur schwer ein-
alten können, da sie zunächst nachforschen müssen,
elcher Tarifvertrag anwendbar ist. Eine klare und ein-
eutig wirksame Fristenregelung bringt Rechtsklarheit
ür Arbeitgeber und Beschäftigte und verhindert über-
lüssige Prozesse. Anzustreben ist die eine Regelung, die
ine Frist zur schriftlichen Geltendmachung von sechs
is zwölf Monaten vorsieht.
nlage 3
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Anträge:
– Für einen zukunftsfähigen europäischen
Rechtsrahmen audiovisueller Medien-
dienste – Den Beratungsprozess der EU-
Fernsehrichtlinie aktiv begleiten
– Für eine verbraucherfreundliche und Quali-
tät sichernde EU-Richtlinie für audiovisuelle
Mediendienste
(Tagesordnungspunkt 14 und Zusatztagesord-
nungspunkt 9)
Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Im
5628 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Oktober 2006
(A) )
(B) )
Schauspiel der Belustigung und der Faszination für die
Menschen. Im 19. Jahrhundert wurden sie endlich abge-
schafft und wir betrachten es als eine bahnbrechende
kulturelle Errungenschaft, reale Tötungen nicht mehr öf-
fentlich darzustellen. Doch jetzt kommen diese Bilder
wieder zurück: al-Sarkawi ließ die Enthauptung seiner
Opfer filmen. Hier in Deutschland wurden die Filme
nicht gezeigt, wohl aber in anderen europäischen Län-
dern. Moralische Kriterien, Menschenwürde und Ju-
gendschutz haben für uns einen eigenen Wert und daran
ist festzuhalten.
Wohin fuhren solche Darstellungen? Sie sind der Be-
ginn von Tabubrüchen. Die Gewöhnung an extreme For-
men von Gewalt droht, Welt- und Menschenbilder lang-
fristig unmenschlich, würdelos und wertlos werden zu
lassen. Wehret den Anfangen! Wim Wenders hat einmal
gesagt: „Die Bewusstseinsindustrie hat eine gefährli-
chere Sprengwirkung als jeder Atommeiler.“
Weil das so ist, müssen wir einen Rahmen setzen für
die Medien, die audiovisuelle Inhalte transportieren, und
das betrifft nicht nur das klassische Fernsehen, sondern
eben auch die entsprechenden neuen digitalen Dienste.
Als Konsequenz der rasanten Entwicklung der neuen In-
formations- und Kommunikationstechnologien ist die
Revision der EU-Fernsehrichtlinie unumgänglich.
Wir können es nicht zulassen, dass die neu zu bestim-
menden Regeln, denen Fernsehdienste unterliegen, rein
wirtschaftliche sind. Fernsehen ist in erster Linie ein
Kulturgut, es hat eine besondere Bedeutung für Demo-
kratie und Informationsfreiheit. Durch die Dominanz der
Bilder transportiert es – das belegen Untersuchungen –
in erster Linie Meinungen. Es ist das wichtigste Medium
der privaten und öffentlichen Meinungsbildung. Es
spielt eine zentrale Rolle dabei, wie wir unsere Werte
formen, bewahren oder verändern. Deshalb können
Fernsehdienste nicht vollständig den Marktkräften über-
lassen bleiben. Es gilt, die Balance zwischen Kultur- und
Wirtschaftsrecht einzuhalten und den Rahmen dafür zu
setzen!
Für uns gelten bei der Revision der Fernsehrichtlinie
folgende Orientierungspunkte: Wir wollen die neuen
Dienste in die bisherige EU-Fernsehrichtlinie eingebun-
den wissen. Wir wollen nicht zweierlei Recht in der TV-
und Kommunikationstechnologie. Wir wollen unsere
Standards der Menschenwürde, des Jugend- und Ver-
braucherschutzes berücksichtigt sehen. Wir wollen keine
Beiträge, die zu Hass oder Verletzung der Menschen-
würde aufrufen, weder bei uns noch im EU-Europa. Wir
wollen das Herkunftslandprinzip gesichert wissen und
damit einen Zugriff zur Beibehaltung unserer Standards.
Wir wollen aber auch eine Wettbewerbsgerechtigkeit der
europäischen Dienste gegenüber den US-amerikani-
schen und asiatischen durch eine erweiterte und auch fle-
xiblere Werbemöglichkeit. Wir erwarten weiter die Tren-
nung von Werbung und Programm, um mögliche
Manipulationen auszuschalten. Was wir nicht für vertret-
bar halten, sind Beiträge, wie sie aus unserem Nachbar-
land Dänemark berichtet werden. Hier kann rechtsradi-
kale Propaganda nahezu ungefiltert an die Bevölkerung
weitergegeben werden. Neonazismus darf auch nicht
durch die Hintertür bei uns Einzug halten!
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Für unser eigenes Fernsehen wünschen wir uns in-
altlich, dass über Europa und die Mitgliedstaaten brei-
er berichtet wird. Als Kulturpolitiker sind wir natürlich
or allem daran interessiert, dass die Beiträge zu kultu-
ellen Themen einen größeren Raum einnehmen als bis-
er. Sie gehören in das Abendprogramm, nicht ins Ab-
eits gestellt. Österreich macht es uns vor. Dort ist die
ultur ein Kernthema im Fernsehen.
Verständigen müssen wir uns auch darüber, welche
olgen die rasante technische Entwicklung für unser na-
ionales Gebührensystem hat. Die geplante Einführung
on GEZ-Gebühren für Computer und Handys jedenfalls
ehnen wir ab und befürworten nachdrücklich, dass das
is zum 31. Dezember 2006 geltende Moratorium für
euartige Rundfunkgeräte verlängert wird. Dann kann
ie Zeit für eine zielführende Debatte genutzt werden,
ie unter neuen Bedingungen die Erfassung von Rund-
unkgebühren gerecht und angemessen gestaltet werden
ollte.
Reinhard Grindel (CDU/CSU): Der Antrag der FDP
eigt deutlich: Für Sie ist Fernsehen ein Wirtschaftsgut
ie Persil oder Chappi. Ziel des Fernsehens ist für sie,
amit Geld zu machen, frei nach dem bekannten Motto
es früheren RTL-Chefs Helmut Thoma: „Der Wurm
uss dem Fisch schmecken und nicht dem Angler.“ Der
edienmacher als Menschenfischer interessiert sich für
en Menschen als Quote, aber nur für den Menschen bis
9, weil dann die werberelevante Zielgruppe endet.
Wir verstehen Fernsehen in erster Linie als Kulturgut,
ls Medium für den öffentlichen Diskurs, als – wie es in
er EU-Fernsehrichtlinie heißt – Dienstleistung für In-
ormation, Bildung und Unterhaltung. Ein Rundfunk für
lle, bei dem der Mensch nicht zum Objekt des Fernseh-
achers herabgewürdigt wird – das soll unsere medien-
olitische Richtschnur für die Richtlinie sein.
Wir sind für eine weiter gehende Flexibilisierung der
uantitativen Werberegulierungen. Wir wollen zwei
tarke Säulen des dualen Fernsehsystems in Deutschland.
ber wir sollten nicht die eine Säule zulasten der anderen
tärken. Es ist kurzsichtig, Werbeeinnahmen und Gebüh-
enaufkommen gegeneinander auszuspielen, wie die FDP
as tut. Sie verkennen den öffentlich-rechtlichen Auftrag
ur Grundversorgung. Ein weltweites Korrespondenten-
etz, Regionalprogramme, Ratgebersendungen, viele Ei-
enproduktionen – alles das kostet viel Geld, aber es ist
nverzichtbar, wenn sie das erreichen wollen, was Ziel
es Massenmediums Fernsehen sein muss: Quote und
ualität.
Qualitätssicherung heißt Verzicht auf Product Place-
ent, weil wir künftig nicht Drehbücher wollen, die nur
och Rahmenhandlung für Werbung sind. Rundfunk für
lle heißt, ein EU-einheitliches Recht auf Kurzbericht-
rstattung bei Ereignissen von großem öffentlichen Inte-
esse.
Fernsehen mit Würde, bei dem der Mensch nicht zum
bjekt verkommt, heißt ein fair ausgestaltetes Recht auf
egendarstellung, was wir jetzt erstmals mit der Fernseh-
ichtlinie auf EU-Ebene bekommen. Und es heißt umfas-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Oktober 2006 5629
(A) )
(B) )
sender Jugendschutz, unabhängig vom Übertragungsweg
und von der Frage, ob es sich um einen linearen oder
nichtlinearen Dienst handelt. Die Aufweichungstenden-
zen im FDP-Antrag dazu will die Koalition nicht.
Ich sage Ihnen, liebe Kollegen von der FDP, Sie tun
den Privaten keinen Gefallen, wenn Sie bei erfolgrei-
chen Programmen nur an die Höhe der Gewinne denken,
die man mit Fernsehen machen kann. Die Klugen bei
den Privaten führen längst die Qualitätsdebatte, weil sie
wissen, dass sich gerade ausländische Investoren nur für
die Quote interessieren.
Für mich besteht kein Zweifel, dass es unter Qualitäts-
gesichtspunkten zu begrüßen gewesen wäre, wenn dem
Springer-Verlag der Einstieg bei ProSiebenSAT.1 mög-
lich gewesen wäre.
Wenn wir über die EU-Fernsehrichtlinie diskutieren,
dann mag das in einer globalisierten Welt vielleicht pro-
vinziell klingen: aber ich wünsche mir, dass deutsche
Fernsehprogramme auch in Zukunft aus Berlin oder
Köln kommen und nicht von London oder Los Angeles
aus gesteuert werden. Ob Fernsehen noch Qualität lie-
fert, muss für uns als Politiker eine zentrale Frage sein.
Wir brauchen doch qualitativ gute Programme als Ver-
mittler zu unseren Wählern, wenn es um komplizierte
Reformen geht. Wer auf Populismus setzt, dem reicht es,
wenn über Politik nur noch im Big-Brother-Container
gesprochen wird. Der Union ist das zu wenig.
Natürlich hat Fernsehen nicht nur eine wirtschaftliche
Bedeutung, sondern eine prägende Kraft für gesellschaft-
liche Entwicklungen. Welches Bild von Familie vermit-
teln die Daily Soaps und Serien, übrigens bei privaten
wie öffentlich-rechtlichen Sendern? Es gibt nur noch eine
Serie mit einer normalen Kernfamilie: Das ist die Zei-
chentrickserie „Die Simpsons“. Die haben zwar blaue
Haare und einen rüden Umgangston, aber sie haben auch
das, was wir angesichts der demografischen Entwicklung
in unserem Land dringend brauchen: Eltern und drei Kin-
der. Kann es uns egal sein, dass im Fernsehen das gesell-
schaftliche Idealbild nur noch als Karikatur daherkommt?
An alles das müssen wir auch denken, wenn wir jetzt im
Ausschuss über die EU-Fernsehrichtlinie beraten.
Ich freue mich, dass mit Ruth Hieronymi eine erfah-
rene deutsche Medienpolitikerin die zuständige Bericht-
erstatterin im Europaparlament ist. Sie hat einen sehr gu-
ten ersten Berichtsentwurf vorgelegt. Wir sollten ihr im
Parlament und unserem Kulturstaatsminister Bernd
Neumann im Ministerrat den Rücken stärken. Dazu wer-
den CDU und CSU hier im Bundestag ihren Beitrag leis-
ten.
Christoph Pries (SPD): Die rasante Entwicklung
der so genannten Neuen Medien und die zunehmende
technische Konvergenz erfordern dringend eine Anpas-
sung der grenzüberschreitenden Regelungen. Ich freue
mich daher, dass auf politischer Ebene bei der Frage der
Notwendigkeit einer Revision der EU-Richtlinie weit-
gehend Einigkeit herrscht. Dies machen auch die heute
zur Debatte stehenden Anträge der Fraktionen von FDP
und Bündnis 90/Die Grünen in weiten Teilen deutlich.
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Das Einbeziehen der nichtlinearen Dienste in die Re-
ulierung und damit deren Ausweitung auf alle audio-
isuellen Dienste ist Konsens. Wie Sie wissen, hat
eutschland im ersten Halbjahr 2007 die EU-Ratsprä-
identschaft inne. In diesen Zeitraum fällt die erste und
weite Lesung im EU-Parlament sowie die Befassung
es Rates. Der Zeitplan bis zur angestrebten Verabschie-
ung der Richtlinie im zweiten Halbjahr 2007 ist sehr
hrgeizig, zumal die Differenzen zwischen den einzel-
en Mitgliedstaaten – dies zeigt die große Zahl der ein-
egangenen Änderungsanträge – nicht unerheblich sind.
egen der überragenden Bedeutung der Richtlinie für
inen kohärenten europäischen Rechtsrahmen kommt
er deutschen Ratspräsidentschaft eine besondere Be-
eutung zu. Wir sollten daher auf nationaler Ebene eine
öglichst allen Interessen gerecht werdende Klärung of-
ener Fragen anstreben.
Die heute zur Debatte stehenden Anträge zeigen je-
och, dass die Liberalen ihrem Ruf als Verteidiger von
artikularinteressen gerecht werden wollen. Dies offen-
art sich bereits am ersten Satz des Forderungskatalogs:
s geht nicht darum, die Revision „Zur Knebelung der
euen Medien zu missbrauchen“.
Dass die nichtlinearen Dienste einer geringeren Regu-
ierung zu unterziehen sind, wird doch weder von der
undesregierung noch von der Kommission angezwei-
elt. Die immer wieder von Teilen der Industrie vorgetra-
enen Bedenken, die Richtlinie würde die Entwicklung
er Neuen Medien behindern, sind daher auch unbegrün-
et.
Ich stimme den Antragstellern der FDP zu, dass sich
ierzulande das duale System aus öffentlich-rechtlichen
ernsehanstalten auf der einen und kommerziellen An-
ietern auf der anderen Seite bewährt hat. Sie schreiben
u Recht, dass sich das duale System „durch eine Ba-
ance der Kräfte“ auszeichnet. Im nächsten Satz Ihres
ntrages sehen Sie dieses Gleichgewicht allerdings
chon gefährdet. Noch einen Satz später diagnostizieren
ie, dieses Gleichgewicht sei gestört und müsse durch
ine Liberalisierung der Werberegelungen wiederherge-
tellt werden. Über eine, das bisher geplante Maß über-
teigende Flexibilisierung der Werberegelungen lasse
ch durchaus mit mir reden. Auch ich denke, dass es
inn macht, dass Blockwerbegebot im Hinblick auf die
öglichkeit, Einzelspots senden zu dürfen, zu lockern.
nders als Sie möchte ich jedoch, dass alle Sendeanstal-
en und nicht nur die kommerziellen von einer potenziel-
en Lockerung profitieren.
Dass die Damen und Herren von der FDP eine recht
igenwillige Vorstellung von einer „Balance der Kräfte“
aben, zeigt sich auch daran, dass sie den öffentlich-
echtlichen Rundfunkanstalten zusätzliche Einnahmen
urch Produktplatzierungen verbieten wollen. Den Pri-
aten wollen Sie dieses Recht aber selbstverständlich
ugestehen. Na, was denn nun: Hat sich unser duales
ystem nun bewährt oder nicht? Gibt es eine Balance
er Kräfte oder nicht? Ihr Antrag ist in dieser Frage ein
enig undeutlich.
Auch wenn die EU-Kommission dies derzeit noch
nders sieht: In meinen Augen ist Produktpräsentation
5630 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Oktober 2006
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(B) )
gegen Entgelt gleich Werbung. Wenn Unternehmen mit
dem Platzieren ihrer Produkte Einfluss nehmen auf die
Programmgestaltung der Sender, zwingt es diese, kom-
merzielle vor publizistische Kriterien bei der Gestaltung
des Programms anzulegen. Dies gilt auch dann, wenn
dies nur in fiktionalen Sendungen erlaubt sein soll.
Es liegt doch auf der Hand, dass Sender Programme,
in denen Produktplatzierung erlaubt ist, verstärkt in ihr
Programmbouquet aufnehmen würden, da sie damit hö-
here Erlöse erzielen könnten. Publizistische Arbeit wird
dadurch insgesamt kommerzialisiert und verliert an
Glaubwürdigkeit.
Ich für meinen Teil will nicht, dass die Programm-
gestaltung sich maßgeblich an den Wünschen der zah-
lungskräftigen Kundschaft orientiert. Bis zu meinem
Einzug in den Deutschen Bundestag vor circa einem Jahr
war ich als Redakteur tätig. Ich weiß daher sehr genau,
dass gerade die kleineren Zeitungen in einer sich wan-
delnden Medienwelt mehr denn je um ihr Überleben
kämpfen müssen. Der Kuchen in Form der für Werbung
eingesetzten Mittel wird durch die Konvergenz der
Medien und durch die neuen Werbeportale nicht größer;
er wird lediglich anders verteilt. Dies wird bei den tradi-
tionellen Werbeträgern, so auch bei den Zeitungen, zu
Verlusten führen.
Ich lehne Product-Placement nicht nur aus sachlichen
Gründen ab und weil es meinen Vorstellungen von jour-
nalistischer Arbeit widerspricht. Nein, ich lehne es auch
ab, weil die vonseiten der FDP angestrebte Umvertei-
lung von Werbemitteln in die Taschen der privaten
Rundfunkanbieter für viele Redaktionen das Aus bedeu-
ten würde.
Ein Wort noch zum Recht auf Kurzberichterstattung,
welches in der Richtlinie der EU ausdrücklich vorgese-
hen ist, im Europäischen Parlament mehrheitlich befür-
wortet wird und in den Augen der Liberalen nur denen
zukommen soll, die sich leisten können, die Urheber an-
gemessen zu bezahlen: Auch wenn die Einzelheiten des
Kurzberichterstatterrechts noch ausgestaltet werden
müssen: Ich halte es angesichts der fortschreitenden
Kommerzialisierung von Ereignissen und Veranstaltun-
gen und der damit einhergehenden Exklusivität für unab-
dingbar, dass die Öffentlichkeit an gesellschaftlich rele-
vanten Ereignissen teilhaben kann. Ich möchte Sie daran
erinnern, dass das Bundesverfassungsgericht bereits An-
fang 1998 entschieden hat, dass die grundgesetzlich de-
finierte Rundfunkfreiheit beschnitten wird, wenn ein
einzelner Sender alle anderen von der Berichterstattung
ausschließen kann. Mit anderen Worten: Unser Verfas-
sungsrecht sieht vor, dass Urheber- und Leistungsrechte
beschränkt werden dürfen, wenn dadurch das Recht auf
Zugang zu gesellschaftlich relevanten Informationen ge-
sichert wird. Dass diese Rechtsprechung nun auf EU-
Ebene übertragen werden soll, macht deutlich, dass auch
die Kommission die Zukunftsfähigkeit dieser Entschei-
dung des Bundesverfassungsgerichtes richtig einordnet.
Jörg Tauss (SPD): Wir beraten heute in erster
Lesung den Antrag der Fraktion der FDP „Für einen
zukunftsfähigen europäischen Rechtsrahmen audiovisu-
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ller Mediendienste“ und den Antrag der Fraktion Bünd-
is 90/Die Grünen „Für eine verbraucherfreundliche und
ualität sichernde EU-Richtlinie für audiovisuelle Me-
iendienste“. Hintergrund ist die anstehende Revision
er aus dem Jahr 1989 stammenden Richtlinie „Fernse-
en ohne Grenzen“, für deren Neufassung die Europäi-
che Kommission am 13. Dezember 2005 den Vorschlag
ür eine Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste
orgelegt hat. Seit dem 21. August 2006 liegt der Ent-
urf eines Berichtes des Ausschusses für Kultur und
ildung des Europäischen Parlamentes mit zahlreichen
nderungsvorschlägen vor. Das Europäische Parlament
ird im Dezember oder im Januar 2007 die erste Lesung
bschließen. Mit der Verabschiedung der Richtlinie ist
nach der Befassung des Rates der Europäischen Union
nd der zweiten Lesung im Europäischen Parlament –
ermutlich im zweiten Halbjahr 2007 zu rechnen. Wie
as Europäische Parlament hat auch der Ausschuss für
ultur und Medien im Mai dieses Jahres ein sehr um-
angreiches Expertengespräch zum Richtlinienentwurf
urchgeführt.
Das Kernstück des Kommissionsvorschlages – und
ier herrscht ja weitgehende Einigkeit, wird dies doch
owohl seitens der Fraktion der FDP wie auch seitens
er Fraktion Bündnis 90/Die Grünen begrüßt – ist die
rweiterung des Geltungsbereiches auf alle audiovisuel-
en Mediendienste. Hierzu führt die Kommission eine
eue Unterscheidung ein, nämlich die Unterscheidung in
ineare und nichtlineare Dienste. Zu den linearen audio-
isuellen Diensten gehören alle Dienste, die nach einem
estgelegten Programmplan verbreitet werden, wie das
erkömmliche Fernsehen, Internetfernsehen oder Live-
treaming. Zu den nichtlinearen Diensten zählen alle
udiovisuellen Dienste, die auf Abruf angeboten wer-
en. Entsprechend dem neuen Geltungsbereich soll die
ichtlinie „Fernsehen ohne Grenzen“ daher auch in
Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste“ umbe-
annt werden. Es ist zu begrüßen, dass die jeweilige Re-
elungsdichte von der Bedeutung für die Meinungsre-
evanz abhängig sein soll. Mit diesem abgestuften
egelungsrahmen soll ein Mindeststandard in allen
udiovisuellen Mediendiensten sichergestellt werden,
eispielsweise zum Jugend- und Verbraucherschutz,
um Schutz der Menschenwürde und der Sicherung der
ulturellen Vielfalt.
Aus unserer Sicht ist eine Revision der Fernsehricht-
inie dringend geboten. Die Rahmenbedingungen für das
ernsehen und die neuen audiovisuellen Dienste haben
ich seit dem In-Kraft-Treten der Fernsehrichtlinie
rundlegend verändert. Die technische Konvergenz der
ommunikationsnetze und -geräte wie auch der Medien-
nhalte und die deutlichen Veränderungen der Medien-
utzung machen eine Neufassung der Richtlinie und eine
usweitung des Geltungsbereiches dringend erforder-
ich. Der Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie
ber audiovisuelle Dienste bietet eine gute Beratungs-
rundlage, wenngleich es bei einigen Punkten aus unse-
er Sicht noch erheblichen Diskussionsbedarf gibt. Dies
ilt insbesondere für den Komplex Produktplatzierun-
en, welche die Kommission in Zukunft ermöglichen
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Oktober 2006 5631
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möchte. Auf diesen Punkt ist mein Kollege Christoph
Pries ja bereits eingegangen.
Mit der Revision der Richtlinie sollen auch die Werbe-
beschränkungen flexibilisiert werden. Gegen die von der
EU-Kommission vorgeschlagenen Flexibilisierungen bei
den quantitativen Werberegulierungen – zum Beispiel
was die Abstände zwischen den Werbeblöcken anbe-
langt – gibt es keine Einwände zu erheben. An den quali-
tativen Werbebeschränkungen und insbesondere an dem
Gebot der Trennung von Werbung und Programm gilt es
jedoch festzuhalten. Für die FDP-Fraktion greifen diese
Liberalisierungsvorschläge zu kurz, sie plädiert für die
vollständige Aufgabe des Blockwerbegebotes und der
starren Werbeunterbrechungsregelungen. Angeblich sei
dies notwendig, damit die privaten Veranstalter im Wett-
bewerb mit dem gebührenfinanzierten öffentlich-recht-
lichen Rundfunk bestehen können. Sie verkennt damit
aber, dass sie mit dem Wegfall jeglicher Werbevorschrif-
ten nicht nur die Akzeptanz der Zuschauer und Nutzer
verlieren wird, sondern dass sie damit das bewährte
duale Rundfunksystem in Deutschland grundsätzlich in-
frage stellt. Die Feststellung im Antrag der FDP, dass
sich das deutsche duale Rundfunksystem durch die Ba-
lance der Kräfte auszeichnet, erweist sich einmal mehr
als Lippenbekenntnis. Die Koalitionsfraktionen werden
sich in ihrem Antrag im Unterschied dafür aussprechen,
dass das Zweisäulenprinzip von öffentlich-rechtlichen
Fernsehanstalten und kommerziellen Anbietern, welches
sich in Deutschland bewährt hat, nicht dadurch infrage
gestellt werden darf, dass die eine Säule des privaten
Rundfunks auf Kosten der anderen Säule des öffentlich-
rechtlichen Rundfunks gestärkt wird.
Anders als die FDP-Fraktion, die Produktplatzierung
bei fiktionalen Inhalten in Form von Spielfilmen und
Fernsehfilmen ermöglichen will, sehen wir noch erhebli-
chen Diskussionsbedarf hinsichtlich des Komplexes der
Produktplatzierungen. Die im Richtlinienentwurf vorge-
sehenen Regelungen hinsichtlich der Kennzeichnung
reichen bei weitem nicht aus, die Zuschauer vor Irrefüh-
rungen zu schützen. Auch wird mit den vorgeschlagenen
Regelungen die Programmgestaltungsfreiheit nicht hin-
reichend gesichert. Sichergestellt werden muss bei den
weiteren Beratungen des Richtlinienentwurfes, dass die
Programmgestaltung allein an publizistischen Kriterien
orientiert ist und nicht davon beeinflusst wird, dass Un-
ternehmen ihre Produkte in einem positiven Umfeld dar-
gestellt sehen wollen. Die Programmgestaltungsfreiheit
gilt für alle Formate, auch für die unterhaltenden For-
mate. Ein Verbot von Produktplatzierungen nur für Kin-
dersendungen, Dokumentationen und Nachrichtensen-
dungen sowie Sendungen zum aktuellen Zeitgeschehen
trägt daher dem Grundsatz der Programmgestaltungs-
freiheit nicht hinreichend Rechnung.
Insgesamt begrüßen wir also den Vorschlag einer
plattformunabhängigen Regelung für alle audiovisuellen
Dienste. Nur ein Rechtsrahmen, der sicherstellt, dass
gleiche Sachverhalte überall im europäischen Binnen-
markt auch gleich bewertet werden, schafft Rechts-
sicherheit für Marktakteure und Verbraucher sowie faire
Wettbewerbsbedingungen.
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Große Bedeutung hat nach unserer Auffassung – und
ier sind wir uns ja wieder weitgehend einig – das vorge-
ehene Recht auf Kurzberichterstattung. Die immer
tärker werdende Kommerzialisierung öffentlicher Ver-
nstaltungen und die zunehmende Vergabe von Exklu-
ivrechten gefährden die Möglichkeiten, über Ereignisse
it hohem Nachrichtenwert für die Allgemeinheit und
roßem öffentlichen Interesse angemessen zu berichten.
ir setzen uns dafür ein, dass die Richtlinie das Zutritts-
echt des jeweiligen Fernsehveranstalters zum Ereignis
icherstellen muss und darüber hinaus einen unmittelba-
en Zugriff auf das Sendesignal einräumen kann. Auch
ei dem vorgesehenen europaeinheitlichen Recht auf
egendarstellung gibt es zwischen den Koalitionsfrak-
ionen und der FDP-Fraktion sowie der Fraktion Bünd-
is 90/Die Grünen keine unüberwindbaren Differenzen.
leiches wird sicherlich für die Frage des Jugendschut-
es in den audiovisuellen Medien gelten und die Frage
er Anerkennung der Koregulierung als Umsetzungs-
nstrument.
Entscheidend ist, dass mit der Richtlinie ein kohä-
enter europäischer Rechtsrahmen geschaffen wird, der
icherstellt, dass für gleiche Arten von audiovisuellen
iensten unabhängig vom Übertragungsweg auch die
leichen Grundregeln gelten. Damit werden für diese
ienste im gesamten europäischen Binnenmarkt Rechts-
icherheit und gleiche Wettbewerbsbedingungen ge-
ährleistet. Die weitere Beratung und möglicherweise
uch der Abschluss der Revision der EU-Fernsehricht-
inie werden in die deutsche Ratspräsidentschaft fallen.
ch gehe davon aus, dass die Bundesregierung, diese Be-
atung der Richtlinie zu einem Schwerpunkt der deut-
chen Ratspräsidentschaft und der deutschen Medien-
nd Kommunikationspolitik auf europäischer Ebene
acht.
Auch die Koalitionsfraktionen stimmen derzeit einen
ntragsentwurf in den Arbeitsgruppen ab, sodass hier
ie Möglichkeit besteht, in den Ausschussberatungen
eitgleich die entsprechenden Anträge zu beraten. Nicht
n allen Fragen liegen die Fraktionen ja so weit auseinan-
er wie bei den Fragen der Werbung und der Produkt-
latzierung. Vielleicht gelingt es uns als Ausschuss für
ultur und Medien – ähnlich wie beim Programm „Kul-
ur 2007“ im Juni 2006 –, uns bei den Beratungen der
orliegenden Anträge auf eine gemeinsame Entschlie-
ung zu verständigen und so die Erwartungen und For-
erungen des Deutschen Bundestages parallel zu den
eratungen zur Revision der Fernsehrichtlinie im Euro-
äischen Parlament und im Europäischen Rat zu formu-
ieren. Wenn wir dies als interfraktionelle Entschließung
uf den Weg bringen wollen, müsste sich die Fraktion
er FDP allerdings bei einigen zentralen Fragen ein gan-
es Stück weit bewegen. Mit dieser Hoffnung freue ich
ich auf eine spannende Debatte in den mitberatenden
usschüssen und im federführenden Ausschuss für Kul-
ur und Medien.
Christoph Waitz (FDP): Fernsehen macht vor Gren-
en nicht Halt. Satelliten, wachsende Kabelnetze, der
ittlerweile selbstverständliche Zugang ins Internet und
berreichweiten von Fernsehsignalen machen es
5632 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Oktober 2006
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möglich, ein vielfältiges internationales Fernsehangebot
abzurufen. Wir freuen uns deshalb, dass sich der Deut-
sche Bundestag parallel zu den Beratungen im Europäi-
schen Parlament mit der Fernsehrichtlinie befasst. Schon
in diesem frühen Stadium können die Interessen
Deutschlands formuliert und sowohl in das Europäische
Parlament als auch in den Ministerrat eingespeist wer-
den.
Fast 20 Jahre ist die europäische Fernsehrichtlinie alt,
eine Richtlinie, die aus einer Zeit stammt, in der die
Digitalisierung der Medienlandschaft noch in den Kin-
derschuhen steckte, 20 Jahre, in denen uns der techni-
sche Fortschritt die Konvergenz der Medien gebracht
hat; 20 Jahre Fortschritt, die eine Anpassung der Fern-
sehrichtlinie dringend notwendig machen. Heute kennen
wir unterschiedlichste Übertragungswege, die zur Prä-
sentation gleicher Inhalte genutzt werden. Fernsehen un-
abhängig vom Übertragungsweg rechtlich gleich zu be-
handeln, ist in unseren Augen sinnvoll.
Wir Liberale begrüßen die Neuordnung der Fernseh-
regelungen auf europäischer Ebene und wollen dazu bei-
tragen, den Markt der audiovisuellen Medien auf die
künftigen Herausforderungen vorzubereiten. Oberstes
Ziel ist es, Rechtssicherheit und gleiche Wettbewerbs-
bedingungen für audiovisuelle Mediendienste im euro-
päischen Binnenmarkt zu schaffen. Darüber hinaus muss
aber auch Ziel sein, nur dort regulierend einzugreifen,
wo dies sinnvoll ist.
Deutschland wird ab dem 1. Januar 2007 die Ratsprä-
sidentschaft der Europäischen Union übernehmen. Diese
besondere Rolle müssen wir nutzen, um eine Fernseh-
richtlinie zu verabschieden, die dem technischen Fort-
schritt gerecht wird. Dies ist keine leichte Aufgabe. Die
FDP hat aus diesem Grund einen Antrag eingebracht,
der Ihnen heute zur Beratung vorliegt. Aus der Vielzahl
der Fragen möchte ich drei Themen besonders beleuch-
ten.
Die Fernsehrichtlinie reguliert erstmalig auch so ge-
nannte nicht lineare Dienste. Dabei handelt es sich um
Dienste, die zum Beispiel über das Internet empfangen
werden, Dienste wie dem Video-on-Demand. Nun wer-
den im Internet gerade von Zeitungsverlagen Platt-
formen angeboten, die auch audiovisuelle Inhalte bein-
halten. Aus verständlichen Gründen hat dies zu einer
erheblichen Verunsicherung geführt. Es ist daher richtig,
den Anwendungsbereich der Fernsehrichtlinie weiter zu
konkretisieren. Elektronische Printmedien unterfallen
zwar nach jetzigem Arbeitsstand nicht der Fernsehricht-
linie, sondern sind sogar ausdrücklich ausgenommen.
Wir teilen allerdings die Sorge der Zeitungsverleger.
Elektronische Printmedien könnten wegen zusätzlich
zum Text eingesetzter audiovisueller Begleitangebote
plötzlich den nicht linearen Medien zugerechnet werden.
Darüber hinaus besteht die Gefahr, das Entwick-
lungspotenzial der neuen Medien durch Überregu-
lierung zu hemmen. Die E-Commerce-Richtlinie gilt
auch für neue Medien. Eine Doppelregulierung durch
Fernseh- und E-Commerce-Richtlinie gilt es zu verhin-
dern. Ansonsten riskieren wir, dass die Erfolgs-
geschichte der neuen Medien in Europa bald der Vergan-
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enheit angehört. Eine Knebelung der neuen Medien
äre jetzt das falsche Signal und würde die Lissa-
onstrategie der europäischen Kommission, mit der wir
ie Wachstumskräfte in Europa mobilisieren wollen, ad
bsurdum führen.
Schon seit einigen Monaten läuft in Deutschland die
iskussion zu der Frage, ob Produktplatzierungen in
ernsehsendungen künftig erlaubt sein sollen. In unserer
radition ist Produktplatzierung als Schleichwerbung zu
ualifizieren. Wir Liberale wollen, dass Produktplatzie-
ung nur bei fiktionalen Sendungen und nur für private
ernsehsender möglich sein soll. Zusätzlich muss die
atsache einer Produktplatzierung für den Zuschauer
eutlich wahrnehmbar sein, ohne dass die Werbewir-
ung zusätzlich noch gesteigert wird. Produktplatzie-
ung in diesen engen Grenzen und nur für den privaten
undfunk zu legalisieren bedeutet, diese aus der
chmuddelecke der Schleichwerbung herauszuholen.
Ich erwähne ausdrücklich den privaten Rundfunk,
enn der öffentlich-rechtliche Rundfunk verfügt über ge-
ügend Einnahmen aus Rundfunkgebühren und kann auf
xtraeinnahmen aus Produktplatzierung verzichten.
Unsere Forderung, Produktplatzierung in den betref-
enden Sendungen kenntlich zu machen, dient der Trans-
arenz und hilft so dem Bürger, zu erkennen, wann und
o er Produktplatzierung ausgesetzt ist. Eine unbe-
usste Beeinflussung durch Schleichwerbung scheidet
n Zukunft aus. Natürlich gilt weiterhin ein Verbot von
roduktplatzierung in Kinder-, Ratgeber- oder Nachrich-
ensendungen. Betroffen wären allein Fernseh- und
pielfilme sowie Sportveranstaltungen. Dies sind die
endeformate, bei denen ein internationaler Wettbewerb
errscht.
Produktplatzierung ist in den USA auf dem Vor-
arsch. Eine Studie belegt: Einnahmen durch Produkt-
latzierung im US-amerikanischen Fernsehen werden al-
ein 2006 von 1,4 Milliarden auf 2,1 Milliarden Dollar
teigen. Das ist eine Steigerung um 47,8 Prozent. Dies
ill ich besonders den Grünen sagen, die die Bedeutung
on Produktplatzierungen in ihrem Antrag zu Unrecht
erunterspielen.
Es wird sie nicht wunden, wenn ich sage, wir Libe-
ale treten für die Aufgabe von Werbezeitbeschränkun-
en in der Fernsehrichtlinie ein. Werbung ist die Haupt-
innahmequelle für den privaten Rundfunk. Um die
ualität des privaten Programms zu erhalten, müssen
ir Möglichkeiten schaffen, die die Attraktivität der
ernsehwerbung für Werbekunden steigern. Der Ein-
elspot gehört genauso dazu wie die Aufhebung der
erbezeitbeschränkung. Der mündige Verbraucher kann
nd wird mit der Fernbedienung entscheiden, ob er ein
ngebot mit veränderter Werbestruktur annimmt.
Wir Liberale freuen uns, dass sich nun auch Kultur-
taatsminister Neumann unserer Auffassung in puncto
erbezeiten angeschlossen hat. Ich weiß, Herr
eumann kann heute nicht unter uns sein. Aber ich freue
ich, als Oppositionspolitiker einmal sagen zu dürfen:
err Neumann, wo sie Recht haben, haben sie Recht.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Oktober 2006 5633
(A) )
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Ich freue mich auf die weitere Diskussion und bitte
um Ihre Unterstützung für den Antrag der FDP-Fraktion,
damit wir mithilfe der Bundesregierung frühzeitig die
deutschen Interessen bei der Gestaltung der Fernseh-
richtlinie wahren.
Dr. Lothar Bisky (DIE LINKE): Mit Blick auf die
neuen Entwicklungen im Medienbereich ist es notwen-
dig, die EU-Fernsehrichtlinie zu revidieren. Das wird
wohl kaum jemand in diesem Hause infrage stellen. Die-
sem Anliegen dient auch der Antrag der FDP.
Eine andere Frage ist: Was wollen bzw. was können
wir in diesen Beratungsprozess einbringen und was
nicht?
Aus meiner Sicht sollte es nicht darum gehen, alte Re-
geln in ein neues Medienzeitalter zu übertragen. Dabei
würde die Regulierung immer einer rasanten Entwick-
lung hinterher hinken. Darum sollten wir davon die Fin-
ger lassen.
Eine entscheidende Frage, die uns an den europäi-
schen Harmonisierungsprozessen im Medienbereich in-
teressieren muss, ist doch: Wie geht es weiter mit dem
öffentlich-rechtlichen Rundfunk?
Für uns als Linke steht vor allem die Frage im Zen-
trum, wie öffentlich-rechtliche Angebote organisiert und
finanziert sein müssen, damit sie in guter kultureller
Qualität ihren demokratischen Auftrag erfüllen können,
ohne ständig Gegenstand von Untersuchungen der Euro-
päischen Kommission zu sein. Lassen Sie uns also vor-
rangig erörtern, wie trotz europäischer Regulierung und
Harmonisierung die Mitgliedstaaten weiterhin ihren
Rundfunk selbstbestimmt regulieren können; und zwar
nach ihren Verfassungen, ihren kulturellen Traditionen
und ihren medienpolitischen Konzepten. Das halte ich
für wichtig!
