3) Anlage 5
4) Redebeitrag wird als Anlage zum Stenografischen Bericht der
167. Sitzung abgedruckt.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2005 15597
(A) (C)
(B) (D)
bei der jungen Generation, sich verstärkt an Förderpro-
grammen im Jugend- und Bildungsbereich zu beteiligen:
Nachbarstaaten konkret in der Bildungsplanung und For-
schungsforderung zu verbessern.
mokratischen Abgeordneten im europäischen Parlament
zielen, die guten Beziehungen zu unseren europäischen
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
* für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver-
sammlung des Europarates
Anlage 2
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Impulse für eine in-
ternationale Ausrichtung des Schulwesens –
Den Bildungsstandort Deutschland auch im
Schulbereich stärken (Tagesordnungspunkt 12)
Gesine Multhaupt (SPD):
„In die Ferne, um Neues kennen zu lernen, und zu-
rück in die Heimat, um das Erlebte weiter zu erzäh-
len und das Gewohnte mit „europäischen“ Augen
zu sehen.“
Mit dieser Anleitung zum Reisen werben die sozialde-
Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich
Andres, Gerd SPD 17.03.2005
Bulmahn, Edelgard SPD 17.03.2005
Carstensen (Nordstrand),
Peter H.
CDU/CSU 17.03.2005
Deittert, Hubert CDU/CSU 17.03.2005*
Ernstberger, Petra SPD 17.03.2005
Göppel, Josef CDU/CSU 17.03.2005
Haack (Extertal), Karl
Hermann
SPD 17.03.2005
Hilsberg, Stephan SPD 17.03.2005
Minkel, Klaus CDU/CSU 17.03.2005
Nickels, Christa BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
17.03.2005
Probst, Simone BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
17.03.2005
Seib, Marion CDU/CSU 17.03.2005
Dr. Thomae, Dieter FDP 17.03.2005
Dr. Winterstein, Claudia FDP 17.03.2005
Anlagen zum Stenografischen Bericht
Neugierig machen auf die vielen Möglichkeiten die Eu-
ropa für Jugendliche bereithält; gemeinsam Hand anle-
gen und mitbauen am Haus Europa; Lust bekommen auf
die europäischen Förderprogramme; Fremdsprachen ler-
nen und ausländische Schulen und Hochschulen besu-
chen. Das sind unsere konkreten Ideen und Ziele, wie wir
Schüler, Studierende und Erwachsene motivieren, auch
einmal über den nationalen Tellerrand hinauszusehen.
Die europäischen Staats- und Regierungschefs haben
sich zum Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2010 einen europäi-
schen Bildungs- und Forschungsraum zu schaffen. Auch
von außen – zum Beispiel seitens der USA oder von
Asien her – soll ein einheitliches, eben „europäisches“
Bildungssystem erkennbar werden. Die Grundlagen für
späteres Leben, Lernen und Arbeiten werden in den all-
gemeinbildenden, den Berufsbildenden und den weiter-
führenden Schulen und Hochschulen gelegt. Deshalb
setzt der vorliegende Antrag mit seinen Forderungen zu
Recht an einer europäischen und internationalen Aus-
richtung des Bildungssystems an. Wenn Europa immer
enger zusammenwächst, sind die Förderung von Mobili-
tät, der Austausch von Lehrkräften und Jugendlichen, das
Intensivieren von Fremdsprachenerwerb, das Einführen
von vergleichbaren Schul- und Bildungsstrukturen sowie
das Anerkennen von Bildungsabschlüssen, und eine ziel-
gerichtete Finanzierung von grenzüberschreitenden Ju-
gendbegegnungen wesentliche Ziele einer europäischen
und internationalen Ausrichtung unseres Bildungssys-
tems.
Aktuell befinden sich circa 10 Prozent der Menschen
in Ausbildung und Bildung in den verschiedenen euro-
päischen Ländern. Besonders hervorheben möchte ich
an dieser Stelle, dass dieser Anteil erheblich gesteigert
werden muss, wenn wir das ehrgeizige Ziel der Lissa-
bon-Strategie erreichen wollen, die Europäische Union
bis zum Jahr 2010 zum wettbewerbsfähigsten und dyna-
mischsten wissensbasierten Raum der Welt zu machen.
Die rot-grüne Bundesregierung unterstützt im Rah-
men ihrer Zuständigkeit zielgerichtet die nationale Um-
setzung der auf EU-Ebene vereinbarten Maßnahmen.
Eine Verbesserung des Istzustandes kann jedoch nur in
einer gemeinsamen Anstrengung von Bund, Ländern und
Kommunen gelingen. Bund, Länder und freie Bildungs-
träger müssen neben ihren Bemühungen um zunehmende
Europäisierung und Internationalisierung in Hochschu-
len und beruflicher Bildung auch den Schulbereich ver-
stärkt in den Blick nehmen. Hier sind insbesondere die
Länder gefordert, eine Ausweitung der Angebote an
Schulen mit europäischer Ausrichtung, frühzeitige An-
gebote für Fremdsprachenunterricht und Förderung des
internationalen Schüleraustauschs verantwortlich zu rea-
lisieren. In diesem Zusammenhang begrüßen und unter-
stützen wir die vielfältigen Aktivitäten von Bund und
Ländern in der Bund/Länder-Kommission, die darauf ab-
15598 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2005
(A) (C)
(B) (D)
Durch Personalabbau bei Lehrkräften, Psychologen
und Sozialpädagogen mit der Folge, dass Integrations-
maßnahmen, Ausländerförderungen und Sprachförde-
rung gerade auch bei Schulkindern wegfallen, wie es
beispielsweise die amtierende niedersächsische Landes-
regierung in meinem eigenen Bundesland praktiziert,
werden gerade eben nicht Impulse für eine zunehmend
europäische Ausrichtung unseres Schulsystems gegeben.
Ein gutes Beispiel hingegen ist der gerade zustande ge-
kommene Koalitionsvertrag in Schleswig-Holstein. Hier
wird konkret verabredet, den grenzüberschreitenden
Austausch von Schülern, Auszubildenden, Studierenden
und Berufstätigen zu fördern, um ihnen Praktika und
Hospitationen im europäischen Ostseeraum zu ermögli-
chen.
Ich komme zum Schluss. Ein Europaprojekt an einer
Schule am Bildungsstandort Deutschland mit seiner
Partnerschule in Kopenhagen, Barcelona oder Warschau,
ein freiwilliges soziales Jahr im bosnischen Kinderheim,
ein Studienaufenthalt in Italien, ein Betriebspraktikum in
Polen das sind alles Beispiele, wie wir junge Menschen
neugierig, aber auch fit machen für den internationalen
Wettbewerb um die „besten Köpfe“. Mit Ihrem Engage-
ment in den von Ihnen regierten Bundesländern können
Sie diesen spannenden Prozess in Europa ganz konkret
durch eine bessere finanzielle Ausstattung der Schulen
unterstützen. Im Interesse der vielen Begegnungen der
jungen Generation sind Sie aufgefordert, Ihre Länderak-
tivitäten voranzubringen.
Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Der vorlie-
gende Antrag „Impulse für eine internationale Ausrich-
tung des Schulwesens – den Bildungsstandort Deutsch-
land auch im Schulbereich stärken“ wird zusammen
eingebracht von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP.
Er geht zurück auf eine Initiative der FDP aus dem Fe-
bruar 2003, mit der die FDP die Bundesregierung auffor-
dern wollte, die Bereitschaft von staatlich anerkannten
oder genehmigten Schulen, ausländische Schülerinnen
und Schüler aufzunehmen, grundsätzlich zu unterstützen
und die entsprechenden Verwaltungsvorschriften so zu
gestalten, dass beim Vorliegen der entsprechenden Vo-
raussetzungen eine schnelle, unbürokratische Erteilung
der Aufenthaltsbewilligung erfolgen kann. In der dama-
ligen Debatte, die zu Pfingsten 2003 in diesem Hause
stattfand, sprachen sich Vertreter aller Fraktionen dafür
aus, eine solche internationale Ausrichtung im Schulwe-
sen in Deutschland zu befördern.
Die Gründe hierfür liegen auf der Hand:
Erstens. Die Bedeutung von Internationalität auch im
Schulwesen wird ernsthaft von niemandem bestritten
werden. Sprachen lernen, andere Länder kennen lernen,
sich in anderen Kulturen bewegen können, den Aus-
tausch zwischen Jugendlichen und jungen Menschen
fördern, Weltoffenheit, globales Bewusstsein und Ver-
antwortung ausbilden sind Bildungsziele, die in der Zu-
kunft noch viel wichtiger werden, als sie es schon in der
Vergangenheit waren. Wenn wir uns wünschen, dass
deutsche Jugendliche Internationalität durch ein weltof-
fenes Schulwesen in anderen Ländern erfahren, sind wir
erst recht verpflichtet, ausländischen Jugendlichen diese
Weltoffenheit auch in unserem Schulwesen entgegenzu-
bringen. Im Bereich der Europäischen Union gibt es
diese europäische Internationalität bereits. Über die Eu-
ropäische Union hinaus sehen wir uns verpflichtet, auch
jungen Menschen anderer Staaten dieser Welt Zugang zu
unserem Bildungswesen und den Austausch zu ermögli-
chen.
Zweitens. Bildung ist ein öffentliches Gut und Bil-
dung ist zugleich ein Gut, das in staatlicher wie freier
Trägerschaft angeboten wird. Die Vermittlung von Bil-
dung ist zudem ein Arbeitsfeld, das in der Wissensge-
sellschaft der Zukunft noch mehr Anteil an der gesamt-
staatlichen Wertschöpfung haben wird, als es schon jetzt
der Fall ist. Auch in Deutschland haben wir dem interna-
tionalen Bildungsbedürfnis konkrete Angebote zu ma-
chen: im staatlichen Bereich, in den engen Grenzen, dass
natürlich staatliche Mittel in erster Linie für den Bil-
dungsanspruch auch der hier geborenen Kinder und Ju-
gendlichen einzusetzen sind; im freien und privaten Be-
reich in der Form, dass internationales Interesse an
diesen Schulen angeboten und in Deutschland wahrge-
nommen werden kann und dass Bildungsinstitutionen in
Deutschland ihren Anteil am wachsenden so genannten
Bildungsmarkt mit sichern und ausbauen können. Dies
ist nicht nur gut für die Sicherung und den Ausbau von
Arbeitsplätzen in diesem Bereich. Dies ist umso mehr
verantwortbar, als die deutschen Bildungseinrichtungen
hier auch ein hohes Niveau, eine gut organisierte und ab-
gesicherte schulische Ausbildung anbieten können und
daher das Interesse von ausländischen Kindern, Jugend-
lichen und ihren Familien an den in Deutschland ange-
botenen Bildungsgängen und Schulen auch eine Bestäti-
gung für den Bildungsstandort Deutschland generell ist.
Um es konkret zu sagen: Natürlich würden wir uns
alle darüber freuen, wenn von den 20 000 Internatsplät-
zen in Deutschland, von denen aktuell 5 000 unbesetzt
sind, über die schon hier unterrichteten 1 500 Schülerin-
nen und Schüler hinaus weitere diese Bildungsangebote
wahrnehmen würden. Natürlich sollten wir zusammen
daran arbeiten, dass von den rund 40 Trägern, die sich
im Bereich der freien und privaten Schulen mit der Aus-
bildung von Nicht-EU-Bürgern befassen, auch mehr als
die bisher nur zehn Träger die Aus- und Weiterbildung
für Nicht-EU-Bürger tatsächlich durchführen, ihre Bil-
dungsangebote erfolgreich umsetzen könnten. Experten
sprechen davon, dass auch hier rund 2 000 Plätze wahr-
genommen werden können im Bereich der Sprachenaus-
bildung, des Deutschzertifikats unterschiedlicher Stufen,
im Bereich der allgemeinen Abschlüsse, was Abitur und
die Fachhochschulreife angeht, im Bereich der berufs-
qualifizierenden Schulen, was zum Beispiel Fremdspra-
chenkorrespondenz betrifft und im Bereich der Weiter-
bildung, was zum Beispiel Abschlüsse als Betriebswirt
im Wellnessbereich etc. einschließt.
An dieser Stelle konnten wir seinerzeit in der Debatte
zu Pfingsten 2003 breite Übereinstimmung im Haus fest-
stellen. Dies hat die SPD ermutigt, einen fraktionsüber-
greifenden Antrag anzustreben, der gerade die Bereit-
schaft und das Bewusstsein, diese Internationalität des
deutschen Bildungswesens weiterzuentwickeln, über den
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2005 15599
(A) (C)
(B) (D)
bis dahin vorliegenden Antrag der FDP hinaus in den
Mittelpunkt der Diskussion stellen wollte. Wir freuen
uns, dass wir hierfür letztlich auch die FDP mit gewinnen
konnten, damit es gemeinschaftlichen Rückhalt dafür
gibt, dass die Marketingaktivitäten im Bereich der beruf-
lichen Bildung und der Hochschulen in Kooperation mit
den Ländern auch im Bereich der allgemeinbildenden
Schulen ausgedehnt werden können. Wir stehen hinter
dem Konzept der Europäisierung des Schulwesens mit
dem System der bilingualen deutsch-französischen Part-
nerschulen und freuen uns, dass es erste Ansätze hierfür
auch im deutsch-tschechischen Bereich gibt. Wir nehmen
mit Genugtuung auf, dass auch auf EU-Ebene in der
nächsten Generation der Bildungsprogramme ab 2007
ein besonderer Schwerpunkt auf die Förderung der Mo-
bilität und des Fremdsprachenerwerbs im schulischen
Bereich gelegt werden soll.
Diese drei Akzente sollen beispielhaft verdeutlichen,
was Internationalisierung des Schulwesens meint und
welche verstärkenden Initiativen Bund wie Länder in
Deutschland hierzu ergreifen können. Zugleich hat die
SPD zusammen mit Bündnis 90/Die Grünen und der
FDP die Erwartung, dass in Zukunft mehr Erkenntnisse
auf Ebene des Bundes und der Länder über den Stand
der Europäisierung und Internationalisierung des Schul-
wesens gewonnen werden. Wenn wir ehrlich sind, müs-
sen wir zusammen feststellen, dass wir hierzu leider viel
zu wenig exaktes Material vorliegen haben, was Daten
über Mobilität und Austausch von Deutschen ins Aus-
land und umgekehrt angeht. Gerade wenn wir eine ziel-
führende Verbesserung in diesem Bereich erreichen wol-
len, ist es unumgänglich, hier zu einer klareren
Datengrundlage zu kommen.
Bei aller Zustimmung und Unterstützung für eine In-
ternationalisierung des Schulwesens dürfen wir nicht
verkennen, dass im Bereich des Ausländerrechtes natür-
lich auch Probleme liegen, die mit klarer Steuerung, kla-
rer Gesetzgebung und ebenso konsistentem wie konse-
quentem Verhalten angegangen werden müssen. Auch
hierauf hatte die FDP in ihrem Ursprungsantrag hinge-
wiesen und mit Recht moniert, dass es leider noch keine
deutsche Tradition gibt, auch im Bildungswesen insge-
samt Internationalisierung als Zukunftsförderung und
nicht als Bedrohung anzusehen. Hierzu musste ehrlich-
keitshalber jetzt festgestellt werden, dass der Fortschritt
in diesem Bereich nur in sehr kleinen, sehr kalkulierten
und sehr auf Sicherheit bedachten Schritten erreichbar
ist.
Machen wir uns doch zusammen klar: Als die FDP
Pfingsten 2003 ihren Antrag ins Parlament einbrachte,
hatten wir noch kein Zuwanderungsgesetz in Deutsch-
land. Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Schulbesuchs
war im Ausländerrecht kein Bestand. Alleine in einer
Verwaltungsvorschrift wird dies geregelt. Mittlerweile
ist die Entwicklung hier weitergegangen. Immerhin ha-
ben wir ein Zuwanderungsrecht vorliegen, das erstmals
in einem eigenen Abschnitt ausdrücklich den Aufenthalt
zum Zweck der Ausbildung enthält, nämlich in den § 16,
in dem es um Studium, Sprachkurse und Schulbesuche
geht, und im § 17, in dem es um sonstige Ausbildungs-
zwecke geht. Gerade der Aufenthalt zum Zweck des Stu-
diums hat nicht zuletzt durch die Beharrlichkeit der SPD
und von Bündnis 90/Die Grünen deutliche Verbesserun-
gen für die Studentinnen und Studenten erbracht. Im Be-
reich der Schulbesuche müssen wir nüchtern konstatie-
ren, dass die Aufnahme in das Gesetz ein Fortschritt ist,
die bisherige Verwaltungshandhabung gleichwohl noch
sehr enge Grenzen sieht.
