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ID1513819900

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    Vokabeln: 1
    1. Gerne.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 15/138 (einschließlich Nachtrag) nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Joseph Fischer (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/12575 B Absetzung der Tagesordnungspunkte 15 a und b Nachträgliche Ausschussüberweisungen . . . . Zur Geschäftsordnung Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos) . . . . . . . . . . Dr. Uwe Küster (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 2: Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zu den Ergebnissen des Europäischen DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Petra Pau (fraktionslos) . . . . . . . . . . . . . . . . . Rüdiger Veit (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Otto Schily (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Jörg Vogelsänger (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU) . . . . 12576 C 12576 C 12577 A 12577 C 12598 D 12599 B 12600 B 12601 C 12602 C 12604 C 12605 A 12607 A 12608 B Deutscher B Stenografisc 138. Si Berlin, Donnerstag, de I n h a Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord- neten Eduard Lintner und Siegfried Scheffler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Begrüßung des neuen Abgeordneten Dr. Karl Addicks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wahl der Abgeordneten Dorothee Mantel, Doris Meyer (Tapfheim), Marlene Mortler und Thomas Silberhorn als Schriftführer . . . Benennung der Abgeordneten Jutta Krüger- Jacob als ordentliches Mitglied für den Pro- grammbeirat für die Sonderpostwertzeichen . Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- 12575 A 12575 B 12575 B 12575 B Rates in Brüssel am 4./5. November 2004 Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . . Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU) . . . . . . . 12578 A 12584 A undestag her Bericht tzung n 11. November 2004 l t : Dr. Angelica Schwall-Düren (SPD) . . . . . . . . Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP) . . . . . . . . . . . . Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Matthias Wissmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dietmar Nietan (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Joseph Fischer (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU) . . . . . . . 12588 A 12590 C 12592 A 12593 C 12594 D 12596 B 12597 D 12598 C Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU) . . . . . . . . . Dr. Angelica Schwall-Düren (SPD) . . . . . . . . . 12609 B 12610 A II Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 Tagesordnungspunkt 3: a) Antrag der Abgeordneten Dr. Maria Böhmer, Wolfgang Bosbach, Maria Eichhorn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Vermeidung von Spätabtreibungen – Hilfen für Eltern und Kinder (Drucksache 15/3948) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Psy- chosoziale Beratungsangebote bei Schwangerschaftsabbrüchen nach me- dizinischer Indikation ausbauen (Drucksache 15/4148) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Maria Böhmer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Christel Riemann-Hanewinckel, Parl. Staatssekretärin BMFSFJ . . . . . . . . . Ina Lenke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Rachel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Dr. Erika Ober (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Maria Eichhorn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Christel Humme (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Nicolette Kressl (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 26: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung der Bundes- Tierärzteordnung (Drucksache 15/4023) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes über die Verwendung elektronischer Kommunikationsformen in der Justiz (Justizkommunikationsgesetz – JKomG) (Drucksache 15/4067) . . . . . . . . . . . . . . . . c) Erste Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Sicherheit an unbeschrank- ten Bahnübergängen sofort verbessern (Drucksache 15/4150) . . . . . . . . . . . . . . . . d) Antrag der Abgeordneten Birgit Homburger, Rainer Brüderle, Gudrun Kopp, weiterer Abgeordneter und der 12610 A 12610 B 12610 B 12612 B 12614 C 12616 A 12618 A 12619 C 12621 C 12623 B 12624 C 12625 C 12625 C 12625 C Fraktion der FDP: Bürokratieabbau und mehr Bürgernähe durch Wettbewerb im Schornsteinfegerwesen (Drucksache 15/3106) . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 1: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Joachim Stünker, Wolfgang Spanier, Hermann Bachmaier, weiteren Abgeord- neten und der Fraktion der SPD sowie den Abgeordneten Jerzy Montag, Franziska Eichstädt-Bohlig, Volker Beck (Köln), weiteren Abgeordneten und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Drucksache 15/4134) . . . . . . . . . . . . . . . b) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur Einführung einer Strategi- schen Umweltprüfung und zur Umsetzung der Richtlinie 2001/42/EG (SUPG) (Drucksache 15/4119) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 27: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Dritten Zusatz- protokoll vom 4. Juni 2004 zum Ab- kommen vom 16. Juni 1959 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Ein- kommen und vom Vermögen sowie ver- schiedener sonstiger Steuern und zur Regelung anderer Fragen auf steuer- lichem Gebiete (Drucksachen 15/4026, 15/4166) . . . . . . . b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Transfusionsgesetzes und arzneimittel- rechtlicher Vorschriften (Drucksachen 15/3593, 15/4174) . . . . . . . c) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur 12625 D 12625 D 12625 D 12626 A 12626 B Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 III Änderung wohnungsrechtlicher Vor- schriften (Drucksachen 15/3943, 15/4152) . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 2: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grä- bergesetzes (Drucksachen 15/3753, 15/4170) . . . . . . . b) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Entschädigungsgesetzes (Ent- schädigungsrechtsänderungsgesetz – EntschRErgG) (Drucksachen 15/3944, 15/4169) . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 3: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktio- nen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Bedeutung des Sparkassensek- tors für die Mittelstandsfinanzierung vor dem Hintergrund von Forderungen nach Privatisierung der Sparkassen Dr. Hans-Ulrich Krüger (SPD) . . . . . . . . . . . . Otto Bernhardt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Christine Scheel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Ludwig Stiegler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans Michelbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Jutta Krüger-Jacob (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Ralf Stegner, Minister (Schleswig- Holstein) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Leo Dautzenberg (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Dr. Bärbel Kofler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Hartmut Schauerte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Gabriele Hiller-Ohm (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Ernst Hinsken (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Florian Pronold (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12626 D 12627 A 12627 B 12627 C 12628 C 12629 C 12630 C 12632 A 12633 A 12634 C 12635 B 12638 A 12639 C 12640 C 12642 A 12643 B 12644 C Tagesordnungspunkt 4: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Brandner, Doris Barnett, Dr. Axel Berg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Fritz Kuhn, Volker Beck (Köln), Dr. Thea Dückert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Für eine qualifizierte Mitbe- stimmung bei grenzüberschreitenden Fusionen (Drucksachen 15/3466, 15/4087) . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Rainer Brüderle, Rainer Funke, Daniel Bahr (Münster), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Konzernmitbestim- mung neu ordnen – Aufsichtsräte und Eigentümerrechte stärken (Drucksache 15/4038) . . . . . . . . . . . . . . . Doris Barnett (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Rolf Bietmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rainer Brüderle (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dirk Niebel (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Ditmar Staffelt, Parl. Staatssekretär BMWA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Max Straubinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Hans-Jürgen Uhl (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Karl-Josef Laumann (CDU/CSU) . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 5: a) Antrag der Abgeordneten Dagmar Wöhrl, Anita Schäfer (Saalstadt), Karl-Josef Laumann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Konversionsre- gionen stärken – Sechs-Punkte-Plan zur Strukturpolitik (Drucksache 15/4029) . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Helga Daub, Angelika Brunkhorst, Günther Friedrich Nolting, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Hilfe durch den Bund für die von Reduzierung und 12645 C 12645 D 12645 D 12647 B 12649 A 12650 C 12651 B 12652 C 12653 D 12655 A 12656 D 12659 A IV Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 Schließung betroffenen Bundeswehr- standorte ist unverzichtbar (Drucksache 15/1022) . . . . . . . . . . . . . . . . Peter H. Carstensen (Nordstrand) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Ditmar Staffelt, Parl. Staatssekretär BMWA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Helga Daub (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Hofbauer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Rolf Kramer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Petra Pau (fraktionslos) . . . . . . . . . . . . . . . . . Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU) . . . . . . Christian Müller (Zittau) (SPD) . . . . . . . . . . . Joachim Günther (Plauen) (FDP) . . . . . . . Norbert Schindler (CDU/CSU) . . . . . . . . . Günter Baumann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 6: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der deutschen Einheit 2004 (Drucksache 15/3796) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. h. c. Manfred Stolpe, Bundesminister BMVBW . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Kretschmer (CDU/CSU) . . . . . . . Arnold Vaatz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Arnold Vaatz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Joachim Günther (Plauen) (FDP) . . . . . . . . . . Siegfried Scheffler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Christoph Bergner (CDU/CSU) . . . . . . Arnold Vaatz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos) . . . . . . . . . . Siegfried Scheffler (SPD) . . . . . . . . . . . . . 12659 A 12659 B 12660 C 12662 B 12663 D 12665 A 12666 A 12667 C 12668 B 12669 C 12670 A 12670 B 12671 A 12672 B 12672 C 12675 A 12675 B 12677 C 12678 C 12680 B 12681 C 12682 B 12684 A 12684 D 12685 A Werner Kuhn (Zingst) (CDU/ CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 7: a) – Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs ei- nes … Gesetzes zur Änderung des Verkehrswegeplanungsbeschleuni- gungsgesetzes (Drucksachen 15/777, 15/3843) . . . . . – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Arnold Vaatz, Dirk Fischer (Hamburg), Eduard Oswald, weiteren Abgeordneten und der Frak- tion der CDU/CSU eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Verkehrswegeplanungsbeschleu- nigungsgesetzes (Drucksachen 15/461, 15/3843) . . . . . – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Horst Friedrich (Bayreuth), Joachim Günther (Plauen), Daniel Bahr (Münster), weiteren Ab- geordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gese t ze s zur Änderung de s Verkehrswegeplanungsbeschleuni- gungsgesetzes (Drucksachen 15/221, 15/3843) . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh- nungswesen zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Erfahrungsbericht der Bundesregierung zum Verkehrswe- geplanungsbeschleunigungsgesetz (Drucksachen 15/2311, 15/2630 Nr. 1.4, 15/3843) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 4: Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Verkehrswege- planungsbeschleunigungsgesetzes (Drucksache 15/4133) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Iris Gleicke, Parl. Staatssekretärin BMVBW . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU) . . . . . . 12686 A 12688 C 12688 C 12688 C 12688 D 12688 D 12689 A 12690 A Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 V Albert Schmidt (Ingolstadt) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP) . . . . . . . . . Albert Schmidt (Ingolstadt) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Peter Danckert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Renate Blank (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Volkmar Uwe Vogel (CDU/CSU) . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 8: a) Antrag der Abgeordneten Rudolf Bindig, Lilo Friedrich (Mettmann), Angelika Graf (Rosenheim), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeord- neten Christa Nickels, Volker Beck (Köln), Thilo Hoppe, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN: Humanitäre Verantwor- tung für Menschen in Not (Drucksache 15/4149) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung über die deutsche humanitäre Hilfe im Ausland 1994 bis 1997 (Drucksache 14/3891) . . . . . . . . . . . . . . . . c) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung über die deutsche humanitäre Hilfe im Ausland 1998 bis 2001 (Drucksache 15/2019) . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 5: Antrag der Abgeordneten Holger Haibach, Hermann Gröhe, Rainer Eppelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/ CSU: Humanitäre Soforthilfe zielgerichtet gestalten (Drucksache 15/4130) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 9: Antrag der Abgeordneten Ulrike Flach, Christoph Hartmann (Homburg), Cornelia Pieper, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der FDP: Bildungsarmut in Deutsch- 12691 D 12693 B 12694 B 12695 B 12697 B 12698 A 12700 A 12700 A 12700 A 12700 B land feststellen und bekämpfen (Drucksache 15/3356) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gesine Multhaupt (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 10: Antrag der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Stabilisie- rung und Weiterentwicklung des genossen- schaftlichen Wohnens (Drucksache 15/4043) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 6: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Aufenthaltsge- setzes und weiterer Gesetze (Drucksachen 15/3784, 15/3984, 15/4173) . . Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Reinhard Grindel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Michael Bürsch (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 11: Antrag der Abgeordneten Ute Granold, Roland Gewalt, Wolfgang Bosbach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/ CSU: Scheinvaterschaften wirksam be- kämpfen (Drucksache 15/4028) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 12: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh- nungswesen – zu dem Antrag der Abgeordneten Heidi Wright, Sören Bartol, Uwe Beckmeyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Winfried Hermann, Albert Schmidt (Ingolstadt), Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN: Umsetzung des 12700 C 12700 D 12703 A 12703 B 12703 C 12704 C 12707 A 12708 B 12709 B VI Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 nationalen Radverkehrsplans 2002 – 2012 forcieren – zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Dirk Fischer (Hamburg), Eduard Oswald, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der CDU/CSU: Radverkehr för- dern – Fortschrittsbericht vorlegen (Drucksachen 15/3467, 15/3708, 15/4103) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Tourismus zu dem Antrag der Abgeordneten Jürgen Klimke, Klaus Brähmig, Ernst Hinsken, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Den Fahrradtourismus in Deutschland umfassend fördern (Drucksachen 15/2155, 15/4093) . . . . . . . Tagesordnungspunkt 13: Antrag der Abgeordneten Wolfgang Bosbach, Hartmut Koschyk, Thomas Strobl (Heil- bronn), weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der CDU/CSU: Pilotprojekt für die vir- tuelle Rekonstruktion von vorvernichteten Stasi-Unterlagen beginnen (Drucksache 15/3718) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 14: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wirtschaft und Arbeit – zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜ- NEN: Zu dem Übereinkommen Nr. 185 der Internationalen Arbeitsorganisa- tion über Ausweise für Seeleute und zur vereinfachten Freistellung vom Visums- erfordernis – zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Karl-Josef Laumann, Dagmar Wöhrl, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Zu dem Übereinkommen Nr. 185 der Internationalen Arbeitsorganisation über Ausweise für Seeleute und zur ver- einfachten Freistellung vom Visumser- fordernis – zu dem Antrag der Abgeordneten Hans- Michael Goldmann, Horst Friedrich (Bay- reuth), Daniel Bahr (Münster), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Zu dem Übereinkommen Nr. 185 der 12709 C 12709 D 12710 B Internationalen Arbeitsorganisation über Ausweise für Seeleute und zur ver- einfachten Freistellung vom Visumser- fordernis (Drucksachen 15/3053, 15/3043, 15/3057, 15/4089) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 16: Antrag der Abgeordneten Jürgen Klimke, Klaus Brähmig, Edeltraut Töpfer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/ CSU: Marketing für die Hauptstadt Berlin (Drucksache 15/3491) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jürgen Klimke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Klaus Brähmig (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Markus Löning (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Edeltraut Töpfer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Markus Löning (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 17: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung der Akademie der Künste (AdKG) (Drucksachen 15/3350, 15/4127) . . . . . . . . . . Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP) . . . . . . Günter Nooke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP) . . . . . . Tagesordnungspunkt 18: a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab- kommen vom 18. November 2002 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ih- ren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Chile andererseits (Drucksachen 15/3881 (neu), 15/4171) . . b) Antrag der Abgeordneten Klaus-Jürgen Hedrich, Dr. Friedbert Pflüger, Dr. Christian Ruck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Für ei- nen europäisch-kolumbianischen Dia- log und einen erfolgreichen Friedens- prozess in Kolumbien einsetzen (Drucksache 15/3959) . . . . . . . . . . . . . . . 12710 C 12711 B 12711 B 12712 A 12713 A 12713 D 12714 B 12715 B 12715 C 12716 B 12716 C 12717 A 12717 B Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 VII Zusatztagesordnungspunkt 7: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum internationalen Familien- recht (Drucksachen 15/3981, 15/4168) . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 8: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ehe- und Lebenspartnerschaftsnamensrechts (Drucksachen 15/3979, 15/4167) . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . Nachtrag 12717 C 12717 D 12718 C 12719 A Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 12575 (A) (C) (B) (D) 138. Si Berlin, Donnerstag, de Beginn: 1
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    1) Die Redebeiträge werden in einem Nachtrag zu diesem Protokoll abgedruckt. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 12719 (A) (C) (B) (D) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich Blumenthal, Antje CDU/CSU 11.11.2004 * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung des Europarates Friedrich (Mettmann), Lilo SPD 11.11.2004 Grasedieck, Dieter SPD 11.11.2004 Griese, Kerstin SPD 11.11.2004 Gröhe, Hermann CDU/CSU 11.11.2004 Heil, Hubertus SPD 11.11.2004 Hennrich, Michael CDU/CSU 11.11.2004 Hörster, Joachim CDU/CSU 11.11.2004 Kossendey, Thomas CDU/CSU 11.11.2004 Lietz, Ursula CDU/CSU 11.11.2004 Lintner, Eduard CDU/CSU 11.11.2004* Rübenkönig, Gerhard SPD 11.11.2004 Rupprecht (Tuchenbach), Marlene SPD 11.11.2004 Seib, Marion CDU/CSU 11.11.2004 Dr. Skarpelis-Sperk, Sigrid SPD 11.11.2004 Steenblock, Rainder BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 11.11.2004 Dr. Wend, Rainer SPD 11.11.2004 Dr. Wodarg, Wolfgang SPD 11.11.2004 Nachtrag zum Plenarprotokoll 15/138 Karin Kortmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Holger Haibach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Melanie Oßwald (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Anke Eymer (Lübeck) (CDU/CSU) . . . . . . . . . Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rainer Funke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kerstin Müller, Staatsministerin AA . . . . . . . . Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Bildungsarmut in Deutschland feststellen und bekämpfen (Tagesordnungs- punkt 9) Franziska Eichstädt-Bohlig (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eberhard Otto (Godern) (FDP) . . . . . . . . . . . Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes und weiterer Gesetze (Zusatztagesordnungspunkt 6) Dr. Max Stadler (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Scheinvaterschaften wirksam bekämpfen (Tagesordnungspunkt 11) 12722 A 12723 A 12724 B 12725 A 12725 D 12726 D 12727 B 12737 C 12738 A 12738 C Deutscher B Nachtrag Stenografisch 138. Sitz Berlin, Donnerstag, den I n h a l Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Antrag: Humanitäre Verantwortung für Menschen in Not – Unterrichtung: Bericht der Bundesregie- rung über die deutsche humanitäre Hilfe im Ausland 1994 bis 1997 – Unterrichtung: Bericht der Bundesregie- rung über die deutsche humanitäre Hilfe im Ausland 1998 bis 2001 – Antrag: Humanitäre Soforthilfe zielge- richtet gestalten (Tagesordnungspunkt 8 a bis c, Zusatztages- ordnungspunkt 5) Angelika Graf (Rosenheim) (SPD) . . . . . . . . . B W G U A Z d w ( W K G12721 A Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) . . . . . . . . . 12728 C undestag zum en Bericht ung 11. November 2004 t : ernward Müller (Gera) (CDU/CSU) . . . . . . erner Lensing (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . rietje Bettin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . lrike Flach (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . nlage 4 u Protokoll gegebene Reden zur Beratung es Antrags: Stabilisierung und Weiterent- icklung des genossenschaftlichen Wohnens Tagesordnungspunkt 10) olfgang Spanier (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . laus Minkel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . erhard Wächter (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 12730 A 12731 A 12732 B 12733 A 12733 D 12735 D 12736 C Gabriele Fograscher (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 12739 D II Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 Christine Lambrecht (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Roland Gewalt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Ute Granold (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sibylle Laurischk (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlungen und Berichte zu den Anträgen: – Umsetzung des nationalen Radverkehrs- plans 2002–2012 forcieren – Radverkehr fördern – Fortschrittsbericht vorlegen – Den Fahrradtourismus in Deutschland um- fassend fördern (Tagesordnungspunkt 12 a und b) Gabriele Hiller-Ohm (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Heidi Wright (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU) . . Klaus Brähmig (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP) . . . . . . . . . Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Pilotprojekt für die virtuelle Re- konstruktion von vorvernichteten Stasi-Unter- lagen beginnen (Tagesordnungspunkt 13) Barbara Wittig (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hartmut Büttner (Schönebeck) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gisela Piltz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär BMI Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Zu dem Übereinkommen Nr. 185 der In- ternationalen Arbeitsorganisation über Ausweise für Seeleute und zur vereinfach- ten Freistellung vom Visumserfordernis (Tagesordnungspunkt 14) D W D H A Z d B B F A Z d d n E H E D D A Z – – ( L E K H H 12740 C 12742 A 12742 D 12743 D 12744 D 12745 D 12747 A 12748 B 12750 A 12751 A 12752 A 12752 D 12753 C 12754 D 12755 C 12756 B r. Margrit Wetzel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . olfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . r. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ans-Michael Goldmann (FDP) . . . . . . . . . . nlage 10 u Protokoll gegebene Reden zur Beratung es Antrags: Marketing für die Hauptstadt erlin (Tagesordnungspunkt 16) runhilde Irber (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . ranziska Eichstädt-Bohlig (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . nlage 11 u Protokoll gegebene Reden zur Beratung es Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung er Akademie der Künste (AdKG) (Tagesord- ungspunkt 17) ckhardt Barthel (Berlin) (SPD) . . . . . . . . . . einrich-Wilhelm Ronsöhr (CDU/CSU) . . . . rika Steinbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . r. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . r. Christina Weiss, Staatsministerin BK . . . nlage 12 u Protokoll gegebene Reden zur Beratung: Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkom- men vom 18. November 2002 zur Grün- dung einer Assoziation zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Repu- blik Chile andererseits Antrag: Für einen europäisch-kolumbiani- schen Dialog und einen erfolgreichen Friedensprozess in Kolumbien einsetzen Tagesordnungspunkt 18 a und b) othar Mark (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . rich G. Fritz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . laus-Jürgen Hedrich (CDU/CSU) . . . . . . . . ans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . arald Leibrecht (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . 12757 A 12758 C 12760 C 12761 B 12761 D 12763 A 12763 D 12764 D 12765 C 12766 C 12767 B 12768 A 12770 B 12771 C 12772 D 12774 A Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 III Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zum internatio- nalen Familienrecht (Zusatztagesordnungs- punkt 7) Christine Lambrecht (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Ute Granold (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sibylle Laurischk (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär BMJ Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ehe- und Lebenspartnerschaftsnamens- rechts (Zusatztagesordnungspunkt 8) Christine Lambrecht (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Ute Granold (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sibylle Laurischk (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär BMJ 12774 D 12776 A 12776 D 12777 C 12778 B 12779 A 12779 D 12780 D 12781 B 12781 D Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 12721 (A) ) (B) ) flossen sind. Wenigen ist bewusst, dass humanitäre Hilfe leisten, und an die Spender. Die Medien möchte ich Zeitraum 1,4 Milliarden Euro in die humanitäre Hilfe ge- b ei Hilfsorganisationen arbeiten und humanitäre Hilfe Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Antrag: Humanitäre Verantwortung für Menschen in Not – Unterrichtung: Bericht der Bundesregie- rung über die deutsche humanitäre Hilfe im Ausland 1994 bis 1997 – Unterrichtung: Bericht der Bundesregie- rung über die deutsche humanitäre Hilfe im Ausland 1998 bis 2001 – Antrag: Humanitäre Soforthilfe zielgerich- tet gestalten (Tagesordnungspunkt 8 a bis c, Zusatztagesord- nungspunkt 5) Angelika Graf (Rosenheim) (SPD): Die Liste der Projekte, die von Deutschland finanziert werden und un- ter die Rubrik „humanitäre Hilfe“ fallen, ist lang: Das geht vom humanitären Minenräumen in Afghanistan, wo die meisten Minen der Welt liegen über die Unterstüt- zung für Hochwasseropfer in Somalia bis zur Nothilfe für Erdbebenopfer in der Türkei. Die Länder, in die hu- manitäre Hilfe aus Deutschland fließt, befinden sich auf fast allen Kontinenten. Humanitäre Hilfe wird ohne Ansehen von Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, politischer Überzeu- gung oder sonstigen Unterscheidungsmerkmalen geleistet. Sie darf weder von politischen oder reli- giösen Einstellungen abhängig gemacht werden, noch darf sie diese fördern. Einziges Kriterium ist die Not der Menschen. So heißt es – nahezu wortgleich wie beim IKRK – in den zwölf Grundregeln der humanitären Hilfe, auf die sich Hilfsorganisationen und Bundesregierung im Jahr 2000 verständigt haben. Humanitäre Hilfe folgt also dem humanitären Impera- tiv. Sie ist – und hier antworte ich auf einen Punkt des Antrags der Union – kein Instrument der Außenpolitik und dient nicht politischen, wirtschaftlichen oder sonsti- gen Zwecken, kann also keine „Strategie“ verfolgen. Ich zitiere unseren Antrag: „Reiche Nationen haben die ethi- sche Pflicht Menschen in Not zu helfen.“ Die Hilfe ge- schieht allerdings durchaus im eigenen Interesse, denn menschenunwürdige Lebensbedingungen tragen zur De- stabilisierung ganzer Regionen bei und bergen ein hohes sicherheitspolitisches Risiko, auch für uns. Grundlage der heutigen Debatte sind zwei Berichte der Bundesregierung über die zwischen 1994 bis 1997 und zwischen 1998 und 2001 geleistete humanitäre Hilfe und jeweils ein Antrag der CDU/CSU und der Regierungsko- alition zum gleichen Themenbereich. Aus dem Bericht über die Jahre 1998 bis 2001 geht hervor, dass in diesem e g B R d g l g s M z A c m g i s c m n r w i t a u a h w z m F H D g w K b v m V l J a B M W h n S v (C (D Anlagen zum Stenografischen Bericht ine Querschnittsaufgabe ist. Die Mittel kommen vorwie- end aus dem Bereich des Auswärtigen Amtes und des MZ, aber auch – Stichwort „Wiederaufbauhilfe für ückkehrer“ bzw. Projekte des THW – aus dem BMI und em BMVg. Alle Bundesregierungen folgten seit jeher der Strate- ie, schnelle, lebensrettende Hilfe im Rahmen der Mög- ichkeiten dort zu leisten, wo die Hilfe am nötigsten ebraucht wird. Dass wir uns im Ausschuss für Men- chenrechte und humanitäre Hilfe oft wünschen, mehr ittel zur Verfügung zu haben und nicht den Haushalts- wängen unterworfen zu sein, ist wohl kein Geheimnis. ndererseits haben wir noch immer Mittel lockerma- hen können, wenn wir bei Katastrophen Hilfe leisten ussten. Katastrophen haben es oft so an sich, unvorher- esehen einzutreten. Die Kolleginnen und Kollegen von der Union, die in hrem Antrag den geringen Mittelansatz bemängeln, eien deshalb daran erinnert, dass im Jahre 2002 erhebli- he Sondermittel für humanitäre Zwecke in Afghanistan obilisiert wurden und im Jahre 2003 bis zu 40 Millio- en Euro zusätzlich für die humanitäre Hilfe im Irak be- eitgestellt wurden. Im laufenden Haushaltsjahr haben ir für die Bewältigung der humanitären Krise in Darfur nsgesamt 32,5 Millionen Euro bereitgestellt. Diese Mit- el wurden zum Teil aus dem laufenden Budget, aber uch durch Einsparungen und Umschichtungen im AA nd im BMZ aufgebracht. Zehn Millionen Euro wurden ls überplanmäßige Ausgaben zulasten des Gesamthaus- alts zur Verfügung gestellt. Deutschland gehört – so- ohl was das IKRK als auch was den UNHCR betrifft – u den zehn größten Gebern. Aus unserem Antrag kann an entnehmen, dass über ECHO, den europäischen ond für humanitäre Hilfe, 30 Prozent der humanitären ilfe weltweit finanziert werden. Die Bundesrepublik eutschland steuert derzeit 23 Prozent zu diesen Bud- ets bei. Unter den Mitgliedsländern der OECD standen ir 2001 bei der Finanzierung des Entwicklungshilfe- omitees DAC nach den USA, der EU und Groß- ritannien mit 7 Prozent des Etats des DAC auf dem ierten Platz. Fazit: Es könnte sicher mehr sein, aber wir üssen uns wirklich nicht verstecken im internationalen ergleich, auch vor dem Hintergrund unserer Haushalts- age. Aber auch die Bundesländer haben sich in den letzten ahren an humanitären Hilfsprojekten beteiligt. So geht us dem besagten Bericht hervor, dass zum Beispiel ayern zwischen 1998 und 2001 allein für Projekte in azedonien über fünf Millionen Euro und Nordrhein- estfalen für Rumänien über 8 Millionen Euro gegeben at. Aus Hessen kamen fast 3 Millionen Euro für Bos- ien und Herzegowina. Da waren sicher auch viele pendengelder dabei. Deshalb möchte ich zum Schluss Danke sagen an die ielen Menschen, die unter schwierigen Bedingungen 12722 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 (A) ) (B) ) auffordern, nicht nur von Katastrophe zu Katastrophe weiter zu wandern, sondern im Sinne der Nachhaltigkeit der Maßnahmen die Menschen in den betroffenen Län- dern im Fokus der Aufmerksamkeit zu behalten. Wir ha- ben – und das erwähne ich unter dem Eindruck eines Ge- spräches mit unserem ehemaligen Kollegen Dr. Christan Schwarz-Schilling, der diese Entwicklung im Hinblick auf den Balkan beklagte – zu viele vergessene Katastro- phen. Karin Kortmann (SPD): Wir können uns im Bun- destag einer Einigkeit aller Fraktionen sicher sein, die die Grundvoraussetzung des Einsatzes humanitärer Hilfe beschreibt und die die Bundesregierung in ihrem aktuel- len Bericht über die humanitäre Hilfe im Ausland dar- legt: Die Bundesregierung leistet ihre Hilfe gemäß dem humanitären Imperativ und unabhängig von politi- schen, ethnischen oder religiösen Erwägungen. Die humanitäre Hilfe der Bundesregierung ist Handeln aus ethischer Verantwortung und mit humanitärer Zielsetzung, sie orientiert sich ausschließlich an der Bedürftigkeit der von Krisen, Konflikten und Kata- strophen betroffenen Menschen. Es gibt für die hu- manitäre Hilfe keine guten oder schlechten Opfer, sondern nur Menschen, deren Gesundheit oder Le- ben in einer Notlage gefährdet ist. Wir haben es heute mit einer Vielzahl von Katastro- phen zu tun, auf die humanitäre Hilfe schnell, effektiv und umfassend reagieren soll. Die Katastrophen lassen sich in vier Kategorien gliedern: Erstens. Wir haben es mit den kurzfristigen, natür- lichen Katastrophen zu tun: mit Erdbeben, Vulkanaus- brüchen, Stürmen und Überschwemmungen. Zweitens. Wir haben es mit langfristigen, natürlichen Katastrophen zu tun: mit Epidemien, Dürren, Insekten- plagen. Drittens. Wir haben es mit kurzfristigen, menschlich verursachten Katastrophen zu tun: mit chemischen und nuklearen Unfällen, mit technischen Katastrophen. Viertens. Wir haben es mit langfristigen, menschlich verursachten Katastrophen zu tun: mit Hungersnöten, Bürgerkriegen, zwischenstaatlichen Kriegen. All diese Katastrophen können erhebliche Auswir- kungen haben: auf die Politik – innerstaatlich und inter- national –, auf die Gesellschaft, auf die Ökonomie – die Wirtschafts- und Finanzentwicklung–, auf das Leben des einzelnen Menschen. Die Fähigkeit, die Katastrophe zu meistern, hängt dabei entscheidend von der politischen und gesellschaftlichen Konstitution des Krisengebietes ab. Stabile Gesellschaften sind eher in der Lage, Kata- strophen zu bewältigen als instabile Gesellschaften. Es ist das Leid der Menschen, die Bilder aus Somalia, aus Bosnien, Ruanda, dem Kongo, aus Sierra Leone, Afgha- nistan oder dem Sudan, die uns die Aufgaben und die Bedeutung der humanitären Hilfe – leider schon zu häu- fig – immer wieder bewusst machen. Sie machen uns aber auch bewusst, wo die Grenzen humanitärer Hilfe l l d t c a n l d a i l v s K v g d s S s p B t v t z n D K r t z l i p e e w k r h t d e v d c m A l m A f d o (C (D iegen. Sie kann die akute Not lindern, nicht aber die po- itische Konfliktlösung ersetzen, strukturelle Ursachen er Probleme beseitigen. Sie ersetzt auch keine langfris- ige Sozial- und Wirtschaftspolitik. Es ist die vordringli- he Aufgabe der Staaten, das humanitäre Völkerrecht nzuerkennen und umzusetzen, ihnen obliegt es, Mecha- ismen zur friedlichen Konfliktaustragung bereitzustel- en. Darin liegt auch genau der Unterschied zum Ansatz er Union: Wir setzen schon vor der humanitären Hilfe n, indem wir geeignete Strategien suchen, die Konflikte m Vorfeld zu verhindern. Ich begrüße deshalb ausdrück- ich, dass die Bundesregierung einen Aktionsplan „Zi- ile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskon- olidierung“ verabschiedet hat. Er belegt die notwendige ohärenz der verschiedenen Politikbereiche, sodass zi- ile Krisenprävention in größerem Maße als bisher Ein- ang in die Wirtschaftspolitik, in die Finanzpolitik und ie Umweltpolitik finden muss. Ihre strategischen An- atzpunkte sind die Herstellung verlässlicher staatlicher trukturen – Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Men- chenrechte, Sicherheit –, die Schaffung von Friedens- otenzialen – Zivilgesellschaft, Medien, Kultur, ildung – und die Sicherung der Lebenschancen der be- roffenen Menschen. Anfang 2001 wurde im Rat der Europäischen Union erstärkt auf ein anderes Problem der Hilfemöglichkei- en hingewiesen. Es wurde von der so genannten Grau- one zwischen humanitärer Hilfe, Rehabilitationsmaß- ahmen und Entwicklungszusammenarbeit gesprochen. ie humanitäre Hilfe soll den unmittelbaren Bedarf von risenopfern decken und wird vor allem über Nicht- egierungsorganisationen und internationale Organisa- ionen bereitgestellt. Die Entwicklungszusammenarbeit ielt dagegen auf die Förderung eigenständiger Entwick- ungspolitiken und Entwicklungsstrategien und erfolgt m Rahmen von Regierungsabsprachen, Kooperations- rogrammen, die mit dem betreffenden Partnerland ver- inbart wurden. Wir fordern die Bundesregierung auf, ntwicklungsorientierte Not- und Übergangshilfe als ichtiges Instrument zur Stärkung der Selbsthilfekräfte onsequent weiter zu entwickeln. Humanitäre Hilfe ist politisch neutral. Der Erfolg ih- es Einsatzes, ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, ängt entscheidend davon ab, dass sie sich nicht poli- isch vereinnahmen lassen. Deshalb ist es für uns Sozial- emokratinnen und Sozialdemokraten grundlegend, dass s eine Trennung von militärischen und humanitären zi- ilen Einsätzen gibt. Wäre das nicht der Fall, würde sich ie humanitäre Hilfe Interessen und Ziele zu eigen ma- hen, die über die Opferversorgung hinausgehen und da- it gegen die Grundlagen humanitärer Hilfe verstoßen. uf diese Trennung sind wir in unserem Antrag ausführ- ich eingegangen. Wir erwarten, dass im Dialog mit hu- anitären Hilfsorganisationen, klare Kriterien für die bgrenzung zu den CIMIC-Aktivitäten der Bundeswehr estgelegt werden und ein gemeinsamer Code of Con- uct erarbeitet wird. Ich möchte zum Abschluss all denjenigen danken, die ft unter Einsatz ihrer eigenen Gesundheits- und Lebens- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 12723 (A) ) (B) ) risiken bereit sind, anderen Menschen weltweit zu hel- fen. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz hat beschrieben, dass humanitäre Hilfe nur unter drei Grundvoraussetzungen stattfinden kann: unter ungehin- dertem Zugang zu den Konfliktopfern, durch den unge- störten Dialog mit den Behörden und durch die Unab- hängigkeit, die völlige Kontrolle in allen Stadien des Einsatzes über die benötigten Mittel. Vielleicht wäre es einmal lohnenswert, nicht immer nur über eine Erhö- hung der Haushaltsmittel zu streiten, sondern mit einer anderen sinnvollen Unterstützung zu beginnen, die sich diese Organisationen seit langem wünschen: Heben wir für die humanitären Hilfeorganisationen die Zweckge- bundenheit der Mittel, das so genannte earmarking auf! Die gegenüber anderen Organisationen praktizierte Un- terscheidung nach institutioneller Förderung und Pro- jektförderung ist in diesem Bereich nicht sinnvoll. Schwerpunktmäßige Projektförderung reduziert die Pla- nungssicherheit und Flexibilität und erhöht den bürokra- tischen Aufwand. Bei der effektiven Leistung unserer deutschen Hilfsorganisationen wollen wir sie auch weiterhin gerne unterstützen, um die zwölf Grundregeln für die deutsche humanitäre Hilfe im Ausland nachhaltig zu verankern. Ich bitten deshalb, unseren Antrag „Humanitäre Verant- wortung für Menschen in Not“ zu unterstützen. Holger Haibach (CDU/CSU): Die Hilfsorganisation „World Vision“ überschreibt ihr Engagement im Bereich „humanitäre Hilfe“ mit den Worten: „Wo kompetente Hilfe nicht warten kann!