1) Anlage 8 2)
(DAnlage 9
14756 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 157. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Februar 2005
(A) (C)
(B) (D)
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Berichtigung
156. Sitzung, Seite 14593 (D), Anlage 3, Antwort zu
Frage 5, der erste Satz ist wie folgt zu lesen: „Der Vor-
wurf aus 1995 bestand darin, dass SAAS 1986 bei der
erteilten Dauerbetriebsgenehmigung es unterlassen
habe, sie mit Einschränkungen oder Änderungen zu ver-
sehen und die Verantwortlichen im BMU und BfS es un-
terlassen hätten, ab 3. Oktober 1990 entsprechend zu
handeln.“
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 157. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Februar 2005 14757
(A) )
(B) )
der Sache sind wir eigentlich einer Meinung. Im Rechts- der Elbe und habe sozusagen persönlich davon profitiert.
wurf wäre ein gutes Signal gewesen, um zu zeigen: In B
eispiel bei der Flutkatastrophe 2002. Ich komme von
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
* für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versamm-
lung des Europarates
Anlage 2
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung eines Gesetzes über die Neuordnung
der Reserve der Streitkräfte und zur Rechtsberei-
nigung des Wehrpflichtgesetzes (Streitkräftere-
serve-Neuordnungsgesetz – SkResNOG) (Tages-
ordnungspunkt 13)
Hedi Wegener (SPD): Wir feiern in diesem Jahr das
50-jährige Bestehen der Bundeswehr. Die Welt hat sich
in diesen 50 Jahren massiv verändert und mit ihr die An-
forderungen an unsere Bundeswehr. Dieser Gesetzent-
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Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
Bahr (Neuruppin), Ernst SPD 17.02.2005
Bodewig, Kurt SPD 17.02.2005
Carstensen (Nordstrand),
Peter H.
CDU/CSU 17.02.2005
Friedrich (Mettmann),
Lilo
SPD 17.02.2005
Göppel, Josef CDU/CSU 17.02.2005
Günther (Plauen),
Joachim
FDP 17.02.2005
Koppelin, Jürgen FDP 17.02.2005
Dr. Küster, Uwe SPD 17.02.2005
Lengsfeld, Vera CDU/CSU 17.02.2005
Lintner, Eduard CDU/CSU 17.02.2005*
Polenz, Ruprecht CDU/CSU 17.02.2005
Probst, Simone BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
17.02.2005
Ronsöhr, Heinrich-
Wilhelm
CDU/CSU 17.02.2005
Dr. Thomae, Dieter FDP 17.02.2005
Türk, Jürgen FDP 17.02.2005
(C
(D
Anlagen zum Stenografischen Bericht
usschuss, im Haushaltsausschuss und im Ausschuß
SFJ hat die CDU sich enthalten, im Innenausschuss so-
ar zugestimmt. Deshalb werden Außenstehende unsere
ontroverse Debatte kaum verstehen!
Meine Vorredner haben zu den Feinheiten und der
prachakrobatik schon viel gesagt, deshalb nutze ich die
elegenheit, auf die besondere Situation der Reservisten
n dieser Stelle einmal einzugehen. Die Bundeswehr ist
nzwischen eine Armee im globalen Einsatz. Deutsch-
and übernimmt verlässlich seine gewachsenen interna-
ionalen Verpflichtungen und wir beteiligen uns in viel-
ältiger Weise an multinationalen Friedenseinsätzen.
onflikt- und Krisenprävention, Worte die noch vor Jah-
en bei der Bundeswehr Fremdworte gewesen wären,
ind jetzt nicht nur im Sprachgebrauch, sie sind auch ge-
ebte Praxis. Häufig außerhalb des Bündnisgebiets gehö-
en solche Arbeitsfelder heute zu den Aufgaben der Sol-
atinnen und Soldaten.
Die neuen Herausforderungen und Aufgaben können
atürlich nicht spurenlos an der Bundeswehr vorbeige-
en, auch an dem Konzept für die Reservistinnen und
eservisten nicht. In den Verteidigungspolitischen
ichtlinien vom Mai 2003 wurde festgelegt: „Das Poten-
ial der Reservisten ist konsequent zur Ergänzung der
ähigkeiten der aktiven Truppe zu nutzen.“ Im Septem-
er 2003 hat der Verteidigungsminister eine Neukonzep-
ion für die Reservistinnen und Reservisten erlassen, die
er Neuorientierung der Streitkräfte und den Anforde-
ungen an die Bundesrepublik Deutschland gerecht wird.
urch diesen Gesetzentwurf wird Rechtssicherheit für
as Engagement und den Einsatz der Reservistinnen und
eservisten geschaffen.
Über 600 Reservisten befinden sich gegenwärtig in
uslandseinsätzen. Diese Einsätze unserer Soldaten von
unduz bis ans Horn von Afrika wären ohne Reservisten
icht vorstellbar. Bis zu 20 Prozent der im Ausland ein-
esetzten Soldaten sind Reservisten. Häufig sind sie
achleute und Spezialisten mit besonderen Qualifikatio-
en, die sie im Zivilleben erworben haben. Sie spielen
ine große Rolle beim Wiederaufbau und bei der Frie-
ensgestaltung in den Einsatzländern. So im Kosovo
der in Afghanistan, wo Material bereitgestellt wird,
äuser und Spielplätze gebaut werden, Wasser- und
lektrizitätswerke wieder in Betrieb gesetzt, Schulen
nd Krankenhäuser gebaut werden. Dolmetscher, Ärzte
nd Bauingenieure werden gebraucht!
Die Bundeswehr kann solches Spezialpersonal nicht
n großem Umfang bereithalten, weil es im täglichen
ienst keine Aufgaben für sie gibt. Deshalb ist die Bun-
eswehr darauf angewiesen, auf ein sorgfältig ausge-
uchtes und ausgebildetes Reservistenpotenzial zurück-
reifen zu können, das mit in den Einsatz geht und dort
ie Krisennachsorge übernimmt. Aber auch im Inland
rfüllen die Reservisten zahlreiche Aufgaben, wie zum
14758 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 157. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Februar 2005
(A) )
(B) )
Reservisten werden deshalb immer wichtiger und ich
möchte Ihnen und Ihren Familien von hier aus ganz herz-
lich danken. Ich nutze auch die Gelegenheit, um Ihnen an-
hand eines kleinen Beispiels aus meinem Wahlkreis von
dem positiven Wirken der Reservisten zu berichten. Seit
zehn Jahren besteht ein Reservistenaustausch zwischen
Lüneburg und Iisalmi in Finnland. Im Vordergrund die-
ser Treffen stehen die Bereiche Europäische Sicherheits-
politik und Auslandseinsätze. Mit viel persönlichem En-
gagement wird der Kontakt gepflegt und gehalten. Wer
hätte das vor 50 Jahren gedacht. Dies ist ein gutes Bei-
spiel für praktische Sicherheitskooperation in Europa.
Die neue Reservistenkonzeption und ihre Umsetzung
in den einzelnen Gesetzen, über die wir hier heute ent-
scheiden, verwirklichen dabei einen grundlegenden
Neuansatz. Die freiwillige Beorderung steht nun im Mit-
telpunkt, lässt aber die Verpflichtung zum Einsatz im
Spannungs- und Verteidigungsfall grundsätzlich beste-
hen. Das heißt, der Einsatz bekommt nun eine gesicherte
rechtliche Grundlage, ohne dass auf die klassische Mo-
bilmachung zurückgegriffen werden muss. Eigentlich ist
auch klar, dass der freiwillige Einsatz und die besondere
Auslandsverwendung nicht auf die Gesamtdauer der ge-
setzlich festgelegten Pflichtwehrübungen angerechnet
werden. Mit 60 Jahren ist dann für alle wirklich Schluss.
Gleichzeitig machen wir mit dem Gesetz einen weite-
ren Schritt hin zu unserem Ziel des Bürokratieabbaus:
denn es werden alte Zöpfe aus den Gesetzen gestrichen.
Dieses Gesetz stellt eine, wie es so schön im Neudeut-
schen heißt, Win-Win-Situation dar. Die Einsatzfähig-
keit unserer Bundeswehr wird gestärkt, die rechtliche
Stellung der Reservistinnen geklärt, Bürokratie abge-
baut.
An die Opposition gerichtet: Geben Sie Ihrem Herzen
einen Stoß und stimmen sie mit uns dafür.
Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen) (CDU/CSU):
Mit dem heutigen Streitkräftereserve-Neuordnungsge-
setz zieht die Bundesregierung die notwendigen gesetz-
geberischen Konsequenzen aus der am 10. September
2003 erlassenen Reservistenkonzeption. Im Schwer-
punkt werden dabei das Wehrpflicht- und das Soldaten-
gesetz den neuen Erfordernissen angepasst sowie insge-
samt 18 weitere Folgegesetze und Verordnungen
geändert.
Diese Harmonisierung ist notwendig und, wenn man
an die inzwischen gewachsene Zahl von Reservistinnen
denkt, auch längst überfällig. Im Abschnitt Dienstleis-
tungspflicht – § 60 Soldatengesetz – werden Regelun-
gen, die bislang nur für männliche Reservisten festge-
schrieben waren – Frauen unterliegen ja nicht der
Wehrpflicht –, auch für Reservistinnen übernommen.
Die Dauer der Wehrpflicht wird einheitlich für alle
Laufbahngruppen auf das 60. Lebensjahr begrenzt. Die
Gesamtdauer der Wehrübungen wird reduziert und in
den Laufbahngruppen einheitlich geregelt: für Offiziere
zwölf Monate – bislang sieht hier das Wehrpflichtgesetz
18 Monate, das Soldatengesetz sechs Monate vor –, für
Unteroffiziere neun Monate statt 15 bzw. fünf Monate
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nd für Mannschaften sechs Monate. Darüber hinaus
ind freiwillige Wehrübungen bis zu einem Monat im
alenderjahr unter bestimmten Voraussetzungen mög-
ich.
Der im Wehrpflichtgesetz neu geschaffene § 6c, „Hil-
eleistung im Innern“, ermöglicht es den Reservistinnen
nd Reservisten zukünftig, auch freiwillig im Zivil- und
atastrophenschutz tätig zu werden. Die bereits an vie-
en Orten erprobte Zusammenarbeit von Reservistenka-
eradschaften mit dem THW, der Feuerwehr und dem
oten Kreuz erhält so eine gesetzliche Grundlage. Ich
egrüße das ausdrücklich. Auch die im Wehrsoldgesetz
orgesehenen finanziellen Anreize für Reservisten mit
pezialfähigkeiten in besonderen Auslandseinsätzen und
ie Zuschläge für Reserveoffiziersanwärter im Truppen-
ienst sind im Sinne der Attraktivitätssteigerung positiv
u werten.
Damit könnte die Welt der Reservisten – sieht man
inmal von der flächendeckenden Auflösung nicht akti-
er Truppenteile in der Streitkräftebasis einmal ab –
eitgehend in Ordnung sein, wäre nicht am 1. Oktober
004 das Zweite Zivildienständerungsgesetz in Kraft ge-
reten. Neben einer ganzen Fülle von Wehrdienstausnah-
en und Befreiungstatbeständen wird in diesem Gesetz,
as federführend im Familienministerium entstand, der
isherige Tauglichkeitsgrad „verwendungsfähig mit Ein-
chränkung in der Grundausbildung und für bestimmte
ätigkeiten (T 3)“ gestrichen. Gemusterte, ungediente
ehrpflichtige sind von nun an als „T-3-wehrdienstunfä-
ig“ dem Zugriff von Bundeswehr und Zivildienst für
lle Zeiten entzogen.
Ich habe damals in der zweiten und dritten Lesung
es Zweiten Zivildienständerungsgesetzes die Ableh-
ung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit Hinweis
uf die verheerenden Folgen für die Wehrpflicht begrün-
et. Aber keiner der damals hier im Plenum Beteiligten
auch das BMVg nicht – hat damit gerechnet oder auch
ur daran gedacht, dass damit quasi über Nacht zigtau-
ende von Reservisten, wehrdienstunfähig würden.
Ist es ohnehin schon bizarr, wenn die Tauglich-
eitskriterien für die Bundeswehr federführend im Fa-
ilienministerium definiert werden, so ist es gänzlich
nbegreiflich, dass damit rückwirkend das Reservisten-
otenzial dezimiert und eine sinnvolle Reservistenarbeit
rheblich erschwert wird. Verwunderlich und für Reser-
isten in hohem Maße befremdlich war die Erfahrung,
ass die Kreiswehrersatzämter bereits vom 1. Oktober
004, also vom ersten Geltungstag des Zweiten Zivil-
ienständerungsgesetzes, an T-3-gemusterte, beorderte
eservisten mit Feuereifer ausplanten. Bis zum 14. De-
ember 2004, an dem der Bundesminister der Verteidi-
ung die Aktion „Reservistenrauswurf“ stoppte, war be-
eits mehr als eine kriegsstarke Division ausgemustert.
ei den aktiven Reservisten hat dies helle Empörung
usgelöst. Viele Proteste, die mich als Präsidenten des
eservistenverbandes erreichten, wären im Plenum nur
nter Inkaufnahme eines Ordnungsrufes zu zitieren.
In einem Gespräch am 23. November 2004 im Bun-
esministerium der Verteidigung sicherte Minister
r. Struck mir und dem Kollegen Gerd Höfer zu, den
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 157. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Februar 2005 14759
(A) )
(B) )
Status quo ante für Reservisten wiederherzustellen und
dies, falls erforderlich, durch das bereits im parlamenta-
rischen Verfahren eingebrachte Streitkräftereserve-Neu-
ordnungsgesetz zu bewerkstelligen.
Obwohl in der Zielsetzung Einmütigkeit bei allen
Mitgliedern des Verteidigungsausschusses herrscht, ist
es leider in mehreren Anläufen nicht gelungen, auch den
Weg dahin einvernehmlich festzulegen. Unser Ansatz
war: Was im Gesetz verbockt wurde, muss auch im Ge-
setz geheilt werden. Dazu stehe ich, weil ich diesen Weg
auch im Sinne der Rechtssicherheit für die Reservisten
für den besseren Weg halte.
Für mein Selbstverständnis als Reservist ist es eben
nicht unwichtig, ob ich kraft Gesetzes wehrdienstunfä-
hig bin und nur aufgrund eines gesonderten Erlasses des
BMVg Dienst leisten darf oder ob ich weiter auch ge-
setzlich als wehrdienstfähig gelte und mich wie gewohnt
zu Beginn einer Wehrübung einer ärztlichen Untersu-
chung zu stellen habe, bei der dann entschieden wird, ob
ich der Dienstleistung gesundheitlich gewachsen bin
oder nicht.
Die von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vorge-
schlagene Ergänzung des § 8 a Wehrpflichtgesetz um ei-
nen Abs. 3, der lautet: „Gediente Wehrpflichtige, die bis
zum 30. September 2004 nach Maßgabe des ärztlichen
Urteils T 3 waren, bleiben wehrdienstfähig“, stellt den
vorherigen Rechtszustand sofort wieder her. Auf dieser
Basis können alle Bestimmungen, die bis zum 30. Sep-
tember 2004 für den angesprochenen Personenkreis gül-
tig waren, sofort wieder in Kraft gesetzt werden. Dass
diese Lösung ebenso wie die in der Sitzung des Verteidi-
gungsausschusses am 16. Februar 2005 als Kompromiss
vorgelegte Formulierung: „Wehrpflichtige, die ihren
Grundwehrdienst bis zum 30. September 2004 abgeleis-
tet haben und nach Maßgabe des ärztlichen Urteils ver-
wendungsfähig mit Einschränkungen in der Grundaus-
bildung und für bestimmte Tätigkeiten wehrdienstfähig
waren, können als wehrdienstfähig zu Wehrübungen ge-
mäß § 6 Wehrpflichtgesetz und zu besonderen Auslands-
verwendungen gemäß § 6 a Wehrpflichtgesetz herange-
zogen werden“, aus gesetzestechnischen Gründen nicht
machbar sein soll, leuchtet mir nicht ein. Außer man
möchte sich die Peinlichkeit der Korrektur eines offen-
kundigen Fehlers in einem erst kürzlich, aber eher
schlampig fabrizierten Gesetz ersparen.
Die von der Mehrheit beschlossene Ausschussfassung
sieht nun vor, durch eine Ergänzung des § 6 Wehrpflicht-
gesetz das Ministerium zu ermächtigen, auf dem Wege
der Rechtsverordnung von § 8 a Abs. 2 Satz 1 abwei-
chende Regelungen zu treffen. In einer Protokollerklä-
rung hat das Bundesministerium der Verteidigung zuge-
sichert, dass es diese Ermächtigung unverzüglich durch
Befehle und Erlasse in der Weise ausüben wird, dass Re-
servisten, die zum 1. Oktober 2004 T-3-gemustert waren,
„weiterhin eine freiwillige Dienstleistung in der Truppe
ermöglicht“ wird.
Der Bundesminister der Verteidigung, Dr. Peter
Struck, hat in einem Interview mit dem Reservistenma-
gazin „Loyal“ – 1/2005 – zudem erklärt, dass den Reser-
visten ein weiteres Engagement offen stehen soll, „und
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war ohne langwierige Einzelfallprüfungen und Ausnah-
egenehmigungen.“ Dies erscheint mir in der Tat von
ntscheidender Bedeutung für die zukünftige Reservis-
enarbeit. Wenn wir die einfache gesetzliche Lösung
eute nicht haben können, dann wünschen wir uns we-
igstens eine einfache, unbürokratische und klare Ver-
rdnung im Sinne der von Minister Struck gemachten
usagen.
Eine weitere Verzögerung des Streitkräftereserve-
euordnungsgesetzes ist auch deshalb nicht zu verant-
orten, weil der für die T-3-gemusterten Reservisten un-
altbare Zustand weiter andauern würde. Der Minister
teht gegenüber den Reservisten im Wort. Sollte sich die
etzt vorgelegte Regelung nicht bewähren, dann steht das
hema vor der Sommerpause zur Wiedervorlage in die-
em Hause an.
Seit Bestehen der Bundeswehr engagieren sich Reser-
isten ehrenamtlich in den Streitkräften, meist in ihrer
reizeit, im Urlaub und sehr oft unter großen persönli-
hen Opfern. Sehr selten erhalten die Reservisten für ih-
en Dienst Dank und die gebührende öffentliche Aner-
ennung. Darüber hinaus werden sie manches Mal für
hren Einsatz belächelt, bei Straßensammlungen angepö-
elt und bei öffentlichen Auftritten ausgebuht. Es ist mir
aher heute ein Anliegen, allen Soldatinnen und Solda-
en der Reserve für ihren großartigen Einsatz zu danken.
otivierte und qualifizierte Reservistinnen und Re-
ervisten tragen bereits heute mit ihrem freiwilligen
ngagement in hohem Maße zur erfolgreichen Auftrags-
rfüllung der Bundeswehr bei. Dieses Engagement zu
ördern und nicht zu behindern ist unsere gemeinsame
ufgabe in diesem Hohen Hause.
Die neue Reservistenkonzeption wird schrittweise im
usammenhang mit der Weiterentwicklung der Bundes-
ehr verwirklicht werden müssen. Gerade weil in der
ukunft nur ein Teil der Reservisten in bestehende mili-
ärische Strukturen eingebunden werden kann, steigt die
edeutung der freiwilligen oder beordnungsunabhäni-
igen Reservistenarbeit in ihrer Mittlerfunktion zwi-
chen Streitkräften und der Bevölkerung. Wir müssen
ns darüber im Klaren sein, dass eine befriedigende Lö-
ung der T-3-Problematik für die Motivation der Reser-
isten von herausragender Bedeutung ist.
Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
ie Bedeutung der Reservisten für die Bundeswehr hat
ich mit Überwindung der Ost-West-Konfrontation
rundlegend geändert. Weit deutsches Territorium auf
bsehbare Zeit nicht mehr durch andere konventionelle
treitkräfte bedroht ist, bedarf es längst nicht mehr eines
o großen Reservistenpotenzials.
Wo Unterstützung multinationaler Krisenbewältigung
m Rahmen des VN-Systems die neue Hauptaufgabe der
undeswehr ist, werden viel weniger, dafür qualifizierte
nd motivierte Reservisten benötigt: wegen ihrer Spe-
ialfähigkeiten bei besonderen Auslandsverwendungen,
um qualifizierten Ausgleich der durch Einsätze entste-
enden Lücken in aktiven Truppenteilen oder zum Aus-
leich von in den Streitkräften nicht ausreichend vorhan-
enen Qualifikationen, für Hilfeleistungen im Innern, als
14760 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 157. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Februar 2005
(A) )
(B) )
Kern für die Fähigkeit zum Wiederaufbau einer Kapazi-
tät zur Landesverteidigung und als Mittler zwischen
Streitkräften und ziviler Gesellschaft.
Das Artikelgesetz passt im Wesentlichen die im
Wehrpflicht- und Soldatengesetz festgelegten Grundla-
gen für die Reservisten der Bundeswehr an die neuen si-
cherheitspolitischen Rahmenbedingungen, die Verteidi-
gungspolitischen Richtlinien und die am 10. September
2003 erlassene neue Reservistenkonzeption an. Im Mit-
telpunkt stehen die Stärkung des Freiwilligkeitsprinzips
und der Verzicht auf die schnelle Mobilmachung.
Unfreiwillige Reservisteneinberufungen soll es nur
noch in Ausnahmefällen geben. Die Gesamtdauer der
Wehrübungen wird für alle Laufbahngruppen reduziert.
Neu eingeführt wird als neue Wehrdienstform „Hilfeleis-
tung im Innern“ bei Naturkatastrophen und besonders
schweren Unglücksfällen nach Art. 35 des Grundgeset-
zes.
Zu besonderen Auslandsverwendungen und Hilfeleis-
tungen im Innern können Reservisten nur herangezogen
werden, wenn sie sich grundsätzlich in einer freiwilligen
schriftlichen Verpflichtung dazu bereit erklärt haben.
Auf diese Weise werden der Bedarf der Streitkräfte und
das freiwillige Engagement von Reservisten bestmöglich
miteinander vereinbart. Eine solche Regelung könnte
auch Vorbild sein für die schnelle Gewinnung von Fach-
leuten für zivile Friedensmissionen. Diese Missionen
leiden immer wieder unter der mangelnden schnellen
Verfügbarkeit von Zivilexperten. Nach der Aufstellung
des „Zivilen Planziels 2008“ der EU im Dezember 2004
besteht hier besonderer Handlungsbedarf.
Aufgegeben wird die Fähigkeit zum schnellen Auf-
wuchs eines größeren Kräftepotenzials. Um dennoch bei
einer Verschlechterung der sicherheitspolitischen Lage
eine Fähigkeit zur Landesverteidigung wieder aufbauen
zu können – insbesondere im Hinblick auf die zeitinten-
sive Ausbildung –, kann die Wehrpflicht für frühere
Mannschaftsdienstgrade schon im Spannungsfall wieder
aufleben.
Das Streitkräftereserve-Neuordnungsgesetz ist fak-
tisch ein weiterer Schritt weg von der Wehrpflicht. Of-
fenkundig brauchen die Streitkräfte immer weniger ver-
pflichtete Reservisten und Grundwehrdienstleistende,
aber immer mehr Qualifikation, Motivation und Freiwil-
ligkeit.
Insofern drängt sich die Schlussfolgerung auf, dass
wir es heute mit einer der letzten, vielleicht sogar der
vorletzten Änderung des Wehrpflichtgesetzes zu tun ha-
ben. Aber auch wenn die Wehrpflichtigen gehen – Re-
servisten bleiben. In einer künftigen Freiwilligenarmee
werden sie sogar eine größere Rolle spielen.
Helga Daub (FDP): Mit vielen Aspekten dieses Ge-
setzentwurfes geht die FDP-Fraktion konform. Mit dem
Abbau von Bürokratie laufen Sie bei uns offene Türen
ein. Auch bezüglich der Attraktivitätssteigerung der
Bundeswehr haben wir schon lange darauf gedrängt, ins-
besondere die Vergütung den Anforderungen anzupas-
sen. Es gibt viele Spezialisten unter den Reservisten und
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ine weitere, lassen Sie es mich so nennen, Ressourcen-
erschwendung können wir uns nicht leisten.
Zu begrüßen ist der im Verteidigungsausschuss erzielte
ompromiss, den Tauglichkeitsgrad 3 nicht wirkungs-
leich auf Wehrpflichtige und Reservisten anzuwenden.
bgesehen davon, dass die Tauglichkeitskriterien eines
ehrpflichtigen eben nicht deckungsgleich mit denen ei-
es Reservisten sind, passt es auch nicht zum Ansatz der
ntbürokratisierung, für die Reservisten weitere bürokra-
sche Hürden aufzubauen.
Bei allen lobenswerten Ansätzen, die sich in diesem
esetzesentwurf finden mögen, verstehe ich eines nicht:
ur Zeit ist im Hinblick auf die künftige Wehrverfassung
lles im Fluss. Dieses Thema hat endlich in großem Um-
ang die öffentliche Debatte erreicht, was die FDP natür-
ich sehr begrüsst. Im November dieses Jahres wird sich
ie SPD auf ihrem Parteitag mit einem Leitantrag zur
ehrpflicht befassen. Es gibt innerhalb Ihrer Partei un-
erschiedlichste Auffassungen zur Wehrform, das reicht
on Minister Strucks klarem Bekenntnis zur Wehrpflicht
n sich, bis hin zur Forderung, diese abzuschaffen. Bei
ll der Meinungsvielfalt blicken wir auf diesen Parteitag
it der einzigen Gewissheit, dass es die Wehrpflicht in
er jetzigen Form nicht mehr geben wird.
Warum muss dann jetzt mit heißer Nadel an einem
esetz weitergestrickt werden, wo doch noch keine Ge-
issheit herrscht, wie die Wehrform aussehen wird?
iese Regierung hat wahrlich schon genug Stückwerk
orgelegt, man wird müde, das Wort „Nachjustierung“
u hören. Die Bundeswehr und ihre Angehörigen haben
s verdient, dass bei allen notwendigen Härten der Um-
trukturierung weiteres Stückwerk vermieden wird. Aus-
ahmsweise möchte ich zur „Politik der etwas ruhigeren
and“ mahnen. Unser Appell an Sie ist es, dieses Ge-
etzvorhaben auf die Zeit nach der Meinungsfindung in-
erhalb der SPD zu verschieben. Die positiven Aspekte
ieses Gesetzes für die Reservisten der Bundeswehr ha-
en schließlich kein Verfallsdatum, das vor November
bläuft.
Die FDP will das Beste für die Soldaten und die Re-
ervisten der Bundeswehr. Wir möchten, dass sicherge-
tellt wird, dass dieses Gesetz nicht auf den tönernen Fü-
en einer Wehrpflicht steht, die es in dieser Form am
nde dieses Jahres nicht mehr geben wird.
Petra Pau (fraktionslos): Erstens. Der vorliegende
esetzentwurf soll Änderungen im Wehrpflichtgesetz,
m Soldatengesetz, im Wehrsoldgesetz und im Ar-
eitsplatzschutzgesetz bewirken. Sie beziehen sich auf
ie Aufgaben, die Versorgung und Rechtsstellung der
eservistinnen und Reservisten der Bundeswehr. Die
DS im Bundestag wird diesen Gesetzentwurf ablehnen.
icht weil wir dagegen wären, dass Reservistinnen und
eservisten Rechtssicherheit und Arbeitsschutz genie-
en. Darauf haben sie einen rechtlichen und einen per-
önlichen Anspruch. Wir sind dagegen, weil sie ein tro-
anisches Pferd in Stellung bringen.
Zweitens. Der Gesetzentwurf entspringt einer inhaltli-
hen Logik, der wir nicht folgen. Es geht darum, den
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 157. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Februar 2005 14761
(A) )
(B) )
Status und die Pflichten von Reservistinnen und Reser-
visten an die offensiven militärpolitischen Leitlinien an-
zupassen. Noch klarer gesagt: Reservistinnen und Reser-
visten sollen in den Umbau der Bundeswehr von einer
Verteidigungsarmee zu einer weltweit agierenden Inter-
ventionsarmee aktiv einbezogen werden. Die PDS ist ge-
gen weltweite Militäreinsätze der Bundeswehr. Wir hal-
ten die militärpolitischen Leitlinien für falsch, ja für
gefährlich. Also sind wir auch dagegen, dass dieser Feh-
ler auch noch auf Reservistinnen und Reservisten ausge-
dehnt wird.
Drittens. Hinzu kommt: Mit § 6 c des vorliegenden
Gesetzentwurfes wollen sie den Einsatz der Bundeswehr
im Inneren der Bundesrepublik Deutschland vorbereiten.
Sie weisen Reservistinnen und Reservisten entspre-
chende Aufgaben zu. Sie wissen: Im Gegensatz zur
CDU/CSU halten wir Inlandseinsätze der Bundeswehr
für grundgesetzwidrig. Sie wären obendrein fachlich
falsch, politisch sind sie es aus Sicht der PDS ohnehin.
Viertens. Genau betrachtet rangiert der Antrag in der
Grauzone zum Trickbetrug. Denn das eigentliche Ziel
dieses Gesetzes verkehrt sein vermeintliches Anliegen
ins Gegenteil: Es schafft nicht mehr Rechtssicherheit
und Arbeitsschutz für Reservistinnen und Reservisten.
Es schafft neue Risiken und Gefahren für alle.
Die PDS im Bundestag stimmt daher logisch und
konsequent mit Nein.
Anlage 3
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Anträge:
– Nationales Energieforschungsprogramm vor-
legen
– Energieforschung zukunftsfähig gestalten
– Zukunftsorientierte Energieforschung –
Fusionsforschung in Deutschland und
Europa vorantreiben
– Unterstützung für eine Bewerbung des
Standortes Greifswald/Lubmin für den
ITER (Internationaler Thermonuklearer
Experimenteller Reaktor)
– Technikfolgenabschätzung hier: Monitoring
„Kernfusion“
(Tagesordnungspunkt 14 a und b)
Gesine Multhaupt (SPD): Energieforschung ist nun
einmal kein Gemischtwarenladen. Eine nachhaltige
Energieforschungspolitik ist auf Prioritäten angewiesen.
Industrie und Energiewirtschaft brauchen Verlässlich-
keit. Dazu gehört ein Energieforschungsprogramm mit
einem genauen Zeithorizont für die technische und in-
dustrielle Umsetzung; denn Energieforschung braucht
Beständigkeit über lange Zeiträume. Ein nationales
Energieforschungsprogramm muss inhaltlich und finan-
ziell sinnvoll abgestimmt sein mit dem 7. Forschungs-
rahmenprogramm der Europäischen Union.
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Für die Energiewirtschaftsbranche in der Europäi-
chen Union ist eine grenzüberschreitende Zusammen-
rbeit schon längst Realität. Die Öffnung und die Liberali-
ierung der Strom- und Gasmärkte haben beispielsweise
ur Folge, dass Betreiber von Strom- und Erdgasnetzen
ittelfristig einen gemeinsamen europäischen Binnen-
arkt gestalten. Eine besondere Herausforderung für die
ünftige Energieforschung besteht von daher auch in der
tärkeren Vernetzung von Grundlagenforschung und an-
ewandter Forschung sowie in der erweiterten Zusam-
enarbeit auf europäischer Ebene. Großtechnische An-
ätze, die weit entfernt sind von einer unmittelbar
echnischen Umsetzung sollen vermehrt auf EU-Ebene
tattfinden. Forschungsintensive Felder wie die Kern-
usion, die noch weit weg von der marktwirtschaftlichen
inführung sind, können besser europäisch geregelt wer-
en. Aber auch zukunftsträchtige Forschungsfelder wie
ie Clean-Coal-Mechnologie bei fossilen Energieträgern
der die Herstellung effizienter biogener Kraftstoffe
önnen im europäischen Kontext besser umgesetzt wer-
en als im nationalen Alleingang.
Gestern trat das Kioto-Protokoll zur Reduktion von
reibhausgasen in Kraft. Für eine erfolgreiche Umset-
ung des Protokolls ist eine grenzüberschreitende nach-
altige Energie- und Energieforschungspolitik eine
lementare Bedingung. Nun hat jedoch der Abschlussbe-
icht der Energie-Enquéte-Kommission klar festgestellt,
ass unser gegenwärtiges Energiesystem nicht nachhal-
ig ist. Nachhaltig ist unsere Energieversorgung erst
ann, wenn sie in der Lage ist, die C02-Emmission dras-isch zu reduzieren, Versorgungssicherheit zu garantie-
en und mit dezentralen Lösungen Antworten auf den
teigenden Energiebedarf in Entwicklungsländern und
chwellenländern zu geben.
Zusammengefasst heißt das für uns: Wir brauchen ein
ukunftsfähiges nachhaltiges Energieforschungspro-
ramm, das den Fokus auf marktfähige erneuerbare
nergien wie der Photovoltaik, der Geothermie sowie
er Windenergie und flankierend dazu auf Energieein-
parung und Energieeffizienz setzt.