Mit dem gemeinsamen Antrag wollen SPD, Bündnis 90/
Die Grünen und die FDP deshalb die Bundesregierung
nachdrücklich dazu auffordern, bei der Formulierung der
allgemeinen Verwaltungsvorschriften zu Regelungen zu
kommen, die im Interesse einer zunehmenden internatio-
nalen Öffnung des Schulwesens liegen. Ziel muss es
sein, in einem ersten Schritt bei vorliegender allgemei-
ner Erteilungsvoraussetzung positive Ausnahmen zum
Zwecke der Erlangung des Hochschulzugangs oder zur
Erlangung einer Berufsausbildung zu ermöglichen. Dies
läge auch im Geiste des gemeinsam beschlossenen Zu-
wanderungsgesetzes, das immerhin bei der abschließen-
den Abstimmung im Bundestag am 1. Juli 2004 mit fast
allen Stimmen des Hauses gegen zwei Stimmen aus der
Fraktion der CDU/CSU und gegen zwei Stimmen der
fraktionslosen Abgeordneten angenommen worden ist.
Jetzt kommt es darauf an, im ersten Schritt hin zu mehr
Internationalität in unserem Schulwesen konkrete Brü-
cken zu bauen, ohne dem illegalen Zugang, dem Miss-
brauch von Bildungsmotivation durch Geschäftemacher
und Bildungsschleppern Vorschub zu leisten und ohne
falsche Gettobildung im Bildungsbereich Türen zu öff-
nen; denn gerade eine solche Gettobildung würde sich
mit der internationalen Ausrichtung des Schulwesens
nicht vertragen.
Auf der anderen Seite müssen und wollen wir aber
auch darauf bestehen, dass in dem Bemühen um klare
Grundsätze, einheitliches Verhalten und hilfreiche Struk-
turen für bildungsmotivierte Nicht-EU-Ausländer in
Deutschland stete Fortschritte erreicht werden. Hierin
waren wir uns im Jahr 2003 doch alle einig. Hierin kön-
nen wir auch heute in der gemeinsamen Beschlussfas-
sung einen weiteren Baustein setzen. Ich fordere auch
die CDU/CSU auf, diesem gemeinsamen Antrag von
SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP zuzustimmen,
um damit ein klares Zeichen zu setzen, was wir von der
Bundesregierung, aber auch den Landesregierungen er-
warten, in der Weiterentwicklung des Bildungsstandorts
Deutschland und der fairen und bildungsfreundlichen
Unterstützung für Bildungswillige, Bildungsmotivierte
und Bildungsangebote machende Institutionen in
Deutschland mit Blick auf die internationale Ausrich-
tung des Schulwesens.
Kristina Köhler (Wiesbaden) (CDU/CSU): Ich muss
Ihnen etwas ganz offen bekennen: Ihr Antrag hat mir
reichlich Kopfzerbrechen bereitet. Ich habe ihn eifrig
studiert, gründlich darüber nachgedacht und sorgfältig
gewogen. Ich habe aber dennoch nicht verstanden, in
welche Richtung die Reise nun eigentlich gehen soll. Ich
würde aber gerne nachvollziehen können, was Sie mit
Ihrem Antrag eigentlich beabsichtigen.
15600 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2005
(A) (C)
(B) (D)
Da gibt es zwei mögliche Interpretationen: Entweder
Sie sind mit der bestehenden Rechtslage nach dem Zu-
wanderungskompromiss total zufrieden. Dieser Ein-
druck entsteht bei mir, da Sie in Ihrem Antrag bei Ihren
Forderungen einfach nur mit großer Akribie die Anwen-
dungshinweise des Bundesministeriums des Innern zum
Zuwanderungsgesetz wiedergeben. Die Passagen zum
Beispiel, in denen die Ausnahmen für einen Schulbesuch
von Ausländern festgelegt werden, haben Sie einfach
eins zu eins abgeschrieben.
Wollen Sie also auch nicht mehr als das, was im Zu-
wanderungskompromiss ohnehin geregelt ist? Dort ha-
ben wir nämlich geregelt, den Schulbesuch von Auslän-
dern nur in bestimmten wohldosierten Ausnahmen
zuzulassen. Diese Regelungen geben Sie wörtlich wie-
der. Erschöpft sich also Ihr Antrag in der Widergabe der
bestehenden Rechtslage? Dann frage ich Sie: Wozu ein
solcher Antrag? Ist es nicht reichlich profan, zu etwas
aufzufordern, was der tatsächlichen Situation bereits ent-
spricht? Nein, es ist mehr als das. Es schadet. Ein An-
trag, der lediglich Selbstzweck ist, schadet. Er ver-
schwendet Ressourcen, unser aller Zeit und schafft über-
flüssige Bürokratie. Die sollte aber bei uns allen ins
Visier genommen und keinesfalls gefördert werden. Man
merkt, dass Sie Ihren Antrag vor einiger Zeit gemacht
haben, vor der fulminanten Rede des Bundespräsidenten
Horst Köhler; denn sonst hätten Sie sicher den seit
Dienstag so vielzitierten Satz des Philosophen Montes-
quieu beachtet: „Wenn es nicht nötig ist, ein Gesetz zu
machen, dann ist es nötig, kein Gesetz zu machen.“
Oder – jetzt komme ich zu der zweiten Interpretation –
Ihr Antrag ist so zu verstehen, dass Sie getroffene Kom-
promisse aufkündigen wollen. Dann ist Ihr Antrag in der
Tat keineswegs überflüssig, sondern enthält ein Novum,
eine Intention, die deutlich über die Gesetzeslage hin-
ausgeht. Dafür spricht auch einiges; denn in Ihrer For-
mulierung taucht ganz versteckt das Wörtchen „zuneh-
mend“ auf. Es heißt nämlich: „… zu Regelungen zu
kommen, die im Interesse einer zunehmenden internatio-
nalen Öffnung des Schulsystems liegen“. Und Sie be-
nennen es als Ihr Ziel, Ausnahmen zu ermöglichen. Wir
haben aber bereits Ausnahmen geregelt. Dann muss ich
das doch wohl so verstehen, dass Sie immer mehr Aus-
nahmen schaffen wollen.
Sie wollen also den Ausnahmecharakter unterwan-
dern. Sie wollen die Ausnahme zur Regel machen. Mehr
noch: Sie schreiben, eine Aufenthaltserlaubnis solle er-
teilt werden, wenn es sich um Angehörige von Staaten
handelt, mit denen keine Rückführungsschwiergkeiten
bestehen. Das kann prinzipiell jedes Land sein. Das In-
nenministerium hat aber zum Zuwanderungskompro-
miss festgelegt, dass nur in wenigen – genau genommen
in elf Staaten – eine Ausnahme möglich sein soll. Diese
Länder sind auch namentlich aufgeführt. Eine Verallge-
meinerung, wie im Antrag vorgesehen, würde diesen be-
grenzten Katalog also unüberschaubar ausweiten. Haben
Sie das eigentlich mit Ihren Kollegen vom Innenaus-
schuss besprochen?
Dieser friedfertig wirkende Antrag mit den guten Ab-
sichten schnürt das sorgsam gebündelte Zuwanderungs-
paket wieder auf und davor kann ich nur warnen. Wir ha-
ben um dieses Gesetz lange gerungen und wir haben jede
einzelne Regelung sorgfältig geprüft und bewusst so ge-
setzt. Sie gefährden diesen Kompromiss, indem Sie – ver-
mutlich unbeabsichtigt – Zuwanderung durch die Hinter-
tür ermöglichen, indem Sie die Ausnahmen ausweiten
und sie zur Regel küren. Oder aber Ihr Antrag beabsich-
tigt eben nicht ein Mehr als die bestehende Gesetzeslage.
Dann allerdings wären wir wieder bei der ersten Variante.
Es ist Ihr Antrag. Bitte sagen Sie mir, wie er zu verstehen
ist. Ich kann Ihnen aber jetzt schon sagen, dass er entwe-
der dem Gebot Montesquieu zuwiderläuft oder aber im
Widerspruch zum Zuwanderungskompromiss steht. Ich
kann allerdings weder die eine noch die andere Ausle-
gung gutheißen.
Bernward Müller (Gera) (CDU/CSU): Wir sprechen
heute über einen Antrag, der gemeinsam von den Frak-
tionen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der
FDP verantwortet und befürwortet wird. Wir sprechen
über eine stärkere internationale Ausrichtung des Schul-
wesens. Es geht um den Bildungsstandort Deutschland.
Und daher wird jeder fragen: Das ist doch eine gute
Sache! Warum macht die Union dabei nicht mit?
Die CDU/CSU-Fraktion spricht sich ganz klar für
eine Stärkung des Bildungsstandortes Deutschland aus.
Auch wir sehen in der wachsenden europäischen und in-
ternationalen Ausrichtung des Bildungssystems eine der
wichtigsten aktuellen Herausforderungen an die Bil-
dungspolitik. Bildung ist für die Union ein entscheiden-
der Standortfaktor. Für die wirtschaftliche, politische
und gesellschaftliche Weiterentwicklung der Bundesre-
publik ist es von elementarer Bedeutung, den Bildungs-
standort Deutschland insgesamt attraktiver zu gestalten.
Daher haben wir uns auch schon bei der Debatte im
Juni 2003 dafür ausgesprochen, Schülerinnen und Schü-
lern von außerhalb der EU einen Schulbesuch in
Deutschland zu ermöglichen. Es gibt gute Gründe, die
Möglichkeit des Schulbesuchs in Deutschland zu er-
leichtern. Die Internatsschüler in England und in der
Schweiz haben sich zu einem Wirtschaftsfaktor für viele
Regionen entwickelt. Darüber hinaus gibt es auch lang-
fristig positive Effekte für den Standort Deutschland.
Viele der jungen Menschen, die einen Schulbesuch im
Ausland absolvieren, werden in einigen Jahren in Wirt-
schaft und Politik ihres Heimatlandes in herausgehobe-
nen Positionen tätig sein. Gerade in Zeiten der verstärk-
ten Vernetzung der internationalen Märkte und des
Zusammenrückens in Europa ist es wichtig, schon früh
funktionierende Netzwerke zu knüpfen. Es spricht nichts
dagegen, bereits in der Schule damit zu beginnen.
Ich denke, wir sind alle darin einig, dass die Grund-
lage für späteres Leben, Lernen und Arbeiten besonders
in den Schulen gelegt wird. Daher ist es wünschenswert,
schon dort anzusetzen und auf eine internationale Aus-
richtung zu achten. Auch die Union sieht die Bedeutung
einer internationalen Orientierung des Bildungswesens
für den anstehenden Wettbewerb um die „besten Köpfe“
auf internationalem Parkett.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2005 15601
(A) (C)
(B) (D)
Doch die CDU/CSU-Fraktion verliert darüber hinaus
auch nicht den Überblick über bestehendes Recht in
Deutschland. Und das scheint etwas, was die Antragstel-
ler in ihrem gut gemeinten Eifer zu übersehen scheinen.
Es sind vor allem zwei Punkte, die wir kritisch sehen
und die wir daher nicht mit unterschreiben wollen:
Erstens. Der Antrag übergeht die Länderkompetenz
im Bereich der Schulen. Wieder einmal wird versucht,
über den Bund Einfluss auf die Bildungshoheit der Län-
der zu nehmen und in Landesentscheidungen hineinzure-
gieren. Der Antrag versucht, dies mit verbalen Arabes-
ken wie „in enger Abstimmung mit den Ländern“ und
„in Kooperation mit den Ländern“ zu überdecken. Ja, es
wird sogar die Formulierung verwendet: „Er bittet daher
die Länder“. Doch in letzter Konsequenz lautet die For-
derung des Antrages, dass der Bund sich in die Länder-
kompetenz der Schulen einmischen möge, um dort die
Internationalisierung voranzutreiben. So funktioniert das
nicht!
Zweitens. In den Forderungen werden Gegenstände
des Aufenthaltsgesetzes berührt. Dem Wortlaut nach wer-
den Formulierungen der vorläufigen Anwendungshin-
weise des Innenministeriums (Stand: 22. Dezember 2004)
zitiert. Doch der Kontext des Antrags legt die Vermutung
nahe, dass eine erhebliche Ausdehnung der geltenden
Rechtslage intendiert ist. Das wird Ihnen die Kollegin
Kristina Köhler aus dem Innenausschuss in ihrem Rede-
beitrag noch ausführlich darlegen.
Sie haben sich in Ihrem Antrag einem wichtigen
Thema gewidmet. Leider können wir es in dieser Form
nicht unterstützen.
Dennoch sollten wir die Punkte festhalten, in denen
wir uns einig sind:
Bildung ist ein entscheidender Standortfaktor. Für die
wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Weiter-
entwicklung der Bundesrepublik ist es wichtig, den Bil-
dungsstandort Deutschland insgesamt attraktiver zu ge-
stalten.
Eine europäische und internationale Ausrichtung un-
serer Bildungseinrichtungen in Deutschland ist begrü-
ßenswert. Dies sollte schon bei den Schulen beginnen.
Es ist wichtig, im „Ringen um die besten Köpfe“ auch
ausländische Schüler an deutsche Schulen zu bringen.
Gerade die vorhandenen und unbesetzten Plätze in
privat geführten Internaten bieten dabei ein großes Po-
tenzial, das genutzt werden sollte.
Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der
heute abzustimmende Antrag verfolgt ein vielleicht eher
unspektakuläres, aber dennoch wichtiges politisches
Ziel: Wir wollen Schülerinnen und Schülern aus Län-
dern außerhalb der EU den Schulbesuch in Deutschland
erleichtern. Das ist ein gutes Ziel, und zwar nicht nur in
ökonomischer Hinsicht. In unserer globalisierten Gegen-
wart kann man nicht genug auf den internationalen Aus-
tausch setzen, vor allem wenn es um junge Menschen
geht. Wer einmal in anderen Ländern gelebt und gelernt
hat, kann sich meist auch später auf Neues, vielleicht
recht Fremdes besser einlassen. Das ist eine Grundvo-
raussetzung für gegenseitigen Respekt und internationa-
len Austausch.
Im Bereich der Berufsbildung haben wir dafür jetzt
gemeinsam die Weichen gestellt. Teile der Ausbildung
können im Ausland absolviert und im Inland anerkannt
werden. Ähnliches gilt für den Bologna-Prozess. Aller-
dings muss hier die Vergleichbarkeit des in anderen Län-
dern Gelernten noch gesichert werden.
Im vorliegenden Antrag geht es um den umgekehrten
Weg: den Austausch nach Deutschland hinein. Deswe-
gen greift er bestimmte migrationspolitische Aspekte
auf. So soll der Zugang zur schulischen Ausbildung in
Deutschland nur dann möglich sein, wenn für die mate-
rielle und soziale Absicherung der Schülerinnen und
Schüler gesorgt ist und wenn gleichzeitig mit ihrer
Rückkehr fest gerechnet werden kann.
Deswegen verstehe ich auch nicht die Vorbehalte der
Union gegen diesen Antrag. Schauen wir uns an, wer da-
von profitiert: Einerseits natürlich diejenigen Schülerin-
nen und Schüler aus Nicht-EU-Staaten, bei denen in der
Regel wohlhabende Eltern für die Finanzierung des Auf-
enthaltes in Deutschland aufkommen werden. Das ist
doch genau die Art von Zuwanderung, der sogar ein
Herr Beckstein offen gegenübersteht!
Andererseits profitieren vor allem private Bildungsin-
stitutionen, also Internate und berufliche Schulen in
Deutschland. Sie können in Zukunft ihre Angebote ver-
stärkt auf die ausländische Klientel ausrichten. Ziel un-
seres heutigen Antrages ist es, die Rahmenbedingungen
für private Bildungsträger erheblich zu verbessern.
Aus grüner Sicht lösen wir mit diesem Antrag natür-
lich nicht die zentralen bildungspolitischen Probleme in
unserem Land. Die liegen, wie wir alle schon lange und
nicht erst seit PISA wissen, unter anderem in der Inte-
gration der in Deutschland lebenden Migrantinnen und
Migranten. Die Kompromisse im Zuwanderungsgesetz
nehmen zwar die sprachliche und kulturelle Integration
als Recht und Pflicht eines jeden Einwandernden auf.
Wir Grünen halten aber – das ist ja bekannt – die Rah-
menbedingungen für Integrationskurse noch nicht für
ausreichend. Ich hoffe, wir können nach den ersten Er-
fahrungen mit diesen Kursen noch an der einen oder an-
deren Stelle nachjustieren, und setze dabei auf Ihre kon-
struktive Mitarbeit, liebe Kolleginnen und Kollegen von
der Union!
Was ebenso fehlt, ist eine umfassende Qualitätssiche-
rung, die auch die privaten Schulen berücksichtigt. Der-
zeit haben sie zwar einen besseren Ruf als die öffentli-
chen Schulen. Dass sie wirklich besser sind, müssen sie
erst noch beweisen. PISA jedenfalls kann das nicht bestä-
tigen. Umso dringender ist es, dass ausländische Schüle-
rinnen und Schüler – ebenso wie die deutschen – sich bei
ihrer Entscheidung für einen Schulbesuch in Deutsch-
land an klaren Qualitätskriterien orientieren und eine ge-
eignete Schule für sich aussuchen können. Nichts wäre
schlechter für unseren Bildungsstandort Deutschland, als
wenn schwarze Schafe in der Bildungslandschaft die im
15602 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2005
(A) (C)
(B) (D)
Antrag geforderten Erleichterungen für pure Abzocke
missbrauchen würden!