Doch nun zum kommerziellen Bereich. Die Fernseh-
richtlinie harmonisiert in erster Linie Regelungen für
grenzüberschreitende Dienstleistungen.
Es geht um Rechtssicherheit und gleiche Wettbe-
werbsbedingungen für Anbieter auf dem europäischen
Binnenmarkt. Bei kommerziellen Anbietern geht es nun
mal vor allem ums Geldverdienen und um entsprechende
Probleme kreist ja auch die Diskussion: Werberegeln,
Produktplatzierung, Zugriff auf Sendesignale usw.
Politische Verantwortung bedeutet in diesem Zusam-
menhang vor allem den Schutz von Verbraucherrechten,
wie zum Beispiel auch den Jugendschutz. Im September
erklärten die Verbraucherzentrale und mehrere Interes-
senverbände – unter anderem der Familienverband, der
Verband für Bildung und Erziehung –, dass sie aufgrund
des aktuellen Änderungsvorschlags der Europäischen
Kommission einen massiven Eingriff in das Verfas-
sungsziel des Jugendschutzes befürchten. Sie fordern,
den Jugend- und Verbraucherschutz aus dem Herkunfts-
landprinzip herauszunehmen und sie setzen sich dafür
ein, dass die nationalen Schutzbestimmungen auch für
ausländische Anbieter gelten mögen.
Ich unterstütze diese Forderungen und meine, dass die
Bundesregierung sie sich in den anstehenden Verhand-
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ungen zu Eigen machen sollte, genauso übrigens wie
en Vorschlag des Direktors des Hans-Bredow-Instituts,
errn Dr. Wolfgang Schulz, zur Produktplatzierung. Er
at in der Sachverständigenanhörung angeregt, das Re-
el-Ausnahme-Verhältnis in der Richtlinie umzudrehen.
roduct Placement wäre dann grundsätzlich verboten
nd nur in bestimmten Programmformaten wie Fernseh-
ilmen und TV-Serien erlaubt, wenn die Zuschauer und
uschauerinnen dies erkennen können. Das halte ich für
ine ausgewogene Lösung. Die gibt es beim Themen-
lacement nicht. Das sollten wir alle miteinander prinzi-
iell ablehnen. Wenn bestimmte Themen nur noch gegen
ezahlung aufgegriffen werden, dann ist es aus mit der
utonomie journalistisch-redaktioneller Arbeit.
Im Übrigen werden sich durch neue technische Mög-
ichkeiten wie auch durch veränderte Marketingformen
ie Programmstrukturen ebenfalls weiterentwickeln. Am
nde entscheiden die Zuschauerinnen und Zuschauer, ob
ie das Angebot akzeptieren oder nicht. Damit die mün-
igen Zuschauer und Zuschauerinnen auch mündig blei-
en, brauchen wir ein vielfältiges kulturelles und öffent-
ich-rechtliches Medienangebot, das durch Werbung
ngemessen begleitet werden kann, aber nicht durch sie
rstickt werden darf.
Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die
uropäische Kommission hat Ende letzten Jahres einen
orschlag zur Novellierung der Fernsehrichtlinie vorge-
egt. Dieses Vorhaben ist notwendig und richtig. Wir
üssen die Fernsehrichtlinie an die Veränderungen der
edienwelt anpassen.
1989 wurden erstmals einheitliche Mindeststandards
m Fernsehen festgelegt. Seitdem regeln die Mitglied-
taaten Werbung, Jugendschutz und Gegendarstellungs-
echt einheitlich. Die Medienlandschaft hat sich jedoch
erändert: Die Digitalisierung führt mehr und mehr zu
er Frage, was überhaupt alles Fernsehen ist und wie
ich etwa Internetangebote einheitlich regeln lassen. Die
uropäische Kommission hat darauf reagiert. Die neue
ichtlinie wird auf alle audiovisuellen Dienste, ob linear
der non-linear, ausgeweitet. Das ist sinnvoll, wird doch
hnehin in naher Zukunft Praxis sein, dass sich jeder
ein individuelles Fernsehangebot frei nach Zeitplan und
ünschen per Download zusammenstellen kann. Die
DP hält diese Anpassung an die digitale Realität für
ine Knebelung der neuen Medien. Doch davon kann
us unserer Sicht keine Rede sein. Im Gegenteil, wir fin-
en es richtig, dass die wichtigen Punkte Werbung und
ugendschutz endlich in allen Medien in Europa – auch
n den inzwischen gar nicht mehr so neuen Medien –
leich behandelt werden. Unterschiede zwischen den
erschiedenen Medien sind in der Richtlinie berücksich-
igt, weil nicht mehr pauschal, sondern abgestuft regu-
iert wird. Auch das ist positiv.
Das Europaparlament und der Rat müssen sich jetzt
or allem auf praktikable Lösungen konzentrieren – be-
onders für nichtlineare Dienste wie Video-on-Demand.
enn man sich stattdessen aber in Brüssel nur darum
emüht, alle Lobbyinteressen zu berücksichtigen, wer-
en wir am Ende ein Stückwerk in Händen halten, mit
em keiner was anfangen kann.
5634 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Oktober 2006
(A) )
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Diese Richtlinie ist von immenser Bedeutung auch
für die deutsche Medienpolitik, setzt sie doch Maßstäbe,
die unsere bisherigen hohen Standards zumindest teil-
weise infrage stellen. Wir fordern die Bundesregierung
deshalb auf, sich aktiv in den Diskussionsprozess einzu-
bringen und faule Kompromisse zu verhindern. Die EU-
Ratspräsidentschaft ab kommendem Januar bietet dazu
eine gute Gelegenheit.
Nun zu den Kernpunkten unseres grünen Antrags:
Wir wollen – im Gegensatz zur FDP und im Gegen-
satz zum derzeitigen Trend im Europaparlament keine
Produktplatzierung und auch keine Produktionsbeihilfen
europaweit zulassen. Beides stellt aus unserer Sicht
Schleichwerbung dar und täuscht somit Zuschauerinnen
und Zuschauer. Versteckte Werbung hat in Programm-
inhalten nichts zu suchen. Die Glaubwürdigkeit der In-
halte und die Unabhängigkeit von Produktionen und Re-
daktionen stehen dabei auf dem Spiel. Wir brauchen nur
einen Blick auf die USA zu werfen, wo Produktplatzie-
rungen erlaubt sind. Drehbuchautoren beklagen sich dort,
sie müssten Programminhalte um die Werbung herum
platzieren und seien in ihrer redaktionellen Entscheidung
alles andere als frei. Das wollen wir in Europa nicht. Wir
wollen nicht, dass das Zustandekommen von Produktio-
nen in Zukunft noch stärker vom Gutdünken der Werbe-
treibenden abhängt und etwa Filme nur zustande kom-
men, wenn teure Requisiten dafür lange im Bild gezeigt
werden.
Auch Spielfilme und Unterhaltungsserien – für die
die Platzierungen erlaubt sein sollen – sind aus unserer
Sicht trend- und meinungsbildend. Was mit Ratgeber-
sendungen ist, dazu schweigt sich der Richtlinienvor-
schlag bislang aus. Von der Pharmaindustrie gesponserte
Ratgebersendungen möchte ich jedenfalls nicht sehen.
Eine Beschränkung von Produktplatzierungen auf Filme
und Serien, wie sie die FDP vorsieht, genügt uns daher
nicht.
Es genügt uns auch nicht, die Produktplatzierung
vor und nach der Sendung anzukündigen: Zu oft schal-
ten Zuschauer erst im Laufe einer Sendung ein. Zappen
gehört heute einfach zur Fernsehgewohnheit der Ver-
braucherinnen und Verbraucher. Der FDP-Vorschlag, die
Platzierung auch während der Sendung kenntlich zu ma-
chen, ändert nichts am eigentlichen Problem und wird in
der Praxis nicht lange vorhalten: Wer will denn ständig
Werbeeinblendungen vor der Nase haben? Ich kann mir
kaum vorstellen, dass die Zuschauer sich nicht genervt
fühlen, wenn ständig ein Insert eingeblendet wird oder
permanent ein Hinweis am Bildrand erscheint. Das
schreckt Zuschauer ab. Gewinne bringt das der Werbe-
industrie dann keineswegs.
Ohnehin ist fraglich, wie die Werbeeinnahmen durch
Produktplatzierungen mehr werden sollen. Ich vermute
– und das bestätigen Experten, dass der Werbekuchen
nicht größer wird – die Stücke werden nur anders ver-
teilt. Werbeausgaben werden lediglich umgeschichtet.
Die FDP glaubt, mit einer Liberalisierung der Werbe-
regelung die Stellung von privaten Anbietern gegenüber
den öffentlich-rechtlichen zu stärken. Wenn aber gar
nicht mehr Geld ausgegeben wird, kann es dazu auch
nicht kommen.
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Wir bleiben also dabei: Wir wollen keine Aufhebung
es Grundsatzes der Trennung von Werbung und Inhalt!
Es gibt aber auch positive Punkte im Richtlinienent-
urf: wie etwa das Recht auf Kurzberichterstattung über
reignisse von öffentlicher Bedeutung. Wir kennen die-
es Recht in Deutschland und es hat sich bewährt. Alle
ürger in Europa sollen sich über wichtige Ereignisse
leichermaßen informieren können und das nicht nur
ber die Veranstalter, die für teures Geld die Exklusiv-
echte erworben haben. Die Richtlinie muss jedoch noch
lare Bedingungen für die Ausübung dieses Rechtes
estlegen. Die derzeitige Formulierung lässt dazu noch
ragen offen. So muss beispielsweise klar sein, ob es
ine Beschränkung des zeitlichen Umfangs geben soll
nd wie die Quelle angegeben wird. Ebenso müssen sich
ie Mitgliedstaaten darüber abstimmen, zu welchen Er-
ignissen Zugang zu gewähren ist.
Im Gegensatz zur FDP lehnen wir eine Quote für eu-
opäische Produktionen nicht gänzlich ab. Eine Quote
ei europäischen Werken macht aus unserer Sicht insbe-
ondere für die linearen Dienste Sinn. Wir wollen damit
uropäische Produktionen im Rundfunk und – damit eng
erbunden – insbesondere unabhängige Produzenten för-
ern.
Die FDP behauptet, die europäische Quote würde
icht zur Qualitätssteigerung beitragen – das ist Unsinn.
iemand kann behaupten, Sender wie Arte, die eine fest-
elegte Anzahl an Koproduktionen zeigen, hätten ein
ualitätsproblem. Auch glaubt die FDP, Quoten würden
um Schutz nicht wettbewerbsfähiger Anbieter beitra-
en. Das macht eines mehr als deutlich klar: Die FDP
ersteht unser Fernsehprogramm nicht als Kulturgut –
ondern als reines Wirtschaftsgut. Uns geht es hier nicht
m Wettbewerb – sondern darum, den europäischen Ge-
anken auf unterschiedlichen Ebenen umzusetzen.
urch Koproduktion können sich sowohl die an der Pro-
uktion Beteiligten als auch die Zuschauer ein Bild von
nderen Ländern machen. Vorurteile werden abgebaut.
Bei nichtlinearen Diensten muss allerdings ein ande-
er Maßstab angesetzt werden: Hier sind aber Mindest-
nvestitionsverpflichtungen denkbar. Auch eine Gewähr-
eistung, dass europäische Inhalte in den Katalogen
zum Beispiel bei Video-on-Demand-Angeboten – an
rominenter Stelle zu finden sind, wäre ein Ansatz.
Ich hoffe, die Bundesregierung nutzt in ihrer Rats-
räsidentschaft die Zeit, um verbraucherfreundliche
spekte in den Beratungsprozess einzubringen. Die be-
tehende Medienlandschaft in Deutschland ist in ihrer
ielfalt einzigartig. Es muss unser aller Ziel sein, dies
eizubehalten. Wir hoffen daher auf Ihre Unterstützung
nseres Antrags.
nlage 4
Zu Protokoll gegebene Rede
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu
dem Protokoll vom 1. Juni 2006 zur Änderung
des am 29. August 1989 unterzeichneten Ab-
kommens zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und den Vereinigten Staaten von
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Oktober 2006 5635
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Amerika zur Vermeidung der Doppelbesteue-
rung und zur Verhinderung der Steuerverkür-
zung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkom-
men und vom Vermögen und einiger anderer
Steuern (Zusatztagesordnungspunkt 10)
Dr. Axel Troost (Die Linke): Ich möchte Sie an De-
batten erinnern, die wir hier vor einigen Monaten geführt
haben: Vor einigen Monaten haben wir hier Maßnahmen
diskutiert, die Möglichkeiten zur Steuerumgehung redu-
zieren sollten; die dazu führen sollten, dass diejenigen
wieder mehr Steuern zahlen, die es können; die dazu
führen sollten, dass man sich nicht arm rechnen kann,
wenn man nur einen cleveren Steuer- und Unterneh-
mensberater engagiert. Schon damals haben wir gesagt:
Das geht uns nicht weit genug. Aber es gab einen breiten
Konsens darüber, dass Möglichkeiten der Steuerumge-
hung reduziert werden sollen.
Was uns jetzt aber zur Abstimmung vorliegt, ist genau
das Gegenteil davon. Kern des Vorschlages für ein neues
Doppelbesteuerungsabkommen mit den USA ist: Die
Quellensteuer auf Dividenden in Höhe von 5 Prozent
wird gestrichen.
Ich will an einem Beispiel deutlich machen, was das
heißt: Nehmen wir mal ein deutsches Unternehmen, zum
Beispiel die Deutsche Bank, das eine Tochter in den
USA hat. Heute gilt: Schüttet die US-Tochter Gewinne
an die deutsche Mutter aus, wird das heute mit 5 Prozent
in den USA besteuert. Und was schlägt die Bundesregie-
rung nun vor? In ihrem Gesetzentwurf zur Änderung des
Doppelbesteuerungsabkommens steht: Die Quellen-
steuer von 5 Prozent soll zukünftig wegfallen. Im Klar-
text: Die ausgeschütteten Gewinne sollen weder in
Deutschland noch in den USA besteuert werden! Das
widerspricht gänzlich dem Ansatz von Doppelbesteue-
rungsabkommen – die Verhinderung der mehrmaligen
Besteuerung ein und derselben Einkünfte.
Die Sache ist eigentlich ganz einfach. Darüber sind
wir uns hier im Parlament ziemlich einig: International
tätige Unternehmen und Privatpersonen müssen ihre
Einkommen versteuern – sei es in dem Land, in dem der
Hauptsitz des Unternehmens ist; sei es in dem Land, in
dem die Tochter Einkommen erzielt. Das sollte eigent-
lich selbstverständlich sein, wenn man sich das Ziel der
„Steuergerechtigkeit“ auf die Fahne geschrieben hat. Mit
dem vorliegenden Gesetzentwurf aber stellt die Bundes-
regierung das Prinzip der „Steuergerechtigkeit“ auf den
Kopf!
Nicht nur das: Der Hintergrund für dieses Doppelbe-
steuerungsabkommen ist: Seit kurzem gibt es ein ver-
gleichbares Abkommen zwischen den USA und Groß-
britannien. Für britische Unternehmen sind also bereits
heute die Gewinne ihrer US-Töchter steuerfrei. Nun
kommen natürlich die deutschen Unternehmen und sa-
gen: Das wollen wir auch, sonst haben wir in Deutsch-
land einen Standortnachteil. Was macht nun die Bundes-
regierung? Statt zum Beispiel im Rahmen der EU darauf
zu drängen, dass der Vorteil für britische Unternehmen
zurückgenommen wird, schafft sie neue Steuerschlupflö-
cher! Damit heizt die Bundesregierung den internationa-
len Steuersenkungswettlauf weiter an! Es ist doch klar,
dass die anderen Staaten hier nachziehen werden!
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Lassen Sie mich abschließend noch auf eine grund-
ätzliche Frage eingehen. Die zunehmende Internationa-
isierung bei gleichzeitigem Steuersenkungswettbewerb
wingt zum Nachdenken über Methoden zur Verhinde-
ung der Doppelbesteuerung. Das Doppelbesteuerungs-
bkommen mit den USA – das wissen die Fachleute un-
er Ihnen – unterscheidet sich von anderen Abkommen
adurch, dass die USA bei der Besteuerung von Ein-
ünften auf dem Anrechnungsprinzip beharren und nicht
uf dem Freistellungsprinzip. Das wäre auch für die
undesrepublik sinnvoll. Denn damit wären die Divi-
enden ausländischer Töchter grundsätzlich Teil des zu
ersteuernden Einkommens des Konzerns. Beim Frei-
tellungsprinzip dagegen werden die Ausschüttungen
er ausländischen Töchter, die im Ausland bereits be-
teuert wurden, völlig steuerfrei gestellt.
In den meisten anderen Doppelbesteuerungsabkom-
en wird nun aber eben nicht das Anrechnungsprinzip,
ondern das Freistellungsprinzip gewählt. Das Problem
aran: In zahlreichen Ländern werden inzwischen auf-
rund des Drucks der Wirtschaft Quellensteuern auf Ein-
ünfte, die Steuerausländer- und ausländerinnen erzie-
en, erhoben. Oder es werden grundsätzlich bestimmte
inkünfte nicht mehr oder nur noch beschränkt besteu-
rt, zum Beispiel Kapitaleinkünfte. Wenn diese aufgrund
on Doppelbesteuerungsabkommen in der Bundesrepub-
ik ebenfalls freigestellt werden, kommt es zur absurden
ituation einer gänzlichen Nichtbesteuerung. Damit
erden aber Doppelbesteuerungsabkommen auf den
opf gestellt!
Das zwingt die Bundesrepublik, über komplizierte
teuerliche Regelungen auf nationaler Ebene dafür zu
orgen, dass die weltweit erwirtschafteten Einkommen
er Steuerpflichtigen – seien es Personen oder Unterneh-
en – wenigstens einmal besteuert werden. Aktuelles
eispiel dafür: Das Jahressteuergesetz 2007, Änderung
es § 50 d Einkommensteuergesetz: Hier soll verhindert
erden, dass Unternehmen durch Gestaltungen Freistel-
ungen ihrer Einkünfte aufgrund von Doppelbesteue-
ungsabkommen in Anspruch nehmen dürfen. Derart
omplizierte Regelungen wären jedoch nicht notwendig,
ürde die Bundesregierung zur Verhinderung von Dop-
elbesteuerung von der Freistellung von Einkünften hin
ur Anrechnung der im Ausland gezahlten Steuern über-
ehen. Dies – nur ganz nebenbei – wurde auch durch den
iesbezüglich befragten Sachverständigen bestätigt.
Wir fordern daher die Bundesregierung auf, in den
iskussionen, die im Finanzausschuss anstehen, diese
nregung aufzunehmen!
nlage 5
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Neuregelung des
Hochschulzugangs und der Hochschulab-
schlüsse als Impuls zur Hochschulöffnung und
Qualitätsentwicklung nutzen (Tagesordnungs-
punkt 16)
Anette Hübinger (CDU/CSU): In den nächsten
ahren stehen die deutschen Hochschulen vor großen
erausforderungen. Laut einer Prognose der Kultus-
5636 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Oktober 2006
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ministerkonferenz wird die Zahl der Studierenden von
heute fast 2 Millionen auf über 2,6 Millionen in den Jah-
ren 2014/2015 ansteigen. Auch die fortschreitende wich-
tige Internationalisierung von Forschung und Lehre ist
eine große Herausforderung für die Hochschullandschaft
in unserem Land. Ihr Antrag – Kolleginnen und Kolle-
gen der Fraktion Die Linke – zu Hochschulzugang und
Hochschulabschlüssen bietet jedoch keine Antwort auf
diese Herausforderungen. Deshalb lehnt die CDU/CSU-
Fraktion Ihren Antrag ab.
In Ihrem Antrag fordern Sie die Rücknahme der Mög-
lichkeiten zum Ausbau individueller Auswahlverfahren
an den Hochschulen. Der zunehmenden Autonomie der
Hochschulen bei der Auswahl der Studierenden wollen
Sie ein zentral gelenktes Vergabeverfahren entgegenset-
zen. Den Herausforderungen von heute und morgen wol-
len Sie mit einem Instrument der Vergangenheit begeg-
nen.
Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt ausdrücklich die
wachsende Autonomie der Hochschulen bei der Aus-
wahl der Studierenden. Die Hochschulen sollen die
Möglichkeit haben, den passenden Studenten für den je-
weiligen Studiengang auswählen zu können. Dies trägt
zur weiteren Profilierung der Hochschulen bei.
Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt dieses Verfahren
aber auch, da es dazu beiträgt, dass der passende Student
das für ihn geeignete Studium beginnt. Die Zahl der jun-
gen Menschen, die in unserem Land ihr Studium abbre-
chen, ist nach wie vor zu hoch: Jährlich brechen mehr als
80 000 Studenten ihr Studium ohne Abschluss ab. Das
heißt, dass jeder vierte Student die Hochschule ohne Ab-
schluss verlässt – dies oft erst nach mehreren Semestern.
Nur zu oft bedeutet dies auch das Ende einer beruflichen
Ausbildung. Individuelle Auswahlverfahren wie fachspe-
zifische Studierfähigkeitstests und Auswahlgespräche,
aber auch das Heranziehen von anderen Qualifikationen
können dazu beitragen, die Zahl der Studienabbrecher zu
senken.
Kriterien, die beim Auswahlverfahren Anwendung
finden können, wie die Durchschnittsnote im Abitur,
aber auch die Ergebnisse von fachspezifischen Studier-
fähigkeitstests sind – wie Sie bereits in der Antwort der
Bundesregierung vom 11. August diesen Jahres auf Ihre
Kleine Anfrage erfahren haben – frei von den von Ihnen
vorgebrachten Einflüssen. Diese werden deshalb nicht
zu einer Diskriminierung aufgrund sozialer und kulturel-
ler Herkunft oder aufgrund des Geschlechts führen. Die
in der 7. Novelle des Hochschulrahmengesetzes festge-
legten Regelungen zum Ausbau der individuellen Aus-
wahlmöglichkeiten der Hochschulen sind gerade erst in
den Länderhochschulgesetzen umgesetzt worden. Sie
müssen zunächst ihre Wirkung entfalten. Durch regel-
mäßige Evaluierungen muss in der Zukunft überprüft
und Sorge dafür getragen werden, dass auch die Aus-
wahlgespräche nach objektiven Maßstäben erfolgen.
Die Einführung des zweistufigen Studienmodells im
Rahmen des Bolognaprozesses bedeutet nicht, wie Sie in
Ihrem Antrag darstellen, eine Einschränkung der Stu-
dienmöglichkeiten. Vielmehr bietet sie den Studenten
die Chance, ein qualitativ hochwertiges Studium zu ab-
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olvieren, sowie die Möglichkeit, unterschiedliche Qua-
ifikationen flexibel miteinander zu kombinieren. Die
DU/CSU-Fraktion bekennt sich im Koalitionsvertrag
usdrücklich zum Bolognaprozess und begrüßt die
chaffung eines Europäischen Hochschulraums. Das Ba-
helor/Master-System bietet den Studenten den Vorteil,
ass die Abschlüsse international kompatibel sind und
omit die Mobilität der Studenten gefördert wird. Da-
über hinaus kann durch die Einführung des Bachelors
ls ersten berufsqualifizierten Abschluss die Studienzei-
en deutlich verkürzt werden. Im internationalen Ver-
leich ist die durchschnittliche Studiendauer in Deutsch-
and immer noch zu lang. Nicht jeder Student plant eine
issenschaftliche Karriere, sondern will nach einem
reit angelegten, aber zugleich straffen Studium ins Ar-
eitsleben einsteigen. Für diesen Personenkreis bieten
ie Bachelorstudiengänge durch ihre Strukturierung und
urch ihren Praxisbezug eine ideale akademische Aus-
ildung. Die Personalvorstände von führenden deut-
chen Unternehmen haben wiederholt öffentlich die Ein-
ührung von Bachelor und Master begrüßt. Damit die
ualität und die Gleichwertigkeit der neuen Abschlüsse
ichergestellt wird, muss dafür Sorge getragen werden,
ass diese ohne Ausnahme durch die Akkreditierungs-
genturen akkreditiert werden.
Die notwendige Kapazitätsausweitung an den Hoch-
chulen ist derzeit auch Gegenstand der Verhandlungen
wischen dem Bund und den Ländern zum Hochschul-
akt 2020. Die CDU/CSU-Fraktion fordert in diesem
usammenhang die Verankerung der Förderung von
rauen in der Wissenschaft. Hierzu gehört auch der Aus-
au der Kinderbetreuung an den Hochschulen. Wie im
oalitionsvertrag festgelegt, fordern wir die Öffnung der
ochschulen für beruflich Qualifizierte. Das Bildungs-
ystem soll durchlässiger werden. Menschen mit abge-
chlossener Berufsausbildung soll der Weg an die Hoch-
chulen offen stehen. Die Kompetenz hierfür liegt
edoch nach wie vor bei den Ländern.
Die CDU/CSU-Fraktion sieht in der anwachsenden
ahl der Studierenden eine sehr positive Entwicklung.
ie damit zusammenhängenden Herausforderungen für
ie deutsche Hochschullandschaft sowie die fortschrei-
ende Internationalisierung von Forschung und Lehre se-
en wir als große Chance. Unser Land braucht gut aus-
ebildete junge Menschen. Unserer Verpflichtung, ihnen
en Weg zur besten Ausbildung zu bereiten, kommen
ir nach.
Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Mit ihrem An-
rag zur Neuregelung des Hochschulzugangs und der
ochschulabschlüsse formuliert die Fraktion Die Linke
ine Reihe von Kritikpunkten an Reformschritten, die im
reiten Konsens vor wenigen Jahren im Bundestag ein-
eleitet worden sind. Zugleich formuliert sie einen
trauß von Anforderungen und Vorschlägen, wie nach
hrer Auffassung diese Reformschritte nicht nur zurück-
enommen, sondern auch neu gestaltet werden sollen.
ierauf soll in einer grundsätzlichen Bemerkung und
ann in vier einzelnen Punkten eingegangen werden.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Oktober 2006 5637
(A) )
(B) )
Zunächst das Grundsätzliche: Durchaus richtig ist,
dass die Fraktion Die Linke Bezug nimmt auf die Not-
wendigkeit und die Ausgestaltung des geplanten Hoch-
schulpaktes. Wir haben dazu erst gestern im Ausschuss
eine erste Information bekommen, welchen Stand die
Verhandlungen zwischen dem Bund und den 16 Län-
dern, die jeweils mit einem eigenen Vetorecht in Bezug
auf das Gesamtprojekt nach den Ergebnissen der Födera-
lismusreform ausgestattet sind, erreicht haben. Um es
hier noch einmal klar und deutlich zu sagen: Nur durch
das beharrliche und engagierte Kämpfen insbesondere
der SPD-Bildungspolitiker und der gesamten SPD-Frak-
tion für eine erweiterte Hochschulkompetenz des Bun-
des auch in der Förderung von Lehre an den Hochschu-
len kommen wir jetzt überhaupt in die Gelegenheit,
einen qualitativ anspruchsvollen und quantitativ expan-
siven Hochschulpakt für mehr Studienkapazitäten und
bessere Lehre und Forschung an den Hochschulen auf-
zulegen. Der neu gestaltete § 91 b hat zwar den Schön-
heitsfehler, dass er Einstimmigkeit bei allen im Land vo-
raussetzt, nur bietet das zugleich auch die Chance, dass
alle Länder gleichermaßen in die Pflicht genommen wer-
den. Dieses wird beim aktuellen Hochschulpakt von ent-
scheidender Bedeutung werden, denn niemand darf sich
verabschieden aus der gemeinsamen Zielsetzung, die
Studienkapazitäten an den Hochschulen deutlich zu er-
weitern und damit auch eine bessere Lehr- und Studien-
qualität zu verbinden.
Der Parlamentarische Staatssekretär Andreas Storm
hat gestern im Ausschuss noch einmal darauf hingewie-
sen, dass die Bundesregierung sich im Rahmen dieses
Paktes nachdrücklich dafür einsetzen wird, dass nicht
nur die Stärkung der Naturwissenschaften und der Aus-
bau der Fachhochschulen, sondern auch die Förderung
von Frauen für und im Studium im Zentrum der Verein-
barungen zu stehen hat. Wir von der SPD möchten aus-
drücklich auch noch die Nachwuchsförderung im wis-
senschaftlichen Bereich über die Einbeziehung der
Juniorprofessuren verhandelt und positiv entschieden
wissen. Sieht man sich allerdings den Forderungskatalog
der Fraktion Die Linke an, so wird dieser Pakt ange-
sichts der Anforderungen, die hier von Ihnen geltend ge-
macht werden, wohl schwerlich zustande kommen kön-
nen. Damit wäre aber niemandem gedient, schon gar
nicht den jetzigen und zukünftig zum Glück anwachsen-
den Zahlen von Studierenden. Schließlich soll bei der
ersten Paktvereinbarung, für die ja seitens des Bundes
die nicht unerhebliche Summe von über 1 Milliarde Euro
und damit ein Gesamtbetrag von über 1,2 Milliarden
Euro von Bund und Ländern speziell zum Ausbau der
Lehrkapazitäten zur Verfügung gestellt werden sollen,
nicht bleiben. Denn aus einem ersten positiven Schritt
zum Hochschulpakt muss schließlich die Bereitschaft
zwischen Bund und Ländern erwachsen, später für die
entscheidenden Jahre ab 2010 bis 2015 einen erfolgrei-
chen zweiten Pakt aus den guten Erfahrungen des ersten
Schrittes fortzuführen. Mit ihren Anforderungen würde
die Fraktion Die Linke hier allerdings schon den ersten
Schritt unmöglich machen und verstolpern.
An der Realität vorbei gehen auch die Vorschläge der
Linken-Fraktion in den übrigen Punkten, selbst wenn
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ier in der Analyse auf bedenkenswerte kritische As-
ekte eingegangen wird. Nur, kritische Analyse macht
och kein besseres politisches Konzept, wenn die vorge-
chlagenen Regelungen gar nicht garantieren können,
ass die kritisch angesprochenen Fragen tatsächlich zum
esseren gelöst werden.
Erstens. So beklagt die Fraktion Die Linke, dass mit
er Neuordnung des Auswahlverfahrens an den Hoch-
chulen angeblich vor allen Dingen ein schichtspezifi-
cher Bildungshintergrund abgeprüft würde, der Stu-
ienbewerber(innen) aus entsprechenden Familien und
us finanzschwachen Elternhäusern deutlich benachteili-
en würde. Nur, wie ist es denn nach dem bisherigen
erfahren gewesen? Und hat die Fraktion Die Linke in
hrer Freude an der Analyse vollkommen ignoriert, wie
rnst die Stimmen zu vernehmen sind, die gerade bei
em Kriterium der reinen Abiturnoten im Gefolge der
ittel- und Oberschichten-Institution Gymnasium eine
ntsprechende schichtenspezifische Diskriminierung
achweisen könnten? Nein, der Weg zurück in eine Ver-
abe von Studienplätzen über eine Zentralstelle würde
icherlich die soziale Öffnung der Hochschule nicht be-
chleunigen können. Hier geht es tatsächlich vielmehr
arum, soziale Benachteiligung im Bildungsverlauf
chon sehr grundständig von der frühkindlichen Bildung
ber die Schule bis hin zur Hochschule systematisch an-
ugehen, Chancengleichheit von Anfang an zu fördern
nd auch die soziale Zugänglichkeit zur Hochschule
urch entsprechende Fördersysteme wie das BAföG
onsequent zu erhalten und möglichst auch auszubauen.
Im idealen Fall könnten die qualifizierten Auswahl-
erfahren an den Hochschulen selbst auch noch die
hance bieten, mit tatsächlich auf das Individuum abge-
timmten Bewerbungsgesprächen, Motivationsschrei-
en, Eignungstests und Auswahlverfahren allgemein die
hancen zu erweitern, die mit einem reinen Notendurch-
chnitt „wegformalisiert“ werden könnten. Der Hinweis
er Fraktion Die Linke, dass es in Bezug auf die Testge-
ühren nicht einen weiteren finanziellen Vorbehalt und
rnsthaften Grund für eine diskriminierende und belas-
ende Mitfinanzierung des Studiums geben darf, ist aller-
ings aufzunehmen, zu beobachten und gegebenenfalls
uch zu unterbinden.
Zweitens. In einem weiteren Punkt der Kritik wendet
ich die Fraktion Die Linke gegen den in Bologna ange-
toßenen Prozess einer zweistufigen Studienstruktur und
öchte erreichen, dass nicht der Bachelor, sondern der
aster der Regelabschluss an den Hochschulen werden
oll. Dies ist allerdings eine Fundamentalkritik am Bo-
ognakonzept, der wir uns nicht anschließen können.
enn natürlich hatte die Einführung der doppelten Stu-
ienstruktur von Bachelor und einem aufbauenden Mas-
er nicht nur zum Ziel, einen einheitlichen europäischen
ochschulraum zu schaffen, sondern auch das Studium
tärker zu strukturieren und einen ersten berufsbefähi-
enden Abschluss auf dem Niveau des Bachelor nach ei-
er kürzeren Studienzeit zu ermöglichen, als es früher
ür einen Studienabschluss mit Berufschancen notwen-
ig war. Dieses nun dadurch auszuhebeln, dass der Mas-
er zum Regelabschluss werden soll, würde den Bache-
or wiederum zur reinen Zwischenprüfung herabstufen.
5638 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Oktober 2006
(A) )
(B) )
Genau dieses ist im Bolognaprozess allerdings nicht be-
absichtigt.
Dass dennoch sehr sorgfältig die Ausbau- und Auf-
baumöglichkeiten des Studiums vom Bachelor zum
Master auch in den Kapazitäten zu beobachten sind und
dass es auch im Spannungsfeld von BAföG-Förderung
im Masterstudium wie der Belastung durch Studienge-
bühren keine Diskriminierung und Behinderung für ein
Masterstudium geben darf, ist genauso richtig. Diese
Fragen werden insbesondere auch vor dem Hintergrund
der erwarteten deutlich wachsenden Studierendenzahlen
und der Erfordernis, den Anteil der Studenten in
Deutschland, die einen akademischen Abschluss auch
wirklich erfolgreich erreichen, deutlich anzuheben, sehr
genau weiter zu beobachten und zu gestalten sein. Auch
deshalb legt die SPD-Fraktion sehr großen Wert darauf,
die Sicherung und die Ausgestaltung des BAföG im
Zentrum unserer Hochschulförderung für die Zukunft zu
halten.
Drittens. Die Linke problematisiert auch das von Kul-
tusministerkonferenz und Hochschulrektorenkonferenz
gemeinsam getragene Akkreditierungssystem. Aller-
dings scheint uns diese Fundamentalkritik in vielen
Punkten ebenso ansprüchlich wie abgehoben, wider-
sprüchlich wie bürokratieverdächtig. Auch kann man
den Eindruck gewinnen, dass das Akkreditierungssys-
tem zur Zauberbüchse für alles das werden soll, was in
einem noch so vernünftig gestalteten Studiengang ange-
strebt, aber nicht in jeder Hinsicht 100-prozentig reali-
siert und garantiert werden kann. Im Zuge der Gesamt-
evaluation von Studienreformen, mit der sich auch der
Bundestag in Form des Bildungsausschusses in der
Fachdiskussion befassen sollte, wird es sicherlich Gele-
genheit geben, die Einzelheiten des Akkreditierungssys-
tems noch einmal einer kritischen Überprüfung zu unter-
ziehen. Immerhin sind es ja schwere Vorwürfe, die von
der Fraktion Die Linke gegen das gegenwärtige Akkre-
ditierungsverfahren erhoben werden. Letztlich münden
sie in dem Vorwurf, dass eine umfassende fachlich-in-
haltliche Begutachtung jedes einzelnen Studienganges
nicht mehr gewährleistet ist und zudem nach studien-
fremden Gesichtspunkten vorgenommen wird. Diesem
Verdacht bzw. dieser Behauptung gar können und wollen
wir uns zum jetzigen Stand unserer Kenntnisse aus-
drücklich nicht anschließen. Und die Andeutungen der
Fraktion Die Linke, wie der Akkreditierungsrat in Zu-
kunft denn arbeiten sollte, stärkt auch nicht unser Zu-
trauen darin, dass es damit ein Verfahren von größerer
Transparenz, Praktikabilität und Fachlichkeit geben
würde. Damit hier keine Missverständnisse aufkommen:
Dumping-Wettbewerbe, Oberflächlichkeit in der Ana-
lyse und Bewertung, unkritische Verengungen und Re-
duzierungen von Studiengängen auf eine kurzfristige
ökonomische Verwertbarkeit der Studienergebnisse wür-
den auch von uns kritisiert werden, wenn sie denn tat-
sächlich die Wirklichkeit im Akkreditierungsverfahren
zutreffend beschreiben würden.
Viertens. Schließlich thematisiert die Fraktion Die
Linke die Notwendigkeit einer bundesweit einheitlichen
Regelung zur Öffnung der Hochschulen nach einer be-
ruflichen Ausbildung. Ob diese auch in die Kompetenz
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er konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes fällt und
urch die Bestimmungen des Grundgesetzes nach der
öderalismuskommission gerade ausgeschlossen ist, se-
en wir noch in der rechtlichen Prüfung. Die Regelungs-
ompetenz für Hochschulabschlüsse und Hochschulzu-
assung muss auch nach unserer Auffassung keineswegs
usschließen, dass bei der Zulassung auch der Zugang
it eingeschlossen ist, zumal wenn er sich nicht auf die
n der Länderkompetenz liegende Zugänglichkeit über
as Abitur, sondern gerade auf die in der Bundeskompe-
enz liegende berufliche Ausbildung nach Berufsbil-
ungsgesetz etc. bezieht. Allerdings müssen wir zum jet-
igen Stand zugeben, dass es hierzu noch verschiedene
uristische und insgesamt wohl eher gegenteilige Auffas-
ungen gibt. Umso stärker würde es wirken, wenn die
änder hier jenseits einer solchen Kompetenzauseinan-
ersetzung zwischen Bund und Ländern einen Weg zu
iner bundesweit einheitlichen Regelung zur Öffnung
er Hochschulen nach einer beruflichen Ausbildung fin-
en könnten. Denn das Problem ist offenbar: Wir haben
iel zu wenig qualifizierte junge Menschen, die aus einer
eruflichen Ausbildung heraus die weitere Qualifizie-
ung in einem Studium suchen und denen dieser Weg er-
öglicht wird. Selbst die Bundesländer, die hier die
rößten Anstrengungen unternehmen, wie zum Beispiel
amburg, schöpfen immer noch nur einen kleinen Teil
er Bildungskapazitäten in diesem Bereich aus. Andere
undesländer wie Bayern beginnen aktuell überhaupt
rst, den Hochschulbesuch nach einer erfolgreichen be-
uflichen Ausbildung zu ermöglichen. Umso erfreulicher
st, dass auch in der Koalitionsvereinbarung zwischen
PD und CDU/CSU dieses von uns Sozialdemokraten
eit langem verfolgte Ziel zu einem gemeinsamen Anlie-
en erklärt worden ist. Wenn dieses dann von den Frak-
ionen aus dem ganzen Haus nicht nur hier im Bundes-
ag, sondern auch in den jeweiligen Länderregionen mit
ufgegriffen und vorangetrieben werden könnte, haben
ir ja vielleicht die Chance, für einen weiteren Baustein
ür mehr Öffnung und Zugänglichkeit verschiedener Bil-
ungswege in unserem Hochschulsystem zu sorgen. Als
ozialdemokraten können wir dieses nur nachdrücklich
nterstützen.
