1) Anlage 9
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)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 35. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Mai 2006 3029
(A) )
(B) )
** für die Teilnahme an der 114. Jahreskonferenz der Interparlamenta-
rischen Union Teil tatsächlich so wenig Eigenkapital, dass Banken aus
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
* für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versamm-
lung des Europarates
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Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
Dzembritzki, Detlef SPD 11.05.2006*
Ernst, Klaus DIE LINKE 11.05.2006
Fuchtel, Hans-Joachim CDU/CSU 11.05.2006**
Gabriel, Sigmar SPD 11.05.2006
Griefahn, Monika SPD 11.05.2006**
Dr. Hendricks, Barbara SPD 11.05.2006
Heynemann, Bernd CDU/CSU 11.05.2006*
Hilsberg, Stephan SPD 11.05.2006
Jung (Konstanz),
Andreas
CDU/CSU 11.05.2006
Kelber, Ulrich SPD 11.05.2006
Krüger-Leißner,
Angelika
SPD 11.05.2006**
Lafontaine, Oskar DIE LINKE 11.05.2006
Laurischk, Sibylle FDP 11.05.2006
Lintner, Eduard CDU/CSU 11.05.2006*
Dr. Lippold, Klaus W. CDU/CSU 11.05.2006
Menzner, Dorothee DIE LINKE 11.05.2006
Nahles, Andrea SPD 11.05.2006
Otto (Frankfurt), Hans-
Joachim
FDP 11.05.2006
Raidel, Hans CDU/CSU 11.05.2006**
Ramelow, Bodo DIE LINKE 11.05.2006**
Schily, Otto SPD 11.05.2006
Schmidt (Nürnberg),
Renate
SPD 11.05.2006
Stiegler, Ludwig SPD 11.05.2006
Thönnes, Franz SPD 11.05.2006
Dr. Wiefelspütz, Dieter SPD 11.05.2006
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(D
Anlagen zum Stenografischen Bericht
nlage 2
Zu Protokoll gegebene Rede
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Umsetzung der neu gefassten Bankenrichtlinie
und der neu gefassten Kapitaladäquanzricht-
linie (Tagesordnungspunkt 11)
Axel Troost (DIE LINKE): Ich weiß nicht – viel-
eicht geht es einigen von Ihnen wie mir: Nach Diskus-
ionen zum Thema „Basel II“ bin ich immer etwas rat-
os. Einerseits: In den jahrelangen Diskussionen über
Basel II“ wurden tatsächlich Verbesserungen in unse-
em Sinne durchgesetzt, zum Beispiel für Kredite an
leine und mittelständische Unternehmen, zum Beispiel
ür Sparkassen und Genossenschaftsbanken. Ohne Zwei-
el: Im Vergleich mit dem, was uns in der 14. Legislatur-
eriode vorlag, ist der aktuelle Gesetzentwurf eine Ver-
esserung. Nicht zuletzt ein Erfolg der Zusammenarbeit
amals zwischen allen Fraktionen in diesem Hause,
öchte ich anfügen.
Andererseits aber: Aus vielen Gesprächen mit kleinen
nd mittelständischen Unternehmen – ich arbeite ja auch
ls Berater für Betriebsräte in diesem Bereich – weiß
ch, dass dort immer noch Klagen kommen: Mein Kredit
ird teurer, wegen „Basel II“, sagt meine Bank. Oder:
ch kriege gar keinen Kredit mehr, wegen „Basel II“,
agt meine Bank.
Wie passt das zusammen?
Die erste Möglichkeit: Ich persönlich werde den Ver-
acht nicht los: Einige Banken nehmen „Basel II“
chlicht und einfach als Vorwand, um ihre Margen zu er-
öhen. Ich sage bewusst: einige Banken, nicht alle. Aber
as, was einige Banken machen, wäre dann schon ein
unfreundlicher Akt“.
Wir hier im Parlament arbeiten kiloweise Papier
urch (allein über 2 Kilo „Solvabilitätsverordnung“ in-
lusive Anhängen, ich habe es nachgewogen). Wir ler-
en, was eine „Risikogewichtungsfunktion“ ist und was
ich hinter einem „Expected Loss“ verbirgt. Wir haben
in der 14. Legislatur – seitenweise interfraktionelle
nträge geschrieben. Und am Ende haben wir sogar tat-
ächlich Verbesserungen durchgesetzt – aber nun müs-
en wir feststellen: Die kommen einfach nicht bei den
nternehmen an, zumindest nicht eins zu eins.
Wenn das so ist, dann müssen wir das auch so sagen.
ann müssen wir den Bürgerinnen und Bürgern sagen:
icht „die Politik“ hat mal wieder Unsinn beschlossen,
ein. Was wir beschlossen haben, geht in die richtige
ichtung. Wir scheitern aber an der Marktmacht einiger
anken. Wir haben die Rechnung ohne den Wirt ge-
acht. Das ist dann die Wahrheit und das sollten wir
uch so sagen.
Die zweite Möglichkeit, wie das zusammenpasst:
leine und mittelständische Unternehmen haben zum
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internen Risikokalkülen – aus völlig nachvollziehbaren
internen Risikokalkülen – ihnen keine Kredite oder nur
sehr teure Kredite geben. Dann aber haben die Klagen
der Unternehmen nichts – oder wenig – mit „Basel II“ zu
tun, sondern mit ich sage noch einmal: völlig nachvoll-
ziehbaren – Risikokalkülen der Banken. Wenn das so ist,
dann muss die Politik hier handeln. Dann müssen wir die
Instrumente der staatlichen Förderbanken auch darauf
ausrichten, dass dieses Problem angegangen wird. Und
genau dies ist ja im Koalitionsvertrag auch versprochen
worden.
Solche angebotsorientierten Maßnahmen machen al-
lerdings nur dann Sinn, wenn Sie endlich auf eine expan-
sive Finanzpolitik zur Stärkung der Binnennachfrage
umschalten würden. Aber dies ist ja leider nicht zu er-
warten.
Lassen Sie mich zu einem anderen Aspekt kommen.
„Basel II“ ist ja nicht nur für kleine und mittelständische
Unternehmen relevant. „Basel II“ ist wichtiger Baustein
zur Regulierung der internationalen Finanzmärkte. Und
damit zeigt „Basel II“ auch: Internationale Finanzmärkte
sind grundsätzlich regulierbar. Auch auf den internatio-
nalen Finanzmärkten gibt es Akteure, denen Staaten
Spielregeln vorschreiben können. Es muss nur der politi-
sche Wille da sein. Und: Die wirtschaftlich mächtigsten
Staaten müssen gemeinsam handeln. Also: Das Gerede
von den internationalen Finanzmärkten, denen wir alle
hoffnungslos ausgeliefert sind, kann so nicht ganz stim-
men.
Natürlich: Wir müssen genau hinschauen. Wir müs-
sen fragen: Wie soll da eigentlich was geregelt werden?
Wie will „Basel II“ das Ziel erreichen, Finanzkrisen zu
vermeiden? Wurde dafür wirklich alles getan? Und da
habe ich im Detail doch noch Zweifel.
„Basel II“ wäre die Möglichkeit gewesen, bestimmte
Geschäfte für Banken teurer zu machen. Und ich sage:
vielleicht auch so teuer zu machen, dass sie sich einfach
nicht mehr lohnen. Was ist zum Beispiel mit Krediten,
die Spekulation finanzieren? Oder was ist mit Derivaten,
die kein realwirtschaftliches Geschäft absichern? Das
sind doch die Geschäfte, die systemweite Bankenkrisen
auslösen. Und genau diese Geschäfte hätte „Basel II“
teurer machen können. Und zwar viel teurer. Und zwar
weltweit.
Natürlich: „Basel II“ bringt in einigen Bereichen der
Bankenaufsicht Verbesserungen. Aber: Es wäre mehr
drin gewesen – wenn der politische Wille stark genug
gewesen wäre.
Anlage 3
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gestzes zur
Änderung des Wohnungseigentumgesetzes und
anderer Gesetze (Tagesordnungspunkt 17)
Norbert Geis (CDU/CSU): Die Koalition hat sich in
ihrem umfangreichen Koalitionsvertrag unter anderem
vorgenommen, das Wohnungseigentumsgesetz zu refor-
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ieren. Inzwischen liegt der Gesetzentwurf vor. Zu
nfang werden die drei wichtigsten Ziele des Reform-
orhabens aufgezählt: Die Willensbildung der Woh-
ungseigentümer soll erleichtert werden, die Verfahrens-
rdnung und der Instanzenzug sollen geändert und die
tellung der Wohnungseigentümer gegenüber den Kre-
itinstituten bei der Geltendmachung von Hausgeldfor-
erungen im Zwangsversteigerungsverfahren soll ver-
essert werden.
Zunächst ist jedoch ein Blick auf die Bedeutung des
ohnungseigentums in unserem gesellschaftlichen und
irtschaftlichen Leben zu richten; dies vor allem auch
eshalb, weil die Rechtspolitik eine Querschnittsaufgabe
at. Es ist immer auch notwendig, sich den Rahmen zu
ergegenwärtigen, in welchem wir versuchen, eine be-
timmte gesetzliche Regelung zu treffen.
Für junge Familien und für die ganz überwiegende
ehrheit derer, die zur Miete wohnen, ist der Erwerb ei-
er Eigentumswohnung oder gar der Bau eines Hauses
er größte Wunsch und zugleich auch die größte Investi-
ion in ihrem Leben. Gerade für junge Familien ist die
igene Wohnung oder das eigene Haus von unschätzba-
em Wert. In diesen Wochen wird uns im Zusammen-
ang mit der Einführung des Elterngeldes die drohende
evölkerungskatastrophe vor Augen geführt. Trotz El-
erngeldes aber werden wir nicht zu Familien mit mehr
indern kommen, wenn wir nicht auch für ausreichen-
en Wohnraum sorgen. In einer Dreizimmerwohnung
it noch so guter Ausstattung lässt sich auf Dauer gese-
en kein Vier- oder Fünfpersonenhaushalt unterbringen.
ie Förderung von Wohneigentum hat deshalb vor allem
uch eine große familienpolitische Bedeutung.
Für den Kauf einer Eigentumswohnung oder für den
au eines Eigenheimes ist viel Geld notwendig. Die
ittel vor allem junger Familien reichen dafür meist
icht aus. Deshalb geht es auch um die finanzielle Unter-
tützung durch den Staat. Die Koalition will aus diesem
rund KfW-Mittel locker machen. Ob dies in dem nöti-
en Umfang gelingt, ist noch offen. Die Eigenheimzu-
age und das Baukindergeld waren jedenfalls sehr gute
nstrumente, um Wohnungseigentum zu fördern. Die
treichung dieser Mittel war ein schwerer Fehler.
Das selbst genutzte Wohnungseigentum hat jedoch
uch im Alter große Bedeutung. Wohnungseigentum
chützt vor Mieterhöhungen, vor Kündigungen und sons-
gen Entscheidungen Dritter. Es gehört zu den sichersten
ormen der Altersvorsorge. Sind die Hypotheken bezahlt,
irkt kostenfreies Wohnen wie eine Rentenerhöhung. Die
tatistik zeigt, dass Wohnungseigentümer über 800 Euro
ehr im Monat verfügen können als Miethaushalte in der
leichen Situation.
Zugleich bedeutet das Wohnungseigentum auch eine
ichere Vermögensanlage.
Außerdem kurbelt die Nachfrage nach Wohnungs-
igentum die Bautätigkeit und damit eine der wichtigs-
en Schlüsselindustrien unseres Binnenmarktes an. So
önnten die so dringend notwendigen Arbeitsplätze ge-
chaffen werden.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 35. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Mai 2006 3031
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Aus all diesen Gründen ist die Förderung des Eigen-
heimes nach wie vor eine wichtige Aufgabe der Politik.
Das eigene Haus wie auch die Eigentumswohnung
schaffen Sicherheit im Alter und geeigneten Wohnraum
für junge Familien. Deutschland braucht mehr Woh-
nungseigentum. Mit 41 Prozent haben wir den niedrigs-
ten Stand in Europa.
Dies ist in groben Skizzen der Rahmen, in dem der
vorliegende Gesetzentwurf zu sehen ist. Der Entwurf
versucht dem Anliegen, Wohnungseigentum zu fördern,
gerecht zu werden.
Es wird deutlich, dass durch die Novellierung die
Stellung des Wohnungseigentümers, insbesondere des
Eigentümers, der sein Wohnungseigentum selbst nutzt,
gestärkt werden soll.
Dies gilt für die Erleichterung der Willensbildung der
Eigentümergemeinschaft. Die grundlegenden Regelun-
gen für das gemeinschaftliche Zusammenleben der
Wohnungseigentümer werden durch Vereinbarungen
festgelegt, die meist schon in der so genannten „Gemein-
schaftsordnung“ niedergelegt sind. Diese Vereinbarun-
gen sind einstimmige Beschlüsse. Sie sind die Regel.
Nur in Ausnahmefällen, wenn unter anderem das Gesetz
es vorsieht, können Entscheidungen durch Mehrheitsbe-
schlüsse herbeigeführt werden.
Dies ist in vielen Fällen ein untragbarer Zustand, dann
zum Beispiel, wenn wichtige Maßnahmen zu treffen
sind, aber keine Einstimmigkeit zu erzielen ist. Deshalb
erweitert der Gesetzesentwurf die Möglichkeit, solche
Entscheidungen künftig auch ohne Einstimmigkeit, also
mit Mehrheit, treffen zu können.
Dann können die Wohnungseigentümer auf diese
Weise unter bestimmten Voraussetzungen Modernisie-
rungsmaßnahmen beschließen, auch wenn damit nicht
alle Eigentümer einverstanden sind – § 16 IV WEG.
Dies gilt auch für die nunmehr vorgesehene Möglich-
keit, Veräußerungsbeschränkungen durch Mehrheitsbe-
schluss aufzuheben und die entsprechende Eintragung
im Grundbuch zu löschen. Dadurch ist es dem einzelnen
Wohnungseigentümer eher möglich, sein dingliches Ei-
gentum zu versilbern.
Durch Mehrheitsbeschluss kann künftig auch unter
bestimmten Voraussetzungen eine neue Verteilung der
Betriebskosten erfolgen. Bislang war dies nur mit Ein-
stimmigkeit zu erreichen. Auch dies ist zu begrüßen.
Würde es in diesen Fällen bei der Notwendigkeit der
Einstimmigkeit verbleiben, würde sich der, der durch die
Neuverteilung belastet wird, immer dagegen wehren und
es käme unter Umständen nicht zu einer gerechten Ver-
teilung der Betriebskosten.
In diesem Zusammenhang ist auch der im Entwurf
vorgesehene Anspruch des Einzelnen auf Anpassung ei-
ner Vereinbarung zu sehen. Mit gerichtlicher Hilfe soll
er die Möglichkeit erhalten, eine Vereinbarung, durch
die er in besonderer Weise ungerecht belastet wird, an
eine gerechte Lösung anzupassen. Mit diesem neu vor-
gesehenen Anpassungsanspruch können ungerechte Ver-
hältnisse beseitigt werden. Die rechtlichen Verhältnisse
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önnen so eher den tatsächlichen Verhältnissen ange-
asst werden.
Ferner ist vorgesehen, dass die jetzt notwendige Zu-
timmung dinglich Berechtigter zu von der Eigentümer-
emeinschaft getroffenen Vereinbarungen künftig in
eitem Umfang entbehrlich ist.
Insgesamt ist die Förderung von Mehrheitsentschei-
ungen der Wohnungseigentümer sachgerecht, da hier-
urch praktikable Lösungen für viele inzwischen in die
ahre gekommene Wohnungseigentumsanlagen ermög-
icht werden, bei denen bislang Modernisierungsgegner
otwendige Maßnahmen mit juristischen Mitteln verzö-
ert oder gar unmöglich gemacht haben. Natürlich gibt
s gegen die Erweiterung der Mehrheitsentscheidung
uch Bedenken. Alles in allem gesehen wird jedoch die
tellung der Eigentümer gestärkt. Die begrüßen wir.
Eine weitere wesentliche Änderung des WEG sieht
er Entwurf insoweit vor, als das bisherige FGG-Verfah-
en aufgegeben und die Regelungen der ZPO eingeführt
erden sollen. Damit verbunden ist eine Änderung des
nstanzenzuges: Erstinstanzlich ist das Amtsgericht, in
weiter Instanz das Oberlandesgericht und letztinstanz-
ich ist der Bundesgerichtshof zuständig. Um den BGH
icht zu sehr zu belasten, soll die Nichtzulassungsbe-
chwerde für eine Übergangszeit von fünf Jahren ausge-
chlossen sein.
Die Überführung der Wohnungseigentumsstreitigkei-
en aus der freiwilligen Gerichtsbarkeit in das Verfahren
ach der ZPO findet die uneingeschränkte Zustimmung
er Länder. Kritisiert wird die Zuständigkeit der Ober-
andesgerichte für die zweite Instanz. Der Entwurf hat
ie zweitinstanzliche Zuständigkeit des Oberlandesge-
ichtes deshalb gewählt, um schneller zu einer Verein-
eitlichung der Rechtsprechung zu kommen. Dies ist ein
uter Vorschlag.
Für die Wohnungseigentümer stellen der Wegfall des
GG-Verfahrens und der damit verbundene Wegfall des
mtsermittlungsgrundsatzes zweifellos eine Erschwer-
is dar, da sie jetzt gezwungen sind, ihre Rechte selbst
u verfolgen. Es darf jedoch nicht übersehen werden,
ass jetzt unter anderem auch die Möglichkeit besteht,
in Versäumnisurteil zu erlassen. Das kann zu einer will-
ommenen Beschleunigung des Verfahrens führen und
edeutet deshalb eine Verbesserung der Stellung des Ei-
entümers bei der Verfolgung seiner Rechte. Das Für
nd Wider ist aber genau zu bedenken und abzuwägen.
Auch die Detailregelungen, wie die Parteistellung im
eschlussverfahren sinnvoll und wie die Beiladung zu
estalten ist, bedürfen noch der näheren Prüfung.
Zu begrüßen ist auch die vorgesehene Einführung ei-
er Beschlusssammlung beim Verwalter. Wir halten es
ür richtig, dass die Wirksamkeit bestimmter Beschlüsse
icht von der Aufnahme in die Beschlusssammlung ab-
ängig gemacht wird. Beschlüsse müssen also auch Gül-
igkeit haben, wenn der Verwalter es versäumt hat, sie in
ie Beschlusssammlung aufzunehmen. Es wäre auch
alsch, das Grundbuch mit der Sammlung der Be-
chlüsse zu belasten.
3032 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 35. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Mai 2006
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Durch eine Öffnungsklausel haben die Länder künftig
die Möglichkeit, den Aufteilungsplan und die Abge-
schlossenheitsbescheinigung statt von der Baubehörde
auch von einem öffentlich bestellten und vereidigten
Sachverständigen vornehmen zu lassen. Dies bedeutet
eine Erleichterung für die Eigentümer. Darüber hinaus
gibt es sogar den Vorschlag, auf die Abgeschlossenheits-
bescheinigung gänzlich zu verzichten. In der Ausschuss-
beratung werden wir darüber zu befinden haben.
Schließlich ist die Stärkung der Wohnungseigentümer
gegenüber Kreditinstituten bei der Geltendmachung von
Hausgeldforderungen in der Zwangsversteigerung zu be-
grüßen. Durch die Änderung der Rangklassen des § 10
ZVG sollen die Wohnungseigentümer ein, wenngleich
auch eng begrenztes, Vorrecht für Hausgeldforderungen
vor den dinglich abgesicherten Ansprüchen der Kre-
ditinstitute erhalten. Auf diese Weise können Hausgeld-
ansprüche gegen zahlungsunwillige Miteigentümer, die
bisher regelmäßig nicht eingetrieben werden konnten
und deshalb von den übrigen Miteigentümern übernom-
men werden mussten, eher geltend gemacht werden.
Diese Stärkung der Wohnungseigentümer gegenüber den
Kreditinstituten ist daher sehr zu begrüßen.
Wir werden den vorgelegten Gesetzentwurf in den
Ausschussberatungen eingehend prüfen. Insbesondere
werden wir die Vorschläge aus der Wirtschaft und den
Wohnungsverbänden bedenken. Schon jetzt sehen wir
zusätzlichen Reformbedarf bei der Regelung des Ver-
hältnisses von Miteigentümer und Verwalter.
Dirk Manzewski (SPD): Am heutigen Tag debattie-
ren wir hier in erster Lesung den Entwurf der Bundesre-
gierung zur Änderung des Wohnungseigentumsgesetzes.
So sehr sich das WEG in der Vergangenheit auch
grundsätzlich bewährt hat, im Laufe der Zeit hat sich
hier ein zunehmender Bedarf nach praktikableren Re-
geln gezeigt. Dies hat nicht zuletzt auch der bereits ange-
sprochene Beschluss des Bundesgerichtshofs vom
Juni 2005 gezeigt. Mit diesem hat der BGH unter ande-
rem zum ersten Mal auch klargestellt, dass die Woh-
nungseigentümergemeinschaft im Rahmen der Verwal-
tung des gemeinschaftlichen Eigentums selbst
rechtsfähig ist. Die hieraus resultierenden weitreichen-
den Konsequenzen sind folgerichtig vom Gesetzentwurf
aufgegriffen und dementsprechend die Rechte und
Pflichten sowie das Verwaltungsvermögen der Gemein-
schaft der Wohnungseigentümer ebenso wie die Stellung
ihres Verwalters neu definiert worden.
Auch die rechtlichen Folgen einer Insolvenz der Ge-
meinschaft – dies ist als logische Folge der Entscheidung
des BGH nun möglich – sind den Besonderheiten des
Wohnungseigentumsrechts angepasst und zudem ist der
Schutz der Gläubiger der Gemeinschaft verbessert wor-
den.
Soweit in Teilbereichen eine Beschlusskompetenz
und damit das Mehrheitsprinzip statt der bisher erforder-
lichen Einstimmigkeit für Entscheidungen der Woh-
nungseigentümer eingeführt werden soll, halte ich dies
vom Grundsatz her für richtig und notwendig. Das bis-
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ang geltende Einstimmigkeitsprinzip hat in der Praxis
ehr häufig dringend gebotene Entscheidungen verhin-
ert und Wohnungseigentum damit unattraktiv gemacht.
Wir werden allerdings in den nächsten Wochen im
etail zu diskutieren haben, inwieweit bei den einzelnen
orgeschlagenen konkreten Änderungen zwischen den
ndividualinteressen einerseits und den Mehrheitsinte-
essen andererseits sachgerecht abgewogen worden ist.
Gut finde ich, dass künftig zwingend eine aktuelle
eschlusssammlung geführt werden soll. Dies ermög-
icht zum einen einem potenziellen Erwerber, sich über
ie vergangenen Beschlüsse der Gemeinschaft umfas-
end zu informieren, um besser einschätzen zu können,
as auf ihn zukommt. Zum anderen hilft dies natürlich
uch der Gemeinschaft selbst, da hierdurch besser ge-
ährleistet ist, dass bei Beschlüssen bereits einmal ge-
asste Beschlüsse und/oder ergangene gerichtliche Ent-
cheidungen in gleicher Sache nicht übersehen werden.
Für nur folgerichtig halte ich es als Konsequenz aus
er Entscheidung des BGH, die Wohnungseigentümer
un nicht mehr für Verbindlichkeiten der Gemeinschaft
esamtschuldnerisch haften zu lassen. Zwar soll auch
eiterhin die Möglichkeit bestehen, neben der Gemein-
chaft auch unmittelbar gegen den einzelnen Wohnungs-
igentümer vorzugehen. Dessen Haftung soll sich nun-
ehr aber auf seinen Anteil am Gemeinschaftseigentum
eschränken.
Da der Verwalter zukünftig sowohl als Organ der Ge-
einschaft als auch in der davon zu unterscheidenden
unktion als Vertreter der Wohnungseigentümer auftritt,
timme ich zudem mit der Bundesregierung darin über-
in, die Vorschriften über die Befugnisse und Aufgaben
es Verwalters sowie seiner Vertretungsmacht neu zu
assen.
Für gut erachte ich zudem die beabsichtigte Verlage-
ung der Wohnungseigentumsverfahren vom FGG zur
PO. Abgesehen davon, dass schon jetzt zum Teil
rundsätze der ZPO auch in Wohnungseigentumsver-
ahren anzuwenden sind, bietet die ZPO einfach die
öglichkeit einer effizienteren und stringenteren Ver-
ahrensführung.
Ich finde, dass uns die Bundesregierung hier einen
uten Vorschlag für eine Reform des WEG vorgelegt
at. Ich bin jedenfalls gespannt auf die inhaltliche Dis-
ussion mit Ihnen hierüber in den kommenden Wochen
nd würde mich freuen, wenn Sie sich an dieser rege be-
eiligen würden.
Mechthild Dyckmanns (FDP): Das seit 1951 beste-
ende Gesetz über das Wohnungseigentum hat sich
rundsätzlich bewährt. Rund 5 Millionen Eigentums-
ohnungen und die nach wie vor anhaltende Nachfrage
ach dieser besonderen Rechtsform des Wohnens ma-
hen deutlich, dass das Wohnungseigentum einen festen
estandteil der Wohnungsversorgung in unserem Land
ildet.
Seit In-Kraft-Treten des Wohnungseigentumsgesetzes
aben sich jedoch die wirtschaftlichen, sozialen, gesell-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 35. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Mai 2006 3033
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schaftlichen und politischen Rahmenbedingungen verän-
dert mit der Folge, dass auch die Gesetze, die diese Rah-
menbedingungen regeln, der Entwicklung angepasst
werden müssen. Die letzte umfassende Novellierung des
Wohnungseigentumsgesetzes erfolgte im Jahre 1973.
Seither eingeleitete Änderungen kamen über das Diskus-
sionsstadium nicht hinaus. Handlungsbedarf zeigte sich
erneut und vordringlich nach der „Jahrhundertentschei-
dung“ des Bundesgerichtshofs vom 20. September 2000
zum so genannten Zitterbeschluss.
Die FDP begrüßt, dass die Bundesregierung mit dem
jetzt vorgelegten Gesetzentwurf den Versuch unter-
nimmt, eine schon länger als drei Jahrzehnte andau-
ernde, aber mangels Einigkeit unter den Betroffenen und
Beteiligten bislang ergebnislose Diskussion zu einem
guten Ende zu bringen.
Im Mittelpunkt des Gesetzentwurfs steht eine Erwei-
terung der so genannten Beschlusskompetenzen. Der
Entwurf lässt verstärkt Mehrheitsentscheidungen der
Wohnungseigentümer zu. Er lockert das starre Einstim-
migkeitsprinzip bei der Verteilung der Betriebs-, Ver-
waltungs- und Instandsetzungskosten zugunsten einer
mehrheitlichen Entscheidung. Auch Maßnahmen zur
Modernisierung oder zur Energieeinsparung werden
nach dem vorliegenden Entwurf zukünftig leichter zu
realisieren sein. Das ist zu begrüßen. Hierdurch wird die
Handlungsfreiheit der Wohnungseigentümer gestärkt
und die Willensbildung der Eigentümergemeinschaften
erleichtert. Besondere Bedeutung wird dies insbesondere
für mittlere und größere Wohnanlagen haben. Hier war
in der Vergangenheit die erforderliche Einstimmigkeit
für Instandhaltungs- oder Modernisierungsmaßnahmen
nicht oder nur schwer zu erreichen. Dadurch ist es in vie-
len Fällen zu einem Renovierungsstau gekommen. Die
neue Regelung kann dazu beitragen, diesen abzubauen.
Ob es zu einem Investitionsschub kommen wird,
bleibt im Hinblick auf das Erfordernis einer Mehrheit
von mehr als drei Vierteln aller stimmberechtigten Ei-
gentümer und mehr als der Hälfte der Miteigentumsan-
teile abzuwarten. Im Gesetzgebungsverfahren wird da-
her zu erörtern sein, ob dieses Mehrheitserfordernis
praktikabel ist oder möglicherweise eine zu hohe Hürde
darstellt.
In jedem Fall zu begrüßen ist die vorgesehene Be-
schlusssammlung. Auf diese Weise können sich Woh-
nungseigentümer und insbesondere Erwerber besser
Klarheit darüber verschaffen, welche Rechte und Pflich-
ten auf sie zukommen.
Weiterer Erörterung bedarf die Entscheidung, wonach
sich Verfahren in Wohnungseigentumssachen zukünftig
nach der Zivilprozessordnung und nicht mehr wie bisher
nach dem Gesetz über die freiwillige Gerichtsbarkeit
richten sollen. Hiermit verbinden sich Vorteile, aber
auch Nachteile, die die Durchrührung einer Anhörung
angezeigt erscheinen lassen.
Grundsätzlich positiv zu bewerten ist die in Aussicht
genommene Beschränkung der Haftung des einzelnen
Eigentümers. Nach der noch geltenden gesetzlichen Re-
gelung haftet der einzelne Wohnungseigentümer bei In-
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olvenz aller übrigen Miteigentümer für die Schulden
er Gemeinschaft mit seinem gesamten Privatvermögen,
as letztlich auch zu seinem eigenen wirtschaftlichen
uin führen kann. Nachdem der Bundesgerichtshof mit
einer Entscheidung zur Teilrechtsfähigkeit bereits eine
esamtschuldnerische Haftung des einzelnen Woh-
ungseigentümers gegenüber Dritten ausgeschlossen
atte, geht die Bundesregierung jetzt noch einen Schritt
eiter und begrenzt die Einzelhaftung auch im Verhält-
is der Wohnungseigentümer untereinander auf die
öhe des jeweiligen Miteigentumsanteils. Das ist zu be-
rüßen.
Der jetzt vorgelegte Entwurf gibt Anlass zu der Hoff-
ung, dass die Novellierung des Wohnungseigentumsge-
etzes ohne größeren politischen Streit über die Bühne
ehen kann. Die FDP ist bereit, hierzu ihren Beitrag zu
eisten. Wir legen aber Wert auf eine sorgfältige Bera-
ung. Die hierfür erforderliche Zeit sollen und müssen
ir uns nehmen, damit das novellierte Wohnungseigen-
umsgesetz geeignet ist, dass Wohnungseigentum auch
n Zukunft attraktiv bleibt, auch und nicht zuletzt als
ine immer stärker genutzte Form der Altersvorsorge.
Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): Ein Spruch sagt: Wer
lug ist, wohnt zur Miete. Natürlich in einer Wohnung
ach Wunsch, in guter Lage, pflegeleicht und wartungs-
rm, mit netter Nachbarschaft und für einen akzeptablen
reis. Service inklusive, denn dafür wird Miete gezahlt.
Trotzdem entscheiden sich Menschen für Wohneigen-
um. Und dagegen ist auch nichts einzuwenden. Die
raktion DIE LINKE, steht für das gleichberechtigte Ne-
eneinander von selbst genutztem Wohneigentum, Woh-
en zur Miete oder in einer Genossenschaft.
Viele, meines Erachtens zu viele Menschen erwerben
ohnimmobilien als Teil einer Wohneigentumsanlage
zur Selbstnutzung oder als Kapitalanlage –, ohne zu
issen, was auf sie zukommt. Neben den nicht unerheb-
ichen Pflichten für das „Sondereigentum“ kommt die
erantwortung als Miteigentümer am „Gemeinschafts-
igentum“. Bewährtes Instrument für die Verwaltung,
en Erhalt, die Pflege und Erneuerung dieses Gemein-
chaftseigentums ist das Wohneigentumsgesetz.
