3) Anlage 5
        4) Redebeitrag wird als Anlage zum Stenografischen Bericht der
        167. Sitzung abgedruckt.
        Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2005 15597
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        bei der jungen Generation, sich verstärkt an Förderpro-
        grammen im Jugend- und Bildungsbereich zu beteiligen:
        Nachbarstaaten konkret in der Bildungsplanung und For-
        schungsforderung zu verbessern.
        mokratischen Abgeordneten im europäischen Parlament
        zielen, die guten Beziehungen zu unseren europäischen
        Anlage 1
        Liste der entschuldigten Abgeordneten
        * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver-
        sammlung des Europarates
        Anlage 2
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Antrags: Impulse für eine in-
        ternationale Ausrichtung des Schulwesens –
        Den Bildungsstandort Deutschland auch im
        Schulbereich stärken (Tagesordnungspunkt 12)
        Gesine Multhaupt (SPD):
        „In die Ferne, um Neues kennen zu lernen, und zu-
        rück in die Heimat, um das Erlebte weiter zu erzäh-
        len und das Gewohnte mit „europäischen“ Augen
        zu sehen.“
        Mit dieser Anleitung zum Reisen werben die sozialde-
        Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich
        Andres, Gerd SPD 17.03.2005
        Bulmahn, Edelgard SPD 17.03.2005
        Carstensen (Nordstrand),
        Peter H.
        CDU/CSU 17.03.2005
        Deittert, Hubert CDU/CSU 17.03.2005*
        Ernstberger, Petra SPD 17.03.2005
        Göppel, Josef CDU/CSU 17.03.2005
        Haack (Extertal), Karl
        Hermann
        SPD 17.03.2005
        Hilsberg, Stephan SPD 17.03.2005
        Minkel, Klaus CDU/CSU 17.03.2005
        Nickels, Christa BÜNDNIS 90/
        DIE GRÜNEN
        17.03.2005
        Probst, Simone BÜNDNIS 90/
        DIE GRÜNEN
        17.03.2005
        Seib, Marion CDU/CSU 17.03.2005
        Dr. Thomae, Dieter FDP 17.03.2005
        Dr. Winterstein, Claudia FDP 17.03.2005
        Anlagen zum Stenografischen Bericht
        Neugierig machen auf die vielen Möglichkeiten die Eu-
        ropa für Jugendliche bereithält; gemeinsam Hand anle-
        gen und mitbauen am Haus Europa; Lust bekommen auf
        die europäischen Förderprogramme; Fremdsprachen ler-
        nen und ausländische Schulen und Hochschulen besu-
        chen. Das sind unsere konkreten Ideen und Ziele, wie wir
        Schüler, Studierende und Erwachsene motivieren, auch
        einmal über den nationalen Tellerrand hinauszusehen.
        Die europäischen Staats- und Regierungschefs haben
        sich zum Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2010 einen europäi-
        schen Bildungs- und Forschungsraum zu schaffen. Auch
        von außen – zum Beispiel seitens der USA oder von
        Asien her – soll ein einheitliches, eben „europäisches“
        Bildungssystem erkennbar werden. Die Grundlagen für
        späteres Leben, Lernen und Arbeiten werden in den all-
        gemeinbildenden, den Berufsbildenden und den weiter-
        führenden Schulen und Hochschulen gelegt. Deshalb
        setzt der vorliegende Antrag mit seinen Forderungen zu
        Recht an einer europäischen und internationalen Aus-
        richtung des Bildungssystems an. Wenn Europa immer
        enger zusammenwächst, sind die Förderung von Mobili-
        tät, der Austausch von Lehrkräften und Jugendlichen, das
        Intensivieren von Fremdsprachenerwerb, das Einführen
        von vergleichbaren Schul- und Bildungsstrukturen sowie
        das Anerkennen von Bildungsabschlüssen, und eine ziel-
        gerichtete Finanzierung von grenzüberschreitenden Ju-
        gendbegegnungen wesentliche Ziele einer europäischen
        und internationalen Ausrichtung unseres Bildungssys-
        tems.
        Aktuell befinden sich circa 10 Prozent der Menschen
        in Ausbildung und Bildung in den verschiedenen euro-
        päischen Ländern. Besonders hervorheben möchte ich
        an dieser Stelle, dass dieser Anteil erheblich gesteigert
        werden muss, wenn wir das ehrgeizige Ziel der Lissa-
        bon-Strategie erreichen wollen, die Europäische Union
        bis zum Jahr 2010 zum wettbewerbsfähigsten und dyna-
        mischsten wissensbasierten Raum der Welt zu machen.
        Die rot-grüne Bundesregierung unterstützt im Rah-
        men ihrer Zuständigkeit zielgerichtet die nationale Um-
        setzung der auf EU-Ebene vereinbarten Maßnahmen.
        Eine Verbesserung des Istzustandes kann jedoch nur in
        einer gemeinsamen Anstrengung von Bund, Ländern und
        Kommunen gelingen. Bund, Länder und freie Bildungs-
        träger müssen neben ihren Bemühungen um zunehmende
        Europäisierung und Internationalisierung in Hochschu-
        len und beruflicher Bildung auch den Schulbereich ver-
        stärkt in den Blick nehmen. Hier sind insbesondere die
        Länder gefordert, eine Ausweitung der Angebote an
        Schulen mit europäischer Ausrichtung, frühzeitige An-
        gebote für Fremdsprachenunterricht und Förderung des
        internationalen Schüleraustauschs verantwortlich zu rea-
        lisieren. In diesem Zusammenhang begrüßen und unter-
        stützen wir die vielfältigen Aktivitäten von Bund und
        Ländern in der Bund/Länder-Kommission, die darauf ab-
        15598 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2005
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        Durch Personalabbau bei Lehrkräften, Psychologen
        und Sozialpädagogen mit der Folge, dass Integrations-
        maßnahmen, Ausländerförderungen und Sprachförde-
        rung gerade auch bei Schulkindern wegfallen, wie es
        beispielsweise die amtierende niedersächsische Landes-
        regierung in meinem eigenen Bundesland praktiziert,
        werden gerade eben nicht Impulse für eine zunehmend
        europäische Ausrichtung unseres Schulsystems gegeben.
        Ein gutes Beispiel hingegen ist der gerade zustande ge-
        kommene Koalitionsvertrag in Schleswig-Holstein. Hier
        wird konkret verabredet, den grenzüberschreitenden
        Austausch von Schülern, Auszubildenden, Studierenden
        und Berufstätigen zu fördern, um ihnen Praktika und
        Hospitationen im europäischen Ostseeraum zu ermögli-
        chen.
        Ich komme zum Schluss. Ein Europaprojekt an einer
        Schule am Bildungsstandort Deutschland mit seiner
        Partnerschule in Kopenhagen, Barcelona oder Warschau,
        ein freiwilliges soziales Jahr im bosnischen Kinderheim,
        ein Studienaufenthalt in Italien, ein Betriebspraktikum in
        Polen das sind alles Beispiele, wie wir junge Menschen
        neugierig, aber auch fit machen für den internationalen
        Wettbewerb um die „besten Köpfe“. Mit Ihrem Engage-
        ment in den von Ihnen regierten Bundesländern können
        Sie diesen spannenden Prozess in Europa ganz konkret
        durch eine bessere finanzielle Ausstattung der Schulen
        unterstützen. Im Interesse der vielen Begegnungen der
        jungen Generation sind Sie aufgefordert, Ihre Länderak-
        tivitäten voranzubringen.
        Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Der vorlie-
        gende Antrag „Impulse für eine internationale Ausrich-
        tung des Schulwesens – den Bildungsstandort Deutsch-
        land auch im Schulbereich stärken“ wird zusammen
        eingebracht von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP.
        Er geht zurück auf eine Initiative der FDP aus dem Fe-
        bruar 2003, mit der die FDP die Bundesregierung auffor-
        dern wollte, die Bereitschaft von staatlich anerkannten
        oder genehmigten Schulen, ausländische Schülerinnen
        und Schüler aufzunehmen, grundsätzlich zu unterstützen
        und die entsprechenden Verwaltungsvorschriften so zu
        gestalten, dass beim Vorliegen der entsprechenden Vo-
        raussetzungen eine schnelle, unbürokratische Erteilung
        der Aufenthaltsbewilligung erfolgen kann. In der dama-
        ligen Debatte, die zu Pfingsten 2003 in diesem Hause
        stattfand, sprachen sich Vertreter aller Fraktionen dafür
        aus, eine solche internationale Ausrichtung im Schulwe-
        sen in Deutschland zu befördern.
        Die Gründe hierfür liegen auf der Hand:
        Erstens. Die Bedeutung von Internationalität auch im
        Schulwesen wird ernsthaft von niemandem bestritten
        werden. Sprachen lernen, andere Länder kennen lernen,
        sich in anderen Kulturen bewegen können, den Aus-
        tausch zwischen Jugendlichen und jungen Menschen
        fördern, Weltoffenheit, globales Bewusstsein und Ver-
        antwortung ausbilden sind Bildungsziele, die in der Zu-
        kunft noch viel wichtiger werden, als sie es schon in der
        Vergangenheit waren. Wenn wir uns wünschen, dass
        deutsche Jugendliche Internationalität durch ein weltof-
        fenes Schulwesen in anderen Ländern erfahren, sind wir
        erst recht verpflichtet, ausländischen Jugendlichen diese
        Weltoffenheit auch in unserem Schulwesen entgegenzu-
        bringen. Im Bereich der Europäischen Union gibt es
        diese europäische Internationalität bereits. Über die Eu-
        ropäische Union hinaus sehen wir uns verpflichtet, auch
        jungen Menschen anderer Staaten dieser Welt Zugang zu
        unserem Bildungswesen und den Austausch zu ermögli-
        chen.
        Zweitens. Bildung ist ein öffentliches Gut und Bil-
        dung ist zugleich ein Gut, das in staatlicher wie freier
        Trägerschaft angeboten wird. Die Vermittlung von Bil-
        dung ist zudem ein Arbeitsfeld, das in der Wissensge-
        sellschaft der Zukunft noch mehr Anteil an der gesamt-
        staatlichen Wertschöpfung haben wird, als es schon jetzt
        der Fall ist. Auch in Deutschland haben wir dem interna-
        tionalen Bildungsbedürfnis konkrete Angebote zu ma-
        chen: im staatlichen Bereich, in den engen Grenzen, dass
        natürlich staatliche Mittel in erster Linie für den Bil-
        dungsanspruch auch der hier geborenen Kinder und Ju-
        gendlichen einzusetzen sind; im freien und privaten Be-
        reich in der Form, dass internationales Interesse an
        diesen Schulen angeboten und in Deutschland wahrge-
        nommen werden kann und dass Bildungsinstitutionen in
        Deutschland ihren Anteil am wachsenden so genannten
        Bildungsmarkt mit sichern und ausbauen können. Dies
        ist nicht nur gut für die Sicherung und den Ausbau von
        Arbeitsplätzen in diesem Bereich. Dies ist umso mehr
        verantwortbar, als die deutschen Bildungseinrichtungen
        hier auch ein hohes Niveau, eine gut organisierte und ab-
        gesicherte schulische Ausbildung anbieten können und
        daher das Interesse von ausländischen Kindern, Jugend-
        lichen und ihren Familien an den in Deutschland ange-
        botenen Bildungsgängen und Schulen auch eine Bestäti-
        gung für den Bildungsstandort Deutschland generell ist.
        Um es konkret zu sagen: Natürlich würden wir uns
        alle darüber freuen, wenn von den 20 000 Internatsplät-
        zen in Deutschland, von denen aktuell 5 000 unbesetzt
        sind, über die schon hier unterrichteten 1 500 Schülerin-
        nen und Schüler hinaus weitere diese Bildungsangebote
        wahrnehmen würden. Natürlich sollten wir zusammen
        daran arbeiten, dass von den rund 40 Trägern, die sich
        im Bereich der freien und privaten Schulen mit der Aus-
        bildung von Nicht-EU-Bürgern befassen, auch mehr als
        die bisher nur zehn Träger die Aus- und Weiterbildung
        für Nicht-EU-Bürger tatsächlich durchführen, ihre Bil-
        dungsangebote erfolgreich umsetzen könnten. Experten
        sprechen davon, dass auch hier rund 2 000 Plätze wahr-
        genommen werden können im Bereich der Sprachenaus-
        bildung, des Deutschzertifikats unterschiedlicher Stufen,
        im Bereich der allgemeinen Abschlüsse, was Abitur und
        die Fachhochschulreife angeht, im Bereich der berufs-
        qualifizierenden Schulen, was zum Beispiel Fremdspra-
        chenkorrespondenz betrifft und im Bereich der Weiter-
        bildung, was zum Beispiel Abschlüsse als Betriebswirt
        im Wellnessbereich etc. einschließt.
        An dieser Stelle konnten wir seinerzeit in der Debatte
        zu Pfingsten 2003 breite Übereinstimmung im Haus fest-
        stellen. Dies hat die SPD ermutigt, einen fraktionsüber-
        greifenden Antrag anzustreben, der gerade die Bereit-
        schaft und das Bewusstsein, diese Internationalität des
        deutschen Bildungswesens weiterzuentwickeln, über den
        Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2005 15599
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        bis dahin vorliegenden Antrag der FDP hinaus in den
        Mittelpunkt der Diskussion stellen wollte. Wir freuen
        uns, dass wir hierfür letztlich auch die FDP mit gewinnen
        konnten, damit es gemeinschaftlichen Rückhalt dafür
        gibt, dass die Marketingaktivitäten im Bereich der beruf-
        lichen Bildung und der Hochschulen in Kooperation mit
        den Ländern auch im Bereich der allgemeinbildenden
        Schulen ausgedehnt werden können. Wir stehen hinter
        dem Konzept der Europäisierung des Schulwesens mit
        dem System der bilingualen deutsch-französischen Part-
        nerschulen und freuen uns, dass es erste Ansätze hierfür
        auch im deutsch-tschechischen Bereich gibt. Wir nehmen
        mit Genugtuung auf, dass auch auf EU-Ebene in der
        nächsten Generation der Bildungsprogramme ab 2007
        ein besonderer Schwerpunkt auf die Förderung der Mo-
        bilität und des Fremdsprachenerwerbs im schulischen
        Bereich gelegt werden soll.
        Diese drei Akzente sollen beispielhaft verdeutlichen,
        was Internationalisierung des Schulwesens meint und
        welche verstärkenden Initiativen Bund wie Länder in
        Deutschland hierzu ergreifen können. Zugleich hat die
        SPD zusammen mit Bündnis 90/Die Grünen und der
        FDP die Erwartung, dass in Zukunft mehr Erkenntnisse
        auf Ebene des Bundes und der Länder über den Stand
        der Europäisierung und Internationalisierung des Schul-
        wesens gewonnen werden. Wenn wir ehrlich sind, müs-
        sen wir zusammen feststellen, dass wir hierzu leider viel
        zu wenig exaktes Material vorliegen haben, was Daten
        über Mobilität und Austausch von Deutschen ins Aus-
        land und umgekehrt angeht. Gerade wenn wir eine ziel-
        führende Verbesserung in diesem Bereich erreichen wol-
        len, ist es unumgänglich, hier zu einer klareren
        Datengrundlage zu kommen.
        Bei aller Zustimmung und Unterstützung für eine In-
        ternationalisierung des Schulwesens dürfen wir nicht
        verkennen, dass im Bereich des Ausländerrechtes natür-
        lich auch Probleme liegen, die mit klarer Steuerung, kla-
        rer Gesetzgebung und ebenso konsistentem wie konse-
        quentem Verhalten angegangen werden müssen. Auch
        hierauf hatte die FDP in ihrem Ursprungsantrag hinge-
        wiesen und mit Recht moniert, dass es leider noch keine
        deutsche Tradition gibt, auch im Bildungswesen insge-
        samt Internationalisierung als Zukunftsförderung und
        nicht als Bedrohung anzusehen. Hierzu musste ehrlich-
        keitshalber jetzt festgestellt werden, dass der Fortschritt
        in diesem Bereich nur in sehr kleinen, sehr kalkulierten
        und sehr auf Sicherheit bedachten Schritten erreichbar
        ist.
        Machen wir uns doch zusammen klar: Als die FDP
        Pfingsten 2003 ihren Antrag ins Parlament einbrachte,
        hatten wir noch kein Zuwanderungsgesetz in Deutsch-
        land. Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Schulbesuchs
        war im Ausländerrecht kein Bestand. Alleine in einer
        Verwaltungsvorschrift wird dies geregelt. Mittlerweile
        ist die Entwicklung hier weitergegangen. Immerhin ha-
        ben wir ein Zuwanderungsrecht vorliegen, das erstmals
        in einem eigenen Abschnitt ausdrücklich den Aufenthalt
        zum Zweck der Ausbildung enthält, nämlich in den § 16,
        in dem es um Studium, Sprachkurse und Schulbesuche
        geht, und im § 17, in dem es um sonstige Ausbildungs-
        zwecke geht. Gerade der Aufenthalt zum Zweck des Stu-
        diums hat nicht zuletzt durch die Beharrlichkeit der SPD
        und von Bündnis 90/Die Grünen deutliche Verbesserun-
        gen für die Studentinnen und Studenten erbracht. Im Be-
        reich der Schulbesuche müssen wir nüchtern konstatie-
        ren, dass die Aufnahme in das Gesetz ein Fortschritt ist,
        die bisherige Verwaltungshandhabung gleichwohl noch
        sehr enge Grenzen sieht.