Uwe Barth (FDP): Die Linken haben mit ihrem
ntrag ein Problem angesprochen, das wir schon oft dis-
utiert und auch in Anträge gefasst haben, zum Beispiel:
Chancen der jungen Generation durch Bildung und
usbildung verbessern“, Drucksache 15/5259. Natürlich
ind Hochschulzugang und Hochschulabschlüsse Vo-
aussetzungen für die im Grundgesetz verankerte freie
erufswahl, deshalb müssen sie diskriminierungsfrei er-
öglicht werden.
Diskriminierungsfrei heißt aber nicht: frei von Leis-
ungskriterien, auch wenn der Leistungsschwächere sich
icht selten subjektiv durch den Erfolg des Leistungs-
tärkeren diskriminiert fühlt.
Gerade uns Liberalen geht es darum, jedem Kind faire
hancen möglichst schon von Anfang an einzuräumen.
eshalb treten wir massiv für eine Verbesserung der
rühkindlichen Bildung ein. Es ist aber völlig weltfremd,
ie Augen davor zu verschließen, dass es tatsächlich el-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Oktober 2006 5639
(A) )
(B) )
ternhausbedingte Ungleichheiten gibt. Dies beklagen die
Linken in ihren – kabarettreifen oder sogar unverschäm-
ten – Bemerkungen zu den „habituellen Differenzen“
„von Studienbewerberinnen und Bewerbern aus Eltern-
häusern ohne akademischem Hintergrund“. Welche Dis-
kriminierung von solchen Elternhäusern treiben Sie, die
Linken, eigentlich mit solchen Formulierungen? Aus
welchen Elternhäusern kommen Sie?
Ich kenne etliche Akademiker und auch Kollegen hier
im Bundestag, die aus Elternhäusern ohne akademi-
schem Hintergrund kommen und die schon sehr früh
dazu erzogen wurden, „habituelle Differenzen“ oft zum
Vorteil vor schlampigen Akademikerkindern zu nutzen,
weil ihre Eltern, auch ohne akademischen Hintergrund,
das Beste für ihre Kinder wollten, sie gut erzogen und
ihnen den notwendigen Leistungswillen mitgaben.
Die Linken setzen in ihrem Antrag auf staatliche Be-
vormundung. Sie wollen keine Freiheit für die Hoch-
schulen und die Studierenden. Wir dagegen setzen auf
Selbstorganisation und Selbstbestimmung. Die Hoch-
schulen benötigen wirkliche Autonomie, um wieder an
die Spitze zu kommen. Dies gilt für Personal- ebenso
wie für Organisations- und Budgetangelegenheiten.
Hochschulen sollen sich ihre Studentinnen und Studen-
ten selbst aussuchen können, und umgekehrt sollen die
Studentinnen und Studenten die Möglichkeit haben, die
für sie beste Universität auszuwählen. Die Forderung der
Linken, die Möglichkeiten für individuelle Auswahlver-
fahren der Hochschulen wieder zurückzunehmen, ist ge-
radezu grotesk. Wir brauchen keine Zentralstelle für die
Vergabe von Studienplätzen. Das ist planwirtschaftliches
altes Denken.
Wir setzen darauf, dass die Länder zunehmend die
Budgets der Hochschulen jedenfalls auf die Lehre bezo-
gen an die Studierenden bindet. So wird ein Wettbewerb
der Hochschulen um die Studenten und um das beste
Lehrangebot in Gang gesetzt. Das Hochschulgesetz in
NRW zeigt, welchen Weg die Länder gehen können, um
Freiheit für die Hochschulen zu schaffen.
Noch ein Wort zu den Hochschulkapazitäten im Osten:
Die Studienplatzkapazitäten dieser Hochschulen müs-
sen erhalten werden. Sie sind ein Pfund beim Bemühen,
allen Studieninteressierten eine qualitativ hochwertige
Ausbildung anzubieten. Nach der Prognose „Studien-
platzkapazität“ des Centrums für Hochschulentwicklung
wird es ab 2009 einen deutlichen Überschuss an Studien-
plätzen in den neuen Bundesländern geben – 2010 be-
reits über 15 000 Studienplätze – bei einem Defizit von
46 000 Plätzen in den alten Bundesländern.
Wir fordern deshalb eine Marketing-Aktion „Go
East“ bei den Abiturienten. Wie gut das Lehrangebot ge-
rade auch an vielen Ost-Hochschulen ist, ist oft noch
nicht einmal im Osten selbst bekannt.
Wir schlagen deshalb vor, die Solidarpakt-II-Mittel
auch für Hochschulausgaben – und auch für einen be-
stimmten Teil der Personalausgaben – zuzulassen.
Bei allen politischen Differenzen muss es doch vor al-
lem um das Eine gehen: der jungen Generation so gute
Chancen wie nur möglich einzuräumen.
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Cornelia Hirsch (DIE LINKE): Mit dem vorliegen-
en Antrag fordern wir die Bundesregierung dazu auf,
in neues Hochschulzulassungsgesetz und ein neues Stu-
ienabschlussgesetz vorzulegen. Hochschulzulassung
nd Studienabschlüsse sind nach der Föderalismusre-
orm neben der Forschungspolitik die zentralen hoch-
chulpolitischen Handlungsfelder der Bundesebene. In
hrer Antwort auf eine Kleine Anfrage machte die Bun-
esregierung allerdings deutlich, dass es aus ihrer Sicht
eine Gründe gebe, in diesem Bereich aktiv zu werden.
ie Linke sieht das anders. Und wer in den letzten Jah-
en eine Hochschule von innen gesehen hat, wird uns da-
ei Recht geben. Dies möchte ich im Folgenden begrün-
en.
Zum ersten Punkt: die Hochschulzulassung. Wir alle
issen, dass das deutsche Bildungssystem soziale Un-
leichheit reproduziert. Das wird nicht nur in internatio-
alen Vergleichsstudien immer wieder nachgewiesen.
amit dürfen wir uns nicht abfinden: Es kann nicht sein,
ass der Bildungsweg junger Menschen insbesondere
om Geldbeutel ihrer Eltern abhängt. Die Bundesregie-
ung müsste sich in ihrer Hochschulpolitik daher in aller-
rster Linie dafür einsetzen, den Zugang zu den Hoch-
chulen sozial zu öffnen.
SPD und Union haben in ihrem Koalitionsvertrag in
iesem Zusammenhang zumindest ein unterstützenswer-
es Vorhaben vereinbart: Sie wollen den Berufsabschluss
ur Zugangsberechtigung für Hochschulen machen. Das
äre ein wichtiger – und längst überfälliger – Schritt zu
ehr Durchlässigkeit in unserem Bildungssystem. Auf
nsere Nachfrage, wann endlich ein solcher Gesetzent-
urf vorgelegt wird, erhalten wir von der Bundesregie-
ung nun aber die Antwort, dass sie hier entgegen der
oalitionsvereinbarung keine Neuregelung plant. Statt-
essen schiebt sie nun auch hier die Entscheidungsmacht
en Ländern zu. Für Die Linke ist es nicht hinnehmbar,
enn ausgerechnet dieser wichtige Schritt zur sozialen
ffnung der Hochschulen und zur Gleichstellung akade-
ischer und beruflicher Bildungswege auf der Strecke
leibt. Wir fordern die Bundesregierung deshalb auf,
chnellstmöglich ihre Hausaufgaben zu machen.
Daneben sind auf dem Weg zu einer sozial gerechten
ochschulzulassung weitere Schritte erforderlich: Mit
er 7. Novelle des Hochschulrahmengesetzes stärkte da-
als noch Rot-Grün das Auswahlrecht der Hochschulen.
ie Folge ist, dass es inzwischen an fast jeder Hoch-
chule individuelle Auswahlgespräche oder so genannte
tudierfähigkeitstests gibt. Das ist vor allem für Jugend-
iche aus nicht akademischen Elternhäusern ein Pro-
lem: nicht nur weil häufig Gebühren für diese Aus-
ahlverfahren anfallen und weitere Kosten von den
tudienanwärterinnen und -anwärtern selbst getragen
erden müssen, sondern auch weil hierbei immer auch
er kulturelle Habitus eine Rolle spielt. Ein Arbeiterkind
cheint eben viel schlechter in die Hochschule zu passen
ls der Sohn eines Arztes. Wer von den beiden im Zwei-
el dann den Studienplatz bekommt, dürfte klar sein. Die
undesregierung hat in einer Antwort auf eine Kleine
nfrage von uns selbst zugegeben, dass bei individuel-
en Auswahlgesprächen eine soziale Diskriminierung
icht vollständig ausgeschlossen werden kann. Wer
5640 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Oktober 2006
(A) )
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dieses aber erkannt hat, handelt unverantwortlich, wenn
er keine gesetzliche Änderung vornimmt. Wir fordern
von der Bundesregierung ein neues Hochschulzulas-
sungsgesetz, das einen sozial gerechten Zugang zu den
Hochschulen sichert.
Der zweite Punkt sind die Hochschulabschlüsse. An-
gestoßen durch den Bolognaprozess zur Schaffung eines
einheitlichen europäischen Hochschulraums werden die
Studiengänge in zahlreichen Ländern auf die Abschlüsse
Bachelor und Master umgestellt. In Deutschland wird
dieser Prozess derzeit zu einem massiven Bildungsabbau
genutzt: Während die große Masse der Studierenden sich
mit einem billigen Bachelorstudium abfinden soll, bleibt
das Masterstudium einer kleinen Elite vorbehalten. Der
Bachelor wurde von den Kultusministern als Regelab-
schluss bezeichnet. Der Zugang zum Master ist an den
allermeisten Hochschulen eng begrenzt. Diese Entwick-
lung ist für Die Linke nicht hinnehmbar. Wir fordern
stattdessen: Der Master muss Regelabschluss sein.
Das Akkreditierungssystem, das zur Anerkennung der
neuen Studiengänge geschaffen wurde, soll die Ver-
gleichbarkeit von Studiengängen garantieren, Studieren-
den damit Mobilität ermöglichen und gleichzeitig Im-
pulse für Studienreformen geben. In seiner jetzigen
Ausgestaltung kann es allerdings keine dieser Aufgaben
erfüllen. Es fehlen klare, einheitliche Mindeststandards
für Studiengänge. Das System ist zutiefst intransparent
und genügt keinerlei demokratischen Ansprüchen. Die
Studierenden, die unter schlechten Studienbedingungen
am meisten leiden, sind nach wie vor an vielen Akkredi-
tierungsverfahren unbeteiligt. Und wenn sie beteiligt
werden, dürfen sie häufig nicht selber entscheiden, durch
wen sie vertreten werden.
Immer häufiger erreichen uns Klagen von Studieren-
den, deren Studienleistungen noch nicht einmal von der
Nachbarhochschule anerkannt werden – geschweige
denn von Hochschulen in anderen Bundesländern. Bolo-
gna hat ihnen die großen Freiheit versprochen: Ein Jahr
in Berlin, eins in London, eins in Paris – so sollten die
Bachelor von morgen aussehen. Nun bleiben sie zwi-
schen Hannover und Bochum auf der Strecke. Auf die
versprochene Vergleichbarkeit der neuen Studiengänge
warten die Studierenden bis heute. Und die Bundesregie-
rung macht bislang nicht den Eindruck, als wollte sie die
Studierenden in diesem Anliegen unterstützen.
Der Bolognaprozess hat uns eine strukturelle Harmo-
nisierung der europäischen Hochschulbildung verspro-
chen. Die inhaltliche Vielfalt sollte dabei nicht einge-
schränkt werden. Die Studieninhalte scheinen nun aber
der einzige Punkt zu sein, in dem wir wirklich eine zu-
nehmende Vergleichbarkeit der Hochschulen beobach-
ten: Die Studiengänge werden auf die unmittelbare Ver-
wertbarkeit der vermittelten Qualifikationen auf dem
Arbeitsmarkt ausgerichtet. Was nicht in den Mainstream
passt, wird herausakkreditiert. Inhaltliche Pluralität oder
gar gesellschaftskritische Wissenschaft bleiben so zuse-
hends auf der Strecke. Impulse für die Lösung gesell-
schaftlicher Probleme können von den Absolventinnen
und Absolventen solcher Studiengänge wohl weniger er-
wartet werden. Diese Entwicklung ist falsch. Wir for-
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ern, dass der bundesweite Akkreditierungsrat gestärkt
nd demokratisiert wird. Das Akkreditierungssystem,
lso die Zulassung bestimmter Studiengänge an Hoch-
chulen, muss in öffentlicher Verantwortung liegen.
In dieser Woche wurde zwischen Bund und Ländern
ine erste Einigung zum Hochschulpakt erzielt. Dieser
akt darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass an den
ochschulen auch strukturelle Reformen notwendig
ind. Die Bundesregierung ist aufgefordert, hier endlich
ktiv zu werden. In diesem Sinne freuen wir uns auf die
iskussion und die Beratungen im Ausschuss zu unse-
em Antrag.
Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das
ürgerrecht auf freien Hochschulzugang ist die Grund-
age aller Diskussionen über Hochschulzulassung. Die-
es Recht impliziert für uns, dass der Hochschulzugang
icht sozial selektiv sein darf. Es darf nicht ausgehöhlt
erden durch neue Schlösser vor den Hörsaaltüren,
eien es Studiengebühren, flächendeckende NCs oder
ar fehlende Studienplätze. Deswegen muss der freie
ochschulzugang auf dem Papier durch eine demo-
rafie- und nachfragegerechte Steigerung zu wirklich
ffenen Hörsaaltüren in der Realität führen. Ein freier
nd guter Zugang beginnt nicht erst an den Hochschu-
en: Schon die Schülerinnen und Schüler müssen besser
uf die Studien- und Berufspraxis vorbereitet werden –
or allem durch die Förderung selbstständigen Arbeitens
nd Lernens. Außerdem ist eine bessere Information und
eratung zur Studien- und Berufswahl essenziell.
Um die Passung zwischen Studierenden und Hoch-
chule zu verbessern, hat Rot-Grün das individuelle
uswahlrecht der Hochschulen gestärkt. Dadurch kann
ie Zahl der Studienabbrecher gesenkt werden. Außer-
em bewerben sich aufgrund des neuen Auswahlrechts
ehr Studierende für bislang weniger begehrte Hoch-
chulstandorte, wie erste wissenschaftliche Untersu-
hungen belegen. Diese jungen Menschen steigern so
hre Chancen auf einen Studienplatz und nutzen gleich-
eitig bestehende regionale Überkapazitäten an Studien-
lätzen – ein wichtiger Faktor auch in der aktuellen
iskussion um den Hochschulpakt. Die Hochschulen
üssen nun von den Ländern konzeptionell und finan-
iell in die Lage versetzt werden, ihr Auswahlrecht an-
emessen wahrzunehmen. Keinesfalls dürfen die Kosten
ür Auswahlmaßnahmen auf die Studierenden abgewälzt
erden.
Sinnvoll erscheint ein Mix von verschiedenen Aus-
ahlinstrumenten, in dem die Abiturdurchschnittsnote
ine zentrale, aber nicht alleinige Bedeutung hat. Des
eiteren können berufliche Qualifikation – für den Zu-
ang von Menschen ohne Abitur –, fachspezifische Ein-
angstests und die Wartezeit eine Rolle spielen. Die ein-
elnen Auswahlverfahren sind kritisch im Hinblick auf
alidität, Verlässlichkeit und soziale Selektivität zu eva-
uieren, beispielsweise durch Monitoringbeiräte in den
ändern. Um einen repräsentativen Hochschulzugang
on sozial benachteiligten Gruppen zu erreichen, sollten
änder und Hochschulen im Rahmen der kriterien-
ebundenen Mittelvergabe Zielvereinbarungen treffen.
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Die Forderung der Linksfraktion nach einer Abschaf-
fung von guten Auswahlverfahren lehnen wir dagegen
ab. Sie läuft darauf hinaus, dass ausschließlich die Abi-
turnote über den Hochschulzugang entscheidet. Dies ist
sachlich nicht angemessen, eindimensional und nicht ge-
recht. Aber auch die Koalition weiß nicht, was sie will:
Der Hochschulzugang für beruflich Qualifizierte ohne
Abitur soll laut Koalitionsvertrag im Hochschulrecht ge-
öffnet und verankert werden. Passiert ist bislang nichts.
Also, was plant die Koalition? Wie will sie den Hoch-
schulzugang für beruflich Qualifizierte erleichtern?
Wir begrüßen, dass durch die Einführung der Bachelor-
und Masterstudienabschlüsse die Mobilität von Lehren-
den, Lernenden und Forschenden erleichtert, die Trans-
parenz bei der Anerkennung von Berufsqualifikationen
und Studienleistungen erhöht und der Zugang zu Bil-
dung und Weiterbildung weiter geöffnet werden sollen.
Bestehende Hürden beim Übergang vom Bachelor zum
Master – insbesondere für Frauen – müssen dabei drin-
gend erörtert und behoben werden.
Ob Mindeststandards bei Hochschulzulassung und -ab-
schlüssen bundesgesetzlich festgelegt werden sollten, ist
zu diskutieren. Wenn, dann brauchen wir eine schlanke
Regelung. Sinnlos sind neue Bundesgesetze, die, wie
von der Linksfraktion vorgeschlagen, im offenen Wider-
spruch zur Position der Länder stehen, besonders in den
Regelungsbereichen, die bisher aufgrund von Staatsver-
trägen oder im Hochschulrahmengesetz bundeseinheit-
lich gelten. Denn auch wenn, wie von Ministerin
Schavan geplant, das Hochschulrahmengesetz abge-
schafft wird – was ich für falsch halte –, gelten die in die
jeweiligen Landesgesetze eingeflossenen Regeln weiter.
Wer den Ländern aber ein umfassendes und detailliertes
Bundesgesetz vor die Nase setzt, provoziert geradezu
deren Rebellion. Jedes Land wird dann sein Abwei-
chungsrecht nutzen und eigene Gesetze erlassen. Dies
gefährdet die noch bestehende Einheitlichkeit und führt
geradewegs zu dem befürchteten gesetzgeberischen
Flickenteppich. Studentische Mobilität reicht dann nur
noch bis zur Landesgrenze.
Anlage 6
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Umsetzung der Regelungen über die Mitbestim-
mung der Arbeitnehmer bei einer Verschmel-
zung von Kapitalgesellschaften aus verschiede-
nen Mitgliedstaaten (Tagesordnungspunkt 17)
Michael Hennrich (CDU/CSU): Das Gesetz zur
Umsetzung der Regelungen über die Mitbestimmung der
Arbeitnehmer bei einer Verschmelzung von Kapital-
gesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten hat die
Eins-zu-Eins-Umsetzung des Art. 16 der Richtlinie
2005/56/EG zum Ziel. Diese Richtlinie stellt einen wich-
tigen Schritt bei den Bemühungen der Europäischen
Union um Fortschritte im Rahmen der Lissabonstrategie
dar. Sie legt fest, dass für die aus der Verschmelzung her-
vorgegangene Gesellschaft nur noch ein nationales
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echt, nämlich das des Mitgliedstaates, in dem der
auptsitz gewählt wurde, maßgeblich ist.
Die Entwicklung des europäischen Binnenmarktes
chreitet voran. Der Bedarf der europäischen Kapitalge-
ellschaften nach Kooperation und Reorganisation
ächst. Die Umsetzung der erwähnten Richtlinie trägt
iesem Bedarf Rechnung. Gleichzeitig sollen jedoch die
itbestimmungsrechte der Arbeitnehmerinnen und Ar-
eitnehmer gesichert werden.
Die CDU/CSU-Fraktion hat an der Wiege der Mitbe-
timmung gestanden und fühlt sich dieser Tradition auch
eiterhin verpflichtet. Die Mitbestimmung hat sich be-
ährt. Das sehen nicht nur die Arbeitnehmer, sondern
uch die Mehrheit der Arbeitgeber in unserem Land so.
er Mitbestimmung verdanken wir unter anderem den
ergleichsweise hohen betrieblichen Frieden.
Beim Zusammenschluss von Unternehmen auf euro-
äischer Ebene können nun aber auch für deutsche Ar-
eitnehmer die Mitbestimmungsregelungen unserer
achbarländer gelten. Mit welcher Zielvorstellung geht
er heute debattierte Gesetzentwurf an dieses Problem
eran? Das Gesetz soll die in den an der Verschmelzung
on beteiligten Gesellschaften erworbenen Mitbestim-
ungsrechte der Arbeitnehmer sichern.
Wie soll dieses im Einzelnen geschehen? Entschei-
endes Grundprinzip des Gesetzesentwurfs ist der
chutz erworbener Rechte der Arbeitnehmer durch das
Vorher-Nachher-Prinzip“. Das bedeutet, dass sich der
orhandene Umfang an Mitbestimmungsrechten der Ar-
eitnehmer grundsätzlich auch in der aus der grenzüber-
chreitenden Verschmelzung hervorgehenden Gesell-
chaft wiederfinden soll. Dabei müssen jedoch aufgrund
es grenzüberschreitenden Charakters unterschiedliche
echtslagen verschiedener Mitgliedstaaten, in denen die
erschmolzene Gesellschaft die Arbeitnehmer beschäf-
igt, berücksichtigt werden. Aus diesem Grund sieht die
ichtlinie in den Fällen des Art. 16 Abs. 2 ein der SE
der Europäischen Gesellschaft – und der SCE bekann-
es Verfahren zur Festlegung der Mitbestimmung der Ar-
eitnehmer vor. Dabei haben praxisnahe Verhandlungs-
ösungen über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer
orrang vor gesetzlich vorgeschriebenen Regelungen.
Diese Verhandlungslösung ist ein wesentlicher Bau-
tein der neuen Regelung. Die große Vielfalt unter-
chiedlicher Unternehmen erfordert unterschiedliche
artizipationsformen für die Arbeitnehmer. Vereinba-
ungslösungen schaffen Raum für differenzierte Modelle
nd passen in die europäische Entwicklung. Auch die
ichtlinie zum Europäischen Betriebsrat setzt auf Ver-
inbarungslösungen durch ein besonderes Verhandlungs-
remium. Diese Regelung ist in den 90er-Jahren unter
aßgeblicher Beteiligung des damals unionsgeführten
undesarbeitsministeriums entstanden. Ich freue mich,
ass dieser Lösungsweg auch hier erneut aufgegriffen
ird.
Was passiert aber, wenn keine Einigung erzielt wer-
en kann? Für den Fall, dass die Verhandlungen des be-
onderen Verhandlungsgremiums scheitern, enthält der
orschlag eine Auffangregelung. Dann kommt die
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Mitbestimmung kraft Gesetzes zur Anwendung und si-
chert so die Rechte der Arbeitnehmer.
Wie werten wir diese Regelungen? Insbesondere die
Sicherung der Mitbestimmung vorrangig auf dem Ver-
handlungsweg ist sehr zu begrüßen. Der Vorrang der
Verhandlungslösungen ermöglicht einen sinnvollen Aus-
gleich der in den einzelnen Mitgliedstaaten bestehenden
Rechtslagen und zugleich eine sachgerechte Anpassung
an die Bedürfnisse und Strukturen der zukünftigen Ge-
sellschaft. Zudem können durch Vereinbarungslösungen
eventuelle Nachteile der bestehenden Regelungen zur
Unternehmensmitbestimmung aufgefangen werden. In
Kombination mit der Auffangregelung, die die Mitbe-
stimmung sichert, bilden die Regelungen einen guten In-
teressenausgleich zwischen Arbeitnehmern und Unter-
nehmen.
Nun näher ins Detail: Im Rahmen des Gesetzesent-
wurfs reden wir über die Mitbestimmung auf der Unter-
nehmensebene. Wie sieht es bei uns in Deutschland da-
mit aus? Deutschland hat im europäischen Vergleich die
meisten Mitbestimmungsgesetze und die größte Anzahl
unterschiedlicher Arbeitnehmervertretungsorgane. Ins-
gesamt regeln acht verschiedene Gesetze die Mitbestim-
mung, vier davon die Entscheidungen auf Unternehmens-
ebene.
Nirgendwo sind die Mitwirkungs- und Mitbestim-
mungsrechte der Arbeitnehmer im Unternehmen so weit
gehend geregelt wie hierzulande. Die überwiegende
Mehrzahl der europäischen Länder hat im Gegensatz zu
Deutschland weitaus höhere Schwellenwerte, die festle-
gen, ab wie vielen Beschäftigten eine Arbeitnehmerver-
tretung gewählt werden kann. Beachtet man die Montan-
mitbestimmung, nimmt Deutschland eine weltweit
einzigartige Stellung ein. Kein Land kennt eine so um-
fassende Beteiligung der Arbeitnehmer und der Gewerk-
schaften in den Aufsichtsräten.
Vergleichen wir dies nun mit der Mitbestimmung in
anderen europäischen Ländern: Die betriebliche Mitbe-
stimmung ist kein exotisches, überkommenes Phänomen
der deutschen Wirtschaft. Auf betrieblicher Ebene zeigt
der Vergleich mit unseren europäischen Nachbarn: Auch
in anderen Ländern haben die Beschäftigten Anspruch
auf Mitsprache und Information, teilweise mehr als hier-
zulande. Bei der Unternehmensmitbestimmung sieht es
hingegen anders aus: Klammert man Staatsunternehmen
und die Möglichkeit der Freiwilligkeit aus, dann gibt es
in 14 der 25 Mitgliedstaaten der EU überhaupt keine Un-
ternehmensmitbestimmung. Eine paritätische Mitbe-
stimmung gibt es nur in Deutschland und Slowenien in
Unternehmen mit mehr als 1 000 Arbeitnehmern. Wenn
es eine Mitbestimmung auf Unternehmensebene in
Europa gibt, so ist dies in den meisten Fällen die Eindrit-
telbeteiligung der Arbeitnehmer, entweder im Kontroll-
organ Aufsichtsrat oder im Verwaltungsrat. Dies ist der
Fall in Luxemburg im Verwaltungsrat, in Österreich,
Polen, der Slowakischen Republik, Ungarn und Slowe-
nien – bis 1 000 Arbeitnehmer –. In Großbritannien,
Frankreich, Spanien und Belgien gibt es keinerlei Mitbe-
stimmung in den Aufsichtsräten.
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Wie wirken sich diese unterschiedlichen Regelungen
uf Deutschland aus? Durch die Entwicklung des Bin-
enmarktes gibt es einige mögliche negative Konse-
uenzen für den Standort Deutschland: Insbesondere die
roßzügigen Beteiligungsrechte in den Aufsichtsräten
ösen bei so manchem ausländischen Unternehmen si-
herlich einen Kulturschock aus. Denn kein anderes Mit-
lied der Europäischen Union schreibt eine paritätische
esetzung des Aufsichts- und Verwaltungsrates vor. An-
ererseits hat sich Daimler-Chrysler bewusst und aus-
rücklich mit der Begründung der Unternehmensbestim-
ung für den Standort Deutschland entschieden. Das
merikanische Unternehmen General Motors hat für
eine deutsche Tochter Opel die Unternehmensmitbe-
timmung ebenfalls akzeptiert.
Die europäische Gesellschaftsrechtsentwicklung lässt
ber andere Lösungen zu. Durch die Entscheidung des
uropäischen Gerichtshofes zur Niederlassungsfreiheit
ürfen künftig auch ausländische Unternehmen, die ihre
entrale nach Deutschland verlegen, die Beteiligungsge-
etze ihrer Heimat anwenden. Zieht etwa eine britische
ktiengesellschaft nach Deutschland, so gelten die Vor-
aben aus Großbritannien. Nach deutschem Recht ge-
ründete Firmen unterliegen aber weiter der deutschen
itbestimmung.
Auch infolge der Fusionsrichtlinie wird den derzeiti-
en deutschen Regeln praktisch eine Absage erteilt. So
erden die Arbeitnehmer nach einem Zusammenschluss
weier europäischer Unternehmen nur noch maximal ein
rittel der Aufsichtsratssitze im fusionierten Konzern
rhalten, außer die Verhandlungsparteien vereinbaren
reiwillig etwas anderes. Die Folgen sind ähnlich wie die
onsequenzen der Niederlassungsfreiheit: Künftig wer-
en hierzulande sowohl Betriebe mit paritätischer Mit-
estimmung als auch Firmen mit weniger Mitsprache
hre Zentrale haben.
Als letztes noch das Stichwort „Europäische Aktien-
esellschaft“: Unternehmen können seit kurzem eine Eu-
opäische Aktiengesellschaft – SE – bilden. Zuvor müs-
en sich Beschäftigte und Unternehmensleitung jedoch
uf ein Mitbestimmungsmodell verständigen. Schaffen
ie das nicht, muss sich das gesamte Unternehmen an die
eitestgehenden Regelungen halten, die eine der be-
eiligten Gesellschaften in die Liaison einbringt. Die
llianz gehört zu den Pionieren dieser Entwicklung. Wir
üssen erst noch sehen, welche Erfahrungen wir mit der
euen Rechtslage machen.
Angesichts der veränderten Rechtslagen und neuen
ntwicklungen, deren Ausgang noch abzuwarten ist,
üssen unsere Mitbestimmungsgesetze erneuert wer-
en. Die Praxis der Mitbestimmung wird sich in
eutschland schon aufgrund der erwähnten gesell-
chaftsrechtlichen Gesetzgebung der Europäischen
nion, der Rechtsprechung des Europäischen Gerichts-
ofes sowie des internationalen Standortwettbewerbs
hnehin ändern. Deutschland kann sich dieser Entwick-
ung, die aus dem Wettbewerb der Gesellschaftsrechts-
ysteme entsteht, also nicht entziehen.
Die deutschen Regelungen haben viele Vorteile. Die
eteiligung kann etwa die Identifikation der Belegschaft
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Oktober 2006 5643
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mit dem Unternehmen steigern und den betrieblichen
Frieden sichern. Gemeinsame Konfliktbewältigung, Ein-
bindung in Entscheidungsprozesse und Übernahme der
Mitverantwortung von Arbeitnehmern stellen gerade in
Zeiten wirtschaftlicher Umbrüche entscheidende posi-
tive Elemente dar. Insbesondere die Gewerkschaftsver-
treter sehen in der Mitbestimmung eine Bestimmungs-
größe für die bisherigen wirtschaftlichen Erfolge
Deutschlands und fordern aus diesem Grund sogar ihre
Ausweitung.
Auf der anderen Seite steht die Mitbestimmung aber
als Belastung für das Wirtschaftswachstum und die wei-
tere wirtschaftliche Entwicklung in der Diskussion. Fle-
xible Mitbestimmungsregelungen können einen ent-
scheidenden Beitrag für Deutschland als attraktiven
Standort leisten und der oben angesprochenen Entwick-
lung entgegensteuern. Beispielsweise werden immer
wieder die Größe der Aufsichtsräte und deren Zusam-
mensetzung, das heißt nur Betriebszugehörige oder auch
betriebsfremde Mitglieder, ins Gespräch gebracht.
Wie heftig die unterschiedlichen Ansichten diskutiert
werden, hat sich auf dem Deutschen Juristentag im Sep-
tember erneut gezeigt: Hier führten insgesamt unüber-
brückbare Ansichten dazu, dass einvernehmlich auf eine
Kampfabstimmung verzichtet wurde, um die weitere
Dialogfähigkeit nicht zu gefährden.
Allen Beteiligten ist jedoch klar, dass sich das Mitbe-
stimmungsrecht an die neuen Anforderungen anpassen
muss. Fest steht: Es geht nicht um die Abschaffung der
Unternehmensmitbestimmung, sondern es geht darum,
sie europatauglich auszugestalten. Derzeit arbeitet eine
Kommission unter Leitung von Professor Dr. Kurt
Biedenkopf Reformvorschläge aus. Ausgehend vom gel-
tenden Recht soll sie bis Ende des Jahres Vorschläge für
eine moderne und europataugliche Weiterentwicklung
der deutschen Unternehmensmitbestimmung erarbeiten.
Die Regierungskommission beschäftigt sich dabei mit
der strategischen Frage, wie die Mitbestimmung in
Deutschland unter den veränderten Rahmenbedingungen
der Weltwirtschaft gesichert werden kann. In unserem
Koalitionsvertrag steht: „Wir werden die einvernehmlich
erzielten Ergebnisse der Kommission aufgreifen und so-
weit erforderlich und geboten Anpassungen der nationa-
len Unternehmensmitbestimmung vornehmen.“
Wir brauchen Regelungen, die die Wettbewerbsfähig-
keit der deutschen Unternehmen stärken und grenzüber-
schreitende Kooperationen, Fusionen und Sitzungsverle-
gungen aus dem Ausland nach Deutschland, aber auch
umgekehrt, so einfach wie möglich machen. Denn bei al-
len widerstreitenden Interessen im Mitbestimmungsrecht
sollten wir eines besonders im Auge behalten:
Es geht zunächst darum, wie Deutschland im europäi-
schen Vergleich dasteht. Schon oft sind aus Europa posi-
tive Impulse für unser Land gekommen. Es lohnt sich,
diese aufzunehmen und weiterzuentwickeln. Das Bench-
marking der Europäischen Union kann einen guten Weg
aufzeigen. Wir können einen wertvollen Impuls für die
Entwicklung der Mitbestimmung in Deutschland auf-
nehmen. Insofern hoffe ich, dass die Vorschläge der
Biedenkopf-Kommission uns Gelegenheit geben wer-
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en, über die angesprochenen Verhandlungslösungen
uch auf deutscher Ebene zu diskutieren. Die Menschen
n den Betrieben müssen und dürfen sich Gedanken ma-
hen über die Ausgestaltung ihrer Rechte. Sie haben die
rößte Nähe zu den Erfordernissen der Belegschaft und
es Unternehmens. Durch den Verhandlungsvorrang
ird eine Prägung durch den Subsidiaritätsgrundsatz,
er sich als Leitlinie durch unser und auch das europäi-
che Rechts- und Gesellschaftssystem zieht, auch im
itbestimmungsrecht möglich. Davon lassen sich fle-
ible und maßgeschneiderte Mitbestimmungslösungen
ür die Unternehmen und damit auch für die Arbeitneh-
er positive Auswirkungen erhoffen.
Es geht aber um noch mehr: Nicht nur Deutschland
ls einzelnes Land, sondern auch Europa als Ganzes
uss sich im Weltmarkt behaupten. Die Richtlinien-
msetzung ist daher zu begrüßen, da sie den Wirtschafts-
tandort Europa stärken wird.
Wir kommen heute der Aufforderung der Europäi-
chen Union nach und übertragen die Richtlinie 2005/
6/EG durch den heute vorliegenden Gesetzesentwurf
ins zu eins in deutsches Recht. Zugleich setzen wir ein
eichen, dass unser Mitbestimmungsrecht in Bewegung
ommt und beweglicher wird.
Anette Kramme (SPD): „Die Mitbestimmung der
rbeitnehmer in den Unternehmensorganen ist nicht nur
olitisch gefordert und historisch gegeben, sondern
achlich notwendig.“ So lautete der Eingangssatz der
mpfehlungen der ersten Mitbestimmungskommission
nter Professor Kurt Biedenkopf. Das sah damals auch
ie Mehrheft der Abgeordneten so: In diesem Jahr konn-
en wir 30 Jahre Mitbestimmungsgesetz feiern. Die Mit-
estimmung ist mittlerweile ein nicht wegzudenkender
eil unserer sozialen Marktwirtschaft geworden. Auch
ie deutsche Bevölkerung möchte die Unternehmensmit-
estimmung nicht mehr missen. „Das deutsche Modell
er Unternehmensmitbestimmung hat sich bewährt, des-
alb sollte man es erhalten.“ Dieser Aussage stimmen
aut einer Umfrage von TNS Emnid vom August 2006
3 Prozent zu.
In Europa haben wir verschiedene Traditionen, was
ie Beteiligung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
er am Wirtschaftsleben angeht. Die deutsche Mitbe-
timmung wird jedoch zu Unrecht als Exot dargestellt:
8 von 25 EU-Mitgliedstaaten kennen eine Mitbestim-
ung von Arbeitnehmern oder deren Vertretern im
öchsten Unternehmensorgan. Man weiß also auch in
nderen Staaten, dass die Beteiligung von Arbeitneh-
ern an Entscheidungsprozessen der Unternehmen sinn-
oll ist. Nicht umsonst beneidet man Deutschland wegen
es sozialen Friedens in unseren Betrieben.
Die Diskussion um die Fusionsrichtlinie, mit der die
erschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschie-
enen Mitgliedstaaten erleichtert werden soll, war sehr
ontrovers. Letztendlich ist ein gutes Ergebnis herausge-
ommen. Die alte Bundesregierung hat – und das mit Er-
olg – dafür gekämpft, dass die europäische Fusions-
ichtlinie mitbestimmungsfreundlich ausgestaltet wird.
n Anlehnung an die Regelungen des Gesetzes über die
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Beteiligung der Arbeitnehmer in der Europäischen Ge-
sellschaft wird in der Fusionsrichtlinie sichergestellt,
dass die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer gut vertreten werden können.
Unter folgenden Voraussetzungen greift das Sitzstaat-
recht deshalb nicht und es kommt zur Verhandlungslö-
sung.
Das ist der Fall, wenn erstens eine der an der grenz-
überschreitenden Verschmelzung beteiligten Gesell-
schaften mitbestimmt ist und in den sechs Monaten vor
der Veröffentlichung des Verschmelzungsplans in der
Regel mehr als 500 Arbeitnehmer beschäftigte, oder
wenn zweitens das innerstaatliche Recht, das für die aus
der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorge-
hende Gesellschaft maßgeblich ist, nicht mindestens den
gleichen Umfang an Mitbestimmung, wie er in den je-
weiligen an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaf-
ten bestand, gewährleistet oder wenn drittens das für die
aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorge-
hende Gesellschaft maßgebende innerstaatliche Recht
Arbeitnehmern in Betrieben anderer Mitgliedstaaten
nicht den gleichen Anspruch auf Ausübung von Mitbe-
stimmungsrechten wie denjenigen Arbeitnehmern ge-
währt, die am Sitzstaat der Gesellschaft beschäftigt sind.