“ Prägnanter kann man, so meine ich, Sinn und Zweck humanitärer Hilfe nicht zu- sammenfassen, vor allem nicht, wie sie geleistet werden soll: schnell, kompetent, sachgerecht, treffsicher und zielgerichtet. Tatsächlich leidet aber humanitäre Hilfe immer unter Unzulänglichkeiten: Erstens. Es können meist nicht genügend finanzielle oder andere Mittel für alle Krisenherde dieser Welt zur Verfügung gestellt werden. Zweitens. Diese Mittel können häufig nicht so zeitnah wie gewünscht vor Ort eingesetzt werden. Drittens. Aus verschiedensten Gründen kommen die Mittel nicht immer dort an, wo sie ankommen sollen. Viertens. Die Verteilung der vorhandenen Mittel auf die verschiedenen Krisenfälle ist sehr stark von der öf- fentlichen Aufmerksamkeit abhängig, die diesen Krisen gewidmet wird. Trotz all dieser Unzulänglichkeiten und trotz der Tat- sache, dass humanitäre Hilfe von ihrem Charakter her stets situativ und damit oftmals schwer planbar ist, kann die Aufgabe „humanitäre Hilfe“ selbstverständlich gut oder weniger gut gelöst werden. Deshalb bieten die bei- den heute vorliegenden Berichte eine gute Gelegenheit, ein Resümee zu ziehen, wie sich die humanitäre Hilfe Deutschlands in den vergangenen Jahren entwickelt hat. Positiv ist hervorzuheben, dass es eine über Par- teigrenzen und Regierungsverantwortungen hinausgrei- f g w g A m s l h B Z n z F f l d k 5 v g a s K e s B d 2 n v M C m n k u g S a d k n z t D g V (C (D ende Kontinuität in der grundsätzlichen Bewertung ibt, wie humanitäre Hilfe durchgeführt werden soll, elche ethischen und rechtlichen Grundsätze ihr zu- runde liegen, dass sie nur in enger Kooperation und bstimmung mit NGOs geschehen kann und vieles ehr. Ebenfalls herrscht Übereinstimmung bei der Fest- tellung, dass die Zahl der Fälle humanitärer Hilfe in den etzten Jahren und Jahrzehnten dramatisch zugenommen at. Auch die Bundesregierung bestätigt das in ihrem ericht. Wendet man sich jedoch den so genannten nackten ahlen zu, so kommt man zu einem Befund, der so gar icht zu dieser Feststellung passt. Während im Berichts- eitraum von 1994 bis 1997, für den sich CDU/CSU und DP verantwortlich zeichnen, die Höhe der Ausgaben ür den Bereich „humanitäre Hilfe im Ausland“ 1,5 Mil- iarden DM betrug, ist dieser Betrag unter Rot-Grün für ie Jahre 1998 bis 2001 auf 1,4 Milliarden DM gesun- en. Das sind immerhin 100 Millionen DM oder circa 1 Millionen Euro. Das ist interessant, beachtlich und erwunderlich für eine Bundesregierung, die doch mit roßen Worten Menschenrechtspolitik zur Querschnitts- ufgabe erklärt hat und die – wohlgemerkt auch mit un- erer vollen Zustimmung – bei Krisenprävention und risenbewältigung dafür sorgen will, dass Deutschland ine führende Rolle, wenn nicht gar eine Vorreiterrolle pielen soll. Nun will ich gar nicht den Eindruck erwecken, die undesregierung hätte in den letzten Jahren nicht auf iese Entwicklungen reagiert. So hat sie etwa im Jahr 002 für den Bereich der humanitären Hilfe 65,7 Millio- en Euro ausgegeben, obwohl nur 37,7 Millionen Euro orgesehen waren. Trotzdem hat sich die rot-grüne ehrheit im Haushaltsausschuss im Jahr 2003 der von DU und CSU geforderten Erhöhung der Mittel für hu- anitäre Hilfe verweigert. Wenn die Regierungsfraktio- en doch schon von vornherein wissen oder absehen önnen, dass die Mittel nicht ausreichen werden – 2002 nd 2003 waren nicht die einzigen Jahre, in denen dies eschehen ist – warum stellen sie dann nicht auch im inne von Haushaltswahrheit und -klarheit annähernd usreichende Mittel zur Verfügung? Ich freue mich, dass ie Regierungsfraktionen dies, wenn auch etwas ver- lausuliert, zum Thema ihres Antrags gemacht haben. Sollten die Regierungsfraktionen übrigens mit der fi- anziellen Situation argumentieren, in der wir uns der- eit befinden, so möchte ich Sie mit einer meines Erach- ens sehr zutreffenden Aussage konfrontieren: Wir können unserer internationalen Verantwortung nur dann gerecht werden, wenn der Bereich der hu- manitären Hilfe von den allgemeinen Sparzwängen ausgenommen wird. Nur dann werden wir auch in Zukunft rechtzeitig und mit adäquatem Mittelein- satz überall da, wo Menschenleben in Gefahr sind und es zu humanitären Hilfseinsätzen keine Alter- native gibt, das Erforderliche tun können. iese Worte stammen aus einem Aufsatz des ehemali- en Staatsministers im Auswärtigen Amt, Ludger olmer, in der Frankfurter Rundschau. Ich würde mir 12724 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 (A) ) (B) ) wünschen, dass die Politik der Bundesregierung diesem Anspruch gerecht würde. Selbstverständlich kann man jetzt argumentieren, es komme nicht nur auf die absolute Summe, sondern auch oder eher vielmehr auf den durchdachten, konstruktiven und konzeptionellen Einsatz der Mittel an. Nicht selbst- verständlich und schon gar nicht verständlich ist die fol- gende Tatsache: In einer Zeit, in der wir uns doch alle darüber einig sind, dass humanitäre Hilfe erfolgreich nur im internationalen Kontext und in der internationalen Zusammenarbeit geleistet werden kann, hat diese Bun- desregierung zwischen 1998 und 2001 ihre Zuschüsse zu internationalen Organisationen reduziert. Dazu zwei Beispiele: Erstens. Der anteilige Beitrag Deutschlands zum Welternährungsprogramm ist von 6,5 Prozent unter CDU/CSU und FDP auf 3,2 Prozent unter Rot-Grün zu- rückgegangen. Zweitens. Die Förderung des Internatio- nalen Roten Kreuzes wurde unter Rot-Grün sowohl in Hinblick auf die institutionellen Förderung als auch in Hinblick auf die Reaktion auf Hilfeersuchen reduziert. Dabei erscheint eine intensive Zusammenarbeit umso wichtiger, da sich auch im Zuge der Veränderung von Konflikten und Krisenherden auf der Welt die Um- stände, unter denen humanitäre Hilfe geleistet werden muss, dramatisch verändert – um nicht zu sagen: ver- schlechtert – haben: Anschläge auf Mitarbeiter von Hilfsorganisationen, weil deren Unparteilichkeit ange- zweifelt wird, und Unklarheiten bei der Zusammenarbeit von NGOs und Militär führen häufig dazu, dass humani- täre Hilfe viel von ihrer Schlagkraft verliert. Hier bedarf es der Abgrenzung von Zuständigkeiten einerseits und der Verzahnung der Tätigkeiten andererseits. Das von der Bundesregierung vorgelegte Konzept zur zivilen Krisenprävention, das wir für notwendig erach- ten, stellt die Prävention auf eine konzeptionelle Basis. Leider ist im Bereich der humanitären Hilfe Ähnliches bis jetzt noch nicht in Sicht. Der Antrag der Koalition nennt einige Maßnahmen, die wir zum Teil auch für richtig halten. Ein Konzept ergibt sich daraus noch nicht. Deshalb fordern wir die Bundesregierung mit unserem Antrag dazu auf, ein insgesamt stimmiges Konzept für den Bereich der humanitären Hilfe vorzulegen, das die sich stellenden Aufgaben, die handelnden Akteure und die dazugehörige Finanzausstattung miteinander in Ein- klang bringt. Melanie Oßwald (CDU/CSU): Die vorliegenden Be- richte zur humanitären Hilfe der letzten Jahre zeigen, dass wohl Einiges erreicht werden konnte, oft aber nicht genug, erst recht nicht, wenn man ihre Bedeutung und Rolle in einer sich ständig wandelnden Welt näher be- trachtet. Die Aufgabenstellung der humanitären Hilfe ist in den letzten Jahren deutlich komplexer geworden. Wäh- rend der 80er-Jahre dominierten Naturkatastrophen die humanitäre Hilfe. Seit dem Ende des Kalten Krieges gibt es jedoch zusätzlich immer mehr Bürgerkriege und andere von Menschen verursachte Katastrophen. Die Veränderungen der sicherheitspolitischen Lage seit den T h d L k B m a t k u l b v H in C d m U d n s g u m K H l c n K T c d d n f m O H le 1 c b a h n s t W F (C (D erroranschlägen vom 11. September 2001 stellen die umanitäre Hilfe vor neue Herausforderungen. Was aber ist humanitäre Hilfe? Humanitäre Hilfe be- eutet den unmittelbaren Einsatz zur Beseitigung oder inderung akuter Notlagen wie Naturkatastrophen oder riegerische Auseinandersetzungen. Sie darf nicht an edingungen geknüpft sein. Sie muss sich um alle küm- ern, die in eine existentielle Notlage geraten sind – un- bhängig von Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, poli- ischer Überzeugung oder sogar Mitschuld. Es geht auch um die grundlegenden Fragen: Was ann, was muss humanitäre Hilfe darüber hinaus leisten nd was kann, was muss sie nicht leisten? Während die Welt gebannt und hilflos auf die bedroh- iche Situation im Irak und in Afghanistan schaut, ster- en im Kongo, in Liberia, in Tschetschenien. Tausende on Menschen – unbemerkt und vergessen. Humanitäre ilfe muss aber gerade diese vergessenen Katastrophen s öffentliche Bewusstsein bringen und nicht allein dem NN-Effekt folgen. Sie darf nicht nur dort helfen, wo ie Kameras hingehalten werden. Am Beispiel Darfurs lässt sich zeigen, woran es hu- anitärer Hilfe derzeit mangelt: Nach Angaben der NO kommt nur etwa die Hälfte der benötigten Hilfe in ieser Krisenregion auch wirklich an. Das kann es doch icht sein! Erst durch die Hilfsorganisationen wurde die- es Gebiet ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Seit dem Ende des Kalten Krieges wird mit dem Be- riff „humanitär“ in geradezu verschwenderischer Art mgegangen. Es wurde von „humanitären Krisen“, „hu- anitären Einsätzen“ und sogar vom „humanitären rieg“ gesprochen. Aber immer öfter wird humanitäre ilfe als Feigenblatt genutzt, um die Unwilligkeit zu po- itischen – aber damit dauerhaften – Lösungen zu verde- ken. In letzter Zeit scheinen humanitäre Prinzipien zu- ehmend politischen Zielen zum Opfer zu fallen. Wenn oalitionstruppen in Afghanistan humanitäre Hilfe zum eil ihrer militärischen „hearts and minds“-Strategie ma- hen, können sie die Möglichkeiten und die Akzeptanz er Hilfsorganisationen untergraben. Beim Kampf gegen en Terror wird es den Hilfsorganisationen erschwert, eutral zu bleiben; aber eben diese Neutralität ist de acto deren Lebensversicherung. Übergriffe auf Helfer werden wahrscheinlicher, wenn an nicht mehr klar zwischen Militär und humanitären rganisationen trennen kann. Noch nie mussten die ilfsorganisationen so viele Opfer beklagen wie in den tzten Jahren. „Ärzte ohne Grenzen“ musste das bereits 979 begonnene Afghanistan-Projekt vor kurzem abbre- hen, da fünf Mitarbeiter ermordet und weitere massiv edroht wurden. Dies ist sehr traurig. Noch trauriger ist ber, dass bisher kein Mitglied der Bundesregierung ierzu sein Bedauern geäußert hat! Bei allem Verständnis für vertrauensbildende Maß- ahmen und bei aller Freude über den Eifer und die An- trengungen unserer Soldaten, beim Aufbau eines Staa- es zu helfen: Dies alles ist nicht ihr eigentlicher irkungskreis. Die Hauptaufgabe des Militärs in der riedensmission ist nicht die humanitäre Hilfe, sondern Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 12725 (A) ) (B) ) der Schutz der Zivilbevölkerung vor Übergriffen durch Milizen oder bewaffnete Banden. Absprache und klare Rollenverteilung von Militär und humanitärer Hilfe ist wichtiger denn je. Es ist er- schreckend, dass der Bundesverteidigungsminister die- sen Dialog mit den Hilfsorganisationen verweigert, sich der Diskussion nicht stellen will oder kann. Konfliktbewältigung bzw -verhinderung sind Aufga- ben der Politik, der Regierungen, Parlamente und Par- teien, nicht aber der Hilfsorganisationen. Deshalb muss eines klar gesagt werden: Humanitäre Hilfe ist kein Ersatz für politische Programmatik! Sie kann weder Kriege und Vertreibungen verhindern noch gesellschaftliche Systeme nachhaltig beeinflussen. Sie kann ebenso wenig eine Demokratie aufbauen oder lo- kale Warlords und deren Milizen entwaffnen. Dies ist und kann auch nicht ihre Aufgabe sein. Wir müssen Hilfsorganisationen intensiv unterstüt- zen. Die finanzielle Förderung nicht weiter zu reduzie- ren ist dabei nur eine wichtige Aufgabe. Zusätzlich müs- sen wir dafür Sorge tragen, dass die Arbeit der Hilfsorganisationen nicht durch politische Instrumentali- sierung erschwert, behindert oder gar unmöglich ge- macht wird. Anke Eymer (Lübeck) (CDU/CSU): Humanitäre Hilfe zu leisten ist ein Gebot der Menschlichkeit und der Nächstenliebe. Diese Hilfe ruht auf jenem Fundament von Werten und Grundüberzeugungen, auf denen unsere Gesellschaft aufgebaut ist. Die Verpflichtung zu humani- tärer Hilfe gilt absolut. Sie macht keinen Unterschied zwischen politischen Systemen, unterschiedlichen Ethnien, Religionen oder dem Geschlecht. Daneben steht aber eine immer schmaler werdende Basis der finanziellen Mittel. Sie nötigt uns, humanitäre Hilfe zielgerichtet zu leisten. Die Arbeit der zuständigen Ministerien ist besser zu koordinieren. Ebenso ist die Zusammenarbeit mit den für humanitäre Hilfe unver- zichtbaren Nichtregierungsorganisationen noch besser abzusprechen und es sind gemeinsam Konzepte weiter- zuentwickeln. Die Konsequenz daraus, nämlich eine stärkere Konzeptionierung auf der Geber- wie auch auf der Empfängerseite ist von der Regierung noch nicht ausreichend geleistet worden. Das aber ist notwendig. Wir können leider nicht von einer Entspannung, sondern wir müssen von einer stetigen Verschärfung der humani- tären Notlagen weltweit ausgehen. Daher kann der vorliegende Antrag von Rot-Grün nicht befriedigen. Er ist wenig mehr als ein unkritisches und pauschales Lob des vorliegenden Berichtes der Bun- desregierung. Ich will das an einem wichtigen Thema kurz umreißen. Der Bericht für den Zeitraum bis 2001 nennt wenigstens noch unter dem Titel „Querschnittsthe- men/Gender Mainstreaming“ die besondere Situation von Frauen. Auf dem Sektor der humanitären Hilfe weist er auf die daraus erwachsende Verpflichtung einer diffe- renzierten Geschlechterperspektive hin. In dem vorlie- genden Antrag von Rot-Grün ist diese Erkenntnis nicht einmal mehr in eine Worthülse gepackt. Offensichtlich i a p i F d s h h z N a s w F D I v z l h U E v l k h d ß d l S S t F P d s Ü m s z d h u ü w d (C (D st das für Sie auch kein ernst zu nehmendes Thema. Das ber ist ein Irrtum. Eine Gruppe, die unter lebensbedrohenden Katastro- hen und Krisensituationen besonders zu leiden hat, sind n allen Bevölkerungen und auf allen Kontinenten die rauen. Daher entspricht es der Realität, die Problematik er Benachteiligung der Frauen auch hier in der Diskus- ion um eine notwendige Zielkonkretisierung unserer umanitären Hilfe als ein Querschnittsthema besonders ervorzuheben. Das Pilotprojekt des AA von 2001 führt u eben dieser Erkenntnis: Frauen sind bei humanitären otfällen einer vielfältigen und gesteigerten Gefährdung usgesetzt. Der Mangel an konsequentem Handeln der Regierung piegelt sich im gleichen Maße im vorliegenden Antrag ider. Im Bericht der Regierung über die Situation der rauen hieß es vollmundig, dass – ich zitiere – sie daher auch bei der Planung und Durchführung von humanitären Projekten eine besondere Berück- sichtigung verdienen. azu finde ich in Ihrem Papier keinerlei Entsprechung. hr Antrag nennt und umreißt kurz vor allem eine Zahl on Krisengebieten in Afrika. Circa 14 aktuelle Krisenregionen sind in Afrika zur- eit bekannt. Dabei gehört das Phänomen der Flücht- inge mit zu jenen Bereichen, die im besonderen Maße umanitäre Notsituationen auslösen. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinen Nationen NHCR zählt derzeit circa 4,2 Millionen Flüchtlinge. twa eine halbe Million sind davon so genannte Binnen- ertriebene. Die ausreichende Versorgung der Flücht- inge mit Wasser und Nahrung, mit Kleidung und Unter- unft gehört ebenso zum vordringlichen Bedarf der umanitären Hilfe wie der Schutz der Flüchtenden und er Flüchtlingslager. Auch hier ist der Anteil der Frauen nicht nur der grö- ere, sondern auch derjenige, dessen Gefährdungslage eutlich stärker ist. Die humanitäre Hilfe, die Deutsch- and leistet, muss die besondere Not der Frauen als eine chwerpunktaufgabe wahrnehmen. Auch in diesem inne muss das Konzept unserer humanitären Hilfsleis- ungen zielgerichtet sein. Zum Wohle der bedrohten rauen darf das Handeln der Regierung sich nicht im roduzieren von Worthülsen verlieren. Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bei iesem wichtigen Thema möchte ich bei den Gemein- amkeiten beginnen: Wir teilen die Grundwerte, die berzeugung, dass wir uns – sei aus christlicher oder hu- anistischer Prägung, sei es aus Respekt vor den Men- chenrechten – verpflichtet fühlen, Menschen in Not bei- ustehen. Nun können wir uns darüber streiten, ob amals die Regierung Kohl die Prioritäten richtig gesetzt at oder ob jetzt die rot-grüne Bundesregierung besser nd effektiver hilft. Wir können allerlei Zahlen gegen- berstellen, mal uns nur auf die Haushaltstitel des Aus- ärtigen Amtes beschränken, mal die im BMZ angesie- elte entwicklungsorientierte Not- und Übergangshilfe 12726 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 (A) ) (B) ) dazurechnen, wir können dabei Äpfel mit Birnen ver- gleichen und je nachdem, wie wir mit Zahlen umgehen, die eine oder die andere These untermauern. Ich halte das für sinnlos. Angesichts der Leistungsfähigkeit Deutschlands ei- nerseits und der Größe der Herausforderung andererseits – mehr als 45 Millionen Menschen befinden sich in einer extremen Notlage aufgrund von Kriegen und Naturka- tastrophen – sollten wir uns auf die einfache Formel eini- gen: Es war damals nicht genug und es ist auch heute nicht genug! Der Menschenrechtsausschuss hat angesichts des Haushaltsentwurfs 2005 gefordert, die Mittel für die hu- manitäre Hilfe aufzustocken. Ich hoffe sehr, bald die er- lösende Nachricht zu hören, dass der Haushaltsaus- schuss diesem Wunsch des Menschenrechtsausschusses entspricht. Aber selbst mit dieser gewünschten Aufsto- ckung wäre ich noch nicht wirklich zufrieden: Der Bun- destag sollte gemeinsam, fraktionsübergreifend, dafür werben, dafür streiten, dass sowohl die Mittel für die hu- manitäre Nothilfe als auch für die längerfristig angelegte Entwicklungszusammenarbeit der tatsächlichen Heraus- forderung angepasst werden und schon sehr bald 0,33 Prozent des Bruttonationaleinkommens entspre- chen. So viel zur Quantität. Bei der Qualität verdienen zwei Aspekte Aufmerk- samkeit, die durchaus mit Konflikten verbunden sind: Erstens gilt auch für humanitäre Hilfe in oder nach Krie- gen, Bürgerkriegen und Naturkatastrophen, dass sie so weit wie irgend möglich Hilfe zur Selbsthilfe sein muss, dass sie Menschen möglichst aktivieren und nicht allein alimentieren sollte. Hungernde müssen mit Nahrungs- mitteln versorgt werden. Das ist klar. Ob man aber ver- sucht, diese Nahrungsmittel möglichst im betroffenen Land zu kaufen, um damit die dortige Landwirtschaft zu unterstützen und die Nahrungsmittelproduktion anzukur- beln oder ob man dort Überschussproduktion aus dem Geberland ablädt und die Märkte in den Empfängerlän- dern stört oder gar kaputtmacht, macht einen großen Un- terschied. Auch wenn ich das „World Food Program“ natürlich nicht insgesamt infrage stellen möchte, so muss Kritik an einzelnen Maßnahmen, zum Beispiel in Afghanistan, erlaubt sein. Ich möchte ausdrücklich – lobend – erwäh- nen, dass die Bundesregierung auch in ihrer Nothilfe die Auswirkungen ihres Handelns auf die Märkte, auf die Nahrungsmittelproduktion in den Empfängerländern, sehr genau beobachtet und sich möglichst so verhält, dass es einen fließenden Übergang von der Nahrungs- mittelsoforthilfe zur entwicklungsorientierten Unterstüt- zung, zur Förderung der ländlichen Regionalentwick- lung, gibt. Ein zweiter Reibungspunkt, der im Antrag der Koali- tionsfraktionen offen angesprochen wird, ist die Über- schneidung von humanitären und militärischen Einsät- zen. Die humanitäre Hilfe ziviler Organisationen muss gerade in Kriegssituationen unabhängig und überpartei- lich sein. Wenn sie es nicht ist, dann geraten die Helfe- rinnen und Helfer selber in die Gefahr, als Konfliktpartei angesehen zu werden und buchstäblich in die Schuss- l n u d u g f r s n V H g b w s i m s c m d m a m d „ I t l g d ß s k E r l d s m T B r e D s f D H O k h z (C (D inie zu geraten. Der Irakkrieg lieferte und liefert immer och viel Anschauungsmaterial, wie es nicht sein sollte nd welche Gefahren dadurch heraufbeschworen wer- en. Die US-amerikanischen Streitkräfte kontrollieren nd instrumentalisieren die humanitäre Hilfe und brin- en dadurch viele Helferinnen und Helfer in äußerst ge- ährliche Situationen. Der Bundeswehr kann dagegen – zum Beispiel bei ih- em Afghanistan-Einsatz – in der zivil-militärischen Zu- ammenarbeit eine sehr viel größere Sensibilität beschei- igt werden als den Amerikanern. Dennoch ist das erhältnis zwischen der Bundeswehr und den zivilen ilfsorganisationen nicht ganz frei von Spannungen. Es ibt da durchaus auch Konkurrenzsituationen. Wir glau- en jedoch, dass diese Konflikte lösbar sind, wenn so- ohl die Bundeswehr als auch die humanitären Organi- ationen in beiderseitigem Respekt klare Kriterien für hre spezifischen Aufgabenfelder definieren und ge- einsam so etwas wie einen Verhaltenskodex für die Zu- ammenarbeit in Krisen- und Kriegsgebieten entwi- keln. Wir sind uns einig, dass wir uns bemühen müssen, ehr Mittel für die humanitäre Hilfe bereitzustellen und ie humanitäre Hilfe so effektiv und nachhaltig wie öglich zu gestalten. Aber auch hier gilt der alte Zahn- rztspruch: Vorbeugen ist besser als bohren. Deshalb öchte ich an dieser Stelle ausdrücklich begrüßen, dass ie Bundesregierung in diesem Jahr einen Aktionsplan Zivile Krisenprävention“ vorgelegt hat. Der Zivile Friedensdienst (ZFD) und das Zentrum für nternationale Friedenseinsätze (ZIF) sind neue Einrich- ungen, die vor fünf Jahren auf Initiative aus diesem Par- ament entstanden sind. Es wäre zu umfangreich, die se- ensreiche Arbeit dieser Einrichtungen hier gebührend arzustellen und zu würdigen. Ich will aber damit schlie- en, dass ich sowohl den von Idealismus beseelten Men- chen in der humanitäre Hilfe als auch den Friedensfach- räften, die in der Krisenprävention tätig sind, für ihren insatz von Herzen danken möchte. Sie sind Botschafte- innen und Botschafter des Friedens und der Mensch- ichkeit. Rainer Funke (FDP): Es ist gut, dass sich der Bun- estag mit der humanitären Hilfe beschäftigt. Der Aus- chuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe zeigt it dieser Debatte, dass wir durchaus auch den zweiten eil unserer Aufgaben ernst nehmen. Auf den ersten lick ist die humanitäre Hilfe einer der einfacheren Be- eiche der Politik. Hier geht es nicht um politische Aus- inandersetzungen, sondern allein um Menschlichkeit. ieser unparteiische, oft sogar unpolitische Charakter ichert der humanitären Hilfe die Akzeptanz bei Kon- liktparteien und vor allem bei der Bevölkerung vor Ort. as ist die Grundvoraussetzung dafür, dass humanitäre ilfe schnell, effizient und unbürokratisch zu den pfern einer Katastrophe oder eines Konfliktes gelangen ann. Trotzdem ergeben sich bei der humanitären Hilfe eute komplexe und vielgestaltige Probleme. So besteht urzeit die Tendenz, den Begriff des „Humanitären“ in Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 12727 (A) ) (B) ) der Öffentlichkeit und Politik inflationär zu gebrauchen. Es ist die Rede von „humanitärer Politik“, „humanitärer Intervention“ oder gar „humanitären Bomben“. Zudem wird die humanitäre Hilfe immer öfter als integraler Be- standteil einer allumfassenden politischen Strategie an- gesehen. All dies zeugt von mangelndem Respekt vor dem humanitären Raum, dessen Freiheit von Wertung und Politik unbedingt erhalten werden muss, wollte man nicht die humanitäre Hilfe in ihrem Wesen zerstören. Humanitäre Hilfe darf eben nicht politisch instrumentali- siert werden. In der zunehmenden Globalisierung und medialen Vernetzung der Welt liegen für die humanitäre Hilfe Se- gen und Unglück dicht beieinander. Die Massenmedien bringen uns menschliche Schicksale immer näher. Das macht uns unserer Verantwortung für humanitäre Kata- strophen auch in weiter entfernten Weltgegenden be- wusst. Allerdings steigt mit der zunehmenden Zahl von Katastrophen und Konflikten auf den Bildschirmen auch die Selektivität der Wahrnehmung. Dies führt zu einem Wettbewerb um das „größte Unglück“, das prestige- trächtigste Projekt und die bewegendsten Bilder. Wenn es aber einen Bereich gibt, in dem Wettbewerb und Kommerzialisierung keine Berechtigung haben, so ist dies die humanitäre Hilfe. Die Medien, die Nichtregie- rungsorganisationen, aber auch die Politik müssen sich hier ihrer Verantwortung stets bewusst sein. Es gibt im Bereich der humanitären Hilfe aber durch- aus auch strukturelle und institutionelle Probleme. Viel- fach wird kritisiert, dass es der humanitären Hilfe an Nachhaltigkeit mangelt und sie damit ihre Notwendig- keit selbst immer wieder reproduziert. Stellenweise wird sogar von Überversorgung ohne Rücksicht auf die Ver- sorgungsmöglichkeiten vor Ort berichtet. Andererseits entstehen oft gerade dort Versorgungslücken, wo kurz- fristige humanitäre Hilfe nicht nahtlos in langfristige Entwicklungshilfe übergeht. Das wird sich letztlich nur durch eine noch bessere Koordinierung und Verzahnung von humanitärer Hilfe und Entwicklungshilfe lösen las- sen. Humanitäre Hilfe ist ein Bereich, wo das Wirken staatlicher deutscher Stellen und das Engagement und die Hilfsbereitschaft der deutschen Bevölkerung dicht ineinander greifen. Es steht unserem Land gut an, dass Deutschland trotz knapper Kassenlage in privaten und öffentlichen Haushalten bei der Hilfe in weltweiten Not- situationen im internationalen Vergleich immer noch ganz vorn dabei ist. Deutsche humanitäre Helfer haben weltweit einen ausgezeichneten Ruf, unsere Hilfe kommt an und wird geschätzt und gewürdigt. Das weiß auch die liberale Opposition im Deutschen Bundestag durchaus zu würdigen. Kerstin Müller, Staatsministerin im Auswärtigen Amt: 45 Millionen Menschen, so wird geschätzt, sind zurzeit weltweit auf humanitäre Hilfe angewiesen. Sie sind Opfer von Kriegen, von Gewalt oder sie flüchten vor Dürre, Überschwemmungen und Wirbelstürmen. Oft sind sie durch schreckliche Ereignisse traumatisiert. Mit der humanitären Hilfe versuchen wir, die schwerste Not d g H I J V j n w k s O s w e H d d s k k a N s d s g i d n w L n l W n n f b F O u u d r u M N i l V n (C (D ieser Menschen zu lindern, nicht mehr und nicht weni- er. Insgesamt stellte das Auswärtige Amt deutschen ilfsorganisationen, den Vereinten Nationen und dem nternationalen Komitee vom Roten Kreuz in diesem ahr allein rund 73 Millionen Euro für Hilfsprojekte zur erfügung. 14 Millionen Euro davon entfallen auf Pro- ekte des humanitären Minenräumens. Auch in den ächsten Jahren wollen wir humanitäre Hilfe dort ge- ähren, wo sie benötigt wird. Dass diese Hilfe aber auch bei den Menschen an- ommt, ist nur durch den Einsatz der vielen Hilfsorgani- ationen – NROs und kirchliche Hilfswerke – möglich. hne deren unermüdliches Engagement – oft unter Ein- atz des eigenen Lebens und der eigenen Gesundheit – äre diese Hilfe undenkbar. Daher möchte ich zunächst inmal den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnnen dieser ilfsorganisationen im Namen der Bundesregierung und es gesamten Deutschen Bundestages für ihren Einsatz anken. Ich verstehe gut, dass die Hilfsorganisationen eine In- trumentalisierung der humanitären Hilfe ablehnen. Ich ann ihnen versichern: Die Bundesregierung wird auch ünftig darauf achten, dass sich die Hilfe ausschließlich n den humanitären Prinzipien der Unparteilichkeit und eutralität orientiert. Das ist auch unser Anliegen. Wir wissen aber auch: Humanitäre Hilfe kann nur die chlimmste Not lindern. Sie beseitigt nicht die Ursachen er Krisen. Dafür bedarf es nachhaltiger politischer Lö- ungen, die durch Verhandlungen zwischen den jeweili- en Konfliktparteien gefunden werden müssen. Besondere Anforderungen hat in diesem Jahr – und ch befürchte, das wird auch im nächsten Jahr so sein – ie Darfur-Krise an uns gestellt, nicht zuletzt auch in fi- anzieller Hinsicht. Nur unter großen Anstrengungen ar es letztlich möglich, die vorgesehenen Mittel zur inderung dieser humanitären Katastrophe in Höhe von ahezu 50 Millionen Euro, davon 32 Millionen Euro bi- ateral, aufzubringen und gleichzeitig in angemessener eise auf andere Krisen weltweit zu reagieren, von de- en einige ähnliche Dimensionen wie Darfur besitzen. 70 000 Menschen – Männer, Frauen und Kinder – sind ach Angaben der Weltgesundheitsorganisation im Dar- ur-Konflikt allein in den letzten acht Monaten ums Le- en gekommen. 1,8 Millionen Menschen sind auf der lucht, vielen von ihnen droht ebenfalls das Schicksal, pfer von Gewalt, Vertreibung, Vergewaltigung, Hunger nd Krankheit zu werden. Nach Einschätzung der VN nd vieler Hilfsorganisationen haben wir es hier mit der erzeit schlimmsten menschenrechtlichen und humanitä- en Krise weltweit zu tun. Auch deshalb war und ist es nsere Pflicht, alles, was möglich ist, zu tun, um diesen enschen zu helfen. Der Bericht, den der Generalsekretär der Vereinten ationen letzte Woche dem Sicherheitsrat vorgelegt hat, st zutiefst beunruhigend: Immer noch werden offensicht- ich in Darfur in großem Umfang Kriegsverbrecher und erbrechen gegen die Menschlichkeit begangen. Nicht ur die von der sudanesischen Regierung bewaffneten 12728 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 (A) ) (B) ) Reitermilizen, die Janjaweed, sondern auch die Rebellen- bewegungen machen sich schwerster Menschenrechts- verletzungen gegen die Zivilbevölkerung schuldig. Die Bundesregierung, die Vereinten Nationen und Hilfsorga- nisationen haben jüngst schwere Vorwürfe gegen die su- danesische Regierung erhoben, nachdem sudanesisches Militär bei der Räumung eines Flüchtlingslagers brutale Gewalt gegen Lagerbewohner – hauptsächlich Frauen und Kinder – angewendet hatte. Das Lager wurde in Brand gesetzt und mit Planierraupen zerstört. Trotz der deutlichen internationalen Kritik sind die Sicherheits- kräfte gestern Morgen erneut brutal gegen Flüchtlinge vorgegangen. Dies ist auf das Schärfste zu verurteilen. Nachdem sich zunächst in den letzten Monaten auf- grund des internationalen Drucks – die Bundesregierung hat ihn maßgeblich ausgeübt – der Zugang der Hilfsor- ganisationen verbessert hatte, wird nun die Arbeit der in- ternationalen Hilfsorganisationen offensichtlich erheblich behindert. Die Vereinten Nationen mussten letzte Woche vorübergehend ihre Arbeit in Darfur einstellen, unter an- derem weil die sudanesische Regierung Zwangsumsied- lungen vorgenommen hatte und die Sicherheitslage sich zunehmend verschlechtert. Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen musste 85 internationale Mitar- beiter aus verschiedenen Orten evakuieren. Auch deut- sche Hilfsorganisationen haben in den letzten Tagen von erheblichen Einschränkungen ihrer Zugangsmöglichkei- ten berichtet, Mindestens 180 000 Flüchtlinge können zurzeit nicht von der humanitären Hilfe erreicht werden. Damit droht sich die Zahl der Todesopfer weiter zu erhö- hen. Das ist nicht akzeptabel. Ich fordere die sudanesi- sche Regierung und die Rebellenorganisationen auf, die Gewalt gegen die Zivilbevölkerung zu beenden und end- lich ihren internationalen Verpflichtungen nachzukom- men. Gerade die jüngsten Entwicklungen zeigen: Humani- täre Hilfe kann zwar dazu beitragen, die Not der betrof- fenen Menschen zu lindern; sie kann allerdings nicht die politischen Konflikte lösen. Daher wird die Bundesre- gierung weiterhin auf allen politischen Ebenen – auf der Ebene der EU, der VN in Zusammenarbeit mit der AU – versuchen, den internationalen Druck aufrechtzuerhalten und eine langfristige politische Lösung des Konfliktes zu finden. Gerade gestern haben sich die Konfliktparteien bei den Friedensgesprächen in Abuja auf ein Ende der Ge- walt und den freien Zugang der Hilfsorganisationen ver- ständigt. Das muss jetzt auch umgesetzt werden. Nächste Woche trifft sich der Sicherheitsrat der VN in Nairobi, um über die Lage im Sudan, insbesondere in Darfur, zu beraten. Voraussichtlich werde ich an dieser Sitzung teilnehmen. Wenn die Konfliktparteien nicht einlenken, sollte der Sicherheitsrat – wie beschlossen – weiter gehende Maßnahmen ergreifen. Darüber hinaus unterstützen wir finanziell und logistisch die Beobach- termission der AU, die den Waffenstillstand überwachen soll. Auf unsere Initiative hin wird nun eine Untersu- chungskommission der VN die Menschenrechtsverlet- zungen in Darfur untersuchen und hoffentlich die Ver- antwortlichen zur Rechenschaft ziehen. r n a B s d v d g n p E i F A t d J f a d Z d r S l k b c B d h K I l p d B m d v M p e ti f F f p (C (D Nicht nur in Darfur, sondern auch in anderen Krisen- egionen der Weit leisten wir in großem Umfang huma- itäre Hilfe, wie in Uganda, im Kongo und in West- frika, auf dem Balkan und in Kolumbien, um nur einige eispiele zu nennen. Humanitäre Hilfe kann nur die chlimmste Not der Menschen lindern. Aber sie ist oft er Anfang für eine weiter gehende, umfassende Lösung on Konflikten. Daher möchte ich mich zum Schluss für ie Unterstützung bedanken, die es über alle Fraktions- renzen hinweg bei dieser schwierigen Aufgabe – nicht ur in der Krisenregion Darfur – gegeben hat. Ohne den ersönlichen Einsatz und die Unterstützung wäre unser ngagement nicht möglich. Ich hoffe, wir können auch n den nächsten Jahren mit der Unterstützung durch alle raktionen rechnen. nlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Bildungsarmut in Deutschland feststellen und bekämpfen (Tages- ordnungspunkt 9) Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Mit ihrem An- rag greift die FDP ein Anliegen auf, das von den Sozial- emokraten in der Opposition wie in der Regierung seit ahren mit besonderem Engagement verfolgt wird. Wir reuen uns, dass auch die FDP jetzt entdeckt, dass wir lle eine besondere Verantwortlichkeit haben gegenüber en Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen aus uwanderfamilien, aber auch aus deutschen Familien, ie keine lange und erfolgreiche Bildungstradition in ih- en Familien aufweisen. Die Kollegin Multhaupt hat schon dargelegt, wie die PD-geführte Bundesregierung seit 1998 an vielen Stel- en ihren Beitrag dazu geleistet hat, dass Bildungsarmut ein Schicksal werden muss, sondern Schritt für Schritt ekämpft werden kann und es für die Kinder, Jugendli- hen und Familien neue und sichere Wege gibt, mehr ildungschancen zu verwirklichen. In der direkten För- erung der Familien und Kinder nennen wir die Erhö- ung des Kindergeldes, das Erziehungsgeld, aktuell den inderzuschlag im Rahmen von Hartz IV als Stichwort. n der Infrastrukturverbesserung für Kinder und Jugend- iche und Familien sind Stichworte das Ganztagsschul- rogramm, die Aufwertung der Kindertagesstätten und ie Krippeninitiative, das Teilzeitfördergesetz und in der ildungsförderung schließlich das JUMP-Programm, it dem wir 1998 gestartet sind, JUMP-Plus, die beson- eren Förderprogramme für Jugendliche bei der Berufs- orbereitung, ausbildungsbegleitende Hilfen bis hin zur obilisierung zusätzlicher Lehrstellen und Einstiegs- raktika, wie sie im jüngsten Pakt für Ausbildung ver- inbart worden sind. Dabei muss klar sein: Bildungsarmut kann sich verfes- gen, wenn Familien aus realer Armut keinen Ausweg inden. Bildungsarmut nimmt zu, wenn zugewanderte amilien und ihre Kinder keine Wege zur Integration inden. Bildungsarmut dokumentiert schließlich unser olitisches Versagen, wenn wieder besserer Kenntnis Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 12729 (A) ) (B) ) falsche Strukturen und Qualitäten in unserem Bildungs- system gezielt dafür sorgen, dass die Bildungspotenziale aller Kinder und Jugendlichen sich nicht entfalten kön- nen, dass Kinder und Jugendlichen vor allen Dingen Misserfolgskarrieren in unserem Bildungssystem an sich erfahren und schließlich auch, dass Jugendlichen die Chance auf eine berufliche Qualifizierung gar nicht erst gegeben wird, bzw. ein erfolgreicher Abschluss nicht er- reicht werden kann. Hierzu nur zwei konkrete Sachverhalte, die uns zu denken geben müssen: Erstens. Die Rangreihe der nach der ersten PISA-Stu- die 2002 vorgeblich besonders erfolgreichen Bundeslän- der bildet genau die Rangfolge der Prozentteile der Be- völkerung ab, die in den jeweiligen Ländern in Sozialhilfe leben. Weist Bayern hier einen Prozentsatz von 3,4 Prozent auf, steigert sich dieser Prozentsatz bis zum Land Bremen auf 23,6 Prozent. Natürlich gibt es ei- nen Zusammenhang von realer Armut und Bildungsar- mut. Der Kampf gegen die Bildungsarmut muss deshalb auch immer unterfüttert werden mit dem Kampf gegen die reale Armut. Erfolge in der Bekämpfung der Bil- dungsarmut tragen umgekehrt dazu bei, dass auch die reale Armut schrittweise überwunden werden kann. Zweitens erleben wir aktuell m Deutschland, dass über 10 Prozent der Kinder bei der Einschulung zurück- gestellt werden, 3,5 Prozent der Kinder so genannte Son- derschulen besuchen, 10 Prozent der Kinder einen Schulabstieg an sich erfahren, indem sie von einer so ge- nannten „höheren Schule“ auf andere Schulformen ab- steigen und schließlich über 24 Prozent der Kinder, ein Spitzenwert m Europa und der Welt, eine Klassenwie- derholung durchmachen. Unter diesen Kindern ist ein besonders großer Teil aus Familien mit einem Migra- tionshintergrund. Von diesen Kindern sammeln sich dann besonders viele in den so genannten Hauptschulen, die schon längst nicht mehr das Fundament von Bildung in Deutschland bilden, sondern in eine sehr schwierige Rolle als ungeliebte „Restschule“ und Schule der Kinder und Jugendlichen aus Migrationsfamilien und bildungs- fernen Schichten gedrängt werden. Positiv am Antrag der FDP ist deshalb, dass wir zu- sammen in drei Fragen in Deutschland grundsätzlicher und ebenso ausdauernd wie konsequent in eine Überprü- fung bisheriger Positionen eintreten müssen und auch zu neuen Lösungen kommen müssen. Zum einen: In Bezug auf das endlich verabschiedete Zuwanderungsgesetz ist das jahrelang gehegte Tabu der konservativen Seite endlich gebrochen: Deutschland ist ein Zuwanderungsland und hat sich entsprechend an der Integration im Sinne von Fördern und Fordern der zuge- wanderten Menschen zu engagieren. Dieses muss jetzt zu einer Gesamtaufgabe von Bund, Ländern und Kom- munen, der Organisationen der Zivilgesellschaften und auch der Beteiligten selbst werden. Zum anderen: Wie lange wollen wir noch ein Bil- dungssystem als vorbildlich begreifen, das sich als hoch sozial selektiv, als nicht leistungsfähig in Bezug auf eine gute Grundförderung für alle Kinder und Jugendliche h d g n q D l w d s h a f d D d k v r h m b c t d s t w g d h g g c i g d D ö K d r d f l B g d h S z d (C (D erausgestellt hat? In der frühkindlichen Förderung, in er Stärkung der Grundschule, in der möglichst langen emeinsamen Unterrichtung der Kinder und in der Öff- ung von Schule nach außen haben wir strukturell wie ualitativ Reformbedarf. Hier muss das Tabu, das in eutschland über jede Diskussion der Schulstruktur ge- egt worden ist, erst noch gemeinschaftlich gebrochen erden. Die SPD ist hierzu bereit. Wir wünschen uns, ass auch andere politische Kräfte hier ihre dogmati- chen Scheuklappen ablegen. Und schließlich: Bildungsarmut ist bekämpft und ge- ört der Vergangenheit an, wenn Kinder und Jugendliche us zum Beispiel Migrationsfamilien ganz konkret er- ahren können, dass sie über Bildung einen Einstieg in en Aufstieg in dieser Gesellschaft erreichen können. er erste Aufstieg muss die konkrete Erfahrung werden, ass sie eine qualifizierende berufliche Ausbildung be- ommen. Hier gibt es noch Reserven bei den Firmen, die iel zu wenig ausbilden und neuen Betrieben, auch ge- ade von zugewanderten und ausländischen Betriebsin- abern, die das deutsche Berufsbildungssystem erst noch it annehmen sollten, die zu nutzen sind. Und natürlich raucht es auch mehr Durchlässigkeit aus dem berufli- hen Bildungssystem in das akademische Bildungssys- em. Dabei werden angesichts der Beharrlichkeit von Bil- ungsarmut keine schnellen Erfolge für alle zu erreichen ein. Nur wollen wir auch der Schwarzmalerei des An- rages der FDP nicht in allen Punkten folgen. Gerade enn man die OECD-Vergleiche heranzieht, ist die Ju- end- und Ausbildungslosigkeit in Deutschland eben eutlich unter dem Durchschnitt und liegt Deutschland ier ohne Zweifel in der Spitzengruppe, was die Versor- ung von Kindern und Jugendlichen mit Ausbildungsan- eboten angeht. Auch in der Unterstützung der Jugendli- hen von der Berufsvorbereitung über die Unterstützung n der Berufsausbildung bis hin zu speziell auf die Ziel- ruppen von bildungsfernen Jugendlichen wie zugewan- erten Jugendlichen gibt es besondere Anstrengungen in eutschland, die nicht zuletzt durch eine beträchtliche ffentliche Finanzierung belegt sind. Zu den Forderungen der FDP stellen wir deshalb in ürze fest: Erstens. Was die FDP zur Reform der beruflichen Bil- ung fordert, ist in differenzierter Form von der Regie- ung mit ihrem Vorschlag zur Reform des Berufsbil- ungsgesetzes bereits eingelöst. Zweitens. Vom Bund zu fordern, dass er die Sprach- örderung für Zuwanderungskinder vor der Einschulung eistet, widerspricht der Aufgabenverteilung zwischen und und Ländern, die auch noch einmal durch das Inte- rationsgesetz und die dortige Aufteilung der Sprachför- erung festgelegt worden ist. Wir bitten die FDP sehr erzlich, die SPD in den Länderparlamenten in diesem inne im Streit für mehr Bildungschancen zu unterstüt- en. Drittens. Der erste Armuts- und Reichtumsbericht, er von der Bundesregierung im Jahr 2001 vorgelegt 12730 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 (A) ) (B) ) worden ist, spricht natürlich die Fragen von Bildungs- armut und Zuwanderung an. Die FDP muss gebeten wer- den, hier genauer nachzulesen. Wir sind ganz sicher, dass auch im Bericht des Jahres 2005 diese Fragen noch genauer und auch zielführender von der Analyse her be- leuchtet werden. Viertens. Dass die FDP jetzt darauf kommt, dass Bil- dungsforschung und Berichterstattung zu den Fragen von Bildungsarmut verstärkt werden müssen, mutet merkwürdig an. Hier hat die FDP die Wegmarken offen- sichtlich nicht mitbekommen, die wir schon vor einigen Jahren gesetzt haben. Der erste gemeinsame Bildungsbe- richt von Bund und Ländern, der im Jahr 2006 nach dem langjährigen Sträuben der Länderseite endlich durchge- setzt werden konnte, hat hierzu auch genau den richtigen Schwerpunkt gewählt. Er soll sich nämlich mit der Inte- gration von Kindern und Jugendlichen und Erwerbstäti- gen mit Migrationshintergrund im Bildungssystem be- fassen. Dieses ist bereits so beschlossen und damit sind wir schon viel weiter als der Antrag der FDP an dieser Stelle uns nahe legen will. Bernward Müller (Gera) (CDU/CSU): Ich freue mich, dass wir uns heute mit dem Antrag der Fraktion der FDP zum Thema Bildungsarmut befassen. Der An- trag der Kolleginnen und Kollegen von der FDP spricht ein schwerwiegendes Problem an. Jedes Jahr verlassen viele junge Menschen die Schule ohne Abschluss. 2003 verließen circa 84 000 Jugend- liche die Schule ohne Hauptschulabschluss. Für sie ist das Risiko, arbeitslos zu bleiben, besonders hoch. Neben die negativen wirtschaftlichen Folgen treten gesell- schaftliche Ausgrenzungsprozesse. Ein Punkt im vorliegenden Antrag ist Bildungsarmut aufgrund mangelnder Sprachkompetenz, insbesondere bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Auch wir von der Union sind für eine intensive und frühzeitige Sprachförderung von Kindern und Jugendlichen. Beim Einstieg in die Schullaufbahn zeigt sich, dass die Schüle- rinnen und Schüler heute weitaus größere Unterschiede im Entwicklungsstand und in den Lernvoraussetzungen aufweisen als in früheren Jahren. Die Grundschule muss deshalb gezielt dafür Sorge tragen, dass unterschiedliche Bildungsvoraussetzungen durch individuelle Förderung ausgeglichen werden. Insbesondere im sprachlichen Be- reich muss eine leistungsfähige Grundschule auf Maß- nahmen der vorschulischen Förderung aufbauen können. Dies gilt vor allem für Kinder aus Migrantenfamilien mit nur geringen Kenntnissen der deutschen Sprache. Kindergärten und Kinderhorte müssen intensiver als bis- her darauf hinarbeiten, dass die von ihnen betreuten Kin- der grundschulfähig werden. Damit bin ich bei einem weiteren wichtigen Aspekt, der auch in unserer Fraktion immer wieder im Mittel- punkt von bildungspolitischen Anträgen steht: der Be- deutung einer möglichst früh ansetzenden Bildungspoli- tik. Eine der zentralen Forderungen der Union ist ja gerade die Stärkung frühkindlicher Bildung und Erzie- hung in Familie und Kindertagesstätte. Sie ist die Vo- r v s f r i b k h t t u v g t g s t w s a d B g l d i z d z M h P s g D e d d t s r J d M a s z Z i t N (C (D aussetzung für mehr Gerechtigkeit bei der Verteilung on Bildungschancen, eine stärkere Entkoppelung von ozialer Herkunft und schulischer Leistung und eine Ent- altung der individuellen Begabungen. Wenn wir von frühkindlicher Bildung und Erziehung eden, dann verstehen wir dies jedoch keinesfalls als rein nstitutionelle Veranstaltung. Wir verstehen darunter die esondere Berücksichtigung der primären Erziehungs- ompetenz und der Erziehungsaufgabe der Eltern. Ich atte, bei der Diskussion um Ganztagsschule und Ganz- agsbetreuung – so wie sie in diesem Plenum in den letz- en Monaten geführt wurde – oft das Gefühl, es ginge m eine Versorgungsfrage. So als könnten wir die in den erschiedenen Studien wie PISA und dem OECD-Ver- leich aufgedeckten Defizite des deutschen Bildungssys- ems lösen, indem nur für ausreichend Tagesbetreuung esorgt würde. Überhaupt scheint die ganze Diskussion ich auf die Frage nach der Versorgung mit Ganztagsbe- reuungsangeboten zu verkürzen. Doch wir müssen den Fokus weiter fassen. Wollen ir wirklich etwas verbessern, so müssen wir über die, icherlich wichtige, Versorgungsfrage hinausgehend uch inhaltlich mehr leisten. Das vermisse ich häufig in en Vorschlägen der Regierungskoalition. Gerade die inhaltliche Verzahnung von Elternhaus, ildung und Betreuung – damit beziehe ich mich auf leichnahmigen Antrag der Unionsfraktion – verspricht angfristige Erfolge bei der Modernisierung unseres Bil- ungssystems. Es gibt viele Einzelaspekte, die bei dieser nhaltlichen Gestaltung berücksichtigt werden müssen, um Beispiel die in vielen Studien erwiesene Bedeutung er Ein-Person-Beziehung im frühen Kindesalter. Doch das wissen Sie alles längst selbst, daher zurück um vorliegenden Antrag. Richtig und wichtig ist auch die Forderung nach einer odernisierung der Berufsausbildung. Die CDU/CSU at im Frühjahr 2003 als erste Fraktion einen Vorstoß im arlament gemacht und im März diesen Jahres einen ent- prechenden Gesetzentwurf eingebracht. Die Bundesre- ierung hat dagegen ein halbes Jahr mit einer unsinnigen ebatte über eine Ausbildungsplatzabgabe vertan und rst im Oktober einen Gesetzentwurf zur Novellierung er Berufsausbildung vorgelegt. Die Leidtragenden sind ie derzeit 31 200 nicht versorgten Jugendlichen. Der heute vorliegende FDP-Antrag geht in die rich- ige Richtung: Mit der Abkehr von starren Ausbildungs- ystemen und der Einführung theoriegeminderter Be- ufsbilder erleichtern wir eher praktisch begabten ugendlichen den Einstieg in das Berufsleben. Aller- ings darf das Berufskonzept nicht durch eine beliebige odulation der Ausbildungsgänge in Teilqualifikationen ufgeweicht werden. Das von der Union in die Diskus- ion gebrachte Stufenmodell stellt einen gangbaren Weg wischen der bisherigen dreijährigen Ausbildung ohne wischenqualifikation und der Auflösung von Berufen n Einzelmodule dar. Wir sollten die Diskussion in diesem Sinne konstruk- iv weiterführen und bald zu der dringend notwendigen ovellierung des Berufsbildungsrechts kommen. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 12731 (A) ) (B) ) Insofern empfehle ich den Antrag zur Überweisung in den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfol- genabschätzung. Werner Lensing (CDU/CSU): Bildung ist das, was übrig bleibt, wenn wir all das vergessen haben, was wir zuvor lernten. Es heißt zwar: „Schüchterne Dummheit und verschämte Armut sind den Göttern heilig“ (Marie Freifrau von Eschenbach 1830 bis 1916), doch diese Sentenz sollte keinesfalls für die Bildungspolitik gelten! Umso mehr ist es mir wichtig und geradezu unab- dingbar, dass wir heute über das drückende Problem der Bildungsarmut in Deutschland debattieren. Einige der im FDP-Antrag angesprochenen Probleme haben bereits Niederschlag in dem Unionsantrag zur Novellierung des Berufsbildungsgesetzes gefunden. Hier sind wir also schon auf einem guten Weg. Andere Anregungen des Antrages möchte ich heute gerne mit eigenen Vorschlä- gen vorantreiben. Die derzeitige Situation in der Bildungspolitik will ich versuchen mit einem eindrucksvollen Bild aus der Natur wie folgt zu umschreiben: Um die vermeintlichen Früchte der eigenen Bildungspolitik zu ernten, versucht die rot-grüne Regierung seit Jahren, den knorrigen Baum der Erkenntnis zu schütteln, damit er seine Ernte preis- gibt und nahezu die Keimlinge der Bildung als reife Früchte herunterfallen lässt. Doch obwohl von Jahr zu Jahr wegen falscher Bewirtschaftung immer weniger Früchte an diesem Baum hängen, schüttelt und rüttelt Rot-Grün gleichwohl heftiger und heftiger an diesem – natürlich ohne sichtbaren Erfolg. Es wollen an ihm ein- fach nicht mehr Früchte wachsen. In dieser Situation fragt sich das rot-grüne „Ernte- Team“ ängstlich und händeringend: „Was haben wir hier nur wieder falsch gemacht?“ Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, ich will es Ihnen sagen: Die unbedarften Gärtner begannen zu spät, sich um die- sen Baum zu kümmern. Hätten sie diesem zu Beginn sei- nes Wachstums mehr Aufmerksamkeit geschenkt und ihn beispielsweise gedüngt – will sagen: unterstützt durch eine solide Finanzierung –, wäre er sicherlich hö- her und schöner gewachsen. Jetzt ist er bestenfalls ein Bonsai. Kurzum: Mir geht es im Konkreten um den frühen Ansatz bildungspolitischer Maßnahmen und um die an- gemessenen Mittel, die zu dem grundlegenden Erfolg führen, den wir alle wollen – weg von der Bildungsar- mut, hin zum Bildungsreichtum. Wir sollten daher alle gemeinsam Bildungspolitik völlig neu entwerfen. Dies allein schon aus dem Grund, weil Bildung unser ganzes Leben begleitet, aber auch, weil Bildung der Wesenszug ist, der uns Menschen am meisten miteinander verbindet. Insofern benötigen wir ein Konzept für eine Rundumreform des deutschen Bil- dungssystems, wie dies unter anderem der Verband der Bayerischen Wirtschaft und Herr Professor Dr. Lenzen, der Präsident der Freien Universität Berlin, jüngst ange- dacht haben. Gerne will ich Ihnen – allerdings ohne Ab- s g u k m – – – – – – – – – m f M t u u s t (C (D timmung mit meiner Fraktion – hier einige dieser Anre- ungen darlegen. Doch eigentlich sind diese Visionen – das heißt, sie mschreiben mit einem Blick die Situation, wie sie sein önnte und sein müsste – keine Traumwelt, sondern ögliche zukünftige Realität: Wir sollten mit dem Lernen früher starten und Bil- dung in allen Lebensphasen bis ins Rentenalter indi- viduell fördern. Schließlich ist jeder Mensch einzigar- tig. Dabei könnten Kinder mit vier Jahren in eine sechs- jährige Primarschule eingeschult werden, die Vor- und Grundschule integriert, vor allem aber Schüler und Schülerinnen nach ihren speziellen Fähigkeiten fördert. Schließlich fällt die Entscheidung über die Schulkar- riere bereits zwischen dem vierten und siebenten Le- bensjahr. Wir sollten in die schulischen Anfangsjahre das meiste Geld investieren: Denn schon aufgrund der de- mographischen Entwicklung brauchen wir so viele hoch qualifizierte junge Menschen wie nur möglich. Hierfür muss natürlich die Bildungsfinanzierung ge- nerell neu entworfen werden: Milliarden von Euro, die in das spätere Ausmerzen von Bildungslücken gesteckt werden müssen, sind am Beginn der Bildungsentwicklung besser investiert. Die Vorschule sollte gebührenfrei und das Studium gebührenpflichtig angeboten werden. Denn es ist ein- fach nicht einzusehen, wieso Bildung dort, wo diese am wirksamsten ist, nämlich im Vorschulalter, auch gleichzeitig relativ teuer ist. Durch das Ausschöpfen von Effizienzreserven, Priva- tisierungen und vor allem durch einen flächendecken- den Subventionsabbau zugunsten der Bildung wäre hier viel zu erreichen. Bereits die Hälfte der 150 Milliarden Euro Subventio- nen, die der Staat jährlich an die Wirtschaft zahlt, könnten aus Deutschland ein Bildungsparadies ma- chen. Für Investitionen in die Zukunft, die nicht nur bitter nötig sind, sondern sich auch mehrfach auszah- len, bedürfte es denn nicht einmal der Streichung der Eigenheimzulage. Aber auch die Firmen und Betriebe müssten auf dem Gebiet der Weiterbildung einen größeren Teil zum Ganzen beisteuern. Schließlich funktioniert heute der Wettbewerb vorranging über unsere Köpfe. Um all diese Vorstellungen umsetzen zu können, uss ein Umdenken in der gesamten Bevölkerung statt- inden. Bildung sollte als unser bester und beständigster arktwert verstanden werden – als unser wahrer Reich- um. Dem entgegen rechnet man heutzutage Reichtum nd Gewinn in Bilanzen von Zahlen, also in Gewinn- nd Verlustrechnungen. Dabei setzt man fataler Weise den Faktor Bildung als tets gegeben voraus, so als führe dieser eine Eigenexis- enz und wäre – fast wie ein Naturgesetz – schon immer 12732 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 (A) ) (B) ) vorhanden gewesen. Ist er aber nicht. In Wirklichkeit be- ruhen die originären Erfolgspotenziale auf den nicht bi- lanzierbaren menschlichen Fähigkeiten und Kompeten- zen. Der Versuch, diese dennoch bilanzieren zu wollen, zeigt sich schon in der Begriffswahl: Man nennt sie be- zeichnender Weise „Human- und Beziehungskapital“. Bildung zahlt die besten Zinsen! Bliebe alles beim Alten, zementierten wir in unver- antwortlicher Weise die gegenwärtige schlechte Lage. Und die ist bekanntlich traurig genug: – 10 Prozent der Schulabgänger eines jeden Jahrgangs haben keinen Schulabschluss und sind näher an Ar- mut und Abhängigkeit als an einem persönlichen und eigenständigen Lebensentwurf angesiedelt. Dies be- trifft vor allem Kinder aus einem Migrationsumfeld – mit unabsehbaren Folgen. – 20 Prozent der Jugendlichen gelten als nicht ausbil- dungsfähig. – 30 Prozent der Studentinnen und Studenten brechen ihr Studium ab. Genau dadurch entstehen die Kosten, die Bildung heute so teuer machen. Was – frage ich Sie – spricht also gegen das Vorha- ben, möglichst früh und intensiv in Bildung zu investie- ren? Ich meine, nichts. Im Gegenteil: Alles spricht dafür. Nur so überwinden wir die Bildungsarmut in Deutsch- land. Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bil- dungschancen sind Lebenschancen. Bildung ist der Schlüssel zu Beschäftigungssicherheit und zu gesell- schaftlicher Teilhabe. Deshalb können wir die gegen- wärtige Situation nicht hinnehmen: Es ist eine riesige Ungerechtigkeit, wenn die familiäre Herkunft die Zu- kunft von Kindern und Jugendlichen weitgehend vorbe- stimmt, wie es in Deutschland der Fall ist. Ich stimme also der Überschrift des Antrags der FDP voll zu: Ja, wir müssen Bildungsarmut möglichst schnell und effizient bekämpfen. Ja, wir brauchen möglichst ge- naue Informationen und präzise Instrumente um effektiv handeln zu können. Bei der Wahl der Instrumente hören unsere Überein- stimmungen leider schon auf. Es kann nicht unser Ziel sein, wie es die FDP vorschlägt, „theoriegeminderte Be- rufsbilder“ für die Jugendlichen einzuführen, die an An- forderungen einer „normalen“ Berufsausbildung schei- tern. Es muss vielmehr unser Ziel sein, alle Jugendlichen effektiver und intensiver zu fördern, und zwar durch mo- dularisierte und flexible Ausbildungswege, die zu einem vollen Beruf führen. Wir dürfen sie nicht abschreiben und zu billigen Arbeitskräften machen. Genau das würde nämlich die Einführung so genannter „theoriegeminder- ter Berufsbilder“ letztendlich bedeuten. „Theoriegeminderte Berufsbilder“ – das heißt in der Praxis Berufsbilder zweiter Klasse. Das würde zu der Logik, an der unser Schulsystem krankt, passen: Nicht fördern, sondern selektieren ist allzu oft das Motto. Im dreigliedrigen, höchst selektiven Schulsystem werden d n G s k d g s i A s s J s L z c o r a n m g tu b E s f f r A t K D E s s h v e c F e d R F d v s m l g a d e (C (D ie Kinder und Jugendlichen einfach aussortiert, die icht genau ins Anforderungsprofil einer Schule passen. erade Kinder mit Migrationshintergrund werden be- onders häufig ohne Rücksicht auf ihre Leistungsfähig- eit in Hauptschulen geschickt. Und selbst von dort wer- en sie oft noch in die nächste Instanz nach unten weiter ereicht. 1999 waren immerhin 15 Prozent der Sonder- chüler Jugendliche mit Migrationshintergrund, obwohl hr Anteil an Schulen nur 9,4 Prozent ausmachte. Wir brauchen also keine noch feinere Gliederung des usbildungssystems, das dann immer niedrigere An- prüche stellt. Was wir brauchen ist ein gründlicher Per- pektivwechsel: Das Problem sind nicht die Kinder und ugendlichen, es ist das sozial ausgrenzende Bildungs- ystem: Unser selektives Schulsystem ist nicht in der age, das maximale Potenzial in jedem einzelnen Kind u wecken. Fördermaßnahmen, die Jugendliche errei- hen, wenn sie erst mal auf dem Abstellgleis Haupt- der Sonderschule gelandet sind, greifen zu spät. „Theo- iegeminderte Berufsbilder“ zu schaffen, heißt deshalb, n den Symptomen herumdoktern und die Probleme icht angehen. Es ist also die alte Schulstrukturfrage, an die wir uns it neuen Argumenten heranwagen müssen: Das drei- liedrige Schulsystem hat versagt, sowohl unter Leis- ngs- als auch nach Gerechtigkeitsaspekten. Stattdessen rauchen wir eine leistungsstarke Schule für alle Kinder. ine Schule für alle – das ist heute allgemein bekannt – teht nicht für softe Kuschelpädagogik. Sie steht gerade ür mehr Leistungsfähigkeit und individuelle Förderung, ür mehr Chancengerechtigkeit und Leistungsorientie- ung gleichermaßen. Anders gesagt: Sie steht für die usschöpfung aller Begabungsreserven. Wesentlich für die Bekämpfung der Bildungsarmut ist atsächlich eine gezielte Sprachförderung, vor allem für inder und Jugendliche mit Migrationshintergrund. enn Sprache ist sowohl der Schlüssel zu schulischem rfolg als auch zu gesellschaftlicher Teilhabe. Soweit ind wir uns einig. Die FDP-Fraktion sollte nicht zu kurz pringen. Alle Kinder und Jugendlichen mit Migrations- intergrund und nicht nur die Vorschulkinder müssen on der Sprachförderung profitieren. Sonst riskieren wir ine lost generation von schlecht integrierten jugendli- hen Migrantinnen und Migranten, mit all den sozialen olgen, die aus mangelnder Teilhabe an der Gesellschaft rwachsen. Finanziell in der Verantwortung dafür stehen aller- ings die Länder und leider nicht der Bund, etwa im ahmen der Integrationsförderung, wie es im Antrag der DP angedeutet wird. Bildungsarmut in Deutschland bekämpfen und Bil- ungschancen gerechter zu verteilen – die von der FDP orgeschlagenen Instrumente greifen diesbezüglich chlicht zu kurz. Um die Bildungsarmut zu bekämpfen, üssen wir das Bildungssystem von seinen Wurzeln her eistungsfähiger und gerechter gestalten. In meinen Au- en soll auch weiterhin der Bund hierfür mit in der Ver- ntwortung stehen, insbesondere bei der beruflichen Bil- ung und auch beim lebenslangen Lernen. Deshalb rwarte ich, dass wir, Bund und Länder gemeinsam, Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 12733 (A) ) (B) ) Wege finden und eben keine neuen, föderalen Blockaden aufbauen. So können schnell und konsequent die nötigen Veränderungen vorgenommen werden. Ulrike Flach (FDP): Die Gefahr, arbeitslos zu werden, ist für jemanden ohne einen Schulabschluss fast zehnmal höher als für jemanden mit einem aka- demischen Grad. Bildung ist nicht nur eine Investition in die Zukunft, sondern auch in die ökonomische Sicher- heit. Umgekehrt ist mangelnde Bildung ein Risiko für den ökonomischen Erfolg des Einzelnen. Seit Beginn der 80er-Jahre liegt der Anteil derjenigen, die eine allgemein bildende Schule ohne einen Haupt- schulabschluss verlassen, bei circa 10 Prozent. Im letz- ten Jahr waren das fast 90 000 Jugendliche, wobei der Anteil der männlichen Jugendlichen deutlich höher ist als der der Mädchen. Nach der OECD-Studie „Bildung auf einen Blick“ ist der Anteil der deutschen Jugendli- chen zwischen 15 und 19 Jahren, die weder eine Ausbil- dung machen noch eine Arbeit haben, sehr hoch. Wir lie- gen mit fünf Prozent bei männlichen und fünf Prozent bei weiblichen Jugendlichen schlechter als Frankreich, die Niederlande, Irland oder Norwegen. Der OECD-Be- richt stellt fest: Jugendliche mit geringen Qualifikationen laufen eine erhöhte Gefahr, langfristig arbeitslos zu wer- den, instabile oder unbefriedigende Beschäfti- gungsverhältnisse zu finden, was weitere negative Konsequenzen, wie soziale Ausgrenzung mit sich bringen kann. Die FDP hat immer die Auffassung vertreten, dass die Chancen am Start gleich sein müssen. Deshalb brauchen wir gerade für junge Menschen aus bildungsfernen Fa- milien und für Kinder aus Migrantenhaushalten eine bes- sere Förderung. Noch immer sind fast 40 Prozent, der ju- gendlichen Zuwanderer ohne jede Ausbildung. Wir wollen zunächst eine bessere Datenbasis. Dazu gehört die verstärkte Bildungsforschung, aber auch die Aufnahme von Daten über Bildungsarmut in den Zwei- ten Armutsbericht der Bundesregierung. Wir wollen eine modulare Berufsausbildung, die auch theorieschwachen Jugendlichen die Möglichkeit gibt, Teilqualifikationen zu erwerben. Die Aussagen von Herrn Brase gestern im Ausschuss geben mir Hoffnung, dass auch die SPD einer modularen Berufsausbildung et- was abgewinnen kann. Wir wollen eine verbindliche Sprachförderung für Migranten, die überprüfbar die deutsche Sprache als die Eintrittskarte in unsere Gesellschaft vermittelt. Wir brauchen neue Formen der Finanzierung von Bildung. Ich freue mich, dass die Vergabe von Bildungskrediten seit ihrer Einführung 2001 jährlich Zuwächse verzeich- net. 2001 waren es rund 5 000, 2003 schon 12 200 Kre- ditverträge zu rund 3 Prozent Zinsen. Von besonderer Bedeutung ist die Förderung der Wei- terbildung. Es sind leider gerade die gering Qualifizier- ten, die allein Erziehenden und die Migranten, die am wenigsten an Weiterbildungsmaßnahmen teilnehmen. D s n n d n k n g B w v z s l W s U w a a S V W U U A e D D m m B u s o l 9 d V R 6 n s M (C (D as heißt, gerade die, die es am Arbeitsmarkt besonders chwer haben, tun zu wenig für ihre Fortbildung. Wir alle reden über Konzepte des lebenslangen Ler- ens. Ich finde die Anregungen im Konzept „Bildung eu denken!“, das Professor Lenzen für die Vereinigung er Bayerischen Wirtschaft erarbeitet hat, sehr span- end. Es bietet ein finanziell durchgerechnetes Gesamt- onzept der Bildungsförderung bis ins hohe Erwachse- enalter. Darin finden sich zwar auch Punkte, die nicht erade der Beschlusslage der FDP entsprechen, zum eispiel das soziale Pflichtjahr; aber das Konzept ist ein ichtiger Anstoß, endlich die Bildung des Menschen on der Wiege bis ins hohe Alter insgesamt in den Blick u nehmen. Deutschland gibt im OECD-Vergleich nach wie vor owohl für Bildungseinrichtungen als auch für die Schü- er pro Kopf weniger aus als der OECD-Durchschnitt. ir erreichen keine 6 Prozent des BIP, während die kandinavischen Länder, aber auch Frankreich, Mexiko, SA, Kanada, Österreich und Großbritannien zum Teil eit vor uns liegen. Bildungsarmut zu bekämpfen kostet Geld. Bildungs- rmut in Deutschland weiter anwachsen zu lassen, kostet ber noch viel mehr Geld, aufgrund der Folgekosten wie ozialhilfe, Arbeitslosengeld, Verlust von Kaufkraft und erringerung der Zahlungen in unsere sozialen Systeme. ir können uns Armut im Bildungsbereich nicht leisten! nser Antrag macht konkrete Vorschläge. Wir bitten um nterstützung. nlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Stabilisierung und Weiterentwicklung des genossenschaftlichen Wohnens (Tagesordnungspunkt 10) Wolfgang Spanier (SPD): Wir haben die Initiative rgriffen, um das genossenschaftliche Wohnen in eutschland zu stabilisieren und weiterzuentwickeln. ie SPD-Bundestagsfraktion unterstützt diese Initiative it Nachdruck. Lassen Sie mich zunächst einige grundsätzliche Be- erkungen machen. Vielen ist nicht bewusst, welche edeutung der genossenschaftliche Sektor insgesamt in nserer Wirtschaft hat. In Deutschland ist die Genossen- chaftsorganisation die mitgliederstärkste Wirtschafts- rganisation. Praktisch jeder Landwirt, 60 Prozent al- er Handwerker, bei Bäckern und Metzgern sind es 0 Prozent, 75 Prozent aller Einzelhändler sind Mitglie- er in Genossenschaften. Im Bankensektor spielen die olksbanken und die Raiffeisenbanken eine wichtige olle. In den Genossenschaftsorganisationen arbeiten 00 000 Menschen. Ähnliches gilt für den besonderen Bereich der Woh- ungsgenossenschaft. Die rund 2 000 Wohnungsgenos- enschaften in unserem Land haben mehr als 3 Millionen itglieder und verfügen über einen Bestand von 12734 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 (A) ) (B) ) 2,2 Millionen Wohnungen, das heißt über 10 Prozent der Mietwohnungen in Deutschland. Sie sind ein wichtiger Partner der Politik für die Wohnraumversorgung, aber auch für die wichtigste Zukunftsaufgabe der Städtebau- und Wohnungspolitik: den Umbau unserer Städte ange- sichts der demographischen Entwicklung und Binnen- wanderung. Der frühere Bundesminister Kurt Bodewig hat im Juli 2002 eine Expertenkommission „Wohnungsgenos- senschaften“ mit dem Ziel einberufen, das selbstbe- stimmte genossenschaftliche Wohnen als dritte tragende Säule neben dem Wohnen zur Miete und dem Wohnei- gentum weiterzuentwickeln und die Zukunft der genos- senschaftlichen Idee zu sichern. Die Kommission wurde vom Minister Manfred Stolpe bestätigt, verbunden mit dem Auftrag, neben einer Analyse Vorschläge und Handlungsempfehlungen zu erarbeiten, die sich an den Gesetzgeber und an die Wohnungsgenossenschaften selbst richten. Im April dieses Jahres hat die Kommission unter dem Vorsitz von Jürgen Steinert, dem früheren Präsidenten des GdW, einen ausführlichen Bericht vorgelegt. Die Empfehlungen an den Bundesgesetzgeber wollen wir im Parlament aufgreifen, in den kommenden Monaten im Parlament und in der interessierten Öffentlichkeit bera- ten, um dann, so hoffe ich, zu Entscheidungen zu kom- men. Im Namen meiner Fraktion möchte ich der Kommis- sion ausdrücklich danken. Der Bericht gibt uns die Mög- lichkeit, uns über die Besonderheiten und Potenziale des genossenschaftlichen Wohnens umfassend zu informie- ren. Sehr präzise werden die Handlungsfelder aufge- zeigt, in denen das genossenschaftliche Wohnen gestärkt werden kann. Hilfreich für die Politik sind die konkreten Empfehlungen der Kommission. Wenn ich vorhin das genossenschaftliche Wohnen als dritte Säule bezeichnet habe, die es zu stärken gilt, so füge ich hinzu, dass es uns nicht um eine Bevorzugung geht, sondern dass wir das genossenschaftliche Wohnen als gleichberechtigte Wohnform neben dem Wohnen zur Miete und dem Wohnen im Eigentum verstehen. Es ist aber an der Zeit, unser Augenmerk auf diese zukunfts- weisende Wohnform zu richten. Wohnungsgenossenschaften haben in Deutschland eine mehr als hundertjährige Tradition. Sie folgen den Grundsätzen der Selbstverwaltung und Selbstverantwor- tung, der Selbsthilfe und gegenseitigen Hilfe. Es ist eine besondere Ausprägung des gemeinschaftlichen Woh- nens. Die Genossenschaften sind diesem Leitbild ver- pflichtet. Allerdings gibt es eine große Vielfalt und durchaus eine unterschiedliche Ausprägung, diese Prin- zipien umzusetzen. Die lange Geschichte der genossenschaftlichen Idee und der Wohnungsgenossenschaften verleitet möglicher- weise dazu, diese Idee und diese Wohnform für traditio- nell, gleichsam für „verstaubt“ und für „überholt“ zu halten. Ich bin davon überzeugt: Genau das Gegenteil ist richtig. Diese Prinzipien und diese Wohnform sind zu- k g V s f A H W E W v ö d w s e S c d M e b l n g S e m d b i m a M W p e R h u a n g B A E F § w g t s h (C (D unftsweisend. Wir sind mittendrin im tief greifenden esellschaftlichen Veränderungsprozess. Die deutliche eränderung im Altersaufbau unserer Gesellschaft, die chon eingesetzt hat und sich verstärken wird, der mittel- ristig einsetzende Rückgang der Bevölkerung und die uswirkungen der Binnenwanderung, sind die zentrale erausförderung gerade auch in der Städtebau- und ohnungspolitik, keineswegs nur in der Sozialpolitik. Genossenschaften sind Ausdruck bürgerschaftlichen ngagements. Das Genossenschaftseigentum als dritter eg zwischen Wohneigentum und Miete verbindet pri- ates Kapital mit gemeinschaftlichen Projekten. Dies er- ffnet Chancen, insbesondere für Menschen, die sich in- ividuelles Wohneigentum nicht leisten können oder ollen. Als gemeinschaftliche Wohnform hat das genos- enschaftliche Wohnen auch besondere Potenziale, wenn s darum geht, Stadtquartiere zu entwickeln, unsere tädte als soziale Städte zu stabilisieren und zu entwi- keln. Beim Verkauf von Wohnungsbeständen ist die Grün- ung einer Bewohnergenossenschaft eine interessante öglichkeit der Mieterprivatisierung, für die es bereits rfolgreiche Beispiele gibt. Wohnungsgenossenschaften können nicht nur einen esonderen Beitrag zur sozialen Quartiersentwicklung eisten. Ich will ausdrücklich nicht damit sagen, dass icht auch Wohnungsgesellschaften und private Wohnei- entümer daran mitwirken können, aber von ihrem elbstverständnis her müsste es für Genossenschaften ine Selbstverständlichkeit sein. Die demographische Entwicklung zwingt die Kom- unen, auch den ländlichen Raum, und natürlich auch ie Städtebau- und Wohnungspolitik stärker noch als isher das Wohnen für junge Familien und das Wohnen m Alter stärker im Blickfeld zu haben. Es sei noch ein- al ausdrücklich versichert, dass die gleiche Zielsetzung uch für die anderen Wohnformen, dem Wohnen zur iete und dem Wohnen im privaten Eigentum gelten. Der besondere Charakter des gemeinschaftlichen ohnens und der geringe Anteil von privatem Eigenka- ital am Erwerb von Genossenschaftsanteilen bieten ine interessante Alternative für diese Zielgruppen. Eine eihe von Wohnungsgenossenschaften zeigen bereits eute erfolgreich, wie solche zukunftsweisenden Wohn- nd Nachbarschaftsformen aussehen können. Sie zeigen uch, wie attraktiv dies für viele Menschen ist. Ich nenne ur ein Beispiel aus meiner ostwestfälischen Heimatre- ion: die Wohnungsgenossenschaft „Freie Scholle“ in ielefeld. Natürlich stellt sich sofort die Frage nach der Förderung. ls wir 1991 gemeinsam mit der heutigen Opposition das igenheimzulagegesetz beschlossen haben, haben wir die örderung des Erwerbs von Genossenschaftsanteilen im 17 a des Eigenheimzulagengesetzes vereinbart. Damit ar zum ersten Mal diese Förderung möglich, allerdings ab es in der Umsetzung von Anfang an Schwierigkei- en, weil eben das private Eigentum und das genossen- chaftliche Eigentum voneinander getrennt sind, sodass ier eine Art „Zwitter“ entstand. Mir ist es wichtig fest- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 12735 (A) ) (B) ) zuhalten, dass mit der Streichung der Eigenheimzulage auch dieses zarte Pflänzchen der Genossenschaftsförde- rung, so problematisch es sein mag, wegfällt. Umso mehr halte ich es für geboten, dass wir uns mit den ent- sprechenden Empfehlungen der Expertenkommission auseinander setzen. Die Kommission richtet ihre Empfehlungen an die Wohnungsgenossenschaften selbst und an die Politik und damit auch an uns, den Bundesgesetzgeber. Die Wohnungsgenossenschaften haben dies bereits aufge- griffen, unter anderem der Gesamtverband der Woh- nungswirtschaft, GdW. Wir begrüßen dies ausdrücklich. Denn es ist ureigenes Interesse der Wohnungsgenossen- schaften, ihr genossenschaftliches Leitbild verstärkt in die Öffentlichkeit zu tragen, die genossenschaftliche Idee zu revitalisieren, ihre Potenziale durch zukunfts- weisende Projekte nachzuweisen. Selbsthilfe bzw. ge- genseitige Hilfe ist gerade auch für die kleinen Genos- senschaften besonders wichtig. Sie werden es bei einem sich verschärfenden Wettbewerb auf dem Wohnungs- markt in der Zukunft nicht leicht haben. Hier ist der Vor- schlag der Kommission, Dachgenossenschaften zu bil- den, ein hilfreicher Vorschlag. Die bestehenden Genossenschaften müssten auch an der Neugründung von Genossenschaften, vor allem von Bewohnergenos- senschaften, ein großes Interesse haben, weil neu gegründete Genossenschaften zur Stärkung der genos- senschaftlichen Idee beitragen und weil es in der Bevöl- kerung offensichtlich ein wachsendes Bedürfnis nach gemeinschaftlichen Wohnformen, besonders für das Wohnen im Alter, gibt. Aber auch der Deutsche Bundestag ist gefordert. Mit unserem Entschließungsantrag greifen wir Empfehlun- gen der Expertenkommission auf. Wir fordern die Bun- desregierung auf, eine breite gesellschaftliche Diskus- sion des individuellen und gesellschaftlichen Nutzens genossenschaftlichen Wohnens gemeinsam mit den Kommunen, Wohnungsgenossenschaften und Verbänden einzuleiten. Wir wollen, dass durch Modellvorhaben und Pilot- projekte neue Impulse gegeben werden, um in den Kom- munen bei der Stadt- und Quartiersentwicklung den Genossenschaftsgedanken zu stärken, Strukturen zur Unterstützung kleiner Wohnungsgenossenschaften und neuer genossenschaftlicher Wohnprojekte zu schaffen. In diesem Zusammenhang unterstreicht die Experten- kommission, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen allenfalls in wenigen kleineren Punkten verändert wer- den sollten. Die Expertenkommission stellt ausdrücklich fest, dass sich das deutsche Genossenschaftsgesetz be- währt hat. Das sehen wir auch so. Dennoch wollen wir, dass im Rahmen der Modernisierung des Genossen- schaftsgesetzes auf eine Flexibilisierung und Erleichte- rung der Gründung von Genossenschaften sowie eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für kleinere Ge- nossenschaften hingewirkt wird. Interessant sind auch die Vorschlage der Kommission, wie das genossenschaftliche Wohnen die staatlich gefor- derte private Altersvorsorge ergänzen kann. Diese Vor- schläge gilt es zu prüfen, möglicherweise auch im Rah- m a s t D w n k s e s l b n d d A s u r d B a s h s t v ü d m A s f d d i g h d G g D w w s R d P (C (D en der Modellvorhaben. Die Kommission geht davon us, dass Vorsorgeangebote von Wohnungsgenossen- chaften dazu beitragen können, die Wohnkostenbelas- ung im Alter zu reduzieren und kalkulierbar zu machen. ie Bundesregierung wird daher aufgefordert zu prüfen, elche Angebote zur privaten Altersvorsorge Woh- ungsgenossenschaften machen können, um die Wohn- ostenbelastung im Alter zu reduzieren. An dieser Stelle ei angemerkt, dass wir die gleiche Frage demnächst in iner Anhörung des Deutschen Bundestages auch für das elbst genutzte private Wohneigentum erörtern werden. Es ist uns gelungen, im Haushalt insgesamt 2,8 Mil- ionen Euro für diese Modellvorhaben und Pilotprojekte ereitzustellen. Mit diesem Entschließungsantrag der Koalition eröff- en wir die parlamentarische Beratung, die wir dann in en Ausschüssen intensivieren. Das sind wir nicht nur er Expertenkommission schuldig, das sind wir auch der ufgabe schuldig, das genossenschaftliche Wohnen zu tabilisieren und weiter zu entwickeln. Auf vielen Veranstaltungen in den letzten Wochen nd Monaten habe ich, erfahren, dass es ein großes Inte- esse an diesem Vorhaben gibt, nicht nur bei den Verbän- en und in der Fachwelt, auch bei vielen interessierten ürgerinnen und Bürgern. Es mag eine Minderheit sein, ber dennoch weiß ich von vielen Initiativen, die Vor- tellungen vom gemeinschaftlichen Wohnen im Alter aben und dabei an die Organisationsform der Genos- enschaft denken. Beklagt wird oft, dass es zu wenig Un- erstützung gibt. Ich weiß von einer Reihe von Initiati- en, die zum Verkauf gestellte Wohnungsbestände bernehmen wollen, aber nicht im Privateigentum, son- ern als Genossenschaft, um ganz bewusst den Zusam- enhalt in ihrem Quartier zu erhalten und zu stärken. uch dieses bürgerschaftliche Engagement wollen wir tützen. Wir freuen uns auf spannende Diskussionen, die hof- entlich auch zu konkreten Ergebnissen führen. Klaus Minkel (CDU/CSU): Über 20 Jahre habe ich em Aufsichtsrat einer Baugenossenschaft als Vorsitzen- er oder als stellvertretender Vorsitzender angehört. Da st es mir eine besondere Freude, heute eine Lanze zu- unsten der Baugenossenschaften brechen zu dürfen. Als Ertrag eines über hundertjährigen Wirkens sind eute 2,1 Millionen Genossenschaftswohnungen vorhan- en. Diese Zahl kennzeichnet die wahre Leistung der enossenschaften nur unvollkommen, da in der Vergan- enheit getreu dem obersten Ziel von Hermann Schulze- elitzsch auch zahlreiche Eigenheime und Eigentums- ohnungen entstanden sind. Mit 2,1 Millionen Bestands- ohnungen sind die Genossenschaften ein wichtiges oziales Korrektiv, da bei den Genossenschaften in der egel die soziale Bindung nicht mit dem Ablauf der Bin- ungsfrist endet. Der Kommissionsbericht wäre ohne die aktuellen robleme der Genossenschaften sicher nicht entstanden. 12736 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 (A) ) (B) ) Im Osten haben wir das Leerstands- und Abbruchpro- blem. Wenn aus dem Aufbau Ost Chefsache wird, kann daraus leicht Abbruch Ost werden. Im Westen gibt es auch schon Abbruchprobleme, aber noch mehr Sanie- rungsprobleme. Die Sozialwohnungen der 50er- und 60er-Jahre sind in der Regel zu klein ausgefallen und heute nicht mehr marktgerecht. Soweit wegen der Bestandsgefährdung nach Staats- hilfe gerufen wird, wird es sicher ohne Staatshilfe nicht gehen. Es muss aber auch danach gefragt werden, wa- rum es in vielen guten Jahrzehnten nicht möglich gewe- sen ist, im Westen einen Solidarfonds aufzubauen. Das hätte dem genossenschaftlichen Prinzip entsprochen. Auch beim Bestandserwerb wird nach Staatshilfe ge- rufen. Es ist ein schwerer Verlust, wie zurzeit öffentli- ches Vermögen verschleudert wird. Die Wohnungen der Rentenversicherung sind für 25 000 Euro/Wohnung an das Ausland verramscht worden, damit die Renten noch einmal gezahlt werden konnten. Hätten die Genossen- schaften im Wege der Selbsthilfe eine leistungsfähige Dachgenossenschaft aufgebaut, hätte der Vermögens- wert für Deutschland erhalten werden können. Nun wird das Ausland extrem hohe Renditen erzielen. In Hessen achtet die Landesregierung immerhin darauf, dass Ge- nossenschaftswohnungen in Genossenschaftshand blei- ben. Im Bericht wird die Verknüpfung von Genossen- schaftsfinanzierung und Alterssicherung durch. Anteile oder stille Einlagen vorgeschlagen. Dagegen ist nichts zu sagen. Der Vorschlag bleibt aber Wunschdenken, so- lange es an der Dividendenfähigkeit und der Einlagensi- cherung fehlt. Nur 25 Prozent der Genossenschaften im Westen, 5 Prozent im Osten schütten Dividenden aus. Auch ist es nicht nachvollziehbar, dass die Genossen- schaftswohnungen als kleine, aber feine Nische bei der Alterssicherung begünstigt werden, nicht aber das Ei- genheim, die Eigentumswohnung. Hier darf es keine Un- gleichbehandlung geben. Es ist sehr zu begrüßen, dass sich der Bericht sehr po- sitiv zum Eigentum ausspricht. Es ist dann aber wider- sprüchlich, dass die Eigenheimzulage vollständig aufge- geben werden soll, damit die soziale Stabilisierung von Quartieren besser gefördert werden kann. Die beste so- ziale Stabilisierung erreicht man in Eigenheimquartie- ren. Auch ist es nicht richtig, selbst auf Kosten anderer genesen zu wollen nach dem Motto, wenn jeder nur an sich denkt, ist an alle gedacht. Man würde sich über 80 Prozent der Bevölkerung hinwegsetzen, für die das Eigenheim das oberste materielle Ziel ist. Mieter sind mehrheitlich leider verhinderte Eigentümer. Die Union ist für eine umfassende Stärkung der Ge- nossenschaftsidee. Die Union ist für eine Stärkung durch Dachgenossenschaften. Es muss kritisch gefragt werden, warum es die nicht schon lange gibt. Die Union ist für die Grundsteuerbefreiung im Verkehr der Genossen- schaften untereinander, um Fusionen zu erleichtern. Die Union ist dagegen, dass § 17 Eigenheimzulagen- gesetz die Genossenschaftsförderung wieder unabhängig v d u t h z I F U B l t g 1 t S m r ü a g w u b m l s s l E n e w s d e s l g u d m S a g K i (C (D om Wohnen gewährt. Dafür waren die schwerwiegen- en Missbräuche zu zahlreich. Die Union ist für den Förderzweck wirtschaftliche nd Wohnbelange. Die Union ist gegen ideelle und kul- urelle Förderzwecke. Die Erfahrungen der Vergangen- eit sprechen dagegen. Auch ist das Wohnen ein Rück- ugsbereich des Privaten, der eine Politisierung und deologisierung nicht verträgt. Wir sind für häuslichen rieden statt für kulturellen Häuserkampf. Der Bericht ergibt einen großen Beratungsbedarf. Die nion freut sich auf die Beratungen im Ausschuss. Gerhard Wächter (CDU/CSU): Aus den bisherigen eiträgen meiner Vorredner ist übereinstimmend deut- ich geworden, dass die Grundidee der Genossenschaf- en, speziell auch der Wohnungsgenossenschaften, heute enauso aktuell und modern ist, wie vor mehr als 00 Jahren: das am Eigen- wie auch Gemeinwohl orien- ierte Prinzip der Selbstverantwortung, Selbsthilfe und elbstverwaltung. Gerade in wirtschaftlichen und sozialen Krisenzeiten üssen wir an unsere Bürgerinnen und Bürger appellie- en, mehr Selbstverantwortung für sich und andere zu bernehmen, Selbsthilfe zu mobilisieren, weil der Staat n die Grenzen seiner Möglichkeiten stößt. Wohnungs- enossenschaften sind ein guter Partner der Politik, enn es darum geht, für unsere Bürger altersgerechten nd günstigen Wohnraum zu schaffen. Sie haben sich ewährt, sie sind eine wichtige Säule des Wohnungs- arktes. Wir müssen aber feststellen, dass die Mitgliederzah- en seit Ende der 90er-Jahre in den alten Bundesländern tagnieren, in den neuen Bundesländern sogar leicht inken. Die Frage nach der Zukunft des genossenschaft- ichen Wohnens ist deshalb wichtig und richtig. Vor diesem Hintergrund begrüßen wir den Bericht der xpertenkommission. Darin wird dem Modell des ge- ossenschaftlichen Wohnens grundsätzlich das Potenzial ingeräumt, auf dem zukünftigen Wohnungsmarkt auch eiterhin eine wichtige Rolle zu spielen. Der Bericht beinhaltet durchaus überlegenswerte An- ätze. Inwieweit die Politik nun dazu beitragen kann, auf iese Form des Wohnens positiv einzuwirken, wird noch ingehend zu erörtern sein. Vernünftigen Vorschlägen tehen wir offen gegenüber. Sie alle wissen, dass die demographische Entwick- ung uns in der Städtebau- und Wohnungspolitik vor roße Herausforderungen stellt. Die Zusammensetzung nserer Gesellschaft ändert sich, nicht nur in Bezug auf as Alter. Eine solche dramatische Veränderung erfordert einen odernen und facettenreichen Wohnungsmarkt und tädtebau. Das ist eine große Herausforderung, aber uch eine große Chance, nicht zuletzt für die Wohnungs- enossenschaften. Daher stehen wir dem Antrag der oalitionsfraktionen in den Punkten positiv gegenüber, n denen es um die Initiierung einer breiten gesellschaft- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 12737 (A) ) (B) ) lichen Debatte und Entwürfe von Modellvorhaben und Projekten geht. Positiv bewerten wir auch, dass die Bundesregierung dazu aufgefordert wird, die Einbeziehung von Woh- nungsgenossenschaften in die Altersvorsorge zu prüfen. Doch wir mahnen an, diesen Aspekt nicht einseitig zu betrachten. Die Integration in die Altersvorsorge darf nicht auf das Modell der Wohnungsgenossenschaften be- schränkt sein, sondern das Thema Wohnimmobilie als Bestandteil der Altersvorsorge muss grundsätzlich ange- gangen werden. Vorsicht ist geboten, wenn es darum geht, neue För- derinstrumente ins Leben zu rufen. Ich sage dies im Hin- blick auf die Forderung, die Sie unter Punkt 5 Ihres An- trages formulieren, und zwar die Überprüfung der Empfehlungen der Kommission zu speziellen Förder- maßnahmen. Das Wort „prüfen“ ist gut, aber die Emp- fehlungen der Kommission dürfen nicht zu einem Selbstläufer werden. Deutschlands finanzielle Lage lässt keine großen Sprünge zu. Im Gegenteil, die Förder- und Subventionspolitik in Deutschland gehört generell auf den Prüfstand. Daher muss auch jede Überlegung, neue Fördermaßnahmen ins Leben zu rufen, auf Herz und Nieren geprüft werden. Wenn Förderpolitik unverzichtbar ist, dann muss sie nicht nur zielgerichtet, sondern auch verlässlich sein. Unberechenbares Taktieren – wie bei der Eigenheimzu- lage – zerstört Vertrauen. Umso wichtiger ist es, dass die staatlichen Rahmenbedingungen verlässlich sind. Und da habe ich angesichts der bisherigen Erfahrungen mit der Politik der jetzigen Bundesregierung erhebliche Zweifel. So ehrenwert Ihre Ansätze zur Stabilisierung und Weiterentwicklung von Wohnungsgenossenschaften sind, sie passen nicht zu Ihrem Verhalten. Zum einen ziehen Sie neue Fördertatbestände zuguns- ten der Wohnungsgenossenschaften in Betracht, auf der anderen Seite stellen Sie mit der immer wieder in Gang gesetzten Diskussion um die Aufhebung der Eigenheim- zulage ein erfolgerprobtes Förderinstrument zur Disposi- tion. Das passt nicht zusammen. Angesichts dieser Widersprüche kommt der Verdacht auf, dass Sie eine bestimmte Ziel- bzw. Wählergruppe bedienen wollen, oder, was noch schlimmer wäre, Sie haben schlichtweg kein ganzheitliches Konzept, was die Wohnraumversorgung unserer Bevölkerung in der Zu- kunft anbelangt. Ich stelle für meine Fraktion fest: Wohnungsgenos- senschaften sind sinnvoll, sie sind neben dem privat ge- nutzten Eigenheim und der Mietwohnung eine wichtige Säule. Unsere Aufgabe muss es sein, den Wohnungsge- nossenschaften gewissermaßen Hilfe zur Selbsthilfe zu geben. Dass heißt, wir müssen die entsprechenden Rah- menbedingungen schaffen. Rahmenbedingungen, die den Wohnungsgenossenschaften Freiräume eröffnen, die sie von zusätzlichen Belastungen befreien und ihnen die Chance geben, sich aus eigener Kraft, im Wettbewerb auf dem Wohnungsmarkt zu behaupten. g w a i G m v t d S i l W e s z g S n a t w t g v m V g g l a o n li h M s m M s li c i s m B s g d g f (C (D Maßvollen Vorschlägen – zum Beispiel zu Änderun- en im Steuerrecht oder auch Genossenschaftsrecht – ird sich die Union nicht verschließen. Wir freuen uns uf intensive und hoffentlich konstruktive Beratungen m Ausschuss. Franziska Eichstädt-Bohlig (BÜNDNIS 90/DIE RÜNEN): Im April dieses Jahres hat die Expertenkom- ission „Wohnungsgenossenschaften“ ihren Bericht orgelegt. Mit unserem Antrag möchten wir, Bundes- agsfraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und SPD, as genossenschaftliche Wohnen als dritte tragende äule, neben dem Wohnen zur Miete und dem Wohnen m Eigenheim, stärken. Wir setzen uns auf der Grund- age des Expertenberichts für eine Stabilisierung und eiterentwicklung des genossenschaftlichen Wohnens in. Die Empfehlungen der Expertenkommission müs- en genauestens geprüft und erprobt werden. Das Poten- ial der Wohnungsgenossenschaften ist noch nicht aus- eschöpft! Die genossenschaftlichen Prinzipien der Selbsthilfe, elbstverwaltung und Selbstverantwortung sind nicht ur Basis für eine moderne Zivilgesellschaft, sie sind uch wichtige Stabilisatoren für ein Quartier. Dieses Po- enzial muss erkannt und von den Kommunen genutzt erden. In den Wohnungsgenossenschaften wird priva- es Kapital für gemeinschaftliche Projekte genutzt. Auf- rund der schlechten Haushaltslage muss es zukünftig erstärkt zu privaten gemeinnützigen Aufgaben kom- en. Die Wohnungsgenossenschaften spielen dabei eine orreiterrolle. Neben dem gesellschaftlichen Nutzen der Wohnungs- enossenschaften profitieren auch bestimmte Personen- ruppen von der nachbarschaftlichen und gemeinschaft- ichen Wohnform, zu nennen sind vor allem ältere oder llein stehende Menschen, aber auch Alleinerziehende der Familien, die auf Hilfe angewiesen sind. Das ge- ossenschaftliche Wohnen ist sozial und integrativ. Durch das Dauernutzungsrecht ist das genossenschaft- che Wohnen eine langfristige und sichere Wohnform mit oher Qualität. Es vereint die Vorteile des Wohnens zur iete mit denen des Wohnens im Eigenheim. Als wirt- chaftliche Miteigentümer des genossenschaftlichen Ge- einschaftseigentums haben Genossenschaftsmitglieder itspracherechte und Dauernutzungsrechte. Dadurch be- teht Schutz vor Verdrängung und Kündigung. Zur Stabi- sierung und Weiterentwicklung des genossenschaftli- hen Wohnens fordern wir die Bundesregierung auf: Erstens. Eine breite gesellschaftliche Diskussion des ndividuellen und gesellschaftlichen Nutzens genossen- chaftlichen Wohnens zu initiieren. Dazu müssen Kom- unen, Wohnungsgenossenschaften und Verbände ins oot geholt werden. Zweitens. Durch Modellvorhaben und Pilotprojekte ollen neue Impulse für das genossenschaftliche Wohnen egeben werden. Der Genossenschaftsgedanke muss bei en Kommunen in der Stadt- und Quartiersentwicklung estärkt werden. Das genossenschaftliche Wohnen muss ür neue Bewohnergruppen attraktiv gemacht werden. 