1) Anlage 7
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4315
(A) )
(B) )
für deren Folgen. Unter dem Aspekt, dass sich An- durch palästinensische Terrorgruppen, Organisationen
Anlage 1
Die Liste der entschuldigten Abgeordneten lag
bei Redaktionsschluss nicht vor und wird im
nächsten Stenografischen Bericht abgedruckt.
Anlage 2
Zu Protokoll gegebene Rede
zur Beratung der Unterrichtung durch den
Wehrbeauftragten: Jahresbericht 2005 (47. Be-
richt) (Tagesordnungspunkt 30)
Gert Winkelmeier (fraktionslos): In nur sechs
Monaten haben wir hier über die Berichte des Wehrbe-
auftragten für 2003 und für 2004 gesprochen. Heute
sprechen wir über den Bericht für das Jahr 2005.
In allen drei Berichten geht es leider auch immer um
soldatisches Fehlverhalten bezüglich der Verherrlichung
von faschistischem Gedankengut. 2005 gab es fast
150 rechtsextremistische Vorfälle in der Truppe, gegen-
über 2004 ist das ein Anstieg um 10 Prozent. Diese Vor-
kommnisse gab es in allen Dienstgraden. 34 Prozent der
Fälle ereigneten sich bei Zeitsoldaten, 1 Prozent bei Be-
rufssoldaten. Das sind Vorgesetzte von Wehrpflichtigen.
Vorgesetzte haben, laut Soldatengesetz, bei Haltung und
Pflichterfüllung ein Beispiel zu geben. Aus solchen, im-
mer wieder in Wehrberichten geschilderten Vorkomm-
nissen, sollte das Ministerium einmal Konsequenzen zie-
hen. Das könnte für mich bedeuten, dass anerkannte
antifaschistische Organisationen wie zum Beispiel die
VVN/Bund der Antifaschisten bis hin zu kirchlich orien-
tierten Antifaschisten in politischen Diskussionen vor
Mannschafts- und Offizierskreisen über die Ursachen
und die Geschichte des Faschismus informieren sollten.
Ein weiteres Problem sind die Auslandseinsätze der
Bundeswehr. Mittlerweile befinden sich ständig 6 243 Sol-
daten im Auslandseinsatz. Organisatorisch sind somit ei-
nige zehntausend Soldaten betroffen. Wenn in diesem
Zusammenhang im Wehrbeauftragtenbericht davon ge-
sprochen wird, dass die Ausstattung mit einsatzgerechter
Bekleidung nicht immer gewährleistet ist, dann ist dies
ein Armutszeugnis für das verantwortliche Ministerium.
Viel schlimmer ist es aber, wenn wir im Bericht lesen
müssen – Seite 21 –, dass eine Ausstattung aller Kräfte
mit geschützten Fahrzeugen grundsätzlich vorgesehen
sei. Das entsprechende Konzept werde auch mit Nach-
druck verfolgt, jedoch erst mittel- und langfristig reali-
sierbar sein. Daher müsse zuerst auf ungeschützte Fahr-
zeuge zurückgegriffen werden.
Ich frage Sie: Kann so etwas überhaupt verantwortet
werden? Sie wissen, dass die Fraktion Die Linke und
auch ich uns immer gegen Auslandseinsätze der Bundes-
wehr ausgesprochen haben. Die meisten Kolleginnen
und Kollegen in diesem Hause stimmen aber für diese
Einsätze und tragen daher unmittelbare Verantwortung
s
u
w
d
K
e
f
s
e
a
t
k
d
A
m
z
e
u
b
M
F
E
s
d
n
r
s
k
s
g
t
V
n
w
A
f
T
A
r
(C
(D
Anlagen zum Stenografischen Bericht
chläge auf Angehörige der Bundeswehr mehren, ist es
nverantwortlich, wenn diejenigen, die dort hinbefehligt
erden, nicht in ausreichendem Maße ausgestattet wer-
en. Leider hören wir von Soldaten, die jetzt in den
ongo befehligt werden, Ähnliches. Ich vermag nicht zu
rkennen, dass das Ministerium etwas an den Ursachen
ür diese Beschwerden ändert. Wenigstens wird Vor-
orge für den Fall des Todes von Soldaten im Auslands-
insatz getroffen. Der Haushalt weist im Einzelplan 14
uf Seite 35 aus, dass für die Überführungs- und Bestat-
ungskosten verstorbener Soldatinnen und Soldaten zu-
ünftig 35 Prozent mehr Mittel als 2004 kalkuliert wer-
en. Stärkere Vorsorge muss aber auch für die steigende
nzahl von Soldaten getroffen werden, die mit posttrau-
atischen Belastungsstörungen vom Auslandseinsatz
urückkehren.
Ich bin dem Wehrbeauftragten dankbar, dass er sich in
inem Teil seines Berichtes mit dem Führungsverhalten
nd dem Missbrauch der Befehlsgewalt beschäftigt. Da-
ei ist immer deutlich zu machen, dass nur eine absolute
inderheit ihre Macht missbraucht. Aber es gibt diese
älle. Dieser Tage konnten wir im Spiegel lesen, dass
litekämpfer, die in den Kongo verlegt werden sollten,
ich nachweislich seit mindestens Mai 2004 gegenseitig
rangsaliert haben. Wir müssen nun einmal die Frage
ach den Ursachen stellen. Die Fälle wurden in den Be-
ichten 2004 und 2005 nicht aufgeführt, weil die Vorge-
etzten in Zweibrücken ihrer Meldepflicht nicht nachge-
ommen sind. „Da haben wir ja eine schöne Truppe“,
agte der Generalinspekteur, als er sich im Verteidi-
ungsausschuss die vielen Beschwerden des Wehrbeauf-
ragten anhören musste. Ich kann nur hoffen, dass die
erantwortlichen im Ministerium handeln, damit wir
icht immer mit solchen Vorkommnissen konfrontiert
erden.
nlage 3
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Anträge:
– Glaubwürdigkeit der G 8 bewahren – Kriti-
sche Themen beim Weltwirtschaftsgipfel in
Sankt Petersburg nicht aussparen
– Für demokratische internationale Entschei-
dungsprozesse statt G 8
– G-8-Gipfel muss Signal zu nachhaltiger En-
ergieversorgung geben und Gesundheitssys-
teme in den Entwicklungsländern stärken
(Tagesordnungspunkt 31 a bis c)
Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Da der G-8-Gip-
el traditionell Stellung zu gewichtigen außenpolitischen
hemen nimmt, erlauben Sie mir zunächst aus aktuellem
nlass ein Wort zur Lage im Nahen Osten. Die Entfüh-
ung und Ermordung von israelischen Staatsbürgern
4316 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006
(A) )
(B) )
der regierenden Hamas, zeigen, dass die bisherige Poli-
tik der EU und des Nahostquartetts richtig war. Solange
die Hamas nicht der Gewalt abschwört, das Existenz-
recht Israels und die bisherigen Verträge zwischen Paläs-
tinenserbehörde und Israel nicht anerkennt, kann Hamas
keine Unterstützung von unserer Seite erhalten. Diese
gewalttätigen Übergriffe auf Israelis zeigen aber auch,
dass weder Hamas noch Fatah Einfluss auf die Terror-
gruppen haben oder haben wollen. Das größte Hindernis
für eine aussichtsreiche Zukunft der Palästinenser blei-
ben vorrangig die Palästinenser selbst.
So halte ich die Verständigung der beiden Parteien auf
das „Abkommen zur nationalen Einigung“ keineswegs
für einen Fortschritt. Das Papier enthält in wesentlichen
Punkten zu viele Formelkompromisse, die unterschiedli-
che Interpretationen erlauben. Kurz: Dieses Dokument
ist keine Initiative, mit der die Palästinenser auf Israel
zugehen. Ein Verhandlungsangebot an Israel steht immer
noch aus. Der Deutsche Bundestag hat wiederholt be-
kräftigt, dass zum Existenzrecht Israels auch das Recht
der israelischen Bürger gehört, in sicheren Grenzen frei
von Angst, Terror und Gewalt zu leben. Der entführte
Soldat Gilad Schalit muss daher sofort und bedingungs-
los freigelassen werden.
In diesem Jahr hat Russland als jüngstes Mitglied
zum ersten Mal die Präsidentschaft der G 8 inne. Diese
Präsidentschaft gibt Anlass, einen Blick auf Russland
und unser Verhältnis zu Russland zu werfen; denn diese
Präsidentschaft ist nicht unproblematisch. Die G 8 ver-
stehen sich als Forum demokratischer Industrienationen.
So definiert auch Russland selbst dieses Gremium. Da-
mit stellen sich zwei Fragen: Erstens: Ist Russland eine
Industrienation? Zweitens: Ist Russland eine Demokra-
tie?
Zugleich müssen wir berücksichtigen: Welche Bezie-
hungen haben wir zu Russland, wie abhängig sind wir
von Russland, auf welche Weise wollen wir die Ent-
wicklung Russlands beeinflussen?
Russland ist eine bedeutende, aber keine große
Macht: Die Bevölkerung ist so groß wie die Frankreichs
und Deutschlands zusammen. Russland hat enorme de-
mografische Probleme. Nach OECD-Standards ist Russ-
land keine Industrienation. Seine ökonomische Kraft ist
zu vergleichen mit der Belgiens, der der Niederlande,
der Brasiliens oder der Mexikos. Der Wohlstand der Be-
völkerung liegt hinter dem Polens und Tschechiens.
Russland hat keine strategische zivile Industrie.
Andererseits verfügt Russland über enorme Energie-
vorkommen, insbesondere Erdgas. Wir sind auf diese
Lieferungen angewiesen. Umgekehrt ist Russland nicht
nur zur Erschließung der Energievorkommen, sondern
auch zur gedeihlichen Entwicklung von Wirtschaft und
Gesellschaft auf unsere Unterstützung angewiesen. Es
gilt, diese gegenseitige Abhängigkeit zum gegenseitigen
Wohle zu entwickeln.
Ist Russland eine Demokratie? Die Zeit unter Jelzin
galt uns als Zeit des Pluralismus und der Medienfreiheit.
Aus russischer Sicht dagegen war diese Zeit überwiegend
geprägt von Chaos und Staatszerfall. Sie ist Ausdruck der
t
i
u
L
I
p
k
g
B
r
K
P
m
s
f
a
R
T
V
d
S
d
a
W
t
d
R
c
a
F
M
r
w
e
z
n
z
s
l
B
g
s
s
d
r
r
m
b
ü
R
R
z
s
(C
(D
iefen Verwundung des russischen Selbstbewusstseins,
nsbesondere nach Ende und Auseinanderfall der Sowjet-
nion und ihres Herrschaftsanspruchs. Russland ist ein
and auf der Suche nach der Wiedergewinnung seiner
dentität und nach seiner Rolle in der Regional- und Welt-
olitik. Auf diesem Weg betrachtet die russische Bevöl-
erung Präsident Putin als Garanten und Integrationsfi-
ur.
Zugleich nehmen wir auch zur Kenntnis, dass in der
ewertung von Freedom House Russland – neben Bela-
us – der unfreieste Staat in Europa ist. Der kriegerische
onflikt in Tschetschenien, das neue NRO-Gesetz, die
rozesse gegen Topmanager des Ölkonzerns Jukos, die
it langjährigen Haftstrafen endeten, die zunehmende
taatliche Kontrolle der Presse lassen erheblichen Zwei-
el an der Entwicklung einer pluralistischen Demokratie
ufkommen.
Meinungs- und Pressefreiheit sind konstitutive
echte in der Demokratie. Dies wird auch Thema des
reffens russischer Menschenrechtsorganisationen im
orfeld des G-8-Gipfeltreffens sein. Ich begrüße, dass an
iesem NRO-Treffen auch unser Kollege Andreas
chockenhoff in seiner Funktion als Koordinator für die
eutsch-russische zwischengesellschaftliche Zusammen-
rbeit teilnehmen wird.
Wir haben ein Interesse daran, dass Russland den
andel zu einer stabilen Demokratie erfolgreich bewäl-
igt. Im Übrigen hat Moskau auch am 19. Mai die Präsi-
entschaft im Europarat übernommen. Zehn Jahre ist
ussland nun Mitglied dieser ältesten zwischenstaatli-
hen Organisation Europas. Mit dem Beitritt hat es sich
uch ihren Zielen, Interessen und Werten, nämlich der
örderung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und
enschenrechten, verpflichtet. Wenn Russland, wie der
ussische Präsident gestern sagte, angemessene Verant-
ortung für die globale Ordnung übernehmen will, muss
s auch Vorbild für andere Staaten sein.
Wir haben ein Interesse daran, dass Russland Europa
ugewandt bleibt und nicht sein Wohl in anderen Bünd-
issen wie der Shanghai-Organisation sucht.
Es sind zwei weitere Bereiche, die besonderen Anlass
ur Sorge geben: Russlands Nachbarschaftspolitik und
ein Verhalten in internationalen Organisationen. Russ-
ands Nachbarschaftspolitik, zum Beispiel gegenüber
elarus, der Ukraine, Polen und den baltischen Staaten,
ibt uns immer wieder Anlass zur Sorge. Wir, der Deut-
che Bundestag, haben immer wieder – gerade im Zu-
ammenhang mit den Wahlen im März dieses Jahres –
ie mangelnden oder gar fehlenden demokratischen und
echtsstaatlichen Strukturen in Belarus kritisiert und die
ussische Regierung gebeten, im Sinne einer gemeinsa-
en Verantwortung in Europa ihren Einfluss auf den
elarussischen Diktator entsprechend auszuüben.
Dabei wollen wir die russischen Interessen nicht
bergehen und – soweit möglich – eine ausgleichende
olle einnehmen. Zur strategischen Partnerschaft zu
ussland gehört aber auch, gegenüber Russland deutlich
u machen, dass wir mit Staaten wie Polen und den balti-
chen Staaten in einer auf Ewigkeit angelegten Schick-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4317
(A) )
(B) )
salsgemeinschaft stehen. Eine schlechte Behandlung
dieser Partner berührt auch uns. Dazu gehört beispiels-
weise, die Drohgebärden gegenüber den baltischen Staa-
ten einzustellen und bei der geplanten Ostseepipeline auf
die Sensibilitäten der Anrainerstaaten wie Polen und die
baltischen Staaten einzugehen.
Aufgrund der hohen Einnahmen aus den Öl- und Gas-
exporten und dem daraus resultierenden Haushaltsüber-
schuss kann Moskau es sich erlauben, den ärmsten Län-
dern Schulden zu erlassen und den reichsten Ländern
Schulden vorzeitig zurückzuzahlen. Der russische Finanz-
minister hat angekündigt, dem Pariser Club 11 bis
12 Milliarden Dollar seiner Schulden zurückzuzahlen.
Moskau will damit seinen Wunsch untermauern, endlich
in alle G-8-Gremien eingebunden und Vollmitglied im
Kreis der G-8-Finanzminister zu werden. Gleichzeitig
müsste Moskau allerdings klar sein, dass es damit auch
Verantwortung zu übernehmen hat. Denn es liegt auf der
Hand, dass hohe Energiepreise Risiken für die Weltwirt-
schaft bedeuten und gerade Entwicklungsländer ohne ei-
gene Energiereserven hart treffen. Die G 8 sind das ge-
eignete Forum, sich dieses Problems anzunehmen.
Wenn Putin als Ziel vorgibt, „eine zivilisierte Strate-
gie zu entwickeln, mit der die Welt verlässlich und si-
cher mit Energie zu vernünftigen Preisen und minima-
lem Schaden für die Umwelt versorgt wird“ – während
des G-8-Finanzminister-Treffens am 12. Februar 2006 –
muss er auch das Vertrauen in die russische Politik stär-
ken. Ein erster Schritt wäre die Unterzeichnung der
Energiecharta mit der EU. Ich hoffe, dass es in dieser
Frage in Sankt Petersburg Bewegung gibt.
In diesem Zusammenhang müssen wir uns auch Ge-
danken machen, wie die G 8 zu aufstrebenden Staaten
mit schnell wachsender Wirtschaft stehen. Ich mache nur
darauf aufmerksam: dass China – gemessen am BIP – in-
zwischen Italien und Kanada überholt hat und – gemes-
sen an den Weltpreisen – immerhin die zweitgrößte
Volkswirtschaft der Welt ist; dass vor Russland eine
ganze Reihe von Ländern mit größerem BIP, wie Me-
xiko, Indien, Südkorea, Brasilien und Australien, stehen.
Welche Schlüsse ziehen wir daraus? Die Erweiterung
der G 8? Wenn wir der Argumentation des russischen
Präsidenten folgten und den G-8-Prozess auf außenwirt-
schaftliche Themen reduzieren wollten, müssten diese
Länder ebenfalls in dieses Forum aufgenommen werden.
Unter dieser Prämisse ließe sich auch nicht länger recht-
fertigen, sie stets nur als Gäste einzuladen. Über diese
Frage müssen sich die G 7 sehr schnell verständigen.
Die globalen Fragen und Probleme können die Staa-
ten nur gemeinsam lösen. Dies gilt sowohl für den
Kampf gegen transnationalen Terrorismus oder gegen
Seuchen, für Abrüstung und Energiesicherheit, für den
Nahostkonflikt und für die Entwicklung in Afghanistan,
für die Auseinandersetzung um das iranische Nuklear-
programm oder die so genannten Frozen Conflicts im
Kaukasus. Die Gruppe der 8 ist ein Forum, das bei der
Lösung dieser Fragen eine wichtige Rolle einnimmt.
G
i
u
t
u
d
w
f
w
s
d
L
k
n
e
a
e
l
w
a
a
P
i
l
l
t
z
A
z
s
r
M
t
m
A
E
l
d
g
s
t
t
A
d
z
f
d
g
r
i
(C
(D
Dr. Ditmar Staffelt (SPD): Deutsche Haltung zum
-8-Gipfel in St. Petersburg. Die Integration Russlands
n die G 8 wird mit der Übernahme der Präsidentschaft
nd der Ausrichtung des Gipfels in St. Petersburg wei-
estgehend vollendet. Für Russland ist der G-8-Gipfel
nd die darin zum Ausdruck gebrachte Wertschätzung
er G-8-Partner ein wichtiger Meilenstein. Auch für die
eitere politische Annäherung an den Westen ist der Er-
olg des Gipfels in der russischen Bevölkerung überaus
ichtig.
Russland ist seit 1998 offizielles Mitglied und wird
eit 1994 inoffiziell zu den Gipfeln geladen. Grund für
ie Aufnahme war das wirtschaftliche Potenzial des
andes und das Bemühen um die Einführung von Demo-
ratie und Rechtsstaatlichkeit.
Vor diesem Hintergrund will ich ausdrücklich beto-
en, dass Deutschland an dem Erfolg von St. Petersburg
in überragendes Interesse hat. Dieses Interesse greift
us meiner Sicht über einzelne Auseinandersetzungen,
twa im Bereich der Energiepolitik, weit hinaus. Bei al-
er Kritik, die an der Entwicklung in Russland geübt
erden kann und muss, dürfen wir nicht vergessen, dass
uch durch die Zusammenarbeit der G 8 untereinander
us einem ehemaligen Feind endgültig ein strategischer
artner wird.
Darüber hinaus sollten wir die Bedeutung Russlands
n wirtschaftspolitischer Hinsicht nicht vergessen.
Seit 1999 hat sich der Warenhandel EU-25 mit Russ-
and mehr als verdreifacht. Hiervon profitiert Deutsch-
and am stärksten. Wir sind in der EU der größte Expor-
eur nach Russland. Deutschland liefert alleine 30 Pro-
ent der Ausfuhren der EU-25-Staaten nach Russland.
uch deshalb kommt uns im Verhältnis zu Russland eine
entrale Mittlerposition zu.
Natürlich beobachtet die Bundesregierung aufmerk-
am Fragen der Menschenrechte und der Demokratisie-
ung in Russland und sieht Defizite im Umgang mit den
edien und der Zivilgesellschaft. Viele der in dem An-
rag der FDP aufgeführten Kritikpunkte bringt sie regel-
äßig gegenüber Russland vor. Beispielsweise nutzt das
uswärtige Amt seine vielfältigen Kontakte auf allen
benen, um Themen wie Demokratie und Rechtsstaat-
ichkeit, Pressefreiheit und Menschenrechte gegenüber
en russischen Partnern anzusprechen und unsere Sor-
en mitzuteilen.
Auf EU-Ebene werden ebenfalls Fragen der Men-
chenrechte regelmäßig mit Russland erörtert.
Dabei hat die Erfahrung gezeigt, dass Sorgen und Kri-
ik eher berücksichtigt werden, wenn sie in einem ver-
raulichen Rahmen geäußert werden. Die ehemaligen
ußenminister der FDP sind den Weg des Dialoges in
er Vergangenheit ebenfalls gegangen und werden auch
u dieser Erkenntnis gekommen sein. Ich erinnere eben-
alls an die neue Ostpolitik Willy Brandts, die auch von
er FDP gestützt wurde. Es stellt sich zudem ganz
rundsätzlich die Frage, inwiefern der G-8-Gipfel der
ichtige Rahmen ist, um Kritik an einem einzelnen Land
n den Vordergrund zu stellen.
4318 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006
(A) )
(B) )
Was wir vielmehr brauchen, ist eine Balance zwi-
schen Kooperation und Kritik. Gerade diese Herange-
hensweise ist es, die Deutschland international eine hohe
Glaubwürdigkeit in Fragen der Menschenrechte beschei-
nigt. Lassen Sie uns diese nicht aufs Spiel setzen. Ich
würde mich freuen, wenn die Kollegen der FDP darüber
nachdenken würden, ob sie ihren Antrag für das richtige
Mittel halten.
Gesamtkontext des G-8-Gipfels: energiepolitische
Spannungen. Lassen Sie uns ebenfalls nicht vergessen,
dass die russische G-8-Präsidentschaft unter dem Zei-
chen politischer Spannungen im energiepolitischen Be-
reich steht. Zu Beginn des Jahres sorgte die Unterbre-
chung der Gaslieferungen Russlands an die Ukraine für
internationale Unruhe. Die Spannungen lösten Sorgen
hinsichtlich der Versorgungssicherheit der Gaslieferun-
gen aus Russland aus. Glücklicherweise konnte der
Streit zügig beigelegt werden, hinterlässt aber sicherlich
einen schalen Beigeschmack.
Energieversorgungssicherheit als wichtigster Gipfel-
schwerpunkt. Nicht nur für unser Land ist die Energie-
versorgungssicherheit ein zentrales Anliegen. Die Grü-
nen weisen zu Recht in ihrem Antrag darauf hin, dass die
Energieversorgung auch für die Entwicklungsländer eine
zentrale Bedeutung für das wirtschaftliche Vorankom-
men hat. Angesichts des weltweit wachsenden Energie-
bedarfs liegt eine auf Dauer hohe Nachfrage nach Ener-
gie auf der Hand.
Russland ist seit über 40 Jahren ein zuverlässiger
Energielieferant für Deutschland und liefert rund ein
Drittel des deutschen und Gas- und Ölbedarfs. Wir ha-
ben keinen Grund, an der Zuverlässigkeit Russlands in
dieser Frage zu zweifeln. Dennoch ist es aus meiner
Sicht wichtig, über weitere gegenseitige unternehmeri-
sche Verpflichtungen und partnerschaftliche Zusammen-
arbeit die Energieversorgungssicherheit für Deutschland
zu erhöhen.
Deutschland hat ein hohes Interesse an einer Deeska-
lation der Spannungen mit Russland. Wir setzen uns
weiterhin dafür ein, dass die Energiecharta prominent in
der G-8-Erklärung erwähnt wird. Russland zeigt sich da-
für offen, ist allerdings zurückhaltend, die Energiecharta
zu ratifizieren. Auf der anderen Seite hat Russland ein
großes Interesse, nicht allein über die Sicherheit des
Energieangebots, sondern auch über die der Energie-
nachfrage zu sprechen. Die Diskussion zeigte zuneh-
mend, dass es Russland um die Reziprozität der Markt-
öffnung im Energiebereich geht. Russland strebt den
Markteintritt auch im Endkundengeschäft an. Für all
diese Fragen bietet der G-8-Gipfel eine gute Gelegen-
heit.
Handelspolitik im Zentrum der internationalen Inte-
resses. Je mehr wir uns St. Petersburg nähern, desto
mehr steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Handelspo-
litik wichtig für den Gipfel wird. In diesem Zusammen-
hang ist es ebenfalls ein gutes Zeichen, dass Russland
zentrale WTO-Partner aus den Schwellenländern in den
G-8-Outreach einbezogen hat: Brasilien, Indien, China,
Mexiko und Südafrika. Neben der Energiepolitik hat
sich Russland vorgenommen, mit den G-8-Partnern die
T
b
t
h
g
e
i
k
s
E
G
R
z
d
G
u
d
d
H
d
k
d
„
h
k
f
l
b
E
l
d
t
k
K
m
g
u
f
m
H
u
n
w
i
z
R
s
s
K
R
S
a
(C
(D
hemen Gesundheit und Bildung zu besprechen. Von
esonderem Interesse ist die Bekämpfung von Infek-
ionskrankheiten. Ein Bezug zu Entwicklungsländern ist
erzustellen.
Schlussbetrachtung zu St. Petersburg. Die von mir an-
esprochenen Themen zeigen, dass der G-8-Prozess zu
inem wichtigen Dialog mit Russland über die zentralen
nternationalen Fragen führt. Vor diesem Hintergrund
lingt die Forderung der Linken nach einer quasi Ab-
chaffung der G 8 wie blanker Hohn. Insgesamt zeigt die
ntwicklung, wie richtig es gewesen ist, Russland in den
-8-Prozess zu integrieren. Der Prozess der Einbindung
usslands ist noch nicht abgeschlossen.
Dr. Werner Hoyer (FDP): Die FDP hat die Initiative
u dieser Debatte ergriffen. Wir machen uns Sorgen um
as Signal, das von dem wichtigen Sankt Petersburger
-8-Gipfel ausgehen könnte. Wir machen uns Sorgen
m den Zustand und die Zukunft des Gastgeberlandes
es kommenden Gipfels und als Konsequenz auch um
ie Zukunft der G 8 insgesamt.
Vor einem Vierteljahrhundert wurden die G 7 von
elmut Schmidt und Valéry Giscard d’Estaing gegrün-
et als Zusammenschluss der „industrialisierten Demo-
ratien“. Grundprinzip bei ihrer Gründung war aus-
rücklich die gemeinsame Verpflichtung auf eine
offene, demokratische Gesellschaft, die sich zur Frei-
eit des Einzelnen und zum sozialen Fortschritt be-
ennt“. So heißt es wörtlich in der konstituierenden Gip-
elerklärung von Rambouillet.
Die Präsidentschaft der G 8 hat in diesem Jahr Russ-
and, der Gipfel findet in zwei Wochen in Sankt Peters-
urg statt, der Heimatstadt des russischen Präsidenten.
s ist klar, was Präsident Putin damit nach außen, vor al-
em aber nach innen gegenüber seinen eigenen Bürgern
okumentieren will: Seht her, die wichtigsten demokra-
isch gewählten Staats- und Regierungschefs der Welt
ommen zu mir nach Sankt Petersburg! Wir sind im
reise der führenden Demokratien der Welt angekom-
en.
Präsident Putin will in Sankt Petersburg einen Jubel-
ipfel veranstalten, um seine Machtstellung nach innen
nd außen zu festigen. Das muss angesichts der ganz of-
enkundigen Rückschritte bei der Entwicklung von De-
okratie und Rechtsstaatlichkeit in Russland in diesem
ohen Hause zumindest einmal problematisiert werden,
nd zwar ganz besonders deshalb, weil Bundesaußenmi-
ister Steinmeier in dieser Frage keinerlei Problembe-
usstsein zu haben scheint. Herr Steinmeier hat gestern
n der wichtigsten noch unabhängigen russischen Tages-
eitung „Kommersant“ den Transformationsprozess in
ussland ausdrücklich gelobt.
Als dann die russischen Journalisten – offensichtlich
elbst verwundert über so viel Blauäugigkeit des deut-
chen Außenministers – nachgefragt haben, ob im
reise der G 8 nicht Zweifel bestünden an der „Treue
usslands zu demokratischen Normen“, hat Herr
teinmeier das weit von sich gewiesen. Dieser Bundes-
ußenminister möchte ganz offensichtlich in der Russ-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4319
(A) )
(B) )
land-Politik nahtlos da anknüpfen, wo sein ehemaliger
Chef Gerhard Schröder aufgehört hat.
Minister Steinmeier, Sie müssen sich doch einmal fra-
gen, wie diese öffentliche Belobigung des Putin-Re-
gimes bei den mutigen Vertretern der russischen Zivilge-
sellschaft ankommt. Diese wirklichen Demokraten
kämpfen doch unter immer schwieriger werdenden Be-
dingungen dafür, dass der leider längst rückläufige
Transformationsprozess in Russland überhaupt wieder in
Gang kommt bzw. vom Rückwärtsgang wieder in den
Vorwärtsgang geschaltet wird.
Frau Merkel hat bei ihrem Moskaubesuch Vertreter
der Zivilgesellschaft getroffen – das war richtig – und
hat sie damit sichtbar gestärkt. Der Bundesaußenminis-
ter macht diesen Neuansatz hin zu einer Stärkung der
russischen Zivilgesellschaft und zu einer Unterstützung
der Demokratie- und Rechtsstaatsbewegung gleich wie-
der kaputt! „Freedom House“ hat Russland kürzlich un-
ter den „unfreien Staaten“ eingestuft – auf einer Ebene
mit Simbabwe. Der deutsche Außenminister hingegen
sieht Russland auf dem richtigen Weg. Das passt doch
nicht zusammen!
Die FDP ist der Auffassung, dass die G 8 ihrem eige-
nen, in Rambouillet aufgestellten Anspruch als Zusam-
menschluss der führenden Demokratien nur dann genü-
gen kann, wenn auch die Sorge über den Zustand der
Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit im Gastgeber-
land offen angesprochen wird. Es ist gut, dass die Bun-
desregierung einen Vertreter auch zum NGO-Gipfel
nach Sankt Petersburg schicken will. Hier hat Kollege
Schockenhoff als Beauftragter der Bundesregierung für
die zivilgesellschaftliche Kooperation zwischen
Deutschland und Russland Gelegenheit, zu zeigen, wie
er die russische Zivilgesellschaft in ihrer Arbeit unter-
stützen will, statt ihr Steine in den Weg zu werfen.
Aber unsere Sorge über die Entwicklung in Russland
gehört nicht nur in die Hinterzimmer von Sankt Peters-
burg. Das muss offen auf den Tisch: beim Gipfel; nicht,
um die russische Führung vorzuführen, sondern um die
russische Zivilgesellschaft zu stärken.
Es geht um die Glaubwürdigkeit der G 8 als Zusam-
menschluss der führenden Demokratien.
Ulla Lötzer (DIE LINKE): Herr Hoyer, Sie sorgen
sich um die Demokratie in Russland. Hier gibt es Defi-
zite. Aber die G-8 zum Hüter von Demokratie zu erklä-
ren, damit machen Sie doch den Bock zum Gärtner.
Die G-8-Regierungen repräsentieren ein knappes
Siebtel der Weltbevölkerung. Aber ob Entschuldung
oder wie im Falle globaler Energiepolitik – diese Regie-
rungen fällen Entscheidungen, die Auswirkungen auf die
gesamte Weltwirtschaft und auf Entwicklungschancen
vieler Länder haben – insbesondere der Länder, die auf
den G-8-Tagungen gar nicht mit am Tisch sitzen. Unter
die Weichen werden natürlich ganz im Sinne der Interes-
sen der G-8-Staaten und ihrer Konzerne gestellt. Sie ver-
suchen mehr und mehr mit der G 8 eine Neben-UN zu
etablieren, in der Sie die Bedingungen für Weltwirtschaft
und Weltpolitik diktieren.
g
N
m
A
g
z
k
G
n
g
d
d
z
d
d
S
n
G
H
s
b
z
D
z
v
g
v
a
d
V
R
s
s
z
t
l
l
e
J
F
Z
d
o
i
E
l
m
W
G
t
w
(C
(D
Woher nehmen die G 8 ihre Legitimation? Sind sie
ewählt, von internationalen Organisationen delegiert?
ichts davon. Ihre einzige Legitimation ist ihre ökono-
ische und militärische Macht: das Recht des Stärkeren.
uch Parlamente spielen dabei nur die Rolle eines Zaun-
astes der Entscheidungen, statt sie zu kontrollieren oder
u gestalten. In ihrem Antrag, Herr Trittin, findet man
einerlei Kritik an der demokratischen Legitimation der
8, im Gegenteil.
Verabredungen zu global relevanten Themen gehören
icht in den Rahmen der G 8, sondern allein in dafür le-
itimierte Gremien. Das setzt gleichberechtigte Teilhabe
er Entwicklungs- und Schwellenländer und die Einbin-
ung der Parlamente voraus. Der Rahmen dafür ist ein-
ig und allein eine in ihren Kompetenzen gestärkte und
emokratisierte UNO.
Wie sehr die Politik der G 8 Kritik hervorruft, zeigen
ie regelmäßigen massiven Proteste und die weltweiten
ozialforen. Zehntausende machen dort Alternativen zur
eoliberalen Wirtschafts- und Entwicklungsdoktrin der
8 deutlich. Das ist gelebte Demokratie, nicht die G 8,
err Hoyer. Und die werden Sie nicht nur in Petersburg,
ondern auch im nächsten Jahr in Heiligendamm erle-
en.
Auf der Agenda in Petersburg stehen weitere Schritte
ur Liberalisierung der globalen Energiemärkte. Ein
rittel der Menschen in der Welt haben keinen Zugang
u Energie. Die weltweite Liberalisierung der Energie-
ersorgung hat diesen Zustand nicht verbessert, im Ge-
enteil. Durch langfristige Lieferverträge sollen die In-
estitionen der Unternehmen in der Rohstoffgewinnung
bgesichert werden. Dies richtet sich ausdrücklich gegen
ie lateinamerikanischen Staaten, die gerade mit der
erstaatlichung einen anderen Weg gehen. Völlig zu
echt sind sie nicht mehr bereit, die Gewinne aus heimi-
chen Rohstoffen transnationalen Konzernen zu überlas-
en und für Armutsbekämpfung um Entwicklungshilfe
u betteln.
In Russland, 20 Jahre nach Tschernobyl, einen Ak-
ionsplan verabschieden zu wollen in dem über Entwick-
ungskredite der Weltbank Entwicklungs- und Schwel-
enländern Atomkraftwerke verkauft werden sollen, ist
ine Gefährdung von Mensch, Natur und Sicherheit über
ahrhunderte. Das ist nicht zu verantworten. Bei der
rühjahrstagung der Weltbank hat sich Frau Wieczorek-
eul dagegen ausgesprochen. Das unterstützen wir aus-
rücklich. Hände weg von der Atomenergie, ob hier,
der anderswo. Die Zukunft der Energieversorgung liegt
n Energieeinsparung und der Nutzung erneuerbarer
nergien.
Zum Petersburger Aktionsplan haben wir diesbezüg-
ich von der Regierung noch kein Wort vernommen. Wir
öchten dazu hier und heute von Ihnen eine Antwort.
ir erwarten, dass Sie den Aktionsplan auf dem G-8-
ipfel ablehen.
Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zen-
rales Thema des diesjährigen G-8-Gipfels in Petersburg
ird die Energiepolitik und die Energiesicherheit sein.
4320 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006
(A) )
(B) )
Ebenso wie in der Vergangenheit wird sich der Gipfel al-
lerdings auch mit globalen Entwicklungsfragen befas-
sen. So steht die Bekämpfung von Infektionskrankheiten
und der Zugang zu Medikamenten genauso auf der Ta-
gesordnung wie die Verbesserung des Zugangs zu Bil-
dung.
Eine nachhaltige, sichere und wirtschaftliche Versor-
gung mit Energie ist essenziell für jede Volkswirtschaft.
Ohne eine sichere Energieversorgung sind Wohlstand,
Gesundheit und Mobilität undenkbar. Der Rückgang der
Vorräte und der Verfügbarkeit fossiler Brennstoffe sowie
die steigende weltweite Nachfrage rücken die Frage der
Versorgungssicherheit und des Zugangs zu Energie für
die internationale Staatengemeinschaft immer mehr in
den Fokus. Von Energieaußenpolitik und Energiesicher-
heitspolitik ist die Rede.
Die prognostizierten Energieszenarien für Schwellen-
länder wie Indien und China verschärfen die Dringlich-
keit, darüber nachzudenken, wie bei steigender Welt-
bevölkerung und steigendem Wohlstand eine
Energieversorgung zu gewährleisten ist, die das „Öko-
system Erde“ überhaupt verkraften kann. Insofern ist es
nur folgerichtig, dass sich der Gipfel mit dem Thema be-
fasst.
Der erste Präsident Bush ist im Kontext der Klimade-
batte vor mehr als einem Jahrzehnt in Europa berühmt
geworden mit dem Satz: „Der amerikanische Lebensstil
ist nicht verhandelbar“. Die Kraft der Tatsachen oder
– anders gesagt – 5 Milliarden Menschen in Schwellen-
und Entwicklungsländern stellen jedoch auch scheinbar
wie in Stein gemeißelte Feststellungen infrage. Heute
sagt der zweite Präsident Bush immerhin in seiner Rede
an die Nation: „Wir müssen weg vom Öl“. Dem ist nur
zuzustimmen, dies gilt auch für unser Land.
Nur durch eine gerechtere Verteilung und Nutzung
der Ressourcen und eine weltweite Orientierung auf er-
neuerbare Energien werden wir aus meiner Sicht in der
Lage sein, ein wachsendes Konfliktpotenzial zu ent-
schärfen. Und es geht nicht nur um die Vorbeugung von
Konflikten. Heute verfestigen sich die wissenschaftli-
chen Hinweise, dass die globalen Folgen des vorherr-
schenden Energiesystems dramatischer sind, als noch
vor wenigen Jahren angenommen. Der Klimawandel hat
sich beschleunigt, die Jahrestemperaturen steigen stetig
an. Daher müssen die globalen Anstrengungen, bald-
möglichst den Klimawandel zu verlangsamen, gesteigert
werden. Die Temperaturen dürfen nicht über 2°Celsius
gegenüber vorindustriellen Zeiten steigen, so eine von
Klimaforschem geteilte Erkenntnis.
Ich bin der Meinung, dass die G-8-Staaten beim Welt-
wirtschaftsgipfel im Juli in Sankt Petersburg die Gele-
genheit nutzen müssten, Schritte zu vereinbaren, die die
Abhängigkeit von Öl und anderen fossilen Energieträ-
gern zu vermindern. Sie sollten aufhören, eine Sicherheit
der Versorgung zu suggerieren, die zumindest mittelfris-
tig nicht aufrecht zu erhalten ist. Technische Ansätze wie
die Erhöhung der Markttransparenz im Ölbereich greifen
angesichts der Verfasstheit von Energiemärkten zu kurz.
Auch gesteigerte Investitionen im Gas- und Ölsektor
werden nicht verhindern, dass wir so schnell wie mög-
l
z
E
t
E
S
m
w
p
d
t
m
e
n
l
g
n
k
h
g
d
a
m
a
k
s
A
b
D
D
w
b
T
M
z
D
A
n
w
a
V
S
u
n
m
g
(C
(D
ich die Abhängigkeit von fosssilen Energieträgern redu-
ieren müssen. Einsparung, Effizienz und erneuerbare
nergien sollten im Zentrum einer Strategie der nachhal-
igen Energieversorgung der G 8 stehen.
Die G 8 müssten sich für den Ausbau emeuerbarer
nergien sowohl in ihren eigenen Ländern als auch in
chwellen- und Entwicklungsländern einsetzen. Sie
üssten sich in der Weltbank und den regionalen Ent-
icklungsbanken für den Ausbau von Energieeffizienz-
rogrammen, eine Politik der Energieeinsparung und
en Ausbau emeuerbarer Energien einsetzen. Sie müss-
en in einen systematischen, institutionalisierten Dialog
it Schwellenländern über nachhaltige Energiesysteme
intreten. Und die G-8-Staaten müssten den Zugang zu
achhaltigen Energiesystemen in den ärmsten Entwick-
ungsländern durch die Aufstockung relevanter Pro-
ramme unterstützen.
Die G 8 sollte vor allem von einem Ansatz absehen,
ämlich anzunehmen, dass die Renaissance der Atom-
raft auch nur in Ansätzen den Weg in eine zukunftsfä-
ige Versorgung weist. Atomenergie ist und bleibt teuer,
efährlich und nicht kontrollierbar. Mit der Ausbreitung
er zivilen Nutzung der Atomenergie erweitern sich
uch die Möglichkeiten ihrer militärischen Nutzung, wie
an an den Entwicklungen in Indien und Pakistan oder
ktuell im Kontext der Urananreicherung im Iran sehen
ann. Dieses zu verhindern sollte in unser aller Interesse
ein.
nlage 4
Zu Protokoll gegebene Rede
zur Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts: Aufgabenplanung der Deutschen
Welle 2007 bis 2010 (Tagesordnungspunkt 32)
Christoph Waitz (FDP): Freunde gewinnen und
inden, könnte als Titel über dem Aufgabenplan der
eutschen Welle stehen, über die wir heute beraten.
iese Aufgabe hat die Deutsche Welle in bemerkens-
erter Weise immer wieder erfüllt. Wir hören viel Lo-
endes über die Arbeit der Deutschen Welle aus vielen
eilen der Welt und ich will die Gelegenheit nutzen, den
itarbeitern der Deutschen Welle für ihre Arbeit Dank
u sagen.
Mit der Aufgabenplanung 2007 bis 2010 skizziert die
eutsche Welle, wo die Aufgabenschwerpunkte ihrer
rbeit in den nächsten Jahren liegen. Es verwundert
icht, dass diese Schwerpunkte dort lokalisiert werden,
o der kulturelle Dialog zu intensivieren ist, wie in den
rabischsprachigen Staaten und dort, wo die deutsche
ertretung noch ungenügend ist, wie im asiatischen
prachraum.
Diese neuen Aufgaben werden von einem Medien-
nternehmen angegangen, das in den letzten Jahren ei-
en beträchtlichen Umstrukturierungsprozess bewältigen
usste, der sicher nicht ohne interne Verwerfungen ab-
elaufen ist. Schließlich wurde die Mitarbeiterzahl er-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4321
(A) )
(B) )
heblich abgesenkt und der Zuschuss aus Bundesmitteln
in schöner Regelmäßigkeit reduziert.
Trotz dieser schwierigen Rahmenbedingungen haben
es die Verantwortlichen geschafft, sich auf die wechseln-
den Anforderungen einzustellen und das Angebot im Be-
reich Fernsehen, Radio und den neuen Medien immer
wieder neu anzupassen. Mit dem Aufgabenplan 2007 bis
2010 hat die Deutsche Welle deutlich gemacht, dass nun-
mehr ein Punkt erreicht ist, an dem bei allem guten Wil-
len neue Aufgaben nur dann zu schultern sind, wenn ent-
weder zusätzliche Gelder bereitgestellt werden oder aber
an anderen Stellen im Haushalt gespart wird.
In Ihrem Aufgabenplan setzt die Deutsche Welle fol-
gende Schwerpunkte: Das arabischsprachige Fenster der
Deutschen Welle soll von drei auf mindestens sechs
Stunden Sendezeit pro Tag ausgedehnt werden. Das
Auslandsfernsehen soll ausgebaut werden und eine wett-
bewerbsfähige technische Ausstattung soll erhalten wer-
den. All dies kostet zusätzliches Geld.
Für die Ausdehnung des arabischsprachigen Fensters
benötigt die Deutsche Welle zusätzlich 2 Millionen
Euro. Für das Auslandsfernsehen kommen zusätzliche
Kosten in Höhe von 5,75 Millionen Euro für Urheber-
rechte, Anpassung von Formaten und die Bereitstellung
zusätzlicher Studiokapazität auf die Deutsche Welle zu.
Allein für die Aufrechterhaltung einer wettbewerbsfähi-
gen technischen Ausstattung fehlen der Deutsche Welle
19,1 Millionen Euro bis zum Jahr 2010.
Die Beschlussempfehlung des Kultur- und Medien-
ausschusses enthält den Appell an die Bundesregierung,
die bisherige Programmpräsenz in Afrika, hier insbeson-
dere in der Subsahara-Region und in Lateinamerika zu
erhalten, den Dialog der Kulturen zu verstärken und in
technologische Aufwendungen wie zum Beispiel mobile
Technologien zu investieren. Dieser Appell ist richtig
und macht Sinn.
Gerade in der Subsahara-Region betreibt die Deut-
sche Welle ein erfolgreiches Radioprogramm; und das in
einem Gebiet, in dem das Radio oft die einzige Informa-
tionsquelle darstellt. In Lateinamerika ist die Deutsche
Welle inzwischen in den Netzen Hunderter Kabelgesell-
schaften vertreten.
Das Internet als weltweites Medium muss zukünftig
verstärkt genutzt werden, um mehr audiovisuelle Ange-
bote anzubieten.
Wenn wir sowohl den Focus auf neue Aufgaben len-
ken wollen, als auch die bestehenden Programme erhal-
ten wollen, dann kommen wir nicht umhin, die Deutsche
Welle auch mit den benötigten Mitteln auszustatten. Das
Ende der Fahnenstange ist bei der Deutschen Welle er-
reicht. Einsparungen bei gleichzeitiger Ausdehnung des
Aufgabenbereichs sind nicht mehr möglich, ohne dass
die Substanz der Deutschen Welle geschädigt wird.