Lassen Sie mich für die Geothermie und die Wind-
nergie nur zwei aktuelle Beispiel nennen: In der Geo-
hermic ist im November 2003 in Neustadt-Glewe in
ecklenburg-Vorpommern das erste deutsche geother-
ische Kraftwerk in Betrieb genommen worden. Es hält
brigens eine Art technologischen Weltrekord. Nir-
endwo auf unserem Planeten wird mit derart niedrigen
emperaturen von 98°C elektrischer Strom aus Erd-
ärme erzeugt. Auf dem Feld der Windenergie ist die
rste Offshore-Windkraftanlage mit einer Leistung von
,5 Megawatt in der Nähe von Emden errichtet worden.
ie Windkraftanlage ist ein Prototyp einer neuen Gene-
ation und wird im Jahr rund 15 Millionen Kilowattstun-
en Strom erzeugen. Dies entspricht dem Jahresbedarf
on etwa 15 000 Verbrauchern und erspart der Atmos-
häre fast 10 000 Tonnen Kohlendioxid pro Jahr. Beide
eispiele zeigen deutlich: Eine nachhaltige zukunftsfä-
ige Energieversorgung ist technisch machbar, wirt-
chaftlich leistbar und für den Industriestandort Deutsch-
and vorteilhaft, indem hier Arbeitsplätze gesichert und
eu geschaffen werden.
14762 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 157. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Februar 2005
(A) )
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In der Erforschung und dem Aufbau von dezentralen
und integrierten Energiesystemen sorgen wir dafür, dass
die Strom- und Wärmeversorgung von Haushalten und
Gewerbebetrieben im Inland gesichert ist. Mit der Erpro-
bung und Weiterentwicklung dieser neuen risikofreien
Technologien im Inland machen wir uns gleichzeitig fit
für den Export.
Der Weltenergieverbrauch wird in den nächsten
30 Jahren um zwei Drittel zunehmen. Insbesondere für
Entwicklungsländer ist eine ausreichende Versorgung
mit Energie Bedingung, aber auch limitierender Faktor
für Wirtschaftswachstum und Wohlstand. Gerade hier
wird die Prioritätensetzung auf erneuerbare Energien in
unserer Energieforschungspolitik Früchte tragen. Was
diese Länder brauchen, ist eine dezentrale Energieinfra-
struktur mit einer effektiven Energiespeicherung in ei-
nem in sich geschlossenen Energiesystem. Aber das sind
nun einmal Photovoltaik, Windenergie, Biomasse und
Geothermie und nicht atomare Großprojekte in Ländern,
die über keine ausgebauten Stromversorgungsnetze ver-
fügen.
Neue geschlossene, dezentrale Energiesysteme brin-
gen somit nicht nur entscheidende Impulse für Industrie
und Wirtschaft im Inland. Sie schaffen darüber hinaus
neue Wege für den Export. Warum müssen immer nur
Autos „Made in Germany“ zum Exportschlager werden?
Warum sollen nicht bei uns entwickelte, in sich schlüs-
sige neue Energiesysteme zum Exportschlager werden?
Mit der Regierungsübernahme hat die rot-grüne Ko-
alition die Wende in der Energiepolitik eingeleitet. Neue
Wege erfordern Mut und Innovation. Fortschritt und
nicht Stillstand sind in diesen Zeiten gefragt. Wirtschaft
und Wissenschaft brauchen verlässliche Rahmendaten
für ihre weitere Forschungsarbeit. Angesichts der Res-
sourcenknappheit und des Klimawandels erwarten die
Menschen in unserem Land neue Wege bei der Moderni-
sierung des Standortes Deutschland. Das neue Ener-
gieforschungsprogramm der Bundesregierung, das sich
meines Wissens zurzeit in der Feinabstimmung der be-
teiligten Ministerien befindet, wird einen nachhaltigen
Impuls für die Erneuerung unseres Landes geben und
mittelfristig neue Chancen für deutsche Unternehmen
auf den Weltmärkten eröffnen, davon bin ich fest über-
zeugt.
Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) (CDU/CSU): Die
aktuellen Zahlen zum Wirtschaftswachstum in Deutsch-
land und zur Arbeitslosigkeit belegen es eindeutig: Die
Bundesregierung hat mit ihrem Konzept der sozialen und
ökologischen Erneuerung Deutschlands auf der ganzen
Linie versagt. Anstatt die Arbeitslosigkeit zu senken hat
sie sich erheblich erhöht. Uns erreichen monatlich neue
Horrormeldungen über das Ausmaß der Perspektivlosig-
keit auf dem Arbeitsmarkt in Deutschland. Wirtschafts-
wachstum gibt es in Deutschland unter Rot-Grün natürlich
auch keins mehr. Dafür darf das deutsche Volk staunend
zur Kenntnis nehmen, dass die globale Wirtschaft derzeit
um rund 5 Prozent jährlich wächst. Offensichtlich wird
anderswo der Wohlstand gemehrt, während diese Bundes-
regierung eine so genannte „ökologische und soziale Er-
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euerung“ betreibt. Die negativen und asozialen Auswir-
ungen dieser Politik auf unsere Gesellschaft werden nach
nd nach immer deutlicher.
Hohe Energiepreise durch EEG, Ökosteuer und Kraft-
ärme-Kopplung treiben nicht nur energieintensive Un-
ernehmen ins Ausland. Die ausufernden Sozialkosten
erstören viele produktive Arbeitsplätze mit ansonsten
usreichender Wertschöpfung. Die planwirtschaftliche
berregulierung und Überbürokratisierung verhindert
ystematisch die Entstehung neuer produktiver Unter-
ehmen. Dafür zahlen alle, aber es profitieren nur we-
ige staatlich geschaffene Beschäftigungsgesellschaften.
ies alles zusammen mindert den Wohlstand in
eutschland erheblich, bremst die Weiterentwicklung
nserer Wirtschaft. Wie Gulliver von Rot-Grün gefes-
elt, fallen wir gegenüber dem Ausland immer mehr
urück. Rot-Grün ermöglicht immer weniger Menschen
roduktive Arbeitsleistungen. Die rot-grüne Arbeits-
osigkeit erreicht immer schwindeleregendere Rekord-
öhen.
Der Forschungsbereich ist von dieser rot-grünen Atta-
ke auf unseren Wohlstand keineswegs ausgenommen.
er Antrag von Rot-Grün zeugt davon: Wer glaubt, hier
erde ein Programm gefordert, das auf die Nutzung der
reativität junger Wissenschaftler in der Grundlagenfor-
chung zielt, der irrt. Hier geht es nicht um neue Ideen
nd neues Wissen als Grundvoraussetzung für neue Pro-
ukte, Verfahren und Innovationen. Hier geht es in erster
inie um staatliche Lenkung, um staatliche Planung, um
eure Markteinführungsprogramme wie bei den erneuer-
aren Energien, um Forschung zur Verhinderung von In-
ovationen, zur Verhinderung von Wachstum und Be-
chäftigung in Deutschland. Wir brauchen aber keine
inführung teurer unrentabler Techniken, wir brauchen
uch keine neue Kaste akademischer Berufsbedenken-
räger auf Staatskosten. Wir brauchen mehr Geld für
ukunftsweisende Bereiche der Grundlagenforschung.
ndere Länder haben das übrigens auch erkannt. Im Ge-
ensatz zu Rot-Grün in Deutschland handeln die dorti-
en Regierungen auch entsprechend diesen Erfordernis-
en. Ich muss hier nicht einmal auf die Vereinigten
taaten von Amerika verweisen, den mächtigen For-
chungsmagneten für deutsche Wissenschaftler jenseits
es Atlantiks. Nein, Länder wie Indien und China, die
on uns sogar Entwicklungshilfe bekommen, investieren
ngeheure Summen in die Grundlagenforschung. Wie
uch die „FAZ“ von dieser Woche berichtet, ist es durch-
us denkbar, dass deutsche Studenten und Forscher in
enigen Jahren in erster Linie nicht mehr nur in die
SA, sondern auch nach Asien abwandern werden.
Denkverbote oder gar Ausstiegsbeschlüsse wie in der
ernforschung sind der falsche Weg. Nachfolgende Ent-
cheidungsträger sollen selbst entscheiden können, wel-
he Art der Energieversorgung sie gerne hätten. Ihnen
ollten für eine nutzbringende Entscheidung möglichst
iele Möglichkeiten offen stehen. Es wäre unverantwort-
ich, ihnen aus einem überkommenen Zeitgeist heraus
eute wesentliche Wege verbauen zu wollen und damit
ptionen vorzuenthalten. Die wichtigen Zentren der
ernforschung in Deutschland sind daher zu stärken.
en Forschern in Greifswald, München, Rossendorf,
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 157. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Februar 2005 14763
(A) )
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Jülich oder Karlsruhe darf nicht weiter der Geldhahn ab-
gedreht werden. Stattdessen muss die große Bedeutung
der Kernforschung für wesentliche Bereiche der Welt-
raum-, Energie-, Material- und medizinischen Forschung
stärker öffentlich hervorgehoben werden.
Mit der Markteinführung von Windkraftwerken oder
anderen unrentablen Formen der Energiegewinnung
werden wir die Zukunft in Deutschland sicherlich nicht
sinnvoll meistern können. Auch Energiesparen ist – ent-
gegen dem Eindruck, den man nach der Lektüre des rot-
grünen Antrages gewinnen könnte – kein Selbstzweck.
Wenn wir hier in Deutschland 1 Euro investieren müssen
und dann hinterher nur für 10 Cent Energie sparen, dann
mag das den Bundesumweltminister, einige Umweltver-
bände und vielleicht auch manch anderen noch freuen.
Damit wird jedoch das Geld der Bürger verbrannt und
unser aller Wohlstand gemindert. Wenn die Kosten hö-
her sind als der Nutzen, dann sollten die Bürger das Geld
besser für andere Dinge ausgeben können. Dann können
auch wieder Arbeitsplätze entstehen, die produktiv sind
und an denen tatsächlich ein Mehrwert für unser Land
erwirtschaftet wird.
Deutschlands Chancen liegen in Produkten, die eine
hervorragende Infrastruktur und gut ausgebildete Ar-
beitskräfte voraussetzen, in Forschungsleistungen und
Innovationen, in zuverlässig hoher Qualität und in kom-
plexen Produkten und Problemlösungen. Unsere Zu-
kunft hängt vor allem davon ab, wie unser Land auf die
internationalen Entwicklungen reagiert, inwieweit wir
alle Kräfte einsetzen, um unsere Stärken zur Geltung zu
bringen. Wir von der Union haben in unserem Antrag
beschrieben, wie wir uns eine dauerhaft wohlstandsför-
dernde Energieforschung vorstellen: Wir müssen Chan-
cen nutzen, nicht Risiken minimieren. Wir müssen den
Menschen etwas zutrauen – auch unseren Forschern. Wir
müssen die Bürokratie abbauen – auch für unsere For-
scher. Und wir müssen den Menschen wieder mehr Frei-
heit geben – auch unseren Forschern.
Franz Obermaier (CDU/CSU): Mit der Entschei-
dung über den Weg der Energieforschung in Deutsch-
land greifen wir massiv in das Entscheidungsspektrum
unserer Nachfahren ein. Das heißt, wie wir diese For-
schung politisch unterstützen und staatlicherseits finan-
ziell fördern wollen, betrifft nicht nur uns, sondern vor
allem auch künftige Generationen. Denn die Energiever-
sorgung ist die Basis unseres Wohlstandes.
So wie es in den Anträgen der Regierungsfraktionen
und zwangsläufig auch in der Beschlussempfehlung des
Wirtschaftsausschusses steht, soll es in Deutschland in
Zukunft eine technologieoffene Forschung und Entwick-
lung im Bereich Energie nicht mehr geben.
Es wird einseitig und ausdrücklich eine zentrale Prio-
rität für Techniken zur Nutzung erneuerbarer Energien
und Energiespartechnologien eingeräumt. Das heißt im
Klartext, ergebnisoffene Grundlagenforschung wird
nicht unterstützt.
Ich halte das für fatal. Wir dürfen auch im Energiebe-
reich nicht von vornherein ganze Forschungszweige fak-
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isch ausgrenzen. Wenn die politische Unterstützung ver-
agt wird, wenn kaum mehr Mittel zur Verfügung stehen,
tirbt unser Wissen in wichtigen Teilbereichen ab. Fol-
en sind Know-how- und Kompetenzverlust. Das hat
uswirkungen auf den gesamten Wissenschaftsstandort
eutschland. Vor allem die jungen Wissenschaftler wer-
en sich noch stärker als bisher aus Deutschland weg
rientieren.
Weiter werden mit dieser rot-grünen Einseitigkeit
rastisch die Entscheidungsmöglichkeiten bei der Ener-
ieversorgung verkürzt. Es kommt zu einer Bevormun-
ung. Wenn die Vorstellungen wahr werden, wird es in
er Zukunft nicht möglich sein, aus möglichst vielen
ptionen eine neue und eigene Auswahl zu treffen.
enn eines wird es nicht geben: ein vielfältiges Energie-
ngebot mit unterschiedlichen Vorzügen und Nachteilen,
it dem eine Gesellschaft auf globale Entwicklungen
lexibel reagieren kann.
Nicht jede erneuerbare Energie ist etwa per se vorteil-
aft, etwa versorgungssicher oder auch wirtschaftlich
innvoll. Nicht jede wünschbare Energieeinsparmaß-
ahme hält einer ökonomischen Betrachtung stand. Was
st, wenn Bürgerinnen und Bürger mit Mehrheit kosten-
ünstige Energie wollen, die sozial schwächere Gruppen
nserer Gesellschaft nicht mehr überproportional belas-
et? Was, wenn sie vor allem wettbewerbsfähige Arbeits-
lätze in Deutschland wollen? Was, wenn die Menschen
ine Energieversorgung wollen, die Umweltschutz nicht
utomatisch überhöht und auch wirtschaftliche Sinnhaf-
igkeit mit beachtet?
Die Frage, ob es dann überhaupt noch Wahlmöglich-
eiten gibt, betrifft sowohl nachkommende Generatio-
en als auch andere politische Schwerpunkte und Mehr-
eiten.
Wir brauchen eine breit gefächerte Energieforschung
hne Vorurteile. So wie wir in der Demokratie keinen
aulkorb bei der Meinungsbildung und offene Diskus-
ionen wollen, so wollen wir auch keine Fesseln für das
enken und Forschen bei der Energieversorgung. Des-
alb dürfen Mittel nicht primär nur für regenerative
nergien bereitgestellt werden. Das errichtet Denkblo-
kaden. Sie müssen gleichermaßen auch für kohlenstoff-
asierte Energien mit Dekarbonisierung als auch neue
erntechnik zur Verfügung gestellt werden. Es müssen
lle technologischen Möglichkeiten offen gehalten wer-
en. Das betrifft die Gewinnung von Energierohstoffen,
ie Energieerzeugung, die Speicherung und den Trans-
ort sowie den Verbrauch und die Entsorgung.
Lassen wir doch wenigstens einen Wettstreit der
nergieforschung zu. Ich frage Sie: Wer von uns, die Re-
ierungsmitglieder eingeschlossen, die wir nicht einmal
issenschaftler sind, kann beurteilen, wie neue Energie-
uellen erschlossen werden können, zum Beispiel Methan-
as am Meeresboden, wo vielleicht der technologische
urchbruch lauert, wo ungeahnte Effizienzsteigerungen
öglich sind, wo heutige Gefahren gebannt werden kön-
en?
Das betrifft insbesondere die politische Voreingenom-
enheit für den Bereich Kerntechnik: Die Forschung zur
14764 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 157. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Februar 2005
(A) )
(B) )
sicheren Entsorgung radioaktiver Abfälle wird nahezu
ausgehebelt. Gerade hat sich das Forschungszentrum
Karlruhe im Januar per Brandbrief an das Bundesum-
weltministerium gewandt. Der Grund: Obwohl es von
der Bundesregierung den Auftrag erhalten hat, die Lang-
zeitsicherung der Endlagerung zu untersuchen, wird das
Budget einschneidend gekürzt. 2005 beträgt der Etat für
Forschung und Entwicklung nur noch 67 Prozent des
Jahresetats 2002. Dazu kommt eine weitere Reduzierung
von 10 Prozent in den letzen fünf Jahren. Dabei sollte
man doch meinen, dass die Sicherheit einer Endlagerung
allen am Herzen liegt.
Die Transmutationstechnik zur Behandlung radioakti-
ver Brennstäbe, die Energieerzeugung und Abbau von
Radioaktivität in sich vereint, wird nicht unterstützt.
Ebenso bedauerlich: Die international von allen namhaf-
ten Staaten als erfolgversprechend angesehene Kernfu-
sion wird hierzulande im wahrsten Sinnen des Wortes
von links liegen gelassen.
Aber auch auf die im europäischen und sonstigen
Ausland geplanten Anlagen kann aus Deutschland kein
positiver Einfluss in Richtung Sicherheit kerntechni-
scher Anlagen mehr genommen werden.
Wer nun meint, wenigstens die Lieblingsbereiche von
Rot-Grün, die erneuerbaren Energien und die rationelle
Energienutzung, würden nun mit Forschungsmitteln ge-
hätschelt, irrt gewaltig: Der Haushalt 2004 weist auch
für erneuerbare Energien allerorten abnehmende Ten-
denz aus. Im BMU werden die Forschungsmittel um
35 Prozent reduziert – Solarenergie, Geothermie und
Windenergie –, im BMWA um 7 Prozent – rationelle
Energieverwendung, Brennstoffzelle und Wasserstoff –
und im BMVEL um 30 Prozent, Biomasse und nach-
wachsende Rohstoffe.
Was ist zu tun? Wir brauchen eine gute Ausbildung
für qualifizierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft-
ler. Dazu müssen wir auch die Attraktivität des Ener-
gieforschungsstandortes Deutschland erhöhen. Sonst
wird es noch mehr Abwanderung ins Ausland geben.
Seit 1991 sind die Aufwendungen für Energiefor-
schung des Bundes von rund 700 Millionen Euro um
etwa 40 Prozent zurückgegangen. Gemessen als Anteil
am Bruttoinlandsprodukt sind die Ausgaben in den
USA, Frankreich oder Japan mehr als doppelt so hoch
wie in Deutschland.
Wir brauchen als Erstes eine Bündelung der Ener-
gieforschungsförderung in einem Ressort. Unsere Emp-
fehlung dazu ist das Bundesministerium für Bildung und
Forschung. Dazu gehört weiter eine deutliche Anhebung
der Förderung der öffentlichen Energieforschung als
Grundlagenforschung. Die Wirtschaft orientiert sich nun
einmal zuvörderst an absehbarer Rentabilität. Deshalb
spart sie manche Bereiche erst einmal aus. Hier muss es
öffentliche Forschung geben. Dabei darf kein For-
schungszweig ausgegrenzt werden. Es ist ein Unding,
dass öffentliche Mittel heute nicht für neue Reaktorkon-
zepte eingesetzt werden dürfen. Folge ist, dass es für
deutsche Anlagen quasi einen Neuerungsstopp zur Erhö-
hung der Sicherheit gibt.
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Wir brauchen eine sichere Energieversorgung und
ostengünstige Energie unter Schonung der Umwelt.
ir brauchen dazu die Freiheit von Wissenschaft und
orschung. Dazu gehört auch eine gleiche finanzielle
örderung, keine Zensur durch einseitige politische Pri-
ritäten.
Wir dürfen unsere Basis für die Zukunft nicht engstir-
ig und unnötig verkleinern. Wir dürfen künftige Gene-
ationen nicht bevormunden und nicht ihren Entschei-
ungsspielraum von vornherein einengen.
Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
0 Jahre lang sind OECD-weit 80 Prozent der Ener-
ieforschungsmittel in die Erforschung der Kernenergie
eflossen. Das Ergebnis ist: 3 oder 5 Prozent, je nach
erechnungsbasis, des Weltenergiebedarfs werden durch
ernenergie gedeckt. Es gibt keinen größeren Misser-
olg für aufgewandte Forschungsmittel als den in diesem
ereich. Die Mittel sind völlig deplatziert.
Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie
alten weiterhin daran fest. Sie nennen einen finnischen
tomreaktor als Beispiel für eine sinnvolle Energietech-
ologie. Sie sollten zur Kenntnis nehmen, dass dieses
rojekt nur möglich wird, wenn es massive Subventio-
en gibt. So hat zum Beispiel die Bayerische Landes-
ank eine nicht notifizierte Beihilfe für den finnischen
eaktor gegeben. Für den Kredit in Höhe von 2 Milliar-
en Euro werden nur 2,6 Prozent Zinsen verlangt. Nur
it solchen Aktionen wird die angeblich billige Atom-
echnologie in Finnland möglich. Dies lehnen wir ab.
Nehmen wir die Kernfusion. Wir wissen, dass wir
ahrzehntelang nicht einen einzigen Beitrag dazu sehen
onnten und das auch in den nächsten 50 Jahren nicht
er Fall sein wird. Kein Fusionsforscher sagt, dass in den
ächsten 50 Jahren auch nur eine Kilowattstunde Strom
urch Kernfusion erzeugt werden könnte. Warum also
as Geld in großem Maße aus dem Fenster werfen? Wir
ollen, dass das Geld in Forschungsprojekte investiert
ird, die schon in wenigen Jahren Klimaschäden ver-
eiden helfen und Energieversorgungssicherheit brin-
en. Wir wollen, dass sich damit auch unsere Unterneh-
en im globalen Wettbewerb durchsetzen können.
aher werden wir heute den Antrag, ein nationales Ener-
ieforschungsprogramm vorzulegen, verabschieden. Wir
etzen auf die Priorität erneuerbarer Energien und auf
nergieeinsparung. Damit schaffen wir eine verantwor-
ungsvolle Energiepolitik für die Zukunft.
Deutschland ist Weltmeister bei der Windenergie und
eit letztem Jahr sind wir auch Weltmeister beim Solar-
trom. Wir haben hier 130 000 Arbeitsplätze geschaffen,
ie im internationalen Wettbewerb stehen. Ob sich un-
ere Unternehmen in den Zukunftsmärkten durchsetzen
önnen, wird zu einem Großteil davon abhängen, wie in-
ovativ sie sind. Hier spielen Investitionen in Forschung
nd Entwicklung eine entscheidende Rolle. Und hierauf
üssen wir unsere Mittel konzentrieren, anstatt sie für
ie Kernfusion oder die PR-Strategie „Clean Coal“ aus
em Fenster zu werfen.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 157. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Februar 2005 14765
(A) )
(B) )
Wir wissen, dass erneuerbare Energien, die Energie-
versorgung zu 100 Prozent abdecken können. Wir wis-
sen, dass wir große Anstrengungen benötigen, damit sie
die alten Versorgungsstrukturen verdrängen können. Die
Geothermie und die Bioenergie können in Verbindung
mit neuen Speichertechnologien und Nachfragemanage-
ment beim Strom die Grundlast abdecken sowie Ange-
botsschwankungen von Wind- und Solarstrom ausglei-
chen.
Bei der Geothermieforschung sind wir noch im Früh-
stadium. Die Bioenergien sind zwar weiter entwickelt,
aber noch längst nicht in ihrer Breite ausgereift. Und
auch bei der Windenergie gibt es noch erhebliche techni-
sche Potenziale – vor allem bei der Erschließung der
Meere. Apropos Meere: Wir kennen heute nicht einmal
die Meeresenergiepotenziale vor Deutschlands Küsten –
geschweige denn, dass wir Technologien entwickelt hät-
ten, diese zu erschließen. Hier besteht dringender Hand-
lungsbedarf.
Ich komme zum Solarstrom, der als photovoltaische
Stromerzeugung in Stromnetzen noch weit von der Be-
triebswirtschaftlichkeit entfernt ist. Hier müssen wir
noch Technologiesprünge hinbekommen. Mit großer
Freude nehme ich zur Kenntnis, dass auch hier das Er-
neuerbare-Energien-Gesetz wirkt. Die Unternehmen ver-
dienen Geld und investieren eine Menge davon in ihre
technologische Entwicklung. Und diese technische Ent-
wicklung ermöglicht es uns, jährlich die Vergütungshö-
hen für Neuanlagen abzusenken.
Doch Strom ist nicht alles. Nehmen wir die Mobilität.
Wie viel haben wir bislang in die Kombination von
steckdosenkompatiblen Hybridfahrzeugen investiert, die
wesentlich weniger Energie verbrauchen werden als
heutige Fahrzeuge. In welchem Blindflug bewegt sich
die Luftfahrt, wenn deren Branche ohne Treibstoffkon-
zept mit Hochgeschwindigkeit auf die nächste Erdöl-
krise zufliegt. Hier müssen dringend Ideen auf den Tisch
gelegt werden, damit mit der Forschung zum Erdölersatz
wenigstens begonnen werden kann.
Einen Lichtblick gibt es zum Beispiel bei der Schiff-
fahrt. Ein deutsches Start-up-Unternehmen entwickelt
derzeit Zugdrachen, die neben dem Schiffsdiesel die
Schiffe vorantreiben sollen. Das könnte der Schiffs-
hybrid der Zukunft werden. Wie beim Straßenverkehr
wird es dann nur noch darauf ankommen, den fossilen
Zufeuerungsanteil durch Biokraftstoffe zu ersetzen.
Die Aufgaben, die vor uns liegen, sind gewaltig. Kli-
mawandel und bevorstehende Erdölverknappung müssen
angepackt werden. Das neue Energieforschungspro-
gramm muss daran gemessen werden, ob es den Heraus-
forderungen gerecht wird – sowohl quantitativ als auch
qualitativ.
Hellmut Königshaus (FDP): Ob und wie eine der
bedeutenden Herausforderungen unserer Zeit, die Siche-
rung der Energieversorgung, gemeistert wird, liegt in un-
seren Händen.
Die FDP-Bundestagsfraktion hat diesem Haus bereits
vor geraumer Zeit einen Antrag für ein 5. Energiefor-
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chungsprogramm vorgelegt und darin auf mögliche
chwerpunkte verwiesen. Immer wieder wurde uns ver-
ichert, dass die Bundesregierung ein solches Programm
rarbeitet und auch schnell vorlegen wird. Ich frage
errn Clement, ich frage Frau Bulmahn: Wo ist dieses
rogramm? Noch besitzt Deutschland die wirtschaftliche
raft sowie das wissenschaftliche und technologische
otenzial, sich auf abzeichnende Energieprobleme einzu-
tellen, erfolgreich eingeschlagene Entwicklungspfade
uszubauen, neue Wege auszuloten und verantwortungs-
ewusst zu ebnen sowie den Aufbau nachhaltiger Ener-
iegewinnungs- und Nutzungsstrukturen beispielhaft
oranzutreiben. Andere Staaten, insbesondere die Ent-
icklungs- und Schwellenländer, können davon profitie-
en. Doch sind wir heute auch in der Lage, das hierfür
otwendige gesellschaftliche Problembewusstsein auf-
ubringen, das uns den Realismus für die vordringlichen
hemen in der Energieforschung und der Energiefor-
chungspolitik zurückbringt?
Deutschland importiert heute bereits über zwei Drittel
einer Primärenergieträger und befindet sich so in einer
xtremen wirtschaftlichen und politischen Abhängigkeit.
s steht damit allerdings nicht allein; denn der Löwenan-
eil aller heute bekannten Öl- und Gasreserven liegt nun
inmal rund um den Persischen Golf, das Kaspische
eer und in Russland. Die eigenen europäischen Öl-
nd Gasreserven neigen sich ihrem Ende zu. Zugleich
ächst die Nachfrage aus den asiatischen Staaten, allen
oran China. China löst derzeit mit seinem schier uner-
ättlichen Rohstoff- und Energiehunger ernste Liefer-
ngpässe, verbunden mit enormen Preisaufschlägen auf
ast alle technologisch wichtigen Rohstoffe und Energie-
räger, aus. Das ist nicht lediglich ein Trend, dessen
ende wir beruhigt abwarten können. Nein, in vielen
egionen unserer Erde wächst die Bevölkerung. Demo-
raphen gehen bis 2050 von einem Wachstum auf dann
ehn bis zwölf Milliarden Menschen aus.
Diese globalen Entwicklungen gehen mit grundlegen-
en politischen und ökologischen Problemen einher, die
icht zuletzt auf die Sicherheit der heutigen Industriena-
ionen Einfluss haben werden. Doch wie kann die inter-
ationale Gemeinschaft eine Bedarfsdeckung erreichen,
hne dass hierdurch ernste Krisen oder gar Kriege aus-
elöst werden, wie wir sie aus dem arabischen Raum
nd vom afrikanischen Kontinent kennen?
Für Deutschland steht viel auf dem Spiel, nicht nur
eine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, sondern auch
in breiter Wohlstand und eine kulturelle Vielfalt, die ih-
esgleichen sucht. Eine zukunftsweisende Energiefor-
chungspolitik ist für uns Langfristpolitik. Dabei muss
ich Deutschland auch in Zukunft als ein handlungsfähi-
er Akteur bei der Lösung energietechnischer Aufgaben-
tellungen erweisen. Das gilt insbesondere für die
rforschung und Entwicklung völlig neuer Energietech-
ologien, aber auch für die Weiterentwicklung bestehen-
er Verfahren und Anlagen. Um in Forschung, Entwick-
ung und Betrieb einen „Fadenriss“ bei der Aus- und
eiterbildung zu verhindern, muss auch in der Lehre
ine Kontinuität gewahrt bleiben. Die Hochschulen so-
ie die außeruniversitären Forschungsinstitute sind
ichtige Kooperationspartner der Wirtschaft für die En-
14766 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 157. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Februar 2005
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ergieforschung. Diese Zusammenarbeit muss gestärkt
werden; denn die Hochschulen leisten einen Beitrag für
den weiteren Ausbau der energietechnischen Grundla-
genforschung einerseits, und für eine gezielte Ausbil-
dung des wissenschaftlichen und ingenieurtechnischen
Nachwuchses andererseits.
Die von der Wirtschaft getragene industrielle For-
schung und Entwicklung – 70 Prozent der deutschen
Forschungsmittel – richtet sich primär darauf, eine rela-
tiv zeitnahe Amortisation der Forschungsinvestitionen
zu erreichen. Die forschenden Unternehmen brauchen
bessere Rahmenbedingungen, um neue Ergebnisse der
Energieforschung rascher aufzunehmen und umzuset-
zen.
Eine Energieforschungspolitik muss die Einbindung
Deutschlands in die internationale und gesamteuropäi-
sche Energieforschung sicherstellen und einen nationa-
len Ansatz in einem 5. Programm „Energieforschung
und Energietechnologie“ finden. Dieses muss in seiner
Ausrichtung mittel- und langfristige Ziele benennen, die
der Wissenschaft und der Wirtschaft eine verlässliche
Entwicklungsperspektive aufzeigen. Insbesondere vor
dem Hintergrund einer sehr ehrgeizigen internationalen
und nationalen Klimaschutzpolitik wäre ein „Weiter wie
bisher“ mit Kohle, Erdgas und Öl eine fatale Fehlein-
schätzung. Jedoch ist vor dem Hintergrund einer noch
andauernden Nutzung fossiler Energieträger die Weiter-
entwicklung konventioneller Kraftwerkstechnik von ent-
scheidender Bedeutung. Allein die Erhöhung des Wir-
kungsgrades dieser Kraftwerke um l Prozent – ich habe
darauf bereits bei unserer letzten Debatte hingewiesen –
entspricht der erzeugten Energie von 1 000 Windener-
gieanlagen oder eines Großkraftwerks.
Auch die Abscheidung von Kohlendioxid aus den
Abgasen großer Kohlekraftwerke und die Erforschung
von Verfahren der CO2-Sequestrierung, wie sie bereitsdurch das GEO-Forschungszentrum Potsdam in be-
stimmten geologischen Formationen durchgeführt wer-
den, müssen weitergeführt werden. Die Erforschung der
Gashydratvorkommen in den Ozeanen und Meeren und
in Permafrostregionen – auch hier ist Deutschland Vor-
reiter – ist zur Erschließung weiterer möglicher Energie-
reserven voranzubringen, um so die Möglichkeit ihrer
energetischen Nutzbarkeit zu untersuchen.
