Anlage 17
Anlage 18
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005 16497
(A) )
(B) )
Fortschritt gegenüber dem jetzigen Rechtszustand. Klaus-Peter Flosbach, Jürgen Klimke, Julia
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
Anlage 2
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Michael Glos, Dr. Peter
Ramsauer, Marlene Mortler, Eduard Oswald,
Dr. Klaus Rose, Wolfgang Zeitlmann, Eduard
Lintner, Artur Auernhammer, Dr. Hans-Peter
Uhl, Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn),
Dr. Wolfgang Bötsch, Georg Fahrenschon, Da-
niela Raab, Dagmar Wöhrl, Kurt J. Rossma-
nith, Georg Girisch, Matthäus Strebl, Thomas
Silberhorn, Dr. Egon Jüttner, Dorothee Mantel,
Hans Michelbach, Bartholomäus Kalb, Karl-
Theodor Freiherr von und zu Guttenberg,
Horst Seehofer, Dr. Peter Paziorek, Hans Rai-
del, Max Straubinger, Norbert Geis, Stephan
Mayer (Altötting) und Dr. Wolfgang Götzer
(alle CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung
über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Ver-
trag vom 29. Oktober 2004 über eine Verfas-
sung für Europa (Tagesordnungspunkt 4 b)
Der dem Deutschen Bundestag zur Ratifizierung vor-
liegende europäische Verfassungsvertrag ist ein wichti-
ger Schritt zur Weiterentwicklung der europäischen Inte-
gration. Mit dem Vertragswerk wird die Europäische
Union handlungsfähiger, transparenter und demokrati-
scher gestaltet. Die Zusammenfassung der europäischen
Verträge in einem einheitlichen Gesetzeswerk, die Ver-
ankerung der europäischen Grundrechte-Charta, die in-
stitutionellen Reformen und nicht zuletzt die Regelun-
gen zur Subsidiaritätskontrolle sind ein erkennbarer
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Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich
Bellmann, Veronika CDU/CSU 12.05.2005
Dr. Däubler-Gmelin,
Herta
SPD 12.05.2005
Eichhorn, Maria CDU/CSU 12.05.2005
Hilsberg, Stephan SPD 12.05.2005
Multhaupt, Gesine SPD 12.05.2005
Nitzsche, Henry CDU/CSU 12.05.2005
Dr. Pinkwart, Andreas FDP 12.05.2005
Vogel, Volkmar Uwe CDU/CSU 12.05.2005
(C
(D
Anlagen zum Stenografischen Bericht
Ungeachtet dieser Verbesserungen weist der von der
undesregierung ausgehandelte und unterzeichnete eu-
opäische Verfassungsvertrag gravierende Mängel auf.
benso zeichnen sich erhebliche Defizite bei den bislang
efundenen Regelungen zu einer Handhabung des Ver-
ragswerks durch die gesetzgebenden Körperschaften
uf. Wichtigen europapolitischen Anliegen aus deut-
cher Sicht wird der Vertrag nicht gerecht: In der Präam-
el fehlen der Hinweis auf das christliche Erbe Europas
nd der Bezug auf die Verantwortung vor Gott. Dies wi-
erspricht wohlbegründeten Forderungen aus dem politi-
chen, gesellschaftlichen und kirchlichen Raum. Die
oordinierungskompetenzen im Bereich der Wirt-
chaftspolitik weisen den Charakter von Generalklauseln
uf. Dies widerspricht den ursprünglichen Forderungen
m Verfassungsvertrag, eine klare Abgrenzung der Kom-
etenzen zwischen den Ebenen der EU, der Mitglieds-
änder und ihrer Regionen vorzunehmen. In den Berei-
hen Sozialpolitik, Arbeitsrecht, Gesundheitspolitik,
ndustrie und Forschung sowie Energiepolitik sollen die
ompetenzen der EU ausgeweitet und im Bereich der
aseinsvorsorge neue Kompetenzen geschaffen werden.
ies widerspricht den jahrelangen Bemühungen, den
endenzen zu immer mehr Zentralisierung auf EU-
bene Einhalt zu gebieten und in der EU mehr Bürger-
ähe sicherzustellen.
Offensichtlich war die Bundesregierung weder ge-
illt noch bereit, entsprechende Forderungen in die Ver-
ragsverhandlungen einzubeziehen, um so ein befriedi-
endes Verhandlungsergebnis herbeizuführen.
Der europäische Verfassungsvertrag schwächt die Po-
ition des Deutschen Bundestages in EU-Angelegenhei-
en. Um weitere Souveränitätsverluste zu verhindern, ist
ine Stärkung der Mitwirkungsrechte des Deutschen
undestages erforderlich. Die CDU/CSU-Bundestags-
raktion hat entsprechende Gesetzesvorschläge – Druck-
ache 15/4716 – eingebracht. Es ist jedoch absehbar,
ass diesen Forderungen nur teilweise Rechnung getra-
en wird. Die Unterzeichner werden deshalb auch nach
er Ratifizierung des Vertrags auf eine vollständige Um-
etzung der Forderungen im Sinne des Gesetzentwurfes
on CDU und CSU hinwirken. Nach Abwägung aller
or- und Nachteile werden die Unterzeichner trotz der
chwerwiegenden Bedenken dem Vertragswerk zustim-
en. Die Unterzeichner fordern die Bundesregierung
edoch ausdrücklich auf, nach In-Kraft-Treten des Ver-
ragswerks unverzüglich und nachdrücklich auf Verbes-
erungen in den genannten Bereichen hinzuwirken.
nlage 3
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Thomas Rachel, Marie-Luise
Dött, Werner Lensing, Hermann Gröhe, Kathe-
rina Reiche, Jochen Borchert, Helge Braun, Leo
Dautzenberg, Vera Dominke, Ingrid Fischbach,
16498 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005
(A) )
(B) )
Klöckner, Dr. Hermann Kues, Dr. Günter
Krings, Bernward Müller (Gera), Hildegard
Müller, Werner Wirtlich und Cajus Julius Ca-
esar (alle CDU/CSU) zur namentlichen Abstim-
mung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem
Vertrag vom 29. Oktober 2004 über eine Verfas-
sung für Europa (Tagesordnungspunkt 4 b)
Wir stimmen für den Verfassungsvertrag der EU. Der
Verfassungsvertrag markiert einen erheblichen Fort-
schritt gegenüber dem derzeit gültigen Nizza-Vertrag.
Mit der Stärkung des Subsidiaritätsprinzips und einer
klareren Kompetenzabgrenzung wurde eine wichtige
Weichenstellung vorgenommen. Außerdem wurden dem
Bundestag neue Rechte gegeben und das Demokratie-
prinzip auf europäischer Ebene gestärkt, in dem die Bun-
desrepublik Deutschland mit seiner großen Bevölkerung
ein höheres Gewicht bei den Abstimmungen erhält.
Wir kritisieren allerdings mit Nachdruck, dass in der
Präambel der künftigen EU-Verfassung kein ausdrückli-
cher Bezug auf das christliche Erbe und kein Gottesbe-
zug aufgenommen worden sind. Dies ist gerade auch die
Schuld der rot-grünen Bundesregierung, die sich weder
für die Verankerung des christlichen Erbes noch des Got-
tesbezuges in den Verhandlungen zwischen den EU-Re-
gierungen eingesetzt hat.
Der ausdrückliche Bezug auf die Verantwortung der
Menschen vor Gott schützt vor Absolutheitsansprüchen
und sichert eine klare Wertebindung. Gleichzeitig wird
daran erinnert, dass auch die politische Gestaltung des
vereinten Europas der unverzichtbaren religiösen Werte-
bindung bedarf, ohne die sein gesamtes kulturelles, hu-
manistisches und geistiges Erbe weder denkbar wäre
noch lebendig bliebe.
Es ist ein Erfolg, dass die Rechte der Kirchen von der
EU-Verfassung ausdrücklich geschützt werden. Wir hät-
ten uns darüber hinaus ein explizites Bekenntnis zu den
christlichen Wurzeln Europas gewünscht.
Anlage 4
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Klaus-Peter Willsch und
Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) (beide CDU/
CSU) zur namentlichen Abstimmung über den
Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom
29. Oktober 2004 über eine Verfassung für
Europa (Tagesordnungspunkt 4 b)
Trotz erheblicher Mängel werden wir dem Gesetzent-
wurf zustimmen, da er in vielen Bereichen eine Verbes-
serung gegenüber dem Vertrag von Nizza bedeutet. Die
Verhandlung über den Vertrag oblag der Bundesregie-
rung, das Parlament kann dem Verfassungsvertrag nur in
seiner vorliegenden Form im Ganzen zustimmen oder
ihn ablehnen. Änderungsvorschläge können hingegen
nicht eingebracht werden. Deshalb war hier die Abwä-
gung zu treffen, ob die Vorteile oder die Nachteile ge-
genüber dem bisherigen Zustand überwiegen.
Aus unserer Sicht ergeben sich unter anderem Verbes-
serungen durch: Die Zusammenführung der bisherigen
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erträge in einen wesentlich klarer strukturierten Ver-
rag unter Berücksichtigung der Charta der Grund-
echte; die Berufung in der Präambel auf das kulturelle,
eligiöse und humanistische Erbe Europas, aus dem sich
ie unverletzlichen und unveräußerlichen Rechte des
enschen sowie Freiheit, Demokratie, Gleichheit und
echtsstaatlichkeit als universelle Werte entwickelt ha-
en; die verbesserte Definition des Subsidiaritätsprin-
ips; die Einbeziehung der nationalen Parlamente in den
esetzgebungsprozess durch das so genannte Frühwarn-
ystem; die Möglichkeit einer Klage durch die nationa-
en Parlamente bei der Verletzung des Subsidiaritätsprin-
ips; die Einführung der so genannten Doppelten
ehrheit, durch die eine stärkere Gewichtung der Be-
ölkerungsgröße der Länder gewährleistet wird; das Ver-
ot, aus Zielbestimmungen Handlungsermächtigungen
bzuleiten; eine verbesserte Abgrenzung der Kompeten-
en; die Anerkennung der Zuständigkeit der Mitglied-
taaten im Bereich der Daseinsvorsorge; das Gebot der
erücksichtigung des Ergebnisses der Europawahlen bei
er Bestimmung des Kommissionspräsidenten durch das
uropäische Parlament.
Wir bedauern, dass die verhandlungsführende Bun-
esregierung nicht erreicht hat: den Gottesbezug in der
räambel zu verankern; eine stärkere Begrenzung der
ompetenzen der EU durchzusetzen, insbesondere im
ereich der Wirtschafts- und Sozialpolitik; die Daseins-
orsorge aus der Gesetzgebungskompetenz der EU he-
auszunehmen; den Ausschluss der Veränderung der Ei-
enmittel aus dem vereinfachten Änderungsverfahren
nalog der Beschlüsse mit militärischen oder verteidi-
ungspolitischen Bezügen; zu verhindern, dass der Eu-
opäische Rat beim mehrjährigen Finanzplan einstim-
ig – ohne Ratifizierung durch die Mitgliedstaaten – den
bergang zur Mehrheitsentscheidung beschließen kann.
Nach reiflichen Überlegungen sind wir zu dem Ent-
chluss gekommen, dass trotz der erheblichen Bedenken
ie Vorteile des Gesetzentwurfs die Nachteile aufwiegen
nd stimmen deshalb für den Gesetzentwurf.
Nachdem die Mehrheit des Bundestages nicht dazu
ereit war, auf wesentliche Forderungen der Union im
ereich der Beteiligung des Deutschen Bundestages ein-
ugehen, begrüßen wir eine Überprüfung durch das Bun-
esverfassungsgericht, ob der Vertrag unter diesen Be-
ingungen allein vom Parlament beschlossen werden
ann.
nlage 5
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Dr. Gerd Müller, Doris
Meyer (Tapfheim) und Rudolf Kraus (alle
CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung
über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Ver-
trag vom 29. Oktober 2004 über eine Verfas-
sung für Europa (Tagesordnungspunkt 4 b)
Die Europäische Einigung ist eine Erfolgsgeschichte.
ie Europäische Union steht für Frieden, Freiheit und
ohlstand. Nach der Verwirklichung des europäischen
innenmarktes und der Einführung des Euros wurde mit
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005 16499
(A) )
(B) )
der Osterweiterung ein weiterer dynamischer Schritt in
der Entwicklung der Europäischen Union vollzogen. Die
Europäische Union ist kein Staat und wird auch in Zu-
kunft auf Nationalstaaten aufbauen. Umgekehrt braucht
der Nationalstaat Europa, weil jeder Nationalstaat in Eu-
ropa wichtige Aufgaben heute nicht mehr auf sich allein
gestellt erfüllen kann. Nationen und Europa bedingen
sich gegenseitig. Die Bindung der Menschen an ihre Na-
tionalstaaten und Parlamente, die Rückbindung der Ge-
setzgebung an das Volk, ist ein wesentliches Ergebnis
europäischer Geschichte und bleibt unverzichtbar. Des-
halb steht die Europäische Union mit dem EU-Verfas-
sungsvertrag an einem Wendepunkt.
Der Europäische Konvent und die Regierungskonfe-
renz hatten den Auftrag zur Schaffung einer klaren und
durchschaubaren Kompetenzordnung sowie einer Kom-
petenzabgrenzung der Zuständigkeitsbereiche zwischen
der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten. Da-
rüber hinaus sollte das europäische Vertragswerk trans-
parent werden, das demokratische Defizit reduziert und
die nationalen Parlamente in ihren Mitwirkungsmöglich-
keiten gestärkt werden. Diese Vorgaben wurden nicht
umgesetzt.
Der Verfassungsvertrag schafft keine klare Kompe-
tenzabgrenzung innerhalb der EU. Er beschränkt das
Handeln der EU nicht auf die Kernaufgaben, sondern
kommt vielmehr zu einer weiteren erheblichen Kompe-
tenzausweitung auch in Bereichen, die bisher auf
Ebenen der Mitgliedstaaten angesiedelt waren. Die
Kompetenzausweitung betrifft so zum Beispiel die Wirt-
schafts- und Währungspolitik, Energiepolitik, Gesund-
heit, Raumfahrt, Zivilschutz, Sport, Daseinsvorsorge, In-
nen- und Justizpolitik. Mit der Flexibilitätsklausel kann
die EU darüber hinaus in fast alle mitgliedstaatliche Zu-
ständigkeiten eingreifen. Durch das Initiativmonopol
macht der Verfassungsentwurf die EU-Kommission zu
einer europäischen Superbehörde ohne ausreichende
parlamentarische Kontrolle durch das Europäische Par-
lament und die nationalen Parlamente.
Durch die wesentliche Kompetenzausweitung auf na-
hezu alle Politikbereiche, die Ausweitung der Mehr-
heitsentscheidung, die Festschreibung des Vorrangs eu-
ropäischen Rechts vor nationalem Recht und die
Abschwächung der Rechte des Bundestages beim Ver-
tragsänderungsverfahren verlieren der Deutsche Bundes-
tag und die Landtage substanzielle Gestaltungs- und
Mitwirkungsrechte. Das Europäische Parlament wird in
seiner parlamentarischen Rolle nicht entsprechend ge-
stärkt, es verfügt über kein Initiativrecht, die Zusammen-
setzung leitet sich nicht auf der Basis eines gleichen
Wahlrechtes ab. Die Legitimation der europäischen
Rechtsetzung über die Kontrolle durch die Parlamente
und die Rückbindung an das Volk, wie es das Bundes-
verfassungsgericht in seinem Maastricht-Urteil fordert,
ist damit nicht mehr ausreichend gegeben. Die dem
Deutschen Bundestag eingeräumten Möglichkeiten eines
Subsidiaritätseinspruches und einer Subsidiaritätsklage
können dies nicht ausgleichen. Sie sind weder wirkungs-
voll noch effektiv administrierbar.
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Europapolitik ist nicht mehr Außenpolitik. Ohne eine
tärkung der Mitwirkungsrechte des Deutschen Bundes-
ges in EU-Angelegenheiten ist der Verfassungsvertrag
insichtlich der Vereinbarkeit mit dem deutschen Grund-
esetz äußerst bedenklich. Der Legitimationsstrang
uropäischer Rechtsetzung über die nationalen Parla-
ente und das Volk wird in Frage gestellt. Die CDU/
SU-Bundestagsfraktion hat daher eine Gesetzesinitia-
ve eingebracht, die die Rechte des Bundestages in EU-
ngelegenheiten stärkt. Kernziele dieses Gesetzes sind:
rundsätzliche Bindung der Bundesregierung an Stel-
ngnahmen des Bundestages in EU-Angelegenheiten,
as insbesondere vor der Aufnahme neuer EU-Beitritts-
erhandlungen und bei Vertragsänderungen gelten muss;
ür den Übergang von der Einstimmigkeit zur Mehr-
eitsentscheidung im Rat muss die Bundesregierung zu-
ächst das Einvernehmen mit dem Bundestag mit Zwei-
rittelmehrheit herstellen.
Die Bundesregierung, SPD und Grüne lehnen diese
ernforderungen ab. Die zugestandene Erweiterung der
itwirkungsrechte für den Bundesrat, die Stärkung der
nformationsrechte des Bundestages und ein Minderhei-
nrecht zur Einreichung einer Subsidiaritätsklage sind
icht ausreichend.
Der Verfassungsvertrag definiert die Grundwerte Eu-
opas und verzichtet dabei bewusst auf einen ausdrück-
chen Gottesbezug und die Herausstellung der Bedeutung
er christlichen Werte und Traditionen, die für Vergan-
enheit und Zukunft des Kontinents von großer Bedeu-
ng sind. Nur eine wertegebundene Verfassung, die das
eschichtliche Erbe nicht leugnet, gibt der EU eine in-
altliche und kulturelle Identität.
In der Würdigung der Vor- und Nachteile des jetzigen
erfassungsvertrages und der sich für den Deutschen
undestag und die Rechtsetzung ergebenden Konse-
uenzen, kommen wir in der Abwägung zu einem
Nein“ für dieses Verfassungswerk. Das Europa des EU-
erfassungsvertrages ist nicht mehr das Europa, das die
ründungsväter der Gemeinschaft vor Augen hatten.
uropa braucht klare Werte, föderale Strukturen, ein Be-
enntnis zur christlich-abendländischen Geschichte, zur
erantwortung vor Gott. Wir benötigen ein Europa, das
ich auf Kernaufgaben begrenzt, aber nicht in nahezu al-
n nationalen Politikfeldern mitregiert und reguliert; ein
uropa, das seine Gesetzgebung über die Rückbindung
um Volk und über die Parlamente legitimiert und trans-
arent macht. Ohne eine stärkere Einbindung der Men-
chen und ihrer nationalen Parlamente sowie des Euro-
äischen Parlaments kann das europäische Projekt nicht
elingen.
Die EU muss sich von unten nach oben über das Volk
nd die Parlamente stärker als bisher legitimieren. Auch
ei einem Nein zum Verfassungsvertrag fällt die EU
icht in einen rechtsfreien Raum, sondern ist handlungs-
ähig auf der Basis des Nizza-Vertrages. Neue Impulse
iner vertieften Integration in Kernbereichen der EU und
ine verstärkte Zusammenarbeit insbesondere in der Au-
en- und Sicherheitspolitik sind zu entwickeln. Eine
berprüfung der Erweiterungsstrategie und die Erarbei-
ng eines Partnerschaftskonzeptes der EU sind notwen-
ig.
16500 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005
(A) )
(B) )
Anlage 6
Erklärung nach § 31 GO
zur namentlichen Abstimmung über den Ent-
wurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom
29. Oktober 2004 über eine Verfassung für Eu-
ropa (Tagesordnungspunkt 4 b)
Ilse Aigner (CDU/CSU): Trotz erheblicher Mängel
werde ich dem Gesetzentwurf zustimmen, da er in vielen
Bereichen eine Verbesserung gegenüber dem Vertrag
von Nizza bedeutet. Die Verhandlung über den Vertrag
oblag der Bundesregierung; das Parlament kann dem
Verfassungsvertrag nur in seiner vorliegenden Form im
Ganzen zustimmen oder ihn ablehnen. Änderungsvor-
schläge können hingegen nicht eingebracht werden.
Deshalb war hier die Abwägung zu treffen, ob die Vor-
teile oder die Nachteile gegenüber dem bisherigen Zu-
stand überwiegen.
Aus meiner Sicht ergeben sich unter anderem Verbes-
serungen durch: die Zusammenführung der bisherigen
Verträge in einen wesentlich klarer strukturierten Vertrag
unter Berücksichtigung der Charta der Grundrechte; die
Berufung in der Präambel auf das kulturelle, religiöse
und humanistische Erbe Europas, aus dem sich die un-
verletzlichen und unveräußerlichen Rechte des Men-
schen sowie Freiheit, Demokratie, Gleichheit und Recht-
staatlichkeit als universelle Werte entwickelt haben; die
verbesserte Definition des Subsidiaritätsprinzips; die
Einbeziehung der nationalen Parlamente in den Gesetz-
gebungsprozess durch das so genannte Frühwarnsystem;
die Möglichkeit einer Klage durch die nationalen Parla-
mente bei der Verletzung des Subsidiaritätsprinzips; die
Einführung der so genannten doppelten Mehrheit, durch
die eine stärkere Gewichtung der Bevölkerungsgröße der
Länder gewährleistet wird; das Verbot, aus Zielbestim-
mungen Handlungsermächtigungen abzuleiten; eine ver-
besserte Abgrenzung der Kompetenzen; die Anerken-
nung der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten im Bereich
der Daseinsvorsorge; das Gebot der Berücksichtigung
des Ergebnisses der Europawahlen bei der Bestimmung
des Kommissionspräsidenten durch das Europäische
Parlament.
Ich bedauere, dass die verhandlungsführende Bundes-
regierung nicht erreicht hat, den Gottesbezug in der Prä-
ambel zu verankern; eine stärkere Begrenzung der Kom-
petenzen der EU durchzusetzen, insbesondere im
Bereich der Wirtschaft- und Sozialpolitik; die Daseins-
vorsorge aus der Gesetzgebungskompetenz der EU her-
auszunehmen; den Ausschluss der Veränderung der Ei-
genmittel aus dem vereinfachten Änderungsverfahren
analog der Beschlüsse mit militärischen oder verteidi-
gungspolitischen Bezügen; zu verhindern, dass der Eu-
ropäische Rat beim mehrjährigen Finanzplan einstimmig
– ohne Ratifizierung durch die Mitgliedstaaten – den
Übergang zur Mehrheitsentscheidung beschließen kann.
Nach reiflichen Überlegungen bin ich zu dem Ent-
schluss gekommen, dass trotz der erheblichen Bedenken
die Vorteile des Gesetzentwurfs die Nachteile aufwie-
gen, und stimme deshalb für den Gesetzentwurf.
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Nachdem die Mehrheit des Bundestages nicht dazu
ereit war, auf wesentliche Forderungen der Union im
ereich der Beteiligung des Deutschen Bundestages ein-
ugehen, begrüße ich eine Überprüfung durch das Bun-
esverfassungsgericht, ob der Vertrag unter diesen Be-
ingungen allein vom Parlament beschlossen werden
ann.
Norbert Barthle (CDU/CSU): Trotz erheblicher
ängel werde ich dem Gesetzentwurf zustimmen, da er
n vielen Bereichen eine Verbesserung gegenüber dem
ertrag von Nizza und damit dem Status quo bedeutet.
ie Verhandlung über den Vertrag oblag der Bundesre-
ierung; das Parlament kann dem Verfassungsvertrag
ur in seiner vorliegenden Form im Ganzen zustimmen
der ihn ablehnen. Änderungsvorschläge können hinge-
en nicht eingebracht werden. Deshalb hatte ich die Ab-
ägung zu treffen, ob die Vorteile oder die Nachteile ge-
enüber dem bisherigen Zustand überwiegen.
Aus meiner Sicht ergeben sich unter anderem durch:
ie Zusammenführung der bisherigen Verträge in einen
esentlich klarer strukturierten Vertrag unter Berück-
ichtigung der Charta der Grundrechte; die Berufung in
er Präambel auf das kulturelle, religiöse und humanisti-
che Erbe Europas, aus dem sich die unverletzlichen und
nveräußerlichen Rechte des Menschen sowie Freiheit,
emokratie, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit als uni-
erselle Werte entwickelt haben; die verbesserte Defini-
ion des Subsidiaritätsprinzips; die Einbeziehung der na-
ionalen Parlamente in den Gesetzgebungsprozess durch
as so genannte Frühwarnsystem; die Möglichkeit eine
lage durch die nationalen Parlamente bei der Verlet-
ung des Subsidiaritätsprinzips; die Einführung der so
enannten doppelten Mehrheit, durch die eine stärkere
ewichtung der Bevölkerungsgröße der Länder gewähr-
eistet wird; das Verbot, aus Zielbestimmungen Hand-
ungsermächtigungen abzuleiten; eine verbesserte Ab-
renzung der Kompetenzen; der Stärkung der föderalen
trukturen in Deutschland durch die ausdrückliche Ver-
nkerung des Leitbildes der Subsidiarität; der Schaffung
ines eigenen Klagerechts des Ausschusses der Regionen
or dem Europäischen Gerichtshof im Falle der Verlet-
ung kommunaler und regionaler Rechte; die Anerken-
ung der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten im Bereich
er Daseinsvorsorge; das Gebot der Berücksichtigung
es Ergebnisses der Europawahlen bei der Bestimmung
es Kommissionspräsidenten durch das Europäische
arlament.
Ich bedauere ausdrücklich, dass die Bundesregierung
n den Verhandlungen nicht erreicht hat bzw. nicht errei-
hen wollte, den Gottesbezug in der Präambel zu veran-
ern; eine stärkere Begrenzung der Kompetenzen der
U durchzusetzen, insbesondere im Bereich der Wirt-
chaft- und Sozialpolitik; den Bereich Daseinsvorsorge
us der Gesetzgebungskompetenz der EU komplett he-
auszunehmen; den Ausschluss der Veränderung der Ei-
enmittel aus dem vereinfachten Änderungsverfahren,
nalog der Beschlüsse mit militärischen oder verteidi-
ungspolitischen Bezügen; zu verhindern, dass der Eu-
opäische Rat beim mehrjährigen Finanzplan einstimmig
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005 16501
(A) )
(B) )
– ohne Ratifizierung durch die Mitgliedstaaten – den
Übergang zur Mehrheitsentscheidung beschließen kann.
Nach reiflichen Überlegungen bin ich zu dem Ent-
schluss gekommen, dass trotz der erheblichen Bedenken
die Vorteile des Gesetzentwurfs die Nachteile aufwie-
gen, und stimme deshalb für den Gesetzentwurf.
Im Hinblick auf den fehlenden Gottesbezug in der
Präambel des Vertrages folge ich dem Rat von Papst
Benedikt XVI., der uns empfohlen hat, dem Verfas-
sungsvertrag dennoch zuzustimmen.
Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen) (CDU/CSU):
Der Verfassungsvertrag ist ein epochaler Einschnitt im
europäischen Einigungsprozess. Obwohl ich ein über-
zeugter Anhänger der repräsentativen Demokratie bin,
hätte ich mir gewünscht, dass der Vertrag in einer Volks-
abstimmung eine breite Mehrheit erzielt hätte. Deutsch-
land ist in Sachen Demokratie nicht weniger mündig als
die anderen großen Staaten in Europa, in denen Referen-
den stattfinden.
Nach unserem ersten Bundespräsidenten Theodor
Heuss, ist Europa auf drei Hügeln errichtet: der Akropo-
lis in Athen, dem Capitol in Rom und Golgatha in Jeru-
salem. Dieser für die Identität Europas und seine ge-
schichtlichen Wurzeln entscheidende Zusammenhang
findet in der Präambel des Verfassungsvertrages keinen
Niederschlag. Dieser mangelnde Bezug auf das abend-
ländisch-christliche Erbe ist ein gravierender Mangel der
Präambel ebenso wie der fehlende Gottesbezug. Für die
politische Gestaltung des vereinten Europas ist eine reli-
giöse Wertebindung unverzichtbar. Eine ausdrückliche
Berufung auf die Verantwortung des Menschen vor Gott,
wie es das Grundgesetz enthält, hätte diese Wertebin-
dung gesichert und den Menschen vor Absolutheitsan-
sprüchen des Staates geschützt.
Trotz dieser Mängel ist der Verfassungsvertrag ein
großer Fortschritt gegenüber dem Vertrag von Nizza. So
werden das Subsidiaritätsprinzip verankert, die Kompe-
tenzabgrenzung klarer gezogen und die Rechte des Bun-
destages gestärkt.
Ich stimme deshalb dem Verfassungsvertrag der Eu-
ropäischen Union zu.
Renate Blank (CDU/CSU): Trotz schwerwiegender
Bedenken stimme ich nach Abwägung aller Vor- und
Nachteile dem Ratifikationsgesetz zum Vertrag über eine
EU-Verfassung zu. Ich hoffe sehr, dass der Verfassungs-
vertrag die in ihn gesetzten Hoffnungen nach mehr Bür-
gernähe, Demokratie, Transparenz und Effizienz erfüllen
kann.
Demokratie und Grundrechtsschutz werden durch die
Verfassung gegenüber dem jetzigen Rechtszustand ge-
stärkt: eine europäische Grundrechte-Charta wird veran-
kert, die Befugnisse des Europäischen Parlaments wer-
den erweitert sowie die erstmalige direkte Beteiligung
der nationalen Parlamente am EU-Gesetzgebungspro-
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ess sowie deren Klagemöglichkeit vor dem EU-Ge-
ichtshof eingeführt. Die gestärkte Rolle des Ausschus-
es der Regionen ist ein wichtiger Schritt und muss
usgebaut werden: Die Regionen haben eine Scharnier-
unktion und erbringen Leistungen, die sich unmittelbar
uf den Alltag der Menschen auswirken.
Ungeachtet dieser erkennbaren Fortschritte weist der
on der Bundesregierung ausgehandelte und unterzeich-
ete EU-Verfassungsvertrag Mängel auf; wichtigen eu-
opapolitischen Anliegen aus deutscher Sicht wird der
ertrag nicht gerecht:
In der Präambel fehlt trotz wohl begründeter Forde-
ungen aus dem politischen, gesellschaftlichen und
irchlichen Raum der Bezug auf die Verantwortung vor
ott. Ein Gottesbezug wäre Ausdruck der geistigen
rundlagen Europas gewesen und hätte die EU im Sinne
iner Wertegemeinschaft geprägt.
In den Bereichen Sozialpolitik, Arbeitsrecht, Gesund-
eitspolitik, Industrie und Forschung sowie Energiepoli-
ik sollen die EU-Kompetenzen ausgeweitet und im Be-
eich der Daseinsvorsorge neue Zuständigkeiten
eschaffen werden. Das widerspricht den Bemühungen,
er Zentralisierung Einhalt zu gebieten und in der EU
ehr Bürgernähe sicherzustellen.
Mit dem Vertrag wird die Abwanderung der Kompe-
enzen nach Brüssel – 70 Prozent der Gesetzgebung er-
olgen auf EU-Ebene – verstärkt. Die EU weitet den
echtsetzungsrahmen auf fast alle nationalen Bereiche
us. Das Bundesverfassungsgericht stellte fest: Dem
undestag müssen Aufgaben und Befugnisse von sub-
tanziellem Gewicht verbleiben. Es bleibt offen, ob diese
orgaben erfüllt werden.
Offenbar war die Bundesregierung weder bereit noch
n der Lage, entsprechende Forderungen in die Vertrags-
erhandlungen einzubeziehen, um so zu einem befriedi-
enden Verhandlungsergebnis zu kommen. Ein wichti-
es Anliegen der CDU/CSU-Fraktion war und ist es
aher, die Rechte des Bundestages im Zusammenhang
it der Ratifizierung des Vertrages über eine Verfassung
ür Europa zu stärken.
Leider verweigert sich die Regierungskoalition in der
rage der rechtlichen Bindewirkung von Bundestagsbe-
chlüssen in Europaangelegenheiten. Das Gleiche gilt für
nsere Forderung, die Zustimmung der Regierung zur
ufnahme von Beitrittsverhandlungen oder zur Auf-
ahme von Vertragsänderungsverhandlungen an ein Vo-
um des Parlaments zu binden. Beide Anliegen sind in ei-
em Gesetzentwurf – Bundestagsdrucksache 15/4716 –
er CDU/CSU enthalten.
Trotz vieler Zweifel hoffe ich im Interesse unserer
ürgerinnen und Bürger, dass in Europa mit einer Ver-
assung ein wichtiger Meilenstein für eine gute Zukunfts-
ntwicklung für Bund, Länder und Gemeinden gesetzt
ird. Ich fordere die Bundesregierung aber mit allem
achdruck auf, nach In-Kraft-Treten des Vertragswerks
nverzüglich auf Verbesserungen in den oben genannten
rängenden Problembereichen hinzuwirken.
16502 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005
(A) )
(B) )
Klaus Brähmig (CDU/CSU): Der dem Deutschen
Bundestag zur Ratifizierung vorliegende europäische
Verfassungsvertrag ist ein wichtiger Schritt zur Weiter-
entwicklung der europäischen Integration. Mit dem Ver-
tragswerk wird die Europäische Union handlungsfähi-
ger, transparenter und demokratischer gestaltet. Die
Zusammenfassung der europäischen Verträge in einem
einheitlichen Gesetzeswerk, die Verankerung der euro-
päischen Grundrechte-Charta, die institutionellen Refor-
men und die Regelungen zur Subsidiaritätskontrolle sind
ein erkennbarer Fortschritt gegenüber dem jetzigen
Rechtszustand.
Ungeachtet dieser Verbesserungen weist der von der
Bundesregierung ausgehandelte und unterzeichnete eu-
ropäische Verfassungsvertrag gravierende Mängel auf.
Ebenso zeichnen sich erhebliche Defizite bei den bislang
gefundenen Regelungen zu einer Handhabung des Ver-
tragswerks durch die gesetzgebenden Körperschaften
auf. Wichtigen europapolitischen Anliegen aus deut-
scher Sicht wird der Vertrag nicht gerecht:
In der Präambel fehlen der Hinweis auf das christli-
che Erbe Europas und der Bezug auf die Verantwortung
vor Gott. Dies widerspricht wohlbegründeten Forderun-
gen aus dem politischen, gesellschaftlichen und kirchli-
chen Raum.
Die Koordinierungskompetenzen im Bereich der
Wirtschaftspolitik weisen den Charakter von General-
klauseln auf. Dies widerspricht den ursprünglichen For-
derungen im Verfassungsvertrag, eine klare Abgrenzung
der Kompetenzen zwischen den Ebenen der EU, der
Mitgliedsländer und ihrer Regionen vorzunehmen.
In den Bereichen Sozialpolitik, Arbeitsrecht, Gesund-
heitspolitik, Industrie und Forschung sowie Energiepoli-
tik sollen die Kompetenzen der EU ausgeweitet und im
Bereich der Daseinsvorsorge neue Kompetenzen ge-
schaffen werden. Dies widerspricht den jahrelangen Be-
mühungen, den Tendenzen zu immer mehr Zentralisie-
rung auf EU-Ebene Einhalt zu gebieten und in der EU
mehr Bürgernähe sicherzustellen.
Offensichtlich war die Bundesregierung weder ge-
willt noch bereit, entsprechende Forderungen in die Ver-
tragsverhandlungen einzubeziehen, um so ein befriedi-
gendes Verhandlungsergebnis herbeizuführen. Auch
halte ich die zeitlich vorgezogene Ratifizierung des eu-
ropäischen Verfassungsvertrages für völlig unangemes-
sen. Allein die außenpolitische Rücksichtnahme auf die
Volksabstimmung in Frankreich hat zu dieser frühzeiti-
gen Abstimmung ohne ausreichende Kommunikation
mit unserer eigenen Bevölkerung geführt. Während die
Bundesregierung allein in den Jahren 2002 bis 2004 die
Mittel für Öffentlichkeitsarbeit um knapp 11 Prozent er-
höht hat, wurde unsere Bevölkerung nicht durch eine
umfassende Informationskampagne über das Pro und
Contra des europäischen Verfassungsvertrages aufge-
klärt, obwohl diese Entscheidung eine Schicksalsfrage
für die weitere europäische Integrationspolitik ist.
Weiterhin schwächt der europäische Verfassungsver-
trag die Position des Deutschen Bundestages in EU-An-
gelegenheiten. Um weitere Souveränitätsverluste zu ver-
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indern, ist eine Stärkung der Mitwirkungsrechte des
eutschen Bundestages erforderlich. Die CDU/CSU-
undestagsfraktion hat entsprechende Gesetzesvor-
chläge – Bundestagsdrucksache 15/4716 – eingebracht.
s ist jedoch absehbar, dass diesen Forderungen nur teil-
eise Rechnung getragen wird. Aus diesem Grund
erde ich auch nach der Ratifizierung des Vertrags auf
ine vollständige Umsetzung der Forderungen im Sinne
es Gesetzentwurfes von CDU und CSU hinwirken.
Nach Abwägung aller Vor- und Nachteile werde ich
rotz der schwerwiegenden Bedenken dem Vertragswerk
ustimmen.
Ich fordere die Bundesregierung jedoch ausdrücklich
uf, nach In-Kraft-Treten des Vertragswerks unverzüg-
ich und nachdrücklich auf Verbesserungen in den ge-
annten Bereichen hinzuwirken.
Alexander Dobrindt (CDU/CSU): Ich bin der festen
berzeugung, dass es aufgrund der besonderen histori-
chen Erfahrungen und der enormen zukünftigen He-
ausforderungen zu einer möglichst engen Zusammenar-
eit von Staaten innerhalb Europas keine Alternative
ibt. Eine Europäische Union, aufgebaut auf den christli-
hen Werten, den Grundsätzen der sozialen Markwirt-
chaft, dem Prinzip des Föderalismus und der kommuna-
en Selbstverwaltung, wird in einem hohen Maße zum
ohle aller Bürgerinnen und Bürger beitragen und
önnte ein tragfähiges Konzept für eine gemeinsame Zu-
unft Europas darstellen.
Diese gemeinsame Zukunft muss getragen sein von
iner hohen Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger ge-
enüber den europäischen Institutionen und ihrer Hand-
ungen und Werte. Fehlende Akzeptanz führt zu einem
rößerwerden von Distanz zwischen Bürgern und denje-
igen, die in deren Namen Macht ausüben. Die zur Ab-
timmung stehende Europäische Verfassung weist leider
rhebliche Mängel auf und wird deswegen bei den Bür-
ern zu erheblichen Akzeptanzproblemen führen.
In der Präambel des Vertrags fehlen ein eindeutiger
inweis auf das christliche Erbe Europas und ein Bezug
uf die Verantwortung vor Gott.
Die Kompetenzausweitung auf zahlreiche Politikfel-
er wie Wirtschaftspolitik, Sozialpolitik, Gesundheits-
olitik, Arbeitsrecht, Zugang von Staatsangehörigen aus
rittstaaten zum Arbeitsmarkt, Industrie, Forschung,
nergie, Daseinsvorsorge, Raumordnung, Zivilschutz,
port, Verwaltungsförderung, Tourismus und vieles
ehr ohne klare Kompetenzabgrenzung ist äußerst kri-
isch zu sehen. Obwohl ein Großteil dieser Aufgaben
usreichend von den Mitgliedstaaten erledigt wird und
uch weiterhin erledigt werden könnte, wird eine Kom-
etenzverlagerung auf die europäische Ebene festge-
chrieben. Die fehlende Kompetenzabgrenzung wird zu
iner weiteren Zentralisierungsdynamik der EU führen.
Verstärkt wird diese Zentralisierungsdynamik da-
urch, dass erstmals in der Geschichte der europäischen
ntegration kraft Vertragsrecht nicht nur ein Vorrang der
uropäischen Verfassung als solcher, sondern auch des
on den europäischen Organen erlassenen Sekundär-
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005 16503
(A) )
(B) )
und Tertiärrechts vor allem nationalen Recht, einschließ-
lich der nationalen Verfassungen und der in ihnen zum
Ausdruck kommenden demokratisch-rechtsstaatlichen
Ordnungssysteme, postuliert wird. Das Grundgesetz
steht damit zur Disposition der europäischen Organe.
Zum Ausdruck kommt dies in Teil I Art. 1-6 der Verfas-
sung:
Die Verfassung und das von den Organen der Union
in Ausübung der der Union übertragenen Zustän-
digkeiten gesetzte Recht haben Vorrang vor dem
Recht der Mitgliedstaaten.
Das in der Verfassung festgeschriebene Prinzip der
gleichberechtigten Rotation der Mitgliedstaaten bei der
Besetzung der Kommission führt dazu, dass Deutsch-
land als größter Mitgliedstaat periodisch nicht mehr in
der Kommission vertreten sein wird. Dies ist umso be-
dauerlicher, da der Gesetzgeber, also das Europäische
Parlament und der Rat, weiterhin keine Befugnis zu
Rechtsvorschlägen hat. Damit sind die Gesetzgebungs-
organe weiterhin von der Kommission abhängig.
Die Tatsache, dass mittels eines Frühwarnsystems die
Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips gewährleistet wer-
den soll, ist ausdrücklich zu begrüßen. Dass dies in der
praktischen Ausübung aufgrund der knappen Fristen und
der Höhe des Quorums – sechs Wochen; ein Drittel der
nationalen Parlamente – kaum praktische Bedeutung ha-
ben wird, ist bedauerlich.
In der Gesamtschau ist festzuhalten, dass die Europäi-
sche Verfassung in der vorliegenden Form durch die Ver-
lagerung von Zuständigkeiten an die EU und durch die
erweiterte Flexibilitätsklausel zu einer Schwächung der
nationalen Parlamente führt. Unbestritten ist allerdings,
dass der Vertrag gegenüber den bestehenden Verträgen
auch Vorteile bietet. Die Europäische Union sollte sich
allerdings in ihrem politischen Handeln auf diejenigen
Aufgaben konzentrieren, die nur auf der europäischen
Ebene gelöst werden können. Die Verfassung stellt dies
nicht sicher.
In Abwägung aller Argumente komme ich zu der
Überzeugung, dass der vorliegende Verfassungsvertrag
gravierende Mängel aufweist. Deswegen kann ich die-
sem Vertrag nicht zustimmen!
Thomas Dörflinger (CDU/CSU): Charles de
Montesquieu wird das berühmte Zitat zugeschrieben:
„Wenn es nicht unbedingt notwendig ist, ein Gesetz zu
erlassen, ist es unbedingt notwendig, kein Gesetz zu er-
lassen.“ Übertragen auf den heute im Deutschen Bun-
destag zu ratifizierenden Europäischen Verfassungsver-
trag möchte man also formulieren: „Wenn es nicht
unbedingt notwendig ist, eine Zuständigkeit zu formulie-
ren, ist es unbedingt notwendig, keine Zuständigkeit zu
formulieren.“ Es ist nach meiner Überzeugung trotz der
großen Verdienste, die sich insbesondere der frühere ba-
den-württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel
bei der Verbesserung des Vertragstextes erworben hat,
nicht gelungen, den Europäischen Verfassungsvertrag
hinsichtlich der Kompetenzabgrenzung zwischen Euro-
päischen Institutionen auf der einen und nationalen bzw.
regionalen Parlamenten auf der anderen Seite so zu
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trukturieren, daß mittelfristig ein Europa entsteht, das
ich auf nachhaltiger Kontrolle der Exekutive durch die
egislative gründet.
Ich teile ausdrücklich nicht die Auffassung, dass es
m Ratifizierungsverfahren über den Europäischen Ver-
assungsvertrag einem Referendum auch in der Bundes-
epublik Deutschland bedurft hätte. Der Deutsche Bun-
estag ist nach meiner Auffassung gemäß den
estimmungen des Grundgesetzes für die Bundesrepu-
lik Deutschland legitimiert, den Beschluss über die Ra-
ifizierung herbeizuführen.
Wenn der Deutsche Bundestag heute in einem Ent-
chließungsantrag verbesserte Mitwirkungsmöglichkei-
en, eine institutionalisierte Vertretung eigener Interes-
en auf der europäischen Ebene und einen verbesserten
nformationsfluss einfordert und zudem die im Europäi-
chen Verfassungsvertrag aufgenommene Subsidiaritäts-
lage und Subsidiaritätsrüge würdigt, stellt dies zwar
ine Verbesserung gegenüber dem Status quo dar.
leichwohl geht dies am Kern der Sache vorbei. An der
urch vage Zielbestimmungen, Prozesse wie der der Me-
hode der offenen Koordinierung festgeschriebenen
chleichenden Kompetenzverlagerung von den nationa-
en Parlamenten in europäische Institutionen ändert sich
ichts. Wir versuchen, Wirkungen abzumildern; an den
rsachen ändern wir nichts. Dabei ist zu bedenken, dass
s sich hier nicht um einen banalen Gesetzentwurf han-
elt, dem trotz erheblicher Mängel die Zustimmung er-
eilt werden kann, weil die begründete Aussicht besteht,
hn in naher Zukunft mit anderen Mehrheitsverhältnissen
ieder korrigieren und verbessern zu können.
Es ist klar und wird auch von mir nicht infrage ge-
tellt, dass eine zukunftsfähige Außen-, Sicherheits- und
erteidigungspolitik nur auf europäischer Ebene gestal-
et werden kann. In einem Binnenmarkt mit gemeinsa-
er Währung muss auch die Zuständigkeit für die Wäh-
ung bei der EU, respektive einer völlig unabhängigen
ZB liegen. Der globale Klimaschutz ist eine Aufgabe
er VN, der Globus ist bekanntlich größer als Europa.
ber alle anderen Politikbereiche gehören in die klare
uständigkeit nationaler Parlamente oder – wo vorhan-
en – von Länderparlamenten. Ein Europäischer Verfas-
ungsvertrag, der sich diesen Zielen verpflichtet fühlt,
ätte klar und unmissverständlich regeln müssen, dass
uropäischen Institutionen auf diesen Gebieten keine
uständigkeit und auch keine Koordinierungsfunktion
der Zielbestimmung zukommt und dass diese Felder
usschließlich in die Zuständigkeit der Nationalstaaten
allen. Das Prinzip der Subsidiarität sieht nicht vor, dass
ie kleinere Einheit für den Fall, dass sie sich gegenüber
er größeren benachteiligt oder in ihren Rechten be-
chnitten fühlt, ein Klagerecht gegenüber der größeren
nstitution erhält, sondern dass die kleinere Einheit aus
laren ordnungspolitischen Grundsätzen in aller Regel
en Vorrang vor der größeren Einheit hat.
Das Vorhaben, nationale Politiken etwa in der Be-
chäftigungs- oder Wirtschaftspolitik in einer suprana-
ionalen Institution ohne genügende parlamentarische
ontrolle nach Benchmarking-Gesichtspunkten zu koor-
inieren, kommt über den theoretischen Ansatz nicht hi-
aus, sondern provoziert Bürokratie, deren Ziel letztlich
16504 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005
(A) )
(B) )
im fortdauernden Nachweis der eigenen Existenzberech-
tigung liegt. Fortschritt entsteht aber nicht durch Beur-
teilung von Politikansätzen seitens weitgehend anony-
mer Institutionen, sondern durch den Wettbewerb von
Ideen, die auf dem Markt miteinander konkurrieren und
sich so als mehr oder weniger praktikabel erweisen.
Das Bemühen, die Mitwirkungsrechte des Deutschen
Bundestages zu stärken, ist zwar ehrenwert. An der
Sechs-Wochen-Frist zur Subsidiaritätsprüfung etwa än-
dert sich jedoch nichts. Schon heute aber sind die Mit-
glieder des Deutschen Bundestages kaum in der Lage,
die von europäischen Institutionen herausgegebene Do-
kumentenflut zu sichten; an ein Studium bzw. eine Be-
wertung dieser Dokumente ist kaum zu denken. Wenn
aber der Deutsche Bundestag zukünftig zum Beispiel
mittels Subsidiaritätsklage und Subsidiaritätsrüge einen
Teil der parlamentarischen Kontrollfunktion wahrzuneh-
men hat, die nach dem Prinzip der Gewaltenteilung ei-
gentlich dem Europäischen Parlament zusteht, dann
schwächt dies die parlamentarische Kontrollfunktion des
nationalen Parlaments gegenüber der nationalen Regie-
rung genauso, wie es gleichzeitig die unzureichend aus-
gebildete Kontrollfunktion des Europäischen Parlaments
gegenüber europäischen Institutionen darstellt. Beides
ist für mich politikwissenschaftlich und demokratietheo-
retisch in hohem Maße fragwürdig.
Das Fehlen eines klaren Gottesbezuges stellt für mich
zudem einen schwer wiegenden Mangel des Europäi-
schen Verfassungsvertrages dar. Wenn Bundeskanzler
Gerhard Schröder in der Debatte vom 10. September
2003 vor dem Deutschen Bundestag erklärt: „Nach mei-
ner Auffassung ist ein Gottesbezug nicht erforderlich“
und fünf Sätze später hinzufügt: „Sowohl der Außenmi-
nister als auch ich sind für den Gottesbezug eingetreten“,
dann bekommt man eine Vorstellung von der Ernsthaf-
tigkeit, mit der die Bundesregierung bei diesem Thema
zu Werke gegangen ist. Dabei geht es nicht nur darum,
der christlich-jüdischen Tradition Europas vor allem aus
historischen Gründen zu einer Erwähnung in einer Ver-
fassung zu verhelfen, sondern es geht um eine „Politik
des leeren Stuhls“, die deutlich macht, dass sich Regie-
rungen, Parlamente und Verwaltungen nicht als letzte In-
stanz verstehen, sondern sich der transzendentalen Di-
mension menschlichen Daseins und Tuns bewusst sind
und dies auch durch eine entsprechende Formulierung in
der Verfassung deutlich machen. Zwar ist mir klar, dass
aufgrund der unterschiedlichen Verfassungsgeschichten
der europäischen Nationalstaaten eine Formulierung
analog der im deutschen Grundgesetz verwendeten „in-
vocatio dei“ nur schwer durchzusetzen gewesen wäre;
das ernsthafte gemeinsame Bemühen mit Staaten, die
ähnliche Zielsetzungen verfolgten, hätte mit Sicherheit
jedoch substanziell mehr erbracht – etwa in der Form der
polnischen Verfassung –, als heute im Entwurf des Euro-
päischen Verfassungsvertrages zu finden ist.
Aus den vorgenannten Gründen vermag ich dem Eu-
ropäischen Verfassungsvertrag meine Zustimmung nicht
zu geben.
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Albrecht Feibel (CDU/CSU): Vor allem ist es der im
erfassungsvertrag fehlende Gottesbezug, der mich zu
inem „Nein“ bewogen hat. Aus der katholischen Ju-
endbewegung kommend, habe ich, insbesondere zwi-
chen 1955 und 1975, mit zahlreichen Aktionen für ein
uropa gearbeitet, das sich an den christlichen Grund-
erten orientiert. Es waren nicht nur die vielen Jugend-
egegnungen mit jungen Franzosen, sondern auch der
on mir ganz wesentlich initiierte valutafreie Jugendaus-
ausch mit Russland – damals Sowjetunion – und osteu-
opäischen Staaten wie Polen, CSSR, Ungarn sowie mit
er damaligen DDR, die dem Ziel eines freien, vereinig-
en Europas auf der Grundlage christlicher Werte dienen
ollten.
Schon damals war ich zutiefst überzeugt, dass Europa
ur dann eine gute Zukunft haben würde, wenn es nicht
ur eine Wirtschafts- und Währungsunion bleiben
ürde. Ich trete deshalb dafür ein, dass ähnlich wie im
rundgesetz der Bundesrepublik Deutschland die Ver-
ntwortung des Menschen vor Gott im Vertrag über eine
erfassung für Europa Erwähnung findet. Nur so kann
ich Europa zu einer wirklichen Wertegemeinschaft ent-
ickeln, die ihre Herkunft nicht leugnet und zugleich ein
ekenntnis zur christlich abendländischen Geschichte
blegt.
Europa wächst in seiner Fläche, nicht aber in der Be-
innung auf gemeinsame Werte. Die umfassende Erwei-
erung nach Osten und die zusätzliche Aufnahme von
umänien und Bulgarien innerhalb eines Zeitraums, der
aum eine Konsolidierung zulässt, überfordert die EU
icht nur finanziell. Begriffe wie „Entsenderichtlinie“
nd „Dienstleistungsrichtlinie“ unterstreichen bereits
eute in der politischen Diskussion die aufkommenden
robleme im freien Dienstleistungsverkehr der nach Os-
en erweiterten EU. Beispielhaft hierfür ist Art. III-144
es noch nicht in Kraft gesetzten Verfassungsvertrages,
er wie folgt lautet:
„Die Beschränkungen des freien Dienstleistungs-
verkehrs innerhalb der Union für Angehörige der
Mitgliedstaaten, die in einem anderen Mitgliedstaat
als demjenigen des Leistungsempfängers ansässig
sind, sind nach Maßgabe dieses Unterabschnitts
verboten.“
Die Bundesregierung möchte durch eine entspre-
hend abgeschwächte Dienstleistungsrichtlinie diese
ertragsbestimmung modifizieren. Angesichts des Vor-
anges des Verfassungsvertrages muss dieses Ansinnen
cheitern. Dies bedeutet, dass die für den deutschen Mit-
elstand außerordentlich schädliche Bestimmung in
raft gesetzt wird.
Eine kritische Bewertung verdient zudem die zuneh-
ende Kompetenzverlagerung von den nationalen Parla-
enten zur Brüsseler Mammutbürokratie. Kommission
nd Ministerrat ersetzen parlamentarisches Handeln und
was noch wichtiger ist – die parlamentarische Kon-
rolle.
Die hier dargelegten Gründe haben mich daher bewo-
en, den Verfassungsvertrag in seiner jetzigen Form ab-
ulehnen.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005 16505
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Herbert Frankenhauser (CDU/CSU): Die europäi-
sche Einigung ist eine Erfolgsgeschichte. Die Europäi-
sche Union steht für Frieden, Freiheit und Wohlstand.
Nach der Verwirklichung des europäischen Binnenmark-
tes und der Einführung des Euros wurde mit der Ost-
erweiterung ein weiterer dynamischer Schritt in der Ent-
wicklung der Europäischen Union vollzogen. Die
Europäische Union ist kein Staat und wird auch in Zu-
kunft auf Nationalstaaten aufbauen. Umgekehrt braucht
der Nationalstaat Europa, weil jeder Nationalstaat in Eu-
ropa wichtige Aufgaben heute nicht mehr auf sich allein
gestellt erfüllen kann. Nationen und Europa bedingen
sich gegenseitig. Die Bindung der Menschen an ihre Na-
tionalstaaten und Parlamente, die Rückbindung der Ge-
setzgebung an das Volk sind ein wesentliches Ergebnis
europäischer Geschichte und bleiben unverzichtbar.
Deshalb steht die Europäische Union mit dem EU-Ver-
fassungsvertrag an einem Wendepunkt.
Der Europäische Konvent und die Regierungskonfe-
renz hatten den Auftrag zur Schaffung einer klaren und
durchschaubaren Kompetenzordnung sowie einer Kom-
petenzabgrenzung der Zuständigkeitsbereiche zwischen
der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten. Da-
rüber hinaus sollte das europäische Vertragswerk trans-
parent werden, das demokratische Defizit reduziert und
die nationalen Parlamente ihren Mitwirkungsmöglich-
keiten gestärkt werden. Diese Vorgaben wurden nicht
umgesetzt.
Der Verfassungsvertrag schafft keine klare Kompe-
tenzabgrenzung innerhalb der EU. Er beschränkt das
Handeln der EU nicht auf die Kernaufgaben, sondern
kommt vielmehr zu einer weiteren erheblichen Kompe-
tenzausweitung auch in Bereichen, die bisher auf Ebe-
nen der Mitgliedstaaten angesiedelt waren. Die Kompe-
tenzausweitung betrifft so zum Beispiel die Wirtschafts-
und Währungspolitik, die Energiepolitik, die Gesund-
heit, die Raumfahrt, den Zivilschutz, den Sport, die Da-
seinsvorsorge, die Innen- und Justizpolitik. Das verstärkt
die Zentralisierungsdynamik in Richtung Brüssel über
Kernaufgaben hinaus. Mit der Flexibilitätsklausel kann
die EU darüber hinaus in fast alle mitgliedstaatliche Zu-
ständigkeiten eingreifen. Durch das Initiativmonopol
macht der Verfassungsentwurf die EU-Kommission zu
einer europäischen Superbehörde ohne ausreichende
parlamentarische Kontrolle durch das Europäische Par-
lament und die nationalen Parlamente.
Durch die wesentliche Kompetenzausweitung auf na-
hezu alle Politikbereiche, die Ausweitung der Mehr-
heitsentscheidung, die Festschreibung des Vorrangs
europäischen Rechts vor nationalem Recht und die Ab-
schwächung der Rechte des Bundestages beim Vertrags-
änderungsverfahren verlieren der Deutsche Bundestag
und die Landtage substanzielle Gestaltung- und Mitwir-
kungsrechte. Das Europäische Parlament wird in seiner
parlamentarischen Rolle nicht entsprechend gestärkt, es
verfügt über kein Initiativrecht, die Zusammensetzung
leitet sich nicht auf der Basis eines gleichen Wahlrechtes
ab. Die Legitimation der europäischen Rechtsetzung
über die Kontrolle durch die Parlamente und die Rück-
bindung an das Volk, wie es das Bundesverfassungsge-
richt in seinem Maastricht-Urteil fordert, ist damit nicht
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ehr ausreichend gegeben. Die dem Deutschen Bundes-
ag eingeräumten Möglichkeiten eines Subsidiaritätsein-
pruches und einer Subsidiaritätsklage können dies nicht
usgleichen. Sie sind weder wirkungsvoll noch effektiv
dministrierbar.
Da Europapolitik nicht mehr Außenpolitik ist, ist
hne eine Stärkung der Mitwirkungsrechte des Deut-
chen Bundestages in EU-Angelegenheiten der Verfas-
ungsvertrag hinsichtlich der Vereinbarkeit mit dem
eutschen Grundgesetz äußerst bedenklich. Der Legiti-
ationsstrang europäischer Rechtsetzung über die natio-
alen Parlamente und das Volk wird infrage gestellt. Die
DU/CSU-Bundestagsfraktion hat daher eine Gesetzes-
itiative eingebracht, die die Rechte des Bundestages in
U-Angelegenheiten stärkt. Kernziele dieses Gesetzes
ind grundsätzliche Bindung der Bundesregierung an
tellungnahmen des Bundestages in EU-Angelegenhei-
n, was insbesondere vor der Aufnahme neuer EU-Bei-
ittsverhandlungen und bei Vertragsänderungen gelten
uss, und dass die Bundesregierung für den Übergang
on der Einstimmigkeit zur Mehrheitsentscheidung im
at zunächst das Einvernehmen mit dem Bundestag mit
weidrittelmehrheit herstellen muss. Die Bundesregie-
ung, SPD und Grüne lehnen diese Kernforderungen ab.
ie zugestandene Erweiterung der Mitwirkungsrechte
ür den Bundesrat, die Stärkung der Informationsrechte
es Bundestages und ein Minderheitenrecht zur Einrei-
hung einer Subsidiaritätsklage sind nicht ausreichend.
In der Würdigung der Vor- und Nachteile des jetzigen
erfassungsvertrages und der sich für den Deutschen
undestag und die Rechtsetzung ergebenden Konse-
uenzen komme ich in der Abwägung zu einem Nein für
ieses Verfassungswerk. Das Europa des EU-Verfas-
ungsvertrages ist nicht mehr das Europa, das die Grün-
ungsväter der Gemeinschaft vor Augen hatten. Europa
raucht klare Werte, föderale Strukturen, ein Bekenntnis
ur christlich-abendländischen Geschichte, zur Verant-
ortung vor Gott. Wir benötigen ein Europa, das sich
uf Kernaufgaben begrenzt, aber nicht in nahezu allen
ationalen Politikfeldern mitregiert und reguliert; ein
uropa, das seine Gesetzgebung über die Rückbindung
um Volk und über die Parlamente legitimiert und trans-
arent macht. Ohne eine stärkere Einbindung der Men-
chen und ihrer nationalen Parlamente sowie des Euro-
äischen Parlaments kann das europäische Projekt nicht
elingen. Die EU muss sich von unten nach oben über
as Volk und die Parlamente stärker als bisher legitimie-
en. Auch bei einem Nein zum Verfassungsvertrag fällt
ie EU nicht in einen rechtsfreien Raum, sondern ist
andlungsfähig auf der Basis des Nizza-Vertrages. Neue
mpulse einer vertieften Integration in Kernbereichen
er EU und eine verstärkte Zusammenarbeit insbeson-
ere in der Außen- und Sicherheitspolitik sind zu entwi-
keln. Eine Überprüfung der Erweiterungsstrategie und
ie Erarbeitung eines Partnerschaftskonzeptes der EU
ind notwendig.
Anders als die meisten europäischen Staaten hat die
ot-grüne Bundesregierung keinen einzigen Änderungs-
ntrag in die Abschlussverhandlungen eingebracht. Kei-
er der von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion formu-
erten begründeten Änderungsanträge wurde von der
16506 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005
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Bundesregierung aufgegriffen und einzubringen ver-
sucht.
Nach dem Willen der rot-grünen Bundesregierung
soll die eilige Verabschiedung des Verfassungsvertrages
das Verhalten der französischen Wählerinnen und Wäh-
ler beim Referendum am 29. Mai beeinflussen. Die Ent-
scheidung des Deutschen Bundestages als Vehikel zur
Beeinflussung französischer Wähler zu nutzen, ist unan-
gemessen und falsch. Richtig wäre es gewesen, die Ent-
scheidung des Bundestages nach dem französischen
Referendum anzusetzen oder zumindest zeitgleich am
Tag des französischen Referendums, um europäische
Gemeinsamkeit zumindest im Abstimmungszeitpunkt zu
demonstrieren. Der Deutsche Bundestag hätte dann in
einer Sondersitzung abgestimmt, das französische Volk
im Rahmen eines Referendums.
Das Ausmaß per Kompetenzübertragung und die Ein-
wirkungsmöglichkeiten der Europäischen Union sind so
weitgehend, die Überlagerung nationalen Rechts selbst
des Grundgesetzes durch Europäischer Rechtsetzungs-
akte so einschneidend, dass die Fundamente nationaler
Staatlichkeit berührt werden. In diesem besonderen und
einzigartigen Fall reicht die Legitimation der frei ge-
wählten Abgeordneten des Deutschen Bundestages nicht
aus, darüber zu beschließen. Vielmehr kann nur das
deutsche Volk selbst über eine so weit gehende Verände-
rung der Staatlichkeit gemäß Art. 146 des Grundgesetzes
beschließen. Die CSU hat deshalb zu Recht eine europa-
weite, an einem Tag stattfindende Abstimmung für jedes
Land gesondert vorgeschlagen. Diesen Vorschlag hat die
Bundesregierung abgelehnt.
Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU): Das
gemeinsame Europa ist unsere Zukunft! Auf der Grund-
lage ihres kulturellen Erbes und christlicher Wertvorstel-
lungen müssen die Nationen Europas ihre Zukunft ge-
stalten. Auf der Basis einer freien und sozialen
marktwirtschaftlichen Ordnung wird die wirtschaftliche
Integration Europas Wohlstand für alle ermöglichen und
die Formulierung und Umsetzung einer gemeinsamen
Außen- und Sicherheitspolitik wird die große europäi-
sche Aufgabe in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts
sein. Der Weg der Integration über demokratische Ab-
stimmungs- und Annäherungsprozesse ist mühsam, weil
jede europäische Nation ihre eigenen Erfahrungen und
politischen Traditionen hat. Aber das Zusammenwach-
sen der europäischen Gesellschaften in einem Europa
ohne Grenzen und die Erkenntnis, dass das Miteinander
allen zum Vorteil gereicht, wird diesen mühsamen und
langwierigen Prozess zum Erfolg führen.
Doch das gemeinsame Europa ist in Gefahr. Die Eu-
ropäische Kommission hat über Jahrzehnte, flankiert
vom Europäischen Gerichtshof und geduldet von den na-
tionalen Exekutiven, Kompetenzen an sich gerissen und
übt diese unter faktischer Ausschaltung der nationalen
Parlamente aus. An die Stelle der dem Volk verantwortli-
chen Vertreter der nationalen Parlamente ist bei der Ge-
setzgebung der europäische Beamtenapparat getreten.
Politische Meinungsbildungs- und Entscheidungspro-
zesse finden somit ohne Rückkopplung mit der Bevölke-
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ung statt. Lediglich gut funktionierende Büros der mul-
inationalen Konzerne und potente Verbände können auf
ie Bürokratie in Brüssel noch Einfluss nehmen.
Unter Berücksichtigung dieser Tatsachen war es er-
lärtes Ziel eines Verfassungsvertrages, die Kompetenz
er Europäischen Union zu begrenzen und, so weit mög-
ich, auf Kernbereiche zurückzuführen. Diesem Auftrag
ird der vorliegende Verfassungsvertrag nicht gerecht,
n Gegenteil: Der Vertrag schreibt die Kompetenzen, die
uropa an sich gerissen hat, fest und vergrößert sie
urch neue bzw. erweiterte Kompetenzen, obwohl die
ufgaben, die übertragen werden, ebensogut von den
itgliedstaaten erledigt werden könnten. Koordinie-
ungskompetenzen im Bereich der Wirtschaftspolitik
twa eröffnen der EU-Bürokratie neue Möglichkeiten,
hr vielfach planwirtschaftliches, zentralistisches und
niformes Denken umzusetzen, statt nationaler Vielfalt
nd Gestaltungsfreiheit Raum zu lassen. Dem Subsidia-
itätsprinzip wird in dem Verfassungsvertrag nicht der
ebotene Raum gegeben.
Der Verfassungsvertrag macht vielmehr deutlich: Die
entralisierungsdynamik der europäischen Bürokratie ist
ngebrochen und wird – verbunden mit der fehlenden
emokratischen Legitimation – dem Ziel des gemeinsa-
en Europas schweren Schaden zufügen. Der Vertrag
egalisiert, verfestigt und erweitert eine europäische Po-
itik, die unterschiedliche nationale Strukturen und Be-
ürfnisse und den Grundsatz der Subsidiarität missach-
et, und er trägt dazu bei, die Bürger noch stärker als
isher von der Politik zu entfremden. Europa muss zur
esinnung kommen. Ich kann deshalb dem Verfassungs-
ertrag nicht zustimmen.
Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU): Ich stimme
er EU-Verfassung und den Begleitgesetzen zu, weil sie
ine Verbesserung gegenüber dem jetzigen Vertragszu-
tand bedeuten. Dies bezieht sich insbesondere auf die
arlamentsbeteiligung und auf die Erwähnung des
hristlichen Erbes. Gleichwohl bedauere ich, dass der
ann erreichte Zustand nicht die Kriterien erfüllt, die ich
ir von dem Europäischen Verfassungsprozess erhofft
abe.
Insbesondere wird keine Vorkehrung dagegen getrof-
en, dass der von Europa ausgehende Bürokratisierungs-
rozess sich weiter fortsetzt und sich als Hemmnis für
ine positive Fortentwicklung unserer Volkswirtschaft
rweist. Nationale Bestrebungen zum Bürokratieabbau
ls grundlegende Voraussetzung für ein erneutes Wirt-
chaftswachstum werden nicht nur durch den von Euro-
a ausgehenden Prozess zunichte gemacht, sondern wir
erden weit zurückgeworfen. Daran ändern auch die
unmehr im dritten Teil der Europäischen Verfassung
ufgelisteten Zuständigkeitskataloge nichts, weil sie
urch die Wettbewerbsklausel unterlaufen werden. Das
at die Praxis der letzten Jahrzehnte gezeigt. Dadurch
ird auch die an sich richtige und wichtige Subsidiari-
ätsklausel unterlaufen werden. Statt Abbau der unglei-
hen Ausgangsbedingungen wird der Abstand größer.
Ich hätte mir gewünscht, dass die abendländische
hristlich jüdische Ausprägung unserer Kultur, zum Bei-
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005 16507
(A) )
(B) )
spiel in Form des Gottesbezuges, Eingang in den Text
gefunden hätte, um zum Ausdruck zu bringen, dass die
EU eine Wertegemeinschaft ist und welche Grundwerte
ihren Rahmen bestimmen.
Ich hätte zugleich auch deutlich gemacht, dass eine
Erweiterung über den entsprechenden Kulturkreis hinaus
nicht möglich ist, weil eine so tiefe Wertegemeinschaft
eine innere Homogenität voraussetzt, die nur innerhalb
eines einheitlichen Kulturkreises gewährleistet ist.
Ich bin Realist genug um zu wissen, dass im jetzigen
Verhandlungsstadium eine Gegenstimme von mir nicht
dazu führt, dass die europäische Verfassung diesen von
mir als wünschenswert aufgezeigten Zielen näher kom-
men würde. Bei einem Scheitern der europäischen Ver-
fassung verblieben wir nur in dem jetzt geltenden Ver-
tragszustand, der noch schlechter ist. Dies ist wohl auch
der Grund dafür, dass beide großen Kirchen deutlich ge-
macht haben, dass die Verabschiedung der Verfassung
wichtiger ist als unrealistischen Zielen nachzulaufen.
Deshalb stimme ich trotz Bedenken zu.
Hans-Joachim Fuchtel (CDU/CSU): Der EU-Ver-
trag ist ein positiver Meilenstein für die künftige Ent-
wicklung Europas.
Er überwindet den unbefriedigenden Zustand nach
den Verhandlungsergebnissen von Nizza durch Stärkung
der parlamentarischen Mitwirkungsmöglichkeiten und
dem ausdrücklichen Bekenntnis zum Prinzip der Subsi-
diarität. Europa wird nach innen demokratischer und
nach außen stabiler. Für uns Deutsche in der Mitte Euro-
pas ergeben sich die gleichen Solidaritätsproblematiken
wie für andere in der Gemeinschaft der Staaten. Es erge-
ben sich aber genauso enorme Chancen, die künftigen
Generationen von Nutzen sein werden.
Vor diesem Hintergrund stimme ich dem vorgelegten
Vertragswerk zu, obwohl mir bewusst ist, dass eine aus-
drückliche Aussage zu den gewachsenen geistigen und
kulturellen Grundwerten Europas in Form einer Präam-
bel ähnlich der unseres deutschen Grundgesetzes mit Be-
zug auf das Bewusstsein der Verantwortung vor Gott
nicht niedergeschrieben wurde.