Ich kenne sehr unterschiedliche Wohneigentumsge-
einschaften: Manche bestehen aus wenigen selbst nut-
enden Haus- bzw. Wohnungseigentümern, manche aus
igentümern, die ihre Wohnung weit ab vom eigenen
ohnort als Kapitalanlage laufen lassen, es gibt Mehrfa-
ilienhäuser mit einer Mischung aus Selbstnutzern und
apitalanlegern bis hin zu Großwohnanlagen mit mehre-
en hundert Wohnungen. Erfahrungen besagen, dass die
echte des einzelnen Eigentümers mit der Zahl der Mit-
lieder einer Eigentumsgemeinschaft schrumpfen und
ie Zahl der Interessenskonflikte steigt.
Viele Entscheidungen, die in einer Eigentümerge-
einschaft getroffen werden (müssen), haben oft nicht
nerhebliche finanzielle Folgen oder können den Cha-
akter der Wohnanlage und die Nutzung erheblich verän-
ern. Da jeder einzelne Eigentümer direkt betroffen sein
3034 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 35. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Mai 2006
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kann, sind nach geltendem Recht einstimmige Entschei-
dungen Grundlage für existenzielle Veränderungen. Dies
schützt den Einzelnen vor Entscheidungen, zum Beispiel
über größere Investitionen, die ihn finanziell überfordern
und zum Verlust des Wohneigentums führen. Anderer-
seits kann ein Einzelner gewollte und gegebenenfalls er-
forderliche Entscheidungen von deutlichen Mehrheiten
blockieren.
Mit der Novellierung sollen auch schwerwiegende
Entscheidungen durch eine verhältnismäßige Mehrheit
zugelassen werden. Dies muss in den Ausschussberatun-
gen noch einmal genau abgewägt werden – vor allem
hinsichtlich des Vertrauensschutzes bei bestehenden
Wohneigentümern –, auch wenn die Bundesregierung in
der Begründung beteuert, dass ihre Vorschläge ausgewo-
gen und rechtlich zulässig sind.
Die Einführung der Pflicht einer Beschlusssammlung
scheint sinnvoll, erhöht aber wie auch einige andere Än-
derungen den bürokratischen Aufwand und die Reg-
lungsdichte.
Die beabsichtigte Überführung der gerichtlichen Zu-
ständigkeit aus der freiwilligen Gerichtsbarkeit in die Zi-
vilprozessordnung halten wir für problematisch.
Zu begrüßen ist die vorgeschlagene Änderung der
Rangklassen bei Zwangsversteigerungen zugunsten von
Hausgeldansprüchen und zulasten der Banken.
Hervorheben möchte ich das Recht jedes Eigentümers
auf Baumaßnahmen zur Schaffung eines barrierefreien
Zugangs zum Wohneigentum für behinderte Wohneigen-
tümer oder Wohneigentümer, die ihr Eigentum an Men-
schen mit Behinderungen vermieten (§ 22 WEG). Wir
sollten bei der Beratung des Gesetzentwurfes in den
Ausschüssen prüfen, ob das noch genügt. Ein barriere-
freier Zugang zu Wohnungen dient schließlich nicht nur
dem behinderten Eigentümer oder Mieter, sondern auch
Menschen mit Behinderungen, die Selbstnutzer oder
Mieter besuchen wollen. Barrierefreie Häuser und Woh-
nungen sollten grundsätzlich zum „Stand der Technik“
gehören. Das nutzt allen und trägt auch dem Art. 3 GG,
dem Bundesbehindertengleichstellungsgesetz und dem
künftigen Antidiskriminierungsgesetz Rechnung. Inso-
fern sollte generell bei Verlangen eines Wohnungseigen-
tümers auf Schaffung eines barrierefreien Zugangs zum
Wohneigentum die Zustimmung nicht erforderlich sein.
Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der
deutsche Wohnimmobilienmarkt ist in den letzten Jahren
in Bewegung geraten; ja man könnte sogar sagen, er
steht vor einem großen Umbruch. Auch wenn zum Bei-
spiel die Frage der Einbeziehung oder Nichteinbezie-
hung von Wohnimmobilien in REITs noch heftig um-
stritten ist, so gibt es genügend Gründe, ungelöste
Probleme des Wohneigentums jetzt anzugehen.
Privatisierung heißt nicht automatisch, dass große
kommunale Wohnungsbestände – wie zuletzt in Dres-
den – an internationale Investoren verkauft werden, son-
dern bedeutet auch, dass Wohnungen an Mieter verkauft
werden. Und da wir alle – auf die eine oder andere Art
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nd Weise – die Einbeziehung der Wohnimmobilien in
ie geförderte Altersvorsorge befürworten, müssen wir
ns konsequenterweise mit den Problemen beschäftigen,
ie die Wohnungseigentümergemeinschaften und rund
5 Millionen Eigentümer seit vielen Jahren bewegen.
Die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen begrüßt
iese Gesetzesänderung. Wir haben schon in der letzten
egislaturperiode eine Gesetzesänderung gefordert und
nterstützt. Ein entsprechender Gesetzentwurf wurde
och unter der rot-grünen Koalition am 25. Mai 2005 im
abinett beschlossen.
Für uns war und ist es wichtig, für bestimmte Fälle
as Einstimmigkeitsprinzip durch einen qualifizierten
ehrheitsbeschluss abzulösen. Das Einstimmigkeits-
rinzip ermöglichte bisher einzelnen Miteigentümern die
lockade zum Beispiel von sinnvollen Modernisierungs-
aßnahmen und führte letztlich zu Ersatzvereinbarun-
en, den so genannten Zitterbeschlüssen, die nach
echtsprechung des BGH auch ohne gerichtliche An-
echtung von Anfang an unwirksam waren. In dem vor-
iegenden Gesetzentwurf wird das Quorum für be-
timmte Fälle auf drei Viertel der Eigentümerstimmen
nd 50 Prozent der Eigentumsanteile abgesenkt. Das ist
mmer noch eine hohe, aber nicht unüberwindliche
ürde. Sie erschwert aber auf jeden Fall die Blockaden,
ie erleichtert die Willensbildung und stärkt die Hand-
ungsfähigkeit von Wohnungseigentümergemeinschaf-
en.
Diese Neuregelung betrifft nach § 22 WEG (2) Ent-
cheidungen zu baulichen Veränderungen, insbesondere
ei Maßnahmen zur Modernisierung, die der nachhalti-
en Erhöhung des Gebrauchswertes, der dauerhaften
erbesserung der Wohnverhältnisse oder der Einsparung
on Wasser und Energie dienen. Gerade in Zeiten stei-
ender Energiekosten müssen alle Maßnahmen unter-
tützt werden, die die Belastungen der Eigentümer und
ieter und der Umwelt durch die Ausschöpfung von Ef-
izienzpotenzialen nachhaltig verringern können.
§ 22 WEG (1) stellt klar, dass die Schaffung eines
arrierefreien Zugangs für behinderte Wohnungseigen-
ümer oder Mieter im Regelfall auch ohne die Einholung
iner Zustimmung der Wohnungseigentümergemein-
chaft gewährleistet ist.
Nach § 16 WEG (4) besteht künftig die Möglichkeit,
en Verteilungsschlüssel einer Kostenregelung im Ein-
elfall – mit dem vorgenannten Quorum – abweichend
u gestalten, wenn zum Beispiel durch Baumaßnahmen
ur eines von mehreren Gebäuden betroffen ist. Auch
ies wird zu einer deutlichen Erleichterung im Verfahren
ühren. Und mit dem § 16 WEG (3) wird die Erfassung
nd Abrechnung von Betriebs- und Verwaltungskosten
rleichtert und den Eigentümergemeinschaften die not-
endige Flexibilität für die Immobilienverwaltung gege-
en.
Ebenfalls unsere Zustimmung findet die Erweiterung
es § 12 um den Abs. 4, der eine Aufhebung von Veräu-
erungsbeschränkungen mit Stimmenmehrheit ermög-
icht.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 35. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Mai 2006 3035
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Wir begrüßen die verbindliche Einführung einer Be-
schlusssammlung, die aus unserer Sicht zu einer besse-
ren Informationsmöglichkeit von potenziellen Erwer-
bern von Wohnungseigentum beitragen dürfte und
deutlich unbürokratischer als die geforderte Einführung
eines Zentralgrundbuchs ist.
Die Stellung von Wohnungseigentümern gegenüber
Banken wird bei der Geltendmachung von Hausgeldfor-
derungen in der Zwangsversteigerung gestärkt. Und die
Position von Wohnungseigentümern gegenüber zah-
lungsunfähigen oder -unwilligen Eigentümern wird
durch ein begrenztes Vorrecht vor Grundpfandrechten
verbessert.
Und die künftige Behandlung von Gerichtsverfahren
in Wohnungseigentumsangelegenheiten nach der ZPO
wird auch aus unserer Sicht zu einer Aufwandsverringe-
rung gegenüber der bisher üblichen freiwilligen Ge-
richtsbarkeit (FGG) führen und trägt einer Harmonisie-
rung mit anderen bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten
Rechnung.
Im Großen und Ganzen stimmen wir dem Gesetzent-
wurf zu, allerdings haben wir auch noch Ergänzungs-
bedarf anzukündigen. Wir sehen insbesondere bei der
Einsicht der Wohnungseigentümer in sämtliche Abrech-
nungs- und Verwaltungsunterlagen die Notwendigkeit
einer gesetzlichen Regelung. Des Weiteren sehen wir
Änderungsbedarf bei der Verwalterbestellung. Bei neu
errichteten Eigentumsanlagen wird der erste Verwalter
meist vom Bauträger bestimmt, für einen Zeitraum von
fünf Jahren. Dies kann insbesondere bei der Geltendma-
chung von Mängeln innerhalb einer Fünfjahresfrist zu
erheblichen Problemen führen.
Im vorliegenden Gesetzentwurf finden sich viele un-
serer Vorstellungen wieder und daher wird er auch un-
sere Zustimmung bekommen.
Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin der Justiz: Der Bundestag behandelt
heute einen Gesetzentwurf, der Millionen von Menschen
in Deutschland betrifft: die Novelle des Wohnungseigen-
tumsgesetzes, kurz: WEG.
Ich möchte vorwegschicken: Die Geschichte des
WEG ist eine Erfolgsgeschichte. Geschaffen im Jahre
1951, hat es in Deutschland erstmals echtes Eigentum an
Teilen eines Gebäudes ermöglicht. Viele Menschen er-
hielten so erst die Chance, in den eigenen vier Wänden
zu wohnen. Das Gesetz ist bei den Bürgern angekom-
men und hat sich bewährt.
Wer eine Eigentumswohnung hat, weiß aber auch,
dass es nicht immer harmonisch zugeht. Für viele Men-
schen ist die eigene Wohnung das wertvollste, was sie
besitzen. Da ist es einem nicht gleichgültig, wie eine
Wohnanlage verwaltet wird.
Kein Gesetz wird deshalb Meinungsverschiedenhei-
ten unter Wohnungseigentümern verhindern können.
Aber der Gesetzgeber muss Instrumentarien bereitstel-
len, damit Meinungsverschiedenheiten die Wohnanlage
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icht lähmen und in einem geordneten Verfahren gelöst
erden.
Mit der Novelle des Wohnungseigentumsrechts ver-
olgen wir vier Ziele:
Erstens. Wir wollen die Willensbildung innerhalb der
emeinschaft erleichtern und das Wohnungseigentums-
echt entbürokratisieren. Nach heutigem Recht kann
äufig ein einziger Wohnungseigentümer eine Maß-
ahme verhindern, die alle anderen für gut und richtig
alten. Es gilt der Grundsatz, dass die Wohnungseigen-
ümer ihre Angelegenheiten durch Vereinbarung und da-
it einstimmig regeln. Mehrheitsbeschlüsse sind nur
usnahmsweise zulässig. Wir wollen das Prinzip der
instimmigkeit dort, wo ein praktisches Bedürfnis dafür
esteht, durch das Mehrheitsprinzip ersetzen. Das be-
rifft zum Beispiel Modernisierungsmaßnahmen oder die
erteilung von Betriebs- und Verwaltungskosten.
Zweitens wollen wir die rechtlichen Verhältnisse zwi-
chen Eigentümergemeinschaft, Wohnungseigentümern
nd Gläubigern der Eigentümergemeinschaft klarer re-
eln. Nach der neuesten Rechtsprechung des Bundesge-
ichtshofs ist die Gemeinschaft der Wohnungseigentü-
er rechtsfähig. Diese Rechtsprechung hat in manchem
unkt Klarheit geschaffen und einiges vereinfacht, aber
uch eine Vielzahl von Folgeproblemen entstehen las-
en. Die Praxis ist daher verunsichert und wünscht eine
lärung durch den Gesetzgeber. Unser Entwurf spricht
ich dafür aus, die Entscheidung des Bundesgerichtshofs
u akzeptieren, und gibt der Praxis gleichzeitig die nö-
ige Klarheit. Das betrifft vor allem die Frage der Haf-
ung der einzelnen Wohnungseigentümer für Forderun-
en gegen die Gemeinschaft.
Drittens. Wir wollen die Gerichtsverfahren in Woh-
ungseigentumssachen mit den anderen bürgerlich-
echtlichen Streitigkeiten in Einklang bringen. Deshalb
oll sich das Verfahren in Wohnungseigentumssachen
ukünftig nach der Zivilprozessordnung und nicht mehr
ie bisher nach dem Gesetz über die freiwillige Ge-
ichtsbarkeit richten. Das schont die Ressourcen der Jus-
iz und gibt den Gerichten bessere Möglichkeiten der
onzentration und Beschleunigung.
Viertens. Wir wollen den Wohnungseigentümern eine
essere Handhabe gegen solche Miteigentümer ver-
chaffen, die ihre Hausgelder nicht mehr zahlen – sei es,
eil sie zahlungsunwillig oder zahlungsunfähig sind.
ünftig sollen die Wohnungseigentümer mit einem be-
renzten Vorrang vor Grundpfandrechten – die sich vor
llem Banken zur Sicherung ihrer Kredite eintragen las-
en – die Zwangsversteigerung oder die Zwangsverwal-
ung betreiben können.
Nach allem handelt es sich also um Änderungen, die
as Wohnungseigentum gerechter und praktikabler ma-
hen. Sie kommen den Bürgerinnen und Bürgern unmit-
elbar zugute und entlasten gleichzeitig die Justiz. Dies
ird die Attraktivität des Wohnungseigentums auch für
ie Zukunft sichern.
3036 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 35. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Mai 2006
(A) )
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Anlage 4
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Anträge:
– Mit der strategischen Partnerschaft zwi-
schen der Europäischen Union und Latein-
amerike Ernst machen und deutsches Enga-
gement ausbauen
– Die Beziehungen zwischen EU und Latein-
amerike solidarisch gestalten – Kein Frei-
handelsabkommen EU-Mercosur
(Tagesordnungspunkt 16)
Anette Hübinger (CDU/CSU): Angesichts des be-
vorstehenden EU-Lateinamerika-Gipfels in Wien befas-
sen wir uns heute mit den Anträgen der Fraktion von
Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion der Linken.
Bislang standen die Länder Lateinamerikas und der
Karibik nicht mehr im Mittelpunkt des Interesses. Deut-
sche entwicklungspolitische Aufgaben in Lateinamerika
und in der Karibik haben Kürzungen hinnehmen müs-
sen, deutsche Direktinvestitionen stagnieren. In Anbe-
tracht dieser Situation vermisst die CDU/CSU-Fraktion
in beiden Anträgen den nötigen breiten Ansatz, um die
kulturell-historisch gewachsenen Beziehungen zwischen
Lateinamerika und Europa so zu intensivieren und aus-
zubauen, dass eine zukunftsfähige strategische Partner-
schaft entsteht.
Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen enthält wich-
tige Punkte, die eine Unterstützung verdienen. Er ist je-
doch nach unserer Auffassung abzulehnen, da Lösungs-
vorschläge fehlen, um eine stabile wirtschaftliche
Partnerschaft weiterzuentwickeln.
Für die CDU/CSU-Fraktion ist die Armutsbekämp-
fung eines der zentralen Themen in Lateinamerika und
in der Karibik. Gerade im Hinblick auf die Millenniums-
entwicklungsziele, die Armut auf der Welt bis 2015 zu
halbieren, sind in Lateinamerika größere Fortschritte als
bisher erforderlich. Lateinamerika ist weltweit die Re-
gion mit den größten Einkommensunterschieden. Wir
müssen daher einen diversifizierten Entwicklungsansatz
wählen.
Bei der Armutsbekämpfung ist es für uns wichtig, die
bedeutsame Rolle der Bildungs- und Ausbildungsmög-
lichkeiten in den Vordergrund zu rücken, weil erst da-
durch ein langfristiges Entkommen aus der Armut mög-
lich ist.
Die Armutsbekämpfung hat auch höchste Priorität,
um der Gefahr eines wieder erstarkenden Populismus zu
begegnen. Daher müssen die Entwicklungen in Vene-
zuela unter Präsident Chavez von uns weiterhin kritisch
beobachtet werden.
In diesem Zusammenhang muss uns die Veröffentli-
chung des Entwicklungsprogramms der Vereinten Natio-
nen zu denken geben, das viele Menschen von der De-
mokratie enttäuscht sind und deshalb wieder autoritäre
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egime befürworten würden, wenn dadurch ihre wirt-
chaftliche Lage verbessert würde.
Die Problemlösungsfähigkeiten der politischen Mo-
elle stehen heute in Lateinamerika auf dem Prüfstand.
ufgrund der tiefen Krise, in der sich die Parteiensys-
eme vieler lateinamerikanischer Länder gegenwärtig
efinden, kommt der bildungspolitischen Arbeit der
eutschen Stiftungen vor Ort eine wichtige Rolle zu.
enn Demokratie muss erlernt werden, um dauerhaft be-
tehen zu können. Daher wollen wir politische Stiftun-
en, Kirchen, Gewerkschaften und Kulturorganisationen
n dieser Vermittlungsaufgabe unterstützen.
Das gesamte Ökosystem Lateinamerikas mit seinen
mmensen natürlichen Ressourcen und seiner außerge-
öhnlichen biologischen Vielfalt, ist von großem globa-
em Interesse. Ergänzend zu den Tropenwaldschutzpro-
rammen sollte aber auch der indigenen Bevölkerung
eim Aufbau einer nachhaltigen Holzwirtschaft als Le-
ensgrundlage geholfen werden.
Ein Schwerpunkt der deutschen Entwicklungshilfe
iegt im Umwelt- und Ressourcenschutz. Die Vorreiter-
olle deutscher Unternehmen im Bereich erneuerbarer
nergien in Lateinamerika sollte ausgenutzt werden.
Die EU-Staaten sind führender Direktinvestor in La-
einamerika sowie ein bedeutender Investor in den Kari-
ikstaaten. Die Investitionen aus dem Subkontinent nach
uropa sind jedoch gering. In dieser Situation sollte die
U einen intensiveren Beitrag zur demokratischen Kon-
olidierung, zu Wirtschaftswachstum und Entwicklung
eisten.
Der Gipfel in Wien bietet die Gelegenheit, die 1999 in
io de Janeiro beschlossene strategische Partnerschaft
it dieser Region konsequent fortzusetzen. Deshalb set-
en wir uns auch für den erfolgreichen Abschluss des
ssoziationsabkommens zwischen der EU und dem
ercosur ein. Günstige Rahmenbedingungen für die
irtschaftbeziehungen zwischen beiden Regionen müs-
en aber in beide Richtungen gehen, damit eine tragfä-
ige Partnerschaft entstehen kann.
Die Fraktion Die Linke wirft in ihrem Antrag der EU
or, die EU würde Lateinamerika scheinparlamentari-
che Strukturen überstülpen wollen und die Länder der
aribik und Lateinamerikas bevormunden. Zugleich
erlangt sie, dass wir unsere gelebten Erfahrungen in ei-
em demokratischen Rechtsstaat der Bevölkerung in den
ändern Südamerikas nicht vermitteln sollen.
Das ist ideologische Bevormundung, einem Teil der
eltbevölkerung unsere Erfahrungen mit Demokratie
nd Rechtsstaatlichkeit vorzuenthalten. Die Fraktion Die
inke verkennt aus ihrer verblendeten ideologischen
icht hierbei, dass eine Partnerschaft immer eine eigene
ntscheidung beinhaltet. Diese Entscheidung können
nd wollen wir den Staaten Lateinamerikas und der Ka-
ibik nicht abnehmen. Schon allein aufgrund dieser Ar-
umentation ist ihr Antrag abzulehnen.
Die Koalition wird ihrerseits wegen der Wichtigkeit
er Debatte in Kürze einen eigenen Antrag vorlegen, der
ich in detaillierter Form mit der Partnerschaft zu Latein-
merika und der Karibik auseinander setzen wird.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 35. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Mai 2006 3037
(A) )
(B) )
Sascha Raabe (SPD): Beginnen möchte ich meinen
Redebeitrag zu der EU-Lateinamerika-Debatte heute mit
einem viel zitierten Buchtitel aus den 70er-Jahren: „Die
offenen Adern Lateinamerikas“. Ich greife den Titel auf,
weil ich denke, dass die Adern Lateinamerikas heutzu-
tage noch an vielen Stellen offen sind. Lateinamerika
liegt vielleicht nicht mehr auf der Intensivstation kolo-
nialer oder diktatorischer Despoten, dafür sind die Adern
der Armut noch offen. 40 Prozent der Menschen in La-
teinamerika leben in Armut – mit weniger als 2 US-Dol-
lar pro Tag – und die Einkommensungleichheiten sind in
keinem anderen Kontinent größer. Alleine wird es für
die Bürgerinnen und Bürger aus Südamerika fast
unmöglich sein, ihre Wunden zu heilen. Daher ist von
europäischer Seite Hilfe geboten.
Ich freue mich, dass sich heute und morgen über
60 Staats- und Regierungschefs aus Lateinamerika und
Europa in Wien versammeln, um ihre Beziehung weiter
auszubauen und gemeinsam Lösungen für offene Fragen
zu finden – so viele waren seit dem Wiener Kongress
nicht mehr in Wien versammelt. Dies zeigt – entgegen
vieler anderer Meinungen –, dass die Partnerschaft zwi-
schen Europa und dem lateinamerikanischen Kontinent
durchaus eine große Bedeutung hat. Letzte Woche hat
sich unser Außenminister Frank-Walter Steinmeier
schon einmal vor Ort ein Bild gemacht und die Bedeu-
tung dieses Kontinentes verdeutlicht. Auch unsere Ent-
wicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul reiste
jüngst nach Bolivien und Chile.
Neben dem Stellenwert Lateinamerikas erscheint es
mir überaus wichtig, dafür zu plädieren, dass der stattfin-
denden politischen Polarisierung ein Ende bereitet wird.
Diese Kategorisierung in links und rechts ist für eine
strategische Partnerschaft nicht fruchtbar. Im Gegenteil,
sie schürt Feindbilder und verhindert eine sachliche so-
wie zielorientierte Auseinandersetzung mit den brennen-
den Problemen Lateinamerikas. Und diese stehen derzeit
auf der Tagesordnung in Wien. So stehen im Mittelpunkt
der Diskussion der internationale Handel mit der ent-
sprechenden offenen Agrarfrage, die Bestrebungen ein-
zelner Staaten zur Verstaatlichung ihrer Rohstoffsekto-
ren sowie Maßnahmen internationaler und nationaler
Armutsbekämpfung.
Ein wichtiger Bestandteil der strategischen Partner-
schaft zwischen Europa und Lateinamerika ist und bleibt
die Armutsbekämpfung. Obwohl Erfolge zu verzeichnen
sind, steht die deutsche bilaterale sowie europäische Ent-
wicklungszusammenarbeit weiterhin vor großen Heraus-
forderungen. Auch der Zwischenbericht der Vereinten
Nationen zur Erreichung der Milleniumsentwicklungs-
ziele weist auf Schwierigkeiten hin und warnt vor einem
Versagen.
In der deutschen Entwicklungszusammenarbeit mit
Lateinamerika sind der Umwelt- und Ressourcenschutz,
die Staatsmodernisierung bzw. Konsolidierung der De-
mokratie sowie die Armutsbekämpfung die drei Schwer-
punktbereiche. Derzeit sind in der Region fünf Länder
als Schwerpunktpartnerländer und acht als Partnerländer
klassifiziert. Da das Bundesministerium für wirtschaftli-
che Zusammenarbeit und Entwicklung den aktuellen
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ntwicklungen in der Region Rechnung tragen möchte,
indet derzeit eine Überprüfung und Neujustierung der
artnerländer statt. Das Lateinamerika-Konzept des
MZ von 2000, welches als politische Leitlinie in der
ntwicklungspolitischen Zusammenarbeit dient, wird
erzeit überarbeitet und entsprechend den neuen Gege-
enheiten aktualisiert.
Komplementär zur deutschen bilateralen Entwick-
ungszusammenarbeit ist die Europäische Union in La-
einamerika als wichtigster Geber tätig. Durch ihre
üngst verabschiedete gemeinsame entwicklungspoliti-
che Erklärung, den „Europäischen Konsens“, stellt die
U ihr Engagement auch hier deutlich unter Beweis.
ach der Wahl mehrerer linksorientierter Regierungen
esteht ein enormer Erwartungsdruck an die Regierun-
en, Erfolge im Kampf gegen die soziale Misere vor-
uweisen. An dieser Stelle begrüße ich die nationalen
rmutsbekämpfungsstrategien und möchte diese unter-
tützen.
Einen großen Armut reduzierenden Beitrag können
ir aber natürlich auch in anderen Bereichen leisten, wie
eispielsweise mit unserer Handelspolitik. Die EU hat
ls wichtiger Handelspartner für Lateinamerika ein gro-
es Interesse daran, die Handelsbeziehungen zu harmo-
isieren. Ich möchte das Gipfeltreffen in Wien nicht auf
as ins Stocken geratene Assoziationsabkommen zwi-
chen der EU und dem Wirtschaftsblock Mercosur redu-
ieren. Dennoch ist es mir sehr wichtig, die Gründe für
as bisherige Scheitern eines Assoziationsabkommens
wischen diesen beiden Wirtschaftsblöcken mit aller
eutlichkeit hervorzuheben. Die Mercosur-Länder wer-
en zu Recht der Europäischen Union Agrarprotektionis-
us vor und fordern berechtigterweise sowohl die Öff-
ung der Märkte für ihre Agrarprodukte als auch die
bschaffung aller handelsverzerrenden Agrarsubventio-
en. Zwar konnte beim letzten WTO-Gipfel in Hong-
ong immerhin ein Enddatum für das Auslaufen der Ex-
ortsubventionen vereinbart werden, aber es gab keine
nnäherung bei den internen handelsverzerrenden Stüt-
ungen und dem Marktzugang.
Wir, die Koalitionsfraktion SPD und CDU/CSU, leh-
en die zur Debatte vorliegenden Anträge ab. Ich kann
war mit den meisten Punkte des Antrages der Grünen
bereinstimmen, möchte aber darauf hinweisen, dass wir
die SPD- und CDU/CSU-Fraktion – derzeit an einem
igenen umfassenderen Antrag arbeiten, der der ganzen
omplexität gerecht wird sowie die Ergebnisse und
mpfehlungen des Gipfels aufgreift. Der Antrag der
raktion Die Linke ist fast nicht der Rede wert, da er un-
eitgemäß und weltfremd ist. So wird beispielsweise an
iner Stelle gefordert, dass die Agrarproduktion eines
ntwicklungslandes sich auf den Eigenbedarf beschrän-
en sollte. Doch gerade der Agrarbereich ist für die
eisten Entwicklungsländer eine Haupteinnahmequelle
m Export. Gerade wir als Exportweltmeister dürfen den
ntwicklungsländern die Teilhabe am Welthandel nicht
erbauen.
In Wien wird nicht nur zwischen den Regierungs-
ertretern an einer Partnerschaft gefeilt. Nein, die
artnerschaft umfasst Millionen Lateinamerikaner und
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(B) )
europäische Bürger. Das nächste Treffen wird in zwei
Jahren turnusgemäß in einer lateinamerikanischen Stadt
stattfinden. Ich würde mir sehr wünschen, dass wir als
europäische Gäste mehr anzubieten haben werden, als
wir es derzeit in Wien haben. Ein Nichtstun können wir
uns nicht leisten. Es wäre so, als ob man Salz in die offe-
nen Wunden streuen würde, anstatt die offenen Adern
Lateinamerikas zu schließen.
Lothar Mark (SPD): Beide vorliegenden Anträge
finden nicht die Zustimmung meiner Fraktion. Die
Koalitionsfraktionen haben sich vorgenommen, als
Nachlese zum vierten biregionalen Gipfeltreffen der
Staats- und Regierungschefs Lateinamerikas, der Kari-
bik und der EU einen gemeinsamen Lateinamerika-
Grundsatzantrag einzubringen. Dieser ist bereits vorbe-
reitet; wir warten nur noch auf die Schlussfolgerungen
des Wiener Gipfels.
Lassen Sie mich zunächst auf den Antrag der Links-
fraktion eingehen. Es muss jeden Außenpolitiker – ins-
besondere aber unsere lateinamerikanischen und karibi-
schen Partner – wundern, wenn nicht gar vor den Kopf
stoßen, von welchem Realitätsverständnis Sie in Ihrem
Antrag ausgehen.
Durchgängig ist von Neoimperialismus, „Bevormun-
dungsversuchen“ oder „Preisgabe souveräner Staatlich-
keit“ die Rede. Vielleicht ist Ihnen entgangen, dass die
Region kein fürsorgebedürftiges Opfer, sondern ein
selbstbewußter Verhandlungspartner ist. Insbesondere
Brasilien leistet zunehmend Beiträge zur globalen Struk-
turpolitik und ist auf dem Wege zum Global Player. Des
Weiteren kann ich nicht sehen, dass die EU demokra-
tisch gewählte Regierungen in LAK stürzen will, wie Sie
in Ihrem Antrag behaupten. Die Entscheidung des dama-
ligen spanischen Ministerpräsidenten Aznar, die
Carmona-Regierung in Venezuela anzuerkennen, reiht
sich ein in eine Serie von groben Fehleinschätzungen
desselben und wurde glücklicherweise von den übrigen
europäischen Regierungschefs nicht mitgetragen. Ich
sehe weiterhin nicht, dass die EU den US-Plan Colombia
in Kolumbien auch nur mit einem Cent unterstützt oder
gar von ihrem Primat der Kooperation zur friedlichen
Konfliktlösung abgeht.
Wenn es zwischen unseren Regionen große Überein-
stimmungen gibt, dann in diesem Bereich. Europa sucht
eine enge Kooperation mit LAK, das im Übrigen bereits
eine atomwaffenfreie Zone ist, im Bereich der Global
Governance. Diese umfasst gerade auch Themen wie die
Nichtverbreitung von atomaren und Massenvernich-
tungswaffen.