Schon heute zeigt sich, dass der eingeleitete Abschied
von der Kernenergie ein nationaler Alleingang war und
somit der falsche Weg ist. Denn solange die zentrale
Frage offen bleibt, wie die Kernenergie langfristig ersetzt
werden kann, ohne die Atmosphäre durch den verstärk-
ten Einsatz fossiler Brennstoffe zusätzlich zu belasten, ist
der beabsichtigte Ausstieg aus der Kernenergie nicht zu
vertreten. Nach wie vor müssen große Anstrengungen
auf dem Gebiet der Sicherheitsforschung für die Kern-
energie, insbesondere für inhärent sichere Reaktoren und
zum erweiterten Schutz gegen Einwirkungen von außen,
und zu verbessertem Strahlenschutz unternommen wer-
den. Auch zur Reduzierung der Menge und Gefährlich-
keit des Abfalls sind umfassende Untersuchungen unum-
gänglich. Das gilt insbesondere für die Abtrennung und
Transmutation extrem langlebiger Nuklide. Dazu muss
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ie deutsche Forschung neben nationalen Aktivitäten
tärker in die europäische und internationale Energiefor-
chung integriert werden. Die Bundesregierung geht ei-
en gefährlichen Weg der Abkoppelung von der interna-
ionalen Forschung. Mit Blick auf ein künftiges 7. For-
chungsrahmenprogramm der Europäischen Union für
en Bereich der Forschung und technologischen Ent-
icklung und das Förderungsrahmenprogramm der Eu-
opäischen Atomgemeinschaft – EURATOM – ist dieser
ntwicklung unbedingt Einhalt zu gebieten.
Zur gesicherten Entsorgung nuklearer Spaltprodukte
Aufbereitung und Entsorgung abgebrannter Brennele-
ente – müssen die Forschungsarbeiten zur Endlage-
ung konsequent fortgeführt werden. Das bestehende
oratorium zur Erforschung der Tauglichkeit und Lang-
eitsicherheit von Salzstöcken im Forschungsbergwerk
orleben ist sofort zu beenden. Die verbleibenden Ar-
eiten sind zügig fortzuführen.
Die Fusionsforschung ist unverzichtbar für die Lö-
ung globaler Energieprobleme. Die Forschungs- und
ntwicklungsprojekte sind sowohl in Deutschland als
uch in Europa zielgerichtet fortzuführen. Mit der deut-
chen Förderung der Fusionsforschung im internationa-
en Maßstab muss das Ziel verfolgt werden, einen Proto-
yp eines Fusionsreaktors in Caderache, Frankreich, zu
auen. Die Fusionsforschung hat inzwischen ein Sta-
ium erreicht, das es erlaubt, mit dem Bau des Experi-
entalreaktors ITER als einer Vorstufe zu einem Fu-
ionskraftwerk zu beginnen. Deutschland muss eine
uropäische Bewerbung um einen Standort für diesen
eaktor unterstützen und sich an dem Plan, dem Bau
nd dem Forschungsbetrieb maßgeblich beteiligen.
Das Fusionsforschungsprojekt Wendelstein 7-X ist als
eutscher Beitrag zum Nachweis der Funktionsfähigkeit
es Stellarator-Prinzips fortzuführen.
Auch aus Gründen des Klimaschutzes und einer Ver-
ingerung der Abhängigkeit von anderen Energieträgern
üssen die erneuerbaren Energien einen ihnen angemes-
enen Platz einnehmen.
Die FDP will für den breiten Einsatz erneuerbarer
nergien vor allem die Erforschung und technische Wei-
erentwicklung der Energiespeichertechnologien voran-
ringen. Neben anderen Techniken und Verfahren
ommt dabei der Produktion und Nutzung von Wasser-
toff zur Substitution fossiler Brennstoffe eine besondere
edeutung zu. Über die derzeit praktizierte anwen-
ungsorientierte Forschung zur Marktfähigkeit und
irtschaftlichkeit von bereits bekannten Energiespei-
hersystemen hinaus muss die Grundlagenforschung in
er Chemie und Physik, den Geowissenschaften, den
aterialwissenschaften, der Mathematik und den Inge-
ieurwissenschaften die notwendigen Voraussetzungen
ür eine breit angelegte interdisziplinäre Energiespei-
herforschung schaffen.
In diesem Zusammenhang ist auch eine Biomasse-
orschungsstrategie zu entwickeln. Themenschwerpunkte
ind die Forschung und Entwicklung von Verfahren zur
ereitstellung kohlenstoffstämmiger Kraftstoffe aus
iomasse, Vergasung von biogenen Abfallstoffen zur
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 157. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Februar 2005 14767
(A) )
(B) )
Nutzung des Synthesegases für Brennstoffzellen, Opti-
mierung der landwirtschaftlichen Koppelproduktion
Nahrung-Energie, Schnittstellentechnologien zu ver-
schiedenen thermodynamischen Energiewandlern und
Integration von modernen Biomassesystemen in Strom-
versorgungsstrukturen. Auf der Basis einer Bestandsauf-
nahme laufender Programme ist dazu beizutragen, dass
zukünftige nationale und EU-weite Biomasse-Energie-
Programme, zum Beispiel im Rahmen des EU-Pro-
gramms „Intelligente Energie – Europa“, koordiniert
werden.
Eine sinnvolle Einbindung der erneuerbaren Energien
setzt zugleich einen rationellen und verlustarmen Ener-
gietransport voraus und verlangt nach weiteren Forschun-
gen und Entwicklungen zu neuartigen Energieübertra-
gungstechnologien wie gasisolierte Leitungssysteme,
Gleichstrom-Hochspannungs-Übertragung und supralei-
tenden Energietransportsystemen sowie zur Netzplanung
und Netzsteuerung.
Das alles kostet viel Geld, gewiss, aber es ist gut an-
gelegtes Geld. Schließlich handelt es sich hierbei um Zu-
kunftsinvestitionen in den Standort Deutschland.
Dr. Ditmar Staffelt, Parl. Staatssekretär beim Bun-
desminister für Wirtschaft und Arbeit: Energieforschung
ist in Deutschland – wie die Anträge der Fraktionen von
SPD und Bündnis 90/Die Grünen sowie der CDU/CSU-
Fraktion zeigen – ein aktuelles Thema. Ich begrüße da-
her die heutige Debatte. Sie streicht die Bedeutung von
Forschung und Entwicklung im Energiebereich heraus.
Auf lange Sicht ist die Energieforschung das strategische
Instrument jeder guten Energiepolitik. Forschung und
Entwicklung bestimmen die Technologien der Zukunft.
Moderne Technologien sind für eine sichere, wirtschaft-
liche und umweltverträgliche – sprich: nachhaltige –
Energieversorgung unverzichtbar.
Die Bundesregierung wird daher in Kürze ein neues
Energieforschungsprogramm vorlegen, mit dem sie drei
Grundlinien verfolgt:
Erstens soll die Energieforschungspolitik einen kon-
kreten Beitrag zur Erfüllung der energiepolitischen
Vorgaben leisten. Das heißt, wir geben den Energietech-
nologien Priorität, die darauf hinwirken, dass ein ausge-
wogener Mix der verschiedensten Energieträger erhalten
bleibt, eine steigende Energieeffizienz realisiert wird
und der Beitrag der erneuerbaren Energien zur Primär-
energiebedarfsdeckung wächst.
Zweitens soll die Energieforschungspolitik die tech-
nologischen Optionen für die Zukunft sichern und erwei-
tern. Damit verbessern wir die Reaktions- und Anpas-
sungsfähigkeit der Energieversorgung in Deutschland an
neue energiewirtschaftliche Entwicklungen. Wir sehen
darin einen unverzichtbaren Beitrag der Energiefor-
schung zur gesamtwirtschaftlichen Risikovorsorge.
Drittens ist die Energieforschungspolitik Bestandteil
der Gesamtpolitik der Bundesregierung und dient somit
auch der Verfolgung anderer politischer Ziele. Insbeson-
dere ist die Energieforschungspolitik Teil unserer Strate-
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ie für mehr Innovation, mehr Wachstum und mehr Be-
chäftigung.
Die drei genannten Grundlinien der Energieforschung
ühren direkt hin zu einer strategisch und inhaltlich breit
ngelegten Förderung von Forschung und Entwicklung
oderner Energietechnologien. Sie reicht von der
rundlagenforschung bis zur anwendungsnahen For-
chung und berührt viele Anwendungsfelder – von den
erschiedenen Technologien zur Nutzung der erneuerba-
en Energien über Kraftwerkstechnik, Brennstoffzellen
nd Wasserstoff bis zu den modernen Energieeinspar-
echnologien.
Ich stelle fest, dass – über die Fraktionsgrenzen hin-
eg – Einigkeit über die grundlegenden Ziele der Ener-
ieforschungspolitik und über die Förderschwerpunkte
esteht. Das begrüße ich sehr. Unterschiedliche Auffas-
ungen bestehen über die Rolle der Fusionsforschung
nd der Kernenergie, insbesondere bei der Förderung
on Forschung und Entwicklung neuer Reaktorkon-
epte.
Zunächst ein paar Worte zur Fusionsforschung. Die
undesregierung sieht die Fusion als eine mögliche Op-
ion der künftigen Energieversorgung. Sie unterstützt da-
er – neben der nationalen Fusionsforschung – das inter-
ationale Fusionsexperiment ITER und die Bewerbung
rankreichs um den Standort Cadarache. Dagegen hat
ie Bundesregierung den geordneten Ausstieg aus der
ernenergie beschlossen. Es ist daher nur logisch, auch
ie Förderung von Forschung und Entwicklung neuer
eaktorkonzepte einzustellen. Ich füge allerdings hinzu:
ie Bundesregierung sieht sich in der Verantwortung,
orschung und Entwicklung im Bereich der „Nuklearen
icherheit und Endlagerung“ zu unterstützen. Darüber
inaus wird das Energieforschungsprogramm der Bun-
esregierung einen Beitrag dazu leisten, dass der Kern-
nergieausstieg ohne Beeinträchtigung einer sicheren
nd wirtschaftlichen Stromversorgung ermöglicht wird.
Lassen Sie mich zum Schluss noch ein Wort zu dem
ktuellen Stand der Arbeiten an dem neuen Energiefor-
chungsprogramm sagen. Die Bundesregierung wird
wie in der Koalitionsvereinbarung festgelegt – in die-
er Legislaturperiode eine neues Energieforschungspro-
ramm vorlegen. Die Arbeiten dazu sind unter Federfüh-
ung des BMWA und unter Beteiligung des BMU, des
MVEL und des BMBF weit fortgeschritten. Das Pro-
ramm wird ein wichtiger Teil der „Innovationsinitia-
ive“ der Bundesregierung sein und die Bemühungen für
ehr Wachstum und Beschäftigung in Deutschland un-
erstützen.
nlage 4
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Gesetzes über die Werbung auf
dem Gebiet des Heilwesens (Tagesordnungs-
punkt 15)
Dr. Carola Reimann (SPD): Für Arzneimittel darf in
eutschland gar nicht oder nur eingeschränkt geworben
14768 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 157. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Februar 2005
(A) )
(B) )
werden. Denn alle Pharmazeuten wissen: keine Haupt-
wirkung ohne Nebenwirkung. Arzneimittel können nicht
nur helfen, sondern unter ganz bestimmten Umständen,
zum Beispiel bei unsachgemäßer Anwendung, auch
schwere Schäden zufügen. Deshalb bedarf es bei ihrer
Anwendung zur Behandlung ernsthafter Erkrankungen
der medizinischen Diagnose und Beratung. Vor der Ein-
nahme braucht es eine fundierte und seriöse Aufklärung
und Information durch den behandelnden Arzt. Da reicht
auch nicht der Hinweis: „Zu Risiken und Nebenwirkun-
gen fragen Sie ihren Arzt oder Apotheker.“
Wir stellen ein wachsendes Informationsbedürfnis in
Bezug auf neue Arzneimittel und neue Behandlungsme-
thoden bei den Patientinnen und Patienten fest. Und wir
sind uns darüber einig, dass Werbung und seriöse Infor-
mation zweierlei sein können. Wir sind uns über die
Funktion und das primäre Ziel von Werbung im Klaren,
dennoch liegt im Marketing auch eine Facette von Infor-
mation – ohne dass ich über die Qualität dieser Informa-
tion an dieser Stelle urteilen will.
Aus all diesen Gründen stehen wir der Diskussion,
das strikte Verbot von Werbung für OTC-Präparate
– also Arzneimittel, die nicht verschreibungspflichtig
sind und seit der Gesundheitsreform selbst bezahlt wer-
den – zu überdenken, offen gegenüber. Vor dem Hinter-
grund der steigenden Eigenverantwortung und auch der
höheren finanziellen Eigenleistung in diesem Segment
möchten wir diesem Gedanken Rechnung tragen, indem
wir das strikte Verbot der Werbung für diese Medika-
mente im Hinblick auf die Endverbraucher verändern
wollen.
Allerdings muss das, was für OTC-Präparate gilt,
auch für Heilmittel und Medizinprodukte sowie auch für
Therapien gelten. Deswegen springt der Entwurf des
Bundesrates, der sich nur auf Human- und Tierarznei-
mittel bezieht, zu kurz. Dies muss meiner Ansicht nach
ausführlicher und differenzierter diskutiert werden.
Denn wie so vieles im Leben, besitzt auch Werbung
zwei Seiten: Sie kann einerseits durchaus (sinnvolle) In-
formationen enthalten, sie kann aber andererseits mani-
pulieren und in die Irre führen. Gerade bei schweren Er-
krankungen, wie zum Beispiel Krebs, die mit großen
Ängsten und Verzweiflung der Betroffenen verbunden
sind, kann die Suggestion, ihr Leiden ließe sich auch
ohne Hinzuziehung eines Arztes heilen, zu schwersten
Schäden führen. Noch problematischer wird es bei In-
fektionen und übertragbaren Erkrankungen, denn hier
können auch unbeteiligte Dritte schweren Schaden neh-
men, wenn der Arzt nicht oder zu spät konsultiert wird.
Der Schutz der gesundheitlichen Individualinteressen
und auch der Schutz der Allgemeinheit müssen der Maß-
stab für eine Werbung in diesem sensiblen Bereich sein.
Deshalb muss sich auch in Zukunft Werbung für Arznei-
mittel zur Behandlung schwerer Erkrankung auf Fach-
kreise beschränken.
Einen Vorschlag im Bundesratsentwurf halte ich für
ausgesprochen unterstützenswert, nämlich das Verbot
von Werbung für Schönheitsoperationen. Allein die
Frauenzeitschrift „Brigitte“ verzeichnet in ihrer neuesten
Ausgabe über 40 Anzeigen unter der Rubrik „Schön-
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eitschirurgie“ mit den dazugehörigen Internetadressen
m In- und Ausland. Wenn Sie die mal anklicken, dann
ehen Sie Angebote, ohne dass auf die Risiken mit einer
ilbe eingegangen wird! Der Vorschlag, irreführende
nd suggestive Werbung für Schönheitsoperationen zu
erbieten, ist deshalb richtig. Das ist ein erster Schritt,
em Medienhype um den scheinbar risikolosen Schön-
eitswahn zu begegnen. Hier wird in fragwürdigen TV-
hows einem überzogenen Schönheitsideal gehuldigt,
hne auf die Risiken solcher Schönheitsoperationen ein-
ugehen. Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt
ormulierte dazu sehr treffend: „Daher dürfen wir nicht
ulassen, dass mit Schönheitsoperationen – bis hin zur
underneuerung – so geworben wird, als sei alles pro-
lemlos möglich.“ Ich denke, mit dieser Ansicht steht sie
icht allein. Das Werbeverbot für chirurgische Eingriffe
hne medizinische Notwendigkeit kann da ein wichtiges
ignal sein.
Ich glaube, es besteht ein breiter Konsens über den
rundsätzlichen Bedarf zur Änderung des Heilmittelwer-
egesetzes in diesem Haus. Aber wie so oft steckt der
eufel im Detail. So gibt es meiner Ansicht nach noch
iele offene Fragen, die durch den Entwurf des Bundes-
ates nicht beantwortet werden. An anderer Stelle greift
er Bundesratsentwurf, wie ich gezeigt habe, entschie-
en zu kurz. Im Sinne der Patientinnen und Patienten
tehen wir aber einer intensiven Diskussion offen gegen-
ber, um eine möglichst umfassende Regelung für die-
en Bereich zu finden.
Dr. Marlies Volkmer (SPD): Auch die Koalition will
as Heilmittelwerbegesetz novellieren – wir müssen das
ogar, weil wir europäisches Recht umzusetzen haben.
ir wollen die Diskussion aber in einem größeren Zu-
ammenhang führen, im Rahmen der 14. AMG-Novelle.
lle diesbezüglichen Änderungen des deutschen Rechts
etreffen die Industrie in der einen oder anderen Weise.
eshalb ist es sinnvoller, die zu treffenden Regelungen
n ein Gesamtpaket zu packen.
Lassen Sie mich meine Ausführungen beschränken
uf den Kern des vorliegenden Gesetzes, die Erleichte-
ung der Publikumswerbung für nicht verschreibungs-
flichtige Medikamente. Tatsächlich stehen die pharma-
eutischen Unternehmen seit der Ausgliederung der
TC-Präparate aus dem Leistungskatalog der gesetzli-
hen Krankenversicherung vor einem Problem: Die Ver-
rdnungen zulasten der GKV sind drastisch zurückge-
angen, ohne dass die Zunahme der Selbstmedikation
nd der Privatverordnungen dies hätte kompensieren
önnen.
Die Umsätze lassen sich aber auch nicht einfach mit
erstärkter Werbung steigern, da das geltende Heilmit-
elwerbegesetz der Publikumswerbung enge Schranken
etzt. Diese Schranken freilich gibt es nicht ohne Grund.
Arzneimittel sind ein besonderes Gut. Werbebe-
chränkungen gibt es, um die Sicherheit der Patientinnen
nd Patienten zu schützen. Diese Sicherheit ist vor allem
ei der Anwendung von Arzneimitteln gefährdet, die der
ehandlung schwerer Erkrankungen dienen. Diese Me-
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 157. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Februar 2005 14769
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dikamente unterliegen zum größten Teil der ärztlichen
Verschreibungspflicht.
Die Ausgrenzung der OTC-Präparate ist möglich ge-
wesen, da diese größtenteils, wenn auch bei weitem
nicht ausschließlich, der Behandlung geringfügiger Ge-
sundheitsstörungen dienen. Sie sind gut verträglich und
haben geringe Nebenwirkungen. Es ist einzig dieser be-
sondere Charakter der OTC-Präparate, der es zulässt,
über eine Neuregelung der Publikumswerbung in diesem
Bereich zu sprechen.
Der Gesetzgeber bleibt in jedem Fall in der Pflicht,
zwischen den berechtigten Interessen der Pharmaindus-
trie und den berechtigten Sicherheitsinteressen der Pa-
tientinnen und Patienten einen Weg zu finden, der beiden
Seiten gerecht wird. Der Weg, den der Bundesrat vor-
schlägt, ist meiner Ansicht nach nur bedingt im Interesse
der Patientinnen und Patienten.
Eine erhebliche Gefährdung der Patientinnen und Pa-
tienten besteht zum Beispiel bei rezeptfreien Medika-
menten, die bei Krebs eingesetzt werden können. So
könnte ein Patient, angeregt durch die Werbung, ohne
Kontrolle eines Arztes sich selbst behandeln und damit
unter Umständen auf eine notwendige hochwirksame
Behandlung verzichten. Gerade bei Krebs ist die direkte
Information durch den Arzt ohne Beeinflussungen durch
die Werbung wichtig. Bei schweren Infektionskrankhei-
ten besteht sogar eine Gefahr für Dritte, wenn nicht um-
gehend ärztliche Hilfe in Anspruch genommen wird.
Die Pubiikumswerbung für Arzneimittel, die bei gra-
vierenden Krankheiten und Leiden eingesetzt werden,
sollte daher weiterhin verboten sein. Dies sind Präparate,
die zur Behandlung von Krebs, einer Sucht, schweren
meldepflichtigen Infektionen oder zur Behandlung von
Komplikationen im Wochenbett eingesetzt werden.
Im gesamten Gesundheitsbereich besteht eine gravie-
rende Wissenskluft zwischen Arzt und Apotheker auf
der einen und dem Patienten auf der anderen Seite, die
sich nicht einfach durch ein paar bunte Fernsehspots
oder witzige Werbebroschüren beseitigen lässt. Der Pa-
tient wird immer – das betone ich vor allem für die, die
gern der weiteren Privatisierung unseres Gesundheitswe-
sens das Wort reden – auf die Beratung durch einen Arzt
oder Apotheker oder eine unabhängige Informations-
stelle angewiesen sein und dieser sein Vertrauen schen-
ken müssen.
Wenn die Pharmafirmen intensiver für ihre Produkte
werben dürfen, werden die Patienten in der Apotheke öf-
ter als bisher bestimmte Präparate nachfragen und eben
nicht mehr darum bitten, zum Beispiel ein Mittel gegen
Sodbrennen zu erhalten. Das kann durchaus Gefahren
für die Patientinnen und Patienten bergen, denn die Be-
ratungskompetenz des Apothekers ist in diesem Fall be-
sonders wichtig. Hier unterscheiden sich Medikamente
deutlich von anderen Produkten. Auch wenn Name und
Hersteller des Arzneimittels bekannt sind, muss das eben
nicht heißen, dass der Patient über Wirkungen und Ne-
benwirkungen tatsächlich Bescheid weiß. Die Bedeu-
tung des Apothekers wird meiner Ansicht nach zukünf-
tig noch zunehmen.
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Patientinnen und Patienten brauchen daneben unab-
ängige, vergleichende Informationen. Dazu gehört ne-
en der Information über medikamentöse und nicht me-
ikamentöse Methoden auch die Information darüber,
b und gegebenenfalls wie auf eine Behandlung ver-
ichtet werden kann. Diese Funktion erfüllen jetzt schon
eilweise die Verbraucherzentralen und Selbsthilfegrup-
en. Das neu gegründete Institut für Qualität und Wirt-
chaftlichkeit in der Medizin wird zusätzlich dazu beitra-
en, dass die Bürgerinnen und Bürger nicht allein auf die
nformationen angewiesen sind, die die Pharmaindustrie
ur Steigerung ihres Absatzes bereitstellt.
Viele der im Gesetzentwurf vorgesehenen Maßnah-
en sind sinnvoll und richtig. Aber lassen Sie uns die
iskussion im größeren Zusammenhang der 14. AMG-
ovelle führen. Ich bin mir sicher, dass wir zu den meis-
en Punkten gemeinsam zu guten Lösungen kommen
önnen.
Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Seit
er Gesundheitsreform 2003 werden die meisten rezept-
reien Arzneimittel nicht mehr durch die gesetzliche
rankenversicherung finanziert. Dieses Segment des
rzneimittelmarkts liegt damit in der Selbstverantwor-
ung der Patientinnen und Patienten.
Damit haben wir auch den Wettbewerb auf dem
arkt für verschreibungsfreie Arzneimittel stärken wol-
en. Wenn wir aber Wettbewerb wollen, müssen wir den
erstellern auch das Recht zugestehen, ihre Produkte zu
ewerben und bekannt zu machen. Gerade für viele klei-
ere und mittelständische Arzneimittelhersteller, die
icht darauf vertrauen können, dass ihre Medikamente in
en Apotheken besonders herausgestellt werden, ist das
ichtig.
Dies ist aber auch wichtig mit Blick auf die Entschei-
ungsspielräume der Patientinnen und Patienten. Wie
uf anderen Produktmärkten auch, muss es ihr selbstver-
tändliches Recht sein, sich möglichst umfassend über
ie verschiedenen Angebote informieren zu können.
Zu einem hohen Informationsstand beitragen kann
er weitere Ausbau unabhängiger Informationsangebote.
ie Infrastruktur der Verbraucherinformationen und -be-
atung, die auf den meisten anderen Märkten mittler-
eile einen hohen Standard erreicht hat, ist im Gesund-
eitswesen immer noch unzureichend. Zur notwendigen
nformation beitragen können aber auch erweiterte Wer-
emöglichkeiten für rezeptfreie Arzneimittel.
In den vergangenen Jahrzehnten hat sich auch im Ge-
undheitswesen das Verbraucherverhalten stark verän-
ert. Das Verhältnis vieler Patientinnen und Patienten
ur Arzneimittelwerbung ist heute nüchterner und von
inem höheren Wissensstand über medizinische Zusam-
enhänge geprägt als noch vor 20 oder 30 Jahren. Arz-
eimittelwerbung ist damit nicht mehr nur ein Instru-
ent der Beeinflussung, sondern eben auch eine
ichtige Quelle für die Patienteninformationen.
Dies gilt umso mehr, als das Heilmittelwerbegesetz
n die Arzneimittelwerbung hohe Anforderungen stellt.
rzneimittelwerbung muss möglichst sachlich erfolgen
14770 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 157. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Februar 2005
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und notwendige Informationen über die Anwendungs-
weise, Zusammensetzung und Risiken der beworbenen
Medikamente enthalten. Die Patientinnen und Patienten
werden vor allzu manipulierender Werbung durch sug-
gestive Bilder und Texte geschützt.
Ich teile grundsätzlich das Anliegen des Bundesrates,
die Werbemöglichkeiten für rezeptfreie Arzneimittel zu
erweitern. Ich bin aber der Ansicht, dass die Länder in
ihrem Gesetzesentwurf über das gemeinsame Ziel hin-
ausschießen. Das Heilmittelwerbegesetz enthält eine
Liste mit Krankheiten, für deren medikamentöse Be-
handlung nicht geworben werden darf. Diese Liste will
der Bundesrat fast vollständig streichen. Damit wäre
Werbung zum Beispiel auch für solche Medikamente er-
laubt, die bei Krebserkrankungen, Suchtkrankheiten
oder bei Komplikationen während der Schwangerschaft
eingesetzt werden. Das halte ich für falsch.
Auch bei rezeptfreien Arzneimitteln werden wir nicht
vollständig auf Werbebeschränkungen verzichten kön-
nen. Menschen, die an sich selber Symptome einer
schweren Erkrankung beobachten, können leicht in eine
psychische Ausnahmesituation geraten. Licht könnten
sie versucht sein, zu ungeeigneten Arzneimitteln zu grei-
fen, von denen sie sich schnelle Heilung versprechen.
Damit könnte aber vielfach wichtige Zeit für eine not-
wendige ärztliche Behandlung verloren gehen und könn-
ten Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln her-
vorgerufen werden.
Auch in einem stärker vom Wettbewerbsgedanken
und von der Selbstverantwortung der Patientinnen und
Patienten geprägten Arzneimittelmarkt muss der Patien-
tenschutz gewährleistet sein. Das Recht der Hersteller
auf die Präsentation ihrer Produkte, die Selbstverantwor-
tung der Patientinnen und Patienten und der Verbrau-
cherschutz müssen vernünftig miteinander austariert
werden. Dem Gesetzesentwurf des Bundesrates gelingt
diese notwendige Balance nicht.
Detlef Parr (FDP): Die Bundesregierung hat hier ei-
nen Gesetzentwurf vorgelegt, der – grob gesprochen –
zwei Zielrichtungen verfolgt: Zum einen soll im Bereich
der Schönheitschirurgie die Werbetätigkeit stärker kon-
trolliert und einschränkt werden. Zum anderen sollen im
Bereich der Arzneimittelwerbung Restriktionen gelo-
ckert werden. Beides begrüßen und unterstützen wir zu-
nächst einmal.
Die Schönheitschirurgie nimmt in Deutschland Aus-
maße an, die zumindest bedenklich stimmen. Die Zahl
der schönheitschirurgischen Eingriffe hat sich seit 1990
versechsfacht! Die Entscheidung scheint heute mit gro-
ßer Leichtigkeit getroffen zu werden, sich mal eben das
Fett absaugen, die Fältchen glätten und dabei auch noch
diverse Korrekturen am Körper vornehmen zu lassen. Ir-
gendwann ist der Punkt erreicht, an dem nicht genormtes
Aussehen und nicht genormte Körpermaße zu gesell-
schaftlichem Unverständnis führen – man könne sich das
ja wohl korrigieren lassen. Jungen Mädchen wird heute
ein körperliches Idealbild vorgegeben, das sie in viel zu
jungen Jahren zu Brustvergrößerungen, Lippen- und Na-
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enkorrekturen veranlasst. Es kommt vor, dass heute
unge Mädchen und bald vermutlich auch Jungen einen
chönheitschirurgischen Eingriff zum Abitur geschenkt
ekommen. Bedenken vor möglichen Risiken solcher
perativen Eingriffe werden abgeschüttelt.
Medien und Werbung verstärken diesen Trend mas-
iv. Schönheitsoperationen live im Fernsehen sind da die
raurige Spitze eines medialen Eisberges. Daher begrüße
ch die Initiative der Bundesärztekammer, mit ihrer
oalition gegen den Schönheitswahn dem Trend entge-
enzuarbeiten. Und ich begrüße das Bestreben der Bun-
esregierung, dem freien Werben mit dem scheinbar al-
em chirurgisch Möglichen Einhalt bieten zu wollen,
Ihr Vorschlag ist, im Heilmittelwerbegesetz die dort
eltenden Werberestriktionen auf die operativen Verfah-
en auszuweiten, die sich auf die Veränderungen des
enschlichen Körpers ohne medizinische Notwendig-
eit beziehen. Die kommenden Ausschussberatungen
owie die Anhörung werden klären, ob das der richtige
eg ist.
Ebenso begrüßen wir die Modernisierung des Heil-
ittelwerbegesetzes im Bereich der Arzneimittel. Dies
rägt der Tatsache Rechnung, dass wir heute in unserem
esundheitswesen einen mündigen, informierten Patien-
en erwarten, der in Beratung mit seinem Arzt die für ihn
otwendige medizinische Entscheidung fällt. Mit der
erausnahme der OTC-Präparate aus der Erstattungs-
flicht der GKV, wie es die Regierungskoalition gemein-
am mit der CDU/CSU im Gesundheitsmodernisierungs-
esetz entschieden hat, wird der Patient noch stärker in
ichtung Selbstmedikamention geführt. Dann ist es auch
ichtig und wichtig, ihm den Zugang zu allen relevanten
nformationen zur Verfügung zu stellen.
Auch an dieser Stelle bleibt die ausführliche Aus-
chussberatung abzuwarten, um zu prüfen, ob der vorge-
egte Gesetzentwurf diesem Ziel entsprechend formuliert
st. Zu prüfen ist beispielsweise, ob nicht auch dem ge-
tiegenen Bedürfnis der Patienten nach geprüften und
uverlässigen arzneimittelbezogenen Informationen bei
en verschreibungspflichtigen Arzneimitteln verstärkt
echnung getragen werden sollte. Und ob dem Sicher-
eitsaspekt dadurch besser Rechnung getragen wird,
ass wir den uns allen bekannten Satz: „Zu Risiken und
ebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage und fra-
en Sie Ihren Arzt oder Apotheker“ noch ausweiten auf
Bei unklarer Ursache oder längerem Anhalten der Be-
chwerden ist grundsätzlich ein Arzt zu Rate zu ziehen“,
uss ebenso hinterfragt werden.
Kurzum: Die Zielrichtung unterstützen wir, im Hin-
lick auf die vorgeschlagenen Umsetzungswege erwar-
en wir Aufschluss bei der zu erwartenden Anhörung.
Tanja Gönner, Sozialministerin Baden-Württem-
erg: Als Beauftragte des Bundesrates freue ich mich,
hnen heute einen Gesetzesentwurf vorstellen zu kön-
en, dessen Einbringung der Bundesrat Ende September
es letzten Jahres mit einer großen Mehrheit der Länder
eschlossen hat.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 157. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Februar 2005 14771
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Bei der letzten Gesundheitsreform bestand insbeson-
dere über zwei zentrale Bestandteile ein breites Einver-
nehmen:
Erstens die Stärkung der Eigenverantwortung der Ver-
sicherten und zweitens die Stärkung wettbewerblicher
Elemente. Eine bedeutende Rolle nimmt hierbei der Arz-
neimittelsektor ein. Insbesondere bei den nicht ver-
schreibungspflichtigen Medikamenten ist es zu zahlrei-
chen Neuregelungen gekommen. So werden diese bei
Erwachsenen im Regelfall nicht mehr von den gesetzli-
chen Krankenkassen bezahlt. Die Apotheken sind dabei
in ihrer Preisgestaltung gegenüber dem Endverbraucher
frei.
Das Heilmittelwerbegesetz gibt einen sehr engen
Rahmen vor für die Werbung mit Arzneimitteln. Die Be-
stimmungen über zulässige Informationen außerhalb der
Fachkreise sind im Grunde seit dem Jahre 1965 nicht
wesentlich verändert worden. In der Zwischenzeit hat
sich aber das Verhältnis der Patienten zu den Leistungs-
anbietern im Gesundheitswesen grundlegend gewan-
delt. Das Bedürfnis nach gesundheitsbezogenen Infor-
mationen ist enorm gestiegen. Wir brauchen daher eine
zeitgemäße Neuordnung der Arzneimittelwerbung, die
einerseits diesem berechtigten Informationsbedürfnis ge-
recht wird und andererseits einen hinreichenden Schutz
vor rein plakativer Werbung bietet.