Es gilt daher umso mehr mit diesem Bewusstsein die
handelnde Politik auszufüllen und dazu hin dafür zu sor-
gen, dass Europa den einzelnen und den regionalen Ebe-
nen so viel eigene Gestaltungsfreiheit wie im Interesse
des Ganzen vertretbar ist, lässt und dem Wettbewerb von
alternativen Lösungen genügend Raum gibt.
Die parlamentarischen Spielräume müssen genutzt
werden. Um Bürokratie und Regelwut Einhalt zu bieten
und so deutlich werden zu lassen: Europa ist für die
Menschen da und bietet Voraussetzungen bei sozialer
Gerechtigkeit und hohem Umweltstandard in Friede,
Freiheit und Wohlstand zu leben.
Ernst Hinsken (CDU/CSU): Ich begrüße den euro-
päischen Einigungsprozess und bin auch für eine ge-
meinsame Verfassung – allerdings für eine Verfassung,
die klar und transparent ist, die die Mitwirkungsrechte
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es Deutschen Bundestages tatsächlich stärkt und die ei-
en Gottesbezug hat.
Der vorliegende Verfassungsvertrag setzt diese Vor-
aben unzureichend um. Er verstärkt stattdessen die
entralisierung weit über die Kernaufgaben der EU hi-
aus in Bereiche, die bisher in die Zuständigkeit der Mit-
liedstaaten fielen. Dadurch verliert insbesondere der
eutsche Bundestag wichtige Rechte bei der Gestaltung
nd Mitwirkung der europäischen Politik. Wenn diese
icht gestärkt werden, ist eine Vereinbarkeit des Verfas-
ungsvertrages mit unserem Grundgesetz äußerst be-
enklich.
Der von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion einge-
rachte Gesetzentwurf, der die Rechte des Deutschen
undestages in EU-Angelegenheiten stärken würde, ist
er richtige Ansatz. Zentrale Forderungen dieser Initia-
ive wurden aber von der Bundesregierung, der SPD und
en Grünen abgelehnt. Die gemachten Zugeständnisse
ei den Mitwirkungsrechten für den Deutschen Bundes-
ag sind bei weitem nicht ausreichend.
Die Europäische Verfassung muss wertgebunden sein
nd sich klar zum historischen und christlichen Erbe un-
eres Kontinents bekennen. Die Grundwerte Europas
ind ohne einen ausdrücklichen Gottesbezug unvollstän-
ig. Ohne diesen Gottesbezug kann die Zukunft Europas
icht gestaltet werden.
Unter eingehender Berücksichtigung der Vor- und
achteile komme ich zu der Schlussfolgerung, dem vor-
iegenden Verfassungsvertrag nicht zustimmen zu kön-
en, weil grundsätzliche Mitwirkungsrechte des Deut-
chen Bundestages, wie zum Beispiel Bindungswirkung
einer Stellungnahmen für die Bundesregierung in EU-
ngelegenheiten, fehlen, zudem weil die Bundesregie-
ung für den Übergang von der Einstimmigkeit zur
ehrheitsentscheidung im Rat keine Zustimmung des
eutschen Bundestages mit Zweidrittelmehrheit herbei-
ühren muss, des Weiteren weil die Bundesregierung
ein Einvernehmen mit dem Deutschen Bundestag bei
euen Beitrittsverhandlungen oder Vertragsänderungen
erstellen muss, und weil der Gottesbezug, wie ich ihn
erstehe, fehlt.
Meine Ablehnung des EU-Verfassungsvertrages ver-
inde ich mit einem klaren Bekenntnis zu einem födera-
en, wertgebundenen und bürgernahen Europa. Gerade
ie stärkere Einbeziehung der Bürger und der nationalen
arlamente in die Gestaltung der Politik der Europäi-
chen Union ist eine wichtige Grundlage für den weite-
en Erfolg des europäischen Einigungsprozesses.
Robert Hochbaum (CDU/CSU): Dem Gesetzent-
urf der Bundesregierung zu dem Vertrag vom 29. Ok-
ober 2004 über eine Verfassung für Europa, Druck-
ache 15/4900, kann ich nach Abwägung der Vor-und
achteile aus folgenden Gründen nicht zustimmen.
Erstens. Die Kompetenzausweitung der EU führt zu
iner erheblichen Schwächung der nationalen Parla-
ente. Im Gegensatz zum ursprünglichen Anliegen ers-
ens eine klare und transparente Kompetenzordnung zu
chaffen, zweitens eine Kompetenzabgrenzung der
16508 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005
(A) )
(B) )
Zuständigkeiten zwischen der Europäischen Union und
den Mitgliedstaaten festzulegen sowie drittens den
Handlungsspielraum der Europäischen Union auf deren
Kernaufgaben zu konzentrieren, beinhaltet der vorlie-
gende Verfassungsvertrag eine Ausweitung des Ent-
scheidungsspielraumes der Europäischen Union auf
Aufgabenbereiche, die bisher bei den Mitgliedstaaten
angesiedelt sind. Als Beispiel ist hier die neue Gesetzge-
bungskompetenz im Bereich der kommunalen Daseins-
vorsorge zu nennen. Die Verfassung ermöglicht es der Eu-
ropäischen Union künftig, den Mitgliedstaaten
vorzuschreiben, welche Leistungen der Daseinsvorsorge
wie zu erbringen sind. Ergo: Die EU kann zukünftig Ge-
setze verabschieden, die den innerstaatlichen Stellen nicht
einmal mehr die Wahl der Form und Mittel zu deren Um-
setzung überlassen. Das im Deutschen Grundgesetz fest-
geschriebene und geschützte kommunale Selbstverwal-
tungsrecht droht hierdurch zu verkümmern. Auch das
verankerte Frühwarnsystem bietet meiner Meinung nach
keine ausreichende Sicherheit. Das festgeschriebene
Rügerecht von einem Drittel der Parlamente ist zwar
grundlegend zu begrüßen, führt aber in der Konsequenz
nur zu einer Überprüfung der Richtlinie und nicht zwin-
gend zu einer Überarbeitung bzw. zur Aufnahme der
Vorschläge der rügenden Parlamente. Im Schluss heißt
dies, die Mitgliedstaaten werden in ihrer Stellung als ei-
genständig gewachsene und legitimierte Staaten nach-
haltig geschwächt. Diese Aussage erfährt besondere Bri-
sanz vor dem Hintergrund des im Verfassungsentwurf
festgeschriebenen Art. I-6. In ihm ist der Vorrang der
Europäischen Verfassung vor allem nationalen Recht
verankert. Nationale Verfassungen sind dabei mit einge-
schlossen. Im Ergebnis führt dies dazu, dass künftig
auch das Grundgesetz in der Entscheidungshoheit der
Europäischen Union liegen kann.
Zweitens. Fehlende Volksabstimmung führt zu unzu-
reichender Legitimation der Verfassung. Die Entschei-
dung über eine Europäische Verfassung ist die grundle-
gendste aller politischen Entscheidungen. In einer
Verfassung verständigen sich die Bürgerinnen und Bür-
ger über Inhalt, Grenzen, Organisation, Ausgestaltung
und Verteilung politischer Macht. Deshalb ist eine Ver-
fassung ohne die ausdrückliche Zustimmung des Volkes
grundsätzlich nicht ausreichend legitimiert. Zwar ist
nach überwiegender Meinung der „Vertrag über eine
Verfassung für Europa“ keine echte Verfassung im Sinne
des Art. 146 GG, die eine Volksabstimmung zwingend
erforderlich machen würde, aber dennoch ist es hier
politisch klug, einen Volksentscheid herbeizuführen. Nur
wenn den Bürgerinnen und Bürgern ein echtes Mitwir-
kungsrecht zur Verfügung gestellt wird, wird es gelin-
gen, sie auf den weiteren Integrationsprozess mitzuneh-
men und sie von der europäischen Idee zu überzeugen.
Die Abhaltung eines Volksentscheides zur Einführung
einer Europäischen Verfassung auch in Deutschland
würde den Gleichklang mit den anderen europäischen
Staaten herbeiführen. Denn nach derzeitigem Stand sol-
len in Belgien, Dänemark, Frankreich, Großbritannien,
Irland, Luxemburg, Niederlande, Polen, Portugal und
Spanien Volksentscheide durchgeführt werden. Ledig-
lich in Deutschland, Malta und Zypern wird es keine
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olksentscheide geben. In den restlichen Staaten ist die
rage bisher ungeklärt.
Neben den beiden kardinalen Hauptproblemen be-
ründet des Weiteren der Verzicht auf einen ausdrückli-
hen Gottesbezug mein Abstimmungsverhalten. Der
erfassungsvertrag definiert zwar die Grundwerte Euro-
as, stellt aber die Bedeutung der christlichen Werte und
raditionen für die Zukunft Europas in keinster Weise
ervor. Ein Europa abendländischer Tradition benötigt
edoch eine christlich fundamentierte Verfassung.
Abschließend weise ich ausdrücklich darauf hin, dass
ein „Nein“ zum EU-Verfassungsvertrag nicht meine
enerelle Auffassung zu Europa widerspiegelt. Mein
erständnis von Europa definiert sich über klare, christ-
iche Werte, förderale Strukturen und ein bürgernahes
erständnis mit konsequenter Rückbindung zum Volk.
ies wird mit der vorliegenden Verfassung nicht reali-
iert werden können.
Klaus Hofbauer (CDU/CSU): Europa braucht einen
erfassungsvertrag. Dem vorgelegten Entwurf stimme
ch zu, obwohl er nach meiner Auffassung erhebliche
efizite aufweist. Es ist zu befürchten, dass mit diesem
ertrag die Ideale der Gründerjahre der Europäischen
nion und die damit verbundenen Visionen nicht er-
eicht werden. Der Vertrag erfüllt bei weitem nicht
eine Erwartungen. In den Vertrag wurde die Verant-
ortung vor Gott und den Menschen nicht aufgenom-
en. Damit ist die Gestaltung eines geeinten Europas
ach christlichen Grundsätzen aufgegeben worden.
Weiter stelle ich fest: dass es mit dem Vertrag nicht
elingt, die Kompetenzen klar festzuschreiben – es sind
u viele Bereiche mit geteilter Zuständigkeit enthalten –;
ass es nicht gelungen ist, Aufgaben wieder auf die unte-
en Ebenen zu verlagern; dass der in Art. I-6 festgelegte
orrang der Union vor dem Recht der Mitgliedstaaten
nverantwortlich ist; dass es im Vertrag keine klare Fest-
egung gibt, Europa auf die Kernaufgaben zu konzentrie-
en; dass nationale Spielräume zum Beispiel im Bereich
er Strukturpolitik nicht festgeschrieben sind; dass es
ersäumt wurde, im Zusammenhang mit der Ratifizie-
ung die Rechte der nationalen Parlamente zu stärken;
ass der Vertrag vor allem durch viele Zusatzerklärun-
en unübersichtlich und für den Bürger nicht verständ-
ich ist; dass im Vertrag keine räumliche Begrenzung Eu-
opas erfolgt.
Mit der fehlenden breiten Diskussion des Verfas-
ungsvertrages wurde die Chance vertan, mit den Men-
chen über die Notwendigkeiten, Ziele und die Identität
on Europa zu diskutieren. Es ist nicht gelungen, Euro-
as Seele zu vermitteln und Europa zu einer Herzensan-
elegenheit zu machen. Europa braucht mehr als nur
irtschaftliches Denken und Handeln. Es ist auch nicht
elungen, auf kritische Fragen zum Erscheinungsbild
nd zur Zukunft der Europäischen Union Antworten zu
eben.
Es bleibt noch viel zu tun, um Europa richtig zu ge-
talten. Deshalb muss dieser Vertrag in einem über-
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005 16509
(A) )
(B) )
schaubaren Zeitraum nachgebessert werden. Diese Hoff-
nung gebe ich nicht auf.
Jelena Hoffmann (Chemnitz) (SPD): Die Europäi-
sche Union ist seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges
weltweit das erfolgreichste Projekt regionaler Integra-
tion überhaupt, welches unter großen Anstrengungen der
EU-Mitgliedstaaten zustande gebracht worden ist.
Nichtsdestotrotz verfolge ich mit Besorgnis die starke
Tendenz der Entwicklung der EU in eine neoliberale
Richtung und eine Entdemokratisierung nationaler Ent-
scheidungsstrukturen.
Ich habe diese Vorbehalte auch aufgrund dessen, dass
ich in der ersten Lebenshälfte in der Sowjetunion und
der DDR gelebt und die Auswirkungen eines extrem
ausgeprägten Zentralismus ohne parlamentarische Kon-
trolle erfahren habe. Mit dieser Erfahrung fällt es mir
schwer, jeder Stärkung einer zentralen Machtstruktur in
der Europäischen Union zuzustimmen.
Ich stimme dem vorliegenden Ratifikationsgesetz für
den EU-Verfassungsvertrag dennoch zu, weil ich die
Hoffnung hege, dass die demokratischen Ansätze des
Verfassungsvertrages nicht auf dem Papier stehen blei-
ben und dass sie weiterentwickelt werden. Der Verfas-
sungsvertrag ist letztlich ein Kompromiss des Verfas-
sungskonventes, der meines Erachtens immer noch
einige Demokratiedefizite enthält. Gegenüber dem be-
stehenden Vertrag von Nizza stellt er aber doch einen
Fortschritt dar.
Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich
stimme dem Gesetzentwurf zu dem Vertrag vom
29. Oktober 2004 über eine Verfassung für Europa zu, da
der vom Europäischen Konvent vorgelegte Verfassungs-
entwurf einen Fortschritt gegenüber dem Vertrag von
Nizza darstellt und kaum eine realistische Aussicht be-
steht, dass sich die Mitgliedstaaten der EU in absehbarer
Zeit auf einen besseren Verfassungsentwurf einigen
könnten.
Ich halte es jedoch für bedenklich, dass sich in Art. 40
Abs. 3 die Mitgliedstaaten der EU dazu verpflichten,
„ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbes-
sern“. Dies ist zumindest missverständlich, weil es als
Aufrüstungsforderung interpretiert werden könnte. Zwar
werden an anderer Stelle auch die zivilen Mittel der
Konfliktvermeidung und Krisenbewältigung angespro-
chen. Insgesamt wäre jedoch eine noch deutlichere
Orientierung der gemeinsamen Sicherheits- und Vertei-
digungspolitik an dem Ziel, den Frieden mit einem mög-
lichst geringen militärischen Aufwand zu sichern, wün-
schenswert gewesen.
In den Passagen, die die gemeinsame Wirtschaftspoli-
tik betreffen, werden meines Erachtens zu einseitig die
freie Marktwirtschaft, der Wettbewerb sowie der freie
Personen-, Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr
betont und die sozialen Aspekte nur am Rande erwähnt.
Hier fehlt meines Erachtens der Hinweis auf die Not-
wendigkeit, sich auf gemeinsame hohe ökologische und
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oziale Standards zu einigen und sie europaweit durch-
usetzen.
Ich erkenne aber an, dass der vorgelegte Verfassungs-
ntwurf einen Fortschritt gegenüber dem Status quo dar-
tellt und die Entwicklung und Durchführung einer euro-
äischen Friedens- und Abrüstungspolitik sowie einer
mbitionierten europäischen Sozial- und Umweltpolitik
icht behindert. Nun kommt es auf uns Politiker an, dazu
eizutragen, dass die Europäische Union zu einer Frie-
ensmacht wird und in ihrem gesamten Geltungsbereich
ine betont soziale und ökologische Marktwirtschaft ent-
ickelt.
Dr. Peter Jahr (CDU/CSU): Nach wie vor existieren
m vorliegenden Verfassungsvertrag erhebliche Mängel,
ie den europäischen Integrationsprozess wesentlich be-
indern. Ich bedauere, dass die verhandlungsführende
undesregierung nicht erreicht hat, den Gottesbezug in
er Präambel zu verankern, eine stärkere Begrenzung
er Kompetenzen der EU durchzusetzen, insbesondere
m Bereich der Wirtschaft- und Sozialpolitik, die Da-
einsvorsorge aus der Gesetzgebungskompetenz der EU
erauszunehmen, den Ausschluss der Veränderung der
igenmittel aus dem vereinfachten Änderungsverfahren
urchzusetzen analog der Beschlüsse mit militärischen
der verteidigungspolitischen Bezügen, und zu verhin-
ern, dass der Europäische Rat beim mehrjährigen
inanzplan einstimmig – ohne Ratifizierung durch die
itgliedstaaten – den Übergang zur Mehrheitsentschei-
ung beschließen kann.
Andererseits dürfen auch die Verbesserungen nicht
bersehen werden, die im Vertragstext enthalten sind.
us meiner Sicht ergeben sich unter anderem Verbesse-
ungen durch die Zusammenführung der bisherigen Ver-
äge in einen wesentlich klarer strukturierten Vertrag un-
r Berücksichtigung der Charta der Grundrechte, die
erufung in der Präambel auf das kulturelle, religiöse
nd humanistische Erbe Europas, aus dem sich die unver-
tzlichen und unveräußerlichen Rechte des Menschen
owie Freiheit, Demokratie, Gleichheit und Rechtsstaat-
chkeit als universelle Werte entwickelt haben, die
erbesserte Definition des Subsidiaritätsprinzips, die Ein-
eziehung der nationalen Parlamente in den Gesetzge-
ungsprozess durch das so genannte Frühwarnsystem,
ie Möglichkeit einer Klage durch die nationalen Parla-
ente bei der Verletzung des Subsidiaritätsprinzips, die
inführung der so genannten doppelten Mehrheit, durch
ie eine stärkere Gewichtung der Bevölkerungsgröße der
änder gewährleistet wird, das Verbot, aus Zielbestim-
ungen Handlungsermächtigungen abzuleiten, eine ver-
esserte Abgrenzung der Kompetenzen, die Anerken-
ung der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten im Bereich
er Daseinsvorsorge sowie durch das Gebot der Berück-
ichtigung des Ergebnisses der Europawahlen bei der
estimmung des Kommissionspräsidenten durch das Eu-
opäische Parlament. Eine Ablehnung des Vertrages be-
eutet, dass auch die vorgesehenen Verbesserungen nicht
irksam werden können.
Nach reiflichen Überlegungen bin ich zu dem Ent-
chluss gekommen, dass trotz der erheblichen Bedenken
16510 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005
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die Vorteile des Gesetzentwurfs die Nachteile aufwie-
gen, und stimme deshalb für den Gesetzentwurf.
Manfred Kolbe (CDU/CSU): Dem Gesetzentwurf
der Bundesregierung zu dem Vertrag vom 29. Oktober
2004 über eine Verfassung für Europa, Drucksache
15/4900, kann ich nach Abwägung der Vor- und Nach-
teile aus folgenden Gründen nicht zustimmen:
Die Entscheidung über eine Verfassung für Europa ist
die grundlegendste aller politischen Entscheidungen. In
einer Verfassung verständigen sich die Bürgerinnen und
Bürger über Inhalt, Grenzen, Organisation, Ausgestal-
tung und Verteilung politischer Macht. Deshalb ist eine
Verfassung ohne die ausdrückliche Zustimmung des Vol-
kes grundsätzlich nicht ausreichend legitimiert. Zwar ist
nach überwiegender Meinung der „Vertrag über eine
Verfassung für Europa“ keine echte Verfassung im Sinne
des Art. 146 GG, die eine Volksabstimmung zwingend
erforderlich machen würde. Der Verfassungsvertrag ent-
hält aber einen grundsätzlichen Vorrang vor nationalem
Recht – Art I-6: „Die Verfassung und das von den Orga-
nen der Union in Ausübung der der Union übertragenen
Zuständigkeiten gesetzte Rechte haben Vorrang vor dem
Recht der Mitgliedstaaten.“ – und greift in die kommu-
nale Daseinsvorsorge ein. Deshalb wäre es zumindest
politisch klug gewesen, einen Volksentscheid über den
Verfassungsvertrag herbeizuführen.
Nur wenn die Bürgerinnen und Bürger ein echtes Mit-
wirkungsrecht haben, wird es gelingen, sie auf dem wei-
teren Integrationsprozess mitzunehmen und sie von der
europäischen Idee zu überzeugen. Augenblicklich findet
in Deutschland aus vielerlei Gründen ein bedauerlicher
Entfremdungsprozess gegenüber Europa statt, den wir
mit solchen Abstimmungen „quasi unter Ausschluss der
Öffentlichkeit“ noch befördern. Europa darf nicht nur
auf Regierungskonferenzen stattfinden, sondern die Po-
litik muss die Menschen vor Ort von Europa überzeu-
gen. In diesem Sinn ist der fehlende Volksentscheid lei-
der eine verpasste Chance.
Die Abhaltung eines Volksentscheides zur Einführung
einer Europäischen Verfassung auch in Deutschland
würde den Gleichklang mit den anderen europäischen
Staaten herbeiführen. Denn nach derzeitigem Stand sol-
len in Belgien, Dänemark, Frankreich, Großbritannien,
Irland, Luxemburg, Niederlande, Polen, Portugal und
Spanien Volksentscheide durchgeführt werden. Ledig-
lich in Deutschland, Malta und Zypern wird es keine
Volksentscheide geben. In den restlichen Staaten ist die
Frage bisher ungeklärt. Warum gehen wir in Deutsch-
land einen anderen Weg als alle anderen großen europäi-
schen Staaten, warum gehen wir diesen deutschen Son-
derweg?
Keinesfalls befürworte ich generell Volksentscheide
auf Bundesebene, wohl aber hier in dem Sonderfall der
Einführung einer Europäischen Verfassung. Die wesent-
lichen Argumente, die allgemein gegen eine Volksab-
stimmung auf Bundesebene sprechen, treffen hier gerade
nicht zu.
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Jürgen Koppelin (FDP): Nach meiner Überzeu-
ung muss die Europäische Verfassung vor allem eine
erfassung der Bürger sein. Nun jedoch bleiben die Bür-
er in Deutschland außen vor. So wird eine große
hance verspielt. Aufgrund des fehlenden Referendums,
ie es in Frankreich stattfinden wird, werden in
eutschland die Bürger nur unzureichend über die In-
alte der EU-Verfassung informiert. Die Fragen und Sor-
en der Menschen werden nicht ausreichend berücksich-
igt. Dieser wichtige Schritt auf dem Weg zu einem
ereinten Europa wird nicht gegangen.
Im Zusammenhang mit der Verfassung ist in Deutsch-
and eine breite gesellschaftliche Diskussion überfällig.
abei sollten Fragen über die Zukunft der EU, ihrer Ver-
assung und der zukünftigen Erweiterung umfassend
wischen allen gesellschaftlichen Ebenen diskutiert wer-
en. Ängste und Bedenken der Bürger können nicht
rnst genug genommen werden. Ihnen muss begegnet
erden, um diese abzubauen und die EU für die Zukunft
tark zu machen.
Trotz Bedenken gegen Teilbereiche werde ich dem
esetz zu dem Vertrag vom 29. Oktober 2004 über eine
erfassung für Europa zustimmen.
Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Ich trete leiden-
chaftlich für das europäische Einigungswerk ein und
abe seit meiner Mitgliedschaft im Deutschen Bundes-
ag im Jahr 1990 allen europarechtlichen Regelungen im
eutschen Bundestag zugestimmt. Dem Gesetz zu dem
ertrag vom 29. Oktober 2004 über eine Verfassung für
uropa kann ich jedoch aus nachfolgenden Gründen
icht zustimmen.
Erstens. Im Europäischen Verfassungsvertrag fehlt
icht nur der Gottesbezug, sondern auch die Benennung
es christlichen Erbes. Ich zitiere den Schriftsteller Mar-
in Mosebach:
Anrufung Gottes in der Verfassung bedeutet das
Bekenntnis, dass der Staat das Recht nicht erschaf-
fen kann, sondern nur zu seinem Schutz berufen ist,
ja, seine Legitimität nur so lange besitzt, wie er das
von ihm nicht selbst geschaffene Recht schätzt!
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz,
arl Kardinal Lehmann, und der Ratsvorsitzende der
vangelischen Kirche in Deutschland, Bischof Wolf-
ang Huber, haben eindringlich an die Staatsmänner Eu-
opas und damit auch an die Bundesregierung appelliert,
n den Europäischen Verfassungsvertrag einen Gottesbe-
ug aufzunehmen:
Ein solcher Gottesbezug macht deutlich, dass nicht
der Mensch der letzte Maßstab für den Menschen
ist. Er erinnert daran, dass menschliches Handeln
immer begrenzt und vorläufig ist; deshalb darf sich
kein Mensch eine absolute Macht anmaßen. Der
Gottesbezug hält das Bewusstsein für die Endlich-
keit und Unvollkommenheit alles menschlichen
Handelns wach und bewahrt davor, menschliche
Ordnung absolut zu setzen.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005 16511
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(B) )
Auch der verstorbene Papst Johannes Paul II. hat in
dem Text „Ecclesia in Europa“ an die Staats- und Regie-
rungschefs appelliert, im Europäischen Verfassungsver-
trag einen Bezug auf das jüdisch-christliche Erbe deut-
lich werden zu lassen. Papst Benedikt XVI. hat den
Verzicht auf den Gottesbezug in der Präambel der Euro-
päischen Verfassung als bedenkliches Signal gewertet.
Eine Gesellschaft, deren politische Repräsentanten sich
weigern, eine transzendente Instanz über sich anzuer-
kennen, drohe ihre eigene Fehlbarkeit aus dem Blick zu
verlieren und werde anfällig für ideologische Surrogate.
In ihrem Antrag vom 14. Oktober 2003, Bundestags-
drucksache 15/1695, hat sich die CDU/CSU-Bundes-
tagsfraktion für die Aufnahme eines Gottesbezuges in
den Europäischen Verfassungsvertrag ausgesprochen
und folgende Formulierung vorgeschlagenen:
In dem Bewusstsein der Verantwortung vor Gott,
den Menschen und dem, was Europa seinem geis-
tig-religiösen Erbe schuldet, gründet sich die Union
auf die unteilbaren universellen Werte der Würde
des Menschen, der Freiheit, der Gleichheit und der
Solidarität.
Zweitens. In einer Entscheidung zum Maastrichter
Vertrag aus dem Jahre 1993 hat das Bundesverfassungs-
gericht festgestellt:
Nimmt ein Verbund demokratischer Staaten hoheit-
liche Aufgaben wahr und übt dazu hoheitliche Be-
fugnisse aus, sind es zuvörderst die Staatsvölker der
Mitgliedstaaten, die dies über die nationalen Parla-
mente demokratisch zu legitimieren haben. Mithin
erfolgt demokratische Legitimation durch die
Rückkopplung des Handelns europäischer Organe
an die Parlamente der Mitgliedstaaten.
Ich sehe durch den Europäischen Verfassungsvertrag
die demokratische Legitimation durch die Rückkopp-
lung des Handelns der europäischen Organe an die Par-
lamente der Mitgliedstaaten kaum mehr gegeben. Ich
teile die Einschätzung von über 100 Universitätslehrern
und Wissenschaftlern, die in ihrem Aufruf zur Ableh-
nung des Europäischen Verfassungsvertrages vom März
2005 Folgendes festgestellt haben:
Die vorgeschlagene Verfassung hätte zur Folge,
dass die politischen Entscheidungen immer häufi-
ger fernab von den Bürgern getroffen würden. An-
statt die Tätigkeit der Europäischen Union auf die-
jenigen Ziele zu konzentrieren, die sie besser als
andere erreichen kann, würde diese Verfassung die
europäischen Institutionen in die Lage versetzen,
die Mitgliedstaaten und – in den Bundesstaaten –
ihre Länder auf immer mehr Feldern zu verdrängen.
… Die Verfassung würde es den europäischen Insti-
tutionen ermöglichen, das dichte Netz der staatli-
chen Regulierung noch enger zu knüpfen. Die Wett-
bewerbsfähigkeit Europas in der Weltwirtschaft
würde da-runter leiden. Die europäische Wirtschaft
braucht Deregulierung, nicht noch mehr staatliche
Vorschriften.
Drittens. Der Europäische Verfassungsvertrag ist so-
wohl von seiner rechtlichen und politischen Bedeutung
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ls auch von seiner Ausrichtung auf die Bürgerinnen und
ürger nicht mit den bisherigen Verträgen der EU/EG
leichzusetzen. Ich teile die Auffassung namhafter deut-
cher Verfassungsrechtslehrer, dass es daher der Legiti-
ation des Verfassungstextes durch die Bürgerinnen und
ürger bedarf. Wörtlich heißt es in dem Aufruf vom
6. April 2004:
Es entspricht der europäischen Rechtstradition und
dem Prinzip der Volkssouveränität, dass im Verfas-
sungsgebungsprozess das Volk als Pouvoir Consti-
tuant auftritt. In der Praxis wird deshalb entweder
die verfassungsgebende Versammlung direkt vom
Volk gewählt oder die Verfassung in einem Volks-
entscheid direkt vom Volk beschlossen. Diese Vor-
stellung liegt auch dem Grundgesetz zugrunde (Prä-
ambel sowie Artikel 20 Absatz 2 und Artikel 146).
Viertens. Professor Dr. Peter M. Huber von der Lud-
ig-Maximilians-Universität München hat in seiner
tellungnahme für die 66. Sitzung des Ausschusses für
ie Angelegenheiten der Europäischen Union des Deut-
chen Bundestages am 16. März 2005 Folgendes ausge-
ührt:
Da die Europäische Verfassung zu einer weiteren
Entmachtung der Mitgliedstaaten und damit auch
zu einer weiteren Stärkung der im Rat vertretenen
Regierungen führen wird, ist es auch aus dem
Blickwinkel des deutschen Verfassungsrechts drin-
gend geboten, den Einfluss des Deutschen Bundes-
tags auf die Rechtsetzung in der Europäischen
Union durch innerstaatliche Vorkehrungen auszu-
bauen und spürbar zu erweitern. Das bisher in
Art. 23 Abs. 2 und 3 Grundgesetz geregelte Verfah-
ren hat nicht ausgereicht, um die kontinuierliche
Entmachtung des Parlaments zu verhindern oder
auch nur zu verlangsamen. Das ist ein verfassungs-
rechtliches Problem ersten Ranges. Es rührt an die
Grundfesten unserer staatlichen Ordnung.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat diesem ver-
assungsrechtlichen Problem durch den Gesetzentwurf
ur Ausweitung des Mitwirkungsrechts des Deutschen
undestages in Angelegenheiten der Europäischen
nion, Bundestagsdrucksache 15/4716 vom 25. Januar
005, zu begegnen versucht, der jedoch in der Abstim-
ung des Deutschen Bundestages am 12. Mai 2005
eine Mehrheit findet.
Fünftens. Die Abkehr vom Einstimmigkeitserforder-
is in den Bereichen der Asyl-, Flüchtlings- und Ein-
anderungspolitik ist wegen der gravierenden Auswir-
ungen, die derartige Entscheidungen gerade auch auf
ie Bundesrepublik Deutschland haben können, nicht
achgerecht. Insbesondere der Arbeitsmarktzugang von
rittstaatsangehörigen betrifft eine grundsätzliche inte-
rationspolitische Entscheidung des jeweils betroffenen
itgliedstaates. Dass der Verfassungsvertrag die Ent-
cheidung über die Anzahl zuzulassender wirtschaftli-
her Zuwanderer zum Zwecke der Arbeitsuche als An-
elegenheit des Mitgliedstaates ansieht, wird nicht
erhindern, dass es bereits jetzt, also vor In-Kraft-Treten
es Vertrages, massive Aktivitäten zur Entwicklung von
trategien gibt, Wirtschaftsmigration in die nationalen
16512 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005
(A) )
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Märkte zu fördern und zuzulassen, siehe Grünbuch über
ein EU-Konzept zur Verwaltung der Wirtschaftsmigra-
tion vom 11. Januar 2005.
Sechstens. Der langjährige Verfassungsrichter und
Bundestagsabgeordnete Prof. Dr. Hans Hugo Klein hat
empfohlen, dem Vertragswerk eine Entschließung beizu-
fügen, mit der der Deutsche Bundestag grundgesetzkon-
forme Interpretationshilfen für den Verfassungsvertrag
vorgibt und hat sich dabei auf das Beispiel des Deutsch-
Französischen Freundschaftsvertrages von 1963 bezo-
gen, als der Deutsche Bundestag den Vertrag zwar ratifi-
zierte, Bedenken aber in einer Präambel zum Ratifika-
tionsgesetz Ausdruck verlieh. Eine solche Entschließung
fehlt dem Ratifizierungsgesetz für den Europäischen
Verfassungsvertrag. Ich begrüße daher ausdrücklich die
Verfassungsbeschwerde des Bundestagsabgeordneten
Dr. Peter Gauweiler, die dieser nach der Entscheidung
des Deutschen Bundestages und des deutschen Bundes-
rates zum Europäischen Verfassungsvertrag einlegen
wird und erwarte mir davon die notwendige verfassungs-
rechtliche Klarstellung zum Europäischen Verfassungs-
vertrag.
Die größte Gefahr für das europäische Einigungswerk
sehe ich in einer Selbstüberforderung Europas und der
Überforderung der Bürger Europas durch falsche euro-
parechtliche und -politische Weichenstellungen, wie sie
zum Beispiel durch die vorschnelle Aufnahme von Ru-
mänien und Bulgarien, aber auch die Aufnahme von
Beitrittsverhandlungen mit der Türkei gegeben sind. Der
Vertrag über eine Verfassung für Europa stellt für mich
keinen wirksamen Beitrag gegen die Gefahr der Selbst-
überforderung Europas und die Überforderung seiner
Bürger dar.
Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Die Euro-
päische Einigung ist eine Erfolgsgeschichte. Die Euro-
päische Union steht seit knapp 50 Jahren für Frieden,
Freiheit und Wohlstand. Nach der Verwirklichung des
Europäischen Binnenmarktes und der Einführung des
Euro wurde mit der Osterweiterung ein weiterer dynami-
scher Schritt in der Entwicklung der Europäischen
Union vollzogen. Entscheidend ist, insbesondere auch
im Verständnis der Bürger, dass die Europäische Union
kein Staat ist und sich auch in Zukunft auf Nationalstaa-
ten aufbauen wird. Der Verfassungsvertrag stellt trotz al-
ler Defizite einen erheblichen Fortschritt gegenüber dem
derzeitigen Nizza-Vertrag dar. Der Verfassungsvertrag
vereinigt den EG-Vertrag und den EU-Vertrag, integriert
die Grundrechte-Charta, überwindet die alte 3-Säulen-
Struktur und schafft eine einheitliche vertragliche
Grundlage für die Europäische Union.
Als positiv ist herauszustellen, dass es im EU-Verfas-
sungsvertrag gelungen ist, die Handlungsfähigkeit der
EU zu stärken, indem weit reichende Reformen im insti-
tutionellen Bereich – Einführung der doppelten Mehr-
heit, Schaffung eines Präsidenten, eines europäischen
Rates und eines europäischen Außenministers sowie
deutliche Ausdehnung der qualifizierten Mehrheit – vor-
genommen werden. Gerade die Einführung der doppel-
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en Mehrheit erhöht das Gewicht Deutschlands im euro-
äischen Abstimmungsprozess.
Trotz aller Vorzüge des EU-Verfassungsvertrages ge-
enüber dem Vertrag von Nizza weist der EU-Verfas-
ungsvertrag einige erhebliche Defizite auf und wird
ichtigen europäischen Anliegen aus deutscher Sicht
icht gerecht. So fehlt in der Präambel der wichtige Hin-
eis auf das christlich-jüdische Erbe Europas und der
ezug auf die Verantwortung vor Gott. Dies wider-
pricht wohl begründeten Forderungen aus dem politi-
chen, gesellschaftlichen und kirchlichen Raum. Insbe-
ondere vor dem Hintergrund, dass es zukünftig im
inblick auf etwaige Erweiterungsbestrebungen der EU
arum gehen muss, die Grenzen Europas zu definieren,
äre es eminent wichtig gewesen, in der Präambel klar
u stellen, woraus die EU ihre Wurzeln bezieht, nämlich
us dem abendländisch-christlich-jüdischen Kulturgut.
Der EU-Verfassungsvertrag schafft keine klare Kom-
etenzabgrenzung innerhalb der EU. Er beschränkt das
andeln der EU nicht auf die erforderlichen Kernauf-
aben, sondern kommt vielmehr zu einer weiteren er-
eblichen Kompetenzausweitung auch in Bereichen, die
isher auf Ebenen der Mitgliedstaaten angesiedelt wa-
en. Die Kompetenzausweitung betrifft zum Beispiel die
irtschafts- und Währungspolitik, Sozial- und Gesund-
eitspolitik, Energiepolitik, Raumfahrt, Zivilschutz,
port, Daseinsvorsorge und nicht zuletzt die Innen- und
ustizpolitik.
Nicht zufriedenstellend ist es, dass die Bundesregie-
ung nur teilweise der von der CDU/CSU-Bundestags-
raktion geforderten Mitwirkung des Deutschen Bundes-
ages bei der Rechtssetzung der Europäischen Union
echnung getragen hat. Daher sollte grundsätzlich die
undesregierung an Stellungnahmen des Bundestages in
U-Angelegenheiten gebunden werden, was insbeson-
ere vor der Aufnahme neuer EU-Beitrittsverhandlun-
en und bei Vertragsänderungen gelten muss. Ferner
uss die Bundesregierung für den Fall eines Übergangs
on der Einstimmigkeit zur Mehrheitsentscheidung im
at zunächst das Einvernehmen im Bundestag mit Zwei-
rittelmehrheit herstellen.
Kritisch zu sehen ist ebenfalls die erhebliche Auswei-
ung der Mehrheitsentscheidung und die Abkehr vom
instimmigkeitsprinzip in zahlreichen Politikbereichen.
Nach reiflicher und intensiver Abwägung aller Vor-
nd Nachteile werde ich trotz der schwerwiegenden Be-
enken dem Vertragswerk zustimmen, fordere allerdings
ie Bundesregierung ausdrücklich auf, nach In-Kraft-
reten des Vertragswerks unverzüglich und nachdrück-
ich auf Verbesserungen in den genannten Bereichen hin-
uwirken.
Maria Michalk (CDU/CSU): Ich habe heute dem Ra-
ifizierungsgesetz zur europäischen Verfassung nach
ründlicher Abwägung zugestimmt.
Alle Abgeordneten sollten sich bei Abstimmungen so
erhalten, als ob von ihnen allein die Entscheidung ab-
inge. Deutschland darf auch im 60. Jahr des Endes des
weiten Weltkrieges im Hinblick auf seine besondere
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005 16513
(A) )
(B) )
historische Verantwortung für den europäischen Frieden
nicht den Eindruck erwecken, als stünde es nicht hinter
der Einigung Europas, die uns Frieden und Sicherheit
gebracht hat. Auch aus außenpolitischen Gründen soll
nicht von Deutschland ein Nein zu dem Verfassungsver-
trag ausgehen. Deutschland soll das Signal geben: Wir
sagen Ja zu einem vereinten Europa, in dem die Völker
und Volksgruppen ohne Furcht und Zwang leben kön-
nen. Auch die Sorben, deren Interessenvertretung ich als
eine besondere Aufgabe ansehe, haben diese Haltung zu
Europa schon immer zum Ausdruck gebracht. Deutsche
und Sorben leben seit mehr als 1 000 Jahren in der Lau-
sitz zusammen und nutzen ihre Beziehungen vor allem
zu den slawischen Nachbarn zur friedlichen Völkerver-
ständigung.
Gegenüber der jetzigen Europarechtslage nach Nizza
führt der Verfassungsvertrag zu organisatorischen Ver-
besserungen mit der künftigen Verkleinerung der Kom-
mission nach dem Beitritt zusätzlicher EU-Mitgliedstaa-
ten und schafft rechtliche Verbindlichkeit für die
Grundrechte-Charta. Ich begrüße insbesondere die Ver-
bindlichkeit der Unantastbarkeit der Menschenwürde,
Art. II-61, das Verbot der Zwangsarbeit, Art. II-65, das
Verbot von Vertreibungen, Art. II-79, und das Verbot der
Diskriminierung wegen Zugehörigkeit zu einer nationa-
len Minderheit, Art. II-81.
Ich bedauere, dass es in Deutschland im Vorfeld der
heutigen Abstimmung eine unzureichende öffentliche
Diskussion gab. Daraus ergeben sich rechtliche Beden-
ken. Art. 146 Grundgesetz könnte verletzt sein. Mit dem
Zustimmungsgesetz wird faktisch eine neue Verfassung
für Europa und in wesentlichen Teilen anstelle des
Grundgesetzes geschaffen. Dass es sich nicht nur um ei-
nen Verfassungsvertrag handelt, geht sowohl aus dem
Wortlaut des Verfassungstextes – vergleiche Überschrift A.
Erklärungen zu Bestimmungen der Verfassung, Bundes-
tagsdrucksache 15/4900, Seite 189 – als auch aus der
dem deutschem Zustimmungsgesetz beigegebenen
Denkschrift der Bundesregierung – vergleiche C. Syste-
matik des Vertragswerks: „Die Verfassung gliedert sich
in vier Teile“ – hervor. Auch die Entstehungsgeschichte
zeigt, dass eine Verfassung gewollt ist – so spricht der
Auftrag des Rats von Laeken an den Konvent von „Ver-
fassung für die europäischen Bürger“ – und dass aus
Kompromissgründen am 28. Oktober 2002 vom Kon-
ventspräsidium der Name „Entwurf eines Vertrages über
eine Verfassung für Europa“ gewählt wurde – vergleiche
Deutscher Bundestag, eine Verfassung für Europa, Reihe
„Zur Sache“ l/2003, Einleitung S. 33. Eine andere Ver-
fassung müsste im Übrigen von dem deutschen Volke in
freier Entscheidung beschlossen werden.
Ich bedauere dass die verhandlungsführende Bundes-
regierung nicht erreicht hat, den Gottesbezug in der Prä-
ambel zu verankern, eine stärkere Begrenzung der Kom-
petenzen der EU durchzusetzen, insbesondere im
Bereich der Wirtschaft- und Sozialpolitik, die Daseins-
vorsorge aus der Gesetzgebungskompetenz der EU he-
rauszunehmen, einen eigenständigen Minderheiten-
schutzartikel zu verankern und zu verhindern, dass der
Europäische Rat beim mehrjährigen Finanzplan einstim-
mig – ohne Ratifizierung durch die Mitgliedstaaten –
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en Übergang zur Mehrheitsentscheidung beschließen
ann.
Aus meiner Sicht ergeben sich unter anderem Verbes-
erungen durch: die Zusammenführung der bisherigen
erträge in einen wesentlich klarer strukturierten Vertrag
nter Berücksichtigung der Charta der Grundrechte; die
erufung in der Präambel auf das kulturelle, religiöse
nd humanistische Erbe Europas, aus dem sich die un-
erletzlichen und unveräußerlichen Rechte des Men-
chen sowie Freiheit, Demokratie, Gleichheit und
echtsstaatlichkeit als universelle Werte entwickelt ha-
en; die verbesserte Definition des Subsidiaritätsprin-
ips; die Einbeziehung der nationalen Parlamente in den
esetzgebungsprozess durch das so genannte Frühwarn-
ystem; die Möglichkeit einer Klage durch die nationa-
en Parlamente bei der Verletzung des Subsidiaritätsprin-
ips; die Einführung der so genannten doppelten
ehrheit, durch die eine stärkere Gewichtung der Be-
ölkerungsgröße der Länder gewährleistet wird; das Ver-
ot, aus Zielbestimmungen Handlungsermächtigungen
bzuleiten; eine verbesserte Abgrenzung der Kompeten-
en; die Anerkennung der Zuständigkeit der Mitglied-
taaten im Bereich der Daseinsvorsorge; das Gebot der
erücksichtigung des Ergebnisses der Europawahlen bei
er Bestimmung des Kommissionspräsidenten durch das
uropäische Parlament.
Deshalb stimme ich dem Gesetz zu.
Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU): Der dem
eutschen Bundestag zur Ratifizierung vorgelegte Euro-
äische Verfassungsvertrag ist ein wichtiger Schritt zur
eiterentwicklung der Europäischen Integration. Die
usammenfassung der Europäischen Verträge in einem
inheitlichen Gesetzeswerk, die Verankerung der euro-
äischen Grundrechte-Charta, die institutionellen Refor-
en und nicht zuletzt die Regelungen zur Subsidiaritäts-
ontrolle sind ein Fortschritt gegenüber dem jetzigen
echtszustand.
Ungeachtet dessen weist der Verfassungsentwurf er-
ebliche Defizite auf. Wichtigen europapolitischen An-
iegen aus deutscher Sicht wird der Vertrag nicht ge-
echt. In der Präambel fehlen der Hinweis auf das
hristliche Erbe Europas und der Bezug auf die Verant-
ortung vor Gott. Dies widerspricht wohlbegründeten
orderungen aus dem politischen, gesellschaftlichen und
irchlichen Raum. Die Koordinierungskompetenzen im
ereich der Wirtschaftspolitik weisen den Charakter von
eneralklauseln auf. Dies widerspricht den ursprüngli-
hen Forderungen im Verfassungsvertrag, eine klare Ab-
renzung der Kompetenzen zwischen den Ebenen der
U, der Mitgliedstaaten und ihrer Regionen vorzuneh-
en. In den Bereichen Sozialpolitik, Arbeitsrecht, Ge-
undheitspolitik, Industrie und Forschung sowie Ener-
iepolitik sollen die Kompetenzen der EU ausgeweitet
nd im Bereich der Daseinsvorsorge neue Kompetenzen
eschaffen werden.
Dies widerspricht den jahrelangen Bemühungen, den
endenzen zu immer mehr Zentralisierung auf EU-Ebene
inhalt zu gebieten und in der EU mehr Bürgernähe si-
herzustellen. Offensichtlich war die Bundesregierung
16514 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005
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weder gewillt noch bereit, entsprechende Forderungen in
die Vertragsverhandlungen einzubeziehen, um so ein be-
friedigendes Verhandlungsergebnis herbeizuführen.
Der Europäische Verfassungsvertrag schwächt die Po-
sition des Deutschen Bundestages in EU-Angelegenhei-
ten. Um weitere Souveränitätsverluste zu verhindern, ist
eine Stärkung der Mitwirkungsrechte des Deutschen
Bundestages erforderlich. Die CDU/CSU-Bundestags-
fraktion hat entsprechende Gesetzesvorschläge auf Druck-
sache 15/4716 eingebracht.
Der Verfassungsentwurf, so wie er jetzt vorliegt, stellt
allerdings im Vergleich zu den Verträgen von Nizza eine
Verbesserung dar. Eine Ablehnung des EU-Verfassungs-
vertrages würde eine Schwächung der gesamten Euro-
päischen Union darstellen und den Erfordernissen von
Stabilität und Zuverlässigkeit widersprechen. Aus die-
sem Grund werde ich trotz der vorhandenen Mängel dem
Vertragswerk zustimmen.
Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Der dem Deut-
schen Bundestag zur Ratifizierung vorliegende Verfas-
sungsvertrag bleibt erheblich hinter meiner persönlichen
politischen Erwartung an eine Europäische Verfassung
zurück. Dies liegt in erster Linie an der Verhandlungs-
führung der Bundesregierung, in zweiter Linie aber auch
am mangelnden Gestaltungswillen eines Teiles der
CDU/CSU-Fraktion, Die Enttäuschung über vergebene
Chancen rechtfertigt allerdings in summa nur bedingt
eine Ablehnung des zu ratifizierenden Vertrages.
Der Europäische Konvent und die Regierungskonfe-
renz hatten entsprechend des Gipfels von Laecken insbe-
sondere den Auftrag, eine klare und an den Zielen der
EU orientierte Kompetenzordnung zu schaffen, die
Kompetenzen der EU zu begrenzen und auf Kernberei-
che zurückzuführen. Dies ist nicht gelungen. Damit wird
nach meiner Überzeugung eine historische Chance ver-
tan. Im Bereich der geteilten Zuständigkeiten und ergän-
zenden Maßnahmen sind die Kompetenzen nach wie vor
nicht abgegrenzt. Die Zentralisierungsdynamik der EU
bleibt ungebrochen.
Explizit ist zu bedauern, dass entgegen dieser drin-
gend gebotenen Absicht neben den Koordinierungskom-
petenzen in der Wirtschaftspolitik die offene Methode
der Koordinierung in den Bereichen Sozialpolitik/Ar-
beitsrecht, Gesundheitspolitik, Industrie und Forschung
verankert wurde, der Zugang von Staatsangehörigen aus
Drittstaaten zum Arbeitsmarkt nur eingeschränkt in der
Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten verbleibt, für die
Daseinsvorsorge eine neue Gesetzgebungskompetenz
geschaffen werden soll, weitere neue bzw. erweiterte
Kompetenzen in den Bereichen Energie, Raumordnung,
Zivilschutz, Sport, Verwaltungsförderung, Tourismus
und Gesundheit auf die EU übertragen werden sollen,
obwohl die Aufgaben ausreichend von den Mitglieds-
staaten erledigt werden könnten, die Kompetenzen von
Europol, Eurojust, der Europäischen Staatsanwaltschaft
sowie die Harmonisierung strafrechtlicher Normen wei-
ter gehen als erforderlich, die Anwendung der Binnen-
marktklausel nicht auf die Maßnahmen beschränkt wird,
die primär und unmittelbar dem Funktionieren des Bin-
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enmarktes dienen und die Flexibilitätsklausel zwar in
er Einstimmigkeit verbleibt, aber in ihrem Anwen-
ungsbereich erheblich über den Binnenmarkt hinaus
usgeweitet wird. Die zusätzliche Kompetenzauswei-
ung wird in Verbindung mit der unüberlegten und über-
asteten Erweiterungspolitik in Zukunft zu erheblichen
chwierigkeiten und einer weiter abnehmenden Akzep-
anz europäischer Politik führen. Es gelingt nicht, diese
ehlentwicklungen zu korrigieren.
Unter anderem werden mit der Flexibilitätsklausel
lte Fehler fortgeschrieben und trotz umfassender Kom-
etenzübertragungen weitere Einfallstore für eine
uropäische Zentralisierung offengehalten, wobei nicht
erkannt wird, daß andere, wie zum Beispiel. die „allge-
einen Zielformulierungen“, beseitigt werden.
Die Aufnahme eines expliziten Gottesbezuges schei-
erte an der laizistischen Position anderer Staaten und ei-
er nicht verstandenen Bedeutung der ausdrücklichen
ezugnahme. Der bewusste Verzicht hierauf entwertet
ie Grundrechte-Charta in entscheidendem Maße. Es
teht zu befürchten, dass dies Auswirkungen auf die eu-
opäische Rechtsetzung vom Abtreibungsrecht bis zur
ktiven Sterbehilfe haben kann. Wäre das Christentum
ls wesentliche geistige Grundlage der europäischen
ertegemeinschaft genannt worden, hätte sich die
hance ergeben, hieraus Grenzen der EU-Erweiterung
bzuleiten.
Fraglich bleibt aus meiner Sicht die Vereinbarkeit der
uropäischen Verfassung und ihrer Ratifizierung mit
em Deutschen Grundgesetz. In diesen Kontext gehört
ie wohl erst anhand der Verfassungswirklichkeit zu
eantwortende Frage, ob dem Deutschen Bundestag sub-
tantielle Rechte verbleiben, wie vom Bundesverfas-
ungsgericht im Maastricht-Urteil gefordert. Dies zu klä-
en, obliegt dem Bundesverfassungsgericht.
Im institutioneilen Bereich werden Defizite aus deut-
cher Sicht teilweise fortgeschrieben, teilweise vergrö-
ert. Zu nennen sind zum Beispiel die Ungleichheit bei
en Wahlen zum Europäischen Parlament durch eine de-
ressiv proportionale parlamentarische Vertretung, die
on der Bundesregierung akzeptierte Reduzierung der
itzzahl für Deutschland im Europäischen Parlament
on 99 auf 96 und damit die weitere Verschlechterung
es Stimmwertes für Deutschland bei den Europawah-
en, der im Rahmen der gleichberechtigten Rotation pe-
iodenweise erfolgende Ausschluss Deutschlands aus
er Kommission und eine Überdimensionierung der
ommission, die erst in neun Jahren geringfügig ange-
asst wird.
Mir liegt daran, zu betonen, dass ich kein Europageg-
er bin. Im Gegenteil: Es geht darum, politisch alles zu
un, um die Idee Europas zu befördern. Wichtig ist dabei,
ie Bürgerinnen und Bürger wieder demokratisch „mit-
unehmen“. Dass das derzeit nicht gelingt, wurde an vie-
en Beispielen der letzten Wochen – von der Antidiskri-
inierungs- über die Feinstaubdiskussion bis zur
ienstleistungsrichtlinie – nachdrücklich deutlich. Diese
hemen wurden erst zu einem Zeitpunkt parlamenta-
isch aufgearbeitet und öffentlich debattiert, als eine Ein-
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005 16515
(A) )
(B) )
flussnahme nicht mehr oder nur noch bedingt möglich
war.
Entsprechend sind die Anstrengungen derjenigen aus-
drücklich zu würdigen, die eine geeignete Parlamentsbe-
teiligung mindestens einfachgesetzlich festzuschreiben
suchen. Hier wurden in letzter Minute Fortschritte er-
reicht, die tatsächlich den Status quo verbessern, wenn-
gleich sie hinter den Forderungen der CDU/CSU auf
Drucksache 15/4716 zurückbleiben. Auch dass der
Ministerrat künftig öffentlich tagt, lässt eine transparen-
tere, öffentlich kontrollierte Entscheidungsfindung er-
warten.
Im Vertrauen auf die ausdrückliche Zusicherung der
Parteivorsitzenden Dr. Angela Merkel und Dr. Edmund
Stoiber, dass die Bedeutung des Deutschen Bundestages
nach einem Regierungswechsel gesetzlich wie auch in
der praktischen Arbeit gestärkt wird, im Vertrauen da-
rauf, dass der Deutsche Bundestag seine Kontrollrechte
wahrnimmt, stimme ich trotz oben dargelegter Kritik
dem Verfassungsvertrag aus folgenden Gründen zu:
Die Bundesregierung ist den Unionsforderungen zur
künftigen Beteiligung des Deutschen Bundestages in
Teilen entgegenkommen, was kurz vor Ratifizierung ei-
nen entscheidenden Kritikpunkt zwar nicht vollständig
beseitigt, aber zumindest abschwächt. Der Verfassungs-
vertrag ist kein entscheidender Fortschritt, aber auch kein
Rückschritt gegenüber dem Vertragswerk von Nizza. Die
bloße Enttäuschung über mangelnde Veränderungen
reicht als Ablehnungsgrund nicht aus. Gleichzeitig ist zu
akzeptieren, dass es sich bei der Ratifizierungsentschei-
dung nicht um eine Gewissensentscheidung handelt. Die
mit einer Ablehnung des Europäischen Verfassungsver-
trages verbundene ungerechtfertigte Diffamierung als
Europagegner erschwert ein künftiges Mitwirken an der
dringenden Verbesserung und Änderung europäischer
Politik.
Alles in allem gilt es künftig daran zu arbeiten, dass
europäische Rechtssetzung unter demokratisch-parla-
mentarischer Kontrolle erfolgt und ein Europa der Bür-
ger statt der Bürokraten entsteht. Dass der Verfassungs-
vertrag keine Aussagen zur Finalität der Europäischen
Union trifft und deren Grenzen nicht absteckt, belegt,
dass noch weitere gravierende europapolitische Ent-
scheidungen zu treffen sind. Die Entwicklung Europas
und dieses Verfassungsvertrages, den man maximal als
Zusammenfassung bestehender Verträge verstehen kann,
ist noch nicht abgeschlossen.
Klaus Riegert (CDU/CSU): Meine Zustimmung zu
dem Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom
29. Oktober 2004 über eine Verfassung für Europa ver-
binde ich mit der Forderung nach einer grundgesetzkon-
formen Auslegung der EU-Verfassung. Dies gilt insbe-
sondere für den Gottesbezug in der Präambel des
Grundgesetzes, der die besondere Verantwortung aller
Staatsgewalt anspricht. Die Werte der Europäischen
Union umfassen die Wertvorstellungen derjenigen, die
an Gott als die Quelle der Wahrheit, Gerechtigkeit, des
Guten und des Schönen glauben, als auch derjenigen, die
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iesen Glauben nicht teilen, sondern diese universellen
erte aus anderen Quellen ableiten.
Des Weiteren gilt dies insbesondere für das Subsidia-
itätsprinzip. Die im Verfassungsvertrag vorgesehene
bertragung weiterer Zuständigkeiten von den Mitglied-
taaten auf die Europäische Ebene dürfen nicht dazu füh-
en, grundgesetzlich garantierte Befugnisse des Bundes,
er Bundesländer und der Gemeinden auszuhebeln. Die
itwirkung des Bundestages in Europaangelegenheiten
st sicherzustellen.
Das Bundesverfassungsgericht ist in Deutschland der
üter der Verfassung und damit Hüter des Rechts. Das
undesverfassungsgericht hat in Urteilen die Struktur-
rinzipien des Grundgesetzes, das demokratische Prin-
ip, das Rechtsstaatsprinzip, das Sozialprinzip sowie das
öderalistische Prinzip als Grenze der Europäischen Ge-
einschaftsgewalt herausgestellt.
Im Maastricht-Urteil hat es gemäß Art. 23 Abs. l Satz l
G das Subsidiaritätsprinzip und insbesondere den
rundrechtsstandard hinzugefügt, aber auch das Prinzip
er begrenzten Ermächtigung hervorgehoben, die die
echtsakte der Gemeinschaft respektieren müssten,
enn sie in Deutschland angewandt werden können sol-
en.
Das höchste deutsche Gericht verantwortet die prakti-
che Vernunft in Deutschland, die Sittlichkeit der deut-
chen Politik und damit die Republikanität Deutsch-
ands. Diese Verantwortung hat ihm das Grundgesetz
bertragen. Sie besteht auch gegenüber der Europäi-
chen Union und deren Gemeinschaften.
Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU): Ich
timme dem Verfassungsvertrag zu, obwohl ich einzel-
en Grundsätzen und Detailregelungen des Vertrags-
erks schwere Bedenken entgegenbringe. In der Ge-
amtbetrachtung bringt das Vertragswerk jedoch mehr
or- als Nachteile gegenüber der bestehenden europäi-
chen Rechtsordnung mit sich.
In den Grundsätzen des Verfassungsvertrags ist zu be-
ängeln, dass die Europäische Union auch weiterhin
eine vernünftige und klare Kompetenzordnung vorwei-
en kann. Der schleichenden Kompetenzübertragung
nd Zentralisierung konnte insofern kein eindeutiger
iegel vorgeschoben werden. In ihren jeweiligen Le-
ensbereichen erfahren viele Bürger und politische Ent-
cheidungsträger auf lokaler, regionaler und nationaler
bene eine Teilentmachtung durch den „Moloch Brüs-
el“, der in dramatischer Art und Weise immer mehr
ufgaben an sich zieht. Eine solche Beschränkung der
andlungsfähigkeit auf unteren politischen Ebenen ist
eder effizient noch gerechtfertigt. Diese Feststellung
rifft auch auf einzelne Detailregelungen des Verfas-
ungsvertrags zu. In den Bereichen Sozialpolitik, Ar-
eitsrecht, Gesundheitspolitik, Industrie und Forschung
owie Energiepolitik sollen die Kompetenzen der EU
usgeweitet und im Bereich der Daseinsvorsorge neue
ompetenzen geschaffen werden.
Vor allem das Fehlen eines Hinweises auf das christli-
he Erbe Europas und eines Bezuges auf die Verantwor-
ung vor Gott zeigen mir, dass die Europäische Union
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kein einheitliches Staatswesen im Sinne eines Bundes-
staates sein kann. Es wurde deutlich, dass die verschie-
denen Staatstraditionen der EU-Mitgliedstaaten zum Teil
in fundamentalen Grundsätzen divergieren. Insofern ist
es in meinen Augen von großer Bedeutung, dass der Ver-
fassungsvertrag keine neue eigenstaatliche Ordnung be-
gründet. Es ist ein Vertrag und keine Verfassung! Die
Mitgliedstaaten bleiben Herren der Verträge. Dieser
Grundsatz ist im vorliegenden Vertragswerk explizit ver-
ankert.
Der Verfassungsvertrag stellt eine Verbesserung ge-
genüber dem Vertrag von Nizza dar, der von der rot-grü-
nen Bundesregierung unter der Führung von Bundes-
kanzler Schröder und Bundesaußenminister Fischer
äußerst schlecht verhandelt worden ist. Zum ersten Mal
in der Geschichte der europäischen Integration ist das
Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung explizit im
Vertragsrecht verankert. Auch das Prinzip der Subsidia-
rität wird zum ersten Mal durch ein Verfahren konkreti-
siert, dessen Tauglichkeit sich allerdings noch erweisen
muss. Die Demokratisierung der Europäischen Union
konnte vorangetrieben werden, indem die Mitwirkungs-
rechte des Europäischen Parlaments und des Deutschen
Bundestages im Verfassungsvertrag und im Begleitge-
setz eine entscheidende Ausweitung erfahren. Vor allem
dieser Punkt musste der Bundesregierung von der CDU/
CSU in langen Verhandlungen abgetrotzt werden und
stellt insofern einen wesentlichen Beitrag der Unionspar-
teien zum Vertragswerk dar.
Obwohl es eigentlich an der Zeit wäre, den Zentrali-
sierungstendenzen in der Europäischen Union einen Rie-
gel vorzuschieben, stimme ich dem Europäischen Ver-
fassungsvertrag zu. Es gibt derzeit kein erkennbares
realistisches Szenario, im Falle eines Scheiterns des Ver-
fassungsvertrags ein besseres Ergebnis auszuhandeln.
Ein Scheitern des Verfassungsvertrags hätte nach aller
Wahrscheinlichkeit zur Folge, dass eine auf nunmehr 25
und bald mehr Mitgliedstaaten erweiterte Union noch
schwieriger einen Reformkompromiss finden kann. Es
war grob fahrlässig von Seiten der rot-grünen Bundesre-
gierung, den Prozess der Erweiterung voranzutreiben
und abzuschließen, ohne zuvor für die institutionelle Re-
form der Union gesorgt zu haben. Für die nächsten Jahre
stehen große Aufgaben vor uns: Zum einen muss eine
saubere Klärung der Kompetenzen erfolgen, um ein
handlungsfähiges Europa aufrechtzuerhalten, wobei
auch eine Rückführung von Kompetenzen vonnöten ist.
Zum anderen bedarf endlich die Finalität Europas einer
Klärung.
Dr. Hermann Scheer (SPD): Als überzeugter Ver-
fechter der politischen Integration Europas hin zu einem
europäischen Verfassungsstaat auf föderativer Grund-
lage enthalte ich mich bei der Abstimmung zu dem „Ver-
trag über eine Verfassung für Europa“ der Stimme. Da-
mit will ich zum Ausdruck bringen, dass ich für eine
Verfassung der Europäischen Union bin, aber mit dem
vorliegenden Vertragstext aus zwei prinzipiellen Punk-
ten nicht einverstanden sein kann, weil ich darin mehr
eine Beeinträchtigung als eine Förderung des demokrati-
schen Integrationsprozesses sehe.
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Der Philosoph Otfried Höffe hat in seinem Werk „De-
okratie im Zeitalter der Globalisierung“ ein denkwür-
iges Leitmotiv zum Prozess der Herausbildung transna-
ionaler politischer Institutionen formuliert, das ich als
lementar betrachte und vollinhaltlich teile:
Weder darf die einzelstaatliche Demokratie bei der
Bildung einer großregionalen Union, noch darf de-
ren demokratisches Niveau bei der Bildung der
Weltrepublik gefährdet werden!
Der demokratische, gewaltengeteilte Verfassungsstaat
st der bedeutendste und erhaltensbedürftigste zivilisato-
ische Fortschritt der Geschichte. Dafür sprechen sowohl
thische Gründe wie auch solche der Zukunftssicherung
edweden Gemeinwesens. Die ethischen Gründe sind
ie, dass allein ein gewaltengeteilter demokratischer
erfassungsstaat gewährleistet, Freiheitsrechte und Ge-
einwohlorientierung immer wieder erneut in Einklang
ringen zu können. Die Zukunftssicherung eines Ge-
einwesens hängt entscheidend davon ab, dass dieses
auerhaft lernfähig bleibt und zu laufenden Selbstkor-
ekturen in der Lage ist. Dies kann allein eine gewalten-
eteilte Demokratie gewährleisten. Nur diese ermöglicht
ine dauerhafte Funktionsfähigkeit und damit Legitimi-
ät politischer Institutionen sowie die Aufrechterhaltung
ines gesellschaftlichen Grundkonsenses.
Erstens. Vor diesem Hintergrund betrachte ich es als
inen gravierenden Mangel des „Vertrags über eine Ver-
assung für Europa“, dass nach wie vor das alleinige Ini-
iativrecht für Richtlinien – künftig: Gesetze – der Euro-
äischen Union bei der EU-Kommission verbleibt und
em Europaparlament vorenthalten bleibt. Damit erhält
as Europaparlament nicht den konstitutionellen Rang
iner Legislative. Es bleibt vor allem dadurch bei dem
chwerwiegenden Mangel an demokratischer Legitimität
er EU-Organe, der bereits die Verträge von Maastricht,
msterdam und Nizza charakterisiert.
Ich erkenne zwar an, dass der Verfassungsvertrag ge-
enüber den bisherigen Verträgen eine Reihe von Ver-
esserungen der Entscheidungsverfahren enthält. Aber
er Verfassungsvertrag ist ein qualitativ neuer Schritt. Er
eansprucht explizit eine höhere Legitimationskraft als
ie bisherigen Verträge. Er wird schwerer zu ändern sein
ls diese. Umso schwerwiegender ist deshalb, dass den-
och das Prinzip der demokratischen Gewaltenteilung
icht unumstößlich verankert, sondern de facto sogar
usgehöhlt wird. Die Bedingung für den Beitritt zur Eu-
opäischen Union ist, dass beitretende Länder eine de-
okratische Verfassungsordnung haben. Wenn sich dies
ber in dem Verfassungsvertrag nicht wieder findet, ob-
ohl es mit diesem zu einer Ausweitung der ausschließ-
ichen Zuständigkeiten der EU-Organe – und damit vor
llem der Kommission – sowie des Katalogs der geteil-
en Zuständigkeiten – und damit potenziell einer konti-
uierlichen Zentralisierung der Gesetzgebung – kommt,
ibt es kein adäquates demokratisches Substitut für den
amit einhergehenden Kompetenzentzug der demokrati-
chen Verfassungsorgane der Mitgliedsländer.
Es geht nicht um die Frage Nationalstaat versus Euro-
a, sondern um die Frage der Aufrechterhaltung eines
rößtmöglichen Maßes an demokratischer Selbstverwal-
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005 16517
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tung überall in Europa versus unverhältnismäßiger poli-
tischer Zentralisierung. Die wichtigste Aufgabe des Ver-
fassungskonvents wäre es gewesen, den europäischen
Integrationsprozess zu vertiefen bei gleichzeitiger Über-
windung der Demokratielücke. Dies ist erneut nicht ge-
lungen. Wie schwer wiegend das ist, zeigt sich daran,
dass seit den 90er-Jahren die Europaskepsis in der euro-
päischen Bevölkerung parallel zu dem Kompetenzzu-
wachs der europäischen Institutionen gewachsen ist, wie
unter anderem die zurückgehenden Wahlbeteiligungen
an den Europawahlen zeigen. Die Gründe sehe ich in der
Demokratielücke. Es ist zu einfach, alle Kritiker des Ver-
tragsentwurfes „anti-europäisch“ und „pro-nationalis-
tisch“ zu bewerten. Die Europäische Union braucht Ge-
meinschaftskompetenzen, die sie noch nicht hat,
gleichzeitig gibt es bereits Gemeinschaftskompetenzen,
die auf die Ebene der Mitgliedstaaten zurückverlagert
gehören. Der Vertrag für eine Verfassung behandelt nur
Ersteres und nicht Letzteres. In ihm liegt die überall in
der EU offenkundige Gefahr institutioneller Integration
bei gleichzeitiger zivilgesellschaftlicher Desintegration
in Bezug auf die europäische Gemeinschaftsidee.
Zweitens. Der Verfassungsvertrag besagt in Art. I-3:
Die Union bietet ihren Bürgerinnen und Bürgern ei-
nen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des
Rechts ohne Binnengrenzen und einen Binnen-
markt mit freiem und unverfälschtem Wettbewerb.
In Art. 1-4 („Grundfreiheiten und Nichtdiskriminie-
rung“) heißt es an erster Stelle:
Der freie Personen-, Waren-, Dienstleistungs- und
Kapitalverkehr sowie der Niederlassungsfreiheit
der Union werden innerhalb der Union und von der
Union gemäß der Verfassung gewährleistet.
Daraus ergibt sich für mich aus einer teleologischen
Auslegung, dass der „unverfälschte Wettbewerb“, defi-
niert als freier Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalver-
kehr, auf eine Ebene mit menschlichen Freiheitsrechten
bzw. menschlichen Grundrechten gestellt wird. Damit
verpflichtet die Verfassung indirekt auf ein wirtschaftli-
ches Ordnungsprinzip, das selbst für eine marktwirt-
schaftliche Ordnung zu einseitig ist.
Die Festlegung auf ein wirtschaftliches Ordnungs-
prinzip – gleich, um welches es sich handelt – gehört in
keine Verfassung. Sie legt allen politischen Institutionen
Handlungsfesseln gegenüber einer flexiblen und prag-
matischen Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik an. Das
Binnenmarktprinzip wird damit dogmatisiert und über-
strapaziert. Zwar gibt es keinen diesbezüglichen Auto-
matismus, weil jedes einzelne europäische Gesetz für
sich verabschiedet wird. Aber die genannten Verfas-
sungsgrundsätze geben dem europäischen Gesetzge-
bungsprozess schon deshalb eine dogmatische Schlag-
seite, weil sich der Europäische Gerichtshof in
Streitfragen daran orientieren muss. Die Gefahr der Ver-
absolutierung dieses Binnenmarktprinzips ergibt sich
schon deshalb, weil mit diesen Grundsätzen nicht nur
eine sektorale Zuständigkeit der EU-Organe gegeben ist,
sondern eine funktionale, das heißt eine, mit der diese
potenziell in allen wirtschaftlichen Fragen eine Rege-
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ngszuständigkeit beanspruchen kann – so wie es be-
eits in der jüngeren Vergangenheit zunehmend der Fall
ewesen ist, wie die Auseinandersetzungen über die
ienstleistungsrichtlinie zeigen.