Regelmäßig werden zwei der genannten Vorausset-
zungen bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung
zu einer Kapitalgesellschaft mit Sitz in Deutschland er-
füllt. Einerseits stimmt der Schwellenwert mit den Vor-
gaben des Drittelbeteiligungsgesetzes überein. Anderer-
seits haben die in einem anderen Mitgliedstaat
beschäftigten Arbeitnehmer der Gesellschaft nicht den
gleichen Anspruch auf Ausübung von Mitbestimmungs-
rechten.
Seit einigen Jahren ist die Unternehmensmitbestim-
mung wieder Gegenstand wissenschaftlicher und politi-
scher Kontroversen. Als Klotz am Bein und unzeitge-
mäß wird die Mitbestimmung betitelt. BDA und BDI,
sekundiert von der FDP, fordern regelmäßig eine „An-
passung“ der deutschen Mitbestimmung an den europäi-
schen Standard, was nichts anderes ist als die Forderung
nach Abbau von Mitbestimmungsrechten. Interessant ist,
dass vor allem die deutschen Verbandsvertreter über den
angeblich so wenig attraktiven Standort Deutschland
lamentieren. Die deutsche Mitbestimmung wirke ab-
schreckend auf ausländische Konzerne, heißt es immer
wieder.
Aus dem Ausland sind jedoch ganz andere Stimmen
zu vernehmen. „Wer die deutsche Mitbestimmung in-
frage stellt, riskiert Produktivitätsverluste der deutschen
Wirtschaft.“ Das sagte zum Beispiel der amerikanische
Wirtschaftsforscher Edward Lazear von der Stanford
University. Nach einer veröffentlichten Studie der Unter-
nehmensberatung Ernst & Young von 2006 ist Deutsch-
land aus Sicht international tätiger Unternehmen der
attraktivste Standort in Europa. Von den 767 Unterneh-
men, die dem deutschen Mitbestimmungsgesetz unter-
liegen, gehören rund 30 Prozent zu ausländischen Kon-
zernen. So abschreckend, wie behauptet, kann unsere
Mitbestimmung folglich nun wirklich nicht sein. Nach-
haltiges Wachstum ist eher zu erreichen, wenn die Men-
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chen an den grundsätzlichen Unternehmensentschei-
ungen beteiligt sind.
Heinz-Peter Haustein (FDP): Durch die europäi-
che Integration haben wir heute wieder einmal Anlass,
ber die Mitbestimmung zu reden. Wir alle müssen ein
nteresse an einer zügigen Umsetzung der hier zur
ebatte stehenden europäischen Verschmelzungsricht-
inie haben, um die bestehende Rechtsunsicherheit für
iejenigen Unternehmen zu beseitigen, die sich mit dem
edanken tragen, grenzüberschreitend zu fusionieren.
ie hier in Rede stehenden Regelungen betreffen in-
irekt auch Fragen, die zur Aufgabenstellung der so ge-
annten Biedenkopf-Kommission gehören, die sich mit
er Mitbestimmung befasst. Daher wäre es ratsam, die
rgebnisse eben dieser Kommission abzuwarten, die
nde dieses Jahres vorgelegt werden sollen, um eine Be-
achteiligung deutscher Unternehmen und damit des
anzen Standortes Deutschland möglichst gering zu hal-
en. Die FDP hält dies schon für den ersten Fehler.
Der vorgelegte Entwurf lehnt sich an die Vorschriften
es Gesetzes über die Beteiligung der Arbeitnehmer in
iner europäischen Gesellschaft – SE: Societas Euro-
aea –, des SE-Beteiligungsgesetzes an. Er setzt im We-
entlichen die zwingenden Regelungen der Richtlinie
ber die Arbeitnehmerbeteiligung bei grenzüberschrei-
enden Verschmelzungen um. Aber genauso, wie beim
EBG nutzt auch er nicht die vorhandenen Flexibilitäts-
pielräume.
Die FDP teilt die grundsätzlich richtige Einschätzung
us der Gesetzesbegründung, hier werde die Möglichkeit
röffnet, speziell auf die Situation der geplanten Gesell-
chaft zugeschnittene Regelungen zu treffen. Neben den
ekannten Formen könnten so neue Konzepte und Ver-
ahren der Mitbestimmung entwickelt werden. Aber
iese Einschätzung aus der Gesetzesbegründung geht an
er so genannten Auffangregelung vorbei, die bei einer
eteiligung deutscher mitbestimmter Unternehmen an
renzüberschreitenden Fusionen eine freie Aushandlung
on Mitbestimmungsregeln nur in engen Grenzen zu-
ässt.
Nur wenn von dem in der Verschmelzungsrichtlinie ein-
eräumten Umsetzungsspielraum auch Gebrauch gemacht
ürde, könnten gleichberechtigte Verhandlungen über die
itbestimmung bei Beteiligung deutscher Unternehmen
n grenzüberschreitenden Verschmelzungen gewährleistet
erden.
Die Bundesregierung fasst in ihrer Stellungsnahme in
nlage 3 zusammen: Bei der Umsetzung jener Regelun-
en, die dem Gesetzgeber Gestaltungsspielraum lassen,
rientiert sich der Gesetzentwurf an dem SE- und dem
CE- Beteiligungsgesetz und folgt damit bereits gelten-
em deutschen Recht.
Die FDP hält das für falsch. Unsere Position zur Mit-
estimmung der Arbeitnehmer in großen Unternehmen
st bekannt: Erstens. Wir fordern, die paritätische Mitbe-
timmung aufzugeben und zu einer Drittelparität als ge-
etzlichem Mindeststandard bei Nichteinigung zwischen
rbeitnehmer- und Eigentümervertretern über die Mit-
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spracherechte zu kommen. Dieses höchste Mitbestim-
mungsniveau in Europa können wir uns nicht länger leis-
ten. Es hemmt die Kapitalbeschaffung und senkt die
Aktienkurse, wie unter anderem eine Studie der Federal
Reserve Bank of St. Louis aus dem Jahr 2002 belegt. Der
faktische Konsenszwang lähmt die Arbeit des Aufsichts-
rates. Die eigentliche Aufgabe des Aufsichtsrates, näm-
lich die effektive Kontrolle des Vorstandes wird zurück-
gedrängt.
Zweitens. Das Gewerkschaftsprivileg, das gesetzlich
regelt, dass zwei Aufsichtsratsposten an Gewerkschafts-
funktionäre gehen, muss abgeschafft werden. Obwohl
der gewerkschaftliche Organisationsgrad in den Betrie-
ben stetig zurückgeht – jeder fünfte Arbeitnehmer ist
heute nur noch gewerkschaftlich organisiert –, hat die
Gewerkschaft nach wie vor Einfluss auf die Unterneh-
mensentscheidungen. Dieses Privileg muss fallen. Die
Kontrolle des Vorstandes gehört nicht in Gewerkschafts-
hände. Das können die Beschäftigten des Unternehmens
allemal besser als externe Gewerkschaftsfunktionäre.
Wenn Sie selbst das überkommene Modell der Mit-
bestimmung für so gut halten, hätten Sie Konkurrenz
zulassen können. Dann hätten wir in einigen Jahren able-
sen können, welches Modell sich durchsetzt. Stattdessen
versuchen Sie krampfhaft, das deutsche Modell in alle
Welt zu exportieren nach dem Motto: „Am deutschen
Wesen soll die Welt genesen“ ohne zu erkennen, dass
sich die Welt weiterdreht, auch ohne uns. Die Mehrheit
der Mitgliedstaaten der EU lehnt unser Modell ab. Viele
kennen nicht einmal unsere Art der Mitbestimmung. Es
geht doch nicht darum, irgendwelche Gewerkschafter
aus den Aufsichtsräten zu verdrängen. Es geht darum,
dass Deutschland für Investoren interessant ist, dass in
Deutschland investiert wird und Arbeitsplätze geschaf-
fen werden.
Erlauben Sie mir, Herrn Röttgen zu zitieren, der am
29. Oktober 2004 von diesem Pult aus gesagt hat:
Es gibt keine Grundlage dafür, zu glauben, wir
wären eine Insel in Europa und könnten noch etwas
regeln. Das wird nicht der Fall sein. Verantwortlich
handelt der, der der Unternehmensmitbestimmung
eine europäische Perspektive bietet.
Ferner heißt es in der Rede:
Wir haben nicht das Recht, den Unternehmen vor-
zuschreiben, dass dies der einzig denkbare Weg ist.
Ich kann nur sagen: Recht hat er!
Aber stattdessen gerieren sie sich wie Michael
Kohlhaas, getreu der Einstellung: Ich muss Recht be-
kommen, mag darüber auch die Welt zugrunde gehen.
Sie müssen endlich anerkennen, dass es nicht ein Natur-
gesetz ist, dass Unternehmer in Deutschland investieren,
weil dies in der Vergangenheit stets so war. Mit ihrem
Verständnis von Mitbestimmung stärken Sie nicht die
Rechte der Arbeitnehmer, sie nehmen denjenigen ohne
Beschäftigung die Chance auf einen Arbeitsplatz.
Werner Dreibus (DIE LINKE): Kanzlerin Merkel
hat auf dem Festakt des DGB zum 30-jährigen Bestehen
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er Mitbestimmung das deutsche Mitbestimmungsmo-
ell als „wesentliches Merkmal der sozialen Marktwirt-
chaft“ gewürdigt. Sie hat weiter hervorgehoben, dass
erade auch die Unternehmensmitbestimmung in den
ufsichtsräten sich als ein Erfolg erwiesen habe und da-
um bewahrt werden müsse. SPD-Chef Beck charakteri-
ierte die Mitbestimmung kürzlich als Standortvorteil.
ie mache die Arbeitswelt demokratischer, stärke den
etriebsfrieden und die Motivation der Beschäftigten.
Auch ein Blick auf unsere europäischen Nachbarn
eigt, dass die Mitbestimmung ein notwendiges und so-
ial wie wirtschaftlich erfolgreiches Element der Demo-
ratie ist. 18 von 25 europäischen Ländern haben Mitbe-
timmungsmodelle und die Mehrzahl der EU-Staaten
utzt die Mitbestimmung als Instrument der Unterneh-
enskontrolle. Auch der hohe Anteil von ausländischen
onzernen, die in Deutschland tätig sind und dem deut-
chen Mitbestimmungsgesetz unterliegen, spricht dafür,
ass das deutsche Mitbestimmungsmodell erfolgreich ist
nd eine Zukunft hat. Von den 767 Unternehmen, die
em deutschen Mitbestimmungsgesetz unterliegen, ge-
ören rund 30 Prozent zu ausländischen Konzernen.
Gerade weil das so ist, fordert Die Linke die stärkere
erankerung der Mitbestimmung im europäischen
echt. Deshalb begrüßen wir die grundsätzliche Aus-
ichtung des vorliegenden Gesetzentwurfs der Bundesre-
ierung, die Interessenvertretung der Beschäftigten im
erschmelzungsfall abzusichern. In wesentlichen As-
ekten sehen wir allerdings noch Veränderungsbedarf,
m dem Anliegen in Gänze gerecht zu werden. Ich
enne einige Stichworte: notwendig ist die Festlegung
ines Mindestkataloges an zustimmungspflichtigen Ge-
chäften durch die Aufsichtsräte, damit zum Beispiel
ntscheidungen über Investitionen transparenter wer-
en. Notwendig ist eine Vereinfachung des Wahlverfah-
ens für Aufsichtsräte, um die Wahl von Aufsichtsrats-
itgliedern einfacher und kostengünstiger zu machen.
otwendig ist für multinationale Unternehmen eine ge-
etzliche Garantie der Beteiligung von Arbeitnehmerver-
retern der anderen Länder in den Gremien, zum Beispiel
m Aufsichtsrat. Dazu gehört auch die Einführung des
assiven und aktiven Wahlrechts für alle Beschäftigten
es jeweiligen Unternehmens; notwendig ist weiterhin
ine Festlegung, dass den bei einer Verschmelzung fort-
estehenden Arbeitnehmervertretungsstrukturen, also
um Beispiel der Gesamtbetriebsrat, ein autorisierter
esprächs- und Verhandlungspartner gegenüberzustel-
en ist.
Im Fall von zwei weiteren Aspekten schließen wir
ns ausdrücklich den Überlegungen des DGB an und
ordern die Bundesregierung auf, auch ausländische Ge-
ellschaften mit Sitz im Inland sowie ausländische Kom-
lementäre in der deutschen Kommanditgesellschaft in
en Geltungsbereich der deutschen Unternehmensmitbe-
timmung einzubeziehen und gegenüber der EU-Kom-
ission dafür einzutreten, die 14. gesellschaftsrecht-
iche Richtlinie zur Verlegung des Unternehmenssitzes
o auszugestalten, dass nationale Mitbestimmungsstan-
ards nicht umgangen werden können.
5646 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Oktober 2006
(A) )
(B) )
Um die Verankerung der Mitbestimmung – nach deut-
schem Modell – auf europäischer Ebene tatsächlich mit
Leben zu füllen, ist es darüber hinaus unverzichtbar, die
deutsche Gesetzgebung den veränderten Bedingungen in
der Wirtschaft anzupassen. Zwei Elemente sind hier von
besonderer Bedeutung: erstens der Schwellenwert von
derzeit 2 000 Mitarbeitern. Dieser Wert ist angesichts
sinkender Betriebsgrößen nicht mehr zeitgemäß. 500 Be-
schäftigte wären demgegenüber angemessen. Zweitens
wird das Doppelstimmrecht des Aufsichtsratsvorsitzen-
den dem Anspruch einer demokratischen Kontrolle und
Steuerung von Unternehmen nicht gerecht. Daher plä-
dieren wir für seine ersatzlose Streichung.
Matthias Berninger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Die Regelung zur Umsetzung knüpft an die Regelungen
an, die für die Regelung zur Mitbestimmung bei der Eu-
ropäischen Gesellschaft gefunden worden ist. Zunächst
wird bei der Verschmelzung zweier Kapitalgesellschaf-
ten ein Verhandlungsgremium zwischen den Arbeitneh-
mervertretungen der beteiligten Gesellschaften und der
Geschäftsführung gebildet, das ein Mitbestimmungs-
modell für die neue Gesellschaft aushandeln soll.
Kommt es binnen eines Jahres nicht zu einer Einigung,
so greift die weitestgehende Mitbestimmungsregelung in
einer der beteiligten Gesellschaften. Damit ist gesichert,
dass über die Verschmelzung von Gesellschaften der
hohe Standard der Mitbestimmung in Deutschland nicht
ausgehebelt werden kann.
Wir halten die bei der Europa-AG gefundene und jetzt
auch für die Mitbestimmung bei verschmolzenen Unter-
nehmen vorgeschlagene Lösung einer Kombination aus
Verhandlungsverfahren und Auffangregelung für richtig
und sinnvoll. Regelmäßiges Ergebnis dieser Regelung
wird sein, dass bei deutscher Beteiligung das deutsche
Mitbestimmungsrecht Geltung erlangt. Deswegen unter-
stützen wir diese Regelung.
Die deutsche Mitbestimmung hat sich bewährt. Sie
hat einen wesentlichen Anteil an den im internationalen
Vergleich sehr geringen Streikzeiten in Deutschland. Be-
triebsräte haben notwendige Restrukturierungen der
Betriebe immer unterstützt. Einschränkungen der Mitbe-
stimmungsrechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
mer lehnen wir entschieden ab. Die von manchen
Arbeitgebern immer wieder aufgestellte These, Mitbe-
stimmung reduziere die Zahl der ausländischen Investo-
ren in Deutschland, ist falsch. Michael Rassmann, von
Invest in Germany, New York City, hat dazu in den „Ta-
gesthemen“ am 22. Oktober 2004 erklärt: Es ist uns nie
passiert, dass wegen der Mitbestimmung in Deutschland
eine Investition in Deutschland nicht zustande gekom-
men ist. – Einer Umfrage zufolge hat die ganz überwie-
gende Mehrheit der Vorstände großer Aktiengesellschaf-
ten gute Erfahrungen mit der Mitbestimmung gemacht.
Nur 25 Prozent votierten für die Abstimmung.
Mitbestimmung passt zu einem offen, innovations-
orientierten Betriebsklima. Durch das vorliegende Ge-
setz wird sie auch bei Verschmelzungen gewährleistet.
Deshalb begrüßen wird dieses Gesetz.
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Im Zuge der Verbesserung der Corporate Governance
ollen Bündnis 90/Die Grünen die Zahl der Aufsichts-
atsmitglieder reduzieren, um diese Gremien arbeitsfähi-
er zu machen. Wir wollen, dass der Anteil der Frauen in
en Aufsichtsräten dem Anteil der Frauen in der Beleg-
chaft entspricht. Diese Regelung gilt heute schon für
ie Vertreterinnen und Vertreter der Arbeitnehmerinnen
nd Arbeitnehmer im Aufsichtsrat. Die Zahl der Auf-
ichtsratsmandate, die eine Person wahrnehmen kann,
ollte auf fünf begrenzt werden. Zudem sollte der Über-
ang vom Vorstand in den Aufsichtsrat desselben Unter-
ehmens in Zukunft im Interesse einer konsequenten
ufsicht nicht mehr möglich sein. Vorschläge zur Öff-
ung der Arbeitnehmerbänke für Kolleginnen und Kol-
egen ausländischer Belegschaften begrüßen wir aus-
rücklich.
Gerd Andres, Parlamentarischer Staatssekretär
eim Bundesminister für Arbeit und Soziales: Das Prin-
ip der Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Unter-
ehmen ist ein nicht wegzudenkender Teil unserer sozia-
en Marktwirtschaft. Mitbestimmung gewährt den
rbeitnehmern eine wesentliche Einflussnahme auf die
rganisation der Arbeit im Betrieb. Mitbestimmung be-
eiligt die Arbeitnehmer an der von der Unternehmens-
pitze verfolgten Unternehmenspolitik und Mitbestim-
ung lebt, damit dieses Zusammenspiel bestmöglich
unktioniert, von einem partnerschaftlichen Miteinander
wischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer und vom Be-
usstsein der gemeinsam getragenen Verantwortung für
en Betrieb.
Durch die Globalisierung und den damit verbundenen
ohen Wettbewerbsdruck gehören Unternehmensüber-
ahmen und Restrukturierungen von Unternehmen auch
ber Grenzen hinweg immer mehr zum wirtschaftlichen
lltag. Die Mitbestimmung steht damit vor großen He-
ausforderungen auf nationaler und insbesondere auf
uropäischer Ebene.
Die Europäische Union hat diese Problematik schon
or geraumer Zeit erkannt und beim Thema Arbeitneh-
erbeteiligung in den vergangenen Jahren bereits substan-
ielle Fortschritte erreicht. Die Mitbestimmung ist zu ei-
em festen Bestandteil europäischer Arbeitnehmerrechte
eworden. Ich verweise auf die Europäische Gesell-
chaft (SE), auf die Europäische Genossenschaft (SCE)
nd auf die Richtlinie über die grenzüberschreitende
erschmelzung von Kapitalgesellschaften (10. Richt-
inie). Die Umsetzung des arbeitsrechtlichen Teils eben
ieser 10. Richtlinie in deutsches Recht ist Inhalt des
orliegenden Gesetzentwurfs.
Die Bundesregierung hat sich dabei von vier Grund-
ätzen leiten lassen: Erstens. Aufbau und Struktur des
msetzungsgesetzes folgen der Struktur der europäi-
chen Regelung und damit dem Art. 16 der Richtlinie,
er auf die Vorschriften des SE-Rechts verweist.
Zweitens. Soweit das europäische Recht Regelungen
nthält, die von allen Mitgliedstaaten notwendigerweise
dentisch umzusetzen sind, erfolgt mit diesem Gesetz
ine 1:1-Umsetzung. Dies gilt zum Beispiel für den
rundsatz der Sicherung erworbener Rechte durch eine
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Oktober 2006 5647
(A) )
(B) )
Vorher-Nachher-Betrachtung und auch für den Vorrang
von Verhandlungen über die Mitbestimmung vor einer
gesetzlichen Auffangregelung.
Drittens. Sofern die Richtlinie dem Gesetzgeber Ge-
staltungsspielraum eröffnet, greifen die Mitgliedstaaten
weitgehend auf ihre national bekannten Regelungen und
Strukturen zurück. Genauso ist die Bundesregierung bei
ihrem Umsetzungsgesetz verfahren.
Viertens. Soweit möglich übernimmt der Gesetzent-
wurf die Regelungen, die bereits durch das SE-Beteili-
gungsgesetz und das SCE-Beteiligungsgesetz bekannt
sind. Dies gilt zum Beispiel für die Frage, auf welche
Weise nationale Arbeitnehmervertreter in das besondere
Verhandlungsgremium oder in den Aufsichtsrat gewählt
werden.
Im Hinblick auf die Wahl der Arbeitnehmervertretung
haben wir ganz bewusst an die vorhandenen nationalen
Strukturen angeknüpft. Der Betriebsrat – oder auch der
Gesamt- oder Konzernbetriebsrat – bildet jeweils das
Wahlgremium, das die nationalen Arbeitnehmervertreter
in die jeweiligen Gremien bestimmt. Dieser Rückgriff
auf bestehende Mitbestimmungsstrukturen gewährleis-
tet, dass das Wahlverfahren für die Unternehmen kosten-
günstig und zügig durchgeführt werden kann.
Erste positive Erfahrungen sind bei der SE bereits ge-
macht worden. So konnte bei den ersten beiden SE-
Gründungen deutscher Großunternehmen, der Allianz
SE und der MAN-Tochter MAN B&W Diesel SE, das
Verhandlungsverfahren über die Beteiligung der Arbeit-
nehmer innerhalb der vorgesehenen Frist erfolgreich ab-
geschlossen werden.
Ich bin überzeugt: Mit dem Umsetzungsgesetz schaf-
fen wir einen geeigneten rechtlichen Rahmen, der die
wirtschaftlichen Interessen der Unternehmen an grenz-
überschreitenden Verschmelzungen respektiert und
gleichzeitig den Arbeitnehmern angemessene Mitgestal-
tung und Mitbestimmung gewährleistet. Ich bitte Sie
deshalb um Zustimmung zum vorliegenden Entwurf.
Anlage 7
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Überschüsse der
Bundesagentur für Arbeit für Ausbildung,
Qualifizierung und Progressiv-Modell verwen-
den (Tagesordnungspunkt 18)
Peter Rauen (CDU/CSU): Ihr Antrag spricht drei
Punkte an: erstens die Ausbildung, zweitens die Schaf-
fung von Arbeitsplätzen und drittens die Eingliederung
von Menschen in diese Arbeitsplätze.
Erstens: Ausbildung. Mit dem Überhang des Über-
schusses der Bundesagentur für Arbeit, also all dem
Geld, das die BA über circa 8 Milliarden Euro hinaus
den Arbeitnehmern und Unternehmen zuviel berechnet
hat, fordern Sie ein Sonderprogramm für mindestens
50 000 Jugendliche, teils zur Akquise neuer Ausbil-
dungsplätze, teils aber auch zum Ausbau der außerbe-
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rieblichen Ausbildung. Sie begründen das mit der Aus-
ildungsplatzsituation.
Wir stimmen darin überein, dass die Lage am Ausbil-
ungsmarkt besser sein könnte und auch müsste. Gleich-
ohl wird sich – wie in den letzten Jahren auch – die
usbildungsplatzlücke im Laufe der Nachvermittlung
ieder schließen.
Sie war zwar Ende September mit 34 086 um
218 höher als im letzten Jahr; dies liegt aber zu einem
roßen Teil an den Schulabgängern, die aufgrund der
erbesserten Arbeitsmarktdaten in eine berufliche Aus-
ildung drängen. Hinzu kommen alle diejenigen Ausbil-
ungsbewerber, die sich in den letzten Jahren für eine
chulische Maßnahme entschieden haben, obwohl sie
ine betriebliche Berufsausbildung suchten. Auch
erzeichnen wir eine weiterhin ansteigende Zahl von
chulabgängern. Außerdem erleben wir hier einen statis-
ischen Effekt: Erstmals werden auch die nicht vermittel-
en Bewerber der Argen nach SGB II mitgezählt. So
tieg die Bewerberzahl auf insgesamt 763 097 Personen.
Infolgedessen hat die Bundesregierung die Aufsto-
kung der Einstiegsqualifizierungen, EQJ, von jährlich
5 000 auf 40 000 beschlossen – nicht ohne Grund.
enn fast 57 Prozent der Jugendlichen haben nach einer
olchen Einstiegsqualifizierung eine reguläre betrieb-
iche Ausbildung begonnen, ein Erfolg, der sich sehen
assen kann. Somit sorgt die Steigerung der Einstiegs-
ualifizierungen dafür, dass alle ausbildungswilligen Ju-
endlichen im Rahmen der Nachvermittlung bis Ende
ezember zumindest eine Qualifizierung erhalten, die
etrieblich zertifiziert wird und in der Regel auf den zu-
ünftigen Ausbildungsberuf angerechnet werden kann.
Erfreulicherweise ist aber auch die Zahl der Ausbil-
ungsplätze gestiegen. Die Wirtschaft hat zusätzlich
5 800 neue Ausbildungsplätze und 29 600 Einstiegs-
raktika angeboten. Sie hat damit ihre Paktzusage mehr
ls erfüllt. Industrie, Handel und Handwerk schlossen
ogar 14 000 neue Ausbildungsverträge mehr ab als im
orjahr. Die Zahlen stammen von ZDH und DIHK.
Ein Erfolg des Ausbildungspaktes ist aber natürlich
or allem eine deutliche Folge der erwachenden deut-
chen Wirtschaftsdynamik. Denn eine florierende Wirt-
chaft schafft Arbeitsplätze, Arbeitsplätze ziehen Aus-
ildungsplätze nach sich und gute Ausbildung ist die
asis für eine blühende Ökonomie.
Um unsere Volkswirtschaft nun auch erfolgreich zu
estalten, müssen die Menschen vor allen Dingen wieder
estes Vertrauen in die Politik entwickeln. Wer schon
eute weiß, was morgen passiert, investiert auch in die
ukunft. Das ist der Kern erfolgreicher Wirtschaftspoli-
ik. Dazu gehört aber auch, dass die Bürger nachvollzie-
en können, wofür sie ihr eigenes Geld hergeben, wofür
ie Steuern bezahlen sollen, aber ebenso, dass sie das
eld dann zurückbekommen, wenn es nicht wirklich ge-
raucht wird.
Hier liegt das ganze Problem: Zwar ist die tatsächli-
he Höhe des Überschusses für das gesamte Jahr noch
icht einmal bekannt, doch schon weckt diese erfreuli-
he Kassenlage fortwährend neue Begehrlichkeiten, vor
5648 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Oktober 2006
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allem für weitere künstliche Arbeitsbewirtschaftungs-
maßnahmen des Staates. Dabei sollten wir zuallererst
einmal an diejenigen denken, die die Erwirtschaftung
dieses Geldes erst möglich gemacht haben.
Der Finanzierungsüberschuss der Bundesagentur geht
nämlich – neben einer Straffung der BA-Verwaltung und
der Vorziehung des Fälligkeitstermins von Sozialbeiträ-
gen in 2006 sowie der Verringerung der Bezugsdauer
von Arbeitslosengeld – auch zu einem großen Teil auf
die gute Wirtschaftslage zurück. Die Ausgaben für das
Arbeitslosengeld werden etwa 3 Milliarden Euro unter
dem Planwert liegen. Gleichzeitig steigen die Einnah-
men, weil es mehr sozialversicherungspflichtige Be-
schäftigungsverhältnisse gibt. Auch der Aussteuerungs-
betrag fällt aus diesem Grund um circa 1,3 Milliarden
Euro geringer als kalkuliert aus.
An diesen Fakten werden die Zusammenhänge offen-
sichtlich: Nach sieben Jahren grüner Regierungsbeteili-
gung ist hier endlich ein Paradigmenwechsel eingeläutet
worden. Ich mache darauf besonders aufmerksam, weil
damit ein fast sechsjähriger Negativtrend endlich gebro-
chen ist. Von 28 285 045 sozialversicherungspflichtig
Beschäftigten im September 2000 waren wir auf
25 815 795 im Februar 2006 zurückgefallen. Über
65 Monaten lang verzeichneten wir einen Abbau an ver-
sicherungspflichtiger Beschäftigung.
Doch in den Monaten Mai bis Juli dieses Jahres kam
die Trendwende: Wir verzeichneten einen stetig steigen-
den Zuwachs an versicherungspflichtig Beschäftigten im
Vergleich zum Vorjahr, zuletzt fast 200 000 neue ordent-
liche Stellen. Ich gehe davon aus, dass sich diese Trend-
umkehr in den letzten beiden Monaten fortgesetzt hat.
Das ist Freude und Ansporn zugleich. Die steigenden
Einnahmen zeigen zum einen, wohin beherztes Handeln
führen kann. Zum anderen bleibt der Druck für weitere
Korrekturen am Arbeitsmarkt nach wie vor bestehen.
Wie bereits festgestellt: Der Ausbildungsmarkt folgt
dem Arbeitsmarkt. Und wenn schon die Wirtschaft an-
springt, dürfen wir sie nicht über das zur Konsolidierung
der Staatsfinanzen Nötige hinaus durch zusätzlichen
Aderlass schröpfen. Sonst verhindern wir lediglich das
Entstehen ordentlicher betrieblicher Arbeits- und Aus-
bildungsplätze.
Zweitens: Aussteuerungsbetrag. Sie fordern weiterhin
in Ihrem Antrag, die Kosten der Integrationsangebote für
Betreuungskunden der BA mit dem so genannten Aus-
steuerungsbetrag zu verrechnen. Ich halte die ganze Ver-
anstaltung mit dem Aussteuerungsbetrag an sich für
fragwürdig: Lieber wäre mir, dass die BA überhaupt
kein Geld, das von den Beitragszahlern stammt, an
Herrn Steinbrück überweisen muss. Ich sehe da – ehrlich
gesagt – den zwingenden Zusammenhang nicht, außer
dass die Beitragszahler das ALG II subventionieren, für
das eigentlich der Bundeshaushalt zuständig ist.
Zwar sollte der Aussteuerungsbetrag Anreiz für die
BA zur schnellen Integration von Arbeitslosen in den
Arbeitsmarkt sein. Das Mittel einer Strafzahlung im
Falle der Nichtvermittlung überzeugt mich dabei wenig.
Im Gegenteil: Bei vernünftigem Verhalten nötigt der
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ussteuerungsbetrag die BA geradezu, für absehbar
chwer integrierbare Arbeitslose in den ersten zwölf Mo-
aten erst gar keine Aktivierungsmaßnahmen zu finan-
ieren. Schließlich besteht das Risiko, am Ende trotz der
ohen Investitionen obendrein noch mit dem Aussteue-
ungsbetrag belastet zu werden, dann nämlich, wenn der
rbeitslose trotz aller Maßnahmen nicht innerhalb des
rsten Jahres integriert werden kann. Agenturchef Heise
ieht das wohl ähnlich und hat sinnvoll reagiert: Die BA
ird in ihrem nächsten Haushalt ein eigenes, gesondert
usgewiesenes Budget für die Förderung schwer vermit-
elbarer Arbeitsloser einrichten.
Auch hier gilt das bereits von mir Gesagte: Wir Politi-
er müssen Vertrauen in unser Handeln aufbauen, indem
ir denjenigen das Geld zurückgeben, von denen es
tammt. Alle Überschüsse müssen in die weitere Sen-
ung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge – auch weit
ber die vorgesehene Senkung von 2 Prozent hinaus –
ehen. So schaffen wir Zuversicht durch klare Zuwei-
ungen und Verantwortlichkeiten – infolgedessen auch
eue Arbeitsplätze ohne komplizierte Zuschussmodelle.
Drittens: Progressiv-Modell. Schließlich wollen Sie
n ihrem Antrag statt der linearen Absenkung des Beitra-
es zur Arbeitslosenversicherung mit der Einführung ei-
es progressiven Beitragssatzes kleine Einkommen ent-
asten. Sie unterstellen damit gleichsam die These, dass
or allem die Lohnzusatzkosten der größte Feind der Be-
chäftigung Geringqualifizierter und Langzeitarbeitslo-
er im Niedriglohnbereich sind.
Auch wenn ich natürlich ein großer Freund sinnvoller
enkungen der Arbeitskosten bin, muss ich Ihnen hier
idersprechen. Sie versuchen nämlich durch die Belas-
ung regulärer Arbeit, den Niedriglohnsektor in überhöh-
em Maß zu subventionieren. Das ist Umverteilung pur.
ann müsste nämlich derjenige, der seine Arbeit besser
acht, überproportional dafür bezahlen, dass er mehr
erdient als sein weniger qualifizierter Kollege, obwohl
r sowieso schon höhere Abgaben bezahlt. So etwas
ätte ich den Herrschaften auf dem linken Flügel des
auses zugetraut, Ihnen, liebe Kolleginnen und Kolle-
en vom Bündnis 90/Die Grünen, jedoch nicht.
Sie wollen mit Ihrem Antrag Anbieter und Suchende
uf dem Niedriglohnsektor unterstützen. Das wollen wir
uch. Die Koalitionsarbeitsgruppe Arbeitsmarkt wird zu
iesem Thema in Kürze handfeste Ergebnisse vorlegen.
och mit Ihren Forderungen würden Sie Niedriglohnan-
ieter generell belohnen. So etwas kann nur zu Fehlsteu-
rungen und Mitnahmeeffekten führen. Zudem ist die
on Ihnen geplante völlige Abschaffung von Mini- und
idijobs falsch und unrealistisch. Woher Sie obendrein
ie zur Finanzierung dieser Pläne notwendigen Kosten
on 13 Milliarden Euro herbekommen wollen, frage ich
m besten erst gar nicht.
Aus diesen Gründen lehnen wir Ihren Antrag ab.
Fazit: Die derzeitigen Arbeitsmarktimpulse kommen
aßgeblich aus dem Mittelstand. Gut ein Viertel der Be-
riebe hat in den vergangenen sechs Monaten ihren Per-
onalbestand aufgestockt und nur ein Achtel der Firmen
usste sich von Mitarbeitern trennen. Nach schweren
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Oktober 2006 5649
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Jahren ist der Mittelstand wieder Jobmotor der deut-
schen Wirtschaft. Allein im ersten Halbjahr 2006 haben
kleine und mittlere Unternehmen 70 000 neue Arbeits-
plätze geschaffen. Weitere 30 000 Jobs sollen bis Ende
des Jahres noch hinzukommen. Das sind 100 000 neue
Jobs für 2006 und Tausende neuer Ausbildungsplätze für
2007.
Der Optimismus in den Firmen ist zwar deutlich ge-
stiegen. Doch trotz dieser guten Stimmung halten die
Firmen ihr Geld lieber zusammen und investieren wenig,
berichtete die Studie der Wirtschaftsauskunftei Credit-
reform vor wenigen Tagen. Kurzum: Man traut dem Bra-
ten noch nicht so.
In dieser Situation nun mit den Überschüssen der BA
gesamtgesellschaftliche Aufgaben zu finanzieren zu
wollen widerspricht nicht nur dem Grundgedanken einer
Versicherung – und darum geht es bei der Arbeitslosen-
versicherung –, sondern es bedeutet faktisch eine Enteig-
nung der Beitragszahler.
Für uns Politiker kann all dies nur eines bedeuten:
Wir müssen durch eine nachvollziehbare Ordnungspoli-
tik Vertrauen schaffen und dürfen keinesfalls die gerade
aufblühende wirtschaftliche Dynamik durch kosten-
intensive Strohfeuer torpedieren.
Wolfgang Grotthaus (SPD): Mit dem Antrag der
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen, die Über-
schüsse der Bundesagentur für Arbeit für Ausbildung,
Qualifizierung und das Progressiv-Modell zu verwen-
den, kommt ein weiterer Vorschlag auf den Tisch, wie
die von der Bundesanstalt für Arbeit erwirtschafteten fi-
nanziellen Überschüsse zweckmäßigerweise angelegt
werden sollten.
Dabei stehen Vorschläge im Mittelpunkt, denen man
sich auf den ersten Blick eigentlich nicht verschließen
kann. Denn wer kann schon etwas dagegen haben, jun-
gen Menschen, die noch keinen Ausbildungsplatz haben,
Ausbildungsplätze anzubieten oder deren Chancen auf
den Erhalt eines Ausbildungsplatzes durch zusätzliche
Bildungsmaßnahmen zu verbessern?
Aber so einfach, wie sich die Fraktion des Bündnis-
ses 90/Die Grünen das vorstellt, ist es nicht, insbeson-
dere dann nicht, wenn es sich um Beitragszahlungen von
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern handelt. Hier
streiten nicht nur Verfassungsrechtler, ob das überschüs-
sige Geld zweckentfremdet ausgegeben werden darf,
sondern viele gesellschaftliche Gruppen, aber auch die
im Bundestag vertretenen Fraktionen haben zur Verwen-
dung der Überschüsse unterschiedliche Vorschläge ge-
macht.
Fakt ist, die Regierungskoalition hat den Beschluss ge-
fasst, die Arbeitslosenversicherungsbeiträge um 2 Pro-
zent zu senken. Damit verringern wir die Lohnnebenkos-
ten und leisten einen Anreiz zur Schaffung neuer Ar-
beitsplätze. Wir geben das Geld aber auch den Menschen
zurück, die es vorher einbezahlt haben, und leisten so
auch einen Teil an Gerechtigkeit und Verlässlichkeit in
der Politik.
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Dies bedeutet aber nicht, dass wir die Menschen aus
en Augen verlieren, die unserer Hilfe bedürfen. Tat-
ächlich ist die Ausbildungssituation mehr als unbefrie-
igend. Zurzeit stehen einer Zahl von 49 500 nicht ver-
ittelten Bewerbern 15 400 offene Stellen gegenüber.
egenüber dem Vorjahr ist dies ein saldierter Zuwachs
er Lehrstellenlücke von 6 200. Das ist ein Zustand, der
icht einfach zur Kenntnis genommen werden darf. Aus
iesem Grund hat auch das BMAS die Möglichkeit,
QJ-Mittel zu beantragen, auf eine Zahl von 40 000 er-
öht. Wir bieten hier also 15 000 Jugendlichen mehr als
m Vorjahr die Chance, eine Eingliederungsqualifizie-
ung wahrzunehmen. Die BA hat 5 000 zusätzliche au-
erbetriebliche Ausbildungsplätze, vornehmlich für Ju-
endliche mit Migrationshintergrund zur Verfügung
estellt und wird diese Anfang des Jahres 2007 um wei-
ere 2 500 Plätze erweitern.