Der Gesetzesentwurf hat das Ziel, dem Verbraucher
den Zugang zu validen, unabhängig geprüften Arznei-
mittelinformationen zu erleichtern. Er soll sich bereits
im Vorfeld und nicht erst beim Erwerb der Arzneimittel
umfassend über Anwendungsgebiete und -beschränkun-
gen, über Anwendungsart und -dauer sowie über mögli-
che Nebenwirkungen informieren können. Darüber hi-
naus soll es den Arzneimittelanbietern in größerem
Umfang als bisher ermöglicht werden, aktiv auf Arznei-
mittel, die eigenverantwortlich vom Patienten eingesetzt
werden können, aufmerksam zu machen. Dies ist eine
folgerichtige Konsequenz für Produkte, die jeder nach
seiner freien Entscheidung und auf eigene Kosten erwer-
ben kann.
Der vom Bundesrat eingebrachte Gesetzentwurf ba-
siert im Wesentlichen auf zwei Kernpunkten: die He-
rausnahme der Packungsbeilagen aus dem Anwendungs-
bereich des Heilmittelwerbegesetzes und die Aufgabe
der Auflistung von Indikationen, die nicht Gegenstand
der Laienwerbung für Arzneimittel sein dürfen.
Um den Bedürfnissen des gesundheitlichen Verbrau-
cherschutzes auch nach der Neuregelung gerecht zu wer-
den, ist eine Beschränkung der Laienwerbung auf solche
Arzneimittel oder Medizinprodukte vorgesehen, die
nach ihrer Zusammensetzung und Zweckbestimmung
ohne Tätigwerden eines Arztes – erforderlichenfalls
nach Beratung durch den Apotheker – verwendet werden
können. Dies entspricht auch der aktuellen Formulierung
im europäischen Arzneimittelrecht. Ein Pflichthinweis
in der Werbung soll sicherstellen, dass bei unklarer Ursa-
che oder länger anhaltenden Beschwerden grundsätzlich
ein Arzt zu Rate gezogen wird.
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Eine weitere Regelung bezieht schönheitschirurgische
ingriffe, die ohne medizinische Notwendigkeit vorge-
ommen werden, in den Anwendungsbereich des Heil-
ittelwerbegesetzes ein. Da es sich hierbei um Eingriffe
it teilweise erheblichem Risiko handelt, sollen in die-
em Bereich insbesondere bestimmte Formen der sug-
estiven Werbung, wie sie inzwischen weit verbreitet
ind, verboten werden.
Es freut mich, dass sich die Bundesregierung an die-
er Stelle unserer Meinung anschließt! Allerdings habe
ch doch mit Erstaunen der Presse entnommen, dass Frau
ollegin Schmidt am 11. Februar in einer Pressemittei-
ung Ihres Hauses geäußert hat: „Zur Frage der Einbezie-
ung der Schönheitsoperationen in den Anwendungsbe-
eich des Heilmittelwerbegesetzes besteht Konsens mit
em Bundesrat.“ Waren es doch die Länder, die dies be-
eits im September im Rahmen des Gesetzesentwurfs ge-
ordert haben, also lange, bevor Sie mit dem Thema an
ie Öffentlichkeit gegangen sind und es als ihre Sache
erkauft haben! Doch es freut mich, dass sich die Bun-
esregierung hier unserer Auffassung anschließt und der
egelungsvorschlag der Länder fast wörtlich in den nun
orliegenden Entwurf übernommen wurde.
Weitere Detailregelungen halten wir für entbehrlich,
a dem Zweck – nämlich den Verbraucher vor den Ge-
ahren unlauterer Heilmittelwerbung zu schützen – mit
em vorliegenden Entwurf umfänglich Rechnung getra-
en wird. Außerdem bewegen wir uns damit in dem
urch die europäische Gesetzgebung vorgegebenen Rah-
en. Es ist uns wichtig, dass in Deutschland dieselben
egeln gelten wie in anderen Ländern des europäischen
innenmarktes.
Wie fast immer bei Vorschlägen zu Neuregelungen,
ommt auch in diesem Fall vereinzelt Kritik auf. Das ist
egitim. Ich will kurz auf die am häufigsten geäußerten
edenken eingehen: Befürchtungen, dass mit der Initia-
ive des Bundesrates eine grundsätzliche Zustimmung
ur Liberalisierung des Arzneimittelmarktes verbunden
ein könnte, soll an dieser Stelle entschieden entgegen
etreten werden. Im Gegenteil: Der Zugang zu seriöser,
eprüfter Information soll erleichtert und dem Verbrau-
her gleichzeitig verdeutlicht werden, dass hinter zu-
ächst harmlos scheinenden Beschwerden ernsthafte Er-
rankungen stehen können, die immer der Abklärung
nd Behandlung durch Fachleute bedürfen.
Ich bin überzeugt, dass mit den vorgesehenen Neure-
elungen eine sinnvolle und dringend notwendige An-
assung der Bestimmungen zur Heilmittelwerbung an
ie veränderten Bedürfnisse von Patienten und Anbie-
ern erfolgen wird. Mit Blick auf den europarechtlichen
ahmen und das Recht auf Information für die Verbrau-
her, ist eine Liberalisierung der Heilmittelwerbung
ringend geboten. Ich möchte Sie daher bitten, die Vor-
chläge des Bundesrates aufzugreifen und eine Novelle
es Heilmittelwerbegesetzes zügig zu verabschieden.
us meiner Sicht ist ein Zuwarten auf das von der
undesregierung angekündigte Gesetzespaket zu einer
llgemeinen Reform des Arzneimittelrechts nicht sinn-
oll. Sowohl für die Verbraucher als auch für die meist
14772 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 157. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Februar 2005
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mittelständischen Firmen ist ein unnötiger Aufschub
nicht zumutbar.
Im Übrigen wurde ein erster Referentenentwurf für
die 14. Arzneimittelgesetz-Novelle in Fachkreisen be-
reits vorgestellt. Obwohl die Bundesregierung einen grö-
ßeren Reformbedarf im Heilmittelwerbegesetz einge-
räumt hat, verschenkt sie die Chance, diesen jetzt
anzupacken. Das Einzige, was bislang von den Vorschlä-
gen des Bundesrates aufgegriffen wurde, ist das Verbot
der Werbung für nicht erforderliche schönheitschirurgi-
sche Eingriffe. Von der Vorlage der Bundesregierung bin
ich daher sehr enttäuscht und sehe mich in der Notwen-
digkeit bestätigt, die Liberalisierung der Heilmittelwer-
bung in einem eigenständigen Gesetz vorab umzusetzen.
Anlage 5
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Wettbewerb und In-
novationsdynamik im Softwarebereich sichern –
Patentierung von Computerprogrammen effek-
tiv begrenzen (Tagesordnungspunkt 16)
Dirk Manzewski (SPD): Wir debattieren am heuti-
gen Tag abschließend über unseren interfraktionellen
Entschließungsantrag zu dem Richtlinienvorschlag des
Europäischen Parlaments und des Rates zur Patentierung
computerimplementierter Erfindungen.
Der entsprechende Richtlinienvorschlag der EU war
von Anfang an von einer sehr kontroversen Debatte zwi-
schen den Betroffenen begleitet. Ich glaube, dass wir uns
hier im Deutschen Bundestag schnell darüber einig wa-
ren, dass der Diskussionsstand auf EU-Ebene auf für uns
zentrale Fragen bislang keine hinreichenden Lösungen
aufweist.
Unbestritten ist, dass Computer- und damit software-
basierte Informations- und Kommunikationstechniken
einen erheblichen und auch weiter zunehmenden Anteil
an der Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit der Wirt-
schaft haben.
Strittig ist jedoch, inwieweit patentrechtliche Instru-
mente geeignet oder gar erforderlich sind um diese inno-
vativen und ökonomischen Potenziale optimal nutzen zu
können.
Insoweit stellt dieser interfraktionelle Entschlie-
ßungsantrag – dies muss man so deutlich sagen – auch
einen Kompromiss zwischen denjenigen unter uns dar,
die insoweit für eher weniger Rechtsschutz plädieren
und sich hiervon mehr Innovation und Wettbewerb ver-
sprechen und den Kolleginnen und Kollegen wie mir, die
den Schutz geistigen Eigentums als Innovationsmotor
ansehen und sich hiervon einen größeren wirtschaftli-
chen Nutzen für unser Land erhoffen.
Der Entschließungsantrag berücksichtigt beide Inte-
ressen, da die Grenzen der Patentierbarkeit von Compu-
terprogrammen auch nach meinem Verständnis nicht
mehr klar gezogen sind und häufig genug im Wider-
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pruch zu den Grundsätzen stehen, die wir im Patent-
echt vermeintlich insoweit geregelt haben.
Ich stimme zwar mit der EU darüber überein, dass
echnische Erfindungen auch dann dem Schutz des
atentrechts zugänglich sein müssen, wenn sie Soft-
arekomponenten enthalten. Ich bin jedoch ebenso der
uffassung, dass insbesondere die Definition des techni-
chen Beitrags deshalb in diesem Zusammenhang ein-
ach konkreter gefasst werden muss.
Die innerhalb Europas herrschende unterschiedliche
echtspraxis und insbesondere die jüngere Patentie-
ungspraxis des Europäischen Patentamtes haben inso-
eit zu einer hohen Verunsicherung geführt.
Eine EU-Richtlinie wird aber nur dann die von uns
ewünschten Effekte mit sich bringen, wenn eindeutige
oraussetzungen für die Patentierbarkeit von Computer-
rogrammen und computerimplementierten Erfindungen
orliegen.
Es ist deshalb nur folgerichtig, die Bundesregierung
emeinsam aufzufordern, darauf hinzuwirken, dass bei
en weiteren Beratungen auf EU-Ebene die Definition
es technischen Begriffs konkreter gefasst wird und der
egriff „Technik“ sich dabei an der Definition des
GHs orientieren sollte.
Ziel muss es ein, hierdurch so genannte Trivialpatente
u verhindern und die Patentierbarkeit von Geschäftsme-
hoden sowie reinen Algorithmen nicht zuzulassen. Vor
llem Trivialpatente bringen übrigens keinen echten
ortschritt, sondern verhindern diesen eher.
Ebenso macht es Sinn, dass sich die Bundesregierung
uf EU-Ebene für die Durchführung einer unabhängigen
valuierung der Entscheidungspraxis der Patentämter,
nsbesondere des Europäischen Patentamts, einsetzt.
Auch, wenn ich als Rechtspolitiker der SPD bei der
inen oder anderen Formulierung dieses gemeinsamen
ntschließungsantrages sozusagen „eine Kröte schlu-
ken musste“, möchte ich mich bei allen – insbesondere
ei den Kolleginnen und Kollegen der Opposition – da-
ür bedanken, dass wir diesen Entschließungsantrag in-
erfraktionell hinbekommen haben.
Mein ganz besonderer Dank gilt den Mitarbeitern der
raktionen, die die unterschiedlichen Auffassungen der
raktionen und deren verschiedenen Arbeitsgruppen zu
oordinieren hatten. Sicherlich keine einfache Aufgabe.
rlauben Sie mir für meine Fraktion insoweit namentlich
ermin Fazlic zu nennen.
Jörg Tauss (SPD): Ich bin sehr glücklich, dass es
ns gemeinsam gelungen ist, in einer, wie ich finde, für
ie Zukunft der Innovationsfähigkeit Deutschlands sehr
ichtigen Frage über alle Fraktionsgrenzen hinweg eine
emeinsame Position zu finden.
Mein Dank gilt den Berichterstattern und Fraktions-
itarbeitern, die hier in einer sehr konstruktiven und
ielorientierten Weise zu einem klaren Votum des Bun-
estages gefunden haben. Der interfraktionelle Antrag,
en wir heute einstimmig beschließen wollen, stellt
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 157. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Februar 2005 14773
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selbstverständlich allein deshalb einen Kompromiss dar,
da er die sehr kontroversen Positionen und quer durch
die Regierungen verlaufenden Konfliktlinien auszuglei-
chen sucht.
Ich denke, dass es ihm gelingt, und möchte ihnen
gleich drei Punkte darlegen, die mich zu dieser Überzeu-
gung führen.
Vorweg möchte ich jedoch auf die für mich überra-
schendste Erfahrung in dieser Debatte eingehen. Ich
meine das große Engagement, teilweise auch die Emo-
tionalität, mit denen die Auseinandersetzungen geführt
wurden und werden. Ich meine auch das große, quer
über Europa vernetzte Engagement vieler zivilgesell-
schaftlicher Organisationen und Gruppen.
Ich hätte es vor viereinhalb Jahren, als mich die Dis-
kussion erreichte, nicht für möglich gehalten, dass das
Patentrecht – gerade in Kombination mit der Informatik
und Softwareentwicklung – tatsächlich eine derartige
Motivationskraft entfalten kann, immerhin genug Moti-
vation, um Tausende Menschen in ganz Europa in Bewe-
gung zu setzen und sie dazu zu bringen, aktiv für ihre
Überzeugungen einzustehen. Dies zeigte sich bereits bei
der Konsultation der EU-Kommission Ende 2000, bei
der 1 300 Beiträge eingingen und allein 1 200 von klei-
nen und mittleren Unternehmen der Branche, Aktivisten
der Open-Source-Gemeinde sowie zivilgesellschaftli-
chen Gruppen.
Auch eine kurzfristige Befragung der Bundesministe-
riums für Wirtschaft und Arbeit im Vorfeld der Beratun-
gen im Rat im Mai 2004 hat in kürzester Zeit über
1 000 Eingaben produziert. Ganz nebenbei wird hier ein
altes Vorurteil widerlegt, demnach etwa Informatiker
und Informatikerinnen in der Regel einen unpolitischen
oder technokratischen Ansatz haben. Sie sind mitnichten
die „Fachmenschen ohne Geist“, wie sie uns Max Weber
am Ende des gesellschaftlichen Rationalisierungsprozes-
ses vorhergesagt hatte. Sie sind hoch qualifizierte, kriti-
sche und engagierte oft junge Menschen, die für ihre In-
teressen und Überzeugungen aufstehen und sich in
politische Prozesse einmischen.
Natürlich dürfen wir die nach unseren Maßstäben da-
mit einhergehenden Verluste an Genauigkeit, Fokussie-
rung und Zielgerichtetheit der Diskussionen nicht über-
sehen. Gerade wir, die wir auch Verantwortung tragen,
dürfen dies nicht ignorieren.
Aber ich möchte mich in unserem Namen bei den vie-
len Menschen bedanken, die mit ihrem – ebenso ehren-
amtlichen wie idealistischen – Engagement mit dazu bei-
getragen haben, dass wir heute noch Einfluss nehmen
können auf einen Entwurf zu einer Richtlinie. Andern-
falls hätten wir heute sicher nur über die nationale Um-
setzung einer bereits verbindlichen Vorgabe aus Brüssel
befinden können, da bin ich mir sicher. Mein besonderer
Dank gilt hier natürlich der Open-Source-Szene, die be-
wiesen hat, dass sie nicht nur gute Programme schreiben
kann, sondern auch etwas zur gesellschaftlichen Ent-
wicklung zu sagen hat.
Nach diesem Dank möchte ich nur drei Punkte an-
sprechen, die uns meines Erachtens mahnen, bei der For-
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ulierung verbindlicher Vorgaben auf europäischer
bene sehr vorsichtig zu sein und äußerste Sorgfalt wal-
en zu lassen. Da ich hinsichtlich des geforderten techni-
chen Beitrages den Ausführungen meines Kollegen
irk Manzewski nichts hinzufügen muss und die Argu-
ente auch mehrfach ausgetauscht sind, möchte ich
ich hier auf drei Anmerkungen konzentrieren.
Erstens wird der von der EU-Kommission angeführte
kute Harmonisierungsbedarf von weiten Teilen der
irtschaft gar nicht als dringlich empfunden. Sicherlich
egten und legen die Patentämter einzelner Mitgliedstaa-
en die einschlägigen Abkommen, nämlich das Euro-
äische Patent-Übereinkommen und das TRIPS-Ab-
ommen im Rahmen der WTO, in Einzelfällen
nterschiedlich aus. Aber entscheidend für die europäi-
chen Märkte – das sagen uns die Unternehmen doch im-
er wieder – sind nicht nationale Patente, sondern das
uropäische Patent des Europäischen Patentamts EPA.
Das heißt, wir haben hier ein Levelled Playground,
uch ohne dass die EU für ihre Mitgliedstaaten eine ver-
indliche Vorgabe zur Schaffung eines einheitlichen
innenmarktes macht. Hier besteht dieser im Wesentli-
hen bereits; denn entweder sie erhalten ein EPA-Patent
der sie erhalten es nicht. Hinter vorgehaltener Hand
timmen ihnen die Patentabteilungen der Konzerne zu,
ass der Harmonisierungsbedarf recht konstruiert er-
cheint.
Hieraus ergibt sich allerdings auch ein Problem. Denn
enn letztlich die Patentierungspraxis des EPA entschei-
end ist, stellt sich die Frage, wie und vor allem durch
en eventuelle Fehlentwicklungen in der Patentierungs-
raxis des EPA korrigiert werden können. Von daher
onnte die Ankündigung der Kommission, lediglich die
ängige Patentierungspraxis kodifizieren zu wollen, nur
ls Drohung verstanden werden, wenn damit die stritti-
en jüngeren Entscheidungen des EPAs gemeint sein
ollten.
Ich mache kein Hehl daraus, dass ich dieser Entwick-
ung kritisch gegenüberstehe. Eine Evaluierung dieser
raxis ist unbedingt notwendig, allein um die oft zitier-
en, aber selten belegten 30 000 Softwarepatente besten-
alls zu widerlegen. Der Antrag fordert dies somit zu
echt. Ich freue mich aber, zu hören, dass allein die kon-
roverse Debatte hier dazu geführt hat, dass die Patent-
mter bereits kritischer in der Vergabe geworden sind,
enn Software ein wichtiger Bestandteil einer bean-
pruchten Erfindung ist.
Zudem basiert das EPA nicht auf gemeinschaftsrecht-
ichen Vereinbarungen, sondern eben auf völkerrechtli-
hen Verträgen wie WIPO und EPÜ sowie auf einer in-
ernationalen Organisation, der European Patent
rganization, EPO. Wie auf die EPO und das EPA mit
itteln der EU-Gesetzgebung Einfluss genommen wer-
en soll, ist mir persönlich schleierhaft. Dies scheint mir
in grundlegender Konstruktionsfehler des Kommis-
ionsvorschlags zu sein, nämlich auf eine externe Insti-
ution, das EPA, rekurrieren zu wollen, ohne ein entspre-
hendes übergreifendes institutionelles Instrumentarium
u besitzen.
14774 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 157. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Februar 2005
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Die Vorsicht hinsichtlich gesetzgeberischer Maßnah-
men ist aber vor allem deshalb angebracht, da etwa das
Problem innovationsirrelevanter Patente – den viel zi-
tierten so genannten Trivialpatenten – im Grunde gar
kein legislatives Problem ist. Auch Patentbefürworter
wollen keine Trivial- oder Logikpatente, da sie wissen,
dass sie langfristig die gesellschaftliche Akzeptanz des
Patentsystems als Innovationsinstrument infrage stellen.
Das kann keiner wollen. Der sichere Ausschluss dieser
Trivial- oder Logikpatente ist aber in erster Linie eine
Frage der Erfindungshöhe des Gegenstandes, also der si-
cheren Feststellung ihres innovativen Gehalts – damit
aber auch in erster Linie eine Frage der Qualitätssiche-
rung bei den Patentämtern. Hier sind eher die Ausbil-
dung und die Ausstattung der Patentämter gefragt als die
Schaffung neuer salomonischer Normen – seien es natio-
nale, europarechtliche oder internationale.
Zweitens zeigt die Debatte auch, wie groß bereits der
Flurschaden durch überzogene Patentansprüche nicht
nur in Deutschland, sondern auch in Europa und sogar in
den USA ist. Hier ist es ein Warnzeichen, dass mittler-
weile neben der Entwicklung im Pharma- und Agrarbe-
reich – Stichworte „Aidsmedikamente“ oder „genetisch
verändertes Saatgut“ – immer auch die Frage der Soft-
warepatente in den USA als Indiz angeführt wird, dass
geistiges Eigentum kaum noch positive gesellschaftliche
Effekte zu befördern vermag. Wenn Patente im gesell-
schaftlichen Diskurs zunehmend als Entwicklungs-
hemmnis verstanden und als Blockademittel weniger
großer und kleiner „Wegelagerer“ wahrgenommen wer-
den, die den Kreativen und Innovativen entgegenarbei-
ten, ist das ein Warnzeichen.
Gerade für diejenigen, die die Überzeugung teilen
– die SPD-Bundestagsfraktion gehört dazu –, dass der
hinreichende Schutz des geistigen Eigentums unver-
zichtbar ist zum Erhalt und zur Entwicklung der kreati-
ven gesellschaftlichen Potenziale im Interesse der Krea-
tiven, der Kultur, Wirtschaft und Gesellschaft insgesamt,
ist eine klare und nachvollziehbare Unterscheidung von
patentierbaren und nicht patentierbaren Gegenständen
unabdingbar.
Wie sich in diesem Zusammenhang der kategorische
Ausschluss von Patenten auf Computerprogramme als
solche und die im Entwurf des gemeinsamen Stand-
punkts des Rates vorgesehenen Programmansprüche
nicht widersprechen sollen, ist doch weder darstellbar
noch vermittelbar. Folglich fordert der Antrag zu Recht
einen Verzicht auf Programmansprüche.
Drittens ist es erwähnenswert, dass der Deutsche
Bundestag hier mit dem interfraktionellen Antrag zu ei-
ner gemeinsamen Auffassung gelangt ist, obgleich wir
auf das Gesetzgebungsverfahren im Grunde nur mei-
nungsbildend einwirken können – aber immerhin, das
sollten wir dann auch tun. Denn der vorliegende Antrag
will insbesondere ein Defizit der Brüsseler Beratungen
ein Stück weit korrigieren. Der zentrale, mich befrem-
dende Aspekt seit dem Vorschlag der Kommission für
eine Richtlinie ist die nachdrückliche Ignoranz, mit der
in Brüssel den tatsächlichen europäischen und deutschen
wirtschaftlichen Interessen im Softwarebereich begegnet
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ird. Es sind die kleinen und mittleren Betriebe, die bei
ns und auch in Europa die Träger der Dynamik und In-
ovation im IT-Bereich sind. Es sind die kleinen und
ittleren Unternehmen, die bei uns die hoch qualifizier-
en Zukunftsjobs schaffen. Dies ist selbstverständlich
eine Geringschätzung der Großunternehmen, aber aus
tandort- wie innovationspolitischer Sicht wären wir
alsch beraten, an dieser Stelle keine vor allem mittel-
tandsorientierte Politik zu betreiben.
Sie alle werden wie ich haufenweise Post und E-Mails
on vielen kleinen und mittleren Softwareunternehmen
us ihren Wahlkreisen erhalten haben. Entgegen der ver-
reiteten Annahme verdienen die meisten dieser Unter-
ehmen ihr Geld eben nicht mit Open Source, sondern
uf klassischer Weise mit proprietärer Software wie die
roßen Anbieter auch, wie Microsoft, HP, Oracle, Sie-
ens oder SAP. Bill Gates erfasst das Problem somit
itnichten, wenn er von einem neuen „Kommunismus“
er Open-Source-Missionare spricht. Bei allem Ver-
tändnis für Zuspitzungen – auch ich soll ja gelegentlich
azu neigen –: So einfach ist die Sache nun einmal nicht.
Sicherlich sind die vielen Zuschriften und Anfragen
uch Ergebnis einer Mobilisierungskampagne verschie-
ener Gruppen. Aber wir müssen uns doch als verant-
ortliche Politiker die Frage stellen, ob allein deshalb
ie Sorgen dieser Unternehmen automatisch unberech-
igt sind. Sie sind es nicht, wie ich meine. Für mich wird
s wohl ewig ein Mysterium bleiben, wie Brüssel offen-
ichtlich in dieser Frage den europäischen Mittelstand in
er Softwarebranche im Regen stehen lassen will. Wir
achen das nicht mit, um es ganz klar und deutlich zu
agen – dies schon gar nicht zugunsten US-amerikani-
cher Großkonzerne, deren Interessen sicherlich legitim,
ber eben nicht immer kompatibel zu unseren europäi-
chen sind.
Zum Schluss möchte ich mich noch bei einer zweiten
nstitution bedanken, die dies bisher ebenfalls nicht mit-
emacht und die – man könnte sagen, Gott sei Dank –
ine zentrale Rolle im Gesetzgebungsverfahren spielt:
ch meine das Europäische Parlament. Erst die mutigen
eschlüsse des EP vom September 2003 haben die tat-
ächliche Konfliktlage für viele deutlich werden lassen.
ch will hier von einigen auch meines Erachtens klä-
ungsbedürftigen Begriffen und Wendungen in dem EP-
ntwurf absehen. Ohne die Kolleginnen und Kollegen
es EP hätten wir bereits eine Richtlinie, die deutschen
nd auch europäischen Interessen mittelfristig zuwider-
iefe.
Natürlich freut es mich als Parlamentarier besonders,
ass es in dieser Frage oft die Parlamente waren und
och sind, die offensichtliche Fehlentwicklungen thema-
isiert und auf öffentlicher Bühne kontrovers diskutiert
aben; denn dort gehört diese Debatte auch hin. Ich
anke an dieser Stelle stellvertretend unseren Kollegen
nd Kolleginnen in Spanien, in den Niederlanden, in Po-
en und in Dänemark. Es wird auch wieder das Europäi-
che Parlament sein, das am Ende des Richtlinienprozes-
es steht. Ich bitte das Europäische Parlament
unabhängig von der Frage eines Neustarts des Verfah-
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 157. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Februar 2005 14775
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rens –, dem gemeinsamen Standpunkt des Rates in der
gegenwärtigen Entwurfsfassung nicht zuzustimmen.
Ich fordere alle Beteiligten auf, in einem Vermitt-
lungsverfahren die Chance zu nutzen, zu einer ausgewo-
genen und den europäischen Interessen entsprechenden
Richtlinie zu kommen. Ein Bemerkung sei mir noch er-
laubt: Auch ein völliges Scheitern des Richtlinienvorha-
bens hätte meines Erachtens doch bestenfalls marginale
Auswirkungen.
Dr. Günter Krings (CDU/CSU): Wir erleben heute
einen der seltenen Fälle, in denen alle Fraktionen des
Hauses einen gemeinsamen Antrag zur Abstimmung
stellen. Für die konstruktive Zusammenarbeit möchte
ich den beteiligten Kollegen aus allen Fraktionen dan-
ken. Unser gemeinsames Vorgehen ist umso wichtiger,
weil wir im Rahmen europäischer Gesetzgebung nur
dann eine Chance haben, die Position des Deutschen
Bundestages einzubringen, wenn wir mit einer Stimme
sprechen. Das gilt erst recht dann, wenn es sich wie hier
bei den Softwarepatenten um ein Thema handelt, in dem
die zuständige Ministerin bislang nicht gerade sehr
glücklich agiert hat.
Die Fraktionen stehen an dieser Stelle zusammen.
Das ist ein ebenso wichtiges wie ermutigendes Zeichen
für einige Tausend mittelständische Software-Entwickler
mit Zehntausenden von Arbeitnehmern in Deutschland.
Es ist zugleich ein Zeichen, das die Bundesregierung
nicht länger ignorieren kann. Dass es angesichts der zu-
nächst abweichenden Auffassung der Justizministerin
überhaupt möglich ist, einen fundierten Antrag aus der
Mitte dieses Hauses zu diesem komplexen Thema zu er-
arbeiten, verdanken wir vor allem den Fraktions- und
Abgeordneten-Mitarbeitern, die an diesem Antrag ge-
schrieben haben. Ich möchte mich daher für die geleis-
tete Arbeit namentlich bedanken bei Herrn Nermin
Fazlic und Frau Petra Marmann von der SPD, bei Herrn
Oliver Passek und Frau Franziska Vilmar von den Grü-
nen, bei Herrn Ole Jani von der FDP sowie bei meinem
Mitarbeiter, Herrn Jörn Henkel.
Ohne allzu sehr in Eigenlob zu verfallen, können wir
heute festhalten, dass wir eine sehr differenzierte und
sachorientierte Betrachtung der Patentierbarkeit so ge-
nannte „computerimplementierter Erfindungen“ vorge-
nommen haben. Ich will an dieser Stelle noch einmal die
Punkte des Antrags herausstellen, die der CDU/CSU-
Bundestagsfraktion besonders wichtig sind. Mit dem dif-
ferenzierten Forderungskatalog des interfraktionellen
Antrags haben wir uns bewusst nicht die Position des
Europäischen Parlamentes vom September 2003 zu ei-
gen gemacht. Bei allen Problemen, die der Ratsentwurf
hat, darf man nicht darüber hinwegsehen, dass auch die
Änderungsvorschläge des Europäischen Parlaments an
einigen Stellen problematisch sind.
Leider ist in der Öffentlichkeit häufig der Eindruck
erweckt worden, es gäbe nur die beiden Möglichkeiten:
entweder die Position des Europäischen Parlaments oder
die Ratsversion der Richtlinie. Dabei drohte das eigentli-
che Ziel aus den Augen zu entschwinden. Nämlich eine
Richtlinie zu verabschieden, die ihrem Namen gerecht
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ird: die Patentierung von technischen, computerimple-
entierten Erfindungen mit einer entsprechenden Erfin-
ungshöhe zu ermöglichen, ohne damit reine Software
nd banale Programmierideen mit Patentschutz auszu-
tatten. Der interfraktionelle Antrag legt daher den Fin-
er in zwei empfindliche Wunden. Zum einen wird die
ufnahme einer konkreten Technikdefinition gefordert.
um andern werden selbstständige Programmansprüche
usgeschlossen.
Die EU-Richtlinie muss stärker betonen, dass Patente
ur für Erfindungen vergeben werden können. Wir ha-
en uns dabei keineswegs mit einer allgemeinen Forde-
ung nach einer konkreten Technikdefinition begnügt,
ondern wir weisen ausdrücklich auf die Technikdefini-
ion des Deutschen Bundesgerichtshofs als handhabba-
en und gerechten Maßstab auch für das europäische
echt hin. Wenn es in Brüssel gelingt, dieser Forderung
um Durchbruch zu verhelfen, dürften alleine dadurch
rivialpatente weitgehend beim Patentschutz außen vor
leiben.
Der andere Punkt, der aus Sicht der CDU/CSU-Bun-
estagsfraktion eine gewichtige Rolle spielt, sind die so
enannten Programmansprüche. Die Formulierung
ierzu ist im Ratsentwurf jedenfalls sehr missverständ-
ich ausgefallen. Würde man die Patentierung von Pro-
rammansprüchen grundsätzlich zulassen, wären Soft-
arepatente nicht mehr aufzuhalten. Art. 5 der Richtlinie
m Ratsentwurf kann daher so nicht stehen bleiben, son-
ern muss geändert werden.
Ich bin froh, dass wir mit unserem heutigen Beschluss
och rechtzeitig kommen, um der Bundesregierung eine
lare Richtlinie für ihre weiteren Verhandlungen in
rüssel mit auf den Weg zu geben. Zwischendurch sah
s ja mehrfach so aus, als ob wir ein wenig spät dran wä-
en. Als wir vor knapp vier Monaten im Bundestag die-
es Thema behandelt haben, hätte wohl kaum einer ver-
utet, dass der EU-Ministerrat bis heute den im Mai
etzten Jahres ausgehandelten gemeinsamen Standpunkt
icht offiziell verabschiedet hat. Selten wurde die Verab-
chiedung eines Richtlinienentwurfs so oft angekündigt
ie bei der Richtlinie über computerimplementierte Er-
indungen. Der Richtlinien-Entwurf erweist sich als eine
rt „schwarzer Peter“, den eine EU-Ratspräsidentschaft
n Empfang nimmt, um ihn dann an ihre Nachfolger wei-
erzureichen. Nachdem die niederländische Regierung
ich schon die Zähne daran ausgebissen hat, sind nun die
uxemburger an der Reihe. Ihre Versuche, die Richtlinie
uf die Tagesordnung von Ministerratssitzungen im Ja-
uar und Februar zu setzen, scheiterten ebenso kläglich
ie die Bemühungen der Niederländer, noch kurz vor
em Jahreswechsel die Sache klar zu machen. Bei dem
einlichen Spiel um die Richtlinie hat die deutsche Bun-
esregierung leider eine unrühmliche Rolle gespielt. Zu-
ächst erklärte die Justizministerin im Mai letzten Jahres
och öffentlich, Deutschland stimme der Richtlinie im
inisterrat so nicht zu. Wenige Tage später gab es dann
och ein „Ja“ aus Deutschland. Mit dieser entscheiden-
en Stimme in Brüssel hat Frau Zypries überhaupt erst
afür gesorgt, dass der unausgegorene Entwurf ein ge-
einsamer Standpunkt werden konnte und nur noch for-
al vom EU-Ministerrat verabschiedet werden musste.