        Mit dem gemeinsamen Antrag wollen SPD, Bündnis 90/
        Die Grünen und die FDP deshalb die Bundesregierung
        nachdrücklich dazu auffordern, bei der Formulierung der
        allgemeinen Verwaltungsvorschriften zu Regelungen zu
        kommen, die im Interesse einer zunehmenden internatio-
        nalen Öffnung des Schulwesens liegen. Ziel muss es
        sein, in einem ersten Schritt bei vorliegender allgemei-
        ner Erteilungsvoraussetzung positive Ausnahmen zum
        Zwecke der Erlangung des Hochschulzugangs oder zur
        Erlangung einer Berufsausbildung zu ermöglichen. Dies
        läge auch im Geiste des gemeinsam beschlossenen Zu-
        wanderungsgesetzes, das immerhin bei der abschließen-
        den Abstimmung im Bundestag am 1. Juli 2004 mit fast
        allen Stimmen des Hauses gegen zwei Stimmen aus der
        Fraktion der CDU/CSU und gegen zwei Stimmen der
        fraktionslosen Abgeordneten angenommen worden ist.
        Jetzt kommt es darauf an, im ersten Schritt hin zu mehr
        Internationalität in unserem Schulwesen konkrete Brü-
        cken zu bauen, ohne dem illegalen Zugang, dem Miss-
        brauch von Bildungsmotivation durch Geschäftemacher
        und Bildungsschleppern Vorschub zu leisten und ohne
        falsche Gettobildung im Bildungsbereich Türen zu öff-
        nen; denn gerade eine solche Gettobildung würde sich
        mit der internationalen Ausrichtung des Schulwesens
        nicht vertragen.
        Auf der anderen Seite müssen und wollen wir aber
        auch darauf bestehen, dass in dem Bemühen um klare
        Grundsätze, einheitliches Verhalten und hilfreiche Struk-
        turen für bildungsmotivierte Nicht-EU-Ausländer in
        Deutschland stete Fortschritte erreicht werden. Hierin
        waren wir uns im Jahr 2003 doch alle einig. Hierin kön-
        nen wir auch heute in der gemeinsamen Beschlussfas-
        sung einen weiteren Baustein setzen. Ich fordere auch
        die CDU/CSU auf, diesem gemeinsamen Antrag von
        SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP zuzustimmen,
        um damit ein klares Zeichen zu setzen, was wir von der
        Bundesregierung, aber auch den Landesregierungen er-
        warten, in der Weiterentwicklung des Bildungsstandorts
        Deutschland und der fairen und bildungsfreundlichen
        Unterstützung für Bildungswillige, Bildungsmotivierte
        und Bildungsangebote machende Institutionen in
        Deutschland mit Blick auf die internationale Ausrich-
        tung des Schulwesens.
        Kristina Köhler (Wiesbaden) (CDU/CSU): Ich muss
        Ihnen etwas ganz offen bekennen: Ihr Antrag hat mir
        reichlich Kopfzerbrechen bereitet. Ich habe ihn eifrig
        studiert, gründlich darüber nachgedacht und sorgfältig
        gewogen. Ich habe aber dennoch nicht verstanden, in
        welche Richtung die Reise nun eigentlich gehen soll. Ich
        würde aber gerne nachvollziehen können, was Sie mit
        Ihrem Antrag eigentlich beabsichtigen.
        15600 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2005
        (A) (C)
        (B) (D)
        Da gibt es zwei mögliche Interpretationen: Entweder
        Sie sind mit der bestehenden Rechtslage nach dem Zu-
        wanderungskompromiss total zufrieden. Dieser Ein-
        druck entsteht bei mir, da Sie in Ihrem Antrag bei Ihren
        Forderungen einfach nur mit großer Akribie die Anwen-
        dungshinweise des Bundesministeriums des Innern zum
        Zuwanderungsgesetz wiedergeben. Die Passagen zum
        Beispiel, in denen die Ausnahmen für einen Schulbesuch
        von Ausländern festgelegt werden, haben Sie einfach
        eins zu eins abgeschrieben.
        Wollen Sie also auch nicht mehr als das, was im Zu-
        wanderungskompromiss ohnehin geregelt ist? Dort ha-
        ben wir nämlich geregelt, den Schulbesuch von Auslän-
        dern nur in bestimmten wohldosierten Ausnahmen
        zuzulassen. Diese Regelungen geben Sie wörtlich wie-
        der. Erschöpft sich also Ihr Antrag in der Widergabe der
        bestehenden Rechtslage? Dann frage ich Sie: Wozu ein
        solcher Antrag? Ist es nicht reichlich profan, zu etwas
        aufzufordern, was der tatsächlichen Situation bereits ent-
        spricht? Nein, es ist mehr als das. Es schadet. Ein An-
        trag, der lediglich Selbstzweck ist, schadet. Er ver-
        schwendet Ressourcen, unser aller Zeit und schafft über-
        flüssige Bürokratie. Die sollte aber bei uns allen ins
        Visier genommen und keinesfalls gefördert werden. Man
        merkt, dass Sie Ihren Antrag vor einiger Zeit gemacht
        haben, vor der fulminanten Rede des Bundespräsidenten
        Horst Köhler; denn sonst hätten Sie sicher den seit
        Dienstag so vielzitierten Satz des Philosophen Montes-
        quieu beachtet: „Wenn es nicht nötig ist, ein Gesetz zu
        machen, dann ist es nötig, kein Gesetz zu machen.“
        Oder – jetzt komme ich zu der zweiten Interpretation –
        Ihr Antrag ist so zu verstehen, dass Sie getroffene Kom-
        promisse aufkündigen wollen. Dann ist Ihr Antrag in der
        Tat keineswegs überflüssig, sondern enthält ein Novum,
        eine Intention, die deutlich über die Gesetzeslage hin-
        ausgeht. Dafür spricht auch einiges; denn in Ihrer For-
        mulierung taucht ganz versteckt das Wörtchen „zuneh-
        mend“ auf. Es heißt nämlich: „… zu Regelungen zu
        kommen, die im Interesse einer zunehmenden internatio-
        nalen Öffnung des Schulsystems liegen“. Und Sie be-
        nennen es als Ihr Ziel, Ausnahmen zu ermöglichen. Wir
        haben aber bereits Ausnahmen geregelt. Dann muss ich
        das doch wohl so verstehen, dass Sie immer mehr Aus-
        nahmen schaffen wollen.
        Sie wollen also den Ausnahmecharakter unterwan-
        dern. Sie wollen die Ausnahme zur Regel machen. Mehr
        noch: Sie schreiben, eine Aufenthaltserlaubnis solle er-
        teilt werden, wenn es sich um Angehörige von Staaten
        handelt, mit denen keine Rückführungsschwiergkeiten
        bestehen. Das kann prinzipiell jedes Land sein. Das In-
        nenministerium hat aber zum Zuwanderungskompro-
        miss festgelegt, dass nur in wenigen – genau genommen
        in elf Staaten – eine Ausnahme möglich sein soll. Diese
        Länder sind auch namentlich aufgeführt. Eine Verallge-
        meinerung, wie im Antrag vorgesehen, würde diesen be-
        grenzten Katalog also unüberschaubar ausweiten. Haben
        Sie das eigentlich mit Ihren Kollegen vom Innenaus-
        schuss besprochen?
        Dieser friedfertig wirkende Antrag mit den guten Ab-
        sichten schnürt das sorgsam gebündelte Zuwanderungs-
        paket wieder auf und davor kann ich nur warnen. Wir ha-
        ben um dieses Gesetz lange gerungen und wir haben jede
        einzelne Regelung sorgfältig geprüft und bewusst so ge-
        setzt. Sie gefährden diesen Kompromiss, indem Sie – ver-
        mutlich unbeabsichtigt – Zuwanderung durch die Hinter-
        tür ermöglichen, indem Sie die Ausnahmen ausweiten
        und sie zur Regel küren. Oder aber Ihr Antrag beabsich-
        tigt eben nicht ein Mehr als die bestehende Gesetzeslage.
        Dann allerdings wären wir wieder bei der ersten Variante.
        Es ist Ihr Antrag. Bitte sagen Sie mir, wie er zu verstehen
        ist. Ich kann Ihnen aber jetzt schon sagen, dass er entwe-
        der dem Gebot Montesquieu zuwiderläuft oder aber im
        Widerspruch zum Zuwanderungskompromiss steht. Ich
        kann allerdings weder die eine noch die andere Ausle-
        gung gutheißen.
        Bernward Müller (Gera) (CDU/CSU): Wir sprechen
        heute über einen Antrag, der gemeinsam von den Frak-
        tionen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der
        FDP verantwortet und befürwortet wird. Wir sprechen
        über eine stärkere internationale Ausrichtung des Schul-
        wesens. Es geht um den Bildungsstandort Deutschland.
        Und daher wird jeder fragen: Das ist doch eine gute
        Sache! Warum macht die Union dabei nicht mit?
        Die CDU/CSU-Fraktion spricht sich ganz klar für
        eine Stärkung des Bildungsstandortes Deutschland aus.
        Auch wir sehen in der wachsenden europäischen und in-
        ternationalen Ausrichtung des Bildungssystems eine der
        wichtigsten aktuellen Herausforderungen an die Bil-
        dungspolitik. Bildung ist für die Union ein entscheiden-
        der Standortfaktor. Für die wirtschaftliche, politische
        und gesellschaftliche Weiterentwicklung der Bundesre-
        publik ist es von elementarer Bedeutung, den Bildungs-
        standort Deutschland insgesamt attraktiver zu gestalten.
        Daher haben wir uns auch schon bei der Debatte im
        Juni 2003 dafür ausgesprochen, Schülerinnen und Schü-
        lern von außerhalb der EU einen Schulbesuch in
        Deutschland zu ermöglichen. Es gibt gute Gründe, die
        Möglichkeit des Schulbesuchs in Deutschland zu er-
        leichtern. Die Internatsschüler in England und in der
        Schweiz haben sich zu einem Wirtschaftsfaktor für viele
        Regionen entwickelt. Darüber hinaus gibt es auch lang-
        fristig positive Effekte für den Standort Deutschland.
        Viele der jungen Menschen, die einen Schulbesuch im
        Ausland absolvieren, werden in einigen Jahren in Wirt-
        schaft und Politik ihres Heimatlandes in herausgehobe-
        nen Positionen tätig sein. Gerade in Zeiten der verstärk-
        ten Vernetzung der internationalen Märkte und des
        Zusammenrückens in Europa ist es wichtig, schon früh
        funktionierende Netzwerke zu knüpfen. Es spricht nichts
        dagegen, bereits in der Schule damit zu beginnen.
        Ich denke, wir sind alle darin einig, dass die Grund-
        lage für späteres Leben, Lernen und Arbeiten besonders
        in den Schulen gelegt wird. Daher ist es wünschenswert,
        schon dort anzusetzen und auf eine internationale Aus-
        richtung zu achten. Auch die Union sieht die Bedeutung
        einer internationalen Orientierung des Bildungswesens
        für den anstehenden Wettbewerb um die „besten Köpfe“
        auf internationalem Parkett.
        Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2005 15601
        (A) (C)
        (B) (D)
        Doch die CDU/CSU-Fraktion verliert darüber hinaus
        auch nicht den Überblick über bestehendes Recht in
        Deutschland. Und das scheint etwas, was die Antragstel-
        ler in ihrem gut gemeinten Eifer zu übersehen scheinen.
        Es sind vor allem zwei Punkte, die wir kritisch sehen
        und die wir daher nicht mit unterschreiben wollen:
        Erstens. Der Antrag übergeht die Länderkompetenz
        im Bereich der Schulen. Wieder einmal wird versucht,
        über den Bund Einfluss auf die Bildungshoheit der Län-
        der zu nehmen und in Landesentscheidungen hineinzure-
        gieren. Der Antrag versucht, dies mit verbalen Arabes-
        ken wie „in enger Abstimmung mit den Ländern“ und
        „in Kooperation mit den Ländern“ zu überdecken. Ja, es
        wird sogar die Formulierung verwendet: „Er bittet daher
        die Länder“. Doch in letzter Konsequenz lautet die For-
        derung des Antrages, dass der Bund sich in die Länder-
        kompetenz der Schulen einmischen möge, um dort die
        Internationalisierung voranzutreiben. So funktioniert das
        nicht!
        Zweitens. In den Forderungen werden Gegenstände
        des Aufenthaltsgesetzes berührt. Dem Wortlaut nach wer-
        den Formulierungen der vorläufigen Anwendungshin-
        weise des Innenministeriums (Stand: 22. Dezember 2004)
        zitiert. Doch der Kontext des Antrags legt die Vermutung
        nahe, dass eine erhebliche Ausdehnung der geltenden
        Rechtslage intendiert ist. Das wird Ihnen die Kollegin
        Kristina Köhler aus dem Innenausschuss in ihrem Rede-
        beitrag noch ausführlich darlegen.
        Sie haben sich in Ihrem Antrag einem wichtigen
        Thema gewidmet. Leider können wir es in dieser Form
        nicht unterstützen.
        Dennoch sollten wir die Punkte festhalten, in denen
        wir uns einig sind:
        Bildung ist ein entscheidender Standortfaktor. Für die
        wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Weiter-
        entwicklung der Bundesrepublik ist es wichtig, den Bil-
        dungsstandort Deutschland insgesamt attraktiver zu ge-
        stalten.
        Eine europäische und internationale Ausrichtung un-
        serer Bildungseinrichtungen in Deutschland ist begrü-
        ßenswert. Dies sollte schon bei den Schulen beginnen.
        Es ist wichtig, im „Ringen um die besten Köpfe“ auch
        ausländische Schüler an deutsche Schulen zu bringen.
        Gerade die vorhandenen und unbesetzten Plätze in
        privat geführten Internaten bieten dabei ein großes Po-
        tenzial, das genutzt werden sollte.
        Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der
        heute abzustimmende Antrag verfolgt ein vielleicht eher
        unspektakuläres, aber dennoch wichtiges politisches
        Ziel: Wir wollen Schülerinnen und Schülern aus Län-
        dern außerhalb der EU den Schulbesuch in Deutschland
        erleichtern. Das ist ein gutes Ziel, und zwar nicht nur in
        ökonomischer Hinsicht. In unserer globalisierten Gegen-
        wart kann man nicht genug auf den internationalen Aus-
        tausch setzen, vor allem wenn es um junge Menschen
        geht. Wer einmal in anderen Ländern gelebt und gelernt
        hat, kann sich meist auch später auf Neues, vielleicht
        recht Fremdes besser einlassen. Das ist eine Grundvo-
        raussetzung für gegenseitigen Respekt und internationa-
        len Austausch.
        Im Bereich der Berufsbildung haben wir dafür jetzt
        gemeinsam die Weichen gestellt. Teile der Ausbildung
        können im Ausland absolviert und im Inland anerkannt
        werden. Ähnliches gilt für den Bologna-Prozess. Aller-
        dings muss hier die Vergleichbarkeit des in anderen Län-
        dern Gelernten noch gesichert werden.
        Im vorliegenden Antrag geht es um den umgekehrten
        Weg: den Austausch nach Deutschland hinein. Deswe-
        gen greift er bestimmte migrationspolitische Aspekte
        auf. So soll der Zugang zur schulischen Ausbildung in
        Deutschland nur dann möglich sein, wenn für die mate-
        rielle und soziale Absicherung der Schülerinnen und
        Schüler gesorgt ist und wenn gleichzeitig mit ihrer
        Rückkehr fest gerechnet werden kann.
        Deswegen verstehe ich auch nicht die Vorbehalte der
        Union gegen diesen Antrag. Schauen wir uns an, wer da-
        von profitiert: Einerseits natürlich diejenigen Schülerin-
        nen und Schüler aus Nicht-EU-Staaten, bei denen in der
        Regel wohlhabende Eltern für die Finanzierung des Auf-
        enthaltes in Deutschland aufkommen werden. Das ist
        doch genau die Art von Zuwanderung, der sogar ein
        Herr Beckstein offen gegenübersteht!
        Andererseits profitieren vor allem private Bildungsin-
        stitutionen, also Internate und berufliche Schulen in
        Deutschland. Sie können in Zukunft ihre Angebote ver-
        stärkt auf die ausländische Klientel ausrichten. Ziel un-
        seres heutigen Antrages ist es, die Rahmenbedingungen
        für private Bildungsträger erheblich zu verbessern.
        Aus grüner Sicht lösen wir mit diesem Antrag natür-
        lich nicht die zentralen bildungspolitischen Probleme in
        unserem Land. Die liegen, wie wir alle schon lange und
        nicht erst seit PISA wissen, unter anderem in der Inte-
        gration der in Deutschland lebenden Migrantinnen und
        Migranten. Die Kompromisse im Zuwanderungsgesetz
        nehmen zwar die sprachliche und kulturelle Integration
        als Recht und Pflicht eines jeden Einwandernden auf.
        Wir Grünen halten aber – das ist ja bekannt – die Rah-
        menbedingungen für Integrationskurse noch nicht für
        ausreichend. Ich hoffe, wir können nach den ersten Er-
        fahrungen mit diesen Kursen noch an der einen oder an-
        deren Stelle nachjustieren, und setze dabei auf Ihre kon-
        struktive Mitarbeit, liebe Kolleginnen und Kollegen von
        der Union!
        Was ebenso fehlt, ist eine umfassende Qualitätssiche-
        rung, die auch die privaten Schulen berücksichtigt. Der-
        zeit haben sie zwar einen besseren Ruf als die öffentli-
        chen Schulen. Dass sie wirklich besser sind, müssen sie
        erst noch beweisen. PISA jedenfalls kann das nicht bestä-
        tigen. Umso dringender ist es, dass ausländische Schüle-
        rinnen und Schüler – ebenso wie die deutschen – sich bei
        ihrer Entscheidung für einen Schulbesuch in Deutsch-
        land an klaren Qualitätskriterien orientieren und eine ge-
        eignete Schule für sich aussuchen können. Nichts wäre
        schlechter für unseren Bildungsstandort Deutschland, als
        wenn schwarze Schafe in der Bildungslandschaft die im
        15602 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2005
        (A) (C)
        (B) (D)
        Antrag geforderten Erleichterungen für pure Abzocke
        missbrauchen würden!
