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ID1516600200

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    Plenarprotokoll 15/166 unser Land: Deutschlands Kräfte stärken Gerhard Schröder, Bundeskanzler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Angela Merkel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Franz Müntefering (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Edmund Stoiber, Ministerpräsident (Bayern) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem OCCAR-Geheimschutz- übereinkommen vom 24. September 2004 (Drucksache 15/4979) . . . . . . . . . . . . . . . c) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Vertrag vom 28. März 2000 zwischen der Bundesrepublik Deutsch- land und der Bundesrepublik Nigeria über die Förderung und den gegensei- tigen Schutz von Kapitalanlagen (Drucksache 15/4980) . . . . . . . . . . . . . . . d) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- 15484 B 15496 B 15502 C 15506 D 15509 D 15515 A 15527 C 15527 C Deutscher B Stenografisc 166. Si Berlin, Donnerstag, I n h a Beileid zum Tode des früheren Bundes- ministers für Arbeit und Sozialordnung, Mitglied des Deutschen Bundestages und des Europäischen Parlaments Walter Arendt . . . Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Glückwünsche zum Geburtstag des Abgeord- neten Volker Kröning . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 3: Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundeskanzler: Aus Verantwortung für 15483 A 15483 B 15484 B Peer Steinbrück, Ministerpräsident (Nordrhein-Westfalen) . . . . . . . . . . . . . . . . 15521 A undestag her Bericht tzung den 17. März 2005 l t : Dr. Gesine Lötzsch (fraktions- los) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 24: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Vertrag vom 28. August 1997 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Kirgisischen Republik über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalan- lagen (Drucksache 15/4978) . . . . . . . . . . . . . . . b) Erste Beratung des von der Bundesregie- 15526 C 15527 C zes zu dem Vertrag vom 17. Oktobe 2003 zwischen der Bundesrepubl Deutschland und der Republik Guat mala über die Förderung und de r ik e- n II Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2005 gegenseitigen Schutz von Kapitalan- lagen (Drucksache 15/4981) . . . . . . . . . . . . . . . . e) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Vertrag vom 30. Oktober 2003 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Angola über die Förderung und den gegenseiti- gen Schutz von Kapitalanlagen (Drucksache 15/4982) . . . . . . . . . . . . . . . . f) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Abkommen vom 1. Dezem- ber 2003 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik China über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanla- gen (Drucksache 15/4983) . . . . . . . . . . . . . . . . g) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Vertrag vom 19. Januar 2004 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Demokratischen Bundesrepublik Äthiopien über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen (Drucksache 15/4984) . . . . . . . . . . . . . . . . h) Antrag der Abgeordneten Ulrike Flach, Cornelia Pieper, Christoph Hartmann (Homburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Gashydratfor- schung fest in die Forschungen „System Erde“ und „Neue Technologien“ inte- grieren (Drucksache 15/3814) . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 2: Antrag der Abgeordneten Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Dirk Fischer (Hamburg), Eduard Oswald, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der CDU/CSU: „Meer für Morgen“ – Impulse für die maritime Verbundwirt- schaft (Drucksache 15/5099) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 25: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs 15527 D 15527 D 15528 A 15528 A 15528 A 15528 B eines Gesetzes zur Reform des Reisekos- tenrechts (Drucksachen 15/4919, 15/5127) . . . . . . . b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Sprengstoffgesetzes und anderer Vorschriften (3. SprengÄndG) (Drucksachen 15/5002, 15/5129) . . . . . . . c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Bun- des-Apothekerordnung und anderer Gesetze (Drucksachen 15/4784, 15/5093, 15/5108) d) Beschlussempfehlung und Bericht des Verteidigungsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Günther Friedrich Nolting, Helga Daub, Jörg van Essen, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Ehemaligen Soldaten der Nationa- len Volksarmee das Führen ihrer frühe- ren Dienstgrade erlauben (Drucksachen 15/3357, 15/4949) . . . . . . . e) Dritter Bericht des Ausschusses für Wahl- prüfung, Immunität und Geschäftsord- nung: zu den Überprüfungsverfahren nach § 44 b des Abgeordnetengesetzes (AbgG) Überprüfung auf Tätigkeit oder politi- sche Verantwortung für das Ministe- rium für Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (Drucksache 15/4971) . . . . . . . . . . . . . . . f)– j) Beschlussempfehlungen des Petitionsaus- schusses: Sammelübersichten 192, 193, 194, 195 und 196 zu Petitionen (Drucksachen 15/5039, 15/5035, 15/5036, 15/5037, 15/5038) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 3: a) Beschlussempfehlung des Rechtsaus- schusses: Übersicht 10 über die dem Deutschen Bundestag zu- geleiteten Streitsachen vor dem Bundes- verfassungsgericht (Drucksache 15/5114) . . . . . . . . . . . . . . . 15528 A 15528 D 15529 C 15529 B 15529 C 15529 C 15530 A Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2005 III b) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses: zu der Streitsache vor dem Bundesverfassungsgericht – 1 BvR 357/05 (Drucksache 15/5113) . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 6: Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes (Vermittlungs- ausschuss) zu dem Gesetz zur Verbesserung des vorbeugenden Hochwasserschutzes (Drucksachen 15/3168, 15/3214, 15/3455, 15/3510, 15/3871, 15/5121) . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 7: Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes (Vermittlungs- ausschuss) zu dem Dritten Gesetz zur Änderung eisenbahnrechtlicher Vorschrif- ten (Drucksachen 15/3280, 15/4419, 15/4634, 15/5122) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 8: Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsaus- schuss) zu dem Zweiten Gesetz zur Ände- rung des Straßenverkehrsgesetzes und an- derer Gesetze (Drucksachen 15/3351, 15/4730, 15/4921, 15/5123) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 4: Große Anfrage der Abgeordneten Julia Klöckner, Thomas Rachel, Andreas Storm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Förderung der Organspende (Drucksachen 15/2707, 15/4542) . . . . . . . . . . Annette Widmann-Mauz (CDU/CSU) . . . . . . Marion Caspers-Merk, Parl. Staatssekretärin BMGS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Detlef Parr (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Petra Selg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Julia Klöckner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 15530 B 15530 B 15530 C 15530 D 15530 D 15531 A 15532 C 15534 A 15535 A 15536 A Marion Caspers-Merk (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Annette Widmann-Mauz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Wolfgang Wodarg (SPD) . . . . . . . . . . . . . Barbara Lanzinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Kirschner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 8: a) Antrag der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: 61. Tagung der Menschenrechtskom- mission der Vereinten Nationen – Reform und Normensetzung für einen verbesserten Menschenrechtsschutz (Drucksache 15/5118) . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Hermann Gröhe, Holger Haibach, Rainer Eppelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Die 61. Tagung der VN-Menschenrechts- kommission als Chance zur Reform – Mehr Engagement für Menschenrechte weltweit (Drucksache 15/5098) . . . . . . . . . . . . . . . c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Menschenrechte und Hu- manitäre Hilfe zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: EU-Jahresbericht 2004 zur Menschenrechtslage Ratsdok. 11922/1/04 REV 1 (Drucksachen 15/4001 Nr. 1.1, 15/4757) d) Beschlussempfehlung des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe – zu dem Antrag der Abgeordneten Rudolf Bindig, Detlef Dzembritzki, Siegmund Ehrmann, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der SPD so- wie der Abgeordneten Christa Nickels, Volker Beck (Köln), Thilo Hoppe, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN: Nepal – Menschenrechte schützen und Gewalt beenden – zu dem Antrag der Abgeordneten Rainer Funke, Ulrich Heinrich, Daniel Bahr (Münster), weiterer Abgeordneter 15537 D 15538 B 15538 C 15539 D 15541 A 15542 B 15542 C 15542 C IV Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2005 und der Fraktion der FDP: Einhaltung der Menschenrechte in Nepal (Drucksachen 15/4397, 15/3231, 15/4899) e) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Menschenrechte und Hu- manitäre Hilfe zu dem Antrag der Abge- ordneten Rainer Funke, Dr. Karl Addicks, Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Ratifikation des 12. Zusatzprotokolls zur Europäi- schen Menschenrechtskonvention (Drucksachen 15/4405, 15/4898) . . . . . . . f) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Menschenrechte und Hu- manitäre Hilfe zu dem Antrag der Abge- ordneten Dr. Werner Hoyer, Rainer Funke, Daniel Bahr (Münster), weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der FDP: Men- schenrechte in der Volksrepublik China einfordern (Drucksachen 15/4402, 15/4953) . . . . . . . g) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Ab- geordneten Holger Haibach, Dr. Martina Krogmann, Melanie Oßwald, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der CDU/ CSU: Presse- und Meinungsfreiheit im Internet weltweit durchsetzen – Jour- nalisten, Menschenrechtsverteidiger und private Internetnutzer besser schützen (Drucksachen 15/3709, 15/5040) . . . . . . . h) Antrag der Abgeordneten Rainer Funke, Dr. Karl Addicks, Daniel Bahr (Münster), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Für die mandatsgebundene Begleitung VN-mandatierter Friedens- missionen durch Menschenrechtsbe- obachter (Drucksache 15/4946) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Bärbel Kofler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Hermann Gröhe (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Holger Haibach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Angelika Graf (Rosenheim) (SPD) . . . . . . . . 15542 D 15542 D 15543 A 15543 A 15543 B 15543 C 15544 D 15546 B 15547 D 15548 D 15550 A Dr. Werner Hoyer (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Klaus Rose (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 6: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Abgeordneten Renate Gradistanac, Sabine Bätzing, Ute Berg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Ekin Deligöz, Irmingard Schewe-Gerigk, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN: Kinder und Jugendliche wirksam vor sexueller Gewalt und Ausbeutung schützen (Drucksachen 15/3211, 15/4553) . . . . . . . . . . Renate Gradistanac (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Angela Schmid (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Haupt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Thomas Rachel, Dr. Maria Böhmer, Hubert Hüppe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/ CSU: Forschungsförderung der Europäi- schen Union unter Respektierung ethischer und verfassungsmäßiger Prinzipien der Mitgliedstaaten (Drucksache 15/4934) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Rachel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . René Röspel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulrike Flach (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vera Dominke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Jörg Tauss (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Carola Reimann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 15550 C 15551 D 15553 C 15553 D 15554 D 15556 C 15557 D 15558 C 15559 D 15559 D 15561 B 15562 B 15563 A 15564 B 15565 B 15565 D Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2005 V Tagesordnungspunkt 10: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes (Drucksachen 15/4736, 15/5112) . . . . . . . . . . Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär BMVEL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Bleser (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Michael Goldmann (FDP) . . . . . . . . . . Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD) . . . . . . . . . . . . Julia Klöckner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 9: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Detlef Parr, Ulrike Flach, Rainer Funke, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der Präimplan- tationsdiagnostik (Präimplantations- diagnostikgesetz – PräimpG) (Drucksache 15/1234) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bericht des Ausschusses für Bildung, For- schung und Technikfolgenabschätzung ge- mäß § 56 a der Geschäftsordnung: Tech- nikfolgenabschätzung hier: Sachstandsbericht Präimplanta- tionsdiagnostik – Praxis und rechtliche Regulierung in sieben ausgewählten Ländern (Drucksache 15/3500) . . . . . . . . . . . . . . . . Detlef Parr (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Erika Ober (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hubert Hüppe (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Maria Eichhorn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 5: Zweite und dritte Beratung des von den Abge- ordneten Joachim Stünker, Wolfgang Spanier, 15566 D 15567 A 15568 A 15569 B 15570 B 15571 A 15572 A 15573 D 15573 D 15574 A 15575 B 15576 C 15578 A 15579 B Hermann Bachmaier, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD sowie den Abge- ordneten Jerzy Montag, Franziska Eichstädt- Bohlig, Volker Beck (Köln), weiteren Abge- ordneten und der Fraktion des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ein- führungsgesetzes zum Bürgerlichen Ge- setzbuche (Drucksachen 15/4134, 15/5132) . . . . . . . . . . Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marco Wanderwitz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Franziska Eichstädt-Bohlig (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rainer Funke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Spanier (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 11: Große Anfrage der Abgeordneten Gitta Connemann, Dr. Wolfgang Bötsch, Günter Nooke, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der CDU/CSU: Situation der Breiten- kultur in Deutschland (Drucksache 15/4140) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gitta Connemann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Dr. Christina Weiss, Staatsministerin BK . . . Ernst Burgbacher (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Wolfgang Bötsch (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eckhardt Barthel (Berlin) (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 12: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Bildung, Forschung und Tech- nikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Ab- geordneten Dr. Ernst Dieter Rossmann, Jörg Tauss, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der SPD, der Abge- ordneten Grietje Bettin, Volker Beck (Köln), Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN sowie der Abgeordneten Cornelia 15580 B 15580 C 15581 C 15584 B 15585 B 15585 D 15587 A 15587 B 15588 C 15589 D 15590 D 15592 A 15593 A VI Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2005 Pieper, Dr. Karl Addicks, Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Impulse für eine internationale Aus- richtung des Schulwesens – Den Bildungs- standort Deutschland auch im Schulbe- reich stärken (Drucksachen 15/4723, 15/5097) . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 13: Erste Beratung des vom Bundesrat einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- rung des Grundstückverkehrsgesetzes und des Landpachtverkehrsgesetzes (Drucksache 15/4535) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 14: Antrag der Abgeordneten Karin Kortmann, Detlef Dzembritzki, Siegmund Ehrmann, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Thilo Hoppe, Volker Beck (Köln), Winfried Hermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN: Zum Beginn der Dekade „Wasser zum Leben“ der Verein- ten Nationen (Drucksache 15/5115) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 15: Antrag der Fraktionen der SPD, der CDU/ CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP: Die Wahlrichtlinien der Ent- wicklungsgemeinschaft der Staaten im süd- lichen Afrika (SADC) als Maßstab für freie und faire Wahlen auch in Simbabwe (Drucksache 15/5117) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Impulse für eine internationale 15594 C 15594 D 15595 A 15595 C 15595 D 15597 A Ausrichtung des Schulwesens – Den Bildungsstandort Deutschland auch im Schulbereich stärken (Tagesordnungs- punkt 12) Gesine Multhaupt (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kristina Köhler (Wiesbaden) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bernward Müller (Gera) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundstückverkehrsgesetzes und des Landpachtverkehrsgesetzes (Tagesordnungs- punkt 13) Elvira Drobinski-Weiß (SPD) . . . . . . . . . . . . . Kurt Segner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ernst Burgbacher (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Zum Beginn der Dekade „Was- ser zum Leben“ der Vereinten Nationen (Ta- gesordnungspunkt 14) Dagmar Schmidt (Meschede) (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulrich Petzold (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Christa Reichard (Dresden) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulrich Heinrich (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos) . . . . . . . . . . Dr. Uschi Eid, Parl. Staatssekretärin BMZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15597 B 15598 B 15599 D 15600 C 15601 B 15602 B 15603 B 15604 C 15605 A 15605 D 15607 B 15608 B 15609 B 15610 A 15610 D Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2005 VII Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Die Wahlrichtlinien der Ent- wicklungsgemeinschaft der Staaten im süd- lichen Afrika (SADC) als Maßstab für freie und faire Wahlen auch in Simbabwe (Tages- ordnungspunkt 15) Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Arnold Vaatz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Rainer Stinner (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . 15611 B 15613 B 15615 B 15616 B Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2005 15483 (A) (C) (B) (D) 166. Si Berlin, Donnerstag, Beginn: 9
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    3) Anlage 5 4) Redebeitrag wird als Anlage zum Stenografischen Bericht der 167. Sitzung abgedruckt. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2005 15597 (A) (C) (B) (D) bei der jungen Generation, sich verstärkt an Förderpro- grammen im Jugend- und Bildungsbereich zu beteiligen: Nachbarstaaten konkret in der Bildungsplanung und For- schungsforderung zu verbessern. mokratischen Abgeordneten im europäischen Parlament zielen, die guten Beziehungen zu unseren europäischen Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung des Europarates Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Impulse für eine in- ternationale Ausrichtung des Schulwesens – Den Bildungsstandort Deutschland auch im Schulbereich stärken (Tagesordnungspunkt 12) Gesine Multhaupt (SPD): „In die Ferne, um Neues kennen zu lernen, und zu- rück in die Heimat, um das Erlebte weiter zu erzäh- len und das Gewohnte mit „europäischen“ Augen zu sehen.“ Mit dieser Anleitung zum Reisen werben die sozialde- Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich Andres, Gerd SPD 17.03.2005 Bulmahn, Edelgard SPD 17.03.2005 Carstensen (Nordstrand), Peter H. CDU/CSU 17.03.2005 Deittert, Hubert CDU/CSU 17.03.2005* Ernstberger, Petra SPD 17.03.2005 Göppel, Josef CDU/CSU 17.03.2005 Haack (Extertal), Karl Hermann SPD 17.03.2005 Hilsberg, Stephan SPD 17.03.2005 Minkel, Klaus CDU/CSU 17.03.2005 Nickels, Christa BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 17.03.2005 Probst, Simone BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 17.03.2005 Seib, Marion CDU/CSU 17.03.2005 Dr. Thomae, Dieter FDP 17.03.2005 Dr. Winterstein, Claudia FDP 17.03.2005 Anlagen zum Stenografischen Bericht Neugierig machen auf die vielen Möglichkeiten die Eu- ropa für Jugendliche bereithält; gemeinsam Hand anle- gen und mitbauen am Haus Europa; Lust bekommen auf die europäischen Förderprogramme; Fremdsprachen ler- nen und ausländische Schulen und Hochschulen besu- chen. Das sind unsere konkreten Ideen und Ziele, wie wir Schüler, Studierende und Erwachsene motivieren, auch einmal über den nationalen Tellerrand hinauszusehen. Die europäischen Staats- und Regierungschefs haben sich zum Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2010 einen europäi- schen Bildungs- und Forschungsraum zu schaffen. Auch von außen – zum Beispiel seitens der USA oder von Asien her – soll ein einheitliches, eben „europäisches“ Bildungssystem erkennbar werden. Die Grundlagen für späteres Leben, Lernen und Arbeiten werden in den all- gemeinbildenden, den Berufsbildenden und den weiter- führenden Schulen und Hochschulen gelegt. Deshalb setzt der vorliegende Antrag mit seinen Forderungen zu Recht an einer europäischen und internationalen Aus- richtung des Bildungssystems an. Wenn Europa immer enger zusammenwächst, sind die Förderung von Mobili- tät, der Austausch von Lehrkräften und Jugendlichen, das Intensivieren von Fremdsprachenerwerb, das Einführen von vergleichbaren Schul- und Bildungsstrukturen sowie das Anerkennen von Bildungsabschlüssen, und eine ziel- gerichtete Finanzierung von grenzüberschreitenden Ju- gendbegegnungen wesentliche Ziele einer europäischen und internationalen Ausrichtung unseres Bildungssys- tems. Aktuell befinden sich circa 10 Prozent der Menschen in Ausbildung und Bildung in den verschiedenen euro- päischen Ländern. Besonders hervorheben möchte ich an dieser Stelle, dass dieser Anteil erheblich gesteigert werden muss, wenn wir das ehrgeizige Ziel der Lissa- bon-Strategie erreichen wollen, die Europäische Union bis zum Jahr 2010 zum wettbewerbsfähigsten und dyna- mischsten wissensbasierten Raum der Welt zu machen. Die rot-grüne Bundesregierung unterstützt im Rah- men ihrer Zuständigkeit zielgerichtet die nationale Um- setzung der auf EU-Ebene vereinbarten Maßnahmen. Eine Verbesserung des Istzustandes kann jedoch nur in einer gemeinsamen Anstrengung von Bund, Ländern und Kommunen gelingen. Bund, Länder und freie Bildungs- träger müssen neben ihren Bemühungen um zunehmende Europäisierung und Internationalisierung in Hochschu- len und beruflicher Bildung auch den Schulbereich ver- stärkt in den Blick nehmen. Hier sind insbesondere die Länder gefordert, eine Ausweitung der Angebote an Schulen mit europäischer Ausrichtung, frühzeitige An- gebote für Fremdsprachenunterricht und Förderung des internationalen Schüleraustauschs verantwortlich zu rea- lisieren. In diesem Zusammenhang begrüßen und unter- stützen wir die vielfältigen Aktivitäten von Bund und Ländern in der Bund/Länder-Kommission, die darauf ab- 15598 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2005 (A) (C) (B) (D) Durch Personalabbau bei Lehrkräften, Psychologen und Sozialpädagogen mit der Folge, dass Integrations- maßnahmen, Ausländerförderungen und Sprachförde- rung gerade auch bei Schulkindern wegfallen, wie es beispielsweise die amtierende niedersächsische Landes- regierung in meinem eigenen Bundesland praktiziert, werden gerade eben nicht Impulse für eine zunehmend europäische Ausrichtung unseres Schulsystems gegeben. Ein gutes Beispiel hingegen ist der gerade zustande ge- kommene Koalitionsvertrag in Schleswig-Holstein. Hier wird konkret verabredet, den grenzüberschreitenden Austausch von Schülern, Auszubildenden, Studierenden und Berufstätigen zu fördern, um ihnen Praktika und Hospitationen im europäischen Ostseeraum zu ermögli- chen. Ich komme zum Schluss. Ein Europaprojekt an einer Schule am Bildungsstandort Deutschland mit seiner Partnerschule in Kopenhagen, Barcelona oder Warschau, ein freiwilliges soziales Jahr im bosnischen Kinderheim, ein Studienaufenthalt in Italien, ein Betriebspraktikum in Polen das sind alles Beispiele, wie wir junge Menschen neugierig, aber auch fit machen für den internationalen Wettbewerb um die „besten Köpfe“. Mit Ihrem Engage- ment in den von Ihnen regierten Bundesländern können Sie diesen spannenden Prozess in Europa ganz konkret durch eine bessere finanzielle Ausstattung der Schulen unterstützen. Im Interesse der vielen Begegnungen der jungen Generation sind Sie aufgefordert, Ihre Länderak- tivitäten voranzubringen. Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Der vorlie- gende Antrag „Impulse für eine internationale Ausrich- tung des Schulwesens – den Bildungsstandort Deutsch- land auch im Schulbereich stärken“ wird zusammen eingebracht von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP. Er geht zurück auf eine Initiative der FDP aus dem Fe- bruar 2003, mit der die FDP die Bundesregierung auffor- dern wollte, die Bereitschaft von staatlich anerkannten oder genehmigten Schulen, ausländische Schülerinnen und Schüler aufzunehmen, grundsätzlich zu unterstützen und die entsprechenden Verwaltungsvorschriften so zu gestalten, dass beim Vorliegen der entsprechenden Vo- raussetzungen eine schnelle, unbürokratische Erteilung der Aufenthaltsbewilligung erfolgen kann. In der dama- ligen Debatte, die zu Pfingsten 2003 in diesem Hause stattfand, sprachen sich Vertreter aller Fraktionen dafür aus, eine solche internationale Ausrichtung im Schulwe- sen in Deutschland zu befördern. Die Gründe hierfür liegen auf der Hand: Erstens. Die Bedeutung von Internationalität auch im Schulwesen wird ernsthaft von niemandem bestritten werden. Sprachen lernen, andere Länder kennen lernen, sich in anderen Kulturen bewegen können, den Aus- tausch zwischen Jugendlichen und jungen Menschen fördern, Weltoffenheit, globales Bewusstsein und Ver- antwortung ausbilden sind Bildungsziele, die in der Zu- kunft noch viel wichtiger werden, als sie es schon in der Vergangenheit waren. Wenn wir uns wünschen, dass deutsche Jugendliche Internationalität durch ein weltof- fenes Schulwesen in anderen Ländern erfahren, sind wir erst recht verpflichtet, ausländischen Jugendlichen diese Weltoffenheit auch in unserem Schulwesen entgegenzu- bringen. Im Bereich der Europäischen Union gibt es diese europäische Internationalität bereits. Über die Eu- ropäische Union hinaus sehen wir uns verpflichtet, auch jungen Menschen anderer Staaten dieser Welt Zugang zu unserem Bildungswesen und den Austausch zu ermögli- chen. Zweitens. Bildung ist ein öffentliches Gut und Bil- dung ist zugleich ein Gut, das in staatlicher wie freier Trägerschaft angeboten wird. Die Vermittlung von Bil- dung ist zudem ein Arbeitsfeld, das in der Wissensge- sellschaft der Zukunft noch mehr Anteil an der gesamt- staatlichen Wertschöpfung haben wird, als es schon jetzt der Fall ist. Auch in Deutschland haben wir dem interna- tionalen Bildungsbedürfnis konkrete Angebote zu ma- chen: im staatlichen Bereich, in den engen Grenzen, dass natürlich staatliche Mittel in erster Linie für den Bil- dungsanspruch auch der hier geborenen Kinder und Ju- gendlichen einzusetzen sind; im freien und privaten Be- reich in der Form, dass internationales Interesse an diesen Schulen angeboten und in Deutschland wahrge- nommen werden kann und dass Bildungsinstitutionen in Deutschland ihren Anteil am wachsenden so genannten Bildungsmarkt mit sichern und ausbauen können. Dies ist nicht nur gut für die Sicherung und den Ausbau von Arbeitsplätzen in diesem Bereich. Dies ist umso mehr verantwortbar, als die deutschen Bildungseinrichtungen hier auch ein hohes Niveau, eine gut organisierte und ab- gesicherte schulische Ausbildung anbieten können und daher das Interesse von ausländischen Kindern, Jugend- lichen und ihren Familien an den in Deutschland ange- botenen Bildungsgängen und Schulen auch eine Bestäti- gung für den Bildungsstandort Deutschland generell ist. Um es konkret zu sagen: Natürlich würden wir uns alle darüber freuen, wenn von den 20 000 Internatsplät- zen in Deutschland, von denen aktuell 5 000 unbesetzt sind, über die schon hier unterrichteten 1 500 Schülerin- nen und Schüler hinaus weitere diese Bildungsangebote wahrnehmen würden. Natürlich sollten wir zusammen daran arbeiten, dass von den rund 40 Trägern, die sich im Bereich der freien und privaten Schulen mit der Aus- bildung von Nicht-EU-Bürgern befassen, auch mehr als die bisher nur zehn Träger die Aus- und Weiterbildung für Nicht-EU-Bürger tatsächlich durchführen, ihre Bil- dungsangebote erfolgreich umsetzen könnten. Experten sprechen davon, dass auch hier rund 2 000 Plätze wahr- genommen werden können im Bereich der Sprachenaus- bildung, des Deutschzertifikats unterschiedlicher Stufen, im Bereich der allgemeinen Abschlüsse, was Abitur und die Fachhochschulreife angeht, im Bereich der berufs- qualifizierenden Schulen, was zum Beispiel Fremdspra- chenkorrespondenz betrifft und im Bereich der Weiter- bildung, was zum Beispiel Abschlüsse als Betriebswirt im Wellnessbereich etc. einschließt. An dieser Stelle konnten wir seinerzeit in der Debatte zu Pfingsten 2003 breite Übereinstimmung im Haus fest- stellen. Dies hat die SPD ermutigt, einen fraktionsüber- greifenden Antrag anzustreben, der gerade die Bereit- schaft und das Bewusstsein, diese Internationalität des deutschen Bildungswesens weiterzuentwickeln, über den Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2005 15599 (A) (C) (B) (D) bis dahin vorliegenden Antrag der FDP hinaus in den Mittelpunkt der Diskussion stellen wollte. Wir freuen uns, dass wir hierfür letztlich auch die FDP mit gewinnen konnten, damit es gemeinschaftlichen Rückhalt dafür gibt, dass die Marketingaktivitäten im Bereich der beruf- lichen Bildung und der Hochschulen in Kooperation mit den Ländern auch im Bereich der allgemeinbildenden Schulen ausgedehnt werden können. Wir stehen hinter dem Konzept der Europäisierung des Schulwesens mit dem System der bilingualen deutsch-französischen Part- nerschulen und freuen uns, dass es erste Ansätze hierfür auch im deutsch-tschechischen Bereich gibt. Wir nehmen mit Genugtuung auf, dass auch auf EU-Ebene in der nächsten Generation der Bildungsprogramme ab 2007 ein besonderer Schwerpunkt auf die Förderung der Mo- bilität und des Fremdsprachenerwerbs im schulischen Bereich gelegt werden soll. Diese drei Akzente sollen beispielhaft verdeutlichen, was Internationalisierung des Schulwesens meint und welche verstärkenden Initiativen Bund wie Länder in Deutschland hierzu ergreifen können. Zugleich hat die SPD zusammen mit Bündnis 90/Die Grünen und der FDP die Erwartung, dass in Zukunft mehr Erkenntnisse auf Ebene des Bundes und der Länder über den Stand der Europäisierung und Internationalisierung des Schul- wesens gewonnen werden. Wenn wir ehrlich sind, müs- sen wir zusammen feststellen, dass wir hierzu leider viel zu wenig exaktes Material vorliegen haben, was Daten über Mobilität und Austausch von Deutschen ins Aus- land und umgekehrt angeht. Gerade wenn wir eine ziel- führende Verbesserung in diesem Bereich erreichen wol- len, ist es unumgänglich, hier zu einer klareren Datengrundlage zu kommen. Bei aller Zustimmung und Unterstützung für eine In- ternationalisierung des Schulwesens dürfen wir nicht verkennen, dass im Bereich des Ausländerrechtes natür- lich auch Probleme liegen, die mit klarer Steuerung, kla- rer Gesetzgebung und ebenso konsistentem wie konse- quentem Verhalten angegangen werden müssen. Auch hierauf hatte die FDP in ihrem Ursprungsantrag hinge- wiesen und mit Recht moniert, dass es leider noch keine deutsche Tradition gibt, auch im Bildungswesen insge- samt Internationalisierung als Zukunftsförderung und nicht als Bedrohung anzusehen. Hierzu musste ehrlich- keitshalber jetzt festgestellt werden, dass der Fortschritt in diesem Bereich nur in sehr kleinen, sehr kalkulierten und sehr auf Sicherheit bedachten Schritten erreichbar ist. Machen wir uns doch zusammen klar: Als die FDP Pfingsten 2003 ihren Antrag ins Parlament einbrachte, hatten wir noch kein Zuwanderungsgesetz in Deutsch- land. Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Schulbesuchs war im Ausländerrecht kein Bestand. Alleine in einer Verwaltungsvorschrift wird dies geregelt. Mittlerweile ist die Entwicklung hier weitergegangen. Immerhin ha- ben wir ein Zuwanderungsrecht vorliegen, das erstmals in einem eigenen Abschnitt ausdrücklich den Aufenthalt zum Zweck der Ausbildung enthält, nämlich in den § 16, in dem es um Studium, Sprachkurse und Schulbesuche geht, und im § 17, in dem es um sonstige Ausbildungs- zwecke geht. Gerade der Aufenthalt zum Zweck des Stu- diums hat nicht zuletzt durch die Beharrlichkeit der SPD und von Bündnis 90/Die Grünen deutliche Verbesserun- gen für die Studentinnen und Studenten erbracht. Im Be- reich der Schulbesuche müssen wir nüchtern konstatie- ren, dass die Aufnahme in das Gesetz ein Fortschritt ist, die bisherige Verwaltungshandhabung gleichwohl noch sehr enge Grenzen sieht. Mit dem gemeinsamen Antrag wollen SPD, Bündnis 90/ Die Grünen und die FDP deshalb die Bundesregierung nachdrücklich dazu auffordern, bei der Formulierung der allgemeinen Verwaltungsvorschriften zu Regelungen zu kommen, die im Interesse einer zunehmenden internatio- nalen Öffnung des Schulwesens liegen. Ziel muss es sein, in einem ersten Schritt bei vorliegender allgemei- ner Erteilungsvoraussetzung positive Ausnahmen zum Zwecke der Erlangung des Hochschulzugangs oder zur Erlangung einer Berufsausbildung zu ermöglichen. Dies läge auch im Geiste des gemeinsam beschlossenen Zu- wanderungsgesetzes, das immerhin bei der abschließen- den Abstimmung im Bundestag am 1. Juli 2004 mit fast allen Stimmen des Hauses gegen zwei Stimmen aus der Fraktion der CDU/CSU und gegen zwei Stimmen der fraktionslosen Abgeordneten angenommen worden ist. Jetzt kommt es darauf an, im ersten Schritt hin zu mehr Internationalität in unserem Schulwesen konkrete Brü- cken zu bauen, ohne dem illegalen Zugang, dem Miss- brauch von Bildungsmotivation durch Geschäftemacher und Bildungsschleppern Vorschub zu leisten und ohne falsche Gettobildung im Bildungsbereich Türen zu öff- nen; denn gerade eine solche Gettobildung würde sich mit der internationalen Ausrichtung des Schulwesens nicht vertragen. Auf der anderen Seite müssen und wollen wir aber auch darauf bestehen, dass in dem Bemühen um klare Grundsätze, einheitliches Verhalten und hilfreiche Struk- turen für bildungsmotivierte Nicht-EU-Ausländer in Deutschland stete Fortschritte erreicht werden. Hierin waren wir uns im Jahr 2003 doch alle einig. Hierin kön- nen wir auch heute in der gemeinsamen Beschlussfas- sung einen weiteren Baustein setzen. Ich fordere auch die CDU/CSU auf, diesem gemeinsamen Antrag von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP zuzustimmen, um damit ein klares Zeichen zu setzen, was wir von der Bundesregierung, aber auch den Landesregierungen er- warten, in der Weiterentwicklung des Bildungsstandorts Deutschland und der fairen und bildungsfreundlichen Unterstützung für Bildungswillige, Bildungsmotivierte und Bildungsangebote machende Institutionen in Deutschland mit Blick auf die internationale Ausrich- tung des Schulwesens. Kristina Köhler (Wiesbaden) (CDU/CSU): Ich muss Ihnen etwas ganz offen bekennen: Ihr Antrag hat mir reichlich Kopfzerbrechen bereitet. Ich habe ihn eifrig studiert, gründlich darüber nachgedacht und sorgfältig gewogen. Ich habe aber dennoch nicht verstanden, in welche Richtung die Reise nun eigentlich gehen soll. Ich würde aber gerne nachvollziehen können, was Sie mit Ihrem Antrag eigentlich beabsichtigen. 15600 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2005 (A) (C) (B) (D) Da gibt es zwei mögliche Interpretationen: Entweder Sie sind mit der bestehenden Rechtslage nach dem Zu- wanderungskompromiss total zufrieden. Dieser Ein- druck entsteht bei mir, da Sie in Ihrem Antrag bei Ihren Forderungen einfach nur mit großer Akribie die Anwen- dungshinweise des Bundesministeriums des Innern zum Zuwanderungsgesetz wiedergeben. Die Passagen zum Beispiel, in denen die Ausnahmen für einen Schulbesuch von Ausländern festgelegt werden, haben Sie einfach eins zu eins abgeschrieben. Wollen Sie also auch nicht mehr als das, was im Zu- wanderungskompromiss ohnehin geregelt ist? Dort ha- ben wir nämlich geregelt, den Schulbesuch von Auslän- dern nur in bestimmten wohldosierten Ausnahmen zuzulassen. Diese Regelungen geben Sie wörtlich wie- der. Erschöpft sich also Ihr Antrag in der Widergabe der bestehenden Rechtslage? Dann frage ich Sie: Wozu ein solcher Antrag? Ist es nicht reichlich profan, zu etwas aufzufordern, was der tatsächlichen Situation bereits ent- spricht? Nein, es ist mehr als das. Es schadet. Ein An- trag, der lediglich Selbstzweck ist, schadet. Er ver- schwendet Ressourcen, unser aller Zeit und schafft über- flüssige Bürokratie. Die sollte aber bei uns allen ins Visier genommen und keinesfalls gefördert werden. Man merkt, dass Sie Ihren Antrag vor einiger Zeit gemacht haben, vor der fulminanten Rede des Bundespräsidenten Horst Köhler; denn sonst hätten Sie sicher den seit Dienstag so vielzitierten Satz des Philosophen Montes- quieu beachtet: „Wenn es nicht nötig ist, ein Gesetz zu machen, dann ist es nötig, kein Gesetz zu machen.“ Oder – jetzt komme ich zu der zweiten Interpretation – Ihr Antrag ist so zu verstehen, dass Sie getroffene Kom- promisse aufkündigen wollen. Dann ist Ihr Antrag in der Tat keineswegs überflüssig, sondern enthält ein Novum, eine Intention, die deutlich über die Gesetzeslage hin- ausgeht. Dafür spricht auch einiges; denn in Ihrer For- mulierung taucht ganz versteckt das Wörtchen „zuneh- mend“ auf. Es heißt nämlich: „… zu Regelungen zu kommen, die im Interesse einer zunehmenden internatio- nalen Öffnung des Schulsystems liegen“. Und Sie be- nennen es als Ihr Ziel, Ausnahmen zu ermöglichen. Wir haben aber bereits Ausnahmen geregelt. Dann muss ich das doch wohl so verstehen, dass Sie immer mehr Aus- nahmen schaffen wollen. Sie wollen also den Ausnahmecharakter unterwan- dern. Sie wollen die Ausnahme zur Regel machen. Mehr noch: Sie schreiben, eine Aufenthaltserlaubnis solle er- teilt werden, wenn es sich um Angehörige von Staaten handelt, mit denen keine Rückführungsschwiergkeiten bestehen. Das kann prinzipiell jedes Land sein. Das In- nenministerium hat aber zum Zuwanderungskompro- miss festgelegt, dass nur in wenigen – genau genommen in elf Staaten – eine Ausnahme möglich sein soll. Diese Länder sind auch namentlich aufgeführt. Eine Verallge- meinerung, wie im Antrag vorgesehen, würde diesen be- grenzten Katalog also unüberschaubar ausweiten. Haben Sie das eigentlich mit Ihren Kollegen vom Innenaus- schuss besprochen? Dieser friedfertig wirkende Antrag mit den guten Ab- sichten schnürt das sorgsam gebündelte Zuwanderungs- paket wieder auf und davor kann ich nur warnen. Wir ha- ben um dieses Gesetz lange gerungen und wir haben jede einzelne Regelung sorgfältig geprüft und bewusst so ge- setzt. Sie gefährden diesen Kompromiss, indem Sie – ver- mutlich unbeabsichtigt – Zuwanderung durch die Hinter- tür ermöglichen, indem Sie die Ausnahmen ausweiten und sie zur Regel küren. Oder aber Ihr Antrag beabsich- tigt eben nicht ein Mehr als die bestehende Gesetzeslage. Dann allerdings wären wir wieder bei der ersten Variante. Es ist Ihr Antrag. Bitte sagen Sie mir, wie er zu verstehen ist. Ich kann Ihnen aber jetzt schon sagen, dass er entwe- der dem Gebot Montesquieu zuwiderläuft oder aber im Widerspruch zum Zuwanderungskompromiss steht. Ich kann allerdings weder die eine noch die andere Ausle- gung gutheißen. Bernward Müller (Gera) (CDU/CSU): Wir sprechen heute über einen Antrag, der gemeinsam von den Frak- tionen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der FDP verantwortet und befürwortet wird. Wir sprechen über eine stärkere internationale Ausrichtung des Schul- wesens. Es geht um den Bildungsstandort Deutschland. Und daher wird jeder fragen: Das ist doch eine gute Sache! Warum macht die Union dabei nicht mit? Die CDU/CSU-Fraktion spricht sich ganz klar für eine Stärkung des Bildungsstandortes Deutschland aus. Auch wir sehen in der wachsenden europäischen und in- ternationalen Ausrichtung des Bildungssystems eine der wichtigsten aktuellen Herausforderungen an die Bil- dungspolitik. Bildung ist für die Union ein entscheiden- der Standortfaktor. Für die wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Weiterentwicklung der Bundesre- publik ist es von elementarer Bedeutung, den Bildungs- standort Deutschland insgesamt attraktiver zu gestalten. Daher haben wir uns auch schon bei der Debatte im Juni 2003 dafür ausgesprochen, Schülerinnen und Schü- lern von außerhalb der EU einen Schulbesuch in Deutschland zu ermöglichen. Es gibt gute Gründe, die Möglichkeit des Schulbesuchs in Deutschland zu er- leichtern. Die Internatsschüler in England und in der Schweiz haben sich zu einem Wirtschaftsfaktor für viele Regionen entwickelt. Darüber hinaus gibt es auch lang- fristig positive Effekte für den Standort Deutschland. Viele der jungen Menschen, die einen Schulbesuch im Ausland absolvieren, werden in einigen Jahren in Wirt- schaft und Politik ihres Heimatlandes in herausgehobe- nen Positionen tätig sein. Gerade in Zeiten der verstärk- ten Vernetzung der internationalen Märkte und des Zusammenrückens in Europa ist es wichtig, schon früh funktionierende Netzwerke zu knüpfen. Es spricht nichts dagegen, bereits in der Schule damit zu beginnen. Ich denke, wir sind alle darin einig, dass die Grund- lage für späteres Leben, Lernen und Arbeiten besonders in den Schulen gelegt wird. Daher ist es wünschenswert, schon dort anzusetzen und auf eine internationale Aus- richtung zu achten. Auch die Union sieht die Bedeutung einer internationalen Orientierung des Bildungswesens für den anstehenden Wettbewerb um die „besten Köpfe“ auf internationalem Parkett. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2005 15601 (A) (C) (B) (D) Doch die CDU/CSU-Fraktion verliert darüber hinaus auch nicht den Überblick über bestehendes Recht in Deutschland. Und das scheint etwas, was die Antragstel- ler in ihrem gut gemeinten Eifer zu übersehen scheinen. Es sind vor allem zwei Punkte, die wir kritisch sehen und die wir daher nicht mit unterschreiben wollen: Erstens. Der Antrag übergeht die Länderkompetenz im Bereich der Schulen. Wieder einmal wird versucht, über den Bund Einfluss auf die Bildungshoheit der Län- der zu nehmen und in Landesentscheidungen hineinzure- gieren. Der Antrag versucht, dies mit verbalen Arabes- ken wie „in enger Abstimmung mit den Ländern“ und „in Kooperation mit den Ländern“ zu überdecken. Ja, es wird sogar die Formulierung verwendet: „Er bittet daher die Länder“. Doch in letzter Konsequenz lautet die For- derung des Antrages, dass der Bund sich in die Länder- kompetenz der Schulen einmischen möge, um dort die Internationalisierung voranzutreiben. So funktioniert das nicht! Zweitens. In den Forderungen werden Gegenstände des Aufenthaltsgesetzes berührt. Dem Wortlaut nach wer- den Formulierungen der vorläufigen Anwendungshin- weise des Innenministeriums (Stand: 22. Dezember 2004) zitiert. Doch der Kontext des Antrags legt die Vermutung nahe, dass eine erhebliche Ausdehnung der geltenden Rechtslage intendiert ist. Das wird Ihnen die Kollegin Kristina Köhler aus dem Innenausschuss in ihrem Rede- beitrag noch ausführlich darlegen. Sie haben sich in Ihrem Antrag einem wichtigen Thema gewidmet. Leider können wir es in dieser Form nicht unterstützen. Dennoch sollten wir die Punkte festhalten, in denen wir uns einig sind: Bildung ist ein entscheidender Standortfaktor. Für die wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Weiter- entwicklung der Bundesrepublik ist es wichtig, den Bil- dungsstandort Deutschland insgesamt attraktiver zu ge- stalten. Eine europäische und internationale Ausrichtung un- serer Bildungseinrichtungen in Deutschland ist begrü- ßenswert. Dies sollte schon bei den Schulen beginnen. Es ist wichtig, im „Ringen um die besten Köpfe“ auch ausländische Schüler an deutsche Schulen zu bringen. Gerade die vorhandenen und unbesetzten Plätze in privat geführten Internaten bieten dabei ein großes Po- tenzial, das genutzt werden sollte. Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der heute abzustimmende Antrag verfolgt ein vielleicht eher unspektakuläres, aber dennoch wichtiges politisches Ziel: Wir wollen Schülerinnen und Schülern aus Län- dern außerhalb der EU den Schulbesuch in Deutschland erleichtern. Das ist ein gutes Ziel, und zwar nicht nur in ökonomischer Hinsicht. In unserer globalisierten Gegen- wart kann man nicht genug auf den internationalen Aus- tausch setzen, vor allem wenn es um junge Menschen geht. Wer einmal in anderen Ländern gelebt und gelernt hat, kann sich meist auch später auf Neues, vielleicht recht Fremdes besser einlassen. Das ist eine Grundvo- raussetzung für gegenseitigen Respekt und internationa- len Austausch. Im Bereich der Berufsbildung haben wir dafür jetzt gemeinsam die Weichen gestellt. Teile der Ausbildung können im Ausland absolviert und im Inland anerkannt werden. Ähnliches gilt für den Bologna-Prozess. Aller- dings muss hier die Vergleichbarkeit des in anderen Län- dern Gelernten noch gesichert werden. Im vorliegenden Antrag geht es um den umgekehrten Weg: den Austausch nach Deutschland hinein. Deswe- gen greift er bestimmte migrationspolitische Aspekte auf. So soll der Zugang zur schulischen Ausbildung in Deutschland nur dann möglich sein, wenn für die mate- rielle und soziale Absicherung der Schülerinnen und Schüler gesorgt ist und wenn gleichzeitig mit ihrer Rückkehr fest gerechnet werden kann. Deswegen verstehe ich auch nicht die Vorbehalte der Union gegen diesen Antrag. Schauen wir uns an, wer da- von profitiert: Einerseits natürlich diejenigen Schülerin- nen und Schüler aus Nicht-EU-Staaten, bei denen in der Regel wohlhabende Eltern für die Finanzierung des Auf- enthaltes in Deutschland aufkommen werden. Das ist doch genau die Art von Zuwanderung, der sogar ein Herr Beckstein offen gegenübersteht! Andererseits profitieren vor allem private Bildungsin- stitutionen, also Internate und berufliche Schulen in Deutschland. Sie können in Zukunft ihre Angebote ver- stärkt auf die ausländische Klientel ausrichten. Ziel un- seres heutigen Antrages ist es, die Rahmenbedingungen für private Bildungsträger erheblich zu verbessern. Aus grüner Sicht lösen wir mit diesem Antrag natür- lich nicht die zentralen bildungspolitischen Probleme in unserem Land. Die liegen, wie wir alle schon lange und nicht erst seit PISA wissen, unter anderem in der Inte- gration der in Deutschland lebenden Migrantinnen und Migranten. Die Kompromisse im Zuwanderungsgesetz nehmen zwar die sprachliche und kulturelle Integration als Recht und Pflicht eines jeden Einwandernden auf. Wir Grünen halten aber – das ist ja bekannt – die Rah- menbedingungen für Integrationskurse noch nicht für ausreichend. Ich hoffe, wir können nach den ersten Er- fahrungen mit diesen Kursen noch an der einen oder an- deren Stelle nachjustieren, und setze dabei auf Ihre kon- struktive Mitarbeit, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union! Was ebenso fehlt, ist eine umfassende Qualitätssiche- rung, die auch die privaten Schulen berücksichtigt. Der- zeit haben sie zwar einen besseren Ruf als die öffentli- chen Schulen. Dass sie wirklich besser sind, müssen sie erst noch beweisen. PISA jedenfalls kann das nicht bestä- tigen. Umso dringender ist es, dass ausländische Schüle- rinnen und Schüler – ebenso wie die deutschen – sich bei ihrer Entscheidung für einen Schulbesuch in Deutsch- land an klaren Qualitätskriterien orientieren und eine ge- eignete Schule für sich aussuchen können. Nichts wäre schlechter für unseren Bildungsstandort Deutschland, als wenn schwarze Schafe in der Bildungslandschaft die im 15602 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2005 (A) (C) (B) (D) Antrag geforderten Erleichterungen für pure Abzocke missbrauchen würden! Der neue Anlauf in der Föderalismusfrage, der wohl jetzt in Angriff genommen wird, stimmt mich optimis- tisch, dass wir auch in Sachen Qualitätssicherung im Bil- dungswesen eine effiziente Lösung hinbekommen wer- den. Wie auch immer diese Lösung aussieht – die Länder haben jedenfalls große Verantwortung dafür, dass inlän- dische wie ausländische Schülerinnen und Schüler eine qualitativ hochwertige Ausbildung erhalten – egal an welcher Bildungsinstitution sie lernen und sich ausbil- den lassen. Abschließend möchte ich betonen: Die Einführung qualitätssichernder Instrumente geschieht immer noch viel zu langsam. Dabei müssen wir hier das Rad gar nicht neu erfinden, auch wenn die KMK immer diesen Anschein erweckt! Andere Länder – besonders in Skan- dinavien – betreiben seit Jahren und Jahrzehnten eine er- gebnisorientierte Bildungspolitik. Ein Blick über den Tellerrand kann hier enorm helfen und die Arbeit wohl- möglich immens vereinfachen. Wir drehen mit diesem Antrag an einem wichtigen, aber dennoch kleinen Rad der Bildungspolitik. Ich hoffe, wir werden – zum Nutzen unseres Bildungswesens! – auch wieder mal gemeinsam an großen bildungspoliti- schen Rädern drehen können. Anlass hierzu hätten wir genug! Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundstückverkehrsgesetzes und des Landpachtverkehrsgesetzes (Tagesord- nungspunkt 13) Elvira Drobinski-Weiß (SPD): Das Problem des verstärkten Flächenkaufs bzw. der Pacht durch zahlungs- kräftige schweizerische Landwirte im deutsch-schweize- rischen Grenzgebiet besteht seit geraumer Zeit. Es kon- zentriert sich auf bestimmte Grenzregionen, wie zum Beispiel die Landkreise Waldshut, Schwarzwald-Baar und Konstanz. Während der durchschnittliche jährliche Erwerb von Flächen in den Jahren 1993 bis einschließ- lich 2002 mit rund 38 Hektar – bzw. 53 Hektar bei Pacht – relativ niedrig war, ist ein sprunghafter Anstieg seit dem Jahr 2003 zu verzeichnen. Insgesamt werden derzeit circa 3 500 Hektar von Schweizer Bauern bewirtschaftet, in einzelnen Landkrei- sen sind es bis zu 20 Prozent der Ackerfläche. Schweizer Landwirte profitieren von den Subventionssystemen ih- res Landes stärker und erreichen auf dem Schweizer Markt für ihre Agrarprodukte einen bis zu dreifach höhe- ren Marktpreis im Vergleich zu ihren deutschen Kolle- gen. Das erlaubt ihnen, die Kauf- oder Pachtpreisange- bote ihrer deutschen Kollegen wesentlich zu überbieten, was für expansionswillige deutsche Betriebe zu Proble- men führt. Dass ein deutsch-schweizerisches Grenzproblem be- steht, ist, wie ich festgestellt habe, auch unter Kollegen hier im Hause nicht strittig, sondern einzig und allein, welcher Weg zur Lösung dessen beschritten werden kann und soll. Gemeinsam mit dem Bundesrat und insbesondere dem Land Baden-Württemberg hat die Bundesregierung bereits verschiedene Ansätze zur Lösung des Problems geprüft. Sowohl der deutsch-schweizerische Regierungsaus- schuss für Wirtschafts- und Finanzfragen als auch die von ihm eingesetzte gemischte und ressortübergreifende Ex- pertenkommission haben versucht, geeignete Lösungs- vorschläge und ihre Umsetzungsmöglichkeiten zu erar- beiten. So wurde unter anderem nach Art. 26 des Grenzver- kehrsabkommens von 1958 die so genannte Gemischte Kommission einberufen, um zu prüfen, inwieweit die Zollbefreiung der im deutschen Grenzgebiet geernteten Erzeugnisse bei Einfuhr in die Schweiz ganz oder teil- weise eingeschränkt werden kann. Doch sowohl dieser Vorschlag als auch der, dass deutsche Landwirte für in Grenzregionen erwirtschafte Produkte bei Einfuhr in die Schweiz von Abgaben befreit werden, wurde von der Schweiz abgelehnt. Mit der uns heute zur Diskussion vorliegenden Geset- zesinitiative des Bundesrates zur Änderung des Grund- stücksverkehrsgesetzes und des Landpachtverkehrsge- setzes soll eine Preisschwelle, bei deren Überschreitung einem Grundstückskaufvertrag die Genehmigung ver- sagt bzw. ein Landpachtvertrag beanstandet werden kann, festgelegt werden. Zurzeit liegt diese Grenze nach höchstrichterlicher Rechtsprechung bei 150 Prozent. Die von Schweizer Landwirten gezahlten Preise beliefen sich in der Vergangenheit auf 125 bis 149 Prozent des Grundstücksverkehrswertes. Um für die deutschen Landwirte in diesen Regionen die Möglichkeit zum Flä- chenerwerb zu verbessern, soll nach dem Vorschlag des Landes Baden-Württemberg bzw. des Bundesrates die Landesregierung ermächtigt werden, die Schwelle auf 120 Prozent des ansonsten üblichen Wertes festzusetzen. Begründet wird dies vor allem mit dem Ziel des Erhalts der Agrarstruktur. Der vorliegende Gesetzentwurf ist unserer Meinung nach nicht geeignet, dieses regional begrenzte Problem zu lösen. Es bestehen unsererseits vor allem verfassungs- rechtliche Bedenken im Hinblick auf das in Art. 14 Grundgesetz verankerte Eigentumsrecht. Die vom Bun- desrat gewünschte Beschränkung der Verfügungsfreiheit der betroffenen Grundstückseigentümer auf einen eng begrenzten Preisrahmen ist unzumutbar. Außerdem liegt eine Verletzung des in Art. 3 Abs. 1 definierten Gleichbehandlungsverbotes vor, denn die Umsetzung des Gesetzentwurfes würde zu einer verfas- sungswidrigen Ungleichbehandlung zwischen Grund- stückseigentümern, die ihr Grundstück an Schweizer Landwirte verkaufen oder verpachten wollen, und Grund- stückseigentümern, die dasselbe Rechtsgeschäft mit deut- schen Landwirten tätigen wollen, führen. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2005 15603 (A) (C) (B) (D) Auch die im Rechtsgutachten von Professor Dr. Ferdinand Kirchhof dargelegten Argumente reichen nach unserer Meinung nicht aus, um die eben erwähnten verfassungsrechtlichen Bedenken auszuräumen. Außerdem drängt sich die Frage auf: Wird es neben der Festlegung eines Schwellenwertes für bestimmte Re- gionen in Höhe von 120 Prozent zukünftig in Einzelfäl- len auch noch eine Feststellung eines „groben Missver- hältnisses“ seitens der zuständigen Landesstellen geben, wenn der Verkaufspreis in dieser Größenregion liegt? Mit dieser Festlegung wird das Ermessen der für die Überwachung des landwirtschaftlichen Grundstücksver- kehrs zuständigen Stellen auf null reduziert – auch das ist nicht Ziel unserer Politik. Abschließend möchte ich noch die Frage an den Bun- desrat stellen: Wollten Sie wirklich Geschäfte in Zukunft auch dann versagen, wenn sich für das betroffene Grundstück überhaupt kein deutscher Landwirt interes- siert? Die starke Zunahme von Kauf bzw. Pacht deutscher Flächen seitens der Schweizer Landwirte ist ein akutes Problem, welches sich, wenn nicht politisch darauf re- agiert wird, in den nächsten Jahren noch verschärft. Aus diesem Grund unterstützen wir alle Bemühungen, die zu einer Entschärfung des Problems beitragen. Klar sollte Ihnen jedoch auch sein: Aus Respekt vor dem bundes- deutschen Grundgesetz werden wir nur einen Gesetzent- wurf unterstützen, der nicht das Risiko beinhaltet, Grundrechte zu verletzen. Lassen Sie uns gemeinsam Alternativen prüfen, in- wiefern seitens der EU, des Bundes bzw. des Landes Re- gelungen gefunden werden können, um den Landwirten Unterstützung zu gewähren. Kurt Segner (CDU/CSU): Seit rund 30 Jahren erfah- ren die deutschen Landwirte entlang der Schweizer Grenze leidvoll, was es heißt, ihre berufliche Existenz an der Nahtstelle unterschiedlicher Agrarsysteme behaup- ten zu müssen. In keiner anderen Region Deutschlands müssen sich Landwirte einem derart ungleichen Wettbe- werb um den Produktionsfaktor Boden stellen. Seit rund 30 Jahren kaufen und pachten Schweizer Landwirte in immer größerem Umfang landwirtschaftliche Flächen in der deutschen Zollgrenzzone. Dies wird begünstigt durch erstens das Zollabkom- men von 1958, zweitens die Marktstützungsmaßnahmen der Schweiz, die ihnen im Vergleich zu Landwirten in der EU bis zu dreifach höhere Erlöse garantieren und drittens das schweizerische Direktzahlungssystem, das ihnen bis zu dreifach höhere Prämien gewährt, wenn sie die Fläche mindestens seit dem 1. Mai 1984 bewirt- schaften. Vor diesem Hintergrund zahlen Schweizer Landwirte Kauf- und Pachtpreise, mit denen sie jedes Angebot deutscher Landwirte überbieten. Wenn Schweizer Land- wirte zwischen 20 und 49 Prozent über dem ortsüblichen Preis zahlen, dann übersteigt dies die finanzielle Leis- tungsfähigkeit unserer Landwirte bei weitem. In den zurückliegenden 30 Jahren sind über 3 300 Hek- tar landwirtschaftliche Fläche, weit überwiegend Acker- land, in Schweizer Bewirtschaftung übergegangen. Seit 1993 hat sich die von Schweizer Landwirten gekaufte Fläche mehr als verdoppelt. Die gepachtete Fläche, die bereits 1985 ein hohes Niveau von 1 500 Hektar erreicht hatte, ist seither um weitere 850 Hektar gestiegen. Allein in den beiden zurückliegenden Jahren betrug der Flä- chenverlust nahezu 500 Hektar. Wie so oft sagen Zahlen zur Dramatik einer Entwick- lung nicht alles aus. Fakt ist aber, dass der bisherige Flä- chenverlust der durchschnittlichen Flächenausstattung von 83 landwirtschaftlichen Betrieben entspricht. Ange- sichts dieser Dimension besitzt die Problematik eine ganz erhebliche Sprengkraft, die über die regionale Be- troffenheit weit hinausreicht. Um auf Betriebsgrößen zu wachsen, die ihnen auf überschaubare Zeit das betriebliche Überleben sichert, wären die landwirtschaftlichen Betriebe in Baden- Württemberg dringend auf die Aufstockung mit diesen Flächen angewiesen. Die Landwirte wollen auch vom Strukturwandel in der Landwirtschaft der Region profi- tieren und Zukunftsperspektiven entwickeln können! Stattdessen müssen sie sich mit den durch die Flächen- verluste ausgelösten Existenzsorgen herumschlagen. Die Unsicherheit, ob bei durchschnittlich zwei Dritteln Pacht- flächenanteil an der Betriebsfläche ein Pachtvertrag ver- längert wird oder ob eine größere Pachtfläche demnächst an einen zahlungskräftigen Schweizer Landwirt fällt, ver- hindert jede vernünftige, langfristige Betriebsplanung. Die Konsequenzen dieser Entwicklung sind viel- schichtig und haben jeweils eine eigene, Besorgnis erre- gende Dynamik erlangt: Der anhaltende Verlust an Pachtflächen bringt immer mehr Betriebe in akute Existenznöte. Schon jetzt haben zahlreiche Schweine haltende Be- triebe in der Region allergrößte Schwierigkeiten, in zu- mutbarer Entfernung genügend betriebseigene Flächen zur Gülleausbringung vorzuhalten. Viele dieser Betriebe sehen sich um den Lohn jahre- langer Anstrengungen gebracht. Das Herauskaufen oder -pachten von Flächen aus großen Bewirtschaftungseinheiten verschlechtert die Produktions- und Arbeitsbedingungen der baden- württembergischen Betriebe zusehends. Der Verlust potenzieller Aufstockungsflächen schmä- lert die Wachstumschancen der einheimischen Betriebe. Ohne Wachstumschancen gibt es keine Investitionsbe- reitschaft. Ohne Investitionsbereitschaft verlieren die Betriebe den Anschluss an die Entwicklung und damit ihre Wettbewerbsfähigkeit. Ohne Investitionen gibt es keine Modernisierung und ohne Modernisierung keine Hofnachfolge. Der Effekt der öffentlichen Mittel, die das Land Ba- den-Württemberg für die Flurneuordnung eingesetzt hat und einsetzt, geht zunehmend an den Landwirten vorbei. 15604 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2005 (A) (C) (B) (D) Die Landesregierung Baden-Württembergs hat in der Vergangenheit alle Anstrengungen zur Lösung des Kon- flikts unternommen. Erstens. In der Verwaltungspraxis wurden alle rechtli- chen Möglichkeiten des Grundstück- und des Land- pachtverkehrs ausgeschöpft. Aber aufgrund der gegen- wärtigen Rechtslage gelingt eine Steuerung im Sinne der deutschen Landwirte immer seltener. Deshalb ist die Ge- setzesinitiative des Landes Baden-Württemberg unver- zichtbar! Zweitens. Die Landesregierung hat immer wieder das Gespräch mit der Schweiz gesucht. Die Regierungen der angrenzenden Kantone sollten auf ihre Landwirte mäßi- gend einwirken. Nach kurzzeitigem Rückgang erreichte der Umfang der von Schweizer Landwirten gekauften und gepachteten Flächen nicht nur den alten Stand, son- dern ging darüber hinaus. Drittens. Das Land hat die Bundeslandwirtschaftsmi- nisterin wiederholt gebeten, sich bei den Eidgenossen für eine Selbstbeschränkung einzusetzen. Doch leider konnte Rot-Grün keinen Erfolg erzielen. Nach Ansicht des Auswärtigen Amtes sei die Agrar- politik der Schweiz auf eine Annäherung an die Bedin- gungen der EU gerichtet. Diesem Ziel einer Annähe- rung, die die Situation in der Zollgrenzzone entspannt, sind wir bis heute keinen einzigen Schritt näher gekom- men. Viertens. Der Bundesrat hat am 2. April 2004 in einer auf Initiative Baden-Württembergs gefassten Entschlie- ßung die Bundesregierung aufgefordert, den Grund- stück- und Landpachtverkehr an der Schweizer Grenze von den Wirkungen des am 1. Juni 2002 in Kraft getrete- nen Freizügigkeitsabkommens zwischen der EU, ihren Mitgliedsstaaten und der Schweiz auszunehmen. In Verhandlungen mit der Schweiz sollte eine Ände- rung des bilateralen Zollabkommens von 1958 erreicht werden. Diesem Entschluss ist die Bundesregierung nach meiner Beobachtung nicht mit Nachdruck nachge- kommen. Die Bemühungen waren deshalb nicht von Er- folg gekrönt. Nachdem alle Versuche fehlgeschlagen sind, hatte das Land Baden-Württemberg den vorliegenden Gesetz- entwurf eingebracht. Er zielt darauf ab, in das Grund- stückverkehrsgesetz und das Landpachtverkehrsgesetz – beides Gesetze zum Schutz der einheimischen Agrar- struktur – eine Verordnungsermächtigung aufzunehmen. Die Rechtsprechung definiert bislang den Schwellen- wert für die Annahme eines groben Missverhältnisses zwischen Kaufpreis und Verkehrswert bei 150 Prozent. Die Länder sollen nun in die Lage versetzt werden, diesen Schwellenwert auf 120 Prozent des Verkehrswer- tes absenken zu können. Mit dieser Ermächtigung kann die bisher bestehende Regelungslücke, die zur ungesunden Verteilung von Grund und Boden führte, geschlossen werden. Der Schwellenwert von mindestens 120 Prozent mu- tet deutschen Landwirten immer noch zu, mit einem Ge- bot bis an die Grenze ihrer finanziellen Leistungsfähig- keit zu gehen. Ich bin der Meinung, dass seine Einführung auf nationaler Ebene ein wirksames Mittel ist, wieder faire Wettbewerbschancen herzustellen. Ich bedauere sehr, dass die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung Bedenken verlauten lässt. Damit die Landwirte vor Ort aber den Glauben an die Handlungsfähigkeit der Politik nicht verlieren, sollten wir daher über alle Parteigrenzen hinweg eine tragfähige Lösung finden. Im Interesse der betroffenen Landwirte, die akut in ihrer Existenz bedroht sind, sollten wir ge- meinsam ein schnellstmögliches Ergebnis erzielen. In diesem Sinne bedanke ich mich jetzt schon bei al- len Parteien für die Gesprächsbereitschaft. Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Als Bauer kann ich durchaus verstehen, dass die deutschen Bauern an der Grenze zur Schweiz verärgert darüber sind, wenn ihre Kollegen aus der Schweiz sehr hohe Preise für landwirtschaftliche Flächen in Deutsch- land bieten und damit den deutschen Grenzbauern das Mitbieten schwer oder gar unmöglich machen. Das ist sicherlich ein Problem, für das man eine Lösung finden muss. Ich ärgere mich als Nicht-Baulandbesitzer auch oft über die Flächenkonkurrenz der Baulandbauern, die immer einen unvernünftig hohen Preis bieten. So etwas gibt es immer wieder in den verschiedensten Konstella- tionen. Als Abgeordneter des Bundestages muss ich aller- dings einen etwas anderen Blick auf die Sache haben, als im vorliegenden Gesetzentwurf des Bundesrates zum Ausdruck kommt. In der Problembeschreibung des Ge- setzentwurfes heißt es, dass zwischen 1993 und 2002 jährlich 78 Hektar und 2003 310 Hektar an schweizer Landwirte verpachtet oder verkauft worden seien. Zum Vergleich: Die landwirtschaftliche Fläche in Deutschland beträgt insgesamt 17 Millionen Hektar. Da- von gehen jährlich 47 000 Hektar verloren, nicht an Schweizer, sondern wegen des fortschreitenden Flächen- verbrauchs – übrigens ein riesiges Problem, dessen sich der Bundesrat meines Wissens bisher leider noch nie an- genommen hat. Wir sprechen hier also von einem winzi- gen Teil der landwirtschaftlichen Fläche in Deutschland, der nicht an deutsche, sondern an Schweizer Bauern ver- pachtet oder verkauft wird. Ich betone das nur, um die Größenordnungen klarzumachen, von denen wir hier re- den. Dafür will der Bundesrat das bewährte Grund- stücksverkehrsgesetz und das Landpachtverkehrsgesetz ändern. Ich will damit deutlich machen, dass wir aufpassen müssen, bei aller individuellen Betroffenheit die Verhält- nismäßigkeit der Mittel nicht aus dem Auge zu verlieren. Ich glaube, wir sind als Bundesgesetzgeber gut beraten, uns bei unserer Arbeit nicht von einer allzu stark isolier- ten und eingeengten Perspektive leiten zu lassen, son- dern immer den Blick für das Ganze zu behalten und nicht damit zu beginnen, jedem sein eigenes Gesetz zu schreiben. Das führt zu nichts. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2005 15605 (A) (C) (B) (D) Daher haben wir auch große Bedenken, ob eine Ge- setzesänderung vertretbar ist, die nur an den – ohne Frage berechtigten – Interessen einer sehr kleinen Gruppe orientiert ist, die aber von der Bundesregierung erstens als verfassungsrechtlich bedenklich und zweitens als außenpolitisch, das heißt bezüglich der Beziehungen zwischen Deutschland und der Schweiz, bei denen es durchaus noch andere Interessen zu wahren gilt, proble- matisch eingestuft wird. Es ist noch nicht einmal ausge- schlossen, dass dieser Gesetzentwurf gegen das Freizü- gigkeitsabkommen zwischen der Europäischen Union und der Schweiz verstößt. Auf solche Unwägbarkeiten können und dürfen wir uns nicht einlassen. Gleichzeitig ist selbst unter den deutschen Bauern an der Schweizer Grenze die Interessenlage keineswegs einheitlich: Während die einen Land günstig kaufen oder pachten wollen, hoffen die anderen auf günstige Ge- schäfte mit Schweizer Landwirten, um sich beispiels- weise ihre Altersversorgung zu sichern. Wir haben verabredet, dieses Thema in einer inter- fraktionellen Arbeitsgruppe zu beraten, um zu einer Lö- sung des Problems zu kommen. Ich kann mir gut vorstel- len, dass sich eine Lösung finden lässt, jedoch auf einem geeigneteren Weg, als ihn der Bundesrat vorschlägt. Ernst Burgbacher (FDP): Als Vorsitzender der süd- badischen FDP kenne ich die Problematik von Land- pachten und Landkäufen durch Schweizer Landwirte im südbadischen Raum seit geraumer Zeit. Diese Land- käufe und Landpachten von Schweizer Landwirten in unserer Region stellen für unsere Bauern eine ernst zu nehmende Existenzgefährdung großen Ausmaßes dar. Hier ist Handeln, und zwar rasches Handeln, dringend geboten. Auch wenn das Problem des Grundstücks- und Land- pachtverkehrs bereits seit 30 Jahren existiert, hat es sich in den letzten Jahren durch verschiedene Änderungen der Rahmenbedingungen deutlich verschärft und zuneh- mend bedrohlichere Ausmaße angenommen. Auf Initiative des Landes Baden-Württemberg hat der Bundesrat einen Gesetzentwurf zur Änderung des Grundstücksverkehrs- und Landpachtverkehrsgesetzes vorgelegt. Ich unterstütze diese Gesetzesinitiative nach- drücklich. Die FDP-Bundestagsfraktion steht an der Seite unserer Landwirte. Die bestehenden Ungerechtig- keiten zulasten unserer Bauern dürfen nicht länger hin- genommen werden. Ursache für die massiven Wettbe- werbsverzerrungen ist eine hoch subventionierte Landwirtschaft in der Schweiz, die es Schweizer Land- wirten ermöglicht, baden-württembergische Landwirte bei Erwerb und Pacht von landwirtschaftlichen Flächen aus dem Feld zu schlagen. Ich habe mich in dieser Angelegenheit bereits im Jahr 2003 aktiv eingeschaltet und die zuständigen Stellen auf die Schwierigkeiten, denen sich unsere südbadischen Landwirte ausgesetzt sehen, hingewiesen und Abhilfe angemahnt. Im Sommer letzten Jahres hatte ich den da- maligen zuständigen EU-Kommissar Fischler ange- schrieben, um ihn für diese Thematik zu sensibilisieren. Mehrfach hatte ich mich mit Anfragen an die Bundesre- gierung gewandt. Ich hatte an Bundeslandwirtschaftsmi- nisterin Renate Künast geschrieben und sie eindringlich aufgefordert, sich vor Ort ein Bild von der Lage zu ma- chen. Doch trotz eines Besuchs in der Schweiz, bei dem sie sich über Hühnerhaltung informierte, hat es die zu- ständige Ministerin nicht für nötig befunden, auch das Gespräch mit den Landwirten in Baden-Württemberg zu suchen und sich persönlich einen Eindruck von der Situa- tion unserer Bauern und ihrer Familien zu verschaffen. Ein Besuch vor Ort und das Gespräch mit südbadi- schen Landwirten im Grenzgebiet hätte ihr sicher die Augen geöffnet, wie ich aus eigener Erfahrung berichten kann. Ich habe mich oft mit betroffenen Landwirten un- terhalten und stehe in regelmäßigem Austausch mit dem Badischen Landwirtschaftlichen Hauptverband. Die Tatenlosigkeit der rot-grünen Bundesregierung ist unverständlich und völlig inakzeptabel. Auch das Ver- halten von Bundesaußenminister Fischer war eine bittere Enttäuschung für die betroffenen Landwirte. Erst Ende November letzten Jahres hatte dieser dem baden- württembergischen Ministerpräsidenten Teufel schrift- lich versichert, dass ihm an einer Lösung des Problems gelegen sei. Doch entgegen diesen – wie wir nun wis- sen – leeren Versprechungen hat die Bundesregierung eine negative Stellungnahme zum Gesetzentwurf abge- geben. Die von der Bundesregierung geäußerten Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des baden-württembergischen Gesetzentwurfs sind durch ein Rechtsgutachten von Pro- fessor Kirchhof von der Universität Tübingen entkräftet worden. Professor Kirchhof kommt zu dem Ergebnis, dass der Gesetzentwurf zur Änderung des Grundstücks- verkehrsgesetzes und des Landpachtverkehrsgesetzes den Vorgaben für Rechtsverordnungsermächtigungen des Art. 80 Abs. 1 GG genüge und sich im Einklang mit den Grundrechten der Art. 14 und 12 GG halte. Entscheidend ist aus meiner Sicht, dass wir zu einer raschen und möglichst unbürokratischen Lösung des Problems kommen. Wie und auf welchem Wege dies ge- schieht, erscheint mir im Augenblick eher sekundär. Viele unserer Betriebe in Südbaden sind in ihrer Exis- tenz bedroht. Wichtig ist, dass hier zügig Abhilfe ge- schaffen wird, um diese Bedrohung abzuwenden. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Zum Beginn der De- kade „Wasser zum Leben“ der Vereinten Natio- nen (Tagesordnungspunkt 14) Dagmar Schmidt (Meschede) (SPD): Nächsten Dienstag, am 22. März, am Weltwassertag, beginnt die UN-Dekade „Wasser für das Leben“. Damit unterstrei- chen die Vereinten Nationen ihre Entschlossenheit, das Thema Wasser im Blickpunkt zu behalten. Es muss ge- lingen, den Anteil der Menschen ohne Zugang zu 15606 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2005 (A) (C) (B) (D) sauberem Trinkwasser und ohne Zugang zu sanitären Basiseinrichtungen bis 2015 zu halbieren. Wir möchten mit dieser Debatte zum Gelingen beitra- gen. Wieder einmal sind wir es, die dieses Thema in den Bundestag gebracht haben. Schon vor zweieinhalb Jah- ren waren es die Regierungsparteien, die die Wasser- frage erörtert und mit einem Antrag deren Bedeutung für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit unterstrichen haben. Eines haben wir bereits damals deutlich gemacht: Wasser ist kein beliebiges Wirtschaftsgut, Wasser ist ein öffentliches Gut. Wir haben bereits damals deutlich ge- macht, dass der Zugang zu sauberem Trinkwasser ein Menschenrecht ist. Das bestreitet in diesem Hause sicher niemand. Dennoch überlegen Sie einmal, wenn Sie vier Tage alle Wasserhähne und sanitären Einrichtungen in Küche und Bad einmal nicht benutzen, vier Tage den Wasserkasten in der Ecke einmal nicht anrühren, vier Tage einmal versuchen, Wasser zur Befriedigung der Grundbedürfhisse im wahrsten Sinne des Wortes auf der Straße zu finden. Nur vier Tage – dies ist nämlich ungefähr die Zeit, die ein Mensch ohne Wasseraufnahme überleben kann. Diese Tatsache unterstreicht unsere Abhängigkeit von den natürlichen Lebensgrundlagen und unsere Verletz- barkeit, eine Verletzbarkeit, die wir in unserer Überfluss- gesellschaft, in der sauberes Trinkwasser eine Selbstver- ständlichkeit ist, häufig verdrängen. Machen wir es uns eigentlich ausreichend klar, ist es uns überhaupt bewusst, dass die Versorgung mit saube- rem Trinkwasser und eine effiziente Abwasserentsor- gung die Grundvoraussetzung für soziale und wirtschaft- liche Entwicklung ist? Stört es uns denn überhaupt nicht, dass noch immer mehr als eine Milliarde Menschen ohne Zugang zu sauberem Trinkwasser sind? Immer noch ha- ben mehr als 2,5 Milliarden Menschen keinen Zugang zu einer geregelten Abwasserentsorgung. Schenken wir die- sen Menschen doch unser Gehör. Sie alle sind arm! Sie alle haben dieses gemeinsame Merkmal, egal ob Sie in Südasien, in Lateinamerika oder ob Sie in Afrika südlich der Sahara leben. Armut und der Mangel an sauberem Trinkwasser bzw. an sanitären Basiseinrichtungen gehen Hand in Hand. Die Folgen für die Betroffenen sind gravierend. 1,8 Mil- lionen Menschen sterben pro Jahr an den Folgen von Durchfallerkrankungen. Insbesondere Kinder sind durch unhygienische sanitäre Zustände bedroht. Alleine am heutigen Tag sind wieder 4 000 Kinder weltweit an den Folgen von verunreinigtem Trinkwasser qualvoll zu- grunde gegangen. In Afrika gehen nach Schätzung der Weltgesundheitsorganisation 40 Milliarden Arbeitsstun- den pro Jahr durch die Beschaffung von Trinkwasser verloren – 40 Milliarden! Diese Zeit wird gerade Mäd- chen und Frauen weggenommen. Wegen ihrer Pflichten bei der Beschaffung von Trinkwasser können sie nicht zur Schule gehen. Analphabetismus hat einen fatalen Bezug zur Wasser- und Abwasserfrage. Deshalb sind das Trinkwasserziel der Millenniums- Deklaration und das Sanitärziel des Johannesburg-Ak- tionsplanes Grundvoraussetzungen für eine nachhaltige Bekämpfung der Armut! Mit unserem heutigen Antrag wollen wir fünf Jahre nach der Verabschiedung der Millenniums-Entwick- lungsziele erstmals Bilanz ziehen. Wo stehen wir heute? Die Weltgesundheitsorganisation WHO und das UN- Kinderhilfswerk UNICEF haben im August 2004 eine Zwischenbilanz über die Erreichung der Millenniums- Entwicklungsziele bei der Trinkwasserversorgung und bei der Entsorgung von Abwässern vorgelegt. Basierend auf den Ausgangswerten von 1990 und den Zahlen von 2002 kommen die UN-Organisationen zu folgendem Ergebnis: Die Weltgemeinschaft ist zwar auf einem guten Weg, das Trinkwasser-Ziel der Millen- niums-Deklaration zu erreichen, ohne eine deutliche Kraftanstrengung wird das Ziel im Bereich der Abwas- serentsorgung jedoch um eine halbe Milliarde Menschen verfehlt. Unabhängig von den Durchschnittswerten zeigt die Bilanz aber Licht und Schatten. Die Unterschiede zwi- schen den Regionen, zwischen Stadt und Land und zwi- schen Arm und Reich sind gewaltig. Immerhin haben zwischen 1990 und 2002 1,1 Milliarden Menschen erst- mals Zugang zu sicherem Trinkwasser erhalten. Immer- hin haben eine Milliarde Menschen im selben Zeitraum erstmals Zugang zu einer geregelten Abwasserversor- gung erhalten. Dies sind beeindruckende Zahlen, die je- doch durch das gleichzeitige Bevölkerungswachstum re- lativiert werden. Was bleibt also zu tun? Angesichts der enormen menschlichen Opfer, die ein Verfehlen der Entwick- lungsziele im Bereich der Trinkwasserversorgung und der Abwasserentsorgung zur Folge hätte, dürfen wir mit unseren Bemühungen nicht nachlassen. Im Gegenteil, trotz der gewaltigen Steigerungsraten müssen wir unsere Anstrengungen im Bereich der Trinkwasserversorgung verstärken. Unser Hauptaugenmerk muss dabei den ärmsten Ländern und den ärmsten Bevölkerungsschich- ten in den städtischen Slums und den ländlichen Regio- nen gelten. Wir müssen unsere Anstrengungen im Be- reich der Abwasserentsorgung – auch mit Beteiligung der Privatwirtschaft – deutlich intensivieren. Eine Ana- lyse der Weltgesundheitsorganisation hat ergeben, dass jährlich 11,3 Milliarden US-Dollar zusätzlich investiert werden müssten, um im Jahr 2015 die Millenniumsziele im Wasser- und Sanitärbereich zu erreichen. Die Investi- tion lohnt sich auf jeden Fall. Durch die Eindämmung von Seuchen könnten die Ge- sundheitskosten in den betroffenen Ländern deutlich ge- senkt werden. Die Zeitersparnis bei der Beschaffung von Trinkwasser könnte in höhere Produktivität, höhere Bil- dung und mehr Freizeit umgewandelt werden. Auf die- ser Grundlage kommt die Weltgesundheitsorganisation pro investierten Dollar auf eine Gewinnspanne zwischen 3 und 34 US-Dollar. Uns, der rot-grünen Bundesregierung sind diese Zu- sammenhänge klar. Deutschland ist mit rund 350 Millio- nen Euro jährlich der zweitgrößte Geber im Wassersek- tor weltweit. Der Wassersektor ist ein Schwerpunkt in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit mit 27 Län- dern. Diese Anstrengungen zeigen greifbare Erfolge. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2005 15607 (A) (C) (B) (D) Wir sollten, statt immer zu klagen und Kassandra zu spielen, solche Erfolge herausstreichen. Tansania und Vietnam gehören zu denjenigen Län- dern, die in ihren Regionen die größten Fortschritte bei der Versorgung mit sauberem Trinkwasser gemacht ha- ben. Das belegen die Zahlen des Entwicklungspro- gramms der UN. In Tansania konnte der Anteil der Be- völkerung mit Zugang zu sauberem Trinkwasser von 38 Prozent auf 69 Prozent gesteigert werden. In Vietnam wurde ebenfalls eine Steigerung von 55 Prozent auf 78 Prozent erreicht. In beiden Ländern ist der Wasser- sektor ein Schwerpunkt der bilateralen Entwicklungszu- sammenarbeit mit Deutschland. Unser Antrag geht gerade auf diejenigen Länder ein, in denen der Wassersektor in der Entwicklungszusam- menarbeit einen Schwerpunkt bildet. Wir werden dafür kämpfen, dass in diesen Ländern die Millenniumsziele im Wasser- und Sanitärbereich erreicht werden. Mit un- seren Forderungen unterstreichen wir: Es ist uns Ernst mit der Erreichung der Millenniums-Entwicklungsziele, wir tauchen nicht ab angesichts von Herauforderungen und Unwägbarkeiten. Mit unseren Forderungen unter- streichen wir auch, dass es uns Ernst ist mit der Bekämp- fung der weltweiten Armut und dem Schutz unserer na- türlichen Lebensgrundlagen. Wir befinden uns dabei in Übereinstimmung mit UN-Generalsekretär Kofi Annan, der anlässlich des Weltwassertages 2004 die zentrale Be- deutung der Wasserfrage für die Armutsbekämpfung und für eine nachhaltige Entwicklung betonte. Mit der beginnenden UN-Dekade „Wasser für das Le- ben“ unterstreicht die Weltgemeinschaft nochmals diese Aussage und konzentriert ihre Kräfte in diesem Bereich. Kofi Annan kann sich unserer Unterstützung bei seinen Bemühungen sicher sein. Abschließend möchte ich noch einmal auf die ent- wicklungspolitische Debatte vom Juni 2002 zurückkom- men. Die Oppositionsparteien haben sich bei der damali- gen Abstimmung zu unserem Wasser-Antrag enthalten. Inhaltlich hatten Sie weder durch einen eigenen Antrag noch in einem Ihrer Debattenbeiträge etwas Konstrukti- ves beizutragen. Zu einer Zustimmung zu richtigen Schritten konnten Sie sich nicht durchringen. Das Fehlen eigener inhaltlicher Konzepte entschuldigte der Kollege Hedrich damit, die Opposition wolle der überladenen Tagesordnung keine weiteren Punkte hinzufügen. Diese Ausrede wird Ihnen heute niemand abnehmen. Bei ei- nem einzigen Thema unter diesem Tagesordnungspunkt hätten Sie wirklich in der Lage sein können, etwas Eige- nes auf die Beine zu stellen. Leider Fehlanzeige! – Viel- leicht aber auch ein Ausdruck Ihrer klammheimlichen Zufriedenheit mit unserer Arbeit bei der Umsetzung der Millenniums-Entwicklungsziele und des Johannesburg- Aktionsplanes. Wir erwarten auf jeden Fall gelassen Ihre Vorschläge in den bevorstehenden Beratungen. Wandeln Sie Ihre klammheimliche Zustimmung in eine konstruktive um. Ulrich Petzold (CDU/CSU): Ich kann mich bei dem vorliegenden Antrag des Eindrucks nicht erwehren: Hier hat jemand gerade noch rechtzeitig mitbekommen, dass am 22. März, am Weltwassertag, die von den Vereinten Nationen ausgerufene Dekade „Wasser zum Leben“ be- ginnt, und er möchte noch ein wenig davon politisch profitieren. Doch die allzu große Hast und Eile, die wir bei der Einbringung des Antrages erlebt haben, tut einem Antrag selten gut. So wird in dem Antrag das Wasser- problem leider weitgehend auf die soziale Frage einge- engt, während andere Aspekte eher vernachlässigt wer- den. Bereits in den 80er-Jahren war von den VN eine De- kade der „Trinkwasserversorgung und Hygiene“ ausge- rufen worden. Allerdings, so muss man heute konstatie- ren, nur mit mäßigem Erfolg. Statt des angestrebten hundertprozentigen Versorgungsgrades wurde trotz einer bemerkenswerten Mobilisierung nationaler und interna- tionaler Investitionsmittel der Bevölkerungsanteil in den Entwicklungsländern mit direktem Zugang zu sauberem Trinkwasser lediglich auf 70 Prozent erhöht. Aufgrund des Bevölkerungswachstums und der Verstädterung konnte mit diesem Programm die absolute Zahl von Menschen ohne qualitativ und quantitativ ausreichende Wasserversorgung und sanitäre Anlagen nicht oder nur unwesentlich verringert werden. Deshalb bin ich gegen- über der überschwänglichen Begeisterung, mit der der Antrag den Beginn der Dekade feiert, eher etwas skep- tisch. Die bescheidenen Ergebnisse der Dekade in den 80er-Jahren sollten uns eher zum Überlegen als zu Schnellschüssen veranlassen. Daher meine Fragen an Sie, meine Damen und Herren der Regierungskoalition: Warum wurde in dem Antrag nicht mehr auf demographische Trends wie Bevölke- rungsentwicklung und Wanderungsbewegungen einge- gangen? Wieso kommen die ökologischen Faktoren wie Klimaveränderungen, Versteppung, Wüstenbildung und Versalzung von Böden, wenn überhaupt, nur in Neben- sätzen vor? Grundwasserbildung und Oberflächenwasserrückhal- tung durch Ökosysteme dürfen in einem solchen Antrag ebenfalls nicht fehlen, soll in ihm auch nur ansatzweise die Problematik der Wasserversorgung aufgezeigt wer- den. Wasserversorgung ist damit ein zutiefst ökologi- sches Problem. Die Zahl der Länder, in denen eine Wasserentnahme über dem erneuerbaren Angebot erfolgt, ist durchaus lang und wird von Libyen angeführt, in dem fast viermal so viel Wasser entnommen wird, wie durch Niederschlag erneuert wird. Darüber hinaus entnehmen viele Länder einen so hohen Anteil am erneuerbaren Wasserangebot, dass natürliche Ökosysteme keine Chance haben. Doch Wasser, welches man ökologischen Systemen zur Nut- zung für den Menschen zu viel entnimmt, wird erst dem System und dann dem Menschen fehlen. Durch die Urbanisierung und Industrialisierung der Entwicklungsländer in einer frühindustriellen Form wird das Problem der Wasserverschmutzung, das wir aus der Übergangsgesellschaft Osteuropas kennen, immer aku- ter. Agrarchemikalien, die in den Industrieländern längst verboten sind, belasten das Wasser und zerstören die 15608 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2005 (A) (C) (B) (D) Bodenstrukturen, sodass eine Regenerierung von Ab- wässern nicht mehr erfolgt. Die ökologische Dimension von Wasserverschmut- zung und Wasserverknappung ist auf internationaler Ebene erkannt. Gleichwohl weichen die Meinungen er- heblich voneinander ab. In einigen Entwicklungsländern besteht weiterhin die Einschätzung, dass der Norden in internationalen Verhandlungen zu einer Überakzentuie- rung ökologischer Aspekte tendiere, die er selbst aber nicht umsetze und deren Realisierung die Länder des Sü- dens überfordere. Deshalb müssen wir die wassersparenden Technolo- gien, die bei uns entwickelt wurden, auch bei uns einset- zen. Es kann nicht sein, dass eine abwasserfreie Auto- waschanlage zwar bei uns den blauen Umweltengel bekommt, aber der Einsatz in der Praxis regelmäßig scheitert, weil die Kommunen anscheinend auf das Ab- wasser aus den Waschanlagen für die kommunalen Klär- anlagen angewiesen sind. Oder denken Sie daran, wel- che Probleme bei uns Kleinkläranlagen bereitet werden. Der Einsatz von Endomykorrhizapilzen – bei uns zu Pra- xisreife gebracht –, mit denen man Wasser- und Dünge- mittel sparend Landwirtschaft betreiben kann, kommt bei uns nicht voran, weil sich die Einsatzkosten erst in nachfolgenden Jahren rechnen. Wenn wir nicht bereit sind, unsere modernsten Wassertechnologien bei uns selbst einzusetzen, wie sollen andere uns glauben und unsere Technologien anwenden? Die bisherigen Erfahrungen haben gezeigt, dass das Beschließen weltweiter Aktionsprogramme allein kein Königsweg für den Aufbau nationaler Handlungskapazi- täten im Wassermanagement ist. Es wäre wünschens- wert, das Aktionsprogramm einer neuen Wasserdekade mit der Verabschiedung eines politisch, möglichst auch rechtlich verbindlichen Übereinkommens zu verbinden. Mit einem völkerrechtlich verbindlichen Übereinkom- men, das bindende Berichts- und Kontrollmechanismen, eine verbesserte und sichere Finanzierung sowie eine wissenschaftliche Begleitung beinhaltet, könnte unserer Auffassung nach der neuen Dekade auch in ökologi- schen Fragen am ehesten zum Erfolg verholfen werden. Christa Reichard (Dresden) (CDU/CSU): Klaus Töpfer, der Direktor des UN-Umweltprogramms, sagt bereits seit Jahren: Die Frage, wie wir auf der Welt mit Wasser umge- hen, wird an vielen Orten über Krieg und Frieden mitentscheiden. Aber die Wasserprobleme, denen unsere Welt gegen- übersteht, müssen nicht nur Ursache für Spannungen sein; sie können auch als Katalysator für Zusammenar- beit wirken. Zwei Drittel der größten Flüsse der Welt durchfließen mehrere Staaten, mehr als 300 Flüsse über- queren nationale Grenzen. Erstmalig brachten die Vereinten Nationen 2003 ei- nen Weltwasserentwicklungsbericht heraus. Der Bericht beschreibt die Ausgangssituation der Weltwasserkrise und analysiert die globalen Süßwasservorkommen. Er befasst sich mit den Herausforderungen für die Siche- rung von Gesundheit und Ernährung einer wachsenden Bevölkerung und dem Wassermanagement zugunsten ei- ner nachhaltigen Bewirtschaftung und Ordnungspolitik. Die Welt steuert nach Einschätzung der Vereinten Na- tionen auf eine dramatische Wasserkrise zu. Mitte dieses Jahrhunderts haben demnach im schlimmsten Fall 7 Mil- liarden Menschen, im günstigsten Fall 2 Milliarden mit Wasserknappheit zu kämpfen. Die weltweite Wasserkrise sei die größte Bedrohung für das Überleben der Menschheit, lautet die eindringli- che Warnung dieses ersten Welt-Wasser-Berichts der Vereinten Nationen. Während in den reichen Industrie- staaten Wasser verschwendet wird, bringt das Bevölke- rungswachstum in den trockenen Gebieten der Erde – im Nahen Osten, in Nordafrika und Südasien – akute Was- serknappheit mit sich. Eine einzige Toilettenspülung in den Industrieländern verbraucht so viel Wasser, wie eine Person in einem Entwicklungsland pro Tag für Waschen, Trinken und Kochen zur Verfügung hat. 1,1 Milliarden Menschen, etwa ein Sechstel der Welt- bevölkerung, haben keinen Zugang zu sauberem Wasser. In den Entwicklungsländern versickern 90 Prozent der Abwässer ungeklärt oder werden in Flüsse abgeleitet. Verschmutztes Trinkwasser und mangelhafte Abwasser- entsorgung sind die Ursache für 80 Prozent aller Krank- heiten in Entwicklungsländern. Täglich sterben 6 000 Kinder an Krankheiten, die durch unsauberes Wasser übertragen werden. „Diese Krise ist eine Krise des Wassermanagements, verursacht im Wesentlichen durch unsere falsche Be- wirtschaftung von Wasser“, heißt es im Welt-Wasser-Be- richt. Deutschland hat diese dramatische Situation schon seit längerer Zeit erkannt und ist nach wie vor mit etwa 350 Millionen Euro jährlich der größte europäische Ge- ber im Wassersektor, weltweit der zweitgrößte. Auch bei den Ausgaben der Weltbank hat der Wassersektor hohe Priorität. Ein erheblicher Teil des jährlichen Weltbank- budgets fließt daher in Projekte für Wassermanagement, Wasserversorgung, häusliche Hygiene, Abwasserbe- handlung, Hochwasserschutz und Abfallwirtschaft. Der Schwerpunkt liegt zunehmend auf sektorüber- greifenden Projekten, in denen neben Umweltaspekten auch sozioökonomische Aspekte wie Hygieneerziehung berücksichtigt werden. Im Rahmen eines Fraunhofer Weltbankprojektes befasst sich die Arbeitsgruppe „Was- ser, Abwasser und Abfall“ mit diesem Themenkomplex. Gemeinsam mit Unternehmen verbindet das Fraunhofer Institut technologische Expertise und innovative Ansätze in den Bereichen Wassermanagement, Wasserversor- gung, Abwasserreinigung und Abfallwirtschaft für Pro- blemlösungen in ausgewählten Zielländern. Weltweit ist die Entwicklungshilfe rückläufig. Nur private Investitionen können die riesigen Bedarfe an In- frastrukturinvestitionen decken. Für private Unterneh- men wird dementsprechend ein Wachstum des Marktes von derzeit circa 90 Milliarden Euro auf 450 Milliarden Euro im Jahre 2010 erwartet. Gefordert sind Investitio- nen in schwierigem Umfeld, also im besten Sinne des Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2005 15609 (A) (C) (B) (D) Wortes unternehmerisches Handeln im weltweiten Wett- bewerb. Der Wandel des Weltwassermarkts hin zum Betrei- bergeschäft hat in Deutschland mit dem Ausverkauf des deutschen Wasseranlagenbaus bereits erste Spuren hin- terlassen. Bei einer Beibehaltung des Status quo wird die deutsche Wasserwirtschaft ebenso wie im Energiebe- reich erhebliche Chancen auf den Weltmärken verpas- sen. Hier setzen meine Fragen und Forderungen an die Bundesregierung an. Hier sehe ich auch ein wesentliches Defizit im Antrag von Rot-Grün, der uns gestern anläss- lich des Beginns der Dekade „Wasser zum Leben“ vor- gelegt wurde. Wenn wir uns als größter europäischer Ge- ber im internationalen Wassersektor hervortun, muss doch auch die Frage erlaubt sein, welchen Anteil deut- sche Technologien und die deutsche Wasserwirtschaft insgesamt an diesem Auftragsvolumen haben. Mir sind Klagen aus der deutschen Wasserwirtschaft bekannt, dass durch die Kleinteiligkeit der kommunalen Wasserpolitik in Deutschland viel zu wenig Potenzial entwickelt wurde, um sich bei internationalen Aus- schreibungen erfolgreich zu beteiligen. Ein weiterer Grund für erfolglose Beteiligungen bei Ausschreibungen ist der Mangel an Erfahrungen und nachgewiesenen Pro- jekten im internationalen Wassergeschäft. Wie schätzt die Bundesregierung die Möglichkeiten ein, im Rahmen des Wiederaufbaus in den Tsunami-Katastrophengebie- ten bei Projekten im Wassersektor, die von deutschen Geldern finanziert werden, deutsche Anbieter zu bevor- zugen, um endlich auch Referenzprojekte vorweisen zu können? Denn eines ist sicher: Die deutsche Wasserwirt- schaft besitzt hervorragende Voraussetzungen, um kurz-, mittel- und langfristig beim Wiederaufbau, der Erweite- rung oder der Erstellung der Infrastruktur in der Wasser- ver- oder Abwasserentsorgung in den betroffenen Staa- ten mitzuwirken. Die deutsche Wasserwirtschaft hat ihre Unterstützung angeboten. Die Bundesregierung sollte diese Hilfsbereitschaft nicht mit unnötig komplizierten Ausschreibungsgrundsätzen und einem starren Örtlich- keitsprinzip behindern, sondern die Entbürokratisierung vorantreiben. Ich sagte zu Beginn meiner Rede, dass die Wasserpro- blematik auch als Katalysator für die Zusammenarbeit dienen kann. Hier haben wir die Chance, die internatio- nale Zusammenarbeit zwischen Kommunen und Unter- nehmen und die interkommunale Zusammenarbeit in Form von Public Private Partnerships zu fördern, um die Ressource Wasser, die die Vereinten Nationen in den Mittelpunkt dieser Dekade gestellt haben, nachhaltig zu erhalten und für alle verfügbar zu machen. Ulrich Heinrich (FDP): Meiner Rede möchte ich ein Zitat von Kofi Annan voranstellen: Die Verfügbarkeit von Wasser ist ein fundamentales menschliches Bedürfnis und deshalb ein Grund- recht. Verseuchtes Wasser bedroht die körperliche Gesundheit, aber auch die Gemeinschaft der Men- schen. Es ist ein Verstoß gegen die Menschen- würde. Diesem Zitat stimmen wir ausdrücklich zu. Wir wol- len deshalb auch dazu beitragen, dass die vorhandenen Ressourcen sparsam und ökonomisch genutzt werden und gleichzeitig der Zugang zum Lebensmittel Nummer eins für alle ermöglicht wird. Wasser muss allen Menschen frei, aber nicht kosten- los zur Verfügung stehen. Das bedeutet, Wasser hat ei- nen Preis. Nur so wird mit dem vorhandenen Wasser sorgsam umgegangen und nur so kann die Ressource Wasser auch in Zukunft gesichert werden. Es kostet Geld, Wasser aufzubereiten, Wasserleitungen zu legen und Abwasser zu reinigen. Es steht jedem Staat frei, durch Subventionen die Kosten für Bedürftige abzumil- dern. Doch die öffentliche Hand hat nur die Aufgabe, die gesetzlichen Rahmenbedingungen zu schaffen, um das öffentliche Gut Wasser zu verteilen, die Gesundheits- standards festzulegen und die Reserven nachhaltig zu schützen. Die private Wirtschaft ist es, die kosteneffi- zient und -transparent Investitionen und Dienstleistungen rund um das Wasser anbieten kann. So muss beispiels- weise die technische Ausführung für die Wasseraufbe- reitung, Verteilung und Abwasserreinigung in einer Re- gion durch öffentliche Ausschreibung an private Firmen vergeben werden. Die überragende Bedeutung des Wassers möchte ich Ihnen anhand einiger Zahlen verdeutlichen. Jedes zweite Klinikbett weltweit wird von jemandem gebraucht, der durch schmutziges Wasser krank geworden ist. Täglich sterben 6 000 Kinder an Krankheiten, die durch fehlende sanitäre Anlagen verursacht werden. Hier wird deutlich, dass nicht nur der Zugang zu sauberem Wasser lebens- notwendig ist, sondern auch die Entsorgung und Aufbe- reitung des Abwassers eine große Herausforderung dar- stellt. Und noch zwei Zahlen: 40 Prozent der Welternte wächst auf künstlich bewässertem Land. Dafür werden 70 Prozent des weltweit verbrauchten Süßwassers benö- tigt. Aus diesem Grund ist es so dringend notwendig, in den Gebieten, die ohne zusätzliche Bewässerung Nah- rungsmittel produzieren können, die Produktion zu stei- gern und alle Möglichkeiten des modernen Landbaus zu nutzen. Ich unterstreiche hier ausdrücklich, alle Mög- lichkeiten, auch die der Grünen Gentechnik. Heute schon haben wir hier Züchtungen, die aufgrund ihrer Salzresistenz auf Flächen angebaut werden könnten, die bislang nicht agrarisch genutzt werden konnten. Der zweite Bereich, den ich ansprechen möchte, ist die Schaffung von neuen Anbaugebieten. Die Wissen- schaft hat festgestellt, dass die Dürre der Sahelzone durch veränderte Temperaturen im Atlantik verursacht wurde und die wiederum durch die Luftverschmutzung der Amerikaner und Europäer. Deshalb sind wir aufge- fordert, insbesondere den Ausstoß an CO2 drastisch zuverringern und aktiv gegen weitere Versteppungen und Verkarstungen vorzugehen. Dies kann durch eine pro- gressive Wiederaufforstungspolitik und mit moderner Landbewirtschaftung erreicht werden. Zum Schluss möchte ich ein paar Anmerkungen zu ihrem Antrag machen. Sie stellen fest, dass sich die Bun- desregierung stark im Bereich Wasser engagiert. Das ist gut und wird zu Recht gelobt. Wir können Ihren Antrag 15610 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2005 (A) (C) (B) (D) im Grundsatz auch akzeptieren. Um ihm zuzustimmen, müssten jedoch drei Veränderungen vorgenommen wer- den. Erstens. Sie fordern, dass auf die Entwicklungsländer bei der Liberalisierung des Wassersektors im Rahmen der GATS-Abkommen kein Druck ausgeübt werden soll. Diese Liberalisierung ist jedoch notwendig für Investiti- onen und die Entwicklung dieses Dienstleistungsberei- ches. Nicht der Staat ist der effektivste Verteiler von Wasser, sondern die private Wirtschaft. Zweitens. Ihrem Antrag fehlt die ökonomische Be- trachtung der sozialen, ökologischen und finanziell nachhaltigen Wasserversorgung. Drittens. Es gibt keinerlei Bezug zur Versteppung und Desertifikation in Ihrem Antrag und die Verbindung und Verzahnung zu anderen Umweltbereichen, zum Beispiel dem Wald als Reservoir für Grundwasser, wird völlig vernachlässigt. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos): Anfang diesen Jahres fand in Brasilien, in Porto Alegre, das 5. Weltso- zialforum statt. Ich habe an diesem Treffen teilgenom- men und auf zahlreichen Veranstaltungen miterlebt, wie sehr die Frage des Zugangs zu sauberem und gesundem Wasser die Menschen vor allem der Länder des Südens bewegt. Der Zugang zu Wasser – so die übereinstim- mende Aussage – ist ein Menschenrecht. Uns sollte vor allem die Frage beschäftigen, wie wir hier in Deutsch- land und in Europa dazu beitragen, dass dieser Zugang für alle Menschen auf der Welt gewährleistet wird. Ich kann einerseits die im Antrag formulierten Ziele unter- stützen, will aber andererseits die Initiatoren des Antra- ges auffordern, sehr genau darauf zu achten, was mit ih- rem Antrag geschieht. Bundeskanzler Schröder hat heute in seiner Regie- rungserklärung unter großem Beifall der SPD-Fraktion gesagt, dass die Bolkestein-Richtlinie so nicht in Kraft treten wird. Der Aussage hier vor dem Deutschen Bun- destag muss aber auch eine wirksame Einflussnahme in Brüssel folgen. In vielen Ländern des Südens sind die Bedingungen von Wasserver- und Abwasserentsorgung prekär. Durch die fehlende Wasserver- und Abwasserentsorgung wer- den die nahen Ressourcen übernutzt und verseucht. Da- mit wird ein teuflischer Kreislauf in Gang gesetzt. Die Bedingungen verschlechtern sich immer mehr. Wasser- knapphheit und schlechte Wasserinfrastruktur behindern die Entwicklung in den Ländern des Südens gravierend. Aber auch Industrieländer haben zunehmend mit Was- serknappheit und schlechter Infrastruktur zu kämpfen. Deshalb ist es so entscheidend, dass das öffentliche Gut Wasser nicht den Verwertungsinteressen von Kartellen und Konzernen ausgeliefert wird. Hier sehen wir als PDS eine besondere Verantwortung der Bundesrepublik. Immer wieder seit der Konferenz von Rio de Janeiro 1992 hat die internationale Staatengemeinschaft ihren Willen bekräftigt, die internationalen Wasserressourcen zu schützen. Das Problem besteht allerdings in Folgendem: So- wohl Staaten als auch Entwicklungshilfeinstitutionen setzen auf die „Washington Consensus“-Strategie priva- ter Investitionen. Was ist die Folge? Kredite werden an die Beteiligung großer Konzerne des Privatsektors ge- kuppelt. Die lukrative städtische Versorgung wird priva- tisiert. Die Konzerne sitzen gegenüber den Gemeinden am längeren Hebel und können es sich leisten, perma- nent die Verträge zu brechen. Bei Konflikten vor Ort droht die Gefahr, dass die Entwicklungsländer den Kür- zeren ziehen und Strafen zahlen müssen. In Bolivien und Südafrika wurden private Unternehmen aus den Versor- gungsgebieten verjagt. In Uruguay wurde per Volksab- stimmung eine Verfassungsänderung angenommen, in deren Ergebnis die Privatisierung von Wasserressourcen verboten wurde. Wir als PDS sind der Auffassung, dass es nicht der richtige Weg sein kann, dass deutsche Entwicklungshil- fegelder als Garantie und Stütze in internationale Vorha- ben deutscher Unternehmen fließen. Die bessere und vor allem auch nachhaltigere Alternative ist die konsequente Unterstützung regional entwickelter Projekte mit einem Minimum an notwendiger Technik und einem Maximum an Anpassung an die konkreten Bedingungen vor Ort. Der richtige Weg heißt aus unserer Sicht Hilfe zur Selbsthilfe statt kommerzielle Freundschaftsdienste für die Wasserkonzerne. Der Zugang zu sauberem und gesundem Wasser ist ein Menschenrecht. Tun wir alles, um dieses Menschen- recht weltweit zu verwirklichen. Dr. Uschi Eid, Parl. Staatssekretärin bei der Bun- desministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Am kommenden Dienstag, am 22. März, wird der UNO-Generalsekretär Kofi Annan die UNO- Wasserdekade ausrufen. Deswegen ist es gut, dass der Deutsche Bundestag diese Debatte heute führt. Wasser zum Leben – was für uns in Deutschland eine Selbstverständlichkeit ist, ist in vielen Entwicklungslän- dern immer noch eine Vision. Vielerorts fehlt es an einer sicheren Versorgung mit sauberem Wasser. Etwa 1,3 Mil- liarden Menschen sind hiervon betroffen. Doppelt so viele haben keine ausreichende Abwasserentsorgung. Über 95 Prozent aller Abwässer aus Industrie und Land- wirtschaft werden nicht geklärt und verschmutzen wert- volles Trinkwasser. Es ist daher mehr als berechtigt, wenn die Vereinten Nationen von einer „ernsthaften Wasserkrise“ sprechen. Die Folgen dieser Krise liegen auf der Hand: Das Leben der Menschen steht auf dem Spiel. Tag für Tag sterben 6 000 Menschen an vermeid- baren Krankheiten, die durch verunreinigtes Wasser übertragen wurden. Hinzu kommen enorme volkswirt- schaftliche Schäden. Die Tatsache, dass Frauen und Kin- der das Wasser über weite Strecken hinweg holen müs- sen, bedeutet verlorene Zeit, für die Schule, für die Arbeit. Nach Unicef-Schätzungen bedeutet dies bei- spielsweise den Verlust von 40 Milliarden Arbeitsstun- den jedes Jahr. Wasser ist ein Schlüssel für die Zukunft der Men- schen. Sauberes Wasser bedeutet Gesundheit, Nahrung, Wohlergehen. Wasser ist ein wichtiger Faktor im Kampf gegen die Armut. Wasser ist eine wichtige Ressource für Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2005 15611 (A) (C) (B) (D) die Landwirtschaft. Ohne Wasser keine Zukunft – das ist die Herausforderung, vor der wir stehen. Daher ist es sehr wichtig, dass anlässlich des Welt- wassertages am kommenden Dienstag, dem 22. März, der UNO-Generalsekretär zugleich die internationale Wasserdekade der Vereinten Nationen ausruft. Die Zeit bis 2015 muss zu einem Jahrzehnt des Wassers werden. Jedem muss klar sein, dass nachhaltige Entwicklung und sichere Wasserversorgung eng miteinander verknüpft sind. Dabei ist natürlich auch der Beitrag der Bundesregie- rung gefragt, und der kann sich sehen lassen, schließlich ist Deutschland mit rund 350 Millionen Euro pro Jahr nach Japan der zweitgrößte Geber im Wasserbereich. Lassen Sie mich einige wesentliche Punkte der deut- schen Entwicklungszusammenarbeit im Wassersektor skizzieren. Erstens. Zurzeit kooperieren wir mit 27 Ländern schwerpunktmäßig im Wasserbereich. Wir unterstützen unsere Partnerländer darin, den Wassersektor zu refor- mieren und die verantwortlichen Institutionen zu stärken. Es geht angesichts der immer noch hohen Wasserverluste um eine verbesserte landwirtschaftliche Bewässerung, um den Ausbau der Infrastruktur, darum, sauberes Trink- wasser zu den Menschen zu bringen, und schließlich auch darum, die sanitäre Basisversorgung zu verbessern. Nur so werden die wasserinduzierten Krankheiten zu- rückgehen. Wir fördern angepasste Bewässerungssys- teme und den Aufbau von Wassernutzungsgruppen. Zweitens. Ein weiterer Schwerpunkt unserer interna- tionalen Wasserpolitik liegt auf dem grenzüberschreiten- den Wassermanagement. Es werden internationale Dia- loge initiiert und Flussgebietskommissionen unterstützt, in denen Flussanrainerstaaten gemeinsam das Flusswas- ser managen. Dies dient der Prävention von Konflikten, die es unter Umständen bei Verknappung des Wassers geben könnte. Wasser ist unersetzlich für den Menschen. Es ist ein Menschenrecht. Ermutigend ist, dass einige Länder wie Tansania oder Tschad beachtliche Erfolge bei der Was- serversorgung erzielen konnten. Aber die Erreichung der Wasserziele bis 2015 ist deshalb noch kein Selbstläufer. Dass die Vereinten Nationen die Wasserdekade ausrufen, verdient deshalb unsere volle Unterstützung. Daher be- grüße ich sehr den vorliegenden Antrag. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Die Wahlrichtlinien der Entwicklungsgemeinschaft der Staaten im südlichen Afrika (SADC) als Maßstab für freie und faire Wahlen auch in Simbabwe (Tagesord- nungspunkt 15) Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD): Ist gut, dass sich der Deutsche Bundestag zu dieser späten Stunde mit Afrika befasst. Wir von der SPD-Fraktion haben den vorliegenden Antrag erarbeitet, in dem wir, also der Bundestag, – unsere Regierung, die Europäische Union, aber auch unsere Partnerstaaten im südlichen Afrika dazu auf- fordern, die Grundsätze der Entwicklungsgemein- schaft der Staaten im Südlichen Afrika, also der SADC, für rechtsstaatliche, freie und faire Wahlen zu unterstützen, – in dem wir mit Hochachtung und Respekt zur Kenntnis nehmen, dass die Wahlen im Jahr 2004 in Botswana, Namibia und Mosambik weitgehend unter Beachtung und Einhaltung dieser Wahlgrundsätze stattgefunden haben, was die Akzeptanz ihrer Ergebnisse durch die Bevölkerung in diesen Ländern, aber auch deren An- sehen in der Welt und die Bedeutung der SADC deut- lich erhöhte, – und in dem wir die Machthaber in Simbabwe auffor- dern, bei den anstehenden Wahlen am 31. März 2005 peinlich genau auf die Einhaltung dieser Grundsätze zu achten. Ich freue mich sehr, dass es uns gelungen ist, für die- sen Antrag alle Fraktionen des Deutschen Bundestages zu gewinnen. Das erhöht die Bedeutung unserer Initia- tive. Es zeigt zugleich, dass der Deutsche Bundestag sich um die Belange in Afrika kümmert. In der Debatte des Deutschen Bundestages über Afrika vor rund einem Jahr hat unser leider viel zu früh verstorbener Kollege und Freund Hans Büttner, der die Parlamentariergruppe SADC-Staaten des Deutschen Bundestages und den Gesprächskreis Afrika der SPD- Bundestagsfraktion vor mir leitete, auf die geradezu schicksalhafte Verbindung zwischen Afrika und Europa hingewiesen. In jener Debatte warb er – und dann auch die Sprecherinnen und Sprecher der anderen Fraktionen, aber auch der Bundsregierung – eindringlich um Hilfe, um Unterstützung und Kooperation für die Menschen und Staaten Afrikas und betonte die besondere Verant- wortung gerade Europas aufgrund der kolonialen Ver- gangenheit. Hintergrund jener Verantwortung war das, was in der Öffentlichkeit unseres Landes, aber auch der Öffentlichkeit Europas das Bild Afrika prägte: Afrika, der „sterbende Kontinent“, der Kontinent der Katastro- phen, der Diktaturen und der Korruption, der Kontinent von Völkermord und Bürgerkriegen, Afrika, der Konti- nent, in dem gerade auch durch Hunger, Armut und Aids jeden Tag unzählige Menschen sterben. Diese Verantwortung besteht auch heute. Ganz ohne Zweifel. Europa und Afrika sind auf vielfältige Weise miteinander verbunden und aufeinander angewiesen. Darauf haben nicht nur wir hier im Bundestag, darauf haben auch Bundeskanzler Schröder, Bundespräsident Rau, Bundespräsident Köhler, aber durch Reden, Initiati- ven und politisches Handeln, beispielsweise im Rahmen von NEPAD, auch Bundesministerin Wieczorek-Zeul und ihre Afrika-Beauftragte, Frau Staatssekretärin Eid, immer wieder hingewiesen. Afrika steht im Fokus der Aufmerksamkeit des Außenministeriums, jetzt auch im 15612 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2005 (A) (C) (B) (D) Zentrum neuer Initiativen der künftigen EU-Präsident- schaft Großbritannien und der G 8. Dabei hat sich – und das lohnt sicherlich, hier deutlich hervorgehoben zu werden – unser Blick auf Afrika wei- ter geschärft und konzentriert: Wir sehen heute neben der Notwendigkeit zur Hilfe, Unterstützung und Koope- ration von außen gerade auch den entschlossenen Willen von immer mehr Engagierten und Aktiven in allen Be- reichen, auch von politisch verantwortlichen Politikern in Afrika selbst, – sich auf die eigene Kraft zu besinnen, – durch Änderungen im eigenen Land zur Stärkung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, von Wirtschafts- kraft und Zukunftssicherung beizutragen und damit der eigenen Bevölkerung Zukunft und Chancen zu garantieren, – durch Kooperation auf regionaler und gesamtafrikani- scher Ebene mehr Wirkung im Kampf um Frieden und Gerechtigkeit und gegen Hunger, Krankheiten und Elend zu erreichen. Diese Entwicklung, dieses neue Selbstbewusstsein, diese Entschlossenheit machen Mut und fordern unsere Kooperation und unsere Unterstützung in besonderer Weise. Die Entwicklungsgemeinschaft der Staaten im Südli- chen Afrika, SADC, ist eine solche regionale Gemein- schaft, die sich neben der Förderung von Wirtschaft und Entwicklung eben auch und gerade die Förderung demo- kratisch-rechtsstaatlicher Strukturen und freier und fairer Wahlen zum Ziel gesetzt hat. Sie tut das aus dem glei- chen Antrieb heraus, aus dem auch wir diese Ziele teilen, aus der Erkenntnis nämlich, dass eine friedliche, eine ge- rechte und zukunftsfähige Gesellschaft beides braucht wie wir die Luft zum Atmen. Diese SADC-Gemeinschaft hat im vergangenen Au- gust ganz konkrete Grundsätze erarbeitet, die genau dar- legen, was alles zu freien und fairen Wahlen gehört: Das sind insbesondere – regelmäßige Wahlen, an denen alle Staatsbürgerinnen und Staatsbürger gleichberechtigt teilnehmen können, ebenso wie – in der Vorbereitungsphase und in den Zeiten des Wahlkampfs faire und gleiche Bedingungen für Kan- didaten, Gruppen und Parteien, was sich gerade auch im Zugang zu den Medien zeigt, aber auch – ein fairer Wahlprozess selbst und die – Sicherstellung der ehrlichen Auszählung der abgege- benen Stimmen. Außerdem legen diese Grundsätze fest, dass die Wahlbeobachtungskommission SEOM der SADC-Orga- nisation bei Bedarf ein Mandat zur Wahlüberwachung bekommen soll, aufgrund dessen sie dann nach dem Maßstab der Grundsätze und der übrigen vertraglichen Grundlagen von SADC die Wahlen nicht nur beobachtet und prüft, sondern auch bewertet und der SADC-Ge- meinschaft darüber berichtet, ob Wahlvorbereitungszeit, Wahldurchführung und Wahlauszählung wirklich den Anforderungen von freien und fairen Wahlen genügen. Wie schon erwähnt, sind diese Wahlgrundsätze von allen, ich wiederhole, von allen Mitgliedstaaten von SADC beschlossen worden. Kein Land hat Vorbehalte angemeldet. Botswana, Mosambik, Namibia haben in ih- ren Wahlen im Herbst und Winter des letzten Jahres diese Grundsätze angewandt und – soweit dies gesagt werden kann – auch erfüllt. Das ist eine große Leistung und hat ganz ohne Zweifel dazu beigetragen, dass einer- seits die Bevölkerung selbst die Ergebnisse der Wahlen akzeptiert. Zum anderen haben diese freien und fairen Wahlen ebenfalls ganz ohne Zweifel viel zum wachsen- den Respekt vor diesen Staaten des südlichen Afrika in aller Welt beigetragen und den Wert ihrer Stimme in der Völkergemeinschaft erhöht. In den letzen Monaten hat Angola, ebenfalls Mit- gliedstaat von SADC, erklärt, seinen Wahlgesetzen die Wahlgrundsätze der SADC zugrunde zu legen. Auch das begrüßen wir. Nächster Prüfstein sind jedoch die Wahlen am 31. März 2005 in Simbabwe. Auch dieses wunderschöne Land mit seinen vielen tüchtigen Menschen, die jeden für sich einnehmen, der sie besucht, hat, wie wir alle wissen, seit Jahren unendlich viele Probleme. Dazu ge- hören große Schwierigkeiten im Innern, die, nicht zuletzt verursacht durch die Regierung und ihr nahe stehende Gruppen und Verbände, zur tiefen Spaltung der Gesell- schaft, zu Unterdrückung und Gewalt geführt haben. Auch Simbabwe hat im vergangenen August den Wahlgrundsätzen von SADC zugestimmt. Deshalb ist es nicht mehr als recht und billig, die Geltung dieser Grundsätze auch vor und während der kommenden Wah- len anzumahnen und auf ihre Einhaltung zu drängen. Das tun wir mit dem vorliegenden Antrag. Was wir jetzt, also schon in der Vorbereitungszeit der Wahlen, aus Simbabwe hören, muss allerding große Sor- gen bereiten: – Willkür der Polizei gegenüber Kandidatinnen und Kandidaten von Gruppen, die nicht zur Regierungs- partei gehören, – Behinderung ihrer Veranstaltungen bis hin zur Gewalt, Einschüchterung von Kandidaten und Sym- patisanten, – Behinderung des Zugangs zu staatlichen und anderen Medien, damit zugleich Beschneidung des Rechts der Wahlwerbung. Das sind nur einige der Klagen, die aus Simbabwe zu hören sind. Auch die Informationen über die Wahlbeobachtung und -überwachung stimmen uns sorgenvoll: – Da wird das SADC-Parlament, also das SADC-Fo- rum durch die simbabwische Regierung von der Wahlbeobachtung ausgeschlossen, weil der Bericht über die letzten Wahlen berechtigterweise kritisch ausgefallen ist. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2005 15613 (A) (C) (B) (D) – Da werden von der simbabwischen Regierung nur ausgesuchte Länder und Organisationen zur Wahlbeo- bachtung eingeladen und das auch noch zu einem so späten Zeitpunkt, dass die Phase des Vorwahlkampfes mit Beeinträchtigungen, Gewalt und Einschüchterung nicht mehr überwacht werden kann. Das alles erfüllt uns mit großer Sorge. Sinn unseres Antrags und auch unseres heute wohl einstimmig zu fas- senden Bundestagsbeschlusses ist es, diese Sorge zum Ausdruck zu bringen und sie unseren Partnern in Afrika deutlich vorzutragen. In unserem Antrag fordern wir deshalb die Bundesre- gierung auf, mit unseren Partnern in Europa und Afrika für die Durchführung freier und fairer Wahlen einzutre- ten – auch noch in letzter Minute, also bis hin zum Schluss des Wahlgangs am 31. März. Wir wollen da- rüber gerade auch mit unseren Freunden in Südafrika re- den, also in dem stärksten und einflussreichsten Land der Region, das in den letzten Tagen mit unterschied- lichen Stellungnahmen Beobachtermissionen nach Sim- babwe geschickt hat: Die Verantwortlichkeit für demo- kratische, freie und faire Wahlen wiegt umso schwerer, als wir alle wissen, dass nur solche Wahlen darüber ent- scheiden können, wer in Simbabwe am gesellschaft- lichen Dialog über die Zukunft dieses wunderschönen Landes mit seinen begabten und tüchtigen Menschen be- teiligt sein kann. Dabei unterstützen wir alle Bemühun- gen, Beobachtermissionen in ausreichender Zahl nach Simbabwe zu entsenden. Ich denke, es ist wichtig, dass auch wir darüber hi- naus auf der uns gegebenen parlamentarischen Ebene jede Möglichkeit ergreifen, um auf die Notwendigkeit der Einhaltung der Grundsätze von SADC hinzuweisen. Wir werden das tun. Wir treten auch dafür ein, nach den Wahlen einen Pro- zess der Wahlbewertung in Gang zu setzen, der nicht al- lein die Beobachtungen und Bewertungen der von der simbabwischen Regierung ausgesuchten Missionen ein- bezieht, sondern gerade auch die im Lande tätigen Nichtregierungsorganisationen mit Verantwortlichen aus SADC-Staaten und der Europäischen Union an einen Tisch bringt, um zu klaren und belastbaren Ergebnissen zu kommen. Diese Bewertung wird dann ganz ohne Zweifel die Kooperation mit Simbabwe ebenso beein- flussen wie etwa die Frage von Sanktionen. Lassen Sie mich nochmals unterstreichen, was ich ein- gangs gesagt habe: Europa und Afrika sind aufeinander angewiesen. Kooperation, aber auch die gleichberech- tigte Auseinandersetzung um Probleme und Zukunftsfra- gen gehören dazu, die Entwicklung von Demokratie, freien und fairen Wahlen eingeschlossen. Das unterstrei- chen wir mit unserem Antrag. Ich freue mich über Ihre Zustimmung. Arnold Vaatz (CDU/CSU): Der heutige Tag steht ganz im Zeichen des Jobgipfels. Umso bemerkenswerter ist es, dass der Deutsche Bundestag sich heute – wenn auch in kleiner Runde und zu später Stunde – auch mit der Situation in Simbabwe beschäftigt. Ich freue mich, dass es uns – wie bereits im Sommer letzten Jahres – wieder gelungen ist, kurzfristig einen ge- meinsamen Antrag zu Simbabwe in den Deutschen Bun- destag einzubringen. Um auf die bedrückenden Zustände in diesem kleinen Land aufmerksam zu machen, ist dies dringend erforderlich. Denn Simbabwe findet hierzu- lande keine Beachtung mehr, wie ich nach Sichtung der internationalen Pressespiegel der letzten Wochen traurig feststellen musste. Dabei stehen in diesem Land unmittelbar – und das ist ja auch der Anlass unseres Antrages – die Parlaments- wahlen vor der Tür. Robert Mugabe macht sich daran, am 31. März 2005 eine Zweidrittelmehrheit zu errei- chen. Dann ist für ihn der Weg frei, die Verfassung end- gültig auf sich zuzuschneidern. Um dieses Ziel zu errei- chen, ist ihm jedes Mittel recht. Bevor ich auf unseren konkreten Anlass – die Parla- mentswahlen und die Einhaltung der SADC-Wahlkrite- rien durch das Mugabe-Regime – eingehe, lassen Sie mich kurz einige Anmerkungen zur allgemeinen Situa- tion in Simbabwe machen; denn anders wird die diaboli- sche Strategie eines Herrn Mugabe leider nicht deutlich. Die wirtschaftliche Situation ist weiter verheerend. Dazu nur drei Zahlen zur Jahreswende 2004/05: Die In- flationsrate liegt bei 200 Prozent. Die Arbeitslosenquote bei 70 Prozent und 80 Prozent der simbabwischen Fami- lien leben an oder unter der Armutsgrenze. Die ver- meintliche Landreform ist außerhalb Simbabwes schein- bar überhaupt kein Thema mehr. Hier hat Robert Mugabe innerhalb kurzer Zeit – in nur vier Jahren – unumkehrbare Tatsachen geschaffen; Deshalb wohl auch der von der regierenden ZANU-PF gewählte – zynische – Begriff des „fast track“-Umsied- lungsprogrammes. Dahinter verbirgt sich – und so muss man das benennen – rassistisch motiviertes Handeln: Es ist ausdrückliche simbabwische Regierungspolitik, aus- schließlich weiße Farmer zu enteignen. Mit der Enteig- nung von 4 200 der 4 500 landwirtschaftlichen Betriebe sind diese Maßnahmen jetzt so gut wie abgeschlossen. Um sich überhaupt das Ausmaß dieser Aktion bewusst machen zu können, hier noch eine Zahl: Wir sprechen hier über 11,5 Millionen Hektar enteignetes Land. Und schließlich noch eine letzte Anmerkung zu die- sem Thema: Wie wir alle wissen, sind diese Güter – an- ders als die vermeintlich revolutionäre ZANU-PF immer propagiert hat – natürlich nicht dem simbabwischen Volk zugute gekommen. Auf Kosten des Volkes haben sich natürlich wieder Partei- und Regierungsfunktionäre bereichert. Dies hat übrigens eine von Mugabe einberu- fene Kommission zur Evaluierung der Landreform fest- gestellt. Natürlich ist dieser Bericht bis heute nicht ver- öffentlicht. Allein das Thema „Landreform“ zeigt, was George Orwell in seinem Roman „Animal Farm“ in be- drückender Weise dargestellt hat: Wenn kommunistische so genannte Befreiungsbewegungen an die Fleischtöpfe kommen, bleibt für das einfache Volk nicht einmal die Brosame übrig. In Simbabwe haben sich mit den Sorgen und Nöten in der Vergangenheit nur noch die so genannten Nichtregie- rungsorganisationen NGOs beschäftigt. Damit soll jetzt 15614 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2005 (A) (C) (B) (D) mit dem so genannten „NGO Act 2004“ auch Schluss sein. Kernpunkt dieses Gesetzes ist, dass sich die Nicht- regierungsorganisationen jetzt staatlich registrieren las- sen müssen. Eine für die Fortsetzung der Arbeit notwen- dige Registrierung ist ausgeschlossen, sobald – ich zitiere wörtlich – „die Förderung und der Schutz von Menschenrechten und Fragen politischer Gouvernanz“ Gegenstand der Arbeit der Organisationen ist. Die Konsequenz ist offensichtlich: Die im Bereich der politischen Bildung tätigen Organisationen müssen das Land verlassen. Das Mugabe-Regime will nämlich auch weiterhin ungehindert schalten und walten. Wir müssen leider konstatieren, dass Mugabe weiter- hin fest im Sattel sitzt. Dies ermöglicht es ihm, wie die letzten Monate zeigen, seine Partei nach seinen Vorstel- lungen umzugruppieren. Bei näherer Betrachtung muss man leider feststellen, dass es sich um nichts weiter als klassische Verteilungskampfe in einer diktatorischen Einheitspartei handelt. Dies belegt die Berufung der dienstältesten Ministerin Joice Mujuru zur zweiten Vize- präsidentin. Dabei handelt es sich um eine Konzessions- entscheidung Mugabes an seinen verdienten politischen Weggefährten, den ehemaligen Armeechef Solomon Mujuru, der Ehemann der Ministerin ist. Allein diese Personalie verdeutlicht, dass von der Staatspartei ZANU-PF auch in Zukunft für das Land Simbabwe nichts zu erwarten sein wird. Lassen Sie mich jetzt auf unseren konkreten Anlass, die unmittelbar bevorstehenden Parlamentswahlen, ein- gehen. In diesen Zusammenhang möchte ich mich ausdrück- lich bei der mauritischen Regierung bedanken, die zur- zeit den Vorsitz der SADC-Länder – Entwicklungsge- meinschaft der Staaten im Südlichen Afrika – inne hat. Auf besonderes Drängen von Mauritius haben sich die SADC-Staaten im Sommer vergangenen Jahres auf ihrem Gipfeltreffen einstimmig auf die so genannten „SADC Principles and Guidelines governing democratic elections“ – kurz gesagt: die Mindeststandards für die Durchführung freier und fairer Wahlen geeinigt. Diese gilt es jetzt auch in Simbabwe durchzusetzen. Dabei – und das möchte ich hier ganz deutlich betonen – dürfen diese Maßstäbe nicht nur am Wahltag selbst an- gelegt werden. Das würde zu kurz greifen! Nein, ent- scheidend ist bereits die schon angelaufene Phase der Wahlvorbereitung. Hier meine ich insbesondere den Wahlkampf. Und das, was wir da aus Simbabwe mitge- teilt bekommen, lässt das Schlimmste befürchten. Wie sieht der Wahlkampf tatsächlich aus? Allein in den letzten Tagen wurden mehr als 100 Fälle von Men- schenrechtsverletzungen festgestellt, die direkt der Re- gierung beziehungsweise der ZANU-PF zuzurechnen sind. Die Bandbreite reicht von Nötigungen bis hin zu schweren Körperverletzungen des politischen Gegners. Auch vor Vergewaltigungen wird nicht zurückge- schreckt. Dass die Rechnung aufgeht, belegen Hilferufe der einzigen Oppositionspartei, des Movement for De- mocratic Change MDC: Teile des Landes sind für den MDC aufgrund des geschilderten Terrors zu so genann- ten „No-go-Areas“ geworden. Das heißt, hier kann die Opposition überhaupt keinen Wahlkampf führen, da sie sowie ihre Anhänger und Sympathisanten um Leib und Leben fürchten müssen. Die Einschüchterung der Opposition hat mit der In- haftierung des Oppositionspolitikers Roy Bennett unter fadenscheinigen Gründen einen weiteren Höhepunkt er- reicht. Wegen einer Rangelei im Parlament wurde Roy Bennett Ende letzten Jahres auf einen bloßen Parla- mentsbeschluss hin für ein Jahr in ein Arbeitslager weg- gesperrt. Über die Unverhältnismäßigkeit – glaube ich – brauchen wir hier nicht länger zu sprechen. Es liegt auf der Hand, dass mit dem Verschwindenlassen Roy Bennetts von der politischen Bühne ein unliebsamer Regimekritiker ausgeschlossen werden sollte. Dies ist dem Regime leider gelungen, auch wenn in dieser Wo- che ein simbabwisches Gericht entschieden hat, dass Roy Bennett „ebenso aus seiner Zelle heraus“ für die Parlamentswahlen kandidieren könne! An dieser Stelle möchte ich mich ausdrücklich bei Herrn Bundestagspräsident Thierse für seinen Brief vom November 2004 an den simbabwischen Parlamentspräsi- denten bedanken. Dass seine Forderung nach Überprü- fung der Verhältnismäßigkeit von Roy Bennetts Inhaftie- rung leider nicht aufgenommen worden ist, belegt das gerade von mir erwähnte Urteil auf zynische Art und Weise. Dass Mugabe mit dem MDC im Grunde genommen Katz und Maus spielt, zeigt auch ein noch prominenterer Vorfall. Am 15. Oktober 2004 wurde der MDC-Partei- vorsitzende Morgan Tsvangirai vom höchsten Gericht vom Vorwurf des Landesverrates freigesprochen. Dieses in der internationalen Presse ganz überwiegend positiv, ja sogar fast euphorisch aufgenommene Urteil ist bei nä- herer Betrachtung so überraschend nicht. Der umgehend durch die SADC-Staaten und Europa gereiste Tsvangirai sollte der Weltöffentlichkeit ein demokratisches und rechtsstaatliches Simbabwe vorgaukeln. Was dabei völ- lig in den Hintergrund getreten ist, ist die Tatsache, dass gegen Morgan Tsvangirai noch ein weiteres Hochver- ratsverfahren läuft. Ich bin gespannt, – und darauf, liebe Kollegen, sollten wir achten –, was daraus nach den Wahlen wird! Auch die vom Mugabe-Regime unlängst durchge- führten Maßnahmen zur Organisation der Wahl lassen nichts Gutes erwarten: Kurz vor Weihnachten wurden sämtliche Wahlkreise neu zugeschnitten. Schon jetzt ist absehbar, dass dadurch der MDC mindestens drei Direktmandate verlieren wird. Wie schon bei den letzten Parlamentswahlen hat sich auch diesmal das Mugabe- Regime eine erhebliche Verfügungsmasse an Wähler- stimmen verschafft. In den von ihm kontrollierten Wählerlisten befinden sich nach Aussage des MDC 800 00 Verstorbene und 300 000 Doppelregistrierungen. Das entscheidende Kriterium aber ist, dass die nach den SADC-Richtlinien vorgesehene Einladung von Wahlbeobachtern nur – ja ich möchte das einmal so for- mulieren – sehr selektiv erfolgt ist: Weder das dafür an sich zuständige „SADC-Parlamentary Forum“ noch die Afrikanische Union haben eine Einladung zur Wahlbeo- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2005 15615 (A) (C) (B) (D) bachtung erhalten. Von der EU oder beispielsweise von den USA brauche ich hier gar nicht weiter zu sprechen. Stattdessen hat Mugabe aus der nicht afrikanischen Welt China, Russland und den Iran eingeladen. Ich denke, wir sind uns hier alle einig darin, dass freie und faire Wahlen nach den Wahlrichtlinien der SADC in Simbabwe nur stattfinden können, wenn eine ordentliche Wahlbeobachtung gewährleistet ist. Ich möchte heute am Vorabend der Parlamentswahlen noch kein abschließen- des Urteil fallen. Aber das von mir Geschilderte lässt das Schlimmste befürchten. Was können wir als Deutscher Bundestag mit unseren europäischen Partnern aus der Ferne zur Verbesserung der Lage dort im südlichen Afrika beitragen? Meines Er- achtens gibt es nur einen Weg: Wir müssen Südafrika an seine Rolle als Ankermacht im südlichen Afrika, das heißt an seine regionalpolitische Verantwortung für sei- nen Nachbarn Simbabwe, nicht nur erinnern, sondern dies vom südafrikanischen Präsidenten Thabo Mbeki auch einfordern. Denn dieser verzichtet bisher auf jede öffentliche Kri- tik an dem Mugabe-Regime. Diese von Thabo Mbeki als „stille Diplomatie“ verkaufte Politik ist jedoch nicht auf- gegangen: Die von ihm propagierten Verhandlungen zwischen ZANU-PF und MDC sind nämlich längst ge- scheitert. Umso unverständlicher ist der jüngste Kom- mentar des südafrikanischen Präsidenten zu den simbab- wischen Parlamentswahlen. Es klingt wie Hohn, wenn er meint, dass es sich hierbei um freie Wahlen handeln würde und keinerlei Beschränkungen der Opposition zu registrieren seien. Hier ist die Bundesregierung aufgefordert, sich kurz- fristig, – das heißt noch vor den Wahlen –, bei der süd- afrikanischen Regierung dafür einzusetzen, dass diese für die Einhaltung der SADC-Richtlinien in Simbabwe eintritt. Mehr ist gegenwärtig von dieser Stelle in realis- tischer Selbsteinschätzung leider tatsächlich nicht mög- lich. Aber ich denke, wir sind uns alle darüber einig: Heute haben wir hier im Deutschen Bundestag das Thema „Simbabwe“ aufgerufen, um auf die bevorstehenden Parlamentswahlen hinzuweisen, und ich bin mir sicher, wir werden sehr bald gemeinsam das Thema wieder er- örtern. Denn Robert Mugabe muss aufgezeigt werden, dass wir Simbabwe nicht aus den Augen verlieren. Nicht zuletzt sind wir das der demokratischen Opposition in Simbabwe schuldig. Hans-Christian Ströbele (Bündnis 90/Die Grünen): Auf unserer Ausschussreise in verschiedene Staaten im südlichen Afrika haben wir selbstverständlich die Situa- tion in Simbabwe bei allen Begegnungen explizit ange- sprochen. Unsere Gesprächspartner zeigten sich ent- täuscht und besorgt über die katastrophale politische und wirtschaftliche Entwicklung Simbabwes. Immerhin ge- hörte dieses Land früher zu den großen Hoffnungsträ- gern in Afrika. Die gewaltsamen Landbesetzungen sowie die illegalen Enteignungen und Vertreibungen von Farmern haben dazu beigetragen, dass die landwirtschaftliche Produk- tion weit gehend daniederliegt. Die Besetzer der Farmen sind nicht in der Lage, das fruchtbare Land ertragreich zu bestellen. Anstelle der weißen Farmer sind häufig Regie- rungsmitglieder und andere systemtreue Honoratioren getreten, von denen einige gleich mehrere große Farmen besitzen und Ländereien brach liegen lassen. Die gesamte wirtschaftliche Lage hat sich dramatisch verschlechtert. Die Situation der Bevölkerung ist zum Teil zum Verzweifeln. Die Grundversorgung ist längst nicht mehr gesichert. Viele hungern. Menschenrechts- verletzungen sind an der Tagesordnung. Von rechtsstaat- lichen Verhältnissen kann keine Rede mehr sein. Die Re- gierung bekämpft die politische Opposition mit Milizen, Militärkräften und Jugendgruppen, die gewalttätig nicht nur gegen den politischen Gegner vorgehen. Aber wir haben eben in unseren vielen Gesprächen auch erfahren müssen, dass unsere Sicht von der Bevöl- kerung im südlichen Afrika, besonders bei ärmeren Be- völkerungsschichten, keineswegs geteilt wird. Mugabe wird dort von sehr vielen weiterhin als Held der Befrei- ung vom Kolonialismus und der Durchsetzung der Un- abhängigkeit Afrikas geradezu gefeiert. Das gilt nicht nur in Simbabwe unter Druck der Regierung, sondern auch in vielen anderen Ländern der Region. Die Landreform und auch die Besetzungen werden ungeachtet der eingetretenen ökonomischen Katastrophe von vielen als im Prinzip richtig angesehen. Diese Ein- stellung ist für uns nur schwer verständlich. Aber sie ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass Landreform und die häufig versprochene Verbesserung der wirtschaftlichen Situation der Armen nicht vorankommen. Die Lebens- verhältnisse der Bevölkerung der afrikanischen Staaten haben sich häufig nur wenig verbessert. Immer noch scheinen die Weißen, die wahren Herrn im Land, und die, denen der Reichtum zugute kommt. Die koloniale Vergangenheit bleibt wach. Das sind die Hintergründe, die eine politische Isola- tion des Präsidenten in Simbabwe und seines Regimes so schwer machen und verhindern. So hat die Afrikanische Union – AU – jüngst eine Re- solution gegen Simbabwe mit Mehrheit abgelehnt. Hinzu kommt, dass die Proteste der Industriestaaten we- gen Korruption, staatlicher Gewaltrepression, Folter und Mord in Simbabwe als wenig glaubhaft angesehen wer- den, wenn dieselben Staaten mit anderen Machthabern und Ländern beste Beziehungen in der Vergangenheit unterhalten hatten und auch noch unterhalten, in denen ähnliche Verhältnisse herrschen. In diesem Zusammenhang ist auch kritisch anzumer- ken, dass trotz aller Vorwürfe gegen das Regime Mu- gabe simbabwische Polizisten im Kosovo eingesetzt werden! Was ist nun zu tun? – Die bevorstehenden Wahlen in Simbabwe geben An- lass zu ernster Besorgnis, aber auch eine Möglichkeit, die Zustände in Simbabwe zu problematisieren und zu handeln. Berichte über die erhebliche und eskalierende 15616 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2005 (A) (C) (B) (D) Gewalt gegen die Opposition, gegen die Regionen, in denen vorwiegend oppositionell gewählt wird, und in- zwischen auch innerhalb des Regierungslagers selbst weisen deutlich aus, dass von freien Wahlen nicht die Rede sein kann. Die Gewalt macht auch nicht Halt ge- genüber ausländischen Journalisten, wie zum Beispiel die „taz“ am 23. Februar berichten musste. Insofern ist es richtig, dass wir heute klar und in gro- ßer Gemeinsamkeit vom Deutschen Bundestag aus auf die Notwendigkeit hinweisen, die von den afrikanischen Staaten der SADC selbst formulierten und vertraglich vereinbarten demokratischen Standards für Wahlen ein- zuhalten, und dass wir Robert Mugabe deutlich sagen, wir nehmen nicht hin, dass diese Standards in keiner Weise bisher eingehalten werden. Wir stellen uns an die Seite der Opposition, wenn es schrieben. Wir sind uns alle einig in der Zielrichtung un- seres gemeinsamen Antrages. Wir müssen erkennen, dass sich die afrikanischen Staaten sehr schwer tun, einen anderen afrikanischen Staat zu kritisieren. Das kann nur kulturell und vielleicht aus einer gemeinsamen kolonialen Vergangenheit erklärt werden. Das macht die Sache aber nicht einfacher. Es er- schwert politisches Handeln in Afrika zum Wohle der Menschen. Wir müssen aber als Deutsche und Europäer immer wieder klar machen, dass die Lösung der afrika- nischen Probleme nur durch Afrikaner vorgenommen werden kann. Wir müssen an die Verantwortung der Staaten für die gesamte Region apellieren. Erster Adressat ist natürlich Simbabwe selbst. Aber es ist zu befürchten, dass hier Hopfen und Malz verloren ist; auch Sanktionen haben ja bisher keine diesbezügli- gilt, faire Chancen für freie Wahlen zu fordern. Wir unterstützen auch die Kräfte im Regierungslager, die für bald oder spätestens für die Zeit nach Mugabe de- mokratische Reformen und die Herstellung von Rechts- staatlichkeit wollen und sich schon heute häufig unter großem persönlichen Risiko dafür einsetzen. Und in die- sem Sinne stimmen wir dem Antrag voll und ganz zu. Aber ich sage in der längeren Perspektive auch, dass eine wirksame Abkehr der verheerenden Politik von Mu- gabe, gerade weil sie leider eben auch Unterstützung ge- nießt und deshalb weder umfassende noch „smarte“ Sanktionen hier greifen, nur erreicht werden kann, wenn in anderen Staaten Afrikas durch erfolgreiche Landrefor- men und Verbesserungen der Lebensverhältnisse der Ar- men und Ärmsten sichtbare Alternativen entstehen, an denen die Massen im südlichen Afrika sich orientieren können. An solchen friedlichen, gewaltfreien und rechtsstaat- lichen Alternativen können und sollten wir mitwirken. Zum Beispiel im nahen Namibia. Dr. Rainer Stinner (FDP): Die Fakten in Simbabwe sind bekannt und von meinen Kollegen hinreichend be- che Verbesserung gebracht. Zweiter Adressat sind die einzelnen Staaten der SADC. Hier ist Südafrika das Schlüsselland. Aber auch die anderen Länder sind in der Verpflichtung, selbst gesetzte Maßstäbe einzuhalten. Drittens ist die SADC als Organisation gefordert. Ge- nauso wie wir von Europa verlangen, die Probleme aufdem Balkan aktiv zu lösen, genauso wie wir von der ara- bischen Welt einen aktiveren Beitrag zur Lösung des Nahost-Problems erwarten, genauso wie wir die Afrika- nische Union auffordern, das Morden in Darfur zu unter- binden, genauso müssen wir die SADC als Organisation auffordern, hart und unmissverständlich das Mitglieds- land Simbabwe zur Einhaltung der gemeinsamen Regeln zu bewegen. Das ist auch eine Frage der Glaubwürdigkeit der SADC. Es stehen weitere Wahlen an und die Durchset- zungsfähigkeit der SADC steht auf dem Spiel. Das müs- sen wir diesen Ländern deutlich sagen. Wir Europäer sind zu einem Beitrag zur Verbesserung der Situation auf diesem geplagten Kontinent bereit. Aber dieser Beitrag ist nur vertretbar, wenn wir den deutlichen Willen und das deutliche Handeln dieser Länder erkennen können, selbst ihren Beitrag zu leisten. Dazu gehört auch die un- missverständliche Kritik an Simbabwe, auch wenn das manchem noch so schwer fallen mag. 166. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 17. März 2005 Inhalt: Redetext Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3 Anlage 4 Anlage 5
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Gerhard Schröder