Ich respektiere alle Voten für den Verfassungsvertrag,
ie gleiche Bedenken haben, aber ihr dennoch aus einer
esamtabwägung zu stimmen, weil sie glauben, dass
iese beschriebenen Mängel auch mit diesem Vertrag
ufhebbar sind. Ich habe Zweifel, dass das auf dieser
rundlage gelingen kann.
Mit meiner Enthaltung will ich verdeutlichen, dass
iese beiden elementaren Mängel des Verfassungsver-
ags unverzüglich geheilt werden müssen, damit die
erfassung für Europa Bestand hat, in der europäischen
evölkerung verankert werden und Europa demokra-
sch funktionsfähig werden kann. Mein Kriterium der
ewertung dieses Vertragsentwurfs ist kein nationales,
ondern eines, das sich aus einem Grundverständnis ei-
er demokratischen Verfassungsordnung ergibt, deren
ssenzen allgemeine Gültigkeit haben sollten.
Norbert Schindler (CDU/CSU): Wenn ich heute
em Gesetzentwurf zum Vertrag über eine Verfassung
ür Europa zustimme, geschieht das absolut ohne jede
uphorie.
Im vorliegenden Verfassungsvertrag stört mich nicht
ur der fehlende Gottesbezug, den ich über alles bemän-
eln möchte, da damit das christliche Erbe unserer Ge-
ellschaften in Europa unter den Tisch gekehrt, wenn
icht gar negiert wird. Dabei räume ich ein, dass die EU-
erfassung nicht an diesem Punkt scheitern sollte, be-
ängle jedoch den Einsatz der Protagonisten für die Er-
ähnung Gottes in der Präambel.
Auch bleibt zu kritisieren, dass diese Bundesregie-
ung sowohl beim Vertrag von Nizza als auch beim Ver-
assungsvertrag die Interessen unseres Landes nicht sehr
ut vertreten hat. Dies wissen alle, die sich mit diesem
hema intensiv auseinander gesetzt haben; für uns bleibt
ur als Trost, dass ein sehr schlechter Vertrag von Nizza
it dem vorliegenden besser gemacht werden soll.
Wir sehen auch beinahe tagtäglich, wie schnell und
chlampig der Beitritt der zehn neuen EU-Staaten ver-
andelt wurde. Hier ist vor allem Herrn Verheugen über-
aupt kein Lob auszusprechen, trotz aller Feierlichkei-
en, die am 1. Mai 2004 inszeniert wurden. Als Beispiel
ür negative Auswirkungen der legislativen Ad-hoc-Um-
etzung dient die Dienstleistungsrichtlinie und die der-
eitige Unterwanderung der Verträge, die eigentlich den
eimischen Arbeitsmarkt vor zu viel Zuwanderung ost-
uropäischer Arbeitskräfte schützen sollten.
Ich bin auch ganz entschieden dagegen, dass sich die
U um jede Kleinigkeit der Mitgliedsländer kümmert
nd durch diese Zentralisierung, die ständig voranschrei-
et, die Molochbehörde in Brüssel mit immer mehr
acht, die nicht parlamentarisch kontrolliert wird, aus-
estattet wird. Vielfach wird auch das Subsidiaritätsprin-
ip von der Kommission einfach ausgehebelt.
16518 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005
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So sind zum Beispiel die Vorschriften für die EU-
weite Ausschreibung für Leistungen des regionalen
ÖPNV oder EU-Richtlinien für die Schutzbekleidung
von Feuerwehrleuten nicht akzeptabel; hier sollte Subsi-
diarität vor Ort ohne Einmischung der EU gelebt wer-
den! Ich sehe hier die potenzielle Gefahr, dass sich die
Kompetenzen der EU auf alle gesellschaftlichen und
politischen Bereiche – und auch auf kleine, liebenswür-
dige nationale Eigenheiten und Besonderheiten – unnö-
tig ausdehnen und wir in nationaler Gesetzgebung die
Richtlinien auch gegen den Willen der Bevölkerung in
nationales Recht umsetzen müssen.
Bei derartigen Einwirkungen und Eingriffen in die
einfachsten Dinge des Lebens durch EU-Verordnungen
stellt sich die Frage: Wo bleibt das Subsidiaritätsprinzip?
Wir haben gerade in Problembereichen, zum Beispiel
in der Chemie oder in der Landwirtschaft, heftigste Dis-
kussionen. Nicht nur das Weißbuch der Chemie oder die
EU-Richtlinien in der Landwirtschaft haben dem Stand-
ort Bundesrepublik Deutschland Negatives angetan.
Meine Befürchtung ist: Es geht so weiter und wird nicht
besser!
Dass der Deutsche Bundestag auch keine Gesetzesini-
tiative starten kann und er keinen gestalterischen Spiel-
raum hat, zeigt zusätzlich, dass hier große grundsätzliche
Fehler gemacht wurden. Deswegen ist der Vorwurf be-
rechtigt, dass die eigentliche demokratische Mitgestal-
tung dieses zukünftigen Europas bisher unterblieben ist.
Da muss deutlich nachgebessert werden!
Ich betone weiterhin ausdrücklich, dass ich eine He-
ranführung neuer Staaten zum Beitritt, weniger die er-
folgte von Bulgarien oder Rumänien, aber insbesondere
die der Türkei und der Ukraine, absolut ablehne. Wenn
die mögliche Aufnahme von dieser Bundesregierung
leichtfertig versprochen wird und bei deren Einwohnern
Hoffnungen auf Wohlstand geweckt werden, so ist dies
ein falsches Signal – vor allem dann, wenn die Bundes-
regierung dies alles nur tut, um von den eigenen außen-
und innenpolitischen Debakeln abzulenken.
Ich kritisiere ausdrücklich, dass wir, die klassischen
Europaparteien CDU und CSU, in den letzten Jahren
eine Verbreiterung der EU ohne Tiefgang zugelassen ha-
ben. Wir müssen aufpassen – und dies ist eine Verpflich-
tung –, dass das Wertesystem, das dieser Union zu-
grunde liegt, nicht aus den Augen verloren wird.
Der Versuch, mit einem Entschließungsantrag der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion die Rechte des Deut-
schen Bundestages in Bezug auf die Mitwirkung in der
europäischen Gesetzgebung zu stärken, ist von dieser
Bundesregierung nur als Erklärung, nicht aber als mögli-
che Diskussionsgrundlage wahrgenommen worden. Die
Mitgestaltung des Bundestages scheint der Regierung
hier nicht so wichtig zu sein!
Deswegen habe ich nicht nur die große Hoffnung,
sondern auch die starke Zuversicht, dass wir die von mir
angeführten kritischen Sachverhalte nach einem mögli-
chen Regierungswechsel 2006 wieder ändern können.
Nicht nur die Fragen nach möglichen EU-Beitrittskandi-
daten müssen dann gelöst, sondern auch wichtige
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eichenstellungen zur Sicherung des Standortes
eutschlands vorgenommen werden. Wir hoffen, in der
uropäischen Union wieder den Einfluss zu erlangen,
er dem stärksten Nettozahler und dem bevölkerungs-
eichsten Mitgliedstaat geziemt.
Ich stimme dem Verfassungsvertrag trotz all dieser
edenken zu, weil ich die Verpflichtung sehe, die
eutschland als Mitbegründer dieser großartigen Euro-
äischen Gemeinschaft hat. Ich hoffe, dass mit diesem
ertrag die gemeinsamen Grundlagen letztlich auf einen
benso festen Boden gestellt werden, wie wir dies mit
nserem bewährten Grundgesetz in Deutschland ge-
chafft haben.
Wilhelm Josef Sebastian (CDU/CSU): Die Euro-
äische Einigung ist eine Erfolgsgeschichte. Die Euro-
äische Union steht für Frieden, Freiheit und Wohlstand.
ach der Verwirklichung des europäischen Binnenmark-
es und der Einführung des Euros wurde mit der Ost-
rweiterung ein weiterer dynamischer Schritt in der Ent-
icklung der Europäischen Union vollzogen. Die Euro-
äische Union ist kein Staat und wird auch in Zukunft
uf Nationalstaaten aufbauen. Umgekehrt braucht der
ationalstaat Europa, weil jeder Nationalstaat in Europa
ichtige Aufgaben heute nicht mehr auf sich allein ge-
tellt erfüllen kann. Nationen und Europa bedingen sich
egenseitig. Die Bindung der Menschen an ihre Natio-
alstaaten und Parlamente, die Rückbindung der Gesetz-
ebung an das Volk, ist ein wesentliches Ergebnis euro-
äischer Geschichte und bleibt unverzichtbar. Deshalb
teht die Europäische Union mit dem EU-Verfassungs-
ertrag an einem Wendepunkt.
Der Europäische Konvent und die Regierungskonfe-
enz hatten den Auftrag zur Schaffung einer klaren und
urchschaubaren Kompetenzordnung sowie einer Kom-
etenzabgrenzung der Zuständigkeitsbereiche zwischen
er Europäischen Union und den Mitgliedstaaten. Da-
über hinaus sollte das europäische Vertragswerk trans-
arent werden, das demokratische Defizit reduziert und
ie nationalen Parlamente in ihren Mitwirkungsmöglich-
eiten gestärkt werden. Diese Vorgaben wurden nicht
mgesetzt.
Der Verfassungsvertrag schafft keine klare Kompe-
enzabgrenzung innerhalb der EU. Er beschränkt das
andeln der EU nicht auf die Kernaufgaben, sondern
ommt vielmehr zu einer weiteren erheblichen Kompe-
enzausweitung auch in Bereichen, die bisher auf Ebe-
en der Mitgliedstaaten angesiedelt waren. Die Kompe-
enzausweitung betrifft zum Beispiel Wirtschafts- und
ährungspolitik, Energiepolitik, Gesundheit, Raum-
ahrt, Zivilschutz, Sport, Daseinsvorsorge, Innen- und
ustizpolitik. Mit der Flexibilitätsklausel kann die EU
arüber hinaus in fast alle mitgliedstaatliche Zuständig-
eiten eingreifen. Durch das Initiativmonopol macht der
erfassungsentwurf die EU-Kommission zu einer euro-
äischen Superbehörde ohne ausreichende parlamentari-
che Kontrolle durch das Europäische Parlament und die
ationalen Parlamente.
Durch die wesentliche Kompetenzausweitung auf na-
ezu alle Politikbereiche, die Ausweitung der Mehr-
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005 16519
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heitsentscheidung, die Festschreibung des Vorrangs eu-
ropäischen Rechts vor nationalem Recht und die
Abschwächung der Rechte des Bundestages beim Ver-
tragsänderungsverfahren verlieren der Deutsche Bundes-
tag und die Landtage substanzielle Gestaltungs- und
Mitwirkungsrechte. Das Europäische Parlament wird in
seiner parlamentarischen Rolle nicht entsprechend ge-
stärkt, es verfügt über kein Initiativrecht, die Zusammen-
setzung leitet sich nicht auf der Basis eines gleichen
Wahlrechtes ab. Die Legitimation der europäischen
Rechtsetzung über die Kontrolle durch die Parlamente
und die Rückbindung an das Volk, wie es das Bundes-
verfassungsgericht in seinem Maastricht-Urteil fordert,
ist damit nicht mehr ausreichend gegeben. Die dem
Deutschen Bundestag eingeräumten Möglichkeiten eines
Subsidiaritätseinspruches und einer Subsidiaritätsklage
können dies nicht ausgleichen. Sie sind weder wirkungs-
voll noch effektiv administrierbar.
Europapolitik ist nicht mehr Außenpolitik. Ohne eine
Stärkung der Mitwirkungsrechte des Deutschen Bundes-
tages in EU-Angelegenheiten ist der Verfassungsvertrag
hinsichtlich der Vereinbarkeit mit dem deutschen Grund-
gesetz äußerst bedenklich. Der Legitimationsstrang eu-
ropäischer Rechtsetzung über die nationalen Parlamente
und das Volk wird in Frage gestellt. Die CDU/CSU-Bun-
destagsfraktion hat daher eine Gesetzesinitiative einge-
bracht, die die Rechte des Bundestages in EU-Angele-
genheiten stärkt. Kernziele dieses Gesetzes sind:
grundsätzliche Bindung der Bundesregierung an Stel-
lungnahmen des Bundestages in EU-Angelegenheiten,
was insbesondere vor der Aufnahme neuer EU-Beitritts-
verhandlungen und bei Vertragsänderungen gelten muss;
für den Übergang von der Einstimmigkeit zur Mehr-
heitsentscheidung im Rat muss die Bundesregierung zu-
nächst das Einvernehmen mit dem Bundestag mit Zwei-
drittelmehrheit herstellen. Die Bundesregierung, SPD
und Grüne lehnen diese Kernforderungen ab. Die zuge-
standene Erweiterung der Mitwirkungsrechte für den
Bundesrat, die Stärkung der Informationsrechte des Bun-
destages und ein Minderheitenrecht zur Einreichung ei-
ner Subsidiaritätsklage sind nicht ausreichend.
Der Verfassungsvertrag definiert die Grundwerte Eu-
ropas und verzichtet dabei bewusst auf einen ausdrückli-
chen Gottesbezug und die Herausstellung der Bedeutung
der christlichen Werte und Traditionen, die für Vergan-
genheit und Zukunft des Kontinents von großer Bedeu-
tung sind. Nur eine wertegebundene Verfassung, die das
geschichtliche Erbe nicht leugnet, gibt der EU eine in-
haltliche und kulturelle Identität.
In der Würdigung der Vor- und Nachteile des jetzigen
Verfassungsvertrages und der sich für den Deutschen
Bundestag und die Rechtsetzung ergebenden Konse-
quenzen komme ich in der Abwägung zu einem „Nein“
für dieses Verfassungswerk. Das Europa des EU-Verfas-
sungsvertrages ist nicht mehr das Europa, das die Grün-
dungsväter der Gemeinschaft vor Augen hatten.
Europa braucht klare Werte, föderale Strukturen, ein
Bekenntnis zur christlich-abendländischen Geschichte,
zur Verantwortung vor Gott. Wir benötigen ein Europa,
das sich auf Kernaufgaben begrenzt, aber nicht in na-
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ezu allen nationalen Politikfeldern mitregiert und regu-
iert; ein Europa, das seine Gesetzgebung über die Rück-
indung zum Volk und über die Parlamente legitimiert
nd transparent macht. Ohne eine stärkere Einbindung
er Menschen und ihrer nationalen Parlamente sowie des
uropäischen Parlaments kann das europäische Projekt
icht gelingen.
Die EU muss sich von unten nach oben über das Volk
nd die Parlamente stärker als bisher legitimieren. Auch
ei einem „Nein“ zum Verfassungsvertrag fällt die EU
icht in einen rechtsfreien Raum, sondern ist handlungs-
ähig auf der Basis des Nizza-Vertrages.
Neue Impulse einer vertieften Integration in Kernbe-
eichen der EU und eine verstärkte Zusammenarbeit ins-
esondere in der Außen- und Sicherheitspolitik sind zu
ntwickeln. Eine Überprüfung der Erweiterungsstrategie
nd die Erarbeitung eines Partnerschaftskonzeptes der
U sind notwendig.
Matthias Sehling (CDU/CSU): Ich habe heute dem
atifizierungsgesetz trotz schwerer Bedenken nach
ründlicher Abwägung zugestimmt.
Alle Abgeordneten sollten sich bei Abstimmungen so
erhalten, als ob von Ihnen allein die Entscheidung ab-
inge. Deutschland darf auch im 60. Jahr des Endes des
weiten Weltkrieges im Hinblick auf seine besondere
istorische Verantwortung für den europäischen Frieden
icht den Eindruck erwecken, als stünde es nicht hinter
er Einigung Europas, die uns Frieden und Sicherheit
ebracht hat. Aus außenpolitischen Gründen soll nicht
on Deutschland ein Nein zu dem Verfassungsvertrag
usgehen. Deutschland soll das Signal geben: Wir sagen
a zu einem vereinten Europa, in dem die Völker und
olksgruppen ohne Furcht und Zwang leben können.
uch die deutschen Heimatvertriebenen, deren Interes-
envertretung ich als meine besondere Aufgabe sehe, ha-
en diese Haltung zu Europa schon sehr früh, nämlich
m 5. August 1950 in der Stuttgarter Charta der deut-
chen Heimatvertriebenen, zum Ausdruck gebracht.
Gegenüber der jetzigen Europarechtslage nach Nizza
ührt der Verfassungsvertrag auch zu organisatorischen
erbesserungen mit der künftigen Verkleinerung der
ommission nach dem Beitritt zusätzlicher EU-Mitglied-
taaten und er schafft rechtliche Verbindlichkeit für die
rundrechte-Charta. Ich begrüße insbesondere die Ver-
indlichkeit der Unantastbarkeit der Menschenwürde,
rt. II-61, das Verbot der Zwangsarbeit, Art. II-65 das
erbot von Vertreibungen, Art. II-79, und das Verbot der
iskriminierung wegen Zugehörigkeit zu einer nationa-
en Minderheit, Art. II-81.
Der Verfassungsvertrag und das zugehörige Zustim-
ungsgesetz haben eine lange Reihe schwerer politi-
cher Defizite, Mängel und Rechtsprobleme, die aus
achlicher Sicht eine glatte Ablehnung vertretbar er-
cheinen ließen.
Erstens: keine klare Kompetenzverteilung. Der Europäi-
che Verfassungsvertrag hat keine Klärung der Gesetzge-
ungszuständigkeiten zwischen den Ebenen Europa,
itgliedstaaten und Regionen bzw. deutschen Bundes-
16520 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005
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ländern erbracht. Stattdessen werden neue Mischzustän-
digkeiten begründet und die Methode der so genannten
offenen Koordinierung trotz der schlechten Erfahrungen
der Vergangenheit als offizielles Instrument verankert.
Zweitens: zusätzliche Kompetenzübertragungen nach
Europa. In 20 Politikbereichen erhält die EU mehr Kom-
petenzen. Für unvertretbar halte ich die neuen Zustän-
digkeiten der EU in der Sozial- und Gesundheitspolitik,
weil quer durch alle politischen Lager und Fachkreise in
Deutschland Einigkeit darüber besteht, dass die beson-
dere historische Entwicklung unserer Sozialsysteme in
Selbstverwaltung, also in mittelbarer Staatsverwaltung,
wie die gesetzliche Renten- und Krankenversicherung
nicht der europäischen Disposition unterstehen soll. Von
Rückübertragung einzelner Kompetenzen auf die Mit-
gliedstaaten oder gar Regionen kann überhaupt keine
Rede sein.
Drittens: Vergrößerung des Demokratiedefizits in Eu-
ropa. Der Deutsche Bundestag verliert – wie alle natio-
nalen Parlamente – Zuständigkeiten an die europäische
Ebene, ohne dass diese Kontrollmöglichkeiten beim Eu-
ropäischen Parlament „ankommen“. Zu Recht wird von
einer Entparlamentarisierung der Rechtsetzung gespro-
chen. Einmal mehr wird Bürgernähe zugunsten eines
vom Bürger weit entfernten Beamtengremiums, der Eu-
ropäischen Kommission, geopfert.
Viertens: mangelhafte Interessenvertretung Deutsch-
lands durch die Bundesregierung. Für das wie dargestellt
mäßige Ergebnis der Beratungen des Verfassungsver-
tragsentwurfs trägt die deutsche Bundesregierung die
Verantwortung. Im Konvent und in der Phase der Regie-
rungskonferenz haben es weder Außenminister Fischer
noch sein ihm weisungsabhängiger Staatssekretär
Pleuger für erforderlich gehalten, für mehr Subsidiarität,
weniger EU-Kompetenzen, mehr Bürgernähe oder die
Einfügung des Gottesbezugs in der Europäischen Verfas-
sung auch nur einzutreten. Stattdessen haben sie nur die
veränderte doppelte Mehrheit und den auf die Person
Fischer zugeschnittenen Europäischen Diplomatischen
Dienst ernsthaft thematisiert und durchgesetzt.
Fünftens: Das Zustimmungsgesetz und der Verfas-
sungsvertrag lösen verfassungsrechtliche Bedenken aus.
Art. 146 Grundgesetz könnte verletzt sein. Mit dem Zu-
stimmungsgesetz wird jedenfalls faktisch eine neue Ver-
fassung für Europa und in wesentlichen Teilen anstelle
des Grundgesetzes geschaffen. Dass es sich nicht nur um
einen Verfassungsvertrag handelt – falsa demonstratio
non nocet –, geht sowohl aus dem Wortlaut des Verfas-
sungstextes – vergleiche Überschrift A. Erklärungen zu
Bestimmungen der Verfassung, Bundestagsdrucksache
15/4900, Seite 189 – als auch aus der dem deutschen Zu-
stimmungsgesetz beigegebenen Denkschrift der Bundes-
regierung – vergleiche C. Systematik des Vertragswerks:
„Die Verfassung gliedert sich in vier Teile“ – hervor.
Auch die Entstehungsgeschichte zeigt, dass eine Verfas-
sung gewollt ist – so spricht der Auftrag des Rats von
Laeken an den Konvent von „Verfassung für die europä-
ischen Bürger“ – und dass aus Kompromissgründen am
28. Oktober 2002 vom Konventspräsidium der Name
„Entwurf eines Vertrages über eine Verfassung für Euro-
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a“ gewählt wurde – vergleiche Deutscher Bundestag,
ine Verfassung für Europa, Reihe „Zur Sache“ 1/2003,
inleitung Seite 33. Ich sehe darin eine mögliche Über-
chreitung der Kompetenz des Deutschen Bundestages.
as Zustimmungsgesetz lässt ungeklärt, inwieweit das
rundgesetz durch die Europäische Verfassung ersetzt
ird. Eine andere Verfassung müsste im Übrigen von
em deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen
erden.
Die von der Bundesregierung in Anspruch genom-
ene Rechtsgrundlage Art. 23 Abs. 2 Satz l GG in Ver-
indung mit Art. 79 Abs. 2 GG könnte nicht ausreichend
ein, weil das Zustimmungsgesetz schwerpunktmäßig
icht nur Änderungen einzelner vertraglicher Grundla-
en der Europäischen Union oder ähnliche Verträge zum
iele hat, sondern die Schaffung von neuem Verfas-
ungsrecht.
Der in jetzt absoluter Form formulierte Vorrang des
uroparechts vor nationalem Recht – Art. I-6 –, also
uch jeder EU-Richtlinie und EU-Verwaltungsvorschrift
or deutschen Gesetzen oder Entscheidungen des Bun-
esverfassungsgerichts, ist Hinweis auf die Bundes-
taatsqualität des neuen Europa und könnte mit dem
rundgesetz und der Rechtsprechung des Bundesverfas-
ungsgerichts in offenem Widerspruch stehen. Dass die
enkschrift der Bundesregierung die bloße Umsetzung
er EuGH-Rechtsprechung betont – Bundestagsdrucksa-
he 15/490, Seite 256 –, ändert an der neuen Rechtsqua-
ität nichts.
Entscheidend für eine verfassungsrechtliche Beurtei-
ung dürfte die mögliche Verletzung des Rechts auf de-
okratische Teilhabe des Staatsbürgers nach Art. 38 GG
ein. Die GG-Vorschrift erstreckt sich auf das Recht des
ählers, auf den grundlegenden demokratischen Gehalt
es Wahlrechts, an der Legitimation der Staatsgewalt
urch das Volk auf Bundesebene mitzuwirken und auf
ie Ausübung dieser Staatsgewalt Einfluss zu nehmen –
VerfGE 89, Seite 171 f. Diese Vorschrift schließt es
eshalb aus, mittels des Europäischen Verfassungsver-
rags durch Verlagerung von Aufgaben und Befugnissen
es Bundestags die durch dessen Wahl bewirkte Legiti-
ation der Staatsgewalt und die Einflussnahme der Bür-
er auf deren Ausübung so zu entwerten, dass der im
Ewigkeits-Paragraph“ Art. 79 Abs. 3 GG in Verbindung
it Art. 20 Abs. l und 2 GG für unantastbar erklärte Ge-
alt des demokratischen Prinzips verletzt wird –
VerfGE 89, Seiten 172, 182. Dieses Demokratieprinzip
st verletzt, weil dem Bundestag nicht Aufgaben und Be-
ugnisse von substanziellem Gewicht verbleiben und
uch dem Europäischen Parlament nicht ersatzweise die
em Bundestag entzogenen Zuständigkeiten in Gesetz-
ebung und Verwaltungskontrolle übertragen werden. In
estimmten Politikbereichen soll zum Beispiel das Recht
er Gesetzesinitiative keinerlei Parlamentsebene – we-
er Bundestag noch Europäischem Parlament –, sondern
ur noch der Europäischen Kommission zustehen. Dies
st mit dem Demokratieprinzip nicht zu vereinbaren.
Marion Seib (CDU/CSU): In dem von der Bundesre-
ierung ausgehandelten und unterzeichneten Europäi-
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005 16521
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schen Verfassungsvertrag fehlen der Hinweis auf das
christliche Erbe Europas und der Bezug auf die Verant-
wortung vor Gott. Dieses Fehlen ist einer Unterordnung
unter die in Europa teilweise vertretene Idee des Laizis-
mus geschuldet. Der Laizismus wirkt nicht sinnstiftend
und wird Europas christliche Werte aushöhlen. Für die
Zukunft unseres Kontinents stellt diese Entwicklung
eine große Gefahr dar. Der ausdrückliche Bezug auf die
Verantwortung der Menschen vor Gott bewahrt die Ge-
sellschaft vor Absolutheitsansprüchen und bietet einen
klaren Wertekanon. Gleichzeitig wird die Erinnerung
wach gehalten, dass die erfolgreiche politische Gestal-
tung eines vereinten Europas nach der Katastrophe des
Zweiten Weltkrieges ohne die religiöse Wertebindung
ihrer Gründergeneration nicht möglich gewesen wäre.
Diese religiöse Wertebindung ist auch in Zukunft zum
Verständnis des gesamten kulturellen, humanistischen
und geistigen Erbes in Europa unverzichtbar.
Der von der Bundesregierung ausgehandelte und un-
terzeichnete Europäische Verfassungsvertrag schafft
keine klare Kompetenzabgrenzung. Der Verfassungsver-
trag bringt eine Kompetenzausweitung in der Wirt-
schafts-, Währungs- und Energiepolitik, in den Berei-
chen Gesundheit, Raumfahrt, Zivilschutz, Sport und der
Daseinsvorsorge sowie in der Innen- und Justizpolitik.
Durch das Initiativmonopol für die EU-Kommission ist
ein ausreichendes parlamentarisches Initiativ- und Kon-
trollrecht nicht gegeben.
Der von der Bundesregierung ausgehandelte und un-
terzeichnete Europäische Verfassungsvertrag räumt aus-
drücklich und uneingeschränkt „Vorrang vor dem Recht
der Mitgliedstaaten“ ein. Ohne eine starke Einbindung
der Menschen über ihre nationalen und entscheidungsfä-
higen Parlamente wird Europa keine Akzeptanz finden.
Die EU muss sich von unten nach oben über das Volk
und seine Parlamente stärker legitimieren. Europa muss
ein Europa der Bürger und nicht der Kommissionen und
Organisationen sein.
Nach Abwägung aller vorgetragenen Argumente
werde ich dem EU-Verfassungsvertrag nicht zustimmen.
Johannes Singhammer (CDU/CSU): Mit einer
großen Mehrheit im Deutschen Bundestag bin ich mir ei-
nig, dass ein gemeinsames Europa für unsere Zukunft
ohne Alternative ist, der Europäische Verfassungsvertrag
eine wegweisende Entscheidung und die folgenreichste
Beschlußfassung des Deutschen Bundestags in der
15. Legislaturperiode ist und dass der Verfassungsver-
trag das Fundament eines künftigen Europas sein wird.
Ein Fundament muss tragfähig, belastbar und eben sein,
sonst läuft ein Bauwerk Gefahr, Belastungen nicht stand-
zuhalten oder gar einzustürzen. Ähnlich verhält es sich
mit dem Europäischen Verfassungsvertrag als dem Fun-
dament eines künftigen Europäischen Hauses.
Nach reiflicher Überlegung und Abwägung, wie ein
zukunftssicheres Europa gebaut werden kann, komme
ich zu dem Ergebnis, dass der vorliegende Verfassungs-
vertrag die Voraussetzung für ein belastbares Fundament
nicht wird erfüllen können.
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Erstens. Die EU wird nicht bürgernäher. Im europäi-
chen Einigungsprozess werden folgerichtig die Kompe-
enzen und Zuständigkeiten der nationalen Parlamente
eringer. Der erhebliche Kompetenzverlust des Deut-
chen Bundestages wie auch anderer nationaler Parla-
ente – manche Experten sprechen von über 60 Prozent
er Kompetenzen – wird aber nicht ersetzt durch mehr
erantwortung des Europäischen Parlaments. Nur ein
eringer Teil der abgegebenen Kompetenzen kommt im
uropäischen Parlament an, so wie er vom Bundestag
bgegeben wird. Der größte Teil wächst der Kommis-
ion und dem Europäischen Rat zu. Die Bürgerinnen und
ürger in Deutschland wie auch in anderen europäischen
taaten können diese Institutionen aber nicht persönlich
urch Wahl oder Abwahl zur Verantwortung ziehen.
Zweitens. Der Europäische Verfassungsvertrag ver-
chafft den Bürgerinnen und Bürgern nicht mehr Klarheit
nd Transparenz. Der Auftrag zur Schaffung einer klaren
nd durchschaubaren Kompetenzordnung und einer
ompetenzabgrenzung zwischen Europäischer Union
nd den Mitgliedstaaten wurden verfehlt. Anstatt einer
laren, durchschaubaren Verfassung wie dem Deutschen
rundgesetz wurde ein kompliziertes Vertragswerk von
ber 420 Seiten, 23 Titeln, 40 Zusatzprotokollen mit An-
ängen und Weisungen geschaffen, die eine aufgefä-
herte Rechtsordnung von ausschließlichen, geteilten
nd koordinierten Kompetenzfeldern der Europäischen
nion zur Folge hat.
Drittens. Statt mehr Europäische Gemeinsamkeit in
er Außen- und Verteidigungspolitik werden Wirtschaft,
nergiepolitik, Gesundheit, Raumfahrt, Zivilschutz und
port, Verwaltungszusammenarbeit sowie Daseins-Vor-
orge, was für die Kommunen und Kreise von besonderer
edeutung ist, einer neuen Kompetenz der EU unterstellt.
amit wächst die Gefahr zentraler Entscheidungen. Statt
er Europäischen Union mehr Einfluss in der Verteidi-
ungs- und Außenpolitik zuzuweisen, wächst das Risiko
iner Einflussnahme der EU-Zentrale auf kommunale
ersorgungsbetriebe.
Viertens. Nach den Zeiten tiefster menschlicher Er-
iedrigung durch den Nationalsozialismus beschlossen
ie Väter des Grundgesetzes in der Präambel feierlich ei-
en Gottesbezug im Grundgesetz zu verankern. Der Ver-
assungsrichter Böckenförde hat dazu später eine ein-
rucksvolle Begründung geliefert: Die Demokratie lebt
on Voraussetzungen, die sie selbst nicht schaffen kann.
it ihrer Präambel im Grundgesetz ist die Bundesrepu-
lik Deutschland gut gefahren. Ein wichtiges Erbe aus
ber 50 Jahren Geschichte der Bundesrepublik Deutsch-
and, das wir für eine Europäische Verfassung einbrin-
en können, ist der Gottesbezug. Leider finden auch die
nzweifelhaft christlichen Traditionen Europas keine an-
emessene Erwähnung als Auftrag für die Zukunft.
Fünftens. Während der Bundesrat eine Reihe von
aßgeblichen Mitwirkungsrechten bei Entscheidungen
er Bundsregierung rechtlich abgesichert erhält, werden
iese Rechte dem Bundestag nicht in einem Gesetz ein-
eräumt. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat zu Recht
in entsprechendes Begleitgesetz eingebracht. Alle be-
echtigten Forderungen nach einem zeitgleichen Gesetz
16522 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005
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sind durch die rot-grüne Bundesregierung allerdings zu-
rückgewiesen worden. Damit entsteht eine erhebliche
Ungleichbehandlung zwischen Bundestag und Bundesrat
mit Folgen für die Zukunft. Der Deutsche Bundestag
kann künftig anders als der Bundesrat keinen Parla-
mentsvorbehalt bei zentralen Rechtssetzungsakten der
EU geltend machen.
Sechstens. Das Ausmaß der Kompetenzübertragung
und die Einwirkungsmöglichkeiten der Europäischen
Union sind so weitgehend, die Überlagerung nationalen
Rechts selbst des Grundgesetzes durch Europäische
Rechtsetzungsakte so einschneidend, dass die Funda-
mente nationaler Staatlichkeit berührt werden. In diesem
besonderen und einzigartigen Fall reicht die Legitima-
tion der frei gewählten Abgeordneten des Deutschen
Bundestages nicht aus, darüber zu beschließen. Vielmehr
kann dies nur das Volk selbst. Die CSU hat deshalb zu
Recht eine europaweite, an einem Tag stattfindende Ab-
stimmung für jedes Land gesondert vorgeschlagen. Die-
sen Vorschlag hat die Bundesregierung abgelehnt.
Siebtens. Anders als die meisten europäischen Staaten
hat die rot-grüne Bundesregierung keinen einzigen Än-
derungsantrag in die Abschlussverhandlungen einge-
bracht. Keiner der von der CDU/CSU-Bundestagsfrak-
tion formulierten begründeten Änderungsanträge wurde
von der Bundesregierung aufgegriffen und versucht, ein-
zubringen.
Achtens. Nach dem Willen der rot-grünen Bundesre-
gierung soll die eilige Verabschiedung des Verfassungs-
vertrages das Verhalten der französischen Wählerinnen
und Wähler beim Referendum am 29. Mai beeinflussen.
Die Entscheidung des Deutschen Bundestags als Vehikel
zur Beeinflussung französischer Wähler zu nutzen ist
unangemessen und falsch. Richtig wäre es gewesen, die
Entscheidung des Bundestages nach dem französischen
Referendum anzusetzen oder zumindest zeitgleich am
Tag des französischen Referendums, um europäische
Gemeinsamkeit zumindest im Abstimmungszeitpunkt zu
demonstrieren. Der Deutsche Bundestag hätte dann in
einer Sondersitzung abgestimmt, das französische Volk
im Rahmen eines Referendums.
Ich hoffe und wünsche, dass Europa auf einem ande-
ren, besseren Fundament sicher wachsen und gedeihen
kann.
Erika Steinbach (CDU/CSU): Mit dem Europäi-
schen Verfassungsvertrag soll die Europäische Union
handlungsfähiger, transparenter und demokratischer ge-
staltet werden. Die Zusammenfassung der Europäischen
Verträge in einem einheitlichen Gesetzeswerk, die Ver-
ankerung der europäischen Grundrechte-Charta, die in-
stitutionellen Reformen und nicht zuletzt die Regelun-
gen zur Subsidiaritätskontrolle sind ein erkennbarer
Fortschritt gegenüber dem jetzigen Rechtszustand.
Erstens. Ungeachtet dieser Verbesserungen weist der
von der Bundesregierung ausgehandelte und unterzeich-
nete Europäische Verfassungsvertrag gravierende Män-
gel auf. Es sind erhebliche Defizite bei dem formulierten
Regelungen bereits jetzt erkennbar. Wichtigen politi-
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chen Anliegen aus deutscher Sicht wird der Vertrag
icht gerecht. In der Präambel fehlen der Hinweis auf
as christliche Erbe Europas und der Bezug auf die Ver-
ntwortung vor Gott. Dies widerspricht wohlbegründe-
en Forderungen aus dem politischen, gesellschaftlichen
nd kirchlichen Raum. Die Koordinierungskompetenzen
m Bereich der Wirtschaftspolitik weisen den Charakter
on Generalklauseln auf. Dies widerspricht den ur-
prünglichen Forderungen, im Verfassungsvertrag eine
lare Abgrenzung der Kompetenzen zwischen den Ebe-
en der EU, der Mitgliedsländer und ihrer Regionen vor-
unehmen. In den Bereichen Sozialpolitik, Arbeitsrecht,
esundheitspolitik, Industrie und Forschung sowie
nergiepolitik sollen die Kompetenzen der EU ausge-
eitet und im Bereich der Daseinsvorsorge neue Kom-
etenzen geschaffen werden. Dies widerspricht den jah-
elangen Bemühungen, den Tendenzen zu immer mehr
entralisierung auf EU-Ebene Einhalt zu gebieten und in
er EU mehr Bürgernähe sicherzustellen. Offensichtlich
ar die Bundesregierung weder gewillt noch bereit, ent-
prechende Forderungen in die Vertragsverhandlungen
inzubeziehen, um so ein befriedigendes Verhandlungs-
rgebnis herbeizuführen.
Zweitens. Nach meiner festen Überzeugung bedarf
ie Geburt einer solchen europäischen Verfassung der
ustimmung des ganzen deutschen Volkes und nicht nur
einer Repräsentanten. In zahlreichen Mitgliedstaaten
er EU gibt es dazu eine Volksabstimmung. Das stärkt
ie Bindung an die EU und baut Vorbehalte ab, die sich
us dem Gefühl der Hilflosigkeit und des Ausgeliefert-
eins an Europa speisen.
Nach reiflicher Abwägung werde ich dennoch trotz
ravierender Bedenken dem Vertragswerk zustimmen,
a die Vorteile letztlich überwiegen.
Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE
RÜNEN): Ich will keinen Zweifel aufkommen lassen
nd betone deshalb: Auch ich halte die Europäische
nion für unverzichtbar. Auch ich befürworte den Euro-
äischen Zusammenschluss und die Einführung einer
U-Verfassung. Aber die Kritik, wie sie aus der Frie-
ensbewegung in Deutschland und der französischen
inken an Teilen der EU-Verfassung geäußert wird, ist
chwerwiegend und berechtigt. Zu den Kritikpunkten
ehört, dass die EU-Verfassung die Staaten Europas zur
ilitärischen Aufrüstung verpflichte, militärische Mis-
ionen ohne UN-Mandat zulasse und eine neoliberale
irtschafts- und Gesellschaftsordnung für Europa fest-
chreibe.
Ich meine, eine EU-Verfassung sollte nicht verab-
chiedet werden, ohne dass die Mitwirkung des Bundes-
ages bei der zukünftigen Rechtsetzung in Europa um-
assend und vollständig durch ein Gesetz geregelt wird.
o war es ursprünglich vorgesehen. Gesetzentwürfe von
pposition und Regierung lagen vor, wenn sie auch
och unzulänglich waren. Jetzt gibt es nur noch eine Be-
chlussempfehlung zu einem Teil eines solchen Begleit-
esetz, das der Bundestag bis Ende des Jahres verab-
chieden soll. Ich fürchte, nach der Verabschiedung der
U-Verfassung wird der Druck nachlassen, ein ausrei-
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005 16523
(A) )
(B) )
chendes Gesetz zu machen. Die demokratische Legiti-
mation der zukünftigen EU-Rechtsetzung, die nur die
Parlamente der Mitgliedstaaten schaffen können, so-
lange und soweit die Befugnisse des Europäischen Parla-
ments noch nicht ausreichend sind, droht auf der Strecke
zu bleiben.
Ich bedauere, dass in Deutschland keine Volksabstim-
mung über die Verfassung und keine ausführliche De-
batte in der Bevölkerung wie in Frankreich stattfinden.
Die EU-Verfassung hat es nicht verdient und ist mir
zu wichtig, als dass ich akzeptieren kann, dass über die
Kritikpunkte nicht ausführlich auch im Bundestag – im
Plenum – geredet wird.
Erstens. Ich halte es nicht für richtig, dass unter den
Zielen der Verfassung eine Verpflichtung der Staaten ge-
nannt ist, „ihre militärischen Fähigkeiten zu verbessern“,
Art. I-41 Abs. 3. Der Satz kann als Pflicht zur Aufrüs-
tung verstanden werden, insbesondere auch deshalb,
weil in der Verfassung gleich danach die Einrichtung ei-
ner „Europäischen Verteidigungsagentur“ folgt, deren
Aufgabe es auch sein soll, „zur Ermittlung von Maßnah-
men zur Stärkung der industriellen und technologischen
Basis des Verteidigungssektors beizutragen und diese
Maßnahmen durchzuführen“. Einen ebenso ausführli-
chen Abrüstungstext für Europa sucht man vergeblich in
der EU-Verfassung.
Zweitens. Außerdem kann die EU militärische Mis-
sionen einschließlich Kampfeinsätze in Drittländern „in
Übereinstimmung mit Grundsätzen der Charta der Ver-
einten Nationen“ durchführen. Es gibt aber in der Ver-
fassung keine ausdrückliche Festlegung, dass solche
Missionen nur mit einem Mandat der UN zulässig sind.
Drittens. In die EU-Verfassung wurde eine „Charta
der Grundrechte“ aufgenommen. Diese enthält als
Grundrecht die „unternehmerische Freiheit“ und das Ei-
gentumsrecht, aber ohne soziale Verpflichtung, und es
fehlt auch die Sozialstaatsklausel des Grundgesetzes.
Der Eindruck der einseitigen Ausrichtung auf die Be-
dürfnisse der kapitalistischen Wirtschaft wird verstärkt
durch die Festschreibung des „Grundsatzes einer offenen
Markwirtschaft mit freiem Wettbewerb“ und des „Vor-
ranges der Preisstabilität“. So weit, so schlecht.
Aber ich übersehe auch nicht: Die EU-Verfassung
enthält keine Sozialstaatsklausel, fordert aber die Einhal-
tung sozialer Grundrechte weit mehr und konkreter als
das Grundgesetz. Sie benennt als Ziel „soziale Markt-
wirtschaft“, die Förderung von „sozialer Gerechtigkeit“
und „sozialem Schutz“ und die Verbesserung der „Le-
bens- und Arbeitsbedingungen“. Sie lässt die Einschrän-
kung und den Entzug des Eigentums im öffentlichen In-
teresse und die gesetzliche Regelung zu dessen Nutzung
„für das Wohl der Allgemeinheit“ zu. Sie zählt zu den
Aufgaben der Gemeinsamen Sicherheitspolitik mit zivi-
len und militärischen Mitteln gleichwertig nebeneinan-
der auch „Abrüstungsmaßnahmen“, „humanitäre“ und
„Rettungseinsätze“, die „Konfliktverhütung und Erhal-
tung des Friedens“.
Was wäre die Folge, wenn die EU-Verfassung nicht
die notwendige Zustimmung fände? – Dann gelten die
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U-Verträge von Maastricht bis Nizza fort. Sie sind
icht besser, sondern dramatisch schlechter als der EU-
erfassungsvertrag. Sie enthalten keine Grundrechte-
harta und weit geringere Rechte für das Europäische
arlament. Militärische Aufrüstung und gemeinsame
ilitäreinsätze der EU-Staaten wären möglich, wie sie
a auch jetzt schon stattfinden, und darüber hinaus sogar
ie Beteiligung einzelner EU-Staaten an Angriffskriegen
hne UN-Mandat. – Dann ist das nicht das Ende der EU
der der Verfassungsgebung, aber die Chancen zur Ver-
inbarung einer besseren Verfassung sind nicht besser,
ondern schlechter. Den Verbesserungen müssten jetzt
icht 15, sondern 25 Regierungen der EU zustimmen,
nd zwar einstimmig – auch der Streichung der „unter-
ehmerischen Freiheit“. Verschlechterungen etwa in den
mstrittenen Bereichen des Datenschutzes oder der
ichtdiskriminierung wären nicht unwahrscheinlich. –
ann gilt das Grundgesetz. Auch dieses garantiert mit
er Berufsfreiheit die unternehmerische Freiheit. Das
rundgesetz erklärt die allgemeinen Regeln des Völker-
echts zum Bestandteil des Bundesrechts, aber benennt
uch nicht das UN-Mandat als Voraussetzung eines Bun-
eswehrkampfeinsatzes.
Für meine Entscheidung ist ausschlaggebend: Ich
abe eine Stellungnahme des wissenschaftlichen Diens-
es des Deutschen Bundestages eingeholt. Danach bedarf
in EU-Beschluss über den Einsatz von Streitkräften
icht nur der Zustimmung aller nationalen Regierungen
m Rat, sondern für dessen Umsetzung gilt in Deutsch-
and auch der Parlamentsvorbehalt. Eine Regierung kann
lso einen solchen Beschluss verhindern – und der Deut-
che Bundestag nach wie vor den Einsatz der Bundes-
ehr in einer Mission mit Kampfeinsatz.
Ich lehne also den EU-Verfassungsvertrag nicht ab.
Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker (SPD): Ich habe
ich bei der Abstimmung der Stimme enthalten, weil
ch den Vertrag über eine Verfassung für Europa als pro-
lematisch ansehe und im Fall eines In-Kraft-Tretens
ine baldige Verbesserung des Vertrags für nötig halte.
ugleich betone ich, dass ich eine Verfassung für Europa
ringend wünsche.
Ich empfinde Teil III des Vertragsentwurfs in weiten
eilen als Fremdkörper für eine Verfassung. Er ist zu
roßen Teilen von seinem Charakter her politischer Na-
ur und nicht etwa grundsätzlich. Für die Politik gibt es
en demokratischen Mechanismus der Mehrheitsent-
cheidungen, und diese sind auch revidierbar. Von einer
erfassung darf man erwarten, dass sie Grundsätze fest-
egt, die nur sehr selten ergänzt oder revidiert werden.
Zu den zahlreichen Punkten, die in einer Verfassung
igentlich nichts zu suchen haben, gehören Regelungen
ber Ausfuhrrückvergütungen und Einfuhrausgleichsab-
aben – Art. III-170 g – eine produktivistische Zielbe-
timmung der Agrarpolitik – Art. III-227 (1) a – Aussa-
en über Beförderungsentgelte und die wirtschaftliche
age der Verkehrsunternehmer – Art. III-239 – und über
ie grenzüberschreitende Zustellung von Schriftstücken
zivilrechtlichen Fragen – Art. III-269 (2) b –; oder der
ettbewerbsfähigkeit der Tourismus-Unternehmen –
16524 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005
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Art. III-281 (1). Mir ist natürlich bekannt, dass das alles
Elemente aus dem bisherigen gültigen europäischen Ver-
tragswerk sind. Es wäre aber richtiger gewesen, diese
auf den Rang politischer EU-Entscheidungen zurückzu-
stufen.
Ich habe weiterhin zwei Besorgnisse im Kontext des
Verfassungsvertrags.
Erstens. Die Aussage „Die Mitgliedstaaten verpflich-
ten sich, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu
verbessern“ – Art. I-41, Abs. 3 – kann theoretisch als
Verfassungsverpflichtung zu kontinuierlicher Aufrüs-
tung interpretiert werden. Das im Juni 2004 beschlos-
sene „Protokoll über die Ständige Strukturierte Zusam-
menarbeit (SSZ)“ bestärkt diese Besorgnis.
Zweitens. Der „Grundsatz einer offenen Marktwirt-
schaft mit freiem Wettbewerb“ wird in Art. III-177 kodi-
fiziert und wird kaum durch Sozialpflichtigkeitsgrund-
sätze relativiert. Analog steht die Eigentumsgarantie
– Art. II-77 – absolut und isoliert da, ohne die Grundge-
setzbindung – Art. 14, 15 GG – an das Gemeinwohl.
Diese Absolutsetzung sehe ich als ungerechtfertigt an.
Die auch von mir als Positivpunkte des Verfassungs-
vertrags gewerteten Grundrechte – Art. II-61 bis II-110
haben auch ohne den Vertrag bereits Rechtsgültigkeit in
Europa. Sie scheinen mir im Entwurf eher relativiert zu
werden: Ihre Ausübung erfolgt „im Rahmen“ der in an-
deren Teilen der Verfassung festgelegten Bedingungen
und Grenzen – Art. II-112.
Anlage 7
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Hans-Joachim Hacker und
Götz-Peter Lohmann (beide SPD) zur Abstim-
mung über den Entwurf eines Ersten Gesetzes
zur Änderung des Anspruchs- und Anwart-
schaftsüberführungsgesetzes (Tagesordnungs-
punkt 18)
Mit dem heute zur Verabschiedung stehenden Gesetz
werden Forderungen aus dem Beschluss des Bundesver-
fassungsgerichtes vom 23. Juni 2004 (1 BvL 3/98) um-
gesetzt. Soweit die bisherigen Entgeltbegrenzungen da-
mit aufgehoben werden, ist dem zuzustimmen.
Das zur Abstimmung stehende Gesetz ist jedoch in-
konsequent, da nach diesem weiterhin für bestimmte
Personengruppen Entgeltbegrenzungen fortbestehen sol-
len. Diese Fortgeltung wird nach unserer Auffassung
vom Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes im oben
genannten Verfahren nicht getragen. Diese Feststellung
bezieht sich insbesondere auf folgende Aussagen des
Bundesverfassungsgerichtes:
Die Unzulässigkeit der im Gesetz enthaltenen Typi-
sierung ergibt sich aus der Wahl der in die Rentenkür-
zung einbezogenen Berufsgruppen. Es gibt keine hinrei-
chenden tatsächlichen Erkenntnisse dafür, dass für die
von der Neuregelung betroffenen Personengruppen
überhöhte Arbeitsentgelte gezahlt wurden, die eine Be-
grenzung in der vorgesehenen Weise rechtfertigen.
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Auch mit der Neuregelung wird von der Vermutung
ines überhöhten Einkommens ausgegangen, die aus ei-
em tatsächlichen hohen Einkommen abgeleitet wird.
Mit der Neuregelung werden Wertungswidersprüche
n der Rentengewährung aufrechterhalten, die darin zu
ehen sind, dass die erfassten Personengruppen zum ei-
en gegenüber Versicherten mit Anspruch auf eine Zu-
atzversorgung, deren Versorgungssystem von den Ent-
eltbegrenzungsvorschriften nicht erfasst wird, zum
nderen gegenüber Versicherten, deren Versorgungssys-
em zwar erfasst wird, deren Entgelte jedoch die E-3-
renze nicht erreichen, benachteiligt werden.
Der Kürzungsmechanismus widerspricht dem Gleich-
eitsprinzip, weil er alle von ihm erfassten Arbeitsent-
elte zwangsläufig auf das Durchschnittseinkommen
ürzt und den Betroffenen in der Regel weit hinter den
entenbetrag zurückfallen lässt, der ihm für eine vorhe-
ige Tätigkeit gewährt wird.
Es muss bezweifelt werden, ob die Behauptung, dass
ie Betreffenden versorgungsseitig als Mitglieder eines
esamtkonzeptes der Selbstprivilegierung anzusehen
ind, von den Feststellungen im Beschluss des Bundes-
erfassungsgerichtes vom 23. Juni 2004 (1 BvL 3/98)
etragen wird.
Wegen der vorstehenden Kritikpunkte muss davon
usgegangen werden, dass das zur Verabschiedung vor-
elegte Gesetz erhebliche verfassungsrechtliche Risiken
einhaltet.
nlage 8
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Ländliche Räume
durch eine moderne und innovative Landwirt-
schaft stärken und damit Arbeitsplätze sichern
(Tagesordnungspunkt 13)
Elvira Drobinski-Weiß (SPD): Wir wollen eine
achhaltige und zukunftsfähige Landwirtschaft in
eutschland. Wir sorgen dafür, dass die Landwirtschaft
ls moderner Wirtschaftsbereich dafür die notwendigen
ahmenbedingungen hat. Wir wollen leistungs- und
ettbewerbsfähige Betriebe, die eine hohe Prozess- und
roduktqualität als Standortvorteil nutzen und im euro-
äischen und internationalen Wettbewerb bestehen kön-
en. Dazu gehören nun mal hohe Standards in den Berei-
hen des Verbraucher-, Umwelt- und Tierschutzes.
Sie aber, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von
er CDU, fordern zwar eine „leistungsfähige, moderne
nd tierschutzgerechte Landwirtschaft“, aber was bedeu-
et denn das für Sie? Ich sehe bei Ihnen kein Konzept,
ch sehe nur Widersprüchlichkeiten: Sie fordern in ihrem
ntrag schnelles Handeln der Politik und wecken mal
ieder Illusionen hinsichtlich der Steuerpolitik. Wie dies
hne zusätzlichen Einsatz finanzieller Mittel geschehen
oll, lassen Sie offen. Obwohl Sie doch zu genau wissen,
ass finanzielle Spielräume überhaupt nicht vorhanden
ind!
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005 16525
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Auch wir treten für eine EU-weite Angleichung der
Energiebesteuerung ein. Im Gegensatz zu Ihnen ver-
schweigen wir aber nicht, dass eine Umsetzung kaum
schnell erfolgen kann.
Sie stellen in Ihrem Antrag auf Seite 2 fest, dass die
hohen Agrarexporte ein Beweis für die hohen Standards
unserer Produkte sind, die sich über die deutschen Gren-
zen hinaus großer Beliebtheit erfreuen. Ja, das stimmt,
da pflichten wir Ihnen gern bei und diese hohen Stan-
dards sind Rot-Grün zu verdanken! Im gleichen Antrag
haben Sie auf Seite 3 geschrieben: „In der Umsetzung
von EU-Recht werden in Deutschland schärfere Bestim-
mungen durchgesetzt, wie zum Beispiel in der Tierhal-
tung, beim Pflanzenschutz oder im Düngerecht“. Gerade
solche Bestimmungen aber sind es doch, die für hoch-
wertige Produktion und hochwertige Produkte sorgen!
Unsere Standards stehen für Qualität und sie sorgen
dafür, dass sich unsere Landwirte rechtzeitig auf neue
Anforderungen einstellen können. Das erweist sich zu-
nehmend als Standortvorteil!
Die Rahmenbedingungen haben sich in den letzten
Jahren nicht nur für die Land- und Ernährungswirtschaft
deutlich verändert. Mit zunehmender Liberalisierung
und Globalisierung der Märkte erhöht sich der Wettbe-
werbsdruck auf unsere Unternehmen und beschleunigt
den Strukturwandel. Ziel unserer Politik ist es, den
Strukturwandel in der Landwirtschaft so zu begleiten,
dass sie in die Lage versetzt wird, ihre vielfältigen Auf-
gaben wie Nahrungsmittelproduktion, Rohstofferzeu-
gung und Landschaftspflege und ihre Aufgaben für die
Entwicklung des ländlichen Raumes wahrzunehmen und
dabei gleichzeitig als wettbewerbsfähige Unternehmen
selbst bestehen zu können.
Die Entwicklung unserer Dörfer ist heute nicht mehr in
dem Maße durch die Landwirtschaft bestimmt wie noch
Vorjahren. In keinem Landkreis in Deutschland über-
steigt der Anteil der in der Landwirtschaft Beschäftigten
heute noch 10 Prozent. Eine Verminderung der Zahl land-
wirtschaftlicher Betriebe muss aber nicht unbedingt ne-
gativ sein, sondern sie ist auch Ausdruck für die durch
technischen Fortschritt erzielte Produktivitätssteigerung.
Das darf aber nicht dazu führen, dass Landschaften mit
verlassenen Dörfern entstehen. Über die so genannte
zweite Säule der Agrarpolitik finanzieren wir Maßnah-
men zur Erschließung von Beschäftigungs- und Einkom-
mensalternativen sowie zum Ausbau der Infrastruktur
und zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen.
Dem Wettbewerb dürfen weder Qualitätsstandards
noch Sozialstandards geopfert werden. Durch die Erwei-
terung der Europäischen Union von 15 auf 25 Mitglied-
staaten hat sich nicht nur das Angebot an landwirtschaft-
lichen Produkten insgesamt erhöht, sondern auch der
Druck auf den Arbeitsmarkt und die Unternehmen. Um
sowohl für nach Deutschland entsandte Arbeitnehmer
als auch für die durch Sozial- und Lohndumping bedroh-
ten inländischen Arbeitnehmer faire Arbeitsbedingungen
zu schaffen, wollen wir das bereits 1996 verabschiedete
Arbeitnehmer-Entsendegesetz vom Baubereich auf alle
anderen Branchen ausdehnen. Auch für Arbeitskräfte
von im Ausland ansässigen Arbeitgebern wären damit
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ier geltende Arbeits- und tarifliche Bestimmungen an-
endbar. Das ist wichtig, denn Wettbewerb muss fair
ein: Das Unterlaufen der tariflichen und sozialen Stan-
ards mag manchen Unternehmen einen kurzfristigen
orteil erschaffen; aber dieser Wettbewerb nach unten ist
egen die Interessen der Menschen und gegen die Inte-
essen der Gesellschaft und wird sich auf die Dauer nicht
uszahlen.
Agrarpolitik und Verbraucherpolitik gehören zusam-
en. Kaum ein anderer Wirtschaftsbereich ist so abhän-
ig von gesellschaftlicher Akzeptanz wie die Landwirt-
chaft: zum einen wegen der durchaus beträchtlichen
eihilfen für die Landwirtschaft, zum anderen, weil alle
enschen jeden Tag landwirtschaftliche Produkte, Le-
ensmittel brauchen. Mit ihrer Kaufentscheidung kön-
en sie darüber bestimmen, unter welchen Bedingungen
hre Lebensmittel erzeugt werden sollen. Verbraucher
aben die Macht, Produktionsweisen zu boykottieren
der zu unterstützen. Auf Verunsicherungen reagieren
ie mit Kaufenthaltungen, der Verdacht auf einen Le-
ensmittelskandal kann zu enormen Absatzeinbrüchen
ühren und die Existenz von Landwirten gefährden.
enken wir an BSE. Hohe Qualitätsstandards und gute
berwachung dieser Standards sind der einzige Schutz
egen Lebensmittelskandale. Und hohe Standards in Sa-
hen gesunder, umweltverträglicher und tiergerechter
rzeugung werden von den Verbrauchern gefordert und
uch zu etwas höheren Preisen angenommen. Das zeigt
as Beispiel Ökolandbau. Nicht umsonst haben sogar
ie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, jetzt
lötzlich den Ökolandbau für sich entdeckt und fordern
n Ihrem Antrag eine Stärkung des Ökolandbaus! Der
kolandbau hat für 2004 ein Umsatzwachstum von
0 Prozent zu verzeichnen. In den letzten zehn Jahren
ind dort 75 000 Arbeitsplätze geschaffen worden! Es
andelt sich hier also um eine echte Wachstumsbranche!
er Ökolandbau ist damit ein gutes Beispiel dafür, dass
s einen Markt für Produkte mit hohen Standards gibt
nd dass dieser Markt beste Chancen im Wettbewerb
ietet.
Wer wie Sie, meine Damen und Herren von der CDU/
SU, nicht müde wird, über zu scharfe Bestimmungen
u lamentieren, und an diesen Standards schrauben will,
er verspielt das Vertrauen der Verbraucher, der gefähr-
et Marktpositionen für unsere heimische Landwirt-
chaft, unsere ländlichen Räume und: der gefährdet Ar-
eitsplätze!
Deshalb lehnen wir Ihren Antrag ab!
Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Wir disku-
ieren hier den Antrag der CDU/CSU „Ländliche Räume
urch eine moderne und innovative Landwirtschaft stär-
en und damit Arbeitsplätze sichern“. Ich muss sagen,
ass mich die Forderungen in Ihrem Antrag sehr stark an
nsere Haushaltsdebatte im Februar erinnern. Sie for-
ern immer wieder eine erhebliche Erhöhung der staatli-
hen Zuwendungen. Wie diese Gelder erbracht werden
ollen, das schreiben Sie nicht. Sie wissen genau, dass
ie Hoffnungen wecken, die Sie selber niemals erfüllen
önnten.
16526 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005
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Was bezweckt die CDU/CSU beispielsweise mit der
kurzen trivialen Forderung: „ … eine verlässliche staatli-
che Förderung der Landwirtschaft stärker als bisher in
den Vordergrund zu stellen“? Sagen Sie, haben Sie ei-
gentlich die Reformen, die wir – auch mit Ihrer Zustim-
mung – durchgeführt haben, nicht verstanden? Erstens
ist doch klargestellt, dass die Landwirte auch in Zukunft
mit der Reform der EU-Agrarpolitik nicht ohne Zuwen-
dungen wirtschaften müssen. Anders als in der Vergan-
genheit werden wir aber nicht mehr Produkte, sondern
gesellschaftlich gewollte Leistungen fördern. Zweitens
war es das Ziel der Agrarreform, dass wir die unterneh-
merische Selbstbestimmung der Landwirte stärken. Die
Bauern werden sich von daher zukünftig von ihrem un-
ternehmerischen Können leiten lassen – wie übrigens
alle anderen Unternehmer auch. Prämien für Produkte
wird es so nicht mehr geben.
Was Ihren Vorwurf angeht, die Bundesregierung solle
die Interessen der Landwirte bei den internationalen Ver-
handlungen – wie WTO oder der Reform der Zucker-
marktordnung – besser wahren, so ist er doch wieder
nichts weiter als Effekthascherei. Denn die WTO-Ver-
handlungen dürfen nicht an der Landwirtschaft scheitern.
Und auch für die kommende WTO-Verhandlung gilt: Nur
durch die zügige und konsequente Verabschiedung und
Umsetzung der Agrarreform haben wir eine gute Ebene
geschaffen, um dieses Scheitern zu verhindern.
Und zum Zucker: Aufgrund des gegen die EU ergan-
genen WTO-Urteils und der zu erwartenden Auswirkun-
gen der EBA-lnitiative der EU verschärft sich der
Reformdruck auf die EU. Das weiß auch die Opposition.
Trotz dieser großen Anforderungen werden wir dafür
sorgen, dass auch in Zukunft der heimische Zucker-
rübenanbau möglich ist!
Betrachten wir die technischen Entwicklungen in der
Landwirtschaft und auch die unternehmerischen Anfor-
derungen, die der Strukturwandel mit sich bringt, so
wird schnell deutlich: Wer auch künftig Landwirt blei-
ben möchte, der muss Know-how mitbringen. Ohne fun-
dierten Sachverstand ist in der Landwirtschaft nichts zu
erreichen. Hierfür sind aber auch hinlängliche Löhne er-
forderlich. Die Realität der Billiglohnkräfte in Schlacht-
höfen zeigt: Genau hier muss angesetzt werden. Wer zu
Dumpingpreisen arbeiten lässt, der läuft Gefahr, fähige
Arbeitnehmer vom Arbeitsprozess abzukoppeln.
Um diese Entwicklung zukünftig zu unterbinden,
werden wir das Entsendegesetz ändern und damit über
das Baugewerbe hinaus auch alle anderen Bereiche mit
einbeziehen. Ich begrüße es sehr, dass sich mittlerweile
schon der Gesamtverband der Land- und Forstwirt-
schaftlichen Arbeitgeberverbände und die IG Bauen-
Agrar-Umwelt verständigt haben, um für die Landwirt-
schaft eine gute Lösung zu finden.
Tritt das Entsendegesetz in Kraft, dann werden die
Verbände unverzüglich die Verhandlungen aufnehmen,
um bundesweite Lohntarifverträge für Facharbeiter, an-
gelernte Arbeitnehmer und Saisonarbeitnehmer in der
Landwirtschaft zu erarbeiten. Es ist sehr richtig, dass
Lohnverhandlungen bei den Arbeitgeber- und Arbeitneh-
merverbänden bleiben und sich der Staat weitestgehend
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urückhält. Die Realität zeigt aber auch, dass wir von
taatlicher Seite aus klarstellen müssen, dass Arbeitneh-
errechte nicht komplett unterwandert werden dürfen.
er Bund steht in der Pflicht, den Sozialstaat zu erhalten.
ch begrüße es sehr, dass die Tarifvertragsparteien früh-
eitig aktiv geworden sind, damit kein staatlicher Min-
estlohn greifen muss.
Sehr geehrte Damen und Herren der Opposition, ich
inde es schon erstaunlich, dass Sie sich immer wieder
m Thema „nachwachsende Rohstoffe“ verbeißen. Sie
aben in puncto nachwachsende Rohstoffe in Ihrer Re-
ierungszeit jegliche Reformen verschlafen. Rot-Grün
at gewaltig modernisiert. Es tut mir auch Leid, dass
eutschland hier nicht schon früher Chancen genutzt
at; Sie müssen sich da aber schon Ihre eigenen Ver-
äumnisse vorhalten. Heutzutage sind nachwachsende
ohstoffe Grundlage eines ernst zu nehmenden Wirt-
chaftszweiges. Ich bin Abgeordnete aus Sachsen-An-
alt und den Vorwurf, die SPD als Regierungspartei
tehe für eine „Klein ist gut“-Strategie, finde ich schon
echt vermessen.
Nochmals: Die GAP-Reform, gegen die sich die
DU/CSU-Fraktion lange Zeit so gestemmt hatte, stärkt
as unternehmerische Engagement der Bauern. Ich per-
önlich sehe dadurch gute Chancen auch für große Be-
riebe. Was den Anbau nachwachsender Rohstoffe an-
eht, so sehe ich gerade im Osten gute Möglichkeiten.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der CDU-
SU-Fraktion, ich kann nur sagen: Ihr Antrag ist wieder
estens dafür geeignet, zu zündeln. Sie stellen Forderun-
en auf, die nicht erfüllbar sind; das wissen Sie ganz ge-
au. Und das finde ich nicht ehrlich! Von daher kann die
PD-Fraktion Ihren Antrag nur ablehnen.
Bernhard Schulte-Drüggelte (CDU/CSU): Die
DU Nordrhein-Westfalen hat als einzige Partei ein aus-
ührliches Programm zur Agrarpolitik vorgestellt, aber
s sind nur diese gerade zitierten drei Zeilen, drei tech-
okratische Zeilen, die man im Wahlprogramm der SPD
ur Landtagswahl in zwei Wochen zum Thema Land-
irtschaft findet.
Dabei ist NRW neben Bayern und Niedersachsen
grarisches Kernland. Die Agrar- und Ernährungswirt-
chaft ist mit über 500 000 Arbeitsplätzen eine der wich-
igsten Wirtschaftsbranchen in Nordrhein-Westfalen.
iese stiefmütterliche Behandlung der Landwirte in
RW ist aber repräsentativ für die gesamte rot-grüne
grarpolitik.
Insgesamt zählt Deutschland zu den größten Erzeu-
ern von landwirtschaftlichen Produkten in Europa und
erfügt über eine leistungsstarke und innovative Ernäh-
ungswirtschaft mit einem Spitzenplatz im internationa-
en Vergleich. Land- und Forstwirte sind zudem nicht
ur mittelständische Erzeuger von Lebensmitteln und
ohstoffen, sondern sie sind auch die Gestalter und Er-
alter unserer mitteleuropäischen Kulturlandschaft.
4,3 Millionen Menschen finden in diesem Bereich der
eutschen Wirtschaft einen Arbeitsplatz. Wir haben eine
rbeitslosigkeit von über 5 Millionen Menschen. Ver-
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005 16527
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dient ein Sektor mit solcher erheblicher volkwirtschaftli-
cher Relevanz nicht ein bisschen mehr als drei Zeilen?
Die rot-grüne Bundesregierung achtet aber weder auf
ökonomische noch auf wissenschaftliche Warnsignale.
Sie lässt nicht davon ab, mit ihrer sachfremden, von grü-
ner Ideologie angetriebenen Politik unseren Bauern Son-
derlasten aufzubürden mit der Folge, dass seit dem
Amtsantritt von Rot-Grün die Zahl der Beschäftigten um
165 000 Personen abgenommen hat.
Rot-Grün plündert den Landwirtschaftshaushalt. Rot-
Grün höhlt die Sozial- und Strukturpolitik immer weiter
aus. Rot-Grün sattelt bei Natur- und Umweltauflagen,
bei Tier- und Pflanzenschutz auf die EU-Vorgaben im-
mer noch kräftig auf. Auf Rot-Grün ist kein Verlass.
Ein Beispiel aus NRW macht dies deutlich: Herr
Steinbrück formulierte im Oktober: „Eines steht fest. Ich
werde dafür sorgen, dass EU-Recht eins zu eins in Nord-
rhein-Westfalen umgesetzt wird. Es wird kein Draufsat-
teln und damit Wettbewerbsnachteile für die heimische
Landwirtschaft gegenüber der Konkurrenz geben.“ Fakt
ist: Mit der Novellierung des Landeswassergesetzes und
des Landesplanungsgesetzes und des Landschaftsgeset-
zes verstößt Steinbrück gegen seine eigene Zusage zur
Eins-zu-eins-Umsetzung von EU-Recht und beschädigt
erneut die Wettbewerbsfähigkeit der nordrhein-westfäli-
schen Landwirtschaft.
Die deutsche und die nordrhein-westfälische Land-
wirtschaft sind zu den Verlierern in Europa geworden –
trotz unserer hervorragend ausgebildeten, hoch motivier-
ten Bäuerinnen und Bauern.
Die Investitionszurückhaltung bei den Landwirten ist
besorgniserregend, Kapital fließt aus den Betrieben ab.
Die wirtschaftlichen Aktivitäten verkümmern, eine ein-
seitige Überreglementierung und Bürokratiedichte sind
das traurige Aushängeschild rot-grüner Agrarpolitik. Der
wirtschaftliche Motor in den ländlichen Gebieten kommt
zum Stillstand. Ständig hängt das Damoklesschwert von
Steuer- und Abgabenerhöhungen über den Landwirten,
wie zum Beispiel die Agrardieselsteuererhöhung und die
Änderungen der Landwirtschaftlichen Unfallversiche-
rung. Eine Erhöhung der Steuer auf Agrardiesel würde
beispielsweise für die Landwirte einen Wettbewerbs-
nachteil gegenüber Frankreich, das die Steuer auf Agrar-
diesel drastisch senkt, von 30 bis 50 Euro je Hektar be-
deuten. Bei einem 100-Hektar-Betrieb liegt der Nachteil
dann zwischen 3 000 bis 5 000 Euro je Betrieb. Welcher
Landwirt kann einen solchen Wettbewerbsnachteil auf
Dauer verkraften?
Besonders die Landwirte müssen sich doch fragen,
woher die Impulse für einen wirtschaftlichen Auf-
schwung in Deutschland unter diesen Umständen kom-
men sollen. Während die EU-Nachbarn angesichts der
gestiegenen Ölpreise die Steuern senken, um die Kon-
junktur nicht abzuwürgen, passiert in Deutschland das
genaue Gegenteil.
So darf es nicht weitergehen: Rot-Grün muss weg!
Es ist unsere Aufgabe, mit einer verantwortungsvol-
len Politik den Landwirten ihrer wirtschaftlichen Bedeu-
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ung entsprechend die bestmöglichen Rahmenbedingun-
en zu bieten. Unser Aktionsprogramm für die
andwirtschaft setzt auf Wettbewerbsfähigkeit, Innova-
ion und Wachstum.