        Der neue Anlauf in der Föderalismusfrage, der wohl
        jetzt in Angriff genommen wird, stimmt mich optimis-
        tisch, dass wir auch in Sachen Qualitätssicherung im Bil-
        dungswesen eine effiziente Lösung hinbekommen wer-
        den. Wie auch immer diese Lösung aussieht – die Länder
        haben jedenfalls große Verantwortung dafür, dass inlän-
        dische wie ausländische Schülerinnen und Schüler eine
        qualitativ hochwertige Ausbildung erhalten – egal an
        welcher Bildungsinstitution sie lernen und sich ausbil-
        den lassen.
        Abschließend möchte ich betonen: Die Einführung
        qualitätssichernder Instrumente geschieht immer noch
        viel zu langsam. Dabei müssen wir hier das Rad gar
        nicht neu erfinden, auch wenn die KMK immer diesen
        Anschein erweckt! Andere Länder – besonders in Skan-
        dinavien – betreiben seit Jahren und Jahrzehnten eine er-
        gebnisorientierte Bildungspolitik. Ein Blick über den
        Tellerrand kann hier enorm helfen und die Arbeit wohl-
        möglich immens vereinfachen.
        Wir drehen mit diesem Antrag an einem wichtigen,
        aber dennoch kleinen Rad der Bildungspolitik. Ich hoffe,
        wir werden – zum Nutzen unseres Bildungswesens! –
        auch wieder mal gemeinsam an großen bildungspoliti-
        schen Rädern drehen können. Anlass hierzu hätten wir
        genug!
        Anlage 3
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
        Änderung des Grundstückverkehrsgesetzes und
        des Landpachtverkehrsgesetzes (Tagesord-
        nungspunkt 13)
        Elvira Drobinski-Weiß (SPD): Das Problem des
        verstärkten Flächenkaufs bzw. der Pacht durch zahlungs-
        kräftige schweizerische Landwirte im deutsch-schweize-
        rischen Grenzgebiet besteht seit geraumer Zeit. Es kon-
        zentriert sich auf bestimmte Grenzregionen, wie zum
        Beispiel die Landkreise Waldshut, Schwarzwald-Baar
        und Konstanz. Während der durchschnittliche jährliche
        Erwerb von Flächen in den Jahren 1993 bis einschließ-
        lich 2002 mit rund 38 Hektar – bzw. 53 Hektar bei
        Pacht – relativ niedrig war, ist ein sprunghafter Anstieg
        seit dem Jahr 2003 zu verzeichnen.
        Insgesamt werden derzeit circa 3 500 Hektar von
        Schweizer Bauern bewirtschaftet, in einzelnen Landkrei-
        sen sind es bis zu 20 Prozent der Ackerfläche. Schweizer
        Landwirte profitieren von den Subventionssystemen ih-
        res Landes stärker und erreichen auf dem Schweizer
        Markt für ihre Agrarprodukte einen bis zu dreifach höhe-
        ren Marktpreis im Vergleich zu ihren deutschen Kolle-
        gen. Das erlaubt ihnen, die Kauf- oder Pachtpreisange-
        bote ihrer deutschen Kollegen wesentlich zu überbieten,
        was für expansionswillige deutsche Betriebe zu Proble-
        men führt.
        Dass ein deutsch-schweizerisches Grenzproblem be-
        steht, ist, wie ich festgestellt habe, auch unter Kollegen
        hier im Hause nicht strittig, sondern einzig und allein,
        welcher Weg zur Lösung dessen beschritten werden
        kann und soll.
        Gemeinsam mit dem Bundesrat und insbesondere
        dem Land Baden-Württemberg hat die Bundesregierung
        bereits verschiedene Ansätze zur Lösung des Problems
        geprüft.
        Sowohl der deutsch-schweizerische Regierungsaus-
        schuss für Wirtschafts- und Finanzfragen als auch die von
        ihm eingesetzte gemischte und ressortübergreifende Ex-
        pertenkommission haben versucht, geeignete Lösungs-
        vorschläge und ihre Umsetzungsmöglichkeiten zu erar-
        beiten.
        So wurde unter anderem nach Art. 26 des Grenzver-
        kehrsabkommens von 1958 die so genannte Gemischte
        Kommission einberufen, um zu prüfen, inwieweit die
        Zollbefreiung der im deutschen Grenzgebiet geernteten
        Erzeugnisse bei Einfuhr in die Schweiz ganz oder teil-
        weise eingeschränkt werden kann. Doch sowohl dieser
        Vorschlag als auch der, dass deutsche Landwirte für in
        Grenzregionen erwirtschafte Produkte bei Einfuhr in die
        Schweiz von Abgaben befreit werden, wurde von der
        Schweiz abgelehnt.
        Mit der uns heute zur Diskussion vorliegenden Geset-
        zesinitiative des Bundesrates zur Änderung des Grund-
        stücksverkehrsgesetzes und des Landpachtverkehrsge-
        setzes soll eine Preisschwelle, bei deren Überschreitung
        einem Grundstückskaufvertrag die Genehmigung ver-
        sagt bzw. ein Landpachtvertrag beanstandet werden
        kann, festgelegt werden. Zurzeit liegt diese Grenze nach
        höchstrichterlicher Rechtsprechung bei 150 Prozent. Die
        von Schweizer Landwirten gezahlten Preise beliefen
        sich in der Vergangenheit auf 125 bis 149 Prozent des
        Grundstücksverkehrswertes. Um für die deutschen
        Landwirte in diesen Regionen die Möglichkeit zum Flä-
        chenerwerb zu verbessern, soll nach dem Vorschlag des
        Landes Baden-Württemberg bzw. des Bundesrates die
        Landesregierung ermächtigt werden, die Schwelle auf
        120 Prozent des ansonsten üblichen Wertes festzusetzen.
        Begründet wird dies vor allem mit dem Ziel des Erhalts
        der Agrarstruktur.
        Der vorliegende Gesetzentwurf ist unserer Meinung
        nach nicht geeignet, dieses regional begrenzte Problem
        zu lösen. Es bestehen unsererseits vor allem verfassungs-
        rechtliche Bedenken im Hinblick auf das in Art. 14
        Grundgesetz verankerte Eigentumsrecht. Die vom Bun-
        desrat gewünschte Beschränkung der Verfügungsfreiheit
        der betroffenen Grundstückseigentümer auf einen eng
        begrenzten Preisrahmen ist unzumutbar.
        Außerdem liegt eine Verletzung des in Art. 3 Abs. 1
        definierten Gleichbehandlungsverbotes vor, denn die
        Umsetzung des Gesetzentwurfes würde zu einer verfas-
        sungswidrigen Ungleichbehandlung zwischen Grund-
        stückseigentümern, die ihr Grundstück an Schweizer
        Landwirte verkaufen oder verpachten wollen, und Grund-
        stückseigentümern, die dasselbe Rechtsgeschäft mit deut-
        schen Landwirten tätigen wollen, führen.
        Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2005 15603
        (A) (C)
        (B) (D)
        Auch die im Rechtsgutachten von Professor Dr.
        Ferdinand Kirchhof dargelegten Argumente reichen
        nach unserer Meinung nicht aus, um die eben erwähnten
        verfassungsrechtlichen Bedenken auszuräumen.
        Außerdem drängt sich die Frage auf: Wird es neben
        der Festlegung eines Schwellenwertes für bestimmte Re-
        gionen in Höhe von 120 Prozent zukünftig in Einzelfäl-
        len auch noch eine Feststellung eines „groben Missver-
        hältnisses“ seitens der zuständigen Landesstellen geben,
        wenn der Verkaufspreis in dieser Größenregion liegt?
        Mit dieser Festlegung wird das Ermessen der für die
        Überwachung des landwirtschaftlichen Grundstücksver-
        kehrs zuständigen Stellen auf null reduziert – auch das
        ist nicht Ziel unserer Politik.
        Abschließend möchte ich noch die Frage an den Bun-
        desrat stellen: Wollten Sie wirklich Geschäfte in Zukunft
        auch dann versagen, wenn sich für das betroffene
        Grundstück überhaupt kein deutscher Landwirt interes-
        siert?
        Die starke Zunahme von Kauf bzw. Pacht deutscher
        Flächen seitens der Schweizer Landwirte ist ein akutes
        Problem, welches sich, wenn nicht politisch darauf re-
        agiert wird, in den nächsten Jahren noch verschärft. Aus
        diesem Grund unterstützen wir alle Bemühungen, die zu
        einer Entschärfung des Problems beitragen. Klar sollte
        Ihnen jedoch auch sein: Aus Respekt vor dem bundes-
        deutschen Grundgesetz werden wir nur einen Gesetzent-
        wurf unterstützen, der nicht das Risiko beinhaltet,
        Grundrechte zu verletzen.
        Lassen Sie uns gemeinsam Alternativen prüfen, in-
        wiefern seitens der EU, des Bundes bzw. des Landes Re-
        gelungen gefunden werden können, um den Landwirten
        Unterstützung zu gewähren.
        Kurt Segner (CDU/CSU): Seit rund 30 Jahren erfah-
        ren die deutschen Landwirte entlang der Schweizer
        Grenze leidvoll, was es heißt, ihre berufliche Existenz an
        der Nahtstelle unterschiedlicher Agrarsysteme behaup-
        ten zu müssen. In keiner anderen Region Deutschlands
        müssen sich Landwirte einem derart ungleichen Wettbe-
        werb um den Produktionsfaktor Boden stellen. Seit rund
        30 Jahren kaufen und pachten Schweizer Landwirte in
        immer größerem Umfang landwirtschaftliche Flächen in
        der deutschen Zollgrenzzone.
        Dies wird begünstigt durch erstens das Zollabkom-
        men von 1958, zweitens die Marktstützungsmaßnahmen
        der Schweiz, die ihnen im Vergleich zu Landwirten in
        der EU bis zu dreifach höhere Erlöse garantieren und
        drittens das schweizerische Direktzahlungssystem, das
        ihnen bis zu dreifach höhere Prämien gewährt, wenn sie
        die Fläche mindestens seit dem 1. Mai 1984 bewirt-
        schaften.
        Vor diesem Hintergrund zahlen Schweizer Landwirte
        Kauf- und Pachtpreise, mit denen sie jedes Angebot
        deutscher Landwirte überbieten. Wenn Schweizer Land-
        wirte zwischen 20 und 49 Prozent über dem ortsüblichen
        Preis zahlen, dann übersteigt dies die finanzielle Leis-
        tungsfähigkeit unserer Landwirte bei weitem.
        In den zurückliegenden 30 Jahren sind über 3 300 Hek-
        tar landwirtschaftliche Fläche, weit überwiegend Acker-
        land, in Schweizer Bewirtschaftung übergegangen. Seit
        1993 hat sich die von Schweizer Landwirten gekaufte
        Fläche mehr als verdoppelt. Die gepachtete Fläche, die
        bereits 1985 ein hohes Niveau von 1 500 Hektar erreicht
        hatte, ist seither um weitere 850 Hektar gestiegen. Allein
        in den beiden zurückliegenden Jahren betrug der Flä-
        chenverlust nahezu 500 Hektar.
        Wie so oft sagen Zahlen zur Dramatik einer Entwick-
        lung nicht alles aus. Fakt ist aber, dass der bisherige Flä-
        chenverlust der durchschnittlichen Flächenausstattung
        von 83 landwirtschaftlichen Betrieben entspricht. Ange-
        sichts dieser Dimension besitzt die Problematik eine
        ganz erhebliche Sprengkraft, die über die regionale Be-
        troffenheit weit hinausreicht.
        Um auf Betriebsgrößen zu wachsen, die ihnen auf
        überschaubare Zeit das betriebliche Überleben sichert,
        wären die landwirtschaftlichen Betriebe in Baden-
        Württemberg dringend auf die Aufstockung mit diesen
        Flächen angewiesen. Die Landwirte wollen auch vom
        Strukturwandel in der Landwirtschaft der Region profi-
        tieren und Zukunftsperspektiven entwickeln können!
        Stattdessen müssen sie sich mit den durch die Flächen-
        verluste ausgelösten Existenzsorgen herumschlagen. Die
        Unsicherheit, ob bei durchschnittlich zwei Dritteln Pacht-
        flächenanteil an der Betriebsfläche ein Pachtvertrag ver-
        längert wird oder ob eine größere Pachtfläche demnächst
        an einen zahlungskräftigen Schweizer Landwirt fällt, ver-
        hindert jede vernünftige, langfristige Betriebsplanung.
        Die Konsequenzen dieser Entwicklung sind viel-
        schichtig und haben jeweils eine eigene, Besorgnis erre-
        gende Dynamik erlangt:
        Der anhaltende Verlust an Pachtflächen bringt immer
        mehr Betriebe in akute Existenznöte.
        Schon jetzt haben zahlreiche Schweine haltende Be-
        triebe in der Region allergrößte Schwierigkeiten, in zu-
        mutbarer Entfernung genügend betriebseigene Flächen
        zur Gülleausbringung vorzuhalten.
        Viele dieser Betriebe sehen sich um den Lohn jahre-
        langer Anstrengungen gebracht.
        Das Herauskaufen oder -pachten von Flächen aus
        großen Bewirtschaftungseinheiten verschlechtert die
        Produktions- und Arbeitsbedingungen der baden-
        württembergischen Betriebe zusehends.
        Der Verlust potenzieller Aufstockungsflächen schmä-
        lert die Wachstumschancen der einheimischen Betriebe.
        Ohne Wachstumschancen gibt es keine Investitionsbe-
        reitschaft. Ohne Investitionsbereitschaft verlieren die
        Betriebe den Anschluss an die Entwicklung und damit
        ihre Wettbewerbsfähigkeit. Ohne Investitionen gibt es
        keine Modernisierung und ohne Modernisierung keine
        Hofnachfolge.
        Der Effekt der öffentlichen Mittel, die das Land Ba-
        den-Württemberg für die Flurneuordnung eingesetzt hat
        und einsetzt, geht zunehmend an den Landwirten vorbei.
        15604 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2005
        (A) (C)
        (B) (D)
        Die Landesregierung Baden-Württembergs hat in der
        Vergangenheit alle Anstrengungen zur Lösung des Kon-
        flikts unternommen.
        Erstens. In der Verwaltungspraxis wurden alle rechtli-
        chen Möglichkeiten des Grundstück- und des Land-
        pachtverkehrs ausgeschöpft. Aber aufgrund der gegen-
        wärtigen Rechtslage gelingt eine Steuerung im Sinne der
        deutschen Landwirte immer seltener. Deshalb ist die Ge-
        setzesinitiative des Landes Baden-Württemberg unver-
        zichtbar!
        Zweitens. Die Landesregierung hat immer wieder das
        Gespräch mit der Schweiz gesucht. Die Regierungen der
        angrenzenden Kantone sollten auf ihre Landwirte mäßi-
        gend einwirken. Nach kurzzeitigem Rückgang erreichte
        der Umfang der von Schweizer Landwirten gekauften
        und gepachteten Flächen nicht nur den alten Stand, son-
        dern ging darüber hinaus.
        Drittens. Das Land hat die Bundeslandwirtschaftsmi-
        nisterin wiederholt gebeten, sich bei den Eidgenossen
        für eine Selbstbeschränkung einzusetzen. Doch leider
        konnte Rot-Grün keinen Erfolg erzielen.
        Nach Ansicht des Auswärtigen Amtes sei die Agrar-
        politik der Schweiz auf eine Annäherung an die Bedin-
        gungen der EU gerichtet. Diesem Ziel einer Annähe-
        rung, die die Situation in der Zollgrenzzone entspannt,
        sind wir bis heute keinen einzigen Schritt näher gekom-
        men.
        Viertens. Der Bundesrat hat am 2. April 2004 in einer
        auf Initiative Baden-Württembergs gefassten Entschlie-
        ßung die Bundesregierung aufgefordert, den Grund-
        stück- und Landpachtverkehr an der Schweizer Grenze
        von den Wirkungen des am 1. Juni 2002 in Kraft getrete-
        nen Freizügigkeitsabkommens zwischen der EU, ihren
        Mitgliedsstaaten und der Schweiz auszunehmen.
        In Verhandlungen mit der Schweiz sollte eine Ände-
        rung des bilateralen Zollabkommens von 1958 erreicht
        werden. Diesem Entschluss ist die Bundesregierung
        nach meiner Beobachtung nicht mit Nachdruck nachge-
        kommen. Die Bemühungen waren deshalb nicht von Er-
        folg gekrönt.
        Nachdem alle Versuche fehlgeschlagen sind, hatte
        das Land Baden-Württemberg den vorliegenden Gesetz-
        entwurf eingebracht. Er zielt darauf ab, in das Grund-
        stückverkehrsgesetz und das Landpachtverkehrsgesetz
        – beides Gesetze zum Schutz der einheimischen Agrar-
        struktur – eine Verordnungsermächtigung aufzunehmen.
        Die Rechtsprechung definiert bislang den Schwellen-
        wert für die Annahme eines groben Missverhältnisses
        zwischen Kaufpreis und Verkehrswert bei 150 Prozent.
        Die Länder sollen nun in die Lage versetzt werden,
        diesen Schwellenwert auf 120 Prozent des Verkehrswer-
        tes absenken zu können.
        Mit dieser Ermächtigung kann die bisher bestehende
        Regelungslücke, die zur ungesunden Verteilung von
        Grund und Boden führte, geschlossen werden.
        Der Schwellenwert von mindestens 120 Prozent mu-
        tet deutschen Landwirten immer noch zu, mit einem Ge-
        bot bis an die Grenze ihrer finanziellen Leistungsfähig-
        keit zu gehen. Ich bin der Meinung, dass seine
        Einführung auf nationaler Ebene ein wirksames Mittel
        ist, wieder faire Wettbewerbschancen herzustellen.