14776 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 157. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Februar 2005
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Nach der Geschäftsordnung des Ministerrats, deren
Ausgestaltung im Einzelnen auch nicht gerade zu Steige-
rung meines Enthusiasmus für die Europäische Union
beiträgt, war damit eine inhaltliche Diskussion eigent-
lich nicht mehr möglich.
Das Damoklesschwert der Richtlinie hing damit über
den betroffenen Software-Entwicklern und nur der Kri-
tik der polnischen Regierung war es zunächst zu verdan-
ken, dass es an seinem Platz blieb und die endgültige
Abstimmung ein ums andere Mal verschoben wurde.
Um die Jahreswende griffen dann die Minister Trittin
und Künast ins Schwarze-Peter-Spiel ein: Zunächst
sollte die Richtlinie im Umweltrat verabschiedet wer-
den. Dann hätte der grüne Umweltminister Jürgen Trittin
seine Hand für Softwarepatente heben müssen. Der
wollte aber nicht. Nach der Absetzung dort wurde die
Richtlinie von der niederländischen Ratspräsidentschaft
auf die Tagesordnung des Agrar- und Fischerrates ge-
setzt und damit hieß die zuständige Ministerin eben
Renate Künast. Die blieb bei dem entscheidenden Tages-
ordnungspunkt einfach der Sitzung fern und schickte
eine Vertreterin in die Sitzung. Das Ganze trägt schon
gewisse kabarettistische Züge!
Aber es kommt noch schlimmer: Im Dezember mel-
dete sich dann auch wieder die Justizministerin zu Wort.
Nach dem Scheitern der Richtlinie in der letzten Ratssit-
zung des vergangenen Jahres erklärte sie scheinbar ge-
läutert – ich zitiere aus der Pressemitteilung der Justiz-
ministerin: „Wir werden weiter konstruktiv mitarbeiten,
um eine Lösung zu suchen, die allen Beteiligten noch
besser gerecht wird als der Beschluss im Mail dieses
Jahres. Dabei werden wir auch die inzwischen formu-
lierte Position des Deutschen Bundestages in die Debatte
auf Ratsebene einbringen“.
Die Ankündigung ist löblich. Einen entsprechenden
Arbeitsnachweis ist die Ministerin aber bis heute schul-
dig geblieben. Stattdessen war es gerade die Bundesre-
gierung, die im Ministerrat nicht mehr an dem Richtli-
nienentwurf rütteln wollte. Zum zweiten Mal innerhalb
von neun Monaten macht die Ministerin in Sachen Soft-
ware-Patente eine Ankündigung, um sich anschließend
völlig entgegengesetzt zu verhalten. Von Wertschätzung
gegenüber diesem Parlament einschließlich seiner Re-
gierungsfraktionen zeugt dies jedenfalls nicht. Die Bun-
desregierung gibt in dieser europäischen Debatte ein
konfuses und desaströses Bild ab: Seit einem Jahr verun-
sichert ihre Politik die Software-Wirtschaft. Wenn es
noch eines Beweises bedurft hätte, dass die Beteiligung
des Bundestages bei der Europapolitik der Bundesregie-
rung mangelhaft ist, so liefert ihn die ebenso starrköp-
fige wie peinliche Verhandlungsführung bei den Soft-
warepatenten.
Wir nehmen mit unserem Antrag die Ängste und Sor-
gen der IT-Branche auf. Diese Branche ist eine der letz-
ten Wachstums- und Innovationsbranchen in unserem
Land und hätte Unterstützung durch die Bundesregie-
rung verdient.
Dass es sich bei der Kritik an dem Richtlinienentwurf
nicht um den einsamen Kampf einer Spezialbranche
handelt, zeigt aber auch die Stellungnahme des Bundes-
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erbandes der mittelständischen Wirtschaft, der sich auf
ie Seite des Bundestages geschlagen hat und unsere Be-
enken teilt. Entgegen der Wahrnehmung in der Öffent-
ichkeit – und offenbar auch in der Bundesregierung –
ird nämlich die IT-Branche keineswegs von großen
nternehmen beherrscht, sondern vier von fünf Ange-
tellten dieses Wirtschaftszweiges arbeiten bei mittel-
tändischen Unternehmen. Eine überbordende Vergabe
on Patenten würde den Mittelständlern das Wasser ab-
raben. Sie würden sich wohl zunehmend den patent-
echtlichen Angriffen großer Unternehmen ausgesetzt
ehen, die im Zweifel bei Patentstreitigkeiten den länge-
en Atem und die größere Patentabteilung haben dürften.
Unsere Volkswirtschaft braucht einen effektiven Pa-
entschutz. Aber sie braucht ihn für technische Erfindun-
en. Eine Politik, die den Patentschutz auf Geschäfts-
deen und bloße Computerprogramme ausdehnt, verlegt
ie Patente bis weit in das Gebiet des Urheberrechts hi-
ein. Sie bringt die Systematik durcheinander zwischen
em Urheberrecht, das nur die spezifische Ausdrucks-
orm einer Idee schützt, und dem Patentrecht, das die
dee als solche unter Schutz stellt und damit monopoli-
iert. Eine solche Überdehnung zerstört die gesellschaft-
iche und wirtschaftliche Akzeptanz des Patentsrechts.
enn Patentämter den Fortschrittsbalken und den elek-
ronischen Einkaufswagen unter Patentschutz stellen,
ann diskreditiert das letztlich den Gedanken des Patent-
chutzes und des Schutzes von geistigem Eigentum
berhaupt. Das dürfen wir nicht zulassen.
Und lassen Sie mich noch eine Anmerkung zur Paten-
ierungspraxis des Europäischen Patentamtes machen.
ie zum Teil abstrusen Beispiele, die zurecht gegen ein
usuferndes Patentrecht vorgebracht werden, stammen
ben fast alle aus Patenturkunden des EPA. Es hat die
echnizität als Voraussetzung aufgeweicht, das Krite-
ium der Erfindungshöhe heruntergeschraubt und die
rivialpatente salonfähig gemacht. Der gegenwärtige
ichtlinien-Entwurf würde diese Patentierungspraxis ins
ationale Recht übertragen und sie damit indirekt bestä-
igen.
Ich will dabei keineswegs verschweigen, dass sich die
atentierungspraxis des Europäischen Patentamtes in
etzter Zeit verändert hat und die Patenterteilung restrik-
iver gehandhabt wird. Aber ein Rückfall in triviale Zei-
en muss verhindert werden und dafür reicht der Ratsent-
urf nicht aus. Daher fordern wir auch eine kritische
berprüfung der Arbeit des EPA.
Wenn vier Fraktionen und 600 Abgeordnete des Deut-
chen Bundestages eine Umkehr in der Politik der Bun-
esregierung in Sachen Softwarepatente fordern und so-
ar mehrere Minister ihre Hand nicht heben mögen für
iese Regierungspolitik, dann sollte das Ihnen zu denken
eben. Auch unsere europäischen Abgeordnetenkolle-
en haben sich in einem Beschluss inzwischen für den
eustart des Rechtsetzungsverfahrens im Europäischen
arlament ausgesprochen, um die verfahrene Situation
u entschärfen und nach einer konstruktiven Lösung zu
uchen. Diesen Vorstoß, der nun auch maßgeblich von
en zuständigen Vertretern der Europäischen Volkspartei
etragen wird, sollte sich die Bundesregierung zu Her-
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 157. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Februar 2005 14777
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zen nehmen. Jetzt ist daher die Stunde der Justizministe-
rin, die Interessen der Software-Entwickler und ihrer
Mitarbeiter zum Maßstab ihrer Verhandlungen in Brüs-
sel zu machen. Wir warten auf Taten.
Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Äu-
ßerst kontrovers ist der Richtlinienvorschlag über die
Patentierbarkeit computerimplementierter Erfindungen
diskutiert worden. Bereits in der ersten Lesung des
Europäischen Parlaments im Herbst 2003 hat es zahlrei-
che Änderungsvorschläge gegeben. Der dann folgende
Gemeinsame Standpunkt des Ministerrats von Mai 2004
ist von vielen Vereinen und Lobbygruppen – und zu
Recht – kritisiert worden. Alle Fraktionen haben diese
Kritik sehr ernst genommen und sich eingehend mit dem
Ratsvorschlag auseinander gesetzt. Im Ergebnis haben
wir den Gemeinsamen Standpunkt übereinstimmend für
unzulänglich befunden. Statt zu mehr Rechtssicherheit
bei der Patentvergabe im Bereich von computerimple-
mentierten Erfindungen führt der Vorschlag zu mehr Un-
sicherheit.
Um aber Rechtssicherheit herzustellen, müssen die
Begriffe „technischer Beitrag“ und „Technik“ so genau
wie möglich bestimmt werden. Nur dann ist es nachvoll-
ziehbar, wann eine computerimplementierte Erfindung
patentiert werden kann und wann nicht. Der Ratsvor-
schlag wird dieser Anforderung nicht gerecht. Er
schließt die von uns befürchtete und nicht gewollte Pa-
tentierung von Computerprogrammen „durch die Hinter-
türe“ nicht aus. Genau darauf haben wir unter anderem
in unserem interfraktionellen Antrag hingewiesen.
Zwar liegt die Nachbesserung des Richtlinienvor-
schlags nicht in den Händen des Deutschen Bundestags,
sondern in denen der Abgeordneten des Europaparla-
ments und der Regierungen der EU-Staaten. Daher ist
und bleibt es allein Aufgabe der europäischen Rechtset-
zung, eine klare Abgrenzung zwischen Nichtpatentier-
barkeit von Software und möglicher Patentierbarkeit
computerimplementierter Erfindungen zu gewährleisten.
Wir haben uns jedoch entschlossen, mit unserer frak-
tionsübergreifenden Entschließung ein weiteres Mal von
unserem Recht nach Art. 23 GG Gebrauch zu machen.
Gegenüber EU-Parlament und Bundesregierung haben
wir klar formuliert, wie wir uns einen tragbaren Richtli-
nienvorschlag vorstellen. Ich halte es für gut und wichtig
dass der Bundestag in dieser Sache Stellung bezieht.
Noch besser und wichtiger ist es, dass Deutschland mit
einer Stimme in Brüssel spricht.
Die grundgesetzlich verankerte Gelegenheit zur Stel-
lungnahme des Bundestags haben wir schon bei anderen
Gesetzesvorhaben wie beispielsweise der EU-Beweis-
anordnung und dem EU-Mahnverfahren genutzt. Bereits
Ende letzten Jahres hat Bundesjustizministerin Brigitte
Zypries versichert, die vorliegende Entschließung zu be-
rücksichtigen. Ich zitiere aus der Pressemitteilung des
Bundesjustizministeriums vom 21. Dezember 2004. Da-
rin heißt es: „Wir werden weiter konstruktiv mitarbeiten,
um eine Lösung zu suchen, die allen Beteiligten noch
besser gerecht wird als der Beschluss vom Mai dieses
Jahres. Dabei werden wir auch die inzwischen formu-
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ierte Position des Deutschen Bundestages in die Debatte
uf Ratsebene einbringen.“
Es hat mich sehr gefreut, dass die Ministerin so
chnell und positiv auf unseren Antrag reagiert hat. Die
usage, unsere Position auf Ratsebene einzubringen, ist
ür das Thema der heutigen Debatte entscheidend. Und
ch möchte mich ausdrücklich beim Justizministerium
afür bedanken.
Diese Zusage ist aber auch noch unter einem ganz an-
eren – grundsätzlicheren – Aspekt hervorzuheben:
ntschließungen des Deutschen Bundestags gemäß
rt. 23 GG haben Einfluss auf die europäische Gesetz-
ebung. Sie fördern und stärken den europäischen Eini-
ungsprozess, weil sie den Bürgerinnen und Bürgern
ermitteln, dass sich ihre nationalen Abgeordneten um
iese EU-Gesetzgebung kümmern. Je frühzeitiger wir
m Bundestag europäische Regelungen kritisch prüfen
nd dazu unsere Positionen formulieren, desto größer
ird die Akzeptanz eines zusammenwachsenden Euro-
as.
Erst in der letzten Woche – auch auf Initiative grüner
uropaabgeordneter – hat der Rechtsausschuss des
uropaparlaments der Kommission empfohlen, das
ichtlinienverfahren neu zu starten. Wir hoffen, dass die
ommission diese Empfehlung berücksichtigt. Eines ist
edenfalls klar: Der Gemeinsame Standpunkt des Rats
ird in der Fassung von Mai 2004 nicht aufrechtzuerhal-
en sein.
Rainer Funke (FDP): Die Debatte um die so
enannte Softwarepatente-Richtlinie wird schon lange
icht mehr nur in Brüssel geführt. Im Bundestag hat die
DP dieses wichtige Thema in einem Antrag als erste
raktion aufgegriffen. Nach anfänglicher Zurückhaltung
aben auch die Kollegen aus den Koalitionsfraktionen
ie Bedeutung der Richtlinie und ihre Brisanz erkannt.
Wir freuen uns, dass sich alle Fraktionen dieses Hau-
es inzwischen auf einen gemeinsamen Standpunkt geei-
igt haben und dass wir die parlamentarische Initiative
einer Fraktion zu einem interfraktionellen Antrag wei-
erentwickeln konnten. Für die konstruktive Zusammen-
rbeit möchte ich Ihnen an dieser Stelle ausdrücklich
anken.
Als interfraktionelles Papier enthält der Antrag natur-
emäß Kompromisse. Gleichwohl wird auch dieser ge-
einsame Antrag unserem Grundanliegen gerecht.
Wir betonen, dass der Bundestag die Initiative zur
uropäischen Vereinheitlichung der Patentierungspraxis
n Bezug auf computerimplementierte Erfindungen be-
rüßt. Es geht uns also keineswegs darum, diese Richt-
inie an sich infrage zu stellen.
Wir machen aber deutlich: Die notwendige und sinn-
olle Vereinheitlichung der Patenterteilungspraxis darf
icht zu einer materiellen Ausweitung des Patentschut-
es für Software führen. Insbesondere muss im Interesse
er Rechtssicherheit in der Richtlinie die Definition des
echnischen Beitrages so genau wie möglich gefasst wer-
en. Denn nur mit einem klaren Technikbegriff, dessen
14778 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 157. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Februar 2005
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Ausgestaltung im Kern nicht der Rechtsprechung über-
lassen bleibt, lassen sich eine Qualitätskontrolle in der
Patentierungspraxis gewährleisten und die Patentierung
von so genannten Trivialpatenten verhindern.
Diesen Anforderungen wird der gemeinsame Stand-
punkt des Rates nach unserer gemeinsamen Überzeu-
gung nicht gerecht. Der Bundestag fordert deshalb die
Bundesregierung auf, sich dafür einzusetzen, dass in der
weiteren Debatte der Richtlinie die Zielrichtung der Be-
schlüsse des Europäischen Parlaments wieder stärker be-
rücksichtigt wird.
Diese Position des Bundestages hat bereits vor dieser
heutigen Debatte und ihrer offiziellen Verabschiedung
Aufsehen erregt und die Parlamente anderer Mitglied-
staaten ermutigt, ihre Kritik an der Position des Rates
ebenfalls zu artikulieren.
Nicht zuletzt deshalb hat die Debatte um die Richt-
linie auch in Brüssel in den vergangen Wochen einen
beispiellos kontroversen Verlauf genommen. Die end-
gültige Verabschiedung der gemeinsamen Position des
Rates ist mehrfach – zuletzt heute – verschoben worden.
Inzwischen ist nicht einmal der Neustart des Verfahrens
mehr ausgeschlossen. Die Konferenz der Präsidenten
des Europäischen Parlaments hat heute beschlossen, von
der EU-Kommission eine neue Vorlage für eine Richt-
linie über die Patentierbarkeit „computerimplementierter
Erfindungen“ zu verlangen. Die EU-Kommission wäre
gut beraten, diesem Votum zu folgen, denn damit wäre
die Chance für einen echten zweiten Anlauf eröffnet.
Wie auch immer es in Brüssel nun weitergeht: Die
Bundesregierung und insbesondere die Bundesjustiz-
ministerin dürfen die Forderungen des Bundestages im
Interesse ihrer eigenen Glaubwürdigkeit und im Inte-
resse einer sachgerechten Lösung nicht ignorieren.
Anlage 6
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Anträge:
– Häftlingshilfestiftung erhalten und finanziell
ausreichend ausstatten
– Unterstützung für ehemalige politische
Häftlinge umgehend sicherstellen
(Tagesordnungspunkt 17 a und b)
Hans-Joachim Hacker (SPD): Wir debattieren hier
Anträge der CDU/CSU, die überflüssig sind. Der Antrag
der Union vom September 2004 heißt: „Häftlingshilfe-
stiftung erhalten und finanziell ausreichend ausstatten.“
Im Jahr davor hatten Sie einen ähnlichen Antrag gestellt.
Auch dieser steht hier noch zur Debatte.
Den Damen und Herren von der Union sei gesagt: Die
Bundestagsfraktionen von SPD und Bündnis 90/Die
Grünen und die rot-grüne Bundesregierung haben diese
Aufforderungen nicht nötig. Wir sind uns der Verantwor-
tung gegenüber den Opfern politischer Verfolgung be-
wusst und unterstützen sie, unabhängig davon, ob es sich
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m die Opfer der NS-Gewaltherrschaft oder um die Op-
er der SED-Diktatur handelt. Das trifft genauso für jene
pfer zu, die durch die sowjetischen Behörden aus den
rüheren deutschen Ostgebieten oder aus der SBZ ver-
chleppt wurden.
Wider besseres Wissen erweckt die Union in ihrem
ntrag von 2004 den Eindruck, die Leistungen für Opfer
er SED-Diktatur bzw. die Leistungen für die Zivilde-
ortierten seien infrage gestellt. Ich sage „wider besseres
issen“, denn die Union war bei den entscheidenden
erichterstattergesprächen mit dem Bundesministerium
es Innern anwesend.
Die Finanzierung der Stiftung für ehemalige politi-
che Häftlinge ist auf das Ende des Jahres 2005 be-
renzt. Das wurde in der 10. Novelle des Häftlingshilfe-
esetzes vom 8. Juni 1994, also zur Regierungszeit der
nion, so festgelegt. So ist es ein Ausdruck von verant-
ortlichem politischem Handeln, sich rechtzeitig darü-
er Gedanken zu machen, wie mit dieser Stiftung und
er Erfüllung der ihr übertragenen Aufgaben nach Ab-
auf dieses Zeitraums weiter umgegangen werden soll.
In seinem Bericht hatte der Bundesrechnungshof den
ortbestand der Heimkehrerstiftung infrage gestellt.
eshalb hatten die zuständigen Berichterstatter des In-
enausschusses Ende 2003 das Bundesministerium des
nnern aufgefordert, einen Bericht zur Lage der Heim-
ehrerstiftung und der Stiftung für ehemalige politische
äftlinge vorzulegen. Das hat die Bundesregierung un-
erzüglich getan. Dabei hat die Bundesregierung der In-
ention des Bundesrechnungshofes folgend auch mögli-
he Alternativen aufgezeigt. Das darf man, ja muss man
ohl von der Bundesregierung in Auswertung eines Be-
ichts des Bundesrechnungshofs erwarten. Welche
chlussfolgerungen aber letztendlich daraus abgeleitet
erden, liegt nicht zuletzt in unserer Hand – in der Hand
es Deutschen Bundestages. Die Bundesregierung hat
ohl den Vorschlag unterbreitet, die Stiftungen – und
amit die uneingeschränkte Leistungsgewährung – auf
as Bundesverwaltungsamt überzuleiten. Einen Be-
chluss hierfür gibt es nicht. Und ich wiederhole mich,
enn ich sage: Niemals wurde seitens der Bundesregie-
ung bzw. von den Regierungsfraktionen die Gewährung
on Leistungen an die Opfer politischer Verfolgungs-
aßnahmen infrage gestellt.
Alle, die sich mit dem Thema seriös beschäftigt ha-
en, wissen, dass das Stiftungsvermögen der Häftlings-
ilfestiftung aufgebraucht ist. Dieses Stiftungsvermögen
urde 1994 auf 53,6 Millionen erhöht, zusätzlich erhielt
ie Stiftung jährliche Zuwendungen aus dem Bundes-
aushalt. Wenn man die Gewährung von Unterstüt-
ungsleistungen an Zivildeportierte – und das ist ja wohl
ern des Unionsantrages – unter der Regierung des Alt-
undeskanzlers Kohl untersucht, dann kommt man zu ei-
er klaren Aussage: Die Union hat damals für die Zivil-
eportierten eine schlechte Politik gemacht. Diese setzen
ie jetzt mit einer schlechten Oppositionspolitik fort.
Ich muss noch einmal in Erinnerung rufen: Mit dem
weiten Gesetz zur Verbesserung rehabilitationsrechtli-
her Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in
er ehemaligen DDR, gleich zu Beginn der Regierungs-
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 157. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Februar 2005 14779
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zeit der rot-grünen Koalition, wurden unter anderem die
Kapitalentschädigungen für ehemalige politische Häft-
linge von 300 DM auf einheitlich 600 DM pro angefan-
genen Haftmonat erhöht. Die Leistungen für die Ver-
schleppten von jenseits der Oder und Neiße, für eine
Opfergruppe also, die unter der Kohl-Regierung ver-
nachlässigt worden war, haben wir die finanziellen Zu-
wendungen deutlich erhöht. Die Zahlbeträge gerade für
die Zivildeportierten haben sich nach der Gesetzesno-
velle verfünffacht.
Unter der Regierung Kohl erhielt die Häftlingshilfe-
stiftung eine jährliche Zuwendung von 300 000 DM.
Diese Summe haben wir auf 1,5 Millionen DM jährlich
verfünffacht; das entspricht einem Eurobetrag von
767 000. Zusätzlich wurde 2001 das Stiftungsvermögen
um 5 Millionen DM erhöht. Da die Zahl der bewilligten
Anträge höher war als vorher angenommen, bekam die
Stiftung zusätzlich weitere 1,625 Millionen Euro im Jahr
2002 und l Millionen Euro im Jahr 2003. Und auch 2004
bekam die Stiftung für ehemalige politische Häftlinge
zusätzliche Finanzzuweisungen, nämlich 2,7 Millionen
Euro.
Auch in diesem Jahr werden wir dafür sorgen, dass
die notwendigen Mittel zur Verfügung gestellt werden.
Die Betroffenen können sicher sein, dass sie von den rot-
grünen Bundestagsfraktionen und der rot-grünen Bun-
desregierung wie in der Vergangenheit nicht im Stich ge-
lassen werden.
Diese Finanzausstattung durch die rot-grüne Regie-
rungskoalition hat ermöglicht, dass für die Opfer in den
fünf Jahren von 2000 bis 2004 mehr als dreimal so viel
Geld zur Verfügung stand wie in den sechs Jahren von
1994 bis 1999, in denen die Regelungen der CDU/CSU-
FDP-Regierung galten.
Seit dem In-Kraft-Treten des Ersten Rehabilitierungs-
gesetzes wurden laut des bereits erwähnten Berichtes des
Bundesinnenministeriums an die Opfer der sowjetischen
Besatzungsmacht und der SED-Diktatur rund 650 Mil-
lionen Euro an Unterstützungsleistungen und an Kapital-
entschädigung gezahlt. Das bezeugt, dass die Politik in
Deutschland die Opfer politischer Verfolgung in der
SBZ/DDR nicht vergessen hat, auch nicht die Opfer
politischer Verfolgungsmaßnahmen der sowjetischen
Besatzungsmacht. Offensichtliche Defizite in den Reha-
bilitierungsgesetzen der CDU/CSU-FDP-Koalition ha-
ben wir nach der Regierungsübernahme 1998 – wie den
Opferverbänden zugesagt – beseitigt.
Die Antragsfristen zum Strafrechtlichen, Verwal-
tungsrechtlichen und Beruflichen Rehabilitierungsgesetz
sind auf Initiative der rot-grünen Bundestagsfraktionen
noch einmal einvernehmlich bis zum 31. Dezember
2007 verlängert worden. Werden diese Anträge positiv
beschieden, besteht ein Rechtsanspruch auf die Kapital-
entschädigung und gegebenenfalls auf soziale Aus-
gleichsleistungen. Vom Fortbestand der Stiftung für
ehemalige politische Häftlinge bzw. von Strukturverän-
derungen würden diese Leistungen nicht abhängen.
Die Koalitionsfraktionen und die Bundesregierung
stellen die Leistungen an die Opfer nicht im Ansatz in-
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rage. Dennoch muss die Frage debattiert werden kön-
en, wie die Aufgaben der beiden Stiftungen, also auch
er Heimkehrerstiftung, in Zukunft effektiv, auch im In-
eresse der Opfer, erfüllt werden sollen. In der Begrün-
ung zur 10. Novelle des Häftlingshilfegesetzes von
994, also aus der Regierungszeit der Union, hieß es in
ezug auf die Stiftung für ehemalige politische Häft-
inge:
Eine Vermögensaufstockung ist geboten, um der
Stiftung die abschließende Erfüllung ihrer Aufga-
ben bis zum Jahre 2005 zu ermöglichen. Dabei soll-
ten aus dem Stiftungsvermögen zunächst die Perso-
nal- und Sachkosten bis 2005 abgedeckt und im
Übrigen Mittel zur Gewährung von Unterstützungs-
leistungen entnommen werden.
Bei der Stiftung für ehemalige politische Häftlinge
aben wir es noch mit einer Besonderheit zu tun:
0 Prozent der eingehenden Anträge beziehen sich auf
as Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz, also auf Leis-
ungen mit Rechtsanspruch, die nicht aus dem Stiftungs-
ermögen bezahlt werden. Nur 20 Prozent sind Anträge
uf Unterstützungsleistungen nach dem Häftlingshilfe-
esetz. Die in dieser Stiftung angefallenen Verwaltungs-
osten sind nicht zu übersehen und es muss die Frage er-
aubt sein, ob dieses Geld, oder Teile davon, nicht
ffektiver für die Opfer verwendet werden kann und ob
s hierfür gegebenenfalls eine geeignetere Organisa-
ionsform gibt. Denken und Nachdenken über Struk-
urfragen muss erlaubt sein. Das trifft noch stärker für
ie Heimkehrerstiftung zu, bei der sich der finanzielle
ufwand für Verwaltung und Sachkosten besonders un-
ünstig darstellt.
Was wir brauchen, sind sachliche Debatten und keine
opulistischen Anträge. Inzwischen greifen auch Me-
ien das Thema der Deportationen von deutschen Zivi-
isten am Ende und nach dem Zweiten Weltkrieg auf. In
inem dieser Berichte, ein Sendebeitrag des RBB, wird
ie Rechtslage für die Betroffenen falsch dargestellt und
er Eindruck erweckt, die deutsche Politik hätte diese
enschen vergessen. Jeder, der sich ernsthaft mit dieser
aterie beschäftigt und die Rechtslage kennt, weiß, dass
as nicht richtig ist. Mit ihren Anträgen unterstützt die
nion diese Falschdarstellungen. Sie spielt dabei mit
en Gefühlen der Opfer und das ist unredlich.
Ich appelliere an die Union, ihre schlechte Regie-
ungspolitik in Bezug auf die Rehabilitierungsgesetzge-
ung nicht durch eine schlechte Oppositionspolitik fort-
usetzen, mit der versucht wird, der Öffentlichkeit Sand
n die Augen zu streuen, und mit der den Opfern politi-
cher Verfolgung in Wirklichkeit nicht geholfen wird.
Günter Baumann (CDU/CSU): Deutsche, die seit
em Zweiten Weltkrieg im kommunistischen Machtbe-
eich politisch verfolgt und inhaftiert wurden, erhalten
m Fall einer wirtschaftlichen Notlage auf Antrag eine fi-
anzielle Unterstützung. So sieht es das Häftlingshilfe-
esetz in § 18 vor. Der davon betroffene Personenkreis
eicht von den Zivildeportierten jenseits von Oder und
eiße in der unmittelbaren Nachkriegszeit bis zu den
erfolgten des SED-Regimes, von denen viele erst Ende
14780 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 157. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Februar 2005
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1989 in die Freiheit entlassen worden sind. Die Bundes-
republik hat das Häftlingshilfegesetz geschaffen, um die-
sen Menschen in Notsituationen unter die Arme greifen
zu können, und sich damit zu ihrer besonderen morali-
schen Verantwortung für die Opfer des Kommunismus
bekannt.
Leider müssen wir in der Praxis seit einigen Jahren
ein massenhaftes Vollzugsdefizit feststellen. Wer von
den Anspruchsberechtigten in einer wirtschaftlichen
Notlage steckt, braucht einen langen Atem und viel Aus-
dauer. Bei einem 73-jährigen Mann aus meinem Wahl-
kreis, der 1945 als Schüler aus Polen in die Sowjetunion
verschleppt und dort zwei Jahre zur Zwangsarbeit ge-
zwungen worden war, dauerte es fast drei Jahre, bis er
das benötigte Geld ausgezahlt bekam. Was war der
Grund? Zunächst die mangelnde Ausstattung unserer
HHG-Behörden, wo die wenigen Mitarbeiter der wach-
senden Zahl von Anträgen kaum gewachsen sind und
schnell anderthalb Jahre ins Land gehen können, bis der
Antrag geprüft wird. Bei einer „wirtschaftlichen Not-
lage“ ist das viel Zeit. Eine Notlage ist schließlich immer
eine akute Lage.
Dem älteren Herrn aus meinem Wahlkreis war schon
diese Verzögerung nicht zu vermitteln. Es sollte aber
noch schlimmer kommen: Als das Prüfverfahren für ihn
erfolgreich abgeschlossen war, sah der Mann immer
noch kein Geld. Die Stiftung für ehemalige politische
Häftlinge hatte nämlich im Sommer 2003 ihre finanziel-
len Mittel bereits verbraucht. Im September 2003 erfuhr
ich, dass bereits über 800 anerkannte politische Häft-
linge vergeblich auf die Unterstützung warteten – alle
seit über einem Jahr. Der Grund ist einfach und zeugt zu-
gleich von dem beschämenden Umgang dieser Bundes-
regierung mit den Opfern kommunistischer Gewaltherr-
schaft: Die im Bundeshaushalt eingestellten Mittel für
die Häftlingshilfe liegen schon seit einigen Jahren weit
unter dem tatsächlichen Bedarf. Durch die chronische
Unterfinanzierung lässt die Bundesregierung permanent
tausende von Anspruchsberechtigten im Regen stehen.
Das strukturelle Defizit der Stiftung vergrößert sich da-
bei ständig: Im September 2004 waren die finanziellen
Mittel für das Haushaltsjahr 2004 ebenfalls längst ver-
braucht und es stauten sich in Bonn bereits 1 300 bewil-
ligungsfähige Anträge.
Niemand käme bei knappen Kassen auf die Idee, ein-
fach die Renten, die Sozialhilfe oder das BAföG nicht
auszuzahlen. Bei den ehemaligen politischen Häftlingen
hat Rot-Grün dies ohne weiteres in Kauf genommen:
Der viel zu niedrig kalkulierte Haushaltsansatz ist bis
heute nicht korrigiert worden. So lesen wir im Bundes-
haushalt 2005, dass erneut nur 767 000 Euro der Stiftung
zufließen sollen. Dieses Geld wird allenfalls ausreichen,
um die Hälfte der bereits vorliegenden bewilligungsfähi-
gen Anträge auszuzahlen: Das sind nämlich jetzt, im Fe-
bruar 2005, schon wieder über 800 – um allein diesen
bereits anerkannten Bedürftigen die Hilfe zu gewähren,
wären l,4 Millionen Euro nötig! Damit nicht genug, die
Stiftung erwartet in diesem Jahr knapp 700 Rückläufe
aus den HHG-Behörden mit einem Gesamtbedarf von
850 000 Euro.
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Hinzu kommen circa 250 Anträge, die in nächster
eit bewilligungsreif werden und eine Ausgabe von wei-
eren 440 000 Euro erfordern. Schließlich rechnet die
tiftung im laufenden Jahr mit etwa 1 200 weiteren An-
ragseingängen. Ziehen wir davon eine erfahrungsge-
äße Ablehnungsquote von 30 Prozent ab, bleiben
40 Anträge über, die ein Finanzvolumen von fast
,5 Millionen Euro erfordern werden.
Diesem in 2005 anfallenden Gesamtbedarf von
,16 Millionen Euro für die in wirtschaftliche Not gera-
enen Opfer kommunistischer Gewaltherrschaft begeg-
et die rot-grüne Bundesregierung mit einem Haushalts-
nsatz von 767 000 Euro. Das ist schändlich – auch vor
em Hintergrund, dass diese Bundesregierung zum
. Juli 2005 die Renten von DDR-Funktionären auf Wei-
ung des Bundesverfassungsgerichts erneut erhöhen
ird!