Dass heißt, wir müssen die Einsparungen im Haushalt
an anderer Stelle erbringen. Ich kann nur an die Koali-
tion appellieren, hier nicht an der falschen Stelle zu spa-
ren. Sparen Sie lieber dort, wo es wirklich Not tut! Falls
Sie noch nach geeigneten Ausgaben suchen, die Sie ein-
s
u
e
A
d
A
s
z
f
k
v
d
m
n
i
C
n
E
m
r
d
h
n
2
d
d
S
w
r
h
5
w
f
a
u
a
s
f
k
U
t
t
F
d
(C
(D
paren können, dann empfehle ich Ihnen als Ideengeber
nser liberales Sparbuch als Anregung und Ansporn für
ine bessere Haushaltspolitik.
nlage 5
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Umverteilung durch
den Emissionshandel beenden – Vorreiterrolle
im Klimaschutz übernehmen (Tagesordnungs-
punkt 33)
Andreas Jung (Konstanz) (CDU/CSU): Die Bun-
esregierung hat in dieser Woche den Nationalen
llokationsplan II beschlossen. Damit wird der Emis-
ionshandel fortgeschrieben. Worum geht es dabei?
Erstens geht es um die Umwelt, es geht um die Redu-
ierung des CO2-Ausstoßes und damit um die Bekämp-
ung des Klimawandels. Dieser ist längst bei uns ange-
ommen und die Erkenntnisse aus jüngster Zeit führen
or Augen, dass Auswirkungen und Entwicklungen
rastischer sind als bislang angenommen. Das heißt: Es
uss gehandelt werden!
Und wir handeln. Nun sagen manche: Aber nicht ge-
ug.
Dazu will ich eines festhalten: Die Zuteilungsmenge
m NAP II, also das Gesamtvolumen an möglichem
O2-Ausstoß, beträgt 482 Millionen Tonnen und damit
och einmal 13 Millionen Tonnen weniger als im ersten
ntwurf vorgesehen. Nun kann man sich immer noch
ehr, noch größere Emissionsziele, einen noch geringe-
en CO2-Ausstoß wünschen.
Aber zur Wahrheit gehört doch eines dazu: Wir sind
amit ehrgeiziger als Rot-Grün. Die Vorgängerregierung
atte im ersten NAP ein Mengengerüst von 503 Millio-
en Tonnen CO2 festgeschrieben. Jetzt sparen wir
1 Millionen Tonnen mehr ein. Das mag Sie verwun-
ern. Aber auch in anderen Bereichen, wo manche durch
as Land gezogen sind und gesagt haben: Wenn die
chwarzen dran sind, machen sie den Kahlschlag, leisten
ir mehr: Bestes Beispiel ist das CO2-Gebäudesanie-
ungsprogramm, das wir ganz erheblich aufgestockt
aben und für das wir in dieser Legislaturperiode
,6 Milliarden Euro ausgeben werden. Also: Sie sagen,
ir machen nicht genug. Ich sage: Wir machen jeden-
alls mehr als Trittin, und den haben manche – ich nicht –
ls grünen Umweltengel gefeiert. Also: Wir stehen zu
nseren Kioto-Verpflichtungen und Deutschland bleibt
uch mit diesem NAP II an der Spitze beim Klima-
chutz.
Und dann wird gesagt: Dieser NAP II ist zu kohle-
reundlich. Jetzt nehmen Sie mir bitte eins ab: Ich bin
ein Freund der Kohle, eben weil sie CO2-intensiv ist.
nd deshalb wird man im Detail in der Beratung des Zu-
eilungsgesetzes sicher noch das ein oder andere disku-
ieren müssen. Aber ich will Ihnen eine grundsätzliche
rage stellen: Wofür sind Sie eigentlich? Sie sind gegen
ie Kohle. Sie sind gegen die Kernkraft und eine
4322 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006
(A) )
(B) )
moderate Verlängerung der Laufzeiten. Aber wofür sind
Sie? Sie sind für regenerative Energien. Wir auch. Des-
halb führen wir die Förderung durch das EEG weiter, es
war ja nicht alles falsch, was in den letzten sieben Jahren
gemacht wurde. Hier gilt: Viel mehr hätte man nicht ma-
chen können und viel mehr kann man auch jetzt nicht
machen. Aber selbst wenn wir optimistisch sind: Mehr
als 20 Prozent werden sie im Jahr 2020 nicht zur Ener-
gieerzeugung beitragen. Und das sollte niemand kleinre-
den, dort haben wir weltweit eine Führungsrolle! Und
der Rest? Also der Löwenanteil? Gas, sagen Sie. Ohne
zu fragen: Wird nicht auch Gas einmal endlich sein?
Welche Auswirkung wird so eine immense Nachfrage
auf die Preise haben? In welche neuen Abhängigkeiten
würden wir uns begeben. Wir wollen nicht, dass irgend-
wer in Russland uns den Saft abdrehen kann: Die
Ukraine lässt grüßen.
Und deshalb: Wir werden auch in Zukunft einen
Energiemix brauchen. Entscheiden ist eines: Wir brau-
chen mehr Effizienz, wir brauchen neue Technologien,
bessere Wirkungsgrade und damit auch bei der Kohle
weniger Emissionen. Dieses Ziel verfolgt der NAP II.
Und daneben brauchen wir Gas. So viel wie möglich,
aber eben auch so wenig wie vertretbar.
Und zweitens geht es dann um Arbeitsplätze. Das ist
der Grund, warum die Union darauf gedrungen hat, den
Mittelstand außen vor zu lassen und das ist der Grund,
warum wir von der Industrie nur eine vergleichsweise
geringe Minderung von 1,25 Prozent verlangen. Wir
wollen Industrie in Deutschland. Wir wollen etwa auch
die chemische Industrie, bei der bestimmte Prozesse not-
wendig zu CO2-Ausstoß führen, zu einem Ausstoß, der
auch nicht reduziert werden kann. Da gibt es nur zwei
Möglichkeiten. Entweder findet das in Deutschland statt
oder anderswo auf der Welt. Für die Umwelt wäre damit
nichts gewonnen. Aber es ginge wieder etwas verloren:
Arbeitsplätze für die Menschen in unserem Land. Das
wollen und das werden wir nicht zulassen. Es sind in den
letzten Jahren schon viel zu viele Arbeitsplätze vertrie-
ben worden und die Auswirkungen spüren Millionen
Menschen in Deutschland und wir alle jeden Tag.
Um Arbeitsplätze zu halten, brauchen wir auch gerin-
gere Strompreise. Und diese brauchen wir auch, um die
Privathaushalte zu entlasten. Die Stromrechnung ist zur
echten Belastung für viele Bürgerinnen und Bürger ge-
worden.
Warum ist der Preis in den letzten Jahren so nach
oben geschossen? Ich will auch hier betonen: Nicht we-
gen der Förderung regenerativer Energien. Sie ist gerade
einmal für die Höhe von 2 Prozent des Strompreises ver-
antwortlich, für mehr nicht.
Den Löwenanteil hat der Umgang der großen Ener-
gieversorger mit den CO2-Zertifikaten verursacht. Sie
haben Verbrauchsrechte kostenlos bekommen, aber dem
Verbraucher die potenziellen Kosten auf den Preis drauf
geschlagen. Jetzt geht es uns gar nicht darum, ob das
redlich ist oder wie auch immer. Fakt ist: Die Energie-
versorger haben sich damit innerhalb der Rahmenbedin-
gungen bewegt, die der NAP I gesetzt hat. Aber die
Frage muss doch sein: Wie machen wir’s beim NAP II
b
e
w
k
A
g
„
g
d
m
i
E
d
w
v
d
t
z
v
d
d
d
d
G
„
N
–
e
s
h
B
D
u
c
s
n
Z
u
d
A
u
A
w
w
N
J
i
W
i
w
w
B
U
(C
(D
esser? Wie schöpfen wir Mitnahmeeffekte ab und wie
rreichen wir geringere Preise?
Einen ersten Schritt geht der NAP II: Der Energie-
irtschaft wird die CO2-Zuteilung um 15 Prozent ge-
ürzt. Das ist richtig und es wird Gewinne abgeschöpft.
ber eine Senkung der Preise erwarten wir nicht.
Was wir brauchen ist mehr Wettbewerb auf dem Ener-
iemarkt, weg von der beherrschenden Stellung der
großen Vier“, hin zu einem offenem europäischen Ener-
iemarkt. Dann wird die Belastung des Verbrauchers
urch immer höhere Energiepreise auch nicht mehr
öglich sein. Das zeigt das Beispiel der Industrie, die im
nternationalen Wettbewerb steht. Und deshalb trotz
missionshandel keine Preise. Doch mehr Wettbewerb,
as wissen wir das werden wir nur langfristig schaffen,
ir brauchen aber eine kurz- und mittelfristige Lösung.
Und da gibt es ein Instrument, dass die CDU/CSU fa-
orisiert: die „Ex-Post-Korrekturen“. Durch Koppelung
er Zertifikatvergabe an die tatsächliche Stromproduk-
ion fällt die Möglichkeit weg, keinen Strom zu produ-
ieren und die zugewiesenen Zertifikate stattdessen zu
erkaufen. Potenzielle Gewinne hieraus sind somit nicht
enkbar und deren Wegfall kann nicht ein-gepreist wer-
en. Damit würde der Strompreis sinken.
Jetzt wissen wir: Die Kommission stemmt sich gegen
ieses Instrument und eine Streitigkeit zwischen ihr und
er Bundesrepublik Deutschland ist am Europäischen
ericht in erster Instanz anhängig. Deshalb konnte die
Ex-Post-Korrektur“ nicht von vorne herein in den
AP II aufgenommen werden. Aber: Sobald das Gericht
wohl Ende des Jahres – entschieden hat und wenn es
ine für uns günstige Entscheidung ist – wofür nach un-
erer Einschätzung einiges spricht –, dann muss neu ver-
andelt und neu entschieden werden. Das hat auch die
undesregierung in einer Protokollnotiz festgehalten.
afür sind wir dankbar. Dann muss die Kommission
mdenken. Eine Verschleppungstaktik mit einer mögli-
hen Revision und einem Hinauszögern bis zu einer Ent-
cheidung des EuGH machen wir nicht mit. Es dürfen
icht durch eine lange Verfahrensdauer Fakten durch
eitablauf geschaffen werden. Wir machen das nicht mit
nd Herr Minister Gabriel, wir fordern auch Sie ein-
ringlich auf: Lassen Sie das nicht zu!
Die anderen vorgeschlagenen Instrumente – von der
uktionierung bis zur Zertifikatesteuer – halten wir für
ngeeignet. Es mag für alles eine Für und Wieder geben.
ber eines ist sicher: Geringere Strompreise erreichen
ir damit nicht, sondern eher im Gegenteil.
Lassen Sie mich einen letzten Punkt herausheben,
eil das ein Verhandlungserfolg der Union ist: Im
AP II wird die Möglichkeit zur Nutzung von CDM und
l-Projekten ganz erheblich erweitert. Bis zu 12 Prozent
hrer Verpflichtungen können die Betreiber in dieser
eise erbringen. Was heißt das? Statt durch Maßnahmen
n Deutschland können CO2-Einsparungen beispiels-
eise durch Umwelt- und Technologieprojekte in Ent-
icklungsländern erbracht werden. Zum Nutzen aller
eteiligten. In die Entwicklungsländer fließt Kapital für
mweltschutz, die Unternehmen können in diesen Län-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4323
(A) )
(B) )
dern für dasselbe Geld erheblich höhere Effizienzge-
winne erzielen und schließlich – für den Klimaschutz
spielt es keine Rolle, ob CO2 hier oder dort eingespart
wird. So sind diese Projekte heute Beispiele für erfolg-
reiche Umwelt- und Entwicklungspartnerschaft. Und
– wie könnte es anders sein – schon erheben sich auch
hier wieder kritische Stimmen, auch in diesem Hause,
nicht nur bei den Linken, genauso bei den Grünen etwa:
Macht hier nur nicht zu viel, irgendwo muss man Gren-
zen ziehen, wo führt das hin, wenn nicht alle Pflichten
im Inland abgearbeitet werden usw.
Ich behaupte: Genau hier ist die Trennlinie zwischen
pragmatischem, effizientem Umweltschutz, der auch
Wirtschaft und Arbeitsplätze im Auge hat, und einseiti-
ger Ideologie: Liebe Kolleginnen und Kollegen, global
denken, lokal handeln – das war gestern. Heute heißt die
Devise: Global denken, lokal, national und global han-
deln. Dafür stehen wir – in Verantwortung für den Plane-
ten Erde und für die Arbeitsplätze in Deutschland.
Frank Schwabe (SPD): Drei Vorbemerkungen seien
mir gestattet: Erstens. Bei allen Debatten um Mengen-
gerüste, Zuteilungsregeln, Ausnahmeregeln usw. dürfen
wir nicht vergessen, worum es beim Emissionshandel ei-
gentlich geht: um die Bewältigung des Klimawandels.
Es geht mit dem Klimawandel um eine der, wenn nicht
die größte Menschheitsherausforderung. Es geht darum,
dass die Erkenntnisse zur Dramatik des Prozesses immer
intensiver werden.
Zweitens. Man muss den Emissionshandel nicht lie-
ben. Man muss jedoch zur Kenntnis nehmen, dass er das
einzige international durchsetzbare Instrument war. Wer,
gerade aufseiten der Wirtschaft, den Emissionshandel
nicht will, der muss sich im Klaren darüber sein, welche
Instrumentarien des Klimaschutzes er dann will. Und
dass es möglicherweise gerade von den Gegnern weni-
ger geliebte Instrumentarien sein könnten.
Drittens will ich betonen, dass der Emissionshandel
sicherlich ein zentrales, aber nicht das einzige Mittel zur
Senkung der Treibhausgasemissionen ist. Ob EEG,
KWK, Biokraftstoffe, CO2-Gebäudesanierung, Effi-
zienzprogramme und anderes. Erst im Zusammenspiel
dieser unterschiedlichen Instrumente wird die Klima-
schutzpolitik in Deutschland erfolgreich sein.
Bei der Betrachtung des vorliegenden Nationalen Al-
lokationsplans II für 2008 bis 2012 ist nun für die einen
das Glas halb voll, für die anderen leer, für manche an-
dere läuft es aber schon über.
Für die Opposition in diesem Haus ist das Glas leer.
Ganz und gar. Sie lassen kein gutes Haar an diesem
NAP II! Das ist Ihr gutes Recht, es ist sogar Ihre Pflicht,
sich kritisch mit der Politik der Regierung auseinander
zu setzen.
Aber das ist eben der Unterschied zwischen Regie-
rung und Opposition. Sie können das Blaue vom Him-
mel fordern, die Regierung muss vor dem Hintergrund
einer klaren Zielrichtung das Mögliche umsetzen.
e
A
s
T
a
D
5
t
s
N
d
f
d
d
V
v
S
I
n
e
d
a
c
e
v
j
G
t
p
f
S
e
s
e
g
g
d
M
r
f
M
D
1
z
s
L
d
u
L
s
D
(C
(D
Und das mit dem NAP II verbundene Ziel ist klar. Die
ntscheidende Frage ist: Ist der vorliegende Nationale
llokationsplan geeignet das im Rahmen des europäi-
chen so genannten burden sharings eingegangene
reibhausgasminderungsziel von 21 Prozent bis 2012
uf der Basis des Jahres 1990 zu erreichen? Ja oder nein?
ie Antwort ist: Ja.
Schaffen wir es außerdem das Regelungsdickicht von
8 Kombinationsregeln zu entwirren und das System
ransparenter zu machen. Die Antwort ist: Ja.
Der Umweltminister hat dieses hier in der Frage-
tunde am Mittwoch bereits umfassend dargelegt. Der
ationale Allokationsplan II ist in vielen Bereichen
eutlich besser als der erste. Er ist eine gute Grundlage
ür die Beratungen des Parlaments, also von uns, über
as Zuteilungsgesetz 2012 am Ende dieses Jahres.
Der vorliegende NAP II entspricht der Energiepolitik
er Bundesregierung, die gleichzeitig auf Klimaschutz,
ersorgungssicherheit und Preisstabilität setzt. Und nun
erstehe ich ja den Einwand der Umweltökonomen, die
ie sich in der Opposition zu Eigen machen, dass das
nstrument durch unterschiedliche politische Vorgaben
icht in seiner Idealform umgesetzt wird. Aber das ist
ben der Unterschied zwischen Theorie und Praxis und
en muss Politik schon machen und den muss Politik
uch aushalten.
Deshalb entscheidet sich die Koalition entgegen man-
her Wünsche eben für einen Energiemix und gegen eine
inseitige Bevorzugung von Gas. Deshalb gibt es den
on manchen gewünschten einheitlichen Benchmark
etzt nicht. Es darf aber auch keine Benachteiligung von
as durch den NAP geben.
Deshalb war es so wichtig, dass der Standardauslas-
ungsfaktor für GuD-Kraftwerke jetzt bei 7 500 Stunden
ro Jahr liegt. Dass das jetzt so im NAP steht, ist ein Er-
olg im Sinne des Klimaschutzes. Und das dürfen auch
ie so benennen.
Mit dem NAP II werden also die Kiotoziele bis 2012
rreicht. Der NAP II ist einfacher und transparenter, mit
einen Regelungen werden notwendige Investitionen in
ine Erneuerung des Kraftwerkparks gefördert. Mit dem
eteilten Erfüllungsfaktor von 15 Prozent für die Ener-
iewirtschaft und 1,25 Prozent für die Industrie trägt er
er Wettbewerbssituation und den unterschiedlichen
öglichkeiten der CO2-Reduktion Rechnung. Das ist
ichtig. Und er schafft verlässliche Rahmenbedingungen
ür die Förderung von Klimaschutz im Ausland über die
echanismen von Joint Implementation und Clean
evelopment Mechanism. Ich halte hier die Quote von
2 Prozent für richtig und ausbaufähig, will aber gleich-
eitig betonen, dass wir immer Wert darauf legen müs-
en einen erheblichen Teil des Klimaschutzes im eigenen
and zu verwirklichen. Das schafft erst die Glaubwür-
igkeit, international für ambitionierte Ziele einzutreten
nd hält den Innovationsdruck, der sicherlich nicht zu
asten der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirt-
chaft war und ist, aufrecht.
Nochmal: Der NAP II ist eine gute Grundlage für die
iskussion zum ZuG 2012. Aber es ist schon Aufgabe
4324 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006
(A) )
(B) )
des Parlaments, jetzt in intensive Beratungen einzustei-
gen.
Die SPD-Fraktion hat dabei insbesondere noch Dis-
kussionsbedarf zum CAP vor dem Hintergrund der noch
zu erhebenden Zahlen für die Jahre 2003 und 2004. Die-
ses ist aber ja auch die Position der Bundesregierung.
Darüber hinaus werden wir die Frage der Reserve vor
dem Hintergrund der angekündigten Kraftwerksprojekte
kritisch überprüfen.
Die im Koalitionsvertrag angekündigte Vermeidung
der Mitnahmeeffekte sehen wir noch nicht ausreichend
umgesetzt. Hier wollen wir prüfen, ob es ein Verfahren
gibt, das die windfall profits vermeidet oder abschöpft,
ohne gleichzeitig einen Vorwand für weitere Strompreis-
erhöhungen zu liefern. Die SPD-Fraktion unterstützt die
Ankündigung des Umweltministers, sich für eine umfas-
sende Auktionierung in der dritten Handelsperiode ein-
zusetzen.
Entscheidend ist aus meiner Sicht, dass der Nationale
Allokationsplan II genügend Spielräume für einen ambi-
tionierten Klimaschutz nach 2012 bietet. Der Druck auf
einen umfassenden Klimaschutz wird mit jeder neuen
Studie zunehmen. Deshalb muss heute zweierlei gewähr-
leistet sein. Es dürfen erstens im NAP II keine Elemente
enthalten sein, die eine zu starke Belastung für die
nächste Periode mit sich bringen. Vor dem Hintergrund
der steigenden Ansprüche an den Klimaschutzwürde das
das System des Emissionshandels in Gefahr bringen.
Zweitens müssen bereits heute Signale gesetzt werden,
dass es im Bereich des Kraftwerksbaus, zwar zu einer
durch einen Energiemix energiesicheren, aber auch
gleichzeitig klimaschutzgerechten Entwicklung kommen
muss. Die Kohle in all ihren Facetten wollen wir als
Säule haben. Wenn aber zu sehr in Kohle investiert
würde und damit ambitioniertere Klimapfade in Zukunft
nicht mehr zu erreichen wären, müsste im NAP III über
einen brennstoffunabhängigen benchmark im Sinne des
Klimaschutzes nachjustiert werden.
Heute bleibt festzustellen: Erstens. Der NAP II ist
besser als der NAP I. Zweitens. Er ist eine gute Grund-
lage für die Erreichung der Klimaschutzziele bis 2012.
Und abschließend – drittens –: Er ist eine gute Grund-
lage für eine umfassende und intensive parlamentarische
Diskussion in den nächsten Monaten. Und die werden
wir von der SPD-Fraktion, und ich nehme an, die ande-
ren Fraktionen auch, umfassend führen.
Michael Kauch (FDP): Emissionshandel ist als effi-
zientes, kostengünstiges Klimaschutzinstrument sowohl
bei den Umweltverbänden als auch in der Wirtschaft an-
erkannt.
Die Bundesregierung gefährdet mit Ihrer Politik aller-
dings seine Akzeptanz, wenn sie ungerechtfertigte Ge-
schenke zugunsten der Energieversorger und zulasten
der Verbraucher macht, indem sie die Zertifikate zu
100 Prozent verschenkt.
Sie, Herr Gabriel, könnten das ändern. Wir Liberale
fordern Sie erneut auf, die Emissionsrechte zu verstei-
g
n
d
k
D
w
s
t
o
E
w
b
s
S
i
a
E
d
s
t
A
e
g
M
d
n
F
s
s
g
Z
g
h
g
E
l
z
k
m
K
d
e
u
P
s
e
s
s
(C
(D
ern, anstatt sie kostenlos abzugeben. Hier wird nicht
ur Geld verschenkt, sondern die Möglichkeit vergeben,
as Geld an die Stromverbraucher zurückzugeben. Sie
önnten mit den Einnahmen die Stromsteuer senken.
ann würden die Strompreise sinken und nicht steigen,
ie Sie es immer wieder behaupten. Der Wert der Emis-
ionsrechte ist schließlich bereits jetzt schon eingepreist –
rotz kostenloser Ausgabe. Für die Umwelt wäre es egal,
b Sie versteigern, für den Verbraucher ist es das nicht.
s gibt zudem konkrete Vorschläge, Spekulationsge-
inne bei der Versteigerung zu verhindern. Aber offen-
ar hören Sie, Herr Gabriel, mehr auf die Energiever-
orger als auf Ihr eigenes Beratergremium, den
achverständigenrat für Umweltfragen. Dieser schreibt
n seiner Stellungnahme:
Bei der Wettbewerbsargumentation handelt es sich
um vorgeschobene strategische Argumente im
Kampf um windfall-profits. Eine Versteigerung ist
die einfachste und transparenteste aller Zuteilungs-
methoden und vermeidet diese Verteilungskonflikte
innerhalb des Emissionshandelssektors.
Dem ist nichts hinzuzufügen.
Ein Investitionshemmnis ist die von allen Experten
ls zu gering erachtete Ausstattung der Reserve von
missionsrechten für Neuanlagen. Sie ist jährlich min-
estens um 15 Millionen zu niedrig angesetzt. Die Re-
erve muss aufgestockt werden, sonst werden hier Las-
en in die Zukunft getragen. Entscheidend ist, dass die
ufstockung innerhalb des vorgegebenen CO2-Budgets
rfolgt, um die eingegangenen Klimaschutzziele nicht zu
efährden. Die entsprechende Kürzung der zugeteilten
engen für Altanlagen sollte dann aus unserer Sicht bei
er Energiewirtschaft und nicht bei den Industrieunter-
ehmen erfolgen.
Wir haben also durchaus Übereinstimmungen mit den
orderungen im Antrag der Linken und teilen die grund-
ätzliche Kritik am Nationalen Allokationsplan. Der ent-
cheidende Unterschied liegt aber in unseren Auffassun-
en, was der Staat mit dem Versteigerungserlös aus den
ertifikaten machen soll. Sie wollen neue Ausgabenpro-
ramme beschließen und so die Staatsquote weiter erhö-
en. Wir wollen die Stromsteuer senken und so die Bür-
er entlasten. Wir wollen umverteilen von vier
nergieversorgern auf die privaten Haushalten, Sie wol-
en umverteilen von Privatwirtschaft zum Staat.
Uns unterscheidet zudem Ihre sehr kritische Haltung
u den projektbasierten Mechanismen des Kiotoproto-
oll. Die FDP will, dass alle Kiotomechanismen im Rah-
en der nationalen, europäischen und internationalen
limapolitik genutzt, aber auch weiterentwickelt wer-
en. So wird Klimaschutz so kostengünstig wie möglich
rreicht. Im Bereich von CDM, des Mechanismus für
mweltgerechte Entwicklung, sind derzeit nicht zu viele
rojekte, sondern zu wenig.
Der von der Bundesregierung am Mittwoch beschlos-
ene Nationale Allokationsplan ist ein Paradebeispiel für
ine Politik der verpassten Chancen. Anstatt den Emis-
ionshandel einfach, kostengünstig und gerecht zu ge-
talten, bleibt dieses Instrument in Deutschland geprägt
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4325
(A) )
(B) )
von Sonderregeln und Verteilungskämpfen. Experten-
meinungen wurden zugunsten von Konzerninteressen in
den Wind geschlagen. Anstatt Vorreiter im Emissions-
handel zu sein, ist Deutschland zur Bremse geworden.
Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Heute geht der
Nationale Allokationsplan für die zweite Emissionshan-
delsperiode nach Brüssel. Es ist schon erstaunlich, dass
sich der Bundestag erst auf Antrag der Linken hin mit
seinem Inhalt beschäftigt. Schließlich geht es im NAP ja
nicht nur um die Architektur des künftigen Emissions-
handels, sondern auch um die Emissionsziele aller
volkswirtschaftlichen Sektoren der Bundesrepublik bis
2012. Das alles birgt jede Menge Umwelt- und vertei-
lungspolitischen Sprengstoff.
Welche Bedeutung der Zuteilungsplan hat, kann man
auch an einem Artikel von „BBC News“ ablesen. Da-
nach hätte Großbritannien mit seinem NAP bewusst auf
die Veröffentlichung des deutschen Plans gewartet. Die
Regierung dort stehe unter Druck der dortigen Unterneh-
men, weil die deutschen Unternehmen seinerzeit im von
Rot-Grün verabschiedeten NAP vergleichsweise großzü-
gig mit Zertifikaten ausgestattet worden seien. Offen-
sichtlich hoffte man in London nun auf ambitionierte
Ziele in der Bundesrepublik. – Wie wir nun wissen, ver-
geblich. Denn im Vergleich zur Basisperiode 2000 bis
2002 sollen hierzulande im Emissionshandelssektor in
der zweiten Handelsperiode gerade einmal 2 Prozent
CO2 eingespart werden. Man muss sich das einmal vor-
stellen: Insgesamt 2 Prozent in knapp zehn Jahren! Das
ist verordneter Stillstand in der Klimapolitik!
Der renommierte britische Klimawissenschaftler Pro-
fessor Michael Grubb hat sich daher auch tief enttäuscht
über Deutschland geäußert. Der schlaffe deutsche NAP
werde Auswirkungen auf die anderen EU-Länder und
damit auf den europäischen Emissionshandel insgesamt
haben, stellt er fest.
Herr Gabriel, wo ist denn nun die internationale Vor-
reiterrolle der Bundesrepublik im Klimaschutz? Sie soll-
ten jeden Morgen ein Dankgebet sprechen, dass die
DDR und ihre energiefressende Wirtschaft zusammen-
gebrochen ist.
Wir müssen hier im Hause im Gesetzgebungsverfah-
ren dafür sorgen, dass der Emissionshandel in Deutsch-
land wieder zu einem Klimaschutzinstrument wird. In
unserem Antrag machen wir Vorschläge dafür. Zualler-
erst muss ein anspruchsvolles Emissionsziel her. Der
Ausstoß ist deutlich unter 470 Millionen Tonnen zu be-
grenzen, um glaubwürdig auf einem Klimaschutzpfad zu
bleiben. Zudem sind die Regeln für Neu- und Ersatzan-
lagen zu verändern. Momentan sind sie schlicht Schutz-
klauseln für die Kohlewirtschaft, auch wenn Herr
Gabriel ständig das Gegenteil erklärt.
Ferner ist die viel zu geringe Neuanlagen-Reserve
von 12 Millionen Tonnen klimapolitisch und haushalts-
rechtlich eine Anleihe auf die Zukunft. Schließlich muss
der Bund – da es absehbar zu Engpässen kommen wird –
auf dem Markt Zertifikate erwerben, um damit die Neu-
anlagen ausstatten zu können. Damit wird ein weiterer
S
2
b
d
t
E
e
d
w
w
d
5
u
n
d
S
n
v
w
M
5
n
K
i
e
d
p
m
e
e
t
d
l
d
E
S
Z
A
d
D
W
n
z
N
s
m
g
g
g
N
(C
(D
chattenhaushalt für die Zukunft von voraussichtlich
Milliarden Euro aufgemacht.
Die Bundesrepublik hat sich die meisten ihrer Pro-
leme im Emissionshandel selbst geschaffen, und zwar
adurch, dass vollständig auf die Versteigerung der Zer-
ifikate verzichtet wird. So muss bei der kostenlosen
rstausstattung mit komplizierten Regeln das Ergebnis
ines marktbasierten Verfahrens nachgebildet werden. In
en Verhandlungen um die Emissionshandelsrichtlinie
ar es nicht zuletzt deutscher Druck, durch den auf eine
eitgehend kostenlose Zuteilung als Grundprinzip ge-
rängt wurde.
Doch schon heute wäre eine Versteigerung von
Prozent der Zertifikate EU-rechtlich möglich. Darauf
nd damit gleichzeitig auf rund 1,5 Milliarden Euro Ein-
ahmen verzichtete die alte Bundesregierung.
Die Unternehmen bedanken sich, denn diese Milliar-
en wandern direkt als Extraprofit in die Kassen der
tromkonzerne. Schließlich preisen die Unternehmen
ach eigenem Bekunden den Marktwert der Zertifikate
oll in den Strompreis ein.
Und so soll es auch in der zweiten Handelsperiode
eitergehen. Das Kabinett verzichtet bei heutigen
arktpreisen von um die 20 Euro je Tonne auf rund
Milliarden Euro, wenn die dann möglichen 10 Prozent
icht auktioniert werden. Das Geld fließt erneut in die
assen der Stromversorger. Wir sind der Meinung, das
st ein Skandal für eine Bundesregierung, die ständig den
infachen Leuten in die Tasche greift, weil das angeblich
er klamme Etat erfordert.
Unser Fazit: So, wie von der Bundesregierung ge-
lant, ist der Emissionshandel erstens eine Gelddruck-
aschine für die vier großen Energiekonzerne, zweitens
in milliardenschweres Haushaltsrisiko, drittens bringt
r nichts fürs Klima und viertens sendet er außenpoli-
isch verheerende Signale aus.
Wir haben die Chance, diese gravierenden Fehler bei
en anstehenden Beratungen zum so genannten Zutei-
ungsgesetz 2012 rückgängig zu machen. Lassen sie uns
iese Chance gemeinsam nutzen: gegen die Lobby der
nergiekonzerne und für das Klima.
Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
eit dem l. Januar 2005 steht der Emissionshandel im
entrum der europäischen Klimapolitik. Der Nationale
llokationsplan für die Jahre 2005 bis 2007, NAP I, hat
as System des Emissionshandels erfolgreich in
eutschland etabliert. Viele Sonderregeln, die auf
unsch unseres damaligen Koalitionspartners aufge-
ommen wurden, höhlen aber seine Effektivität aus. Der
weite Nationale Allokationsplan 2008 bis 2012,
AP II, sollte diese Fehler vermeiden und zu einer an-
pruchsvollen klimapolitischen Grundlage für die kom-
enden Jahre werden. Der NAP II ist damit die erste
roße klimapolitische Nagelprobe der neuen Bundesre-
ierung.
Leider, so müssen wir feststellen, hat die Bundesre-
ierung diese Nagelprobe aber nicht bestanden. Der
AP II der Bundesregierung wird den Herausforderun-
4326 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006
(A) )
(B) )
gen des Klimaschutzes nicht gerecht und verschenkt
leichtfertig die Chancen, die der Emissionshandel bietet.
Aus unserer Sicht schafft er nicht die Voraussetzungen
für ambitionierten Klimaschutz, sondern ist ein Förder-
instrument für den Bau neuer Kohlekraftwerke. Gezielte
Anreize für Investitionen in klimaverträglichere Ener-
gieträger fehlen, klimaschädliche Kohlekraftwerke sol-
len sogar doppelt so viele Emissionsrechte erhalten wie
Gaskraftwerke. Das ist ungerecht, behindert Neuinves-
toren und ist ein klimapolitischer Widersinn erster Güte.
Klimapolitisch richtig wäre ein einheitlicher, brenn-
stoffunabhängiger Benchmark, insbesondere für neue
Kraftwerke, um ein klares Signal für emissionsfreie
oder -arme Technologien zu setzen.
Zweitens ist es ein schwerer Fehler, dass die Bundes-
regierung die Zertifikate an die Stromkonzerne ver-
schenken will, was deren Monopolstellung auf den Ener-
giemärkten weiter festigt. Dieses Geschenk zahlen die
privaten und industriellen Stromverbraucher, denn die
Energieversorger werden auch künftig den Wert der CO2-
Rechte in die Strompreise einpreisen und damit doppelt
abkassieren. Besonders Umweltminister Gabriel macht
sich damit zum Erfüllungsgehilfen der Stromkonzerne.
Wenn selbst die Ministerpräsidenten der Union Roland
Koch und Günther Oettinger sich explizit der grünen
Position anschließen und fordern, die Zertifikate zu ver-
steigern, sollte das dem obersten Klimaschützer dieser
Bundesregierung zu denken geben. Ich habe jedenfalls
mit Freude vernommen, dass sich auch Kollegen in den
Koalitionsfraktionen für eine Versteigerung ausspre-
chen. Unsere Unterstützung im parlamentarischen Ver-
fahren nach der Sommerpause haben Sie dabei!
Drittens sind die Reduktionsziele zu wenig ambitio-
niert. Schon in 2005 haben Industrie und Energiewirt-
schaft weniger CO2 ausgestoßen als sie zwischen 2008
und 2012 an jährlichen Emissionsrechten durch den
NAP II erhalten sollen. Das passt vorne und hinten nicht
zusammen. Wir brauchen also ambitionieitere Ziele.
Grundlage dafür sollte die Zusage aus der Wirtschaft
sein, ihre CO2-Emissionen bis 2010 um 45 Millionen
Tonnen zu senken.
Alles in allem ist der vorliegende NAP II eine ver-
passte Chance für den Klimaschutz. Nicht die Interessen
der großen Energiekonzerne dürfen der Maßstab beim
Emissionshandel sein, sondern die dramatische Heraus-
forderung des Klimaschutzes. Ich hoffe, dass wir im par-
lamentarischen Verfahren Verbesserungen für den Kli-
maschutz erreichen.
Anlage 6
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Zuverlässigkeits-
überprüfung von Privatpiloten auf ein ange-
messenes Maß reduzieren (Tagesordnungs-
punkt 35)
Clemens Binninger (CDU/CSU): Wenn wir heute
über den FDP-Antrag zur Zuverlässigkeitsüberprüfung
v
e
d
a
t
h
h
d
d
o
g
3
G
l
–
d
a
G
s
j
M
d
k
v
B
d
a
b
d
g
d
W
m
u
V
t
F
m
t
n
b
S
d
d
D
S
p
b
K
m
s
g
t
l
(C
(D
on Privatpiloten sprechen, dann sprechen wir zunächst
inmal über Vorschriften für einen wirksamen Schutz
es Luftverkehrs gegen Flugzeugentführungen, Sabotage-
kte und sonstige gefährliche Eingriffe. Diese Vorschrif-
en sind im Luftsicherheitsgesetz zusammengefasst.
Das Bundesverfassungsgericht hat, wie von mir vor-
ergesagt, zwar Passagen des rot-grünen Luftsicher-
eitsgesetzes für verfassungswidrig erklärt. Vom Urteil
es Bundesverfassungsgerichts ist aber nicht die perio-
ische Luftsicherheits-Zuverlässigkeitsüberprüfungsver-
rdnung betroffen, die in § 7 des Luftsicherheitsgesetzes
eregelt ist. Betroffen von dieser Überprüfung sind circa
0 000 Piloten in Deutschland.
Grundlage für die Zuverlässigkeitsüberprüfung ist ein
efährdungsgutachten des BKA: Darin wird sehr deut-
ich darauf hingewiesen, dass auch Sportflugzeuge
wenn sie in falsche Hände geraten – eine Bedrohung
arstellen. Die Innenministerkonferenz der Länder hat
uf dieser Grundlage entsprechende Forderungen an den
esetzgeber gestellt. Diese Einschätzung unserer zu-
tändigen Sicherheitsbehörden wurde übrigens erst
üngst wieder erneuert. Ich denke, wir sollten uns auf die
einung der Experten verlassen können.
Die FDP bleibt in ihrem Antrag eine Erklärung schul-
ig, warum ihrer Meinung nach mit der Zuverlässig-
eitsüberprüfung kein zusätzlicher Sicherheitsgewinn
erbunden sein soll. Eine starke Behauptung ohne
egründung – das ist etwas zu wenig. Ich vertraue in
iesem Falle deshalb lieber unseren Sicherheitsbehörden
ls den Liberalen.
Es ist der erfolgreichen Arbeit der Sportpilotenver-
ände geschuldet, dass wir uns so intensiv mit dem § 7
es Luftsicherheitsgesetzes befassen und in der Vergan-
enheit befasst haben. Die Opposition – hier besonders
ie FDP – hat das Thema nämlich gründlich verschlafen:
ährend wir, das Bundesinnenministerium gemeinsam
it den zuständigen Innenpolitikern von Union und SPD
nd den betroffenen Verbänden, die Ausgestaltung der
erordnung zur Zuverlässigkeitsüberprüfung überarbei-
et und einvernehmlich abgeschlossen haben, hat die
DP einen Antrag erarbeitet, der heute das Papier nicht
ehr Wert ist, auf dem er steht. Das Bundesinnenminis-
erium hat eine mit den Verbänden abgestimmte Verord-
ung zur Zuverlässigkeitsüberprüfung auf den Weg ge-
racht, die einen Ausgleich zwischen den berechtigten
icherheitsinteressen der Menschen in Deutschland und
en Wünschen der Sportpiloten darstellt. Jetzt wird sich
er Bundesrat damit noch befassen. Das ist der Stand der
inge.
Diese Verordnung erfüllt fast alle Forderungen der
portpilotenverbände: So ist unter anderem das Über-
rüfungsintervall auf fünf Jahre ausgedehnt. Eine Ge-
ührenordnung wird derzeit erarbeitet; dabei wird der
ostenrahmen von 60 Euro nicht überschritten. Auch
üssen Berufspiloten, die schon sicherheitsüberprüft
ind, nicht noch einmal überprüft werden. Es ist also
anz offensichtlich, dass die Forderungen im FDP-An-
rag überholt sind und dieser Antrag entsprechend wert-
os ist.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4327
(A) )
(B) )
Ich möchte dennoch die Gelegenheit nutzen, ein paar
grundsätzliche Anmerkungen zu machen. Seitdem sich
die westliche Welt der Bedrohung durch den islamisti-
schen Terrorismus gegenübersieht, müssen wir neue
Wege in präventiven Sicherheitsfragen gehen. Während
die USA hierfür auch teilweise eine neue Sicherheitsar-
chitektur geschaffen hat – Stichwort „Heimatschutz-
ministerium“ oder „FEMA“ – sind es bei uns in erster
Linie neue Bestimmungen.
Es gibt sicher keinen Streit darüber, dass wir alle ge-
meinsam das Ziel haben, die Sicherheit im Luftverkehr
zu verbessern und die Gefahr von Anschlägen oder ihre
Folgen soweit als möglich zu reduzieren. Die Gesell-
schaft von heute ist auf kaum einem Feld so leicht zu
treffen wie im Bereich der zivilen Luftfahrt. Flugzeuge
als Waffen sind nach wie vor das größte Risiko, das uns
in Form von terroristischen Anschlägen drohen kann.
Sicherheit in der Luft beginnt deshalb bereits am Bo-
den. Das ist ein Grundsatz, auf dem die Zuverlässigkeits-
überprüfung für Sportpiloten aufbaut. Wir sollten nicht
so tun, als sei die Zuverlässigkeitsüberprüfung bei Sport-
piloten ein Kulturbruch: Als Tourist im Ausland erleben
wir das auf vielfältige Art und Weise. Wer zum Beispiel
heute ein Baseballspiel beispielsweise in New York se-
hen will, der muss sich bei seiner Reise in die USA und
beim Betreten des Stadions der New-York-Yankees um-
fassendsten Sicherheitsüberprüfungen unterziehen, ohne
dass man gleich von einer pauschalen Verdächtigung
sprechen würde.
Sicherheit hat in unseren Zeiten ihren Preis. Deshalb
möchte ich nochmals ganz klar herausstellen: Bei der Si-
cherheitsüberprüfung geht es nicht um die pauschale
Verdächtigung von Sportfliegern. Das möchte ich von
hier aus allen betroffenen Sportpiloten deutlich sagen.
Vielmehr ist diese Überprüfung lediglich Teil eines um-
fassenden neuen Sicherheitsanspruches der Menschen in
unserem Land, dem wir Rechnung tragen.
Uns liegt übrigens inzwischen ein Verordnungsent-
wurf der EU vor, der noch über unsere Zuverlässigkeits-
überprüfung hinausgeht. Aber durch unsere Vorarbeiten
und durch die ersten Erfahrungen, die wir schon bald mit
unserer Zuverlässigkeitsüberprüfung machen werden,
sind wir politisch bestens gerüstet, um die deutsche Zu-
verlässigkeitsüberprüfung zu einem europäischen Stan-
dard zu machen.
Lassen Sie mich abschließend noch zwei Punkte zur
Diskussion stellen, die mir persönlich sehr wichtig
erscheinen – wichtiger als das, was die FDP uns hier
vorgelegt hat.
Erstens. Es ist meines Erachtens denkbar, dass das
fünfjährige Intervall wegfällt, nämlich dann, wenn die
Sicherheitsbehörden die sicherheitsüberprüften Piloten
in einer Datei führen, die dann aktiviert wird, wenn neue
Erkenntnisse bei den Behörden über betroffene Piloten
auftauchen. Dann könnten wir auf einen Überprüfungs-
intervall tatsächlich ganz verzichten.
Zweitens. Ich plädiere dringend für eine Überprüfung
der Maßnahmen zur Zuverlässigkeitsüberprüfung in der
zweiten Jahreshälfte 2007. Diese Überprüfung muss
z
v
f
u
a
A
l
z
F
h
V
h
h
i
S
L
Z
a
a
d
l
z
l
ü
t
v
p
d
w
h
h
d
w
B
p
A
F
a
l
d
g
s
J
L
i
l
a
g
t
d
W
(C
(D
wischen den zuständigen Behörden und den Interessen-
ertretern der Betroffenen stattfinden. Ich habe mich da-
ür bereits beim Bundesinnenministerium stark gemacht
nd bin darin sowohl durch Staatssekretär Altmaier als
uch meinem Kollegen Wiefelspütz unterstützt worden.
Dieter Wiefelspütz (SPD): Die FDP strebt mit ihrem
ntrag an, Privatpiloten im Wesentlichen von der Zuver-
ässigkeitsüberprüfung nach dem Luftsicherheitsgesetz
u befreien. Damit bedroht sie die gebotene Balance von
reiheit und Sicherheit und gefährdet die innere Sicher-
eit in Deutschland.
Der Luftverkehr unterliegt im Vergleich zu anderen
erkehrsträgern einer besonderen terroristischen Bedro-
ung. Es ist auch davon auszugehen, dass diese Bedro-
ung sich in absehbarer Zeit nicht verringern wird. Dem
st durch das Luftsicherheitsgesetz durch ein gestaffeltes
ystem an Sicherheitsmaßnahmen am Boden und in der
uft Rechnung getragen worden. Die Ausdehnung der
uverlässigkeitsüberprüfungen im Luftsicherheitsgesetz
uf die Privatpiloten entspricht den erhöhten Sicherheits-
nforderungen in der Luftfahrt sowie einer Forderung
er deutschen Innenministerkonferenz. Durch die Zuver-
ässigkeitsüberprüfung soll verhindert werden, dass un-
uverlässige Personen eine Ausbildung zum Piloten er-
angen oder ein Luftfahrzeug führen.
Es darf nicht verkannt werden, dass Zuverlässigkeits-
berprüfungen selbstverständlich keinen hundertprozen-
igen Schutz gegen Angriffe auf die Sicherheit des Luft-
erkehrs bieten können, gleichwohl aber eine wichtige
räventive Komponente darstellen.
Zutreffend ist, dass bislang ausländische Piloten
urch diese Zuverlässigkeitsüberprüfung nicht erfasst
erden. Auf europäischer Ebene werden gerade Ver-
andlungen geführt, um diesen Missstand abzustellen.
Nach gemeinsamer Auffassung der deutschen Sicher-
eitsbehörden sind genügend Tatszenarien vorstellbar, in
enen durch die Nutzung eines Kleinflugzeugs als Tat-
affe massive Schäden angerichtet werden können, zum
eispiel wenn dieses mit Sprengstoff oder anderen Ex-
losivstoffen beladen wird. Mit ausschlaggebend für die
usdehnung der Zuverlässigkeitsüberprüfung auf alle
lugzeugführer ist auch das Bedrohungspotenzial, das
us der Mobilität des Fluggeräts resultiert. Schon von re-
ativ kleinen Flugzeugen kann eine erhebliche Gefähr-
ung für Personen in Sicherheitsbereichen ausgehen, die
egen Angriffe vom Boden aus hinreichend geschützt
ind.
Die Zuverlässigkeitsüberprüfung findet seit vielen
ahren Anwendung auf eine Vielzahl von Personen im
uftverkehr, ohne dass dies bisher auf Kritik gestoßen
st. Es macht keinen Sinn, Privatpiloten von der Zuver-
ässigkeitsprüfung auszunehmen, ihr jedoch weiterhin
lle Beschäftigten auf Verkehrsflughäfen bis zur Reini-
ungsfirma zu unterwerfen.