Was wir brauchen, sind: die Eins-zu-eins-Umsetzung
on EU-Vorschriften in nationales Recht, eine sinnvolle
grarsteuergesetzgebung, Vereinfachung im komplizier-
en Förderrecht sowie den Abbau der überdimensionalen
grarbürokratie. Unsere Landwirtschaft braucht zudem
erlässliche Rahmenbedingungen für die Anwendung
euer Technologien, wie zum Beispiel bei nachwachsen-
en Rohstoffen oder bei der Grünen Gentechnik. Der
oderne Landwirt braucht heute Innovation und techni-
chen Fortschritt, um nachhaltig und umweltbewusst
ualitativ hochwertige und sichere Lebensmittel zu er-
eugen.
Nur wenn die Landwirte die Zukunft als Chance und
icht als Bedrohung empfinden, werden sie sie auch ak-
iv mitgestalten.
Marlene Mortler (CDU/CSU): Der Antrag der CDU/
SU-Fraktion „Ländliche Räume durch eine moderne
nd innovative Landwirtschaft stärken und damit Ar-
eitsplätze sichern“ gibt Gelegenheit, die Bedeutung der
andwirtschaft und der vor- und nachgelagerten Berei-
he erneut in das Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rü-
ken. Gleichzeitig bietet sich aber die Möglichkeit, auf
ie fatalen Folgen der rot-grünen Agrarpolitik hinzuwei-
en und Alternativen aufzuzeigen.
Die Bedeutung der Landwirtschaft ist im Zusammen-
ang mit dem Agribusiness (vor- und nachgelagerte
ereiche) zu sehen. Dieser Gesamtsektor stellt 4,3 Mil-
ionen Arbeitsplätze, erbringt 7 Prozent des Brutto-
nlandsprodukts. Die Landwirtschaft ist bei einem
roduktionswert von 47 Milliarden Euro in ihrer volks-
irtschaftlichen Bedeutung größer als andere wichtige
ewerbliche Wirtschaftszweige (zum Beispiel Textilin-
ustrie 24 Milliarden Euro). Die Landwirtschaft hat also
roße Bedeutung für die Sicherung der Nahrungsmittel-
ersorgung, als Rohstofflieferant für die Industrie, für
ie Sicherung von Arbeitsplätzen, für die Pflege der
ulturlandschaft, für die Stabilisierung des ländlichen
iedlungs- und Wirtschaftsraums.
In den nun fast sieben Jahren rot-grüner Bundesregie-
ung hat sich die Einkommenssituation in der Landwirt-
chaft jährlich stetig verschlechtert oder sie stagniert auf
iedrigem Niveau. Die deutsche Landwirtschaft ist da-
it Opfer der miserablen Wirtschaftspolitik von Rot-
rün mit den fatalen Folgen: geringes Wirtschafts-
achstum, weiter steigende Arbeitslosigkeit, wiederum
ls Folge daraus: allgemeine Kaufzurückhaltung der
erbraucher und Rückgang der Investitionstätigkeit in
er Landwirtschaft (2003: minus 63 Prozent).
Zu diesen allgemeinen negativen Auswirkungen rot-
rüner Politik kommen die einseitigen Belastungen der
andwirtschaft durch die Agrarpolitik dieser Bundesre-
ierung. Seit 1998 betreibt Rot-Grün eine ständige Kür-
ung der Finanzhilfen und eine Erhöhung der steuerli-
hen Belastungen (zum Beispiel durch die Ökosteuer
16528 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005
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2003: rund 562 Millionen zulasten von Landwirtschaft
und Gartenbau). 2005: Massive Kürzungen bei der LKV:
minus 82 Millionen Euro, LUV: minus 100 Millionen
Euro. Folge davon sind höhere Beiträge für die aktiven
Landwirte. Massive Kürzung bei Agrardiesel: minus
287 Millionen Euro, das heißt Erhöhung der Agrardie-
selsteuer von jetzt 26 Cent/Liter auf 40 Cent/Liter. (Ver-
gleiche demgegenüber die niedrigeren Steuersätze in an-
deren EU-Ländern, zum Beispiel Frankreich 1,7 Cent/
Liter, Dänemark 3,3 Cent/Liter, Österreich 9,8 Cent/
Liter usw.) Agrardiesel ist nur ein Beispiel für die von
Rot-Grün hausgemachten Wettbewerbsverzerrungen zu-
lasten der deutschen Landwirtschaft.
Es ist schon ein negatives Markenzeichen rot-grüner
Agrarpolitik geworden, EU-Vorgaben durch nationale
Alleingänge zu verschärfen, um aus ideologischen Grün-
den eine „Agrarwende“ durchzusetzen oder den deut-
schen Verbrauchern einen „besseren“ Verbraucher-, Um-
welt- und Tierschutz vorzugaukeln. Die Liste dieser
Alleingänge ist lang und liest sich wie ein agrarpoliti-
sches „Sündenregister“. Mit einer solchen Politik des
„Draufsattelns“ wird rücksichtslos in Kauf genommen,
dass für die deutsche Land- und Ernährungswirtschaft
dadurch große Wettbewerbsnachteile gegenüber Kon-
kurrenten in anderen EU-Ländern entstehen.
Deswegen muss die deutsche Agrarpolitik möglichst
bald geändert werden, und zwar zum Besseren. Auf eine
solche Agrarwende warten unsere Bauern wie ein ver-
trocknetes Feld auf Regen.
Mittelpunkt und Maßstab der Agrarpolitik muss wie-
der die wirtschaftliche Bedeutung der Landwirtschaft
mit den vor- und nachgelagerten Bereichen (Agribusi-
ness) werden. Als mittelständisch strukturierter Wirt-
schaftszweig sichern die Landwirtschaft und das übrige
Agribusiness rund 4 Millionen Arbeitsplätze und erbrin-
gen rund 7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Deswe-
gen dürfen der Landwirtschaft keine weiteren einseitigen
Belastungen auferlegt werden. In der nationalen Agrar-
politik muss endlich Schluss sein mit weiteren einseiti-
gen Kürzungen bei den Finanzhilfen und Steuervergüns-
tigungen für die Landwirtschaft, wie dies ab 2005 bei
Agrardiesel und den Bundeszuschüssen in der landwirt-
schaftlichen Sozialversicherung geschehen ist. Es muss
auch endlich Schluss sein mit weiteren nationalen Al-
leingängen, die nur zu Wettbewerbsnachteilen unserer
Landwirte gegenüber anderen EU-Ländern führen.
Die agrarsozialen Sicherungssysteme (landwirtschaft-
liche Krankenversicherung, landwirtschaftliche Unfall-
versicherung, Alterskasse für Landwirte) müssen so re-
formiert werden, dass der Strukturwandel („Alte Last“)
berücksichtigt wird und es nicht zu ständigen Beitrags-
erhöhungen für die aktiven Landwirte kommt. Die Ge-
meinschaftsaufgabe muss stärker auf die Förderung der
Wettbewerbsfähigkeit der landwirtschaftlichen Betriebe
ausgerichtet werden. Die nachwachsenden Rohstoffe
müssen weiter gefördert werden, zum Beispiel durch
Marketingmaßnahmen nach dem Absatzfonds-Gesetz.
Die Pflanzengentechnik darf nicht weiter behindert wer-
den, sondern muss durch Unterstützung der Fondslösung
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ur Absicherung der Risiken aus dem Anbau gentech-
isch veränderter Pflanzen gefördert werden.
Eine sachbezogene nationale Agrarpolitik erfordert
uch, dass das BMVEL von der ideologiegeleiteten Or-
anisations- und Personalpolitik befreit wird, die Minis-
erin Künast insbesondere mit ihren Entscheidungen der
etzten Wochen praktiziert hat. Nur dann können die
och qualifizierten Bediensteten des Ministeriums ihren
achverstand und ihr Engagement für die Politikbera-
ung motiviert und ungehindert einbringen.
In der europäischen und internationalen Agrarpolitik
tehen in den nächsten Monaten wichtige Entscheidun-
en an, bei denen es um die Existenz vieler landwirt-
chaftlicher Betriebe und Arbeitsplätze im vor- und
achgelagerten Bereich geht. Die Reform der EU-Zu-
kermarktordnung muss auf den unumgänglichen Um-
ang beschränkt werden, der sich aus künftigen interna-
ionalen Verpflichtungen (WTO) ergibt. Bei der
nderung der EU-Förderung der ländlichen Entwicklung
ELER) ist auf die Fortführung der bisherigen Förder-
aßnahmen (insbesondere Ausgleichszulage, KULAP)
nd auf eine ausreichende finanzielle Ausstattung zu
chten. In den laufenden WTO-Verhandlungen dürfen
ugeständnisse (Verringerung der internen Stützung, Re-
uzierung des Außenschutzes, Abbau von Exportbeihil-
en) nur in dem Umfang gemacht werden, der für einen
rfolgreichen Abschluss der WTO-Runde aus gesamt-
irtschaftlicher Sicht notwendig ist. In den WTO-Ver-
andlungen muss auch die Anerkennung von Standards
es Verbraucher-, Umwelt- und Tierschutzes durchge-
etzt werden.
Nur durch eine konsistente, sachbezogene Agrarpoli-
ik auf nationaler und europäischer Ebene kann es gelin-
en, die ländlichen Räume zu stärken und damit Arbeits-
lätze zu sichern.
Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
EN): Man muss sich wirklich fragen, an welcher
urstbude die Damen und Herren Agrarpolitiker der
DU/CSU die letzten Jahre verbracht haben müssen,
ass sie derart all das verschlafen konnten, was heute ak-
uelle Debatte in der Agrarpolitik, der Verbraucherpoli-
ik, der Politik für die ländlichen Räume ist. Die CDU/
SU ist personell, institutionell und ideologisch bis
eute in den Zeiten der verfehlten Agrarpolitik des letz-
en Jahrhunderts hängen geblieben. Sie begeht politisch
eiterhin die gleichen Fehler wie in den Jahrzehnten zu-
or: eine von kurzfristigen Partialinteressen geleitete
olitik, die die heutigen gesellschaftlichen und internati-
nalen Rahmenbedingungen ignoriert und sich aus
orge um die Zustimmung der Stammtische notwendi-
en Reformen verweigert.
Wenn ich mir den Koalitionsvertrag von Schleswig-
olstein ansehe, so kann ich das nur als dringende Auf-
orderung verstehen, in Nordrhein-Westfalen Grün zu
ählen. Rückwärts, rückwärts, rückwärts, das ist der
lare Kurs der Agrarpolitik unter Ministerpräsident
arstensen.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005 16529
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Die CDU/CSU redet zwar inzwischen von Verbrau-
cherschutz, Umwelt, Lebensmittelsicherheit, Regionali-
tät, Qualität – alles Begriffe der Agrarwende –, aber sie
handelt nicht danach. Der Antrag der CDU/CSU ist eine
Ansammlung von Widersprüchen und hohlen Phrasen:
Er fordert die Erhaltung der mitteleuropäischen Kul-
turlandschaft – richtig. Deren Zerstörung geschah aber
unter jahrzehntelanger CDU-Agrarpolitik und soll jetzt in
Schleswig-Holstein unter Ministerpräsident Carstensen
erneut forciert in Angriff genommen werden.
Die CDU redet vom berechtigten Interesse der Ver-
braucher an sicheren Produkten – richtig. Gleichzeitig ist
es jedoch die CDU/CSU, die strenge Regeln zur Lebens-
mittelsicherheit immer wieder bekämpft, die sich für un-
kontrolliertes Inverkehrbringen von gentechnisch mani-
pulierten Produkten einsetzt, wie sie in der aktuellen
Bt10-Debatte erneut nachdrücklich zum Ausdruck ge-
bracht hat, die eine Heraufsetzung des BSE-Testalters
fordert, und deren Vertreter im Bundestag mitunter be-
haupten, Pestizide seien keine Gifte, folglich gingen von
ihnen auch keine Gefahren aus.
Der Unionsantrag betont die Notwendigkeit hoher
Umwelt- und Tierschutzstandards, unter anderem als
Grundlage für hohe Anerkennung deutscher Produkte im
Ausland und damit hoher Exportanteile – richtig. Aber
auch hier sieht die CDU-Politik ganz anders aus: Blo-
ckade der Legehennen- und Schweinehaltungsverord-
nung im Bundesrat und permanente Forderung nach
möglichst niedrigen Standards. Dabei ist bekannt, dass
während der Amtszeit von Renate Künast die Wertschät-
zung deutscher Agrarprodukte im Ausland deutlich zu-
genommen hat, eben weil die Ministerin als Garant für
hohe Sicherheitsstandards steht.
Der Unionsantrag fordert die Schaffung verlässlicher
Rahmenbedingungen für die Anwendung der Agrogen-
technik – richtig. Leider steht auch diese Forderung im
krassen Gegensatz zur tatsächlichen Politik der CDU/
CSU. Wir haben mit dem Gentechnikgesetz verlässliche
Rahmenbedingungen geschaffen. Der Skandal um die il-
legale Verbreitung von Bt10-Genmais hat die Notwen-
digkeit solcher klaren Regeln nachdrücklich bestätigt.
Nach jetzt bekannt gewordenen Plänen für die Ver-
handlungen zum Gentechnikgesetz im Bundesrat will
die Union hingegen ungenehmigte gentechnisch verän-
derte Organismen und daraus entstehende Produkte für
den Lebensmittel- und Futtermittelmarkt freigeben. Au-
ßerdem will die CDU/CSU im Bundesrat den Anbau
gentechnisch veränderter Pflanzen selbst dann noch er-
lauben, wenn Verunreinigungen von konventionellem
oder biologischem Anbau auf Nachbarfeldern auch bei
Aufwendung von Vorsichtsmaßnahmen nicht verhindert
werden können. Das hat nichts mit Schaffung verlässli-
cher Rahmenbedingungen zu tun.
Der Unionsantrag fordert eine Sicherstellung ausrei-
chender Mittel für die zweite Säule der EU-Agrarpolitik,
das heißt für die ländliche Entwicklung – richtig. Leider
war es jedoch die CDU/CSU, die eine Stärkung der
zweiten Säule im Rahmen der Modulation immer be-
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ämpft hat und bei der EU-Agrarreform alles daran ge-
etzt hat, eine Stärkung der zweiten Säule zu verhindern.
Wo wir vollkommen auseinander liegen ist auch Ihr
erständnis davon, was „modern“ und „innovativ“ ist.
estern hat der CDU-Agrarsprecher Peter Bleser beim
grarindustrieverband erklärt: Sie wollten keine ökolo-
ische, sondern eine moderne Landwirtschaft. Quatsch,
iesen Gegensatz gibt es überhaupt nicht!
Sie leben in ideologischen Klischees der 80er-Jahre!
ie träumen von technischen Wunderwaffen, die alle
robleme zugleich lösen. Das haben Sie schon immer
etan und es hat noch nie funktioniert.
Nein, moderne ländliche Entwicklung, Schaffung von
rbeitsplätzen im ländlichen Raum, nachhaltige Erzeu-
ung hochwertiger Produkte: Das sind sehr komplexe
ufgaben, die ein sehr differenziertes Vorgehen erfor-
ern.
Es geht nicht um einseitige Spezialisierung, sondern
m Diversifizierung, Qualität, Vorreiterschaft. Nicht
ine Risikotechnologie wie die Agrogentechnik schafft,
ie immer wieder behauptet wird, Arbeitsplätze und
ertschöpfung im ländlichen Raum, sondern nachhal-
ge Wirtschaftsbereiche wie der boomende Biosektor.
ährend die Agrogentechnik bisher mehr Arbeitsplätze
ernichtet als geschaffen hat, hat der Biobereich in den
tzten zehn Jahren die Zahl der Beschäftigten auf
50 000 verdoppelt.
Wir Grünen wollen keine Einengung auf Schmalspur-
roduktion, sondern wir wollen den Menschen im ländli-
hen Raum neue Spielräume eröffnen, um ihre Existenz
uf eine breitere Basis stellen zu können. Der ländliche
aum wird nur gestärkt, wenn wir die regionale Wirt-
chaftsentwicklung stärken und die Wirtschaftskraft im
ändlichen Raum halten!
Das verlangt Offenheit für individuelle regionale An-
ätze, die Landwirtschaft und ländlichen Raum zusam-
en denken, statt in sektoralen Schablonen zu verharren.
enate Künast im Bund hat mit dem Wettbewerb „Re-
ion Aktiv“ einen Ansatz gewählt, der äußerst erfolg-
eich regionale Eigeninitiative fördert und eine Vielzahl
euer Ideen und Einkommensquellen erzeugt hat.
Wir in Nordrhein-Westfalen waren schon Vorreiter ei-
er neuen Agrarpolitik, als in Bonn noch die alte Agrar-
obby das Sagen hatte. Bärbel Höhn hat schon frühzeitig
ine Vielzahl von Möglichkeiten geschaffen, um Be-
iebe unter den unterschiedlichsten Standortbedingun-
en fördern zu können: Das „Programm zur markt- und
tandortangepassten Landwirtschaft“ fördert die regio-
ale Vermarktung und hilft, dass mehr Wertschöpfung
eim Bauern und in den ländlichen Räumen bleibt.
Bärbel Höhn hat als jüngstes Projekt gerade eine Kä-
estraße eröffnet, um handwerkliche Käsereien noch be-
annter zu machen und damit Landwirtschaft, Handwerk
nd Tourismus miteinander zu verbinden. Dabei ist im-
er auch Ziel, die Landwirtschaft dabei zu unterstützen,
inen besseren Stellenwert innerhalb der übrigen Gesell-
chaft zu erreichen.
16530 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005
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Unser Plus ist, dass wir 18 Millionen Verbraucher di-
rekt vor der Tür haben. Das ist unsere Chance!
Vertragsnaturschutz: Wir haben in NRW mittlerweile
über 300 000 Hektar in den verschiedenen Agrarum-
welt- und Vertragsnaturschutzprogrammen. Das sind fast
20 Prozent der Fläche! 13 000 landwirtschaftliche Be-
triebe in NRW machen da mit, das sind 25 Prozent der
Betriebe. Wir bringen damit 54 Millionen Euro in den
ländlichen Raum Nordrhein-Westfalens. Vor zehn Jah-
ren, als Rot-Grün in NRW anfing, waren es 7 Millionen,
also ein Siebtel!
Dieses Programm, mit dem wir auch mehr EU-Mittel
nach NRW holen, wollen wir weiter ausbauen, denn es
stärkt den kooperativen Ansatz zwischen Landwirtschaft
und Naturschutz.
Nachwachsenden Rohstoffe und Energie: Die Chan-
cen für die nachwachsenden Rohstoffe und Energie aus
Biomasse hat Rot-Grün erst geöffnet. Strom aus regene-
rativen Energien hatte 2004 einen Anteil von 10 Prozent
am Strom. Damals hieß es, bei 5 Prozent ist Schluss.
Nein! Es geht weiter und es muss weitergehen. Die dro-
hende Klimakatastophe lässt uns gar keine andere Wahl.
Unser Ziel ist: 10 Prozent auch bei Wärme und
10 Prozent bei Kraftstoffen bis zum Jahr 2010 und ins-
gesamt 25 Prozent Anteil bei allem bis zum Jahr 2020!
Hier bieten sich enorme Chancen für uns Bauern,
nicht nur für das Einkommen, sondern auch was die
Stellung in der Gesellschaft betrifft. Hier kann die Land-
wirtschaft Vorreiter einer sinnvollen neuen Entwicklung
sein.
Es ist ökologisch, ökonomisch und sozial richtig. Bei
dem Ziel 25 Prozent in 2010 sagt uns die Wissenschaft,
das bringe 175 000 neue Arbeitplätze, also auch sozial
einen Gewinn.
Wir haben in NRW gerade ein neues Förderprogramm
für Kommunen aufgelegt, mit dem wir die Kommunen
unterstützen, die ihre Fahrzeuge auf Basis von Bioetha-
nol oder Pflanzenöl fahren lassen. Und: 2004 hatten wir
eine Verdopplung der Holzpellet-Anlagen auf jetzt
2 400.
Sie sehen, es geht richtig ab im Energiesektor. Alle
überall auf den Höfen entstehen Photovoltaik-, Biogas-,
Holzverbrennungs- und viele andere Energieanlagen.
Der Bauer als Energiewirt ist längst Realität und Sie von
der Opposition diskutieren immer noch über unseren an-
geblichen Realitätsverlust. Nicht wir, Sie haben ihn!
Christel Happach-Kasan (FDP): Deutschland ist
beides: Industriestaat und gleichzeitig land- und forst-
wirtschaftlich geprägtes Flächenland. Die rot-grüne
Koalition hat in ihrer weitgehend auf die Befindlichkei-
ten einer städtisch geprägten Bevölkerung abgestellten
Politik, die existenziellen Interessen der Menschen in
den ländlichen Räumen vernachlässigt. Die ideologische
Agrarwende von Ministerin Künast ist ein ideologischer
Irrweg. Dieser Irrweg setzt mit vorgeschobenen Begrün-
dungen des Verbraucher-, Tier- und Umweltschutzes Ar-
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eitsplätze aufs Spiel, ohne die vorgegebenen Ziele tat-
ächlich zu verwirklichen,
Dafür gibt es zahlreiche Beispiele: Das Fütterungs-
erbot für tierische Fette, ist absurd. Tierische Fette, wie
um Beispiel Schweineschmalz, sind in der menschli-
hen Ernährung zugelassen, in der tierischen jedoch
icht. Rot-Grün scheut sich davor, ihrer Klientel zu ver-
itteln, dass zahlreiche im Zuge der BSE-Krise getrof-
ene Regelungen überflüssig und sogar schädlich sind.
Die verschärfte Umsetzung von EU-Regelungen im
ereich der Tierhaltung dient angeblich dem Tierschutz.
atsächlich wird der Tierschutz durch die Förderung von
altungsformen, die hohe Mortalitätsraten aufweisen,
on Ministerin Künast mit den Füßen getreten.
Die Haltung von landwirtschaftlichen Nutztieren
uss artgemäße Haltungsbedingungen und eine artge-
äße Ernährung gewährleisten. Das heißt, Allesfresser
ürfen nicht vegetarisch ernährt werden. Es muss auf ge-
inge Mortalitätsraten geachtet werden. Haltungsformen,
ie wegen besonderer Diätvorschriften für Tiere – keine
usätze lebenswichtiger Aminosäuren – hohe Mortali-
ätsraten verursachen, müssen verboten werden. Dies ge-
ietet die Achtung vor dem Mitgeschöpf Tier.
Der Kampf der Koalition gegen die Grüne Gentech-
ik ist ein weiteres Beispiel einer ideologisch geprägten
olitik, die gegen die Interessen der Landwirtschaft ge-
ichtet ist. Die Landwirtschaft braucht Sorten mit züch-
erischem Fortschritt, wie ihn die in der Pharmazie so er-
olgreiche Anwendung der Methode der Gentechnik
ringt. Ein gutes Beispiel ist der Bt-Mais, der resistent
st gegen ein Schadinsekt, das bis zu 30 Prozent einer
rnte vernichten kann. Gleichzeitig schützt die Resis-
enz die Pflanzen vor Pilzbefall, die Verunreinigung mit
ilzgiften ist deutlich geringer als bei anderen Sorten.
as ist ein Vorteil für den Verbraucherschutz.
Mit staatlichem Dirigismus und Steuergeldern oder
enauer durch eine Verschuldungspolitik will Rot-Grün
ein Ziel, 20 Prozent Ökolandwirtschaft durchboxen.
as ist unrealistisch. Zurzeit beträgt der Anteil an Öko-
rodukten 2,6 Prozent. Ökolandwirtschaft findet mehr
ls vier Jahre nach der so genannten Agrarwende nur auf
,1 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche statt.
In einem Land mit mehr als 5 Millionen Arbeitslosen
st diese rot-grüne Politik, die das Problem der Arbeits-
osigkeit verschärft, unsozial. Sie ist verantwortungslos.
ie trägt zur Perspektivlosigkeit junger Menschen bei.
Die FDP stellt dem ideologischen Irrweg von Rot-
rün das Modell einer marktwirtschaftlichen und unter-
ehmerischen Landwirtschaft entgegen. Konventionell
nd ökologisch wirtschaftende Betriebe müssen sich am
arkt behaupten. Alles andere ist vor dem Hintergrund
er Globalisierung und der WTO-Verhandlungen ohne
rfolgsaussicht. Innovative Technologien müssen ge-
utzt werden, die landwirtschaftliche Veredelung darf
icht durch Regelungswut und Wettbewerbsverzerrun-
en außer Landes vertrieben werden, nachwachsende
ohstoffe sind eine neue Chance für unsere Betriebe.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005 16531
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Anlage 9
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Absatzfondsgesetzes und des
Holzabsatzfondsgesetz (Tagesordnungspunkt 14)
Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Ich spreche zum Holz-
absatzfondsgesetz. Warum müssen wir das Gesetz än-
dern? Im Moment ist es so, dass die Holz produzieren-
den und verarbeitenden Unternehmen eine
Sonderabgabe in den Fonds einzahlen. Diese Beiträge
werden zum Beispiel für gemeinsame Werbestrategien
genutzt. Die Mitgliedsbeiträge werden von der Bundes-
anstalt für Landwirtschaft und Ernährung für den Holz-
absatzfonds kostenlos eingezogen, obwohl für Beitrags-
einzug und Verwaltung Personal- und Sachkosten
anfallen, 700 000 Euro im letzten Jahr. Der Bundesrech-
nungshof hat dieses Verfahren mehrfach moniert: Für
eine Leistung, die aus Steuermitteln erbracht wird, muss
gezahlt werden. Das gelte auch für den Absatz- und für
den Holzabsatzfonds.
Deshalb ändern wir das Gesetz. Wir machen das nicht
im Hauruckverfahren, sondern schauen, was geht und
was geht nicht. Den Holzabsatzfonds trifft die Gesetzes-
änderung deutlich härter als den finanziell sehr viel bes-
ser ausgestatteten Absatzfonds. Deshalb haben wir uns
mit dem Holzabsatzfonds zusammengesetzt und nach ei-
ner Lösung gesucht.
Diese sieht folgendermaßen aus:
Erstens. Die Gebühren an die Bundesanstalt für Land-
wirtschaft und Ernährung für die Beitragserhebung müs-
sen erst ab 2007 vom Holzabsatzfonds erstattet werden.
Mit dieser Übergangsregelung geben wir dem Holzab-
satzfonds Zeit, sich auf die bevorstehende Mehrbelas-
tung einzustellen.
Zweitens. Kleinstbeiträge, deren Erhebung mehr Kos-
ten verursachen als sie einbringen, müssen künftig nicht
mehr eingezogen werden.
Drittens. In regelmäßigen Abständen wird von unab-
hängiger Stelle evaluiert, ob die Dienstleistung der Bun-
desanstalt noch effizienter erbracht werden kann.
Viertens. Es wird geprüft, ob eine Meldepflicht der
beitragspflichtigen Unternehmen eingeführt werden
kann, um das Beitragseinzugsverfahren zu vereinfachen.
All diese Schritte entlasten den Holzabsatzfonds. Ich
bin sehr froh, dass wir diesen Lösungsweg gefunden ha-
ben. So setzen wir den Holzabsatzfonds in die Lage,
seine wichtige Arbeit mit ganzer Kraft fortzusetzen, und
das wird er auch ab 2007. Denn wir verbessern die Rah-
menbedingungen für die Forst- und Holzwirtschaft in
Deutschland insgesamt, stärken so die Betriebe und tun
was für die Arbeitsplätze. Davon profitiert natürlich
auch der Holzabsatzfonds, weil ihm höhere Mitglieds-
beiträge zufließen werden.
Im Moment sieht es nicht so positiv bei den Forstbe-
trieben aus. Der internationale Preisdruck auf dem Holz-
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ektor, ausgelöst durch die Liberalisierung der Holz-
ärkte, zwingt die deutschen Unternehmen zu mehr
irtschaftlichkeit. Deshalb müssen die kleinteiligen und
ft ineffizienten Strukturen der Forstbetriebe den neuen
erausforderungen angepasst werden. Das erreichen wir
it der Novellierung des Bundeswaldgesetzes. Sie
acht den Weg frei für wettbewerbsfähige forstwirt-
chaftliche Zusammenschlüsse.
Wer meint, Deutschland sei ein rohstoffarmes Land,
er befindet sich auf dem Holzweg. Wir verfügen mit
nseren Wäldern über eine ökologisch überaus wertvolle
rüne nachwachsende Rohstoffquelle, deren Potenziale
urzeit überhaupt nicht ausreichend genutzt werden. Mit
orstbetrieben, die diesen Rohstoff wirtschaftlich produ-
ieren, nutzen wir diese Potenziale und verbinden Öko-
ogie und Ökonomie.
Aber was nützt es, wenn man den Markt vor lauter
äumen nicht sieht. Mehr Holz zu produzieren und ein-
uschlagen, welches dann auf dem Holzstapel liegen-
leibt, bringt der Forstwirtschaft wenig. Wenn wir mehr
olz erwirtschaften, brauchen wir natürlich auch neue
olzabsatzmärkte! Wie schaffen wir die?
Das machen wir mit der Charta für Holz. Klares Ziel:
en Absatz von deutschem Holz in den nächsten zehn
ahren um 20 Prozent zu steigern. Mit der Charta haben
ir ein schlagkräftiges Instrument zur Stärkung des
olzsektors.
Vor wenigen Monaten fiel der Startschuss für die
harta und schon zeichnet sich eine Erfolgsstory ab.
Zwei Beispiele:
Erstens. Mehr Holz am Bau: Der Bund nimmt seine
erantwortung als Bauherr wahr und prüft bei allen Neu-
auten und Sanierungen älterer Gebäude, ob diese auch
it Holz ausgeführt werden können. So zum Beispiel
ktuell in Bremen beim Bundesinstitut für Fischökolo-
ie, in Kleinmachnow bei der Biologischen Bundesan-
talt und auf der Insel Riems bei der Bundesforschungs-
nstalt für Viruskrankheiten der Tiere.
Zweitens. Im Rahmen der Charta hat der Gesamtver-
and Holzhandel eine freiwillige Selbstverpflichtung
um Ausschluss illegaler Holzimporte erarbeitet, die am
0. Juni auf dem Holzhandelstag in Rostock vorgestellt
erden soll.
Bravo, denn illegale Holzimporte drücken die Preise
nd schwächen unsere Betriebe.
Was wäre die Charta ohne den Holzabsatzfonds?
uch er hat im Rahmen der Charta wichtige Aufgaben
bernommen, zum Beispiel wenn es um die Imagever-
esserung des Rohstoffes Holz und um Aus- und Fortbil-
ungsmaßnahmen für Architekten geht. Damit ist und
leibt der Holzabsatzfonds ein wichtiges Instrument un-
erer Strategie zur Stärkung der deutschen Forst- und
olzwirtschaft.
Sie sehen bei uns gibt es nicht nur Wachstum in den
äldern, sondern auch die Holz und Forstwirtschaft
lüht auf.
16532 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005
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Gustav Herzog (SPD): Die letzte Änderung des Ab-
satzfondsgesetzes haben wir im Frühjahr 2002 vorge-
nommen. Damals ging es um eine inhaltliche Erweite-
rung des gesetzlichen Auftrages aufgrund geänderter
gesellschaftlichen Rahmenbedingungen: Bei seiner Ar-
beit hat der Absatzfonds künftig die Belange des Ver-
braucherschutzes, Tierschutzes und Umweltschutzes zu
beachten. Diese Erweiterung der Aufgabenstellung war
verbunden mit einer personellen Verstärkung des Ver-
waltungsrates. Wir haben diese Reform gegen die Oppo-
sition durchgesetzt und ohne Probleme durch den Bun-
desrat gebracht. Etwas schwieriger war die Notifizierung
in Brüssel. Die Arbeit des Absatzfonds und seiner
Durchführungsgesellschaften wurde genau durchleuch-
tet und es waren nicht unsere Gesetzesänderungen, die
diese Arbeit verursachten.
Am 20. Januar diesen Jahres konnten wir dann lesen,
dass auch die CDU/CSU im Nachhinein unsere Be-
schlüsse für richtig hält: Die Pressemitteilung der Kolle-
gen Caesar, Klöckner und Mortler war überschrieben
mit: „Bisherige Regelungen des Absatzfonds- und Holz-
absatzsfondsgesetzes haben sich bewährt“. Recht haben
sie! Aber mit den Worten von Willy Brandt: Wer bewah-
ren will, muss verändern.
Heute beraten und beschließen wir über eine Vorlage
der Regierung, geändert durch einen Koalitonsantrag im
Ausschuss, sowie einen Entschließungsantrag der Koali-
tion, den wir gemeinsam tragen. Die Regierungsvorlage
dient der Umsetzung von Anregungen des Bundesrech-
nungshofes, darunter der Übertragung der Kosten für die
Abgabenerhebung auf die Fonds, sowie die Entflechtung
von Verwaltungsrat des Absatzfonds und des Aufsichts-
rats der Durchführungsgesellschaft CMA.
Wir haben als Koalition, gestützt durch die Ergeb-
nisse der Anhörung, einer Anregung des Absatzfonds
und zweier Besuche von mir persönlich bei der BLE in
Frankfurt Änderungen am Gesetzentwurf vorgenommen.
Meine Kollegin Hiller-Ohm wird zum Holzabsatzfonds
sprechen und die Verbesserungen bei der Bagatellgrenze
durch eine Verordnungsermächtigung und den Zahlungs-
aufschub bis 2007 erläutern. Beim Absatzfonds wird die
Fristverlängerung der Vorlage der Jahresabschlüsse für
mehr Klarheit sorgen.
In unserem Entschließungsantrag –, ich bedanke mich
dabei für die Unterstützung der Opposition –, fordern
wir von der Bundesregierung, verstärkt auf die Kosten
der Abgabenerhebung zu achten und Vereinfachungen,
zum Beispiel durch eine Meldepflicht, zu realisieren.
Wir haben intensiv über die Einbeziehung von nach-
wachsenden Rohstoffen, konkret von Rapsöl, diskutiert.
Leider konnten nicht alle Bedenken ausgeräumt werden
und ein gemeinsam getragener Beschluss kam wegen der
unterschiedlichen Auffassung über die Besetzung des
Verwaltungsrates nicht zustande. Dies bedauere ich.
Gerne hätte ich für das Agrarmarketing und die Markt-
berichterstattung dieses Neuland betreten.
Erlauben Sie mir, noch etwas Grundsätzliches zum
Thema Agrarmarketing zu sagen. Deutschland als wich-
tiges Agrarland und erfolgreicher Exporteur der Nah-
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ungsmittelindustrie braucht im internationalen Wettbe-
erb ein zentrales Agrarmarketing und eine umfassende
arktbeobachtung.
Leider ist im Blickfeld der öffentlichen Diskussion
ur die Imagekampagne der CMA, wie zum Beispiel
Bestes vom Bauern“. Über diese Kampagne kann man
icher unterschiedlicher Meinung sein. Ein realistisches
ild der deutschen Landwirtschaft und Ernährungswirt-
chaft wird damit nicht vermittelt. Aber die Milchwer-
ung im Rahmen des Fußballs halte ich für gelungen.
ie ist im Hinblick auf die WM 2006 steigerungsfähig.
ber vielleicht sollten wir Politiker uns bei der Beurtei-
ung von Werbung zurückhalten.
Ich schätze die Arbeit der CMA, zum Beispiel durch
chulungen des Verkaufspersonals und mit Material für
ultiplikatoren sowie bei Messeauftritten. Ohne die
ilfe der CMA wäre es vielen mittelständischen Betrie-
en der Ernährungswirtschaft kaum möglich, im Aus-
and neue Absatzmärkte zu erschließen. Richtig und
ichtig ist die starke Unterstützung von Wachstumsbe-
eichen wie den Öko-Produkten.
Deshalb zum Schluss: Deutschlands Landwirtschaft
raucht nicht weniger Abgaben für den Absatzfonds,
ondern mehr und professionelles Marketing.
Ihre Produkte brauchen sich in Deutschland und in
er Welt nicht zu verstecken; sie haben es verdient, wenn
ies durch ein gelungenes Marketing noch deutlicher
ird, als dies schon geschieht.
Cajus Julius Caesar (CDU/CSU): Absatzfonds und
olzabsatzfonds erhalten von der Wortwahl etwas Posi-
ives. Doch weit gefehlt, in diesem für die Zukunft zen-
ralen und wichtigen Bereich der Rohstoffpolitik, der
nergie und der gesamten Umweltpolitik geht die SPD/
rün-geführte Bundesregierung den Weg zurück.
Charta für Holz. Begann doch alles verheißungsvoll,
nserer Intention, der Intention der Union, die Beteilig-
en mit einzubeziehen, folgte die amtierende Bundesre-
ierung bei der Erarbeitung der Charta für Holz. Lange
auerte es, aber letztendlich war man sich mit den Betei-
igten der Forstwirtschaft und auch der Holzindustrie ei-
ig. Holz ist ein vielseitig verwendbarer Rohstoff als
austoff für die Holzindustrie und für die energetische
utzung. Formuliert wurde: mehr Holzverwendung. Die
undesregierung versprach unter dem Motto „Holznut-
ung schafft und sichert Arbeitsplätze“, mehr für die
utzung und Verwendung von Holz zu tun.
Bundesregierung bestätigt ihren Zickzack-Kurs mit
em Schritt zurück. So wird schon 14 Tage später mit
er Vorlage des Gesetzentwurfes zur Änderung des Ab-
atzfonds und Holzabsatzfondsgesetzes der Salto rück-
ärts vollzogen, allerdings bei dieser Bundesregierung
ichts Neues, Brechen von Versprechen, die noch kurz
orher den Betroffenen gegeben wurden, auch dies
ichts Neues, Mittelkürzungen und Rücknahme des
arketings, dass das Bundesministerium für Verbrau-
herschutz, Ernährung und Landwirtschaft in einer
ochglanzbroschüre unter dem Titel „Verstärkte Holz-
utzung“ zugunsten von Klima Lebensqualität Innova-
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005 16533
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(B) )
tion und Arbeitsplätzen noch kurz vorher voranbringen
wollte. Ausdrücklich ist der Holzabsatzfonds als eine
wichtige Komponente für die Förderung des Einsatzes
von Holz aufgeführt.
Bundesregierung gefährdet Zukunftstechnologie
durch die Vorlage dieses Gesetzentwurfes. Die Union
verurteilt dieses überfallartige, gegen vorherige Verspre-
chen vorgenommene Vorgehen.
CDU/CSU im Deutschen Bundestag setzen sich in
besonderer Weise für die Förderung des natürlich wach-
senden, nachhaltig produzierten Rohstoffes Holz ein.
Wir würden uns wünschen, dass die Bundesregierung
die große wirtschaftliche Bedeutung der Forst- und
Holzwirtschaft erkannt hätte. Holznutzung schafft und
sichert Arbeitsplätze. Die Forst-, Holz- und Papierwirt-
schaft macht jährlich einen Umsatz in der Bundesrepu-
blik Deutschland von immerhin 100 Milliarden Euro.
Nimmt man nur die Betriebe mit mehr als 20 Beschäftig-
ten, ergibt sich schon dann eine Beschäftigtenzahl von
über 1 Million. Allein in Nordrhein-Westfalen sind es
280 000. Aber in Nordrhein-Westfalen ist Ihnen ja mit
über 1 Million Arbeitslosen ohnehin der Arbeitsmarkt
völlig aus der Hand geglitten. Können wir nur alle mit-
einander hoffen, dass ab dem 22. Mai wieder eine solide
Politik für Bürger, Arbeitsplätze und wirtschaftliche Ent-
wicklung auf den Weg gebracht wird. Dies ist jedenfalls
das Ziel der Union.
Sie verkennen ganz offensichtlich: Mehr Holzver-
wendung bedeutet einen aktiven Beitrag zum Klima-
und Umweltschutz. Wald und Holz, ein Speicher von
1,2 Milliarden Tonnen CO2, ist ein wesentliches Elementfür den Klimaschutz. Sich beim Marketing des nachhal-
tig erzeugten heimischen Holzes zurückzunehmen und
gleichzeitig den Import von illegal eingeschlagenem
Tropenholz zuzulassen, das ist nicht die Politik der
Union. Wir, die Union, wollen nachhaltig bewirtschaf-
tete Wälder, wir, die Union, wollen aber auch, dass Holz
vermehrt als Baustoff eingesetzt wird. Wir, die Union,
sehen große Zukunftschancen auch im Energiesektor für
die nachwachsenden Rohstoffe. Dieser auf Zukunft aus-
gerichteten Politik der Union sollten Sie seitens der Re-
gierung mehr Aufmerksamkeit schenken, dann wären
Sie auf dem richtigen Weg.
Dass SPD und Grüne sich jetzt für die Abgabenerhe-
bung für die Beiträge, die von Land-/Forstwirten aufge-
bracht werden, auch noch ab sofort Personal- und Sach-
kosten erstatten lassen wollen, gefährdet wichtige
Vorhaben. Gefährdet werden insbesondere Forschungs-
und Entwicklungsvorhaben. Dies bedeutet Innovations-
feindlichkeit bei den nachwachsenden Rohstoffen.
Das Wenigste, was wir von dieser Regierung erwartet
hätten, ist, dass Sie im Gesetzentwurf eine Öffnungs-
klausel vorgesehen hätten. Diejenigen, die Abgaben zah-
len, sollen selbst darüber entscheiden können, wen sie
mit der Erhebung der Abgaben beauftragen sollen.
Solange diese Bundesregierung nur an sich selbst
glaubt und den wohlgemeinten Beiträgen anderer eine
Absage erteilt, wie die Anhörung bewiesen hat, wird sie
nicht erfolgreich sein.
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Für die Union, für uns von CDU und CSU hat Holz
us unseren deutschen Wäldern eine besondere ökologi-
che, ökonomische und soziale Bedeutung. Für uns wer-
en durch Holznutzung Arbeitsplätze geschaffen und ge-
ichert. Für uns ist Holz ein nachhaltiger Rohstoff für die
ukunft. Mehr Holzverwendung bedeutet für uns einen
ktiven Beitrag zum Klima- und Umweltschutz. Wir leh-
en den Gesetzentwurf der Bundesregierung ab, weil wir
aßnahmen für die nachhaltige Erzeugung von Holz-
rodukten wollen und uns für deren verstärkte Verwen-
ung einsetzen wollen. Dies ist die Politik der Union,
ies ist eine auf Zukunft ausgerichtete Politik.
Die Union hat mit ihrem Änderungsantrag zum Ge-
etzentwurf der Bundesregierung versucht, Korrekturen
u erreichen. Nennen darf ich unsere Intention, die zur
rhebung zu erstattenden Personal- und Sachkosten erst
b 2007 zu vollziehen. Dies ist insbesondere deshalb
ichtig, um eingegangenen Verpflichtungen, die über
as laufende Jahr hinausgehen, gerecht zu werden. Dies
st gerade für Forschung und Innovation von Bedeutung.
Die Union setzt sich zudem für Waldvermehrung ein.
ir wollen durch den standortgerechten Anbau von
aumarten in unterdurchschnittlich bewaldeten Gebie-
en Akzente setzen. Dies dient der Forstwirtschaft, aber
uch dem Umweltschutz. Waldvermehrung trägt zudem
rheblich zum Klimaschutz durch CO2-Bindung durchenken bei.
Der Holzabsatzfonds muss auch wesentlich dazu bei-
ragen, dass die zusammen mit Wirtschaft, Naturschutz
nd Gewerkschaften vereinbarte Charta für Holz endlich
mgesetzt wird. Den Verbrauch des heimischen Holzes
m 20 Prozent zu steigern, ist richtig. Der Pro-Kopf-Ver-
rauch von Holz und Holzprodukten aus nachhaltiger
roduktion von 1,1 m3 ist dringend steigerungsbedürftig.
ine ganze Reihe unserer Nachbarländer hat hier die
ase weit vor uns. Der Worte sind viele gemacht. Papier
st reichlich beschrieben. Taten sind gefragt, handeln Sie
ndlich! Die nachwachsenden Rohstoffe, insbesondere
as Holz, haben eine Chance verdient. Die Regierung
ollte sie ergreifen.
Bernhard Schulte-Drüggelte (CDU/CSU): Gestern
onnten wir erneut die Hiobsbotschaften in der Presse
esen: Deutschland steht vor dem tiefsten Haushaltsloch
einer Geschichte. 53 Milliarden Euro fehlen allein in
en nächsten vier Jahren. Kein Geld aufgrund der kata-
trophalen Haushaltslage. Klare Konzepte fehlen. – Dies
ind Ergebnisse rot-grüner Politik, und das nun schon
ber Jahre.
Bei ihrer Ziellosigkeit zeigt sich die Bundesregierung
llerdings sehr kreativ. Ihr neuester Streich sind die ein-
ebrachten Änderungen zum Absatzfonds- und Holzab-
atzfondsgesetz; ein weiterer Streich in der langen Kette
er land- und forstwirtschaftsfeindlichen Maßnahmen.
ot-Grün verkennt mit diesen Änderungen die Bedeu-
ung des Absatzfonds: Die deutsche Landwirtschaft und
er gesamte Agrarbereich besitzen mit der zentralen Ab-
atzförderung ein gutes Absatz- und Informationsinstru-
ent, das die Wettbewerbsfähigkeit landwirtschaftlicher
rodukte deutscher Erzeuger in Deutschland selbst, aber
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gerade auch auf den internationalen Märkten nachhaltig
verbessert.
Die Bundesregierung hat nun mit ihren Änderungs-
wünschen ein konzeptloses Kombimodell entwickelt.
Rot-Grün sucht mit dem Gesetzentwurf zur Änderung
des Absatzfonds mit der Erstattung der Personal- und
Sachkosten einen Weg, Löcher im Haushalt auszubes-
sern. Sie holt sich das Geld im Absatzfonds nun von den
Landwirten. Zusätzlich will die Bundesregierung die im
Absatzfonds verankerte gegenseitige personelle Verzah-
nung des Verwaltungsrates des Absatzfonds mit der
CMA entflechten.
Einerseits betont die Bundesregierung ausdrücklich,
dass der Gesetzentwurf nicht auf eine Verschiebung der
Kräfteverhältnisse im Verwaltungsrat des Absatzfonds
abzielt. Andererseits tut sie aber genau das, indem sie
beabsichtigt, die Zahl der Mitglieder im Verwaltungsrat
des Absatzfonds von 23 auf 20 zu reduzieren. Genau
diese Änderung bedeutet aber, dass sich das Stimmen-
verhältnis zulasten der Beitrag zahlenden Seite ver-
schiebt. Auf diese Weise werden die Landwirte als Bei-
tragszahler weiter in den Gremien an Mitspracherecht
und Einflussmöglichkeiten verlieren.
Bereits mit der letzten Änderung des Absatzfondsge-
setzes wurde der Verwaltungsrat um zwei Mitglieder
aufgestockt, die nicht unmittelbar der Land- und Ernäh-
rungswirtschaft zuzurechnen waren. Widerspruch und
Ideologie statt klarer Konzepte? Man könnte es auch ein-
fach das „Künast-Problem“ nennen. Der Bundesrat for-
muliert eindeutig: Das Mitspracherecht und die Einfluss-
möglichkeiten der Beitragszahler Landwirte dürfen
durch die geplante Entflechtung der Gremien nicht wei-
ter reduziert werden.
Dabei lag ein Kompromissvorschlag von SPD und
CDU auf dem Tisch: die Wahl eines Vertreters aus dem
Bereich der nachwachsenden Rohstoffe. Dieser Vor-
schlag war für die grüne Partei aber offenbar nicht an-
nehmbar. Diese Blockade ist nicht zu verstehen und die
Grünen bleiben eine stichhaltige Erklärung schuldig.
Da spricht die nordrhein-westfälische Landwirt-
schaftsministerin, Frau Höhn, letzte Woche vom Jahr-
hundert der erneuerbaren Energien und ihrer enormen
Bedeutung für die Landwirtschaft. Gleichzeitig fordert
die Regierungskoalition in Ihrem jüngsten Antrag mit
dem Titel „Rahmenbedingungen für die industrielle
stoffliche Nutzung von nachwachsenden Rohstoffen in
Deutschland schaffen“ unter anderem, Strategien zur
Schaffung nachhaltiger Produkte aus nachwachsenden
Rohstoffen und die Markteinführungsprogramme für die
stoffliche Nutzung von nachwachsenden Rohstoffen
fortzuführen.
Das ist doch eine rückwärtsgewandte Politik, wenn
sich die Grünen beim Absatzfonds gegen die Aufgaben-
erweiterung um nachwachsende Rohstoffe und einen
Vertreter aus dem Bereich nachwachsende Rohstoffe
sperren.
Aufgabe des Absatzfonds ist es doch, den Absatz und
die Verwertung von Erzeugnissen der deutschen Land-
und Ernährungswirtschaft zentral zu fördern. Er kann bei
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er Erschließung von Märkten, gerade auch im Zuge der
lobalisierung, auch auf Qualitätsverbesserung und auf
teigerung der Marktorientierung von Produkten hinwir-
en. Es wäre ein wichtiger Schritt gewesen, die allseits
nerkannten Vorteile von nachwachsenden Rohstoffen
urch die professionellen Möglichkeiten des Absatz-
onds im Marketing der Bevölkerung näher zu bringen.
ie Aufgabenerweiterung um einen so zukunftsweisen-
en Bereich wie den der nachwachsenden Rohstoffe er-
cheint daher sinnvoll und richtungweisend und eigent-
ich doch auch sehr „grün“.
Der Änderungsantrag der CDU/CSU ist zukunftsori-
ntiert und ich möchte die verständigen Mitglieder von
er SPD nochmals ermuntern, unserem Antrag zuzu-
timmen.
Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der
undesrechnungshof hat die Bundesregierung aufgefor-
ert, sich die Kosten, die der Bundesanstalt für Land-
irtschaft und Ernährung für die Erhebung der Beiträge
u den Absatzfonds der Agrar- und der Forst- und Holz-
irtschaft entstehen, erstatten zu lassen. Dies setzen wir
it diesem Gesetz zur Änderung des Absatzfonds- und
es Holzabsatzfondsgesetzes um.
Im Ergebnis gründlicher Beratungen haben wir ge-
enüber dem Gesetzentwurf der Bundesregierung einige
nderungen vorgenommen die allgemein auf Zustim-
ung stoßen. Beim Holzabsatzfonds sind es die beiden
olgenden:
Erstens ermächtigen wir die Bundesregierung, per
erordnung einen Mindestumsatz für die Beitragsveran-
agung festzulegen. Auf diese Weise kann die bisher gel-
ende Bagatellgrenze von 10 Euro angehoben und auf
ie aufwendige Erhebung von Kleinbeträgen verzichtet
erden. Dies ist ein Beitrag zum Bürokratieabbau.
Zweitens haben wird den Zeitpunkt, von dem ab die
osten zu erstatten sind, um anderthalb Jahre auf den
. Juli 2007 verschoben. Damit wird der Holzabsatz-
onds in die Lage versetzt, seine Haushaltsplanung auf
ie neuen finanziellen Rahmenbedingungen einzustel-
en. Diese Verschiebung ist angebracht, da es sich bei der
ostenerstattung um Mittel in Höhe von 7 Prozent des
aushaltes handelt – also um einen spürbaren Anteil der
erfügbaren Mittel. Wir wollen damit vermeiden, dass
ereits geplante Vorhaben gefährdet werden.
Beim Absatzfonds der Agrar- und Ernährungswirt-
chaft haben wir ebenfalls eine Änderung vorgenom-
en. Wir haben die Frist für die Einreichung des Jahres-
bschlusses und für die Entlastung des Vorstandes
erlängert. Damit tragen wir einer weiteren Empfehlung
es Bundesrechnungshofes Rechnung. Der Absatzfonds
uss somit zukünftig seinen Jahresabschluss nicht mehr
or seinen Durchführungseinrichtungen vorlegen. Dies
st ohne Frage sinnvoll.
Außerdem fordern wird die Bundesregierung in einer
ntschließung auf, die Beitragserhebung für die Fonds
urch die BLE von unabhängiger Stelle evaluieren zu
assen. Hiervon versprechen wir uns, etwaige Rationali-
ierungspotenziale bei der Beitragserhebung im Inte-
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005 16535
(A) )
(B) )
resse der Holzabsatzförderung ausschöpfen zu können.
Außerdem soll geprüft werden, ob und wie mit einer
Meldepflicht für die beitragspflichtigen Unternehmen
die Arbeit der BLE derart vereinfacht werden kann, dass
Kosten gesenkt bzw. die Einnahmen der Fonds gestei-
gert werden könnten.
Wir haben noch eine weitere Änderung des Gesetzes
erwogen, und zwar die Ausweitung der Marketingaktivi-
täten auf die nicht der Ernährung dienenden Ölsaaten.
Diese Ausweitung firmiert oft unter dem irreführenden
Arbeitstitel „Ausweitung auf nachwachsende Roh-
stoffe“. Wie Sie wissen, gibt es gegenüber der Auswei-
tung auf nachwachsende Rohstoffe erhebliche verfas-
sungsrechtliche und beihilfsrechtliche Bedenken. Es
wäre sehr fraglich gewesen, ob die EU-Kommission
diese Änderung notifiziert hätte. Sie machen es sich et-
was einfach, wenn Sie dies mit Verweis auf einen einzel-
nen Experten in der Anhörung wegwischen. Nichtsdes-
totrotz wären wir bereit gewesen, es auf diesen Versuch
ankommen zu lassen. Allerdings haben Sie dies mit ei-
ner für uns unannehmbaren Bedingung verknüpft: der
Wiederaufstockung der Zahl der Verwaltungsratssitze.
Unser Angebot, die Ausweitung auf Ölsaaten ohne die
Erhöhung der Sitzzahl in das Gesetz aufzunehmen, ha-
ben Sie ausdrücklich abgelehnt. Dies zeigt, dass Sie
nicht wirklich an der Sache, nämlich der Förderung der
nachwachsenden Rohstoffe interessiert sind.
Ich möchte aber alle Beteiligten dazu auffordern, die
Angelegenheit nicht zu hoch zu hängen: Die Auswirkun-
gen dieser Änderung wären sehr begrenzt gewesen. Der
Absatz des Biodiesels, für den ohnehin nicht hätte ge-
worben werden dürfen, entwickelt sich angesichts der
von Rot-Grün eingeführten Mineralölsteuerbefreiung
und des Ölpreisanstiegs derzeit zum Selbstläufer. Beson-
dere Aktivitäten der CMA bedarf es hier dank unserer
Politik nicht mehr.
Die verstärkte Nutzung nachwachsender Rohstoffe
werden wir mit anderen Mitteln weiter voranbringen. Da
haben wir schon eine Menge Arbeit geschafft, aber ohne
Frage noch erhebliche Anstrengungen vor uns. Ich bin
sehr optimistisch, dass wir hier Stück für Stück weiter-
kommen.
Im Ausschuss haben Sie für unseren Entschließungs-
antrag gestimmt. Sie konnten sich jedoch nicht dazu ent-
schließen, auch für den von den Koalitionsfraktionen,
vorgelegten Änderungsantrag zu stimmen. Haben Sie
dabei überlegt, welches Signal Sie damit an die Branche
der Forst- und der Holzwirtschaft geben? Die Regie-
rungskoalitionen entschließen sich, trotz angespannter
Haushaltslage im Interesse jeder Branche auf Einnah-
men zu verzichten, und Sie lehnen das ab. Ist das Ihr viel
beschworener Beitrag zur Charta für Holz?
Wir jedenfalls nehmen die Verpflichtung, die Charta
für Holz mit Leben zu erfüllen, ernst. Das zeigt die von
uns vorgenommene Änderung am Gesetzentwurf.
Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Deutschland
importiert deutlich mehr agrarische Produkte, als es ex-
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ortiert. Verschärfte Wettbewerbsbedingungen für un-
ere heimischen Betriebe durch unsinnige nationale Al-
eingänge der rot-grünen Bundesregierung führen dazu,
ass Marktanteile verloren gehen. Deshalb sind interna-
ionale und nationale Werbemaßnahmen für heimische
and- und forstwirtschaftliche Produkte notwendiger
enn je. Darüber besteht Einigkeit.
Sowohl der Absatzfonds wie auch der Holzabsatz-
onds wird von den Betrieben der Land-, Ernährungs-
nd Forstwirtschaft durch Zwangsbeiträge finanziert.
er das Geld gibt, bestimmt die Musik. Deshalb ist für
ie FDP unverzichtbar, dass die Beitragszahler die
ehrheit im Verwaltungsrat haben; denn dieser be-
chließt die Werbemaßnahmen, die durchgeführt wer-
en. Dies ist von Rot-Grün abgelehnt worden. Das von
ot-Grün vorgelegte Gesetz sieht dagegen eine Mehrheit
er Vertreter der verschiedensten gesellschaftlichen
ruppen vor. Eine solche Bevormundung von denen, die
ie Mittel aufbringen, durch die, die nichts als ihre Mei-
ung zur Verfügung stellen, lehnt die FDP ab.
Es besteht Einigkeit, dass der Absatzfonds auch Wer-
emaßnahmen für die Verwendung von Öl als nach-
achsendem Rohstoff und nicht nur als Lebensmittel be-
eitstellen sollte. Dies wäre konsequent; denn die
lmühlen zahlen schon heute Beiträge zum Absatz-
onds. Es ist leider nicht gelungen, dies zu ändern, da die
rünen die personelle Berücksichtigung dieser Aufga-
enerweiterung aus ideologischen Gründen verweigert
aben. Wir erkennen an, dass der Kollege Gustav
erzog, SPD, sich sehr für eine gemeinsame Lösung
ingesetzt hat. Für die FDP wäre es sinnvoll gewesen,
enn die UFOP einen Vertreter in den Verwaltungsrat
ntsenden würde.
Die Novellierung des Holzabsatzfondsgesetzes muss
hren Beitrag zum Erfolg der Charta für Holz leisten. Die
undeswaldinventur hat ergeben, dass in Deutschland
ehr viel mehr Holz pro Jahr nachwächst, als Holz ge-
chlagen wird. Das ist ein ungenutztes Potenzial, das im
nteresse der Schaffung von Arbeitsplätzen, der Stär-
ung der Nachhaltigkeit unserer Wirtschaft wie auch der
italität unserer Wälder genutzt werden sollte. Der
olzabsatzfonds kann dazu einen Beitrag leisten. Der
mstellung der Finanzierung der Beitragserhebung aus
em Fonds hat auch die Arbeitsgemeinschaft der Wald-
esitzerverbände zugestimmt Das ist anerkennenswert.
eshalb ist es gut, dass nun eine schrittweise Umstel-
ung der Finanzierung der Beitragserhebung erfolgen
oll. Gleichzeitig setzt die FDP sich dafür ein, dass die
agatellgrenze von gegenwärtig 10 Euro auf beispiels-
eise 50 Euro angehoben wird. So würde unproduktive
ürokratie gespart und es stünde mehr Geld für Werbe-
aßnahmen zur Verfügung.
nlage 10
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Langfristiges Ge-
samtkonzept zur Reduzierung der Schadstoff-
16536 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005
(A) )
(B) )
belastung in der Luft notwendig (Tagesord-
nungspunkt 15)
Astrid Klug (SPD): Seit dem 1. Januar 2005 gelten
europaweit die Grenzwerte der so genannten Feinstaub-
Richtlinie, der 1. Tochterrichtlinie der Luftqualitätsrah-
menrichtlinie der EU.
Die Grenzwerte dienen dem Schutz der Gesundheit.
Denn Feinstaub macht krank. Rußpartikel sind Ursache
für Atemwegserkrankungen, Herz-Kreislauf-Störungen
und Asthma. Außerdem gelten sie als krebserregend. Be-
troffen sind vor allem ältere und empfindliche Menschen
sowie Kinder. Besonders gefährlich sind dabei nicht die
großen Partikel, die unsere Nase noch abfangen kann.
Weitaus gefährlicher sind die ultrafeinen Partikel, die
man weder sehen noch riechen noch schmecken kann.
Sie sind so klein, dass das menschliche Immunsystem
überfordert ist und sie über die Lunge und die Blutbahn
in den Organismus eindringen und dort Schaden anrich-
ten.
Die Weltgesundheitsorganisation WHO, die EU-
Kommission und die Umweltbehörde EPA der USA sind
sich einig, dass Feinstaub weltweit zu den Gesundheits-
problemen mit dem größten Handlungsbedarf zählt.
Die WHO schätzt, dass in Europa jährlich 725 000
Lebensjahre durch Rußpartikel verloren gehen. Die Le-
benserwartung sinkt durch Rußpartikel in Deutschland
um 10,2 Monate, mehr als im europäischen Schnitt. Laut
einer aktuellen Studie der EU-Kommission sterben in
Deutschland 65 000 Menschen vorzeitig an den Folgen
der Feinstaubbelastung.
Die EU-Kommission hat mit ihrer Luftreinhaltepoli-
tik schon in den 90er-Jahren auf die zu hohe Schadstoff-
belastung reagiert. Die Luftqualitätsrahmenrichtlinie mit
ihren vier Tochterrichtlinien und die EU-Abgasnormen
für Kraftfahrzeuge sorgen seit Jahren für eine bessere
Luft. Auch die Staubbelastung ist zurückgegangen. Al-
lerdings waren die Maßnahmen bisher in erster Linie auf
die Grobpartikel fokussiert und die Grenzwerte entspre-
chend nach Gewicht bemessen. Inzwischen weiß man,
dass die Feinstpartikel die Gesundheit viel massiver an-
greifen. Das haben Toxikologen und Epidemiologen in
einem Expertengespräch des Umweltausschusses diese
Woche nochmals sehr deutlich zum Ausdruck gebracht
und dabei auch die Hauptquellen benannt: Neben Indus-
trieanlagen und Hausbrand sehen sie den Verkehr als
wichtigsten Verursacher. Es sind insbesondere die Ab-
gase aus Dieselfahrzeugen, die verantwortlich für die ul-
trafeinen Partikel sind.
Es ist genau dieser Feinstaub, dessen Immissions-
grenzwert in unseren Innenstädten, vor allem an stark
befahrenen Straßen, massenhaft überschritten wird. Ma-
ximal an 35 Tagen dürfen Städte seit dem 1. Januar 2005
den Tagesmittelwert von 50 Mikrogramm pro Kubikme-
ter überschreiten. Städte wie München, Stuttgart und
Düsseldorf lagen aber bereits im März über der Belas-
tung, die für das gesamte Jahr zulässig ist.
Die EU-Feinstaub-Richtlinie wurde bereits 1999 be-
schlossen und 2002 in nationales Recht umgesetzt. 2003
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nd 2004 mussten die Länder bereits messen und bei zu
oher Belastung Luftreinhaltepläne erstellen. Die Richt-
inie und ihre Grenzwerte sind also nicht vom Himmel
efallen; alle wussten seit langem, was auf sie zurollt.
Städte, die seit dem 1. Januar 2005 die Grenzwerte
icht einhalten können, müssen Aktionspläne erstellen –
it ganz konkreten Maßnahmen bis hin zu Fahrverbo-
en, um die Anwohner von stark belasteten Straßen zu
chützen. Städte und Länder müssen diese Herausforde-
ung annehmen und ihren Handlungsspielraum aus-
chöpfen. Wir im Bundestag und die europäische Politik
üssen sie dabei unterstützen.
Was müssen, was können wir tun? Das von der CDU/
SU in ihrem Antrag geforderte Gesamtkonzept ist
urch die Luftreinhaltepolitik bereits angelegt. Mit den
ochterrichtlinien der EU-Luftqualitätsrahmenrichtlinie
ind die Vorgaben und Instrumente vorhanden, um
chadstoffe, auch die Feinstaubbelastung zurückzufüh-
en. Mit ihrer Umsetzung in nationales Recht hat der
und den Rahmen vorgegeben, den die Länder im Inte-
esse des Gesundheitsschutzes nutzen und mit Maßnah-
en füllen müssen.
In Industrieanlagen sind Filter bereits Standard. Aku-
en Handlungsbedarf gibt es beim Verkehr. Der Anteil
er Dieselfahrzeuge am Gesamtfahrzeugmarkt steigt seit
ahren und damit auch die Feinstaubbelastung aus Kraft-
ahrzeugen. Mittlerweile ist jedes zweite neu zugelas-
ene Fahrzeug ein Dieselfahrzeug, was gewollt ist, denn
ieselautos sind sparsam und ressourcenschonend und
amit gut für den Klimaschutz. Aber sie haben mit dem
einstaub eine Schattenseite.
Die Technik, um Feinstaub aus Fahrzeugen fast kom-
lett zu eliminieren, gibt es mit dem Partikelfilter. Mit
mg/km hat die EU-Kommission für 2010 neue strenge
renzwerte für Diesel-PKW angekündigt. Nach heuti-
em Stand der Technik ist dieser Grenzwert nur mit dem
inbau eines Partikelfilters zu erreichen. Eine Fort-
chreibung der Grenzwerte mit einer klaren Orientierung
m Stand der Technik brauchen wir auch für leichte und
chwere Nutzfahrzeuge.
Das Bundeskabinett hat gestern ein Förderprogramm
eschlossen, mit dem Fahrzeuge, die den neuen PKW-
renzwert vorzeitig erfüllen, über die Kfz-Steuer entlas-
et werden sollen.
Wir unterstützen ausdrücklich den Ansatz, sowohl
eu- wie Altfahrzeuge zu fördern. Um den finanziellen
ufwand und den Effekt für saubere Luft in die best-
ögliche Relation zu bringen, wünsche ich mir eine be-
onders ambitionierte Förderung für die Altfahrzeuge,
ie noch heute als Dreckschleudern unterwegs sind und
achgerüstet den strengsten Grenzwert von 5 mg/km er-
eichen.
Wir fordern die Länder auf, sich mit dem Bund
chnell auf ein Förderkonzept zu einigen und sowohl für
utokäufer als auch für Automobilunternehmen und de-
en Zulieferer Planungssicherheit und klare Rahmenbe-
ingungen zu schaffen. Die Länder profitieren von dem
öheren Kfz-Steueraufkommen, das sich aus dem wach-
enden Dieselanteil ergibt. Die Erwartung an die Länder,
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005 16537
(A) )
(B) )
mit einem kleinen Teil davon den gesundheitsschädli-
chen Feinstaub zu bekämpfen, ist legitim.
Es ist allemal intelligenter, mit innovativen Techniken
Fahrzeuge sauber zu machen, statt Fahrverbote zu erlas-
sen oder mit Verkehrslenkungsmaßnahmen Probleme
nur zu verlagern.
Es war kontraproduktiv und schädlich, dass sich viele
deutsche Automobilunternehmen der Filterdiskussion
lange Zeit verweigert haben. Umso erfreulicher ist es,
dass es in Deutschland engagierte Mittelständler gibt,
die die Zeichen der Zeit rechtzeitig erkannt und inves-
tiert haben. Die wachsende Liste von deutschen Fahr-
zeugmodellen mit Partikelfiltern zeigt, dass hier eine
Entwicklung an Fahrt gewonnen hat, die unumkehrbar
ist und erheblich zum Gesundheitsschutz beitragen wird.
Damit machen wir einen wichtigen Schritt in Rich-
tung saubere und gesunde Luft, dem aber noch weitere
Schritte folgen müssen. Denn – auch das betonen die Ex-
perten – es gibt keine Grenzwerte, unter deren Schwelle
die Feinstaubbelastung nicht gesundheitsschädlich wäre.
Deshalb müssen wir – wie in der Vergangenheit – alle ef-
fektiven Möglichkeiten nutzen, um die Schadstoffbelas-
tung zurückzuführen. Natürlich sind dabei alle Quellen
zu berücksichtigen und Innovationen zu nutzen. Dazu
gehört zum Beispiel auch eine Kraftstoffstrategie, die
auf emissionsarme Kraftstoffe setzt, wie in der nationa-
len Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung ange-
legt.
Von einem fehlenden Gesamtkonzept kann man also
nicht ernsthaft sprechen. Wichtig ist stattdessen, dass
alle Akteure – von der EU über den Bund und die Län-
der bis zu den Kommunen, von der Industrie bis zum
Verbraucher – ihrer Zuständigkeit und Verantwortung
gerecht werden und zur Lösung beitragen.
In Zukunft wird es darauf ankommen, aus der Er-
kenntnis, dass Feinststäube besonders gefährlich sind,
die richtigen Schlüsse zu ziehen. Wir brauchen deshalb
eine Weiterentwicklung der Grenzwerte und der Mess-
methoden – weg von Partikeln, die nach Gewicht gemes-
sen werden, hin zu Partikeln, die differenziert nach ihrer
Gefährlichkeit gezählt werden.
Wenn wir wissen, dass für den heutigen Grenzwert
ein Partikel mit 8 Mikrometer Durchmesser genauso viel
zählt wie 512 Millionen ultrafeine Partikel mit 0,01 Mi-
krometer, jeder einzelne der 512 Millionen Feinstparti-
kel aber gesundheitsschädlicher ist als der eine große
Partikel, dann weiß man, dass hier noch viel Handlungs-
bedarf ist. Das ist tatsächlich eine Frage, die politisch auf
europäischer und bundespolitischer Ebene gelöst werden
muss.
Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU): Bundestag und
Bundesrat haben bereits im September 2002 die so ge-
nannte EU-Feinstaubrichtlinie aus dem Jahr 1999 in
deutsches Recht umgesetzt. Die CDU/CSU-Fraktion hat
allerdings gegen die Änderung des BImschG gestimmt,
da es sich aus unserer Sicht einseitig auf den Verkehrs-
sektor konzentriert und ein Gesamtkonzept zur Luftrein-
haltung vermissen lässt. Dennoch scheinen die ab dem
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. Januar 2005 geltenden Grenzwerte für Feinstaubpar-
ikel von 50 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft, die ma-
imal an 35 Tagen pro Jahr überschritten werden dürfen,
lle Beteiligten total überrascht zu haben und eine akute
efahr für die öffentliche Gesundheit zu sein – jeden-
alls wenn man der aufgeregten öffentlichen Diskussion
ber die Ostertage dieses Jahres Glauben schenken darf.
Dabei darf man nicht außer Acht lassen: Die Luftver-
chmutzung in Deutschland hat seit 1990 um mehr als
0 Prozent abgenommen. Dennoch: Die Anhörung von
enommierten Gesundheitsexperten im Umweltaus-
chuss des Bundestages am 11. Mai hat gezeigt: Ultra-
einstaub, das heißt insbesondere Stäube mit einer Größe
nter 2,5 Mikrometer, haben eine große gesundheitsge-
ährdende Wirkung.