Es überrascht nicht, dass in Ihrem Antrag keine kriti-
sche Auseinandersetzung mit dem aktuellen Zustand der
politischen Systeme in der Region stattfindet. Wie Sie
sich vorstellen können, sieht die SPD-Bundestagsfrak-
tion Probleme in Bezug auf die Konsolidierung der De-
mokratien, insbesondere in der Andenregion, welche un-
mittelbar mit der Verschärfung von sozialer Ungleichheit
und Armut zusammenhängen. Ihre einfachen Analysen
und Rezepte helfen in der globalisierten Welt von heute
aber weder dies- noch jenseits des Atlantiks.
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Schließlich ist es sehr simpel, aus der Opposition he-
aus einen höheren Mittelansatz im Bundeshaushalt zu
ordern. Dies ist durchgängiges Element des PDS-Dis-
urses. Dagegen müssen Sie in den Landesregierungen,
n denen die Linkspartei PDS Verantwortung trägt, er-
ennen, dass es in der Realität ganz anders aussieht.
anger Rede kurzer Sinn: Ihr Antrag ist realitätsfern,
indimensional und daher unverantwortlich. Eine solch
lauäugige Herangehensweise an die Kooperation mit
ateinamerika kann nicht die Zustimmung der SPD-
undestagsfraktion finden.
Der vorliegende Antrag der Bündnisgrünen scheint
ns dagegen in der Tendenz richtig. Sie wissen aus den
ergangenen sieben Jahren um die Schwierigkeiten, der
egion LAK ein höheres Profil in der deutschen Außen-
olitik zu geben. Die weltpolitischen Veränderungen im
uge von Mauerfall und EU-Erweiterung sowie die
aushälterischen Sachzwänge seit der Wiedervereini-
ung müssten Ihnen nur zu gut bekannt sein. Deswegen
in ich froh, dass Minister Steinmeier in den ersten Mo-
aten seiner Amtsführung eine Reise in die Region
urchgeführt hat. Dieses Zeichen ist bei unseren dorti-
en Partnern auch so aufgenommen worden.
Ausschlaggebend für unsere Ablehnung sind fol-
ende Gründe: Der vorliegende Antrag ist zu sehr auf
as EZ-Handeln Deutschlands und der EU konzentriert.
m bald einzubringenden Koalitionsantrag kommt dage-
en die Absicht zum Ausdruck, umfassender auf politi-
che Dimensionen der strategischen Partnerschaft einzu-
ehen. Ansatz der SPD-Fraktion ist es, den politischen
ialog auf Augenhöhe mit den Ländern der Region zu
ürdigen und zu akzentuieren. In diesem Zusammen-
ang soll der Koalitionsantrag, wie bereits erwähnt,
chlussfolgerungen aus dem Wiener Gipfel aufnehmen
nd aktuell auf die jüngsten Ereignisse in Bolivien, die
nstehenden Wahlen in der Region sowie auf die letzten
ntwicklungen bezüglich der Integrationsmechanismen
ndengemeinschaft und Mercosur eingehen.
Auch für Ihren Antrag gilt: Den Haushaltsansatz für
ie EZ mit LAK zu erhöhen, ist eine wünschenswerte,
ber vor dem Hintergrund der angespannten Haushalts-
ituation zurzeit nicht vertretbare Forderung.
Insgesamt nimmt die SPD-Fraktion eine positivere
eurteilung der Entwicklung der strategischen Partner-
chaft vor. Bei allen Schwächen des Gipfelprozesses
ollte nicht vergessen werden, dass hieran mit Rumänien
nd Bulgarien mittlerweile 60 Länder beteiligt sind. Es
andelt sich also um das größte biregionale Forum, wel-
hes rund ein Drittel der VN-Staaten repräsentiert. Der
ntensivierte politische Dialog in diesem Rahmen stellt
inen Wert an sich dar und birgt ein enormes Gestal-
ungspotenzial. Diese Tatsache sollte nicht klein geredet
erden.
Gestatten Sie mir noch einige Anmerkungen aus aktu-
llem Anlass: Beide Seiten kommen beim heutigen Gip-
el nicht in bester Verfassung an den Verhandlungstisch.
ür LAK ist zu beobachten, dass zentrifugale Kräfte in-
erhalb der Integrationsblöcke die Verhandlungen in
löcken immer schwieriger werden lassen. Die EU muss
n diesem Zusammenhang ihr Konzept des offenen Re-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 35. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Mai 2006 3039
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gionalismus überdenken. Unsere Regierungen stehen
vor der gleichen Herausforderung, wie unter den Bedin-
gungen globaler Märkte ein geeigneter Mix aus Markt
und Staat zum Nutzen breiter gesellschaftlicher Schich-
ten gefunden werden kann. Nach dem Scheitern der neo-
liberalen Strukturanpassungen hat LAK darauf verschie-
dene Antworten entwickelt.
Der viel beschriebene „Linksruck“ in Lateinamerika
muss unter diesem Gesichtspunkt differenziert betrachtet
werden. Es nützt nichts, einzelne Regierungen zu dämo-
nisieren. Die SPD-Bundestagsfraktion setzt hier auf ver-
stärkten Dialog und Einbindung. Hoffnungsträger in
diesem Zusammenhang bleiben Brasilien und der Mer-
cosur, dem es gelingen muss, seine schwache institutio-
nelle Basis zu vertiefen.
LAK benötigt unser eindeutiges Bekenntnis zur stra-
tegischen Partnerschaft, kein Lippenbekenntnis, sondern
spürbare Verbesserungen in konkreten Streitfragen wie
der Handelsmaterie. Dies gilt insbesondere hinsichtlich
des für LAK wichtigen Agrarsektors. Ich nenne hier
großzügigere Quotenregelungen, Abbau aller handels-
verzerrenden Exportsubventionen und Abschaffung der
Zolleskalation. Vom Wiener Gipfel muss ein deutliches
Signal für eine Einigung in diesen strittigen Fragen aus-
gehen, um den baldigen Abschluss des EU-Mercosur-
Assoziierungsabkommens zu ermöglichen.
Dr. Karl Addicks (FDP): Seit 1999 – also nunmehr
sieben Jahre lang – wird über die zukünftige Gestalt der
europäisch-lateinamerikanischen Zusammenarbeit ge-
sprochen. Eben auch vor sieben Jahren haben sich beide
Seiten zu einer strategischen Partnerschaft bekannt, al-
lein die Ergebnisse fehlen.
Nun beginnt am Freitag, also morgen der 4. EU-La-
teinamerika-Gipfel unter dem Motto „Stärkung der bi-
regionalen strategischen Assoziation“. Der Titel klingt
gut und soll eine Vertiefung der Wirtschaftsbeziehungen
durch interregionale Kooperations- und Assoziierungs-
abkommen zur Folge haben. Eine gemeinsame Freihan-
delszone EU-Lateinamerika muss das Ziel all dieser Ver-
handlungen, Dialoge und Diskussionen sein. Gespräche
mit den Regionalbündnissen Mercosur, der Andenge-
meinschaft und dem zentralamerikanischen Integra-
tionssystem gehen jedoch leider nur schleppend oder gar
nicht voran. Machen wir uns nichts vor: Die strategische
Partnerschaft ist wünschenswert, jedoch noch nicht
wirklich in Sicht. Der Wille ist da, nur das Fleisch ist
schwach. So lassen sich die Verhandlungen der letzten
Jahre eher umschreiben.
Sicherlich hat die veränderte politische Landschaft in
Lateinamerika und der EU das Ihre dazu getan. Dies und
der Zustand der lateinamerikanischen Regionalbünd-
nisse machen derzeit keine große Hoffnung auf einen er-
folgreichen multilateralen Abschluss. Jedoch möchte ich
nicht im Voraus die Flinte ins Korn werfen und Pessi-
mismus verbreiten. Ein Plan B in der Tasche ist aller-
dings immer von Vorteil. Nach dem Gipfel in Wien wird
sich zeigen, ob eine neue Strategie vonnöten sein wird.
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Sollte ein Scheitern der Doharunde eintreten und soll-
en auch die Verhandlungen über ein Assoziierungsab-
ommen mit Mercosur, der Andengemeinschaft und
entralamerika nicht zustande kommen, so muss die EU
lternativen suchen, finden und diese auch verfolgen.
enn wir müssen uns der Rolle der EU in Lateinamerika
ewusst sein. Sie ist in der Entwicklungszusammen-
rbeit der größte Geldgeber und nach den USA der
ichtigste Handelspartner in Lateinamerika. Den natio-
alistischen und populistischen Forderungen einzelner
üdamerikanischer Regierungen, die eine Destabilisie-
ung der lateinamerikanischen Regionalbündnisse errei-
hen wollen, muss eine klare Absage erteilt werden. Der
ipfel in Wien muss die nötigen Signale aussenden, um
in weiteres Auseinanderdriften der Regionalbündnisse
u verhindern. Dabei müssen insbesondere die Bestre-
ungen der OAS, der Organisation der amerikanischen
taaten, die ein solches Auseinanderdriften zu verhin-
ern sucht, unterstützt werden.
Wichtig ist uns der gleichberechtigte Dialog unter
artnern. Trotz der wichtigen Rohstoffvorkommen fin-
en wir in Lateinamerika auch enorme Einkommensun-
erschiede und einige Länder gehören zu den höchstver-
chuldeten der Welt. Nehmen wir einmal Bolivien als
eispiel. Hier ist doch fraglich, ob die stattgefundenen
ntschuldungsmaßnahmen – nominal wurden Bolivien
m internationalen Rahmen insgesamt 1,3 Milliarden
uro erlassen – im Sinne der Nachhaltigkeit und Wirk-
amkeit das richtige Mittel zur Armutsursachenbekämp-
ung darstellen. Eine gemeinsame Freihandelszone und
ie Unterstützung und Förderung des Kleingewerbes so-
ie des Handwerks in den Staaten von Lateinamerika
nd der Karibik sind unserer Meinung nach die besseren
ittel.
Lassen Sie mich nun zu den vorgelegten Anträgen
ommen. Der Antrag von der Fraktion des Bündnis-
es 90/Die Grünen hat durchaus unterstützenswerte Ele-
ente: die Forderung nach einem Abschluss der Ver-
andlungen EU-Mercosur, die Aufnahme der Verhand-
ungen mit der Andengemeinschaft und Zentralamerika
owie der Erhalt und die Schaffung funktionierender De-
okratien und starker Zivilgesellschaften. Dem kann
an nichts entgegenhalten. Trotzdem können wir den
ntrag hier nur ablehnen. In Anbetracht unserer derzeiti-
en Haushaltslage ist eine Forderung nach mehr Haus-
altsmitteln im Einzelplan 23 unmöglich. Stattdessen
ollte Good Governance an oberster Stelle stehen und
ei der Mittelvergabe berücksichtigt werden. Die Mittel
üssen eben effizient eingesetzt werden. Zudem ist uns
hr Antrag zu sehr auf den Umweltschutz fokussiert, der
hne Zweifel sehr wichtig ist; das ist keine Frage. Aber
assen Sie uns doch zunächst grundlegende Rahmenbe-
ingungen schaffen, bevor wir ins Detail gehen.
Der Antrag der Fraktion Die Linke spiegelt die ge-
amte Palette linker Träumereien wider: beginnend bei
er neoliberalen Wirtschaftspolitik, die als Wurzel allen
bels betrachtet wird und endend bei antieuropäischen
nd antiamerikanischen Parolen. Die Ablehnung der
reihandels-Assoziierungsabkommen, speziell mit dem
ercosur, ist ein immenser Rückschritt. Ihr Antrag be-
ibt sich mit neosozialistischen Rezepten auf einen
3040 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 35. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Mai 2006
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gefährlichen Weg. Lassen Sie uns die Ergebnisse des
Gipfels in Wien abwarten und sehen, wie die Bereit-
schaft der lateinamerikanischen Staaten in den Verhand-
lungen einzuschätzen ist. Erst dann wissen wir, ob wir
uns auf die Suche nach neuen Wegen und Strategien be-
geben müssen.
Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Die Entschei-
dung des bolivianischen Präsidenten Evo Morales, die
Erdgasfelder seines Landes zu verstaatlichen, hat eine
Tatsache auf den Punkt gebracht: Der politische Wind in
Lateinamerika hat sich gedreht. Eine Tatsache, die offen-
sichtlich gewöhnungsbedürftig ist. Nur so kann ich die
Erklärung des deutschen Außenministers, dass er in
Sorge sei, erklären. Worüber er besorgt ist, darüber ließ
uns der Herr Außenminister im Unklaren. Wenn seine
Sorge die geschichtliche Erfahrung reflektiert, dass eine
solche mutige Entscheidung in der Vergangenheit oft-
mals zu einem von der USA unterstützten Militärputsch
führte, kann ich sie verstehen; wenn allerdings der Ein-
griff in die Macht und den Einfluss multinationaler Kon-
zerne die Grundlage ist, will ich widersprechen. Ich habe
auch zur Kenntnis genommen, dass die Erklärung der
Entwicklungsministerin einen anderen Tenor hatte.
An Lateinamerika wird besonders deutlich, dass der
Neoliberalismus seinen Zenit überschritten hat, seine
Akzeptanz in den Bevölkerungen zu bröckeln beginnt.
Schwer wird es sein, die Zerstörungen, die drei Jahr-
zehnte Marktradikalismus hinterlassen, im Sinne von
Solidität, Solidarität und Gerechtigkeit, von Ausgleich
und Sozialstaatlichkeit aufzuarbeiten. Genau vor dieser
Aufgabe stehen Politikerinnen und Politiker, die heute
das neue Lateinamerika verkörpern. Ich denke dabei an
Chávez in Venezuela, Kirchner in Argentinien, Lula in
Brasilien, Morales in Bolivien und viele mehr. Ich denke
aber auch an die Opfer der Militärdiktaturen und Putsche
in Chile, Guatemala, El Salvador, Uruguay und vielen
anderen Staaten. Für sie alle steht ein Name, der hier
genannt werden muss: Salvador Allende. Er ist den
Golgathaweg von Befreiung und Gerechtigkeit bis zum
bitteren Ende gegangen. Ganz in diesem Sinne sollten
wir noch einmal deutlich machen, dass deutsche Politik
sich nachhaltig für die Einhaltung der Friedensverträge
und der Menschenrechte in Guatemala und El Salvador
einsetzt und dass wir zum Beispiel für Demokratie, so-
zialen Ausgleich und für ein Ende des Bürgerkrieges in
Kolumbien eintreten.
Zur neuen Politik in Lateinamerika gehört, dass die
Länder Schritt für Schritt zu mehr Zusammenarbeit fin-
den und sich aus der Dominanz und Vorherrschaft der
USA lösen. Deshalb ist der Bush-Vorschlag für eine
Freihandelszone nach den Interessen der USA geschei-
tert. Die lateinamerikanische Zusammenarbeit, eine La-
teinamerika-Union, wächst von unten und wird auch
keine Kopie der EU werden.
Deshalb sollte der Gipfel EU-Lateinamerika nicht pri-
mär ein Wirtschaftsgipfel sein. Europa kann zu einem
wichtigen Partner Lateinamerikas werden. Das aber nur,
wenn Europa keine Kopie der USA ist und wird, sondern
wenn Europa alternativ ist, und ein anderes Europa ist
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öglich. Die Verträge mit Lateinamerika müssen sozial-
taatlich gebunden sein und auf Armutsbekämpfung zie-
en. Lateinamerika als „Markt“ für Demokratie und So-
iales und nicht als Markt für Waffen, dahin sollte sich
ie EU orientieren.
Es muss endlich Widerstand aufgebaut werden:
ensch, Tiere und Pflanzen dürfen nicht länger Objekte
er Genpatentierung, kapitalistischer Verwertungsbedin-
ungen sein. Zu einer neuen Lateinamerikapolitik gehört
uch eine neue Kubapolitik, die mit einer Absage an US-
mbargos und Boykotte dazu beiträgt, dass Freiräume
ür Bürgerinnen und Bürger wachsen, dass soziale und
olitische Rechte zusammenfinden.
Wenn die Zusammenarbeit EU-Lateinamerika eine
eue Qualität erreichen soll, muss sich auch die EU ver-
ndern. Um zu meinem Ausgangspunkt zurückzukehren:
enn ein Staat seine Ressourcen in das Eigentum der
ürgerinnen und Bürger zurückholt, sollte er aus
eutschland nichts von Sorgen hören, sondern Unter-
tützung erfahren. Ein „Bravo“ vom Außenminister
äre auch eine Antwort auf Morales gewesen.
Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die
nkündigung des bolivianischen Präsidenten Evo
orales, die Gas- und Ölförderung in Bolivien zu ver-
taatlichen, hat nicht nur dieses ärmste Land Südameri-
as auf die Titelseiten der internationalen Presse ge-
racht. Die Maßnahme hat auch bewirkt, dass die Politik
es ganzen Subkontinents unter den starken Verdacht
on Populismus, Sozialismus und Dirigismus geraten ist.
ateinamerika auf Linkskurs, zurück in die Vergangen-
eit, in die Arme des Revolutionsopas Fidel Castro? Wie
erhalten wir uns?
Nehmen wir uns zunächst ein Beispiel an den Regie-
ungen Spaniens und Brasiliens, die durch die ange-
rohte Verstaatlichung als Investoren bzw. in ihrer Gas-
ersorgungssicherheit am meisten betroffen sind. Sie
etzen auf Verhandlungen und Kooperation. Spaniens
egierungsführer Zapatero trifft sich beim EU-Latein-
merika-Gipfel in Wien mit Morales. Repressalien wie
ie etwaige Einstellung der Entwicklungshilfe hat er be-
eits im Vorfeld ausgeschlossen.
Wie sieht es mit unserer und der europäischen Hal-
ung zum „Linksruck“ in Lateinamerika aus? Die politi-
chen Veränderungen, die sich in den Wahlergebnissen
eit dem letzten Jahr abzeichnen, bedeuten in der Tat ei-
en Richtungswechsel. Dabei sind aber weder die ge-
ählten Präsidenten Sozialisten noch gehen die Wähler
it dem marxistischen Manifest unterm Arm zu den
ahlurnen. Was die neuen Führer und ihr Wahlvolk zu-
inander bringt, ist das Verlangen nach einer anderen
olitik, vor allem nach mehr sozialer und ethnischer Ge-
echtigkeit.
Für die Menschen in Lateinamerika ist die neoliberale
olitik, die den Diktaturen der 70er-Jahre folgte, ge-
cheitert. Den Gürtel enger zu schnallen, die Staatsbe-
riebe an ausländische Investoren zu verschleudern, die
ärkte für Handel und Finanzen weit zu öffnen – es hat
icht die versprochenen Ergebnisse gebracht Obwohl
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 35. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Mai 2006 3041
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Argentinien und Bolivien Musterschüler dieser von
Washington verordneten Politik waren, können die Men-
schen nicht erkennen, dass es ihnen nach 20 Jahren
Marktreformen besser geht. Ökonomisch und politisch
ist der Washington Consensus gescheitert. Aus diesem
Grund werden heute in Lateinamerika vor allem diejeni-
gen gewählt, die über das „Imperium“, die USA und ihre
Erfüllungsgehilfen – den IWF und die Weltbank – her-
ziehen. Mag diese Politik auch noch so holzschnittartig
sein, sie trifft die lateinamerikanische Volksseele.
Dadurch entstehen Gefahren, aber auch Möglichkei-
ten. Gefährlich sind Manipulationen von Demagogen
und Populisten immer. Hugo Chávez verkörpert viel von
dem, was den klassischen Populismus ausmacht: messia-
nische Führerschaft, antiamerikanische Rhetorik, pater-
nalistische Geldgeschenke und staatlich organisierte
Volksmobilisierung. Gefährlich sind die überhöhten Er-
wartungen in die neuen Führer, die meistens schnell zur
Enttäuschung führen. Gefährlich ist schließlich die poli-
tische Isolierung, die mögliche Einmauerung in einer
castroschen Revolutionsburg. Diese Gefahren mögen für
einige Länder und Führungspersönlichkeiten bestehen,
haben aber für das Gros Lateinamerikas keine Bedeu-
tung, weil ihre Präsidenten weder Populisten sind noch
von Kuba gesteuert werden.
Positiv ist das in den deutlichen Wahlsiegen zum Aus-
druck gebrachte Verlangen nach sozialen Reformen und
nach einer Einbeziehung der bisher rechtlosen indigenen
Bevölkerung. Positiv ist auch der Wunsch nach einer
deutlichen Differenzierung in den Außenbeziehungen
sowie der ausgesprochene Wille zur regionalen Integra-
tion.
Die EU sollte diese positiven Ansätze nutzen, um eine
echte strategische Partnerschaft mit Lateinamerika auf-
zubauen. Inhaltlich soll sich die enge Kooperation auf
die politische und wirtschaftliche Unterstützung der re-
gionalen Integration á la Mercosur, eine enge umweit-
und energiepolitische Zusammenarbeit, die Förderung
der demokratischen Konsolidierung und der Menschen-
rechte sowie der Kooperation im Hochschulbereich kon-
zentrieren. Um in diesen Bereichen deutlich Flagge zu
zeigen, gilt es auch die Mittel aufzustocken, auf EU-
Ebene und bilateral. Das heißt konkret, auch im
Einzelplan 23 für die Haushaltsjahre ab 2006 entspre-
chende Verpflichtungsermächtigungen und Barmittel zur
Verfügung zu stellen.
Seit 1999 reden wir nun von strategischer Partner-
schaft zwischen der EU und Lateinamerika. Seit Jahren
sehen wir jedoch ein strategisches Auf-der-Stelle-Treten.
Die antagonistischen Positionen in den multilateralen
und biregionalen Handelsverhandiungen sprechen für
sich. Europa ist nicht bereit, sich für wichtige Exporte
aus Lateinamerika zu öffnen. Gerade dies wäre jedoch
ausschlaggebend, um die regionale Integration a la
Mercosur, ein Modell, das sich eng an die europäische
Integration anlehnt, politisch und wirtschaftlich zu stär-
ken.
Von europäischer Seite fehlt auch ein entschiedenes
Eintreten in den internationalen Finanzinstitutionen, um
die weiterhin erdrückende und verhängnisvolle Schul-
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enlast zu entschärfen, die seit den frühen 80er-Jahren
u periodischen schmerzhaften Krisen führt. Viele Län-
er müssen 20, 30 und mehr Prozent ihrer staatlichen
usgaben für Zinszahlungen aufwenden, Geld, das für
nvestitionen in Gesundheit und Bildung fehlt. Die la-
einamerikanischen Länder müssen selbstverständlich
ber auch selbst dazu beitragen, dass ihre Finanzkraft für
oziale Investitionen steigt und die Einkommen gerech-
er verteilt werden. Ein effizientes Steuersystem, das
uch die reichen Grundbesitzer und die Bezieher von
apitaleinkommen in die Pflicht nimmt, ist eine Voraus-
etzung dafür.
Angesichts der aktuellen Entwicklungen bei Klima-
eränderungen und Energiemärkten wird eine zukunfts-
eisende umwelt- und energiepolitische Zusammenar-
eit immer vordringlicher. Bei der Energiepolitik gibt es
ur einen zukunftstauglichen Weg: Weg vom Öl und hin
u alternativen Energien. Wir haben 2004 erreicht, dass
m Einvernehmen mit der brasilianischen Regierung
erhandlungen über die Beendigung des deutsch-brasi-
ianischen Atomabkommens von 1975 und dessen Ersatz
urch einen neuen, nicht atomaren Energievertrag aufge-
ommen wurden. Im Zentrum dieses neuen Vertrages
ollen, so die Willenserklärung beider Seiten, erneuer-
are Energien, die Verbesserung der Energieeffizienz,
nergieeinsparungen und Emissionsminderungen ste-
en. Bedauerlicherweise konnte die Bundesregierung
isher keinen Entwurf für einen neuen Energievertrag
orlegen. Wir sehen eine große Chance, durch einen sol-
hen Vertrag mit Brasilien eine strategische Energiepart-
erschaft im nicht atomaren und nicht fossilen Bereich
ufzubauen, die im Geiste des Klimaschutzes und einer
achhaltigen Energiepolitik steht.
Die aktuellen Turbulenzen auf den Energiemärkten
eigen, dass auch Biokraftstoffe große Entwick-
ungschancen bieten. Brasilien ist Marktführer in Bio-
thanol und arbeitet an einem ambitionierten Programm
ur Gewinnung von Biodiesel, das die soziale Integra-
ion von Kleinproduzenten im Nordosten des Landes ins
entrum stellt. Biotreibstoffe haben ein großes Poten-
ial. Dabei muss aber darauf geachtet werden, dass Min-
eststandards bezüglich der Nachhaltigkeit des Anbaus
er Pflanzen sowie der Kraftstofferzeugung eingehalten
erden.
Es gibt viel zu tun. Wenn wir die strategische Partner-
chaft wollen, dann sollten wir uns auf dem mittlerweile
chon 4. EU-Lateinamerika-Gipfel dafür entscheiden.
nlage 5
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zum
Pfändungsschutz der Altersvorsorge und zur
Anpassung des Rechts der Insolvenzanfechtung
(Tagesordnungspunkt 19)
Dr. Günter Krings (CDU/CSU): Eigentlich diskutie-
en wir heute über zwei Gesetzentwürfe; denn thema-
isch haben der Pfändungsschutz für die Altersvorsorge
3042 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 35. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Mai 2006
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und die Anpassung des Rechts zur Insolvenzanfechtung
keine Berührungspunkte. Daher möchte ich zunächst auf
die angestrebte Änderung zum Pfändungsschutz einge-
hen.
Kümmert sich ein Selbstständiger in Deutschland um
seine Altersvorsorge, kann er dies immer nur unter Vor-
behalt tun. Denn letzte Sicherheit erlangt er nie, ob er an
seinem Lebensabend auch tatsächlich auf die geplante
Alterssicherung zurückgreifen kann. Im Zweifel hat er
nämlich die Rechnung ohne den Gerichtsvollzieher ge-
macht. Die private Altersvorsorge der Selbstständigen
genießt keinen Pfändungsschutz, sondern unterliegt im
schlechtesten Fall der Einzel- oder Gesamtvollstre-
ckung. Obwohl der Selbstständige eigentlich alles rich-
tig gemacht hat und private Vorsorge betrieben hat, um
im Alter nicht staatlich alimentiert zu werden, wird er
für sein vorausschauendes Verhalten bestraft und steht
ohne eigene Altersvorsorge dar.
Ein derartiger Vorschlag würde bei der Diskussion um
eine stärkere private Alterssicherung von Arbeitnehmern
neben der gesetzlichen Rentenversicherung allenfalls
Verwunderung hervorrufen. Man könnte sich wohl kaum
vorstellen, zu versuchen, den Menschen die Riesterrente
näher zu bringen, wenn man ihnen gleichzeitig eröffnen
würde, dass die eingezahlten Beiträge komplett der
Pfändung unterliegen und sie damit im Zweifel sogar
gänzlich leer ausgehen können. Dies bei Arbeitnehmern
eben nicht zu tun, hat seinen Grund und dieser Grund
muss auch bei den Selbstständigen gelten, gerade dann,
wenn wir mehr Menschen zum Weg in die Selbstständig-
keit ermutigen wollen. Zum Zeitpunkt des Abschlusses
einer privaten Versicherung sollen sie die Gewissheit ha-
ben, dass sie nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsle-
ben über eine Alterssicherung verfügen können, die aus
einer eigenen Versicherungsleistung finanziert wurde.
Daher begrüßen wir als CDU/CSU-Bundestagsfrak-
tion außerordentlich diesen Gesetzentwurf der Bundes-
regierung, der die Alterssicherung der Selbstständigen
grundsätzlich von dem Damoklesschwert der Pfändung
befreit. Dabei stellt der Regierungsentwurf nicht jede
Form der Alterssicherung unter den Pfändungsschutz,
sondern aus dem angesparten Vorsorgekapital muss sich
ein Anspruch auf eine laufende Leistung ergeben. Ent-
scheidend ist also, dass der Selbstständige auch tatsäch-
lich eine Rentenzahlung am Ende seines Berufslebens
erhält, die ihm die Existenz sichert und damit zugleich
sicherstellt, dass er nicht zum Empfänger staatlicher So-
zialtransfers werden muss.
Daher ist es richtig, keine Vorsorgeprodukte zu schüt-
zen, bei denen es zum Schluss zu einer Auszahlung von
frei verfügbarem Kapital statt einer Rente kommt. Hier
würde eine zu große Missbrauchsgefahr entstehen, so-
wohl was die Absicherung im Alter als auch was die
Zahlung von Versicherungsbeiträgen während der Be-
rufszeit angeht. Mit der Verwendung des Wortes „Rente“
fällt der Gesetzestext indes keine Entscheidung für ein
bestimmtes Versicherungsprodukt, sondern ist neutral
formuliert. Die Bundesregierung hat aber selbst ange-
merkt, dass faktisch von dem Pfändungsschutz nur Kapi-
tallebensversicherung und private Rentenversicherungen
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rofitieren und andere Versicherungstypen zunächst au-
en vor bleiben.
Es ist der Bundesregierung mit Sicherheit zuzugeste-
en, dass sich die Ausweitung auf andere Kapitalanlage-
ormen nicht so einfach gestaltet wie bei den beiden eben
erade erwähnten, die auch zu den verbreitesten gehören.
aher unterstützten wir die Bundesregierung ausdrück-
ich in ihrer Haltung, die Einbeziehung weiterer Alters-
icherungsanlagen in den Pfändungsschutz zu prüfen und
abei vor allen Dingen einen Blick über die nationalen
renzen hinaus zu wagen. Durch eine rechtsverglei-
hende Untersuchung können sich neue Erkenntnisse
ber alternative Kapitalanlagen für die Altersvorsorge er-
eben, die im Moment noch nicht in unserem Blickfeld
ind.
Für mich stellt sich aber die Frage, ob man nicht besser
unächst das derzeit erarbeitete rechtsvergleichende Gut-
chten abwarten sollte, um einen umfassenden Katalog
n Versicherungsprodukten für Selbstständige aufzu-
tellen, aus dem sie die für sie beste Altersvorsorge
uswählen können. Ansonsten würde man ohne Not Ka-
itallebensversicherungen und privaten Rentenversiche-
ungen einen einseitigen Wettbewerbsvorteil verschaffen
nd letztlich den Versicherungswettbewerb verzerren.
Wenn ich die Wahl habe zwischen einer Versicherung,
uf die Dritte nicht zugreifen können, und einer Versi-
herung, die der Einzel- und Gesamtvollstreckung unter-
iegt, dann dürfte meine Entscheidung ziemlich schnell
ür erstere ausfallen. Daher sollte man die Beratungen
m Bundestag dazu nutzen, nochmals zu prüfen, ob man
icht schon jetzt einen Ansatz wählt, der über die Kapi-
allebensversicherung und die private Rentenversiche-
ung hinausgeht.
Wenn man Selbstständigen die Möglichkeit einer si-
heren Altersvorsorge zugestehen will, darf man beste-
ende Versicherungsverträge nicht einfach außen vor
assen. Zwar haben die Selbstständigen bei Abschluss
hrer Altersverträge gewusst, dass sie im Zweifel ge-
fändet werden können, aber dies ändert nichts an dem
mstand, dass sie Vorsorge für ihr Alter betrieben ha-
en. Auch die Altersverträge gehören daher unter den
fändungsschutz. Die gesetzlich vorgesehene Möglich-
eit der Umwandlung einer pfändbaren Altersversiche-
ung in eine unpfändbare, so wie dies in § 173 VVG ge-
egelt wird, ist daher der richtige Weg.