Es ist unser fester Wille, die Belastung der Privatpilo-
en durch die Zuverlässigkeitsüberprüfung auf ein Min-
estmaß zu reduzieren. Es ist beabsichtigt, zukünftig die
iederholungsprüfung nur alle fünf Jahre durchzuführen.
4328 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006
(A) )
(B) )
Die Grundlagen hierfür werden gerade im Bundesminis-
terium des Innern erarbeitet. Auch wird das Bundesmi-
nisterium des Innern eine Kostenverordnung erarbeiten,
die einen angemessenen Gebührenrahmen vorsehen
wird.
Zu den Fragen der Zuverlässigkeitsüberprüfung ste-
hen wir auch in intensivem und hochrangigem Kontakt
mit dem Deutschen Aero-Club, mit dem wir vereinbart
haben, die praktische Durchführung der Zuverlässig-
keitsüberprüfung weiter zu beobachten und in einem
Jahr diese Erfahrungen gemeinsam auszuwerten.
Ernst Burgbacher (FDP): Am 15. Februar 2006 hat
das Bundesverfassungsgericht klar und deutlich eine
Kernregelung des Luftsicherheitsgesetzes, den in § 14
LuftSiG geregelten Abschuss eines Passagierflugzeugs
durch die Bundesluftwaffe über dem Bundesgebiet, für
mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt.
Die FDP-Bundestagsfraktion war die einzige Fraktion
im Deutschen Bundestag, die in den Beratungen zum
Luftsicherheitsgesetz die Frage gestellt hatte, ob das
Grundgesetz es tatsächlich zulässt, das Leben unschuldi-
ger Flugzeuginsassen preiszugeben, um das Leben Drit-
ter zu retten. Die FDP hatte daraufhin im Bundestag dem
Gesetz nicht zugestimmt. Die Nichtigerklärung der Re-
gelungen des § 14 Abs. 3 LuftSiG durch das Bundesver-
fassungsgericht hat unsere Auffassung eindeutig bestä-
tigt.
Nicht berührt von der Entscheidung aus Karlsruhe ist
jedoch die Regelung des § 7 LuftSiG. Nach dieser Re-
gelung müssen sich auch Hobbypiloten einer regelmä-
ßigen Zuverlässigkeitsüberprüfung unterziehen. Diese
Regelung ist in ihrer Ausgestaltung nicht zumutbar und
stellt eine unverhältnismäßige Belastung für die Piloten
dar. Sämtliche Pilotenvereinigungen haben sich gegen
das im Entwurf der Luftsicherheits-Zuverlässigkeits-
überprüfungsverordnung festgelegte Wiederholungsin-
tervall der Zuverlässigkeitsprüfung von drei Jahren aus-
gesprochen; diese kurze Frist ist für niemanden
nachvollziehbar. Zahlreiche Verbände und Privatperso-
nen, die als Hobbyflieger von den Bestimmungen zur
Zuverlässigkeitsüberprüfung betroffen sind, haben mich
angeschrieben und ihre berechtigten Kritikpunkte zum
Ausdruck gebracht:
Die Ausdehnung der Zuverlässigkeitsüberprüfung auf
alle Luftfahrzeugführer spiegelt nicht die tatsächliche
Gefährdung wider. Die Gefahr, die von einem motori-
sierten Flugzeug ausgeht, entspricht ungefähr derjenigen
eines Mittelklasseautos. Führer von Mittelklasseautos
– die, wie alle anderen Autofahrer auch, für die meisten
Unfälle mit Sach- sowie Personenschäden verantwort-
lich sind – müssen eine solche Zuverlässigkeitsüberprü-
fung nicht vornehmen. Da die Flugzeuge von Hobby-
piloten auch hinsichtlich Größe, Masse und
Geschwindigkeit einem Mittelklassewagen entsprechen
und zudem in den allermeisten Fällen lediglich zu Pri-
vat- oder Geschäftsreisen genutzt werden, folgt aus der
kontinuierlichen Zuverlässigkeitsüberprüfung ein Gene-
ralverdacht, dem die Hobbypiloten ausgesetzt werden.
Dieser generellen Verdächtigung kann und wird die FDP
n
d
a
L
d
d
k
h
B
n
t
g
v
e
s
j
f
s
l
p
s
r
e
z
U
S
Z
m
–
d
b
c
Z
z
f
d
e
v
w
d
F
k
f
d
n
m
i
S
l
r
a
e
S
i
w
(C
(D
icht zustimmen. Diejenigen Privat- und Berufspiloten,
ie gerade derartige Luftfahrzeuge führen, sollten daher
us der Zuverlässigkeitsüberprüfung des § 7 Abs. 1 Nr. 4
uftSiG herausgenommen werden.
Ein weiterer Kritikpunkt ergibt sich daraus, dass sich
er Gesetzentwurf zu den Kriterien der Zuverlässigkeit,
as heißt, wann ein Pilot die erforderliche Zuverlässig-
eit besitzt oder nicht, gar nicht äußert. Nun kann man
ierzu anführen, dass in anderen ordnungsrechtlichen
ereichen eine Definition für Zuverlässigkeit ebenfalls
icht in den Gesetzestext aufgenommen wurde. Der Un-
erschied liegt jedoch darin, dass in anderen Bereichen
rundsätzlich davon ausgegangen wird, dass jemand zu-
erlässig ist, und nur dann zum Beispiel eine Erlaubnis
ntzogen wird, wenn sich nachträglich die Unzuverläs-
igkeit herausstellt. Das Luftsicherheitsgesetz macht es
edoch genau umgekehrt. Grundsätzlich sind demzu-
olge die deutschen Piloten unzuverlässig, es sei denn,
ie belegen das Gegenteil. Nur unter diesem Blickwinkel
ässt sich die ständig wiederholte Zuverlässigkeitsüber-
rüfung erklären.
Das Gesetz sollte daher die Kriterien der Unzuverläs-
igkeit zumindest in Form von Regelbeispielen auffüh-
en. Dies würde der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit
ntgegenkommen und darüber hinaus den Piloten helfen
u erkennen, wann und bei welchen Verstößen von einer
nzuverlässigkeit ausgegangen werden muss. Das Luft-
iG sollte daher klare Kriterien, die eine Beurteilung der
uverlässigkeit ermöglichen, aufnehmen.
Die Zuverlässigkeitsüberprüfung auf alle Führer von
otorgetriebenen Luftfahrzeugen anzuwenden, spiegelt
wie bereits ausgeführt – nicht die tatsächliche Gefähr-
ung wider. Der bürokratische Aufwand und die Kosten-
elastung für die Überprüfungen sind hoch, ein einheitli-
her Kriterienkatalog fehlt. Die Wiederholung der
uverlässigkeitsüberprüfung innerhalb eines derart kur-
en Zeitraumes stellt eine unnötige bürokratische Last
ür die Piloten, aber auch für die damit befassten Behör-
en dar.
Eine Orientierung an den EU-Vorgaben und damit
ine Festlegung des Wiederholungsintervalls für die Zu-
erlässigkeitsüberprüfung auf fünf Jahre genügt und
ird dem Sicherheitsbedürfnis ebenso gerecht. Die Bun-
esregierung hat in ihrer Antwort auf meine schriftliche
rage vom März 2006 erklärt, sie wolle darauf hinwir-
en, dass das Verfahren für die Zuverlässigkeitsüberprü-
ung zukünftig einfacher ausgestaltet wird. Sie strebe an,
en Turnus für die Wiederholungsprüfung von bisher ei-
em Jahr auf fünf Jahre zu strecken, sodass der Zeitraum
it der gesetzlich vorgeschriebenen Lizenzverlängerung
dentisch ist. Ich möchte die Bundesregierung an dieser
telle nochmals daran erinnern!
Ein Sicherheitsgewinn ist durch die kurze Wiederho-
ungsfrist der Zuverlässigkeitsüberprüfung nicht zu er-
eichen, wie auch die Regierung von Schleswig-Holstein
uf eine Kleine Anfrage des Kollegen Wolfgang Kubicki
rklärt hat. Ich zitiere die Antwort der Landesregierung
chleswig-Holstein auf die Frage, ob durch die Angaben
n den Fragebögen zusätzliche Sicherheit erwartet
erde: „Durch die Zuverlässigkeitsüberprüfung der Pri-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4329
(A) )
(B) )
vatpiloten verspricht sich das Land Schleswig-Holstein
keinen zusätzlichen Sicherheitsgewinn. Durch das vom
Bund vorgegebene Verfahren entsteht den Ländern zu-
sätzlicher Aufwand.“ Diese Beurteilung sollte der Bun-
desregierung zu denken geben.
In der von der FDP-Bundestagsfraktion beantragten
Aktuellen Stunde des Deutschen Bundestags am 17. Fe-
bruar zur Haltung der Bundesregierung zum Urteil des
Bundesverfassungsgerichts zum Luftsicherheitsgesetz
hatte Kollege Bosbach von der Union signalisiert, dass
man sich über den § 7 LuftSiG in aller Ruhe unterhalten
müsse. Ich zitiere den Kollegen Bosbach: „Wir erachten
nicht die Intention des Gesetzgebers als falsch, aber wir
müssen auch die praktischen Auswirkungen sehen, die
eine gesetzliche Neuregelung zur Folge haben kann.“
Heute debattieren wir über konkrete Verbesserungs-
vorschläge, die die FDP-Fraktion vorgelegt hat. Ich for-
dere daher den Deutschen Bundestag auf, den Antrag der
FDP zu unterstützen und die notwendigen Änderungen
mit Blick auf § 7 Luftsicherheitsgesetzes zu beschließen.
Petra Pau (DIE LINKE): Erstens. Die FDP bean-
tragt, die umfassenden Sicherheitsüberprüfungen für Pri-
vatpiloten von Kleinflugzeugen auf ein Normalmaß zu-
rückzuführen und zugleich rechtliche Unklarheiten
auszuräumen. Das scheint, wie die „FAZ“ titelte, ein
„Nebenkrieg um die Lufthoheit“ zu sein, also nichts von
Belang. Aber der erste Blick täuscht. Es geht ums
Grundsätzliche.
Zweitens. Die Sicherheitsprüfungen für Piloten von
Kleinflugzeugen wurden mit dem Luftsicherheitsgesetz
im Januar 2005 verfügt. Und wie viele andere so ge-
nannte Anti-Terror-Gesetze wurde auch das Luftsicher-
heitsgesetz vom Bundesverfassungsgericht als grundge-
setzwidrig kassiert, jedenfalls sein Herzstück, das den
Einsatz der Bundeswehr im Innern vorsah.
Drittens. Darüber hatten wir hier im Plenum schon
einmal kontrovers debattiert. Christian Ströbele hatte da-
mals argumentiert, er habe das Gesetz immer für falsch
gehalten und er begrüße das vernichtende Urteil. Aber
ohne Gesetz hätte es auch kein Urteil dagegen geben
können. Deshalb habe er seinerzeit für das Gesetz ge-
stimmt. So schwarz kann grüner Humor sein.
Viertens. Spannend und bemerkenswert ist etwas an-
deres. Das Karlsruher Bundesverfassungsgericht hatte
kaum geurteilt, da setzten die Gerichtsschelte aus der
Union ein. Doch damit nicht genug. Inzwischen verkün-
dete Bundesverteidigungsminister Jung, im Ernstfall sei
ihm das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes egal,
also das Grundgesetz.
Fünftens. Und nun vergleichen Sie bitte: Landauf,
landab wird darüber debattiert, welchen Prüfungen Mi-
granten auszusetzen seien, um ihre Verfassungstreue zu
testen. Aber ein Bundesminister, der auf das Grundge-
setz einen Eid geleistet hat, darf ungerügt sagen, das
Grundgesetz interessiere ihn nicht. Das ist ein Ding aus
dem deutschen Tollhaus.
n
d
h
t
g
M
s
p
B
S
d
J
n
f
s
h
ü
b
s
d
u
s
l
r
s
t
m
M
g
u
A
w
g
F
d
s
b
v
F
S
r
D
D
d
s
b
t
f
(C
(D
Sechstens. Leider ist das kein Einzelfall. Ex-Innenmi-
ister Gerhart Baum resümierte unlängst: „Die Erosion
er Grundrechte schreitet rapide fort. Die Staatsorgane
aben sich angewöhnt, Grundrechte nicht mehr zu ach-
en.“ Und er hat Recht: Seit Jahren finden massive An-
riffe auf die Verfassung hier im Bundestag Mehrheiten.
it Patriotismus hat das nichts zu tun.
Siebtens. Hinzu kommt: Nahezu alle Sicherheitsge-
etze der letzten Jahre durchzieht eine fatale Philoso-
hie: Sie bringen nicht mehr Sicherheit, aber sie opfern
ürgerrechte. Die ersten „Otto-Pakete“ wurden mit den
timmen der SPD sowie der Grünen und außerdem mit
em Versprechen beschlossen, sie würden binnen drei
ahren überprüft. Darauf warte ich noch heute.
Achtens. Heute geht es um eine solche Überprüfung,
ämlich ob Privatflieger von Kleinflugzeugen so um-
angreich und so häufig auf ihre Loyalität zum Grundge-
etz überprüft werden müssen, wie es im Luftsicher-
eitsgesetz festgelegt wurde. Ich sage Ihnen: Nein, diese
bertriebenen Prüfungen sind Unsinn und sachlich nicht
egründbar. Sie sind sogar gefährlich.
Neuntens. Denn Sie verraten mehr über die strategi-
chen Absichten der Bundesregierungen als über die ver-
ächtigten Piloten. Alle Fachleute sind sich einig: Die
mstrittenen Kleinflugzeuge sind für terroristische An-
chläge weitgehend untauglich. Sie sind zu leicht, zu
angsam, zu wenig belastbar, um große Schäden anzu-
ichten. Also eine Null-Nummer!
Zehntens. Zugleich sei jeder Pkw für Anschläge bes-
er geeignet. In der Logik der Sicherheitsfanatiker müss-
en demnach alle Autofahrer von Geheimdiensten per-
anent überprüft werden. Und mit den aktivierbaren
autbrücken auf Autobahnen sind solche Überwachun-
en ja auch längst vorinstalliert. Das ist offizieller Trend
nd den lehnt Die Linke ab.
Elftens. Ich wünschte mir dagegen, dass auch der
DAC endlich aufwacht und bürgerrechtlich mobil
ird. Denn sein alter Slogan „freie Fahrt für freie Bür-
er“ bekommt längst einen neuen Klang. Nicht die freie
ahrt, der freie Bürger ist in Gefahr. Und um nochmals
en agilen Liberalen Gerhart Baum zu zitieren: „Wir
ind auf dem Weg in einen Überwachungsstaat.“
Zwölftens. Das ist mein Hintergrund für den schein-
ar belangslosen Antrag. Es geht nicht um ein paar Pri-
atpiloten. Es geht um das Grundgesetz und um die
rage, was für ein Deutschland wir künftig wollen: einen
taat voller Misstrauen oder eine Republik der Bürger-
echte. Ich weiß, wohin das erste führt. Deshalb stimmt
ie Linke für soziale und für Bürgerrechte.
Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
ie FDP verfolgt einen richtigen Ansatz, bringt ihn aber
urch eine allzu offensichtliche Klientelpolitik auf die
chiefe Bahn.
Richtig an dem Antrag ist, überzogene und allzu
ürokratische Regelungen für die Hobbypiloten zu hin-
erfragen. Die Luftsicherheits-Zuverlässigkeitsüberprü-
ungsverordnung – allein das Wort verheißt nichts
4330 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006
(A) )
(B) )
Gutes – ist überbürokratisch. Die Menge der Auflagen
und deren Kosten sind überzogen.
Der Ansatz des Antrags selbst ist aber auf der anderen
Seite auch verkürzt. Bei der gesamten Frage der Siche-
rung des Luftverkehrs geht es nicht nur um die Hobby-
piloten. Wir müssen auch über andere Personengruppen
sprechen, also zum Beispiel auch über die vielen Be-
diensteten am Flughafen. Man kann hier nicht nur eine
Personengruppe herausgreifen. Wir haben hier bereits ei-
nen Antrag eingebracht, in dem die Bundesregierung
aufgefordert wird, über den Umfang der gesamten Si-
cherheits- und Zuverlässigkeitsüberprüfungen zu berich-
ten. Hier dürfen wir die Zusammenhänge nicht aus den
Augen verlieren.
Es geht hier – auch das blendet die FDP aus – um Ter-
rorismusbekämpfung. Die damalige rot-grüne Bundes-
regierung hat nicht aus Jux und Dollerei diese Regelungen
zur Prävention vor Anschlägen in das Luftsicherheitsge-
setz geschrieben.
Richtig ist: Dieses Gesetz und die entsprechenden
Rechtsverordnungen verschärfen im Gefolge internatio-
naler Vereinbarungen, insbesondere der EU-Luftsicher-
heitsverordnung, die Anforderungen an alle Personen
mit Zugang zu Flughäfen ganz erheblich. Diese Zuver-
lässigkeitsüberprüfungen – zu unterscheiden von den Si-
cherheitsüberprüfungen nach dem Sicherheitsüberprü-
fungsgesetz – verlaufen periodisch.
Wir haben schon zu Zeiten von Rot-Grün das Gesetz
und die darauf begründeten Verordnungen als zu büro-
kratisch kritisiert. Das wurde auch in Gesprächen mit
den Verbänden bereits deutlich gemacht. Unsere Haltung
hat sich auch in der Opposition nicht verändert.
Jährliche Überprüfungen ohne jeden Anlass schießen
über das Ziel hinaus. Anders liegen die Dinge, wenn es
bestimmte Hinweise gib. Dann muss natürlich sofort ge-
handelt werden. Die durch das aufwendige Verfahren
entstehenden Kosten für die Betroffenen sind zu hoch.
Der bürokratische Aufwand ist außerordentlich und der
Sicherheitsgewinn ist bislang in keiner Weise belegt.
Wir teilen die Auffassung, dass der Abstand von ei-
nem Jahr zwischen den einzelnen Überprüfungen erheb-
lich ausgeweitet werden soll. Fünf Jahre ist dabei sicher-
lich die Obergrenze.
Immer im Auge behalten müssen wir, dass beispiels-
weise „Ausbildungsaufenthalte“ in Pakistan oder in
Tschetschenien über eine Abfrage beim Bundeszentral-
register nicht in Erfahrung zu bringen sind. Von daher
dürfen wir keine vermeidbaren Sicherheitslücken entste-
hen lassen. Der Verweis auf die Harmlosigkeit kleiner
Maschinen überzeugt mich dabei nicht. Ich erinnere hier
an den Einschlag eines Kleinflugzeugs vor dem Reichs-
tag. Kleine Maschinen können auch für ein Passagier-
flugzeug eine erhebliche Gefahr sein. Der Antrag ist an
dieser Stelle doch reichlich naiv, wenn er diese Überle-
gungen gänzlich ausblendet.
Wenn wir den Zeitrahmen für eine Wiederholung der
Zuverlässigkeitsprüfung erweitern, müssen wir aber
auch nachdenken über möglicherweise verstärkte Nach-
b
d
g
d
d
s
l
m
g
B
A
p
H
m
e
t
r
s
r
d
n
t
r
d
d
n
d
g
P
m
t
k
v
b
h
n
o
t
p
b
o
a
U
d
s
e
g
(C
(D
erichtspflichten der Sicherheitsbehörden für den Fall,
ass bestimmte Anhaltspunkte über eine Person vorlie-
en. Das ist effektiver und würde die Betroffenen nicht
erart belasten wie das gegenwärtige Verfahren. Verbun-
en mit deutlich längeren Intervallen bei der Zuverläs-
igkeitsüberprüfung würden die Betroffen erheblich ent-
astet.
Generell gilt: Die Verwaltungen müssen mit Augen-
aß und Vernunft zu Werke gehen. Wir wollen keinen
läsernen Piloten, wir wollen nicht jede Menge neuer
ürokratie.
nlage 7
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Moratorium für
Gentechnik in der Landwirtschaft (Tagesord-
nungspunkt 11)
Elvira Drobinski-Weiß (SPD): Ich hege große Sym-
athie für den Vorschlag meines Koalitionskollegen
errn Söder, ein fünfjähriges Moratorium für die kom-
erzielle Nutzung der Gentechnik in der Landwirtschaft
inzuführen. Allerdings dürfte dies auf EU-Ebene schei-
ern. Mit einem solchen Moratorium würden wir uns auf
echtlich wackeligen Boden begeben. Und selbst wenn
ich die EU-Länder darauf einigen würden, gäbe dies vo-
aussichtlich großen Ärger mit der WTO. Deshalb wer-
en wir diesen Antrag ablehnen und werden wohl heute
icht in den Genuss kommen, hier in ungewohnter Ein-
racht oder zumindest in Kenia-Konstellation – schwarz-
ot-grün sind die dortigen Nationalfarben – gemeinsam
ieses Moratorium zu fordern.
Wir teilen aber die Ansicht, dass wir die Bedenken
er Menschen gegenüber der Grünen Gentechnik ernst
ehmen müssen und dass wir ihnen angesichts dessen,
ass 79 Prozent der Verbraucherinnen und Verbraucher
entechnisch veränderte Lebensmittel ablehnen, solche
rodukte nicht aufzwingen dürfen. Diesen 79 Prozent
üssen weiterhin die gentechnikfreien Produkte angebo-
en werden können, die sie haben wollen. Der Schutz der
onventionellen und der ökologischen Landwirtschaft
or Einträgen aus dem GVO-Anbau muss gewährleistet
leiben, Verbraucher und Landwirte müssen die Wahl
aben und selbst entscheiden können, ob sie gentech-
isch veränderte Produkte kaufen bzw. anbauen wollen
der nicht.
Von der Möglichkeit, in Deutschland weiterhin gen-
echnikfrei produzieren zu können, hängen auch Arbeits-
lätze ab – über 150 000 allein in der Ökolebensmittel-
ranche.
Der Schutz von Mensch und Umwelt ist für uns das
berste Ziel unseres Gentechnikrechts. Das haben wir
uch im Koalitionsvertrag vereinbart. Angesichts der
nsicherheiten, die auch die EU-Kommission aufgrund
er noch unvollständigen wissenschaftlichen und techni-
chen Kenntnis über die noch sehr neuen GVO-Produkte
inräumt, muss sehr sorgfältig und vorsichtig damit um-
egangen werden. Wir sind uns mit Minister Seehofer
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4331
(A) )
(B) )
einig, dass es weder Abstriche beim Schutzniveau noch
bei der Wahlfreiheit der Landwirte und der Verbrauche-
rinnen und Verbraucher geben darf. Wenn Minister
Seehofer deswegen von der „Frankfurter Allgemeinen“
in der Ausgabe vom 27. Juni 2006 als „Risikoscheuer
Minister“ betitelt wird, kann ich nur sagen: Das sollte
eine Auszeichnung sein! Denn wer wünscht sich in ei-
nem Bereich, wo es um den Schutz der Gesundheit und
unserer natürlichen Lebensgrundlagen geht, einen „risi-
kofreudigen Minister“?
Es wird so manche Sau durchs Dorf getrieben, was
angeblich an neuen Regelungen zur Gentechnik „in der
Mache“ sei. Ich rate zu Ruhe und Bedacht. Da ging es
zum Beispiel um eine Streichung der Inverkehrbringens-
genehmigungspflicht für Auskreuzungsprodukte aus
Freisetzungsexperimenten. Wir haben bereits mehrfach
deutlich gemacht, dass das mit uns, mit der SPD-Frak-
tion, nicht zu machen ist. Das entspricht weder dem Vor-
sorgegrundsatz noch dem EU-Recht. Ich denke, da sind
wir uns auch mit dem Minister einig.
Wir wollen, dass in diesem Land auch in Zukunft
gentechnikfrei produziert werden kann. Das heißt für die
SPD, dass wir uns weiterhin dafür einsetzen, dass gen-
technikfrei wirtschaftende Landwirte, die Schäden durch
GVO-Einträge erlitten haben, auch bei solchen Einträ-
gen unterhalb des gesetzlichen Grenzwertes Haftungsan-
sprüche geltend machen können müssen.
Wir werden uns voraussichtlich nach der Sommer-
pause lange und ausführlich mit diesem Thema beschäf-
tigen. Deshalb will ich’s für heute hierbei bewenden las-
sen.
Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Der Wortlaut
des Antrags von Bündnis 90/Die Grünen besteht aus Zi-
taten des CSU-Generalsekretärs Markus Söder. Dieser
hatte in einem Interview in der „Berliner Zeitung“ ein
Moratorium für die kommerzielle Nutzung der Gentech-
nik in der Landwirtschaft gefordert. Im Koalitionsver-
trag hatten die CDU/CSU und die SPD-Fraktion gemein-
sam vereinbart, die Grüne Gentechnik in Forschung und
Anwendung zu fördern. Es ist völlig in Ordnung und
konsequent, wenn die Grünen jetzt die Probe aufs Exem-
pel machen und die Aussagen des CSU-Generalsekretärs
zur Abstimmung stellen. Im Abstimmungsverhalten der
CSU wird sich zeigen, ob der CSU-Generalsekretär ein
Dampfplauderer oder ein ernst zu nehmender Politiker
ist.
Dessen ungeachtet sind die Aussagen von Generalse-
kretär Söder und damit auch die Aussagen im Antrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sachlich falsch: Die
Verbraucherinnen und Verbraucher können völlig sicher
sein, dass gentechnisch veränderte Lebensmittel unbe-
denklich sind, in bestimmten Fällen sind sie herkömm-
lich produzierten Produkten überlegen. Letzteres ist im
Forschungsreport I/2006, der Zeitschrift des Senats der
Bundesforschungsanstalten veröffentlicht. Bt-Mais ent-
hält in der Regel weniger Pilzgifte als Mais von her-
kömmlich gezüchteten Sorten. Auch der ehemalige
Staatssekretär Alexander Müller hatte in einem Artikel
in der „FAZ“ gesagt, dass es eine „Binsenweisheit“ sei,
dass diese Produkte gesundheitlich unbedenklich seien.
D
m
h
k
k
d
h
s
S
D
F
b
t
l
g
z
e
t
s
P
u
2
G
d
H
a
z
n
u
D
t
t
n
C
F
g
z
d
m
b
b
t
t
D
E
t
d
s
C
t
t
S
t
h
N
n
f
s
(C
(D
och in Oppositionszeiten gilt für die Grünen nicht
ehr, was ihre Funktionsträger in der Regierung gesagt
aben. Dr. Thilo Bode hat gestern auf dem Gentechnik-
ongress des FDP-Bürgerfonds festgestellt, dass es
eine gesundheitlichen Bedenken gebe. Die Grünen und
ie CSU müssen aufhören, mit wahrheitswidrigen Be-
auptungen die Ängste der Bürgerinnen und Bürger zu
chüren.
Es ist unglaubwürdig, wenn sich Bundesminister
eehofer auf dem Forum der „Zeit“ für den Standort
eutschland ausspricht und gegen die Abwanderung der
orschung ins Ausland. Forschung, deren Anwendung
ei uns im Land keine Chancen erhält – und der Minister
ut alles dafür, die nach Rot-Grün verbliebenen minima-
en Chancen der Grünen Gentechnik noch zu verrin-
ern –, wandert ab; denn Forschung ist kein Selbst-
weck, sondern dient dem Ziel, innovative Produkte zu
rzeugen.
Wir müssen leider feststellen: Nach dem schwarz-ro-
en Wahlbetrug zur Besteuerung der biogenen Kraft-
toffe und der Erhöhung der Mehrwertsteuer um drei
rozentpunkte bereitet die CSU einen weiteren agrar-
nd verbraucherpolitischen Wahlbetrug vor. Am 8. Juni
005 titelte die Zeitung „Die Welt“: „Mehr Grüne
entechnik“. Die damalige CDU/CSU-Kandidatin für
as Amt der Bundeslandwirtschaftsministerin, Gerda
asselfeldt, forderte eine Wende der Agrarwende. Unter
nderem sagte die CSU-Schattenministerin, dass die der-
eitige ideologische Blockade bei der Grünen Gentech-
ik Arbeitsplätze in Forschung und Wirtschaft vernichte
nd Nachteile für Landwirte und Verbraucher schaffe.
urch die strikten Haftungsregeln werde der Anbau gen-
echnisch veränderter Pflanzen verhindert und die Gen-
echnik als wichtige, Zukunftstechnologie für Innovatio-
en und Arbeitsplätze blockiert, zitierte die „Welt“ die
SU-Politikerin im Bundestagswahlkampf 2005. Die
örderung der Grünen Gentechnik und eine grundle-
ende Korrektur des Gentechnikrechts waren zudem
entrale Wahlkampfversprechen der Union. Davon will
ie CSU in Form ihres Generalsekretärs heute nichts
ehr wissen.
Wir Liberale halten diesen Kurswechsel für eine An-
iederung an lokale Strömungen. Die CSU wird ihrer
undespolitischen Verantwortung nicht gerecht. Sie be-
reibt keine Politik, die langfristig trägt. Dieser Wahlbe-
rug schadet dem Wirtschafts- und Forschungsstandort
eutschland. Die Biotechnologieregion München ist zur
ntwicklung von Produkten der Roten und Grünen Gen-
echnik in den letzten zehn Jahren als einer der Gewinner
es 1997 ausgeschriebenen Bioregio-Wettbewerbs mas-
iv mit Bundesmitteln gefördert worden. Die Politik der
SU verhindert jetzt, dass diese Investitionen Früchte
ragen können. Das ist Verschwendung von Steuermit-
eln. Es ist Heuchelei, wenn Bundesminister Horst
eehofer zwar Forschung fördern will, aber dazu bei-
rägt, die Umsetzung der Forschungsergebnisse zu ver-
indern. Damit trägt die CSU dazu bei, die besten jungen
aturwissenschaftler und Nachwuchswissenschaftlerin-
en aus dem Land zu vertreiben. Die FDP-Bundestags-
raktion lehnt diesen innovationsfeindlichen Weg ent-
chieden ab. Deutschland als ressourcenarmes Land
4332 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006
(A) )
(B) )
kann nicht auf die verantwortbare Nutzung von Zu-
kunftstechnologien wie der Grünen Gentechnik verzich-
ten.
Dr. Kristen Tackmann (DIE LINKE): Die große
Mehrheit der Menschen in diesem Land sieht die Grüne
Gentechnik als Gefahr.
Die Gründe für Ablehnung oder Skepsis sind sehr
vielfältig und reichen von ethischen Bedenken über öko-
logische und gesundheitliche Risiken bis hin zur Kapita-
lismuskritik an den Saatgutmultis!
Die Schweizer hatten eine, wie ich finde, sehr interes-
sante Möglichkeit, über das hier vorgeschlagene Anwen-
dungsmoratorium zu entscheiden: Sie haben es Ende
2005 mit einer Volksabstimmung legitimiert!
Uns steht diese Option leider nicht zur Verfügung!
Umso genauer sollten wir darüber nachdenken, warum
die Grüne Gentechnik auch in unserem Land nicht mehr-
heitsfähig ist, aber bitte jenseits von „Technologiefeind-
lichkeit gegen Fortschrittsgläubigkeit“.
Es geht bei dieser Diskussion auch nicht darum, „kei-
nen Unfrieden in die Dörfer zu tragen“, wie Minister
Seehofer kürzlich erklärte. Es geht um die Abwägung
zwischen ökologischen/gesundheitlichen Risiken einer-
seits und möglichen Vorteilen bei der Anwendung ande-
rerseits.
Wobei ich den Vorteil bei dieser Güterabwägung aus-
drücklich auf die Gesellschaft im Allgemeinen und die
Landwirtschaft im Besonderen beschränke. Die Vorteile
für die Gentech-Saatguthersteller liegen in Form riesiger
Profite auf der Hand. Sie wären ganz sicher die großen
Gewinner der Anwendung, vielleicht die einzigen. Aber
das kann bei dieser Abwägung kein Maßstab sein.
Bewerten wir also zunächst das Risiko, also quasi das
Contra: Die Anwendungsrisiken werden selbst von den
Befürwortern anerkannt. Deshalb diskutieren wir ja
überhaupt über Koexistenzregeln, wobei höchst umstrit-
ten ist, ob Koexistenz überhaupt möglich und finanzier-
bar ist.
Während aber Koexistenzregeln zwischen Anwen-
dern und Nichtanwendern intensiv diskutiert werden,
steht die Debatte über die Koexistenz der Anwender mit
der natürlichen Umgebung und das Auskreuzungsrisiko
mit Wildpflanzen im Hintergrund, wobei richtig ist, dass
dieses Auskreuzungsrisiko vor allem bei Pflanzenarten
besteht, die einheimische wildlebende Verwandte, zum
Beispiel beim Raps, haben.
Für Imker ist, neben dem Völkersterben durch Varoa
und bösartige Faulbrut, die Grüne Gentechnik unterdes-
sen ein beherrschendes Thema. Immer mehr Händler
und Verarbeiter verlangen absolut gentechfreie Waren
und drohen andernfalls mit Rückrufkosten. Die Analy-
sen aber kosten pro Charge 200 bis 250 Euro, für den
Konsumenten verteuert sich der Honig dadurch um
80 Cent pro Glas.
w
l
s
k
r
R
v
s
n
E
A
n
R
k
d
Z
u
g
S
z
W
b
g
a
d
z
A
t
m
w
S
g
d
S
i
n
v
d
s
i
h
s
K
F
I
l
s
d
g
w
(C
(D
Aber was könnte das große Schadenswagnis unge-
ollter Auskreuzungen und Kontaminationen besser il-
ustrieren als die Weigerung der Versicherungswirt-
chaft, dieses Risiko zu versichern!
Zu den ökologischen/gesundheitlichen Risiken ganz
urz: Es liegen unterdessen nicht wenige, auch alarmie-
ende Studien vor. Als ein Beispiel sei das Problem der
esistenz von Hybriden unterschiedlicher gentechnisch
eränderter Rapssorten gegen gleich mehrere Pflanzen-
chutzmittel in den USA genannt, oder der Abbruch ei-
es Versuchs in Australien mit gentechnisch veränderten
rbsen infolge Lungenveränderungen bei Nagetieren.
Die potenziellen Risiken durch den kommerziellen
nbau genetisch veränderter Pflanzen wiegen aus mei-
er Sicht sehr schwer. Es ist eine Risikotechnologie, erst
echt, weil klar ist, dass wir noch gar nicht alle Risiken
ennen.
Aber schauen wir uns auch die andere Waagschale an,
ie möglichen Anwendungsvorteile: Der Sinn und
weck gentechnisch veränderter Pflanzen ist zumindest
mstritten. Ich habe den Eindruck, dass bei vielen eher
roße Ernüchterung eingetreten ist. Nicht nur, weil der
egen eines in Aussicht gestellten geringeren Pesti-
ideinsatzes zum Beispiel oft nicht eintritt, im Gegenteil.
ahrscheinlich ist es billiger und wirksamer, mit acker-
aulichen Maßnahmen Schädlinge unter der Schadens-
renze zu halten.
Der jüngste Bericht des Büros für Technologiefolgen-
bschätzung des Bundestags hat kürzlich festgestellt,
ass bislang selbst gentechnisch veränderte Pflanzen der
weiten und dritten Generation, mit denen zum Beispiel
rzneimittel hergestellt werden sollten, keine der Erwar-
ungen erfüllt haben. Dafür entstehen neue Risiken. Nie-
and weiß zum Beispiel, was passiert, wenn Schwarz-
ild die Arzneimittelkartoffeln frisst.
In einigen Studien wird Grüne Gentechnik mit der
chaffung Tausender Arbeitsplätze in Zusammenhang
ebracht. Aber eine gerade erst veröffentlichte Studie
er Universität Oldenburg kommt zu folgendem
chluss: Zusammenfassend ist davon auszugehen, dass
n der privatwirtschaftlich finanzierten Grünen Gentech-
ik in Deutschland deutlich unter 500 Arbeitsplätze zu
erzeichnen sind. Dagegengerechnet werden muss noch
er Verlust an Arbeitsplätzen zum Beispiel im Ökologi-
chen Landbau oder infolge der Konzentrationsprozesse
n der Saatgutindustrie. Also: Auch da müssen wir genau
inschauen.
Bedenklich sind die großen Wissensdefizite in der Ri-
ikobegleitforschung. Es gibt nicht einmal verbindliche
riterien zur Bestimmung ökologischer Schäden der
reisetzung! Dazu läuft übrigens gerade eine Studie am
nstitut für Ökologie der TU Berlin. Auf die Unzuläng-
ichkeiten der Zulassungsprüfungen, die gerade die zu-
tändigen EU-Kommissare moniert haben, habe ich in
er letzten Debatte schon verwiesen.
Unter dem Strich bleibt für mich nur eine Schlussfol-
erung: Wir sollten dieses Moratorium sehr ernsthaft er-
ägen!
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4333
(A) )
(B) )
Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Heute
Morgen wurden auf einer Pressekonferenz im Bayeri-
schen Landtag die alarmierenden Ergebnisse einer Stu-
die zum Genmaisanbau vorgestellt. Die Versuche in
Bayern haben gezeigt, dass der bisher angenommene
Sicherheitsabstand zu gentechnikfreien Feldern mit
20 Metern viel zu gering eingestuft worden war.
Diese Ergebnisse verdeutlichen, dass bei der Freiset-
zung gentechnisch veränderter Pflanzen dringend Hand-
lungsbedarf besteht. Die Bayerische Staatsregierung hat
zugegeben, dass es den bayerischen Landwirten nicht zu
empfehlen sei, gentechnisch veränderte Pflanzen anzu-
bauen, weil die Risiken wesentlich größer seien, als bis-
her angenommen.
Wir müssten uns eigentlich sicher sein können, mit
unserem Antrag die Mehrheit dieses Hauses hinter uns
zu wissen. Besonders freuen wir uns über die Unterstüt-
zung unseres Anliegens durch Bundeslandwirtschaftsmi-
nister Horst Seehofer. Herr Seehofer hat in einem Zei-
tungsgespräch am letzten Wochenende „sehr viel
Verständnis“ für die Kritiker der Gentechnik und die
Einrichtung gentechnikfreier Zonen geäußert und ange-
kündigt, die Nutzung genveränderter Produkte nicht för-
dern zu wollen. Daher wäre es nur konsequent, wenn Sie
unseren Antrag für ein Gentechnik-Moratorium in der
Landwirtschaft unterstützen. Er besteht komplett aus
Äußerungen Ihres Parteikollegen und CSU-Generalse-
kretärs Markus Söder.
Wir brauchen daher dringend ein Moratorium für die
kommerzielle Nutzung der Gentechnik in der Landwirt-
schaft, wie es die Schweiz im Herbst letzten Jahres be-
schlossen und Söder in seinem Beitrag im „Tagesspie-
gel“ am 16. Juni auch gefordert hat. Aber Söder müsste
eigentlich wissen, dass Deutschland anders als die
Schweiz EU-Mitglied ist und deswegen den Anbau in
Deutschland nicht grundsätzlich verbieten kann. Das wi-
derspricht – leider – dem EU-Recht.
Trotzdem muss Deutschland auch nicht alles akzep-
tieren, was von der EU-Kommission zugelassen wird.
Darum fordern wir die Regierung in einem weiteren An-
trag auf Drucksache 16/1176, der noch in den Ausschüs-
sen behandelt wird, dazu auf, die rechtlichen Möglich-
keiten für nationale Einfuhrverbote bereits in der EU
zugelassener gentechnisch veränderter Organismen aus-
zuschöpfen. Nationale Einfuhrverbote für einzelne in der
EU zugelassene gentechnisch veränderte Pflanzen gibt
es inzwischen in immer mehr Ländern: in Österreich,
Luxemburg, Ungarn, Griechenland, Frankreich und auch
Deutschland.
Warum wehren sich diese Länder gegen die „Gen-
technik-Zwangsjacke“, die ihnen durch die EU-Kom-
mission aufgebürdet wird? Ich will hier drei der wich-
tigsten Gründe nennen:
Erstens. Das Abstimmungsprozedere ist unbefriedi-
gend. Solange in den Gremien der EU weder eine abso-
lute Mehrheit gegen noch für einen Antrag erreicht wird,
hat die EU-Kommission die Möglichkeit, in eigener Re-
gie eine Zulassung zu erteilen. Diese Möglichkeit hat die
K
t
T
d
m
t
w
f
ö
S
K
b
F
l
M
b
u
z
a
u
d
d
g
W
e
r
P
S
g
b
d
s
r
s
M
F
v
q
W
a
s
r
l
r
i
z
d
n
A
l
(C
(D
ommission bisher in jedem Zulassungsfall genutzt –
rotz des erklärten Widerstands zahlreicher EU-Länder.
Zweitens. Es zeigen sich eklatante Mängel bei der
ransparenz im Rahmen des Zulassungsverfahrens, so-
ass es unabhängigen Experten sehr schwer bis fast un-
öglich gemacht wird, die Studienergebnisse zu kon-
rollieren, die von den Gentechnikanwendern vorgelegt
erden. Eine externe Überprüfung der Zulassungsemp-
ehlungen ist bisher gar nicht möglich gewesen, da die
kotoxikologischen Studien nicht offengelegt wurden.
Drittens. Es gibt Zweifel daran, ob wissenschaftliche
tudien ausreichend berücksichtigt werden: Die EU-
ommission bzw. die zuständige wissenschaftliche Le-
ensmittelsicherheitsbehörde EFSA ist bisher in keinem
all zu einer negativen Bewertung von vorgelegten Zu-
assungsanträgen gekommen. Das weckt zumindest
isstrauen, ob kritische Studienergebnisse ausreichend
erücksichtigt werden. So wird vor allem von Umwelt-
nd Verbraucherverbänden kritisiert, dass keine Lang-
eitstudien vorliegen.
Nach außen wird der Öffentlichkeit suggeriert, dass
lle von der EU zugelassenen Produkte streng überprüft
nd getestet werden. Zum Beispiel bei MON863 hat sich
ann aber herausgestellt, dass die EFSA Sicherheitsbe-
enken ignoriert hat.
Sogar die EU-Kommission äußert Zweifel an der ei-
enen Zulassungspraxis in ihrer Stellungnahme bei den
TO-Verhandlungen um nationale Einfuhrverbote. Sie
rklärt darin zum Beispiel, dass es „ein begründeter und
echtmäßiger Standpunkt“ sei, dass schädlingsresistente
flanzen – dazu gehören im Übrigen auch die von
eehofer für Deutschland zugelassenen Sorten aus dem
entechnisch veränderten Mais MON810 – nicht ange-
aut werden sollten, bis alle Auswirkungen auf den Bo-
en bekannt sind.
Trotz dieser eigenen Bedenken hat die EU-Kommis-
ion zahlreiche neue Gentechpflanzenlinien und Nah-
ungsmittel zugelassen, darunter im Übrigen fast aus-
chließlich schädlingsresistente Pflanzen wie den Mais
ON863.
Fakt ist: Die Kommission hat sich bisher in keinem
all von ihrem Vorhaben abhalten lassen, gentechnisch
eränderte Pflanzen zuzulassen – weder durch fehlende
ualifizierte Mehrheiten noch neue Risikoanalysen.
enn die EU-Kommission zulassen will, dann lässt sie
uch zu. Die Zulassungen gelten dann in allen Ländern,
elbst wenn diese Länder während des Verfahrens be-
echtigte Einwände erhoben haben.
Darum brauchen wir auf nationaler Ebene die Mög-
ichkeit, uns gegen die EU-Zulassungen zu wehren. Da-
um soll sich die Regierung dafür stark machen, dass wir
n Deutschland ein Moratorium zur kommerziellen Nut-
ung der Agrogentechnik erlassen können.
Wenn es Söder und Seehofer wirklich ernst meinen,
ann müssten sie und ihre Kollegen von der CSU nicht
ur unserem vorliegenden Antrag, sondern auch unserem
ntrag für nationale Einfuhrverbote zustimmen. Sonst
iegt der Verdacht sehr nahe, dass die Verkündungen
4334 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006
(A) )
(B) )
nicht mehr waren als halbherzige Versuche, die Wogen
bei den Landwirten in den zahlreichen gentechnikfreien
Regionen in Bayern zu glätten.
Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär beim Bun-
desministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Ver-
braucherschutz: Der Antrag der Grünen ist weder in der
Form angemessen noch sachgerecht und verantwor-
tungsbewusst. Er setzt ein völlig falsches Signal und ist
daher abzulehnen. Auf welches Niveau haben Sie sich
hier begeben? Da stellen Sie im feuilletonistischen Stil
die Fragen: „Gibt es ein Risiko für die Gesundheit?”
Und: „Sind die Folgen für Umwelt und Ökosystem hin-
reichend erforscht?“ Das sind selbstverständlich ganz
wichtige Fragestellungen. Aber wo findet sich in Ihrem
Antrag auch nur im Ansatz ein Vorschlag, wie wir darauf
Antworten finden können? Kein Wort von verstärkter
Forschung, die wir dringend brauchen, um sachgerechte
Entscheidungen treffen zu können. Stattdessen reißen
Sie Aussagen aus einem Zeitungsartikel aus dem Zusam-
menhang. Warum zitieren sie hier nicht auch das klare
„Ja“ zur Forschung? Für mich lässt das nur einen
Schluss zu: Ihr Konzept heißt: „Polemisieren und blo-
ckieren.“ Sie schüren bewusst die ohne Frage beste-
hende Unsicherheit in der Bevölkerung und entziehen
sich jeder Verantwortung für eine sachgerechte Ausein-
andersetzung mit dem Thema. Mit anderen Worten: Sie
bleiben mit ihrem Antrag strikt auf Künasts Blockade-
Kurs.
In dem Zusammenhang empfehle ich Ihnen gern den
Artikel in der „Zeit” vom 8. Dezember 2003 mit dem
Titel „Staatlich veräppelte Forschung“. Es ist schon be-
merkenswert, wie international anerkannte Forscherin-
nen und Forscher aus der Ressortforschung des damali-
gen Bundesverbraucherministeriums von Frau Künast an
die Kandarre genommen wurden. Für mich ein unver-
gleichlicher Akt ideologisch motivierter Willkür.