Fast unglaublich ist daher, dass alle drei Wissen-
chaftler eine desolate, also nicht existente öffentliche
orschungsförderung beklagen. Seit Jahren liegen drin-
end erforderliche Untersuchungen zu Wechselwirkun-
en von Stäuben mit anderen krank machenden Stoffen
n der Luft sowie ihre Auswirkungen auf besonders ge-
ährdete Menschen, wie Senioren, Kinder und Kranke,
uf Eis. Hier hat die Bundesregierung im Rahmen des
orsorgenden Gesundheitsschutzes auf nationaler wie
uf EU-Ebene dringenden Handlungsbedarf.
Ebenso fehlt ein abgestimmtes und langfristiges Ge-
amtkonzept zur Reduzierung von Feinstaub, gemein-
am mit – und nicht lediglich auf Kosten von – Ländern,
ommunen und Automobilwirtschaft. Denn wir wissen:
aximal knapp die Hälfte der Feinstaubbelastung ent-
teht lokal und der überwiegende Anteil stammt von
eit entfernten Entstehungsorten. Hier ist viel kostbare
eit verschenkt worden. Viele der nunmehr hastig erwo-
enen Maßnahmen helfen zwar kurzfristig die Fein-
taubbelastung in den betroffenen Gebieten zu senken.
ie verlagern das Problem zumeist aber nur und stellen
amit keine nachhaltige Lösung dar. So verdrängen Stra-
ensperrungen lediglich den Verkehr in die nähere Um-
ebung. Citymaut und Fahrverbote für Dieselfahrzeuge
chaden hingegen nur der innerstädtischen Wirtschaft
nd verlagern das Problem in die Peripherie der Städte.
Dass die Bundesregierung gestern ein Konzept für die
örderung von Dieselfiltern vorgelegt hat, ist überfällig.
unmehr muss sie auch den notwendigen zweiten
chritt tun und sich gemeinsam mit den Ländern auf eine
ernünftige und finanzierbare Umsetzung einigen.
Zu dem nach unserer Überzeugung notwendigen Ge-
amtkonzept gehören aber auch der vermehrte Einsatz
lternativer Kraftstoffe, wie zum Beispiel von Biodiesel,
urch den in modernen Motoren die Partikelemission um
is zu 40 Prozent gesenkt werden kann. Besonders dem
öchstwertigen Dieselkraftstoff BTL, auch Sundiesel ge-
annt, sowie dem Einsatz von gasbetriebenen Bussen im
PNV sollte daher die Zukunft gehören.
Neben der Feinstaubbelastung durch Autoabgase gibt
s aber noch beachtliche weitere Emissionsquellen, die
achhaltig reduziert werden müssen: den Abrieb von
remsen, Reifen und Straßenbelag, die Aufwirbelungen
16538 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005
(A) )
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von Staub sowie Partikel aus Katalysatoren in Form von
Edelmetallen und Keramikfasern.
Daher müssen intelligente Verkehrskonzepte entwi-
ckelt werden. Da die Fahrbedingungen großen Einfluss
auf den Kraftstoffverbrauch haben, ist der Ausbau von
computergestützter Ortslenkung, wie zum Beispiel
Wechselwegweiser und grüne Wellen, voranzutreiben.
Auch der gezielte Ausbau von hoch belasteten Straßen,
die Schließung von Lücken im Fernstraßennetz und der
Ausbau von Ortsumgehungen bei übermäßig belasteten
Ortsdurchfahrten spielen hierbei eine wichtige Rolle.
Der Verkehrssektor ist jedoch mit einem Anteil von
etwa 25 Prozent längst nicht der einzige Feinstaubemit-
tent in Deutschland. Vielmehr haben auch Hausbrand,
Heiz- und Kraftwerke sowie die Industrie beträchtliche
Anteile. Die Bundesregierung ist daher auch hier drin-
gend zum Handeln aufgefordert. Zum Beispiel ist die
Modernisierung von Heizungsanlagen in öffentlichen
und privaten Gebäuden und Häusern voranzubringen.
Dies ist beispielsweise über eine Verbesserung der Rah-
menbedingungen der Kreditprogramme der KfW oder
durch Investitionszuschüsse möglich. Ein von CDU/
CSU schon lange gefordertes Anreizprogramm zur Wär-
mesanierung würde zudem den Heizbedarf signifikant
senken.
Gemeinsames Handeln ist also gefordert. Der Schutz
der Gesundheit und die Vorgaben des EU-Rechts, die ab
2010 noch strengere Grenzwerte für Feinstaub- und
Stickstoffdioxid vorsehen, verbieten eigentlich ein
Schwarzes-Peter-Spiel, wie die Bundesregierung es mit
dem Kabinettsentwurf und damit dem Griff in die Kas-
sen der Länder weiterspielt. Herr Trittin, legen Sie end-
lich ein mit allen Beteiligten abgestimmtes Gesamtkon-
zept vor.
Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Der Umweltausschuss des deutschen Bundestages hat
gestern in seiner Sitzung in Dessau führende Mediziner
der Toxikologie, Pneumologie und Epidemiologie zum
Thema Gesundheitsgefährdung durch Feinstäube gehört.
In den überaus instruktiven Beiträgen formulierten die
Experten unisono drei Kernaussagen:
Erstens. Feinstäube in der Luft bergen eine Reihe von
Gesundheitsgefährdungen und sind derzeit die größte
Herausforderung in der Luftreinhaltung.
Zweitens. Die Ergebnisse weltweiter wissenschaftli-
cher Studien belegen die Gesundheitsbeeinträchtigungen
durch Feinstäube zweifelsfrei.
Drittens. Die schnellste und effizienteste Reduktion
der Feinstäube im Verkehr ist durch die verfügbare Fil-
tertechnik zu erreichen und weitere Maßnahmen müssen
dem folgen.
Feinstäube verursachen und verschärfen Atemwegser-
krankungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Asthma so-
wie andere Allergien und können Krebs verursachen.
Laut einer aktuellen Studie der EU-Kommission sterben
in Europa mehr als 288 000 Menschen – davon allein in
Deutschland 65 000 – vorzeitig an den Folgen der Fein-
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taubbelastung. Deutlich wurde auch: Wir können beim
ampf gegen Feinstaub nicht bei den größeren Parti-
eln, PM 10, stehen bleiben; denn Partikel kleiner als
M 2,5 können über die Lungenbläschen in den Orga-
ismus gelangen und viel gefährlichere Wirkungen ent-
alten als die größeren. Trotz wissenschaftlicher Klarheit
m Grundsatz bleiben noch zahlreiche Fragen offen. Wir
üssen die Forschung zu Feinstäuben ausweiten, um
ehr über die Größe, Oberfläche, Zusammensetzung
nd Wirkung der Stäube im gesunden menschlichen Or-
anismus und bei gefährdeten Personengruppen – wie
ranken, Alten und Kindern – zu erfahren. Daher wird
ns das Problem Feinstaub noch lange beschäftigen und
ir stehen erst am Anfang.
Jedoch, um auf den hier zu behandelnden Antrag der
DU/CSU zu kommen, ist es ja nicht so, dass wir noch
ichts unternommen haben gegen die Belastung mit
einstäuben. Wir waren nicht untätig, sondern arbeiten
chon seit mehren Jahren daran, die Belastung mit Fein-
taub einzudämmen.
Die Feinstaubquellen sind vielfältig. Feinstäube oder
eren Vorläufer entstehen vor allem durch Verbren-
ungsprozesse in Feuerungsanlagen in Industrie, Ge-
erbe, Haushalten, Kraft- und Fernheizwerken. Sogar
ie Landwirtschaft trägt mit der Intensivtierhaltung,
mmoniak, zur Bildung von Vorläufersubstanzen für
einstäube bei. Wenn der Straßenverkehr auch lediglich
ine der Quellen ist, so ist er doch eindeutig jene Quelle,
ie für die Spitzenbelastungen und damit die aktuellen
renzwertüberschreitungen in den Innenstädten verant-
ortlich ist.
Während die Union in einem Antrag, der neben der
ekannten Prosa zur Luftreinhalterahmenrichtlinie we-
ig Substanz, viele Allgemeinplätze und lediglich For-
erungen enthält, die zum Gutteil schon erfüllt sind,
ährend in den Kommunen und Ländern immer noch
iskutiert wird, wann man Luftreinhalte- und Aktions-
läne erstellt, während die Automobilwirtschaft, vor al-
em VW, jahrelang wichtige Neuerungen blockiert hat,
at die rot-grüne Bundesregierung schon lange die rich-
igen Instrumente gegen den gesundheitsschädlichen
einstaub in unseren Städten auf den Weg gebracht und
ie Voraussetzungen dafür geschaffen, innerhalb der
ächsten Dekade die Feinstaubbelastung deutlich zu sen-
en.
Die Bundesregierung hat bereits 2002 die Rechts-
rundlagen der Luftreinhaltung den europäischen Vorga-
en angepasst: Die Umsetzung in nationales Recht er-
olgte 2002 mit dem 7. Gesetz zur Änderung des
undes-Immissionsschutzgesetzes, BImSchG, und der
nderung der 22. Verordnung zur Durchführung des
undes-Immissionsschutzgesetzes, 22. BImSchV. Die
egelungen verpflichten die zuständigen Behörden der
änder, die Luftschadstoffbelastung zu messen und bei
berschreitung der Grenzwerte inklusive gewisser Tole-
anzen Luftreinhaltepläne zu erstellen, die langfristige
nd übergreifende Maßnahmen aufzeigen, um die
renzwerte dauerhaft einhalten zu können. Festgelegt
urde hier, dass dem Luftreinhalteplan dann ein Akti-
nsplan mit kurzfristig wirksamen Maßnahmen zur Seite
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005 16539
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gestellt werden muss, wenn die ab 1. Januar 2005 gelten-
den Grenzwerte der 22. Bundes-Immissionsschutzver-
ordnung, BImSchV, überschritten werden. Ebenso wurde
das Gebot verankert, Maßnahmen in den Luftreinhalte-
plänen und Aktionsplänen gegen alle Emittenten zu rich-
ten, die zur Überschreitung der Grenzwerte beitragen.
Dies kann ebenso die vorübergehende Stilllegung von
Industrieanlagen oder Kleinfeuerungsanlagen bedeuten
wie Fahrbeschränkungen im Verkehr. Im Bundes-Immis-
sionsschutzgesetz, § 40, wurden neue Ermächtigungs-
grundlagen für Kommunen und Länder geschaffen, um
entsprechende Verbote oder Beschränkungen anzuord-
nen. Die bundesstaatliche Ordnung regelt in Deutsch-
land die Zuständigkeiten in der Luftreinhaltung: Der
Bund gibt dabei den Rahmen vor und die Länder setzen
die Maßnahmen um. Die Handlungsgrundlagen für die
Länder und Kommunen sind geschaffen; jetzt liegt es an
den Ländern, diese für die Verbesserung der Luftqualität
zu nutzen. Die anstehenden Aufgaben sind den zuständi-
gen Behörden der Länder spätestens seit 2002 bekannt.
Auf europäischer und internationaler Ebene wurden
die Anstrengungen zur Reduktion der Partikel und ihrer
Vorläufer darüber hinaus verschärft. In der so genannten
NEC-Richtlinie, 2001/81/EG, werden – vergleichbar
dem Emissionshandel – Vorgaben für nationale Höchst-
mengen, Emissionshöchstfrachten, für Luftschadstoffe
wie SO2, NOx, VOC und NH3 festgelegt. Das nicht nurfür Europa, sondern auch für Nordamerika und Kanada
verbindliche UN-ECE-Protokoll zielt auf die Reduzie-
rung großräumiger europäischer Schadstofftransporte,
Ferntransporte, durch Vereinbarung nationaler Emissi-
onshöchstmengen. Rot-Grün hat sowohl die NEC-Richt-
linie als auch Teile der Ozon-Richtlinie, 33. BImSchV,
und das Multikomponentenprotokoll der UN-ECE um-
gesetzt. Weiter hat die Bundesregierung mit einer Reihe
von Neuregelungen strengere Vorgaben für den Betrieb
von Industrieanlagen und Feuerungsanlagen festgelegt.
Die Großfeuerungsanlagen-Verordnung, 13. BImSchV,
und die Technische Anleitung, TA, Luft formulieren an-
spruchsvolle immissionsschutzrechtliche Standards zur
Luftreinhaltung.
Daran kann man ablesen, dass wir uns nach vier Jah-
ren aktiven Handelns in der Luftreinhaltepolitik nicht
den Vorwurf machen lassen müssen, wir hätten kein Ge-
samtkonzept, auch wenn noch vieles zu tun bleibt.
Sie waren bei allen wichtigen Schritten dabei, schließ-
lich sitzen Kollegen und Kolleginnen von der CDU/CSU
im Umweltausschuss. Ich erinnere mich gut an einzelne
Abstimmungen. So haben wir die 22. BImSchV einstim-
mig verabschiedet, aber beim 7. Gesetz zur Änderung
des Bundes-Immissionsschutzgesetzes haben die Damen
und Herren von der Union unter anderem mit dem Argu-
ment dagegen gestimmt, wir würden über die EU-Vorga-
ben hinausgehen.
Sie raten uns in Ihrem Antrag dringend zur besseren
Kooperation mit den Ländern und der Industrie. Doch
etwa bei der Großfeuerungsanlagen-Verordnung hatten
Sie zunächst große Probleme, vor allem aber einzelne
Bundesländer mit großen Raffineriestandorten und die
betreibende Industrie mit dem Staubgrenzwert. Erst nach
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echt zähem Ringen sind wir hier zu einer Einigung ge-
ommen.
Wir haben jenseits von Fahrverboten Maßnahmen im
erkehr ergriffen; auch das sollten Sie zur Kenntnis neh-
en. Das Bundesumweltministerium fördert in mehreren
odellprojekten höhere Umweltstandards bei Linienbus-
en und bei Lieferfahrzeugen. Durch Erdgasantriebe und
esonders schadstoffarme Dieselmotoren wurde die vor-
ezogene Markteinführung dieser Umweltstandards er-
eicht. Mit der Einführung der LKW-Maut ab dem 1. Ja-
uar 2005 werden zudem „Stinker“ 40 Prozent mehr
aut zahlen müssen als moderne LKW. Zudem wird ein
eil des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene
erlagert werden.
Mit der ökologischen Steuerreform wurde ein günsti-
er Mineralölsteuersatz für Erdgas als Kraftstoff bis
020 festgeschrieben, um die Markteinführung von Erd-
asautos zu ermöglichen. Erdgasautos haben kein Parti-
elproblem. Sie sind die wirtschaftliche Alternative zum
ieselauto. 500 Tankstellen gibt es in Deutschland
chon. Bis 2007 sollen es 1 000 werden. Auch die For-
chung wird ausgeweitet, wie die Einrichtung eines För-
erschwerpunktes für partikel- und stickoxidarme Nutz-
ahrzeuge im EPR-Umwelt- und Energiesparprogramm
er KfW Ende 2004 zeigt.
Es ist maßgeblich der Initiative der Bundesregierung
u verdanken, dass die PKW-Abgasgrenzwerte mit der
uro 5 und für LKW EURO IV verschärft werden und
U-weit eine hochwirksame Abgasnachbehandlung oder
ergleichbare technische Lösungen für Diesel auf den
eg gebracht werden.
Das zentrale, weil schnell wirksame Instrument zur
eduktion der Spitzenbelastungen aus dem Verkehr ist
as gestern ins Kabinett eingebrachte Fördergesetz, Kfz-
ovelle, zur Förderung von Dieselfahrzeugen mit Parti-
elfilter über einen Bonus bei der Kfz-Steuer.
Das veränderte Kfz-Steuergesetz bedarf der Zustim-
ung des Bundesrates. Mit einem Gesamtvolumen von
,5 Milliarden Euro für das Förderprogramm ist den
ändern ein faires, bezahlbares Angebot unterbreitet
orden. Schließlich verfügen die Länder aufgrund des
unehmenden Dieselaufkommens bis 2015 über Mehr-
innahmen aus der Mineralölsteuer von circa 11 Milliar-
en Euro. Überdies haben die Länder im Zeichen der
uftreinhaltung in den vergangenen Jahrzehnten bereits
n der Vergangenheit stets Förderprogramme für das
rühzeitige Erfüllen neuer Abgasnormen aufgelegt.
Angesichts beginnender Klageverfahren zur Einhal-
ung der Grenzwerte sind die Länder und Kommunen
un angehalten, mit raschen und wirksamen Maßnahmen
icht nur Schadenersatzklagen betroffener Bürger, son-
ern auch Bußgelder aus einem EU-Vertragsverletzungs-
erfahren abzuwenden. Eine Reduktion der Rußpartikel
us Dieselfahrzeugen ist für viele Ballungszentren ein
ntscheidender Beitrag zur Einhaltung der geltenden
trengeren Grenzwerte nach der Luftqualitätsrahmen-
ichtlinie.
Liebe Kolleginnen und Kollegen aus der CDU/CSU-
raktion, Sie können Ihren Beitrag im Kampf gegen den
16540 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005
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Feinstaub und zur Stärkung des rot-grünen Gesamtkon-
zepts für die Reduktion von Feinstaub leisten, indem Sie
die unionsgeführte Mehrheit im Bundesrat für das För-
dergesetz zum Partikelfilter gewinnen.
Birgit Homburger (FDP): Gestern hat das Bundes-
kabinett ein Gesetz zur Förderung von besonders parti-
kelreduzierten PKWs auf den Weg gebracht. Über die
Kfz-Steuer sollen damit Anreize für solche Diesel-
PKWs geschaffen werden, die weniger Rußpartikel aus-
stoßen und so zur Verminderung der Feinstaubbelastung
insbesondere in Ballungsgebieten beitragen. Vorgesehen
ist eine befristete Kfz-Steuer-Befreiung, die die Länder
– wenn die Regelungen Gesetzeskraft erlangen – mit
Einnahmeausfällen von voraussichtlich insgesamt 1,2 Mil-
liarden Euro konfrontieren wird. Zu hoffen ist, dass die
in den vergangenen Wochen mehr als hitzig geführte De-
batte über die Feinstaubbelastung in deutschen Innen-
städten sich ein wenig beruhigt und die hysterischen
Züge verliert, die sie zwischenzeitlich angenommen
hatte. Dies und ein Ende der unsäglichen Verunsiche-
rung der Fahrer und Käufer von Diesel-PKWs könnten
ein Ergebnis des Vorschlags der Bundesregierung sein.
Wir dürfen uns aber nichts vormachen. Es wäre ein Irr-
tum zu glauben, dass das Feinstaubproblem bereits mit
der steuerlichen Förderung abgasarmer PKWs gelöst
wäre.
Keine Frage ist, dass eine zu hohe Feinstaubbelastung
ein ernst zu nehmendes Gesundheitsrisiko darstellen
kann. Selbstverständlich ist auch, dass der Staat handeln
muss, wenn ein solches Risiko und sinnvolle Möglich-
keiten zu dessen Beseitigung erkannt wurden.
Ein Blick auf die Tatsachen ist hilfreich, wenn man
allzu leichtfertige Verharmlosungen ebenso vermeiden
will wie die Übertreibungen der vergangenen Tage und
Wochen. Die Gefährlichkeit von Staub hängt im Wesent-
lichen von drei Eigenschaften ab: Größe, Beschaffenheit
bzw. Zusammensetzung der Partikel und schließlich ihre
Herkunft. Insbesondere für gesundheitlich weniger wi-
derstandsfähige Menschen ist Staub umso gefährlicher,
je kleiner die Partikel sind, weil insbesondere ultrafeiner
Staub eine hohe Durchgängigkeit bei den Atmungsorga-
nen hat. Die Beschaffenheit der Partikel ist, beispiels-
weise mit Blick auf die Metallhaltigkeit der Stäube, bei
Kleinstpartikeln besonders wichtig, weil deren Oberflä-
che, auf der schädliche Komponenten transportiert wer-
den, relativ groß ist. Hinsichtlich ihrer Herkunft sind of-
fenbar solche Staubpartikel besonders gefährlich, die aus
Verbrennungsprozessen hervorgehen. Damit ist der Stra-
ßenverkehr und der damit verbundene Dieselruß – neben
Anlagen der Industriefeuerung und für den Hausbrand –
eine qualitativ ernst zu nehmende Gefährdungsquelle.
Wenn man Feinstaub tatsächlich wirksam bekämpfen
will, muss man jedoch ein bundesweites, besser sogar
europaweites Gesamtkonzept erarbeiten. Die FDP-Bun-
destagsfraktion hat deshalb für ein integriertes Gesamt-
konzept plädiert, in das örtliche, regionale, nationale und
europaweite Maßnahmen eingebettet werden können.
Dies ist erforderlich, weil Feinstaub oft die Folge be-
stimmter Wetterlagen und geographischer Besonderhei-
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en ist. Der eigentliche Staub entsteht häufig anderswo,
n benachbarten Regionen und Ländern. Dort verursach-
er Staub wird – in Abhängigkeit vor allem von der
indrichtung, vom Wetter und von der jeweiligen örtli-
hen Bebauungssituation – schlicht herangeweht, sodass
as Problem mit eindimensionalen pauschalen Vorschlä-
en nicht in den Griff zu bekommen ist.
Hier liegt das wesentliche Versäumnis der rot-grünen
undesregierung. Denn es wäre ihre Aufgabe gewesen,
ich national mit Ländern und kommunalen Spitzenver-
änden an einen Tisch zu setzen und die Entwicklung ei-
es solchen Konzepts voranzutreiben und die Arbeit zu
oordinieren. Parallel hätte die Bundesregierung mit der
leichen Zielsetzung auf andere europäische Mitglied-
taaten zugehen müssen. Erforderlich ist ein integriertes
esamtkonzept, in das alle maßgeblichen Verursacher,
as heißt Industrie, Gewerbe, Verkehr, Landwirtschaft
nd private Haushalte, überregional und international
ingebunden werden. Die FDP fordert in diesem Sinne
ösungen statt Aktionismus. Der Antrag der Union ist
on diesen Vorstellungen inspiriert und verdient deshalb
nterstützung.
Dr. Werner Schnappauf, Staatsminister (Bayern):
ie Feinstaubpolitik der Bundesregierung ist geprägt
on Widersprüchlichkeit und alten Feindbildern. Die
iskrepanz zwischen Reden und Handeln zeigt sich zum
eispiel am Thema Steueranreize für die Aus- und
achrüstung mit Partikelfiltern. Beim Autogipfel mit
er Automobilindustrie am 7. Juni 2004 lehnte Bundes-
anzler Schröder einen deutschen Alleingang zur Förde-
ung von schadstoffarmen Fahrzeugen ab und besänf-
igte damit die Spitzenmanager der Automobilindustrie.
m 30. März 2005 teilte Regierungssprecher Hans
angguth dagegen mit, „im Kampf gegen die gefährli-
he Luftverschmutzung in den Städten setzt die Bundes-
egierung … auf Steueranreize für Rußfilter“.
Bundesfinanzminister Eichel verspricht hierzu groß-
ügig Steuergeschenke – bezahlen sollen dieses Ge-
chenk nach seiner Vorstellung aber zu 100 Prozent die
änder. Das ist keine seriöse Politik, das ist vordergrün-
iges Agieren. Anstatt die Lösung der bundesweiten
ragen und zum Beispiel die Reform der Kleinfeue-
ungsanlagen-Verordnung zügig zu Ende zu bringen, be-
reibt das Bundesumweltministerium Symbolpolitik mit
en altbekannten Feindbildern Auto und Individualver-
ehr. Entsprechend sehen einige Lösungsansätze aus. So
lädiert das Umweltbundesamt (laut „Welt am Sonntag“
om 3. April 2005) zum Beispiel dafür, Ampelrotphasen
u verlängern – als ob wir in unseren Städten nicht be-
eits genug Stau hätten. Ein anderer Vorschlag des Um-
eltbundesamts geht dahin, den Parkraum in den Städ-
en zu verknappen – mit der Folge, dass der
arkplatzsuchverkehr weiter steigt.
Diese verkehrsfeindlichen Lösungsansätze lassen au-
er Acht, dass Mobilität ein legitimes und wichtiges Be-
ürfnis der Bevölkerung in einer modernen Gesellschaft
st. Statt Feindbildern brauchen wir fortschrittliche, in-
ovative Lösungen – sei es in der Fahrzeug- und Filter-
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005 16541
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technik, sei es in modernen Verkehrsleitsystemen für ei-
nen flüssigen Verkehrsfluss in unseren Städten.
Der Bund muss zügiger handeln. Seit Jahren drängen
die Länderumweltminister den Bund zum Handeln: Be-
reits 2001 und 2003 haben sie den Bund aufgefordert,
ein Konzept für steuerliche Anreize vorzulegen. 2004
hat der Bundesrat ebenfalls klare entsprechende Forde-
rungen an den Bund gerichtet. Jetzt endlich erfolgen die
ersten Schritte des Bundes – doch auch jetzt geht der
Bund zu zögerlich vor, zu halbherzig und vor allem im-
mer noch ohne schlüssiges Gesamtkonzept.
Bundesminister Stolpe will nun endlich, wie von Bay-
ern längst gefordert, über eine stärkere Spreizung der
Maut schadstoffarme LKWs begünstigen und die Maut
wegen der Mautflüchtlinge auf Bundesstraßen ausdeh-
nen. Das Europäische Parlament wird im Juni beraten,
die Mautspreizung kurzfristig auf 100 Prozent auszudeh-
nen.
Bundesminister Eichel brachte am 25. April 2005 ei-
nen Gesetzentwurf zur Förderung besonders partikelre-
duzierter PKWs ein. Bekanntlich fordern dies die Länder
seit November 2001. Wir brauchen einen Fördervor-
schlag, der konsensfähig ist und nicht alle Kosten den
Ländern aufbürdet. Ich verweise auf die Vorschläge von
Hessen, Baden-Württemberg und Bayern. Dabei sollten
wir uns auf die Förderung der Altfahrzeuge konzentrie-
ren, denn bei Neufahrzeugen regelt dies mittlerweile der
Markt.
Bundesminister Trittin hat am 23. April 2005 die Eck-
punkte einer Kfz-Kennzeichnungsverordnung vorgelegt
mit dem Ziel einer Bevorzugung schadstoffarmer Fahr-
zeuge. Bekanntlich war dazu die Forderung von „min-
destens drei Ländern“ erforderlich. Wir müssen weiter
gehen: Wir brauchen eine vollständige Rechtsverord-
nung zur Kennzeichnung schadstoffarmer Kfz, in der
auch die erforderlichen Anpassungen der Straßenver-
kehrsordnung enthalten sind.
Selbst Bundeskanzler Schröder spricht sich nicht
mehr – wie noch 2004 – gegen Partikelfilter aus. Auch
hier gehen die süddeutschen PKW-Hersteller mittler-
weile voran. Die Bayerische Staatsregierung hat Anfang
April mit Audi und BMW eine gemeinsame Initiative
zur schnelleren Einführung von Partikelfiltern gestartet.
Wir brauchen eine rechtsverbindliche Euro-5-Abgas-
norm der EU für PKWs und leichte Nutzfahrzeuge ein-
schließlich der technischen Prüf- und Fördernormen.
Kurz gesagt: Die zuständigen Bundesminister Trittin,
Stolpe und Eichel handeln zu spät, zu wenig koordiniert
und zu halbherzig.
Gefordert ist eine nationale, ganzheitliche Strategie.
Die Bundesregierung fokussiert das Feinstaubproblem
zu einseitig auf den Verkehrsbereich und ignoriert die
vielfältigen anderen Ursachen.
Der Partikelfilter allein kann das Feinstaubproblem
nicht lösen. Eine Abschätzung für hoch belastete Straßen
zeigt, dass Grenzwertüberschreitungen auch dann noch
eintreten werden, wenn alle Diesel-Kfz mit Filter ausge-
rüstet sein werden. Auch Fahrverbote in den Innenstäd-
ten halte ich für zweischneidig. Kann es umweltpolitisch
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irklich sinnvoll sein, wenn Kunden die so genannten
taubzonen in den Städten meiden und künftig noch
tärker auf der grünen Wiese einkaufen, während unsere
nnenstädte veröden?
Was wir brauchen, ist ein konsequentes ganzheitli-
hes Reduktionsprogramm, das alle wichtigen Quellen
rfasst. Beispiel Hausfeuerungsanlagen – Emissionsan-
il in Bayern 27 Prozent –: Hier muss in der 1. BlmSchV
er Staubgrenzwert bei Feststofffeuerungen abgesenkt
erden. Diese Novelle steht aus – der Bund hat hier
eine Aufgaben nicht erfüllt. Bayern ist darum bemüht,
it den Kaminkehrern durch zusätzliche Beratung eine
ptimierung der Heizungsanlagen in den privaten Haus-
alten zu erreichen.
Beispiel Industrieanlagen – Emissionsanteil in Bay-
rn 19 Prozent –: Umsetzungstermin nach TA Luft für
ltanlagen ist Oktober 2007. Wo ist zum Beispiel eine
reiwillige Vereinbarung der Bundesregierung mit den
undesverbänden der Wirtschaft für eine freiwillige vor-
ezogene Erfüllung der TA Luft? Bayern wird mit die-
em Ziel einen Dialog auf Landesebene mit Betreibern
nd Verbänden führen.
Hinzu füge ich nochmals den Appell, überall ehrlich
u messen und die Messergebnisse zeitnah offen zu le-
en: Die „Hitliste“ der Grenzwertüberschreitungen beim
mweltbundesamt ist noch immer nicht auf einem aktu-
llen Stand. Dort stehen seit langem Falsche am Pranger.
Wenn die Bundesregierung endlich ihre Aufträge ab-
rbeitet, dann könnten wir vielleicht doch zusammenfin-
en. Denn letztlich brauchen wir eine konzertierte Ak-
ion von EU, Bund, Ländern und Kommunen, um die
einstaubbelastung im Interesse von Umwelt und Ge-
undheit unserer Bevölkerung zu reduzieren.
nlage 11
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Errichtung einer „Bundesstiftung Baukultur“
(Tagesordnungspunkt 16)
Petra Weis (SPD): Auch wenn die Tageszeit unserer
ebatte über das Thema Baukultur zum wiederholten
ale nicht geeignet ist, ein herausragendes öffentliches
nteresse an dem behandelten Gegenstand hervorzuru-
en: Der Umstand, dass wir hier und heute ein Projekt zu
inem vorläufigen Ende bringen, das im Erfolgsfall das
eben und mehr noch das Erleben unserer eigenen und
er nachfolgenden Generationen nachhaltig beeinflussen
ird, ist auch ab morgen früh noch aller Aufmerksam-
eit wert.
Im Gegensatz zur ersten Lesung des Gesetzentwurfes
m März, bei der man befürchten musste, dass die jahre-
ange grundsätzliche Übereinstimmung der vier Fraktio-
en zur Gründung einer Bundesstiftung Baukultur so
urz vor dem Ziel aufgekündigt werden würde, können
ir heute bei der zweiten und dritten Lesung eine einmü-
ige Zustimmung erwarten. Das ist dem Thema angemes-
en und gibt denjenigen, die der Baukultur in unserem
16542 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005
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Land die notwendigen Impulse geben können und wol-
len, die Gewissheit, dass das Engagement der letzten
Jahre nicht umsonst war und die Stiftung in absehbarer
Zeit ihre Arbeit aufnehmen kann. Alles andere wäre auch
ein herber Rückschlag gewesen.
Unser Augenmerk liegt in den kommenden Wochen
nun auf den weiteren Beratungen im Bundesrat, unser
Anliegen liegt auf der Hand: Die Mehrheit in der Län-
derkammer möge die Stiftungsgründung nicht länger hi-
nauszögern, schon gar nicht mit Argumenten, die nicht
in der Sache begründet sind, wie wir alle wissen.
Wie heißt es so schön: Der Weg ist das Ziel! Wir sind
mit der Stiftung Baukultur einen ungewöhnlichen Weg
gegangen, der an sich schon die Wiege des Erfolgs war:
einen Weg des Dialogs mit allen am Thema beteiligten
Expertinnen und Experten, ihren Verbänden und Organi-
sationen, begleitet von einer konstruktiven Berichterstat-
tung in den Medien und der Fachöffentlichkeit. Und wir
waren uns in diesem Hause von Beginn an einig, dass
sich das Thema Baukultur nicht für klassisch parteipoli-
tische Kontroversen eignet, sondern der parlamentari-
schen Unterstützung aller politischen Kräfte bedarf.
Dass es uns trotz der Störmanöver aus den Reihen des
Bundesrates gelungen ist, die kurzfristig verloren ge-
glaubte Einigkeit wiederherzustellen, stimmt mich auch
für die kommenden Jahre optimistisch.
Denn Baukultur ist und bleibt eine gesellschaftliche
und politische Daueraufgabe, die auf die Kompetenz und
den guten Willen aller Beteiligten angewiesen ist, die
sich – allen legitimen Eigeninteressen zum Trotz – auch
und vor allem ihrer gesamtgesellschaftlichen Verantwor-
tung bewusst sein müssen.
Das gilt auch für die Fragen, die mit der Finanzierung
der Stiftung verbunden sind. Baukultur ist zwar kein Lu-
xusgut für Schönwetterperioden, aber die finanzielle
Verantwortung des Bundes hat bekanntlich Grenzen. Wir
müssen alles daransetzen, dass der Finanzbedarf der
Stiftung in den kommenden Jahren in hohem Maße auch
durch private Dritte gedeckt werden kann. Der Anfang
ist bekanntlich gemacht und die Stiftungsgründung
selbst wird sicher einen weiteren Schub auslösen.
Baukultur prägt die be- und gebaute Umwelt und die
Bundesstiftung Baukultur prägt entscheidend das öffent-
liche Bewusstsein für eben diese Umwelt. Ein ausge-
prägtes Bewusstsein für Baukultur sensibilisiert für gute
Planungs- und Bauleistungen und würdigt dieselben. Die
Stiftung Baukultur bildet eine nationale Plattform für gu-
tes Planen und Bauen, und sie lenkt das Augenmerk des
Auslands auf die Qualität von Planungs- und Bauleistun-
gen in Deutschland. Sie ermutigt zu Engagement über
die nationalen Grenzen hinaus und stärkt damit die Rolle
der Beteiligten im internationalen Wettbewerb.
Mit der Initiative Architektur und Baukultur, mit dem
Statusbericht der Bundesregierung, mit dem 1. Konvent
der Baukultur, mit unserem gemeinsamen Antrag zur
Qualitätsoffensive für gutes Planen und Bauen und
schließlich mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung
zur Errichtung einer Bundesstiftung Baukultur ist ein
nachhaltiger Prozess in Gang gesetzt worden, der As-
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ekte der Stadtentwicklung, des Städtebaus, des Woh-
ens, der Stadtpolitik in Zeiten des ökonomischen und
emographischen Wandels berührt und zugleich die er-
olgreichen Ansätze unserer Politik auf diesen Feldern
achhaltig unterstützt. Dieser Prozess ist ein wichtiger
austein auf dem Weg zu einer Zivilgesellschaft, die es
ich zum Ziel setzt, die Lebensqualität in unseren Städ-
en zu verbessern, die Identifikation der Bürgerinnen
nd Bürger mit ihrem Wohnort zu verstärken und ihre
ereitschaft zur Mitgestaltung zu erhöhen.
Wenn ich zu Beginn davon gesprochen habe, dass wir
eute einen Prozess zu seinem vorläufigen Ende brin-
en, dann bedeutet das zugleich, dass er doch wieder an
einem Anfang steht. Das ist nicht paradox, sondern liegt
n der Natur der Sache. Baukultur ist auf den ständigen
ialog zwischen Expertinnen und Experten, Bürgerin-
en und Bürgern, Wirtschaft und Politik angewiesen.
ie Stiftung wird nur dauerhaft erfolgreich sein können,
enn sie diese Dialogbereitschaft ständig fördert und er-
eitern hilft. Sie sollte sich unserer aufrichtigen und
achhaltigen Unterstützung über den Tag hinaus sicher
ein können.
Renate Blank (CDU/CSU): Im Frühjahr 1999 brach-
en die Bundesarchitektenkammer und der Bund Deut-
cher Architekten die Initiative „Architektur und
aukultur“ ins Gespräch. Eine Lenkungsgruppe aus Ver-
retern der Kammern und Verbände, Kommunen und
ändern begleitete die Initiative und traf sich regelmäßig
um Erfahrungsaustausch. Unter dem Label „Initiative
aukultur“ wurden zahlreiche Veranstaltungen, wie das
rchitekturquartett in Berlin, diverse Ausstellungen,
ymposien und Kongresse, veranstaltet. Zugleich wurde
m Rahmen der Initiative ein öffentlicher Dialog über
as Baugeschehen und den Stand von Architektur und
aukultur in unserer Gesellschaft geführt. Die ersten Er-
ebnisse der Initiative sind in einem Bericht der Bundes-
egierung zusammengefasst. Zur Fortführung der Initia-
ive hat der Deutsche Bundestag im Bundeshaushalt
002 einen eigenen Haushaltstitel bereitgestellt.
Zur Förderung der Baukultur soll das Bewusstsein für
aukultur bei Bauschaffenden und Bürgern gestärkt und
ie Qualität, Nachhaltigkeit und wirtschaftliche Leis-
ungsfähigkeit des Architektur- und Ingenieurwesens in
eutschland national wie international herausgestellt
erden. Baukultur meint in diesem Zusammenhang
icht allein den ästhetischen Aspekt von Architektur,
ondern die Qualität der gebauten Umwelt insgesamt:
ebäude und Anlagen der Infrastruktur, ihre Einordnung
n das Landschafts- und Siedlungsbild sowie den öffent-
ichen Raum. Baukultur umfasst damit Architektur und
ngenieurbaukunst, Stadt- und Regionalplanung, Denk-
alschutz und Landschaftsarchitektur. Sie schließt Pla-
en und Planungsverfahren, Bauen wie Instandhalten
in.
Durch Bundesgesetz soll eine Stiftung des öffentli-
hen Rechts errichtet werden, die als eine bundesweit
eachtete, unabhängige und mit hoher Fachautorität aus-
estattete Institution für die Anliegen der Baukultur in
eutschland eintritt, also eine bundesweite Plattform für
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005 16543
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gutes Planen und Bauen. Sie ist keine Förderstiftung,
sondern soll übergreifend den öffentlichen Dialog über
die Kriterien für Baukultur organisieren und bei Akteu-
ren und in der Bevölkerung Interesse und Aufmerksam-
keit wecken. Sie soll helfen, ein aktives Netzwerk pla-
nender und bauender Institutionen und Akteure in
Deutschland aufzubauen, private Qualitätsinitiativen an-
stoßen und so die Rahmenbedingungen für Baukultur in
Deutschland verbessern.
Ich bedauere sehr, dass unsere Änderungsvorschläge
zum Gesetzentwurf der Bundesregierung leider auf Un-
verständnis der Koalition gestoßen sind. Der Bundesrat
hat in seiner Stellungnahme vom 18. Februar zum Aus-
druck gebracht, dass „der Bund für die Errichtung einer
‚Bundesstiftung Baukultur‘ keine verfassungsrechtliche
Kompetenz habe. Da der Gesetzentwurf vor allem in sei-
nen Bestimmungen über den ‚Konvent der Baukultur‘
davon ausgehe, dass Baukultur ein Teilbereich der Kul-
tur ist. Die Kulturhoheit liegt aber grundsätzlich bei den
Ländern. Sie ist ihr verfassungsrechtlicher Auftrag und
Kernstück ihrer Eigenstaatlichkeit. Ungeschriebene
Kompetenzen des Bundes bedürfen mit Blick auf die
grundsätzliche Zuständigkeit der Länder als Ausnahme
daher einer besonderen Rechtfertigung. Die Gesetzesbe-
gründung enthält jedoch keinerlei Hinweis darauf, wel-
che Kompetenzgrundlage die Bundesregierung für die
Errichtung dieser neuen rechtsfähigen Stiftung des öf-
fentlichen Rechts heranzieht. Nach Auffassung des Bun-
desrates ist die Förderung der Baukultur als staatliche
Aufgabe der Bundesgesetzgebung entzogen.“
Die Bundesregierung hat die ganzen Kompetenzpro-
bleme in ihrer Gegenäußerung leider unzureichend be-
antwortet. Deshalb sind die Sensibilität und die daraus
resultierende Haltung des Bundesrates aus unserer Sicht
durchaus verständlich. Der Bundesrat hat sich mit sei-
nem sehr kurzfristig eingebrachten Antrag nicht gerade
kooperationsfreudig gezeigt. Aus meiner Sicht ist auch
sehr schwer nachzuvollziehen, warum jahrelange Bera-
tungen nicht genutzt wurden, um schwerwiegende Be-
denken auszuräumen.
Um die Bedenken des Bundesrates auszuräumen,
wurden der Koalition Vorschläge unterbreitet, um zu ei-
nem Konsens zu kommen; leider wurden diese Ände-
rungsvorschläge abgelehnt. Wir wollten analog der Kul-
turstiftung des Bundes den Namen in „Baustiftung des
Bundes“ umändern, um die Bedeutung der Qualität des
Bauens, und alles was damit zusammenhängt, hervorzu-
heben. Der Name „Stiftung Baukultur“ ist leider vom
Land Thüringen schon besetzt worden, weshalb nun die
Bezeichnung „Bundesstiftung Baukultur“ gewählt
wurde. Des Weiteren findet im Stiftungsrat aus unserer
Sicht die Beteiligung der Kommunen, die sich letzten
Endes am meisten mit dem Begriff Baukultur und Quali-
tät beschäftigen müssen, zu wenig Berücksichtigung.
Wir hätten uns eine Festschreibung gewünscht. Nun
muss der Konvent die nötigen Voraussetzungen schaf-
fen, dass die kommunale Beteiligung ausreichend ge-
währleistet ist.
Ursprünglich war der Gedanke, dass der jährliche Fi-
nanzbedarf der Stiftung – auf bis zu 2,5 Millionen Euro
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eschätzt – von privaten Dritten aufgebracht werden
ürde. Dies ist leider fehlgeschlagen, obwohl man da-
on ausging, dass sich jedes Planungs- und Architektur-
üro in Deutschland mit rund 100 Euro beteiligen
ürde; das hätte dann eine Summe von circa 12,5 Mil-
ionen Euro ergeben und fünf Jahre wären ohne Bundes-
eteiligung gesichert gewesen. Ich möchte deshalb auf
ie ursprünglich geplante Finanzierung hinweisen, weil
ch die Hoffnung habe, dass sich, wenn das Stiftungsge-
etz auf den Weg gebracht ist, privates finanzielles En-
agement in der ursprünglich geplanten Höhe einbringen
ird.
Um auch die Qualität im Vorstand zu unterstreichen,
urde im Ausschuss eine Protokollnotiz folgenden In-
alts beschlossen: „Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und
ohnungswesen hat für wichtig erachtet, dass der Vor-
tand der Stiftung über ausreichende, zur Erfüllung der
tiftungsaufgaben erforderliche Qualifikationen ver-
ügt. Daher sollte mindestens ein Vertreter des vom Stif-
ungsrat zu berufenden Vorstands ein abgeschlossenes
ochschulstudium oder eine gleichwertige Ausbildung
achweisen können. Neben Führungskompetenz, Ko-
perations- und Organisationsfähigkeit sind vor allem
onzeptionelle Leistungen auf Gebieten, die den Ziel-
tellungen der Stiftung entsprechen, wünschenswert.“
Im Interesse des gemeinsamen Anliegens, unter ande-
em auch die Wahrnehmung unserer qualitätsvollen
eutschen Architektur- und Ingenieurleistungen im In-
nd Ausland zu verbessern, stellen wir unsere Bedenken
urück und stimmen dem Gesetzentwurf in der Fassung
es Änderungsantrages der Koalitionsfraktionen zu. Nun
iegt die Entscheidung beim Bundesrat. Den Entschlie-
ungsantrag der FDP-Fraktion zur Errichtung einer Stif-
ung bürgerlichen Rechts lehnen wir ab.
Ursula Sowa (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr
u meiner Freude habe ich festgestellt, dass sich nun
uch die FDP für die Gründung einer Stiftung zur Beför-
erung der Baukultur einsetzt. Nur leider fehlt die Be-
ründung zum vorliegenden Entschließungsantrag, der
och in einem entscheidenden Punkt von unserer Vor-
age abweicht. Ich bin mir sicher, dass die Koalitions-
raktionen die Konsequenzen aus dem FDP-Antrag strikt
blehnen, denn seine Umsetzung würde bedeuten: weiter
chulden machen! Was Sie wollen, liebe Kolleginnen
on der FDP, ist – ich zitiere – „eine Stiftung mit einem
ngemessenen Kapitalvermögen“.
Damit schwebt Ihnen doch vor, dass die Ausgaben
er Baukulturstiftung aus Kapitalzinserträgen finanziert
erden könnten. Dann würden wir aber nicht 6,5 Millio-
en Euro über mehrere Jahre brauchen, sondern sofort
ehrere Hundert Millionen aus dem Bundeshaushalt.
ein, für diesen Vorschlag werden Sie keine Mehrheit
inden. Wir können den FDP-Antrag nur ablehnen.
Gestatten Sie mir noch ein Wort zum Bundesratsein-
pruch: Mit dem vom Ministerpräsidenten Koch initiier-
en Vorgang ist er endgültig in der ersten Reihe der op-
ositionellen Possenreißer angekommen. Der Bund sei
icht zuständig, da im Begriff Baukultur ja das Wort
Kultur“ vorkommt und die Kulturhoheit doch bei den
16544 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005
(A) )
(B) )
Bundesländern liege. Die logische Schlussfolgerung aus
diesem Gedankenkonstrukt verweigert er uns leider, des-
halb werde ich sie hier vorbringen: Die Bundesländer
beteiligen sich an der Baukulturstiftung und nehmen da-
rin ihre kulturelle Kompetenz wahr. Damit würden die
Länder ihrer Verantwortung für die bauliche Entwick-
lung in Deutschland nachkommen, anstatt einer von al-
len Seiten als sinnvoll erachteten Stiftungsgründung
Steine in den Weg zu rollen.
Aus meiner Sicht spricht nichts dagegen und deshalb
fordere ich die Bundesländer auf: Schließen Sie sich un-
serer Initiative an und ebnen damit den Weg für eine
Bund/Länder-Stiftung für Baukultur.
Nun aber zu den Zielen, die die Baukulturstiftung ver-
folgen soll. Wie unser Gesetzentwurf angibt, geht es im
Wesentlichen um die Beförderung von guter Architektur
und darum, das Verständnis in der Bevölkerung dafür zu
verstärken, was gute Architektur ausmacht. Da sehe ich
durchaus Handlungsbedarf auch bis in die Entschei-
dungsebenen hinein. Ich bin der festen Überzeugung,
dass sich die Verantwortlichen in den Städten und Ge-
meinden viel stärker als bisher mit Fragen nach der Wir-
kung der bebauten Umwelt auf die Bewohnerinnen und
Bewohner beschäftigen müssen. Wir brauchen Städte
und Gemeinden, in denen die Menschen leben, mit de-
nen sie sich identifizieren und in stabilisierenden Nach-
barschaften geborgen fühlen können. Ich denke dabei
auch an Strukturen, die Modernität und kulturelles Erbe
verbinden und gleichzeitig wohlgestaltete Lebensraum
für alle Bürgerinnen und Bürger schafft, für Erwachsene
ebenso wie für Kinder, für den Arbeiter wie für die Pro-
fessorin. Kontraproduktiv ist jedoch, wenn sich eine
Fachjury auf international ausgewiesene exzellente Ar-
chitektur verständigt die baugenehmigenden Behörden
sich mit dem Architekten jedoch nicht auf gangbare
Wege einigen und schließlich die Exekutive dem Archi-
tekten das Bauprojekt entzieht, wie beim Zumthor-Bau
für ein Museum zur Topographie des Terrors in Berlin
kürzlich geschehen.
Lieber nenne ich an dieser Stelle positive Beispiele,
Beispiele für gute Architektur in einem gestalterisch ge-
lungenen Umfeld. Das sind für mich beispielsweise das
DG-Gebäude von Architekt Frank O. Gehry und der Pari-
ser Platz oder der Anbau der Schweizer Botschaft neben
dem Kanzleramt vom Architektenbüro Diener & Diener
hier in Berlin oder die Gestaltung des neuen Münchner
Stadions durch die Architekten Herzog und de Meuron.
Die Bundesstiftung wird maßgeblich dazu beitragen,
dass solche Beispiele hervorragender Baukultur weiter
Schule machen und der Bevölkerung bekannt werden.
Bei Bau- und Gestaltungsmaßnahmen sollten baukultu-
relle Kriterien in Zukunft noch stärker angewendet und
weiterentwickelt werden – auch auf diesem Feld wird
die Stiftung wirken.
Der Gesetzentwurf zur Gründung einer Bundesstif-
tung Baukultur hat meine volle Unterstützung und ich
fordere alle Fraktionen auf, sich unserer Gesetzesinitia-
tive anzuschließen.
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Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP): Es war ein
anger Weg, bis wir heute gemeinsam das Gesetz zu Er-
ichtung einer Bundesstiftung Baukultur verabschieden
önnen. Das Anliegen, welches die Stiftung verfolgt,
tellt eine große Herausforderung dar und ich hoffe sehr,
ass die Stiftung die hohen in sie gesetzten Erwartungen
rfüllen wird.
Ich freue mich, dass die Koalition im Berichterstatter-
espräch zwei Anregungen der FDP-Fraktion aufgenom-
en hat, die ich für sehr wichtig halte:
Die eine Änderung betrifft den Zweck der Stiftung.
ch bin froh, dass wir im Berichterstattergespräch den
tiftungszweck dahingehend präzisiert haben, die „Qua-
ität, Nachhaltigkeit und Leistungsfähigkeit des Pla-
ungs- und Bauwesens“ herauszustellen. Eine Beschrän-
ung auf die „wirtschaftliche“ Leistungsfähigkeit des
lanungs- und Bauwesens wäre dem Grundgedanken der
undesstiftung Baukultur nicht gerecht geworden. Zu-
em hätte es zu recht alle möglichen Branchen an den
lan gerufen, ebenfalls eine Stiftung einzufordern, die
ie wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der jeweiligen Be-
ufszweige herausstellt.
Die zweite Anregung der FDP die die Koalitionsfrak-
onen dankenswerterweise übernommen haben, ist min-
estens ebenso wichtig: Die Aufgaben der geplanten
Bundesstiftung Baukultur“ liegen nicht nur im öffentli-
hen Interesse des Bundes, sondern vor allem auch im
nteresse der Allgemeinheit. Daher sollte der Finanzbe-
arf der Stiftung Baukultur von den Kammern und Ver-
änden des Planungs- und Bauwesens, von den Bau-
chaffenden und der Zivilgesellschaft wesentlich
itgetragen werden. Daher war es unerläßlich, § 4
bs. 2 des Gesetzesentwurfs dahingehend zu ändern,
ass die Stiftung nicht nur berechtigt ist, Zuwendungen
nd Spenden Dritter anzunehmen, sondern dass sie dazu
ufgefordert ist, das zur Erfüllung ihrer Aufgaben erfor-
erliche Kapital aktiv einzuwerben.
Dieses finanzielle Engagement Dritter wäre aller-
ings einfacher zu realisieren gewesen, wenn die Stif-
ung Baukultur als Stiftung bürgerlichen Rechts errichtet
orden wäre. Ein finanzielles Engagement privater Drit-
er in einer Stiftung öffentlichen Rechts ist erfahrungsge-
äß sehr viel schwerer zu vermitteln und zu realisieren,
a die Anbindung der jeweiligen Institution an den öf-
entlichen Haushalt zu eng ist.
Daher fordern wir in unserem Entschließungsantrag,
ie Stiftung Baukultur als Stiftung bürgerlichen Rechts
u gründen. Dies würde nebenbei auch die – meines Er-
chtens unberechtigten – Einwände des Bundesrates er-
brigen, da dann ein Gesetz entbehrlich wäre.
Wir hoffen, dass die Errichtung der Bundesstiftung
aukultur die notwendige Bereitschaft der Bauschaffen-
en, sich an der Initiative finanziell und ideell zu beteili-
en, an der es im Vorfeld manchmal mangelte, beflügelt
nd stimmen – ungeachtet der geäußerten Bedenken –
ür den Gesetzentwurf und unterstützen diese wichtige
nitiative.
Ich verbinde mit dem Gesetzgebungsverfahren auch
ie Hoffnung, dass die Besetzung des Stiftungsrates der
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005 16545
(A) )
(B) )
Bundesstiftung Baukultur eine Vorbildfunktion für an-
dere vom Bund finanzierte Einrichtungen haben wird, in
denen die kleinen Fraktionen oftmals vom Informations-
fluss abgeschnitten sind. Dass im Stiftungsrat der Bun-
desstiftung Baukultur zukünftig alle vier im Bundestag
vertretenen Fraktionen beteiligt sein werden, unter-
streicht zudem das gemeinsame Anliegen und die ge-
samtgesellschaftliche Aufgabe, die sich mit der Bundes-
stiftung Baukultur verbindet.
Achim Großmann, Parl. Staatssekretär beim Bun-
desminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen: Wir
beraten heute das Gesetz zur Errichtung einer „Bundes-
stiftung Baukultur“ in zweiter und dritter Lesung und ich
freue mich ganz besonders darüber, dass der Regierungs-
entwurf gestern in allen beratenden Ausschüssen einhel-
lige Zustimmung gefunden hat. Dieses Ergebnis war
nach der Entscheidung des Bundesrates vom 18. Februar
2005 und auch nach der ersten Lesung des Gesetzent-
wurfs am 10. März 2005 nicht unbedingt zu erwarten.
Um so mehr möchte ich allen Beteiligten, insbeson-
dere den Berichterstattern aller Fraktionen, für diesen
Konsens danken. Das Interesse an der Sache hat die Ein-
sicht befördert, dass Baukultur kein Thema für parteipo-
litische Streitigkeiten ist. Denn über die Notwendigkeit,
die Baukultur in Deutschland zu fördern und das Be-
wusstsein für ihre Bedeutung bei Bauherren und in der
Öffentlichkeit zu stärken, sind wir uns alle einig.
Ich denke, wir stimmen auch in der baupolitischen
Ausrichtung des Begriffs Baukultur überein: Es geht hier
um Architektur und um Ingenieurbauleistungen, um
Städtebau und Landschaftsplanung, um Bauherren- und
Unternehmerleistungen und es geht um Qualitätsmaß-
stäbe und die dafür notwendigen Planungs- und Bauver-
fahren.
Mit der breiten Unterstützung, die der Gesetzentwurf
gestern in allen Ausschüssen erfahren hat, knüpfen wir
an die im Jahr 2003 fraktionsübergreifend beschlossene
„Qualitätsoffensive für gutes Planen und Bauen“ an. Der
Dialog über Baukultur in Deutschland, den wir mit der
Initiative Architektur und Baukultur im Jahr 2000 ange-
stoßen haben, findet in der Bundesstiftung eine ange-
messene Form und kann unter ihrem Dach nun dauerhaft
und wirksam fortgeführt werden.
Mit der Errichtung der Stiftung erhält die Baukultur
in Deutschland endlich die Präsenz und Aufmerksam-
keit, die ihr zukommt. Damit verschaffen wir der Bau-
kultur eine Plattform, die es in anderen Bereichen – Um-
weltschutz, Denkmalschutz, Kultur – bereits seit vielen
Jahren gibt. Wir schließen zugleich im europäischen und
internationalen Vergleich an Institutionen und Projekte
an, die Architektur und Baukultur als nationales Mar-
kenzeichen und als Exportartikel erfolgreich „vermark-
ten“.
Das in diesem Bereich in Deutschland vorhandene
Potenzial ist beachtlich und es gilt, diese Leistungen na-
tional und international besser herauszustellen. Hiervon
verspreche ich mir wichtige Impulse für den Standort
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eutschland, die Qualitätsnachfrage beim Planen und
auen und die Wertschätzung unserer gebauten Umwelt.
Für die Bundesregierung steht außer Frage, dass sie
ine Verantwortung dafür hat, ihre eigene Baupolitik mit
ualitätsanspruch und mit Rücksicht auf die kulturelle
edeutung des Bauens zu gestalten und zu kommunizie-
en. Diese Verantwortung nimmt sie in vielerlei Hinsicht
ahr: als Bauherr, als Gesetzgeber im Bauplanungs-
echt, als Förderer des Städtebaus und auch im Hinblick
uf das Wirtschaftswachstum und die Baunachfrage. Zu
iesen Aufgaben gehört es natürlich auch, den öffentli-
hen Dialog um die Maßstäbe der Baukultur zu führen
nd zu organisieren.
Der Dialog über die Qualitätsmaßstäbe des Planens
nd Bauens kann nicht auf technische Fragen reduziert
erden. Die qualitätsvolle Gestaltung von Bauwerken
der von öffentlichen Räumen ist hiermit untrennbar
erbunden und lässt sich nicht als vermeintlich eigen-
tändiger Teil der Kunst isolieren. Gute Architektur ist
anzheitliche Qualität: funktional, ökologisch, sozial,
irtschaftlich und formgebend.
Es ist deshalb nicht nachvollziehbar, dass die Bundes-
atsmehrheit eine Mitverantwortung des Bundes für
aukultur in Frage stellt. Wer die Begründung des Ge-
etzentwurfs aufmerksam liest, wird erkennen, dass es
ier um Fragen des Planens und Bauens geht, nicht um
ulturpolitik.
Ich möchte deshalb auch an dieser Stelle noch einmal
n die Länder appellieren, das Anliegen der Stiftung, das
a auch der Bundesrat als wichtig anerkannt hat, nicht
um „Spielball“ für politische Streitigkeiten ganz ande-
er Art zu machen. Andernfalls hätte die Baukultur, die
ir doch alle stärken wollen, das Nachsehen.
Die Bundesstiftung Baukultur kann – in enger Koope-
ation mit den bereits vorhandenen Institutionen und Ak-
euren auf Länder- und Gemeindeebene – zu einem posi-
iven baukulturellen Klima beitragen und die
ahrnehmung für die baukulturellen Qualitäten in unse-
em Land deutlich verbessern.
Ich hoffe, dass die Stiftung durch ihre Arbeit auch ein
reites ideelles und finanzielles Engagement bei privaten
ritten, etwa bei den Architekten und Ingenieuren oder
n der Bau-, Wohnungs- und Kreditwirtschaft auslösen
ird. Denn Baukultur geht uns alle an.
nlage 12
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Einführung von
Real Estate Investment Trusts in Deutschland
(Tagesordnungspunkt 17)
Nina Hauer (SPD): Verehrte Damen und Herren von
er Unionsfraktion, dieser Antrag ist leider typisch für
ie und Ihr politisches Verhalten. Zuerst einmal fordern
ie von der Bundesregierung einen Gesetzentwurf zur
inführung von Real Estate Investment Trusts und dann
rst wollen Sie geprüft haben, ob dies überhaupt sinnvoll
16546 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005
(A) )
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ist. Nein, das können wir nicht mitmachen. Wir halten
die richtige Reihenfolge ein: zuerst prüfen und dann
kommt gegebenenfalls ein Gesetz.
Was sind Real Estate Investment Trusts, REITs, ei-
gentlich? Worum geht es dabei? REITs sind vom Grund-
satz her normale, unternehmerisch tätige Immobilienge-
sellschaften, regelmäßig in der Rechtsform einer
Kapitalgesellschaft. Anders als andere Kapitalgesell-
schaften werden REITs jedoch nicht zugleich auf Gesell-
schafts- und auf Anlegerebene besteuert. REITs sind
vielmehr von der Körperschaft- und der Gewerbesteuer
befreit. Als Ausgleich für diese Befreiung sind sie zu ei-
ner hohen Ausschüttung ihrer Erträge an die Anleger
verpflichtet. Die ausgeschütteten Erträge werden beim
Anleger versteuert.
Natürlich gibt es gute Gründe zur Einführung der
REITs in Deutschland: Weltweit sind REITs derzeit in
20 Staaten verankert. In Europa gibt es REITs bereits in
Frankreich, Italien, Spanien, den Niederlanden und Bel-
gien. Großbritannien plant, im Sommer nächsten Jahres
ein REITs-Gesetz zu verabschieden. Deutschland hätte
die Chance, die europäische Entwicklung entscheidend
mitzugestalten und sich zum führenden Immobilien-
markt in Europa zu entwickeln. Darüber hinaus könnten
REITs einen wichtigen Beitrag zur Belebung des ange-
schlagenen deutschen Immobilienmarktes leisten. Es be-
steht sehr wohl auch eine Erwartungshaltung des Mark-
tes: Sowohl bei in- und ausländischen institutionellen
Investoren als auch in der Immobilienbranche besteht
eine große Erwartung, dass in Deutschland in absehbarer
Zeit REITs eingeführt werden.
Die Einführung deutscher REITs wäre sowohl aus ka-
pitalmarktrechtlichen als auch aus immobilienwirt-
schaftlichen Gründen zu begrüßen und würde die Attrak-
tivität des Finanzstandorts Deutschland stärken.
Allerdings hätte die Einführung deutscher REITs wohl
auch einige Nachteile im Vergleich zu den bestehenden
deutschen Immobilienanlageprodukten: Bei REITs han-
delt es sich um ein Kapitalmarktprodukt. Wie andere
Aktiengesellschaften unterliegen REITs regelmäßig ei-
ner stärkeren Kursschwankung als offene und geschlos-
sene Immobilienfonds, weil ihr Kurswert an der Börse
ermittelt wird und es daher zu Übertreibungen nach oben
oder unten kommen kann. Dies ist für die Anleger mit
einem höheren Risiko verbunden.
Bei der Einführung deutscher REITs soll die Grund-
erwerbsteuer nicht angetastet werden. Im Gegenzug sol-
len sie von der Körperschaft- und Gewerbesteuer freige-
stellt werden. Eine Besteuerung findet nur auf
Anlegerebene statt. Da der REIT jedoch verpflichtet ist,
90 Prozent seiner zu versteuernden Einkünfte auszu-
schütten, wird die Steuerbefreiung des REIT dadurch an-
geblich kompensiert. Eine transparente Ausgestaltung
der Besteuerung erscheint aufwendig und schwer prakti-
kabel, zumindest in der Form, dass auf der Ebene des
Anteilseigners eine Besteuerung entsprechend der Vor-
belastung der vom REIT selbst bezogenen Erträge statt-
findet.
Probleme ergeben sich darüber hinaus insbesondere
bei der Besteuerung ausländischer Anleger. Deutschland
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at in zahlreichen Doppelbesteuerungsabkommen ein so
enanntes Schachtelprivileg vereinbart. Dieses besagt,
ass ausländische Kapitalgesellschaften, die Dividen-
en von deutschen Kapitalgesellschaften beziehen, dann,
enn sie eine wesentliche Beteiligung hieran halten – je
ach Doppelbesteuerungsabkommen zwischen 10 und
5 Prozent der Anteile –, diese in Deutschland begüns-
igt versteuern können. Der normale Dividendensteuer-
atz beträgt nach den Doppelbesteuerungsabkommen
5 Prozent, während der begünstigte Satz vielfach 5 oder
0 Prozent beträgt.
Dies sind nur einige wenige Beispiele für ungeklärte
teuerliche Fragen. Die Einführung von REITs in
eutschland birgt objektiv betrachtet die große Gefahr
on Steuerausfällen. Mögliche drohende Steuerschlupf-
öcher müssen im Vorfeld einer möglichen Einführung
erhindert werden, ohne dass dies einen zu großen orga-
isatorischen bzw. regulatorischen Aufwand erfordern
ürde. Eine Lösung der steuerrechtlichen Probleme
uss sich auch in unsere steuerpolitische Leitlinie
Steuersätze senken, die Bemessungsgrundlage verbrei-
ern und vor allem Steuerschlupflöcher schließen und
onderregelungen abbauen – einfügen.
Es bestehen also eine Reihe offener Fragen, die es ge-
au zu prüfen gilt. Wir müssen vor einer Entscheidung
berzeugende und wirklich tragfähige Lösungen finden.
Lassen Sie mich noch zwei Beispiele nennen: Zuwei-
en ist die Befürchtung zu hören, dass eine REITs-Ein-
ührung zu unerwünschten Erhöhungen von Wohnraum-
ieten führen könnte und dass Mietwohnungen in
roßem Umfang zum Nachteil der Mieter verkauft wer-
en könnten. Dies müssen wir ernsthaft vor einer Ent-
cheidung über die Einführung deutscher REITs prüfen.
esteht außerdem die Gefahr, dass bei einer privilegier-
en Besteuerung stiller Reserven im Rahmen der Ein-
ringung von Immobilien in REITs Standortverlagerun-
en deutscher Unternehmen unterstützt werden? Das
ann doch wohl niemand wollen.
Eine politische Entscheidung kann getroffen werden,
obald Klarheit darüber herrscht, ob und wie sich vor al-
em die offenen steuerlichen Fragen lösen lassen. Dann
rst sollte der Deutsche Bundestag gegebenenfalls von
er Bundesregierung einen Gesetzentwurf zur Einfüh-
ung von deutschen REITs einfordern.
Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU): Seit dem
ommer des vergangenen Jahres befinden wir uns in ei-
er Diskussion über die Einführung von Real Investment
rusts in Deutschland. Mehrere europäische Staaten,
arunter die Benelux-Länder, Frankreich und Großbri-
annien, haben die Bedeutung von REITs erkannt und
ereiten die entsprechenden gesetzlichen Grundlagen
or bzw. haben sie schon geschaffen. Ziel der Einfüh-
ung von REITs-Modellen ist es, Anlegern die Möglich-
eit zu geben, sich an Immobilien zu beteiligen, die
iese in Anbetracht hoher Investitionssummen nicht di-
ekt selber erwerben können.
Die Immobilienwirtschaft in Deutschland spielt eine
chlüsselrolle in unserer Volkswirtschaft. Das Statisti-
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005 16547
(A) )
(B) )
sche Bundesamt veranschlagt für 2004 den Wert deut-
scher Immobilien auf rund 9 000 Milliarden Euro. Das
entspricht mehr als dem vierfachen Wert aller Aktiva der
deutschen Unternehmen oder aber dem Vierfachen des
deutschen Bruttoinlandsprodukts.
Die Immobilienwirtschaft ist also ein wichtiger Fak-
tor für einen erfolgreichen Finanzplatz Deutschland.
Und genau hier liegt eine große Chance der Immobilien-
märkte. Deutschland hat das Potenzial, größter Immobi-
lienanlagemarkt Europas zu sein, auch mit Blick auf die
hohe Nachfrage nach Anlagen in deutsche Immobilien-
produkte.
Wir hinken aber auch auf diesem Gebiet – wie auf
vielen anderen derzeit auch – den anderen Industriena-
tionen hinterher, zum Beispiel im Vergleich mit den
USA: Dort sind rund 30 Prozent der investmentfähigen
Gewerbeimmobilien im Besitz von Eigennutzern, rund
70 Prozent im Besitz von Dritten. Bei uns ist dieses Ver-
hältnis genau umgekehrt. Der deutsche Immobilien-
markt ist hinsichtlich betrieblicher Immobilien durch
eine sehr hohe Eigennutzungsquote gekennzeichnet. Wir
benötigen für eine leichtere Mobilisierung der betriebli-
chen Immobilienbestände ein neues Anlageprodukt, das
von nationalen wie internationalen Anlegern genutzt
werden kann.
Was wir brauchen, ist eine Flexibilisierung in der Im-
mobilienfinanzierung mit dem Ziel, mehr Kapital in den
für den Finanzstandort äußerst wichtigen Sektor zu len-
ken.
REITs sind besonders für institutionelle Investoren at-
traktiv. Die Besteuerung findet ausschließlich auf der
Ebene des Investors statt, die Anlagestrategie ist wenig
reguliert und erlaubt die flexible Nutzung von Marktge-
legenheiten. Darüber hinaus sind die zumeist börsenno-
tierten REITs hochliquide, fungibel, transparent und un-
terliegen einer strengen Corporate Governance.
Die US-amerikanischen REITs haben in den zurück-
liegenden 30 Jahren für ihre Aktionäre enorme Werte ge-
schaffen. Die Investment Trusts, die produktive Immobi-
lien besitzen und betreiben, erwirtschafteten für ihre
Anteilseigner eine durchschnittliche jährliche Verzin-
sung von fast 13 Prozent bei einer Gesamtmarktkapitali-
sierung von über 250 Milliarden US-Dollar.
Deutschland besitzt im internationalen Vergleich kein
bekanntes und akzeptiertes Immobilienkapitalanlagepro-
dukt. Die vorhandenen Immobilienanlageformen sind im
Ausland wegen ihrer fehlenden internationalen Ver-
gleichbarkeit so gut wie nicht bekannt. Der deutsche Fi-
nanzplatz braucht ein Instrument, das geeignet ist, die
Liquidität des Immobilienmarktes in Deutschland zu un-
terstützen, Unternehmen von der Verwaltung nicht zu ih-
rem Kerngeschäft gehörende Immobilien zu entlasten
und damit insgesamt den Finanzplatz Deutschland zu
stärken.
Die geschlossenen Immobilienfonds, die wir derzeit
in Deutschland haben, sind nicht vertretbar und der of-
fene Immobilienfonds unterliegt nicht unerheblichen
Anlagebeschränkungen. Eine attraktive Anlageform im
Immobiliensektor fehlt in Deutschland bis heute. Dabei
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önnte ein neu einzuführendes REIT-Modell aufgrund
einer anzustrebenden Börsennotierung auch als mögli-
he EXIT-Lösung für geschlossene Immobilienfonds
nd Immobilienspezialfonds dienen.
Darüber hinaus könnte die Einführung von REITs
azu beitragen, dass die Diskrepanz zwischen dem Fi-
anzplatz London und dem Finanzplatz Deutschland
icht noch größer wird. Auch wird es dadurch eher zu
ehr als zu weniger Steuereinnahmen kommen. Das
iegt zum einen an der hohen Mindestausschüttung und
uch daran, dass sehr viele Immobilientransaktionen in
en kommenden Jahren ausgelöst werden.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist der Auffas-
ung, das wir mit der Einführung des REIT-Modells eine
innvolle und für den deutschen Immobilienmarkt not-
endige Maßnahme umsetzen.
Jutta Krüger-Jacob (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
in Antrag, der die umgehende Vorlage eines Gesetzent-
urfs zur Einführung von REITs fordert, überrascht,
enn wie der Union bestens bekannt ist, befasst sich die
undesregierung in Zusammenarbeit mit den Ländern
ereits seit einiger Zeit mit genau diesem Thema. Ein
esetzentwurf liegt lediglich deshalb noch nicht vor,
eil – was insbesondere die eingesetzte Bund-Länder-
rbeitsgruppe mit Unionsbeteiligung festgestellt hat –
ie Einführung mit komplexen steuerrechtlichen Proble-
en verbunden wäre, für die noch keine Lösung gefun-
en werden konnte. Vor diesem Hintergrund lässt die
orderung der Union nur den Rückschluss zu, dass die
mfangreiche Prüfung der Implikationen und konkreten
uswirkungen einer solchen Norm zugunsten einer
aschen Einführung eines Gesetzes aufgegeben werden
oll.