Der neue Anlauf in der Föderalismusfrage, der wohl
jetzt in Angriff genommen wird, stimmt mich optimis-
tisch, dass wir auch in Sachen Qualitätssicherung im Bil-
dungswesen eine effiziente Lösung hinbekommen wer-
den. Wie auch immer diese Lösung aussieht – die Länder
haben jedenfalls große Verantwortung dafür, dass inlän-
dische wie ausländische Schülerinnen und Schüler eine
qualitativ hochwertige Ausbildung erhalten – egal an
welcher Bildungsinstitution sie lernen und sich ausbil-
den lassen.
Abschließend möchte ich betonen: Die Einführung
qualitätssichernder Instrumente geschieht immer noch
viel zu langsam. Dabei müssen wir hier das Rad gar
nicht neu erfinden, auch wenn die KMK immer diesen
Anschein erweckt! Andere Länder – besonders in Skan-
dinavien – betreiben seit Jahren und Jahrzehnten eine er-
gebnisorientierte Bildungspolitik. Ein Blick über den
Tellerrand kann hier enorm helfen und die Arbeit wohl-
möglich immens vereinfachen.
Wir drehen mit diesem Antrag an einem wichtigen,
aber dennoch kleinen Rad der Bildungspolitik. Ich hoffe,
wir werden – zum Nutzen unseres Bildungswesens! –
auch wieder mal gemeinsam an großen bildungspoliti-
schen Rädern drehen können. Anlass hierzu hätten wir
genug!
Anlage 3
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Grundstückverkehrsgesetzes und
des Landpachtverkehrsgesetzes (Tagesord-
nungspunkt 13)
Elvira Drobinski-Weiß (SPD): Das Problem des
verstärkten Flächenkaufs bzw. der Pacht durch zahlungs-
kräftige schweizerische Landwirte im deutsch-schweize-
rischen Grenzgebiet besteht seit geraumer Zeit. Es kon-
zentriert sich auf bestimmte Grenzregionen, wie zum
Beispiel die Landkreise Waldshut, Schwarzwald-Baar
und Konstanz. Während der durchschnittliche jährliche
Erwerb von Flächen in den Jahren 1993 bis einschließ-
lich 2002 mit rund 38 Hektar – bzw. 53 Hektar bei
Pacht – relativ niedrig war, ist ein sprunghafter Anstieg
seit dem Jahr 2003 zu verzeichnen.
Insgesamt werden derzeit circa 3 500 Hektar von
Schweizer Bauern bewirtschaftet, in einzelnen Landkrei-
sen sind es bis zu 20 Prozent der Ackerfläche. Schweizer
Landwirte profitieren von den Subventionssystemen ih-
res Landes stärker und erreichen auf dem Schweizer
Markt für ihre Agrarprodukte einen bis zu dreifach höhe-
ren Marktpreis im Vergleich zu ihren deutschen Kolle-
gen. Das erlaubt ihnen, die Kauf- oder Pachtpreisange-
bote ihrer deutschen Kollegen wesentlich zu überbieten,
was für expansionswillige deutsche Betriebe zu Proble-
men führt.
Dass ein deutsch-schweizerisches Grenzproblem be-
steht, ist, wie ich festgestellt habe, auch unter Kollegen
hier im Hause nicht strittig, sondern einzig und allein,
welcher Weg zur Lösung dessen beschritten werden
kann und soll.
Gemeinsam mit dem Bundesrat und insbesondere
dem Land Baden-Württemberg hat die Bundesregierung
bereits verschiedene Ansätze zur Lösung des Problems
geprüft.
Sowohl der deutsch-schweizerische Regierungsaus-
schuss für Wirtschafts- und Finanzfragen als auch die von
ihm eingesetzte gemischte und ressortübergreifende Ex-
pertenkommission haben versucht, geeignete Lösungs-
vorschläge und ihre Umsetzungsmöglichkeiten zu erar-
beiten.
So wurde unter anderem nach Art. 26 des Grenzver-
kehrsabkommens von 1958 die so genannte Gemischte
Kommission einberufen, um zu prüfen, inwieweit die
Zollbefreiung der im deutschen Grenzgebiet geernteten
Erzeugnisse bei Einfuhr in die Schweiz ganz oder teil-
weise eingeschränkt werden kann. Doch sowohl dieser
Vorschlag als auch der, dass deutsche Landwirte für in
Grenzregionen erwirtschafte Produkte bei Einfuhr in die
Schweiz von Abgaben befreit werden, wurde von der
Schweiz abgelehnt.
Mit der uns heute zur Diskussion vorliegenden Geset-
zesinitiative des Bundesrates zur Änderung des Grund-
stücksverkehrsgesetzes und des Landpachtverkehrsge-
setzes soll eine Preisschwelle, bei deren Überschreitung
einem Grundstückskaufvertrag die Genehmigung ver-
sagt bzw. ein Landpachtvertrag beanstandet werden
kann, festgelegt werden. Zurzeit liegt diese Grenze nach
höchstrichterlicher Rechtsprechung bei 150 Prozent. Die
von Schweizer Landwirten gezahlten Preise beliefen
sich in der Vergangenheit auf 125 bis 149 Prozent des
Grundstücksverkehrswertes. Um für die deutschen
Landwirte in diesen Regionen die Möglichkeit zum Flä-
chenerwerb zu verbessern, soll nach dem Vorschlag des
Landes Baden-Württemberg bzw. des Bundesrates die
Landesregierung ermächtigt werden, die Schwelle auf
120 Prozent des ansonsten üblichen Wertes festzusetzen.
Begründet wird dies vor allem mit dem Ziel des Erhalts
der Agrarstruktur.
Der vorliegende Gesetzentwurf ist unserer Meinung
nach nicht geeignet, dieses regional begrenzte Problem
zu lösen. Es bestehen unsererseits vor allem verfassungs-
rechtliche Bedenken im Hinblick auf das in Art. 14
Grundgesetz verankerte Eigentumsrecht. Die vom Bun-
desrat gewünschte Beschränkung der Verfügungsfreiheit
der betroffenen Grundstückseigentümer auf einen eng
begrenzten Preisrahmen ist unzumutbar.
Außerdem liegt eine Verletzung des in Art. 3 Abs. 1
definierten Gleichbehandlungsverbotes vor, denn die
Umsetzung des Gesetzentwurfes würde zu einer verfas-
sungswidrigen Ungleichbehandlung zwischen Grund-
stückseigentümern, die ihr Grundstück an Schweizer
Landwirte verkaufen oder verpachten wollen, und Grund-
stückseigentümern, die dasselbe Rechtsgeschäft mit deut-
schen Landwirten tätigen wollen, führen.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2005 15603
(A) (C)
(B) (D)
Auch die im Rechtsgutachten von Professor Dr.
Ferdinand Kirchhof dargelegten Argumente reichen
nach unserer Meinung nicht aus, um die eben erwähnten
verfassungsrechtlichen Bedenken auszuräumen.
Außerdem drängt sich die Frage auf: Wird es neben
der Festlegung eines Schwellenwertes für bestimmte Re-
gionen in Höhe von 120 Prozent zukünftig in Einzelfäl-
len auch noch eine Feststellung eines „groben Missver-
hältnisses“ seitens der zuständigen Landesstellen geben,
wenn der Verkaufspreis in dieser Größenregion liegt?
Mit dieser Festlegung wird das Ermessen der für die
Überwachung des landwirtschaftlichen Grundstücksver-
kehrs zuständigen Stellen auf null reduziert – auch das
ist nicht Ziel unserer Politik.
Abschließend möchte ich noch die Frage an den Bun-
desrat stellen: Wollten Sie wirklich Geschäfte in Zukunft
auch dann versagen, wenn sich für das betroffene
Grundstück überhaupt kein deutscher Landwirt interes-
siert?
Die starke Zunahme von Kauf bzw. Pacht deutscher
Flächen seitens der Schweizer Landwirte ist ein akutes
Problem, welches sich, wenn nicht politisch darauf re-
agiert wird, in den nächsten Jahren noch verschärft. Aus
diesem Grund unterstützen wir alle Bemühungen, die zu
einer Entschärfung des Problems beitragen. Klar sollte
Ihnen jedoch auch sein: Aus Respekt vor dem bundes-
deutschen Grundgesetz werden wir nur einen Gesetzent-
wurf unterstützen, der nicht das Risiko beinhaltet,
Grundrechte zu verletzen.
Lassen Sie uns gemeinsam Alternativen prüfen, in-
wiefern seitens der EU, des Bundes bzw. des Landes Re-
gelungen gefunden werden können, um den Landwirten
Unterstützung zu gewähren.
Kurt Segner (CDU/CSU): Seit rund 30 Jahren erfah-
ren die deutschen Landwirte entlang der Schweizer
Grenze leidvoll, was es heißt, ihre berufliche Existenz an
der Nahtstelle unterschiedlicher Agrarsysteme behaup-
ten zu müssen. In keiner anderen Region Deutschlands
müssen sich Landwirte einem derart ungleichen Wettbe-
werb um den Produktionsfaktor Boden stellen. Seit rund
30 Jahren kaufen und pachten Schweizer Landwirte in
immer größerem Umfang landwirtschaftliche Flächen in
der deutschen Zollgrenzzone.
Dies wird begünstigt durch erstens das Zollabkom-
men von 1958, zweitens die Marktstützungsmaßnahmen
der Schweiz, die ihnen im Vergleich zu Landwirten in
der EU bis zu dreifach höhere Erlöse garantieren und
drittens das schweizerische Direktzahlungssystem, das
ihnen bis zu dreifach höhere Prämien gewährt, wenn sie
die Fläche mindestens seit dem 1. Mai 1984 bewirt-
schaften.
Vor diesem Hintergrund zahlen Schweizer Landwirte
Kauf- und Pachtpreise, mit denen sie jedes Angebot
deutscher Landwirte überbieten. Wenn Schweizer Land-
wirte zwischen 20 und 49 Prozent über dem ortsüblichen
Preis zahlen, dann übersteigt dies die finanzielle Leis-
tungsfähigkeit unserer Landwirte bei weitem.
In den zurückliegenden 30 Jahren sind über 3 300 Hek-
tar landwirtschaftliche Fläche, weit überwiegend Acker-
land, in Schweizer Bewirtschaftung übergegangen. Seit
1993 hat sich die von Schweizer Landwirten gekaufte
Fläche mehr als verdoppelt. Die gepachtete Fläche, die
bereits 1985 ein hohes Niveau von 1 500 Hektar erreicht
hatte, ist seither um weitere 850 Hektar gestiegen. Allein
in den beiden zurückliegenden Jahren betrug der Flä-
chenverlust nahezu 500 Hektar.
Wie so oft sagen Zahlen zur Dramatik einer Entwick-
lung nicht alles aus. Fakt ist aber, dass der bisherige Flä-
chenverlust der durchschnittlichen Flächenausstattung
von 83 landwirtschaftlichen Betrieben entspricht. Ange-
sichts dieser Dimension besitzt die Problematik eine
ganz erhebliche Sprengkraft, die über die regionale Be-
troffenheit weit hinausreicht.
Um auf Betriebsgrößen zu wachsen, die ihnen auf
überschaubare Zeit das betriebliche Überleben sichert,
wären die landwirtschaftlichen Betriebe in Baden-
Württemberg dringend auf die Aufstockung mit diesen
Flächen angewiesen. Die Landwirte wollen auch vom
Strukturwandel in der Landwirtschaft der Region profi-
tieren und Zukunftsperspektiven entwickeln können!
Stattdessen müssen sie sich mit den durch die Flächen-
verluste ausgelösten Existenzsorgen herumschlagen. Die
Unsicherheit, ob bei durchschnittlich zwei Dritteln Pacht-
flächenanteil an der Betriebsfläche ein Pachtvertrag ver-
längert wird oder ob eine größere Pachtfläche demnächst
an einen zahlungskräftigen Schweizer Landwirt fällt, ver-
hindert jede vernünftige, langfristige Betriebsplanung.
Die Konsequenzen dieser Entwicklung sind viel-
schichtig und haben jeweils eine eigene, Besorgnis erre-
gende Dynamik erlangt:
Der anhaltende Verlust an Pachtflächen bringt immer
mehr Betriebe in akute Existenznöte.
Schon jetzt haben zahlreiche Schweine haltende Be-
triebe in der Region allergrößte Schwierigkeiten, in zu-
mutbarer Entfernung genügend betriebseigene Flächen
zur Gülleausbringung vorzuhalten.
Viele dieser Betriebe sehen sich um den Lohn jahre-
langer Anstrengungen gebracht.
Das Herauskaufen oder -pachten von Flächen aus
großen Bewirtschaftungseinheiten verschlechtert die
Produktions- und Arbeitsbedingungen der baden-
württembergischen Betriebe zusehends.
Der Verlust potenzieller Aufstockungsflächen schmä-
lert die Wachstumschancen der einheimischen Betriebe.
Ohne Wachstumschancen gibt es keine Investitionsbe-
reitschaft. Ohne Investitionsbereitschaft verlieren die
Betriebe den Anschluss an die Entwicklung und damit
ihre Wettbewerbsfähigkeit. Ohne Investitionen gibt es
keine Modernisierung und ohne Modernisierung keine
Hofnachfolge.
Der Effekt der öffentlichen Mittel, die das Land Ba-
den-Württemberg für die Flurneuordnung eingesetzt hat
und einsetzt, geht zunehmend an den Landwirten vorbei.
15604 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2005
(A) (C)
(B) (D)
Die Landesregierung Baden-Württembergs hat in der
Vergangenheit alle Anstrengungen zur Lösung des Kon-
flikts unternommen.
Erstens. In der Verwaltungspraxis wurden alle rechtli-
chen Möglichkeiten des Grundstück- und des Land-
pachtverkehrs ausgeschöpft. Aber aufgrund der gegen-
wärtigen Rechtslage gelingt eine Steuerung im Sinne der
deutschen Landwirte immer seltener. Deshalb ist die Ge-
setzesinitiative des Landes Baden-Württemberg unver-
zichtbar!
Zweitens. Die Landesregierung hat immer wieder das
Gespräch mit der Schweiz gesucht. Die Regierungen der
angrenzenden Kantone sollten auf ihre Landwirte mäßi-
gend einwirken. Nach kurzzeitigem Rückgang erreichte
der Umfang der von Schweizer Landwirten gekauften
und gepachteten Flächen nicht nur den alten Stand, son-
dern ging darüber hinaus.
Drittens. Das Land hat die Bundeslandwirtschaftsmi-
nisterin wiederholt gebeten, sich bei den Eidgenossen
für eine Selbstbeschränkung einzusetzen. Doch leider
konnte Rot-Grün keinen Erfolg erzielen.
Nach Ansicht des Auswärtigen Amtes sei die Agrar-
politik der Schweiz auf eine Annäherung an die Bedin-
gungen der EU gerichtet. Diesem Ziel einer Annähe-
rung, die die Situation in der Zollgrenzzone entspannt,
sind wir bis heute keinen einzigen Schritt näher gekom-
men.
Viertens. Der Bundesrat hat am 2. April 2004 in einer
auf Initiative Baden-Württembergs gefassten Entschlie-
ßung die Bundesregierung aufgefordert, den Grund-
stück- und Landpachtverkehr an der Schweizer Grenze
von den Wirkungen des am 1. Juni 2002 in Kraft getrete-
nen Freizügigkeitsabkommens zwischen der EU, ihren
Mitgliedsstaaten und der Schweiz auszunehmen.
In Verhandlungen mit der Schweiz sollte eine Ände-
rung des bilateralen Zollabkommens von 1958 erreicht
werden. Diesem Entschluss ist die Bundesregierung
nach meiner Beobachtung nicht mit Nachdruck nachge-
kommen. Die Bemühungen waren deshalb nicht von Er-
folg gekrönt.
Nachdem alle Versuche fehlgeschlagen sind, hatte
das Land Baden-Württemberg den vorliegenden Gesetz-
entwurf eingebracht. Er zielt darauf ab, in das Grund-
stückverkehrsgesetz und das Landpachtverkehrsgesetz
– beides Gesetze zum Schutz der einheimischen Agrar-
struktur – eine Verordnungsermächtigung aufzunehmen.
Die Rechtsprechung definiert bislang den Schwellen-
wert für die Annahme eines groben Missverhältnisses
zwischen Kaufpreis und Verkehrswert bei 150 Prozent.
Die Länder sollen nun in die Lage versetzt werden,
diesen Schwellenwert auf 120 Prozent des Verkehrswer-
tes absenken zu können.
Mit dieser Ermächtigung kann die bisher bestehende
Regelungslücke, die zur ungesunden Verteilung von
Grund und Boden führte, geschlossen werden.
Der Schwellenwert von mindestens 120 Prozent mu-
tet deutschen Landwirten immer noch zu, mit einem Ge-
bot bis an die Grenze ihrer finanziellen Leistungsfähig-
keit zu gehen. Ich bin der Meinung, dass seine
Einführung auf nationaler Ebene ein wirksames Mittel
ist, wieder faire Wettbewerbschancen herzustellen.