Die Bundesregierung steht dagegen für einen sachli-
chen und verantwortungsbewussten Umgang mit dem
Thema Gentechnik. Entsprechend werden wir die Si-
cherheitsforschung und Entwicklungsforschung voran-
bringen, denn nur so gelangen wir zu Erkenntnissen, die
als Grundlage politischer Entscheidungen unverzichtbar
sind.
Gegen die Sicherheitsforschung können eigentlich
keine ernsthaften Einwände erhoben werden. Gerade die
Kritiker der Grünen Gentechnik betonen ja immer wie-
der, dass die Wirkung von gentechnisch veränderten Or-
ganismen nicht ausreichend erforscht sei. Dann sollten
wir den offenen Fragen auch nachgehen!
Doch auch die Entwicklungsforschung ist zu stärken.
Die Grüne Gentechnik bietet beträchtliche Perspektiven
und kann einen Beitrag zur Ernährung und zur Versor-
gung mit Energie und Rohstoffen leisten. Die globale
Entwicklung schreitet voran, unabhängig davon, ob in
Deutschland Entwicklungsforschung betrieben wird
oder nicht. Wir wären verantwortungslos, wenn wir uns
aus der Entwicklung neuer gentechnisch veränderter
Pflanzen zurückziehen würden und diesen Wachstums-
bereich anderen überlassen würden. Deutschlands Stärke
l
e
s
B
a
u
l
z
A
f
c
v
b
s
s
s
G
S
s
s
d
D
K
s
v
r
s
Ü
s
s
b
s
d
d
d
g
u
u
I
s
k
L
W
z
u
g
f
d
V
n
g
r
k
(C
(D
iegt in der Innovation! Diese Stärke müssen wir auch
insetzen!
Für mich ist dabei selbstverständlich, dass die For-
chung nicht nur im Labor stattfindet, sondern – unter
eachtung des Schutzes von Umwelt und Gesundheit –
uch im Freiland möglich sein muss. Nur so können wir
ns ein vollständiges Bild von der Gentechnik unter rea-
istischen Bedingungen machen.
Ein Beitrag, der die Forschung im Bereich der Pflan-
enbiotechnologie voranbringen würde, sollte meiner
nsicht nach darin bestehen, das so genannte verein-
achte Verfahren über das Jahr 2006 hinaus zu ermögli-
hen. Hierdurch würde die experimentelle Freisetzung
on gentechnisch veränderten Organismen, mit denen
ereits ausreichende Erfahrungen gesammelt worden
ind, erleichtert.
Außerdem sollten wir die Verfahren pragmatisch ge-
talten. Zwei Beispiele: Erstens. Gentechnische Anlagen
ind in vier Sicherheitsstufen von S 1 bis S 4 eingeteilt.
entechnische Arbeiten in gentechnischen Anlagen der
icherheitsstufe S 1 und Folgearbeiten der Sicherheits-
tufe S 2 sollten nur noch anzuzeigen statt anzumelden
ein. Der Betreiber dürfte dann nach der Anzeige mit
en gentechnischen Arbeiten sofort beginnen. Zweitens.
urch die Gesetzesnovelle von 2004 ist die Zentrale
ommission für die Biologische Sicherheit in zwei Aus-
chüsse aufgeteilt und die Zahl der Mitglieder nahezu
erdoppelt worden. Es ist, auch wegen einer nicht aus-
eichenden Bewerberzahl, nicht gelungen, die Aus-
chüsse wie vorgesehen zu besetzen.
Deshalb wurde mit der Novelle dieses Jahres eine
bergangsregelung geschaffen, wonach die Kommis-
ion in der alten Besetzung tagt. Um auch weiterhin eine
achkompetente Prüfung zu gewährleisten, sollten die
eiden Ausschüsse dauerhaft wieder in ein Gremium zu-
ammengeführt werden.
Beim kommerziellen Anbau sind wir uns bewusst,
ass die Dinge hier etwas komplizierter sind. Es ist in
er Tat so, dass in der Bevölkerung Verunsicherung über
ie Grüne Gentechnik herrscht und eine große Mehrheit
entechnisch veränderte Lebensmittel ablehnt. Politik
nd Wirtschaft haben diese Meinungslage zur Kenntnis
nd auch ernst zu nehmen und für die Politik kann ich
hnen versichern: Wir tun das auch! Wir müssen dafür
orgen, dass diejenigen, die das wollen, sich auch in Zu-
unft ohne Gentechnik ernähren können, und auch die
andwirte in der Lage sind, solche Produkte anzubieten.
ir müssen daher sicherstellen, dass die Koexistenz
wischen gentechnisch veränderten, konventionellen
nd ökologischen Kulturen gewahrt wird. Dieser Auf-
abe werden wir uns mit einer Verordnung über die gute
achliche Praxis bei der Erzeugung gentechnisch verän-
erter Pflanzen stellen.
Bei den pflanzenartspezifischen Regelungen in der
erordnung werden wir uns auf den Anbau von gentech-
isch verändertem Mais beschränken. Das ist die einzige
entechnisch veränderte Pflanzenart, die mit gentechnik-
echtlicher Genehmigung und Sortenzulassung hier
ommerziell angebaut wird.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4335
(A) )
(B) )
In der Rechtsverordnung zur guten fachlichen Praxis
wird ein Mindestabstand gegenüber konventionellen
oder ökologischen Maisfeldern festgelegt werden. Wir
wollen sowohl den Erzeugern von gentechnisch verän-
dertem Mais als auch den Nachbarn möglichst große
Sicherheit vor wesentlichen Beeinträchtigungen und
eventuellen Haftungsfolgen geben. Wesentliche Beein-
trächtigungen der Nachbarn müssen der seltene Ausnah-
mefall bleiben.
In Deutschland erfolgt der kommerzielle Anbau von
gentechnisch verändertem Mais nunmehr im dritten Jahr.
Mit dem Anbau wurde also in einer Zeit begonnen, als
Frau Künast noch zuständige Ministerin war.
Die Europäische Kommission hat mit der Eintragung
von MON810 in das Gemeinschaftsregister für gentech-
nisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel aus-
drücklich klargestellt: Das Saatgut ist von der Zulassung
und der Eintragung ins Gemeinschaftsregister mit um-
fasst. Gentechnisch veränderter Mais wird daher auch in
Zukunft in Deutschland angebaut werden können.
Europa hat mit staatlicherseits verordneten Morato-
rien keine gute Erfahrung gemacht; jedenfalls dann
nicht, wenn von den betreffenden gentechnisch verän-
derten Organismen keine Gefahr für Umwelt oder Ge-
sundheit ausgeht: Die WTO hat insoweit einen Verstoß
gegen Welthandelsrecht festgestellt.
Aus den genannten Gründen verdient ein staatliches
Zwangsmoratorium keine Unterstützung. Der Antrag ist
daher abzulehnen.
Anlage 8
Erklärungen nach § 31 GO
zur namentlichen Abstimmung über den Ent-
wurf eines Gesetzes zur Änderung des Grund-
gesetzes (Art. 22, 23, 33, 52, 72, 73, 74, 74 a, 75,
84, 85, 87 c, 91 a, 91 b, 93, 98, 104 a, 104 b, 105,
107, 109, 125 a, 125 b, 125 c, 143 c) (Tagesord-
nungspunkt 29 a)
Ernst Bahr (Neuruppin) (SPD): Die Verhandlungen
zur Reform der föderalen Beziehungen zwischen dem
Bund und den Ländern haben ihren Abschluss gefunden.
Die gegenwärtige Konstellation der Mehrheit von CDU/
CSU und SPD im Bundestag hat einen günstigen Rah-
men für eine Lösung der teilweise unklaren Kompetenz-
verteilungen sowie der Blockadeproblematik im Bun-
desrat vorgegeben.
Mit der vorliegenden Reform sind die vorhandenen
Probleme allerdings nicht adäquat gelöst. Ich hätte mir
eine Reform der Kompetenzen von Bund und Ländern
gewünscht, die der gegenwärtigen innerdeutschen Situa-
tion wie auch dem zunehmenden europäischen Integra-
tionsprozess mehr gerecht wird. Anstatt die zahlreichen
Grundgesetzänderungen vorzunehmen, wäre dies der
richtige Anlass gewesen, einen Verfassungskonvent ein-
zuberufen und eine neue bundesdeutsche Verfassung mit
klaren Zuständigkeiten auszuarbeiten.
B
r
d
d
g
J
e
l
z
z
i
Z
H
W
z
R
r
l
g
s
g
d
m
B
J
d
u
g
d
s
m
t
g
m
D
S
m
E
e
f
ä
E
b
d
A
s
f
d
k
g
(C
(D
Dem Verhandlungsergebnis stimme ich, trotz großer
edenken, zu, um die Gefahr noch größerer und schärfe-
er Auseinandersetzungen zu diesem Thema zu vermei-
en. Ich verbinde meine Zustimmung mit der Forderung,
ass der zweite Schritt, die Reform der Finanzbeziehun-
en von Bund und Ländern, konsequent noch in diesem
ahr erfolgt. Darüber hinaus halte ich die Formulierung
iner neuen Verfassung für die Bundesrepublik Deutsch-
and für den besseren und notwendigen Weg.
Dirk Becker (SPD): Ich bekenne mich ausdrücklich
ur Notwendigkeit einer Föderalismusreform. Die Redu-
ierung der zustimmungsbedürftigen Gesetzesvorhaben
st dabei ein wichtiges, aber nicht das ausschließliche
iel.
Die Reform unseres Staatsaufbaus ist angesichts der
erausforderungen in Europa und in einer globalisierten
elt und vor dem Hintergrund der Situation in den ein-
elnen Bundesländern notwendig. Eine entsprechende
eform muss deshalb den damit verbundenen Anforde-
ungen gerecht werden. Die Verfassung ist die Grund-
age unseres Zusammenlebens. Jede Änderung hat
rundsätzliche Bedeutung. Sie stellt eine Gewissensent-
cheidung dar, bei der alle Abgeordneten das Wohl des
anzen Volkes berücksichtigen müssen. Einer Änderung
es Grundgesetzes muss sich daher an diesen Kriterien
essen lassen.
Ich teile ausdrücklich nicht die Auffassung, dass zur
eseitigung der mit der Verfassungsänderung aus dem
ahr 1994 herbeigeführten Rechtsunsicherheit bezüglich
er Regelungskompetenz zwischen Bund und Ländern
nd der daraus resultierenden Klageanfälligkeit bundes-
esetzlicher Regelungen nunmehr offensichtliche, von
en meisten Sachverständigen auch benannte Ver-
chlechterungen in einzelnen Fachbereichen hingenom-
en werden sollen.
Gleichwohl muss ich zur Kenntnis nehmen, dass wei-
ere Nachbesserungen aufgrund der Weigerung aus eini-
en Bundesländern bzw. aus den Reihen der Union nicht
öglich sind. Zumindest konnte in den letzten Tagen
ank des Einsatzes von Peter Struck noch an einigen
tellen Positives erreicht werden. Bedauerlicherweise
usste im Gegenzug im Umweltbereich eine weitere
inschränkung hingenommen werden.
Aus den nachfolgend dargestellten Gründen habe ich
rhebliche Bedenken gegen Teile der vorgesehenen Ver-
assungsreform:
Erstens. Deutschland wird durch diese Verfassungs-
nderung die großen Herausforderungen, die sich in
uropa und in einer globalisierten Welt ergeben, nicht
esser wahrnehmen können. Die vorgesehene Änderung
es Art. 23 des Grundgesetzes und die Einführung der
bweichungsgesetzgebung sind kontraproduktiv. Sie
chwächen die europa- und völkerrechtliche Handlungs-
ähigkeit Deutschlands zum Beispiel im Bereich der Bil-
ungs- und Umweltpolitik.
Zweitens. Rechtsdogmatisch wird durch die Möglich-
eit der Abweichungsgesetzgebung ein Instrumentarium
eschaffen, das nicht zu mehr Transparenz in der
4336 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006
(A) )
(B) )
Kompetenzverteilung und Rechtsklarheit führen wird,
sondern zu Rechtszersplitterung. Wenn angeführt wird,
dass die Länder von der Abweichungskompetenz häufig
keinen Gebrauch machen werden, so stellt sich die
Frage, warum man diese Regelung dann schafft.
Drittens. Die Ausgestaltung des Art. 104 a des Grund-
gesetzes und die Zustimmungserfordernis des Bundes-
rates im Rahmen der Art. 72 und 84 des Grundgesetzes
widersprechen dem Ziel der Verfassungsänderung, die
Quote der zustimmungspflichtigen Gesetzesvorhaben
deutlich zu reduzieren, wenngleich diese Fragestellung
ohnehin nicht lediglich auf die Quantität, sondern viel-
mehr an den jeweiligen Inhalten der Gesetzesmaterien
ausgerichtet sein muss.
Viertens. Umwelt-, Bildungs- und Sozialpolitik sind
die Felder, auf denen zukünftig zentrale Herausforderun-
gen bestehen. Es gibt ein gesamtstaatliches Interesse, das
durch die vorgesehene Kompetenzverteilung nicht er-
füllt werden kann.
Als Mitglied des Umweltausschusses sehe ich es hier-
bei als unverzichtbar an, das Umweltverfahrensrecht in
Art. 84 des Grundgesetzes ausdrücklich ohne Abwei-
chungsmöglichkeit für die Länder aufzunehmen; den ab-
weichungsfesten Kern bei dem unbestimmten Rechtsbe-
griff „Allgemeine Grundsätze des Naturschutzes“
konkreter zu fassen und um den Begriff der „anlagenbe-
zogenen Regelungen“ zu ergänzen; den Begriff „anlage-
bezogene Regelungen“ im Wasserrecht zu präzisieren;
die Übergangsregelungen des Art. 125 b des Grundge-
setzes zu präzisieren, um so das vereinbarte Moratorium
zur Schaffung eines Umweltgesetzbuches rechtsverbind-
lich zu sichern: rechtssichere Kompetenztitel für die Be-
reiche Bodenschutz, erneuerbare Energien, Chemika-
lienrecht und für den Bereich der nichtionisierenden
Strahlung zu schaffen; den Hochwasserschutz als abwei-
chungsfeste Materie festzuschreiben.
Fünftens. Ich erkenne an, dass die Neufassung des
Art. 72 Abs. 2 des Grundgesetzes zumindest geeignet ist,
den jetzigen Zustand der Klageanfälligkeit bundesge-
setzlicher Regelungen zu reduzieren und hiermit zu einer
Klarstellung und stärkeren Rechtssicherheit beiträgt.
Jedoch wird durch die in Abs. 3 aufgenommene Ab-
weichungsregelung für die Länder – und hier konzen-
triere ich mich vorrangig auf den Bereich des Umwelt-
und Naturschutzes – eine neue Rechtsunsicherheit und
Klageanfälligkeit geschaffen. Kein Staatsrechtler konnte
bisher deutlich machen, welche Regelungskompetenz des
Bundes sich letztlich hinter dem unbestimmten Rechtsbe-
griff der „allgemeinen Grundsätze des Naturschutzes“
verbirgt. Die Reduzierung des abweichungsfesten Kerns
auf diese Formulierung wird so zu neuerlichen Verfas-
sungsklagen sowie zur weiteren Rechtszersplitterung bei-
tragen.
Sechstens. Wettbewerbsföderalismus setzt gesunde
Startbedingungen voraus, die mit dieser Reform nicht
gegeben sind. Es ist zu befürchten, dass in zentralen Be-
reichen ein Wettlauf um die niedrigsten Standards ein-
setzen wird. Dann geht es nicht um die Frage, welche
Ebene Aufgaben besser erfüllen kann, sondern vielmehr
w
d
s
E
n
s
v
r
Z
b
g
s
i
r
f
z
b
n
m
g
b
U
g
m
t
e
g
s
p
M
d
m
s
A
n
P
d
d
d
n
S
h
B
f
ä
s
d
g
c
V
t
r
d
(C
(D
erden die unterschiedlichen finanziellen Rahmenbe-
ingungen letztlich unterschiedliche Grenzen setzen.
Siebtens. Die größte Verfassungsänderung seit 1949
ollte durch die größte Anhörung vorbereitet werden.
ine angemessene Auswertung dieser Anhörung hat
icht stattgefunden. Sie hätte die Punkte 1 bis 5 berück-
ichtigen können. Das Engagement unseres Fraktions-
orsitzenden Peter Struck für eine entsprechende Anhö-
ung und Auswertung möchte ich in diesem
usammenhang ausdrücklich anerkennen und hervorhe-
en. Hätte die Mehrheit der Verhandlungspartner ebenso
ehandelt, wäre eine angemessene Beratung und Ent-
cheidung möglich gewesen. Durch die Verweigerung
nsbesondere einiger Länder, die Ergebnisse der Anhö-
ung angemessen in die Beratung der Föderalismusre-
orm einzubeziehen, war letztlich kein besseres Ergebnis
u erzielen. So bleibt es letztlich in einigen Bereichen
eim Kompromiss auf dem kleinsten gemeinsamen Nen-
er. Überzeugende Argumente für sinnvolle Korrekturen
it Blick auf unsere Ziele einer integrierten Vorhabens-
enehmigung und des zu schaffenden Umweltgesetz-
uchs, die erstaunlich einvernehmlich von Vertretern der
mweltverbände, der Industrie und den Sachverständi-
en vorgetragen wurden, haben kein Gehör gefunden.
Achtens. Die Reform des Föderalismus wird und
uss weiter ein zentrales Thema bleiben. Vor dem Hin-
ergrund der wiedererlangten deutschen Einheit und der
uropäischen Rechtsharmonisierung muss die grundle-
ende Reform unseres föderalen Bundesstaats das Ziel
ein. Diesbezüglich schließe ich mich dem Diskussions-
apier der Kollegen Steffen Reiche, Dr. Matthias
iersch und des Staatsrechtlers Prof. Hans Meyer an.
Fazit: Es wäre dieser größten Verfassungsreform in
er Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ange-
essen gewesen, wenn sich Bundestag und Bundesrat
orgfältiger mit den Argumenten und Fakten aus den
nhörungen beschäftigt hätten. Insbesondere einige Mi-
isterpräsidenten der Union haben diesen intensiven
rozess nicht zugelassen. Hier stellt sich die Frage nach
em Stellenwert der Abgeordneten des Deutschen Bun-
estages und dem Wert unserer Verfassung.
Aus den dargestellten Gründen bleibt eigentlich nur
ie Schlussfolgerung, diese Verfassungsänderung ableh-
en zu müssen.
Wäre da nicht die Frage, welche Auswirkung ein
cheitern der Reform für die Verfassungswirklichkeit
ätte. In Kenntnis der wiederholten Rechtssprechung des
undesverfassungsgerichtes – zum Beispiel Juniorpro-
essur – ist anzuerkennen, dass in Folge der Verfassungs-
nderung aus dem Jahr 1994 in vielen zentralen politi-
chen Fragen das Verfassungsgericht auch zukünftig die
erzeitige Erforderlichkeit einer bundesgesetzlichen Re-
elung des Art. 72 Abs. 2 des Grundgesetzes ausgespro-
hen eng auslegen wird.
Damit würde der Bund noch stärker als durch diese
erfassungsreform an einheitlichen Regelungskompe-
enzen verlieren. Eine noch stärkere Rechtszersplitte-
ung mit ihren negativen Auswirkungen, auch bezüglich
er Europatauglichkeit, wäre die Folge.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4337
(A) )
(B) )
Im Ergebnis bleibt diese Verfassungsänderung ein
teils zweifelhafter Kompromiss ohne echte umsetzbare
Alternative. Aus diesem Grund stimme ich trotz schwer-
wiegender Bedenken der Verfassungsänderung zu.
Petra Bierwirth (SPD): Die Reform unseres födera-
len Systems ist angesichts der Herausforderungen in
Europa und in einer globalisierten Welt notwendig. Auch
die Situation der öffentlichen Haushalte verlangt einen
effizienteren und leistungsfähigeren Staatsaufbau. Die
uns heute vorliegende größte Verfassungsänderung seit
1949 sollte durch die umfangreichste Anhörung im
Deutschen Bundestag vorbereitet werden. Nur dem En-
gagement unseres Fraktionsvorsitzenden Peter Struck ist
es zu verdanken, dass diese Anhörung stattfand und wir
als Parlament unsere Rechte wahrnehmen konnten. Eine
angemessene Auswertung dieser Anhörung konnte auf
Grund der starren Haltung der Ministerpräsidenten der
Länder nicht stattfinden.
Nachfolgende grundsätzliche Aspekte sind völlig au-
ßer Acht gelassen worden.
Erstens. Deutschland wird durch diese Verfassungs-
änderung die großen Herausforderungen, die sich in
Europa und in einer globalisierten Welt ergeben, nicht
besser wahrnehmen können. Die vorgesehene Fassung
des Art. 23 GG und die Einführung der Abweichungs-
gesetzgebung sind kontraproduktiv. Sie schwächen die
europa- und völkerrechtliche Handlungsfähigkeit Deutsch-
lands zum Beispiel im Bereich der Bildungs- und Um-
weltpolitik. Zukünftig wird es jedoch gerade auf diese
Politikfelder ankommen.
Zweitens. Rechtsdogmatisch wird durch die Möglich-
keit der Abweichungsgesetzgebung ein Instrumentarium
geschaffen, das nicht zu mehr Transparenz in der Kom-
petenzverteilung, Effizienz und Rechtsklarheit führen
wird, sondern zu Rechtszersplitterung und Kompetenz-
wirrwarr. Im Urteil vom 24. Oktober 2002 – 2 BvF 1/01
(NJW 2003, S. 41 ff. (44)) führt das Bundesverfassungs-
gericht aus:
Eine „Doppelzuständigkeit“, auf deren Grundlage
Bund und Länder ein und denselben Gegenstand in
unterschiedlicher Weise regeln könnten, ist dem
System der verfassungsrechtlichen Kompetenznor-
men fremd und stünde mit ihrer Abgrenzungsfunk-
tion (Art. 70 II GG) nicht im Einklang.
Es ist nicht zu begründen, warum diese Grundsätze
aufgehoben werden. Wenn angeführt wird, dass die Län-
der von der Abweichungskompetenz häufig keinen Ge-
brauch machen werden, so stellt sich die Frage, warum
diese Regelung dann geschaffen wird.
Drittens. Die Ausgestaltung des Art. 104 a GG und
das Zustimmungserfordernis des Bundesrates im Rah-
men der Art. 72 und 84 GG widersprechen dem Ziel der
Verfassungsänderung, die Quote der zustimmungspflich-
tigen Gesetzesvorhaben deutlich zu reduzieren. Wenn-
gleich dieser Sachverhalt sich nicht nur auf die Quanti-
tät, sondern vielmehr an den jeweiligen Inhalten der
Gesetze orientieren muss.
d
H
d
F
D
f
d
l
A
E
W
h
u
k
G
C
b
a
a
Z
w
r
d
s
D
t
L
l
w
m
w
e
w
s
n
d
z
h
e
d
L
A
i
d
H
s
d
2
d
R
r
(C
(D
Viertens. Umwelt-, Bildungs- und Sozialpolitik sind
ie Felder, die für unser Land zukunftsweisend sind.
ier gibt es ein gesamtstaatliches Interesse, das durch
ie vorgesehene Kompetenzverteilung und durch die
assung des Art. 104 b GG nicht erfüllt werden kann.
ieses gilt auch für weitere Bereiche, wie zum Beispiel
ür den Strafvollzug.
Fünftens. Ein Wettbewerb um die besten Lösungen in
en einzelnen Bundesländern darf den Grundsatz der So-
idarität nicht vernachlässigen. Er setzt aber gesunde
usgangsbedingungen voraus, die nicht gegeben sind.
s ist zu befürchten, dass in zentralen Bereichen ein
ettlauf „nach unten“ einsetzen wird und negative Ver-
ältnisse zementiert werden. Dabei geht es nicht primär
m die Frage, welche Ebene Aufgaben besser erfüllen
ann. Die finanziellen Rahmenbedingungen setzen
renzen. Besonders in den neuen Ländern werden die
hancen, den Aufbau Ost weiter voran zu bringen und
estehende Entwicklungs- und Leistungsunterschiede
uszugleichen, mit der vorliegenden Reform erschwert.
Sechstens. Gerade im Bereich der Umweltpolitik sind
ngesichts der Standortwettbewerbe und ökonomischen
wänge Aufweichungstendenzen im Rahmen der Ab-
eichungsgesetzgebung zu befürchten. Eine Zersplitte-
ung unseres Rechtssystems und unterschiedliche Stan-
ards sind die Folge.
Der Aufbau des Staates und seine Funktionsfähigkeit
ind auch dem Aspekt der Nachhaltigkeit verpflichtet.
ie vorliegende Verfassungsänderung ist nicht nachhal-
ig. Die politischen Mehrheitsverhältnisse in unserem
and hätten, vor allem bei anderer Haltung der Bundes-
änder, die Möglichkeit eröffnet, eine wirklich zukunfts-
eisende Verfassungsänderung auf den Weg zu bringen.
Ich kann dieser Grundgesetzänderung nicht zustim-
en.
Dr. Gerhard Botz (SPD): Diese Föderalismusreform
ird das Verhältnis von Bund und Ländern nachhaltig in
ine Richtung verändern, die im Widerspruch zu der Er-
artung einer deutlichen Mehrheit unserer Bevölkerung
teht. Die darin verankerten Gewinne des Bundes kön-
en meines Erachtens nicht darüber hinwegtäuschen,
ass eine Mehrheit der hier festgelegten Veränderungen
u einem Paradigmenwechsel weg vom Solidarprinzip,
in zu mehr Wettbewerbsföderalismus führen. Ich halte
s für völlig inakzeptabel, dass das Beamten- und Besol-
ungsrecht, das Strafvollzugs- und das Heimrecht in die
änderkompetenz übertragen werden. Dazu kommen
bweichungsmöglichkeiten der Länder im Naturschutz,
m Jagdwesen, in der Raumordnung, Bodenverteilung,
em Wasserhaushalt, der Hochschulzulassung und dem
ochschulwesen.
Deutschland wird mit diesen Entscheidungen ange-
ichts der Herausforderungen der Europäisierung und
er Globalisierung mit angezogener Handbremse in das
1. Jahrhundert starten. Nicht zuletzt werden wir auf
iese Weise unsere angekündigten Bestrebungen in
ichtung Bürokratieabbau auf Jahrzehnte selber blockie-
en.
4338 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006
(A) )
(B) )
Die große Koalition vergibt damit leider eine gewal-
tige Chance, unsere Republik rechtzeitig in ihrer Hand-
lungsfähigkeit substanziell zu stärken. In erster Linie
werden von den absehbar nachteiligen Entwicklungen
diejenigen Bundesländer betroffen sein, die auch heute
schon zu den ärmeren gehören.
Änderungen unseres Grundgesetzes, die in ihrer Ge-
samtheit derartige Risiken in sich bergen, kann ich nicht
zustimmen.
Marco Bülow (SPD): Dem Entwurf eines Gesetzes
zur Änderung des Grundgesetzes und dem Entwurf eines
Föderalismusreform-Begleitgesetzes stimme ich zu. Im
Folgenden möchte ich dazu aber eine Erklärung abge-
ben:
Die Reform unseres Staatsaufbaus ist angesichts der
Herausforderungen in Europa, in einer globalisierten
Welt und vor dem Hintergrund der Situation in den ein-
zelnen Bundesländern notwendig. Eine entsprechende
Reform muss deshalb den damit verbundenen Anforde-
rungen gerecht werden. Die Verfassung ist die Grund-
lage unseres Zusammenlebens. Jede Änderung hat
grundsätzliche Bedeutung. Sie stellt eine besondere Ge-
wissensentscheidung dar, bei der alle Abgeordneten das
Wohl des ganzen Volkes berücksichtigen müssen.
Aufgrund reiflicher Überlegung und langer detaillier-
ter Diskussionen über die Gesamtreform kann ich zu kei-
nem eindeutig positiven Urteil kommen. Es ist für mich
allerdings auch nicht zweifelsfrei geklärt, ob die vorlie-
gende Reform nachteiliger für die Herausforderungen
der Zukunft ist, als wenn wir es beim Status quo belas-
sen. Durch die Verfassungsänderung von 1994 ist es zu
vielen Unklarheiten gekommen, bei der das Parlament
immer stärker von Entscheidungen des Bundesverfas-
sungsgerichts abhängig wurde. Dies wird mit den
Grundgesetzänderungen teilweise verändert. Ich hoffe
zudem darauf, dass mit der Reform die Zahl der zustim-
mungspflichtigen Gesetzesvorhaben deutlich reduziert
wird. Insgesamt werde ich der Reform trotz erheblicher
Bedenken zustimmen.
Ich möchte meine wichtigsten Bedenken im Einzel-
nen aufführen:
Erstens. Meine Vorstellung über eine wirklich umfas-
sende Föderalismusreform sieht deutlich anders aus als
die Vorlage, über die wir im Parlament nun abstimmen.
Viele Themen, beispielsweise die Länderfusion, wurden
gar nicht erst verhandelt.
Zweitens. Der Vorschlagsentwurf, der dem Bundestag
vorgelegt wurde, ist in keiner Phase mit den Fachpoliti-
kern besprochen worden. Zudem hat eine angemessene
parlamentarische Auswertung der Anhörung nicht statt-
gefunden. Nur durch Drängen der SPD-Bundestagfrak-
tion und das Engagement unseres Fraktionsvorsitzenden
Peter Struck wurde überhaupt noch über Einzelfragen
diskutiert. Hätte die Mehrheit der Verhandlungspartner
ebenso gehandelt, wäre eine angemessene Beratung und
Entscheidung möglich gewesen.
K
H
c
d
B
S
r
n
p
d
V
s
b
d
s
r
l
w
P
s
c
t
f
t
d
w
R
l
L
h
d
B
b
b
g
a
Z
w
d
w
d
a
h
G
w
v
H
g
d
p
k
(C
(D
Drittens. Die Anhörung hat ergeben, dass sich die im
oalitionsvertrag definierten Ziele – Verbesserung der
andlungsfähigkeit des Staates – Seite 109; Vereinfa-
hung des Umweltrechts – Seite 67; Weiterentwicklung
er Aufgaben von Bund und Ländern im Bereich der
ildung – Seite 41; Gewährleistung sozialer Sicherheit –
eite 96 f. – mit der vorgeschlagenen Verfassungsände-
ung – auch als Anlage dem Koalitionsvertrag beigefügt –
icht realisieren lassen. Dieser Widerspruch hätte im
arlamentarischen Verfahren aufgeklärt und gelöst wer-
en müssen.
Viertens. Ich bezweifle, dass Deutschland durch diese
erfassungsänderung die großen Herausforderungen, die
ich in Europa und in einer globalisierten Welt ergeben,
esser wahrnehmen kann. Die vorgesehene Änderung
es Art. 23 GG und die Einführung der Abweichungsge-
etzgebung sind kontraproduktiv. Sie schwächen die eu-
opa- und völkerrechtliche Handlungsfähigkeit Deutsch-
ands zum Beispiel im Bereich der Bildungs- und Um-
eltpolitik. Zukünftig wird es jedoch gerade auf diese
olitikfelder ankommen.
Fünftens. Mit der Möglichkeit der Abweichungsge-
etzgebung wird ein Instrumentarium geschaffen, wel-
hes zu größerer Rechtszersplitterung und zu Kompe-
enzwirrwarr führen wird. Die Befürworter der Reform
ühren an, dass die Länder von der Abweichungskompe-
enz keinen Gebrauch machen werden. Dann stellt sich
ie Frage, warum diese Regelung dann geschaffen
urde.
Sechstens. Die Reform ist ein deutlicher Schritt in
ichtung eines Wettbewerbsföderalismus. Ich halte al-
erdings einen solidarischen Föderalismus in unserem
and für eine bessere Alternative, dies vor allem des-
alb, weil nicht alle Bundesländer die gleichen Startbe-
ingungen haben und zu befürchten ist, dass in zentralen
ereichen ein Wettlauf „nach unten“ einsetzen wird. Da-
ei geht es nicht um die Frage, welche Ebene Aufgaben
esser erfüllen kann. Die finanziellen Rahmenbedingun-
en setzen Grenzen.
Siebtens. Gerade im Bereich der Umweltpolitik sind
ngesichts der Standortwettbewerbe und ökonomischen
wänge Aufweichungstendenzen im Rahmen der Ab-
eichungsgesetzgebung zu befürchten. Dagegen verhin-
ern klare und bundeseinheitliche Regelungen diese Ent-
icklung. Einfachgesetzliche Öffnungsklauseln können
abei einen Wettbewerb „nach oben“ eröffnen. Dabei ist
uch unbestritten, dass regionale und örtliche Besonder-
eiten im Rahmen der Abwägungsprozesse auch auf der
rundlage bundeseinheitlicher Standards berücksichtigt
erden können.
Achtens. Auch Regelungen im Bildungsbereich und
or allem die Verlagerung der Zuständigkeit für das
eimrecht halte ich für keine gute Entscheidung.
Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD): Ich stimme ge-
en die Verfassungsänderung und bin dabei insbeson-
ere von folgenden Überlegungen geleitet: Erstens. Die
arlamentarische Beratung der Einzelbestimmungen
onnte aufgrund der im Vorfeld getroffenen Festlegun-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4339
(A) )
(B) )
gen nicht mehr ausreichend ergebnisoffen erfolgen.
Zweitens. Ich halte den eingeschlagenen Weg insgesamt
für falsch und auch die damit verbundenen Erwartungen
für Entflechtungsgewinne für weit überschätzt. Die in
der Verfassung bestehende Kompetenzverteilung zwi-
schen Bund und Ländern halte ich für das Äußerste, was
gerade noch hinnehmbar war; in der Zwischenzeit haben
sich die Probleme einer Stärkung der Länderkompeten-
zen weiter gezeigt; auch einzelne Entscheidungen des
Bundesverfassungsgerichts, die in diese Richtung wei-
sen, machen dies nochmals deutlich. Neue Kompetenz-
verlagerungen zugunsten der Länder schwächen den
Bund; sie stellen auch die Regierbarkeit unseres Landes
insgesamt in der Zeit der Europäisierung infrage. Wir
brauchen mehr und auch einheitlichere Standards für
Schulen und Hochschulen, nicht weniger. Und die wei-
tere Kompetenzverlagerung auf die Länder werden wir
mit einem Anwachsen der Bürokratie für die Betroffe-
nen und – auf Dauer gesehen – mit einer Stärkung der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in
grundrechtsrelevanten Bereichen wie dem Strafvollzug
bezahlen müssen.
Auch die für behinderte Menschen, für Kinder und
Jugendliche und für alte Menschen so wichtigen Rege-
lungskompetenzen werden in Zukunft zu Nachteilen für
die Betroffenen, aber auch für die in der Zivilgesell-
schaft Engagierten führen. In den letzten Monaten habe
ich an vielen Runden ergebnisoffener Sachdiskussionen
mit Verfassungsexperten teilgenommen. Auch sie haben
mich davon überzeugt, dass die Erwartungen im Hin-
blick auf politische Gewinne aus einer Entflechtung der
Kompetenzen für unsere Demokratie, insbesondere un-
ter Transparenz- und Zuordnungsgründen, bei weitem
überschätzt sein dürften. Sicherlich wird es sie in einigen
Bereichen geben – auf dem Gebiet der Juristerei. Poli-
tisch indes werden die Länder in allen Bereichen weiter
mitreden, in denen sie das wollen – künftig indes ge-
stärkt durch ihre breiteren Kompetenzen. Auch die Er-
wartungen im Hinblick auf die Zuordnung der Verant-
wortung auf die handelnden Akteure in Bund und
Ländern werden mit großer Sicherheit weit überschätzt.
Insgesamt führt diese Verfassungsänderung in eine Rich-
tung, die ich nicht vertreten kann. Deshalb stimme ich
gegen sie.
Patrick Döring (FDP): Der Reformbedarf des föde-
ralistischen Systems der Bundesrepublik Deutschland
war und ist unumstritten. Die Klagen sind hinreichend
bekannt: Die Verflechtung von Bundes- und Landespoli-
tik hat ein Ausmaß erreicht, in dem die Zuständigkeiten
der unterschiedlichen Akteure in der Öffentlichkeit nicht
mehr wahrgenommen werden. Die Verschränkung der
Entscheidung führt zu Blockade und Stillstand der Poli-
tik. Eine vernünftige Föderalismusreform wäre von da-
her tatsächlich die „Mutter aller Reformen“; denn sie
schaffte die Grundvoraussetzungen für eine nachhaltige
Modernisierung unseres Landes.
Das vorliegende Reformpaket verdient dennoch aus
inhaltlichen wie formalen Gründen nicht meine Zustim-
mung.
f
r
w
r
b
m
o
b
d
ä
t
g
t
l
g
N
k
s
s
V
a
u
l
c
m
S
z
k
d
k
l
b
S
f
s
d
z
s
d
p
d
d
u
d
d
d
f
Z
r
s
d
l
s
(C
(D
Kritikwürdig ist bereits das politische Verfahren. Of-
enbar haben die Interessen der Koalition, nicht die Inte-
essen Deutschlands, ein Schnellverfahren diktiert. Es
urde nicht einmal der Versuch unternommen, die zahl-
eichen kleinen und größeren Webfehler der Reform zu
eheben. Das Verfahren war eine Beleidigung des Parla-
entes und des Grundgesetzes. Der Raum für eine sach-
rientierte Debatte war nie gegeben. Damit fehlt dieser
edeutenden Reform, die das Grundgesetz und damit
en Gesellschaftsvertrag in weiten Teilen entscheidend
ndert, ein wichtiges Stück demokratischer Legitima-
ion.
Überdies ist die Reform selbst in weiten Teilen man-
elhaft ausgeführt. Die auf Druck der FDP durchgeführ-
en Anhörungen haben überdeutlich gezeigt, dass in vie-
en Politikfeldern die Reform nur Stückwerk bleibt oder
ar in sich widersprüchlich ist. Die unentschlossene
euordnung der Bildungspolitik ist ein Beispiel, die un-
lare und komplexe Regelung zur konkurrierenden Ge-
etzgebungskompetenz ein anderes. Anstatt Klarheit zu
chaffen, sorgt die Reform in einigen Teilen für weitere
erwirrung. Eine ruhige und sachliche Debatte, wie sie
uch der Bedeutung dieses Reformwerkes und dem Wert
nseres Grundgesetzes entspräche, hätte hier viele Feh-
er zu heilen vermocht.
Zahlreiche Defizite lassen sich auch in grundsätzli-
hen Fragen feststellen. Die hier vorgestellte Föderalis-
usreform ist in vielem zu zaghaft. Anstatt endlich den
chritt zu einem produktiven Wettbewerbsföderalismus
u wagen, verharrt sie weithin in zentralistischen oder
onsensorientierten Lösungen. Ein System, in dem Bun-
esländer untereinander um die besten Lösungen kon-
urrieren und so in der Summe das Beste für Deutsch-
and erreichen, ist nicht zustande gekommen. Stattdessen
leibt das Prinzip des Konsensföderalismus erhalten, ein
ystem, das bereits unter normalen Umständen schwer-
ällig ist; ohne Konsens aber wird es unbeweglich. Denn
tets gilt das Prinzip: Das langsamste Schiff bestimmt
as Tempo des ganzen Geleitzugs.
Überdies wurde versäumt, die Finanzbeziehungen
wischen Bund und Ländern auf eine klare Grundlage zu
tellen. Dies war eine der zentralen Voraussetzungen für
ie Zustimmung der Liberalen. Denn die Neuordnung
olitischer Kompetenzen ist nur die eine Seite der Me-
aille. Ohne eine transparente und ehrliche Zuweisung
er finanziellen und steuerpolitischen Zuständigkeiten
nd Verantwortlichkeiten bleibt das Projekt unvollstän-
ig. Das gilt auch für die finanzielle Selbstständigkeit
er Kommunen. Es ist und bleibt ein Versäumnis, dass
as Grundgesetz nicht um ein echtes Konnexitätsprinzip
ür die Kommunen ergänzt wurde. So bleibt uns auch in
ukunft das Dilemma erhalten, dass die Bundesregie-
ung eifrig musikalisch fragwürdige Platzkonzerte be-
tellt und die Städte und Gemeinden die Musik bezahlen
ürfen.
Die Summe dieser Defizite kann für mich nur die Ab-
ehnung dieses Antrags bedeuten.
Detlef Dzembritzki (SPD): Ich habe heute dem Ge-
etz zur Änderung des Grundgesetzes, mit dem die seit
4340 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006
(A) )
(B) )
langem fällige Reform des deutschen Föderalismus auf
den Weg gebracht werden wird, zugestimmt. Da dieses
Gesetz aber nach meiner Überzeugung einige erhebliche
Mängel aufweist und mir der Entschluss, meine Zustim-
mung zu geben, unter diesen Umständen äußerst schwer
gefallen ist, möchte ich hiermit von § 31 der Geschäfts-
ordnung des Deutschen Bundestages Gebrauch machen
und eine persönliche Erklärung abgeben. Die hierin auf-
geführten Bedenken habe ich auch während des Bera-
tungsprozesses immer wieder vorgebracht und mit Kol-
leginnen und Kollegen erörtert.
Mein heutiges Abstimmungsverhalten bedeutet nicht,
dass ich die Föderalismusreform in ihrer nun vorliegen-
den Fassung begrüßen würde. Ganz im Gegenteil, wich-
tige Bestandteile des jetzigen Reformpakets lehne ich
nach wie vor ab. Meine Zustimmung habe ich nur des-
halb nicht versagt, weil ein völliges Scheitern der Re-
form noch schlimmere Folgen gehabt hätte. Es bleibt
aber weiterhin sehr unbefriedigend, dass es nicht gelun-
gen ist, im Vorfeld der heutigen Abstimmung wesentli-
che Änderungen am Reformpaket vorzunehmen. Die
vorgenommenen Änderungen aber sind unzureichend
und weitgehend kosmetischer Natur, sodass zu hoffen
bleibt, dass zu einem späteren Zeitpunkt weitere Korrek-
turen möglich werden.
Die größten Mängel des heute vorliegenden Gesetz-
entwurfs scheinen mir nach wie vor im Bereich der Bil-
dungs- und Schulpolitik zu liegen. Das Kooperationsver-
bot in der Schulpolitik halte ich für unangemessen. Eine
Zusammenarbeit der Länder mit dem Bund würde der
deutschen Schulpolitik nicht schaden, sondern ihr hel-
fen. Und auch im Hochschulbereich können die geplan-
ten Grundgesetzänderungen in ihrer jetzigen Form nicht
überzeugen. Zwar ist hier – was positiv zu bewerten ist –
das zunächst vorgesehene strikte Kooperationsverbot ge-
fallen. Doch auch die jetzige Regelung, nach der für eine
Kooperation bei Vorhaben der Wissenschaft und For-
schung an Hochschulen die Zustimmung aller Länder er-
forderlich ist, wird eine Zusammenarbeit von Bund und
Ländern künftig nicht verbessern.
Die Unterschiede in der fiskalischen Leistungskraft
der verschiedenen Länder werden noch stärker auf Qua-
lität und Quantität der Bildungseinrichtungen durch-
schlagen, wobei sich hier insbesondere die ostdeutschen
Länder einschließlich Berlin, aber auch die finanzschwa-
chen westdeutschen Länder in einer schlechten Situation
befinden. Dabei stellt die immer weitergehende Ausein-
anderentwicklung in den Schul- und Bildungspolitiken
der einzelnen Bundesländer nicht, wie es einige Minis-
terpräsidenten offenbar sehen wollen, einen positiven
Ausdruck von mehr Wettbewerb im deutschen föderalen
System, sondern in Zeiten der Globalisierung, in der eine
über die Nationalstaaten hinausgehende Zusammenar-
beit in der Bildungspolitik nötig wird, eine zusätzliche
Provinzialisierung und Verschlechterung dar.
Darüber hinaus weist der Gesetzesentwurf aber auch
in vielen anderen Bereichen problematische Regelungen
auf. So hätte etwa der Zustimmungsvorbehalt des Bun-
desrates bei der Bundesgesetzgebung deutlicher redu-
ziert werden müssen. Die Verfassungskorrekturen im
U
g
E
A
d
d
s
w
h
s
i
t
z
A
d
s
T
D
l
e
b
m
e
d
n
d
s
R
t
G
w
f
w
c
u
b
A
n
t
u
g
s
n
r
d
a
s
s
s
b
s
s
d
d
v
l
(C
(D
mfeld von Art. 83 und 84 GG weisen zwar den richti-
en Weg, dieser Weg wurde aber leider nicht bis zum
nde beschritten.
Ferner hätte ich ein einheitliches Strafvollzugsrecht,
rt. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG, begrüßt. Es besteht die Gefahr,
ass sich die Strafvollzugsregeln nach der Kassenlage
es jeweiligen Bundeslandes richten. Es ist nicht ausge-
chlossen, dass Gefängnisse zu bloßen Verwahranstalten
erden – mit nicht absehbaren sozialen Folgen. Ebenso
alte ich es für bedenklich, dass das Heimrecht der Ge-
etzgebungskompetenz des Bundes entzogen wurde. Es
st jetzt deutlich schwerer, eine Mindestqualität der sta-
ionären Pflege zu sichern und einen Wettlauf nach unten
u verhindern. Darüber hinaus hoffe ich, dass auch die
bstimmungsverfahren zwischen Bund und Ländern für
ie Bereiche Rundfunk, Bildung und Kultur auf europäi-
cher Ebene noch effektiver gestaltet werden.
Insgesamt zieht sich durch den Reformentwurf die
endenz, die politische Auseinanderentwicklung in
eutschland eher zu stärken als zu schwächen und recht-
iche Harmonisierungen in vielen Bereichen erheblich zu
rschweren. Die bereits seit Bestehen der Bundesrepu-
lik erkennbaren Schwierigkeiten des Grundgesetzes da-
it, Länderegoismen dort zurückzudrängen, wo bundes-
inheitlichen Regelungen notwendig sind, werden durch
ie Föderalismusreform leider nicht reduziert, sondern
och verstärkt, sodass der deutsche Föderalismus mit
em vorliegenden Gesetzesentwurf in mancherlei Hin-
icht noch auf den Stand von 1949 zurückfällt.
