Anlage 29
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006 3389
(A) )
(B) )
Zypries, Brigitte SPD 01.06.2006
densmission MONUC der Vereinten Nationen
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
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Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
Dr. Addicks, Karl FDP 01.06.2006
Albach, Peter CDU/CSU 01.06.2006
Andres, Gerd SPD 01.06.2006
Bartsch, Dr. Dietmar DIE LINKE 01.06.2006
Bismarck, Carl
Eduard von
CDU/CSU 01.06.2006
Blumentritt, Volker SPD 01.06.2006
Ernstberger, Petra SPD 01.06.2006
Fischbach, Ingrid CDU/CSU 01.06.2006
Friedrich (Bayreuth),
Horst
FDP 01.06.2006
Griefahn, Monika SPD 01.06.2006
Groneberg, Gabriele SPD 01.06.2006
Heinen, Ursula CDU/CSU 01.06.2006
Heller, Uda Carmen
Freia
CDU/CSU 01.06.2006
Hilsberg, Stephan SPD 01.06.2006
Knoche, Monika DIE LINKE 01.06.2006
Pflug, Johannes SPD 01.06.2006
Schmidt (Aachen), Ulla SPD 01.06.2006
Dr. Terpe, Harald BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
01.06.2006
Dr. Troost, Axel DIE LINKE 01.06.2006
Ulrich, Alexander DIE LINKE 01.06.2006
Dr. Wodarg, Wolfgang SPD 01.06.2006
Zöller, Wolfgang CDU/CSU 01.06.2006
(C
(D
Anlagen zum Stenografischen Bericht
nlage 2
Erklärung
des Abgeordneten Dr. Reinhard Göhner (CDU/
CSU) zur namentlichen Abstimmung über den
Entwurf eines Haushaltsbegleitgesetzes 2006
(36. Sitzung, Tagesordnungspunkt 5)
An den namentlichen Abstimmungen am 19. Mai
006 habe ich nicht teilgenommen, da ich an diesem
age im Einvernehmen mit dem Vorsitzenden der CDU/
SU-Fraktion und dem Ersten Parlamentarischen Ge-
chäftsführer an einer Konferenz des Fernsehsenders
sat in München teilgenommen habe. Aus diesem
runde war ich für den 19. Mai auch entschuldigt.
nlage 3
Erklärung
der Abgeordneten Dr. Angelica Schwall-Düren
(SPD) zur namentlichen Abstimmung über den
Entwurf eines Haushaltsbegleitgesetzes (36. Sit-
zung, Tagesordnungspunkt 5)
In der Ergebnisliste ist mein Name nicht aufgeführt.
ein Votum lautet Ja.
nlage 4
Erklärung
des Abgeordneten Gert Weisskirchen (Wies-
loch) (SPD) zur namentlichen Abstimmung
über den Entwurf eines Haushaltsbegleitgeset-
zes (36. Sitzung, Tagesordnungspunkt 5)
In der Ergebnisliste ist mein Name nicht aufgeführt.
ein Votum lautet Ja.
nlage 5
Erklärung
der Abgeordneten Petra Bierwirth (SPD) zur
namentlichen Abstimmung zu dem Antrag:
Hedgefondszulassung zurücknehmen (36. Sit-
zung, Tagesordnungspunkt 6)
In der Ergebnisliste ist mein Name nicht aufgeführt.
ein Votum lautet Ja.
nlage 6
Erklärungen nach § 31 GO
zur namentlichen Abstimmung über die Beteili-
gung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der
EU-geführten Operation EUFOR RD CONGO
zur zeitlich befristeten Unterstützung der Frie-
3390 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006
(A) )
(B) )
während des Wahlprozesses in der Demokrati-
schen Republik Kongo auf Grundlage der
Resolution 1671 (2006) des Sicherheitsrates der
Vereinten Nationen vom 25. April 2006 (Tages-
ordnungspunkt 3)
Veronika Bellmann (CDU/CSU): Ich kann dem An-
trag der Bundesregierung zur Entsendung deutscher Sol-
daten in die Demokratische Republik Kongo aus folgen-
den Gründen nicht zustimmen:
Art, Umfang und Planung des Einsatzes entsprechen
nicht meinen Vorstellungen eines sorgfältig organisierten
und abgesicherten Auslandseinsatzes der Bundeswehr.
Weder die Truppenstärke noch der Einsatzradius ist
der Größe des Landes und damit auch der Bedeutung der
Aufgabe angemessen. Die Beschränkung des Einsatzes
auf die Hauptstadt Kinshasa macht deutlich, dass es sich
um einen symbolischen Akt der Unterstützung handelt.
Für derartige Symbolik sind jedoch die Risiken des Ein-
satzes zu hoch; das Leben deutscher Soldaten ist meines
Erachtens akut gefährdet.
Es ist nicht kalkulierbar, wie sich die Sicherheitslage
bei eventuellen Ausschreitungen oder Kämpfen der Mi-
lizen entwickelt. Zudem sind die Rückzugsmöglichkei-
ten der EUFOR-Soldaten eng begrenzt; der Flughafen
liegt an einer überlasteten Ausfallstraße 25 Kilometer
von der Innenstadt entfernt. Auch der innerstädtische
Flughafen eignet sich nach Ansicht von Experten nur be-
dingt als Rückzugsbasis, sodass nur der Kongo-Fluss für
eine eventuelle Evakuierung bliebe.
Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass die Wahl von
verschiedenen politischen Kräften nicht anerkannt wird.
Da es noch keine unabhängige Justiz im Land gibt, ist
schwer einzuschätzen, ob und wie sich die Lage nach der
Wahl entwickelt. Wie fragil diese Lage ist, zeigen nicht
zuletzt die Vorgänge um den angeblichen Putschversuch
in den letzten Tagen.
Zudem ist die angestrebte zeitliche Befristung unre-
alistisch. Weder der Termin für die Wahl noch die Ter-
mine für die eventuell notwendige Stichwahl bzw. für
die Wahl zur zweiten Parlamentskammer (Provinz- und
Kommunalwahlen) stehen bisher wirklich fest. Ein
nachhaltiges Konzept für die Zeit nach den Wahlen und
dem Abzug der EUFOR-Truppen fehlt ebenso wie ein
Plan zu Befriedung der östlichen Regionen des Landes,
in denen noch immer Milizenkämpfe stattfinden.
Daher enthalte ich mich meiner Stimme, wünsche den
deutschen Soldaten aber dennoch bestmöglichen Erfolg
im Falle eines Einsatzes.
Wolfgang Grotthaus (SPD): Die deutsche Beteili-
gung an der EU-Mission im Kongo wurde in der SPD-
Bundestagsfraktion intensiv und kontrovers diskutiert.
Letztendlich stimmte die Mehrheit der Fraktion für den
Einsatz. Nach wie vor hege ich persönlich allerdings er-
heblichen Zweifel am Sinn und Erfolg der Mission. Die
Verantwortung Europas in Afrika und im Kongo kann
nach meiner Auffassung nicht mit 2 000 Soldaten, von
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enen höchstens die Hälfte in der Hauptstadt Kinshasa
tationiert sein wird, wahrgenommen werden.
Inhaltlicher Anspruch und Aufgabe passen hier nicht
um Mitteleinsatz. Der Ablauf der Debatte zeigt, wie
ich immer wieder Strategie, Zielsetzung und Begrün-
ung des Einsatzes verschoben haben, angepasst wur-
en. Sollte dieser Einsatz problematisch werden, werden
ich die Brüche und Strukturprobleme schnell zeigen
nd zu einer Gefährdung des Einsatzes bzw. zu einem
cheitern führen.
Trotz Versicherung der Bundesregierung, dass der
undeswehreinsatz klar definiert ist, sind hinsichtlich
ruppenstärke, Zeitraum, Aufgabe und Einsatzgebiet
usweitungen möglich. Die auslegungsfähigen Aussa-
en sind wenig vertrauenerweckend.
Probleme sehe ich insbesondere in folgenden Berei-
hen:
Erstens. Wenn die Wahlen nicht ordnungsgemäß ver-
aufen, manipuliert oder gestört werden, können die Sol-
aten dies verhindern? Wenn die Wahlen angefochten
erden oder das Ergebnis nicht akzeptiert wird, verlas-
en die Soldaten der EU-Mission dann trotzdem den
ongo (definiertes Mandat)?
Zweitens. Nicht erfüllte Erwartungen in das Ergebnis
er Wahlen sowie Enttäuschungen über erwartete Ver-
esserungen der Lebensumstände sind eine große Ge-
ahr. Wer Erwartungen weckt, ist nachher auch für die
ealisierung bzw. Umsetzung zuständig und kann sich
icht einfach vom Platz stehlen. Können und wollen wir
as?
Drittens. Wenn es zu Kampfhandlungen bzw. militäri-
chen Auseinandersetzungen kommt, sollen die deut-
chen Soldaten dann kämpfen oder sich zurückziehen?
omit sollen sie dann kämpfen? Wie können die deut-
chen Soldaten wieder aus dem Kongo abgezogen wer-
en?
Die Zusagen der politisch Verantwortlichen, dass es
u keiner Verlängerung des Mandates kommen wird,
alte ich – je nach Entwicklung der Lage – für schwer
urchzuhalten bzw. mit den Zusagen und Versprechen
egenüber den Verbündeten und der Bevölkerung im
ongo schwer zu vereinen. Einen langfristigen oder gar
auerhaften Einsatz im Kongo – analog zum Balkan
der zu Afghanistan – halte ich für nicht darstellbar,
öglich oder wünschenswert.
In meiner Fraktion habe ich gegen diesen Einsatz ge-
timmt. Im Plenum werde ich dem mehrheitlichen Vo-
um meiner Fraktion folgen in der Hoffnung, dass der
insatz der deutschen Soldaten den mehrheitlichen Inte-
essen der Menschen im Kongo dient und hilft, den de-
okratischen Prozess zu beschleunigen und die bewaff-
eten Auseinandersetzungen zu beenden.
Petra Hinz (Essen) (SPD): Wie alle anderen Mitglie-
er in diesem Hohen Hause bin auch ich der Auffassung,
er Kongo braucht Frieden und demokratische Wahlen.
eshalb unterstütze ich den Demokratisierungsprozess
m Kongo auch mit aller Kraft.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006 3391
(A) )
(B) )
Wir entscheiden heute über den bisher gefährlichsten
Einsatz von deutschen Soldatinnen und Soldaten nach
dem Zweiten Weltkrieg. Neben den 500 Einsatzkräften
werden auch 280 weitere Unterstützungskräfte aus
Deutschland im Kongo eingesetzt.
Es ist an der Zeit, erneut an die Erfolge des gewalt-
freien Widerstandes zu erinnern: Denn Freiheit und De-
mokratie wurden in den seltensten Fällen durch den Ein-
satz von Militär, also durch Soldatinnen und Soldaten,
durchgesetzt. Kaum ein Konflikt der vergangenen Jahr-
zehnte wurde mit Waffengewalt gelöst, meist wurden
Freiheit und Demokratie gewaltfrei von der Bevölkerung
der Länder erkämpft. Diese Erfahrung haben wir zuletzt
mit dem Fall des Eisernen Vorhangs in Deutschland und
Europa gemacht.
Ich habe den Prozess bis zur heutigen Entscheidung
sehr genau begleitet und denen, die die Verhandlungen
für uns geführt haben, aufmerksam und aktiv zugehört.
Oft sind es die kleinen Dinge und Aussagen, die es ei-
nem unmöglich machen, zuzustimmen.
Zum ursprünglichen Auftrag bzw. Mandat: Unsere
Soldatinnen und Soldaten sollten „nur“ die Wahlbeob-
achter sichern bzw. schützen. Laut Antrag der Bundesre-
gierung umfasst das Mandat jetzt jedoch Unterstützungs-
leistungen auf militärisch-strategischer Ebene, operative
Beteiligung am Streitkräftehauptquartier in Kinshasa
und Evakuierungsmaßnamen, um Einzelne aus Gefah-
renlagen zu verbringen.
Hier stellt sich die Frage, wer die schutzwürdigen
Personen sind. Wen zählen wir dazu? Und die für mich
wichtige und entscheidende Frage: Wen schließen wir
im Ernstfall aus?
Auch die Definition des Einsatzgebietes hat sich ver-
ändert. War ursprünglich die Rede von der Stadt
Kinshasa, heißt es heute im Mandat: Raum Kinshasa.
Hier gibt es einen qualitativen Unterschied. Wie groß ist
genau der Raum Kinshasa? Werden auch Seestreitkräfte
an der Mission beteiligt, dann wird der Raum Kinshasa
unüberschaubar groß. Immerhin umfasst die Demokrati-
sche Republik Kongo ein Gebiet, das so groß wie West-
europa ist.
Im Kongo befindet sich derzeit die internationale
Schutztruppe der Vereinten Nationen – MONUC – mit
rund 18 000 Soldaten. Glauben wir denn wirklich, mit
dem Einsatz von 1 500 weiteren Soldaten die Gefahr von
Übergriffen und Anschlägen von Kindersoldaten und
Rebellen verhindern zu können? Auf 4 bis 5 Millionen
Tote schätzt die UNO die bisherigen Opfer in diesem
Konflikt.
Das Gleichgewicht des Schreckens hängt von der
Furcht vor dem vernichtenden Vergeltungsschlag ab,
doch die Kindersoldaten und die Rebellen haben keine
Furcht. Sie haben noch nicht einmal Angst, das eigene
Leben zu verlieren. Hier wird gegen einen uneinschätz-
baren Gegner gekämpft. Im Ernstfall stehen unsere Sol-
datinnen und Soldaten Kindern und Jugendlichen gegen-
über, die bereit sind, ohne weiteres sich selbst zu opfern.
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Sind unsere Einsatzkräfte auf diesen Einsatz wirklich
orbereitet? Natürlich wissen wir, dass unsere Soldatin-
en und Soldaten grundsätzlich auf Einsätze gut vorbe-
eitet werden. Aber wie ist es in diesem speziellen Ein-
atz?
Der Kongo ist der gefährlichste Unruheherd Afrikas.
nsere Soldaten haben keine Erfahrung mit Einsätzen in
frika und ohne ein „eingespieltes Team“ aus Offizieren
us den EU-Staaten entsenden wir sie in einen risikorei-
hen Einsatz mit ungewissem Ausgang.
Der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, Oberst
ertz, und der Wehrbeauftragte, Reinhold Robbe, zwei-
eln an der ausreichenden Vorbereitung der Bundeswehr.
intergrund ist vor allem der unklare Auftrag und das
icht genau definierte Einsatzgebiet. Ein Einsatz im
ongo stellt besondere Ansprüche. Kampfhandlungen
it Kindersoldaten können nicht ausgeschlossen wer-
en, die Lage im Kongo ist alles andere als ruhig, die
eaktionen der Bevölkerung können im Ernstfall nicht
ingeschätzt werden. Das heißt, im Ernstfall wird dieser
insatz zum Kampfeinsatz mit einem unbekannten Geg-
er und Ausgang. Wir sollten die Bedenken derer, die
ir in den Einsatz schicken, ernst nehmen.
Eine weitere Problematik ist die zeitliche Einschrän-
ung des Einsatzes. Im Antrag der Bundesregierung sind
ier Monate vorgesehen, Vorbereitung und Rückverle-
ung nicht einberechnet. Bisher ist noch jeder Auslands-
insatz der Bundeswehr verlängert worden.
Es stellt sich auch die Frage nach einem Alternativ-
lan für den Worst Case. Sollte die Situation nach den
ahlen im Kongo eskalieren, welchen Auftrag haben
nsere Soldatinnen und Soldaten dann? Will sich die
undesrepublik Deutschland dann wirklich zurückzie-
en und das Land sich selbst überlassen? Dies ist wohl
aum vorstellbar.
Diejenigen, die hundertprozentig von diesem Einsatz
berzeugt sind, haben es nicht geschafft, meine Beden-
en auszuräumen. Sie haben es versäumt, die Fragen zu-
rieden stellend zu beantworten, und vor allem konnten
ie den Soldatinnen und Soldaten kein klares Bild ihres
uftrages vermitteln. Der Antrag der Bundesregierung
ässt sich großzügig auslegen; ihm fehlt es an Präzision
nd Klarheit.
Ich kann den ungewissen Einsatz unserer Soldatinnen
nd Soldaten im Kongo nicht mit meinem Gewissen ver-
inbaren und stimme deshalb dem Antrag der Bundesre-
ierung nicht zu.
Johannes Kars (SPD): Die deutsche Beteiligung an
er EU-Mission im Kongo wurde in der SPD-Bundes-
agsfraktion intensiv und kontrovers diskutiert. Letzt-
ndlich stimmte die Mehrheit der Fraktion für den Ein-
atz. Nach wie vor hege ich persönlich allerdings
rheblichen Zweifel am Sinn und Erfolg der Mission.
ie Verantwortung Europas in Afrika und im Kongo
ann nach meiner Auffassung nicht mit 2 000 Soldaten,
on denen höchstens die Hälfte in der Hauptstadt
inshasa stationiert sein wird, wahrgenommen werden.
3392 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006
(A) )
(B) )
Inhaltlicher Anspruch und Aufgabe passen hier nicht
zum Mitteleinsatz. Der Ablauf der Debatte zeigt, wie
sich immer wieder Strategie, Zielsetzung und Begrün-
dung des Einsatzes verschoben haben, angepasst wur-
den. Sollte dieser Einsatz problematisch werden, werden
sich die Brüche und Strukturprobleme schnell zeigen
und zu einer Gefährdung des Einsatzes bzw. zu einem
Scheitern führen.
Trotz Versicherung der Bundesregierung, dass der
Bundeswehreinsatz klar definiert ist, sind hinsichtlich
Truppenstärke, Zeitraum, Aufgabe und Einsatzgebiet
Ausweitungen möglich. Die auslegungsfähigen Aussa-
gen sind wenig vertrauenerweckend.
Probleme sehe ich insbesondere in folgenden Berei-
chen:
Wenn die Wahlen nicht ordnungsgemäß verlaufen,
manipuliert oder gestört werden, können die Soldaten
dies verhindern? Wenn die Wahlen angefochten werden
oder das Ergebnis nicht akzeptiert wird, verlassen die
Soldaten der EU-Mission dann trotzdem den Kongo (de-
finiertes Mandat)?
Nicht erfüllte Erwartungen in das Ergebnis der Wah-
len sowie Enttäuschungen über erwartete Verbesserun-
gen der Lebensumstände sind eine große Gefahr. Wer
Erwartungen weckt, ist nachher auch für die Realisie-
rung bzw. Umsetzung zuständig und kann sich nicht ein-
fach vom Platz stehlen. Können und wollen wir das?
Wenn es zu Kampfhandlungen bzw. militärischen
Auseinandersetzungen kommt, sollen die deutschen Sol-
daten dann kämpfen oder sich zurückziehen? Womit sol-
len sie dann kämpfen? Wie können die deutschen Solda-
ten wieder aus dem Kongo abgezogen werden?
Die Zusagen der politisch Verantwortlichen, dass es
zu keiner Verlängerung des Mandates kommen wird,
halte ich – je nach Entwicklung der Lage – für schwer
durchzuhalten bzw. mit den Zusagen und Versprechen
gegenüber den Verbündeten und der Bevölkerung im
Kongo schwer zu vereinen. Einen langfristigen oder gar
dauerhaften Einsatz im Kongo – analog zum Balkan
oder zu Afghanistan – halte ich für nicht darstellbar,
möglich oder wünschenswert.
In meiner Fraktion habe ich gegen diesen Einsatz ge-
stimmt. Da diese Abstimmung für mich keine Gewis-
sensfrage ist, folge ich im Plenum dem mehrheitlichen
Votum meiner Fraktion und stimme für diesen Einsatz.
Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU): Trotz erheb-
licher Bedenken werde ich heute dem Antrag der Bun-
desregierung zur Entsendung deutscher Truppen zur Un-
terstützung der Friedensmission MONUC der Vereinten
Nationen zustimmen.
Die Sicherung von Frieden und Stabilität ist ein hohes
Gut, dessen Verteidigung weltweit Unterstützung ver-
dient. Dennoch beinhaltet diese Mission eine aus meiner
Sicht nicht abschätzbare Gefahr für die beteiligten deut-
schen Soldatinnen und Soldaten. Unabhängig davon, wie
die Wahl ausgeht, ist nicht klar, wie die Bevölkerung auf
das Ergebnis reagieren wird und ob das Ergebnis landes-
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eit Anerkennung findet. Schon die Notwendigkeit der
ntsendung militärischer Truppen zeigt das Gefahrenpo-
enzial, dem sich die Soldaten aussetzen. Diese unklare
age macht es mir nicht leicht, heute mit meiner Stimme
eutsche Soldatinnen und Soldaten in einen solchen Ein-
atz zu schicken. Lediglich die Beschränkung unserer
ruppen auf die Hauptstadt Kinshasa und die zeitliche
egrenzung des Einsatzes bürgen für ein gewisses Maß
n Sicherheit.
Dennoch möchte ich den Stabilisierungsprozess im
ongo unterstützen. Das Land braucht endlich eine
hance, um auf demokratischer Grundlage in eine gesi-
herte Zukunft zu gehen.
Dr. Andreas Scheuer (CDU/CSU): Trotz erhebli-
her Bedenken werde ich heute dem Antrag der Bundes-
egierung zur Entsendung deutscher Truppen zur Unter-
tützung der Friedensmission MONUC der Vereinten
ationen zustimmen.
Die Sicherung von Frieden und Stabilität ist ein hohes
ut, dessen Verteidigung weltweit Unterstützung ver-
ient. Dennoch beinhaltet diese Mission eine aus meiner
icht nicht abschätzbare Gefahr für die beteiligten deut-
chen Soldatinnen und Soldaten. Unabhängig davon wie
ie Wahl ausgeht ist nicht klar, wie die Bevölkerung auf
as Ergebnis reagieren wird und ob das Ergebnis landes-
eit Anerkennung findet. Schon die Notwendigkeit der
ntsendung militärischer Truppen zeigt das Gefahren-
otenzial, dem sich die Soldaten aussetzen. Diese un-
lare Lage macht es mir nicht leicht, heute mit meiner
timme deutsche Soldatinnen und Soldaten in einen sol-
hen Einsatz zu schicken. Lediglich die Beschränkung
nserer Truppen auf die Hauptstadt Kinshasa und die
eitliche Begrenzung des Einsatzes bürgen für ein ge-
isses Maß an Sicherheit.
Dennoch möchte ich den Stabilisierungsprozess im
ongo unterstützen. Das Land braucht endlich eine
hance, um auf demokratischer Grundlage in eine gesi-
herte Zukunft zu gehen. Neben den humanitären und
en demokratieunterstützenden Gründen gibt letztlich
uch das wirtschaftspolitische Interesse Deutschlands in
ieser Region den Ausschlag für meine Zustimmung.
Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
EN): Ich habe dem Antrag der Bundesregierung nicht
ugestimmt, obwohl ich die Entsendung einer militä-
isch bewaffneten EU-Truppe mit Beteiligung der Bun-
eswehr zur Unterstützung der circa 17 000 UN-Solda-
en im Rahmen von MONUC bei der Sicherung der
evölkerung während des Wahlprozesses in der Demo-
ratischen Republik Kongo grundsätzlich für richtig und
erantwortbar halte. Aber die Wahlen müssen so fair wie
öglich und das Mandat für die Bundeswehr muss aus-
eichend und ehrlich sein.
Ich kritisiere nicht, dass der Bitte der UNO nachge-
ommen und die UN-Friedenstruppe verstärkt werden
oll. Am Kongo konnte mithilfe der UN-Soldaten nach
inem fürchterlichen Krieg seit einigen Jahren der Friede
eitgehend gesichert werden. Ich sehe auch, dass zur
bsicherung von fairen freien Wahlen die Verstärkung
enötigt wird.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006 3393
(A) )
(B) )
Die Entsendung der Bundeswehr ist grundsätzlich
verantwortbar, weil sie nicht in einen Kriegseinsatz er-
folgt und UN- und EU-Truppe mit einem einstimmig
erteilten UNO-Mandat handeln. Die kongolesische Re-
gierung und die der afrikanischen Staaten sind einver-
standen. Vor allem wünscht die Bevölkerung im Land
den Schutz ihrer Sicherheit während der Wahlen auch
durch europäische Soldaten. Das war das Ergebnis mei-
ner Reise in die Hauptstadt Kinshasa und nach Bukavu
im Ostkongo Ende April diesen Jahres.
Aber ich kann nicht übersehen, dass ein fairer Wahl-
prozess derzeit nicht ausreichend gesichert ist.
Erstens. Der Wahlkalender hat eine schwerwiegende
Lücke. Lediglich der Termin für den ersten Wahlgang ist
für Ende Juli festgelegt, aber immer noch unsicher. Ein
Termin für den zweiten Wahlgang fehlt entgegen der fes-
ten Vorgabe. Dieser zweite Wahlgang ist aber genauso
wichtig wie der ersten Wahlgang. Im zweiten Wahlgang
soll nicht nur der Präsident gewählt werden, wenn kein
Kandidat die absolute Mehrheit erzielt hat, sondern auch
die Provinzgouverneure und Provinzparlamente. Viele
Wählerinnen und Wähler gerade in den Krisenprovinzen
im Osten sehen diese Wahl als fast noch wichtiger an als
die Nationalwahlen. Der zweite Wahlgang kann wegen
wahltechnischer Gründe frühestens 100 Tage nach dem
ersten stattfinden. Nicht wenige befürchten, dass der
zweite Wahlgang in immer weitere Ferne wegrückt.
Zweitens. Die Situation im Land und vor allem in der
Hauptstadt Kinshasa spitzt sich zu. Befürchtete Unruhen
schon im Wahlkampf zeichnen sich ab. Nur der Über-
gangspräsident und zugleich aussichtsreichste Kandidat
verfügt über eine eigene bewaffnete Garde von
15 000 Mann, die auch in der Hauptstadt überall präsent
ist.
Zwei Vizepräsidenten und ebenfalls Kandidaten sol-
len eigene Truppen von einigen tausend Kämpfern nahe
der Hauptstadt unterhalten. Noch geben Sie sich fried-
lich, aber nach dem ersten Wahlgang kann es schnell an-
ders sein. Für den Krisenfall wie jetzt sieht der Friedens-
vertrag die Einberufung der CIAT-Dialoggruppe vor. Die
Forderung nach der Wiederaufnahme des Dialoges un-
terstützen inzwischen nicht nur die größte Oppositions-
partei, sondern fast alle Wahlparteien – mit Ausnahme
der des Präsidenten – und nicht nur einzelne Kirchenver-
treter, wie die Bundesregierung heute auf meine parla-
mentarische Anfrage behauptet, sondern die nationale
Bischofskonferenz CENCO. Sie ruft auf zu einem „posi-
tiven und konsensorientierten Dialog“ und verlangt die
Initiative von einer internationalen Organisation (AU
oder EU oder UNO). Dieser Dialog soll den Wahlpro-
zess nicht stoppen, sondern rechtmäßig, transparent und
fair gestalten. Gleichwohl unterstützt die Bundesregie-
rung die Einsetzung der Dialoggruppe ausdrücklich
nicht.
Ich stelle fest, das Mandat für die Bundeswehr ist
nicht ehrlich und nicht ausreichend.
Drittens. Der Einsatz soll auf vier Monate begrenzt
sein beginnend ab dem ersten Wahlgang am 30. Juli In
diesem Zeitraum soll auch die neu gewählte Regierung
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m Amt sein. Schon heute ist abzusehen, dass diese Zeit
chon wegen der Zeitspanne zwischen dem ersten und
weiten Wahlgang nicht reicht. Aus Rücksicht auf Stim-
ungen in der Koalition wurde eine Einsatzdauer festge-
egt, von der die Verantwortlichen jetzt schon wissen,
ass sie nicht eingehalten werden kann. Wieder wird ein
insatz der Bundeswehr verlängert werden.
Viertens. Der Einsatz der deutschen Kräfte ist auf den
aum Kinshasa begrenzt. Auch Nothilfeeinsätze außer-
alb dieses Raumes sind danach nicht erlaubt. Die Men-
chen gerade in den unsicheren Provinzen des Ostkongo
aben kein Verständnis dafür, dass ihnen in einer Not-
ituation selbst dann nicht geholfen werden darf, wenn
s der in Kinshasa stationierten Bundeswehr möglich
äre, nur weil das Mandat dies nicht erlaubt.
Solange die Zweifel daran überwiegen, dass die Wah-
en am Kongo so weit wie möglich fair sein werden, und
olange das Mandat für die Bundeswehr nicht ausrei-
hend bestimmt und klar ist, halte ich die Zustimmung
ur Entsendung der Bundeswehr an den Kongo nicht für
erantwortbar. Stattdessen soll die Bundesregierung das
hr Mögliche tun, dass die Dialoggruppe einberufen
ird, dass weiter durch ein eindeutigeres Mandat für die
N-Truppe MONUC auch im Ostkongo mehr Sicherheit
eschaffen wird und dass somit in die Infrastruktur des
andes Entwicklungshilfe gezielt fließen kann.
Florian Toncar (FDP): Die bevorstehenden Wahlen
n der Demokratischen Republik Kongo sind eine große
hance für die politische Entwicklung des Landes hin
ur Demokratie Deutschland muss diesen wichtigen
chritt unterstützen. Dabei stehen die zivile Hilfe, die
ntwicklungszusammenarbeit sowie die Unterstützung
eim Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen und einer
unktionierenden, nicht korrupten Verwaltung sowie der
olizei im Vordergrund. Natürlich ist Stabilität eine Vo-
aussetzung für erfolgreiche Entwicklungspolitik. Die
ächstliegende Möglichkeit wäre die Aufstockung des
ereits vor Ort befindlichen MONUC-Kontingents über
en Zeitraum der Wahlen hinweg gewesen. Auch eine
U-Mission unter Beteiligung der Bundeswehr wäre
gründlich vorbereitet und in ein klares ziviles und mili-
ärisches Konzept eingebettet – für mich vorstellbar ge-
esen. Leider erfüllt das von der Bundesregierung vor-
elegte Mandat diese Voraussetzungen nicht.
Der Vorbereitungsprozess innerhalb der EU im Hin-
lick auf die Operation EUFOR RD CONGO erweckt
ielmehr den Eindruck, dass es bei der Operation nur
ordergründig um die Absicherung der Wahlen im
ongo geht. Im Hintergrund steht anscheinend der poli-
ische Wunsch, die militärischen Fähigkeiten der EU un-
er Beweis zu stellen sowie der deutsch-französischen
usammenarbeit im militärischen Bereich einen neuen
mpuls zu geben. Diese sachfremden Erwägungen legen
ine besonders kritische Prüfung des Mandatsantrags
ahe.
Der von der Bundesregierung vorgelegte Antrag lässt
chlüsselfragen des Mandats der EU-Operation offen
nd ist nicht zu Ende gedacht. Insbesondere ist nicht ab-
usehen, wie auf eine Eskalation der Lage in Kinshasa
3394 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006
(A) )
(B) )
reagiert würde. Ob auch nach einem Ausbruch von
Kampfhandlungen oder bewaffneten Auseinanderset-
zungen am Einsatzort, an Auftrag und Zeitplan der Ope-
ration festgehalten werden kann, ist nach dem Stand der
Dinge heute nicht vorherzusehen. Die Ausführungen der
Bundesregierung hierzu lassen vermuten, dass man auf
das Ausbleiben einer solchen Situation vertraut. Genau-
ere Planungen für den gegenteiligen Fall scheinen nicht
hinreichend detailliert vorzuliegen. Dies birgt bei einem
derart anspruchsvollen Einsatz das Risiko, dass im Laufe
des Einsatzes kurzfristig erhebliche Veränderungen am
Mandat vorgenommen werden müssen.
Als Mitglied des Deutschen Bundestages habe ich nur
die Möglichkeit, dem von der Bundesregierung vorge-
legten Antrag unverändert zuzustimmen oder ihn abzu-
lehnen. Auch wenn ich mir der Verantwortung Deutsch-
lands für Afrika und insbesondere für die Stabilisierung
der Demokratischen Republik Kongo bewusst bin, kann
ich wegen der geschilderten Mängel des Antrags für die-
sen Einsatz der Bundeswehr keine Verantwortung über-
nehmen und werde den Antrag daher ablehnen.
Anlage 7
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Dr. Thea Dückert, Priska
Hinz (Herborn), Bärbel Höhn, Birgitt Bender,
Kerstin Andreae, Katrin Göring-Eckardt, Peter
Hettlich, Jerzy Montag, Silke Stokar von Neu-
forn, Britta Haßelmann, Elisabeth Scharfen-
berg, Cornelia Behm, Rainder Steenblock, Mar-
gareta Wolf (Frankfurt), Kai Boris Gehring,
Wolfgang Wieland, Ulrike Höfken, Anna Lühr-
mann und Anja Hajduk (alle BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung über
die Beteiligung bewaffneter deutscher Streit-
kräfte an der EU-geführten Operation EUFOR
RD CONGO zur zeitlich befristeten Unterstüt-
zung der Friedensmission MONUC der Verein-
ten Nationen während des Wahlprozesses in der
Demokratischen Republik Kongo auf Grund-
lage der Resolution 1671 (2006) des Sicherheits-
rates der Vereinten Nationen vom 25. April
2006 (Tagesordnungspunkt 3)
Trotz einiger Bedenken stimmen wir der Beteiligung
der Bundeswehr an der EU-Truppe zur Unterstützung
der UNO-Blauhelmtruppe MONUC zur Absicherung
des Wahlprozesses in der Demokratischen Republik
Kongo zu.
Der Zickzackkurs der Bundesregierung und insbeson-
dere des Verteidigungsministers im Vorfeld der EU-Mis-
sion war nicht vertrauensbildend und macht eine Zustim-
mung nicht leicht. Auch gab es Fragezeichen, ob die EU-
Mission ihrem Anspruch, zu einem friedlichen Wahlver-
lauf beizutragen, einlösen kann.
In unseren Augen überwiegen aber eindeutig die Ar-
gumente für die EU-Mission. Selbstverständlich geht es
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ei der Entscheidung über die deutsche Beteiligung an
er EU-Mission EUFOR nicht darum, einen langwieri-
en, komplizierten und blutigen Konflikt militärisch zu
ösen. Konfliktlösung kann es nur politisch geben. Die-
er politische Friedensprozess, der eine Demobilisierung
nd Reform von Polizei und Streitkräften einschließt,
äuft seit Jahren und wird maßgeblich von der EU unter-
tützt.
Nachdem die Staatengemeinschaft und Weltöffent-
ichkeit jahrelang den Krieg im Kongo – mit fast 4 Mil-
ionen Toten der opferreichste seit dem Zweiten Welt-
rieg – kaum beachtete, besteht jetzt die Chance für eine
reite Aufmerksamkeit und Unterstützung für den Frie-
ensprozess in der Demokratischen Republik Kongo,
RK. Dabei darf die Debatte nicht, wie es überwiegend
eschieht, auf die Frage des Militäreinsatzes verkürzt
erden. Vielmehr muss die gesamte Stabilisierungs- und
ufbaupolitik in den Blick genommen werden.
Die Demokratische Republik Kongo steht in den
ächsten Monaten an einem Scheideweg. Die im Über-
angsprozess vereinbarten und von der Bevölkerung
anz überwiegend gewünschten Wahlen und ihr friedli-
her und möglichst fairer Verlauf sind eine entschei-
ende Voraussetzung für eine weitere Befriedung des
andes und den Wiederaufbau staatlicher Strukturen.
ndernfalls droht ein Rückfall in breite Gewalt, ja den
ürgerkrieg. Da kongolesische Polizei und Streitkräfte
isher nur zum kleinen Teil einsatzfähig und verlässlich
ind, ist die Internationale Gemeinschaft gefordert, für
in Mindestmaß an Sicherheit zu sorgen.
Darum bemüht sich MONUC vor allem in den Haupt-
onfliktregionen im Osten, wo die größte UNO-Truppe
tationiert ist. In der Hauptstadt ist sie hingegen zu
chwach, vor allem im Hinblick auf mögliche Putschis-
en. Verstärkungsforderungen im Sicherheitsrat wurden
on USA und China blockiert. In dieser Situation wurde
ie EU, die sich ausdrücklich als UNO-freundlich be-
reift, zum einzigen Ausweg.
Die Behauptung, die EU-Truppe sei überflüssig, ist
alsch. Sie ignoriert die dringende Bitte der UNO und
uch die Forderung von MONUC und UNO-Unterorga-
isationen in der DRK, die Forderung gerade der kongo-
esischen Zivilgesellschaft und der allermeisten humani-
ären und Entwicklungsorganisationen, die sich in der
RK engagieren. Eine Unterstellung ist der Vorwurf,
usschlaggebend für die EU-Mission sei ein neokolonia-
es Interesse an den reichen Bodenschätzen der DRK.
ie Mission soll im Gegenteil ein Beitrag auf dem lan-
en Weg zu Rechtsstaatlichkeit und „guter Regierungs-
ührung“ sein, der Voraussetzung dafür, dass die Reich-
ümer der DRK endlich der eigenen Bevölkerung zu gute
ommen.
Nach Beschluss des UNO-Sicherheitsrates, der Zu-
timmung der Regierungsmitglieder der DRK, der Zivil-
esellschaft und der Nachbarstaaten steht die Legitimität
er EU-Mission außer Zweifel.
Frühere Angaben der Bundesregierung ließen zu-
ächst erhebliche Zweifel aufkommen, ob die EU-Mis-
ion ihren Auftrag der MONUC-Unterstützung ein-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006 3395
(A) )
(B) )
schließlich Nothilfe in und gegebenenfalls außerhalb
Kinshasas, der Flughafenabsicherung und Notfallevaku-
ierung erfüllen könnte. Eine EU-Truppe, die nur zur
Evakuierung von Europäern oder als bewaffnete Wahl-
helfer für den bisherigen Präsidenten Kabila gedacht ge-
wesen wäre, hätte dem Stabilisierungsprozess nur ge-
schadet und hätte abgelehnt werden müssen. Angesichts
der inzwischen aufgestockten multinationalen Kapazitä-
ten auch in Kinshasa und des begrenzten und klareren
Auftrages sind diese Bedenken erheblich reduziert bzw.
ausgeräumt. Die EU-Mission scheint ihren Auftrag der
unterstützenden Wahlabsicherung in einer kritischen
Phase in einer kritischen Region leisten zu können. Ein
Mangel des Kabinettsbeschluss ist, dass in ihm die Sol-
daten nicht explizit zur Nothilfe ermächtigt sind. Dies
wäre zur besseren Klarheit des Mandats wichtig gewe-
sen.
Angesichts der Risiken, denen vor allem MONUC-
Soldaten aus der Dritten Welt in den Ostprovinzen, aber
auch viele zivile Helfer und Experten sowie Tausende
Wahlbeobachter im ganzen Land ausgesetzt sind, schei-
nen die Risiken für die deutschen Soldaten verantwort-
bar.
Über die EU-Mission hinaus müssen Bundesregie-
rung und EU alles Mögliche dafür tun, damit der Wahl-
prozess auch möglichst frei und fair verläuft: Der inner-
kongolesische Dialogprozess ist zu fördern, um die
politischen Spannungen zu reduzieren. Der Unabhängi-
gen Wahlkommission soll eine ausreichende Zahl an in-
ternationalen Wahlbeobachtern angeboten werden. Die
Vorbereitung, Organisation und Beobachtung der Wah-
len ist nach Kräften zu unterstützen.
Die Wahlen sind eine entscheidende Schwelle, hinter
der mit dem Abzug der EUFOR-Soldaten das europäi-
sche Engagement aber nicht geringer werden darf. Wir
bekräftigen die Forderungen im Entschließungsantrag
der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen an die Bundes-
regierung, dass sie und die EU ihr bisheriges Engagement
vor allem in folgenden vier Bereichen ausbauen und ver-
stetigen müssen: a) Prozess der Entwaffnung, Demobili-
sierung und Wiedereingliederung ehemaliger Kämpfer
und Kindersoldaten in die Gesellschaft und Sicherheits-
sektorreform (Polizei, Armee, Aufbau von Zoll- und
Grenzpolizei), b) Wiederaufbau von Verkehrsinfrastruk-
tur und administrativen Kapazitäten des Staates, c) gute
Regierungsführung, Aufbau einer unabhängigen Justiz
und Korruptionsbekämpfung sowie d) Rückgewinnung
der staatlichen Kontrolle über die Bodenschätze zuguns-
ten der Bevölkerung.
Die EU-Mission ist keine hinreichende, aber eine not-
wendige Voraussetzung für den Fortgang des Friedens-
prozesses in der geschundenen DRK – und damit eine
wichtige Voraussetzung für eine dauerhafte Beilegung
gewaltsamer Konflikte in der gesamten zentralafrikani-
schen Region der Großen Seen und somit von zentraler
afrikapolitischer Bedeutung.
Diese Chance würden wir mit einer Ablehnung der
EU-Mission aufs Spiel setzen. Das wollen und können
wir nicht verantworten.
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nlage 8
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Christian Lange (Backnang),
Andreas Weigel, Sabine Bätzing, Elvira Dro-
binski-Weiß, Siegmund Ehrmann, Michael
Hartmann (Wackernheim), Iris Hoffmann (Wis-
mar), Detlef Müller (Chemnitz), Ortwin Runde,
Silvia Schmidt (Eisleben), und Carsten Schnei-
der (Erfurt) (SPD) zur namentlichen Abstim-
mung über die Beteiligung bewaffneter deut-
scher Streitkräfte an der EU-geführten
Operation EUFOR RD CONGO zur zeitlich be-
fristeten Unterstützung der Friedensmission
MONUC der Vereinten Nationen während des
Wahlprozesses in der Demokratischen Republik
Kongo auf Grundlage der Resolution 1671 (2006)
des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen
vom 25. April 2006 (Tagesordnungspunkt 3)
Die Unterstützung der kongolesischen Bevölkerung
ei ihren Bemühungen, dem Kongo zum ersten Mal in
einer Geschichte eine aus freien und gleichen Wahlen
ervorgegangene Regierung zu geben, ist ein Ziel, das
nser aller Unterstützung verdient. Das Leiden der Be-
ölkerung des Kongo muss ein Ende finden. Das Land
raucht eine Perspektive. Die internationale Gemein-
chaft hat die Wahlen finanziert, die Wahlgesetze ge-
chrieben und den Friedensprozess im Kongo politisch
elenkt. Sie kann seinen Abschluss nicht einfach dem
echt des Stärkeren überlassen. Die Demokratisierung
nd die Stabilität des großen und rohstoffreichen Landes
m Herzen Afrikas liegen im Interesse Europas.
Das Engagement der Europäischen Union dient der
urchsetzung des Wahlergebnisses in einem Spannungs-
eld widerstreitender Interessen. Eine demokratisch legi-
imierte Regierung des Kongo ist weder im Interesse der
okalen Warlords, noch wird sie die ungeteilte Zustim-
ung derjenigen finden, die am Kongo ein rein wirt-
chaftliches Interesse haben. Hier gilt es, die demokrati-
chen Kräfte zu stärken. Wir erhoffen uns durch die
reien Wahlen zudem eine Stabilisierung der gesamten
egion.
Aus dieser grundlegenden Überzeugung stimme ich
em Antrag der Bundesregierung zu. Allerdings habe
ch Bedenken, sowohl was die Strategie als auch was die
olitische Planung betrifft.
Die dem Einsatz zugrunde liegende außenpolitische
trategie und Zielsetzung ist fragil und wird größeren
elastungen nicht standhalten.
Sicherheit ist die Grundvoraussetzung jedweder Sta-
ilisierung und wirtschaftlicher und gesellschaftlicher
tabilität. Oftmals ist Militär somit eine notwendige Be-
ingung für Entwicklung. Teure, langfristig angelegte
ntwicklungsprogramme können kaum ihre Wirkung
ntfalten, solange Bürgerkriege und organisierte Krimi-
alität Gesellschaften terrorisieren. Entwicklungspolitik
ann in einem solchen Kontext nur dann etwas ausrich-
en, wenn zugleich Beiträge zur sicherheitspolitischen
tabilisierung geleistet werden. Entscheidend für den Er-
3396 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006
(A) )
(B) )
folg militärischer Interventionen ist aber letztlich die
Entwicklung von politischer Stabilität und ökonomi-
scher Prosperität, um den an der Friedensdividende
orientierten Gruppen politische Dominanz zu verschaf-
fen. Der Einsatz von Militär zur Beförderung demokrati-
scher Regierungsformen muss also im Kontext des Ein-
satzes ziviler Ressourcen stehen.
Nur wenn die äußeren Anstöße auf ein gesellschaft-
lich verankertes Potenzial zur Demokratisierung treffen,
hat dieser Prozess letztlich Aussicht auf Erfolg. Primär
militärisch ausgerichtete Interventionen, deren zeitli-
cher Rahmen meist mehr oder weniger begrenzt ist, sind
dagegen für die Beförderung von Demokratie nicht be-
sonders erfolgversprechend. Für mich stellt sich die
Frage nach der Sinnhaftigkeit derartiger Missionen.
Eine hohe Zielsetzung – etwa die Herstellung demo-
kratisch legitimierter, staatlicher Autorität in einem ge-
brochenen Staatswesen – bedingt wiederum eine starke
Durchhaltefähigkeit. Je anspruchsvoller die Zielsetzung
ist, desto notwendiger wird die Belastbarkeit der Ein-
satzkonzeption.
Auch die politische Planung wirft Fragen auf.
Zunächst stellt sich die Frage nach der Konzentration
auf den „Raum Kinshasa“. Die UN-Friedensmission
MONUC hat mit der zehnfachen Zahl an UNO-Soldaten
Mühe, die Milizen in den Griff zu bekommen, die immer
noch die östlichen Provinzen des Landes unsicher ma-
chen. Die EU soll sich mit wesentlich besser ausgerüste-
ten Soldaten nur um den ruhigeren Rest eines Landes
kümmern, das allerdings fast so groß ist wie Westeuropa
und dessen Hauptstadt 9 Millionen Einwohner hat. Es
fällt schwer, zu glauben, dass 780 deutsche Soldaten an-
gesichts dieser Größenordnungen wirklich einen ange-
messenen Beitrag leisten werden.
Die Größe der letztendlich entsendeten Truppe orien-
tiert sich augenscheinlich nicht an strategischen Überle-
gungen, sondern an politischen Konzepten aus Brüssel.
Zudem zeichnete sich der Planungsprozess durch große
Unbestimmtheit aus. Statt der zunächst geplanten
500 Soldaten werden für die gemeinsame EU-Truppe
nun 780 Soldaten zugesagt. Der Zeitraum wurde im
Laufe der Diskussion von einem präzise definierten auf
eine viermonatige Kernzeit mit Vor- und Nachlaufzeit
ausdifferenziert. Das deutsche Mandat ist darüber hinaus
nicht mehr streng auf die Hauptstadt Kinshasa be-
schränkt, sondern erstreckt sich nun auf den „Raum
Kinshasa“. Führt man sich den Entscheidungs- und Pla-
nungsprozess der letzten Monate noch einmal vor Au-
gen, so drängt sich die Frage auf, inwieweit noch ein Zu-
sammenhang besteht zwischen den ursprünglichen
Überlegungen und den letztendlich getroffenen Ent-
scheidungen.
Die Debatte über die Entsendung von Bundeswehr-
kräften nach Kinshasa hat noch einmal verdeutlicht, wie
groß die Diskrepanzen zwischen Überlegungen in Brüs-
sel und den jeweiligen Hauptstädten der Europäischen
Union sind. Nachdem öffentlich substanzielle Zusagen
gemacht wurden, hatten die EU-Verteidigungsminister
auf der dann stattfindenden Force-Generation-Konferenz
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chwierigkeiten, ein ausreichendes Kontingent zusam-
enstellen zu können.
Das Konzept mag funktionieren, solange in der De-
okratischen Republik Kongo niemand ernsthaft plant,
ie Wahlen zu stören. Wenn es aber dazu kommt, wenn
eispielsweise Dutzende Wahllokale gleichzeitig ange-
riffen werden, dann werden die mangelnde Belastbar-
eit der Strategie und die Fragilität der politischen Pla-
ung offensichtlich werden.
nlage 9
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Alexander Bonde, Winfried
Hermann, Monika Lazar, Dr. Gerhard Schick,
Sylvia Kotting-Uhl, Hans-Josef Fell, Josef Phi-
lip Winkler, Dr. Anton Hofreiter und Matthias
Berninger (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
zur namentlichen Abstimmung über die Beteili-
gung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der
EU-geführten Operation EUFOR RD CONGO
zur zeitlich befristeten Unterstützung der Frie-
densmission MONUC der Vereinten Nationen
während des Wahlprozesses in der Demokrati-
schen Republik Kongo auf Grundlage der Reso-
lution 1671 (2006) des Sicherheitsrates der Ver-
einten Nationen vom 25. April 2006
(Tagesordnungspunkt 3)
Die Demokratische Republik Kongo braucht ohne je-
en Zweifel die Unterstützung der Staatengemeinschaft
uf dem Weg zur Demokratie. Hier stehen insbesondere
ie Länder in besonderer Verantwortung, die in der Ver-
angenheit von den reichhaltigen Rohstoffen des zen-
ralafrikanischen Landes profitiert haben und damit indi-
ekt zur Finanzierung des Bürgerkrieges beigetragen
aben.
Das hier vorliegende Mandat ist nicht geeignet, die
ituation in der Demokratischen Republik Kongo nach-
altig zu verbessern. Gemessen an der Resolution der
ereinten Nationen ist EUFOR RD CONGO zu einem
loßen Feigenblatt verkommen. Das liegt auch an der
nzureichenden Planung dieses Einsatzes durch die Bun-
esregierung, die im Zuge der europäischen Diskussion
m die Militärentsendung zunehmend zur Getriebenen
urde.
Die Mission EUFOR gewährleistet keine ausrei-
hende internationale Absicherung der Wahlen. Sie dient
ediglich einer geringen europäischen Präsenz in der Re-
ion um die Hauptstadt Kinshasa und ist auf einen
chnellen Rückzug angelegt. Knapp 2 000 Soldaten stellt
ie EU für dieses Kontingent bereit, wobei nur eine
leine Anzahl in der Hauptstadt verbleibt, während der
est außer Landes stationiert bleiben soll. Von der
eringen Präsenz muss noch abgezogen werden, wer
icht zur Sicherung von Wahlen, sondern für Logistik
der Evakuierung eingesetzt wird. Ein Einsatz mit hohen
osten und minimalen Nutzen.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006 3397
(A) )
(B) )
Mit einer solchem Mission wird die internationale
Staatengemeinschaft weder der Größe des Landes noch
der Bedeutung des Schutzes freier Wahlen in der DR
Kongo gerecht. Auch militärisch ist das Mandat nicht
überzeugend. Der von der Bundesregierung geäußerten
vagen Hoffnung, die bloße Präsenz dieses Truppenkon-
tingentes könne für Stabilität sorgen, steht die Realität
entgegen. Im Falle von Unruhen bleibt Rückzug die ein-
zige Option. Die Wirkung des Militärs wird hier über-
schätzt. Zu der Fehlkonstruktion dieses Einsatzes kom-
men gravierende Unzulänglichkeiten der Planung im
Detail zu.
Nicht nur der Einsatz selbst, auch die Afrikapolitik der
Bundesregierung lassen keine klare Linie erkennen. Die
Vereinten Nationen wünschen die Absicherung der Wah-
len und die Stabilisierung des Landes und der Region, der
Verteidigungsminister aber argumentiert mit dem Zugriff
auf Rohstoffe. Wir benötigen endlich ein Gesamtkonzept
für die Demokratische Republik Kongo, um dem Land
auch weit über die kritische Wahlphase hinaus zu helfen.
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat bereits im Vor-
feld vorgeschlagen, sich angesichts von etwa 53 000 teils
schwer erreichbaren Wahllokalen für deutlich mehr als
die bisher geplanten 140 zivilen EU-Wahlbeobachter ein-
zusetzen, den Wahlbeobachtern Transport- und Kommu-
nikationsmittel für eine effektive Koordinierung ihre
Arbeit zur Verfügung zu stellen, Wahlaufklärungsmaß-
nahmen zivilgesellschaftlicher kongolesischer Organisa-
tionen und der katholischen Kirche sowie insbesondere
Wahlteilnahme und Kandidaturen von Frauen verstärkt
zu unterstützen. Das bisherige Engagement bei der Um-
setzung des Friedensabkommens von Pretoria muss aus-
gebaut und verstetigt werden: beim DDR-Prozess (Ent-
waffnung, Demobilisierung und Wiedereingliederung
ehemaliger Kämpfer und Kindersoldaten in die Gesell-
schaft) und bei der Sicherheitssektorreform (Polizei, Ar-
mee, Aufbau von Zoll- und Grenzpolizei), beim Wieder-
aufbau von Verkehrsinfrastruktur und administrativen
Kapazitäten des Staates, beim Aufbau einer unabhängi-
gen Justiz und bei der Korruptionsbekämpfung sowie bei
der Rückgewinnung der staatlichen Kontrolle über die
Bodenschätze zugunsten der Bevölkerung.
Die meisten von uns haben in der Vergangenheit Aus-
landseinsätzen der Bundeswehr zugestimmt. Die aktuel-
len Unruhen in Kabul haben in diesem Zusammenhang
ein weiteres Mal unterstrichen, wie wichtig dabei ein
klares Mandat und seriöse Planung sind. Die Bundes-
wehr darf ihre Ressourcen angesichts der Gefahren von
Auslandseinsätze nicht verzetteln und keine Soldaten in
teure Missionen mit stark symbolischem Charakter ent-
senden – schon gar nicht, wenn die Symbolwirkung an-
scheinend vordringlich nach Europa gerichtet ist.
Den in der Mission zum Einsatz kommenden Solda-
tinnen und Soldaten sichern wir trotz unserer Ablehnung
die Unterstützung zu und wünschen ihnen größtmögli-
chen Erfolg und eine sichere Heimkehr.
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nlage 10
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Jochen-Konrad Fromme,
Kurt J. Rossmanith, Georg Schirmbeck, Klaus-
Peter Willsch und Bernhard Schulte-Drüggelte
(alle CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung
über die Beteiligung bewaffneter deutscher
Streitkräfte an der EU-geführten Operation
EUFOR RD CONGO zur zeitlich befristeten
Unterstützung der Friedensmission MONUC
der Vereinten Nationen während des Wahlpro-
zesses in der Demokratischen Republik Kongo
auf Grundlage der Resolution 1671 (2006) des
Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom
25. April 2006 (Tagesordnungspunkt 3)
Deutsche Außenpolitik hat primär deutschen Interes-
en zu dienen. In diesem Zusammenhang ist der Einsatz
er Bundeswehr legitim. Wir stimmen dem Kongo-Ein-
atz zu, weil wir diesem Grundsatz in der gegenwärtigen
iskussion zum Durchbruch verhelfen möchten.
Wir stellen dabei folgende Bedenken zurück:
Wenn der Einsatz im Kongo deutschen Interessen
ient, da auf diese Weise eine demokratische Wahl abge-
ichert und damit stabile rechtsstaatliche Verhältnisse
erbeigeführt werden können, so sind die Einsatzstärke
ie auch die zeitliche Begrenzung des Mandats nicht
achvollziehbar, denn Einsatzstärke und -dauer werden
ur beim Eintritt eines der denkbaren Zukunftsszenarien
usreichend sein.
Die Aufbringung der Kosten des Einsatzes aus dem
inzelplan des Verteidigungsministers schmälert die Fä-
igkeit der Bundeswehr, angemessen ausgerüstet und
usgebildet ihrem Auftrag nachzukommen. Die Kosten-
ufbringung aus dem Einzelplan des Bundesministe-
iums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
ung wäre sachgerecht.
Im Rahmen einer europäischen Aufgabenteilung wäre
s wünschenswert, dass Einsätze in Afrika von den Part-
ern durchgeführt werden, die vor dem Hintergrund ih-
er kolonialen Vergangenheit über Erfahrungen im Ziel-
and verfügen.
nlage 11
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Dirk Manzewski und
Dr. Peter Danckert (beide SPD) zur namentli-
chen Abstimmung über die Beteiligung bewaff-
neter deutscher Streitkräfte an der EU-geführ-
ten Operation EUFOR RD CONGO zur zeitlich
befristeten Unterstützung der Friedensmission
MONUC der Vereinten Nationen während des
Wahlprozesse in der Demokratischen Republik
3398 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006
(A) )
(B) )
Kongo auf Grundlage der Resolution 1671 (2006)
des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen
vom 25. April 2006 (Tagesordnungspunkt 3)
Die Unterstützung der kongolesischen Bevölkerung
bei ihren Bemühungen für freie und gleiche Wahlen ist
grundsätzlich zu begrüßen.
Anders als bei vorangegangenen Einsätzen der Bun-
deswehr im Ausland wirft die politische Planung jedoch
erhebliche Fragen auf, die Zweifel am Sinn und Erfolg
der Mission aufkommen lassen.
Unklar ist bereits, was unter der Konzentration auf
den „Raum Kinshasa“ zu verstehen ist. Der Kongo hat in
etwa die Größe Westeuropas und seine Hauptstadt al-
leine 9 Millionen Einwohner. Der uns vorliegende Plan
für den Einsatz der deutschen Streitkräfte legt keine kon-
krete Grenze innerhalb des Landes fest, in dem der Ein-
satz stattfinden soll. Angesichts der beschriebenen
Größe des Landes ist diese Aussage deshalb relativ und
ungenau.
Die UN-Friedensmission MONUC hat mit der zehn-
fachen Zahl an UN-Soldaten Mühe, die Milizen in den
östlichen Provinzen des Landes unter Kontrolle zu hal-
ten. Wie das europäische Kontingent von circa
2 000 Soldaten, von denen 780 deutsche Soldaten sind,
hier einen wesentlichen Beitrag leisten sollen, ist für uns
nicht nachvollziehbar.
Die Zusage, dass es zu keiner Verlängerung des Man-
dates kommen wird, halten wir für zweifelhaft. Abgese-
hen davon, dass im Laufe der Diskussion die präzise de-
finierte Einsatzzeit auf eine viermonatige Kernzeit mit
Vor- und Nachlaufzeit ausgebaut wurde, ist nicht auszu-
schließen, dass die Wahlen entweder nicht ordnungsge-
mäß verlaufen, manipuliert oder gestört werden. Unter
Berücksichtigung dessen erscheint wenig überzeugend,
dass die Soldaten im Falle einer fehlenden Akzeptanz
der Wahlen durch die Bevölkerung und bei zunehmen-
dem Widerstand tatsächlich abgezogen werden.
Es ist zudem bislang für uns unklar, welche Aktivitä-
ten von den Soldaten im Falle von Kampfhandlungen
bzw. militärischen Auseinandersetzungen überhaupt er-
wartet werden. Ein entsprechendes Notfallkonzept ist
nicht ersichtlich.
Soldaten in einen so ungewissen Einsatz zu schicken,
können wir mit unserem Gewissen nicht vereinbaren und
stimmen dem Antrag der Bundesregierung deshalb nicht
zu.
Anlage 12
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Volker Beck (Köln) und
Claudia Roth (Augsburg) (beide BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung
über die Beteiligung bewaffneter deutscher
Streitkräfte an der EU-geführten Operation
EUFOR RD CONGO zur zeitlich befristeten
Unterstützung der Friedensmission MONUC
der Vereinten Nationen während des Wahlpro-
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zesses in der Demokratischen Republik Kongo
auf Grundlage der Resolution 1671 (2006) des
Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom
25. April 2006 (Tagesordnungspunkt 3)
Ich schließe mich im Wesentlichen der Erklärung von
hea Dückert und anderen an.
Darüber hinaus habe ich die Sorge, dass die Zahl der
ingesetzten Soldaten nicht ausreichen könnte, um die
rreichung des Zieles des Einsatzes und die Gewährleis-
ung der Sicherheit der eingesetzten Soldaten zu garan-
ieren.
Die Verantwortung für den reduzierten Einsatz und
ie daraus resultierenden Folgen trägt der Antragsteller,
ie Bundesregierung. Als Abgeordneter kann ich zu dem
ntrag nur Ja oder Nein sagen. Ich kann ihn nicht verän-
ern. Da ich den Einsatz menschenrechtspolitisch und
ußenpolitisch für notwendig halte, stimme ich zu und
ordere die Bundesregierung auf, den Einsatz bezüglich
er Zahl der Soldaten und des Auftrags jeweils ständig
u überprüfen und gegebenenfalls mit einem weiteren
ntrag eine Ausweitung vorzunehmen, um die Mängel
es Antrags zu beseitigen.
nlage 13
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Elke Reinke (DIE LINKE)
zur namentlichen Abstimmung über den Ent-
wurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung der
Grundsicherung für Arbeitsuchende (Tagesord-
nungspunkt 11 a)
Hiermit erkläre ich, warum ich gegen den Gesetzent-
urf von CDU/CSU und SPD gestimmt habe. Ich habe
on Frau Nahles heute gehört: Es gibt keine Kostenex-
losion, es gibt keinen Leistungsmissbrauch und es gibt
eine Menschen in der sozialen Hängematte. Dennoch
ringt die Koalition zusätzlich zum Fortentwicklungsge-
etz, wieder einmal in einer Hauruck-Aktion, einen Än-
erungsantrag ein, der Missbrauch bekämpfen soll.
Ich fühle mich in meinen Rechten als Abgeordnete
ingeschränkt und ich kann meinen Pflichten gegenüber
en Wählerinnen und Wählern so nicht nachkommen.
enn Erwerbslose gezwungen werden, den Tag neben
em Telefon zu verbringen – sofern sie sich das noch
eisten können –, dann schränken Sie verfassungsmäßige
reiheiten ein. Sind Sie sich eigentlich bewusst, dass Sie
it Ihrer Zustimmung in Kauf nehmen, dass Erwerbs-
ose mit diesem Gesetz in Obdachlosigkeit gedrängt
erden können.
Ich lasse mir gerne den Vorwurf gefallen, diejenigen,
ie diesem Gesetz zustimmen, in die „moralische Ecke“
u stellen. Ja, da gehören Sie auch hin. Das Problem ist,
ass es nicht genügend Erwerbsarbeit, von der die Leute
eben können, gibt, und nicht, dass Menschen unange-
essene Beschäftigungsgelegenheit ablehnen. Bitte las-
en sie uns die Arbeitslosigkeit bekämpfen und nicht die
rbeitslosen.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006 3399
(A) )
(B) )
Ich möchte alle Betroffenen ermutigen, sich gegen
diese Verschärfungen von Hartz IV zu wehren und am
kommenden Samstag, gemeinsam mit Erwerbstätigen,
gegen den fortschreitenden Sozialabbau an der bundes-
weiten Demo in Berlin teilzunehmen.
Anlage 14
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Gabriele Hiller-Ohm (SPD)
zur namentlichen Abstimmung über den Ent-
wurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung der
Grundsicherung für Arbeitsuchende (Tagesord-
nungpunkt 11 a)
Der Gesetzentwurf in der vom Ausschuss für Arbeit
und Soziales überarbeiteten Fassung verfestigt durch die
Änderungen der § 3 und 23 SGB II die Ungleichbehand-
lung von Leistungsempfängerinnen und für Leistungs-
empfängern aus dem SGB II und dem SGB XII im
Hinblick auf Mehrbedarfe im Ausnahmefall. Diese Än-
derungen sind aus meiner Sicht nicht vereinbar mit dem
Sozialstaatsangebot unseres Grundgesetzes und somit
verfassungsrechtlich bedenklich. Für die betroffenen
Leistungsempfängerinnen und Leistungsempfänger im
SGB II, die auf akute individuelle Hilfeleistungen oder
wiederkehrenden Mehrbedarf angewiesen sind, bedeu-
ten sie eine besondere soziale Härte.
Aus verwaltungstechnischen Gründen und zur Stär-
kung der Eigenverantwortung der Hilfeempfänger wurde
bei der Einführung des SGB II auf Individualleistungen
zugunsten von erhöhten pauschalierten Leistungen wei-
testgehend verzichtet. In § 23 SGB II werden als indivi-
duelle Mehrbedarfe lediglich Erstausstattungen für die
Wohnung einschließlich Haushaltsgeräte, Erstausstat-
tung für Bekleidung und Erstausstattung bei Schwanger-
schaft und Geburt sowie mehrtägige Klassenfahrten vor-
gesehen. § 21 regelt darüber hinaus die Mehrbedarfe bei
Behinderung und Kindererziehung.
Laut SGB II soll die Grundsicherung für Arbeit-
suchende „erwerbsfähige“ Hilfebedürftige bei der Auf-
nahme oder Beibehaltung einer Erwerbstätigkeit unter-
stützen und den Lebensunterhalt sichern (…)“ (§ 1
Satz 1). Das SGB II beinhaltet also neben dem Wieder-
eingliederungsziel gleichberechtigt ausdrücklich auch
die Sicherung des Lebensunterhalts.
Trotzdem ist – abweichend zum Sozialhilferecht
(SGB XII) im SGB II kein Mehrbedarf in anderen Fällen
als den explizit im Gesetz genannten vorgesehen. Diese
Benachteiligung gegenüber Hilfeempfängern aus dem
SGB XII kann zum Beispiel geschiedene Elternteile tref-
fen, denn Kosten zur Wahrnehmung ihres verfassungs-
rechtlich geschützten Umgangsrechts werden im SGB II
nicht anerkannt. Ähnlich verhält es sich mit gesundheits-
bedingten und ärztlich anerkannten Mehrbedarfes die
von den Krankenkassen nicht erstattet werden.
Die Schlechterstellung von Menschen im SGB II, die
auf individuelle Hilfeleistungen angewiesen sind, lässt
sich auch nicht mit dem Argument rechtfertigen, sie
könnten ihren Zusatzbedarf durch im SGB II vorgese-
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ene Zuverdienstmöglichkeiten bestreiten; denn es ist
icht sichergestellt, dass alle Arbeitslosengeld-II-Bezie-
er auch tatsächlich Zuverdienstmöglichkeiten wahrneh-
en können. Hier läge dann eine dauerhafte Bedarfs-
nterdeckung vor, die dem Gebot der Existenzsicherung
iderspricht.
Es wäre deshalb richtig gewesen, wenn der vorlie-
ende Gesetzentwurf eine dem § 28 SGB XII vergleich-
are Öffnungsklausel vorgesehen hätte. Stattdessen wird
un im Gegenteil eine abweichende Festlegung von Be-
arfen ganz ausdrücklich ausgeschlossen und die Un-
leichbehandlung von Hilfeempfängerinnen und -emp-
ängern nach dem SGB II und dem SGB XII zementiert.
Als verfassungsrechtlich bedenklich und nicht verein-
ar mit dem Sozialstaatsgebot sind auch die Auswirkun-
en der verschärften Sanktionen bei wiederholter
flichtverletzung in § 31 zu bewerten, da Hilfebedürf-
ige dadurch längerfristig deutlich unter das Existens-
inimum geraten. Leistungsansprüche aus dem SGB XII
erden dem Arbeitslosengeld-II-Bezieher in § 31 (6)
usdrücklich verwehrt. Lebt der mit Sanktionen belegte
ilfebedürftige in einer Bedarfsgemeinschaft, so sind
uch die Mitglieder dieser Bedarfsgemeinschaft betrof-
en, da die Sanktionen jetzt bereits bei erstmaliger
flichtverletzung das gesamte Arbeitslosengeld II, also
uch Leistungen für Unterkunft und Heizung einbezie-
en. Das vorliegende Gesetz sieht zwar die Möglichkeit
er Bewilligung ergänzender Sachleistungen oder geld-
erter Leistungen im Falle von Sanktionen vor. Diese
reifen aber erst bei einer Minderung des Arbeitslosen-
eldes II um mehr als 30 Prozent. Die Verschärfung von
anktionen mit ihren existenzgefährdenden Auswirkun-
en auf die Bedarfsgemeinschaft und der gleichzeitige
usdrückliche Ausschluss individuellen Mehrbedarfen
irken sich an dieser Stelle zusätzlich erschwerend aus.
Da ich in den Änderungen der §§ 3, 23 und 31 SGB II
inen Verstoß gegen das Sozialstaatsgebot sehe, stimme
ch dem Gesetz in der vom Ausschuss geänderten Form
icht zu.
nlage 15
Erklärung
des Abgeordneten Dr. Heinrich L. Kolb (FDP)
zur Abstimmung über den Entwurf eines Geset-
zes zur Verlängerung der Ich-AG (Tagesord-
nungspunkt 11)
Namens der Fraktion der FDP erkläre ich: Unser
otum lautet Nein.
nlage 16
Erklärung
des Abgeordneten Lothar Mark (SPD) zur na-
mentlichen Abstimmung über den Entwurf
3400 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006
(A) )
(B) )
eines Gesetzes zur Fortentwicklung der Grund-
sicherung für Arbeitsuchende (Tagesordnungs-
punkt 11 a)
Ich habe versehentlich mit Nein gestimmt. Mein
Votum lautet Ja.
Anlage 17
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Erlass der Rechts-
verordnung zum morbiditätsorientierten Risiko-
strukturausgleich gemäß § 268 Abs. 2 SGB V
(Tagesordnungspunkt 12)
Dr. Hans Georg Faust (CDU/CSU): Die Fraktion
Die Linke und namentlich der Kollege Frank Spieth
mahnen die Bundesregierung, einem gesetzlichen Auf-
trag nachzukommen. So weit, so gut!