Also passiert schon etwas. Natürlich – das will ich an-
rkennen – reicht das nicht. Aber ich erlaube mir die
rage, ob dort, wo gesellschaftliche Gruppen sich aus ih-
er Verantwortung herausstehlen, in diesem Fall die Ar-
eitgeber, der Staat einzuspringen hat.
Hier sind bei dem Angebot von Ausbildungsplätzen
ls Erstes die Arbeitgeber im Rahmen des dualen Sys-
ms gefordert. Der Staat trägt heute schon für den Erhalt
ieses Systems mehr als 50 Prozent der Kosten. Dies sei
n dieser Stelle den Arbeitgebern auch noch einmal ins
tammbuch geschrieben: Wer nicht ausbildet, darf hinter-
er den Staat nicht dafür verantwortlich machen, wenn
ein Betrieb keine Zukunft hat.
Unter dem Strich bleibt zu diesem Antrag festzu-
alten: Die Situation im Ausbildungsbereich ist nicht
efriedigend. Wir sind froh, dass wir Überschüsse im
ereich der Arbeitslosenversicherung haben. Dies ist
uch ein Ergebnis unserer Reformen im Rahmen der
artz-Gesetzgebung, nämlich schnellere Vermittlung
nd Belebung auf dem Arbeitsmarkt. Wir begrüßen es
icht, dass Überschüsse bei der aktiven Arbeitsmarkt-
olitik erwirtschaftet werden. Weniger Ausgaben im
ingliederungstitel in Höhe von 520 Millionen Euro sind
icht akzeptabel.
Diese Mittel im Sinne der jungen Menschen, die Aus-
ildungsplätze suchen, einzusetzen, sollte Aufgabe der
A sein. Deshalb fordern wir die BA auf, weiterhin ein
ktiver und verlässlicher Partner bei der Ausbildungs-
rage zu sein. Dies heißt aber auch für uns, dass kurzfris-
ige Aktionen nicht weiterhelfen, sondern hier ist eine
erlässliche und kontinuierliche Politik gefordert.
Aus diesem Grund lehnen wir den Antrag der Frak-
ion des Bündnisses 90/Die Grünen ab.
Dirk Niebel (FDP): Bei der BA wird mit einem
berschuss von bis zu 10 Milliarden Euro gerechnet.
as weckt natürlich Begehrlichkeiten. Da möchte jeder
in Stück vom Kuchen haben. Zweifellos sind die Ab-
ichten der Grünen ehrenwert, aber sie gehen vom fal-
chen Ansatzpunkt aus. Die Bundesagentur für Arbeit
rwirtschaftet kein Geld. Sie arbeitet mit Mitteln der
teuer- und Beitragszahler. Wir erwarten, dass sie mit
5650 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Oktober 2006
(A) )
(B) )
fremdem Geld sorgsam umgeht. Zumindest das hat sich
ja in den letzten Jahren unter neuer Leitung verbessert.
Das Wirtschaftswachstum im Vorfeld der Mehrwert-
steuererhöhung ab Januar 2007 sorgt dafür, dass mehr
Arbeitsplätze geschaffen wurden und die Einnahmen an
Steuern und Sozialabgaben gestiegen sind. Knapp
165 Euro wurden im Juni 2006 im Durchschnitt in die
Arbeitslosenversicherung einbezahlt. Die offiziell regis-
trierte Arbeitslosigkeit ist weiterhin zu hoch. Darüber
hinaus sind mehr als 1,5 Millionen Menschen in arbeits-
marktpolitischen Maßnahmen eingesetzt. Mehr als
376 000 nehmen an Beschäftigung schaffenden Maß-
nahmen teil, darunter mit 320 000 eine steigende Zahl
ALG-II-Empfänger in Arbeitsgelegenheiten. Vor allem
Letzteres trägt dazu bei, dass die statistische Arbeitslo-
senzahl geringfügig gesunken ist. Aber es ist und bleibt
Augenwischerei. Diese Maßnahmen ermöglichen einer-
seits den Betroffenen einen Zusatzverdienst und die Teil-
habe am Arbeitsleben. Auf der anderen Seite ist es ihnen
in dieser Zeit nicht möglich, sich selbst um eine sozial-
versicherungspflichtige Arbeitsstelle auf dem ersten Ar-
beitsmarkt zu kümmern. Da sie ja erst einmal versorgt
sind, können sich auch die zuständigen Behörden in ih-
ren Vermittlungsbemühungen zurückhalten.
Die Bundesregierung hat nicht zum Aufschwung bei-
getragen; vielmehr gefährden ihre Aktionen diesen Auf-
schwung. Das Geld, das der BA jetzt zur Verfügung
steht, besteht zu einem Drittel aus den vorgezogenen So-
zialabgaben, die die Unternehmen jetzt zu Monatsanfang
und nicht wie früher zur Monatsmitte überwiesen haben.
In diesem Jahr stehen einmalig 13 statt zwölf Monatsbei-
träge zur Verfügung. Wir haben oft genug betont, dass
wir diese Maßnahme abgelehnt haben. Für die Stabilisie-
rung der Rentenversicherung wurde den Unternehmen
Liquidität in einem Umfang entzogen, der den Bedarf
bei weitem überschreitet. Und wie wir gesehen haben:
Genutzt hat es nichts.
Nicht benötigte Mittel müssen denen zurückgegeben
werden, die sie bezahlt haben. Die Überschüsse müssen
an die Bürgerinnen und Bürger zurückgegeben werden.
Die Senkung des Beitrages zur Arbeitslosenversicherung
ist eine Möglichkeit. Eine bessere Alternative wäre auch
die Rücknahme der Mehrwertsteuererhöhung. Mit 1 Pro-
zentpunkt Mehrwertsteuer soll die Senkung der Beiträge
zur Arbeitslosenversicherung finanziert werden. Das ist
nun nicht mehr nötig. Wir stimmen mit den Grünen darin
überein, dass sich keinesfalls der Staat das Geld unter
den Nagel reißen darf.
Wir dürfen nicht länger zusehen, wie das Geld von
Steuer- und Beitragszahlern in zusätzlicher subventio-
nierter öffentlicher Beschäftigung auf Nimmerwiederse-
hen versenkt wird. Auch die Finanzierung von Kombi-
löhnen, die bei den Grünen Progressiv-Modell heißen,
ist nicht Sache der Beitragszahler. Wenn selbst verdiente
Einkünfte unterhalb des Existenzminimums liegen, muss
das über ein Steuer- und Tranfersystem aus einem Guss
ausgeglichen werden. Dazu haben wir mit dem FDP-
Bürgergeld einen Vorschlag ausgearbeitet.
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Im nächsten Monat ziehen wir Bilanz: ein Jahr
chwarz-rote Koalition. Den Namen „große Koalition“
at sie sich bisher wahrlich nicht verdient, es sei denn,
an erkennt an, dass sie das größte Steuererhöhungspro-
ramm aller Zeiten gestartet hat. In der Arbeitsmarkt-
olitik gab es bisher nur Lippenbekenntnisse und heiße
uft. Statt, wie angekündigt, mehr Freiheit am Arbeits-
arkt zu erlauben, erlaubt sie sich einen Rückzieher
eim Kündigungsschutz und arbeitsplatzgefährdende
iskussionen über Mindest- und Kombilöhne. Weiter
ührt das alles nicht. Die hohe Arbeitslosigkeit wird
icht wirksam abgebaut. Weder werden Perspektiven
och neue Chancen für mehr Beschäftigung entwickelt.
as ist mehr als nur Stillstand am Arbeitsmarkt; das ist
apitulation vor den Problemen.
Sie kennen die Forderungen der FDP nach niedrige-
en Steuern und Abgaben, nach weniger Bürokratie,
ach Lockerungen im Arbeits- und Tarifrecht. Nichts da-
on ist bisher von der schwarz-roten Koalition aufgegrif-
en worden. Das unübersichtliche Gestrüpp der Förder-
aßnahmen darf nicht noch weiter aufgebläht werden.
ir brauchen vorrangig Arbeitsplätze im ersten Arbeits-
arkt. Nur durch sozialversicherungspflichtige Arbeits-
lätze gibt es Einnahmen an Steuern und Sozialbeiträ-
en. Auch die subventionierte Beschäftigung darf
einesfalls weiter aufgebläht werden. Wenn Arbeitgeber
nd Arbeitsplätze subventioniert werden, wächst die Ge-
ahr für Mitnahmeeffekte und die Verdrängung regulärer
rbeitsplätze.
Die FDP hat Vorschläge gemacht, wie durch eine
euausrichtung der Arbeitsmarktpolitik und strukturelle
eränderungen bei der Arbeitsverwaltung der Faktor Ar-
eit entlastet, Wachstum und mehr Arbeitsplätze in
eutschland erreicht und Arbeitsuchende schneller und
auerhaft integriert werden können. Die Umsetzung die-
es Konzeptes macht darüber hinaus eine weitere Sen-
ung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung mög-
ich.
Kornelia Möller (DIE LINKE): Es ist erfreulich,
enn es der Opposition durch ein größeres Maß an
emeinsamkeiten gelingt, die falsche Arbeitsmarkt-
olitik der großen Koalition ad absurdum zu führen.
nsofern unterstützen wir die Ablehnung der Fraktion
es Bündnisses 90/Die Grünen, die Überschüsse der
undesagentur für Arbeit zur Haushaltskonsolidierung
inzusetzen. Wir erkennen auch den Versuch an, ange-
ichts der verheerenden Ausbildungssituation wesentlich
ehr jungen Leuten eine berufliche Chance geben zu
ollen. Nichts stellt einer Gesellschaft ein schlimmeres
eugnis aus, als wenn Tausenden jungen Menschen der
eg in eine berufliche und damit überhaupt in die
ukunft versperrt wird. Seit Jahren verordnen die Regie-
enden, von Rot-Grün bis Schwarz-Rot, einer wachsen-
en Zahl von Menschen ein Leben ohne Perspektiven
nd spalten damit unsere Gesellschaft. Das muss auf-
ören. Die Lösungen, die die Grünen für die Verwen-
ung der Überschüsse der BA vorschlagen, sind aller-
ings nicht ausgewogen. Sie tragen den Charakter einer
rünen Notoperation an einem Patienten, den rot-grüne
egierungspolitik erst schwer krank gemacht hat.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Oktober 2006 5651
(A) )
(B) )
Die Grünen haben sich stets einer dauerhaften und
nachhaltigen Lösung des Ausbildungsproblems verwei-
gert. Eine Umlagefinanzierung, wie sie von uns ebenso
wie von Gewerkschaften seit Jahren gefordert wird,
könnte das Problem der Ausbildungsunwilligkeit bei
Unternehmen dauerhaft und nachhaltig lösen.
Ein Noteingriff ist auch Ihr Vorschlag, die Qualifizie-
rungs- und Förderangebote der Bundesagentur für Arbeit
für so genannte Betreuungskunden mit den Überschuss-
geldern kurzzeitig zu verstärken, statt die Ursache zu be-
seitigen: die Hartz-Gesetze, die Sie gemeinsam mit der
SPD zu verantworten haben.
Seit langem sagen wir Ihnen, was sie jetzt auch in der
Untersuchung des Bundesrechnungshofes nachlesen
können: In den Hartz-Gesetzen selbst liegt eine der Ur-
sachen für die Verfestigung von Langzeitarbeitslosig-
keit. Hartz IV ist ein schlechtes Gesetz, handwerklich
schlecht gemacht, volkswirtschaftlich unsinnig und so-
zial unverträglich. Deswegen hören Sie von mir auch
immer wieder: Hartz IV muss weg.
Es geht eben nicht an, dass Reformen der Bundes-
agentur fast ausschließlich aus betriebswirtschaftlicher
Sicht erfolgen und das eigentliche Ziel der Bundesagen-
tur für Arbeit, der Abbau der Arbeitslosigkeit und ins-
besondere der Langzeitarbeitslosigkeit, auf der Strecke
bleibt. Den sozialpolitischen Auftrag der Bundesagentur
für Arbeit wiederherzustellen und bei allen künftigen
Reformschritten im Auge zu behalten, das ist unsere
Forderung an die Bundesregierung.
Die 2006 anfallenden Überschüsse der Bundesagen-
tur für Arbeit, die auch wesentlich durch Sparen beim
Fördern entstanden sind, sind für aktive Arbeitsmarkt-
politik, vor allem zum Abbau der verfestigten Langzeit-
arbeitslosigkeit, einzusetzen.
Unsere Fraktion fordert Sie auf, einen Teil der 2006
anfallenden Überschüsse der Bundesagentur für Arbeit in
das kommende Jahr zu überführen, um damit 2007 eine
Startfinanzierung für 150 000 Arbeitsplätze nicht unter
Mindestlohnhöhe von 8 Euro im Rahmen öffentlich ge-
förderter Beschäftigung zu sichern. Ein entsprechender
Antrag von uns, der die Schaffung einer halben Million
öffentlich finanzierter Arbeitsplätze vorsieht, befindet
sich im parlamentarischen Verfahren, wir werben um
Zustimmung. Sie sollte nicht schwer fallen, zumal der
weitaus größte Teil der notwendigen Mittel für dieses
Programm ohnehin ausgegeben werden wird – bislang
allerdings zur Finanzierung von perspektivlosen 1-Euro-
Jobs.
Unsere Fraktion geht davon aus, dass die Überschüsse
der Bundesagentur für Arbeit ausreichen, um sowohl die
Ausbildungsplatzsituation in diesem Jahr zu entschärfen
als auch das Vorhaben der Fraktion Die Linke zu ermög-
lichen, im Jahre 2007 150 000 öffentlich finanzierte Ar-
beitsplätze zu schaffen. Machen Sie einen Anfang und
lassen Sie statt Machtpolitik endlich Sachorientierung
walten. Die Zukunft der Menschen in diesem Land sollte
es Ihnen wert sein.
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Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
ie Bundesagentur für Arbeit rechnet in diesem Jahr mit
inem Überschuss in Höhe von bis zu 9,6 Milliarden
uro. Circa 8 Milliarden Euro davon sind für die 2-pro-
entige Senkung des Beitrags zur Arbeitslosenver-
icherung eingeplant. Die Verteilung des Rests hat ein
ebhaftes politisches Vorschlagswesen ausgelöst. Abso-
uter Spitzenreiter der Vorschlagsliste ist die Forderung
ach einer weiteren Beitragssenkung. Erst heute wieder
at der Bundesarbeitsminister eine wohlwollende Prü-
ung angekündigt. Ich kann verstehen, dass die Vertei-
ung von Wohltaten – und das auch noch in barer
ünze – verlockend ist. Trotzdem schließen wir uns die-
em Vorschlag nicht an; denn Vorrang vor weiteren
eitragssenkungen hat die aktive Arbeitsmarktpolitik.
Probleme auf dem Arbeitsmarkt haben wir genug.
hre Lösung verlangt nicht nur nach Ideen, sie verlangt
uch nach Geld. Eine Beitragssenkung auf Teufel komm
aus dagegen hilft nicht im Kampf gegen die Arbeits-
osigkeit.
Wir haben es aktuell mit zwei besonders dringenden
roblemen zu tun:
Erstens. 50 000 Jugendliche brauchen einen Ausbil-
ungsplatz. Mit einem Sonderprogramm kann ihnen eine
erspektive gegeben werden. Die hierfür erforderlichen
50 Millionen Euro sind gut angelegt. Denn nicht nur
ie jungen Leute brauchen eine Chance, auch wir brau-
hen die jungen Leute. Tun wir nichts, sind die Ausbil-
ungsverlierer von heute die fehlenden Fachkräfte von
orgen.
Zweitens. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist im
ergleich zum Vorjahr um mehr als 5 Prozent gestiegen.
m den weiteren Anstieg zu verhindern, müssen die
ualifizierungs- und Förderangebote für besonders
chwer vermittelbare Arbeitslose deshalb dringend ver-
tärkt werden. Auch wenn die Bundesagentur für Arbeit
ie Vernachlässigung dieser Gruppe bestreitet: Der
üngste Beschluss, eine feste Summe für die so genann-
en Betreuungskunden einzuplanen, spricht eine andere
prache. Trotz hoher Arbeitslosigkeit an Qualifizierung
nd Förderung zu sparen, kommt uns alle später teuer
u stehen. Dieser Unsinn muss aufhören. Die Bundes-
gentur für Arbeit ist nicht zum Sparen da, sondern soll
ualifizieren und vermitteln. Erst dann noch vorhande-
er finanzieller Spielraum kann für weitere Beitragssen-
ungen verwendet werden.
Aber auch für den Einsatz der bereits beschlossenen
eitragssenkung schlagen wir Ihnen eine progressive
lternative vor: Wir wollen die gezielte Entlastung
iedriger Einkommen. Ein progressiver Beitragssatz
enkt spürbar die Lohnnebenkosten im unteren Einkom-
ensbereich. Das ist genau dort, wo das ungünstige
osten-/Produktivitäts-Verhältnis derzeit neue Arbeits-
lätze verhindert, Arbeitsplätze, die wir aber dringend
rauchen und von denen vor allem auch Geringquali-
izierte profitieren könnten.
Mit unserem Progressiv-Modell können wir mehr Ar-
eitsplätze anreizen, als es durch die geplante lineare
5652 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Oktober 2006
(A) )
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Senkung möglich ist. Diese gezielte Maßnahme wirkt ef-
fektiver als alle Einkommen gleichmäßig.
Die Überschüsse der Bundesagentur für Arbeit kön-
nen sinnvoll eingesetzt werden. Schließen Sie sich uns
an: für den Vorrang der aktiven Arbeitsmarktpolitik und
für mehr Beschäftigung. Eine Beitragssenkung auf Teu-
fel komm raus ist dazu keine Alternative.
Gerd Andres, Parl. Staatssekretär im Bundesminis-
terium für Arbeit und Soziales: Wieder einmal weckt der
Überschuss der Bundesagentur für Arbeit Begehrlichkei-
ten. Diesmal bei der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Ich denke, wir sollten uns noch einmal sachlich die fi-
nanzielle Lage der BA vergegenwärtigen.
Die BA erwartet für 2006 einen Überschuss von
8,8 bis 9,6 Milliarden Euro. Dieser wird in die Rücklage
eingestellt. Davon werden 2007 8,0 Milliarden Euro be-
nötigt, um die Beitragssatzsenkung zur Arbeitslosenver-
sicherung von 6,5 auf 4,5 Prozent zu finanzieren.
Möglicherweise werden 0,8 bis 1,6 Milliarden Euro
in der Rücklage bleiben – die Betonung liegt auf „mögli-
cherweise“. Denn es ist noch nicht klar, ob und in wel-
cher Höhe ein solcher Restbetrag übrig sein wird. Da es
aber mit seriöser Finanzpolitik nichts zu tun hat, Mittel
zu verplanen, die man noch gar nicht hat, ist diese De-
batte für die Bundesregierung eine Luftnummer, an der
wir uns nicht beteiligen.
Ich möchte mich lieber auf die konkreten Hilfen für
Arbeitsuchende konzentrieren und zunächst etwas über
die Fördermaßnahmen für Jugendliche sagen.
Gerade junge Menschen in unserem Land brauchen
Perspektiven, wie es nach der Schule weitergeht – ob mit
oder ohne Abschluss. Wir müssen deshalb die Kräfte
bündeln, um für diese Zielgruppe gute Fortschritte zu
machen.
Ein erfolgreiches Instrument ist das Sonderprogramm
zur Einstiegsqualifizierung, das sich als Türöffner in die
Berufsausbildung bewährt hat. 57 Prozent der bisherigen
Absolventen haben den Sprung zur Ausbildung im Be-
trieb geschafft. Aufgrund dieses Erfolges haben wir das
EQJ-Programm um ein Jahr verlängert und die Anzahl
der Plätze um 15 000 angehoben.
Außerdem werden ab Oktober 2006 zusätzlich
5 000 benachteiligte Jugendliche in außerbetrieblicher
Ausbildung gefördert. Ihre Zahl soll Anfang 2007 um
weitere 2 500 Jugendliche aufgestockt werden.
Damit aber nicht genug. Um auch in diesem Jahr
möglichst viele Jugendliche mit einem Ausbildungsplatz
zu versorgen, führt die BA derzeit umfangreiche Nach-
vermittlungen durch. Ich sehe die Möglichkeit, dass da-
bei mindestens 50 000 vorhandene Ausbildungs- und
Qualifizierungsangebote noch nachbesetzt werden kön-
nen. Diese Chance muss genutzt werden.
Lassen Sie mich nun etwas sagen zur Situation bei
den so genannten Betreuungskunden der BA. Hier haben
wir folgende Situation:
Die BA hat ihre Vermittlungsarbeit mit der Einfüh-
rung von so genannten Handlungsprogrammen struktu-
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iert und transparent gemacht. Mit den Ergebnissen des
rofiling können effizienter als bisher jedem einzelnen
rbeitslosen konkrete Vorschläge gemacht werden.
Der Bundesrechnungshof sieht die Handlungspro-
ramme als sinnvoll und geeignet an. Er weist allerdings
uch darauf hin, dass die Handlungsempfehlungen für
ie Betreuungskunden nicht weit genug gehen. Darauf
ielt ja auch der vorliegende Antrag von Bündnis 90/Die
rünen ab.
Die Frage ist also: Was kann man für Arbeitsuchende
un, bei denen die Vermittlungshemmnisse so gravierend
ind, dass die direkte Förderung einer Arbeitsaufnahme
einen Erfolg verspricht?
Die Antwort kann meiner Meinung nach nur lauten,
ass entweder ihre Beschäftigungsfähigkeit durch Arbei-
en auf dem zweiten Arbeitsmarkt erhalten wird oder
ber die Vermittlungshemmnisse beseitigt werden, auch
enn dies auf den ersten Blick schwierig und wenig effi-
ient erscheint.
Dennoch halte ich die zweite Alternative für die bes-
ere. Überlegungen der BA, Betreuungskunden durch
ie Bereitstellung eines Teils des Eingliederungstitels
ünftig stärker mit arbeitsmarktpolitischen Instrumenten
u fördern, sind deshalb ein richtiger erster Schritt zum
utzen der Jugendlichen. Auf diese Weise können wir
udem wertvolle Erfahrungen zur Weiterentwicklung
es Steuerungssystems sammeln, und zwar speziell im
inblick auf Integrationsfortschritte.
Ich weiß, dass die BA die so genannten Betreuungs-
unden im Blick hat. Insbesondere die Selbstverwaltung
st damit intensiv befasst, wie die Chancen zur Einglie-
erung in den Arbeitsmarkt gesteigert werden können.
Abschließend möchte ich noch ein Wort zu dem im
ntrag vorgeschlagenen Progressiv-Modell sagen.
Niedrige Einkommen werden bereits durch die so ge-
annte Gleitzonenregelung für Einkommen zwischen
00 Euro und 800 Euro entlastet. Eine stärkere progres-
ive Ausgestaltung des Beitrages zur Arbeitslosenversi-
herung würde zu einem erheblichen bürokratischen
ufwand führen. Sowohl die Einzugsstellen bei den
rankenkassen als auch die Arbeitgeber würden erheb-
ich belastet. Das verschweigen Sie in Ihrem Antrag.
Anders als Sie dort suggerieren, liegt bislang eine se-
iöse Schätzung der Arbeitsangebots- und der -nachfra-
eeffekte de facto nicht vor. Es mag das Privileg der Op-
osition sein, unfertige Vorschläge zu machen. Für
egierungshandeln taugt dies aber nicht.
nlage 8
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Einfuhr- und Han-
delsverbot für Robbenprodukte (Tagesord-
nungspunkt 19)
Dr. Peter Jahr (CDU/CSU): Zweifellos verbindet
an mit Flossenfüßern – lateinisch Pinnipedia – viele
ositive menschliche Empfindungen. Ob das an der
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Oktober 2006 5653
(A) )
(B) )
speziellen Bewegungsart liegt, an den großen Augen und
traurigen Blicken oder an den zahlreichen kuscheligen
Nachbildungen, die unsere Kinderzimmer und Bild-
schirme überschwemmen, wage ich nicht zu sagen. In
deutschen Kinderzimmern gehört das Robbentier zur
Grundausstattung der hauseigenen Plüschtiersammlung.
Positiv hervorzuheben ist, dass sich immer mehr die
Abneigung ausprägt, höher entwickelte Säugetiere, die
unsere Gefährten der Schöpfung sind, ohne Not, viel-
mehr aus reiner Gewinnsucht umzubringen.
Bei der Vorbereitung der heutigen Debatte habe ich
die Ausführungen des Abteilungsleiters des kanadischen
Fischereiministeriums, Kevin Stringer, noch einmal auf-
merksam nachgelesen, der im Ausschuss für Ernährung,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz am 5. April die-
ses Jahres Ausführungen machte und für unsere Fragen
zur Verfügung stand. Ich zitiere aus dem Kurzprotokoll
Nr. 16/13 der 13. Sitzung des Ausschusses, Seite 28:
… Man müsse auch bedenken, das es sich hierbei
– gemeint ist die Robbenjagd –
um eine Tradition gerade für diese Gemeinschaften
handle, die seit über 400 Jahren in verschiedenen
Gebieten in Newfoundland, in Quebec und auch in
den atlantischen Provinzen erfolge.
Diese Ausführungen sind insoweit richtig, gehen aber
völlig am eigentlichen Problem vorbei.
Um es festzuhalten: Es steht für uns alle keineswegs
zur Debatte, die Rechte und Traditionen der indigenen
Bevölkerung in diesen Gebieten einzuschränken. Der
Anteil der Inuit an der jährlichen Robbenjagd zum Ei-
genverbrauch bewegt sich im einstelligen Prozentbe-
reich. Außerdem verwerten die Inuit die erlegten Tiere,
von denen sie leben, fast vollständig; ein kommerzieller
Handel findet so gut wie nicht statt.
Es sind die massenhaften, die grausamen Tötungsme-
thoden, die Jahr für Jahr erneut die internationale Öffent-
lichkeit auf den Plan rufen. Herr Stringer und die kanadi-
sche Regierung wissen das alles sehr gut, schrecken aber
nicht davor zurück, auch noch das letzte Argument aus
der staubigen Ecke zu holen, um damit eine Rechtferti-
gung für die jährliche Abschlachtung von inzwischen
mehr als 300 000 Jungrobben zu versuchen.
Kein modernes Land der Welt kann die bedrückenden
Bilder vorsätzlich erschlagener Robben einfach ignorie-
ren und die öffentliche Erregung als Sensationsgier der
Medien disqualifizieren.
Wir nehmen zur Kenntnis, dass sich die kanadische
Regierung durchaus um ein akzeptables Management
der Robbenjagd bemüht. Wir nehmen ebenfalls zur
Kenntnis, dass nicht nur Kanada wegen der Robbenjagd
öffentlich in Beschuss geraten ist. Auch in Norwegen
und Russland werden Jahr für Jahr Robben blutig getö-
tet.
An dieser Stelle fordere ich die Bundesregierung auf,
in ihren bilateralen Bemühungen zum Schutz der Rob-
ben gegenüber diesen Staaten nicht nachzulassen.
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Ein weiteres Argument möchte ich aufgreifen. Die
anadischen Anstrengungen eines verbesserten „Ma-
agements“ hören sich gut an, taugen jedoch oft nicht
ür die Praxis, denn sie versagen vor Ort, auf dem Eis
nd auf dem Fangschiff. Niemand kann jedem Jäger im
rühjahr auf dem kanadischen Eis über die Schulter
chauen, ob er auch alle nötigen vorgeschriebenen Tests
urchführt, um den Tod des Tieres eindeutig festzustel-
en. Solange immer wieder den noch lebenden und bes-
enfalls betäubten Robbenjungen buchstäblich das Fell
ber die Ohren gezogen wird, handelt es sich um tier-
uälerische Grausamkeit. Je höher die Jagdquote, desto
ehr Tiere müssen lebendigen Leibes sterben. Dabei ist
er Streit, wie viele Robben tatsächlich noch lebten, also
ei vollem Bewusstsein waren, oder aber „sachkundig“
rschlagen oder erschossen wurden, mehr als nebensäch-
ich. Dass es tatsächlich passiert, das ist der eigentliche
kandal.
Weiterhin ist es für mich unvorstellbar, Säugetiere nur
eshalb zu töten, um einen Teil des Tieres zu „gewin-
en“. Nashörner waren und sind wegen ihres angeblich
elebenden Hornes bedroht; Elefanten wurden wegen
es Elfenbeines fast vollständig ausgerottet.
Nur strikte Einfuhr- und Handelsboykotts und gesell-
chaftliche Ächtung haben diese Arten geschützt und er-
alten. Das hat oft sehr lange gedauert. Es funktioniert
eute besonders gut dort, wo Nationalstaaten strikt ge-
en illegale Jagdmethoden vorgehen, Erzeugnisse be-
chlagnahmen und dem internationalen Handel die
rundlage entziehen. Da die wehr- und schutzlosen
obben fast ausschließlich ihres Felles wegen getötet
erden, überzeugen auch die Hinweise auf die derzeit
icht vorhandene Gefährdung des Gesamtbestandes
icht. Beginnen wir jetzt endlich, diesen jährlichen Mas-
akern ein Ende zu setzen!
Kommen wir zum letzten Argument, das die Men-
chen veranlasst, dieses blutige Massensterben zu bege-
en. Es wird behauptet, die Robben gefährden die Fisch-
estände in dieser Region. Hier muss man deutlich
eststellen: Wenn jemand die Fischbestände in der Welt
efährdet, so sind das immer noch die Menschen. Dieses
irtschaftliche Interesse mit kulturellen Handlungswei-
en der Inuit zu tarnen, ist zynisch oder einfach nur
ochgradig peinlich bzw. einer entwickelten menschli-
hen Gesellschaft unwürdig.
Für den Verzicht auf Robbenprodukte benötigen wir
llerdings auch gesellschaftlichen Rückhalt. Einer der
ründe für den zunehmenden internationalen Pelzhandel
it Robbenfellen soll der Umstand sein, dass wohlbe-
eibtere Damen – und auch Herren –, sofern sie sich die-
es Statussymbol leisten können, inzwischen viel lieber
ng anliegende Jacken und Mäntel aus Robbenfell tragen
ls die „dick machenden“ Pelzmäntel. Also ist es eine
rscheinung in den „reichen“ Industrieländern. Dort
erden auch andere Robbenprodukte wie diverse Öle
nd Fette gehandelt, um zum Beispiel im wachsenden
ellnessbereich exotische Anwendung zu finden. Es
xistiert leider eben auch eine Nachfrage nach diesen
rodukten.
5654 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Oktober 2006
(A) )
(B) )
Wir haben gründlich überlegt, ob wir uns für ein Han-
delsverbot auf EU-Ebene einsetzen werden, weil alle re-
gulierenden Eingriffe in den weltweiten Handel und
Marktabschottungen stets auch unvermeidliche Neben-
wirkungen haben. Aber offensichtlich führt im Fall der
Robbenprodukte kein Weg daran vorbei. Wir sind sicher,
dass sich weitere europäische Staaten diesem Vorhaben
anschließen werden. Wir gehen davon aus, dass es des-
wegen sehr bald zu einem gemeinschaftsweiten Einfuhr-
und Handelsverbot mit Produkten aller Robbenarten
kommen wird.
Wohlgemerkt wird das auf europäischer Ebene ge-
schehen; denn nationale Alleingänge sind im vereinigten
Europa keine Lösung. Ich zitiere aus dem Antrag auf
Bundestagsdrucksache 16/2755:
„Harmonisierte europäische Lösungen sind ange-
sichts des freien Warenverkehrs … gegenüber na-
tionalen Maßnahmen vorzuziehen.“
Und, sehr geehrter Herr Minister Seehofer, es wäre
ein durchaus lohnendes Ziel für die deutsche Ratspräsi-
dentschaft ab Januar 2007! Wir möchten das der Koali-
tionsregierung ausdrücklich mit auf den Weg geben.
Mit dem fraktionsübergreifenden Gruppenantrag ent-
sprechen wir der großen Mehrheit in diesem Parlament
und der deutschen Bevölkerung. Wir setzen den Auftrag
der Mehrheit unserer Wählerinnen und Wähler um,
wirksam gegen die sich jährlich wiederholenden Grau-
samkeiten mit den Mitteln der Politik vorzugehen. Wir
entscheiden uns heute für den konsequenten Schutz der
Robben und wir sind sicher, dass wir damit einen wichti-
gen Grundstein zum Arterhalt legen.
Es ist ungefähr vierhundert Jahre her, dass eine Tier-
art – vorläufig – von unserer Erde verschwunden ist,
eine Tierart, die Mitteleuropa und das heutige Deutsch-
land über 200 000 Jahre lang bewohnte. Der letzte Auer-
ochse soll im Jahr 1627 von Wilderen erlegt worden
sein. Ich wünsche mir, auch für unsere Kinder und En-
kel, dass den Robben das Schicksal des Auerochsen er-
spart bleibt und dass sich menschliche Vernunft gemein-
sam mit politischem Handeln erfolgreich durchsetzen
wird.
Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD): Wir diskutieren
heute einen Antrag, über den weithin Einigkeit besteht.
Vier Fraktionen fordern gemeinsam die Bundesregie-
rung auf, sich verstärkt für den Schutz von Robben ein-
zusetzen.
Der Hintergrund ist klar: Es gibt kein zwingendes
konsumtives Interesse an Robbenprodukten – weder an
deren Fleisch, noch an den Fellen. Daher besteht – um
eine Formulierung aus unserem deutschen Tierschutzge-
setz zu gebrauchen – kein „vernünftiger Grund“, um
Jahr für Jahr mehrere Hunderttausend Tiere auf grau-
same Art und Weise zu töten.
Nun ist mir selbstverständlich klar, dass Kanada au-
ßerhalb des Geltungsbereiches unserer Gesetze und Ver-
ordnungen liegt. Dennoch ist es in meinen Augen keine
Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staa-
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es, wenn man die dortigen Tierschutzstandards auf-
erksam verfolgt und gegebenenfalls Anreize zu tier-
chutzwidrigen Praktiken verringert.
Die Argumente, die seitens der kanadischen Regie-
ung für die Robbenjagd ins Feld geführt werden, sind in
einen Augen nicht stichhaltig. Diplomatische Bemü-
ungen, die Haltung der Kanadier zu ändern, blieben
ruchtlos.
Es hat in der Vergangenheit den Versuch gegeben,
eispielsweise mit der so genannten Jungrobbenrichtli-
ie von 1983, durch legislative Maßnahmen auf Ebene
er EU die massenhafte Tötung von Robben in Kanada
u unterbinden oder zumindest wirksam einzuschränken.
ies ist – das muss man in dieser Offenheit konstatieren –
ründlich misslungen.
Nach wie vor bin ich der Auffassung, dass ein EU-
eit gültiges generelles Einfuhrverbot von Robbenpro-
ukten der beste Weg wäre, um dem hunderttausendfa-
hen Schlachten in der Arktis Einhalt zu gebieten. Daher
ordern wir die Bundesregierung auf, die bevorstehende
atspräsidentschaft zu nutzen, ein solches generelles
mportverbot – wie dies übrigens für Hunde- und Kat-
enfelle bereits geschehen ist – auf den Weg zu bringen.
Sollte ein solches Verbot jedoch nicht schnell zu reali-
ieren sein, so muss allerdings zügig ein nationales Im-
ortverbot her.
Ein Importverbot für Deutschland wäre übrigens kei-
eswegs ein „nationaler Alleingang“. So hat beispiels-
eise Italien einen befristeten Importstopp verhängt; ein
elgischer Gesetzesentwurf ist bereits von der EU notifi-
iert.
EU-weite oder nationale Einfuhrverbote brauchen wir
icht nur für die in diesem Antrag behandelten Robben-
rodukte und die bereits erwähnten Hunde- und Katzen-
elle. Ein weiteres drängendes Problem sind die Importe
on lebenden Wildvögeln. Auch hier gilt das über die
obben Gesagte: Auch wenn außerhalb Deutschlands
nd der EU in unverantwortlicher Weise Tiere aus rein
konomischen Beweggründen ohne Not gequält werden,
ürfen wir nicht die Augen verschließen. Vielmehr sind
ir gefordert, im Rahmen unserer gesetzgeberischen
ompetenz alles zu tun, um solchen Missständen abzu-
elfen.
In der heutigen Debatte – ich erwähnte dies bereits
ingangs – muss niemand in diesem Hause von unserem
nliegen überzeugt werden. Aus Sicht des Tierschutzes
st es ein überaus erfreulicher Umstand, dass wir einen
on einem breiten überfraktionellen Konsens getragenen
ntrag eingebracht haben.
Politik ist häufig ein Prozess des Abwägens und Ge-
ichtens verschiedener Interessen. Die Abwägung fällt
ielfach schwer und führt bei den verschiedenen Fraktio-
en in diesem Hause mitunter zu durchaus unterschiedli-
hen Ergebnissen. In der Frage des Imports von Robben-
rodukten ist die Sache anders: Wir hatten lediglich
bzuwägen zwischen der Eitelkeit einzelner Zeitgenos-
en einerseits, die sich mit echten oder vermeintlichen
tatussymbolen wie Pelzjacken oder -stiefeln schmü-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Oktober 2006 5655
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(B) )
cken wollen, und andererseits hunderttausendfachem
blutigem Tierleid an Kanadas Küsten. Dies fiel uns
leicht.
Ich bin guter Hoffnung, dass sich die Bundesregie-
rung im Sinne unseres Antrages einsetzen wird. Wir
werden ihr dabei sehr aufmerksam über die Schulter
schauen und gegebenenfalls auch „schubsen und drän-
geln“, wenn wir ungeduldig werden. Ich hoffe, dass dies
nicht nötig sein wird.
Hans-Michael Goldmann (FDP): Die Robbenjagd
in Kanada wird alljährlich von weltweiten Protesten be-
gleitet. Wir alle kennen die Bilder von Jungrobben, de-
ren Kulleraugen uns anklagend anblicken. Das darf uns
aber nicht den Blick darauf verstellen, dass die Jagd als
solche nicht verwerflich ist. Auch andere jagdbare Tiere
sehen niedlich aus. Es geht um die Art und Weise. In
Deutschland haben wir klare Regelungen, wie eine gute
fachliche Praxis in der Jagd auszusehen hat. Das Leid
der Tiere muss auf ein Minimum reduziert werden, Tiere
dürfen nicht angeschossen und dann ihrem Leiden über-
lassen werden. In Deutschland erbringen die Jäger als
Naturnutzer einen wichtigen Beitrag zum Erhalt und zur
Pflege von Fauna und Flora. Es ist mir wichtig, gerade
auch in der heutigen Debatte zu verdeutlichen, dass die
Arbeit unserer Jäger im Tier-, Natur-, Arten- und Um-
weltschutz international Vorbildcharakter hat.