Letztendlich habe ich trotz all dieser Mängel für die
eform gestimmt, weil die jetzige Situation noch uner-
räglicher ist, und als Alternative nur das Scheitern des
esamtvorhabens geblieben wäre. Ein solches Scheitern
äre allerdings fatal gewesen. Seit Jahren klagt die Öf-
entlichkeit zu Recht über langwierige Entscheidungs-
ege, übermäßige Verflechtungen und gegenseitige Blo-
kaden von Bund und Ländern. Die Steuerungsfähigkeit
nseres Staates ist in der Tat in nicht akzeptabler Weise
eeinträchtigt. Das können wir uns nicht mehr leisten.
uch müssen die Menschen künftig nachvollziehen kön-
en, wer für welche Aufgabe zuständig und damit poli-
isch verantwortlich ist. Es wäre ein großer Schaden für
nser Land und ein Desaster für alle Entscheidungsträ-
er, wenn nach mehrjährigem harten Ringen die Reform
cheitern würde.
Ungeachtet meiner Kritik übersehe ich natürlich auch
icht, dass durchaus einige wesentliche Reformziele er-
eicht worden sind. So sinkt etwa die Zustimmungsquote
er Bundesgesetze von 55 bis 60 Prozent nun auf vor-
ussichtlich unter 30 Prozent. Das ist ein großer Fort-
chritt. Der Bund kann nunmehr viele Bereiche, die in
einer Gesetzgebungskompetenz stehen, ohne Einmi-
chung des Bundesrates regeln. In wichtigen Bereichen
ehält der Bund seinen Einfluss und gewinnt zudem
echs wichtige Bereiche dazu, etwa durch die aus-
chließliche Kompetenz für das BKA im Kampf gegen
en internationalen Terrorismus, das Waffenrecht oder
urch verbindliche Länderbeteiligung bei Verletzungen
on EU-Recht sowie bei Sanktionen aufgrund von Ver-
etzungen des europäischen Stabilitätspaktes. Darüber
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4341
(A) )
(B) )
hinaus haben wir erreicht, dass der Bund Europarecht
schneller umsetzen kann und damit in Brüssel besser
aufgestellt ist. Auf der anderen Seite nimmt sich der
Bund dort zurück, wo die Angelegenheiten der Länder
berührt sind.
Es gibt also keinen Grund, das vorliegende Reform-
paket in Gänze zu kritisieren. Vieles in der Tat Reform-
bedürftige wird angegangen, viele sinnvolle Entflech-
tungen werden auf den Weg gebracht. Die Bedingungen
zur Durchsetzung weiterer wichtiger Reformschritte in
unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen werden
verbessert. Klar ist aber auch, dass der Umbau des deut-
schen Föderalismus mit der Reform noch nicht an sein
Ende kommen darf. So habe ich es etwa sehr bedauert,
dass im Zuge der hinter uns liegenden Beratungen zur
Föderalismusreform nicht ein einziges Mal ernsthaft
über die Fusion von Ländern gesprochen worden ist. Die
Reduzierung der Zahl der Länder aber ist aus meiner
Sicht unabweisbar notwendig und darf nicht tabuisiert
werden.
Ich erwarte, dass wir den Prozess der Reform unseres
Grundgesetzes nicht nur begleiten, sondern nach einem
angemessenen Zeitabstand die Wirkung der Änderungen
bewerten. Denn das Wohl unseres Landes und seiner
Menschen in einem modernen, föderalen und sozialen
Rechtsstaat muss unser fester Wille und das oberste Ziel
unseres Handelns sein.
Sebastian Edathy (SPD): Ich stimme dem Gesetz-
entwurf über die Föderalismusreform trotz Bedenken zu.
Der deutsche Föderalismus bedarf ohne Zweifel der
Überarbeitung. Eine sinnvolle Entflechtung gemeinsa-
mer Zuständigkeiten von Bund und Ländern und die
klare Zuordnung von Entscheidungsbefugnissen dienen
der Transparenz von Prozessen der politischen Willens-
bildung, der Erkennbarkeit von Verantwortlichkeit und
der gesetzgeberischen Effizienz.
Nicht alle vorliegenden Vorschläge sind sinnvoll. Als
Innenpolitiker halte ich drei Punkte für besonders be-
denklich:
Die Übertragung des Rechtes der Beamtenbesoldung
an die Länder lässt befürchten, dass es finanzschwäche-
ren Bundesländern künftig schwerer fallen wird, beson-
ders gut qualifiziertes Personal zu gewinnen bzw. zu hal-
ten.
Die Zuständigkeit für das Versammlungsrecht an die
Länder zu übertragen, ist ein Fehler. Das Versammlungs-
recht ist ein im Grundgesetz verankertes Grundrecht,
dessen Ausgestaltung weiterhin durch eine bundesein-
heitliche Gesetzgebung geregelt werden sollte.
Die Regelungsgewalt über den Strafvollzug den
Landtagen zu überlassen, ist nicht sinnvoll. Auch Häft-
linge sind Grundrechtsträger. Gerade in diesem sensib-
len Bereich liegt eine bundeseinheitliche Rechtssetzung
nahe.
Gleichwohl verkenne ich nicht die Verbesserungen,
welche der Gesetzentwurf – zumal in der im Rechtsaus-
schuss veränderten Fassung – mit sich bringt. Hierzu ge-
h
d
S
K
d
F
v
a
w
n
g
Ä
w
d
w
d
e
m
n
A
t
s
d
z
d
V
–
f
M
a
D
k
p
i
s
ü
B
n
J
„
w
W
g
V
d
R
h
g
d
c
(C
(D
ören nicht zuletzt die erweiterten Befugnisse des Bun-
eskriminalamtes bei der Terrorismusabwehr und die
icherstellung, dass im Hochschulbereich Bund-Länder-
ooperationen möglich sind.
Ich bedauere, dass das Vorhaben einer Überarbeitung
es föderalen Systems oftmals von machtpolitischen
ragen überlagert und zuwenig am Maßstab einer sinn-
ollen Aufteilung und Regelung von Zuständigkeiten
usgerichtet worden ist. Nach meiner Einschätzung
ürde ein Scheitern der Reform aber nicht zu einem
euen Reformansatz, sondern zu Stillstand führen.
Deshalb stimme ich dem Gesetzentwurf nach Abwä-
ung des Für und Wider zu.
Hans Eichel (SPD): Dem vorgelegten Gesetz zur
nderung des Grundgesetzes stimme ich zu, weil in Ab-
ägung der aus meiner Sicht positiven Regelungen mit
en aus meiner Sicht negativen Regelungen und in Er-
ägung der politischen Folgen eines Scheiterns für mich
ie Zustimmungsgründe überwiegen.
Ich will aber ausdrücklich – und im Blick auf künftig
twa beabsichtigte Verfassungsänderungen – auf zwei
ir verfassungspolitisch höchst problematisch erschei-
ende Regelungen hinweisen:
Erstens das Zustimmungserfordernis aller Länder in
rt. 91 b Abs. l Ziff. 2. Das Grundgesetz kannte aus gu-
em Grund bisher nirgendwo das Erfordernis der Ein-
timmigkeit, sondern als höchstes Erfordernis die Zwei-
rittelmehrheit der gesetzlichen Mitglieder der Organe,
um Beispiel zur Verfassungsänderung. Außerdem wird
ie Einstimmigkeit nicht an die Einstimmigkeit in einem
erfassungsorgan gebunden, sondern offensichtlich die
informelle – Geschäftsordnungsregel eines in der Ver-
assung gar nicht vorgesehenen Gremiums – wohl der
inisterpräsidentenkonferenz – mit Verfassungsrang
usgestattet. Für mich ist das ein unglaublicher Vorgang.
iese Regelung darf nirgendwo im Grundgesetz in Zu-
unft noch auftauchen, sie sollte, sobald die Hitze der
olitischen Debatte, die zu ihr geführt hat, abgeklungen
st, bei nächster Gelegenheit wieder aus dem Grundge-
etz herausgenommen werden – mit welcher Mehrheit
brigens?
Zweitens. Das Abweichungsrecht der Länder von
undesgesetzen nach Art. 72 Abs. 3 ist meiner Ansicht
ach ebenfalls politisch inakzeptabel. Dass beinahe 60
ahre nach Einführung des Grundgesetzes Artikel 31
Bundesrecht bricht Landesrecht“ hier durchlöchert
ird, darf bei künftigen Verfassungsänderungen nicht zu
eiterungen führen. Auch hier ist bei passender Gele-
enheit die Wiederherstellung der klaren ursprünglichen
erfassungsregelung erforderlich.
Petra Ernstberger (SPD): Die Zustimmung zur Fö-
eralismusreform ist mir nicht leicht gefallen. Denn eine
eihe von Bedenken, die ich immer wieder geäußert
abe, sind nicht ausgeräumt worden. Im Wesentlichen
eht es um folgende Punkte: Der Zustimmungsvorbehalt
es Bundesrates bei der Bundesgesetzgebung hätte deutli-
her reduziert werden müssen. Die Verfassungskorrekturen
4342 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006
(A) )
(B) )
im Umfeld von Art. 83, 84 GG wiesen den richtigen
Weg, der leider nicht bis zum Ende beschritten werden
konnte. Ferner hätte ich ein einheitliches Strafvollzugs-
recht (Art. 74 Abs. l Nr. l GG) begrüßt. Es besteht die
Gefahr, dass sich die Strafvollzugsregeln nach der Kas-
senlage des jeweiligen Bundeslandes richten. Es ist nicht
ausgeschlossen, dass Gefängnisse zu bloßen Verwahran-
stalten werden – mit nicht absehbaren sozialen Folgen.
Ebenso sehr halte ich es für bedenklich, dass das Heim-
recht der Gesetzgebungskompetenz des Bundes entzo-
gen wurde. Es ist jetzt deutlich schwerer, eine Mindest-
qualität der stationären Pflege zu sichern und einen
Wettlauf nach unten zu verhindern. Ich hätte mir ge-
wünscht, behinderten und alten Menschen wäre ein
sechzehnfaches Dickicht von Regelungen für die Zu-
sammenarbeit von Behörden, Einrichtungsträgern und
anderen Beteiligten erspart geblieben. Darüber hinaus
hoffe ich sehr, dass auch die Abstimmungsverfahren
zwischen Bund und Ländern für die Bereiche Rundfunk,
Bildung und Kultur auf europäischer Ebene noch effekti-
ver gestaltet werden.
Trotzdem habe ich der Föderalismusreform zuge-
stimmt. Denn trotz der Risiken, die diese Reform mit
sich bringt, führt an ihr kein Weg vorbei. Langwierige
Entscheidungswege, übermäßige Verflechtungen und
gegenseitige Blockaden von Bund und Ländern haben
die Steuerungsfähigkeit unseres Staates in nicht akzep-
tabler Weise beeinträchtigt. Das können wir uns nicht
mehr leisten. Das Gesetz, dem ich zugestimmt habe, ist
nicht perfekt. Doch es beinhaltet den äußersten Kompro-
miss, den wir als Bundestagsabgeordnete der SPD den
Ländern abtrotzen konnten, ohne die Reform scheitern
zu lassen. Und ein Scheitern galt es – selbst um einen
hohen Preis – zu verhindern.
Zudem haben die Menschen in Deutschland ein Recht
darauf, nachvollziehen zu können, wer für welche Auf-
gaben zuständig und damit politisch verantwortlich ist.
Es wäre ein großer Schaden für unser Land und ein De-
saster für alle Entscheidungsträger, wenn die Reform
nach mehrjährigem harten Ringen scheitern würde.
Letztendlich habe ich für diese Reform gestimmt,
weil trotz meiner Kritik die wesentlichen Reformziele
erfüllt wurden. Hier sind zu nennen: Stärkung der
Gesetzgebung durch deutlichere Zuordnung der Gesetz-
gebungskompetenzen und Abschaffung der Rahmen-
kompetenzen. Abbau gegenseitiger Blockaden durch
Neubestimmung der Zustimmungsbedürftigkeit von Bun-
desgesetzen im Bundesrat. Klarere Finanzverantwortung
zwischen Bund und Ländern durch Abbau von Mischfi-
nanzierungen und Neufassung der Möglichkeiten der Fi-
nanzhilfen des Bundes, wobei die Zusagen aus dem Soli-
darpakt II für die neuen Bundesländer bekräftigt werden
sollten.
Diese Ziele haben wir erreicht. Statt 55 bis 60 Prozent
der Bundesgesetze sinkt die Zustimmungsquote nun vo-
raussichtlich auf unter 30 Prozent. Das ist ein großer
Fortschritt. Der Bund kann nunmehr viele Bereiche, die
in seiner Gesetzgebungskompetenz stehen, ohne Einmi-
schung des Bundesrates regeln. In wichtigen Bereichen
behält der Bund seinen Einfluss, etwa im öffentlichen
D
A
A
(
e
d
d
c
B
d
g
n
l
B
B
r
D
e
d
G
B
s
i
d
d
I
d
r
t
i
d
s
v
m
b
M
G
s
s
l
G
B
K
d
z
A
v
s
R
i
h
p
c
B
H
b
(C
(D
ienstrecht, der allgemein durch die Regel, dass bei den
bweichungsrechten der Länder (Art. 72 Abs. 3, Art. 84
bs. l GG) die späteren Gesetze den früheren vorgehen
„Ex-posterior-Regel“). Der Bund kann zudem bis 2009
in vollständiges Umweltgesetzbuch entwickeln, von
em die Länder in den Kernpunkten nicht abweichen
ürfen. Der Bund gewinnt zudem sechs wichtige Berei-
he hinzu, etwa die ausschließliche Kompetenz für das
KA im Kampf gegen den internationalen Terrorismus,
as Waffenrecht oder durch verbindliche Länderbeteili-
ung bei Verletzungen von EU-Recht sowie bei Sanktio-
en aufgrund von Verletzungen des Europäischen Stabi-
itätspaktes. Darüber hinaus haben wir erreicht, dass der
und Europarecht schneller umsetzen kann und damit in
rüssel besser aufgestellt ist.
Auf der anderen Seite nimmt sich der Bund dort zu-
ück, wo die Angelegenheiten der Länder berührt sind.
ies sind insgesamt 16 Materien, unter anderem:
Das Verfahrensrecht und die Behördeneinrichtung,
ine ausgesprochene Domäne der Länder. Abschaffung
er Kategorie der Rahmengesetzgebung (bisher Art. 75
G), weil dreistufige Verfahren (Europäisches Recht,
undesrahmenrecht, Landesausfüllungsrecht) zu um-
tändlich sind und weil diese Gesetzgebungskompetenz
n der Verfassungspraxis ohnehin ins Leere läuft. Teile
es Öffentlichen Dienstrechts, insbesondere die Besol-
ung und Versorgung der Landesbeamten und Richter.
m Bereich des Hochschulwesens, in dem den Ländern
ie Freiheit gegeben wird, den Universitäten und ande-
en Hochschulen die Chance auf mehr Eigenverantwor-
ung und Unabhängigkeit zu geben. Im Umweltrecht,
nsbesondere im Bereich des Naturschutzes. Wichtig ist,
ass die Länder nur außerhalb der Grundsätze des Natur-
chutzes abweichen dürfen. Mag diese Regelung auch
ielen Bauchschmerzen bereiten, sie ist dem Kompro-
iss zwischen Bund und Ländern geschuldet. Zudem
efürchte ich nicht, dass die Landesparlamente die neue
acht nutzen, um den Naturschutz zurückzufahren.
anz im Gegenteil: Das Bewusstsein dafür, wie wertvoll
aubere Flüsse, abgasarme Luft und gesunde Wälder
ind bildet sich vor allem in den Gemeinden und Stadtei-
en vor Ort. Und da sind die Länder allemal näher dran.
emeinschaftsaufgaben aufzugeben ermöglicht dem
und ein Stück Bürokratieabbau. Zwar leistet der Bund
ompensationszahlungen in Höhe von gut 2,5 Milliar-
en Euro jährlich bis 2013. Doch sind diese Aufgaben
weckgebunden. Und die Länder übernehmen dafür
ufgaben in den Bereichen Hochschulbau, Gemeinde-
erkehrsfinanzierung und sozialer Wohnungsbau.
Alles in allem handelt es sich um die größte Verfas-
ungsreform seit Bestehen des Grundgesetzes. Solch ein
eformprojekt darf man nicht scheitern lassen, so sehr
ch auch einige Regelungen für verbesserungswürdig
alte.
Schließlich muss ich anerkennen, dass nach den Ex-
ertenanhörungen im Mai und Juni 2006 ein wesentli-
her Punkt verbessert wurde. Der Kompromiss, dass der
und Vorhaben der Wissenschaft und Forschung an
ochschulen und Forschungsbauten an Hochschulen ne-
en wissenschaftlicher Forschung außerhalb der Hoch-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4343
(A) )
(B) )
schulen Finanzhilfen geben darf (Art. 91 b GG), stellt
sicher, dass er auch Gelder für den Ausbau der Hoch-
schulen überweisen kann. Das ist mir sehr wichtig. Die-
ser Kompromiss, insbesondere die Erweiterung von
„wissenschaftlicher Forschung“ auf „Wissenschaft und
Forschung“ (Art. 91 b Abs. l Nr. 2 GG) hat wesentlich
dazu beigetragen, dass ich dieser Reform trotz meiner
Bedenken zugestimmt habe.
Ich erwarte, dass wir diesen Reformprozess unseres
Grundgesetzes nicht nur begleiten, sondern nach einem
angemessenen Zeitabstand die Wirkung der Änderungen
bewerten. Denn das Wohl unseres Landes und seiner
Menschen in einem modernen, föderalen und sozialen
Rechtsstaat muss unser fester Wille und das oberste Ziel
unseres Handelns sein.
Rainer Fornahl (SPD): Nach sorgsamer Abwägung
aller Aspekte und Umstände habe ich mich entschlossen,
der vorliegenden Drucksache 16/813 zuzustimmen.
Diese Entscheidung ist mir außerordentlich schwer ge-
fallen. Letztendlich muss ich aber anerkennen, dass eine
sehr große Mehrheit der Kolleginnen und Kollegen aus
den Koalitionsfraktionen dem Paket der Änderungen des
Grundgesetzes folgen wird. Dieser nach einem sehr in-
tensiven Diskussionsprozess entstandenen demokrati-
schen Mehrheit werde ich mich trotz erheblicher Beden-
ken in der Sache anschließen.
Diese Bedenken stellen sich aus meiner Sicht folgen-
dermaßen dar:
Ziel der Reformbemühungen aus der Sicht der Bun-
desregierung, des Bundestages und des Bundesrates war
zu Beginn der Verhandlungen im Jahr 2003 in der Kom-
mission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ord-
nung die Beseitigung oder Verminderung von langwieri-
gen Entscheidungswegen, übermäßigen Verflechtungen
und gegenseitigen Blockaden zwischen Bund und Län-
dern. Es ging um mehr Klarheit bei der Aufgaben- und
Zuständigkeitsverteilung, straffere und schnellere Ent-
scheidungsprozesse und einen europatauglicheren Bun-
desstaat.
Ausgangspunkt war damals vordergründig die Hand-
lungsblockade zwischen den Verfassungsorganen Bun-
destag und Bundesrat und eben nicht in erster Linie die
Neuordnung von Zuständigkeiten und die Entflechtung
der Gesetzgebung im Sinne der Lösung von Problemen
im Sinne einer effizienten, ergebnisorientierten Aufga-
benerfüllung für die Bürger der Bundesrepublik
Deutschland. Die vorliegenden Gesetzentwürfe („Ent-
wurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes“
[Bundestagsdrucksache 16/813]; „Entwurf eines Födera-
lismusreform-Begleitgesetzes“ [16/814]) werden dem
aus meiner Sicht insgesamt nicht gerecht, wenn ich auch
durchaus einräumen will, dass die intensiven Bemühun-
gen insbesondere der SPD-Bundestagsfraktion zu Ver-
besserungen in einigen Bereichen gegenüber dem ur-
sprünglichen Ansatz geführt haben.
Der vorliegende Ansatz dieser Föderalismusreform
führt zu einer weiteren Komplizierung unserer Rechts-
ordnung. Wo Rechtsgebiete bisher einheitlich geregelt
w
o
d
d
d
f
c
e
v
k
d
d
e
i
k
g
b
t
g
B
o
E
S
c
s
W
d
d
r
D
w
b
s
w
K
d
d
v
g
g
I
N
d
o
L
s
F
d
s
A
k
m
v
h
b
(C
(D
aren, etwa im Bodenrecht, öffentlichen Dienstrecht
der im Strafvollzug, treten künftig bis zu 16 verschie-
ene Regelungen. Wo es bei der Gesetzgebungsbefugnis
es Bundes bleibt, tritt anstelle bisher zustimmungsbe-
ürftiger Bundesgesetze als Kompensation für den Weg-
all der Zustimmungspflicht des Bundesrats ein Abwei-
hungsgesetzgebungsrecht der Länder: Diese können
twa im Umweltrecht oder allgemein beim Verwaltungs-
erfahren von Bundesgesetzen abweichen. Der Bund
ann später aber die Regelung wieder an sich ziehen und
ie Länder können erneut abweichen, theoretisch kann
iese Pingpong-Gesetzgebung unendlich fortgehen.
Voraussetzung für Erfolg im globalen Wettbewerb ist
in starker Bundesstaat mit klarer Regelungskompetenz
n den zentralen Fragen der Nachhaltigkeit und der Zu-
unftssicherung, wie in Umwelt- und Klimaschutz, im
esamten Bildungsbereich, angefangen im Vorschulalter
is zur Hochschul- und Forschungspolitik (Lissabonstra-
egie). Gerade hier sind unübersehbare Rückschritte ge-
enüber dem Status quo zu verzeichnen. Um nur ein
eispiel zu nennen: das nunmehr uneingeschränkte Ko-
perationsverbot im Bereich der schulischen Bildung.
in schlimmer Anachronismus.
Die Globalisierung und der harte internationale
tandortwettbewerb haben zu weltweiter wirtschaftli-
her Konkurrenz geführt. Als Antwort muss Europa zu-
ammenarbeiten, um hier noch eine Stimme zu haben.
eltweite Abstimmung etwa beim Umweltschutz oder
ie Harmonisierung in Europa etwa im Steuerrecht sind
as Gebot der Zeit. Entgegen diesem weltweiten und eu-
opäischen Trend geht die Föderalismusreform in
eutschland den umgekehrten Weg und zersplittert teil-
eise wieder einen einheitlichen Rechtsraum, wie etwa
eim öffentlichen Dienstrecht, oder verstärkt ohnehin
chon vorhandene Barrieren und Mobilitätshindernisse,
ie etwa im Bildungsbereich. Es ist deshalb ein „fauler“
ompromiss, wenn auch künftig Landesvertreter (Bun-
esratsrepräsentanten) die Bundesrepublik auf verschie-
enen Politikfeldern in Europa vertreten.
Durch die Stärkung der Länderebene auf der Basis
on außerordentlich unterschiedlichen Ausgangsbedin-
ungen und Startchancen ist das Ziel der Herstellung
leichwertiger Lebensverhältnisse so nicht erreichbar.
nsbesondere für Ostdeutschland sind unübersehbare
achteile zu erwarten.
In diesem Zusammenhang ist es aus meiner Sicht be-
auerlich, ja fatal, dass die dringend erforderliche Neu-
rdnung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und
ändern erst in einem zweiten Schritt, der Finanzverfas-
ungsreform, geregelt werden soll. Eine Verbindung von
öderalismusreform und Finanzverfassungsreform hätte
ie Solidarität der Bundesländer gestärkt und bei verbes-
erter Finanzausstattung der Kommunen die Gefahr des
useinanderklaffens der Lebensverhältnisse verhindern
önnen.
Bei den komplizierten Mechanismen der Abweichungs-
öglichkeiten der Bundesländer bei der Gesetzgebung,
on unbestimmten Ausnahmen in Kernbereichen abgese-
en, sind Auseinandersetzungen und Abgrenzungspro-
leme programmiert und das Bundesverfassungsgericht
4344 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006
(A) )
(B) )
wird mehr noch als in der Vergangenheit letztendliche
Regelungen vorgeben müssen.
Josef Göppel (CDU/CSU): Die heute vorgesehene
Änderung des Grundgesetzes schwächt nach meiner
Meinung den Naturschutz in Deutschland, anstatt ihn zu
stärken, und sie schafft weniger Investitionssicherheit
anstatt mehr.
Ich will das kurz begründen:
Erstens. Alle vorhabenbezogenen Regelungen unter-
liegen dem Abweichungsrecht, ohne dass dieses an
irgendwelche Voraussetzungen gebunden würde. Die
Föderalismusreform wird deshalb ihr zentrales Ziel im
Umweltbereich, bundeseinheitliche Genehmigungsstan-
dards für Bauvorhaben aller Art zu sichern, nicht errei-
chen.
Zweitens. Zum abweichungsfesten Kern des Natur-
schutzrechtes gehören aufgrund einer nachträglich ein-
gebrachten Änderung nur noch die allgemeinen Grund-
sätze des Naturschutzes. Damit kann eine Festlegung im
Umweltgesetzbuch, wonach Eingriffe in die Natur aus-
geglichen werden müssen, durch Abweichung jederzeit
unwirksam werden. Das hebelt den Kern der Natur-
schutzpolitik aus. Der sorgsame Umgang mit den natür-
lichen Gütern unseres Landes droht im Standortwettbe-
werb einen schweren Rückschlag zu erleiden.
Ich will die Föderalismusreform jedoch im Ganzen
nicht gefährden und stimme deshalb trotz schwerer Be-
denken zu.
Ich setze darauf, dass meine Fraktion bei der Aus-
arbeitung des Umweltgesetzbuches klare Vorgaben für
die Erhaltung der Eingriffsregelung unterstützt.
Angelika Graf (Rosenheim) (SPD): Klarheit bei der
politischen Verantwortung, transparente Verfahren und
mehr Demokratie durch Stärkung der Parlamente: Das
sind Ziele, die auch von mir geteilt werden. Deshalb war
es auch unbedingt notwendig, nach den Verfassungsän-
derungen von 1994 und der damaligen Einführung des
Verfassungskriteriums der Erforderlichkeit den Versuch
zu unternehmen, sich durch politisch souveräne Ent-
scheidungen der beiden Kammern von der Anhängigkeit
von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu
befreien und insgesamt zu einer klareren Zuordnung der
politischen Verantwortlichkeiten in den Landesparla-
menten und im Bundestag zu kommen.
Mit meiner Zustimmung zu der vorliegenden Verfas-
sungsreform will ich grundsätzlich anerkennen, dass es
hier zu substanziellen Verbesserungen und Klärungen
gegenüber der jetzigen Verfassungslage gekommen ist.
Ich stelle fest, dass insbesondere in den letzten Verhand-
lungsrunden noch wichtige Verbesserungen in den Orga-
nisations- und Verfahrensfragen erreicht worden sind,
wie auch in der Verteilung der Zuständigkeiten von
Bund und Ländern, hier vor allen Dingen im Bildungs-
bereich.
Auf der anderen Seite muss und will ich nachdrück-
lich deutlich machen, dass es weiterhin klare Kritik-
p
K
Z
T
b
n
l
a
„
i
t
A
e
z
S
L
S
e
a
m
d
b
d
–
i
w
n
H
d
i
b
S
–
w
w
l
s
f
F
d
D
l
l
d
s
g
e
k
h
L
(C
(D
unkte gibt: Erstens. Die vorgesehenen Regelungen zu
ostenfolgen von Bundesgesetzen können zu weiteren
ustimmigkeitspflichten von Bundesgesetzen führen.
Zweitens. Das Erforderlichkeitskriterium bleibt zum
eil erhalten, was die bekannte Rechtsunsicherheit nicht
eseitigt.
Drittens. Das Abweichungsrecht birgt die Gefahr ei-
er großen Unübersichtlichkeit im Rechtssystem.
Viertens. Auch wenn die Innovationskraft in Deutsch-
and über die Begründung einer neuen Gemeinschafts-
ufgabe – sprich einer gemeinsamen Verantwortung –
Hochschulförderung“ klar gestärkt worden ist, wird sie
n anderen Bereichen der Bildungspolitik leider eindeu-
ig geschwächt.
Fünftens. Nicht zuletzt die umfangreiche gemeinsame
nhörung von Bundestag und Bundesrat hat mit einem
indeutigen Votum der Expertinnen und Experten ge-
eigt, dass die Zuständigkeit für das Heimrecht und das
trafvollzugsrecht aus Gründen der Einheitlichkeit der
ebensverhältnisse und der Sicherung gemeinsamer
tandards beim Bund verbleiben sollte. Ich sehe hierin
ine bedauerliche Missachtung klarer Forderungen auch
us der Fachöffentlichkeit und der Erkenntnis der ge-
einsamen Anhörung von Bundestag und Bundesrat,
ie nicht mehr sachlich, sondern nur machtpolitisch zu
egründen ist.
Sechstens. Besonders betroffen fühle ich mich durch
ie Verlagerung des Heimrechts. Das Heimrecht gehört
wie alle anderen Bereiche der öffentlichen Fürsorge –
n Bundeszuständigkeit. Es ist nicht nachvollziehbar,
arum die Herstellung gleichwertiger Lebensverhält-
isse nicht für die Bewohnerinnen und Bewohner von
eimen Gültigkeit haben soll. Konkret befürchte ich
urch die Kompetenzverlagerung Verschlechterungen
m Hinblick auf die Qualität von Pflege und Einschnitte
ei den Verbraucherschutzrechten. Die abzusehenden
chnittstellenprobleme zwischen der Pflegeversicherung
SGB Xl – und dem dann föderalisierten Heimrecht
erden meiner Meinung nach gravierend sein.
Siebtens. Im Umweltrecht sehe ich die Gefahr, dass
ichtige über Ländergrenzen hinausgreifende Problem-
agen nicht angemessen gelöst werden können.
Achtens. Ich nehme die Sorgen ernst, dass ein grund-
ätzlich unterschiedlich strukturierter und besoldeter öf-
entlicher Dienst angesichts der sehr unterschiedlichen
inanzkraft der Länder zu einer massiven Verzerrung in
er Ausstattung wie der Leistungskraft des öffentlichen
ienstes in Deutschland führen kann und auch die Mobi-
ität behindert.
Grundsätzlich stelle ich fest: Der solidarische Födera-
ismus war bisher ein Fundament der Erfolgsgeschichte
er Bundesrepublik. Dieses Fundament darf nicht zer-
tört werden durch einen Wettbewerbsföderalismus, der
esamtstaatliche und gesamtgesellschaftliche Solidarität
rschwert oder gar verhindert. Ich mache mit meiner Er-
lärung auch deutlich, dass ich bei den weiteren Ver-
andlungen über die zukünftige Gestaltung der Bund-
änder-Finanzbeziehungen für unverzichtbar halte, dass
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4345
(A) )
(B) )
die Sicherung der Gleichwertigkeit der Lebensverhält-
nisse zentrales politisches Ziel und Verfassungsauftrag
auch für die Zukunft bleiben muss. Hieran haben sich
auch alle Überlegungen zu den zukünftigen Finanzbezie-
hungen von Bund und Ländern und der Länder unterei-
nander zu orientieren.
Kristina Köhler (Wiesbaden) (CDU/CSU): Ich
werde dem Gesetzentwurf zustimmen. Die durch das
Gesamtgesetz erreichte Entflechtung der Zuständigkei-
ten, neu geschaffene Handlungs- und Entscheidungs-
möglichkeiten zwischen dem Bund und den Bundeslän-
dern sowie die Erhöhung der Transparenz der
politischen Verantwortlichkeiten sind richtig und wich-
tig.
Allerdings habe ich in einem Punkt Bedenken. Aus
meiner Sicht besteht unter keinem Gesichtspunkt die
Notwendigkeit einer Ergänzung des Art. 33 Abs. 5 GG
um die Wörter „und fortzuentwickeln“ (Art. 1 Ziff. 3 des
Gesetzentwurfes). Dies wurde ausweislich der Proto-
kolle einvernehmlich schon in den fachlichen Beratun-
gen der Föderalismuskommission der vergangenen Le-
gislaturperiode festgestellt. Alle Experten, die in der
gemeinsamen Anhörung des Deutschen Bundestages
und des Bundesrates eine Stellungnahme abgegeben ha-
ben, kamen ebenfalls zu dem Ergebnis, dass kein Ände-
rungsbedarf besteht. Sie verwiesen dabei auf die lang-
jährige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
zu Art. 33 Abs. 5 GG. Auch ein Blick in die Geschichte
der Änderungen des Beamtenrechts unter der Geltung
des Art. 33 Abs. 5 zeigt, dass eine Modernisierung und
Fortentwicklung des Beamtenrechts unter der derzeiti-
gen Fassung des Grundgesetzes nicht nur theoretisch
möglich war, sondern tatsächlich auch stattgefunden hat.
Es besteht daher weder politisch noch rechtlich eine Ver-
anlassung, die im Gesetzentwurf enthaltene Änderung
vorzunehmen. Und da keine Veranlassung besteht, halte
ich die Änderung für falsch.
In den Beratungen des Gesetzentwurfs wurde festge-
stellt, dass die Änderung lediglich deklaratorischer Na-
tur sein soll und die derzeit bestehende Verfassungs-
rechtsprechung in den Verfassungstext aufnehmen soll.
Ich stelle fest, dass die lediglich deklaratorische Ände-
rung mit entscheidend dafür ist, dass ich das oben ange-
sprochene Votum abgebe. Ich halte die Änderung des
Art. 33 Abs. 5 GG aber nach wie vor für ein falsches
politisches Signal und für fachlich nicht geboten.
Manfred Kolbe (CDU/CSU): Den Gesetzentwurf der
CDU/CSU und SPD zur Änderung des Grundgesetzes
(Bundestagsdrucksache 16/813) sowie der Gesetzent-
wurf der CDU/CSU und SPD eines Föderalismusreform-
Begleitgesetzes (Bundestagsdrucksache 16/814) lehne
ich nach Abwägung der Vor- und Nachteile ab, da die
Gesetzgebungskompetenzen komplizierter werden, die
Gesetzgebung langwieriger wird und es ein Mehr an Ge-
setzen und Bürokratie für immer mehr überforderte Bür-
gerinnen und Bürger geben wird.
Erstens. Diese Föderalismusreform ist ein „Torso“, da
wesentliche und grundlegende Elemente fehlen: Eine
e
D
g
b
P
z
w
b
d
d
d
m
Z
l
r
L
E
b
t
d
d
P
g
D
N
z
s
v
b
s
h
w
e
z
m
i
R
s
F
w
r
p
e
l
s
s
i
i
A
a
g
m
1
k
d
v
(C
(D
ventuelle Länderneugliederung ist kein Thema, und auf
auer nicht lebensfähige Länder bleiben erhalten. Der
esamte grundlegende Bereich der Finanzbeziehungen
leibt ausgeklammert, obwohl hier die schwierigsten
robleme unseres Bundesstaates liegen und Kompetenz-
uweisungen ohne finanzielle Untersetzung mehr oder
eniger wertlos sind. Die derzeitige Föderalismusde-
atte kreist um den Innenausbau der Räume, ohne zuvor
urch Bildung leistungsfähiger Länder und die Regelung
er Finanzbeziehungen das Fundament gelegt zu haben.
Zweitens. Diese Föderalismusreform wird entgegen
en Ankündigungen zu einer Ausweitung der Zustim-
ungspflicht des Bundesrats führen. Der Wegfall der
ustimmungspflicht bei einer bundesgesetzlichen Rege-
ung des Verwaltungsverfahrens oder der Behördenein-
ichtung bei Verwaltungen der Bundesgesetze durch die
änder gemäß Art. 84 Abs. 1 GG ist nur ein scheinbarer
rfolg, da die Länder gemäß Art. 84 Abs. 1 Satz 2 GG
eliebig davon abweichen können. Im Gegenzug erwei-
ert der neue Art. 104 a Abs. 4 GG die Zustimmungsbe-
ürftigkeit real und massiv. Künftig bedürfen alle Bun-
esgesetze der Zustimmung des Bundesrates, wenn sie
flichten der Länder zur Erbringung von Geldleistun-
en, geldwerten Sachleistungen oder vergleichbaren
ienstleistungen gegenüber Dritten begründen. Diese
eufassung des Art. 104 a Abs. 4 GG ist für eine Viel-
ahl von Kontakten von Verwaltungen und Bürgern ein-
chlägig und erweitert die Zustimmungsbedürftigkeit
on Bundesgesetzen unabsehbar.
Drittens. Das neue Institut der Abweichungsgesetzge-
ung gemäß Art. 72 Abs. 3 GG (Jagdwesen, Natur-
chutz, Bodenverteilung, Raumordnung, Wasserhaus-
alt, Hochschulzulassung und Hochschulabschlüsse)
iderspricht dem Ziel, Gesetzgebungszuständigkeiten
indeutiger zuzuordnen und dadurch mehr Transparenz
u schaffen. Macht ein Land von seiner Abweichungs-
öglichkeit ganz oder teilweise Gebrauch, sind künftig
mmer zwei gesetzliche Regelungen zur Beurteilung der
echtslage heranzuziehen; bei Vorhandensein europäi-
chen Richtlinienrechts sogar drei. Dies führt zu einer
ülle von Unklarheiten und Abgrenzungsproblemen. Das
echselseitige Abweichen ist an keinerlei inhaltliche Vo-
aussetzungen gebunden, sodass bei unterschiedlichen
olitischen Auffassungen ein Gesetzgebungswettlauf und
ine Pingpong-Gesetzgebung verfassungsrechtlich mög-
ich sind und politisch auch stattfinden werden.
Besonders bedenklich ist der Sechs-Monate-Auf-
chub in Art. 72 Abs. 3 Satz 2 GG, nach der Bundesge-
etze auf diesen Gebieten frühestens sechs Monate nach
hrer Verkündung in Kraft treten. Über die Verweisung
n Art. 84 Abs. 1 Satz 3 GG gilt dieser Sechs-Monate-
ufschub wohl für die Mehrheit der Bundesgesetze,
ber offenbar nicht für die abweichende Landesgesetz-
ebung. Dies beinhaltet eine deutliche Abnahme an de-
okratischer Handlungsfähigkeit des Bundes.
Viertens. Selbst wenn man unterstellt, dass alle
6 Länder die ihnen neu erwachsenden Gesetzgebungs-
ompetenzen in gleicher Qualität erfüllen können wie
er Bund, entsteht allein aufgrund des Vorhandenseins
on bis zu 17 verschiedenen Regelungen ein deutliches
4346 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006
(A) )
(B) )
Plus an Gesetzen, Bürokratie und Unübersichtlichkeit.
Und dies bei der Mehrzahl aller Gesetzgebungszustän-
digkeiten, nämlich dem Bereich der Abweichungsge-
setzgebungen gemäß Art. 72 Abs. 3 GG, sämtlichen
Bundesgesetzen gemäß Art. 84 Abs. 1 GG, die die Ein-
richtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren re-
geln, sowie bei den neu auf die Länder zu verlagernden
Gesetzgebungskompetenzen (Recht des öffentlichen
Dienstes, Versammlungsrecht, Strafvollzug, Presserecht,
Heimrecht, Messerecht, Grundstücksverkehr und viele
mehr). Verlierer wären die Bürger und die Wirtschaft,
die immer mehr den Überblick verlören; Gewinner die
juristischen Fachverlage, die eine Unmenge an neuen
Loseblattsammlungen auflegen könnten.
Künftig können beispielsweise die Länder das Abitur
oder auch den Studienabschluss eines anderen Landes
nicht mehr anerkennen, was die Mobilität in Deutsch-
land einschränkt und im Widerspruch zu den europäi-
schen Harmonisierungsbestrebungen steht. Im Umwelt-
recht gehen einheitliche Standards verloren, obwohl
Hochwasser oder Abgase bekanntlich nicht an Länder-
grenzen Halt machen. Im öffentlichen Dienstrecht wer-
den 16 Länder jetzt Dienstrechtsabteilungen aufbauen,
die ein nicht mehr zu überblickendes Wirrwarr von bis
zu 17 verschiedenen Beamten-, Laufbahn-, Besoldungs-
und Versorgungsrechten schaffen werden, die sowohl
eine länderübergreifende Zusammenarbeit als auch ei-
nen Dienstherrenwechsel fortan so gut wie unmöglich
machen werden.
Fünftens. Art. 23 Abs. 6 GG, der die Wahrnehmung
der Rechte der Bundesrepublik Deutschland in der Euro-
päischen Union vom Bund auf einen Ländervertreter
überträgt, wenn im Schwerpunkt Länderkompetenzen
auf dem Gebiet der schulischen Bildung, der Kultur oder
des Rundfunks betroffen sind, ist europauntauglich. Eine
einheitliche Außenvertretung der Bundesrepublik
Deutschland in Brüssel ist damit nicht mehr gewährleis-
tet und der eigene Einfluss schwindet, da die übliche Bil-
dung von Koalitionen, Kompensationsgeschäfte und die
dauernde Präsenz eines Vertreters nicht mehr gewähr-
leistet sind. Andere Bundesstaaten lösen dieses Problem
wesentlich effektiver: In Österreich liegt die Außenver-
tretung des Bundesstaates in Brüssel grundsätzlich beim
Bund und die Rechte der Länder werden innerstaatlich
über eine Bindungswirkung von Stellungnahmen der
Länder gewährleistet. Deutschlands ohnehin unterpro-
portionaler Einfluss in Brüssel wird weiter zurückgehen.
Jürgen Kucharczyk (SPD): Ich stimme dem oben
genannten Gesetzentwurf trotz Bedenken zu. Meine Be-
denken wurden durch die Sachverständigenanhörung des
Deutschen Bundestages und des Bundesrates nicht aus-
geräumt, sondern bekräftigt.
Erstens. Der vorliegende Entwurf der Föderalismus-
reform räumt den Ländern großen Gestaltungsspielraum
im Hinblick auf die Bestimmung von Verwaltungsver-
fahren und Behördeneinrichtungen ein. Ich befürchte
hierdurch negative Auswirkungen auf die Kinder- und
Jugendhilfe. Denn ein gemeinsamer Rahmen von Stan-
dards und Strukturen bleibt auch weiterhin eine wesent-
l
g
d
s
g
E
s
f
H
l
n
L
w
f
s
u
a
g
H
s
B
E
J
f
u
d
l
J
t
m
f
k
g
l
g
w
h
c
i
i
r
L
n
w
d
z
h
s
is
s
W
d
s
(C
(D
iche Voraussetzung für die Verbesserung der Lebensla-
en von Kindern und Jugendlichen. Dies sehe ich durch
ie Föderalismusreform gefährdet. Beispielhaft genannt
eien die mögliche Abschaffung der kommunalen Ju-
endämter sowie der Landesjugendämter, die unserer
inschätzung nach notwendig sind für eine qualifizierte,
chnelle, zielgenaue und effiziente Hilfegewährung.
Zweitens. Ich halte die Übertragung der Kompetenz
ür das Heimrecht auf die Länder nicht für richtig. Das
eimrecht gehört – wie alle anderen Bereiche der öffent-
ichen Fürsorge – in Bundeszuständigkeit. Es ist nicht
achvollziehbar, warum die Herstellung gleichwertiger
ebensverhältnisse nicht für die Bewohnerinnen und Be-
ohner von Heimen Gültigkeit haben soll. Konkret be-
ürchte ich durch die Kompetenzverlagerung Ver-
chlechterungen im Hinblick auf die Qualität von Pflege
nd Einschnitte bei den Verbraucherschutzrechten. Die
bzusehenden Schnittstellenprobleme zwischen der Pfle-
eversicherung – SGB XI – dem dann föderalisierten
eimrecht werden unserer Meinung nach gravierend
ein.
Drittens. Ich kritisiere die Kompetenzabgabe des
undes im Bereich des Jugendstrafvollzugs auf Länder.
benso wie das Heimrecht ist meiner Ansicht nach der
ugendstrafvollzug im Bundesrecht anzusiedeln. Ich be-
ürchte eine Dezimierung der finanziellen Ausstattung
nd dementsprechend eine geringere Qualität in der För-
erung der Jugendlichen in den Gefängnissen. Letztend-
ich sehe ich die Resozialisierung als oberes Ziel des
ugendstrafvollzugs in Gefahr, sollten jugendliche Straf-
äter keine besondere, auf sie zugeschnittene Förderung
ehr erhalten
Grundsätzlich halte ich eine Föderalismusreform aber
ür geboten und sinnvoll. Gesetzgebungskompetenzen
larer zu trennen, die Anzahl der zustimmungspflichti-
en Gesetze zu reduzieren und damit den Bund hand-
ungsfähiger zu machen, für die Bürgerinnen und Bürger
rößere Transparenz im Hinblick auf politische Verant-
ortlichkeiten zu schaffen, sind Ziele, die ich für richtig
alte und die meine Unterstützung finden. Die Errei-
hung dieser Ziele hat für mich so großes Gewicht, dass
ch dem Entwurf trotz unserer Bedenken zustimme.
Michael Link (Heilbronn) (FDP): Der Föderalismus
n der Bundesrepublik Deutschland ist das Resultat unse-
er Geschichte und Verfassung. Der Bund ist durch die
änder entstanden und durch das deutsche Volk in sei-
en Ländern ist die Einheit Deutschlands herbeigeführt
orden. Diese Einheit Deutschlands lebt durch den Fö-
eralismus, die Vielfalt der verschiedenen Ideen, Kon-
epte und politischen Entscheidungen. Mit gutem Grund
at der Parlamentarische Rat 1948/49 ein System ge-
chaffen, in dem ein „Trial-and-Error“-Prozess möglich
t.
Der Grundgedanke des Wettbewerbs zwischen politi-
chen Systemen und Ansätzen ist notwendiger denn je.
ettbewerbsföderalismus, also das stetige Ringen um
ie effizientesten Problemlösungsmechanismen ist we-
entlich für die politische Entwicklung in der Bundesre-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4347
(A) )
(B) )
publik Deutschland und für unsere Zukunft als polyzen-
tristische, non-zentrale Gesellschaft.