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)


    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

    Herren! Vor fast genau zwei Jahren habe ich im Deut-
    schen Bundestag die Agenda 2010 vorgestellt. Die
    Agenda 2010 ist die Antwort auf zwei große Herausfor-
    derungen, denen unsere Gesellschaft wie viele andere
    Gesellschaften in Europa ausgesetzt ist: zum einen der
    Herausforderung, die mit der Globalisierung unserer
    Wirtschaft und damit der Globalisierung des Wirtschaf-
    tens zusammenhängt, und zum anderen einem radikal
    veränderten Altersaufbau in unserer Gesellschaft.

    Mir liegt daran, dass klar wird: Die Agenda 2010 ist
    ein Instrument, um unter veränderten Bedingungen So-
    zialstaatlichkeit und damit den sozialen Zusammenhalt
    unserer Gesellschaft zu sichern.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Sie ist ein notwendiges Instrument; denn der Zusammen-
    halt unserer Gesellschaft lässt sich nur dann sichern,
    wenn wir zu Veränderungen in der Politik bereit sind.
    Die Veränderung schafft die Möglichkeit des Bewah-
    rens; denn das, was über Generationen in Deutschland
    von einer jetzt älter gewordenen Generation aufgebaut
    worden ist, hat es verdient, bewahrt zu werden.

    Aber genauso klar muss sein – angesichts der letzten
    Debatten muss das immer wieder deutlich gemacht
    werden –: Der soziale Zusammenhalt unserer Gesell-
    schaft ist kein Luxus, den man in schwieriger werdenden
    Zeiten beiseite schaffen könnte.


    (Lebhafter Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Solidarität in einer Gesellschaft – das Einstehen der
    Starken für die Schwachen, der Gesunden für die Kran-
    ken und der Jungen für die Alten – ist gewiss eine Tu-
    gend. Sie ist aber zugleich auch Voraussetzung des öko-
    nomischen Erfolgs in den entwickelten Gesellschaften
    Europas.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Wer den sozialen Zusammenhalt unserer Gesellschaft
    infrage stellt, wer soziale Kohäsion als überflüssiges
    Zierwerk in guten Zeiten betrachtet, der stellt eben nicht
    nur wichtige Errungenschaften von Politik und Gesell-
    schaft in unserem Land infrage, nein, er ist vielmehr da-
    bei, den inneren Frieden zu zerstören. Der innere Frieden
    ist nicht zuletzt ein ökonomisches Datum, eine Voraus-
    setzung auch dafür, erfolgreich und effizient zu produ-
    zieren.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Die Agenda 2010 ist gewiss ein anspruchsvolles Re-
    formprogramm, das – der Name bringt das schon zum
    Ausdruck – weit über die gegenwärtige Legislatur-
    periode hinausreicht. Die Agenda 2010 will Wirklichkeit
    gestalten und sie will verändern. Sie ist deshalb mit
    einem Reformbegriff verbunden, der sich eben nicht in
    Gesetzesbeschlüssen – ob im Bundestag oder Bundes-
    rat – erschöpft, sondern bei dem es darum geht, die
    Wirklichkeit in Deutschland zu verändern. Deshalb ist es
    so wichtig, dass als Teil der Reformen, die mit dem Be-
    griff „Agenda 2010“ bezeichnet werden, nicht zuletzt
    die Umsetzung dieser Reformen gemeint ist und keines-
    wegs nur das Beschließen von entsprechenden Gesetzen.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)







    (A) (C)



    (B) (D)


    Bundeskanzler Gerhard Schröder

    Der Gesetzesbeschluss – so begriffen bei der Gesund-

    heitsreform, bei der Rentenreform, vor allen Dingen aber
    bei der Arbeitsmarktreform – ist die Voraussetzung für
    den Reformprozess; er ist der Anfang, aber keineswegs
    dessen Ende.

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, bevor ich
    darauf eingehe, welche Wirkungen die Agenda 2010
    entfaltet hat, ist es schlicht unumgänglich, Bemerkungen
    zur Lage auf dem Arbeitsmarkt zu machen. Es ist gar
    keine Frage, dass die Zahlen, mit denen wir konfrontiert
    worden sind, uns alle bedrücken müssen. Mehr als
    5 Millionen Arbeitslose, die im Februar gezählt worden
    sind, sind die ernsthafteste Herausforderung, vor der un-
    sere Gesellschaft steht.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Aber klar muss auch sein: Gerade wenn man das als
    ernsthafte Herausforderung begreift – und das tun wir
    alle –, dann ist es erforderlich, aufklärerisch tätig zu wer-
    den, was denn diese Zahlen im Einzelnen begründet. Wir
    haben steigende Zahlen der Erwerbstätigen.


    (Widerspruch bei der CDU/CSU)

    Wir rechnen 2005 mit mehr als 300 000 zusätzlichen Er-
    werbstätigen. 2004 waren es 140 000. Ich erwähne das
    nicht, um die andere Zahl zu relativieren, die ich genannt
    habe. Ich sage aber, dass der Reformprozess, den wir in
    Gang gesetzt haben und der in etlichen Bereichen gerade
    zwei Monate alt ist, gleichwohl zu greifen beginnt.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Es bleibt dabei: Niemand darf über die Zahl von über
    5 Millionen gezählten Arbeitslosen hinwegsehen oder
    sie sogar zu bagatellisieren versuchen. Es ist wichtig,
    den Menschen in Deutschland, die nicht zuletzt wegen
    dieser Zahl Verunsicherung spüren, zu erklären, wie sie
    denn zustande kommt. Allein im Januar dieses Jahres
    sind 360 000 Menschen zusätzlich in die Arbeitslosen-
    statistik gekommen. Das waren nun keineswegs neue
    Arbeitslose, sondern es waren Menschen, die bislang in
    der Sozialhilfestatistik geführt worden sind. Es waren
    Menschen, die – obwohl erwerbsfähig – keinerlei Ange-
    bote an Erwerbsarbeit bekommen haben. In den großen
    Städten Deutschlands ist die Zahl der erwerbsfähigen
    Sozialhilfeempfänger – das ist eine Zahl des Statisti-
    schen Bundesamtes, nicht meine – im Durchschnitt um
    sage und schreibe 95 Prozent reduziert worden. Dies
    sind Menschen, die keine Arbeit hatten und die man in
    die Sozialhilfe gedrängt hatte, ohne ihnen eine Perspek-
    tive zu geben. Durch die Zusammenlegung von Arbeits-
    losenhilfe und Sozialhilfe gelingt es uns zunächst, deut-
    lich zu machen, dass wir sie als Menschen begreifen, die
    nicht vergessen sind,


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    als Menschen begreifen, die wir brauchen und denen wir
    über Qualifizierung und Angebote eine Perspektive für
    ein Leben ohne staatliche Unterstützung geben wollen.
    Ich weiß, dass das ein ungemein schwieriger Prozess
    sein wird. Aber es ist einer, der schon aus dem Grund
    unternommen werden muss, weil die Hälfte dieser Men-
    schen Jugendliche unter 25 Jahre sind. Es kann doch
    nicht richtig sein, dass wir sie einfach in der Sozialhilfe
    abgedrängt liegen lassen, zwar notdürftig versorgt, aber
    ohne Perspektive für ein selbstbestimmtes Leben. Ich
    will das jedenfalls nicht.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Wir haben mit den Reformen, die gemeinhin als
    „Hartz-Reformen“ bezeichnet werden, den ernst ge-
    meinten und ernsthaften Versuch gemacht, diese und an-
    dere Menschen in die Arbeitsmärkte einzugliedern. Wir
    setzen auf das Prinzip des Förderns, aber auch des For-
    derns. Diejenigen, um die es geht, werden Angebote er-
    halten – es sind nicht immer solche, die sie erwarten –,
    das zu tun, zu dem sie in der Lage sind, um für sich und
    ihre Familien ein Einkommen und Auskommen durch
    Arbeit zu schaffen. Wir haben deutlich gemacht, dass zu-
    mutbare Arbeit in Deutschland auch von denjenigen ge-
    leistet werden muss, die sich in Deutschland legal auf-
    halten. Das werden wir durchsetzen. Die Hartz-
    Reformen, die wir eingeleitet haben, sind zu genau die-
    sem Zweck gemacht worden.

    In diesem Zusammenhang ein Wort zur Bundes-
    agentur für Arbeit: Die frühere Bundesanstalt für Ar-
    beit mit mehr als 90 000 Beschäftigten war eine Organi-
    sation, bei der 10 Prozent derer, die dort tätig gewesen
    sind, mit Vermittlung in den Arbeitsmarkt beschäftigt
    waren, 90 Prozent der dort Tätigen dagegen mit der Ver-
    waltung von Arbeitslosigkeit. Das war kein Zustand, der
    aufrechterhalten werden konnte. Die Zusammenlegung
    der beiden sozialen Systeme Arbeitslosenhilfe und So-
    zialhilfe hat den Zweck, diesen Zustand zu beenden.
    Man kann ihn nur beenden, wenn sich die Art und
    Weise, wie diese Agentur arbeitet, von Grund auf ändert,


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    wenn Vermittlung und nicht Betreuung im Vordergrund
    steht.

    Wir sind vorangekommen. Im Januar mussten Hun-
    derttausende von Anträgen auf Arbeitslosengeld II ge-
    prüft und beschieden werden. Erinnern wir uns: Manch
    einer hat geglaubt, dass das von denen, die in der Agen-
    tur beschäftigt sind, nicht zu leisten sei. Aber es ist doch
    geleistet worden. Ich finde, an dieser Stelle ist auch ein
    Wort des Dankes wegen des Arbeitseinsatzes dieser Mit-
    arbeiterinnen und Mitarbeiter angebracht.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


    Wir werden erreichen, dass die Zusammenarbeit zwi-
    schen Kommunen und den Agenturen vor Ort besser als
    in der Vergangenheit wird. Aber auch das ist eine Um-
    stellung, die bewältigt werden muss. Wir werden und
    wir müssen erreichen, dass sich die Motivation der
    Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – es sind über 90 000 –






    (A) (C)



    (B) (D)


    Bundeskanzler Gerhard Schröder

    ändert, dass sie wegkommen von Betreuung und hin-
    kommen zur aktiven Vermittlung derer, die ihnen anver-
    traut sind.

    In diesem Zusammenhang Folgendes: Es ist leicht,
    über diejenigen zu lästern, die diese Arbeit zu tun haben.
    Ich kenne nicht viele Unternehmen großen Zuschnitts,
    die eine so gewaltige Umstellung dessen, was sie Kern-
    geschäft nennen, in dieser Zeit mit diesen Erfolgen er-
    reicht haben. Ich wiederhole: Ich kenne nicht viele Un-
    ternehmen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Wer über den Arbeitsmarkt spricht, muss über Aus-
    bildung in Deutschland reden. Wir haben in diesem
    Haus vielfach darüber diskutiert und auch gestritten. Wir
    sind schließlich dazu gekommen, zu sagen: Es ist nicht
    zuletzt die Verantwortung der Wirtschaft, für den eige-
    nen Nachwuchs zu sorgen.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Lasst mich deutlich sagen: Wer nicht ausbildet, sägt sich
    ökonomisch den Ast ab, auf dem er morgen zu sitzen
    hat.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Ich bin froh darüber, dass es durch eine Kraftanstren-
    gung, und zwar eine gemeinsame von Regierung und
    Wirtschaft, gelungen ist, die Zahl der Ausbildungsver-
    träge auch in den Betrieben deutlich zu steigern. Ich bin
    froh darüber, dass es uns gelungen ist, allen, die ausbil-
    dungsfähig sind, auch ein Angebot zu machen. Dieser
    Prozess muss weitergehen. Die Aufgabe, Ausbildungs-
    plätze zu schaffen, ist nicht zu Ende seit dem letzten
    Jahr; sie beginnt in diesem Jahr, und zwar heute und
    morgen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Ich bin all denen, die sich auf der Seite der Wirtschaft
    wie auf der Seite der Politik, insbesondere dem Präsi-
    denten des DIHK und – lassen Sie mich das so sagen –
    Franz Müntefering,


    (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


    die Mühe gemacht haben, dankbar für den Erfolg, der in
    diesem Pakt steckt.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Dieser Erfolg ist erzielt worden und er ist gewiss nicht
    durch Sie von der Opposition zustande gekommen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Es ist ein Erfolg und wir müssen daran anknüpfen.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

    Wir haben im Zusammenhang mit der Agenda dann
    darüber zu reden, was denn aus den Reformen im
    Gesundheitssektor geworden ist. Wenn man sich das
    einmal anschaut, dann stellt man doch fest, dass das, was
    wir übrigens gemeinsam gemacht haben – das wird ja
    gelegentlich gerne vergessen; jedenfalls dann, wenn es
    eng wird –,


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    positive Wirkungen entfaltet hat. Damit komme ich zu
    den Krankenkassen, denn wir müssen darüber reden, wie
    wir es hinbekommen, dass die richtigen Konsequenzen
    gezogen werden. In 2003 haben die Krankenkassen ei-
    nen Verlust von nahezu 3 Milliarden Euro gemacht, in
    2004 – das steht inzwischen fest – einen Gewinn von
    4 Milliarden Euro. Ich sage hier ohne Wenn und Aber:
    Dieser Gewinn von 4 Milliarden Euro muss zu großen
    Teilen in Form von Beitragssenkungen und damit in
    Form von Senkung der Lohnzusatzkosten weitergegeben
    werden.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Er muss weitergegeben werden in Form von Beitrags-
    senkungen und nicht – das sage ich bewusst, obwohl ich
    zu Neid nun wirklich unfähig bin – in Form einer Erhö-
    hung der Gehälter der Kassenvorstände.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Es wird, meine Damen und Herren – das ist auch ein
    gemeinsamer Beschluss; ich hoffe, wir vertreten ihn
    auch gemeinsam –, zum 1. Juli dieses Jahres zur Um-
    finanzierung bei Krankengeld und Zahnersatz kommen.