Was alle Fraktionen gemeinsam in dieser Initiative
anprangern, ist die Nichtbeachtung dieser fachlichen
Praxis bei der Robbenjagd in Kanada. Wenn Tiere bei le-
bendigem Leibe gehäutet werden, wenn viele schwer
verletzte Tiere im Wasser oder auf dem Eis qualvoll ver-
enden, dann dürfen wir davor nicht die Augen verschlie-
ßen.
Alle Appelle der Vergangenheit an die kanadische Re-
gierung haben nicht gefruchtet. Es bleibt bei der trauri-
gen Bilanz, dass bei der jährlichen Robbenjagd viele
Tiere unnötig leiden müssen. Es zuzulassen, dass daraus
wirtschaftlicher Gewinn durch die Vermarktung in
Deutschland gezogen wird, ist ethisch nicht vertretbar.
Die EU hat mit der Jungrobbenrichtlinie bereits ein kla-
res Signal nach Kanada gesandt: Doch leider hat die
Richtlinie nicht den gewünschten Effekt gezeigt. Die
Robbenjagd beginnt jetzt zwar ein paar Wochen später,
aber an der Art und Weise hat sich nichts geändert. Es
muss daher jetzt klar gemacht werden, dass es nicht nur
um den Zeitpunkt geht, sondern um die Einhaltung be-
stimmter Tierschutzstandards bei der Jagd. Kanada muss
sich bewusst werden, dass diese Methoden nicht hono-
riert werden.
Es wäre daher wünschenswert, wenn die EU sich für
ein europaweites Verbot des Imports Robbenprodukten
entschiede, solange die Jagd nicht guter fachlicher Pra-
xis genügt. Die Bundesregierung muss sich hierfür auf
europäischer Ebene einsetzen.
Glücklicherweise betreibt inzwischen nicht einmal
mehr die kanadische Regierung Legendenbildung, in-
dem behauptet wird, die massenhafte Robbenjagd unter
Inkaufnahme tierschutzwidriger Jagdmethoden diene ei-
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er notwendigen Bestandskontrolle. Die Robbenpopula-
ion, um es hier einmal ganz klar und deutlich zu sagen,
efährdet nicht die Fischbestände. Natürlich fressen
obben Fische. Und natürlich konkurrieren sie damit
it den Menschen, die vom Fang dieser Fische leben.
och die Probleme der rückläufigen Erträge der Fische-
ei auf die Robben zu schieben, ist eine unzulässige Re-
uzierung komplizierter Zusammenhänge des Ökosys-
ems Meer. Die Fischbestände leiden an Überfischung.
ie Fischbestände leiden an der Meereserwärmung. Die
ischbestände leiden an der Umweltverschmutzung. Das
ind alles menschengemachte oder jedenfalls von
enschlichem Handeln verstärkte Probleme. Die Rob-
en können dafür nichts.
Viel wichtiger für den Erhalt der Arbeitsplätze in der
ischerei – in Kanada wie auch in Europa und Deutsch-
and – ist es, Lösungen für diese schwerwiegenden Pro-
leme zu finden. Wir müssen uns daran machen, die
eeresumwelt zu schützen. Wir müssen dafür Sorge tra-
en, die Klimaschutzziele weltweit konsequent umzuset-
en. Und wir müssen eine nachhaltige Fischerei zum
uge kommen lassen, die nicht durch Überfischung die
pirale der Bestandsreduzierung immer weiter dreht.
Ich habe es schon zu Beginn gesagt: Das Problem ist
icht die Jagd als solche. Das Problem ist die Art und
eise der Jagd und die massenhafte Tötung aus vorge-
chobenen Gründen. Artenschutz ist nicht nur ein Argu-
ent für den Kabeljau, sondern auch für die Robben.
Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Um es vorweg
u sagen: Wir stimmen dem fraktionsübergreifenden
ntrag zu; wir haben ihn seit Beginn seiner Entstehung
er geht ja auf eine Initiative der Grünen zurück – immer
nterstützt.
Wie der Antrag letztlich zustande gekommen ist und
elche Fraktionen am Ende als Initiatoren im Kopf ste-
en, ist ein absurdes Lehrstück dafür, wie der Kalte
rieg in den Köpfen von CDU und CSU noch immer
eiter spukt.
Als Verantwortliche für Tierschutz habe ich an den
orbereitenden Gesprächen für diesen interfraktionellen
ntrag teilgenommen. Erst kurz vor dessen Einbringung
at sich die Union gesperrt, zusammen mit der Linken
uf einem Antrag zu erscheinen. Es gebe da einen Unver-
inbarkeitsbeschluss.
Es ist traurig, dass die Partei, die sich immer so gerne
uf die Bewahrung der Schöpfung beruft, nicht den Hin-
rn in der Hose hat, wenigstens punktuell mit politischen
egnern zu kooperieren, wenn es um die Erhaltung der
atürlichen Umwelt geht. Dass einige Gazetten diesen
mstand genüsslich so zurechtbiegen, als sei es die
inke, die sich einem solchen Antrag verweigert, war zu
rwarten. Der Journalismus in diesem Land ist ohnehin
eitgehend dem Mainstream verpflichtet. Und dann
ommt eben so etwas dabei heraus.
Aber geschenkt. Nun zum Inhalt. Es ist dem Antrag
nzusehen, dass er einen Minimalkonsens darstellt, da
ie Union in Sachen Tierschutz wie immer gebremst hat.
er erste Antragsentwurf hatte die Bundesregierung
5656 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Oktober 2006
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noch aufgefordert, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der
in Deutschland die Einfuhr und den Handel mit Produk-
ten aller Robbenarten verbietet. Solche Gesetze haben
auch die Niederlande und Belgien der EU-Kommission
zur Notifikation vorgelegt.
Auf Druck der CDU/CSU ist dieser Passus gestrichen
worden. Was bleibt, ist die Anforderung, die Bundes-
regierung möge national den Handel irgendwie unter-
binden. Nur gemeinschaftsweit soll sie sich für ein ge-
setzliches Verbot einsetzen. Damit ist der Antrag deutlich
geschwächt worden. Sollte sich die EU hier überhaupt
einigen, könnte das unter Umständen noch Jahre dauern.
Und so lange ist dank Union auch in Deutschland der
Handel mit Robbenfellen nicht gesetzlich verboten.
CDU und CSU haben ebenfalls dafür gesorgt, dass
eine dritte Forderung gestrichen wird, die ursprünglich
im Antragsentwurf stand: Danach sollte sich die Bundes-
regierung auf EU- und internationaler Ebene für ein
Kennzeichnungssystem und eine Kennzeichnungspflicht
für in Kleidungsstücken verarbeitete Felle einsetzen.
Ohne eine solche Kennzeichnung lassen sich aber weder
ein Handels- und Einfuhrverbot noch andere einschrän-
kende Maßnahmen à la CDU/CSU vernünftig durchset-
zen. Effiziente Kontrollmechanismen sind für die Hüter
der Markwirtschaft halt Teufelszeug. Absichtserklärun-
gen dagegen sind immer wohlfeil. Nun fragen vielleicht
einige, warum die Linke diesen deutlich abgewerteten
Antrag trotzdem unterstützt. Wir machen dies erstens,
weil es ein erster Schritt ist, dem freilich weitere folgen
müssen. Zweitens sehen wir hier auch eine Verpflich-
tung für Frau Merkel bei der EU-Präsidentschaft, dieses
Thema auf die Agenda zu nehmen. Drittens spielen wir
nicht beleidigte Leberwurst, nur weil wir wieder einmal
ausgegrenzt werden. Politik muss sich um Inhalte drehen
und viele Themen eignen sich einfach nicht zur Profilie-
rung.
Inhaltlich haben meine Kollegen wohl alles gesagt,
was zu sagen ist, um ein solches Verbot zu begründen.
Ich möchte noch einmal unterstreichen: Nicht die Rob-
ben bedrohen die Kabeljaubestände, sondern die Über-
fischung der Weltmeere. Die Linke hat übrigens gerade
heute eine Große Anfrage zum Meeresschutz an den
Bundestag übermittelt.
Wir dürfen nicht zulassen, dass aus wirtschaftlichen
Interessen der Artenschutz unterlaufen und der Tier-
schutz sträflich missachtet wird. Das grausame Ab-
schlachten der Tiere auf dem Eis muss endlich ein Ende
haben.
Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich
bin froh, dass wir heute endlich den Antrag behandeln
und verabschieden, mit dem wir das Verbot der Einfuhr
und des Handels von Robbenprodukten auf den Weg
bringen. Dafür haben wir Grüne uns lange eingesetzt.
Die Initiative für diesen konkreten Antrag hatten wir
bereits im Frühjahr ergriffen. Die Meinungsbildung hat
einige Monate gedauert, und wir mussten etliche Hürden
überwinden, aber heute ist es endlich so weit.
Ich möchte hier noch einmal kurz begründen, warum
uns dieses Anliegen so wichtig ist. Weltweit werden
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edes Jahr Hunderttausende Robben auf grausame Weise
bgeschlachtet. Den größten Teil töten die Kanadier all-
ährlich bei der kommerziellen Robbenjagd im Frühjahr.
ejagt werden vor allem Jungtiere. Seit der Wiederauf-
ahme der Robbenjagd im Jahr 1996 wurden allein in
anada über 3 Millionen Sattelrobben getötet. Bezogen
uf das Jahr 2006 waren es 335 000 Tiere.
Die Bilder über die Robbenjagd sorgen jedes Jahr er-
eut für große weltweite Entrüstung. Das liegt vor allem
aran, dass dieses blutige Handwerk in der Praxis weit
on tierschutzgerechter Tötung und dem, was wir unter
agd verstehen, entfernt ist. Filmaufnahmen belegen die
rausamkeit der Robbenjagd. Die Beteuerungen der
obbenfänger und auch des Pelzhandels – Sie haben
icher wie ich entsprechende Briefe bekommen –, die
angmethoden hätten sich mittlerweile geändert und
eien nunmehr tierschutzgerecht, können durch aktuelles
ilmmaterial eindeutig widerlegt werden. Auch die
ehauptungen über die Fairness der Robbenjagd, die der
anadische Regierungsvertreter bei uns im Ausschuss
emacht hat, konnten durch Fotos und Filme eindrucks-
oll als unwahr widerlegt werden. Dies war, wie ich
inde, ein sehr beschämender Vorgang. Von der regie-
ungsoffiziellen Robbenjägerlobby schlicht und einfach
elogen zu werden, hat, so war mein Eindruck, wesent-
ich dazu beigetragen, dass der Antrag heute eine breite,
oraussichtlich sogar einstimmige Mehrheit finden wird.
Es sind aber nicht nur Tierschutzaspekte, die uns zu
er Entscheidung geführt haben, dass die Robbenjagd
estoppt werden muss. Das Robbenschlachten steht auch
icht mit den Anforderungen der Nachhaltigkeit und des
rtenschutzes in Einklang: Es besteht die Gefahr, dass
ie hohen Jagdquoten den Erhalt der Population bedro-
en, insbesondere weil es weitere Risikofaktoren gibt.
as sind neben dem Beifang bei der Fischerei vor allem
ie Klimaänderungen und die damit drohende Zerstö-
ung des Lebensraumes. Was für die Einschränkung des
ebensraumes des Eisbären zutrifft, gilt letztendlich auch
ür die Robben: Die sommerliche Meereseisbedeckung
er Arktis geht zusehends zurück und wird bis zur Mitte
ieses Jahrhunderts bis auf Relikte verschwunden sein.
uch die Eisbedeckung im Winter und Frühjahr wird auf
eden Fall in Ausdehnung und Dicke deutlich geringer.
ies wird erheblichen Einfluss auf die Populationen
aben, da Arten wie Sattelrobbe und Klappmütze zur
ermehrung auf Packeis angewiesen sind.
Sieht man von der traditionellen und deswegen aus-
rücklich erlaubten Jagd der Inuit ab, ist die Robbenjagd
arüber hinaus überflüssig, da es für das Fell und für die
nderen Produkte, die von diesen Seehunden hergestellt
erden, zahlreiche Alternativen gibt. Fleisch, Fett und
leidung sind auch ohne Robbenjagd ausreichend vor-
anden.
Das Einfuhr- und Handelsverbot für alle Robbenpro-
ukte in Deutschland allein wird das Robbenschlachten
icht stoppen. Es werden noch viel mehr Länder folgen
üssen, um das Morden zu beenden. Aber es ist das,
as Deutschland im Augenblick tun kann. Und es ist ein
eutliches Signal an die Nationen, die noch heute die
obbenjagd betreiben.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Oktober 2006 5657
(A) )
(B) )
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, die
monatelange Verzögerung auf dem Weg zu diesem ge-
meinsamen Antrag war auf ganz wenige Akteure bei der
CDU zurückzuführen. Von Anfang an gab es bei Ihnen
Befürworter für ein gemeinsames Vorgehen. Blockiert
hat dieses Vorhaben vor allem Ihr agrarpolitischer Spre-
cher. Ich denke, Sie haben sich damit keinen Gefallen
getan; und ich hoffe, Sie ziehen daraus für die Zukunft
ihre Schlussfolgerungen.
Ich bedaure es im Übrigen sehr, dass die Union letzt-
lich nur zu einer Zustimmung zu bewegen war, wenn die
Fraktion der Linken von der Antragstellung ausgeschlos-
sen bleibt, obwohl sie unseren Antrag unterstützt und
wir sie von Anfang an in die interfraktionellen Abstim-
mungen zum Thema einbezogen haben. Ich meine, diese
Prinzipienreiterei und diese Art des Umgangs mit dem
politischen Konkurrenten hier im Deutschen Bundestag
schaden der politischen Kultur und dem Ansehen der Po-
litik in Deutschland sehr. Ich denke, die Bürger hätten
ein besseres Bild von der Politik, wenn sie sehen wür-
den, dass Politiker dort zu einem gemeinsamen Agieren
in der Lage sind, wo Einigkeit in der Überzeugung
herrscht. Aber wir konnten und wollten den Erfolg in der
Sache an diesem Punkt nicht gefährden und den Antrag
nicht an dieser Frage scheitern lassen. Letztlich ist dies
eine Auseinandersetzung, die die Fraktion der Linken
mit der Union fuhren muss. Ich möchte hier aber klar
und deutlich zum Ausdruck bringen, dass wir diese Aus-
grenzung missbilligen und keinesfalls mit betreiben.
Zum Schluss meiner Rede möchte ich an die Bundes-
regierung appellieren, unseren heutigen Beschluss zügig
umzusetzen. Denn der Beschluss selber ist erst einmal
nicht mehr als eine Willensbekundung. Die Bundes-
regierung muss ihre Ratspräsidentschaft im nächsten
Jahr nutzen, um auch dort auf eine schnelle Umsetzung
des Beschlusses des Europäischen Parlamentes zuguns-
ten eines Handelsverbotes für Robbenprodukte in der
EU zu drängen.
Außerdem muss die Bundesregierung zügig die nöti-
gen Gesetz- und Verordnungsentwürfe erarbeiten und
vorlegen. Ich hoffe, hier gibt es in den Ministerien keinen
hinhaltenden Widerstand, sondern den festen Willen, die
Beschlüsse des Bundestages auch umzusetzen.
Anlage 9
Zu Protokoll gegebene Rede
zur Beratung der Anträge:
– Umfassenden Feldversuch über die Vor- und
Nachteile von 60-Tonnen-LKW starten
– Keine 60-Tonnen-LKW auf deutschen Stra-
ßen
(Tagesordnungspunkt 20 und Zusatztagesord-
nungspunkt 11)
Hubert Deittert (CDU/CSU): Wir beraten heute
zwei Anträge der Oppositionsfraktionen zum Thema
„60-Tonnen-LKW auf deutschen Straßen“. Hintergrund
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ür die Debatte um größere Lastkraftwagen ist das zu-
ehmende Verkehrsaufkommen in Deutschland und in
uropa und die damit einhergehenden Belastungen. Die
rognosen im Bundesverkehrswegeplan gehen im Ver-
leichszeitraum 1997 bis 2015 von massiven Steigerun-
en der Verkehrsleistungen aus. Demnach werden die
erkehrsleistungen im Personenverkehr in diesem Zeit-
aum um 20 Prozent und im Güterverkehr um 64 Prozent
teigen. Neuere Prognosen gehen sogar von noch höhe-
en jährlichen Zuwachsraten, als bislang angenommen,
us.
Nach dem sprunghaft angestiegenen Verkehrsauf-
ommen zwischen neuen und alten EU-Mitgliedstaaten
ls Folge der EU-Osterweiterung am 1. Mai 2004 hat
ich diese Entwicklung im Jahr 2005 fortgesetzt. Dies ist
unächst einmal eine erfreuliche Entwicklung; denn ein
eger Güteraustausch ist ein Zeichen für einen funktio-
ierenden Binnenmarkt und für das wirtschaftliche Zu-
ammenwachsen Europas.
Um den wachsenden Verkehr in Deutschland mög-
ichst störungsfrei zu bewältigen, werden wir alle Ver-
ehrsträger brauchen, das heißt Straße, Schiene und
asserweg. Es sind deshalb alle Rationalisierungsmög-
ichkeiten zu nutzen; das gilt insbesondere für die Um-
chlageinrichtungen. Ich sehe gerade auch bei Schiene
nd Wasserstraße noch erhebliche Reserven, die mit ver-
retbarem Aufwand zu erschließen sind.
Den Großteil des wachsenden Güterverkehrsaufkom-
ens wird allerdings die Straße zu bewältigen haben.
ies bedeutet eine zusätzliche Belastung unserer Bun-
esfernstraßen. Eine vorausschauende Verkehrspolitik
at sich darauf einzustellen. Als Regierungskoalition tra-
en wir dieser Entwicklung Rechnung. Wir sind dabei,
en zu Recht beklagten Investitionsstau der letzten Jahre
chritt für Schritt aufzulösen. Bis 2009 werden zusätzli-
he 4,3 Milliarden Euro für Infrastrukturmaßnahmen be-
eitgestellt. Mit einem „Masterplan Güterverkehr und
ogistik“ wollen wir die intelligente Vernetzung der Ver-
ehrsträger und damit eine höhere Effizienz und Wirt-
chaftlichkeit des gesamten Verkehrssystems erreichen.
ine weitere wichtige Maßnahme in diesem Zusammen-
ang ist die Planungsbeschleunigung für Infrastruktur-
orhaben.
Auch innovative Fahrzeugkonzepte können einen
ichtigen Beitrag zur Bewältigung des steigenden Ver-
ehrsaufkommens leisten. Vor diesem Hintergrund for-
ert die FDP-Fraktion in ihrem Antrag, einen umfassen-
en deutschlandweiten Feldversuch über die Vor- und
achteile von 60-Tonnen-LKW zu starten. Ein mit den
erbänden abgestimmter Versuch soll die Frage klären,
b durch den Einsatz von 60-Tonnen-LKW ein wirksa-
er Beitrag zur Entlastung der Straße geleistet werden
ann.
Allerdings sind die betroffenen Verbände sich keines-
egs einig in der Beurteilung von Sinn und Nutzen grö-
erer LKW. Während der Bundesverband des Deutschen
roß- und Außenhandels davon ausgeht, dass durch eine
ulassung nahezu das gesamte Güterverkehrswachstum
er nächsten Jahre aufgefangen werden könne, sieht der
5658 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Oktober 2006
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(B) )
Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsor-
gung hier noch viele offene Fragen.
Das Thema „60-Tonnen-LKW“ ist nicht neu. Bereits
in der vergangenen Legislaturperiode haben wir uns da-
mit beschäftigt. Die Vorteile größerer Lastkraftwagen
liegen in einem niedrigeren spezifischen Kraftstoffver-
brauch, niedrigeren spezifischen Emissionen und in ge-
ringeren Transportkosten. Die Befürworter versprechen
sich von ihrem Einsatz eine Reduzierung der Zahl der
LKW-Fahrten und damit einen Beitrag zur Entlastung
von Umwelt und Straßen. Skeptiker äußern hingegen die
Befürchtung, dass durch die Senkung der Transportkos-
ten genau das Gegenteil des gewünschten Effektes ein-
tritt, nämlich die Rückverlagerung vom kombinierten
Verkehr Schiene-Straße auf die Straße. Dieser Einwand
ist jedenfalls nicht einfach von der Hand zu weisen.
Ob die Gleichung aufgeht, hängt von vielen Faktoren
ab. Dem unbestreitbaren rein rechnerischen Nutzen grö-
ßerer Lastkraftwagen sind die absehbaren Kosten gegen-
überzustellen. Eines der zentralen Probleme in der
Diskussion um die Zulassung der 60-Tonner ist die Be-
lastbarkeit unserer Straßen und Brücken. Für die Belas-
tung von Brücken ist nicht die geringere Achslast ent-
scheidend, sondern das höhere Gesamtgewicht. Viele
Brücken sind aber nicht für ein solches Gewicht ausge-
legt. Sie könnten durch eine zu hohe Belastung beschä-
digt werden und im schlimmsten Fall sogar zusammen-
brechen. Ein einzelner 60-Tonnen-LKW stellt sicherlich
kein Problem dar. Was aber passiert zum Beispiel bei ei-
nem Stau mehrerer 60-Tonner auf einer Brücke? Einige
Brücken stoßen bereits heute an ihre Belastungsgrenze.
Um diese Bauwerke flächendeckend für die schweren
LKW sicher zu machen, wären umfangreiche Baumaß-
nahmen erforderlich. Es spricht also einiges dafür, einen
eventuellen Einsatz auf genau definierte Strecken zu be-
grenzen.
Veränderte Fahrzeugmaße werfen darüber hinaus eine
Reihe praktischer Fragen auf, die vor allem die Ver-
kehrssicherheit betreffen. Ich nenne nur einige Punkte:
Die Kurvenradien an Autobahnauffahrten, an Abfahrten
und in Kreisverkehren sind für Fahrzeuge mit einer Ge-
samtlänge von über 25 Metern zu eng. Und wie steht es
um die Akzeptanz der anderen Verkehrsteilnehmer?
Überholvorgänge werden länger und damit potenziell
gefährlicher. Gibt es ein erhöhtes Unfallrisiko größerer
Fahrzeuge und mit welchen Unfallfolgen ist – etwa bei
einem Aufprall auf einen Brückenpfeiler – zu rechnen?
Sind die LKW-Plätze auf Park- und Rastplätzen ausrei-
chend groß?
Schließlich möchte ich noch eine grundsätzliche
Frage stellen: Was kommt eigentlich nach dem 60-Ton-
nen-LKW? Wo liegt die Grenze des technisch Be-
herrschbaren? In Australien fahren LKW-Züge von
53 Metern Länge. Dies wäre für deutsche Verhältnisse
eindeutig zu viel. Aber auch die Erfahrungen aus Schwe-
den oder Finnland mit 60-Tonnern lassen sich wegen der
unterschiedlichen Geografie nicht eins zu eins auf
Deutschland übertragen.
Hier kritisch nachzufragen heißt nicht, sich grund-
sätzlich gegen Innovationen im Fahrzeugbereich zu
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perren. Eine pauschale Ablehnung, wie es im Antrag
er Grünen gefordert wird, halte ich deshalb für überzo-
en. Ich denke, wir sind gut beraten, die Argumente
orgfältig zu prüfen und abzuwägen, bevor wir zu einer
ndgültigen Entscheidung über eine Zulassung kommen.
ie Sie wissen, untersucht die Bundesanstalt für Stra-
enwesen zurzeit die Beanspruchungssituation und
renztragfähigkeit verschiedener Brückenbauwerke bei
inem Verkehr mit Fahrzeugen bis 60 Tonnen. Darüber
inaus sind in mehreren Bundesländern befristete Aus-
ahmegenehmigungen für den Betrieb erteilt worden. In
aden-Württemberg zum Beispiel ist diese Genehmi-
ung an eine Reihe von Bedingungen geknüpft. So ist
ort die wissenschaftliche Begleitung durch die Bundes-
nstalt für Straßenwesen sichergestellt. Zwischen- und
bschlussberichte sind vorgesehen.
Bevor wir einen deutschlandweiten Feldversuch
urchführen, sollten wir die Ergebnisse der laufenden
ntersuchungen abwarten und auswerten. Wir als CDU/
SU-Fraktion werden uns nach einer sorgfältigen Bera-
ung im Fachausschuss ein Urteil bilden. Die Notwen-
igkeit einer weiteren aufwendigen Studie zum jetzigen
eitpunkt kann ich allerdings nicht erkennen.
nlage 10
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über
die Durchsetzung der Verbraucherschutzge-
setze bei innergemeinschaftlichen Verstößen
(Zusatztagesordnungspunkt 12)
Julia Klöckner (CDU/CSU): Das Einkaufen im Aus-
and ist heute selbstverständlich. Ob Lebensmittel, Haus-
altsgeräte, Versicherungen oder Reisebuchungen, der
renzüberschreitende Waren- und Dienstleistungsver-
ehr bereichert das Angebot, die Wahlfreiheit und den
ettbewerb. Das kommt dem Verbraucher zugute.
Das ist die eine Seite. Die andere jedoch bringt das
roblem des Verbraucherschutzes zutage. Die EU sorgt
ich zwar um deren Harmonisierung, aber die Durchset-
ung dieser Rechte war bislang das Problem. Wenn näm-
ich zum Beispiel das Fernsehgerät aus Frankreich nicht
as hält, was die Werbung versprochen hat, dann hatte
er Verbraucher bisher Schwierigkeiten, an sein Recht
u kommen.
Mit dem neuen Gesetz zur Umsetzung zur Durchset-
ung der Verbraucherschutzgesetze bei innergemein-
chaftlichen Verstößen wird dies nun anders. Einem Un-
ernehmen, das bei seinen europaweiten Geschäften
egen die Rechte der Verbraucher verstößt, kann jetzt
chneller und leichter das Handwerk gelegt werden. Ne-
en der Stärkung der Verbraucherrechte auf europäischer
bene bedeutet dies aber auch eine Stärkung des Wachs-
umspotenzials für den europäischen Binnenmarkt. Denn
urch diese Ausweitung auf europäischer Ebene werden
ukünftig noch mehr Kunden den europäischen Markt
utzen. Damit werden also nicht nur die Verbraucher-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Oktober 2006 5659
(A) )
(B) )
rechte, sondern auch europäische Wirtschaftsinteressen
gestärkt.
Ausgangsbasis für den heutigen Gesetzesentwurf ist
die EG-Verordnung, die die Durchsetzung von Verbrau-
cherrechten bei grenzüberschreitenden Verstößen gegen
Gesetze zum Schütze der Verbraucher verbessern will.
Damit sind alle Mitgliedstaaten verpflichtet, eine zen-
trale Verbindungsstelle und eine oder auch mehrere für
die Durchsetzung zuständige Behörden zu benennen.
Dabei umfasst die EG-Verordnung Fälle innergemein-
schaftlicher Verstöße gegen kollektive Verbraucherinte-
ressen über Grenzen in der EU hinweg, also dann, wenn
ein Unternehmen aus Mitgliedstaat A gegen Verbrau-
cherrecht im Mitgliedstaat B verstößt. Hier kann das
neue Behördennetz tätig werden. Es erfasst aber keine
Verstöße, die nur innerhalb eines Mitgliedstaats erfol-
gen. Mit diesem Gesetz soll vielmehr der kollektive Ver-
braucherschutz auf europäischer Ebene angeglichen und
harmonisiert werden.
Das heißt konkret: Eine Behörde muss auf Ersuchen
einer Schwesterbehörde eines EU-Nachbarlandes alles
Erforderliche tun, um festzustellen, ob, wie behauptet,
ein Verstoß gegen Verbraucherrechte vorliegt. Sie muss
die relevanten Unterlagen bei dem Unternehmen einse-
hen und Auskünfte geben können. Und auch die Ermitt-
lung vor Ort gehört dazu. Dies ist sicherlich ein Schritt
in die richtige Richtung und ein deutliches Zeichen, um
illegalen Praktiken einen Riegel vorzuschieben.
Denn mit dem Gesetz, können grenzüberschreitende
Verstöße gegen das Wettbewerbsrecht, wie zum Beispiel
irreführende oder aggressive Werbepraktiken, unzuläs-
sige Vertragsklauseln, die Nichteinhaltung der Vorschrif-
ten über das Fernsehabsatzrecht, Verstöße bei Haustür-
geschäften, aber auch des Pauschalreiserechts oder des
Arzneimittelrechts von den Behörden oder den von ih-
nen beauftragten Organisationen verfolgt werden. Vo-
raussetzung, damit die Behörden eingreifen können, ist:
Kollektive Verbraucherschutzinteressen müssen betrof-
fen sein.
Wie sieht nun die konkrete Anwendung der EG-Ver-
ordnung in Deutschland aus? Mit dem Entwurf des EG-
Verbraucherschutzdurchsetzungsgesetzes werden die
Voraussetzungen für die tatsächliche Anwendbarkeit der
Verordnung bis Ende Dezember in Deutschland geschaf-
fen. Hierzu zählen die Benennung der zentralen Verbin-
dungsstelle, die Benennung der zuständigen Behörden,
die Regelung der erforderlichen Zwangsbefugnisse und
die Regelung der Einbeziehung geeigneter dritter Stellen
– insbesondere von Verbraucherzentralen – zur Einstel-
lung von Verstößen.
Kurz zu der Benennung der zentralen Verbindungs-
stelle: Als zentrale Verbindungsstelle wird das Bundes-
amt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit
benannt. Dem Bundesamt für Verbraucherschutz und
Lebensmittelsicherheit obliegt es damit, die Kommuni-
kation mit den zuständigen nationalen Behörden und in-
nerhalb des europäischen Netzwerkes sicherzustellen.
Unmittelbare exekutive Befugnisse wird das BVL nicht
haben. Mit der Entscheidung für das Bundesamt für Ver-
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raucherschutz und Lebensmittelsicherheit ist eine gute
ahl getroffen worden Diese Behörde hat die richtigen
oraussetzungen, um als zentrales Bindeglied zu fungie-
en.
Neben dem Bundesamt für Verbraucherschutz und
ebensmittelsicherheit, das für alle Verstöße zuständig
st, die nicht aufgrund spezieller Regelungen durch an-
ere Behörden verfolgt werden, wird auch die Bundes-
nstalt für Finanzdienstleistungen und das Luftfahrtbun-
esamt in Erscheinung treten. Die Bundesanstalt für
inanzdienstleistungsaufsicht wird vorrangig dann tätig,
enn es sich um Verstöße handelt, die von Unternehmen
m Bereich des Bank-, Versicherungs- oder Wertpapier-
esens begangen werden. Und das Luftfahrtbundesamt
reift ein, wenn Verstöße gegen die EU-Verordnung über
assagierrechte bei Annullierungen und großen Verspä-
ungen im Luftverkehr vorliegen.
Soweit auf Länderebene bereits Behörden mit der
urchführung von Gesetzen befasst sind, die vom An-
endungsbereich der Verordnung betroffen werden,
leiben die Länderzuständigkeiten unberührt. Dies gilt
ei der Fernsehrichtlinie, der Preisangabenrichtlinie so-
ie der Richtlinie zur Schaffung eines Gemeinschafts-
odexes für Humanarzneimittel.
Die Verordnung gestattet unter bestimmten Bedin-
ungen, dass die Behörde nicht selbst tätig wird, sondern
ine geeignete dritte Stelle mit der Einstellung des Ver-
toßes beauftragt. Zu diesem Zwecke werden die zustän-
igen Behörden ermächtigt, Rahmenvereinbarungen mit
eeigneten Stellen abzuschließen. Geeignete Stellen sind
or allem Verbraucherzentralen, aber auch Verbände der
irtschaft, wie die Wettbewerbszentrale. Die Eignung
estimmt sich nach den Vorgaben des Unterlassungskla-
engesetzes. Dieses regelt, welche Vereinigungen gegen
erbraucherschutzinteressen beeinträchtigende Ver-
töße vorgehen können.
Denn eines ist auch klar: Wir wollen mit diesem Ge-
etz so wenig Bürokratie wie möglich schaffen und des-
alb in der Praxis versuchen, die Verbraucherzentralen
der die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbe-
erbs mit der Verfolgung von Rechtsverstößen zu beauf-
ragen. So können wir sicherstellen, dass auch zukünftig
as bewährte System erhalten bleibt. Ich denke, dies ist
uch in Richtung der Verbraucherzentralen und der Ver-
ände der Wirtschaft ein wichtiges Signal.
Da es sich bei der Verordnung um unmittelbar gelten-
es Recht handelt, kann der nationale Gesetzgeber nur in
ngen Grenzen Durchführungsregeln erlassen. In dem
ntwurf werden deshalb nur die Regelungen getroffen,
ie für die tatsächliche Anwendbarkeit unverzichtbar
ind. Soweit nicht bereits behördliche Spezialzuständig-
eiten bestehen, wird das BVL auf Bundesebene die Ge-
eralzuständigkeit als Durchsetzungsbehörde haben.
Mit der Zuständigkeit des Bundesamtes für Verbrau-
herschutz und Lebensmittelsicherheit und damit des
undesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und
erbraucherschutz wird der Tatsache Rechung getragen,
ass es sich bei der Durchsetzung verschiedenster
echtsvorschriften zugunsten der Verbraucher bei grenz-
5660 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Oktober 2006
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überschreitenden Verstößen in einem europaweiten Be-
hördennetzwerk um eine klassische Querschnittsaufgabe
handelt. Der Koalitionsvertrag definiert den Verbrau-
cherschutz ausdrücklich als Querschnittsaufgabe. Diese
Funktion soll und wird das Bundesministerium für Er-
nährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ausfül-
len.
Insgesamt ist dieses Verbraucherschutzdurchset-
zungsgesetz die richtige Antwort, um unseriösen Ge-
schäftspraktiken einen Riegel vorzuschieben, die kollek-
tiven Verbraucherrechte zu stärken und auf europäischer
Ebene zu harmonisieren. Die Bundesregierung nimmt
den praktisch anwendbaren Verbraucherschutz zum
Wohle aller Bürgerinnen und Bürger Deutschlands ernst.
Elvira Drobinski-Weiß (SPD): Wir haben heute ei-
nen komplizierten Gesetzentwurf vorliegen, der zeigt,
wie schwierig es in Deutschland ist, Verbraucherrechte
durchzusetzen. Kompliziert, aber gut und wichtig; denn
damit sollen die unverzichtbaren Voraussetzungen für
die Umsetzung der EU-Verordnung 2006/2004 über die
Zusammenarbeit im Verbraucherschutz in nationales
Recht geschaffen werden.
Die EU-Verordnung ist bereits Ende Dezember 2004
in Kraft getreten. Sie wird gestaffelt wirksam. Zum Teil
ist Deutschland mit der Umsetzung in Verzug. Ziel der
Verordnung ist es, innerhalb der Europäischen Union ein
Netzwerk von Verbraucherschutzbehörden zu errichten,
die sich gegenseitig bei der Durchsetzung von Maßnah-
men im Falle grenzüberschreitender Verstöße gegen kol-
lektive Verbraucherinteressen unterstützen. Bis Ende
2006 soll das Netz der Kontaktstellen für Verbraucherin-
nen und Verbraucher in der ganzen EU aufgebaut sein.
Was heißt das konkret für Verbraucherinnen und Ver-
braucher? Ich will ein Beispiel nennen: Es kommt immer
wieder vor, dass Fluggesellschaften Flüge grundlos und
ohne Entschädigung absagen. Das ist nicht nur ärgerlich,
das verletzt die Rechte des Fluggastes. Hierbei handelt
es sich um ein typisches grenzüberschreitendes Problem,
da der Fluggast und die Fluggesellschaft oft nicht aus
demselben Mitgliedstaat stammen. Weil sich diese Fälle
häufen, wird hier ein kollektives Verbraucherinteresse
sichtbar. Für diesen Bereich der Fluggastrechte gibt es
bereits eine entsprechende Verordnung, die es den Ver-
brauchern ermöglicht, effektiv ihre Rechte geltend zu
machen. Aber das ist bisher die Ausnahme.
Der heute vorliegende Gesetzentwurf stärkt nun gene-
rell die Rechte von Verbraucherinnen und Verbrauchern
gegenüber grenzüberschreitenden Verstößen. Denn wo
die Verbraucher bisher auf den beschwerlichen, weil in-
dividuellen Zivilrechtsweg verzichtet haben, werden
Verbraucherinteressen mit diesem Gesetz nun gebündelt
und von Behörden bzw. Verbänden durchgesetzt.
Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, eine zentrale
Verbindungsstelle und die für die Durchsetzung von
konkreten Maßnahmen zuständigen Behörden zu benen-
nen. Die zuständigen Behörden müssen über die in der
Verordnung vorgesehenen Befugnisse verfügen, um ge-
gen die Verletzung kollektiver Verbraucherrechte vorge-
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en zu können. Unter bestimmten Voraussetzungen kön-
en Behörden hierzu auch geeignete Dritte einschalten.
amit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass in
eutschland, anders als in anderen Mitgliedstaaten, übli-
herweise Verstöße gegen Verbraucherrechte durch Ver-
raucherschutz- oder Wirtschaftsverbände auf dem Zi-
ilrechtsweg verfolgt werden. Erfasst werden nur
erstöße, die einen grenzüberschreitenden Bezug haben;
uf rein nationale Sachverhalte sind weder die EG-Ver-
rdnung noch das nationale Gesetz anwendbar. Die EG-
erordnung dient auch nicht der Durchsetzung von Indi-
idualansprüchen der Verbraucher.
Der Gesetzentwurf trifft nur insoweit Regelungen,
ie dies erforderlich ist, um die grenzüberschreitende
ehördenzusammenarbeit in der Praxis zu ermöglichen.
ierzu zählen die Benennung der zentralen Verbin-
ungsstelle, die Benennung der für die Durchsetzung zu-
tändigen Behörden, die Regelung der erforderlichen
wangsbefugnisse, die Regelung der Einbeziehung ge-
igneter dritter Stellen, insbesondere von Verbraucher-
entralen, zur Einstellung von Verstößen. Zentrale Ver-
indungsstelle, die für die Kommunikation innerhalb des
etzwerks zuständig ist, wird das Bundesamt für Ver-
raucherschutz und Lebensmittelsicherheit. Das BVL ist
uch die für die Durchsetzung der Verbraucherrechte zu-
tändige Behörde, soweit nicht auf Bundes- oder Lan-
esebene bereits Spezialzuständigkeiten bestehen. Der
esetzentwurf sieht vor, dass Fälle grenzüberschreiten-
er Verletzungen von Verbraucherrechten vorrangig an
eeignete dritte Stellen abgegeben werden sollen. Damit
ird sichergestellt, dass auch künftig das erfolgreiche
rivatrechtliche Durchsetzungssystem in Deutschland
rhalten bleibt. Das Unterlassungsklagengesetz und das
esetz gegen den unlauteren Wettbewerb werden geän-
ert, um Verbraucherverbänden und sonstigen klagebe-
ugten Einrichtungen ein Tätigwerden auch in grenz-
berschreitenden Fällen zu ermöglichen.