Den Föderalismus zu erhalten ist nicht nur ein aus
Art. 20 GG sich ergebendes Gebot, sondern verschafft
dem deutschen Staat auch einen zukunftsweisenden,
qualitativen Vorsprung. Mit diesem politischen System
sind wir in der Bundesrepublik Deutschland seit ihrer
Gründung sicher und gut gefahren. Im Rahmen der föde-
ralen Regelungen wurde die europäische Integration
Deutschlands erfolgreich gestaltet. Die Bundesrepublik
Deutschland hat sich dank unserer föderalen Ordnung
fortschrittlich, kreativ und stabil sowie mit einer reichen
pluralistisch-demokratischen Kultur entwickelt. Dieses
föderale System hat zusammen mit der Garantie der
kommunalen Selbstverwaltung maßgeblichen Anteil an
der tief verwurzelten, demokratischen Haltung der Bür-
gerinnen und Bürger und hat das Ansehen der Bundesre-
publik Deutschland als Bundesstaat innerhalb der Euro-
päischen Union und weit darüber hinaus gefördert.
Für Liberale ist das Vertrauen in jeden Einzelnen und
in die Entscheidungsfähigkeit der Bürger kennzeich-
nend. Dementsprechend ist der Grundsatz der Subsidia-
rität nicht nur ein technokratischer Begriff sondern ge-
lebte Graswurzeldemokratie. Wenn ein Problem vor Ort,
also in der eigenen Gemeinde oder im eigenen Bundes-
land gelöst werden kann, so muss der Gesetzgeber dies
rechtlich auch tatsächlich ermöglichen. Die Verteilung
der Verantwortung zwischen dem Individuum, der Kom-
mune, dem Land, dem Bund und der Europäischen
Union nach dem Grundsatz der Subsidiarität muss
grundgesetzlich garantiert und ausgestaltet sein. Die vor-
liegende Föderalismusreform ist ein Schritt in diese rich-
tige Richtung.
Ich stehe zu der Meinung, dass nur das, was unbe-
dingt von der Bundesebene entschieden und umgesetzt
werden muss, auch dort entschieden werden darf: Nur
das Nötigste zentral; dieser Satz gilt, unabhängig davon,
wer ihn ausspricht. Denn die Subsidiarität politischer
Entscheidungen und der Vollzug derselben ist ein urlibe-
raler Ansatz. Der Wettbewerbsföderalismus, der durch
die vorliegende Reform gestärkt wird, trägt diesem An-
satz am effizientesten Rechnung.
Gleichzeitig ist es erforderlich, das föderale System
stetig anzupassen, um es handlungsstark zu halten:
Langwierige Entscheidungswege im Gesetzgebungsver-
fahren, vielfach unklare Zuständigkeiten zwischen
Bund, Ländern und Selbstverwaltungskörperschaften
machen deutlich, dass eine Reform erforderlich ist. Es
gilt, nicht nur den Föderalismus sondern auch das De-
mokratieprinzip, den Rechtsstaat und die individuellen
Grundrechte in Deutschland zu stärken.
Durch eine klare Aufteilung der Zuständigkeiten zwi-
schen Bund und Ländern werden die Legislativorgane
der Länder und der Deutsche Bundestag gestärkt und
gleichzeitig Entscheidungen im völlig intransparent ar-
beitenden Vermittlungsausschuss zahlenmäßig stark re-
duziert. Eine klare Abgrenzung der Kompetenzen macht
deutlich, wer für welche Entscheidungen die Verantwor-
tung trägt. Dies stärkt die Demokratie in der Bundesre-
publik Deutschland.
k
S
k
d
d
d
C
b
u
B
l
u
m
Z
a
a
m
e
w
P
v
w
t
D
z
t
A
k
t
b
e
S
d
e
f
r
n
i
d
d
r
o
r
o
G
f
s
z
„
t
m
g
r
K
(C
(D
Der Weg zu einer klaren Abgrenzung von Zuständig-
eiten, den sowohl die Fraktionen der CDU/CSU, der
PD, aber auch die FDP immer wieder gefordert und
onstruktiv vorangetrieben haben, geht grundsätzlich in
ie richtige Richtung. Gerade die FDP in Bund und Län-
ern war und ist auf diesem Felde seit Jahrzehnten Vor-
enkerin und Antreiberin.
Heute wird seitens der Regierungsfraktionen CDU/
SU und SPD ein Gesetzentwurf zur Entscheidung ge-
racht, der teilweise Klarstellungen von Zuständigkeiten
nd die Reduzierung von Mischkompetenzen beinhaltet.
etrachtet man die Klarstellung der Zuständigkeiten al-
ein, ist diese Reform ein Schritt in die richtige Richtung
nd wäre aufgrund der Tendenz möglicherweise zustim-
ungswürdig. Denn schon die bloße Reduzierung der
ustimmungsvorbehalte durch den Bundesrat ist für sich
llein bereits begrüßenswert. Insofern befürworte ich
usdrücklich das Bemühen der vorliegenden Föderalis-
usreform, den demokratischen Bundesstaat weiter zu
ntwickeln.
Allerdings ist eine Zustimmung zu dem Gesetzent-
urf insgesamt nicht möglich, da ein entscheidender
unkt nicht angegangen wurde: Allein die Klarstellung
on Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern hilft
enig, wenn eine klare Bereitschaft der Regierungsfrak-
ionen zur Reform der Finanzverfassung nicht existiert.
enn gerade die Reform der Finanzverfassung ist essen-
iell, um Wettbewerb zwischen den Ländern um die bes-
en Lösungen zu erreichen. Eine bloße, unverbindliche
nkündigung der Frau Bundeskanzlerin sowie eine un-
lare Absichtserklärung durch einige Ministerpräsiden-
en reicht nicht aus, um die politisch erforderliche Ver-
indung zwischen der klaren Aufgabenzuteilung auf der
inen und der Finanzmittel-“Verteilung“ auf der anderen
eite glaubhaft und sichtbar werden zu lassen. Aber bei-
es wäre vonnöten, denn es handelt sich um zwei Seiten
in- und derselben Medaille.
Nur durch eine konsequente Änderung der Finanzver-
assung im Grundgesetz lässt sich der Wettbewerbsföde-
alismus auf Dauer sichern. Die Bewegung sollte dabei
icht nur vom Bund, sondern muss auch – unter anderem
m Hinblick auf eine mögliche Neugestaltung der Län-
ergrenzen – von den Ländern ausgehen.
Eine vielfach in der öffentlichen Diskussion und in
en der heutigen Abstimmung vorangegangenen Anhö-
ungen geäußerte Besorgnis einer möglichen Absenkung
der Anhebung von Standards oder der Rechtszersplitte-
ung durch unterschiedliche Gesetze in den Ländern
der damit zusammenhängende Entscheidungen der
erichte verkennt die Natur des Prinzips Wettbewerbs-
öderalismus. In Anbetracht der gewollten Auseinander-
etzung mit unterschiedlichen Politikansätzen und -kon-
epten, dem Wettbewerb der Ideen und einem gewollten
Trial-and-Error“-Prozess sind und bleiben Ungleichhei-
en und unterschiedliche Entwicklungen dem Föderalis-
us notwendigerweise immanent.
Im Gesetzgebungsprozess des Deutschen Bundesta-
es zur heutigen Abstimmung sind vor allem Ände-
ungsanträge gestellt worden, die eine Beibehaltung von
ompetenzen beim Bund oder die eine Übertragung von
4348 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006
(A) )
(B) )
Aufgaben an den Bund zum Inhalt hatten. Dies ist be-
merkenswert und beunruhigend; eine gesetzgeberische
Tendenz zur weiteren Zentralisierung von Aufgaben
setzt immer eine an dem Grundgedanken der Subsidiari-
tät orientierte Vorabprüfung voraus. Diese hat aber mei-
nes Erachtens nicht stattgefunden. Für mich gilt der auch
in dieser Föderalismusreform unangetastete Grundsatz
aus Art. 70 Abs. 1 GG, wonach grundsätzlich die Länder
die Befugnis zur Gesetzgebung haben.
Angesichts der – aus meiner Sicht bedauerlicherweise –
überwiegend ablehnenden Haltung der FDP-Fraktion zur
vorliegenden Föderalismusreform einerseits und ange-
sichts des Haltmachens dieser Reform auf halbem Wege
andererseits (fehlende Reform der Finanzverfassung),
habe ich mich entschlossen, mich in der heutigen
Schlussabstimmung zur Föderalismusreform – anders
als meine Fraktion – der Stimme zu enthalten.
Patrick Meinhardt (FDP): Der vorliegende schwa-
che Kompromissentwurf, der von der rot-schwarzen
Koalition immer noch Föderalismusreform bezeichnet
wird, ist mut- und perspektivlos. Deswegen stimme ich
gegen die vorgelegten Grundgesetzänderungen.
Wer will, dass ein Ruck durch Deutschland geht, der
braucht einen klaren ordnungspolitischen Kompass, der
braucht ein eindeutiges Bekenntnis zum Wettbewerbs-
föderalismus, der braucht mehr Freiheit vor Ort.
Dieses rot-schwarze Regelwerk ist deswegen nicht
zukunftsweisend, weil es wichtige Themen ausklam-
mert:
Erstens. Die Bundesregierung hat keine verbindliche
Haltung zu einer Reform der Finanzverfassung einge-
nommen. Wer aber den Staat irgendwie neu ordnen will
und die wichtige Frage der Finanzen außen vor lässt, der
lügt sich in die Tasche. Solange jedoch die Finanzbezie-
hungen zwischen dem Bund und den Ländern und zwi-
schen den Ländern ausgeklammert bleiben und auch
nicht erkennbar wird, dass die Koalition wirklich vorhat,
diese heißen Eisen anzupacken, ist eine Föderalismusre-
form das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben
steht.
Zweitens. Die Städte und Gemeinden werden weiter-
hin im Stich gelassen. Wann, wenn nicht jetzt, muss das
Konnexitätsprinzip ins Grundgesetz. „Wer bestellt, be-
zahlt!“ muss endlich zu einem Grundprinzip unserer
Politik in Deutschland werden. Der Koalition fehlt der
Mut zu klaren Entschlüssen. Einem Land geht es immer
nur so gut, wie es den Städten gut geht.
Drittens. Das Thema Länderneugliederungen ist voll-
kommen ausgegliedert. Die Zeit für 16 Landesregierun-
gen mit 16 Landesbürokratien ist zu Ende. Aber dies ist
im Rahmen dieser Föderalismusreform noch nicht ein-
mal ein Thema.
Viertens. Bei zentralen Fragen der deutschen Politik
brauchen wir endlich Bürgerbeteiligung in Form von
Volksabstimmungen. Warum hat diese Koalition nicht
den Mut, der Bevölkerung mehr Mitsprache zwischen
den Wahlen einzuräumen.
f
d
d
r
z
m
a
d
v
P
n
m
u
b
s
S
b
D
a
v
e
B
m
r
f
i
A
e
E
d
l
d
G
d
E
Ü
g
k
s
B
w
h
D
S
t
a
V
m
ä
r
s
(C
(D
Der Grundgedanke dieser föderalen Jahrhundertre-
orm sollte aber sein, klare Kompetenzen, klare Zustän-
igkeiten, klare Verantwortlichkeiten zu schaffen.
Gerade in der Bildungspolitik hat die große Koalition
er Mut zu einer nachhaltigen, richtung weisenden föde-
alistischen Orientierung verlassen. Durch die Bildungs-
entralisten der SPD ist der gesamte Ansatz für ein Ein-
ischungsverbot des Berliner Bildungsbürokratismus
ufgeweicht worden. Wer wirklich glaubt, dass Bildung
ann besser läuft, wenn sie schul- und hochschulfern
on Berlin aus ihre zentrale Prägung erhält, hat aus den
ISA-Studien nichts gelernt. Im Zentrum einer moder-
en Bildungspolitik darf nicht Berlin stehen, sondern
üssen die Schüler und Studenten stehen. Bildung wird
mso erfolgreicher sein, je weniger zentral, je weniger
ürokratisch und je näher an den Schülern und Eltern sie
ich orientiert. Um Schritt für Schritt die selbstständige
chule und die autonome Universität durchzusetzen,
raucht Deutschland eine dezentrale Bildungspolitik.
eswegen ist es fahrlässig, dass das Kooperationsverbot
uf dem Altar des Koalitionsgeschacheres geopfert wird.
So sehr zu begrüßen ist, dass wenigstens die Schule
om Bund befreit wird, verstetigt die jetzige Regelung
inzig und allein das Kompetenzwirrwarr zwischen
und und Ländern. Wer Deutschland reformieren will,
uss sich ohne Wenn und Aber zum Wettbewerbsföde-
alismus bekennen.
Dr. Matthias Miersch (SPD): Die Reform unseres
öderalen Systems ist angesichts der Herausforderungen
n Europa und in einer globalisierten Welt notwendig.
uch die Situation der öffentlichen Haushalte verlangt
inen effizienteren und leistungsfähigeren Staatsaufbau.
ine entsprechende Reform muss deshalb diesen Anfor-
erungen gerecht werden. Die Verfassung ist die Grund-
age unseres Zusammenlebens. Eine derartige Entschei-
ung hat grundsätzliche Bedeutung. Sie stellt eine
ewissensentscheidung dar, bei der alle Abgeordneten
as Wohl des ganzen Volkes berücksichtigen müssen.
iner Änderung der Verfassung, die nach meiner festen
berzeugung die Lebensverhältnisse in Deutschland ne-
ativ beeinflusst und den Herausforderungen der Zu-
unft nicht gerecht wird, kann ich nicht zustimmen.
Im Einzelnen:
Erstens. Die größte Verfassungsänderung seit 1949
ollte durch die umfangreichste Anhörung im Deutschen
undestag vorbereitet werden. Eine angemessene Aus-
ertung dieser Anhörung hat nicht stattgefunden. Sie
ätte die nachfolgenden Punkte berücksichtigen können.
as Engagement unseres Fraktionsvorsitzenden Peter
truck für eine entsprechende Anhörung und Auswer-
ung möchte ich in diesem Zusammenhang ausdrücklich
nerkennen und hervorheben. Hätte die Mehrheit der
erhandlungspartner ebenso gehandelt, wäre eine ange-
essene Beratung und Entscheidung möglich gewesen.
Zweitens. Deutschland wird durch diese Verfassungs-
nderung die großen Herausforderungen, die sich in Eu-
opa und in einer globalisierten Welt ergeben, nicht bes-
er wahrnehmen können. Die vorgesehene Fassung des
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4349
(A) )
(B) )
Art. 23 GG und die Einführung der Abweichungsgesetz-
gebung sind kontraproduktiv. Sie schwächen die europa-
und völkerrechtliche Handlungsfähigkeit Deutschlands
zum Beispiel im Bereich der Bildungs- und Umweltpoli-
tik. Zukünftig wird es jedoch gerade auf diese Politikfel-
der ankommen.
Drittens. Rechtsdogmatisch wird durch die Möglich-
keit der Abweichungsgesetzgebung ein Instrumentarium
geschaffen, das nicht zu mehr Transparenz in der Kom-
petenzverteilung, Effizienz und Rechtsklarheit führen
wird, sondern zu Rechtszersplitterung und Kompetenz-
wirrwarr. Im Urteil vom 24. Oktober 2002 – 2 BvF 1/01
(NJW 2003, S. 41 ff. (44)) führt das Bundesverfassungs-
gericht aus:
Eine „Doppelzuständigkeit“, auf deren Grundlage
Bund und Länder ein und denselben Gegenstand in
unterschiedlicher Weise regeln könnten, ist dem
System der verfassungsrechtlichen Kompetenznor-
men fremd und stünde mit ihrer Abgrenzungsfunk-
tion (Art. 70 II GG) nicht im Einklang.
Es ist nicht zu begründen, warum diese Grundsätze
aufgehoben werden. Wenn angeführt wird, dass die Län-
der von der Abweichungskompetenz häufig keinen Ge-
brauch machen werden, so fragt sich, warum man diese
Regelung dann schafft.
Viertens. Die Ausgestaltung des Art. 104 a GG und
das Zustimmungserfordernis des Bundesrates im Rah-
men der Art. 72 und 84 GG widersprechen dem Ziel der
Verfassungsänderung, die Quote der zustimmungspflich-
tigen Gesetzesvorhaben deutlich zu reduzieren, wenn-
gleich diese Fragestellung ohnehin nicht lediglich auf
die Quantität, sondern vielmehr an den jeweiligen Inhal-
ten der Gesetzesmaterien ausgerichtet sein muss.
Fünftens. Umwelt-, Bildungs- und Sozialpolitik sind
die Felder, auf denen zukünftig zentrale Herausforderun-
gen bestehen. Es gibt ein gesamtstaatliches Interesse, das
durch die vorgesehene Kompetenzverteilung und durch
die Fassung des Art. 104 b GG nicht erfüllt werden
kann. Dies gilt auch für weitere Bereiche, wie zum Bei-
spiel für den Strafvollzug.
Sechstens. Ein Wettbewerb um die besten Lösungen
in den einzelnen Bundesländern darf den Grundsatz der
Solidarität nicht vernachlässigen. Er setzt zudem ge-
sunde Ausgangsbedingungen voraus, die nicht gegeben
sind. Es ist zu befürchten, dass in zentralen Bereichen
ein Wettlauf „nach unten“ einsetzen wird und negative
Verhältnisse zementiert werden. Dabei geht es nicht pri-
mär um die Frage, welche Ebene Aufgaben besser erfül-
len kann. Die finanziellen Rahmenbedingungen setzen
Grenzen.
Siebtens. Gerade im Bereich der Umweltpolitik sind
angesichts der Standortwettbewerbe und ökonomischen
Zwänge Aufweichungstendenzen im Rahmen der Ab-
weichungsgesetzgebung zu befürchten.
Achtens. Die Reform des Föderalismus wird und
muss weiter ein zentrales Thema bleiben. Ich halte an
dem Weg fest, den ich mit Professor Hans Meyer und
mit dem Kollegen Steffen Reiche aufgezeigt habe. Eine
w
d
g
V
e
a
f
m
I
S
E
w
d
d
b
c
e
G
t
s
s
b
H
W
e
c
A
G
g
s
g
d
n
r
i
s
S
d
a
s
r
t
A
s
H
h
d
t
l
d
A
d
(C
(D
irkliche Reform lässt sich nicht erreichen, wenn Bun-
estag und Bundesrat um die Kompetenzverteilung rin-
en. Nur die die Schaffung einer verfassungsgebenden
ersammlung und der Weg über Art. 146 GG wird einen
ffektiven Staatsaufbau ermöglichen, der schließlich
uch europatauglich ist.
Detlef Müller (Chemnitz) (SPD): Den Gesetzentwür-
en zur Änderung des Grundgesetzes und des Föderalis-
usreform-Begleitgesetzes konnte ich nicht zustimmen.
m Folgenden führe ich meine Gründe dafür aus!
Ich bin in der DDR geboren und aufgewachsen. Das
ystem des Föderalismus in der Bundesrepublik – ein
rfolgsmodell – habe ich stets bewundert, nicht zuletzt
egen seines solidarischen Prinzips. Nun befürchte ich,
ass diese Solidarität unter den Ländern eingebüßt und
urch einen Wettbewerbsföderalismus ersetzt wird; wo-
ei es sich dabei um einen Wettbewerb auf Basis unglei-
her Ausgangsbedingungen handelt. Das verstößt gegen
inen mir persönlich besonders wichtigen Grundsatz, die
erechtigkeit.
Meine politische Sozialisation in der SED-Diktatur
rägt auch zu Bedenken bei, die nicht inhaltlicher Natur
ind. Mein Recht, als Abgeordneter eine freie Gewis-
ensentscheidung treffen zu können, genieße ich ganz
ewusst.
Die Reform unseres Staatsaufbaus ist angesichts der
erausforderungen in Europa und in einer globalisierten
elt sowie vor dem Hintergrund der Situation in den
inzelnen Bundesländern notwendig. Eine entspre-
hende Reform muss deshalb den damit verbundenen
nforderungen gerecht werden. Die Verfassung ist die
rundlage unseres Zusammenlebens. Jede Änderung hat
rundsätzliche Bedeutung. Sie stellt eine Gewissensent-
cheidung dar, bei der alle Abgeordneten das Wohl des
anzen Volkes berücksichtigen müssen. Einer Änderung,
ie nach meiner festen Überzeugung die Lebensverhält-
isse in Deutschland negativ beeinflusst und den He-
ausforderungen der Zukunft nicht gerecht wird, kann
ch nicht zustimmen. Vor allem in folgenden Bereichen
ehe ich enorme Schwierigkeiten: Umwelt, Heimrecht,
trafvollzug sowie Beamtenrechtbesoldung.
Die größte Verfassungsänderung seit 1949 sollte
urch die größte Anhörung vorbereitet werden. Eine
ngemessene Auswertung dieser Anhörung hat nicht
tattgefunden. Sie hätte die nachfolgenden Punkte be-
ücksichtigen können. Das Engagement unseres Frak-
ionsvorsitzenden Peter Struck für eine entsprechende
nhörung und Auswertung möchte ich in diesem Zu-
ammenhang ausdrücklich anerkennen und hervorheben.
ätte die Mehrheit der Verhandlungspartner ebenso ge-
andelt, wäre eine angemessene Beratung und Entschei-
ung möglich gewesen.
Die Anhörung hat ergeben, dass sich die im Koali-
ionsvertrag definierten Ziele (Verbesserung der Hand-
ungsfähigkeit des Staates – Seite 109; Vereinfachung
es Umweltrechts – Seite 67; Weiterentwicklung der
ufgaben von Bund und Ländern im Bereich der Bil-
ung – Seite 41; Gewährleistung sozialer Sicherheit –
4350 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006
(A) )
(B) )
Seite 96 f.) mit der vorgeschlagenen Verfassungsände-
rung (auch als Anlage dem Koalitionsvertrag beigefügt)
nicht realisieren lassen. Dieser Widerspruch hätte im
parlamentarischen Verfahren aufgeklärt und gelöst wer-
den müssen.
Deutschland wird durch diese Verfassungsänderung
die großen Herausforderungen, die sich in Europa und in
einer globalisierten Welt ergeben, nicht besser wahrneh-
men können. Die vorgesehene Änderung des Art. 23 GG
und die Einführung der Abweichungsgesetzgebung sind
kontraproduktiv. Sie schwächen die europa- und völker-
rechtliche Handlungsfähigkeit Deutschlands zum Bei-
spiel im Bereich der Bildungs- und Umweltpolitik. Zu-
künftig wird es jedoch gerade auf diese Politikfelder
ankommen.
Rechtsdogmatisch wird durch die Möglichkeit der
Abweichungsgesetzgebung ein Instrumentarium ge-
schaffen, das nicht zu mehr Transparenz in der Kompe-
tenzverteilung und Rechtsklarheit führen wird, sondern
zu Rechtszersplitterung und Kompetenzwirrwarr. Im Ur-
teil vom 24. Oktober 2002 – 2 BvF 1/01 (NJW 2003,
S. 41 ff. (44)) führt das Bundesverfassungsgericht aus:
Eine „Doppelzuständigkeit“, auf deren Grundlage
Bund und Länder ein und denselben Gegenstand in
unterschiedlicher Weise regeln könnten, ist dem Sys-
tem der verfassungsrechtlichen Kompetenznormen
fremd und stünde mit ihrer Abgrenzungsfunktion
(Art. 70 II GG) nicht im Einklang.
Es ist nicht zu begründen, warum diese Grundsätze
aufgehoben werden. Wenn angeführt wird, dass die Län-
der von der Abweichungskompetenz häufig keinen Ge-
brauch machen werden, so fragt sich, warum man diese
Regelung dann schafft.
Die Ausgestaltung des Art. 104 a GG und das Zustim-
mungserfordernis des Bundesrates im Rahmen der
Art. 72 und 84 GG widersprechen dem Ziel der Verfas-
sungsänderung, die Quote der zustimmungspflichtigen
Gesetzesvorhaben deutlich zu reduzieren, wenngleich
diese Fragestellung ohnehin nicht lediglich auf die
Quantität, sondern vielmehr an den jeweiligen Inhalten
der Gesetzesmaterien ausgerichtet sein muss.
Umwelt-, Bildungs- und Sozialpolitik sind die Felder,
auf denen zukünftig zentrale Herausforderungen beste-
hen. Es gibt ein gesamtstaatliches Interesse, das durch
die vorgesehene Kompetenzverteilung nicht erfüllt wer-
den kann.
Wettbewerbsföderalismus setzt gesunde Startbedin-
gungen voraus, die nicht gegeben sind. Es ist zu befürch-
ten, dass in zentralen Bereichen ein Wettlauf „nach un-
ten“ einsetzen wird. Dabei geht es nicht um die Frage,
welche Ebene Aufgaben besser erfüllen kann. Die finan-
ziellen Rahmenbedingungen setzen Grenzen.
Gerade im Bereich der Umweltpolitik sind angesichts
der Standortwettbewerbe und ökonomischen Zwänge
Aufweichungstendenzen im Rahmen der Abweichungs-
gesetzgebung zu befürchten. Dagegen verhindern klare
und bundeseinheitliche Regelungen diese Entwicklung.
Einfachgesetzliche Öffnungsklauseln können dabei ei-
n
u
i
G
w
d
k
n
d
s
r
h
V
s
s
b
a
d
d
r
u
w
w
d
m
B
e
L
L
R
t
H
w
w
m
u
w
d
z
d
d
l
G
i
R
s
s
D
D
(C
(D
en Wettbewerb „nach oben“ eröffnen. Dabei ist auch
nbestritten, dass regionale und örtliche Besonderheiten
m Rahmen der Abwägungsprozesse auch auf der
rundlage bundeseinheitlicher Standards berücksichtigt
erden können.
Der Aufbau des Staates und die Funktionsfähigkeit
es Staates berühren auch den Aspekt der Nachhaltig-
eit. Die vorliegende Verfassungsänderung ist nicht
achhaltig, obwohl die aktuellen Mehrheitsverhältnisse
ie Möglichkeit eröffnen, wirklich zukunftsfähige Lö-
ungen zu realisieren.
Steffen Reiche (Cottbus) (SPD): Die Föderalismus-
eform wird das Verhältnis von Bund und Ländern nach-
altig verändern.
Vieles wird politische Entscheidungen klarer machen,
erantwortlichkeiten werden den Ebenen klar zugewie-
en. Mehrheiten für eine bessere Föderalismusreform
ind im Verfahren der Grundgesetzreform nicht erkenn-
ar, da die Länder sich die Reform mit für uns schwer
nnehmbaren Zugeständnissen haben abringen lassen.
Der Bund gewinnt manches mit dieser Reform. Aber
ie Republik gewinnt damit noch nicht das 21. Jahrhun-
ert. Angesichts der Herausforderungen von Europäisie-
ung und Globalisierung hätte das Verhältnis von Bund
nd Ländern klarer bestimmt werden müssen.
Unsere Sorge gilt insbesondere dem Paradigmen-
echsel von dem Solidaritätsprinzip zu mehr Wettbe-
erbsföderalismus. Auch wir wollen den Wettbewerb
er Regionen, aber mit einem einheitlichen Gesetzesrah-
en für die Republik. Wir haben die Sorge, dass der
undesstaat mit dieser Reform einen Schritt zurück in
inen Bund teils dominanterer und teils schwächerer
änder macht. Das gefährdet nicht nur die Gleichheit der
ebensverhältnisse in Deutschland, sondern auch die
olle Deutschlands in Europa und der Welt.
Wir kritisieren in besonderer Weise, dass das Beam-
en- und Besoldungsrecht, das Strafvollzugs- und das
eimrecht in die Länderkompetenz übertragen und Ab-
eichungsmöglichkeiten im Umweltrecht geschaffen
erden. Dies wird zu mehr Bürokratie führen, da es
ehr zu beachtende Rechtsvorschriften gibt.
Wir sprechen uns für ein Bundesbildungsgesetz aus
nd werden weiter um Mehrheiten in der Politik dafür
erben, da eine Zweidrittelmehrheit in der Bevölkerung
ies wünscht und fordert.
Wir stimmen in der Hoffnung zu, dass die geplante
weite Stufe in der Föderalismusreform die Solidarität
er Bundesländer stärken wird. Schon jetzt wissen wir,
ass dieses bisher größte Reformvorhaben nicht das
etzte gewesen sein wird. Weitere Reformschritte, die die
efahr des Auseinanderklaffens der Lebensverhältnisse
n sich tragen, können und dürfen nicht erfolgen. Diese
eform wird schneller als die von 1994 an ihre Grenzen
toßen. Sehr bald wird deutlich werden, dass der inner-
taatliche Ausgleich, die notwendigen Reformen in
eutschland sowie die Ausgestaltung der Rolle von
eutschland in Europa und der Welt nicht genügend gut
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4351
(A) )
(B) )
möglich sein werden. Mit dieser Grundgesetzreform
aber ist deutlich geworden, dass man so das Grundgesetz
nicht angemessen reformiert kann.
Alle wollen eine grundlegende Reform des Föderalis-
mus. Denn Deutschland braucht ein neues Miteinander
von Bund und Ländern.
Naturgemäß aber haben die Länder eine grundlegend
andere Vorstellung von der Mutter aller Reformen als
der Bund und die Bürger. Im bisherigen Verfahren ist aus
diesen widersprüchlichen Interessen von Bund und Län-
dern nur ein mühsamer Kompromiss geworden. Es
wurde gefeilscht und gehandelt. Für das eine, was gege-
ben wurde, musste etwas anderes an Verantwortung
übertragen werden. Oft war nicht die Frage maßgeblich,
wer es besser kann bzw. welche Ebene der Aufgabe ge-
mäß ist. Das Motto war meist nicht „Was Deutschland
nützt, machen wir“ sondern „Wir geben dem Bund et-
was, wenn er uns dafür etwas gibt“.
Herausgekommen ist eine Reform, mit der aus gegen-
sätzlichen Gründen niemand wirklich zufrieden ist. Weil
keiner eine Alternative sieht zu dieser in einem jahrelan-
gen Ringen erkämpften und schon in einem ersten An-
lauf gescheiterten Reform, wollen alle missmutig zu-
stimmen.
Das Ungleichgewicht zwischen den Ländern wird mit
dieser Reform vertieft. Deutschland wird seine Rolle als
größter Partner in der EU nicht besser wahrnehmen kön-
nen und Deutschlands Rolle in der globalen Dynamik
wird nicht gestärkt.
Aber was passiert, wenn nach den Wochen, wenn
nach den Anhörungen im Mai jetzt über 38 Stimmen im
Bundestag fehlen werden und damit die Zweidrittel-
mehrheit verfehlt wird? Viele Abgeordnete insbesondere
der SPD und der Opposition verweisen darauf, dass
Grundgesetzänderungen Gewissensfragen sind und sie
deshalb ihre Zustimmung zum Koalitionsvertrag nicht in
die Koalitionsdisziplin zwingen kann. Zu viel steht auf
dem Spiel.
Deshalb muss die Frage gestellt werden: Wie geht es
weiter, wenn die Reform scheitert? Die Frage bliebe:
Wie können wir den Föderalismus reformieren? Und die
Lage bliebe dieselbe: es geht nur in einer großen Koali-
tion der beiden Volksparteien, weil nur so eine Zweidrit-
telmehrheit, eine grundgesetzändernde Mehrheit erreicht
werden kann. Ein Dilemma, das viele zwingen könnte,
nolens volens doch zuzustimmen. Wider besseren Wis-
sens, dass Deutschland damit nur anders, aber nicht bes-
ser wird, dass Deutschland für die Herausforderungen in
Europa und der Welt zumindest nicht besser aufgestellt
ist.
Es gibt eine Alternative. Wie die Revolution in Osteu-
ropa, der Sturz der Mauer und die Einheit Deutschlands
zeigen, gibt es immer Auswege, auch aus scheinbar aus-
weglosen Situationen.
Die Alternative ist die Erfüllung eines Versprechens
eben jener Verfassung, die eine sinnvolle Reform so
schwer macht. Denn: „Dieses Grundgesetz, das nach
Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für
d
a
v
s
D
D
s
a
s
n
s
V
F
E
f
E
l
G
w
g
n
s
n
d
s
g
e
d
n
G
s
d
w
L
1
w
s
B
t
l
m
d
L
e
e
n
I
n
G
V
g
l
p
(C
(D
as gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit
n dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die
on dem deutschen Volke in freier Entscheidung be-
chlossen worden ist“ – Art. 146 des Grundgesetzes.
ass dieses Grundgesetz die beste Verfassung ist, die
eutschland bisher hatte, sieht man nicht nur daran, dass
ie sich in Vielem so bewährt hat, sondern dass sie wie
lles Große über sich hinausweist.
Das gewählte deutsche Parlament schafft die Voraus-
etzungen zur Wahl einer verfassungsgebenden Natio-
alversammlung oder konstituiert sich selbst als Verfas-
ungsgebende Versammlung. Es geht damit den von den
ätern und Müttern des Grundgesetzes gerade für den
all der deutschen Einheit in Freiheit gewiesenen Weg.
s legt dem deutschen Volk eine neue Verfassung zur
reien Entscheidung vor. 16 Jahre nach „Vollendung der
inheit und Freiheit Deutschlands“ haben wir allen An-
ass, demütig die Weisheit der Mütter und Väter des
rundgesetzes zu nutzen.
Der Bundestag ist der von dem deutschen Volke ge-
ählte Gesetz- und Verfassungsgeber. Gerade auch we-
en seiner im Grunde alternativlosen Bestimmung zu ei-
er Großen Koalition darf er diesen Auftrag auch für
ich annehmen. Der Bundestag muss in diesem Fall
icht mit dem Bundesrat kooperieren wie Art. 79 Abs. 2
es Grundgesetzes für Grundgesetzänderungen vor-
ieht. Denn das Verfahren nach Artikel 146 des Grund-
esetzes ändert nicht das Grundgesetz, sondern es ersetzt
s. Die maßgebende Entscheidung liegt nach Art. 146
es Grundgesetzes beim Volk.
Die Erarbeitung der Verfassung kann legitimerweise
ur durch ein vom ganzen deutschen Volk gewähltes
remium erfolgen. Das ist der Bundestag, denn er setzt
ich aus Abgeordneten zusammen die in den alten Län-
ern und in den 1990 hinzugetretenen Ländern gewählt
orden sind. Schon die Wahl der Abgeordneten nach
andeslisten weist ihre föderale Herkunft aus.
Sie können aus ihrer Mitte einen zwischen 50 und
00 Abgeordnete umfassenden Verfassungsausschuss
ählen und ihn mit der Erarbeitung einer neuen Verfas-
ung beauftragen.
Ein paritätisch besetztes Gremium aus Bundesrat und
undestag liefe Gefahr, in ähnliche Dilemmata zu gera-
en, wie wir sie jetzt bei der Diskussion um die Födera-
ismusreform vorfinden. Eines ist klar: Der Föderalis-
us soll mit dem Ziel erneuert werden, zu seiner Stärke,
er sinnstiftenden Machtverteilung zwischen Bund und
ändern nach dem Subsidiaritätsprinzip zu finden und
inen Wettbewerb zwischen den Ländern dergestalt zu
rmöglichen, dass die Gleichartigkeit der Lebensverhält-
isse nicht zerstört wird. Niemand wäre gut beraten, die
dee des föderativen Staats in Frage zu stellen.
Eine neue Verfassung für Deutschland muss zudem
icht gänzlich neu erfunden werden. Wir sind alle vom
rundgesetz geprägt und Zeit unseres Lebens bei den
ätern und Müttern des Grundgesetzes in die Lehre ge-
angen. Viel Bewährtes kann übertragen werden. Vor al-
em die Grundrechte haben sich in ihrer knappen und
räzisen Formulierung als starke und geschätzte
4352 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006
(A) )
(B) )
Abwehrrechte etabliert. Auch wenn die Maßgaben des
Art. 79 des Grundgesetzes für einen verfassungsändern-
den Gesetzgeber, nicht aber für einen – neuen – Verfas-
sungsgeber gelten, so sollte dennoch der Leitgedanke
des Art. 79 Abs. 3 des Grundgesetzes, die so genannte
„Ewigkeitsgarantie“ für die Gliederung des Bundes in
Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei
der Gesetzgebung und die in den Art. 1 und 20 niederge-
legten Grundsätze in der neuen Verfassung respektiert
werden.
Die neue Verfassung könnte bis zum Ende diesen Jah-
res vorgelegt werden. Eine neue Verfassung sollte dann
zeitgleich mit einem Volksentscheidgesetz dem Bundes-
rat vorgelegt und der Öffentlichkeit vorgestellt werden.
Das Volksentscheidgesetzt könnte vorsehen, dass die
neue Verfassung angenommen ist, wenn über 50 Prozent
der Wahlberechtigten in Deutschland an der Abstim-
mung teilnehmen und wiederum über 50 Prozent von ih-
nen mit einem „Ja“ gestimmt haben. Dem deutschen
Volke sollte die neue Verfassung zur freien Entscheidung
am 23. Mai 2007, dem Tag des Grundgesetzes, vorgelegt
werden.
Diese neue Verfassung für Deutschland könnte dann
zum 1. Januar 2008, also noch in dieser Legislatur-
periode, in Kraft treten.
Dieser Weg bietet sich auch deshalb an, weil für die
neue, vom Grundgesetz nicht antizipierbare Situation
der Bundesrepublik in einem sich vereinigenden Europa
und in einer globalen Welt eine neue Verfassung ge-
schrieben werden würde, die frei wäre von Alliiertenvor-
behalten und nach 60 Jahren demokratischer Entwick-
lung in Deutschland auch frei von nicht mehr
notwendigen Reflexen auf die Zeit der nationalsozialisti-
schen Diktatur und den undemokratischen Zentralstaat.
Deutschland lässt sich nicht durch das Klein-Klein einer
oder mehrerer Föderalismusreformen europafähig ma-
chen. Wir brauchen den Weg einer neuen, richtungwei-
senden Verfassung.
Das heißt, es wäre eine sich aus dem Grundgesetz ent-
wickelnde moderne Verfassung, die alles, was sich be-
währt hat, bewahrt und einiges weiterentwickelt.
Die Frage steht deshalb jetzt im Raum: Wollen wir
den Kompromiss des kleinsten erreichbaren Nenners
von Bund und Ländern, der dem Parlament jetzt vorliegt,
oder haben wir den Mut, den visionär von den Vätern
und Müttern gewiesenen Weg einer neuen Verfassung zu
gehen?
Maik Reichel (SPD): Die Zustimmung zur Födera-
lismusreform ist mir nicht leicht gefallen. Denn eine
Reihe von Bedenken, die ich immer wieder geäußert
habe, sind nicht ausgeräumt worden. Im Wesentlichen
geht es um folgende Punkte: Der Zustimmungsvorbehalt
des Bundesrates bei der Bundesgesetzgebung hätte deut-
licher reduziert werden müssen. Die Verfassungskorrek-
turen im Umfeld von Art. 83, 84 GG wiesen den richti-
gen Weg, der leider nicht bis zum Ende beschritten
werden konnte.
u
r
w
w
s
s
n
N
G
d
D
A
u
v
F
u
n
d
s
S
s
d
s
m
r
E
f
d
t
r
W
l
p
d
d
l
P
d
g
E
s
r
w
e
s
b
p
N
B
t
M
t
d
t
(C
(D
Ich kritisiere in besonderer Weise, dass das Beamten-
nd Besoldungsrecht, das Strafvollzugs- und das Heim-
echt in die Länderkompetenz übertragen und Ab-
eichungsmöglichkeiten im Umweltrecht geschaffen
urden. Dies wird eine Zersplitterung unseres Rechts-
ystems und unterschiedliche Standards in wichtigen ge-
ellschaftlichen Bereichen mit sich bringen. Darüber hi-
aus bedaure ich ausdrücklich, dass durch die
eufassung des Art. 91 b GG und des Art. 104 b Abs. l
G eine umfassende Kooperation von Bund und Län-
ern im Bildungsbereich ausgeschlossen wird.
Trotzdem habe ich dem Gesetzentwurf zugestimmt.
urch die nunmehr vorgenommene Klarstellung im
rt. 91 b GG zur gemeinsamen Förderung von Lehre
nd Forschung an den Hochschulen ist eine eindeutige
erfassungsrechtliche Grundlage für die gemeinsame
örderung von Wissenschaft und Forschung durch Bund
nd Länder, und zwar sowohl im investiven wie auch im
icht investiven Bereich, geschaffen worden. Angesichts
er herausragenden Bedeutung, die Wissenschaft, For-
chung und eine qualitativ hochwertige Ausbildung der
tudierenden für die Zukunft unseres Landes und in be-
onderer Weise für Ostdeutschland haben, ist dies ein
eutlicher Fortschritt gegenüber dem bisherigen Verfas-
ungsentwurf.
Darüber hinaus hoffe ich sehr, dass auch die Abstim-
ungsverfahren zwischen Bund und Ländern für die Be-
eiche Rundfunk, Bildung und Kultur auf europäischer
bene noch effektiver gestaltet werden.
Trotz der Risiken, die diese Reform mit sich bringt,
ührt an ihr kein Weg vorbei. Langwierige Entschei-
ungswege, übermäßige Verflechtungen und gegensei-
ige Blockaden von Bund und Ländern haben die Steue-
ungsfähigkeit unseres Staates in nicht akzeptabler
eise beeinträchtigt. Das können wir uns nicht mehr
eisten. Das Gesetz, dem ich zugestimmt habe, ist nicht
erfekt. Doch es beinhaltet den äußersten Kompromiss,
en wir als Bundestagsabgeordnete der SPD den Län-
ern abtrotzen konnten, ohne die Reform scheitern zu
assen. Und ein Scheitern galt es – selbst um einen hohen
reis – zu verhindern.
Zudem haben die Menschen in Deutschland ein Recht
arauf, nachvollziehen zu können, wer für welche Auf-
aben zuständig und damit politisch verantwortlich ist.
s wäre ein großer Schaden für unser Land und ein De-
aster für alle Entscheidungsträger, wenn nach mehrjäh-
igem hartem Ringen die Reform scheitern würde.
Letztendlich habe ich für diese Reform gestimmt,
eil trotz meiner Kritik die wesentlichen Reformziele
rfüllt wurden. Hier sind zu nennen: Stärkung der Ge-
etzgebung durch deutlichere Zuordnung der Gesetzge-
ungskompetenzen und Abschaffung der Rahmenkom-
etenzen, Abbau gegenseitiger Blockaden durch
eubestimmung der Zustimmungsbedürftigkeit von
undesgesetzen im Bundesrat, klarere Finanzverantwor-
ung zwischen Bund und Ländern durch Abbau von
ischfinanzierungen und Neufassung der Möglichkei-
en der Finanzhilfen des Bundes, wobei die Zusagen aus
em Solidarpakt II für die neuen Bundesländer bekräf-
igt werden sollten. Diese Ziele haben wir erreicht.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4353
(A) )
(B) )
Statt 55 bis 60 Prozent der Bundesgesetze sinkt die
Zustimmungsquote nun auf voraussichtlich unter 30 Pro-
zent. Das ist ein großer Fortschritt. Der Bund kann nun-
mehr viele Bereiche, die in seiner Gesetzgebungskompe-
tenz stehen, ohne Einmischung des Bundesrates regeln.
In wichtigen Bereichen behält der Bund seinen Einfluss,
etwa im Öffentlichen Dienstrecht, oder allgemein durch
die Regel, dass bei den Abweichungsrechten der Länder
– Art. 72 Abs. 3, 84 Abs. l GG – die späteren Gesetze
den früheren vorgehen, Ex-posterior-Regel. Der Bund
kann zudem bis 2009 ein vollständiges Umweltgesetz-
buch entwickeln, von dem die Länder in den Kernpunk-
ten nicht abweichen dürfen.
Der Bund gewinnt zudem sechs wichtige Bereiche
dazu, etwa durch die ausschließliche Kompetenz für das
BKA im Kampf gegen den internationalen Terrorismus,
das Waffenrecht oder durch verbindliche Länderbeteili-
gung bei Verletzungen von EU-Recht sowie bei Sanktio-
nen aufgrund von Verletzungen des Europäischen Stabi-
litätspaktes. Darüber hinaus haben wir erreicht, dass der
Bund Europarecht schneller umsetzen kann und damit in
Brüssel besser aufgestellt ist.
Ich erwarte, dass wir diesen Reformprozess unseres
Grundgesetzes nicht nur begleiten, sondern nach einem
angemessenen Zeitabstand die Wirkung der Änderungen
bewerten. Denn das Wohl unseres Landes und seiner
Menschen in einem modernen, föderalen und sozialen
Rechtsstaat muss unser fester Wille und das oberste Ziel
unseres Handelns sein. Ich verknüpfe meine Zustim-
mung auch mit der dringenden Erwartung, dass bei der
zweiten Stufe der Föderalismusreform dem Ziel der Si-
cherung der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse
Rechnung getragen wird und die Zusagen aus dem Soli-
darpakt II für die neuen Länder unangetastet bleiben.
Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU): Obwohl ich
in Teilen die Änderung des Grundgesetzes für falsch
halte, werde ich dem Gesetzentwurf meine Zustimmung
erteilen.
So besteht meines Erachtens nicht die Notwendigkeit
einer Ergänzung des Art. 33 Abs. 5 GG um die Wörter
„und fortzuentwickeln“, siehe Art. l Ziffer 3 des Gesetz-
entwurfes. Dies wurde ausweislich der Protokolle ein-
vernehmlich schon in den fachlichen Beratungen der
Föderalismuskommission der vergangenen Legislatur-
periode festgestellt. Alle Experten, die in der gemeinsa-
men Anhörung des Deutschen Bundestages und des
Deutschen Bundesrates eine Stellungnahme abgegeben
haben, kamen ebenfalls zu dem Ergebnis, dass kein Än-
derungsbedarf besteht. Auch ein Blick in die Geschichte
der Änderungen des Beamtenrechts unter der Geltung
des Art. 33 Abs. 5 zeigt, dass eine Modernisierung und
Fortentwicklung des Beamtenrechts unter der derzeiti-
gen Fassung des Grundgesetzes nicht nur theoretisch
möglich war, sondern tatsächlich auch stattgefunden hat.