Ich bedauere sehr, dass die Bundesregierung in ihrer
Gegenäußerung Bedenken verlauten lässt.
Damit die Landwirte vor Ort aber den Glauben an die
Handlungsfähigkeit der Politik nicht verlieren, sollten
wir daher über alle Parteigrenzen hinweg eine tragfähige
Lösung finden. Im Interesse der betroffenen Landwirte,
die akut in ihrer Existenz bedroht sind, sollten wir ge-
meinsam ein schnellstmögliches Ergebnis erzielen.
In diesem Sinne bedanke ich mich jetzt schon bei al-
len Parteien für die Gesprächsbereitschaft.
Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Als Bauer kann ich durchaus verstehen, dass die
deutschen Bauern an der Grenze zur Schweiz verärgert
darüber sind, wenn ihre Kollegen aus der Schweiz sehr
hohe Preise für landwirtschaftliche Flächen in Deutsch-
land bieten und damit den deutschen Grenzbauern das
Mitbieten schwer oder gar unmöglich machen. Das ist
sicherlich ein Problem, für das man eine Lösung finden
muss. Ich ärgere mich als Nicht-Baulandbesitzer auch
oft über die Flächenkonkurrenz der Baulandbauern, die
immer einen unvernünftig hohen Preis bieten. So etwas
gibt es immer wieder in den verschiedensten Konstella-
tionen.
Als Abgeordneter des Bundestages muss ich aller-
dings einen etwas anderen Blick auf die Sache haben, als
im vorliegenden Gesetzentwurf des Bundesrates zum
Ausdruck kommt. In der Problembeschreibung des Ge-
setzentwurfes heißt es, dass zwischen 1993 und 2002
jährlich 78 Hektar und 2003 310 Hektar an schweizer
Landwirte verpachtet oder verkauft worden seien.
Zum Vergleich: Die landwirtschaftliche Fläche in
Deutschland beträgt insgesamt 17 Millionen Hektar. Da-
von gehen jährlich 47 000 Hektar verloren, nicht an
Schweizer, sondern wegen des fortschreitenden Flächen-
verbrauchs – übrigens ein riesiges Problem, dessen sich
der Bundesrat meines Wissens bisher leider noch nie an-
genommen hat. Wir sprechen hier also von einem winzi-
gen Teil der landwirtschaftlichen Fläche in Deutschland,
der nicht an deutsche, sondern an Schweizer Bauern ver-
pachtet oder verkauft wird. Ich betone das nur, um die
Größenordnungen klarzumachen, von denen wir hier re-
den. Dafür will der Bundesrat das bewährte Grund-
stücksverkehrsgesetz und das Landpachtverkehrsgesetz
ändern.
Ich will damit deutlich machen, dass wir aufpassen
müssen, bei aller individuellen Betroffenheit die Verhält-
nismäßigkeit der Mittel nicht aus dem Auge zu verlieren.
Ich glaube, wir sind als Bundesgesetzgeber gut beraten,
uns bei unserer Arbeit nicht von einer allzu stark isolier-
ten und eingeengten Perspektive leiten zu lassen, son-
dern immer den Blick für das Ganze zu behalten und
nicht damit zu beginnen, jedem sein eigenes Gesetz zu
schreiben. Das führt zu nichts.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2005 15605
(A) (C)
(B) (D)
Daher haben wir auch große Bedenken, ob eine Ge-
setzesänderung vertretbar ist, die nur an den – ohne
Frage berechtigten – Interessen einer sehr kleinen
Gruppe orientiert ist, die aber von der Bundesregierung
erstens als verfassungsrechtlich bedenklich und zweitens
als außenpolitisch, das heißt bezüglich der Beziehungen
zwischen Deutschland und der Schweiz, bei denen es
durchaus noch andere Interessen zu wahren gilt, proble-
matisch eingestuft wird. Es ist noch nicht einmal ausge-
schlossen, dass dieser Gesetzentwurf gegen das Freizü-
gigkeitsabkommen zwischen der Europäischen Union
und der Schweiz verstößt. Auf solche Unwägbarkeiten
können und dürfen wir uns nicht einlassen.
Gleichzeitig ist selbst unter den deutschen Bauern an
der Schweizer Grenze die Interessenlage keineswegs
einheitlich: Während die einen Land günstig kaufen oder
pachten wollen, hoffen die anderen auf günstige Ge-
schäfte mit Schweizer Landwirten, um sich beispiels-
weise ihre Altersversorgung zu sichern.
Wir haben verabredet, dieses Thema in einer inter-
fraktionellen Arbeitsgruppe zu beraten, um zu einer Lö-
sung des Problems zu kommen. Ich kann mir gut vorstel-
len, dass sich eine Lösung finden lässt, jedoch auf einem
geeigneteren Weg, als ihn der Bundesrat vorschlägt.
Ernst Burgbacher (FDP): Als Vorsitzender der süd-
badischen FDP kenne ich die Problematik von Land-
pachten und Landkäufen durch Schweizer Landwirte im
südbadischen Raum seit geraumer Zeit. Diese Land-
käufe und Landpachten von Schweizer Landwirten in
unserer Region stellen für unsere Bauern eine ernst zu
nehmende Existenzgefährdung großen Ausmaßes dar.
Hier ist Handeln, und zwar rasches Handeln, dringend
geboten.
Auch wenn das Problem des Grundstücks- und Land-
pachtverkehrs bereits seit 30 Jahren existiert, hat es sich
in den letzten Jahren durch verschiedene Änderungen
der Rahmenbedingungen deutlich verschärft und zuneh-
mend bedrohlichere Ausmaße angenommen.
Auf Initiative des Landes Baden-Württemberg hat der
Bundesrat einen Gesetzentwurf zur Änderung des
Grundstücksverkehrs- und Landpachtverkehrsgesetzes
vorgelegt. Ich unterstütze diese Gesetzesinitiative nach-
drücklich. Die FDP-Bundestagsfraktion steht an der
Seite unserer Landwirte. Die bestehenden Ungerechtig-
keiten zulasten unserer Bauern dürfen nicht länger hin-
genommen werden. Ursache für die massiven Wettbe-
werbsverzerrungen ist eine hoch subventionierte
Landwirtschaft in der Schweiz, die es Schweizer Land-
wirten ermöglicht, baden-württembergische Landwirte
bei Erwerb und Pacht von landwirtschaftlichen Flächen
aus dem Feld zu schlagen.
Ich habe mich in dieser Angelegenheit bereits im Jahr
2003 aktiv eingeschaltet und die zuständigen Stellen auf
die Schwierigkeiten, denen sich unsere südbadischen
Landwirte ausgesetzt sehen, hingewiesen und Abhilfe
angemahnt. Im Sommer letzten Jahres hatte ich den da-
maligen zuständigen EU-Kommissar Fischler ange-
schrieben, um ihn für diese Thematik zu sensibilisieren.
Mehrfach hatte ich mich mit Anfragen an die Bundesre-
gierung gewandt. Ich hatte an Bundeslandwirtschaftsmi-
nisterin Renate Künast geschrieben und sie eindringlich
aufgefordert, sich vor Ort ein Bild von der Lage zu ma-
chen. Doch trotz eines Besuchs in der Schweiz, bei dem
sie sich über Hühnerhaltung informierte, hat es die zu-
ständige Ministerin nicht für nötig befunden, auch das
Gespräch mit den Landwirten in Baden-Württemberg zu
suchen und sich persönlich einen Eindruck von der Situa-
tion unserer Bauern und ihrer Familien zu verschaffen.
Ein Besuch vor Ort und das Gespräch mit südbadi-
schen Landwirten im Grenzgebiet hätte ihr sicher die
Augen geöffnet, wie ich aus eigener Erfahrung berichten
kann. Ich habe mich oft mit betroffenen Landwirten un-
terhalten und stehe in regelmäßigem Austausch mit dem
Badischen Landwirtschaftlichen Hauptverband.
Die Tatenlosigkeit der rot-grünen Bundesregierung ist
unverständlich und völlig inakzeptabel. Auch das Ver-
halten von Bundesaußenminister Fischer war eine bittere
Enttäuschung für die betroffenen Landwirte. Erst Ende
November letzten Jahres hatte dieser dem baden-
württembergischen Ministerpräsidenten Teufel schrift-
lich versichert, dass ihm an einer Lösung des Problems
gelegen sei. Doch entgegen diesen – wie wir nun wis-
sen – leeren Versprechungen hat die Bundesregierung
eine negative Stellungnahme zum Gesetzentwurf abge-
geben.
Die von der Bundesregierung geäußerten Zweifel an
der Verfassungsmäßigkeit des baden-württembergischen
Gesetzentwurfs sind durch ein Rechtsgutachten von Pro-
fessor Kirchhof von der Universität Tübingen entkräftet
worden. Professor Kirchhof kommt zu dem Ergebnis,
dass der Gesetzentwurf zur Änderung des Grundstücks-
verkehrsgesetzes und des Landpachtverkehrsgesetzes
den Vorgaben für Rechtsverordnungsermächtigungen
des Art. 80 Abs. 1 GG genüge und sich im Einklang mit
den Grundrechten der Art. 14 und 12 GG halte.
Entscheidend ist aus meiner Sicht, dass wir zu einer
raschen und möglichst unbürokratischen Lösung des
Problems kommen. Wie und auf welchem Wege dies ge-
schieht, erscheint mir im Augenblick eher sekundär.
Viele unserer Betriebe in Südbaden sind in ihrer Exis-
tenz bedroht. Wichtig ist, dass hier zügig Abhilfe ge-
schaffen wird, um diese Bedrohung abzuwenden.
Anlage 4
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Zum Beginn der De-
kade „Wasser zum Leben“ der Vereinten Natio-
nen (Tagesordnungspunkt 14)
Dagmar Schmidt (Meschede) (SPD): Nächsten
Dienstag, am 22. März, am Weltwassertag, beginnt die
UN-Dekade „Wasser für das Leben“. Damit unterstrei-
chen die Vereinten Nationen ihre Entschlossenheit, das
Thema Wasser im Blickpunkt zu behalten. Es muss ge-
lingen, den Anteil der Menschen ohne Zugang zu
15606 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2005
(A) (C)
(B) (D)
sauberem Trinkwasser und ohne Zugang zu sanitären
Basiseinrichtungen bis 2015 zu halbieren.
Wir möchten mit dieser Debatte zum Gelingen beitra-
gen. Wieder einmal sind wir es, die dieses Thema in den
Bundestag gebracht haben. Schon vor zweieinhalb Jah-
ren waren es die Regierungsparteien, die die Wasser-
frage erörtert und mit einem Antrag deren Bedeutung für
die deutsche Entwicklungszusammenarbeit unterstrichen
haben. Eines haben wir bereits damals deutlich gemacht:
Wasser ist kein beliebiges Wirtschaftsgut, Wasser ist ein
öffentliches Gut. Wir haben bereits damals deutlich ge-
macht, dass der Zugang zu sauberem Trinkwasser ein
Menschenrecht ist. Das bestreitet in diesem Hause sicher
niemand. Dennoch überlegen Sie einmal, wenn Sie vier
Tage alle Wasserhähne und sanitären Einrichtungen in
Küche und Bad einmal nicht benutzen, vier Tage den
Wasserkasten in der Ecke einmal nicht anrühren, vier
Tage einmal versuchen, Wasser zur Befriedigung der
Grundbedürfhisse im wahrsten Sinne des Wortes auf der
Straße zu finden.
Nur vier Tage – dies ist nämlich ungefähr die Zeit, die
ein Mensch ohne Wasseraufnahme überleben kann.
Diese Tatsache unterstreicht unsere Abhängigkeit von
den natürlichen Lebensgrundlagen und unsere Verletz-
barkeit, eine Verletzbarkeit, die wir in unserer Überfluss-
gesellschaft, in der sauberes Trinkwasser eine Selbstver-
ständlichkeit ist, häufig verdrängen.
Machen wir es uns eigentlich ausreichend klar, ist es
uns überhaupt bewusst, dass die Versorgung mit saube-
rem Trinkwasser und eine effiziente Abwasserentsor-
gung die Grundvoraussetzung für soziale und wirtschaft-
liche Entwicklung ist? Stört es uns denn überhaupt nicht,
dass noch immer mehr als eine Milliarde Menschen ohne
Zugang zu sauberem Trinkwasser sind? Immer noch ha-
ben mehr als 2,5 Milliarden Menschen keinen Zugang zu
einer geregelten Abwasserentsorgung. Schenken wir die-
sen Menschen doch unser Gehör. Sie alle sind arm! Sie
alle haben dieses gemeinsame Merkmal, egal ob Sie in
Südasien, in Lateinamerika oder ob Sie in Afrika südlich
der Sahara leben. Armut und der Mangel an sauberem
Trinkwasser bzw. an sanitären Basiseinrichtungen gehen
Hand in Hand.
Die Folgen für die Betroffenen sind gravierend. 1,8 Mil-
lionen Menschen sterben pro Jahr an den Folgen von
Durchfallerkrankungen. Insbesondere Kinder sind durch
unhygienische sanitäre Zustände bedroht. Alleine am
heutigen Tag sind wieder 4 000 Kinder weltweit an den
Folgen von verunreinigtem Trinkwasser qualvoll zu-
grunde gegangen. In Afrika gehen nach Schätzung der
Weltgesundheitsorganisation 40 Milliarden Arbeitsstun-
den pro Jahr durch die Beschaffung von Trinkwasser
verloren – 40 Milliarden! Diese Zeit wird gerade Mäd-
chen und Frauen weggenommen. Wegen ihrer Pflichten
bei der Beschaffung von Trinkwasser können sie nicht
zur Schule gehen. Analphabetismus hat einen fatalen
Bezug zur Wasser- und Abwasserfrage.
Deshalb sind das Trinkwasserziel der Millenniums-
Deklaration und das Sanitärziel des Johannesburg-Ak-
tionsplanes Grundvoraussetzungen für eine nachhaltige
Bekämpfung der Armut!
Mit unserem heutigen Antrag wollen wir fünf Jahre
nach der Verabschiedung der Millenniums-Entwick-
lungsziele erstmals Bilanz ziehen. Wo stehen wir heute?
Die Weltgesundheitsorganisation WHO und das UN-
Kinderhilfswerk UNICEF haben im August 2004 eine
Zwischenbilanz über die Erreichung der Millenniums-
Entwicklungsziele bei der Trinkwasserversorgung und
bei der Entsorgung von Abwässern vorgelegt.
Basierend auf den Ausgangswerten von 1990 und den
Zahlen von 2002 kommen die UN-Organisationen zu
folgendem Ergebnis: Die Weltgemeinschaft ist zwar auf
einem guten Weg, das Trinkwasser-Ziel der Millen-
niums-Deklaration zu erreichen, ohne eine deutliche
Kraftanstrengung wird das Ziel im Bereich der Abwas-
serentsorgung jedoch um eine halbe Milliarde Menschen
verfehlt.
Unabhängig von den Durchschnittswerten zeigt die
Bilanz aber Licht und Schatten. Die Unterschiede zwi-
schen den Regionen, zwischen Stadt und Land und zwi-
schen Arm und Reich sind gewaltig. Immerhin haben
zwischen 1990 und 2002 1,1 Milliarden Menschen erst-
mals Zugang zu sicherem Trinkwasser erhalten. Immer-
hin haben eine Milliarde Menschen im selben Zeitraum
erstmals Zugang zu einer geregelten Abwasserversor-
gung erhalten. Dies sind beeindruckende Zahlen, die je-
doch durch das gleichzeitige Bevölkerungswachstum re-
lativiert werden.
Was bleibt also zu tun? Angesichts der enormen
menschlichen Opfer, die ein Verfehlen der Entwick-
lungsziele im Bereich der Trinkwasserversorgung und
der Abwasserentsorgung zur Folge hätte, dürfen wir mit
unseren Bemühungen nicht nachlassen. Im Gegenteil,
trotz der gewaltigen Steigerungsraten müssen wir unsere
Anstrengungen im Bereich der Trinkwasserversorgung
verstärken. Unser Hauptaugenmerk muss dabei den
ärmsten Ländern und den ärmsten Bevölkerungsschich-
ten in den städtischen Slums und den ländlichen Regio-
nen gelten. Wir müssen unsere Anstrengungen im Be-
reich der Abwasserentsorgung – auch mit Beteiligung
der Privatwirtschaft – deutlich intensivieren. Eine Ana-
lyse der Weltgesundheitsorganisation hat ergeben, dass
jährlich 11,3 Milliarden US-Dollar zusätzlich investiert
werden müssten, um im Jahr 2015 die Millenniumsziele
im Wasser- und Sanitärbereich zu erreichen. Die Investi-
tion lohnt sich auf jeden Fall.
Durch die Eindämmung von Seuchen könnten die Ge-
sundheitskosten in den betroffenen Ländern deutlich ge-
senkt werden. Die Zeitersparnis bei der Beschaffung von
Trinkwasser könnte in höhere Produktivität, höhere Bil-
dung und mehr Freizeit umgewandelt werden. Auf die-
ser Grundlage kommt die Weltgesundheitsorganisation
pro investierten Dollar auf eine Gewinnspanne zwischen
3 und 34 US-Dollar.