Mit diesem Gesetzentwurf beraten wir aber nicht nur
ber den Pfändungsschutz bei der Altersvorsorge von
elbstständigen, sondern auch über Änderungen bei der
nsolvenzanfechtung.
Im Gegensatz zu den Überlegungen zum Pfändungs-
chutz sehe ich hier noch einigen Beratungs- und Klä-
ungsbedarf während des parlamentarischen Gesetzge-
ungsverfahrens.
Ziel des Insolvenzverfahrens sollte es nicht in erster
inie sein, eine Firma zu liquidieren, sondern ein Unter-
ehmen, das in eine wirtschaftliche Notlage geraten ist,
ür den Markt wieder fit zu machen. Sicherlich darf da-
ei die Sicht der Gläubiger nicht aus dem Auge verloren
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werden. Doch ein saniertes Unternehmen hilft letztend-
lich auch den Gläubigern eher, als wenn sie komplett auf
ihren Forderungen durch die Auflösung des Unterneh-
mens sitzen bleiben oder nur zu einem ganz geringen
Teil befriedigt werden.
Es sind aber nicht nur private Gläubiger, die das Opfer
einer Unternehmensinsolvenz werden können, sondern
auch die öffentliche Hand ist nicht vor Forderungsausfäl-
len geschützt. Das bedauern nicht nur die Finanzminister.
Wenn es aber um die Frage geht, wer letztendlich auf sei-
nen Kosten sitzen bleibt, dann kann und darf es aus mei-
ner Sicht keine Bevorzugung für öffentliche Gläubiger
geben. Dem Handwerker, der einen Forderungsausfall zu
beklagen hat, kann es um die Existenz gehen, und er hat
zu Recht kein Verständnis dafür, dass der Staat im Falle
einer Insolvenz besser gestellt wäre als er.
So nützt die geplante Änderung in § 14 Abs. 1 InsO
überwiegend den Sozialversicherungsträgern, denn zu-
künftig soll ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzver-
fahrens nicht allein schon dadurch unzulässig werden,
dass der Schuldner nach der Antragstellung die Forde-
rung erfüllt. Zwar mag man hier dem Sozialversiche-
rungsträger die Besonderheit zugeben, dass sie die Ver-
bindung zum Schuldner nicht einseitig aufkündigen
können. Aber ich frage mich, wie es der Sozialversiche-
rungsträger denn in der Praxis feststellen will, wann
neue Verbindlichkeiten auf absehbare Zeit entstehen
werden, die eine Aufrechterhaltung des Antrags recht-
fertigen würde.
Dem Regierungsentwurf ist ohne weiteres zuzugeste-
hen, dass er mit der Besserstellung von Gläubigern aus
Dauerschuldverhältnissen einer besonderen Problemlage
im Rahmen des Insolvenzrechts Rechnung tragen will.
Der Antrag für ein Insolvenzverfahren setzt aber aus gu-
tem Grund nach geltendem Recht ein rechtliches Inte-
resse voraus. Diese Voraussetzung wird aber faktisch
aufgehoben, wenn ein Insolvenzantrag unabhängig von
einer ausstehenden Forderung weiterverfolgt werden
kann. Worin soll denn aber das rechtliche Interesse be-
stehen, wenn es keine konkrete und fällige Forderung
gibt?
Es ist selbstverständlich ärgerlich, dass der Fiskus al-
lein im letzten Jahr Umsatzsteuerausfälle in Höhe von
177 Millionen Euro hinnehmen musste. Aber die Lösung
dieses Problems kann nicht darin liegen, Steuer- und Ab-
gabeforderungen des Staates gegenüber anderen Forde-
rungen aus Dauerschuldverhältnissen von Vermietern
oder Pächtern zu privilegieren. Die Aufwertung von
Steuer- und Abgabeforderungen zur Masseverbindlich-
keit schmälert die Insolvenzmasse, die letztendlich wie-
derum den privaten Gläubiger trifft, der auf seinen
Forderungen sitzen bleibt. Der vermeintliche Verbesse-
rungsvorschlag der Bundesregierung in ihrer Gegenäu-
ßerung gegenüber der Stellungnahme des Bundesrates
stellt daher keine Alternative dar, sondern verwandelt
eine zumindest in ihrer Intention nachvollziehbare Hilfe
für Gläubiger von Dauerschuldverhältnissen in eine
platte Selbstprivilegierung des Staates. Diese Gegen-
äußerung lässt, offen gestanden, das ganze Projekt nach-
träglich in einem verdächtigten Licht erscheinen.
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Wir sollten daher an dieser Stelle sehr sensibel vorge-
en, denn die Änderung mag zwar dem Staat zunächst
islang ausfallende Gelder in die Kasse spülen. Aber die
77 Millionen Euro fehlen nachher an anderer Stelle –
prich: in der Insolvenzmasse und bei den privaten Gläu-
igern. Viele kleine und mittelständische Unternehmen
ind noch weniger als der Staat in der Lage, größere For-
erungsausfälle hinzunehmen. Sie drohen dann selbst zu
inem Fall für den Insolvenzrichter zu werden. Daher
arf es nicht darauf hinauslaufen, dass Arbeitsplätze ge-
ährdet werden und der Staat Kosten an anderer Stelle
ufbringen muss, die 177 Millionen Euro leicht über-
chreiten könnten.
Die konkreten Vorschläge zur Änderung der Insolvenz-
nfechtung gehen in dieselbe Richtung und bedürfen da-
er auch noch einer eingehenden Prüfung. Exemplarisch
öchte ich hier nur die Ergänzung des § 131 Abs. l InsO
ennen. Auch er läuft auf eine Besserstellung von Fiskus
nd Sozialversicherungsträger hinaus, die das Privileg
enießen, Forderungen selbst titulieren und vollstrecken
u können. Nach dem Gesetzentwurf der Bundesregie-
ung sollen zukünftig durch Zwangsvollstreckung reali-
ierte Forderungszahlungen nicht mehr unter die Insol-
enzanfechtung fallen, obwohl die Behörden durch die
ornahme der Zwangsvollstreckung Bedenken hinsicht-
ich der Solvenz des Schuldners deutlich zum Ausdruck
ringt. So lobenswert die Absicht der Bundesregierung
st, Forderungsausfälle für den Staat durch Insolvenzen
o gering wie möglich zu halten, darf auch hier wie-
erum nicht vergessen werden, dass es neben dem Staat
uch noch andere Gläubiger gibt, die ihre Ansprüche
icht mehr realisieren können.
Die Intention der Änderungsvorschläge im Insolvenz-
echt verstehen und teilen wir. Einnahmeausfälle in drei-
telliger Millionenhöhe schmerzen in Zeiten knapper
taatsfinanzen in besonderem Maße. Da wir aber Verant-
ortung tragen nicht nur für die Finanzen des Staates,
ondern auch für eine Chancengleichheit aller Gläubiger
m Insolvenzverfahren, werden wir uns nach dieser ers-
en Lesung einer intensiven Diskussion stellen müssen,
ie das Ziel verfolgen muss, eine gleichmäßige Risiko-
erteilung unter den Gläubigern zu erzielen. Ob eine be-
ondere Behandlung von Dauerschuldverhältnissen dann
innvoll, problematisch und notwendig ist, werden wir
aher sorgfältig analysieren.
Dirk Manzewski (SPD): Wir debattieren hier heute
ber einen Gesetzentwurf der Bundesregierung, der zwei
spekte beinhaltet.
Zum einen geht es um den Pfändungsschutz der Al-
ersvorsorge insbesondere von Selbstständigen. Hier ha-
en wir nämlich das Problem, dass diese in der Regel
um Aufbau ihrer Altersvorsorge eine Alterssicherung
ählen, die im vollen Umfang der Pfändung unterliegt.
ies hat im Falle einer Pfändung nicht selten zur Folge,
ass der Staat im Alter mit Steuermitteln aushelfen
uss, obwohl der Selbstständige eigentlich fürs Alter
rivat vorgesorgt hatte.
Es kann aber nicht sein, dass die extensive Anwen-
ung einer Vollstreckung dazu führt, dass jemand, der ei-
entlich privat hinreichend Vorsorge betrieben hat, nur
3044 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 35. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Mai 2006
(A) )
(B) )
hierdurch von öffentlicher Fürsorge abhängig würde. Ich
teile daher die Auffassung der Bundesregierung, dass in-
soweit ein wirksamer Pfändungsschutz notwendig ist,
um Sozialbedürftigkeit aufgrund von Zwangsvollstre-
ckungen zu verhindern. Die Bundesregierung weist
meiner Auffassung nach auch zu Recht darauf hin, dass
hierdurch dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung ent-
sprochen werden würde, da die öffentlich-rechtlichen
Rentenleistungen dem Pfändungszugriff so nicht unter-
liegen.
Hinzu kommt – auch diese Einschätzung halte ich für
richtig –, dass hierdurch ein weiterer Anreiz für eine pri-
vate Altersvorsorge geschaffen wird, und zwar nicht nur
für Selbstständige, sondern auch für die Bezieher gesetz-
licher Renten als weitere Säule. Die politische Forde-
rung nach privater Vorsorge würde dieses Gesetz damit
tatkräftig unterstützen.
Natürlich darf es nicht sein, dass der neu eingeführte
Pfändungsschutz nun dazu ausgenutzt wird, Vermögens-
werte rechtsmissbräuchlich dem Gläubigerzugriff zu
entziehen. Völlig zu Recht wird im Gesetzentwurf des-
halb deutlich gemacht, dass der Pfändungsschutz selbst-
verständlich nur auf das Vorsorgekapital beschränkt
wird, das unwiderruflich der Altersvorsorge gewidmet
ist. Richtig ist deshalb auch, dass gewährleistet sein
muss, dass die Leistung erst mit Eintritt des Rentenfalls
bzw. nicht vor Vollendung des 60. Lebensjahrs oder bei
Berufsunfähigkeit erbracht wird und nicht den Bestim-
mungen eines Dritten, außer für den Todesfall, unterlie-
gen darf. Außerdem wird der Pfändungsschutz auf einen
Bedarf begrenzt, der für die Existenzsicherung im Alter
notwendig ist.
Während ich die Intention dieses Teils des Gesetzes
für sinnvoll halte, sehe ich, soweit mit diesem Gesetz
zum anderen eine so genannte Anpassung der Insolvenz-
anfechtung begehrt wird, noch Beratungsbedarf. Die
Bundesregierung weist darauf hin, dass den Sozialkas-
sen jährlich mehrere 100 Millionen Euro an Beitragsauf-
kommen im Wege der Insolvenzanfechtung durch Insol-
venzverwalter entzogen werden. Ich kann deshalb aus
Sicht der Bundesregierung durchaus nachvollziehen,
wenn man insbesondere mit Blick auf die Sozialversi-
cherungsträger das Anfechtungsrecht einschränken
möchte. Die Sozialversicherungsträger haben zugegebe-
nermaßen das Problem, stets zur Leistung verpflichtet zu
bleiben, da das Sozialversicherungsverhältnis kraft Ge-
setzes entsteht.
Ich teile allerdings nicht die feste Überzeugung der
Bundesregierung, dass man mit dem Gesetz dem so ge-
nannten Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung un-
problematisch Genüge geleistet hat, und habe so meine
Bedenken, ob hier nicht die Sozialversicherungsträger
gegenüber anderen Gläubigern unangemessen privile-
giert worden sind. Dies werden wir klären müssen.
Ebenso ist zu prüfen, ob wir es nicht doch dabei belassen
sollten, dass bei Zahlungen aller Verbindlichkeiten ein
Antrag unzulässig wird.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich bin schon
seit langem der Auffassung, dass wir einmal intensiv
darüber diskutieren müssen, ob das geltende Anfech-
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ungsrecht tatsächlich noch den Gläubigern dient bzw.
er Fortführung von Betrieben und damit dem Erhalt
on Arbeitsplätzen. Insbesondere an Letzterem muss
ich der vorliegende Gesetzentwurf aber messen lassen.
Mechthild Dyckmans (FDP): Der heute zu bera-
ende Gesetzentwurf der Bundesregierung enthält Licht
nd Schatten. Die vorgeschlagenen Regelungen zur
chaffung eines Pfändungsschutzes für die Altersversor-
ung und Altersvorsorge von Selbstständigen und die
amit verbundenen Änderungen des Versicherungsver-
ragsgesetzes erscheinen insgesamt schlüssig.
Mit diesen Neuregelungen sollen selbstständige Un-
ernehmer besser als bisher abgesichert werden. Bislang
ind Vermögenswerte, die Selbstständige für ihre Alters-
orsorge vorgesehen haben, ohne ausreichenden Pfän-
ungsschutz dem Gläubigerzugriff ausgesetzt. Selbst-
tändige sind damit gegenüber abhängig Beschäftigten,
eren Rentenansprüche nur wie Arbeitseinkommen ge-
fändet werden können, benachteiligt. Diese Ungleich-
ehandlung ist nicht gerechtfertigt. Sie ist ungerecht und
asst nicht zur Kultur der Selbstständigkeit, die es zu
ördern gilt.
Die Schaffung eines solchen Pfändungsschutzes liegt
ber nicht nur im Interesse der Selbstständigen, sie liegt
uch im Interesse der anderenfalls eintrittspflichtigen
llgemeinheit und entlastet diese von Sozialleistungen.
Der Gesetzentwurf sieht vor, die in Deutschland am
eitesten verbreitete Form der Alterssicherung, die Le-
ensversicherung, vor einem schrankenlosen Pfändungs-
ugriff zu schützen. Dies kann aber nur ein erster Schritt
ein. Ziel muss es sein, zukünftig alle Anlageformen der
ltersvorsorge gleichermaßen zu schützen. Dies ist auch
in Gebot der Wettbewerbsneutralität. Die Bundesregie-
ung sollte sich daher verpflichten, zeitnah über die mit
em Pfändungsschutz der Lebensversicherungen ge-
achten Erfahrungen zu berichten.
Wo Licht ist, da ist auch Schatten. Das zeigt der Ge-
etzentwurf ganz deutlich. Die in Art. 2 des Entwurfs
orgeschlagenen Änderungen der Insolvenzordnung
ind nicht gelungen und so für die FDP nicht zustim-
ungsfähig. Diese Änderungen zielen vor allem darauf,
ffentlich-rechtlichen Gläubigern eine bessere Stellung
m Rahmen der Insolvenz einzuräumen. Damit kehren
ie einige grundlegende Ansätze der Reform des Insol-
enzrechts in ihr Gegenteil um. Das Ziel, die Vermö-
ensmasse zusammenzuhalten, um den Betrieb weiter-
ühren und Arbeitsplätze erhalten zu können, gerät aus
em Blick. Der Grundsatz der Gleichbehandlung aller
läubiger gerät unter die Räder fiskalpolitischer Interes-
en. Die Insolvenzordnung sollte ursprünglich gerade
urch Abschaffung der Fiskalvorrechte die Insolvenz-
asse erhöhen, was nunmehr, offensichtlich aufgrund
er konkreten Haushaltslage der betroffenen Gläubiger,
ieder beseitigt wird.
Im Einzelnen ist auf Folgendes hinzuweisen: Die Be-
timmung, dass ein Insolvenzantrag nicht alleine dadurch
nzulässig werde, dass der Schuldner nach Antragstellung
ie Forderung erfüllt, Art. 2 des Gesetzentwurfes – § 14
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 35. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Mai 2006 3045
(A) )
(B) )
Abs. l Satz 2 Insolvenzordnung –, erweist sich bei Lichte
betrachtet als Schutzvorschrift für Sozialversicherungs-
träger und damit als gesetzgeberische Berücksichtigung
von Partikularinteressen. Es besteht zudem die Gefahr,
dass der Eröffnungsantrag noch mehr als bisher als
Druckmittel gegen den Schuldner eingesetzt wird. Die
Fortführung und Sanierung nur vorübergehend zah-
lungsschwacher Betriebe würde hierdurch erheblich ge-
fährdet.
Auch gegen die beabsichtigte Änderung des § 55
Abs. 2 Insolvenzordnung bestehen Bedenken. Die Auf-
wertung der im Eröffnungsverfahren begründeten Ver-
bindlichkeiten aus Dauerschuldverhältnissen zu Masse-
verbindlichkeiten vereitelt Sanierungschancen und läuft
damit einem wesentlichen Ziel der Insolvenzrechtsre-
form zuwider. Zu Recht weist der Bundesrat darauf hin,
dass hierdurch die mit der Insolvenzordnung angestrebte
Trendwende vom Zerschlagungsprinzip hin zur Sanie-
rung von Unternehmen infrage gestellt wird. Erfreulich
ist, dass sich die Bundesregierung ausweislich ihrer Ge-
genäußerung in diesem Punkt gesprächsbereit zeigt.
Gänzlich misslungen ist und bleibt die Neuregelung
des Anfechtungsrechts. Die vorgeschlagene Gesetzesän-
derung ist und bleibt eine systemwidrige Bevorzugung
der Sozialkassen. Diese Privilegierung öffentlich-rechtli-
cher Gläubiger führt zwangsläufig zu einer Diskriminie-
rung privater Gläubiger. Die FDP ist gegen jede Form
von Diskriminierung und wird sie auch an dieser Stelle
entschieden bekämpfen.
Hier ist es auch nicht mit der zaghaften Prüfbitte des
Bundesrates getan, im weiteren Verlauf des Gesetzge-
bungsverfahrens darüber nachzudenken, ob den Interes-
sen öffentlich-rechtlicher Gläubiger in schonender Weise
Rechnung getragen werden könne. Hier ist ein klares
Bekenntnis zum Grundsatz der Gleichbehandlung aller
Gläubiger gefordert.
Wenn sich die Bundesregierung in diesem Punkt nicht
bewegt, sieht die FDP keine Möglichkeit, dem Gesetz-
entwurf zuzustimmen.
Wolfgang Nešković (DIE LINKE): Als der vorlie-
gende Entwurf erstmals im Sommer der Agonie von
Rot-Grün das Licht der Öffentlichkeit erblickte, gab es
einen unvergleichlichen Sturm der Entrüstung und Ab-
lehnung aus der gesamten Fachöffentlichkeit, aus den
Verbänden und seitens der Richter. Auch der Bundesrat
meldete scharfen Widerspruch an. Das Wort von der
„staatlich legalisierten Ausplünderung“ Leipziger Volks-
zeitung vom 26. August 2005 von der „Bananenrepu-
blik“ Förster ZInsO 2005, 785 und von den „langen Fin-
gern der Finanz- und Sozialämter“ Businessportal
24.com vom 17. August 2005 machte die Runde.
Das Bundesministerium der Justiz – als Verfasser des
Entwurfes – sah sich öffentlich und unwidersprochen
dem Vorwurf der Täuschung der Öffentlichkeit und der
Lüge bezüglich der rechtlichen und sachlichen Motive
des Entwurfes ausgesetzt – Huber ZlnsO 2005, 786ff. –
und die Wirtschaftsverbände warnten vor einem drohen-
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en Verlust von Arbeitsplätzen und einer Verschlechte-
ung der Sanierungschancen für die Unternehmen.
Nun liegt uns dieser Entwurf in unveränderter Form
or. Unverändert geblieben ist nicht nur der Text des Ge-
etzentwurfes. Weitgehend unverändert blieb auch des-
en Begründungsteil. Dort suchen wir nämlich verge-
ens nach einer echten Auseinandersetzung mit der
oeben erwähnten allseitigen Kritik an dem Vorhaben.
afür finden wir offenherzige Ausführungen zum Pfän-
ungsschutz der Altersvorsorge gegen den – für sich be-
rachtet – wohl niemand im Haus Einwände erheben
öchte. Was geht hier vor sich?
Das will ich Ihnen sagen: Man hat uns einen Berliner
fandkuchen zum Anbeißen offeriert, der freilich zu un-
erer Überraschung nicht mit zuckersüßer Marmelade,
ondern mit sehr scharfem Senf gefüllt ist. Der Senf im
nneren ist die Wiedereinführung des Fiskusprivileges
m Insolvenzverfahren, das mit dem richtigen und wich-
igen Ziel des Pfändungsschutzes der Altersvorsorge
icht mehr als eine Drucksachennummer gemein hat.
Der Senf ist jene unscheinbare Formulierung unter
rt. 2 im Entwurf des § 131 Insolvenzordnung, wo es
prachlich seltsam heißt: Eine Rechtshandlung wird
icht allein dadurch zu einer solchen nach Satz 1, dass
er Gläubiger die Sicherung oder Befriedigung durch
wangsvollstreckung erlangt.
Potentester Zwangsvollstrecker unter den Gläubigern
ber ist nun einmal die öffentliche Hand, die sich stets
elbst, schnell und exklusiv mit einem Titel „bewaffnen“
ann.
So soll – durch die Hintertür und unter Vermeidung
iner bewussten Befassung durch dieses Parlament – ein
ustand wieder hergestellt werden, der einmal zum Nie-
ergang und zum völligen Bedeutungsverlust der Kon-
ursordnung geführt hatte und dem dieses Parlament im
ahre 1994 bei der Schaffung der Insolvenzordnung aus
utem Grunde und sehr bewusst ein Ende bereitet hatte.
Die Selbstprivilegierung der öffentlichen Hand im In-
olvenzverfahren ist nicht nur eine massive Verletzung
es Grundsatzes der Gläubigergleichbehandlung, wie
hn der BGH weiterentwickelt und präzisiert hatte. Die
evorzugung der öffentlichen Hand wird auch weitge-
ende soziale und ökonomische Folgen haben. Die Fach-
elt rechnet mit einer Verschlechterung der Sanierung-
chancen für schätzungsweise 7 000 bis 10 000 klein- und
ittelständische Unternehmen jährlich. Erwartet wird der
erlust von 50 000 bis 100 000 Arbeitsplätzen. Wir dür-
en uns einrichten auf ein Absinken der eh schon gerin-
en Insolvenzquoten. Und wir verlieren den sanierungs-
reundlichen Charakter der Insolvenzordnung, während
ir das „Windhundprinzip“ in der Krise der Unterneh-
en wieder einführen.
Dieses Parlament hat vor mehr als zehn Jahren ge-
einsam mit dem Justizministerium und gegen massive
iderstände eine wahrlich große Insolvenzrechtsreform
ollbracht, deren Kern es unter anderem gewesen ist, die
taatlichen Privilegien des 18. und 19. Jahrhunderts zu
eseitigen Diese Reform ist – das belegen alle Statisti-
en – ein großer, auch internationaler Erfolg geworden
3046 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 35. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Mai 2006
(A) )
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und hat zur Rettung vieler tausend Unternehmen und Ar-
beitsplätze beigetragen, weil der Staat mit seinen An-
sprüchen in der Krise der Unternehmen zurückgetreten
ist, um den bedrohten Unternehmen die Chance zur Er-
haltung und Erneuerung nicht zu verbauen. Der kluge
Staat nämlich ist – gerade mit Blick auf die Liquidität
seiner sozialen Kassen – unbedingt an der Erhaltung der
Unternehmen interessiert.
Es liegt an uns allen gemeinsam, ob wir ein geglück-
tes Stück Reformpolitik beibehalten wollen oder durch
unsere Zustimmung zu diesem Entwurf einen insolvenz-
rechtlichen Salto Mortale zurück zur Konkursordnung
anstellen.
Wir sollten daher auf der Ebene der Obleute des
Rechtsausschusses dringend Einigkeit über die Erforder-
lichkeit einer Sachverständigenanhörung erzielen, um
überhaupt das Maß an Sachinformation erlangen zu kön-
nen – das uns die Entwurfsersteller lieber vorenthalten
wollten –, das wir aber benötigen, um Richtiges von Fal-
schem in diesem Entwurf zu scheiden.
Ein abschließendes Wort zum Pfändungsschutz der
Altersvorsorge: Obwohl es sich um einen richtigen An-
satz handelt, ist dieser weniger als die halbe Miete. Die
Rücklagen für die Alterssicherung sind in unserem Land
natürlich erst dann wirklich umfassend und gerecht ge-
schützt, wenn wir gleichzeitig die Freibeträge für Hartz-
IV-Empfänger für die Verwertung von Altersrücklagen
vor Inanspruchnahme von Sozialleistungen anheben.
Hier bestehen nämlich unerträglich weit gehende Ver-
pflichtungen zur Abschmelzung privater Altersrückla-
gen, die – mit Blick auf den hier in Rede stehenden Pfän-
dungsschutz – kaum dem Gleichheitsgebot genügen
dürften.
Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der
erste Teil des Gesetzentwurfes, über den wir heute de-
battieren, zielt darauf ab, die private Altersvorsorge, vor
allem von Selbstständigen, besser als bisher vor Pfän-
dungen zu schützen. Dieses Ziel unterstützen wir Grüne
ausdrücklich.
Ein Pfändungsschutz, wie er heute für Renten aus der
gesetzlichen Rentenversicherung bereits existiert, dient
– auch, aber nicht nur – dem Schutz des Schuldners.
Sein Existenzminimum im Alter soll vor Gläubigerzu-
griffen gesichert werden. Daneben hat der Pfändungs-
schutz aber auch die Funktion, die staatliche Gemein-
schaft von Sozialleistungen zu entlasten: Ohne den
Pfändungsschutz wäre der Schuldner im Alter im Falle
einer Pfändung seiner Altersversorgung auf öffentliche
Transferleistungen angewiesen. Indem der Gesetzent-
wurf hier in begrenztem Rahmen die Interessen der Ge-
meinschaft und des – zuvor als Selbstständiger tätigen –
Schuldners über die Gläubigerinteressen stellt, fördert er
eine Kultur der Selbstständigkeit und verbessert den
Rahmen für Existenzgründungen. Dies findet unsere Zu-
stimmung.
„Ursprünglich, das will ich an dieser Stelle nicht ver-
hehlen, hatten wir Grünen Bedenken, da der Gesetzent-
wurf solche Versicherungsverträge nicht erfasst, bei de-
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en Dritte – also vor allem Frauen von selbstständig
ätigen – bezugsberechtigt sind. Da aber bei der Bestim-
ung der Pfändungsfreigrenze auch Unterhaltspflichten
u berücksichtigen sind, erscheint ein hinreichender
chutz zugunsten von Ehegatten oder -gattinnen bzw.
indern gewährleistet.
Nach wie vor kritisch sehen wir jedoch die gesetzli-
he Beschränkung des Schutzes auf Lebensversicherun-
en, primär auf Rentenversicherungen. Auch wenn dies
ie am häufigsten gewählte Form privater Alterssiche-
ung sein mag, könnte die Regelung gleichwohl zu
ettbewerbsverzerrungen zulasten anderer Altersvor-
orgeprodukte, zum Beispiel Banksparpläne oder Fonds-
parpläne, führen. Werden also solche Wettbewerbsver-
errungen in erheblichem Unfang erkennbar – was wir
m Rechts-, aber auch den anderen Ausschüssen sehr ge-
au erörtern und prüfen wollen –, dann muss hier nach-
ebessert werden, zugunsten solcher Alterssicherungen,
ei denen in vergleichbarer Weise ein Missbrauch ausge-
chlossen werden kann. Dann wird es nicht reichen,
iese Entscheidung auf einen späteren Zeitpunkt zu ver-
chieben, wie es die Bundesregierung angedacht hat,
enn sie bei dem Gesetzentwurf von einem „ersten
chritt“ spricht.
Lassen Sie mich nun zum zweiten Teil des Gesetz-
ntwurfes kommen, der darauf abzielt, die Insolvenz-
nfechtungen zu beschränken. Das Anfechtungsrecht
es Insolvenzverwalters wegen vorsätzlicher Benachtei-
igung soll auf Fälle unlauteren Verhaltens beschränkt
erden.
Diese Neuregelung soll vor allem – was aber mit dem
esetzentwurf mehr verdunkelt als laut ausgesprochen
ird – die finanziellen Ausfälle beim Fiskus und den So-
ialkassen deutlich verringern. In der öffentlichen Dis-
ussion wurde an dieser Regelung zum Teil erhebliche
ritik geäußert. Diese Kritik teilen wir. Meines Erach-
ens bedeutet diese Neuregelung, auch wenn das Justiz-
inisterium beteuert, die Regelung würde für alle Gläu-
iger gleichermaßen gelten, im Ergebnis gleichwohl eine
bkehr vom Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung,
lso einer wesentlichen Errungenschaft der Insolvenzre-
orm von 1999. Denn im Gegensatz zu privaten Gläubi-
ern haben nur der Fiskus und die Sozialkassen die
öglichkeit, ihre Forderungen selbst titulieren und voll-
trecken zu können. Sie sind also strukturell schneller als
ndere Gläubiger. Für letztere wird somit die verblei-
ende Massenquote drastisch sinken. Man kann es auch
twas deutlicher formulieren, sie werden „in die Röhre“
chauen.
So berechtigt der Ansatz erscheint, dem Fiskus und
en Sozialversicherungsträgern Einnahmen zu erhalten:
ies darf nicht zulasten sanierungsfähiger Unternehmen,
urch die Arbeitsplätze erhalten werden können, gehen.
as Insolvenzrecht ist hierfür nicht der richtige Ort. Zu
iesen rechts- wie wirtschaftspolitisch sehr tief greifen-
en Regelungen werden wir deshalb in den Ausschüssen
lso noch sehr intensiv diskutieren müssen.
Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der
undesministerin der Justiz: Bei diesem Gesetzentwurf
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 35. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Mai 2006 3047
(A) )
(B) )
geht es um zwei verschiedene Punkte: Erstens den Pfän-
dungsschutz für Kapitallebensversicherungen und pri-
vate Rentenversicherungen und zweitens die Einschrän-
kung der Insolvenzanfechtung.
Der Pfändungsschutz der Altersvorsorge ist heute un-
zureichend. Renten aus der gesetzlichen Rentenversiche-
rung genießen einen Pfändungsschutz. Dagegen sind die
Einkünfte Selbstständiger nicht in gleicher Weise vor
Pfändung geschützt. Auf Vermögenswerte, die ein
Selbstständiger für seine Altersvorsorge vorgesehen hat,
können Gläubiger also unbeschränkt zugreifen. Das geht
nicht nur zulasten des einzelnen Unternehmers und sei-
ner Familie, sondern ist auch gesamtwirtschaftlich kein
guter Zustand. Denn wenn alles gepfändet werden kann,
ist der Unternehmer im Alter auf staatliche Transferleis-
tungen angewiesen. Die privaten Gläubiger bedienen
sich bei dem Altersvorsorgevermögen des Unternehmers
und die staatliche Solidargemeinschaft kann dann für die
tatsächliche Versorgung im Alter aufkommen.
In einem ersten Schritt sieht der Gesetzentwurf des-
halb vor, für die Lebensversicherung und die private
Rentenversicherung einen Pfändungsschutz zu schaffen.
Das sind die am weitesten verbreiteten Formen der Al-
terssicherung Selbstständiger.
Unser Ziel ist es, nicht nur die Rentenzahlungen zu
schützen. Auch das anzusparende Vorsorgekapital soll
vor Pfändung geschützt sein, soweit das erforderlich ist,
um im Alter eine existenzsichernde Rente zu erhalten.
Die Höhe des pfändungsgeschützten Vorsorgekapitals
steigt progressiv mit dem Lebensalter. Das angesparte
Kapital soll im Falle einer regelmäßigen Beitragszah-
lung mit Vollendung des 65. Lebensjahres eine Rente er-
möglichen, die in etwa so hoch ist wie die Pfändungs-
freigrenze.