Für uns Grüne kann bei der Einführung von REITs
ben wegen der schwierigen Einbettung in unser Kapi-
almarkt- und Steuersystem die Devise nur lauten:
ründlichkeit vor Schnelligkeit! Es ist eben nicht mög-
ich, REITs-Modelle einfach nachzubilden. Die gesetzli-
he Ausgestaltung der ausländischen REITs-Modelle
ifferiert sehr und muss jeweils im Zusammenhang mit
em spezifischen Recht des einzelnen Landes gesehen
erden. Nicht umsonst sind die Bemühungen, REITs in
roßbritannien zu regeln, auch dort aufgrund diverser
teuerrechtlicher Probleme ins Stocken geraten.
Doch lassen Sie uns die Gelegenheit nutzen und uns
ie Vor- und Nachteile von REITs einmal genauer be-
rachten. Für eine Einführung spricht die Steigerung der
ttraktivität und Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplat-
es Deutschland. Ein nicht unwesentlicher Aspekt ist,
achdem sich die hiesigen Immobilienanlageprodukte
m Ausland nicht durchsetzen können, dass dadurch re-
ativ wenig auswärtiges Kapital in deutsche Immobilien
nvestiert wird.
Durch den beabsichtigten Handel der REITs an der
örse kann eine marktnähere Bildung der Immobilien-
reise erwartet werden. Statt wie bei den offenen Immo-
ilienfonds die Immobilien durch Sachverständige be-
erten zu lassen, würde eine Bewertung der REITs-
16548 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005
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Anteile durch Angebot und Nachfrage an der Börse er-
folgen.
REITs könnten zudem eine attraktive und transpa-
rente Anlagemöglichkeit für jedermann darstellen. Der
Handel an der Börse würde zur Transparenz beitragen
und das Risiko begrenzen, die geplante hohe Ausschüt-
tungsquote diese Anlageform für Kleinanleger interes-
sant machen.
Die Einführung von REITs hätte zweifellos auch
positive Auswirkungen auf den deutschen Immobilien-
markt und dessen Liquidität. Parallel könnten viele Un-
ternehmen zusätzliche Finanzierungseffekte erzielen,
was zu einer erhöhten Investitionsbereitschaft beitragen
würde.
Allerdings hat sich bei den Beratungen gezeigt, dass
diesen positiven Effekten zumindest derzeit erhebliche
Bedenken gegenüberstehen. Dazu zählen in erster Linie
die immer noch offenen Fragen bezüglich der Gestal-
tungsanfälligkeit, die mit der steuerlichen Behandlung
der REITs einhergehen. Unser besonderes Augenmerk
muss darauf liegen, kein Gesetz zu schaffen, das den öf-
fentlichen Haushalten mehr Schaden als Nutzen bringt.
Eine weitere Sorge, die sich mit der Investition von
ausländischem Kapital in deutsche Immobilien verbin-
det, ist im Mieterschutz begründet. Wir dürfen nicht zu-
lassen, dass der „kleine Bürger“ die Verbesserung der
Standortbedingungen für den Finanzplatz Deutschland
mit dem Verlust oder der drastischen Verteuerung seines
Wohnraumes bezahlen wird. Auch muss sorgfältig ge-
prüft werden, ob mit der gesetzlichen Regelung von
REITs nicht die Bildung einer Immobilienblase anregt
wird.
Des Weiteren darf ein REITs-Gesetz nicht dazu füh-
ren, dass Immobilen durch ihre Umwandlung in REITs
von Unternehmen steuerbegünstigt verkauft werden
können und hinterher die Unternehmen das damit frei
gewordene Kapital zu Standortverlagerungen und zum
Abbau von Arbeitsplätzen in Deutschland einsetzen.
Vielmehr müssen wir die Rahmenbedingungen so modi-
fizieren, dass die Unternehmen einen Anreiz bekommen,
das frei gewordene Kapital zu Investitionen am Standort
Deutschland einzusetzen und damit zusätzliche Wert-
schöpfung und Arbeitsplätze im Inland zu schaffen. Wir
kritisieren in diesem Zusammenhang schon lange die ge-
setzlich implementierte Möglichkeit zur steuerlichen
Absetzbarkeit von Unternehmensverlagerungen ins Aus-
land. Ein Gesetz zur Einführung von REITs macht die
Lösung dieser Problematik nur noch dringlicher.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Grünen
der Einführung von REITs grundsätzlich offen gegen-
überstehen. Auch wir erwarten, dass damit eine deutli-
che Belebung des Immobilienmarktes und des Finanz-
platzes Deutschland erreicht wird. Dennoch werden wir
kein Gesetz unterstützen, welches neue Steuerschlupflö-
cher schafft. So muss gewährleistet sein, dass nicht im
Rahmen von Sale-and-Lease-back-Modellen Gewinne
zwar steuerbegünstigt behandelt werden, die Aufwen-
dungen aber voll abzugsfähig sind. Dies ist nicht unsere
Vorstellung von Steuergerechtigkeit.
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Auch werden wir darauf achten, dass in einem REITs-
esetz der Anlegerschutz groß geschrieben wird. Beste-
ende aufsichtsrechtliche Standards müssen unbedingt
ingehalten werden, risikoreiche Projekte dürfen nur in
egrenztem Umfang in REITs eingestellt werden. Wir
önnen es uns nicht leisten, eine neue Kapitalanlageform
u schaffen, die das Vertrauen der Anleger in irgendeiner
eise beschädigen könnte.
Weil es derzeit keine tragfähige Lösung für einen
echtlichen Rahmen gibt, der unseren Forderungen
echnung trägt, werden wir den Antrag der Union ab-
ehnen.
Otto Fricke (FDP): Die heutige Debatte ist eine De-
atte, die man im aktuellen Zusammenhang mit der so
enannten Heuschrecken- und Kapitalismusdebatte ei-
entlich ideologisch führen müsste. Ich bin jedoch der
DU/CDU-Fraktion dankbar dafür, dass sie mit diesem
ntrag zur Einführung von Real Estate Investment
rusts in Deutschland eine Anregung gegeben hat. Mehr
st dieser Antrag sicherlich noch nicht, dieses Thema
tärker zu forcieren.
Wenn es in Europa – sagen wir ruhig im alten
uropa – ein Land gibt, in dem der Immobilienmarkt in
einer Weise die aktivierende Rolle spielt, wie er sie ei-
entlich spielen müsste, dann ist dieses der deutsche
arkt. Natürlich hängt das damit zusammen, dass der
eutsche im Umgang mit Immobilien ein hohes Maß an
onservativem Gedankengut pflegt. Dieses mag per se
icht schlecht sein, bei der Frage jedoch, wie ich Kapital
nd damit letztlich auch Investitionen in den Immobi-
ienbereich hineinbringe, ist es von erheblichen Risiken
etragen, wenn ein Staat derartig wenig zur Aktivierung
t.
Wenn wir uns als verantwortungsvolle Politiker – für
ich als Haushaltspolitiker steht dabei immer der Saldo
m Vordergrund und nicht der Einzelaspekt – überlegen,
ie wir Finanzmittel nach Deutschland bekommen,
hne den Standort sozusagen zu verkaufen, so ist das
ittel der Real Estate Investment Trust, (REITs) eines
er am besten geeigneten. Die vielen Diskussionen, die
ir über offene und geschlossene Immobilienfonds im-
er wieder haben, insbesondere natürlich über die ge-
chlossenen, zeigen, dass wir neue Mittel finden müssen.
abei geht es aber im weltweiten Wettbewerb auch da-
um, wann man diese Mittel einführt.
Es geht auch nicht, dass wir – wozu wir Deutschen
eider immer noch neigen –, sagen, wir nehmen unseren
igenen Weg nach dem Motto: Auch am deutschen Im-
obilienwesen sollen Europa und die Welt genesen.
Aus diesem Grunde halte ich die REITs für einen
ettbewerbsfaktor von erheblichem Ausmaß. Wir müs-
en allerdings auch sehen, dass wir dieses Thema mög-
ichst schnell behandeln. Hier ist die Regierung aufge-
ordert, auch etwas Mut zu zeigen. Sicherlich, ich würde
etzt wahrscheinlich die Einwände hören, dass man ja
it den Ländern nicht klarkomme und dass die Kommu-
en Angst haben. Jedes Mal natürlich – auch das wissen
ir – Ängste um Steuereinnahmen und Ähnliches, die
edoch immer nur von kurzfristiger Perspektive statt von
angfristiger Überlegung geprägt sind.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005 16549
(A) )
(B) )
Vielleicht ist die Regierung und auch die sie noch tra-
genden Koalitionsparteien hier in der Lage, den Mut zu-
sammenzufassen und einen Gesetzentwurf vorzulegen.
Mag er doch mal wieder an der Kleinstaaterei im Bundes-
rat scheitern, zumindest hätte man gezeigt, was man will.
Leider jedoch gilt – gerade wenn der eigene Fraktions-
und Parteivorsitzende den Kapitalismus selbst in seiner
Ausbringung als soziale Marktwirtschaft kritisiert –, dass
man an diese Themen nicht mehr herangehen will. Be-
sonders betrüblich ist dies, wenn wir sehen, dass die not-
wendigen steuerlichen Angleichungen kaum stattfinden.
Ich will die Thematik Steuer nicht zu sehr vertiefen,
weise aber darauf hin, dass wir bei der Frage Steuerexit
und bei der Frage der sich daraus ergebenden möglichen
Doppelbesteuerungsfragen noch einiges an Weg zu be-
schreiten haben. Insbesondere hinsichtlich der Problema-
tik der Doppelbesteuerung muss es sehr schnell zu einer
eindeutigen Regelung kommen, da Deutschland sonst ein
nicht wieder einzuholender Standortnachteil droht.
Lassen Sie mich aus Sicht der FDP eines verdeutli-
chen: Die Forderungen, die die CDU/CSU in ihrem An-
trag aufstellt, sind grundsätzlich zu unterstützen. Insbe-
sondere die Frage Fungibilität über die Börse, aber auch
Fragen der Dividendenreinvestitionsmodelle sind sicher-
lich von erheblicher Bedeutung, wenn man Erfolg haben
will. Man muss aber auch – das zeigen die Fragen insbe-
sondere der geschlossenen Immobilienfonds – für eine
Nachvollziehbarkeit und Transparenz sorgen, die es dem
Anleger, selbst wenn er nur über geringe Vorbildung ver-
fügt, erleichtert, in diesem Bereich zu investieren.
Schließlich soll mir als Haushälter noch eine kleine
Kritik an dem Antrag erlaubt sein. Ganz am Schluss
wird darauf hingewiesen, dass die Regierung doch prü-
fen sollte, ob die steuerlichen Rahmenbedingungen nach
den Vorbildern anderer REITs-Modelle im Ausland mit
der finanziellen Situation von Bund, Ländern und Ge-
meinden zu vereinbaren sind. Diese Prüfung könnten wir
alle schnell vornehmen, weil wir doch genau wissen,
dass alle Haushalte verschuldet sind. Eine solche Über-
prüfung, bei der kurzfristig nur gefragt wird, ob sie mit
den Haushalten vereinbar ist, wird nichts nutzen. Wir als
FDP sind der Ansicht, dass in der langfristigen Planung
nur eine Übersicht über zehn Jahre sinnvoll ist; denn an-
sonsten würden wir niemals bei neuen Finanzierungs-
und Investitionsmodellen Erfolg haben. Dies ist auch lo-
gisch, denn welches Modell soll Erfolg haben, bei dem
als Erstes vom Investor verlangt wird, dass er sein Geld
direkt versteuert?
Anlage 13
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Ersten Geset-
zes zur Änderung des Anspruchs- und Anwart-
schaftsüberführungsgesetzes (Tagesordnungs-
punkt 18)
Erika Lotz (SPD): Mit der am heutigen Tage anste-
henden zweiten und dritten Lesung des Entwurfes eines
Ersten Gesetzes zur Änderung des Anspruchs- und An-
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artschaftsüberführungsgesetzes muss sich der Gesetz-
eber zum wiederholten Male mit den gesetzlichen Re-
elungen zur Begrenzung rentenrelevanter Entgelte
efassen. Kaum ein Thema war in den letzten eineinhalb
ahrzehnten im Rentenrecht juristisch und politisch so
mstritten wie die Überleitung der Rentenansprüche und
entenanwartschaften derjenigen Personen, die im wei-
esten Sinne dem politischen System der DDR nahe stan-
en. Wer die im vorliegenden Gesetzentwurf geregelte
euregelung der Begrenzungsregelung des § 6 Abs. 2
es Gesetzes zur Überführung der Ansprüche und An-
artschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssyste-
en des Beitrittsgebiets, AAÜG, ausreichend würdigen
ill, kommt nicht um einen Blick in die Geschichte die-
er Norm umhin. Es ist ein lehrreiches Beispiel dafür,
ie politisch Gewolltes durch die Mühlen der Gerichte
mmer weiter verunstaltet wird, um letztlich auf ein Mi-
imum reduziert zu werden, aber auch dafür, dass die
ewaltenteilung in unserem Rechtsstaat einwandfrei
unktioniert.
Bereits im Jahre 1990 diskutierte die erste frei ge-
ählte Volkskammer der DDR darüber, wie die unge-
echtfertigten Privilegien der staats- und systemnahen
ersonen abgebaut werden könnten. Das von ihr verab-
chiedete Rentenangleichungsgesetz wurde aber nicht
ehr umgesetzt. Der Einigungsvertrag vom 31. August
990 legte jedoch fest, dass ungerechtfertigte Leistungen
bzuschaffen und überhöhte Leistungen abzubauen sind.
Es oblag dem gesamtdeutschen Gesetzgeber, mit dem
esetz zur Herstellung der Rechtseinheit in der gesetzli-
hen Renten- und Unfallversicherung vom 25. Januar
991 einen ersten Versuch der Bewältigung dieses Pro-
lems zu unternehmen. Neben der grundsätzlichen Ent-
cheidung, dass auch zu überführende Entgelte nur bis
ur Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversiche-
ung zu berücksichtigen sind, sollten weiter gehende
ürzungen diejenigen Personen treffen, die dem Staat
esonders nahe standen. Bei diesen lag die Vermutung
ahe, dass die von ihnen erzielten Verdienste nicht nur
ufgrund ihrer Arbeit und Leistung erreicht wurden.
Wer aber stand dem Staat besonders nahe? Der Ge-
etzgeber wählte eine typisierte Betrachtungsweise. So
urden manche Zusatzversorgungssysteme – wie das für
ie hauptamtlichen Mitarbeiter des Staatsapparates – als
esonders systemnah angesehen. Überschritt das jewei-
ige Einkommen das 1,4-Fache des Durchschnittsentgel-
es, wurde eine Begrenzung auf das Durchschnittsentgelt
orgenommen. Das zwei Jahre später folgende Renten-
berleitungs-Ergänzungsgesetz verfeinerte aufgrund
wischenzeitlich vom Bundessozialgericht geäußerter
edenken den Kürzungsmechanismus.
Vor dem Hintergrund eines Vorlagebeschlusses des
undessozialgerichts an das Bundesverfassungsgericht
rließ der Gesetzgeber 1996 das Gesetz zur Änderung
nd Ergänzung des Anspruchs- und Anwartschaftsüber-
ührungsgesetzes, AAÜG-ÄndG. Es trat am 1. Januar
997 in Kraft und verringerte den von einer Kürzung be-
roffenen Personenkreis auf rund 12 000 Personen. Be-
roffen waren nur noch diejenigen Angehörigen von
taats- oder systemnahen Zusatz- und Sonderversor-
16550 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005
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gungssystemen, die weit überdurchschnittlich verdien-
ten. Der Grenzwert, von dem an die zu berücksichtigen-
den Entgelte begrenzt wurden, wurde vom 1,4-Fachen
des Durchschnittseinkommens auf das Entgelt der Ge-
haltsgruppe E3 angehoben. Dieses entsprach dem Ein-
kommen eines Hauptabteilungsleiters in einem Ministe-
rium. Begrenzt wurden die Entgelte aber dann wieder
auf maximal das Durchschnittsentgelt aller Versicherten.
Mit Entscheidung vom 23. Juni 2004 erklärte das
Bundesverfassungsgericht diese Regelung jedoch für mit
dem Grundgesetz unvereinbar. Der Gesetzgeber wurde
verpflichtet, bis zum 30. Juni 2005 eine verfassungsge-
mäße Neuregelung zu schaffen, andernfalls würden die
Vorschriften nichtig werden. Diesem Auftrag kommen
wir mit dem vorliegenden Gesetz nach.
Welche Vorgaben hat das Bundesverfassungsgericht
aber gesetzt, an die wir uns halten müssen? Nach
Ansicht des Gerichts hat der Gesetzgeber auch mit der
Neuregelung durch das AAÜG-ÄndG eine unzulässige
Typisierung vorgenommen. Zwar sei die Gruppe der Be-
troffenen kleiner geworden, weil die Entgeltgrenze, von
der an eine Kürzung greife, deutlich heraufgesetzt
wurde. Das bereits mit Entscheidung des Bundesverfas-
sungsgerichts vom 28. April 1999 kritisierte gesetzliche
Grundkonzept, hohe Entgelte mit überhöhten Entgelten
gleichzusetzen, sei aber beibehalten worden. Anders als
bei den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
zur Entgeltbegrenzung für Angehörige des MfS/AfNS
könne bei diesem Personenkreis nicht per se davon aus-
gegangen werden, dass die Entgelte strukturell überhöht
waren.
Mit dieser Entscheidung standen wir vor einem gro-
ßen Problem. Eine individuelle Prüfung, welche Ein-
kommensbestandteile politisch motiviert waren, ist aus
tatsächlichen und praktischen Gründen leider nicht mög-
lich. Eine völlige Aufgabe der Entgeltbegrenzung des
§ 6 Abs. 2 AAÜG würde aber einen nicht zu ertragenden
Wertungswiderspruch auslösen. Das Bundesverfas-
sungsgericht hatte ja die Entgeltbegrenzung bei MfS/
AfNS bestätigt. Ohne eine Neuregelung würden diejeni-
gen, die in herausgehobenen Funktionen im Partei- und
Staatsapparat dem MfS/AfNS gegenüber weisungsbe-
fugt waren, erheblich höhere Renten erhalten als diejeni-
gen, deren für die Rentenberechnung zu berücksichti-
genden Entgelte wegen der Tätigkeit im MfS/AfNS in
zulässiger Weise auf das Durchschnittsentgelt begrenzt
wurden.
Es ist außerordentlich begrüßenswert, das sich vor
diesem Hintergrund alle Fraktionen des Deutschen Bun-
destages darüber einig sind, diesen Wertungswider-
spruch zu beseitigen. Eine andere Entscheidung wäre
auch – insbesondere bei den Opfern des SED-Regimes –
auf völliges Unverständnis getroffen.
Leider ist der Gestaltungsspielraum, den uns die
Rechtsprechung nunmehr lässt, äußerst bescheiden.
Nach intensiver rechtlicher Prüfung und Einschaltung
der Stasiunterlagenbehörde haben wir aber eine – den
rechtlichen Spielraum vollständig ausreizende – Mög-
lichkeit gefunden, den Wertungswiderspruch zu beseiti-
gen.
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Der vorliegende Gesetzesentwurf sieht vor, die Ent-
eltbegrenzung auf diejenigen Zeiten zu beschränken, in
enen solche Funktionen im Parteiapparat der SED, in
er Regierung oder im Staatsapparat ausgeübt wurden,
ie auch eine faktische oder rechtliche Weisungsbefug-
is gegenüber dem MfS bzw. dem AfNS umfassten.
benso werden aber auch Zeiten in Funktionen auf den
öchsten Ebenen des so genannten Kadernomenklatur-
ystems der DDR einbezogen.
Über die im ursprünglichen Gesetzentwurf genannten
ersonenkreise sind nunmehr weitere hinzugekommen.
iese Erweiterung war notwendig, weil sich erst im
ahmen der Beratungen herausgestellt hat, dass es wei-
re Funktionsträger im Partei- und Staatsapparat gab,
ie auf Entscheidungen des MfS bzw. AfNS Einfluss
ehmen konnten. Hierzu gehören insbesondere: weitere
itende Funktionäre der SED-Bezirks- oder Kreisleitun-
en, Mitglieder von Staats- und Ministerrat, einschließ-
ch der jeweiligen Stellvertreter, Staatsanwälte und
ichter der so genannten I-A-Senate, leitende Mitarbei-
r der Abteilung „Sicherheit“ des Zentralkomitees der
ED sowie Mitglieder der Bezirks- oder Kreis-Einsatz-
itungen.
Ich möchte noch einmal betonen, dass der jetzt vorlie-
ende Gesetzentwurf das Äußerste ist, was uns rechtlich
och zulässig erscheint. Es ist für mich durchaus nach-
ollziehbar, dass sich gerade die Opfer des SED-Re-
imes eine größere Lösung wünschen. Aber die Ge-
chichte der Regelung des § 6 Abs. 2 AAÜG hat
indrucksvoll gezeigt, dass auch dem Gesetzgeber in un-
erem Staate durch das Grundgesetz Grenzen gesetzt
ind. Man kann die von der Rechtsprechung konkreti-
ierten Grenzen bedauern und beklagen. Aber sie sind
un einmal vorhanden und einzuhalten. Allen Fraktio-
en dieses Hauses ist daran gelegen, dass die neue Be-
renzungsregelung einen Abschluss darstellt. Ich denke,
ir haben zusammen eine auch rechtlich überzeugende
egelung geschaffen. Für die äußerst konstruktive und
achliche Zusammenarbeit dabei möchte ich allen Betei-
gten noch einmal ausdrücklich danken.
Maria Michalk (CDU/CSU): Von mündigen Bürgern
rwarten wir den ständigen Einsatz für Demokratie und
enschenrechte. Joachim Gauck, der sich von Anfang
n mit der Aufarbeitung der SED-Diktatur befasst, hat
ies wie folgt zusammengefasst:
„Fortwährend bleiben Demokraten der Aufgabe ver-
flichtet, Diktatoren zu bekämpfen und sie nachträglich
uch noch zu delegitimieren. Sie sind gefährlich.“
Warum dieses Zitat? Die SED sprach in der DDR
elbst von der Diktatur des Proletariats. Als wir in dieser
oche am 8. Mai dem Ende des Krieges und des Natio-
alsozialismus vor 60 Jahren gedachten, ist erneut deut-
ich geworden, dass es sich für die Menschen in den
euen Ländern um einen kurzen Zeitraum zwischen
wei Diktaturen handelte. Wir sind als Parlamentarier
efordert, nicht im Kampf gegen die Diktatur und deren
ufarbeitung nachzulassen.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005 16551
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Ganz konkret geht es darum, nicht nachträglich die
SED-Machthaber in ihren Entscheidungsstrukturen zu
legitimieren. Alle Verantwortungsträger auf allen Ent-
scheidungsebenen der DDR haben ein Regime erdacht,
gestaltet und durchgesetzt, das nicht auf Freiheit und De-
mokratie basierte, sondern auf Bevormundung und Ge-
horsam. Wir dürfen nicht vergessen, dass die SED von
Anfang an und seit 1968 gemäß der DDR-Verfassung als
führende Kraft sich die Entscheidung in allen wichtigen
Bereichen des gesellschaftlichen Lebens und damit in
vielen persönlichen Lebensläufen vorbehalten hat. Diese
Verantwortung können wir an staatsnahen Sonder- und
Zusatzversorgungssystemen festmachen. De facto ist
dies heute neben der persönlichen Erinnerung die ein-
zige messbare Möglichkeit, politische Verantwortung zu
reflektieren.
Ich erinnere daran, dass die erste und die letzte frei
gewählte Volkskammer dies in ihrer politischen Willens-
bildung 1990 als Vermächtnis für den später folgenden
Gesetzgeber festgeschrieben hat. Nach Vorgaben des Ei-
nigungsvertrages sollten Leistungen aufgrund von Son-
derregelungen überprüft und ungerechtfertigte politisch
überhöhte Leistungen abgeschafft werden.
Die Einzelregelungen wurden dem bundesdeutschen
Gesetzgeber überlassen. Für Zeiten der Zugehörigkeit zu
den Zusatz- und Sonderversorgungssystemen werden
nach dem AAÜG grundsätzlich die tatsächlich erzielten
Arbeitsverdienste bis zur Beitragsbemessungsgrenze an-
erkannt. Ihre Grenze fanden diese bis zum 31. Dezember
1996 dort, wo unter anderem Mitarbeiter des Staatsappa-
rates, von gesellschaftlichen Organisationen, von Par-
teien bzw. Angehörige der bewaffneten Organe ein Ein-
kommen von mehr als dem 1,4-Fachen des
Durchschnittsentgeltes erzielt haben. In solchen Fällen
wurden die Arbeitsverdienste auf das 1,4-Fache bzw.
1,0-Fache des Durchschnittsentgeltes gekürzt. Damit
sollten die Vorgaben des Einigungsvertrages, überhöhte
Entgelte abzubauen, umgesetzt werden. Diese Regelung
ist durch das Bundesverfassungsgericht am 28. April
1999 für verfassungswidrig erklärt worden. Nach der
neuerlichen Regelung erfolgt eine Begrenzung des tat-
sächlich erzielten Einkommens nur noch dann, wenn
Personen besondere Mitverantwortung in der DDR hat-
ten. Als Maßstab für ein politisch überhöhtes Einkom-
men wurde ein von einem Hauptabteilungsleiter im
Staatsapparat erzieltes Einkommen der Stufe E3 oder ein
in der Höhe vergleichbares Einkommen angesetzt.
Aber auch diese Begrenzung wurde mit Beschluss des
Bundesverfassungsgerichtes vom 23. Juni 2004 aufge-
hoben. Der Gesetzgeber hat den Auftrag erhalten, bis
zum 30. Juni 2005 eine verfassungskonforme Regelung
zu treffen. Wenn keine neue Regelung erfolgt, ist die
Entgeltbegrenzung nichtig und bei allen Personen das
Einkommen bis zur Beitragsbemessungsgrenze zu be-
rücksichtigen. Das bedeutet eine Nachzahlung für rund
12 000 Betroffene von etwa 100 Millionen Euro und
eine jährliche Mehrbelastung von 30 Millionen Euro.
Von diesen Summen entfallen auf die Länder zwei Drit-
tel auf den Bund ein Drittel.
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Dass es sich bei der Rentenüberleitung Ost um eine
ehr komplizierte Rechtsproblematik handelt, belegt der
akt, dass es kaum ein Gesetz gibt, das so oft und inten-
iv unsere Gerichte beschäftigt. Insgesamt haben die
ereinigungsbedingten Verfahren beim Bundesverfas-
ungsgericht zu sieben Senatsentscheidungen und zu ei-
er dreistelligen Zahl von Kammerentscheidungen ge-
ührt. Besonders das Bundesverfassungsgericht wurde in
en letzten 15 Jahren in einem Maße in Anspruch ge-
ommen, wie es für Rechtsfragen aus einem grundsätz-
ich gleichen Anlass bisher noch nie der Fall war. Ehe-
alige SED-Machthaber nutzen alle Möglichkeiten
nseres freiheitlichen demokratischen Rechtsstaates, um
hre vermeintlichen Rechte durchzusetzen. Dabei kom-
en allzu oft die moralischen Aspekte zu kurz. Wir müs-
en immer wieder erkennen, dass die Aufarbeitung unse-
er Geschichte ein komplexer Prozess ist. Der Gedanke
er friedlichen Revolution muss uns dabei wie ein Leit-
aden begleiten. Dass beim Prozess, Rechtsfrieden zu
chaffen, auch ein zusätzlicher und immenser finanziel-
er Aspekt zum Tragen kommt, zeigt die Entwicklung
er Ausgaben der neuen Bundesländer an die Rentenver-
icherung für die Zusatz- und Sonderversorgungssys-
eme. Sie sind seit 1998 von insgesamt 1 475,7 Millio-
en Euro auf 2 290,8 Millionen Euro im Jahr 2004
estiegen. Diese Mittel gehen in den konsumtiven Be-
eich und stehen für Investitionen nicht zur Verfügung.
Ich stelle noch einmal fest: Nach Prüfung des Bun-
esverfassungsgerichtes verbleibt es für Stasi-Mitarbei-
er bei der Begrenzung des tatsächlich erzielten Arbeits-
erdienstes durch das Durchschnittsentgelt aller
ersicherten, 1,0. Dies wurde ausdrücklich als verfas-
ungsgemäß bestätigt. Dies befürworten wir auch heute
rneut.
Der Entwurf zur Umsetzung des Urteils vom letzten
ahr wollte die Regelung zur Begrenzung des bei der
entenberechnung berücksichtigungsfähigen Arbeits-
ntgeltes neu fassen. Die Entgeltbegrenzung sollte auf
eiten beschränkt werden, in denen insbesondere solche
unktionen im Staatsapparat ausgeübt wurden, die auch
ine Weisungsbefugnis gegenüber dem MfS und AfNS
mfassten. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion sah in
ieser Vorgehensweise eine unzureichende Regelung vor
llem gegenüber den Opfern des SED-Regimes. Deshalb
ollten wir die tatsächliche Weisungsbefugnis auf allen
benen stärker herangezogen wissen. Auf dieser Überle-
ung fußte unser ursprünglicher Änderungsantrag. Ein-
ernehmlich waren die vorgeschlagenen gesetzlichen
egelungen zum Bestandsschutz und Übergangsrege-
ungen der bereits bestandskräftigen Bescheide.
Wir haben bei unserer Bewertung auch den Status der
pfer des SED-Regimes zu beachten. In enger Abstim-
ung mit den Landesbeauftragten für die Unterlagen des
taatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR und der
irthler-Behörde wurde ein weit reichender Änderungs-
ntrag in die kurze Beratungszeit eingebracht. Nunmehr
ilt für folgende Beschäftigungen bzw. Tätigkeiten eine
ntgeltbegrenzung: Erstens. Mitglied, Kandidat oder
taatssekretär im Politbüro der Sozialistischen Einheits-
artei Deutschlands;
16552 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005
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Zweitens. Generalsekretär, Sekretär oder Abteilungs-
leiter des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheits-
partei Deutschlands, SED, sowie als Mitarbeiter der Ab-
teilung „Sicherheit“ bis zur Ebene der Sektorenleiter
oder als die jeweiligen Stellvertreter;
Drittens. Erster oder Zweiter Sekretär der SED-Be-
zirks- oder Kreisleitung sowie Abteilungs- oder Refe-
ratsleiter für Sicherheit oder Abteilungsleiter für Staat
und Recht;
Viertens. Minister, stellvertretender Minister, oder
stimmberechtigtes Mitglied von Staats- oder Ministerrat
oder als ihre jeweiligen Stellvertreter;
Fünftens. Vorsitzender des Nationalen Verteidigungs-
rates, Vorsitzender des Staatsrates oder Vorsitzender des
Ministerrates sowie als in diesen Ämtern ernannter Stell-
vertreter;
Sechstens. Staatsanwalt in den für vom Ministerium
für Staatssicherheit sowie dem Amt für Nationale Si-
cherheit durchzuführenden Ermittlungsverfahren zustän-
digen Abteilung I der Bezirksstaatsanwaltschaften;
Siebtens. Staatsanwalt der Generalstaatsanwaltschaft
der DDR;
Achtens. Mitglied der Bezirks- oder Kreis-Einsatzlei-
tung;
Neuntens. Staatsanwalt oder Richter der I-A-Senate.
Dieser erweiterte Weisungsbefugnisbegriff wurde
dankenswerterweise von der rot-grünen Koalition mitge-
tragen. Ich bin froh, dass es zu dem überfraktionellen
Antrag gekommen ist. Wir haben mit dieser fraktions-
übergreifenden Beschlussempfehlung gezeigt, dass wir
erstens in der Bewertung des Unrechtsstaates DDR frak-
tionsübergreifend konsequent sind, zweitens fraktions-
übergreifend die Gerechtigkeitslücke zwischen Sys-
temprivilegierten und Systemopfern Schritt für Schritt
schließen wollen, drittens eine dauerhaft tragende Lö-
sung für die Bewertung der Sonder- und Zusatzversor-
gungssysteme brauchen.
Ich bedanke mich bei allen, die geholfen haben, diese
Willensbildung in ein Gesetz zu fassen, das systemnahen
Entscheidungsträgern keinen nachträglichen Triumph
ermöglicht. Das Bemühen um Gerechtigkeit ist ein stän-
diger und herausfordernder Prozess. Wir haben an die-
sem komplizierten Sachverhalt der Sonder- und Zusatz-
versorgungssysteme unter Beweis gestellt, dass wir das
mit großem Ernst immer wieder tun.
Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das
Bundesverfassungsgericht hat den Gesetzgeber zu einer
Neuordnung der Ansprüche aus Zusatz- und Sonderver-
sorgungen der DDR verpflichtet. Die gesetzte Frist läuft
im Sommer 2005 aus. Mit dem vorliegenden Gesetzent-
wurf setzen wir das Urteil des Bundesverfassungsge-
richts um, nicht mehr und nicht weniger.
Wie stellt sich die Lage aus Sicht des Bundesverfas-
sungsgerichtes dar? Das Bundesverfassungsgericht hat
die Kürzung der Zusatz- und Sonderversorgung für Mit-
arbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit ausdrück-
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ich gebilligt. Das Bundesverfassungsgericht hält die
nnahme für begründet, dass die Entgelte beim MfS
trukturell überhöht gewesen seien. Diese Unterstellung
ässt sich jedoch laut Bundesverfassungsgericht nicht auf
lle Empfänger von Sonder- oder Zusatzversorgung
bertragen. Nicht für alle Versicherten, deren Entgelt
och gewesen sei, gelte, dass ihr Entgelt überhöht gewe-
en sei. Eine pauschale Begrenzung der Entgelte, auf de-
en Grundlage die Rente berechnet werde, sei aus die-
em Grund nicht zulässig.
Wir machen mit dem vorliegenden Gesetzentwurf
on der Möglichkeit Gebrauch, eine neue Regelung zu
reffen. Wir haben entschieden: Für diejenigen, die ge-
enüber Mitarbeitern des MfS faktisch oder rechtlich
eisungsberechtigt waren, sollen die Entgelte weiter be-
renzt werden. Das gilt etwa für Parteisekretäre oder Mi-
ister.
Wir alle wissen, dass dieser Gesetzentwurf von jenen,
eren Entgelte begrenzt bleiben sollen, kritisiert werden
ird. Die Betroffenen und ihre Verbände meinen, dass
uch die im Entwurf genannten Begrenzungen nicht be-
ründet und gerechtfertigt seien. Was wäre, wenn wir
iesem Anliegen Rechnung tragen würden? Dann wür-
en die Renten für Mitarbeiter des Ministeriums für
taatssicherheit gekürzt. Die Renten für jene, die in der
DR in leitender Funktion gearbeitet haben und in die-
er Funktion gegenüber dem Ministerium für Staatssi-
herheit Weisungen erteilen konnten, müssten dagegen
eutlich angehoben werden. Das kann man wohl
chwerlich begründen.
Wir alle wissen, dass dieser Gesetzentwurf von den
pfern des SED-Regimes als Zumutung empfunden
ird. Wir haben nicht das Anliegen jene zu privilegie-
en, welche bereits in der DDR privilegiert waren. Wir
ehmen Verbesserungen vor, die verfassungsrechtlich
wingend sind. Wir halten uns streng an die Vorgaben
es Bundesverfassungsgerichtes. Diese Koalition grenzt
icht jene aus, die bereits in der DDR ausgegrenzt wa-
en. Wir haben viele Debatten darüber geführt, wie den
pfern des SED-Regimes geholfen werden kann. Wir
erden weiterhin dafür sorgen, dass Menschen, die für
emokratie gekämpft haben, nicht vergessen werden.
ir sollten aber nicht vergessen, dass diese Koalition
ereits eine Reihe von Gesetzen auf den Weg gebracht
at.
So wurde von uns das Strafrechtliche Rehabilitie-
ungsgesetz für politisch Verfolgte der DDR geändert;
ie Haftentschädigung wurde angehoben. Auch für die
on Kohl vergessenen verfolgten Schüler haben wir
001 die Regelungen für die Anrechnung von Verfol-
ung bei der Rentenversicherung verbessert. 2001 wurde
benso festgelegt, dass Unterstützungsleistungen nach
em Häftlingshilfegesetz nicht als Einkommen gewertet
erden, wenn Sozialleistungen bezogen werden, die
om Einkommen abhängig sind. Wir haben dafür ge-
orgt, dass die Zivildeportierten jenseits von Oder und
eiße eine jährliche Unterstützungsleistung bekommen.
afür haben wir 1999 die Mittel für die Häftlingshilfe-
tiftung von jährlich 300 000 DM auf jährlich 1 500 000
M erhöht.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005 16553
(A) )
(B) )
Die Antragsfristen im Strafrechtlichen, Verwaltungs-
rechtlichen und Beruflichen Rehabilitierungsgesetz wur-
den bis zum 31. Dezember 2007 verlängert. Das geht auf
eine Initiative der Regierungsfraktionen zurück. Die
Ausgleichsleistungen für die beruflich Verfolgten, die in
ihrer wirtschaftlichen Lage beeinträchtigt sind, wurden
im Zuge dessen angehoben. Auch Betroffene, die eine
Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung bezie-
hen, erhalten seitdem höhere Ausgleichsleistungen.
Wir sollten diese Debatte sehr nüchtern und sehr
sachlich führen.
Anlage 14
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Frauen in den Kri-
senregionen Subsahara-Afrika stärken (Tages-
ordnungspunkt 19)
Dagmar Schmidt (Meschede) (SPD): Frauen zählen
zu den Hauptleidtragenden in Kriegen. Das wird uns ge-
rade in diesen Tagen anlässlich des 60. Jahrestages der
Befreiung vom Nationalsozialismus wieder in Erinne-
rung gerufen. Frauen tragen in Kriegen die Hauptlast für
das Überleben ihrer Familien. Sie werden zu Opfern von
Vergewaltigungen. Sie tragen die Hauptlast, wenn es um
den Wiederaufbau geht. Unsere Mütter und Großmütter
haben uns davon erzählt. Mit ihren Erlebnissen und
Traumatisierungen sind viele von uns aufgewachsen.
Gerade in diesen Tagen werden wir wieder daran erin-
nert.
Wer kann da nicht nachvollziehen, wie sich Frauen
heute in Kriegsgebieten auf dem afrikanischen Konti-
nent fühlen müssen? So ist es in der Region Darfur, im
Westen des Sudan. Eine ganz besondere Kriegswaffe,
eine ganz besonders zu ächtende Kriegswaffe war die
Vergewaltigung. Mit Vergewaltigungen hat man ganze
Bevölkerungsgruppen demoralisiert, gedemütigt und
entmutigt. Mordende und brandschatzende Milizen ha-
ben systematisch und gezielt Frauen vergewaltigt, um
die schwarzafrikanische Bevölkerung zu vertreiben. Die
Regierung hat das Morden gebilligt. In den Flüchtlings-
lagern lastet die Sorge für Kinder und Alte auf den
Schultern der Frauen. Sie sind diejenigen, die das Über-
leben organisieren.
Das ist nur ein Beispiel.
In anderen Kriegs- und Krisenregionen südlich der
Sahara werden Mädchen und Frauen verschleppt. Sie
werden ihren Familien entrissen. Sie werden zur Prosti-
tution gezwungen. Zwölf-, 14-, 16-jährige Mädchen
werden dazu missbraucht, mit der Waffe in der Hand ge-
gen die eigenen Leute zu kämpfen. Wenn wieder Frieden
einkehrt, sind sie deshalb ausgegrenzt und ausgestoßen.
Sie müssen mit ihren traumatischen Erlebnissen allein
fertig werden.
Wir setzen uns für Frauen in Kriegs- und Krisenge-
bieten Subsahara-Afrikas ein. Die Geschlechterperspek-
tive in die Friedenspolitik zu integrieren, das ist für uns
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elbstverständlich. Im Rahmen der UN-Resolution 1325
ücken wir die Interessen von Frauen und Mädchen in
en Vordergrund. Das gilt für die Krisenprävention. Das
ilt für den Wiederaufbau.
Wir unterstützen eine Vielzahl von Projekten, Pro-
kte zum Beispiel, die den gleichberechtigten Zugang
on Mädchen und Frauen zu Reintegrationsleistungen
nstreben. Soldatinnen werden als besondere Zielgruppe
ngesprochen.
Zum Antrag der Union: Während ich die Analyse des
ntrags in vielen Punkten teilen kann, muss ich hier
och sagen: Dieser Antrag hat ein gravierendes Defizit.
r verschweigt unser Engagement, mit dem wir die
rauen und Mädchen in Subsahara-Afrika stärken.
Auch dass die Bundesregierung die Resolution 1325
es UN-Sicherheitsrates nicht ausreichend umsetzt,
iese Behauptung im Antrag ist schlichtweg falsch.
Die Gleichberechtigung der Geschlechter haben wir
der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit zum
uerschnittsthema gemacht. Wir machen uns stark für
rauenrechte. Wir machen uns stark dafür, dass die Re-
ierungen der afrikanischen Staaten die UN-Konvention
ur Beseitigung jeglicher Form von Diskriminierung der
rau, CEDAW, unterzeichnen und ratifizieren.
Wir schauen genau hin. Denn Gewalt gegen Frauen
nd Mädchen, Diskriminierung und Benachteiligung
ibt es in Subsahara-Afrika auch in Friedenszeiten. Da-
er unterstützen wir Projekte und Organisationen, die
ie Geschlechtergerechtigkeit in Gesellschaft und Politik
erankern.
Schauen Sie nach Mosambik. Dort fördern wir
chwerpunktmäßig Projekte und Organisationen, die die
ildung von Frauen und Mädchen vorantreiben.
chauen Sie nach Äthiopien. Genitalverstümmelung und
wangsverheiratung sind in vielen Gemeinden als un-
echtmäßig erklärt worden. Wir unterstützen Organisa-
onen, die in den ländlichen Gemeinden vor allen Din-
en aufklären und informieren. Schauen Sie nach Benin.
ir haben die deutsche NGO Intact unterstützt, die dort
eit Jahren gegen die weibliche Genitalverstümmelung
ämpft, und zwar mit Erfolg.
Unsere Bundesentwicklungsministerin Heidemarie
ieczorek-Zeul traf vor wenigen Wochen die mutigen
rauen von Benin, die in freiwilligen Dorfkomitees da-
über wachen, dass dieser blutige Brauch in ihren Dör-
ern nicht mehr praktiziert wird.
Wir unterstützen Frauen und Frauenorganisationen.
azu zählt auch das überregionale Projekt „Förderung
on Initiativen zur Überwindung der weiblichen Genital-
erstümmelung“. Dieses Projekt wird in Burkina Faso,
enin, Guinea, Mali, Äthiopien, Kenia, Senegal und
em Tschad durchgeführt.
Das Afrika der Subsahara ist nicht nur ein Kontinent
er Kriege und Gewalt. Es gibt auch positive Entwick-
ngen. Demokratisierungsprozesse wie in Südafrika
nd Namibia erleichtern Reformen zugunsten der
leichberechtigung und Gleichstellung von Frauen und
16554 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005
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(B) )
Mädchen. Solche Entwicklungen gilt es mit aller Kraft
zu unterstützen.
Wir arbeiten an der Umsetzung der Millenniumsent-
wicklungsziele, die wir im September 2000 unterschrie-
ben haben. Frieden, Abrüstung, Armutsbekämpfung,
Gesundheitsversorgung und Menschenrechte sollen auch
in den Ländern Subsahara-Afrikas erreicht werden. Die
Stärkung von Frauen und Mädchen ist der Schlüssel zur
Entwicklung. Frauen stärken heißt Entwicklung stärken.
Ihr Zugang zu Bildung, zu Eigentum, zu Land und zu
wichtigen Funktionen in Politik und Gesellschaft, das
sind die entscheidenden Meilensteine, um die Millenni-
umsentwicklungsziele zu erreichen.
Mutige und engagierte Frauen gibt es immer mehr.
Ich nenne die Kenianerin Wangari Maathai, die im ver-
gangenen Jahr den Friedensnobelpreis erhielt. Ich nenne
Waris Dirie aus Somalia, die sich gegen die Genitalver-
stümmelung stark macht. Diese beiden Frauen kennt
man mittlerweile auch hier. Das ist ein gutes Zeichen. Es
reicht noch nicht. Noch viel mehr müssen die afrikani-
schen Frauen gehört werden. Noch viel mehr müssen sie
unterstützt werden, damit sie ihre Rechte durchsetzen
können.
An dieser Stelle möchte ich auch das Engagement der
vielen unbekannten Frauen hervorheben, die sich in Sub-
sahara-Afrika für Frieden einsetzen. Ihre Arbeit findet
im Alltag statt. Ihre Namen gehen selten um die Welt.
Dabei sind Sie die mutigen Vorbilder.
„1 000 Frauen für den Friedensnobelpreis 2005“, so
heißt eine Kampagne, die Friedensaktivistinnen in der
Schweiz initiiert haben. Sie haben Frauen aus aller Welt
– auch aus Ländern der Subsahara – für den Nobelpreis
nominiert. Wir unterstützen diese Kampagne. Stellver-
tretend für die 1 000 Frauen liegen die Namen von drei
Frauen dem Komitee in Oslo vor. Sie wurden per Los-
verfahren ausgewählt. Ihnen wünschen wir, dass Sie den
Preis erhalten.
Als Europäer tragen wir insgesamt eine besondere
Verantwortung. Als ehemalige Kolonialmächte haben
Generationen vor uns viel Unheil über den afrikanischen
Kontinent gebracht. Ich erinnere nur an die Unterdrü-
ckung und Vernichtung der Hereros im heutigen Nami-
bia durch deutsche Truppen. Auch damals wurden
Frauen vergewaltigt. Auch damals waren Frauen die
Hauptleidtragenden.
60 Jahre Frieden in Europa sind für uns Frauen ein
nicht zu unterschätzender Wert, noch mehr als für die
männliche Bevölkerung. Ich stehe hier zu dem Antrag
der CDU/CSU mit folgender Einstellung: Es ist gut, dass
wir immer wieder den Fokus auf das noch immer exis-
tierende Unrecht in der Welt lenken – aber bitte in Aner-
kennung dessen, was unsere Regierung bereits leistet.
Gabriele Groneberg (SPD): Als ich den Antrag
vorgelegt bekam und mir durchlas, war meine erste Re-
aktion: Es ist richtig, dass hier wieder einmal darauf auf-
merksam gemacht wird, auf welche Weise Mädchen und
Frauen Tag für Tag Unrecht geschieht, immer und immer
wieder, teilweise auf grauenvolle Art und Weise. Es ist
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ichtig: Dieser Antrag dient dazu, ein weiteres Mal den
lick auf diese Geschehnisse zu lenken.
Es wäre gut gewesen, wenn Sie sich bei den Forde-
ungen, die Sie an die Bundesregierung richten, einmal
ngeschaut hätten, was alles zur Umsetzung der UN-Re-
olution 1325 gemacht worden ist. Ich habe den Ein-
ruck, dass es Ihrer geschätzten Aufmerksamkeit ent-
angen ist, dass die Schritte zur Umsetzung der
icherheitsratsresolution 1325 (2000) in einem Bericht
er Bundesregierung vom Juni 2004 festgehalten wor-
en sind. Der Bericht bezieht sich auf den Zeitraum der
ahre 2002 und 2003. Erwähnenswert ist, dass sich die-
er Bericht auf die Umsetzung im nationalen, regionalen
nd internationalen Bereich bezieht; er ist also wesent-
ich umfassender als der wichtige Bereich, der hier heute
ngesprochen wird.
Frau Schmidt hat einige Beispiele von Tätigkeitsfel-
ern genannt, auf denen die Bundesregierung aktiv ist.
ch will diese nur um einige wenige ergänzen:
Es werden der zivile Friedensdienst, ZFD, Friedens-
ädagogik und zivile Konfliktbearbeitung bei Viehhal-
erethnien und Ackerbauern in der Region Soroti/
ganda unterstützt.
40 ugandische Polizeibeamte und -beamtinnen sind in
er Bearbeitung von Fällen häuslicher Gewalt fortgebil-
et und sensibilisiert worden. Die Zusammenarbeit zwi-
chen der ugandischen Polizei und lokalen Frauenrechts-
rganisationen ist gestärkt worden.
Wiedereingliederungs- und Demobilisierungspro-
ramme beispielsweise in Ruanda und Sierra Leone wer-
en unterstützt.
Wenn Ihnen das nicht reicht, möchte ich noch zitieren
us dem Schattenbericht des Frauensicherheitsrats zum
ben genannten Bericht der Bundesregierung. Der Frau-
nsicherheitsrat ist im März 2003 gegründet worden und
hm gehören rund 50 Frauen aus friedens- und entwick-
ungspolitischen Organisationen, aus politischen Stif-
ungen und Friedensforschungsinstituten an. Der Frau-
nsicherheitsrat ist von der Bundesregierung also
ollkommen unabhängig. Er hat als seine Hauptaufgabe
efiniert, die Arbeit der Bundesregierung während ihrer
weijährigen Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat kri-
isch zu begleiten und dabei insbesondere die Umset-
ung der Resolution 1325 zu beobachten.
Ich zitiere aus den Vorbemerkungen zu diesem Be-
icht:
Vorab ist positiv zu erwähnen, dass die Bundesre-
gierung ihre Berichtspflicht im Gegensatz zu den
meisten anderen Staaten ernst genommen hat. Die
Mehrheit der Regierungen der UN-Mitgliedsländer
hat keinen Report abgeliefert. Selbst Länder, die
sich als Förderer von Resolution 1325 darstellen
und sich im informellen Club der „Friends of the
Resolution 1325“ zusammengeschlossen haben, ha-
ben nur wenige Seiten geliefert. Zusammen mit
Kanada gehört die Bundesrepublik zu denjenigen
Staaten, die dem UN-Generalsekretär am ausführ-
lichsten geantwortet haben.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005 16555
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Auch möchten wir deutlich machen, dass wir mit
unserer Kritik an Passagen des Berichtes nicht die-
jenigen treffen wollen, die sich innerhalb der Minis-
terien nach Kräften um die Förderung von Ge-
schlechterbewusstsein und um die Umsetzung der
Resolution bemühen.
Wir wissen um die schwierige und undankbare Si-
tuation von engagierten Frauen und Männern in den
Ministerien, die den demokratischen Auftrag, Ge-
rechtigkeit zwischen den Geschlechtern herzustel-
len, ernst nehmen und zu Genderfragen arbeiten.
Einerseits sind sie angesichts ihrer Unterrepräsen-
tanz überlastet, andererseits wird ihre Arbeit von
traditionell denkenden KollegInnen abgewertet, die
das „Gendering“ für ideologischen Ballast oder bü-
rokratische Zeitverschwendung halten. Indem wir
auf die Defizite und Erfordernisse in Bezug auf die
Umsetzung der Resolution 1325 im politischen Be-
reich hinweisen, hoffen wir, diese Frauen und Män-
ner in ihrer Position und ihrem Engagement stärken
zu können, damit auch der Bedarf an mehr Gender-
Expertise in den Ministerien deutlich wird.
Ich habe diese Vorbemerkungen aus folgenden Grün-
den so ausführlich zitiert:
Erstens. Seit dem In-Kraft-Treten der Resolution ist
gerade von dieser Bundesregierung und im speziellen
von Frau Ministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul so viel
getan worden wie nie zuvor in Deutschland, um Mäd-
chen und Frauen gerade auch in Krisenregionen zu hel-
fen.
Zweitens. Die in Ihrem Antrag enthaltenen Forderun-
gen stehen schon längst auf der Agenda dieser Bundesre-
gierung und werden in vielfältige Unterstützung für kon-
krete Projekte umgesetzt.
Drittens. Nichts ist so gut, als dass man es nicht noch
verbessern könnte. Einigkeit werden wir sicherlich er-
zielen in der Feststellung, dass es immer noch mehr sein
kann, was zu tun ist, um die Freiheit und die Würde der
Mädchen und Frauen in den Krisenregionen nicht nur in
Afrika, sondern in allen Krisenregionen auf der Welt zu
schützen. Aber gerade darum wäre es schön gewesen,
Sie forderten nicht einfach nur das, was bereits in Arbeit
ist, sondern Sie könnten durch konkrete und auch lo-
bende Unterstützung diesen Prozess besser befördern.
Ich habe diese Vorbemerkungen des Schattenberich-
tes auch deshalb so ausführlich zitiert, weil wir – damit
komme ich zum Schluss – uns alle an die eigene Nase
fassen sollten, wenn es auch bei uns im tagtäglichen Ge-
schäft um die konkrete Verbesserung der Situation von
Mädchen und Frauen geht. Wirklich glaubwürdig ist
man vor allem dann, wenn man ein leuchtendes positives
Beispiel abgibt. Ich gebe zu, daran haben auch wir in un-
serem Land noch eine Menge zu arbeiten.
Anke Eymer (Lübeck) (CDU/CSU): In den vergan-
genen Jahren hat sich die politische Diskussion interna-
tional und auch hier in Deutschland vermehrt den Pro-
blemen in Afrika zugewandt. Heute liegt uns ein Antrag
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or, der die Situation der Frauen in Afrika zur Sprache
ringt.
Unter jedem politisch und gesellschaftlich wichtigen
esichtspunkt, unter dem wir die Entwicklung in den
frikanischen Subsahara-Ländern betrachten wollen, ist
ie Situation der Frauen und Mädchen in besonderer
eise besorgniserregender als die vergleichbare Situa-
ion der Männer.
Die Notwendigkeit, die spezifischen Menschenrechts-
erletzungen gegen Frauen zu unterbinden und effektiv
ür eine Befähigung der Frauen zu sorgen, zu einer gesi-
herten und gleichberechtigten Position in Politik, Ge-
ellschaft und Wirtschaft zu gelangen, ist daher eine
uerschnittsaufgabe von hoher Priorität. Dabei stellt
ich gleich zu Beginn eine doppelte Schwierigkeit. Was
berall mit zur Sprache kommt, wird nicht selten als ei-
ener wesentlicher Punkt übersehen. Daher begrüße ich
en uns heute vorliegenden Antrag, der diese besondere
roblemstellung, die Frauen in Afrika betreffend, her-
orhebt.
Bei dieser Querschnittsaufgabe, die so zahlreiche
hemenfelder immer mit betrifft, ist es notwendig, so-
ohl die Weite des Problemfeldes zu sehen als auch die
otwendige Differenzierung in den Einzelschritten zu
nternehmen. Wir reden über vier Fünftel eines Konti-
entes, der eine Fläche hat, die zum Beispiel diejenige
er EU um das Fünffache übersteigt. Wir reden über eine
esamtbevölkerungszahl von fast einer viertel Milliarde
inwohner, von einem Kontinent, in dem mehr als 1 500
prachen gesprochen werden und mehr als 3 000 ethni-
che Gruppen klassifiziert werden.
Innerhalb dieser gewaltigen, unvorstellbaren Dimen-
ion sind die Lebensbedingungen der Frauen unter-
chiedlicher als zum Beispiel die einer sizilianischen Fa-
ilienmutter und die einer Industriearbeiterin in
chweden. Dabei existieren diese großen Unterschiede
eilweise innerhalb eines Landes oder eines begrenzten
ebietes.
Nicht selten treffen in benachbarten Regionen unter-
chiedliche Religionen, die das zivile und politische Le-
en bestimmen, unvereinbar aufeinander, spalten Bür-
erkriege Nationen, jagen Armut, Naturkatastrophen
ausende in die Migration. Auf der anderen Seite stehen
ufblühende afrikanische Staaten wie Nigeria oder Süd-
frika mit Wachstumsraten des BIP in 2004 von
,4 Prozent beziehungsweise von 3,5 Prozent, von über
8 Prozent, die uns nur mit Anerkennung und Neid er-
üllen können.
Auch wenn die Vereinten Nationen für 2004 feststel-
en, dass es unter den benannten Milleniumszielen, die
uch die Bekämpfung aller Formen der Gewalt gegen
rauen und die Beseitigung der Diskriminierung der
rauen und Mädchen beinhalten, verglichen mit den an-
eren Zielen bis 2004 immer noch am besten aussah,
arf das kein Grund zum Ausruhen sein.
Der vorliegende Antrag zeigt in seiner Vielzahl der
ngesprochen Punkte deutlich, wie gefährdet in großen
ereichen die Situation der Frauen und Mädchen ist. Für
ine sachgerechte und menschenzugewandte Afrikapoli-
ik möchte ich daher an alle appellieren, bei jeder
16556 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005
(A) )
(B) )
Problemstellung und bei jeder Maßnahme verstärkt die
Situation der Frauen als eigenen Punkt mit zu bedenken.
Zudem zeigt der Antrag auch zahlreiche Felder auf, in
denen Hilfe gezielt und ganz spezifisch für Frauen un-
bedingt nötig ist: religiöse und traditionelle Formen der
Verstümmelung von Frauen, Zwangsheiraten, die be-
sondere Notwendigkeit einer Sorge um die durch
Kriegstraumata gefährdeten Frauen und die teilweise
mittelalterlich anmutenden Rechtsordnungen, die Frau-
enabhängigkeit fördern und Menschenrechte verletzen.
Bei diesem oft erschreckenden Bild der Gefährdung
und Unterdrückung von Frauen in Teilen Afrikas und in
dem Wunsch, hier schnell und nachhaltig Abhilfe zu
schaffen, möchte ich aber auch darauf hinweisen, dass es
ebenso viele gute Aufbrüche in Afrika gibt, dass es Er-
folge in der Gleichberechtigung der Frauen gibt, die teil-
weise für uns in Deutschland und Europa vorbildlich
sein können. Zahlreiche Frauen in hohen Ministerämtern
in verschiedenen Staaten, die hohe Zahl von Frauen als
AU-Kommissare, das und vieles mehr sollte ein wesent-
licher Ansatzpunkt unserer Arbeit sein. Zu nennen ist
auch der Erfolg in Benin, wo durch eine große zivile An-
strengung die Verstümmelung junger Mädchen geächtet
und abgeschafft wurde.
Es gilt, im Gespräch um eine Verbesserung an dem in
Afrika schon Geleisteten anzuknüpfen, die wachsende
Eigenverantwortung der afrikanischen Länder nicht zu
mindern, sondern zu unterstützen in einem konstruktiv-
kritischen, aber partnerschaftlichem Miteinander. Wie
wir alle hier wissen, betreten wir mit unserer heutigen
Debatte nicht Neuland. Ich möchte es aber als eine Zäsur
verstehen, sich gemeinsam explizit und verstärkt dem
genannten Thema „Frauen in den Krisenregionen Afri-
kas“ zu widmen. Daher möchte ich die Schlussfolgerung
ziehen, dass der Antrag jene grundlegenden Aussagen
macht, die wir als Wiederbeginn und Ansatzpunkt einer
vor allem sehr differenzierten Entwicklung und gemein-
samen Anstrengung nehmen sollen.
Es ist eine Aufgabe, die wir gemeinsam wahrnehmen
und im Gespräch mit den afrikanischen Partnern voran-
bringen müssen. Dann wird die heutige Debatte nicht
nur in die lange Reihe jener Feigenblätter gehören, dass
man darüber gesprochen hat, ohne zu wirklichen Verbes-
serungen für die betroffenen Frauen zu kommen. Daher
würde ich mir wünschen, dass der Deutsche Bundesstag
zu einem gemeinsamen Antrag kommt, als Grundlage
einer auf die Bedürfnisse der Frauen ausgerichteten Poli-
tik in den Ländern Subsahara-Afrikas.
Dr. Conny Mayer (Freiburg) (CDU/CSU): Lassen
Sie mich mit einem Zitat beginnen. Das Zitat beschreibt
die Vision, die Frauen in Guinea, in Sierra Leone und in
Liberia gemeinsam haben: Sie wünschen sich „a sub-re-
gion that is peaceful and prosperous inhabited by citi-
zens who are healthy, educated, live in unity and enjoy-
ing all their human rights including equity and equality
with women playing an effective role in peace and sus-
tainable develop ment processes.
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Frauen aus diesen drei westafrikanischen Ländern ha-
en sich im Mai 2000 zum „Mano River Women’s Peace
etwork“ zusammengeschlossen. Es ist eine NGO, die
ich für Frieden und Entwicklung in dieser krisenge-
chwächten Region einsetzt. Diese Frauen haben sich
usammengetan, weil sie es satt hatten, mit ihren Kin-
ern zusammen die Hauptlast von Konflikten zu tragen –
hne ein Mitspracherecht bei der Wahrung und Schaf-
ung von Frieden zu haben.
Mit viel Energie und Dynamik klären sie die Bevöl-
erung über Mechanismen von Frieden, Sicherheit und
irtschaftlicher Entwicklung auf. Sie fordern gleichbe-
echtigte Beteiligung von Frauen auf allen Entschei-
ungsebenen ein. Sie engagieren sich für friedliche
onfliktlösungen. Ziel sind Geschlechtergerechtigkeit,
ie Respektierung von Menschenrechten, Demokratie
nd nachhaltigem Frieden.
Diese Frauen brauchen unsere Unterstützung. Wer
frikanische Frauen kennt, wer um die Energie, die Kraft
nd den Mut dieser Frauen weiß, dem ist klar: Vieles
chaffen diese Frauen allein. In manchem brauchen sie
ber unsere Solidarität und unsere Unterstützung.
Der vorliegende Antrag der CDU/CSU-Bundestags-
raktion zeigt auf, wo wir helfen sollten und wo uns Un-
erstützung möglich ist. Warum geht es in diesem Antrag
erade um Frauen in Krisengebieten, warum gerade um
ie Situation in Subsahara-Afrika? In Subsahara-Afrika
ibt es derzeit 14 Krisengebiete, mehr als irgendwo
onst auf der Welt. Denken Sie an den Sudan, an die DR
ongo, denken Sie an Simbabwe oder eben an das Drei-
ändereck Liberia, Sierra Leone und Guinea!
Die Frauen, um die es in diesem Antrag geht, also
rauen in Krisenregionen, sind durch gewaltsame Kon-
likte gleich mehrfach betroffen: als Flüchtlinge und
innenvertriebene, als Opfer von Gewalt, vielfach auch
exueller Gewalt, als „Kämpferinnen“ und Beteiligte an
riegerischen Auseinandersetzungen, als diejenigen, die
uch unter schwersten Lebensbedingungen die Familie
usammenhalten und Kinder und Ältere versorgen.
ründe genug, die Situation von Frauen in den Krisen-
ebieten Subsahara-Afrikas in einer Debatte des Deut-
chen Bundestages zu thematisieren!
Mehrere Staaten Subsahara-Afrikas gehören zu den
o genannten Failing oder sogar Failed States, also Staa-
en, in denen staatliche Strukturen nur unzureichend
unktionieren oder gar nicht mehr vorhanden sind. Ins-
esondere in diesen zerfallenden Staaten ist die Situation
on Frauen außerordentlich schwierig, weil überwunden
eglaubte Traditionen und Gewohnheitsrechte, die die
echte von Frauen verletzen, häufig wieder aufleben
denken Sie zum Beispiel an die Benachteiligungen von
rauen bei dem Erwerb von Grund oder Eigentum oder
n die Frage der sexuellen Selbstbestimmung –, weil
rauen und Mädchen dort keinen Zugang zu angemesse-
er Gesundheitsversorgung oder zu Familienplanung so-
ie Prävention und Therapie von HIV/Aids haben und
eil die Chancen von Frauen und Mädchen auf Zugang
u Bildung in solchen Ländern sinken.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005 16557
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Da schließt sich auch der Kreis zu den Millennium-
Entwicklungszielen. Denn alle drei Bereiche, die ich
jetzt genannt habe, sind Teil der weltweiten Entwick-
lungsziele. Das heißt für uns: Zur Erreichung dieser
Ziele müssen wir auch und gerade die besondere Situa-
tion von Frauen in Krisengebieten beachten.
Damit komme ich zur Bundesregierung. Sie hat bis-
her weder ein schlüssiges und resortübergreifendes Afri-
kakonzept vorgelegt, noch hat sie den Frauen in Krisen-
gebieten bisher ausreichend Beachtung geschenkt,
übrigens auch nicht der Frage, wie wir mit zerfallenden
Staaten Afrikas umgehen sollen. Auch hier fehlt ein
Konzept.
Wichtiger Bestandteil des Antrages der CDU/CSU-
Bundestagsfraktion ist die Resolution 1325. Die Staaten-
gemeinschaft hat sich darin verpflichtet, Frauen stärker
zu beteiligen: bei Friedenserhalt, bei Friedensbewah-
rung, bei Konfliktlösung und beim Wiederaufbau. Lei-
der ist dieses Ziel noch lange nicht erreicht.
Auch die Bundesregierung hat sich zur Umsetzung
der Resolution 1325 verpflichtet – auf dem Papier. Rea-
lität ist leider, dass trotz zweijähriger Mitgliedschaft
Deutschlands im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen
noch immer kein nationaler Umsetzungsplan vorliegt.
Ich fordere die Bundesregierung auf, sich für eine
stärkere Beteiligung von Frauen bei Aktivitäten zum
Friedenserhalt, zur Friedensbewahrung, zur Konfliktlö-
sung und beim Wiederaufbau einzusetzen, um damit die
Resolution 1325 des Sicherheitsrates umzusetzen und
um damit Frauennetzwerke wie dem vom Mano-Fluss
politisch zu würdigen und in ihrer Arbeit zu unterstüt-
zen.
Ulrich Heinrich (FDP): Frauen und Mädchen sind
nicht nur diejenigen, die besonders unter gewaltsamen
Konflikten und Kriegen zu leiden haben, oft tragen sie
auch die Hauptlast für das Überleben und den Wieder-
aufbau eines Landes. In welcher Art und Weise Frauen
und Mädchen in besonderem Maße die Leidtragenden
von Gewalt sind, wird in dem vorliegenden Antrag aus-
führlich beschrieben und braucht nicht wiederholt zu
werden. Ich möchte aber betonen, dass dies natürlich
nicht nur Frauen und Mädchen südlich der Sahara be-
trifft, sondern überall auf der Welt, wo kriegerische Aus-
einandersetzungen stattfinden. Diese dürfen wir nicht
vergessen, auch wenn es richtig ist, den Fokus auf den
afrikanischen Kontinent mit seiner Vielzahl von Kon-
flikten und Krisen zu richten.
Das besondere Augenmerk, welches wir auf Frauen
und Mädchen in Krisenregionen legen müssen, liegt vor
allem auch an der Tatsache, dass die Frauen oft die ers-
ten sind, die sich für friedliche Lösungen einsetzen und
die Gewaltspirale durchbrechen wollen. Hierin müssen
wir sie bestärken und massiv unterstützen. Doch vor al-
lem nach der Beilegung von Konflikten benötigen
Frauen und Mädchen unsere Aufmerksamkeit und
spezielle Programme, um ihre Rechte gegenüber den
heimkehrenden Männern wahrnehmen zu können.
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Frauen sind ebenso ein wichtiger wirtschaftlicher
aktor. Von der Vergabe von Mikrokrediten wissen wir,
ass Frauen auch zuverlässiger als Männer sind, über
0 Prozent zahlen ihre Raten pünktlich und tragen so
um wirtschaftlichen Aufbau ihres Landes bei. Diese
atsache müssen wir stärker berücksichtigen und Mikro-
inanzierungsprogramme wo irgendmöglich anbieten.
Ein weiterer Aspekt, Frauen stärker in unserer Ent-
icklungszusammenarbeit zu beachten, ist die Gesund-
eitsvorsorge. Meist obliegt es den Frauen sich um die
esundheit der gesamten Familie zu kümmern. Sie sind
s, die Ärzte und Gesundheitszentren aufsuchen, ihre
inder behandeln lassen und gegenüber Beratungen auf-
eschlossen sind. Dies müssen wir ausnutzen und so-
ohl die Aufklärung über Familienplanung und HIV/
ids als auch über gesundheitliche Vorsorge und Hy-
iene im Allgemeinen zusammen verfolgen.
Frauen dürfen bei der Neuordnung und beim demo-
ratischen Aufbau von Gesellschaften nicht ins Abseits
estellt werden. Deswegen ist die Umsetzung des inter-
ationalen völkerrechtlich verbindlichen Genfer Ab-
ommen, des Aktionsplanes der Pekinger Weltfrauen-
onferenz 1995 und die Resolution 1325 des UN-
icherheitsrates, die alle die Beteiligung von Frauen bei
riedenschaffenden Maßnahmen beinhalten, so bedeu-
end. Aus diesem Grund hat sich auch die Welthunger-
ilfe unter dem Motto „Überleben Frauensache“ dieser
roblematik intensiv gewidmet. Sie haben sicher, ebenso
ie ich, das sehr ausführliche und anschauliche Material
rhalten, mit welchem uns die Welthungerhilfe über ihre
rojekte informiert hat. Mich haben die Geschichten der
inzelnen Frauen sehr beeindruckt und darin bestärkt, in
nserer Entwicklungszusammenarbeit die Belange von
rauen und Mädchen noch stärker einzubinden.
Der Antrag der Union hat hierzu umfassende Forde-
ungen aufgestellt, die die FDP-Fraktion ausnahmslos
nterstützt. Herausgreifen möchte ich die Forderung 12,
ie die Umsetzung der Resolution 1325 des UN-Sicher-
eitsrates beinhaltet. Die UN-Resolution sieht vor, mehr
rauen zu UN-Sonderbotschafterinnen zu ernennen und
en Anteil von Frauen beim militärischen und zivilen
ersonal von Friedensmissionen zu erhöhen.
Ich halte diese Forderungen für essenziell, wenn Frie-
ensmissionen einen dauerhaften und nachhaltigen Er-
olg haben sollen. Denn nur so ist gesichert, dass die von
ännern oft vernachlässigten Themen, wie zum Bei-
piel Vergewaltigungen als Kriegsstrategie, die Situation
er Kinder und alter Familienangehöriger sowie die Be-
eiligung von Frauen in der Politik, behandelt werden.
ch denke hier haben gerade wir noch großen Nachhol-
edarf.