Es besteht daher weder politisch noch rechtlich eine Ver-
anlassung, die im Gesetzentwurf enthaltenen Änderung
vorzunehmen.
Insbesondere die Übertragung des Laufbahn-, Besol-
dungs- und Versorgungsrechtes an die Bundesländer,
w
d
g
B
S
t
Z
r
d
u
g
v
r
v
B
k
B
w
f
w
u
V
n
g
h
k
n
c
w
i
M
g
d
a
d
r
H
h
d
ü
E
n
s
V
s
a
g
E
z
G
g
R
r
v
(C
(D
ie sie sich aus Art. l Ziffer 7 Buchstabe a, oo, Nr. 27
es Gesetzentwurfes ergibt, ist aus meiner Sicht nicht
erechtfertigt. Der Verbleib des Statusrechtes in der
undeskompetenz wird, wie sich aus der Anhörung der
achverständigen ergab, zu Abgrenzungsschwierigkei-
en führen und dem Ziel der eindeutigen Trennung der
uständigkeiten von Bund und Bundesländern nicht ge-
echt.
Die Bundesländer selber haben 1971 den Bund ge-
rängt, die Zuständigkeit für Besoldungs-, Versorgungs-
nd Laufbahnrecht zu übernehmen. Die damaligen Ar-
umente gelten auch heute noch fort. Die seitherigen
ielfältigen gesetzlichen Regelungen zur Modernisie-
ung des Beamtenrechts, insbesondere zur Einführung
on leistungsbezogenen Besoldungselementen in der
eamtenbesoldung, wurden von den Bundesländern
aum, zum Teil gar nicht angewandt. Damit haben die
undesländer einen gewichtigen Teil einer Wettbe-
erbskomponente, die ihnen schon seit Jahren zur Ver-
ügung steht, nicht genutzt. Das Argument einer stärker
ettbewerbsorientierten Gestaltung des Besoldungs-
nd Versorgungsrechts ist daher nur begrenzt stichhaltig.
Die Etablierung von theoretisch 17 verschiedenen
ersorgungssystemen für Landes- und Bundesbeamte ist
icht überzeugend begründet und auch nicht überzeu-
end begründbar, zumal auch im Versorgungsrecht schon
eute die Bundesländer nicht gehindert sind, Vorsorge für
ünftig anfallende Versorgungslasten zu treffen. Nur we-
ige Bundesländer haben hier – trotz bestehender rechtli-
her Möglichkeiten – Regelungen getroffen. Zudem
erden durch die Rückübertragung des Laufbahnrechts
n die Zuständigkeit der Bundesländer auch erhebliche
obilitätshindernisse errichtet, die der im Allgemeinen
eforderten Mobilität und Flexibilität der Beschäftigten
es öffentlichen Dienstes diametral entgegenstehen.
Die Rückübertragung dieses Zuständigkeitsbereiches
uf die Länder ist meines Erachtens damit das Gegenteil
essen, was im Sinne der geforderten Entbürokratisie-
ung notwendig wäre, dies insbesondere auch vor dem
intergrund einer zunehmenden Harmonisierung inner-
alb der Europäischen Union.
Dennoch ist zu berücksichtigen, dass die insgesamt
urch das Gesetz erreichten Fortschritte die Bedenken
berwiegen, die im Detail bestehen. Insbesondere die
ntflechtung der Zuständigkeiten und die neu geschaffe-
en Handlungs- und Entscheidungsmöglichkeiten zwi-
chen dem Bund und den Bundesländern, aber auch das
erbot, Kommunen durch Bundesgesetze zu belasten,
owie die Erhöhung der Transparenz der politischen Ver-
ntwortlichkeiten sind für mich wichtige Vorteile, auf-
rund derer ich trotz der vorgebrachten Bedenken dem
ntwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgeset-
es zustimme.
Norbert Schindler (CDU/CSU): Durch die mit dem
esetzentwurf verfolgten und umzusetzenden Änderun-
en des Grundgesetzes sollen durch die Auflösung der
ahmengesetzgebung und die Neuordnung der konkur-
ierenden Gesetzgebung einige Materien auf die Länder
erlagert werden.
4354 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006
(A) )
(B) )
Es ist grundsätzlich zu begrüßen und zu befürworten,
wenn im Rahmen des Bürokratieabbaus und der stärke-
ren Berücksichtigung länderspezifischer Rahmenbedin-
gungen für bestimmte Gesetze Kompetenzen auf die
Länder übertragen werden.
Dies muss jedoch mit Einschränkungen gesehen wer-
den, wenn mit der Regelung kein Abbau von Bürokratie
verbunden ist, wenn mit der Neuregelung finanzielle
Nachteile für Bund, Länder und Bürger verbunden sind
und wenn Verbindungen zu anderen Rechtsbereichen
völlig aufgelöst würden und die Rechtssystematik und
Rechtssicherheit erheblich beeinträchtigt werden.
Bei der geplanten Änderung der Zuständigkeiten für
den landwirtschaftlichen Grundstücksverkehr – bisher
Teilbereich des allgemeinen Grundstücksverkehrs –, das
landwirtschaftliche Pachtwesen und das Flurbereini-
gungsrecht – bisher Teil des Bodenrechts – mit der He-
rausnahme aus der konkurrierenden Gesetzgebung und
der Überführung in das alleinige Recht der Länder sind
alle oben genannten negativen Folgen abzusehen. Dies
gilt insbesondere für das Flurbereinigungsrecht.
Aus diesem Grund hat sich der Verband der Landwirt-
schaftskammern mit folgender Begründung dafür ausge-
sprochen, dass das Flurbereinigungsrecht Bundesrecht
bleibt:
Erstens. Die derzeitige Ausgestaltung der Flurbereini-
gung Grundsätzen und rechtlichen Bestimmungen müsste
auch in Zukunft in 16-facher Ausfertigung erfolgen. Im
Hinblick auf die Bestimmungen des Grundgesetzes
müsste zwischen den Ländern untereinander und dem
Bund eine Abstimmung erfolgen. Damit wird deutlich,
dass mit der Verlagerung des Flurbereinigungsrechts in
die Kompetenz der Länder ein erheblicher zusätzlicher
bürokratischer Aufwand erforderlich wäre.
Es würde zusätzlicher Aufwendungen bedürfen, um
auch in Zukunft zu einer einheitlichen Auslegung des
Flurbereinigungsgesetzes unter Berücksichtigung des
Grundgesetzes – Eigentumsrecht – zu gelangen. Zudem
wäre die Rechtsprechung einer bundesgesetzlich einheit-
lichen gerichtlichen Überprüfung möglicherweise sogar
entzogen. Entgegen der bisherigen bundeseinheitlichen
Kontrolle von Festsetzungen in der Flurbereinigung
durch die Oberverwaltungsgerichte und das Bundesver-
waltungsgericht würde es eine Vielzahl von Entschei-
dungen geben, die sich möglicherweise widersprechen.
Gerade das Enteignungsrecht, das im Flurbereinigungs-
recht umgesetzt werden kann, bedarf angesichts der
Grundrechtsrelevanz – Art. 14 des Grundgesetzes – zur
Wahrung der Rechtseinheit auch zukünftig einer bundes-
gesetzlichen Regelung.
Zweitens. Die Flurbereinigung wird durch die Ge-
meinschaftsaufgabe – GAK – mit Mitteln der EU und
des Bundes gefördert und unterstützt. Auch wenn zum
jetzigen Zeitpunkt die Finanzierung durch die GAK zu-
gesichert wird, kann schon heute abgesehen werden,
dass sich bei knappen Mitteln die EU und der Bund aus
der Finanzierung zurückziehen werden. Eine stärkere fi-
nanzielle Einbindung der Länder ist jedoch nicht zu ver-
antworten. Es würde das Ende der Flurbereinigung be-
d
e
w
g
s
d
r
v
N
B
r
r
l
u
g
d
d
e
S
a
W
f
h
–
d
B
n
d
w
w
f
v
n
d
u
s
z
b
L
k
r
s
d
s
w
m
s
s
w
(C
(D
euten, wenn die betroffenen Grundstückseigentümer
ine zusätzliche finanzielle Last zu tragen hätten, ob-
ohl die Vorteile der Flurbereinigung aufgrund der inte-
rativen Ansätze – siehe unten – heute der gesamten Ge-
ellschaft zugute kommen.
Eine dauerhafte Finanzierung über die GAK ist erfor-
erlich und kann nur gesichert werden, wenn das Flurbe-
einigungsrecht Bundesrecht bleibt.
Drittens. Das Flurbereinigungsrecht ist unauflöslich
erbunden mit anderen bundesgesetzlichen Regelungen.
eben dem Bodenrecht, dem Grundbuchrecht und dem
ürgerlichen Recht sind insbesondere des Enteignungs-
echt und das Baurecht zu nennen. Da mit dem Flurbe-
einigungsrecht bei der Baulandumlegung bundesgesetz-
iche Bestimmungen bis zum Enteignungsrecht
mgesetzt werden, muss an einem einheitlichen bundes-
esetzlichen Flurbereinigungsgesetz festgehalten wer-
en.
Mit einer Verlagerung des Flurbereinigungsrechtes in
ie alleinige Kompetenz der Länder besteht die Gefahr
iner unterschiedlichen Wertung und Umsetzung von
tädtebaurecht auf der einen und ländlichem Bodenrecht
uf der anderen Seite. Einer solchen unterschiedlichen
ertung und Würdigung ländlicher Räume kann keines-
alls zugestimmt werden. Die Wahrung der Rechtsein-
eit und der Gleichbehandlung der Bürger in den Städten
Städtebaurecht – und dem ländlichen Raum muss
urch bundesweit geltende gesetzliche Vorgaben eines
undesflurbereinigungsgesetzes gewährleistet werden.
Auf die Möglichkeit gemäß § 190 BauGB, Flurberei-
igungen aus Anlass einer städtebaulichen Maßnahme
urchzuführen, soll an dieser Stelle besonders verwiesen
erden. Eine Landeskompetenz für die Flurbereinigung
äre zusammenfassend also ein völliger Systembruch.
Viertens. Das Flurbereinigungsrecht bietet einen um-
angreichen Katalog möglicher Maßnahmen zur Lösung
on Konflikten verschiedener Raumnutzer. Es kann
icht Sinn einer föderalen Reform sein, die Instrumente
es Flurbereinigungsrechtes nicht mehr gleichberechtigt
nd einheitlich im gesamten Bundesgebiet für die Um-
etzung integrativer Raum- und Flächennutzungskon-
epte anzuwenden.
Aus diesen Gründen macht es keinen Sinn, das Flur-
ereinigungsrecht in die allgemeine Zuständigkeit der
änder zu geben.
Trotz dieser auch der Föderalismuskommission be-
annten Bedenken soll heute die entsprechende Ände-
ung des Grundgesetzes beschlossen werden. Die Zu-
timmung zu dem oben angegebenen Gesetzentwurf in
er Fassung der Beschlussempfehlung des Rechtsaus-
chusses fällt mir deshalb äußerst schwer. Dennoch
erde ich, unter der Voraussetzung, dass wir gemeinsam
it den Ländern für diesen Bereich eine tragfähige Lö-
ung erarbeiten, der Föderalismusreform mit Bauch-
chmerzen zustimmen.
Renate Schmidt (Nürnberg) (SPD): Bereits 1994
urde ein Weg begonnen, der unseren deutschen födera-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4355
(A) )
(B) )
len Staatsaufbau grundlegend geändert hat. Ich stehe
dem Wandel vom solidarischen, kooperativen zum Wett-
bewerbsföderalismus kritisch gegenüber. Durch den
heute vorliegenden Entwurf zur Grundgesetzänderung
wird dieser – in meinen Augen falsche – Weg an einigen
Stellen korrigiert. Das begrüße ich, insbesondere die
Stärkung der Landesparlamente. An anderen gesell-
schaftspolitisch zentralen Stellen wird der Weg hin zu ei-
nem Wettbewerbsföderalismus verstärkt. Insbesondere
ist nicht absehbar, wie die Föderalismusreform II ausse-
hen wird und ob sie Solidarität unter den Bundesländern
und damit die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse
stärken wird oder nicht.
In den Verhandlungen wurden gegenüber dem Ent-
wurf durch die SPD-Bundestagsfraktion, insbesondere
von Dr. Peter Struck, viele Verbesserungen erreicht, vor
allem im Hochschulbereich.
Dennoch bleiben viele Punkte die ich nicht mittragen
kann:
Es bleibt bei der Kooperationsmöglichkeit nur für die
Hochschulen, durch die Neufassung der Art. 91 b und
Art. 104 Abs. 1 GG wird eine umfassende Kooperation
von Bund und Ländern ausgeschlossen. Erfolgreiche Pro-
gramme wie das Ganztagsschulprogramm oder SINUS
sind in Zukunft zum Schaden unserer Kinder unmöglich.
Es bleibt bei der Herausnahme des Heimrechtes aus
der Bundeszuständigkeit und damit bei einer rechtlichen
Zersplitterung des gesamten Bereichs der Heime in
Heimrecht in Länderzuständigkeit einerseits und in
Heimvertragsrecht, Pflegeversicherung und Altenpflege-
ausbildung in Bundeszuständigkeit andererseits. Auch
das Kinder- und Jugendhilferecht wird zwischen der Er-
forderlichkeitsregel, der konkurrierenden Gesetzgebung
und der Abweichmöglichkeit der Länder bis zur Un-
kenntlichkeit verändert. Es gibt zwar noch eine Zustän-
digkeit des Bundes für das Kinder- und Jugendhilfe-
recht, aber die Abweichungsmöglichkeit bei den
Verfahren und der Behördenstruktur wird zwangsläufig
zu einer Zersplitterung führen. Die Anzeichen dafür in
der Vergangenheit waren eindeutig – dazu noch das Er-
forderlichkeitsprinzip und die Bundeszuständigkeit für
das Familienrecht – die Konfusion ist vorprogrammiert.
Trotz der im Bildungsbereich erzielten Verbesserun-
gen bleibt die große Sorge, dass die Studienförderung
– das BAföG – über die Erforderlichkeitsklausel durch
die Länder infrage gestellt wird.
Der vorgesehenen Regelungen zu Kostenfolgen von
Bundesgesetzen werden meines Erachtens zu einer wei-
teren Zustimmungspflichtigkeit von Bundesgesetzen
führen.
Die Neuregelung des Art. 93 Abs. 3 (neu) bedeutet,
dass das Klagerecht der Länder für die Bereiche, die
dem Erforderlichkeitsprinzip unterliegen, auch für beste-
hende Gesetze gilt. Die Rechtsunsicherheit wird vergrö-
ßert.
Ich halte daher wesentliche Teile der Föderalismusre-
form für einen Schritt in die falsche Richtung: Die
OECD hat der Bundesrepublik in ihrer jüngsten Studie
z
b
e
Z
m
B
t
B
B
S
a
a
v
Z
M
M
n
ü
s
S
w
s
B
F
r
s
c
m
E
W
z
D
B
S
t
e
n
s
d
d
d
s
s
T
(C
(D
ur frühkindlichen Förderung unter anderem ins Stamm-
uch geschrieben, dass die föderale Zersplitterung auch
ine Ursache für unser schlechtes Abschneiden ist. Diese
ersplitterung wird vergrößert und nicht verkleinert.
Wir verabschieden uns als Bund mit der Föderalis-
usreform, so wie sie jetzt ausgestaltet ist, von weiten
ereichen der Gesellschaftspolitik und von den wich-
igsten Zukunftsfragen. Diese bestehen für mich in den
ereichen Bildung, Kinder, Familie und Alte, aber auch
ehinderte.
Beim Heimrecht haben neun von zehn hochkarätigen
achverständigen eine Alleinzuständigkeit des Bundes
bgelehnt. Zum KJHG und zum Behindertenrecht waren
cht von zehn Sachverständigen der Meinung, dass gra-
ierende Verschlechterungen vorprogrammiert sind.
itat aus der Sachverständigenanhörung – Dr. Thomas
eysen –:
Ich möchte warnen: Der aktuelle Reformentwurf
stellt an vielen Stellen die Weichen richtig; aber im
Recht der sozialen Dienstleistung wird der Zug ent-
gleisen. Als Leiter des juristischen Fachinstituts in
der Jugendhilfe und als Kommentator der rehabili-
tationsrechtlichen Vorschriften im SGB VIII sage
ich Ihnen: Für den Kinderschutz, für die Kinder-
und Jugendhilfe insgesamt sowie für die Teilhabe
von Menschen mit Behinderungen würde der der-
zeitige Reformentwurf einen grundlegenden und
nicht zu verantwortenden Rückschritt bedeuten.
Sinngemäß in gleicher Weise hat sich die erdrückende
ehrheit der anderen Sachverständigen geäußert. Es ist
icht einsehbar, dass sich das Parlament in dieser Weise
ber den Sachverstand nahezu aller Beteiligten hinweg-
etzt. Es ist auch nicht einzusehen, dass der juristische
achverstand regelmäßig über den fachlichen gestellt
ird. Mit einer solchen Vorgehensweise verabschieden
ich die Mehrheit des Deutschen Bundestages und des
undesrates in weiten Bereichen von den Wünschen und
orderungen der Menschen. So wichtig mehr Transpa-
enz und eine Entflechtung von Zuständigkeiten sind, so
ehr wünschen die Bürger und Bürgerinnen in den Berei-
hen Kinder, Bildung, Familie und ältere Menschen
ehr Sicherheit, Verlässlichkeit und bundesdeutsche
inheitlichkeit. Gerade in diesen Bereichen wird mehr
ettbewerb um den Preis der Zersplitterung nicht ak-
eptiert. Die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse in
eutschland wird abnehmen zulasten der Bürger und
ürgerinnen in Ostdeutschland und in Bundesländern im
trukturwandel. Insbesondere in den Bereichen von Kul-
ur und Bildung wird künftig auf europäischer Ebene
ine einheitliche und effiziente Vertretung Deutschlands
icht mehr oder nur noch mit Schwierigkeiten möglich
ein – mit Nachteilen für das ganze Land. In Abwägung
er zweifelsohne erreichten Fortschritte und der geschil-
erten Nachteile kann ich, so schwer mir diese Entschei-
ung fällt, der Föderalismusreform nicht zustimmen.
Frank Schwabe (SPD): Bei der größten Verfas-
ungsänderung seit 1949 handelt es sich um eine Gewis-
ensentscheidung jedes einzelnen Abgeordneten.
rotz schwerer Bedenken zum Umgang mit dieser
4356 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006
(A) )
(B) )
Verfassungsänderung und den jetzt vorliegenden Ergeb-
nissen stimme ich dieser Verfassungsänderung zu.
Mit großer Sorge sehe ich das Bestreben, durch einen
ungerechten Wettbewerbsföderalismus den Anspruch
gleichwertiger Lebensverhältnisse in der Bundesrepu-
blik Deutschland zu gefährden. Die vorliegende Födera-
lismusreform trägt leider insbesondere im Bereich der
Umwelt, der Bildung, des Sozialen, der Justiz und des
Beamtenrechts genau diese Züge. Außerdem stelle ich
die Europatauglichkeit dieser Reform infrage.
Der Weg dazu wurde allerdings bereits durch die
Grundgesetzänderung am 27. Oktober 1994 und an-
schließende Urteile des Bundesverfassungsgerichts in
Richtung Aushöhlung der Bundeskompetenz beschrif-
ten. Ich sehe die Gefahr, dass durch die jetzt vorgesehene
Abweichungsgesetzgebung dieser Weg zumindest in den
oben benannten relevanten Bereichen vollendet wird.
Vor dem Hintergrund der politischen Realität er-
scheint die 1994-er Regelung jedoch nicht umkehrbar zu
sein. Deshalb glaube ich, dass nun eine grundgesetzliche
Klarstellung notwendig ist, damit durch die Rechtspre-
chung des Bundesverfassungsgerichts die Bundeskom-
petenz im Sinne der Herstellung gleichwertiger Lebens-
verhältnisse in den nächsten Jahren nicht noch weiter
geschwächt wird. In der Abwägung muss ich dabei die
von mir benannten negativen Seiten dieser Reform ak-
zeptieren.
Ausdrücklich will ich das Engagement des SPD-Frak-
tionsvorsitzenden Peter Struck würdigen, ohne dessen
Einsatz es weder einen der Bedeutung dieser Entschei-
dung einigermaßen angemessen Umgang noch Erfolge
in der Frage der erzielten Bundeskompetenz im Hoch-
schulbereich gegeben hätte. Die Mehrheitsfähigkeit im
Deutschen Bundestag wäre dann sicherlich nicht zu er-
reichen gewesen.
Der solidarische Föderalismus war bisher ein Funda-
ment der Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik. Dieses
Fundament darf nicht zerstört werden durch einen Wett-
bewerbsföderalismus, der gesamtstaatliche und gesamt-
gesellschaftliche Solidarität erschwert oder gar verhindert.
Bei den weiteren Verhandlungen über die zukünftige Ge-
staltung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen ist es für
mich unverzichtbar, dass die Sicherung der Gleichwer-
tigkeit der Lebensverhältnisse zentrales politisches Ziel
und Verfassungsauftrag auch für die Zukunft bleiben
muss. Hieran haben sich auch alle Überlegungen zu den
zukünftigen Finanzbeziehungen von Bund und Ländern
und der Länder untereinander zu orientieren.
Rolf Schwanitz (SPD): Ich habe bei der heutigen
Abstimmung über die Föderalismusreform beim Gesetz-
entwurf zur Änderung des Grundgesetzes mit Ja und
beim Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD mit Nein gestimmt.
Mein Ja zum Gesetzentwurf erwächst trotz meiner
Kritik an einer ganzen Reihe seiner Regelungen nach in-
tensiver Diskussion und reiflicher Überlegung einzig
und allein aus der Überzeugung, dass eine Verbesserung
der Kompetenzen des Bundes zwingend erforderlich ist,
b
g
b
g
m
d
s
E
l
l
L
v
r
D
u
k
v
E
s
d
t
r
z
ä
B
w
a
z
K
n
s
N
m
A
B
f
s
d
n
u
u
w
U
g
t
v
E
v
w
d
v
(C
(D
essere Verhandlungsergebnisse jedoch insbesondere
egen die geschlossene Front der Länder nicht erreich-
ar waren. Mein Nein zum Entschließungsantrag ist an-
ezeigt, weil das Ergebnis dieser Föderalismusreform
einer Überzeugung nach nicht den insgesamt notwen-
igen Veränderungen des deutschen Föderalismus ent-
pricht und die überzogen positiven Bewertungen im
ntschließungstext von mir nicht geteilt werden.
Im Zusammenhang mit dieser Föderalismusreform
ege ich Wert auf folgende Feststellungen: Die Verhand-
ungen zur Föderalismusreform waren auf der Seite der
änder jenseits von politischen Sonntagsreden nicht da-
on geprägt, welche Veränderungen des deutschen Föde-
alismus im Interesse des Gesamtstaates notwendig sind.
ie Länder nutzten stattdessen durch eine einheitliche
nd abgestimmte Verhandlungsstrategie die Abhängig-
eit des Bundes von dieser Reform, um die Kompetenz-
erteilung abermals zu ihren Gunsten zu verschieben.
inmal mehr wurden notwendige Reformen im deut-
chen Föderalismus nicht vernunftorientiert im Interesse
es Ganzen beraten und entschieden, sondern sie muss-
en zulasten des Bundes erkauft werden.
Der vorliegende Gesetzentwurf ist deshalb keine aus-
eichende Korrektur der den Bund in seinen Kompeten-
en unverhältnismäßig stark einengenden Verfassungs-
nderung des Jahres 1994. Die Kompetenzen des
undes in der bisherigen konkurrierenden Gesetzgebung
erden nur zum Teil und um den Preis der Kompetenz-
bgabe an die Länder von diesen Einengungen befreit.
Einige der von den Ländern im Gegenzug hierfür er-
wungenen Öffnungsklauseln (Abweichungsrechte) und
ompetenzübertragungen können meiner Überzeugung
ach bei überzogener Nutzung für den Gesamtstaat und
eine Bürgerinnen und Bürger ein erhebliches Maß an
achteilen erbringen. Hieraus erwächst für die Parla-
ente der Länder ein großes Maß an Verantwortung.
uch deshalb war das Desinteresse der Landtage an den
eratungen zur Föderalismusreform unverständlich und
alsch.
Die mit dem Gesetzentwurf verbundene Grundge-
etzänderung darf kein Einstieg in einen Wettbewerbsfö-
eralismus zwischen den Ländern sein. Dies stünde mei-
er Überzeugung nach im Widerspruch zu den inneren
nd äußeren Anforderungen, vor denen Deutschland in
nserer Zeit steht. Das betrifft sowohl Deutschlands ge-
achsene Rolle in einer erweiterten Europäischen
nion, den Entwicklungsstand der neuen Länder am Be-
inn des Solidarpakts II als auch die berechtigten Erwar-
ungen der Bürgerinnen und Bürger an einen kooperati-
en Föderalismus in einem modernen Industriestaat.
Diese Reform ist abgeschlossen, aber sie ist nicht das
nde der Debatte um den deutschen Föderalismus.
Gunter Weißgerber (SPD): Die zur Abstimmung
orgelegte Föderalismusreform lehne ich ab. Sie erfüllt
eder ihre wichtigsten Ziele, wie Entflechtung von Bun-
es- und Länderebene und die maßgebliche Reduzierung
on Einsprüchen des Bundesrates in die Gesetzgebung
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4357
(A) )
(B) )
des Bundes, noch hält sie die Balance zwischen dem
Bund und den Ländern.
Die Behauptung, wonach der Anteil der zustim-
mungspflichtigen Gesetze nach Art. 84 Abs. l GG auf
unter 30 Prozent sinken wird, kann der Wirklichkeit
nicht standhalten. In Art. 84 Abs. l Satz 2 GG können die
Länder beliebig von dieser Regelung abweichen. Ich bin
sicher, sie werden dies, wie in der jüngsten Vergangen-
heit inflationär gehandhabt, im Falle kleiner Koalitionen
auf Bundesebene wieder ausufernd nutzen.
Die in Art. 84 Abs. l GG scheinbar gewonnene ge-
setzgeberische Freiheit des Bundes wird in Art. 104 a
Abs. 4 GG massiv konterkariert. Künftig bedürfen alle
Bundesgesetze der Zustimmung des Bundesrates, wenn
sie Pflichten der Länder zur Erbringung von Geldleistun-
gen oder geldwerten Sachleistungen gegenüber Dritten
begründen. Diese Zustimmungspflicht galt bisher nur,
wenn die Länder mindestens ein Viertel der Leistungen
erbringen mussten.
Die neu geregelte Abweichungsgesetzgebung gem.
Art. 72 Abs. 3 GG unterläuft das Ziel, Gesetzgebungs-
kompetenzen eindeutiger zuzuordnen. Sobald ein Land
von seiner Abweichungskompetenz Gebrauch macht,
müssen künftig innerstaatlich immer zwei gesetzliche
Regelungen zur Beurteilung herangezogen werden. Tre-
ten europäische Richtlinien hinzu, sind es dann sogar
drei zur Beurteilung notwendige gesetzliche Regelun-
gen.
Höchst widersprüchlich ist die 6-Monate-Aufschub-
regelung für Bundesgesetze in Art. 72 Abs. 3 Satz 2 GG.
Über die Verweisung in Art. 84 Abs. l Satz 3 GG gilt
dieser zeitliche Aufschub nur für Bundes-, jedoch nicht
für Landesgesetze.
Bei Unterstellung, dass alle 16 Bundesländer die ih-
nen neu erwachsenden Gesetzgebungskompetenzen in
gleicher Qualität erfüllen, entsteht durch das Vorhan-
densein von bis zu 17 verschiedenen Regelungen im
Bundesgebiet ein deutliches Plus an Gesetzen. Massiver
Bürokratieaufbau und eine noch größere Unübersicht-
lichkeit werden die unangenehme Folge sein. Für bun-
desländerübergreifende Firmen und Institutionen wird
dies ein erheblicher Standortnachteil sein.
Nach Art. 23 Abs. 6 GG wird die Wahrnehmung der
Rechte der Bundesrepublik Deutschland in der Europäi-
schen Union vom Bund auf einen Ländervertreter über-
tragen, wenn im Schwerpunkt Länderkompetenzen
betroffen sind. Damit wird es keine einheitliche Außen-
vertretung der Bundesrepublik Deutschland in Brüssel
mehr geben. Wir muten damit anderen Staaten zu, das
komplizierte und schwer durchschaubare politische Sys-
tem der Bundesrepublik Deutschland entwirren zu müs-
sen.
Besonders schwerwiegend ist das Kooperationsverbot
im Bereich der schulischen Bildung, welches den Schul-
standort Deutschland endgültig zu 16 unterschiedlichen
Schulstandörtchen degradiert.
Die jetzige Föderalismusreform verschärft die seit
1994 (Art. 72 GG) in Gang gesetzte Entwicklung vom
B
i
B
s
W
t
D
S
1
p
B
r
f
R
F
m
V
u
h
d
I
g
S
z
s
d
R
t
t
Z
A
d
q
d
d
r
l
s
c
r
A
d
B
g
d
k
d
s
W
t
V
(C
(D
undesstaat zum Staatenbund. Die jetzigen Änderungen
m Grundgesetz werden die künftigen Gesetzgeber in der
undesrepublik Deutschland mühsam zurückholen müs-
en.
Ein Staat, der sich auf diese Art selbst zerlegt, hat im
ettbewerb mit seinen europäischen Nachbarn langfris-
ig schlechte Karten. Ich bin Bürger der Bundesrepublik
eutschland und lebe in Sachsen. Als sächsischer
taatsbürger fühle ich mich nicht und als solcher bin ich
990 der Bundesrepublik nicht beigetreten.
Der vorliegende Reformentwurf ist die „Siegestro-
häe 2004“ der jahrelangen Jagd der CDU-regierten
undesländer auf die vormalige rot-grüne Bundesregie-
ung. Eine Siegesformel kann nicht die Grundlage einer
airen Reform der bundesstaatlichen Ordnung sein.
Meine Farben sind Schwarz-Rot-Gold, die Farben der
epublik. Meine Hymne heißt „Einigkeit und Recht und
reiheit“.
Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Der Föderalis-
us in Deutschland ist Resultat unserer Geschichte und
erfassung. Der Bund ist durch die Länder entstanden
nd durch diese ist die notwendige Einheit Deutschlands
erbeigeführt worden. Diese Einheit Deutschlands lebt
urch den Föderalismus, die Vielfalt der verschiedenen
deen, Konzepte und politischen Entscheidungen. Mit
utem Grund hat der Parlamentarische Rat 1948/49 ein
ystem geschaffen, in dem ein „Trial-and-Error“-Pro-
ess möglich ist.
Der Grundgedanke des Wettbewerbs zwischen politi-
chen Systemen und politischen Ansätze ist notwendiger
enn je. Wettbewerbsföderalismus, also das regelmäßige
ingen um die richtigen Wege bzw. Inhalte und die Wei-
ergabe von Erfahrungen, ist wesentlich für unsere poli-
ische Entwicklung in der Bundesrepublik und für unsere
ukunft.
Den Föderalismus zu erhalten, ist nicht nur ein aus
rt. 20 GG sich ergebendes Gebot, sondern verschafft
em deutschen Staat auch einen zukunftsweisenden,
ualitativen Vorsprung. Mit diesem politischen System
er Bundesrepublik Deutschland sind wir seit der Grün-
ung sicher, friedlich und gut gefahren. So wurde die eu-
opäische Integration erfolgreich gestaltet und Deutsch-
and hat sich so als fortschrittliches, kreatives und
tabiles Land mit einer demokratischen Kultur entwi-
kelt. Dieses föderale System hat zusammen mit der Ga-
antie der kommunalen Selbstverwaltung maßgeblich
nteil an der tief verwurzelten, demokratischen Haltung
er Bürgerinnen und Bürger und hat das Ansehen der
undesrepublik als Bundesstaat in Europa und der Welt
efördert.
Für mich ist das Vertrauen in jeden Einzelnen und in
ie Entscheidungsfähigkeit und -bereitschaft der Bürger
ennzeichnend für unsere Politik. Dementsprechend ist
er Grundsatz der Subsidiarität nicht nur ein technokrati-
cher Begriff, sondern gelebte Graswurzeldemokratie.
enn eine politische Entscheidung vor Ort sinnvoll ge-
roffen werden kann, muss dieses auch möglich sein. Die
erteilung der Verantwortung zwischen den Kommunen,
4358 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006
(A) )
(B) )
dem Land, dem Bund und der europäischen Ebene nach
dem Grundsatz der Subsidiarität muss immer wieder neu
austariert werden. Ebenso bin ich der Meinung, dass nur
das, was unbedingt von der Bundesebene entschieden
und umgesetzt werden muss, auch dort richtig platziert
ist. Die Subsidiarität politischer Entscheidungen und der
Vollzug derselben sind ein urliberaler Ansatz. Der Föde-
ralismus trägt diesem Gedanken, dem ich mich ver-
pflichtet fühle, Rechnung.
Gleichzeitig ist es notwendig, um das bestehende fö-
derale System stark zu halten, dieses zu ändern. Lang-
wierige Entscheidungswege im Gesetzgebungsverfah-
ren, vielfach unklare Zuständigkeiten zwischen Bund,
Ländern und Selbstverwaltungskörperschaften und die
Tatsache, dass durch die im Bundesrat vertretenen Lan-
desregierungen vielfach die Exekutive der Länder ein
stärkeres Gewicht erhalten haben, machen deutlich, dass
eine Reform erforderlich ist. Es gilt, nicht nur den Föde-
ralismus, sondern auch die Demokratie, den Rechtsstaat
und die individuellen Grundrechte in Deutschland zu
stärken. Durch eine klare Aufteilung der Zuständigkei-
ten zwischen Bund und Ländern werden die Legislativ-
organe der Länder und der Deutsche Bundestag gestärkt,
Entscheidungen im intransparent tagenden Vermittlungs-
ausschuss minimiert. Eine klare Abgrenzung der Kom-
petenzen macht deutlich, wer für welche Entscheidun-
gen die Verantwortung trägt. Dieses wirkt stabilisierend
auf die Demokratie in Deutschland.
Der Weg zu einer klaren Abgrenzung der Zuständig-
keiten geht grundsätzlich in die richtige Richtung. Ge-
rade die FDP war hier seit Jahrzehnten Vordenkerin und
Antreiberin.
Es wurde nun durch die Regierungsfraktionen CDU/
CSU und SPD ein Entwurf vorgelegt, der stärkere Züge
zur Klarstellung der Zuständigkeiten beinhaltet. Be-
trachtet man die Klarstellung der Zuständigkeiten allein,
ist diese Reform ein Schritt in die richtige Richtung und
wäre aufgrund der Tendenz zustimmungswürdig. Allein
das Ziel der Reduzierung der Zustimmungsvorbehalte
durch den Bundesrat ist begrüßenswert. Insofern befür-
worten wir ausdrücklich das Bemühen von CDU/CSU,
SPD und FDP in diesem langwierigen Prozess, den Bun-
desstaat weiterzuentwickeln.
Allerdings ist eine Zustimmung zu dem Gesetzent-
wurf insgesamt schwer, da wesentliche Punkte nicht an-
gegangen wurden. Die Klarstellung von Zuständigkeiten
zwischen Bund und Ländern hilft nur wenig, wenn eine
klare Struktur der Finanzverfassung durch die Regie-
rungsfraktionen nicht existiert. Gerade die Reform der
Finanzverfassung ist essenziell, um Wettbewerb zwi-
schen den Ländern um die besten Lösungen zu errei-
chen. Auch wurde verpasst, die Sicherheit der Einnah-
men der Städte und Gemeinden, deren Freiheit im
Umgang mit ihren Mitteln und damit die durchhaltbare
Garantie der Selbstverwaltung ausreichend klarzustel-
len. Allein die unverbindliche Ankündigung der Bundes-
kanzlerin und eine unklare Absichtserklärung durch ei-
nige Ministerpräsidenten reicht nicht, die politisch
erforderliche und dem eigentlichen Ziel entsprechende
Verbindung zwischen der klaren Aufgabenzuteilung auf
d
r
z
s
s
l
v
g
g
h
h
d
m
g
m
W
r
d
G
n
n
g
d
a
b
u
s
g
g
A
S
F
H
A
ß
r
d
t
t
k
m
l
K
u
(C
(D
er einen und der Erhebung der Finanzmittel – gegen die
eine Finanzmittel-„Verteilung“ – auf der anderen Seite
u erkennen. Aber beides sind zwei Seiten ein und der-
elben Medaille.
Nur durch eine deutliche Änderung der Finanzverfas-
ung im Grundgesetz lässt sich der Wettbewerbsfödera-
ismus vollenden. Die Bewegung sollte dabei nicht nur
om Bund, sondern muss, auch im Hinblick auf die Neu-
estaltung der Anzahl der Länder, von den Ländern aus-
ehen.
Eine vielfach in der Diskussion und auch in den An-
örungen geäußerte Besorgnis der Absenkung oder An-
ebung von Standards oder der Rechtszersplitterung
urch unterschiedliche Gesetze in den Ländern oder da-
it zusammenhängende Entscheidungen der Gerichte ist
erade in Anbetracht der gewollten Auseinandersetzung
it unterschiedlichen Politikansätzen, -konzepten, dem
ettbewerb der Ideen und dem gewollten „Trial-and-Er-
or“-Prozess dem Föderalismus immanent. Vor allem ist
er auch in dieser Föderalismusreform unangetastete
rundsatz, der in Art. 70 Abs. 1 GG firmiert wurde, wo-
ach grundsätzlich die Länder die Gesetzgebungsbefug-
is haben, hervorzuheben.
Im Gesetzgebungsprozess des Deutschen Bundesta-
es sind vor allem Änderungsanträge gestellt worden,
ie eine Beibehaltung oder Übertragung von Aufgaben
n den Bund zum Inhalt hatten. Dies dokumentiert eine
emerkenswerte Einstellung des Bundesgesetzgebers
nd zeigt ein meines Erachtens unbegründetes Missver-
tändnis der Handelnden über die dem Föderalismus zu-
runde liegenden politischen Fundamente. Eine gesetz-
eberische Maßnahme zur weiteren Zentralisierung von
ufgaben setzt immer eine an dem Grundgedanken der
ubsidiarität und an der Bereitstellung der individuellen
reiheit für den Einzelnen orientierte Prüfung voraus.
ieran hat es leider häufig gefehlt.
nlage 9
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Ingrid Fischbach und
Michaela Noll (beide CDU/CSU) zur namentli-
chen Abstimmung über den Entwurf eines Ge-
setzes zur Änderung des Grundgesetzes
(Art. 22, 23, 33, 52, 72, 73, 74, 74 a, 75, 84, 85,
87 c, 91 a, 91 b, 93, 98, 104 a, 104 b, 105, 107,
109, 125 a, 125 b, 125 c, 143 c) (Tagesordnungs-
punkt 29 a)
Hiermit erklären wir gemäß § 31 GO BT: Wir begrü-
en, dass der Bund auch weiterhin materielles Jugend-
echt erlassen kann. Dennoch haben wir Bedenken, ob
ie Substanz der bundesweiten Gesetzgebungskompe-
enz im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe auch wei-
erhin erhalten bleibt. Die Föderalismusreform darf
einesfalls zu einer beliebigen Ausdifferenzierung ele-
entarer Strukturen des KJHG führen. Die Bereitstel-
ung eines gleichwertigen Angebots an Leistungen der
inder- und Jugendhilfe für alle Kinder, Jugendliche
nd Familien muss auch durch zentrale Verfahrensrege-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4359
(A) )
(B) )
lungen im SGB VIII unterstützt werden. Die verlässliche
Qualität der Angebote sowie die angemessene Gestal-
tung der Barrieren der Inanspruchnahme sind bundes-
weite Anliegen und dürfen nicht durch örtliche Prioritä-
tensetzung gefährdet werden.
Wir erwarten, dass die Länder ihre größere Kompe-
tenz nutzen und die Kinder- und Jugendhilfe qualitativ
weiterentwickeln.
Anlage 10
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Florian Toncar und Frank
Schäffler (beide FDP) zur namentlichen Ab-
stimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur
Änderung des Grundgesetzes (Art. 22, 23, 33,
52, 72, 73, 74, 74 a, 75, 84, 85, 87 c, 91 a, 91 b, 93,
98, 104 a, 104 b, 105, 107, 109, 125 a, 125 b, 125 c,
143 c) (Tagesordnungspunkt 29 a)
Eine Föderalismusreform ist überfällig. Das ur-
sprünglich vom Grundgesetz nicht vorgesehene, dann
aber im Laufe der Jahre entstandene deutsche Modell
des kooperativen Föderalismus ist gescheitert.
Es ist dadurch gekennzeichnet, dass in zahlreichen
politischen Fragen Bund und Länder in einer Weise zu-
sammenwirken, die es den Bürgern nahezu unmöglich
macht, politische Verantwortung einer bestimmten
Ebene zuzuordnen. Folge ist ein Bedeutungsverlust der
Länderparlamente, aber auch des Bundestages bei wach-
sender Macht der Exekutive in Bund und Land sowie des
Vermittlungsausschusses. Darüber hinaus kommt bei
Einbindung zu vieler Beteiligter, insbesondere über den
Bundesrat, die politische Lähmung zustande, die wir seit
Jahren zu beklagen haben.
Gleichzeitig ebnet der kooperative Föderalismus aus
einem falschen Gleichheitsverständnis – insbesondere
aus einer verfehlten Interpretation des in Art. 72 des
Grundgesetzes verwendeten Begriffs der Einheitlichkeit
der Lebensverhältnisse heraus – regionale Unterschiede
ein und nivelliert Erfolge auf Länderebene umgehend
wieder. Das ist unfair den erfolgreichen Ländern gegen-
über und verhängnisvoll im Hinblick darauf, dass mitt-
lerweile zahlreiche Länder auf Dauer nicht finanziell le-
bensfähig sind und auf unabsehbare Zeit auf immer
höhere Transfers anderer Länder und des Bundes ange-
wiesen sind. Wenn sich hier nicht schnellstens etwas än-
dert, ist die finanzielle Leistungsfähigkeit aller Länder
und des Bundes gefährdet.
Die Lösung muss in der Einführung eines Wettbe-
werbsföderalismus liegen. Regionale Unterschiede sind
nicht nur geduldeter, sondern tragender und gewollter
Bestandteil eines solchen Systems. Voraussetzung dafür
ist, dass die Länder, die sich heute vielfach zu Großland-
kreisen, zu fast reinen Verwaltungseinheiten entwickelt
haben, wieder mehr eigene politische Gestaltungsmacht
bekommen. Im Gegenzug müssen die Länder aber auf
d
a
v
u
A
e
e
r
r
n
U
i
t
n
r
t
s
D
T
a
t
s
w
r
c
g
s
n
e
a
d
g
s
s
Z
e
s
f
n
f
p
s
m
H
g
d
s
m
d
(C
(D
ie Überhand nehmende Mitbestimmung in Bundes-
ngelegenheiten verzichten.
Darüber hinaus muss durch eine Reform der Finanz-
erfassung mit einer eigenen Steuerhoheit der Länder
nd einer klaren Zuständigkeit bei der Finanzierung von
ufgaben durch Abschaffung von Mischfinanzierungen
ndlich die Voraussetzung dafür geschaffen werden, dass
rfolgreiche Länder mit tragfähigen Verwaltungsstruktu-
en belohnt und Länder, deren Politik weniger erfolg-
eich ist und die ihre Politik nicht selbst finanzieren kön-
en, unter Druck gesetzt werden, dies zu ändern.
nabhängigkeit auf Kosten anderer ist ein Widerspruch
n sich.
Die von der Koalition vorgelegte Reform berücksich-
igt diese Erwägungen nur bedingt. Sie ist für sich ge-
ommen nicht ausreichend, aber dennoch eine Verbesse-
ung im Vergleich zum Status quo.
Es ist bedauerlich, dass die Reform der Kompetenz-
itel ohne eine gleichzeitige Reform der Finanzverfas-
ung durchgeführt werden soll. So nimmt man den
ruck von allen Beteiligten, diesen wichtigen zweiten
eil der Reform umgehend in Angriff zu nehmen.
Auch der vorgelegte Entwurf weist deutliche Mängel
uf. Zwar sind die an die Länder übergehenden Kompe-
enztitel vertretbar und hätten sogar noch umfangreicher
ein können. Allerdings wird mit der vorgesehenen Ab-
eichungsbefugnis für die Länder – etwa im Umwelt-
echt – eine die bisherige Systematik der grundgesetzli-
hen Kompetenztitel durchbrechende neue Form
emeinsamer Gesetzgebung eingeführt, die keinerlei
achliche Verbesserung bringt und eher das Ergebnis ei-
er komplizierten politischen Kompromissfindung ist als
ine an der Materie orientierte Lösung. Abzulehnen ist
uch der Verzicht auf ein völliges Einmischungsverbot
es Bundes in die Bildungshoheit der Länder. Gerade so
enannte Kooperationsprogramme des Bundes ver-
chleiern Verantwortung, verzerren den Wettbewerb und
ind nur ein weiterer Basar, auf dem der Bund sich die
ustimmung von Ländern in anderen politischen Fragen
rkaufen kann. So etwas gehört kategorisch ausgeschlos-
en.
Wegen der genannten Mängel des Entwurfes kommt
ür mich eine Zustimmung zum Entwurf der Koalition
icht in Betracht.
Unterschätzt wird in der Diskussion allerdings die er-
reuliche Reduzierung der im Bundesrat zustimmungs-
flichtigen Bundesgesetze. Das stärkt das Parlament,
chafft mehr Transparenz und ist ein Gewinn für die De-
okratie. Es ist darüber hinaus eine Verbesserung im
inblick auf die politische Entscheidungsfähigkeit ins-
esamt und damit auf die Möglichkeit, die weit reichen-
en Reformen zügig zu verabschieden, die Deutschland
o dringend braucht.
Diese Verbesserung in Rechnung stellend, habe ich
ich entschlossen, den Entwurf nicht abzulehnen, son-
ern mich der Stimme zu enthalten.