Ich bin zuversichtlich, dass dieser Schutz auch dazu
beitragen wird, den Menschen Mut zum Schritt in die
Selbstständigkeit zu machen.
Das zweite Ziel dieses Entwurfes ist eine gewisse Be-
schränkung der Insolvenzanfechtung. Wir müssen zwei
Dinge in Einklang bringen: die Insolvenzanfechtung als
Ausdruck des Grundsatzes der Gläubigergleichbehand-
lung und das zentrale sozial- und wirtschaftspolitische
Anliegen, für eine langfristige finanzielle Stabilität der
sozialen Sicherungssysteme zu sorgen. Nur wenn es ge-
lingt, die Sicherungssysteme auf eine solide finanzielle
Grundlage zu stellen, kann das Vertrauen der Bevölke-
rung in den Sozialstaat auch in Zukunft bewahrt werden.
Die steigenden Kosten der sozialen Sicherung führen
dazu, dass der Faktor Arbeit immer stärker belastet wird.
Hohe lohnbezogene Sozialbeiträge behindern die Schaf-
fung von Arbeitsplätzen. Die Bundesregierung will des-
halb den Faktor Arbeit entlasten. Diesem Bemühen läuft
es jedoch zuwider, wenn jährlich mehrere 100 Millionen
Euro an Beitragsaufkommen den Sozialkassen im Wege
der Insolvenzanfechtung entzogen werden.
Im Unterschied zu sonstigen Gläubigern müssen die
Sozialkassen jeden Schuldner akzeptieren, der Arbeitge-
ber von sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten ist,
ohne dass eine Auswahl – etwa nach Bonität oder nach
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angjährigen Geschäftsbeziehungen – für sie möglich
äre. Und sie müssen dafür einstehen, dass den Arbeit-
ehmern später die Sozialleistungen, für die Beiträge be-
ahlt wurden, auch zur Verfügung stehen. Gleichzeitig
ind die Sozialkassen besonders stark Insolvenzanfech-
ungen ausgesetzt.
Die vorgesehene Regelung wird deshalb die von der
echtsprechung sehr weitgehend ausgestaltete Insol-
enzanfechtung zurückführen, und zwar maßvoll und
hne den gesetzlichen Grundsatz der Gläubigergleichbe-
andlung infrage zu stellen. Ich bin mir im Klaren da-
über, dass die vorgesehene Regelung in der Praxis vor
llem den Sozialkassen zugute kommen wird. Bei einer
bwägung der widerstreitenden Interessen scheint mit
as aber hinnehmbar, wenn wir dem wirtschaftlichen
achstum und der Schaffung neuer Arbeitsplätze Vor-
ang einräumen wollen. Das sollten wir tun.
nlage 6
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Für einen Beobach-
terstatus Taiwans bei der Weltgesundheitsver-
sammlung (Tagesordnungspunkt 18)
Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg (CDU/
SU): Die überwiegende Mehrheit der internationalen
emeinschaft, darunter alle EU-Mitgliedstaaten und die
SA, vertreten eine „Ein-China-Politik“ und erkennen
aiwan nicht als selbstständigen Staat an. Die Bundesre-
ierung wie die Europäische Union können den Antrag
aiwans auf einen Beobachterstatus bei der Weltgesund-
eitsorganisation daher nicht unterstützen. Auch die
DU/CSU lehnt den Antrag der FDP ab.
Regelmäßig tritt Taiwan für einen solchen Beobach-
erstatus anlässlich der jährlich im Mai stattfindenden
eltgesundheitsversammlung ein, die am 22. bis
7. dieses Monats stattfinden wird. Die Frage einer insti-
utionalisierten taiwanesischen Mitarbeit in der WHO
at mittlerweile den Status einer politischen Prinzipien-
rage zwischen der Volksrepublik China und der taiwa-
esischen Seite vor dem Hintergrund erreicht, dass die
olksrepublik eine Wiedervereinigung mit Taiwan an-
trebt und, gleichzeitig, Taiwan seinen internationalen
pielraum und damit die entsprechende Anerkennung zu
rweitern sucht.
Aus unserer Sicht ist die Frage des formalisierten Be-
bachterstatus von der faktischen Einbindung Taiwans
n die Arbeit der WHO bzw. Weltgesundheitsversamm-
ung zu unterscheiden. Grundsätzlich steht einer fachli-
hen Mitarbeit Taiwans bei der WHO und deren Förde-
ung und Vertiefung nichts im Wege. Auf pragmatische
rt und Weise eine faktische Einbindung Taiwans zu er-
eichen kann den Gründen, die im heute debattierten An-
rag für die zentrale Forderung der FDP benannt werden,
llerdings auch ohne einen Beobachterstatus Taiwans
echnung tragen.
Die EU, die Bundesregierung und auch die CDU/
SU haben eine solche Einbindung Taiwans in die
3048 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 35. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Mai 2006
(A) )
(B) )
Arbeit der WHO stets befürwortet. Wir unterstützen
nicht nur die Prinzipien der WHO-Verfassung, wonach
die Teilhabe an höchstmöglichen Gesundheitsstandards
zu den fundamentalen Rechten jedes Einzelnen zählt;
darüber hinaus sind wir an einer pragmatischen Lösung
der Anwendung der Internationalen Gesundheitsregeln
– International Health Regulations – interessiert. Denn
derart können Lücken, zum Beispiel bei der grenzüber-
schreitenden Seuchenbekämpfung, vermieden werden –
und dies muss auch im Interesse aller Beteiligten sein.
Diese Position der Bundesregierung hat auch die EU ge-
genüber der chinesischen Regierung vorgetragen.
In der Tat findet – entgegen der Erläuterung des FDP-
Antrages – eine solche Einbindung bereits statt.
Hierüber haben die WHO und Volksrepublik China so-
gar ein Memorandum of Understanding geschlossen.
Zwischen der Weltgesundheitsorganisation und dem
Center for Disease Control in Taipeh gibt es eine regel-
mäßige Kooperation. Die WHO arbeitet bereits beim
Ausbruch von schweren übertragbaren Krankheiten, die
sich international ausbreiten können, mit den taiwanesi-
schen Gesundheitsbehörden zusammen. Das ist etwa bei
SARS oder der Vogelgrippe geschehen. Demzufolge
läuft ein nicht unwesentlicher Teil Ihrer Forderungen ins
Leere.
Selbst von offizieller taiwanesischer Seite – nament-
lich von Vizeminister Kao – war kürzlich anlässlich ei-
ner Reise nach Europa zu vernehmen, dass es Taiwan
weniger auf den Beobachterstatus als vielmehr auf eine
Verbesserung und Intensivierung der Zusammenarbeit
ankomme. Auf Initiative der Bundesregierung hat die
EU-Präsidentschaft jüngst gegenüber der WHO zum
Ausdruck gebracht, dass die EU die Vertiefung der Ein-
bindung Taiwans in die Arbeit der Weltgesundheitsorga-
nisation wünscht – nicht zuletzt vor dem Hintergrund der
Vogelgrippe. WHO-Generalsekretär Lee hat am 2. Mai
gegenüber der EU zugesagt, sich dafür einsetzen zu wol-
len.
Dies sind vernünftige, durchaus pragmatische An-
sätze, die die Notwendigkeit der verbesserten Zusam-
menarbeit nicht von Statusfragen und politischen Sensi-
bilitäten in anderen Kontexten abhängig macht. Hier hat
die Bundesregierung die volle Unterstützung der CDU/
CSU-Fraktion.
Die FDP schießt mit ihrem Antrag hingegen über das
Ziel hinaus. Begründet wird der Antrag damit, dass ge-
fährliche und sich rapide ausbreitende Seuchen, wie zum
Beispiel die Vogelgrippe, nur effektiv bekämpft werden
können, wenn alle Regionen der Welt zusammenarbeiten
und keine von dieser Zusammenarbeit ausgeschlossen
bleibt. Das ist richtig.
Allerdings: Wie hier dargestellt, ist es für eine Verbes-
serung der Zusammenarbeit nicht zwingend erforderlich,
Taiwan einen Beobachterstatus zu geben. Einen solchen
zu fordern, vermag für das eigentlich angestrebte Ziel
sogar kontraproduktiv zu wirken: Die Wahrscheinlich-
keit, dass somit nur weitere Spannungen zwischen Tai-
wan und der VR China provoziert würden ist schwerlich
auszuschließen, was dem eigentlichen Ziel einen Bären-
dienst erweisen würde. Einer pragmatischen Lösung
–
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siehe das erwähnte Memorandum of Understanding –
at sich China jedenfalls nicht in den Weg gestellt.
Gerade aufgrund der in den letzten Jahren zunehmen-
en Spannungen zwischen China und Taiwan muss auch
er Deutsche Bundestag hier besonderes Fingerspitzen-
efühl unter Beweis stellen.
Dies hat das Hohe Haus in anderen Kontexten bereits
etan. Ich darf daran erinnern, dass der Deutsche Bun-
estag mit großer Mehrheit die Aufhebung des EU-Waf-
enembargos ebenfalls abgelehnt hat – damals in der De-
atte auch seitens einiger eingedenk des dargestellten
erhältnisses China-Taiwan und des chinesischen Anti-
ezessionsgesetzes.
Rücksicht auf diese mit vielen Implikationen verbun-
ene Spannungslage zu nehmen, bedeutet indes nicht,
ei allen Themenkreisen in hehre Schweigsamkeit ver-
allen zu müssen. Die Bundeskanzlerin fährt bekanntlich
nde des Monats nach China. Ein Schelm wer den FDP-
ntrag in diesen Zusammenhang stellen wollte. Ange-
ichts ihrer sehr gelungenen Auftritte in Moskau und
ashington begleitet die Bundeskanzlerin allerdings die
rwartung, dass sie auch „schwierige“ Themen – zumal
it der erforderlichen Sensibilität – nicht aussparen
ird.
Insgesamt muss unser überragendes Interesse sein,
ass der Konflikt zwischen Peking und Taipeh nicht wei-
eren Eskalationsstufen zugeführt wird.
Detlef Dzembritzki (SPD): Wir haben Verständnis
ür den Wunsch Taiwans auf eine aktive Beteiligung an
er Arbeit der Weltgesundheitsorganisation. Die WHO
st eine global wirkende Institution, deren Einsatz keine
egionale Ausnahme verträgt.
Bei der politischen Unterstützung des Wunsches Tai-
ans kann jedoch Deutschland alleine wenig bewirken.
ielmehr sind die Mitgliedstaaten der EU der notwen-
ige Adressat für eine solche Initiative. Anzustreben ist
aher ein koordiniertes Vorgehen, um in Genf im nächs-
en Jahr erfolgreich sein zu können.
Wichtig ist, dass allgemeine Politik und Weltgesund-
eitsvorsorge in diesem Zusammenhang nicht vermischt
erden. Hier geht es um die Abwehr von Gefahren für
ie Gesundheit weltweit, gerade aus der Region, in der
ich Taiwan befindet. Viele Grippewellen, auch SARS
der aktuell die Vogelgrippe, haben in Südchina und der
mgebenden Region ihren Ausgang genommen. Deswe-
en ist eine Beteiligung Taiwans an den Erkenntnissen,
en Strategien und den Programmen der Weltgesund-
eitsorganisation keine abstrakte Frage, sondern ein sehr
onkretes, aktuelles Erfordernis.
Japan und die USA haben schon vor geraumer Zeit si-
nalisiert, dass sie diese Sichtweise teilen. Deswegen
uss jetzt die Zeit genutzt werden, um den notwendigen
onsens herbeizuführen.
Natürlich verbindet Taiwan mit seinem Anliegen die
offnung, seinen Status als Land in den internationalen
eziehungen zu verbessern. Daran ist im Grunde nichts
uszusetzen, und dennoch ist es aussichtsreicher, diese
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 35. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Mai 2006 3049
(A) )
(B) )
Fragen zu trennen und einer gesundheitspolitischen Ar-
gumentation zu folgen.
Der Beobachterstatus, der beispielsweise Organisatio-
nen wie dem Roten Kreuz bereits eingeräumt wurde,
sollte es leichter machen, Taiwan Mitwirkungsmöglich-
keiten einzuräumen, ohne von unserer Position in der
Ein-China-Politik abzuweichen.
Schon aus rationalen Erwägungen sollte uns an einer
engeren Kooperation des WHO mit dem hoch entwickel-
ten taiwanesischen Gesundheitssystem und seinen medi-
zinischen Forschungseinrichtungen gelegen sein. Zu-
gleich mache ich aus meiner Sympathie für die
Entwicklung Taiwans von einem autoritären Regime hin
zu einer durchaus funktionierenden Demokratie mit
freien Wahlen, Meinungsfreiheit und Achtung der Men-
schenrechte keinen Hehl.
Die Bundeskanzlerin sollte bei ihrem Besuch in der
Volksrepublik China das Interesse Deutschlands an einer
engen und intensiven Zusammenarbeit in Fragen der Ge-
sundheit mit der gesamten Region betonen und zugleich
die Volksrepublik zu einer Verbesserung der Informa-
tionspolitik bei Seuchen und Epidemien auffordern, denn
auch das gehört in diesem Zusammenhang erwähnt.
Harald Leibrecht (FDP): Wir Liberale sind besorgt
über den derzeitigen Status der Zusammenarbeit zwi-
schen der WHO und Taiwan.
Die Weltgesundheitsorganisation stellt die oberste
und wichtigste Instanz dar, wenn es um effektive und ko-
ordinierte Krankheitsbekämpfung und -vorbeugung
geht.
Heute, in Zeiten von Krankheiten wie SARS und der
Vogelgrippe, ist es absolut notwendig, dass alle Regio-
nen der Welt umfassend in dieses globale Gesundheits-
netzwerk eingebunden werden.
Die Bundesregierung selbst stellte vergangenen Fe-
bruar in ihrem Bericht über „außen- und sicherheitspoli-
tische Implikationen und Auswirkungen von Seuchen
am Beispiel der Vogelgrippe“ fest, dass in der globali-
sierten Welt eine effiziente internationale Zusammenar-
beit „unverzichtbar“ ist, da Tierseuchen nicht an Gren-
zen Halt machen. Dem kann ich nur zustimmen.
Dennoch bleibt Taiwan bis heute ein systematischer
und umfassender Zugang zur WHO verwehrt und kann
nur eingeschränkt an den Programmen und Treffen der
WHO teilnehmen.
Die Wichtigkeit und Notwendigkeit. Taiwan systema-
tisch in die WHO einzubinden sieht man derzeit ganz
deutlich an der Problematik der Vogelgrippe. Taiwan ist
eine bedeutende Station auf der Route verschiedener
Zugvögel: Etwa 1,25 Millionen Zugvögel passieren jähr-
lich Taiwan oder überwintern dort. Hinzu kommt, dass
Taiwan einer der wichtigsten internationalen Verkehrs-
knotenpunkte im westlichen Pazifik ist.
Trotzdem ist Taiwan bis heute aus dem Seuchenbe-
kämpfungsnetz der WHO ausgeschlossen. Dabei würden
die WHO und wir, ihre Mitgliedsländer, von einer Ein-
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indung Taiwans unmittelbar profitieren, denn Taiwan
at beachtliche Erfolge im Gesundheitssektor vorzuwei-
en:
So wurde in Taiwan das erste umfassende Kranken-
ersicherungssystem in Asien aufgebaut; Taiwan hat
ine hohe Dichte an Ärzten vorzuweisen und zahlreiche
bertragbare Krankheiten wie Tollwut, Malaria und Kin-
erlähmung überwunden.
Den Grund, warum Taiwan dennoch seit Jahrzehnten
n Sachen WHO ausgeschlossen wird, kennen wir alle:
eil es China nicht gefällt.
Die Volksrepublik protestiert lauthals: Taiwan weiter
n die WHO einzubeziehen würde gegen die Ein-China-
olitik verstoßen – würde eine „Staatlichkeit“ Taiwans
nerkennen und sei ohnehin unrechtmäßig, da Taiwan
ein Mitglied der Vereinten Nationen ist. Aber was wir
ier fordern, hat mit all dem nichts zu tun. Dies ist kein
ntrag auf die Anerkennung Taiwans als unabhängiger
taat. Dies ist kein Rütteln an der Ein-China-Politik.
nd dies ist kein Verstoß gegen die UN- oder WHO-Sat-
ung.
Dies bedeutet lediglich, dass wir auf der gesundheits-
olitischen Landkarte keinen weißen Fleck dulden. Dass
ir Taiwan – eine reifende Demokratie mit einem eta-
lierten Gesundheitswesen – nicht länger ausschließen
ollen aus dem globalen Gesundheitsnetzwerk – sowohl
it Blick auf die Gesundheit der taiwanesischen Bevöl-
erung als auch auf unsere eigene.
Im Übrigen sieht die Satzung der WHO für Nichtmit-
lieder der UN eine Aufnahme auf der Grundlage eines
infachen Mehrheitsbeschlusses vor.
Die Weltgesundheitsversammlung, WHA, das
öchste Entscheidungsgremium der WHO, hat überdies
ie Möglichkeit, internationale oder nichtstaatliche Or-
anisationen einzuladen, an den Aktivitäten der WHO
eilzunehmen. So haben in der Vergangenheit Palästina
nd Malta einen Beobachterstatus bei der WHA erhalten
nd werden routinemäßig zu deren Treffen eingeladen.
Eine direkte und geregelte Einbindung Taiwans in die
rbeit der WHO wäre schon mit einem Beobachterstatus
n der WHA erreichbar.
Denkbar wäre zum Beispiel in Anlehnung an Taiwans
itgliedschaft in der WTO – gegen die ich im Übrigen
us diesem Hause auch keinen Protest gehört habe –,
aiwan als „Gesundheitseinheit“ oder Ähnliches einzu-
eziehen.
Nächste Woche reist Bundeskanzlerin Merkel nach
hina. Dort wird sie wichtige Themen der Wirtschafts-,
ußen- und Sicherheitspolitik diskutieren. Ich hoffe,
ass auf der parallel tagenden Weltgesundheitsversamm-
ung in Genf die Gesundheitspolitik einen Schritt voran-
ommt und Taiwan einen Beobachterstatus bei der
HA erhält – mit der Stimme der deutschen Vertreter.
Schließen wir uns in dieser Sache dem Europaparla-
ent und unseren amerikanischen und japanischen Kol-
egen an und beenden diesen gesundheitspolitischen Un-
ug.
3050 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 35. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Mai 2006
(A) )
(B) )
Monika Knoche (DIE LINKE): Zu später Stunde be-
schäftigen wir uns mit einem kleinen Problem, das – ich
sage es direkt – auch noch größer gemacht wurde mit
diesem Antrag als es eigentlich ist. Mag sein, dass es den
Freidemokraten entgangen ist – ich kann es mir jedoch
nicht so recht vorstellen – Tatsache ist aber: Taiwan ist
seit Mai 2005 Gegenstand eines Memorandums of Un-
derstanding mit China. Es handelt sich um eine Verein-
barung zwischen der WHO und China, eine Vereinba-
rung auf der Grundlage der Ein-China-Politik, die es
Taiwan erlaubt, unter bestimmten Bedingungen an
WHO-Sitzungen teilzunehmen.
Gesundheitspolitische Experten aus Taiwan haben im
zurückliegenden Jahr achtmal Gebrauch von dieser Ver-
einbarung gemacht, und zwar genau zu den Themen, die
die FDP hier darstellt respektive heraushebt – wie die
Vogelgrippe. Das Memorandum of Understanding er-
streckt sich auf alle Fragen der Gesundheitsprävention,
die übertragbare Krankheiten betreffen, also auch HIV/
Aids, TBC etc. Zwar ist der Text des Memorandums
nicht öffentlich, wohl aber alle Informationen der WHO
zu den angesprochenen Krankheiten. So sind alle Richt-
linien der WHO zugänglich und über Internet alle fach-
lichen Informationen zu erhalten. Von einem Informa-
tionsdefizit kann nicht die Rede sein, von einem
Kooperationsdefizit der WHO mit Taiwan auch nicht.
Allerdings erlaubt es der konstitutionelle Rahmen der
WHO nicht, direkte diplomatische Beziehungen zu Tai-
wan aufzunehmen. Die FDP scheint dies mit dem Antrag
aber auch gar nicht zu wollen. Die darin vorgeschlage-
nen Erweiterungen über das genannte Memorandum hi-
naus bergen meines Erachtens zu viele Risiken auf au-
ßenpolitischem Gebiet, als dass ich ihnen zustimmen
wollte.
Taiwan kann von sich sagen, dass es einen hohen me-
dizinischen und gesundheitlichen Standard aufweist. Es
ist wahrlich kein Entwicklungsland, in dem gravierende
Defizite auf diesem Gebiet epidemiologisch die Warnsi-
gnale aufleuchten ließe.
Auch – so meine ich – ist die Vogelgrippe überschätzt
in ihrem Bedrohungspotenzial, als dass man deswegen
von „außen- und sicherheitspolitischen Implikationen“
reden müsste. Insofern ist das Beispiel Vogelgrippe oh-
nehin schlecht gewählt. Zur Frage, ob wir uns als Parla-
ment mit dem Thema befassen sollen, neige ich zur Ab-
lehnung.
Taiwan ist vom Großteil der Staaten nicht als unab-
hängiger Staat anerkannt. Das hat seine guten Gründe
und daran wollen Sie und wir nichts ändern. Die Aus-
grenzung Taiwans in sachlichen und fachlichen Fragen
des Infektionsschutzes kann ich aufgrund unserer Re-
cherche nicht sehen.
Wir sind als Abgeordnete gut beraten, taiwanische In-
teressen auf staatliche Souveränität nicht durch partielle
und in der Bedeutung überhöhte Fragen eine Aufwer-
tung zu geben.
Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die
weltweite Verflechtung, meist Globalisierung genannt,
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st eine Tatsache. Ebenso eine Tatsache ist, dass hierzu
icht nur Wirtschaftsbeziehungen und ihre sozialen Aus-
irkungen gehören, sondern auch eine ganze Reihe von
eiteren Effekten. Wenn Güter und Kapital reisen, rei-
en auch Menschen. Dies ist auf der ganzen Welt so, und
s betrifft praktisch alle Länder. Besonders aber gilt dies
ann, wenn starke Wirtschaften mit hohem Exportanteil
orhanden sind.
Zu diesen Ländern gehört schon seit Jahrzehnten auch
aiwan, Die taiwanesische Wirtschaft gehört zu den ex-
ortstärksten Asiens, sogar der Welt. Dieser Umstand ist
eshalb von Bedeutung, weil er eine große Anzahl an
eltweiten Kontakten mit sich bringt. So begrüßenswert
der auch nur normal dies ist, so hat es doch auch Kon-
equenzen, die besondere Beachtung verdienen, Eine
olche Konsequenz ist die einfache Erkenntnis, dass
enschliche Kontakte auch das Risiko der Übertragung
on Krankheiten bedeuten, und je mehr solcher Kon-
akte es gibt, umso größer wird die Wahrscheinlichkeit
iner Ansteckung.
Zur Eindämmung dieses Risikos bzw. seiner unver-
eidlichen Folgen gibt es die Weltgesundheitsorganisa-
ion. Sie ist wesentlicher Bestandteil des weltweiten
etzwerks zur Gesundheitsvorsorge und -versorgung,
ie bildet dessen institutionelle Struktur. Es scheint ba-
al, auf deren Sinn und Notwendigkeit hinzuweisen, zu-
al angesichts der immer enger werdenden Verflechtung
on Volkswirtschaften, des wissenschaftlichen, kulturel-
en und touristischen Austauschs weltweit. Dennoch
cheint dieser Hinweis notwendig, denn bis heute wird
inem Land wie Taiwan mit dem Verweis auf seine völ-
errechtliche Nichtanerkennung der Zugang zur Weltge-
undheitsorganisation verwehrt.
Meiner Ansicht nach ist diese Begründung ebenso
urzsichtig wie überflüssig, und das möchte ich erklären.
Kurzsichtig wäre die Aufrechterhaltung des Aus-
chlusses Taiwans von der Mitarbeit in der WHO
eshalb, weil die Überwachung, Eindämmung und Be-
ämpfung von Pandemien und Seuchen, von Infektions-
rankheiten aller Art in unser aller Interesse ist. Dabei ist
er völkerrechtliche Status eines Gebietes unerheblich.
rankheiten richten sich nicht danach, ob ein Land, in
em sie vorkommen, als Staat anerkannt ist. Taiwan war
nd ist naturgemäß von allen weltweit sich verbreiten-
en Infektionskrankheiten betroffen. Ich erinnere nur an
ie gerade noch rechtzeitig eingedämmte SARS-Epide-
ie im südchinesischen Raum vor einigen Jahren. Schon
amals sollte klar sein, dass eine Einbindung Taiwans in
as internationale Gesundheitssystem sinnvoll und not-
endig ist. Heute ist die erkennbar gestiegene Gefahr
er Ausbreitung der Vogelgrippe eine Aufgabe auch der
HO. Und auch hier ist offensichtlich, dass kein be-
ohntes Gebiet der Erde vor dieser Krankheit und ihren
uswirkungen geschützt ist.
Überflüssig ist der Ausschluss Taiwans von der Ein-
eziehung in die Arbeit der WHO deshalb, weil diese
einerlei völkerrechtliche Auswirkung hat. Die WHO ist
ine Sonderorganisation der UN, die eine spezielle fach-
iche Aufgabe hat. Nichtmitglieder der UN können Mit-
lied der WHO sein oder Beobachterstatus genießen, je-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 35. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Mai 2006 3051
(A) )
(B) )
denfalls Zugang zu ihrer Arbeit haben. Dafür gibt es eine
Reihe von Beispielen: Nicht anerkannte staatsähnliche
Gebiete wie Palästina gehören dazu oder auch internatio-
nale Organisationen wie das Rote Kreuz. Warum nicht
Taiwan? Warum sollte, wer in der WTO mitarbeiten
kann oder an Olympischen Spielen teilnehmen, nicht
auch zur Aufrechterhaltung der Gesundheit bei sich und
weltweit beitragen dürfen? Der völkerrechtliche Status
spielt dabei keine Rolle. Worum es geht, ist die Bedeu-
tung eines Landes für die Verbreitung von Infektions-
krankheiten, sein und der Schutz seiner Nachbarn vor
deren Ausbreitung und nicht zuletzt sein möglicher Bei-
trag zur Eindämmung von Epidemien und Seuchen.
Unter den mehr als 20 Millionen Einwohnern Tai-
wans gibt es eine ganze Reihe hervorragender Wissen-
schaftler und Ärzte. Die Insel hatte das erste flächende-
ckende Krankenversicherungssystem Asiens und verfügt
über ein sehr gut ausgebautes Gesundheitssystem. Eine
Einbeziehung Taiwans in die Arbeit der WHO wäre
nicht nur gut für das Land, gut für die Chancen der welt-
weiten Bekämpfung von Epidemien, sondern auch gut
für die Arbeit der WHO selbst, Taiwan kann mit seinen
Erfolgen in der Gesundheitspolitik zum Erfolg der WHO
beitragen. Zu wünschen wäre deshalb auch seine Mit-
arbeit in den Lenkungsgremien der WHO und an ihren
Arbeitsprogrammen. Dieser Ansicht sind mittlerweile
nicht nur eine Reihe von Staaten, sondern auch von inter-
nationalen medizinischen Fachorganisationen. Deutsch-
land sollte sich diesen Erkenntnissen nicht verschließen
und der praktischen Vernunft Genüge tun. Die Unterstüt-
zung eines Beobachterstatus Taiwans in der WHO würde
uns allen nützen.
Anlage 7
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über
die Errichtung einer Bundesanstalt für den
Digitalfunk der Behörden und Organisationen
mit Sicherheitsaufgaben (BDBOS-Gesetz –
BDBOSG) (Zusatztagesordnungspunkt 8)
Ralf Göbel (CDU/CSU): Die große Koalition bringt
die Einführung des neuen und digitalen Funksystems für
die Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufga-
ben, BOS, voran. Das Bundesinnenministerium ent-
scheidet Ende Juni über die Vergabe der Systemtechnik,
die Verhandlungen über den Betrieb des Funknetzes sind
auch auf gutem Wege. Noch in diesem Jahr soll mit dem
Aufbau des Funknetzes begonnen werden.
Der Gesetzgeber steht nun vor der Aufgabe, die not-
wendigen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die
Vergabe des Digitalfunks zügig abgeschlossen und bald
mit dem Aufbau des Funknetzes begonnen werden kann.
Folgendes ist dafür zu tun. Erstens müssen im Bundes-
haushalt 2006 die notwendigen Finanzmittel bereitge-
stellt werden. Zweitens bedarf es einer Organisation, die
den Aufbau und Betrieb des Funknetzes steuert und die
unterschiedlichen Akteure von Bund und Ländern koor-
diniert.
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Die Verabschiedung des Bundeshaushaltes ist im Juni
eplant. Um die organisatorischen Voraussetzungen für
igitalfunk zu schaffen, hat das Bundesinnenministe-
ium den heute zur Debatte stehenden Gesetzentwurf
orgelegt. Der Gesetzentwurf sieht vor, eine Bundesan-
talt für den Digitalfunk der Behörden und Organisatio-
en mit Sicherheitsaufgaben, BDBOS, zu errichten.
iese neue Behörde soll die Aufgabe haben, den BOS-
igitalfunk aufzubauen, zu betreiben und seine Funk-
ionsfähigkeit sicherzustellen.
Im Koalitionsvertrag haben die Regierungsparteien
lar zum Ausdruck gebracht, dass sie möglichst rasch
en BOS-Digitalfunk einführen wollen. Notwendig ist
er BOS-Digitalfunk deshalb, weil die Kommunika-
onsstrukturen der BOS nicht mehr heutigen Anforderun-
en genügen. Dies gilt besonders mit Blick auf mögliche
erroranschläge und Katastrophenfälle. Die analogen
unknetze, die seit den 70-Jahren genutzt werden, sind
eraltet und nicht abhörsicher. Bei Großeinsätzen sind
ie analogen Netze schon häufig zusammengebrochen.
uch die Ersatzteilbeschaffung wird immer schwieriger
nd kostenintensiver. Demgegenüber wird der Digital-
unk die Kommunikation der BOS verbessern. Sprach-
bertragung und Datenkommunikation werden innerhalb
ines gemeinsamen Netzes ermöglicht. Dies erleichtert
en gemeinsamen, koordinierten Einsatz unterschiedli-
her Behörden und Einsatzkräfte. Der Informationsaus-
ausch erfolgt verschlüsselt und ist deshalb abhörsicher –
ies verbessert den Datenschutz und verhindert, dass
traftäter den Funkverkehr abhören und dadurch polizei-
ichen Maßnahmen entgehen können.
Am Beginn des Gesetzgebungsverfahrens für das
DBOS-Gesetz stellt sich die Frage, inwiefern für das
igitale Funknetz eine eigene Organisation benötigt
ird, und wenn ja, ob dazu eine Bundesanstalt gegründet
erden sollte. Ich bin der Auffassung, dass beide Fragen
it ja zu beantworten sind. Die Innenministerkonferenz
at bereits im März 2005 beschlossen, dass eine „BOS-
telle“ eingerichtet werden soll.