Heute geht es konkret um die Rechtsverordnung zum
morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich. Diese
Rechtsverordnung wird mit einem knappen Satz im An-
trag eingefordert. Warum dieser Antrag jetzt gestellt
wird, lässt sich aus dem heute Gesagten und der Begrün-
dung im Antrag nur vage erschließen. Es heißt da:
Die unterschiedliche Versichertenstruktur der ge-
setzlichen Krankenversicherung und die daraus
abgeleiteten Wettbewerbsverzerrungen und die fi-
nanzielle Situation der gesetzlichen Krankenversi-
cherung lassen ein weiteres Aufschieben der
Rechtsverordnung nicht zu.
Die unterschiedliche Versichertenstruktur ist unbe-
stritten, die Relevanz der Wettbewerbsverzerrung wird
von den verschiedenen Krankenkassen unterschiedlich
beurteilt und die finanzielle Situation der GKV mit
Schulden in Milliardenhöhe war vor Jahren insgesamt
noch deutlich schlechter.
Warum also jetzt dieser Antrag? In der Begründung
bezieht sich die Linke auf den Beschluss des Bundesver-
fassungsgerichtes vom 18. Juli 2005, wonach die Morbi-
dität, also die Abbildung des Gesundheitszustandes der
Versicherten, schärfer berücksichtigt werden sollte. Das
habe ja auch der Gesetzgeber durch das angeführte
Instrumentarium auf der Grundlage von Diagnosen,
Diagnosegruppen, Indikatoren, lndikatorengruppen, me-
dizinischen Leistungen oder Kombinationen dieser
Merkmale gesetzlich vorgegeben. Aber dieser Beschluss
des Bundesverfassungsgerichtes, der nun heute als Beleg
für die Notwendigkeit des Erlasses der Rechtsverord-
nung angeführt wird, liegt nunmehr auch schon ein Jahr
zurück.
Auch der Verweis auf das im Auftrag des Bundes-
ministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung
erstellte Gutachten über Klassifikationsmodelle für Ver-
sicherte im Risikostrukturausgleich, das IGES/Lauter-
bach/Wasem-Gutachten, hilft uns hier nicht weiter. Das
Gutachten wurde schon im Jahr 2004 erstellt und lieferte
die Grundlage für weitere Diskussionen über die Sinn-
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aftigkeit und Treffgenauigkeit neuer Elemente im Risi-
ostrukturausgleich.
Aus all dem ist also nicht ersichtlich, warum wir uns
erade jetzt mit diesem Antrag befassen müssen. Die
artner der großen Koalition stecken mitten in der Vor-
ereitung einer umfassenden Gesundheitsreform, die na-
ürlich auch ganz wesentlich Morbidität und ihre Abbil-
ung sowie Schlussfolgerungen daraus zum Inhalt hat.
Nicht nur der Risikostrukturausgleich, sondern auch
ergütungssysteme – neben den schon eingeführten
allpauschalen im Krankenhaus ist natürlich auch der
mbulante Sektor bei der Vergütung durch morbiditäts-
ezogene Regelleistungsvolumina unmittelbar berührt –
ind in der aktuellen Diskussion. Das sprechen Sie,
eine Damen und Herren von der Linken, in ihrer Be-
ründung ja auch an, wenn Sie den Entwurf zum Ver-
ragsarztrechtsänderungsgesetz zitieren. Inzwischen ist
ber diese Passage aus dem Kabinettsentwurf wieder ge-
trichen, sodass der alte Zustand greift.
Die Diskussion um das von mir erwähnte Gutachten,
ie Erfahrungen, die in anderen Ländern, wie den Nie-
erlanden, jetzt mit einem sich auf neue Kriterien stüt-
enden Risikostrukturausgleich gemacht werden, die Er-
enntnisse, die wir aus der Verknüpfung der Disease-
anagement-Programme mit dem Risikostrukturaus-
leich gewonnen haben und die Schwierigkeiten, die
uch vonseiten der Kassenärztlichen Bundesvereinigung
ei der Entwicklung eigener Morbiditätsbeurteilungssys-
eme eingeräumt werden, zwingen zum Umdenken.
Deshalb steht ja auch in der Koalitionsvereinbarung,
ass der Risikostrukturausgleich vereinfacht und weiter-
ntwickelt werden soll, sodass die Zielgenauigkeit er-
öht wird und die Morbiditätsrisiken besser abgebildet
erden. Und auch im Bereich der Vergütung wurde ge-
ordert, dass das neue Vergütungssystem unter Berück-
ichtigung von Morbiditätskriterien vereinfacht werden
oll. Vereinfachung und Zielgenauigkeit sind also die
ernpunkte, die die Diskussion in der Arbeitgruppe zur
orbereitung der Gesundheitsreform maßgeblich be-
timmen.
Ob, wie im Antrag behauptet, die Anforderungen an
ie Zielgenauigkeit und die bessere Abbildung von Mor-
iditätsrisiken sowie die Vereinfachung und Weiterent-
icklung durch das IGES/Lauterbach/Wasem-Gutachten
rfüllt werden, sei dahingestellt. Da sind die Meinungen
urchaus unterschiedlich und auch ich persönlich habe
eine Bedenken bezüglich der Kriterien: Welche Arz-
eimittel bekommt ein Versicherter verordnet und mit
elcher Diagnose ist er in ein Krankhaus einge-
iesen worden? Bedenken habe ich insbesondere bezüg-
ich der Manipulationsanfälligkeit.
Aber unser Thema ist heute ja nicht die Beurteilung
ieses umfangreichen Gutachtens, dessen Ablehnung
nd Zustimmung vonseiten der Krankenkassen auch hier
on der Versichertenstruktur und Interessenlage geprägt
st. Unser Thema und Problem ist heute auch nicht der
ochkomplizierte Risikostrukturausgleich an sich, der
uch von Fachleuten im Gesundheitswesen kaum und
on den Patienten und Versicherten schon gar nicht
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006 3401
(A) )
(B) )
durchschaut und überblickt wird. Unsere Problemstel-
lung ist heute die Frage, ob jetzt ohne nachvollziehbare
Begründung eine Rechtsverordnung auf der Grundlage
eines Gesetzes von 2001 zwingend erlassen werden
muss. Muss sie in einer Zeit erlassen werden, in der sich
die Rahmenbedingungen für das Gesundheitswesen dra-
matisch verändert haben, in der Erkenntnisgewinne auch
bezüglich der Beurteilung und Ermittlung von Morbidi-
tät in erheblichem Maß dazu gekommen sind und sich
die Partner einer großen Koalition umfassende Gedan-
ken zur Einnahme- und Ausgabenseite eines Gesund-
heitswesens in einer großen Reform machen?
Neue und mutige Ansätze für eine große Reform be-
deuten, dass man aufbaut, sich aber nicht unnötig bindet
und damit neue Strukturen blockiert. Das wäre aber ge-
geben, wenn wir uns heute durch die Linke verleiten lie-
ßen, über einen Antrag den Erlass dieser Rechtsverord-
nung voranzutreiben.
Es ist ein legitimer Antrag zur vollkommen verkehr-
ten Zeit und, meine Damen und Herren von der Linken,
das wissen Sie auch. Es ist ein reines Beschäftigungspro-
gramm, das uns an diesem Donnerstag mit übervoller
Tagesordnung beschäftigt, und weil das so ist, höre ich
jetzt auch vor Ablauf meiner Redezeit auf. Mit unserer
Zustimmung für diesen Antrag können Sie nicht rech-
nen.
Dr. Karl Lauterbach (SPD): Der Risikostrukturaus-
gleich ist das zentrale Instrument zur Sicherstellung ei-
nes auf Qualität und Wirtschaftlichkeit ausgerichteten
Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung.
Er soll verhindern, dass die Krankenkassen allein um
bessere Versicherungsrisiken konkurrieren, also um
Junge, Gesunde und höher Verdienende. Wenn diese sich
nur auf bestimmte Kassen konzentrieren, die Kranken,
Älteren und weniger Verdienenden auf andere, würden
die Beitragssätze der Kassen weit auseinander klaffen.
Dies würde die Versicherten dieser Kassen finanziell er-
heblich belasten und dadurch könnte das wichtigste Ziel
unserer solidarischen Krankenversicherung nicht mehr
erreicht werden, nämlich dass die medizinisch notwen-
dige Versorgung nicht von den finanziellen Möglichkei-
ten des Einzelnen abhängen darf, sondern einzig und al-
lein vom medizinischen Bedarf. Nur die Erfüllung dieser
Zielvorgabe gewährleistet, dass die nach wie vor ein-
kommens- und bildungsabhängig ungleich verteilten Ge-
sundheitsrisiken und damit auch die soziale Ungleichheit
von Krankheitsrisiken für den Einzelnen nicht zur Be-
drohung seiner materiellen Existenz werden. Das Ge-
sundheitssystem muss so ausgerichtet sein, dass diejeni-
gen, die am schlimmsten benachteiligt sind, relativ am
meisten davon profitieren. Würde man jedoch vom Risi-
kostrukturausgleich Abschied nehmen, wäre dies ein
gravierender Rückschritt, da damit die Zwei-Klassen-
Medizin innerhalb der gesetzlichen Krankenversiche-
rung etabliert würde, die zwischen gesetzlicher und pri-
vater Krankenversicherung leider immer noch besteht.
Der Risikostrukturausgleich funktioniert – aber nicht
so gut, wie man es bei der Einführung 1994 erwartet
hatte. Die Ermittlung des Beitragsbedarfes der Kassen
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ach den Merkmalen Alter, Geschlecht, Erwerbsminde-
ung und Krankengeldanspruch sowie unter Berücksich-
igung der unterschiedlichen Anzahl beitragsfrei Famili-
nmitversicherter ist immer noch so ungenau, dass für
ie Krankenkassen Anreize zur Risikoselektion, also der
agd nach gesunden Mitgliedern, bestehen. Daher wurde
002 mit dem Gesetz zur Reform des Risikostrukturaus-
leichs beschlossen, den Beitragsbedarf wesentlich ziel-
enauer zur ermitteln. Ab 2007 sollte der morbiditätsori-
ntierte Risikostrukturausgleich, kurz: Morbi-RSA,
ingeführt werden. Zur Umsetzung wurde dem Bundes-
inisterium für Gesundheit 2004 ein Gutachten vorge-
egt, das die prospektive Orientierung an Krankenhaus-
iagnosen und Arzneimittelverschreibungen vorschlägt.
Der Koalitionsvertrag von SPD und CDU/CSU sieht
or, das Gesundheitssystem so zu modernisieren, dass
ine dauerhafte Grundlage für ein leistungsfähiges, soli-
arisches und demografiefestes Gesundheitswesen ge-
egt werden kann. Ein morbiditätsorientierter Risiko-
trukturausgleich muss im Rahmen dieser Reform mit
eschlossen werden.
Für den Antrag der Fraktion Die Linke gibt es derzeit
einerlei Bedarf, da die Details der Gesundheitsreform,
inschließlich derer des Morbi-RSA, bereits verhandelt
erden.
Daniel Bahr (Münster) (FDP): 1994, also vor zwölf
ahren, ist der Risikostrukturausgleich eingeführt wor-
en, um die ungleichen Startchancen einzelner Kranken-
assen beim Übergang zu einem gesetzlichen Kranken-
ersicherungssystem mit Wahlfreiheit der Versicherten
uszugleichen.
Bei den Verhandlungen zum Gesundheitsstrukturge-
etz in Lahnstein hat man sich damals darauf verstän-
igt, vier Kriterien ausgleichen zu wollen: Einkommen,
lter, Geschlecht und Zahl der mitversicherten Fami-
ienangehörigen. Durch die Hintertür der Rechtsverord-
ung ist dann noch ein weiteres Kriterium hinzugekom-
en: die Erwerbsminderungsrentner sowie die Bezieher
iner Rente für Bergleute.
Seitdem hat sich das Volumen, das über die gesetzli-
hen Krankenkassen ausgeglichen wird, von 6,5 Milliar-
en Euro im Jahr 1995 auf 14,9 Milliarden Euro im Jahr
005 erhöht. Mehr als 20 Änderungen und Modifikatio-
en hat es seit der Einführung gegeben. Das ganze Sys-
em ist dadurch immer komplizierter geworden, und die
nreize, die damit gesetzt wurden, immer widersprüch-
icher. Das wird mit dem morbiditätsorientierten Risiko-
trukturausgleich noch deutlich zunehmen.
Ich behaupte, dass man die Experten, die den Risiko-
trukturausgleich in all seinen Facetten verstehen, an
wei Händen abzählen kann. Ein solches Instrument ist
utiefst bürokratisch und strategieanfällig. Diejenigen,
ie über Änderungen zu entscheiden haben, sind gar
icht mehr in der Lage, die Konsequenzen ihres Han-
elns zu überblicken.
So etwas ist im politischen Raum höchst gefährlich,
nsbesondere im Hinblick auf den Umfang, den das Aus-
leichsverfahren mittlerweile erreicht hat. Dieser Um-
3402 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006
(A) )
(B) )
fang liegt mittlerweile auf Höhe des Länderfinanzaus-
gleichs. Die vom RSA begünstigten Kassen haben sich
von diesen Unterstützungszahlungen langfristig abhän-
gig gemacht. Wirtschaftlichkeitsanreize schwinden aber
in dem Ausmaß, wie Alimentation, Eigenverantwortung
unterminiert werden. Hartz IV ist dafür ein gutes Bei-
spiel.
Wir täten deshalb gut daran, noch einmal innezuhal-
ten und zu überlegen, wie mit der Problematik umgegan-
gen werden soll. Können wir wirklich sicher sein, dass
ein höchst aufwändiger morbiditätsorientierter Risiko-
strukturausgleich dafür der beste Weg ist? Gerechtigkeit
– im Sinne von vollständigem Ausgleich unterschiedli-
cher Versicherungsrisiken – kann nur um den Preis einer
unendlichen Verfeinerung der Kategorien erreicht wer-
den.
Wir würden im Ergebnis einen Ausgabenausgleich
schaffen, nur eben auf Umwegen, höchst kompliziert,
manipulationsanfällig und für die gesamte GKV mit
enormen Ausgabenrisiken. Ich fürchte, dass irgendwann
der Ausgabenausgleich, der mit einer hohen Interessen-
quote versehen wird, gefordert wird.
Es geht aber auch anders. Wenn man zum Beispiel für
mitversicherte Familienangehörige Prämien vorsieht, die
man, so man das gesellschaftspolitisch wünscht, über
Steuern ausgleicht, braucht man das Kriterium der mit-
versicherten Familienangehörigen nicht. Wenn man
Leistungen bei Schwangerschaft und Mutterschaft als
versicherungsfremde Leistungen systemgerecht steuer-
finanzieren würde, braucht man nicht mehr unbedingt
eine Differenzierung nach Geschlecht. Wenn man auf
ein wie auch immer geartetes Prämiensystem übergeht,
braucht man das Kriterium des Einkommens nicht mehr.
Es bleibt also das Alter, das man in einem System mit
leistungsgerechten Prämien und portablen Altersrück-
stellungen auch nicht mehr braucht. Ist man nicht bereit,
einen so weit gehenden Schritt zu tun, ist das Alter im
heutigen System ein guter Indikator für den Leistungsbe-
darf. Das wäre eine überschaubare, einfache und trans-
parente Lösung.
Ich begrüße deshalb ausdrücklich, dass die Einfüh-
rung eines morbiditätsorientierten Risikostrukturaus-
gleichs noch einmal verschoben werden soll. Vielleicht
kann die verbleibende Zeit genutzt werden, um nach
sinnvollen und praktikableren Lösungen zu suchen, ge-
rade auch mit Blick auf Behandlungsprogramme für
chronisch Kranke, die vom RSA zu entkoppeln sind.
In diesem Zusammenhang darf ich vielleicht noch
einmal an die guten alten kassenartinternen Finanzaus-
gleiche erinnern, die gestärkt werden könnten. Eine Kas-
senart bildet gegenüber einer einzelnen Krankenkasse
eine deutlich größere Versicherten- und damit auch Risi-
kogemeinschaft. Sie ist auch in der Lage, schwerst-
kranke Patienten umfassend zu betreuen. Auf diese
Weise wäre bereits ein Teil der Risiken neutralisierbar.
Ein weiterer Teil könnte über Rückversicherungen auf-
gefangen werden. Insoweit kann auf einen Risikopool
verzichtet werden.
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Also: Nutzen wir die Zeit, über praktikable Lösungen
achzudenken.
Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
EN): Auch beim Risikostrukturausgleich spielt die
roße Koalition auf Zeit. Die Ausgangspositionen der
oalitionspartner liegen weit auseinander. Also passiert
rst einmal gar nichts.
In der Sache gibt es keinen guten Grund, die Weiter-
ntwicklung des Kassenausgleichs auf die lange Bank zu
chieben. Die Begründung, dass das Gutachten zur Vor-
ereitung der Reform erst mit Verspätung fertig gewor-
en sei, ist an den Haaren herbeigezogen. Tatsächlich
iegt es inzwischen seit fast zwei Jahren vor. Zeit gab es
lso mehr als genug, um die notwendigen Aktualisierun-
en der verwendeten Daten vorzunehmen und eine
echtsverordnung zu erstellen. Tatsächlich liegt deren
ertiger Entwurf ja auch längst im ministerialen Schreib-
isch.
Dass er dort erst einmal bleibt, hat ausschließlich po-
itische Gründe. Die Union hat sich schlicht verrannt.
ber Jahre hinweg hat sie gegen die Morbiditätsorientie-
ung im Risikostrukturausgleich opponiert. Kaum in der
undesregierung, merkt sie, dass es – auch mit Blick auf
ie Reform der Ärztehonorare – ohne diese Weiterent-
icklung nicht geht. Nun braucht sie einfach zusätzliche
eit, um ihre bisherige Contra-Position möglichst ge-
äuschlos räumen zu können.
Ihre allmähliche Absetzbewegung verpackt die Union
n starken Worten. Sie fordert die „Entkoppelung der Di-
ease-Management-Programme vom Risikostrukturaus-
leich“. Sie sagt aber nicht, dass genau dies mit dem
euen Risikostrukturausgleich geschieht Erst durch den
orbi-RSA wird der Risikostrukturausgleich so zielge-
au, dass aufwendige Hilfskonstruktionen wie die be-
ondere Berücksichtigung der Behandlungsprogramme
ür chronisch Kranke überflüssig werden.
Letztlich bietet uns die große Koalition also in Sachen
isikostrukturausgleich das gleiche Schauspiel, das uns
uch bei der Gesundheitsreform droht. Aufgrund der
ielen internen Widersprüche hat die politische Ge-
ichtswahrung Priorität vor der Problemlösung. Damit
roht sie aber die mit dem heutigen Risikostrukturaus-
leich verbundenen Probleme auf die Spitze zu treiben.
Eine Vollbremsung erfolgt nur bei der Reform des Ri-
ikostrukturausgleichs. Dagegen soll die mit der letzten
esundheitsreform beschlossene Reform der Ärztehono-
are weiter vorangetrieben werden. Bei der Berechnung
nd Verteilung der Honorarsumme soll künftig der un-
erschiedliche Gesundheitszustand der Patientinnen und
atienten berücksichtigt werden. Das ist in der Sache
uch weiterhin vernünftig. Das mit dem demografischen
andel verbundene stärkere Morbiditätsrisiko darf nicht
infach bei den Ärztinnen und Ärzten abgeladen werden.
Aber die nun vorgesehene zeitliche Entkoppelung der
eiterentwicklung des Risikostrukturausgleichs und der
eform der Ärztehonorare ist absurd. Sie führt bei den
rankenkassen dazu, dass die unterschiedliche Morbidi-
ät der Versicherten nur auf der Ausgaben-, nicht aber
uf der Einnahmeseite berücksichtigt wird. In der Kon-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006 3403
(A) )
(B) )
sequenz steigen die Ausgaben der Krankenkassen, die
besonders viele chronisch kranke und ältere Mitglieder
haben, während ihre Einnahmen stagnieren.
Liest man die Pressemeldungen der letzten Tage,
scheint die Union an dem einen oder anderen Punkt auf
Positionen einzuschwenken, die Rot-Grün schon mit der
letzten Gesundheitsreform durchsetzen wollte, aber ge-
gen den Widerstand der Union nicht durchsetzen konnte.
Dazu gehört zum Beispiel die Kosten-Nutzen-Bewer-
tung von Arzneimitteln.
Sollte es so sein, würde ich mich freuen. Es wäre aber
wichtig für das Solidarsystem, wenn künftig solche
Lernprozesse etwas schneller vonstatten gehen könnten.
Rolf Schwanitz, Parl. Staatssekretär bei der Bun-
desministerin für Gesundheit: Der Antrag der Fraktion
Die Linke auf unmittelbare Einführung eines neuen Risi-
kostrukturausgleichs läuft nach dem Motto: Hauptsache
Bombenstimmung. Mit der Wirklichkeit im Gesund-
heitswesen und mit Verantwortung für dessen Funktio-
nieren hat er nichts zu tun. Denn was diese Oppositions-
fraktion verlangt, das ist so nicht zu realisieren. Dieses
System ist nämlich keine Ansammlung von Befehlsemp-
fängern, die auf PDS-Knopfdruck die Hacken zusam-
menschlagen.
Für Koalition und Regierung ist die Weiterentwick-
lung des Risikostrukturausgleichs ausgemachte Sache;
ein Blick in den Koalitionsvertrag beweist das. Weiter-
entwickeln heißt: Die genaue Erfassung der Krankheits-
risiken der Versicherten wird auf den Weg gebracht, und
zwar auf der Grundlage ausreichender Daten und zum
Zweck qualitativ besserer Zielgenauigkeit dieses not-
wendigen Ausgleichs zwischen den Kassen. Wir brau-
chen einen erneuerten Risikostrukturausgleich. Wir
schaffen ihn.
Auch die Opposition weiß, dass die Koalition derzeit
in einer Arbeitsgruppe unter der Leitung der Bundesmi-
nisterin für Gesundheit alle wesentlichen Zukunftsfragen
unseres Gesundheitswesens diskutiert. Hierzu gehört
auch die Weiterentwicklung des Risikostrukturausglei-
ches. Diese Diskussion wird sorgfältig geführt. Was an
brauchbaren Vorarbeiten geleistet wurde, wird aufge-
nommen. Was erarbeitet werden muss, wird in Angriff
genommen. Und dann wird daraus etwas Gutes für Bei-
tragszahler, Versicherte und Patienten entwickelt. Auf
die kommt es uns nämlich vor allem an.
Anlage 18
Zu Protokoll gegebene Rede
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über
die Errichtung einer Bundesanstalt für den
Digitalfunk der Behörden und Organisationen
mit Sicherheitsaufgaben (BDBOS-Gesetz –
BDBOSG) (Tagesordnungspunkt 13)
Ulla Jelpke (DIE LINKE): Der Gesetzentwurf der
Bundesregierung wirft mehr Fragen auf als er beantwor-
tet. Die Linke hat keine Einwände dagegen, dem zivilen
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atastrophenschutz moderne Kommunikationsmittel in
ie Hand zu geben, aber so, wie von der Regierung hier
eabsichtigt, darf es nicht gehen.
Wir haben zum einen verfassungsrechtliche Beden-
en: Art. 73 des Grundgesetzes gibt dem Bund nur die
oheit für Post und Telekommunikation und meint da-
it die Massenkommunikation. Er meint aber nicht den
olizeifunk, um den es ja hier geht. Der Bund maßt sich
ier also zu viel Kompetenzen an. Der saubere Weg wäre
ewesen, das Grundgesetz zu ändern, aber dafür hätten
ie wohl keine Mehrheit bekommen.
Ein gangbarer Weg wäre auch gewesen, die bereits
estehende Bundesnetzagentur mit der Einrichtung des
igitalfunks zu beauftragen. Stattdessen soll es nun eine
und-/Länder-Misch-Anstalt geben, die unsere Verfas-
ung nicht kennt.
Wir haben aber auch sachliche Bedenken. Der Bund
oll 50 Prozent des Netzes, das so genannte Rumpfnetz,
inbringen. Das läuft darauf hinaus, die Länder im Be-
eich Sicherheit zu bevormunden. Sie sollen bezahlen,
ber nicht mitreden. Der Gesetzentwurf sieht für den
treitfall zwischen Bund und Ländern nicht mal ein
uorum vor, mit dem die Länder ihre Beteiligungs- und
itwirkungsrechte wirksam ausüben können. Dennoch
erden die Länder mitmachen, weil die Alternative lau-
et, auf die Einführung moderner Technik zu verzichten.
ogel friss oder stirb, lautet die Devise.
Diese Vorgehensweise ist nicht einmal sachdienlich.
iel der ganzen Angelegenheit soll ja ein bundesweit
inheitliches Digitalfunknetzwerk sein. Von der Absicht
ines europaweiten Netzes hat man sich schon lange ver-
bschiedet.
Hat sich die Bundesregierung schon Gedanken ge-
acht, was passiert, wenn einige der Länder eines Tages
eststellen, dass ihnen das Geld für das Projekt ausgeht?
ie geschätzten Gesamtkosten belaufen sich schließlich
uf über 7 Milliarden Euro. Soll sich ein Land, das dafür
eine Gelder mehr hat, dann aus der Bundesanstalt zu-
ückziehen? Soll es weiße Flecken im Funknetzwerk ge-
en oder wie stellt sich die Bundesregierung das Vorge-
en dann vor? Auf keine dieser Fragen gibt das Gesetz
ine Antwort.
Schon vor einiger Zeit hat die Bundesregierung zuge-
ichert, den Entwurf einer Satzung zu präsentieren. Da-
on hat der Bundestag bis heute nichts gesehen. Das
leiche gilt für das Finanzierungskonzept. Überhaupt
eht die Regierung mit unangemessener Geheimniskrä-
erei vor. Die Bedenken, die ich angesprochen habe,
urden auch gestern in der Sitzung des Innenausschus-
es nicht ausgeräumt.
§ 15 des Gesetzes ermächtigt die Bundesanstalt zu
eit reichenden Eingriffen in die Grundrechte, so sollen
ei „rechtswidrigen Streiks“ diejenigen Einrichtungen,
ie für den Betrieb des Digitalfunks „von Bedeutung
ind“, auch gewaltsam gestürmt werden können.
Ich dachte beim ersten Lesen, ich sehe nicht recht:
as ist ein Klassenkampf-Paragraf, wie er im Lehrbuch
es Frühkapitalismus stehen könnte. Was soll das denn
3404 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006
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heißen, „rechtswidrige Streiks“? Wer definiert das?
Muss ein Gerichtsbeschluss vorliegen, oder reicht es
schon, wenn der Präsident der Bundesanstalt der persön-
lichen Auffassung ist, ein Streik sei rechtswidrig?
Welche Betriebe sind überhaupt gemeint? Nicht nur
solche, die für den Digitalfunk notwendig sind, sondern
auch solche, die „von Bedeutung“ sind, heißt es. Aber
was bedeutet das? „Von Bedeutung“ für geregeltes Ar-
beiten ist auch, dass morgens mein Bäcker geöffnet hat!
Wollen Sie da in Zukunft auch die Polizei in die Back-
stube schicken, wenn der mal streikt?
Ich finde es eine Unverschämtheit, diesem Parlament
einen solchen Gummiparagraphen vorzulegen. Die
Linke wird dem Gesetzentwurf nicht zustimmen können.
Anlage 19
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Individualbesteue-
rung mit übertragbarem Höchstbetrag von
10 000 Euro (Tagesordnungspunkt 14)
Patricia Lips (CDU/CSU): Auf allen politischen
Entscheidungsebenen gibt es immer wieder Initiativen,
die zum Dauerbrenner werden. Der vorliegende Antrag
gehört sehr nachdrücklich in diese Kategorie.
Bereits in den vergangenen Legislaturperioden war
die Abschaffung bzw. Einschränkung des Ehegatten-
splittings ein zentrales Ziel seitens der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen. Selbst wenn die Formulie-
rung bis heute im Detail variierte, die Richtung war im-
mer dieselbe:
Es wird ein so genannter Splittingvorteil suggeriert,
also die Existenz eines vermeintlichen Steuerprivilegs
einer bestimmten Bevölkerungsgruppe. Aber es verbirgt
sich noch eine weitere Frage dahinter: Bei genauer Be-
trachtung dieser Art von Bewertung wird ein prägendes
Element unserer Gesellschaft auf Zahlen reduziert: die
Bereitschaft zur gemeinsamen Verantwortung in der
Ehe, die unter einem besonderen Schutz steht und zu
welcher wir uns ausdrücklich bekennen. Dieser verfas-
sungsrechtliche Schutz von Ehe und Familie gebietet es,
Ehepaare auch in wirtschaftlicher Hinsicht als Einheit
anzusehen. Deshalb gibt es viele gute Gründe dafür, die
Erwerbsgemeinschaft von Mann und Frau auch im Steu-
errecht uneingeschränkt und grundlegend auf bestehen-
der Basis verankert zu belassen.
Vor dem Hintergrund von aktuellen Diskussionen im
sozialen Bereich sollten wir diese Einrichtung ausdrück-
lich nicht als Privileg bezeichnen, sondern als eine
Grundlage, die es den Eltern ermöglicht, Familie und Er-
werbstätigkeit nach eigenen Vorstellungen zu gestalten.
Gerade vor dem Hintergrund unserer demografischen
Herausforderungen müssen wir alle Anstrengungen un-
ternehmen, die Bedingungen für Ehe und Familie zu
stärken, statt zu schwächen.
Als Grundlage des Splittings in bestehender Form
dient die persönliche Leistungsfähigkeit: Dieses Prinzip
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oll eine besondere Ausprägung erfahren, insbesondere
ei der Berücksichtigung der Familien mit Kindern. Eine
treichung, Kürzung oder Umwandlung des Ehegatten-
plittings träfe in der weit überwiegenden Zahl Familien
it Kindern. Betroffen wären vor allem Familien, in de-
en ein Elternteil wegen der Kindererziehung die Er-
erbstätigkeit einschränkt oder darauf verzichtet. Diese
ahlfreiheit gilt es zu bewahren. Es ist damit keine be-
iebig gestaltbare Sondervergünstigung, sondern not-
endiger steuerrechtlicher Ausdruck der Lebens- und
ürsorgegemeinschaft der Ehepartner. Es erkennt eigene
rziehungsleistung an. Es kann auch nicht unsere Ab-
icht sein, ausgerechnet diejenigen Paare besonders stark
u treffen, die in der Vergangenheit mit eingeschränkter
örderung Kinder großgezogen haben und damit steuer-
echtlich zu einer zusätzlich belasteten Generation
ürden. Ich bezweifle darüber hinaus die gemäß der An-
agsbegründung angegebenen Steuermehreinnahmen von
bis 5 Milliarden Euro, die zum Ausbau und zur Finan-
ierung der Kinderbetreung verwandt werden sollen.
Dabei ist ausdrücklich festzustellen: Niemand zieht
ie Notwendigkeit einer frühkindlichen Förderung und
ildung in Zweifel, auch nicht einen Ausbau im Betreu-
ngsangebot, und jedem ist klar, dass dies nicht umsonst
u haben ist. Allerdings werden wir sehen, dass die Un-
erstützungsleistung an dieser Stelle nicht über eine Kap-
ung oder Umwandlung des Ehegattensplittings zu leis-
en ist. Wir haben es hier mit einer stark vorn Einzelfall
bhängigen Leistung zu tun, die in Höhe und Kontinuität
ur schwer in der von Ihnen gewünschten Form einzu-
etzen ist.
Im Prinzip – dies versuchte ich deutlich zu machen –
eht es in der Betrachtung dieser Leistung über den steu-
rlichen Aspekt hinaus. Wir müssen gleichzeitig die
rage beantworten, welches gesellschaftspolitische Bild
ir wollen, wo unsere Schwerpunkte in Unterstützung
nd Förderung liegen. Das Ehegattensplitting in beste-
ender Form ist für Sie, Kolleginnen und Kollegen vom
ündnis 90/Die Grünen, ein grundsätzlicher, gesell-
chaftlicher Hebel, mit welchem Sie Ihr Bild einer Ge-
ellschaft zum Ausdruck bringen wollen. Wir wollen die
ahlfreiheit in der Lebensgestaltung von Ehe, Familie
nd Erwerbstätigkeit bewahren. Eine gesonderte und
otwendige Unterstützung der Kinder in unserer Gesell-
chaft wird und muss begleitend an anderen Stellen För-
erung erfahren.
Petra Hinz (Essen) (SPD): Bei dem Antrag von
ündnis 90/Die Grünen handelt es sich in Wirklichkeit
m ein Modell des Realsplittings, jedoch ohne alle steu-
rrechtlichen und verfassungsrechtlichen Aspekte zu be-
ücksichtigen. Sie wollen die Gleichstellung der gleich-
eschlechtlichen Paare, erwähnen aber mit keinem Wort,
ass durch eine Veränderung des Ehegattensplittings, so
ie Sie es in Ihrem Antrag vorgelegt haben, das Gna-
ensplitting infrage gestellt wird. Wollen Sie wirklich
en Millionen von Witwen und Witwern das Recht auf
nadensplitting nehmen oder den geschiedenen Frauen,
ie sowieso schon finanziell belastet sind und vieles al-
ein schultern müssen, das Gnadensplitting vorenthal-
en?
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006 3405
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Ihr Antrag ist sehr schlank, weder ausgewogen noch
sozialgerecht und finanzpolitisch nicht wirklich sinnvoll.
Eine Veranlagungsgruppe wollen Sie unter anderem auf
Kosten der Witwen, Witwer und Geschiedenen beson-
ders schützen und die vorgenannte Gruppe stärker belas-
ten. Sie versuchen, den Eindruck zu erwecken, dass Sie
durch eine Veränderung des Ehegattensplittings hin zur
Individualbesteuerung mehr finanziellen Spielraum
schaffen. Die Koalition wird die Frage der gerechten
Verteilung der Lohnsteuerbelastung zwischen den Ehe-
gatten weiterverfolgen und zum Abbau von Benachteili-
gungen von Frauen bei der Wiederaufnahme einer Er-
werbstätigkeit das Steuersystem besser auf
Flexibilisierungen in der Erwerbsbeteiligung ausrichten.
Das Anteilsverfahren verwirklicht neben seiner fami-
lien- und gleichstellungspolitischen Zielrichtung auch
eine erhebliche Steuervereinfachung für Arbeitnehme-
rinnen und Arbeitnehmer. Durch Liquiditätsvorteile ent-
steht so bei den Steuereinnahmen ein positiver Effekt für
den Haushalt. Dazu gehört, dass bei einer Neuordnung
der Familienleistungen auch das Ehegattensplitting ge-
prüft wird. Aber ganz abschaffen können wir das Ehe-
gattensplitting wohl nicht, weil da auch die Unterhalts-
pflichten in der Ehe zu berücksichtigen sind.
Ihr Antrag erreicht weder Familien-, Frauenförderung
noch Steuergerechtigkeit. Drei Rechenbeispiele sollen
dies verdeutlichen. Durch die von Ihnen vorgeschlagene
Methode der Steuererhebung würden Ehepaare zukünf-
tig ungleich besteuert werden. Es gilt dann nicht mehr
das Prinzip: Familien mit gleich hohem Gesamteinkom-
men zahlen die gleiche Steuer. Dies lässt sich an einem
einfachen Beispiel belegen. Die benötigten Daten kann
man aus der Einkommensteuertabelle des Bundesminis-
teriums der Finanzen ohne weiteres ablesen. Hierbei
gehe ich jeweils von einem Familieneinkommen von
40 000 Euro im Jahr aus und zeige Ihnen, welche Lohn-
steuer die Familien jeweils leisten müssten.
Beim heutigen Ehegattensplitting ist es egal, wer in
der Familie wie viel zum Gesamtverdienst beiträgt. Die
Steuerlast wird jedes Mal bei 5 700 Euro liegen. Würde
es kein Splittingverfahren geben und jeder in der Familie
auf seine Einnahmen Lohnsteuer zahlen, wäre das Un-
gleichgewicht bei der Steuerschuld sehr groß. Alleinver-
dienerfamilien würden 9 223 Euro Steuern zahlen müs-
sen. Dieser Wert wird kleiner, je mehr sich die
Einnahmen der Ehegatten angleichen. Bei gleichem Ver-
dienst – hier also jeweils 20 000 Euro jährlich – ent-
spricht die zu zahlende Steuerschuld dem Wert des Ehe-
gattensplittings.
Nun zu Ihrem Modell. Dieses wirkt sich völlig unge-
recht auf die unterschiedlichen Verdienstmodelle in Fa-
milien aus. Am besten wären Familien gestellt, in denen
ein Partner einen höheren Verdienst hat – nehmen wir
mal den Wert 30 000 Euro an – und ein Partner relativ
wenig zum gemeinsamen Einkommen beiträgt, sagen
wir 10 000 Euro. Bei dieser Konstellation wird sich die
Steuerschuld auf dem Niveau des Ehegattensplittings be-
wegen.
Teuer wird es für die Alleinverdienerfamilien. Diese
müssen dann im Jahr 6 205 Euro Lohnsteuer zahlen –
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lso rund 500 Euro mehr, aus familienpolitischer Sicht
ielleicht nicht die schlechteste Variante. Das besonders
nverständliche an dieser Rechnung ist jedoch, dass es
icht nur die aus familienpolitischer Sicht nicht immer
ngestrebte „Nur der Mann geht arbeiten“-Familie trifft,
ondern genauso gleichwertig verdienende Ehepaare.
enn auch wenn beide in meinem Beispiel 20 000 Euro
um Familienverdienst beisteuern, müssen 6 205 Euro
ohnsteuern gezahlt werden. Nach dieser Rechnung för-
ern Sie also Familien, in denen zwar beide Partner ar-
eiten, einer jedoch nur einen geringes Einkommen hat.
ür alle anderen ist eine kräftige Steuererhöhung zu er-
arten.
Ich fasse zusammen: Der Vorschlag Zusammenveran-
agung mit technischem Realsplitting würde wahrschein-
ich verfassungsrechtliche Maßstäbe verletzten und wäre
it einem hohen bürokratischen Aufwand verbunden.
arüber hinaus würden die Mehrbelastungen vorwie-
end Familien treffen und der finanzielle Ertrag wäre
rotzdem äußerst bescheiden.
Carl-Ludwig Thiele (FDP): Das Ehegattensplitting
oll wieder einmal abgeschafft werden, dieses Mal von
er Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Der alte ideologische Streit wird nunmehr auch im
undestag mit diesem Antrag weitergeführt. Hierbei
ird übersehen, dass gerade Art. 6 des Grundgesetzes
he und Familie unter den besonderen Schutz der staatli-
hen Ordnung stellt. In diesem Zusammenhang sollten
uch die Grünen einmal zur Kenntnis nehmen, dass nach
ie vor die meisten Kinder in Familien leben.
Wer deshalb das Ehegattensplitting abschaffen will,
tellt insbesondere Familien mit Kindern schlechter.
ieses wollen wir als Liberale nicht. Die Kappung des
hegattensplittings trifft in fast 80 Prozent der Fälle Fa-
ilien mit Kindern. Betroffen sind deshalb vor allem Fa-
ilien, in denen ein Elternteil aufgrund der Kindererzie-
ung die Erwerbstätigkeit einschränkt oder darauf
erzichtet. Eine solche Maßnahme diskriminiert fami-
iäre Erziehungsarbeit. Das Ehegattensplitting dient der
ahlfreiheit der Eltern, Familie und Erwerbstätigkeit
ach ihren Wünschen gestalten zu können, ohne dass der
taat hier entsprechend eingreift.
Deshalb ist auch das Steuerrecht darauf abgestellt,
ass es eine eigene gesonderte Splittingtabelle gibt. Die-
es hat zur Begründung, dass die Menschen sich in freier
ahl entschieden haben, füreinander Verantwortung zu
bernehmen. Dieses ist der stärkste Schutz, den Men-
chen einander gewähren können. Staatliche Hilfe soll
mmer nur subsidiär gewährt werden. Wenn Menschen
ich aber freiwillig dafür entscheiden, für einen anderen
erantwortung zu übernehmen, dann hat der Gesetzge-
er für diesen Fall die Grundentscheidung getroffen, die
eistung der Ehepartner im Steuerrecht als absolut
leichwertig zu behandeln. Eine Tätigkeit im Haushalt
nd in der Kindererziehung haben danach steuerlich den
leichen Stellenwert wie eine Berufstätigkeit. Dadurch
önnen die Ehepartner die Aufgaben des Gelderwerbs,
er Haushaltsführung und der Kindererziehung in freier
3406 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006
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Entscheidung ohne nachteilige steuerliche Folgen unter
sich aufteilen. Der Staat mischt sich nicht ein.
Sichergestellt wird durch das Ehegattensplitting, dass
die Steuerbelastung von Ehepaaren mit gleich hohen Ge-
samteinkommen stets gleich hoch ist. Erreicht wird mit
dem Ehegattensplitting auch, dass Einkommensverlage-
rungen zwischen den Ehepartnern steuerlich sinnlos
sind.
In der Begründung des Antrages steht zu lesen, dass
durch den Vorschlag der Grünen steuerliche Mehrein-
nahmen in der Größenordnung von vier bis fünf Milliar-
den Euro entstünden. Diese steuerlichen Mehreinnah-
men sollen dann zum Ausbau und zur Finanzierung der
Kinderbetreuung verwandt werden.
Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen von
den Grünen. Was soll das eigentlich? Zunächst wird den
Familien ein Steuervorteil genommen, um ihnen dann
auf anderem Wege wieder Geld zuzuführen? Ist das
sinnvoll? Ist das eine Steuervereinfachung? Haben Sie
sich nicht auch Gedanken darüber gemacht, dass auf
eine solche Regelung hin entsprechende Einkommens-
ströme zwischen den Ehepartnern durch günstige Kon-
struktionen verlagert und unterschiedlich gestaltet wer-
den?
Da die Belastung überwiegend die Familien selbst
trifft, wäre durch eine Reduzierung des Ehegattensplit-
tings familienpolitisch wenig genommen. Es würde le-
diglich von der einen Hosentasche in die andere umver-
teilt.
Ungerecht wäre es außerdem, den Splittingvorteil für
solche Ehepaare einzuschränken, die ihre Kinder bereits
großgezogen haben. Nicht wenige der Mütter, deren
Kinder aus dem Haus sind, wären gerne wieder berufstä-
tig, finden aber keinen Job und nach Ihrem Vorschlag,
dem Vorschlag der Grünen, würden gerade diese Ehen
steuerlich erheblich mehr belastet.
Deshalb fordere ich Sie auf: Ziehen Sie Ihren Antrag
zurück, denn er soll für die Familien wirken, erreicht in
der Praxis aber das genaue Gegenteil.
Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Die Forderung nach
Abschaffung des steuerlichen Privilegs des Ehegatten-
splittings durch die Einführung einer Individualbesteue-
rung wird von unserer Fraktion unterstützt. Bereits seit
Jahren ist dies eine Kernforderung unseres Steuerkon-
zepts, insbesondere weil die unsprüngliche Zielstellung
bei der Einfüllung dieser steuerlichen Regelung, das Le-
ben von Familien mit Kindern finanziell zu erleichtern,
über die Jahrzehnte hinweg, immer stärker in den Hin-
tergrund gerückt ist.
Der Staat sollte seine begrenzten finanziellen Mittel
zielgerichtet auf die Forderung des Zusammenlebens mit
Kindern richten. Dies könnte und sollte unter anderem
durch die deutliche Anhebung des Kindergeldes und den
Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen geschehen.
Dafür notwendige finanzielle Mittel lassen sich auch aus
dem Übergang zur Individualbesteuerung erzielen. Nicht
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anz unerheblich dürfte im Übrigen die damit zu reali-
ierende tatsächliche Steuervereinfachung sein. Gleich-
eitig wurde hiermit der veränderten gesellschaftlichen
ealität Rechnung getragen, indem nicht mehr aus-
chließlich eine bestimmte Lebensweise, die Ehe, privi-
egiert wird.
Im Unterschied zu Bündnis 90/Die Grünen geht es
ns jedoch nicht einfach um die Ausweitung eines Privi-
egs auf eine weitere Personengruppe, die eingetragenen
ebenspartnerschaften, auch wenn ich ihre Überlegung
achvollziehen kann. Eine tatsächliche Lösung des Pro-
lems werden wir nur erreichen, wenn wir das Ehegat-
en- und Realsplitting in eine Freibetragsregelung zur
teuerlichen Berücksichtigung von Unterhaltsbeiträgen
mwandeln.
Wir schlagen vor:
Ist das Einkommen der Unterhaltsempfänger nied-
riger als das steuerfreie Existenzminimum (Grund-
freibetrag), kann die jeweilige Differenz vom
Einkommen der Unterhaltsleistenden abgezogen
werden. Diese Regelung ist auch für andere Unter-
haltsverpflichtungen anzuwenden, wenn dadurch
öffentliche Mittel (z. B. Sozialhilfe) eingespart wer-
den.
Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
as Ehegattensplitting gibt es seit 1958. Es ist heutzu-
age antiquiert, weil sich die Lebensverhältnisse in den
amilien stark verändert haben. Viele Familien brauchen
wei Einkommen, um über die Runden zu kommen.
rauen haben heute bessere und häufig auch höhere Be-
ufsqualifikationen erworben und wollen ihr Wissen und
önnen im Erwerbsleben einsetzen und das Leben nicht
ur im Haushalt verbringen.
Deswegen benötigen wir gesellschaftliche Strukturen,
ie Beruf und Familie je nach Lebensphase miteinander
lexibel verbinden lassen. Unser Vorschlag einer moder-
en Individualbesteuerung anstelle des Ehegattensplit-
ings wird den heutigen Lebensverhältnissen gerecht,
etzt finanzielle Mittel für die Kinderbetreuung von un-
er Dreijährigen frei und kann in den Kommunen je nach
edarf auch zum kostenlosen Angebot von Kinderbe-
reuungsplätzen verwandt werden. Wir wollen den
echtsanspruch auf Kinderbetreuung finanziell durch
ine Kinderbetreuungskarte gewährleisten. Die Um-
andlung des Ehegattensplittings in eine Individualbe-
teuerung mit steuerfrei übertragbarem Höchstbetrag
on 10 000 Euro pro Jahr auf den weniger oder nicht er-
erbstätigen Ehepartner soll das Steuersparmodell Ehe
n ein Modell zur Förderung der Kinderbetreuung um-
andeln.
Das Splitting hat keinen nennenswerten familienför-
ernden Effekt. 43 Prozent aller Ehen, die vom Ehegat-
ensplitting profitieren, sind kinderlos. Das Entlastungs-
olumen von insgesamt rund 20 Milliarden Euro entfällt
u 35 Prozent auf Ehen ohne Kinder. Die wachsende
ahl von unverheirateten Lebensgemeinschaften mit
indern und Alleinerziehenden hat überhaupt nichts
om Splitting.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006 3407
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Im Jahr 2004 lebten rund 2,3 Millionen Familien mit
Kindern in Deutschland, die keinen Splittinganspruch
haben. Hinzu kommt, dass nach der Logik des Splitting-
tarifs Alleinverdiener überdurchschnittlich profitieren.
Sie machen zwar nur 39 Prozent aller Ehen aus, jedoch
61 Prozent des gesamten Splittingvolumens entfallen auf
diese Eheform. Das Steuersparmodell Ehe kann für hohe
Einkommen eine Entlastung von bis zu 8 350 Euro pro
Jahr erbringen.
Mit unserem Vorschlag der Individualbesteuerung
wird dieses Steuersparmodell gekürzt, und zwar sozial
gerecht: Für hohe Einkommen wird der Splittingvorteil
auf knapp die Hälfte vermindert, kleine Einkommen er-
fahren keinen finanziellen Nachteil. Wir wollen, dass die
frei werdende Summe von 4 bis 5 Milliarden Euro für
ein besseres Leben mit Kindern unabhängig vom Status
der Ehe eingesetzt wird. Unser Vorschlag ist verfas-
sungsgemäß, weil mit dem steuerfrei übertragbaren
Höchstbetrag von 10 000 Euro pro Jahr zugunsten des
weniger oder gar nicht erwerbstätigen Ehepartners die
ehelichen Unterhaltspflichten erfüllt werden können.
Die Summe ist so gewählt, dass sowohl das steuerfreie
Existenzminimum als auch eine private Altersvorsorge
für den nichterwerbstätigen Partner mit dem steuerfrei
übertragbaren Höchstbetrag von 10 000 Euro berück-
sichtigt wird. Am 14. Mai 2006 hieß eine Überschrift in
der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung: „SPD rüttelt
an Steuervorteil für Eheleute“. Jörg-Otto Spiller ließ hö-
ren: „Wir können nur überlegen, in welchem Rahmen
man das Gesetz modifizieren kann.“ Jetzt liegt ein Vor-
schlag vor, mit dem sich die SPD-Arbeitsgruppe „Fami-
lienförderung durchforsten“ auseinander setzen kann. Er
bringt richtig etwas in Bewegung, wenn man es nur will.
Allein mit Überlegen ist es nicht getan.
Anlage 20
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung:
– Beschlussempfehlung und Bericht: Sonder-
programm „Kommunale Brückenbau-
werke“ auflegen Bestandssanierung der Ver-
kehrsinfrastruktur ausweiten und effektive
Sanierungsstrategie vorlegen
– Beschlussempfehlung und Bericht: Be-
standssanierung der Verkehrsinfrastruktur
ausweiten und effektive Sanierungsstrategie
vorlegen
– Antrag: Freistellung der Kommunen von
der Mitfinanzierung bei Baumaßnahmen im
Kreuzungsbereich von Eisenbahnen und
Straßen
(Tagesordnungspunkte 16 a bis c)
Renate Blank (CDU/CSU): Ich möchte zunächst mit
Freude feststellen, dass seit der letzten Behandlung der
hier vorliegenden Anträge im Plenum sich in der Ver-
kehrsinfrastruktur in Deutschland Erfreuliches getan hat:
Mit der Einweihung der neuen ICE-Verbindung von
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ürnberg über Ingolstadt in die bayerische Landeshaupt-
tadt rechtzeitig vor der WM ist – unter Abrufung aller
nvestitionsmittel und dem Bau zahlreicher sicherer Brü-
ken – ein Meilenstein der Infrastruktur geschaffen wor-
en. Mit diesem Hinweis sind wir beim Thema.
Ich habe bereits in der Debatte im Februar darauf-
ingewiesen, dass die Verantwortung für alle Brücken-
auwerke schon seit langem klar geregelt ist. Wir haben
amals über drei Jahre intensiv – auch mit den Ländern
nd den betroffenen Kommunen – diskutiert. Damals lag
er FDP die Haushaltslage des Bundes näher als heute in
er Opposition. Tja, das Sein bestimmt das Bewusstsein.
nders ist es wohl auch nicht zu erklären, dass sie mit
hrem Wunschzettel-Antrag sogar durch die Bundeslän-
er tingeln, wie zuletzt im Hessischen Landtag.
Fakt bleibt aber: Mit dem Eisenbahnkreuzungsgesetz
on 1998 obliegt die Gewährleistung der Stand- und
erkehrssicherheit von Straßenbrücken im Zuge von Ge-
eindestraßen über Schienenwege allein den Kommu-
en und nicht dem Bund oder der Bahn. – Den Kommu-
en wurden seinerzeit Mittel für die auf sie
bergehenden Brücken zur Verfügung gestellt. Ich kann
ir durchaus vorstellen, dass diese Mittel nicht immer
ur Sanierung von Brücken verwendet wurden, sondern
eilweise im Haushalt der Kommunen verschwunden
ind. – Ein Sonderprogramm „Kommunale Brückenbau-
erke“ würde erfahrungsgemäß zahllose Anträge auslö-
en. In Deutschland gäbe es in jedem Wahlkreis garan-
iert eine oder mehrere Brücken, die mehr oder weniger
anierungsbedürftig wären. Allein in meinem Wahlkreis
ären es über fünf Brücken. – Die Haushaltslage erlaubt
eine zusätzlichen Ausgaben. Wenn man ein Sonderpro-
ramm haben will, dann muss Geld von anderen Ausga-
enbereichen abgezogen werden, zum Beispiel vom
traßenbau. Denn die im Bundeshaushalt stehenden Mit-
el für Schienenwegeinvestitionen können aus haushalts-
echtlichen Gründen nicht zur Unterstützung der Kom-
unen eingesetzt werden.
Die Wahrnehmung des Untersuchungsberichts „Si-
herheit und Zustand von Spannbetonbrücken auf Bun-
esfernstraßen“ war übrigens erstaunlich. Eine Zeitung
ommentierte damals: „Brücken sind sicher“. Im Blatt
it vier Buchstaben hieß es entsprechend: „Brücken
ind unsicher“. Nun, die FDP hat sich mit ihrem Antrag
ür die „Oppositionsvariante“ entschieden.
Wir wissen aufgrund des Straßenbauberichts, dass
rücken in Deutschland zu den am besten untersuchten
auwerken gehören. Deshalb gibt es auch eine Zu-
tandsbewertung der Brückenbauwerke im Zuge von
undesfernstraßen. Die Bauwerksprüfung wird alle drei
ahre als „einfache Prüfung“ und alle sechs Jahre als
Hauptprüfung“ durchgeführt. Als Ergebnis der Haupt-
rüfung erhält das jeweilige Bauwerk eine Zustandsnote
wischen eins und vier. Mit anderen Worten: Der Bund
ümmert sich um die Sicherheit seiner Brücken.
Dies belegen auch die Zahlen aus dem Bundesver-
ehrswegeplan: Bis zum Jahr 2015 sind für die Erhal-
ung und Sanierung von Straßen rund 37 Milliarden Euro
orgesehen. Davon werden etwa 25 Prozent für Brücken
ereitgestellt, sodass die Brücken mit den Zustandsnoten
rei bis vier instand gesetzt bzw. erneuert werden, um ei-
3408 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006
(A) )
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nen „ungenügenden“ Bauwerkszustand völlig zu ver-
meiden.
Noch einmal: Die Bewertungskriterien, die im Be-
richt stehen, bedeuten nicht, dass eine Brücke verkehrs-
gefährlich oder in ihrer Standfestigkeit gefährdet ist,
sondern sie zeigen an, wann eine Brücke saniert werden
muss. Insofern besteht nach menschlichem Ermessen
aufgrund dieser sehr genauen Inspektionen, die im Übri-
gen jetzt bei allen Fragen der Gebäudesicherheit, die
sich anderen Zusammenhängen stellen, Vorbildcharakter
haben, kein Anlass zur Sorge.
Quantitativ sind die Dimensionen des deutschen Brü-
ckenbaus enorm. Die Zahl der Brücken in Deutschland
dürfte heute bundesweit bei circa 120 000 liegen. Das
heißt, auf ca. 5,4 Kilometer Straße – oder auf 690 Ein-
wohner – kommt eine Brücke. Das deutsche „Brücken-
vermögen“ wird von Fachleuten auf 80 Milliarden Euro
geschätzt. Um alle Brücken in Deutschland neu zu
bauen, müssten 33 Prozent eines Bundeshaushaltes auf-
gewendet werden bzw. müsste jeder Einwohner in
Deutschland circa 1 000 Euro zusätzlich an Steuern zah-
len.
Ein zentraler Bereich der Kostenminimierung ist da-
her der Erhalt von Brücken. Dieser Komplex umfasst
den baulichen Unterhalt, die Instandsetzung sowie die
Erneuerung einzelner Bauwerksteile oder eines ganzen
Bauwerkes. Dabei nehmen – obwohl der vorhandene
Brückenbestand in den alten Bundesländern verhältnis-
mäßig jung ist und in den neuen Bundesländern Jahr für
Jahr erneuert wird – die Unterhaltskosten ständig zu.
Verantwortlich für die steigenden Kosten ist vor allem
der verkehrsbedingte Verschleiß, aber auch die ständige
Zunahme des Bestandes und des schweren Güterver-
kehrs.
Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, „Über
sieben Brücken musst du gehen“ – keine Angst, ich
fange nicht an zu singen –, diesen Rat eines in Ost und
West bekannten Rocksongs aus den 70er-Jahren kann
man also auch heute beruhigt beherzigen, wenn auch die
Anträge der Oppositionsfraktionen etwas anderes sugge-
rieren wollen. Deutschlands Brücken sind und bleiben
auch ohne Sonderprogramme sicher.
Zum Antrag der Linkspartei ist nur anzumerken, dass
er in der Tradition der Anträge steht, mit denen die
Linkspartei bereits durch alle Landtage, in denen sie ver-
treten ist, „getingelt“ ist.
Zum Antrag der Grünen möchte ich nur bemerken,
dass der Verteilungsschlüssel in Bezug auf die Verkehrs-
träger 2006 bereits festgelegt ist. Ein Einwirken auf die
Bahn, alle ihr aus dem Bundeshaushalt zur Verfügung
stehenden Gelder auch tatsächlich zu verbauen, ist zwar
grundsätzlich richtig. Doch erlaube ich mir schon die
Bemerkung, dass Geld zur Verfügung gestanden hätte,
das Schienenprojekt VDE 8.1/8.2 Nürnberg–Erfurt/
Halle/Leipzig schneller zu bauen, wenn dieses wichtige
Projekt nicht ständig von den Grünen verhindert worden
wäre. Auch ein qualifizierter Netzzustandsbericht ist für
uns alle wichtig und notwendig.
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Im März 2002 gab es eine Beschlussempfehlung und
en Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bundestags-
rucksache 14/8551, zu einem Antrag der damaligen
DS zur Änderung des Eisenbahnkreuzungsgesetzes. Es
st schon interessant, wie damals argumentiert wurde.
ch zitiere die Grünen:
Die PDS erwecke gegenüber den Bürgern, den Län-
dern und den Kommunen in den neuen Bundeslän-
dern immer wieder die falsche Hoffnung, der Bund
sei in der Lage, ihre Probleme durch einen Geldse-
gen zu lösen …
Ich zitiere die FDP:
dass eine Reihe von Hilfen für die Kommunen bei
der Sanierung von Brücken bereits von der früheren
Bundesregierung auf den Weg gebracht worden
seien …
Vom Kollegen Friedrich von der FDP gibt es auch
och eine interessante Rede vom 9. Juni 2000, zum
achlesen empfohlen, die den Antrag der FDP konterka-
iert. Diese früheren Aussagen stehen im Widerspruch
u den Anträgen der Oppositionsfraktionen. Alle drei
nträge, die populistischer Natur sind, werden von uns
bgelehnt.
Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD): Sicherheit ist ein
ichtiges Gut unserer Gesellschaft. Sicherheit muss im-
er oberste Priorität haben. Frei von unvertretbaren Ri-
iken oder Gefahren zu sein, wünschen wir uns alle. All-
mfassende Sicherheit gibt es allerdings nicht. Das
ragische Unglück gestern auf der Gotthardautobahn hat
ies wieder einmal deutlich gemacht. Ohne Vorwarnung
türzten riesige Felsbrocken auf Autos und töteten zwei
eutsche Touristen.
Die Gesellschaft des 21. Jahrhunderts lebt in einer
mgebung, die durch mehr oder weniger gigantische
auwerke geprägt ist. Zu unserem Leben gehören Stra-
en, Brücken und Tunnel, Hochhäuser, Sporthallen und
renen, die mehrere Hunderttausend Menschen fassen.
iese Bauten sind irgendwann neu, kommen in die Jahre
nd der Zahn der Zeit nagt an ihnen. Kleine Reparaturen
eichen dann nicht mehr aus. Sie müssen zu ihrer Erhal-
ung gründlich saniert werden.
Nach Ansicht der FDP in diesem Hause bröckeln die
eutschen Brücken, speziell die kommunalen Straßen-
rücken über Schienenwege. Obwohl die Kontrolle und
anierung dieser Brücken eindeutig in der Verantwor-
ung der Kommunen liegt, soll der Bund einspringen und
in Sonderprogramm „Kommunale Brückenbauwerke“
uflegen.
Der Bund nimmt das Thema Sicherheit ernst und han-
elt. Ich möchte zwei Beispiele hierfür nennen:
Erstes Beispiel: Der Bundesminister für Verkehr, Bau
nd Stadtentwicklung, Wolfgang Tiefensee, hat unmit-
elbar nach dem Unglück von Bad Reichenhall reagiert
nd einen Gebäude-Check für Bundesbauten eingeführt.
lle bundeseigenen Gebäude werden klassifiziert, in
efahrengruppen gestuft und einem gründlichen Gebäu-
echeck unterzogen. Die „Richtlinie für die Überwa-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006 3409
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chung der Verkehrssicherheit von baulichen Anlagen des
Bundes“ beinhaltet die Kriterien, anhand derer das
Risiko eingeschätzt und gefährdete Gebäude und
Bauteile vorsorglich auf Schwächen der Standsicherheit
kontrolliert werden sollen. Die Richtlinie präzisiert das
Verfahren der Bauüberwachung. Sie macht deutlich, wer
verantwortlich ist, und verpflichtet zur Dokumentation
aller Maßnahmen. Auf dieser Grundlage sollen die rund
4 500 Liegenschaften des Bundes jährlich überprüft wer-
den. Außerdem erarbeitet das Bundesministerium für
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung derzeit das Konzept
für einen Gebäudesicherheitsbericht, der zu weiteren Er-
kenntnissen über typische Schwachstellen bei der Statik
von Gebäuden führen soll.
Zweites Beispiel: Der Bund hat ein bundesweites Er-
haltungsmanagement für die Instandhaltung und Sanie-
rung der 37 100 Brücken im Bundesfernstraßennetz der
Bundesrepublik Deutschland entwickelt und eingeführt.
Die Brücken und Bauwerke werden einer regelmäßigen
und fachkundigen Überwachung und Prüfung unterzo-
gen. Grundlage ist die Norm DIN 1076 „Ingenieurbau-
werke im Zuge von Straßen und Wegen: Überwachung
und Prüfung“. Jede Brücke wird hiernach im Abstand
von sechs Jahren einer Hauptprüfung durch speziell aus-
gebildete Bauwerksprüfingenieure durchgeführt. Hierbei
werden alle Bauteile gegebenenfalls unter Zuhilfenahme
besonderer Besichtigungsgeräte handnah geprüft. Alle
drei Jahre erfolgt einen einfache Prüfung. Hinzu kom-
men jährliche mehrfache Besichtigungen durch die
zuständigen Straßen- und Autobahnmeistereien. Alle
Prüfungsergebnisse werden nach festen Vorgaben doku-
mentiert.
An die Prüfer werden hohe Anforderungen gestellt.
Überwiegend werden besonders geschulte Mitarbeiter
der Straßenbauverwaltungen der Länder eingesetzt. Für
den Einsatz von externem Personal werden die in
DIN 1076 beschriebenen Anforderungen an Bauwerks-
prüfingenieure verlangt.
Die Entwicklung und Einführung dieses bundeswei-
ten Erhaltungsmanagements ist die Voraussetzung für ei-
nen gezielten Einsatz der Erhaltungsmittel, die im Bun-
desverkehrswegeplan für den Zeitraum 2001 bis 2015
eingestellt sind. Im Bundesverkehrswegeplan 2003 sind
die Mittel für die Erhaltung der Bundesfernstraßen er-
heblich aufgestockt worden. Im Bundesverkehrswege-
plan sind die Schwerpunkte der Investitionspolitik im
Straßenbau signifikant in Richtung erhaltungspolitische
Ziele verlagert worden. Insgesamt sind 34,4 Milliarden
Euro für Erhaltungsmaßnahmen vorgesehen.
Der Anteil für Brücken und Ingenieurbauwerke der
Erhaltungsmittel beträgt rund 25 bis 35 Prozent. Die
Mittel für die Durchführung der Bauwerksprüfungen
verwalten die Bundesländer in eigener Zuständigkeit.
Schon seit 1990 informiert der Bundesminister für
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung in Berichten über
die Dauerhaftigkeit und Sicherheit von Spannbetonbrü-
cken. 69 Prozent aller Straßenbrücken sind Spannbeton-
brücken. Darüber hinaus gibt es Beton, Stahl- und Stahl-
verbundbrücken sowie Stein- und Holzbrücken. Ein
Großteil der Brücken wurde in den 60er- bis 80er-Jahren
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ebaut. In Ostdeutschland sind nach 1990 Großbrücken
us Spannbeton oder Stahlverbundbauweise gebaut wor-
en. Das bedeutet, dass viele Brücken 30 bis 50 Jahre alt
ind und durch das stetig steigende Verkehrsaufkommen
bermäßig belastet werden.
Der Bericht kommt zu dem Schluss, dass sich Spann-
etonbrücken insgesamt bewährt haben. In Punkto Trag-
ähigkeit, Gebrauchstauglichkeit und Dauerhaftigkeit
at sich die Zuverlässigkeit bewiesen. Bei älteren
pannbetonbrücken werden die Schwachstellen durch
ezielte Ursachenforschung, regelmäßige Überprüfun-
en und Instandsetzung weitgehend beseitigt.
Durch die regelmäßige Anpassung der Standards an
ie Erfahrungen und Entwicklungen mit Brückenbau-
erken wird eine hohe Qualität, Dauerhaftigkeit und Si-
herheit von Spannbetonbrücken gewährleistet.
Der Bund hat also seine Hausaufgaben gemacht. Was
st nun mit den kommunalen Brückenbauten? Straßen-
rücken im Zuge von Kommunalstraßen über Schienen-
ege liegen seit der Änderung im Eisenbahnkreuzungs-
esetz von 1994 in der Verantwortung der Kommunen.
ie Kommunen sind somit für die Erhaltung, Pflege und
anierung von kommunalen Straßenüberführungen al-
ein zuständig, nicht die Bahn, nicht der Bund.
Nun fordern die FDP und neuerdings auch die Linken
n ihren Anträgen, der Bund möge einspringen, da die
ommunen kein Geld für die Sanierung der Brücken
ätten. Die FDP möchte ein Sonderprogramm „Kommu-
ale Brückenbauwerke“. Die Linken möchten gar die
ommunen ganz von der Mitfinanzierung bei Baumaß-
ahmen im Kreuzungsbereich von Eisenbahnen und
traßen freistellen. Es geht also, kurz gesagt, um die
erlagerung der finanziellen Verantwortung auf den
und. Nun frage ich Sie, halten sie ihre eigenen Vor-
chläge bei Betrachtung der Haushaltlage des Bundes für
eriös?
Meiner Meinung nach nutzt hier die Opposition ihre
reiheit, Forderungen aufzustellen, denen sie selbst im
alle einer Regierungsbeteiligung niemals zustimmen
ürde. Hier geht Populismus vor Realitätssinn. Der Sa-
he dienen Sie damit nicht!
Ich unterstütze den Bundesminister für Verkehr, Bau
nd Stadtentwicklung bei seinen Initiativen zur Verbes-
erung der Sicherheit von öffentlichen Gebäuden und
rücken. Der richtige Weg ist eingeschlagen.
Die Bundesländer und Kommunen sind gefordert,
hnliche Checks in ihren Verantwortungsbereichen ein-
uführen. Denn nur regelmäßige Sicherheitsüberprüfun-
en an öffentlich genutzten Gebäuden können Mängel
ufdecken und Unglücke verhindern.
Die Anträge lehnen wir ab. Einer Verlagerung der fi-
anziellen Verantwortung auf den Bund wollen wir nicht
olgen. Außerdem sind die Anträge nicht geeignet, das
roblem eines zukunftsfähigen Sicherheitsmanage-
ents der kommunalen Infrastruktur zu lösen.
Ich hoffe, dass wir bei allem Streit das gemeinsame
iel, für mehr Sicherheit im öffentlichen Leben zu sor-
3410 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006
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gen, nicht aus den Augen verlieren. Denn Sicherheit be-
deutet auch mehr Lebensqualität.
Jan Mücke (FDP): Wir beraten heute abschließend
über den Antrag meiner Fraktion, ein Sonderprogramm
für Brückenbauwerke in kommunaler Baulast aufzule-
gen. Konkret geht es um Straßenbrücken in kommunaler
Baulast, die Schienenwege kreuzen und bei denen damit
nach dem Eisenbahnkreuzungsgesetz ein Teil der Kosten
von den Kommunen getragen werden muss. Die Mittel,
die die Kommunen dafür im Einzelnen aufwenden müs-
sen, scheinen in jedem Einzelfall verhältnismäßig gering
zu sein. Häufig sind es „nur“ einige Hunderttausend
Euro. Aber vergessen Sie dabei nicht, dass schon diese
Summen die Finanzkraft vieler Kommunen heute deut-
lich übersteigen. In der Folge sehen wir jahrelange Ver-
handlungen mit Bahn und Bund über konkrete Finanzie-
rungsvereinbarungen, die schließlich nicht erfolgreich
sein können, weil den Kommunen schlicht das Geld für
die Maßnahme fehlt. So verlieren diese Infrastrukturen
kontinuierlich Substanz, sind nur noch eingeschränkt
nutzbar und behindern im schlimmsten Fall auch die
Nutzbarkeit und Sicherheit der unter ihnen verlaufenden
Schienenwege. Das sehen die Menschen Tag für Tag.
Wir haben nun vorgeschlagen, im Rahmen eines Son-
derprogramms die finanzschwachen Kommunen mit
Mitteln zu unterstützen, die der Deutsche Bahn AG ei-
gentlich für Investitionen zur Verfügung stehen, die
diese aber nicht abruft. In den vergangenen Jahren sind
deswegen, fast ausnahmslos, jedes Jahr mindestens
200 Millionen Euro nicht so investiert worden wie ei-
gentlich vorgesehen. Anstatt nun also immer wieder zu
verkünden, wie viel mehr in die Schiene investiert wor-
den ist, gleichzeitig aber zu verschweigen, dass ein er-
heblicher Teil der Mittel nur durch Umschichtungen in
die Straße vor dem Fall an den Finanzminister gerettet
worden sind, schlagen wir einen anderen Weg vor.