Dr. Uschi Eid, Staatssekretärin bei der Bundesminis-
erin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
ung: Was bedeutet es, wenn man liest, zwei Drittel der
nalphabeten in Afrika sind Frauen? Dahinter stecken
nzählige Schicksale von Frauen, denen die Möglichkeit
erwehrt blieb, zu lernen, Wissen zu erwerben. Dabei ist
ies doch der erste Schritt überhaupt, damit sich
16558 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005
(A) )
(B) )
Perspektiven eröffnen und die Menschen zu Wohlstand
gelangen können.
Gerade beim Zugang zu Bildung werden Frauen noch
immer benachteiligt. In der Primarschulbildung ist die
Einschulungsrate für beide Geschlechter in elf afrikani-
schen Staaten gleich, in der Sekundarschule jedoch nur
noch in drei Ländern Afrikas. Eine fatale Entwicklung,
sind Frauen doch ein Motor für die wirtschaftliche Ent-
wicklung. Nehmen wir die landwirtschaftliche Produk-
tion in Afrika – sie wird weitgehend von Frauen getra-
gen, weil sie über 90 Prozent der Grundnahrungsmittel
produzieren. Schätzungen von UNIFEM zufolge erledi-
gen sie in den meisten Ländern 70 bis 80 Prozent der Ar-
beit, die getan werden muss – und das ohne Bezahlung.
Im Aktionsprogramm 2015 hat die Bundesregierung
bekräftigt, dass die Ursachen der Armut nicht zuletzt in
der mangelnden Gleichberechtigung der Geschlechter
liegen. Besonderes Augenmerk gilt daher dem gezielten
„empowerment“ von Frauen: Es geht um einen gleichbe-
rechtigten Zugang von Frauen und Mädchen zu Grund-
bildung, um den Kampf gegen Frauen- und Kinderhan-
del, darum, dass Frauen ihre Stimme in politische
Prozesse einbringen können.
Wenn wir Frauen in Afrika stärken wollen, zumal in
Krisenregionen, sehe ich zwei Ansatzpunkte: zum einen
alle Maßnahmen, die generell zur Entwicklung beitra-
gen, aber von denen bisher benachteiligte Frauen beson-
ders profitieren. Ich denke beispielsweise an die Wasser-
versorgung, traditionellerweise eine Aufgabe von
Frauen. Aber: Solange Frauen zu viel Zeit damit zubrin-
gen müssen, Trinkwasser von weither zu holen, bleibt
das wirtschaftliche Potenzial von Frauen ungenutzt.
Die Frage, die sich zudem in Afrika oftmals stellt, ist:
Wie erreichen wir mit unseren Vorhaben Menschen,
gleich welchen Geschlechts, in Regionen, die von Ge-
walt und Krieg geprägt sind? Die nüchternen Fakten be-
sagen, dass es in über 20 Ländern Afrikas im vergange-
nen Jahrzehnt Kriege und gewaltsame Konflikte
gegeben hat – Kriege, die mit menschlichen Katastro-
phen verbunden sind: Flucht und Verlust von Hab und
Gut, Vergewaltigungen, Verletzungen und Tod.
Daher sind Fragen von Frieden und Sicherheit, von
Konfliktbewältigung und Versöhnung integraler Be-
standteil unserer Afrika-Politik. Wichtig ist für uns daher
die Umsetzung der Sicherheitsratsresolution 1 325 zu
Frauen in und nach bewaffneten Konflikten. Frauen und
Mädchen bedürfen nicht nur eines besonderen Schutzes
in Konfliktregionen. Frauen müssen auch in ihrer Rolle
als Friedensakteurinnen gestärkt werden.
Ebenso ist die Stärkung von Good Governance und
Demokratie unerlässlich. Gerade was die Durchsetzung
von Rechten, die Artikulation von Interessen anging, be-
stand und besteht Nachholbedarf. Daher ist es in meinen
Augen ein großer Erfolg, wenn die politische Partizipa-
tion von Frauen in Parlamenten und Regierungen erheb-
lich verbessert wurde – nicht zuletzt dank der Einfüh-
rung von Frauenquoten. Ende der 90er-Jahren waren im
afrikanischen Durchschnitt 11,5 Prozent Frauen in den
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arlamenten vertreten. Das ist eine deutliche Steigerung
egenüber den Jahrzehnten zuvor.
All diese Fragen erwähne ich deshalb, weil solche
räventiv wirkende Politik verhindern hilft, dass Krisen
berhaupt ausbrechen und Frauen zu Opfern von Gewalt
erden.
Zum anderen führt kein Weg vorbei an gezielten Vor-
aben, mit denen wir auf die spezifischen Situationen
er Frauen, gerade in Krisenregionen, reagieren. Ich
enke dabei an die Reintegration von ehemaligen Kämp-
ern – beiderlei Geschlechts – im Osten des Kongo. Wir
nterstützen dort – auch zusammen mit NROs – eine in-
ernational getragene Initiative zur Friedenssicherung,
ndem wir – neben verschiedenen Maßnahmen – uns be-
onders um traumatisierte Kindersoldatinnen und ehe-
aligen Soldatinnen kümmern. Wir lassen ihnen profes-
ionelle Hilfe zukommen, bieten Ausbildungs- und
eschäftigungsmöglichkeiten und integrieren sie so peu
peu wieder in die Dorfstrukturen.
Ein anderes Beispiel aus Ruanda. Dort gehören viele
rauen zu den Leidtragenden von Bürgerkrieg und Geno-
id, indem sie Opfer physischer und sexueller Gewalt
urden. Deshalb finanzieren wir eine Fachkraft des
eutschen Entwicklungsdienstes, die zusammen mit ei-
er ruandischen Menschenrechtsorganisation den Opfern
es Genozids psychische und medizinische Hilfe leistet.
Schließlich der Kampf gegen die weibliche Genital-
erstümmlung. Noch immer werden etwa zwei Millio-
en Mädchen Jahr für Jahr Opfer dieser menschenver-
chtenden Praxis. Das Beispiel Benin, das vor wenigen
ochen das Ende der Genitalverstümmlung feierte, ist
aher eine sehr erfreuliche Bestätigung unserer Arbeit in
frika. Seit vielen Jahren und über viele Länder hinweg
nterstützen wir lokale Initiativen, die wichtige Sensibi-
isierungs- und Aufklärungsarbeit leisten.
Diese Beispiele zeigen, auch wenn sie nur ein kleiner
usschnitt aus der vielfältigen EZ-Welt Afrikas sind,
ass wir die Schicksale der Frauen in Afrika nicht aus
em Blick verlieren. Starke Frauen sind der Schlüssel zu
frikas Zukunft.
nlage 15
Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung:
– Antrag: Wälder naturnah bewirtschaften –
Waldschäden vermindern – Gemeinwohl-
funktionen sichern und Holzabsatz steigern
– Entschließungsantrag: Waldzustandsbe-
richt 2004 – Ergebnisse des forstlichen Um-
weltmonitorings –
– Antrag: Bessere Rahmenbedingungen für
die Charta für Holz
– Unterrichtung durch die Bundesregierung:
Waldzustandsbericht 2004 – Ergebnisse des
forstlichen Umweltmonitorings –
(Tagesordnungspunkt 20)
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005 16559
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(B) )
Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Dem Wald geht es
schlecht, das wird in den vorliegenden Anträgen aller
Fraktionen zutreffend beschrieben. Das ist dann aber
auch schon das Ende der Übereinstimmung.
Wir verfolgen mit unserem Antrag einen ganzheitli-
chen Ansatz: Windschutz- und Luftreinhaltepolitik so-
wie die Förderung des Aufbaus naturnaher Mischwälder
und die Stärkung der heimischen Forst- und Holzwirt-
schaft werden miteinander verbunden. Wichtige wald-
politische Maßnahmen sind dabei die Umsetzung der
Charta für Holz, die Fortschreibung und Verbesserung
der Förderpolitik sowie die Novellierung des Bundes-
waldgesetzes.
In den Anträgen der Union und der FDP sucht man
diese ganzheitliche Herangehensweise vergeblich. Die
Opposition verbeißt sich in die Bekämpfung der Symp-
tome. So wird gegen den schlechten Zustand des Waldes
einseitig auf die Ausweitung der Waldkalkung gesetzt.
Ein schwerer politischer Fehler. Das wurde auch von den
Sachverständigen in der jüngsten Anhörung des Aus-
schusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-
wirtschaft bestätigt.
Ich hebe zwei zentrale Ergebnisse der Anhörung he-
raus:
Erstens. Die Experten waren sich darin einig, dass un-
sere Wälder in mehrschichtige Bestände umgebaut wer-
den müssen. Das Konzept der Koalitionsfraktionen, eine
nachhaltige und naturnahe Waldwirtschaft zu fördern
und dies auch in einer Novelle des Bundeswaldgesetzes
zu verankern, wurde dabei voll bestätigt. Auch die
Charta für Holz zur Stärkung des Absatzes von deut-
schem Holz fand bei allen Sachverständigen Zustim-
mung.
Zweitens. Kompensationskalkungen bei sauren Wald-
böden sind notwendig. Die Frage ist allerdings, in wel-
chem Umfang.
Zum Standardrepertoire der Opposition gehört es ja,
unreflektiert mehr Geld für die Kalkung der Wälder zu
fordern. Folgerichtig hat sie dann auch einen Vertreter
der Düngekalkindustrie als „Experten“ zur Anhörung
eingeladen. Da ist mir beinahe die Spucke weggeblie-
ben. Wir stecken immense Energien in die Erarbeitung
wirkungsvoller politischer Strategien für die nachhaltige
Verbesserung des Waldzustandes und der Opposition
fällt nichts Besseres ein, als den Kalkindustrievertreter
zu fragen, ob man nicht mehr Kalk in den Wald schütten
sollte. Ich frage mich: Was sollte der Vertreter der Kalk-
industrie denn anderes sagen, als: „Natürlich müssen wir
mehr Kalk in den Wald streuen“? Er lebt davon; seine
Unternehmen wollen weitere Aufträge. Mit seiner For-
derung, dass 60 Prozent der Waldböden eine Kompensa-
tionskalkung benötigen, stand er alleine da. Damit keine
Missverständnisse entstehen: Auch wir wollen Kompen-
sationskalkungen, aber nur auf Standorten, wo sie tat-
sächlich benötigt werden.
Die Forst- und Holzwirtschaft ist ein ganz wichtiger
Wirtschaftsfaktor in Deutschland. Um ihn voranzubrin-
gen, brauchen wir mehr als die von der Opposition vor-
geschlagenen kurzsichtigen Waldkalkungsstrategien.
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etrachtet man den Gesamtkomplex, das so genannte
olz-Cluster, so wird hier ein Jahresumsatz von circa
00 Milliarden Euro erwirtschaftet. Insgesamt sind rund
ine Million Menschen in diesem Bereich beschäftigt.
ie Ertragslage vor allem kleinerer Forstbetriebe ist al-
erdings noch nicht zufriedenstellend. Deshalb wollen
ir die Einnahmesituation weiter verbessern.
Dazu ist es nötig, den Absatz heimischen Holzes zu
teigern, ohne das Gebot der Nachhaltigkeit zu verlet-
en. Der Holzzuwachs in Deutschland lässt dies zu: In
nseren Wäldern wächst deutlich mehr Holz nach, als
ingeschlagen wird. Eine Erhöhung der Holznutzung ist
uch ökologisch sinnvoll: Sie leistet einen wichtigen
eitrag zum Klimaschutz; denn sie ersetzt Energieträger
us fossilen Quellen.
Wir begrüßen deshalb, dass die Bundesregierung die
orst- und Holzwirtschaft im Rahmen der Gemein-
chaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutz, GAK,
ördert und mit dem Aktionsprogramm „Charta für
olz“ eine weitere Stärkung dieses wichtigen Wirt-
chaftszweiges vorantreibt. Zentrales Anliegen der
harta für Holz ist es, die Vorzüge von Holz als Roh-
nd Werkstoff stärker in das Bewusstsein der Verbrau-
her zu bringen und durch vermehrte Holzverwendung
ie wirtschaftliche Situation für die forst- und holzwirt-
chaftlichen Betriebe zu verbessern. Ziel der Charta ist,
en Verbrauch von Holz in den nächsten zehn Jahren um
0 Prozent zu steigern.
Heute Morgen haben wir in diesem Haus der Euro-
äischen Verfassung zugestimmt und damit den Weg frei
emacht für eine bessere politische Zusammenarbeit un-
er den EU-Mitgliedstaaten. Ich hoffe, dass auch die
orstpolitik von der verstärkten Kooperation profitieren
ird. Forstpolitik ist Sache der Mitgliedstaaten. Die
uftverschmutzung, die unsere Wälder schädigt, hält
ich aber nicht an Staatsgrenzen. Deshalb haben wir eine
uropäische Forststrategie. Wenn man sich den Zwi-
chenbericht der EU-Kommission zur gemeinsamen
orststrategie anschaut, fühlen wir uns in unserer Politik
estätigt. Denn auch die EU plädiert für einen ganzheit-
ichen Ansatz in der Forstpolitik. Das bedeutet Stärkung
er ökonomischen Lage der Betriebe und Erhaltung der
rbeitsplätze unter gleichzeitiger Berücksichtigung der
kologischen Herausforderungen.
Wichtig ist, in Zukunft die europäische Zusammen-
rbeit bei der gemeinsamen Forstpolitik zu intensivieren.
ir dürfen es uns nicht länger erlauben, die Wälder in Eu-
opa mit nationalen Flickenteppichlösungen kurieren zu
ollen. Grenzübergreifende Probleme brauchen grenz-
bergreifende Lösungen. Ich begrüße das Engagement
er rot-grünen Bundesregierung an dieser Stelle sehr und
ade die Opposition ein: Machen Sie mit!
Die EU-Kommission weist in ihrem Zwischenbericht
ur EU-Forststrategie darauf hin, dass bereits viele Mit-
liedstaaten Leitlinien für eine nachhaltige Waldwirt-
chaft erlassen haben. In Deutschland wollen wir dies
uch tun und legen dazu in Kürze den Entwurf eines Ge-
etzes zur Novellierung des Bundeswaldgesetzes vor.
iel der Novelle ist es, den nachhaltigen und naturnahen
mbau des deutschen Waldes voranzubringen und das
16560 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005
(A) )
(B) )
deutsche Recht an diese Entwicklung anzupassen. Das
jetzige Waldgesetz stammt noch aus den 1970er-Jahren
und geht deshalb von völlig anderen Voraussetzungen
aus, als wir sie heute haben.
Seit In-Kraft-Treten des Bundeswaldgesetzes haben
sich die Rahmenbedingungen erheblich geändert; die
wirtschaftliche und gesellschaftliche Situation hat sich
weiterentwickelt. Zwar stellt das geltende Bundeswald-
gesetz die Nachhaltigkeit schon in den Mittelpunkt sei-
ner Maßgaben; mit der Nachhaltigkeitsdebatte, die wir
seit der Konferenz von Rio 1992 führen, hat diese aber
eine neue, umfassendere Dimension erhalten. Dem müs-
sen wir Rechnung tragen. Das tun wir mit der Novellie-
rung des Bundeswaldgesetzes.
Ich greife zwei zentrale Punkte heraus: die Veranke-
rung von Grundsätzen der nachhaltigen Waldwirtschaft
im Gesetzestext und die Stärkung der Forstbetriebsge-
meinschaften. Kernstück des künftigen Bundeswaldge-
setzes wird das Postulat einer ordnungsgemäßen, nach-
haltigen und naturnahen Waldbewirtschaftung sein.
Zielvereinbarungen für die Waldwirtschaft sollen unter
anderem der grundsätzliche Verzicht auf Kahlschläge,
die Bevorzugung natürlicher Verjüngung und der Ver-
zicht auf Düngung zur Ertragssteigerung sein. Dazu ge-
hört auch die Orientierung der Bejagung des Schalenwil-
des an dem Ziel, den Wildbestand besser an die
Anforderungen einer naturnahen Waldbewirtschaftung
anzupassen.
Über die Novelle des Bundeswaldgesetzes gab es in
den letzten Monaten kontroverse Diskussionen. Häu-
figste Gegenargumente: Die Freiheit der Waldbesitzer
würde durch bundeseinheitliche Mindeststandards zu
sehr eingeschränkt und Förderungsmöglichkeiten könn-
ten wegfallen. Drei Anmerkungen zu diesen Befürchtun-
gen: Eine erfreulich große Zahl der Betriebe arbeitet be-
reits heute auf einem hohen ökologischen Standard. Für
diese Betriebe wird sich auch nach der Novellierung des
Bundeswaldgesetzes nichts ändern. Für die anderen Be-
triebe gilt dann allerdings: Gewisse Mindeststandards
müssen eingehalten werden. Das Bundeswaldgesetz ist
und bleibt ein Rahmengesetz. Auch in Zukunft können
die Länder die Bestimmungen auf ihre regionalen Bedin-
gungen zuschneiden. Die Mindeststandards werden so
formuliert, dass Förderungen, etwa im Rahmen der Ge-
meinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutz,
GAK, weiterhin möglich sind.
Zu den Forstbetriebsgemeinschaften: Die Forstbe-
triebsgemeinschaften sind ein wichtiges forstpolitisches
Element zur Sicherung der Waldfunktionen. Wir brau-
chen effizientere Zusammenschlüsse, um die Kleinteilig-
keit des deutschen Waldbesitzes und die sich daraus er-
gebenden Wettbewerbsnachteile zu überwinden. Mit der
Novelle des Bundeswaldgesetzes werden wir deshalb
das Aufgabenspektrum der Forstbetriebsgemeinschaften
erweitern, und zwar um die Aufgabe der Nutzung des
Waldes zur Stärkung und Weiterentwicklung des ländli-
chen Raumes: Die Forstbetriebsgemeinschaften verfü-
gen über die notwendigen materiellen und personellen
Ressourcen, um diese gesellschaftliche Aufgabe zu voll-
bringen und Dienstleistungen zu vermarkten. Darüber
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inaus werden wir bestehende bürokratische Hemmnisse
ür Zusammenschlüsse von Forstbetriebsgemeinschaften
eseitigen. Dadurch erreichen wir eine größere Flexibili-
ät bei gleichzeitigem Regelungsabbau. Für andere – be-
eits existierende – forstwirtschaftliche Zusammen-
chlüsse wird mithilfe von Übergangsvorschriften
echtssicherheit geschaffen.
Ich fasse zusammen: Mit unserem Antrag legen wir
in in sich stimmiges, ganzheitlich orientiertes Aktions-
rogramm für eine Verbesserung des Waldzustandes und
ur Stärkung der heimischen Forst- und Holzwirtschaft
or. Mit den vorgesehenen Maßnahmen wie zum Bei-
piel der Umsetzung der Charta für Holz und der No-
elle des Bundeswaldgesetzes, schaffen wir eine gute
rundlage für eine nachhaltige Waldbewirtschaftung,
tärken die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe und si-
hern wertvolle Arbeitsplätze in Deutschland.
Artur Auernhammer (CDU/CSU): Der Waldzu-
tandsbericht 2004 zeigt wieder einmal mehr auf, in wel-
her Verfassung sich unser Wald befindet. Besonders zu
enken gibt uns die Situation bei den Laubbäumen. So
ind bei der Buche über die Hälfte der Bäume krank. Ein
rund dafür ist die Versauerung durch Luftschadstoffe.
s ist für mich bemerkenswert, dass sich gerade Rot-
rün bei diesem Thema sehr zurückhaltend verhält. Der
ald wird bei Rot-Grün ausschließlich unter dem Öko-
spekt begriffen. Aber die Umweltfunktion des Waldes
st nur die eine Seite. Genauso wichtig ist die wirtschaft-
iche Bedeutung des Waldes und seine Nutzung.
Die Nutzung und die Bedeutung des Waldes in
eutschland haben sich in den letzten 100 Jahren massiv
ewandelt. Wurde er früher ausgebeutet und zurückge-
rängt, so kennt man heute seine Bedeutung für den
chutz von Boden, Wasser, Luft, ja das Klima insge-
amt. Der Aufwuchs von einem Festmeter Holz entzieht
er Atmosphäre eine Tonne Kohlendioxid. Wird Holz
ach seinem Aufwuchs zum Beispiel beim Bau verwen-
et, bleibt dieses CO2 für lange Zeit gebunden. Der ver-ehrte Einsatz von Holz in den verschiedensten Berei-
hen, verbunden mit einer sinnvollen Waldwirtschaft,
ibt uns die Möglichkeit, eine noch bessere CO2-Bilanzu erreichen. Nur wenn wir das Ökosystem des Waldes
ewahren und stärken, können wir seine für uns ebenso
ichtigen Funktionen als Erholungsgebiet und Erwerbs-
rundlage dauerhaft nutzen: Der Wald bietet vielfältige
öglichkeiten zur Entspannung und schafft Einkommen
nd Arbeitsplätze in der Forst- und Holzwirtschaft.
Unser Dank gilt deshalb den Waldbauern und den
orstbesitzern, den echten Grünen, die durch unermüdli-
he Arbeit unseren Wald und unsere Umwelt erhalten
nd somit in unsere Zukunft investiert haben. Es sind die
aldbauern, Waldarbeiter und Förster, die die schwere
aldarbeit ausführen und unseren Wald hegen und pfle-
en.
Wissenschaftliche Untersuchungen belegen eindeutig,
ass die ökologische Qualität und biologische Vielfalt
on naturnahen Wirtschaftswäldern gleichwertig, in vie-
en Fällen sogar höherwertig zu bewerten ist als in Na-
urwäldern. Genauso überflüssig ist auch die besonders
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005 16561
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von den Grünen geforderte Novellierung des Jagdrechts.
Hier wollen sich die grünen Ideologen eine neue Spiel-
wiese schaffen, auf der sie ihrer Vorurteile gegen die
Jagd und die Jäger freien Lauf lassen können. Das Jagd-
recht ist untrennbar mit dem Eigentum an Grund und
Boden verbunden und darf nicht angetastet werden.
Diese Beispiele zeigen, dass die rot-grüne Bundesre-
gierung auch in ihrer Forstpolitik drauf und dran ist, „vor
lauter ideologischen Bäumen den Wald nicht mehr zu se-
hen“. Dadurch werden die Rahmenbedingungen für
Waldbesitzer und die mittelständische Holzwirtschaft
verschlechtert und die Eigentumsrechte geschwächt.
Wichtigstes Ziel muss es sein, die wirtschaftliche Leis-
tungsfähigkeit der Waldwirtschaft zu steigern. Nur wenn
mit der Waldbewirtschaffung Geld verdient werden
kann, wird der Wald auch gepflegt. Ich halte es für einen
absoluten ideologischen Unsinn, wenn Rot-Grün durch
das Erneuerbare-Energien-Gesetz bei Windenergie und
Solarenergie durch eine überhöhte Einspeisevergütung
die Verbraucher und Stromkunden zur Dauersubvention
verdonnert. Dabei schaffen Solarzellen Arbeitsplätze nur
in Asien. Heimisches Holz als Heizstoff wird dagegen
von Rot-Grün sehr stiefmütterlich behandelt.
So gibt es für die Investition in eine Hackschnitzel-
heizung lediglich eine geringe Förderung. Hinzu kommt,
dass mit der Kürzung beim Agrardiesel die Holzernte
und Aufbereitung verteuert wurden. Die Stärkung der re-
gionalen Wirtschaftskreisläufe, insbesondere in der
Wald- und Forstwirtschaft, sollte deshalb unser Ziel sein.
Ein wirtschaftlich gesunder Wald ist auch ein biologisch
gesunder Wald! Als Waldbauer weiß ich, wovon ich
rede! So bringt zum Beispiel die Borkenkäferbekämp-
fung nur Kosten mit sich; doch wird das Holz nicht auf-
gearbeitet, ist die Gefahr des Borkenkäferbefalles we-
sentlich größer.
Ich persönlich bin stolz darauf, dass in unserem 1888
erbauten Bauernhaus bis heute kein Tropfen Heizöl zur
Beheizung verbrannt wurde. Erst kürzlich haben wir
eine neue Hackschnitzelheizungsanlage installiert. Ich
gehe davon aus, dass jeder, der hier flammende Reden
für den deutschen Wald hält auch sein eigenes Verhalten
im Privatleben als Freund des Waldes vorlebt. Heizen
und Bauen mit Holz ist ein Beitrag zum Umweltschutz
und stärkt unseren deutschen Wald.
Cajus Julius Caesar (CDU/CSU): Unser deutscher
Wald ist ein wertvolles Gut. Er hat eine hohe ökonomi-
sche Bedeutung; denn Holznutzung schafft und sichert
Arbeitsplätze. Derzeit sind es über eine Million Beschäf-
tigte mit einem Umsatz von rund 100 Milliarden Euro
pro Jahr. Dies entspricht einem Anteil von rund
3 Prozent am Bruttoinlandsprodukt.
Sie, meine Damen und Herren der Regierung, sollten
alles tun, um die Rahmenbedingungen für die Forst- und
Holzwirtschaft zu verbessern und ihr nicht durch stets
verschlechterte Rahmenbedingungen und Schikanen auf
diesem Wirtschaftszweig das Leben schwer machen.
Statt immer neuer Gesetze und Verordnungen fordern
wir Sie auf: weniger Staat, weniger Reglementierung,
weniger Bürokratie!
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Unser deutscher Wald hat eine hohe ökologische Be-
eutung. Ich nenne die Filterwirkung zur Säuberung der
uft, die wir täglich zum Atmen brauchen, verbunden
it der für uns notwendigen Sauerstoffproduktion. Ich
enne die Speicherfähigkeit und die Filterung, sodass
ir gesundes Trinkwasser zur Verfügung haben. Und ich
enne die besondere Bedeutung für unseren Klima-
chutz, insbesondere durch seine Kohlenstoffspeicherfä-
igkeit. Wir fordern die Bundesregierung auf, im Zuge
er CO2-Reduzierung durch Waldvermehrung Senkennzuerkennen und dies rechtlich voranzubringen.
Der deutsche Wald weist so viele Schäden auf, wie
och nie, und das unter einer rot-grün geführten Bundes-
egierung. Auch hier erkennen Sie den Handlungsbedarf
ffensichtlich nicht. Schäden an Bäumen, Böden und
urzelwerk sind so groß wie nie zuvor. Unser Wald ist
twas Lebendes. Stets neue Verbote, Gebote, Festsetzun-
en. Steuern und Abgaben helfen da wenig.
Wir fordern die Bundesregierung auf: Handeln Sie
ndlich im Sinne der betroffenen Waldbesitzer der be-
roffenen Forst- und Holzwirtschaft, aber auch im Sinne
es Umweltschutzes, damit wir unseren Kindern eine
esunde Umwelt und damit auch einen gesunden Wald
bergeben können.
SPD und Grüne wollen durch die Novellierung des
undeswaldgesetzes ein Mehr an Staat und ein Weniger
n Eigenverantwortung. Sie verkennen dabei völlig die
ielfalt unseres Ökosystems sowie auch, was die Viel-
alt von Entscheidungsprozessen für Waldbesitzer und
orstleute bedeutet. Durch die Formulierung einer so ge-
annten guten fachlichen Praxis mit wahllos herausge-
riffenen Formulierungen in einem Bundesrahmenge-
etz führt dies zu Doppelzuständigkeiten, zu mehr
ürokratie und gefährdet sogar die Förderung durch die
U.
Die Anhebung der Minderstandards nimmt den Wald-
esitzern und damit auch dem Wald die Luft zum At-
en. Der jetzigen Bundesregierung kann man nicht ver-
rauen. Zuerst wird für die Zertifizierung der Wälder
eworben. Dann wird einseitig das FSC-Zertifizierungs-
ystem bevorzugt, obwohl es gerade kleine Einheiten be-
achteiligt. Jetzt kassieren Sie die Freiwilligkeit durch
esetzliche Regelungen ein und gehen mit Ihren Min-
eststandards noch darüber hinaus. So kann man die
enschen in unserem Land nicht gewinnen, und so ist
chon gar keine erfolgreiche Politik auf Dauer zu gestal-
en.
Wir von der Union wollen den Entscheidungsspiel-
aum für den Praktiker vor Ort. Wir von der Union wol-
en natürliche Verjüngung, wo eben möglich, wie die
,3 Millionen Privatwaldbesitzer es auch wollen. Wir
on der Union wollen mehrschichtige, ökologisch wert-
olle Waldbestände mit einem ökonomischen Hinter-
rund. Deshalb ist es beispielsweise völlig fehl am Platz,
twa die Bodenbearbeitung infrage zu stellen oder, wie
eim FSC-System, zu verbieten.
In vielen Fällen ist eine Naturverjüngung, insbeson-
ere mit Laubholz, nur dann möglich, wenn man auf
tandorten mit hoher Humusauflage oder Vergrasung
16562 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005
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den Mineralboden durch Bodenbearbeitung freilegt.
Nicht mehr Reglementierung durch die Novellierung des
Bundeswaldgesetzes, sondern Entscheidungen im Sinne
von Ökonomie und Ökologie, abgestimmt auf die Viel-
fältigkeit der Standorte in unserer Natur.
Wir von der Union wollen statt neuer Gesetze durch
Rot-Grün Vertrauen in die Entscheidungen, im Wald, für
den Wald, durch Forstleute und Waldbesitzer. Es darf
nicht sein, dass hier dem einzelnen Waldbesitzer vorge-
schrieben wird, welche Pflanze er an welcher Stelle in
welcher Größe pflanzen muss und welchen einzelnen
Baum er entnehmen darf, gleichzeitig aber tausende von
Hektar täglich verschwinden und die Bundesregierung
hier ihren Mitteleinsatz zurückfährt und bei den Verein-
barungen internationaler Art wenig erfolgreich ist.
Unser Land ist vielfältig, und was für den einen
Standort richtig ist, muss für den anderen noch lange
nicht richtig sein. Diese Vielfalt macht unser Land so
faszinierend und unsere Wälder so einzigartig. Daher
darf nicht jedes Detail im Gesetz bis ins Kleinste gere-
gelt werden!
„Jeder Wald ist ein Individuum, das individuell be-
handelt werden muss. Das ist auch für geistig rege Forst-
leute ein Glück, sonst wäre Waldbau langweilig.“ Prof.
August Bierl 1933.
Zu beklagen ist auch eine gravierende Übersäuerung
der Böden. Dies bedeutet Abnahme der Bodenfruchtbar-
keit, Schwermetallanreicherung bis hin zu negativen
Auswirkungen auf unser Grundwasser. 7 Millionen Hek-
tar sind laut Expertenmeinung kalkungsnotwendig, das
heißt pro Jahr rund 700 000 Hektar. Tatsächlich werden
derzeit aber nur jährlich 100 000 Hektar auf gefährdeten
Standorten gekalkt.
Fachgerecht durchgeführte Bodenschutzkalkungen
sind ein wichtiges Instrument zur Gesundung unserer
Waldböden und damit zur nachhaltigen Sicherung der
Trinkwasserversorgung. Auf mehr als 80 Prozent der
Flächen ist bereits eine erhebliche Versauerung eingetre-
ten mit pH-Werten von unter fünf. Dabei ist zu beachten:
ein Punkt pH-Wert weniger bedeutet eine zehnfache Ver-
sauerung, zwei Punkte weniger eine hundertfache Ver-
sauerung.
Dies ist auf einer ganzen Reihe von Standorten der
Fall und hat damit erhebliche Auswirkungen auf die dor-
tige Vegetation, auf die Kleinlebewesen und damit auch
auf die Artenvielfalt. Dies bedeutet, eine Auswaschung
von Nährstoffen und es ist eine kritische Konzentration
von Schwermetallen zu beklagen. Was fällt Ihnen dazu
ein? Sie kürzen im Bereich der Gemeinschaftsaufgabe
45 Millionen Euro. Sie lassen den Wald im wahrsten
Sinne des Wortes im sauren Regen stehen.
Ein Bekenntnis zu den nachwachsenden Rohstoffen
und damit auch zum Holz würde dem Wald helfen. Was
tun Sie? Sie verkünden die Charta für Holz mit riesigem
Medienaufwand und unterschreiben damit eine ver-
stärkte Förderung der Holznutzung und Holzverwen-
dung in Deutschland. Nur 14 Tage später legen Sie den
Entwurf des Holzabsatzfondgesetzes vor mit dem Fazit,
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ass zukünftig für das Holzmarketing pro Jahr
00 000 Euro weniger zur Verfügung stehen.
Kennzeichnend für die Politik dieser rot-grün geführ-
en Bundesregierung ist auch, dass das neu aufgelegte
Faltblatt Dämmstoffe zum Marktanreizprogramm“
icht ein einziges Mal das Wort Holz enthält. Sie han-
eln nach dem Grundsatz: Keine Zukunft vermag gut zu
achen, was man in der Gegenwart versäumt.
Eine Vorbildfunktion durch die vermehrte Verwen-
ung des umweltfreundlich erzeugten rohen Baustoffes
olz bei Bauten des Bundes ist dringend erforderlich.
ehr Holzabsatz bedeutet nicht nur mehr Arbeitsplätze
nd mehr Umweltschutz, sondern auch einen gepflegten
ald und damit auch einen gesunden Wald. Diese Re-
ierung hätte damit einen wesentlichen Beitrag zur Ge-
undung des Waldes leisten können. Leider haben Sie
uch an dieser Stelle wieder einmal versagt.
Wir fordern Sie auf, den Absatz von Holz aus einhei-
ischen Wäldern zu fördern. Die Bundesregierung kann
eichen dadurch setzen, dass sie auch bei den eigenen
aumaßnahmen vermehrt heimisches Holz verwendet.
leichfalls fordern wir Sie auf, den Import von Holz aus
llegalem Holzeinschlag und damit Waldvernichtung zu
nterbinden. Die Union hat dazu eine Initiative ergriffen.
ir wollen als Union, dass mehr gegen die Waldzerstö-
ung im Ausland getan wird.
Wir fordern Sie auf, endlich den Gesetzesdschungel
u entflechten sowie Steuern und Abgaben auf ein er-
rägliches Maß zurückzuführen. Stampfen Sie die vorge-
ehene Novellierung des Bundeswaldgesetzes und des
undesjagdgesetzes ein und leisten Sie damit einen we-
entlichen Beitrag für unseren deutschen Wald. Wir wol-
en als Union, dass mehr gegen die Waldzerstörung im
usland getan wird. Immerhin verschwinden jährlich
etto 12 Millionen Hektar Wald. Dies ist auch im Sinne
es Klimaschutzes nicht zu verantworten.
Die Union hat zum Urwaldschutz eine Initiative
urch einen entsprechend formulierten Antrag einge-
racht. Dieser unterscheidet sich jedoch fundamental
on dem Entwurf, den das Bundesumweltministerium
urch Minister Trittin eingebracht hat. Es ist geradezu
benteuerlich, alle Waldflächen in Deutschland, die grö-
er als 10 Hektar sind, darauf untersuchen zu wollen, ob
ie Urwälder sind, zudem noch kleinkariert viele tausend
achweise zu verlangen, ist völlig an der Praxis vorbei.
Entweder wollen Sie einen Urwald ausweisen, wo
einer ist, oder wieder ein paar Verwaltungsleute mit un-
innigen Bürokratieaufgaben zulasten der Bürger be-
chäftigen. Der entsprechende Nachweis ist zu verlan-
en. Dies zeigt, wie fern Minister und Regierung von
en Realitäten sind. Ein gesunder Wald ist auch der Sau-
rstoff für unser Leben. Wir, die Union, wollen eine
raktisch ausgerichtete Politik, die die vor Ort Handeln-
en einbezieht und dem Wald dient.
Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
um Wald gibt es aktuell gute und schlechte Nachrich-
en. Die gute wird mit der Waldinventur, die schlechte
it dem Waldzustandsbericht verkündet.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005 16563
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Lassen Sie mich mit der schlechten beginnen. Die
Fakten sind mittlerweile wiederholt dargelegt worden:
Nachdem sich der Waldzustand in den 90er-Jahren deut-
lich verbessert hatte und seit der Jahrtausendwende
stagnierte, war im Jahr 2004 wieder eine Besorgnis er-
regende, deutliche Zunahme der Waldschäden zu ver-
zeichnen. Diese Zustandsverschlechterung kann vor al-
lem mit der Dürre im Jahr 2003, aber auch mit anderen
periodisch auftretenden Faktoren – wie einer starken
Fruktifizierung der Buche – erklärt werden. Die Wälder
werden sich von diesem Tiefpunkt also voraussichtlich
wieder erholen. Aber die Entwicklung im Jahr 2004
zeigt unmissverständlich: Unser Wald leidet massiv un-
ter dem Klimawandel. Und er zeigt: Klimawandelbe-
dingt müssen wir auch in Zukunft wiederholt mit massi-
ven Verschlechterungsschüben rechnen. Es kann also
alles andere als Entwarnung beim Waldzustand gegeben
werden. Genauso klar ist, dass unsere Wälder und unsere
Waldböden noch Jahrzehnte brauchen werden, um sich
vollständig von der Übernutzung in früheren Jahrhun-
derten und vor allem von den Umweltsünden der fossi-
len Industriegesellschaft zu erholen.
Nun die gute Nachricht. Die Ergebnisse der Bundes-
waldinventur II, die im September vorgestellt wurden,
lauten verkürzt: Die Waldfläche hat weiter zugenom-
men. Die Holzvorräte sind auf ein Rekordniveau gestie-
gen. Sie liegen europaweit an der Spitze, und dies nicht
nur absolut, sondern auch pro Hektar. Die Wälder sind
naturnäher geworden. Die Nutzung des umweltfreundli-
chen, nachwachsenden Rohstoffes Holz kann unter Ach-
tung der Prinzipien der Nachhaltigkeit noch erheblich
gesteigert werden. Deshalb können wir uns im Rahmen
der Charta für Holz guten Gewissens für eine stärkere
Holznutzung aussprechen. Mit unserem Antrag bringen
wir weitere Maßnahmen auf den Weg, um dieses Ziel zu
erreichen. Außerdem formulieren wir eine Strategie, um
gesündere Wälder zu erreichen. Sie lautet: Erstens Luft-
reinhaltepolitik fortsetzen, zweitens Klimapolitik ver-
stärken und drittens Waldumbau zielgerichtet weiterfüh-
ren. Ich möchte hier besonders auf das Thema
Waldumbau eingehen. Die Bedeutung des Waldumbaus
für den Waldzustand liegt darin, dass naturnahe, arten-
reichere Wälder mit standortheimischen Baumarten öko-
logisch stabiler sind als Monokulturen mit standortfrem-
den Baumarten. Dies gilt auch für den zu erwartenden
Klimawandel. Bäume, die heute wachsen, müssen auch
mit dem Klima von morgen klar kommen. Das können
sie besser, wenn sich die Bäume in natürlicher Konkur-
renz gegenüber anderen Sämlingen durchgesetzt haben.
Das macht die Bedeutung der natürlichen Verjüngung
aus. Mittelgebirgsfichten im Tiefland zu pflanzen pro-
grammiert hingegen die Waldschäden von morgen vor.
Dies muss dementsprechend der Vergangenheit angehö-
ren. Leider aber ist es keinesfalls so, dass die Sünde der
Altersklassen-Nadelwälder im Tiefland sämtlich bereits
vor Jahren begangen worden. Sie wird heute noch oft ge-
nug begangen. Auch dies belegt die Bundeswaldinven-
tur II. Die Bedeutung des Waldumbaus muss also noch
stärker in das Bewusstsein dringen. Und unsere Aufgabe
ist es, die Rahmenbedingungen dafür zu verbessern. Aus
diesem Grund muss die Förderpolitik der Gemein-
schaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutz, GAK,
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tärker auf den Waldumbau ausgerichtet werden. Auch
it der Novelle des Bundeswaldgesetzes können wir
urch Festlegung ökologischer Mindeststandards an die
rdnungsgemäße Forstwirtschaft den Umbau der Wälder
efördern. Die Bundesjagdgesetznovelle wird auch Re-
eln enthalten, die uns dem Ziel waldverträglicher Wild-
ichten näher bringen. Dies wird die flächenhafte Natur-
erjüngung wieder ermöglichen. Dies wird dem Wald
ehr zugute kommen. Daher appelliere ich an alle Frak-
ionen in diesem Haus, die ideologischen Scheuklappen
bzulegen und eine Jagdgesetznovelle unserem Wald zu-
iebe konstruktiv mitzugestalten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum CDU-Antrag
öchte ich Folgendes anmerken: Das darin dokumen-
ierte Weltbild der CDU ist so schlicht wie falsch: Der
ald hat sich unter Kohl 16 Jahre lang erholt. Unter
ot-Grün hingegen verschlechtert sich der Waldzustand
ieder. Der Grund: Nur die CDU/FDP-Regierung habe
n Sachen Luftreinhaltung etwas erreicht. Dieses
chlichte Welt- und Geschichtsbild ist von einer Platt-
eit, dass man etwas fassungslos davor steht. Zugege-
en: Es ist bequem, sich die Emissionsminderungen in-
olge des Zusammenbruchs der DDR-Industrie und der
DR-Braunkohlewirtschat zugute zu halten. Schwerer
st es schon, die Leistungen der rot-grünen Bundesregie-
ung in Sachen Luftreinhaltung und Klimaschutz totzu-
chweigen. Ich nenne nur die Einführung des schwefel-
reien Benzins, die Förderung der erneuerbaren Energien
urch das EEG, den Emissionshandel, die Verschärfung
er 17., der 13., und der 4. Bundesimmissionsschutzver-
rdnung und der TA Luft. Weiterhin behaupten CDU
nd FDP regelmäßig, die Bundesregierung lasse eine
achlassende Bereitschaft erkennen, gegen die fort-
chreitende Versauerung der Waldböden mit Kalkung
orzugehen. Dies ist falsch. Die Waldkalkung ist unver-
ndert mit Mitteln der GAK förderfähig. Wenn es hier
efizite gibt, dann sind sie den Bundesländern anzulas-
en, die letztlich über den Einsatz der GAK-Fördermittel
ntscheiden. Ansonsten macht die CDU keine Vor-
chläge, mit welchen Instrumenten denn nun der Wald-
ustand verbessert werden soll – abgesehen von solchen,
ie Rot-Grün sowieso schon umsetzt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der FDP ist zuzu-
timmen, wenn sie in ihrem Antrag feststellt, dass der
ronenzustand ein sehr unspezifisches Merkmal ist, das
ielfältige Umwelteinflüsse abbildet. Allerdings zieht
ie FDP daraus einen vorschnellen Schluss. Sie fordert,
ie Waldschadensberichte aufgrund des Kronenzustan-
es nur noch alle fünf Jahre zu erheben. Das würde je-
och bedeuten, das Monitoring noch unsicherer zu ma-
hen. Momentan gibt es keine sinnvolle Alternative zu
ieser Methode und zum jährlichen Waldzustandsbe-
icht. Die Alternative, die die FDP vorschlägt, taugt hin-
egen nicht: Eine jährliche Berichterstattung über den
ustand der Waldböden macht nach Aussagen der Fach-
eute keinen Sinn. Die Veränderungen der Böden sind
ittel- bis langfristiger Natur. Deshalb steht bei einer
ährlichen Bodenzustandserhebung ein zu großer Auf-
and einem sehr geringen Nutzen gegenüber. Sie kann
ie Erhebung des Kronenzustands nicht ersetzen. Vor
iesem Hintergrund bleibt nur eine Diskussion darüber,
16564 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005
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wie die Methodik der Waldschadenserhebung verbessert
werden kann. Das Erschreckende an dem FDP-Antrag
ist aber etwas anderes: Zur Verbesserung des Waldzu-
standes hat die FDP außer nachsorgenden Waldkalkun-
gen nichts, aber auch rein gar nichts zu bieten. Dass sich
die FDP einen Kehricht um die Umwelt schert, das wis-
sen wir längst. Aber dass sie sich nicht einmal mehr die
Mühe macht, ernsthafte Vorschläge zur Verbesserung
des Waldzustandes zu machen, war dann doch nicht zu
erwarten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zusammenfassend
lässt sich sagen: Damit deutschlandweit naturnahe, ge-
sunde und stabile Wälder wachsen, ist auch seitens der
Politik noch einiges zu tun. Die rot-grüne Koalition hat
bereits entscheidende Schritte in die richtige Richtung
eingeschlagen. Für gute Vorschläge seitens der Opposi-
tion sind wir offen. Die heute hier vorgetragenen sind je-
doch untauglich. Deshalb lehnen wir Ihre beiden An-
träge ab.
Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Deutschland
gehört zu den waldreichsten Ländern in der Europäi-
schen Union. Wir sind uns einig in der multifunktionalen
Nutzung unserer Wälder, Waldspaziergänge gehören zu
den beliebtesten Freizeitaktivitäten in Deutschland. Die
Erholungsnutzung unserer Wälder ist ganz wichtig. Eine
genauso große Bedeutung hat der Natur- und Arten-
schutz. In unseren Waldbiotopen leben viele heimische
Tier- und Pflanzenarten, Wälder speichern Kohlenstoff,
sie sind daher wichtige Kohlenstoffsenken für den Kli-
maschutz. Trotz dieser vielfältigen Funktionen ist der
Verkauf von Holz die nahezu einzige Möglichkeit für
Waldbesitzer, ihren Besitz finanziell zu nutzen.
Holzstapel am Waldeingang für die Papierherstellung,
mächtige Eichenstämme, aus denen das Furnier für Mö-
bel hergestellt wird, Fichtenstämme für den Bau von
Dachstühlen erinnern daran, dass Holz ein sehr vielseitig
verwendbarer Rohstoff ist. Es ist der wichtigste nach-
wachsende Rohstoff in Deutschland.
Die noch von der schwarz-gelben Bundesregierung in
Auftrag gegebene Bundeswaldinventur hat gezeigt, dass
Deutschland über enorme Holzvorräte im Wald verfügt.
Gerade im Privatwald wird nur ein Teil des jährlich
nachwachsenden Holzes genutzt. Vom jährlichen Zu-
wachs werden nur etwa 60 Prozent geschlagen.
In der Charta für Holz ist die Steigerung der Verwen-
dung des Rohstoffes Holz aus heimischer, nachhaltiger
Waldwirtschaft vereinbart worden. Die FDP unterstützt
die Charta für Holz. Glaubwürdig ist die Charta für Holz
jedoch nur dann, wenn die Regierung ihre Möglichkei-
ten nutzt, durch Abbau von Regulierungen die Ein-
schlagkosten für Holz zu senken und dadurch die
Nutzung von Holz wettbewerbsfähig und attraktiver zu
machen.
Besondere Probleme bereiten zum Beispiel die Regle-
mentierungen im Transportbereich. Das in Deutschland
zulässige Gesamtgewicht beträgt 40 Tonnen. Das bedeu-
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et dass in Deutschland beim Holztransport die erlaubten
utzlasten um fast 50 Prozent unter denen in anderen
uropäischen Mitgliedsländern liegen. Da die Transport-
osten etwa ein Drittel der Gesamtkosten der Bereitstel-
ung von Holz verursachen, bedeutet dies für heimische
etriebe eine erhebliche Wettbewerbsverzerrung.
Es gilt, diese Barrieren abzubauen, Erst dann wird
uch die Bewertung der Investitionsbedingungen in der
utzholzwirtschaft nicht mehr mit „mangelhaft“ ausge-
iesen, wie ein Schweizer Institut im Jahr 2003 in einer
uropäischen Vergleichsstudie ermittelte.
Seit 1985 werden in Deutschland in jedem Jahr Wald-
ustandsberichte erstellt. „Wo Wald lebt, kränkelt er.“ –
o Forstschutz-Professor Michael Müller aus Tharandt in
er Wochenzeitung „Die Zeit“. Das ist trotz der im
aldzustandsbericht 2004 festgestellten Waldschäden
ine beruhigende Nachricht.
Der Waldzustandsbericht selbst stellt fest, dass der
ronenzustand der Bäume ein sehr unspezifisches
erkmal ist, das vielfältige Umwelteinflüsse abbildet.
nsbesondere die Schadstoffeinträge über die Luft und
ie Versauerung der Böden verursachen eine erhebliche
aldschädigung, wie sie im Jahr 2004 festgestellt
urde. Die Betrachtung der Baumkronen ist eine unspe-
ifische Methode, da es nach Meinung der Experten mit
ieser Methode nicht möglich ist, die jeweilige Ursache
ür Kronenschäden zu ermitteln.
Da unzweifelhaft die Versauerung der Böden eine we-
entliche Ursache für Baumschäden ist, ist es sinnvoller,
en Bodenzustand zu untersuchen. Darin wird die FDP
on vielen Experten unterstützt.
Höhere Kosten widersprechen dem nicht, denn die
etzigen unspezifischen Berichte sind in keiner Weise
usreichend, um daraus die Notwendigkeit von Maßnah-
en abzuleiten. Daher könnten sie entfallen und sollten
urch die sinnvollere Untersuchung der Böden ersetzt
erden.
Der Versauerung der Böden kann durch Bodenschutz-
alkung entgegengewirkt werden. Das paneuropäische
orstzertifizierungssystem, nach dem circa 60 Prozent
eutscher Wälder zertifiziert sind, erlaubt eine Boden-
chutzkalkung. Das Forest Stewardship Council hinge-
en, ein von der Bundesregierung unterstütztes Zertifi-
ierungsunternehmen, sieht eine Bodenschutzkalkung
rst ab einem pH-Wert von 4,2 vor. Für die Wissenschaft
leibt die Bodenschutzkalkung allerdings die wichtigste
aßnahme, um eine weitere Versauerung der Böden zu
erhindern.
Die Waldzustandsberichte sind eine sinnvolle Me-
hode, das öffentliche Interesse auf unsere Wälder zu
ichten. Allerdings sollten in Zukunft verstärkt die viel-
ältigen Nutzungsmöglichkeiten im Vordergrund stehen,
as positive Image unseres wichtigsten nachwachsenden
ohstoffes Holz gestärkt werden und weitere Vorschläge
emacht werden, überflüssige Reglementierungen abzu-
auen, damit die Charta für Holz wirklich vorankommt.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005 16565
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Anlage 16
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung: Unterrichtung durch die Bundes-
regierung: Bericht der Bundesregierung über
die Forschungsergebnisse in Bezug auf Emis-
sionsminderungsmöglichkeiten der gesamten
Mobilfunktechnologie und in Bezug auf gesund-
heitliche Auswirkungen (Tagesordnungs-
punkt 21)
Renate Jäger (SPD): Im Dezember 2001 beschloss
die Bundesregierung Vorsorgemaßnahmen im Bereich
Mobilfunk. Der Schwerpunkt lag dabei auf Forschungs-
aktivitäten in den drei Ressorts für Umwelt, Wirtschaft
sowie Forschung. Im Bundesministerium für Wirtschaft
und Arbeit stehen dafür 5 Millionen Euro zur Verfügung,
insbesondere für Forschungen zu technischen Regulie-
rungsfragen beim Aufbau des UMTS-Netzes. Im
Bundesministerium für Bildung und Forschung sollen
7 Millionen Euro eingesetzt werden zur Förderung im-
missionsmindernder Technologien. Die umfassendsten
Forschungsprojekte liegen beim Umweltministerium für
das Deutsche Mobilfunk-Forschungsprogramm (DMFP).
Die für den Zeitraum 2002 bis 2005 zur Verfügung ste-
henden 8,5 Millionen Euro werden um die gleiche
Summe aus der Selbstverpflichtung der Netzbetreiber
aufgestockt. Bedauerlich ist, dass durch den verspäteten
Geldfluss der Netzbetreiber Vorhaben erst verspätet,
nämlich 2003, begonnen werden konnten.
Erstmalig wurden die Projektvorschläge in einem In-
ternetportal auch der Öffentlichkeit vorgestellt und im
September 2003 in einem Fachgremium diskutiert. Un-
ter Mitwirkung von Fachleuten und der Öffentlichkeit
entstand dann das Gesamtprogramm. Ziel des Pro-
gramms ist es, bestehende Unsicherheiten bei der Be-
wertung der Risiken elektromagnetischer Felder zu ver-
ringern und die biologischen Wirkungen von schwachen
hochfrequenten elektromagnetischen Feldern wissen-
schaftlich zu erforschen. Dabei geht es um die Suche
nach Auswirkungen auf die intellektuelle Informations-
verarbeitung, auf den Blutfluss im Gehirn, auf das
Wach- und Schlafelektroenzephalogramm sowie auf die
Blut-Hirn-Schranke. Des Weiteren sind langfristige Stu-
dien vorgesehen, die die Wirkungen elektromagnetischer
Felder auf die Entstehung bzw. den Verlauf von Krebs-
erkrankungen untersuchen, ebenso Wirkungen auf Ge-
dächtnis, Konzentrations- und Lernfähigkeit. In einem
weiteren Projekt werden altersabhängige Wirkungen un-
tersucht. Da Kinder und Jugendliche derzeit die inten-
sivsten Nutzer der Mobilfunktechnik sind, besteht hier
besonderer Klärungsbedarf. Um die Wirkungen der elek-
tromagnetischen Felder auf den Menschen beurteilen zu
können, ist eine exakte Messung notwendig. Daher ist
die Forschung für den Bereich Dosimetrie ein wesentli-
cher Schwerpunkt.
Viel verspricht man sich von einer großen internatio-
nalen epidemiologischen Querschnittsstudie zum Zu-
sammenhang zwischen Mobilfunk und Hirntumoren.
Die abgeschlossenen Studien aus Dänemark und Schwe-
den zeigen kein erhöhtes Risiko bei Kurzzeitnutzern von
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andys, allerdings wurde bei Langzeitnutzern ein höhe-
es Risiko festgestellt. Keinerlei belastbare Untersu-
hungen liegen zu Immissionen, ausgehend von UMTS-
asisstationen, vor. Auch das ist Gegenstand des For-
chungsprogramms.
Lassen Sie mich noch ein Wort zur Grenzwertproble-
atik im Zusammenhang mit der Vorsorgeverantwor-
ung sagen. Eine zu große Rolle spielt meines Erachtens
er festgelegte Teilkörper-Basisgrenzwert von 2 W/kg
er 26. Verordnung zur Durchführung des Bundes-lm-
issionsschutzgesetzes. Es ist erfreulich zu wissen, dass
ieser Wert bei unterschiedlichen Messungen nicht über-
chritten wird. Doch aus Vorsorgegründen sollte eine
bsenkung immer im Blickfeld bleiben. In diesem Sinne
at das Umweltministerium das Umweltzeichen „Blauer
ngel“ für strahlungsarme Handys mit einem maximalen
ert von 0,6 W/kg empfohlen. Bedauerlicherweise leh-
en die Handyhersteller das Umweltzeichen geschlossen
b, also auch die Empfehlung, sich kontinuierlich aktiv
n der Entwicklung von strahlungsärmeren Handys zu
eteiligen, obwohl einige bereits die Kriterien erfüllen.
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung
earbeitet mehrere Vorhaben im Rahmen seiner Leitin-
ovation „Mobiles Internet“. Nach den dort vorliegen-
en Prognosen geht man davon aus, dass trotz eines kon-
tanten Wachstums der drahtlosen Kommunikation die
missionen bis 2015 konstant bleiben, wenn die Effizi-
nz verbessert und emissionsmindernde Technologien
ngewendet werden. Natürlich müssen nebenher auch
ie Empfehlungen der internationalen Fachgremien wie
er Weltgesundheitsorganisation und der Internationalen
ommission zum Schutz vor nicht ionisierenden Strah-
en sowie die Erkenntnisse der deutschen Strahlen-
chutzkommission ausgewertet und einbezogen werden.
eider liegen derzeit kaum Ergebnisse vor. Aus dem
obilfunk-Forschungsprogramm existieren bisher nur
wei abgeschlossene Projekte:
Zum einen ist das die Untersuchung der SAR-Vertei-
ng – das ist die spezifische Absorptionsrate, gemessen
Watt pro Kilogramm – in elektromagnetisch exponier-
en Versuchstieren. Es gelang hier, ein verbessertes
erfahren zur Erstellung von Voxelmodellen – Volumen-
lement; das kleinste Element eines gerasterten Raums –
u entwickeln mit einer sehr hohen Auflösung von bei-
pielsweise 8 Kubikmillimeter für den Menschen,
,06 Kubikmillimeter bei Mäusen, 0,2 Kubikmillimeter
ei Ratten. Somit konnten lokale organspezifische SAR-
erte ermittelt und tabellarisch dargestellt werden.
Zum anderen wurde eine Machbarkeitsstudie für eine
ohortenstudie durchgeführt. Die Kohortenstudie sollte
nhand hoch exponierter (Berufs-)Gruppen zur Erfas-
ung eines möglicherweise erhöhten Krankheitsrisikos
urch die Exposition mit Hochfrequenzfeldern durchge-
ührt werden. Das Ergebnis ist, dass eine solche Kohor-
nstudie keinen Sinn machen würde, weil eine „verzer-
ungsfreie Abschätzung des Erkrankungsrisikos durch
ochfrequente elektromagnetische Felder“ – Seite 10
es Berichts – nicht möglich sein könnte.
Eigentlich sollten die Projekte des Mobilfunk-For-
chungsprogramms im Jahr 2006 abgeschlossen sein.
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Ich bin etwas unzufrieden darüber, dass nach dem vorlie-
genden Bericht für einige Projekte die Ausschreibungs-
phase noch nicht abgeschlossen war, sodass ich die
Sorge habe, dass der Abschlusstermin nicht gehalten
werden kann. Aus Vorsorgegründen darf es keinen Zeit-
verzug geben. Ich hoffe, dass wir, wenn die vorliegenden
Ergebnisse international präsentiert werden und die Er-
gebnisse der Forschungsprogramme anderer Länder zu-
fließen, dass wir zu einer neuen Bewertung der Auswir-
kungen elektromagnetischer Felder auf die Gesundheit
des Menschen kommen. Eine verantwortungsvolle Poli-
tik muss dem Grundsatz folgen, dass die Gesundheit
vorbeugend zu schützen ist. Das hilft auch, Kosten zu
sparen.
Helge Braun (CDU/CSU): Der Mobilfunk ist aus
dem täglichen Leben nicht mehr wegzudenken. Der mo-
bile Austausch von Informationen prägt das menschliche
Miteinander im privaten, beruflichen und gesellschaftli-
chen Leben. Mittlerweile nutzen über 70 Millionen Bun-
desbürger ein Handy. Die Zahl der Mobilfunktelefonie-
rer ist damit mittlerweile sogar höher als die der
Festnetzanschlüsse in Deutschland.
Die Mobilfunktechnologie schafft Werte in Deutsch-
land, sie setzt wirtschaftliche Impulse frei. Die Mobil-
funkbrache ist eine der wichtigsten Wachstumsmärkte
Deutschlands. Die Telekommunikationskonzerne befin-
den sich trotz allgemeiner wirtschaftlicher Stagnation
auf der Erfolgsspur. Insbesondere die jüngsten Zahlen
der Deutschen Telekom zeigen das deutlich: Mobilfunk
und Breitbandgeschäft laufen hervorragend. Das schafft
Werte auch für die, die in diese Branche investiert haben.
Mehr als 100 000 Arbeitsplätze sind bisher im Be-
reich der mobilen Kommunikation und der mobilen
Dienstleistungen in Deutschland geschaffen worden.
Und bei der Weiterentwicklung des mobilen Internets
werden weitere Arbeitsplätze entstehen. Das sind gute
Zukunftsperspektiven für unsere junge Generation von
Schul- und Studienabgängern.
Und doch ist die öffentliche Debatte über Mobilfunk
auch von Sorgen der Bevölkerung vor möglichen Ge-
sundheitsgefahren durch den Betrieb von Mobilfunk-
sendeanlagen und die davon ausgehende Strahlung, ver-
einfacht oftmals als Elektrosmog bezeichnet, geprägt.
Allein die neue Mobilfunkgeneration „UMTS“ macht es
erforderlich, dass mindestens 40 000 neue Sendenanla-
gen auf privaten und öffentlichen Gebäuden aufgestellt
werden mussten und zum Teil noch müssen. Für das
UMTS-Netz werden technisch erheblich mehr Mobil-
funksendeanlagen als für den bisherigen GSM-Standard
notwendig sein.
Die Aufgabe der Politik ist es, die Sorgen und Ängste
der Bürgerinnen und Bürger ernst zu nehmen, das heißt,
sie bestmöglich über die möglichen Risiken und Gefah-
ren des Mobilfunks aufzuklären und alle Anstrengungen
zu unternehmen, um durch Forschung diese junge Tech-
nologie besser und sicherer zu machen.
Der deutsche Bundestag hat deshalb Ende der 14. Le-
gislaturperiode die Bundesregierung aufgefordert, alle
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wei Jahre einen Bericht der aktuellen Forschungsergeb-
isse vorzulegen. Den ersten Bericht der Bundesregie-
ung dieser Art nehmen wir heute hier zur Kenntnis.
rei Bundesministerien – BMU, BMWA und BMBF –
ind in die Mobilfunkforschung eingebunden. Das ist
or allem deshalb richtig, weil es in mehreren Bereichen
er Mobilfunktechnologie noch Unsicherheiten und
eine langfristig erworbenen Kenntnisse gibt. Im Ver-
ntwortungsbereich des Bundesumweltministeriums
iegt deshalb auch das wichtigste Programm zur Risiko-
orschung bei Mobilfunk, das Deutsche Mobilfunk-For-
chungsprogramm.
Dieses leistet einen wichtigen Beitrag zur Aufklärung
er Bevölkerung, der über die bloße Vermittlung wissen-
chaftlicher Fakten hinausgeht. Methodisch soll vor al-
em der breiten Öffentlichkeit die Mobilfunktechnologie
o einfach wie möglich vermittelt werden, um Transpa-
enz zu schaffen und Ängste abzubauen. Die zahlreichen
ingerichteten Internetadressen sind nur ein Beispiel da-
ür. Es ist richtig und beispielhaft, dass von den Gesamt-
osten des Deutschen Mobilfunk-Forschungsprogramms
on 17 Millionen Euro die Hälfte von den Mobilfunkbe-
reibern selbst übernommen wird. Die fachliche Steue-
ung liegt aber allein in den Händen der Bundesregie-
ung, hier hat die Strahlenschutzkommission, SSK, eine
ragende Rolle. Die Mobilfunkbetreiber liefern Daten
nd arbeiten mit.
Es besteht weiterhin ein erheblicher Forschungsbe-
arf: Insbesondere der Ausbau des UMTS-Netzes macht
eue Studien erforderlich, da das UMTS-Netz technisch
ehr viel engmaschiger aufgebaut werden muss, denn
MTS-Antennen haben eine geringere Sendeleistung als
er GSM-Standard. Es können zwar circa 50 Prozent der
ereits bestehenden Sendeanlagen für den GSM-Stan-
ard umgerüstet werden, aber eben nicht alle. Hier müs-
en wir die Mobilfunkbetreiber auffordern, alle mögli-
hen Anstrengungen zu unternehmen, um die Zahl der
endeanlagen so gering wie möglich zu halten. Dazu ge-
ört auch, dass sie gemeinsam mit Kommunen und den
rivaten Eigentümern die Plätze für die Mobilfunksen-
eanlagen so verantwortungsbewusst festlegen, dass bei
iner guten Netzabdeckung keine neuen Risiken für
ohngebiete entstehen.
Und sie müssen die Wirkung und die Risiken der
euen UMTS-Technik genau erforschen. Der Bericht der
undesregierung zeigt uns, dass dazu eine Vielzahl von
rojekten gestartet wurde. Die wenigsten Studien sind
ereits abgeschlossen, weil sie langfristig angelegt sind.
rste Zwischenergebnisse sind ermutigend.
Im Rahmen des Deutschen Mobilfunk-For-
chungsprogramms hat Professor Lerchl von der Interna-
ionalen Universität Bremen den Einfluss von UMTS-
eldern auf die Leukämie- oder Krebsrate bei Mäusen
ntersucht. 160 AKR-Mäuse, die durch den Einbau eines
irus in die Erbsubstanz sehr leicht an Leukämie erkran-
en wurden, für circa 9 Monate 24 Stunden täglich
MTS-Feldern mit 0,4 W/kg ausgesetzt. Das entspricht
em Fünffachen des Ganzkörpergrenzwertes. Ergebnis:
s wurden keine Unterschiede in der Überlebensrate
wischen den dem Feld ausgesetzen und den dem Feld
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005 16567
(A) )
(B) )
nicht ausgesetzten Tieren beobachtet. Der Versuch ist
noch nicht vollständig abgeschlossen, da Gewebe- und
Blutproben der Tiere noch weiter untersucht werden.
Aber er lässt eine beruhigende Tendenz erkennen.
Unsere Aufgabe ist es, die weitere Forschung anzu-
stoßen, neue Ergebnisse genau zu prüfen und den Mobil-
funkbetreibern dabei verlässliche Rahmenbedingungen
zu setzen. Wo dort durch freiwillige Vereinbarungen ge-
setzliche Regelungen ersetzt werden können, begrüßen
wir das ausdrücklich.
Eine Initiative fehlt aber bisher im Mobilfunkbereich:
Die Mobilfunkbrache engagiert sich zwar in der Opti-
mierung der Mobilfunksendeanlagen – das ist Teil des
Forschungsvorhabens des Bundesministeriums für Bil-
dung und Forschung: Das gesamte Netz soll zukünftig
leistungsfähiger sein und weniger Emissionen verursa-
chen –, aber das Umweltzeichen „Blauer Engel“ für be-
sonders strahlungsarme Handys wird von den Herstel-
lern abgelehnt. Das dokumentiert der Bericht der
Bundesregierung deutlich. Angesichts der Tatsache, dass
bereits ein Viertel der auf dem Markt befindlichen Han-
dys die Kriterien des „Blauen Engels“ erfüllen, ist das
verwunderlich. Hier muss die Bundesregierung darauf
drängen, dass das seit über 25 Jahren erfolgreichste Um-
weltzeichen in Europa zugunsten der Verbraucher auch
von der Mobilfunkbranche als Beitrag zur Aufklärung
und Information der Kunden genutzt wird. Die Industrie
muss außerdem die Entwicklung strahlungsärmerer Han-
dys weiter engagiert vorantreiben. Hier werden wir wei-
ter wachsam bleiben und aktiven Verbraucherschutz ein-
fordern.
Lassen Sie mich zum Schluss einen Ausblick wagen:
Wenn wir die Risken der Mobilfunktechnologie weiter
engagiert erforschen und alle Anstrengungen unterneh-
men, um die Bürgerinnen und Bürger besser zu infor-
mieren und umfassend aufzuklären, kann diese Technik
in Zukunft nicht nur die Kommunikation weiter revolu-
tionieren.
Auch andere Bereiche des gesellschaftlichen und so-
zialen Lebens können positiv von der Mobilfunktechno-
logie profitieren. Ich denke da insbesondere an die Me-
dizin, Logistik, Wissenschaft und Forschungstechniken.
Die Mobilfunktechnologie kann unser Leben positiv
beeinflussen. Sie ist eine Zukunftsbranche in Deutsch-
land und Europa, deren Chancen wir nutzen müssen,
ohne die möglichen Risiken zu übersehen.
Werner Wittlich (CDU/CSU): Ein Leben ohne Mo-
bilfunktelefon können sich viele von uns heute gar nicht
mehr vorstellen. Handys machen das Leben einfach und
bequem. Mit dem Handy ist jeder heutzutage jederzeit
an fast jedem Ort erreichbar. Kaum ein anderes Kommu-
nikationsmittel hat unser tägliches Leben so nachhaltig
geprägt wie das Handy. Es steht aber nicht nur für Er-
reichbarkeit und Mobilität, sondern ermöglicht Informa-
tionsaustausch per SMS, das Surfen im Internet und die
Übermittlung von Fotos und Faxen.
Der Mobilfunk hat sich in den vergangenen Jahren in
Deutschland zu einer außergewöhnlichen Wachstums-
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ranche entwickelt. Handys sind deshalb zu einem be-
chtlichen Wirtschaftsfaktor geworden. Inzwischen
bertreffen die Mobilfunkanschlüsse mit über 55 Millio-
en die Zahl der Festnetzanschlüsse in Deutschland bei
eitem. Aus unserem Alltag ist die Mobilfunktechnolo-
ie damit gar nicht mehr wegzudenken.
Dennoch ist der Fortschritt in dieser Technologie aber
eineswegs unumstritten. Elektromagnetische Felder,
ie als Übertragungsmedium gebraucht werden, sind der
reis für diesen Fortschritt. Vor allem der begonnene
usbau der UMTS-Technologie braucht ein dichtes Netz
on Sendeanlagen. Künftig wird es nur noch wenige
äume geben, die nicht mit elektromagnetischen Fel-
ern konfrontiert sind. Mobilfunkgeräte brauchen Sen-
eanlagen, die so genannten Basisstationen. Diese neh-
en die Funksignale der Mobiltelefone auf, verarbeiten
ie und leiten sie weiter in die verschiedenen Netze.
ach Auskunft der Regulierungsbehörde für Telekom-
unikation und Post gibt es derzeit über 70 884 Mobil-
unkbasisstationen an 50 480 Standorten.
In dem Maße, wie neue Sendeanlagen aufgestellt wer-
en, wuchs die Verunsicherung in der Bevölkerung, ob
nd in welcher Form die elektromagnetische Strahlung
u Gesundheitsschäden führen kann. Auf der einen Seite
ill jeder heutzutage mobil telefonieren, aber anderer-
eits darf kein Sendemast in seiner unmittelbaren Umge-
ung aufgestellt werden. Da die ganz überwiegende
ehrheit die Mobilfunktechnologie befürwortet, steht
ie Politik in der Verantwortung, mögliche Gefahren für
ie Gesundheit auf ein Minimum zu beschränken. Die
ahlreichen Anfragen von allen im Deutschen Bundestag
ertretenen Fraktionen belegen, dass die Politik das
hema sehr ernst nimmt.
Die Verunsicherung in der Bevölkerung beruht haupt-
ächlich auf mangelnden Kenntnissen über die Funk-
ionsweise der Mobilfunktechnologie. Es ist unerläss-
ich, beim Bau von Sendeanlagen mit Verbrauchern und
ommunen zusammenzuarbeiten, um geeignete Stand-
rte zu finden. In diese Diskussion vor Ort muss der
ürger mit einbezogen werden; er darf nicht außen vor
leiben. Hinwegtäuschen soll dies aber keinesfalls da-
über, dass es in der Bevölkerung durchaus ein subjekti-
es Bedrohungsgefühl gibt.