Uns, der rot-grünen Bundesregierung sind diese Zu-
sammenhänge klar. Deutschland ist mit rund 350 Millio-
nen Euro jährlich der zweitgrößte Geber im Wassersek-
tor weltweit. Der Wassersektor ist ein Schwerpunkt in
der deutschen Entwicklungszusammenarbeit mit 27 Län-
dern. Diese Anstrengungen zeigen greifbare Erfolge.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2005 15607
(A) (C)
(B) (D)
Wir sollten, statt immer zu klagen und Kassandra zu
spielen, solche Erfolge herausstreichen.
Tansania und Vietnam gehören zu denjenigen Län-
dern, die in ihren Regionen die größten Fortschritte bei
der Versorgung mit sauberem Trinkwasser gemacht ha-
ben. Das belegen die Zahlen des Entwicklungspro-
gramms der UN. In Tansania konnte der Anteil der Be-
völkerung mit Zugang zu sauberem Trinkwasser von
38 Prozent auf 69 Prozent gesteigert werden. In Vietnam
wurde ebenfalls eine Steigerung von 55 Prozent auf
78 Prozent erreicht. In beiden Ländern ist der Wasser-
sektor ein Schwerpunkt der bilateralen Entwicklungszu-
sammenarbeit mit Deutschland.
Unser Antrag geht gerade auf diejenigen Länder ein,
in denen der Wassersektor in der Entwicklungszusam-
menarbeit einen Schwerpunkt bildet. Wir werden dafür
kämpfen, dass in diesen Ländern die Millenniumsziele
im Wasser- und Sanitärbereich erreicht werden. Mit un-
seren Forderungen unterstreichen wir: Es ist uns Ernst
mit der Erreichung der Millenniums-Entwicklungsziele,
wir tauchen nicht ab angesichts von Herauforderungen
und Unwägbarkeiten. Mit unseren Forderungen unter-
streichen wir auch, dass es uns Ernst ist mit der Bekämp-
fung der weltweiten Armut und dem Schutz unserer na-
türlichen Lebensgrundlagen. Wir befinden uns dabei in
Übereinstimmung mit UN-Generalsekretär Kofi Annan,
der anlässlich des Weltwassertages 2004 die zentrale Be-
deutung der Wasserfrage für die Armutsbekämpfung und
für eine nachhaltige Entwicklung betonte.
Mit der beginnenden UN-Dekade „Wasser für das Le-
ben“ unterstreicht die Weltgemeinschaft nochmals diese
Aussage und konzentriert ihre Kräfte in diesem Bereich.
Kofi Annan kann sich unserer Unterstützung bei seinen
Bemühungen sicher sein.
Abschließend möchte ich noch einmal auf die ent-
wicklungspolitische Debatte vom Juni 2002 zurückkom-
men. Die Oppositionsparteien haben sich bei der damali-
gen Abstimmung zu unserem Wasser-Antrag enthalten.
Inhaltlich hatten Sie weder durch einen eigenen Antrag
noch in einem Ihrer Debattenbeiträge etwas Konstrukti-
ves beizutragen. Zu einer Zustimmung zu richtigen
Schritten konnten Sie sich nicht durchringen. Das Fehlen
eigener inhaltlicher Konzepte entschuldigte der Kollege
Hedrich damit, die Opposition wolle der überladenen
Tagesordnung keine weiteren Punkte hinzufügen. Diese
Ausrede wird Ihnen heute niemand abnehmen. Bei ei-
nem einzigen Thema unter diesem Tagesordnungspunkt
hätten Sie wirklich in der Lage sein können, etwas Eige-
nes auf die Beine zu stellen. Leider Fehlanzeige! – Viel-
leicht aber auch ein Ausdruck Ihrer klammheimlichen
Zufriedenheit mit unserer Arbeit bei der Umsetzung der
Millenniums-Entwicklungsziele und des Johannesburg-
Aktionsplanes.
Wir erwarten auf jeden Fall gelassen Ihre Vorschläge
in den bevorstehenden Beratungen. Wandeln Sie Ihre
klammheimliche Zustimmung in eine konstruktive um.
Ulrich Petzold (CDU/CSU): Ich kann mich bei dem
vorliegenden Antrag des Eindrucks nicht erwehren: Hier
hat jemand gerade noch rechtzeitig mitbekommen, dass
am 22. März, am Weltwassertag, die von den Vereinten
Nationen ausgerufene Dekade „Wasser zum Leben“ be-
ginnt, und er möchte noch ein wenig davon politisch
profitieren. Doch die allzu große Hast und Eile, die wir
bei der Einbringung des Antrages erlebt haben, tut einem
Antrag selten gut. So wird in dem Antrag das Wasser-
problem leider weitgehend auf die soziale Frage einge-
engt, während andere Aspekte eher vernachlässigt wer-
den.
Bereits in den 80er-Jahren war von den VN eine De-
kade der „Trinkwasserversorgung und Hygiene“ ausge-
rufen worden. Allerdings, so muss man heute konstatie-
ren, nur mit mäßigem Erfolg. Statt des angestrebten
hundertprozentigen Versorgungsgrades wurde trotz einer
bemerkenswerten Mobilisierung nationaler und interna-
tionaler Investitionsmittel der Bevölkerungsanteil in den
Entwicklungsländern mit direktem Zugang zu sauberem
Trinkwasser lediglich auf 70 Prozent erhöht. Aufgrund
des Bevölkerungswachstums und der Verstädterung
konnte mit diesem Programm die absolute Zahl von
Menschen ohne qualitativ und quantitativ ausreichende
Wasserversorgung und sanitäre Anlagen nicht oder nur
unwesentlich verringert werden. Deshalb bin ich gegen-
über der überschwänglichen Begeisterung, mit der der
Antrag den Beginn der Dekade feiert, eher etwas skep-
tisch. Die bescheidenen Ergebnisse der Dekade in den
80er-Jahren sollten uns eher zum Überlegen als zu
Schnellschüssen veranlassen.
Daher meine Fragen an Sie, meine Damen und Herren
der Regierungskoalition: Warum wurde in dem Antrag
nicht mehr auf demographische Trends wie Bevölke-
rungsentwicklung und Wanderungsbewegungen einge-
gangen? Wieso kommen die ökologischen Faktoren wie
Klimaveränderungen, Versteppung, Wüstenbildung und
Versalzung von Böden, wenn überhaupt, nur in Neben-
sätzen vor?
Grundwasserbildung und Oberflächenwasserrückhal-
tung durch Ökosysteme dürfen in einem solchen Antrag
ebenfalls nicht fehlen, soll in ihm auch nur ansatzweise
die Problematik der Wasserversorgung aufgezeigt wer-
den. Wasserversorgung ist damit ein zutiefst ökologi-
sches Problem.
Die Zahl der Länder, in denen eine Wasserentnahme
über dem erneuerbaren Angebot erfolgt, ist durchaus
lang und wird von Libyen angeführt, in dem fast viermal
so viel Wasser entnommen wird, wie durch Niederschlag
erneuert wird. Darüber hinaus entnehmen viele Länder
einen so hohen Anteil am erneuerbaren Wasserangebot,
dass natürliche Ökosysteme keine Chance haben. Doch
Wasser, welches man ökologischen Systemen zur Nut-
zung für den Menschen zu viel entnimmt, wird erst dem
System und dann dem Menschen fehlen.
Durch die Urbanisierung und Industrialisierung der
Entwicklungsländer in einer frühindustriellen Form wird
das Problem der Wasserverschmutzung, das wir aus der
Übergangsgesellschaft Osteuropas kennen, immer aku-
ter. Agrarchemikalien, die in den Industrieländern längst
verboten sind, belasten das Wasser und zerstören die
15608 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2005
(A) (C)
(B) (D)
Bodenstrukturen, sodass eine Regenerierung von Ab-
wässern nicht mehr erfolgt.
Die ökologische Dimension von Wasserverschmut-
zung und Wasserverknappung ist auf internationaler
Ebene erkannt. Gleichwohl weichen die Meinungen er-
heblich voneinander ab. In einigen Entwicklungsländern
besteht weiterhin die Einschätzung, dass der Norden in
internationalen Verhandlungen zu einer Überakzentuie-
rung ökologischer Aspekte tendiere, die er selbst aber
nicht umsetze und deren Realisierung die Länder des Sü-
dens überfordere.
Deshalb müssen wir die wassersparenden Technolo-
gien, die bei uns entwickelt wurden, auch bei uns einset-
zen. Es kann nicht sein, dass eine abwasserfreie Auto-
waschanlage zwar bei uns den blauen Umweltengel
bekommt, aber der Einsatz in der Praxis regelmäßig
scheitert, weil die Kommunen anscheinend auf das Ab-
wasser aus den Waschanlagen für die kommunalen Klär-
anlagen angewiesen sind. Oder denken Sie daran, wel-
che Probleme bei uns Kleinkläranlagen bereitet werden.
Der Einsatz von Endomykorrhizapilzen – bei uns zu Pra-
xisreife gebracht –, mit denen man Wasser- und Dünge-
mittel sparend Landwirtschaft betreiben kann, kommt
bei uns nicht voran, weil sich die Einsatzkosten erst in
nachfolgenden Jahren rechnen. Wenn wir nicht bereit
sind, unsere modernsten Wassertechnologien bei uns
selbst einzusetzen, wie sollen andere uns glauben und
unsere Technologien anwenden?
Die bisherigen Erfahrungen haben gezeigt, dass das
Beschließen weltweiter Aktionsprogramme allein kein
Königsweg für den Aufbau nationaler Handlungskapazi-
täten im Wassermanagement ist. Es wäre wünschens-
wert, das Aktionsprogramm einer neuen Wasserdekade
mit der Verabschiedung eines politisch, möglichst auch
rechtlich verbindlichen Übereinkommens zu verbinden.
Mit einem völkerrechtlich verbindlichen Übereinkom-
men, das bindende Berichts- und Kontrollmechanismen,
eine verbesserte und sichere Finanzierung sowie eine
wissenschaftliche Begleitung beinhaltet, könnte unserer
Auffassung nach der neuen Dekade auch in ökologi-
schen Fragen am ehesten zum Erfolg verholfen werden.
Christa Reichard (Dresden) (CDU/CSU): Klaus
Töpfer, der Direktor des UN-Umweltprogramms, sagt
bereits seit Jahren:
Die Frage, wie wir auf der Welt mit Wasser umge-
hen, wird an vielen Orten über Krieg und Frieden
mitentscheiden.
Aber die Wasserprobleme, denen unsere Welt gegen-
übersteht, müssen nicht nur Ursache für Spannungen
sein; sie können auch als Katalysator für Zusammenar-
beit wirken. Zwei Drittel der größten Flüsse der Welt
durchfließen mehrere Staaten, mehr als 300 Flüsse über-
queren nationale Grenzen.
Erstmalig brachten die Vereinten Nationen 2003 ei-
nen Weltwasserentwicklungsbericht heraus. Der Bericht
beschreibt die Ausgangssituation der Weltwasserkrise
und analysiert die globalen Süßwasservorkommen. Er
befasst sich mit den Herausforderungen für die Siche-
rung von Gesundheit und Ernährung einer wachsenden
Bevölkerung und dem Wassermanagement zugunsten ei-
ner nachhaltigen Bewirtschaftung und Ordnungspolitik.
Die Welt steuert nach Einschätzung der Vereinten Na-
tionen auf eine dramatische Wasserkrise zu. Mitte dieses
Jahrhunderts haben demnach im schlimmsten Fall 7 Mil-
liarden Menschen, im günstigsten Fall 2 Milliarden mit
Wasserknappheit zu kämpfen.
Die weltweite Wasserkrise sei die größte Bedrohung
für das Überleben der Menschheit, lautet die eindringli-
che Warnung dieses ersten Welt-Wasser-Berichts der
Vereinten Nationen. Während in den reichen Industrie-
staaten Wasser verschwendet wird, bringt das Bevölke-
rungswachstum in den trockenen Gebieten der Erde – im
Nahen Osten, in Nordafrika und Südasien – akute Was-
serknappheit mit sich. Eine einzige Toilettenspülung in
den Industrieländern verbraucht so viel Wasser, wie eine
Person in einem Entwicklungsland pro Tag für Waschen,
Trinken und Kochen zur Verfügung hat.
1,1 Milliarden Menschen, etwa ein Sechstel der Welt-
bevölkerung, haben keinen Zugang zu sauberem Wasser.
In den Entwicklungsländern versickern 90 Prozent der
Abwässer ungeklärt oder werden in Flüsse abgeleitet.
Verschmutztes Trinkwasser und mangelhafte Abwasser-
entsorgung sind die Ursache für 80 Prozent aller Krank-
heiten in Entwicklungsländern. Täglich sterben 6 000
Kinder an Krankheiten, die durch unsauberes Wasser
übertragen werden.
„Diese Krise ist eine Krise des Wassermanagements,
verursacht im Wesentlichen durch unsere falsche Be-
wirtschaftung von Wasser“, heißt es im Welt-Wasser-Be-
richt. Deutschland hat diese dramatische Situation schon
seit längerer Zeit erkannt und ist nach wie vor mit etwa
350 Millionen Euro jährlich der größte europäische Ge-
ber im Wassersektor, weltweit der zweitgrößte. Auch bei
den Ausgaben der Weltbank hat der Wassersektor hohe
Priorität. Ein erheblicher Teil des jährlichen Weltbank-
budgets fließt daher in Projekte für Wassermanagement,
Wasserversorgung, häusliche Hygiene, Abwasserbe-
handlung, Hochwasserschutz und Abfallwirtschaft.
Der Schwerpunkt liegt zunehmend auf sektorüber-
greifenden Projekten, in denen neben Umweltaspekten
auch sozioökonomische Aspekte wie Hygieneerziehung
berücksichtigt werden. Im Rahmen eines Fraunhofer
Weltbankprojektes befasst sich die Arbeitsgruppe „Was-
ser, Abwasser und Abfall“ mit diesem Themenkomplex.
Gemeinsam mit Unternehmen verbindet das Fraunhofer
Institut technologische Expertise und innovative Ansätze
in den Bereichen Wassermanagement, Wasserversor-
gung, Abwasserreinigung und Abfallwirtschaft für Pro-
blemlösungen in ausgewählten Zielländern.
Weltweit ist die Entwicklungshilfe rückläufig. Nur
private Investitionen können die riesigen Bedarfe an In-
frastrukturinvestitionen decken. Für private Unterneh-
men wird dementsprechend ein Wachstum des Marktes
von derzeit circa 90 Milliarden Euro auf 450 Milliarden
Euro im Jahre 2010 erwartet. Gefordert sind Investitio-
nen in schwierigem Umfeld, also im besten Sinne des
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2005 15609
(A) (C)
(B) (D)
Wortes unternehmerisches Handeln im weltweiten Wett-
bewerb.
Der Wandel des Weltwassermarkts hin zum Betrei-
bergeschäft hat in Deutschland mit dem Ausverkauf des
deutschen Wasseranlagenbaus bereits erste Spuren hin-
terlassen. Bei einer Beibehaltung des Status quo wird die
deutsche Wasserwirtschaft ebenso wie im Energiebe-
reich erhebliche Chancen auf den Weltmärken verpas-
sen.
Hier setzen meine Fragen und Forderungen an die
Bundesregierung an. Hier sehe ich auch ein wesentliches
Defizit im Antrag von Rot-Grün, der uns gestern anläss-
lich des Beginns der Dekade „Wasser zum Leben“ vor-
gelegt wurde. Wenn wir uns als größter europäischer Ge-
ber im internationalen Wassersektor hervortun, muss
doch auch die Frage erlaubt sein, welchen Anteil deut-
sche Technologien und die deutsche Wasserwirtschaft
insgesamt an diesem Auftragsvolumen haben.
Mir sind Klagen aus der deutschen Wasserwirtschaft
bekannt, dass durch die Kleinteiligkeit der kommunalen
Wasserpolitik in Deutschland viel zu wenig Potenzial
entwickelt wurde, um sich bei internationalen Aus-
schreibungen erfolgreich zu beteiligen. Ein weiterer
Grund für erfolglose Beteiligungen bei Ausschreibungen
ist der Mangel an Erfahrungen und nachgewiesenen Pro-
jekten im internationalen Wassergeschäft. Wie schätzt
die Bundesregierung die Möglichkeiten ein, im Rahmen
des Wiederaufbaus in den Tsunami-Katastrophengebie-
ten bei Projekten im Wassersektor, die von deutschen
Geldern finanziert werden, deutsche Anbieter zu bevor-
zugen, um endlich auch Referenzprojekte vorweisen zu
können? Denn eines ist sicher: Die deutsche Wasserwirt-
schaft besitzt hervorragende Voraussetzungen, um kurz-,
mittel- und langfristig beim Wiederaufbau, der Erweite-
rung oder der Erstellung der Infrastruktur in der Wasser-
ver- oder Abwasserentsorgung in den betroffenen Staa-
ten mitzuwirken. Die deutsche Wasserwirtschaft hat ihre
Unterstützung angeboten. Die Bundesregierung sollte
diese Hilfsbereitschaft nicht mit unnötig komplizierten
Ausschreibungsgrundsätzen und einem starren Örtlich-
keitsprinzip behindern, sondern die Entbürokratisierung
vorantreiben.