Nehmen wir gemeinsam zur Kenntnis, dass wir heute
bei vielen der genannten Bauwerke ein eklatantes Erhal-
tungsproblem haben. Und nehmen wir zur Kenntnis,
dass es die Kommunen aus eigener Kraft nicht schaffen
werden, diesem zunehmenden Erhaltungsnotstand ange-
messen Abhilfe zu schaffen. Stellen wir ihnen also die
Mittel, die originär für die Schiene vorgesehen sind, von
der Bahn aber nicht abgerufen werden, für die Bauwerke
zur Verfügung, die auch direkt mit dem Verkehrsträger
Schiene zu tun haben.
Aus der Koalition wurde nun vorgebracht, dass wir
gar keinen Überblick über die sanierungsbedürftigen
Bauwerke hätten und angesichts der aktuellen Haus-
haltslage auch keinen neuen Ausgabentatbestand schaf-
fen dürften. Sie haben weiter darauf hingewiesen, dass
die Maßnahmenplanungen bereits lange Listen von prio-
ritären Projekten enthalten und zudem auch andere kom-
munale Vorhaben unterstützt werden könnten. Ob das al-
les stimmt, mag dahinstehen. Jedenfalls lösen wir durch
Aussitzen die Probleme nicht, noch stärken wir das Ver-
trauen der Menschen in das Realitätsbewusstsein und die
Handlungsfähigkeit der Politik.
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Welche Möglichkeiten haben Sie, verehrte Kollegin-
en und Kollegen aus den Regierungsfraktionen, nun,
it unserem Antrag umzugehen? Sie können ihn ableh-
en, wie Sie es im Ausschuss getan haben, dann haben
ie die Debatte vorerst vom Tisch und können sich wie-
er dem Tagesgeschäft widmen. Dass Sie damit das Pro-
lem des Substanzverfalls an kommunalen Brückenbau-
erken nicht lösen, wissen Sie, und das müssen Sie sich
or allem auch vorwerfen lassen.
Lassen Sie mich noch kurz auf die ebenfalls zur De-
atte stehenden Anträge von Bündnis 90/Die Grünen und
er Links-Fraktion eingehen. Zunächst zu den Grünen:
ass unsere Infrastrukturen, Straße wie Schiene, zügig in
ie Jahre kommen und einen wachsenden Erhaltungsauf-
and erfordern ist – zumindest in den Oppositionsfraktio-
en – unstrittig. Da sind wir uns in der Analyse einig.
och von einer bedarfsgerechten Bereitstellung der Mittel
t auch bei Ihnen nichts zu erkennen. Nicht genug damit,
ass Sie nicht erkennen, dass wir mit der Finanzplanung
er großen Koalition gar nicht mehr Mittel als in den ver-
angenen Jahren zur Verfügung haben werden. Die
,3 „zusätzlichen“ Milliarden bis 2009 sind lediglich ein
ehr gegenüber der in unverantwortlichem Umfang ab-
esenkten Mittelfristplanung unter Ihrer Regierung. Ihr
orschlag, fast 50 Prozent dieser Mittel dem Verkehrsträ-
er zur Verfügung zu stellen, der nur rund 15 Prozent des
erkehrs abwickelt, zeugt nicht davon, dass Sie an einer
irklich bedarfsgerechten Mittelverwendung interessiert
ind.
Und mit Ihrem Antrag, werte Kolleginnen und Kolle-
en von der Links-Fraktion, machen Sie es sich ja nun
och einfacher. Sie wollen die Kommunen gleich ganz
on ihrer Baulast für diese Brückenbauten freistellen.
och darum geht es nicht. Die Entscheidungen zur
bertragung der Baulast an die Kommunen und zur
ostenteilung, die damals im Zuge der Bahnreform ge-
roffen worden sind, sind auch heute noch richtig. Nur ist
ie Finanzbasis der Kommunen zwischenzeitlich so aus-
ehöhlt worden, dass dieselben Brücken, die damals von
en Kommunen als tragbare Lasten übernommen wor-
en sind, mittlerweile in einem immer schlechteren Zu-
tand sind. Damit fehlt es also schlicht an Geld, das
irklich bedarfsgerecht zur Verfügung gestellt wird.
Und damit bleibt für mich nur ein Schluss: Stimmen
ie unserem Antrag zu. Zeigen Sie, dass sie zu unbüro-
ratischen Hilfen für die Kommunen bereit und in der
age sind.
Heidrun Bluhm (DIE LINKE): Sonderprogramme,
ie sie die FDP auflegen will, müssen zwar nicht grund-
ätzlich falsch sein, sie lösen aber nicht das strukturelle
efizit der kommunalen Finanzausstattung. Mit Aus-
ahme der FDP war es wohl Konsens unter den Fraktio-
en, wie ich der Debatte zu den Anträgen der FDP und
en Grünen im Februar entnehmen konnte, dass das ei-
entliche Problem struktureller Art ist und weitere Son-
erprogramme die Kommunen langfristig nicht entlasten
nd damit überhaupt wieder verantwortungsvolle Hand-
ungsspielräume ermöglichen. Kurzum: Der FDP-An-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006 3411
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trag versucht die Symptome zu überdecken, anstatt sich
mit den Ursachen auseinander zu setzten.
Die wirklichen Ursachen liegen tiefer und sind kom-
plexer Art: Es sind dies etwa die Gemeindefinanzreform,
eine gerechte Neuordnung der Finanzbeziehungen
zwischen Bund, Ländern und Gemeinden und nicht zu-
letzt eine umfassende Steuerreform. Aber darunter ver-
stehen wir wohl jeweils etwas anderes. Wir müssen die
öffentlichen Haushalte wieder auf eine solide Basis stel-
len.
Ich wiederhole mich hier ein weiteres Mal: Zweckge-
bundene Finanzmittel aus Sonderprogrammen fördern
keinesfalls die kommunale Selbstverwaltung, welches
nach eigenen Aussagen auch für Sie, liebe Kolleginnen
und Kollegen der FDP, ein wichtiges Prinzip unseres
föderalen Systems darstellt. Die Probleme können näm-
lich dort am besten eingeschätzt und auch gelöst werden,
wo sie die Menschen unmittelbar erleben und in ihren
Auswirkungen spüren. Lassen wir sie doch bitte selbst
bestimmen, wann sie eine Brücke, eine Schule oder ein
Krankenhaus sanieren wollen und müssen.
Dazu bedarf es eines kommunalen Investitionspro-
gramms und keines weiteren Brückensanierungspro-
gramms. Der Sanierungsstau der Gemeinden ist viel zu
groß, als dass man mit nur einem speziellen Brücken-
bauprogramm weiterkäme. Die finanzielle Handlungs-
fähigkeit muss langfristig gewährleistet sein.
Klar ist, dass ein erheblicher Sanierungsbedarf be-
steht. Klar ist aber auch – das zeigen viele Beispiele und
Erfahrungsberichte aus den Kommunen, die ich bereits
während der ersten Lesung im Februar dargestellt habe –
dass die meisten Kommunen schon mit der Übernahme
eines Drittels der Kosten, wie es das Eisenbahnkreu-
zungsgesetz aktuell vorsieht, hier finanziell absolut
überfordert sind. In einigen Fällen insbesondere in Ost-
deutschland übersteigen die finanziellen Anforderungen
allein dafür ein Mehrfaches aktueller Haushaltsbudgets
von Kommunen. Es wäre unverantwortlich, dass nötige
Sanierungen liegen bleiben, auf unbestimmte Zeiten ver-
tagt werden, bis nichts mehr geht. Marode Brücken sind
keine Lappalie. Gefahren müssen beseitigt werden. Da-
rüber sollten wir uns alle einig sein. Doch können wir
die Verantwortung dafür nicht den Kommunen zuschie-
ben, wenn sie nicht in der Lage sind, diese auszuführen.
Mit dem Antrag meiner Fraktion Die Linke wollen
wir stattdessen im Eisenbahnkreuzungsgesetz die Kos-
tenübernahme für kommunale Brückenbauwerke, wel-
che Bahnanlagen betreffen, neu regeln und dadurch die
Gemeinden entlasten. Unser Antrag zeigt daher die beste
und auch zugleich einfachste Lösung auf: Wir müssen
die Gemeinden von der Mischfinanzierung befreien.
Dies heißt zum einen, die Realität in den Gemeinden, die
finanziell prekäre Situation, anzuerkennen und zum an-
deren, verantwortungsvoll mit der Infrastruktur umzuge-
hen, und zwar nach dem Verursacherprinzip. Das Eisen-
bahnkreuzungsgesetz muss so geändert werden, dass
Kommunen bei Baumaßnahmen im Kreuzungsbereich
von Eisenbahnen und Straßen von der Mitfinanzierung
freigestellt werden.
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Abschließend noch einige Worte zum Antrag von
ündnis 90/Die Grünen. Die Kollegen möchten damit
rreichen, die Prioritäten im Verkehrswegebau neu zu
etzen. Die Sanierung des Bestands soll künftig Vorrang
or Neubau erhalten – bei der Straße und bei der
chiene! Diesem Anliegen stimmt Die Linke zu. Anzu-
erken ist dennoch, dass dies in der Praxis nicht einfach
u machen sein dürfte. Ob Bundesstraßen, Bundesauto-
ahnen oder Bundesschienen: Sind diese in die Jahre ge-
ommen, dann macht es nun einmal mitunter mehr Sinn,
nstandhaltung und Erhalt mit Ausbaumaßnahmen zu
erknüpfen.
Selbstverständlich ist es ebenso unerlässlich, dass die
B AG das vom Bund bereitgestellte Geld effektiv und
ffizient einsetzt und ihre Mittel auch verantwortungs-
oll ausgibt. Hier ist der Bund als 100-prozentiger Ei-
entümer aufgefordert, seiner Aufsichtspflicht nachzu-
ommen und die vorgesehene Verwendung anzumahnen.
Bei der Schiene kommt noch ein Missstand hinzu:
ie Bundesregierung hat uns den lange versprochenen
etzzustandsbericht immer noch nicht vorgelegt. So-
ange uns dieser vorenthalten wird, fehlt uns eine ent-
cheidende Grundlage, um vernünftig über die Zukunft
er Deutschen Bahn AG zu entscheiden. Der Bericht der
B AG, der uns gestern Nachmittag zugestellt wurde, ist
ls Entscheidungsgrundlage nicht zu gebrauchen. Da
ird seitenweise nur über die Dauer von Störungen auf
en Bundesschienenwegen lamentiert. Die Bundesregie-
ung ist hier gefragt.
Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
ei der Frage, ob, wie von der FDP beantragt, ein Son-
erprogramm „Kommunale Brückenbauwerke“ aufge-
egt werden solle, muss man zwölf Jahre nach Übertra-
ung der Baulast für diese Brücken von der Bahn auf die
ommunen feststellen, dass die Kommunen mit der
ufgabe beim Zustand der Brücken wohl überfordert
aren und sind. Die Frage des Erhaltungszustands der
rücken wurde bei der Übertragung der Baulast zulasten
er Kommunen ausgeblendet. Es bleibt zu hoffen, dass
er Frage nach dem Zustand der Eisenbahninfrastruktur
ei der Diskussion und Entscheidung um den Bahnbör-
engang mehr Beachtung geschenkt wird.
Die Ankündigung der Kollegen aus der CDU/CSU-
raktion im Ausschuss, einen – wie von unserer Fraktion
eantragt – qualifizierten Netzzustandsbericht baldigst
orzulegen, kann ich nur begrüßen. Ich hoffe, es bleibt
icht bei dieser Ankündigung. Auch im Zusammenhang
it der anstehenden Entscheidung einer Bahnprivatisie-
ung wäre dieser Bericht sehr hilfreich.
Beim Sachverhalt, dass die Bahn die ihr zugedachten
ittel nicht alle verausgabt, bestand zwar Einigkeit, dass
as nicht gut sei. Leider gibt es noch keine Handhabe da-
egen. Ich hoffe, dass das nicht damit zusammenhängt,
ass einige Kollegen ganz froh über mehr Mittel für die
traße sind.
Der Behauptung vonseiten der SPD-Kollegen, unsere
orderung, die Straßenbaumittel bevorzugt in den Erhalt
er Infrastruktur zu investieren, würde zu einer geringe-
3412 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006
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ren Flexibilität führen, kann ich nicht nachvollziehen.
Bei dem festgestellten Instandhaltungsrückstand kann
ich mir auch nicht vorstellen, dass die Mittel nicht vor-
rangig in den Erhalt investiert werden können.
Der Vorwurf der SPD, unser Antrag erwecke den Ein-
druck, es würden nicht genügend Mittel für die Sanie-
rung und Unterhaltung zur Verfügung gestellt, zielt ins
Leere. Nicht wir erwecken einen Eindruck, sondern wir
nehmen lediglich zur Kenntnis, was der aktuelle Stra-
ßenbaubericht ausweist: Der Zustand der Straßen ver-
schlechtert sich, was nur den Schluss zulässt, dass für
Sanierung und Unterhaltung zu wenig getan wird.
Wir sollten uns auch endlich davon verabschieden,
das ganze Land mit Straßen überziehen zu wollen, unab-
hängig davon, ob sie zukünftig überhaupt noch ge-
braucht werden. Unsere Straßenbauinvestitionen kon-
zentrieren sich zu einem guten Teil in Regionen, die
schon heute geringe Bevölkerungsdichten aufweisen und
erst recht in Zukunft durch weitere Abwanderung und
den demografischen Wandel weiter an Bevölkerung ver-
lieren.
Anlage 21
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts: Vorschlag für eine Verordnung des
Europäischen Parlaments und des Rates zur
Einführung eines europäischen Verfahrens für
geringfügige Forderungen; Ratsdok. 15954/05
(Tagesordnungspunkt 17)
Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Der Start
des EU-Binnenmarktes vor zehn Jahren gehört zu den
wichtigsten Wegmarken der europäischen Geschichte
und Einigung. Die Zollunion, die Wirtschafts- und Wäh-
rungsunion – mit ihren vier Freiheiten: dem freien Wa-
ren- und Dienstleistungsverkehr, dem freien Kapitalver-
kehr und der Arbeitnehmerfreizügigkeit – machten den
Weg frei für wirtschaftliche und soziale Fortschritte in
den Mitgliedstaaten. Der europäische Binnenmarkt trägt
wesentlich zu einer besseren internationalen Wettbe-
werbsfähigkeit von EU-Unternehmen bei.
Damit der Binnenmarkt und die europäische Zusam-
menarbeit überhaupt funktionieren kann, sind natürlich
auch Rechtsvorschriften über nationale Regeln hinaus
erforderlich. In welchen Fällen wir Europa brauchen und
in welchem konkreten Umfang, ist heute am Beispiel der
geringfügigen Forderungen unser Thema.
Bei jedem Rechtssetzungsakt aus Brüssel muss sich
uns die Frage stellen, ob er notwendig ist, und, wenn ja,
wie er mit Blick auf unsere Rechtsordnung ausgestaltet
werden sollte. Ich bin mit meiner Fraktion der Ansicht,
dass nicht jedes Problem in der EU auch von der EU zu
lösen ist. Wir setzen uns für eine klare Kompetenzab-
grenzung ein, die effizient Aufgaben verteilt und klare
Verantwortung zuweist. Unnötige Bürokratie soll dabei
abgebaut werden.
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In diesem Sinne können wir auch bei der vorliegen-
en Verordnung nicht zu allem Ja sagen. Es stellen sich
anz konkret an drei Punkten Fragen der Regelungskom-
etenz und des Regelungsumfangs.
Mit der Verordnung soll ein kostengünstiges Verfah-
en für Forderungen mit geringem Streitwert auf europäi-
cher Ebene geschaffen werden. Dagegen spricht zu-
ächst nichts. Viele Anwälte kennen das Problem, dass
ie Forderungen der Mandanten im europäischen Aus-
and beizutreiben haben und dabei nicht immer erfolg-
eich sind.
Das Ziel der Verordnung wird deshalb von der CDU/
SU-Fraktion unterstützt. Einzelne Aspekte der Verord-
ung im Einzelnen halten wir jedoch für fraglich.
Zunächst einmal stellt sich die Frage der Rechtsset-
ungskompetenz zu dem vorgesehenen Anwendungsbe-
eich der Verordnung. Die EU hat sich in nationales
echt ohne vernünftigen Grund nicht einzumischen.
ieser Versuchung unterliegt sie aber immer wieder. Da-
ei dürfen auf europäischer Ebene keine Sachverhalte
eregelt werden, die die Mitgliedstaaten mindestens
benso gut regeln können.
Zum anderen kritisieren wir einzelne Teile der Rege-
ung. Indem der Streitwert der Verordnung zu hoch be-
iffert ist, verändert sich der Charakter der Norm. Es
ann nicht mehr von einer „Bagatellforderung“ gespro-
hen werden. Die Regelung führt dadurch zu Widersprü-
hen mit unserem nationalen Recht.
Soweit es sich um Verfahren für grenzüberschreitende
ngelegenheiten handelt, sehen wir die Notwendigkeit,
ine europäische Regelung für Bagatellverfahren zu er-
assen. Hier besteht ein echter Handlungsbedarf für die
uropäische Union. Wir lehnen es aber ab, den Anwen-
ungsbereich auch auf rein innerstaatliche Angelegen-
eiten auszuweiten. Der EU fehlt insoweit die Rege-
ungskompetenz.
Art. 61 lit. c) in Verbindung mit Art. 65 EGV erfasst
ur Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der justi-
iellen Zusammenarbeit in Zivilsachen, mit „grenzüber-
chreitendem Bezug“ und solche, die ein reibungsloses
unktionieren des „Binnenmarktes“ sicherstellen.
Diese Vorschrift darf nicht als Generalklausel gelten
ür jede gewünschte Regelung aus Brüssel. Die Beru-
ung auf den Binnenmarkt darf nicht zum Einfallstor für
edwede EU-Regel werden und beliebig nationale Zu-
tändigkeiten aushebeln.
Der Begriff „Binnenmarkt“ ist im Sinne des Subsidia-
itätsprinzips deshalb eng auszulegen. Die Gemeinschaft
arf danach nur dann tätig werden, sofern entsprechende
iele auf der Ebene der Mitgliedstaaten nicht erfolgreich
enug erreicht werden können. Nur dann darf sie ein-
reifen, wenn die zuvor bestimmten Ziele eben nur auf
er Gemeinschaftsebene erreicht werden können. Da in
ielen Mitgliedstaaten Regelungen zu geringfügigen
orderungen bestehen, existiert dort kein Handlungsbe-
arf für die EU.
Die Definition der Fälle, die als grenzüberschreitend
elten, sollte sich dabei an dem Kompromiss orientieren,
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006 3413
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der beim Vorschlag für eine Verordnung zur Einführung
eines europäischen Mahnverfahrens gefunden wurde.
Danach ist die Verordnung anwendbar, wenn entweder
die Parteien in verschiedenen Mitgliedstaaten wohnen
oder sich das Gericht in einem anderen Mitgliedstaat als
die Parteien befindet.
Ferner ist die im Entwurf der Verordnung bezifferte
Höhe des Streitwertes zu kritisieren.
Nach dem Vorschlag der Kommission soll das Verfah-
ren für geringfügige Forderungen auf solche Zivil- und
Handelssachen Anwendung finden, bei denen der Streit-
wert zum Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens
2 000 Euro nicht überschreitet. Diese Streitwertgrenze
ist nach meinem Verständnis zu hoch. Nach deutschem
Recht sind „geringfügige Forderungen“ solche, deren
Streitwert 600 Euro nicht übersteigen (§ 495 a ZPO).
Eine Orientierung an diesem Betrag erscheint mir sach-
gerecht.
Beachtet man, dass die Streitwertgrenze von
2 000 Euro fast der Höhe des monatlichen Bruttoein-
kommens eines Durchschnittsverdieners entspricht
– 2003 waren das 2 835 Euro in Deutschland –, so kann
bei dem von der Kommission festgesetzten Streitwert
nicht mehr von einer „geringfügigen Forderung“ gespro-
chen werden.
Ferner soll die vorliegende Verordnung die Gerichte
entlasten und es ermöglichen, effizient, schnell und un-
kompliziert einen vollstreckbaren Titel zu erlangen,
ohne wesentliche Verfahrensprinzipien faktisch auszuhe-
beln. Bei einer Streitwertgrenze von 2 000 Euro führte
dies dazu, dass in Deutschland rund 67 Prozent der im
Jahr erledigten Verfahren vom Bagatellverfahren erfasst
würden. Damit würde das Regel-Ausnahme-Prinzip um-
gekehrt: Prozesse mit den Verfahrensvorschriften der
ZPO würden nur noch ausnahmsweise gelten.
Das halte ich in bestimmten Fällen für verfassungs-
rechtlich bedenklich, da das Prinzip der Mündlichkeit,
der Öffentlichkeitsgrundsatz, der Strengbeweis und die
Möglichkeit der vorläufigen Vollstreckung mit Sicher-
heitsleistungen, beispielsweise ausgehöhlt würden.
Sachgerecht erscheint es hingegen, sich beim Streitwert
an dem § 495 a ZPO zu orientieren. Im Wege eines
Kompromisses können wir uns fraktionsübergreifend
vorstellen, von höchstens 1 000 Euro auszugehen.
Für den Fall der Nichtdurchsetzbarkeit dieser Forde-
rung in Brüssel sollte hilfsweise ein flexibler Streitwert
mit einem Mindest- und einem Höchstwert gewählt wer-
den. Dabei sollte der Mindestwert möglichst niedrig an-
gesetzt werden und nicht mehr als 1 000 Euro betragen.
Innerhalb dieses Korridors wäre es den Mitgliedstaaten
überlassen, einen niedrigen Schwellenwert festzulegen.
Mit dem vorliegenden Antrag soll bei der Einführung ei-
nes europäischen Verfahrens für geringfügige Forderun-
gen eine effiziente und sachgerechte Lösung bei grenz-
überschreitenden Rechtsstreitigkeiten gefunden werden.
Der Deutsche Bundestag möchte sich hierbei einmi-
schen und der Bundesregierung Unterstützung zuteil
werden lassen bei dem Versuch, in Brüssel eine Rege-
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ung zu erwirken, die den deutschen Rechtsinteressen
erecht wird.
Dass wir uns als Parlament nicht häufig genug, nicht
irksam genug und nicht früh genug bei der europäi-
chen Gesetzgebung einbringen, bestreitet wohl nie-
and mehr in diesem Hause, der sich rechtspolitisch
ngagiert. Der heutige Antrag ist insoweit ein weiterer
chritt in die richtige Richtung.
Wir alle sollten ihn auch als Aufforderung verstehen,
ich häufiger zur europapolitischen Rechtssetzung parla-
entarisch zu äußern und sie nicht als gottgegeben hin-
unehmen.
Dirk Manzewski (SPD): Wir debattieren hier heute
ber den Vorschlag für eine Verordnung des Europäi-
chen Parlaments und des Rats zur Einführung eines eu-
opäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen.
iermit soll ein einfaches, schnelles und kostengünsti-
es europäisches Verfahren für geringfügige Forderun-
en eingeführt und darüber hinaus die Rechtsverfolgung
nnerhalb der EU erleichtert werden.
Ich halte das vom Grundsatz her auch für richtig.
iele Mitgliedstaaten haben bereits ein national verein-
achtes Zivilrechtsverfahren in so genannten Bagatellsa-
hen. In grenzüberschreitenden Streitsachen ist das Be-
ürfnis hiernach jedoch noch größer. Die Kosten, die mit
inem Verfahren gegen einen Schuldner in einem ande-
en Mitgliedstaat verbunden sind, stehen oft nämlich in
einem Verhältnis mehr zur Klagesumme. Die Konse-
uenz ist, dass viele Gläubiger angesichts der Verfah-
enskosten und sonstiger zu erwartender Schwierigkei-
en ihre Ansprüche erst gar nicht geltend machen. Dies
ann jedoch von uns weder gewollt sein; noch ist dies
em Gedanken eines europäischen Binnenmarktes dien-
ich.
Ich erkenne auch an, dass die Umsetzung solch einer
erordnung nicht ganz leicht ist, da die Mehrheit der
itgliedstaaten – wie gesagt – zwar für Streitigkeiten
it geringen Streitwerten bereits besondere Vorschriften
ingeführt haben, sich diese jedoch zum Teil noch erheb-
ich unterscheiden. Ich meine gleichwohl, dass wir dort
ritik anmelden sollten, wo wir Bedenken haben. Ich
abe hier erhebliche Bedenken.
Dies gilt insbesondere für den für das europäische Ba-
atellverfahren angedachten Schwellenwert in Höhe von
000 Euro. Abgesehen davon, dass insoweit eine erheb-
iche Diskrepanz zu unserem deutschen Verfahrensrecht
esteht, das für Bagatellverfahren die Grenze bei
00 Euro festgesetzt hat, ist mir die Streitwertgrenze von
000 Euro einfach zu hoch, wobei sich ohnehin schon
ie Frage stellt, wie man bei 2 000 Euro noch von einer
agatelle sprechen kann. Zumal immerhin etwa 50 Pro-
ent aller amtsgerichtlichen Verfahren in Deutschland
erzeit hierunter fallen würden.
Wir müssen uns zudem darüber im Klaren sein, was
ies für Konsequenzen beinhalten würde, insbesondere
ann, wenn der hohe Schwellenwert – wie zumindest
on der Kommission angedacht – auch für innerstaatli-
he Angelegenheiten gelten sollte. Während in Deutsch-
3414 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006
(A) )
(B) )
land bei Verfahren, bei denen unsere Bagatellgrenze von
600 Euro überschritten wird, grundsätzlich eine mündli-
che Verhandlung stattfindet und der so genannte Streng-
beweis gilt, sieht die EU-Verordnung dies für ihr Verfah-
ren nicht vor. Bei Verfahren bis zu einer Streitwertgrenze
von 2 000 Euro würde dann eine mündliche Verhand-
lung nur noch mit Zustimmung des Richters erfolgen
können und der so genannte Freibeweis gelten. Damit
würden aber weder der Grundsatz der Parteiöffentlich-
keit noch die Transparenz der Rechtsprechung gewahrt
bleiben.
Hinzu kommt, dass die Verordnung kein weiteres or-
dentliches Rechtsmittel gegen eine Rechtsmittelent-
scheidung zulässt. Dies war in der Vergangenheit bei uns
aber insbesondere zur Klärung grundsätzlicher Fragen
und damit für eine Entlastung der Justiz sehr hilfreich.
Ich glaube, wir Rechtspolitiker aller Fraktionen sind
der einhelligen Auffassung, dass dies alles nicht sein
darf.
Die Bundesregierung hat daher meine volle Unter-
stützung wenn sie sich – wie heute schon im JI-Rat – da-
für einsetzt, dass sich das angedachte Verfahren allen-
falls auf Angelegenheiten mit grenzüberschreitendem
Bezug beschränken sollte. Nicht zuletzt den Bemühun-
gen der Bundesregierung ist es auch zu verdanken, dass
sich hierfür offenbar auch eine Mehrheit bei den Mit-
gliedstaaten im Rat findet.
Die Bundesregierung hat auch meine Unterstützung,
wenn sie sich für den Fall der Nichtdurchsetzbarkeit einer
Absenkung der Streitwertgrenze hilfsweise für einen fle-
xiblen Schwellenwert einsetzt, um Unverträglichkeiten
mit dem heimischen regulären Zivilprozess zu vermei-
den. Mit unserer entsprechenden gemeinsamen Ent-
schließung liegen wir auf der Position der Bundesregie-
rung, die wir hiermit ausdrücklich unterstützen wollen.
Möge die Entschließung dazu beitragen, die deutsche
Auffassung im Hinblick auf eine vernünftige europäische
Regelung zu stärken.
Dieses europäische Verordnungsverfahren hat einmal
mehr deutlich gemacht, wie wichtig die Arbeit des Un-
terausschusses Europarecht mittlerweile geworden ist.
Es ist nun einmal so, dass das Europäische Parlament
immer stärker an Bedeutung gewinnt und immer stärker
auch die nationalen Gesetzgeber beeinflusst. Umso
wichtiger ist es, dass wir so frühzeitig wie möglich über
den Sachstand auf europäischer Ebene informiert wer-
den, um gegebenenfalls über unsere Regierung und/oder
unsere dortigen Parlamentarier noch rechtzeitig unsere
Interessen deutlich zu machen.
Hier liegt, auch wenn der Unterausschuss Europa-
recht einiges davon aufarbeiten und kompensieren kann
und insbesondere die Zusammenarbeit mit dem BMJ in-
soweit immer besser funktioniert, noch vieles im Argen.
Ich kann mich häufig deshalb nicht des Eindrucks er-
wehren, dass unsere Länderparlamente und die Lobby-
istenverbände insoweit besser aufgestellt sind als wir.
Das müssen wir ändern – und zwar schnell.
Ich bin im Übrigen auch enttäuscht über die Zusam-
menarbeit mit unseren Europaparlamentariern. Ich sage
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as so deutlich. Für mich ist nicht nachvollziehbar, wie
an auf EU-Ebene die von uns mit der Entschließung
ritisierten Punkte widerspruchslos hinnehmen bzw. so-
ar mittragen kann, ohne sich entsprechend rückzukop-
eln.
Auch wenn man im EU-Parlament sitzt – oder viel-
eicht sogar gerade deshalb –, hat man die Interessen sei-
es Heimatlandes zumindest nicht unberücksichtigt zu
assen. Dies vermag ich hier nicht zu erkennen, zumal
ir Rechtspolitiker im Bundestag ja eine einheitliche
ritische Position bei diesem Thema vertreten.
Die JuMiKo steht in Kürze an. Glaubt man den Me-
ien, dann werden wir uns bald möglicherweise unter
nderem über eine höhere Berufungssumme und ähnli-
he Dinge unterhalten müssen. Erlauben Sie mir, mei-
em Wunsch Ausdruck zu verleihen – und damit
chließe ich –, dass der Geist Brüssels, der dem heute
ier debattierten Verfahren leider innewohnt, nicht auch
nsere Justizministerinnen und -minister dabei befällt.
Mechthild Dyckmans (FDP): Gegenstand unserer
eutigen Beratung ist ein Vorschlag der Kommission für
ine EU-Verordnung aus dem Bereich der justiziellen
usammenarbeit in Zivilsachen. Mit der vorgeschlage-
en Verordnung soll ein einfaches, schnelles und kosten-
ünstiges europäisches Verfahren für geringfügige For-
erungen eingeführt und die Rechtsverfolgung innerhalb
er EU erleichtert werden. Die justizielle Zusammenar-
eit in Zivilsachen wurde unter anderem deswegen ver-
inbart, weil dadurch die mit dem EU-Binnenmarkt ver-
undene Freizügigkeit von Personen und Unternehmen
eiter verbessert und der Raum der Freiheit, der Sicher-
eit und des Rechts stärker unterstützt werden kann. Ziel
st eine gewisse Vereinheitlichung der Zivilgerichtsver-
ahren. Durch eine Harmonisierung des nationalen
echts sollen die zwischen den Gerichten bestehenden
indernisse abgebaut werden.
Durch die zunehmende Mobilität in unserer Gesell-
chaft entstehen auch immer mehr grenzüberschreitende
ontakte zwischen Bürgern der einzelnen Mitgliedstaa-
en. Kommt es hierbei zu rechtlichen Streitigkeiten, zum
eispiel bei fehlgeschlagenen Kaufverträgen, blieb bis-
er oftmals unklar, wie und nach welcher Rechtsordnung
ieser Rechtsstreit zu lösen ist. Aber auch der intensive
irtschaftsverkehr in Europa bringt das Risiko grenz-
berschreitender Rechtsstreitigkeiten mit sich. Die
chaffung von Regelungen, die auf diese Entwicklung
eagieren, wird im Ergebnis auch zu einer Stärkung des
ertrauens der Bürgerinnen und Bürger in ein vereintes
uropa beitragen.
Der Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen
arlaments und des Rates „zur Einführung eines europäi-
chen Verfahrens für geringfügige Forderungen“ ist ein
lied in einer Kette von Richtlinien und Verordnungen,
ie den Zustand der Unsicherheit über das anzuwen-
ende Recht und besonders das anzuwendende Verfah-
en beseitigen soll. Der Verordnungsvorschlag regelt für
eringfügige Forderungen, so genannte Bagatell-Forde-
ungen, ein europäisch einheitliches Verfahren in Zivil-
nd Handelssachen.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006 3415
(A) )
(B) )
Die Fraktionen des Deutschen Bundestages sind über-
einstimmend zu dem Ergebnis gelangt, dass der Bundes-
tag im vorliegenden Fall von seinem Recht aus Art. 23
Abs. 3 GG Gebrauch machen und der Bundesregierung
eine Stellungnahme zukommen lassen muss, die die
Bundesregierung in den Verhandlungen anlässlich der
Rechtssetzung zu berücksichtigen hat. Nach Art. 23 GG
hat der deutsche Bundestag neben der Pflicht auch ein
Recht zur Mitwirkung bei Rechtssetzungsakten der Eu-
ropäischen Union. Dieses Mitwirkungsrecht beinhaltet
in erster Linie ein Recht auf frühzeitige und umfassende
Unterrichtung über alle Angelegenheiten der Europäi-
schen Union durch die Bundesregierung. Dies bedeutet,
dass dem Bundestag die Gelegenheit eingeräumt werden
muss, sich mit Rechtssetzungsakten eingehend zu be-
schäftigen, um eventuelle Bedenken äußern zu können.
Die Unterrichtung muss daher schon im Vorfeld eines
Vorschlags für einen EU-Rechtsakt erfolgen, spätestens
jedoch dann, wenn der Vorschlag der Bundesregierung
vorliegt. Unverantwortlich und mit Art. 23 GG nicht ver-
einbar ist eine Beschränkung dieser Rechte durch eine
verspätete Zuleitung von EU-Rechtsakten durch die
Bundesregierung an den Bundestag, was leider auch in
dieser Legislaturperiode bereits wieder vorgekommen
ist. Die Mitwirkung des Bundestages darf auf diese
Weise nicht ausgehöhlt werden. Die FDP-Fraktion wird
diese verfassungsrechtlich garantierten Rechte der Ab-
geordneten des Bundestages auch in Zukunft einfordern.
Auch im vorliegenden Fall war Eile geboten, da der Ver-
ordnungsvorschlag bereits heute auf der Tagesordnung
des Justiz- und Innenrates der EU stand.
Nun zu unserer Kritik an dem Verordnungsvorschlag
und dem Inhalt unseres gemeinsamen Entschließungsan-
trags: Zum wiederholten Male versucht die Kommis-
sion, Rechtssetzungsbefugnisse für innerstaatliche An-
gelegenheiten der Mitgliedstaaten aus Art. 65 EG-
Vertrag abzuleiten. Auch wenn der neueste Entwurf der
Verordnung jetzt eine Beschränkung auf grenzüber-
schreitende Angelegenheiten vorsieht, muss der Bundes-
tag immer wieder deutlich machen, wo die Grenzen für
eine gemeinschaftsrechtliche Rechtssetzungskompetenz
liegen. Die FDP-Fraktion unterstützt die justizielle Zu-
sammenarbeit in Zivilsachen. Wir haben aber ein sehr
waches Auge darauf, dass nur das auf europäischer
Ebene geregelt wird, was die Mitgliedstaaten der EU zur
Regelung übertragen haben.
Nicht hinnehmbar ist für uns der im Verordnungsvor-
schlag vorgesehene Schwellenwert von 2 000 Euro, bis
zu dem das Bagatellverfahren durchgeführt werden soll.
Bei 2 000 Euro kann wahrlich nicht von einer geringfü-
gigen Forderung gesprochen werden. Besonders deutlich
wird dies, wenn man den vergleichbaren Wert in der
deutschen Zivilprozessordnung betrachtet. Nach § 495 a
ZPO liegt die Wertgrenze für Bagatellverfahren bei le-
diglich 600 Euro. Der Verordnungsvorschlag wider-
spricht somit deutschem Prozessrecht und auch den der
ZPO zugrunde liegenden Grundsätzen wie Strengbe-
weis, mündliche Verhandlung und Rechtsmittelfähig-
keit; all dies ist in dem vorliegenden Verordnungs-
vorschlag so nicht vorgesehen. Insbesondere das
Strengbeweisverfahren soll die Verfahrensrechte der
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arteien stärken, indem Beweisaufnahmen, anders als im
reibeweisverfahren, unmittelbar vor dem erkennenden
ericht stattfinden müssen. Dadurch wird eine hohe
ualität der gerichtlichen Entscheidung gewährleistet.
er Verzicht auf ein weiteres ordentliches Rechtsmittel
egen Rechtsmittelentscheidungen ist mit unserem
echtssystem ebenfalls unvereinbar. Auch die in unserer
echtsordnung enthaltenen Voraussetzungen der
wangsvollstreckung dürfen nicht umgangen werden, da
uch sie dem Schutz der Verfahrensbeteiligten dienen.
Im Ergebnis ist daher eine Absenkung des Streitwerts
uf höchstens 1 000 Euro geboten, da nur so gewährleis-
et werden kann, dass wirklich nur Bagatellverfahren un-
er die Verordnung fallen. Jedenfalls muss eine flexible
treitwertgrenze mit einem Mindestwert von nicht mehr
ls 1 000 Euro in der Verordnung festgeschrieben wer-
en. Dadurch könnten für Deutschland die dargestellten
nverträglichkeiten mit dem regulären Zivilprozess zu-
indest abgemildert werden.
Zum Schluss appelliere ich dringend an die Bundesre-
ierung, die in unserem Antrag zum Ausdruck gebrach-
en Bedenken bei den weiteren Beratungen zu berück-
ichtigen.
Sevim Dagdelen (DIE LINKE): Wir behandeln
eute einen Vorschlag für eine Verordnung zur Einfüh-
ung eines europäischen Verfahrens für geringfügige
orderungen, der eine Einbuße an elementaren Verfah-
ensprinzipien für grenzüberschreitende Sachverhalte
it sich bringt, sofern deren Streitwert 2 000 Euro unter-
chreitet. Dieser Vorschlag ist bereits heute von den
5 Justizministern in Luxemburg beschlossen worden,
hne dass die Änderungswünsche Deutschlands Berück-
ichtigung fanden.
Wir waren uns im Vorfeld alle darüber einig, dass wir
inen solchen Rückschritt, wie ihn der jetzt Realität wer-
ende Verzicht auf Mündlichkeit der Verhandlung, Gel-
ung des Strengbeweises und hinreichende Rechtsmittel
edeutet, ablehnen und soweit als möglich eindämmen
ollen. Deshalb sind alle Fraktionen darin übereinge-
ommen, einen Antrag zu formulieren, durch den die
undesregierung aufgefordert wird, alles zu tun, um die
rohenden Verluste von Verfahrensrechten zu minimie-
en. Ich betone: alle Fraktionen, weil sich der Name mei-
er Fraktion nicht unter dem jetzt eigentlich gegen-
tandslosen Antrag findet. Der Grund hierfür ist, dass
ir entgegen der Verabredung im Unterausschuss Euro-
arecht aus dem Antrag herausgedrängt wurden. Wir
urden so für unsere „ungebührliche“ Opposition gegen
ie Hartz-IV-„Gesetze“ und die diesbezüglichen Ver-
chärfungen abgewatscht.
Da wir uns der Sache der rechtsprechenden Gewalt
nd den Betroffenen verpflichtet fühlen, hätten wir dem
ntrag trotz dieses undemokratischen Gebarens zuge-
timmt, sehen uns jedoch jetzt um so mehr zu einigen
nmerkungen veranlasst:
Realistisch gesehen, war der Antrag von Anfang an
ür die Katz. Es war klar, dass sich unsere Forderungen
ngesichts der Mehrheitsverhältnisse in der Europäi-
3416 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006
(A) )
(B) )
schen Union auch nicht von der Bundesregierung durch-
setzen lassen würden. Deshalb ist auch keine Selbstbe-
weihräucherung über unsere Einigkeit und über die
steigende Wehrhaftigkeit aller Fraktionen gegen Über-
griffe in innerstaatliche Kompetenzen aus Brüssel
angebracht. Vielmehr ist es nötig, dass die Grundrechte,
insbesondere die Menschenwürde und das Sozialstaats-
prinzip in diesem Land ebenso einmütig wie staatliche
Kompetenzen verteidigt werden.
Doch hier zeigt sich leider die Kehrseite der viel be-
schworenen Einigkeit: Die Regierungsparteien und Teile
der Opposition ziehen nämlich auch an einem Strang,
wenn es darum geht, weite Teile der Bevölkerung in die
Armut zu treiben. Dieses Tauziehen können Sie jedoch
nur verlieren; denn am anderen Ende ihres einen Strangs
stehen Millionen von Menschen, deren soziale Existenz
dank Ihnen am seidenen Faden hängt und deren Solidari-
tät immer weiter wächst.
Auf Dauer werden es sich diese Menschen nicht bie-
ten lassen, dass ihre verfassungsrechtlich verbürgte Stel-
lung entgegen der Verpflichtung zur Gewährleistung des
Existenzminimums einvernehmlich ausgehöhlt wird und
Sie ihnen zusätzlich neuerdings noch eine Art Stall-
pflicht verordnen. Wer sich allerdings im Bundestag ge-
gen diese soziale Ausgrenzung, diesen offenen Verfas-
sungsbruch entschieden wehrt, wird – wie oben
beschrieben – parlamentarisch ausgegrenzt. Die „Würde
des Parlaments“ steht also anscheinend über derjenigen
von nicht erwerbstätigen Menschen.
Deshalb fordere ich die Parlamentarier zu einem Auf-
stand der Anständigen gegen die soziale Ausgrenzung
auf: Zeigen Sie einmal dort Einmütigkeit, wo es notwen-
dig ist und sagen Sie: Die Würde von Menschen ist ein
zu hoher Preis, um Fehler unserer Politik zu kaschieren.
Sonst sagt es Ihnen wieder einmal das Bundesverfas-
sungsgericht!
Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nach
Art. 23 Abs. 3 des Grundgesetzes hat die Bundesregie-
rung dem Bundestag Gelegenheit zur Stellungnahme vor
ihrer Mitwirkung an Rechtsetzungsakten der Europäi-
schen Union zu geben. Die Bundesregierung hat die
Stellungnahme des Bundestages bei den Verhandlungen
in Brüssel zu berücksichtigen.
Was bedeutet dies für unsere heutige Stellungnahme
zu einem Vorschlag für eine Verordnung des Europäi-
schen Parlaments und des Rates zur Einführung eines
europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen,
die wir heute am späten Abend fraktionsübergreifend be-
schließen wollen? Während wir noch diskutieren, haben
der Rat und die Bundesregierung heute Mittag bereits
gehandelt. Der Rat hat den Vorschlag für eine Verord-
nung des Europäischen Parlaments und des Rates zur
Einführung eines europäischen Verfahrens in einer Form
angenommen, die wir hier im Bundestag in wichtigen
Punkten und aus guten Gründen ablehnen. Wenigstens
hat die Justizministerin – im Wissen um unsere erst im
Unterausschuss Europarecht und dann im Rechtsaus-
schuss gründlich beratene Stellungnahme – nicht gegen
unser Votum gestimmt, sondern sich der Stimme enthal-
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en. Aber das war nicht genug. Richtig wäre gewesen,
ass Deutschland gegen den Vorschlag aus Brüssel ge-
timmt hätte, statt sich nur – wieder einmal – der Stimme
u enthalten.
Dabei erkennen wir sehr wohl an, dass in den bisheri-
en Verhandlungen einige Fortschritte erzielt werden
onnten. Welche Fortschritte meine ich? Wir nehmen
nsere Verantwortung bei der Befassung mit europäi-
chen Rechtssetzungsakten in zunehmendem Maße
ahr. Heute debattieren wir die Small-claims-Verord-
ung im Plenum. Damit nutzt der Deutsche Bundestag
inmal mehr das Instrument der politischen Mitbefas-
ung nach Art. 23 GG, um seine Position in der politi-
chen Debatte deutlich und selbstbewusst zu artikulie-
en. Nicht zuletzt hat das Deutsche Parlament nun
ndlich auch ein Kontaktbüro in Brüssel eingerichtet.
ll diese Schritte sorgen dafür, dass die parlamentari-
che Einbindung in europäische Rechtssetzungsakte zu-
ehmend besser wird. Das ist gut, wenn wir auch heute
ieder feststellen müssen, dass unsere Stimme zu spät
rschallt, um in Brüssel noch gehört zu werden.
Es wäre von Vorteil gewesen, wir Parlamentarier wä-
en so rechtzeitig über die Zeitplanung im Rat in Kennt-
is gesetzt worden, dass wir unsere Befassung danach
ätten ausrichten können. Doch weil wir – noch immer –
icht rechtzeitig vorab informiert werden, sind Befas-
ungen mit Vorlagen, über die in Brüssel bereits ent-
chieden wurde, nicht zu vermeiden. Wenn sich dieser
trukturelle Nachteil zulasten des Bundestages nicht be-
eben lässt, werden wir über einen echten Parlaments-
orbehalt reden müssen, um die Rechte des Bundestages
ei europäischen Rechtssetzungsakten in Zukunft zu
ahren.
Lassen Sie mich nun zu den inhaltlichen Kritikpunk-
en der Verordnung über so genannte geringfügige
orderungen kommen. Von zentraler Bedeutung ist die
eschränkung des Anwendungsbereiches der Verord-
ung auf grenzüberschreitende Sachverhalte. Kollege
anzewski hat im Rechtsausschuss erklärt, er wolle
eine Anwendung der Verordnung auf rein innerstaatli-
he Sachverhalte. Ich möchte es strenger formulieren:
ie Anwendung auf innerstaatliche Sachverhalte ist
ach meinem Dafürhalten unzulässig, es fehlt der euro-
äischen Gemeinschaft insoweit an einer Rechtsset-
ungskompetenz. Ziel der Verordnung ist es, im europäi-
chen Binnenmarkt die rechtliche Durchsetzung von
agatellforderungen, die heute noch durch Binnengren-
en erschwert sind, zu erleichtern. Es ist gut und richtig,
ass die Verordnung hier für erleichterte Regelungen
orgt; aber sie muss sich auch hierauf beschränken. An-
onsten läuft Europa Gefahr, nationales Recht, auf das
ich die Bürgerinnen und Bürger bei reinen Inlandssach-
erhalten einstellen und – zu Recht – vertrauen, zu un-
erlaufen.
Der zweite Kritikpunkt, der uns Grünen wichtig ist,
etrifft die Grenze, bis zu der eine Forderung als „ge-
ingwertig“ im Sinne der Verordnung gilt. Diese Baga-
ellgrenze ist von zentraler Bedeutung, weil an sie die
rage der Rechtsschutzstandards geknüpft ist. Spricht
ie Verordnung hier auch von „Vereinfachung“ des Ver-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006 3417
(A) )
(B) )
fahrens, so kann das doch nicht darüber hinwegtäuschen,
dass damit auch Beschränkungen der Verfahrensrechte,
genannt seien der Mündlichkeitsgrundsatz und der
Grundsatz des Strengbeweises, einhergehen. Deshalb ist
es uns so wichtig, die Streitwertgrenze so niedrig wie
möglich zu halten. Einen bindenden Grenzwert von
2 000 Euro, wie heute offensichtlich in Brüssel be-
schlossen, halte ich für deutlich zu hoch. Mit ihm wür-
den mehr als 50 Prozent aller vor deutschen Gerichten
anhängigen zivilgerichtlichen Verfahren erfasst. Die
Ausnahme würde zur Regel. Das kann nicht richtig sein.
Wir haben daher in der Entschließung, statt bei einem
„destruktiven Nein“ zu verharren, einen konstruktiven
Kompromissvorschlag unterbreitet. Die Verordnung
sollte einen Streitwertkorridor festschreiben, der als
Mindestwert 1 000 Euro nicht überschreiten sollte.
Damit würde es zum Beispiel Großbritannien ermög-
licht, die dort geltende Geringwertigkeitsgrenze bei
8 000 Euro zu belassen. Gleichzeitig könnte sich
Deutschland auch künftig nahe der 600-Euro-Grenze,
wie sie nach § 495 a ZPO für innerstaatliche Streitigkei-
ten besteht und sich bewährt hat, orientieren. Diesen
Vorschlag konnte die Bundesjustizministerin, wenn sie
ihn überhaupt eingebracht hat, nicht durchsetzen. Das
kritisieren wir ausdrücklich, da mit der 2 000-Euro-Re-
gelung essenziell in das deutsche Zivilrecht eingegriffen
wird.
Es bleibt zu hoffen, dass die Fehler der Verordnung
des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einfüh-
rung eines europäischen Verfahrens bei den Beratungen
des Europäischen Parlaments nunmehr behoben werden
können.
Anlage 22
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs: UNESCO-Überein-
kommen zur kulturellen Vielfalt schnell ratifi-
zieren (Tagesordnungspunkt 18)
Dorothee Bär (CDU/CSU): Der Antrag der Linken
fordert auf, die UNESCO-Konvention zur kulturellen
Vielfalt schnell zu ratifizieren. Dazu kann ich nur sagen:
Müssten wir uns heute nicht mit diesem Antrag aufhal-
ten, ginge es schon ein Stück schneller. Denn dieser An-
trag ist vollkommen unnötig. Wie Sie selbst schreiben,
steht es bereits fest, dass die Konvention in Deutschland
umgesetzt werden soll.
Wir haben uns dies bereits im Koalitionsvertrag vor-
genommen. Ich zitiere:
Deutschland wird … die kürzlich verabschiedete
UNESCO-Konvention zur kulturellen Vielfalt [um-
setzen].
Bei internationalen Handelsvereinbarungen muss
wie bisher der besondere Charakter von kulturellen
Dienstleistungen als Kultur- und Wirtschaftsgüter
berücksichtigt werden.
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Darin sind wir uns alle einig. Auch mir liegt der
chutz beispielsweise des Deutschen Films sehr am Her-
en. Fünf Prozent der Kinobesucher in Europa kaufen
ine Eintrittskarte für einen deutschen Film; demgegen-
ber stehen über 70 Prozent, die eine Karte für einen
merikanischen Film kaufen. Da blutet einem Cineasten
as Herz, das hat der Deutsche Film wirklich nicht ver-
ient.
Unter anderem deshalb ist die UNESCO-Konvention
o wichtig. Das Übereinkommen betont die Souveränität
er Vertragsparteien, ihre eigene Kulturpolitik zu de-
inieren und die erforderlichen Maßnahmen zu treffen.
Die hohe Bedeutung kultureller Vielfalt und die Not-
endigkeit, auf den verschiedenen Ebenen Sicherungs-
aßnahmen zu ergreifen, werden darin unterstrichen.
Das ist besonders wichtig, weil so der Erhalt kulturel-
er Vielfalt als eigener Wert in der internationalen politi-
chen Debatte anerkannt wird. Damit sind Maßnahmen
egen Gleichmacherei und Nivellierungstendenzen poli-
isch legitimiert. Gleichzeitig ist das Übereinkommen
uf die Zukunft ausgerichtet. Der Wert kultureller Bil-
ung wird herausgestellt. Damit wird betont, dass der
chutz der kulturellen Vielfalt eine Daueraufgabe auch
ür die kommenden Generationen ist.
Genau deshalb arbeitet die Bundesregierung mit
ochdruck an der Umsetzung. Erst seit Mitte Januar
iegt uns die endgültige Fassung der Konvention vor.
arauf folgte die Zustimmung der Länder. Diese liegt
ns seit vergangener Woche vor.
Bereits im nächsten Monat soll der Entwurf für die
atifizierung unter den Ressorts abgestimmt werden, so
ass wir im Juli mit der Kabinettsbefassung rechnen
önnen.
Zeitgleich erfolgt die Abstimmung mit der europäi-
chen Ebene. Sie ist besonders wichtig, wäre doch die
anze Konvention ohne das gemeinsame Vorgehen der
5 EU-Mitgliedstaaten nicht möglich gewesen. Man
ann an diesem Tempo erkennen, wie wichtig auch der
undesregierung eine rasche Umsetzung ist.
Ich frage mich also, wo die Linken hier die Möglich-
eit sehen, die Umsetzung zu beschleunigen. Die
chweiz rechnet beispielsweise nicht vor 2008 mit der
msetzung.
Es ist deshalb vollkommen unnötig, diesem Antrag
uzustimmen. Er beschreibt, was bereits feststeht, die
msetzung der UNESCO-Konvention zur kulturellen
ielfalt, und begründet in keiner Weise, wieso er gerade
u diesem Zeitpunkt notwendig ist.
Ich würde mich deshalb freuen, wenn wir zu den
rängenden Themen zurückkehren könnten und den
msetzungsprozess der UNESCO-Konvention mit die-
em Antrag nicht weiter aufhalten.
Monika Grütters (CDU/CSU): „Die Letzten werden
ie Ersten sein“ – diese Verheißung könnte in Bezug auf
ie UNESCO-Kulturaktivitäten für Deutschland tatsäch-
ich Realität werden: Bei der Ratifizierung der
3418 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006
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UNESCO-Konvention zum Kulturgüterschutz ist
Deutschland nach fast 30 Jahren beinahe Schlusslicht
gewesen. Mit dem Seufzer „Was lange währt, wird end-
lich gut“ hat Staatsminister Neumann die Ratifizierung
zur Priorität in seinem 100-Tage-Programm gemacht.
Hier beim UNESCO-Übereinkommen zur kulturellen
Vielfalt kann Deutschland in der Startergruppe sein –
und das sind wir auch, Frau Jochimsen. Denn Ihr Antrag
rennt offene Türen ein.
Klar, Sie haben den Koalitionsvertrag nicht gelesen,
sonst wüssten Sie, dass die Absicht, dem Übereinkom-
men beizutreten, dort bereits verankert ist.
Wir begrüßen diese Initiative der UNESCO, weil das
Übereinkommen zum Schutz der kulturellen Vielfalt die
hohe Bedeutung dieser kulturellen Vielfalt in den einzel-
nen Staaten betont und die Notwendigkeit hervorhebt,
sie auf den verschiedenen Ebenen auch zu sichern. So
wird der Erhalt kultureller Äußerungen und die schöne
Fülle unterschiedlicher Ausdrucksformen in der Kultur
als eigener Wert in der internationalen Debatte aner-
kannt. Vor allem werden Maßnahmen gegen Gleichma-
cherei und gegen Nivellierungstendenzen im Zuge der
Globalisierung und auch des europäischen Binnenmark-
tes ergriffen. Wichtig dabei ist die Anerkennung, dass
kulturelle Güter und Dienstleistungen einen Doppelcha-
rakter haben: nämlich den als Wirtschaftsgüter einerseits
und den als Ausdrucksform der individuellen nationalen,
regionalen oder auch lokalen Kultur andererseits. Am
25. Oktober 2005 wurde das „Abkommen zur kulturel-
len Vielfalt“ in Paris verabschiedet, das die Macht des
GATS-Abkommens im Interesse eben des beschriebenen
Sonderstatus der Kulturgüter beschneiden soll. Von den
191 Mitgliedstaaten hat ein deutliches Übergewicht der
Initiative zugestimmt, 30 Unterzeichner werden benö-
tigt, 25 haben bereits ratifiziert.
Deutschland hat in dem Verhandlungsprozess eine
hervorragende Rolle bei der UNESCO gespielt. In der
kürzestmöglichen Zeit haben das Auswärtige Amt, der
Staatsminister für Kultur und das Kabinett reagiert: Das
Auswärtige Amt hat mit Hochdruck an der deutschen
Fassung des Übereinkommens gearbeitet, damit dem
Gesetzentwurf eine „amtliche Fassung“ des Überein-
kommens beigefügt werden kann. Diese Fassung war die
Grundlage für die formelle Befassung der Länder: Die
Zustimmung der Länder liegt seit der vergangenen Wo-
che vor. Noch im Juli soll die entsprechende Kabinetts-
vorlage dort beraten werden. Sie sehen, Frau Jochimsen,
Ihr voreiliger Antrag hier lässt sich recht schnell als
kleine Wichtigtuerei der Opposition entlarven.
Wir haben die Ratifizierung des jüngsten UNESCO-
Übereinkommens auf unserer Agenda mit hoher Priorität
verankert. Der Staatsminister für Kultur und das Aus-
wärtige Amt sorgen dafür, dass sich Deutschland mit der
Ratifizierung des Übereinkommens zum Schutz der Kul-
tur bekennt.
Denn eines ist den Verantwortlichen in der Kulturna-
tion Deutschland besonders wichtig: dass bei Kulturgü-
tern nicht der ausschließlich wirtschaftliche Charakter
dieser Güter und Dienstleistungen wichtig ist, dass der
Liberalisierungsdruck in der globalisierten Welt nicht
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ie Handlungsspielräume der nationalen Kulturpolitik
inengen darf, dass die Vertragsparteien in der UNESCO
hre je eigene Kulturpolitik selbst definieren wollen,
ass sie also ihre eigenen kulturpolitischen Handlungs-
pielräume selbstbewusst verteidigen wollen, und dass
er kulturellen Vielfalt auf der Welt und im eigenen
and eine hohe Bedeutung zukommt.
Deutschland misst seinem kulturellen Erbe und der
ielfalt kultureller Lebensäußerungen eine außerordent-
ich hohe Bedeutung zu. Genau deshalb wird in der Re-
ierung an dem Ratifizierungsprozess mit solch einem
empo gearbeitet. In der Schweiz übrigens, Frau
ochimsen, die ja bekanntlich der Kultur einen ähnlich
ohen Stellenwert einräumt, rechnet man mit einem Ab-
chluss des Verfahrens nicht vor dem Jahr 2008.
Wir sind stolz, dass Deutschland im Verhandlungs-
rozess und auch jetzt im Ratifizierungsverfahren so
eit vorne liegt. Seien Sie es doch auch einfach mal.
Steffen Reiche (Cottbus) (SPD): Der Antrag der
raktion Die Linke zur schnellen Ratifizierung des
NESCO-Übereinkommens zum Schutz und zur Förde-
ung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen ist gut ge-
eint, mehr aber auch nicht.
Der Antrag wurde am 25. Januar dieses Jahres durch
ie Fraktion Die Linke eingebracht.
Erst am 17. Januar 2006 wurde seitens der UNESCO-
ommission der endgültige Vertragstext vorgelegt. So-
ann wurde an der deutschen Übersetzung des Textes
earbeitet, wobei sinnvollerweise auf eine einheitliche
eutsche Sprachfassung in Abstimmung mit Österreich
nd der Schweiz Wert gelegt wurde. Nun werden die
undesländer im Rahmen der Lindauer Absprache betei-
igt, sodann muss ein innerstaatliches Ratifizierungsver-
ahren stattfinden. Ich habe deshalb vorgeschlagen, dass
ir die Kulturausschussvorsitzenden der Bundesländer
u einem Gespräch in den Bundestag einladen, um ge-
einsam zügig das Verfahren zu gestalten. Ich bin dank-
ar, dass die Koalition und auch der Ausschuss für Kul-
ur und Medien diese Anregung aufgenommen haben.
Dass das Ratifizierungsverfahren schnell erfolgen
ird, ist nicht irgendein Versprechen, es ist ein Koali-
ionsversprechen, verhandelt und gesehen durch die
DU/CSU und SPD bereits im November vergangenen
ahres, wenige Tage, nachdem auf der 33. Generalkon-
erenz der UNESCO am 20. Oktober 2005 das in Rede
tehende Übereinkommen verabschiedet wurde. Seit Be-
inn der Verhandlungen über die UNESCO-Konvention
ilt Deutschland nicht nur als Miteinbringer, sondern
uch als einer der stärksten Befürworter dieser Konven-
ion. Genau das ist das entscheidende kulturpolitische
ignal. Auch inhaltlich konnte Deutschland mit seinen
orstellungen von dieser Konvention auf der wichtigsten
nternationalen kulturpolitischen Bühne überzeugen. Für
iesen Erfolg, insbesondere für die gemeinsame
eutsch-französische Initiative zur Schaffung der Kon-
ention, ist der vorigen und der jetzigen Bundesregie-
ung, namentlich den Kulturstaatsministern, ausdrück-
ich zu danken. Nicht zu Unrecht ist seinerzeit auch der
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006 3419
(A) )
(B) )
Vorschlag gemacht worden, die deutschen Verhand-
lungsführer mit dem Bundesverdienstkreuz auszuzeich-
nen. Sie haben sich große Verdienste um die kulturelle
Vielfalt erworben, in Zeiten, wo sich auch Kultur in den
WTO- und GATS-Verhandlungen in den Markt einord-
nen sollte. Kultur ist vielfältig; sie ist vor allem beides:
Kulturgut und Wirtschaftsgut.
Ich hätte durchaus eine Kritik an der späten Umset-
zung anderer UNESCO-Konventionen in der Sache
nachvollziehen können, aber ausgerechnet in Bezug auf
diese Konvention zur kulturellen Vielfalt kann sich die
Opposition indirekte Kritik an einer vermeintlichen
Langsamkeit des Verfahrens und politische Appelle zur
Verfahrensbeschleunigung sparen, denn schneller geht
es nicht. Alles andere im bisherigen zeitlichen Ablauf
wäre dann womöglich auch ihrerseits dem Vorwurf aus-
gesetzt, es sei mit heißer Nadel gestrickt. Wir alle erwar-
ten schließlich die Durchführung eines zügigen, aber
dennoch geordneten parlamentarischen Verfahrens.
Noch etwas soll im Zusammenhang mit der Konven-
tion nicht unerwähnt bleiben: Die EU-Minister sprachen
über die Konvention mit einer Stimme. Am 18. Mai
2006 ist die Gemeinschaft der Europäischen Union
durch den EU-Ministerrat ermächtigt worden, dem
Übereinkommen neben ihren Mitgliedstaaten beizutre-
ten. Das ist ein erstes deutliches und Hoffnung gebendes
Zeichen, dass sich eine europäische Kulturpolitik entwi-
ckeln kann und dass sich ein innovativer europäischer
Kulturraum tatsächlich formen kann. Lassen Sie uns ge-
meinsam und über Fraktions- und Parteigrenzen hinweg
konstruktiv an der Schaffung dieses zukunftsweisenden
europäischen Kulturraums arbeiten. Genau hierin wird
diese Konvention zur kulturellen Vielfalt auch mit Blick
auf die Dienstleistungsrichtlinie ein erster, sozusagen
fundamentaler Baustein sein, an dem Deutschland inten-
siv mitgewirkt hat und auch zukünftig maßgeblich mit-
wirken wird.
Christoph Waitz (FDP): Nach unserer Lebenserfah-
rung führt nicht alles, was gut gemeint ist, auch zu einem
guten Ergebnis. Kaum jemand wird den in Art. 1 aufge-
listeten Zielen der UNESCO-Konvention zum Schutz
der kulturellen Vielfalt widersprechen können. Völlig
unklar ist jedoch, zu welchen Konsequenzen die Ratifi-
zierung des Vertragstextes führt. Wir werden den Antrag
der Fraktion der Linken, die Konvention möglichst
schnell zu ratifizieren, daher ablehnen.
Die UNESCO-Konvention schützt insbesondere die
Möglichkeiten nationaler Kulturpolitik. Die treibenden
Kräfte im Verhandlungsprozess waren Kanada und
Frankreich. Es war die ehemalige kanadische Kulturmi-
nisterin Sheila Copps, der durch die Welthandelsorgani-
sation WTO eine unterschiedliche Besteuerung kanadi-
scher und amerikanischer Zeitungsmagazine untersagt
wurde. Frankreich ist das Land mit der vermutlich um-
fangreichsten Regulierung zugunsten der eigenen Spra-
che in Fernsehen und Radio. Fernsehen und Radio wer-
den als Dienstleistungen im Sinne des Handelsrechts
bewertet und sind daher möglicher Gegenstand der
GATS-Verhandlungen.
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Die Interessenlage sowohl der kanadischen als auch
er französischen Delegation war daher, im Rahmen der
NESCO-Konvention Regelungen einzuführen, um kul-
urpolitische Instrumente, zum Beispiel zum Schutz ei-
ener Sprachminderheiten, zu installieren und Quotenre-
el als Mittel aktiver Kulturpolitik zu legalisieren und
amit Eingriffe im Rahmen der GATS-Verhandlungen
u vermeiden, Eingriffe, die durch die WTO und GATS
rwartet werden, mit denen Quotenregelungen als Han-
elsbeschränkungen, zum Beispiel für das Radio und
ernsehen, beseitigt werden könnten. Für die Gegner des
NESCO-Übereinkommens ist das schlichtweg Han-
elsprotektionismus, der den freien Fluss von Ideen und
nformationen hemmt.
Die Fraktion der Linken hat nun einen Antrag einge-
racht, mit dem eine möglichst schnelle Ratifizierung
ieser Konvention in Deutschland gefordert wird. Frau
ochimsen hat in ihrem Beitrag zur UNESCO-Konven-
ion davon gesprochen, dass Deutschland nun die beson-
ere Chance habe, unter den ersten Unterzeichnerstaaten
u sein und damit ein kulturpolitisches Signal für Europa
nd über die europäischen Länder hinaus zu setzen.
ber, wenn wir denn wirklich wollen, dass diese Kon-
ention ein Erfolg wird, dann müssen wir vor der Ratifi-
ierung der Konvention sehr genau prüfen, welche Wir-
ung die Konvention in Deutschland entfalten wird und
u welchen Folgen dies auf den verschiedenen staatli-
hen Ebenen führt. Denn andere europäische und außer-
uropäische Staaten werden diese Auswirkungen genau
rüfen und bewerten.
Der Ratifizierungsprozess der Konvention wird von
er „Bundesweiten Koalition Kulturelle Vielfalt“, die
m Dienstag dieser Woche in Berlin tagte, begleitet.
enn ich das Ergebnis dieser Tagung zusammenfasse,
o scheinen bezüglich der Umsetzung der Konvention
ehr Fragen offen als geklärt zu sein. Lassen sie mich
ei so viel parteiübergreifender Begeisterung über den
onventionstext also Wasser in den Wein gießen und ei-
ige dieser Fragen benennen.
Fraglich ist, ob die kulturpolitischen Instrumente,
um Beispiel die Quotierung von Sprache im Fernsehen
nd Radio, in Anbetracht des sich verändernden Nutzer-
erhaltens nicht von vornherein wirkungslos sind und
ich daher auch ein Instrument zum Schutz solcher Maß-
ahmen erübrigt. Welchen Einfluss haben Quotenrege-
ungen noch, wenn ich mein Radioprogramm aus dem
nternet lade und Zugriff habe auf Sender in der gesam-
en Welt? Welchen Sinn hat die „Bestandsgarantie“ für
inen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, wenn durch das
usammenwachsen von Internet und Fernsehangebot
ünftig jeder Nutzer sich Sendungen und Informationen
ach seinen Wünschen und Bedürfnissen herunterla-
en wird?
Aber um noch konkreter zu werden: Worauf werden
ich Bund, Länder und Kommunen nach einer Ratifizie-
ung der Konvention einstellen müssen? In welchem
mfang müssen Kommunen künftig prüfen müssen, ob
edürfnissen von Minderheiten in der gebotenen Form
echnung getragen wurde? Was passiert, wenn die Per-
onen oder Gruppen meinen, dass dies in nicht ausrei-
3420 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006
(A) )
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chender Form geschah? Welche einklagbaren Ansprüche
sind zu erwarten?
Wird die Umsetzung des Übereinkommens dazu füh-
ren, dass künftig Theater, Opern Kinos, Fernsehen und
Radio eine bestimmte Mindestquote für Minderheiten
erfüllen müssen? Sind Theater und Opernhäuser künftig
nur noch förderfähig, wenn sie nachweisen, den Vorga-
ben der UNESCO-Konvention Rechnung getragen zu
haben? Und wie müssten solche Quoten quantitativ und
qualitativ aussehen?
Der Text des Übereinkommens selbst beinhaltet be-
trächtliche Interpretationsspielräume. Auf den ersten
Blick sind die in dem Übereinkommen verwandten Be-
griffe sehr vertraut. In Art. 4 des Übereinkommens wird
von kultureller Vielfalt gesprochen. Doch was heißt kul-
turelle Vielfalt? Sicher umfasst ist der Schutz der sorbi-
schen, der dänischen und plattdeutschen Sprache und
Kultur. Umfasst kulturelle Vielfalt aber auch die Gebär-
densprachkultur und jede der vielfältigen Migrantenkul-
turen oder Minderheitengruppen in unserer Gesell-
schaft?
Der Schutz der kulturellen Vielfalt ist auch aus unse-
rer Sicht ein wichtiges Arbeitsziel. Die aufgeführten Fra-
gen geben jedoch einen Vorgeschmack auf die Arbeit,
die noch geleistet werden muss, Arbeit, die nach
unserer Auffassung vor einer Ratifizierung geleistet wer-
den sollte.
Dr. Uschi Eid (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Im
Oktober letzten Jahres hat die Generalversammlung der
UNESCO die Konvention zum Schutz der kulturellen
Vielfalt verabschiedet. Die besonders von Frankreich
und Kanada vorangetriebene Konvention wird auch von
meiner Fraktion unterstützt. Sie sollte allerdings erst
nach sorgfältiger Diskussion auf Bundes- und Länder-
ebene ratifiziert werden.
Meine Fraktion unterstützt die im Übereinkommen
festgelegten Prinzipien: erstens, das gemeinsame Erbe
der Menschheit zum Nutzen aller zu achten und zu erhal-
ten; zweitens, die Kultur als strategisches Element in die
nationale und internationale Entwicklungspolitik und in
die internationale Entwicklungszusammenarbeit aufzu-
nehmen; drittens, dass die kulturelle Vielfalt durch den
freien Austausch von Ideen gestärkt wird und dass sie
durch den ständigen Austausch und die Interaktion zwi-
schen den Kulturen bereichert wird; viertens, dass die
Gedankenfreiheit, die freie Meinungsäußerung und die
Informationsfreiheit sowie die Medienvielfalt die Entfal-
tung kultureller Ausdrucksformen in den Gesellschaften
ermöglichen.