    (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das war nicht gemeinsam! Das habt ihr alleine gemacht!)


    – Ich höre schon wieder: „Das habt ihr alleine ge-
    macht!“.


    (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Ja!)

    Das ist aber Teil der Gesundheitsreform, meine Damen
    und Herren, und wird dazu führen, dass die Betriebe er-
    neut 4,5 Milliarden Euro an Lohnzusatzkosten weniger
    zahlen müssen. Ich hoffe, das wird dort auch bemerkt
    und zu Einstellungen führen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Es ist ja interessant, dass dann, wenn, wie in diesem
    Fall, die eine Forderung erfüllt wurde, sogleich die
    nächste nachgeschoben wird. Das kann doch nicht sein.
    Die Unternehmen haben, wenn ich in diesem Bereich al-
    les zusammennehme, fast 10 Milliarden Euro an poten-
    ziellen Lohnzusatzkosten einsparen können. Das führt
    zu verbesserter Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen,
    auch und gerade der mittelständischen. Die Folge davon
    dürfen doch nicht Verlagerungsandrohungen sein, son-
    dern die Antwort darauf muss sein, dass mehr Einstel-
    lungen vorgenommen werden.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)







    (A) (C)



    (B) (D)


    Bundeskanzler Gerhard Schröder

    Zum Arbeitsmarkt gehört auch die Diskussion, die in

    den letzten Tagen sehr intensiv in der Presse – das habe
    ich sehr wohl mitbekommen – um die Frage geführt
    wurde, wie es sich mit dem Kündigungsschutz verhält.
    Ich finde, meine Damen und Herren, man sollte sich ein-
    mal klar machen, was auf diesem Sektor geleistet wor-
    den ist und welche Wirkungen das hat, jedenfalls haben
    sollte. Wie ist denn die Lage? In Betrieben unter zehn
    Mitarbeitern werden diejenigen, die ab Januar 2004 ein-
    gestellt wurden, in Bezug auf die entsprechenden Kündi-
    gungsschutzregelungen nicht mitgezählt. Schauen wir
    uns jetzt einmal an, welche Möglichkeiten es auf dem
    deutschen Arbeitsmarkt gibt. Es wird ja immer gesagt, er
    sei kaum flexibel. Das ist vielleicht auch interessant für
    diejenigen, die uns zuhören bzw. zuschauen, das wirk-
    lich einmal aufgearbeitet zu bekommen:

    Unabhängig vom Alter der Person kann jedes Unter-
    nehmen jeden zwei Jahre lang befristet einstellen.

    Wenn es sich um einen Existenzgründer handelt – es
    wird ja zu Recht viel darüber geredet –, dann sind Ein-
    stellungen mit einer Befristung von bis zu vier Jahren
    möglich. Das heißt, Existenzgründer können jeden vier
    Jahre lang befristet einstellen, ohne dass es für die Be-
    treffenden irgendeine Form von Kündigungsschutz gäbe.

    Schließlich zur Situation der älteren Arbeitnehme-
    rinnen und Arbeitnehmer, die uns ja alle besonders be-
    wegt: Für Personen ab 50 Jahren existiert so gut wie kein
    Kündigungsschutz, denn für die ersten zwei Jahre be-
    steht die Möglichkeit, sie befristet einzustellen. Für Per-
    sonen ab dem 52. Lebensjahr gibt es keine gesetzlichen
    Regelungen mehr in Bezug auf befristete Einstellung.
    Sie können also unabhängig von den Regelungen für be-
    fristete Arbeitsverhältnisse jederzeit eingestellt und ent-
    lassen werden, da ein Kündigungsschutz für diese Perso-
    nengruppe nicht mehr existiert.

    Meine Damen und Herren, das sollte eigentlich dazu
    führen, dass das Gerede darüber, es habe keinen Sinn,
    einen älteren Arbeitnehmer einzustellen, weil man bei
    einem schwächeren Betriebsergebnis ihn nicht entlassen
    kann, nun endlich aufhört. Hier ist ein Popanz aufgebaut
    worden.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Ich will in dem Zusammenhang eines deutlich ma-
    chen: Wer geglaubt hätte – wir haben ja alle erwartet,
    dass es so kommt –, dass die Lockerung des Kündi-
    gungsschutzes im eben dargestellten Sinne bei den älte-
    ren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, bei denen
    über 50, zu einer massiven Einstellungswelle in den Be-
    trieben führte, der sieht sich getäuscht. Das muss ich lei-
    der sagen.

    Wir haben also in dem Bereich keinen Kündigungs-
    schutz mehr. Trotzdem liegt die Beschäftigtenquote bei
    den älteren Arbeitnehmern bei nur sage und schreibe
    40 Prozent. Dabei geht es um die, die über 55 sind. Ich
    füge hinzu, meine Damen und Herren: Welche Vergeu-
    dung von Wissen, von Erfahrung, von Fähigkeiten, auch
    von Kreativität wird da volkswirtschaftlich betrieben!
    Das können wir auf Dauer doch nicht zulassen.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Ich wäre ja sehr dankbar, wenn angesichts dieser
    Lage, beim Kündigungsschutz mit gleichem Nachdruck
    und mit den gleichen großen Schlagzeilen darauf hinge-
    wiesen würde, dass jetzt nicht nur die Möglichkeit be-
    steht, sondern dass es die Pflicht von Unternehmen ist,
    auf die älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
    nicht zu verzichten, sondern sie in den Produktionspro-
    zess einzubeziehen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Das zweite große Thema, das mit der Diskussion um
    die angeblich mangelnde Flexibilität auf dem Arbeits-
    markt immer zusammenhängt, ist die Frage der betrieb-
    lichen Bündnisse. Ich würde raten, einmal einen Blick
    in die Wirklichkeit zu werfen und nicht ständig neue
    ideologische Popanze aufzubauen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Die Wirklichkeit in Deutschland – übrigens keineswegs
    nur bei den großen Unternehmen – ist doch so, dass die
    Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, ihre Gewerk-
    schaften und ihre Betriebsräte sehr wohl in der Lage
    sind, betriebliche Bündnisse zu schließen, wenn es die
    Notwendigkeit dazu gibt, um ihre Arbeitsplätze zu erhal-
    ten. Sie sind zum Verzicht immer noch bereit gewesen.
    Ich würde mir wünschen, die gleiche patriotische Ein-
    stellung, wie sie die Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
    mer haben, wäre auf der anderen Seite auch gegeben.


    (Lebhafter Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Übrigens funktionieren die betrieblichen Bündnisse
    keineswegs nur, wenn es darum geht, die Arbeitsplätze
    in bestehenden Betrieben zu retten. Nein, wer nicht mit
    Scheuklappen durch die Gegend läuft, der kann sehr
    wohl mitbekommen, wie zum Beispiel im Osten unseres
    Landes durch betriebliche Bündnisse Ansiedlungs-
    erfolge erreicht worden sind.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Ich nenne sie Ihnen gleich. Als es um die Frage ging, wo
    BMW investiert, ob in Tschechien, in der Slowakei oder
    in Deutschland, ist ein betriebliches Bündnis über Ar-
    beitszeit- und Entgeltbedingungen geschlossen worden,
    das die Ansiedlung in Deutschland überhaupt erst mög-
    lich gemacht hat. Das zeigt doch, dass es funktioniert.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Ich könnte mit der gleichen Berechtigung Porsche nen-
    nen und auch andere Automobilfirmen, um die es geht,
    zum Beispiel Opel in Eisenach. Aber ich will eine An-
    siedlungsentscheidung nennen, die jüngst nur zustande
    gekommen ist und zustande kommen konnte, weil die
    Gewerkschaft flexibel genug war – es handelt sich übri-
    gens um Verdi –, ein solches betriebliches Bündnis abzu-
    schließen. Ich meine die Ansiedlung von DHL in Leip-
    zig, ein interessanter Vorgang.






    (A) (C)



    (B) (D)


    Bundeskanzler Gerhard Schröder


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

    Man sieht doch, dass sich angesichts dessen, was wir

    bei der Diskussion um die Agenda 2010 vor zwei Jahren
    gesagt haben – gesetzlich handeln wir, wenn sich nichts
    bewegt –, sehr wohl etwas bewegt hat, dass es hinrei-
    chende Öffnungsklauseln gibt. Meine Bitte ist: Lasst uns
    auf die Einsichtsfähigkeit der Beschäftigten, ihrer Be-
    triebsräte, ihrer Gewerkschaften setzen, die diese Ein-
    sichtsfähigkeit nachgewiesen haben, und lasst uns – es
    ist ja üblich geworden, sich auf Montesquieu zu bezie-
    hen –


    (Heiterkeit bei der SPD)

    auch in diesem Fall sagen: Ein Gesetz, das nicht notwen-
    dig ist, unterbleibt besser.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Ich glaube also, dass wir die Gewerkschaften und die
    Beschäftigten ermuntern sollten, diesen Weg der Flexi-
    bilisierung in den Betrieben weiterzugehen. Das ge-
    schieht auch. Wir sollten aber aufpassen, dass wir nicht
    kontraproduktiv wirken, wenn wir sie mit gesetzlichen
    Regelungen, die die Tarifautonomie schwerstens infrage
    stellen, überziehen; kontraproduktiv insofern, als die
    Konflikte in der Arbeitswelt dann statt im Parlament und
    in Diskussionen in Zukunft stärker als im letzten Som-
    mer auf der Straße ausgetragen werden. Das möchte ich
    wirklich nicht. Ich will keine anderen Länder nennen,
    aber Sie kennen sie alle. Deswegen denke ich, dass wir
    weiter auf die Bereitschaft zur Flexibilität, die bereits
    nachgewiesen worden ist, setzen sollten; die Zahl der
    Beispiele ließe sich vermehren.

    Teil der Agenda war auch, die Lohnnebenkosten da-
    durch zu begrenzen, dass die Rentenversicherungsbei-
    träge stabil bleiben. Entgegen allen Unkenrufen haben
    wir das geleistet, meine Damen und Herren. Das war nur
    durch eine Reihe von Reformschritten möglich, die
    schon wieder in Vergessenheit geraten sind; ich weiß
    nicht, warum. Es ist doch wohl so, dass die Beiträge nur
    deshalb stabil gehalten werden konnten, weil wir die Ka-
    pitaldeckung neben die Umlagefinanzierung gestellt ha-
    ben.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    20 Millionen Bürgerinnen und Bürger haben sich eine
    Zusatzversorgung – meistens eine betriebliche – ge-
    schaffen; 20 Millionen Menschen haben eine Kapitalde-
    ckung aufgebaut und damit das Verhältnis zwischen der
    solidarischen Umlagefinanzierung und der eigenen Vor-
    sorge zugunsten der eigenen Vorsorge verändert.

    Meine Damen und Herren, durch die Reformen hat
    sich die Rentenbezugsdauer verändert, weil wir es ge-
    schafft haben, beim realen Renteneintrittsalter ein Jahr
    draufzulegen. Das reicht nicht. Auch hier gilt: Es ist viel-
    leicht notwendig, über die Frage nachzudenken, ob das
    nominale Renteneintrittsalter erhöht werden muss; aber
    viel wichtiger als diese Diskussion ist die Anstrengung
    zur Erhöhung des realen Renteneintrittsalters. Diese An-
    strengung muss fortgesetzt werden, übrigens auch aus
    ökonomischen Gründen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Die Lohnzusatzkosten für die Rente konnten übrigens
    nur stabil gehalten werden, weil wir massiv Geld über
    die – viel gescholtene – Ökosteuer in die Rentenkasse
    geben.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Deswegen warne ich diejenigen, die das oberflächlich
    kritisieren; eine Veränderung hätte nämlich negative Fol-
    gen für die Stabilität der Beiträge und damit für die Sta-
    bilität der Lohnzusatzkosten.

    Ich füge hinzu: Wir sind es doch gewesen, die dafür
    gesorgt haben, dass das Prinzip der nachgelagerten
    Besteuerung durchgesetzt wurde, ein Prinzip, bei dem
    es darum geht, dass diejenigen, die aktiv beschäftigt
    sind, in Bezug auf ihre Beiträge deutlich entlastet wer-
    den. Das wird so sein, meine Damen und Herren, und
    das wird Auswirkungen auf die Stabilität der Beiträge
    und der Lohnzusatzkosten haben.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Wer fair ist, wer die Sorgen, die es angesichts der Ar-
    beitslosenzahlen ohne Zweifel gibt, ernst nimmt und wer
    auf der anderen Seite kein Zerrbild von Deutschland
    zeichnen will, der muss darauf hinweisen, dass diese Re-
    formschritte – im Übrigen international höchst beachtet
    und gewürdigt – positive Erfolge gezeigt haben. Es ist
    keineswegs so, dass wir ökonomisch gesehen in einem
    Jammertal lebten. Im Gegenteil: Die Auftragseingänge
    im verarbeitenden Gewerbe sinken nicht, sie steigen. Im
    Januar hat der Export gegenüber dem Vorjahr um
    9,5 Prozent zugenommen, und das in einer Situation, in
    der wir durch die Euro/Dollar-Relation wahrlich nicht
    bevorzugt werden, in einer Situation, in der international
    inzwischen eingesehen wird, dass in den letzten Jahren
    unter den G-8-Staaten allein Deutschland real mehr An-
    teil auf den internationalen Märkten gewonnen hat. Das
    ist doch ein Zeichen von Kraft, die in der Volkswirt-
    schaft steckt, und nicht von Schwäche.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Wir würden einen riesigen Fehler machen, wenn wir
    es zuließen, dass ein Zerrbild der Lage Deutschlands ge-
    zeichnet würde. Wir haben Probleme – keine Frage.
    Aber wir haben auch die Kraft – das ist nachgewiesen –,
    mit diesen Problemen fertig zu werden.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Ich hoffe, es ist deutlich geworden, dass das, was sich
    mit der Agenda verbindet, wirklich Wirkungen zeitigt
    und dass wir gut daran tun, unbeirrt und mit aller Kraft,
    über die wir verfügen, diese Reformen Wirklichkeit wer-
    den zu lassen und die Arbeit der Umsetzung anzugehen.
    Genau das tun wir.






    (A) (C)



    (B) (D)


    Bundeskanzler Gerhard Schröder

    Gleichwohl muss ich sagen: Es ist richtig, dass wir

    auch darüber nachdenken, welche zusätzlichen Impulse
    wir – wenn es geht, gemeinsam – geben können. Die in-
    ternationale Situation, was den Wettbewerb angeht, hat
    sich ungeachtet der Kraft der deutschen Wirtschaft nicht
    verbessert, nicht nur wegen der Erweiterung der Euro-
    päischen Union, aber auch wegen der Erweiterung der
    Europäischen Union. Das führt naturgemäß dazu, dass
    wir uns zu überlegen haben, wie wir auf dem Gebiet der
    Steuerpolitik weiter vorgehen.

    Bevor ich dazu Bemerkungen und Vorschläge mache,
    will ich auf eines hinweisen. Wie ist denn die Steuerde-
    batte verlaufen? Durch die drei Stufen der Steuerreform
    sind den Unternehmen und den privaten Haushalten
    56 Milliarden Euro mehr zur Verfügung gestellt worden.
    Man muss das angesichts der ständigen Forderungen im-
    mer wieder sagen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Wir haben den Spitzensteuersatz, der bei unserem
    Amtsantritt 1998 bei 53 Prozent lag, auf 42 Prozent ge-
    senkt. Wir haben eine uralte Forderung des Mittelstan-
    des, nämlich die Anrechnung der Gewerbesteuer auf die
    Unternehmensteuer der Personengesellschaften – das ist
    bekanntlich die Einkommensteuer –, erfüllt. Großes Lob
    haben wir dafür nicht bekommen, obwohl wir es ver-
    dient gehabt hätten. Obwohl die Sache richtig war, hat es
    nie ein Lob gegeben.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Es ist eine enorme Erleichterung gerade für den Mittel-
    stand, dass die Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer
    angerechnet wird.

    Wir haben im Übrigen – das sage ich an die Adresse
    der Skeptiker – auch kräftig am unteren Ende gearbeitet.
    Die Reduzierung des Eingangsteuersatzes von 25,9 auf
    jetzt 15 Prozent ist von uns – ich darf sagen: von euch –
    geleistet worden.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Ludwig Stiegler [SPD]: Sehr wahr! – Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)


    Diesen Erfolg sollte man sich nicht kaputtmachen las-
    sen. Die Folge dessen ist, dass Deutschland in diesem
    Bereich eine Steuerquote hat, die im unteren Drittel des
    europäischen Geleitzuges liegt.

    Wir haben indessen – das wird den einen oder ande-
    ren schmerzen – ein Problem bei den Kapitalgesell-
    schaften. Das ist das Problem relativ hoher nomineller
    Steuersätze. Damit verbunden haben wir ein anderes
    Problem: Wegen der hohen nominellen Steuersätze wird
    immer wieder der Versuch unternommen, die eigentlich
    fälligen Steuern durch exorbitante Verrechnungspreise
    auf der einen Seite und Gewinnverlagerungen auf der
    anderen Seite nicht zahlen zu müssen. Wenn die Diffe-
    renz zu groß ist, hat das zwei Folgen: Es wird versucht,
    sich bei jeder sich ergebenden Chance vor der Bezah-
    lung der Steuern zu drücken. Das wiederum führt zu
    mangelnden Einnahmen bei den öffentlichen Haushal-
    ten.

    Ich schlage deswegen vor, dass wir uns miteinander
    – wir brauchen den Bundesrat dazu – darauf einigen, den
    Körperschaftsteuersatz von 25 Prozent auf 19 Prozent zu
    senken. Es muss glasklar sein, dass es dabei darum geht,
    die Finanzierung so zu gestalten, dass das Steuerauf-
    kommen durch das Schließen von Steuerschlupflöchern
    nicht kleiner, sondern größer wird, die Finanzierung also
    aufkommensneutral gemacht wird.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Ich will andeuten, in welche Richtung meiner Meinung
    nach eine solche Finanzierung gehen sollte. Ich glaube,
    es ist angemessen, zwischen der Belastung der Unter-
    nehmen und derer zu unterscheiden, denen die Unter-
    nehmen gehören. Mit der Einführung des Halbeinkünf-
    teverfahrens haben wir das getan: Man kann die
    Besteuerung der Aktionäre im Rahmen des Halbeinkünf-
    teverfahrens verändern, also die Steuerbelastung der Ak-
    tionäre vergrößern und dafür die Steuerbelastung der
    Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb ste-
    hen, kleiner machen. Ich glaube, es ist auch angemessen,
    auf das zurückzukommen, was wir im Jahre 2003 mit-
    einander diskutiert haben, nämlich die Frage, ob die
    Mindestbesteuerung nicht zur Senkung der Unterneh-
    mensteuersätze – ich sage es ausdrücklich – erhöht wer-
    den kann. Schließlich glaube ich, dass wir beim Abbau
    von Steuersubventionen, den wir nicht so weit geschafft
    haben, wie es objektiv notwendig ist, endlich Ernst ma-
    chen müssen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Ich kann mir zum Beispiel vorstellen, dass wir bei den
    Steuersparmodellen die Verlustverrechnungen deutlich
    beschränken und auf diese Weise Raum für das schaffen,
    was aus Wettbewerbsgründen für unsere Unternehmen
    notwendig ist – was wir also machen müssen, was wir
    aber im Interesse der Konsolidierung der öffentlichen
    Haushalte aufkommensneutral gestalten müssen. An-
    ders, meine Damen und Herren, wird es nicht gehen,
    aber so könnte es gehen!


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Meine Bitte ist: Machen Sie mit bei dieser so wichtigen
    Operation.

    Ich glaube, dass man darüber hinaus das verändern
    muss, was ich eingangs meiner Ausführungen zur Steu-
    erpolitik erwähnt habe, nämlich die Anrechnung der
    Gewerbesteuer. Als wir diese Operation seinerzeit
    durchgeführt haben, haben wir gesagt: Mit der Operation
    erreichen wir, dass wir die Gewerbesteuer bis zu einem
    Hebesatz von 390 Punkten voll anrechnungsfähig ma-
    chen. Es gibt jetzt eine interessante Entwicklung: In dem
    Moment, in dem man den Spitzensteuersatz senkt, ent-
    stehen Folgen negativer Art für die Anrechnung der Ge-
    werbesteuer auf die Einkommensteuer. Der Satz liegt
    jetzt bei ungefähr 340 Punkten. Ich finde, im Interesse






    (A) (C)



    (B) (D)


    Bundeskanzler Gerhard Schröder

    der Förderung des Mittelstandes sollten wir den alten
    Zustand wiederherstellen. Das geht, wenn man den An-
    rechnungsfaktor der Gewerbesteuer von jetzt 1,8 Prozent
    auf 2 Prozent erhöht. Ich bin für eine solche Maßnahme
    und hoffe auf tätige Mitarbeit im Bundesrat, meine Da-
    men und Herren.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Schließlich geht es mir um eine Frage, die im Bundes-
    rat gelegentlich schon diskutiert worden ist und hinsicht-
    lich deren ich glaube, dass man endlich Nägel mit Köp-
    fen machen muss. Wir reden ja sehr intensiv über
    Neugründungen und über die Frage, wie wir Neugrün-
    dungen von Betrieben erleichtern können. Das ist auch
    richtig so. Wir müssen aber auch darüber reden, wie wir
    diejenigen erhalten können, die es schon gibt.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    In den nächsten Jahren wird es eine große Anzahl von
    Betriebsübergängen – man nennt sie auch Erbschaf-
    ten – geben. Ich beziehe mich – damit dies völlig klar
    ist – nicht auf private Erbschaften, sondern auf die Über-
    gänge von Betrieben, insbesondere von kleinen und
    mittleren.

    Ich bin dafür – ich weiß, Herr Ministerpräsident, dass
    auch Bayern dafür ist –, dass wir das Modell umsetzen,
    über das diskutiert worden ist, nämlich bei einem Be-
    triebsübergang jedes Jahr 10 Prozent der an sich fälligen
    Erbschaftsteuer abzuziehen, wenn dieser Betrieb erhal-
    ten wird. Ich weiß, dass sowohl in Bayern als auch in
    Nordrhein-Westfalen, meine Herren Ministerpräsiden-
    ten, darüber diskutiert worden ist. Ich finde, das kann
    und soll man machen. Ich weiß, dass die betroffenen
    Kollegen in den Ländern dafür geradestehen müssen.
    Denn die Steuern, die da anfallen, sind Steuern der Län-
    der.


    (Unruhe bei der CDU/CSU und der FDP)

    – Die Maßnahme ist absolut sinnvoll.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Die Bundesregierung wird einen solchen Gesetzes-
    vorschlag unterstützen und, wenn Sie uns bitten, auch
    selber einbringen. Aber klar ist natürlich, dass es dann
    im Bundesrat kein Gewürge geben darf, sondern dass
    Sie sicherzustellen haben, dass das auch läuft.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Denn es geht ja nicht, solche Gesetze im Bundesrat ein-
    zubringen und sie später abzulehnen. Soweit ich weiß,
    hat die Staatsregierung das nach dem Motto getan: Wir
    bringen ein, wenn die Ablehnung gesichert ist. Das kann
    ja nicht der Fall sein.


    (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Lassen Sie uns also diese Maßnahme, auf die der Mittel-
    stand in Deutschland wartet, bitte schön auch wirklich
    machen!

    Wir schlagen zusätzlich vor, dass wir die Mittel-
    standsbank des Bundes in den Stand versetzen, innovati-
    ven Mittelständlern für die Förderung von Innovationen
    Kredite in Höhe von 2 Prozent unter dem Marktzins zu
    gewähren.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Das, glaube ich, wäre ein Paket zur Stärkung der
    Wettbewerbsfähigkeit, das sofort auf den Weg gebracht
    werden könnte, ohne dass man auf etwas verzichtet, ein
    Paket, das wir ohnehin machen müssen und zu dem der
    Sachverständigenrat gebeten worden ist, Vorschläge zu
    machen.

    Wir haben in der Tat das Problem, dass wir in einem
    vereinigten Europa außerordentlich unterschiedliche
    Steuersätze – ich rede über die direkten Steuern – und
    außerordentlich unterschiedliche Bemessungsgrund-
    lagen haben. Wir arbeiten sehr daran – das ist schwer
    genug; das ist übrigens nicht nur auf die neuen Mitglie-
    der bezogen; es gibt auch ältere Mitglieder, die da
    Schwierigkeiten machen –, eine gemeinsame Bemes-
    sungsgrundlage für die direkten Steuern zu schaffen. An-
    gesichts der Entscheidungsprozesse in Europa ist das
    erstens nicht leicht und zweitens wird es dauern. Das
    liegt nicht an uns. Aber wenn ich mir einige andere Län-
    der anschaue, dann weiß ich, was da an Arbeit bevor-
    steht. Ich sage es noch einmal: Das ist keineswegs nur
    auf die neuen Mitglieder bezogen, die ab 1. Mai letzten
    Jahres dabei sind. Auch große ältere Mitgliedstaaten
    – ich denke an Inseln und Ähnliches – haben da ein er-
    hebliches Verweigerungspotenzial; das muss man ein-
    fach so sehen.

    Ich bin dafür, dass man dies einbezieht und dass man
    den Sachverständigenrat auf dieser Grundlage bittet,
    möglichst rasch – ich hoffe, bis zum Herbst dieses
    Jahres – Konkretes dazu vorzulegen, wozu der Sachver-
    ständigenrat schon einen Vorschlag gemacht hat, näm-
    lich wie man auf der Basis gemeinsamer Bemessungs-
    grundlagen zu einer rechtsformneutralen Besteuerung
    der Unternehmen kommen kann. Das ist ein wichtiger
    Punkt.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Die Fachleute nennen das Dual Income, also die Tren-
    nung bei der Steuer zwischen betrieblicher und privater
    Sphäre ohne Ansehung der Rechtsform des Unterneh-
    mens. Daran wird gearbeitet. Diese Vorschläge sollen bis
    Ende oder besser bis Herbst dieses Jahres vorliegen.

    Wir werden dann miteinander darüber reden müssen,
    wie wir diese umsetzen. Dabei ist eines zu berücksichti-
    gen: Wenn man sich das vorstellt, erkennt man, dass man
    in der Besteuerung zu bestimmten Sätzen kommen wird.
    Es kann sein, dass die kleinen und mittleren Unterneh-
    men, wenn man bestimmte Sätze vorsieht, dann unter






    (A) (C)



    (B) (D)


    Bundeskanzler Gerhard Schröder

    Umständen höher besteuert werden, als das gegenwärtig
    der Fall ist. Das wäre falsch.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Deswegen wird man sehr genau betrachten müssen, um
    was es dabei geht. Der Sachverständigenrat ist gebeten
    worden, ein Sondergutachten vorzulegen; dies wird er
    sicherlich auch tun.

    Meine Bitte ist, diese Dinge rasch in Angriff zu neh-
    men. Alle meine Vorschläge verbauen nicht den Weg in
    eine grundsätzlich erneuerte Unternehmensbesteuerung
    nach dem skizzierten Muster. Wir sollten uns darauf ver-
    ständigen, sie jetzt zu realisieren.

    Lassen Sie mich noch eine Bemerkung daran an-
    knüpfen, meine Damen und Herren: Wenn wir dies mit-
    einander tun – angesichts der Situation der öffentlichen
    Haushalte auf allen Ebenen wird es eine gewaltige Kraft-
    anstrengung sein –, dann erwarte ich, dass nicht gleich
    die nächste Forderung nachgeschoben wird.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Wenn die Politik einen Rahmen geschaffen haben wird,
    der wirklich auskömmlich ist, dann sollte endlich das
    ständige Gerede von der Verlagerung von Betriebsstätten
    und Arbeitsplätzen aufhören und in Deutschland inves-
    tiert werden. Diese Erwartung richte ich an die deutsche
    Wirtschaft.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Der zweite Bereich, über den wir uns verständigen
    müssen, betrifft die kurzfristige Verstärkung der
    Investitionen. Die langfristigen strukturellen Grundla-
    gen sind durch die Reform-Agenda angelegt; aber wir
    müssen kurzfristig etwas tun, meine Damen und Herren.
    Ich will jetzt nicht in alle Einzelheiten gehen.


    (Lachen bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    – Nun warten Sie ab; wie Sie gemerkt haben, erwähne
    ich genügend Konkretisierungen.

    Wir müssen schneller zu Existenzgründungen kom-
    men, als es gegenwärtig der Fall ist. Um nur ein Beispiel
    zu nennen: Mit einer Novelle des GmbH-Gesetzes kön-
    nen wir zu einer substanziellen Absenkung des für die
    Gründung notwendigen Mindestkapitals kommen. Wir
    werden ein elektronisches Handelsregister einführen, da-
    mit Neugründungen binnen Tagen realisiert werden kön-
    nen und nicht Monate brauchen. Dieser Punkt hat sehr
    viel mit Bürokratieabbau zu tun.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Des Weiteren müssen wir jede Anstrengung unterneh-
    men, um bei der Verkehrsinfrastruktur mehr als bis-
    lang vorgesehen zu machen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

    Deshalb werden wir jährlich 500 Millionen Euro zusätz-
    lich im Haushalt mobilisieren, um ein Zweimilliarden-
    programm für die nächsten vier Jahre aufzulegen, das
    die Verkehrsinfrastruktur verbessert.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    In diesem Bereich nutzen wir nicht alle Möglichkei-
    ten, um auch privates Geld zu mobilisieren. Deshalb
    halte ich es für wichtig, zu prüfen, ob es möglich ist,
    durch Finanzierungen über private Gesellschaften nach
    österreichischem Vorbild zu einer Verstetigung der Infra-
    strukturinvestitionen zu kommen.


    (Beifall bei der SPD)

    Wir werden mit dem von den Fraktionen vorbereite-

    ten Beschleunigungsgesetz versuchen, im Bereich der
    Public Private Partnership privates Kapital in Milliar-
    denhöhe zu mobilisieren,


    (Beifall bei der SPD)

    um konkrete Projekte wie die A 1 in Nordrhein-West-
    falen und die A 4 in Thüringen zusammen mit der Wirt-
    schaft schneller umzusetzen, als es bei knappen öffentli-
    chen Mitteln möglich wäre.

    Wir werden ein Planvereinfachungsgesetz vorlegen,
    das hilft, diese Investitionen schneller zu realisieren, als
    es gegenwärtig der Fall ist. Dies werden wir nicht auf
    einen Teil unseres Landes beschränken und es auch auf
    Investitionen in Stromnetze ausdehnen, die wir in der
    nächsten Zeit dringend brauchen und die ebenfalls zügi-
    ger ausgebaut werden müssen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Mit der Novelle zum Energiewirtschaftsgesetz, auf
    die sich die Koalitionsfraktionen unter Mithilfe des
    einen und anderen geeinigt haben, werden wir mehr
    Rechtssicherheit für die Energieversorger erreichen.
    Wir werden erreichen – das ist von den Energieversor-
    gern mitgeteilt worden –, dass bis zum Jahre 2010 sage
    und schreibe 20 Milliarden Euro in neue Kraftwerke, in
    die Ertüchtigung alter Kraftwerke und in die Netze in-
    vestiert werden. Das ist eine Entwicklung, die ich für
    außerordentlich positiv ebenso wie für außerordentlich
    notwendig halte.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Lassen Sie mich zu einem Punkt kommen, der nach
    meiner Meinung wichtig ist und über den – auch zu
    Recht – viel gestritten worden ist. Ich meine die Frage:
    Wie geht es mit der Grünen Gentechnik weiter? Wir
    werden ein Gentechnik-II-Gesetz bekommen, das zu-
    sammen mit dem ersten Gesetz einen vernünftigen
    Rechtsrahmen für Investitionen in diesem Bereich dar-
    stellt.