Ich sagte zu Beginn meiner Rede, dass die Wasserpro-
blematik auch als Katalysator für die Zusammenarbeit
dienen kann. Hier haben wir die Chance, die internatio-
nale Zusammenarbeit zwischen Kommunen und Unter-
nehmen und die interkommunale Zusammenarbeit in
Form von Public Private Partnerships zu fördern, um die
Ressource Wasser, die die Vereinten Nationen in den
Mittelpunkt dieser Dekade gestellt haben, nachhaltig zu
erhalten und für alle verfügbar zu machen.
Ulrich Heinrich (FDP): Meiner Rede möchte ich ein
Zitat von Kofi Annan voranstellen:
Die Verfügbarkeit von Wasser ist ein fundamentales
menschliches Bedürfnis und deshalb ein Grund-
recht. Verseuchtes Wasser bedroht die körperliche
Gesundheit, aber auch die Gemeinschaft der Men-
schen. Es ist ein Verstoß gegen die Menschen-
würde.
Diesem Zitat stimmen wir ausdrücklich zu. Wir wol-
len deshalb auch dazu beitragen, dass die vorhandenen
Ressourcen sparsam und ökonomisch genutzt werden
und gleichzeitig der Zugang zum Lebensmittel Nummer
eins für alle ermöglicht wird.
Wasser muss allen Menschen frei, aber nicht kosten-
los zur Verfügung stehen. Das bedeutet, Wasser hat ei-
nen Preis. Nur so wird mit dem vorhandenen Wasser
sorgsam umgegangen und nur so kann die Ressource
Wasser auch in Zukunft gesichert werden. Es kostet
Geld, Wasser aufzubereiten, Wasserleitungen zu legen
und Abwasser zu reinigen. Es steht jedem Staat frei,
durch Subventionen die Kosten für Bedürftige abzumil-
dern. Doch die öffentliche Hand hat nur die Aufgabe, die
gesetzlichen Rahmenbedingungen zu schaffen, um das
öffentliche Gut Wasser zu verteilen, die Gesundheits-
standards festzulegen und die Reserven nachhaltig zu
schützen. Die private Wirtschaft ist es, die kosteneffi-
zient und -transparent Investitionen und Dienstleistungen
rund um das Wasser anbieten kann. So muss beispiels-
weise die technische Ausführung für die Wasseraufbe-
reitung, Verteilung und Abwasserreinigung in einer Re-
gion durch öffentliche Ausschreibung an private Firmen
vergeben werden.
Die überragende Bedeutung des Wassers möchte ich
Ihnen anhand einiger Zahlen verdeutlichen. Jedes zweite
Klinikbett weltweit wird von jemandem gebraucht, der
durch schmutziges Wasser krank geworden ist. Täglich
sterben 6 000 Kinder an Krankheiten, die durch fehlende
sanitäre Anlagen verursacht werden. Hier wird deutlich,
dass nicht nur der Zugang zu sauberem Wasser lebens-
notwendig ist, sondern auch die Entsorgung und Aufbe-
reitung des Abwassers eine große Herausforderung dar-
stellt.
Und noch zwei Zahlen: 40 Prozent der Welternte
wächst auf künstlich bewässertem Land. Dafür werden
70 Prozent des weltweit verbrauchten Süßwassers benö-
tigt. Aus diesem Grund ist es so dringend notwendig, in
den Gebieten, die ohne zusätzliche Bewässerung Nah-
rungsmittel produzieren können, die Produktion zu stei-
gern und alle Möglichkeiten des modernen Landbaus zu
nutzen. Ich unterstreiche hier ausdrücklich, alle Mög-
lichkeiten, auch die der Grünen Gentechnik. Heute
schon haben wir hier Züchtungen, die aufgrund ihrer
Salzresistenz auf Flächen angebaut werden könnten, die
bislang nicht agrarisch genutzt werden konnten.
Der zweite Bereich, den ich ansprechen möchte, ist
die Schaffung von neuen Anbaugebieten. Die Wissen-
schaft hat festgestellt, dass die Dürre der Sahelzone
durch veränderte Temperaturen im Atlantik verursacht
wurde und die wiederum durch die Luftverschmutzung
der Amerikaner und Europäer. Deshalb sind wir aufge-
fordert, insbesondere den Ausstoß an CO2 drastisch zuverringern und aktiv gegen weitere Versteppungen und
Verkarstungen vorzugehen. Dies kann durch eine pro-
gressive Wiederaufforstungspolitik und mit moderner
Landbewirtschaftung erreicht werden.
Zum Schluss möchte ich ein paar Anmerkungen zu
ihrem Antrag machen. Sie stellen fest, dass sich die Bun-
desregierung stark im Bereich Wasser engagiert. Das ist
gut und wird zu Recht gelobt. Wir können Ihren Antrag
15610 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2005
(A) (C)
(B) (D)
im Grundsatz auch akzeptieren. Um ihm zuzustimmen,
müssten jedoch drei Veränderungen vorgenommen wer-
den.
Erstens. Sie fordern, dass auf die Entwicklungsländer
bei der Liberalisierung des Wassersektors im Rahmen
der GATS-Abkommen kein Druck ausgeübt werden soll.
Diese Liberalisierung ist jedoch notwendig für Investiti-
onen und die Entwicklung dieses Dienstleistungsberei-
ches. Nicht der Staat ist der effektivste Verteiler von
Wasser, sondern die private Wirtschaft.
Zweitens. Ihrem Antrag fehlt die ökonomische Be-
trachtung der sozialen, ökologischen und finanziell
nachhaltigen Wasserversorgung.
Drittens. Es gibt keinerlei Bezug zur Versteppung und
Desertifikation in Ihrem Antrag und die Verbindung und
Verzahnung zu anderen Umweltbereichen, zum Beispiel
dem Wald als Reservoir für Grundwasser, wird völlig
vernachlässigt.
Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos): Anfang diesen
Jahres fand in Brasilien, in Porto Alegre, das 5. Weltso-
zialforum statt. Ich habe an diesem Treffen teilgenom-
men und auf zahlreichen Veranstaltungen miterlebt, wie
sehr die Frage des Zugangs zu sauberem und gesundem
Wasser die Menschen vor allem der Länder des Südens
bewegt. Der Zugang zu Wasser – so die übereinstim-
mende Aussage – ist ein Menschenrecht. Uns sollte vor
allem die Frage beschäftigen, wie wir hier in Deutsch-
land und in Europa dazu beitragen, dass dieser Zugang
für alle Menschen auf der Welt gewährleistet wird. Ich
kann einerseits die im Antrag formulierten Ziele unter-
stützen, will aber andererseits die Initiatoren des Antra-
ges auffordern, sehr genau darauf zu achten, was mit ih-
rem Antrag geschieht.
Bundeskanzler Schröder hat heute in seiner Regie-
rungserklärung unter großem Beifall der SPD-Fraktion
gesagt, dass die Bolkestein-Richtlinie so nicht in Kraft
treten wird. Der Aussage hier vor dem Deutschen Bun-
destag muss aber auch eine wirksame Einflussnahme in
Brüssel folgen.
In vielen Ländern des Südens sind die Bedingungen
von Wasserver- und Abwasserentsorgung prekär. Durch
die fehlende Wasserver- und Abwasserentsorgung wer-
den die nahen Ressourcen übernutzt und verseucht. Da-
mit wird ein teuflischer Kreislauf in Gang gesetzt. Die
Bedingungen verschlechtern sich immer mehr. Wasser-
knapphheit und schlechte Wasserinfrastruktur behindern
die Entwicklung in den Ländern des Südens gravierend.
Aber auch Industrieländer haben zunehmend mit Was-
serknappheit und schlechter Infrastruktur zu kämpfen.
Deshalb ist es so entscheidend, dass das öffentliche Gut
Wasser nicht den Verwertungsinteressen von Kartellen
und Konzernen ausgeliefert wird. Hier sehen wir als
PDS eine besondere Verantwortung der Bundesrepublik.
Immer wieder seit der Konferenz von Rio de Janeiro
1992 hat die internationale Staatengemeinschaft ihren
Willen bekräftigt, die internationalen Wasserressourcen
zu schützen.
Das Problem besteht allerdings in Folgendem: So-
wohl Staaten als auch Entwicklungshilfeinstitutionen
setzen auf die „Washington Consensus“-Strategie priva-
ter Investitionen. Was ist die Folge? Kredite werden an
die Beteiligung großer Konzerne des Privatsektors ge-
kuppelt. Die lukrative städtische Versorgung wird priva-
tisiert. Die Konzerne sitzen gegenüber den Gemeinden
am längeren Hebel und können es sich leisten, perma-
nent die Verträge zu brechen. Bei Konflikten vor Ort
droht die Gefahr, dass die Entwicklungsländer den Kür-
zeren ziehen und Strafen zahlen müssen. In Bolivien und
Südafrika wurden private Unternehmen aus den Versor-
gungsgebieten verjagt. In Uruguay wurde per Volksab-
stimmung eine Verfassungsänderung angenommen, in
deren Ergebnis die Privatisierung von Wasserressourcen
verboten wurde.
Wir als PDS sind der Auffassung, dass es nicht der
richtige Weg sein kann, dass deutsche Entwicklungshil-
fegelder als Garantie und Stütze in internationale Vorha-
ben deutscher Unternehmen fließen. Die bessere und vor
allem auch nachhaltigere Alternative ist die konsequente
Unterstützung regional entwickelter Projekte mit einem
Minimum an notwendiger Technik und einem Maximum
an Anpassung an die konkreten Bedingungen vor Ort.
Der richtige Weg heißt aus unserer Sicht Hilfe zur
Selbsthilfe statt kommerzielle Freundschaftsdienste für
die Wasserkonzerne.
Der Zugang zu sauberem und gesundem Wasser ist
ein Menschenrecht. Tun wir alles, um dieses Menschen-
recht weltweit zu verwirklichen.
Dr. Uschi Eid, Parl. Staatssekretärin bei der Bun-
desministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung: Am kommenden Dienstag, am 22. März,
wird der UNO-Generalsekretär Kofi Annan die UNO-
Wasserdekade ausrufen. Deswegen ist es gut, dass der
Deutsche Bundestag diese Debatte heute führt.
Wasser zum Leben – was für uns in Deutschland eine
Selbstverständlichkeit ist, ist in vielen Entwicklungslän-
dern immer noch eine Vision. Vielerorts fehlt es an einer
sicheren Versorgung mit sauberem Wasser. Etwa 1,3 Mil-
liarden Menschen sind hiervon betroffen. Doppelt so
viele haben keine ausreichende Abwasserentsorgung.
Über 95 Prozent aller Abwässer aus Industrie und Land-
wirtschaft werden nicht geklärt und verschmutzen wert-
volles Trinkwasser. Es ist daher mehr als berechtigt,
wenn die Vereinten Nationen von einer „ernsthaften
Wasserkrise“ sprechen. Die Folgen dieser Krise liegen
auf der Hand: Das Leben der Menschen steht auf dem
Spiel. Tag für Tag sterben 6 000 Menschen an vermeid-
baren Krankheiten, die durch verunreinigtes Wasser
übertragen wurden. Hinzu kommen enorme volkswirt-
schaftliche Schäden. Die Tatsache, dass Frauen und Kin-
der das Wasser über weite Strecken hinweg holen müs-
sen, bedeutet verlorene Zeit, für die Schule, für die
Arbeit. Nach Unicef-Schätzungen bedeutet dies bei-
spielsweise den Verlust von 40 Milliarden Arbeitsstun-
den jedes Jahr.
Wasser ist ein Schlüssel für die Zukunft der Men-
schen. Sauberes Wasser bedeutet Gesundheit, Nahrung,
Wohlergehen. Wasser ist ein wichtiger Faktor im Kampf
gegen die Armut. Wasser ist eine wichtige Ressource für
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2005 15611
(A) (C)
(B) (D)
die Landwirtschaft. Ohne Wasser keine Zukunft – das ist
die Herausforderung, vor der wir stehen.
Daher ist es sehr wichtig, dass anlässlich des Welt-
wassertages am kommenden Dienstag, dem 22. März,
der UNO-Generalsekretär zugleich die internationale
Wasserdekade der Vereinten Nationen ausruft. Die Zeit
bis 2015 muss zu einem Jahrzehnt des Wassers werden.
Jedem muss klar sein, dass nachhaltige Entwicklung und
sichere Wasserversorgung eng miteinander verknüpft
sind.
Dabei ist natürlich auch der Beitrag der Bundesregie-
rung gefragt, und der kann sich sehen lassen, schließlich
ist Deutschland mit rund 350 Millionen Euro pro Jahr
nach Japan der zweitgrößte Geber im Wasserbereich.
Lassen Sie mich einige wesentliche Punkte der deut-
schen Entwicklungszusammenarbeit im Wassersektor
skizzieren.
Erstens. Zurzeit kooperieren wir mit 27 Ländern
schwerpunktmäßig im Wasserbereich. Wir unterstützen
unsere Partnerländer darin, den Wassersektor zu refor-
mieren und die verantwortlichen Institutionen zu stärken.
Es geht angesichts der immer noch hohen Wasserverluste
um eine verbesserte landwirtschaftliche Bewässerung,
um den Ausbau der Infrastruktur, darum, sauberes Trink-
wasser zu den Menschen zu bringen, und schließlich
auch darum, die sanitäre Basisversorgung zu verbessern.
Nur so werden die wasserinduzierten Krankheiten zu-
rückgehen. Wir fördern angepasste Bewässerungssys-
teme und den Aufbau von Wassernutzungsgruppen.
Zweitens. Ein weiterer Schwerpunkt unserer interna-
tionalen Wasserpolitik liegt auf dem grenzüberschreiten-
den Wassermanagement. Es werden internationale Dia-
loge initiiert und Flussgebietskommissionen unterstützt,
in denen Flussanrainerstaaten gemeinsam das Flusswas-
ser managen. Dies dient der Prävention von Konflikten,
die es unter Umständen bei Verknappung des Wassers
geben könnte.
Wasser ist unersetzlich für den Menschen. Es ist ein
Menschenrecht. Ermutigend ist, dass einige Länder wie
Tansania oder Tschad beachtliche Erfolge bei der Was-
serversorgung erzielen konnten. Aber die Erreichung der
Wasserziele bis 2015 ist deshalb noch kein Selbstläufer.
Dass die Vereinten Nationen die Wasserdekade ausrufen,
verdient deshalb unsere volle Unterstützung. Daher be-
grüße ich sehr den vorliegenden Antrag.
Anlage 5
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Die Wahlrichtlinien
der Entwicklungsgemeinschaft der Staaten im
südlichen Afrika (SADC) als Maßstab für freie
und faire Wahlen auch in Simbabwe (Tagesord-
nungspunkt 15)
Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD): Ist gut, dass sich
der Deutsche Bundestag zu dieser späten Stunde mit
Afrika befasst. Wir von der SPD-Fraktion haben den
vorliegenden Antrag erarbeitet, in dem wir, also der
Bundestag,
– unsere Regierung, die Europäische Union, aber auch
unsere Partnerstaaten im südlichen Afrika dazu auf-
fordern, die Grundsätze der Entwicklungsgemein-
schaft der Staaten im Südlichen Afrika, also der
SADC, für rechtsstaatliche, freie und faire Wahlen zu
unterstützen,
– in dem wir mit Hochachtung und Respekt zur Kenntnis
nehmen, dass die Wahlen im Jahr 2004 in Botswana,
Namibia und Mosambik weitgehend unter Beachtung
und Einhaltung dieser Wahlgrundsätze stattgefunden
haben, was die Akzeptanz ihrer Ergebnisse durch die
Bevölkerung in diesen Ländern, aber auch deren An-
sehen in der Welt und die Bedeutung der SADC deut-
lich erhöhte,
– und in dem wir die Machthaber in Simbabwe auffor-
dern, bei den anstehenden Wahlen am 31. März 2005
peinlich genau auf die Einhaltung dieser Grundsätze
zu achten.
Ich freue mich sehr, dass es uns gelungen ist, für die-
sen Antrag alle Fraktionen des Deutschen Bundestages
zu gewinnen. Das erhöht die Bedeutung unserer Initia-
tive. Es zeigt zugleich, dass der Deutsche Bundestag sich
um die Belange in Afrika kümmert.