Lassen Sie mich aber zu einzelnen Punkten ein paar
Anmerkungen machen: Die Aufnahme der Kultur als
strategisches Element in die internationale Entwick-
lungsarbeit wurde bereits durch UNDP in seinem Be-
richt über die menschliche Entwicklung 2004 vorge-
schlagen. Insofern stellt die Konvention in diesem Punkt
eine konsequente Weiterentwicklung dar. Allerdings
– und das ist eine andere Akzentuierung – stellt der
UNDP-Bericht auch klar, dass der Erhalt der kulturellen
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ielfalt kein Wert an sich ist, sondern im Dienste der
ulturellen Freiheit zu stehen habe. Ich stimme mit
NDP völlig überein, dass kulturelle Vielfalt die kultu-
elle Freiheit zu fördern hat und somit das Leben der
enschen bereichert. Genau diese Akzentuierung fehlt
ir in der Konvention!
Vor diesem Hintergrund begrüße ich ausdrücklich
rt. 7 der Konvention zum Grundsatz des gleichberech-
igten Zugangs. In diesem Artikel wird festgeschrieben,
ass der gleichberechtigte Zugang zu einem reichen und
ielfältigen Spektrum kultureller Ausdrucksformen aus
er ganzen Welt ein wichtiges Element darstellt, um kul-
urelle Vielfalt zu vergrößern und das gegenseitige Ver-
tändnis zu fördern. Das ist uneingeschränkt zu begrü-
en.
Damit im Zusammenhang muss aber Art. 8 gesehen
erden, der, wenn man ihn genau liest, gleichberechtig-
en Zugang relativiert, und das bereitet mir Unbehagen!
In Art. 8 wird der Grundsatz der Offenheit und Aus-
ewogenheit festgelegt, in dem gesagt wird, dass die
taaten, die Maßnahmen beschließen, um die Vielfalt
ultureller Ausdrucksformen zu unterstützen, danach
treben sollten, in geeigneter Weise die Offenheit gegen-
ber anderen Kulturen der Welt zu fördern.
Als Mitglied einer Partei, die immer schon für Welt-
ffenheit und Interkulturalität stand, sind mir diese For-
ulierungen suspekt, denn sie lassen Hintertüren offen
nd die Sorge um Zensur und Abschottung beschleicht
ich. Denn was heißt, Staaten sollen „danach streben“
der was heißt „in geeigneter Weise“ Offenheit gegen-
ber allen Kulturen der Welt zu fördern? Ich habe selbst
iel zu viele internationale Verhandlungen miterlebt, um
iese Fußangeln bzw. Formulierungsweichspüler über-
ehen zu können.
Bei solchen Formulierungen gehen bei mir sofort die
arnlampen an, denn diese Formulierungen geben doch
en Mullahs im Iran, den Diktatoren in Myanmar oder
yrien, den Herrscherhäusern auf der arabischen Halb-
nsel der Militärregierung in Eritrea jegliche Rechtferti-
ung, die eigene Bevölkerung von kulturellen Außenein-
lüssen abzuschotten.
Oder was bedeutet die chinesische Zensur im Internet
nderes, als dass China eben „auf chinesisch“ in „geeig-
eter Weise“ die Offenheit gegenüber anderen Kulturen
ördert: Internet ja, aber bitte nur das den Menschen zu-
uten, was durch die offizielle Zensur freigegeben wird!
Lebendige Kultur entwickelt sich im immerwähren-
en Austausch. Sie schöpft aus der Kraft vieler Men-
chen und wechselseitiger Befruchtung. Deshalb darf die
onvention nicht dazu führen, dass neue Hürden für den
reien Fluss von Ideen und Informationen entstehen. Kri-
iker befürworten hier – und das nicht ganz zu Unrecht –
ass das Übereinkommen eben auch für kulturfremde
wecke und protektionistische Maßnahmen missbraucht
erden kann. Erste Stimmen wurden bei der Konferenz
m Auswärtigen Amt zu diesem Thema von Vertretern
er Kulturindustrie bereits laut.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006 3421
(A) )
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Beobachtet man in jüngster Zeit, durchaus als Folge
der Globalisierung, die zunehmende Bekräftigung des
jeweils eigenen, die Hervorhebung der eigene kulturel-
len Identität, die Bedeutung der eigenen Überzeugung, ja
selbst die Überhöhung religiöser Glaubensansätze, die
sogar beleidigt werden können durch Überzeugungen
oder Glaubensansätze anderer, wie zum Beispiel das
Prinzip der Presse- und Meinungsfreiheit, so halte ich
die mahnende Stimme von UNDP für bedenkenswert,
die uns daran erinnert: Die Welt braucht sowohl Aner-
kennung der Vielfalt als auch ein stärkeres Bekenntnis
zu Einheit!
Nicht umsonst fordert zum Beispiel auch Art. 151 des
europäischen Vertrages, dass die Gemeinschaft sowohl
zur nationalen und regionalen Vielfalt als auch zur Her-
vorhebung des gemeinsamen kulturellen Erbes beitragen
muss.
Bernd Neumann, Staatsminister für Kultur und
Medien: Die Bundesregierung hat am 15. Februar dieses
Jahres den Gesetzentwurf zur Ausführung des
UNESCO-Übereinkommens vom 14. November 1970
über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der
rechtswidrigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von
Kulturgut im Kabinett beschlossen. Damit wird nach
35 Jahren die gesetzliche Grundlage dafür gelegt, das
UNESCO-Übereinkommen in deutsches Recht umzuset-
zen. Das ist unbestreitbar ein Erfolg, und damit ist heute
ein guter Tag für den Kulturgüterschutz in Deutschland.
Über Jahrzehnte standen sich die verschiedenen Inte-
ressen der von dem Gesetz Betroffenen gegenüber und
eine Einigung konnte nicht erzielt werden. Warum, fragt
man sich heute, hat sich die Bundesrepublik damit so
lange dem internationalen Standard des Kulturgüter-
schutzes verweigert?
Denn im Grunde handelt es sich ja auf den ersten
Blick um einen einfachen Sachverhalt:
Das Ziel des UNESCO-Abkommens von 1970 war
es, den illegalen Handel mit Kulturgut auf internationa-
ler Ebene zu bekämpfen. Die Vertragsstaaten sollten
selbst alles tun, um das eigene Kulturgut vor Raubgra-
bungen, Diebstahl und vor unzulässiger Ausfuhr zu
schützen.
Sie sollten sich außerdem verpflichten, den Kultur-
gutschutz der anderen Vertragsstaaten zu respektieren.
Das bedeutet, die Vertragsstaaten sollten aus einem Land
illegal ausgeführtes wertvolles Kulturgut sofort zurück-
geben, es sollten Export- und Importbeschränkungen er-
richtet werden, und es sollte für den Handel Aufzeich-
nungspflichten für bedeutsames Kulturgut geben, die es
den Strafverfolgungsbehörden ermöglichen, den Weg il-
legal verbrachten Kulturgutes zurückzuverfolgen.
Das war der weit gesteckte Rahmen. Die Schwierig-
keiten aber steckten im Detail: Ist das Kulturgut nicht
bereits durch schon vorhandene Regelungen ausreichend
geschützt? Welches Kulturgut sollte überhaupt geschützt
werden? Und belastet man nicht übermäßig den freien
Kunsthandel? Das waren politisch und auch juristisch
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eikle Fragen, die die Umsetzung immer wieder aufhiel-
en.
Dass Deutschland die Konvention nicht umgesetzt
at, hatte Konsequenzen. Ich will Ihnen ein Beispiel
ennen:
In Berlin tauchten Ende des vergangenen Jahres ägyp-
ische Antiquitäten auf, darunter drei Sarkophage. Die
it dem Transport betraute Spedition legte eine Aus-
uhrgenehmigung des ägyptischen Staates vor und bean-
ragte gleichzeitig bei der zuständigen Senatsverwaltung
ine Ausfuhrgenehmigung von Deutschland in die USA.
ie Berliner Beamten wurden aber misstrauisch und be-
ragten Kunstsachverständige. Diese stellten klar, dass
s mit der ägyptischen Ausfuhrgenehmigung unmöglich
eine Richtigkeit haben konnte. Dem daraufhin alarmier-
en Auswärtigen Amt blieb nun nichts anderes übrig, als
ie Botschaft Ägyptens per Verbalnote zu informieren
nd ihr den guten Rat zu geben, die Botschaft möge sich
un an die deutschen Gerichte wenden, um ihre straf-
echtlichen und zivilrechtlichen Rechte zu wahren – die
undesregierung und die Senatsverwaltung Berlins ver-
ügten über keine rechtliche Handhabe, die Ausfuhrge-
ehmigung in die USA zu verweigern oder die Objekte
u beschlagnahmen.
Das ist ein absolut unbefriedigender Zustand und ei-
er Kulturnation unwürdig. Ich bin froh, dass dieser Zu-
tand nun ein Ende finden wird.
Ich will die wichtigsten Punkte unseres Gesetzent-
urfs nennen: Als wichtigste Regelung gibt es künftig
inen Rückgabeanspruch für national wertvolles Kultur-
ut zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den
NESCO-Vertragsstaaten.
Das bedeutet, dass künftig der illegal aus Ägypten
usgeführte Sarkophag im dem genannten Fall in
eutschland sichergestellt werden kann, da der Verdacht
er illegalen Ausfuhr und der Rückgabepflicht besteht.
ie Ausfuhr des Sarkophags aus Deutschland stünde
ann unter Strafe und die Rückgabe an Ägypten wäre
öglich.
Zweitens gibt es Einfuhrregelungen, die die Verbrin-
ung solcher Gegenstände nach Deutschland verhindern
ollen, die kulturelles Erbe eines anderen Vertragsstaates
ind und deren Ausfuhr dort verboten ist.
Drittens. Der Gesetzentwurf enthält Aufzeichnungs-
flichten für gewerbliche Kunsthändler und Versteigerer.
ie sind so gestaltet, dass sie mit bereits vorhandenen
ufzeichnungspflichten im Steuer- und Handelsrecht
orrespondieren.
Der vom Bundeskabinett verabschiedete Gesetzent-
urf sieht hier nun Regelungen vor, die praktikabel sind
nd die letztlich auch die Kritiker der Umsetzung in
eutsches Recht überzeugt haben.
Wir haben uns bei der Erarbeitung aller Bestimmun-
en von dem Grundsatz leiten lassen: so viel Kulturgut-
chutz wie möglich, so viel Praktikabilität wie nötig.
Dennoch gibt es auch weiterhin Kritik an den gefun-
enen Regelungen. Den Archäologen geht der Gesetz-
3422 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006
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entwurf nicht weit genug. Wir haben uns mit vielen Ex-
perten intensiv auseinander gesetzt. Wir sind aber zu
dem Schluss gekommen, dass die Kritikpunkte einer ge-
naueren Prüfung nicht standhalten. Denn die kritisierten
Sachverhalte werden durch die Umsetzung der
UNESCO-Konvention schlicht nicht geregelt. Hier ist
Kritik am Gesetzentwurf unangebracht.
Dem Kunst- und Antiquitätenhandel wiederum geht
der Gesetzentwurf zumindest in Teilen zu weit. Aller-
dings vernehme ich nun auch immer mehr grundsätzli-
che Zustimmung zu dem Gesetzentwurf von dieser
Seite. Das freut mich, denn dem guten Ruf der Branche
kann dieser Gesetzentwurf nur dienen.
Wir haben 35 Jahre nach Unterzeichnung des
UNESCO-Übereinkommens die Umsetzung in deut-
sches Recht auf den Weg gebracht. Wir haben damit ein
wichtiges kulturpolitisches Zeichen gesetzt.
Ich würde mich freuen, wenn der Gesetzentwurf eine
breite Unterstützung im Deutschen Bundestag findet.
Anlage 23
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs: Grenzüberschrei-
tender Zahlungsverkehr im europäischen Bin-
nenmarkt (Tagesordnungspunkt 19)
Georg Fahrenschon (CDU/CSU): Mit dem heute
zur Abstimmung vorgelegten Antrag der Koalitionsfrak-
tionen zur Regulierung des grenzüberschreitenden Zah-
lungsverkehrs im Europäischen Binnenmarkt setzen
CDU/CSU und SPD ihren finanzmarktpolitischen Kurs,
bezogen auf die aktuellen Projekte der Rechtssetzung für
den Europäischen Finanzmarkt, konsequent fort.
Ausgehend von dem Beschluss des Deutschen Bun-
destages „Besser regulieren, dynamisch konsolidieren –
Leitlinien für die künftige EU-Finanzmarktintegration“
haben sich CDU/CSU und SPD speziell mit den Fragen
des zukünftigen grenzüberschreitenden Zahlungsver-
kehrs auseinander gesetzt.
Im Zentrum unseres Interesses stehen dabei nicht nur
die Bedingungen für die Wirtschaft, sondern insbeson-
dere die Möglichkeiten der Privatkunden in ganz Eu-
ropa. Für sie ist eine unkomplizierte und Kosten spa-
rende Handhabung aller Systeme unserer Auffassung
nach eine der wesentlichsten Voraussetzungen, damit
alle Angebote, die der Europäische Binnenmarkt anbie-
tet, auch genutzt werden können. Deshalb ist ein Rechts-
rahmen erforderlich, der effizient, der sicher und der
kundengerecht Zahlungsverfahren für alle Mitgliedstaa-
ten der Europäischen Union unterstützt. Dabei allerdings
auf ein vollkommen neues europaweites System zu set-
zen, das die bestehenden innerstaatlichen Zahlungssys-
teme ablösen und darüber hinaus auch noch zusätzlich
weltweite Anforderungen aufbauen soll, halten wir für
falsch.
In diesem Sinn entspricht der Ende letzten Jahres von
der Kommission vorgelegte Richtlinienvorschlag über
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ahlungsdienste im Binnenmarkt nicht unserer Auffas-
ung.
Wir fordern die Bundesregierung mit unserem heuti-
en Antrag deshalb auf, diese Vorlage in einer Reihe von
unkten zu verändern.
Es ist zwar zu begrüßen, dass die Kommission entge-
en ihrer ursprünglichen Planung darauf verzichtet hat,
n ihrem Richtlinienvorschlag auch technische Regelun-
en zu europäischen Standards und Formaten zu schaf-
en, denn damit akzeptiert die Kommission, dass gerade
iese Arbeit von den Zahlungsdienstleistern selbst in ei-
ener Verantwortung und zugeschnitten auf die jeweili-
en Bedürfnisse der nationalen Märkte besser erledigt
erden. Dieselben Argumente sprechen aber auch dage-
en, europäische Auflagen für nationale Standardüber-
eisungen zu treffen. Die nationalen Zahlungssysteme
tellen kein Hemmnis für einen effizienten, grenzüber-
chreitenden Zahlungsverkehr dar. Etwa 99 Prozent aller
ahlungen in den Mitgliedstaaten haben heute keinen
renzüberschreitenden Hintergrund. Das wird sich si-
herlich auch in Zukunft nicht ändern.
Verfahren für rein nationale Zahlungsvorgänge, die
ich heute bewährt haben und auch kostengünstig ange-
oten werden, müssen unserer Meinung nach deshalb er-
alten bleiben und bedürfen keiner europaweiten neuen
egulierung.
Im selben Zusammenhang schlägt die Kommission
ine neu zu schaffende Institutionsgruppe von Zahlungs-
ienstleistern vor. In ihrer Beaufsichtigung sollen sie ge-
enüber den seit langem tätigen Kreditinstituten privile-
iert werden. Auch das halten wir für eine falsche
orgehensweise. Eine vereinfachte Aufsicht für Unter-
ehmen, die den Geldtransfer durchführen, und für Un-
ernehmen, die Kreditkarten emmitieren oder alleine das
astschriftverfahren anbieten, sollte es im Interesse des
chutzes der Stabilität sowohl der nationalen als auch
es europaweiten Zahlungsverkehrssystems nicht geben.
Wenn die Europäische Kommission ihren Vorsatz ei-
er so genannten better regulation ernst nimmt, dann
uss sie sich in Zukunft in erster Linie auf die Anforde-
ungen der Märkte konzentrieren und sollte Überregulie-
ung staatlicherseits verhindern. In diesem Zusammen-
ang scheint es auch geboten, auf die erfolgreichen
nitiativen der europäischen Kreditwirtschaft hinzuwei-
en. Das European Payments Council hat bereits Vor-
chläge für europäische Standardformatprozesse für alle
renzüberschreitenden Zahlungen per EC-Karte, Über-
eisung oder Lastschrift ausgearbeitet und bindende
ereinbarungen für alle in der Kette eingeschalteten
ienstleister geschaffen, auf freiwilliger Basis und damit
eispielgebend.
Im Übrigen ist es auf diesem Weg auch möglich, das
orhaben eines neuen europäischen Lastschriftverfah-
ens zu entwickeln. Damit könnte das erfolgreiche Sys-
em des deutschen Lastschriftverfahrens europaweit an-
eboten werden. Wenn es in diesem Verfahren
chlussendlich auch gelingt, den Widerspruch des Zah-
ungsverpflichteten gegen eine Lastschrift grundsätzlich
m selben Umfang zuzulassen, wie dies gegenwärtig im
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006 3423
(A) )
(B) )
deutschen Einzugsermächtigungsverfahren der Fall ist,
wäre auch ein weiteres zentrales Problem gelöst, um den
europäischen Verbraucher vor missbräuchlichen Last-
schriften wirksam zu schützen.
In diesem Sinne fordert der Antrag von CDU/CSU
und SPD die deutsche Bundesregierung auf, die laufen-
den Ratsverhandlungen kritisch zu begleiten und alle
Vorschläge der Europäischen Kommission, bezogen auf
den europäischen Zahlungsverkehr, genau zu prüfen.
Der neue Rechtsrahmen soll innerstaatliche Zahlungs-
vorgänge und -systeme nicht beeinträchtigen und die
Grenzen des EU-Rechtsraumes einhalten. Ein Aufsichts-
gefälle zwischen Kreditinstituten einerseits und Zah-
lungsdienstleistern andererseits muss verhindert werden.
Darüber hinaus gilt es, sich in der weiteren Regulierung
alleine auf die Harmonisierung des unbaren Zahlungs-
verkehrs zu konzentrieren und gegenüber der Verwen-
dung von Bargeld stets den Grundsatz der Neutralität des
Zahlungsmittels zu wahren.
In diesem Sinne bitten wir um Ihre Zustimmung.
Nina Hauer (SPD): Heute ist es noch mit hohen Kos-
ten verbunden, eine grenzüberschreitende Überweisung
in einen anderen EU-Staat zu tätigen. Eine solche Über-
weisung ist aber nicht nur teurer als eine inländische,
sondern dauert auch länger und ist für den Verbraucher
oder das Unternehmen mit einigen Rechtsunsicherheiten
verbunden. Kann der Kunde den Überweisungsauftrag
bei Bedarf widerrufen? Wer haftet, wenn der überwie-
sene Betrag nicht beim Empfänger ankommt?
Auf EU-Ebene wird nun angestrebt, einen europäi-
schen Binnenmarkt für den Zahlungsverkehr zu schaffen.
Mit anderen Worten: Grenzüberschreitende Geldüberwei-
sungen, Kartenzahlungen in anderen europäischen Län-
dern und der grenzüberschreitende Lastschriftverkehr sol-
len vereinfacht werden und auf eine vereinheitlichte
rechtliche Basis gestellt werden. Diese Initiative der EU-
Kommission, einen effizienten Binnenmarkt für den Zah-
lungsverkehr zu realisieren, wird von der SPD-Fraktion
grundsätzlich begrüßt. Jedoch sehen wir kritisch, wie die
Kommission dieses Ziel erreichen will.
Unser Antrag verdeutlicht, dass der Deutsche Bun-
destag in einigen sehr wesentlichen Regelungsbereichen
nicht den Weg der Kommission unterstützt, wie er in
dem Richtlinienentwurf über Zahlungsdienste im Bin-
nenmarkt vom 1. Dezember 2005 dargelegt wurde. Es
wäre fahrlässig, wenn der Deutsche Bundestag ange-
sichts der Bedeutung dieses Regelungsprojekts für Ver-
braucherinnen und Verbraucher sowie für Unternehmen
in Europa nicht gestaltend mitwirken würde. Unser An-
trag zeigt daher vier Aspekte auf, die für den Deutschen
Bundestag bei der Schaffung eines Binnenmarktes für
den Zahlungsverkehr von zentraler Bedeutung sind:
Erstens stellen wir fest, dass bewährte nationale Zah-
lungssysteme kein Hindernis für einen effizienten grenz-
überschreitenden Zahlungsverkehr darstellen. In
Deutschland haben wir ein kostengünstiges und effizien-
tes Verfahren für rein nationale Zahlungsvorgänge. Die-
ses muss für die Verbraucherinnen und Verbraucher er-
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alten bleiben, schließlich sind heute noch 99 Prozent
ller Zahlungen rein national. DerSubsidiaritätsgedanke
ebietet, dass auf der EU-Ebene keine Inlandszahlungen
eregelt werden und bei den Vorgaben, wie Zahlungs-
ienste erbracht und genutzt werden, auf unnötige De-
ails verzichtet wird.
Zum zweiten sollte der Binnenmarkt für den Zah-
ungsverkehr soweit möglich durch marktgestützte Maß-
ahmen geschaffen werden. Mit dieser Zielsetzung ar-
eiten die Banken und Finanzdienstleister im European
ayments Council gemeinsam an europäischen Stan-
ards, Formaten und Infrastrukturen für alle grenzüber-
chreitenden Zahlungssysteme im Binnenmarkt. Erste
rfolge dieses Gremiums, bindende Vereinbarungen für
lle an der Zahlungskette beteiligten Zahlungsdienstleis-
er zu beschließen, sind sichtbar, so zum Beispiel die
redeuro-Konvention. Diese stellt sicher, dass Überwei-
ungen innerhalb der EU die Bank des Empfängers in-
erhalb von drei Tagen erreichen müssen. Wir unterstüt-
en in unserem Antrag die Arbeit der Banken und
inanzdienstleister im European Payments Council und
ordern die EU-Institutionen auf, sich in ihren Rechtsak-
en auf die Maßnahmen zu beschränken, die nicht durch
elbstregulierung erreicht werden können und Rechts-
ereinheitlichungen erfordern.
Drittens führt der Richtlinienvorschlag der Kommis-
ion eine neu zu schaffende Institutsgruppe der Zah-
ungsdienstleister ein. Eine Abgrenzung dieser Institute
on den seit langem tätigen Kreditinstituten ist in dem
ntwurf jedoch nicht zufriedenstellend gelöst worden.
eide Institutsgruppen haben eine deckungsgleiche Risi-
osituation; daher ist eine Privilegierung der Zahlungs-
ienstleister kaum zu rechtfertigen. Außerdem muss aus-
rücklich dargestellt werden, dass bestimmte Aktivitäten
ie Einlagen-, Kredit- und Garantiegeschäft den Kre-
itinstituten vorbehalten bleiben. Im Interesse des Ver-
raucherschutzes ist es wichtig, dass die Zahlungsdienst-
eister mit ihrem bedeutenden Risikoprofil nicht einer
Aufsicht light“ unterliegen.
Der vierte wichtige Aspekt ist der Verbraucherschutz,
er sich wie ein roter Faden durch unseren Antrag zieht.
ut und umsichtig auf den Weg gebracht, birgt das Pro-
ekt eines Binnenmarktes für Zahlungsverkehr große Er-
eichterungen für Privatkunden und Unternehmen in
uropa. Wir wollen, dass die Nutzer von Zahlungsver-
ehrsdienstleistungen vor Betrug geschützt werden und
ich wie bei nationalen Zahlungsvorgängen in Deutsch-
and auf ein effizientes System verlassen können. Nichts
nderes kann im Interesse der EU-Institutionen liegen.
nser Antrag zeigt den Verbesserungsbedarf und die
eitprinzipien für einen Binnenmarkt für den Zahlungs-
erkehr auf.
Frank Schäffler (FDP): Die FDP-Fraktion stimmt
em vorliegenden Antrag zu. Dies tun wir insbesondere
eshalb, weil er sich an den Erfordernissen des Marktes,
m Subsidiaritätsprinzip und an der Selbstregulierung
rientiert. Ärgerlich ist lediglich beim vorliegenden An-
rag, dass er den Oppositionsfraktionen erst gestern zu-
eleitet wurde.
3424 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006
(A) )
(B) )
Wie so oft gibt es im Rahmen der Fortsetzung der eu-
ropäischen Finanzmarktintegration einen breiten Kon-
sens der Fraktionen. Das wurde zuletzt deutlich bei der
Beratung unseres gemeinsamen Antrags „Besser regulie-
ren, dynamisch konsolidieren: Leitlinien für die künftige
EU-Finanzmarktintegration“ am 16. März. Deshalb bit-
ten wir die Koalitionsfraktionen darum, doch künftig
wieder gemeinsame Berichterstattergespräche zu Fi-
nanzmarktthemen durchzuführen, insbesondere weil ein
Konsens bei den Beratungen im Finanzausschuss abseh-
bar war. Die FDP-Fraktion ist jederzeit zur konstrukti-
ven Zusammenarbeit bereit.
Bei der Fortsetzung der europäischen Finanzmarktin-
tegration ist der Bereich des Retail Bankings, mit dem
wir es hier zu tun haben, ein wesentlicher Punkt. Wäh-
rend wir es bei den Interbanken- und Großkundenmärk-
ten mit weitgehend integrierten Märkten zu tun haben,
sind die Privatkundenmärkte weitestgehend national or-
ganisiert.
Eine weitere Marktintegration ist dabei im Sinne der
Kunden, die von einer breiteren Produktpalette sowie
sinkenden Preisen profitieren können. Es ist wichtig,
dass die Bürger auch konkret merken, wie ihnen die eu-
ropäische Integration nützt.
Auf der anderen Seite dürfen wir aber nicht über das
Ziel hinaus schießen. Der Vorschlag der EU-Kommis-
sion für eine Richtlinie über Zahlungsdienste im Binnen-
markt tut dies jedoch deutlich und verletzt damit den
Grundsatz der Subsidiarität.
Das Hauptaugenmerk sollte auf der Schaffung eines
einheitlichen Rechtsrahmens für Lastschriften liegen, da
die anderen Zahlungsinstrumente bereits in anderen
Richtlinien ausreichend geregelt sind.
Die Finanzmarktintegration ist nicht nur ein Thema
des Gesetzgebers, sondern vor allem auch der Kredit-
wirtschaft über die Selbstregulierung. Die deutsche Kre-
ditwirtschaft hat über ihre Beteiligung im European
Payments Council, EPC, die Weichen für den Einheitli-
chen Euro-Zahlungsverkehrsraum, SEPA, zum Januar
2008 gestellt.
Zunächst ist der Anwendungsbereich in Art. 2 des
Richtlinienvorschlags zu weit gefasst. Hier wäre es sinn-
voll, den Anwendungsbereich auf Zahlungen innerhalb
des EU-Binnenmarkts und des Europäischen Wirt-
schaftsraumes und auf Zahlungen in EU-Währungen zu
begrenzen.
Des Weiteren ist bei Ausführungsfristen von Massen-
zahlungen die Frage, ob es wirklich erforderlich ist, eine
Frist von einem Bankarbeitstag vorzuschreiben. Nach
der EU-Überweisungsrichtlinie gelten derzeit sechs
Bankarbeitstage als Regellaufzeit. Ich denke, dass hier
eine Frist von drei Bankarbeitstagen angemessen wäre.
Diese Frist hat auch das EPC vorgeschlagen. Die Einta-
gesfrist würde hingegen zusätzliche technische Anpas-
sungen erfordern, die gerade auch die mittelständischen
Kreditinstitute belasten würden. Angesichts des Auf-
wandes, den die Umstellung von organisatorischen Ab-
läufen und IT-Systemen erfordert, ist es wichtig, die
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reditwirtschaft nicht übermäßig zu belasten und ihr
chnellstmöglich Planungssicherheit zu gewähren.
Für uns Liberale ist es gerade im Finanzmarktbereich
ichtig, dass ein fairer Wettbewerb herrscht, ein Level
laying Field. Deshalb lehnen wir die von der Kommis-
ion vorgeschlagene Privilegierung der Zahlungsver-
ehrsanbieter ohne Banklizenz, der so genannten
ahlungsinstitute, ab. Statt der Schaffung von Wettbe-
erbsverzerrungen muss das Prinzip „gleiche Risiken,
leiche Vorschriften“ gelten.
Ulla Lötzer (DIE LINKE): Die Linksfraktion hält die
chaffung eines neuen Rechtsrahmens für den grenz-
berschreitenden Zahlungsverkehr im Binnenmarkt für
otwendig. Die derzeitige Situation ist für die Verbrau-
herinnen und Verbraucher nicht durchschaubar. Die Ge-
ührenpraxis der Banken ist intransparent. Wird eine
renzüberschreitende Überweisung in Deutschland auf-
egeben, so ist es für den Überweisenden kaum möglich,
ich vorab über die Kosten zu informieren, da deutsche
anken diesbezüglich weder weiterhelfen können noch
üssen. Die Bank des Empfängerlandes muss keine
uskunft geben, da der Überweisende kein Kunde der
ank ist. Dazu kommt, dass dazwischengeschaltete Ban-
en ebenfalls weitere Gebühren einbehalten können. Ob
olche Banken eingeschaltet werden kann von Verbrau-
herseite aus nicht beeinflusst werden. Die Gebühren
iegen zudem zum Teil weit über den Gebühren im Zah-
ungsverkehr im Inland. Gerade im Euroraum ist es
berhaupt nicht begründbar, weshalb grenzüberschrei-
ende Überweisungen mit zum Teil horrenden Kosten
erbunden sind.
Wir teilen die Auffassung der Koalitionsfraktionen,
ass rein innerstaatliche Zahlungsvorgänge nicht von ei-
er EU-Richtlinie erfasst werden, sollen. Wir teilen auch
ie Auffassung der Koalition, dass es keine vereinfachte
ufsicht für Unternehmen, die reine Finanztransferge-
chäfte anbieten, geben darf. In Deutschland sind Zah-
ungsdienstleistungen grundsätzlich ein Bankgeschäft
nd die Unternehmen bedürfen dementsprechend einer
ankerlaubnis. Die Unterstellung unter die Bankaufsicht
owie die Ausstattung mit einem Mindesteigenkapital
uss auch für Zahlungsinstitute auf EU-Ebene gelten.
nsonsten tragen gerade in vorausbezahlten Systemen
ie Verbraucherinnen und Verbraucher das volle Ausfall-
isiko im Falle eines Konkurses.
Was jedoch der grundsätzlich falsche Ansatz in Ihrem
ntrag ist, ist die Beschränkung auf die Selbstregelung
urch die Bankenverbände. Hier zeigt sich, dass Ihr An-
rag vor allem den Interessen der Banken und nicht der
erbraucherinnen und Verbraucher dienen soll. Die Ver-
angenheit hat doch gezeigt, dass Empfehlungen nicht
usreichen, um die Kreditwirtschaft zu verbraucher-
reundlichem Verhalten zu bewegen. Wo bleibt denn die
msetzung der EU-Empfehlungen für eine Neufassung
er Haftungsregelungen bei Zahlungskarten durch die
reditwirtschaft? Fehlanzeige!
Wir brauchen klare rechtliche Vorgaben, die die Stel-
ung der Verbraucherinnen und Verbraucher stärkt. Not-
endig ist eine volle Transparenz bei den Gebühren und
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006 3425
(A) )
(B) )
eine Verkürzung der Dauer der Wertstellung. Wir brau-
chen eine Rückvergütungspflicht des Anbieters von Zah-
lungsdienstleistungen bei Streitigkeiten zwischen Kun-
den und Händlern. Wir brauchen eine Beweispflicht des
Zahlungsdienstleisters, dass eine von ihm durchgeführte
Zahlung korrekt durchgeführt wurde. Und wir brauchen
eine Beweislastumkehr zulasten der Anbieter im Falle
des Missbrauches bei Onlinegeschäften. Dies ist schon
deshalb geboten, da der Verbraucher keinen Einfluss auf
die vom Anbieter verwendeten Sicherheitsstandards hat.
Eine Richtlinie für den grenzüberschreitenden Zah-
lungsverkehr im Binnenmarkt ist notwendig, die Aus-
gestaltung muss sich ganz klar am Verbraucherschutz
orientieren.
Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Der grenzüberschreitende Zahlungsverkehr im europäi-
schen Binnenmarkt ist ein Schwerpunktvorhaben der
Integration der Privatkundenmärkte gemäß dem Weiß-
buch „Finanzdienstleistungspolitik 2005 – 2010“. Wir
unterstützen dieses Vorhaben, einen einheitlichen EU-
Zahlungsverkehr innerhalb Europas zu schaffen. Denn
es ist ein wichtiges Element für einen Binnenmarkt für Fi-
nanzdienstleistungen, an dem auch die Bürgerinnen und
Bürger teilhaben können.
Obgleich mit dem Euro eine gemeinsame Währung
zumindest für einen Teil der EU-Mitgliedstaaten besteht
und verstärkt grenzüberschreitende Zahlungsverkehre
getätigt werden, sind die Zahlungsverkehrsmärkte noch
stark national geprägt. Für Deutschland umfasst der
grenzüberschreitende Verkehr nur 16 Millionen Transak-
tionen, wobei hingegen der inländische Zahlungsverkehr
17 Milliarden Transaktionen umfasst. Insgesamt liegt
das Volumen des grenzüberschreitenden Verkehrs in Eu-
ropa bei 4 Prozent.
Durch einen einheitlichen Rechtsrahmen für den eu-
ropäischen Zahlungsverkehrsmarkt bieten sich Chancen,
derzeit national favorisierte Produkte, wie zum Beispiel
in Deutschland das Lastschriftverfahren, in unseren
Nachbarländern zu stärken. Hier ist bereits das europäi-
sche Lastschriftverfahren in Vorbereitung, bei dem wir
die Sicherheitsaspekte in den Vordergrund stellen müs-
sen.
Uns ist es ein besonderes Anliegen, den europäischen
Verbraucher mit ausreichend Informationen und Trans-
parenz zu versorgen, um Vergleichbarkeit der Produkte
für die Kunden zu gewährleisten, sichere und stabile
Transaktionen anbieten zu können und einen effizienten
Wettbewerb zu ermöglichen. Aus diesem Grund begrü-
ßen wir die aktive Informationspflicht ausdrücklich, die
die Kredit- und Zahlungsinstitute verpflichtet, die Kun-
den vor und nach der Ausführung zu informieren.
Der jetzt in die Diskussion gekommenen Zulassung
von Zahlungsinstituten außerhalb der aufsichtsrechtli-
chen Anforderungen wie den Banken stehen wir kritisch
gegenüber. Zahlungsinstitute gehen die gleichen Risiken
ein wie Banken und Sparkassen. Das Prinzip der Sicher-
heit und Stabilität des Finanzsektors darf nicht dadurch
ausgehöhlt werden, dass Zahlungsinstitute weniger Be-
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chtung durch die Finanzaufsichtsbehörden finden als
ndere Kreditinstitute.
Kritisch sehen wir auch die in der Richtlinie festge-
egte Ausführungsfrist von nur einem Arbeitstag. Beach-
et werden muss der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit,
b die Kosten den Nutzen einer eintägigen im Vergleich
u einer zweitägigen Ausführung rechtfertigen. Auch die
usweitung des EU-Zahlungsverkehrs auf Drittstaaten
nd die USA geht unserer Auffassung nach zu weit.
Vor diesem Hintergrund können wir dem Antrag der
oalitionsfraktionen zustimmen, der das Ziel eines ein-
eitlichen Rechtsrahmens für den Zahlungsverkehr teilt,
ber die von der Kommission vorgeschlagene Vorge-
ensweise kritisch bewertet.
nlage 24
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs: Für eine an-
spruchsvolle und umfassende EU-Nachhaltig-
keitsstrategie (Tagesordnungspunkt 20)
Thomas Bareiß (CDU/CSU): Zu Beginn meiner
usführungen möchte ich ausdrücklich betonen, wie
ichtig eine langfristige Nachhaltigkeitsstrategie nicht
ur auf nationaler, sondern gerade auch auf europäischer
bene ist. Deutschland, die Europäische Union sind
urch die Globalisierung einem immer stärkeren Wettbe-
erb ausgesetzt. Unser Land steht vor einer großen He-
ausforderung: dem demografischen Wandel. Es gibt im-
er mehr Ältere und gleichzeitig immer weniger Kinder.
ie Lasten der zwei Politikgenerationen, die oftmals in
ie Zukunft verschoben wurden, müssen zukünftig von
mmer weniger werdenden Schultern getragen werden.
Politik war in der Vergangenheit viel zu oft von kurz-
ristigem Denken geprägt und wurde von Vierjahres-
hythmen bestimmt. Damit muss Schluss sein! Da sind
ir uns über alle Fraktionen und alle Generationen hin-
eg einig. Jede Generation muss ihre Aufgaben lösen
nd darf sie nicht den nachkommenden Generationen
ufbürden. Politik heute – für Politiker von morgen! Das
uss alle Bereiche durchziehen.
Nachhaltige Entwicklung ist das übergeordnete, lang-
ristige Ziel der Europäischen Union: 2001 hat sie sich
um Leitbild der nachhaltigen Entwicklung bekannt, in-
em sie in Göteborg die EU-Nachhaltigkeitsstrategie
erabschiedet hat. Mit der Unterzeichnung erklärt sich
eder EU-Mitgliedstaat – auch Deutschland – bereit, ei-
en Rahmen für die wirtschaftliche, soziale und ökologi-
che Entwicklung der Union zu setzen. Ziel der EU-Stra-
egie für nachhaltige Entwicklung ist die Verbesserung
er Lebensqualität für alle: für heutige und für künftige
enerationen. Damit soll sichergestellt werden, dass
irtschaftswachstum, Umweltschutz und soziale Inte-
ration Hand in Hand gehen.
Auch die Bundesregierung unter Bundeskanzlerin
ngela Merkel hat im Koalitionsvertrag festgeschrieben,
ass die nationale Nachhaltigkeitsstrategie aufgegriffen
3426 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006
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und weiterentwickelt werden soll. Wir unterstützen die
Bemühungen einer Revision und Prüfung der bisherigen
Strategie. Dabei sind wir der Auffassung, dass sich der
Prozess einer Nachhaltigkeitsstrategie auch den laufen-
den Veränderungen anpassen muss. Beim Europäischen
Rat am 15./16. Juni soll die überarbeitete Fassung der
EU-Nachhaltigkeitsstrategie verabschiedet werden. Des-
halb ist es auch notwendig, dass darüber gesprochen
wird.
Eines der Schwerpunktthemen der Bundesregierung
ist die Umweltpolitik: Im gemeinsamen Koalitionsver-
trag haben CDU/CSU und SPD deutlich gemacht, dass
Umweltschutz ein wichtiges Anliegen ist. Wichtig ist da-
bei: Eine moderne Umweltpolitik und eine erfolgreiche
Wirtschaftspolitik sind längst kein Gegensatz mehr. Im
Gegenteil: Umweltschutz und Wirtschaftswachstum sind
zwei Seiten einer Medaille.
Die Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen und
neue klimafreundliche Energiereserven sind die existen-
ziellen Voraussetzungen für den Wohlstand und die Le-
bensqualität der Zukunft. Die Bundesregierung hat dem
Megathema „Nachhaltigkeit“ die Aufmerksamkeit ver-
schafft, die ihm zukommt. Ob Schadstoffreduzierung,
Klimaschutz oder Energiesicherheit – wir machen in die-
sem Bereich deutliche Fortschritte.
Der Klimawandel und der enorme CO2-Ausstoß be-
reitet jedem von uns Sorgen. Wir begrüßen deshalb den
Ausbau und die Förderung erneuerbarer Energien. Wir
unterstützen das Ziel, 12 Prozent der Gesamtenergie bis
2010 und bis 2015 sogar 15 Prozent durch erneuerbare
Energien zu decken. Das sind unverzichtbare Bestand-
teile der Nachhaltigkeitsstrategie. Auch die Potenziale
einer Zielmarke von 25 Prozent bis 2020 sollte einer
Analyse unterzogen werden, die wir konkret unter der
deutschen Ratspräsidentschaft angehen könnten. Es ist
Aufgabe von Deutschland, hier in Europa Schrittmacher
zu werden. Aber auch in diesem Punkt bitte ich darum:
Wir müssen erreichbare Ziele definieren und auch un-
sere Politik darauf einstellen.
Trotz allem: Gerade die Energiefrage muss nachhal-
tig, langfristig und vor allem zuverlässig bezahlbar sein.
Deshalb müssen wir ideologiefrei anerkennen, dass wir
auch zukünftig auf die Nutzung der Kernkraft nicht ver-
zichten können. Denn der enorme Energiebedarf muss
auch zukünftig gedeckt werden.
Ergänzend möchte ich nur erwähnen, dass wir nicht
nur Energie als eine wichtige Ressource im Blick haben,
sondern vor allem auch Wasser. Darin stimmen wir mit
den Vorschlägen der Grünen überein.
Neben der Frage, wie wir unseren Energiebedarf
nachhaltig in Europa sichern, ist die Frage einer leis-
tungsfähigen Verkehrsinfrastruktur von Bedeutung. Der
Verkehrs- und Logistiksektor leistet einen positiven und
wichtigen Beitrag zu Wirtschaftswachstum und Wohl-
stand. Ganz nebenbei: Seine Bedeutung als Standortfak-
tor, für die Schaffung von Arbeitsplätzen und für die In-
tegration der europäischen Volkswirtschaften ist enorm
und darf nicht vergessen werden. Die Verkehrswirtschaft
ist ein Innovationsmotor. Dieser Motor entfaltet einen
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ächtigen Schub: Immer stärker hängt der Fortschritt
nserer Gesellschaft von der Innovationskraft der Mobi-
ität ab. Das muss unserer Auffassung nach auch noch
erstärkt in der EU-Nachhaltigkeitsstrategie gewichtet
erden.
Ein übergreifendes und prioritäres Ziel ist die Entkop-
elung der Umweltfolgen des Verkehrs von der Wirt-
chaftsleistung. Die operationellen Ziele sind überwie-
end auf den Straßenverkehr ausgelegt, sie sollten aber
en Verkehrsbereich insgesamt abbilden. Transport und
ogistik bieten mit steigender Tendenz qualifizierte Ar-
eitsplätze. Heute sind 2,7 Millionen Erwerbstätige in
er Logistik beschäftigt. Prognostiziert wird eine Zu-
ahme um 20 Prozent. Deutschland ist heute Logistik-
tandort Nummer eins in Europa. Das ist ein Vorteil, der
ei der Ansiedlungsentscheidung von Unternehmen oft
en Ausschlag gibt.
In einem vereinten Europa wird Verkehr und Logistik
mmer wichtiger. Daher muss gerade vor dem Hinter-
rund der Lissabonstrategie in der EU-Nachhaltigkeits-
trategie auf den positiven Beitrag hingewiesen werden,
en der Verkehrs- und Logistiksektor zu Wirtschafts-
achstum und Wohlstand, für die Schaffung von Ar-
eitsplätzen und für die Integration der europäischen
olkswirtschaften leistet.
Geradezu elementar für die Zukunft der jungen Gene-
ation und die Innovationsfähigkeit unseres Landes ist
ie Bildung und Forschung. Sie ist die wichtigste Grund-
age für die Implementierung einer Nachhaltigkeitsstra-
egie. Sie tragen dazu bei, neue Lösungsansätze für die
auerhafte Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen
nd der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit sowie für
ndividuelle Lebenschancen zu entwickeln. Deshalb tre-
en wir dafür ein, die Rolle der Forschung und der Bil-
ung in der EU-Nachhaltigkeitsstrategie auszubauen und
u verstärken. Wenn Europa erfolgreich sein soll, dann
uss es bei Bildung, Forschung und Innovation vorne
ein. Das sind unsere Stärken.
Unsere Bundeskanzlerin hat in ihrer Regierungserklä-
ung im Mai dieses Jahres betont, dass Forschung da ge-
ördert werden muss, wo Leistungen erzielt werden, die
nnovativ sind und mit denen wir weltweit an der Spitze
tehen. In diesem Zusammenhang bin ich dafür, dass der
usbau der Biowissenschaften und der Biotechnologie
owie die medizinische und pharmazeutische Forschung
ls Chance definiert werden. Sie können zur Lösung
ahlreicher globaler Probleme im Zusammenhang mit
esundheit, Alter, Ernährung und Umwelt beitragen.
abei verweise ich auch auf die Chancen der Grünen
entechnik: Der Anbau genetisch veränderter Pflanzen
uss auch in Deutschland möglich sein. Die Biotechno-
ogie – oftmals verteufelt – kann auch neue Wege zum
chutz und zur Verbesserung der Umwelt öffnen. Des-
alb bin ich dafür, dass sich Deutschland an dieser zu-
unftsträchtigen Forschung beteiligt. Umso mehr ver-
undert es, dass der Antrag des Bündnisses 90/Die
rünen zur EU-Nachhaltigkeitsstrategie den Aspekt der
orschungspolitik völlig außer Acht lässt.
Mit der EU-Kommission stimmen wir überein, dass
ine stärkere europäische Wirtschaft entscheidend für das
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Gelingen einer nachhaltigen Entwicklung ist. Deshalb
unterstützen wird die Lissabonstrategie. Es ist wichtig,
Eigeninitiative und Selbstverantwortung der Wirtschaft
zu stärken und damit die Voraussetzungen für unterneh-
merische Innovation zu verbessern. Politik muss langfris-
tig verlässliche, innovationsfreundliche Rahmenbedin-
gungen dafür schaffen. Unsere Aufgabe ist es, aktiv an
der Lissabonstrategie mitzuarbeiten.
Der Mittelstand ist prädestiniert, nachhaltige wirt-
schaftliche Prozesse zu fördern, indem er mit den einge-
setzten Ressourcen effizient und schonend umgeht,
Wettbewerb sichert, und einen fairen Interessenausgleich
zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern herstellt.
Kleine und mittlere Unternehmen, KMU, sehen Nach-
haltigkeit durch soziale und ökologische Verantwortung
als Chance, sich langfristig wirtschaftlichen Erfolg zu si-
chern, neue Marktnischen zu besetzen und flexibel auf
sich wandelnde Rahmenbedingungen zu reagieren. Ge-
rade in der Frage der KMU hat Deutschland eine beson-
dere Verantwortung. KMU als Garant unseres wirt-
schaftlichen Erfolgs müssen zukünftig verstärkt auch in
der Nachhaltigkeitsstrategie und im Lissabonprozess
eine Rolle spielen.
Bürokratieabbau ist das Gebot der Stunde. Das hat
Bundeskanzlerin Merkel in ihrer Regierungserklärung
deutlich gemacht. Deshalb ist es wichtig, dass Einfach-
heit, Verständlichkeit und Effizienz des europäischen
Regelwerks zu einer europäischen Nachhaltigkeitsstrate-
gie gehören. Es ist ausdrücklich zu begrüßen, dass die
EU-Kommission das System der Gesetzesfolgenabschät-
zung in die europäische Nachhaltigkeitsstrategie hat ein-
fließen lassen. Das ist ein System, das jetzt auch auf na-
tionaler Ebene angegangen wird. Bürokratieabbau und
Deregulierung können als Impulse der EU-Nachhaltig-
keitsstrategie den Weg für eine Stärkung des europäi-
schen Wirtschaftsraumes frei machen. Auch einfache,
effiziente Strukturen sind Garant für eine nachhaltige,
den zukünftigen Herausforderungen standhaltende Euro-
papolitik.
Generationengerechtigkeit ist das Schlüsselwort für
eine nachhaltige Entwicklung. Gerade eine nachhaltige
europäische Stabilitäts- und Finanzpolitik ist für die In-
teressen der nächsten Generationen unabdingbar. Des-
halb hat sich diese Bundesregierung vorgenommen, die
Verfassung und den Stabilitätspakt in Europa wieder ein-
zuhalten. Das muss durchgesetzt werden. Die nächste
Generation hat einen Anspruch darauf, dass die Themen
„Finanzen“ und „Staatshaushalt“ in einer europäischen
Nachhaltigkeitsstrategie verankert werden.
Die Fragen, die sich in Zukunft stellen werden, blei-
ben: Es geht um eine bessere Abstimmung der Themen.
Deshalb ist zu überlegen, wie die EU-Nachhaltigkeits-
strategie mit der Lissabonstrategie abgestimmt und
Querverbindungen hergestellt werden können. Es muss
transparent sein, welche Maßnahmen unter welcher
Überschrift laufen um Doppelungen zu vermeiden. Da-
mit können wir mittel- und langfristige Ziele in Einklang
bringen, Widersprüche erkennen und beseitigen.
Die Nachhaltigkeitsstrategie stellt einen hohen An-
spruch: den heutigen Bedürfnissen so nachzukommen,
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ass auch künftige Generationen die Option haben, ihre
edürfnisse zu erfüllen. Dabei muss deutlich werden
das sage ich ganz entschieden im Hinblick auf den An-
rag des Bündnisses 90/Die Grünen –, dass Nachhaltig-
eitsziele sowohl ökologischer als auch sozialer, aber
uch ökonomischer Natur sein müssen. Es wäre extrem
urzsichtig und falsch, zu behaupten, die ökologischen
der die sozialen Nachhaltigkeitsziele ließen sich ohne
achhaltige ökonomische Entwicklung lösen.
Steffen Reiche (SPD): Die Bitte „und führe uns
icht in Versuchung“ bleibt bei diesem Antrag unerhört.
8 Punkte für die Verhandlungen beim Frühjahrsgipfel
er EU im Juni 2006 sind genannt. Wollte man Spott
ben, könnt man sagen, dass dies ein Festplatten-Antrag
ei, bei dem alles zusammengetragen worden ist, was auf
er Festplatte unter dem File „Nachhaltigkeit“ je abge-
peichert worden ist. Und dennoch: Die meisten der
enannten Zielsetzungen werden, ja müssen, Berück-
ichtigung finden, wenn die EU eine neue Nachhaltig-
eitsstrategie beschließen wird.
Auch wenn die Koalition diesen Antrag der Kollegen
on der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen heute nicht zu-
timmen kann, auch im Hinblick darauf, dass nicht alle
8 Aspekte bei den Verhandlungen einlösbar sein wer-
en, habe ich festgestellt, dass bei diesem All-inclusive-
ntrag ein relativ breiter Konsens in den Positionen zwi-
chen SPD und Grünen, sowie der CDU besteht. Für die
ertreter der Bundesregierung ist dieser Antrag sozusa-
en als Merkzettel im Gepäck bestimmt äußerst hilf-
eich.
Indem aber so ein breites Spektrum an konsensfähi-
en Punkten in einem einzigen Antrag verarbeitet wird,
eht man als Fraktion aber auch das Risiko ein, dass er
n seiner Umfassendheit nicht realisierbar ist und wegen
issenses in einzelnen Punkten abgelehnt werden muss.
Auch für meine Fraktion ist wichtig, dass die Bundes-
egierung nicht im Bremserhäuschen bei Europäischen
at im Juni steht, sondern die Bundeskanzlerin ihre Er-
ahrungen als Umweltministerin einbringt in die Stär-
ung der dritten Säule der Lissabonstrategie. Deutsch-
and hat mit seinen Anstrengungen der letzten Jahre bei
er Implementierung von hohen Umweltstandards eine
ichtige Rolle bei der Entwicklung dieser Standards für
ie gesamte EU gespielt.
Die große Koalition kann auf das aufbauen, was von
ot-Grün in den letzten Jahren in Deutschland und
uropa gemacht wurde. Aber wir müssen die anderen
taaten in der Union mitnehmen, denn ohne Verfassung
ehen Prozesse der Harmonisierung von Umweltstan-
ards und deren Weiterentwicklung langsamer als uns
ieb ist.
Gerade mit dem 25-Milliarden-Investitionspro-
ramm haben die Bundesregierung und die große Koali-
ion gezeigt, dass eine der tragenden Säulen bei den In-
estitionen in die Zukunft der Gesellschaft die
mweltpolitik ist.
Die energetische Gebäudesanierung wird neue Stan-
ards in Deutschland und für Europa setzen. Immer
3428 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006
(A) )
(B) )
stärker kommt bei den Bürgern und Deutschland und
Europa an, dass nur eine nachhaltige Entwicklung dauer-
haft unsere Lebensgrundlage sichert.
Insofern wird der Antrag zwar abgelehnt, aber nicht
abgelegt.
Michael Kauch (FDP): Der Parlamentarische Beirat
für nachhaltige Entwicklung hat in der letzten Legisla-
turperiode eine fraktionsübergreifende Stellungnahme
zur Überprüfung der EU-Nachhaltigkeitsstrategie verab-
schiedet. Die Kritik, die damals zu einigen Punkten ge-
äußert wurde, hat auch angesichts der aktuellen Vorlage
der Kommission an den Rat weiterhin Gültigkeit.
Generationengerechtigkeit als Teil einer Politik der
nachhaltigen Entwicklung, dieser Aspekt kommt in der
EU-Nachhaltigkeitsstrategie zu kurz. Dabei ist die Frage
der Generationengerechtigkeit von großer Bedeutung für
eine nachhaltige europäische Stabilitäts- und Finanzpoli-
tik. Es ist daher leider nur konsequent, dass das Modell
der Generationenbilanzen, in der Leistungen sowie Be-
lastungen für die nachrückenden Generationen ausge-
wiesen werden, in der Mitteilung der Kommission nicht
einmal angedacht wird.
Ein weiterer Kritikpunkt: Eine klare Absicht, die In-
vestitionen in Bildung und Forschung zu verstärken,
fehlt. Dabei wäre eine Schwerpunktsetzung in diesen
Bereichen die Chance, europaweit den Grundstein für
die Schaffung zukunftsträchtiger Arbeitsplätze für kom-
mende Generationen zu legen. Die notwendige Gewich-
tung der Forschungsaktivitäten findet nicht statt. Die
Chancen bleiben damit ungenutzt.
Es fehlen Maßnahmen zur Integration von Cardiff-
prozess, EU-Nachhaltigkeitsstrategie und Lissabonstra-
tegie. Diese Prozesse sollten nicht nebeneinander stehen,
sondern widerspruchsfrei zu einer Zukunftsstrategie für
einen nachhaltigen Wirtschafts- und Lebensraum zusam-
mengeführt werden. Bereits in der letzten Wahlperiode
wurde dieser Umstand in einem gemeinsamen Entschlie-
ßungsantrag von allen Fraktionen im Bundestag kriti-
siert.
Positiv in der Überarbeitung der EU-Nachhaltigkeits-
strategie sind die Betonung der Gleichwertigkeit von
Ökologie, Ökonomie und Sozialem sowie die Absicht
der Kommission, die Gesetzesfolgenabschätzung mit
Hinblick auf Langfristwirkungen in der EU und den Mit-
gliedstaaten zu verbessern. Zu unterstützen ist zudem
ausdrücklich das ursprüngliche Ziel der Kommission,
die EU-Nachhaltigkeitsstrategie künftig auf Basis von
Indikatoren zu überprüfen. Diese Erfolgskontrolle hat
sich bei der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie bewährt
und sollte Vorbild für die EU sein. Damit wäre auf euro-
päischer Ebene die objektive Beurteilung von Forschrit-
ten und Defiziten erleichtert. Leider findet sich diese
Absicht im aktuellem Aktionsprogramm der Kommis-
sion nicht mehr wieder.
Wir Liberalen unterstützen die Absicht der EU, im
Umweltschutz stärker auf marktwirtschaftliche Instru-
mente zu setzen. Die FDP fühlt sich in ihrem Kurs
„mehr Umweltschutz mit mehr Markt“ bestätigt. Dieser
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olitikansatz unterscheidet uns in Teilen erheblich von
em, was Bündnis 90/Die Grünen – wieder einmal – in
hrem Antrag fordern. Wir unterstützen allerdings grund-
ätzlich das Anliegen des Antrages, der Bundesregie-
ung vom Parlament aus einen Auftrag zur Nachbesse-
ung der EU-Nachhaltigkeitsstrategie zu erteilen. Voll
onsensfähig sind die Forderungen nach einem ziel- und
ndikatorenbasierten System. Wir stimmen zudem so-
ohl in der grundsätzlichen Zielsetzung zum Klima-
chutz als auch in der Forderung nach einem Biomasse-
ktionsplan überein.
Uns trennt aber vieles, wenn es um die Punkte Atom-
olitik und Ökosteuer geht. Was Hartz IV für die Linke
st, das ist der Atomausstieg für Bündnis 90/Die Grünen,
in Symbol grüner Umweltpolitik, das immer wieder vor
ich her getragen wird. Wirklich nachhaltig wäre es,
enn sich die Grünen zur Frage der atomaren Entsor-
ung positionieren würden. Das ist eine entscheidende
ukunftsaufgabe, bei der wir alle eine gemeinsame Ver-
ntwortung für kommende Generationen tragen.
Nicht zu machen ist mit der FDP außerdem die Forde-
ung nach einer generellen Ausweitung der Ökosteuer
uf Primärrohstoffe und einer ordnungsrechtlichen Re-
elung des Flottenverbrauchs von Fahrzeugen.
Der Ruf nach weiteren Aktivitäten auf europäischer
bene im Bereich Tabakkonsum und Ernährung zeigt,
ass das grüne Verständnis von Subsidiarität ein anderes
st als das der Liberalen. Es gibt keine Notwendigkeit,
ier Maßnahmen der EU zu fordern. Wenn es in diesem
ereich staatliche Aufgaben gibt, dann sind sie Aufgabe
er Mitgliedstaaten.
Leider behandeln wir diesen Antrag wenige Wochen
or der entscheidenden Tagung des Rates am 16./17. Juni
006. Bei mehr Zeit wäre es aus unserer Sicht sinnvoll
ewesen, einen fraktionsübergreifenden Antrag zu ent-
ickeln. Nun bleibt der Appell an die Bundesregierung,
ie Punkte, die unter den Fraktionen konsensfähig sind,
assiv bei der abschließenden Beratung der EU-Nach-
altigkeitsstrategie im Rat zu vertreten.
Wir sollten zudem die Arbeit im parlamentarischen
eirat dafür nutzen, uns noch einmal vertieft mit der
berprüfung der EU-Nachhaltigkeitsstrategie zu be-
chäftigen, mit dem Ziel einer gemeinsamen fraktions-
bergreifenden Stellungnahme. Denn auch die Überprü-
ung der europäischen Strategie bleibt eine
iederkehrende Aufgabe.
Lutz Heilmann (DIE LINKE): Ich stimme den Grü-
en zu, dass es eine umfassende und anspruchsvolle EU-
achhaltigkeitsstrategie geben sollte. Ihr Antrag leistet
azu aber keinen ausreichenden Beitrag. Außerdem: Wer
m Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen! Denn
ei aller berechtigten Kritik an dem Aktionsprogramm
er EU unterschlagen Sie völlig, dass es um die Nach-
altigkeitsstrategie in Deutschland noch schlechter be-
tellt ist. Die Vorreiterrolle, die Sie Deutschland in Ihrem
ntrag indirekt zuschreiben, ist leider nicht gegeben.
hre Forderungen sind außerdem nicht ausreichend und,
as schwerer wiegt, auch nicht ausgewogen. Richtig ist,
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006 3429
(A) )
(B) )
dass die EU hinter ihren ursprünglichen Zielen zurück-
bleibt. Richtig ist auch, dass im Aktionsplan viele Maß-
nahmen aufgelistet sind, die nicht aus den Anforderun-
gen an eine nachhaltige Entwicklung abgeleitet wurden.
Beides trifft genauso für die Nachhaltigkeitsstrategie
der Bundesregierung zu. Ein Beispiel: In der Nachhaltig-
keitsstrategie wurde das Ziel festgelegt, den Güterver-
kehr auf der Schiene von 1997 bis 2015 zu verdoppeln.
Dieses Ziel wurde in keinster Weise unter dem Gesichts-
punkt der Nachhaltigkeit entwickelt, sondern aus den
Verkehrsprognosen zum Bundesverkehrswegeplan über-
nommen. Und nachdem die Bundesregierung in ihrem
Fortschrittsbericht von 2004 noch ein Bekenntnis dazu
abgelegt hat, heißt es im „Wegweiser Nachhaltigkeit
2005“ nur noch, dass „die Schiene am steigenden Güter-
verkehr einen wachsenden Anteil übernehmen muss“.
Das Ziel der Verdopplung des Schienengüterverkehrs bis
2015 hat die Bundesregierung also aufgegeben – all dies
übrigens unter grüner Regierungsbeteiligung.
Aber die alte Bundesregierung hatte sich anscheinend
vom Ziel einer nachhaltigen Entwicklung verabschiedet.
So heißt der erste Punkt der Bilanz im Wegweiser Nach-
haltigkeit 2005 „nachhaltiges Wachstum“. Dieses kann
man aber nicht mit nachhaltiger Entwicklung gleichset-
zen. Durch die einseitige Ausrichtung an Wachstum wer-
den zwangsläufig die beiden anderen Säulen Umwelt
und Soziales vernachlässigt.
Die diskutierte Nachhaltigkeitsstrategie der EU ist der
der Bundesregierung deshalb voraus. Sie hält erstens an
nachhaltiger Entwicklung fest. Zweitens hat die Kom-
mission eindeutig bekannt, dass sie die angestrebten
Ziele bislang verfehlt hat.
Eine solch schonungslose Bilanz wünsche ich mir
auch in Deutschland. Denn die Entwicklungen bei uns
sind ebenfalls nicht nachhaltig: Die soziale Ungleichheit
nimmt zu und die Umwelt kommt buchstäblich unter die
Räder. Es ist doch so, dass alle Anstöße im Umwelt-
schutz in den letzten Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, aus
der EU kamen. Wie wäre es denn um den Umweltschutz
bei uns bestellt, wenn es keine Vogelschutz- und FFH-
Richtlinie gäbe, wenn es keine Wasserrahmenrichtlinie,
keine EU-Abgasnormen und keine Luftreinhalterichtli-
nien gäbe? Schlecht, ganz ganz schlecht sähe es dann
aus. Gerade anlässlich der Föderalismusreform mit der
weitgehenden Übertragung von Kompetenzen auf die
Länder sind die EU-Richtlinien doch der einzige Hoff-
nungsschimmer, dass der Abbau von Umweltstandards
keine katastrophalen Ausmaße annehmen kann.
Im Wegweiser Nachhaltigkeit wird zudem ein Be-
kenntnis zur Agenda 2010 abgelegt. Ich möchte nicht die
gesamte Kritik an dieser Agenda für Sozialabbau wie-
derholen. Ein Mehr an sozialer Ungerechtigkeit aber
– und das ist die Bilanz nach sieben Jahren Rot-Grün –
ist eindeutig nicht nachhaltig. Nachhaltige Entwicklung
zeichnet sich dadurch aus, dass eine Abwägung zwi-
schen den drei Säulen Wirtschaft, Soziales und Ökologie
stattfindet. Wenn nun einseitig eine Säule belastet wird,
nämlich die Säule Soziales, ist das nicht nachhaltig.
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Zurück zum Antrag der Grünen. Neben vielem, dem
ir in dem Antrag zustimmen können, gibt es auch
unkte, die wir so nicht teilen. Problemtisch wird es
ort, wo Sie wichtige Aspekte ausblenden und sogar hin-
er dem Aktionsprogramm der EU zurückbleiben. So se-
en Sie den Schwerpunktbereich „Soziale Ausgrenzung“
us wirtschaftlicher Perspektive – und vor allem einseiti-
er als die Kommission. Während Sie nur den Zugang
um Arbeitsmarkt und Bildungswesen verbessern wol-
en, sieht die EU Handlungsbedarf auch beim Zugang zu
ohnung, Mobilität und Kommunikation. Zudem gehen
ie mit keinem Wort darauf ein, dass die Kommission
in Europäisches Jahr des Kampfes gegen Armut und so-
iale Ausgrenzung anregen will – dieses Thema liegt Ih-
en wohl nicht besonders am Herzen.
Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
EN):
Dauerhafte Entwicklung ist Entwicklung, die die
Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu ris-
kieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Be-
dürfnisse nicht befriedigen können.
Dieser Satz der Weltkommission für Umwelt und Ent-
icklung von 1987 ist heute richtiger denn je. Gerade in
en letzten Tagen haben wir in den Zeitungen wieder
ber die Auswirkungen von nicht nachhaltigem Handeln
elesen: Der aktuelle „Klima-Risiko-Index“ von Ger-
anwatch und der Deutschen Welthungerhilfe zeigte,
elche Länder am stärksten vom Klimawandel betroffen
ind. Dies sind nicht die reichen und entwickelten Län-
er wie beispielweise die USA, die weltweit am meisten
reibhausgase verursachen, sondern es sind die ärmsten
änder der Welt: Somalia, die Dominikanische Republik
nd Bangladesch.
Der Klimawandel betrifft uns aber auch ganz direkt,
ies haben uns Hurrikan „Katrina“ und das Hochwasser
n Bayern im letzten Sommer abermals vor Augen ge-
ührt. Solche Naturkatastrophen bedrohen nicht nur das
eben vieler Menschen, sondern sie verursachen auch
chäden in Milliardenhöhe. Naturkatastrophen werden
mmer häufiger und gewaltiger. Deshalb ist Klimaschutz
orsorge, vermeidet noch größere und teurere Schäden
nd schafft wirtschaftliches Wachstum. Klimaschutz ist
uch unsere Pflicht, wenn wir sicherstellen wollen, dass
etzige und künftige Generationen ihre eigenen Bedürf-
isse noch befriedigen können.
Klimawandel ist eine Folge nicht nachhaltiger Ent-
icklung. Dass wir dies dringend ändern müssen, zeigt
ie EU-Kommission in ihrer aktuellen Mitteilung zur
U-Nachhaltigkeitsstrategie, die auf dem EU-Gipfel in
wei Wochen überarbeitet werden soll.
Bündnis 90/Die Grünen begrüßen diese Mitteilung der
ommission als einen wichtigen Schritt zur Fortentwick-
ng der EU-Nachhaltigkeitsstrategie. Die anstehende
evision ist dringend notwendig; denn die derzeitige EU-
achhaltigkeitsstrategie ist wirkungslos geblieben und
ar als Fragment aus verschiedenen Dokumenten kaum
ommunizierbar. Widersprüchlich und unüberschaubar
st auch die blockierende Diskussion über das Verhältnis
3430 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006
(A) )
(B) )
zwischen der Lissabonstrategie und der EU-Nachhaltig-
keitsstrategie. Auch ist das Zurückbleiben der EU-Hand-
lungsebene in den letzten Jahren immer problematischer
geworden. So wurden zum Beispiel in der deutschen
Nachhaltigkeitsstrategie kritische Trends in der Energie-
und Mobilitätspolitik angesprochen, aber um zu handeln,
waren neben nationalen auch Maßnahmen auf EU-Ebene
erforderlich.
Die Analyse der Kommission ist in vielen Punkten
richtig: Noch immer dominieren nicht nachhaltige
Trends, ob bei der Verkehrsentwicklung oder beim Um-
gang mit Ressourcen. Aber warum folgen dieser sehr
kritischen Analyse keine angemessenen Handlungsvor-
schläge? Stattdessen werden faktisch keinerlei Weiter-
entwicklungen hinsichtlich der Zielvorgaben, der Indika-
toren oder des Monitorings erreicht. Es fehlen Ziele und
konkrete Maßnahmen im Aktionsplan. Damit fällt die
Kommission sogar hinter den Stand von 2001 zurück.
Gleichzeitig verstärkt die Kommission die nicht nach-
haltige Entwicklung noch, indem sie ihre Politik mit der
erneuerten Lissabonstrategie primär auf die Pfeiler Wett-
bewerbsfähigkeit und Wachstum konzentriert und die
Nachhaltigkeit dabei aushebelt.
Dies passt auch wenig zusammen mit den enormen
Anforderungen, die die EU-Kommission an eine revi-
dierte EU-Nachhaltigkeitsstrategie stellt. Danach soll sie
Antworten auf die wachsenden Umweltbeeinträchtigun-
gen, auf unbefriedigte soziale und wirtschaftliche Be-
dürfnisse und auf die Herausforderungen der Globalisie-
rung liefern. Die nicht nachhaltigen Trends in den von
der Kommission herausgearbeiteten sechs Schwerpunkt-
bereichen sollen nicht weniger als umgekehrt werden.
Damit wir dies aber auch können, fordert Bündnis 90/
Die Grünen dringend präzise Ziele und Umsetzungs-
schritte für eine überarbeitete EU-Nachhaltigkeitsstrate-
gie. Wir erwarten, dass die Bundesregierung den Verein-
barungen des Koalitionsvertrags folgt und ambitionierte
Nachhaltigkeitsziele bei der Revision der Strategie auf
EU-Ebene fordert. Die Bundesregierung muss eine Vor-
reiterrolle bei den Verhandlungen und beim EU-Gipfel
in zwei Wochen übernehmen. Denn es ist die Aufgabe
der entwickelten Länder, die Idee einer nachhaltigen EU
zu stärken und auch die anderen Mitgliedstaaten zu er-
mutigen, ambitionierte Nachhaltigkeitsziele zu verfol-
gen.