        Ich bedauere sehr, dass die Bundesregierung in ihrer
        Gegenäußerung Bedenken verlauten lässt.
        Damit die Landwirte vor Ort aber den Glauben an die
        Handlungsfähigkeit der Politik nicht verlieren, sollten
        wir daher über alle Parteigrenzen hinweg eine tragfähige
        Lösung finden. Im Interesse der betroffenen Landwirte,
        die akut in ihrer Existenz bedroht sind, sollten wir ge-
        meinsam ein schnellstmögliches Ergebnis erzielen.
        In diesem Sinne bedanke ich mich jetzt schon bei al-
        len Parteien für die Gesprächsbereitschaft.
        Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
        NEN): Als Bauer kann ich durchaus verstehen, dass die
        deutschen Bauern an der Grenze zur Schweiz verärgert
        darüber sind, wenn ihre Kollegen aus der Schweiz sehr
        hohe Preise für landwirtschaftliche Flächen in Deutsch-
        land bieten und damit den deutschen Grenzbauern das
        Mitbieten schwer oder gar unmöglich machen. Das ist
        sicherlich ein Problem, für das man eine Lösung finden
        muss. Ich ärgere mich als Nicht-Baulandbesitzer auch
        oft über die Flächenkonkurrenz der Baulandbauern, die
        immer einen unvernünftig hohen Preis bieten. So etwas
        gibt es immer wieder in den verschiedensten Konstella-
        tionen.
        Als Abgeordneter des Bundestages muss ich aller-
        dings einen etwas anderen Blick auf die Sache haben, als
        im vorliegenden Gesetzentwurf des Bundesrates zum
        Ausdruck kommt. In der Problembeschreibung des Ge-
        setzentwurfes heißt es, dass zwischen 1993 und 2002
        jährlich 78 Hektar und 2003 310 Hektar an schweizer
        Landwirte verpachtet oder verkauft worden seien.
        Zum Vergleich: Die landwirtschaftliche Fläche in
        Deutschland beträgt insgesamt 17 Millionen Hektar. Da-
        von gehen jährlich 47 000 Hektar verloren, nicht an
        Schweizer, sondern wegen des fortschreitenden Flächen-
        verbrauchs – übrigens ein riesiges Problem, dessen sich
        der Bundesrat meines Wissens bisher leider noch nie an-
        genommen hat. Wir sprechen hier also von einem winzi-
        gen Teil der landwirtschaftlichen Fläche in Deutschland,
        der nicht an deutsche, sondern an Schweizer Bauern ver-
        pachtet oder verkauft wird. Ich betone das nur, um die
        Größenordnungen klarzumachen, von denen wir hier re-
        den. Dafür will der Bundesrat das bewährte Grund-
        stücksverkehrsgesetz und das Landpachtverkehrsgesetz
        ändern.
        Ich will damit deutlich machen, dass wir aufpassen
        müssen, bei aller individuellen Betroffenheit die Verhält-
        nismäßigkeit der Mittel nicht aus dem Auge zu verlieren.
        Ich glaube, wir sind als Bundesgesetzgeber gut beraten,
        uns bei unserer Arbeit nicht von einer allzu stark isolier-
        ten und eingeengten Perspektive leiten zu lassen, son-
        dern immer den Blick für das Ganze zu behalten und
        nicht damit zu beginnen, jedem sein eigenes Gesetz zu
        schreiben. Das führt zu nichts.
        Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2005 15605
        (A) (C)
        (B) (D)
        Daher haben wir auch große Bedenken, ob eine Ge-
        setzesänderung vertretbar ist, die nur an den – ohne
        Frage berechtigten – Interessen einer sehr kleinen
        Gruppe orientiert ist, die aber von der Bundesregierung
        erstens als verfassungsrechtlich bedenklich und zweitens
        als außenpolitisch, das heißt bezüglich der Beziehungen
        zwischen Deutschland und der Schweiz, bei denen es
        durchaus noch andere Interessen zu wahren gilt, proble-
        matisch eingestuft wird. Es ist noch nicht einmal ausge-
        schlossen, dass dieser Gesetzentwurf gegen das Freizü-
        gigkeitsabkommen zwischen der Europäischen Union
        und der Schweiz verstößt. Auf solche Unwägbarkeiten
        können und dürfen wir uns nicht einlassen.
        Gleichzeitig ist selbst unter den deutschen Bauern an
        der Schweizer Grenze die Interessenlage keineswegs
        einheitlich: Während die einen Land günstig kaufen oder
        pachten wollen, hoffen die anderen auf günstige Ge-
        schäfte mit Schweizer Landwirten, um sich beispiels-
        weise ihre Altersversorgung zu sichern.
        Wir haben verabredet, dieses Thema in einer inter-
        fraktionellen Arbeitsgruppe zu beraten, um zu einer Lö-
        sung des Problems zu kommen. Ich kann mir gut vorstel-
        len, dass sich eine Lösung finden lässt, jedoch auf einem
        geeigneteren Weg, als ihn der Bundesrat vorschlägt.
        Ernst Burgbacher (FDP): Als Vorsitzender der süd-
        badischen FDP kenne ich die Problematik von Land-
        pachten und Landkäufen durch Schweizer Landwirte im
        südbadischen Raum seit geraumer Zeit. Diese Land-
        käufe und Landpachten von Schweizer Landwirten in
        unserer Region stellen für unsere Bauern eine ernst zu
        nehmende Existenzgefährdung großen Ausmaßes dar.
        Hier ist Handeln, und zwar rasches Handeln, dringend
        geboten.
        Auch wenn das Problem des Grundstücks- und Land-
        pachtverkehrs bereits seit 30 Jahren existiert, hat es sich
        in den letzten Jahren durch verschiedene Änderungen
        der Rahmenbedingungen deutlich verschärft und zuneh-
        mend bedrohlichere Ausmaße angenommen.
        Auf Initiative des Landes Baden-Württemberg hat der
        Bundesrat einen Gesetzentwurf zur Änderung des
        Grundstücksverkehrs- und Landpachtverkehrsgesetzes
        vorgelegt. Ich unterstütze diese Gesetzesinitiative nach-
        drücklich. Die FDP-Bundestagsfraktion steht an der
        Seite unserer Landwirte. Die bestehenden Ungerechtig-
        keiten zulasten unserer Bauern dürfen nicht länger hin-
        genommen werden. Ursache für die massiven Wettbe-
        werbsverzerrungen ist eine hoch subventionierte
        Landwirtschaft in der Schweiz, die es Schweizer Land-
        wirten ermöglicht, baden-württembergische Landwirte
        bei Erwerb und Pacht von landwirtschaftlichen Flächen
        aus dem Feld zu schlagen.
        Ich habe mich in dieser Angelegenheit bereits im Jahr
        2003 aktiv eingeschaltet und die zuständigen Stellen auf
        die Schwierigkeiten, denen sich unsere südbadischen
        Landwirte ausgesetzt sehen, hingewiesen und Abhilfe
        angemahnt. Im Sommer letzten Jahres hatte ich den da-
        maligen zuständigen EU-Kommissar Fischler ange-
        schrieben, um ihn für diese Thematik zu sensibilisieren.
        Mehrfach hatte ich mich mit Anfragen an die Bundesre-
        gierung gewandt. Ich hatte an Bundeslandwirtschaftsmi-
        nisterin Renate Künast geschrieben und sie eindringlich
        aufgefordert, sich vor Ort ein Bild von der Lage zu ma-
        chen. Doch trotz eines Besuchs in der Schweiz, bei dem
        sie sich über Hühnerhaltung informierte, hat es die zu-
        ständige Ministerin nicht für nötig befunden, auch das
        Gespräch mit den Landwirten in Baden-Württemberg zu
        suchen und sich persönlich einen Eindruck von der Situa-
        tion unserer Bauern und ihrer Familien zu verschaffen.
        Ein Besuch vor Ort und das Gespräch mit südbadi-
        schen Landwirten im Grenzgebiet hätte ihr sicher die
        Augen geöffnet, wie ich aus eigener Erfahrung berichten
        kann. Ich habe mich oft mit betroffenen Landwirten un-
        terhalten und stehe in regelmäßigem Austausch mit dem
        Badischen Landwirtschaftlichen Hauptverband.
        Die Tatenlosigkeit der rot-grünen Bundesregierung ist
        unverständlich und völlig inakzeptabel. Auch das Ver-
        halten von Bundesaußenminister Fischer war eine bittere
        Enttäuschung für die betroffenen Landwirte. Erst Ende
        November letzten Jahres hatte dieser dem baden-
        württembergischen Ministerpräsidenten Teufel schrift-
        lich versichert, dass ihm an einer Lösung des Problems
        gelegen sei. Doch entgegen diesen – wie wir nun wis-
        sen – leeren Versprechungen hat die Bundesregierung
        eine negative Stellungnahme zum Gesetzentwurf abge-
        geben.
        Die von der Bundesregierung geäußerten Zweifel an
        der Verfassungsmäßigkeit des baden-württembergischen
        Gesetzentwurfs sind durch ein Rechtsgutachten von Pro-
        fessor Kirchhof von der Universität Tübingen entkräftet
        worden. Professor Kirchhof kommt zu dem Ergebnis,
        dass der Gesetzentwurf zur Änderung des Grundstücks-
        verkehrsgesetzes und des Landpachtverkehrsgesetzes
        den Vorgaben für Rechtsverordnungsermächtigungen
        des Art. 80 Abs. 1 GG genüge und sich im Einklang mit
        den Grundrechten der Art. 14 und 12 GG halte.
        Entscheidend ist aus meiner Sicht, dass wir zu einer
        raschen und möglichst unbürokratischen Lösung des
        Problems kommen. Wie und auf welchem Wege dies ge-
        schieht, erscheint mir im Augenblick eher sekundär.
        Viele unserer Betriebe in Südbaden sind in ihrer Exis-
        tenz bedroht. Wichtig ist, dass hier zügig Abhilfe ge-
        schaffen wird, um diese Bedrohung abzuwenden.
        Anlage 4
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Antrags: Zum Beginn der De-
        kade „Wasser zum Leben“ der Vereinten Natio-
        nen (Tagesordnungspunkt 14)
        Dagmar Schmidt (Meschede) (SPD): Nächsten
        Dienstag, am 22. März, am Weltwassertag, beginnt die
        UN-Dekade „Wasser für das Leben“. Damit unterstrei-
        chen die Vereinten Nationen ihre Entschlossenheit, das
        Thema Wasser im Blickpunkt zu behalten. Es muss ge-
        lingen, den Anteil der Menschen ohne Zugang zu
        15606 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2005
        (A) (C)
        (B) (D)
        sauberem Trinkwasser und ohne Zugang zu sanitären
        Basiseinrichtungen bis 2015 zu halbieren.
        Wir möchten mit dieser Debatte zum Gelingen beitra-
        gen. Wieder einmal sind wir es, die dieses Thema in den
        Bundestag gebracht haben. Schon vor zweieinhalb Jah-
        ren waren es die Regierungsparteien, die die Wasser-
        frage erörtert und mit einem Antrag deren Bedeutung für
        die deutsche Entwicklungszusammenarbeit unterstrichen
        haben. Eines haben wir bereits damals deutlich gemacht:
        Wasser ist kein beliebiges Wirtschaftsgut, Wasser ist ein
        öffentliches Gut. Wir haben bereits damals deutlich ge-
        macht, dass der Zugang zu sauberem Trinkwasser ein
        Menschenrecht ist. Das bestreitet in diesem Hause sicher
        niemand. Dennoch überlegen Sie einmal, wenn Sie vier
        Tage alle Wasserhähne und sanitären Einrichtungen in
        Küche und Bad einmal nicht benutzen, vier Tage den
        Wasserkasten in der Ecke einmal nicht anrühren, vier
        Tage einmal versuchen, Wasser zur Befriedigung der
        Grundbedürfhisse im wahrsten Sinne des Wortes auf der
        Straße zu finden.
        Nur vier Tage – dies ist nämlich ungefähr die Zeit, die
        ein Mensch ohne Wasseraufnahme überleben kann.
        Diese Tatsache unterstreicht unsere Abhängigkeit von
        den natürlichen Lebensgrundlagen und unsere Verletz-
        barkeit, eine Verletzbarkeit, die wir in unserer Überfluss-
        gesellschaft, in der sauberes Trinkwasser eine Selbstver-
        ständlichkeit ist, häufig verdrängen.
        Machen wir es uns eigentlich ausreichend klar, ist es
        uns überhaupt bewusst, dass die Versorgung mit saube-
        rem Trinkwasser und eine effiziente Abwasserentsor-
        gung die Grundvoraussetzung für soziale und wirtschaft-
        liche Entwicklung ist? Stört es uns denn überhaupt nicht,
        dass noch immer mehr als eine Milliarde Menschen ohne
        Zugang zu sauberem Trinkwasser sind? Immer noch ha-
        ben mehr als 2,5 Milliarden Menschen keinen Zugang zu
        einer geregelten Abwasserentsorgung. Schenken wir die-
        sen Menschen doch unser Gehör. Sie alle sind arm! Sie
        alle haben dieses gemeinsame Merkmal, egal ob Sie in
        Südasien, in Lateinamerika oder ob Sie in Afrika südlich
        der Sahara leben. Armut und der Mangel an sauberem
        Trinkwasser bzw. an sanitären Basiseinrichtungen gehen
        Hand in Hand.
        Die Folgen für die Betroffenen sind gravierend. 1,8 Mil-
        lionen Menschen sterben pro Jahr an den Folgen von
        Durchfallerkrankungen. Insbesondere Kinder sind durch
        unhygienische sanitäre Zustände bedroht. Alleine am
        heutigen Tag sind wieder 4 000 Kinder weltweit an den
        Folgen von verunreinigtem Trinkwasser qualvoll zu-
        grunde gegangen. In Afrika gehen nach Schätzung der
        Weltgesundheitsorganisation 40 Milliarden Arbeitsstun-
        den pro Jahr durch die Beschaffung von Trinkwasser
        verloren – 40 Milliarden! Diese Zeit wird gerade Mäd-
        chen und Frauen weggenommen. Wegen ihrer Pflichten
        bei der Beschaffung von Trinkwasser können sie nicht
        zur Schule gehen. Analphabetismus hat einen fatalen
        Bezug zur Wasser- und Abwasserfrage.
        Deshalb sind das Trinkwasserziel der Millenniums-
        Deklaration und das Sanitärziel des Johannesburg-Ak-
        tionsplanes Grundvoraussetzungen für eine nachhaltige
        Bekämpfung der Armut!
        Mit unserem heutigen Antrag wollen wir fünf Jahre
        nach der Verabschiedung der Millenniums-Entwick-
        lungsziele erstmals Bilanz ziehen. Wo stehen wir heute?
        Die Weltgesundheitsorganisation WHO und das UN-
        Kinderhilfswerk UNICEF haben im August 2004 eine
        Zwischenbilanz über die Erreichung der Millenniums-
        Entwicklungsziele bei der Trinkwasserversorgung und
        bei der Entsorgung von Abwässern vorgelegt.
        Basierend auf den Ausgangswerten von 1990 und den
        Zahlen von 2002 kommen die UN-Organisationen zu
        folgendem Ergebnis: Die Weltgemeinschaft ist zwar auf
        einem guten Weg, das Trinkwasser-Ziel der Millen-
        niums-Deklaration zu erreichen, ohne eine deutliche
        Kraftanstrengung wird das Ziel im Bereich der Abwas-
        serentsorgung jedoch um eine halbe Milliarde Menschen
        verfehlt.
        Unabhängig von den Durchschnittswerten zeigt die
        Bilanz aber Licht und Schatten. Die Unterschiede zwi-
        schen den Regionen, zwischen Stadt und Land und zwi-
        schen Arm und Reich sind gewaltig. Immerhin haben
        zwischen 1990 und 2002 1,1 Milliarden Menschen erst-
        mals Zugang zu sicherem Trinkwasser erhalten. Immer-
        hin haben eine Milliarde Menschen im selben Zeitraum
        erstmals Zugang zu einer geregelten Abwasserversor-
        gung erhalten. Dies sind beeindruckende Zahlen, die je-
        doch durch das gleichzeitige Bevölkerungswachstum re-
        lativiert werden.
        Was bleibt also zu tun? Angesichts der enormen
        menschlichen Opfer, die ein Verfehlen der Entwick-
        lungsziele im Bereich der Trinkwasserversorgung und
        der Abwasserentsorgung zur Folge hätte, dürfen wir mit
        unseren Bemühungen nicht nachlassen. Im Gegenteil,
        trotz der gewaltigen Steigerungsraten müssen wir unsere
        Anstrengungen im Bereich der Trinkwasserversorgung
        verstärken. Unser Hauptaugenmerk muss dabei den
        ärmsten Ländern und den ärmsten Bevölkerungsschich-
        ten in den städtischen Slums und den ländlichen Regio-
        nen gelten. Wir müssen unsere Anstrengungen im Be-
        reich der Abwasserentsorgung – auch mit Beteiligung
        der Privatwirtschaft – deutlich intensivieren. Eine Ana-
        lyse der Weltgesundheitsorganisation hat ergeben, dass
        jährlich 11,3 Milliarden US-Dollar zusätzlich investiert
        werden müssten, um im Jahr 2015 die Millenniumsziele
        im Wasser- und Sanitärbereich zu erreichen. Die Investi-
        tion lohnt sich auf jeden Fall.
        Durch die Eindämmung von Seuchen könnten die Ge-
        sundheitskosten in den betroffenen Ländern deutlich ge-
        senkt werden. Die Zeitersparnis bei der Beschaffung von
        Trinkwasser könnte in höhere Produktivität, höhere Bil-
        dung und mehr Freizeit umgewandelt werden. Auf die-
        ser Grundlage kommt die Weltgesundheitsorganisation
        pro investierten Dollar auf eine Gewinnspanne zwischen
        3 und 34 US-Dollar.