Für eine eigene Organisation für den BOS-Digital-
unk spricht zunächst die große Komplexität des Projek-
es. Das deutsche BOS-Netz wird das größte digitale
unknetz der Welt sein. Seine Einführung ist sehr zeit-
ufwendig und wird sich bis Ende 2010 hinziehen. Das
etz wird von sehr unterschiedlichen Behörden und Or-
anisationen genutzt werden – von der Polizei des Bun-
es und der Länder, von den Feuerwehren und Rettungs-
iensten, vom Technischen Hilfswerk und dem Zoll. Der
ufbau und Betrieb ist technisch anspruchsvoll und wir
issen, welche Risiken technologische Großprojekte
ergen. Nicht zuletzt ist auch wichtig, die Kosten für Er-
ichtung und Betrieb unter Kontrolle zu haben.
Das alles macht es erforderlich, eine Stelle zu schaf-
en, in der der betriebswirtschaftliche, taktische und
echnische Sachverstand gebündelt wird. Es ist sinnvoll,
ie Interessen von Bund und Ländern zu koordinieren
nd einheitlich gegenüber dem Systemlieferanten und
em Betreiber des Funknetzes zu vertreten. Den Auftrag-
ehmern sollten nicht 17 verschiedene, sondern eine Auf-
aggeberorganisation gegenüberstehen. Dies vermindert
3052 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 35. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Mai 2006
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das Risiko erheblich, dass der Betrieb eines bundesweit
einheitlichen Digitalfunks an technischen oder organisa-
torischen Problemen scheitert.
Damit die gemeinsame Stelle von Bund und Ländern
als Auftraggeberorganisation fungieren kann, ist es er-
forderlich, diese Stelle als eine eigenständige juristische
Person einzurichten. Dies wird erreicht, indem die ge-
meinsame Stelle als rechtsfähige Anstalt des öffentli-
chen Rechts errichtet wird. Diese Rechtsform stellt im
verfassungsrechtlich zulässigen Rahmen zudem sicher,
dass die Länder – sie sind die Hauptnutzer des Funknet-
zes und werden einen beträchtlichen Teil der Kosten tra-
gen – angemessen am Aufbau und Betrieb des Digital-
funks mitwirken können. Das wäre bei einer obersten
Bundesbehörde oder bei einer Bundesoberbehörde nicht
möglich.
Für die Schaffung einer Bundesanstalt und damit ei-
ner Behörde sprechen auch Sicherheitsgründe. Dass das
digitale Funknetz der Sicherheitsbehörden für die Si-
cherheit der Bundesrepublik eine zentrale Rolle spielen
wird, liegt auf der Hand. Gerät das Funknetz in Gefahr,
kann dies auch die Innere Sicherheit gefährden. In einem
solchen Fall ist eine Behörde notwendig, die Maßnah-
men zur Gefahrenabwehr anordnen kann. Der Gesetz-
entwurf sieht dazu eine Ermächtigung ausdrücklich vor,
beispielsweise soll sich die Bundesanstalt Zugang zu
Computersystemen des Funknetzes verschaffen und die
Steuerung dieser Systeme übernehmen können.
In diesem Zusammenhang ist auch von Bedeutung,
dass die Bundesanstalt befugt werden soll, die Sicherheit
des Netzes und seiner Komponenten zu überprüfen, um
Gefahren vorab erkennen zu können. Die im Gesetzent-
wurf vorgesehenen Regelungen zur Abwehr netzspezifi-
scher Gefahren und zur Überwachung sind deshalb
wichtig, weil private Unternehmen bei Errichtung und
Betrieb des Funknetzes einbezogen sind. Das BOS-Netz
wird somit kein rein staatliches Netz sein – es bedarf ei-
ner Behörde, die das Funktionieren des Netzes über-
wacht und gewährleistet.
Ein zweiter Sicherheitsaspekt ist nicht so offensicht-
lich: Die Funktionsfähigkeit der Bundesanstalt wird
auch dadurch gewährleistet, dass der Bund als Zahlungs-
träger die Zahlungsfähigkeit garantiert. Dementspre-
chend ist auch laut Gesetzentwurf die Eröffnung des In-
solvenzverfahrens nicht zulässig.
Vor gut einem Jahr standen wir als Gesetzgeber be-
reits schon einmal vor der Frage, ob eine Bundesanstalt
für den Digitalfunk eingerichtet werden soll. Das Ge-
setzgebungsverfahren wurde nicht abgeschlossen – der
Gesetzentwurf der rot-grünen Koalition fiel der Diskon-
tinuität zum Opfer. Ich habe mich gegen den damaligen
Gesetzentwurf ausgesprochen. Die Unionsfraktion hat
gegen den Gesetzentwurf gestimmt.
Beim damaligen Stand des Verfahrens war nicht er-
sichtlich, wie und in welchem Umfang der Ausgleich
von Bundes- und Länderinteressen innerhalb der Bun-
desanstalt erfolgen sollte. Deshalb wurde diesem Ge-
setzentwurf in einer Anhörung attestiert, gegen den ver-
fassungsrechtlichen Grundsatz der Bundestreue zu
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erstoßen und verfassungswidrig zu sein. Mittlerweile
iegt ein Verwaltungsabkommen vor, in dem dieser ge-
annte Ausgleich enthalten ist. Ich danke dem Bundesin-
enminister, dass er mit seinem neuen Stil von Kollegia-
ität mit den Innenministern der Länder eine schnelle
ösung im Streit um das Verwaltungsabkommen gefun-
en hat. Das Verwaltungsabkommen zwischen dem
und und den Ländern wurde heute Mittag paraphiert.
Mit dem Verwaltungsabkommen regeln Bund und
änder ihre Zusammenarbeit beim Aufbau und Betrieb
es BOS-Digitalfunks. Das Abkommen trifft klare Re-
elungen, beispielsweise über die Aufgaben des Verwal-
ungsrates, der Stimmenzahl der einzelnen Länder im
erwaltungsrat sowie über die jeweiligen Kostenanteile
on Bund und Ländern für die Realisierung der Netzab-
chnitte. Anders als vor einem Jahr wissen die Länder,
as auf sie zukommt, wenn die Bundesanstalt für den
igitalfunk gegründet wird. Deshalb ist der heutige Ge-
etzentwurf zustimmungsfähig.
Für den jetzt vorliegenden Gesetzentwurf spricht au-
erdem, dass er gegenüber dem alten Entwurf der Vor-
ängerregierung die Aufgaben des Verwaltungsrates we-
entlich erweitert: Die Satzung der Bundesanstalt wird
icht mehr durch den Präsidenten, sondern durch den
erwaltungsrat erlassen. Es wird festgelegt, dass die
ntscheidung über die grundsätzlichen Angelegenheiten
er Bundesanstalt dem Verwaltungsrat obliegt. Die Stär-
ung des Verwaltungsrats gegenüber dem früheren Ent-
urf ermöglicht es den Ländern, über dieses Gremium
hre Interessen besser zu vertreten und in die Bundesan-
talt einzubringen. Der Grundsatz der Bundestreue wird
ingehalten.
Die Situation hat sich gegenüber der von vor einem
ahr aufgrund des verbesserten – und vorab mit den Län-
ern abgestimmten – Gesetzentwurfs und dem mittler-
eile vorliegenden Verwaltungsabkommen geändert.
as im Entwurf vorgelegte BDBOS-Gesetz sowie das
erwaltungsabkommen bilden eine gute Grundlage, die
on der Innenministerkonferenz beschlossene BOS-
telle in Form einer Bundesanstalt für Digitalfunk zu
erwirklichen.
Ich plädiere dafür, das Gesetzgebungsverfahren in
undestag und Bundesrat zügig abzuschließen, damit
ie Bundesanstalt für Digitalfunk bald gegründet und die
oraussetzungen gegeben sind, mit dem Aufbau und Be-
rieb des Digitalfunks so schnell wie möglich zu begin-
en. Dies wird die Arbeit unserer Sicherheitsbehörden
erbessern und somit der Inneren Sicherheit in Deutsch-
and zugute kommen.
Gerold Reichenbach (SPD): Unter Fachleuten,
ber auch In der Politik ist seit mindestens einem halben
ahrzehnt unumstritten, dass unser veraltetes analoges
unksystem für die Behörden und Organisationen im Si-
herheitsbereich auf den modernen Digitalfunk umge-
tellt werden muss.
Der Digitalfunk bietet gegenüber dem analogen Sys-
em vor allem die seit langem geforderte Abhörsicher-
eit. Der Digitalfunk bietet höheren Kommunikations-
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komfort. Er bietet die Möglichkeit des Datentransports
und damit einer modernen Führung und Kommunika-
tion, er bietet die Möglichkeit der besseren Organisation
und eines effektiveren Managements des Funkverkehrs
und, last but not least, er verfügt über viel höhere Kapa-
zitäten – in Bezug auf Katastrophen und Großschadens-
lagen ein ganz wesentlicher Punkt.
Mit der Einführung des Digitalfunks in Deutschland
bewerkstelligen wir die Aufgabe, das größte europäische
Funknetz für die Behörden und Organisationen mit Si-
cherheitsaufgaben mit einem Schlag in die neue Technik
zu transformieren. Ich sage das ganz bewusst an die
Adresse all der Kritiker, die immer wieder moniert ha-
ben, dass Deutschland eines der letzten Länder ohne
diese neue Technik sei. Diese Transformation eines
komplett bestehenden Netzes ist keineswegs vergleich-
bar mit dem, was in anderen europäischen Ländern in-
zwischen an Neueinführungen, Pilotprojekten oder auch
Insellösungen realisiert wurde. Denn das, was in anderen
europäischen Ländern zum Großteil erst mit der Einfüh-
rung des Digitalfunks realisiert wurde, existiert und
funktioniert in Deutschland bereits seit Jahrzehnten: ein
einheitliches, integriertes Netz für alle Behörden und Or-
ganisationen im Sicherheitsbereich quer über alle Bun-
desländer.
Damit ist die Aufgabe, die wir uns vorgenommen ha-
ben, auch schwieriger. Aber sie lohnt die Anstrengung,
weil dadurch unsere Sicherheitsbehörden an Führungs-
und Kommunikationsfähigkeit und damit wir alle an Si-
cherheit hinzugewinnen. Und weil dies eine schwierige
Aufgabe ist, weil wir bei dieser neuen Technik Bund,
Länder und Gemeinden und ebenso Polizei, Feuerwehr
und Hilfsorganisationen gemeinsam mitnehmen müssen,
gerade deshalb hatten und haben wir einen erheblichen
Abstimmungsbedarf, nicht zuletzt bei der Finanzvertei-
lung.
Ich möchte an dieser Stelle unterstreichen: Dass wir
heute mit dem vorliegenden Gesetz einen weiteren wich-
tigen Schritt bei der Einführung des Digitalfunks ma-
chen, ist dem ehemaligen Bundesinnenminister Otto
Schily zu verdanken. Er hat mit seinem Angebot, dass
der Bund den Aufbau des Rumpfnetzes mit einer Flä-
chenabdeckung von 50 Prozent für jedes Bundesland
schultert, den gordischen Knoten der Finanzverteilungs-
frage zwischen Bund und Ländern durchschlagen. Damit
gelang ihm der entscheidende Durchbruch zur Realisie-
rung des Projektes. Und gleichzeitig hat er dafür gesorgt,
dass wir in Zukunft einen Wettbewerb bei den Anbietern
haben werden, indem er die Vergabe für den Betrieb des
Netzes und die Systemlieferung trennte. Diese Frage ist
gerade im Hinblick auf die Kosten, die bei den Endgerä-
ten auf die Gemeinden und Hilfsorganisationen zukom-
men, und im Hinblick auf die Frage, wie die weitere
technische Entwicklung des Netzes aussehen wird, nicht
unerheblich.
Für uns Sozialdemokraten war auch von Anfang an
klar, dass der Staat für die Einführung und den Betrieb
eines solchen für die innere Sicherheit eminent wichti-
gen Netzes die Eingriffs- und Kontrollbefugnisse behal-
ten muss. Uns war auch klar, dass für die Einführung
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nd den späteren Betrieb sowie den weiteren Ausbau des
etzes eine Organisationsform gefunden werden muss,
ie die Beteiligung der Länder gewährleistet, die nach
nserer Verfassung ja für einen nicht unwesentlichen
eil der Behörden und Organisationen im Sicherheitsbe-
eich zuständig sind oder die zuständigen kommunalen
ufgabenträger vertreten.
Und so debattieren wir heute erneut im Deutschen
undestag über ein Gesetz zur Errichtung einer Bundes-
nstalt für den Digitalfunk der Behörden und Organisa-
ionen mit Sicherheitsaufgaben. Wir erinnern uns, dass
ir bereits vor knapp einem Jahr, am 30. Juni 2005, in
iesem Hause mit der damaligen Regierungsmehrheit
in solches Gesetz beschlossen haben, das sich von dem
etzt eingebrachten Gesetz lediglich in Details, aber
icht in der Substanz unterscheidet. Dieses Gesetz fiel
diese kritische Anmerkung sei mir gegenüber unserem
euen Koalitionspartner erlaubt – sachlich unnötiger-
eise, aber politisch motiviert der Diskontinuität an-
eim, weil die Zustimmung im Bundesrat verweigert
urde. Eigentlich könnte ich, was die inhaltliche Be-
ründung des hier vorliegenden Gesetzes betrifft, die
eile meiner damaligen Rede, die übrigens damals schon
u Protokoll gegeben wurde, heute erneut zu Protokoll
eben.
Die wesentlichen Punkte lassen sich kurz wie folgt
usammenfassen. Wir brauchen die Bundesanstalt für
en Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit
icherheitsaufgaben, weil wir den Sach- und Fachver-
tand bündeln und die abzuschließenden Verträge für
lanung, Aufbau und Betrieb des Digitalfunksnetzes op-
imal managen wollen. Nur über die Bundesanstalt kann
er erforderliche technische und betriebswirtschaftliche
achverstand optimal gebündelt und eine kontinuierliche
ualitätssicherung gewährleistet werden.
Wir benötigen eine BOS-Stelle als einheitlichen
achwalter der von Bund und Ländern eingebrachten In-
eressen und Vermögenswerte. Wir folgen damit der zwi-
chen Bundesinnenminister und Landesinnenministern
m März 2004 geschlossenen Dachvereinbarung zur Zu-
ammenarbeit beim Aufbau und Betrieb eines bundes-
eit einheitlichen digitalen Sprech- und Datenfunksys-
ems für alle Behörden und Organisationen mit
icherheitsaufgaben und den dazugehörigen Beschlüs-
en der Innenminister, die eine solche BOS-Stelle ver-
inbarten.
Auch die Wirtschaft benötigt einen einheitlichen und
ompetenten Ansprechpartner. Dies kann der bisherige
00-köpfige Lenkungsausschuss von Bund und Ländern
icht leisten.
Und wir brauchen eine Stelle, die mit hoheitlichen
efugnissen ausgestattet, auch später die Eingriffsrechte
esitzt, um den Betrieb des Netzes jederzeit überwachen
der notfalls per Ersatzvornahme sicherstellen zu kön-
en.
Das Vergabeverfahren ist im Gange und die einzelnen
chritte werden ohne Zeitverzögerung kontinuierlich ab-
earbeitet. Und bei allem, was da auch an öffentlichen
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Positionierungen der Konkurrenten bzw. jetzt ausge-
schiedenen Konkurrenten zu hören ist: Die absolute Kor-
rektheit der Vergabestelle und der Durchführung der bis-
herigen Verfahrensschritte hat niemand, auch nicht die
ausgeschiedenen Bieter, in Zweifel gezogen.
Lassen Sie mich deshalb auch hier die Gelegenheit
nutzen, den vielen Beamten im Bundesinnenmmiste-
rium, bei den beteiligten Behörden der Länder, bei de-
nen, die in den Lenkungsausschüssen bei der Erstellung
der gemeinsamen Anforderungen, bei der Vorbereitung
und Durchführung der Ausschreibungs- und Vergabever-
fahren unzählige Arbeitsstunden geleistet haben – nicht
selten über die Wochenenden hinweg und in die Nacht-
stunden hinein –, meinen ganz herzlichen Dank auszu-
sprechen.
Wenn das Vergabeverfahren auch weiter ohne An-
fechtung verlaufen kann, werden wir es noch vor der
Sommerpause im Rahmen des Zeitplanes abschließen
können. Wenn bis zu diesem Zeitpunkt das Parlament
seine Hausaufgaben gemacht und das Gesetzgebungs-
verfahren zur Errichtung einer Bundesanstalt abge-
schlossen hat, dann bin ich optimistisch, dass noch in
diesem Jahr die konkreten Beauftragungen durchgeführt
werden können. Denn zeitgleich haben heute die Staats-
sekretärinnen und Staatssekretäre der Innenministerien
des Bundes und der Länder das Verwaltungsabkommen
zur Errichtung des Digitalfunks für die Behörden und
Organisationen mit Sicherheitsaufgaben paraphiert.
An dieser Stelle sei mir noch eine Anmerkung, auch
um der historischen Wahrheit willen, erlaubt: Wenn wir
das so, wie wir es uns vorgenommen haben, umsetzen
können, wird voraussichtlich noch in diesem Jahr Bun-
desinnenminister Wolfgang Schäuble den Startschuss
zum Aufbau des neuen digitalen Funknetzes geben kön-
nen. Aber ohne die wichtigen Vorarbeiten seines Vorgän-
gers Otto Schily und ohne seinen mutigen Schritt nach
vorne wäre dies nicht möglich. Oder um in einem alten
Sinnbild zu bleiben: Der Künstler, der am Ende das
Turmkreuz setzt, sollte den Baumeister nicht gering ach-
ten, der den Turm gebaut hat.
Die neue Technik bereits zur diesjährigen WM zur
Verfügung zu stellen, haben wir zwar nicht erreicht.
Aber wenn wir das, was sich Bund und Länder gemein-
sam vorgenommen haben, erreichen, nämlich die neue
Technik bis 2010 flächendeckend für alle Behörden und
Organisationen im Sicherheitsbereich einzuführen, dann
werden wir zwar nicht die Ersten in Europa bei der Ein-
führung eines digitalen Funknetzes gewesen sein, aber
wir werden das Land sein, das über das größte und am
weitesten integrierte Funknetz für alle Behörden und Or-
ganisationen mit Sicherheitsaufgaben verfügt.
Die SPD-Fraktion hat im Interesse der inneren Si-
cherheit diesen Weg immer konsequent verfolgt. Sie
wird es auch weiter tun.
Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Alter Wein in
neuen Schläuchen ist nicht besser. Auch in der neuen
Initiative der Bundesregierung bleibt die FDP bei ihrer
Kritik an der geplanten Einrichtung der Bundesanstalt
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ür Digitalfunk. Es ist für uns nicht ersichtlich, warum
ie im Gesetzentwurf der Bundesanstalt zugewiesenen
ufgaben nicht ebenso von einem entsprechenden Stab
m Bundesinnenministerium erledigt werden könnten.
ir brauchen nicht eine Vielzahl neuer Dienstposten,
ondern eine effiziente Ausgestaltung der Digitalfunk-
inführung. Die Kosten für eine Bundesanstalt von we-
igstens 3 Millionen Euro jährlich sind überflüssig.
uch teilen wir nicht den Optimismus, dass die zusätzli-
hen Personalkosten mit dem Wegfall von Planstellen im
MI finanziert werden können. Die Erfahrung mit der
ründung neuer Behörden spricht eindeutig dagegen.
ie Steuerung der Digitalfunkeinführung kann sehr gut
n Zusammenarbeit mit Privatunternehmen erfolgen –
as ist besser als jede neue Behörde. Als Vergabestelle
st die geplante Bundesanstalt für den Digitalfunk nur
ine weitere Behörde, die sich mit der Beschaffung be-
chäftigen soll. Gerade im Beschaffungswesen der Bun-
esregierung sind noch erhebliche Effizienzpotenziale
uszumachen. Allein das Beschaffungsamt des BMI ist
it 211,5 Stellen ausgestattet. Das sollte doch genügen.
s ist schon bezeichnend, wenn die Bundesregierung
itten in den Haushaltsplanberatungen in Zeiten knap-
er Kassen hier falsche Zeichen setzt. Die neue Bundes-
egierung nimmt die dringend notwendige Einführung
er digitalen Funktechnik für die BOS zum Anlass, mit
achhaltiger Wirkung das Geld der Steuerzahler zum
enster hinauszuwerfen.
Das Scheitern des ersten Anlaufs der rot-grünen Ko-
lition, eine solche Bundesanstalt einzurichten, hat zwar
urchaus einen Lerneffekt gebracht. Die Verbesserungen
m Gesetzentwurf gegenüber dem aus der vergangenen
ahlperiode haben aber wenig Bedeutung angesichts
er grundsätzlichen Schieflage des ganzen Projektes.
ber auch im Detail ist der Gesetzentwurf so jedenfalls
icht zustimmungsfähig. Das Herzstück des Gesetzes ist
as Verwaltungsabkommen von Bund und Ländern. Die-
es ist eben heute unterzeichnet worden. Wie wir Abge-
rdneten darüber informiert worden sind, ist kein Zeug-
is von parlamentarischer Gesinnung. So wäre eine
ustimmung zu dem Gesetz ein Blankoscheck für die
egierung. Alle Kolleginnen und Kollegen, die den
ontrollauftrag des Parlaments ernst nehmen, können
iner solchen Blanko-Ermächtigung nicht zustimmen.
Die eigentümlichen Modalitäten der Ausschreibung
ür die Einführung des Digitalfunks, die sinnigerweise
u einem einzigen verbleibenden Bieter geführt haben,
ind – um es vorsichtig auszudrücken – dabei ähnlich
ngewöhnlich, wie die vorgesehene Bundesanstalt. Die
inanzierung des gesamten Projekts für den Bund – bei
inem Bieter ist die Auswahl ja eher gering –, aber auch
ie Finanzierungsbedingungen für jedes einzelne Bun-
esland geraten so aus dem Blick. Haben denn der Bund
nd vor allem die Länder schon jetzt einen klaren Über-
lick über die dauerhaften Folgekosten? Wer trägt zum
eispiel die Kosten der Weiterentwicklung? Da nach all-
em, was man in der Öffentlichkeit erfährt, das Vergabe-
erfahren rechtlich – vorsichtig gesagt – bedenklich ist,
ächst mein Verständnis für die, die nach einem siche-
en Neustart für das Projekt rufen. Denn wir sollten
chnellstmöglich die beste Technik in Deutschland um-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 35. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Mai 2006 3055
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setzen. Dies ist in Gefahr durch rechtliche und techni-
sche Risiken, fehlende politische Grundlagen und
unübersehbare finanzielle Fragen. Eine neue Ausschrei-
bung könnte bei größerer Technikoffenheit möglicher-
weise nicht nur die Kosten für den BOS-Digitalfunk
reduzieren, sondern die Einführung sogar noch be-
schleunigen. Es wäre eine Schande, wenn wir nun noch
länger auf die Einführung des Digitalfunks warten müss-
ten. Wir haben schwerwiegende Bedenken gegen diesen
Gesetzentwurf, den Umgang mit dem Parlament und vor
allem die Art und Weise, wie die Bundesregierung die
schnellstmögliche Einführung des Digitalfunks durch
mögliches Missmanagement insgesamt riskiert.
Ulla Jelpke (DIE LINKE): Was die von der Bundes-
regierung angestrebte Bundesanstalt regeln soll, ist ein
völlig überteuertes und unnötiges Projekt. Wie mittler-
weile üblich, wird der Öffentlichkeit auch die Einfüh-
rung des Digitalfunks als absolut notwendige Maßnahme
zur Gewährleistung der Sicherheit verkauft. Ohne den
angeblichen Antiterrorkampf zu beschwören, geht nach
Ansicht der Regierung offenbar gar nichts mehr. Das ist
in diesem Fall doppelt absurd: Erstens muss die Regie-
rung auf Nachfrage jedes Mal zugeben, dass sie über-
haupt keine konkreten Erkenntnisse zu einer Gefährdung
durch Terrorbanden hat. Zweitens ist das vorgeschlagene
Mittel, also der digitale Funkverkehr, kein geeignetes
Mittel.
Einen dritten Grund, weswegen die Fraktion Die
Linke den Gesetzentwurf der Regierung ablehnt, will ich
hier auch gleich nennen: Das ganze Projekt ist schlicht
und einfach nicht realistisch finanzierbar. Die Kosten-
schätzungen für die bundesweite Einführung des Digital-
funks, die beispielsweise von der Gewerkschaft der
Polizei vorgenommen wurden, belaufen sich auf Ge-
samtkosten von über 7 Milliarden Euro. Und da frage ich
mich natürlich, wo dieses Geld herkommen soll.
Hinzu kommt, dass die ursprüngliche Absicht, ein eu-
ropaweit abgestimmtes Digitalfunknetzwerk aufzu-
bauen, schon lange gescheitert ist. Der Wegfall der Bin-
nenkontrollen im Schengenraum sollte ja quasi
kompensiert werden durch eine Harmonisierung des Di-
gitalfunkverkehrs möglichst aller europäischen Staaten.
Weil das Projekt aber niemals richtig vorangekommen
ist, sind einzelne Länder wie Frankreich mit Alleingän-
gen vorgeprescht, und die Modellversuche, wie sie etwa
vor einigen Jahren im grenznahen Bereich Aachen statt-
gefunden haben, haben schlicht und einfach keine Zu-
kunft. Die Harmonisierungsbemühungen, die jetzt noch
von der Polizeiarbeitsgruppe des Rates der Innen- und
Justizminister angestrengt werden, sind im Wesentlichen
Makulatur. Es ist nicht ernsthaft zu erwarten, dass ein
Land, das sich bereits für einen bestimmten Standard
entschieden hat, nun wieder alles rückgängig macht, um
doch noch eine gemeinsame Lösung zu finden. Das wäre
erst recht nicht zu finanzieren. Ich habe sowieso den
Eindruck, dass die Schwachstellen des Systems bislang
nicht richtig zur Kenntnis genommen werden. So ist
etwa die so genannte In-house-Versorgung nicht gewähr-
leistet. Das bedeutet, dass Polizei- oder Feuerwehrange-
hörige, die sich in Häusern befinden, keinen oder nur er-
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chwerte Kommunikationsmöglichkeiten haben. Was im
alle eines Ausfalls der verschiedenen Server, die für
en Digitalfunk ermöglicht werden, passiert, ist ohnehin
lar: Absolute Funkstille im wahrsten Sinn des Wortes
äre die Folge. Eine Panne, die beim bisherigen Analog-
unkverkehr ausgeschlossen ist. Der Polizeiexperte
tephan Stolle kam wegen all dieser Faktoren bereits vor
rei Jahren in einem Artikel für die Zeitschrift CILIP zu
em Schluss, dass der Analogfunkverkehr alle notwen-
igen Aufgaben bereits erfüllt und das Projekt Digital-
unk im Wesentlichen als gescheitert betrachtet werden
uss. Anstatt nun also eine Behörde einzurichten, die
ine Totgeburt meistern soll, wäre der Sicherheit mehr
amit gedient, die Ausstattung beispielsweise der Feuer-
ehr zu verbessern.
Einen Punkt will ich noch ansprechen: § 15 des Ge-
etzentwurfs sieht vor, die Anstalt dazu zu ermächtigen,
ich gewaltsamen Zutritt zu all solchen Unternehmen zu
erschaffen, die für sicherheitsrelevant gehalten werden.
s ist bezeichnend, dass die Bundesregierung als Bei-
piel für einen möglichen Einsatz ausgerechnet das Ge-
ährdungsmerkmal „rechtswidriger Streik“ anführt.
Die Bundesanstalt soll also ausdrücklich als Streik-
recherin eingesetzt werden können. Und was heißt
chon „rechtswidriger“ Streik: Die Zeit, um gerichtlich
ie Zulässigkeit eines Streiks zu prüfen, soll sich die An-
talt ja gar nicht nehmen. Es ist ausdrücklich nicht der
ang zu einem Gericht vorgesehen, sondern ein „verein-
achtes“ Verfahren.
Diesem überteuerten, unsinnigen und den Rechtsfrie-
en gefährdenden Projekt wird Die Linke deswegen
icht zustimmen.
Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/DIE
RÜNEN): Der Gesetzentwurf zur Einrichtung einer
undesanstalt für den Digitalfunk wurde bereits von
ot-Grün verabschiedet und anschließend leider im
undesrat blockiert. Ich begrüße, dass die CDU/CSU
unmehr ihre Bedenken zurückgestellt hat. Auch wenn
ch bedauere, dass aus parteipolitischen und wahltakti-
chen Gründen hier erneut fast ein Jahr verloren gegan-
en ist und die Einführung eines digitalen Funknetzes
ür Polizei, Feuerwehr, Katastrophen- und Rettungs-
ienste weiterhin nur im Schneckentempo vorankommt.
Dass Deutschland nicht in der Lage war, zur Fußball-
M ein modernes digitales Funknetz einzuführen, ist
in Armutszeugnis für die Sicherheitspolitik. Schuldzu-
eisungen kann man hier wechselseitig an den Bund
nd die Länder geben. Die Einführung bzw. die jahre-
ange Blockade der Einführung des digitalen Polizei-
unks ist ein Beispiel dafür, wie gefährlich schwerfällig
er Föderalismus sein kann.
Es ist erfreulich, dass Bund und Länder sich offen-
ichtlich auf ein Verwaltungsabkommen verständigt ha-
en und dies bereits paraphiert ist. Die Einrichtung einer
undesanstalt als Bündelungs- und Koordinierungsbe-
örde für die organisatorische Bewältigung der Aufga-
en zur Einführung eines digitalen Funknetzes habe ich
nter Rot-Grün begrüßt und meine Haltung hat sich auch
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jetzt in der Oppositionsrolle nicht geändert. Es ist erfor-
derlich, dass die Interessen der Nutzer des Digitalfunks
gebündelt wahrgenommen werden und das Zweckver-
mögen gemeinsam verwaltet wird.
Lassen Sie mich aber auch ein paar kritische Anmer-
kungen machen. Wir wollen ein Höchstmaß an Transpa-
renz im weiteren Verfahren. Ich lasse mich nicht in
Haftung nehmen für den Vertrag, den der ehemalige
Bundesinnenminister Otto Schily mit der Deutschen
Bahn AG geschlossen hat. Die Bahntochter Telematik
soll den Betrieb eines Rumpfnetzes übernehmen. Dieser
Alleingang des damaligen Bundesinnenministers hat si-
cherlich nicht zu einem konstruktiven gemeinsamen
Handeln von Bund und Ländern beigetragen. Das Parla-
ment ist über das ganze Vertragsverfahren mit der Deut-
schen Bahn nach wie vor nur sehr unzureichend infor-
miert.
Aus den Medien war zu entnehmen, das EADS einzig
verbliebener Bewerber um die Auftragsvergabe für die
Systemtechnik ist. Auch hier gilt: Die Entscheidung im
Ausschreibungsverfahren ist für uns Abgeordnete nicht
transparent. Ausgeschiedene Anbieter haben bereits mit
einem gerichtlichen Klageverfahren gedroht. Wir wer-
den im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens im Innenaus-
schuss einen ausführlichen Bericht der Bundesregierung
zu diesen Vertrags- und Ausschreibungsverfahren for-
dern. Schließlich geht es hier um Milliardenbeträge, für
die das Parlament in den Haushalten die Verantwortung
übernehmen soll.