Die Bundesregierung muss sich für eine anspruchs-
volle und umfassende Strategie mit konkreten Zielvorga-
ben, Indikatoren, und einem wirksamen Monitoring ein-
setzen. Die Ziele und Maßnahmen müssen besser
aufeinander abgestimmt werden und hierbei müssen
klare Prioritäten und Zeitpläne gesetzt werden. Die be-
reits 2001 definierten Ziele müssen dabei erhalten blei-
ben. Es muss sichergestellt werden, dass die Leitaktio-
nen nicht nur Zusammenfassungen der bisher laufenden
Vorhaben, sondern neue Handlungsvorschläge enthalten.
Die wirtschafts- und arbeitspolitischen Zielsetzungen
der Lissabonstrategie müssen entsprechend der Erklä-
rung über die Leitprinzipien einer nachhaltigen Entwick-
lung auf den übergeordneten Kontext der EU-Nachhal-
tigkeitsstrategie bezogen werden. Der Cardiffprozess zur
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ntegration von Umweltbelangen in alle Politikbereiche
uss in enger Verknüpfung mit der revidierten EU-
achhaltigkeitsstrategie fortgesetzt werden.
Im Schwerpunktbereich Klimawandel und saubere
nergien müssen klare Vorgaben und Eckpunkte einer
achhaltigen Energie- und Klimaschutzpolitik formu-
iert werden. Die im Schwerpunktbereich Management
er natürlichen Ressourcen dargestellte Belastung der
atürlichen Umwelt und die damit einhergehende Ge-
ährdung müssen durch ressourceneffizientes Wirtschaf-
en auf der Basis ökoeffizienter Technologien und nach-
altiger Produkte und Prozesse verringert werden. Die
iele und Maßnahmen hierfür müssen konkretisiert
erden. Es muss analog zum Energiebereich auch nach
ntworten zur Endlichkeit von Rohstoffen wie zum
eispiel von Metallen oder Phosphor gesucht und zu ei-
em elementaren Bestandteil der Strategie gemacht
erden. Der Schwerpunktbereich Verkehr muss an den
ielen einer Entkoppelung des Verkehrswachstums vom
irtschaftswachstum und einer Senkung der Umwelt-
nd Gesundheitsfolgen und damit an einer nachhalti-
en Mobilität für Europa ausgerichtet werden. Der
chwerpunktbereich Gesundheit muss auf einen prä-
entiven und ganzheitlichen Ansatz konzentriert wer-
en. Die EU muss zum Katalysator einer nachhaltigen
esundheitspolitik werden, die in Gesundheit inves-
iert, statt nur Krankheiten zu bekämpfen. Im Schwer-
unktbereich soziale Ausgrenzung, Demografie und
igration muss der Grundsatz gelten, dass alle EU-
ürgerinnen und Bürger die Chance zur Teilhabe an
ildung und Erwerbsarbeit bekommen. Je rascher und
utiger wir uns den Problemen in diesem Bereich stel-
en, umso besser sind unsere Chancen, im Wettbewerb
u bestehen und das europäische Sozialmodell auf eine
ukunftsfähige ökonomische Basis zu stellen. Es muss
ichergestellt werden, dass mit einer konsequenten EU-
ntwicklungs-, Umwelt- und Handelspolitik den im
etzten Schwerpunktbereich genannten globalen He-
ausforderungen in Bezug auf Armut und Entwicklung
egegnet wird. Die Globalisierung muss nachhaltig ge-
taltet werden, damit alle von ihr auch noch morgen
rofitieren können.
nlage 25
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Entwürfe:
– Gesetz zu dem Übereinkommen vom 14. No-
vember 1970 über Maßnahmen zum Verbot
und zur Verhütung der rechtswidrigen Ein-
fuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kultur-
gut
– Gesetz zur Ausführung des UNESCO-Über-
einkommens vom 14. November 1970 über
Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung
der rechtswidrigen Einfuhr, Ausfuhr und
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006 3431
(A) )
(B) )
Übereignung von Kulturgut (Ausführungs-
gesetz zum Kulturgutübereinkommen –
KGÜAG)
(Tagesordnungspunkt 21 a und b)
Monika Grütters (CDU/CSU): „Was lange währt,
wird endlich gut“, heißt ein schönes deutsches Sprich-
wort, und so sind wir froh, dass wir heute zumindest so
weit sind, nach beinahe 36 Jahren endlich an die erste
Lesung eines Gesetzes zu gehen, das Deutschland in die
Gemeinschaft derjenigen Staaten aufnimmt, die sich
weltweit darüber verständigt haben, Kulturgüter vor der
unerlaubten Ausfuhr aus dem Stammland, vor der uner-
laubten Einfuhr in andere Länder und vor dem Handel
mit derartiger Hehlerware schützen zu wollen.
Dass der Staatsminister für Kultur und Medien die
Umsetzung dieser UNESCO-Konvention in deutsches
Recht auf die Agenda seiner ersten 100 Tage im Amt ge-
setzt hat, unterstreicht die Bedeutung, die die Kulturpoli-
tik unter seiner Leitung hat. Auch für eine Kulturnation
wie Deutschland ist es eben von herausragender Bedeu-
tung, sich einer solchen internationalen Vereinbarung
zum Kulturgüterschutz anzuschließen – alles andere ist
unwürdig. So wurde es allerhöchste Zeit, dass Deutsch-
land sich der UNESCO-Konvention anschließt, nach-
dem inzwischen 109 Staaten das Abkommen unterzeich-
net haben, darunter sogar Zentren des Kunsthandels wie
die USA und Großbritannien.
Dass es in Deutschland 36 Jahre gedauert hat, liegt
unter anderem an der komplizierten Rechtsprechung
hierzulande. Und so verwundert es nicht, dass wir uns
nach wie vor einer Vielzahl von Interessen geradezu ge-
genläufiger Art ausgesetzt sehen: Die Archäologen for-
dern detaillierte Aufzeichnungspflichten mit einer Auf-
bewahrungspflicht von 30 Jahren, während die Vertreter
des Kunsthandels eine zusätzliche Aufzeichnungs- und
Dokumentationspflicht, die über das heute hier übliche
Maß hinaus geht, gänzlich ablehnen.
Numismatiker sehen für ihren Berufsstand große Pro-
bleme und wollen zum Beispiel massenhaft produzierte
Kulturgüter wie Briefmarken, Bücher, Grafiken, Medail-
len oder Münzen ganz aus dem Geltungsbereich des Ge-
setzes ausschließen.
Trotz einer seit Jahrzehnten immer wieder diskutier-
ten Problemlage haben wir also nach wie vor Verhand-
lungsbedarf, dem der Kulturausschuss mit einer Anhö-
rung Rechnung tragen wird.
Dabei wird es darum gehen, wie die Definition „ge-
schütztes Kulturgut“ genau aussehen soll, wie sich da-
raus ergebende Listen geschützter Kulturgüter – und
zwar eigene, die wir vor der Ausfuhr aus Deutschland
schützen wollen, wie diejenigen aus anderen Staaten –
hier zusammensetzen und vor allem wie wir in Deutsch-
land die Aufzeichnungsregelungen gestalten wollen. Wir
werden den Staatsminister für Kultur in seinem Bemü-
hen nach allen Kräften unterstützen, auch für Deutsch-
land endlich eine gültige Regelung für den Kulturgüter-
schutz zu schaffen, denn seriöse Kunsthändler und
seriöse Sammler brauchen Rechtssicherheit.
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So einige Polemik der letzten Zeit kann hoffentlich
ntkräftet werden: Deutschland ist sicher kein „Hehler-
taat“ wie es die „Süddeutsche Zeitung“ im Dezember
005 schrieb, und ebenso sehr erübrigt sich die Frage da-
ach, ob die Unterzeichnung ein Schritt nach vorn sei,
ie es die „FAZ“ im Februar veröffentlichen zu müssen
einte.
Ganz sicher ist die jetzige Befassung ein großer
chritt nach vorn, und ich bin zuversichtlich, dass
eutschland sich sehr bald einreihen wird in die interna-
ionale Gemeinschaft der Kulturnationen, die sich auf ei-
en einheitlichen Standard im Kulturgüterschutz ver-
tändigt haben. Ich hoffe sehr, dass wir hier bald nicht
ehr fragen müssen, „wem gehört die Kunst, wenn sie
estohlen und von ihrem nächsten Besitzer in bester Ab-
icht erworben ist?“ Genau darauf wollen wir wie alle
nderen 109 Staaten bald auch eine in Deutschland gül-
ige Antwort finden, auf dass wir dann sagen können:
Ende gut, alles gut“.
Steffen Reiche (Cottbus) (SPD): Die Umsetzung
es UNESCO-Übereinkommens über Maßnahmen zum
erbot und zur Verhütung der unzulässigen Einfuhr,
usfuhr und Übereignung von Kulturgut vom 14. No-
ember 1970 bedarf eines Vertragsgesetzes zur Ratifizie-
ung durch die Bundesrepublik Deutschland. Nach über
0 Jahren setzt Deutschland nun endlich die Verpflich-
ung zur Rückgabe von gestohlenen oder illegal expor-
ierten Kulturgütern gegenüber den Vertragsstaaten des
NESCO-Übereinkommens, die Verpflichtung, Im- und
xporte von Kulturgütern einer Genehmigungsbedürf-
igkeit zu unterstellen und eine Aufzeichnungspflicht des
ntiquitätenhandels in nationales Recht um. Es ist kein
uhmesblatt für die Koalitionen der drei vergangenen
ahrzehnte, dass es so lange gedauert hat. Aber Kultur-
taatsminister Neumann konnte auf die Vorarbeiten der
etzten Regierung zurückgreifen und deshalb seine
00-Tage-Frist einhalten.
Mit der Verankerung dieses UNESCO-Übereinkom-
ens wird eine weitere Verabredung des Koalitionsver-
rages erfüllt. Die Koalition ist sich darin einig, dass das
NESCO-Übereinkommen, welches mittlerweile in vie-
en Vertragsstaaten den unumstrittenen Standard des in-
ernationalen Kulturgüterschutzes darstellt, das wirk-
amste Mittel zum Kulturgüterschutz, und zwar national
ie international, darstellt. Somit begegnen wir wirksam
er Gefahr, dass Deutschland eine Drehscheibe für einen
nternationalen illegalen Kulturgüterhandel wird.
Ich kritisiere, dass die Überführung in nationales
echt 30 Jahre gedauert hat. Dies betrifft Regierungen
nterschiedlichster Zusammensetzungen. Jetzt aber, wo
ir uns in allen grundsätzlichen Fragen einig sind, haben
ir es in der Hand, dass es zu einer zügigen und schnel-
en Umsetzung kommt. Gerade wegen der soeben be-
chriebenen Gefahr muss es auch schnell gehen.
Dennoch dürfen wir hierbei nichts übers Knie bre-
hen. Es gab ernst zu nehmende Kritik, vereinzelt auch
ehr emotional geführt, die im Wesentlichen in zwei
ichtungen läuft: Einerseits wird beklagt, dass die Kul-
urgutschutzkonvention für den zukünftigen Kunst- und
3432 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006
(A) )
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Antiquitätenhandel zu restriktiv sei, beispielsweise, was
eine Buchführungspflicht über die gehandelten Güter be-
treffe. Andererseits wird Kritik daran geübt, dass Kultur-
gut, welches vor In-Kraft-Treten des Vertragsgesetzes
das Herkunftsland verlassen hat, vom Schutz des Geset-
zes ausgenommen werde und der Gesetzentwurf ins-
gesamt den illegalen Kunsthandel eher fördere als
eindämme. Einige wiederum behaupten, dass die Rege-
lungen des deutschen Gesetzes weiter gehen als die
Regelungen der fünf anderen nationalen Ratifizierungs-
gesetze. Deshalb muss es eine Anhörung im Kulturaus-
schuss geben, in der wir nach der Sommerpause prüfen,
wo dieser Gesetzentwurf geändert werden muss.
Einen Aspekt möchte ich besonders betonen: Die
Umsetzung in nationales Recht bedeutet hier gerade
nicht, dass der Kulturgutschutz eine nationale Veranstal-
tung bleibt. Er ist von internationalem Interesse und in-
ternationaler Bedeutung. Denn ein gut wirksamer Kul-
turgutschutz schützt schließlich Kulturgüter aus
Ursprungsländern, die heute noch nicht in der Lage sind,
einem illegalen Kunsthandel wirksam entgegenzutreten.
Ich erhoffe mir hier eine partnerschaftliche Hilfe und
Zusammenarbeit.
Mit der Kritik werden wir uns dezidiert in den Aus-
schüssen auseinander setzen. Ergebnis der Ausschuss-
diskussionen muss der Entwurf eines Vertragsgesetzes
sein, der unbürokratisch praktikabel ist. Denn nur dann
erreichen wir einen wirksamen Schutz. Niemandem,
auch in der Opposition nicht, ist daran gelegen, einen
Kunst- und Antiquitätenhandel in Bausch und Bogen zu
verbieten. Aber genauso wenig sind wir bereit, einem
möglicherweise expandierenden Handel unseriöser Ein-
zelner, die regelmäßig auf gut organisierte Netzwerke
zurückgreifen, mit aus einem öffentlichen Interesse he-
raus schützenswertem Kulturgut tatenlos zuzusehen.
Deshalb wird der Ausschuss für Kultur und Medien aus
Gesprächen mit Experten heraus den jetzt zu überwei-
senden Gesetzentwurf mit Augenmaß weiterentwickeln.
Wir erhoffen uns dann in kurzer Zeit einen Gesetzent-
wurf, der sowohl hier im Parlament als auch gesell-
schaftlich auf breite Zustimmung stoßen wird.
Christoph Waitz (FDP): In dem Übereinkommen
über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der
rechtwidrigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von
Kulturgut steht die Feststellung,
dass der Austausch von Kulturgut unter den Natio-
nen zu wissenschaftlichen, kulturellen und erziehe-
rischen Zwecken das Wissen über die menschliche
Zivilisation vertieft, das kulturelle Leben aller Völ-
ker bereichert und die gegenseitige Achtung und
Wertschätzung unter den Nationen fördert.
Die Richtigkeit dieser Feststellung kann ich nur un-
terstreichen. Trotzdem stand die FDP der Ratifizierung
der UNESCO-Konvention in den vergangenen 36 Jahren
ablehnend gegenüber, weil die bestehende Rechtslage
nach unserer Auffassung einen ausreichenden Schutz
des Kulturgutes gegen rechtswidrige Ein- oder Ausfuhr
und Übereignung gewährleistet. Nach wie vor ist diese
UNESCO-Konvention auch von Staaten wie den Nieder-
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anden, Belgien, Luxemburg und Österreich nicht ratifi-
iert. Aber nachdem zuletzt Staaten wie Großbritannien,
ie Vereinigten Staaten von Amerika und die Schweiz
ie Konvention ratifiziert und umgesetzt haben, scheint
er internationale Druck auf die Bundesregierung, eben-
alls dem UNESCO-Übereinkommen beizutreten, be-
rächtlich gewachsen zu sein.
Ich sehe die Ratifizierung der UNESCO-Konvention
nd noch mehr das vorgelegte Ausführungsgesetz mit
roßer Skepsis. Auf folgende Problemfelder lenke ich
hre Aufmerksamkeit:
Mit dem jetzt vorgelegten Ratifikationstext bindet
ich Deutschland multilateral im Verhältnis zu den aktu-
ll 109 Unterzeichnerstaaten. Dies führt dazu, dass Aus-
uhrverbote bestimmter Staaten von deutschen Behörden
ls Einfuhrverbote übernommen werden müssten. Im
inzelfall folgt daraus, dass durch Rückkauf wiederbe-
chaffte Kunstobjekte von Museen und privaten Kunst-
esitzern zurückgegeben werden müßten, sofern ohne
enehmigung staatlicher Behörden nach Deutschland
usgeführt wurden. Der Umgang mit diesen Kulturgü-
ern wird strafbar und kann sogar ein Haftgrund sein.
ir müssen daher prüfen, ob durch bilaterale Verträge
er Umfang der schützenswerten Kulturgüter nicht bes-
er abgegrenzt und insbesondere auch die Thematik der
eutekunst, zum Beispiel im Verhältnis zu Russland und
olen, besser gelöst werden kann.
Das Ausführungsgesetz wirft eine Vielzahl von Fra-
en auf, die wir im Kulturausschuss, vor allen im Rah-
en einer Anhörung, aber auch in den mitberatenden
usschüssen klären müssen. Die Auswirkungen der im
esetzentwurf verankerten Vorschriften sind vielfach
aum abzuschätzen. Keinesfalls darf das Gesetz dazu
ühren, dass – wie in der Schweiz in Folge der Umset-
ung der UNESCO-Konvention geschehen – der Handel
it Münzen vollkommen zusammenbricht.
Einen besonderen Problemkomplex sehen wir in der
ormulierung des letzten Satzes von § 6 Abs. 2 des Aus-
ührungsgesetzes. Dort heißt es im Zusammenhang der
egelungen für „besonders bedeutsame“ Kulturgüter:
Lässt sich nicht klären, ob ein Gegenstand, der vor
dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Vertragsgeset-
zes als besonders bedeutsam im Sinne des Satzes 1
Nr. 1 bezeichnet worden ist, vor oder nach diesem
Tag ins Bundesgebiet verbracht worden ist, so gilt
er als nach diesem Tag ins Bundesgebiet verbracht.
Diese Formulierung bewirkt durch die darin enthal-
ene Beweislastumkehr eine Rückwirkung des Gesetzes,
ie wir nicht akzeptieren. Der Nachweis darüber, ob ein
egenstand vor oder nach einem bestimmten Tag ins
undesgebiet verbracht worden ist, lässt sich in der Pra-
is nur schwer führen. Ein Großteil der Kunstgegen-
tände wird vererbt und ist lange im Besitz einer Fami-
ie. Quittungen und Kaufbelege werden nur in den
eltensten Fällen über Jahre oder Jahrzehnte aufbewahrt.
amit stellt diese Formulierung alle redlichen Sammler
nd Eigentümer von Kunstgegenständen unter einen Ge-
eralverdacht, der faktisch kaum entkräftet werden kann.
ie UNESCO-Konvention sieht übrigens eine solche
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006 3433
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Beweislastumkehr nicht vor. Damit belegt die Bundesre-
gierung einmal mehr, wie schwer es ihr fällt, bei den be-
rühmten Eins-zu-eins-Umsetzungen zu bleiben, selbst
dann, wenn sie in Regierungserklärungen angekündigt
werden.
Der Schutz des Kulturgutes gegen rechtswidrige Ein-
fuhr, Ausfuhr und Übereignung darf keinesfalls auf Kos-
ten und mit einer bürokratischen Mehrbelastung für den
Kunstmarkt einhergehen. So wichtig der Schutz des Kul-
turgutes auch ist, wir dürfen die Realität des Kunstmark-
tes nicht außer Acht lassen. Alle Auflagen, die den
Kunsthandel belasten, müssen daran gemessen werden,
ob sie überhaupt geeignet sind, illegale Transaktionen zu
verhindern. Wir dürfen nicht vergessen, dass Deutsch-
land nicht der einzige Kunsthandelsstandort ist, sondern
alle Kunstgegenstände eben auch problemlos in den
Nachbarstaaten verkauft werden können.
Die im Entwurf des Ausführungsgesetzes vorgesehe-
nen Genehmigungs- und Aufzeichnungspflichten laufen
schon ihrem Wesen nach ins Leere, da naturgemäß die
rechtswidrigen Übereignungen von Kulturgut nicht
aufgezeichnet werden. Wer wird schon eine Einfuhrge-
nehmigung für Gegenstände beantragen, die aus Raub-
grabungen stammen? Insofern helfen Aufzeichnungs-
pflichten für die rechtmäßigen Geschäfte nicht weiter.
Dies haben die Briten erkannt und kennen deshalb keine
Aufzeichnungspflichten.
Es ist zu überlegen, ob man in diesem Bereich nicht
auf die Selbstregulierungskräfte des Marktes vertrauen
kann. Kein seriöser Kunsthändler wird Objekte mit
rechtswidriger oder zumindest unsicherer Provenienz
anbieten und verkaufen. Der Herkunftsnachweis ist die
Grundlage für den guten Preis eines Objektes. Schon al-
lein aus diesem Grund wird der Händler die Provenienz
nachweisen und keine Kunstgegenstände aus Raubgra-
bungen anbieten.
Den grauen Bereich der Hehlerei wird auch dieses
Gesetz nicht verhindern können – ebensowenig wie die
bereits bestehenden strafrechtlichen Bestimmungen dies
bisher nicht gänzlich verhindern konnten. Aber den weit
überwiegenden Teil der seriösen Händler mit bürokrati-
schen Erschwernissen zu belasten, die den illegalen
Handel nicht einmal wirksam eindämmen können, hal-
ten wir für nicht richtig. Also sollten wir bei den Auf-
zeichnungspflichten zumindest eine angemessene Wert-
grenze in das Gesetz aufnehmen, damit nicht jede kleine
Tonscherbe oder Mokkatasse davon betroffen ist.
Aber nicht nur bei den Aufzeichnungs- und Genehmi-
gungspflichten ist eine Konkretisierung des Ausfüh-
rungsgesetzes erforderlich. Bereits bei der Definition des
schützenswerten Kulturgutes sehen wir die Notwendig-
keit der Anpassung an die Realität. Bei der jetzigen For-
mulierung fallen unter den Schutzbereich des Gesetzes
viele Gegenstände, die dieses Schutzes nicht bedürfen
und nur unnötige Kosten und bürokratischen Aufwand
verursachen. Daher sollten wir uns in der Anhörung im
Ausschuss für Kultur und Medien intensiv damit ausei-
nander setzen, wie der Gesetzentwurf in diesem Punkte
konkretisiert werden kann. Meiner Ansicht ist es kontra-
produktiv, wenn seriell und in großen Mengen gefertigte
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egenstände wie Münzen, Brief- oder Steuermarken in
as Gesetz einbezogen werden. Gleiches gilt für Ge-
enkmünzen, die allein schon aufgrund ihres Alters nach
00 Jahren unter diese Regelung fallen würden.
Wenn in diesem Punkte die Definition des Kulturgu-
es in Art. 1 der Konvention nicht konkretisiert wird,
äuft angesichts des ungeheuren bürokratischen Auf-
ands der Schutzzweck des Gesetzes bei den wenigen
irklich schützenswerten und bedeutenden Kulturgütern
n die Leere.
Abschließend möchte ich stellvertretend für viele
eitere Aspekte noch darauf hinweisen, dass es voll-
ommen ungewiss ist, welche Auswirkungen das Aus-
ührungsgesetz auf die gesetzliche Regelung des freien
eleits haben wird.
Es gibt viele offene Fragen bei diesen beiden Gesetz-
ntwürfen, von denen ich hier nur einige im Detail an-
prechen konnte. Bei den bevorstehenden Beratungen
aben wir eine große Verantwortung, einen Gesetzestext
u erstellen, der die aufgeworfenen Fragen klärt und zu
raktikablen und unbürokratischen Lösungen für Han-
el, Museen und Privatsammler führt.
Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE): Wir ver-
andeln heute über ein Gesetz, das seit Jahrzehnten
berfällig ist, und deshalb unser Land in eine ganz be-
ondere Situation gebracht hat und bringt. Weil es bei
ns bisher so wenig Schutz vor rechtswidriger Einfuhr,
usfuhr und Übereignung von Kulturgut gab, ist
eutschland zu einem Zentrum für internationales Die-
esgut und Hehlerware aus Raubgrabungen geworden,
as nicht gerade unserem Ansehen als europäischer
ulturnation gedient hat.
Endlich soll damit nun Schluss gemacht und Schutz
ür Kulturgüter wirksamer gestaltet werden. Aber leistet
ies der Gesetzentwurf der Bundesregierung? Wir mei-
en: Ganz und gar nicht. Man muss sich das einmal vor-
tellen: Auf einer Liste im Bundesanzeiger sollen in
ukunft „individuell identifizierbare“ Einzelobjekte auf-
eführt werden, welche dann geschützt sind. Alles an-
ere aber, insbesondere Plünderungsgut aus undokumen-
ierten Raubgrabungen, die in einer solchen Liste nicht
nthalten sein können, könnte man völlig legal kaufen
nd verkaufen. Den Herkunftsländern wird die Frist von
inem Jahr eingeräumt, in der sie „nachträglich“ die
aubgrabungsfunde noch auf die Liste setzen können.
as ist ein geradezu lächerliches Angebot, denn der Be-
eislast, die der bestohlene Staat in diesem Fall trägt,
ird in den allermeisten Fällen ja überhaupt nicht nach-
ekommen werden können.
Darüber hinaus ist vorgesehen, Kulturgut, welches
or In-Kraft-Treten des neuen Gesetzes das Herkunfts-
and verlassen hat, ausdrücklich vom Schutz auszuneh-
en. Das heißt, der Nachweis, dass das Diebesgut be-
eits vor diesem Stichtag illegal nach Deutschland kam,
ürde genügen, um damit straffrei zu handeln. Auch
enn die Bundesregierung in ihrem Gesetzesentwurf
iederholt die berechtigten Interessen des Handels er-
ähnt, das kann damit doch nicht gemeint sein.
3434 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006
(A) )
(B) )
109 Staaten haben vor uns das UNESCO-Übereinkom-
men zum Kulturgutschutz ratifiziert. Die Vorstellung, dass
Kunstwerke, die nach den Gesetzen der anderen Signatar-
staaten als Hehlerware gelten, in Deutschland weiterhin
frei gehandelt werden können, ist ziemlich unerträglich.
Es ist schwer nachvollziehbar, dass in einer Zeit, in der
die Plünderungen archäologischer Fundplätze im Irak
eine breite Öffentlichkeit auf die Problematik und krimi-
nelle Dimension des Antikenhandels aufmerksam ge-
macht haben, dem Parlament ein solcher Gesetzentwurf
vorgelegt wird. Wir halten eine öffentliche Anhörung im
Ausschuss für Kultur und Medien für unabdingbar, ge-
rade weil wir grundsätzlich für ein Gesetz zum Schutz
des Kulturgutes und die überfällige Ratifizierung des
UNESCO Übereinkommens mit 36jähriger Verspätung
sind.
In der vorgelegten Fassung lehnen wir den Gesetzent-
wurf ab.
Dr. Uschi Eid (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es
herrscht – und das ist überaus begrüßenswert – Konsens
in diesem Haus, dass die Ratifizierung des UNESCO-
Übereinkommens zum Kulturgüterschutz von 1970 von
deutscher Seite überfällig ist. Deutschland kann sich als
Kulturnation mit weit reichenden internationalen Bezie-
hungen nicht länger den Zielen dieses Instruments ver-
schließen, das inzwischen als internationaler Standard
für den Schutz von Kulturgütern und den Kampf gegen
illegalen Handel mit geraubten Kulturgütern gilt.
Mehr als 109 Staaten, darunter nahezu alle EU-Mit-
gliedstaaten, sind dem Abkommen beigetreten; zuletzt
auch bedeutende Kunsthandelsländer wie etwa die
Schweiz und Großbritannien. Im Namen meiner Frak-
tion begrüße ich sehr, dass die Bundesregierung das un-
ter Rot-Grün begonnene Gesetzgebungsverfahren zur
Ratifizierung der UNESCO-Konvention fortsetzt. Dass
dieser Gesetzentwurf heute vorliegt, ist auch den um-
fangreichen Vorarbeiten der Vorgängerregierung zu ver-
danken. Wir werden den parlamentarischen Beratungs-
prozess im Sinne der Sache – nämlich die Kulturgüter
der Staaten wirksam vor Diebstahl, unerlaubten Raub-
grabungen und illegalem Handel zu schützen und sich
zur Rückführung von Kulturgütern zu verpflichten –
konstruktiv begleiten.
Die Bewahrung und Erschließung des kulturellen Er-
bes der Völker ist eine wichtige Aufgabe der einzelnen
Staaten, aber auch der Staatengemeinschaft. Es führt
kein Weg an der internationalen Ächtung von Kultur-
raub, an geeigneten Schutzmaßnahmen von Kulturgut
und an einer wirkungsvollen Kontrolle von Export und
Import von Kulturgütern vorbei. Die Ereignisse in den
letzten Jahren – ich erinnere an Irak und Afghanistan –
haben uns bitter vor Augen geführt, welcher Verlust für
das kulturelle Erbe der einzelnen Völker, aber auch für
das kulturelle Erbe der Menschheit droht: durch die
skrupellose Zerstörung und Plünderung von Kulturstät-
ten und Archiven, durch illegale Raubgrabung an archäo-
logischen Stätten, auch durch gezielten Diebstahl aus
Kirchen und Museen und den illegalen Handel mit ge-
raubten Kulturgütern. Im Sinne der UNESCO-Konven-
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ion kann dem nur entgegengewirkt werden, wenn alle
itgliedstaaten, auch Deutschland, dem illegalen Kunst-
andel einen Riegel vorschieben und sich hierzu auch in-
ernational verpflichten.
Ein zügiger Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens,
it dem diese Konvention endlich in nationales Recht
berführt wird, ist deshalb dringend notwendig, auch um
u verhindern, dass Deutschland Umschlagplatz für den
andel mit Hehlerware aus Raubgrabungsstätten wird.
egen der bestehenden Rechtslücken hat sich diese alar-
ierende Tendenz in der jüngsten Zeit leider verstärkt.
er kulturpolitische Schaden, ja die fast rufschädigende
nternationale Abseitsposition Deutschlands, die auch
useen und Wissenschaftlern die internationale Zusam-
enarbeit erschwert, kann nicht hingenommen werden.
uch dem Kunsthandel müsste inzwischen klar gewor-
en sein, dass die vorgesehenen Aufzeichnungsver-
flichtungen keine unzumutbare Belastung sind, sondern
ür mehr Transparenz sorgen und gerade deshalb den se-
iösen Akteuren auf dem Kunstmarkt auf Dauer nur nüt-
en.
Trotz gebotener Eile ist Sorgfalt in Einzelfragen ange-
racht. Zwei davon möchte ich erwähnen: Erstens. Vor
llem im sensiblen Bereich der archäologischen Kultur-
üter sehe ich Nachbesserungsbedarf. Es ist außeror-
entlich schwer, noch nicht entdeckte Funde oder solche
us Raubgrabungen in die von jedem Staat zu erstellende
iste des national wertvollen Kulturguts aufzunehmen.
orgesehen ist zwar die Ausnahme, dass archäologische
unde aus Raubgrabungen noch innerhalb eines Jahres
achträglich in die Verzeichnisse des Herkunftsstaates
ufgenommen und somit unter Schutz gestellt werden
önnen. Aber diese Frist scheint zu kurz.
Zweitens. Der zeitliche Anwendungsbereich des Ge-
etzes muss in den Ausschüssen sorgfältig diskutiert
erden. Im Einklang mit der deutschen Rechtssystema-
ik findet das Gesetz erst nach In-Kraft-Treten Anwen-
ung. Das heißt aber zum Beispiel, dass nur Kulturgut,
as nach dem In-Kraft-Treten des Gesetzes in das Bun-
esgebiet verbracht wurde, zurückgegeben werden
uss. Nur für solche Güter besteht ein Rückgabean-
pruch. Dies sanktioniert eine äußerst problematische
nzulänglichkeit, die der derzeitige Gesetzentwurf in
auf nimmt.
Meine Bitte zum Schluss: Wir sollten die Beratungen
ügig durchführen, damit wir dieses international so
ichtige Übereinkommen noch in diesem Jahr ratifizie-
en können.
Bernd Neumann, Staatsminister für Kultur und
edien: Die Bundesregierung hat am 15. Februar dieses
ahres den Gesetzentwurf zur Ausführung des
NESCO-Übereinkommens vom 14. November 1970
ber Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der
echtswidrigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von
ulturgut im Kabinett beschlossen. Damit wird nach
5 Jahren die gesetzliche Grundlage dafür gelegt, das
NESCO-Übereinkommen in deutsches Recht umzuset-
en. Das ist unbestreitbar ein Erfolg, und damit ist heute
in guter Tag für den Kulturgüterschutz in Deutschland.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006 3435
(A) )
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Über Jahrzehnte standen sich die verschiedenen Inte-
ressen der von dem Gesetz Betroffenen gegenüber, und
eine Einigung konnte nicht erzielt werden. Warum, fragt
man sich heute, hat sich die Bundesrepublik damit so
lange dem internationalen Standard des Kulturgüter-
schutzes verweigert?
Denn im Grunde handelt es sich ja auf den ersten
Blick um einen einfachen Sachverhalt: Das Ziel des
UNESCO-Abkommens von 1970 war es, den illegalen
Handel mit Kulturgut auf internationaler Ebene zu be-
kämpfen. Die Vertragsstaaten sollten selbst alles tun, um
das eigene Kulturgut vor Raubgrabungen, Diebstahl und
vor unzulässiger Ausfuhr zu schützen. Sie sollten sich
außerdem verpflichten, den Kulturgutschutz der anderen
Vertragsstaaten zu respektieren.
Das bedeutet, die Vertragsstaaten sollten aus einem
Land illegal ausgeführtes wertvolles Kulturgut sofort zu-
rückgeben, es sollten Export- und Importbeschränkun-
gen errichtet werden, und es sollte für den Handel Auf-
zeichnungspflichten für bedeutsames Kulturgut geben,
die es den Strafverfolgungsbehörden ermöglichen, den
Weg illegal verbrachten Kulturgutes zurückzuverfolgen.
Das war der weitgesteckte Rahmen.
Die Schwierigkeiten aber steckten im Detail: Ist das
Kulturgut nicht bereits durch schon vorhandene Rege-
lungen ausreichend geschützt? Welches Kulturgut sollte
überhaupt geschützt werden? Und belastet man nicht
übermäßig den freien Kunsthandel? Das waren politisch
und auch juristisch heikle Fragen, die die Umsetzung
immer wieder aufhielten.
Dass Deutschland die Konvention nicht umgesetzt
hat, hatte Konsequenzen. Ich will Ihnen ein Beispiel
nennen: In Berlin tauchten Ende des vergangenen Jahres
ägyptische Antiquitäten auf, darunter drei Sarkophage.
Die mit dem Transport betraute Spedition legte eine
Ausfuhrgenehmigung des ägyptischen Staates vor und
beantragte gleichzeitig bei der zuständigen Senatsver-
waltung eine Ausfuhrgenehmigung von Deutschland in
die USA.
Die Berliner Beamten wurden aber mißtrauisch und
befragten Kunstsachverständige. Diese stellten klar, dass
es mit der ägyptischen Ausfuhrgenehmigung unmöglich
seine Richtigkeit haben konnte. Dem daraufhin alarmier-
ten Auswärtigen Amt blieb nun nichts anderes übrig, als
die Botschaft Ägyptens per Verbalnote zu informieren
und ihr den guten Rat zu geben, die Botschaft möge sich
nun an die deutschen Gerichte wenden, um ihre straf-
rechtlichen und zivilrechtlichen Rechte zu wahren. Die
Bundesregierung und die Senatsverwaltung Berlins ver-
fügten über keine rechtliche Handhabe, die Ausfuhrge-
nehmigung in die USA zu verweigern oder die Objekte
zu beschlagnahmen. Das ist ein absolut unbefriedigender
Zustand und einer Kulturnation unwürdig. Ich bin froh,
dass dieser Zustand nun ein Ende finden wird.
Ich will die wichtigsten Punkte unseres Gesetzent-
wurfs nennen: Als wichtigste Regelung gibt es künftig
einen Rückgabeanspruch für national wertvolles Kultur-
gut zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den
UNESCO-Vertragsstaaten. Das bedeutet, dass künftig
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er illegal aus Ägypten ausgeführte Sarkophag im dem
enannten Fall in Deutschland sichergestellt werden
ann, da der Verdacht der illegalen Ausfuhr und der
ückgabepflicht besteht. Die Ausfuhr des Sarkophags
us Deutschland stünde dann unter Strafe und die Rück-
abe an Ägypten wäre möglich.
Zweitens gibt es Einfuhrregelungen, die die Verbrin-
ung solcher Gegenstände nach Deutschland verhindern
ollen, die kulturelles Erbe eines anderen Vertragsstaates
ind und deren Ausfuhr dort verboten ist.
Drittens. Der Gesetzentwurf enthält Aufzeichnungs-
flichten für gewerbliche Kunsthändler und Versteigerer.
ie sind so gestaltet, dass sie mit bereits vorhandenen
ufzeichnungspflichten im Steuer- und Handelsrecht
orrespondieren. Der vom Bundeskabinett verabschie-
ete Gesetzentwurf sieht hier nun Regelungen vor, die
raktikabel sind und die letztlich auch die Kritiker der
msetzung in deutsches Recht überzeugt haben.
Wir haben uns bei der Erarbeitung aller Bestimmun-
en von dem Grundsatz leiten lassen: so viel Kulturgut-
chutz wie möglich, so viel Praktikabilität wie nötig.
ennoch gibt es auch weiterhin Kritik an den gefunde-
en Regelungen.
Den Archäologen geht der Gesetzentwurf nicht weit
enug. Wir haben uns mit vielen Experten intensiv aus-
inander gesetzt. Wir sind aber zu dem Schluss gekom-
en, dass die Kritikpunkte einer genaueren Prüfung
icht standhalten. Denn die kritisierten Sachverhalte
erden durch die Umsetzung der UNESCO-Konvention
chlicht nicht geregelt. Hier ist Kritik am Gesetzentwurf
nangebracht.
Dem Kunst- und Antiquitätenhandel wiederum geht
er Gesetzentwurf zumindest in Teilen zu weit. Aller-
ings vernehme ich nun auch immer mehr grundsätzli-
he Zustimmung zu dem Gesetzentwurf von dieser
eite. Das freut mich; denn dem guten Ruf der Branche
ann dieser Gesetzentwurf nur dienen.
Wir haben 35 Jahre nach Unterzeichnung des
NESCO-Übereinkommens die Umsetzung in deut-
ches Recht auf den Weg gebracht. Wir haben damit ein
ichtiges kulturpolitisches Zeichen gesetzt. Ich würde
ich freuen, wenn der Gesetzentwurf eine breite Unter-
tützung im Deutschen Bundestag findet.
nlage 26
zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Einsetzung einer En-
quete-Kommision „Ethik, Recht und Finanzie-
rung des Wohnens mit Assistenz (Heim-En-
quete)“ (Tagesordnungspunkt 22)
Hubert Hüppe (CDU/CSU): Die Absicht, die hinter
em Antrag der Linken zur Einsetzung einer so genann-
en Heim-Enquete-Kommission steht, halte ich zwar für
nterstützenswert. Wie Sie sicherlich auch wissen, Herr
r. Seifert, bin ich ein Verfechter von Integration und
mbulantem Wohnen. Ich bin der Ansicht, dass Großein-
3436 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006
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richtungen nicht mehr zeitgemäß sind, und der Trend zu
anderen Wohnformen wie dem betreuten Wohnen oder
dem Wohnen in den eigenen vier Wänden mit persönli-
cher Assistenz nicht mehr umkehrbar sind. Die Frage ist,
wie wir diesen Wandel gestalten, nicht mehr, ob der
Wandel ansteht.
Vor einigen Jahren hatte ich Sympathien für die Ein-
setzung einer Heim-Enquete. Aus verschiedenen Grün-
den halte ich eine Heim-Enquete zum jetzigen Zeitpunkt
nicht für zielführend. Ein entscheidendes Argument ge-
gen die Einsetzung einer Heim-Enquete ist die Gefahr,
dass die wichtigen Themen wie die Durchsetzung des
Grundsatzes „ambulant vor stationär“, der Ausbau am-
bulanter Dienste und von Assistenz- und Unterstüt-
zungsdienstleistungen auf die lange Bank geschoben
werden. Man vertröstet dann immer auf den Schlussbe-
richt der Enquete-Kommission nach vier Jahren, der im
Übrigen nur Empfehlungscharakter hat. Damit können
wichtige Maßnahmen unterbleiben. Eine Enquete-Kom-
mission zu betreiben, ist mit erheblichem Aufwand ver-
bunden. Dies zieht Kräfte ab, die wir dringender für die
Umsetzung dessen brauchen, was längst schon Konsens
ist: die gemeindenahe Unterbringung von Menschen mit
Hilfebedarf und die Schaffung gemeinsamer Lebens-
räume von behinderten älteren Menschen mit den so ge-
nannten Nichtbehinderten.
Wir stehen kurz vor wichtigen Reformen, die auch
das Wohnen mit Pflege und Assistenz entscheidend prä-
gen werden. Die anstehenden Reformen der gesetzlichen
Krankenkasse und der Pflegeversicherung werden we-
sentlichen Einfluss auf Heimbewohnerinnen und -be-
wohner und privat wohnende Menschen haben. Es muss
Priorität haben, hier die Belange der Menschen mit Hilfe-
bedarf zu berücksichtigen und praktisch einzubringen.
Die bereits vorhandenen Grundsätze „ambulant vor statio-
när“, aber auch „Prävention und Rehabilitation vor
Pflege“ und „Reha bei und vor Pflege“ müssen bei die-
sen Reformen gestärkt werden. Auch besteht bereits die
Einsicht, dass an der Schnittstelle zwischen Kranken-
und Pflegeversicherung die Präventions- und Rehabilita-
tionsleistungen deutlich verbessert werden müssen. Eine
Enquete-Kommission ist für eine Einflussnahme aber
ein viel zu schwerfälliges Instrument.
Zudem müssen wir die vorhandenen Möglichkeiten
sauber umsetzen. Damit meine ich vor allem das persön-
liche Budget, das auf keinen Fall scheitern darf. Ab dem
1. Januar 2008 wird es einen Rechtsanspruch auf das
persönliche Budget geben. Vorher muss die wissen-
schaftliche Begleitforschung zur bereits laufenden Mo-
dellphase klar machen, an welchen Stellen noch Nach-
besserungsbedarf besteht. Ich habe mich bereits in der
Vergangenheit mehrfach dafür ausgesprochen, dass das
persönliche Budget so gestaltet werden soll, dass mög-
lichst viele Menschen mit unterschiedlichsten Behinde-
rungen davon profitieren können.
Wir bekennen uns zum Grundsatz „ambulant vor sta-
tionär“, und das nicht erst seit gestern. Bereits in der ver-
gangenen Legislaturperiode hat die Union die Kleine
Anfrage „Vorrang ambulanter vor stationärer Hilfen für
Menschen mit Behinderungen und psychischen Erkran-
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ungen“ an die Bundesregierung gestellt, die in Fach-
reisen nicht unbeachtet blieb. Wir haben dabei den Fin-
er in die Wunde gelegt und uns intensiv mit den
erbänden über die Problempunkte bei der ambulanten
ersorgung ausgetauscht.
Auch im Koalitionsvertrag sind die Grundsätze „am-
ulant vor stationär“, die Verzahnung ambulanter und
tationärer Dienste sowie die Leistungserbringung aus
iner Hand unmissverständlich festgeschrieben. Die Zu-
ammenarbeit der Sozialleistungsträger muss ebenfalls
erbessert werden, da in der Regel verschiedene Träger,
ie die Pflegeversicherung, das Sozialamt und das Inte-
rationsamt, an der Erbringung der Unterstützungsleis-
ungen beteiligt sind. Ausdrücklich ist im Koalitionsver-
rag auch vorgesehen, dass bei der Reform der
flegeversicherung auch alternative Wohn- und Betreu-
ngsangebote und niederschwellige Angebote, beispiels-
eise zur Unterstützung der häuslichen Pflege, gefördert
erden sollen. All das sind wichtige Voraussetzungen
ür eine bessere Anpassung an die Bedarfslage der Be-
roffenen.
Wir wissen also, „wo der Schuh drückt“, und müssen
ies nicht erneut aufrollen. Für praktisch viel effektiver
ls die Einsetzung einer Enquete-Kommission halte ich
s deshalb, wenn wir uns mit konkreten Fragestellungen
ur Thematik der Pflegebedürftigkeit und den ambulan-
en Wohnformen beschäftigen und daraus dann konkrete
nitiativen entwickeln. Tatsächlich passiert auch schon
ine Menge. So hat das Land Nordrhein-Westfalen An-
ang Mai eine bundesweit einmalige Initiative „Betreu-
es Wohnen statt Heim“ gestartet. Das befürworten wir.
ie beiden Landschaftsverbände und die Spitzenver-
ände der freien Wohlfahrt haben eine Vereinbarung ab-
eschlossen, nach der bis Ende 2008 circa 3 500 Men-
chen mehr ein Leben zu Hause statt in einem Heim
rmöglicht werden soll. Dabei wird weder die Qualität
er Betreuung leiden noch sollen die Betroffenen ge-
wungen werden, aus einem Heim auszuziehen. Die
bergänge zwischen stationärem und ambulantem Woh-
en werden flexibel gestaltet und die Rahmenbedingun-
en im ambulant betreuten Wohnen verbessert. Auch
urch Entbürokratisierung soll diese alternative Wohn-
orm unterstützt werden.
Jetzt gilt es, anzupacken und zu handeln, und zwar
chnell.
Markus Grübel (CDU/CSU): Wir behandeln ein sehr
ichtiges Thema, das Heimrecht; denn im Wesentlichen
etreffen die im Antrag von der Fraktion Die Linke ge-
annten Punkte dieses Politikfeld. Keine Frage, das
eimrecht ist aktuell und wir haben zugegebenermaßen
robleme im Bereich der stationären als auch der ambu-
anten Betreuung, die weithin bekannt sind, wie zum
eispiel: Fachkräftemangel, gestiegene Bürokratie für
ie Träger und Einrichtungen – Doppel- und Mehrfach-
rüfungen, steigende Verwaltungs- und Dokumenta-
ionspflichten – sich widersprechende Regelungen im
eimgesetz, dem Pflegeversicherungsgesetz und ande-
en Vorschriften für diese Einrichtungen, ganz zentral
ie Tatsache, auf die Sie auch in erster Linie in Ihrem
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Antrag abstellen, dass die in Deutschland zu erwarten-
den demografischen Herausforderungen nicht mehr al-
leine mit einer Verschiebung hin zur stationären Versor-
gung zu lösen sind – sprich: die einseitige Orientierung
an den Vorschriften für die traditionelle Versorgungs-
form eines herkömmlichen Alten- und Pflegeheimes
sind ergänzungsbedürftig –, neue Wohnformen – betreu-
tes Wohnen zu Hause) müssen rechtlich verankert wer-
den. Mit den richtigen Instrumenten kann man diese Pro-
bleme aber lösen. Und es gibt bereits eine Menge von
Vorschlägen und Lösungsansätzen. Dazu aber später
mehr.
Eine Heim-Enquete ist auf den ersten Blick sicherlich
verlockend, aber wir haben diesen Freitag die Anhörung
zum Heimrecht im Bundestag. Sich heute für eine Heim-
Enquete auszusprechen, ohne die Ergebnisse dieser An-
hörung bzw. der dann noch zu verabschiedenten Födera-
lismusreform zu kennen, ist wenig zielführend.
Mit der Föderalismusreform soll auch eine Verlage-
rung der Zuständigkeit für das Heimgesetz vom Bund
auf die Länder erfolgen. Im Koalitionsvertrag ist dies
zwischen CDU, CSU und SPD vereinbart worden, siehe
Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD vom
11. November 2005, Seiten 108 und 109. Die Kompe-
tenz für das Heimrecht soll aus dem Katalog der konkur-
rierenden Gesetzgebung gestrichen werden und zukünf-
tig in die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz der
Länder fallen, Art. 74. Abs. 1 Nr. 7, „die öffentliche
Fürsorge ohne das Heimgesetz“, Bundestagsdrucksa-
che 16/813, Seite 6.
Was bedeutet das konkret? Mit dieser Neuregelung
soll erreicht werden, dass zukünftig die einzelnen Bun-
desländer dem Heimgesetz vergleichbare Regelungen
treffen können. Die entsprechende, bisher aus der Zu-
ständigkeit für die öffentliche Fürsorge abgeleitete Ge-
setzgebungskompetenz des Bundes und damit die
Rechtsgrundlage für das Heimgesetz sowie das Heimge-
setz selbst soll entfallen. Nach der Übergangvorschrift
des neuen Art. 125 a Abs. 1 Grundgesetz gilt das Heim-
gesetz fort, es kann aber durch Landesrecht ersetzt wer-
den. Somit haben wir unter Umständen in einigen Jahren
16 verschiedene Landesheimgesetze und der Bund kann
nicht mehr oder nur eingeschränkt mitreden. Die Länder
treffen dann eigene Entscheidungen und es kann zu Un-
terschieden bei den Standards kommen.
Mit der Neufassung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 Grund-
gesetz werden jedoch nicht sämtliche Regelungen des
bisherigen Heimgesetzes in den Zuständigkeitsbereich
der Länder verschoben. Für einen Teil der Bestimmun-
gen des Heimgesetzes bleibt es wohl bei der Rechtsset-
zungsbefugnis des Bundes. Das Heimrecht in seiner bis-
herigen Form ist nicht nur Ordnungsrecht, sondern
enthält auch Elemente des Zivilrechts, Heimvertrag, des
Gewerberechts, Zulässigkeit des Betreibers, sowie des
Verbraucherschutzrechtes, für die der Bund weiterhin
die Gesetzgebungszuständigkeit haben soll.
Wenn es dazu kommen sollte – ich möchte jetzt kein
Prophet sein, aber unwahrscheinlich ist es nicht –, dann
macht aus meiner Sicht eine Enquete-Kommission auf
Bundesebene wenig Sinn. Warum sollte eine Kommis-
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ion auf Bundesebene Empfehlungen und Vorschläge er-
rbeiten, wenn die Regelungskompetenz weitgehend bei
en Ländern liegt und diese ihre Heimgesetze selbst ma-
hen? Adressat der Empfehlungen einer Bundestags-En-
uete ist in erster Linie der Deutsche Bundestag.
Für den Fall, dass die Regelungskompetenz beim
und bleibt, sind wir aber auch gut gerüstet. Im Koaliti-
nsvertrag vom 11. November 2006 haben wir verein-
art, dass wir die Qualität in der Pflege älterer Menschen
erbessern wollen. Wir haben uns dafür ausgesprochen,
ie häusliche Pflege zu stärken und alle Angebote in der
eriatrischen Versorgung – Ärzte, Kliniken, ambulante
nd stationäre Pflegeeinrichtungen, Hospizdienste – zu
ernetzen.
Ganz klar: Wir bekennen uns zum Grundsatz ambu-
ant vor stationär! Als Unionsfraktion haben wir in der
etzten Legislaturperiode einen umfangreichen Antrag
Weniger Bürokratie in Heimen“ – Drucksache 15/4932
om 22. Februar 2005 – vorgelegt, der die Thematik auf
em aktuellen Kenntnisstand behandelt und auch einige
unkte ihres Antrages bezüglich alternativer Wohn- und
etreuungskonzepte anspricht. Zudem hat die Enquete-
ommission „Demografischer Wandel“ bereits in Teilen
ie Thematik behandelt, ebenso hat sich die Enquete-
ommission „Leben und Recht der modernen Medizin“
n Randbereichen damit beschäftigt.
Wesentliche Eckpunkte einer Novellierung des Heim-
esetzes sind unter anderem: Entbürokratisierung – Ab-
au von verzichtbaren Vorschriften –, Vermeidung von
oppel- und Mehrfachprüfungen, Verbesserung der För-
erung alternativer, innovativer Wohn- und Betreuungs-
ormen, Prüfung, ob und wiefern das derzeit gültige
eimgesetz neue Wohn- und Betreuungskonzepte, zum
eispiel ambulante Wohngemeinschaften, ermöglicht
nd gegebenenfalls entsprechende Anpassung der ge-
etzlichen Regelungen.
Zudem wollen wir Hospizarbeit und palliativmedizi-
ische Versorgung stärken, damit den Menschen ein
terben in Würde ermöglicht werden kann. Es ist daher
bzuwägen, ob eine Heim-Enquete-Kommission neue
rgebnisse präsentieren könnte. Zumal bis zum Ab-
chlussbericht Jahre vergehen. Die Probleme sind längst
ekannt, die Lösungsvorschläge vorhanden. Eines der
rößten Probleme ist aber eine nachhaltige Finanzierung
or dem Hintergrund der demografischen Entwicklung
nd auch die Reform der sozialen Pflegeversicherung.
Wir wissen was zu tun ist und daher ist es zurzeit
icht erforderlich, dass eine Heim-Enquete uns die be-
eits vorhandene Problemanalyse und die Lösungsvor-
chläge nach vier Jahren lediglich noch einmal neu prä-
entiert. Wir sollten abwarten. Geht das Heimrecht an
ie Länder, ist eine Heim-Enquete nicht opportun, bleibt
s beim Bund, sollten wir auf Basis der bereits wissen-
chaftlich unterlegten Handlungsempfehlungen, das
eimrecht umfassend novellieren und uns gemeinsam
berlegen, ob eine Heim-Enquete erforderlich ist.
Zum Abschluss noch eine kleine Empfehlung an Die
inke: Bisher war es guter Brauch, dass die Einsetzung
iner Enquete-Kommission fraktionsübergreifend
3438 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006
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erfolgte und nicht auf Vorschlag einer Fraktion. Die par-
lamentarischen Gepflogenheiten erfordern daher einen
Konsens aller Fraktionen. Aber sie sind als Fraktion ja
noch neu im Parlament vertreten und lernen eventuell
auch noch ein wenig dazu.
Angelika Graf (Rosenheim) (SPD): 33 Enquete-
Kommissionen hat es in der Geschichte des Bundestages
seit 1969 bisher gegeben. Sie alle sollten der Vorberei-
tung von Entscheidungen über umfangreiche und bedeu-
tende Sachkomplexe dienen und hatten meines Erach-
tens gemeinsam, dass an dem Thema nicht bereits
konkret politisch gearbeitet wurde bzw. sehr lang anhal-
tende Entwicklungen beobachtet werden sollten. Ich er-
innere an die Titel „Globalisierung der Weltwirtschaft“,
„Recht und Ethik der modernen Medizin“ oder „Zukunft
des Bürgerschaftlichen Engagements“. Oder aber an die
Enquete-Kommission „Demographischer Wandel – He-
rausforderungen unserer älter werdenden Gesellschaft an
den Einzelnen und an die Politik“ – eine Enquete übri-
gens, die sich von der 12. bis zur 14. Legislaturperiode
hinzog und die wirklich herausragende Berichte erstellt
hat. Sie wurden meines Erachtens viel zu wenig und zu
spät von der Öffentlichkeit und den Medien zur Kenntnis
genommen und auch die Politik hätte auf viele Entwick-
lungen früher und gezielter reagieren können. Weder die
Veränderungen in der Alterstruktur der Gesellschaft
noch der höhere Bedarf an Pflegeleistung, über den wir
am Rande heute ja auch reden, ist unvermutet vom Him-
mel gefallen.
Heute stellt die Linke den Antrag, eine so genannte
Heim-Enquete einzusetzen. Begründet wird der Antrag
mit der mangelnden Attraktivität und den Qualitätsdefi-
ziten von Heimen. Dem Teilhabewunsch betreuungsbe-
dürftiger Personen werde oft nicht Rechnung getragen.
Dazu kämen die Auswirkungen der Föderalismusreform
auf die Heimgesetzgebung. Außerdem solle die Kom-
mission Finanzierungsmöglichkeiten alternativer Wohn-
konzepte prüfen und das Berufsbild von Helferinnen und
Helfer weiterentwickeln.
So gut ich verstehen kann, dass dem Kollegen Seifert
– wie vielen von uns – das Thema auf den Nägeln
brennt, so denke ich doch, dass die Einsetzung einer En-
quete nicht die richtige Antwort auf die Problemlage ist.
Ich streite wohlgemerkt nicht ab, dass es trotz der
umfangreichen Bemühungen der rot-grünen Bundesre-
gierung in der Vergangenheit – Stichworte „Pflegequali-
tätssicherungsgesetz“ und „Heimgesetz“ – immer noch
Pflegemissstände gibt. Ich bezweifle allerdings, ob im-
mer „das Heim“ die Schuld daran trägt. Viele Dekubitus-
fälle haben ihre Ursache im privaten Umfeld, welches
mit der Pflege überfordert ist, oder auch im Kranken-
haus, wo zu wenig Personalkapazität da ist. Angesichts
der drängenden und konkreten Fragestellungen sollte die
Frage erlaubt sein, ob ein Endbericht der Enquete-Kom-
mission im Jahre 2008 oder 2009 wirklich zielführend
ist?
Der Koalitionsvertrag hat die von Herrn Seifert zu
Recht erhobenen Forderungen nach Verbesserungen für
Heimbewohnerinnen und -bewohner aufgenommen und
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estgeschrieben, dass sich die große Koalition daranma-
hen wird, erstens ein Gesamtkonzept der Betreuung
nd Versorgung pflegebedürftiger, behinderter und alter
enschen unter besonderer Berücksichtigung des
rundsatzes „Reha vor Pflege“ zu erarbeiten, zweitens
as Leistungssystem der Pflegeversicherung im Sinne
es Grundsatzes „ambulant vor stationär“ strukturell zu
berarbeiten, wobei ein Entwurf zur Finanzierung der
flegeversicherung schon 2006 vorgelegt werden soll,
nd drittens nicht zuletzt auch das SGB XII nach dem
rundsatz „ambulant vor stationär“ zu überarbeiten.
Die bereits erarbeiteten Ergebnisse des Runden
ischs Pflege von BMFSFJ und BMG und all das, was
ur Entbürokratisierung des Heimrechts in der letzten
egislaturperiode erarbeitet wurde, wird in die Gesetzes-
orhaben einfließen. Es macht meines Erachtens wenig
inn, diese Themen parallel in bzw. zu einer Enquete-
ommission zu bearbeiten.
Lassen Sie mich zum Schluss noch etwas zu der von
errn Seifert angesprochenen Verlagerung des Heim-
echts auf die Länder sagen: Sie wollen in der Enquete
ie Auswirkungen der Verlagerung dieses Rechtes auf
ie Länder untersuchen. Ich sage Ihnen: Wir sollten es
icht so weit kommen lassen, zumal wir, wenn die Verla-
erung wirklich stattfindet, als Bundestag – Enquete-
ommission hin oder her – kaum rechtliche Grundlagen
aben werden, uns noch mit dem Verbraucherschutz für
eimbewohner zu befassen, von der Umsetzung von Er-
ebnissen einer Enquete ganz zu schweigen.
Wir haben morgen bzw. heute in diesem Hohen Hause
ine Anhörung zum Thema Heimrecht im Rahmen der
nhörungen zur Föderalismusreform. 60 Prozent der
tatements der offiziell zur Anhörung geladenen Fach-
eute und 83 Prozent der vom Kollegen Grübel und mir
efragten Fachverbände sprechen sich massiv gegen
ine Verlagerung auf die Länder aus. Von den unaufge-
ordert bei mir eingegangenen Stellungnahmen sind
00 Prozent dagegen. Ich gebe die Hoffnung nicht auf,
ass letztendlich die guten Argumente siegen werden.
ch hoffe, dass ich Sie alle an meiner Seite weiß.
Sibylle Laurischk (FDP): Ein von der Interessen-
ertretung Selbstbestimmtes Leben in Deutschland
ISL – koordiniertes Bündnis von Behindertenorganisa-
ionen hat Anfang des Jahres die Einrichtung einer En-
uete-Kommission des Deutschen Bundestages „Vor-
ang ambulanter Hilfen vor stationärer Versorgung
ehinderter, pflegebedürftiger und älterer Menschen –
eben in der Gemeinde“ gefordert. Ein sehr ähnliches
nliegen wurde besonders zu Beginn der vergangenen
egislaturperiode von sehr vielen Verbänden an den
eutschen Bundestag herangetragen.
Der Kern dieses Anliegens ist dabei sehr berechtigt.
as Heim kann immer weniger den Ansprüchen und
ünschen der Bewohner nach Individualität gerecht
erden. Existierende Missstände müssen endlich ange-
angen werden, ausufernde Bürokratie muss abgebaut
erden. Ebenso gilt es, ambulante kommunale Hil-
estrukturen weiterzuentwickeln und auf eine breite Ba-
is zu stellen.
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Stärker als bisher wird der Themenkomplex Heim,
Pflege und die damit verbundenen Bereiche zu einer ge-
samtgesellschaftlichen Aufgabe werden, da dem demo-
grafisch bedingten Anstieg der Zahl der Hilfebedürftigen
eine Abnahme der Tragfähigkeit familiärer Strukturen
gegenübersteht. Hinzu kommt, dass immer weniger alte
wie behinderte Hilfebedürftige bereit sind, in ein Heim
zu gehen, weil sie dies für unvereinbar mit ihrem persön-
lichen Lebensentwurf halten.
Noch vor einigen Jahrzehnten bestand für materiell
deutlich schlechter ausgestattete Heime eine erheblich
größere Akzeptanz. Heute können sich 80 Prozent der
Pflegebedürftigen ein Leben im Heim nicht mehr vor-
stellen. Trotz der formalen Beratungspflicht der Kreise
und kreisfreien Städte ist für Betroffene und Angehörige
die Versorgungslandschaft unübersichtlich, erfolgt die
Beratung oft unvollständig, interessenabhängig und
nicht auf den konkreten Menschen bezogen. Qualitäts-
kriterien der Versorgung sind für Außenstehende kaum
transparent. Es fehlt insbesondere eine Vernetzung zwi-
schen dem ambulanten und dem stationären Versor-
gungsbereich.
Hinzu kommt, dass für eine Heimunterbringung nicht
nur der Grad der Pflegebedürftigkeit oder Behinderung
entscheidend ist, sondern auch die Tragfähigkeit des so-
zialen Netzwerkes. Aufgrund veränderter Familienstruk-
turen, zunehmender Mobilität und der Vereinzelung von
Menschen nimmt die Gruppe der so genannten „moder-
nen Pflegebedürftigen“ zu, die in ihrem Wohnumfeld
kein stabiles Unterstützungsnetz haben. Für sie und auch
für die Gruppe der schwerstpflegebedürftigen alten und
der schwerst- und schwerstmehrfachgeschädigten behin-
derten Menschen bleibt bisher häufig nur eine Unterbrin-
gung im Heim. Dies wird dazu führen, dass die Zahl der
Heimplätze in den nächsten Jahren kontinuierlich stei-
gen wird, wenn nicht vehement gegengesteuert wird.
Länder wie Schweden zeigen, dass Menschen mit ei-
nem Unterstützungsbedarf auch ohne Heime zurecht-
kommen können. Dort gibt es vielfältige Unterstützungs-
angebote, die den betroffenen Bürgern ein „normales“
Leben im Rahmen ihrer Verhältnisse ermöglichen. Ich
will nicht bestreiten, dass ich auch diesen Weg für
schwierig halte, aber die Tendenz entspricht dem, was
die FDP will: Vorfahrt für ambulante Versorgung. Dies
kann aber nur gelingen, wenn auf wichtige Fragen neue
Antworten gefunden und diese dann auch umgesetzt
werden.
Die Möglichkeit, sein Leben selbstständig zu gestal-
ten, ist dabei eines der wichtigsten Belange junger und
alter Bürger. Hierzu gehört der Wunsch, einen eigenen
Haushalt führen zu können. Wesentliche Voraussetzung
hierfür ist für mobilitätseingeschränkte Personen eine
barrierefreie Gestaltung des Wohnraums sowie eine ent-
sprechende Anpassung des Wohnumfelds. Besonders
das höhere Alter kann Einschränkungen der körperlichen
und geistigen Fähigkeiten mit sich bringen, die eine
selbstständige Haushaltsführung erschweren und unter
Umständen unmöglich machen. Wir wollen, dass das
Leben möglichst lange selbstständig möglich ist. Selbst-
bestimmung und Lebensqualität dürfen auch dann nicht
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ufhören, wenn Hilfebedürftigkeit oder Krankheit begin-
en. Mit dem Alter steigt allerdings das Risiko der Hilfs-
edürftigkeit. Daher müssen die Rahmenbedingungen
timmen, um eine eigenverantwortliche Lebensführung
u fördern und – je nach Bedarf – die Versorgung mit
en notwendigen Gütern und Dienstleistungen zu garan-
ieren.
Heute müssen mobilitätseingeschränkte Bürger häu-
ig mit ungünstigen Wohnbedingungen zurechtkommen,
ie nicht auf ihre Mobilitätseinschränkungen oder auf
ilfe- und Pflegebedarf ausgerichtet sind. Die Woh-
ungs- sowie die Wohnungsumfeldgestaltung müssen
aher künftig auf die Bedürfnisse einer stetig wachsen-
en Zahl von Menschen mit Mobilitätseinschränkungen
ugeschnitten werden, um eine weitgehend selbststän-
ige Lebensführung zu ermöglichen.
Hier sind vor allem die Kommunen, aber auch andere,
ie private Bauherren, Dienstleistungsgewerbe, Indus-
rie etc., gefordert. Fehlende Lifte und Rampen erschwe-
en nicht nur behinderten Menschen den Zugang zu öf-
entlichen Gebäuden, auch vielen Älteren bereitet das
reppensteigen Probleme. Gerade in unserer älter wer-
enden Gesellschaft müssen die Straßen, öffentlichen
ebäude, Verkehrs-, Kultur- und sonstigen Einrichtun-
en barrierefrei gestaltet werden. Die Berücksichtigung
er Belange behinderter Menschen im Bauwesen – mög-
ichst wenige Schwellen und Kontrastoptimierung für
ehbehinderte – helfen nicht nur den behinderten Men-
chen, sondern allen Menschen und gerade auch den Äl-
eren. Um möglichst lange ein selbstbestimmtes und ak-
ives Leben führen zu können, ist die Verbesserung der
arrierefreiheit daher unabdingbar.
Ich bin der Überzeugung, dass es keinen Mangel an
rkenntnis, sondern einen unglaublichen Rückstau der
msetzung gibt. Ich habe die Befürchtung, dass eine En-
uete diese Umsetzung noch weiter verschleppen würde.
uch für den Pflegebereich liegen für viele der Fragen,
ie im Rahmen der Heim-Enquete diskutiert werden
önnten und sollen, die Vorschläge vor.
Dass neben der Ausgestaltung des Übergangs in ein
achhaltiges und generationengerechtes Finanzierungs-
ystem bei der Reform der gesetzlichen Pflegeversiche-
ung unter anderem auch über Möglichkeiten einer bes-
eren Berücksichtigung des besonderen pflegerischen
edarfs beispielsweise demenziell Erkrankter sowie ei-
er Flexibilisierung des starren Schemas von ambulant
nd stationär nachgedacht werden muss, ist Konsens.
ie Wissenschaft und die Fachkreise halten seit Jahren
orschläge zur Umsetzung dieser Vorhaben bereit. Dass
ie Qualität der Pflege weiterhin verbesserungswürdig
st und die Rolle der Heimaufsicht, insbesondere in Ab-
renzung zum Medizinischen Dienst der Krankenkassen
MDK –, eindeutiger konkretisiert werden muss, ist
benfalls wenig strittig. Gute und bereits hinreichend
iskutierte Vorschläge gibt es bereits. Zu benennen sind
uch der Antrag zur Entbürokratisierung der stationären
flege (Bundestagsdrucksache 16/672) der FDP, aber
uch die Empfehlungen des runden Tischs Pflege aus
em letzten Herbst, auch wenn diese für die FDP an eini-
en Stellen nicht weitgehend genug gingen.
3440 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006
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Alle diese Punkte sind diskutiert, viele sind Konsens,
was fehlt ist die konkretere Umsetzung. Diese Sachver-
halte nochmals in einer Enquete-Kommission zu disku-
tieren, wird wohl nicht zu den erwünschten neuen Er-
kenntnisgewinnen führen. Die Bundesregierung könnte
eine neuerliche Debatte vielmehr zum Anlass nehmen,
die angekündigte Reform der gesetzlichen Pflegeversi-
cherung erneut zu verschieben. Damit wäre für Pflege-
bedürftige und ihre Angehörigen nichts gewonnen.
Zuletzt möchte ich ihr Augenmerk nochmals auf die
Empfehlungen der Föderalismuskommission lenken.
Das Heimrecht soll in die Länderkompetenz übergehen.
Wenn ich auch persönlich diesem Vorhaben reichlich
skeptisch gegenüberstehe, so halte ich wenig davon, erst
– wie in Ihrem Einsetzungsbeschluss beschrieben – die-
sen Übergang zu vollziehen und im Nachhinein über die
Konsequenzen dieser Entscheidung zu diskutieren. Dies
ist nicht die richtige Reihenfolge.
Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): Zu mitternächtlicher
Stunde nimmt sich heute der Bundestag 30 Minuten
Zeit, um in erster Lesung über den Antrag der Fraktion
Die Linke auf Einsetzung einer Enquete-Kommission
„Ethik, Recht und Finanzierung des Wohnens mit Assis-
tenz (Heim-Enquete)“ zu beraten. Immerhin geht es hier
darum, dass sich der Gesetzgeber ein kompetentes Gre-
mium schaffen soll, das Vorschläge unterbreitet, wie
Menschen jeden Alters in Deutschland zukünftig außer-
halb stationärer Einrichtungen leben können, also ein
Thema, das praktisch jede und jeden angeht.
Auf Wunsch anderer Fraktionen „spart“ sich der Bun-
destag diese 30 Minuten, ohne interessierten Bürgerin-
nen und Bürgern die Reden zu ersparen – denn die geben
wir wie andere auch eben zu Protokoll.
Sollte im Ergebnis der Beratungen die beantragte
Enquete-Kommission zustande kommen, fände ich diese
zu Protokoll gegebenen Reden nicht dramatisch. Dann
gewännen wir nämlich die erforderliche Zeit, um ge-
meinsam mit Sachverständigen über die drängenden
ethischen, rechtlichen und Finanzierungsfragen des
Wohnens mit Assistenz zu diskutieren, vor allem in For-
men außerhalb von Heimen, also mit ambulanter Assis-
tenz, ob rund um die Uhr oder zu bestimmten Zeiten, ob
in der Familie oder in Wohngemeinschaft oder in gänz-
lich neu zu findenden Formen. Diese Diskussion und die
Beförderung notwendiger Veränderungen wird nicht
durch die Abgabe geschriebener Reden geleistet werden
können. Das wird harte Arbeit. Es wird Zeit, damit zu
beginnen.