Die Anwendung dieser europäischen Verordnung
ird in Deutschland die Rechte der Verbraucherinnen
nd Verbraucher bei grenzüberschreitenden Sachverhal-
en stärken. Im Interesse der Verbraucher müssen euro-
äische Netzwerke von Verbraucherschutzzentren einer-
eits und von Verbraucherschutzbehörden andererseits in
ukunft untereinander stärker vernetzt werden. Die Sa-
he eilt: Laut EU-Kommission haben zum Beispiel im
ereich Onlinegeschäfte die meisten Beschwerden ihren
rsprung in Deutschland. Wir müssen unseren Beitrag
um Aufbau des EU-weiten Kontaktstellennetzwerk
eisten.
Hans-Michael Goldmann (FDP): Nicht zuletzt bei
en unlängst bekannt gewordenen Gammelfleischskan-
alen hat sich gezeigt, dass Verbraucherschutzverstöße
icht an nationalen Grenzen halt machen. Gammel-
leisch aus München wurde nicht nur innerhalb der Bun-
esrepublik, sondern auch in andere Länder verkauft.
aher ist es richtig und wichtig, verbesserte Regelungen
ür die Verfolgung von Verstößen gegen Verbraucher-
chutzgesetze innerhalb der EU zu schaffen.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Oktober 2006 5661
(A) )
(B) )
Doch die Gammelfleischskandale haben auch die Er-
kenntnis gebracht, dass Systeme zur Verfolgung von
Verbraucherschutzverstößen über Grenzen hinweg keine
Selbstläufer sind. Es reicht nicht, die Möglichkeit zum
Anlegen elektronischer Akten über Gammelfleischhänd-
ler über unsere föderalen Ländergrenzen hinweg zu
schaffen – sie muss vor allem genutzt werden. Das Pro-
blem fängt also schon im Lande an.
Jetzt soll über Staatengrenzen hinweg die Zusammen-
arbeit der Verbraucherbehörden verbessert werden. Ich
muss schon sagen, dass ich das für ein ambitioniertes
Ziel halte, wenn die Zusammenarbeit schon zwischen
den Bundesländern nicht richtig funktioniert. Das Pro-
blem zeigt sich ja auch schon in dem vorliegenden
Gesetzentwurf: § 2 – Zuständige Behörde – ist ein sehr
einprägsames Beispiel unserer heillos unübersichtlichen
Kompetenzen im Verbraucherbereich. Zentrale Verbin-
dungsstelle soll das Bundesamt für Verbraucherschutz und
Lebensmittelsicherheit werden, auch, wie es ausdrück-
lich im Gesetzentwurf steht, für solche Fälle, in denen
die eigentliche Rechtsdurchsetzung anderen Behören,
beispielsweise Kommunalbehörden, obliegt. Das BVL
soll mithin gegenüber der EU dafür Rede und Antwort
stehen, was die Passauer Lebensmittelkontrollbehörde
tut oder lässt. Da würde es mich schon sehr interessieren,
wie sich die Bundesregierung das praktisch vorstellt,
welche Systeme da vorgehalten werden, um eine rei-
bungslose Kommunikation schon innerhalb Deutsch-
lands zu gewährleisten.
Ungeklärt ist auch, wie das BVL, dessen fachlicher
Aufgabenbereich bislang die Bereiche Verbraucherschutz
bei Lebensmitteln, Kosmetika, Textilien und Spielzeug,
Futtermitteln, Pflanzenschutz, Tierarzneimittel und Gen-
technik umfasst, sich nunmehr um alle Fragen des recht-
lichen und wirtschaftlichen Verbraucherschutzes küm-
mern soll, einmal als zentrale Verbindungsstelle, vor
allem aber als originär zuständige Behörde. Damit wird
die Fachkompetenz um ein vielfaches ausgeweitet. Ich
möchte einmal ein paar Beispiele nennen: irreführende
Werbung, Haustürgeschäfte, Verbraucherkreditgeschäfte,
Nichterbringung von Leistungen bei Pauschalreisen,
missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, Teil-
nutzungsrechte an Grundstücken, E-Commerce, Fernab-
satzgeschäfte, Entschädigung für Ausfälle von Flügen.
Nur für spezielle Fachbereiche sollen andere Behörden
fachlich zuständig sein, so das BAFin, die Luftsicher-
heitsbehörde und andere. Auch bei diesen Behörden
muss die Frage gestellt werden, welcher Arbeitsaufwand
zu erwarten ist und wie dieser geschultert werden soll.
Doch mein besonderes Augenmerk gilt dem BVL. Zu
der umfänglichen Ausweitung von deren Kompetenzen
will meines Erachtens nicht passen, dass die Mittel für
das BVL im aktuellen Haushaltsansatz nicht entspre-
chend angepasst werden. Eine solche Kompetenzerweite-
rung muss doch mit einer Aufstockung bei entsprechend
fachkompetentem Personal und nicht zuletzt mit dem
Aufbau der entsprechenden Infrastruktur zur Vernetzung
mit Länder- und Kommunalbehörden wie auch anderen
Bundesbehörden einhergehen.
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Doch nicht nur im organisatorischen Bereich weist
as Gesetz Mängel auf. Auch inhaltlich muss nach-
ebessert werden. Die zuständigen Verbraucherschutz-
ehörden erhalten durch das Gesetz die Befugnis, grenz-
berschreitende Verstöße gegen Gesetze zum Schutz von
erbraucherinteressen zu verfolgen – beispielsweise durch
eschlagnahme oder Durchsuchung. In dem Gesetz wird
edoch nicht klargestellt, dass die Beschlagnahme- und
urchsuchungsverbote, die in Deutschland für die freien
erufe wie Rechtsanwälte oder Ärzte gelten, hier eben-
alls Anwendung finden müssen. Der Schutz des beson-
eren Vertrauensverhältnisses zwischen Vertretern der
reien Berufe und den Bürgerinnen und Bürgern, die
eren Dienstleistungen in Anspruch nehmen, muss auch
n der innergemeinschaftlichen, grenzüberschreitenden
echtsverfolgung gewahrt bleiben.
Das Gesetz birgt noch viele Fallstricke. Die FDP-
raktion wird daher im Ausschuss für Ernährung, Land-
irtschaft und Verbraucherschutz eine Anhörung zu dem
esetzentwurf beantragen.
Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Der vorlie-
ende Gesetzentwurf macht klar: Was wir vor einem
onat vorgeschlagen haben, ist doch möglich, auch
enn es von der Regierungskoalition abgelehnt wurde.
Wir hatten angesichts der Neuauflage des Gammel-
leischskandals gefordert, dass die unterschiedlichen
tandards der Lebensmittelkontrollen in den Ländern in
inem Bund-Länder-Staatsvertrag endlich bundesweit
eregelt und angehoben werden müssen. Wir forderten
in bundesweites Qualitätsmanagement, das die
chwachstellen analysieren und beseitigen muss. Damit
as Qualitätsmanagement funktioniert, sollte die Le-
ensmittelkontrolle der Länder einer unabhängigen Aus-
ertung unterzogen werden. Dafür sollte laut unserem
orschlag eines Bund-Länder-Staatsvertrags eine Audi-
ierung durch das Bundesamt für Verbraucherschutz und
ebensmittelsicherheit eingerichtet werden.
An die Spitze des Qualitätsmanagements sollte das
VL gestellt werden, assistiert von einem im Rotations-
erfahren wechselnden Bundesland. Damals ging es uns
m die Konsequenzen aus dem bundesweiten, aber auch
renzübergreifenden Vertrieb von Gammelfleisch.
Heute, nur einen Monat später, geht es wieder um ein
esetz, das die Durchsetzungsmöglichkeiten von ver-
raucherschützenden Vorschriften im grenzüberschrei-
enden Verkehr von Waren und Dienstleistungen verbes-
ern soll.
Nehmen wir das Beispiel von unlauteren Geschäfts-
raktiken, die von einer deutschen Firma ausgehen, und
war als Verstöße gegen die Lebensmittelsicherheit oder
rreführende und aggressive Werbung oder falsche
reisangaben. In diesen Fällen soll die ausländische Be-
örde in Deutschland um Amtshilfe ersuchen können.
ie EU-Verordnung schreibt vor, dass die Bundes-
epublik eine „Zentrale Verbindungsstelle“ zum Emp-
ang und zur Weiterleitung dieser Amtshilfeersuchen an
ie zuständige Behörde hat. Zur Erledigung der Amtshil-
eersuchen muss die Bundesregierung außerdem die
5662 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Oktober 2006
(A) )
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„Zuständigen Behörden“ benennen. Diese Behörden
müssen befähigt sein, den Sachverhalt zu ermitteln und
mit geeigneten Maßnahmen die Verstöße abzustellen.
Nach der bisher vorgetragenen Logik hätte die Bun-
desregierung mit Verweis auf die föderalen Regeln auch
hier auf die Verantwortlichkeit der Länder verweisen
müssen, mit der Folge einer Vielzahl von zuständigen
Landesbehörden mit einer Vielzahl von unterschiedli-
chem Landesrecht zur Durchsetzung der verbraucher-
schützenden Vorschriften im grenzüberschreitenden
Handel und im Dienstleistungsbereich.
Das war selbst der Bundesregierung zu absurd. So be-
nennt sie nun im Gesetzentwurf sinnvollerweise das
Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsi-
cherheit als „Zentrale Verbindungsstelle“ zur Entgegen-
nahme und Weiterleitung der Amtshilfeersuchen.
Schließlich habe das BVL bereits im derzeitigen Aufga-
benzuschnitt Erfahrung im Austausch von Daten zwi-
schen den Mitgliedstaaten und der Europäischen Kom-
mission, so die inhaltliche Begründung. Richtig. Aber
natürlich hat das BVL mindestens genauso viel Erfah-
rung im Austausch von Daten mit den Bundesländern.
Sollte es zumindest. Gerade deshalb sind wir ja – übri-
gens in (seltener) Übereinstimmung mit einem Vor-
schlag von Horst Seehofer – der Meinung, dass das BVL
auch Koordinierungs- und Auditierungsstelle beim bun-
desweiten Qualitätsmanagement der Lebensmittelkon-
trolle sein sollte. Warum das in dem einen Fall eine ver-
nünftige Lösung ist, in dem anderen Fall aber nicht
gehen soll, ist bislang unbeantwortet.
In der Bundestagsdebatte zu unserem Antrag am
28. September 2006 gab die CDU/CSU zu Protokoll,
dass man uns noch mal den Föderalismus erklären
müsse. Die Bund-Länder-Zusammenarbeit gäbe es be-
reits.
Nur: Herr Seehofer höchstselbst hatte in der Anhö-
rung im September erklärt, dass zum Beispiel die
Meldungen der Länder an das beim BVL eingerichtete
Fachinformationssystem „Verbraucherschutz und Le-
bensmittelsicherheit“ äußerst dürftig waren.
Dass aber eigentlich auch die Regierungskoalition mit
uns gegen eine zersplitterte Durchsetzung des Verbrau-
cherschutzes ist, zeigt der jetzt vorliegenden Gesetzent-
wurf: Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Le-
bensmittelsicherheit wird jetzt sogar als „Zuständige
Behörde“ für den Vollzug (!) zur Durchsetzung des
grenzübergreifenden Verbraucherschutzes benannt. Das
BVL ist also nicht nur koordinierende Behörde, wie in
unserem Antrag, sondern es wird sogar ermächtigt, bei
Amtshilfeersuchen von Behörden aus Mitgliedsländern
den Verbraucherschutz durchzusetzen. Bei den Lebens-
mittelskandalen hieß es immer, der Vollzug ist Ländersa-
che. Beim grenzübergreifenden Verbraucherschutzvoll-
zug beschränkt sich die Länderverantwortung auf die
Werbung in Rundfunk und TV sowie die Heilmittelwer-
bung, das Preisangabenrecht und die Aufsicht über re-
gional tätige Versicherungsunternehmen.
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Nicht, dass wir diese Lösung kritisieren. Im Gegen-
eil – sie zeigt, dass es geht, wenn man es für sinnvoll
ält.
Nachdem die Bundesregierung also nun bewiesen hat,
ass eine solche bundesweite Kompetenzübernahme
öglich ist, und die Länder sogar bereit sind, beim
reisangabenrecht die Rechtsdurchsetzung an den Bund
bzugeben (siehe Bundesratsstellungnahme), ist viel-
eicht auch eine ernsthafte Prüfung einer Bund-Länder-
ereinbarung zum Qualitätsmanagement bei der Lebens-
ittelkontrolle möglich. Unser Antrag dazu ist ja als
enkanstoß noch im laufenden parlamentarischen Ver-
ahren.
Zu begrüßen ist, dass das BVL im Gesetz aufgerufen
ird, den Verbraucherschutz mithilfe der Verbraucher-
chutzorganisationen zu verfolgen. Die dafür erforderli-
hen Rahmenvereinbarungen müssen auf Bundes- und
änderebene zügig angegangen und umgesetzt werden,
amit die Organisationen zum Stichtag 29. Dezember
006 auch tätig werden können. Auch hier wäre eine
und-Länder-Rahmenvereinbarung mit dem Verbrau-
herzentrale-Bundesverband und dessen länderseitiger
ntergliederung unser Vorschlag.
Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das
orliegende Gesetz verfolgt ein richtiges Anliegen: Es
bersetzt die EU-Verordnung über die Zusammenarbeit
wischen den zuständigen nationalen Behörden, die für
ie Durchsetzung der Verbraucherschutzgesetze verant-
ortlich sind. Im Falle eines grenzüberschreitenden Ver-
toßes gegen kollektive Verbraucherinteressen helfen
ich die Verbraucherbehörden innerhalb der Europäi-
chen Union und bilden ein Netzwerk, das sich gegen-
eitig bei der Durchsetzung von Maßnahmen unterstützt.
ie EU-Verordnung wird also mit dem deutschen Recht
ereint, nicht mehr und nicht weniger. Das ist also nicht
er große verbraucherpolitische Wurf, sondern eine rich-
ige technische Umsetzung.
Die Funktion der obligatorischen Zentralen Verbin-
ungsstelle soll in Deutschland vom Bundesamt für Ver-
raucherschutz und Lebensmittelsicherheit, BVL, wahr-
enommen werden. Diese Festlegung begrüßen wir.
amit hat die Bundesregierung den Vorschlag der Bun-
esländer, das Justizministerium mit der Koordinierung
u beauftragen, mit Recht verworfen. Wir finden: Die
erbraucherkompetenzen gehören in eine Hand, umso
ehr als die Querschnittsaufgabe Verbraucherschutz in
er jetzigen Bundesregierung im Kompetenzgerangel
nterzugehen droht. Wir erleben das beim Passivrau-
herschutz, bei der Bekämpfung des Ernährungspro-
lems Übergewicht und nicht zuletzt bei Fahrgastrech-
en. Heraus kommt ein verbraucherpolitischer Stillstand,
en wir nicht akzeptieren wollen.
Das Gesetz müsste aber an einigen Stellen noch ver-
essert werden, damit der deutsche Verbraucher einen
usatznutzen zur EU-Verordnung hat. Bei wettbewerbs-
echtlichen Verstößen ist kein klarer Partner vorgesehen,
er mit dem BVL zusammenarbeitet. Hier müssen beste-
ende Kompetenzen optimal zum Wohl der Verbraucher
usgenutzt werden. Dabei macht es den entscheidenden
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Oktober 2006 5663
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Unterschied, ob ein Werbevergehen von einem unabhän-
gigen Verbrauchervertreter beurteilt wird oder ob die In-
dustrie- und Handelskammer eines ihrer Mitgliedsunter-
nehmen kritisieren soll. Also hier fehlt eine klare
Aussage zur bevorzugten Zusammenarbeit des BVL mit
den Verbraucherverbänden.
Das Gesetz wird auch nur bei Rechtsverstößen mit
grenzüberschreitendem Bezug zur Anwendung kom-
men. Das ist bedauerlich, denn auch national liegen viele
Koordinationsaufgaben im Verbraucherschutz brach. So
wie die EU-Kommission die Durchsetzung von Verbrau-
cherrechten als mangelhaft analysiert hat und Maßnah-
men zur Abhilfe ergreift, müsste die Bundesregierung
die bestehenden Vollzugsdefizite beim Verbraucher-
schutz in den Ländern konsequenter angehen. Zu nennen
sind hier natürlich vor allem die Probleme in der Lebens-
mittelüberwachung, aber auch die Verfolgung von
rechtswidriger Telefonwerbung, Verstöße gegen die Pro-
duktsicherheit, Sicherheitsmängel bei Kinderspielhallen
usw. In den Ausschussberatungen werden wir über diese
Punkte ja noch sprechen können.
Anlage 11
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Nichtigkeitserklä-
rung des Erbgesundheitsgesetzes (Tagesord-
nungspunkt 21)
Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU): Wir befassen uns
heute in diesem Hohen Hause zum wiederholten Male
mit einem der unseligsten Gesetze aus der Zeit des Na-
tionalsozialismus, nämlich mit dem Gesetz zur Verhü-
tung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933, dem
so genannten Erbgesundheitsgesetz. Hintergrund ist die
erneute Forderung des Bundes der „Euthanasie“-Ge-
schädigten und Zwangssterilisierten, dieses Gesetz „end-
lich und nach über siebzig Jahren aufzuheben und für
nichtig zu erklären“. Dieser Appell, der im November
vergangenen Jahres auch die Unterstützung des Nationa-
len Ethikrates gefunden hat, ist an die Fraktionen und
Abgeordneten des Deutschen Bundestages herangetra-
gen worden. Ich gehe davon aus, Sie alle oder zumindest
die meisten von Ihnen kennen ihn.
Die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen macht
sich dieses Anliegen zu Eigen. In dem hier zu beraten-
den Antrag fordert sie die Bundesregierung auf, „einen
Vorschlag vorzulegen, wie der Gesetzgeber dem Anlie-
gen des Bundes der „Euthanasie“-Geschädigten und
Zwangssterilisierten e.V. gerecht werden kann.“ So weit,
so gut könnte man sagen, wenn die Forderung nach Auf-
hebung und Nichtigerklärung des Erbgesundheitsgeset-
zes erfüllbar wäre. Das ist sie aber nicht und das wissen
Sie, meine Damen und Herren vom Bündnis 90/Die Grü-
nen, auch selbst ganz genau. Entsprechende Forderun-
gen Ihrerseits sind bereits in mehreren parlamentari-
schen Beratungsverfahren zu der Thematik jeweils aus
Rechtsgründen abgelehnt worden. Ich werde darauf im
Folgenden noch eingehen.
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Die Bundesregierung hat erst kürzlich in ihrer Ant-
ort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke er-
eut auf diese Rechtslage hingewiesen. In der mit
chreiben des Bundesministeriums für Gesundheit über-
ittelten Antwort vom 10. August 2006 – Bundestags-
rucksache 16/2384 – heißt es wörtlich:
Nach Artikel 123 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG)
gilt Recht aus der Zeit vor dem Zusammentritt des
Deutschen Bundestages (7. September 1949) fort,
soweit es dem Grundgesetz nicht widerspricht.
Fortgelten können demnach nur vorkonstitutionelle
Rechtsnormen, die an diesem Tag gültig waren
(BVerfGE 4, 115, 138). Rechtsnormen, die im Wi-
derspruch zum Grundgesetz stehen, sind bereits bei
dessen Inkrafttreten am 24. Mai 1949 außer Kraft
getreten. Die Gültigkeit des Gesetzes zur Verhütung
erbkranken Nachwuchses … endete mit dem In-
krafttreten des Grundgesetzes, soweit es dem
Grundgesetz – insbesondere dem Artikel 2
Abs. 2 GG – widersprach. Die wenigen als Bundes-
recht fortgeltenden Regelungen über Unfruchtbar-
machung und Schwangerschaftsabbruch mit Ein-
willigung bei Lebens- und Gesundheitsgefahr sind
endgültig durch Art. 8 Nr. 1 des Gesetzes vom
18. Juni 1974 (BGBI. I S. 1297) aufgehoben wor-
den. Das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nach-
wuchses existiert nicht mehr. Der Forderung, das
Gesetz durch einen rückwirkenden Akt für nichtig
zu erklären, kann der Bundesgesetzgeber nicht ent-
sprechen.
Der Deutsche Bundestag hat in mehreren Beschlüssen
ereits unzweideutig zum Ausdruck gebracht, dass er
as Unrecht und das Leid, das den Betroffenen mit dem
rbgesundheitsgesetz in der Zeit der nationalsozialisti-
chen Gewaltherrschaft zugefügt worden sind, anerkennt
nd dass er dieses Gesetz als mit rechtsstaatlichen
rundsätzen absolut unvereinbar ansieht. Deshalb kann
s mittlerweile keinerlei Zweifel mehr daran geben, dass
s sich bei dem Erbgesundheitsgesetz um nationalsozia-
istisches Unrecht handelt.
Soweit keine förmliche Aufhebung durch Rechtset-
ung der Alliierten oder der Länder erfolgt war, war die
rage des formalen Fortbestandes des Gesetzes nach
em Kriege allerdings in der Tat leider lange Zeit unklar,
eil sie ausschließlich unter Berufung auf die Entste-
ungsgeschichte und die Gesetzgebung anderer Staaten
iskutiert wurde. Die meisten Regelungen des Gesetzes
aren bereits deshalb gegenstandslos, weil die vorheri-
en „Erbgesundheitsgerichte“ nicht wieder errichtet
urden.
Hinsichtlich der Frage der Fortgeltung hat sich erst im
aufe der Zeit ein Bewertungswandel vollzogen, der auf
euere Forschungsergebnisse und eine vertiefte Ausei-
andersetzung mit der tatsächlichen Durchführung die-
es Gesetzes zurückzuführen war. Die Bundesregierung
erweist daher zu Recht darauf, dass dieses Gesetz durch
rt. 8 Nr. 1 des Strafrechtsreformgesetzes vom 18. Juni
974 – BGBI. I S. 1297 – auch förmlich außer Kraft ge-
etzt wurde, soweit es als Bundesrecht fortgalt, was im
inblick auf die oben genannten Vorschriften zunächst
5664 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Oktober 2006
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der Fall war. Die Sterilisationsentscheidungen der dama-
ligen Erbgesundheitsgerichte sind durch das Gesetz zur
Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der
Strafrechtspflege und von Sterilisationsentscheidungen
der ehemaligen Erbgesundheitsgerichte vom 25. August
1998 – BGBI. I S. 2501 – aufgehoben wurden.
Der Bewertungswandel fand auch seinen Niederschlag
in dem Beschluss des Deutschen Bundestages vom
26. Januar 1988 – Bundestagsdrucksache 11/1714 –. Die
Antragsteller verkennen, dass in diesem Beschluss be-
reits eindeutig zum Ausdruck gebracht wurde, dass der
Deutsche Bundestag nicht nur die Durchführung von
Zwangssterilisierungen in der Zeit des Nationalsozialis-
mus, sondern auch ihre gesetzliche Verankerung für na-
tionalsozialistisches Unrecht hält. Wörtlich heißt es
hierzu:
1. Der Deutsche Bundestag stellt fest, daß die in
dem Gesetz zur Verhütung erbkranken Nach-
wuchses vom 14. Juli 1933 vorgesehenen und
auf der Grundlage dieses Gesetzes während der
Zeit von 1933 bis 1945 durchgeführten Zwangs-
sterilisierungen nationalsozialistisches Unrecht
sind.
2. Der Deutsche Bundestag ächtet diese Maß-
nahmen, die ein Ausdruck der inhumanen natio-
nalsozialistischen Auffassung vom „lebensun-
werten Leben“ sind.
In dem Bericht zu der Beschlussempfehlung – Bun-
destagsdrucksache 11/1714 – wird, worauf auch die
Bundesregierung in ihrer oben erwähnten Antwort hin-
gewiesen hat, weiterhin ausdrücklich festgestellt, dass
eine Fortgeltung des Erbgesundheitsgesetzes in der Bun-
desrepublik Deutschland nach Art. 123 Abs. 1 GG aus-
geschlossen ist, weil dieses Gesetz mit dem Grundgesetz
nicht zu vereinbaren ist. Eine förmliche Nichtigerklä-
rung dieses Gesetzes, wie bereits damals vom Bünd-
nis 90/Die Grünen beantragt, hat der Deutsche Bundes-
tag allerdings mangels Gesetzgebungskompetenz des
Bundes abgelehnt.
Die Bewertung des Erbgesundheitsgesetzes als natio-
nalsozialistisches Unrecht ist danach noch in mehreren
weiteren Entscheidungen des Deutschen Bundestages
bekräftigt worden, zuletzt in den Beratungen zu dem be-
reits erwähnten Gesetz zur Aufhebung nationalsozialisti-
scher Unrechtsurteile im Jahre 1998. Anträge vom
Bündnis 90/Die Grünen, die im Zusammenhang mit die-
ser Gesetzgebung erneut eine förmliche Nichtigerklä-
rung des so genannten Erbgesundheitsgesetzes durch
den Deutschen Bundestag forderten, fanden in den parla-
mentarischen Beratungen aus den bereits genannten
rechtlichen Gründen wiederum nicht die Unterstützung
der anderen Fraktionen.
Dass das Bündnis 90/Die Grünen mehrfach die For-
derung nach einer Nichtigerklärung des Erbgesundheits-
gesetzes durch den Bundesgesetzgeber erhoben hat,
könnte dem unbefangenen Beobachter den Eindruck ver-
mitteln, dass es sich um ein wirklich ernstes Anliegen
dieser Fraktion handelt. In der Regierungszeit der rot-
grünen Koalition wurde diese Forderung dann aber im
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eutschen Bundestag vom Bündnis 90/Die Grünen er-
taunlicherweise nicht mehr weiter verfolgt. Die mögli-
he Erklärung, dass Sie die Rechtslage mittlerweile be-
riffen haben, scheidet allerdings wohl aus, weil Sie,
un in der Opposition, die Forderung letztlich erneut,
enngleich etwas indirekt formuliert, wieder aufgreifen,
achdem Sie sieben Jahre lang die Mehrheit hatten, sie
mzusetzen.
Der Eindruck, dass es sich bei Ihrem Antrag um einen
einen Schaufensterantrag handelt, ist vor diesem Hin-
ergrund unvermeidlich. Das scheint Ihnen aber auch ir-
endwie selbst bewusst zu sein, weil Sie dieses Mal ja
icht direkt die Nichtigkeitserklärung des Erbgesund-
eitsgesetzes fordern, sondern die Bundesregierung dazu
uffordern, einen Vorschlag zu machen, wie der Gesetz-
eber dieser Forderung nachkommen kann.
Auch in dieser Wendung macht die Forderung zum ei-
en keinen Sinn, weil die Bundesregierung ja bereits vor
wei Monaten, wie oben erwähnt, dazu Stellung genom-
en und erläutert hat, weshalb eine Nichtigerklärung
es Erbgesundheitsgesetzes durch den Bundesgesetzge-
er nicht möglich ist. Zum anderen offenbart sie ein
erkwürdiges parlamentarisches Selbstverständnis und
ine gewisse Hilflosigkeit bei den Antragstellern. Der
esetzgeber sind wir selbst, auch Sie! Der Deutsche
undestag muss doch auch ohne die Hilfe der Bundes-
egierung in der Lage sein, hier zu einer Entscheidung zu
elangen.
Ihr Antrag ist daher nicht der richtige Weg. Wenn be-
üglich der Thematik Erbgesundheitsgesetz noch Hand-
ungsbedarf gesehen wird, muss der Deutsche Bundestag
iesem auf andere Weise nachkommen.
Dr. Carl-Christian Dressel (SPD): Wir wissen
eute, dass aufgrund des „Gesetzes zur Verhütung
rbkranken Nachwuchses“ vom 4. Juli 1933 nahezu
50 000 bis 360 000 Menschen – möglicherweise noch
ehr – zwangssterilisiert wurden. Wenn wir über das
rschütternde Thema der Zwangssterilisationen spre-
hen, dann müssen wir uns vergegenwärtigen, dass
ieses Gesetz die Vorstufe des so genannten Euthanasie-
rlasses Adolf Hitlers vom 1. September 1939 darstellt,
urch den die NS-Machthaber zu einer Politik des vor-
ätzlichen Massenmordes an behinderten Menschen und
ll denen übergingen, die nicht ihrem wahnwitzigen
assenkonzept einer „arischen Herrenrasse“ und eines
reinen Volkskörpers“ entsprachen. Das Wort „rein“
tand dabei für die Eliminierung all jener, die diesem
onzept nicht entsprachen.
Die Sterilisierung ist einer der härtesten Eingriffe beim
enschen. Wer durch das Gesetz und die hierzu erlasse-
en Verordnungen als „erbkrank“ bezeichnet wurde,
urde einem rücksichtslos durchgeführten Zwangs-
ingriff unterworfen, bei dem der Tod zumindest billi-
end in Kauf genommen wurde. Annähernd 5 000 bis
000 Frauen und ungefähr 600 Männer starben im Rah-
en dieser Zwangssterilisationen.
Diese Ungeheuerlichkeiten wurden in den letzten
0 Jahren nur nach anfänglichem Zögern als national-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Oktober 2006 5665
(A) )
(B) )
sozialistisches Unrecht anerkannt und haben Wunden
geschlagen, die bis heute nicht verheilt sind. Es ist daher
richtig, dass der Deutsche Bundestag sich erneut mit die-
sem Thema befasst.
Ich will aufgrund der jüngsten Landtagswahlergeb-
nisse an dieser Stelle ausdrücklich betonen, dass wir nie
wieder Bedingungen entstehen lassen dürfen, unter de-
nen sich ein System entwickeln kann, das solche schwe-
ren Verbrechen von Staats wegen ermöglicht.
Es gibt keine Entschädigung, die das Unrecht und das
Leid ausgleichen könnte, das ein mörderischer Staat in
der Verfolgung seiner verbrecherischen Motive über die
betroffenen Menschen und deren Angehörige gebracht
hat.
Der Antrag, den wir heute beraten, hat meines Erach-
tens ein erstrebens- und wünschenswertes Ziel. Es ist je-
doch in dieser Form, der Nichtigerklärung des Gesetzes,
nicht umsetzbar. Lassen Sie mich begründen, warum ich
zu dieser Einschätzung komme:
Erstens. Ich halte das Ansinnen, von der Bundesregie-
rung einen Vorschlag für eine Nichtigerklärung des Erb-
gesundheitsgesetzes zu verlangen, für nicht sachgerecht.
Der Bundestag kann das so genannte Erbgesundheits-
gesetz nicht für nichtig erklären. Gemäß Art. 123 Abs. 1
des Grundgesetzes gilt vorkonstitutionelles Recht nur
fort, „soweit es dem Grundgesetze nicht widerspricht.“
Hierdurch sind die Teile des Erbgesundheitsgesetzes,
welche die Zwangsmaßnahmen legalisierten, bereits mit
In-Kraft-Treten des Grundgesetzes außer Kraft getreten.
Ich betone ausdrücklich, dass „außer Kraft getreten“ be-
deutet, dass aufgrund des Art. 123 Grundgesetz dieses
Gesetz seit Inkrafttreten des Grundgesetzes in seinen
verfassungswidrigen Teilen nicht mehr existiert. Es kann
daher – entgegen den Befürchtungen mancher Opferver-
bände – unter dem Grundgesetz auch niemals wieder in
Kraft gesetzt werden.
Auch die offensichtlich lediglich für freiwillige Ein-
griffe fortgeltende Vorschrift des § 14 dieses Gesetzes
wurde durch das Fünfte Gesetz zur Reform des Straf-
rechts vom 18. Juni 1974 aufgehoben.
Das Erbgesundheitsgesetz ist daher in sämtlichen Be-
stimmungen inexistent. Auch in den Ländern gelten
keine Regelungen zum „Erbgesundheitsgesetz“ fort.
Eine Nichtigerklärung eines inexistenten Gesetzes ist
rechtslogisch jedoch ausgeschlossen.
Zweitens. Die Feststellung der Nichtigkeit eines for-
mellen Gesetzes ist grundsätzlich dem Bundesverfas-
sungsgericht vorbehalten. Das Grundgesetz hat mit
Art. 123 die Lösung eines Außer-Kraft-Tretens ab 1949
– und keine rückwirkende Nichtigkeit – gewählt. Hieran
ist der Gesetzgeber gebunden.
Ich denke, wir sind uns jedoch alle darin einig, dass die
Opfer ein Recht darauf haben, dass der Bundestag erneut
eine klare Position zu diesem begangenen Unrecht be-
zieht. In Ergänzung seiner früheren Maßnahmen und Ent-
schließungen zu diesem Thema sollte nun die Ächtung
des Gesetzes selbst beschlossen werden. Dies ist bisher
nicht geschehen. Bislang wurden lediglich die durchge-
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ührten Zwangsmaßnahmen als nationalsozialistisches
nrecht geächtet und die entsprechenden Beschlüsse der
o genannten Erbgesundheitsgerichte aufgehoben.
Ich plädiere dafür, dass wir in den nun folgenden
eratungen zu einer Übereinkunft über die Fraktions-
renzen hinweg kommen. Die Koalitionsfraktionen er-
rbeiten zurzeit einen gemeinsamen Entschließungs-
ntrag mit dem Ziel der Ächtung des so genannten
rbgesundheitsgesetzes selbst, soweit es die Grundlage
ür die Zwangsmaßnahmen darstellte. Für eine möglichst
reite Unterstützung und Zusammenarbeit möchte ich
chon jetzt werben. Ich lade Sie alle, insbesondere Sie,
ehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von den Grü-
en, dazu ein, dieses Vorhaben zu unterstützen.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP):
it Ihrem Antrag fordern Sie die Bundesregierung auf,
inen Vorschlag vorzulegen, wie das Erbgesundheitsge-
etz für nichtig erklärt werden kann.
Damit verlangen Sie von der Bundesregierung ganz
ffensichtlich etwas Unmögliches.
Auch wir haben uns mit der Frage einer Nichtigerklä-
ung auseinander gesetzt. Ebenso wie die Bundesregie-
ung in ihrer Antwort vom 10. August 2006 auf eine
leine Anfrage der Fraktion Die Linke sind wir jedoch zu
em Ergebnis gekommen, dass das Gesetz zur Verhütung
rbkranken Nachwuchses nicht mehr existiert. Soweit die
ültigkeit des Gesetzes nicht bereits mit dem In-Kraft-
reten des Grundgesetzes endete, ist es durch Art. 8 Nr. 1
es Fünften Gesetzes zur Reform des Strafrechts vom
8. Juni 1974 außer Kraft gesetzt worden. Darüber hinaus
ind die in der NS-Zeit erlassenen Sterilisationsentschei-
ungen 1998 durch Gesetzbeschluss aufgehoben worden.
Ich halte es daher für bedenklich, wenn Sie in der Be-
ründung zu Ihrem Antrag schreiben, der Deutsche Bun-
estag dürfe nicht den geringsten Zweifel offen lassen,
ass das Erbgesundheitsgesetz von Anfang an als nichtig
ngesehen werden muss. Auf diese Weise erwecken Sie
en Eindruck, es gäbe innerhalb des Deutschen Bundes-
ages einen Dissens in der Beurteilung dieses Gesetzes.
avon kann – zum Glück – schon lange keine Rede
ehr sein.
Ich darf in diesem Zusammenhang an die Entschlie-
ungen aus den Jahren 1988 und 1994 erinnern, in denen
er Deutsche Bundestag unmissverständlich feststellte,
ass die auf der Grundlage des Gesetzes durchgeführten
wangssterilisationen nationalsozialistisches Unrecht
aren, und in denen er diese Maßnahmen als Ausdruck
er inhumanen nationalsozialistischen Auffassung vom
lebensunwerten Leben“ ächtete.
Zweifel, die zu beseitigen wären, sehe ich daher nicht.
benso wenig sehe ich, wie gesagt, eine Möglichkeit,
as Erbgesundheitsgesetz für nichtig zu erklären. Sollte
ch mich irren, bin ich gerne bereit, mich eines Besseren
elehren zu lassen. Für diesen Fall aber schlage ich ein
emeinsames Vorgehen aller Fraktionen im Deutschen
undestag vor.
5666 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Oktober 2006
(A) )
(B) )
Für parteipolitische Profilierungsversuche ist dieses
Thema denkbar schlecht geeignet. Das gilt, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen von den Grünen, auch für den Hin-
weis auf Ihren Einsatz für die Opfer von Zwangssterili-
sierungen. Ich will Ihnen das gar nicht absprechen,
genauso wenig wie allen anderen Fraktionen. Ich darf
aber daran erinnern, dass Sie Ihr Versprechen aus der
Koalitionsvereinbarung von 1998, eine Bundesstiftung
„Entschädigung für NS-Unrecht“ auf den Weg zu brin-
gen, nicht eingelöst haben. Offenkundig ist es also doch
leichter, aus der Oppositionsrolle heraus Anträge zu stel-
len, als in einer Regierung gegebene Versprechen einzu-
halten.
Ulla Jelpke (DIE LINKE): Das Erbgesundheits-
gesetz, das der vorliegende Antrag für nichtig erklären
will, war ein Ausdruck des nationalsozialistischen
Wahns, den so genannten Volkskörper zu „reinigen“.
Dieses schändliche Gesetz war der Auftakt zur Euthana-
sie; es war der erste Schritt dazu, Zehntausende Men-
schen zu ermorden und Hunderttausende zu sterilisieren.
Leider muss ich sagen: Das Erbgesundheitsgesetz ist
keine abgeschlossene Geschichte. Die Ideologie, die ihm
zugrunde lag, existiert fort. Wir erleben es heute noch,
dass Menschen andere Menschen für nicht lebenswert
erklären oder ihnen das Recht auf ein menschenwürdiges
Leben bestreiten.
Es ist noch gar nicht so lange her, da hat ein Abgeordne-
ter dieses Parlaments öffentlich gefordert, alte Menschen
sollten keine künstlichen Hüftgelenke mehr erhalten. Wer
nichts mehr produziert, so die menschenverachtende
Haltung dieses Abgeordneten, der soll auch keine Leis-
tungen der gesetzlichen Krankenversicherung mehr er-
halten. Wer so argumentiert, der wird morgen auch bei
Herzschrittmachern und anderen lebensnotwendigen
Maßnahmen sparen wollen. Wer so argumentiert, maßt
sich an, den Wert von Menschen zu prüfen und über ihre
Lebenswürdigkeit und Lebensqualität zu entscheiden. Es
wäre zu begrüßen, wenn wir solche Haltungen durch die
heutige Parlamentsdebatte zurückdrängen könnten.