    Ich weiß, meine Damen und Herren, dass in diesem
    Gesetz bezogen auf die Haftungsfragen nicht alles so ist,
    wie sich das die Wirtschaft, die investieren soll und will,
    vorgestellt hat. Viele haben gesagt: Die Haftung sollen






    (A) (C)



    (B)


    Bundeskanzler Gerhard Schröder

    die öffentlichen Hände übernehmen. Aber ist das wirk-
    lich der richtige Weg? Können wir bei allem, was von
    der Wirtschaft neu begonnen wird, die Risiken wirklich
    so verteilen oder ist es nicht sinnvoll, zu sagen: Wir wol-
    len einen vernünftigen Rahmen setzen; wir erwarten
    aber auch, dass ihr auf der Basis dieser gesetzlichen Re-
    gelungen zu Fonds kommt, die die Haftung unter euch
    regeln?


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Mein Eindruck ist jedenfalls, dass manchmal merkwür-
    dig argumentiert wird, wenn man einerseits alles und je-
    des dem Staat überlassen will, jedenfalls dann, wenn
    man selbst betroffen ist, andererseits aber immer über
    Staatsfreiheit und Staatsferne redet.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Ich glaube, dass mit beiden Gesetzesvorhaben ein fai-
    rer Ausgleich und Planungsregelungen geschaffen wor-
    den sind, die Investitionen ermöglichen. Ich weiß, dass
    ein großes deutsches Unternehmen demnächst Ausbrin-
    gungen machen wird. Ich bin im Übrigen bereit – wir ha-
    ben das schon im Bundesrat angekündigt –, den gesetzli-
    chen Rahmen zu setzen und die Aktionen auf der Basis
    dieses gesetzlichen Rahmens auch wirklich zu gestalten
    und nach zwei Jahren zu überprüfen. Wir werden sehen,
    ob wir in diesem Bereich unter dem europäischen Ge-
    sichtspunkt zu Veränderungen kommen müssen oder
    nicht. Vor einem sollten wir uns aber hüten, nämlich da-
    vor, die Zurückhaltung im gesamten Bereich der Gen-
    technik – es geht übrigens auch um Rote und Weiße
    Gentechnik – einseitig zu verteilen.

    Ich erinnere an die Debatten zum therapeutischen
    Klonen hier im Deutschen Bundestag, wo ich quer durch
    alle Fraktionen des Deutschen Bundestages – ich sage
    das mit allem Respekt – ein Maß an Zurückhaltung er-
    lebt habe, das ich jedenfalls nicht für richtig halten
    konnte. Ich will das nur so sagen.


    (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Da sind wir einer Meinung! Ich teile Ihre Auffassung!)


    – Ich weiß, Herr Gerhardt, dass wir da einer Meinung
    sind. Es ist auch nicht schlimm, wenn auch wir einmal
    einer Meinung sind.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Ich will das hier nur sehr deutlich sagen, damit nicht der
    Eindruck entsteht, die Sensibilität in diesem Bereich
    – um es freundschaftlich zu sagen – sei nur in der Mitte
    des Hohen Hauses vorhanden, also nur bei den Grünen,


    (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Sehr richtig! Ganz wichtig!)


    und die anderen seien nur darauf aus, das wirtschaftlich
    Vernünftige zu tun.


    (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das musste jetzt einmal gesagt werden!)

    Ich denke, wir wollen eine vernünftige Balance fin-
    den. Mit den Gentechnikgesetzen I und II ist sie fürs
    Erste gefunden. Also lassen Sie uns nicht Debatten von
    gestern führen, sondern darauf setzen, dass jetzt die Aus-
    bringung geschieht und wir in diesem Bereich weiter-
    kommen. Wir werden dann sehen, ob wir nach zwei Jah-
    ren zu Veränderungen des gesetzlichen Rahmens
    kommen müssen oder nicht. Jedenfalls sollte begonnen
    werden. Ich denke, das ist die Aufgabe, die vor uns liegt.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Wir werden im Übrigen – weil ich beim Thema
    Investitionen bin – dafür sorgen, dass das CO2-Gebäu-desanierungsprogramm bis 2007 auf dem jetzigen Ni-
    veau – das sind insgesamt 720 Millionen Euro, die nach
    bisherigen Erfahrungen Investitionen in Höhe von etwa
    5 Milliarden Euro auslösen – weitergeführt werden
    kann. Das ist durchfinanziert und das kann hier gesche-
    hen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Im Bereich der kleinen und mittleren Unternehmen
    und vor allen Dingen der Handwerksbetriebe geht es um
    den Erhalt von immerhin 60 000 Arbeitsplätzen und
    – wo möglich – um die Neuschaffung weiterer Arbeits-
    plätze. Das ist in der Situation, in der wir uns befinden,
    wahrlich nichts, was auf die leichte Schulter genommen
    werden könnte.

    Meine Damen und Herren, ich will noch ein paar Be-
    merkungen zu dem machen, zu welchen neuen Impulsen
    es vor dem Hintergrund der Diskussion über die Agenda
    2010 und der Aufgaben der Bundesagentur auf dem Ar-
    beitsmarkt nach meiner Auffassung kommen muss.

    Ich glaube, dass diejenigen, die da seinerzeit im Ver-
    mittlungsausschuss besonders tätig waren, inzwischen
    eingesehen haben, dass wir die Hinzuverdienstmög-
    lichkeiten von Langzeitarbeitslosen noch einmal über-
    prüfen müssen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Wir hatten seinerzeit Vorschläge gemacht. Ich will übri-
    gens sagen: Ich gehe sehr respektvoll mit den Gegenvor-
    schlägen um. Auch sie enthalten diskussionswürdige
    Überlegungen. Das kann man nicht bestreiten. Denn wir
    müssen der Gefahr widerstehen, dass wir über Transfer-
    leistungen einerseits und Hinzuverdienstmöglichkeiten
    andererseits dafür sorgen, dass Menschen zu lange in
    diesen Beschäftigungsverhältnissen bleiben. Das ist ein
    wichtiger Gesichtspunkt, den diejenigen eingebracht ha-
    ben, die damals skeptisch waren, und den man nicht mit
    leichter Hand wegwischen darf. Ich glaube, es lässt sich
    ein vernünftiger Mittelweg finden. Wir sollten gemein-
    sam daran arbeiten. Denn auch da brauchen wir eine Zu-
    stimmung des Bundesrates, wenn wir das verändern
    wollen – wofür ich bin.

    Den entscheidenden Punkt werden wir in der nächs-
    ten Zeit bei der Stärkung der Vermittlungsaktivitäten
    – zunächst für die unter 25-Jährigen – leisten müssen.

    (D)







    (A) (C)



    (B) (D)


    Bundeskanzler Gerhard Schröder


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Sie wissen: Diejenigen, die unter das SGB II fallen – das
    sind diejenigen, die Arbeitslosengeld II bekommen –,
    haben einen Rechtsanspruch entweder auf einen Ausbil-
    dungsplatz, auf eine Maßnahme der Qualifizierung oder
    auf einen Arbeitsplatz. Wenn wir bei den Langzeit-
    arbeitslosen mit aller Kraft beginnen, können wir es
    schaffen, diesen Rechtsanspruch zu realisieren. Wir ha-
    ben dafür etwa 7 Milliarden Euro in der Bundesagentur
    zur Verfügung. Wir sollten dieses Bemühen auf diejeni-
    gen ausdehnen, die unter das SGB III fallen, die also Ar-
    beitslosengeld I beziehen oder keine Leistungen bekom-
    men, weil sie noch bei den Eltern sind und diese
    Leistungen aus diesem Sicherungssystem bekommen.

    Mir geht es darum – ich bin mir mit dem Wirtschafts-
    und Arbeitsminister völlig einig –, dass wir die Kräfte
    der Bundesagentur auf zwei Bereiche konzentrieren.
    Zum Ersten müssen wir es schaffen, den Jungen eine
    Perspektive zu geben.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Das ist übrigens auch aus demographischen Gründen
    notwendig. Wenn wir es nicht schaffen, die mehr als
    600 000 jungen Leute unter 25 Jahren aus der Perspek-
    tivlosigkeit herauszuholen, dann werden wir das bitter
    bereuen, weil uns in kürzester Zeit die Arbeitskräfte feh-
    len werden, die wir brauchen, um weiter Wachstum ge-
    nerieren zu können. Das ist der Zusammenhang. Es wäre
    auch eine ökonomische Katastrophe, diese Leute in der
    Anonymität zu lassen und ihnen keine Perspektive zu
    geben.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Zum Zweiten müssen wir uns auf die älteren Arbeit-
    nehmerinnen und Arbeitnehmer – auf die über 55- oder
    über 58-Jährigen – konzentrieren, speziell im Osten.
    Auch hier müssen wir die Vermittlungstätigkeiten ver-
    stärken. Wir werden das tun. Wir müssen auch mit denen
    zusammenarbeiten, die in der Wirtschaft Zusatzbeschäf-
    tigung bereitstellen können und sollen. Wir stellen uns
    zum Beispiel vor, 250 Millionen Euro zu mobilisieren,
    um in Bereichen, die besonders gut sind, mehr zu tun.
    Formen des Wettbewerbsdenkens wie Best Practice sind,
    glaube ich, auch in diesem Bereich angemessen und ver-
    nünftig und sollten ausgebaut werden.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Ich habe mich mit der Frage der befristeten Beschäf-
    tigung auseinander gesetzt. Gelegentlich wird über Fle-
    xibilität auf dem Arbeitsmarkt diskutiert, ohne wirklich
    zu den Punkten zu kommen. Es gibt einen Punkt, wo ich
    selber meine, dass wir bei der Befristung etwas tun müs-
    sen: Wir müssen die befristete Beschäftigung erleich-
    tern, in dem wir das absolute Verbot der Vorbeschäfti-
    gung aufheben. Ich glaube, diese Entwicklung ist richtig
    und vernünftig.

    (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Zurufe von der CDU/CSU: Aha!)


    Ich plädiere dafür, dieses Verbot auf zwei Jahre zu be-
    schränken, damit Kettenarbeitsverträge nicht unbegrenzt
    möglich sind.

    Meine Damen und Herren, ich will in diesem Zusam-
    menhang – auch das betrifft den Arbeitsmarkt – auf et-
    was hinweisen, was uns allen Sorgen macht, nämlich die
    in letzter Zeit evident gewordene Umgehung der Verein-
    barungen, die wir anlässlich der Erweiterung der Euro-
    päischen Union getroffen haben, was die Schutzfristen
    für die Arbeitnehmerfreizügigkeit und die Umgehung
    der Entsenderichtlinie angeht. Im Fleischerhandwerk
    und zunehmend auch im Baunebengewerbe – bei den
    Fliesenlegern, aber auch in anderen Bereichen – haben
    wir den Tatbestand, dass Sicherungsvorschriften für die
    deutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch
    Flucht in Scheinselbstständigkeit und Ähnliches umgan-
    gen werden und damit unserer Volkswirtschaft schwers-
    ter Schaden zugefügt wird,


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    übrigens auch den betroffenen ausländischen Arbeitneh-
    mern, die nicht menschenwürdig beschäftigt werden.
    Wir müssen dazu kommen – auch hier braucht es die Zu-
    sammenarbeit von Bund und Ländern –, dass wir mit
    dem Aufbau von Taskforces, wie das so schön heißt, un-
    nachsichtig alle legalen Möglichkeiten nutzen, um die-
    sem Treiben Einhalt zu gebieten. Wir brauchen nicht nur
    Recht und Ordnung im Inneren, wir brauchen auch
    Recht und Ordnung auf dem Arbeitsmarkt; auch dort
    müssen wir sie herstellen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang etwas sa-
    gen zu einer Diskussion über ein europäisches Vorhaben,
    das nicht nur in Deutschland die Menschen bewegt, son-
    dern auch in unseren Nachbarländern: Ich meine die
    Dienstleistungsrichtlinie. Klar ist zunächst: Die Fehl-
    entwicklungen, die ich eben skizziert habe, haben mit
    der Dienstleistungsrichtlinie nichts zu tun: weil sie noch
    nicht gilt. Und ganz klar ist auch: So wie Herr
    Bolkestein, der ehemalige EU-Kommissar, sie sich vor-
    gestellt hat, wird sie nicht in Kraft treten.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Ich bin mir darüber mit dem französischen Präsidenten
    völlig einig – mit anderen im Übrigen auch –: Wir kön-
    nen nicht zulassen, dass es über die Dienstleistungsfrei-
    heit, für die man im Prinzip durchaus sein sollte, zu
    Sozialdumping in Deutschland kommt, dass Sicherheits-
    standards, die wir aus guten Gründen für unsere Arbeit-
    nehmerinnen und Arbeitnehmer aufgebaut haben, miss-
    achtet werden, und wir können nicht zulassen, dass die
    freien Wohlfahrtsverbände und diejenigen, die die Pflege
    von Alten und Kranken verantworten, in die Situation






    (A) (C)



    (B) (D)


    Bundeskanzler Gerhard Schröder

    gebracht werden, dass sie nicht mehr mitkönnen, weil sie
    kaputtkonkurriert werden.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Das kann nicht Sinn der Dienstleistungsfreiheit in
    Europa sein und das wird es mit uns auch nicht geben.
    Ich bin frohen Mutes, dass man das sowohl im Europäi-
    schen Parlament als auch in der Europäischen Kommis-
    sion noch einsehen wird.

    Meine Damen und Herren, ich will mich über das hi-
    naus einem weiteren Thema widmen: Das ist die Frage,
    wie wir mit dem umgehen, was wir in Zukunft einerseits
    im Bildungssektor und andererseits im Bereich von
    Forschung und Entwicklung machen müssen. Ich
    glaube, wir finden sehr schnell eine Übereinstimmung in
    diesem Hohen Hause – ich hoffe, auch in der deutschen
    Öffentlichkeit – darüber, dass das Wohl und Wehe der
    deutschen Volkswirtschaft, die Chance, in Deutschland
    Wohlstand zu erhalten und, wo immer es geht, zu meh-
    ren, von unserer Fähigkeit abhängt, Geld zu mobilisie-
    ren, um in die Zukunft zu investieren.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Wir müssen weg von Vergangenheitssubventionen, hin
    zu Zukunftsinvestitionen. Wenn man sich die Situation
    in Europa anschaut, stellt man fest, dass Deutschland,
    was die Forschungs- und Entwicklungsausgaben angeht,
    besser ist als der Durchschnitt, besser ist als die großen
    Industrienationen, mit denen wir in erster Linie zu kon-
    kurrieren haben, aber deutlich schlechter als zum Bei-
    spiel die Skandinavier. Es ist völlig klar: Wenn wir oben
    bleiben wollen, wenn wir Spitze bleiben wollen in der
    Weltwirtschaft, dann müssen wir mehr in Forschung und
    Entwicklung investieren. Und wir müssen es jetzt tun –
    wir können es nicht auf die lange Bank schieben.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Deshalb sage ich: Wer über Subventionsabbau redet, der
    kann, wenn er ernst genommen werden will, nicht da-
    rüber hinwegsehen, dass er zur Förderung von For-
    schung und Entwicklung die Eigenheimzulage herge-
    ben muss.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Michael Glos [CDU/CSU]: Das musste ja kommen!)


    Und kommen Sie mir jetzt nicht mit „Damit finanzieren
    wir eine große Steuerreform!“. Im ersten Jahr würden
    die Einsparungen bei gerade einmal 300 Millionen Euro
    liegen; damit wäre das wirklich schwierig. Ich sage: Das
    ist eine Subvention, durch deren Streichung in Zukunft
    zwischen 6 und 8 Milliarden Euro mobilisiert werden
    können. Das einzig Vernünftige, was man tun kann, ist,
    diese Mittel zu nehmen und sie samt und sonders in For-
    schung und Entwicklung auf der Bundesebene einerseits
    und in Bildungsinvestitionen auf der Landesebene ande-
    rerseits zu stecken.


    (Lebhafter Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Deshalb muss das Gewürge im Vermittlungsausschuss
    aufhören. Die Mittel für die Eigenheimzulage müssen
    ausschließlich für Forschung und Entwicklung sowie für
    Investitionen in Bildung eingesetzt werden.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    In diesem Zusammenhang sage ich in aller Klarheit:
    Ich halte es wirklich für höchst bedenklich, wie mit den
    4 Milliarden Euro verfahren wird, die wir für die Ganz-
    tagsbetreuung zur Verfügung stellen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Ein Skandal ist das!)


    Ich halte das für unverantwortlich, und zwar aus folgen-
    dem Grund: Investitionen in diesem Bereich – in Betreu-
    ung – sind objektiv notwendig zur Förderung der Kinder,
    die in den Familien das Maß an Förderung, das an sich
    erforderlich ist, nicht erfahren. Es gibt viele Gründe da-
    für, die man leider immer wieder feststellen muss. Wer
    über PISA redet – das ist bedauerlicherweise ja fast
    schon wieder vergessen –,


    (Dr. Angela Merkel [CDU/CSU]: Vielleicht bei der SPD vergessen! – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das ist überhaupt nicht vergessen!)


    der muss als Erstes darüber sprechen, wie wir es schaf-
    fen, jedem Kind unabhängig von seiner sozialen Zuge-
    hörigkeit eine Lebenschance zu geben. Das läuft über
    Bildung. Wenn es nicht anders geht, dann läuft das eben
    über Bildung und Betreuung.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Einer der größten Fehler, den wir machen könnten – ich
    hoffe, das werden die Ökonomen zunehmend begrei-
    fen –, wäre, nicht zu erkennen, dass wir ohne Investi-
    tionen in Betreuung volkswirtschaftlich in ungeheure
    Schwierigkeiten kämen, weil wir dadurch das Potenzial
    von Frauen und somit auch das der deutschen Wirtschaft
    nicht zureichend nutzen könnten.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Die Investitionen in Ganztagsbetreuung sind nicht nur
    eine Frage der Geschlechtergerechtigkeit – das sind sie
    auch –, sie sind vor allen Dingen auch eine Frage der
    blanken ökonomischen Vernunft. Niemand in den Be-
    trieben darf glauben, dass er das Arbeitskräftepotenzial,
    das wir schon in dieser Dekade brauchen, allein über
    eine gesteuerte Zuwanderung, für die ich bin, realisieren
    kann. Niemand darf das glauben. Das würde die Integra-
    tionsfähigkeit unserer Gesellschaft überstrapazieren. Es
    bleibt also dabei: Sowohl aus Gerechtigkeitsgründen als
    auch aus Gründen der ökonomischen Vernunft müssen
    wir und müssen auch die Betriebe in Betreuung investie-
    ren, weil dieses Potenzial sonst nicht genutzt werden
    kann. Das wäre schädlich für unsere Volkswirtschaft.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)







    (A) (C)



    (B) (D)


    Bundeskanzler Gerhard Schröder

    Im Zusammenhang mit der Investitionstätigkeit der

    Kommunen habe ich heute in der „Financial Times
    Deutschland“ – ich bitte die anderen um Entschuldi-
    gung – eine interessante Zahl zur Entwicklung der
    Gewerbesteuer gelesen, die ja den Kommunen zusteht.
    Sie beträgt inzwischen mehr als 28 Milliarden Euro und
    damit 4 Milliarden Euro mehr als im letzten Jahr. Man
    hat mir aufgeschrieben, dass das Nachkriegsrekord ist
    und im Vergleich zum Vorjahr eine Steigerung von
    18 Prozent bedeutet.


    (Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD])

    Nun habe ich eine Bitte an die Herren Ministerpräsiden-
    ten: Reden Sie mit Ihren Innenministern darüber, dass
    wenigstens ein Teil dieses erheblichen Zuwachses von
    den Kommunen in notwendige Investitionen gebracht
    und nicht nur kameralistisch behandelt wird.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Das ist im Übrigen nicht alles. Wenn 95 Prozent der
    bisherigen Sozialhilfeempfänger in das Arbeitslosen-
    geld II überführt werden – das hat das Gesetz ermög-
    licht; ob das immer mit aller Sensibilität ausgelegt wor-
    den ist, will ich dahingestellt sein lassen; ich neige
    schließlich nicht zu kräftigen Worten –,


    (Heiterkeit bei der SPD)

    dann steht jedenfalls fest, dass auch in diesem Bereich
    gewaltige Einsparungen zu verzeichnen sind, die genutzt
    werden sollten, damit in die Sanierung von Schulen, da-
    mit in die Sanierung von kommunalen Einrichtungen,
    damit in die Sanierung von kommunalen Straßen inves-
    tiert werden kann. Wir haben die Möglichkeit, Investi-
    tionen in diesem Bereich loszutreten und damit neuen
    Schwung in die Investitionstätigkeit zu bringen. Diese
    müssen wir auch nutzen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Zu den Zukunftsinvestitionen wird gehören – das ist
    wirklich schwierig –, die Pflegeversicherung in Ord-
    nung zu bringen. Wir wollen das bis zum Herbst dieses
    Jahres machen. Wir als Koalition wollen ein gemeinsa-
    mes Programm vorlegen, das auf der einen Seite Klar-
    heit und Sicherheit in die Finanzierung bringt sowie ein
    angemessenes Verhältnis zwischen ambulanter und sta-
    tionärer Betreuung ermöglicht und das auf der anderen
    Seite etwas für diejenigen tut, die mit am schwersten
    dran sind, nämlich die Demenzkranken. Wir müssen in
    diesem Bereich etwas tun. Wir wollen hier eine große
    Anstrengung unternehmen. Das wird nur gehen, wenn
    wir uns möglichst auf ein gemeinsames Konzept eini-
    gen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Ich will noch ein Wort zu dem sagen, was meines Er-
    achtens die Entsprechung des Reformprogramms für die
    sozialen Sicherungssysteme und der Verbesserung der
    Rahmenbedingungen für die Wirtschaft ist. Ich meine
    die Föderalismusreform. Ich glaube, wir sollten einen
    neuen Anfang machen.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Es ist eine Legende, dass die Bundesregierung – ja, ich –
    von vornherein gegen diese Reform gewesen wäre. Aber
    Legenden sind manchmal langlebig. Ich sage Ihnen ganz
    klar: Mich interessieren in diesem Zusammenhang nicht
    Kompetenzen, sondern mich interessiert, was passiert.
    Das gilt ausdrücklich auch für den Bildungsbereich. Ich
    sage hier klar: Wir brauchen in dieser Frage einen neuen
    Anlauf. Die Kommission, die Sie, Herr Ministerpräsi-
    dent Stoiber, und Herr Müntefering geleitet haben, hat
    gute Ergebnisse vorzuweisen.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    85 bis 90 Prozent waren konsensfähig. Ich frage mich,
    warum wir nicht zumindest diese umsetzen; aber bitte
    schön!


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU)


    Ich sage für die Bundesregierung: Ich werde jeden
    Vorschlag – auch auf dem schwierigen Gebiet der Kom-
    petenzen für die Bildung – unterstützen, auf den Sie sich
    mit Ihrem Kovorsitzenden einigen. Sie können sicher
    sein: Wir beide setzen das auch durch. Ob Sie das mit Ih-
    ren Kollegen Ministerpräsidenten hinbekommen, ist eine
    andere Frage.


    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Ich halte das für notwendig, weil es bei einer Födera-
    lismusreform wirklich darum geht, das, was wir auf dem
    Gebiet der Sozialpolitik und der Wirtschaft geleistet ha-
    ben und weiter leisten werden, durch eine Entsprechung
    im Staatsaufbau zu ergänzen, die zu mehr Klarheit in den
    Kompetenzen und damit auch in den Verantwortlichkei-
    ten und die zu mehr Effizienz in unserem föderalen
    Staatsaufbau führt. Das brauchen wir, wenn wir voran-
    kommen wollen. Ich werde zu denen gehören, die einen
    solch neuen Ansatz, für den ich ausdrücklich werbe, mit
    aller Kraft unterstützen.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Ich hoffe, eines ist deutlich geworden: Wir sind in ei-
    ner wirklich schwierigen Situation, was die Arbeits-
    marktzahlen angeht. Man kann sie partiell erklären. Aber
    selbst wenn man sie erklärt, wie ich das getan habe,
    bleibt die Arbeitslosigkeit viel zu hoch. Das ist die He-
    rausforderung in unserem Land. Alle, die sich zu diesen
    Fragen geäußert haben, haben gesagt: Das ist kein kon-
    junkturelles Problem. Ich glaube, in dieser apodiktischen
    Form ist das nicht ganz richtig. Es ist auch ein konjunk-
    turelles Problem, aber nicht in erster Linie. Das gebe ich
    zu. Es ist mehr ein strukturelles Problem. Aber auf die-
    ses strukturelle Problem haben wir mit dem, was in der






    (A) (C)



    (B) (D)


    Bundeskanzler Gerhard Schröder

    Agenda 2010 steht, und dem, was ich an neuen Impulsen
    vorgeschlagen habe, reagiert.

    Eines muss dabei klar sein – das erwähne ich zum
    Schluss ausdrücklich noch einmal –: Wir sind in
    Deutschland und in Europa verglichen mit anderen Welt-
    regionen deswegen in einer vergleichsweise guten Situa-
    tion, weil wir ein europäisches Sozialmodell in unter-
    schiedlichen Formen in der Europäischen Union erhalten
    haben, das den Menschen zweierlei ermöglicht, nämlich
    die Teilhabe am erarbeiteten Wohlstand und die Teilhabe
    an den Entscheidungen über die politischen Prozesse.
    Ich glaube, wir würden einen schwerwiegenden Fehler
    machen, wenn wir aus sehr kurzfristigen Erwägungen
    heraus, weil uns wirklich Sorgen bedrücken, das Prinzip
    des Sozialstaates und damit das Prinzip des Zusammen-
    halts unserer Gesellschaft über Bord werfen würden.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Das wäre ein schwerer Fehler.
    Was wir auf den Weg gebracht haben und was wir

    vorhaben, ist nicht einfach. Zum Teil kann es die Koali-
    tion aus eigener Kraft schaffen. Dort, wo sie das kann,
    wird sie es tun. Zum anderen Teil braucht sie wegen un-
    terschiedlicher Mehrheitsverhältnisse hier und im Bun-
    desrat die Zusammenarbeit all derer, die an dieser Zu-
    sammenarbeit interessiert sind, weil sie unser Land
    voranbringen wollen. Ich bin zu einer solchen Zusam-
    menarbeit bereit und ich hoffe, dass wir hier im Deut-
    schen Bundestag einen guten Anfang gemacht haben.

    Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

    (Die Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN erheben sich – Anhaltender Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)




Rede von Dr. h.c. Wolfgang Thierse
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

Ich erteile das Wort der Vorsitzenden der CDU/CSU-

Fraktion, Kollegin Angela Merkel.

(Beifall bei der CDU/CSU)



  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Angela Merkel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)


    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich

    glaube, wir hier im Saal und viele Menschen im Lande
    sind sich einig, dass wir in dieser Woche eine bemer-
    kenswerte Rede des Bundespräsidenten gehört haben.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen bei der SPD)


    Bemerkenswert an dieser Rede des Bundespräsidenten
    war nicht allein, dass er alle entscheidenden Politikfelder
    erfasst hat, dass er die Probleme klar benannt und ein-
    deutig die Richtung für die Antworten angegeben hat,
    sondern bemerkenswert war für mich, dass die Rede
    zum Kern dessen vorgedrungen ist, was Deutschland
    groß und stark gemacht hat und was Deutschland jetzt in
    diesen Tagen und Monaten wieder braucht.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Das ist nämlich eine Politik mit Ordnung – nicht ir-
    gendeiner Ordnung, sondern der Ordnung der Freiheit,
    der Ordnung der sozialen Marktwirtschaft.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    An der Rede des Kanzlers heute war nicht allein auf-

    fällig, dass er zum wiederholten Mal über die Tatsache
    gesprochen hat, dass auch die Umsetzung der Reformen
    als Reformen anzusehen sind, dass er Belehrungen, Pro-
    phezeiungen, Beschönigungen und Beschuldigungen
    vorgebracht hat, dass er es manchmal auch an Ernsthaf-
    tigkeit vermissen ließ


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Widerspruch bei der SPD – Zuruf von der SPD: Überhaupt nicht zugehört!)


    und dass er viele Einzelmaßnahmen genannt hat – das ist
    alles schön und gut –; auffällig war auch, dass er nicht
    zum Kern dessen vorgedrungen ist, was Deutschland
    braucht.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Es geht nämlich um die Frage, mit welcher Ordnung
    der Freiheit wir im 21. Jahrhundert die Zukunft dieses
    Landes gestalten wollen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Genau darin besteht der Unterschied zwischen Repara-
    turmaßnahmen und dem Glauben an die Kraft der sozia-
    len Marktwirtschaft und die Kraft der Freiheit, die den
    Menschen erst mündig macht.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


    Natürlich ist es auch kein Zufall, dass der Bundes-
    kanzler heute bewusst kein Bekenntnis zu Studiengebüh-
    ren und zu bestimmten Maßnahmen auf dem Arbeits-
    markt – betriebliche Bündnisse, Kündigungsschutz,
    Flexibilisierungen – abgelegt hat.


    (Unruhe bei der SPD)

    Das ist eine sehr durchsichtige Strategie und es ist ganz
    klar, warum Sie so vorgehen. Sie wollen es nämlich uns
    überlassen, die notwendigen Dinge anzusprechen,


    (Lachen bei der SPD)

    und mit einer Strategie nach dem Motto „Mit denen
    würde es nur noch schlimmer“ durch das Land ziehen.
    Aber diese Strategie wird nicht aufgehen. Denn sie ist
    schon in Schleswig-Holstein nicht aufgegangen. Dort ist
    Rot-Grün abgewählt. Das wird sich fortsetzen, weil sich
    die Menschen keine Angst mehr machen lassen. Sie ha-
    ben nur noch eine Angst, und zwar davor, arbeitslos zu
    werden. Diese Angst zählt.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der SPD: Unglaublich!)


    Angesichts von 5,2 Millionen Arbeitslosen brauchen
    wir ein umfassendes Konzept. Herr Bundeskanzler, Sie
    haben gesagt, dass diese Zahl bedrückend ist. Aber wenn
    das so ist – im Übrigen wären 4,8 Millionen genauso be-






    (A) (C)



    (B) (D)


    Dr. Angela Merkel

    drückend –, dann muss man feststellen: Wir brauchen
    ein Konzept, das alle wichtigen Bereiche umfasst, ein
    Konzept, das weitere Strukturreformen in Angriff nimmt
    und sich nicht im Klein-Klein verliert, ein Konzept, das
    alles der einen Frage unterordnet, nämlich wie wir zu
    mehr Arbeit kommen. Daran muss sich alles in diesem
    Land ausrichten.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir müssen ran an die Realität! Die Realität heißt:

    Die Welt verändert sich rasant. Bei einem schnellen
    Wandel sind schnelle Antworten notwendig. Insofern le-
    ben wir sozusagen in den zweiten Gründerjahren dieser
    Bundesrepublik Deutschland und deshalb müssen wir
    uns entscheiden, ob wir den Geist der Anfangsjahre der
    Bundesrepublik Deutschland wieder aufnehmen oder ob
    wir ihn aufgeben wollen. Ich meine, wir müssen diesen
    Geist aufnehmen: den Geist der Freiheit, den Geist der
    kleinen Einheiten, den Geist, der den Menschen etwas
    zutraut.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


    Der Zusammenhang besteht doch gerade darin, dass
    dann, wenn wir diesen Geist nicht wieder vitalisieren, als
    erstes die Gerechtigkeit auf der Strecke bleibt, und zwar
    sowohl in Bezug auf diejenigen, die Hilfe brauchen, als
    auch auf diejenigen, die Leistung erbringen. Wer sich
    nicht ausreichend zur Freiheit bekennt, wird den sozia-
    len Zusammenhalt von Gerechtigkeit und Solidarität
    in unserer Gesellschaft aufs Spiel setzen.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


    Wenn wir den sozialen Zusammenhalt wollen – er ist
    doch gerade die große Leistung der sozialen Marktwirt-
    schaft gewesen und muss auch die große Leistung einer
    neuen sozialen Marktwirtschaft sein –, dann müssen wir
    uns doch erst einmal mit der Realität vertraut machen.