Wohnen und Leben mit Assistenz ist für viele Men-
schen alltägliche Realität. Ob wegen einer Behinderung,
des Alters und/oder hohen pflegerischen und/oder be-
treuerischen Aufwands, wegen des Verlustes der Eltern
oder aus anderen Gründen: häufig finden sich Kinder,
Jugendliche, Frauen und Männer jeden Alters in Hei-
men. Die demografische Entwicklung kann dazu führen,
dass sich dieser Trend noch verstärkt.
Irgendwann in ein Heim zu müssen, ist jedoch für die
übergroße Mehrheit der Menschen in unserem Land ein
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lbtraum. Tatsache ist, dass sich Heime, Anstalten und
hnlichen Großwohneinrichtungen sowohl im Bewusst-
ein der Bevölkerung als wenig attraktiv darstellen als
ie auch im praktischen Leben zunehmend die Grenzen
hrer Leistungsfähigkeit hinter sich lassen.
Das betrifft sowohl die ethische Zumutbarkeit des Le-
ens unter dem strengen Regime einer Hausordnung als
uch das häufig nur formale Recht auf ungehinderte
eilhabe am gesellschaftlichen Leben. Hohe Heimkosten
ühren häufig dazu, dass sich die Bewohnerinnen und
ewohner von ihrem persönlichen Hab und Gut trennen
üssen. Zudem sind zahlreiche Fälle ungenügender pfle-
erischer Betreuung dokumentiert. Sehr häufig wird die
ersonelle Ausstattung der Einrichtungen bemängelt. Das
iederum führt zu unzumutbaren Arbeitsbedingungen,
ie auch durch noch so großes persönliches Engagement
ahlreicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht kom-
ensiert werden können.
Nicht wenige – hinreichend dokumentierte – Fälle
on Gewalt in der Pflege verlangen, dass sich die Politik
it den Strukturen auseinander setzt, die solche Formen
er Missachtung der Menschenwürde ermöglichen.
leichzeitig müssen neue Konzepte der assistierenden
flege bzw. pflegender Assistenz – bis hin zur persönli-
hen Alltags- und Ganztagsassistenz – erörtert werden,
m ihnen die erforderlichen Rahmenbedingungen, also
erlässliche Finanzierung, zu schaffen.
Die freie Wahl des Wohnsitzes muss auch im Falle
ohen Assistenz- und/oder Pflegebedarfs gewährleistet
ein. Deshalb ist zu klären, wie auch Umzüge, die dem
unsch- und Wahlrecht der Bewohnerinnen und Be-
ohner entsprechen, möglich bleiben bzw. werden. Ge-
eint sind sowohl Wechsel zwischen unterschiedlichen
ohnformen als auch des Wohnorts bzw. des Landes.
Der Wunsch, auch im Falle hohen Assistenzbedarfs
ußerhalb von Großeinrichtungen – möglichst in der ei-
enen Wohnung inmitten der Gemeinde – zu leben,
immt zu und wird auch immer lauter artikuliert. Stell-
ertretend verweise ich hier auf die Forderungen auf ein
eben in der Gemeinde statt in Sondereinrichtungen
urch den Behindertenverband Interessenvertretung
elbstbestimmt Leben in Deutschland e.V., ISL.
Sowohl innerhalb der Behinderten- als auch der Se-
iorenbewegung gibt es neue Konzepte, die sich mit
ielfältigen Formen des Wohnens mit Assistenz befas-
en, die einer kritischen Bewertung durch das Parlament
edürfen. Vor allem stehen wir Parlamentarierinnen und
arlamentarier in der Pflicht, gesetzgeberische Lösun-
en zu finden, die die Konzepte der Betroffenen umsetz-
ar werden lassen.
Die Enquete-Kommission ist der Ort, an dem Wei-
hen für die Zukunft so gestellt werden können, dass der
ersönlichkeitsentfaltung, der Selbstbestimmung und
er Teilhabeermöglichung jedes einzelnen Menschen
uch dann größere Chancen eröffnet werden, wenn sie
inen hohen Bedarf an Pflege, Betreuung, Beaufsichti-
ung, kurz: an persönlicher Assistenz, haben.
Gleichzeitig sollen die Möglichkeiten der Erweite-
ung des Berufsbildes, Alltags-Assistent/in, sowie der
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Rahmenbedingungen für ambulante Betreuungsstruktu-
ren ausgelotet und entsprechende Gesetze initiiert wer-
den; denn auch die in den Heimen arbeitenden Men-
schen brauchen eine Perspektive, damit sie keine Angst
um den Arbeitsplatz haben, wenn Heime geschlossen
werden. Ich bin überzeugt, dass sich für diese Menschen
neue, bessere Arbeitsmöglichkeiten auftun. Und es wer-
den auch mehr Arbeitskräfte benötigt.
In jedem Falle sind ethische Fragen, die Würde der
Bewohnerinnen und Bewohner in allen Lebensphasen
und -situationen, beispielsweise im Pflegefall; Berufs-
ethos der Assistentinnen und Assistenten und Ähnliches,
die rechtliche Stellung und die Finanzierung – aber diese
eben nicht zuerst und nicht ausschließlich – im Blick-
punkt zu halten. Bewusst haben wir den Begriff „Heim-
Enquete“ nur in Klammern und ethische Fragen an den
Beginn gesetzt, um unter anderem einer reinen Kosten-
Nutzen-Rechnung zu entgehen. Dabei soll alternativen
Konzepten, die tendenziell mehr offene Wohnformen
schaffen, genügend Darstellungsraum gegeben werden.
Kann es eine Zukunft ohne Heime geben? Ich emp-
fehle, den Blick über die Landesgrenzen zu werfen.
Schauen Sie sich die Erfahrungen bei der Auflösung von
Heimen in den USA und in Schweden oder Norwegen
an. Hier trägt der vor 25 Jahren begonnene Kampf für
das Recht behinderter Menschen auf ein Leben in der
Gemeinde schmackhafte Früchte.
Norwegen verfügte vor 15 Jahren die Auflösung aller
Heime für Menschen mit geistiger Behinderung. Haupt-
motiv war dabei die Menschenrechtsperspektive, nicht
die Einsparung von Kosten. Eine Gruppe der Lebens-
hilfe Baden-Württemberg war vor Ort und erlebte so
manche Überraschung. So sind vor allem Menschen mit
sehr hohem Hilfebedarf die Gewinner der Reform und
die Kosten sind im Ganzen betrachtet durch die Ambu-
lantisierung nicht stärker gestiegen als bei Beibehaltung
der Heimbetreuung.
Ich bin mir sicher, dass über die Zielstellung, zum ei-
nem mehr Menschen durch den Ausbau ambulanter Ver-
sorgungsstrukturen ein selbst bestimmtes Leben außer-
halb von Heimen zu ermöglichen und andererseits das
Leben in Heimen für die Betroffenen menschenwür-
dig(er) zu gewährleisten, fraktionsübergreifende Einig-
keit besteht.
Dies hat auch die Behindertenbeauftragte der Bundes-
regierung, Kollegin Evers-Meyer, in ihrer Pressemittei-
lung vom 12. Mai unterstrichen:
Wenn wir behinderten Menschen ein möglichst
selbstständiges und vor allem selbst bestimmtes Le-
ben ermöglichen wollen, dann ist der Bau großer
Heime der falsche Weg. Integration und Selbstbe-
stimmung können in solchen Einrichtungen nur
sehr eingeschränkt stattfinden. Behinderte Men-
schen müssen dort wohnen können, wo sie wollen
und mit wem sie wollen, und sie müssen so die
Möglichkeit bekommen, ihre sozialen, insbeson-
dere familiären Netze zu erhalten.
Tatsache ist aber auch, dass trotz des im Jahr 2001 im
SGB IX festgeschriebenen „Paradigmenwechsels“ wei-
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er so genannte Heime gebaut und gefördert werden, an-
tatt einen verbindlichen Baustopp für neue Heimplätze
u verkünden und Alternativen zum „Heim“ gezielt zu
ördern.
Da das oben genannte Ziel weder mit der so genann-
en Föderalismusreform und den damit beabsichtigten
eränderungen im Heimrecht noch durch andere kurz-
ristige Maßnahmen zu erreichen ist, möchte ich noch
inmal nachdrücklich für die Einsetzung der Enquete
erben und hoffe, dass wir in den Ausschussberatungen
ehr schnell zu einem positiven fraktionsübergreifenden
rgebnis kommen.
Ich danke für die Aufmerksamkeit, die Sie diesem
rotokoll widmeten. Noch lieber wäre es mir, wenn die
etroffenen Menschen uns Abgeordneten bald dafür
anken könnten, dass wir – auch mithilfe ihres Sachver-
tandes – nach gründlicher Beratung zukunftsweisende
ege eröffnet haben.
In diesem Sinne: Lasst uns – gemeinsam – ans Werk
ehen!
Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ob-
ohl auch wir auf einen Ausbau von Alternativen zur
eimunterbringung von Menschen mit Behinderungen
nd Pflegebedürftigen fordern, lehnt die Bundestags-
raktion Bündnis 90/Die Grünen den Vorschlag der
inksfraktion zur Einsetzung einer Heim-Enquete-Kom-
ission ab.
Die Verwirklichung eines gleichberechtigten und
elbstbestimmten Lebens ist für uns zentral von der Um-
etzung des Grundsatzes „ambulant vor stationär“ ab-
ängig. Aus diesem Grund haben wir in der Regierungs-
erantwortung in den letzten Jahren mit dem Neunten
uch Sozialgesetzbuch, dem SGB IX, dem Persönlichen
udget und dem Vorrang ambulanter Leistungen nach
em reformierten Sozialhilferecht die erforderlichen ge-
etzgeberischen Schritte bereits eingeleitet. Wir sind da-
er der Auffassung, dass das Hauptaugenmerk der Poli-
ik im Bund nun auf der Umsetzung dieser bereits
eschaffenen sozialrechtlichen Voraussetzungen liegen
uss.
Aus unserer Sicht würde eine Enquete-Kommission
ie erforderlichen Initiativen von Bundesregierung und
eutschem Bundestag zum Ausbau ambulanter Versor-
ungsstrukturen eher blockieren als befördern. Enquete-
ommissionen befassen sich mit politischen Fragestel-
ungen in einer langfristig angelegten wissenschaftlichen
ntersuchung. Sie geben dem Parlament nach einer
ehrjährigen Untersuchungsperiode in einem Ab-
chlussbericht Handlungsempfehlungen, die zur Vorbe-
eitung von Entscheidungen dienen.
Zur Schaffung ambulanter Alternativen zur Heimun-
erbringung benötigen wir aber dringend Taten. Unsere
egründete Befürchtung besteht darin, dass die Regie-
ungskoalition die notwendige Umsetzung und Weiter-
ntwicklung der gesetzlichen Grundlagen bis zur Vor-
age des Abschlussberichtes dieser Enquete-Kommision
urückstellen würde. Zumindest bestünde immer eine
öglichkeit, Forderungen und Kritiken aus den Reihen
3442 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006
(A) )
(B) )
der Oppositionsfraktionen mit dem Verweis auf die Ar-
beit der Enquete-Kommission zu blockieren.
Es gibt für die Grüne Bundestagsfraktion aber einen
weiteren zentralen Grund, warum wir die Forderung der
Linken nicht unterstützen: Die wissenschaftlichen Er-
gebnisse, die eine solche Enquete-Kommission liefern
könnte, liegen bereits vor. So hat die Pflege-Enquete-
Kommission des nordrhein-westfälischen Landtages erst
im vergangenen Jahr einen mehr als 600 Seiten umfas-
senden Abschlussbericht vorgelegt, in dem umfangrei-
che Handlungsempfehlungen zur Förderung ambulanter
Leistungen enthalten sind. Die Bereiche, die diese En-
quete-Kommission bearbeitet hat, decken sich weitge-
hend mit den Fragestellungen, die die Linke in ihrem
Antrag beschreibt.
Diese Arbeitsergebnisse haben aber nicht nur für das
Bundesland Nordrhein-Westfalen Gültigkeit, sondern
können auch für die Entscheidungsfindung auf Bundes-
ebene herangezogen werden. Es besteht daher auch aus
diesem Grund für uns kein weiterer Beratungsbedarf,
sondern ein Handlungsbedarf.
Um diesen Handlungsbedarf deutlich zu machen, hat
die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen
heute einen eigenen Antrag eingebracht. Dieser Antrag
hätte im Zusammenhang mit dem vorliegenden Antrag
der Linken debattiert werden müssen, doch leider haben
die zuständigen Parlamentarischen Geschäftsführer der
großen Koalition den inhaltlichen Zusammenhang nicht
gesehen.
Mit dem Antrag fordern wir die Bundesregierung auf:
Erstens. Eine umfassende Strukturreform der Einglie-
derungshilfe zugunsten der Förderung ambulanter Ver-
sorgungsformen ist einzuleiten. Wir schlagen vor, dass
bei ambulanter Versorgung künftig vollständig auf den
Einsatz von Einkommen, Vermögen und Unterhalt der
Leistungsempfänger verzichtet wird. Aktuelle Musterbe-
rechnungen des Landschaftsverbandes Rheinland haben
gezeigt, dass die Sozialausgaben dadurch deutlich gerin-
ger ausfallen. Bei diesen Berechnungen sind bereits die
Fälle einbezogen, die aufgrund ihres hohen Pflege- und
Assistenzbedarfs deutlich höhere Kosten bei ambulanter
Versorgung verursachen als bei stationärer Unterbrin-
gung.
Zweitens. Das Potenzial von persönlichen Budgets als
Alternative zur stationären Unterbringung ist weiter zu
stärken. Mit den von der rot-grünen Vorgängerregierung
eingeführten Budgets können Menschen mit Behinde-
rungen ihre Sozialleistungen eigenverantwortlich ver-
walten und gezielt für ihre ambulante Versorgung einset-
zen. Um die Akzeptanz der Budgets zu stärken, müssen
die einzelnen Sozialleistungsträger, unter anderem Sozial-
hilfe, Krankenkassen, Rentenversicherungen, Bundes-
agentur für Arbeit, zu einer verlässlichen Budgetkoope-
ration bewegt werden. Hierzu schlagen wir konkrete
gesetzgeberische Änderungen vor: Die Leistungsträger
sollen verpflichtet werden, gemeinsame Widerspruchs-
stellen für alle Leistungsentscheidungen im Rahmen der
medizinischen Rehabilitation, der beruflichen Teilhabe
und der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu bilden.
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ei Auseinandersetzungen über Budgetleistungen ent-
cheidet diese Widerspruchsstelle bindend für alle betei-
igten Rehabilitationsträger. Mit diesen Maßnahmen ver-
indern wir, dass Unstimmigkeiten zwischen den
ostenträgern zulasten der Budgetnehmerinnen und
udgetnehmer gehen.
Für Bündnis 90/Die Grünen ist die Implementierung
mbulanter Wohnformen die vorrangige Aufgabe einer
manzipativen Sozialpolitik, die sich für die Belange
on Menschen mit Behinderungen und pflegebedürfti-
en Menschen einsetzt. Die Probleme, die sich hierfür
rgeben, sind schon seit langem detailliert bekannt, dafür
rauchen wir keine neue Enquete-Kommission.
nlage 27
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Unterrichtung: Tätigkeitsbe-
richt 2003 und 2004 des Bundesbeauftragten
für den Datenschutz – 20. Tätigkeitsbericht –
(Tagesordnungspunkt 23)
Beatrix Philipp (CDU/CSU): Wir beschäftigen uns
eute mit dem 20. Tätigkeitsbericht des Datenschutzbe-
uftragten aus den Jahren 2003 bis 2004. Auch heute soll
s nur um ein Anreißen der in diesem Bericht dargestell-
en Problematiken gehen, die – nach Ansicht meiner
raktion – intensiver besprochen werden müssen.
Dies geschieht naturgemäß nicht hier und jetzt. Es hat
ich aber in den vergangenen Jahren herausgestellt, dass
s dem gemeinsamen Anliegen sehr dienlich ist, wenn
an gemeinsame Auffassungen im Bereich des Daten-
chutzes auch so kenntlich macht und unterschiedliche
uffassungen ebenfalls deutlich markiert.
Ich erwähne dies deshalb am Anfang meiner Ausfüh-
ungen, weil es durch die vergangene Bundestagswahl
war personelle Veränderungen gegeben hat, etwa in Be-
ug auf die Oppositionsrolle, aber ich bin sicher, dass
ir einen Weg finden, der dem in der Vergangenheit ent-
pricht und Beweis dafür sein kann, dass unterschiedli-
he Auffassungen in einem guten Klima eigentlich der
ache auch dienen können. Immer wieder, wenn wir in-
erfraktionell über das Thema Datenschutz reden, müs-
en wir feststellen, dass die Bewertung bzw. Gewichtung
er in diesem Zusammenhang wesentlichen Gesichts-
unkte – und das sind die Persönlichkeitsrechte wie das
echt auf informationelle Selbstbestimmung auf der ei-
en Seite und der immer bedeutender werdende Kom-
lex der inneren Sicherheit auf der anderen Seite – stark
useinander driften.
Wir haben in dieser Legislatur bereits über eine Viel-
ahl datenschutzrelevanter Themen gesprochen und eine
eihe der im Datenschutzbericht als dringlich eingestuf-
en Problematiken in Angriff genommen. Hierzu gehört
um Beispiel das im 20. Datenschutzbericht immer wie-
er ausdrücklich geforderte Informationsfreiheitsgesetz,
as wir Mitte vergangenen Jahres verabschiedet haben.
eider kam es nicht zu einem von meiner Fraktion für
öglich gehaltenen Kompromiss.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006 3443
(A) )
(B) )
Auch wir waren für Transparenz und gegen Korrup-
tion, aber eben auch für ein berechtigtes Interesse als Vo-
raussetzung zum freien Zugang zu den bei der Verwal-
tung vorhandenen Akten. Wir haben dem IFG
grundsätzlich wegen seines weit reichenden Umfangs,
wegen des hohen Verwaltungsaufwandes und ebensol-
cher Kosten sehr kritisch gegenübergestanden und insbe-
sondere bezüglich der Kosten ist das immer noch so,
aber nun warten wir in Ruhe auf die ersten Anwendungs-
ergebnisse. Auch bei der Vorbereitung der Fussball-WM
hat es zahlreiche, zum Teil kontroverse Debatten für den
Datenschutzbereich gegeben. Kurz: Es fehlt die Zeit, in-
tensiver zurückzuschauen, aber ich möchte dennoch bei
dieser Gelegenheit für die geleistete Arbeit in der Ver-
gangenheit Dank sagen: Herrn Schaar und seinen Mitar-
beiterinnen und Mitarbeitern, über deren Arbeit wir
heute auch sprechen. Ich bedanke mich für die Fairness
im Umgang, auch bei unterschiedlichen Auffassungen.
Und für die meist stille, ohne öffentliche Begleitmusik
geleistete Arbeit, die ein solcher Bericht nur wenig wie-
derspiegelt.
Ein sehr wesentlicher Punkt, der im 19. wie auch im
20. Tätigkeitsbericht anklingt, leider jedoch noch immer
aussteht und auch unserer Ansicht nach dringlicher Na-
tur ist, ist eine umfassende Reform des Datenschutz-
rechts. Vielleicht lässt sich im Zusammenhang mit dem
großen Ziel des Bürokratieabbaus auch einiges im Da-
tenschutz verändern. Eine solche Reform müsste bun-
des- und landesgesetzliche Regelungen kompatibel ma-
chen und Hemmnisse und Hindernisse, die immer
wieder – übrigens oft zu Unrecht – beklagt werden, ab-
bauen.
Wir müssen uns dringend damit auseinander setzen,
inwiefern unser jetziges Datenschutzrecht noch zeitge-
mäß ist und vor allem den Anforderungen der techni-
schen Entwicklungen angepasst werden muss. Auf Euro-
paebene sind wir bereits einen Schritt weiter; hier sind
Datenaustausch und -zusammenführung erheblich weiter
fortgeschritten, als deutschlandintern.
In den vergangenen Monaten wurden mehrere Be-
schlüsse verabschiedet, die im Ergebnis alle den effizi-
enteren Austausch von Daten zwischen den Mitglied-
staaten zum Inhalt hatten. Ich nenne Ihnen nur ein
Beispiel: die Richtlinie des Europäischen Parlaments
und ein entsprechender Antrag der Bundesregierung
zum Thema Vorratsdatenspeicherung von Telefondaten,
die für mindestens sechs Monate gespeichert werden sol-
len. Hiernach werden die Telekommunikationsunterneh-
men künftig zur Speicherung der Kontaktdaten – ich be-
tone, nicht des Inhalts! – verpflichtet, sodass bei
drohender Gefahr Gespräche und Kontakte nachvollzo-
gen werden können.
Wir haben uns stets von einem Grundsatz leiten las-
sen: Bei der Abwägung zwischen einer effektiven Ge-
fahrenabwehr, zum Beispiel der Terrorismusbekämp-
fung, und den Persönlichkeitsrechten von Betroffenen,
wie zum Beispiel bei Passagierdaten oder der Speiche-
rung von Telefondaten, stellen wir den Aspekt der Si-
cherheit definitiv und ohne Einschränkungen an die erste
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telle; wir haben das hier an dieser Stelle mehrfach be-
ründet.
Unser Vorgehen in den oben angesprochenen Berei-
hen verdeutlicht die Notwendigkeit einer Zusammenar-
eit aller betroffenen Behörden und Instanzen, die auch
m vorliegenden Bericht in ihrer Dringlichkeit für die
riminalitätsbekämpfung hervorgehoben wurde.
Hier heißt es – ich zitiere –: „Eines der wichtigsten
iele besteht darin, den ungehinderten Datenaustausch
m Bereich der dritten Säule, also zwischen den Polizei-
ehörden und den Organen der Strafverfolgung der Mit-
liedstaaten, zu gewährleisten.“
So, wie wir derzeit auf Europaebene ein engmaschi-
es Netz des Datenaustauschs aufbauen, muss dies auch
nser Ziel auf nationaler Ebene sein. Da liegt eine
enge Arbeit vor uns!
Die neuen Technologien nehmen einen nicht mehr
egzudenkenden Platz in unserem Alltag ein. Ich denke
n die RFID-Chips und WLAN-Netze – ein, zwei Berei-
he, die uns datenschutzrechtlich noch stark beschäfti-
en werden. Zunächst zu den WLAN-Funknetzen
Wireless Local Area Network – derzeit der Renner,
enn es um mobile und flexible Kommunikation geht –:
ier hat uns die Zeit seit Erscheinen des vorliegenden
atenschutzberichts im Jahr 2004 auf gewisse Weise
ingeholt; denn was vor zwei Jahren noch etwas für
echnikfreaks war, ist inzwischen Alltag. Nicht nur pri-
at werden viele von Ihnen ihren Internetzugang zu
ause per WLAN nutzen, auch im öffentlichen Bereich
st es nicht mehr wegzudenken: In fast jedem Hotel, in
ielen Kaffeebars und beispielsweise auch auf dem ge-
amten Ku‘damm, um konkret in Berlin zu bleiben, fin-
en Sie WLAN.
Durch diese drahtlose Kommunikation ist ein Maxi-
um an Komfort und Flexibilität möglich, wir sind je-
erzeit und überall via Internet zu erreichen und im
ahrsten Sinne des Wortes mit dem Weltgeschehen ver-
etzt.
Dieses Plus an Mobilität hat jedoch seinen Preis. Vor
llem im privaten Bereich sind die via Funk übertrage-
en Daten, gerade weil es keine physikalische Verbin-
ung zwischen den Medien gibt, keineswegs sicher.
ielmehr ist es auch Dritten relativ leicht möglich, den
unkverkehr mitzuhören oder aktiv an diesem offenen
edium teilzunehmen. Funkwellen machen eben nicht
n der Wohnungstür oder der Grundstücksgrenze halt.
nd wenn es nun schon so ist, dass sich Dritte derartig in
remden Funkverkehr einloggen können, dann ist nicht
ur die Privatsphäre, sondern auch die informationelle
elbstbestimmung in Gefahr.
Der Rückgriff auf die Festplatten der Betroffenen
ird auf diese Weise möglich und damit werden automa-
isch persönliche Daten offen gelegt, an deren Geheim-
altung der Verbraucher möglicherweise ein erhebliches
nteresse hat, seien es seine Daten zum Onlinebanking,
teuerdaten, geschäftliche Kontakte oder eben natürlich
öchstpersönliche Dokumente.
3444 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006
(A) )
(B) )
An dieser Stelle können wir uns sicherlich nicht zu-
rücklehnen und auf die unzureichenden Voreinstellungen
der Geräte verweisen. Vielmehr müssen wir im Sinne
des Datenschutzes darüber nachdenken, ob wir auf die
Hersteller dahin gehend einwirken müssen, dass die Ge-
räte künftig mit deutlich höheren Sicherheitseinstellun-
gen ausgestattet werden und gleichzeitig aber noch für
den Normalverbraucher ohne professionelle Hilfe zu
konfigurieren sind. Dies kann aber unter wettbewerbli-
chen Gesichtspunkten keine einzelne, nur in Deutsch-
land oder Europa anzuwendende Maßnahme sein. Hier
gibt es jedenfalls Handlungsbedarf über Deutschland hi-
naus.
Der zweite Punkt betrifft den Bereich „Radio Fre-
quenz Identification“ – RFID; eine Technologie, die mit-
tels elektromagnetischer Wellen die kontaktlose Daten-
übertragung zwischen einem Chip und einem speziellen
Lesegerät ermöglicht.
Diese Lesegeräte senden ein Erkennungssignal an die
Antennen der Chips, die daraufhin ihre Daten preisge-
ben. Das können zum Beispiel die Angabe des Herstel-
lernamens, eine Produktionsnummer, Datum und Ort der
Herstellung, Preis oder sonstige Merkmale des jeweili-
gen Gegenstands sein.
Einzug gehalten hat diese Technik bis dato vor allem
in der Warenlogistik, so zum Beispiel durch Einbau in
eine der bekanntesten Jeans-Labels, die diese Technik
nicht nur deswegen befürwortet, weil damit die Origina-
lität des Produkts sichergestellt werden kann.
Es geht vielmehr auch um die Eindämmung bzw.
Drosselung von Personalkosten in den jeweiligen Ver-
kaufsflächen durch eine quasi Selbstverwaltung der Be-
kleidungsstücke, die signalisieren, was, in welcher
Größe und wann nachzubestellen ist.
Es ist keine fern liegende Vision, dass auf Dauer
RFID-Chips die Strichcodes verdrängen und die klassi-
schen Kassenbereiche und Rollbänder aus den Super-
märkten und Warenhäusern verschwinden. Dann wird
die Bezahlung bzw. Registrierung des Warenkorbinhalts
durch die automatische Übertragung der Daten der
RFID-Chips erfolgen und jeder kann den Weg der Ware
verfolgen.
Noch spannender wird es allerdings bei einer Variante
dieses Beispiels: Der Kunde bezahlt seinen Einkauf mit
einer Kreditkarte, sodass seine persönlichen Daten mit
den Daten des Chips gekoppelt in die Datenbanken ein-
fließen. Dazu kommt die Tatsache, dass diese Waren zu-
sammen mit den eingebauten Chips den Verkaufsraum
verlassen und Teil unseres alltäglichen Lebens werden.
Wir müssen nicht darüber streiten, dass an dieser
Schnittstelle eine Gefahr für das Recht auf informatio-
nelle Selbstbestimmung besteht, denn durch die Übertra-
gung der Daten der einzelnen Konsumgüter – von der
Bekleidung bis irgendwann auch hin zu Lebensmitteln
usw. – wird der Verbraucher tatsächlich nicht nur zum
optimalen Angriffspunkt für diverse gezielte Werbe- und
Marketingaktionen, sondern vor allem ist er einer ständi-
ger Kontrolle seines Verhaltens ausgesetzt.
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Man kann an dieser Stelle natürlich über diverse
chutzmaßnahmen für den Verbraucher nachdenken, im-
er mit Blick auf das von uns fokussierte Datenschutz-
echt. Ob eine solche Maßnahme in der Verpflichtung
ur Zerstörung des Chips bei Verlassen der Verkaufs-
äume liegen muss oder ob sich andere Lösungen finden
assen, ist offen. Wichtig sind zunächst die Sensibilität
ür dieses Thema und das ernsthafte Bestreben, sich mit
en dahinter stehenden Interessen und Problemen aus-
inander zu setzen.
Ein Thema, mit dem wir uns in den vergangenen Mo-
aten zwar schon befasst haben, das aber noch großen
andlungsbedarf aufweist, ist das Thema Scoring. Sie
önnen meiner letzten Rede entnehmen, dass ich die jet-
ige rechtliche Situation zwar für ausreichend und daten-
chutzrechtlich rechtmäßig halte; jedoch gestalten sich
raxis und Umsetzung dieser rechtlichen Rahmenvor-
chriften als unzureichend, zweifelhaft und aus Verbrau-
hersicht äußerst nachteilig.
Die im Datenschutz grundsätzlich vordergründige
orderung nach Transparenz und Nachvollziehbarkeit
ür den Bürger über die zu seiner Person gesammelten
aten, die in den Regelungen zum Recht auf Auskunft
nd entsprechend auf Berichtigung unrichtiger Daten
usdruck finden, werden derzeit durch die in diesem
ereich gängige Praxis und das sich Berufen auf Ge-
chäftsgeheimnisse der Daten verarbeitenden und sam-
elnden Unternehmen faktisch ausgehöhlt.
Der 20. Datenschutzbericht geht diesbezüglich noch
ber die oben genannte Problematik hinaus, indem er die
eplante Erweiterung der Geschäftsfelder der Auskunf-
eien wie der Schufa ins Visier nimmt.
Angedacht waren eine Ausweitung auf den Bereich
er Wohnungswirtschaft und der Versicherungswirt-
chaft, wobei auch ich diese Kumulation von Datensät-
en aus verschiedensten Lebensbereichen für nicht un-
roblematisch halte. Die Verweigerung eines
andyvertrags ist in der Tat nicht mit der Verweigerung
es Mietens einer Wohnung zu vergleichen. Auch hier
leibt Diskussionsbedarf, zumal die als Vermutung noch
m Bericht beschriebenen Ausweitungen längst Realität
ind.
Dieser abschließende Hinweis mag im Übrigen dazu
ühren, dass der nächste Datenschutzbericht etwas zeit-
äher, das heißt aktueller vorgelegt und beraten werden
ollte. Auch dies ist eine alte Forderung. Langer Rede
urzer Sinn: Wie Sie sehen, gibt es eine Menge spannen-
er Themen, die zu diskutieren sind und deren Lösung
isher noch nicht absehbar ist. Gerade deswegen sehe
ch den kommenden Beratungsgesprächen zum 20. Da-
enschutzbericht im Ausschuss erwartungsvoll und koo-
erationsbereit entgegen.
Jörg Tauss (SPD): Wir befassen uns heute in erster
esung mit dem 20. Tätigkeitsbericht des Bundesbeauf-
ragten für den Datenschutz, welcher den Berichtszeit-
aum der Jahre 2003 und 2004 umfasst und dem Haus
ereits seit April 2005 vorliegt. Leider war aufgrund der
orgezogenen Wahlen zum 16. Deutschen Bundestag
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006 3445
(A) )
(B) )
eine frühere Befassung mit dem Bericht nicht möglich.
Ich sage auch deshalb leider, weil der Bericht durch
diese verzögerte Befassung in einigen sehr wichtigen
Einzelpunkten bereits den tatsächlichen Entwicklungen
hinterherhinkt.
Bevor ich etwas detaillierter auf die Inhalte und For-
derungen dieses 20. Tätigkeitsberichtes eingehe, möchte
ich Herrn Peter Schaar und seinen Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern für diesen Bericht danken, den ich in bester
Tradition mit denen seines Vorgängers Dr. Jacob sehe.
Wenn wir nun schon bei Traditionen sind: Es ist feste
Praxis in unserem Hause, dass Entschließungen zum Tä-
tigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für Datenschutz
in interfraktioneller Einigung gefasst werden, und ich
bin sehr guter Dinge, dass uns dies auch dieses Mal ge-
lingen wird. Ich bin deshalb so positiv gestimmt, weil
sich die Forderungen aus dem aktuellen Tätigkeitsbe-
richt in wesentlichen Teilen mit dem Beschluss des
Deutschen Bundestages zum 19. Tätigkeitsbericht des
Bundesdatenschutzbeauftragten decken.
Datenschutz ist Grundrechtsschutz und damit eine un-
verzichtbare Bedingung für die Funktion eines demokra-
tischen Gemeinwesens. Er ist notwendiger Bestandteil
einer freiheitlichen Kommunikationsordnung. Demokra-
tische Teilhabe und Teilnahme an gesellschaftlichen
Kommunikationsprozessen und einem freien Wirt-
schaftsverkehr sind nur zu erwarten, wenn jeder Teilneh-
mer sein Handeln auf freier Willensbildung gründen
kann. Diese ist nur möglich, wenn die Erhebung, Spei-
cherung und Nutzung von personenbezogenen Daten
grundsätzlich seiner freien Selbstbestimmung unter-
liegt. Dies gilt in der sich herausbildenden Wissens- und
Informationsgesellschaft für den gesamten Bereich der
elektronischen Kommunikation in besonderem Maße.
Hauptmerkmal der Wissens- und Informationsgesell-
schaft ist, dass nahezu sämtliche Lebensbereiche von
den neuen Informations- und Kommunikationstechnolo-
gien durchdrungen sind und sensible Daten und Informa-
tionen aus allen gesellschaftlichen Bereichen in zuneh-
mendem Maße in weltweite Informations- und
Kommunikationsnetze eingespeist und übermittelt wer-
den. Dabei ist die Praxis der Datenverarbeitung durch
eine dezentrale, vernetzte und digitalisierte Datenverar-
beitung in Wirtschaft und Gesellschaft bestimmt: Bereits
seit langem werden personenbezogene Daten nicht mehr
auf isolierten Rechnern, sondern auf dezentralen Rech-
nern verarbeitet, die immer kleiner werden, tragbar so-
wie miteinander vernetzt sind und zunehmend selbst-
ständig miteinander kommunizieren sollen.
Dies birgt neben Vorteilen für Wirtschaft, Verwaltung
und Gesellschaft allerdings auch Gefährdungspoten-
ziale, insbesondere durch die Möglichkeiten heimlicher
Datenerhebung oder -manipulation sowie einer Integra-
tion unterschiedlicher Datenbestände zur Analyse
umfassender Persönlichkeitsprofile. Diese Gefährdungs-
potenziale und Risiken – die der Bundesdatenschutzbe-
auftragte in seinem Bericht benennt – sind insbesondere
deshalb folgenreich, weil sie die autonome Handlungs-
und Kommunikationsfähigkeit der Bürgerinnen und
Bürger gefährden und damit die zentrale Voraussetzung
für die gesellschaftliche Akzeptanz und Entwicklung der
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ivilen Informationsgesellschaft infrage stellen. Eine
ehlende Akzeptanz seitens der Nutzer wirkt sich im Üb-
igen auch wirtschaftlich negativ auf die Entwick-
ungschancen der Angebote aus Wirtschaft, Verwaltung
nd Gesellschaft aus. Datenschutz ist in diesem Sinne
das mittlerweile weltweit akzeptiert – einer der zentra-
en Akzeptanzfaktoren der Informationsgesellschaft. Da-
it gewinnt nicht nur der Schutz der Privatsphäre und
ie Vertraulichkeit und Integrität sämtlicher Kommuni-
ation zunehmend an Bedeutung, darüber hinaus wird
atensicherheit zu einem integralen Baustein in einem
anzheitlichen, auf mehrseitige Sicherheit basierenden
atenschutzkonzept.
Dieser Ausgangslage trägt das bisherige Datenschutz-
echt in Deutschland nur bedingt Rechnung; auch diese
eststellung bekräftigt der 20. Tätigkeitsbericht des
undesdatenschutzbeauftragten. Es ist immer noch zu
ehr auf das Konzept der räumlich abgegrenzten Daten-
erarbeitung fixiert, nimmt neue Formen personenbezo-
ener Daten und deren Verarbeitung nur ungenügend auf
nd berücksichtigt unzureichend die Gefahren und
hancen neuer Techniken der Datenverarbeitung. Da-
über hinaus ist es in seinen Formulierungen häufig
idersprüchlich und durch seine Normierung in zahlrei-
hen Gesetzen unübersichtlich und schwer zu handha-
en.
Auf die zunehmende Konvergenz der Technik muss
innvollerweise eine Konvergenz des Datenschutzrech-
es folgen. Hierzu wird die anstehende Beratung des
elemediengesetzes, in dem die Datenschutzvorschriften
ür die elektronischen Medien zusammengeführt werden
ollen, ein wichtiger erster Schritt sein. Es müssen recht-
iche Rahmenbedingungen geschaffen werden, die – und
ier stimme ich mit dem Bundesbeauftragten für Daten-
chutz völlig überein – zum einen den Umfang und die
renzen zulässiger Datenverarbeitung klar definieren
nd zum anderen die Rechte und Pflichten aller invol-
ierten Akteure festlegen.
Bedingt durch die beschriebenen sich rasant verän-
ernden Entwicklungen im Bereich der Technologien
nd der daraus resultierenden immer neu entstehenden
roblemfelder zeigt sich, dass wirkungsvoller Daten-
chutz eben kein klar definierter und abgeschlossener
ereich ist. Vielmehr sehe auch ich das Datenschutz-
echt als einen dynamischen, sich im stetigen Wandel be-
indlichen Prozess an – mit Konsequenzen für den Ge-
etzgeber, da die bereits bestehende Norm immer wieder
ufs Neue aktuellen Entwicklungen und Erkenntnissen
ngepasst werden muss. Zu Recht verweist der Tätig-
eitsbericht daher an dieser Stelle darauf, dass es hierbei
icht um eine bürokratische Überregulierung handelt –
iese Sorge könnte man leicht haben. Die SPD-Bundes-
agsfraktion vertritt vielmehr die Auffassung, dass man
ur durch die Fortführung der umfassenden Modernisie-
ung und Fortentwicklung des Datenschutzrechtes zu ef-
izienten und unbürokratischen Lösungen gelangen
ann, und sieht daher ein modernisiertes Datenschutz-
echt auch als Instrument zum Bürokratieabbau. Die not-
endige Überprüfung und Fortentwicklung des Daten-
chutzrechtes hat daher auch Eingang in die
3446 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006
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Koalitionsvereinbarung zwischen SPD und CDU/CSU
gefunden.
Wir streben mit der Modernisierung und Weiterent-
wicklung des Datenschutzrechtes eine deutliche und
kontinuierliche Vereinfachung und Integration des Da-
tenschutzrechtes an, ohne das bestehende Schutzniveau
abzusenken. Ein solches Ziel kann nur dann verwirklicht
werden, wenn das bestehende Datenschutzrecht um neue
Datenschutzinstrumente ergänzt wird – beispielsweise
durch die mit der BDSG-Novellierung geschaffene
Möglichkeit des Datenschutz-Audit –, wobei der Imple-
mentierung eines Datenschutzes durch Technik grund-
sätzlich eine große Bedeutung zukommen wird. Darüber
hinaus muss es aber auch allgemeine Regelungen zur
Datensicherung, zur Datenschutzorganisation, zur Da-
tenschutzkontrolle und zur Selbstregulierung enthalten.
Im Rahmen der im 20. Tätigkeitsbericht geforderten
Modernisierung des Datenschutzrechtes stellt der Bun-
desbeauftragte zu Recht die Frage: Wann endlich kommt
das Auditgesetz? Wir haben es bisher versäumt, ein ent-
sprechendes Durchführungsgesetz auf den Weg zu brin-
gen. Ohne dieses kann aber die in § 9 a BDSG beabsich-
tigte Wirkung keine Entfaltungen finden. Das
Auditgesetz, als datenschutzrechtliche Innovation und
wichtiges Modernisierungselement gedacht, soll zur
Stärkung der Akzeptanz des Datenschutzes beitragen
und eine ständige Fortentwicklung entsprechend den
sich verändernden und zunehmenden Risiken ermögli-
chen. Dabei ist einer möglichst unbürokratischen Lö-
sung der Vorzug zu geben, die sich an den realen Interes-
sen der Anbieter und Verbraucher orientiert. Daher wird
mit der Möglichkeit der Auditierung den verantwortli-
chen Stellen die Möglichkeit geboten, mit ihren Anstren-
gungen zur Implementierung eines effektiven Daten-
schutzes zu werben. Hierzu gehört insbesondere die
vertrauenswürdige Auditierung von Datenschutzma-
nagementsystemen. Verantwortliche Stellen, die am Da-
tenschutzaudit teilnehmen, sollten von öffentlichen Stel-
len bevorzugt berücksichtigt werden, wenn es um
Aufträge zur Verarbeitung personenbezogener Daten
geht. Darüber hinaus führt es – auch das hebt der Tätig-
keitsbericht hervor – weg von Verbot, Kontrolle und
Sanktion; es sollte vielmehr als Mittel des wirtschaftli-
chen Wettbewerbs begriffen werden. Entsprechende Re-
aktionen aus Wirtschaftskreisen auf eine solche Rege-
lung – das sind auch meine Erfahrungen – stimmen uns
da positiv.
Ähnlich dringend gestaltet sich der Bereich der Gen-
diagnostik; auch hierauf verweist der Bundesdaten-
schutzbeauftragte völlig zu Recht. Der technisch-medi-
zinische Fortschritt in der molekulargenetischen
Forschung verläuft rasant und die sich daraus ergebende
Möglichkeit von DNA-Analysen eröffnet ungeahnte
Chancen, aber auch ungeahnte Risiken für das Recht auf
informationelle Selbstbestimmung. Daher erfordern die
Entschlüsselung des menschlichen Genoms und die da-
mit verbundenen Anwendungsmöglichkeiten eine um-
fassende gesetzliche Regelung, beispielsweise für gene-
tische Untersuchungen für medizinische Zwecke, im
Versicherungsbereich, im Arbeitsleben oder für Zwecke
wissenschaftlicher Forschung. Ich begrüße an dieser
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telle mit Nachdruck die Forderung aus dem vorliegen-
en Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für den
atenschutz nach einem ausdrücklichen und strafbe-
ehrten Verbot, die Genanalyse eines anderen ohne Be-
ugnis durchzuführen oder durchführen zu lassen oder
rgebnisse der Genanalyse eines anderen zu verarbeiten
der zu nutzen. Bisher fehlen hier spezielle rechtliche
egelungen und das allgemeine Datenschutzrecht reicht
ielfach nicht aus, um Missbrauch entgegenzutreten, fai-
en Interessenausgleich zu gewährleisten und diesen
ernbereich der Persönlichkeit eines jeden Menschen
irkungsvoll zu schützen. Ich plädiere dafür, die vom
fD gemachten Vorschläge bei der Erarbeitung einer ge-
etzlichen Regelung einzubeziehen, wie auch den Bun-
esbeauftragten für den Datenschutz von Anfang an der
rarbeitung eines solchen Regelwerkes zu beteiligen.
Ich möchte abschließend noch einen letzten – in mei-
en Augen nicht weniger wichtigen – Aspekt anspre-
hen, dem auch der vorliegende Tätigkeitsbericht einen
ohen Stellenwert einräumt, nicht zuletzt weil er die un-
erschiedlichsten und insbesondere für den Bürger weit-
eichendsten Bereiche tangiert: Biometrische Verfahren
ücken nicht zuletzt auch aufgrund gestiegener Sicher-
eitsanforderungen und des Wunsches nach absolut täu-
chungs- oder fälschungssicherer Identifikation bzw. Ve-
ifikation von Personen immer mehr in den Blickpunkt.
iese hebt auch die Koalitionsvereinbarung zwischen
PD und CDU/CSU hervor, wo auf den verstärkten Ein-
atz von biometrischen Verfahren hingewiesen wird.
Der Tätigkeitsbericht des BfD geht intensiv auf die
hancen und Risiken der Biometrie ein. Er verweist zum
inen auf die notwendige Beachtung der Grundprinzi-
ien des Datenschutzes wie Datensparsamkeit, Datensi-
herheit, Transparenz, strikte Zweckbindung, Erforder-
ichkeit und Verhältnismäßigkeit, um nur die wichtigsten
u nennen. Zum anderen sieht er aber auf nationaler wie
nternationaler Ebene noch erheblichen Beratungs- und
egelungsbedarf. Denn die politischen, finanziellen und
rganisatorischen Konsequenzen sowie Nebenfolgen
beispielsweise mit Blick auf das Recht auf informatio-
elle Selbstbestimmung – wurden bislang – dies ist
eine Meinung – erst in Ansätzen durchdacht. Dies gilt
llein schon für die Kosten einer Nutzung von Biometrie
n Ausweisdokumenten, aber auch für die grundsätzliche
uverlässigkeit sowie die Angreifbarkeit der Systeme;
ies merkt auch der Tätigkeitsbericht zu Recht kritisch
n.
Insbesondere bei der Zuverlässigkeit der Systeme
öchte ich mich den im Tätigkeitsbericht formulierten
edenken anschließen. Der Einsatz beispielsweise von
iometriepässen wird nur schwerlich ein Mehr an Si-
herheit bringen. Ein digitales Foto und Fingerabdrücke
m Pass verraten gar nichts über mögliche kriminelle
der terroristische Absichten des Passinhabers. Vielmehr
ann ein solcher E-Pass schnell selbst zum Sicherheitsri-
iko zu werden – beispielsweise wenn die Daten mani-
uliert oder ausgelesen werden. Bei einer zehnjährigen
ültigkeit von Reisepässen kann heute niemand seriös
usschließen, dass die biometrischen Daten nicht doch
rgendwann unbemerkt gelesen, kopiert oder verändert
erden können.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006 3447
(A) )
(B) )
Will die Gesellschaft beim Übergang zur Wissens-
und Informationsgesellschaft am Ziel eines freiheitlich-
demokratischen Gemeinwesens festhalten und will sie
auch die wirtschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen
Potenziale nicht gefährden, kommt sie nicht umhin, auch
in einer vernetzten und digitalisierten Welt das
Grundrecht auf informationelle und kommunikative
Selbstbestimmung zu bewahren. Das wird nur durch
eine umfassende Modernisierung des bestehenden Da-
tenschutzrechtes zu erreichen sein. Hierzu zählen insbe-
sondere die rasche Verabschiedung eines Datenschutz-
auditausführungsgesetzes, die weitere Modernisierung
und Fortentwicklung des Bundesdatenschutzgesetzes,
die seit langem geforderte Verabschiedung eines Arbeit-
nehmerdatenschutzgesetzes, sowie das Fortsetzen der
Arbeiten an einem Gendiagnostikgesetz.
Dabei kommt dem Datenschutz insgesamt inzwischen
zugleich eine grundlegend neue Bedeutung als Wettbe-
werbs- und Standortvorteil zu, die es – auch im Hinblick
auf den europäischen und internationalen Kontext und
im Interesse des Datenschutzes – zu nutzen gilt. Je län-
ger die notwendige Modernisierung auf sich warten lässt
– hier schließe ich mich uneingeschränkt dem 20. Tätig-
keitsbericht des Bundesbeauftragten für den Datenschutz
an – desto größer ist im Anschluss der gesetzgeberische
Aufwand. Die Fraktion der SPD im Deutschen Bundes-
tag wird sich dafür einsetzen, dass auch in einer weltweit
vernetzten und digitalisierten Welt das Grundrecht auf
informationelle und kommunikative Selbstbestimmung
bewahrt bleibt.
Gisela Piltz (FDP): Mit dem 20. Tätigkeitsbericht
liegt uns der erste Bericht des Datenschutzbeauftragten
Peter Schaar vor. Auch in dem Bericht von Peter Schaar
kann man wie bei seinen Vorgängern deutlich erkennen,
von welcher grundlegenden Bedeutung die kritische Be-
gleitung von einer unabhängigen Stelle aus datenschutz-
rechtlicher Sicht ist. Peter Schaar hat uns ebenso wie mit
seinen vielen Reden und anderen Beiträgen mit diesem
Bericht in der Diskussion um einen modernen Daten-
schutz an vielen Stellen vorangebracht; dafür möchte ich
Herrn Schaar an dieser Stelle einmal ausdrücklich dan-
ken.
Der Tätigkeitsbericht belegt, dass die rot-grüne Bun-
desregierung dem Datenschutz und damit den Bürger-
rechten keinen großen Stellenwert beigemessen hat. Ha-
ben speziell die Grünen in ihren Reden zum
vorhergehenden Tätigkeitsbericht noch großspurig ange-
kündigt, nun die Anregungen des 19. Tätigkeitsberichts
an den Gesetzgeber zum Wohle des Datenschutzes um-
zusetzen, so muss sich das Urteil des 20. Tätigkeitsbe-
richts für die Grünen wie eine schallende Ohrfeige an-
fühlen. Ich zitiere: „Bei der Datenschutzgesetzgebung
wurden während der Berichtsperiode leider kaum sicht-
bare Fortschritte erzielt.“ Das ist leider nur zu wahr.
Seit vielen Jahren fordert die FDP ein Datenschutz-
audit. Die Grünen rühmen sich nur zu gern als Bür-
gerrechtspartei und haben auch die Schaffung eines
Auditierungsgesetzes, mit dem die Zertifizierung daten-
schutzfreundlicher Programme auf eine gesetzliche
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rundlage gestellt wird, schon bei der Beratung des letz-
en Tätigkeitsberichtes des Datenschutzbeauftragten ge-
ordert und angekündigt. Sie müssen sich nun fragen las-
en, warum in ihrer Zeit als Regierungspartei so wenig
uf diesem Gebiet geschehen ist. Sie tragen nach dem
un vorliegenden Tätigkeitsbericht mit der SPD die Ver-
ntwortung für zwei verlorene Jahre beim Bürgerrechts-
chutz, das sollten Sie von den Grünen bedenken, wenn
ie das nächste Mal von sich selbst als Bürgerrechtspar-
ei reden.
Auch sonst hat die alte Bundesregierung dem Daten-
chutz nur allzu wenig Beachtung geschenkt. So stellt
er Tätigkeitsbericht eindrucksvoll dar, wie bei einem
entralen Großprojekt der alten Bundesregierung, der
mstellung der Arbeitslosen- und Sozialhilfe auf das
rbeitslosengeld II, elementare Datenschutzanforderun-
en missachtet wurden. Dies kann man nicht einfach als
anne herunterreden. Auch hier zeigt sich, dass der Da-
enschutz in der Koalition der 15. Wahlperiode einen ge-
ingen Stellenwert hatte.
Die technologischen Innovationen und die damit ver-
undenen neuen Einfallstore für den Datenschutz wer-
en in dem Bericht beschrieben. Es ist nun unsere Auf-
abe, auch beim Einsatz moderner Technologien den
atenschutz sicherzustellen.
Da kommt auf uns beispielsweise mit Blick auf die
unmehr für zahlreiche Anwendungen in der Diskussion
tehenden Funkchips noch eine Menge Arbeit zu. So
uss beim Einsatz von mit biometrischen Daten ausge-
tatteten Funkchips in Ausweispapieren sichergestellt
ein, dass die sensiblen Daten nicht unautorisiert emp-
angen werden. Auch andere neue Technologien erfor-
ern ein Mitdenken der datenschutzrechtlichen Gefahren
nd Problemstellen. So wird es auch bei der neu einzu-
ührenden Gesundheitskarte darauf ankommen, das Sys-
em so einzurichten, dass die Schutzmechanismen ver-
ässlich und beherrschbar funktionieren. So müssen
nsbesondere die Verfügbarkeit, Vertraulichkeit und Nut-
ungsfestlegung der Daten, klare Verantwortlichkeiten
nd der informierte Umgang des Bürgers mit der Karte
ichergestellt sein.
Doch damit nicht genug. War im Tätigkeitsbericht die
erpflichtende Vorratsdatenspeicherung noch eine bloße
efürchtung, so ist dieser völlig unverhältnismäßige
ingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestim-
ung der Bürger zu einer realen Richtlinie gereift, die
uropaweit umgesetzt werden soll. Dies ist aus daten-
chutzrechtlicher Sicht völlig inakzeptabel. Auch der
assive Anstieg der Telekommunikationsüberwachung
immt erschreckende Ausmaße an. Seit dem Ende des
erichtszeitraums des vorliegenden Tätigkeitsberichts
at die Zahl der Anordnungen zur Telekommunikations-
berwachung um 24 Prozent zugenommen.
Es gibt daher viel zu tun. Die Bürger können sich da-
auf verlassen, dass sie in der FDP jetzt und in Zukunft
inen Partner haben, der modernen Technologien den
insatz ermöglicht und dennoch den Bürgerrechtsschutz
icherstellt.
3448 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006
(A) )
(B) )
Petra Pau (DIE LINKE): Der Datenschutz ist ein
Bürgerrecht. Wir diskutieren heute also über einen Be-
richt, in dem der Bundesdatenschutzbeauftragte be-
schreibt, inwieweit aus seiner Sicht Bürgerrechte geach-
tet oder missachtet werden. Herr Dr. Schaar hat seinen
Bericht höchst diplomatisch formuliert. Aber zwischen
den Zeilen und unter dem Strich bleibt: Erneut wurde der
Datenschutz abgebaut, zum Teil gravierend. Das ist ein
schlimmes Fazit. Da es um die Jahre 2003 und 2004
geht, gilt der Negativbefund Rot-Grün. Sie können ihn
auch nicht allein Otto Schily anlasten. Er betrifft die
SPD und die Grünen insgesamt. Ich bedauere das sehr.
Der Datenschutz wurde durch Unterlassung ge-
schwächt, mit Vorsatz und mit kräftiger Unterstützung
der Unionsparteien, die das Grundsatzurteil des Bundes-
verfassungsgerichtes „pro Datenschutz“ nie respektiert
haben. Die Unionsparteien haben den Datenschutz im-
mer als Täterschutz verteufelt. Das ist natürlich völlig
falsch. Denn ohne Datenschutz gibt es keine lebendige
Demokratie. Das ist die Dimension, um die es geht.
Umso schlimmer finde ich, dass der bisher radikalste
Einbruch in die Privatsphäre der Bürgerinnen und Bür-
ger auf das Konto der Demokratiepartei SDP und der
Bürgerrechtspartei Bündnis 90/Die Grünen geht.
Ich sprach von Unterlassung und ich will das begrün-
den. Datenschutz im 21. Jahrhundert ist nicht mehr mit
Datenschutz vor 20 Jahren zu vergleichen. Wir leben im
Computer-, Handy- und Videoalltag. Tag für Tag fallen
Unmengen von Daten an, auch persönliche. Sie werden
gesammelt, gespeichert, verarbeitet und verkauft. Wir
brauchen heutzutage also ein viel umfassenderes Daten-
schutzrecht. Genau da liegt die Unterlassung. Unser Da-
tenschutzrecht ist nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Die
Datenmengen und die Datenbegierde laufen dem Daten-
schutz davon. Und genau das muss geändert werden.
Ich sprach von Vorsatz und auch das will ich skizzie-
ren. Mit Vorsatz wurde der Datenschutz in zwei Wellen
angegriffen. Die erste hing mit den Terroranschlägen
vom 11. September 2001 in den USA zusammen. Die
Regierung reagierte mit neuen Sicherheitsgesetzen, den
so genannten Otto-Paketen, also mit massiven Eingrif-
fen, auch in den Datenschutz. Die versprochene Über-
prüfung dieser Gesetze fehlt übrigens noch immer. Die
zweite Welle kam mit den Hartz-Gesetzen. Wer von
Hartz IV betroffen ist, weiß, wie viele persönliche und
Umfelddaten amtlich gefordert und verarbeitet werden,
oft auch noch mit fahrlässiger Software.
Ohne Übertreibung lässt sich heute sagen: Wer arm
dran ist, dem werden auch noch die Bürgerrechte be-
schnitten, der wird zum Staatsbürger zweiter oder dritter
Klasse degradiert, und zwar durch rot-grüne Bundesge-
setze. Nehmen wir den umfassenden Datenabgleich.
Eingeführt wurde er, um Terroristen aufzuspüren. Getes-
tet wurde er an BAföG-Beziehern. Massenhaft kommt er
nun gegen Langzeitarbeitslose zur Anwendung. Das
Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gilt
hierzulande bestenfalls noch für die Schönen und Rei-
chen. Mit dem Sozialstaat bröckelt auch der Bürger- und
Rechtsstaat. Beides will Die Linke nicht.
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Ich danke dem Bundesdatenschutzbeauftragten,
errn Dr. Peter Schaar, für seinen Bericht und seine Ar-
eit. Und ich schließe dabei alle Bürgerrechtsverbände
in, denen der Datenschutz schwer am Herzen liegt.
Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/DIE
RÜNEN): Ich danke im Namen meiner Fraktion dem
undesbeauftragten Peter Schaar und seinem Vorgänger
m Amt, Herrn Dr. Jakob, für den 20. Tätigkeitsbericht
er Jahre 2003 und 2004. Obwohl der Bericht nicht ge-
ade zeitnah beraten wird, ist er in seinen Ausführungen
ktuell.
Der Bericht enthält zahlreiche Hinweise, Mahnungen,
ber auch ganz konkrete Forderungen für weite Teile der
erwaltung. Er schafft es in einer bemerkenswert gut
esbaren und gut aufbereiteten Form, die Probleme der
nformationsverarbeitung nichtöffentlicher Stellen anzu-
prechen. In der Tat liegt hier ein nicht hinreichend auf-
earbeitetes und immer drängender werdendes Problem.
eue technische Verfahren führen uns die veränderten
imensionen dieser Entwicklungen vor Augen. Ich
enne hier nur die datenschutzrechtlich sehr bedenkli-
hen Scoringverfahren, über die wir schon anlässlich un-
eres Antrags gesprochen haben. Ich denke aber auch an
ie unauffälligen RFID-Chips, die ohne unser Wissen
rahtlos und ohne Berührung Informationen über uns an
ritte weitergeben. Ich begrüße es sehr, dass hier auch
ie EU-Kommission ein globales Regelwerk zum Schutz
er Bürgerrechte fordert.
Bei uns wird Transparenz groß geschrieben. Ich lade
ie gerne ein, mit uns darüber zu sprechen, wie wir als
arlament endlich mal auf Augenhöhe mit der Technik
ie Dinge in Angriff nehmen können. Leider haben wir
ie ungute Tradition, immer um Jahre hinter der Technik
er zu hinken, ein altes Problem des Datenschutzes. Ich
ürde mich freuen, wenn wir an einigen wichtigen
ernbereichen nach so langen Jahren des Wägens und
endens endlich weiterkommen. Neben den genannten
echnischen Bereichen müssen wir endlich das Daten-
chutzauditgesetz auf den Weg bringen. Ich bin davon
berzeugt, dass der Weg der Selbstregulierung und der
chaffung von Anreizen durch eine Zertifizierung daten-
chutzfreundlicher Produkte und Verfahren der richtige
st.
Weiterkommen müssen wir auch beim Datenschutz
ür Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Der jetzige
ustand ist unhaltbar. Wir können die Rechtsunsicher-
eit hier nicht auf die Dauer hinnehmen.
Nach meiner Überzeugung ist es auch höchste Zeit,
ber eine Neukonzeption des Datenschutzes in einem
änzlich neuen Gesetz nicht immer nur nachzudenken.
ir müssen dieses Projekt endlich in Angriff nehmen.
as Bundesdatenschutzgesetz entstammt noch einer frü-
eren Epoche, in der noch die Sorge vor Großrechnern
m Mittelpunkt stand. Wir sind heute technisch viel wei-
er und mobiler. Wir brauchen mehr Transparenz der
echnik. Was früher einen ganzen Raum in Anspruch
ahm, tragen wir heute im Laptop mit uns herum. Es
ibt für ein neues Gesetz wichtige Vorarbeiten, wie das
uf Druck der rot-grünen Koalitionsfraktionen verfasste
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006 3449
(A) )
(B) )
Gutachten aus dem Jahre 2001. Es ist höchste Zeit, end-
lich ein Konzept vorzulegen, wie es weitergehen soll.
Von wachsender Bedeutung für den Datenschutz ist
die internationale Absicherung von bestimmten Stan-
dards. Wir müssen, ob bei den Sicherheitsbehörden oder
im nichtöffentlichen Bereich, immer mehr international
kommunizieren. Wir geraten in eine Sackgasse, wenn
wir glauben, mit Übermittlungssperren und ähnlichen
Maßnahmen auf Dauer leben zu können. Der Daten-
schutz ist in der dritten Säule völlig unbefriedigend gere-
gelt. Das ist mehr eine Litfasssäule – nach außen bunt
beklebt und innen hohl. Die Bundesregierung muss hier
viel mehr unternehmen, um zu einem auch international
besseren Niveau des Umgangs mit personenbezogenen
Daten zu kommen.
Der Datenschutz liegt bei der großen Koalition nicht
in guten Händen. Der Koalitionsvertrag ist hier ein kom-
pletter Fehlstart. Ich räume aber gerne ein, dass sich
auch der Vorgänger von Minister Schäuble nicht gerade
durch Übereifer ausgezeichnet hat. Wir sollten in jedem
Fall die gute parlamentarische Tradition fortsetzen, uns
interfraktionell auf eine gemeinsame Entschließung zum
Bericht des Bundesbeauftragten zu verständigen. Das
haben wir auch beim letzten Bericht geschafft. Ich erin-
nere mich noch sehr genau an die ausgesprochen guten
Gespräche in der vergangenen Wahlperiode mit den Kol-
leginnen Philipp von der Union und Pilz von der FDP
sowie dem Bundesbeauftragten selbst. Es ist uns damals
gelungen einen Antrag zu formulieren, der den Daten-
schutz nachhaltig vorangebracht hat. Ich bin davon über-
zeugt, dass wir auch diesmal wieder gemeinsam Akzente
setzen können.
Lassen Sie mich abschließend noch eine weitere An-
merkung machen. Der Bundesbeauftragte für den Daten-
schutz ist seit dem 1. Januar dieses Jahres zugleich Bun-
desbeauftragter für die Informationsfreiheit. Der Bericht
für die Jahre 2003 und 2004 konnte diese neue Entwick-
lung selbstverständlich noch nicht aufgreifen. Er ist noch
auf dem Stand des damaligen Beratungsverfahrens. Ich
bin aber froh, dass wir an dieser wichtigen Stelle einen
so großen Schritt nach vorne machen konnten.
Die Zahl der Anfragen nach dem neuen Informations-
freiheitsgesetz wächst stetig. Das Gesetz wirkt – und das
freut mich. Leider waren aber einzelne Bundesbehörden
sofort zu Stelle, die Kosten für Bürgeranfragen in ab-
schreckende Höhen zu treiben. Meine Fraktion hat hier
sofort reagiert und die Bundesregierung aufgefordert,
ihre Kostenverordnung zu ändern. Ich hoffe sehr, dass
die koalitionsinternen Beratungen endlich zum Ziel füh-
ren. Sonst verhungert uns die Transparenz am ausge-
streckten Arm der Bürokratie.
Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die
Informationsfreiheit hat hier die wichtige Aufgabe be-
kommen, zwischen Bürger und Bürokratie zu vermitteln.
Die vielen Eingaben zeigen, dass die Menschen die glei-
chen Hoffnungen und Erwartungen haben, die wir als
Gesetzgeber in das Gesetz geschrieben haben. Nötig ist
aber, dass dem Beauftragten auch die nötigen Ressour-
cen zur Verfügung gestellt werden. Da herrscht gegen-
wärtig noch Fehlanzeige. Ich appelliere dringend an die
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undesregierung, diese Voraussetzungen endlich zu
chaffen. Das spart uns viele gerichtliche Auseinander-
etzungen sowie eine Menge Frust und Misstrauen bei
en Bürgerinnen und Bürgern.
nlage 28
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Anträge:
– Recht statt Pflicht – Einschränkungen be-
hinderter Menschen bei der Teilhabe am öf-
fentlichen Leben entgegenwirken
– Teilhabe von Menschen mit Behinderungen
am öffentlichen Leben konsequent sichern
(Tagesordnungspunkt 24 a und b)
Antje Blumenthal (CDU/CSU): Dass die beiden an-
tehenden Tagesordnungspunkte heute zumindest inhalt-
ich bereits zum zweiten Mal debattiert werden, freut
ich natürlich sehr und spricht für die Bedeutung des
hemas. Ich kann es mir aber nicht verkneifen, kurz auf
ie Hintergründe und auf die zwiespältige Haltung der
rünen und der FDP einzugehen.
Die Grünen haben in dieser Angelegenheit eine
ehrtwendung vollzogen: In der vergangenen Legisla-
urperiode, als sie noch in Regierungsverantwortung wa-
en, haben sie unseren Antrag ohne mit der Wimper zu
ucken abgelehnt. Heute nun reden wir über ihren An-
rag, der im Grunde das Gleiche fordert wie unsere Ini-
iative aus der 15. Wahlperiode. Wäre das Thema nicht
u wichtig, sollte sich die Debatte heute eigentlich um
ie Unverfrorenheit drehen, einen Antrag erst abzuleh-
en und ihn dann in der neuen Legislaturperiode als ei-
ene Leistung zu verkaufen.
Das Gleiche gilt im Übrigen für die Kolleginnen und
ollegen von der FDP. Immerhin haben sie unseren An-
rag damals nicht abgelehnt, aber dass er jetzt wortgleich
bernommen wird, ehrt mich als Initiatorin zwar sehr, ist
ber an Einfallslosigkeit und Dreistigkeit kaum zu über-
ieten.
Aber lassen Sie uns zu den eigentlich wichtigen Pro-
lemen kommen, die mich damals bewegen haben, den
ntrag zu formulieren. Seit langem verfolgt die Politik
as Ziel, die Benachteiligung von Menschen mit Behin-
erungen zu beseitigen oder wenigstens abzumildern.
ir arbeiten seit mehreren Jahrzehnten für eine gleich-
erechtigte Teilhabe behinderter Menschen am Leben in
er Gesellschaft und für eine selbstbestimmte Lebens-
ührung. Dazu gehört zum Beispiel, dass sich Menschen
it Behinderung möglichst unabhängig im öffentlichen
aum bewegen können. Durch Barrierefreiheit kann er-
eicht werden, dass die Wege zum Arbeitsplatz, zur
chule oder zur Universität eigenständig und ohne
remde Hilfe bewältigt werden.
Grundsätzlich gehören zur Selbstbestimmung alle
ilfen und Techniken, die für das eigenständige Leben
nd Handeln wichtig sind, zum Beispiel Parkerleichte-
3450 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006
(A) )
(B) )
rungen, die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel oder
die Möglichkeit, sich in unbekannten Umgebungen zu
orientieren oder Assistenz in Anspruch zu nehmen. Da-
bei wird das Ziel verfolgt, möglichst selbstständig und
auch ohne eine Begleitperson so weit als möglich am öf-
fentlichen Leben teilhaben zu können. Gerade in diesem
Bereich sind aber in jüngster Zeit zunehmend Probleme
zu beobachten, die auf eine missverständliche Formulie-
rung in der Schwerbehindertenausweisverordnung zu-
rückzuführen sind.
Die Verordnung sieht vor, dass behinderte Menschen,
die das Recht auf unentgeltliche Beförderung im öffent-
lichen Nahverkehr haben, über einen Ausweis verfügen,
auf dem das Merkzeichen B und der Satz „Die Notwen-
digkeit ständiger Begleitung ist nachgewiesen“ aufge-
druckt sind. Dieser Satz steht im Widerspruch zu den
Zielen des Gesetzes zur Gleichstellung behinderter Men-
schen sowie zur eigenständigen Lebensführung, weil er
die Notwendigkeit im Gegensatz zum Recht andeutet,
Begleitpersonen insbesondere im öffentlichen Nahver-
kehr mitzuführen. Die Formulierung führt in der Praxis
immer wieder zu Missverständnissen, sodass Betroffe-
nen ohne Begleitperson die Beförderung in öffentlichen
Verkehrsmitteln oder der Zutritt zu Veranstaltungen zum
Teil verwehrt wird. Problematisch sind dabei vor allem
haftungsrechtliche Befürchtungen.
Die derzeit geltende Formulierung erweckt also
fälschlicherweise den Eindruck, dass in jedem Fall eine
Begleitung erforderlich ist. Dies widerspricht jedoch der
gängigen Rechtsauffassung, dass bei nachweislichem
Bedarf ständiger Begleitung eine Begleitperson zwar re-
gelmäßig, aber eben nicht zwingend immer erforderlich
ist.
Die selbstbestimmte Lebensführung spielt nicht nur
im öffentlichen Nahverkehr sondern auch im Individual-
verkehr eine wichtige Rolle. Das verstehen die Damen
und Herren von der FDP sehr wohl, die Kollegen von
den Grünen offenbar immer noch nicht so sehr.
Nach den geltenden Bestimmungen der StVO werden
Parkerleichterungen Menschen mit einer außergewöhnli-
chen Gehbehinderung und Blinden gewährt. Zu diesen
Erleichterungen zählt – ich darf es wiederholen – nicht
nur das Parken auf ausgewiesenen Behindertenparkplät-
zen, sondern auch das Parken ohne Gebühr und Zeitlimit
an Parkuhren oder im eingeschränkten Halteverbot.