Ich begrüße an dieser Stelle ausdrücklich, dass die
egierungskoalition schon zweimal bereit gewesen ist,
it überplanmäßigen Ausgaben nachzubessern – und
war immer dann, wenn unsere Anträge auf der Tages-
rdnung des Innenausschusses standen: Im November
003 bewilligte Rot-Grün eine Finanzspritze von l Mil-
ion Euro; im September 2004 sogar 2,7 Millionen Euro.
estern hat Kollegin Stokar von Neuforn im Innenaus-
chuss angekündigt, 2005 erneut 2,7 Millionen Euro
achzuschießen.
Dies wird nicht reichen. Aber unsere Anträge haben
amit jetzt schon einen für Oppositionsanträge außeror-
entlichen Erfolg gehabt. Mit ihren überplanmäßigen
uweisungen hat die Regierungskoalition öffentlich ein-
estanden, dass die bisherigen Haushaltsansätze zu nied-
ig sind. Sie sollte hier und heute aus dieser Erkenntnis
ie einzig logische Konsequenz ziehen und unseren An-
rägen zustimmen.
Hartmut Büttner (Schönebeck) (CDU/CSU): Dieser
eutsche Bundestag hat vor wenigen Monaten ein ge-
einsames positives Signal an die Opfer der SED-Dikta-
ur ausgesandt. Mit den Stimmen aller Fraktionen des
auses wurde beschlossen, die Antragsfristen für An-
räge von SED-Opfern bis zum 31. Dezember 2007 zu
erlängern.
Wir in ganz Deutschland haben den mutigen Frauen
nd Männern, welche sich nicht von den Diktaturen ha-
en brechen lassen, viel zu verdanken. Viele von ihnen
aben dafür bitter bezahlen müssen: Mit der Verweige-
ung beruflicher Chancen, mit Pressionen, Bespitzelun-
en und sehr oft auch mit Knast. Die Haftfolgen wirken
is heute nach: Viele bekamen später oft nur schlecht be-
ahlte Jobs, leiden unter nur schwer nachweisbaren ge-
undheitlichen Haftschäden, oder sind arbeitslos.
Deshalb fühlten sich die betroffenen Opfer wie von ei-
er Keule getroffen: Die rot-grüne Bundesregierung will
och in diesem Jahr die Häftlingshilfestiftung, die über
ie Anträge entscheidet, aufheben und abwickeln. Diese
bsicht steht wörtlich in einem Bericht des Bundesinnen-
inisteriums vom 13. Januar 2004. Dieser Bericht ist mit
llen für Opferfragen zuständigen Bundesministerien ab-
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 157. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Februar 2005 14781
(A) )
(B) )
gestimmt worden. Was die Bundesregierung damit will,
hat der Parlamentarische Staatssekretär Fritz Rudolf
Körper darüber hinaus deutlich gemacht: Eine Abwick-
lung der Stiftung und Wahrnehmung der Aufgaben durch
das Bundesverwaltungsamt.
Dazu sagte der stellvertretende SPD- Fraktionsvorsit-
zende, Hans-Joachim Hacker, in der Berliner Zeitung
sehr treffend: „Es wäre paradox die Stiftung zu schließen
oder ihr ihre Aufgaben wegzunehmen. Dort arbeitet ein
hochkompetentes Team mit viel Erfahrung im Umgang
mit diesen Anträgen. Das kann man nicht einfach büro-
kratisch abarbeiten.“
Der Kollege Hacker hat damit völlig Recht: Die Stif-
tungslösung ist 1969 vom Gesetzgeber ganz bewusst ge-
wählt worden, um damit eine Interessenvertretung aus
dem Kreis der Betroffenen zu ermöglichen. Es sollte
eben kein staatliches Amt beiläufig auch über Unterstüt-
zungsanträge entscheiden.
Der Grundsatz „Betroffene entscheiden über Betrof-
fene“ hatte in den letzten 35 Jahren dazu beigetragen, die
Akzeptanz der Entscheidungen über die Anträge von
Opfern wesentlich zu erhöhen.
Frau Stokar von den Grünen betonte in der ersten Le-
sung: Klar und deutlich habe ich gesagt, dass wir – damit
meine ich meine ganze Fraktion – das Ziel des Berichts,
die Auflösung der Stiftung bis zum Jahr 2005 nicht tei-
len.
Der anfängliche Widerstand in den Koalitionsfraktio-
nen ist zwischenzeitlich glattgebügelt worden, so dass
jetzt auch SPD und Grüne die „Opferstiftungs-Abwick-
lungs-Strategie“ ihrer Regierung übernommen haben. In
allen vier beteiligten Ausschüssen des Bundestages ha-
ben sie unseren Antrag abgelehnt.
Dabei hatten wir nur das formuliert, was auch Sie
scheinbar wünschen. Wir wollen, dass die Stiftung für
politische Häftlinge bis zur Erledigung ihrer Aufgaben
bestehen bleibt. Wir wollen außerdem, dass sie mit den
zu ihrer Aufgabenerfüllung benötigten Finanzmitteln
ausgestattet wird.
Unser Antrag stammt aus dem September des letzten
Jahres. Pikant ist, dass Sie sich im letzten halben Jahr
noch nicht einmal auf einen eigenen Antrag haben eini-
gen können. Pikant ist auch, dass sie damit im Gegensatz
zu ihrem eigenen Koalitionsvertrag stehen: „Wir wollen
weiter dafür sorgen, dass Menschen, die für die Demo-
kratie gekämpft haben, nicht vergessen werden. Die Stif-
tung für ehemalige politische Häftlinge soll gestärkt
werden.“ Gestärkt steht hier – nicht Abwickeln und Auf-
heben.
Wenn Sie jetzt den abenteuerlichen Plan der Bundes-
regierung nach Abwicklung der Opferstiftung durchge-
hen lassen, dann haben Sie die Öffentlichkeit und die
Opfergruppen jahrelang an der Nase herumgeführt.
Wenn es Ihnen hier nicht um parteipolitisches Klein-
Klein geht, sondern um die Interessen der Opfer, dann
können Sie nur unserem Antrag zustimmen.
Zumindest gilt das für die Grünen. Denn genau dieser
Antragstext ist auch der Beschluss Ihrer 22. Ordentli-
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hen Delegiertenversammlung. Sie fordern eine „Be-
tandsgarantie und ausreichende finanzielle Ausstattung
er Stiftung der ehemaligen Häftlinge des DDR-Sys-
ems“.
Dem ist nichts hinzuzufügen. Das entspricht dem In-
alt unseres Antrages. Also heben wir gemeinsam unser
ändchen im Interesse der Opfer der zweiten Diktatur
uf deutschem Boden.
Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/DIE
RÜNEN): Die Arbeit der Häftlingshilfestiftung ist
och nicht erledigt. Im Gegenteil, wir haben die An-
ragsfristen verlängert und auch die Mittel für die Leis-
ungserbringung in dem uns möglichen Umfang erhöht.
ir haben allen Anlass, der Stiftung für ehemalige poli-
ische Häftlinge die gebührende Anerkennung für ihre
rbeit auszudrücken. Das gilt gerade auch für die Mit-
lieder der Gremien der Stiftung. Der Zeitpunkt für die
uflösung der Stiftung ist noch nicht gekommen. Wir
ollen der Stiftung die Fortführung der Arbeit ermögli-
hen.
Die Stiftung spielt eine unverzichtbare Rolle bei der
etreuung und Unterstützung von Zivildeportierten.
iele alte und gesundheitlich angeschlagene Frauen er-
alten hier Unterstützung. Nach unserer Überzeugung
ie die Selbstverwaltung und die Sachkunde der Stiftung
icht durch eine Übertragung der Aufgaben an das Bun-
esverwaltungsamt zu ersetzen. Für uns ist aber die Lö-
ung dieser ganz praktischen Fragen wichtig – uns geht
s in erster Linie um die ehemaligen Verfolgten, gerade
uch um die zivil deportierten Frauen, die schlecht be-
andelt wurden, weil ihnen die Regierung Kohl die An-
rkennung als politische Häftlinge verweigert hat.
Materielle Hilfen können die Folgen von politischer
aft und Verfolgung zwar nicht ungeschehen machen,
ie können aber einen Beitrag leisten, diese Folgen zu
indern. Das gilt für die gewiss vielfach unzulänglichen
nrechtsbereinigungsgesetze, aber auch für die Stiftung
ür ehemalige politische Häftlinge. Deswegen hier an
ieser Stelle zum ersten Punkt des CDU-Antrages: Wir
üssen hier nicht tätig werden und wir wollen hier auch
icht tätig werden. Es gilt das Stiftungsgesetz und dies
ann nur durch einen Parlamentsbeschluss aufgehoben
erden. Es liegt kein Antrag zur Auflösung der Stiftung
or und wir haben keine Veranlassung uns zu versichern,
ass die Gesetze, die wir hier im Hause beschlossen ha-
en, gültig sind. Ihr Antrag ist also überflüssig.
Richtig ist: Wir haben das Problem von über
700 noch nicht abgearbeiteten Anträgen bei der Stif-
ung. Die für das Jahr 2004 zusätzlich bewilligten
,7 Millionen Euro waren dringend nötig. Wir brauchen
ber auch für das laufende Haushaltsjahr zusätzliche
ittel, um den Antragsstau abzuarbeiten. Hier stehen
ir in Gesprächen. Es gilt: Die für die Erfüllung der im
tiftungsgesetz niedergelegten Aufgaben und Leistun-
en müssen durch die Bereitstellung der Finanzmittel
uch ermöglicht werden. Dies wird wie im vergangenen
aushaltsjahr auch geschehen. Auch im zweiten Punkt
st der Antrag der CDU also überflüssig.
14782 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 157. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Februar 2005
(A) )
(B) )
Dem Antrag der Union kann ich nicht zustimmen. Er
suggeriert, die Bundesregierung habe die Absicht, die
Mittel zu beschneiden. Bei aller durchaus kontroversen
Debatte über die Frage der Stiftung – die Betroffenen in
Sorge zu versetzen, sie bekämen kein Geld mehr, ist
nicht in Ordnung.
Dr. Max Stadler (CDU/CSU): Der Antrag der CDU/
CSU-Fraktion verfolgt das Ziel, die Stiftung für politi-
sche Häftlinge bis zur Erledigung ihrer Aufgaben beste-
hen zu lassen und den zu ihrer Aufgabenerfüllung benö-
tigten Finanzmitteln auszustatten.
Dieser Antrag ist berechtigt. Der Deutsche Bundestag
hat den Betroffenen einvernehmlich, um soziale Härten
zu vermeiden, gestattet, Anträge auf Unterstützungsleis-
tungen noch bis zum 31. Dezember 2007 zu stellen. Da-
her ist es folgerichtig, durch Beschluss klarzustellen,
dass die Stiftung für politische Häftlinge bis zur Erledi-
gung ihrer Aufgaben bestehen bleibt.
Während die Grünen in den Ausschussberatungen be-
tont haben, es gebe ja ein Stiftungsgesetz und an eine
Aufhebung dieses Gesetzes sei nicht gedacht, hat die
SPD im Innenausschuss zu erkennen gegeben, dass sehr
wohl über neue Organisationsstrukturen nachgedacht
werde. Auch die SPD will die berechtigten Ansprüche
der Opfer weiter befriedigen, hat aber auf den Bericht
des Bundesrechnungshofs verwiesen, möglicherweise
die Verwaltung der Stiftungsgelder anders auszugestal-
ten.
Auf konkrete Vorschläge hierfür warten wir jedoch
seit Monaten vergebens. Der Antrag der CDU/CSU-
Bundestagsfraktion datiert vom September 2004. Seit-
dem wäre für die Regierung und die Koalitionsfraktio-
nen Gelegenheit gewesen, etwaige konkrete Vorschläge
zu einer Organisationsreform dem Bundestag vorzustel-
len. Dies ist nicht geschehen. Die FDP hält daher an der
bewährten Form der Häftlingshilfestiftung fest.
Die Möglichkeit, neue Anträge zu stellen, würde ins
Leere laufen, wenn nicht zugleich auch entsprechende
Mittel für die Antragsteller bereitgestellt würden, In der
Vergangenheit lebten die Opferstiftungen – man kann es
nicht anders ausdrücken – von der Hand in den Mund.
Der Wunsch der Betroffenen, dass eine solide finanzielle
Grundlage gesichert wird, ist daher verständlich. Die
Koalition wendet zwar ein, dass noch immer im Vollzug
des Haushalts dafür gesorgt worden sei, dass die Stiftung
ihre gesetzlichen Verpflichtungen erfüllen konnte. Den-
noch ist es zweckmäßig, wenn das Hohe Haus ange-
sichts der unsicheren Finanzierungssituation in den
letzten Jahren sich eindeutig dazu bekennt, die zur
Aufgabenerfüllung der Stiftung benötigten Mittel
bereitzustellen. Der Antrag auf Bundestagsdruck-
sache 15/3763 gibt allen Fraktionen hierzu Gelegenheit.
Auch der weitere heute zu beratende Antrag auf der
Bundestagsdrucksache 15/1524 will eine ähnliche
Grundtendenz zum Ausdruck bringen; auch wenn er
nicht mehr ganz aktuell ist, geht er doch in die richtige
Zielrichtung.
Insgesamt stimmt daher die FDP dem Anliegen der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu.
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nlage 7
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Neuordnung des Pfandbriefrechts (Tagesord-
nungspunkt 18)
Bernd Scheelen (SPD): Für Pfandbriefe und Kom-
unalobligationen wurde in den sechziger und siebziger
ahren geworben mit dem Slogan: „Sicher ist sicher!“
icherheit der Anlage war und ist das Argument für den
rwerb von Pfandbriefen. Drei Gesetze waren die
rundlage auf der der deutsche Pfandbrief seine Erfolgs-
eschichte auch als Benchmark in Europa begründet hat.
Der Wegfall der Gewährträgerhaftung zum 18. Juli
ieses Jahres war Anlass, den Pfandbrief auf eine neue,
inheitliche und zukunftsweisende Grundlage zu stellen.
änder und Kommunen können nicht mehr für ihre Lan-
esbanken und Sparkassen haften, Es war also notwen-
ig, die gesetzlichen Regeln für Pfandbriefe zu ändern.
n diesem Zusammenhang haben wir erreicht, dass die
ls besonders sichere Anlage geltenden Pfandbriefe zu-
ünftig von mehr Kreditinstituten als bisher vertrieben
erden können.
Bei der Neuregelung mussten wir darauf achten, dass
ie Qualität eines seit mehr als hundert Jahren und sehr
ttraktiven Produkts weiter gesteigert wird. Ich denke,
as ist uns gelungen. Die bedeutende Rolle des Pfand-
riefs an den nationalen und internationalen Finanz-
ärkten ist Beweis des Anlegervertrauens, das durch das
orliegende Gesetz zusätzlich gestärkt wird. Deutsche
fandbriefe sind die bedeutendsten festverzinslichen
ertpapiere in Europa. Insbesondere bezieht sich dies
uf öffentliche Pfandbriefe, aber auch der deutsche Hy-
otheken-Pfandbrief ist klarer europäischer Marktführer.
ls wichtiger Exportartikel des deutschen Finanzmark-
es ist er Vorbild für viele vergleichbare Kapitalmarkt-
rodukte in anderen europäischen Ländern. Für den
ettbewerb, der daraus erwächst, sind die deutschen
reditinstitute mit dem neuen Pfandbriefgesetz bestens
erüstet.
Deshalb möchte ich den an diesem Erfolg Beteiligten
erzlich danken: insbesondere meiner Kollegin Kerstin
ndreae und dem Kollegen Leo Dautzenberg, Herrn
üller, Herrn Thiele, aber auch dem Ministerium, na-
entlich Herrn Conert und Herrn Kiekenbeck sowie den
ertretern der Verbände, mit denen wir in enger Abstim-
ung waren. Alle gemeinsam haben mit dem neuen Ge-
etz nachgewiesen, dass wir sachlich, konstruktiv und
onzentriert zusammenarbeiten können. Sie haben mir
ie Arbeit sehr leicht gemacht. Dafür nochmals meinen
ank.
Wir hatten uns gemeinsam zum Ziel gesetzt, den ho-
en Qualitätsstandard des Pfandbriefs bei der Neugestal-
ung des Gesetzes weiter zu verbessern. Er sollte kon-
urrenz- und zukunftsfähig werden. Denn auch in
nderen europäischen Ländern gibt es mittlerweile ge-
etzliche Grundlagen, die sich an dem deutschen Pfand-
riefrecht orientieren. Tatsächlich wurde der ordnungs-
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 157. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Februar 2005 14783
(A) )
(B) )
politische Rahmen des Finanzplatzes Deutschland weiter
verbessert.
Die Bankenverbände hatten in der Diskussion des Ge-
setzentwurfs sehr unterschiedliche Forderungen formu-
liert. Insbesondere mussten wir zwischen öffentlich-
rechtlichen, privaten und genossenschaftlichen Instituten
vermitteln. Auch die großen, institutionellen Investoren
waren zu berücksichtigen. Dies ist uns gemeinsam ge-
lungen. Daneben ist ein Erfolg, dass die bisher dreige-
teilte Rechtsmaterie aus Hypothekenbankgesetz, Gesetz
über Pfandbriefe und verwandte Schuldverschreibungen
öffentlich-rechtlicher Kreditanstalten und Schiffsbank-
gesetz in einem neuen für alle Betroffenen gut nutzbaren
Gesetz geregelt wurde. Das Marktvertrauen in den
Pfandbrief ist dadurch gestärkt worden. Der Vorsprung
gegenüber den europäischen Wettbewerbern wurde aus-
gebaut.
Im Wesentlichen wird die Vergabe von Pfandbriefen
zukünftig all den Kreditinstituten erlaubt, die den gesetz-
lichen Anforderungen zum Schutz des Pfandbriefge-
schäfts genügen und die die Erlaubnis nach dem Kredit-
wesengesetz erhalten. Wir heben also das so genannte
Spezialbankprinzip auf. Alle Banken können folglich
ihre Geschäftsfelder frei wählen.
Bereits in der Anhörung wurde der damalige Regie-
rungsentwurf als großer Wurf bezeichnet. Mit dem Ge-
setzentwurf, den wir heute beschließen, haben wir noch
weitergehende Verbesserungen durchgesetzt: Nach ein-
helliger Befürwortung durch die Sachverständigen wer-
den Immobilienkredite aus den USA, Kanada und Japan
auch zur Deckung von Pfandbriefen zugelassen. Zusam-
men mit dem Pfandbriefgesetz ist zudem eine Anhebung
der Schwelle bei der Offenlegungsvorschrift des § 18
des Kreditwesengesetzes beschlossen worden. Der
Schwellenwert wird auf 750 000 Euro verdreifacht, wo-
bei zehn Prozent des haftenden Eigenkapitals des Kredit-
instituts als zweite Obergrenze festgelegt worden ist. Mit
dieser neuen Grenze wird dem Gebot, die Stabilität der
Finanzmärkte zu stärken, und der Wettbewerbsgleichheit
deutscher Banken mit anderen europäischen Banken
Rechnung getragen.
Natürlich gab es auch Streitpunkte. Mit der geschaffe-
nen Übergangsfrist für öffentlich-rechtliche Banken ha-
ben wir jedoch den am schwersten wiegenden Aspekt
angemessen gelöst. Öffentlich-rechtliche Banken kön-
nen für die Neuausgabe von Pfandbriefen noch bis Ende
Juni 2006 in eingeschränktem Umfang ihre Deckungs-
massen nutzen, die nach Marktwertverfahren bewertet
wurden. Danach gilt für alle Neuemissionen verbindlich
das Beleihungswertprinzip. Die Übergangsfrist schafft
den öffentlichen Banken den nötigen Spielraum, ihre
Bewertungsverfahren anzupassen, ohne den Wettbewerb
allzu stark zu verzerren.
Wichtig war es, die hohen Anforderungen an den
Pfandbrief zu wahren. Wir haben sie sogar verschärft.
Die Institute müssen nachweisen, dass sie die strengen
Mindestanforderungen erfüllen und werden unter eine
effektive Aufsicht gestellt. Das Gesetz garantiert Sicher-
heit und Qualität des Pfandbriefs und damit seine Wett-
bewerbsfähigkeit. Am nationalen und den internationa-
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en Kapitalmärkten genießt der Pfandbrief hohes
nsehen. Dabei wird es bleiben. Denn strenge gesetzli-
he Vorschriften sichern seine Attraktivität. Die SPD-ge-
ührte Koalition setzt mit dem neuen Pfandbriefgesetz
hre Politik der Stärkung des Finanzplatzes Deutschland
nd des Anlegerschutzes fort.
Leo Dautzenberg (CDU/CSU): Bereits bei unserer
rsten Debatte zu diesem Gesetz habe ich auf die beiden
ründe hingewiesen, weshalb wir das Pfandbriefgesetz
rauchen. Erstens mussten wir die Folgen des Wegfalls
on Gewährträgerhaftung und Anstaltslast für die öffent-
ichen Banken im Juli dieses Jahres berücksichtigen.
weitens galt es, den Vorsprung des deutschen Pfand-
riefs gegenüber den europäischen Wettbewerbern zu
alten und auszubauen. Ich bin überzeugt, dass wir unser
iel mit dem im Finanzausschuss gefundenen Kompro-
iss erreicht haben.
Ich denke, wir sind uns einig, dass wir das wesentli-
he Problem – den Übergang der öffentlich-rechtlichen
mittenten auf das Beleihungswertverfahren – sinnvoll
elöst haben. Die Frist von einem Jahr, in der öffentliche
anken Deckungsmassen, die nicht nach Beleihungs-
ertverfahren in die Bücher genommen wurden, weiter
erwenden dürfen, gibt den betroffenen Instituten die
öglichkeit, auch weiterhin am Pfandbriefmarkt aktiv
u sein. Gleichzeitig wurde durch einen leichten Ab-
chlag auf die nach Verkehrswertverfahren ermittelten
eckungswerte ein Risikopuffer geschaffen. Last but not
east wurde so für die öffentlichen Institute ein Anreiz
eschaffen, möglichst schnell auf das Beleihungswert-
erfahren umzustellen.
Wesentlich erscheint mir auch, dass wir mit der Auf-
ahme von USA, Kanada und Japan den deutschen
fandbriefemittenten die Möglichkeit eröffnen, ihre Ri-
iken besser zu diversifizieren. Parallel wurde eine ver-
chärfte Vorschrift zum Risikomanagement eingeführt,
ie hier noch einmal ein erhöhtes Sicherheitsniveau bie-
et. Dem gleichen Ziel dient auch die im letzten Moment
ingeführte Maßgeblichkeit des ursprünglich ermittelten
eleihungswertes im – sehr unwahrscheinlichen und bis-
er nie aufgetretenen – Fall der Insolvenz der Pfand-
riefbank.
Ich begrüße ebenfalls die gefundenen Ausnahmerege-
ungen für die Ritterschaft Stade und den Calenberger
reditverein. Diese traditionsreichen Pfandbriefinstitute
aben nun die Möglichkeit, sich weiter am Markt zu be-
aupten.
Mit der Klarstellung zu den Nullcouponanleihen im
ericht des Finanzausschusses haben wir im Sinne der
fandbriefbanken zur Rechtssicherheit beigetragen.
So weit einige wichtige Details des jetzt gefundenen
ompromisses.
Es bleibt über dieses Gesetz hinaus einiges zu tun, um
ie Attraktivität des Pfandbriefes weiter zu erhöhen. Am
ichtigsten ist hier, eine insolvenzfeste Treuhänder-
chaft an Grundpfandrechten im Insolvenzrecht zu in-
tallieren. In § 1 des Pfandbriefgesetzes haben wir be-
eits festgelegt, dass solche treuhänderisch gehaltenen
14784 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 157. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Februar 2005
(A) )
(B) )
Grundbuchschulden als Deckungsmassen verwendet
werden dürfen, sobald im Insolvenzrecht die entspre-
chende Voraussetzung geschaffen wurde. Dieser Punkt
ist auch für den Fortgang der True-Sales-Initiative von
entscheidender Bedeutung. Deshalb ist eine solche Re-
gelung für den Finanzplatz Deutschland insgesamt von
hoher Bedeutung. Im Berichterstattergespräch wurde
vereinbart, dass die Finanzpolitiker aller Fraktionen
„ihre“ Rechtspolitiker daran „erinnern“, dass wir hier im
Rechtsausschuss schnell eine Lösung brauchen.
Angesichts des Paradigmenwechsels am Pfandbrief-
markt – weg vom Spezialbankenprinzip, Änderungen im
Bereich der öffentlichen Banken – bestand bei den Be-
richterstattern schnell Einigkeit, dass das Gesetz nicht
mit weiteren Veränderungen belastet werden sollte. Es
galt, eine Verunsicherung der Investoren zu verhindern.
Von daher halte ich es für den richtigen Weg, dass wir
für Luftfahrzeugpfandbriefe, inflationsindexierte Pfand-
briefe sowie sonstige gedeckte Schuldverschreibungen
nicht im Rahmen dieses Gesetzes Neuregelungen ge-
schaffen haben. Es gilt, diese Ansätze gut zu überdenken
und gegebenenfalls mittelfristige Lösungen zu finden.
Das Bundesfinanzministerium wurde gebeten, sich ent-
sprechende Gedanken zu machen.
Einige kurze Bemerkungen zu den drei Sachverhal-
ten, bei denen wir das BMF um Prüfung gebeten haben:
Die Finanzierung von Flugzeugen durch Luftfahrt-
pfandbriefe erscheint auf den ersten Blick sicherlich
nicht vollständig unattraktiv. Trotzdem muss man sich
zunächst grundsätzlich überlegen, ob die hier möglicher-
weise zugrunde liegenden Sicherheiten geeignet sind,
das hohe Niveau des Pfandbriefes zu erfüllen. Wird
diese Frage bejaht, geht es ums Detail. Welche Lebens-
dauer kann bei Luftfahrzeugen zugrunde gelegt werden,
welche Ausfallwahrscheinlichkeiten ergeben sich folg-
lich? Diese Fragen müssen in Ruhe beantwortet werden.
Das war im laufenden Gesetzgebungsverfahren sicher-
lich nicht zu leisten.
Inflationsindexierte Anleihen entwickeln auf den in-
ternationalen Finanzmärkten eine zunehmende Bedeu-
tung. Auch Schuldverschreibungen des Bundes werden
zukünftig zum Teil dieses Merkmal haben. Von daher
scheint es angemessen, für Pfandbriefe – die an den Fi-
nanzmärkten als enge Substitute für Staatspapiere ge-
handelt werden – ein Äquivalent zu schaffen. Allerdings
müssen auch hier Umsetzungsmöglichkeiten erst noch
genauer untersucht werden.
Sollten wir unterhalb des Pfandbriefes eine weitere,
weniger sichere Klasse „Gedeckter Schuldverschreibun-
gen“ einführen? Ich kann diese Frage heute noch nicht
grundsätzlich beantworten. Wir sollten uns hier die mög-
lichen Wechselwirkungen und Konsequenzen gründlich
anschauen. Ganz davon abgesehen, müssten dann natür-
lich wieder Umsetzungsprobleme betrachtet werden.
Auch wenn wir von der Union uns bei § 18 KWG
eine mutigere Lösung gewünscht hätten, denke ich doch,
dass wir bei diesem Gesetzgebungsverfahren insgesamt
sehr konstruktiv über die Fraktionsgrenzen hinweg zu-
sammengearbeitet haben. Dafür an alle Kollegen meinen
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erzlichen Dank! Zum Schluss, doch nicht zuletzt,
öchte ich auch noch einmal den Vertretern des BMF
ür die fachliche Unterstützung und die gute Zusammen-
rbeit danken.
Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU): Zunächst
inmal möchte ich mich für die gute und konstruktive
usammenarbeit bei der Beratung dieses Gesetzes be-
anken.
Diese gute und einvernehmliche Beratung führt dazu,
ass wir auch dieses Gesetz, wie viele andere Finanz-
arktgesetze davor, einstimmig beschließen können.
Bei den vorhergehenden Diskussionen im Ausschuss
nd im Kreise der Berichterstatter haben wir uns immer
n folgenden Leitgedanken orientiert: Die hohen Quali-
ätsstandards des Pfandbriefs dürfen nicht infrage ge-
tellt werden; eine internationale Benchmark-Stellung
uss unbedingt erhalten bleiben und ausgebaut werden;
ie gesetzlichen Rahmenbedingungen müssen aber so
usgestaltet sein, dass deutsche Pfandbriefe gleichzeitig
ber zukunftsfähig und international konkurrenzfähig
ind.
Ich bin davon überzeugt, dass wir diesen Zielen ge-
echt geworden sind. Mit dem neuen Pfandbriefgesetz
erden die notwendigen Schritte eingeleitet, um den
rdnungspolitischen Rahmen für den Finanzplatz
eutschland weiter zu verbessern und die bereits hohe
kzeptanz des deutschen Pfandbriefes noch weiter zu
ertiefen.
Der Umstand, dass heute Deutschland eher ein Ver-
riebsstandort, denn ein Produktionsstandort für Finanz-
rodukte ist, macht es umso mehr erforderlich, den ge-
annten Prinzipien gerecht zu werden.
Der Pfandbrief hat sich im vergangenen Jahrzehnt
on einem deutschen Wertpapier mit langer Tradition zu
inem weltweit gefragten Anlageinstrument entwickelt.
eute ist er der Exportartikel des deutschen Finanzmark-
es schlechthin. Mit einem Volumen von weit über 1 Bil-
ion Euro ist er auch einer der größten Segmente des in-
ernationalen Fixed-Income-Marktes.
Eine Frage, die wir eingehend erörtert haben und die
uch in der Anhörung eine gewisse Rolle gespielt hat,
ar die Erweiterung der Länder, in denen deckungs-
tockfähige Hypotheken belegt sein dürfen. Wir haben
ns von vornherein für eine Erweiterung der Länder um
ie USA, Kanada und Japan ausgesprochen.
Immobilienmärkte funktionieren heute zunehmend
nternational, sie sind also nicht mehr in streng abge-
renzte nationale Marktsegmente unterteilt. Dem müs-
en auch die Anbieter von Finanzierungslösungen Rech-
ung tragen, indem sie ihren Kunden in neue Märkte
olgen.
Einhellig waren wir der Meinung, den Vorschlägen,
fandbriefe als Deckungsmasse zuzulassen, nicht zu fol-
en. Dies spielte mit den schon ausgeführten Prinzipien
m Zusammenhang mit der Qualität der deutschen
fandbriefe eine besondere Rolle.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 157. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Februar 2005 14785
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Wir haben uns dagegen entschieden, weil die befürch-
teten negativen „Kaskaden“-Effekte nicht entkräftet
werden konnten. Letztlich könnte dies zu einer Aufblä-
hung des Pfandbriefvolumens führen.
Das neue Pfandbriefgesetz führt zu einer einheitli-
chen Bewertung der Immobilien. Künftig ist für alle
Bankengruppen das Beleihungswertverfahren maßgeb-
lich. Dies ist eindeutig zu begrüßen.
Allerdings ist klar geworden, dass die öffentlichen
Banken bei einer Neubewertung ihrer bereits vorhande-
nen Deckungsstöcke noch in diesem Jahr massiv belastet
worden wären. Dies wäre mit ziemlicher Sicherheit nicht
zu schaffen gewesen. Dies hätte letztlich zu einer deutli-
chen Einschränkung der Emissionstätigkeit der Landes-
banken geführt.
Insofern waren wir bemüht, die größten Belastungen
zu vermeiden. Dabei war abzuwägen, die Belastungen,
die den Landesbanken durch die Führung von zwei De-
ckungsstöcken entstehen, gegen die Vorteile für alle
Emittenten durch die Schaffung einer einheitlichen
Rechtsgrundlage für alle Pfandbriefemissionen. Immer
im Blick, dass an der Qualität des deutschen Pfandbrie-
fes keinerlei Zweifel aufkommen sollen.
Für einen Übergangszeitraum sollen die öffentlichen
Banken beim Marktwertverfahren bleiben können, aller-
dings bei einem Ansatz von nur 50 Prozent.
Dies bedeutet für diesen Übergangszeitraum eine
Spaltung des Pfandbriefmarktes. Diese Spaltung wollten
wir eigentlich verhindern. Welche Auswirkungen diese
Spaltung hat, ist aus heutiger Sicht nicht abschätzbar.
Darüber hinaus entsteht ein Wettbewerbsnachteil für die
Emittenten, die nicht unter diese Übergangsfrist fallen.
Die nunmehr vorgenommene Änderung hat also inso-
fern einen Schönheitsfehler. Im Zuge der Beratungen hat
sich aber herausgestellt, dass auch andere Lösungsmög-
lichkeiten ebenfalls Probleme mit sich gebracht hätten.