Bereits im ersten rot-grünen Gesetzesverfahren haben
wir durch Änderungsanträge darauf hingewirkt, dass das
Haushaltsrecht des Parlamentes und das Kontrollrecht
des Bundesrechnungshofes gestärkt wurde. Ich begrüße,
dass die große Koalition an diesen Beschlüssen festge-
halten hat.
Ich erwarte, dass Bundesinnenminister Schäuble nicht
nur den Ländern durch die Bundesanstalt Mitwirkungs-
rechte einräumt, sondern gleichermaßen das Parlament
an dem weiteren Verfahren beteiligt und für die erforder-
liche Transparenz sorgt.
Anlage 8
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Fördergesetz für
Dieselrußpartikelfilter baldmöglichst vorlegen
(Tagesordnungspunkt 20)
Jens Koeppen (CDU/CSU): Wir beraten hier und
heute über einen Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen mit folgendem Ziel: die Bundesregierung aufzu-
fordern, ein Gesetz zur steuerlichen Förderung des Parti-
kelfilters vorzulegen, welches spätestens zum 1. Juli
2006, also in anderthalb Monaten, in Kraft treten soll.
Dies mit der Begründung, dass die Bundesregierung seit
der Neuwahl die Maßnahmen zur Reduktion der Parti-
kelemissionen verzögert und – zusammen mit der deut-
schen Automobilindustrie – die Filtertechnologie blo-
ckiert. Die Fraktion der Grünen hält darüber hinaus die
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inanzierung durch die Länder für problemlos und sieht
ier „keine unverhältnismäßige Belastung“.
Als ich diesen Antrag las, wusste ich ehrlich gesagt
berhaupt nicht, welche Passage ich am schlechtesten
echerchiert fand. Ich möchte Ihnen einige ausgewählte
unkte nennen, um zu begründen, warum meine Frak-
ion diesen, Ihren Antrag ablehnen wird.
Erstens. Die Belastung der Luft hat in den letzten Jah-
en und Jahrzehnten insgesamt deutlich abgenommen.
ie aktuelle Diskussion um die Feinstaubbelastung
urde dadurch ausgelöst, dass die sehr anspruchsvollen
U-Immissionsgrenzwerte in einigen Regionen über-
chritten worden sind. Diese Grenzwerte haben das Ziel,
ie Luftqualität kontinuierlich zu verbessern, um die
enschliche Gesundheit zu schützen. Dies ist ein ehren-
ertes und richtiges Anliegen. Nichtsdestoweniger halte
ch nichts davon, Hysterie und Panik zu verbreiten. Es ist
nzutreffend, zu glauben, dass bis zur 34. Überschreitung
es Tagesgrenzwertes die Luftqualität unbedenklich ist
nd bei der 35. Überschreitung die Situation lebensbe-
rohlich wird. Es hat auch nichts mit Verharmlosung zu
un, diese Werte realistisch zu betrachten und nicht in
urzfristigen Aktionismus zu verfallen, wie Sie es hier
erade wieder einmal tun.
Sie schreiben, dass „vor allem Partikelemissionen aus
em Straßenverkehr die Sterblichkeitsrate erhöhen“. Das
rifft schlichtweg nicht zu. Die Deutsche Gesellschaft für
neumologie sagt ganz klar, dass die natürlichen Quel-
en für Feinstaub wie Bodenerosion, Sandstürme, Vul-
ane und Pollen quantitativ deutlich überwiegen. Auch
ie sollten sich daher Ihrer Verantwortung gegenüber der
evölkerung bewusst werden, wenn Sie solche Anträge
m Parlament einbringen bzw. derartige Aussagen tref-
en.
Zweitens. Schon heute besitzen über 60 Prozent aller
eu zugelassenen Dieselfahrzeuge einen Partikelfilter.
ie deutschen Automobilhersteller haben in einer
elbstverpflichtung zugesagt, ab 2008 alle Diesel-PKWs
erienmäßig mit dem Partikelfilter auszustatten. Jeder
ürger kann verfolgen, dass jetzt schon der Wiederver-
aufswert veralteter Dieselfahrzeuge sinkt, etwa durch
ie künftige Einrichtung von Umweltzonen oder aber
teuerliche Nachteile. Unterschätzen wir also nicht die
elbstregulation des Marktes! Neue Diesel-PKWs ohne
ilter sind kaum noch verkäuflich. Eine bessere Motiva-
ion für die Autohersteller, ihre Fahrzeuge auf den neu-
sten Stand zu bringen, kann es doch wohl kaum geben.
Drittens. Sie behaupten, dass ein schnelles Förderpro-
ramm für die Länder keine unverhältnismäßige Belas-
ung darstellt. Auch das trifft nicht zu. Nicht umsonst hat
er Bundesrat im vergangenen Jahr das Modell der da-
aligen Bundesregierung abgelehnt. Dort waren keiner-
ei Angaben zu einer Gegenfinanzierung enthalten und
ie Deckungslücke in den Landeshaushalten betrug weit
ehr als 1 Milliarde Euro. Dabei lag der Fokus aus-
chließlich auf dem Feinstaub. Dieser ist aber nicht der
inzige Schadstoff, der in der Betrachtung alter Diesel-
ahrzeuge eine Rolle spielt. Was passiert denn, wenn im
ächsten Jahr die Stickoxidbelastung in den Medien
erausgestellt wird und Sie wieder auf den Zug der
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 35. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Mai 2006 3057
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allgemeinen Hysterie aufspringen? Wollen Sie dann das
nächste Fördermodell beantragen? Sollen wieder die
Länder zur Kasse gebeten werden? Und werden dann die
Besitzer der für viel Geld nachgerüsteten Altfahrzeuge
immer noch auf der sicheren Seite sein? Was ich damit
ins Spiel bringen möchte, lässt sich unter dem Stichwort
Folgenabschätzung zusammenfassen.
Und dieser Gedanke führt mich auch gleich zu meinem
vierten Punkt. Wenn es denn so einfach wäre, so unkom-
pliziert und haushaltspolitisch unbedenklich, ein Förder-
programm für Partikelfilter aufzusetzen, warum haben
Sie das in den vergangenen zwei Legislaturperioden denn
nicht getan? Sie werfen der Bundesregierung Verzöge-
rungstaktik vor, einer Regierung, die seit einem halben
Jahr im Amt ist. Sie selbst haben aber in den sieben Jahren
davor gar nichts auf den Weg gebracht, um – wie Sie sa-
gen – die Gesundheit der Menschen in unserem Land zu
schützen. Das ist die Situation.
Die Umweltminister der Länder haben schon 2001
und 2003 den Bund aufgefordert, ein Konzept für steuer-
liche Anreize für Partikelfilter vorzulegen und die Fein-
staubproblematik in den Griff zu bekommen. Die
64. Umweltministerkonferenz hat diese Forderung noch
einmal bestätigt. Sie waren damals nicht in der Lage, ein
tragfähiges und zielführendes Konzept zu erarbeiten und
jetzt tun Sie wieder einmal so, als wären Sie in den letz-
ten Jahren nicht in der Verantwortung gewesen. Das ist
ebenso geschickt wie unseriös.
Schließlich sollten wir uns fünftens auch Gedanken
um die Aufwand-Nutzen-Rechnung machen. Es gibt
durchaus seriöse Erhebungen, nach denen Dieselmoto-
ren nur für 5 Prozent der gesamten Feinstaubbelastung
verantwortlich sind. In anderen Worten: Selbst wenn alle
Dieselfahrzeuge in Deutschland einen Partikelfilter hät-
ten, würden die Grenzwerte überschritten.
Wir sollten dieses Thema also sachlich diskutieren
und uns fragen, ob es wirklich Sinn macht, ein Pro-
gramm im Schnellverfahren zu verabschieden, dessen
Kosten den Nutzen kaum rechtfertigen würde.
Mein sechster und letzter Gedanke betrifft ebendiese
sachliche Diskussion. Im Koalitionsvertrag steht: „CDU/
CSU und SPD haben es sich zum Ziel gesetzt, die Nach-
rüstung von Kraftfahrzeugen mit Partikelfiltern aufkom-
mensneutral steuerlich zu fördern und ab 2008 neue
Kraftfahrzeuge ohne diesen Standard mit einem steuerli-
chen Malus zu belegen. Die Bundesregierung wird mit
einer möglichst einfachen Lösung die Fahrzeuge so
kennzeichnen lassen, dass Fahrzeuge mit geringem
Schadstoffausstoß von Verkehrsbeschränkungen ausge-
nommen werden können und ein Anreiz zum Einsatz
von Partikelfiltern gegeben wird.“ Es gibt – wie Sie ja in
der Vergangenheit selbst erfahren durften – eine Vielzahl
von Faktoren, die in diesem laufenden Verfahren berück-
sichtigt werden müssen. Ich habe Ihnen einige davon ge-
nannt. Nach Auffassung meiner Fraktion hat die ehema-
lige Bundesregierung mit ihrem Vorschlag zur Diesel-
PKW-Förderung eine zu komplizierte und zu wenig
durchdachte Regelung vorgeschlagen. Mit ihr wird zu-
dem nur ein Bruchteil der tatsächlichen Feinstaub-
emissionen bekämpft.
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Wir brauchen aber nicht nur eine umweltpolitisch be-
riedigende Regelung. Sie muss zudem finanzierbar, so-
ial verträglich und nachhaltig sein. Wenn die Koalition
ich nicht in ständigen „Nachbesserungen“ und bürokra-
ischen Überregelungen verlieren will, sollte einer ge-
etzlichen Regelung eine sachbezogene, von ideologi-
chen Scheuklappen freie Diskussion vorangehen. In
hrem Antrag kann ich einen solchen Ansatz wirklich
icht erkennen.
Gabriele Frechen (SPD): Die Feinstaubbelastung in
eutschen Städten und Ballungsräumen hat zum Ende
es Jahres 2005 weiter zugenommen. Laut Umweltbun-
esamt haben im abgelaufenen Jahr 30 Städte das EU-
eit gültige Feinstaublimit überschritten. Das meldet die
eitung „Die Welt“ am 3. Januar dieses Jahres.
In Leipzig und München wurden jeweils 107 Über-
chreitungen gemessen, in Stuttgart nach Angaben des
egierungspräsidiums an der Messstelle Neckartor an
73 Tagen. Erlaubt sind nach EU-Richtlinie Überschrei-
ungen an maximal 35 Tagen.
Als erste deutsche Großstadt hat Stuttgart zum Jahres-
eginn 2006 ein großflächiges Durchfahrtsverbot für
KW ab 3,5 Tonnen zur Verringerung der Feinstaubbe-
astung eingeführt. Verstöße werden mit Bußgeldern ge-
hndet, nur der Lieferverkehr ist von dem Verbot ausge-
ommen. In einem zweiten Schritt soll es von Juli 2007
n für Autos ohne geregelten Filter mit hohem Schad-
toffausstoß ein ganzjähriges Fahrverbot in der City ge-
en. 2012 sollen Dieselfahrzeuge mit einem schlechte-
en Standard als Euro 3 und ohne Partikelfilter aus dem
tadtzentrum verbannt werden.
Warum interessiert uns das? Noch vor wenigen Jahren
ind Autofahrer auf Dieselfahrzeuge umgestiegen, nicht
ur deshalb, weil diese Fahrzeuge weniger und billige-
en Kraftstoff brauchen, sondern auch deshalb, weil sie
er Meinung waren, einen Beitrag zum Umweltschutz
u leisten. „Ich fahre einen umweltfreundlichen Diesel“.
on diesem Satz waren viele Dieselfahrer überzeugt.
Seit einigen Jahren wissen wir es besser. Nicht nur in-
eressierte Kreise befassen sich damit. Feinstaub ist in
en Mittelpunkt des öffentlichen Interesses gerutscht.
öllig zu Recht: Nach dem Gesundheitsbericht 2002 der
eltgesundheitsorganisation WHO verursachen urbane
artikelemissionen etwa 5 Prozent aller Krebserkran-
ungen der oberen Atemwege und der Lunge. Die klei-
eren und leichteren Rußpartikel, die die modernen Die-
elmotoren ausstoßen, sind besonders lungengängig und
erursachen Lungen- und Herzerkrankungen.
Ganz besonders betroffen von den Atemwegserkran-
ungen sind Kinder. Das ist nicht verwunderlich, wenn
an bedenkt, dass Kinder kleiner und damit näher an der
öchsten Konzentration der Feinstäube im Straßenraum
ind und gleichzeitig die Immunabwehr weniger ausge-
ildet ist.
Das Aktionsbündnis „Kein Diesel ohne Filter“, ein
esellschaftliches Bündnis von Umweltverbänden, Au-
omobil- und Verkehrsclubs, Gesundheitsexperten und
3058 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 35. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Mai 2006
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Kinderschutzorganisationen, macht sich seit Jahren für
die schnelle Einführung von Partikelfiltern stark.
Eine steuerliche Förderung kann die Einführung von
Dieselrußpartikelfiltern zum Schutz der Gesundheit be-
schleunigen. Innovative mittelständische Unternehmen
in Deutschland haben schon lange die Technik entwi-
ckelt, die Schadstoffemission um bis zu 99,9 Prozent zu
mindern. Die Entwicklung, die Herstellung, die Ausrüs-
tung von Neufahrzeugen und die Nachrüstung von Alt-
fahrzeugen zeigen beste, moderne Ingenieurleistung,
schaffen Arbeitsplätze und leisten einen erheblichen
Beitrag zum Umweltschutz.
Auch die Automobilindustrie selbst, die diese Ent-
wicklung nicht gesehen, falsch eingeschätzt oder einfach
nur verschlafen hat, versucht mittlerweile, verlorenes
Terrain zurückzugewinnen. Geht man auf die Internet-
seiten von deutschen Automobilherstellern findet man
bei Dieselfahrzeugen zum Beispiel unter technische Da-
ten „Oxydationskatalysator, Abgasrückführung, war-
tungsfreier Partikelfilter“ oder unter Ausstattungsmerk-
malen: Dieselpartikelfilter.
Wir haben bereits eine Reihe von Maßnahmen zur
Bekämpfung der großräumigen Belastung durch Fein-
staub initiiert. Dazu gehören die Novelle der Großfeue-
rungsanlagenverordnung und der TA Luft, aber auch die
Einrichtung eines Förderschwerpunktprogramms für
partikel- und stickstoffarme Nutzfahrzeuge im ERP-Um-
weltprogramm.
Warum es bisher noch kein Gesetz zur Förderung von
Dieselrußpartikelfiltern gibt, haben die, Kolleginnen und
Kollegen von der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grü-
nen in ihrem Antrag aufgezeigt. Das ist aber auch das
einzige, was ich diesem Antrag zugute halten kann, denn
er war überflüssig. Nächste Woche stellt das Bundesum-
weltministerium zusammen mit dem Bundesfinanzmi-
nisterium der interessierten Öffentlichkeit das erarbeitete
Konzept vor. Gleichzeitig befindet sich das Ministerium
in den Detailabstimmungen mit den Bundesländern.
Dass sich Bund und Länder einig in der Art und Weise
der Förderung sind, kann doch nur in unserem Sinne
sein, denn wie Sie richtig im Antrag schreiben, ist die
Kfz-Steuer eine Ländersteuer und der Bundesrat muss
dem Gesetz zustimmen.
Der SPD-Bundestagsfraktion ist es im Sinne der Ge-
sundheit und der Umwelt lieber, dass wir in ein paar Wo-
chen ein Gesetz bekommen, das die Zustimmung des
Bundesrates findet, als das wir nächste Woche eines be-
kommen, das wieder vor dem Bundesrat scheitert. Si-
cherheit vor Schnelligkeit, das sollte auch Ihr Wille sein.
Deshalb war Ihr Antrag eine gute chronologische
Aufarbeitung der Vergangenheit, mehr aber auch nicht.
Michael Kauch (FDP): Die vor allem im letzten Jahr
öffentlich breit geführte Debatte über die Feinstaubbe-
lastung hat deutlich gemacht, dass Dieselfahrzeuge ab-
gasärmer werden müssen. Ab 2008 müssen Neufahr-
zeuge strengeren EU-Abgasnormen genügen, auch im
Blick auf Feinstaubemissionen von Diesel-PKW. Aber
wir werden weiterhin einen großen Altbestand an Fahr-
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eugen mit hohem Partikelausstoß haben. Dass daher der
achrüstung mit Rußpartikelfiltern eine entscheidende
olle zukommt, steht außer Frage. Die Bekämpfung des
chadstoffausstoßes am Fahrzeug hat Priorität gegen-
ber meist untauglichen und unverhältnismäßigen Stra-
ensperrungen. Deshalb muss die Nachrüstung mit Par-
ikelfiltern vorangetrieben werden.
Gleichzeitig darf aber nicht der Fehler gemacht wer-
en, sich bei der Ausgestaltung auf den derzeitigen Par-
ikelfilter zu beschränken und sie damit auf eine Techno-
ogie zu reduzieren. Zukünftige Technologien müssen
ie gleiche Chance und den gleichen Anspruch auf För-
erung haben wie die aktuelle Filtertechnologie. Die
taatliche Förderung muss technikunabhängig ausgestal-
et, ausschließlich an die Erreichung ökologischer Ziele
eknüpft und auf Regelungen zur Nachrüstung be-
chränkt sein.
Bündnis 90/Die Grünen fordern in ihrem Antrag,
ahrzeuge ohne Partikelfilter bei der Kfz-Steuer deutlich
u belasten. Eine Steuererhöhung für alte, nicht nachge-
üstete Fahrzeuge als Art finanzieller Bestrafung lehnt
ie FDP-Bundestagsfraktion dagegen eindeutig ab.
Durch die recht aufgeregte Debatte im letzten Jahr um
ie Feinstaubrichtlinie ist zwar das Bewusstsein für den
ieselrußpartikelfilter geschärft worden. Wir dürfen
ber nicht vergessen, dass die Autofahrer in der Vergan-
enheit durch niedrige – steuerlich bedingte – Preise an
er Zapfsäule regelrecht zum Kauf eines Dieselfahrzeu-
es gedrängt wurden. Genau das hat die Politik im Blick
uf niedrigere CO2-Emissionen gewollt. In der Mehrzahl
aren dies allerdings Fahrzeuge ohne Filter. Die betrof-
enen Verbraucher verdienen daher auch jetzt staatlicher-
eits Vertrauensschutz. Wenn die Politik die Bürgerinnen
nd Bürger damals aus vorgeblich ökologischen Grün-
en zu einem bestimmten Verbraucherverhalten geleitet
at, darf die Politik sie heute nicht nachträglich durch
öhere Steuern bestrafen.
Unabhängig davon, ob sich die Förderung über die
fz-Steuer oder direkte Zuschüsse vollzieht, stellt sich
ie Frage der Finanzierung. Derzeit wollen weder der
und noch die Länder die finanziellen Mittel bereitstel-
en. Es ist höchste Zeit, dass es zu einer gemeinsamen
ösung von Bund und Ländern kommt. Es ist bemer-
enswert, dass die Koalition der Steuererhöhungsorgien
ngeblich keine Mittel hierfür aufbringen kann. Wenn
ie schon die Biokraftstoffe besteuern wollen – was die
DP ablehnt – warum verwenden Sie dann das Aufkom-
en nicht wenigstens zur Förderung der Partikelfilter?
ber die Wahrheit ist ja: Dieser Bundesregierung geht es
inanzpolitisch nicht um sinnvolle ökologische Instru-
ente, sondern um das Kassemachen zur Vermeidung
on Reformen.
Ohnehin hätte die neue Bundesregierung bei der Fein-
taubreduzierung längst zu Initiativen kommen können
nd müssen. Die Verlierer sind die Kommunen. Ein
chnelles Handeln ist erforderlich, damit die Städte und
emeinden bei der Bekämpfung der Feinstaubbelastung
icht länger allein gelassen werden. Eine Bekämpfung
es Feinstaubes an der Quelle, dem Fahrzeug, ist wir-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 35. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Mai 2006 3059
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kungsvoller als fragwürdige Fahrverbote oder eine
Citymaut.
Lutz Heilmann (DIE LINKE): Auch die Fraktion Die
Linke setzt sich dafür ein, dass die Feinstaubbelastung
wirksam und zügig gesenkt wird. Der Antrag der Grünen
enthält dazu zwar einige richtige Ansätze, aber auch er-
hebliche Schwächen.
Zunächst einmal muss die Frage gestattet sein, warum
Sie dieses dringliche Anliegen nicht in Ihrer siebenjähri-
gen Regierungszeit umgesetzt haben? Oder anders ge-
fragt: Warum glauben Sie, dass Sie jetzt, wo Sie die Op-
positionsbank drücken, eine Mehrheit für dieses Anliegen
bekommen?
Die Hauptschwäche Ihres Antrags ist, dass er sich
ausschließlich auf die Feinstaubbelastung bezieht. Noch
länger als über die steuerliche Förderung von Dieselruß-
filtern wird über die generelle Umstellung der Kfz-
Steuer auf Kohlendioxid als Bemessungsgrundlage ge-
sprochen. Das haben Sie allerdings ebenso wenig reali-
sieren können.
Notwendig ist, die Kfz-Steuer grundlegend zu überar-
beiten, anstatt sie alle halben Jahre zu novellieren. Die
Einführung einer steuerlichen Förderung für Dieselruß-
filter halten wir deshalb für den zweiten vor dem ersten
Schritt. Ein aufkommensneutrales Gesamtkonzept für
die Kfz-Steuer sollte so ausgestaltet werden, dass der
CO2-Ausstoß als wesentliche Bemessungsgrundlage
dient.
Zusätzlich dazu sind Zu-und Abschläge entsprechend
der Einhaltung der Abgasnormen vorzusehen. Wenn da-
bei die Abstufung zwischen den verschiedenen Emis-
sionsklassen groß genug ist, würde daraus ein erheblicher
steuerlicher Anreiz entstehen, Fahrzeuge umzurüsten.
Ein zusätzlicher Anreiz entsteht bereits jetzt daraus, dass
der Wiederverkaufswert für Fahrzeuge ohne Rußfilter
niedriger ist als bei Fahrzeugen mit Filter; Schätzungen
gehen von bis zu 1 000 Euro Differenz aus.
Wenn man dann noch bedenkt, dass bei Verabschie-
dung der Vignetten-Verordnung die Kommunen bald
Fahrverbote für die meisten Fahrzeuge ohne Rußfilter
verhängen können, stellt sich die Frage, ob wir eine zu-
sätzliche steuerliche Förderung wirklich brauchen. Wir
haben zwar nichts gegen die steuerliche Förderung von
Innovationen im Umweltbereich, aber Steuergelder soll-
ten so eingesetzt werden, dass sie eine nachhaltige Poli-
tik befördern. Die Förderung würden wir deshalb insbe-
sondere unter dem Aspekt betrachten, dass finanzielle
Einbußen oder Mehrbelastungen für einkommensschwa-
che Haushalte auszugleichen sind.
Notwendig ist zweitens – da stimmen wir Ihnen zu –,
dass alle Neuwagen bereits von den Herstellern mit Ruß-
filtern ausgestattet werden. Nach der Selbstverpflichtung
der Hersteller soll dies erst 2008 Realität werden. Ein
Wort zum Instrument freiwilliger Selbstverpflichtungen
der Automobilindustrie. Dem stehen wir sehr skeptisch
gegenüber. Ich denke, das absehbare Scheitern der
Selbstverpflichtung der europäischen Hersteller zur Sen-
kung des CO2-Ausstoßes gibt uns Recht. Um ein Miss-
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ingen zu verhindern, sollte die Verpflichtung zum Ein-
au von Rußfiltern in alle Neufahrzeuge spätestens ab
008 gesetzlich vorgeschrieben werden.
Die dritte Schwachstelle Ihres Antrags ist, dass Sie
icht nur Vollfilter, sondern auch so genannte Teilfilter
teuerlich fördern wollen. Noch schlimmer sind aller-
ings die Regierungspläne, ausschließlich Teilfilter zu
ördern.
Denn insbesondere beim Einsatz von Teilfiltern
ommt es zu einer Erhöhung der Emissionen von Stick-
toffdioxid, das ebenfalls erhebliche Gesundheitsbeein-
rächtigungen zur Folge hat. Hier sollte eine genaue Ab-
ägung von Vor- und Nachteilen erfolgen, sodass der
eufel nicht mit dem Beelzebub ausgetrieben wird. Statt
iner pauschalen Förderung aller Rußfilter ungeachtet
hrer sonstigen Emissionen ist eine Gesamtbetrachtung
er Emissionen bei der Neuausrichtung der Kfz-Steuer
esentlich sinnvoller und besser für Mensch und Um-
elt.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
nlage 9
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Stärkung der Fahrgastrechte (Tagesordnungs-
punkt 21)
Marco Wanderwitz (CDU/CSU): Der uns heute vor-
iegende Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Fahr-
astrechte kommt bezeichnender Weise von der Fraktion
es Bündnisses 90/Die Grünen, also genau von der
raktion, die in der letzten Legislaturperiode in Regie-
ungsverantwortung gestanden hat und die Schaffung
ustiziabler Rahmenbedingungen zur Stärkung der Fahr-
astrechte unterließ.
In der Plenardebatte am 24. Februar 2005, also vor
ut einem Jahr, wurden die Anträge der CDU/CSU-Bun-
estagsfraktion zu dieser Thematik mit der Koalitions-
ehrheit von SPD und Grünen abgelehnt. Die Unions-
raktion des 15. Deutschen Bundestages forderte damals,
nter anderem mit den Anträgen „Mehr Rechte für Fahr-
äste im öffentlichen Personenverkehr“ auf Drucksache
5/1236 und „Grünes Licht für gesetzlich normierte
ahrgastrechte“ auf Drucksache 15/4505, eine einheitli-
he Rechtsgrundlage in der Personenbeförderung für die
enutzung von Eisenbahnen und anderen öffentlichen
ersonenverkehrsmitteln wie Straßenbahnen, Omnibus-
en und Kraftfahrzeugen zu schaffen und klare gesetzli-
he Regelungen vorzulegen, die Entschädigungsansprü-
he der Reisenden bei Verspätungen und Ausfällen bei
llen öffentlichen Verkehrsträgern verbindlich fest-
chreiben.
Die Position der Union in der Frage der Fahrgast-
echte war und ist also eindeutig. Unumstritten bedürfen
ie Fahrgastrechte für Bahnen, Busse sowie in der Luft-
nd Schifffahrt eines rechtlichen Rahmens für die ein-
eitliche Regelung von Schadenersatzansprüchen, wobei
3060 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 35. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Mai 2006
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insbesondere die Kunden der Deutschen Bahn AG in ih-
ren Rechten als Verbraucher gestärkt werden müssen.
Die noch im letzten Jahr hoch angepriesene Kunden-
charta der Deutschen Bahn AG, die laut der Fraktions-
chefin Künast, die ja bekanntlich Ministerin unter Rot-
Grün mit dem Fachbereich Verbraucherschutz war, „die
Bahnkundenrechte und das Preissystem der deutschen
Bahn AG verbessert hat“, war eine nette Geste, aber
nicht mehr! Diese Selbstverpflichtungsinitiative der
Deutschen Bahn AG zur Entschädigung der Fahrgäste
bei Verspätung und Zugausfall ist in keinster Weise aus-
reichend.
Die Deutsche Bahn AG hat nunmehr vor zwei Tagen
angekündigt, die Erweiterung der Kundenrechte nicht
mehr nur im Fernverkehr anzubieten. Ab 28. Mai 2006
wird – zumindest in Schleswig-Holstein – ein Pilotpro-
jekt starten, in dem die Kundencharta auch im Nahver-
kehr Anwendung finden soll, sodass die Bahnkunden
nicht mehr nur im Fernverkehr, sondern nunmehr auch
auf Kurzstrecken das Recht haben, gute Leistung für ihr
Geld zu erwarten.
In der Debatte 2005 wurden wir mehrfach vonseiten
der damaligen rot-grünen Koalition auf das damals noch
ausstehende Gutachten „Verbraucherschutz und Kun-
denrechte im öffentlichen Personenverkehr“ hingewie-
sen, das zur Klärung der Möglichkeiten der Stärkung der
Fahrgastrechte von der Bundesregierung in Auftrag ge-
geben wurde. Mittlerweile liegt dieses Gutachten vor.
Aber natürlich müssen auch die neue Bundesregierung
und wir als Parlamentarier das Gutachten gründlich be-
werten und die aufgezeigten Lösungsansätze analysie-
ren. Bisher war dazu die Zeit zu kurz.
Dass wir der Stärkung der Fahrgastrechte eine hohe
Priorität beimessen, kann man auch daran ablesen, dass
wir diese im Koalitionsvertrag ausdrücklich festge-
schrieben haben. Dort heißt es: „Die Entschädigungsan-
sprüche der Reisenden bei Verspätungen, Ausfällen etc.
bei allen öffentlichen Verkehrsmitteln werden nach Aus-
wertung des vorliegenden Gutachtens zum Verbraucher-
schutz verbindlich festgeschrieben.“ Das Gutachten, das
als Grundlage der Meinungsbildung über den gesetzge-
berischen Bedarf bei der Festlegung von Art und Um-
fang der Verbraucherrechte dient, befindet sich derzeit in
dieser Bewertungsphase bei der Bundesregierung.
Es ist schon reichlich dreist, dass genau die Fraktion,
die sieben Jahre in Regierungsverantwortung stand und
die zuständige Ministerin stellte, nun nach einem gesetz-
geberischen Schnellschuss verlangt. Schließlich hat sie
in ihrer eigenen Regierungszeit eine ausführliche Prü-
fung des Gutachtens argumentativ vornan gestellt, um
die Forderungen der damaligen Opposition auf schnelle
Lösungen abzuwehren. Wieder zurück auf den harten
Bänken der Opposition entsinnt sich die Fraktion der
Grünen, wie es mein Kollege Eduard Lintner so schön
formulierte, wieder ihrer „alten Tugenden“ sich zu über-
schlagen, wenn es darum geht, Haftungsregelungen zu
schaffen, die der jeweiligen Kundschaft – notfalls wider
jede Praktikabilität und ohne Rücksicht auf die Kosten –
maximalen Schutz verleihen sollen.
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Betrachten wir die Details des vorliegenden Gesetz-
ntwurfs der Grünen: Der Entwurf sieht eine Neurege-
ung des Haftungsrechts der Verkehrsunternehmen bei
usfall- und Verspätungsschäden vor, indem der § 17
er Eisenbahnverordnung, der derzeit einen potenziellen
aftungsausschluss vorsieht, gestrichen werden soll. Zu-
em sollen mit dieser Neuregelung Verkehrsunterneh-
en unter das allgemeine zivilrechtliche Haftungssys-
em des BGB gestellt werden.
Dieses Ansinnen ist grundsätzlich löblich. Aber es ist
n keinster Weise absehbar, mit welchen Auswirkungen
iese Änderung einhergeht. Für die Verkehrsunterneh-
en ist dies trotz der Einführung von Begrenzungsmög-
ichkeiten wie Bagatellgrenzen und Pauschalierungsstu-
en in den allgemeinen Geschäftsbedingungen der
erkehrsunternehmen nicht absehbar und kann poten-
iell eine wahre Flut von Entschädigungsansprüchen
ach sich ziehen.
An dieser Stelle heißt es daher, gründlich zu prüfen
nd sowohl für die Verbraucher- wie für die Anbieter-
eite abzuwägen, welche Schritte die richtigen sind.
chließlich müssen wir vor dem Hintergrund des heuti-
en Verkehrsmarktes Folgenutzen und -risiken abwägen.