Viele Bundesländer haben hier bereits Ausnahmerege-
lungen geschaffen, die Schwerbehinderte besserstellen,
die zwar nicht als außergewöhnlich gehbehindert einge-
stuft werden, aber aufgrund der Schwere ihrer Behinde-
rung deutliche Probleme mit der Fortbewegung ohne ihr
Auto haben. Dazu zählen zum Beispiel contergangeschä-
digte Ohnarmer oder Morbus-Crohn-Kranke. Die Aus-
nahmereglungen berechtigen eben nicht zur Benutzung
von Parkplätzen mir Rollstuhlfahrersymbol, die weiter-
hin Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung
vorbehalten bleiben sollen. Die Parkerleichterungen er-
lauben zum Beispiel das Parken im eingeschränkten Hal-
teverbot, in Fußgänger- und Lieferzonen. Damit soll
auch diesen Menschen ermöglicht werden, mit ihrem
Fahrzeug möglichst nahe an das jeweilige Ziel heranzu-
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ahren, sodass die Wegstrecke ohne Auto soweit wie
öglich verkürzt wird.
Bei den länderspezifischen Ausnahmeregelungen
andelt es sich um Abweichungen vom Bundesrecht, die
eweils nur im entsprechenden Bundesland gültig sind
nd uneinheitliche Berechtigungskriterien aufweisen. So
ntsteht die skurrile Situation, dass ein Autofahrer in
inem Bundesland Parkerleichterungen in Anspruch
ehmen darf, im angrenzenden Bundesland aber unter
mständen nicht. Eine bundesweite gegenseitige Aner-
ennung der einzelnen Regelungen konnte bislang leider
uch nicht erreicht werden, sodass die in dem Antrag ge-
orderte Vereinheitlichung dringend erforderlich ist. Wir
ind deshalb alle hier im Hause aufgefordert, uns auch in
nseren jeweiligen Ländern um eine Änderung zu bemü-
en.
Die Damen und Herren von der Opposition können
ffenbar nicht nur keine eigenen Initiativen formulieren
nd sind – wie vermutlich auch in der Schule – aufs Ab-
chreiben angewiesen, sondern sie sind ihrer Zeit auch
offnungslos hinterher. Der Referentenentwurf des Mi-
isteriums zur Klarstellung beim Merkzeichen B wird
oraussichtlich noch vor der Sommerpause eingebracht.
ie sollten also in Zukunft lieber gleich ihre Zustim-
ung zu vernünftigen Initiativen geben, als sich durch
lagiatsaktionismus der Lächerlichkeit preiszugeben.
Hubert Hüppe (CDU/CSU): Ich freue mich, dass wir
eute über ein Thema sprechen, das wir vor fast genau
inem Jahr hier behandelt haben, und das wir als CDU/
SU eingebracht haben: Bei der Frage nach dem Um-
ang mit dem Merkzeichen B im Schwerbehindertenaus-
eis für Begleitung sowie bei der Frage nach einer Aus-
eitung von Parkerleichterungen auf behinderte
enschen auch mit nicht außergewöhnlicher Gehbehin-
erung haben wir die Initiative ergriffen.
Die beiden Anträge, die heute zur Debatte stehen, las-
en tief in Ihre Arbeitsweise als Opposition blicken: Die
rünen haben mit ihrem Antrag eine 180-Grad-Wen-
ung hingelegt – Herr Kurth, der als Erstunterzeichner
uf dem heute vorliegenden Grünen-Antrag steht, hätte
ns schon damals im Ausschuss zu einer Mehrheit ver-
elfen können. Jetzt auf einmal kehrt ein Sinneswandel
in, vermutlich, weil der politische Druck zu stark ge-
orden ist.
Die Kollegen von der FDP waren besonders schlau.
ie haben unseren Antrag wortwörtlich übernommen
nd wieder in den Bundestag eingebracht. In der vergan-
enen Wahlperiode hat die FDP zwar für unseren Antrag
estimmt, aber enthusiastisch war Ihre Unterstützung
icht. Ich biete zwar immer die fraktionsübergreifende
usammenarbeit der Union in der Behindertenpolitik an,
ber dass Sie es soweit treiben, dass Sie sogar die Be-
ründung übernehmen, hätte ich nicht gedacht. Herr
ollege Rohde. Ich sehe Ihr Vorgehen als ein Zeichen,
ass Sie unserer Arbeit Ihre Anerkennung zollen.
Allerdings sollte man wenigstens verstanden haben,
as man abschreibt. Ich erinnere an den Spruch aus der
chulzeit „Kopiert ist nicht gleich kapiert“. In Ihrer
ressemitteilung vom 8. März 2006 kündigen Sie an,
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006 3451
(A) )
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dass der Kreis der Berechtigten, die „Parkplätze mit
Rollstuhlfahrersymbol“ nutzen dürfen, ausgeweitet wer-
den solle. Genau das steht aber nicht im Antrag. Dort
wird nämlich nur gefordert, dass die Parkerleichterungen
auf bestimmte Menschengruppen ausgedehnt werden,
nicht das Parken auf so genannten Behindertenparkplät-
zen. Das hat gute Gründe. Beispielsweise haben Ohn-
händer, die mit ihren Füßen gleichzeitig die Funktion ih-
rer Hände übernehmen, und Menschen mit einer
einfachen Gehbehinderung auch erhebliche Probleme,
sich außerhalb des Autos fortzubewegen. Weil aber die
Anzahl der so genannten Behindertenparkplätze be-
grenzt ist, und diese auch den „außergewöhnlich gehbe-
hinderten“ Menschen vorbehalten bleiben sollen, haben
wir nur für die Ausweitung der Parkerleichterungen plä-
diert. Das bedeutet, dass man zum Beispiel im einge-
schränkten Halteverbot bis zu drei Stunden oder an Park-
uhren und Parkscheinautomaten ohne Gebühr und
zeitlich unbegrenzt parken darf. Damit wäre ein guter
Kompromiss gefunden worden, wie ich finde.
Bisher gibt es bereits in einigen Bundesländern diese
Parkerleichterungen auch für Gruppen, die nicht die „au-
ßergewöhnliche Gehbehinderung“ vorweisen können.
Wir wollten aber eine bundeseinheitliche Regelung ein-
führen, um überall gleiche Verhältnisse zu haben. Außer-
dem gelten diese Einzelregelungen auch nur innerhalb
der Landesgrenzen des jeweiligen Bundeslandes. Das
heißt, wenn ein behinderter Autofahrer aus Niedersach-
sen ins benachbarte Brandenburg fährt, dann ist seine
Parkerleichterung dort nicht mehr gültig.
Der zweite und im Moment dringendere Punkt aus
unserem Antrag der letzten Wahlperiode – und damit aus
dem jetzt vorliegenden Antrag der FDP – ist die gesetzli-
che Definition des Merkzeichens B. Letztendlich haben
sich die Grünen dem nun auch angeschlossen, wie ihr
Antrag zeigt.
Dieses Merkzeichen im Schwerbehindertenausweis
erhalten Menschen, die für die Benutzung des öffentli-
chen Verkehrs regelmäßig eine Begleitperson benötigen.
Hier ist es in den letzten Jahren zu gravierenden Fehlent-
wicklungen gekommen, da die gesetzlich festgeschrie-
bene Formulierung falsch ausgelegt wurde. Menschen
mit Merkzeichen B werden nicht mehr ohne Begleitung
in Schwimmbäder gelassen oder es wird davon ausge-
gangen, dass sie sich nicht mehr allein im Straßenver-
kehr bewegen dürfen.
Die Formulierung dazu im SGB IX lautet: „Ständige
Begleitung ist bei schwerbehinderten Menschen notwen-
dig, die bei Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln
infolge ihrer Behinderung zur Vermeidung von Gefahren
für sich oder andere regelmäßig auf fremde Hilfe ange-
wiesen sind.“ (§ 146 Abs. 2 SGB IX). Dort steht „regel-
mäßig“, und nicht „immer“. Außerdem ist klar auf
öffentliche Verkehrsmittel Bezug genommen. Dieser Be-
reich wird oft unrechtmäßig auf andere Bereiche ausge-
dehnt.
Auch die Schwerbehindertenausweisverordnung nor-
miert ähnlich. Dort steht der Satz, der auch auf dem
Schwerbehindertenausweis aufgedruckt ist: „Die Not-
wendigkeit ständiger Begleitung ist nachgewiesen.“ (§ 3
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bs. 2 Ziffer 1 SchwbAwV). Dieser Satz ist missver-
tändlich, da oft fälschlich davon ausgegangen wird,
ass die Ausweisinhaber immer eine Begleitperson mit
ich führen müssen. In der Regel ist das nicht auf bösen
illen zurückzuführen, sondern in der Angst vor Scha-
enersatzansprüchen oder vor fehlendem Versicherungs-
chutz begründet.
Ich persönlich bedaure es sehr, dass es erst zur Veröf-
entlichung der umstrittenen Musterbadeordnung des
undesfachverbands Öffentliche Bäder (BOB) kommen
usste, und dass das Amtsgericht Flensburg bei einem
ragischen Verkehrsunfall zuungunsten einer behinderten
erkehrsteilnehmerin entscheiden musste, um die Kolle-
en der anderen Fraktionen davon zu überzeugen, dass
ine gesetzliche Klarstellung dringend erforderlich ist.
Der bisher gravierendste Fall ist durch das Landge-
icht Flensburg im Mai 2004 bestätigt worden. In dem
echtsstreit ist es zu einem tödlichen Verkehrsunfall ge-
ommen, da eine behinderte Frau mit Merkzeichen B im
usweis plötzlich eine Landstraße überquerte. Sie
urde von einem Motorrad erfasst und kam zu Tode.
er Motorradfahrer klagte daraufhin auf Schadenersatz
nd Schmerzensgeld, da die behinderte Frau seiner An-
icht nach nicht ohne Begleitung eines Heimmitarbeiters
m Verkehr hätte teilnehmen dürfen. Das Amtsgericht
lensburg befand in erster Instanz, dass die „durch Ver-
rag übernommene Verpflichtung, für eine ständige Auf-
icht und Begleitung … zu sorgen, auch zum Zeitpunkt
es Unfalls bestanden“ habe. Weiter heißt es: „Insoweit
at die Beklagte“ – also das Heim – „ihrer Aufsichts-
flicht nicht genügt“. Das bedeutet, dass dem Heim we-
en des Merkzeichens B eine verschärfte Aufsichts-
flicht auferlegt wird.
Ich möchte hier nicht der Verantwortungslosigkeit
ür und Tor öffnen. Aber behinderte Menschen dürfen
icht pauschal wegen des Merkzeichens B dazu ver-
flichtet werden, ständig eine Begleitperson mitzufüh-
en. Das scheitert in der Praxis schlichtweg daran, dass
ies nicht zu organisieren und nicht zu bezahlen ist. Au-
erdem hätten behinderte Menschen damit weniger
echte als jedes Grundschulkind in Deutschland. Wenn
an diese Entwicklung zu Ende denkt, führt das dazu,
ass Heime ihre Bewohner nicht mehr herauslassen,
eil sie Angst vor Haftungsansprüchen haben müssen.
as darf nicht sein. Genau das Gegenteil wollen wir,
ill der Gesetzgeber erreichen: Menschen mit Behinde-
ung sollen so weit wie möglich selbstbestimmt und
elbstständig leben können. Auch die Anstrengungen der
ergangenen Jahre, die Umwelt zunehmend barrierefrei
u gestalten, haben zum Ziel, dass behinderte Menschen
ich möglichst selbstständig und ohne fremde Hilfe be-
egen können. Denn Barrierefreiheit bedeutet, dass Ge-
äude und Dienstleistungen – § 4 BGG – „für behinderte
enschen in der allgemein üblichen Weise ohne beson-
ere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe
ugänglich und nutzbar sind.“
Wir können Menschen mit Behinderungen jetzt nicht
orschreiben, dass sie immer einen Aufpasser mitneh-
en sollen, sobald sie vor ihre Haustür treten. Wir
3452 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006
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(B) )
wollen nicht Isolation von Menschen mit Behinderung,
sondern Integration, oder noch besser: Inklusion.
Deshalb haben wir dafür plädiert, dass die Formulie-
rung im Gesetz präzisiert werden muss. Das Recht, eine
Begleitperson mitzuführen, anstatt der Pflicht soll fest-
geschrieben werden, damit Menschen mit Behinderung
nicht mehr diskriminiert werden. Es handelt sich beim
Merkzeichen B um einen Nachteilsausgleich, der sich
nicht gegen die Betroffenen richten darf.
Zusammenfassend ist zu sagen: Während die Opposi-
tion sich noch Schaukämpfen hingibt, wird auf Regie-
rungsseite längst gehandelt, nachdem wir unseren Koali-
tionspartner auch von der Dringlichkeit überzeugt
haben.
An dieser Stelle möchte ich mich auch bei den Ver-
bänden und Einzelpersonen bedanken, die uns tatkräftig
durch Zulieferung von Fallbeispielen und Gerichtsurtei-
len unterstützt haben.
Ein Referentenentwurf zur Klarstellung in Sachen
Merkzeichen B ist bereits in Arbeit und wird voraus-
sichtlich noch vor der Sommerpause veröffentlicht. Die
Klarstellung soll zusammen mit der Verrechtlichung der
Anhaltspunkte für die Ausstellung von Schwerbehinder-
tenausweisen erfolgen.
Die praktische Regelung für die Schwerbehinderten-
ausweise wird wohl so aussehen, dass generell bei Neu-
ausstellung die Schwerbehindertenausweise mit der
neuen Formulierung ausgegeben werden. Außerdem
können die neuen Ausweise auch auf Antrag ausgestellt
werden. Diesen Antrag können zum Beispiel behinderte
Menschen stellen, wenn sie bereits Probleme wegen ei-
ner fehlenden Begleitperson hatten. Mit dieser prakti-
schen Umsetzung kann auch der heraufbeschworene
übermäßige Verwaltungsaufwand vermieden werden,
den Gegner der gesetzlichen Klarstellung bisher immer
ins Feld geführt haben.
In diesem Sinne hoffe ich, dass in Zukunft schneller
im Sinne der Sache gehandelt wird, anstatt zu warten, bis
das Kind in den Brunnen gefallen ist. Es bleibt zu hof-
fen, dass in Zukunft das Merkzeichen B für „Beglei-
tung“ steht und nicht für „Barriere“.
Silvia Schmidt (Eisleben) (SPD): Als Behinderten-
beauftragte der SPD-Bundestagsfraktion möchte ich auf
die Anträge der Grünen und der FDP eingehen.
Politik für behinderte Menschen ist wichtig. So leben
in Deutschland etwa 6,7 Millionen schwerbehinderte
Menschen. Circa 14 Prozent sind von Geburt an behin-
dert, die meisten aber – 84 Prozent – als Folge von
Krankheit oder altersbedingten Leiden.
Zu Recht beanspruchen sie eine umfassende gesell-
schaftliche Teilhabe; denn behinderte Menschen verste-
hen sich schon lange nicht mehr als bloße Objekte staat-
licher Fürsorge, sondern sie wollen ihren Alltag aktiv
gestalten. Sie haben ein Recht auf umfassende Teilhabe
am gesellschaftlichen Leben. Und ich bin mir sicher: Mit
dem „Allgemeinen Gleichstellungsgesetz“ machen wir
einen weiteren Schritt zur Verwirklichung des im Grund-
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esetz verankerten Verbots der Benachteiligung behin-
erter Menschen.
Die Wirtschaft und einige CDU-Ministerpräsidenten
ritisieren den Kompromiss im Bundestag immer noch.
ch kann an dieser Stelle nur die Wohlfahrtsverbände
nd Behindertenverbände auffordern: Machen Sie Druck
uf die Wirtschaftsverbände und die CDU-Ministerprä-
identen in Ihren Ländern! Lassen Sie sich diesen Fort-
chritt in der Behindertenpolitik nicht nehmen!
Vor dem Hintergrund, dass es gerade die FDP ist, die
as Gleichstellungsgesetz nicht will, freut es mich natür-
ich sehr, dass sich der Antrag der FDP um die Interessen
ehinderter Menschen bemüht. Aber lassen Sie mich zu-
ächst auf den Antrag der Fraktion der Grünen auf Bun-
estagsdrucksache 16/949 eingehen. Es geht um Pro-
leme beim Merkzeichen B. Das Merkzeichen B
estattet die unentgeltliche Beförderung einer Begleit-
erson eines schwerbehinderten Menschen im öffentli-
hen Personenverkehr. Durch die veraltete Terminologie
m Gesetz kann der falsche Eindruck entstehen, dass die
erechtigten verpflichtet sind, immer eine Begleitperson
ei sich zu haben. Das Amtsgericht Flensburg leitete im
all einer Heimbewohnerin, die einen Unfall verursachte
nd das Merkzeichen B im Ausweis hatte, aus dem
erkzeichen eine verschärfte Aufsichtspflicht ab. Ei-
ige Einrichtungen erwogen daraufhin, Personen mit
em Merkzeichen B, zu denen unter anderem Rollstuhl-
ahrer, blinde und gehörlose Menschen zählen, nicht
ehr allein auf die Straße zu lassen. Uns geht es darum,
u ermöglichen, dass behinderte Menschen ihr Leben so
igenständig wie nur irgend möglich führen können. Vor
iesem Hintergrund sind in der Tat mehrere ähnlich ge-
agerte Gerichtsentscheidungen und die Praxis von
chwimmbadbetreibern oder Konzertveranstaltern zum
erkzeichen B problematisch. So beziehen sich
chwimmbadbetreiber zunehmend auf das Merkzeichen B
nd verweigern behinderten Menschen ohne Begleitung
en Zutritt. Damit wird der Nachteilsausgleich des Aus-
eises plötzlich selbst zum Nachteil. Wenn wir Men-
chen mit Behinderungen ein Leben in Teilhabe und
elbstbestimmung ermöglichen wollen, brauchen sie
ber die Unterstützung durch Gesetze und keine neuen
ürden. Natürlich muss jeder Mensch, ob mit oder ohne
ehinderung, in der Öffentlichkeit Rücksicht auf andere
ehmen und für von ihm verursachte Schäden einstehen.
ür die Beurteilung der Verantwortung für einen Scha-
en, die in jedem Einzelfall individuell geprüft werden
uss, reichen die Regeln des allgemeinen Zivilrechts je-
och völlig aus. Es kann nicht sein, dass ein Landgericht
lle Menschen mit dem Merkzeichen B zu „wandelnden
efahrenquellen“ erklärt! Deshalb werden wir von der
oalition für Klarstellung sorgen. Die Änderungsvor-
chläge aus dem BMAS weisen den Weg. So wird zum
eispiel im neuen § 146 SGB IX klargestellt, dass es
ich um ein Recht des behinderten Menschen handelt,
ine Begleitperson mitzunehmen. Ebenso wird im neuen
146 deutlich gemacht, dass Inhaber des Ausweises
erkzeichen B das Recht haben, alleine unterwegs zu
ein. Ich kann Ihnen also versichern, dass wir noch vor
er Sommerpause klarstellen, dass das Merkzeichen B
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006 3453
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das Recht auf eine Begleitung bedeutet und nicht eine
Pflicht zur Begleitung!
Ich denke, dass das SGB IX oder auch das Behinder-
tengleichstellungsgesetz Barrierefreiheit in der wirkli-
chen und in der virtuellen Welt fordert. Sicherlich ist
richtig, dass eine angemessene Anzahl von Parkplätzen
für behinderte Menschen dazu gehört. Der Antrag der
Fraktion der FDP auf Bundestagsdrucksache 16/853 will
in bestimmten Fällen eine Gleichstellung behinderter
Menschen, die das Merkzeichen G haben, also schwer
gehbehindert sind, mit Inhabern des Merkzeichens aG,
die also außergewöhnlich gehbehindert sind. Die Auf-
nahme behinderter Menschen, die nicht das Merkzei-
chen aG haben, in den Kreis derjenigen, die einen An-
spruch auf einen Behindertenparkplatz haben, ist
nachvollziehbar und sollte im Einzelfall auch erwogen
werden.
Die Forderung der FDP nach einer bundeseinheitli-
chen Regelung im § 46 der Straßenverkehrsordnung ist
aber schon deshalb nicht zielführend, weil die Länder
nach § 46 Abs. 2 Satz l weiterhin die Möglichkeit hätten,
Ausnahmen zu genehmigen, die das Bundesrecht nicht
vorsieht. Meine Fraktion und ich sind der Ansicht, dass
es sich hier um eine Aufgabe der Länder – der Landesre-
gierungen und der Landesparlamente – handelt. Die
Länder sollen pragmatische Lösungen für bestimmte
Gruppen behinderter Menschen – seien es Contergange-
schädigte oder Stomaträger – entwickeln. Die Länder
sind hier, was die Parkraumbewirtschaftung betrifft, nä-
her vor Ort und können in Absprache mit den Kommu-
nen praktikable Entscheidungen herbeiführen. In diesem
Sinne haben bereits die Länder Baden-Württemberg,
Rheinland-Pfalz, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Thürin-
gen und Mecklenburg-Vorpommern Vereinbarungen ab-
geschlossen, Parkerleichterungen für bestimmte Grup-
pen gegenseitig anzuerkennen.
Wenn es der FDP um die Wahrung bundeseinheitli-
cher Politik für behinderte Menschen geht, schlage ich
Folgendes vor: Setzen Sie sich doch – gemäß den Gut-
achten der Sachverständigen Harry Fuchs und Felix
Welti – im Rahmen der Föderalismusreform bei der
Neufassung des Art. 84 des Grundgesetzes für einen
Vorrang des Bundes beim Sozialrecht ein!
Jörg Rohde (FDP): Der Kernpunkt unserer heutigen
Debatte ist mittlerweile hoffentlich unstrittig: Das Merk-
zeichen B im Schwerbehindertenausweis muss klarer ge-
fasst werden, damit jede Form von Diskriminierung aus-
geschlossen ist. „B“ steht für das Recht auf Begleitung
und nicht für die Pflicht zur Begleitung.
Angesichts der Einigkeit in diesem Ziel, die ich ein-
mal unterstelle, ist es umso unverständlicher, dass wir
heute zwei Oppositionsanträge zu diesem Missstand dis-
kutieren, aber keinen der Bundesregierung. Im Hause
Müntefering und Evers-Meyer hat man offensichtlich
das Thema verschlafen und ist jetzt nicht mehr rechtzei-
tig fertig geworden. Anders kann ich mir nicht erklären,
dass „epd Sozial“ letzte Woche bereits aus einem Merk-
zeichen-B-Gesetzentwurf des Sozialministeriums vom
19. Mai 2006 zitierte, das Ministerium selbst eine gute
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oche später dann aber von diesem Entwurf nichts mehr
issen wollte: Es gebe gar keinen, war die lapidare Ant-
ort auf meine Bitte, ihn mir zuzuleiten.
Das Problem der fälschlichen Auslegung des Merk-
eichens B ist seit langem bekannt. Die CDU/CSU-Frak-
ion der vergangenen Wahlperiode hatte vor mehr als ei-
em Jahr schon mit einem Antrag auf diesen Missstand
ingewiesen. Passiert ist bis heute nichts. Stattdessen hat
ot-Grün letztes Jahr mit scheinheiligen Argumenten
en Unionsantrag gegen die Stimmen von FDP und
DU/CSU abgelehnt. Für die zahlreichen neuen Kolle-
en im Bundestag zitiere ich gerne die Begründung der
blehnung im damals federführenden Gesundheitsaus-
chuss – Drucksache 15/5842, S. 7 –:
„… Die von der Fraktion der CDU/CSU beantragte
nderung der Schwerbehindertenausweisverordnung …
ei nicht erforderlich, da eine neue Formulierung im
usweis an der geltenden Rechtslage nichts ändern
ürde. Vielmehr würde eine solche Änderung der
chwerbehindertenausweise auf das Unverständnis der-
enigen stoßen, die bislang keine Probleme bei der Be-
örderung gehabt hätten. Zudem entstünde ein Verwal-
ungsaufwand für die Versorgungsämter, der angesichts
er geringen Zahl von Beschwerden nicht zu rechtferti-
en sei. Der Vorschlag, dass nur die neu ausgestellten
usweise mit dem geänderten Text versehen werden
ollten, sei nicht zielführend, da zwei unterschiedliche
ormulierungen über Jahre hinweg zur Verwirrung beim
ontrollpersonal führen würden. Der Antrag, den Kreis
er Personen zu erweitern, die Parkerleichterungen in
nspruch nehmen können, sei abzulehnen. Bereits nach
eltendem Recht hätten die Länder die Möglichkeit,
arkerleichterungen für nicht außergewöhnlich gehbe-
inderte Menschen vorzusehen. Hiervon werde in ein-
elnen Bundesländern in unterschiedlicher Form auch
ebrauch gemacht. Eine bundeseinheitliche Regelung,
ie alle Länderinteressen berücksichtigen müsste, wäre
icht sinnvoll und nur schwer durchsetzbar, weil die
rage der Parkerleichterungen – auch wegen der Aus-
irkungen auf den in den Städten zur Verfügung stehen-
en Parkraum – besser auf Landesebene geregelt werden
önne. …“
Liebe Kollegen von der SPD, ich frage Sie heute: Se-
en Sie das immer noch so? Lassen Sie Ihre Behinder-
enbeauftragte Frau Karin Evers-Meyer im Regen stehen
der kommen Sie zur Vernunft und unterstützen den An-
rag heute? Und liebe Kollegen von den Grünen, was hat
ie bewogen, Ihre Meinung gegenüber der Ablehnung
us dem letzten Jahr zu ändern?
Der CDU/CSU-Fraktion brauche ich diese Frage
icht stellen; schließlich stammt der Antrag wortwört-
ich aus der Feder des alten und neuen behindertenpoliti-
chen Sprechers der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Hu-
ert Huppe. Schade nur, dass Sie Ihren eigenen Antrag
n dieser Legislatur nicht selbst wieder eingebracht ha-
en; hier hätte ich mir mehr Durchsetzungskraft gegenü-
er den sozialdemokratischen Kolleginnen und Kollegen
ewünscht. Aber anscheinend hat das großkoalitionäre
rötenschlucken auch schon den Bereich der Behinder-
enpolitik erreicht.
3454 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006
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Sah die Behindertenbeauftragte im Februar noch drin-
genden Handlungsbedarf beim Merkzeichen B, ver-
schwand das Thema dann schnell wieder von der
Agenda. Nach 100 Tagen rot-schwarzer Regierungsar-
beit, in denen die Koalition in der Behindertenpolitik un-
tätig geblieben ist – und nicht nur da –, haben wir den
CDU/CSU-Antrag auf liberalem Papier im März 2006
erneut in den Bundestag eingebracht.
Die Grünen sind sogleich mit einem eigenen Antrag
nachgezogen und schließlich ist auch die Behindertenbe-
auftragte der Bundesregierung mit einer Presseerklärung
erneut auf den Zug aufgesprungen.
Wie eingangs erwähnt: Ich gehe davon aus, dass wir
uns beim Merkzeichen B einig sind. Gleiches würde ich
mir auch bei den Parkerleichterungen wünschen. Der
Antrag der Grünen nimmt diese leider nicht auf. Ich bin
überzeugt, dass eine bundesweit einheitliche Regelung
der Parkerleichterungen den Bedürfnissen der Betroffe-
nen entgegenkommt. Einige Bundesländer gewähren
diese erweiterten Parkerleichterungen schon, andere ha-
ben Sondervereinbarungen mit umliegenden Ländern
getroffen. Allein dies zeigt schon, dass im Sinne bundes-
einheitlicher rechtlicher Sicherheit geregelt sein sollte,
dass alle in unseren Antrag einbezogenen Gruppen in je-
dem Bundesland die gleichen Parkerleichterungen in
Anspruch nehmen können.
Liebe Frau Evers-Meyer, als Behindertenbeauftragte
der Bundesregierung haben Sie Anfang April angekün-
digt, dass der Gesetzentwurf für die Klarstellung des
Merkzeichens B noch vor der Sommerpause vorliegen
soll. Bitte lassen Sie sich nicht vom Ministerium auf ei-
nen späteren Zeitpunkt vertrösten. Erhöhen Sie den
Druck auf Herrn Münteferings Haus, umgehend einen
Gesetzentwurf vorzulegen. Ich bin mir sicher: Wenn Ihre
eigene Fraktion Sie nicht unterstützt, können Sie sich in
diesem Punkt auf Jamaika verlassen.
Nicht nur ich, sondern circa 1,7 Millionen Menschen
mit Merkzeichen B im Schwerbehindertenausweis neh-
men Sie beim Wort. Wir haben – die Haushaltswoche
außen vor lassend – nur noch eine Sitzungswoche bis zur
Sommerpause. In diesem Sinne bitte ich alle Fraktionen
um eine zügige Ausschussberatung zur schnellen Klar-
stellung des Merkzeichens B.
Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): Sogar zwei Tagesord-
nungspunkte widmen sich am 1. Juni – dem Internatio-
nalen Kindertag – behindertenpolitischen Themen; beide
zu später Stunde, mit der Minimalzeit von je 30 Minuten
Debatte, vor leeren Bänken und Zuschauerrängen. Des-
wegen wird auch diese Debattenzeit gespart – die zu
Protokoll gegebenen Reden können ja nachgelesen wer-
den.
Ein kurzer Blick zurück. Zunehmend mehr Menschen
mit Behinderungen berichteten seit 2005, dass so man-
che Merkzeichen im Schwerbehindertenausweis nicht
beim Ausgleich behinderungsbedingter Nachteile unter-
stützen, sondern zu zusätzlichen Benachteiligungen
führten. Das Recht auf Begleitung, zum Beispiel im
ÖPNV oder in Schwimmbädern, wurde in eine Pflicht
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minterpretiert. Dies war unter anderem in den „Kobi-
et-Nachrichten“ nachzulesen.
Auf meine schriftliche Anfrage dazu antwortete
taatssekretär Franz Thönnes am 6. Februar: „Der Bun-
esregierung ist eine Häufung solcher Fälle nicht be-
annt … Die Notwendigkeit einer gesetzlichen Klarstel-
ung ergibt sich daraus nicht.“
Die Behindertenbeauftragte der Bundesregierung,
ollegin Evers-Meyer – Sie arbeitet im selben Ministe-
ium wie Kollege Thönnes! –, fordert in ihrer Pressemit-
eilung am 14. Februar dagegen: „Nachteilsausgleich
arf nicht zum Nachteil werden! Veraltete Formulierung
m Gesetz führt zu Diskriminierung“. Sie kündigt an, un-
erzüglich nach einer Lösung zu suchen.
Am 8. März folgten ein diesbezüglicher Antrag der
DP-Fraktion und eine weitere Woche später ein Antrag
on den Grünen. Beide werden von der Fraktion Die
inke, unterstützt, ein eigener Antrag dazu ist deswegen
ntbehrlich. Am 6. April verkündete die Behindertenbe-
uftragte, Kollegin Evers-Meyer, dass ein Merkzeichen-B-
esetzentwurf noch vor der Sommerpause vorliegen und
amit für Klarstellung sorgen soll.
Heute, am 1. Juni, stehen zwei Anträge aus der Oppo-
ition auf der Tagesordnung, aber kein Entwurf von der
oalition. Warum, ist mir nicht bekannt. Liegt es an
taatssekretär Thönnes? Sind die Regierungskreise, de-
en Interessen er vertritt, so stark oder wird die Position
er sich redlich bemühenden Behindertenbeauftragten
ewusst geschwächt?
Da es heute zu so später Stunde keine Debatte zu den
nträgen gibt, hoffe ich, in wenigen Tagen eine Antwort
n den nachlesbaren – zu Protokoll gegebenen – Reden
u finden; nicht nur aus purer Neugier, sondern weil die
etroffenen Menschen auf diese rechtliche Klarstellung
arten.
Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aktu-
ll gibt es beunruhigende Tendenzen, wonach das Recht
ehinderter Menschen auf eine Begleitperson, wie es im
chwerbehindertenausweis mit dem Merkzeichen B
erknüpft ist, pauschal zur Pflicht umgedeutet wird, im-
er auf allen Wegen eine Begleitperson mitführen zu
üssen. Dies hat in letzter Zeit vermehrt zu Benachteili-
ungen und offensichtlichen Diskriminierungen behin-
erter Menschen geführt. So verweigern Schwimmbäder
it Hinweis auf das Merkzeichen B behinderten Men-
chen ohne Begleitung den Zutritt. In solchen Fällen
ird der Nachteilsausgleich selbst zum Nachteil. Der
chwerbehindertenausweis wird zu einem Makel, wel-
her die Möglichkeiten gesellschaftlicher Teilhabe emp-
indlich eingeschränkt.
Mit einem Urteil des Amtsgerichts Flensburg im Fall
iner Heimbewohnerin, die einen Unfall verursachte und
as Merkzeichen B im Ausweis hatte, wurde aus dem
erkzeichen eine verschärfte Aufsichtspflicht abgelei-
et. Von Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen
ird seitdem erwogen, Personen mit einem Merkzei-
hen B, zu denen unter anderem Rollstuhlfahrer, blinde
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006 3455
(A) )
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und gehörlose Menschen zählen, nicht mehr allein auf
die Straße zu lassen.
Eine zukunftsgerichtete Sozial- und Rechtspolitik
muss sich dafür einsetzen, dass allen Menschen mit Be-
hinderungen ein selbstbestimmtes und von umfassender
Teilhabe geprägtes Leben in der Mitte der Gesellschaft
ermöglicht wird. Der von der rot-grünen Bundesregie-
rung eingeleitete Paradigmenwechsel hin zu einer bür-
gerrechtlich orientieren Behindertenpolitik darf nicht
durch solche unklare Rechtsvorschriften, die diesem Ziel
entgegenstehen, behindert werden.
Mit unserem hier vorliegenden Antrag fordern wir da-
her die Bundesregierung auf, einen Gesetzentwurf vor-
zulegen, der im Schwerbehindertenrecht die Regelungen
für Nachteilsausgleiche präziser fasst. Insbesondere
muss klargestellt werden, dass Nachteilsausgleiche, wie
sie beispielsweise mit dem Merkzeichen B verknüpft
sind, ein Recht behinderter Menschen darstellen und
nicht zu neuen Nachteilen führen dürfen. Zugleich soll
die Bundesregierung in Zusammenarbeit mit den Ver-
bänden behinderter Menschen Maßnahmen der Öffent-
lichkeitsarbeit ergreifen, um den Charakter der Nachteils-
ausgleiche stärker ins öffentliche Bewusstsein zu tragen.
Ich freue mich sehr, dass die Behindertenbeauftragte,
Frau Evers-Meyer, zugesichert hat, dass es noch vor der
Sommerpause einen entsprechenden Referentenentwurf
geben wird. Ich hoffe doch sehr, dass die Bundesregie-
rung den stark verunsicherten Menschen mit einem
Merkzeichen-B-Ausweis noch in den verbleibenden vier
Wochen die notwendige Rechtssicherheit verschaffen
wird.
Anlage 29
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Kürzungen bei der
Finanzierung der Entwicklung ländlicher
Räume verhindern (Tagesordnungspunkt 25)
Marlene Mortler (CDU/CSU): Bei der zweiten Säule
der EU-Agrarpolitik geht es um die konkrete Ausgestal-
tung sehr wichtiger Programme zum Erhalt der attrakti-
ven Kulturlandschaft bzw. zur Sicherung der flächende-
ckenden Landbewirtschaftung. Es geht aber auch um
den Erhalt von Arbeitsplätzen und Investitionen auf den
Bauernhöfen und im gesamten ländlichen Raum.
Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass junge Men-
schen aus den ländlichen Räumen abwandern. Um diese
Entwicklung zu stoppen, sind Fragen zu beantworten,
die nahezu alle Politikbereiche berühren, angefangen bei
der technischen Infrastrukturausstattung, über Fragen
der sozialen Infrastruktur, über Bildungsfragen bis zur
Wirtschaftsentwicklung und zum Arbeitsmarkt.
Mit der Einigung der europäischen Staats- und Regie-
rungschefs im Dezember 2005 auf den EU-Haushalt für
die Jahre 2007 bis 2013 wurde die notwendige Finanz-
perspektive für die kommenden Jahre festgelegt. Eine
drohende Lähmung europäischer Politik durch jährliche
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aushaltsfestlegungen konnte so abgewendet werden.
ein ausdrücklicher Dank gilt hier Frau Bundeskanzle-
in Dr. Merkel. Ohne ihren großen Einsatz wäre der Be-
chluss nicht zustande gekommen.
Dieser Beschluss wird durch den Antrag der Fraktion
ündnis 90/Die Grünen kritisiert.
Haben die Grünen schon vergessen, dass sie in ihrer
egierungszeit bis Herbst 2005 auf europäischer Ebene
n der Finanzdiskussion stets abgelehnt haben, dass sich
ie Nettozahlerposition Deutschlands gemäß den EU-Fi-
anzierungsvorschlägen der EU-Kommission oder des
U-Parlaments entwickelt? Sie haben im Gegenteil eine
eutliche Einschränkung dieser Ausweitung der Bei-
ragssituation von 2007 bis 2013 gefordert. In der Kon-
equenz hätte das auch eine viel niedrigere Finanzaus-
tattung für die zweite Säule bedeutet. Allein schon die
inanzvorschläge der Kommission und des EU-Parla-
ents hätten eine geringere Mittelausstattung nach sich
ezogen. Unverständlich ist der Antrag der Grünen des-
alb, weil die Grünen im EU-Parlament im Rahmen des
ntscheidenden Trilogs in keiner Weise eine Anhebung
er EU-Finanzmittel im Rahmen der finanziellen Vor-
usschau für den Bereich der ländlichen Entwicklung
efordert haben.
Unsere Bäuerinnen und Bauern haben unter der grü-
en Landwirtschaftsministerin der Vorgängerregierung
n hohem Maße gelitten. Mit der Neuwahl und dem Re-
ierungswechsel kam Zuversicht. Die Stimmungslage
at sich wesentlich verbessert.
Die große Koalition hat unsere Bäuerinnen und Bau-
rn wieder in die Mitte der Gesellschaft zurückgeholt.
icherlich, auch unsere Landwirte wissen, dass es kein
eues Geld zu verteilen gibt. Sie tragen viele politische
eschlüsse mit. Sie tragen sie dann gerne mit, wenn sie
amit Zukunftsperspektiven und Planungssicherheit ha-
en.
Der Beschluss der europäischen Staats- und Regie-
ungschefs über den EU-Haushalt für die Jahre 2007 bis
013 wurde akzeptiert, weil nun endlich Planungssicher-
eit für die zweite Säule gegeben ist.
Er wurde akzeptiert in der Hoffnung, dass diese Gel-
er in die aktiv wirtschaftenden Betriebe fließen. Als
tichworte möchte ich die Kulturlandschaftprämie, die
usgleichszulage oder die Investitionsförderung nen-
en.
In der Regierungsverantwortung hat die vormalige
undesministerin, Frau Künast, mehrfach die Bundes-
grarhaushaltsmittel der Gemeinschaftsaufgabe für
grarstruktur und Küstenschutz – GAK – gekürzt. Da-
it standen den GAK-Programmen für ländliche Ent-
icklung immer weniger Mittel zur Verfügung, obwohl
an zugleich der Stärkung der ländlichen Entwicklung
nd der dortigen bäuerlichen Familienbetriebe als politi-
ches Ziel das Wort geredet hatte.
Auch die erste Säule muss bis 2013 stehen. Sie darf
icht immer wieder infrage gestellt werden. Die neue
nd die alte Bundesregierung haben der deutschen Land-
irtschaft zugesichert, dass die mit der EU-Agrarreform
3456 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006
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2003 begründeten EU-Direktzahlungen bis 2013 verläss-
lich sind. Das sehe ich als Vertrauensschutz gegenüber
den über 400 000 landwirtschaftlichen Betrieben in
Deutschland, die über 4 Millionen Arbeitsplätze in
Deutschland sichern. Deshalb darf es auch nicht zur An-
wendung der zusätzlichen Modulation von bis zu
20 Prozent in Deutschland kommen.
Aktive Landwirtschaft ist der wichtigste Beitrag für
Natur- und Umweltschutz, der über diesen Weg nicht ge-
schwächt werden darf. Die Landwirte erfahren bereits ab
2007 Kürzungen in Höhe von 5 Prozent durch die Mo-
dulation. Sie müssen sich durch die Haushaltsdisziplin
auf EU-Ebene auf weitere Kürzungen von bis zu
7 Prozent zusätzlich einstellen. Diese greifen, wenn die
EU-Finanzobergrenze fast erreicht wird, zum Beispiel
durch die Erweiterung der EU um Rumänien und Bulga-
rien. Auch diese Kürzungen wären direkt einkommens-
wirksam.
Die Verschlechterung der deutschen Nettozahlerposi-
tion im Vergleich zur Situation 2006 fällt zwar deutlich
geringer aus als bei anderen großen Nettozahlern, aber
eine Erhöhung des Nettobeitrags war unvermeidlich. Sie
ist aber durch die gegenüber dem Vorschlag der Kom-
mission erzwungenen Kürzungen im EU-Haushalt, die
gerade auch die zweite Säule getroffen haben, wesent-
lich geringer ausgefallen. Wenn netto 4 Milliarden Euro
weniger an die EU zu leisten sind als ursprünglich ge-
plant, ist das doch eine deutliche Entlastung. Beim EU-
Gipfel wurde außerdem eine Absenkung des Mehrwert-
steuer-Abrufsatzes beschlossen, was Deutschland eine
jährliche Entlastung von circa 1 Milliarde Euro bringt.
Noch ein Wort zu der von einigen Gruppierungen an-
gestoßenen Neiddiskussion und dem ungerechtfertigten
Aufbau von Druck auf die EU-Direktzahlungen an die
Landwirte. Bundesagrarbericht und die Länderagrarbe-
richte weisen die EU-Direktzahlungen für verschiedene
Betriebstypen, Betriebsgrößen und Produktionsrichtun-
gen aus. Hier ist bereits eine Transparenz gegeben, die
aber auch immer noch die Privatsphäre von Bäuerinnen
und Bauern unter datenschutzrechtlichen Aspekten
schützt.
In anderen Bereichen werden der Datenschutz und die
Privatsphäre von den Grünen als unverrückbar hinge-
stellt. Anscheinend gilt dieser Anspruch für unsere Bäu-
erinnen und Bauern nicht. Wenn, dann müssen alle Be-
reiche offen gelegt werden, in die staatliche Zahlungen
gehen. Das Bundesfinanzministerium veröffentlicht
jährlich den Subventionsbericht.
Im Übrigen erhalten zum Beispiel in Bayern auch ei-
nige Landschaftspflegeverbände oder der Bund Natur-
schutz umfassende EU-Direktzahlungen in Form der Be-
triebsprämie, da sie über die in ihrem Besitz
befindlichen Flächen Zahlungsansprüche aktivieren.
Die bewährten Programme der zweiten Säule sind
über 2006 hinaus grundsätzlich fortzuführen. Deshalb
sollten für die Achsen l, III und IV der zweiten Säule nur
die EU-rechtlich vorgeschriebenen Mindestanteile zur
Aufteilung der Gesamtfinanzmittel aufgewendet wer-
den.
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Die LEADER-Mittel der Achse IV sollten zur Unter-
tützung der Ziele der anderen drei Achsen eingesetzt
erden. Hierfür sollte von der Möglichkeit der Anrech-
ung des Mindestanteils der Achse IV Gebrauch ge-
acht werden.
Daneben bin ich mir sicher, dass die Bundesregierung
nd die Landesregierungen alles dafür tun, dass die EU-
ittel für die erste Säule bis 2013 für unsere Bauern-
amilien verlässlich bleiben. Auch auf die politische
egründung der EU-Direktzahlungen mit diesem Para-
igmenwechsel müssen die bäuerlichen Familienunter-
ehmen bis 2013 als verlässlichem Rahmen vertrauen
önnen.
Jegliche weitere Erhöhung der Modulation wird strikt
bgelehnt, da dies für die wirtschaftenden Betriebe
ichts anderes als eine Kürzung der einkommenswirksa-
en Direktzahlungen bedeuten würde.
Aus diesen Gründen tragen wir den Antrag der Grü-
en nicht mit. Im Sinne einer Vorwärtsstrategie wird
undesminister Seehofer noch in diesem Jahr zu einem
achkongress „Ländliche Räume und ihre Zukunft“ ein-
aden. Die große Koalition wird die Politik für die ländli-
hen Räume weiterentwickeln, um den Herausforderun-
en entsprechende Antworten entgegenzustellen.
Holger Ortel (SPD): Sie legen hier einen Antrag vor,
er den Titel „Kürzungen bei der Finanzierung der Ent-
icklung Ländlicher Räume verhindern“ trägt. Ich muss
estehen, da hätte ich etwas mehr von Ihnen erwartet.
eider kann ich auch nach mehrmaligem Lesen keine
onstruktiven Vorschläge erkennen. Sie liefern hier viel
eiße Luft. Sie schildern uns den Stand der europäischen
inigung über die finanzielle Vorausschau 2007 bis 2013
nd fordern dann recht naiv eine Rücknahme der Kür-
ungen bei den deutschen Mittelanteilen. Als Gegen-
inanzierung schlagen Sie die Aufhebung so genannter
ungerechtfertigter“ Steuersubventionen vor; erklären
ber nicht näher, was sie damit genau meinen.
Die Finanzierung der Entwicklung der ländlichen
äume ist ein sehr wichtiges Thema. Das möchte ich
ier an erster Stelle betonen. Meine Fraktion und ich
ind uns unserer Verantwortung für die Zukunft der länd-
ichen Räume sehr bewusst. Leider erkenne ich in Ihrem
ntrag aber lediglich ihren bekannten Tunnelblick und
eine greifbaren und zielführenden Lösungsansätze zur
ptimierung des Istzustandes.
Sie betonen gleich zu Anfang Ihres Antrages, dass
nsbesondere die Landwirte die Leittragenden des ver-
inbarten Finanzrahmens 2007 bis 2013 seien. Ich will
hnen eines sagen: Unsere Verantwortung für den ländli-
hen Raum gilt selbstverständlich auch den Landwirten.
s sind aber doch noch viel mehr Faktoren, die die Zu-
unft der ländlichen Räume bestimmen. Politik für die
ändlichen Räume reicht weiter als die klassische Agrar-
olitik. Gefragt ist eine Politik, die eine integrierte länd-
iche Entwicklung unterstützt.
Wir müssen dafür sorgen, dass es auch abseits der
allungsräume eine bedarfsgerechte infrastrukturelle
ersorgung und eine zukunftsorientierte Wirtschafts-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006 3457
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struktur gibt. Die ländlichen Räume in unserem Land er-
leben seit Jahrzehnten strukturelle Veränderungen, die
von der Politik immer abgefedert und begleitet wurden.
Die wirtschaftliche Bedeutung der Landwirtschaft
nimmt vielerorts weiter ab, alternative Arbeitsplätze ent-
stehen jedoch nicht überall und sofort in ausreichendem
Maße. Die Folgen stellen die Politik für die ländlichen
Räume vor große Herausforderungen. Nur mit leistungs-
fähigen ländlichen Räumen ist unser Land fit für die He-
rausforderungen der Zukunft. Eine Politik für die ländli-
chen Räume ist also auch immer eine Politik für das
ganze Land.
Sie kritisieren die beschlossenen Mittelverteilungen
für die Jahre 2007 bis 2013 und die Auswirkungen auf
die zweite Säule der europäischen Agrarpolitik. Lassen
Sie mich zunächst etwas zur ersten Säule sagen:
Die 2005 umgesetzte Agrarreform der Europäischen
Union hat die erste Säule der europäischen Agrarpolitik
grundlegend modernisiert. Dem Tier-, Umwelt- und Ver-
braucherschutz wurde eine viel größere Bedeutung bei-
gemessen. Mit der Entkopplung der Direktzahlungen
von der Produktion muss die Rentabilität bei der Produk-
tion in landwirtschaftlichen Unternehmen grundlegend
überprüft werden. Die Entkopplung erweitert außerdem
die einzelbetrieblichen Spielräume und fordert marktori-
entierte Entscheidungen über die künftige Produktions-
ausrichtung.
Durch die Agrarreform haben wir veränderte Rah-
menbedingungen. Die öffentliche Einflussnahme auf die
landwirtschaftliche Produktion ist einerseits viel höher
als bisher – nämlich über die Cross-Compliance-Vor-
schriften zur Einhaltung von Standards der Lebens-
mittelsicherheit und des Umwelt-, Tier- und Naturschut-
zes. Sie ist andererseits aber auch geringer, weil die
Agrarpolitik keinen direkten Einfluss mehr nimmt auf
Landnutzung und Produktionsausrichtung. Umweltschä-
digende Produktionsanreize werden abgebaut und Spiel-
räume für innovative Agrarerzeugnisse werden eröffnet.
Gleichzeitig setzt die EU mit der zweiten Säule auf
die weitere Entwicklung der ländlichen Räume. Mit der
Verordnung zur Förderung der Entwicklung des ländli-
chen Raumes (ELER), der Verabschiedung der strategi-
schen Leitlinien und – darauf aufbauend – den Nationa-
len Strategieplänen für die ländliche Entwicklung
werden nationale und regionale Schwerpunkte für die
Entwicklung der ländlichen Räume neu definiert.
Diese Politik für die ländlichen Räume hat ein aus-
drückliches Ziel: nämlich die Maßnahmen der ländli-
chen Entwicklung in ein Gesamtkonzept zu integrieren
und mit Maßnahmen anderer Politikbereiche zu verzah-
nen. Dazu gehören aber auch EFRE- und ESF-Mittel.
Hier liegt Ihr Versäumnis in der Gesamtbetrachtung.
Durch die Verabschiedung des Finanzrahmens bis 2013
besteht sowohl für die erste wie auch für die zweite
Säule der Agrarpolitik, bei Einbeziehung aller anderen
Strukturhilfen eine hohe Planungssicherheit für alle be-
troffenen Akteure.
Natürlich freuen auch wir uns nicht über die Mittel-
kürzungen der zweite Säule. Ich habe auch Verständnis
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ür die Kritik aus den Reihen der landwirtschaftlichen
nteressenverbände und der im Naturschutz Tätigen.
ber dass Sie mit Ihrem Antrag einfach nur in das Boot
er Kritiker einsteigen, das enttäuscht mich doch sehr.
ie gehen sogar so weit und bezeichnen die ELER-Ver-
rdnung als reine Makulatur.
Sie fordern die Bundeskanzlerin auf, sich auf europäi-
cher Ebene für eine Rücknahme der Kürzungen bei den
eutschen ELER-Mitteln einzusetzen. Dabei wissen Sie
och genau, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt an der
erteilung der Mittel für die erste und zweite Säule nicht
u rütteln ist.
Nach dem „mid-term-review“ müssen wir die Gele-
enheit nutzen, über eine eventuelle Neugewichtung der
ittel für eine Strukturpolitik zu beraten. Ich finde es ja
ehr löblich, dass Sie sich mit den Folgen der Mittelkür-
ung in der zweiten Säule auseinander setzen. Aber es
ilft uns doch nicht weiter, hier unrealistische Forderun-
en aufzustellen.
Das Ziel der EU-Agrarreform ist die Stärkung der
ändlichen Räume. Diese kann nur erreicht werden,
enn sowohl auf EU-Ebene als auch auf nationaler
bene Lösungsansätze für eine abgestimmte Entwick-
ung ländlicher Räume erarbeitet werden. Nationale Al-
eingänge sind nicht dienlich. Die Stärkung der ländli-
hen Räume können wir nur erreichen, wenn wir die
rste und zweite Säule der Agrarpolitik nicht isoliert
oneinander betrachten und wenn die Maßnahmen ein-
eordnet werden in die gesamte Wirtschafts- und Regio-
alpolitik.
Die in Ihrem Antrag gestellten Forderungen sind
chlichtweg unrealistisch. Ich schlage deshalb vor, die-
en Antrag abzulehnen. Noch besser, ziehen sie Ihren
ntrag zurück.
Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Die EU-
grarpolitik verlangt von den Landwirten in diesem
and mehr Reformen, als von irgendeinem anderen Be-
ufsstand in den letzten Jahren verlangt worden sind.
inanzielle Rahmenbedingungen ändern sich in schnel-
er Folge. Die CDU ist lange mit der Aussage durch die
ande gezogen, wer Landwirt bleiben wolle, könne dies
uch. Damit hat sie eine Botschaft vermittelt, die mit der
ealität nicht übereinstimmt. Wir beobachten einen
trukturwandel, der sich in den letzten Jahren noch be-
chleunigt hat.
Entscheidend für die landwirtschaftlichen Betriebe ist
lanungssicherheit. Arbeitsplätze in der Landwirtschaft
ehören zu den kapitalintensivsten. Die landwirtschaftli-
hen Betriebe sind daher in den ländlichen Räumen die
ichtigste Stütze der mittelständischen Wirtschaft. Da-
er besteht die FDP-Bundestagsfraktion auf Verlässlich-
eit und Planungssicherheit für die Landwirte. Deshalb
uss an der Finanzierung der ersten Säule bis 2013 fest-
ehalten werden. Landwirte sind mittelständische Unter-
ehmer. Sie haben im Vertrauen auf politische Zusagen
n ihre Betriebe investiert. Deshalb müssen diese Zusa-
en eingehalten werden.
3458 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006
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Mit der Umsetzung der EU-Agrarreformen in natio-
nales Recht 2005 gehen erhebliche finanzielle und büro-
kratische Belastungen für die Landwirtschaft einher. Es
sei nur an die komplizierten Regelungen zu Cross Com-
pliance erinnert, die mit neuen Belastungen für die
Landwirte verbunden sind. Die finanziellen Rahmenbe-
dingungen dürfen nicht im Jahrestakt je nach Kassenlage
und ideologischer Ausrichtung der Regierung verändert
werden. Der von der Bundesregierung und maßgeblich
von Bundeskanzlerin Merkel herbeigeführte Beschluss
zur finanziellen Vorausschau 2007 bis 2013 der EU hat
ganz massive negative Auswirkungen für die ländlichen
Räume und den Umwelt- und Naturschutz in Deutsch-
land. Gleichzeitig ist dieser für unsere Landwirtschaft
negative Beschluss durch zusätzliche finanzielle An-
strengungen in Höhe von 2 Milliarden Euro pro Jahr von
der Bundeskanzlerin herbeigeführt worden. Das ist ein
Kompromiss, der wesentlich von den Menschen in den
ländlichen Räumen finanziert wird.
In der Antwort auf die Kleine Anfrage der FDP-Bun-
destagsfraktion mit dem Titel „Finanzpolitische Auswir-
kungen der Einigung über die finanzielle Vorausschau
2007 bis 2013 der Europäischen Union“ beziffert die
Bundesregierung die Kürzungen im Bereich der zweiten
Säule für Deutschland für den Zeitraum 2007 bis 2013
auf 37 Prozent Bundestagsdrucksache Nr.: 16/566. Da-
mit wird deutlich, dass insbesondere in den südlichen
Ländern wie Bayern und Baden Württemberg, die stark
auf die Umweltprogramme der zweiten Säule gesetzt
haben, ein Kahlschlag droht. Die Kritik der Grünen an
dem von Kanzlerin Merkel ausgehandelten „Kuhhan-
del“ ist daher voll berechtigt.
Die schwarz-rote Bundesregierung muss diesen dra-
matischen Abbau der Förderung von Umweltprogram-
men und des ländlichen Raumes in Deutschland verant-
worten. Über 200 unterschiedliche Vertragsmuster sind
nach einer Broschüre der SDW Schleswig-Holstein in
den Ländern konzipiert worden, um den unterschiedli-
chen regionalen Bedingungen zu genügen.
Ebenfalls berechtigt ist die Kritik an den Konsequen-
zen für den Ausgleich von Einschränkungen der Bewirt-
schaftung in den Natura-2000-Gebieten. Nach dem
EuGH-Urteil vom 10. Januar diesen Jahres muss die
Bundesrepublik Deutschland das Bundesnaturschutzge-
setz zur Umsetzung der FFH- und der Vogelschutzricht-
linie ändern. Damit wird die bisher geltende so genannte
Landwirtschaftsklausel fallen. Da der Naturschutz eine
gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, erwartet die FDP-
Bundestagsfraktion, dass zusätzliche Aufwendungen der
Betriebe in den Natura-2000-Gebieten angemessen ent-
schädigt werden. Im Ergebnis haben Bundeskanzlerin
Merkel und die schwarz-rote Koalition einen wahren
Fehlstart für die Landwirtschaft und den Naturschutz in
Deutschland hingelegt. Das hat so niemand erwartet. Die
im Juni stattfindende Anhörung zur ELER-Verordnung
der EU im Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ist daher richtig und notwendig. Die
weit reichenden Konsequenzen für den gesamten ländli-
chen Raum und den Umwelt- und Naturschutz müssen
für die jeweiligen Bundesländer in Deutschland darge-
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tellt werden. Zudem ist es erforderlich über Möglich-
eiten zur Abfederung nachzudenken.
Die schwarz-rote Bundesregierung und namentlich
undeskanzlerin Merkel haben die deutsche Landwirt-
chaft und den heimischen Naturschutz vor eine unlös-
are Aufgabe gestellt: die Wahl zwischen Pest und Cho-
era. Vor dem Hintergrund der leeren Haushaltskassen ist
ine Abfederung des Kahlschlagbereichs der zweiten
äule nahezu unmöglich. Gleichzeitig brauchen die
andwirte Planungssicherheit im Bereich der ersten
äule. Im Ergebnis wird das zur erheblichen Belastun-
en der Landwirte und gravierenden Einschnitten im Be-
eich des Naturschutzes führen.
Vor diesem Hintergrund ist besonders unverständlich,
ass die Regierungskoalition mit der Vorlage des Ent-
urfs eines Energiesteuergesetzes in einem weiteren Be-
eich das Vertrauen der Landwirte und der mittelständi-
chen Biokraftstoffbranche missbraucht. Die FDP
ordert die Bundesregierung auf, eine Politik der Ver-
ässlichkeit und Planungssicherheit auch für die Betriebe
n den ländlichen Räumen zu begründen.
Dem Fass den Boden schlägt dann der gestern von
chwarz-Rot im Agrarausschuss durchgepeitschte An-
rag auf Bundestagsdrucksache 16/1547 aus. Dort heißt
s in Forderung l wörtlich: „ … dass nicht mehr zeitge-
äße Subventionen der EU zugunsten von Zukunftsin-
estitionen in Forschung und Innovation gekürzt wer-
en.“ Das ist billigster Populismus auf dem Rücken der
amilien im ländlichen Raum. Schwarz-rote Agrarpoli-
ik entpuppt sich immer mehr als bauernfeindlich und
egen den Mittelstand gerichtet.
Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Die ländli-
hen Räume werden immer mehr zu sozialen Brenn-
unkten, das habe ich von diesem Pult aus bereits mehr-
ach betont, vor allem, aber nicht nur in Ostdeutschland.
aher ist es aus Sicht meiner Fraktion umso wichtiger,
ieses Problem nicht nur in Sonntagsreden zu benennen,
ondern etwas dagegen zu tun.
Menschen brauchen eine Lebensperspektive – auch
uf dem platten Land. Dazu gehören existenzsichernde
rbeitsplätze. „Existenzsichernd“ muss unterdessen
chon betont werden. Auch und gerade in den ländlichen
äumen haben wir es nicht mehr nur mit einer hohen,
erfestigten Langzeitarbeitslosigkeit zu tun. Immer mehr
enschen, die arbeiten gehen dürfen, können nicht mehr
on dem Verdienst leben und müssen ergänzendes
LG II beantragen! Damit können wir uns nicht abfin-
en.
Es geht aber nicht nur um soziale Lebensbedingun-
en. Linke Politik bedeutet, soziale, ökologische und
irtschaftlichen Interessen nicht gegeneinander auszu-
pielen, sondern gemeinsam zu denken, erst recht in den
ändlichen Räumen. Zugegeben: Das sagt sich leichter,
ls es dann in den sehr irdischen Interessenskonflikten
anchmal ist. Aber die Mühe der Ebene dieser Span-
ungsfelder müssen wir uns schon machen.
Also: Eine zukunftsfähige Strukturpolitik im ländli-
hen Raum ist dringender denn je und sie braucht eine
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006 3459
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verlässliche finanzielle Grundlage: auf EU-, auf Bundes-
und auf Landesebene. Das ist vermutlich sogar Konsens.
Es ist unbestritten: die EU-Politik war in den vergan-
genen Jahrzehnten durchaus eine Politik für den ländli-
chen Raum. Die EU-Mittel waren und sind eine wichtige
und notwendige Hilfe bei den tiefgreifenden Transfor-
mationsprozessen, die vor allem in Ostdeutschland, aber
auch in benachteiligten Gebieten Westdeutschlands und
in den neuen Mitgliedstaaten zu bewältigen sind, ganz
abgesehen von den Ländern, die als Bewerber vor der
Tür stehen.
Eine zukunftsfähige, flächendeckende und multifunk-
tionale Landwirtschaftsstruktur ist ein tragendes Ele-
ment im ländlichen Raum. Sie wird über die so genannte
erste EU-Fördersäule unterstützt – die Direktzahlungen
an die landwirtschaftlichen Betriebe.
Aber das allein reicht nicht aus – wir brauchen auch
die EU-Agrarstrukturpolitik, die über die so genannte
zweite Säule finanziert wird. Aber ausgerechnet diese
Gelder für den ländlichen Raum sollen im Durchschnitt
um 40 Prozent gekürzt werden. Diese Konsequenz des
Verhandlungsergebnisses, das medial als ein Erfolg von
Bundeskanzlerin Angela Merkel dargestellt wurde,
würde ein Aufgeben aktiver Politik für den ländlichen
Raum bedeuten! Erst recht, da die zweite Säule ohnehin
als deutlich unterfinanziert gilt.
Der vorliegende Antrag von Bündnis90/Die Grünen
beschreibt daher zutreffend die schwerwiegenden Kon-
sequenzen, die infolge der geplanten massiven Mittel-
kürzungen bei der Agrarstrukturpolitik zu erwarten sind.
Denn was bedeuten diese Kürzungen? Sie bedeuten eine
Reduzierung aller Bereiche, die zur Finanzierung der ar-
beitsplatzwirksamen ländlichen Investitionsprogramme
beitragen. Daneben steht die Finanzierung der in den
vergangenen Jahren sehr erfolgreichen Agrarumweltpro-
gramme infrage, die in einigen Ländern Dimensionen er-
reicht haben, die für den ländlichen Raum existenziell
geworden sind. Hier sind soziale, wirtschaftliche und
ökologische Interessen in der Kulturlandschaft eng mit-
einander verknüpft. Das „Natura 2000“-Programm lässt
sich womöglich gar nicht mehr finanzieren. Die von den
einzelnen Bundesländern schon jetzt unterschiedlich ge-
förderten Programme zum ökologischen Landbau wer-
den gegen den Markttrend weiter reduziert und auch die
ambitionierten programmatischen Entwürfe für alterna-
tive Einkommensquellen gehen großteils in den Papier-
korb.
Meine Fraktion fordert daher von der Bundesregie-
rung ein belastbares, verlässliches Finanzkonzept für
eine nachhaltige Infrastrukturpolitik im ländlichen
Raum, ob über eine Nachverhandlung in Brüssel oder
über eine Erhöhung der Mittel der Gemeinschaftsauf-
gabe „Agrarstruktur und Küstenschutz“ im Bundeshaus-
halt oder über andere Wege.
Die Menschen im ländlichen Raum brauchen dieses
Geld dringender denn je!
Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die
Verabschiedung der EU-Verordnung über die Förderung
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er Entwicklung des ländlichen Raumes durch den Euro-
äischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des
ändlichen Raumes, ELER, war ein Meilenstein in der
uropäischen Agrarpolitik. Mit der ELER-Verordnung
urden die Weichen für eine zukunftsfähige Landwirt-
chaftspolitik gestellt, die sich in die integrierte ländli-
he Entwicklung einpasst. Den Mitgliedstaaten der Eu-
opäischen Union steht damit ein modernes
örderinstrument zur Stärkung und Entwicklung des
ändlichen Raums zur Verfügung.
Doch die Freude über dieses Instrument verteilt sich
n den Mitgliedstaaten der Europäischen Union sehr un-
erschiedlich. Die deutsche Bundesregierung scheint je-
enfalls davon überzeugt zu sein, auf einen Großteil der
euen Fördermöglichkeiten verzichten zu können. An-
ers ist es jedenfalls nicht zu erklären, dass sie im ver-
angenen Dezember bei der Einigung über die finan-
ielle Vorausschau 2007 bis 2013 der Europäischen
nion bereit war, auf 37 Prozent der Mittel, die im Rah-
en der ELER-Verordnung Deutschland als Kofinanzie-
ungsmittel zur Verfügung gestellt werden, zu verzich-
en.
Dank der Verhandlungsstrategie von Angela Merkel
eim Rat der Staats- und Regierungschefs werden wir in
eutschland in den kommenden sieben Jahren mit 400
is 450 Millionen Euro weniger an Fördermitteln für den
ändlichen Raum pro Jahr auskommen müssen. Während
ie ostdeutschen Bundesländer dabei nur auf 25 Prozent
er bisherigen Mittel verzichten müssen, trifft es die al-
en Bundesländer mit 45 Prozent besonders hart. Die
rste Säule der europäischen Agrarpolitik mit ihrer Aus-
tattung von 293 Milliarden Euro wurde hingegen nicht
ngetastet. Vor diesem Hintergrund frage ich: Was hat
iese Politik mit dem gemein, was die Koalition in ihrem
oalitionsvertrag beschlossen hat? Dort steht – ich zi-
iere –: „Die Finanzierung der zweiten Säule muss aus-
eichend abgesichert und die gleichgewichtige Entwick-
ung beider Säulen gewährleistet bleiben.“ Was hat die
olitik, die die Koalition macht, mit einer „gleichge-
ichtigen Entwicklung“ zu tun?
Die Koalition rechtfertigt ihre Politik mit der gebets-
ühlenartigen Wiederholung des Argumentes der Pla-
ungssicherheit für die Landwirte, die von den Zahlun-
en aus der ersten Säule profitieren. Will die Koalition
amit sagen – und ich frage ganz konkret –, dass die
andwirte, die Fördermittel aus der zweiten Säule emp-
angen, keine Planungssicherheit brauchen? In Bayern
nd Baden-Württemberg beispielsweise beträgt der Ein-
ommensanteil, den die Bauern aus der zweiten Säule
rhalten, bereits 40 Prozent.
Wer den ländlichen Raum in Deutschland nicht aufge-
en will und wer insbesondere der Landwirtschaft in
eutschland auch über die kommenden sieben Jahre hi-
aus eine Perspektive bieten will, muss für eine bessere
inanzielle Ausstattung der zweiten Säule kämpfen.
azu stehen der Bundesregierung verschiedene Mög-
ichkeiten zur Verfügung. Für die beste unter ihnen
ürfte es leider mittlerweile zu spät sein. Die Koalition
ollte sich für eine bessere finanzielle Ausstattung der
weiten Säule innerhalb der Europäischen Union einset-
3460 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006
(A) )
(B) )
zen: Sie sollte nachverhandeln. Aber diese Chance ist
wohl vertan.
Eine andere Möglichkeit wäre, die ab 2007 fehlenden
Mittel durch eine Aufstockung der Mittel für die Ge-
meinschaftsaufgabe zur Verbesserung der Agrarstruktur
und des Küstenschutzes, GAK, zu kompensieren. Die
Koalition sollte bei der GAK nicht weiter kürzen, wie sie
es für dieses Jahr vorhat, sondern den Haushaltsansatz
ab dem kommenden Jahr um die fehlenden 450 Millio-
nen Euro aufstocken.
Wenn der Koalition das haushaltstechnisch nicht ge-
lingen sollte, hat sie als Drittes die Möglichkeit, von der
mit der finanziellen Vorausschau beschlossenen fakulta-
tiven nationalen Modulation Gebrauch zu machen. Denn
die fakultative Modulation bedeutet mitnichten, dass da-
mit der Landwirtschaft in Deutschland Mittel, die ihr
über die erste Säule zur Verfügung stehen, entzogen
würde. Im Gegenteil: Die fakultative Modulation erlaubt
den Landwirtschaftsbetrieben mit einer Umorientierung
auf Maßnahmen der zweiten Säule, die gleichen Förder-
mittel zurückzugewinnen. Die Gelder blieben in der
Landwirtschaft – allerdings in einer, die klar auf Um-
weltverträglichkeit und Zukunftsfähigkeit setzt.
Wenn die Koalition die fakultative Modulation de-
gressiv gestaltet und erst bei Unternehmen ansetzt, die
mehr als 20 000 Euro an Direktzahlungen jährlich be-
kommen, wären sogar fast 90 Prozent der landwirt-
schaftlichen Betriebe in Deutschland gar nicht von Kür-
zungen betroffen. Ein solcher Ansatz wäre auch unter
dem Gesichtspunkt gerecht, dass nur wirklich große Be-
triebe auf Agrarsubventionen verzichten müssten, Be-
triebe also, die aufgrund ihrer Größe ohnehin effizienter
wirtschaften.
Ich fasse zusammen: Mit der ELER-Verordnung hat
die Europäische Union einen Weg beschritten, ihre
Landwirtschaft auf die Zukunft auszurichten und leben-
dige ländliche Räume zu erhalten und zu entwickeln.
Nimmt man diese Politik ernst, muss man auch die not-
wendigen finanziellen Mittel zur Umsetzung dieser Poli-
tik zur Verfügung stellen. Noch ist es möglich, Schaden
abzuwenden. Die Koalition sollte die Gelegenheit nut-
zen.