4360 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006
(A) )
(B) )
Anlage 11
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Christine Lambrecht und
Christoph Strässer (beide SPD) zur namentli-
chen Abstimmung über den Entwurf eines
Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes
(Art. 22, 23, 33, 52, 72, 73, 74, 74 a, 75, 84, 85, 87 c,
91 a, 91 b, 93, 98, 104 a, 104 b, 105, 107, 109, 125 a,
125 b, 125 c, 143 c) (Tagesordnungspunkt 29 a)
Klarheit bei der politischen Verantwortung, transpa-
rente Verfahren und mehr Demokratie durch Stärkung
der Parlamente: Das sind Ziele, die auch von den Unter-
zeichnern dieser Erklärung nach § 31 der Geschäftsord-
nung geteilt werden. Deshalb war es auch unbedingt not-
wendig, nach den Verfassungsänderungen von 1994 und
der damaligen Einführung des Verfassungskriteriums der
Erforderlichkeit den Versuch zu unternehmen, sich
durch politisch souveräne Entscheidungen von der An-
hängigkeit von Entscheidungen des Bundesverfassungs-
gerichts zu befreien und insgesamt zu einer klareren Zu-
ordnung der politischen Verantwortlichkeiten in den
Landesparlamenten und im Bundestag zu kommen.
Mit unserer Zustimmung zu der vorliegenden Verfas-
sungsreform wollen wir grundsätzlich anerkennen, dass
es hier zu substanziellen Verbesserungen und Klärungen
gegenüber der jetzigen Verfassungslage gekommen ist.
Wir stellen fest, dass insbesondere in den letzten Ver-
handlungsrunden noch wichtige Verbesserungen in den
Organisations- und Verfahrensfragen erreicht worden
sind wie auch in der Verteilung der Zuständigkeiten von
Bund und Ländern, hier vor allen Dingen im Bildungs-
bereich.
Die klare Neuregelung des Art. 72 Abs. 2 GG wird
die Kompetenzfrage zwischen dem Bund und den Län-
dern zukünftig verbessern.
Auf der anderen Seite müssen und wollen wir nach-
drücklich deutlich machen, dass es weiterhin klare Kri-
tikpunkte gibt.
Ein für uns wesentlicher Punkt ist die Übertragung
der Verantwortung für den Strafvollzug vom Bund auf
die Länder. Diese halten wir für völlig falsch. Auch die
Anhörung hat hierfür keinerlei sachliche Begründung er-
geben. Wir bedauern es, dass durch die politische Fehl-
einschätzung der Bundesjustizministerin Zypries, die die
Kompetenz für den Strafvollzug ohne Abstimmung mit
den Rechtspolitikern den Ländern angeboten hat. Bedau-
erlicherweise hatten spätere Versuche, diesen Fehler zu
korrigieren, keinen Erfolg, da die Länder an dem Ange-
bot festgehalten haben.
Die Folge wird ein Wettbewerbsföderalismus der
schlechten Sorte sein, bei dem sich die Situation für die
Resozialisierungsprogramme und die Wiedereingliede-
rung von Strafgefangenen in die Gesellschaft erheblich
verschlechtern wird. Dies wird weit reichende Auswir-
kungen sowohl auf den Strafvollzug als auch auf die Kri-
minalitätsentwicklung in Deutschland haben.
Wir haben bis zur letzten Minute versucht, dies zu
verhindern, unter anderem auch durch unsere Zustim-
m
R
d
e
D
z
m
r
E
u
r
s
n
m
S
z
d
d
z
d
p
k
l
B
o
A
t
S
u
t
r
i
f
h
J
d
l
g
d
g
l
u
l
w
(C
(D
ung bei einem Änderungsantrag zu dieser Frage im
echtsausschuss. Unsere Appelle an die Kollegen auf
er Bundesebene sind leider ohne Erfolg geblieben. Ein
ntsprechender Antrag fand im Rechtsausschuss des
eutschen Bundestages keine Mehrheit. Es wird daher
u einer Kompetenzübertragung auf die Länder kom-
en.
Wir sehen hierin eine bedauerliche Missachtung kla-
er Forderungen auch aus der Fachöffentlichkeit und der
rkenntnis der gemeinsamen Anhörung von Bundestag
nd Bundesrat.
Grundsätzlich stellen wir fest: Der solidarische Föde-
alismus war bisher ein Fundament der Erfolgsge-
chichte der Bundesrepublik. Dieses Fundament darf
icht zerstört werden durch einen Wettbewerbsföderalis-
us, der gesamtstaatliche und gesamtgesellschaftliche
olidarität erschwert oder gar verhindert. Die Unter-
eichnenden machen mit der Erklärung auch gemeinsam
eutlich, dass sie bei den weiteren Verhandlungen über
ie zukünftige Gestaltung der Bund-Länder-Finanzbe-
iehungen für unverzichtbar halten, dass die Sicherung
er Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse zentrales
olitisches Ziel und Verfassungsauftrag auch für die Zu-
unft bleiben müssen. Hieran haben sich auch alle Über-
egungen zu den zukünftigen Finanzbeziehungen von
und und Ländern und der Länder untereinander zu
rientieren.
nlage 12
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Lothar Binding (Heidelberg),
Kerstin Griese, Christel Humme und Caren
Marks (alle SPD) zur namentlichen Abstim-
mung über den Entwurf eines Gesetzes zur Än-
derung des Grundgesetzes (Art. 22, 23, 33, 52,
72, 73, 74, 74 a, 75, 84, 85, 87 c, 91 a, 91 b, 93,
98, 104 a, 104 b, 105, 107, 109, 125 a, 125 b,
125 c, 143 c) (Tagesordnungspunkt 29 a)
Wir stimmen dem oben genannten Gesetzentwurf
rotz Bedenken zu. Unsere Bedenken wurden durch die
achverständigenanhörung des Deutschen Bundestages
nd des Bundesrates nicht ausgeräumt, sondern bekräf-
igt.
Erstens. Der vorliegende Entwurf der Föderalismus-
eform räumt den Ländern großen Gestaltungsspielraum
m Hinblick auf die Bestimmung von Verwaltungsver-
ahren und Behördeneinrichtungen ein. Wir befürchten
ierdurch negative Auswirkungen auf die Kinder- und
ugendhilfe. Denn ein gemeinsamer Rahmen von Stan-
ards und Strukturen bleibt auch weiterhin eine wesent-
iche Voraussetzung für die Verbesserung der Lebensla-
en von Kindern und Jugendlichen. Diesen sehen wir
urch die Föderalismusreform gefährdet. Beispielhaft
enannt seien die mögliche Abschaffung der kommuna-
en Jugendämter sowie der Landesjugendämter, die
nserer Einschätzung nach notwendig sind für eine qua-
ifizierte, schnelle, zielgenaue und effiziente Hilfege-
ährung.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4361
(A) )
(B) )
Zweitens. Wir halten die Übertragung der Kompetenz
für das Heimrecht auf die Länder nicht für richtig. Das
Heimrecht gehört – wie alle anderen Bereiche der öffent-
lichen Fürsorge – in Bundeszuständigkeit. Es ist nicht
nachvollziehbar, warum die Herstellung gleichwertiger
Lebensverhältnisse nicht für die Bewohnerinnen und Be-
wohner von Heimen Gültigkeit haben soll. Konkret be-
fürchten wir durch die Kompetenzverlagerung Ver-
schlechterungen im Hinblick auf die Qualität von Pflege
und Einschnitte bei den Verbraucherschutzrechten. Die
abzusehenden Schnittstellenprobleme zwischen der Pfle-
geversicherung (SGB XI) und dem dann föderalisierten
Heimrecht werden unserer Meinung nach gravierend
sein.
Grundsätzlich halten wir eine Föderalismusreform
aber für geboten und sinnvoll. Gesetzgebungskompeten-
zen klarer zu trennen, die Anzahl der Zustimmungs-
pflichtigen Gesetze zu reduzieren und damit den Bund
handlungsfähiger zu machen, für die Bürgerinnen und
Bürger größere Transparenz im Hinblick auf politische
Verantwortlichkeiten zu schaffen, sind Ziele, die wir für
richtig halten und die unsere Unterstützung finden. Die
Erreichung dieser Ziele hat für uns so großes Gewicht,
dass wir dem Entwurf trotz unserer Bedenken zustim-
men.
Anlage 13
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Edelgard Bulmahn, Ulla
Burchardt, Jörg Tauss, Gerold Reichenbach,
Gesine Multhaupt, Swen Schulz (Spandau), Ute
Berg und Dr. Carola Reimann (alle SPD) zur
namentlichen Abstimmung über den Entwurf
eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes
(Art. 22, 23, 33, 52, 72, 73, 74, 74 a, 75, 84, 85, 87
c, 91 a, 91 b, 93, 98, 104 a, 104 b, 105, 107, 109,
125 a, 125 b, 125 c, 143 c) (Tagesordnungs-
punkt 29 a)
Die Reform unseres föderalen Systems war und ist
überfällig. Klare Zuordnung der politischen Verantwor-
tung, transparente Verfahren und mehr Demokratie
durch Stärkung der Parlamente: Das sind Ziele, die auch
wir nachdrücklich teilen.
Mit unserer Zustimmung zu der vorliegenden Verfas-
sungsreform wollen wir grundsätzlich anerkennen, dass
es hier zu substanziellen Verbesserungen gegenüber dem
bisherigen Verfassungsentwurf gekommen ist. Wir stel-
len fest, dass insbesondere in den letzten Verhandlungs-
runden noch wichtige Verbesserungen in den Organisa-
tions- und Verfahrensfragen erreicht worden sind wie
auch in der Verteilung der Zuständigkeiten von Bund
und Ländern, hier vor allen Dingen im Bildungsbereich.
In der Wissensgesellschaft betreffen Bildungs- und
Qualifizierungsfragen die existenziellen Interessen des
Einzelnen wie der Gesellschaft als Ganzes. Bildung ist
zentrale Voraussetzung für Innovationsfähigkeit und da-
mit für Zuwächse in Wertschöpfung, Wachstum und Be-
schäftigung. Die Befunde der nationalen und internatio-
n
I
a
v
A
n
m
s
c
s
f
d
W
i
e
s
v
z
s
s
t
n
v
m
H
r
W
u
t
a
s
S
d
V
d
s
b
g
h
B
d
W
w
d
d
n
H
s
B
r
B
s
z
m
E
d
(C
(D
alen Studien sind eindeutig: Das Fundament des
nnovationsstandorts Deutschland hat tiefe Risse. Seit
nderthalb Jahrzehnten stagnieren das Qualifikationsni-
eau der Bevölkerung ebenso wie die gesamtstaatlichen
usgaben für Bildung. Das deutsche Bildungssystem ist
icht leistungsfähig genug, alle Menschen mit der best-
öglichen Bildung zu versorgen und alle Begabungsre-
erven auszuschöpfen. Soziale Auslese ist ein wesentli-
hes Merkmal, zunehmende Bildungsarmut und damit
oziale Armut sind die eine Folge, zu wenig Hochquali-
izierte und damit drohender Fachkräftemangel die an-
ere. Die Korrelation von Bildungsdefiziten mit der
achstums- und Innovationsschwäche in Deutschland
st evident. Um die Negativtrends umzudrehen, bedarf es
ines kooperativen Bildungs-, Wissenschafts- und For-
chungssystems und gemeinsamer Kraftanstrengungen
on Bund und Ländern. Mit dem im Verfassungsentwurf
unächst vorgesehenen Kooperationsverbot für den ge-
amten Bildungsbereich wurde der ursprüngliche Ge-
etzentwurf den existenziellen Handlungsnotwendigkei-
en nicht gerecht und eine Zustimmung wäre von daher
icht zu verantworten gewesen.
Wir begrüßen deshalb nachdrücklich die nunmehr
orgenommene Klarstellung im Art. 91 b GG zur ge-
einsamen Förderung von Lehre und Forschung an den
ochschulen. Damit ist eine eindeutige verfassungs-
echtliche Grundlage für die gemeinsame Förderung von
issenschaft und Forschung durch Bund und Länder,
nd zwar sowohl im investiven wie auch im nicht inves-
iven Bereich, geschaffen worden. Angesichts der her-
usragenden Bedeutung, die die Wissenschaft, For-
chung und eine qualitativ hochwertige Ausbildung der
tudierenden für die Zukunft unseres Landes haben, ist
ies ein deutlicher Fortschritt gegenüber dem bisherigen
erfassungsentwurf.
Wir bedauern allerdings, dass durch die Neufassung
es Art. 91 b GG und des 104 b Abs. 1 GG eine umfas-
ende Kooperation von Bund und Ländern im Bildungs-
ereich ausgeschlossen wird. Erfolgreiche Bildungspro-
ramme wie SINUS oder das Ganztagsschulprogramm
aben vielmehr deutlich gemacht, dass Initiativen des
undes auch im Schulbereich für die Weiterentwicklung
es Bildungswesens sinnvoll und wünschenswert sind.
ir verbinden unsere Zustimmung deshalb mit der Er-
artung, dass dieser weltweit einzigartige Ausschluss
er Kooperation nach vier Jahren vor dem Hintergrund
er Erfahrungen überprüft wird.
Wir gehen bei der im neuen Art. 143 c GG vorgesehe-
en Kompensation des Bundes für den Wegfall des
BFG vorgesehenen Zweckbindung der Finanzzuwei-
ungen an die Länder bis 2013 davon aus, dass diese die
undesmittel wie bisher mit 50 Prozent gegenfinanzie-
en.
Auf der anderen Seite haben wir weiterhin erhebliche
edenken in den folgenden Punkten: Erstens. Die vorge-
ehenen Regelungen zu Kostenfolgen von Bundesgeset-
en können unseres Erachtens zu weiteren Zustim-
ungsrechten des Bundesrates führen. Zweitens.
rforderlichkeitskriterium bleibt zum Teil erhalten, was
ie bekannte Rechtsunsicherheit nicht beseitigt. Drittens.
4362 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006
(A) )
(B) )
Das Abweichungsrecht birgt die Gefahr einer großen
Unübersichtlichkeit im Rechtssystem. Viertens. Wir neh-
men die Sorgen ernst, dass ein in 16 Rechtseinheiten zer-
splittertes öffentliches Dienstrecht zu einer deutlichen
Verringerung der Leistungskraft des öffentlichen Diens-
tes und zu einer erheblichen Einschränkung der Mobili-
tät der Beschäftigten führen kann. Letzteres wäre gerade
für den Wissenschaftsbereich fatal. Ein leistungsfähiger
öffentlicher Dienst ist ein wesentlicher Standortvorteil
für alle.
Grundsätzlich stellen wir fest:
Der solidarische Föderalismus war bisher ein Funda-
ment der Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik. Dieses
Fundament darf nicht zerstört werden durch einen Wett-
bewerbsföderalismus, der gesamtstaatliche und gesamt-
gesellschaftliche Solidarität erschwert oder gar verhin-
dert. Wir halten einen Wettbewerbsföderalismus, der das
Partikularinteresse vor das Gesamtinteresse stellt, für
schädlich für die Zukunft Deutschlands. Wettbewerb
funktioniert nur, wenn das Eigeninteresse auch dem Ge-
samtinteresse dient.
Die Sicherung der Gleichwertigkeit der Lebensver-
hältnisse muss auch für die Zukunft zentrales politisches
Ziel und Verfassungsauftrag bleiben. Hieran haben sich
auch die vorgesehenen Verhandlungen über die Neuord-
nung der zukünftigen Finanzbeziehungen von Bund und
Ländern und der Länder zu orientieren.
Anlage 14
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Johannes Singhammer,
Markus Grübel, Thomas Dörflinger, Paul
Lehrieder, Elisabeth Winkelmeier-Becker,
Antje Blumenthal und Katharina Landgraf
(alle CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung
über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung
des Grundgesetzes (Art. 22, 23, 33, 52, 72, 73,
74, 74 a, 75, 84, 85, 87 c, 91 a, 91 b, 93, 98, 104 a,
104 b, 105, 107, 109, 125 a, 125 b, 125 c, 143 c)
(Tagesordnungspunkt 29 a)
Die Länder haben durch die Föderalismusreform
– Art. 84 Abs. 1 des Grundgesetzes ersetzt die Zustim-
mungsrechte des Bundesrates durch Abweichungsrechte
der Länder – im Bereich des Kinder- und Jugendhilfe-
rechts und im Bereich des Heimrechts einen größeren
Gestaltungsspielraum erhalten. Wir sind überzeugt, dass
die Länder diesen Gestaltungsspielraum so nutzen, dass
die Qualität der Kinder- und Jugendhilfe und der Pflege
auf hohem Niveau erhalten bleibt und die grundsätzli-
chen Zielsetzungen der öffentlichen Fürsorge im SGB
nicht verändert werden.
Anlage 15
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Ralf Göbel, Beatrix Philipp,
Clemens Binninger, Reinhard Grindel, Ingo
z
s
e
f
s
E
l
D
d
G
d
t
g
g
g
u
g
k
d
g
s
G
r
d
t
d
e
d
s
t
r
W
r
s
A
p
V
a
w
t
g
d
v
d
u
A
(C
(D
Wellenreuther, Helmut Brandt, Klaus Riegert
und Günter Baumann (alle CDU/CSU) zur
namentlichen Abstimmung über den Entwurf
eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes
(Art. 22, 23, 33, 52, 72, 73, 74, 74 a, 75, 84, 85, 87 c,
91 a, 91 b, 93, 98, 104 a, 104 b, 105, 107, 109, 125 a,
125 b, 125 c, 143 c) (Tagesordnungspunkt 29 a)
Obwohl wir in Teilen die Änderung des Grundgeset-
es für falsch halten, werden wir dem Gesetzentwurf un-
ere Zustimmung erteilen. Die durch das Gesamtgesetz
rreichte Entflechtung der Zuständigkeiten, neu geschaf-
ene Handlungs- und Entscheidungsmöglichkeiten zwi-
chen dem Bund und den Bundesländern sowie die
rhöhung der Transparenz der politischen Verantwort-
ichkeiten überwiegen allerdings die Bedenken, die im
etail bestehen.
Aus unserer Sicht besteht unter keinem Gesichtspunkt
ie Notwendigkeit einer Ergänzung des Art. 33 Abs. 5
G um die Wörter „und fortzuentwickeln“ (Art. 1 Ziff. 3
es Gesetzentwurfes). Dies wurde ausweislich der Pro-
okolle einvernehmlich schon in den fachlichen Beratun-
en der Föderalismuskommission der vergangenen Le-
islaturperiode festgestellt. Alle Experten, die in der
emeinsamen Anhörung des Deutschen Bundestages
nd des Deutschen Bundesrates eine Stellungnahme ab-
egeben haben, kamen ebenfalls zu dem Ergebnis, dass
ein Änderungsbedarf besteht. Sie verwiesen dabei auf
ie langjährige Rechtsprechung des Bundesverfassungs-
erichts zu Art. 33 Abs. 5 GG. Auch ein Blick in die Ge-
chichte der Änderungen des Beamtenrechts unter der
eltung des Art. 33 Abs. 5 zeigt, dass eine Modernisie-
ung und Fortentwicklung des Beamtenrechts unter der
erzeitigen Fassung des Grundgesetzes nicht nur theore-
isch möglich war, sondern tatsächlich auch stattgefun-
en hat. Es besteht daher weder politisch noch rechtlich
ine Veranlassung, die im Gesetzentwurf enthaltene Än-
erung vorzunehmen.
In den Beratungen des Gesetzentwurfs wurde festge-
tellt, dass die Änderung lediglich deklaratorischer Na-
ur sein soll und die derzeit bestehende Verfassungs-
echtsprechung in den Verfassungstext aufnehmen soll.
ir stellen fest, dass die lediglich deklaratorische Ände-
ung mit entscheidend dafür ist, dass wir das oben ange-
prochene Votum abgeben. Wir halten die Änderung des
rt. 33 Abs. 5 GG aber nach wie vor für ein falsches
olitisches Signal und fachlich nicht geboten.
Die Übertragung des Laufbahn-, Besoldungs- und
ersorgungsrechtes an die Bundesländer, wie sie sich
us Art. 1 Ziff. 7 Buchstabe a, oo (Nr. 27) des Gesetzent-
urfes ergibt, ist aus unserer Sicht nicht gerechtfertigt.
Der Verbleib des Statusrechtes in der Bundeskompe-
enz wird, wie sich aus der Anhörung der Sachverständi-
en ergab, zu Abgrenzungsschwierigkeiten führen und
em Ziel der eindeutigen Trennung der Zuständigkeiten
on Bund und Bundesländern nicht gerecht.
Die Bundesländer selber haben 1971 den Bund ge-
rängt, die Zuständigkeit für Besoldungs-, Versorgungs-
nd Laufbahnrecht zu übernehmen. Die damaligen
rgumente gelten auch heute noch fort. Die seitherigen
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4363
(A) )
(B) )
vielfältigen gesetzlichen Regelungen zur Modernisie-
rung des Beamtenrechts, insbesondere zur Einführung
von leistungsbezogenen Besoldungselementen in der
Beamtenbesoldung, wurden von den Bundesländern
kaum, zum Teil gar nicht angewandt. Damit haben die
Bundesländer einen gewichtigen Teil einer Wettbe-
werbskomponente, die ihnen schon seit Jahren zur Ver-
fügung steht, nicht genutzt. Das Argument einer stärker
wettbewerbsorientierten Gestaltung des Besoldungs-
und Versorgungsrechts ist daher nur begrenzt stichhaltig.
Die Etablierung von theoretisch 17 verschiedenen
Versorgungssystemen für Landes- und Bundesbeamte ist
nicht überzeugend begründet und auch nicht überzeu-
gend begründbar, zumal auch im Versorgungsrecht
schon heute die Bundesländer nicht gehindert sind, Vor-
sorge für künftig anfallende Versorgungslasten zu tref-
fen. Nur wenige Bundesländer haben hier – trotz beste-
hender rechtlicher Möglichkeiten – Regelungen getroffen.
Die Übertragung des Laufbahnrechts in die Zustän-
digkeit der Bundesländer kann fördernde Wirkungen ha-
ben. Dies ist in der Anhörung überzeugend vorgetragen
worden. Gleichzeitig können aber auch erhebliche Mo-
bilitätshindernisse errichtet werden, die der im Allge-
meinen geforderten Mobilität und Flexibilität der Be-
schäftigten des öffentlichen Dienstes entgegenstehen.
Auch dies wurde in der Anhörung deutlich herausgear-
beitet. Wir halten daher die im Gesetzentwurf vorgese-
hene Übertragung der beschriebenen Zuständigkeiten
weder für notwendig, noch für zielführend.
Dennoch ist in diesem Zusammenhang zu berücksich-
tigen, dass im föderalen System der Bundesrepublik
Deutschland die Bundesländer eigene Staatsqualität ha-
ben. Zu dieser gehören unbestreitbar die Personal- und
die Finanzautonomie, die das Begehren der Bundeslän-
der auf die Rückübertragung der 1971 an den Bund über-
tragenen Kompetenzen rechtfertigen. Auch wenn wir die
Übertragung der genannten Zuständigkeiten für falsch
halten, können wir uns dem Begehren aus Respekt vor
der Eigenstaatlichkeit der Bundesländer nicht verschlie-
ßen.
Anlage 16
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Dr. Marlies Volkmer, Andrea
Wicklein, Dr. Margrit Spielmann, Dr. Peter
Danckert, Dr. Ditmar Staffelt, Andreas
Steppuhn, Christian Kleiminger, Volker
Blumentritt, Silvia Schmidt (Eisleben), Iris
Gleicke, Waltraud Wolff (Wolmirstedt),
Engelbert Wistuba und Andreas Weigel (alle
SPD) zur namentlichen Abstimmung über den
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
Grundgesetzes (Art. 22, 23, 33, 52, 72, 73, 74, 74 a,
75, 84, 85, 87 c, 91 a, 91 b, 93, 98, 104 a, 104 b,
105, 107, 109, 125 a, 125 b, 125 c, 143 c) (Tages-
ordnungspunkt 29 a)
Die Reform unseres föderalen Systems war und ist
überfällig. Klare Zuordnung der politischen Verantwor-
tung, transparente Verfahren und mehr Demokratie
d
a
p
d
A
d
L
m
w
s
t
H
w
w
d
A
B
w
D
A
u
v
F
u
n
d
F
d
b
d
s
d
S
d
g
f
A
n
(C
(D
urch Stärkung der Parlamente: Das sind Ziele, die wir
uch nachdrücklich teilen. Die Geschichte der Bundesre-
ublik Deutschland ist die Erfolgsgeschichte eines soli-
arischen Föderalismus. Er beruht auf dem Prinzip des
usgleichs und auf der Unterstützung der Schwächeren
urch die Stärkeren, ohne damit Unterschiede in der
eistungsfähigkeit zu vernachlässigen. Dieses Funda-
ent darf nicht zerstört werden durch einen Wettbe-
erbsföderalismus, der gesamtstaatliche und gesamtge-
ellschaftliche Solidarität erschwert oder gar verhindert.
Wir kritisieren in besonderer Weise, dass das Beam-
en- und Besoldungsrecht, das Strafvollzugs- und das
eimrecht in die Länderkompetenz übertragen und Ab-
eichungsmöglichkeiten im Umweltrecht geschaffen
urden. Darüber hinaus bedauern wir ausdrücklich, dass
urch die Neufassung des Art. 91 b GG und des
rt. l04 b Abs. 1 GG eine umfassende Kooperation von
und und Ländern im Bildungsbereich ausgeschlossen
ird.
Trotzdem haben wir dem Gesetzentwurf zugestimmt.
urch die nunmehr vorgenommene Klarstellung im
rt. 91 b GG zur gemeinsamen Förderung von Lehre
nd Forschung an den Hochschulen ist eine eindeutige
erfassungsrechtliche Grundlage für die gemeinsame
örderung von Wissenschaft und Forschung durch Bund
nd Länder, und zwar sowohl im investiven wie auch im
ichtinvestiven Bereich, geschaffen worden. Angesichts
er herausragenden Bedeutung, die die Wissenschaft,
orschung und eine qualitativ hochwertige Ausbildung
er Studierenden für die Zukunft unseres Landes und in
esonderer Weise für Ostdeutschland haben, ist dies ein
eutlicher Fortschritt gegenüber dem bisherigen Verfas-
ungsentwurf. Wir verknüpfen unsere Zustimmung je-
och mit der dringenden Erwartung, dass bei der zweiten
tufe der Föderalismusreform dem Ziel der Sicherung
er Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse Rechnung
etragen wird und die Zusagen aus dem Solidarpakt II
ür die neuen Länder unangetastet bleiben.
nlage 17
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Johannes Pflug, Heinz Paula,
Angelika Krüger-Leißner, Iris Hoffmann (Wis-
mar), Petra Ernstberger, Doris Barnett,
Bernhard Brinkmann (Hildesheim), Dr. Carl-
Christian Dressel, Karin Evers-Meyer, Dagmar
Freitag, Monika Griefahn, Hans-Joachim
Hacker, Petra Heß, Johannes Kahrs, Dr. h. c.
Susanne Kastner, Dr. Uwe Küster, Bernd
Scheelen, Silvia Schmidt (Eisleben), Reinhard
Schultz (Everswinkel), Simone Violka und
Steffen Reiche (Cottbus) (alle SPD) zur nament-
lichen Abstimmung über den Entwurf eines Ge-
setzes zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 22,
23, 33, 52, 72, 73, 74, 74 a, 75, 84, 85, 87 c, 91 a,
91 b, 93, 98, 104 a, 104 b, 105, 107, 109, 125 a,
125 b, 125 c, 143 c) (Tagesordnungspunkt 29 a)
Die Zustimmung zur Föderalismusreform ist mir
icht leicht gefallen. Denn eine Reihe von Bedenken, die
4364 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006
(A) )
(B) )
ich immer wieder geäußert habe, sind nicht ausgeräumt
worden. Im Wesentlichen geht es um folgende Punkte:
Der Zustimmungsvorbehalt des Bundesrates bei der
Bundesgesetzgebung hätte deutlicher reduziert werden
müssen. Die Verfassungskorrekturen im Umfeld von
Art. 83, 84 GG wiesen den richtigen Weg, der leider
nicht bis zum Ende beschritten werden konnte. Ferner
hätte ich ein einheitliches Strafvollzugsrecht (Art. 74
Abs. l Nr. l GG) begrüßt. Es besteht die Gefahr, dass sich
die Strafvollzugsregeln nach der Kassenlage des jeweili-
gen Bundeslandes richten. Es ist nicht ausgeschlossen,
dass Gefängnisse zu bloßen Verwahranstalten werden –
mit nicht absehbaren sozialen Folgen. Ebensosehr halte
ich es für bedenklich, dass das Heimrecht der Gesetzge-
bungskompetenz des Bundes entzogen wurde. Es ist
jetzt deutlich schwerer, eine Mindestqualität der statio-
nären Pflege zu sichern und einen Wettlauf nach unten
zu verhindern. Ich hätte mir gewünscht, behinderten und
alten Menschen wäre ein 16-faches Dickicht von Rege-
lungen für die Zusammenarbeit von Behörden, Einrich-
tungsträgern und anderen Beteiligten erspart geblieben.
Darüber hinaus hoffe ich sehr, dass auch die Abstim-
mungsverfahren zwischen Bund und Ländern für die Be-
reiche Rundfunk, Bildung und Kultur auf europäischer
Ebene noch effektiver gestaltet werden.
Trotzdem habe ich der Föderalismusreform zuge-
stimmt. Denn trotz der Risiken, die diese Reform mit
sich bringt, führt an ihr kein Weg vorbei. Langwierige
Entscheidungswege, übermäßige Verflechtungen und
gegenseitige Blockaden von Bund und Ländern haben
die Steuerungsfähigkeit unseres Staates in nicht akzep-
tabler Weise beeinträchtigt. Das können wir uns nicht
mehr leisten. Das Gesetz, dem ich zugestimmt habe, ist
nicht perfekt. Doch es beinhaltet den äußersten Kompro-
miss, den wir als Bundestagsabgeordnete der SPD den
Ländern abtrotzen konnten, ohne die Reform scheitern
zu lassen. Und ein Scheitern galt es – selbst um einen
hohen Preis – zu verhindern.
Zudem haben die Menschen in Deutschland ein Recht
darauf, nachvollziehen zu können, wer für welche Auf-
gaben zuständig und damit politisch verantwortlich ist.
Es wäre ein großer Schaden für unser Land und ein De-
saster für alle Entscheidungsträger, wenn die Reform
nach mehrjährigem harten Ringen scheitern würde.
Letztendlich habe ich für diese Reform gestimmt,
weil trotz meiner Kritik die wesentlichen Reformziele
erfüllt wurden. Hier sind zu nennen:
– Stärkung der Gesetzgebung durch deutlichere Zuord-
nung der Gesetzgebungskompetenzen und Abschaf-
fung der Rahmenkompetenzen.
– Abbau gegenseitiger Blockaden durch Neubestim-
mung der Zustimmungsbedürftigkeit von Bundesge-
setzen im Bundesrat.
– Klarere Finanzverantwortung zwischen Bund und
Ländern durch Abbau von Mischfinanzierungen und
Neufassung der Möglichkeiten der Finanzhilfen des
Bundes, wobei die Zusagen aus dem Solidarpakt II
für die neuen Bundesländer bekräftigt werden sollten.
d
r
F
i
s
b
D
A
A
(
e
d
d
c
B
d
g
n
l
B
B
r
D
–
–
–
–
–
–
(C
(D
Diese Ziele haben wir erreicht. Statt 55 bis 60 Prozent
er Bundesgesetze sinkt die Zustimmungsquote nun vo-
aussichtlich bis unter 30 Prozent. Das ist ein großer
ortschritt. Der Bund kann nunmehr viele Bereiche, die
n seiner Gesetzgebungskompetenz stehen, ohne Einmi-
chung des Bundesrates regeln. In wichtigen Bereichen
ehält der Bund seinen Einfluss, etwa im Öffentlichen
ienstrecht oder allgemein durch die Regel, dass bei den
bweichungsrechten der Länder (Art. 72 Abs. 3, Art. 84
bs. l GG) die späteren Gesetze den früheren vorgehen
Ex-posterior-Regel). Der Bund kann zudem bis 2009
in vollständiges Umweltgesetzbuch entwickeln, von
em die Länder in den Kernpunkten nicht abweichen
ürfen. Der Bund gewinnt zudem sechs wichtige Berei-
he hinzu, etwa die ausschließliche Kompetenz für das
KA im Kampf gegen den internationalen Terrorismus,
as Waffenrecht oder durch verbindliche Länderbeteili-
ung bei Verletzungen von EU-Recht sowie bei Sanktio-
en aufgrund von Verletzungen des Europäischen Stabi-
itätspaktes. Darüber hinaus haben wir erreicht, dass der
und Europarecht schneller umsetzen kann und damit in
rüssel besser aufgestellt ist.
Auf der anderen Seite nimmt sich der Bund dort zu-
ück, wo die Angelegenheiten der Länder berührt sind.
ies sind insgesamt 16 Materien, unter anderem:
Verfahrensrecht und die Behördeneinrichtung, eine
ausgesprochene Domäne der Länder;
Abschaffung der Kategorie der Rahmengesetzgebung
(bisher Art. 75 GG), weil dreistufige Verfahren (Euro-
päisches Recht, Bundesrahmenrecht, Landesausfül-
lungsrecht) zu umständlich sind und weil diese
Gesetzgebungskompetenz in der Verfassungspraxis
ohnehin ins Leere läuft;
Teile des Öffentlichen Dienstrechts, insbesondere die
Besoldung und Versorgung der Landesbeamten und
Richter;
im Bereich des Hochschulwesens, in dem den Län-
dern die Freiheit gegeben wird, den Universitäten und
anderen Hochschulen die Chance auf mehr Eigenver-
antwortung und Unabhängigkeit zu geben;
im Umweltrecht, insbesondere im Bereich des Natur-
schutzes. Wichtig ist, dass die Länder nur außerhalb
der Grundsätze des Naturschutzes abweichen dürfen.
Mag diese Regelung auch vielen Bauchschmerzen be-
reiten, sie ist dem Kompromiss zwischen Bund und
Ländern geschuldet. Zudem befürchte ich nicht, dass
die Landesparlamente die neue Macht nutzen, um den
Naturschutz zurückzufahren. Ganz im Gegenteil: Das
Bewusstsein dafür, wie wertvoll saubere Flüsse, ab-
gasarme Luft und gesunde Wälder sind, bildet sich
vor allem in den Gemeinden und Stadteilen vor Ort.
Und da sind die Länder allemal näher dran;
Gemeinschaftsaufgaben aufzugeben ermöglicht dem
Bund ein Stück Bürokratieabbau. Zwar leistet der
Bund Kompensationszahlungen in Höhe von gut
2,5 Milliarden Euro jährlich bis 2013. Doch sind
diese Aufgaben zweckgebunden. Und die Länder
übernehmen dafür Aufgaben in den Bereichen Hoch-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4365
(A) )
(B) )
schulbau, Gemeindeverkehrsfinanzierung und sozia-
ler Wohnungsbau.
Alles in allem handelt es sich um die größte Verfas-
sungsreform seit Bestehen des Grundgesetzes. Solch ein
Reformprojekt darf man nicht scheitern lassen, so sehr
ich auch einige Regelungen für verbesserungswürdig
halte.
Schließlich muss ich anerkennen, dass nach den Ex-
pertenanhörungen im Mai und Juni 2006 ein wesentli-
cher Punkt verbessert wurde. Der Kompromiss, dass der
Bund Vorhaben der Wissenschaft und Forschung an
Hochschulen und Forschungsbauten an Hochschulen ne-
ben wissenschaftlicher Forschung außerhalb der Hoch-
schulen Finanzhilfen geben darf (Art. 91 b GG), stellt si-
cher, dass er auch Gelder für den Ausbau der
Hochschulen überweisen kann. Das ist mir sehr wichtig.
Dieser Kompromiss, insbesondere die Erweiterung von
„wissenschaftlicher Forschung“ auf „Wissenschaft und
Forschung“ (Art. 91 b Abs. l Nr. 2 GG) hat wesentlich
dazu beigetragen, dass ich dieser Reform trotz meiner
Bedenken zugestimmt habe.
Ich erwarte, dass wir diesen Reformprozess unseres
Grundgesetzes nicht nur begleiten, sondern nach einem
angemessenen Zeitabstand die Wirkung der Änderungen
bewerten. Denn das Wohl unseres Landes und seiner
Menschen in einem modernen, föderalen und sozialen
Rechtsstaat muss unser fester Wille und das oberste Ziel
unseres Handelns sein.
Anlage 18
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Dr. Lale Akgün, Lothar
Binding (Heidelberg), Elvira Drobinski-Weiß,
Elke Ferner, Willi Brase, Renate Gradistanac,
Klaus Hagemann, Dr. h. c. Wolfgang Thierse,
Gabriele Hiller-Ohm, Frank Hofmann
(Volkach), Dr. Bärbel Kofler, Karin Kortmann,
Rolf Kramer, Anette Kramme, Ute Kumpf,
Gabriele Lösekrug-Möller, Lothar Mark, Hilde
Mattheis, Dr. Sascha Raabe, Dr. Ernst Dieter
Rossmann, Ortwin Runde, Dr. Frank Schmidt,
Heinz Schmitt (Landau), Swen Schulz (Span-
dau), Ewald Schurer, Dr. Rainer Tabillion,
Dr. Wolfgang Wodarg, Heidi Wright, Manfred
Zöllmer, Christian Kleiminger, Karin Roth
(Esslingen), Christoph Strässer, Bettina
Hagedorn, Martin Gerster, Reinhold Hemker,
Mechthild Rawert, Dr. Axel Berg, Martin
Burkert, Helga Kühn-Mengel und Gabriele
Groneberg (alle SPD) zur namentlichen Ab-
stimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur
Änderung des Grundgesetzes (Artikel 22, 23,
33, 52, 72, 73, 74, 74 a, 75, 84, 85, 87 c, 91 a, 91 b,
93, 98, 104 a, 104 b, 105, 107, 109, 125 a, 125 b,
125 c, 143 c) (Tagesordnungspunkt 29 a)
Klarheit bei der politischen Verantwortung, transpa-
rente Verfahren und mehr Demokratie durch Stärkung
der Parlamente: Das sind Ziele, die auch von den Unter-
z
§
e
d
V
z
s
h
g
Z
L
s
e
g
W
h
O
s
B
b
d
t
g
m
T
b
n
l
a
H
a
g
A
e
z
a
S
L
S
e
a
m
d
b
d
b
g
t
c
r
(C
(D
eichnerinnen und Unterzeichnern dieser Erklärung nach
31 der Geschäftsordnung geteilt werden. Deshalb war
s auch unbedingt notwendig, nach den Verfassungsän-
erungen von 1994 und der damaligen Einführung des
erfassungskriteriums der Erforderlichkeit den Versuch
u unternehmen, sich durch politisch souveräne Ent-
cheidungen von Bundestag und Bundesrat von der Ab-
ängigkeit von Entscheidungen des Bundesverfassungs-
erichts zu befreien und insgesamt zu einer klareren
uordnung der politischen Verantwortlichkeiten in den
andesparlamenten und im Bundestag zu kommen.
Mit unserer Zustimmung zu der vorliegenden Verfas-
ungsreform wollen wir grundsätzlich anerkennen, dass
s hier zu substanziellen Verbesserungen und Klärungen
egenüber der jetzigen Verfassungslage gekommen ist.
ir stellen fest, dass insbesondere in den letzten Ver-
andlungsrunden noch wichtige Verbesserungen in den
rganisations- und Verfahrensfragen erreicht worden
ind wie auch in der Verteilung der Zuständigkeiten von
und und Ländern, hier vor allen Dingen im Bildungs-
ereich.
Auf der anderen Seite müssen und wollen wir nach-
rücklich deutlich machen, dass es weiterhin klare Kri-
ikpunkte gibt:
Erstens. Die vorgesehenen Regelungen zu Kostenfol-
en von Bundesgesetzen können zu weiteren Zustim-
ungspflichten bei Bundesgesetzen führen.
Zweitens. Das Erforderlichkeitskriterium bleibt zum
eil erhalten, was die bekannte Rechtsunsicherheit nicht
eseitigt.
Drittens. Das Abweichungsrecht birgt die Gefahr ei-
er großen Unübersichtlichkeit im Rechtssystem.
Viertens. Auch wenn die Innovationskraft in Deutsch-
and über die Begründung einer neuen „Gemeinschafts-
ufgabe“ – sprich: einer gemeinsamen Verantwortung –
ochschulförderung klar gestärkt worden ist, wird sie in
nderen Bereichen der Bildungspolitik leider eindeutig
eschwächt.
Fünftens. Nicht zuletzt die umfangreiche gemeinsame
nhörung von Bundestag und Bundesrat hat mit einem
indeutigen Votum der Expertinnen und Experten ge-
eigt, dass die Zuständigkeit für das Heimrecht, aber
uch wichtige Regelungen in der Jugendhilfe und das
trafvollzugsrecht aus Gründen der Einheitlichkeit der
ebensverhältnisse und der Sicherung gemeinsamer
tandards beim Bund verbleiben sollte. Wir sehen hierin
ine bedauerliche Missachtung klarer Forderungen auch
us der Fachöffentlichkeit und der Erkenntnis der ge-
einsamen Anhörung von Bundestag und Bundesrat,
ie nicht mehr sachlich, sondern nur machtpolitisch zu
egründen ist.
Sechstens. Im Umweltrecht sehen wir die Gefahr,
ass wichtige, über Ländergrenzen hinausgreifende Pro-
lemlagen nicht angemessen gelöst werden können.
Siebtens. Wir nehmen die Sorgen ernst, dass ein
rundsätzlich unterschiedlich strukturierter und besolde-
er öffentlicher Dienst angesichts der sehr unterschiedli-
hen Finanzkraft der Länder zu einer massiven Verzer-
ung in der Ausstattung wie der Leistungskraft des
(A) (C)
(B) )
öffentlichen Dienstes in Deutschland führen kann und
auch die Mobilität behindert.
Grundsätzlich stellen wir fest: Der solidarische Föde-
ralismus war bisher ein Fundament der Erfolgsge-
schichte der Bundesrepublik. Dieses Fundament darf
nicht zerstört werden durch einen Wettbewerbsföderalis-
mus, der gesamtstaatliche und gesamtgesellschaftliche
Solidarität erschwert oder gar verhindert. Die Unter-
zeichnenden machen mit der Erklärung auch gemeinsam
deutlich, dass sie bei den weiteren Verhandlungen über
die zukünftige Gestaltung der Bund-Länder-Finanzbe-
ziehungen für unverzichtbar halten, dass die Sicherung
der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse zentrales
politisches Ziel und Verfassungsauftrag auch für die Zu-
kunft bleiben müssen. Hieran haben sich auch alle Über-
– Unterrichtung durch die Bundesregierung
Haushalts- und Wirtschaftsführung 2004
Über- und außerplanmäßige Ausgaben und Verpflich-
tungsermächtigungen im dritten Vierteljahr des Haus-
haltsjahres 2004
– Drucksachen 15/4214, 15/4290 Nr. 1.5, 16/820 Nr. 25 –
– Unterrichtung durch die Bundesregierung
Haushalts- und Wirtschaftsführung 2004
Über- und außerplanmäßige Ausgaben und Verpflich-
tungsermächtigungen im vierten Vierteljahr des Haus-
haltsjahres 2004
– Drucksachen 15/4987, 15/5074 Nr. 4, 16/820 Nr. 26 –
– Unterrichtung durch die Bundesregierung
legungen zu den zukünftigen Finanzbeziehungen von
Bund und Ländern und der Länder untereinander zu
orientieren.
Anlage 19
Amtliche Mitteilungen
Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat mit
Schreiben vom 29. Juni 2006 mitgeteilt, dass sie den An-
trag Demokratiebewegung in Belarus unterstützen
auf Drucksache 16/1671 zurückzieht.
Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben
mitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2
der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den
nachstehenden Vorlagen absieht:
Haushaltsausschuss
– Unterrichtung durch die Bundesregierung
Haushalts- und Wirtschaftsführung 2004
Über- und außerplanmäßige Ausgaben und Verpflich-
tungsermächtigungen im ersten Vierteljahr des Haus-
haltsjahres 2004
– Drucksachen 15/3272, 15/3393 Nr. 1.2, 16/820 Nr. 23 –
– Unterrichtung durch die Bundesregierung
Haushalts- und Wirtschaftsführung 2004
Über- und außerplanmäßige Ausgaben und Verpflich-
tungsermächtigungen im zweiten Vierteljahr des Haus-
haltsjahres 2004
– Drucksachen 15/3697, 15/3764 Nr. 1.1, 16/820 Nr. 24 –
m
V
P
t
(D
Haushalts- und Wirtschaftsführung 2006
Außerplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 10 04 (apl.)
Titel 682 01
– Maßnahmen zur Stützung des Schweinemarktes –
– Drucksachen 16/1399, 16/1556 Nr. 1 –
Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben
itgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU-
orlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische
arlament zur Kenntnis genommen oder von einer Bera-
ung abgesehen hat.
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft
und Verbraucherschutz
Drucksache 16/1101 Nr. 2.23
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Drucksache 16/629 Nr. 2.16
Drucksache 16/722 Nr. 1.7
Drucksache 16/722 Nr. 1.9
Drucksache 16/1101 Nr. 2.7
Drucksache 16/1101 Nr. 2.8
Drucksache 16/1101 Nr. 2.9
Drucksache 16/1101 Nr. 2.20
Drucksache16/1207 Nr. 1.16
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit
Drucksache 15/4567 Nr. 1.9
4366 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006
91, 1
0, T
44. Sitzung
Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006
Inhalt:
Redetext
Anlagen zum Stenografischen Bericht
Anlage 1
Anlage 2
Anlage 3
Anlage 4
Anlage 5
Anlage 6
Anlage 7
Anlage 8
Anlage 9
Anlage 10
Anlage 11
Anlage 12
Anlage 13
Anlage 14
Anlage 15
Anlage 16
Anlage 17
Anlage 18
Anlage 19