Es hat lange genug gedauert, bis sich in diesem Hause
die Ansicht durchgesetzt hat, dass das Erbgesundheits-
gesetz nationalsozialistisches Unrecht war. Einwände der
Art, die Zwangssterilisierungen hätten dem damaligen
Diskussionsstand der Wissenschaft und dem Zeitgeist
entsprochen, in anderen Ländern seien auch Menschen
zwangssterilisiert worden, haben wir zum Glück hinter
uns gelassen. Heute bestreitet niemand, dass kaum ein
Gesetz so weitgehend in Zielsetzung und Handhabung
war wie das Erbgesundheitsgesetz. Man kann dieses Ge-
setz aus dem Zusammenhang der ungeheuren Verbre-
chen, die das faschistische Regime begangen hat, nicht
herauslösen.
Diese Ansicht hat sich auch der Bundestag in seinen
Entschließungen der 11. und 12. Wahlperiode zu eigen
gemacht. Daraus wurde der richtige Schluss gezogen,
dass auch diese Opfer der nationalsozialistischen Verbre-
chen Entschädigungen erhalten müssen.
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Deswegen begrüßt die Fraktion Die Linke selbstver-
tändlich das Anliegen des vorliegenden Antrags, den
nrechtsgehalt dieses Gesetzes durch eine Nichtigkeits-
rklärung noch einmal deutlich zu machen. Allerdings
ird das im Bundestag über eine politische Erklärung
icht hinausgehen können, weil nur das Bundesverfas-
ungsgericht die Unwirksamkeit bzw. Nichtigkeit eines
esetzes verbindlich feststellen kann.
Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
as „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“
Erbgesundheitsgesetz) war das erste Rassegesetz des
S-Staates. Es wurde bereits am 14. Juli 1933 verab-
chiedet und trat im Januar 1934 in Kraft. Die Idee dieses
esetzes war durch und durch rassistisch: Die Nazikom-
entatoren schrieben über das Gesetz: „Ziel der dem
eutschen Volk artgemäßen Erb- und Rassenpflege ist:
ine ausreichende Zahl Erbgesunder, für das deutsche
olk rassisch wertvoller, kinderreicher Familien zu allen
eiten. Der Zuchtgedanke ist Kerngehalt des Rassenge-
ankens. Die künftigen Rechtswahrer müssen sich über
as Zuchtziel des deutschen Volkes klar sein.“ Dieses
esetz brachte unermessliches Leid. 350 000 Menschen
urden auf seiner Grundlage zwangsweise sterilisiert.
as Erbgesundheitsgesetz bildete den Auftakt für die
erfolgung behinderter Menschen, die im Massenmord
er so genannten Euthanasie gipfelte.
Das Leid der Zwangssterilisierten und „Euthanasie“-
eschädigten wurde in Deutschland lange Zeit nicht an-
emessen gewürdigt. In den ersten Jahrzehnten nach
em Ende des Nationalsozialismus waren die Überleben-
en weiter massiver Diskriminierung ausgesetzt. Ihre Ver-
olgung wurde nicht als typisch nationalsozialistisches
nrecht im Sinne des Bundesentschädigungsgesetzes
nerkannt. Erst in den 80er-Jahren wurden Härteregelun-
en eingeführt. In den Jahren 2004 und 2005 ist es ge-
ungen, die Härteleistungen für Zwangssterilisierte und
Euthanasie“-Geschädigte erheblich auszubauen, bei-
pielsweise die Leistungen für Personen, die Opfer von
wangssterilisierungen wurden. Diese Leistungen kön-
en freilich kein wirklicher Ausgleich für das erlittene
nrecht sein. Sie sind eine Geste der Anerkennung und
nterstützung.
Es hat sehr lange gedauert, bis auch die juristische
ehabilitierung der Opfer des Erbgesundheitsgesetzes
chritt für Schritt vorankam. Die formelle Gültigkeit des
rbgesundheitsgesetzes wurde – soweit es Bundesrecht
etraf – erst im Jahr 1975 mit dem Fünften Gesetz zur
eform des Strafrechts aufgehoben. 1988 hat der Deut-
che Bundestag festgestellt, dass die im Erbgesundheits-
esetz vorgesehenen und auf der Grundlage dieses
esetzes während der Zeit von 1933 bis 1945 durchge-
ührten Zwangssterilisierungen nationalsozialistisches
nrecht sind. Der Bundestag hat diese Maßnahmen
udem in derselben Entschließung geächtet. Mit dem
Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechts-
rteile in der Strafrechtspflege und von Sterilisationsent-
cheidungen der ehemaligen Erbgesundheitsgerichte“
on 1998 wurden die Beschlüsse, die von Gerichten auf-
rund des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nach-
uchses“ erlassen worden waren, sämtlich pauschal auf-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Oktober 2006 5667
(A) )
(B) )
gehoben. Das waren wichtige Schritte, aber wir sind
noch nicht am Ziel angelangt. Die Betroffenen sehen das
Unrecht des Erbgesundheitsgesetzes bis heute nicht als
ausreichend anerkannt an. Der Bund der „Euthanasie“-
Geschädigten und Zwangssterilisierten e. V. ist mit ei-
nem Appell an die Fraktionen und Abgeordneten des
Deutschen Bundestages herangetreten, „das durch und
durch rassistische nationalsozialistische Gesetz zur Ver-
hütung erbkranken Nachwuchses endlich und nach über
siebzig Jahren aufzuheben und für nichtig zu erklären“.
Dieser Appell hat breite gesellschaftliche Unterstützung
gefunden. Dafür freue ich mich sehr, denn unsere
Gesellschaft steht in der Pflicht, die Opfer von Zwangs-
sterilisierung und Massenmord vollständig zu rehabili-
tieren, die Überlebenden nach Kräften zu unterstützen
und die Erinnerung an das Unrecht wach zu halten.
Daher darf nicht der geringste Zweifel bleiben, dass das
verbrecherische „Erbgesundheitsgesetz“ als nichtig an-
gesehen werden muss.
Mit unserem Antrag wollen wir einen Anstoß zur ge-
meinsamen Diskussion geben. Wir würden uns sehr
freuen, wenn wir im Bundestag gemeinsam mit allen
Fraktionen Wege finden, dem Anliegen des Bundes der
„Euthanasie“-Geschädigten und Zwangssterilisierten e. V.
gerecht zu werden. Wir sind es den Opfern schuldig.
Anlage 12
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Doha-Runde wieder
beleben – WTO-Generaldirektor als Schlichter
einsetzen (Tagesordnungspunkt 22)
Erich G. Fritz (CDU/CSU): Es ist sehr bedauerlich,
dass die Verhandlungen im Rahmen der Doha-Entwick-
lungsrunde der WTO bis auf Weiteres unterbrochen sind.
Ich möchte aber gleich zu Beginn betonen, dass die Sus-
pendierung der Verhandlungen nicht gleichbedeutend
mit dem Ende der Doharunde ist.
In der gegenwärtigen Denkpause haben alle Beteilig-
ten die Möglichkeit, ihre Verhandlungspositionen zu
überprüfen. Die Denkpause darf aber nicht dazu führen,
dass bereits vereinbarte Fortschritte und Verhandlungs-
ergebnisse verloren gehen. Beides gilt es dringend zu
vermeiden.
Den im vorliegenden Antrag erhobenen Vorwurf der
FDP-Fraktion, Bundeswirtschaftsminister Glos sei in
den Dohaverhandlungen wenig aktiv, teilt die CDU/
CSU-Bundestagsfraktion nicht. Erst Mitte September
hat Wirtschaftsminister Glos Peter Mandelson in Berlin
aufgefordert, die Zeit zu nutzen, damit die Runde wieder
in Gang kommt. Im Übrigen berät sich die Bundesregie-
rung gegenwärtig mit den EU-Partnern über Möglichkei-
ten, die unterbrochenen Verhandlungen schnellstmöglich
wieder aufzunehmen und bereits in Hongkong vor allem
für die Entwicklungsländer erzielte Ergebnisse wie eine
stärker handelsbezogene Entwicklungshilfe sowie den
zoll- und quotenfreien Marktzugang für die am wenigs-
ten entwickelten Entwicklungsländer zu sichern.
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Die Forderung der FDP, WTO-Generaldirektor Lamy
ls Streitschlichter einzusetzen und ein Kompromisspa-
ier aus den unterschiedlichen Forderungskatalogen zu
ntwerfen, halte ich gegenwärtig aus zwei Gründen für
eniger zielführend.
Erstens. Es ist immer noch möglich, zu einer kon-
truktiven Lösung zu kommen und deshalb immer noch
n der Zeit, Hintergrundgespräche zu führen und Chan-
en auszuloten.
Zweitens. Die Zeiten von GATT-Direktor Arthur
unkel waren andere: zwar lagen die Positionen der Ver-
andlungspartner auch damals weit auseinander; inzwi-
chen hat sich aber nicht nur die Zahl der WTO-Mit-
liedstaaten erhöht, sondern auch die Bedeutung und der
influss der Entwicklungs- und Schwellenländer. Inso-
ern ist die Konsensfindung erschwert. Solange nicht die
chlüsselländer Bewegung zeigen, wird ein Kompro-
isspapier wenig Zustimmung finden.
WTO-Chef Pascal Lamy ist auch so aktiv und be-
üht, einen erfolgreichen Abschluss zu erzielen. Lamy
ührt viele Hintergrundgespräche. Seine Teilnahme an
en Beratungen des Lenkungsausschusses des IWF in
ingapur, der die WTO-Mitgliedstaaten aufgefordert hat,
is zum Ende des Jahres zu einem erfolgreichen Ab-
chluss der Verhandlungen zu kommen, zeigen sein
ngagement. Lamy ist ein großartiger Taktiker und hat
chon als EU-Handelskommissar in schwierigen Situa-
ionen großes Verhandlungsgeschick bewiesen.
Priorität aller WTO-Mitgliedstaaten muss es sein, die
eit zu nutzen und über Bewegungsmöglichkeiten und
ompromisse nachzudenken, damit die Runde wieder in
ang kommt. Dies ist umso wichtiger, als ein endgülti-
er Abbruch der Doharunde neben wirtschaftlichen mit-
elfristig auch politische Folgen hätte: Das Regelsystem
er WTO würde nachhaltig in seiner Substanz ge-
chwächt, das erfolgreiche Streitschlichtungssystem zum
chwanken gebracht. Nicht zuletzt deshalb will die
DU während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im
rsten Halbjahr 2007 dazu beitragen, den WTO-Streit-
chlichtungsmechanismus weiter zu stärken und den Ab-
chluss der Dohawelthandelsrunde zu forcieren.
Bilaterale Abkommen, wie sie die EU laut ihres
üngsten Papiers „Global Europe: Competing in the
orld“ verstärkt mit anderen Regionen abschließen
öchte, sind nur die zweit- bzw. drittbeste Lösung. Sie
achen nur Sinn, wenn sie über den aktuellen Stand der
TO hinausgehen und zum Beispiel zur Verabschie-
ung von aus den multilateralen Verhandlungen heraus-
enommenen Investitionsregeln führen. Ansonsten sind
ie mühsam zu verhandeln und bergen die Gefahr, von
ichtigen Märkten ausgeschlossen zu bleiben –, weil an-
ere schneller waren und früher bessere Verträge ge-
chlossen haben. Deshalb gibt es gegenwärtig keine Al-
ernative zur Dohawelthandelsrunde.
Es gibt vieles, was wir nur gemeinsam durchsetzen
önnen. Dabei denke ich zum Beispiel an den Schutz
eistigen Eigentums, ein Problem, das Europa vor allem
it den Chinesen hat und das Deutschland erfreulicher-
5668 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Oktober 2006
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weise zum Thema der am 1. Januar 2007 beginnenden
EU- und G-8-Präsidentschaft machen wird.
Wie aber geht es in den nächsten Monaten weiter? Da
der Fehlschlag überwiegend der innenpolitischen Situa-
tion in den USA und damit einhergehender mangelnder
Flexibilität – die USA lehnten trotz wiederholter Andeu-
tung weiterer Flexibilität beim Agrarmarktzugang durch
die EU eine stärkere Kürzung ihrer internen Agrarstüt-
zung ab – zugerechnet wird, ist es sinnvoll, die am
7. November stattfindenden Midterm-Kongresswahlen
abzuwarten und auf eine Änderung des politischen Kli-
mas in den USA zu hoffen. Äußerungen wie die des
amerikanischen Landwirtschaftsministers Mike Johanns
zeigen noch vorhandenen Verhandlungsspielraum.
Johanns hatte im Vorfeld der Konferenz der Cairns-
Gruppe Mitte September gesagt: „Wir sind sogar bereit,
mehr anzubieten, als wir bis jetzt auf den Tisch gelegt
haben – dann, wenn wir deutlich mehr Marktzugang an-
geboten bekommen“.
Ich bin davon überzeugt, dass die Bundesregierung
und die EU-Kommission auf die Amerikaner einwirken
und alles tun werden, die WTO und die Handelsrunde
wieder zu beleben, bevor im Sommer 2007 das Verhand-
lungsmandat des US-Präsidenten ausläuft. Gelingt die
Wiederaufnahme der Verhandlungen allerdings nicht bis
Ende des Jahres, wird es in 2007 schwierig, an das be-
reits Erreichte nahtlos anzuknüpfen.
Das Zeitfenster ist also knapp und gibt Anlass zu be-
grenztem Optimismus. Die Hoffnung auf einen positiven
Abschluss darf aber nicht aufgegeben werden. Schließ-
lich sollte allen politisch Verantwortlichen das langfris-
tige Interesse an einem stabilen, für Wachstum und Be-
schäftigung sorgenden Handelssystem wichtiger sein als
kurzfristige, wahltaktisch motivierte Manöver.
Sollte am Ende dennoch alle Hoffnung umsonst ge-
wesen sein, bleibt der Abschluss von plurilateralen Ab-
kommen. Plurilaterale Abkommen würden auf längere
Sicht die Chance bieten, branchenspezifische Liberali-
sierungen und Themenbereiche, die im WTO-Mitglie-
derkreis nicht konsensfähig sind, voranzubringen. Das
gilt nicht nur für den umstrittenen Agrarbereich, sondern
zum Beispiel auch für Regeln für ausländische Direkt-
investitionen. So sind etwa die Rechte deutscher Inves-
toren im Ausland, zum Beispiel der Schutz vor Enteig-
nung, wenn überhaupt, weitgehend durch bilaterale
Regelungen verankert. Durch plurilaterale Investitions-
regelungen könnten die Transparenz des Investoren-
schutzes erhöht und die Kohärenz zwischen den zahlrei-
chen bilateralen Abkommen verbessert werden.
Ditmar Staffelt (SPD): Für Deutschland als Export-
weltmeister ist ein erfolgreicher Abschluss der
Doharunde von vitalem Interesse. Kaum eine andere
Volkswirtschaft ist in so hohem Maße exportabhängig
wie unsere. Jeder fünfte Arbeitsplatz und jeder dritte In-
dustriearbeitsplatz in Deutschland hängt vom Außenhan-
del ab. Der Außenhandel ist die Triebfeder für das wirt-
schaftliche Wachstum in Deutschland. Allein im
vergangenen Jahr stieg der Anteil deutscher Exporte um
7,5 Prozent und damit deutlich schneller als der Binnen-
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onsum. Daher ist auch die Entwicklung des Welthan-
els für Deutschland und seine Arbeitsplätze von ent-
cheidender Bedeutung. Wir müssen alles in unserer
acht stehende tun, um den Welthandel zu fördern,
öglichst viele Länder dieser Erde in die WTO aufzu-
ehmen und diese an die Standards der Welthandelsorga-
isation heranzuführen.
In den vergangenen 30 Jahren hat der Welthandel
pürbar zugenommen. Der Welthandel wuchs jährlich im
urchschnitt rund eineinhalbmal so stark wie das welt-
eite Bruttoinlandsprodukt. Diese rasante Entwicklung
äre ohne die seit Jahrzehnten verfolgte Politik der
arktöffnung nicht denkbar. Profitiert haben hiervon
or allem die Industrieländer, aber auch eine Gruppe von
amaligen Entwicklungsländern. Sie haben durch die In-
egration in den Weltmarkt Wissen gesammelt, Techno-
ogien importiert, die Produktivität gesteigert und den
ohlstand gehoben, zum Teil mit erheblichem Erfolg,
ie uns insbesondere die asiatischen und südamerikani-
chen Schwellenländer wie China, Indien, Chile,
exiko, Südkorea und Thailand, in denen immerhin
ber 2,5 Milliarden Menschenleben, zeigen. Gerade vor
em Hintergrund dieser aufstrebenden Länder, ist es für
eutschland von besonderem Interesse, das WTO-Re-
ime auf eine breitere Basis zu stellen, um später nicht
ns Hintertreffen zu geraten.
Die Alternative zur WTO wäre ein Sammelsurium bi-
ateraler Abkommen, bei dem jeder in dieser Welt täte,
as er wollte. Es gäbe keine Auflagen, Bürokratie abzu-
auen, Good Governance zu praktizieren und gegen
orruption und für Transparenz einzutreten. Gleiches
ilt für die Möglichkeiten, Sozial- und Umweltstandards
n den aufstrebenden Schwellenländern zu implementie-
en. Mit dem Verhandlungsstopp der Doharunde ist der
ultilaterale Ansatz in Gefahr. Mit einem möglichen
cheitern der Welthandelsrunde würden vermehrt bilate-
ale Verträge geschlossen.
In Asien besteht ein erhebliches Interesse an bilatera-
en Handelsabkommen, weil Japan und die USA bereits
in solches abgeschlossen haben. Die MERCOSUR-
taaten sind ebenfalls an bilateralen Verhandlungen inte-
essiert. Insgesamt besteht die Gefahr, dass ein handels-
olitischer Flickenteppich entsteht. Deutschland hat bis-
ang auf multilaterale Verhandlungen gesetzt, da
nsbesondere die am wenigsten entwickelten Länder bei
ilateralen Verhandlungen benachteiligt sind. Sie haben
aum eine Möglichkeit, durch strategische Allianzen
hre Verhandlungsposition ausreichend zu stärken. Um
ies zu vermeiden gilt es nun, die Doharunde mit aller
raft voranzubringen.
Sollte die Doharunde tatsächlich scheitern – was ich
icht hoffen möchte –, sind auch die Verhandlungsergeb-
isse gefährdet, die bereits in Hongkong vereinbart wur-
en. Während der Welthandelsrunde in Hongkong wur-
en substanzielle Verbesserungen für die Industrie- und
ntwicklungsländer erreicht. Gerade für die Entwick-
ungsländer hat Deutschland eine wichtige Rolle ge-
pielt. Wie auch in den letzten Jahren hat unsere Bundes-
egierung darauf Wert gelegt, auch die Interessen der
rmsten Länder zu vertreten. So haben die Europäer in
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Oktober 2006 5669
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Hongkong bei den umstrittenen Agrarfragen weit rei-
chende Zugeständnisse gemacht und sich verpflichtet,
die Exportsubventionen im Agrarbereich bis 2013 voll-
ständig abzuschaffen.
Darüber hinaus wurde die von Deutschland angesto-
ßene „Everything but arms“-Initiative auf alle Industrie-
staaten ausgeweitet. Das bedeutet, den am wenigsten
entwickelten Ländern, wird der zoll- und quotenfreie
Zugang zu den Märkten der Industrieländer gewährt.
Und nicht zuletzt wurde eine Einigung bei TRIPS er-
zielt, nach der Entwicklungsländern der Zugang zu Prä-
paraten gegen Massenepidemien wie Aids und Malaria
erleichtert wird. Auf der anderen Seite profitiert
Deutschland von den Beschlüssen, die in Hongkong ge-
troffen wurden. Besonders wichtig ist, dass in einer
Ministererklärung festgelegt wurde, den Zollabbau für
Industriegüter nach einer Schweizer Formel durchzufüh-
ren. Das bedeutet, höhere Zölle werden stärker gesenkt
als niedrigere.
An dieser Stelle muss ich noch einmal ausdrücklich
betonen: Ich wünsche mir, dass sich nun unsere amerika-
nischen Freunde in der Pflicht sehen. Es geht nicht, dass
eines der wirtschaftlich stärksten Länder gegenüber Drit-
ten stets hohe Standards fordert und selbst minimalis-
tisch nur das tut, was seinem eigenem Interesse dient.
Hier brauchen wir Bewegung von den Vereinigten Staa-
ten von Amerika.
Ein gutes Beispiel ist der völlige Mangel an Bereit-
schaft, sich in Fragen der internen Agrarbeihilfen auch
nur einen Zentimeter zu bewegen – sie 2002 sogar noch
aufstockten –, während die EU bereit ist, die eigenen Ex-
portsubventionen abzubauen, um die Doharunde nicht
zu gefährden.
Gleiches gilt für den Klimaschutz. Wie soll ich es ei-
nem kleinem Entwicklungsland vermitteln, etwas für
Klimaschutz und Umwelt zu tun, während die Amerika-
ner genau das Gegenteil von dem tun, was in allen ande-
ren Industrienationen dieser Welt getan wird. Ähnliches
gilt für die großen Schwellenländer, die einerseits stark
vom Welthandel profitieren, aber gleichzeitig ihre Indus-
trie- und Dienstleistungsmärkte unverhältnismäßig stark
schützen oder intern stützen. Hier gilt es Industriezölle
zu senken, den Dienstleistungssektor zu öffnen und das
geistige Eigentum besser zu schützen.
Aber auch die Europäer, insbesondere die Regierun-
gen, die landwirtschaftliche Interessen vertreten – wie
Frankreich, Spanien und Irland – müssen sich den be-
rechtigten Interessen der Schwellen- und Entwicklungs-
länder stärker öffnen und den Import von landwirtschaft-
lichen Importen verbreitern helfen.
Die Bundesregierung muss mit aller Kraft die Do-
harunde wieder beleben und zu einem abschließenden
Abkommen gelangen. Eine gute Gelegenheit hierfür bie-
tet sich während der EU-Ratspräsidentschaft und in der
Zeit des deutschen G-8-Vorsitzes im kommenden Jahr.
Bei aller öffentlichen Kritik an der WTO ermöglicht ein
multilaterales Handelsregime allen Seiten die größten
Wohlfahrtsgewinne. Regionale und bilaterale Freihan-
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elsabkommen hingegen gefährden den freien Welthan-
el und die Entstehung von Wohlstand weltweit.
Sollte es nicht möglich sein, die Donarunde zum Ab-
chluss zu bringen, muss zumindest – gerade im Sinne
er Entwicklungsländer – das bisher Erreichte verab-
chiedet werden. Bilaterale Abkommen sollten erst die
etzte aller Möglichkeiten sein und müssten im Fall der
älle, so gestaltet sein, dass sie WTO-konform sind und
ultilateral erweitert werden könnten. Doch bei aller
erantwortung für die Staaten der Dritten Weit dürfen
ir nicht vergessen, dass bei allem, was mit WTO und
xport zu tun hat, auch unsere Arbeitsplätze und Interes-
en betroffen sind. Dafür müssen wir in einer geeigneten
eise offensiv eintreten.
Gudrun Kopp (FDP): Die Doharunde der Welt-
andelsorganisation WTO ist in sehr schwieriges Fahr-
asser geraten. Nicht nur sind die Verhandlungen bis auf
eiteres abgebrochen worden. Schlimmer noch, aktuell
ann man sich des Eindrucks auch nicht erwehren, dass
as ganze Thema von vielen wichtigen Akteuren bereits
ufgegeben wurde. Dieser Eindruck drängte sich nicht
uletzt bei den jüngsten Äußerungen von Wirtschaftsmi-
ister Glos auf, der offen einer weiteren Bilateralisierung
es Welthandels das Wort redet. Auch die Bundeskanz-
erin fantasiert lieber öffentlich über transatlantische
reihandelszonen, als ihren Einfluss für eine Wiederauf-
ahme der Dohagespräche geltend zu machen.
Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Selbstverständ-
ich ist es richtig, sich für den Fall eines endgültigen
cheiterns zu positionieren und dann entsprechende bila-
erale Vereinbarungen zu treffen. Es ist aber das falsche
ignal, dies jetzt zu tun, nur weil viele Beobachter nicht
it weiteren Fortschritten vor den amerikanischen Kon-
resswahlen rechnen. Vielmehr ist es grob fahrlässig,
iese Zeit einfach verstreichen zu lassen. Die FDP unter-
reitet deshalb heute den Vorschlag, den Generaldirektor
er WTO, Pascal Lamy, offiziell als Schlichter zu beauf-
ragen, um die Doharunde doch noch zum Abschluss zu
ringen.
Gerade Deutschland als größte Exportnation der Welt
rofitiert von offenen Märkten. Der Export leistet seit
ahren einen erheblichen Wachstumsbeitrag und gleicht
chwächen in der Binnenkonjunktur zum Teil aus. Al-
ein im Jahre 2005 hat die Bundesrepublik Waren und
ienstleistungen im Wert von rund 786 Milliarden Euro
xportiert. Jeder dritte Arbeitsplatz in Deutschland hängt
irekt oder indirekt von den Erfolgen der Exportwirt-
chaft ab. Umgekehrt sorgen offene Importmärkte für
ohlstandsgewinne im Inland, weil Kostenvorteile ge-
utzt werden können: Unternehmen können Rohstoffe
nd Vorleistungsprodukte günstig einführen. Die privaten
aushalte profitieren von niedrigen Preisen und einer
ielfältigen Güterauswahl. Die Weltbank beziffert die glo-
alen Einkommenseffekte einer vollständigen Liberalisie-
ung unter der Doharunde bis 2015 auf 461,2 Milliarden
S-Dollar.
Vor diesem Hintergrund wäre es unverantwortlich,
icht alles zu unternehmen, um ein Scheitern des multi-
ateralen Ansatzes in den internationalen Welthandels-
5670 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Oktober 2006
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beziehungen zu verhindern. Angesichts der festgefahre-
nen Situation aber erscheint ein Fortsetzen der
Arbeitsgruppengespräche zum gegenwärtigen Zeitpunkt
als inopportun. Vielmehr sollte die internationale Ge-
meinschaft die jetzt entstandene Pause wirken lassen,
um den einen oder anderen Verhandlungspartner reali-
sieren zu lassen, was auch er zu verlieren hat, aber
gleichzeitig an einem Konzept arbeiten, das die bisheri-
gen Fortschritte aufnimmt und sie um neue Impulse be-
reichert.
Dies kann nach Lage der Dinge nur ein „Honest Bro-
ker“ tun, der nicht nur die Verhandlungen intensiv be-
gleitet hat und somit auch die einzelnen Positionen sehr
genau kennt, sondern auch das notwendige Maß an Un-
abhängigkeit verkörpert. Schon einmal – während der
Uruguayrunde – waren die Verhandlungen unterbrochen
worden und nur durch den Einsatz eines Schlichters wie-
der in die Erfolgsspur zurückgeführt worden.
Der Durchbruch bei der Uruguayrunde wird heute
maßgeblich dem so genannten Dunkel-Draft zugeschrie-
ben. Damals ergriff der GATT-Direktor Arthur Dunkel
die Initiative und stellte ein Papier aus den unterschied-
lichen Forderungskatalogen der Mitgliedstaaten zusam-
men, das trotz anfänglicher massiver Widerstände und
Proteste der Mitgliedstaaten schließlich als Verhand-
lungsgrundlage diente. In Anbetracht der festgefahrenen
Verhandlungen und der bald auslaufenden Handelsvoll-
macht des US-Präsidenten könnte auch diesmal ein sol-
ches von der WTO erstelltes Papier neuen Schwung in
die Verhandlungen bringen.
Die FDP fordert deshalb die Bundesregierung auf,
sich auf internationaler und europäischer Ebene für ein
Schlichtungsmandat des WTO-Generalsekretärs einzu-
setzen, der in diesem Rahmen einen Kompromiss-
vorschlag in kurzer Frist erarbeiten soll, der dann als
Verhandlungsgrundlage für eine Wiederaufnahme der
Doharunde dienen kann.
Gerade aus deutscher Perspektive wäre alles andere
als ein erfolgreicher Abschluss der Runde immer nur die
zweitbeste Lösung. Langfristig können Entwicklungs-
und Industrieländer nur von einer freihändlerischen
Struktur der Weltmärkte gemeinsam profitieren. Hierfür
lohnt es sich zu kämpfen.
Ulla Lötzer (DIE LINKE): Die Aussetzung der
WTO-Verhandlungen ist kein Rückschlag, sondern sie
bietet eine neue Chance, substanzielle Angebote für eine
tatsächliche „Entwicklungsrunde“ auf den Tisch zu
legen. Ihr Antrag, werte Kolleginnen und Kollegen der
FDP, ist wieder einmal ein Beispiel dafür, mit welch ein-
facher Ideologie Sie ihr Freihandels-Credo begründen.
„Freier Handel gleich Freiheit; mehr Handel gleich mehr
Wohlstand“, so einfach ist Ihre Gleichung. So simpel ist
die Welt aber nicht.
Theoretisch ist richtig, dass sich Absatzchancen für
Produkte aus den Entwicklungsländern durch einen
verbesserten Marktzugang erhöhen ließen. In der Praxis
bedürfte dies aber einer Regulierung und positiven Dis-
kriminierung und keinen reinen Freihandel. Denn eine
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eine Liberalisierung mit gleichen Konditionen für alle
kteure lässt unterschiedliche Entwicklungs- und Pro-
uktivitätsniveaus völlig außer Acht. Die industrielle
asis für die gleichberechtigte Teilhabe am Welthandel
ehlt vielen Ländern, sodass der weltweite Wettbewerb
nd Handel unter ungleichen Partnern stattfindet. Nega-
ive Effekte bis hin zur Deindustrialisierung der Ent-
icklungsländer können die Folge sein. Oder der Handel
indet gar nicht statt, da den Ländern sowohl die Pro-
ukte für den Export als auch die Kaufkraft für den Im-
ort fehlt. Globalisierung bedeutet eben nicht, dass das
apital in den letzten Winkel der Erde fließt, sondern
ass es dahin geht, wo die höchsten Profitraten erzielt
erden können, einschließlich der Vernichtung von we-
iger profitablem Kapital.
Auch bei der Frage Investitionsschutz, die in der WTO-
unde nach dem Scheitern von Cancun in den Hinter-
rund getreten ist, die aber in der neuen EU-Strategie
Global Europe“ mit einer neuen Welle bilateraler Frei-
andels- und Investitionsschutzabkommen eine neue
olle spielt, stehen wir vor ähnlichen Problemen. Seit
en 90er-Jahren haben viele Entwicklungsländer ihre
ärkte für ausländische Direktinvestitionen geöffnet
nd deren Anforderungen angepasst. Dies führte dazu,
ass eine große Anzahl der Exportaktivitäten von trans-
ationalen Unternehmen kontrolliert werden, die den
utzen steigender Exportgewinne für sich vereinnah-
en. Das UNDP stellt fest, das höhere Exportpreise
icht in höhere Löhne in den Entwicklungsländern
ließen, sondern in einen größeren Gewinnanteil der
ransnationalen Unternehmen. Umgekehrt würden sin-
ende Exportpreise nicht in eine Senkung der Gewinn-
argen, sondern in niedrige Löhne umgesetzt werden,
iehe „Trade and Development Report 2005“. Für eine
örderung des Wohlstandes in der Welt ist der reine
reihandel kein Segen, sondern ein Fluch.
Unabhängig vom Fortgang der WTO-Runde fordern
ir die Industrieländer auf, ihre Zusage von Hongkong
mzusetzen und die Agrarexportsubventionen abzu-
auen. Derzeit werden mittels Exportsubventionen reicher
änder die Agrarmärkte der Entwicklungsländer mit bil-
igen Produkten überschwemmt und deren heimische
andwirtschaft in den Ruin getrieben. Der Abbau dieser
ubventionen ist ein notwendiger Schritt zur Reduzie-
ung der Armut. Die von den Industrieländern geforderte
erknüpfung von Fortschritten im Agrarbereich an Zu-
eständnisse der Entwicklungs- und Schwellenländer im
ereich der Industriegüter oder Dienstleistungsmärkte
ar von Anfang an falsch und für eine Entwicklungsper-
pektive schädlich.
Gerade in der Landwirtschaft führt die Exportorien-
ierung in den Entwicklungsländern zu drastischen Um-
trukturierungen und dem Verlust der Ernährungssouve-
änität. Aus der Produktion von Nahrungsmitteln für den
eimischen Bedarf wird der Anbau von Produkten für
en Export in Monokulturen und die Abhängigkeit von
ransnationalen Saatgut- und Agrochemiekonzernen.
rundnahrungsmittel müssen importiert und gekauft
erden. Entweder können die bäuerlichen Kleinbetriebe
uf industrielle Produktion umstellen oder sie werden
nwirtschaftlich und müssen aufgeben. Verelendung und
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 57. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Oktober 2006 5671
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Landflucht sind die Folge. Die Einsicht in die verheeren-
den Folgen für die Subsistenzlandwirtschaft hat die indi-
sche Regierung veranlasst, ihre Industrievertreter bei
den Rufen nach Freihandel zurückzurufen.
Das Entscheidende für einen Fortgang der WTO-Ver-
handlungen ist also nicht, dass der Generaldirektor als
Schlichter eingesetzt wird, sondern dass ein neuer Ver-
handlungsvorschlag die Entwicklungsinteressen der Ent-
wicklungs- und Schwellenländer, die auch manchmal
durchaus im Widerspruch zueinander stehen können, im
die Bundeskanzlerin im Nachgang zu Petersburg deut-
lich auf die Notwendigkeit hingewiesen hätte, Agrarsub-
ventionen zu kürzen und so für eine kohärente Politik zu
werben, eine Politik, die dem Exportweltmeister
Deutschland angemessen ist und die die Förderung der
Entwicklung begünstigt.
Stattdessen – ich habe gedacht, ich lese nicht richtig –
bringt die Kanzlerin eine deutsch-amerikanische Frei-
handelszone auf die Agenda der politischen Debatte und
bezeichnet diese Idee auch noch als faszinierende Idee.
Blick hat.
Margareta Wolf (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Lassen Sie mich mit einer Vorbemerkung
beginnen: Es ist bedauerlich, dass diese Debatte über die
Zukunft der Doharunde zu nachtschlafender Zeit in die-
sem Haus stattfindet. Das wird der Komplexität und der
Herausforderung, die die Doharunde darstellt nicht ge-
recht.
Die Staats- und Regierungschefs hatten beim G-8-
Gipfel in Petersburg am 16./17. Juli dieses Jahres verein-
bart, bis Mitte August dieses Jahres die Einigung über
die Eckpunkte der Marktöffnung im Agrar- und Indus-
triegüterhandel nachzuholen. Dennoch wurden die Ver-
handlungen im Rahmen der Doha Development Agenda
Ende Juli bis auf weiteres unterbrochen.
Erneut hat in der WTO der Schwanz mit dem Hund
gewackelt. Wieder waren es die Agrarfragen, an denen
die Verhandlungen entgleisten. Agrarprodukte machen
weniger als 10 Prozent des Welthandels aus – mit rapide
sinkender Tendenz. Das zeigt, die Bedeutung des Agrar-
sektors als Konfliktpotenzial ist überproportional, um es
elegant auszudrücken.
Es mehren sich die Stimmen, die nicht mehr ausschlie-
ßen, dass die Doharunde gänzlich scheitern könnte, weil
sich im Agrarhandel keine Einigung erzielen lässt. Der
Schaden für die Weltwirtschaft und für die Architektur
der multilateralen Institutionen wäre gewaltig. Und er
würde durch nichts aufgewogen. Im Gegenteil, in den
Agrarverhandlungen der Doharunde wird über die Poli-
tik von gestern gestritten, nicht übertragfähige Strategien
für die Agrarpolitik der Zukunft.
Ich hätte mir gewünscht, dass die Bundesregierung
den Dohaprozess nicht dreistimmig durch Seehofer,
Glos und Heidi Wieczorek begleitet hätte, mit der Folge,
dass sie keine wirklich gestaltende Rolle spielt. Ich hätte
mir auch gewünscht, dass die Bundesregierung nicht auf
Positionen von gestern beharrt, nur um vor den heimi-
schen Lobbys zu punkten. Ich hätte mir gewünscht, dass
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icht nur, dass diese Idee niemand in der EU ge-
chweige denn in den USA für faszinierend hält, nein,
urch die Platzierung der Idee hat die Bundesregierung
as Signal gesetzt, sie wolle sich vom Multilateralismus
erabschieden – das in einer Zeit, wo man sich weltweit
edanken über den Fortbestand der WTO macht, und im
orfeld der EU-Ratspräsidentschaft und des G-8-Vorsit-
es.
Ich unterstütze das Anliegen des zur Diskussion ste-
enden Antrages. Wir müssen die WTO stärken und dür-
en sie nicht schwächen. Deshalb erwarte ich von der
undesregierung nach den völlig abwegigen visionären
pielchen der letzten Wochen im Vorfeld der G 8, ein
eutliches Signal in Richtung Doharunde. Aber meine
ieben Kolleginnen und Kollegen von der FDP, wenn wir
agen, wir müssten das multilaterale System stärken,
ann geht es nicht nur um eine Mehrung der Chancen für
nser Land. Es geht darum, Fortschritte auf dem Gebiet
es Handels für alle zu erzielen. Das Ziel der Entwick-
ungshilfe besteht darin, Länder zur Entwicklung zu be-
ähigen. Wenn sie keine faire Chance erhalten, am Wett-
ewerb auf den Weltmärkten, einschließlich der Märkte
er reichen Länder und einschließlich der Märkte für
ertigerzeugnisse, teilzunehmen, werden sie dazu nicht
n der Lage sein. Ich unterstütze die Forderung in dem
orliegenden Antrag nach Beauftragung des Generaldi-
ektors der WTO als Schlichter ausdrücklich.
Die ernsten Rückschläge bei den Dohaverhandlungen
n Genf haben einige Teilnehmer zu der Erwägung ver-
nlasst, sich mit weniger als einer echten Entwicklungs-
unde zufrieden zu geben. Das darf nicht geschehen. Wir
üssen weiter die Entschlossenheit und den politischen
ut aufbringen, die notwendig sind, um die Gespräche
is Ende des Jahres zum Abschluss zu bringen. Dieses
ignal muss die Bundesregierung im Vorfeld von G 8
nd EU-Präsidentschaft setzen.
Es wäre fatal, auch für das Ansehen unseres Landes in
er Entwicklungsrunde, wenn die Vision von der Frei-
andelszone weiter in der Debatte bliebe.
57. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 19. Oktober 2006
Inhalt:
Redetext
Anlagen zum Stenografischen Bericht
Anlage 1
Anlage 2
Anlage 3
Anlage 4
Anlage 5
Anlage 6
Anlage 7
Anlage 8
Anlage 9
Anlage 10
Anlage 11
Anlage 12