In der Debatte des Deutschen Bundestages über
Afrika vor rund einem Jahr hat unser leider viel zu früh
verstorbener Kollege und Freund Hans Büttner, der die
Parlamentariergruppe SADC-Staaten des Deutschen
Bundestages und den Gesprächskreis Afrika der SPD-
Bundestagsfraktion vor mir leitete, auf die geradezu
schicksalhafte Verbindung zwischen Afrika und Europa
hingewiesen. In jener Debatte warb er – und dann auch
die Sprecherinnen und Sprecher der anderen Fraktionen,
aber auch der Bundsregierung – eindringlich um Hilfe,
um Unterstützung und Kooperation für die Menschen
und Staaten Afrikas und betonte die besondere Verant-
wortung gerade Europas aufgrund der kolonialen Ver-
gangenheit. Hintergrund jener Verantwortung war das,
was in der Öffentlichkeit unseres Landes, aber auch der
Öffentlichkeit Europas das Bild Afrika prägte: Afrika,
der „sterbende Kontinent“, der Kontinent der Katastro-
phen, der Diktaturen und der Korruption, der Kontinent
von Völkermord und Bürgerkriegen, Afrika, der Konti-
nent, in dem gerade auch durch Hunger, Armut und Aids
jeden Tag unzählige Menschen sterben.
Diese Verantwortung besteht auch heute. Ganz ohne
Zweifel. Europa und Afrika sind auf vielfältige Weise
miteinander verbunden und aufeinander angewiesen.
Darauf haben nicht nur wir hier im Bundestag, darauf
haben auch Bundeskanzler Schröder, Bundespräsident
Rau, Bundespräsident Köhler, aber durch Reden, Initiati-
ven und politisches Handeln, beispielsweise im Rahmen
von NEPAD, auch Bundesministerin Wieczorek-Zeul
und ihre Afrika-Beauftragte, Frau Staatssekretärin Eid,
immer wieder hingewiesen. Afrika steht im Fokus der
Aufmerksamkeit des Außenministeriums, jetzt auch im
15612 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2005
(A) (C)
(B) (D)
Zentrum neuer Initiativen der künftigen EU-Präsident-
schaft Großbritannien und der G 8.
Dabei hat sich – und das lohnt sicherlich, hier deutlich
hervorgehoben zu werden – unser Blick auf Afrika wei-
ter geschärft und konzentriert: Wir sehen heute neben
der Notwendigkeit zur Hilfe, Unterstützung und Koope-
ration von außen gerade auch den entschlossenen Willen
von immer mehr Engagierten und Aktiven in allen Be-
reichen, auch von politisch verantwortlichen Politikern
in Afrika selbst,
– sich auf die eigene Kraft zu besinnen,
– durch Änderungen im eigenen Land zur Stärkung von
Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, von Wirtschafts-
kraft und Zukunftssicherung beizutragen und damit
der eigenen Bevölkerung Zukunft und Chancen zu
garantieren,
– durch Kooperation auf regionaler und gesamtafrikani-
scher Ebene mehr Wirkung im Kampf um Frieden
und Gerechtigkeit und gegen Hunger, Krankheiten
und Elend zu erreichen.
Diese Entwicklung, dieses neue Selbstbewusstsein,
diese Entschlossenheit machen Mut und fordern unsere
Kooperation und unsere Unterstützung in besonderer
Weise.
Die Entwicklungsgemeinschaft der Staaten im Südli-
chen Afrika, SADC, ist eine solche regionale Gemein-
schaft, die sich neben der Förderung von Wirtschaft und
Entwicklung eben auch und gerade die Förderung demo-
kratisch-rechtsstaatlicher Strukturen und freier und fairer
Wahlen zum Ziel gesetzt hat. Sie tut das aus dem glei-
chen Antrieb heraus, aus dem auch wir diese Ziele teilen,
aus der Erkenntnis nämlich, dass eine friedliche, eine ge-
rechte und zukunftsfähige Gesellschaft beides braucht
wie wir die Luft zum Atmen.
Diese SADC-Gemeinschaft hat im vergangenen Au-
gust ganz konkrete Grundsätze erarbeitet, die genau dar-
legen, was alles zu freien und fairen Wahlen gehört: Das
sind insbesondere
– regelmäßige Wahlen, an denen alle Staatsbürgerinnen
und Staatsbürger gleichberechtigt teilnehmen können,
ebenso wie
– in der Vorbereitungsphase und in den Zeiten des
Wahlkampfs faire und gleiche Bedingungen für Kan-
didaten, Gruppen und Parteien, was sich gerade auch
im Zugang zu den Medien zeigt, aber auch
– ein fairer Wahlprozess selbst und die
– Sicherstellung der ehrlichen Auszählung der abgege-
benen Stimmen.
Außerdem legen diese Grundsätze fest, dass die
Wahlbeobachtungskommission SEOM der SADC-Orga-
nisation bei Bedarf ein Mandat zur Wahlüberwachung
bekommen soll, aufgrund dessen sie dann nach dem
Maßstab der Grundsätze und der übrigen vertraglichen
Grundlagen von SADC die Wahlen nicht nur beobachtet
und prüft, sondern auch bewertet und der SADC-Ge-
meinschaft darüber berichtet, ob Wahlvorbereitungszeit,
Wahldurchführung und Wahlauszählung wirklich den
Anforderungen von freien und fairen Wahlen genügen.
Wie schon erwähnt, sind diese Wahlgrundsätze von
allen, ich wiederhole, von allen Mitgliedstaaten von
SADC beschlossen worden. Kein Land hat Vorbehalte
angemeldet. Botswana, Mosambik, Namibia haben in ih-
ren Wahlen im Herbst und Winter des letzten Jahres
diese Grundsätze angewandt und – soweit dies gesagt
werden kann – auch erfüllt. Das ist eine große Leistung
und hat ganz ohne Zweifel dazu beigetragen, dass einer-
seits die Bevölkerung selbst die Ergebnisse der Wahlen
akzeptiert. Zum anderen haben diese freien und fairen
Wahlen ebenfalls ganz ohne Zweifel viel zum wachsen-
den Respekt vor diesen Staaten des südlichen Afrika in
aller Welt beigetragen und den Wert ihrer Stimme in der
Völkergemeinschaft erhöht.
In den letzen Monaten hat Angola, ebenfalls Mit-
gliedstaat von SADC, erklärt, seinen Wahlgesetzen die
Wahlgrundsätze der SADC zugrunde zu legen. Auch das
begrüßen wir.
Nächster Prüfstein sind jedoch die Wahlen am
31. März 2005 in Simbabwe. Auch dieses wunderschöne
Land mit seinen vielen tüchtigen Menschen, die jeden
für sich einnehmen, der sie besucht, hat, wie wir alle
wissen, seit Jahren unendlich viele Probleme. Dazu ge-
hören große Schwierigkeiten im Innern, die, nicht zuletzt
verursacht durch die Regierung und ihr nahe stehende
Gruppen und Verbände, zur tiefen Spaltung der Gesell-
schaft, zu Unterdrückung und Gewalt geführt haben.
Auch Simbabwe hat im vergangenen August den
Wahlgrundsätzen von SADC zugestimmt. Deshalb ist es
nicht mehr als recht und billig, die Geltung dieser
Grundsätze auch vor und während der kommenden Wah-
len anzumahnen und auf ihre Einhaltung zu drängen.
Das tun wir mit dem vorliegenden Antrag.
Was wir jetzt, also schon in der Vorbereitungszeit der
Wahlen, aus Simbabwe hören, muss allerding große Sor-
gen bereiten:
– Willkür der Polizei gegenüber Kandidatinnen und
Kandidaten von Gruppen, die nicht zur Regierungs-
partei gehören,
– Behinderung ihrer Veranstaltungen bis hin zur
Gewalt, Einschüchterung von Kandidaten und Sym-
patisanten,
– Behinderung des Zugangs zu staatlichen und anderen
Medien, damit zugleich Beschneidung des Rechts der
Wahlwerbung.
Das sind nur einige der Klagen, die aus Simbabwe zu
hören sind.
Auch die Informationen über die Wahlbeobachtung
und -überwachung stimmen uns sorgenvoll:
– Da wird das SADC-Parlament, also das SADC-Fo-
rum durch die simbabwische Regierung von der
Wahlbeobachtung ausgeschlossen, weil der Bericht
über die letzten Wahlen berechtigterweise kritisch
ausgefallen ist.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2005 15613
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(B) (D)
– Da werden von der simbabwischen Regierung nur
ausgesuchte Länder und Organisationen zur Wahlbeo-
bachtung eingeladen und das auch noch zu einem so
späten Zeitpunkt, dass die Phase des Vorwahlkampfes
mit Beeinträchtigungen, Gewalt und Einschüchterung
nicht mehr überwacht werden kann.
Das alles erfüllt uns mit großer Sorge. Sinn unseres
Antrags und auch unseres heute wohl einstimmig zu fas-
senden Bundestagsbeschlusses ist es, diese Sorge zum
Ausdruck zu bringen und sie unseren Partnern in Afrika
deutlich vorzutragen.
In unserem Antrag fordern wir deshalb die Bundesre-
gierung auf, mit unseren Partnern in Europa und Afrika
für die Durchführung freier und fairer Wahlen einzutre-
ten – auch noch in letzter Minute, also bis hin zum
Schluss des Wahlgangs am 31. März. Wir wollen da-
rüber gerade auch mit unseren Freunden in Südafrika re-
den, also in dem stärksten und einflussreichsten Land
der Region, das in den letzten Tagen mit unterschied-
lichen Stellungnahmen Beobachtermissionen nach Sim-
babwe geschickt hat: Die Verantwortlichkeit für demo-
kratische, freie und faire Wahlen wiegt umso schwerer,
als wir alle wissen, dass nur solche Wahlen darüber ent-
scheiden können, wer in Simbabwe am gesellschaft-
lichen Dialog über die Zukunft dieses wunderschönen
Landes mit seinen begabten und tüchtigen Menschen be-
teiligt sein kann. Dabei unterstützen wir alle Bemühun-
gen, Beobachtermissionen in ausreichender Zahl nach
Simbabwe zu entsenden.
Ich denke, es ist wichtig, dass auch wir darüber hi-
naus auf der uns gegebenen parlamentarischen Ebene
jede Möglichkeit ergreifen, um auf die Notwendigkeit
der Einhaltung der Grundsätze von SADC hinzuweisen.
Wir werden das tun.
Wir treten auch dafür ein, nach den Wahlen einen Pro-
zess der Wahlbewertung in Gang zu setzen, der nicht al-
lein die Beobachtungen und Bewertungen der von der
simbabwischen Regierung ausgesuchten Missionen ein-
bezieht, sondern gerade auch die im Lande tätigen
Nichtregierungsorganisationen mit Verantwortlichen aus
SADC-Staaten und der Europäischen Union an einen
Tisch bringt, um zu klaren und belastbaren Ergebnissen
zu kommen. Diese Bewertung wird dann ganz ohne
Zweifel die Kooperation mit Simbabwe ebenso beein-
flussen wie etwa die Frage von Sanktionen.
Lassen Sie mich nochmals unterstreichen, was ich ein-
gangs gesagt habe: Europa und Afrika sind aufeinander
angewiesen. Kooperation, aber auch die gleichberech-
tigte Auseinandersetzung um Probleme und Zukunftsfra-
gen gehören dazu, die Entwicklung von Demokratie,
freien und fairen Wahlen eingeschlossen. Das unterstrei-
chen wir mit unserem Antrag.
Ich freue mich über Ihre Zustimmung.
Arnold Vaatz (CDU/CSU): Der heutige Tag steht
ganz im Zeichen des Jobgipfels. Umso bemerkenswerter
ist es, dass der Deutsche Bundestag sich heute – wenn
auch in kleiner Runde und zu später Stunde – auch mit
der Situation in Simbabwe beschäftigt.
Ich freue mich, dass es uns – wie bereits im Sommer
letzten Jahres – wieder gelungen ist, kurzfristig einen ge-
meinsamen Antrag zu Simbabwe in den Deutschen Bun-
destag einzubringen. Um auf die bedrückenden Zustände
in diesem kleinen Land aufmerksam zu machen, ist dies
dringend erforderlich. Denn Simbabwe findet hierzu-
lande keine Beachtung mehr, wie ich nach Sichtung der
internationalen Pressespiegel der letzten Wochen traurig
feststellen musste.
Dabei stehen in diesem Land unmittelbar – und das ist
ja auch der Anlass unseres Antrages – die Parlaments-
wahlen vor der Tür. Robert Mugabe macht sich daran,
am 31. März 2005 eine Zweidrittelmehrheit zu errei-
chen. Dann ist für ihn der Weg frei, die Verfassung end-
gültig auf sich zuzuschneidern. Um dieses Ziel zu errei-
chen, ist ihm jedes Mittel recht.
Bevor ich auf unseren konkreten Anlass – die Parla-
mentswahlen und die Einhaltung der SADC-Wahlkrite-
rien durch das Mugabe-Regime – eingehe, lassen Sie
mich kurz einige Anmerkungen zur allgemeinen Situa-
tion in Simbabwe machen; denn anders wird die diaboli-
sche Strategie eines Herrn Mugabe leider nicht deutlich.
Die wirtschaftliche Situation ist weiter verheerend.
Dazu nur drei Zahlen zur Jahreswende 2004/05: Die In-
flationsrate liegt bei 200 Prozent. Die Arbeitslosenquote
bei 70 Prozent und 80 Prozent der simbabwischen Fami-
lien leben an oder unter der Armutsgrenze. Die ver-
meintliche Landreform ist außerhalb Simbabwes schein-
bar überhaupt kein Thema mehr.
Hier hat Robert Mugabe innerhalb kurzer Zeit – in
nur vier Jahren – unumkehrbare Tatsachen geschaffen;
Deshalb wohl auch der von der regierenden ZANU-PF
gewählte – zynische – Begriff des „fast track“-Umsied-
lungsprogrammes. Dahinter verbirgt sich – und so muss
man das benennen – rassistisch motiviertes Handeln: Es
ist ausdrückliche simbabwische Regierungspolitik, aus-
schließlich weiße Farmer zu enteignen. Mit der Enteig-
nung von 4 200 der 4 500 landwirtschaftlichen Betriebe
sind diese Maßnahmen jetzt so gut wie abgeschlossen.
Um sich überhaupt das Ausmaß dieser Aktion bewusst
machen zu können, hier noch eine Zahl: Wir sprechen
hier über 11,5 Millionen Hektar enteignetes Land.
Und schließlich noch eine letzte Anmerkung zu die-
sem Thema: Wie wir alle wissen, sind diese Güter – an-
ders als die vermeintlich revolutionäre ZANU-PF immer
propagiert hat – natürlich nicht dem simbabwischen
Volk zugute gekommen. Auf Kosten des Volkes haben
sich natürlich wieder Partei- und Regierungsfunktionäre
bereichert. Dies hat übrigens eine von Mugabe einberu-
fene Kommission zur Evaluierung der Landreform fest-
gestellt. Natürlich ist dieser Bericht bis heute nicht ver-
öffentlicht. Allein das Thema „Landreform“ zeigt, was
George Orwell in seinem Roman „Animal Farm“ in be-
drückender Weise dargestellt hat: Wenn kommunistische
so genannte Befreiungsbewegungen an die Fleischtöpfe
kommen, bleibt für das einfache Volk nicht einmal die
Brosame übrig.
In Simbabwe haben sich mit den Sorgen und Nöten in
der Vergangenheit nur noch die so genannten Nichtregie-
rungsorganisationen NGOs beschäftigt. Damit soll jetzt
15614 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2005
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(B) (D)
mit dem so genannten „NGO Act 2004“ auch Schluss
sein. Kernpunkt dieses Gesetzes ist, dass sich die Nicht-
regierungsorganisationen jetzt staatlich registrieren las-
sen müssen. Eine für die Fortsetzung der Arbeit notwen-
dige Registrierung ist ausgeschlossen, sobald – ich
zitiere wörtlich – „die Förderung und der Schutz von
Menschenrechten und Fragen politischer Gouvernanz“
Gegenstand der Arbeit der Organisationen ist.
Die Konsequenz ist offensichtlich: Die im Bereich der
politischen Bildung tätigen Organisationen müssen das
Land verlassen. Das Mugabe-Regime will nämlich auch
weiterhin ungehindert schalten und walten.
Wir müssen leider konstatieren, dass Mugabe weiter-
hin fest im Sattel sitzt. Dies ermöglicht es ihm, wie die
letzten Monate zeigen, seine Partei nach seinen Vorstel-
lungen umzugruppieren. Bei näherer Betrachtung muss
man leider feststellen, dass es sich um nichts weiter als
klassische Verteilungskampfe in einer diktatorischen
Einheitspartei handelt. Dies belegt die Berufung der
dienstältesten Ministerin Joice Mujuru zur zweiten Vize-
präsidentin. Dabei handelt es sich um eine Konzessions-
entscheidung Mugabes an seinen verdienten politischen
Weggefährten, den ehemaligen Armeechef Solomon
Mujuru, der Ehemann der Ministerin ist. Allein diese
Personalie verdeutlicht, dass von der Staatspartei
ZANU-PF auch in Zukunft für das Land Simbabwe
nichts zu erwarten sein wird.
Lassen Sie mich jetzt auf unseren konkreten Anlass,
die unmittelbar bevorstehenden Parlamentswahlen, ein-
gehen.
In diesen Zusammenhang möchte ich mich ausdrück-
lich bei der mauritischen Regierung bedanken, die zur-
zeit den Vorsitz der SADC-Länder – Entwicklungsge-
meinschaft der Staaten im Südlichen Afrika – inne hat.