Anlage 30
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Franz Thönnes auf die Frage des
Abgeordneten Dirk Niebel (FDP) (Drucksache 16/1645,
dringliche Frage 2):
Wie sieht die Bundesregierung das Risiko für weitere
Haushaltsbelastungen durch den Zeitverzug, wenn weitere
Nachbesserungsvorschläge bei schon jetzt erkannten Defizi-
ten frühestens im Herbst vorgelegt werden sollen vor dem
Hintergrund, dass die Haushaltsberatungen 2006 vor dem Ab-
schluss stehen und für Hartz IV schon jetzt ein Haushaltsri-
siko besteht und nur 24,4 Milliarden Euro im Haushalt einge-
stellt sind (Anhörung zum SGB-II-Fortentwicklungsgesetz
vom 29. Mai 2006)?
Aufgrund der unterjährigen Ausgabenentwicklung im
Bereich der gesamten Grundsicherung zeichnet sich
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icht zwingend ein Haushaltsrisiko für die Grundsiche-
ung insgesamt ab, sodass der Haushaltsausschuss in sei-
er gestrigen Sitzung die im Regierungsentwurf veran-
chlagten Ansätze nicht geändert hat. Für einen
öglichen Mehrbedarf beim Ansatz Arbeitslosengeld II
urde durch die Ausbringung einer qualifizierten Sperre
eim Eingliederungstitel und einem Deckungsvermerk
om Eingliederungstitel zum Arbeitslosengeld II Vor-
orge getroffen. Im Übrigen geht die Bundesregierung
avon aus, dass es mit der Verabschiedung des SGB-II-
ortentwicklungsgesetzes und den hierin vorgesehenen
aßnahmen zur Verbesserung der Effektivität und Effi-
ienz des Systems der Grundsicherung, im Rahmen des
aushaltsvollzugs zu einer rückläufigen Ausgabenent-
icklung beim Arbeitslosengeld II kommen wird.
nlage 31
Antwort
es Parl. Staatssekretärs Franz Thönnes auf die Fragen
es Abgeordneten Jürgen Koppelin (FDP) (Druck-
ache 16/1645, dringliche Fragen 3 und 4):
Welche Vorstellungen hat die Bundeskanzlerin, Dr. Angela
Merkel, wenn sie erklärt, dass das Hartz-IV-Gesetz einer
„grundlegenden Überholung“ bedarf („Frankfurter Allge-
meine Zeitung“ vom 30. Mai 2006), und warum wird dieses
Vorhaben angesichts des sich abzeichnenden Haushaltsrisikos
nicht in das im Beratungsverfahren stehende SGB-II-Fortent-
wicklungsgesetz einbezogen, sodass die Maßnahmen noch
2006 haushaltswirksam werden können?
Wo sieht die Bundeskanzlerin, Dr. Angela Merkel den Un-
terschied zwischen einer „Generalrevision“ und einer „grund-
legenden Überholung“ („Frankfurter Allgemeine Zeitung“
vom 30. Mai 2006)?
Die Betreuung der arbeitsfähigen ehemaligen Bezie-
er der Sozialhilfe und der Arbeitslosenhilfe aus einer
and ist der richtige Weg. Ein so komplexes und um-
angreiches Reformvorhaben stellt hohe Anforderungen
n die Umsetzung. Mit dem schon verabschiedeten
GB-II-Änderungsgesetz und dem jetzt aktuell disku-
ierten SGB-II-Fortentwicklungsgesetz reagieren wir auf
ie Erfahrungen in 2005 und 2006. Wir präzisieren In-
alte der Gesetzgebung und verbessern die Umsetzung.
iel bleibt: Wir wollen Arbeitslosigkeit bekämpfen und
rbeitsuchenden auch im Bereich SGB II helfen. Und
s geht darum, die knappen öffentlichen Mittel effektiv
nd effizient einzusetzen. Konkret bedeutet das, dass wir
n diesem Jahr rund 600 Millionen Euro und im kom-
enden Jahr durch die genannten und andere Maßnah-
en rund 3,8 Milliarden bis 4,0 Milliarden Euro einspa-
en. Wie im Koalitionsvertrag vereinbart wird die
undesregierung im Herbst und in den kommenden Jah-
en mit verschiedenen Maßnahmen die Arbeitsmarktre-
ormen SGB II und SGB III weiter entwickeln, insbe-
ondere durch die Neuregelung des so genannten
iedriglohnsektors auf der Grundlage zu erarbeitender
orschläge. Das berührt auch den Bereich der Arbeits-
arktreform SGB II; die Neuausrichtung von Instru-
enten der aktiven Arbeitsmarktpolitik im kommenden
ahr auf der Grundlage einer bereits laufenden Wirksam-
eitsanalyse; die Neuregelung der Kosten der Unterkunft
ür 2007 und folgende und die Entscheidung über die
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006 3461
(A) )
(B) )
langfristige Gestaltung des Arbeitsmarkts im Bereich-
SGB II im Jahr 2008. Aus all dem folgt: Die Grundsätze
dieser Arbeitmarktreformen sind unumstritten. Instru-
mente, Verfahren und Umsetzung werden – immer
orientiert am Ziel der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit
und dem effizienten Einsatz der Mittel – optimiert.
Anlage 32
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Andreas Storm auf die Frage
der Abgeordneten Cornelia Hirsch (DIE LINKE)
(Drucksache 16/1604, Frage 5):
Inwieweit erwägt die Bundesregierung die Verankerung
der Gebührenfreiheit der Bildung im Grundgesetz, um ihren
im Rahmen des Internationalen Paktes über wirtschaftliche,
soziale und kulturelle Rechte eingegangenen Verpflichtungen
zu entsprechen (siehe dazu Art. 13, wo das Ziel einer „allmäh-
lichen Einführung der Unentgeltlichkeit der Hochschulbil-
dung“ genannt ist)?
Der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale
und kulturelle Rechte vom 19. Dezember 1966 ver-
pflichtet die Vertragsstaaten gemäß Art. 13 Abs. 2 lit. c
dazu, den Hochschulunterricht für jedermann gleicher-
maßen entsprechend seinen Fähigkeiten zugänglich zu
machen. Hierzu wird insbesondere die allmähliche Ein-
führung der Unentgeltlichkeit verlangt. Entscheidend ist,
dass der Zugang von der Finanzkraft des Einzelnen un-
abhängig bleibt. Die Einführung von Studiengebühren
ist demnach dann nicht völkerrechtswidrig, wenn durch
geeignete Förderungssysteme dafür Sorge getragen wird,
dass auch finanzschwachen Studienanwärtern der Zu-
gang zur Hochschulausbildung ermöglicht wird (verglei-
che dazu Riedel/Söllner, JZ 2006, 270). Das Bundesver-
fassungsgericht hat in seinem Urteil vom 26. Januar
2005 (2 BvF 1/03) festgestellt, dass der Bund – jeden-
falls gegenwärtig – nicht das Gesetzgebungsrecht hin-
sichtlich der Erhebung von Studiengebühren besitzt. Es
führte in der Entscheidung unter anderem aus, dass ge-
mäß Art. 75 Abs. l Satz l Grundgesetz in Verbindung mit
Art. 72 Abs. 2 Grundgesetz der Bund Rahmenvorschrif-
ten nur erlassen dürfe, wenn und soweit die Herstellung
gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder
die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im ge-
samtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Rege-
lung erforderlich mache. Der Bund habe aber nicht aus-
reichend dartun können, dass diese Voraussetzungen
erfüllt seien. Aufgrund dieses Urteils sind die Bundes-
länder für die Entscheidung zuständig, ob und inwieweit
Studiengebühren an den jeweiligen Hochschulen einge-
führt werden. Vor diesem Hintergrund stellt sich der
Bundesregierung die Frage einer Grundgesetzänderung
zur Einführung einer Studiengebührenfreiheit nicht.
Anlage 33
Antwort
der Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks auf die
Frage der Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch (DIE
LINKE) (Drucksache 16/1604, Frage 6):
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Wie viele Personen sind damit beschäftigt, Umsatzsteuer-
betrug aufzudecken, und wie hoch ist der jährliche finanzielle
Aufwand für die Erfüllung dieser Aufgabe?
Nach Art. 108 des Grundgesetzes sind für die Erhe-
ung der Umsatzsteuer die Länder zuständig, was auch
ie Zuständigkeit für die Umsatzsteuerkontrolle mit ein-
chließt. Angaben darüber, wie viele Personen damit be-
chäftigt sind, Umsatzsteuerbetrug aufzudecken und
ber die Höhe der jährlichen finanziellen Aufwendungen
ür die Erfüllung dieser Aufgabe liegen der Bundesregie-
ung nicht vor.
nlage 34
Antwort
es Parl. Staatssekretärs Peter Hintze auf die Frage des
bgeordneten Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
EN) (Drucksache 16/1604, Frage 7):
Wie beurteilt die Bundesregierung qualitativ und quantita-
tiv die Werftenkapazitäten in Deutschland, die für Neubauten
und Modernisierungsmaßnahmen der Binnenschifffahrt erfor-
derlich wären?
Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass die
5 deutschen Binnenschiffswerften auch auf dem Markt
ür Binnenfrachtschiffe die notwendigen Kompetenzen
nd unternehmerische Chancen besitzen, um erfolgreich
n der Modernisierung der Binnenschiffe teilnehmen zu
önnen. Die Bestellungen von 18 Frachtschiffen mit ei-
er Ladekapazität von 24 000 Tonnen in 2005 sind eine
rfreuliche Verbesserung der Auftragseingänge in die-
em Marktsegment und belegen die Leistungsfähigkeit
er Unternehmen. 2005 wurden bei den deutschen Bin-
enschiffswerften außerdem 18 Binnenfahrgastschiffe
nd 36 Arbeitsboote, Behördenschiffe und andere Spe-
ialschiffe bestellt.
Die Schiffbaubranche selber schätzt diese positive
uftragsentwicklung noch nicht als das notwendige
achfragesignal aus dem Modernisierungsbedarf der
eutschen Binnenschiffsflotte ein. Ein zusätzlicher Bau-
nd Modernisierungsbedarf könnte sich auch aus einer
eiteren Verlagerung von Straßengütertransporten auf
as Binnenschiff ergeben. Die deutschen Binnenschiffs-
erften hoffen, dass sich in den kommenden Jahren eine
erbesserung der Investitionsfähigkeit des Binnenschiff-
ahrtsgewerbes einstellt.
Die Bundesregierung teilt die Beurteilung des Schiff-
auverbandes, dass die deutschen Werften in der Lage
ind, dann noch stärker Aufträge für neue Binnenfracht-
chiffe auch gegen die Konkurrenz vor allem in den ost-
uropäischen Ländern zu akquirieren.
nlage 35
Antwort
es Parl. Staatssekretärs Peter Hintze auf die Frage der
bgeordneten Cornelia Hirsch (DIE LINKE)
Drucksache 16/1604, Frage 12):
Wie hat die Bundesregierung auf der Sitzung des Wettbe-
werbsrates am 29. und 30. Mai 2006 bei den Verhandlungen
3462 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006
(A) )
(B) )
zur Dienstleistungsrichtlinie darauf hingewirkt, dass die be-
stehenden Unklarheiten in der Abgrenzung zwischen privater
und öffentlicher Bildung ausgeräumt werden, beispielsweise
indem sichergestellt wurde, dass die Mitgliedstaaten festlegen
können, was Dienstleistungen von allgemeinem Interesse
sind, wie es unter anderem von der Gewerkschaft Erziehung
und Wissenschaft (GEW) gefordert wird?
Die Bundesregierung hat sich bei den Verhandlungen
mit Nachdruck für eine klare Abgrenzung zwischen pri-
vater und öffentlicher Bildung eingesetzt. Wir haben
hierüber den zuständigen Ausschuss für Bildung und
Forschung in den vergangenen Wochen immer wieder
eingehend informiert. Wir hatten mit diesen Bemühun-
gen schon im Vorfeld des Wettbewerbsfähigkeitsrates
Erfolg: Der geänderte Richtlinienvorschlag gibt nun in
Erwägungsgrund 16 die ständige Rechtsprechung des
Europäischen Gerichtshofes zu den einschlägigen Krite-
rien wieder, anhand derer die Abgrenzung zu erfolgen
hat. Aus Sicht der Bundesregierung verbleiben damit
keine Unklarheiten mehr.
Anlage 36
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Christian Schmidt auf die Frage
des Abgeordneten Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land)
(CDU/CSU) (Drucksache 16/1604, Frage 13):
Welche Möglichkeiten bestehen aus Sicht der Bundesre-
gierung, im Falle unvorhergesehener Entwicklungen in der
Demokratischen Republik Kongo gegebenenfalls die deutsche
Militärpräsenz zu verstärken, und wie viele Soldaten könnten
für welchen Zeitraum maximal dort eingesetzt werden?
EUFOR RD CONGO hat mit der VN Resolution
1671 (2006) einen zeitlich klar begrenzten Auftrag. Die
EU-Operation ist auf den Zeitraum der Wahlperiode be-
grenzt. Die EU-Unterstützung wird im Kern vom Datum
der Parlaments- und der ersten Runde der Präsident-
schaftswahlen (vorgesehen für den 30. Juli) bis vier Mo-
nate danach andauern. Hinzu kommen Zeiten für die
Verlegung und Herstellung der Einsatzfähigkeit sowie
für die Rückverlegung der Truppen. Durch den Befehls-
haber für die ESVP-Operation EUFOR RD CONGO
wurde ein Einsatzkonzept (Concept of Operations =
CONOPS) erstellt. Dieses schließt eine für die militäri-
sche Durchführung der festgelegten Aufgaben erforder-
liche Kräfte- und Fähigkeitsforderung an die EU Mit-
gliedsstaaten ein. Eine abschließende Aufstellung des
multinationalen Kräftedispositivs wird zurzeit noch aus-
gehandelt. Um einer Lageverschärfung adäquat begeg-
nen zu können, steht zur Verstärkung der in der Demo-
kratischen Republik Kongo stationierten Kräfte eine
sogenannten .,On Call Force“ im Einsatzraum Gabun zur
Verfügung. Darüber hinaus soll eine strategische Re-
serve in Europa bereitgehalten werden, um im Bedarfs-
fall innerhalb von 14 Tagen ins Einsatzgebiet zu verle-
gen. Derzeit ist keine Beteiligung deutscher Kräfte an
der strategischen Reserve vorgesehen. Die Gliederung
von EUFOR mit Vor-Ort-Kräften in Kinshasa und On-
Call-Kräften mit hoher Mobilität und rascher Verfügbar-
keit in Gabun bietet sowohl dem taktischen Befehlshaber
als auch dem Befehlshaber für die Gesamtoperation aus-
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eichende Flexibilität, um den Auftrag der Lage ange-
asst, flexibel und erfolgreich durchzuführen.
nlage 37
Antwort
es Parl. Staatssekretärs Christian Schmidt auf die Frage
es Abgeordneten Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land)
CDU/CSU) (Drucksache 16/1604, Frage 14):
Wie teuer wird aus Sicht der Bundesregierung der derzeit
geplante deutsche Militäreinsatz in der Demokratischen Re-
publik Kongo, und welche finanziellen Mittel sind an welcher
Stelle im Bundeshaushalt 2006 bisher zur Finanzierung einge-
stellt?
Die einsatzbedingten Zusatzausgaben für die Beteili-
ung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-ge-
ührten Operation EUFOR RD CONGO mit bis zu
80 Soldaten betragen für die Dauer von vier Monaten
is zu 56 Millionen Euro.
Die Finanzierung des Einsatzes erfolgt aus dem Ein-
elplan 14, Kapitel 1403 Titelgruppe 08. Da für die pro-
nostizierten Ausgaben dieses Einsatzes bislang im Ein-
elplan 14 keine Vorsorge getroffen ist, werden die
usgaben aus dem Verteidigungshaushalt erwirtschaftet.
nlage 38
Antwort
es Parl. Staatssekretärs Christian Schmidt auf die Frage
es Abgeordneten Dr. Rainer Stinner (FDP)
Drucksache 16/1604, Frage 15):
Warum ist das Bundesministerium der Verteidigung seit
mehr als vier Monaten nicht in der Lage – entgegen der Ant-
wort des Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundes-
minister der Verteidigung, Dr. Friedbert Pflüger, vom 18. April
2006 auf meine schriftliche Frage 27 auf Bundestagsdrucksa-
che 16/1268 „Insgesamt kann für das Bundesministerium der
Verteidigung die militärische Befehlsgebung in multinationa-
len Verbänden und Stäben jederzeit nachvollzogen werden“ –,
zu einem endgültigen Ermittlungsstand zu kommen, ob in ei-
nem bestimmten Fall eine multinationale Befehlsgebung statt-
gefunden hat oder nicht (siehe Antwort des Parlamentarischen
Staatssekretärs beim Bundesminister der Verteidigung,
Dr. Friedbert Pflüger, vom 18. Mai 2006 auf meine schriftli-
che Frage „Befehlsgebung in multinationalen Verbänden und
Stäben“), und liegt ein Zeitraum von über vier Monaten nach
Ansicht der Bundesregierung noch innerhalb eines mit „jeder-
zeit“ zu bezeichnenden Zeitrahmens?
Die von Ihnen in den Mittelpunkt gestellte Frage nach
iner eventuell stattgefundenen multinationalen Befehls-
ebung stellt nur einen Teilaspekt der im Ermittlungs-
erfahren insgesamt zu untersuchenden möglicherweise
elevanten Tatbestände dar. Die sorgfältige Überprüfung
ller Einzelaspekte unterstreicht die hohe Bedeutung, die
as BMVg der Klärung des Sachverhaltes zumisst. Die
rmittlungen des Wehrdisziplinaranwaltes wurden am
2. Mai 2006 abgeschlossen. Einzelheiten dazu wurden
em Verteidigungsausschuss schriftlich bereits am
4. Mai 2006 mitgeteilt. Daher konnte Ihnen am 18. Mai
it Rücksicht auf das laufende Verfahren lediglich der
amalige Ermittlungsstand mitgeteilt werden. Ungeach-
et dessen gibt es bis heute keinen Nachweis für die Be-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006 3463
(A) )
(B) )
hauptung des beschuldigten Soldaten, aufgrund einer
multinationalen Befehlsgebung gehandelt zu haben. Im
Übrigen verweise ich in diesem Zusammenhang auf die
Antwort auf Ihre Anfrage vom 11. Mai 2006. Die von
Ihnen kritisierte Bearbeitungsdauer steht nicht in Wider-
spruch zu der Ihnen am 10. April 2006 erteilten Aus-
kunft, dass insgesamt die militärische Befehlsgebung in
multinationalen Verbänden und Stäben jederzeit nach-
vollzogen werden kann. Wenn eine multinationale Be-
fehlsgebung aufgrund der Ihnen bekannten Regelungen
und Verfahren erfolgt, so ist jederzeit nachvollziehbar.
Trotz aller Regelungen ist jedoch grundsätzlich der
,.Faktor Mensch“ als Einschränkung zu sehen. Wenn die
Befehlsgebung des multinationalen Stabes durch die
handelnden Akteure nicht hinreichend transparent ge-
macht wird (zum Beispiel mündlicher Befehl ohne wei-
tere Dokumentation oder eingeschränkter Adressaten-
kreis) besteht immer die latente Gefahr, dass nicht alle
relevanten Informationen lückenlos dokumentiert wer-
den können. Um das ausschließen zu können, bedarf es
im Einzelfall einer Überprüfung, die durchaus eine ent-
sprechende Zeit in Anspruch nehmen kann.
Anlage 39
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Christian Schmidt auf die Fragen
des Abgeordneten Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) (Drucksache 16/1604, Fragen 16 und 17):
Warum hat der Bundesminister der Verteidigung,
Dr. Franz Josef Jung, – trotz wiederholter expliziter Bitten
von Seiten der Abgeordneten – bislang den Entwurf des
Weißbuchs zur Sicherheitspolitik den Oppositionsfraktionen
des Deutschen Bundestages und der Öffentlichkeit noch nicht
vorgelegt, und wie ist dies mit der Tatsache in Übereinstim-
mung zu bringen, dass der Bundesminister wiederholt eine
breite sicherheitspolitische Debatte anmahnt, bei Nachfragen
zu seinen öffentlichen Stellungnahmen – zum Beispiel hin-
sichtlich der Änderung des Verteidigungsbegriffs und des
Bundeswehreinsatzes im Innern – auf das vertrauliche Weiß-
buch verweist und das Weißbuch bislang nur Pressevertretern,
den beteiligten Ressorts und den Koalitionsfraktionen vor-
liegt, nicht aber der Opposition und der Öffentlichkeit zur
Kenntnis gegeben wird?
Inwieweit und in welchen konkreten Punkten unterscheidet
sich das Weißbuch zur Sicherheitspolitik von den vorliegenden
Verteidigungspolitischen Richtlinien und der Europäischen Si-
cherheitsstrategie, und inwieweit teilt die Bundesregierung
die Auffassung, dass das Weißbuch der Bundesregierung zur
Sicherheitspolitik ein kohärentes, umfassendes, ressortüber-
greifendes und nicht auf militärische Aufgaben und Fähigkei-
ten reduziertes Grundsatzdokument sein muss, das den Primat
ziviler Instrumente und Fähigkeiten widerspiegelt?
Zu Frage 16:
Das Weißbuch, das ja gerade eine sicherheitspoliti-
sche Debatte anstoßen soll, wird den Oppositionspar-
teien nicht vorenthalten. Ein Weißbuch ist ein gemeinsa-
mes Dokument der Bundesregierung. Eine öffentliche
Debatte kann deshalb nur über eine vom Kabinett verab-
schiedete Fassung erfolgen.
Der Staat hat eine Schutzfunktion für die Bürgerinnen
und Bürger. Fragen wie eine mögliche Änderung des
Verteidigungsbegriffs oder des Einsatzes der Bundes-
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ehr im Inneren müssen diskutiert werden, wenn der
taat seiner Schutzpflicht gerecht werden will. Bundes-
inister Dr. Jung hat seine Meinung hierzu deutlich ge-
acht. Über möglicherweise entstehenden Handlungs-
edarf wird die Bundesregierung intensiv diskutieren.
arüber hinaus ist auch eine Diskussion in der Öffent-
ichkeit notwendig. Diese sollte auf der Grundlage des
eißbuchs geführt werden, sobald dieses als Ausdruck
es gemeinsamen Verständnisses der Bundesregierung
om Kabinett verabschiedet wurde. Das Weißbuch be-
indet sich nach wie vor im Abstimmungsprozess inner-
alb der Bundesregierung. Inakzeptable Indiskretionen
ndern nichts an der Tatsache, dass erst nach Verabschie-
ung durch das Kabinett eine öffentliche Befassung mit
em Weißbuch stattfinden kann.
u Frage 17:
Das Weißbuch wird in der Kontinuität der Verteidi-
ungspolitischen Richtlinien und der Europäischen Si-
herheitsstrategie stehen. Auf beide Dokumente wird im
ntwurf ausdrücklich verwiesen. Ich verweise auf den
m Koalitionsvertrag formulierten Auftrag an den Bun-
esminister der Verteidigung, unter seiner Federführung
in Weißbuch zur Sicherheitspolitik Deutschlands und
ur Zukunft der Bundeswehr vorzulegen. Dieses Weiß-
uch muss auch Aussagen zu den Aufgaben und zur
usammenarbeit der für Sicherheit verantwortlichen
nstitutionen innerhalb einer umfassenden nationalen Si-
herheitsvorsorge beinhalten. Dabei entspricht es unse-
em Verständnis, dass die Bundeswehr nur ein Element
n einem umfassenden Instrumentarium staatlicher
andlungsmittel ist. Ziel ist es, vor dem Hintergrund
ieses Verständnisses die seit der deutschen Einheit kon-
inuierlich durchgeführte Weiterentwicklung der Bun-
eswehr so fortzuführen, dass die Streitkräfte ihre
ufgaben im sicherheitspolitischen Umfeld des 21. Jahr-
underts erfolgreich wahrnehmen können.
nlage 40
Antwort
er Parl. Staatssekretärin Marion Caspers-Merk auf die
ragen der Abgeordneten Britta Haßelmann (BÜND-
IS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 16/1604, Fra-
en 18 und 19):
Beabsichtigt die Bundesregierung, Ergebnisse des Runden
Tisches Pflege, der am 12. September 2005 seine Ergebnisse
und Handlungsempfehlungen der Arbeitsgruppen präsen-
tierte, umzusetzen, oder hat sie bereits damit begonnen?
Wie steht die Bundesregierung zu den Ergebnissen des
Runden Tisches Pflege, zum Beispiel bei der Frage nach der
Selbstverpflichtung aller Beteiligten, wenn es um die Einhal-
tung der Charta der Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Men-
schen geht?
u Frage 18:
Soweit die Bundesregierung Adressat der Empfehlun-
en der Arbeitsgruppen des Runden Tisches Pflege ist,
rüft sie diese derzeit auf ihre Umsetzbarkeit. Sie beab-
ichtigt, die Empfehlungen bei den anstehenden gesetz-
eberischen Reformvorhaben soweit wie möglich zu be-
3464 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006
(A) )
(B) )
rücksichtigen. Darüber hinaus wurde eine Reihe von
Maßnahmen zur Umsetzung und Weiterentwicklung von
Qualitätsmanagementkonzepten begonnen.
Zu Frage 19:
Die Bundesregierung begrüßt es, dass die Arbeits-
gruppen des Runden Tisches Pflege trotz großer Interes-
sendivergenzen und auch angesichts der inhaltlichen und
fachlichen Komplexität der Themen fundierte Ergeb-
nisse vorgelegt haben. Das gilt auch für die Charta der
Rechte der hilfe- und pflegebedürftiger Menschen. Die
Bundesregierung wird sich für die Verbreitung der
Charta, die grundlegende und selbstverständliche Rechte
von Menschen, die der Unterstützung, Betreuung und
Pflege bedürfen, zusammenfasst, und die darin enthalte-
nen Zielsetzungen einsetzen.
Anlage 41
Antwort
der Parl. Staatssekretärin Marion Caspers-Merk auf die
Fragen des Abgeordneten Jörg Rohde (FDP)
(Drucksache 16/1604, Fragen 20 und 21):
Welches Potenzial misst die Bundesregierung medizini-
scher Rehabilitation zur Vermeidung dauerhafter Pflegebe-
dürftigkeit bei und welche konkreten Maßnahmen wird die
Bundesregierung ergreifen, um gemäß dem Koalitionsvertrag
vom 11. November 2005 den Vorrang medizinischer Rehabili-
tation vor der Pflege von pflegebedürftigen, alten und behin-
derten Menschen zu stärken?
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass derzeit für
Krankenkassen ein Anreiz besteht, Leistungen auf die Pflege-
versicherung zu verlagern, und wenn ja, in welcher Form wird
die Bundesregierung dieser Situation bei der Reform der
Krankenversicherung und der Reform der Pflegeversicherung
Rechnung tragen?
Zu Frage 20:
Die Bundesregierung sieht einen großen Nutzen in
Maßnahmen zur medizinischen Rehabilitation bei pfle-
gebedürftigen bzw. von Pflegebedürftigkeit bedrohten
Menschen. Mit dem gesetzlichen Auftrag „Rehabilitation
vor und in der Pflege“, der im Fünften, Neunten und Elf-
ten Buch Sozialgesetzbuch enthalten ist, wird die Reha-
bilitation zur Vermeidung von Pflegebedürftigkeit als
Auftrag der Sozialversicherungssysteme in ihrer Bedeu-
tung mehrfach unterstrichen. Neben der Akutversorgung
und der Pflege ist die medizinische Rehabilitation ein
wichtiger Bestandteil der Versorgung. Ihr Ziel ist es, eine
Behinderung einschließlich Pflegebedürftigkeit abzuwen-
den, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen, ihre Ver-
schlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern.
Nach dem Koalitionsvertrag soll daher der Grundsatz
„Rehabilitation vor und bei Pflege“ durch sachgerechte
Zuordnung von Leistungen und deren Finanzierung bes-
ser zur Geltung gebracht werden. Die Bundesregierung
wird im Rahmen der anstehenden Reformen der gesetzli-
chen Krankenversicherung und der Pflegeversicherung
entsprechende Maßnahmen vorschlagen, um die Ab-
stimmungs- und Schnittstellenprobleme zwischen der
Kranken- und Pflegeversicherung, die von der Defini-
tion der jeweiligen Bedarfstatbestände bis hin zu Finan-
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ierungs- und Leistungserbringungsfragen reichen, zu
berwinden.
u Frage 21:
Die Bundesregierung teilt die Auffassung in dieser
auschalen Form nicht. Gleichwohl sieht die Bundesre-
ierung die Notwendigkeit, dort, wo Fehlsteuerungen im
omplexen Leistungsgeschehen zwischen Kranken- und
flegeversicherung entstehen, durch richtig gesetzte An-
eizstrukturen die Versorgung für die Versicherten zu op-
imieren. Die Beseitigung möglicher Schnittstellenpro-
leme zwischen der gesetzlichen Krankenversicherung
nd der sozialen Pflegeversicherung ist seit geraumer
eit Gegenstand weit reichender Diskussionen. Ziel
uss es sein, bestehende Probleme bei der Zuordnung
on Leistungen durch verbesserte Kooperation, mehr
ransparenz und ggf. auch notwendig werdende gesetz-
iche Klarstellungen auszuräumen. Im Rahmen der an-
tehenden Gesundheitsreform werden gegenwärtig
ierzu Gespräche innerhalb der Regierungskoalition ge-
ührt, deren Ergebnisse abzuwarten bleiben.
nlage 42
Antwort
er Parl. Staatssekretärin Karin Roth auf die Frage des
bgeordneten Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
EN) (Drucksache 16/1374, Frage 22):
Welche Förderprogramme mit welchen Zielsetzungen und
Fördervolumina sind vorgesehen, um die Binnenschifffahrt
unter deutscher Flagge zu erhalten und die Flotte zu moderni-
sieren?
Die Sicherung und Erhaltung der Wettbewerbsfähig-
eit der deutschen Binnenschifffahrt ist ein zentrales An-
iegen der Bundesregierung und soll entsprechend den
ussagen im Koalitionsvertrag weiter gestärkt werden.
as Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtent-
icklung unterstützt die deutsche Binnenschifffahrt in
nterschiedlichen Bereichen und hat im Jahr 2004 das
orum Binnenschifffahrt und Logistik gegründet, um die
innenschifffahrtspolitik in enger Abstimmung und Zu-
ammenarbeit mit dem deutschen Binnenschifffahrtsge-
erbe auch weiterhin zukunftsorientiert zu gestalten.
ckpunkte der Handlungsempfehlungen des Forums
urden seitens der Bundesregierung bereits umgesetzt.
o wurden beispielsweise die steuerlichen Standortbe-
ingungen für die deutsche Binnenschifffahrt durch Än-
erung des § 6 b Einkommensteuergesetz rückwirkend
um 1. Januar 2006 verbessert.
Ebenfalls auf Basis der Handlungsempfehlungen des
orums Binnenschifffahrt und Logistik: Werden die Bei-
ilfen zur Ausbildungsförderung in der Binnenschiff-
ahrt als wichtiger Beitrag zur Nachwuchssicherung in
er deutschen Binnenschifffahrt und als Anreiz zur
chaffung neuer Ausbildungsplätze fortgesetzt und da-
über hinaus in dem dafür zur Verfügungen stehenden
ittelvolumen aufgestockt. In den vergangenen Haus-
altsjahren konnten circa 60 Ausbildungsplätze im Jahr
ei einem Mittelvolumen von circa 1,5 Millionen Euro
efördert werden. Ab dem Haushaltsjahr 2006 sollen
ies 100 Ausbildungsplätze im Jahr sein. Das Mittel-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006 3465
(A) )
(B) )
volumen wurde dafür um 1 Million Euro erhöht. Wird
derzeit ein Programm zur Flottenmodernisierung unter
Umweltaspekten erarbeitet, welches auf den Austausch
veralteter Antriebsmaschinen durch moderne und um-
weltfreundliche Motoren- und Antriebstechnik abzielt.
Die Einführung des Förderprogramms ist für das Jahr
2007 vorgesehen. Die konkreten Förderbedingungen
werden zurzeit innerhalb der Bundesregierung abge-
stimmt. Soll ein Förderschwerpunkt „Förderung von
umweltverträglichen Binnenschiffen“ im ERP-Umwelt-
und Energiesparprogramm in Absprache mit dem BML)
und der KfW eingerichtet werden.
Seit 2003 werden die Zinsen des Binnenschifffahrts-
fonds für Weiterbildungsmaßnahmen deutscher Bin-
nenschiffer verwendet. Zuwendungen werden allen
Besatzungsmitgliedern gewährt, die auf deutschen Bin-
nenschiffen gewerbliche Güterbeförderung betreiben.
Auszubildende sind von dieser Förderung grundsätzlich
ausgenommen. Die Weiterbildungsmaßnahmen dienen
der Vermittlung von Kenntnissen, die beispielsweise für
den Betrieb eines Binnenschiffes erforderlich sind. Im
Jahr 2005 konnten dafür über 90 000 Euro zur Verfü-
gung gestellt werden. Mit circa 51 000 Euro im Jahr
beteiligt sich der Bund an der Einrichtung und der Auf-
rechterhaltung von Schifferkinderheimen und Schiffs-
jungenwohnheimen. Die Schifferkinderheime sind Ein-
richtungen caritativer Verbände und stehen Kindern zur
Verfügung, deren Eltern keinen festen Wohnsitz an Land
haben. Die Schiffsjungenwohnheime sind eine Art Inter-
nat für Jugendliche, die eine schulische Fortbildung zum
Schiffsjungen durchführen. Beide Heimarten können nur
durch Zuschüsse unter anderem des Bundes aufrecht-
erhalten bleiben. Die Europäische Kommission hat da-
rüber hinaus eine Mitteilung über ein umfangreiches
Integriertes Europäisches Aktionsprogramm für die
Binnenschifffahrt vorgelegt, welches Handlungsempfeh-
lungen zu verschiedenen Aktionsfeldern enthält. Vorge-
sehen ist unter anderem die Einrichtung eines europäi-
schen Innovationsfonds. NAIADES stellt eine gute
Ergänzung des Prozesses dar, der in Deutschland mit
dem Handlungskonzept des Forums Binnenschifffahrt
und Logistik eingeleitet wurde.
Anlage 43
Antwort
der Parl. Staatssekretärin Karin Roth auf die Fragen des
Abgeordneten Jan Mücke (FDP) (Drucksache 16/1604,
Fragen 23 und 24):
Hat die Bundesregierung Maßnahmen ergriffen, die auf
eine Beschleunigung der Nachbesserungsarbeiten im Dölz-
schener Autobahntunnel (Bundesautobahn 17), die bislang
mit größtenteils nur einem einzigen Streckenarbeiter ausge-
führt werden und so zu massiven Beeinträchtigungen des ge-
samten Verkehrs in die Tschechische Republik über mehrere
Wochen hinweg führen, hinwirken?
Welche Umstände führten dazu, dass in westlicher Fahrt-
richtung des Dölzschener Autobahntunnels umfangreiche
Nachbesserungen notwendig sind, obwohl erst im vergange-
nen Herbst Nachbesserungsarbeiten an gleicher Stelle ausge-
führt wurden?
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u Frage 23:
Bei den Arbeiten, die zurzeit in den Tunneln „Dölz-
chen“ und „Coschütz“ der Autobahn A 17 Dres-
en–Prag ausgeführt werden, handelt es sich um die Be-
eitigung von Ausführungsmängeln der insolventen
irma Walter Bau AG. Die Verpress-Arbeiten an den
asserführenden Blockfugen und den Wasserdurchtrit-
en durch die Innenschale werden in Ersatzvornahme
usgeführt. Mit den Arbeiten wurde im September 2005
egonnen. Die Arbeiten werden im Durchlaufbetrieb,
as heißt an sieben Tagen der Woche und rund um die
hr ausgeführt. Es arbeiten ständig fünf Kolonnen mit je
wei Mann. Weitere Arbeiter sind für Materialtransport
nd Disposition im Einsatz. Eine weitere Erhöhung der
leichzeitig im Tunnel tätigen Kolonnen ist technolo-
isch nicht sinnvoll und zur Sicherung des Verkehrsab-
aufes und der Qualität der Verpressarbeiten nicht ange-
eigt. Damit wurden von der Straßenbauverwaltung alle
aßnahmen ergriffen, um die unvermeidbaren Ver-
ehrsbeeinträchtigungen zu minimieren.
u Frage 24:
Es handelt sich um die Fortsetzung der Arbeiten vom
erbst des vergangenen Jahres. Die Arbeiten sind im
ezember unterbrochen worden, weil die für die Ver-
ressarbeiten erforderliche Bauteiltemperatur unter
5°C abgesunken war. Für die Reaktion des verwende-
en Harzes ist diese Mindesttemperatur erforderlich. Seit
pril 2006 werden die Arbeiten fortgesetzt. Sie sollen
m Sommer dieses Jahres im Tunnel Coschütz – Rich-
ungsfahrbahn Prag – abgeschlossen werden.
nlage 44
Antwort
er Parl. Staatssekretärin Karin Roth auf die Fragen der
bgeordneten Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/
IE GRÜNEN) (Drucksache 16/1604, Fragen 25 und 26):
Warum hat Bundesminister Wolfgang Tiefensee auf den
Brief des Sächsisch-Bayerischen Städtenetzes vom 28. Februar
2006, in dem nach der Zukunft der Sachsen-Franken-
Magistrale, das heißt der Eisenbahnlinie Nürnberg–
Hof–Plauen–Zwickau–Chemnitz– Dresden, gefragt wird, bis
heute nicht geantwortet, und wann ist mit einer Beantwortung
zu rechnen?
In welcher Weise beabsichtigt die Bundesregierung, mit
dem Sächsisch-Bayerischen Städtenetz zusammenzuarbeiten
und sein Anliegen zu berücksichtigen?
u Frage 25:
Zur Beantwortung des Schreibens zur so genannten
ranken-Sachsen-Magistrale ergab sich eine Reihe von
ückfragen, die die Antwort verzögerten. Die Beantwor-
ung wird in Kürze erfolgen.
u Frage 26:
Auf Einladung wird das Bundesministerium für Ver-
ehr, Bau und Stadtentwicklung mit Vertretern der
achebene an den Veranstaltungen des Sächsisch-Baye-
ischen Städtenetzes teilnehmen. Der Ausbau der so ge-
annten Franken-Sachsen-Magistrale ist Bestandteil des
ordringlichen Bedarfs des Bedarfsplans für die Bun-
3466 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006
(A) )
(B) )
desschienenwege. Die weitere Priorisierung von Investi-
tionen in die Schienenwege erfolgt im Rahmen der Fünf-
jahresplanung.
Anlage 45
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Achim Großmann auf die Fra-
gen des Abgeordneten Josef Philip Winkler (BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 16/1604, Fra-
gen 27 und 28):
Trifft es zu, dass es keine gesetzliche Grundlage für die
Lärmsanierung durch Lärmschutzmaßnahmen ausschließlich
an bestehenden und im Sinne des Bundes-Immissionsschutz-
gesetzes baulich nicht wesentlich geänderten Schienenwegen
gibt und daher für bestehende Schienenwege keine gesetzli-
chen Immissionsgrenzwerte festgelegt sind?
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, wie sie die DB
Netz AG im Schreiben vom 19. April 2006 an den Oberbür-
germeister der Stadt Lahnstein, Peter Labonte, vertritt, dass
Geschwindigkeitsreduzierungen aus Gründen des Schall-
schutzes das Ziel, mehr Verkehr auf die Schiene zu verlagern,
konterkarieren würden, da sie die Leistungsfähigkeit und Ka-
pazität des Streckennetzes herabsetzen würden, und teilt die
Bundesregierung deshalb die Auffassung, dass eine Ge-
schwindigkeitsreduzierung aus Gründen des Schallschutzes,
wie auf der Lahnbrücke auf der Strecke Wiesbaden
(Ost)–Niederlahnstein gefordert, nicht dem allgemeinen öf-
fentlichen Interesse entspricht?
Zu Frage 27:
Für die Lärmsanierung gibt es weder im Immissions-
schutzrecht noch im Eisenbahnrecht des Bundes eine ge-
setzliche Grundlage. Mit den Titeln 891 05 und 682 05
des Einzelplans 12 Kapitel 1222 – Eisenbahnen des Bun-
des ermächtigt allerdings der Haushaltsgesetzgeber den
Bund, Maßnahmen zur Lärmsanierung an bestehenden
Schienenwegen der Eisenbahnen des Bundes zu finan-
zieren, wenn der Lärmpegel folgende Immissionswerte
überschreitet: Krankenhäuser, Schulen, Altenheime,
reine und allgemeine Wohngebiete sowie Kleinsied-
lungsgebiete 70/60 dB(A) Tag/Nacht; Kerngebiete,
Dorfgebiete, Mischgebiete 72/62 dB(A) Tag/Nacht; Ge-
werbegebiete 75/65 dB(A) Tag/Nacht. Bei der Lärmsa-
nierung besteht bundesweit ein erheblicher Nachholbe-
darf. Deshalb hat der Haushaltsausschuss auf Antrag der
Koalitionsfraktionen beschlossen, den Mittelansatz im
Jahr 2006 von bisher rund 50 Millionen Euro um 25 Mil-
lionen Euro zu erhöhen.
Zu Frage 28:
Die Wettbewerbsfähigkeit und das Leistungsvermö-
gen der Schiene zu stärken, ist ein wesentliches Ziel der
Verkehrspolitik der Bundesregierung. Die Verbesserung
der Erreichbarkeit und Verbindungsqualität im öffentli-
chen Personenverkehr und die Verlagerung von Güter-
verkehr auf die Schiene würden durch Maßnahmen zur
Geschwindigkeitsreduzierung im Netz der Eisenbahnen
erschwert. Bei Überlegungen zur Verbesserung des Im-
missionsschutzes zählen daher aktive und passive bauli-
che Lärmschutzmaßnahmen sowie die Lärmminderung
an der Quelle, das heißt sowohl im Gleis als auch an den
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ahrzeugen, zu den vorrangigen Handlungsfeldern, nicht
ber Geschwindigkeitsreduzierungen.
nlage 46
Antwort
es Parl. Staatssekretärs Achim Großmann auf die Fra-
en des Abgeordneten Joachim Günther (Plauen)
FDP) (Drucksache 16/1604, Fragen 29 und 30):
Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung, dass in
Ausschreibungen der öffentlichen Hand seit einiger Zeit Leis-
tungen ausgeschrieben werden, die Herstellerbindung haben,
obwohl nach der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleis-
tungen (VOB) bestimmte Erzeugnisse oder Verfahren sowie
bestimmte Ursprungsorte und Bezugsquellen nur dann aus-
drücklich vorgeschrieben werden dürfen, wenn dies durch die
Art der geforderten Leistung gerechtfertigt ist?
Was gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen, damit
in Zukunft Lieferungen und Leistungen nur noch produktneu-
tral ausgeschrieben werden, um einen Wettbewerb zuzulas-
sen?
u Frage 29:
Ziel bei der Ausschreibung von Liefer-, Dienst- und
auleistungen des Bundes ist es, im Sinne einer sparsa-
en Verwendung von Steuergeldern im Wettbewerb
em wirtschaftlichsten Angebot den Zuschlag zu ertei-
en. Der Grundsatz des Wettbewerbs und der Gleichbe-
andlung aller Bieter lässt sich mit produktneutralen
usschreibungen verwirklichen. Die Bundesregierung
chtet auf die Einhaltung der Vergaberegeln, sofern nicht
m Einzelfall Ausnahmen gemäß § 9 VOB/A zulässig
ind.
u Frage 30:
Die Bundesregierung wird auch weiterhin darauf ach-
en, dass die Vergabestellen die vorgegebenen Regelun-
en einhalten.
nlage 47
Antwort
es Parl. Staatssekretärs Achim Großmann auf die Fra-
en des Abgeordneten Heinz-Peter Haustein (FDP)
Drucksache 16/1604, Fragen 31 und 32):
Trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass
größtenteils Aufträge nur an den billigsten Bieter und nicht an
den Bieter mit dem wirtschaftlichsten Angebot vergeben wer-
den, obwohl genau das die VOB vorsieht, und, wenn ja, wa-
rum?
Was wird die Bundesregierung gegebenenfalls unterneh-
men, damit diejenigen Auftraggeber, die nur Aufträge an den
billigsten und nicht an den Bieter mit dem wirtschaftlichsten
Angebot vergeben, für die später auftretenden Mehrkosten be-
langt werden?
Es wird immer wieder der Vorwurf erhoben, dass der
uschlag öffentlicher Auftraggeber auf das billigste und
icht auf das wirtschaftlichste Angebot erteilt wird. Der
undesregierung liegen indes keine belastbaren Er-
enntnisse vor, die diesen Vorwurf belegen. Die Bundes-
egierung achtet bei ihren Vergaben darauf, dass der Zu-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006 3467
(A) )
(B) )
schlag auf das Angebot mit dem annehmbarsten
Verhältnis zwischen Preis und Leistung erteilt wird.
Anlage 48
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Franz Thönnes auf die Frage
der Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE)
(Drucksache 16/1604, Frage 33):
Wie viele Personen sind mit der Überwachung und Kon-
trolle von Arbeitslosengeld-II-Empfängern beschäftigt, mit
dem Ziel, Leistungsmissbrauch aufzudecken, und wie hoch ist
der jährliche finanzielle Aufwand für die Erfüllung dieser
Aufgabe?
Im Rahmen des Personalmonitorings SGB II erhebt
die Bundesagentur für Arbeit monatlich die Personal-
strukturdaten in den Arbeitsgemeinschaften (ARGEn)
und Agenturen für Arbeit in getrennter Trägerschaft
(GT). Nach der aktuellen Erhebung vom 20. Mai 2006
sind in den ARGEn und GT insgesamt 50 973 Mitarbei-
ter/innen beschäftigt, darunter 23 477 im Bereich der
Leistungsgewährung; 19 324 im Bereich Markt und In-
tegration von 25-Jährigen und Älteren und 6 311 im Be-
reich Markt und Integration von unter 25-Jährigen.
Alle drei Bereiche beinhalten die Aufgabe „Überwa-
chung und Kontrolle“ von Arbeitslosengeld II-Empfän-
gern (zum Beispiel im Rahmen der Nachhaltung der
Eingliederungsvereinbarung, der Vermittlung oder des
Außendienstes). Eine differenzierte Darstellung des per-
sonellen Aufwandes für die Aufgabe „Überwachung und
Kontrolle“ von Arbeitslosengeld II-Empfängern sowie
des finanziellen Aufwandes für diese Aufgabe ist des-
halb nicht möglich.
Anlage 49
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Franz Thönnes auf die Frage
des Abgeordneten Alexander Ulrich (DIE LINKE)
(Drucksache 16/1604, Frage 34):
Wie beurteilt die Bundesregierung den Vorgang, dass die
EU-Kommission in ihren Leitlinien für die Entsendung von
Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistun-
gen (KOM (2006) 159) genau diejenigen nationalen Kontroll-
möglichkeiten gegenüber Lohn- und Sozialdumping, wie zum
Beispiel die Anforderung einer Vorbeschäftigung von Dritt-
staatsangehörigen oder die Vorhaltung einer zustellfähigen
Adresse im Tätigkeitsland, wieder einschränken möchte, die
das Europäische Parlament und auch die EU-Kommission aus
der geänderten Fassung der Richtlinie über Dienstleistungen
im Binnenmarkt gestrichen hatte?
Die Bundesregierung sieht Teile der Mitteilung
durchaus kritisch. Deshalb hat sie die Kommission da-
rauf hingewiesen, dass eine im nationalen Entsenderecht
enthaltene Verpflichtung zur Bestellung eines Zustel-
lungsbevollmächtigten aus ihrer Sicht keine unzulässige
Vorgehensweise im Sinne der Kommissionsmitteilung
darstellt. Anders ist die Situation bei der Frage der Vor-
beschäftigungszeit: Auf die Anforderung einer Vorbe-
schäftigung von Drittstaatsangehörigen bei dem entsen-
denden Unternehmen muss bereits aufgrund des Urteils
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es Europäischen Gerichtshofs vom 19. Januar 2006 in
er Rechtssache C-244/04 verzichtet werden. In dieser
ntscheidung wurde die bisher in Deutschland verlangte
orbeschäftigung als Verstoß gegen Art. 49 EG-Vertrag
ür gemeinschaftsrechtswidrig erklärt. Insoweit gibt die
itteilung lediglich die neueste Rechtsprechung des Eu-
opäischen Gerichtshofs wieder.
nlage 50
Antwort
es Parl. Staatssekretärs Franz Thönnes auf die Fragen
es Abgeordneten Alexander Ulrich (DIE LINKE)
Drucksache 16/1604, Frage 35):
Welche Position vertritt die Bundesregierung hinsichtlich
der Kritik von Gewerkschaften, dass mit der gegenwärtigen
Fassung des Artikels 1 Abs. 6 im geänderten Vorschlag der
EU-Kommission zur Dienstleistungsrichtlinie nicht gewähr-
leistet ist, dass gewerkschaftliche Rechte, Arbeitskampfmaß-
nahmen und das kollektive Arbeitsrecht nicht von der Richt-
linie berührt werden?
Die Bundesregierung teilt diese Befürchtung nicht.
urch eine sprachliche Korrektur in der deutschen Fas-
ung des Entwurfstextes zu Art. 1 Abs. 6 konnte inzwi-
chen deutlicher als bislang klargestellt werden, dass
uch das kollektive Arbeitsrecht als die Beziehung zwi-
chen Gesamtheiten von Arbeitgebern und Arbeitneh-
ern, zu den von der Richtlinie ausgenommenen Mate-
ien zählt. Arbeitskampfmaßnahmen werden im Text des
rt. 1 Abs. 7 als Ausnahmetatbestand sogar ausdrück-
ich angesprochen. Weitere Klarstellungen ergeben sich
us dem vorgesehenen Erwägungsgrund 6 g.
nlage 51
Antwort
es Parl. Staatsministers Gernot Erler auf die Fragen des
bgeordneten Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE
RÜNEN) (Drucksache 16/1374, Fragen 36 und 37):
Wie beurteilt die Bundesregierung die aktuelle Situation
von Lesben und Schwulen in Russland und Polen vor dem
Hintergrund aktueller Verbotsverfügungen gegen die dortigen
Lesben- und Schwulenparaden?
In welcher Form hat die Bundesregierung den Regierun-
gen von Polen und Russland im Hinblick auf die Europäi-
schen Menschenrechtskonvention deutlich gemacht, dass De-
monstrationen von Lesben und Schwulen grundsätzlich
zuzulassen sind und gegebenenfalls gegen gewalttätige Über-
griffe von Rechtsradikalen oder religiösen Fundamentalisten
zu schützen sind?
u Frage 36:
Grundsätzlich garantiert Russland in der Verfassung
on 1993 alle Menschenrechte und bürgerliche Freihei-
en. Über gezielte staatliche Diskriminierung Homo-
exueller ist nichts bekannt. Der das Verbot homo-
exueller Handlungen betreffende Paragraf wurde 1993
us dem Strafgesetzbuch gestrichen. Nach Kenntnis der
undesregierung wurde die für den 27. Mai 2006 in
oskau geplante „Gay-Parade“ mit der Begründung
erboten, die Veranstaltung könne Protestaktionen aus-
ösen und somit Verletzungen der öffentlichen Ordnung
3468 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006
(A) )
(B) )
nach sich ziehen. Presseberichten zufolge wurde die
Klage der Veranstalter in erster Instanz abgelehnt. Sie
wollen nun in Berufung gehen und sich wenn nötig an
den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wen-
den. Nach Kenntnis der Bundesregierung besteht gegen
die am 10. Juni 2006 in Warschau geplante „Parade der
Toleranz“ keine Verbotsverfügung. Die Menschenrechte
und bürgerlichen Freiheiten sind in der polnischen Ver-
fassung garantiert.
Zu Frage 37:
Russland bekennt sich zu den Normen des Europarats
und der Europäischen Menschenrechtskonvention. Darin
sind Grundrechte wie Rede-, Meinungs- und Versamm-
lungsfreiheit festgelegt.
Die Bundesregierung führt sowohl bilateral als auch
im Rahmen der EU sowie im Europarat einen engen
Dialog mit der russischen Regierung, der Gelegenheit
bietet auch schwierige Themen wie Sorgen bezüglich
der Lage der Menschenrechte in Russland anzusprechen.
Bereits Ende April wurden Homosexuelle in Moskau
bei einer Abendveranstaltung von orthodoxen Demon-
stranten angegriffen. Damals schritt die Miliz nach
Kenntnis der Bundesregierung so ein, dass der Abzug
der Teilnehmer gesichert werden konnte. Zu dem Vorfall
am 27. Mai 2006 müssen erst die genauen Umstände
aufgeklärt werden. Polen bekennt sich als Mitglied der
Europäischen Union zu den zugrunde liegenden Werten
der Union, die auch die Normen der Europäischen Men-
schenrechtskonvention, also insbesondere ebenfalls die
Grundrechte der Rede-, Meinungs- und Versammlungs-
freiheit einschließen. In der Frage der für den 10. Juni
2006 in Warschau geplanten „Parade der Toleranz“ ist
die Bundesregierung mit der polnischen Regierung im
Gespräch und hat insbesondere die Bedeutung der Si-
cherheit der Teilnehmer unterstrichen. Die polnische Re-
gierung hat wiederholt versichert, dass sie der Frage der
Sicherheit aller Teilnehmer besondere Aufmerksamkeit
schenke.
Anlage 52
Antwort
des Staatsministers Gernot Erler auf die Fragen des Ab-
geordneten Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) (Drucksache 16/1604, Fragen 38 und 39):
Kann die Bundesregierung bestätigen, dass angesichts
wachsender Spannungen in der Demokratischen Republik
Kongo die dortige Katholische Bischofskonferenz (CENCO),
Erzbischof Laurent Monsengwo, Präsident Dr. Etienne
Tshisekedi der Oppositionspartei UDPS, die Chefs Jean-
Pierre Bemba und Azarias Riberwa der beiden größten ehe-
maligen Rebellenbewegungen sowie andere politische Par-
teien fordern, bis zum 30. Juni 2006 die für den Fall solcher
Entwicklung vom „Internationalen Komitee zur Begleitung
des Übergangsprozesses“ (CIAT) vorgesehene politische Dia-
loggruppe einzuberufen, und ist die Bundesregierung bereit,
zur Unterstützung dieser Forderung unverzüglich durch die
deutsche Botschaft in Kinshasa sowie in allen zuständigen in-
ternationalen Gremien eine diesbezügliche Initiative zu er-
greifen und zu fördern?
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Ist der Bundesregierung bekannt, dass der bevorstehende
Wahlprozess in der Demokratischen Republik Kongo insge-
samt in Frage gestellt ist, weil mit der Präsidenten- und Parla-
mentswahl bisher nur der erste Wahlgang terminiert wurde
statt auch der zweite (Präsidentenstich-, Gouverneurs- und
Provinzparlamentswahl), und wird die Bundesregierung die
Beteiligung der Bundeswehr an einer EU-Militärmission in
der Demokratischen Republik Kongo davon abhängig ma-
chen, dass der gesamte Wahlprozess festgelegt, vorbereitet so-
wie durch die einzusetzende CIAT-Dialoggruppe unterstützt
wird?
u Frage 38:
Der Bundesregierung ist die Forderung einzelner Kir-
henvertreter und der kongolesischen Oppositionspartei
DPS (Union Pour la Démocratie et le Progrès Social)
ach Neuauflage des „Interkongolesischen Dialogs“ zur
lärung der Frage des rechtlichen Rahmens nach offizi-
llem Ende der Übergangsphase am 30. Juni 2006 be-
annt. Das Internationale Begleitkomitee der Über-
angsphase (CIAT) und damit auch Deutschland als
okale EU-Präsidentschaft und eines der Mitglieder, un-
erstützen diese Forderung nicht. Alle Parteien in der
emokratischen Republik Kongo hatten Gelegenheit,
ich an dem Wahlprozess zu beteiligen. Das kongolesi-
che Parlament hat dazu mit dem Wahlgesetz die Rah-
enbedingungen geschaffen, deren Regeln für alle glei-
hermaßen gelten. Die Internationale Gemeinschaft
das sind CIAT, VN-Generalsekretär Annan, EU – hat
ehrfach dazu aufgerufen, dass alle politischen Kräfte
nter Beachtung demokratischer Spielregeln an der
ahl teilnehmen sollen. Die UDPS hat sich selbst aus-
eschlossen, was auch innerhalb der Partei nicht unum-
tritten ist. Wir haben dies bedauert und auch über un-
ere Botschaft vor Ort in Kinshasa an Versuchen
itgewirkt, diese Haltung zu ändern. Allerdings wird
urch eine solche Entscheidung Einzelner nicht die Le-
itimität und Glaubwürdigkeit des Wahlprozesses in-
rage gestellt. Entgegen der Interpretation der UDPS ent-
teht zum Zeitpunkt des offiziellen Endes der
bergangsphase am 30. Juni 2006 kein rechtliches
akuum: Die Übergangsinstitutionen bestehen gemäß
rt. 222 der neuen kongolesischen Verfassung so lange
eiter, bis sie durch gewählte ersetzt werden. Mit dem
ffiziellen Beginn des Wahlkampfes am 29. Juni 2006
nd dem ersten Wahlgang der Präsidentschafts- sowie
en Parlamentswahlen am 30. Juli 2006 werden hierzu
eutliche Schritte unternommen. Gerade um die Über-
angsinstitutionen durch demokratisch gewählte Institu-
ionen zu ersetzen, ist eine möglichst baldige Abhaltung
er Wahlen wünschenswert. Ein breiter Interkongolesi-
cher Dialog würde den Wahltermin weiter verschieben
nd möglicherweise weitere Konflikte auslösen.
u Frage 39:
Die Vorbereitungen für die Präsidenten- und Parla-
entswahlen in der Demokratischen Republik Kongo
ind derzeit im Zeitplan. Die erste Wahlrunde ist für den
0. Juli 2006 vorgesehen. Für die Wahl des Präsidenten
ird ein zweiter Wahlgang in Form einer Stichwahl not-
endig, wenn keiner der Kandidaten im ersten Wahl-
ang eine absolute Mehrheit der Stimmen erhält. Für das
ffizielle Ergebnis der Parlamentswahlen ist wegen des
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006 3469
(A) )
(B) )
komplizierten Wahlmodus kein genauer Termin voraus-
sagbar. Für die Auszählung der Stimmen der Präsident-
schaftswahl werden einige Wochen veranschlagt. Die
Provinz- und Lokalwahlen sollen am selben Tag stattfin-
den wie der mögliche zweite Wahlgang der Präsidenten-
wahl. Die Frist für die Registrierung der Kandidaten für
die Provinzwahlen ist am 26. Mai 2006 abgelaufen. Der
weitere Wahlkalender soll nach Vorliegen der endgülti-
gen Kandidatenlisten für die Provinz- und Lokalwahlen
voraussichtlich schon Mitte Juni festgelegt werden. So-
wohl CIAT als auch die Unabhängige Wahlkommission
(CEI) streben danach, den zweiten Wahlgang so zügig
wie möglich und technisch und logistisch umsetzbar ab-
zuhalten. Die EU-Operation EUFOR RD CONGO ist für
einen Zeitraum von 4 Monaten ab dem ersten Wahlgang
geplant. Hinzu kommt die Zeit für Verlegung und Rück-
verlegung der Kräfte. Die Bundesregierung ist sich mit
ihren Partnern in der Europäischen Union in der Ein-
schätzung einig, dass ein Zeitraum von vier Monaten
ausreichend sein wird, um den Wahlprozess zu einem
Abschluss zu bringen. Dieser Zeitraum erscheint im
Hinblick auf die Dauer des Auszählungsverfahrens, auch
wenn ein zweiter Wahlgang zur Wahl der Präsidenten er-
forderlich werden sollte, und im Hinblick auf den Zeit-
bedarf bis zur Amtseinführung des Präsidenten ausrei-
chend und realistisch. Dieser Zeitraum ist auch so in der
Resolution 1671 (2006) des VN-Sicherheitsrats vorgese-
hen. Die Europäische Union ist von den Vereinten Natio-
nen gebeten worden, die laufende VN-Friedensmission
MONUC in der potenziell kritischen Phase während des
Wahlprozesses zu unterstützen, nicht jedoch diese Mis-
sion zu übernehmen oder sie in Teilen zu ersetzen. Es
obliegt dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, für
die Folgezeit mögliche weitere Maßnahmen zu treffen.
Anlage 53
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Peter Altmaier auf die Fragen
des Abgeordneten Dr. Hakki Keskin (DIE LINKE)
(Drucksache 16/1604, Fragen 40 und 41):
Mit welchen konkreten Maßnahmen beabsichtigt die Bun-
desregierung, auf die im aktuellen Verfassungsschutzbericht do-
kumentierte Zunahme rechtsextremistischer Gewalttaten zu rea-
gieren (vergleiche Verfassungsschutzbericht 2005, Seite 25 ff.)?
Was gedenkt die Bundesregierung konkret zu unterneh-
men, um vorhandene so genannte national befreite Zonen zu
beseitigen und deren weitere Ausbreitung zu verhindern?
Zu Frage 40:
Grundlage für die Maßnahmen der Bundesregierung
zur Bekämpfung des Rechtsextremismus bildet der „Be-
richt über die aktuellen und geplanten Maßnahmen und
Aktivitäten der Bundesregierung gegen Rechtsextremis-
mus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Gewalt“
vom 14. Mai 2002 (Bundestagsdrucksache 14/9519).
Die dort aufgeführten Maßnahmen sind nach wie vor ak-
tuell und werden unvermindert durchgeführt. Die Zu-
nahme rechtsextremistischer Gewalttaten steht nach ers-
ten Analysen im Zusammenhang mit einer deutlich
erhöhten Zahl von Demonstrationen und den daraus ent-
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tehenden gewalttätigen Auseinandersetzungen mit
inksextremisten. Das BfV wird zusammen mit den
andesämtern im Vorfeld derartiger Veranstaltungen
eine Beobachtungen noch weiter verstärken, um die zu-
tändigen Sicherheitsbehörden möglichst frühzeitig über
eplante Gewaltaktionen unterrichten und auf diese
eise deren lageangepasstes Vorgehen gewährleisten zu
önnen.
Soweit Gewalttaten spontan und unter Alkoholein-
luss begangen werden, ist die Prävention durch die Si-
herheitsbehörden ungleich schwerer. Insofern wird zu
berlegen sein, wie die Polizeipräsenz vor Ort erhöht
erden kann. Auch kommt der Zivilcourage der Bürge-
innen und Bürger hier eine entscheidende Bedeutung
u. So hat der Bundesminister des Innern die Öffentlich-
eit aufgerufen, niemals wegzusehen, wenn andere Opfer
on Gewalt und Extremismus zu werden drohen. Paral-
el dazu unterstützt die Bundesregierung eine Vielzahl
on Projekten, die rechtsextremistischer Gewalt vorbeu-
en, wie aktuell die Aufklärungs- und Informationskam-
agne über Rechtsextremismus der Innenministerkonfe-
enz der Länder und des Bundes, die bundesweit für die
ielgruppe 13 bis 16-jähriger in Schulen durchgeführt
ird.
u Frage 41:
„National Befreite Zone“ ist ein Propagandabegriff
on Rechtsextremisten, der suggerieren soll, es gäbe Be-
eiche in Deutschland, in denen Ausländer nicht gedul-
et werden. Dies entspricht nicht der Realität. Solche
ebiete darf und wird es bei uns nicht geben. Wie die Si-
herheitsbehörden der Länder bestätigt haben, gibt es sie
uch nicht. Vielmehr wird das staatliche Gewaltmonopol
nseres freiheitlichen Rechtsstaats überall in Deutsch-
and konsequent durchgesetzt.
nlage 54
Antwort
es Parl. Staatssekretärs Peter Altmaier auf die Fragen
er Abgeordneten Petra Pau (DIE LINKE)
Drucksache 16/1604, Fragen 42 und 43):
Worin sieht die Bundesregierung (Verfassungsschutzbe-
richt 2005, Seite 175, 176) nach den §§ 3 und 4 des Bundes-
verfassungsschutzgesetzes eindeutige und ausreichende An-
haltspunkte, die die Einstufung der Vereinigung der
Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und
Antifaschisten e. V. (VVN/BdA) als linksextreme Organisa-
tion rechtfertigen?
Worin sieht die Bundesregierung die Verfassungsfeind-
lichkeit der VVN/BdA bei ihrem „Kampf gegen angeblichen
,Geschichtsrevisionismus‘“ begründet, und ist die Bundesre-
gierung nicht der Ansicht, dass man vehement gegen die tat-
sächliche Leugnung der NS-Verbrechen durch den deutschen
Rechtsextremismus vorgehen muss?
u Frage 42:
Die grundsätzliche Bewertung, dass es sich bei der
VN-BdA um eine linksextremistisch beeinflusste Orga-
isation handelt, beruht auf einer Gesamtschau der vor-
andenen tatsächlichen Anhaltspunkte im Sinne der §§ 3
nd 4 BVerfSchG. Das politische Orientierungsmuster
3470 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 37. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006
(A) (C)
(B) )
dieser Organisation ist nach wie vor die klassische ortho-
doxkommunistische „Antifaschismus-Doktrin“. Danach
wurzelt „Faschismus“ maßgeblich in „kapitalistischen
Ordnungssystemen“. Der „Faschismus“ könne daher
„mit seinen Wurzeln“ nur durch vollständige Beseitigung
der marktwirtschaftlichen Ordnung überwunden werden.
So bekräftigte einer der beiden Bundesvorsitzenden der
VVN-BdA, Prof. s. c. Heinrich Fink – entgegen der sei-
tens beeinflusster Organisationen typischerweise geübten
Zurückhaltung: „Den Vorwurf, wir seien in welcher Art
und Weise auch immer staatstragend, möchte ich deutlich
zurückweisen. Das Gegenteil ist der Fall.“ („junge Welt“
vom 14/15. Januar 2006). Darüber hinaus solidarisiert
sich die VVN-BdA mit gewaltbereiten Autonomen.
Zu Frage 43:
Die Bundesregierung bekämpft, ausgehend von der
freiheitlich-demokratischen Ausrichtung des Grundge-
setzes, jegliche Erscheinungsformen des Extremismus.
Dazu gehört selbstverständlich auch das Vorgehen gegen
Leugnung oder Relativierung der durch Nationalsozia-
listen begangenen Verbrechen. Die VVN-BdA lehnt jed-
wede Kritik am kommunistischen System als „Ge-
schichtsrevisionismus“ ab. Beleg hierfür ist die Aussage
Finks in der Tageszeitung „junge Welt“ vom 14./15. Ja-
nuar 2006: „Parallel dazu propagieren Politiker der eta-
blierten Parteien immer öfter, daß es sich sowohl bei der
DDR als auch beim deutschen Faschismus um zwei
ebenbürtige Diktaturen gehandelt habe. Dieser Art von
Anlage 55
Amtliche Mitteilung
Die Fraktion DIE LINKE hat mit Schreiben vom
24. Mai 2006 zum Antrag der Bundesregierung Fortset-
zung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streit-
kräfte zur Unterstützung der Überwachungsmission
AMIS der Afrikanischen Union (AU) in Darfur/
Sudan auf Grundlage der Resolutionen 1556 (2004)
und 1564 (2004) des Sicherheitsrates der Vereinten
Nationen vom 30. Juli 2004 und 18. September 2004
– Drucksachen 16/1508, 16/1609 – mitgeteilt:
Sehr geehrter Herr Präsident,
Bezug nehmend auf Ihr Schreiben vom 18. Mai 2006
stimme ich namens der Fraktion DIE LINKE der Bitte
der Bundesregierung zu, den Antrag zur Fortsetzung des
Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte an der
Überwachungsmission AMIS der Afrikanischen Union
(AU) in Darfur/Sudan auf Grundlage der Resolutionen
1556 (2004) und 1564 (2004) des Sicherheitsrates der
Vereinten Nationen vom 30. Juli 2004 und 18. Septem-
ber 2004 im vereinfachten Zustimmungsverfahren nach
§ 7 in Verbindung mit § 4 Abs. 1 S. 4 Parlamentsbeteili-
gungsgesetz zu behandeln.
Die Zustimmung zu diesem Verfahren ändert jedoch
nichts an der Ablehnung bzw. Nichtzustimmung zum
Antrag auf Fortsetzung des Einsatzes durch die Mitglie-
Geschichtsrevisionismus müssen wir offensiv entgegen-
treten. Unser Verband meidet daher auch den von ande-
ren häufig verwandten Begriff Nationalsozialismus. Er
dient einzig der Delegitimierung des Sozialismus.“
d
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er meiner Fraktion.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Gregor Gysi
37. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006
Inhalt:
Redetext
Anlagen zum Stenografischen Bericht
Anlage 1
Anlage 2
Anlage 3
Anlage 4
Anlage 5
Anlage 6
Anlage 7
Anlage 8
Anlage 9
Anlage 10
Anlage 11
Anlage 12
Anlage 13
Anlage 14
Anlage 15
Anlage 16
Anlage 17
Anlage 18
Anlage 19
Anlage 20
Anlage 21
Anlage 22
Anlage 23
Anlage 24
Anlage 25
Anlage 26
Anlage 27
Anlage 28
Anlage 29
Anlage 30
Anlage 31
Anlage 32
Anlage 33
Anlage 34
Anlage 35
Anlage 36
Anlage 37
Anlage 38
Anlage 39
Anlage 40
Anlage 41
Anlage 42
Anlage 43
Anlage 44
Anlage 45
Anlage 46
Anlage 47
Anlage 48
Anlage 49
Anlage 50
Anlage 51
Anlage 52
Anlage 53
Anlage 54
Anlage 55