        Uns, der rot-grünen Bundesregierung sind diese Zu-
        sammenhänge klar. Deutschland ist mit rund 350 Millio-
        nen Euro jährlich der zweitgrößte Geber im Wassersek-
        tor weltweit. Der Wassersektor ist ein Schwerpunkt in
        der deutschen Entwicklungszusammenarbeit mit 27 Län-
        dern. Diese Anstrengungen zeigen greifbare Erfolge.
        Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2005 15607
        (A) (C)
        (B) (D)
        Wir sollten, statt immer zu klagen und Kassandra zu
        spielen, solche Erfolge herausstreichen.
        Tansania und Vietnam gehören zu denjenigen Län-
        dern, die in ihren Regionen die größten Fortschritte bei
        der Versorgung mit sauberem Trinkwasser gemacht ha-
        ben. Das belegen die Zahlen des Entwicklungspro-
        gramms der UN. In Tansania konnte der Anteil der Be-
        völkerung mit Zugang zu sauberem Trinkwasser von
        38 Prozent auf 69 Prozent gesteigert werden. In Vietnam
        wurde ebenfalls eine Steigerung von 55 Prozent auf
        78 Prozent erreicht. In beiden Ländern ist der Wasser-
        sektor ein Schwerpunkt der bilateralen Entwicklungszu-
        sammenarbeit mit Deutschland.
        Unser Antrag geht gerade auf diejenigen Länder ein,
        in denen der Wassersektor in der Entwicklungszusam-
        menarbeit einen Schwerpunkt bildet. Wir werden dafür
        kämpfen, dass in diesen Ländern die Millenniumsziele
        im Wasser- und Sanitärbereich erreicht werden. Mit un-
        seren Forderungen unterstreichen wir: Es ist uns Ernst
        mit der Erreichung der Millenniums-Entwicklungsziele,
        wir tauchen nicht ab angesichts von Herauforderungen
        und Unwägbarkeiten. Mit unseren Forderungen unter-
        streichen wir auch, dass es uns Ernst ist mit der Bekämp-
        fung der weltweiten Armut und dem Schutz unserer na-
        türlichen Lebensgrundlagen. Wir befinden uns dabei in
        Übereinstimmung mit UN-Generalsekretär Kofi Annan,
        der anlässlich des Weltwassertages 2004 die zentrale Be-
        deutung der Wasserfrage für die Armutsbekämpfung und
        für eine nachhaltige Entwicklung betonte.
        Mit der beginnenden UN-Dekade „Wasser für das Le-
        ben“ unterstreicht die Weltgemeinschaft nochmals diese
        Aussage und konzentriert ihre Kräfte in diesem Bereich.
        Kofi Annan kann sich unserer Unterstützung bei seinen
        Bemühungen sicher sein.
        Abschließend möchte ich noch einmal auf die ent-
        wicklungspolitische Debatte vom Juni 2002 zurückkom-
        men. Die Oppositionsparteien haben sich bei der damali-
        gen Abstimmung zu unserem Wasser-Antrag enthalten.
        Inhaltlich hatten Sie weder durch einen eigenen Antrag
        noch in einem Ihrer Debattenbeiträge etwas Konstrukti-
        ves beizutragen. Zu einer Zustimmung zu richtigen
        Schritten konnten Sie sich nicht durchringen. Das Fehlen
        eigener inhaltlicher Konzepte entschuldigte der Kollege
        Hedrich damit, die Opposition wolle der überladenen
        Tagesordnung keine weiteren Punkte hinzufügen. Diese
        Ausrede wird Ihnen heute niemand abnehmen. Bei ei-
        nem einzigen Thema unter diesem Tagesordnungspunkt
        hätten Sie wirklich in der Lage sein können, etwas Eige-
        nes auf die Beine zu stellen. Leider Fehlanzeige! – Viel-
        leicht aber auch ein Ausdruck Ihrer klammheimlichen
        Zufriedenheit mit unserer Arbeit bei der Umsetzung der
        Millenniums-Entwicklungsziele und des Johannesburg-
        Aktionsplanes.
        Wir erwarten auf jeden Fall gelassen Ihre Vorschläge
        in den bevorstehenden Beratungen. Wandeln Sie Ihre
        klammheimliche Zustimmung in eine konstruktive um.
        Ulrich Petzold (CDU/CSU): Ich kann mich bei dem
        vorliegenden Antrag des Eindrucks nicht erwehren: Hier
        hat jemand gerade noch rechtzeitig mitbekommen, dass
        am 22. März, am Weltwassertag, die von den Vereinten
        Nationen ausgerufene Dekade „Wasser zum Leben“ be-
        ginnt, und er möchte noch ein wenig davon politisch
        profitieren. Doch die allzu große Hast und Eile, die wir
        bei der Einbringung des Antrages erlebt haben, tut einem
        Antrag selten gut. So wird in dem Antrag das Wasser-
        problem leider weitgehend auf die soziale Frage einge-
        engt, während andere Aspekte eher vernachlässigt wer-
        den.
        Bereits in den 80er-Jahren war von den VN eine De-
        kade der „Trinkwasserversorgung und Hygiene“ ausge-
        rufen worden. Allerdings, so muss man heute konstatie-
        ren, nur mit mäßigem Erfolg. Statt des angestrebten
        hundertprozentigen Versorgungsgrades wurde trotz einer
        bemerkenswerten Mobilisierung nationaler und interna-
        tionaler Investitionsmittel der Bevölkerungsanteil in den
        Entwicklungsländern mit direktem Zugang zu sauberem
        Trinkwasser lediglich auf 70 Prozent erhöht. Aufgrund
        des Bevölkerungswachstums und der Verstädterung
        konnte mit diesem Programm die absolute Zahl von
        Menschen ohne qualitativ und quantitativ ausreichende
        Wasserversorgung und sanitäre Anlagen nicht oder nur
        unwesentlich verringert werden. Deshalb bin ich gegen-
        über der überschwänglichen Begeisterung, mit der der
        Antrag den Beginn der Dekade feiert, eher etwas skep-
        tisch. Die bescheidenen Ergebnisse der Dekade in den
        80er-Jahren sollten uns eher zum Überlegen als zu
        Schnellschüssen veranlassen.
        Daher meine Fragen an Sie, meine Damen und Herren
        der Regierungskoalition: Warum wurde in dem Antrag
        nicht mehr auf demographische Trends wie Bevölke-
        rungsentwicklung und Wanderungsbewegungen einge-
        gangen? Wieso kommen die ökologischen Faktoren wie
        Klimaveränderungen, Versteppung, Wüstenbildung und
        Versalzung von Böden, wenn überhaupt, nur in Neben-
        sätzen vor?
        Grundwasserbildung und Oberflächenwasserrückhal-
        tung durch Ökosysteme dürfen in einem solchen Antrag
        ebenfalls nicht fehlen, soll in ihm auch nur ansatzweise
        die Problematik der Wasserversorgung aufgezeigt wer-
        den. Wasserversorgung ist damit ein zutiefst ökologi-
        sches Problem.
        Die Zahl der Länder, in denen eine Wasserentnahme
        über dem erneuerbaren Angebot erfolgt, ist durchaus
        lang und wird von Libyen angeführt, in dem fast viermal
        so viel Wasser entnommen wird, wie durch Niederschlag
        erneuert wird. Darüber hinaus entnehmen viele Länder
        einen so hohen Anteil am erneuerbaren Wasserangebot,
        dass natürliche Ökosysteme keine Chance haben. Doch
        Wasser, welches man ökologischen Systemen zur Nut-
        zung für den Menschen zu viel entnimmt, wird erst dem
        System und dann dem Menschen fehlen.
        Durch die Urbanisierung und Industrialisierung der
        Entwicklungsländer in einer frühindustriellen Form wird
        das Problem der Wasserverschmutzung, das wir aus der
        Übergangsgesellschaft Osteuropas kennen, immer aku-
        ter. Agrarchemikalien, die in den Industrieländern längst
        verboten sind, belasten das Wasser und zerstören die
        15608 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2005
        (A) (C)
        (B) (D)
        Bodenstrukturen, sodass eine Regenerierung von Ab-
        wässern nicht mehr erfolgt.
        Die ökologische Dimension von Wasserverschmut-
        zung und Wasserverknappung ist auf internationaler
        Ebene erkannt. Gleichwohl weichen die Meinungen er-
        heblich voneinander ab. In einigen Entwicklungsländern
        besteht weiterhin die Einschätzung, dass der Norden in
        internationalen Verhandlungen zu einer Überakzentuie-
        rung ökologischer Aspekte tendiere, die er selbst aber
        nicht umsetze und deren Realisierung die Länder des Sü-
        dens überfordere.
        Deshalb müssen wir die wassersparenden Technolo-
        gien, die bei uns entwickelt wurden, auch bei uns einset-
        zen. Es kann nicht sein, dass eine abwasserfreie Auto-
        waschanlage zwar bei uns den blauen Umweltengel
        bekommt, aber der Einsatz in der Praxis regelmäßig
        scheitert, weil die Kommunen anscheinend auf das Ab-
        wasser aus den Waschanlagen für die kommunalen Klär-
        anlagen angewiesen sind. Oder denken Sie daran, wel-
        che Probleme bei uns Kleinkläranlagen bereitet werden.
        Der Einsatz von Endomykorrhizapilzen – bei uns zu Pra-
        xisreife gebracht –, mit denen man Wasser- und Dünge-
        mittel sparend Landwirtschaft betreiben kann, kommt
        bei uns nicht voran, weil sich die Einsatzkosten erst in
        nachfolgenden Jahren rechnen. Wenn wir nicht bereit
        sind, unsere modernsten Wassertechnologien bei uns
        selbst einzusetzen, wie sollen andere uns glauben und
        unsere Technologien anwenden?
        Die bisherigen Erfahrungen haben gezeigt, dass das
        Beschließen weltweiter Aktionsprogramme allein kein
        Königsweg für den Aufbau nationaler Handlungskapazi-
        täten im Wassermanagement ist. Es wäre wünschens-
        wert, das Aktionsprogramm einer neuen Wasserdekade
        mit der Verabschiedung eines politisch, möglichst auch
        rechtlich verbindlichen Übereinkommens zu verbinden.
        Mit einem völkerrechtlich verbindlichen Übereinkom-
        men, das bindende Berichts- und Kontrollmechanismen,
        eine verbesserte und sichere Finanzierung sowie eine
        wissenschaftliche Begleitung beinhaltet, könnte unserer
        Auffassung nach der neuen Dekade auch in ökologi-
        schen Fragen am ehesten zum Erfolg verholfen werden.
        Christa Reichard (Dresden) (CDU/CSU): Klaus
        Töpfer, der Direktor des UN-Umweltprogramms, sagt
        bereits seit Jahren:
        Die Frage, wie wir auf der Welt mit Wasser umge-
        hen, wird an vielen Orten über Krieg und Frieden
        mitentscheiden.
        Aber die Wasserprobleme, denen unsere Welt gegen-
        übersteht, müssen nicht nur Ursache für Spannungen
        sein; sie können auch als Katalysator für Zusammenar-
        beit wirken. Zwei Drittel der größten Flüsse der Welt
        durchfließen mehrere Staaten, mehr als 300 Flüsse über-
        queren nationale Grenzen.
        Erstmalig brachten die Vereinten Nationen 2003 ei-
        nen Weltwasserentwicklungsbericht heraus. Der Bericht
        beschreibt die Ausgangssituation der Weltwasserkrise
        und analysiert die globalen Süßwasservorkommen. Er
        befasst sich mit den Herausforderungen für die Siche-
        rung von Gesundheit und Ernährung einer wachsenden
        Bevölkerung und dem Wassermanagement zugunsten ei-
        ner nachhaltigen Bewirtschaftung und Ordnungspolitik.
        Die Welt steuert nach Einschätzung der Vereinten Na-
        tionen auf eine dramatische Wasserkrise zu. Mitte dieses
        Jahrhunderts haben demnach im schlimmsten Fall 7 Mil-
        liarden Menschen, im günstigsten Fall 2 Milliarden mit
        Wasserknappheit zu kämpfen.
        Die weltweite Wasserkrise sei die größte Bedrohung
        für das Überleben der Menschheit, lautet die eindringli-
        che Warnung dieses ersten Welt-Wasser-Berichts der
        Vereinten Nationen. Während in den reichen Industrie-
        staaten Wasser verschwendet wird, bringt das Bevölke-
        rungswachstum in den trockenen Gebieten der Erde – im
        Nahen Osten, in Nordafrika und Südasien – akute Was-
        serknappheit mit sich. Eine einzige Toilettenspülung in
        den Industrieländern verbraucht so viel Wasser, wie eine
        Person in einem Entwicklungsland pro Tag für Waschen,
        Trinken und Kochen zur Verfügung hat.
        1,1 Milliarden Menschen, etwa ein Sechstel der Welt-
        bevölkerung, haben keinen Zugang zu sauberem Wasser.
        In den Entwicklungsländern versickern 90 Prozent der
        Abwässer ungeklärt oder werden in Flüsse abgeleitet.
        Verschmutztes Trinkwasser und mangelhafte Abwasser-
        entsorgung sind die Ursache für 80 Prozent aller Krank-
        heiten in Entwicklungsländern. Täglich sterben 6 000
        Kinder an Krankheiten, die durch unsauberes Wasser
        übertragen werden.
        „Diese Krise ist eine Krise des Wassermanagements,
        verursacht im Wesentlichen durch unsere falsche Be-
        wirtschaftung von Wasser“, heißt es im Welt-Wasser-Be-
        richt. Deutschland hat diese dramatische Situation schon
        seit längerer Zeit erkannt und ist nach wie vor mit etwa
        350 Millionen Euro jährlich der größte europäische Ge-
        ber im Wassersektor, weltweit der zweitgrößte. Auch bei
        den Ausgaben der Weltbank hat der Wassersektor hohe
        Priorität. Ein erheblicher Teil des jährlichen Weltbank-
        budgets fließt daher in Projekte für Wassermanagement,
        Wasserversorgung, häusliche Hygiene, Abwasserbe-
        handlung, Hochwasserschutz und Abfallwirtschaft.
        Der Schwerpunkt liegt zunehmend auf sektorüber-
        greifenden Projekten, in denen neben Umweltaspekten
        auch sozioökonomische Aspekte wie Hygieneerziehung
        berücksichtigt werden. Im Rahmen eines Fraunhofer
        Weltbankprojektes befasst sich die Arbeitsgruppe „Was-
        ser, Abwasser und Abfall“ mit diesem Themenkomplex.
        Gemeinsam mit Unternehmen verbindet das Fraunhofer
        Institut technologische Expertise und innovative Ansätze
        in den Bereichen Wassermanagement, Wasserversor-
        gung, Abwasserreinigung und Abfallwirtschaft für Pro-
        blemlösungen in ausgewählten Zielländern.
        Weltweit ist die Entwicklungshilfe rückläufig. Nur
        private Investitionen können die riesigen Bedarfe an In-
        frastrukturinvestitionen decken. Für private Unterneh-
        men wird dementsprechend ein Wachstum des Marktes
        von derzeit circa 90 Milliarden Euro auf 450 Milliarden
        Euro im Jahre 2010 erwartet. Gefordert sind Investitio-
        nen in schwierigem Umfeld, also im besten Sinne des
        Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2005 15609
        (A) (C)
        (B) (D)
        Wortes unternehmerisches Handeln im weltweiten Wett-
        bewerb.
        Der Wandel des Weltwassermarkts hin zum Betrei-
        bergeschäft hat in Deutschland mit dem Ausverkauf des
        deutschen Wasseranlagenbaus bereits erste Spuren hin-
        terlassen. Bei einer Beibehaltung des Status quo wird die
        deutsche Wasserwirtschaft ebenso wie im Energiebe-
        reich erhebliche Chancen auf den Weltmärken verpas-
        sen.
        Hier setzen meine Fragen und Forderungen an die
        Bundesregierung an. Hier sehe ich auch ein wesentliches
        Defizit im Antrag von Rot-Grün, der uns gestern anläss-
        lich des Beginns der Dekade „Wasser zum Leben“ vor-
        gelegt wurde. Wenn wir uns als größter europäischer Ge-
        ber im internationalen Wassersektor hervortun, muss
        doch auch die Frage erlaubt sein, welchen Anteil deut-
        sche Technologien und die deutsche Wasserwirtschaft
        insgesamt an diesem Auftragsvolumen haben.
        Mir sind Klagen aus der deutschen Wasserwirtschaft
        bekannt, dass durch die Kleinteiligkeit der kommunalen
        Wasserpolitik in Deutschland viel zu wenig Potenzial
        entwickelt wurde, um sich bei internationalen Aus-
        schreibungen erfolgreich zu beteiligen. Ein weiterer
        Grund für erfolglose Beteiligungen bei Ausschreibungen
        ist der Mangel an Erfahrungen und nachgewiesenen Pro-
        jekten im internationalen Wassergeschäft. Wie schätzt
        die Bundesregierung die Möglichkeiten ein, im Rahmen
        des Wiederaufbaus in den Tsunami-Katastrophengebie-
        ten bei Projekten im Wassersektor, die von deutschen
        Geldern finanziert werden, deutsche Anbieter zu bevor-
        zugen, um endlich auch Referenzprojekte vorweisen zu
        können? Denn eines ist sicher: Die deutsche Wasserwirt-
        schaft besitzt hervorragende Voraussetzungen, um kurz-,
        mittel- und langfristig beim Wiederaufbau, der Erweite-
        rung oder der Erstellung der Infrastruktur in der Wasser-
        ver- oder Abwasserentsorgung in den betroffenen Staa-
        ten mitzuwirken. Die deutsche Wasserwirtschaft hat ihre
        Unterstützung angeboten. Die Bundesregierung sollte
        diese Hilfsbereitschaft nicht mit unnötig komplizierten
        Ausschreibungsgrundsätzen und einem starren Örtlich-
        keitsprinzip behindern, sondern die Entbürokratisierung
        vorantreiben.