Durch wissenschaftliche Untersuchungen zu den
uswirkungen des Mobilfunks auf Menschen, Tiere und
mwelt konnten bislang keine wie auch immer gearteten
chädigungen zweifelsfrei nachgewiesen werden. Die
undesregierung führt in ihrer Antwort auf die Kleine
nfrage der CDU/CSU-Fraktion aus, dass es bei Einhal-
ung der geltenden Grenzwerte nach dem derzeitigen in-
ernational anerkannten wissenschaftlichen Erkenntnis-
tand keine negativen Auswirkungen auf die Gesundheit
ibt. Vielfach sind die Ängste in Teilen der Bevölkerung
infach auf Unwissenheit und mangelnde Aufklärung
urückzuführen. Hier muss die Politik ansetzen: Auf-
abe von Politik muss es sein, die Debatte über mögliche
efahren von Mobilfunkanlagen zu versachlichen.
Für die CDU/CSU-Fraktion ist es ein wichtiges An-
iegen, ohne ideologische Vorbehalte an das Thema Mo-
ilfunktechnologie heranzugehen. Für mich sind im
16568 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005
(A) )
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Zusammenhang mit Mobilfunk Vorsorge und Aufklä-
rung die zwei wesentlichsten Kriterien. Gute For-
schungsarbeit ist im Bereich Gesundheitsschutz die
halbe Vorsorge. Die Bereitschaft der Mobilfunkbetrei-
ber, die Strahlungsintensität der Handys zu kennzeich-
nen, ist zu begrüßen.
Das bisherige Engagement der Bundesregierung in
der Forschung wird den Anforderungen aber in keiner
Weise gerecht. Und – vor dem Hintergrund der Vergabe
der UMTS-Lizenzen – warum wurde die Forschung
nicht vorher schon intensiviert? Aber offensichtlich hat
die Bundesregierung – wenn auch spät – das Problem
zur Kenntnis genommen; denn für die Jahre 2002 bis
2005 werden immerhin 8,5 Millionen Euro zur Verfü-
gung gestellt. Die von der Bundesregierung zur Verfü-
gung gestellten Mittel reichen aber für umfangreiche und
langfristige Forschungsprojekte bei weitem nicht aus.
Die CDU/CSU-Fraktion fordert die Bundesregierung
auf, Mittel für ein Programm zur Verfügung zu stellen,
das den Anforderungen der Weltgesundheitsorganisation
genügt und auch internationale Forschungsergebnisse
aufgrund von Langzeitstudien berücksichtigt. Entschei-
dend ist, mögliche negative Folgen ernst zu nehmen und
zugleich in Forschung und Aufklärung zu investieren.
Hier wären die Erlöse aus dem Verkauf der UMTS-Li-
zenzen zur Erforschung eventueller gesundheitlicher
Auswirkungen besser investiert gewesen als zum Stop-
fen von Haushaltslöchern.
Michael Kauch (FDP): Der Mobilfunk gehört längst
zu unserem Alltag. Trotzdem oder vor allem deshalb
geht die Debatte darüber weiter, wie diese Technologie
mit möglichst geringen Gefahren für Gesundheit und
Umwelt eingesetzt werden kann.
Jüngste Veröffentlichungen der Forschung haben die-
ser Diskussion weiter Nahrung gegeben. Sie dienen aber
allenfalls der Verwirrung der Bürgerinnen und Bürger
und nicht ihrer Aufklärung. Dabei brauchen wir in erster
Linie Klarheit, die wir aber nur durch weitere, unermüd-
liche Forschung erhalten werden. Das muss für alle
Aspekte der Mobilfunktechnologie gelten.
Die Öffentlichkeit diskutiert vor allem über die Risi-
ken der Sendeanlagen. Stärker als bislang sollten aber
die Handys Gegenstand der Forschungsuntersuchungen
sein. Die Strahlenschutzkommission hat darauf hinge-
wiesen, dass es hier am ehesten zu einer Belastung des
Nutzers kommen kann. Das heißt, wir müssen die For-
schung nicht nur für die Sendeanlagen, sondern gerade
auch für die Handys verstärken.
Das Deutsche Mobilfunk Forschungsprogramm mit
seinem breit angelegten Forschungsrahmen ist daher ein
Schritt in die richtige Richtung. Insbesondere begrüße
ich die Erforschung der Wirkungen von elektromagneti-
schen Feldern auf Kinder und Jugendliche. Bei dieser
sich noch in der körperlichen Entwicklung befindlichen
Gruppe besteht erhöhter Forschungsbedarf.
Doch Forschung allein reicht nicht aus. Daneben
muss die Verbraucherinformation verbessert werden.
Die Information insbesondere über den Strahlungswert
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er Handys ist derzeit ungenügend. Erst kürzlich hat das
ahresgutachten 2004 zur Umsetzung der Selbstver-
flichtung der Mobilfunkanbieter auf diesen Umstand
ingewiesen. Die Praxis bestätigt dies. Der Verbraucher
indet den so genannten SAR-Wert meist nur versteckt in
er Gebrauchsanleitung oder auf den Internetseiten von
obilfunkbetreibern und Herstellern. Tatsächlich bleibt
em Verbraucher aber dadurch beim Kauf im Geschäft
er Strahlungswert seines Handys verborgen. Eine in der
ffentlichkeit anerkannte und bekannte Kennzeichnung
er Produkte gibt es nicht. Der „Blaue Engel“ des Bun-
esumweltministeriums wird von den Herstellern nicht
erwendet.
Herr Trittin, ich habe Sie bereits letztes Jahr im Bun-
estag dazu aufgefordert, endlich die Voraussetzungen
ür ein Label zu schaffen, das von allen akzeptiert wird.
er „Blaue Engel“ ist für diese Aufgabe ungeeignet.
och geschehen ist bislang nichts. Es ist daher auch
icht richtig, wenn im vorliegenden Bericht die Verant-
ortung allein auf die Hersteller abgewälzt wird. Herr
rittin, Sie sind dran, handeln Sie!
Die Industrie wird sich bei der Vorgabe eines geeigne-
en Labels der Einführung auf dem Markt nicht weiter
erschließen können. Dann ist der mündige Verbraucher
efragt. Er wird entscheiden, ob die Strahlungsintensität
eim Kauf eine Rolle spielen soll oder nicht. Forschung
st richtig und wichtig, aber die Aufklärung der Verbrau-
herinnen und Verbraucher eben auch.
Simone Probst, Parl. Staatssekretärin beim Bundes-
inister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
eit: Mit Datum vom 27.Dezember 2004 hat die Bun-
esregierung dem Deutschen Bundestag den Bericht
ber die Forschungsergebnisse in Bezug auf Emissions-
inderungsmöglichkeiten der gesamten Mobilfunktech-
ologie und in Bezug auf gesundheitliche Auswirkungen
Drucksache 15/4604 – vorgelegt Sie kommt damit der
itte des Deutschen Bundestags nach, über den aktuel-
en Forschungsstand zum Thema Mobilfunk in regelmä-
igen Abständen informiert zu werden.
In dem Bericht wird dargelegt, dass die Bundesregie-
ung vor drei Jahren ihre Forschungsaktivitäten zum
hema Mobilfunk ressortübergreifend erheblich intensi-
iert hat: Das BMWA fördert Projekte zum Thema Ge-
ehmigungsverfahren und Risikokommunikation, das
MBF fördert Forschungsarbeiten zum Thema Emis-
ionsmindernde Technologien, das BMU hat das Deut-
che Mobilfunk Forschungsprogramm – DMFP – ini-
iiert.
Ziel des Deutschen Mobilfunk Forschungsprogramms
st es, offene Fragen über mögliche biologische Wirkun-
en und Mechanismen von elektromagnetischen Feldern
es Mobilfunks wissenschaftlich belastbar zu klären und
nter Einbeziehung internationaler Forschungsergeb-
isse deren gesundheitliche Relevanz abzuschätzen. Ziel
ieses Programms ist es aber auch, die verbliebenen Un-
icherheiten auf diesem Gebiet zu verringern und gege-
enenfalls zu klären.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005 16569
(A) )
(B) )
Das Deutsche Mobilfunk-Forschungsprogramm wird
vom Bundesamt für Strahlenschutz koordiniert; die
Strahlenschutzkommission begleitet das Programm
fachlich: 2002 waren 52 Forschungsvorhaben in Bezug
auf Auswirkungen auf Mensch und Tier, dosimetrische
Verfahren zur exakten Bestimmung der Exposition der
Bevölkerung durch hochfrequente elektromagnetische
Felder des Mobilfunks, epidemiologische Untersuchun-
gen zu möglichen Zusammenhängen zwischen elektro-
magnetischen Feldern und gesundheitlichen Auswirkun-
gen sowie zur Verbesserung der Risikokommunikation
ausgewählt worden. Davon haben 45 Projekte nach Plan
begonnen. Bei den anderen Projekten konnten leider
keine kompetenten Forschungsnehmer gewonnen wer-
den oder vorgeschaltete Pilotstudien zeigten, dass sich
die gewünschte Fragestellung nicht im jeweiligen Pro-
jekt beantworten ließ.
An die Durchführung der Projekte werden höchste
Qualitätsanforderungen gestellt. Daher werden zurzeit
zwei Projekte auf ihre Machbarkeit geprüft: Zum einen
soll in einer Kohortenstudie der Einfluss der Handynut-
zung auf den Gesundheitsstatus von circa 250 000 Stu-
dienteilnehmern aus Dänemark, Schweden, England und
Deutschland dokumentiert werden. Zum anderen wurde
in den vergangenen Jahren mehrfach nach einer Fortset-
zung der Flachsmeer-Studie gefragt. Demnach soll die
von einigen Anwohnern beobachtete Verschlechterung
ihrer Schlafqualität in der Nähe von Mobilfunk-Basis-
stationen untersucht werden. Unter Berücksichtigung
von Empfehlungen der Strahlenschutz-Kommission
wird dieses Projekt derzeit vergeben. In einer dreimona-
tigen Pilotphase haben die Forschungsnehmer die Gele-
genheit, die Rahmenbedingungen, wie zum Beispiel
geeignete Standorte und definierte Expositionsbedingun-
gen, mit den Netzbetreibern festzulegen. In den Mach-
barkeitsstudien soll unter anderem auch die konstruktive
Zusammenarbeit mit den Netzbetreibern fortgesetzt wer-
den.
Die Bundesregierung möchte noch offene Fragen zur
gesundheitlichen Bewertung des Mobilfunks durch wis-
senschaftliche Studien klären. Dabei ist ein Studiende-
sign unverzichtbar, das eindeutige und aussagekräftige
Ergebnisse liefert. Erfüllt ein Studiendesign diese Vo-
raussetzung jedoch nicht, wie dies bei anderen Studien
zum Teil vorkommt – ich denke hier zum Beispiel an die
so genannte Naila-Studie –, führen kleinräumig beo-
bachtete Assoziationen möglicherweise zu schwer-
wiegenden Fehlinterpretationen. Das BMU und das BfS
fordern für die Projekte des Deutschen Mobilfunk-For-
schungsprogramms einen hohen wissenschaftlichen
Standard – und haben daher dem Wunsch einer Naila-
Wiederholungsstudie nicht entsprochen. Im dritten Fach-
gespräch zum DMFP am 28. April diesen Jahres wurde
mit breiter wissenschaftlicher Beteiligung eine erste
Zwischenbilanz gezogen. Es scheint, dass der einge-
schlagene Weg auf große Zustimmung trifft.
Ein Ausblick zum Schluss: Eine große Zahl an Ein-
zelergebnissen kommt auf uns zu. Wenn alle Ergebnisse
vorliegen, sind sie jeweils einzeln, aber auch in einer Ge-
samtschau zu bewerten. Anschließend ist zu prüfen, wel-
che politischen Konsequenzen daraus folgen. Bis zum
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bschluss des Programms – voraussichtlich 2007 – wer-
en wir weiterhin besonderen Wert auf Transparenz bei
er Projektvergabe und der Ergebnisdarstellung legen.
er nächste Bericht über den Fortschritt des Programms
ird dem Deutschen Bundestag im Frühjahr 2006 zuge-
eitet werden.
nlage 17
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Ersten Geset-
zes zur Änderung des Allgemeinen Eisenbahn-
gesetzes (Tagesordnungspunkt 22)
Karin Rehbock-Zureich (SPD): Wir reden am heu-
igen Tag über einen weiteren wichtigen Schritt für den
chienenverkehr in Europa. Mit dem vorliegenden Ge-
etz setzen wir die Richtlinie 2004/51/EG um und stellen
ie Weichen für einen europaweiten offenen Wettbewerb
m Schienengüterverkehr. Deutschland liegt mitten im
rweiterten Europa, ist das Transitland Nummer eins und
ie Verkehrsdrehscheibe Europas. Das ist bereits
eute die Realität. Bis zum Jahr 2015 sind Zuwächse
on 64 Prozent im Güterverkehr prognostiziert. Solch
ine Steigerung kann nicht allein auf der Straße abgewi-
kelt werden.
Die Schiene wird einen wichtigen Teil des Zuwachses
ufnehmen müssen und so Mobilität für uns alle sicher-
tellen müssen. Die deutschen Unternehmen im Schie-
engüterverkehr, allen voran die Konzerntöchter der DB
G, sind gut positioniert. Schon heute werden über 30
rozent der Verkehrsleistung im europäischen Schienen-
üterverkehr von deutschen Unternehmen geleistet.
eute geschieht dies hauptsächlich auf dem deutschen
chienennetz, das mit seiner Länge von 36 000 Kilome-
ern das größte der EU ist. Damit die Unternehmen euro-
aweit operieren können, werden jetzt die gesetzlichen
egelungen zur schrittweisen Öffnung umgesetzt. So
önnen die Gütertransporte auf der Schiene ihre wirt-
chaftlichen Stärken mit lang laufenden, grenzüber-
chreitenden Transporten voll ausspielen. Ab dem 1. Ja-
uar 2006 besteht ein vollständiger Zugang zu allen
trecken öffentlicher Eisenbahnen für den grenzüber-
chreitenden Güterverkehr. Ab dem 1. Januar 2007 ist
er Eisenbahngüterverkehr dann vollständig liberalisiert.
Ich bin überzeugt davon, dass die Richtlinie 2004/51/
G, die wir mit dem vorliegenden Gesetz umsetzen wer-
en, eine sehr positive Auswirkung auf den europäischen
chienengüterverkehr haben wird. Für die Eisenbahnun-
ernehmen erhöhen sich die Chancen am Markt deutlich,
a sich auch die Schienennetze der Nachbarländer in den
ächsten Jahren für den Güterverkehr öffnen müssen. Im
brigen gilt für das deutsche Netz bereits heute ein hoher
iberalisierungsgrad. Der europaweite Vergleich zeigt:
eutschland muss sich beim diskriminierungsfreien
etzzugang überhaupt nicht verstecken. Die zentrale
tudie für den Bereich Liberalisierung im Schienenbe-
eich stammt von IBM und der Humboldt-Universität.
ie hebt Deutschland eindeutig hervor: Die deutsche und
16570 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005
(A) )
(B) )
englische Netzregulierung gilt als Benchmark für diesen
Bereich.
Wir alle wollen ein flächendeckendes Schienennetz,
das alle Wettbewerber auf der Schiene hinsichtlich Tras-
senvergabe und Trassenpreise gleich behandelt. Diskri-
minierung von Wettbewerbern darf es nicht geben. Dafür
haben wir vor einigen Wochen die europäischen Richtli-
nien 2001/12, 13 und 2001/14/EG umgesetzt bzw. das
Vermittlungsverfahren dazu erfolgreich beendet. Die
Wettbewerbsaufsicht wurde neu aufgestellt, die Kon-
troll- und Eingriffsmöglichkeiten wurden verstärkt. Um
in dieser Richtung weiterzugehen, dafür dient jetzt die,
wie ich denke, unstrittige Gesetzesregelung, über die wir
heute debattieren.
Die Weiterentwicklung der rechtlichen Rahmenbedin-
gungen für die Schiene ist ein fortdauernder Prozess.
Und es gilt nach wie vor, dass seitens dieses Parlaments
und auch seitens der Europäischen Union weitere
Schritte folgen, um den Schienenverkehr in Deutschland
und in Europa voranzubringen. Gerade angesichts der
europäischen Erweiterung und der prognostizierten Zu-
nahme des weltweiten Güterumschlags können wir auf
einen wettbewerblich organisierten, gut aufgestellten
und leistungsfähigen Schienengüterverkehr nicht ver-
zichten. Die Kapazitäten der Straße allein reichen jeden-
falls nicht. Dieses Gesetz wird zusammen mit der Richt-
linienumsetzung bei unseren europäischen Partnern dazu
beitragen, europaweit die Rahmenbedingungen für den
Schienengüterverkehr zu befördern.
Eduard Lintner (CDU/CSU): „Was lange währt,
wird endlich gut!“, könnte man meinen, wenn wir jetzt
zur parlamentarischen Beratung des so genannten Ersten
Gesetzes zur Änderung des Allgemeinen Eisenbahnge-
setzes kommen. Lange haben wir die Bundesregierung
und die Europäische Union, vor allem Frankreich, drän-
gen müssen, um bei der Liberalisierung des Zugangs zu
den nationalen Schienenwegenetzen vorwärts zu kom-
men. Jetzt soll das Schienennetz öffentlicher Eisenbah-
nen in der EU ab 1. Januar 2007 für den Güterverkehr
geöffnet werden, und zwar für den nationalen und inter-
nationalen Güterverkehr und für die Kabotage! Aber we-
gen der über die Jahre hin mit der EU und einzelnen Mit-
gliedstaaten gemachten Erfahrungen glaube ich an den
Erfolg erst, wenn er am 1. Januar 2007 auch tatsächlich
eingetreten ist. Immer wieder haben wichtige Länder in
der EU – hier ist in erster Linie Frankreich zu nennen –
Wege und Mittel gefunden, die verbal bejahte Liberali-
sierung durch diverse Tricks und kleinlich errichtete
Hürden in der Praxis zu behindern oder gar zu unterbin-
den.
Das jüngste Beispiel für ein solches Manöver ist, ge-
gen die Absicht der EU-Kommission, die von den
europäischen Bahnen, CER, mit den europäischen
Transportarbeitergewerkschaften ausgehandelte Verein-
barung über die Einsatzbedingungen des fahrenden Per-
sonals im grenzüberschreitenden Schienenverkehr als
Richtlinie der EU für alle Betreiber von Schienenverkehr
verbindlich zu machen. Die Personalkosten der privaten
Konkurrenten der nationalen Staatsbahnen würden da-
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urch um – sage und schreibe – 20 Prozent verteuert.
anach müssten nämlich Lokführer nach einer „auswär-
igen Ruhezeit“, das heißt zum Beispiel Übernachtung
m Ausland, die nächste „Ruhezeit“ am heimischen
ohnort verbringen. Für die nationalen Staatsbahnen
ein Problem, denn sie wechseln das Personal nach dem
renzübertritt. Die privaten aber, die in Transportzyklen
lanen, müssten ihr Personal nach Hause transportieren
nd neues Personal aus der Heimat herbeikarren, um
eiterfahren zu dürfen. So will man sich offenbar un-
iebsame Konkurrenten auch nach der offiziellen Libera-
isierung vom Halse schaffen. Warten wir es also ab, ob
ir unser Ziel tatsächlich in den im Gesetz enthaltenen
risten erreichen werden.
Diese Erfahrungen lehren auch: Die Bundesregierung
arf sich mit dem auf dem Papier Erzielten nicht zufrie-
en geben, sondern sie muss ständig darüber wachen,
ass trotz des jetzt erreichten Stadiums nicht neue Hin-
ernisse ersonnen werden, die das erstrebte Ziel wieder
nfrage stellen bzw. wieder hinausschieben sollen. In
iesem Zusammenhang dürfen wir nicht übersehen, was
ich bisher trotz prinzipieller Öffnung des Zugangs in
estimmten Schienenverkehrsbereichen, tut. Da nutzen
usländische Eisenbahnunternehmen oft über Tochterfir-
en durchaus die Möglichkeit, auf dem deutschen
chienennetz der Deutschen Bahn AG wirkungsvoll
onkurrenz zu machen. Dagegen ist gar nichts einzu-
enden, wenn das Prinzip der Gegenseitigkeit gewahrt
st. Wenn aber – wie eben beim französischen Nach-
arn – das eigene, nationale Netz praktisch abgeschottet
leibt, müssen wir uns alle, vor allem aber die Bundesre-
ierung mit allen ihr gebotenen Mitteln, dagegen zur
ehr setzen. Das hat sie in der Vergangenheit leider
wir haben es hier schon oft beklagt – nicht mit der nö-
igen Verve getan, sondern sie war auf mancherlei Kuh-
andel bedacht und hat nur halbherzig beim EU-Partner
nd bei der Kommission protestiert.
Ich bin der Überzeugung: Wir hätten das jetzt in sicht-
are Nähe gerückte Teilziel schon viel früher erreichen
önnen, wenn das Anliegen von der Bundesregierung
tets mit dem nötigen Nachdruck verfolgt worden wäre.
ch hoffe nur, dass die Bundesregierung dieses Mal die
ationalen Interessen in dieser Sache, ohne Abstriche zu
achen, zu verfolgen bereit ist. In diesem Zusammen-
ang sei auch erwähnt, dass sich der politische Wille zur
ffnung der Netze für alle Betreiber von Schienenver-
ehr auch darauf richten muss, die noch vorhandenen
echnischen, administrativen und faktischen Hinder-
isse zügig zu beseitigen. Dazu gehört zum Beispiel die
ngleichung der verwendeten Technik, mindestens aber,
ie untereinander kompatibel zu machen. Dazu gehört
ie gegenseitige Anerkennung von Ausbildungen beim
ersonal, das Akzeptieren von Zulassungen beim rollen-
en Material, die Standardisierung von Hard- und Soft-
are im Bereich Leit- und Versorgungssysteme sowie
ei der Signal- und Sicherheitstechnik. Dazu gehört vor
llem auch die mentale Schulung des nationalen Perso-
als, nicht durch vorurteilsbehaftete Verhaltensweisen,
and ins Getriebe der Liberalisierung zu streuen.
Man darf die praktische Bedeutung des für den
. Januar 2007 angekündigten Liberalisierungsschrittes
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005 16571
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wahrlich nicht unterschätzen. Der Systemvorteil des Gü-
terverkehrs auf der Schiene liegt in der langen Trans-
portstrecke, möglichst über 300 Kilometer. Optimale
Beförderungsweiten sind im kleinräumigen Mittel- und
Westeuropa meist nur, beim grenzüberschreitenden Gü-
terverkehr zu erreichen. Die Grenzen der EU-Staaten
müssen – wie beim LKW-Verkehr – ohne Halt oder nur
mit kurzem, technisch bedingtem Aufenthalt passiert
werden können. Noch heute sind leider Klagen über un-
nötig lange Wartezeiten oder gar das tagelange Ver-
schwinden von Güterzügen auf dem Netz europäischer
Staaten keineswegs selten. Die häufig abgegebenen küh-
nen Prognosen über einen deutlich wachsenden Anteil
der Schiene am gesamten Güterverkehr haben sich alle-
samt bislang nicht bewahrheitet. Sie können wohl erst
erreicht werden, wenn die Liberalisierung der Schienen-
netze innerhalb der EU tatsächlich Platz gegriffen hat.
Das würde dann zum Beispiel auch im Bereich der Um-
welt eine wirksame Entlastung von den Auswirkungen
eines immer dichter werdenden Straßenverkehrs bedeu-
ten, um nur ein damit verbundenes Sekundärziel zu er-
wähnen.
Wir, die CDU/CSU-Fraktion, wünschen dem Libera-
lisierungsprozess auf Europas Schienennetzen daher ein
durchschlagendes, künftig unbehindertes Fortkommen.
Darauf wird sich unsere ständige Aufmerksamkeit rich-
ten.
Albert Schmidt (Ingolstadt) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Ziel der erneuten Änderung des Eisenbahn-
gesetzes ist die Umsetzung der EU-Richtlinie 2004/51 in
nationales Recht. Zum 1. Januar 2007 soll der gesamte
Güterverkehr auf der Schiene in Europa liberalisiert wer-
den. Ein notwendiger Schritt um die ehrgeizigen Ziele
der Europäischen Union und der Bundesrepublik
Deutschland bezüglich der Verlagerung von Gütern von
der Straße auf die Schiene zu erreichen. Die Gesetzesän-
derung erlaubt es sowohl staatlichen als auch privaten
Güterverkehrsbahnen aus den Mitgliedstaaten, innerhalb
Deutschlands und im Verkehr nach und von Deutschland
Güter auf der Schiene zu transportieren. Mit der zu er-
wartenden zeitgleichen Umsetzung in den anderen Mit-
gliedstaaten wird im Gegenzug auch deutschen Güterver-
kehrsbahnen der lückenlose und diskriminierungsfreie
Zugang zu den Netzen der europäischen Nachbarn ermög-
licht.
Durch die bereits relativ weit fortgeschrittene Öff-
nung des nationalen Schienengüterverkehrsmarktes in
Deutschland können wir sehr gut beobachten, dass Wett-
bewerb auf der Schiene zu wachsenden Marktanteilen
der Schiene führt: Im Vergleich der Jahre 2003 und 2004
stieg der Anteil von DB-Wettbewerbern gefahrenen
Schienengüterverkehre von circa 5 Prozent auf circa
10 Prozent, gleichzeitig stieg die Gesamtmenge der auf
der Schiene beförderten Güter um rund 8,2 Prozent auf
86 Milliarden Tonnenkilometer. Die Schiene konnte so-
mit im Jahr 2004 ihren Marktanteil im Gesamtgüterver-
kehrsmarkt um circa 2,7 Prozent steigern. Wettbewerb
im Güterverkehr wirkt und bringt die Schiene nach
vorne. Wir begrüßen deshalb ausdrücklich den vor-
liegenden Gesetzentwurf zur Liberalisierung des Güter-
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erkehrs und erwarten und fordern von den anderen
uropäischen Mitgliedstaaten eine ebenso pünktliche
msetzung der EU-Richtlinie.
Die darüber hinausgehenden vom Bundesrat einge-
rachten Änderungsvorschläge zum Eisenbahnrecht
erden wir in der zweiten Lesung intensiv prüfen und
ewerten.
Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP): Wir beraten heute
u zugegebenermaßen nachtschlafender Zeit – wahr-
cheinlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit – eine für
en europäischen Eisenbahngüterverkehr entscheidende
eichenstellung, nämlich die Öffnung aller Güterver-
ehrsnetze ab dem 1. Januar 2006 für grenzüberschrei-
ende Verkehre und ab dem 1. Januar 2007 für alle Güter-
erkehre.
So weit, so schlecht! Wie in allen Fällen ist Richtli-
ienentwürfen der Europäischen Union erst dann tat-
ächliche Geltung verschafft, wenn sich auch alle Länder
er Europäischen Union in der praktischen Umsetzung
ieses Gesetz zu Eigen machen. Es hat hohe Bedeutung,
eil Zuwachsraten des Güterverkehrs auf der Schiene
ehr und mehr – völlig zu Recht – im grenzüberschrei-
enden langläufigen Schienengüterverkehr stattfinden
erden. Es ist höchst ärgerlich, dass nach wie vor das
enken der alten Staatsbahnen gilt, die an der jeweiligen
renze sowohl das Personal als auch die Lokomotive
uswechseln und damit einen im Verhältnis zu anderen
erkehrsträgern nicht hinzunehmenden Wettbewerbs-
achteil erleiden.
Erst durch den Einsatz innovativer neuer Unterneh-
en, die mit Mehrsystemlokomotiven und hoch ausge-
ildetem Personal grenzüberschreitend Güterverkehr be-
reiben, und durch eine von der EU vorangetriebene
chrittweise Öffnung bestimmter Netze ist es gelungen,
uch denn Verkehrsträger Schiene wieder Potenzial und
uwächse zu verschaffen. Die politische Aufgabe wird
eshalb sein, dafür einzutreten, dass insbesondere Län-
er wie Frankreich und Spanien ebenfalls in der Praxis
ie jetzt vorgegebenen Normen umsetzen, und der
chiene zum Durchbruch zu verhelfen.
Es mutet etwas seltsam an, dass im Gesetzentwurf der
undesregierung lediglich auf die finanziellen Auswir-
ungen der öffentlichen Haushalte insbesondere des Ei-
enbahnbundesamtes als Kontrollbehörde eingegangen
ird. Von einer Bundesregierung, die sich unter rot-grü-
er Mehrheit auf die Fahne geschrieben hat, bis zum
ahre 2015 100 Prozent Zuwachs auf der Schiene im Be-
eich des Güterverkehrs zu erzielen, hätte man erwarten
önnen, im Vorblatt eines solchen Gesetzentwurfes auch
uf die tatsächlichen Möglichkeiten im Wettbewerb der
erkehrsträger untereinander einzugehen. Wenn dies die
erzeitige Opposition macht, zeigt das überdeutlich, dass
ir mehr als die reinen Verwaltungskosten bei diesem
esetzentwurf sehen und hoffen, dass die durch Europa
eschaffenen Möglichkeiten nun auch zügig ausgenutzt
erden. Das gilt sowohl als Aufforderung an die bisheri-
en Staatsbahnen als auch als Bekräftigung an neue in-
ovative Unternehmen.
16572 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005
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Überhaupt nicht in dieses Bild passt deshalb der auf
der europäischen Ebene ebenfalls beschlossene Gesetzent-
wurf. Zwischen den europäischen ehemaligen Staatsbah-
nen und der Europäischen Transportgewerkschaft wurde
vereinbart, dass Lokomotivführer, die grenzüberschrei-
tend fahren, am zweiten Tag nach Grenzübertritt wieder
in ihrem Heimatland zurück sein müssen. Hier wird aus
fadenscheinigen und durchsichtigen Gründen offensicht-
lich ein Wettbewerbsvorteil innovativer Privatunterneh-
mer beschränkt. Wenn auch alle Staatsunternehmen end-
lich dann nach dem neuen Gesetz der allgemeinen
Eisenbahngesetzgebung ebenfalls grenzüberschreitend
tätig werden, besteht Hoffnung, dass auch dieses unsin-
nige Gesetzeswerk wieder aufgehoben wird. Die Libera-
len unterstützen den Sinn dieser Gesetzesänderung,
freuen sich auf die entsprechende sachliche Debatte in
den Ausschüssen und kündigen bereits jetzt ihre Zustim-
mung an.
Achim Großmann, Parl. Staatssekretär beim Bun-
desminister für Verkehr-, Bau- und Wohnungswesen: Der
internationale Eisenbahnverkehr ist eine der großen
Wachstumschancen der Eisenbahnen. Er führt bisher im
Verhältnis zu seinen Möglichkeiten ein Schattendasein.
Die Konkurrenten, allen voran LKW und Flugzeug, sind
der Eisenbahn auf dem Weg zu einem liberalisierten eu-
ropäischenVerkehr weiterhin voraus.
Im zurückliegenden Jahrzehnt sind daher große An-
strengungen unternommen worden, um der Eisenbahn
einen wesentlichen Platz im Rahmen einer integrierten
europäischen Verkehrspolitik einzuräumen. Die bürokra-
tischen und technischen Schranken im europäischen
Bahnnetz müssen daher so bald wie möglich fallen. Er-
klärtes Ziel der Bundesregierung ist die zügige Verwirk-
lichung eines einheitlichen europäischen Eisenbahn-
marktes. Hierfür haben wir auch immer in der
Europäischen Union geworben und das Entstehen der
zwei bislang verabschiedeten Eisenbahnpakete tatkräftig
unterstützt.
Ein erster Schritt nach der Bahnreform war die Um-
setzung der Richtlinien des l. Eisenbahnpaketes, mit der
der diskriminierungsfreie Zugang aller nationalen Eisen-
bahnen zur Eisenbahninfrastruktur festgeschrieben
wurde. Die Zugangsrechte im grenzüberschreitenden
Verkehr wurden ebenfalls erweitert, allerdings zunächst
beschränkt auf das transeuropäische Schienengüternetz.
Ein vollständiger Zugang zu allen Strecken öffentlicher
Eisenbahnen war erst für das Jahr 2008 vorgesehen.
Dies reicht jedoch nicht aus, um der Bahn in Europa
die Bedeutung zu verschaffen, die ihr in einem integrier-
ten Verkehrssystem zukommen sollte. Dabei ist gerade
auch der internationale Verkehr mit seinen langen Beför-
derungswegen und seinem Wachstum die Chance für die
Zukunft der Schiene. Erst wenn es gelingt, die Bahnen
vollständig von ihrer Bindung an die nationalen Schie-
nennetze zu lösen, kann man von einem echten interna-
tionalen Verkehrsmittel sprechen.
Vor Ihnen liegt ein weiterer Meilenstein auf dem Weg
zur Marktöffnung im Eisenbahnbereich: Das Erste Än-
derungsgesetz zum Allgemeinen Eisenbahngesetz, über
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as wir heute beraten, ist Teil der Umsetzung des „Zwei-
en Eisenbahnpaketes" der EU und bringt uns die voll-
tändige Öffnung der Eisenbahnnetze für den Güterver-
ehr zum l. Januar 2007. Das Ihnen jetzt vorliegende
esetz legt die dafür notwendigen weiteren Schritte fest:
rstens vollständiger Zugang zu allen Strecken öffentli-
her Eisenbahnen im grenzüberschreitenden Verkehr ab
. Januar 2006 und zweitens vollständige Liberalisie-
ung des Eisenbahngüterverkehrs ab 1. Januar 2007. Und
enn ich vollständig sage, dann meine ich den nationa-
en Güterverkehr, den internationalen Güterverkehr und
ie Kabotage.
Dies ist die einzige Chance, dem Eisenbahngüterver-
ehr die Bedeutung zu verschaffen, die ihm in einem in-
egrierten Verkehrssystem zukommen sollte.
Und noch etwas: Wir sollten dieses Gesetzgebungs-
erfahren nicht dazu benutzen, Diskussionen wieder auf-
eben zu lassen, die wir bereits im Zusammenhang mit
em Dritten Gesetz zur Änderung eisenbahnrechtlicher
orschriften geführt und im Vermittlungsverfahren zu
inem guten Ende gebracht hatten. Konzentrieren wir
ns jetzt auf die Umsetzung der Richtlinie zur Liberali-
ierung des Schienengüterverkehres. Er kann es brau-
hen.
nlage 18
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Mehr Verbraucher-
schutz durch eindeutigere Kennzeichnung und
sendungsbezogene Rückstandsuntersuchungen
von Geflügelfleischimporten in die EU aus
Drittländern (Tagesordnungspunkt 23)
Manfred Zöllmer (SPD): Mit ihrem Antrag will die
DU/CSU den Verbraucherschutz durch die Kennzeich-
ung und sendungsbezogene Rückstandsuntersuchungen
on Geflügelfleischimporten aus Drittländern in die EU
erbessern. Dabei suggeriert sie, dass es sich um eine
eue Problematik handelt, derer sie sich im Sinne der
erbraucherinnen und Verbraucher annehmen muss.
Offenbar wird der Verbraucherschutz von der CDU/
SU immer mehr als wichtiges Politikfeld entdeckt – so
eu, wie dies jedoch für sie ist, ist das für uns nicht.
Auch die Problematik von Importen speziell von ge-
alzenem Geflügelfleisch aus Drittländern und deren
uswirkungen auf den europäischen und deutschen Ge-
lügelmarkt sind der Bundesregierung seit Jahren be-
annt. Es handelt sich im Übrigen um ein europäisches
nd nicht nur um ein nationales Problem. Doch wenn
an den Antrag genau liest, wird man den Eindruck
icht los, dass sie nicht den Verbraucherschutz im Auge
at, sondern ihn lediglich als Mäntelchen benutzen, um
ier Schutz- und Lobbyarbeit für die deutsche Geflügel-
irtschaft zu betreiben, die vor ausländischen Importen
eschützt werden soll.
Es gibt niemanden hier im Saal, der nicht will, dass es
er deutschen Wirtschaft und auch der deutschen Geflü-
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005 16573
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gelwirtschaft gut geht. Was aber eindeutig missfällt, ist
die Tatsache, dass die CDU/CSU die wichtigen Interes-
sen der Verbraucherinnen und Verbraucher als Ausweg
benutzt, um andere Ziele zu verfolgen. Damit bringt sie
einmal mehr zum Ausdruck, wie wenig ernst es ihr mit
dem Verbraucherschutz wirklich ist. Sie nutzt ihn nur als
Spielball zur Durchsetzung ganz anderer Interessen.
Worum geht es hier eigentlich? Wir reden hier sowohl
über Handelsfragen als auch über gesundheitlichen Ver-
braucherschutz. Bereits vor Jahren war festzustellen,
dass die Importe von gesalzenem Geflügelfleisch in die
EU deutlich zugenommen hatten. Dabei handelte es sich
in erster Linie um leicht gesalzenes Geflügelfleisch. Im
Jahr 2001 waren dies über 226 000 Tonnen, wovon zwei
Drittel aus Brasilien und ein Drittel aus Thailand stamm-
ten. Der größte Anteil der importierten Menge ging mit
gut 117 000 Tonnen nach Deutschland. Fünf Jahre zu-
vor, 1996, waren dies im Vergleich lediglich 3 600 Ton-
nen. Dies belegt eine immense Steigerung.
Diese zunehmenden Importe und auch die Zunahme
der eigenen Geflügelproduktion als Folge der BSE-Krise
führten in der Tat zu einem deutlichen Preisdruck auf
den europäischen Märkten für Geflügelfleisch. Als
Hauptursache für die dramatische Entwicklung der Ein-
fuhren von gesalzenem Geflügelfleisch in die EU – und
mithin nach Deutschland – wurde auf EU-Ebene die er-
heblich geringere Zollbelastung von gesalzenem Geflü-
gelfleisch gegenüber frischem und gefrorenem Geflügel-
fleisch ausgemacht.
Im Juli 2002 hat die EU-Kommission eine Einrei-
hungsverordnung in Kraft gesetzt, wonach entbeinte,
tiefgefrorene und gesalzene Teile von Hühnern mit ei-
nem Kochsalzgehalt von 1,2 bis 1,9 GHT – Gewichts-
hundertanteile – als „gefrorenes Fleisch“ eingereiht wur-
den. Damit verbunden war dieses Fleisch nunmehr auch
mit höheren Importzöllen belegt als lediglich gesalzenes
Fleisch. In der Folge sanken die Importe dramatisch.
Gegen diese Regelung beantragten die größten Im-
portländer Brasilien und Thailand jedoch die Einsetzung
eines WTO-Panels. Dieses endete erwartungsgemäß zu-
gunsten der Antragsteller mit dem Ergebnis, dass die EU
die Einreihung des gesalzenen Geflügelfleischs als „tief-
gefroren“ nicht mehr vornehmen darf. Die Einreihungs-
verordnung wurde als unzulässige Beschränkung des
Marktzuganges und Verletzung von WTO-rechtlichen
Verpflichtungen der EU gewertet.
In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass Deutsch-
land bereits frühzeitig zoll- und WTO-rechtliche Beden-
ken gegen die Einreihungsverordnung angemeldet hatte,
aber keine Unterstützung durch andere Mitgliedstaaten
fand. Ob die EU-Kommission die genannte Entschei-
dung vor dem Appellate-Body anfechten wird, ist derzeit
noch unklar.
Insoweit stellt sich die Problematik neu und muss
nunmehr auch neu diskutiert werden. Es muss sicher
auch damit gerechnet werden, dass die Geflügelfleisch-
importe wieder deutlich ansteigen werden.
Die CDU/CSU schlägt nun vor, die Kennzeichnung
der Drittlandimporte auch für gesalzenes, gewürztes
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der thermisch behandeltes Fleisch vorzunehmen, ferner
ei Verarbeitungserzeugnissen aus Geflügelfleisch. Der
orschlag klingt nur auf den ersten Blick griffig, pro-
lemlösend und verbraucherfreundlich, entpuppt sich
ber bei genauerem Hinsehen als unpraktikabel, als eine
cheinlösung, die zudem handelsrechtlich bedenklich
t.
Wie soll beispielsweise Hühnerfleisch, das gerade in
onvenience-Produkten verschwindet, gesondert ge-
ennzeichnet werden? Die Verarbeitungsketten für Ge-
lügelfleisch werden immer länger, wie soll da was wo
ekennzeichnet werden? Der Antrag gibt an dieser Stelle
einerlei konkrete Antworten.
Wenn wir über Kennzeichnung reden, dann ist sie aus
icht der Verbraucherinnen und Verbraucher nur dann
innvoll, wenn sie auf ein konkretes Produkt bezogen ist.
Aber die CDU/CSU suggeriert nicht nur, dass die
ennzeichnung das Allheilmittel zum Schutz der Geflü-
elwirtschaft sei, sondern vermengt auch in unzulässiger
eise die Handelsproblematik mit der Lebensmittelhy-
iene.
Sie tut in ihrem Antrag gerade so, als wenn die Bun-
esregierung die in der Vergangenheit bekannt geworde-
en teilweisen hygienischen Probleme mit Geflügel-
leischimporten – etwa die Nitrofuran-Kontaminatio-
en – nicht ernst nehme und die Lebensmittelsicherheit
ür die Verbraucherinnen und Verbraucher nicht gewähr-
istet sei. Und sie tut so, als ob dieser gesamte Bereich
ngeregelt sei. Dies ist falsch und diese Bundesregie-
ung braucht keinen Nachhilfeunterricht in Sachen Le-
ensmittelsicherheit. Diese Bundesregierung hat das
rinzip des vorsorgenden Verbraucherschutzes immer
rnst genommen. Insoweit ist es wichtig, sachlich auf
olgendes hinzuweisen: Bereits jetzt müssen nach dem
eltenden allgemeinen Lebensmittelrecht der Gemein-
chaft – nach Art. 17 Abs. 1 der Verordnung (EG)
r. 178/2002 – die Lebensmittelunternehmer auf allen
roduktions-, Verarbeitungs- und Vertriebsstufen in den
rer Kontrolle unterstehenden Unternehmen dafür sor-
en, dass die Lebensmittel die Anforderungen des Le-
ensmittelrechts erfüllen.
Ferner enthält Art. 11 dieser Verordnung die allge-
eine Verpflichtung für den Lebensmittelhandel, dafür
u sorgen, dass in die Gemeinschaft eingeführte Lebens-
ittel, also auch das Geflügelfleisch, die entsprechenden
nforderungen des Lebensmittelrechts erfüllen. Zudem
ürfen nach Art. 14 Abs. 1 Lebensmittel, die nicht sicher
ind, nicht in Verkehr gebracht werden.
Im Hinblick auf Lebensmittel aus tierischer Herkunft
chreibt die Verordnung (EG) Nr. 853/2004 zudem vor,
ass Lebensmittelunternehmer, die Erzeugnisse tieri-
chen Ursprungs aus Drittländern einführen, sicherzu-
tellen haben, dass die Einfuhr nur unter den in dieser
erordnung hierfür festgelegten Bedingungen erfolgt
Art. 6 –. Eine dieser Bedingungen ist, dass das Erzeug-
is den Anforderungen der Rückstandskontrollrichtlinie
6/23/EG entspricht. Diese Verordnung muss ab dem
. Januar 2006 angewandt werden.
16574 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005
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Daher sind auf EG-Ebene ausreichende rechtliche In-
strumentarien vorhanden, um einen angemessenen Ver-
braucherschutz in Bezug auf Rückstände in importiertem
Geflügelfleisch zu gewährleisten. Es liegt in der Verant-
wortung jedes Beteiligten im Lebensmittelhandel, seiner
Verpflichtung zur Sicherheit von Lebensmitteln nachzu-
kommen.
Ich will betonen, dass natürlich auch in der Vergan-
genheit Geflügelfleisch und Geflügelfleischerzeugnisse
stichprobenweise auf Rückstände untersucht wurden.
Das In-Verkehr-Bringen von Geflügelfleisch und Geflü-
gelfleischerzeugnissen etwa mit antibiotischen Stoffen
ist nach geltendem Recht verboten. Bei entsprechenden
Einstufungen kann bereits jetzt jede Partie, die geliefert
wird, untersucht werden.
Werden der Europäischen Kommission konkrete
Sachverhalte bekannt, zum Beispiel durch Inspektionen
des Lebensmittel- und Veterinäramtes der Europäischen
Kommission in einem Drittland, die die Einhaltung die-
ser Vorschriften fraglich erscheinen lässt, so kann sie ge-
genüber diesem betroffenen Drittland eine Schutzklau-
selentscheidung erlassen. Solche Entscheidungen
beinhalteten in der Vergangenheit zum Beispiel Einfuhr-
beschränkungen in der Form, dass die Sendungen aus
Drittländern systematisch auf das Vorhandensein von
Rückständen untersucht werden mussten.
Dies zeigt: Es gibt vielfältige Möglichkeiten, den mit
der gegenwärtigen Rechtslage die Lebensmittelsicher-
heit zu gewährleisten. Mit den Vorschlägen der CDU/
CSU wird die Lebensmittelsicherheit jedoch nicht er-
höht. Ihre Forderungen sind nicht praktikabel und WTO-
konform.
Sie missbraucht den Verbraucherschutz. Das Problem
des zunehmenden Wettbewerbs auf dem Geflügel-
fleischmarkt kann nicht durch die Hintertür gelöst wer-
den.
Mit einer Vielzahl von Anträgen und Wortbeiträgen
im Deutschen Bundestag hat die CDU/CSU-Fraktion das
Hohe Lied des Freihandels und des Abbaus von Han-
delsschranken gesungen. Die Bundesregierung wurde
kritisiert, dies nicht entschieden genug in den internatio-
nalen Verhandlungen vertreten zu haben. Wer wie die
CDU/CSU so engagiert Handelserleichterungen fordert,
ist dann auch für die Konsequenzen mit verantwortlich.
Gitta Connemann (CDU/CSU): Schon Wilhelm
Busch wusste um den Wert guten heimischen Geflügel-
fleisches. So lässt er Max und Moritz mehr als einen
Streich spielen, um in den Genuss eines Hühnerschmau-
ses auf Kosten der Witwe Bolte zu kommen. Ich zitiere:
„Durch den Schornstein mit Vergnügen sehen sie die
Hühner liegen, die schon ohne Kopf und Gurgeln lieb-
lich in der Pfanne schmurgeln.“
Wir wissen nicht, ob Max und Moritz, wenn sie heute
leben würden, dicke Kinder wären. Aber eines wissen
wir: Wenn Max und Moritz heute in eine Pfanne greifen
würden, könnten sie nicht sicher sein, woher das Geflü-
gel stammt. Dieses Problem stellt sich nämlich allen
Verbrauchern in Deutschland, die gebratenes, gesalze-
nes, gewürztes oder anderweitig behandeltes Geflügel-
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leisch kaufen. Denn die Herkunft dieses Fleisches muss
icht angegeben werden. Ein zu vernachlässigendes Ein-
elproblem? Keineswegs. Viele ernährungsbewusste
erbraucher entscheiden sich hierzulande bewusst für
en Verzehr von Geflügelfleisch, insbesondere Eltern.
ie können es täglich in Supermärkten sehen: Mütter
nd Väter mit ihren Kindern gehen zielstrebig auf die
ühltheke zu, in der Hähnchenschenkel, Entenkeulen,
utenbrüste küchenfertig und abgepackt liegen. Sie kau-
en dieses Weißfleisch insbesondere aus zwei Gründen:
rstens: Geflügelfleisch ist gesund. Schließlich weiß
icht nur die Bundesministerin um die Bedeutung einer
usgewogenen, proteinreichen und fettarmen Ernährung
ür unsere Kinder. Zweitens: Das Fleisch kommt aus
eutschland. Dafür scheint jedenfalls das Veterinärkon-
rollkürzel „DE“ auf der Verpackung zu stehen.
Die Verbraucher, insbesondere Eltern, sind nämlich
orsichtig geworden. Die Probleme der jüngeren Ver-
angenheit wie BSE oder Geflügelpest haben sie verun-
ichert. Nach dem BSE-Skandal verwenden sie vor al-
em Geflügelfleisch. Und angesichts der immer noch in
sien grassierenden Geflügelpest achten sie darauf, dass
as Fleisch aus Europa, am besten aus Deutschland
ommt. Sicher ist sicher.
Geflügelfleisch insbesondere aus Deutschland gibt
en Verbrauchern dieses sichere Gefühl – zu Recht. Wir
aufen bewusst hiesige Produkte. Denn wir wissen um
hre ausgezeichnete Qualität. In Deutschland bestehen
ie weltweit schärfsten Anforderungen an die Nahrungs-
ittelsicherheit. Es werden höchste Ansprüche an Tier-
nd Umweltschutz gestellt. Und dies wird auch regelmä-
ig kontrolliert. Diese Sicherheit hiesiger Produkte trägt
ntscheidend zu der gesunden und ausgewogenen Ernäh-
ung bei, die wir ja alle wollen. Nicht zuletzt wegen des
lus an Frische, da die Transportwege bis zur Vermark-
ung bei uns kurz sind. Diese Qualität, Sicherheit und
rische unserer Nahrungsmittel ist nicht nur Eltern wich-
ig, sondern der Mehrzahl der deutschen Verbraucher.
Und was müsste die zuständige Ministerin Frau
ünast, nun all diesen Verbrauchern sagen, wenn sie
iese ausreichend informieren wollte? Dass diese sich
älschlicherweise in Sicherheit wiegen! Dass allein im
ergangenen Jahr annähernd 100 000 Tonnen Geflügel-
leisch allein aus Brasilien nach Deutschland importiert
orden sind – von Ländern wie Thailand etc. pp. ganz
u schweigen!
Dass dieses Fleisch hier allerdings im Falle einer Ver-
rbeitung als deutsches Produkt gekennzeichnet verkauft
erden darf! Dass eine Lücke im deutschen Verbrau-
herschutz klafft!
Dies alles müsste die zuständige Frau Ministerin un-
eren Verbrauchern sagen, wenn ihr an einer vollständi-
en Information gelegen wäre. Allein, die Ministerin
chweigt. Sie weist nicht darauf hin, dass nach der der-
eitigen Rechtslage die Herkunft von Geflügelfleisch
us Drittländern wie Brasilien, Thailand, Vietnam, Indo-
esien, China, Chile usw. nur anzugeben ist, wenn es un-
ehandelt ist. So sagt es die einschlägige EWG-Verord-
ung Nr. 1906/90 des Rates. Sie weist nicht darauf hin,
ass als unbehandeltes Fleisch nur solches gilt, das nicht
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005 16575
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haltbar gemacht worden ist. Sie weist nicht darauf hin,
dass nur bei frischem oder kältebehandeltem Geflügel-
fleisch das Herkunftsland anzugeben ist. Das heißt: eine
Prise Salz – Simsalabim – schon spielt die Herkunft
keine Rolle mehr. Denn sobald ein leichtes Salzen oder
Würzen erfolgt, ist das Fleisch behandelt und fällt damit
unter die Kategorie „Geflügelfleischzubereitung“.
Folge: Es muss keine Auskunft über die ursprüngli-
che Herkunft des Produktes gegeben werden. Dasselbe
geht im Fall der thermischen Behandlung: einmal in die
Pfanne und kurz gebraten – Simsalabim –, eine Kenn-
zeichnung ist nicht mehr erforderlich.
Der Verbraucher, die Mutter oder der Vater, können
also nicht mehr erkennen, woher das Fleisch stammt.
Schlimmer noch: In den meisten Fällen müssen sie sogar
den Eindruck gewinnen, dass das Fleisch aus Europa,
aus Deutschland kommt. Denn Geflügelfleisch aus Dritt-
ländern wie Brasilien wird in aller Regel in Großpackun-
gen in die EU und nach Deutschland importiert. Eine
Portionierung und Verpackung erfolgt erst in Betrieben
in der EU und in Deutschland. Nach der einschlägigen
EU-Hygienevorschrift muss dieser Betrieb die Packung
mit seiner Veterinärkontrollnummer kennzeichnen. Er-
folgt die Portionierung in Deutschland, erhält das Pro-
dukt das Kürzel DE. Das heißt: einmal verpackt – Sim-
salabim –, das Herkunftsland scheint in Europa zu
liegen.
Die Verbraucher, die sich über Kürzel, Siegel, Kenn-
zeichnungen informiert haben, werden nämlich davon
ausgehen, dass es sich um ein europäisches, gegebenen-
falls auch deutsches Produkt handelt. Sie verbinden mit
dem Kürzel „DE“ gerade kein brasilianisches Geflügel,
das nur behandelt und portioniert worden ist. Unsere
Verbraucher halten es für ein deutsches Huhn. Hier wird
mit der Gutgläubigkeit unserer Verbraucher und dem
Vertrauen in deutsche Qualitätsstandards gespielt. Und
dies ist insbesondere vor dem Hintergrund der Tatsache
verwerflich, dass die immer größeren Geflügelfleisch-
importe aus Drittländern im Hinblick auf die Nahrungs-
mittelsicherheit durchaus problematisch sind.
Dies hat der Bundesrat bereits im Jahr 2002 festge-
stellt. In seiner Entschließung 250/02 weist er darauf hin,
dass im Rahmen der Einfuhruntersuchungen in Sendun-
gen aus Drittländern wie China, Indonesien und Vietnam
verbotene Stoffe wie Nitrofurane, Chloramphenicol und
andere pharmakologische Zusätze entdeckt wurden.
Daraus folgert der Bundesrat – ich zitiere –: „Die Ge-
samtheit dieser Feststellungen legt den Verdacht nahe,
dass in einer Vielzahl von Drittländern die rechtlichen
und administrativen Maßnahmen hinsichtlich der Ver-
wendung pharmakologisch wirksamer Stoffe und der
Durchführung von Rückstandskontrollen nicht oder
nicht hinreichend implementiert sind und die gegebenen
Garantien nicht eingehalten werden.“
Wenn in unserem Land Geflügel aus Drittländern zum
Kauf angeboten wird, muss aber doch gewährleistet sein,
dass auch dieses importierte Fleisch den europäischen
und deutschen Standards entspricht. Es muss doch gesi-
chert sein, dass die von Drittländern gegebenen Rück-
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tandskontrollgarantien eingehalten werden. Insbeson-
ere müssen unsere Verbraucher, müssen wir uns darauf
erlassen können, dass alle für den Kauf eines Produktes
ötigen Informationen ausgewiesen sind und dann auch
timmen. Denn unsere Kaufentscheidung findet auf der
rundlage dieser Informationen statt. Deshalb muss ge-
ichert sein, dass die Angaben auf einer Packung Geflü-
elfleisch wahr und vollständig sind.
Die Verbraucher, die Kunden im Supermarkt müssen
ich bei ihrem Geflügelkauf darauf verlassen können,
ass die stimmt, was auf der Verpackung steht. Die ge-
enwärtige Kennzeichnungspflicht wird diesen Verbrau-
heranforderungen aber nicht gerecht.
Dies ist umso erstaunlicher, als die Bundesregierung
onst an jeder Stelle auf die Bedeutung der Verbraucher-
nformation und Lebensmittelkennzeichnung hinweist.
o heißt es im Agrarbericht 2003 – ich zitiere –: Bei Le-
ensmitteln sind die Kennzeichnungsverpflichtungen ein
ichtiges Instrument der Verbraucherinformation und
ine unverzichtbare Voraussetzung für Transparenz und
ertrauen“. Richtig. Aber es bleiben leere Worte, wenn
s um die Kennzeichnung von Geflügelfleisch geht.
Die Bundesregierung stellt weiter fest, dass die Ver-
raucherinnen und Verbraucher – ich zitiere – „daher ein
eit reichendes Informationsbedürfnis“ haben. Richtig.
llein, diese Feststellungen reichen nicht. Es bedarf der
andlung.
Den Verbraucherinnen und Verbrauchern reicht es
icht, dass ihr Bedürfnis bemerkt wird. Sie verlangen,
öllig zu Recht, eine gründliche, wahrheitsgetreue Infor-
ation. Und ein in Brasilien gezüchtetes und verarbeite-
es Huhn ist noch lange kein deutsches, weil es hierzu-
ande gewürzt wurde!
Im Agrarbericht wird auch die Wichtigkeit der Wahl-
reiheit angesprochen. So heißt es – ich zitiere –: „Um
hnen“ den Verbraucherinnen und Verbrauchern „Wahl-
reiheit zu ermöglichen, müssen geeignete Informatio-
en bereitgestellt und für Transparenz der Produktions-
erfahren gesorgt werden.“ Ich kann diesen schönen
orten erneut nur zustimmen. Allein, wo bleibt die Tat?
icht reden, sondern handeln, ist das Gebot der Stunde.
nd daran fehlt es. Wenn die zuständige Ministerin diese
ehren Ansprüche bereits im Agrarbericht des Jahres
003 formuliert, warum hat sich dann bis heute nichts
etan? Hat die Ministerin ihre Feststellungen vielleicht
ergessen? Oder erschienen sie ihr nicht mehr so wich-
ig? Welche Antworten gibt die Ministerin denn nun den
erbraucherinnen und Verbrauchern, die ein weit rei-
hendes Informationsbedürfnis haben und denen sie ei-
entlich Wahlfreiheit ermöglichen will?
Ich kann die Bundesregierung, die zuständige Minis-
erin nur auffordern, ihren Worten nun endlich auch Ta-
en folgen zu lassen. Dies setzt voraus, dass die Ministe-
in sich endlich auf europäischer Ebene dafür einsetzt,
ie Kennzeichnungspflicht auf behandeltes Geflügel-
leisch und auf Verarbeitungserzeugnisse auszudehnen.
Gemeinsam mit meinen Kolleginnen und Kollegen
er CDU/CSU-Bundestagsfraktion fordere ich eine ein-
eutige Kennzeichnung von Geflügelfleisch. Es geht
16576 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005
(A) )
(B) )
dabei keineswegs darum, Produkte aus Drittländern zu
verunglimpfen. Erst recht geht es nicht darum, unsere
Produkte vor denen anderer Erzeugerländer abzuschot-
ten. Es muss unseren Verbrauchern allerdings möglich
sein, die Herkunft der Produkte zweifelsfrei nachvollzie-
hen zu können. Dazu müssen sendungsbezogene Rück-
standsuntersuchungen generell vorgeschrieben werden.
Wir fordern deshalb, dass diese Untersuchungen ent-
weder vor Abgang aus den Drittländern bzw. seitens und
auf Kosten des Importeurs in Verbindung mit der Ein-
fuhr aus den Drittländern erfolgen sollen. Denn es muss
verhindert werden, dass sich in Deutschland nicht er-
laubte Rückstände in Geflügelfleisch befinden und hier-
zulande verkauft werden – ohne dass der Verbraucher
über die Herkunft des Fleisches und die verminderte Le-
bensmittelsicherheit informiert ist.
Schon Johann Wolfgang von Goethe wusste – ich zi-
tiere –: „Denn, was man schwarz auf weiß besitzt, kann
man getrost nach Hause tragen.“ Meine Damen und Her-
ren von der Koalition, sorgen Sie dafür, dass dieser Aus-
spruch endlich wieder stimmt. Sorgen Sie dafür, dass un-
sere Verbraucher ihre Produkte wohl informiert und
bedenkenlos nach Hause tragen können. Stimmen Sie
unserem Antrag zu!
Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vor-
sorgender und risikoorientierter Verbraucherschutz ge-
hört zu den Grundpfeilern bündnisgrüner Politik und der
rot-grünen Regierungspolitik. Dabei legen wir einen
besonderen Schwerpunkt auf die Verbesserung der Rechts-
position des Verbrauchers und eine angemessene Berück-
sichtigung von Verbraucherinteressen. Die Marktchancen
sollen fair verteilt werden und ein funktionierender
Wettbewerb mit sozialverträglichen, ökologischen, ge-
sunden und wirtschaftlichen Angeboten schafft die größ-
ten Wahlmöglichkeiten und die besten Angebote für
Konsumenten. Gleichzeitig sind das Vorsorgeprinzip
und der Schutz vor Irreführung und Täuschung wichtige
Leitlinien unserer Verbraucherpolitik.
Der vorliegende Antrag der CDU/CSU-Fraktion setzt
sich mit einem wichtigen Thema auseinander. Geflügel,
das unter unzureichenden Haltungsbestimmungen und
mit verbotenen Stoffen produziert wurde, darf den Weg
in die Lebensmittelgeschäfte nicht finden. Allerdings
– das ist schon auffällig – schimmert im vorliegenden
Antrag doch eher die Perspektive der durch Importe aus
Drittländern stark unter Druck stehenden einheimischen
Geflügelwirtschaft durch die Zeilen. Das ist partiell
nachvollziehbar, zumal sich mit der Entscheidung des
entsprechenden WTO-Panels vom 24. März gegen eine
höhere Verzollung von gesalzenem und gefrorenem Ge-
flügelfleisch die entsprechenden Importe vermutlich er-
höhen werden. Obendrein kann auch ein solcher höherer
Zoll durch die Umstellung auf den Import von gegartem
oder gewürztem Fleisch wieder umgangen werden.
Die Verbände der Geflügelwirtschaft erarbeiten der-
zeit einen auf europäischer Ebene abgestimmten Vor-
schlag zur Herkunftsbezeichnung. Für die Kaufentschei-
dung vieler Verbraucher ist dies jedoch nicht so
ausschlaggebend, wie es im Unionsantrag erscheint.
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ielmehr legen deutsche Konsumenten großen Wert auf
ualität und Sicherheit. Ich gebe der CDU-Fraktion
echt, dass die hohen deutschen Produktionsstandards,
u denen vor allem beim Tier- und Verbraucherschutz
ie grüne Fraktion einen erheblichen Beitrag geleistet
at, vom Kunden sehr geschätzt werden. Besonders
eutlich zeigt sich das an den Absatzzahlen in einigen
achstumsbereichen des Einzelhandels. Ökologisch er-
eugte Lebensmittel, Eier aus Freilandhaltung und fair
ehandelte Produkte verzeichnen Zuwachs in einer an-
onsten durch Umsatzrückgang gezeichneten Wirt-
chaftsbranche. Eine umfassende Kennzeichnung hilft,
iese Kriterien zu erkennen. Auch wir sind dafür, dass
urch anerkannte und transparente Kennzeichnung deut-
ich wird, welche Qualität jeder Konsument für sein
eld erhält und welchen Preis die Ware wert ist. Hier
ibt es auch noch Potenziale, die auszuschöpfen sind.
Eine Antwort auf Probleme bei der Kennzeichnung
at uns der Bericht des TABs zum Projekt „Entwick-
ungstendenzen bei Nahrungsmittelangebot und -nach-
rage und ihre Folgen“ gegeben. Er empfiehlt Gütezei-
hen, zum Beispiel Biosiegel und QS-Zeichen, die eine
ielzahl von Informationen zur Qualität von Nahrungs-
itteln zusammenfassen und deren Kriterien und Hinter-
ründe transparent gemacht werden müssen. Die Mög-
ichkeiten von Gütesiegeln, die bestimmte Qualitäten
on Nahrungsmitteln deutlich machen, sind bei weitem
och nicht ausgeschöpft. Dies gilt unter anderem auch
ür die Kennzeichnung regionaler Lebensmittel, wo bei-
pielsweise geschützte Ursprungsbezeichnungen und ge-
chützte geographische Herkunftsangaben nach der EU-
erordnung 92/2081/EWG in Deutschland bisher kaum
enutzt werden.
Noch eines gilt es bei neuen Kennzeichnungsinitiati-
en zu bedenken: In den letzten Jahren ist eine Vielzahl
on Kennzeichen für regionale und ökologische Nah-
ungsmittel sowohl von staatlicher als auch von privater
eite entwickelt worden. Die Vielzahl von Kennzeich-
ungen, der teilweise geringe Informationswert von
ennzeichnungen und insgesamt die Vielfältigkeit der
ngebotenen Informationen über die Qualität von Nah-
ungsmitteln fuhren tendenziell zum „Information-Over-
oad“ und zu zusätzlicher Verunsicherung der Verbrau-
her. Auch deshalb gilt: Nicht jede Kennzeichnung ist
ine gute Orientierung.
Ein weiterer Punkt muss zum Antrag der Union kri-
isch angemerkt werden: Der Antrag erweckt implizit
en Eindruck, das BMVEL und Renate Künast wären in
ieser Angelegenheit untätig, wenn sich darin die Auf-
orderung an die Bundesregierung findet, sich in der EU
ezüglich der Herkunftsbezeichnung bei Geflügelfleisch
initiativ“ einzusetzen. Als wüsste die Union nicht, dass
olches längst geschehen ist! Ich zitiere – mit Erlaubnis
es Präsidenten – aus dem Bericht des BMVEL über die
agung des Rates für Landwirtschaft und Fischerei am
8. Februar 2005 in Brüssel Punkt V, „Herkunftskenn-
eichnung von Lebensmitteln“:
Unterstützt von mehreren Mitgliedstaaten bekräf-
tigte
also nicht zum ersten Mal und nicht ohne Verbündete –
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005 16577
(A) (C)
(B) )
Bundesministerin Künast im Rat ihre Forderung
nach umfassenderen Herkunftsangaben bei Lebens-
mitteln. Immer mehr Verbraucherinnen und Ver-
braucher wollten die Auswahl ihrer Lebensmittel
auch nach der Herkunft der Lebensmittel treffen
können.
Und weiter:
Die Angabe des Herkunftslandes ermögliche insbe-
men bei der Einfuhr und Verarbeitung solcher Produkte
sind.
Die Agrarwirtschaft muss sich – ebenso wie alle an-
deren Branchen – dem globalen Wettbewerb stellen. Ich
komme bekanntlich aus dem Emsland, wo die Geflügel-
wirtschaft ein sehr wichtiger Zweig der Agrarwirtschaft
ist. Ich kann Ihnen versichern, dass die Geflügelzüchter
schon längst im globalen Wettbewerb stehen. Sie stellen
sich dieser Herausforderung – und bestehen mit ihrer gu-
sondere, bei der Kaufentscheidung Umwelt- oder
Entwicklungsaspekte zu berücksichtigen. So könn-
ten die Konsumenten zum Beispiel auf Produkte
zurückgreifen, die nur kurze Wege bis zur Vermark-
tung zurückgelegt hätten oder aus Entwicklungslän-
dern stammten.
Das alles ist zum Beispiel auf der Website des Ministeri-
ums nachzulesen.
Das BMVEL und Renate Künast sind hier also – und
zwar schon seit längerem – am Ball und wir alle wissen
um ihre Durchsetzungsfähigkeit auf EU-Ebene.
Ein ehrlicher Antrag ohne parteipolitische Hinterge-
danken ist der Antrag der Union deshalb nicht. Ein sol-
cher Antrag müsste nämlich den bisherigen Einsatz von
Renate Künast würdigen und ihr Unterstützung zusagen,
anstatt wie hier den völlig unzutreffenden Eindruck zu
erwecken, die Regierung müsse quasi erst zum Jagen ge-
tragen werden.
Hans-Michael Goldmann (FDP): Was ist wichtig
für die Verbraucher? Das ist doch die eigentliche Frage,
die hier im Raum steht. Die Verbraucher wollen sicher
sein, dass die Lebensmittel, die sie erwerben, unseren
hohen Qualitätsstandards entsprechen. Sie wollen sicher
sein, dass in den Lebensmitteln keine Rückstände von
gesundheitsschädigenden Substanzen enthalten sind.
Eine Geflügelwurst – zum Beispiel Geflügel-Morta-
della –, die in deutschen Geschäften verkauft wird, muss
bestimmte Qualitätsstandards erfüllen. Die Wurst darf
die Grenzwerte für pharmakologisch wirksame Stoffe
nicht überschreiten; gesundheitsschädigende Substanzen
dürfen nicht enthalten sein. Dies gilt für Produkte, die
Ausgangsmaterial aus deutscher Produktion wie auch
aus ausländischer Produktion enthalten, gleichermaßen.
Umfassende Kontrollen der hier verarbeiteten Lebens-
mittel stellen dies sicher. Der Verbraucher kann also si-
cher sein, dass er hier nur solche Wurst und andere ver-
arbeitete Produkte erwerben kann, die entsprechend
kontrolliert wurden. Die Funde von Nitrofuranen in Im-
portgeflügelfleisch zeigen, dass der zentrale Punkt des
Verbraucherschutzes funktionierende Kontrollmechanis-
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en Qualität am Markt.
Die Geflügelwirtschaft leidet dabei vor allem an ei-
em: an nationalen Alleingängen, die ihre Wettbewerbs-
ähigkeit im europäischen und weltweiten Vergleich be-
indern. Durch eine ideologische Blockadehaltung
erhindert Ministerin Künast einen Kompromiss bei der
egehennenhaltung mit dem Ergebnis, dass die Produk-
ion ins Ausland abwandert. Für den Tierschutz bringt
as nichts – für den Verbraucherschutz ebensowenig.
Es ist richtig, dass viele Verbraucher es schätzen,
eutsches Geflügelfleisch zu kaufen. Es ist bestimmt ein
anz wichtiges Vermarktungsinstrument, hervorzuhe-
en, dass das Fleisch aus Deutschland stammt und dass
ie Produktionsstandards sozusagen vom Ei an bestimm-
en Kriterien genügen, beispielsweise bei der artgerech-
en Haltung oder bei der Fütterung.
Verbraucherinformation ist ein sehr wichtiges
hema – auch bezüglich der Herkunft der Lebensmittel.
ufgeklärte Verbraucher müssen eine mündige Ent-
cheidung treffen können in Kenntnis der Faktenlage.
ber wir dürfen nicht unter dem Deckmantel des Ver-
raucherschutzes eine Abschottung der Märkte in
eutschland und Europa vorantreiben. Mehr Bürokratie,
ie den globalen Handel hemmt, bringt den Verbraucher-
chutz nicht voran. Die Verbraucher verlangen nach
nformation, um eine Abwägung zu treffen, um ihre
aufentscheidung anhand bestimmter Kriterien zu über-
rüfen. Ich habe großes Zutrauen zu unserer Lebensmit-
elindustrie, die den Verbraucher durch entsprechende
ngaben ausreichend informieren kann und dies auch
ill.
Wir müssen auch aufpassen, dass wir nicht bei jeder
ntscheidung der WTO – der wir uns im Übrigen ver-
raglich verpflichtet haben und die auch uns und nicht
ur die Entwicklungs- und Schwellenländer einmal zu
ehr Marktoffenheit zwingt – gleich aufschreien und die
egeln verschärfen.
Die FDP-Bundestagsfraktion steht zu mehr Verbrau-
herinformation. Die Verbraucher müssen alle Informa-
ionen erhalten, um eine mündige und aufgeklärte Ent-
cheidung treffen zu können.
175. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2005
Inhalt:
Redetext
Anlagen zum Stenografischen Bericht
Anlage 1
Anlage 2
Anlage 3
Anlage 4
Anlage 5
Anlage 6
Anlage 7
Anlage 8
Anlage 9
Anlage 10
Anlage 11
Anlage 12
Anlage 13
Anlage 14
Anlage 15
Anlage 16
Anlage 17
Anlage 18