    (Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann fangt doch mal an!)


    Es ist doch so: Die Wachstumsprognosen sind nicht so
    wie erwartet. Dafür kann ich niemanden verantwortlich
    machen, sondern das müssen wir zur Kenntnis nehmen.
    Aber, Herr Bundeskanzler, wenn statt 1,6 Prozent
    Wachstum nur 0,8 Prozent erwartet werden, wäre es
    richtig gewesen, deutlich zu sagen, was das für den
    Haushalt, die Zahlen, die nach Brüssel gemeldet werden,
    und die eigenen Möglichkeiten bedeutet, und Sie hätten
    sich Gedanken darüber machen müssen, was Sie heute
    realistischerweise zur Zukunft des Bundeshaushaltes in
    diesem Jahr sagen können. Das wäre das Erste gewesen;
    das haben wir erwartet.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Herr Bundeskanzler, Sie haben davon gesprochen,

    dass wir zwar ein Strukturproblem haben, dass wir es
    aber bereits durch die durchgeführten Reformen eigent-
    lich gelöst haben. Wenn Sie ehrlich dieser Meinung sind,
    dann werden Sie Deutschland in den Untergang führen.
    Das gebe ich Ihnen schwarz auf weiß.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen bei der SPD)

    Wir haben weiterhin strukturelle Probleme; das ist die
    Wahrheit. Sie selbst haben noch 1998 gesagt: Bei allem,
    was wir tun, wollen wir uns am Abbau der Arbeits-
    losigkeit messen lassen und dafür sorgen, dass jedes
    Instrument auf den Prüfstand gestellt wird, um festzu-
    stellen, ob es vorhandene Arbeitsplätze sichert oder Ar-
    beitsplätze schafft. Das war die Zeit, in der Sie gesagt
    haben: Wenn es uns nicht gelingt, die Arbeitslosigkeit si-
    gnifikant zu senken, dann sind wir es nicht wert, wieder
    gewählt zu werden. In dieser Zeit haben Sie die Realitä-
    ten noch gesehen, Herr Bundeskanzler.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Dass die Schaffung von Arbeitsplätzen erste Priorität

    hat, ist angesichts der Zahlen klar. Die entscheidende
    Frage ist: Wo sind denn zukunftsfähige Arbeitsplätze?
    Ich habe von Ihnen dazu wenig gehört, und wenn, dann
    nur sehr Bedauerliches. Das, was Sie zur Grünen Gen-
    technik gesagt haben, klingt wie Hohn in den Ohren de-
    rer, die sich dieser Technologie widmen wollen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Hier ist Ihr Wirtschaftsminister noch ehrlicher. Er hat
    vor Vertretern der bayerischen Wirtschaft gesagt: Es ist
    nicht verantwortbar, alles so zu belassen, wie es ist.
    Recht hat der Mann. Aber er kann sich nicht durchset-
    zen. Nun sind auch Sie noch umgefallen, obwohl Sie ei-
    gentlich wissen, dass es nicht richtig ist. Es ist doch ein
    Hohn, in einem einzigen Wirtschaftsbereich der Indus-
    trie die gesamte Haftung aufzuzwingen, während in al-
    len anderen Wirtschaftsbereichen die Verantwortlichkeit
    besser aufgeteilt ist. Warum gerade in diesem Zukunfts-
    bereich? So entstehen keine Arbeitsplätze.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Diskriminierung!)


    Ich kann nur sagen – auch Herr Steinbrück fordert das
    immer wieder ein –: Lassen Sie uns die Richtlinien der
    Europäischen Union eins zu eins umsetzen! Hätten wir
    das bei der Gentechnikrichtlinie gemacht, dann wären
    wir heute weiter. In zwei Jahren – das ist heute die Hälfte
    des Zeitraums, in dem sich das Wissen der Menschheit
    verdoppelt – sind viele Betriebe abgewandert. Ange-
    sichts dessen können Sie doch nicht sagen: Lassen Sie
    uns abwarten und dann schauen wir einmal! Denn wir
    wissen schon heute, welche Folgen das haben wird.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Bei aller Freude über Investitionen im Energiebereich

    wissen wir doch, dass wir keine konsistente Energiepo-
    litik haben,


    (Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Wieso?)

    dass es volkswirtschaftlicher Unsinn ist, vorzeitig aus
    der Kernenergie auszusteigen,


    (Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    und dass wir keine dauerhafte Perspektive haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)







    (A) (C)



    (B) (D)


    Dr. Angela Merkel

    Wir wissen ebenfalls, dass 40 Prozent zusätzliche Kos-
    ten auf jede Kilowattstunde, verursacht durch den Staat,
    zu viel sind und dass die Lenkungsinstrumente – dort der
    Emissionshandel, hier das Erneuerbare-Energien-Gesetz
    und die KWK-Förderung – nicht zusammenpassen. Eine
    konsistente Energiepolitik könnte weitaus mehr Arbeits-
    plätze in Deutschland sichern als zurzeit.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


    Der Bundesumweltminister hat darauf verwiesen,
    dass er mit seiner subventionierten erneuerbaren Energie
    120 000 Arbeitsplätze geschaffen hat. Das freut mich.
    Aber Sie müssen sich einmal die Frage stellen: Wie viel
    Arbeitsplätze hat dieser Mann schon verhindert? Das
    sind mit Sicherheit sehr viel mehr.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Der Pharmastandort Deutschland ist – das gilt ins-

    besondere für die forschende Arzneimittelindustrie –
    durch die Ausführung der Festbetragsregelung beein-
    trächtigt. Wir bekennen uns zur Gesundheitsreform; aber
    wir haben nicht beschlossen, dass die patentgeschützten
    Medikamente benachteiligt werden. Der Pharmastandort
    Deutschland ist international in Verruf geraten, mit nicht
    absehbaren Folgen für die Bundesrepublik Deutschland
    und die Arbeitsplätze in diesem Lande.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir sind natürlich dafür, dass Sie Public Private

    Partnership endlich auf den Weg bringen. Darüber wird
    doch seit mittlerweile drei Jahren diskutiert. Wir sind
    auch dafür, dass Sie die Mauteinnahmen schneller zu
    Ausgaben ummünzen. Es hat ja lange genug gedauert,
    bis der Bundesverkehrsminister die Sache endlich auf
    der Reihe hatte.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    All das werden wir natürlich aktiv unterstützen. Wir sind
    auch für ein CO2-Investitionsprogramm. Aber ich bitteSie inständig: Lassen Sie uns aus den Nachteilen des
    Bisherigen lernen und lassen Sie uns effizienter vorge-
    hen! Dann werden wir Sie selbstverständlich unterstüt-
    zen.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


    Wichtig sind die Arbeitsplätze der Zukunft – das sind
    diejenigen Arbeitsplätze, die unseren Wohlstand sichern –
    und wichtig ist natürlich auch, dass wir Einstellungs-
    hemmnisse auf dem deutschen Arbeitsmarkt senken. Wir
    müssen weiterhin überlegen, was Menschen daran hin-
    dert, wieder in Arbeit zu kommen.

    Ich sage Ihnen zu – eine entsprechende Verabredung
    haben wir getroffen; das kam auch in Ihren heutigen
    Aussagen zum Ausdruck –, dass wir daran mitwirken,
    dass bei den Zuverdienstmöglichkeiten im Rahmen
    von Hartz IV etwas geändert wird. Ich sage Ihnen aber
    auch: Die überdimensionale Förderung von 1-Euro-Jobs
    insbesondere für junge Leute wird in die Irre führen. Wir
    müssen alles daransetzen, dass wir auf dem ersten Ar-
    beitsmarkt mehr Beschäftigung bekommen. Deshalb
    wollen wir etwas ändern.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich habe irgendwo gehört, dass Sie jetzt Bürokratie

    abbauen und die Planungsverfahren beschleunigen wol-
    len. Noch Ende letzten Jahres haben wir hier gesessen
    und gerungen, ob wir die Geltungsdauer des Verkehrs-
    wegeplanungsbeschleunigungsgesetzes um ein Jahr oder
    vielleicht um zehn Jahre verlängern. Ich kann Ihnen nur
    sagen: Machen Sie sich an die Arbeit! Das hätten wir
    längst haben können. Natürlich können wir diese Rege-
    lung auch auf Energieleitungen ausdehnen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Sie haben kein Wort zum Antidiskriminierungsge-

    setz gesagt.

    (Beifall bei der CDU/CSU)


    Der Bundeskanzler wird schon gewusst haben, warum.
    Herr Steinbrück wird uns nachher erklären, wie er eine
    Eins-zu-eins-Umsetzung mit Rot-Grün schaffen will.
    Herr Steinbrück, halten Sie nicht einfach nur Reden im
    nordrhein-westfälischen Landtag, sondern überzeugen
    Sie fünf Sozialdemokraten aus Ihrem Landesverband!
    Wir stimmen zu und Sie können eins zu eins umsetzen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Der Bundeskanzler hat uns erklärt, dass es mit den

    betrieblichen Bündnissen für Arbeit bei Opel, bei
    Siemens und bei anderen so gut klappt. Das ist richtig.


    (Klaus Brandner [SPD]: Nicht neidisch werden!)


    Das ist besonders für diejenigen, die in den Schlagzeilen
    sind, wichtig; man nutzt die Chance, in die Zeitung zu
    kommen. Aber oft müssen die Kleinen über Wochen und
    Monate daran arbeiten, dass die Gewerkschaften ihnen
    zustimmen, wenn sie eine solche Regelung brauchen.
    Wir wollen die Tarifautonomie überhaupt nicht angrei-
    fen;


    (Jörg Tauss [SPD]: Doch!)

    vielmehr vertreten wir die Auffassung: Wenn die Mehr-
    zahl der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer innerhalb
    der Laufzeit eines Tarifvertrages mit der Betriebsleitung
    einig ist, dass eine Abweichung vom Tarifvertrag zur Er-
    haltung von Arbeitsplätzen sinnvoll ist, dann soll ihnen
    das unbürokratisch möglich sein. Trauen Sie den Leuten
    vor Ort etwas zu! Dazu fordern wir Sie auf.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Sie wollen jetzt kleinste Schritte beim Kündigungs-

    schutz gehen. Okay, die gehen wir natürlich mit. Ich er-
    innere Sie aber an Ihre Rede zur Agenda 2010: Damals
    haben Sie von einem Optionsmodell beim Kündigungs-
    schutz gesprochen. Warum beschließen wir nicht heute
    das, was Sie damals für richtig gehalten haben? Wir hal-
    ten das immer noch für richtig. Deshalb werden wir wei-
    terhin darüber reden.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)







    (A) (C)



    (B) (D)


    Dr. Angela Merkel

    Meine Damen und Herren, wir brauchen eine Absen-

    kung – das sagen alle Sachverständigen – der zu hohen
    Lohnzusatzkosten. Wir brauchen auch – dazu hätte ich
    nun wirklich gern ein Wort von Ihnen gehört, weil dieses
    Thema so allgegenwärtig ist und ja auch von Ihrem
    neuen Vorsitzenden des Sachverständigenrates fast täg-
    lich angesprochen wird – eine Entkopplung der Kosten
    für die sozialen Sicherungssysteme von den Arbeitskos-
    ten, ob es Ihnen passt oder nicht.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


    Natürlich wollen auch wir, weil wir genauso für die
    Gesundheitsreform eintreten wie Sie,


    (Franz Müntefering [SPD]: Seit wann das?)

    dass die Krankenkassenbeiträge sinken. Aber Sie müs-
    sen doch auch Folgendes sehen: Der Schätzerkreis sagt
    den Krankenkassen, dass ihre Ausgaben in diesem Jahr
    um 1,9 Prozent steigen. Zugleich sind noch die Schulden
    aus den vergangenen Jahren da und müssen erst einmal
    abbezahlt werden. Da ist es doch klar, dass die Kranken-
    kassen sich überlegen, ob sie die Beiträge senken, wenn
    sie sie dann im gleichen Jahr vielleicht wieder erhöhen
    müssten. Lassen Sie uns also vernünftig auf die Kassen
    einwirken. Auch ich sage aber frei heraus: Ich finde es
    unmöglich, wenn die Vorstandsvorsitzenden mancher
    Krankenkassen offensichtlich vergessen haben, dass
    man in solch einem Job soziale Verantwortung einbrin-
    gen muss. Das sage ich ganz ausdrücklich. Lassen Sie
    uns aber auch nichts Unmögliches von den Kassen ver-
    langen. Es wäre nicht gut, wenn die Beiträge nach einer
    Senkung ein halbes Jahr später wieder erhöht werden
    müssten.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Jörg Tauss [SPD]: Eier, eier, eier!)


    Nun zu den Aussagen zur Pflegeversicherung, die
    Sie hier gemacht haben. Ich hätte mir ehrlich gewünscht,
    dass diese etwas konkreter ausgefallen wären. Wie soll
    es denn nun gehen? Die Ministerin hat diese Woche
    schon vier Vorschläge gebracht. Deswegen sind wir
    schon ganz durcheinander.


    (Lachen bei Abgeordneten der SPD)

    Ich kann Ihnen nur sagen: Wir sind bereit, mit Ihnen zu-
    sammenzuarbeiten, wenn Sie einen Gesetzentwurf auf
    den Tisch legen, der der von allen Sachverständigen er-
    hobenen Forderung Rechnung trägt, die Kosten für die
    Pflegeversicherung ein Stück weit von den Arbeitskos-
    ten zu entkoppeln.


    (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das ist der Punkt!)


    Das heißt auf Deutsch – Sie haben diesen Begriff ja nicht
    in den Mund genommen –: Kapitaldeckung muss zu ei-
    ner Säule der Pflegeversicherung werden. Wenn ein ent-
    sprechender Entwurf vorliegt, werden wir versuchen,
    mit Ihnen zusammenzukommen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die Frage, was Sie von der Bürgerversicherung hal-
    ten, haben Sie in diesem Hause noch nicht beantwortet.


    (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Bürgerzwangsversicherung!)


    Es wäre mir recht gewesen, wenn das heute geschehen
    wäre. Diese steht ja nun in totalem Widerspruch zu all
    dem, was Not tut.


    (Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist eigentlich Ihr Pflegekonzept?)


    Ich glaube, Sie sollten wirklich noch einmal darüber
    nachdenken, ob es nicht gerechter wäre, die Krankheits-
    kosten von Kindern, so wie wir das vorgeschlagen ha-
    ben, von allen deutschen Steuerzahlern bezahlen zu las-
    sen, als sie wieder denen in unserer Gesellschaft
    aufzubürden, deren Verdienst unterhalb der Beitragsbe-
    messungsgrenze liegt. Das ist unser Modell.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


    Weil in diesem Zusammenhang gleich wieder der
    Vorwurf der Steuererhöhung fällt, lassen Sie mich sagen:
    Jawohl, wir haben entgegen unserem Steuerkonzept 21,
    das ganz klar sagt, welche Subventionstatbestände abge-
    baut werden sollen


    (Lachen bei der SPD)

    – dagegen versuchen Sie ja schon wieder hinten und
    vorne zu hetzen; seien Sie einmal ehrlich –, und auch
    klar sagt, dass der Spitzensteuersatz auf 36 Prozent ge-
    senkt werden soll, nun vor, diesen nur auf 39 Prozent zu
    senken, um auf diese Weise die Krankheitskosten der
    Kinder von den Gutverdienenden in diesem Lande be-
    zahlen zu lassen. Das ist unser Beitrag zur sozialen
    Gerechtigkeit, meine Damen und Herren.


    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Im Zusammenhang mit der Frage, wie die Benachtei-

    ligung der deutschen Unternehmen im internationalen
    Wettbewerb beseitigt werden kann, haben Sie sich heute
    um ein Thema ein Stück weit herumgedrückt, das mit Si-
    cherheit auf uns zukommt: Wie wird es angesichts euro-
    päischer Regelungen in Zukunft um die Mitbestimmung
    in Deutschland bestellt sein? Ich sage ausdrücklich, ich
    teile nicht die Meinung des früheren BDI-Vorsitzenden
    Rogowski, dass es sich hierbei um einen Irrläufer der Ge-
    schichte handelt. Ich sage Ihnen, weil Sie vom europäi-
    schen Sozialstaatsmodell gesprochen haben: Wenn wir
    nur in Europa wettbewerbsfähig bleiben wollen, dann
    müssen wir uns überlegen, wie wir in Deutschland die
    Mitbestimmung der Zukunft so europafest machen, dass
    wir dadurch nicht abfallen und Wettbewerbsnachteile ha-
    ben. Dazu habe ich heute ein Wort von Ihnen vermisst;
    dieses Thema steht auf der Tagesordnung.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


    Dann stellt sich natürlich die Frage nach den Steuern.
    Als Erstes muss ich Ihnen einmal sagen: Man darf die
    Realitäten hier nicht völlig verkehren. Sie können nicht
    über alles informiert sein, was im Parlament stattfindet,






    (A) (C)



    (B) (D)


    Dr. Angela Merkel

    aber gestern fand zum Beispiel im Finanzausschuss die
    Beratung über das Modell zur Erbschaftsteuer, so wie
    Sie es hier dargestellt haben, statt. Sie wissen sicherlich
    auch, wie die Regierungsfraktionen abgestimmt haben:
    glatte Ablehnung.


    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Aber manchmal kann man in Nächten etwas lernen und
    die Nacht scheint sehr lehrreich gewesen zu sein. Ich
    sage Ihnen: Unsere Stimmen haben Sie. Es ist ein baye-
    rischer Antrag, die Ministerpräsidenten der Union wer-
    den das Modell unterstützen, wir haben es gestern be-
    reits unterstützt. Also nichts wie ran; das können wir
    machen.

    Meine Damen und Herren, Sie haben weiter vorge-
    schlagen, man solle ein Signal setzen bei der Körper-
    schaftsteuer. Dazu sage ich Ihnen: Das hört sich gut an,
    das finden wir okay, aber Sie müssen auch genau sagen,
    wie es gegenfinanziert werden soll.


    (Jörg Tauss [SPD]: Ihr!)

    Es muss zum Schluss so sein, dass es der Wirtschaft in
    Deutschland nutzt. Es darf uns nicht anschließend mehr
    Kritik als Nutzen bringen. Wir sind im Grundsatz dazu
    bereit, solche Überlegungen zu unterstützen. Das ist
    keine Frage.

    Dasselbe sage ich zu der Frage der Anrechnung der
    Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer. Diese Überle-
    gungen halten wir für vernünftig. Diesen Vorschlag kön-
    nen Sie in ein Gesetz umsetzen und Sie können damit
    rechnen, dass wir dem zustimmen.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Carl-Ludwig Thiele [FDP])


    Aber jetzt müssen wir aufpassen. Wir haben nach wie
    vor das Ziel einer großen, umfassenden Steuerreform,
    bei der Einkommensteuer und Körperschaftsteuer so
    aufeinander abgestimmt werden, dass vor allen Dingen
    die Personengesellschaften, das heißt die Familienunter-
    nehmen, in Deutschland nicht die Leidtragenden sind.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das ist der Punkt! Sehr richtig!)


    Sie haben heute im Zusammenhang mit der Senkung des
    Körperschaftsteuersatzes kein einziges Wort zu Perso-
    nengesellschaften und Familienunternehmen gesagt.


    (Ludwig Stiegler [SPD]: Sie haben nicht zugehört!)


    So geht das nun auf keinen Fall. Wenn die Gleichbe-
    handlung garantiert wird, machen wir natürlich mit,
    keine Frage, aber für uns ist eine vernünftige Gegenfi-
    nanzierung Conditio sine qua non. Alles andere ist nicht
    machbar.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Jetzt kommen wir auf den Punkt. Wir müssen dann

    noch Spielraum haben – deshalb bestehen wir auch auf
    der Eigenheimzulage – für eine wirklich umfassende
    Steuerreform, und zwar nicht nur im Körperschaftsteuer-
    bereich, so wie Sie es für den Sachverständigenrat sehen,


    (Ludwig Stiegler [SPD]: Sie haben es nicht verstanden! Das ist ja erschreckend!)


    sondern auch im Einkommensteuerbereich. Die Men-
    schen in diesem Lande wollen wieder verstehen, wer
    wofür wie viel Steuern zahlt. Das geht nur, wenn das
    Steuersystem einfacher und transparenter wird. Daran
    werden wir weiter arbeiten und wir laden Sie herzlich
    dazu ein, unser Steuerkonzept 21 zu unterstützen.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


    Herr Bundeskanzler, Sie haben auch über die Zukunft
    der Bildung gesprochen. Wir sind dafür, dass mehr in
    Bildung investiert wird.


    (Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD])

    Tatsache ist aber, dass der Haushalt der Frau For-
    schungsministerin, was die eigentlichen Forschungs-
    ausgaben in Deutschland anbelangt, gesunken und nicht
    gestiegen ist.


    (Zurufe von der CDU/CSU: Hört! Hört!)

    Gestiegen ist er nur, weil das Forschungsministerium
    Aufgaben übernommen hat, die sicherlich wichtig sind,
    die aber von Haus aus nicht unbedingt in die Kompetenz
    des Bundes gehören. Das ist die Wahrheit über den Zu-
    stand des Haushalts.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, bei der SPD ist im Augen-

    blick die Einheitsschule wieder ganz groß in der Diskus-
    sion.


    (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Heute in Schleswig-Holstein!)


    Weil der Bundeskanzler meinte, über PISA sprechen zu
    müssen, muss ich ihn doch wirklich noch einmal daran
    erinnern, dass die Länder Bayern und Baden-Württem-
    berg, Sachsen und Thüringen – alle mit klassischen Mo-
    dellen, die mit Einheitsschule aber auch gar nichts zu tun
    haben – die ersten vier Plätze bei der PISA-Studie belegt
    haben. Das spricht für das gegliederte Schulsystem.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


    Ein Nachbarland von Sachsen, das auf Platz drei liegt,
    ist Brandenburg; es liegt auf Platz 15. Wissen Sie, woher
    die Berater kamen, die den Brandenburgern ihr Schul-
    system nahe gebracht haben? Aus Nordrhein-Westfalen!
    Das heißt, es muss sich nicht nur in Brandenburg etwas
    ändern, sondern auch in Nordrhein-Westfalen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Herr Bundeskanzler, Sie haben zum Thema Födera-

    lismus gesprochen. Eines geht natürlich nicht – das ha-
    ben Sie sicherlich auch nicht ernst gemeint –: an einer
    Stelle zu widersprechen und diesen Punkt offen zu las-
    sen, um später zu sehen, was man da machen kann, und
    an einer anderen Stelle direkt beschließen zu wollen. Wir






    (A) (C)



    (B) (D)


    Dr. Angela Merkel

    sind ja großzügig und gutmütig, aber völlig dumm sind
    wir nicht.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Lachen bei Abgeordneten der SPD)


    Dass bei einer solchen Reform der bundesstaatlichen
    Ordnung Dinge zusammenhängen –


    (Jörg Tauss [SPD]: Wo ist Koch?)

    wir haben zum Beispiel gesagt, dass das Umweltrecht
    auf die Bundesebene gehoben werden kann, weil uns ein
    einheitliches Gesetzbuch helfen kann, aber dafür muss
    der Wettbewerb in den Bildungssystemen gestärkt wer-
    den; das kann nicht einfach entkoppelt werden –, dass
    wir nicht das eine machen können und das andere nicht,
    das werden Sie verstehen.


    (Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben überhaupt nichts verstanden!)


    Wir können – das sage ich ausdrücklich – bei der Föde-
    ralismusreform natürlich vorankommen und wir sollten
    auch vorankommen. Aber dazu muss man eines akzep-
    tieren, nämlich die Grundgesetzordnung. Sie ist so, wie
    sie ist; geändert werden kann sie nur mit einer Zweidrit-
    telmehrheit. Sie haben vor dem Verfassungsgericht bei
    der Juniorprofessur verloren, dann sind Sie mit den Stu-
    diengebühren auf die Nase gefallen. Ich weiß nicht, wie
    viele Verfassungsgerichtsprozesse Sie noch verlieren
    wollen. Aber ändern können wir die Ordnung nur ge-
    meinsam. Es empfiehlt sich, die Realitäten anzuerken-
    nen. Ich bin ganz sicher, dass man dann auch einen guten
    Weg finden kann.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Zu einem Thema haben Sie heute sicherheitshalber

    gar nichts gesagt, nämlich zu den Schulden und zum
    Stabilitätspakt. Sie haben uns gesagt, was Sie hier und
    dort machen wollen, zum Beispiel bei der KfW. Das ist
    alles prima. Aber Zinsverbilligungen kommen natürlich
    bei irgendjemandem an. In Ihrem Kabinett heißt dieser
    Mann Eichel. Er ist dafür verantwortlich, dass die
    Maastricht-Kriterien eingehalten werden.


    (Michael Glos [CDU/CSU]: Oje!)

    Nun arbeiten Sie nächste Woche wieder sehr daran, dass
    die Maastricht-Kriterien aufgeweicht werden. Aber ich
    kann Ihnen nur eines sagen: Wenn wir in den wichtigen
    Stunden, wo wir über die Zukunft dieses Landes debat-
    tieren, noch mehr Wechsel auf die Zukunft aufnehmen,
    ohne uns um die Kinder und Enkel zu scheren, dann
    brauchen wir über Bildung und Forschung nicht mehr zu
    sprechen; dann versündigen wir uns.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Christine Lambrecht [SPD]: Unglaublich!)


    Deshalb wäre es angesichts der nach unten korrigier-
    ten Wirtschaftsprognosen, des ganz knappen Haushalts,
    den Herr Eichel aufgestellt hat – wie immer auf Kante
    genäht –, und der zusätzlichen Ausgaben, die Sie uns
    heute hier in Aussicht gestellt haben, schon interessant
    zu erfahren, wie Sie das zusammenbringen wollen. Ent-
    weder Sie rechnen nicht damit, dass die Kommunen die
    Programme abrufen können – das ist natürlich auch eine
    Möglichkeit: ein Programm aufzulegen, das keiner be-
    nutzen kann, weil er selber so arm ist, dass er dazu nicht
    die Erlaubnis erhält –, oder aber Sie müssen sagen, wie
    Sie das finanzieren wollen. Darüber muss gesprochen
    werden; denn so können wir die Dinge nicht hinnehmen.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


    Meine Damen und Herren, der Bundeskanzler hat
    heute einige Einzelmaßnahmen dargelegt. Ich habe dazu
    Stellung genommen. Aber was fehlt, ist die ordnungspo-
    litische Linie.


    (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Die hat er nicht!)


    Der Bundeskanzler, die Bundesregierung ist bestenfalls
    Reparateur, aber eben kein Architekt einer neuen sozia-
    len Marktwirtschaft.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Jörg Tauss [SPD]: Mikrophysik!)


    Deutschland hat sicherlich eine Reputation. Herr Bun-
    deskanzler, Sie kommen mehr im Ausland herum als wir.
    Wenn Sie dort zuhören – ich hoffe, dass Sie das tun –,
    dann kennen Sie die Fragen, die man an unser Land stellt.
    Eine Frage ist, ob wir noch die Kraft haben, Spitze zu
    sein, oder ob wir immer weiter abfallen.

    Morgen jährt sich zum 15. Mal der Jahrestag der ers-
    ten freien Volkskammerwahl in der früheren DDR.
    Dieser Tag war für viele, die hier sitzen, sehr bewegend.
    Mit diesem Tag verbinde ich persönlich die Einsicht,
    dass wir bei Veränderungen trotz aller damit verbunde-
    nen Schwierigkeiten immer auch dazugewinnen können.
    Aber das erfordert, dass wir einen roten Faden haben,
    dass wir wissen, wo es langgeht, und die Richtung ken-
    nen, dass wir eine Vision haben und dass wir die Kräfte
    aktivieren, die uns stark machen. Dazu gehört für mich
    die Freiheit; denn sie ist notwendig, damit Gerechtigkeit
    und Solidarität entstehen können.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir werden heute Nachmittag miteinander sprechen.

    Ich sage Ihnen zu: Wir werden die Gesetzesvorlagen, die
    Sie einbringen, fair und konstruktiv prüfen.


    (Jörg Tauss [SPD]: Na ja!)

    Wir werden, wie wir das als Opposition immer gemacht
    haben, klare Kriterien für unsere Prüfung anlegen. Ich
    will sie hier ganz deutlich benennen:

    Erstens. Vorrang hat alles, was Beschäftigung fördert
    und nichts kostet. Das ist in der heutigen Zeit das Beste.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Zweitens. Was Beschäftigung fördert und etwas kos-

    tet, muss mit Blick auf die Zukunft solide finanziert sein.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der FDP)







    (A) (C)



    (B) (D)


    Dr. Angela Merkel

    Drittens. Was Beschäftigung gefährdet, das wird zu-

    rückgezogen, geändert oder unterlassen. Auch das wer-
    den wir einfordern, Herr Bundeskanzler.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Denn eine Politik des „Weiter so!“ verbietet sich an-

    gesichts der Lage unseres Landes. Herr Bundeskanzler,
    Sie sind Getriebener der Entwicklung und nicht Gestal-
    ter der Entwicklung.


    (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: So ist es!)

    Das ist das Bedauerliche für Deutschland.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Damit wir gestalten können, brauchen wir Mut und

    Kraft. Wir brauchen vor allem Mut und Kraft, der Wirk-
    lichkeit ins Auge zu sehen und die Wahrheit zu erken-
    nen. Wir müssen den Menschen in diesem Land etwas
    zutrauen. Wir müssen ihnen die Wahrheit sagen. Die
    Menschen müssen über die Wahrheit informiert werden.


    (Lachen bei der SPD)

    – Man erkennt an Ihren Zurufen, dass Ihnen das nicht
    passt. Ich kann Ihnen nur sagen: Es ist inzwischen so,
    dass die Wahrheit von Rot-Grün als Angriff


    (Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Quatsch!)


    und die Wiederholung der Wahrheit von Rot-Grün als
    Kampagne empfunden wird. So sind die Realitäten in
    diesem Lande.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich kann Ihnen ganz klar sagen, wo das endet: In einer

    Wagenburgmentalität,

    (Zurufe von der SPD: Oh!)


    zum Schluss wird der Überbringer der schlechten Nach-
    richten beschimpft und die Dinge werden nicht so akzep-
    tiert, wie sie sind. Sie erwecken nur den Eindruck, dass
    Sie für die Zukunft gut gerüstet seien. Zu dieser Wagen-
    burgmentalität gehört beispielsweise, dass Sie in Kiel
    eine Koalition schmieden, obwohl Sie abgewählt sind.
    Aber die Menschen werden sich dazu ihre Meinung bil-
    den.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Krista Sager [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sie haben doch keine Mehrheit, Frau Merkel!)


    Zur Wagenburgmentalität gehört auch die Art und
    Weise, mit der der Außenminister mit seinen Schwierig-
    keiten umgeht.

    Aber diese Wagenburgmentalität hilft uns nicht wei-
    ter. Deshalb haben wir Ihnen – darüber debattieren wir
    heute – einen Pakt für Deutschland angeboten, einen
    Pakt, in dem wir uns deutlich dafür aussprechen, den
    Menschen in diesem Lande etwas zuzutrauen, sie nicht
    zentralistisch zu dirigieren, sondern ihnen Spielräume zu
    lassen, damit sie in diesem Land – ich betone: in diesem
    Land – ihre Kräfte wieder entfalten können. Das ist Ver-
    antwortung für Deutschland.
    In diesem Sinne sage ich: An einem solchen Pakt für
    Deutschland wirken wir gerne mit.

    Herzlichen Dank.

    (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Die Abgeordneten der CDU/CSU erheben sich)