        Ich sagte zu Beginn meiner Rede, dass die Wasserpro-
        blematik auch als Katalysator für die Zusammenarbeit
        dienen kann. Hier haben wir die Chance, die internatio-
        nale Zusammenarbeit zwischen Kommunen und Unter-
        nehmen und die interkommunale Zusammenarbeit in
        Form von Public Private Partnerships zu fördern, um die
        Ressource Wasser, die die Vereinten Nationen in den
        Mittelpunkt dieser Dekade gestellt haben, nachhaltig zu
        erhalten und für alle verfügbar zu machen.
        Ulrich Heinrich (FDP): Meiner Rede möchte ich ein
        Zitat von Kofi Annan voranstellen:
        Die Verfügbarkeit von Wasser ist ein fundamentales
        menschliches Bedürfnis und deshalb ein Grund-
        recht. Verseuchtes Wasser bedroht die körperliche
        Gesundheit, aber auch die Gemeinschaft der Men-
        schen. Es ist ein Verstoß gegen die Menschen-
        würde.
        Diesem Zitat stimmen wir ausdrücklich zu. Wir wol-
        len deshalb auch dazu beitragen, dass die vorhandenen
        Ressourcen sparsam und ökonomisch genutzt werden
        und gleichzeitig der Zugang zum Lebensmittel Nummer
        eins für alle ermöglicht wird.
        Wasser muss allen Menschen frei, aber nicht kosten-
        los zur Verfügung stehen. Das bedeutet, Wasser hat ei-
        nen Preis. Nur so wird mit dem vorhandenen Wasser
        sorgsam umgegangen und nur so kann die Ressource
        Wasser auch in Zukunft gesichert werden. Es kostet
        Geld, Wasser aufzubereiten, Wasserleitungen zu legen
        und Abwasser zu reinigen. Es steht jedem Staat frei,
        durch Subventionen die Kosten für Bedürftige abzumil-
        dern. Doch die öffentliche Hand hat nur die Aufgabe, die
        gesetzlichen Rahmenbedingungen zu schaffen, um das
        öffentliche Gut Wasser zu verteilen, die Gesundheits-
        standards festzulegen und die Reserven nachhaltig zu
        schützen. Die private Wirtschaft ist es, die kosteneffi-
        zient und -transparent Investitionen und Dienstleistungen
        rund um das Wasser anbieten kann. So muss beispiels-
        weise die technische Ausführung für die Wasseraufbe-
        reitung, Verteilung und Abwasserreinigung in einer Re-
        gion durch öffentliche Ausschreibung an private Firmen
        vergeben werden.
        Die überragende Bedeutung des Wassers möchte ich
        Ihnen anhand einiger Zahlen verdeutlichen. Jedes zweite
        Klinikbett weltweit wird von jemandem gebraucht, der
        durch schmutziges Wasser krank geworden ist. Täglich
        sterben 6 000 Kinder an Krankheiten, die durch fehlende
        sanitäre Anlagen verursacht werden. Hier wird deutlich,
        dass nicht nur der Zugang zu sauberem Wasser lebens-
        notwendig ist, sondern auch die Entsorgung und Aufbe-
        reitung des Abwassers eine große Herausforderung dar-
        stellt.
        Und noch zwei Zahlen: 40 Prozent der Welternte
        wächst auf künstlich bewässertem Land. Dafür werden
        70 Prozent des weltweit verbrauchten Süßwassers benö-
        tigt. Aus diesem Grund ist es so dringend notwendig, in
        den Gebieten, die ohne zusätzliche Bewässerung Nah-
        rungsmittel produzieren können, die Produktion zu stei-
        gern und alle Möglichkeiten des modernen Landbaus zu
        nutzen. Ich unterstreiche hier ausdrücklich, alle Mög-
        lichkeiten, auch die der Grünen Gentechnik. Heute
        schon haben wir hier Züchtungen, die aufgrund ihrer
        Salzresistenz auf Flächen angebaut werden könnten, die
        bislang nicht agrarisch genutzt werden konnten.
        Der zweite Bereich, den ich ansprechen möchte, ist
        die Schaffung von neuen Anbaugebieten. Die Wissen-
        schaft hat festgestellt, dass die Dürre der Sahelzone
        durch veränderte Temperaturen im Atlantik verursacht
        wurde und die wiederum durch die Luftverschmutzung
        der Amerikaner und Europäer. Deshalb sind wir aufge-
        fordert, insbesondere den Ausstoß an CO2 drastisch zuverringern und aktiv gegen weitere Versteppungen und
        Verkarstungen vorzugehen. Dies kann durch eine pro-
        gressive Wiederaufforstungspolitik und mit moderner
        Landbewirtschaftung erreicht werden.
        Zum Schluss möchte ich ein paar Anmerkungen zu
        ihrem Antrag machen. Sie stellen fest, dass sich die Bun-
        desregierung stark im Bereich Wasser engagiert. Das ist
        gut und wird zu Recht gelobt. Wir können Ihren Antrag
        15610 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2005
        (A) (C)
        (B) (D)
        im Grundsatz auch akzeptieren. Um ihm zuzustimmen,
        müssten jedoch drei Veränderungen vorgenommen wer-
        den.
        Erstens. Sie fordern, dass auf die Entwicklungsländer
        bei der Liberalisierung des Wassersektors im Rahmen
        der GATS-Abkommen kein Druck ausgeübt werden soll.
        Diese Liberalisierung ist jedoch notwendig für Investiti-
        onen und die Entwicklung dieses Dienstleistungsberei-
        ches. Nicht der Staat ist der effektivste Verteiler von
        Wasser, sondern die private Wirtschaft.
        Zweitens. Ihrem Antrag fehlt die ökonomische Be-
        trachtung der sozialen, ökologischen und finanziell
        nachhaltigen Wasserversorgung.
        Drittens. Es gibt keinerlei Bezug zur Versteppung und
        Desertifikation in Ihrem Antrag und die Verbindung und
        Verzahnung zu anderen Umweltbereichen, zum Beispiel
        dem Wald als Reservoir für Grundwasser, wird völlig
        vernachlässigt.
        Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos): Anfang diesen
        Jahres fand in Brasilien, in Porto Alegre, das 5. Weltso-
        zialforum statt. Ich habe an diesem Treffen teilgenom-
        men und auf zahlreichen Veranstaltungen miterlebt, wie
        sehr die Frage des Zugangs zu sauberem und gesundem
        Wasser die Menschen vor allem der Länder des Südens
        bewegt. Der Zugang zu Wasser – so die übereinstim-
        mende Aussage – ist ein Menschenrecht. Uns sollte vor
        allem die Frage beschäftigen, wie wir hier in Deutsch-
        land und in Europa dazu beitragen, dass dieser Zugang
        für alle Menschen auf der Welt gewährleistet wird. Ich
        kann einerseits die im Antrag formulierten Ziele unter-
        stützen, will aber andererseits die Initiatoren des Antra-
        ges auffordern, sehr genau darauf zu achten, was mit ih-
        rem Antrag geschieht.
        Bundeskanzler Schröder hat heute in seiner Regie-
        rungserklärung unter großem Beifall der SPD-Fraktion
        gesagt, dass die Bolkestein-Richtlinie so nicht in Kraft
        treten wird. Der Aussage hier vor dem Deutschen Bun-
        destag muss aber auch eine wirksame Einflussnahme in
        Brüssel folgen.
        In vielen Ländern des Südens sind die Bedingungen
        von Wasserver- und Abwasserentsorgung prekär. Durch
        die fehlende Wasserver- und Abwasserentsorgung wer-
        den die nahen Ressourcen übernutzt und verseucht. Da-
        mit wird ein teuflischer Kreislauf in Gang gesetzt. Die
        Bedingungen verschlechtern sich immer mehr. Wasser-
        knapphheit und schlechte Wasserinfrastruktur behindern
        die Entwicklung in den Ländern des Südens gravierend.
        Aber auch Industrieländer haben zunehmend mit Was-
        serknappheit und schlechter Infrastruktur zu kämpfen.
        Deshalb ist es so entscheidend, dass das öffentliche Gut
        Wasser nicht den Verwertungsinteressen von Kartellen
        und Konzernen ausgeliefert wird. Hier sehen wir als
        PDS eine besondere Verantwortung der Bundesrepublik.
        Immer wieder seit der Konferenz von Rio de Janeiro
        1992 hat die internationale Staatengemeinschaft ihren
        Willen bekräftigt, die internationalen Wasserressourcen
        zu schützen.
        Das Problem besteht allerdings in Folgendem: So-
        wohl Staaten als auch Entwicklungshilfeinstitutionen
        setzen auf die „Washington Consensus“-Strategie priva-
        ter Investitionen. Was ist die Folge? Kredite werden an
        die Beteiligung großer Konzerne des Privatsektors ge-
        kuppelt. Die lukrative städtische Versorgung wird priva-
        tisiert. Die Konzerne sitzen gegenüber den Gemeinden
        am längeren Hebel und können es sich leisten, perma-
        nent die Verträge zu brechen. Bei Konflikten vor Ort
        droht die Gefahr, dass die Entwicklungsländer den Kür-
        zeren ziehen und Strafen zahlen müssen. In Bolivien und
        Südafrika wurden private Unternehmen aus den Versor-
        gungsgebieten verjagt. In Uruguay wurde per Volksab-
        stimmung eine Verfassungsänderung angenommen, in
        deren Ergebnis die Privatisierung von Wasserressourcen
        verboten wurde.
        Wir als PDS sind der Auffassung, dass es nicht der
        richtige Weg sein kann, dass deutsche Entwicklungshil-
        fegelder als Garantie und Stütze in internationale Vorha-
        ben deutscher Unternehmen fließen. Die bessere und vor
        allem auch nachhaltigere Alternative ist die konsequente
        Unterstützung regional entwickelter Projekte mit einem
        Minimum an notwendiger Technik und einem Maximum
        an Anpassung an die konkreten Bedingungen vor Ort.
        Der richtige Weg heißt aus unserer Sicht Hilfe zur
        Selbsthilfe statt kommerzielle Freundschaftsdienste für
        die Wasserkonzerne.
        Der Zugang zu sauberem und gesundem Wasser ist
        ein Menschenrecht. Tun wir alles, um dieses Menschen-
        recht weltweit zu verwirklichen.
        Dr. Uschi Eid, Parl. Staatssekretärin bei der Bun-
        desministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
        Entwicklung: Am kommenden Dienstag, am 22. März,
        wird der UNO-Generalsekretär Kofi Annan die UNO-
        Wasserdekade ausrufen. Deswegen ist es gut, dass der
        Deutsche Bundestag diese Debatte heute führt.
        Wasser zum Leben – was für uns in Deutschland eine
        Selbstverständlichkeit ist, ist in vielen Entwicklungslän-
        dern immer noch eine Vision. Vielerorts fehlt es an einer
        sicheren Versorgung mit sauberem Wasser. Etwa 1,3 Mil-
        liarden Menschen sind hiervon betroffen. Doppelt so
        viele haben keine ausreichende Abwasserentsorgung.
        Über 95 Prozent aller Abwässer aus Industrie und Land-
        wirtschaft werden nicht geklärt und verschmutzen wert-
        volles Trinkwasser. Es ist daher mehr als berechtigt,
        wenn die Vereinten Nationen von einer „ernsthaften
        Wasserkrise“ sprechen. Die Folgen dieser Krise liegen
        auf der Hand: Das Leben der Menschen steht auf dem
        Spiel. Tag für Tag sterben 6 000 Menschen an vermeid-
        baren Krankheiten, die durch verunreinigtes Wasser
        übertragen wurden. Hinzu kommen enorme volkswirt-
        schaftliche Schäden. Die Tatsache, dass Frauen und Kin-
        der das Wasser über weite Strecken hinweg holen müs-
        sen, bedeutet verlorene Zeit, für die Schule, für die
        Arbeit. Nach Unicef-Schätzungen bedeutet dies bei-
        spielsweise den Verlust von 40 Milliarden Arbeitsstun-
        den jedes Jahr.
        Wasser ist ein Schlüssel für die Zukunft der Men-
        schen. Sauberes Wasser bedeutet Gesundheit, Nahrung,
        Wohlergehen. Wasser ist ein wichtiger Faktor im Kampf
        gegen die Armut. Wasser ist eine wichtige Ressource für
        Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2005 15611
        (A) (C)
        (B) (D)
        die Landwirtschaft. Ohne Wasser keine Zukunft – das ist
        die Herausforderung, vor der wir stehen.
        Daher ist es sehr wichtig, dass anlässlich des Welt-
        wassertages am kommenden Dienstag, dem 22. März,
        der UNO-Generalsekretär zugleich die internationale
        Wasserdekade der Vereinten Nationen ausruft. Die Zeit
        bis 2015 muss zu einem Jahrzehnt des Wassers werden.
        Jedem muss klar sein, dass nachhaltige Entwicklung und
        sichere Wasserversorgung eng miteinander verknüpft
        sind.
        Dabei ist natürlich auch der Beitrag der Bundesregie-
        rung gefragt, und der kann sich sehen lassen, schließlich
        ist Deutschland mit rund 350 Millionen Euro pro Jahr
        nach Japan der zweitgrößte Geber im Wasserbereich.
        Lassen Sie mich einige wesentliche Punkte der deut-
        schen Entwicklungszusammenarbeit im Wassersektor
        skizzieren.
        Erstens. Zurzeit kooperieren wir mit 27 Ländern
        schwerpunktmäßig im Wasserbereich. Wir unterstützen
        unsere Partnerländer darin, den Wassersektor zu refor-
        mieren und die verantwortlichen Institutionen zu stärken.
        Es geht angesichts der immer noch hohen Wasserverluste
        um eine verbesserte landwirtschaftliche Bewässerung,
        um den Ausbau der Infrastruktur, darum, sauberes Trink-
        wasser zu den Menschen zu bringen, und schließlich
        auch darum, die sanitäre Basisversorgung zu verbessern.
        Nur so werden die wasserinduzierten Krankheiten zu-
        rückgehen. Wir fördern angepasste Bewässerungssys-
        teme und den Aufbau von Wassernutzungsgruppen.
        Zweitens. Ein weiterer Schwerpunkt unserer interna-
        tionalen Wasserpolitik liegt auf dem grenzüberschreiten-
        den Wassermanagement. Es werden internationale Dia-
        loge initiiert und Flussgebietskommissionen unterstützt,
        in denen Flussanrainerstaaten gemeinsam das Flusswas-
        ser managen. Dies dient der Prävention von Konflikten,
        die es unter Umständen bei Verknappung des Wassers
        geben könnte.
        Wasser ist unersetzlich für den Menschen. Es ist ein
        Menschenrecht. Ermutigend ist, dass einige Länder wie
        Tansania oder Tschad beachtliche Erfolge bei der Was-
        serversorgung erzielen konnten. Aber die Erreichung der
        Wasserziele bis 2015 ist deshalb noch kein Selbstläufer.
        Dass die Vereinten Nationen die Wasserdekade ausrufen,
        verdient deshalb unsere volle Unterstützung. Daher be-
        grüße ich sehr den vorliegenden Antrag.
        Anlage 5
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Antrags: Die Wahlrichtlinien
        der Entwicklungsgemeinschaft der Staaten im
        südlichen Afrika (SADC) als Maßstab für freie
        und faire Wahlen auch in Simbabwe (Tagesord-
        nungspunkt 15)
        Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD): Ist gut, dass sich
        der Deutsche Bundestag zu dieser späten Stunde mit
        Afrika befasst. Wir von der SPD-Fraktion haben den
        vorliegenden Antrag erarbeitet, in dem wir, also der
        Bundestag,
        – unsere Regierung, die Europäische Union, aber auch
        unsere Partnerstaaten im südlichen Afrika dazu auf-
        fordern, die Grundsätze der Entwicklungsgemein-
        schaft der Staaten im Südlichen Afrika, also der
        SADC, für rechtsstaatliche, freie und faire Wahlen zu
        unterstützen,
        – in dem wir mit Hochachtung und Respekt zur Kenntnis
        nehmen, dass die Wahlen im Jahr 2004 in Botswana,
        Namibia und Mosambik weitgehend unter Beachtung
        und Einhaltung dieser Wahlgrundsätze stattgefunden
        haben, was die Akzeptanz ihrer Ergebnisse durch die
        Bevölkerung in diesen Ländern, aber auch deren An-
        sehen in der Welt und die Bedeutung der SADC deut-
        lich erhöhte,
        – und in dem wir die Machthaber in Simbabwe auffor-
        dern, bei den anstehenden Wahlen am 31. März 2005
        peinlich genau auf die Einhaltung dieser Grundsätze
        zu achten.
        Ich freue mich sehr, dass es uns gelungen ist, für die-
        sen Antrag alle Fraktionen des Deutschen Bundestages
        zu gewinnen. Das erhöht die Bedeutung unserer Initia-
        tive. Es zeigt zugleich, dass der Deutsche Bundestag sich
        um die Belange in Afrika kümmert.
        In der Debatte des Deutschen Bundestages über
        Afrika vor rund einem Jahr hat unser leider viel zu früh
        verstorbener Kollege und Freund Hans Büttner, der die
        Parlamentariergruppe SADC-Staaten des Deutschen
        Bundestages und den Gesprächskreis Afrika der SPD-
        Bundestagsfraktion vor mir leitete, auf die geradezu
        schicksalhafte Verbindung zwischen Afrika und Europa
        hingewiesen. In jener Debatte warb er – und dann auch
        die Sprecherinnen und Sprecher der anderen Fraktionen,
        aber auch der Bundsregierung – eindringlich um Hilfe,
        um Unterstützung und Kooperation für die Menschen
        und Staaten Afrikas und betonte die besondere Verant-
        wortung gerade Europas aufgrund der kolonialen Ver-
        gangenheit. Hintergrund jener Verantwortung war das,
        was in der Öffentlichkeit unseres Landes, aber auch der
        Öffentlichkeit Europas das Bild Afrika prägte: Afrika,
        der „sterbende Kontinent“, der Kontinent der Katastro-
        phen, der Diktaturen und der Korruption, der Kontinent
        von Völkermord und Bürgerkriegen, Afrika, der Konti-
        nent, in dem gerade auch durch Hunger, Armut und Aids
        jeden Tag unzählige Menschen sterben.