Kurzfristig hereingenommen haben wir noch eine
Änderung des § 18 KWG, die an sich nichts mit dem
Pfandbrief zu tun hat. Es handelt sich hierbei um die Än-
derung der Offenlegungsvorschriften bei Kreditausrei-
chungen.
Seit längerem beklagen die Kreditinstitute die büro-
kratische Belastung im Zusammenhang mit der prakti-
schen Anwendung dieser gesetzlichen Regelung.
Gleichzeitig bestehen gerade im Grenzgebiet zu Öster-
reich Wettbewerbsnachteile, weil die Offenlegungs-
grenze dort bei 750 000 Euro liegt und nicht wie in
Deutschland bei 250 000 Euro.
Der Beschlussvorschlag sieht nunmehr ebenfalls eine
Anhebung der Grenze auf eine Dreiviertelmillion vor.
Unsere Fraktion hatte eine Million vorgeschlagen.
Ich finde es sehr erfreulich, dass wir die Kreditver-
gabe der Banken damit erleichtern können. Erfreulich
finde ich auch, dass beim Bundesfinanzministerium of-
fenbar ein Lernprozess stattgefunden hat. Auf schriftli-
che Fragen vor einem halben Jahr wurde immer wieder
geantwortet, dass seitens der Bundesregierung kein
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andlungsbedarf gesehen werde. Ich bedanke mich aus-
rücklich, dass Sie nunmehr der Auffassung der Bayeri-
chen Staatsregierung gefolgt sind und von sich aus Än-
erungen vorgeschlagen haben.
Lassen Sie mich aber auch betonen: Mit der Ände-
ung der gesetzlichen Vorschrift müssen auch Erleichte-
ungen bei der praktischen Anwendung einhergehen.
nsonsten wäre diese Gesetzesänderung nichts anderes
ls ein Placebo. Damit wäre niemandem gedient. Ich
offe sehr, dass die BaFin bei der Formulierung des
euen KWG-18-Rundschreibens sich an diesem politi-
chen Willen orientiert.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich denke,
ir sind bei der Fortentwicklung des Finanzplatzes
eutschland heute wieder ein Stück vorangekommen.
assen Sie uns weiterhin im Sinne der Stärkung dieser
olkswirtschaftlich wichtigen Branche und den vielen
rbeitsplätzen in diesem Bereich gemeinsam daran ar-
eiten.
Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
as Pfandbriefgesetz ist ein guter, ein sehr guter Wurf.
it anderen Worten: Es ist ein Erfolg. Dieses Gesetz der
undesregierung wird weithin begrüßt; es ist im Finanz-
usschuss einstimmig von allen Fraktionen verabschie-
et worden. Das liegt an seiner umsichtigen Gestaltung:
it diesem Gesetz wird sowohl der Boden für weiteren
rfolg dieses deutschen Spitzenfinanzproduktes bereitet
nd gleichzeitig eine Gesetzesvereinfachung erreicht.
as Gesetz entspricht der Idee eines offenen, bezüglich
er Qualitätsstandards und des Marktzuganges staatlich
eaufsichtigten Wettbewerbs.
Unsere wichtigste Botschaft an die Finanzwelt lautet:
as Gesetz der rot-grünen Koalition wird die Sicherheit
nd Qualität des Pfandbriefs bewahren und ausbauen.
esentliche Neuerung ist, dass nun alle Banken, die be-
timmte Anforderungen erfüllen, Pfandbriefe ausgeben
ürfen. Das entspricht auch der Idee des Wettbewerbes
n Europa. Damit ist klar: Der Pfandbrief hat sowohl
radition wie auch Potenzial. Das Potenzial wird durch
as neue Gesetz genutzt.
Unser Ziel in den Verhandlungen war es, die vielen
etailfragen zu lösen. Weil Pfandbriefe erfolgreich sind
nd es bleiben sollen, galt es, verschiedene Interessen
usammenzuführen. Auch dies ist gelungen. Hauptstreit-
unkt war: Wann und wie greift welche Bewertung der
mmobilien der Deckungsmasse?
Die Bewertung der Deckungsmasse ist neben der In-
olvenzfestigkeit wichtigstes Element der Sicherheit der
fandbriefe. Wir haben uns deshalb dafür eingesetzt,
ass das vorausschauendste Verfahren eingesetzt wird,
as es gibt: das Beleihungswertverfahren. Damit ist die
icherste und konservativste Bewertungsmethode nun im
esetz verankert.
Hierdurch ergab sich für öffentliche Banken die
rage, wie ihre in der Vergangenheit anders bewerteten
eckungsmassen zu behandeln sind. Dies ergab die Not-
endigkeit einer Übergangsregelung. Diese musste kurz
enug sein, um dem Pfandbrief nicht zu schaden, und
14786 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 157. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Februar 2005
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lang genug, um eine Umstellung zu ermöglichen und
eine übermäßige Belastung zu verhindern.
Wir haben nun eine unbürokratische Übergangslö-
sung für öffentliche Banken beschlossen. Auch der letzte
offene Punkt bezüglich einer Neuregelung des Pfand-
briefrechtes ist positiv geregelt worden. Die Immobilien-
bestände meist öffentlicher Banken, die noch nach dem
früher gängigen Marktwertverfahren bewertet gewesen
waren, können noch bis zum 30. Juni 2006 für die Neu-
begebung von Pfandbriefen genutzt werden. Diese Im-
mobilien können mit 50 Prozent des nach Markt- bzw.
Verkehrswertverfahren ermittelten Wertes in die De-
ckungsmasse eingestellt werden. Nach Ende der Über-
gangsfrist sind alle Immobilien einheitlich nach dem im
Gesetz vorgesehenen Beleihungswertverfahren zu be-
werten. Das Beleihungswertverfahren findet die Zustim-
mung aller beteiligten Verbände.
Damit kommt die Koalition den öffentlichen Banken
entgegen, die anderenfalls aufgrund der sonst fälligen
sofortigen Umbewertung eine Emissionspause hätten
hinnehmen müssen. Die Übergangsregelung ist unbüro-
kratisch und vermeidet so langwierige Prüfungsverfah-
ren.
Weiterhin wird im Pfandbriefgesetz die Vorausset-
zung für die Indeckungnahme treuhänderisch gehaltener
Grundschulden geschaffen. Dies soll mittelfristig die
Fungibilität der Deckungsmassen unter Beibehaltung
hoher Sicherheitsstandards erweitern. Dies bedeutet eine
Erleichterung für alle Banken, die Pfandbriefe emittie-
ren. Für diese Erleichterung sind zusätzlich ergänzende
Schritte in anderen Rechtsbereichen, etwa im Insolvenz-
recht, notwendig. Die Koalitionsfraktionen haben zuge-
sagt, die Bundesregierung auf eine Beschleunigung ent-
sprechender Verfahren hinzuweisen.
Wir haben uns wirklich bemüht, selbst die kleinsten
Details zu beachten. So wird im Rahmen des Gesetzes
dafür gesorgt, dass kleine Institute, die in der deutschen
Geschichte maßgeblichen Anteil an der Entwicklung des
Pfandbriefs hatten, nun nicht durch das neue Gesetz vom
Markt gefegt werden. Für sie gilt ein expliziter Be-
standsschutz. Wir sind den Trends der Internationalisie-
rung und der Globalisierung vorsichtig gefolgt und ha-
ben eine Erweiterung des Länderkreises, aus welchem
Immobilien in Deckung genommen werden können, auf
USA, Kanada und Japan vorgenommen, dies in Verbin-
dung mit einer Regel, die von Pfandbriefe emittierenden
Banken einen Erfahrungsnachweis für die jeweiligen
Märkte fordert.
Das neue Gesetz ist überdies eine Vereinfachung.
Bisher waren die Emissionsvoraussetzungen im Hypo-
thekenbankgesetz (HBG) und im Gesetz über die Pfand-
briefe und verwandten Schuldverschreibungen öffent-
lich-rechtlicher Kreditanstalten (ÖPG) geregelt. Das
neue Gesetz ersetzt beide Gesetze sowie mehrere Ver-
ordnungen, die komplett entfallen. Auch dies entspricht
unseren Zielen. Fazit: Wenn es immer so gut laufen
würde, wäre das schön.
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Carl-Ludwig Thiele (FDP): Das Produkt Pfandbrief
ibt es seit 235 Jahren. Mit diesem Gesetz soll die inter-
ationale Vormachtstellung des deutschen Pfandbriefs
esichert werden. Von einem EU-weiten Umlaufvermö-
en von 1 550 Milliarden Euro haben deutsche Pfand-
riefe ein Volumen von 1 060 Milliarden Euro und kom-
en damit auf einen Marktanteil von 68 Prozent im EU-
arkt.
Am 18. Juli 2005 entfällt die Gewährträgerhaftung
ei gleichzeitiger Modifizierung der Anstaltslast. Des-
alb begrüßt es die FDP, dass mit diesem Gesetz zur
euordnung des Pfandbriefrechts das Hypothekenbank-
esetz, das Gesetz über die Pfandbriefe und verwandten
chuldverschreibungen öffentlich-rechtlicher Kreditan-
talten sowie das Gesetz über Schiffspfandbriefbanken
ereinheitlicht und zusammengefasst werden. Die FDP-
raktion begrüßt es ferner, dass es interfraktionell gelun-
en ist, diese Neuordnung des Pfandbriefrechts mit der
chaffung dieses eigenständigen Pfandbriefgesetzes zu
eschließen.
Hierbei ist zu berücksichtigen, dass es einen scharfen
ettbewerb auch unter den Gesetzgebern in Europa gibt,
m Investoren anzuziehen, Im Gegensatz zu anderen
olitikfeldern gehen wir hier keinen schädlich isolieren-
en nationalen Alleingang. Mit diesem Gesetz wird viel-
ehr die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Pfand-
riefs deutlich gestärkt.
Bevor ich auf die weiteren Einzelheiten dieses Geset-
es eingehe, möchte ich einen Punkt gesondert anspre-
hen, der aus meiner Sicht von erheblicher Bedeutung
ür die Versorgung der Wirtschaft mit Krediten ist. Bei
em Gesetz zur Neuordnung des Pfandbriefrechts han-
elt es sich um ein Artikelgesetz. Da auch § 18 KWG
on diesem Gesetz erfasst ist, begrüßt es die FDP, dass
uch die anderen Fraktionen dem Vorschlag gefolgt sind,
ie Grenze für die Offenlegung der wirtschaftlichen Ver-
ältnisse eines Kreditnehmers von 250 000 Euro auf
50 000 Euro bzw. 10 Prozent des haftenden Eigenkapi-
als der Bank zu erhöhen. Wir hätten uns allerdings sehr
arüber gefreut, wenn auch unser darüber hinausgehen-
er Antrag auf Erhöhung auf 1 Million Euro eine Mehr-
eit gefunden hätte. Wichtig ist auch, dass der Antrag
er FDP aufgenommen wurde, diese Änderung des § 18
WG unmittelbar mit der Veröffentlichung dieses Ge-
etz in Kraft zu setzen. Dies wird voraussichtlich schon
nde März stattfinden.
Ziel dieses Gesetzes zur Neuordnung des Pfandbrief-
echts ist daher bei Wahrung der hohen Qualität des
fandbriefes die Ausdehnung der Befugnis zur Pfand-
riefbegebung auf alle Kreditinstitute, die bestimmten
nforderungen zum Schutz des Pfandbriefgeschäfts ge-
ügen und von der Bundesanstalt für Finanzdienstleis-
ungsaufsicht eine Erlaubnis zur Pfandbriefbegebung er-
alten. Dazu ist es wichtig, dass die Definition des
fandbriefgeschäfts als Bankgeschäft im Sinne des § 1
WG definiert wurde. Ferner muss ein Kernkapital von
indestens 25 Millionen Euro vorhanden sein und ein
eschäftsplan vorliegen, aus dem unter anderem hervor-
eht, dass das Kreditinstitut das Pfandbriefgeschäft vo-
aussichtlich regelmäßig und nachhaltig betreiben wird.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 157. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Februar 2005 14787
(A) )
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Wird dieses Pfandbriefgeschäft nicht regelmäßig und
nachhaltig betrieben, kann die Erlaubnis aufgehoben
werden.
Abschließend möchte ich für die FDP feststellen, dass
die Beratung zu diesem Gesetz aus unserer Sicht sehr
konstruktiv und sachbezogen war. Dieses wünschen wir
auch bei anderen Gesetzesvorhaben.
Für die FDP wünsche ich, dass dieses Gesetz dazu
beiträgt, die Vormachtstellung des deutschen Pfandbrie-
fes weiter zu festigen und auszubauen.
Anlage 8
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Fototafeln zum
17. Juni 1953 erhalten (Tagesordnungspunkt 20)
Eckhardt Barthel (Berlin) (SPD): Manchmal sind
dreißig Minuten Debattenzeit zu viel Aufhebens für eine
Angelegenheit, bei der man nicht umhin kann zu fragen,
warum sich eigentlich der Deutsche Bundestag mehrfach
damit beschäftigen muss. Wir sind hier kein Kommunal-
parlament, und es gehört wohl auch zur Verantwortung
von Parlamentariern, vor Einbringung eines Antrages
über die Relevanz des Anliegens für dieses Haus nach-
zudenken.
Darin liegt der erste Punkt meiner Ausführungen, die
ich ja nun nolens volens machen muss. Der Deutsche
Bundestag ist für die Fototafeln zum Gedenken an den
17. Juni 1953 an der Fassade des Bundesfinanzministeri-
ums schlicht und ergreifend nicht zuständig. Beim Streit
um die Frage, ob die Tafeln dort hängen bleiben sollen
oder nicht, handelt es sich um eine juristische Auseinan-
dersetzung zwischen dem Ministerium und der „Arbeits-
gemeinschaft 13. August“. Diese Auseinandersetzung ist
im Übrigen längst entschieden, denn das Landgericht
Berlin hat am 8. September 2004 zugunsten des Klägers
verfügt, dass die Tafeln abgehängt werden müssen. Die
Berufung gegen dieses Urteil hat der Beklagte kürzlich
zurückgezogen. Damit ist es rechtskräftig, und die Ta-
feln sind unverzüglich zu entfernen. Ich weiß ehrlich ge-
sagt nicht, wo es bei dieser Angelegenheit seitens der
Legislative, das heißt, seitens des Deutschen Bundesta-
ges, jetzt noch Handlungsbedarf geben soll. Diese
simple Feststellung hat weder mit der Erinnerung an die
Ereignisse vom 17. Juni 1953 noch mit einer Bewertung
der Fototafeln etwas zu tun. Ich habe schon in der Dis-
kussion im Ausschuss für Kultur und Medien gesagt,
dass ich persönlich die Fototafeln gut finde und dass
man im Land Berlin über einen anderen Standort für sie
nachdenken sollte. Die riesigen Bilder von demonstrie-
renden Arbeiterinnen und Arbeitern sind durchaus be-
eindruckend und erinnern ohne falsches Pathos an die
erste große politische Erschütterung des DDR-Unrechts-
regimes, das dann Jahrzehnte später endlich und viel zu
spät unterging.
Ebenso wenig wie um ästhetische oder historische
Einschätzungen geht es hier um die Aktivitäten der „Ar-
beitsgemeinschaft 17. Juni“. Deren maßgebliche Wort-
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ührerin, Frau Hildebrandt, ist zwar uns allen mittler-
eile als schillernde Persönlichkeit, als eine, wenn auch
elbsternannte, Jeanne d‘Arc der DDR-Erinnerungskul-
ur bekannt. Doch wir sollten uns hier nicht mit den Mo-
iven einzelner Personen beschäftigen, sondern nach
riterien nüchternen Räsonnements einen Sachverhalt
eurteilen. Zu diesem Sachverhalt gehört unter anderem
uch der Umstand, dass es am Gebäude des Finanzmi-
isteriums, nur ein paar Steinwürfe von hier entfernt, be-
eits ein Kunstwerk gibt, das die Ereignisse des 17. Juni
953 zum Gegenstand hat. Das in den Boden vor dem
ebäude eingelassene Glasbild des Berliner Künstlers
olfgang Rüppel reflektiert den bezeichnenderweise
953 von Max Lingner geschaffenen Wandfries an der
assade des Ministeriums, das im Stil des sozialistischen
ealismus das „süße Leben in der DDR“ zeigt. Auf
üppels Bild, das mit 24 Metern Länge dieselben Aus-
aße wie der Fries hat, sind demonstrierende Arbeite-
innen und Arbeiter des 17. Juni 1953 in ästhetischer
erfremdung zu sehen. Die Idee des Künstlers besteht
arin, durch die Verlagerung seines Denkmals in die
rde, das Spannungsverhältnis zwischen der Ideologie
es bürokratischen Sozialismus und der gesellschaftli-
hen Realität symbolisch zu rekonstruieren.
Abgesehen davon, dass die ästhetische Wirkung die-
es Kunstwerks durch die Fototafeln der „Arbeitsge-
einschaft 17. Juni“ beeinträchtigt wird, hat der Künst-
er mit einer erneuten Klage gedroht, wenn die Tafeln
etzt nicht unverzüglich abgehängt werden. Und damit
in ich wieder bei den formalen Problemen. Das Projekt
er Fototafeln wurde 2003 anlässlich des 50. Jahrestags
es Volksaufstandes in der DDR vom Finanzministerium
ür wenige Wochen genehmigt – dies vor dem Hinter-
rund, dass das Gebäude unter Denkmalsschutz steht
nd die Fassade nicht ohne weiteres dauerhaft verändert
erden darf. Ich denke, es ist ein Gebot der Fairness,
ass man sich an solche Abmachungen dann auch hält.
m Zusammenhang mit dem „Mauer-Disneypark-Pro-
ekt“, das Frau Hildebrandt am Checkpoint Charlie
benfalls ohne Einhaltung der mit dem Land Berlin ver-
inbarten Befristung veranstaltet, muss hier schon darauf
ingewiesen werden, dass man einvernehmlich getrof-
ene Regelungen nicht einfach missachten darf, wenn es
inem beliebt.
Abschließend will ich noch einmal darauf hinweisen,
ass es hier nicht um die persönliche Einschätzung des
bgeordneten Barthel oder irgendeines anderen Abge-
rdneten zu den Fototafeln zum 17. Juni geht. Vielmehr
aben wir die Bedingungen zu beachten, unter denen mit
en Tafeln am Ministerium umzugehen ist. Diese Bedin-
ungen habe ich beschrieben. Wir haben demnach ein
echtskräftiges Urteil, wir haben ein bereits existierendes
unstwerk, wir haben eine terminliche Vereinbarung
nd wir haben ein denkmalgeschütztes Gebäude. Was
ir nicht haben, ist weiterer Redebedarf in diesem
ause. Über die Zukunft der Fototafeln an einem ande-
en Ort soll das Land Berlin in Zusammenarbeit mit der
enkmalschutzbehörde entscheiden. Deshalb wird
eine Fraktion bei ihrer Haltung bleiben und den Antrag
er Union ablehnen.
14788 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 157. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Februar 2005
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Roland Gewalt (CDU/CSU): Der Platz vor dem heu-
tigen Bundesfinanzministerium, Wilhelmstraße/Ecke
Leipziger Straße, ist nicht irgendeiner der Schauplätze
des Volksaufstandes. An diesem Ort war das Zentrum
der Erhebung vom 17. Juni 1953. Es erfordert daher
– ich hoffe, dass wir uns in diesem Punkt einig sind –
ein hohes Maß an Sensibilität, was die Gestaltung dieses
geschichtsträchtigen Ortes anbelangt.
Man muss es einmal offen aussprechen: Gerade diese
Gestaltung des Platzes ist hier leider misslungen. Die
Teilnehmer des Volksaufstandes und die Opfer kritisie-
ren zu Recht, dass das im Boden eingelassene Denkmal
zur Erinnerung an den 17. Juni für den auf dem Platz ste-
henden Betrachter nicht zu erkennen ist und – wenn man
es dann zufällig doch entdeckt – mit dem Volksaufstand
nur schwer in Verbindung gebracht werden kann. Dage-
gen – das ist für die Opfer besonders schmerzlich –
prangt an der Hauswand des Finanzministeriums ein rie-
siges, von weitem sichtbares Wandgemälde, das die
SED-Diktatur verherrlicht.
Es ist deshalb verständlich, dass die Arbeitsgemein-
schaft „13. August“ hier einen deutlich sichtbaren Kon-
trapunkt setzen wollte und an der gegenüberliegenden
Fassade große Fototafeln anbrachte, die an den Frei-
heitskampf der Menschen an diesem Ort erinnern sollen.
Ohne Frage finden diese durchaus gelungenen Foto-
tafeln bei den Menschen mehr Beachtung und mehr Zu-
stimmung als das unscheinbare und seine Wirkung völ-
lig verfehlende Denkmal auf diesem Platz.
Ich will überhaupt nicht bestreiten, dass der Weg, den
die Arbeitsgemeinschaft „13. August“ gewählt hat, ju-
ristisch gesehen nicht ganz korrekt war. Gerade die Tat-
sache, dass die Montage der Fototafeln an der Hauswand
des Finanzministeriums vielen Menschen, vor allem
aber den Teilnehmern an dem Volksaufstand, aus dem
Herzen gesprochen hat, macht es völlig unverständlich,
dass hier der Bundesfmanzminister völlig unsensibel
nach der „Holzhammermethode“ vorgeht. Es ist nicht
einmal der Versuch unternommen worden, mit der Ar-
beitsgemeinschaft „13. August“ und der zuständigen
Denkmalschutzbehörde ein Einvernehmen zu erzielen.
In dieses Bild passt, dass das Vermittlungsangebot des
Regierenden Bürgermeisters von Berlin, der ja bekann-
termaßen Parteifreund von Herrn Eichel ist, brüsk vom
Bundesfinanzminister zurückgewiesen wurde.
Ich bin nun selbst Jurist und neige auch manchmal
dazu, die Dinge sehr stark durch die rechtliche Brille zu
sehen. Aber der Streit um die Gestaltung eines der
geschichtsträchtigsten Orte in der Bundesrepublik
Deutschland gehört einfach nicht in einen Gerichtssaal.
Wenn man dann nun aber schon einen Prozess anstrengt,
wie es der Bundesfinanzminister getan hat, dann sollte
man hier wenigstens ein bisschen Fingerspitzengefühl an
den Tag legen. Der Versuch, die beklagte Arbeitsge-
meinschaft „13. August“ von einer Berufung abzuhalten,
indem er mit einer geradezu abenteuerlichen Begrün-
dung den Streitwert hochtreibt, ist nicht nur unangemes-
sen, er ist geradezu peinlich. Dem Bundesfinanzministe-
rium seien – so argumentiert das Ministerium – durch
das Verbleiben der Fototafeln an der Hauswand des Ge-
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äudes Einnahmen in Höhe von 180 000 Euro durch die
ermietung als Werbefläche entgangen. Bei allem Ver-
tändnis für juristische Häkeleien: In diesem Zusammen-
ang kann ein solcher Verfahrenstrick wohl nur als ge-
chmacklos bezeichnet werden.
Bei den Beratungen des Antrags im Innenausschuss
st zumindest bei der SPD-Fraktion angeklungen, dass
an Verständnis für den Wunsch der Teilnehmer des
olksaufstandes und der Opfer hat, das Erscheinungsbild
ieses Platzes zu verändern. Wir sollten die Diskussion
m die Fototafeln nicht als Last, sondern als Chance be-
reifen, hier endlich eine Lösung zu finden. Nichts ande-
es will die CDU/CSU-Fraktion mit ihrem Antrag errei-
hen. Ich verstehe nicht, was hieran kritikwürdig ist.
Günter Nooke (CDU/CSU): Aus Anlass des 50. Jah-
estages des Volksaufstandes am 17. Juni 1953 hat die
rbeitsgemeinschaft „13. August e.V.“ mit der Geneh-
igung des Bundesministeriums der Finanzen Fotota-
eln zum Gedenken an die Opfer an der Fassade des Mi-
isteriums angebracht. Es ist bezeichnend, dass sich die
olleginnen und Kollegen von der SPD bei den Beratun-
en im Ausschuss für Kultur und Medien in der Frage
ach dem Verbleib der Fototafeln zur Erinnerung an den
olksaufstand am 17. Juni 1953 am Bundesfinanzminis-
erium darauf verlegt haben, dass der Bund nicht zustän-
ig und deshalb der Antrag abzulehnen sei. Abgesehen
avon, dass das nicht einmal richtig ist, da das Bundes-
inisterium der Finanzen immer noch Teil der Bundes-
egierung ist, und da vor allem das Gedenken an natio-
ale Ereignisse auch Bundesangelegenheit ist, ist der
erweis auf Kompetenzen ein Zeichen dafür, dass man
it der Sache eigentlich lieber nichts zu tun haben
öchte. Wollte man mit der Sache hingegen zu tun ha-
en, würde die Bedeutung der Kompetenzfrage sicher
icht so betont.
Aber es geht eben nicht nur um Kompetenzen, son-
ern hier geht es auch um die Sache. Es geht um die
ichtbarmachung des Volksaufstandes vom 17. Juni
953 an einem authentischen Ort. Nicht an irgendeinem
rt, sondern an dem Ort, der in der Öffentlichkeit am
tärksten mit dem Volksaufstand in Berlin verbunden
ird. Die Frage der rechtlichen Grundlage des Verbleibs
er Fototafeln, die engagierte Bürgerinnen und Bürger
us Anlass des 50. Jahrestages des Aufstandes für befris-
ete Zeit ermöglicht haben, ist bei der Einbringung des
ntrages erörtert worden. Wir haben das auch im Aus-
chuss für Kultur und Medien thematisiert, und wir ha-
en vorgeschlagen, die Formulierung dahin gehend zu
erändern, dass wir uns für einen Verbleib der Fototafeln
m Ort – zum Beispiel an der Ostseite des Gebäudes –
ussprechen und nicht auf dem Status quo bestehen, um
icht das Verfahren höher zu bewerten als das Anliegen.
enn es ist uns eben die Sichtbarmachung der Ereignisse
om 17. Juni am authentischen Ort wichtig.
Der Hauseigentümer, der Bundesminister der Finan-
en, sollte daher nach einer Lösung suchen, die den
erbleib der Fototafeln gewährleistet. Juristische Aus-
inandersetzungen vor Berliner Zivilgerichten sind der
ensibilität des Themas nicht angemessen, verhindern
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 157. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Februar 2005 14789
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ein würdiges Gedenken und können zu keinem befriedi-
genden Ergebnis führen. In der gestrigen Anhörung zu
unserem Antrag „Förderung von Gedenkstätten zur Dik-
taturgeschichte in Deutschland – Gesamtkonzept für ein
würdiges Gedenken aller Opfer der beiden deutschen
Diktaturen“ im Ausschuss für Kultur und Medien hat
Hubertus Knabe, Leiter der Gedenkstätte Hohenschön-
hausen, der als Sachverständiger eingeladen war, darauf
aufmerksam gemacht, dass es im Stadtbild kaum Hin-
weise auf die friedliche Revolution von 1989 gibt. Das
trifft auch auf den Widerstand in der DDR zu. Besonders
bei der bestehenden künstlerischen Gestaltung am Ort,
um den es hier geht, ist das auch der Fall, zumindest was
die tatsächliche Sichtbarkeit angeht. Ich hätte mir auch
ein anderes, offensichtlicheres Zeichen im Stadtbild ge-
wünscht.
Die Fototafeln sind das bislang einzige deutlich wahr-
nehmbare Denkmal für die Aufständischen des 17. Juni
1953. Sie sind das notwendige Gegenstück zu dem eben-
falls an der Hausfassade befindlichen Wandgemälde, das
propagandistisch das SED-Regime verherrlicht. Die Fo-
totafeln sollen und können das im Boden vor dem Ge-
bäude eingelassene Denkmal ergänzen. Hier bietet sich
nun – das stellt unser Antrag dar – eine konkrete Lösung
an, die auch die Eigenständigkeit der Arbeiten sicher-
stellt. Daher sprechen wir uns dafür aus, dass die Bun-
desregierung sich im Einvernehmen mit allen Beteiligten
dafür einsetzt, dass die anlässlich des 50. Jahrestages des
Volksaufstandes in der ehemaligen DDR am 17. Juni
2003 an der Fassade des Bundesministeriums der Finan-
zen angebrachten Fototafeln der Arbeitsgemeinschaft
„13. August e.V.“ am authentischen Ort des Aufstandes
sichtbar bleiben können.
Ursula Sowa (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Im
Sinne einer kulturpolitischen Debatte ist das Anliegen
der CDU/CSU-Fraktion sehr zu begrüßen, das Thema
Fototafeln am Gebäude des Bundesfinanzministeriums
auf die politische Agenda zu setzen. Dass sich allerdings
der Bundestag damit beschäftigen soll, noch dazu zu
nachtschlafender Zeit, weil sich eine Fraktion vor den
Karren von Vermarktern – auch wenn es sich um das Ge-
denken an die DDR handelt – spannen lässt, verdient
kein größeres Lob.
Gern erinnere ich an die großzügige Zusage des
Finanzministers, ein Fotoprojekt zum Gedenken an den
Volksaufstand des 17. Juni 1953 an einem authentischen
Ort des Geschehens, nämlich in der Berliner Leipziger
Straße, zu ermöglichen.
Im Unionsantrag geht es einmal nicht um die Finanz-
fragen, wie man bei der Zuständigkeit des Finanzminis-
ters annehmen könnte. Nein, es geht um Denkmalschutz
und den Schutz eines bestehenden Kunstwerks und da-
mit um den Schutz des Urhebers.
Beginnen wir mit letzterem. Der Künstler Wolfgang
Rüpper aus Berlin hat nach einem entsprechenden Aus-
schreibungsverfahren den Zuschlag für den Bau eines
Denkmals zum 17. Juni erhalten. Und sein Denkmal be-
zieht das Gebäude mit seiner Fassade in ein durchdach-
tes Gesamtkonzept mit ein. Das ist ein wichtiger Grund,
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eshalb die Fassade in ihrer ursprünglichen Form wie-
er hergestellt werden muss, denn Rüpper hat ein An-
echt darauf, dass sein Kunstwerk eine eigenständige
irkung entfalten kann. Und dazu bedarf es einer Fas-
ade ohne unübersehbare Fotos.
Von der Frage der Rechte des Künstlers Wolfgang
üpper völlig unbenommen steht die Tatsache, dass es
ich um ein denkmalgeschütztes Gebäude handelt. Dabei
pielt neben der architektonischen auch die historische
imension eine entscheidende Rolle. Das Haus an der
eipziger- und Wilhelmstraße wurde unter dem Nazi-
egime als Reichsluftfahrtministerium genutzt. Wäh-
end der Alleinherrschaft der SED bot der Gebäudekom-
lex dem „Haus der Ministerien“ Quartier. Die Arbeiter-
emonstrationen zogen aus diesem Grund in die
eipziger Straße, denn sie wollten ihren Widerstand den
taatsbediensteten in den Ministerien und damit der Re-
ierung entgegen bringen.
Der Aufstand am 17. Juni fand jedoch auch an ande-
en Orten statt und diese Tatsache könnte eine Perspek-
ive für die Fototafeln jenseits des Bundesfinanzministe-
iums eröffnen.
Suchen wir doch einen anderen Ort für die Fototafeln,
n Berlin werden wir bestimmt fündig werden. Mein
orschlag: Stellen wir die Fotos doch in den Mittelstrei-
en der Karl-Marx-Allee. Hier fand der Volksaufstand
einen Ausgang und hier steht die moderne Kunst nicht
m Widerspruch zum Denkmalschutz.
Damit wäre allen Interessen gedient und ein als tem-
oräres Projekt geplantes Vorhaben könnte aufgrund sei-
er erworbenen Anerkennung längerfristigen Bestand
rhalten.
Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP): Die FDP
ält es für wünschenswert, die Fototafeln an ihrem jet-
igen Standort zu belassen. Sie sind eine ästhetisch ge-
ungene und stadträumlich wichtige Erinnerung an den
olksaufstand des 17. Juni 1953.
Der 17. Juni 1953 ist ein entscheidendes Datum in der
eutschen Nachkriegsgeschichte. Dieses Datum, das in
er Bundesrepublik bis 1990 als „Tag der deutschen Ein-
eit“ ein nationaler Feier- und Gedenktag war, war und
st Sinnbild für die Auflehnung der Bürger der DDR ge-
en die SED-Diktatur und steht in einer Reihe mit der
riedlichen Revolution des Jahres 1989.
Die Bilder des 17. Juni 1953, die Massen der Arbeiter
n der Stalinallee, die protestierenden Menschen am
aus der Ministerien, die Bilder einzelner Demonstran-
en, die mit Steinen versuchen, die sowjetischen Panzer
ufzuhalten, sind fester Bestandteil der kollektiven Erin-
erung an diese Ereignisse. Ebendiese Bilder, die alle
esucher Berlins aus den Schulbüchern kennen und mit
em 17. Juni 1953 verbinden, finden sich nun als große
ototafeln am heutigen Bundesfinanzministerium und
ind nun Gegenstand des Streits und Gegenstand gericht-
icher Auseinandersetzung.