Fazit: Der Gesetzentwurf der Grünen ist verfrüht.
urzeit prüft eine vom Bundesministerium der Justiz
ingesetzte Bund-Länder-Arbeitsgruppe das Gutachten
nd berät, ob und in welchem Umfang gesetzliche Rege-
ungen zur Verbesserung des zivilrechtlichen Verbrau-
herschutzes für Kunden des öffentlichen Personenver-
ehrs vorzuschlagen sind. Die Ergebnisse dieser
eratungen werden uns zum Sommer vorliegen und ent-
prechend den Ergebnissen dieser Arbeitsgruppe wird
ie Ausgestaltung der Entschädigungsansprüche von
eisenden vorgenommen werden.
Deshalb sage ich: Warten wir diese Bewertung des
utachtens, den anschließenden Bericht der Arbeits-
ruppe und den daraus hervorgehenden Gesetzentwurf
es BMJ ab. Denn erst auf dieser Grundlage kann ent-
chieden werden, ob und welche Änderungen des gelten-
en Personenbeförderungsrechts vorgeschlagen werden
önnen. Es werden Regelungen gefunden werden – da-
on bin ich überzeugt –, die dem Verbraucherschutz
echnung tragen, ohne dass die wirtschaftliche Betäti-
ung der Verkehrsunternehmen mit eventuell negativen
olgen unangemessen beeinträchtigt oder die öffentliche
and über Gebühr belastet werden. Die Komplexität der
aterie gebietet eine seriöse und in allen Konsequenzen
urchdachte Reform.
Marianne Schieder (SPD): Das Grundanliegen des
esetzentwurfes, nämlich die Verbesserung der Fahr-
astrechte im öffentlichen Personenverkehr, ist ein sehr
ichtiges und ein sehr berechtigtes. Auch seitens der
egierungskoalition und der tangierten Ministerien wird
u diesem Themenbereich seit geraumer Zeit sehr inten-
iv gearbeitet.
So ist dazu durch das Bundesministerium für Verkehr,
au und Stadtentwicklung in Erfüllung des Bundestags-
eschlusses „Qualitätsoffensive im öffentlichen Perso-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 35. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Mai 2006 3061
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nenverkehr“, Bundestagsdrucksache 14/9671, ein Gut-
achten in Auftrag gegeben worden, das im Juli 2005
vorgelegt wurde.
In Kürze werden dem Deutschen Bundestages die we-
sentlichen Ergebnisse dieses Forschungsvorhaben zu-
sammen mit dem dazu erarbeiteten Bericht der Bundes-
regierung vorgestellt. Der Bericht wurde federführend
vom BMVBS vorbereitet und intensiv auf Fachebene
mit BMJ, BMELV und BMF abgestimmt. Die im Gut-
achten enthaltenen Lösungsvorschläge werden detailliert
problematisiert und bewertet.
Gemäß einem Beschluss der Justizministerkonferenz
der Länder vom 30. Juni 2005 wurde vom BMJ eine
Bund-Länder-Arbeitsgruppe eingesetzt, die derzeit auf
der Grundlage des Gutachtens prüft, ob und in welchem
Umfang gesetzliche Regelungen zur Verbesserung des
zivilrechtlichen Verbraucherschutzes für Kunden des öf-
fentlichen Personenverkehrs vorgeschlagen werden soll-
ten. Ergebnisse sollen im Sommer vorliegen.
Sowohl das Ergebnis dieser Bund-Länder-Arbeits-
gruppe als auch das Ergebnis der Befassung des Deut-
schen Bundestages mit dem Bericht der Bundesregie-
rung sollten sinnvollerweise abgewartet werden, bevor
gesetzgeberische Schritte eingeleitet werden. Der Sach-
verhalt, den es zu regeln gilt, ist doch wirklich sehr viel-
schichtig. Es ist alles andere als einfach, praktikable Lö-
sungen zu finden. Aufwand und Ertrag sind gar nicht so
leicht in Einklang zu bringen. Daher waren und sind die
geschichtlichen Vorarbeiten doch sehr nötig und sinn-
voll. Nun sollten wir doch die Geduld haben, die Ergeb-
nisse dieser Arbeit auch abzuwarten und diese Ergeb-
nisse mit in ein Gesetz einbringen zu können. Hier
sollten wir auf alle Fälle nach dem Motto „Gründlichkeit
vor Eile“ vorgehen.
Aber nicht nur dieses zeitliche Argument macht für
uns eine Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf schwie-
rig. Der Gesetzentwurf zeichnet sich zwar durch Kürze
und gute Verständlichkeit aus, ist in der Sache allerdings
nicht unproblematisch.
Der Entwurf lehnt sich eng an den von Nordrhein-
Westfalen im November 2004 vorgelegten Entwurf eines
Gesetzes zur Stärkung der Fahrgastrechte an. Allerdings
sieht er abweichend davon keine konkrete Einschrän-
kung der Ansprüche von Reisenden vor, wie dem An-
spruch auf Rückbeförderung oder Kostenerstattung für
ein anderes Verkehrsmittel. Im Entwurf aus NRW war
festgeschrieben, dass es Schadenanspruch erst ab einer
drohenden Verspätung von 20 Minuten geben soll. Zu-
dem wird nicht zwischen Nah- und Fernverkehr unter-
schieden.
Vielmehr wird die Haftung der Verkehrsunternehmen
für Ausfall- und Verspätungsschäden dem allgemeinen
zivilrechtlichen Haftungssystem des BGB unterstellt.
Allen Beförderern soll es gestattet werden, ihre Haf-
tung in „angemessenem Umfang“ zu begrenzen. Alle
Unternehmen werden gezwungen sein, eigene Allge-
meine Geschäftsbedingungen (AGB) aufzustellen, in de-
nen sie ihre Haftung begrenzen und ihren Informa-
tionspflichten nachkommen. Inwieweit diese AGB, die
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om Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtent-
icklung geprüft werden, einer AGB-Kontrolle am
nde standhalten, wird durch die Rechtsprechung zu
lären sein.
Insbesondere bleibt offen, ob etwa eine Haftung für
estimmte Schadenersatzansprüche – wie bisher gesetz-
ich vorgesehen – vollständig ausgeschlossen werden
ann. Ich halte es für wenig zielführend, gesetzliche Vor-
aben in so unbestimmter Art und leise zu halten. Das,
as, oberflächlich betrachtet, sich als einfach, kurz und
lexibel darstellt, wird sich bald als völlig unpraktikabel
erausstellen und mehr die Gerichte beschäftigen, als
em Kunden dienen. Hier brauchen wir schon konkrete
esetzliche Vorgaben, sowohl was die Möglichkeiten ei-
es vollkommenen Haftungsausschlusses betrifft wie
uch die Möglichkeiten einer teilweisen Haftungsbe-
chränkung. Wir werden auch nicht darum herumkom-
en, zwischen Nah- und Fernverkehr zu unterscheiden,
uch wenn eine solche Unterscheidung nicht einfach zu
reffen sein wird. Ansonsten entsteht zu viel Rechtsunsi-
herheit und zu viel Unübersichtlichkeit, sowohl aufsei-
en der Beförderungsunternehmen als auch aufseiten der
unden.
Es fällt auf, dass die vorgesehene Neuregelung in
310 BGB durch die schlichte Bezugnahme auf „Perso-
enbeförderungsverträge“ so weit gefasst ist, dass hie-
unter auch die Beförderung von Personen im Luftver-
ehr subsumiert werden könnte.
Die Haftung des Luftfrachtführers bei verspäteter
ersonenbeförderung ist aber in Art. 19 und 22 des Mon-
realer Übereinkommens, MÜ, für internationale Luftbe-
örderungen und in § 46 LuftVG abschließend geregelt.
ierin ist für Verspätungsschäden ein Haftungshöchstbe-
rag von 4 150 Sonderziehungsrechten, circa 5 000 Euro,
estimmt, der bei vorsätzlicher und grob fahrlässiger
erursachung durchbrochen wird.
Nach Art. 47 MÜ ist jede vertragliche Bestimmung,
urch die die Haftung des vertraglichen Luftfrachtfüh-
ers nach dem MÜ ausgeschlossen oder der maßgebende
aftungshöchstbetrag herabgesetzt werden soll, nichtig.
ine vergleichbare Regelung findet sich im nationalen
echt in § 48 Abs. 1 LuftVG: Dieser Paragraf bestimmt,
ass ein Anspruch auf Schadenersatz, auf welchem
echtsgrund er auch beruht, gegen den Luftfrachtführer
ur unter den Voraussetzungen und Beschränkungen gel-
end gemacht werden kann, die in dem betreffenden Un-
erabschnitt des LuftVG vorgesehen sind.
Die als § 310 Abs. 5 BGB vorgeschlagene Regelung,
onach der Unternehmer für leicht fahrlässige Verspä-
ungen oder Ausfälle des Verkehrsmittels seine Haftung
in angemessenem Umfang begrenzen“ und im Übrigen
ür bestimmte Fälle Pauschalierungen vornehmen kann,
ollidiert mit diesen abschließenden Regelungen. Insbe-
ondere wäre jede in AGB vorgesehene Haftungsbe-
chränkung für leicht fahrlässig verursachte Verspätungs-
chäden, die von der im Montrealer Übereinkommen und
n § 46 Abs. 1 LuftVG vorgesehenen einheitlichen Haf-
ungshöchstgrenze von 4 150 Sonderziehungsrechten ab-
eicht, unzulässig.
3062 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 35. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Mai 2006
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(B) )
Die Regelung des § 310 Abs. 5 BGB neu müsste da-
her, um eine derartige Kollision mit dem Luftverkehrs-
recht zu vermeiden, in jedem Fall ausdrücklich auf
Personenbeförderungsverträge der Straßenbahnen, Om-
nibusse und Kraftfahrzeuge, vergleiche Formulierung in
§ 305 a Nr. 1 BGB, beschränkt werden.
Obwohl wir uns also im Ziel einig sind und unstreitig
ist, dass die Kundenrechte von Fahrgästen neu geregelt
und gestärkt werden müssen, kommt der vorgelegte Ge-
setzentwurf der Grünen zu früh und ist zumindest in Tei-
len wenig brauchbar. Darüber wird noch im Detail zu re-
den sein, wenn der Gesetzentwurf in den einzelnen
Ausschüssen beraten wird.
Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD): Wir alle wün-
schen uns pünktlichen und zuverlässigen Transport.
Auch Bundestagsabgeordnete verlassen sich auf das Ver-
kehrsmittel, das sie zum Beispiel aus dem Wahlkreis
nach Berlin bringen soll.
Anfang dieser Woche erlebte ich Folgendes: Der
Flug, den ich vorsorglich, um ganz pünktlich zu der ers-
ten Sitzung am Montag zu gelangen, bereits für Sonntag-
abend gebucht hatte, wurde ohne große Erklärung ge-
cancelt. Eine vorzeitige Information darüber gab es
nicht. Allerdings wurde eine Übernachtung im Hotel an-
geboten. Der ausgewiesene Ersatzflug am frühen Mon-
tagmorgen startete mit 75 Minuten Verspätung. Meine
Geduld wurde ziemlich strapaziert. Zu der Besprechung
kam ich natürlich zu spät.
Nun sind aber die Kundenrechte im Flugverkehr um-
fassend auf EU-Ebene geregelt. Seit 2005 müssen Flug-
gäste Verspätungen, Annullierungen und Überbuchun-
gen nicht mehr klaglos hinnehmen. Die Europäische
Union hat die Fluggastrechte in der Verordnung 261/
2005 verbessert und der Europäische Gerichtshof hat
diese im Februar 2006 bestätigt. Es macht keinen Unter-
schied, ob mit einem Billigflieger oder Linie geflogen
wird. Alle Passagiere können ihre Rechte geltend ma-
chen.
Bei Nichtbeförderung muss die Fluggesellschaft eine
Entschädigung anbieten. Darüber hinaus ist sie ver-
pflichtet, zum einen den Ticketpreis zu erstatten oder
eine anderweitige Beförderung zum Zielort zu gewähr-
leisten, zum anderen Mahlzeiten, Getränke, notfalls Ho-
telunterkunft sowie die Möglichkeit zur Telekommuni-
kation anzubieten. Hat der Flieger große Verspätung,
muss der gleiche Service zur Verfügung gestellt werden.
Beträgt die Verspätung fünf Stunden oder mehr, kann der
Reisende von der Fluggesellschaft auch eine Erstattung
des Flugpreises und gegebenenfalls den kostenlosen
Rückflug zum Abflugort verlangen. Kann ein Passagier
einen Schaden wegen einer Verspätung nachweisen, hat
er Anspruch auf Schadenersatz.
Der Schaden, der mir durch die halbe verpasste Sit-
zung entstanden ist, ist wohl eher immaterieller Art, so-
dass ich getrost auf Schadenersatz verzichten kann.
Für Bahnreisende im Nah- und Fernverkehr, für
ÖPNV-Nutzer oder Taxigäste sieht die Welt anders aus.
Fahrpreiserstattungen bei Ausfall und Verspätungen von
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nlandszügen sind im Schienenpersonenverkehr gesetz-
ich nicht geregelt. Die Deutsche Bahn AG entschädigt
hre Fahrgäste im Fernverkehr bei Verspätungen gemäß
hrer Kundencharta. Allerdings gibt es keine Entschädi-
ung für die Reisenden im Schienenpersonennahver-
ehr.
Fahrgastrechte müssen gestärkt werden. Ich halte dies
us drei Gründen für dringlich:
Erstens. Die Rolle der Verbraucher im Verkehrsbe-
eich soll gestärkt werden.
Zweitens. Die unterschiedlichen Verkehrsträger müs-
en gleich behandelt werden.
Drittens. Vernünftige Kundenrechte dienen der Quali-
ätsoffensive im öffentlichen Personenverkehr.
Das Magazin „Stern“ berichtet in seiner neuen Aus-
abe, dass jeder fünfte ICE oder IC sein Ziel mehr als
ünf Minuten zu spät erreicht. Als Ursache werden Hun-
erte von „Langsamfahrstellen“ ausgemacht. So viel zur
otwendigkeit von praktischem Verbraucherschutz zur
ualitätsoffensive.
Als Basis für die Debatte sollte der Deutsche Bundes-
ag den Bericht der Bundesregierung zum Gutachten
Verbraucherschutz und Kundenrechte im öffentlichen
ersonenverkehr“ abwarten. Der Bericht ist für diesen
onat angekündigt.
Die Ergebnisse der Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die
as Bundesministerium der Justiz eingesetzt hat, werden
m Sommer erwartet.
Ich freue mich schon jetzt auf eine konstruktive Dis-
ussion auf solider Basis darüber, welche Kundenrechte
ie und wo geregelt werden sollen.
Den Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grü-
en halte ich für einen Schnellschuss, der zum jetzigen
eitpunkt nicht zum angestrebten Ziel führt.
Hans-Michael Goldmann (FDP): Zu Beginn des
ergangenen Jahres, als die Konstellationen hier im
ause noch etwas anders waren, wurde ein Antrag der
DP-Fraktion zur Beendigung der Haftungsprivilegie-
ung der Bahn und zur Anwendung der Grundsätze des
ürgerlichen Gesetzbuchs vom Deutschen Bundestag
bgelehnt. Umso mehr freue ich mich, dass inzwischen
ie Grünen, die damals unseren Antrag als untauglich
bgelehnt haben, auch zu der Erkenntnis gekommen
ind, dass eine gesetzliche Regelung vonnöten ist. Es
eicht eben nicht aus, sich auf die so genannte Kulanz
er Bahn zu verlassen, dass sie aufgrund des wachsen-
en Drucks der Kunden und Verbraucherschützer in
hren Allgemeinen Geschäftsbedingungen Entschädi-
ungsregelungen aufnehmen. Es ist notwendig, die un-
erechtfertigte Privilegierung der Bahn zu beenden.
Fahrgäste im öffentlichen Personenverkehr sind
arktteilnehmer wie die Kunden anderer Wirtschaftsun-
ernehmen auch. Während in anderen Bereichen über-
aupt kein Zweifel daran besteht, dass Unternehmen ge-
enüber ihren Kunden haften müssen, sind die
erbraucherrechte im Personenverkehr noch immer un-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 35. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Mai 2006 3063
(A) )
(B) )
zureichend. Dabei ist jedes Unternehmen in diesem
Land für nicht oder mangelhaft erbrachte Leistungen
selbstverständlich haftbar zu machen. So steht es im
Bürgerlichen Gesetzbuch. Nur die Bahn ist hiervon mit-
tels § 17 der Eisenbahn-Verkehrsordnung, EVO, aus-
genommen. Da hilft auch die von der Bahn mit viel
Eigenlob und unter dem Applaus der damaligen Ver-
braucherministerin, Renate Künast, verabschiedete Kun-
dencharta nichts. Denn es ist eigentlich die pure Selbst-
verständlichkeit, die Kunden zu entschädigen. Mit
Kulanz darf das nichts zu tun haben. Wenn die Kunden
weiterhin auf Entgegenkommen angewiesen sind, so
zeigt dies ein Selbstverständnis der Bahn, das nur mit
der immer noch bestehenden Monopolstellung zu erklä-
ren ist.
Diese Sonderstellung der Bahn gilt es aber gerade
aufzubrechen, im Interesse der Fahrgäste, aber eben
auch im Interesse des Monopolisten Bahn selbst. Nur
eine Bahnpolitik, die sich am Interesse der Fahrgäste ori-
entiert, gewinnt langfristig mehr Kunden und damit hö-
here Marktanteile. Am Beispiel der Fahrgastrechte zeigt
sich überdeutlich, wie sich die Bahn durch ihre ungebro-
chene Monopolstellung selbst im Wege steht. Durch die
jetzige Kundencharta wird die bisherige Kulanzregelung
schlicht und einfach nur fortgeschrieben. Dieses Verhal-
ten ist ja im Prinzip auch nur natürlich. So verfahren nun
einmal Staatsunternehmen, wie die Bahn de facto immer
noch eines ist, wenn sie eine so allumfassende Monopol-
stellung einnehmen. Aber im Sinne der Verbraucherin-
nen und Verbraucher ist das nicht. Im Sinne der Rechts-
klarheit ist es auch nicht. Es ist doch einfach keinem
Verbraucher klar zu machen, warum die Bahn nicht für
Ausfälle und Verspätungen haften soll. Es ist insbeson-
dere nicht zu begründen, wenn die Deutsche Bahn ein-
räumen muss, dass 95 Prozent der Verspätungen selbst
verschuldet sind.
Es ist auch gut, dass im vorliegenden Gesetzentwurf
der öffentliche Personenverkehr umfassend geregelt
werden soll. Denn eine Unterscheidung zwischen öffent-
lichem Personennahverkehr und Personenfernverkehr ist
den Menschen verständlicherweise nicht plausibel zu
machen. Es kann doch für den Kunden keinen Unter-
schied machen, ob ich von Hamburg nach München
fahre und dort pünktlich ankommen muss oder ob ich im
Nahverkehr von einem Ort zum nächsten fahre und mich
darauf verlasse, dass ich zur rechten Zeit ankomme. Die
Regelung, die nach dem vorliegenden Gesetzentwurf ins
Bürgerliche Gesetzbuch aufgenommen werden soll,
schafft einen gerechten Ausgleich zwischen Kunden-
und Unternehmensinteressen. Die Möglichkeit für einen
pauschalierten Schadenersatz schafft kalkulierbare Risi-
ken für die Beförderungsunternehmen und gibt den Kun-
den die Rechtssicherheit, im Schadenfall eine angemes-
sene Entschädigung zu erhalten.
Es wird endlich Zeit, in Deutschland bei der Beförde-
rung im öffentlichen Personenverkehr den Anschluss an
internationale Standards zu schaffen. Die Sonderrege-
lungen sind nicht mehr zu vertreten und müssen
schnellstens abgeschafft werden. Meine Fraktion wird
dem Gesetzentwurf zustimmen. Ich hoffe, dass auch die
Bundesregierung diesen Schritt gehen wird. Die Union
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at ja im vergangenen Jahr schon einen Vorstoß unter-
ommen und einen entsprechenden Antrag eingebracht.
leiben Sie jetzt bei Ihrer Linie und setzen Sie um, was
ie richtigerweise gefordert haben.
Heidrun Bluhm (DIE LINKE): Fahrgastrechte zu
tärken ist ehrenwert, diese umzusetzen wesentlich
chwieriger. Die Frage ist: Wie können wir den Verbrau-
her zu mehr Vertrauen in die öffentlichen Verkehrsmit-
el und seiner Zufriedenheit mit ihnen verhelfen?
Doch führen die guten Absichten der Kollegen von
ündnis 90/Die Grünen auch wirklich in die erhoffte
ichtung? Der Gesetzentwurf versucht, Schadenersatz-
nsprüche von Fahrgästen auf eine rechtliche Grundlage
u stellen. Die Haftung der Verkehrsunternehmen soll in
as allgemeine Recht des Bürgerlichen Gesetzbuchs in-
egriert werden. Die dazu in Art. 3 des Gesetzentwurfs
orgesehene Änderung ist allerdings nur eine Kann-Vor-
chrift. Viel ändert sich damit für den Kunden nicht.
Zumeist haben Verspätungen oder Ausfälle von Bus
der Bahn andere Ursachen als solche, die vom Ver-
ehrsunternehmen selbst zu vertreten sind. Beispiels-
eise Störungen in der Schieneninfrastruktur, Unfälle
der deren schlimmste Variante, den so genannten Fahr-
astunfall. Es kann also schwierig sein, zwischen Selbst-
nd Fremdverschulden bei den Verkehrsunternehmen zu
rennen. Außerdem ist zu fragen, ob die Praxis hinrei-
hend in Betracht gezogen worden ist.
Der Gesetzentwurf stellt allenfalls eine Teillösung
ar. Informationsprobleme, Regressansprüche müssen in
bsehbarer Zeit durchgreifend zu regeln sein. Die Linke
lädiert dafür, dass komplette Repertoire der Möglich-
eiten zunächst einer Praxiserprobung zu unterziehen,
tatt ordnungspolitisch neue Unzulänglichkeiten zu pro-
rammieren.
Genau genommen sind Regressansprüche der Fahr-
äste nur die eine Seite der Medaille. Wichtiger ist es,
ie Zahl an Störungen insgesamt gering zu halten. Dafür
rauchen wir nicht irgendwelche, sondern die richtigen
aßnahmen.
Ein Weg, dies zum Beispiel im Nahverkehr zu errei-
hen, ist es, je nach Anteil der verspäteten an der Ge-
amtzahl der Fahrten, dem Aufgabenträger die Möglich-
eit zu geben, Abschläge auf die Entgelte bei der
estellung der Verkehrsleistung auszuhandeln und
urchzusetzen. Während einer Fahrplanperiode können
adurch stattliche Beträge zusammenkommen. Damit
part die öffentliche Hand und bei den Verkehrsunter-
ehmen steigt der Wille, zumindest die Folgen von Stö-
ungen auf ein Mindestmaß zu reduzieren.
Oberste Priorität dabei muss sein, dass sich durch
iese zusätzliche Risikoabsicherung die Fahrpreise nicht
rhöhen und die Benutzung der öffentlichen Verkehrs-
ittel gegenüber dem Individualverkehr, ebenfalls
ttraktiv bleibt. Entschädigungsregelungen werden dazu
ühren, dass die Kosten auf alle Fahrgäste umgelegt wer-
en und so die Fahrkarten verteuert werden. Ein über-
rieben aufwendiges und teures Fahrgastrecht kann nicht
m Sinne der Kunden sein. Der Trend, den Verbraucher
3064 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 35. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Mai 2006
(A) )
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und gerade den Geringverdiener immer mehr zu belas-
ten, darf nicht auch noch an dieser Stelle fortgeführt
werden.
Selbstverständlich bleibt es Aufgabe der Verkehrspo-
litiker und der Verbraucherschützer, zu prüfen, ob sich
diese in der Praxis bewährt, unbürokratisch, schnell und
einfach umgesetzt wird, und darauf zu drängen, dass
auch der Nahverkehr einbezogen wird.
Ob die freiwillige Selbstverpflichtung zu einer Ent-
schädigungszahlung im Sinne der Bahnkunden funktio-
niert, kann nur eine kritische externe Praxisprüfung er-
bringen. Auf dieser Grundlage ist dann zu diskutieren,
ob es sinnvoll ist, den Fahrgästen einen gesetzlichen An-
spruch auf Verspätungsentschädigung zu verschaffen.
Auch und gerade im Zuge des Börsengangs – darauf ha-
ben wir immer hingewiesen – darf Effizienz und Rendite
der Bahn AG nicht der absolute Maßstab sein und damit
zulasten der Kundenzufriedenheit und der Fahrpreise ge-
hen.
Anlage 10
Amtliche Mitteilungen
Der Bundesrat hat in seiner 821. Sitzung am 7. April
2006 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzu-
stimmen, einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 des
Grundgesetzes nicht zu stellen bzw. einen Einspruch ge-
mäß Artikel 77 Absatz 3 nicht einzulegen:
– Zweites Gesetz zur Änderung des Betriebsprä-
miendurchführungsgesetzes
– Zweites Gesetz zur Änderung des Pflanzenschutz-
gesetzes
– Gesetz zur Förderung ganzjähriger Beschäfti-
gung
– Siebentes Gesetz zur Änderung des Gemeinde-
finanzreformgesetzes
– Gesetz zur Vereinfachung der abfallrechtlichen
Überwachung
– Gesetz zu dem Protokoll vom 21. Mai 2003 über
die strategische Umweltprüfung zum Überein-
kommen über die Umweltverträglichkeitsprüfung
im grenzüberschreitenden Rahmen (Vertrags-
gesetz zum SEA-Protokoll)
– Gesetz zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit in
der Arzneimittelversorgung
Der Bundesrat hat in seiner 821. Sitzung am 7. April
2006 beschlossen, dem nachstehenden Gesetz gemäß
Artikel 105 Abs. 3 des Grundgesetzes zuzustimmen:
– Gesetz zur steuerlichen Förderung von Wachs-
tum und Beschäftigung
Darüber hinaus hat er die nachstehende Entschlie-
ßung gefasst: Der Bundesrat steht voll umfänglich hinter
dem mit dem Gesetz verfolgten Ziel, die Kinderbetreu-
ungskosten steuerlich stärker zu berücksichtigen. Der
Bundesrat hält die steuertechnische Umsetzung der vor-
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esehenen Regelung allerdings für nicht zweckmäßig
nd administrativ nicht handhabbar. Vor diesem Hinter-
rund strebt der Bundesrat eine wirkungsgleiche Neufor-
ulierung der entsprechenden Regelungen auf der
rundlage eines Vorschlags von Schleswig-Holstein an.
ie Finanzministerinnen und Finanzminister der Länder
aben dazu eine Formulierung vorgelegt und einen Vor-
chlag zum weiteren gesetzgeberischen Vorgehen ge-
acht. Der Bundesrat hat in seiner 821. Sitzung am
. April 2006 beschlossen, dem nachstehenden Gesetz
emäß Artikel 105 Abs. 3 des Grundgesetzes zuzustim-
en:
Gesetz zur Eindämmung missbräuchlicher Steu-
ergestaltungen
Darüber hinaus hat er die nachstehenden Entschließun-
en gefasst: 1. Der Bundesrat geht von der Bereitschaft
es Bundes aus, den Ländern die aus einer Absenkung der
pielbankabgabe entstehenden Mindereinnahmen voll-
tändig auszugleichen. Nach vorläufigen Berechnungen
er Länder handelt es sich dabei für das Jahr 2007 – dem
rsten Jahr der vollen Wirksamkeit – um einen Betrag
on 75 Mio. Euro. 2. Der Bundesrat fordert die Bundes-
egierung auf, zeitnah zum Inkrafttreten der Beschrän-
ung der Anwendung der 1%-Regelung auf Fahrzeuge
es notwendigen Betriebsvermögens (§ 6 Abs. 1 Nr. 4
StG) Verwaltungsanweisungen für den Nachweis des
etrieblichen Nutzungsanteils durch die Steuerpflichti-
en zu schaffen. Diese Regelungen sollten einerseits den
ürokratischen Aufwand für die Steuerpflichtigen (Be-
olgungskosten) und andererseits den Verwaltungsauf-
and für die Finanzverwaltung so weit wie möglich be-
renzen.
Begründung
Mit der Änderung des § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG
durch das Gesetz zur Eindämmung missbräuchli-
cher Steuergestaltungen wird die Möglichkeit der
Anwendung der 1 %-Regelung für die Bewertung
der privaten Nutzung auf Fahrzeuge des notwendi-
gen Betriebsvermögens beschränkt. In der Begrün-
dung des Gesetzes heißt es, dass der Steuerpflich-
tige die betriebliche Nutzung von über 50 % im
Rahmen allgemeiner Darlegungs- und Beweislast-
regelungen nachzuweisen hat. Die Führung eines
Fahrtenbuches ist dazu nicht zwingend erforderlich.
Wie der Steuerpflichtige den Umfang der betriebli-
chen Nutzung darzulegen bzw. nachzuweisen hat,
sollte zeitnah zum Inkrafttreten des Gesetzes durch
Verwaltungsanweisungen geregelt werden. Ziel der
Verwaltungsvorschriften sollte sein, den bürokrati-
schen Aufwand für die Steuerpflichtigen und den
administrativen Aufwand für die Finanzverwaltung
so weit wie möglich zu begrenzen. Dabei sollten
auch die Vorschläge der „Arbeitsgruppe zur Evalu-
ation des administrativen Mehraufwandes der vor-
geschlagenen Änderung der 1%-Regelung des § 6
Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG“ zur Vereinfachung des
Nachweises hinsichtlich ihrer Umsetzbarkeit und
bezüglich der Auswirkungen für die Steuerpflichti-
gen geprüft und ggf. berücksichtigt werden.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 35. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. Mai 2006 3065
(A) (C)
(B) (D)
Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben
mitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2
der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den
nachstehenden Vorlagen absieht:
Innenausschuss
– Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung über den Stand der Ab-
wicklung des Fonds für Wiedergutmachungsleistungen
an jüdische Verfolgte
– Drucksachen 15/5965, 16/480 Nr. 1.20 –
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit
– Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung zum Jahresgutachten
2003
„Welt im Wandel – Energiewende zur Nachhaltigkeit“
des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung
Globale Umweltveränderungen
– Drucksachen 15/4155, 16/820 Nr. 48 –
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
– Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Tech-
nikfolgenabschätzung (17. Ausschuss) gemäß § 56a der
Geschäftsordnung
Technikfolgenabschätzung
hier: Leichter-als-Luft-Technologie – Innovations- und
Anwendungspotenziale
– Drucksache 15/5507 –
– Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Tech-
nikfolgenabschätzung (17. Ausschuss) gemäß § 56a der
Geschäftsordnung
Technikfolgenabschätzung
Vierter Sachstandsbericht zum Monitoring „Technik-
akzeptanz und Kontroversen über Technik“
Partizipative Verfahren der Technikfolgenabschätzung
und parlamentarische Politikberatung
– Drucksache 15/5652 –
35. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 11. Mai 2006
Inhalt:
Redetext
Anlagen zum Stenografischen Bericht
Anlage 1
Anlage 2
Anlage 3
Anlage 4
Anlage 5
Anlage 6
Anlage 7
Anlage 8
Anlage 9
Anlage 10