        Diese Verantwortung besteht auch heute. Ganz ohne
        Zweifel. Europa und Afrika sind auf vielfältige Weise
        miteinander verbunden und aufeinander angewiesen.
        Darauf haben nicht nur wir hier im Bundestag, darauf
        haben auch Bundeskanzler Schröder, Bundespräsident
        Rau, Bundespräsident Köhler, aber durch Reden, Initiati-
        ven und politisches Handeln, beispielsweise im Rahmen
        von NEPAD, auch Bundesministerin Wieczorek-Zeul
        und ihre Afrika-Beauftragte, Frau Staatssekretärin Eid,
        immer wieder hingewiesen. Afrika steht im Fokus der
        Aufmerksamkeit des Außenministeriums, jetzt auch im
        15612 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2005
        (A) (C)
        (B) (D)
        Zentrum neuer Initiativen der künftigen EU-Präsident-
        schaft Großbritannien und der G 8.
        Dabei hat sich – und das lohnt sicherlich, hier deutlich
        hervorgehoben zu werden – unser Blick auf Afrika wei-
        ter geschärft und konzentriert: Wir sehen heute neben
        der Notwendigkeit zur Hilfe, Unterstützung und Koope-
        ration von außen gerade auch den entschlossenen Willen
        von immer mehr Engagierten und Aktiven in allen Be-
        reichen, auch von politisch verantwortlichen Politikern
        in Afrika selbst,
        – sich auf die eigene Kraft zu besinnen,
        – durch Änderungen im eigenen Land zur Stärkung von
        Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, von Wirtschafts-
        kraft und Zukunftssicherung beizutragen und damit
        der eigenen Bevölkerung Zukunft und Chancen zu
        garantieren,
        – durch Kooperation auf regionaler und gesamtafrikani-
        scher Ebene mehr Wirkung im Kampf um Frieden
        und Gerechtigkeit und gegen Hunger, Krankheiten
        und Elend zu erreichen.
        Diese Entwicklung, dieses neue Selbstbewusstsein,
        diese Entschlossenheit machen Mut und fordern unsere
        Kooperation und unsere Unterstützung in besonderer
        Weise.
        Die Entwicklungsgemeinschaft der Staaten im Südli-
        chen Afrika, SADC, ist eine solche regionale Gemein-
        schaft, die sich neben der Förderung von Wirtschaft und
        Entwicklung eben auch und gerade die Förderung demo-
        kratisch-rechtsstaatlicher Strukturen und freier und fairer
        Wahlen zum Ziel gesetzt hat. Sie tut das aus dem glei-
        chen Antrieb heraus, aus dem auch wir diese Ziele teilen,
        aus der Erkenntnis nämlich, dass eine friedliche, eine ge-
        rechte und zukunftsfähige Gesellschaft beides braucht
        wie wir die Luft zum Atmen.
        Diese SADC-Gemeinschaft hat im vergangenen Au-
        gust ganz konkrete Grundsätze erarbeitet, die genau dar-
        legen, was alles zu freien und fairen Wahlen gehört: Das
        sind insbesondere
        – regelmäßige Wahlen, an denen alle Staatsbürgerinnen
        und Staatsbürger gleichberechtigt teilnehmen können,
        ebenso wie
        – in der Vorbereitungsphase und in den Zeiten des
        Wahlkampfs faire und gleiche Bedingungen für Kan-
        didaten, Gruppen und Parteien, was sich gerade auch
        im Zugang zu den Medien zeigt, aber auch
        – ein fairer Wahlprozess selbst und die
        – Sicherstellung der ehrlichen Auszählung der abgege-
        benen Stimmen.
        Außerdem legen diese Grundsätze fest, dass die
        Wahlbeobachtungskommission SEOM der SADC-Orga-
        nisation bei Bedarf ein Mandat zur Wahlüberwachung
        bekommen soll, aufgrund dessen sie dann nach dem
        Maßstab der Grundsätze und der übrigen vertraglichen
        Grundlagen von SADC die Wahlen nicht nur beobachtet
        und prüft, sondern auch bewertet und der SADC-Ge-
        meinschaft darüber berichtet, ob Wahlvorbereitungszeit,
        Wahldurchführung und Wahlauszählung wirklich den
        Anforderungen von freien und fairen Wahlen genügen.
        Wie schon erwähnt, sind diese Wahlgrundsätze von
        allen, ich wiederhole, von allen Mitgliedstaaten von
        SADC beschlossen worden. Kein Land hat Vorbehalte
        angemeldet. Botswana, Mosambik, Namibia haben in ih-
        ren Wahlen im Herbst und Winter des letzten Jahres
        diese Grundsätze angewandt und – soweit dies gesagt
        werden kann – auch erfüllt. Das ist eine große Leistung
        und hat ganz ohne Zweifel dazu beigetragen, dass einer-
        seits die Bevölkerung selbst die Ergebnisse der Wahlen
        akzeptiert. Zum anderen haben diese freien und fairen
        Wahlen ebenfalls ganz ohne Zweifel viel zum wachsen-
        den Respekt vor diesen Staaten des südlichen Afrika in
        aller Welt beigetragen und den Wert ihrer Stimme in der
        Völkergemeinschaft erhöht.
        In den letzen Monaten hat Angola, ebenfalls Mit-
        gliedstaat von SADC, erklärt, seinen Wahlgesetzen die
        Wahlgrundsätze der SADC zugrunde zu legen. Auch das
        begrüßen wir.
        Nächster Prüfstein sind jedoch die Wahlen am
        31. März 2005 in Simbabwe. Auch dieses wunderschöne
        Land mit seinen vielen tüchtigen Menschen, die jeden
        für sich einnehmen, der sie besucht, hat, wie wir alle
        wissen, seit Jahren unendlich viele Probleme. Dazu ge-
        hören große Schwierigkeiten im Innern, die, nicht zuletzt
        verursacht durch die Regierung und ihr nahe stehende
        Gruppen und Verbände, zur tiefen Spaltung der Gesell-
        schaft, zu Unterdrückung und Gewalt geführt haben.
        Auch Simbabwe hat im vergangenen August den
        Wahlgrundsätzen von SADC zugestimmt. Deshalb ist es
        nicht mehr als recht und billig, die Geltung dieser
        Grundsätze auch vor und während der kommenden Wah-
        len anzumahnen und auf ihre Einhaltung zu drängen.
        Das tun wir mit dem vorliegenden Antrag.
        Was wir jetzt, also schon in der Vorbereitungszeit der
        Wahlen, aus Simbabwe hören, muss allerding große Sor-
        gen bereiten:
        – Willkür der Polizei gegenüber Kandidatinnen und
        Kandidaten von Gruppen, die nicht zur Regierungs-
        partei gehören,
        – Behinderung ihrer Veranstaltungen bis hin zur
        Gewalt, Einschüchterung von Kandidaten und Sym-
        patisanten,
        – Behinderung des Zugangs zu staatlichen und anderen
        Medien, damit zugleich Beschneidung des Rechts der
        Wahlwerbung.
        Das sind nur einige der Klagen, die aus Simbabwe zu
        hören sind.
        Auch die Informationen über die Wahlbeobachtung
        und -überwachung stimmen uns sorgenvoll:
        – Da wird das SADC-Parlament, also das SADC-Fo-
        rum durch die simbabwische Regierung von der
        Wahlbeobachtung ausgeschlossen, weil der Bericht
        über die letzten Wahlen berechtigterweise kritisch
        ausgefallen ist.
        Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2005 15613
        (A) (C)
        (B) (D)
        – Da werden von der simbabwischen Regierung nur
        ausgesuchte Länder und Organisationen zur Wahlbeo-
        bachtung eingeladen und das auch noch zu einem so
        späten Zeitpunkt, dass die Phase des Vorwahlkampfes
        mit Beeinträchtigungen, Gewalt und Einschüchterung
        nicht mehr überwacht werden kann.
        Das alles erfüllt uns mit großer Sorge. Sinn unseres
        Antrags und auch unseres heute wohl einstimmig zu fas-
        senden Bundestagsbeschlusses ist es, diese Sorge zum
        Ausdruck zu bringen und sie unseren Partnern in Afrika
        deutlich vorzutragen.
        In unserem Antrag fordern wir deshalb die Bundesre-
        gierung auf, mit unseren Partnern in Europa und Afrika
        für die Durchführung freier und fairer Wahlen einzutre-
        ten – auch noch in letzter Minute, also bis hin zum
        Schluss des Wahlgangs am 31. März. Wir wollen da-
        rüber gerade auch mit unseren Freunden in Südafrika re-
        den, also in dem stärksten und einflussreichsten Land
        der Region, das in den letzten Tagen mit unterschied-
        lichen Stellungnahmen Beobachtermissionen nach Sim-
        babwe geschickt hat: Die Verantwortlichkeit für demo-
        kratische, freie und faire Wahlen wiegt umso schwerer,
        als wir alle wissen, dass nur solche Wahlen darüber ent-
        scheiden können, wer in Simbabwe am gesellschaft-
        lichen Dialog über die Zukunft dieses wunderschönen
        Landes mit seinen begabten und tüchtigen Menschen be-
        teiligt sein kann. Dabei unterstützen wir alle Bemühun-
        gen, Beobachtermissionen in ausreichender Zahl nach
        Simbabwe zu entsenden.
        Ich denke, es ist wichtig, dass auch wir darüber hi-
        naus auf der uns gegebenen parlamentarischen Ebene
        jede Möglichkeit ergreifen, um auf die Notwendigkeit
        der Einhaltung der Grundsätze von SADC hinzuweisen.
        Wir werden das tun.
        Wir treten auch dafür ein, nach den Wahlen einen Pro-
        zess der Wahlbewertung in Gang zu setzen, der nicht al-
        lein die Beobachtungen und Bewertungen der von der
        simbabwischen Regierung ausgesuchten Missionen ein-
        bezieht, sondern gerade auch die im Lande tätigen
        Nichtregierungsorganisationen mit Verantwortlichen aus
        SADC-Staaten und der Europäischen Union an einen
        Tisch bringt, um zu klaren und belastbaren Ergebnissen
        zu kommen. Diese Bewertung wird dann ganz ohne
        Zweifel die Kooperation mit Simbabwe ebenso beein-
        flussen wie etwa die Frage von Sanktionen.
        Lassen Sie mich nochmals unterstreichen, was ich ein-
        gangs gesagt habe: Europa und Afrika sind aufeinander
        angewiesen. Kooperation, aber auch die gleichberech-
        tigte Auseinandersetzung um Probleme und Zukunftsfra-
        gen gehören dazu, die Entwicklung von Demokratie,
        freien und fairen Wahlen eingeschlossen. Das unterstrei-
        chen wir mit unserem Antrag.
        Ich freue mich über Ihre Zustimmung.
        Arnold Vaatz (CDU/CSU): Der heutige Tag steht
        ganz im Zeichen des Jobgipfels. Umso bemerkenswerter
        ist es, dass der Deutsche Bundestag sich heute – wenn
        auch in kleiner Runde und zu später Stunde – auch mit
        der Situation in Simbabwe beschäftigt.
        Ich freue mich, dass es uns – wie bereits im Sommer
        letzten Jahres – wieder gelungen ist, kurzfristig einen ge-
        meinsamen Antrag zu Simbabwe in den Deutschen Bun-
        destag einzubringen. Um auf die bedrückenden Zustände
        in diesem kleinen Land aufmerksam zu machen, ist dies
        dringend erforderlich. Denn Simbabwe findet hierzu-
        lande keine Beachtung mehr, wie ich nach Sichtung der
        internationalen Pressespiegel der letzten Wochen traurig
        feststellen musste.
        Dabei stehen in diesem Land unmittelbar – und das ist
        ja auch der Anlass unseres Antrages – die Parlaments-
        wahlen vor der Tür. Robert Mugabe macht sich daran,
        am 31. März 2005 eine Zweidrittelmehrheit zu errei-
        chen. Dann ist für ihn der Weg frei, die Verfassung end-
        gültig auf sich zuzuschneidern. Um dieses Ziel zu errei-
        chen, ist ihm jedes Mittel recht.
        Bevor ich auf unseren konkreten Anlass – die Parla-
        mentswahlen und die Einhaltung der SADC-Wahlkrite-
        rien durch das Mugabe-Regime – eingehe, lassen Sie
        mich kurz einige Anmerkungen zur allgemeinen Situa-
        tion in Simbabwe machen; denn anders wird die diaboli-
        sche Strategie eines Herrn Mugabe leider nicht deutlich.
        Die wirtschaftliche Situation ist weiter verheerend.
        Dazu nur drei Zahlen zur Jahreswende 2004/05: Die In-
        flationsrate liegt bei 200 Prozent. Die Arbeitslosenquote
        bei 70 Prozent und 80 Prozent der simbabwischen Fami-
        lien leben an oder unter der Armutsgrenze. Die ver-
        meintliche Landreform ist außerhalb Simbabwes schein-
        bar überhaupt kein Thema mehr.
        Hier hat Robert Mugabe innerhalb kurzer Zeit – in
        nur vier Jahren – unumkehrbare Tatsachen geschaffen;
        Deshalb wohl auch der von der regierenden ZANU-PF
        gewählte – zynische – Begriff des „fast track“-Umsied-
        lungsprogrammes. Dahinter verbirgt sich – und so muss
        man das benennen – rassistisch motiviertes Handeln: Es
        ist ausdrückliche simbabwische Regierungspolitik, aus-
        schließlich weiße Farmer zu enteignen. Mit der Enteig-
        nung von 4 200 der 4 500 landwirtschaftlichen Betriebe
        sind diese Maßnahmen jetzt so gut wie abgeschlossen.
        Um sich überhaupt das Ausmaß dieser Aktion bewusst
        machen zu können, hier noch eine Zahl: Wir sprechen
        hier über 11,5 Millionen Hektar enteignetes Land.
        Und schließlich noch eine letzte Anmerkung zu die-
        sem Thema: Wie wir alle wissen, sind diese Güter – an-
        ders als die vermeintlich revolutionäre ZANU-PF immer
        propagiert hat – natürlich nicht dem simbabwischen
        Volk zugute gekommen. Auf Kosten des Volkes haben
        sich natürlich wieder Partei- und Regierungsfunktionäre
        bereichert. Dies hat übrigens eine von Mugabe einberu-
        fene Kommission zur Evaluierung der Landreform fest-
        gestellt. Natürlich ist dieser Bericht bis heute nicht ver-
        öffentlicht. Allein das Thema „Landreform“ zeigt, was
        George Orwell in seinem Roman „Animal Farm“ in be-
        drückender Weise dargestellt hat: Wenn kommunistische
        so genannte Befreiungsbewegungen an die Fleischtöpfe
        kommen, bleibt für das einfache Volk nicht einmal die
        Brosame übrig.
        In Simbabwe haben sich mit den Sorgen und Nöten in
        der Vergangenheit nur noch die so genannten Nichtregie-
        rungsorganisationen NGOs beschäftigt. Damit soll jetzt
        15614 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2005
        (A) (C)
        (B) (D)
        mit dem so genannten „NGO Act 2004“ auch Schluss
        sein. Kernpunkt dieses Gesetzes ist, dass sich die Nicht-
        regierungsorganisationen jetzt staatlich registrieren las-
        sen müssen. Eine für die Fortsetzung der Arbeit notwen-
        dige Registrierung ist ausgeschlossen, sobald – ich
        zitiere wörtlich – „die Förderung und der Schutz von
        Menschenrechten und Fragen politischer Gouvernanz“
        Gegenstand der Arbeit der Organisationen ist.
        Die Konsequenz ist offensichtlich: Die im Bereich der
        politischen Bildung tätigen Organisationen müssen das
        Land verlassen. Das Mugabe-Regime will nämlich auch
        weiterhin ungehindert schalten und walten.
        Wir müssen leider konstatieren, dass Mugabe weiter-
        hin fest im Sattel sitzt. Dies ermöglicht es ihm, wie die
        letzten Monate zeigen, seine Partei nach seinen Vorstel-
        lungen umzugruppieren. Bei näherer Betrachtung muss
        man leider feststellen, dass es sich um nichts weiter als
        klassische Verteilungskampfe in einer diktatorischen
        Einheitspartei handelt. Dies belegt die Berufung der
        dienstältesten Ministerin Joice Mujuru zur zweiten Vize-
        präsidentin. Dabei handelt es sich um eine Konzessions-
        entscheidung Mugabes an seinen verdienten politischen
        Weggefährten, den ehemaligen Armeechef Solomon
        Mujuru, der Ehemann der Ministerin ist. Allein diese
        Personalie verdeutlicht, dass von der Staatspartei
        ZANU-PF auch in Zukunft für das Land Simbabwe
        nichts zu erwarten sein wird.
        Lassen Sie mich jetzt auf unseren konkreten Anlass,
        die unmittelbar bevorstehenden Parlamentswahlen, ein-
        gehen.
        In diesen Zusammenhang möchte ich mich ausdrück-
        lich bei der mauritischen Regierung bedanken, die zur-
        zeit den Vorsitz der SADC-Länder – Entwicklungsge-
        meinschaft der Staaten im Südlichen Afrika – inne hat.