Diese Fototafeln leisten etwas, was das „offizielle“
enkmal für die Aufständischen des 17. Juni 1953 nicht
14790 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 157. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Februar 2005
(A) )
(B) )
leistet. Das in den Boden eingelassene, 24 mal 3 Meter
große Glasbild des Künstlers Wolfgang Rüppel nimmt
Bezug auf das propagandistische Wandbild Max
Lingners an der Wand des Rohwedder-Hauses. Im Un-
terschied zu den Fototafeln ist das Denkmal im Stadt-
raum nur von Fußgängern erlebbar, nicht aber für vor-
beifahrende Autofahrer oder Bustouristen. Insofern
gleichen die Tafeln mit den vertrauten Fotos die Schwä-
che des Denkmals aus, indem schon von Ferne einer der
authentischen Orte des 17. Juni 1953 erlebbar wird.
Kritikwürdig und nicht ganz unproblematisch ist al-
lerdings die Vorgehensweise der Arbeitsgemeinschaft
„13. August“, die die Tafeln angebracht hat. Würden die
Tafeln entgegen den vertraglichen Vereinbarungen am
Haus belassen werden, könnte dies möglicherweise
Nachahmungseffekte befördern. Grundlage der Geneh-
migung war die Zusage der Initiatoren, die Tafeln nach
einem befristeten Zeitraum wieder zu entfernen. Diesem
Ansinnen des BMF sind die Beklagten auch nach der
Entscheidung des Landgerichts, welches entschieden
hat, dass die Tafeln abgehängt werden müssen, nicht
nachgekommen. Problematisch ist weiterhin das lau-
fende Verfahren zwischen Bundesvermögensamt und der
Arbeitsgemeinschaft „13. August“, in das sich der Bun-
destag im Detail nicht einmischen sollte.
Dennoch glaube ich, dass es sinnvoll und der Sache
dienlich wäre, wenn der Bundestag sich beim BMF bzw.
beim klageführenden Bundesvermögensamt dafür ein-
setzt, die Klage zurückzuziehen und so einen Verbleib
der Tafel zu ermöglichen.
Die Gebäudeecke Leipziger/Wilhelmstraße ist der
richtige Ort, um an den Aufstand des 17. Juni 1953 zu
erinnern, und die Fototafeln sind ein angemessenes äs-
thetisches Mittel, dies zu tun. Daher plädiert die FDP für
einen Erhalt der Fototafeln und stimmt dem vorliegen-
den Antrag zu.
Anlage 9
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung eines Zweiten Gesetzes zur Ände-
rung des Teledienstgesetzes (Anti-Spam-Gesetz)
(Tagesordnungspunkt 21)
Hubertus Heil (SPD): Die Zahl von Spams, also
der unerwünschten, massenweise versendeten Werbe-
E-Mails, hat Besorgnis erregende Ausmaße angenom-
men. Ihr Anteil am gesamten E-Mail-Verkehr ist von
7 Prozent im Jahr 2001 auf 65 Prozent im Jahr 2004 ge-
wachsen. Wir kennen es alle: Die Bearbeitung des tägli-
chen Posteingangs für Unternehmen und private Emp-
fänger gerät immer mehr zum Ärgernis. Spams kosten
täglich kostbare Zeit und Unternehmen viel Geld. Viele
dieser unbestellten Nachrichten enthalten anstößige oder
beleidigende Inhalte – die Palette reicht von aggressiver
Werbung für erotische Angebote oder Potenzmittel über
Computerviren bis zu Aufforderungen an den Empfän-
ger, geheime Informationen wie zum Beispiel Bankzu-
gangsdaten preiszugeben.
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Mit unserem Gesetzentwurf, den wir heute in erster
esung beraten, wollen wir nicht nur eine rechtliche Lü-
ke in der Spamabwehr schließen, weil der Missbrauch
n den letzten Jahren explosionsartig zugenommen hat.
er unseren Gesetzentwurf genau liest, erkennt, dass
ir damit einen Stein für ein wirksames rechtliches Fun-
ament setzen, auf dem wir einen umfassenden Ansatz
erfolgen wollen: Ein Vorgehen gegen Spams kann nur
ann erfolgreich sein, wenn rechtliche, wirtschaftliche
nd technische Maßnahmen in ihrer Wirksamkeit opti-
iert und miteinander verzahnt werden. Erforderlich ist
in abgestimmtes Vorgehen, das Serviceprovider, Ver-
raucher und den Staat als Akteure auf nationaler, euro-
äischer und internationaler Ebene einschließt. Als Ge-
etzgeber wollen und dürfen wir private Freiheiten aber
ur soweit einschränken, wie autonome gesellschaftliche
egelungen und technische Möglichkeiten nicht ausrei-
hen.
Mit unserem Anti-Spam-Gesetz tun wir das Notwen-
ige und Machbare:
Erstens wird das Verschleiern des Absenders oder des
ommerziellen Charakters einer ohne Einverständnis zu-
esandten E-Mail in Zukunft in jedem Einzelfall mit ei-
em Bußgeld von bis zu 50 000 Euro belegt werden. Da-
it setzen wir die rechtlichen Rahmenbedingungen
afür, dass technische Filterprogramme wirksam arbei-
en können. Gerade in den letzten Jahren hat sich näm-
ich gezeigt, dass es diese Verschleierungen waren, die
s unmöglich machten, Spams nach dem Wunsch des
enutzers schon im Vorhinein automatisch auszusortie-
en.
Zweitens legen wir durch das Gesetz einen weiteren
ichtigen Grundstein für eine wirksame europäische
nd internationale Zusammenarbeit. Wir setzen – bis die
rforderlichen abgestimmten internationalen Maßnah-
en erfolgen – ein Signal für andere Staaten, rechtliche
ücken zu schließen und für eine wirksame Durchset-
ung zu sorgen. Dafür braucht es auch dringend eine Be-
örde, die die Zuständigkeit in Deutschland bündelt.
ier stehen mehrere Vorschläge im Raum, die wir einge-
end mit den Ländern und Betroffenen diskutieren wer-
en.
Schließlich geben wir durch die ausführliche Begrün-
ung den Rechtsanwendern, der Wirtschaft und den Ver-
rauchern Rechtsklarheit darüber, was bereits heute ver-
oten oder sogar strafbar ist.
Das von uns 2004 geänderte Gesetz gegen den unlau-
eren Wettbewerb stellt es bereits heute klar: Jede ohne
inwilligung des Adressaten versandte elektronische
erbe-E-Mail ist rechtswidrig. Schon heute verbietet
as Gesetz ebenfalls, die Identität des Absenders zu ver-
chleiern oder zu verheimlichen. Wettbewerber und an-
rkannte Klageverbände, etwa Verbraucherverbände,
önnen vom Versender Unterlassung und Schadenersatz
erlangen. Andere Empfänger von Spam-Mails können
benfalls auf Unterlassung und Schadensersatz klagen.
Andererseits werden besonders schwerwiegende
echtsschutzverletzungen beim Spamming bereits heute
estraft, etwa Mails, die Kinderpornographie, Viren oder
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 157. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Februar 2005 14791
(A) )
(B) )
Würmer transportieren. Gleiches gilt für Nachrichten,
die den ersten Schritt bei einem Betrug darstellen, indem
sie den Empfänger zur Angabe von Bankzugangsdaten
wie PIN oder TAN auffordern. Strafbar sind schließlich
auch Massenversendungen, die zum Zusammenbruch
von Vermittlungsrechnern oder Empfängerpostfächern
führen. Die Verschleierung des Absenders und des Cha-
rakters für sich genommen hat keinen Unwertgehalt, der
dem gleichkommt, sodass ein empfindliches Bußgeld,
wie jetzt von uns vorgeschlagen, die richtige Sanktion
ist.
Wir sind offen für alle Verbesserungsvorschläge. Nur,
wer strengere oder weitergehende nationale Regelungen
möchte, muss diese immer am Verhältnismäßigkeits-
grundsatz messen. Die ersten Stellungnahmen der
Betroffenen geben uns Recht: Wir wollen keine bevor-
mundeten und überwachten, sondern verantwortungsbe-
wusste Unternehmen und Verbraucher. Sie wollen wir
aufklären und für sie wollen wir die notwendigen, ver-
nünftigen Rahmenbedingungen schaffen. Dafür steht un-
ser Gesetz.
Ulrich Kelber (SPD): Spamming ist ein internationa-
les Problem. Kein Land dieser Welt allein kann mit Ge-
setzen und Strafen diese Seuche stoppen, es sei denn, es
verbietet die Nutzung des Internets für alle. Spamming
kann auch nicht allein durch technische Maßnahmen ge-
stoppt werden, das haben die letzten Jahre gezeigt. Für
jede technische Anti-Spam-Lösung gab es binnen Tagen
eine Umgehung. Spamming kann meiner Meinung nach
nur durch eine gute Mischung aus Abschreckung, tech-
nischen Lösungen und verantwortlichen Verbrauchern
begrenzt werden. Die Internetwirtschaft und die Provi-
der haben in den letzten Jahren viele Probleme auf der
technischen Seite angepackt. Die E-Mail-Empfänger, In-
ternetnutzer und zunehmend auch die Handykunden
müssen noch verantwortungsvoller und informierter mit
diesen Medien umgehen. Wer zum Beispiel für jedes
kleine Gewinnspiel seine Daten hinterlässt, muss sich
nachher nicht über die Spams wundern.
Die EU-Kommission hat im Januar 2004 alle Mit-
gliedstaaten aufgefordert, zusätzliche Schritte gegen
Spam zu unternehmen. Dabei ist insbesondere auch die
Möglichkeit benannt worden, Spammer mit Bußgeldern
zu belegen oder sogar strafrechtlich zu verfolgen. Die
Einschätzung, ob weitere gesetzliche Maßnahmen not-
wendig sind, waren in der deutschen Fachwelt lange ge-
teilt. Selbst die großen Internetprovider stritten sich
lange in dieser Frage. Inzwischen aber sind sich fast alle
einig: Neben den umfangreichen Initiativen von der
Wirtschaft und den Informationen von Behörden und
Verbänden braucht es auch eine Verschärfung der Ge-
setze. Die nationalen Maßnahmen müssen dabei interna-
tional besser abgestimmt werden. Für Spams gibt es
keine Grenzen. Die Verfolgung der Spammer darf also
auch nicht an den Grenzen eines Staates enden.
Es gilt aber auch: Nur wer national handelt, kann in-
ternationale Kooperationen einfordern. Die zahlreichen
deutschen Behörden, die sich mit der Spam-Problematik
befassen, arbeiten dabei eng mit den internationalen Or-
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anisationen zusammen. Ich bin fest davon überzeugt,
ass wir vor allem die Massen-Spammer strafrechtlich
erfolgen oder zumindest mit hohen Bußgeldern kon-
rontieren müssen. Das Risiko für Spammer muss merk-
ich steigen. Das habe ich hier letztes Jahr schon betont.
ie haben in den Medien verfolgen können, dass einige
PD-Abgeordnete dazu einen konkreten Gesetzesent-
urf in die fraktionsinterne Beratung eingebracht haben.
ir haben lange diskutiert, wo ein neues Gesetz rechts-
echnisch am besten implementiert werden könnte, weil
iele Straftatbestände bereits in anderen Gesetzen wie
um Beispiel dem UWG gelöst sind. Zu Recht wollten
inige klären, ob die vorgesehen Strafen verhältnismäßig
ind.
Auch muss man sich fragen, welche Behörden haben
enn das richtige Know-how für die Verfolgung der
pammer? Sieht man sich die aktuelle Gesetzeslage an,
ach der in jedem Bundesland eine andere Behörde, teil-
eise sogar die Landratsämter für die Vollstreckung der
ußgelder zuständig sind, so ist doch wirklich zu fragen,
b eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft hier nicht der
innvollere Weg wäre. Ich kann die lieben Kolleginnen
nd Kollegen in der Union nur nachdrücklich auffor-
ern, hier einmal das Gespräch mit ihren Ministerpräsi-
enten zu suchen, damit wir diesen Vorschlag umsetzen
önnen. Dies und vieles andere mehr ist zu bedenken,
enn es zu einem effektiven Gesetz kommen soll.
Sie sehen, dass war ein bisschen mehr Arbeit, als ein-
ach nur einen Forderungskatalog in die Debatte einzu-
ringen, wie die Union dies letztes Jahr getan hat. Nur
onkrete Beratungen, nur entsprechend konkrete Be-
chlüsse helfen den Menschen wirklich. Alles andere
äre weiße Salbe gegen eine akute Bedrohung wie die
pam-E-Mails und zunehmend auch SMS und MMS.
er sich durch falsche IP-Adressen und Header ver-
teckt, mit irreführenden Betreffzeilen trickst oder
remde Rechner für Spam nutzt, muss bestraft werden.
pam ist für die Wissensgesellschaft wie eine Pestepede-
ie.
Wir brauchen das Zusammenspiel von verantwor-
ungsbewussten Nutzern, aktiver IT-Wirtschaft und kon-
equenter Gesetzgebung, um diese Pest einzudämmen.
rste gesetzliche und technische Maßnahmen sind er-
olgt. Mit diesem Gesetz soll ein weiterer Schritt folgen.
ir laden die Kolleginnen und Kollegen von der Oppo-
ition ein, diesen Gesetzentwurf mit uns konstruktiv zu
eraten. Wir haben inzwischen bereits erste Reaktionen
us der IT-Wirtschaft, die das Gesetz nachdrücklich be-
rüßen und an ein, zwei Stellen konkrete Verbesserungs-
orschläge machen. Auch diese wollen wir positiv prü-
en und einbauen, wo es sinnvoll ist.
Dr. Martina Krogmann (CDU/CSU): Ich möchte
wei Vorbemerkungen machen:
Uns ist völlig klar, dass ein Anti-Spam-Gesetz, das
ich allein auf die Bundesrepublik beschränkt, der welt-
eiten Spam-Flut wenig entgegensetzen kann. Das In-
ernet ist global und kennt keine Grenzen. Somit ist na-
ürlich auch Spam ein globales Phänomen. Deshalb geht
14792 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 157. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Februar 2005
(A) )
(B) )
es vor allem darum, durch internationale Kooperation
die Spam-Flut wirksam zu bekämpfen.
Ich bin aber fest davon überzeugt, dass wir – wie in
anderen Staaten längst umgesetzt – nationale gesetzliche
Schritte gegen Spam benötigen. Denn niemand kann auf
internationaler Ebene glaubwürdig gegen Spam vorge-
hen, wenn er auch auf nationaler Ebene in Tatenlosigkeit
verharrt. Nur wer national handelt, kann auch internatio-
nal kämpfen!
Genauso klar ist auch – und das ist meine zweite Vor-
bemerkung –, dass Gesetze und Verordnungen allein ge-
gen die Spam-Flut nichts ausrichten können. Spam wird
nur durch eine enge Kooperation von Wirtschaft, Politik
und Verbrauchern, das heißt durch ein Zusammenwirken
von technischen Maßnahmen, rechtlichen Rahmenbe-
dingungen und informierten Verbrauchern erreicht wer-
den können.
Worum geht es eigentlich? Spam ist mehr als un-
erwünschte Werbe-E-Mails. Gut 20 Prozent aller Spam-
E-Mails enthalten bereits Viren, Würmer, Trojaner und
Dialer. Damit werden Millionen PCs und die Dateien
darauf gefährdet. Die Zahl der unverlangt zugesandten
Werbe-E-Mails wächst exponentiell. Im Jahr 2001 waren
weltweit nur 7 Prozent der E-Mails Spam. Im ver-
gangenen Jahr waren es schon gut 50 Prozent. Und für
2006 rechnen Experten damit, dass fast 90 Prozent aller
E-Mails weltweit Spam sind.
Mit der Zahl der verschickten Spam-Mails steigen
auch die Schäden bei Privatleuten, Unternehmen, Bil-
dungseinrichtungen, gemeinnützigen Organisationen und
Behörden. Denn Spam-Mails erfordern entweder kosten-
trächtige Abwehrmaßnahmen oder absorbieren die eben-
falls teure Arbeitszeit der Mitarbeiter. Die Zahlen sind
erschreckend: Die EU-Kommission nimmt für 2002 ei-
nen Produktivitätsverlust von 2,5 Milliarden Euro an.
Das sind 2,5 Milliarden Euro, die für Innovation und
Fortschritt fehlen.
Darüber hinaus schädigen Spammer insbesondere die
Internetserviceprovider, die ihren Kunden jederzeit den
Versand oder Empfang von E-Mails ermöglichen müs-
sen. Diese Unternehmen werden durch die Spammer
dazu gezwungen, eine Infrastruktur vorzuhalten, die der
Welle des elektronischen Mülls gewachsen ist. Sie wer-
den also gezwungen, teure Investitionen vorzunehmen,
um ihren Kunden Botschaften zu übermitteln, die diese
gar nicht haben wollen. Investieren sie aber nicht, ver-
stopft Spam ihre Infrastruktur und sie können die Leis-
tungen für ihre Kunden nicht erbringen – und dies nur
wegen der Aktivitäten einiger krimineller Spammer.
Die wahrscheinlich gefährlichste Folge aber ist der
Verlust des Vertrauens der Nutzer in das Medium. Es
besteht die Gefahr, dass E-Mails nur noch als Verbrei-
ter obskurer Angebote, als Werbung für angeblich ero-
tische Produkte und Dienstleistungen oder als Platt-
form für die Anbahnung betrügerischer Geschäfte
wahrgenommen werden. Die Folge ist, dass private
oder dienstliche E-Mails in der Masse der Spam-Mails
gar nicht mehr wahrgenommen werden. Am Ende dieser
Entwicklung werden wichtige Nachrichten auf anderen
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egen als der elektronischen Post verschickt. Dadurch
erlöre die E-Mail als schnelles und preiswertes welt-
eites Kommunikationsmittel – und damit auch als Trei-
er für die Wirtschaft – an Bedeutung. Spam erweist sich
uch unter diesem Aspekt als Hemmschuh der Innova-
ion und der Informationsgesellschaft.
Jetzt komme ich zum Anti-Spam-Gesetz von SPD
nd Grünen. Es ist richtig, dass SPD und Grüne nun end-
ich einen Gesetzentwurf zur Bekämpfung von Spam
orgelegt haben. Das wurde allerdings auch Zeit! Die
DU/CSU-Bundestagsfraktion hat in einem Antrag be-
eits im März 2004 Maßnahmen gefordert, die jetzt in
hnlicher Weise im Gesetzentwurf enthalten sind. Das
etrifft vor allem eine Bußgeldbewehrung bei Verwen-
ung manipulierter Header. Hätten Sie damals unserem
ntrag zugestimmt, hätten wir schon vor einem Jahr
irksamere Maßnahmen gegen Spam in Deutschland
aben können.
Das Internet entwickelt sich aber schneller, als die
oalition handelt. Rot und Grün hecheln den Entwick-
ungen im Internet hinterher, anstatt Internetpolitik zu
estalten.
Das Problem ist nicht einfach zu lösen. Wir dürfen
uch nicht das Kind mit dem Bade ausschütten, denn
icht jede E-Mail mit Werbeinhalten ist auch Spam.
uch ergeben sich viele Fragen hinsichtlich der Durch-
etzbarkeit staatlicher Maßnahmen. Im Gesetzgebungs-
rozess müssen aus unserer Sicht insbesondere folgende
unkte diskutiert werden:
Wir müssen klären, inwieweit es wirklich erforderlich
st, Betreff-Zeilen, aus denen nicht klar hervorgeht, dass
s sich um eine Werbe-Mail handelt, mit einem Bußgeld
u belegen.
Wir sollten bei dieser Gelegenheit auch darüber nach-
enken, ob wir nicht gegen Werbebotschaften in Gäste-
üchern, Foren etc. vorgehen sollten. Diesem neuen
rend sollten wir nicht wieder ein Jahr zuschauen.
Zahlreiche andere Punkte, wie unter anderem das Pro-
lem der Durchsetzbarkeit werden wir im weiteren Pro-
ess miteinander zu klären haben. Ich freue mich sehr,
ass die Fraktionen von SPD und Grünen – wenn auch
rst nach einem Jahr – die Impulse aus der Unions-Frak-
ion aufgenommen haben. Die CDU/CSU-Bundestags-
raktion wird weiterhin konstruktiv die Bekämpfung von
pam voranbringen – für eine zukunftsfähige Informa-
ionsgesellschaft!
Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
pam-Mails sind nicht nur lästig, sie schädigen auch
irtschaftlich in vielfacher Weise, bedrohen unsere Pri-
atsphäre, gefährden Jugendliche und sogar Menschen-
echte. Die Europäische Kommission stellt in ihrem Vor-
chlag für ein mehrjähriges Gemeinschaftsprogramm zur
örderung der sicheren Nutzung des Internet fest, dass
ehr als die Hälfte des weltweiten elektronischen Nach-
ichtenverkehrs aus Spam besteht. Spam wird zu einem
roblem für die weitere Entwicklung des Onlinehandels
nd der Informationsgesellschaft. Spam führt zu finan-
iellen Schäden bei Verbrauchern und Unternehmen. Al-
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 157. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Februar 2005 14793
(A) )
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lein die Unternehmen müssen für den Schutz und die Be-
arbeitung von Spam-Mails Produktivitätsverluste in
zweistelliger Milliardenhöhe hinnehmen.
Wir wollen, dass der Schutz vor Spam noch effektiver
und wirksamer wird. Deshalb werden wir die bisher
schon im Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb gelten-
den Regelungen gegen Spam-Mails verschärfen. In An-
knüpfung an die bestehenden Sanktionen beim Spam-
Verbot wollen wir im Teledienstegesetz zusätzlich einen
Bußgeldtatbestand gegen kommerzielle Spam-Mails ein-
führen. Wer falsch parkt oder bei Rot über die Ampel
fährt, muss schließlich auch zahlen. Da sind wir mit der
Union nicht so weit auseinander. Wir würden es hierbei
im Sinne der Effektivität klar begrüßen, wenn die in In-
ternetangelegenheiten erfahrene Regulierungsbehörde
für Telekommunikation und Post hier die Zuständigkeit
als zentrale Verfolgungsbehörde erhielte.
Wir wollen, dass Spamming sich in Deutschland nicht
lohnt. Aber heute sind die Kosten für das Versenden so
minimal, dass auch für die circa 5 Prozent deutschen
Verursacher die Spam-Mails dennoch ein Riesengeschäft
sind. Deswegen beschließen wir ein Bußgeld für Spam-
Verschicker, die ihre Absicht verschleiern.
Dreh- und Angelpunkt des Spam-Geschäftes sind
Adressen. Auch in anderen Geschäftsbereichen sind
Kundendaten zu einer Basis für unternehmerisches Han-
deln geworden. Selbst für den Erwerb eines Fußballti-
ckets zur Fußballweltmeisterschaft werden umfangrei-
che Daten abgefragt und es besteht der Verdacht, dass
die Daten geschäftlich genutzt werden. Dies soll – so
finden wir – nur mit Wissen und Einwilligung der be-
troffenen Kunden erfolgen können, Deswegen unterstüt-
zen wir das Verbraucherministerium in seinen Bemühun-
gen um bessere Beachtung eines sorgsamen Umgangs
mit Kundendaten und die Einführung eines einheitlichen
Datenschutzgütesiegels.
Die rot-grüne Koalition nimmt das Spam-Problem
sehr ernst. Deswegen ist ja mit der Novelle des UWG
klargestellt worden, dass das Versenden von unverlang-
ten elektronischen Werbebotschaften verboten ist. Im
Falle einer Zuwiderhandlung können Wettbewerber und
anerkannte Klageverbände vom Versender gerichtlich
Unterlassung und Schadensersatz verlangen. Betroffene
Bürgerinnen und Bürger können gegen Spammer zivil-
rechtlich vorgehen und Schadenersatzansprüche geltend
machen. Damit wird dem Versender der wirtschaftliche
Anreiz für seine Tätigkeit genommen.
Spam-Mails, die besonders sanktionswürdige Inhalte
wie zum Beispiel Kinderpornographie, Viren oder Dialer
transportieren, sind im Übrigen bereits heute schon straf-
rechtlich erfasst. Hier müssen die Staatsanwaltschaften
einen stärkeren Schwerpunkt setzen. Wir brauchen bun-
desweit eine bessere Kontrolle und Verfolgung von
Spam-Mails. In diesem Zusammenhang möchte ich auf
eine erschreckende Erkenntnis der Europäischen Union
bei der Internetnutzung hinweisen, auch wenn hier nur
ein mittelbarer Zusammenhang zu Spam besteht.
Vier von zehn Kindern erklären, dass sie von Perso-
nen, die sie nur über das Netz kannten, um eine persönli-
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he Begegnung gebeten wurden. 14 Prozent der Kinder
aben sich mit jemandem getroffen, während nur
Prozent der Eltern dies von ihren Kindern glauben.
4 Prozent aller Kinder, die das Internet nutzen, haben
ufällig oder gezielt pornographische Webseiten be-
ucht. Ein Viertel hat über das Netz pornographisches
aterial erhalten, 30 Prozent der Kinder haben Websei-
en mit Gewaltdarstellungen gesehen, während nur
5 Prozent der Eltern dies von ihren Kindern glauben.
ier besteht also ebenfalls dringend Handlungsbedarf.
Was die einzelnen Unionsforderungen angeht: Unser
pam-Paragraph ist da viel effektiver. Wir müssen au-
erdem mit den Unternehmen die technischen Möglich-
eiten besser ausschöpfen und weiterentwickeln. Die
on der Union geforderte internationale Zusammenar-
eit findet doch schon längst statt. Auch beim Thema
pam zeigt sich wieder einmal: Mit der CDU/CSU
ürde es nur einen Pseudo-Verbraucherschutz geben.
as wird besonders deutlich an ihrem Widerstand gegen
as Opt-in-Prinzip, also der Grundregel, dass Werbung
ur erfolgen darf, wenn der Verbraucher seine Einwilli-
ung dazu gegeben hat. Wenn sich der Verbraucher ge-
en jede einzelne Spam-Mail selbst – wie das die CDU/
SU will – in aufwendigen Schriftverkehren und Ge-
ichtsverfahren wehren soll, opt-out, steht er diesem Pro-
lem der technisch weit entwickelten Massenzusendung
hnmächtig gegenüber, muss Zeit und Geld überflüssi-
erweise ausgeben. Das Opt-in-Prinzip muss als erster
nd wichtigster Schritt für europa- und weltweite Lösun-
en vorangebracht werden. Länderübergreifende Sank-
ionen und die weitere Regelung dieses internationalen
roblems können erst danach erfolgen.
Rainer Funke (FDP): Die im Gesetzentwurf be-
chriebene und allseits bekannte Problematik der zu-
ehmenden Belästigung durch Spam-Mails teilt die FDP
neingeschränkt. Über die Existenz des Problems müs-
en wir folglich nicht streiten und auch keine unnötigen
orte verlieren.
Seitens der FDP besteht mit den Verfassern auch Ei-
igkeit darüber, dass es Handlungsbedarf gibt, nicht aber
arüber, dass der Gesetzgeber gefordert ist.
Einer der Gründe, aufgrund derer die FDP dem vor-
iegenden Gesetzentwurf nicht zustimmen kann, ist im
ext des Entwurfes selbst nachzulesen. Auf Seite 6, in
er Allgemeinen Begründung, heißt es: „Bereits nach
erzeitiger Rechtslage ist die Versendung von Spam-
ails unzulässig. Es folgen Ausführungen darüber, dass
or allem das UWG, aber auch das Zivil- und das Straf-
echt, bereits heute eine Vielzahl von Anspruchsgrund-
agen bieten, um gegen Spams vorzugehen.
Aber selbst die bestehenden rechtlichen Möglichkei-
en, gegen Spam-Mails vorzugehen, werden bei weitem
icht ausgeschöpft. Wenn die Betroffenen bereits ihre
estehenden Rechte nicht geltend machen und durchset-
en, werden sie dies mit neuen Regelungen ebenso
enig tun. Allenfalls besteht also Aufklärungsbedarf
arüber, dass und wie sich die Betroffenen aufgrund gel-
enden Rechts gegen Spam-Mails wehren können.
14794 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 157. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Februar 2005
(A) (C)
(B) )
Die FDP ist der Auffassung, dass der vorliegende Ge-
setzentwurf nicht nur unnötig ist. Er ist darüber hinaus
auch nicht geeignet, das beschriebene Problem zu lösen
und birgt bereits im Ansatz eine Vielzahl von Schwä-
chen.
Der vorliegende Entwurf eines Anti-Spam-Gesetzes
ist ein weiteres Beispiel rot-grüner Überregulierung, die
gut gemeint ist, das angepeilte und durchaus unterstüt-
zenswerte Ziel aber dennoch verfehlt. „Klare Vorgaben
an die Gestaltung der Kopf- und Betreffzeilen kommer-
zieller E-Mails“ fordert die Koalition in ihrem Gesetz-
entwurf. Diese Vorgaben eines ergänzten § 7 TDG sind
nicht nur schwerlich zu erfüllen und ungeeignet, das
Problem zu lösen, sondern stellen vor allem einen unzu-
lässigen Eingriff in die Gestaltungsfreiheit der Werbe-
treibenden dar. Man stelle sich einmal vor, die aufge-
stellten Regeln würden auch für die materielle Post
gelten, für die Briefe, die der Postbote in den Briefkasten
wirft.
Zudem führt die Bußgeldbewehrung der Verschleie-
rung und Verheimlichung von Absender und Adresszeile
zu Rechtsunsicherheit bei den rechtschaffenden Werbe-
treibenden, für die die elektronische Kommunikation un-
erlässlich ist. Für diese ist es kaum zu bewerkstelligen
und ein nicht hinzunehmender Eingriff in die Ge-
setzung der neuen Regelungen bei Versendern, die im
außereuropäischen Ausland ansässig sind – und dies sind
über 90 Prozent – äußerst schwierig ist. Eine gesetzliche
Regelung, bei der von vornherein klar ist, dass sie nicht
einmal bei 10 Prozent der Fälle theoretisch durchsetzbar
ist, kann nicht die richtige Lösung sein.
Der nationale Arm greift bei dem weltweiten Problem
Spam nicht weit genug. Angesichts der Tatsache, dass
ein Großteil der Spam-Mails von einem nicht oder nur
mit erheblichem Aufwand identifizierbaren Absender
stammen, weiß man nicht einmal, ob der Störer auf der
anderen Seite der Erdkugel oder in der Nachbarwohnung
sitzt. Hier müssen wir verstärkte Anstrengungen unter-
nehmen, dem weltweiten Phänomen durch internationale
Zusammenarbeit und Abkommen wirksam zu begeg-
nen – eine Bußgeldbewehrung eher vage bezeichneter
Gestaltungsvorgaben von E-Mails ist hier unwirksam.
Was schlägt die FDP stattdessen als Lösung vor? –
Zum einen gibt es wirkungsvolle technische Schutzvo-
raussetzungen, mit denen es durchaus möglich ist, einen
Großteil der Spam-Mails herauszufiltern und so die Be-
lästigung auf ein Minimum zu reduzieren. Hier kann
man getrost auf die Innovationskraft der Unternehmen
vertrauen, den technischen Schutz weiter zu verbessern
und neuen Anforderungen anzupassen. Zum anderen
staltungsfreiheit ihrer Kommunikationsmittel, in jeder
E-Mail, die werbende Inhalte hat, auf den kommerziel-
len Charakter bereits in der Betreffzeile hinzuweisen.
Die unbestimmten Rechtsbegriffe des „Verschleierns“
und „Verheimlichens“ schaffen zudem eine Grauzone,
die die Kommunikation seriöser Werbetreibender beein-
trächtigt, ohne einen klaren Nutzen dagegenzusetzen.
Darüber hinaus läuft die vorgeschlagene Neuregelung
in einem Großteil der Fälle ins Leere. Mit großer Klar-
heit wird in der Begründung festgestellt, dass die Durch-
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ertrauen wir auf den verantwortungsbewussten und
undigen Verbraucher, der sich von einer E-Mail, deren
ahrer Absender oder Inhalt „verschleiert“ oder „ver-
eimlicht“ ist und bei dem unrechtmäßigerweise zum
eispiel „Staatsanwaltschaft Hamburg“ in der Absen-
erzeile steht, eben nicht veranlasst fühlt, Geld zu über-
eisen, Passwörter zu verraten oder seine Kreditkarten-
aten mitzuteilen.
Davor, dieses nicht zu tun, kann uns auch eine noch
o detaillierte gesetzliche Regelung nicht schützen.
157. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 17. Februar 2005
Inhalt:
Redetext
Anlagen zum Stenografischen Bericht
Anlage 1
Anlage 2
Anlage 3
Anlage 4
Anlage 5
Anlage 6
Anlage 7
Anlage 8
Anlage 9