Auf besonderes Drängen von Mauritius haben sich
die SADC-Staaten im Sommer vergangenen Jahres auf
ihrem Gipfeltreffen einstimmig auf die so genannten
„SADC Principles and Guidelines governing democratic
elections“ – kurz gesagt: die Mindeststandards für die
Durchführung freier und fairer Wahlen geeinigt.
Diese gilt es jetzt auch in Simbabwe durchzusetzen.
Dabei – und das möchte ich hier ganz deutlich betonen –
dürfen diese Maßstäbe nicht nur am Wahltag selbst an-
gelegt werden. Das würde zu kurz greifen! Nein, ent-
scheidend ist bereits die schon angelaufene Phase der
Wahlvorbereitung. Hier meine ich insbesondere den
Wahlkampf. Und das, was wir da aus Simbabwe mitge-
teilt bekommen, lässt das Schlimmste befürchten.
Wie sieht der Wahlkampf tatsächlich aus? Allein in
den letzten Tagen wurden mehr als 100 Fälle von Men-
schenrechtsverletzungen festgestellt, die direkt der Re-
gierung beziehungsweise der ZANU-PF zuzurechnen
sind. Die Bandbreite reicht von Nötigungen bis hin zu
schweren Körperverletzungen des politischen Gegners.
Auch vor Vergewaltigungen wird nicht zurückge-
schreckt. Dass die Rechnung aufgeht, belegen Hilferufe
der einzigen Oppositionspartei, des Movement for De-
mocratic Change MDC: Teile des Landes sind für den
MDC aufgrund des geschilderten Terrors zu so genann-
ten „No-go-Areas“ geworden. Das heißt, hier kann die
Opposition überhaupt keinen Wahlkampf führen, da sie
sowie ihre Anhänger und Sympathisanten um Leib und
Leben fürchten müssen.
Die Einschüchterung der Opposition hat mit der In-
haftierung des Oppositionspolitikers Roy Bennett unter
fadenscheinigen Gründen einen weiteren Höhepunkt er-
reicht. Wegen einer Rangelei im Parlament wurde Roy
Bennett Ende letzten Jahres auf einen bloßen Parla-
mentsbeschluss hin für ein Jahr in ein Arbeitslager weg-
gesperrt. Über die Unverhältnismäßigkeit – glaube ich –
brauchen wir hier nicht länger zu sprechen. Es liegt auf
der Hand, dass mit dem Verschwindenlassen Roy
Bennetts von der politischen Bühne ein unliebsamer
Regimekritiker ausgeschlossen werden sollte. Dies ist
dem Regime leider gelungen, auch wenn in dieser Wo-
che ein simbabwisches Gericht entschieden hat, dass
Roy Bennett „ebenso aus seiner Zelle heraus“ für die
Parlamentswahlen kandidieren könne!
An dieser Stelle möchte ich mich ausdrücklich bei
Herrn Bundestagspräsident Thierse für seinen Brief vom
November 2004 an den simbabwischen Parlamentspräsi-
denten bedanken. Dass seine Forderung nach Überprü-
fung der Verhältnismäßigkeit von Roy Bennetts Inhaftie-
rung leider nicht aufgenommen worden ist, belegt das
gerade von mir erwähnte Urteil auf zynische Art und
Weise.
Dass Mugabe mit dem MDC im Grunde genommen
Katz und Maus spielt, zeigt auch ein noch prominenterer
Vorfall. Am 15. Oktober 2004 wurde der MDC-Partei-
vorsitzende Morgan Tsvangirai vom höchsten Gericht
vom Vorwurf des Landesverrates freigesprochen. Dieses
in der internationalen Presse ganz überwiegend positiv,
ja sogar fast euphorisch aufgenommene Urteil ist bei nä-
herer Betrachtung so überraschend nicht. Der umgehend
durch die SADC-Staaten und Europa gereiste Tsvangirai
sollte der Weltöffentlichkeit ein demokratisches und
rechtsstaatliches Simbabwe vorgaukeln. Was dabei völ-
lig in den Hintergrund getreten ist, ist die Tatsache, dass
gegen Morgan Tsvangirai noch ein weiteres Hochver-
ratsverfahren läuft. Ich bin gespannt, – und darauf, liebe
Kollegen, sollten wir achten –, was daraus nach den
Wahlen wird!
Auch die vom Mugabe-Regime unlängst durchge-
führten Maßnahmen zur Organisation der Wahl lassen
nichts Gutes erwarten: Kurz vor Weihnachten wurden
sämtliche Wahlkreise neu zugeschnitten. Schon jetzt ist
absehbar, dass dadurch der MDC mindestens drei
Direktmandate verlieren wird. Wie schon bei den letzten
Parlamentswahlen hat sich auch diesmal das Mugabe-
Regime eine erhebliche Verfügungsmasse an Wähler-
stimmen verschafft. In den von ihm kontrollierten
Wählerlisten befinden sich nach Aussage des MDC
800 00 Verstorbene und 300 000 Doppelregistrierungen.
Das entscheidende Kriterium aber ist, dass die nach
den SADC-Richtlinien vorgesehene Einladung von
Wahlbeobachtern nur – ja ich möchte das einmal so for-
mulieren – sehr selektiv erfolgt ist: Weder das dafür an
sich zuständige „SADC-Parlamentary Forum“ noch die
Afrikanische Union haben eine Einladung zur Wahlbeo-
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2005 15615
(A) (C)
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bachtung erhalten. Von der EU oder beispielsweise von
den USA brauche ich hier gar nicht weiter zu sprechen.
Stattdessen hat Mugabe aus der nicht afrikanischen Welt
China, Russland und den Iran eingeladen.
Ich denke, wir sind uns hier alle einig darin, dass freie
und faire Wahlen nach den Wahlrichtlinien der SADC in
Simbabwe nur stattfinden können, wenn eine ordentliche
Wahlbeobachtung gewährleistet ist. Ich möchte heute am
Vorabend der Parlamentswahlen noch kein abschließen-
des Urteil fallen. Aber das von mir Geschilderte lässt das
Schlimmste befürchten.
Was können wir als Deutscher Bundestag mit unseren
europäischen Partnern aus der Ferne zur Verbesserung
der Lage dort im südlichen Afrika beitragen? Meines Er-
achtens gibt es nur einen Weg: Wir müssen Südafrika an
seine Rolle als Ankermacht im südlichen Afrika, das
heißt an seine regionalpolitische Verantwortung für sei-
nen Nachbarn Simbabwe, nicht nur erinnern, sondern
dies vom südafrikanischen Präsidenten Thabo Mbeki
auch einfordern.
Denn dieser verzichtet bisher auf jede öffentliche Kri-
tik an dem Mugabe-Regime. Diese von Thabo Mbeki als
„stille Diplomatie“ verkaufte Politik ist jedoch nicht auf-
gegangen: Die von ihm propagierten Verhandlungen
zwischen ZANU-PF und MDC sind nämlich längst ge-
scheitert. Umso unverständlicher ist der jüngste Kom-
mentar des südafrikanischen Präsidenten zu den simbab-
wischen Parlamentswahlen. Es klingt wie Hohn, wenn er
meint, dass es sich hierbei um freie Wahlen handeln
würde und keinerlei Beschränkungen der Opposition zu
registrieren seien.
Hier ist die Bundesregierung aufgefordert, sich kurz-
fristig, – das heißt noch vor den Wahlen –, bei der süd-
afrikanischen Regierung dafür einzusetzen, dass diese
für die Einhaltung der SADC-Richtlinien in Simbabwe
eintritt. Mehr ist gegenwärtig von dieser Stelle in realis-
tischer Selbsteinschätzung leider tatsächlich nicht mög-
lich.
Aber ich denke, wir sind uns alle darüber einig: Heute
haben wir hier im Deutschen Bundestag das Thema
„Simbabwe“ aufgerufen, um auf die bevorstehenden
Parlamentswahlen hinzuweisen, und ich bin mir sicher,
wir werden sehr bald gemeinsam das Thema wieder er-
örtern. Denn Robert Mugabe muss aufgezeigt werden,
dass wir Simbabwe nicht aus den Augen verlieren. Nicht
zuletzt sind wir das der demokratischen Opposition in
Simbabwe schuldig.
Hans-Christian Ströbele (Bündnis 90/Die Grünen):
Auf unserer Ausschussreise in verschiedene Staaten im
südlichen Afrika haben wir selbstverständlich die Situa-
tion in Simbabwe bei allen Begegnungen explizit ange-
sprochen. Unsere Gesprächspartner zeigten sich ent-
täuscht und besorgt über die katastrophale politische und
wirtschaftliche Entwicklung Simbabwes. Immerhin ge-
hörte dieses Land früher zu den großen Hoffnungsträ-
gern in Afrika.
Die gewaltsamen Landbesetzungen sowie die illegalen
Enteignungen und Vertreibungen von Farmern haben
dazu beigetragen, dass die landwirtschaftliche Produk-
tion weit gehend daniederliegt. Die Besetzer der Farmen
sind nicht in der Lage, das fruchtbare Land ertragreich zu
bestellen. Anstelle der weißen Farmer sind häufig Regie-
rungsmitglieder und andere systemtreue Honoratioren
getreten, von denen einige gleich mehrere große Farmen
besitzen und Ländereien brach liegen lassen.
Die gesamte wirtschaftliche Lage hat sich dramatisch
verschlechtert. Die Situation der Bevölkerung ist zum
Teil zum Verzweifeln. Die Grundversorgung ist längst
nicht mehr gesichert. Viele hungern. Menschenrechts-
verletzungen sind an der Tagesordnung. Von rechtsstaat-
lichen Verhältnissen kann keine Rede mehr sein. Die Re-
gierung bekämpft die politische Opposition mit Milizen,
Militärkräften und Jugendgruppen, die gewalttätig nicht
nur gegen den politischen Gegner vorgehen.
Aber wir haben eben in unseren vielen Gesprächen
auch erfahren müssen, dass unsere Sicht von der Bevöl-
kerung im südlichen Afrika, besonders bei ärmeren Be-
völkerungsschichten, keineswegs geteilt wird. Mugabe
wird dort von sehr vielen weiterhin als Held der Befrei-
ung vom Kolonialismus und der Durchsetzung der Un-
abhängigkeit Afrikas geradezu gefeiert. Das gilt nicht
nur in Simbabwe unter Druck der Regierung, sondern
auch in vielen anderen Ländern der Region.
Die Landreform und auch die Besetzungen werden
ungeachtet der eingetretenen ökonomischen Katastrophe
von vielen als im Prinzip richtig angesehen. Diese Ein-
stellung ist für uns nur schwer verständlich. Aber sie ist
vor dem Hintergrund zu sehen, dass Landreform und die
häufig versprochene Verbesserung der wirtschaftlichen
Situation der Armen nicht vorankommen. Die Lebens-
verhältnisse der Bevölkerung der afrikanischen Staaten
haben sich häufig nur wenig verbessert. Immer noch
scheinen die Weißen, die wahren Herrn im Land, und
die, denen der Reichtum zugute kommt. Die koloniale
Vergangenheit bleibt wach.
Das sind die Hintergründe, die eine politische Isola-
tion des Präsidenten in Simbabwe und seines Regimes so
schwer machen und verhindern.
So hat die Afrikanische Union – AU – jüngst eine Re-
solution gegen Simbabwe mit Mehrheit abgelehnt.
Hinzu kommt, dass die Proteste der Industriestaaten we-
gen Korruption, staatlicher Gewaltrepression, Folter und
Mord in Simbabwe als wenig glaubhaft angesehen wer-
den, wenn dieselben Staaten mit anderen Machthabern
und Ländern beste Beziehungen in der Vergangenheit
unterhalten hatten und auch noch unterhalten, in denen
ähnliche Verhältnisse herrschen.
In diesem Zusammenhang ist auch kritisch anzumer-
ken, dass trotz aller Vorwürfe gegen das Regime Mu-
gabe simbabwische Polizisten im Kosovo eingesetzt
werden!
Was ist nun zu tun? –
Die bevorstehenden Wahlen in Simbabwe geben An-
lass zu ernster Besorgnis, aber auch eine Möglichkeit,
die Zustände in Simbabwe zu problematisieren und zu
handeln. Berichte über die erhebliche und eskalierende
15616 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2005
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Gewalt gegen die Opposition, gegen die Regionen, in
denen vorwiegend oppositionell gewählt wird, und in-
zwischen auch innerhalb des Regierungslagers selbst
weisen deutlich aus, dass von freien Wahlen nicht die
Rede sein kann. Die Gewalt macht auch nicht Halt ge-
genüber ausländischen Journalisten, wie zum Beispiel
die „taz“ am 23. Februar berichten musste.
Insofern ist es richtig, dass wir heute klar und in gro-
ßer Gemeinsamkeit vom Deutschen Bundestag aus auf
die Notwendigkeit hinweisen, die von den afrikanischen
Staaten der SADC selbst formulierten und vertraglich
vereinbarten demokratischen Standards für Wahlen ein-
zuhalten, und dass wir Robert Mugabe deutlich sagen,
wir nehmen nicht hin, dass diese Standards in keiner
Weise bisher eingehalten werden.
Wir stellen uns an die Seite der Opposition, wenn es
schrieben. Wir sind uns alle einig in der Zielrichtung un-
seres gemeinsamen Antrages.
Wir müssen erkennen, dass sich die afrikanischen
Staaten sehr schwer tun, einen anderen afrikanischen
Staat zu kritisieren. Das kann nur kulturell und vielleicht
aus einer gemeinsamen kolonialen Vergangenheit erklärt
werden. Das macht die Sache aber nicht einfacher. Es er-
schwert politisches Handeln in Afrika zum Wohle der
Menschen. Wir müssen aber als Deutsche und Europäer
immer wieder klar machen, dass die Lösung der afrika-
nischen Probleme nur durch Afrikaner vorgenommen
werden kann. Wir müssen an die Verantwortung der
Staaten für die gesamte Region apellieren.
Erster Adressat ist natürlich Simbabwe selbst. Aber es
ist zu befürchten, dass hier Hopfen und Malz verloren
ist; auch Sanktionen haben ja bisher keine diesbezügli-
gilt, faire Chancen für freie Wahlen zu fordern.
Wir unterstützen auch die Kräfte im Regierungslager,
die für bald oder spätestens für die Zeit nach Mugabe de-
mokratische Reformen und die Herstellung von Rechts-
staatlichkeit wollen und sich schon heute häufig unter
großem persönlichen Risiko dafür einsetzen. Und in die-
sem Sinne stimmen wir dem Antrag voll und ganz zu.
Aber ich sage in der längeren Perspektive auch, dass
eine wirksame Abkehr der verheerenden Politik von Mu-
gabe, gerade weil sie leider eben auch Unterstützung ge-
nießt und deshalb weder umfassende noch „smarte“
Sanktionen hier greifen, nur erreicht werden kann, wenn
in anderen Staaten Afrikas durch erfolgreiche Landrefor-
men und Verbesserungen der Lebensverhältnisse der Ar-
men und Ärmsten sichtbare Alternativen entstehen, an
denen die Massen im südlichen Afrika sich orientieren
können.
An solchen friedlichen, gewaltfreien und rechtsstaat-
lichen Alternativen können und sollten wir mitwirken.
Zum Beispiel im nahen Namibia.
Dr. Rainer Stinner (FDP): Die Fakten in Simbabwe
sind bekannt und von meinen Kollegen hinreichend be-
che Verbesserung gebracht. Zweiter Adressat sind die
einzelnen Staaten der SADC. Hier ist Südafrika das
Schlüsselland. Aber auch die anderen Länder sind in der
Verpflichtung, selbst gesetzte Maßstäbe einzuhalten.
Drittens ist die SADC als Organisation gefordert. Ge-
nauso wie wir von Europa verlangen, die Probleme aufdem Balkan aktiv zu lösen, genauso wie wir von der ara-
bischen Welt einen aktiveren Beitrag zur Lösung des
Nahost-Problems erwarten, genauso wie wir die Afrika-
nische Union auffordern, das Morden in Darfur zu unter-
binden, genauso müssen wir die SADC als Organisation
auffordern, hart und unmissverständlich das Mitglieds-
land Simbabwe zur Einhaltung der gemeinsamen Regeln
zu bewegen.
Das ist auch eine Frage der Glaubwürdigkeit der
SADC. Es stehen weitere Wahlen an und die Durchset-
zungsfähigkeit der SADC steht auf dem Spiel. Das müs-
sen wir diesen Ländern deutlich sagen. Wir Europäer
sind zu einem Beitrag zur Verbesserung der Situation auf
diesem geplagten Kontinent bereit. Aber dieser Beitrag
ist nur vertretbar, wenn wir den deutlichen Willen und
das deutliche Handeln dieser Länder erkennen können,
selbst ihren Beitrag zu leisten. Dazu gehört auch die un-
missverständliche Kritik an Simbabwe, auch wenn das
manchem noch so schwer fallen mag.
166. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 17. März 2005
Inhalt:
Redetext
Anlagen zum Stenografischen Bericht
Anlage 1
Anlage 2
Anlage 3
Anlage 4
Anlage 5