        Auf besonderes Drängen von Mauritius haben sich
        die SADC-Staaten im Sommer vergangenen Jahres auf
        ihrem Gipfeltreffen einstimmig auf die so genannten
        „SADC Principles and Guidelines governing democratic
        elections“ – kurz gesagt: die Mindeststandards für die
        Durchführung freier und fairer Wahlen geeinigt.
        Diese gilt es jetzt auch in Simbabwe durchzusetzen.
        Dabei – und das möchte ich hier ganz deutlich betonen –
        dürfen diese Maßstäbe nicht nur am Wahltag selbst an-
        gelegt werden. Das würde zu kurz greifen! Nein, ent-
        scheidend ist bereits die schon angelaufene Phase der
        Wahlvorbereitung. Hier meine ich insbesondere den
        Wahlkampf. Und das, was wir da aus Simbabwe mitge-
        teilt bekommen, lässt das Schlimmste befürchten.
        Wie sieht der Wahlkampf tatsächlich aus? Allein in
        den letzten Tagen wurden mehr als 100 Fälle von Men-
        schenrechtsverletzungen festgestellt, die direkt der Re-
        gierung beziehungsweise der ZANU-PF zuzurechnen
        sind. Die Bandbreite reicht von Nötigungen bis hin zu
        schweren Körperverletzungen des politischen Gegners.
        Auch vor Vergewaltigungen wird nicht zurückge-
        schreckt. Dass die Rechnung aufgeht, belegen Hilferufe
        der einzigen Oppositionspartei, des Movement for De-
        mocratic Change MDC: Teile des Landes sind für den
        MDC aufgrund des geschilderten Terrors zu so genann-
        ten „No-go-Areas“ geworden. Das heißt, hier kann die
        Opposition überhaupt keinen Wahlkampf führen, da sie
        sowie ihre Anhänger und Sympathisanten um Leib und
        Leben fürchten müssen.
        Die Einschüchterung der Opposition hat mit der In-
        haftierung des Oppositionspolitikers Roy Bennett unter
        fadenscheinigen Gründen einen weiteren Höhepunkt er-
        reicht. Wegen einer Rangelei im Parlament wurde Roy
        Bennett Ende letzten Jahres auf einen bloßen Parla-
        mentsbeschluss hin für ein Jahr in ein Arbeitslager weg-
        gesperrt. Über die Unverhältnismäßigkeit – glaube ich –
        brauchen wir hier nicht länger zu sprechen. Es liegt auf
        der Hand, dass mit dem Verschwindenlassen Roy
        Bennetts von der politischen Bühne ein unliebsamer
        Regimekritiker ausgeschlossen werden sollte. Dies ist
        dem Regime leider gelungen, auch wenn in dieser Wo-
        che ein simbabwisches Gericht entschieden hat, dass
        Roy Bennett „ebenso aus seiner Zelle heraus“ für die
        Parlamentswahlen kandidieren könne!
        An dieser Stelle möchte ich mich ausdrücklich bei
        Herrn Bundestagspräsident Thierse für seinen Brief vom
        November 2004 an den simbabwischen Parlamentspräsi-
        denten bedanken. Dass seine Forderung nach Überprü-
        fung der Verhältnismäßigkeit von Roy Bennetts Inhaftie-
        rung leider nicht aufgenommen worden ist, belegt das
        gerade von mir erwähnte Urteil auf zynische Art und
        Weise.
        Dass Mugabe mit dem MDC im Grunde genommen
        Katz und Maus spielt, zeigt auch ein noch prominenterer
        Vorfall. Am 15. Oktober 2004 wurde der MDC-Partei-
        vorsitzende Morgan Tsvangirai vom höchsten Gericht
        vom Vorwurf des Landesverrates freigesprochen. Dieses
        in der internationalen Presse ganz überwiegend positiv,
        ja sogar fast euphorisch aufgenommene Urteil ist bei nä-
        herer Betrachtung so überraschend nicht. Der umgehend
        durch die SADC-Staaten und Europa gereiste Tsvangirai
        sollte der Weltöffentlichkeit ein demokratisches und
        rechtsstaatliches Simbabwe vorgaukeln. Was dabei völ-
        lig in den Hintergrund getreten ist, ist die Tatsache, dass
        gegen Morgan Tsvangirai noch ein weiteres Hochver-
        ratsverfahren läuft. Ich bin gespannt, – und darauf, liebe
        Kollegen, sollten wir achten –, was daraus nach den
        Wahlen wird!
        Auch die vom Mugabe-Regime unlängst durchge-
        führten Maßnahmen zur Organisation der Wahl lassen
        nichts Gutes erwarten: Kurz vor Weihnachten wurden
        sämtliche Wahlkreise neu zugeschnitten. Schon jetzt ist
        absehbar, dass dadurch der MDC mindestens drei
        Direktmandate verlieren wird. Wie schon bei den letzten
        Parlamentswahlen hat sich auch diesmal das Mugabe-
        Regime eine erhebliche Verfügungsmasse an Wähler-
        stimmen verschafft. In den von ihm kontrollierten
        Wählerlisten befinden sich nach Aussage des MDC
        800 00 Verstorbene und 300 000 Doppelregistrierungen.
        Das entscheidende Kriterium aber ist, dass die nach
        den SADC-Richtlinien vorgesehene Einladung von
        Wahlbeobachtern nur – ja ich möchte das einmal so for-
        mulieren – sehr selektiv erfolgt ist: Weder das dafür an
        sich zuständige „SADC-Parlamentary Forum“ noch die
        Afrikanische Union haben eine Einladung zur Wahlbeo-
        Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2005 15615
        (A) (C)
        (B) (D)
        bachtung erhalten. Von der EU oder beispielsweise von
        den USA brauche ich hier gar nicht weiter zu sprechen.
        Stattdessen hat Mugabe aus der nicht afrikanischen Welt
        China, Russland und den Iran eingeladen.
        Ich denke, wir sind uns hier alle einig darin, dass freie
        und faire Wahlen nach den Wahlrichtlinien der SADC in
        Simbabwe nur stattfinden können, wenn eine ordentliche
        Wahlbeobachtung gewährleistet ist. Ich möchte heute am
        Vorabend der Parlamentswahlen noch kein abschließen-
        des Urteil fallen. Aber das von mir Geschilderte lässt das
        Schlimmste befürchten.
        Was können wir als Deutscher Bundestag mit unseren
        europäischen Partnern aus der Ferne zur Verbesserung
        der Lage dort im südlichen Afrika beitragen? Meines Er-
        achtens gibt es nur einen Weg: Wir müssen Südafrika an
        seine Rolle als Ankermacht im südlichen Afrika, das
        heißt an seine regionalpolitische Verantwortung für sei-
        nen Nachbarn Simbabwe, nicht nur erinnern, sondern
        dies vom südafrikanischen Präsidenten Thabo Mbeki
        auch einfordern.
        Denn dieser verzichtet bisher auf jede öffentliche Kri-
        tik an dem Mugabe-Regime. Diese von Thabo Mbeki als
        „stille Diplomatie“ verkaufte Politik ist jedoch nicht auf-
        gegangen: Die von ihm propagierten Verhandlungen
        zwischen ZANU-PF und MDC sind nämlich längst ge-
        scheitert. Umso unverständlicher ist der jüngste Kom-
        mentar des südafrikanischen Präsidenten zu den simbab-
        wischen Parlamentswahlen. Es klingt wie Hohn, wenn er
        meint, dass es sich hierbei um freie Wahlen handeln
        würde und keinerlei Beschränkungen der Opposition zu
        registrieren seien.
        Hier ist die Bundesregierung aufgefordert, sich kurz-
        fristig, – das heißt noch vor den Wahlen –, bei der süd-
        afrikanischen Regierung dafür einzusetzen, dass diese
        für die Einhaltung der SADC-Richtlinien in Simbabwe
        eintritt. Mehr ist gegenwärtig von dieser Stelle in realis-
        tischer Selbsteinschätzung leider tatsächlich nicht mög-
        lich.
        Aber ich denke, wir sind uns alle darüber einig: Heute
        haben wir hier im Deutschen Bundestag das Thema
        „Simbabwe“ aufgerufen, um auf die bevorstehenden
        Parlamentswahlen hinzuweisen, und ich bin mir sicher,
        wir werden sehr bald gemeinsam das Thema wieder er-
        örtern. Denn Robert Mugabe muss aufgezeigt werden,
        dass wir Simbabwe nicht aus den Augen verlieren. Nicht
        zuletzt sind wir das der demokratischen Opposition in
        Simbabwe schuldig.
        Hans-Christian Ströbele (Bündnis 90/Die Grünen):
        Auf unserer Ausschussreise in verschiedene Staaten im
        südlichen Afrika haben wir selbstverständlich die Situa-
        tion in Simbabwe bei allen Begegnungen explizit ange-
        sprochen. Unsere Gesprächspartner zeigten sich ent-
        täuscht und besorgt über die katastrophale politische und
        wirtschaftliche Entwicklung Simbabwes. Immerhin ge-
        hörte dieses Land früher zu den großen Hoffnungsträ-
        gern in Afrika.
        Die gewaltsamen Landbesetzungen sowie die illegalen
        Enteignungen und Vertreibungen von Farmern haben
        dazu beigetragen, dass die landwirtschaftliche Produk-
        tion weit gehend daniederliegt. Die Besetzer der Farmen
        sind nicht in der Lage, das fruchtbare Land ertragreich zu
        bestellen. Anstelle der weißen Farmer sind häufig Regie-
        rungsmitglieder und andere systemtreue Honoratioren
        getreten, von denen einige gleich mehrere große Farmen
        besitzen und Ländereien brach liegen lassen.
        Die gesamte wirtschaftliche Lage hat sich dramatisch
        verschlechtert. Die Situation der Bevölkerung ist zum
        Teil zum Verzweifeln. Die Grundversorgung ist längst
        nicht mehr gesichert. Viele hungern. Menschenrechts-
        verletzungen sind an der Tagesordnung. Von rechtsstaat-
        lichen Verhältnissen kann keine Rede mehr sein. Die Re-
        gierung bekämpft die politische Opposition mit Milizen,
        Militärkräften und Jugendgruppen, die gewalttätig nicht
        nur gegen den politischen Gegner vorgehen.
        Aber wir haben eben in unseren vielen Gesprächen
        auch erfahren müssen, dass unsere Sicht von der Bevöl-
        kerung im südlichen Afrika, besonders bei ärmeren Be-
        völkerungsschichten, keineswegs geteilt wird. Mugabe
        wird dort von sehr vielen weiterhin als Held der Befrei-
        ung vom Kolonialismus und der Durchsetzung der Un-
        abhängigkeit Afrikas geradezu gefeiert. Das gilt nicht
        nur in Simbabwe unter Druck der Regierung, sondern
        auch in vielen anderen Ländern der Region.
        Die Landreform und auch die Besetzungen werden
        ungeachtet der eingetretenen ökonomischen Katastrophe
        von vielen als im Prinzip richtig angesehen. Diese Ein-
        stellung ist für uns nur schwer verständlich. Aber sie ist
        vor dem Hintergrund zu sehen, dass Landreform und die
        häufig versprochene Verbesserung der wirtschaftlichen
        Situation der Armen nicht vorankommen. Die Lebens-
        verhältnisse der Bevölkerung der afrikanischen Staaten
        haben sich häufig nur wenig verbessert. Immer noch
        scheinen die Weißen, die wahren Herrn im Land, und
        die, denen der Reichtum zugute kommt. Die koloniale
        Vergangenheit bleibt wach.
        Das sind die Hintergründe, die eine politische Isola-
        tion des Präsidenten in Simbabwe und seines Regimes so
        schwer machen und verhindern.
        So hat die Afrikanische Union – AU – jüngst eine Re-
        solution gegen Simbabwe mit Mehrheit abgelehnt.
        Hinzu kommt, dass die Proteste der Industriestaaten we-
        gen Korruption, staatlicher Gewaltrepression, Folter und
        Mord in Simbabwe als wenig glaubhaft angesehen wer-
        den, wenn dieselben Staaten mit anderen Machthabern
        und Ländern beste Beziehungen in der Vergangenheit
        unterhalten hatten und auch noch unterhalten, in denen
        ähnliche Verhältnisse herrschen.
        In diesem Zusammenhang ist auch kritisch anzumer-
        ken, dass trotz aller Vorwürfe gegen das Regime Mu-
        gabe simbabwische Polizisten im Kosovo eingesetzt
        werden!
        Was ist nun zu tun? –
        Die bevorstehenden Wahlen in Simbabwe geben An-
        lass zu ernster Besorgnis, aber auch eine Möglichkeit,
        die Zustände in Simbabwe zu problematisieren und zu
        handeln. Berichte über die erhebliche und eskalierende
        15616 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2005
        (A) (C)
        (B) (D)
        Gewalt gegen die Opposition, gegen die Regionen, in
        denen vorwiegend oppositionell gewählt wird, und in-
        zwischen auch innerhalb des Regierungslagers selbst
        weisen deutlich aus, dass von freien Wahlen nicht die
        Rede sein kann. Die Gewalt macht auch nicht Halt ge-
        genüber ausländischen Journalisten, wie zum Beispiel
        die „taz“ am 23. Februar berichten musste.
        Insofern ist es richtig, dass wir heute klar und in gro-
        ßer Gemeinsamkeit vom Deutschen Bundestag aus auf
        die Notwendigkeit hinweisen, die von den afrikanischen
        Staaten der SADC selbst formulierten und vertraglich
        vereinbarten demokratischen Standards für Wahlen ein-
        zuhalten, und dass wir Robert Mugabe deutlich sagen,
        wir nehmen nicht hin, dass diese Standards in keiner
        Weise bisher eingehalten werden.
        Wir stellen uns an die Seite der Opposition, wenn es
        schrieben. Wir sind uns alle einig in der Zielrichtung un-
        seres gemeinsamen Antrages.
        Wir müssen erkennen, dass sich die afrikanischen
        Staaten sehr schwer tun, einen anderen afrikanischen
        Staat zu kritisieren. Das kann nur kulturell und vielleicht
        aus einer gemeinsamen kolonialen Vergangenheit erklärt
        werden. Das macht die Sache aber nicht einfacher. Es er-
        schwert politisches Handeln in Afrika zum Wohle der
        Menschen. Wir müssen aber als Deutsche und Europäer
        immer wieder klar machen, dass die Lösung der afrika-
        nischen Probleme nur durch Afrikaner vorgenommen
        werden kann. Wir müssen an die Verantwortung der
        Staaten für die gesamte Region apellieren.
        Erster Adressat ist natürlich Simbabwe selbst. Aber es
        ist zu befürchten, dass hier Hopfen und Malz verloren
        ist; auch Sanktionen haben ja bisher keine diesbezügli-
        gilt, faire Chancen für freie Wahlen zu fordern.
        Wir unterstützen auch die Kräfte im Regierungslager,
        die für bald oder spätestens für die Zeit nach Mugabe de-
        mokratische Reformen und die Herstellung von Rechts-
        staatlichkeit wollen und sich schon heute häufig unter
        großem persönlichen Risiko dafür einsetzen. Und in die-
        sem Sinne stimmen wir dem Antrag voll und ganz zu.
        Aber ich sage in der längeren Perspektive auch, dass
        eine wirksame Abkehr der verheerenden Politik von Mu-
        gabe, gerade weil sie leider eben auch Unterstützung ge-
        nießt und deshalb weder umfassende noch „smarte“
        Sanktionen hier greifen, nur erreicht werden kann, wenn
        in anderen Staaten Afrikas durch erfolgreiche Landrefor-
        men und Verbesserungen der Lebensverhältnisse der Ar-
        men und Ärmsten sichtbare Alternativen entstehen, an
        denen die Massen im südlichen Afrika sich orientieren
        können.
        An solchen friedlichen, gewaltfreien und rechtsstaat-
        lichen Alternativen können und sollten wir mitwirken.
        Zum Beispiel im nahen Namibia.
        Dr. Rainer Stinner (FDP): Die Fakten in Simbabwe
        sind bekannt und von meinen Kollegen hinreichend be-
        che Verbesserung gebracht. Zweiter Adressat sind die
        einzelnen Staaten der SADC. Hier ist Südafrika das
        Schlüsselland. Aber auch die anderen Länder sind in der
        Verpflichtung, selbst gesetzte Maßstäbe einzuhalten.
        Drittens ist die SADC als Organisation gefordert. Ge-
        nauso wie wir von Europa verlangen, die Probleme aufdem Balkan aktiv zu lösen, genauso wie wir von der ara-
        bischen Welt einen aktiveren Beitrag zur Lösung des
        Nahost-Problems erwarten, genauso wie wir die Afrika-
        nische Union auffordern, das Morden in Darfur zu unter-
        binden, genauso müssen wir die SADC als Organisation
        auffordern, hart und unmissverständlich das Mitglieds-
        land Simbabwe zur Einhaltung der gemeinsamen Regeln
        zu bewegen.
        Das ist auch eine Frage der Glaubwürdigkeit der
        SADC. Es stehen weitere Wahlen an und die Durchset-
        zungsfähigkeit der SADC steht auf dem Spiel. Das müs-
        sen wir diesen Ländern deutlich sagen. Wir Europäer
        sind zu einem Beitrag zur Verbesserung der Situation auf
        diesem geplagten Kontinent bereit. Aber dieser Beitrag
        ist nur vertretbar, wenn wir den deutlichen Willen und
        das deutliche Handeln dieser Länder erkennen können,
        selbst ihren Beitrag zu leisten. Dazu gehört auch die un-
        missverständliche Kritik an Simbabwe, auch wenn das
        manchem noch so schwer fallen mag.
        166. Sitzung
        Berlin, Donnerstag, den 17. März 2005
        Inhalt:
        Redetext
        Anlagen zum Stenografischen Bericht
        Anlage 1
        Anlage 2
        Anlage 3
        Anlage 4
        Anlage 5