12738 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 (A) ) (B) ) Ebenso sollen eine private Altersvorsorge, in und mit Genossenschaften entwickelt werden. Drittens. Best-Practice-Beispiele und Arbeitshinweise sollen den Ländern, Kommunen, Verbänden und der in- teressierten Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt wer- den. Viertens. Das genossenschaftliche Wohnen muss mit den bisherigen Instrumenten der staatlich geförderten privaten Altersvorsorge verbunden werden. Fünftens. Die Modernisierung des Genossenschaftsge- setzes muss auf eine Flexibilisierung und Erleichterung der Gründung von Genossenschaften sowie Verbesserung der Rahmenbedingungen für kleine Genossenschaften zielen. Sechstens. Strukturen zur Unterstützung kleiner Wohngenossenschaften und Dachgenossenschaften müs- sen geschaffen werden. Wir hoffen auf breite Unterstützung unseres Antrages. Eberhard Otto (Godern) (FDP): Seit mehr als 100 Jahren sind die deutschen Wohnungsgenossenschaf- ten ein wichtiger Anbieter von preiswertem Wohnraum. Sie bieten unter anderem Wohnsicherheit, günstige Nut- zungsentgelte und neben der reinen Wohnraumversor- gung verfolgen sie auch freiheitliche Prinzipien wie das Identitätsprinzip, die Selbsthilfe, die Selbstverwaltung und die Selbstverantwortung. Gerade in den neuen Bundesländern hat dieses eine besondere Bedeutung; Wohnungsgenossenschaften ver- hindern so unter anderem zumindest teilweise eine noch stärkere Abwanderung. Demnach ist die Stärkung der Wohnungsgenossenschaften als eine Säule der Woh- nungsversorgung grundsätzlich zu begrüßen. Die FDP vertritt ein liberales Leitbild zur Wohnungs- politik, das von dem Obersatz „Durch mehr Markt zu ei- ner besseren, effizienteren und differenzierteren Woh- nungsversorgung“ geprägt ist. Wir wollen deshalb, dass möglichst viele Menschen in den eigenen vier Wänden wohnen und der Rest durch den Markt versorgt wird, der aus einer Vielzahl von Unternehmen und aus wohnungs- politischer Vielfalt besteht. Die FDP steht für Eigentum. Dazu zählt für uns aus- drücklich auch genossenschaftliches Eigentum, wenn die Eigentumsmerkmale ausreichend gewahrt sind. Das heißt: Durch den Erwerb von Genossenschaftsanteilen muss echtes Eigentum entstehen. Eine Grundeigenschaft von echtem Eigentum ist es, dass es auch vererbt werden kann. In der genossenschaftlichen Wohnform kann über Ge- nerationen Vermögen akkumuliert werden. Jedoch ist nach § 77 Genossenschaftsgesetz die Mitgliedschaft nicht voll vererbbar. Hier besteht gesetzgeberischer Handlungsbedarf, um die fortlaufende Vermögensbildung abzusichern. r m m b 7 B s S A T t s w r g m l d a s e w s A z s w t s a w b N s v E a s g w e w Ä d r w s R a (C (D Die Genossenschaften verfügen über einen umfang- eichen Bestand an Genossenschaftswohnungen. Dieser uss auf seine Attraktivität für die Nutzer und seine Ver- arktung hin untersucht werden, bevor weiter neu ge- aut wird. Das heißt, in rückläufigen Märkten – über 0 Prozent der Wohnungsgenossenschaften in den neuen undesländern sind von Wohnungsleerstand betroffen – ind auch Bestandsverringerungen zur wirtschaftlichen tabilisierung notwendig. nlage 5 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes und weite- rer Gesetze (Zusatztagesordnungspunkt 6) Dr. Max Stadler (FDP): Es kommt sicher nicht alle age vor, dass ein Gesetz, das noch gar nicht in Kraft ge- reten ist, bereits wieder korrigiert werden muss. So ge- ehen ist es kein Ruhmesblatt für den Gesetzgeber, wenn enige Monate nach Verabschiedung des Zuwande- ungskompromisses schon wieder ein erstes Reparatur- esetz im Bundestag beraten und beschlossen werden uss. Allerdings muss zur Entschuldigung aller Betei- igten gesagt werden, dass die meisten Änderungen da- urch veranlasst worden sind, dass zwischenzeitlich zu nderen Materien Gesetzesbeschlüsse gefasst worden ind, an die das am 1. Januar 2005 in Kraft tretende Auf- nthaltsgesetz mit Nebenmaterien nunmehr angepasst erden muss. Demgemäß handelt es sich um eine ziemlich unüber- ichtliche Vielzahl von redaktionellen Änderungen und ngleichungen an andere Gesetze, die im Wesentlichen wischen den Fraktionen des Bundestages unstrittig ind. Gerade wegen der Kompliziertheit der Materie äre es aber angebracht gewesen, die Ausschussbera- ungen erst nach einem Berichterstattergespräch zwi- chen den Regierungs- und den Oppositionsfraktionen bzuschließen. Stattdessen hat die rot-grüne Koalition ieder einmal gezeigt, dass sie intern oft große Pro- leme hat, auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. och bis Dienstag dieser Woche, also in letzter Minute, ind von der rot-grünen Koalition Änderungsanträge orgelegt worden. Da der Zuwanderungskompromiss am nde einvernehmlich vereinbart worden war, wäre es uch anzustreben gewesen, über das erste Änderungsge- etz Konsens zwischen den Fraktionen zu erzielen. Auf- rund des Zeitdrucks, den die Koalition selbst zu verant- orten hat, hat sie dann aber den Oppositionsfraktionen ine Berichterstatterrunde zur intensiven Beratung ver- eigert. Dennoch stimmt die FDP-Bundestagsfraktion dem nderungsgesetz zu, weil die vorgelegten Regelungen urchaus sachgerecht sind. Dies gilt sowohl für die Er- ichtung einer Fundpapierdatenbank beim Bundesver- altungsamt, mit der der Missbrauch, dass Ausländer ich bewusst ihrer Ausweispapiere entledigen, um einer ückführung zu entgehen, bekämpft werden soll, als uch für die Neuregelung, traumatisierten Personen me- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 12739 (A) ) (B) ) dizinische Hilfe zukommen zu lassen. Es ist für die FDP nicht recht verständlich, warum die CDU/CSU-Fraktion im Innenausschuss diese letztere Maßnahme kritisiert hat. Denn für die Hilfeleistungen gegenüber Traumati- sierten existiert eine EU-Richtlinie, zu deren Umsetzung in nationales Recht die Bundesrepublik Deutschland ver- pflichtet ist. Es spricht daher nichts dagegen, diese ohne- hin notwendige Umsetzung der Richtlinie gleich im Än- derungsgesetz zum Aufenthaltsgesetz vorzunehmen. Die FDP kann sich auch der Kritik der CDU/CSU- Fraktion an einer Klarstellung im Bereich der Flücht- linge nach der Genfer Flüchtlingskonvention nicht an- schließen. Diese Flüchtlinge erhalten nach drei Jahren eine Niederlassungserlaubnis, wenn ihnen vom Bundes- amt für Migration und Flüchtlinge mitgeteilt wurde, dass die Voraussetzungen für den Widerruf oder die Rück- nahme der Anerkennung nicht vorliegen. Die Neurege- lung fingiert jetzt diese Mitteilung für diejenigen Aus- länder, die vor dem 1. Januar 2005 seit mehr als drei Jahren eine Aufenthaltsbefugnis besitzen. Damit wird unnötiger Verwaltungsaufwand vermieden. Denn ohne diese Klarstellung wäre das Bundesamt unter den zeitli- chen Druck geraten, in den verbleibenden Wochen des Jahres 2004 zahlreiche Einzelfälle zu prüfen und über die Mitteilung, dass keine Widerrufs- oder Rücknahme- gründe vorliegen, zu entscheiden. Eine ungerechtfertigte Bevorzugung ist mit der nun vorgesehenen gesetzlichen Fiktion nicht verbunden. So- bald nämlich im Einzelfall Anhaltspunkte dafür vorlie- gen, dass der Flüchtlingsstatus zu widerrufen oder zu- rückzunehmen sei, hat das Bundesamt nach wie vor das Recht, gemäß § 73 des Asylverfahrensgesetzes die Aner- kennung nach Ermessen wieder zu beseitigen. Also eig- net sich dieser Punkt nach Meinung der FDP ebenso we- nig für einen neuen politischen Streit in der Migrationsdebatte wie die vorgesehene Neuregelung, dass der Anspruch auf Teilnahme an Integrationskursen auch für die im Jahr 2004 anerkannten Asylbewerber gelten soll. Somit bleibt von denjenigen Punkten, die im Innen- ausschuss zu einer langen Debatte geführt haben, aus Sicht der FDP nur die Frage nach einer Altfallregelung übrig. Dass gerade darüber am längsten gesprochen wurde, ist etwas eigenartig, weil das heute zu beschlie- ßende Gesetz eine solche Bleiberechtsregelung für lange in der Bundesrepublik Deutschland rechtmäßig lebende Ausländer gar nicht vorsieht Vielmehr handelt es sich um eine Frage, die im Rahmen des Zuwanderungskom- promisses nicht gelöst werden konnte, weil die CDU/ CSU zu einer Altfallregelung nicht bereit war. Ohne Zu- stimmung der Union kann sie auch jetzt nicht eingeführt werden. Aus Sicht der FDP wäre sie aber dennoch zweckmäßig, so wie sie auch vom Ausschuss für Men- schenrechte gefordert worden ist. Die praktische Erfah- rung lehrt, dass die Gründe für einen schon längeren Aufenthalt ohne gesicherten rechtlichen Status vielfältig sind. Keineswegs liegt immer ein Verschulden der Asyl- bewerber oder eine bewusste Ausnutzung von Möglich- keiten zur Verfahrensgestaltung vor. v t w d u g u o d t s s k V w e f d ü M a r l S x s z e D Q d g e s A ü g J b b s M d s s e l s (C (D Immer dann, wenn die Betroffenen nicht selbst zu ertreten haben, dass nach langen Jahren über ihren wei- eren Verbleib keine endgültige Entscheidung getroffen orden ist, wäre es aber richtig, auf den erreichten Stand er Integration in Deutschland abzustellen. Jeder von ns hat immer wieder mit Petitionen zu tun, mit denen anze Dorfgemeinschaften, die Kirchen, Arbeitgeber nd Sportvereine uns mitteilen, dass gerade der seit zehn der zwölf Jahren in Deutschland aufhältliche Auslän- er, der jetzt doch noch abgeschoben werden soll, bes- ens sozial und gesellschaftlich integriert sei. Mit einer innvollen Altfallregelung, die nicht etwa Gesetzesver- töße belohnt, aber erreichte Integration anerkennt, önnte hier durch den Gesetzgeber geholfen werden. Solange diese Position, die von der FDP auch in den erhandlungen zum Zuwanderungsgesetz klar vertreten orden ist, mit der CDU/CSU nicht gemeinsam zu ver- inbaren ist, muss man sich mit der Regelung für Härte- älle aus dem Zuwanderungskompromiss behelfen. Wie ie Länder, in deren Ermessen es übrigens liegt, ob sie berhaupt Härtefallkommissionen einrichten, diese öglichkeit praktizieren werden, muss man erst noch bwarten. Manche Vorstellungen bei den Zuwande- ungsverhandlungen gingen ja dahin, Härtefälle ledig- ich bei schwerer Krankheit oder ähnlichen persönlichen chicksalen anzunehmen. Die FDP meint, dass eine pra- isgerechte Anwendung zumindest auch einen Teil der o genannten Altfälle einbeziehen müsste. Da aber dieser Streitpunkt gar nicht Inhalt des heute u beschließenden Gesetzes ist, besteht kein Anlass zu iner aufgeregten Diskussion. Die Migrationspolitik in eutschland hat mit dem Zuwanderungsgesetz eine neue ualität erreicht. Nach den heute zu beschließenden re- aktionellen Änderungen, Anpassungen und geringfügi- en Ergänzungen sollte jetzt die Praxis eine faire Chance rhalten, die Bestimmungen des Zuwanderungsgesetzes innvoll anzuwenden. nlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Scheinvaterschaften wirksam bekämpfen (Tagesordnungspunkt 11) Gabriele Fograscher (SPD): Wir diskutieren heute ber einen Antrag der CDU/CSU, der ein Thema auf- reift, das auf den ersten Blick Unverständnis hervorruft. eder kennt den Begriff der Scheinehe zur Erlangung un- efristeter Aufenthaltstitel. Diese ist in Deutschland ver- oten und strafbewehrt. Doch was ist eine Scheinvater- chaft und welche Ziele werden verfolgt? Bei einer Scheinvaterschaft erkennt ein deutscher ann ein ausländisches Kind als leibliches Kind an, das amit die deutsche Staatsangehörigkeit erwirbt, und des- en Mutter, die meist einen ungesicherten Aufenthalts- tatus hat, erlangt dann zur Ausübung der Personensorge inen unbefristeten Aufenthaltstitel. Oder aber: Ein aus- ändischer ausreisepflichtiger Mann erkennt die Vater- chaft eines deutschen Kindes an und bekommt dadurch 12740 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 (A) ) (B) ) einen unbefristeten Aufenthaltstitel. Mit dem unbefriste- ten Aufenthaltstitel steht in Deutschland auch der Zu- gang in die Sozialsysteme offen. In dem vorliegenden Antrag wird unterstellt, dass gezielt der Kontakt zwi- schen Mutter und möglichem Vater, der Sozialhilfeemp- fänger ist, hergestellt wird. Dem anerkennenden Vater würden aufgrund seiner Bedürftigkeit keine Unterhalts- kosten entstehen. Natürlich ist es völlig legal, wenn die Vaterschaft ei- nes leiblichen Kindes anerkannt wird und daraus für die Mutter oder den Vater ein unbefristetes Bleiberecht in Deutschland resultiert. Doch in den Fällen der Scheinva- terschaft ist der anerkennende Vater nicht der biologi- sche Vater und er hat kein Interesse an dem Kind und der Mutter; es wird kein Vater-Kind-Verhältnis angestrebt. Die Union erklärt nun in ihrem Antrag, es hätte in Deutschland von Frühjahr 2003 bis Frühjahr 2004 1 694 Verdachtsfälle des Leistungsmissbrauchs und der Erschleichung von Aufenthaltstiteln durch Scheinvater- schaften gegeben. Damit wird ein Teil der Bevölkerung unter Generalverdacht genommen, denn es ist nicht gesi- chert, ob es sich bei diesen Zahlen wirklich um Schein- vaterschaften handelt oder die anerkennenden Väter nicht doch die biologischen Väter sind Väter bzw. Müt- ter mit ungesichertem Aufenthaltstitel sind nicht auto- matisch alles Fälle für Scheinvaterschaften, die Leis- tungsmissbrauch im Hinterkopf haben. Auf dieser ungesicherten Datenlage ist ein derart massiver Eingriff in das seit 1998 geltende neue Kindschaftsrecht, wie ihn die CDU/CSU fordert, nicht vertretbar. Es ist unstrittig: Das Kindeswohl und die Rechte des Kindes stehen im Vordergrund und müssen geschützt werden. Das Kind hat das Recht auf Abstammung und Umgang mit den leiblichen Eltern und auch dem rechtli- chen Vater. Das Kindschaftsrecht soll weder rückgängig gemacht noch ausgehebelt werden. Eine Rückkehr zur Amtspflegschaft, die automatisch alle alleinstehenden Mütter betraf, ist für uns ausgeschlossen. Für uns ist es allerdings auch nicht hinnehmbar, dass mit der Notlage von Müttern mit kleinen Kindern Geschäfte gemacht werden. Es ist kriminell, wenn Menschen sich darauf spezialisieren, schwangere Frauen oder junge Mütter an potenzielle Väter zu vermitteln. Hierbei handelt es sich um organisierte Kriminalität, die es zu bekämpfen gilt. Die Unionsfraktion schlägt vor, sich an dem Schwei- zer Modell, dem § 260 a des Zivilgesetzbuches, zu orientieren, sodass die Vaterschaft, die als Scheinvater- schaft vermutet wird, angefochten werden kann. Im Schweizer Recht heißt es – ich zitiere: „Die Anerken- nung kann von jedermann, der ein Interesse hat, bei Ge- richt angefochten werden, …“ Ich glaube, diese Rege- lung geht zu weit und greift auch zu weit in die Persönlichkeitsrechte der Mutter und gegebenenfalls auch des Vaters ein, insbesondere wenn nur ein vager Verdacht besteht. Sicherlich ist das Ziel, Scheinvaterschaften als krimi- nelle Handlung zu bekämpfen, richtig. Doch ein Schnell- schuss, wie die CDU/CSU ihn fordert, ist ganz bestimmt nicht die richtige Lösung dieses Problems. b k T n b v t w ä ä s m z v s S t p m g C k s K V a K S s n M W e s l w a v H v t k a k g r N s d s h t g (C (D Wir werden aber bei diesem Problem nicht untätig leiben und nur zuschauen. Bereits die Innenminister- onferenz hat sich in diesem Jahr schon mit diesem hema befasst und wird es bei ihrer nächsten Sitzung er- eut tun. Auch die Justizminister, Jugendminister, Ar- eits- und Sozialminister befassen sich mit diesem Sach- erhalt. Wichtigste Voraussetzung, um hier als Gesetzgeber ätig zu werden, ist eine gesicherte Datenlage. Die haben ir bisher nicht, es gibt nur Vermutungen. Das muss sich ndern. Deshalb müssen wir die Jugendämter, Sozial- mter und Ausländerbehörden für diesen Sachverhalt ensibilisieren. Auch müssen die Behörden die Instru- ente, die ihnen bereits heute zur Verfügung stehen, wie um Beispiel der teilweise Entzug der Vormundschaft on der Mutter bei Gefährdung des Kindeswohls, aus- chöpfen. Zunächst muss klar sein, in welchem Umfang durch cheinvaterschaften Sozialleistungen und Aufenthalts- itel erschlichen werden. Dann hat der Gesetzgeber zu rüfen, ob die vorhandenen rechtsstaatlichen Instru- ente ausreichen oder ob diese durch Neuregelungen er- änzt werden müssen. Christine Lambrecht (SPD): Der Antrag der CDU/ SU mit dem Titel „Scheinvaterschaften wirksam be- ämpfen“ richtet sich gegen missbräuchliche Vater- chaftsanerkennung. Hintergrund ist folgender: Das ind einer ausländischen Mutter und eines deutschen aters erwirbt, abgeleitet vom Vater, die deutsche Staats- ngehörigkeit. Damit die Mutter mit ihrem deutschen ind in Deutschland leben kann, erhält sie, wenn sie die orge für das Kind ausübt, eine Aufenthaltserlaubnis. In dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion heißt es, dass ich bundesweit die Fälle häufen, in denen Vaterschaften ur mit dem Ziel anerkannt werden, der ausländischen utter eine solche Aufenthaltserlaubnis zu verschaffen. enn diese Annahme zutreffend ist, müssen wir sie sehr rnst nehmen. Einer zunehmenden Praxis, in der „fal- che“ Vaterschaftsanerkenntnisse allein wegen des aus- änderrechtlichen Vorteils abgegeben werden, müssten ir entgegentreten. Dies wäre ausländerpolitisch nicht kzeptabel und auch die Interessen des Kindes würden ernachlässigt. Zwar kann es für das Kind in materieller insicht günstig sein, mit der Mutter in Deutschland erbleiben zu können. Die an sich wünschenswerte Va- er-Kind-Beziehung wird jedoch zu einem Mann, der eine Beziehung zu der Mutter und auch kein Interesse n dem Kind hat, in der Regel nicht aufgebaut werden önnen. Gleichwohl möchte ich davor warnen, jetzt so- leich nach einer Gesetzesänderung im Abstammungs- echt zu rufen. Ein „Schnellschuss“ kann hier mehr achteile als Vorteile bringen. Zunächst sind die Wertentscheidungen der Kind- chaftsrechtsreform von 1998 zu berücksichtigen, die amals in einem breiten fraktionsübergreifenden Kon- ens beschlossen wurde. Die Kindschaftsrechtsreform at ganz bewusst die Rechtsstellung und die Verantwor- ung der Mutter eines nicht ehelich geborenen Kindes estärkt. Die bisherige „Bevormundung“ der Mutter Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 12741 (A) ) (B) ) durch die Amtspflegschaft wurde abgeschafft. Seitdem setzt eine wirksame Vaterschaftsanerkennung nicht mehr die Zustimmung des Amtspflegers, sondern die der Mut- ter voraus. Ebenso wie bei ehelichen Kindern, für die eine Vaterschaftsvermutung zugunsten des Ehemannes gilt, nimmt das Gesetz damit auch hier Scheinvater- schaften in Kauf. Auf diese Weise wird ermöglicht, dass derjenige, der die soziale Vaterschaft für ein Kind über- nimmt, in der Regel auch rechtlicher Vater des Kindes sein kann. Ein Recht zur Anfechtung der Vaterschaft steht nur dem rechtlichen Vater, der Mutter, dem Kind und unter begrenzten Voraussetzungen auch dem biolo- gischen Vater zu. Ein Anfechtungsrecht einer Behörde kennt das Gesetz bisher nicht. Führte man es ein, wäre dies ein Schritt zurück zur alten Amtspflegschaft und der damit verbundenen „Bevormundung“ der Mutter. Bei der Abfassung der Voraussetzungen eines behörd- lichen Anfechtungsrechts müsste man zudem äußerst sensibel vorgehen. Eine Regelung, die, wie von der CDU/CSU-Fraktion vorgeschlagen, darauf abstellt, dass die Vaterschaft „ausschließlich zur Erlangung von Auf- enthaltstiteln und Sozialleistungen“ anerkannt wird, kann leicht als diskriminierend empfunden werden. Sie würde allein Ausländer bzw. Ausländerinnen treffen. Man könnte daher daran denken, die Missbrauchsrege- lung weiter, also nicht auf den ausländerrechtlichen Missbrauch beschränkt, zu fassen. Eine solche weit ge- fasste Regelung würde jedoch noch stärker mit den In- tentionen der Kindschaftsrechtsreform kollidieren. Vor diesem Hintergrund ist es besonders wichtig, ei- nen genauen Blick auf die Zahlen zu werfen, mit denen der gesetzgeberische Handlungsbedarf begründet wird. Die Zahl von 1 694 Verdachtsfällen von Frühjahr 2003 bis Frühjahr 2004 entnimmt der CDU/CSU-Antrag, ohne die Quelle zu nennen, einem Bericht des Arbeits- kreises I der Innenministerkonferenz vom Oktober 2004. Es handelt sich um die Zahl der Fälle, in denen eine aus- ländische Mutter ausreisepflichtig war und ein deutscher Mann oder ein ausländischer Mann mit gesichertem Aufenthaltsstatus die Vaterschaft ihres nicht ehelichen Kindes anerkannt hat. Man hat damit nur erhoben, wie häufig eine zunächst ausreisepflichtige Frau durch eine Vaterschaftsanerken- nung ihres Kindes eine Aufenthaltsgenehmigung erhal- ten hat. Zu der Frage, ob diese Vaterschaftsanerkennt- nisse missbräuchlich waren, weil der Mann nicht der leibliche Vater des Kindes ist und auch kein soziales Va- ter-Kind-Verhältnis angestrebt wird, konnten die befrag- ten Ausländerbehörden keine Angaben machen. Der Bericht des Arbeitskreises der Innenministerkon- ferenz wertet die Zahl daher selbst nur als „Indiz“ dafür, dass es eine nicht unerhebliche Zahl von Missbrauchs- fällen gäbe. Auf einer derart unsicheren Tatsachengrund- lage kann man guten Gewissens keine Gesetze erlassen. Dies gilt insbesondere, wenn es – wie hier – um Rege- lungen geht, die speziell unsere ausländischen Mitbürge- rinnen und -bürger betreffen. Wer sich hier nicht des Vorwurfs der Diskriminierung aussetzen will, muss seine Gesetzesänderungen sorgfältig und mit belastbaren Zahlen begründen. n S g u f m g w e t i A g t a t d z li lu E t e a g e V z K d t s n k l M r s A h h d k l d t s d t t I – (C (D Wir sollten in der Folgezeit gemeinsam darüber achdenken, wie wir die Datenlage verbessern können. innvoll sein könnte hier etwa eine Befragung in Ju- endämtern, die im Rahmen ihrer Aufgabe zur Beratung nd Unterstützung von Müttern häufig mehr über deren amiliäre Situation erfahren als die Ausländerbehörden. Einen rechtlichen Ansatzpunkt, um den geschilderten issbräuchlichen Vaterschaftsanerkenntnissen entge- enzuwirken, könnte § 1629 Abs. 2 Satz 3 BGB bieten, onach das Familiengericht dem gesetzlichen Vertreter ines Kindes nach Maßgabe des § 1796 BGB die Vertre- ungsbefugnis entziehen kann. Nach § 1796 Abs. 1 BGB st die Entziehung der Vertretungsbefugnis für einzelne ngelegenheiten oder einen bestimmten Kreis von An- elegenheiten möglich. Dass der Entzug der Vertre- ungsmacht bezüglich der Feststellung der Vaterschaft usgeschlossen ist, steht einer Beschränkung der Vertre- ungsmacht zur Vaterschaftsanfechtung nicht entgegen. Zugleich mit der Beschränkung der Vertretungsmacht er Mutter muss dann das Familiengericht einen Ergän- ungspfleger gemäß § 1909 BGB bestellen, dem hinsicht- ch der Frage der Vaterschaftsanfechtung bzw. -feststel- ng die elterliche Sorge übertragen wird. Der rgänzungspfleger ist dann als insoweit für das Kind tä- ig werdender gesetzlicher Vertreter berechtigt, dessen igenes Vaterschaftsanfechtungsrecht – § 1600 BGB – uszuüben und die Vaterschaft anzufechten. Dieser Er- änzungspfleger kann somit dann in der zweiten Stufe in entsprechendes gerichtliches Verfahren einleiten. Eine Vaterschaftsanfechtung durch einen gesetzlichen ertreter des Kindes ist gemäß § 1600 a Abs. 4 BGB nur ulässig, wenn sie dem Wohl des Vertretenen, also des indes, dient. Hier muss das zuständige Gericht neben en allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen des Va- erschaftsanfechtungsverfahrens als weitere Sachent- cheidungsvoraussetzung eine Kindeswohlprüfung vor- ehmen. Ein familiengerichtliches Verfahren auf Beschrän- ung der Vertretungsmacht der Mutter setzt keinen förm- ichen Antrag voraus. Es handelt sich hier um ein nach aßgabe der §§ 621 Abs. 1 Nr. 1, 621 a Abs. 1 ZPO ge- egeltes Verfahren, für welches grundsätzlich die Vor- chriften des FGG Anwendung finden. Ein förmlicher ntrag ist nicht Verfahrensvoraussetzung. Es genügt da- er eine formlose Anregung, welche auch von einer Be- örde, zum Beispiel der Staatsangehörigkeits-, Auslän- er- oder auch Sozialhilfebehörde, gegeben werden ann. Schon aus praktischen Erwägungen erscheint al- erdings eine Koordination einer solchen Anregung mit em örtlich zuständigen Jugendamt sinnvoll. Es sollten daher zunächst die Möglichkeiten des gel- enden Rechts ausgelotet werden, um gegen Vater- chaftsanerkenntnisse, die nur das Ziel haben, der Mutter es Kindes einen gesicherten Aufenthaltsstatus und un- er Umständen verstärkte Ansprüche nach sozialen Leis- ungsgesetzen zu verschaffen, vorzugehen. Über die Möglichkeiten könnte durch entsprechende nformation der in Betracht kommenden Behörden Staatsangehörigkeits-, Ausländer- und Sozialbehörden 12742 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 (A) ) (B) ) sowie Jugendämtern – Zusammenarbeit mit den zustän- digen Stellen der Länder abgeholfen werden. Die sach- nahen örtlichen Behörden könnten dann in einschlägigen Fällen gerichtliche Verfahren anregen. Bevor Gesetzes- änderungen erwogen werden, sollte erst beobachtet wer- den, wie seitens der Gerichte auf solche Anregungen re- agiert wird. Roland Gewalt (CDU/CSU): Die Gesetzeslücke im deutschen Kindschaftsrecht, über die wir hier heute re- den, ist groß wie ein Scheunentor. Sie ermöglicht es in einer Vielzahl von Fällen, dass über die Anerkennung ei- ner nicht gegebenen Vaterschaft Mutter und Kind ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht in Deutschland und umfas- sende Sozialhilfeansprüche erlangen. Umgekehrt kön- nen auch ausländische Männer Aufenthaltsrecht und So- zialhilfeansprüche durch eine zum Schein erklärte Anerkennung der Vaterschaft bekommen. Das Problem ist keineswegs neu. Seit drei Jahren ha- ben Parlamentarier der Union auf Landes- und auf Bun- desebene immer wieder auf dieses Einfallstor hingewie- sen. Bis heute hat die Bundesregierung nicht einmal im Ansatz versucht, die Lücke zu schließen. Lassen Sie mich von Fällen erzählen, wie sie sich in Berlin zugetragen haben, von Fällen, die die Problematik in ihrem ganzen Ausmaß dokumentieren: Gut organisierte Banden vermitteln ausländischen Frauen, die zur Ausreise verpflichtet sind, einen deut- schen Staatsangehörigen, der die Vaterschaft für das Kind der Frau anerkennt. Dabei ist der Deutsche regel- mäßig Sozialhilfeempfänger und er ist weder der biolo- gische Vater noch hat er irgendeine soziale Beziehung zu dem Kind. Der wirkliche Vater lebt weiter mit Mutter und Kind ganz offen zusammen. Ändern tut sich nach der zum Schein erfolgten Anerkennung der Vaterschaft durch einen Dritten nur eines: Das Kind erhält die deut- sche Staatsangehörigkeit; die Mutter ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht und die ganze Familie, also auch die Geschwister des von dem Deutschen anerkannten Kin- des, erlangt umfassende Sozialhilfeansprüche. Wie ge- sagt, es wird nichts verheimlicht. Die ausländische Fa- milie lebt mit dem wirklichen Vater weiter, als sei nichts geschehen, denn die Anerkennung der Vaterschaft durch einen Dritten zum Schein ist nach deutschem Recht völ- lig legal. Das Ganze wird mittlerweile perfekt organisiert. In Berlin sind den Behörden Fälle bekannt, bei denen ein deutscher Sozialhilfeempfänger bis zu sechs Kinder ver- schiedener ausreisepflichtiger Frauen anerkannt hat. Da- bei fällt es denjenigen, die die Vaterschaftsanerkennung organisieren, nicht besonders schwer, Männer zu finden, die sich dazu bereit erklären. Sie selbst sind ja Sozialhil- feempfänger und deshalb keinerlei Unterhaltsansprü- chen ausgesetzt. Im Gegenteil: Die Ausländerfamilie verschafft dem deutschen Scheinvater einen lukrativen Nebenverdienst. Es ist in Berlin mittlerweile kein Ge- heimnis, dass es hierfür regelrechte Tarife gibt. Um die 5 000 Euro liegt der Lohn für den Scheinvater. e M t b m s l B u d H g n m i s D r s n d r e s g d i „ a s m m i w i d n e e E g n l ü r n s t o d d r (C (D Die Innenministerien der Länder haben mittlerweile rmittelt, um welche Größenordnung es sich hier bei den issbrauchsfällen in Deutschland handelt. Die ermittel- en Zahlen sind auch der Bundesregierung seit langem ekannt. Zwischen Frühjahr 2003 und Frühjahr 2004 hat an l 694 konkrete Verdachtsfälle ermittelt. Besonders chwer betroffen sind Nordrhein-Westfalen mit 398 Fäl- en, Brandenburg mit 207, Niedersachsen mit 183 und ayern mit 112 Fällen. Weshalb die Bundesregierung dennoch bisher nichts nternommen, hat, ist für mich unbegreiflich. Bereits in er letzten Legislaturperiode hat mein Berliner Kollege elias eine schriftliche Anfrage an die Bundesregierung erichtet. Die damalige Staatssekretärin im Bundesin- enministerium, die Kollegin Sonntag-Wolgast, hat da- als in ihrer Antwort vom 12. April 2001 die Situation n unverantwortlicher Art und Weise heruntergespielt. Es eien nur vereinzelt Missbrauchsfälle vorgekommen. ie einzige Konsequenz, die die damalige Staatssekretä- in zu ziehen bereit war: Man werde die Entwicklung orgfältig beobachten. Eine schöne Umschreibung dafür, ichts zu tun. Unmittelbar nach dieser Antwort der Bun- esregierung hat die Berliner Senatsverwaltung für Inne- es an das Bundesinnenministerium gemeldet, dass es ntgegen der Auffassung der Bundesregierung ein mas- ives Auftreten des Missbrauchs des Kindschaftsrechts ebe. Ein Alarmbrief des damaligen Staatssekretärs in er Senatsinnenverwaltung Diwel, heute Staatssekretär m Bundesinnenministerium, geriet damals über den Focus“ an die Öffentlichkeit. Die Bundesregierung war lso über den Umfang des Missbrauchs der Vater- chaftsanerkennung von Anfang an umfassend infor- iert. Geschehen ist nichts. Ute Granold (CDU/CSU): Wir befassen uns heute it einem Thema, das sensibel, aber auch brisant ist. Es st nicht ganz neu. Die Entwicklung zeigt aber mittler- eile, dass ein Handeln des Gesetzgebers geboten ist. Um Aufenthaltsrechte und auch staatliche Leistungen n Deutschland zu erlangen, ist offenbar inzwischen je- es Mittel Recht. Bislang wurden dazu in der Regel vor- ehmlich Scheinehen geschlossen. Die Eheschließung ines Ausländers oder einer Ausländerin mit einem oder iner Deutschen erfolgte lediglich auf dem Papier. Das ingehen einer ehelichen Lebensgemeinschaft war nie eplant. Zweck war allein, durch die Eheschließung ei- en gesicherten Aufenthaltsstatus in Deutschland zu er- angen. Der Gesetzgeber hat hierauf reagiert und Regelungen ber die Behandlung von Scheinehen in das Familien- echt aufgenommen. Darüber hinaus ist das Eingehen ei- er Scheinehe sowie die Vermittlung nach § 92 a AuslG trafbar. Schnell hat sich leider eine neue Gesetzeslücke aufge- an. Sie wird auch schamlos ausgenutzt: Ausländerinnen hne Bleibe- oder Aufenthaltsrecht betrügen den Staat amit, dass sie in der Regel von Sozialhilfeempfängern ie Vaterschaft ihres Kindes anerkennen lassen. In ande- en Fällen erkennen Ausländer ohne Bleibe- oder Auf- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 12743 (A) ) (B) ) enthaltsrecht in Deutschland das Kind einer deutschen Frau an. In beiden Fällen besteht keinerlei Verbindung zwi- schen der Frau und dem Mann. Zwischen dem Vater und dem Kind ist weder eine biologische noch eine soziale Beziehung vorhanden. Trotzdem erwirbt das Kind mit der rechtlichen Anerkennung der Vaterschaft bei einer ausländischen Frau die deutsche Staatsangehörigkeit. Damit dürfen alle Angehörigen des Kindes ersten Gra- des, das heißt seine ausländische Mutter und weitere Kinder in Deutschland bleiben oder wieder nach Deutschland einreisen. Im anderen Fall erhält der aner- kennende ausländische Vater eines deutschen Kindes ebenfalls ein Bleibe- oder Aufenthaltsrecht. In der Regel werden dann in beträchtlicher Höhe durch den Staat So- zialleistungen für alle erbracht. Gezielt werden Sozialhilfeempfänger für die Vater- schaftsanerkennung gesucht: Denn sie sind finanziell nicht in der Lage, die mit der Anerkennung entstehenden Unterhaltsverpflichtungen für das Kind und auch die Mutter zu tragen. Der Staat zahlt. Eine Handhabe dage- gen gibt es nicht. Die rechtliche Anerkennung nicht leib- licher Kinder aus sachfremden ist bisher legal. Dies ist allerdings nicht länger hinnehmbar. Ungeachtet der Mil- lionen zu Unrecht gezahlten Sozialleistungen der öffent- lichen Hand zulasten der Allgemeinheit sind die Folgen für das betreffende Kind verheerend. Die Anerkennung durch den falschen Vater vereitelt sein Recht auf Kennt- nis der Abstammung und Umgang mit dem leiblichen Vater. Dies stellt einen erheblichen Eingriff in das grund- rechtlich geschützte Persönlichkeitsrecht des Kindes – Art. 2 Abs. 1 und Artikel 6 GG – dar. Die Innenministerkonferenz der Länder hat sich Ende 2002 mit der Thematik befasst, nachdem sich unter an- derem in Berlin und in Hamburg die Verdachtsfälle von Scheinvaterschaften beträchtlich häuften. Auf Initiative von Bremen untersuchte zwischenzeitlich eine Arbeits- gruppe im Rahmen der Innenministerkonferenz die Ent- wicklung von Scheinvaterschaften in allen Bundeslän- dern. Das Ergebnis liegt vor: Allein im Zeitraum Frühjahr 2003 bis Frühjahr 2004 betrug die Zahl der Ver- dachtsfälle des Leistungsmissbrauches und der Erschlei- chung von Aufenthaltstiteln bundesweit 1 694. Nach vorliegenden Erkenntnissen hat sich das Geschäft mit zweckwidrigen Vaterschaftsanerkennungen inzwischen zu einer lukrativen Einnahmequelle entwickelt, mit der bei nahezu keinem Risiko sehr hohe Profite erzielt wer- den. Dem muss jetzt ein Riegel vorgeschoben werden. Mangels finanzieller Leistungsfähigkeit der anerken- nenden Väter entstehen zu ihren Lasten keine materiel- len Nachteile, strafrechtliche Konsequenzen gibt es auch keine und als Belohnung für die Anerkennung werden Beiträge bis zu 10 000 Euro pro Fall gezahlt. Die Allge- meinheit muss oft für Sozialleistungen jahrelang auf- kommen. Das scheint inzwischen ebenso gut durch pro- fessionelle Schleuserbanden organisiert zu sein wie der Menschenhandel. Dort haben wir noch bestehende Ge- setzeslücken gerade geschlossen bzw. sind dabei. Bei den Scheinvaterschaften müssen wir es nun auch tun. n w D k V d t m t d n s g f r d k W B E r h H b s r G r S s d s n t a z h s N d d V h g M e t e s S d a d s (C (D Derzeit kann bei uns die Vaterschaft durch Anerken- ung wirksam begründet werden, wenn sie bewusst ahrheitswidrig ist und allein den Zweck verfolgt, in eutschland ein Bleibe- oder Aufenthaltsrecht zu erwir- en. Vor der Kindschaftsrechtsreform 1998 war für die aterschaftsanerkennung noch die Zustimmung durch as Kind und dessen gesetzlich vorgeschriebene Vertre- ung vor dem Jugendamt erforderlich. Dieses Zustim- ungserfordernis ist weggefallen. Die Stellung der Mut- er wurde gestärkt und es wurde ihr überlassen, auch enjenigen als Vater zu akzeptieren, der es genetisch icht ist, es – im Hinblick auf gewachsene oder neu ent- tehende familiäre Strukturen – aber sein will. Dieser so enannte „soziale Vater“ darf jetzt auf keinen Fall in- rage gestellt werden. Der Gesetzgeber konnte bei der Reform nicht damit echnen, dass es hier einmal einen Missbrach zulasten es Staates und insbesondere auch der Kinder geben önnte. Dieses Problem hat aber nicht nur Deutschland. ährend man in Frankreich die Ausländergesetze zur ekämpfung illegaler Einwanderung reformiert und für lternteile eines französischen Kindes die Anspruchsvo- aussetzungen für eine Aufenthaltserlaubnis verschärft at, hat die Schweiz hier der öffentlichen Hand – der eimat – und Wohnsitzgemeinde ein Anfechtungsrecht ei Vaterschaftsanerkennungen eingeräumt. Nach Prüfung der Rechtslage in Deutschland er- cheint weder eine Änderung des Staatsangehörigkeits- echts noch des Ausländergesetzes, wohl aber eine esetzesänderung des Kindschaftsrechts durch Erweite- ung der Anfechtungsberechtigten um eine staatliche telle geeignet, dem Problem der zweckwidrigen Vater- chaftsanerkennung adäquat zu begegnen. Zum Schutz eutsch-ausländischer Paare und dort vollzogener Vater- chaftsanerkennungen müssen – um sie nicht unter Ge- eralverdacht zu stellen – die Hürden für ein Anfech- ungsrecht eines öffentlichen Trägers ausreichend hoch ngesetzt werden. Wir wollen das Schützenswerte schüt- en und den Missbrauch ausschließen. In den jetzt anste- enden weiteren Beratungen werden wir geeignete Lö- ungswege aufzeigen. Josef Philip Winkler (BÜNDNIS/90 DIE GRÜ- EN): Nach dem vorliegenden Antrag sollen die zustän- igen Länderbehörden ein Anfechtungsrecht bezüglich er Vaterschaft erhalten, wenn es Hinweise gibt, dass die aterschaft ausschließlich zur Erlangung von Aufent- altstiteln oder Sozialleistungen anerkannt wird. Be- ründung der Unions-Fraktion: Es gebe immer mehr issbrauchsfälle, in denen weder eine biologische noch ine soziale Vater-Kind-Beziehung bestehe und die Va- erschaft nur anerkannt werde, um der Mutter einen Auf- nthaltstitel bzw. dem Kind die deutsche Staatsbürger- chaft zu verschaffen. Auch würden professionelle chleuserbanden dies immer mehr als Geschäftsfeld ent- ecken. Zum Hintergrund: Insbesondere im Land Berlin, aber uch in NRW soll es Missbrauchsfälle gegeben haben, in enen sich ausreisepflichtige Mütter oder Väter wie be- chrieben, einen Aufenthalt „erschlichen“ haben. Diese 12744 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 (A) ) (B) ) Zahlen liegen uns leider noch nicht vor. Die Thematik hat einen zweijährigen Vorlauf bei der Innenminister- konferenz; bisher gab es kein empirisch gesichertes Zah- lenmaterial. Auch das jetzt von den Ausländerbehörden gelieferte Material ist nach unserer Ansicht nicht hinrei- chend aussagekräftig. Lassen Sie mich auf die Schwä- chen im vorliegenden Unionsantrag zu sprechen kom- men: Er bezieht sich nur auf Frauen ohne Aufenthaltsrecht, die über einen deutschen Mann oder einen ausländischen Mann und damit über einen sicheren Aufenthalt ihres Kindes selbst ein Aufenthaltsrecht erhalten können. Die umgekehrte Richtung wäre aus Sicht der Union also nicht möglich. Nach Angaben der Union nimmt seit 2001 die Zahl der Missbrauchsfälle stetig zu. Wie sie zu einer solchen Einschätzung kommt, ist unklar, da in der von der IMK beschlossenen Erhebung bei den Ausländerbehörden al- lein der Zeitraum Frühjahr 2003 bis Frühjahr 2004 er- fasst ist. Außerdem – und das sagt die Union auch selbst – handelt es sich allenfalls um Verdachts- und nicht um Missbrauchsfälle. In der Erhebung der Ausländerbehör- den wurde nämlich allein die Zahl der Vaterschaftsaner- kennungen erfasst, woraus noch lange nicht die Miss- brauchsfälle abzulesen sind. Genausogut könnten sie sagen, dass, wenn im Jahr 2003 30 Millionen Steuerer- klärungen abgegeben wurden, es möglicherweise bis zu 30-millionenfachen Steuerbetrug gibt. Ein anderer wichtiger Punkt des Unionsantrages ist neben der angeblichen Erschleichung von Aufenthaltsti- teln der Verdacht des Leistungsmissbrauchs: Durch die Vaterschaftsanerkennung „erlangen alle Beteiligten ei- nen Anspruch auf Sozialhilfe“. Die Erhebung der Aus- länderbehörden umfasste jedoch – naturgemäß – über- haupt nicht die Bedürftigkeit der Betroffenen. Es ist daher klar, dass es sich bei dieser Behauptung um reine Spekulation handelt. Gleiches gilt für die Annahme, dass Schleuserbanden als „Vaterschaftsvermittler“ in großem Maße tätig wer- den. Hierzu gibt es unseres Wissens keinerlei empirisch gesichertes Material. Die Union sieht besonders verheerende Folgen für die betroffenen Kinder. Die Anerkennung durch den „fal- schen“ Vater vereitele ihre Rechte auf Kenntnis der Ab- stammung und Umgang mit dem leiblichen Vater. Dies ist jedoch ein allgemeines – wenn man so will – „Pro- blem“ des neuen Kindschaftsrechts. Das neue Kind- schaftsrecht akzeptiert nicht nur den biologischen, son- dern auch den sozialen Vater. Will man hier also Änderungen vornehmen, sind Grundsätze des 1999 re- formierten Kindschaftsrechtes betroffen. Es ist aber fraglich, ob das Kindeswohl tatsächlich für eine Aufhebung der so genannten „falschen“ Vaterschaft mit dem daraus resultierenden Verlust des Aufenthalts- rechtes spricht, so auch der Zwischenbericht der IMK. Dass es eine Anfechtungsbefugnis öffentlicher Stellen im Gegensatz zu anderen europäischen Rechtsordnun- gen „noch nicht“ gibt – als Beispiel wird § 260 a des S d R e w D m t w K K l S g a w A d z f m d b z c c d f a P T l A t h A J „ a f M n s n e e w n i t D s e U (C (D chweizer Zivilgesetzbuches genannt –, liegt unter an- erem auch am reformierten Kindschaftsrecht. Vor der eform des Kindschaftsrechtes musste auch das nicht- heliche Kind der Vaterschaftsanerkennung zustimmen, as durch das Jugendamt in Amtspflegschaft erfolgte. iese Bevormundung der Mutter durch den Staat wollte an jedoch gerade abschaffen. Die Union will zumindest Hürden für ein Anfech- ungsrecht der Ausländerbehörden aufbauen. Kriterien ie die fehlende soziale Beziehung zwischen Vater und ind oder die fehlende Bereitschaft des Vaters, für das ind zu sorgen, sind jedoch abzulehnen. Die Feststel- ung der sozialen Beziehung kann nicht wie bei einer cheinehe an einer familiären Lebensgemeinschaft fest- emacht werden. Väter kümmern sich heutzutage häufig uch viel um ihre Kinder, ohne mit ihnen zusammen zu ohnen. Hier stellt sich weiterhin die Beweisfrage. Ein bstellen auf die fehlende Bereitschaft des Vaters, für as Kind zu sorgen, würde zu einer Diskriminierung und u einem Generalverdacht gegen Sozialhilfeempfänger ühren. Ein Zurückdrehen der Kindschaftsrechtsreform ist it Rot-Grün nicht zu machen. Der Gesetzgeber hat bei ieser Reform bewusst auf eine behördliche Beteiligung ei der Vaterschaftsfeststellung unehelicher Kinder ver- ichtet und damit die Rechte der Mütter gestärkt. Staatli- he Stellen haben weder bei ehelichen noch bei uneheli- hen Kindern von Deutschen das Recht, die Vaterschaft es biologischen oder auch des sozialen Vaters in Zwei- el zu ziehen. Gleiches muss auch für die Kinder von usländischen Vätern oder Müttern und für binationale aare gelten. Ein behördliches Anfechtungsrecht öffnet ür und Tor für einen Generalverdacht gegen alle Fami- ien mit einem ausländischen Elternteil mit unsicherem ufenthalt. Soll der Staat herumschnüffeln, was die Mo- ive einer Vaterschaftsanerkennung waren? Ich verweise ier noch mal auf die Ihnen bekannte Stellungnahme der rbeitsgruppe der IMK, die festgestellt hat, dass die ugendämter bundesweit – bis auf einige Ausnahmen keinen nennenswerten Missbrauch von Vaterschafts- nerkennungen zum Zwecke der Aufenthaltserlangung estgestellt“ haben. Und zu den Fällen, in denen es doch einmal zum issbrauch gekommen ist: Gerade in der Vorweih- achtszeit sollten Sie sich mal an die Weihnachtsge- chichte – in der ja die Frage der Vaterschaftsanerken- ung eine wesentliche Rolle spielt – erinnern. In was für iner verzweifelten Lage muss eine ausländische Mutter igentlich sein, wenn sie die Abstammung ihres Kindes egen einer Aufenthaltserlaubnis verleugnet? Aber, wie gesagt, ich halte das für eine seltene Aus- ahme und daher lehnen wir Ihren Antrag ab. Sibylle Laurischk (FDP): Vor neun Monaten stand ch hier schon einmal, um über die Anfechtung der Va- erschaft zu sprechen, allerdings zum Wohle des Kindes. as heute in Rede stehende Phänomen war damals chon hinreichend bekannt, sodass es verwundert, dass s nicht schon im Februar von der antragstellenden nion thematisiert wurde. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 12745 (A) ) (B) ) Viel lieber als über Vaterschaftsanfechtung würde ich in diesem Hause über die Übernahme von Vaterverant- wortung sprechen, das vorneweg und nebenbei. Die Sache selbst ist durchaus ernst, die Zahl der Ver- dachtsfälle so genannter Imbissväter allein für den Zeit- raum Frühjahr 2003 bis Frühjahr 2004 wird auf 1 700 bundesweit geschätzt, wobei die erhobenen Daten wegen der mangelnden Aufklärung der tatsächlichen biologischen oder sozial-familiär vermittelten Vater- schaft kaum belastbar erscheinen, was der Bericht des Arbeitskreises 1 der Ständigen Konferenz der Innen- minister und -senatoren vom 7./8. Oktober 2004 selbst einräumt. Eine über diese Verdachtsfälle hinausgehende Dunkelziffer gibt es nicht, da die Innenminister alle Fälle der Aufenthaltsrechtserteilung nach Vaterschaftsa- nerkennung statistisch erfasst haben. Davon ausgehend, dass mit der zweckwidrigen Vaterschaftsanerkennung nicht nur Aufentshaltstitel für einen Elternteil und Staatsbürgerschaft für das Kind, sondern auch daran an- knüpfende Sozialleistungen erschlichen werden, können wir das fiskalische Interesse nicht leugnen: Plünderung unserer überstrapazierten Sozialkassen darf es nicht ge- ben. Insofern verwundert die bevorstehende Initiative der IMK zu diesem Thema, dem der vorliegende Antrag vorgreift, nicht. Allerdings befremdet mich der Anknüpfungspunkt für eine Missbrauchsverhinderung, die beabsichtigte Än- derung des Kindschaftsrechts. Mit gutem Grund ist mit der Reform des Kindschaftsrechts 1998, übrigens noch zu Zeiten der Koalition von Union und FDP, die Zustim- mungspflicht des Jugendamtes zur Vaterschaftsanerken- nung abgeschafft worden, um diesen Kernbereich fami- liärer und personeller Selbstbestimmung vor staatlichem Zugriff und Gestaltung zu bewahren. Wie sollte denn ein Anfechtungsrecht der „zuständigen Behörden“ der Län- der aussehen, wer sollte das sein, Sozialamt, Jugendamt, Staatsanwaltschaft? Oder kommt die Ausländerbehörde? Immerhin geht es hier um minderjährige, möglicher- weise neugeborene Kinder. Wie sollen die „Hinweise“ aussehen, die ein solches Anfechtungsrecht auslösen soll? Wie sollen wir uns die Ermittlung der wahren Va- terschaft vorstellen. Einfacher, genetischer Vaterschafts- test mit Speichelprobe oder qualifizierter Vaterschafts- test durch Feststellung einer sozial-familiären Beziehung zwischen Vater und Kind? Einen solchen Vaterschafts- test der höheren Art würde übrigens eine Vielzahl von biologischen Vätern auch nicht bestehen, eine Hürde für das Anfechtungsrecht, wie im Antrag beschrieben, stellte dies auch nicht dar. – Kurz, wir halten das Bürger- liche Gesetzbuch nicht für den systematisch richtigen Ort, missbräuchliche Vaterschaftserklärungen zu be- kämpfen. Wir sollten die vorhandenen Mittel des Rechtsstaats nutzen, weshalb ich die Länder dazu auffordere, die Möglichkeiten de lege lata auszuschöpfen. Die wahr- heitswidrige Vaterschaftsanerkennung ist auch unter dem Aspekt des Persönlichkeitsrechts des Kindes nicht hinzunehmen und erst recht nicht der damit oft einherge- hende Betrug zum Nachteil der Sozialkassen. Benennen wir doch das Problem, wie es ist, und verfolgen es auch als ein solches: Wenn einem deutschen Mann sach- f d s d r l K A a g w P v z a t s W L h A g m F d s d G n g v b p R F E s A w (C (D remde Vorteile dafür versprochen oder gewährt werden, ass er die Vaterschaft wahrheitswidrig für ein ausländi- ches Kind anerkennt, ist dies allein schon zum Schutz es Kindes missbilligenswert, ebenso die Vorteilsgewäh- ung gegenüber einer deutschen Mutter, die einen aus- ändischen Vater wahrheitswidrig die Vaterschaft für ihr ind anerkennen lässt, um diesem Scheinvater einen ufenthaltstitel zu verschaffen. Hier ist die Überprüfung usländerrechtlicher und sozialrechtlicher Vorschriften efragt. Einer Änderung des Kindschaftsrechts können ir nicht zustimmen. Ein sozial- und innenpolitisches roblem sollte nicht in den Regelungskreis des BGB erlagert werden. Versuchen wir nicht, binationale Be- iehungen generell unter einen Verdacht zu stellen, wenn uch die Mutter und das Kind oder der ausländische Va- er Vorteile aus einer solchen Bindung an einen Deut- chen ziehen mögen. Mir scheint der Antrag der Union zu sehr vom unsch nach tagespolitischen Effekten geprägt zu sein. eider trifft dies die Falschen, nämlich die Kinder, wes- alb wir den Antrag ablehnen. nlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlungen und Berichte zu den Anträgen: – Umsetzung des nationalen Radverkehrs- plans 2002–2012 forcieren – Radverkehr fördern – Fortschrittsbericht vorlegen – Den Fahrradtourismus in Deutschland um- fassend fördern (Tagesordnungspunkt 12 a und b) Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Ich freue mich, als neu ewählte Berichterstatterin für das Thema Fahrradtouris- us im Tourismusausschuss zu sprechen! Denn: Der ahrradtourismus in Deutschland ist ein wichtiges – lei- er häufig unterschätztes – Thema, wie nicht zuletzt die päte Debattenzeit zeigt. Warum setzt sich die SPD-Fraktion für die Förderung es Fahrradtourismus ein? Dafür gibt es mehrere gute ründe, aus denen ich fünf herausgreifen möchte: Erstens. Der Fahrradtourismus boomt: Über 2 Millio- en Deutsche verbrachten 2003 ihren Urlaub überwie- end im Fahrradsattel. Das entspricht einer Zunahme on 12,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Und der Boom eim Radurlaub hält an: Rund 6,5 Millionen Deutsche lanen für die nächsten drei Jahre mindestens eine adreise. Zweitens. Das Fahrrad ist ein Wirtschaftsfaktor: Im ahrradtourismus werden jährlich rund 5 Milliarden uro umgesetzt. Namhafte Veranstalter von Radpau- chalen verzeichneten 2003 zweistellige Zuwächse. Der bsatz von Karten und Radwanderführern konnte 2003 iederum gesteigert werden. Erfolgreichstes Produkt ist 12746 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 (A) ) (B) ) die ADFC-Radtourenkarte, die – seit ihrem Ersterschei- nen 1990 – im Jahr 2003 einen Gesamtabsatz von über 2 Millionen Exemplaren erreichte. Damit gilt sie als die erfolgreichste Radlerkarte der Welt. Drittens. Radfahren kann jeder: Für uns Sozialdemo- kratinnen und Sozialdemokraten hat die Förderung von Urlaubsformen, die für möglichst viele Menschen nutz- bar sind, Priorität, und Fahrradurlaub ist eine Form des Reisens, die für viele Zielgruppen geeignet ist. Ob Fami- lie oder Single, ob jung oder alt – fast jeder kann sich in den Sattel schwingen. Die Kosten, insbesondere bei ei- nem Inlandsurlaub, sind vergleichsweise gering, sodass diese Form des Reisens auch für Menschen mit kleinem Portemonnaie geeignet ist. Viertens. Radreisen schützen die Natur: Uns Sozial- demokratinnen und Sozialdemokraten liegt das Thema Umwelt- und Naturschutz am Herzen. Auch aus diesem Grund halten wir den Fahrradtourismus für besonders förderungswürdig, denn er ermöglicht Erholung in und mit der Natur, ohne Luftverschmutzung und mit gerin- gem Flächenverbrauch. Fünftens. Mit dem Radtourismus werben wir für Deutschland: Der Boom beim Fahrradurlaub nützt vor allem dem Deutschlandtourismus, denn ein großer Teil der Fahrradurlauber bleibt im Land, und es kommen zu- nehmend Gäste aus dem Ausland hierher, um Deutsch- land vom Sattel aus zu erkunden. Diese Zuwächse sind kein Zufall, denn kaum ein anderes Land wirbt so inten- siv um die Zielgruppe der Radfahrer. Laut Länderver- gleich des ADFC halten Deutschland und Österreich das nutzerfreundlichste Angebot für Urlauber bereit, wäh- rend beliebte Urlaubsländer wie Spanien, Italien oder die USA schlechtes oder gar kein Informationsmaterial bie- ten. Deutschland weist mit seiner serviceorientierten Broschüre „Deutschland per Rad entdecken“, die mehr als 50 Routen und Regionen vorstellt, und dem dazuge- hörigen Internetauftritt ein schlüssiges Konzept vor. Wir müssen viel vernetzter denken. Warum sage ich das? Seit dem vergangenen Jahr stellen wir jährlich 10 Millionen Euro für den Ausbau von Betriebswegen an Bundeswasserstraßen zur Verfügung: Da diese Wege landschaftlich besonders reizvoll, meist frei von Autos und oft historisch interessant sind, etwa im Bereich des Elbe-Lübeck-Kanals mit der Alten Salzstraße, werden sie von Radlern gut angenommen. Leider sind viele die- ser Wege in einem Zustand, der ein zügiges oder auch nur sicheres Fortkommen für Radfahrer nicht erlaubt. Deshalb haben wir uns entschlossen, für den fahrradge- rechten Ausbau der Uferwege zu sorgen. Der Radwegebau an Flüssen und Kanälen bietet die Chance, das landseitige Angebot für Radfahrer, Wande- rer und Spaziergänger mit wasserseitigen Aktivitäten zu verbinden. Hier ist vernetztes Denken gefragt: Wir dür- fen nicht länger jede Sportart oder Tourismussparte für sich betrachten, sondern sollten die Voraussetzungen da- für schaffen, dass attraktive Kombinationsangebote ent- wickelt werden können. In Niedersachen gibt es bereits das erfolgreiche Angebot „Paddel & Pedal“, das Fahr- rad- und Kanuurlaub miteinander verbindet. Solche Kombinationen sind ausbaufähig, wenn wir gemeinsam m b f w d k K w e m k g i r n f n t k a b r F is li g g z b S g b u c f s J N B s z B S in u te ti e S d b ti la F h (C (D it den Ländern und Kommunen dafür sorgen, dass die enötigte Infrastruktur zu Lande und zu Wasser zur Ver- ügung steht. Was mir allerdings Sorgen macht: So richtig und ichtig der Ausbau von Betriebswegen also ist, so hat es och, und das möchte ich nicht verschweigen, bei der onkreten Umsetzung Schwierigkeiten gegeben. Die onstruktion, dass Mittel nur beantragt werden können, enn das zuständige Wasser- und Schifffahrtsamt einen igenen Bedarf für den Ausbau sieht, hat sich als proble- atisch erwiesen. Vielfach, so auch in meinem Wahl- reis, sind die Ämter nicht gewillt, Gelder zu beantra- en, weil der Zustand der Wege für die Befahrung mit hren Maschinen noch ausreicht. Die Folge: Von den be- eitgestellten 10 Millionen Euro wurden bislang in 2004 ur knapp 500 000 abgerufen. Wir als SPD-Bundestags- raktion fordern die Bundesregierung deshalb auf, für ei- en besseren und zügigen Abfluss der Mittel Sorge zu ragen. So steht es auch in unserem Antrag. Das Ver- ehrsministerium hat das Problem ebenfalls erkannt und rbeitet mit Hochdruck an einer Lösung. Ich habe bereits die Notwendigkeit angesprochen, eim Tourismus stärker vernetzt zu denken. Ein erfolg- eiches Beispiel für eine solche Vernetzung, in diesem all zwischen Radfahrern und Übernachtungsbetrieben, t das Label „Bett & Bike“. Die Zahl der fahrradfreund- chen Beherbergungsbetriebe mit dem ADFC-Gütesie- el ist von 216 im Jahr 1995 auf über 3 500 im Jahr 2004 estiegen. Damit ist „Bett & Bike“ die erfolgreichste ielgruppenbezogene Marketingkooperation von Gast- etrieben in Deutschland. In meinem Heimatland chleswig-Holstein ist es in diesem Jahr erstmals gelun- en, einen regionalen „Bett & Bike“-Führer herauszuge- en. Der ADFC hat hier hervorragende Arbeit geleistet nd viele Betriebe überzeugt, künftig fahrradfreundli- hen Service anzubieten. Ich selbst habe die Werbung ür „Bett & Bike“ in meinem Wahlkreis tatkräftig unter- tützt. Im ersten Verzeichnis sind 175 Hotels, Pensionen, ugendherbergen, Campingplätze, Heu-Herbergen und aturfreundehäuser aufgeführt, die auf die besonderen edürfnisse von radelnden Gästen eingehen und signali- ieren: „Radfahrer willkommen“. Für das nächste Ver- eichnis ist mit einem weiteren Anstieg der beteiligten etriebe zu rechnen. Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, auch ie bewegt das Thema Fahrradtourismus, das stellen Sie dem vorliegenden Antrag dar. Zu Ihren Feststellungen nd den Schlüssen, die Sie daraus ziehen, ist in der ers- n Debatte von meinen Kolleginnen bereits alles Wich- ge gesagt worden. Wir stimmen ja grundsätzlich über- in: Natürlich ist es wünschenswert, möglichst genaue tatistiken über den Fahrradtourismus zu haben. Man arf hier aber auch nicht übertriebene Erwartungen ha- en, einiges gibt es schon und letztlich hängt die Attrak- vität des Fahrradtourismus wirklich nicht an der Daten- ge. Auch wir wollen gute Transportmöglichkeiten für ahrräder in der Bahn. Wir fordern deshalb in unserem eute debattierten Antrag die Bahn auf, ein Konzept für Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 12747 (A) ) (B) ) die Fahrradmitnahme unter Berücksichtigung des ICE vorzulegen. Natürlich wollen auch wir mehr Abstellplätze für Fahrräder und bessere Sicherheit vor Diebstahl. Wir sind hier in Bund-Länder-Gesprächen und erwarten gute Er- gebnisse. Ihr Antrag wiederholt Bekanntes und fordert Dinge, die überflüssig sind oder die wir bereits machen – deswegen lehnen wir ihn ab! Deutschland, das hatte ich bereits erwähnt, ist ein fahrradfreundliches Land. Wir haben hier vielen Staaten etwas voraus – diesen Vorteil müssen wir nutzen. Wir wissen allerdings auch um die Chancen zu weiteren Ver- besserungen und sind bereit, sie gemeinsam mit der Bundesregierung anzugehen. Heidi Wright (SPD): Weder die Tageszeit noch das Jahreswetter eignet sich wirklich gut zum Fahrradfahren, umso besser eignet es sich, die Umsetzung des Natio- nalen Radverkehrsplanes voranzubringen. Dies tun wir natürlich nicht nur mit dieser Debatte, sondern mit den wichtigen Umsetzungsschritten der vergangenen Monate und den notwendigen weiteren Umsetzungsschritten in Zukunft. Ich darf uns alle zu dieser Umsetzung weiter auffor- dern und nicht nur in unserer Arbeit im Deutschen Bun- destag, sondern in unseren oft vielfältigen Funktionen und Einflussmöglichkeiten auf kommunaler Ebene. Keine Frage, alle haben es erkannt – Fahrradpolitik ist ein Gewinnerthema und alle – oder zumindest viele – stricken mit an dem Muster der Fahrradpolitik. Diese wurde von dieser Bundesregierung mit der Aufstellung des Nationalen Radverkehrsplanes aus dem Schattenda- sein herausgeholt und mit einer eigenen Planstelle im Ministerium, mit eigenen Haushaltstiteln – mehreren –, mit dem Aufbau eines Internetportals als Kommunika- tionsplattform für Bund, Länder, Verbände und Fach- kreise versehen. Das Gewinnerthema Radpolitik hat viele Aspekte. Es trägt bei zu einer besseren, flexibleren Mobilität. Es trägt bei zur Umweltentlastung. Es reduziert die Mobilitäts- kosten der Verbraucher: Mineralölpreis. Es entlastet das Verkehrschaos in den Städten. Es trägt zu mehr Wohlbe- finden und Gesundheit durch Bewegung bei. Nur leider sind wir in Deutschland noch recht am An- fang der Entwicklung, diese Aspekte auch wirklich zu realisieren. Also, so ganz das Fahrradland sind wir in Deutsch- land noch nicht – aber wir haben mehr als den guten Willen. Wir haben den politischen Willen. Wir haben die Erkenntnis in die Notwendigkeit. Wir haben höchst ak- tive Partner, Akteure und Unterstützer. Wir haben in Deutschland inzwischen ein sehr positives öffentliches Bewusstsein für das Fahrradfahren in der Freizeit und zum Sport, aber auch für tägliche Besorgungen, zur Ar- beit, zur Schule. Bewusstseinsbildung fängt ja nicht hier im Bundestag an – wir können das nur unterstützen. i s d d A n n k – R s I G n w n 4 V t j ü z A w A d v n C u d A w n k z A v d A u c d i u I o s (C (D Bewusstseinsbildung findet draußen, in den Familien, n den Kindergärten, in den Schulen und in den Cliquen tatt. Es muss einfach cool sein, Fahrrad zu fahren: mit em Fahrrad zur Schule, mit dem Fahrrad zur Arbeit, mit em Fahrrad auch über den Führerschein hinaus. Das uto ab 18 bzw. die ab 18 auftretende Fußkrankheit ist icht cool. Mit dem politischen Hintergrund des Radverkehrspla- es und insbesondere den neuen finanziellen Möglich- eiten konnte bereits einiges bewirkt werden. Wir sorgen trotz schwieriger Haushaltssituation – für Geld für den adwegebau an Bundesstraßen. Wir sorgen für die Ver- tetigung der Mittel im Haushaltsplan. Wir konnten die nvestitionen in 2002 und 2003 auch etwas steigern. anz zufrieden stellend ist das für mich jedoch noch icht. Ganz besonders gilt das für Radwege an Bundes- asserstraßen. Hier werden die vorgesehenen Mittel icht ausgeschöpft: veranschlagte Ausgaben rund 80 000 Euro. Deshalb haben wir in Auftrag gegeben, orschläge zur besseren Umsetzung zu erarbeiten. Als wichtig haben wir auch erkannt, dass die Investi- ionsmittel das eine wichtige, die nicht investiven Mittel edoch ebenso wichtig sind. Ich bin ganz fest davon berzeugt, dass es richtig war, hier einen eigenen Titel u schaffen, und danke unseren Haushältern – liebe nnette Faße, ich weiß, Du hast Dich da sehr eingesetzt. Mit den nicht investiven Mitteln konnten unterstützt erden: der bundesweite Wettbewerb Best-of-Bike, die uflage des NRVP in englischer und russischer Sprache, iverse Fachveranstaltungen, unter anderem die Impuls- eranstaltung „Kinder in Bewegung“, aber auch Aktio- en des ADFC, des Allgemeinen Deutschen Fahrrad- lubs, der in diesem Jahr 25-jähriges Jubiläum feiert nd echt ein tolles Rad dreht, also Aktion des ADFC mit er AOK „Mit dem Fahrrad zur Arbeit“, Projekt des DFC zur Zweiten aktualisierten Fernradwegekarte so- ie das ADFC-Projekt „Radreiseanalyse 2005“. Wir können uns freuen, dass wir diese Projekte mit icht unerheblichen finanziellen Mitteln unterstützen önnen. Diese sind jedoch wirklich nur eine Unterstüt- ung, denn Deutschland ist groß und es liegt enorm viel rbeit an. Diese wird mit unglaublichem Engagement on vielen Ehrenamtlichen geleistet. Hier geht mein aus- rücklicher Dank an alle, die sich einsetzen und an der ktualisierung der Fernradwegekarte arbeiten. Ich bin sicher, hier wird etwas Bleibendes geschaffen nd etwas wirklich Sinnvolles vorangebracht. Herzli- hen Dank! Zum Abschluss der Aufzählung der guten Taten: In er nächsten Woche werden wir einen Fahrradkongress n Berlin haben, bei dem die Aktivitäten in den Regionen nd best practice dargestellt werden und aus dem weitere mpulse gewonnen werden müssen. Abstimmungsarbeit steht an. So liegt aktuell die Ver- rdnung der Änderung straßenverkehrsrechtlichen Vor- chriften zur StVO vor. 12748 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 (A) ) (B) ) Und das ruft mir in Erinnerung die Regelung für mehr Sicherheit für Fahrradfahrer, die wir mit dem verbesser- ten Sichtfeld für LKW-Fahrer – Ausschaltung des toten Winkels – gemacht haben. Wie sieht hier die Praxis aus? Von der Vorsitzenden des Arbeitskreises Sicht und Bediensicherheit des Verbandes der Automobilindus- trie, VDA, Frau Elisabeth Frank, wurde auf meine An- frage nochmals bestätigt, dass die deutsche Automobil- industrie nach wie vor zu ihrer Zusage steht, so schnell wie möglich die Neufahrzeuge über 7,5 Tonnen mit dem neuen Spiegelsystem auszurüsten sowie diese Spiegel auch für die Nachrüstung anzubieten. Ein Aspekt beschwert unsere doch recht positive Ar- beit für den Fahrradverkehr – die Mitnahme des Fahr- rads auch im ICE. Also ich muss das hier nicht lang und breit ausführen. Der ADFC und seine Mitglieder fordern das. Ich will das und fordere das. Die Opposition will das und fordert das. Die Bahn will nicht und erklärt hinlänglich umständlich und nicht nachvollziehbar, dass sie das nicht will. Liebe Bahn, die Forderung – Fahrrad im ICE – steht in unserem Antrag drin, also werden wir da dranbleiben. Ich kann die Opposition nur aufordern, sich an der Über- zeugungsarbeit an der Bahn mit zu beteiligen – wir fei- ern dann auch gemeinsam. Zum Schluss, trotz Wetter, Winter und sonstige Wi- drigkeit: Das Fahrrad ist ein Verkehrsmittel der Zukunft. Das Fahrrad gehört zu einer zukunftsfähigen Verkehrs- politik wie die Sonnenenergie zu einer zukunftsfähigen Energiepolitik. So wie es uns mit einer vernünftigen Politik gelungen ist, so richtig die Sonne anzuzapfen, müssen wir mit ei- ner vernünftigen Politik dafür sorgen, dass sich die Rä- der im Fahrradverkehr immer mehr und besser drehen. Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Die von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Mitte der 90er- Jahre eingebrachte Initiative zur Schaffung eines Natio- nalen Radverkehrsplanes ist von der Bundesregierung in der Zwischenzeit umgesetzt worden. Das begrüßen und anerkennen wir. Doch wir beklagen, dass zwischen An- spruch und Wirklichkeit der Berliner Politik für das Ver- kehrsmittel „Fahrrad“ ein zunehmender Widerspruch deutlich wird. Doch zunächst zu den kleinen Kuriositäten unseres parlamentarischen Systems: Diesem haben wir es zu ver- danken, dass wir die zwei – zu Sommeranfang gestellten – Anträge zum Fahrradverkehr genau dann debattieren, wenn es draußen nass und kalt wird und so mancher sein Fahrrad winterfest im Keller parkt. Allerdings: Einen echten Radfahrer hält schlechtes Wetter ja auch nicht vom Radfahren ab, somit sollte auch nichts gegen eine politische Debatte zum Thema „Förderung des Radver- kehrs“ mitten im November sprechen. Bei der Fahrradpolitik scheint die Bundesregierung aufs Einrad umgestiegen zu sein: Mehr blumiger Rad- korso als klares „Radfahr-Förderkonzept“, mehr „Kreis- v g R t h s d R J e u V k i A – m b E c w n d t d w n w t g W l g K r d g m c z a A u w s n b g V d R f d (C (D erkehr“ als Strecke, mehr „Steher-“ als „Tempo-Strate- ie“! Der Antrag der Regierungskoalition zum Nationalen adverkehrsplan erstaunt. Er ist auch nur vor dem Hin- ergrund einer vernichtenden Kritik des ADFC zu verste- en. Dessen Repräsentanten, die kompetent und kon- truktiv sind, ist beim letzten parlamentarischen Abend er Kragen geplatzt; den andauernden Stillstand in der adverkebispolitik haben sie kritisiert. Nach über zwei ahren Winterschlaf meldet sich die Regierungskoalition ndlich zurück aufs fahrradpolitische Parkett. CDU/CSU nd FDP haben sich im gleichen Zeitraum mit einer ielzahl von Initiativen fördernd für eine aktive Radver- ehrspolitik eingesetzt; doch stets haben Rot-Grün mit hrer Mehrheit jeglichen Fortschritt verhindert. Erfreulich ist, dass die heute hier vorliegenden zwei nträge sich im Ziel kaum unterscheiden. Beide fordern auch in einzelnen Punkten erstaunlich übereinstim- end – eine konsequentere Förderung des Radverkehrs, eziehungsweise eine forcierte Umsetzung des NRVP. s herrscht Einigkeit über das Grundsätzliche: Die Förderung des Radverkehrs ist aus gesundheitli- hen, verkehrspolitischen und ökologischen Gründen ichtig. Und wer die Erfolge der Fahrradpolitik in Dä- emark, den Niederlanden und in der Schweiz verfolgt, er weiß: Wir alle müssen noch mehr in die Pedale tre- en. Bei aller Freude über Gemeinsamkeiten muss aller- ings festgestellt werden: Es überwiegt Verunsicherung, enn man den Koalitionsantrag genau in Augenschein immt. Welchen Zweck hat der Antrag der Koalition irklich? Geht es im Antrag wirklich um die dargestell- en Ziele, oder sollen der Bundesregierung die Waden estärkt und die Pedale geputzt werden? Sicher ist: unsch und Wirklichkeit stimmen nicht überein. Nur so assen sich die drei Seiten Lobeshymnen und langwieri- en Darstellungen vor den eigentlichen Forderungen im oalitionsantrag erklären. Nur so lässt sich erklären, wa- um anstelle der seit langem von uns geforderten Vorlage es Fortschrittberichtes zum NRVP mit einem Propa- anda-Antrag reagiert wird. Statt neue Wege zu suchen und Mögliches möglich zu achen, ist man meist damit beschäftigt, Gründe zu su- hen, irgendetwas nicht zu tun – oder besser: nicht tun u können. Statt kraftvoll Ideen, die sowohl im NRW als uch im Bundestagsbeschluss aber natürlich auch vom DFC und anderen Verbänden vorgeschlagen wurden mzusetzen, beschreitet man den Weg der „idealen“ Ver- altung: Ideen sammeln, Listen erstellen, prüfen, for- chen, verwerfen, neue Ideen anfordern, ablehnen. Trotzdem ist anzuerkennen, dass die Bundesregierung icht ganz untätig gewesen ist: Die Mittel für den Aus- au der Radwege gehören dazu, wobei aber unterschla- en wird, dass mit Beginn der 90er die entscheidenden oraussetzungen für die Auslegung und Finanzierung er Radwegenetze geschaffen wurden. Aus Gründen der edlichkeit auch gegenüber den fast 60 Millionen Rad- ahrern in Deutschland ist jedoch festzustellen, dass in er konkreten Umsetzung des NRVP, nämlich der da- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 12749 (A) ) (B) ) mals festgelegten aktiven Förderung des Radverkehrs durch die Bundesregierung, in vielen Bereichen zu we- nig getan wurde und wird. In Bezug auf die Umsetzung des NRVP müsste man sogar Shakespeare widersprechen, der einmal sagte: „Wo Geld vorangeht, sind alle Wege offen“. Denn um das Ziel des NRVP, den Anteil des Radverkehrs bis 2012 deutlich zu erhöhen, reicht der Bau von Radwegen bei weitem nicht aus. Die Umsetzung – so das Konzept – erfolgt im Klei- nen: auf Länder- und kommunaler Ebene. Die zahlrei- chen Pro-Rad-Organisationen und freiwilligen Initiati- ven brauchen jedoch Unterstützung in der Umsetzung vor Ort. Denn sonst haben wir im Jahr 2012 mehr Rad- wegekilometer als Radfahrer. Durch das Aufschieben der Vorlage des Fortschrittbe- richtes zum NRVP und des „zweiten Berichts über die Situation des Fahrradverkehrs in Deutschland“ bis zum Frühjahr 2006 entzieht sich die Bundesregierung der Kontrolle und der Verantwortung auch in diesem Be- reich der Verkehrspolitik. So bleibt zu vermuten, dass die Bundesregierung mit dem Hinweis, dass eine Be- standsanalyse über die Umsetzung des NRVP drei Jahre nach dessen Umsetzung im Frühjahr 2006 sinnvoller ist, bereits jetzt das nächste Wahljahr im Auge hat. Sachge- recht wäre eine Vorlage im Frühjahr 2004 gewesen. Inte- ressant und amüsant ist in diesem Zusammenhang auch die Rechenmethode der Regierung: Die Zeit zwischen Auflage des NRVP im Frühjahr 2002 und der beabsich- tigten Veröffentlichung des Fortschrittsberichtes im Frühjahr 2006 errechnet sie mit drei Jahren. Das nenne ich kreativ. Wäre die Regierang genauso dynamisch wie sie bei Zeitfragen kreativ ist, dann wäre nicht erst im Juni dieses Jahres die seit langem von der Union und vom ADFC geforderte eigenständige „Arbeitseinheit Fahrradver- kehr“ einberufen worden. Ohne sie ist eine effiziente Umsetzung des NRVP gar nicht möglich! Sie hätte be- reits viel früher geschaffen werden müssen! Hier liegt ein unnötiges Versäumnis der rot-grünen Bundesregie- rung vor. Für die Öffentlichkeit sind die Handlungsmaximen in der Fahrradpolitik der Bundesregierung nur schwer er- kennbar. Zwar versucht das Verkehrsministerium mit der Durchführung von Veranstaltungen zur Förderang des Radverkehrs und zur Umsetzung des NRVP den Schein der Aktivität zu wahren; trotzdem gilt – frei nach Shake- speare: „Die Kappe macht den Mönch nicht aus“. Zurück zum Antrag: Die im Antrag als „Feststellun- gen des Deutschen Bundestages“ getarnten „Schönwet- ter-Worte“ halten einer genaueren Prüfung meist nicht stand: So heißt es unter 1.: „Viele Maßnahmen zur För- derung des Radverkehrs liegen aufgrund unserer födera- tiven Verfassung in der Verantwortung von Ländern und Kommunen.“ So weit ist gegen diese Feststellung nichts einzuwen- den. Weiter heißt es: „Dem Bund kommt die Koordinie- rungsfunktion für die Umsetzung des NRVP zu. Mit Vor- lage des NRVP bekennt sich die Bundesregierung zu i d k U g m i d b b d a d w w N h s b n F s r W E n R w D b s I n s w n c G v d a R e G s d v r z e d f s A u (C (D hrer aktiven Rolle als Katalysator und Moderator bei er Förderung des Radverkehrs.“ Interessanterweise wird vom Bund-Länder-Arbeits- reis genau diese Rolle der Bundesregierung bei der msetzung nicht bestätigt. Hier hat man deutlich die zö- erliche Zusammenarbeit mit dem BMVBW kritisiert. Von einer Moderatorenrolle kann keine Rede sein; ehr von einer Hinterradbremse. Aber seit Shakespeare st ja bekannt: „Menschen deuten oft nach ihrer Weise ie Dinge, weit entfernt vom wahren Sinn“. Zu hoffen leibt, dass mit der Schaffung einer eigenständigen Ar- eitseinheit im BMVB auch die Zusammenarbeit mit em Bund-Länder-Arbeitskreis verbessert wird. Aber uch wenn es um die Vernetzung von Radwegen geht, elegiert die Bundesregierung die Verantwortung immer ieder an die Länder, Kommunen und Verbände. Dabei äre es ihre Aufgabe als „Moderator und Motor des RVP“ eine Zusammenarbeit sicherzustellen. Sie hat ier die Pflicht, für die Abstimmung der Interessen zu orgen. Sie hat die Verantwortung, dass das seit langem estehende Konzept für eine fahrradtouristische Koordi- ierungsstelle endlich umgesetzt wird. Anders sieht die Sache bei der Diskussion um die ahrradmitnahme im Bahnfernverkehr aus. Hier gefällt ich die Bundesregierung ausnahmsweise in der Mode- atorenrolle. Sie erweist sich jedoch als „Schaf im olfspelz“! Anstatt zu prüfen, ob die im Allgemeinen isenbahngesetz und in der Eisenbahn-Verkehrsverord- ung geregelte Beförderungspflicht von Personen und eisegepäck auf Fahrräder ausgedehnt werden kann, erden seit Jahren sporadische Verhandlungen mit der eutschen Bahn geführt, die bisher nicht wirklich ziel- ringend sind. Auch hier wieder: viel Aktionismus, ohne innvolle Konsequenzen. Was wir brauchen, sind neue nitiativen, um die Erreichbarkeit deutscher Ferienregio- en im Fernverkehr für Radtouristen deutlich zu verbes- ern. Trotz aller Kritik bleiben Lichtblicke. Konfuzius usste schon: „Wenn über das Grundsätzliche keine Ei- igkeit besteht, ist es sinnlos, miteinander Pläne zu ma- hen.“ Das ist hier glücklicherweise nicht der Fall. Im rundsatz sind wir uns über alle Fraktionen beim Rad- erkehr einig und wir sollten auch weiter gemeinsam für en Erfolg des Radverkehrsplans arbeiten. Die bereits ngesprochene Verbesserung bei den Mitteln für den adwegeausbau ist als Lichtblick zu nennen. Jetzt gilt s, diese Mittel auch zu verstetigen und jährlich in dieser rößenordnung bereit zu stellen, das gilt auch für For- chungs- und Projektvorhaben. Aber auch die Schaffung er eigenständigen Einheit „Radverkehr“ im BMVBW erspricht Besserung. Auch sind inzwischen die haushaltsrechtlichen Vo- aussetzungen für eine vereinfachte Vergabe der Mittel ur Umsetzung des NRVP und zur konkreten Förderung inzelner Projekte geschaffen worden. Dies erleichtert ie unermüdlichen Anstrengungen der Verbände. Denn ür die sachkundige und wirkungsvolle verkehrspoliti- che. Arbeit zur Umsetzung des NRVP müssen der DFC und andere Umsetzungsträger mit berechenbaren nd angemessenen finanziellen Mitteln ausgestattet sein. 12750 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 (A) ) (B) ) Unabhängig davon muss die Verkehrssicherheit – auch beim Radverkehr – wieder mehr in den Fokus ge- nommen werden. Die dafür vorgesehenen Mittel von jährlich 11 Millionen Euro bedeuten pro Bundesbürger einen Betrag von nur 14 Cent. Das ist nicht ausreichend. Immerhin beklagen wir pro Jahr um die 600 Todesopfer im Radverkehr. Die Zahl der Fahrradunfälle mit Perso- nenschaden ist im Jahr 2003 sogar um 7,7 Prozent auf über 76 000 angestiegen. Alarmierend! Wer für mehr Radverkehr in Deutschland sorgt, wer in diesem Verkehrsbereich Defizite und Barrieren ab- baut, wer bei einer bundesweiten Kampagne für das Rad mitmacht, der findet unsere Anerkennung und unsere Unterstützung. Mit einem Dank an alle radfahrenden MdB-Kollegen möchte ich schließen. Immer mehr par- ken ihr Zweirad im Regierungsviertel und sogar von den Bündnisgrünen-Kollegen haben einige ihre Autophase beendet und sind wieder auf das Rad umgestiegen. Es lebe die Einsicht! Klaus Brähming CDU/CSU: Das Ziel des Antrags der CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit dem Titel „Den Fahrradtourismus in Deutschland umfassend fördern“ war es, Deutschland noch fahrradfreundlicher zu gestal- ten und das Potenzial des Fahrradtourismus für die deut- sche Wirtschaft besser auszuschöpfen. Dies gilt sowohl für die deutschen Fahrradhersteller, wie beispielsweise Biria in Neukirch in Sachsen, als auch für den weiteren Auf- und Ausbau einer hochwertigen Infrastruktur rund um die regionalen und überregionalen Radwanderwege. Radfahren dient nicht nur der Gesundheit und ist eine Fortbewegung mit dem umweltfreundlichsten Verkehrs- mittel überhaupt, sondern in Verbindung mit dem Fahr- radtourismus ist Radfahren auch ein wichtiger, wachsen- der Wirtschaftsbereich in Deutschland. Die neuesten Zahlen bestätigen die wachsende Bedeutung des Fahr- radtourismus für die deutsche Tourismuswirtschaft. Im Jahr 2003 haben 2,25 Millionen Deutsche einen mehrtä- gigen Urlaub auf dem Sattel verbracht. Dies stellt eine 12,5-prozentige Steigerung gegenüber dem Vorjahr dar. Die Zunahmen gehen dabei fast vollständig auf die Zu- nahmen im Deutschlandtourismus zurück. Nach einer Umfrage der Forschungsgemeinschaft Ur- laub und Reise – FUR – nimmt der Fahrradurlaub auch zukünftig zu: 10,1 Prozent der Deutschen, das sind fast 6,5 Millionen Menschen, planen für die nächsten drei Jahre „ziemlich sicher“ oder „wahrscheinlich“ mindes- tens eine Radreise. Wie wichtig Radurlauber mittler- weile als Wirtschaftsfaktor sind, zeigt folgende Zahl: Die Gesamtausgaben von knapp 70 000 Radtouristen und Tagesausflüglern im sächsischen Teil des Elberad- weges betrugen von April bis Oktober 2003 27,93 Mil- lionen Euro. Aus diesen Gründen haben wir den heute zu debattierenden Antrag in den Deutschen Bundestag ein- gebracht. In dem Antrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird die rot-grüne Bundesregierung beispielsweise dazu aufgefordert, den Ausbau überregionaler Radwege und die WegbeschiIderung der überregionalen Routen voran- zutreiben und sich bei der Deutschen Bahn AG für eine k H s v F h d r d A d a B T 2 g a z R d g g c W t p A t a F d r l t a s 4 r A R F B m D E R a a r z z n a d d K (C (D undenfreundlichere Fahrradmitnahme vor allem in ochgeschwindigkeitszügen einzusetzen. In den Aus- chusssitzungen bezeichneten die Koalitionsfraktionen on SPD und Bündnis 90/Die Grünen zahlreiche unserer orderungen als überholt oder nicht sinnvoll bzw. außer- alb der Zuständigkeit des Bundes und verwiesen statt- essen auf den Nationalen Radverkehrsplan der Bundes- egierung als dem richtigen Instrument zur Förderung es Fahrradverkehrs. Die Regierungskoalition will daher heute gegen den ntrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion stimmen und as stimmt mich persönlich traurig, denn es gibt durch- us gemeinsame Ziele. Beispielsweise haben SPD und ündnis 90/Die Grünen selbst einen Antrag mit dem itel „Umsetzung des Nationalen Radverkehrsplans 002–2012 forcieren“ in den Deutschen Bundestag ein- ebracht. Schon aufgrund des Titels dieses Antrags wird lso deutlich, dass die Regierungskoalition Fehleinschät- ungen und Umsetzungsprobleme bei ihrem eigenen adverkehrsplan einräumt. Gleichzeitig wird der heute ebattierte Antrag der CDU/CSU-Fraktion mit der Be- ründung abgelehnt, der Radverkehrsplan der Bundesre- ierung aus dem Jahre 2002 sei das allein glücklich ma- hende Instrument zur Förderung des Radtourismus. as gilt denn nun? Bei einer tiefer gehenden Beschäftigung mit dem An- rag der Regierungskoalition zum Thema Radverkehrs- lan werden weitere Widersprüche deutlich. In diesem ntrag wird die rot-grüne Bundesregierung von den sie ragenden Fraktionen ermahnt, „die Deutsche Bahn AG ufzufordern, ein Konzept für die Fahrradmitnahme im ernverkehr unter Berücksichtung des ICE vorzulegen, as geeignet ist, verlorene Marktanteile bei der Beförde- ung von Fahrradtouristen von und zu ihren Urlaubszie- en zurückzugewinnen“. Recht hat die Regierungskoali- ion, denn Radler nutzen die Bahn erheblich stärker als ndere Touristen. Nach Angaben des Allgemeinen Deut- chen Fahrradclubs – ADFC – wählten im Jahr 2003 1,8 Prozent der Radtouristen die Bahn für die Rück- eise von ihrer Radtour. Bei der Anreise stieg der Bahn- nteil auf 36,3 Prozent. Insofern ist es mir ein völliges ätsel, wie die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unsere orderung nach einer Fahrradmitnahme im ICE mit der egründung ablehnt, man wolle nicht in die unterneh- erische Freiheit der Deutschen Bahn AG eingreifen. ie Initiative der Regierungskoalition ist dann also kein ingriff in die unternehmerische Freiheit? Weiterhin heißt es in dem eben erwähnten Antrag der egierungskoalition, man wolle die Bundesregierung uffordern, „das Radfernwegenetz – D-Netz – weiter uszubauen und durch die Einrichtung einer Koordinie- ungsstelle gemeinsam mit den Ländern für die Umset- ung eines hohen Ausbau- und Beschilderungsstandards u sorgen, da es an einer länderübergreifenden Koordi- ierung mangelt“. Genau die gleiche Forderung erheben uch wir mit unserem Antrag. Unser Antrag wird aller- ings mit der Begründung abgelehnt, diese Themen wür- en in den Zuständigkeitsbereich der Länder und der ommunen fallen. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 12751 (A) ) (B) ) Angesichts dieser Tatsachen wird deutlich, dass die Ablehnung unseres Antrages weniger auf inhaltlichen, als vielmehr auf ideologischen Gründen basiert. Seit Jahren hinken Sie als Regierungskoalition unseren Ini- tiativen zur Förderung des Radverkehrs und des Fahrrad- tourismus hinterher. Mein Kollege Wolfgang Börnsen und ich freuen uns zwar, dass Sie unsere Forderungen mit etwas Zeitverzögerung übernehmen, bedauern aber den fehlenden Hinweis auf die Ideengeber. Diese un- ideologischen Probleme hätte man auch gemeinsam an- gehen können. Dafür braucht man wahrscheinlich aber Diskussionspartner auf gleicher Höhe und keine Beifah- rer im Windschatten. Wir werden auch weiterhin die Finger in die offenen Wunden legen und sind gespannt auf die nächste Fahr- raddebatte im Plenum zur Beantwortung der Großen An- frage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit dem Titel „Mit dem Fahrrad zur Arbeit“. Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Als wir vor zwei Jahren den Nationalen Radverkehrs- plan verabschiedet haben, geschah dies über alle Frak- tionen hinweg einstimmig. Das war ein gutes Signal und ein Aufbruch für eine neue Verantwortung des Bundes in Sachen Radverkehr. Auch wenn wir heute mehrere Anträge debattieren und wohl auch unterschiedlich abstimmen, so bleibt der Konsens im Kern doch erhalten. Alle Fraktionen wollen, dass mehr für die Förderung des Radverkehrs getan wird und dass die Bundesregierung die Umsetzung des Natio- nalen Radverkehrswegeplans engagiert vorantreibt. Unser Antrag ist aktueller, enthält übrigens viele Punkte, die auch die Union fördert. Sie können also durchaus zustimmen, denn der Antrag zieht eine durch- aus kritische Bilanz der Tätigkeit des Bundesverkehrs- ministeriums und fordert zahlreiche Maßnahmen ein, um das Thema Radverkehr auf einen vorderen Platz der ver- kehrspolitischen Agenda zu holen. Ein erster Erfolg des Antrags ist es, dass im Bundes- verkehrsministerium endlich eine Arbeitsgruppe Rad- verkehr eingerichtet worden ist, die sich voll und ganz dem Thema „Umsetzung des Nationalen Radverkehrs- plans“ widmen kann. Diese Arbeitsgruppe wird in den kommenden Wochen noch zusätzlich personell verstärkt werden. Mittelfristig sehen wir dennoch Bedarf für ein eigenes Referat für den Radverkehr. Es kann nicht sein, dass ein Verkehrsträger wie das Fahrrad ohne institutio- nellen Ansprechpartner ist, während sich alleine acht Referate mit dem Thema Wasserstraßen in Deutschland befassen. Positiv ist, dass die zwei Millionen Euro für nicht in- vestive Maßnahmen zur Umsetzung des NRVP, die die rot-grünen Fraktionen seit diesem Jahr erstritten haben, beginnen Wirkung zu zeigen. Wir freuen uns sehr, dass das erfolgreiche Programm von ADFC und AOK „Mit dem Rad zur Arbeit“ dieses Jahr mit rund 250 000 Euro aus diesen Mitteln gefördert werden konnte. Das Fahrradportal im Internet wird dem- nächst online gehen. Nachdem eine Projektträgerschaft i g O r e p n Ü d s d w d t w G P k v d l l R k ö s d D m z d w i D k E f s f n k b z B h f k d w f d g f s M R g (C (D nstalliert wurde, sind nun Ausschreibungen für Projekte estartet worden, die zum Beispiel die Hemmnisse im rdnungsrecht systematisch analysieren und Verbesse- ungsvorschläge machen sollen, die die Übertragbarkeit iner Stiftung FahrRad, wie sie in der Schweiz existiert, rüft und die eine Förderfibel erstellt, in der für Kommu- alpolitiker und -verwaltung eine leicht verständliche bersicht über die Vielzahl an schon existierenden För- ermöglichkeiten zur Förderung des Radverkehrs ge- chaffen wird. Wir halten es im Übrigen für sinnvoll, bei der Vergabe er nicht investiven Mittel in Zukunft einem Beirat mit- irken zu lassen, dem Vertreter des Bundes, der Länder, er Verbände, der Wissenschaft und der Zweiradindus- rie angehören. So würde gewährleistet, dass die Aus- ahl der Projekte praxisnah und mit Expertise erfolgt. leichzeitig kann der Beirat genutzt werden, um die rojekte und ihre Ergebnisse in der Öffentlichkeit be- annter zu machen. Der Antrag der Koalition fordert zudem ein Konzept on der Deutschen Bahn AG, wie sie sich die Zukunft er Fahrradmitnahme im Fernverkehr vorstellt. Die Zah- en sind, wie der Antrag ausführt, dramatisch: In den etzten fünf Jahren hat sich die Zahl der transportierten adreisenden fast halbiert. Die Position der Bahn, in Zu- unft weiter nur das IC/EC-Netz für den Radtransport zu ffnen, ist für uns nicht hinnehmbar. Das IC/EC-Netz oll noch weiter ausgedünnt und durch ICE ersetzt wer- en. Von Berlin nach München oder von Köln nach resden käme man bei Fahrradmitnahme dann nur noch it vier- bis fünfmaligem Umsteigen mit Nahverkehrs- ügen. Auch die Umbaukosten, die von der Bahn bei je- er passenden und unpassenden Gelegenheit genannt erden, sind für uns nicht nachvollziehbar. Der ICE-T st schon heute für die Fahrradmitnahme vorgerüstet. er Umbau des ICE 1 könnte fahrradgerecht ohne Mehr- osten erfolgen. Wenn die Bahn an dieser Stelle nicht insicht zeigt, werden wir zu prüfen haben, ob eine Be- örderungspflicht nicht Gegenstand des Allgemeinen Ei- enbahn-Gesetzes werden muss. Sorge bereitet uns auch nach wie vor, dass das Geld ür den Bau von Radwegen an Bundeswasserstraßen icht abfließt. Hier wird intensiv über Lösungsmöglich- eiten nachgedacht, zum Beispiel über eine Verschie- ung dieser Mittel in das Gemeindeverkehrsfinan- ierungsgesetz, GVFG. Der Antrag fordert die undesregierung zudem auf, mit den Ländern in Ver- andlungen über eine Zweckbindung von mindestens ünf Prozent der Mittel für die Förderung des Radver- ehrs zu verhandeln. Hier wird zunächst das Ergebnis er Föderalismuskommission abzuwarten sein, wo es, ie man hört, Bestrebungen gibt, das GVFG als Misch- inanzierung abzuschaffen. Unabhängig vom Ausgang ieser Verhandlungen müssen wir in Zukunft dafür sor- en, dass mehr Geld in die kommunale Radverkehrsin- rastruktur investiert wird. Nur so holen wir die Men- chen aus den Autos auf die Räder. In Zeiten knapper ittel sei nochmals daran erinnert: Die Förderung von adverkehr ist die preiswerteste Verkehrspolitik und zu- leich ein Beitrag zum Umwelt- und Klimaschutz. Und 12752 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 (A) ) (B) ) zu guter Letzt: auch ein Beitrag zur Gesundheitspräven- tion. Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP): Es ist doch schon interessant, was diese Bundesregierung unter „Mobilität“ versteht. Anscheinend gibt es eine neue so- zialdemokratische Definition: Stillstand. Das sind wir ja aus anderen verkehrspolitischen Bereichen schon ge- wohnt. Aber dass es bei der Umsetzung des Ziels, mehr Radverkehr in Deutschland zu fördern, derartige Verzö- gerungsspielchen gibt ist wirklich unglaublich. Was tun denn eigentlich die nachhaltig durch die Liebe zur Mut- ter Natur durchdrungenen Gutmenschen in dieser fulmi- nanten Bundesregierung für den Radverkehr in Deutsch- land? Erst ablehnen und dann nachdenken. Das tun sie. Im Verkehrsausschuss wurde von den Mitgliedern beider Koalitionsfraktionen der Antrag auf unverzüg- liche Vorlage eines Fortschrittsberichts – dieser Begriff ist ja schon der reinste Euphemismus – zum Radver- kehrsplan abgelehnt mit der Begründung, dass ja der sehr ambitionierte Radverkehrsplan vorliege, der aber zu langsam umgesetzt worden sei und man diese Umset- zung nun beschleunigen müsse. Für diese Erkenntnis haben die Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen zwei Jahre gebraucht. Same procedure as every year! Denn wir haben vor einem Jahr bereits abgefragt, was denn überhaupt schon von dem „Masterplan für den Radverkehr“ umgesetzt wurde. Natürlich nicht sehr viel. Mittlerweile haben dies also auch die Kollegen der Mehrheitsfraktionen mitbe- kommen. Aber vielleicht wollte man vonseiten der Bundesre- gierung auch das erreichen, was im Laufe des letzten Jahres eingetreten ist: Der Anteil der Rad Fahrenden in Deutschland ist nach jüngsten Zahlen gesunken. Wenn Sie glaubwürdige Politik für den Radverkehr machen wollen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalitions- fraktionen, muss mehr geschehen als das Beantragen ei- ner Forcierung einer Umsetzung eines Plans. Was könnte man also für den Radverkehr tun? Viel- leicht sollte man das Wort „Handlungsempfehlungen“ im Nationalen Radverkehrsplan wörtlich nehmen und pragmatisch vorgehen. Einen Haushaltstitel eigens für Fahrradverkehrsinfrastruktur einführen und das Gemein- deverkehrsfinanzierungsgesetz ändern ist ja ein schöner Ansatz. Aber die Vorschläge der Kommunen und Flä- chengemeinden sowie Fahrradverbände zu prüfen wäre weitaus effizienter. Gerade in strukturschwachen Re- gionen ist der Fahrradtourismus wichtig. In Zeiten von leeren Gemeindekassen ist dieser Wirtschaftzweig eine wichtige Einnahmequelle geworden. Um regulierungs- wütige Aktionen zu verhindern und sinnvolle umzuset- zen, sollte die Steuerungsgruppe Fahrradverkehr im Ministerium mit entsprechenden Kompetenzen ausge- stattet werden und endlich handeln. Eine gute Maß- nahme wäre die Erneuerung der Schilder für Rad Fah- rende an Wegen und Straßen. Notwendig sind neue Beschilderungen für Fahrradtouristen. Aber bevor man sich ein zusätzliches System ausdenkt, sollte man eher ü d z A m f b e t w s a k h u f R a r r u z s s l f s u w F P b t D u V d L i v A B s t n (C (D ber die „Lichtung“ des allgemein vorhandenen Schil- erwaldes diskutieren. Vorbildlich für eine gut funktionierende Kooperation wischen Politik und Verbänden ist das Projekt des DFC und des baden-württembergischen Wirtschafts- inisteriums mit dem Titel „Bett & Bike – Fahrrad- reundliche Beherbergungsbetriebe in Baden-Württem- erg.“ 1995 gab es 216 Einträge – zehn Jahre später sind s 3 500. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koali- ionsfraktionen, ich will Sie nicht überfordern, daher er- ähne ich nur noch zum Schluss, dass es neben der Um- etzung des Nationalen Radverkehrsplans noch einige ndere Problemfelder gibt, die zum Thema Fahrradver- ehr in Deutschland dazu gehören. Die Verkehrssicher- eit der Rad Fahrenden ist zu bedenken, allerdings ist nterdessen bei dem Zustand der Straßen in Deutschland ast jeder Verkehrsteilnehmer gefährdet. Zum Thema adverkehr und damit auch Straßenverkehr gehört aber uch die Reform der Verkehrserziehung und der Fahrleh- erausbildung. Das Vorhalten von Verkehrsinfrastruktur eicht nicht aus, das Verhalten der Verkehrsteilnehmer ntereinander ist mindestens genauso wichtig. Die Voll- ugsdefizite bei Verkehrskontrollen wie auch die techni- che Ausrüstung von LKW und PKW sind ebenfalls tändig in der Diskussion. Zu guter Letzt komme ich zu meinem Lieb- ingsthema, der DB AG. Sie „aufzufordern, ein Konzept ür die Fahrradmitnahme im Fernverkehr unter Berück- ichtigung des ICE vorzulegen“, wie die Kolleginnen nd Kollegen der Koalitionsfraktionen in ihrem Antrag agen, mag ja noch realistisch sein. Es im Sinne der mit ahrrad Reisenden zu realisieren leider nicht. Aber das roblem würde gar nicht existieren, gäbe es einen Wett- ewerb im Personenfernverkehr auf der Schiene. Also: Die Voraussetzung für einen erfolgreichen Rad- ourismus und damit mehr Fahrrad Fahrenden in eutschland sind ordentliche Radwege, eine einfache nd gut verständliche Beschilderung sowie eine gute ernetzung der verschiedenen Verkehrsträger. Entschei- end dafür ist die enge Zusammenarbeit zwischen Bund, ändern und Verbänden. Einen Nationalen Radverkehrsplan, der unbeachtet in rgendeiner Schublade des Bundesverkehrsministeriums or sich hin modert, braucht keiner. nlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Pilotprojekt für die virtuelle Rekonstruktion von vorvernichteten Stasi-Unterlagen beginnen (Tagesordnungs- punkt 13) Barbara Wittig (SPD): In den letzten Wochen des estehens der DDR hat das Ministerium für Staats- icherheit in großem Umfang Akten vernichtet – auf un- erschiedliche Weise. Circa 16 000 Säcke mit zerrisse- em Material konnten sichergestellt werden – es waren Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 12753 (A) ) (B) ) circa 600 Millionen Schnipsel. Sie stammen überwie- gend aus der Zeit von 1980 bis 1989. Gerade diese Unterlagen aus den letzten Jahren der Existenz der Stasi sind aber von besonderem Interesse. Zwar hatte die Leitung der Stasi mit ihrer Weisung vom 22. November 1989 versucht, die aus ihrer Sicht schutz- würdigen Quellen hastig zu vernichten, doch das gelang zum Glück nur teilweise. Die mehr als 16 000 Säcke mit zerrissenem Material sind der Beweis dafür. Wir alle wissen es zu schätzen, dass fleißige Mitarbei- ter in mühevoller Kleinarbeit per Hand seit 1995 insge- samt mehr als 500 000 Seiten wiederhergestellt haben. Das rekonstruierte Material ist nicht nur interessant – nein, es ist von unschätzbarem historischen Wert. Des- halb ist es auch der politische Wille aller Fraktionen des Bundestages, diese Unterlagen wiederherzustellen, und zwar IT-gestützt. Dass das möglich ist, davon haben wir uns im Fraunhofer-Institut überzeugt. Der Haken ist nur der: Das ganze Projekt mit 16 000 Säcken würde 60 Millionen Euro kosten. Ein Pi- lotprojekt mit nur 400 Säcken würde 6,3 Millionen Euro kosten. Um dieses Pilotprojekt mit nur 400 Säcken geht es der CDU/CSU in ihrem Antrag. Ein solches Pilotprojekt müsste in zwei Phasen ablau- fen: 2005 müsste der Bund 2,2 Millionen Euro für die Weiterentwicklung der Software zur virtuellen Rekons- truktion bis zur Produktionsreife bereitstellen. 2006 wären für die Test- und Evaluierungsphase, in der Unterlagen aus 400 Säcken im industriellen Maßstab rekonstruiert werden sollen, weitere 4,1 Millionen Euro nötig. Diese Mittel haben wir zurzeit nicht – weder für das Pilotprojekt noch für das Gesamtprojekt. Die Bericht- erstatter aller Fraktionen im Haushaltsausschuss haben dies übrigens auch so gesehen. Wenn die CDU/CSU heute in der so genannten Berei- nigungssitzung des Haushaltsausschusses einen Antrag stellt, 2,2 Millionen Euro bereitzustellen, ohne zu sagen, wo dieses Geld hergenommen werden soll, dann ist das unredlich und verantwortungslos. Unsere Position ist folgende: Am Ziel der Rekonstruktion der vorvernichteten Unterlagen halten wir fest. Das Projekt – und zwar das Gesamtprojekt – müssen wir aus finanziellen Gründen zurückstellen. Deshalb muss das Material sicher unterge- bracht bleiben. Abschließend möchte ich deshalb meine besondere Freude darüber zum Ausdruck bringen, dass der Haus- haltsausschuss heute knapp 3 Millionen Euro für 2005 bereitstellen wird, um mit den notwendigen Struktur- maßnahmen in der Behörde der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehema- ligen DDR beginnen zu können. i e t s g v s S r Z F s A M s s z a z d d v O t S ü R A n G d n P z u 1 z n f E n g S t a w m g r d s n n E „ (C (D Hartmut Büttner (Schönebeck) (CDU/CSU): Bereits m Jahr 2000 hat der Deutsche Bundestag beschlossen, lektronische Bildauswertungssysteme zur Rekonstruk- ion von zerrissenen Stasi-Unterlagen einzusetzen. Die- er Beschluss wurde von allen Fraktionen dieses Hauses etragen. Begründet wurde er vor allem damit, dass die orvernichteten Stasi-Unterlagen hochaktuell sind, weil ie vorwiegend aus den letzten DDR-Jahren stammen. ie sind hierdurch besonders wertvoll und authentisch. Aus einem sehr sorgfältigen Ausschreibungsverfah- en, an dem sich 15 Anbieter beteiligt hatten, ging der uschlag schließlich an ein Konsortium aus dem raunhofer-Institut für Produktionsanlagen und Kon- truktionstechnik und der Lufthansa-Tochter GbD. Der usschreibungssieger erstellte zunächst einmal eine achbarkeitsstudie. Diese Studie formulierte die techni- chen Möglichkeiten, die Kosten und auch die politi- che, historische und menschliche Bedeutung der bereits usammengesetzten Unterlagen. In zehnjähriger Puzzletätigkeit sind Papierschnipsel us 250 Säcken zusammengesetzt worden. Das sind war gerade einmal 1,5 Prozent der Gesamtmenge; aus ieser relativ geringen Zahl sind allerdings äußerst be- eutsame personen- und sachbezogene Unterlagen her- orgegangen. Immerhin 970 registrierte Vorgänge über pfer und Täter haben sich hieraus ergeben. Aus der Li- eratur waren es Günter Wallraff, Sascha Anderson, tefan Heym oder Jürgen Fuchs. Es fand sich Material ber die Dopingmediziner Wendler und Krämer, die AF-Terroristen Baader/Ensslin, Maier-Witt oder lbrecht; aber auch wichtige Unterlagen über Oppositio- elle wie Robert Havemann, Bärbel Bohley, Ulrike und erd Poppe, Rainer Eppelmann oder Wolf Biermann wur- en zusammengesetzt. Von den Sachvorgängen nenne ich ur Berichte und Maßnahmen zu Parteiengründungen und rotestbewegungen des Herbst 1989, über Verhandlungen um Grundlagenvertrag oder über Rechtsextremismus nd jugendliche Randgruppen in der DDR. Damit sind in den insgesamt noch nicht bearbeiteten 6 250 Säcken noch zahlreiche interessante Unterlagen u erwarten. Das Pilotprojekt hätte den Charme, nicht ur die praktische Wirksamkeit des elektronischen Ver- ahrens in der Alltagspraxis auf den Prüfstand zu stellen. s würde vielmehr auch ohne eine mögliche Fortsetzung ach einem Jahr Sinn machen. Mit Blick auf die bisheri- en wertvollen Erkenntnisse der zusammengepuzzelten eiten sind auch aus den 400 zusätzlichen Säcken wei- ere interessante Inhalte zu erwarten. Wir wissen jetzt uch, dass das Puzzeln von Hand sogar bedeutend teurer ar als die elektronische Anwendung; denn auch das anuelle Verfahren war nicht umsonst. Wenn man die leichen Maßstäbe anwendet, welche das Innenministe- ium für das elektronische Verfahren gesetzt hat, dann ist as Handpuzzeln dreimal so teuer wie die neuen techni- chen Möglichkeiten. Bisher sind in zehn Jahren immerhin 11,385 Millio- en Euro für 250 Säcke aufgewandt worden. Elektro- isch rekonstruiert kosten 400 Säcke jetzt 6,3 Millionen uro. Leider scheinen Sie von Rot-Grün die Maxime Hinhalten der Opposition und der Wissenschaft durch 12754 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 (A) ) (B) ) Beschäftigung“ ausgegeben zu haben. Eine ganze Reihe von Terminen mit der Birthler-Behörde, mit dem Fraun- hofer-Institut und mit den Haushaltsberichterstattern sollte der Öffentlichkeit vorspielen, sei Rot-Grün es mit dem Suchen nach einer Lösung wirklich ernst. Vollmun- dig wird immer wieder die Wichtigkeit der weiteren Aufarbeitung der Stasi-Akten betont. Noch am 22.Okto- ber 2003 wollte Herr Wiefelspütz „das Projekt energisch vorantreiben“. Er sagte wörtlich: „Es dauert mir zu lange.“ Wenn es allerdings konkret wurde, dann wurden sie ganz kleinlaut. Ihr ganzer Aktionismus war also reine Nebelwerferei. Seit dem Juli 2000 haben sie mehrmals Anträge der Union abgelehnt, zumindest erste kleinere Summen in die jeweiligen Haushalte einzustellen. Herr Wiefelspütz und Frau Stokar haben uns immer wieder versichert, dass die Regierung ihren Worten auch glaub- hafte Taten folgen lassen würde. Bei den Haushaltsbera- tungen im Innenausschuss mussten sie kapitulieren. Sie stellten keinen einzigen Cent für das Projekt ein. Herr Wiefelspütz selbst bezeichnete diesen Vorgang als „Stunde der Wahrheit“. Gerade in diesen Tagen fällt auf, dass diese Bundesre- gierung nach wie vor ein gebrochenes Verhältnis zur Überwindung der deutschen Teilung hat. Sie will die Häftlingshilfestiftung für SED-Opfer im nächsten Jahr abwickeln. Sie stattet die Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur nicht mit den notwendigen Mitteln aus. Engagierte Koalitionsvertreter wie Markus Meckel oder Werner Schulz beklagen sich zu recht darüber. Sie wollte sogar allen Ernstes den Tag der Deutschen Einheit als gesetzlichen Feiertag streichen. Die Aufarbeitung und Bewältigung der SED-Diktatur hat bei dieser Regierung keine Lobby. Die Regierung hat sich auch geweigert, die neu ent- standene Gerechtigkeitslücke in Deutschland zu schlie- ßen. Die Forderung des Bundesverfassungsgerichts nach verbesserten Rentenregelungen für ehemals staatsnahe Personen bis hin zu Stasi-Mitarbeitern wurde von ihr er- füllt. Gleichzeitig stimmte sie aber gegen unseren Antrag nach einer Besserstellung der SED-Opfer. Herr Schily lehnte zudem ab, gemeinsam mit Frau Birthler in der Sendung vom 19. September bei Sabine Christiansen vor die Kamera zu treten. Dabei ist die Stasi-Unterlagen- behörde zu einem Exportschlager für viele Staaten ge- worden, die gerade eine linke oder rechte Diktatur über- wunden haben. Die Birthler-Behörde ist ein moralischer TÜV, der für die Ausbildung einer verfeinerten politischen Kultur in Deutschland von immenser Wichtigkeit ist. Immer weni- ger Menschen kennen die DDR aus eigenem Erleben. So kommt Einrichtungen wie der Stasi-Unterlagenbehörde oder der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur eine immer größere Bedeutung zu. Wenn die Regierung schon für die Deutsche Einheit und für die Opfer der SED-Diktatur nur wenig übrig hat, dann sollte sie doch wenigstens der Anwendung einer neuen technischen Innovation eine Chance geben. M s F e H f f w w V A g m B t t F n d w D d b s D G u W s w r v s m m d z V s (C (D Angeblich will die Regierung auch deshalb keine ittel in die Vergangenheitsbewältigung stecken, weil ie einen Schwerpunkt ihrer Politik in der Förderung von orschung und Technologie sieht. Unter dem Eindruck ines Transrapid, der im Alltagsbetrieb nicht zwischen amburg, Schwerin und Berlin, sondern in China fährt, ällt es allerdings schwer, ihr dies zu glauben. Wenn die Bundesregierung diese Maxime trotzdem ür sich beansprucht, dann verstehe ich überhaupt nicht, arum sie die Chancen nicht nutzen will, die sich aus eiteren Anwendungsmöglichkeiten des elektronischen erfahrens ergeben. Wie wir wissen, bestehen aus dem usland bereits Anfragen für so unterschiedliche Fach- ebiete wie Archäologie, Kunst, Medienwirtschaft, Kri- inal- und Polizeitechnik. Seit Monaten fordere ich die undesregierung auf, einen Vertragsentwurf zu erarbei- en, der dem Deutschen Bundestag die Rechte an dem echnischen Verfahren sichert. Bereits im Mai hat das raunhofer-lnstitut in einem Schreiben an das Innenmi- isterium und an Berichterstatter darauf hingewiesen, ass die Umsetzung dieser Pläne nur gelingen wird, enn es schnell geht. Wörtlich heißt es: Wie der internationale Forschungs- und Industrie- markt zeigt, hängen Innovationen insbesondere da- von ab, wie schnell man Ideen umsetzen kann. Wir müssen leider bereits registrieren, dass in mehreren Ländern Forschungszentren bzw. Industrieunter- nehmen unsere Ideen im Zusammenhang mit der virtuellen Rekonstruktion aufgegriffen haben, man von staatlicher und privater Seite investiert und in diese Richtung Produkte plant. Es wäre schade, wenn der wissenschaftliche und technische Vor- sprung verspielt wird und hoch qualifizierte Ar- beitsplätze in unserem Land nicht entstehen wür- den. Ich kann die Regierung nur bitten, nach vier Jahren iskussion endlich ein Zeichen zu setzen. Nutzen wir ie sich bietenden Möglichkeiten zur praktischen Aufar- eitung der SED-Diktatur! Geben wir dem neuen techni- chen Verfahren eine praktische Anwendungschance in eutschland! Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/DIE RÜNEN): Im Berliner Ministerium für Staatssicherheit nd seinen Bezirksverwaltungen lief während der ende zwischen Herbst 1989 und Januar 1990 eine bei- piellose Aktion zur Spurenverwischung. MfS-Offiziere ollten die Spuren ihrer Tätigkeit verwischen. Sie zer- issen Unterlagen und bereiteten sie für die Vernichtung or. Das Ergebnis: 16 000 Säcke voll mit Papierschnip- eln, die erhalten geblieben sind. Nun sollen die Frag- ente mit Computerhilfe automatisiert wieder zusam- engesetzt werden. Nach der Besetzung von Kreis- und Bezirksstellen es MfS im Dezember 1989 konnten Bürgerkomitees usammen mit der Militärstaatsanwaltschaft und der olkspolizei einen großen Teil dieses nicht endgültig, ondern eben nur vorvernichteten Materials sichern. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 12755 (A) ) (B) ) Nach Gründung der Behörde des BStU wurden circa 16 000 Säcke gezählt, die circa 600 Millionen Papier- schnipsel enthalten. Die Erschließungsergebnisse bestä- tigten die Annahme, dass die Stasi-Offiziere 1989 vor al- lem aktuelle und brisante Unterlagen aus den letzten 20 Jahren der DDR zu vernichten suchten. Im Jahr 1995 wurde in Zirndorf bei Nürnberg damit begonnen, besonders relevante Unterlagen per Hand zu- sammenzusetzen. Die so genannte Projektgruppe Re- konstruktion besteht gegenwärtig aus zwölf Beschäftig- ten des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge. In mühevoller Arbeit haben die Beschäftig- ten über 500 000 Blatt wieder zusammengefügt. Das ent- spricht circa zehn Blatt pro Tag und Mitarbeiter. Mate- rialien aus 250 Säcken konnten rekonstruiert werden. Der Bundestag hat allen Anlass, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für diese wichtige und verdienstvolle Arbeit zu danken. Mithilfe der manuellen Rekonstruktion konnten be- reits über 1 000 Vorgänge rekonstruiert werden. Das wa- ren keineswegs unwichtige Begebenheiten, sondern An- gelegenheiten von erheblicher öffentlicher Bedeutung. Die Birthler-Behörde macht hier darauf aufmerksam, dass es sich beispielsweise bei IM-Unterlagen wie Ver- pflichtungserklärungen um Unikate handelt. Wiederhergestellt wurden auch Opferakten, mit deren Hilfe Menschen, die von der Stasi verfolgt wurden, ihre Rehabilitierung betreiben können. In den Säcken befin- den sich auch Spionageunterlagen der Abteilung XV, die nicht allzu häufig vorhanden sind. Die Befunde der Zirndorfer Arbeit veranlassten dann den Bundestag in einem fraktionsübergreifenden Be- schluss vom Dezember 2000, die Bundesregierung auf- zufordern, die Birthler-Behörde bei ihren Bemühungen zu unterstützen, das zeit- und kostenintensive manuelle Verfahren durch ein geeignetes IT-gestütztes Verfahren zu ersetzen. Dies war Veranlassung für die BStU, schnel- lere und effektivere Alternativen zur händischen Er- schließung der Unterlagen aus den Papiersäcken zu suchen, nachdem sich erste Überlegungen als zu kost- spielig erwiesen hatten. Den Zuschlag bekam das Fraun- hofer-Institut für Produktionsanlagen und Konstruk- tionstechnik. Uns liegt der Vorschlag für ein Pilotprojekt vor. Für die Entwicklung der Software bis zur Produktionsreife würden im Haushalt 2005 2,2 Millionen Euro benötigt. Die Test- und Evaluierungsphase würde später beginnen, aber 2006 würden Haushaltsmittel von 4,1 Millionen Euro benötigt. Alles in allem beläuft sich die Kalkula- tion auf circa 57,5 Millionen Euro, wenn man die För- dergelder einrechnet. Angesichts der Haushaltslage hat diese Zahl dazu ge- führt, dass wir noch nicht so weit sind, im Bundeshaus- halt verbindliche Zusagen machen zu können. Für mich persönlich und für meine Fraktion heißt das aber nicht, dass wir dieses wichtige Projekt beerdigen. Zwei Über- legungen veranlassen mich, die Zuversicht nicht aufzu- geben: Zunächst einmal bezieht sich die zitierte Gesamt- kalkulation auf alle Kosten im Zusammenhang mit dem P Z f k w k L n S d w e r t j z A b t a s w f z s v l w 1 s B s s n 5 s s w s S b j U M l e s f (C (D rojekt. Wir müssen aber auch die Kosten der manuellen usammensetzung der Akten mit einberechnen. Allein ür die Jahre 1995 bis 2004 beliefen sich die Personal- osten der Behörde auf über 10 Millionen Euro. Eine eitere Million kommt durch die rechnerischen Miet- osten beim BAFL hinzu. Ich denke auch, dass wir die Varianten näher unter die upe nehmen müssen, die eine Rekonstruktion von we- iger Säcken vorsehen. Möglicherweise lässt sich durch tichproben eine bessere Vorsortierung nach dem Grad er Wichtigkeit vornehmen. Lassen Sie mich zusammenfassend festhalten, dass ir fraktionsübergreifend weiter versuchen müssen, hier ine Lösung zu finden, die der zeitgeschichtlichen He- ausforderung, aber auch der Haushaltslage Rechnung rägt. Gisela Piltz (FDP): In Zeiten, in denen sich nach üngsten Umfragen fast jeder fünfte Deutsche die Mauer urückwünscht und der Bundesfinanzminister als erste lternative den Tag der Deutschen Einheit am 3. Okto- er streichen würde, wird deutlich, dass die Aufarbei- ung der DDR-Diktatur nach wie vor aktuell ist und auch ktuell sein muss. Natürlich müssen wir uns in der wirtschaftlich ange- pannten Lage in Deutschland die Frage gefallen lassen, as wir uns leisten können und was nicht. Das gilt auch ür diesen Bereich. Fakt ist: Die Wiederherstellung der errissenen Stasi-Unterlagen ist ein wichtiger Mosaik- tein der Aufarbeitung. In den Zeiten der Wende wurden on den Stasi-Mitarbeitern systematisch wichtige Unter- agen zerrissen. Das, was in dieser Zeit zerrissen wurde, ar mit Sicherheit wichtig. Das Ergebnis sind über 6 000 Säcke voll mit Papierschnipseln. In den Jahren eit 1995 haben sich zuletzt 13 Mitarbeiter der Birthler- ehörde mit dem Zusammenfügen der Puzzlestücke be- chäftigt. In fast zehn Jahren sind so 250 Säcke fertig ge- tellt, 250 von 16 000. Bei diesem Tempo müssten sich die letzten Betroffe- en bis zur Aufklärung einer Bespitzelung noch über 00 Jahre gedulden. Das darf nicht sein. Wie wir alle wissen, könnte mittels eines computerge- tützten technischen Verfahrens eine Rekonstruktion we- entlich schneller und kostengünstiger vorgenommen erden. Die schlichte Frage ist doch: Wollen wir die zerris- enen Akten jetzt wiederherstellen oder packen wir die äcke in den Keller, bis irgendwann dafür wieder Geld ereitsteht? Ich bin der Überzeugung, wir müssen es etzt anpacken. Mit einem ersten Schritt, dem Pilotprojekt, könnten nterlagen aus insgesamt 400 Säcken im industriellen aßstab rekonstruiert werden, deutlich mehr als in den etzten zehn Jahren per Hand. Die FDP hat immer die Auffassung vertreten, dass bei iner konsequenteren Umsetzung der neuen Regional- truktur der BStU das hierfür notwendige Geld zur Ver- ügung stehen könnte; denn uns war immer klar, dass 12756 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 (A) ) (B) ) zwei neue Großprojekte in diesem Bereich kaum zu finanzieren sind. Dies ist von Rot-Grün im Innenaus- schuss bis vor kurzem immer bestritten worden. Aber es ist eben einfach, erst alle mit einzubinden; aber wenn es um die konkrete Finanzierung geht, kneifen Sie. Sie haben sich nicht wirklich mit unseren Vorschlägen auseinander gesetzt, auch nicht mit denen der Haushäl- ter. Ihnen ist eine halbgare Regionalstruktur lieber als ein Anfang bei der Rekonstruktion. Mit unseren Vor- schlägen müssten keine Mitarbeiter entlassen werden und sie könnten zu den Rekonstruktionsarbeiten heran- gezogen werden. 400 Säcke zerrissener Akten wären da- mit innerhalb kurzer Zeit zusammengefügt und auswert- bar. Im Vergleich zur manuellen Rekonstruktion mit über zehn Jahren Bearbeitungszeit für weniger Säcke und Kosten von über 10 Millionen Euro ist das ein ganz erheblicher Vorteil. Ich bin gespannt, wie Sie den Betroffenen erklären wollen, dass sie zwar problemlos ihre Akten einsehen könnten, aber sie nicht wissen, ob es vielleicht noch mehr Unterlagen gibt, weil die noch nicht zusammenge- setzt sind. Aufgabe der BStU ist die Lagerung und die Wiederherstellung. Das sollten wir immer bedenken. Auch 15 Jahre nach dem Fall der Mauer sollten wir der Aufarbeitung der DDR-Diktatur einen hohen Stel- lenwert einräumen. Die Rekonstruktion ist dazu ein wichtiger Beitrag. Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister des Innern: Das Pilotprojekt für die Rekon- struktion vorvernichteter Unterlagen ist ein ehrgeiziges Projekt. Ehrgeizig nicht nur hinsichtlich der technischen Herausforderung, in mehr als 16 000 Säcken aufbe- wahrte Aktenschnipsel einzuscannen und elektronisch zusammenzusetzen, sondern leider auch hinsichtlich der hierfür erforderlichen Kosten. Ich will hier nicht missverstanden werden: Diese Ein- leitung soll nicht den Versuch darstellen, ein unliebsa- mes Projekt über die Kostenfrage zu beerdigen. Die Bundesregierung teilt das mit dem Projekt verfolgte Ziel, neue Erkenntnisse über die Arbeit des Ministe- riums für Staatssicherheit sowie über Täter und Opfer zu gewinnen. Die Aufarbeitung der SED-Diktatur und ihres Macht- und Repressionsapparates ist eine Aufgabe, der die Bundesregierung unverändert einen hohen Stellen- wert einräumt. Hierzu gehört selbstverständlich auch der finanzielle Einsatz. Ich darf daran erinnern: In den Jahren 1999 bis 2003 sind jährlich weit über 100 Millionen Euro allein in die Behörde der Bundesbeauftragten geflossen. Trotz der angespannten Haushaltslage sieht der Regierungsent- wurf für die Behörde der Bundesbeauftragten – wie 2004 – auch im Jahr 2005 beachtliche 99 Millionen Euro vor. An der Bewältigung der historischen Aufgabe der Aufarbeitung der SED-Diktatur arbeiten dort mehr als 2 300 Mitarbeiter. Insgesamt flossen seit 1991 dafür aus dem Bundeshaushalt rund 1,5 Milliarden Euro. d n t g t f E 6 g A v – w b d f B h U v V m f w g s d d n l g B i d t s h M d w h w c c j d k i s w v g (C (D Es ist aber leider eine unumstößliche Tatsache, dass arüber hinaus im Haushalt 2005 kein Spielraum für eue, kostenintensive Projekte vorhanden ist. Die Kos- en für die Rekonstruktion der vorvernichteten Unterla- en beschränken sich leider nicht auf die in Ihrem An- rag erwähnten 6,5 Millionen Euro. Die Gesamtkosten ür das Projekt betragen vielmehr rund 65 Millionen uro. Hinzu kommen jährliche Folgekosten von circa 00 000 Euro, die im Kapitel der Behörde zu veranschla- en wären. Wer diesen Zusammenhang nicht nennt – Ihr ntrag verschweigt diese Tatsache –, rechnet den Betrag on 6,5 Millionen Euro für das Pilotprojekt letztlich das muss man ehrlicherweise sagen – schön. Ob die Durchführung einer Pilotstudie Sinn macht, enn nicht zumindest Aussichten bestehen, die zu erpro- ende Technik dann auch wie geplant einzusetzen und as Gesamtprojekt durchzuführen, erscheint mir zwei- elhaft. Ich bestreite nicht die fachkundige Analyse der undesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, die darauf ingewiesen hat, dass aus den bereits rekonstruierten nterlagen vor allem historisch und archivarisch wert- olle Erkenntnisse gewonnen wurden. Dennoch: Der ergleich der mutmaßlichen Ergebnisse der Pilotstudie it den Aufwendungen und Ergebnissen der bisher er- olgten manuellen Rekonstruktion ist unredlich. Dies eiß jeder, der die personalwirtschaftlichen Hinter- ründe kennt. Hinzu kommt, dass – auch dies gehört zu einer voll- tändigen Abwägung – die Pilotstudie – so sagt schon ie Bezeichnung – nicht ohne technisches Risiko ist. Ob ieses Risiko sowie die übrigen Einschränkungen hin- ehmbar sind, ist letztlich eine Abwägungsfrage, die al- erdings nicht isoliert, sondern nur unter Berücksichti- ung auch der Haushaltslage beantwortet werden kann. Wie sind hier die Gegebenheiten? Der Haushalt des undesministeriums des Innern für das kommende Jahr, st durch Personalausgaben sowie von Mehrausgaben für en Sicherheitsbereich gekennzeichnet. Gleichwohl leis- et das Bundesinnenministerium auch seinen solidari- chen Beitrag für die Konsolidierung des Bundeshaus- alts. So sind unter anderem 100 Millionen Euro globale inderausgabe im Haushaltsjahr 2005 im Einzelplan es Bundesinnenministeriums zu erwirtschaften. Bei der vorhandenen Haushaltslage muss der Ge- ährleistung und Weiterentwicklung der inneren Sicher- eit Priorität vor anderen, durchaus bedeutenden und ünschenswerten Aufgaben eingeräumt werden. Für Si- herheitsüberprüfungen der Beschäftigten im öffentli- hen Dienst und anderer Personengruppen wird das Pro- ekt ohnehin, und zwar weder das Gesamtprojekt noch ie Pilotstudie, keine nutzbaren Erkenntnis mehr bringen önnen, denn wie Ihnen bekannt ist, werden die Fristen nsoweit Ende 2006 auslaufen. Bei einer Verbesserung der Haushaltslage – darin sind ich wohl die Fachpolitiker aller Fachrichtungen einig – erden wir das Projekt der IT-gestützten Rekonstruktion orvernichteter Unterlagen erneut auf die politische Ta- esordnung setzen. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 12757 (A) ) (B) ) Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Zu dem Übereinkommen Nr. 185 der Inter- nationalen Arbeitsorganisation über Aus- weise für Seeleute und zur vereinfachten Freistellung vom Visumserfordernis (Tagesordnungspunkt 14) Dr. Margit Wetzel (SPD): Im Juni 2003, unmittelbar nachdem 129 Mitgliedsländer der ILO mit allen Stim- men der deutschen sowie der amerikanischen Delegation das neue Übereinkommen über Identitätsausweise für Seeleute angenommen hatten, appellierte der Verband Deutscher Reeder an die Bundesregierung und die Ge- setzgebungsorgane, die innerstaatliche Gesetzeslage rasch an das neue Übereinkommen anzupassen und des- sen Ratifizierung unverzüglich in die Wege zu leiten, da- mit es zu einer schnellen internationalen Anwendung des Übereinkommens kommt, um bereits eingeleitete regio- nale Eigenentwicklungen künftig zu verhindern, die nicht im Interesse der weltweiten und nationalen See- schifffahrt liegen. Eigentlich ganz im Sinne der Regie- rung, denn schon die G-8-Gipfeltreffen 2002 in Kanada und im Juni 2003 in Frankreich hatten diese Forderung aufgestellt. Diese hochrangigen Bemühungen und der Appell der Reeder hatten und haben einen sehr realen Hintergrund: Die Internationale Konvention der IMO zum Schutz von Schiffen und Häfen vor terroristischen Anschlägen, der so genannte ISPS-Code, der auf Drängen Amerikas Ende 2002 beschlossen und über die SOLAS-Vereinba- rung schnellstmöglich, nämlich zum 1. Juli 2004, inter- national in Kraft gesetzt wurde, hatte die Fragen der Identitätskontrolle von Schiffsbesatzungen ausgespart. Hier musste also dringend nachgearbeitet werden. Wieso dringend? Weil nach den Anschlägen vom 11. Septem- ber das internationale Bemühen um „security“ eine über- ragende Bedeutung gewann, sich aber niemand Gedan- ken darum machte, dass die 90 Prozent des Welthandels, die über Schiffe abgewickelt werden, Arbeitskräfte brau- chen, die an Bord dieser Schiffe arbeiten, die ihren Ar- beitsplatz „Schiff“ in Häfen erreichen müssen. Besatzun- gen – will man sie nicht wie Gefangene am Arbeitsplatz behandeln, sondern ihnen ihre ganz normalen Men- schenrechte zugestehen – müssen in Häfen zum Land- gang von Bord dürfen. Reeder haben ein absolut ver- ständliches Interesse daran, den Crewwechsel so reibungslos wie möglich vollziehen zu können: Die Identität von Seeleuten muss auf verlässlicher, moderns- ter und international einheitlicher Grundlage, kosten- günstig und schnell feststellbar sein, damit eine ausge- wogene Balance geschaffen wird zwischen den Sicherheitsbedürfnissen der Staaten, den individuellen Menschenrechten der Seeleute und den Handelsinteres- sen der Wirtschaft. Dies alles wurde mit der ILO Konvention 185 er- reicht. Unsere französischen Nachbarn haben zum Bei- spiel sehr schnell ratifiziert: Die ILO 185 wird zum 9 n D n m i t i t l s S v b P m d s v a D e d w g g g D d v W P s m d L h v t p Z z I ü d e a d h d H z z v t T v z (C (D . Februar 2005 in Kraft treten. Jeder Seemann soll ei- en international gleichen Identitätsausweis erhalten, ein okument, das ihm die aktive Berufsausübung beschei- igt, das später gegebenenfalls ein biometrisches Merk- al enthält, ein Dokument, dessen Daten für Kontrollen n einer international stets zugänglichen nationalen Da- enbank gespeichert sind: das Dokument, das ihm nach nternationalem Übereinkommen ohne weitere Bürokra- ie den Landgang und zusammen mit seinem Pass mög- ichst auch die visumsfreie Durchreise zum Schiffswech- el oder zum Heimaturlaub ermöglichen soll. icherheitsbegründete Ausnahmeregelungen sind selbst- erständlich möglich. Deutschland aber hat die Konvention wider Erwarten isher nicht ratifiziert, sondern ist immer noch mit der rüfung befasst. Und genau hier setzt der eigentlich ein- ütige Wille des Parlaments – quer über alle Fraktionen es Bundestages – ein: Wir wollen, dass die Prüfung chnellstmöglich zu Ende gebracht, die Ratifizierung orgenommen, in nationales Recht umgesetzt und vor llem so schnell wie möglich zur Realität gebracht wird. ie Unterschiede bezüglich des möglichen Verzichts auf in Visum in den Anträgen der Fraktionen dürfen wir bei ieser Debatte getrost vernachlässigen: Sie kommen, enn überhaupt, erst zum Tragen, wenn es die nationale esetzliche Implementierung der Prüfungsergebnisse ibt. Gerade bei der Visumsfrage sollten wir einen er- änzenden Blick auf die vom Europäischen Rat geplante atenbank des Visa-Informationssystems VIS werfen, as inklusive der biometrischen Daten bis Ende 2007 erwirklicht sein soll. Warum haben wir Parlamentarier es denn so eilig? arum drängen wir in Form von Anträgen und einer lenardebatte die Ministerien zur Eile, wenn doch schon eit mehr als einem Jahr geprüft wird? Werfen Sie mit ir einen Blick auf die derzeitige Praxis in vielen Häfen er Welt: Landgang ist für Seeleute aufgrund der kurzen iegezeiten ihrer Schiffe inzwischen auch ohne Sicher- eitshintergrund schon schwierig geworden. Für viele on ihnen ist er inzwischen unmöglich. Zahlreiche wich- ige Welthäfen haben seit dem 1. Juli 2004 derart kom- lizierte, bürokratische Sicherheitsvorschriften, dass die eit nicht reicht, all die bürokratischen Anforderungen u erfüllen. So wird Verzicht auf Landgang erzwungen. n vielen Häfen dürfen Seeleute aus islamischen Ländern berhaupt nicht mehr von Bord. In manchen Häfen darf ie ganze Besatzung nicht von Bord, wenn die Angaben ines einzelnen Seemanns meist islamischer Herkunft ngezweifelt werden. Selbst schwer kranke Seeleute urften in amerikanischen Häfen nicht von Bord zur Be- andlung gebracht werden. Das erinnert fatal an Rassen- iskriminierung. Oder stellen Sie sich vor, was mir aus dem Hafen amburg berichtet wurde: Ein Seemann darf sein Schiff um Landgang verlassen und soll, weil sein Schiff in- wischen zum Laden oder Löschen an einen anderen Kai erholt, dort nach drei Stunden wieder seine Arbeit an- reten. Er kann aber nicht an Bord, weil an dem anderen erminal andere Sicherheitsvorschriften gelten, die er orher nicht kannte. Was dann? Pakistanische Besat- ungsmitglieder durften in Brunsbüttel nicht einmal zum 12758 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 (A) ) (B) ) Landgang von Bord, um mit ihren Familienangehörigen zu telefonieren. Oder denken Sie an all die Reedereien, die ihre Crew wie üblich in irgendeinem Hafen der Welt auswechseln wollen: Die alte Besatzung darf nicht von Bord, darf nicht zum Flughafen, um zum nächsten Schiff zu kommen oder den verdienten Heimaturlaub anzutre- ten. Auch das ist übrigens in unserem Welthafen Ham- burg geschehen. Wie viele Besatzungen mussten deshalb schon weiterarbeiten und an Bord bleiben, obwohl der Heuervertrag zu Ende war. Wie viel Leid bei Seeleuten, wie viele unnötige Kosten bei Reedereien sind daraus bereits entstanden. Seeleute werden wirklich zu Gefan- genen auf ihren Schiffen – das kann so nicht bleiben, das muss schnellstens geändert werden. Landgang ist für den Seemann ein ebenso grundle- gendes Menschenrecht wie das Recht darauf, seinen Ar- beitsplatz erreichen und verlassen zu dürfen. Was wür- den wir sagen, wenn man uns in unseren Häusern einsperrte, Besucher nicht durchlässt und uns das Verlas- sen des Hauses aus Sicherheitsgründen untersagt? Das ist nicht vergleichbar? Oh doch! Denn auch Besuch darf der Seemann in vielen Häfen nicht mehr empfangen. Da ist zum Beispiel die Kapitänsfrau, die nach langer An- reise zu ihrem Ehemann in der Schleuse Kiel-Holtenau nicht an Bord durfte. Selbst den Diakonen der See- mannsmission und den Vertretern der Gewerkschaft wird das Betreten der Schiffe unendlich schwer gemacht: Sie sind es, die wenigstens noch Kontakt zur Außenwelt schaffen können, die Medikamente, Briefe von Angehö- rigen oder die dringend benötigten Telefonkarten brin- gen könnten – wenn man sie ließe. Aber auch da sieht es schlimm aus: Seemannsdiakone berichten davon, dass sie sich beim Zugang zum Hafen ausweisen müssen, am Terminal noch einmal und an Bord des Schiffes ein drit- tes Mal. In vielen Fällen müssen sie ihren Identitätsnach- weis abgeben, was nach Verbrauch von Personalausweis und Führerschein dann letztlich schwierig wird. Da können wir nicht tatenlos zusehen. In jedem Ha- fen, an jedem Kai, auf jedem Schiff andere Sicherheits- bestimmungen – so kann kein Seemann arbeiten. Und genau deshalb, aus dieser Verantwortung den Arbeitge- ber für ihre Besatzungen heraus, kam auch der eingangs erwähnte Appell der Reeder, dass wir für eine schnellst- mögliche Umsetzung der Konvention 185 sorgen sollen. Deshalb nun die einmütige Aufforderung der Fraktionen an die Mitarbeiter in den Ministerien, die dort ihrer Prüf- arbeit nachgehen: Bitte denken Sie daran, dass auf den Schiffen Menschen arbeiten, Menschen mit dem Bedürf- nis nach unbürokratischem Landgang, mit dem Bedürf- nis, ihren Arbeitsplatz zu erreichen und verlassen zu können, mit dem Bedürfnis, zurück in die Heimat zu ih- rer Familie zu fahren. Um mehr geht es nicht, aber auch nicht um weniger. Was unsere französischen Nachbarn können, wollen wir auch, nämlich schnellstmöglich die ILO Konvention 185 ratifizieren. Seeleute dürfen nicht de facto über ihren Beruf als potenzielle Terroristen dis- kriminiert werden. 129 Länderdelegationen haben im Wissen um den ISPS-Code im Juni 2003 ihr Bestes ge- tan, um die Menschenwürde der Seeleute, die Handelsin- teressen der Reeder und die Sicherheitsbedürfnisse der Staaten in Einklang zu bringen. Die Ausweise für See- l t a l r d R d F g t b G z s U b B l d b u e 2 3 s G T z U g n s d z n w p w J D z K o g g m d s d n A n i (C (D eute, den damit visumsfreien Landgang und die erleich- erte Durchreise – wo immer vertretbar – ohne Visum, ber mit internationalem Seemannsausweis und nationa- em Pass, hätte es – als Gebot der Menschenwürde – be- eits zum 1. Juli 2004 geben müssen. Ich danke Ihnen für die – trotz kleiner Differenzen – och im Kern breite überfraktionelle Unterstützung zur atifizierung der ILO-Konvention 185. Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Seit en Terroranschlägen des 11. Septembers 2001 haben ragen von Sicherheit und Schutz einen neuen herausra- enden Stellenwert erhalten. Jeder bekommt das fast agtäglich am eigenen Leib zu spüren: am Flughafen, eim Grenzübertritt, bei der Abschirmung öffentlicher ebäude. Überall haben die Sicherheitsvorkehrungen ugenommen. Handel und Tourismus sind in Mitleiden- chaft gezogen, besonders beim Warenverkehr mit den SA. Die Folgen sind bekannt und wirken weltweit. Auch und ganz besonders ist die Seeschifffahrt davon etroffen. Jedoch wird dieses Mehr an Auflagen und ürokratie, an Zeitaufwand und Kosten von der Öffent- ichkeit nur wenig wahrgenommen, weil sich die Han- elsmarine derzeit in einem Boom, in einem Aufwind efindet wie seit Jahren nicht mehr. Unsere Reeder, nsere deutschen Schifffahrtsgesellschaften sind derzeit rfolgreich wie nie zuvor! Sie bereedern nahezu 500 Handelsschiffe mit einer Bruttoraumzahl von 7,5 Millionen, das heißt eine Vervierfachung der Flotte eit 1991. In der Welthandelsflotte nimmt die deutsche esamtflotte nach Eigentumsverhältnissen und BRZ- onnage hinter Griechenland, Japan und Norwegen in- wischen den vierten Platz ein. China und sogar die SA sind längst überholt. Zu diesem Erfolg sollten wir ratulieren und die Tüchtigkeit aller Beteiligten anerken- en. Die beispielhafte Entwicklung der deutschen See- chifffahrt, aber auch der Boom in der Weltschifffahrt ecken jedoch Defizite auf: Die Nachfrage nach qualifi- iertem Seepersonal steigt ständig, das Angebot leider icht. Im Gegenteil: Immer weniger junge Menschen ollen zur See fahren. Mangel an deutschem Seefach- ersonal ist die Folge, der Arbeitsmarkt für Seeleute ist ie leer gefegt. Auch deshalb, weil wir in den letzten ahren versäumt haben, auf den Nachwuchs zu setzen. ie Reeder greifen zunehmend auf ausländische Crews urück. Schiffspersonal kommt heutzutage aus Indien, roatien, Russland und vielen anderen Ländern und das, bwohl die deutschen Fachkräfte als die Zuverlässigsten elten, so die Einschätzung des Vorstandes der Flensbur- er Reedereien Tom Jakob. Die momentane gespannte Lage auf dem Arbeits- arkt für Seeleute hat allerdings viele Väter: So zwingt er wachsende Kostendruck die deutschen Reeder dazu, ich ausländisches Personal ins Boot zu holen. Beson- ers nach der Osterweiterung ist es einfacher denn je, ei- en kroatischen oder polnischen Seemann einzustellen. ber auch Mitarbeiter aus anderen Kontinenten sind zu- ehmend verfügbar. Der große Unterschied besteht nicht n der Ausbildung, sondern in den Kosten: So schlägt ein Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 12759 (A) ) (B) ) indischer Kapitän lediglich mit 5 000 Dollar im Monat, ein deutscher mit 12 000 bis 15 000 Dollar zu Buche. Junge deutsche Anwärter für den Dienst auf See wissen um ihre Konkurrenz und bewerben sich erst gar nicht. Aber auch die Lotsen werben massiv um hoch qualifi- zierte Seeleute und verschärfen den Nachfrageüberhang auf dem Markt, weil sie selber Nachwuchsmangel ha- ben. Sie locken mit hoher Bezahlung und attraktiven Ar- beitszeiten an Land. Auch der relativ hohe Verdienst trägt zum Abgang von Bord bei. Kostendruck und inter- nationaler Wettbewerb dürfen jedoch nicht über das ei- gentliche Problem bei der Nachwuchsförderung von Seepersonal hinwegtäuschen: Über 20 Jahre lang wurde dieser Beruf in seiner Bedeutung, seinen Herausforde- rungen und seiner Attraktivität unter Wert diskutiert. Motive wie viel Geld und viele Abenteuer stehen bei vielen Berufsanfängern nicht mehr so hoch im Kurs wie früher. Freizeit und Familie kommen heutzutage an ers- ter Stelle. Monatelanges Vagabundieren auf den Ozea- nen ist nicht mehr angesagt. Das Bild des fliegenden Holländers ist bei vielen noch im Kopf, wenn es ums Anheuern auf einem Schiff geht, und das, obwohl sich die Zeit auf See wesentlich verkürzt hat: Wurde früher im Schnitt noch 9 Monate zur See gefahren, so sind es heute noch 3 bis 4 Monate. Genügend Zeit für Frau und Kind. Hoffentlich. Mangelnde Attraktivität des Berufstandes scheint ein Hauptproblem zu sein, auch wenn jetzt nach Angaben des aktiven Verbandes Deutscher Reeder 540 Ausbil- dungsplätze – 200 mehr als in den vergangenen Jahren – besetzt sind. Die Bundesregierung hat zwar das Problem erkannt, handelt aber höchst ambivalent. Auf der einen Seite fördert sie die Ausbildung junger Seemänner drei Jahre lang mit 25 500 Euro pro Platz, auf der anderen Seite fährt sie teilweise nationale Alleingänge bei der Gefahrenabwehr, was zu unzumutbaren Beeinträchti- gungen für das Seepersonal führt. Auch die Anschläge vom 11. September und ihre Fol- gen haben der Attraktivität des Berufstandes nachhaltig geschadet. Mit den Terrorangriffen auf die USA hat das Thema Gefahrenabwehr eine ganz neue und globale Di- mension erhalten. Für die Schifffahrt und die Betreiber von Hafenanlagen gipfelte es in der Einführung des ISPS-Code am 1. Juli dieses Jahres und den damit ver- bundenen neuen Sicherheitsmaßnahmen. Seitdem ist nichts wie vorher bei Reedern und Häfen: Hafenanlagen mussten mit Zäunen abgesichert, Sicherheitsoffiziere an Bord der Schiffe, in den Unternehmen und in den Hafen- anlagen ernannt und ausgebildet sowie Trainingseinhei- ten mit der Besatzung durchgeführt werden. Allein die Anfangskosten für die deutschen Reeder belaufen sich auf mehr als 55 Millionen Euro. In den Folgejahren wer- den jährlich weitere 50 Millionen Euro veranschlagt. Für die erhöhten Sicherheitsanforderungen haben wir Verständnis. Das hohe Sicherheitsbedürfnis insbeson- dere der USA darf aber nicht dazu führen, dass die welt- weit 1,25 Millionen Seeleute auch in den Häfen sozusa- gen an Bord eingeschlossen sind und kaserniert werden, weil ihnen der Landgang nicht gestattet oder über die Maßen erschwert wird. An amerikanischen Häfen wird i l w m S b l h w a S D d Z t b c g S g z a d f b h K g s b d l z L B n b p r E n w v s g B f ü g s a l s n b z d o (C (D hnen sogar jeglicher Landgang untersagt, wenn die Auf- agen nicht bis zum I-Tüpfelchen erfüllt werden. Be- affnete Wächter, die von den Reedern bezahlt werden üssen, hindern die Seeleute beim Verlassen der chiffe. Es gibt Fälle, so Berichte von Reedern aus Lü- eck, Hamburg und Flensburg, in denen Seeleute in eng- ischen und amerikanischen Häfen keinen Landgang er- ielten oder bei Rückkehr von Sicherheitskräften sofort ie Schwerverbrecher zu stundenlangen Vernehmungen bgeführt worden sind, mit der Konsequenz, dass sie ihr chiff vor der Abreise nicht mehr erreichen konnten. ies steht in eklatantem Widerspruch zu dem Prinzip, ass Seeleute für den Landgang keine Visa benötigen. ur Lösung dieses Problems hat die ILO eine Konven- ion über die Sicherheit der Ausweise für Seeleute erar- eitet, die den Landgang weiterhin ungehindert ermögli- hen soll. Die uns vorliegenden Anträge fordern emeinsam die schnelle Umsetzung dieser Konvention. Die Sicherheit darf nicht noch weiter zulasten unserer eeleute gehen. Sie haben schwer genug an den bisheri- en Auswirkungen des ISPS-Codes zu tragen: Es gibt ahlreiche Beispiele von Behinderungen und zum Teil uch Diskriminierungen von Seeleuten nach Einführung er Maßnahmen. Es wurde über Fälle von „Sippenhaft“ ür das gesamte Schiff berichtet, nur weil einzelne Anga- en für ein Besatzungsmitglied von den Sicherheitsbe- örden angezweifelt wurden. Aber auch die sozialen ontakte vieler Seeleute sind durch den ISPS-Code ein- eschränkt und werden ad absurdum geführt: So er- chweren die unübersichtlichen bürokratischen Handha- ungen der Sicherheitsvorschriften in einigen – auch eutschen Häfen – den Kontakt der Familie mit den See- euten. So wurde beispielsweise pakistanischen Besat- ungsmitgliedern an einer Hamburger Schleuse der andgang für Telefonate mit Familienangehörigen vom GS verboten. Auch durften drei Seeleute ihre Reise icht wie geplant beenden, um den Heimflug von Ham- urg aus anzutreten. In Kiel durfte die Ehefrau eines Ka- itäns diesen an Bord nicht besuchen und musste unver- ichteter Dinge wieder abreisen. Diese Fälle, wenn auch inzelfälle, gefährden zunehmend die Attraktivität für autische Berufe und behindern extremst die Nach- uchsförderung. Einem jungen Berufsanfänger ist es nur schwer zu ermitteln, um es zugespitzt zu formulieren, dass er in einem zukünftigen Beruf als potenzieller Terrorist ein- estuft wird. Die soziale Situation vieler Seeleute an ord, insbesondere die Arbeitsbedingungen, hat mit Ein- ührung des ISPS-Codes die Grenzen der Zumutbarkeit berschritten. In vielen Fällen liegen die Beeinträchti- ungen nicht am ISPS-Code selbst, sondern an der Um- etzung dieser Vorschriften und an einer zu rigiden und uch oft uneinheitlichen Anwendung. Gerade Deutsch- and nimmt es mit der Umsetzung besonders, wenn nicht ogar zu genau. Fast alle Schiffe und Hafenanlagen sind ach den Vorschriften des ISPS-Codes zertifiziert. Vor- ildlich! Deutsche Schiffe sind aber nicht nur zertifi- iert! Deutschland ist Musterschüler, was die Umsetzung er IMO-Maßnahmen angeht. Selbstverständlich nicht hne Folgen für unsere Wirtschaft; denn die Kosten für 12760 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 (A) ) (B) ) übertriebene Maßnahmen tragen hierzulande die Unter- nehmen. Ein passendes Beispiel für die Umsetzung des ISPS- Codes auf deutschen Schiffen gibt der drei Seiten umfas- sende Bericht über die Jahresinspektion der US Coast Guard auf einem deutschen Container-Frachter im Hafen von New York. Nach Beendigung der über vier Stunden dauernden Inspektion stellten die Inspektoren beein- druckt fest, dass es nichts, aber rein gar nichts zu bemän- geln gab. So etwas hatten sogar die amerikanischen Be- hörden bis dato nicht erlebt. Probleme gibt es dennoch genug. Es sind vor allem Behördenvertreter, die die Vorschriften ungerechtfertigt auslegen oder sich selbst nicht an die Regularien halten. Viele „designated authorities“ – das sind die Behörden eines jeweiligen Bundeslandes, die für die Gefahrenab- wehr zuständig sind – stellen im Rahmen der Umsetzung des ISPS-Codes zum Teil zu hohe Anforderungen. So sollten im Rahmen einer Insellösung Mindeststandards ausschließlich für Kreuzfahrtterminals in Deutschland eingeführt werden. Der ISPS-Code sieht aber weder für Schiffe noch für Hafenanlagen Mindeststandards vor. Die von den Küstenländern erarbeiteten Standards stell- ten eher Höchst- als Mindeststandards dar. Sie hätten zur Folge gehabt, dass das Kreuzfahrtgeschäft in deutschen Häfen zum Teil nicht mehr durchführbar gewesen wäre, weil die Kosten für die Betreiber ins Unermessliche ge- stiegen wären. So einen Behördenaufwand darf es nicht geben. Auch in anderen Fällen kommt es immer wieder zu überzogenen Anforderungen von Behördenvertretern, aber verantwortlich bleibt der Gesetzgeber. Erst wenn klar wird, dass im Vergleich zu europäischen Wettbewer- bern deutlich zu hohe Ansprüche gefordert wurden, rudern die Behörden nach Aussagen der Reeder wieder zurück. Die dringend erforderliche Planungssicherheit für die Unternehmen fehlt. Investitionen werden verschoben oder sogar aufgehoben. Das muss und darf nicht sein. Die Bundesregierung sollte daher nicht nur darauf ach- ten, dass in Deutschland alle Hausaufgaben gemacht werden. Sie hat auch dafür Sorge zu tragen, dass unsere Nachbarn und andere Länder den ISPS-Code ordnungs- gemäß umsetzen. Ansonsten kommt es zu Wettbewerbs- verzerrungen. So war es deutschen Technikern nicht ge- stattet, ein in einem spanischen Hafen liegendes deutsches Schiff nach einem Schadensfall zu reparieren. Die Spanier ließen die Deutschen unter Verweis auf den ISPS-Code nicht an Bord und forderten den Kapitän auf, einen spanischen Techniker an Bord zu nehmen. Ein nach ISPS-Code eindeutig unzulässiges Verhalten. Nach diesem Muster gibt es zahlreiche Beispiele. Einige Län- der legen den ISPS-Code zum eignen Vorteil aus. Hier muss die Bundesregierung einschreiten, denn die Mus- terschülerrolle in Sachen Auflagenerfüllung bringt in ei- ner globalisierten Welt bekanntermaßen oft nationale Nachteile. Die Problematik beim nationalen Alleingang bzw. bei staatlicher Ungleichbehandlung haben wir von der Union schon bei der Verabschiedung des Ausführungs- g w V ß t S n D b b t ü k a s v B l F b t m n I Z A v g m d I s m u t d E w 2 a a s E L B a t v s r D V l h (C (D esetztes zum ISPS-Code angesprochen. Damals hatten ir uns hier im Deutschen Bundestag für eine gerechtere erteilung der Kosten eingesetzt und einen Entschlie- ungsantrag eingebracht, der von der Regierungskoali- ion leider abgelehnt wurde. Es war und ist aus unserer icht nicht akzeptabel, für staatliche Verpflichtungen ach dem ISPS-Code Gebühren zu erheben. In anderen europäischen Ländern, wie zum Beispiel änemark, Polen, Spanien und Frankreich, werden Ge- ühren für die staatlichen Verpflichtungen nicht erho- en. Auch die Holländer – unsere schärfsten Konkurren- en – sind da geschickter als Manfred Stolpe: Dort bernimmt der Staat die Kosten für die geforderte Risi- obewertung und die Erstellung der Pläne zur Gefahren- bwehr. Geringere Kosten und Hafengebühren machen o den Seeverkehrsstandort Niederlande noch attrakti- er. Eine von vielen Konsequenzen: Rotterdam gewinnt, remen und Hamburg verlieren. Diese Einschätzung tei- en viele Kolleginnen und Kollegen quer Beet durch alle raktionen im Verkehrsauschuss. Doch die Regierung ewegt sich immer noch nicht. Sie will ein Exempel sta- uieren und die Wirtschaft zum Mitträger ihrer Finanznot achen. Zurzeit bemühen sich zahlreiche Verbände und Orga- isationen um eine ordnungsgemäße Umsetzung der MO-Maßnahmen. Dabei brauchen sie Unterstützung. Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): um Übereinkommen Nr. 185 der Internationalen rbeitsorganisation über Ausweise für Seeleute und zur ereinfachten Freistellung vom Visumserfordernis lie- en heute drei unterschiedliche Anträge zur Abstim- ung vor, die im Kern eigentlich identisch sind. Jeder ieser Anträge fordert die Bundesregierung auf, das AO-Abkommen Nr. 185 zügig zu ratifizieren und inner- taatliche Vorschriften gegebenenfalls anzupassen. Nie- and kann ein Interesse daran haben, den Aufenthalt nd den Austausch von Seeleuten in Deutschland unnö- ig zu erschweren. Regelmäßig werden in Deutschland ie Besatzungen der dort liegenden Schiffe ausgetauscht. ine Erschwerung des Austauschs der Besatzungen ürde auch den Güterverkehr nur unnötig behindern. Die internationale Arbeitskonferenz hat am 19. Juni 003 ohne Gegenstimmen das Übereinkommen Nr. 185 ngenommen, mit dem die Ausstattung der Seemanns- usweise mit zusätzlichen Identitätsmerkmalen festge- chrieben wurde. Mit dem Übereinkommen wird die in- und Durchreise von Seeleuten erleichtert. Für den andgang wird immer von der Visumspflicht abgesehen. ei der Durchreise von Seeleuten kann hingegen die Be- ntragung und Erteilung von Visa vor der Einreise fakul- ativ durch die Unterzeichnerstaaten verlangt werden. Die Regierungskoalitionen haben nun einen Antrag orgelegt, nach dem die Auswechselungen der Mann- chaften möglichst kostengünstig und ohne vermeidba- en Verwaltungsaufwand durchgeführt werden können. ieses Ziel kann dadurch erreicht werden, dass auf die isumspflicht verzichtet werden kann. Diese Feststel- ung ist an und für sich unkompliziert und unstrittig. Wir aben es hier nicht mit einem politisch umkämpften Vor- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 12761 (A) ) (B) ) haben zu tun, an dem sich die Gegensätze zwischen Re- gierung und Opposition entzünden müssten. Es hätte dem Parlament gut zu Gesicht gestanden, sich an diesem Punkt einheitlich zu äußern. Dies hätte den gemeinsa- men Wunsch unterstrichen, den wirtschaftlichen Interes- sen des Reedereigewerbes keine unnötigen Steine in den Weg zu legen. Diesem Ziel wird hier im Bundestag nie- mand offensiv widersprechen. Union und FDP haben jedoch den Weg gewählt, sich dennoch ausländerpolitisch in dieser Frage zu profilie- ren. Während die Koalitionsfraktionen die oben ge- nannte Feststellung, dass von der Visumspflicht abgese- hen werden kann, ohne weitere Einschränkungen in der Begründung treffen, nehmen Union und FDP hier zu- sätzliche ausländerpolitische Hinweise auf, die mit dem Anliegen an sich gar nichts zu tun haben. So schlägt die Union im Begründungstext vor, dass die Bundesregie- rung vom Erfordernis der Einholung eines Visums bei der Durchreise verzichten kann, sofern dies mit dem Ausländerrecht in Einklang steht und Sicherheitsbelan- gen Rechnung getragen wird. Die FDP lässt im Begrün- dungstext ihres Antragstextes verlauten, dass die Bun- desregierung vom Erfordernis der Einholung eines Visums, bei der Durchreise verzichten kann, da die neuen Seemannsausweise biometrische Daten enthalten und deshalb hohen Sicherheitsstandards genügen. Der einzige Dissenz in der Sache besteht anscheinend darin, Selbstverständlichkeiten zusätzlich betonen zu müssen. Natürlich handelt die Bundesregierung stets im Einklang mit dem Ausländerrecht. Ebenso natürlich wird bereits im ILO-Abkommen Nr. 185 darauf hinge- wiesen, dass die zusätzlichen biometrischen Daten in den Seemannsausweisen eine visumsfreie Durchreise er- leichtern. Auch die Regierungsfraktionen weisen in ihrem Antrag darauf hin, dass ein Zusammenhang zwi- schen dieser Regelung und den gegebenen Sicherheits- fragen besteht. Union und FDP reicht dies nicht. Sie müssen noch einmal zusätzlich auf das Ausländerrecht verweisen. Mit Wirtschaftspolitik oder Schifffahrtsfragen hat dies nichts zu tun. Ich kann das Bedürfnis weiterer Anträge nur so verstehen, dass die Oppositionsfraktionen hiermit ein Zeichen der Marke „Das Boot ist voll“ setzen wollen. Das zeugt von wenig wirtschaftspolitischem Sachver- stand und einem hohen Bedürfnis, auch eine solche Sachfrage populistisch nutzen zu wollen. Ein solches Vorgehen ist dieser Frage nicht angemessen und ich kann diesen Politikstil daher nur bedauern. Hans-Michael Goldmann (FDP): Vor eineinhalb Jahren hat die FDP-Fraktion einen Antrag eingebracht, der die Bundesregierung aufforderte, das ILO-Überein- kommen 185 zügig zu ratifizieren. Wir zogen diesen An- trag zurück, um einen interfraktionellen Brief an die zu- ständigen Minister zu ermöglichen, leider ohne entsprechende Reaktion der Regierung. Anfang dieses Jahres versuchten wir dann fraktions- übergreifend, einen gemeinsamen Antrag auf den Weg zu bringen, um der Regierung noch einmal Dampf zu machen. Erfreulich ist, dass es uns in den Ausschussbe- r r a r s b b i w k g d i h J c r d a w s T S L c a s E g D l E S b S m n s s g I h n R A A „ r w (C (D atungen gelungen ist, beim Forderungsteil an die Regie- ung auf einen Nenner zu kommen. Damit sind wir uns lle hier im Hause im Ziel einig, dass die Bundesregie- ung das Übereinkommen schnellstmöglich umsetzen oll. Ziel des ILO-Übereinkommens 185 ist es, die Le- ens- und Arbeitsbedingungen für die Seeleute zu ver- essern und den Arbeitgebern den Personalwechsel auf hren Schiffen zu erleichtern. Arbeitnehmer und Reeder aren sich von Anfang an einig, dass dieses Überein- ommen ein richtiger und wichtiger Schritt ist, um die esteckten Ziele zu erreichen. Leider scheint die Bun- esregierung immer noch Probleme zu sehen, obwohl nzwischen auch die EU eine Ratifizierung empfohlen at. Die soziale Situation der Seeleute hat sich im letzten ahr deutlich verschlechtert. Durch das gestiegene Si- herheitsbedürfnis in den Häfen, ist die Absicherung der echtlichen Position der Seeleute dringender denn je. Ich gestehe offen, dass ich nicht vorausgesehen habe, ass der ISPS-Code solch gravierende Auswirkungen uf die soziale Situation der Seeleute nach sich ziehen ürde. Wie ich von der Seemannsmission erfahren habe, tehen Seeleute offensichtlich vielerorten unter einem error-Generalverdacht. Es kann nicht angehen, dass eeleute in englischen und amerikanischen Häfen keinen andgang erhalten oder stundenlang wie Schwerverbre- her zu Vernehmungen abgeführt werden. Dabei haben uch die USA dem ILO-Übereinkommen in Genf zuge- timmt. Das ILO-Übereinkommen sollte doch gerade zu rleichterungen beim Landgang der Seeleute führen. Die Erfahrungen der letzten Monate zeigen, wie drin- end die Ratifizierung des ILO-Übereinkommens ist. ie Bundesregierung sollte sich hier nicht länger bitten assen und endlich zur Tat schreiten. Auf internationaler bene sollte die Regierung das Problem der sozialen, ituation der Seeleute auch bei der IMO zur Sprache ringen. Die Sicherheitsvorschriften im Rahmen des OLAS-Übereinkommens und des ILO-Übereinkom- ens sollten doch für Sicherheit sorgen. Es ist nicht hin- ehmbar, wenn einzelne Besatzungsmitglieder arabi- cher Herkunft nur wegen ihrer Herkunft unter Verdacht tehen. Das ist Rassismus und dagegen müssen wir vor- ehen. Der geplante neue Seeleuteausweis, der durch das LO-Übereinkommen 185 eingeführt werden soll, wird offentlich helfen, dieses Problem zu beseitigen. Also, och einmal zum Schluss mein Appell an die Regierung: atifizieren Sie endlich das ILO-Übereinkommen! nlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Marketing für die Hauptstadt Berlin (Tagesordnungspunkt 16) Brunhilde Irber (SPD): Lassen sie uns den Titel des ntrages der CSU/CSU zu Beginn genau anschauen: Marketing für die Hauptstadt Berlin“. Da die Federfüh- ung im Bereich Tourismus liegt, soll es sich wohl im eitesten Sinne um das touristische Marketing handeln. 12762 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 (A) ) (B) ) Nun zu den Fakten: Im Jahr 2003 gab es in Berlin 11,4 Millionen Übernachtungen, im Vergleich zum Vor- jahr eine Steigerung um 2,6 Prozent. Mit diesen Werten verfestigt Berlin die Position des beliebtesten Städte- reiseziels in ganz Deutschland. Um es für sie noch deut- licher zu betonen: Die deutsche Hauptstadt zählt, neben London, Paris und Rom, zu den meistbesuchten Metro- polen Europas. Die Erfolgsgeschichte steigert sich enorm, wenn man sich die aktuellen Zahlen vor Augen führt: In den ersten acht Monaten besuchten insgesamt 3,8 Millionen Hotelgäste die deutsche Hauptstadt, das sind rund 20 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Die Zahl der registrierten Übernachtungen stieg im gleichen Zeitraum um 17 Prozent auf 8,7 Millionen an. Da in Ihrem Antrag deutlich differenziert wird zwi- schen deutschen und ausländischen Gästen, hier noch weitere Fakten: Die Anzahl der Ankünfte ausländischer Berlinbesucher stieg von Januar bis August diesen Jah- res um 27,9 Prozent auf 1,07 Millionen an. Bei den Übernachtungen wurde ein Wachstum von 24,5 Prozent auf 2,79 Millionen verzeichnet. Auch die Zahlen von Berlingästen aus dem Inland geben Anlass zu großer Zu- friedenheit: ein Plus an Gästen von 17,1 Prozent von Ja- nuar bis August, ein Übernachtungsplus von 13,7 Pro- zent auf rund 5,9 Millionen! Und zum Schluss dieser im höchstem Maße erfreuli- chen und positiven Zahlen noch ein paar Bemerkungen zu der Bettenauslastung und somit zum wirtschaftlichen Zustand der Beherbergungsbetriebe: Die 558 Berliner Betriebe hielten im August 2004 75 934 Betten für Gäste bereit. Dies sind rund 7 300 mehr als im Vorjahresmo- nat. Trotz dieser erhöhten Kapazität stieg die durch- schnittliche Bettenauslastung von 50,9 Prozent um knapp 6 Prozentpunkte auf 56,5 Prozent. So weit zum Hintergrund. Nun wollen sie also mit Ihrem Antrag dafür sorgen, dass das Marketing für Berlin mithilfe der Regierung weiter gestärkt und ergänzt wird. Ja sagen sie denn mal warum? Herr Nerger, Chef der Berlin Tourismus Marke- ting, und sein Team leisten hervorragende Arbeit und sind auf alle Fälle zu beglückwünschen. Warum soll denn die Bundesregierung hier noch zusätzlich aktiv werden und sich somit auch noch in eine Länderangele- genheit mischen? Ich brauche Ihnen doch Wohl hoffentlich nicht zu er- klären, dass Tourismus bei uns in der Bundesrepublik eine föderale Aufgabe ist. Außerdem dachte ich, müsste ich Ihnen auch nicht erklären, dass für das Auslandsmar- keting bei uns im Lande die Deutsche Zentrale für Tou- rismus zuständig ist. Diese fördern wir finanziell übri- gens seit der Regierungsübernahme mit über 30 Prozent mehr, als sie es zu ihrer Zeit getan haben. Wir setzten da- mit die richtigen Schwerpunkte, Sie nicht. Für das Mar- keting der Länder, und sie fordern eine finanzielle Unter- stützung für das Marketing eines Bundeslandes, ist allein das betreffende Bundesland zuständig. Und allein schon wegen der Missachtung dieser Strukturen in Ihrem An- trag haben sie sich mal wieder ins Abseits begeben. Wie- der mal nichts Neues von ihnen. S F l w w O B d c g d n ä D w i p j n a B r M n i i E r s h d d d t Ü e D M c g B G d u v n D W d ß w W v f (C (D Doch begeben wir uns nun in diesem Werk, auf die uche nach einer Antwort auf die eingangs gestellte rage, warum sie denn eine Marketingförderung für Ber- in für nötig halten, und dies trotz dieser traumhaften Zu- achsraten. Nur nebenbei: Die BTM – und ich zitiere örtlich – sagte vergangene Woche zu „Spiegel- nline“: „Das wird das beste Jahr, das wir je hatten.“ ei dieser Suche nach einer Antwort stolpert man über ie Kernaussage, die da lautet, dass eine nicht ausrei- hend positive Wahrnehmung Berlins als Hauptstadt ge- eben sei. Aus ihrer eigenen Behauptung folgt nun für ie CDU/CSU – ich zitiere und hören sie bitte ganz ge- au zu –: „Über Berlin muss daher eine Bewusstseins- nderung bei den Menschen hin zur ‚Hauptstadt der eutschen’, national wie international, herbeigeführt erden“. Ich habe an Forderungen und Wünschen Ihrerseits, nsbesondere seitdem sie zum Glück in der Rolle der Op- osition sind, in diesem Hause und in den Ausschüssen a schon einiges von Ihnen erlebt, aber dies hier setzt ja un allem Vergangenen im absurdesten Sinne die Krone uf! Die Bundesregierung soll, ich betone nochmals, eine ewusstseinsänderung herbeiführen und dies alleine eicht noch nicht, denn dies soll auch noch bei allen enschen auf der Welt geschehen – ich wiederhole ochmals wörtlich – „bei den Menschen, national und nternational“. Warum nur formulieren sie solche, man st ja fast geneigt zu sagen, Dummheiten. Ich stelle fest: s gehört sicherlich nicht zu den Aufgaben der Bundes- egierung, eine Bewusstseinsänderung bei den Men- chen in aller Welt in Bezug auf die Funktion Berlins erbeizuführen. Sie begründen leider auch überhaupt nicht, warum ies alles geschehen soll. Was haben sie denn nur gegen as derzeitige Bewusstsein der Menschen gegenüber ieser schönen und abwechslungsreichen Stadt. Touris- en aus aller Welt strömen in diese Stadt, die Zahl der bernachtungen steigt in enormen Maße an. Berlin hat ine kulturelle Vielfalt wie kaum eine andere Stadt in eutschland, Berlin ist das Mekka für eine Vielzahl von enschen aus den unterschiedlichsten kulturellen Berei- hen. Berlin ist ein wunderbares Schaufenster der ver- angenen und gegenwärtigen deutschen Architektur. erlin ist eine nahezu komplette Bühne, um die deutsche eschichte nachzuvollziehen. Nehmen wir die Anzahl er Besucher auf dem Dach dieses Gebäudes, in dem wir ns befinden. Meinen sie denn wirklich, die Millionen on jährlichen Besuchern hier im Reichstag wissen icht, dass sie sich in der Hauptstadt der Bundesrepublik eutschland befinden? Das kann nicht ihr Ernst sein. Im Übrigen: Haben sie überhaupt Zahlen von der ahrnehmung Berlins als Hauptstadt? Worauf begrün- en sich denn überhaupt ihre Annahmen, die sie hier äu- ern? Sie geben keinerlei Zahlen, geschweige denn Hin- eise an. Es scheint so, als gehe es hier wieder nur um ichtigtuerei und wieder mal werden nur Luftgespinste on ihrer Seite aufgebaut. Ich frage sie weiter, ob sie denn wirklich die Schaf- ung eines „Hauptstadtbezirkes Berlin“ nach dem Vor- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 12763 (A) ) (B) ) bild Washington D. C. anstreben. Abgesehen von allen damit verbundenen Schwierigkeiten und Gesetzesände- rungen möchte ich mich hierzu jetzt in diesem Moment nicht äußern. Eine Projektgruppe der Föderalismuskom- mission beschäftigt sich zurzeit mit diesem Thema: Sie werden sicherlich verstehen, dass wir uns hier nicht im vorhinein auf Richtungen festlegen lassen, ohne das end- gültige Ergebnis der Föderalismuskommission abzuwar- ten. Über die übrigen Forderungen ihres Antrages möchte ich mich nicht mehr auslassen. Diese sind natürlich mit Kosten verbunden, welche die Bundesregierung mal eben wieder aus dem Ärmel schütteln soll. Sie fordern doch immer nur mehr Geld, verweigern sich den Spar- vorschlägen und verklagen dann unseren Finanzminister in Karlsruhe. Ein trauriges Verhalten Ihrerseits. Ich betone nochmals, dass Berlin nicht nur eine Reise Wert ist, sondern dass sich aufgrund der Vielfältigkeit gleich mehrere Reisen nach Berlin lohnen. Berlin ist aus unserer Sicht ein tolles, interessantes und abwechslungs- reiches Reiseziel für nationale und internationale Gäste. Das, was sie hier abliefern, ist erschreckend, geht an den Kompetenzen und Aufgaben der Regierung vorbei, dient nichts anderem, als einmal mehr eine überaus posi- tive Entwicklung schlechtzureden. Sie benötigen dringend eine Bewusstseinsänderung, nicht die Touristen, die Berlin besuchen. Franziska Eichstädt-Bohlig (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit dem Antrag fordert die CDU/CSU die Bundesregierung auf, zusammen mit der Berlin Touris- mus Marketing, BTM, für drei Jahre eine Projektgruppe „Hauptstadt Berlin“ einzurichten. Der Bund soll diese Projektgruppe aus Mitteln der Öffentlichkeitsarbeit för- dern. Die Federführung soll bei der Tourismus Marke- ting GmbH liegen. Inhaltlich soll die Hauptaufgabe die- ser Projektgruppe in der nationalen und internationalen Darstellung von Leistungen der Hauptstadt liegen, ins- besondere: Berlin als Spiegel der (gesamt-)deutschen Geschichte, Berlin – kultureller Schmelztiegel, Berlin – Tor zum Osten, Berlin – Architekturspiegel Deutsch- lands. Die Projektgruppe bzw. die in dem Antrag zur Feder- führung bestimmte Berlin Tourismus Marketing soll mit Botschaften, Außenhandelskammern, Goethe-Instituten, der Deutschen Welle, der Deutschen Zentrale für Touris- mus und anderen Institutionen zusammenarbeiten. Zu diesem Konzept möchte ich Folgendes anmerken: Erstens. Von der rot-grünen Bundesregierung wird eine engagierte und qualifizierte Öffentlichkeitsarbeit gemacht. Die Opposition kritisiert das immer wieder als zu aufwendig und teuer. Darum ist es sehr erstaunlich, dass die CDU/CSU jetzt eine extra Marketing-Projekt- gruppe einrichten will. Deren Arbeit ist ja nicht zum Nulltarif zu haben. Zweitens. Die Aufgaben der Bundesregierung werden durch das Bundespresseamt und durch die einzelnen Ressorts, öffentlich dargestellt. Im Ausland repräsentie- r G t n F a t b d d L h A d s n n f S t e v e t t f z A t m w t d t d h n S i d F N d g n (C (D en die Botschaften, die Außenhandelskammern, das oethe-Institut, die Deutsche Welle und andere Institu- ionen die deutsche Politik. Es kann nicht Aufgabe einer euen Projektgruppe „Hauptstadt Berlin“ sein, unter der ederführung der Berlin Tourismus Marketing GmbH ll diese bundespolitischen Institutionen unter dem Kri- erium „Hauptstadt“ zu koordinieren. Tourismuswer- ung ist im Übrigen eine Angelegenheit der Länder. Drittens. Die Hauptstadtfunktion stärkt Berlin – und as ist auch gut so. Es ist aber nicht Aufgabe des Bun- es, Mittel bereitzustellen, mit denen eine Institution des andes Berlin Werbung für die Bundespolitik macht. Ich alte es für wichtig, dass eine klare Trennung zwischen ufgaben des Landes Berlin und den Aufgaben des Bun- es bestehen bleibt. Viertens. Eine Prüfung der Schaffung eines „Haupt- tadtbezirks Berlin“ nach dem Vorbild der US-amerika- ischen Hauptstadt Washington, D.C. halte ich nicht für otwendig. Ich meine, dass es weder mit dem deutschen öderalen System noch mit dem Prinzip der kommunalen elbstverwaltung vereinbar ist, Berlin unter bundespoli- ische Verwaltung zu stellen. Ich werbe nach wie vor für ine Länderneugliederung mit einem Zusammengehen on Berlin und Brandenburg, sodass Berlin den Status iner Kommune bekommt. Kurzum: Unsere Fraktion lehnt den CDU/CSU-An- rag in allen Punkten ab. Die vorhandenen Bundesinsti- utionen machen gute Öffentlichkeitsarbeit und Werbung ür unsere Hauptstadt Berlin, sodass es keiner Unterstüt- ung durch eine Marketing-Projektgruppe bedarf. nlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung der Akademie der Künste (AdKG) (Tagesordnungspunkt 17) Eckhardt Barthel (Berlin) (SPD): Um den wichtigs- en Punkt gleich vorneweg zu nennen: Was der Akade- ie der Künste, um die es in dieser Debatte geht, am enigsten nützt, ist ein kleinteiliger Streit um Kompe- enzen und Zuständigkeiten. Deshalb bin ich sehr froh, ass wir im Ausschuss für Kultur und Medien einen par- eiübergreifenden Weg zur Übernahme der Akademie er Künste in die Verantwortung des Bundes gefunden aben. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, diesen Weg och einmal zu rekapitulieren. Es wird ja der Bundesregierung und insbesondere der taatsministerin für Kultur und Medien gelegentlich von nteressierter Seite der Vorwurf gemacht, die Kulturför- erung des Bundes sei unsystematisch oder gar ein lickenteppich, wie zuletzt Herr Nooke vernehmen ließ. un ist aber gerade die aktuelle Entscheidung zur Aka- emie der Künste ein Beispiel dafür, dass dieser Vorwurf anz und gar unberechtigt ist. Man muss nur einen Blick auf die Kriterien werfen, ach denen sinnvollerweise entschieden wird, wofür der 12764 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 (A) ) (B) ) Bund kulturpolitisch zuständig ist, um dies zu erkennen. Diese Kriterien sind nämlich sehr einfach nachvollzieh- bar. Neben der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik steht die kulturelle Repräsentation des Gesamtstaates im Fokus der Bundesverantwortung. Daraus folgt, dass Kul- tureinrichtungen von übergeordneter nationaler Bedeut- samkeit bezüglich ihrer Förderung selbstverständlich Sa- che des Bundes sind. Diese nüchterne Feststellung ändert nichts daran, dass solche Einrichtungen – die Akademie der Künste gehört zweifellos zu ihnen – be- züglich ihres Nutzens gleichwohl eine Sache der Länder und des Gesamtstaates sind und bleiben. Nie ist daran gedacht worden, die Übernahme der Akademie der Künste in Bundesverantwortung als einen ersten Schritt zur Beschneidung der Kulturkompetenz der Länder zu sehen. Es ist also schon sehr kleinteilig gedacht, wenn – wie seitens des Bundesrates geschehen – argumentiert wird, zwar begrüße man die Absicht, im Rahmen des Haupt- stadtkulturvertrags vom 9. Dezember 2003 die finan- zielle Existenz der Akademie der Künste zu sichern, könne jedoch einer institutionellen Übernahme der Aka- demie durch den Bund in Form einer Körperschaft öf- fentlichen Rechts nicht zustimmen, da der Bund hier keine Kompetenzen besitze. Ich habe diese Argumenta- tion nie verstanden. Sie ist beliebig und widersprüchlich. An ihre Stelle muss die Frage treten, ob die Akademie der Künste eine kulturelle Einrichtung von übergeordne- ter nationaler Bedeutsamkeit zur kulturellen Repräsenta- tion des Gesamtstaates ist oder nicht. An dieser – und nur an dieser – Frage entscheidet sich, ob der Bund hier zuständig ist. Ein kurzer Blick auf die Geschichte der Akademie so- wie auf die heute von ihr behandelten Themen und ihre heutigen Mitglieder liefert, so meine ich, eine eindeutige Antwort auf diese entscheidende Frage. Die Akademie der Künste entwickelte sich schon sehr früh von einer Ausbildungs- und Unterrichtsstätte für zunächst bil- dende Kunst und Architektur zu einem öffentlichen Fo- rum für Kunst- und Kulturdebatten. Spätestens seit der Präsidentschaft Max Liebermanns war die Akademie als eine nationale Institution der Kunstproduktion und -dis- kussion mit internationaler Bedeutung etabliert. Stets waren ihre Mitglieder Wegbereiter und Vorreiter. Dass die Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur eine der Lebensadern moderner Gesellschaften ist, diese Einsicht wird durch Existenz und Arbeit der Akademie der Künste sehr markant. Die heutige Programmgestaltung unter der Präsident- schaft Adolf Muschgs zeigt diese Mittlerfunktion ganz deutlich. Diese Funktion und damit auch die Akademie als solcher ist zweifelsohne von gesamtstaatlicher Be- deutung, sowohl was die Repräsentation Deutschlands in der Welt betrifft als auch bezüglich der ästhetisch-politi- schen Selbstbestimmung der deutschen Gesellschaft nach innen. Die Vielfalt des Programms ist im Rahmen einer kurzen Rede gar nicht darstellbar. Sie reicht von Kunstdebatten in den Sparten Literatur, Film, Architek- tur, Bildende und Darstellende Kunst, Medienkunst und Musik über Preisverleihungen bis zu Debatten über Per- spektiven der internationalen Politik. Sie ist verbrieft d K w W d S tr D Z K n d L F o s s k h te K a p k g m im m K k k G w M A B p G t t t B Z B m A l s H 2 a z t f (C (D urch die internationale Besetzung der Akademie der ünste. Die bis zu 500 Mitglieder – unter ihnen Namen ie Rebecca Horn, Daniel Libeskind, Pierre Boulez, olfgang Hilbig, Pina Bausch und George Tabori – wer- en unabhängig von Staatsangehörigkeit, Wohnort und prache ausgewählt und sind lebende und lebhafte Illus- ationen der Rede vom internationalen Kulturstaat eutschland. Wenn man das alles zusammennimmt, kann es keinen weifel mehr daran geben, dass die Akademie der ünste eine kulturelle Einrichtung von übergeordneter ationaler Bedeutsamkeit zur kulturellen Repräsentation es Gesamtstaates ist und als solche ein für das ganze and bedeutsamer Impulsgeber. Wir können also die rage nach der Zuständigkeit des Bundes eindeutig und hne Zögern mit Ja beantworten. Die finanzielle Träger- chaft des Bundes inklusive Einrichtung einer Körper- chaft des öffentlichen Rechts durch den Bund ist die onsequente Folgerung daraus. Im Übrigens – das muss ier auch noch einmal festgehalten werden – ist das in- rnational renommierte Archiv der Akademie der ünste in Form einer Stiftung bereits in die Bundesver- ntwortung gegangen, ein Vorgang, bei dem niemand rotestiert hat, was die aktuelle Debatte um die Bundes- ompetenz erst recht unverständlich macht. Lassen Sie mich abschließend noch einmal bekräfti- en, dass ich mich freue, dass das Akademiegesetz nun- ehr – nach einigen kleinen Änderungen, über die wir mer gesprächsbereit waren – eine allgemeine Zustim- ung finden wird. Der Vision einer Akademie der ünste als einer nationalen Geistesinstanz, in der sich ulturelle und gesellschaftliche Debatten begegnen und reuzen, wird durch das vorliegende Gesetz eine gute rundlage gegeben. Lassen Sie uns gemeinsam daran eiterarbeiten. Heinrich-Wilhelm Ronsöhr (CDU/CSU): Jede ünze hat zwei Seiten. Auch auf die Übernahme der kademie der Künste Berlin/Brandenburg durch den und trifft diese Binsenweisheit zu. Die eine Seite, die ositive nämlich, ist, dass mit der Zustimmung zu dem esetz die Finanzierung einer Kulturinstitution von in- ernationalem Rang künftig gesichert ist. Als Kulturpoli- iker, der ich immer wieder für eine ausfinanzierte Kul- ur kämpfe, begrüße ich das ausdrücklich. Denn der und übernimmt nicht nur die Akademie der Künste. usätzlich werden die Deutsche Kinemathek und der erliner Anteil am Hamburger Bahnhof übernommen. Ganze 22 Millionen Euro lässt sich die Kulturstaats- inisterin das kosten. 16 Millionen fließen davon in die kademie. Dass da auch die Freude aufseiten der Künst- er groß ist, versteht sich. Der Geschäftsführer des Deut- chen Kulturrates, Olaf Zimmermann, zieht sogar den ut vor Frau Weiß: Denn dem Finanzminister 2 Millionen Euro zusätzlich für die Kulturförderung bzuknöpfen, sei eine beachtenswerte Leistung. Das „Abknöpfen“ der Mittel an sich mag bei der der- eitigen Haushaltslage schon eine beachtenswerte Leis- ung sein. Dies möchte ich gern zugeben. Doch das Ver- ahren der Umsetzung des Gesetzes ist weniger Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 12765 (A) ) (B) ) beachtlich. Damit sind wir, Sie merken es meine Damen und Herren, bei der anderen, der negativen Seite der Me- daille. Denn die Kulturstaatsministerin ist mit ihrem Ge- setzesvorschlag in der Länderkammer am 14. Mai Knall auf Fall durchgerasselt. Die Erklärung dafür war ganz simpel: Was fehlte, war die Begründung, warum der Bund die Zuständigkeit für eine sich in Länderhoheit be- findlichen Kulturinstitution übernehmen wollte. Dass sich die Länder dabei in ihren föderalen Rechten verletzt sehen und auf den Schlips getreten fühlen würden, hätte die Kulturstaatsministerin voraussehen können und müs- sen. Hier wäre sauberes Arbeiten gefragt gewesen. Warum musste es unbedingt ein Gesetz sein? Frau Weiß hätte das ganze Hickhack mit den Ländern vermei- den können, wenn sie die Übernahmen im Rahmen des Hauptstadtkulturvertrages geregelt hätte, wie in der Ver- gangenheit ja auch. Außerdem hätte so vermieden werden können, dass die Kulturstaatsministerin einem Beschluss des Parla- ments vorausgreifen muss. Denn bereits seit dem 1. Ja- nuar erbringt der Bund seine Leistung und finanziert die Akademie der Künste. Auf welcher Basis, frage ich Sie, wenn wir erst jetzt, elf Monate später, ein Gesetz be- schließen? Hier ist über die Köpfe der Abgeordneten hinweg entschieden worden. Da kann ich Ihnen, Frau Weiß, nur dramatische handwerkliche Fehler attestieren! Meine Damen und Herren, noch etwas ist mehr als unglücklich: Ich meine die Knüpfung der Übernahme der Akademie der Künste an den Einsatz der frei wer- denden Mittel im Berliner Kulturetat für eine funktionie- rende Opernstiftung. Wohlgemerkt: funktionierend. Doch bisher funktioniert hier gar nichts. Nach einem Jahr der Suche kann Kultursenator Flierl immer noch keinen adäquaten Intendanten präsentieren. Warum wohl? Liegt es vielleicht doch am Konzept der Stiftung? Und ist die Opernstiftung vielleicht doch kein – ich zitiere die Kulturstaatsministerin aus einem „Focus“- Interview vom 17. November vergangen Jahres – „Exempel für modernes Kulturmanagement“? Was kann Berlin bislang vorweisen? „Big Brother in der Oper“, wie vorgestern die „Berliner Morgenpost“ titelte. Sehen Sie, deshalb haben wir auch die Verknüp- fung von Opernstiftung und der Akademie der Künste immer kritisiert. Denn was die Akademie dringend be- nötigt, ist Planungssicherheit. Was sie durch das unsou- veräne Agieren von Frau Weiß bekommen hat, ist genau das Gegenteil. Sicherheit für die Akademie der Künste, das ist der Grund, warum wir dem Gesetz zustimmen. Ansonsten kann ich dem Gesetz nichts Positives abgewinnen. Denn es zeigt nur einmal mehr die Konzeptlosigkeit, mit der die Kulturstaatsministerin die Hauptstadtkultur betreibt. Oder würden Sie die „Entlastung des Berliner Kultur- haushaltes“ als Konzept bezeichnen? Ich nenne es eher Armutszeugnis und Flickschusterei. Sie hangeln sich von einer Notlösung zur anderen. Heute übernimmt der Bund die Akademie der Künste, den Hamburger Bahnhof und die Kinemathek. Morgen ist es vielleicht das Naturkundemuseum. Auf welcher Grund- l d A r k f d l w B R p ü d r d D h g d e f s l e K J d g G s G A d J F D A S B B a A r P d k d d t V A (C (D age? Erklären Sie mir doch einmal, warum es die Aka- emie der Künste Berlin/Brandenburg ist und nicht die kademie der Bildenden Künste in Nürnberg? Und wa- um der Hamburger Bahnhof? Ja, der Bund hat die Aufgabe, sich um die Hauptstadt- ultur zu kümmern. Daran gibt es nichts zu deuten. Ich inde es hervorragend, wenn sich der Bund nicht nur azu bekennt, sondern den Bekenntnissen Taten folgen ässt. Aber Kultur ist nun einmal auch Ländersache. Umso ichtiger ist es, dass wir alle – die Parlamentarier im undestag, aber auch die Länder – wissen, wohin die eise geht! Welche Kulturinstitutionen in der Hauptstadt lanen Sie, Frau Kulturstaatsministerin, noch vom Bund bernehmen zu lassen und auf welcher Basis? Was wir ringend benötigen, ist endlich eine klare Aussage da- über, für welche Kulturinstitutionen in der Hauptstadt er Bund und für welche das Land Berlin zuständig ist. ie Zeit des Förderns auf Zuruf muss endlich ein Ende aben! Frau Weiß, der November neigt sich seinem Ende ent- egen. Langsam beginnt die Zeit des Wünschens und es Schenkens. Ich wünsche mir von Ihnen, dass Sie ndlich ein in sich stimmiges und langfristiges Konzept ür das Engagement des Bundes in der Frage der Haupt- tadtkultur vorlegen. Und ich hoffe sehr, dass Sie uns al- en dieses Geschenk machen werden. Erika Steinbach (CDU/CSU): Hans Scharoun, der rste Präsident der neugegründeten Akademie der ünste in West-Berlin, sprach bei der Eröffnung im ahre 1954 von Freiheit und Wahrheit als den Sternen, ie über der Kunst und dem neuen Haus leuchten mö- en. Die Bundesregierung greift mit dem vorliegenden esetzentwurf nach diesen Sternen und möchte sie über ich selber leuchten sehen. Bei viel Verständnis für das rundanliegen der Bundesregierung, die Existenz der kademie der Künste zu sichern, lehnen CDU und CSU ie Vorgehensweise ab. Die Akademie der Künste ist seit ihrer Gründung im ahr 1696 Beratungsorgan ihrer Träger in künstlerischen ragen. Kaum eine heute noch aktive Institution in eutschland hat eine so ehrwürdige Tradition wie die kademie. Ihre Idee war maßstabsetzend für die „Hohe chule“. Gegründet wurde sie von Kurfürst Friedrich III. von randenburg mit dem hohen Anspruch, die Provinz randenburg kulturell den anderen deutschen Ländern nzugleichen. Unter Friedrich Wilhelm II. wurde die kademie der Künste gar zum Symbol der Modernisie- ung Preußens. Mit ihren liberalen und demokratischen rinzipien erwarb sie sich internationales Renommee. In er Weimarer Republik war sie der Anlaufpunkt der ünstlerischen Elite Deutschlands und Europas. Nach em vorläufigen Untergang der Akademie der Künste urch die Gleichschaltungspolitik der Nationalsozialis- en wuchs sie nach dem Krieg und insbesondere nach der ereinigung der Akademie der Künste West mit der kademie der Künste Ost im Zuge der deutschen Einheit 12766 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 (A) ) (B) ) wieder zu dem bedeutendsten Treffpunkt internationaler Künstler in Deutschland heran und knüpfte damit an ihre alte und herausragende Tradition an. Die Geschichte der Akademie der Künste verpflichtet uns heute, sie nicht als politischen Spielball zu benutzen. Sie verdient unser aller Unterstützung. Deshalb möchte ich auch heute keine Diskussion über die Gesetzge- bungskompetenz des Bundes zu dem uns vorliegenden Gesetz führen. Genauso lasse ich heute das Für und Wi- der der föderalen Vielfalt unserer Kulturpolitik aus dem Spiel, auch wenn mir die Bundesregierung die Bedenken des Bundesrates zu leichtfertig vom Tisch gewischt hat. Wir unterstützen das Bemühen der Bundesregierung, die finanzielle Existenz der Akademie der Künste zu si- chern. Wir schließen uns auch ihrer Auffassung an, dass die Akademie aus ihrer über 300-jährigen Tradition he- raus wie kaum eine andere nationale Institution im Aus- land als herausragende Repräsentanz deutscher Kultur wahrgenommen wird. Ebenso verschließen wir uns nicht dem von den Mitgliedern der Akademie geäußerten Wil- len einer Überführung in Bundeszuständigkeit. Wir kritisieren aber scharf die Vorgehensweise und Motive der Bundesregierung, die hinter diesem Gesetz- entwurf stehen. Bereits seit dem l. Januar 2004 finanziert der Bund die Akademie der Künste. Wir fragen uns, auf- welcher Grundlage dies geschieht, wenn wir erst heute über eine Übernahme der Trägerschaft debattieren. Die Übernahme der Trägerschaft wiederum ist ein zweifelhaftes Koppelgeschäft mit der Gründung der Opernstiftung. Dies weckt schlimmste Befürchtungen, da die Gründung der Opernstiftung mit schriller Begleit- musik einhergeht. Von „politischem Krieg“ und „Berli- ner Kulturkampf“ ist heute in den Medien die Rede. Wie kann man die Akademie der Künste zu diesem Zeitpunkt in derart stürmisches Fahrwasser werfen? Warum über- haupt lässt sich die Bundesregierung, wenn sie der Aka- demie eine herausragende und besonders förderwürdige Bedeutung zuspricht, auf dieses Kompensationsgeschäft ein? In anderen Fällen – ich erinnere an das Jüdische Museum – war das auch nicht der Fall. Dieses Gesetz wird immer den faden Beigeschmack behalten, dass Berlin die Akademie der Künste an den Bund abschiebt, um die neue Opernstiftung zu errichten. Dieses Vorgehen ist der Akademie der Künste unwürdig. Mit diesem Gesetzentwurf beteiligt sich die Bundes- regierung an einem abschreckenden Geschacher. CDU und CSU werden, um den Mitgliedern der Aka- demie der Künste und dem kulturellen Leben im In- und Ausland kein falsches Signal zuzusenden, heute dem Gesetzentwurf trotzdem zustimmen. Für uns steht die Existenz der Akademie der Künste im Mittelpunkt unse- rer Überlegungen. Dafür stellen wir erhebliche genannte Bedenken hinten an. Wir bedauern sehr, dass kein würdigeres Verfahren und Vorgehen gewählt wurde. Der Wechsel der Träger- schaft der Akademie der Künste bleibt ein weiteres un- rühmliches Kapitel dieser Bundesregierung. Die ein- gangs angesprochenen Sterne von Freiheit und Wahrheit leuchten heute leider nicht heller, weder über der Kunst, n s E d c H s – d k w s k A h r l t H d d f t h w S S l k u M H M h l d B s g e d s s is B d A d s K d t s W d d (C (D och über der Akademie, und schon gar nicht über die- em Gesetzentwurf. Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): rinnern wir uns kurz: Die Entscheidung des Bundes, ie Akademie der Künste als Körperschaft des öffentli- hen Rechts zu übernehmen, wurde Ende 2003 im neuen auptstadtkulturvertrag festgeschrieben. Durch die ent- prechende Entlastung des Berliner Kulturhaushalts 16 der insgesamt 22 Millionen Euro Entlastung sind er Übernahme der Akademie der Künste zu verdan- en – sollte der Berliner Senat in die Lage versetzt erden, die Berliner Opernreform durchzuführen. Tat- ächlich kann die Berliner Opernreform als Modell für ünftige Reformen im Kulturbereich betrachtet werden. ngesichts der derzeitigen Querelen und skandalösen andwerklichen Fehler bei der Suche nach einem Gene- aldirektor der Berliner Opernstiftung fragt man sich al- erdings, ob der Berliner Kultursenator selbst die Bedeu- ung dieser Reform überhaupt begriffen hat. Dieser Hintergrund und das derzeitige personelle ickhack dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, ass es sich bei der Entscheidung des Bundes, die Aka- emie der Künste als rechtsfähige Körperschaft des öf- entlichen Rechts in Trägerschaft des Bundes zu errich- en, um eine kulturpolitische Grundsatzentscheidung andelt. Denn dass die Akademie der Künste eine ehr- ürdige Institution mit nationaler und internationaler trahlkraft war und ist – darüber besteht kein Zweifel. eit ihrer Gründung 1669 ist sie ein Ort des internationa- en Austauschs von Künstlern; sie ist ein Hort der Demo- ratie, in dem das kulturelle Erbe Deutschlands gepflegt nd weiterentwickelt wird. Große Namen wie Felix endelssohn-Bartholdy, Thomas Mann, Heinrich Mann, ermann Hesse, Ricarda Huch, Alfred Döblin, Heiner üller – alle waren sie Mitglieder der Akademie – ste- en für den humanistischen Ansatz dieser internationa- en „Gelehrtenrepublik“. Was haben wir der Akademie er Künste nicht alles zu verdanken? Ohne sie wäre zum eispiel das Brandenburger Tor in seiner klassizisti- chen Form niemals gebaut worden. Stets, auch unter rößter Repression, bildete die Akademie der Künste ine Gegenkraft zu nationaler Engstirnigkeit. Dass ihr erzeitiger Präsident Adolf Muschg ein Schweizer ist, ein Vorgänger György Konrad ein Ungar, zeigt, dass ich die Akademie der Künste dieser Tradition bewusst t. Ich freue mich deshalb über das Engagement des undes und darüber, dass nun eine kompakte Lösung für iese Institution gefunden wurde. So kann die Rolle der kademie im kulturellen Austausch, bei der Vermittlung er Künste und der Pflege unseres kulturellen Erbes ge- ichert werden. In der Übernahme der Akademie der ünste zeigt sich eine doppelte Zuständigkeit des Bun- es: erstens seine besondere Verantwortung für die kul- urelle Entwicklung der Bundeshauptstadt, zweitens eine Zuständigkeit für Institutionen, die in besonderer eise der Repräsentation des Gesamtstaats dienen. Bei- es trifft im Falle der Akademie der Künste zu. Die Bun- eskompetenz, die von einigen Bundesländern ange- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 12767 (A) ) (B) ) zweifelt wurde, ist damit eindeutig gegeben. Die Entscheidung ist verfassungskonform und sie liegt zu- dem im ureigenen Interesse des Gesamtstaats. Die neue Satzung der Akademie der Künste präzisiert diese be- sondere Kompetenz des Bundes; im Verwaltungsbeirat ist der Bund als Zuschussgeber mit der Mehrheit der Stimmen vertreten. An der künstlerischen Autonomie der Akademie wird dies selbstverständlich nichts än- dern. Von ihrem neuen Sitz am Pariser Platz im Zentrum Berlins wird die Akademie der Künste ihre Wirkung weiter entfalten, kulturelle Debatten anstoßen und so Kultur zu einem zentralen Bestandteil der – politischen – Identitätsfindung der so genannten „Berliner Republik“ machen. Vergessen wir außerdem nicht: Die Zuwendun- gen und Preise der Akademie zur Unterstützung von Künstlern gewährleisten auch unter schwierigen ökono- mischen Bedingungen ein Klima, in dem sich Künstler in diesem Land willkommen fühlen dürfen. Nach Osteuropa pflegt die Akademie stets fruchtbare Kontakte, sodass sie zur kulturellen Vertiefung des euro- päischen Einigungsprozesses Wichtiges beiträgt. Über- haupt sollten wir uns über die immense Bedeutung die- ser Institution in einem zunehmend unübersichtlichen, von ökonomischen Sachzwängen geprägten Globalisie- rungsprozess im Klaren sein. Nur wenn das kulturelle und geistige Erbe Europas und Deutschland weiter le- bendig gehalten wird, kann die Globalisierung als ein humaner Prozess gestaltet werden. Für diesen Willen steht die Akademie der Künste. Dr. Christina Weiss, Staatsministerin beim Bundes- kanzler: Wir debattieren heute über das geistige Institut unserer Nation. Die Akademie der Künste blickt auf eine stolze, über 300 Jahre alte Tradition zurück. Als unab- hängige Künstlersozietät ist sie die älteste ihrer Art in Europa. Wie kaum eine zweite Institution bildet die Aka- demie die Entwicklung der Künste und den geistigen Zu- stand einer Gesellschaft ab. Sie ist damit nicht nur ein Kernelement der Kulturlandschaft in der Hauptstadt, sondern auch eine Einrichtung von internationaler Repu- tation. Mit der Übernahme in die finanzielle und rechtliche Obhut des Bundes soll die Akademie auch künftig für die Künste streiten. Wir wollen aber keine Staatsakade- mie, vielmehr sehen wir uns in der schönen Tradition der Akademiebewegung, einen freien Ort des freien Gedan- kens und des freien Urteils zu unterstützen. Vom Pariser Platz sollen künftig kulturpolitische Diskussionen ausge- hen, die ganz Deutschland bewegen, vielleicht sogar ver- ändern können. Die Akademie bleibt also inhaltlich au- tonom. Die von ihr ausgehenden Impulse entfalten sie coram publico; sie wirkt öffentlich. Durch ihre Veran- staltungen vermittelt sie wesentliche künstlerische Strö- mungen der Gegenwart. Durch ihr interdisziplinäres Archiv, ihre umfangreiche Bibliothek und die zwei Ge- denkstätten in ihrer Obhut trägt sie erheblich zur Pflege des kulturellen Erbes bei. v B i D U g m B A z n i g B A d e l z B t d O N 1 g w d w d b l t s w g t d Ä s d B n d K d W g d f s (C (D Mit seinem Engagement für die Akademie der Künste ertieft der Bund sein kulturpolitisches Engagement in erlin. Dieses Institut – ich kann es nur wiederholen – st von herausragender Bedeutung für die Kulturnation eutschland und es ist eben keine Regionalakademie. m ihre Strahlkraft zu erhalten, hat sich die Bundesre- ierung entschlossen – übrigens im völligen Einverneh- en mit dem Senat von Berlin und der Landesregierung randenburg – in die alleinige Verantwortung für die kademie einzutreten. In einem juristischen Sinne technisch gesprochen ielt das Ihnen vorliegende Gesetz auf die Errichtung ei- er rechtsfähigen Körperschaft des öffentlichen Rechts n Trägerschaft des Bundes. Sie soll an die Stelle der leichnamigen Körperschaft treten, die von Berlin und randenburg errichtet wurde. Mit der Übernahme der kademie kommt der Bund einer Verpflichtung nach, ie im Hauptstadtkulturvertrag vom 9. Dezember 2003 nthalten ist. Er entlastet damit die Kulturhaushalte Ber- ins und Brandenburgs und sichert zugleich das finan- ielle Fundament der Akademie. Dieses Engagement des undes fügt sich ein in sein Gesamtkonzept für die Kul- ur in der Hauptstadt Berlin. Es schafft, wie Sie wissen, ie Voraussetzung für den Erhalt der drei Berliner pernhäuser, den ja alle Fraktionen dieses Hauses mit achdruck gefordert haben. Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme vom 4. Mai dieses Jahres das Ansinnen grundsätzlich be- rüßt, „im Rahmen des Hauptstadtlkulturvertrages die eitere finanzielle Existenz der Akademie der Künste, ie von den Ländern Berlin und Brandenburg getragen ird, zu sichern“. Gleichwohl hat eine Mehrheit im Bun- esrat die Auffassung vertreten, dass der Bund nicht erechtigt sei, die Akademie als Körperschaft des öffent- ichen Rechts zu errichten, da die Gesetzgebungskompe- enz für kulturelle Angelegenheiten in der alleinigen Zu- tändigkeit der Länder liege. Die Bundesregierung hat diese Auffassung zurückge- iesen: Die Länder begrüßen in ihrer Stellungnahme rundsätzlich die Übernahme der Akademie und akzep- ieren sie damit als hauptstädtische Einrichtung, die – wie er im Ausschuss für Kultur und Medien angenommene nderungsantrag zum Gesetz noch einmal klar heraus- tellt – der nationalen wie internationalen Repräsentation es Gesamtstaates dient. Wenn dem so ist, dann sieht der und auch für die Umwandlung in eine Körperschaft ach Bundesrecht „eine evidente Handlungskompetenz“. Der Bundesregierung liegt es fern, die Kulturhoheit er Länder zu untergraben. Der Bund hat jedoch für die ulturnation Deutschland auch ungeschriebene Zustän- igkeiten: Befugnisse und Verpflichtungen, die ihrem esen nach im bundesstaatlichen Gesamtverband wahr- enommen werden müssen, stehen ihm aus der Natur er Sache zu. Die Bundesregierung sieht sich daher ver- assungsrechtlich befugt, die Akademie in eine Körper- chaft nach Bundesrecht umzuwandeln. 12768 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 (A) ) (B) ) Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 18. November 2002 zur Gründung ei- ner Assoziation zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten ei- nerseits und der Republik Chile andererseits – Antrag: Für einen europäischen-kolumbia- nischen Dialog und einen erfolgreichen Frie- densprozess in Kolumbien einsetzen (Tagesordnungspunkt 18 a und b) Lothar Mark (SPD): Das Assoziationsabkommen zwischen der EU und Chile ist das umfangreichste, das die EU jemals mit einem Drittstaat geschlossen hat, und es stellt damit einen Meilenstein für die Beziehungen zwischen der EU und Lateinamerika insgesamt dar. Nach Mexiko ist Chile das zweite Land, mit dem ein sol- ches Abkommen vereinbart wurde. Dieser Vertrag umfasst weit mehr als ein reines Han- delsabkommen. Der scheidende EU-Handelskommissar Pascal Lamy, beschreibt dies wie folgt: Mit der Unter- schrift unter dieses Dokument haben Chile und die EU vor dem Rest der Region die Verantwortung zur Bildung einer strategischen Beziehung zwischen Europa und La- teinamerika übernommen. – Es geht folglich um mehr als die Intensivierung der Wirtschaftsbeziehungen, es geht auch um das gemeinsame Bekenntnis zu unseren Grundsätzen der Demokratie und der Menschenrechte. Entsprechend den Vereinbarungen im politischen Pro- tokoll, das neben dem Wirtschafts- und Handelskapitel den zweiten Pfeiler bildet, sollen die EU und Chile ihre Positionen in Fragen der internationalen Politik künftig noch besser koordinieren und in internationalen Gremien gemeinsame Initiativen einbringen. Wir sind vom Nut- zen einer solchen Politik der internationalen Koopera- tion überzeugt, die auf Alleingänge bewusst verzichtet und unbedingt dem Konzept des Multilateralismus ver- pflichtet ist. Hinzu kommt als dritter Pfeiler ein Koope- rationsabkommen, das eine verstärkte Zusammenarbeit im kulturellen sowie im Bildungsbereich vorsieht und Chile einen privilegierten Zugang zu den Rahmenpro- grammen der EU gewährt. Die Handelsvereinbarungen des Abkommens bieten Chile Zugang zu einem Markt von über 450 Millionen Verbrauchern. Dem Land eröffnen sich damit Chancen, die von der Einführung neuer Qualitätsstandards und dem damit verbundenen Gewinn des Vertrauens der eu- ropäischen Verbraucher bis hin zur Diversifizierung der Absatzgebiete und der eigenen Produkte reichen. Selbstverständlich ist das Abkommen auch für Eu- ropa von allergrößtem Interesse. Im Weltbankbericht „Doing Business 2004“ wird Chile als bester Geschäfts- standort Lateinamerikas bezeichnet; unter den „Emer- ging Markets“ rangiert es an zweiter Stelle. Im vergan- g O b i A g d n s E s h t g I a s m n H h a s d t g h z s S r d s a m n t m d S w C K e g a s d z r d e n (C (D enen Jahr hat Chile zudem Antrag auf Aufnahme in die ECD gestellt. Bekanntlich finden bestimmte Abkommensteile – ins- esondere Bestimmungen zum Warenverkehr und über nstitutionelle Fragen – bereits seit dem 1. Februar 2003 nwendung. Somit kann eine erste, vorläufige Bilanz ezogen werden, die durchaus positiv ausfällt: Das Han- elsvolumen der EU mit Chile hat sich in den ersten Mo- aten dieses Jahres sprunghaft entwickelt. Die chileni- chen Exporte nach Europa sind um 52 Prozent, die xporte nach Deutschland sind um 56 Prozent gewach- en. Die deutschen Ausfuhren nach Chile legten immer- in um 11 Prozent zu. Das Assoziierungsabkommen hat also schon jetzt den raditionell guten und intensiven Wirtschaftsbeziehun- en zwischen Deutschland und Chile einen wesentlichen mpuls verleihen können. Deutschland hat seinen Rang ls wichtigster Lieferant Chiles innerhalb der Europäi- chen Union behauptet, wenngleich angemerkt werden uss, dass Deutschland wie auch die EU insgesamt icht so stark wie andere Regionen vom chilenischen andelswachstum profitieren. An dieser Stelle geht da- er mein Appell an die deutsche Wirtschaft, den Blick uch wieder verstärkt über den Südatlantik zu richten. Diese Entwicklungen lassen hoffen, dass die fort- chreitende Liberalisierung des Warenverkehrs auf bei- en Seiten dazu beitragen wird, das Wirtschaftswachs- um zu steigern, die Arbeitslosigkeit zu senken und der esellschaftlichen Entwicklung neue Impulse zu verlei- en. Der Vertrag leistet somit einen wesentlichen Beitrag ur Sicherung des Friedens, der Sicherheit und der wirt- chaftlichen Stabilität in der Region. Chiles Funktion als tabilitätsanker in der Region wird durch die Ratifizie- ung des Assoziierungsabkommens unterstrichen. Nicht zuletzt möchte ich noch auf die Signalwirkung es Abschlusses auf die Verhandlungen mit dem Merco- ur über ein vergleichbares Abkommen hinweisen. Wir lle hoffen, dass die Erfolgsbilanzen aus den Abkommen it Mexiko und Chile auch dazu führen werden, dass ach dem Verfehlen des selbst gesteckten Abschlussda- ums Ende Oktober nunmehr unter der neuen EU-Kom- ission in nicht allzu ferner Zukunft der Abschluss mit em Mercosur zustande kommt. Angesichts der dargelegten Argumente stimmt die PD-Bundestagsfraktion dem vorliegenden Gesetzent- urf der Bundesregierung ohne Änderungen zu. Die DU/CSU-Fraktion ist mit dem vorliegenden Antrag zu olumbien in wesentlichen Punkten auf unsere Linie ingeschwenkt. Dies ist grundsätzlich zu begrüßen; ich ehe gleich im Einzelnen darauf ein. Dennoch zeigt sich us unserer Sicht ganz deutlich, dass diese richtigen An- ätze nicht in letzter Konsequenz zu Ende gedacht wer- en. Verschiedene Punkte lassen eine Befürwortung der u beratenden Drucksache nicht zu. Der Antrag benennt die bisherigen Erfolge der Regie- ung Uribe und verweist richtigerweise darauf, dass iese zunächst vorläufig sind und der Weg zu einer dau- rhaften Befriedung der kolumbianischen Gesellschaft och lang und äußerst beschwerlich sein wird. Umso Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 12769 (A) ) (B) ) wichtiger ist auch aus unserer Sicht die Unterstützung der Regierung Uribe auf diesem Weg. Vor diesem Hintergrund ist es unbestritten notwendig, von europäischer Seite neue Impulse für den festgefahre- nen Friedensprozess zu geben. Diese Auffassung, vertre- ten wir seit langem. Die SPD-Bundestagsfraktion hat in einer Entschließung vom April letzten Jahres – aber auch schon im Juli 2000 – auf die Wichtigkeit eines entschie- deneren Engagements der Europäischen Union hinge- wiesen. In diesem Zusammenhang haben wir die Ernen- nung und Entsendung eines Hohen Beauftragten der Europäischen Union für den Konflikt in Kolumbien vor- geschlagen. Seine Aufgabe bestünde darin, den vorhan- denen europäischen Ansatz für eine friedliche Konflikt- lösung auf dem Verhandlungswege mit Nachdruck zur Geltung zu bringen und damit dazu beizutragen, in enger Abstimmung mit der kolumbianischen Regierung, dem Sondergesandten der Vereinten Nationen und der OAS den Friedensprozess wieder neu zu beleben und zu dyna- misieren. Von kolumbianischer Seite ist dieser Vorschlag bisher sehr positiv aufgenommen worden, so auch jüngst während meiner letzten Reise nach Bogota im vergange- nen Oktober. Die Einschätzung der CDU/CSU zu den Hauptpro- blemfeldern teilen wir, wenn auch mit etwas anderer Ge- wichtung: Die Menschenrechtssituation in Kolumbien ist nach wie vor kritisch. Es gilt weiterhin, die kolumbia- nische Regierung auf die Umsetzung der Empfehlungen des VN-Hochkommissars für Menschenrechte vom ver- gangenen Februar zu verpflichten und dabei zu unter- stützen. Unserer festen Überzeugung nach kann es letztend- lich nachhaltigen Frieden in Kolumbien nur auf dem Verhandlungswege geben. Deshalb begrüßen wir die Forderung, die kolumbianische Regierung bei der An- bahnung konstruktiver Friedensverhandlungen mit allen illegalen Gruppen zu unterstützen. In diesem Zusammenhang verfolgen wir aufmerksam den Demobilisierungsprozess mit den Paramilitärs, den wir grundsätzlich befürworten. Viele Stimmen in Ko- lumbien sprechen sich allerdings kritisch gegenüber ei- ner Quasilegalisierung der paramilitärischen Verbände im Rahmen der rechtsstaatlichen Ordnung aus, zumal das diesbezügliche Konzept der Regierung nicht kohä- rent erscheint und auch noch kein Gesetzesrahmen exis- tiert. Trotz aller Schwierigkeiten im Prozess der Demo- bilisierung und Wiedereingliederung der Paramilitärs sehen wir dazu keine Alternative. Gleichwohl gilt es aus unserer Sicht, darauf zu achten, dass die Verhandlungen transparent gestaltet werden und die Balance zugunsten der Rechte der Opfer gewahrt bleibt. Der Vorschlag zur Einrichtung einer Wahrheitskommission kann in diesem Prozess ein wichtiges Instrument sein, setzt allerdings den politischen Willen und ein funktionierendes Rechts- system voraus. Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt insbesondere, dass die CDU/CSU in diesem Kontext auch die Notwen- digkeit von umfassenden gesellschaftlichen Reformen in Kolumbien betont. B t e K n C a C s u I P l is K s d m A A g V u s e V l w A p a m d s a l t t d u r s d t a m e e m s g E s D d (C (D Zu Recht fordert sie in diesem Zusammenhang die ündelung der friedenspolitischen Anstrengungen sei- ens der USA und Europa. Zumindest die Zeichen für ine geschlossenere Haltung der Europäer gegenüber olumbien stehen nach dem Regierungswechsel in Spa- ien gut. Damit verbessern sich zwar grundsätzlich die hancen von multilateralen Initiativen; inwiefern diese ber in einen ausgewogeneren neu aufgelegten „Plan olombia“ münden, bleibt abzuwarten. Im Ergebnis ollte ein angemessenes Gleichgewicht zwischen ziviler nd militärischer Konfliktbewältigung hergestellt sein. ch freue mich, dass die CDU/CSU-Fraktion in diesem unkt von der einseitigen Unterstützung eines vornehm- ich militärisch ausgelegten „Plan Colombia“ abgerückt t. Ich möchte nun aber zu meiner eingangs geäußerten ritik am vorliegenden Antrag kommen. Es ist schon er- taunlich: Einerseits betont die CDU/CSU richtigerweise ie regionale Dimension des Konflikts. Nur zusammen it den Anrainerstaaten können die friedenspolitischen nstrengungen zu einer konstruktiven Lösung führen. ndererseits aber muss in ihrer Situationsanalyse fast ebetsmühlenartig die Verunglimpfung des Nachbarn enezuela folgen. Sie stützt sich dabei – wie so oft – auf ngesicherte Erkenntnisse, Verdächtigungen und Unter- tellungen. Es ist mir unverständlich, wie versucht wird, inen bedeutenden Partner von diesem gemeinsamen orgehen auszugrenzen, wenn man doch einen regiona- en Ansatz in dieser Frage fördern will. Bedauerlicher- eise disqualifiziert sich die CDU/CSU mit ihren guten nsätzen in dieser Frage. Ein weiterer Punkt ist die Einschätzung der Drogen- roblematik. Natürlich geht es um unsere Sicherheit, ber es geht auch um unsere Verantwortung als Konsu- entenländer, zu der sich die CDU/CSU im vorliegen- en Antrag nicht hinreichend bekennt. Es muss aus un- erer Sicht eine langfristige Perspektive für den lternativen Anbau eröffnet werden. Insofern ist von al- ergrößter Wichtigkeit, dass vonseiten der EU ein attrak- ives Nachfolgerregime für das APS „Drogen“ angebo- en wird. Wir sehen bisher, dass Maßnahmen im Rahmen es „Plan Colombia“ zur Bekämpfung von Drogenanbau nd -kriminalität zum Teil nicht in dem Maße erfolg- eich waren wie erwartet, oft nur kurzfristig eingetreten ind oder lediglich zu einer Verlagerung in Nachbarlän- er geführt haben. Die CDU/CSU spricht sich schließlich in ihrem An- rag für die Möglichkeit der Wiederwahl des Präsidenten us. Über eine Verfassungsänderung in Kolumbien mag an in der Tat denken, wie man will. In jedem Fall steht s dem Deutschen Bundestag aber nicht an, sich in der inen oder anderen Weise dazu zu erklären und sich da- it in diese innerkolumbianische Diskussion einzumi- chen. Ich bin überzeugt, dass der kolumbianische Kon- ress unter Abwägung des Für und Wider die richtige ntscheidung in dieser wichtigen Frage treffen wird. Insgesamt ist dem Antrag sehr deutlich die Hand- chrift des zugrunde liegenden SWP-Papiers von r. Günther Maihold anzumerken. Es wäre schön, wenn ie darin zum Ausdruck kommenden Intentionen auch 12770 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 (A) ) (B) ) tatsächlich Eingang ins Bewusstsein der CDU/CSU- Fraktionsmitglieder gefunden hätten. Die Zukunft wird zeigen, ob meine diesbezügliche Skepsis berechtigt ist. Ich möchte abschließend einige Bemerkungen zum internationalen Kontext machen, der meines Erachtens die Bemühungen um den Frieden in Kolumbien nicht gerade erleichtert. Allzu vorschnell werden derzeit unter den Kampf gegen den Terrorismus weltweit Entwicklungen subsumiert, die vielleicht einer differenzierteren Betrachtung bedürften. Bei diesen Konflikten in der Welt gerät Ursachenforschung stellen- weise völlig in den Hintergrund und nachvollziehbare Lösungsansätze für eine nachhaltige Sozial- und Frie- denspolitik werden weitestgehend ignoriert und tabui- siert. Chancen und Möglichkeiten, Friedenspolitik prä- ventiv durch umsichtige und gerechte Sozialpolitik anzugehen, werden in der globalisierten Welt oft aus Ide- ologiegründen nicht gesehen, negiert, zumindest aber nicht offensiv propagiert und verfolgt. Monokausale Er- klärungs- und Lösungsansätze können aber nur in eine Sackgasse führen, wie uns an den Beispielen der Eskala- tion im Irak, im Nahen Osten und anderen Regionen schmerzlich, inzwischen fast täglich vorgeführt wird. Dies sollten wir auch in Bezug auf Kolumbien im Hin- terkopf behalten. Da es, wie oben erläutert, in verschiedenen Punkten Übereinstimmung zwischen unseren Fraktionen gibt, finden wir es bedauerlich, dass nicht im Vorfeld der Ein- bringung ins Plenum der Versuch unternommen wurde, zu einer Verständigung zu kommen. In der vorliegenden Form kann die SPD-Bundestagfraktion trotz aller begrü- ßenswerten Ansätze nicht zustimmen. Erich G. Fritz (CDU/CSU): „Nur ein Land ist der lateinamerikanische Malaise entronnen – Chile“, heißt es in einem „Welt“-Artikel vom 21. Oktober 2004. Das sind gute und ermutigende Nachrichten, die uns den Nutzen des von der Bundesregierung erst jetzt vorgeleg- ten Gesetzentwurfs zur Ratifizierung des Abkommens vom 18. November 2002 über eine Assoziation zwi- schen der EU und Chile verdeutlichen. Das Abkommen ist in seinen wesentlichen handelspolitischen Bestim- mungen von der EU-Kommission im Rahmen ihrer Kompetenzen im Februar 2003 in Kraft gesetzt worden. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt und un- terstützt die vorgesehene Ratifizierung, nicht zuletzt weil Deutschland Chiles wichtigster Handelspartner inner- halb der Europäischen Union ist. Nach Mexiko ist Chile das zweite Land Lateinamerikas, mit dem auf der Basis des Assoziationsabkommens die wirtschaftlichen und politischen Beziehungen intensiviert und die wirtschaft- liche, soziale und kulturelle Entwicklung des Landes un- terstützt werden soll. Dass es Chile im Gegensatz zu anderen Staaten La- teinamerikas gelungen ist, sich für die EU als ernst zu nehmender Partner darzustellen, hat erst jüngst die neue Studie des World Economic Forums gezeigt. Danach zählt Chile zu den Aufsteigern im Growth Competitive- ness Index, GCI, da es sich vom 28. auf den 22. Platz verbessert hat. Nicht nur das: Auch der Abstand zum n 2 s m J b B m e v a m l d e K s d z L P D l S m t r v d d d m r l n r E g f 9 H A b a e k s d h n a v h m s (C (D ächstbesten südamerikanischen Staat, Mexiko, ist auf 6 Plätze angewachsen. Aber nicht nur die wirtschaftlichen Erfolge Chiles prechen für die Ratifizierung des Assoziationsabkom- ens. Chile hat seit seiner Rückkehr zur Demokratie im ahre 1990 seinen demokratischen Weg kontinuierlich eschritten. Mithilfe des in dem Abkommen enthaltenen ekenntnisses zur Wahrung der demokratischen und enschenrechtlichen Grundsätze soll Chile auf diesem rfolgreichen Weg weiter unterstützt werden. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt ferner die orgesehene finanzielle Zusammenarbeit, die sich vor llem auf die Förderung von Reformen zur Wirtschafts- odernisierung und zur Verbesserung der wirtschaft- ichen Infrastruktur Chiles erstrecken soll, und fordert ie EU und Chile auf, die bislang noch nicht genau ver- inbarte finanzielle Zusammenarbeit umgehend nach In- raft-Treten des Abkommens festzulegen. Besonders erfreulich sind die weit gehenden Liberali- ierungsmaßnahmen im Handelsbereich: zum Beispiel er vollständige Abbau der Zölle für gewerbliche Er- eugnisse bis zum 1. Januar 2010 und die schrittweise iberalisierung des Handels mit landwirtschaftlichen rodukten durch Aufhebung bzw. Senkung von Zöllen. ie wirtschaftlichen Vorteile eines solchen Zollabbaus iegen für beide Seiten auf der Hand: Der Abbau von chranken führt zu einer besseren Arbeitsteilung und da- it zu einem wirtschaftlichen Gewinn für alle Beteilig- en. Die Reformen machen Chile attraktiver für Investo- en, weil wirtschaftspolitische Reformen glaubhaft erankert werden. Außerdem können Erfahrungen mit em Abbau von Handelsbarrieren gesammelt werden, ie dem WTO-Ziel eines weltweiten Abbaus von Han- elsbarrieren nützen können. In diesem Zusammenhang öchte ich allerdings hervorheben, dass bilaterale und egionale Handelsabkommen keine Alternative zu multi- ateralen Vereinbarungen sein dürfen. Dies würde zu ei- er Schwächung des multilateralen Handelssystems füh- en und vor allem Entwicklungsländern schaden. rfreulicherweise ist auch für die EU und die Bundesre- ierung der multilaterale Rahmen der bevorzugte Weg ür die Gestaltung der weltweiten Handelsbeziehungen. Mir ist bewusst, dass die Realität seit Beginn der 0er-Jahre anders aussieht. Seither erleben regionale andelsabkommen einen unvergleichlichen Boom. uch und gerade die USA machen davon regen Ge- rauch. Ein Freihandelsabkommen mit Chile ist bereits bgeschlossen. Auch vor diesem Hintergrund halten wir ine rasche Ratifizierung des EU-Chile-Assoziationsab- ommens für wünschenswert und notwendig, wohl wis- end, dass das vorliegende Assoziationsabkommen über as Freihandelsabkommen zwischen Chile und den USA inausgeht, weil es auch den sozialen, kulturellen, tech- ischen und politischen Dialog umfasst. Bedauerlicherweise hat außer Chile keines der latein- merikanischen Länder eine wirkliche Entwicklung zu erzeichnen – weder in makroökonomischer Sicht noch insichtlich der Verminderung der Armut, in der die eisten Menschen leben. Korruption und Drogenhandel tehen auf der Tagesordnung. Hinzu kommt eine unzu- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 12771 (A) ) (B) ) reichende Gewaltenteilung, fehlende Rechtsstaatlichkeit und die mangelnde Transparenz politischer Prozesse. Zwar genießt Lateinamerika in der Handelspolitik der EU seit Ende der 90er-Jahre eine Sonderrolle, weil euro- päische Großunternehmer im Zuge der lateinamerikani- schen Privatisierungswelle massive Investitionen vorge- nommen haben, eine Annäherung zwischen Europa und den Staaten Lateinamerikas mit Ausnahme Mexikos und Chiles verläuft dagegen nur schleppend. EU-Handels- kommissar Lamy machte daher auf dem EU-Lateiname- rika-Gipfel vom Mai 2004 eine stärkere regionale und wirtschaftliche Integration zur Vorbedingung für ein Freihandelsabkommen, über das die Staaten Lateiname- rikas schon ab Anfang 2005 verhandeln möchten. Von einem solchen Abkommen würde natürlich auch Europa stark profitieren, da eine Einigung etwa mit dem Mercosur den Europäern den Zugang zu einem Markt mit 265 Millionen Menschen öffnen würde. Wie Sie alle wissen, konnte die für Oktober 2004 vorgesehene Eini- gung über ein EU-Mercosur-Abkommen nicht erzielt werden. Wünschenswert wäre es, wenn Chile als assozi- iertes Mitglied des Mercosur wie auch als Vertragspart- ner des EU-Chile-Assoziationsabkommen als Vermittler auftreten und auf einen raschen Konsens zwischen dem Mercosur und der EU hinwirken würde. Vor dem Hintergrund vieler noch ungelöster Fragen und Defizite ist es für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion unverständlich, warum die Bundesregierung ein lateina- merikanisches Land nach dem anderen aus der bilatera- len Zusammenarbeit mit Deutschland ausschließt. Ende 2004 soll die Zusammenarbeit mit Argentinien und Uru- guay aufhören. Darüber hinaus plant die Bundesregie- rung als Nächstes, Chile oder auch Paraguay von der Liste der Kooperationsländer zu streichen. Ich hoffe nicht, dass das im Falle Chiles eine Reaktion auf die be- vorstehende Ratifizierung des EU-Chile-Assoziationsab- kommens ist. Wenn ja, wäre das ein falsches Signal. Die erzielten Reformerfolge der chilenischen Regie- rung dürfen nicht gefährdet werden. Trotz aller Erfolge darf es auch auf bilateraler Ebene kein Nachlassen in den Reformbemühungen geben. Auch Chile steht noch vor großen Herausforderungen. Es zählt zu den Ländern mit der ungünstigsten Einkommensverteilung. Ein Großteil der Bevölkerung bleibt vom Konsum ausgeschlossen, was negative Konsequenzen für die für den Inlandsbe- darf produzierenden Mittelstandsbetriebe hat. Zudem hat die radikale Privatisierung des Ausbildungssystems dazu geführt, dass Chile bei Studien über die Effizienz der Bildungssysteme im internationalen Vergleich regelmä- ßig auf den hintersten Plätzen landet. Ein Überbleibsel des Pinochet-Regimes – das binomi- nale Wahlrecht – macht Chiles Demokraten das Leben schwer. Es zwingt seit der Rückkehr zur Demokratie 1990 Sozialisten, Sozialdemokraten und Christliche De- mokraten in der aus vier Parteien bestehenden Concerta- tión zusammen. Gleichzeitig bevorzugt es die rechte Op- position dadurch, dass jeder der beiden Blöcke – Linke wie Rechte – pro Wahlkreis nur je zwei Kandidaten auf- stellen darf und damit die rechte Opposition – Allianz aus den Parteien „Demokratisch-Unabhängige Union“, U e s E m n z s v b l d i b n ü k d z z u e W Á c z r d d z g z K u n e p f Ü l v s u d e V s r r d r b e e z t t (C (D DI, und „Nationale Erneuerung“, RN – mit lediglich inem Drittel der Stimmen die Hälfte aller Parlaments- itze bekommen kann. Die Concertatión wird trotz der rfüllung ihrer Aufgabe als Bündnis sämtlicher der De- okratie verpflichteter Parteien gegenüber der Diktatur och so lange bestehen, bis das binominale Wahlsystem ugunsten eines demokratischeren Verfahrens abge- chafft ist. Noch aber wird eine Reform des Wahlrechts on der Opposition aus Eigeninteressen weitgehend lokkiert. Es bleibt also noch viel zu tun in Chile wie auf dem ateinamerikanischen Kontinent insgesamt. Deshalb for- ern wir die Bundesregierung nachdrücklich auf, die von hr aufgekündigte bzw. zurückgefahrene Zusammenar- eit mit vielen Ländern Lateinamerikas wieder aufzu- ehmen und auch auf EU-Ebene auf enge Beziehungen ber das uns hier vorliegende EU-Chile-Assoziationsab- ommen hinaus hinzuwirken. Es muss ganz entschieden arum gehen, Lateinamerika bei seiner politischen, so- ialen und wirtschaftlichen Stabilisierung zu unterstüt- en. Überlassen wir Lateinamerika der wirtschaftlichen nd politischen Einflusssphäre der USA, schadet das uropäischen wie deutschen Interessen im weltweiten ettbewerb. Klaus-Jürgen Hedrich (CDU/CSU): Präsident lvaro Uribe Vélez genießt in Kolumbien eine ungebro- hen hohe Popularität: Unter seiner Regierung erscheint um ersten Mal eine dauerhafte Lösung des über 40-jäh- igen blutigen inneren Konfliktes möglich. Doch auch ie internationale Gemeinschaft ist gefragt, den Frie- ensprozess durch geeignete Maßnahmen zu unterstüt- en. Bei den verschiedenen Bemühungen um eine Beile- ung des Konfliktes in Kolumbien hat sich letztlich ge- eigt, dass ein Erfolg versprechender Weg nur in der ombination der beiden Elemente „militärischer Druck“ nd „Verhandlungen“ liegt. Präsident Uribe hat mit sei- em Programm „Demokratische Sicherheit“ diesen Weg ingeschlagen. Seine bisherige Erfolgsbilanz liest sich ositiv: Die Anzahl der Entführungen und der Binnen- lüchtlinge ist um die Hälfte gesunken, Massaker und berfalle auf ländliche Gemeinden haben stark nachge- assen, zudem konnte die Koka-Anbaufläche insgesamt erringert werden. 6 000 bis 7 000 Paramilitärs haben ich nach Regierungsangaben freiwillig demobilisiert nd nehmen an Wiedereingliederungsprogrammen teil. Trotzdem bleibt der Friedensprozess äußerst fragil, ist ie prinzipielle Schwäche der staatlichen Institutionen vident und sind Rückschläge sowohl hinsichtlich der erhandlungen mit den Paramilitärs, AUC, als auch hin- ichtlich der zaghaften Friedensgespräche mit der Gue- illa nicht ausgeschlossen. Die Bemühungen der Regie- ung, im ganzen Land Staatlichkeit wiederherzustellen, as Recht durchzusetzen und der ländlichen Bevölke- ung eine Perspektive jenseits des Drogenanbaus zu ge- en, werden von dieser positiv bewertet. Als Folge wird ine Verfassungsänderung erwogen, die Präsident Uribe ine direkte Wiederwahl ermöglichen und die Fortset- ung seiner Politik der demokratischen Sicherheit garan- ieren soll. Ohne die innenpolitischen Balancen und his- orischen Traditionen, die mit der Frage der direkten 12772 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 (A) ) (B) ) Wiederwahl in Kolumbien verknüpft sind, verkennen zu wollen, würden wir die generelle Möglichkeit der Wie- derwahl des Staatspräsidenten begrüßen. Die Einschrän- kung der direkten Wiederwahl zu Staatsämtern, wie sie zahlreiche lateinamerikanische Länder vorsehen, weist auch klare Nachteile in puncto Kontinuität und Verläss- lichkeit auf. Waffenstillstand, Demobilisierung und Reintegration werden jedoch nur dann erfolgreich sein, wenn sie von der Gesellschaft als Ganzer getragen werden. Die Re- form der kolumbianischen Gesellschaft und die Über- windung der sozialen Ungleichheit sind eine wichtige Voraussetzung dafür, dass Frieden überhaupt möglich wird und langfristig Bestand hat. Insbesondere gilt es, der wirtschaftlichen Elite des Landes zu verdeutlichen, dass sie ihrer gesellschaftspolitischen und sozialen Ver- antwortung zum Beispiel durch Reinvestition ihrer er- zielten Gewinne in höherem Maße gerecht werden muss. Die Kirchen, Nichtregierungsorganisationen und die deutschen politischen Stiftungen und ihre Partner müs- sen verstärkt in die Lage versetzt werden, diesen Prozess zu begleiten. Die Beziehungen Kolumbiens zu Europa sind schwie- rig. Die EU hat trotz ihres Engagements in Kolumbien, zum Beispiel für Friedenslaboratorien, bisher keinen konstruktiven Dialog mit der Regierung Uribe etablieren können. Angesichts der strategischen Bedeutung eines möglichst stabilen, demokratischen Lateinamerika auch für Europa und der negativen Auswirkungen des Dro- genhandels und der Geldwäsche auf Europa müssen die EU und ihre Mitgliedstaaten aber ein gewichtiges Inte- resse daran haben, im internationalen Rahmen eine stär- kere, gestaltende Rolle im kolumbianischen Konflikt zu übernehmen. Dies ist in ureigenem europäischen Interesse. Kolum- bien als prominentestes Beispiel steht für die gesamte Region, die geplagt ist von Terrorismus, Drogenproduk- tion und -handel, Kriminalität sowie Konflikten, die Umweltschäden und Ressourcenknappheit ausgelöst ha- ben. Protagonisten sind unter anderem Guerillas, Para- militärs, organisiertes Verbrechen, transnationale Terro- risten, Drogen- und Waffenhändler, die immer häufiger grenzüberschreitend zusammenwirken. Die Verbindun- gen der kolumbianischen Narkoguerilla mit IRA und ETA sind Anzeichen für ein globales Zusammenwirken. Dabei nutzen und schaffen sich die Protagonisten rechts- freie Räume und destabilisieren damit und über ihr regionales Zusammenwirken sowie über die Geldwäsche ihr Ursprungsland, die Region und die Zielländer des illegalen Handels. In diesem Zusammenhang muss deutlich ausgesprochen werden, dass in Venezuela unter seinem Präsidenten Hugo Chávez – der, dies sei hier am Rande erwähnt, die Demokratie in Venezuela schritt- weise ab- und ihm ergebene Parallelstrukturen aufbaut – keine ausreichenden Grenzkontrollen vorgenommen werden und auch keine hinreichend klare ideologische und faktische Abgrenzung zur kolumbianischen Gue- rilla, insbesondere zur FARC, erfolgt. Diese Gefahren fordern also nicht nur die Staaten Lateinamerikas, son- dern auch andere Regionen einschließlich Europas he- raus. p r s V P m z ü d d d d g z f – g s p d K V T w k E N b a w a a S R r g D E m i s b g t ü n g n N a A d s g (C (D Beide Regionen, Europa und Lateinamerika, teilen rinzipielle Vorstellungen zur Gestaltung der Globalisie- ung, zur weltweiten Förderung von Demokratie, Men- chenrechten, Marktwirtschaft sowie zur Stärkung der ereinten Nationen. Darin sind sie einander natürliche artner. Stabile demokratische, rechtsstaatliche und arktwirtschaftliche Verhältnisse sind erste Vorausset- ungen dafür, dass Menschenrechte eingehalten, Armut berwunden und Bildungsgerechtigkeit hergestellt sowie ie Wirtschaftsbeziehungen ausgebaut werden können; ies gilt nicht nur für Kolumbien, sondern auch für an- ere Demokratien in Lateinamerika. Deshalb sind Deutschland und die EU aufgefordert, en kolumbianischen Staat bei den Friedensverhandlun- en mit den illegalen bewaffneten Gruppen zu unterstüt- en, auf die Zusammenführung der bisher parallel ge- ührten Zusammenarbeit Kolumbiens mit den USA überwiegend militärisch – und mit Europa – überwie- end Entwicklungszusammenarbeit – zu drängen und ich für die Wiederherstellung eines konstruktiven euro- äisch-kolumbianischen Dialoges einzusetzen. Auch bei er Stärkung eines unabhängigen Rechtssystems muss olumbien Unterstützung erfahren. Die Drogenproduktion und der Drogenhandel, deren erquickung mit Terrorismus, das Zusammengehen von errorismus und internationaler Kriminalität – wie er- ähnt besonders evident bei der kolumbianischen Nar- oguerilla – müssen entschieden bekämpft werden. benso muss den erwähnten Verbindungen zwischen arkoguerilla und transnationalem Terrorismus vorge- eugt werden. Nur so können die Integrität der latein- merikanischen Staaten und die regionale Stabilität ge- ahrt und Gefahren für die internationale Sicherheit bgewendet werden. Wenn die EU ihrer globalen Ver- ntwortung gerecht werden will, wie es die europäische icherheitsstrategie vorgibt, muss sie sich gerade in der egion auch sicherheitspolitisch viel stärker engagie- en, mit der sie die größten Gemeinsamkeiten hat. Er- änzend müssen die Anstrengungen verstärkt werden, in rogenanbaugebieten Perspektiven für alternative legale inkommensquellen zu schaffen. In diesem Zusam- enhang muss auch die internationale Handelspolitik nsbesondere im Hinblick auf Agrarprodukte stärker icherheits- und entwicklungspolitische Überlegungen erücksichtigen, um letztlich eine einheitliche Politik egenüber den Ländern Lateinamerikas zu gewährleis- en. Schließlich muss die innerkolumbianische Debatte ber innere Reformen wie Zugang zu Ressourcen, Öff- ung des Parteiensystems und Partizipation der Zivil- esellschaft sowie die Landreform angestoßen und inter- ational angemessen flankiert werden. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- EN): Ich bedauere, dass die Entwicklungen in Latein- merika, die heute mit dem Gesetzesentwurf zu einem ssoziationsabkommen mit Chile und mit dem Antrag er Unionsfraktion zu Kolumbien auf der Tagesordnung tehen, hier erst zu so später Stunde zur Debatte gelan- en. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 12773 (A) ) (B) ) Der von der CDU/CSU vorgelegte Antrag zur Kolum- bienpolitik enthält einiges Richtiges, nämlich genau das, was zum Teil wörtlich übernommen worden ist aus dem Antrag der Koalitionsfraktionen vom vergangenen Herbst. Diese Punkte brauchen wir allerdings nicht zu beschliessen; der Deutsche Bundestag hat sie bereits am 25. September 2003 beschlossen. Der Antrag verfolgt aber in der Hauptsache das Ziel, die Bundesregierung und die EU zu verpflichten auf die Politik eines neuen Planes Columbia. Dazu sucht er die schweren Konflikte in der kolumbianischen Gesellschaft zu verengen auf eine „der politischen Inhalte weitgehend entleerte Auseinandersetzung mit in den Drogenhandel eingebundenen Kriminellen und Terroristen, die eine Demokratie bedrohen“. Ich glaube, nicht einmal die Re- gierung Uribe selbst, mit der wir ja eine – wie der Antrag feststellt – „schwierige“ Kommunikation haben, würde die Situation so apolitisch beschreiben. Ein Blick auf die aktuelle Situation in Kolumbien zeigt dies; während des vergangen Monats Oktober gab es beinahe täglich Streiks und Protestaktionen in den verschiedenen Teilen des Landes. So wurde zum Bei- spiel am 5. Oktober dieses Jahres ein studentischer Streik gegen Mittelkürzungen von über 1 000 Polizisten mit harter Gewalt beendet; sogar Panzer fuhren auf dem Universitätsgelände auf. Am 11. Oktober protestierten Gewerkschafter des Ge- sundheitssektors. Ihre Forderungen sind aufschlussreich: ein Stopp der selektiven Morde und Massaker sowie der Verfolgung von Mitgliedern der afrokolumbianischen, indigenen und Bauerngemeinden, ein Stopp der willkür- lichen Verhaftungen und Strafverfolgungen, eine Entmi- litarisierung der Schulen und Universitäten des Landes. Am 12. Oktober hatten die kolumbianischen Gewerk- schaftszentralen zu einem 24-stündigen Ausstand aufge- rufen. Es gab Demonstrationen in vielen Städten. Lehrer und Erziehungsgewerkschaften protestieren; im De- partement Arauca an der Grenze zu Venezuela fordern die Lehrer derzeit ein Ende des Missbrauchs der Schulen durch Militärs und Paramilitärs als Unterkünfte und zur Lagerstätten von Kriegsgerät. Dies zeigt, dass die innere Situation Kolumbiens nicht auf ein einfaches Terrorismusschema zu reduzieren ist und dass sehr viele Menschen in die Konflikte einbezo- gen sind. 50 Prozent des Gebietes werden nicht vom Staat kontrolliert. Soll ein tragfähiger Frieden und keine Friedhofsruhe geschaffen werden, dann führt der Weg nur über Verhandlungen. Selbst der scheidende General James Hill, Komman- deur des Kommando Süd der US-Armee, das Latein- amerika und die Karibik umfasst, erklärte in einem Inter- view mit der ecuadorianischen Tageszeitung „El Comercio“ noch vor einem Monat, am 13. Oktober 2004, es werde „niemals eine militärische Lösung für das interne kolumbianische Problem geben“. Dies ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass der US-Kongress am 9. Oktober eine Verdoppelung des in Kolumbien tätigen US-Militärpersonales genehmigte. t B R p d u l a C e t v f s V m s V M r l v k w d v w r t d C d K g d n s d i V H t „ g w R i e (C (D Aber auch der Antrag selbst widerspricht der genann- en Einschätzung an vielen Stellen, wenn in ihm zum eispiel „innere Reformen wie Landreform, Zugang zu essourcen, Öffnung des Parteiensystems sowie Partizi- ation der Zivilgesellschaft“ – Punkt 13 – gefordert wer- en. Deshalb muss es weiterhin Linie der Bundesregierung nd der EU bleiben, zivile Programme, die auf die wirk- ichen Ursachen der Gewalt zielen, zu unterstützen. Eine uf militärische Lösungen setzende Politik des Plan olombia bzw. eines neuen Planes Colombia lehnen wir ntschieden ab. Dass die Ergebnisse der bisherigen militärischen Op- ion überhaupt nicht positiv sind, spricht wiederum der orliegende Antrag selbst an: Warum muss denn Punkt 9 ordern, dass die Bundesregierung an die kolumbiani- che Regierung appellieren soll, den Empfehlungen des N-Hochkommissars für Menschenrechte nachzukom- en? Weil die menschenrechtliche Situation nur verbes- ert werden kann, wenn die nach wie vor bestehenden erbindungen zwischen paramilitärischen Gruppen und ilitärs abgebrochen, die Verletzungen der Menschen- echte und des humanitären Völkerrechts durch parami- itärische und andere bewaffnete Akteure strafrechtlich erfolgt und willkürliche Handlungen der Sicherheits- räfte gegenüber Indigenen und Bauern eingedämmt erden. Dazu steht aber im krassen Gegensatz, wenn Präsi- ent Uribe gegenüber seinen Militärs über die vielen zi- ilgesellschaftlichen Verteidiger der Menschenrechte, ie am 8. September 2003 geschehen, als „Menschen- echtshändler“ spricht, von denen man sich nicht aufhal- en lassen solle. Die Problematik des Vorgehens gegen Koka-Anbau urch Besprühungen mit Pestiziden als Teil des Planes olombia wird im Antrag vollkommen ausgeblendet. Je- ermann kennt die Folgen, selbst wenn er sich nicht für olumbien interessiert – aus Vietnam. Die Besprühun- en treffen nicht die Profiteure des Drogenhandels, son- ern die Bauern, zerstören ihre Lebensgrundlagen – im egativen Sinne – nachhaltig. Die Zerstörung der öko- ozialen Grundlagen, das Ausweichen in den Naturwald, as Übergreifen des Konfliktes und der Verseuchungen n Nachbarländer sind die schrecklichen Folgen dieses orgehens. Die Erfolge, die der Antrag beschreibt, finden ihren öhepunkt in der These, dass 6 bis 7 000 von geschätz- en insgesamt 15 000 Paramilitärs sich selbst freiwillig demobilisiert“ hätten. Um aber für solche Behauptun- en, die dem Bundestag zum Beschluss anempfohlen erden, nicht geradestehen zu müssen, wird ein „nach egierungsangaben“ zugefügt. Und noch ein Letztes zu dem Antrag. Etwas daneben st sein Votum für eine Verfassungsänderung zugunsten ines starken Mannes Uribe: Die kolumbianische Bevölkerung hat diese Maß- nahmen und auch die Arbeit der Sicherheitsorgane positiv bewertet. Als Folge wird eine Verfassungs- änderung erwogen, die Präsident Alvaro Uribe 12774 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 (A) ) (B) ) Velez eine direkte Wiederwahl ermöglicht und die Fortsetzung seiner Politik der „demokratischen Sicherheit“ garantieren soll. Wir sind gut beraten, wenn wir uns in die Verfas- sungslage des Landes Kolumbien als Deutscher Bundes- tag nicht einmischen zugunsten eines amtierenden Präsi- denten. Den von der Union vorgeschlagen politischen Kurs- wechsel und damit den Antrag der Unionsfraktionen leh- nen wir ab. Die Verbesserung und Vertiefung der Beziehungen zu Lateinamerika sind nach wie vor notwendig. In diesem Sinne ist es wichtig, dass auch die wirtschaftlichen Be- ziehungen zum Mercosur in einer Weise ausgebaut wer- den, die den Menschen Lateinamerikas zugute kommt. Es ist daher richtig, in den Verhandlungen zum biregio- nalen EU-Mercosur-Assoziationsabkommen mit Blick auf die Interessen der Menschen Lateinamerikas vorzu- gehen. In diesem Sinne stimmen wir dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Assoziationsabkommen mit Chile zu. Harald Leibrecht (FDP): Vor gut einem Jahr debat- tierten wir im Deutschen Bundestag über den Friedens- prozess in Kolumbien. Inzwischen ist dieser Friedens- prozess, wenn auch nur wenig, vorangeschritten. Die ultrarechten Paramilitärs haben vergangene Woche mit ihrer Demobilisierung begonnen. Wenn alles nach Plan läuft, werden bis Jahresende 3 000 Kämpfer ihre Waffen niederlegen. Des Weiteren sollen bis Ende 2005 die Kämpfer der so genannten Vereinigten Selbstverteidi- gungsgruppen von Kolumbien, der AUC, ihre Waffen abgeben. Es muss uns jedoch bewusst sein, dass es sich bei diesen Maßnahmen nur um einen Etappensieg han- delt und nicht um einen Durchbruch des Friedensprozes- ses in Kolumbien. Ganz wichtig wird jetzt sein, den demobilisierten Kämpfern ein klares Konzept vorzulegen, das ihnen eine akzeptable Zukunft und somit Lebensperspektive auf- zeigt. Diese Menschen sind Teil des kolumbianischen Volkes und müssen im eigenen Land wieder voll inte- griert werden. Wenn diese Integration nicht gelingt, wer- den sich die ehemaligen Kämpfer in ihrer Frustration und Enttäuschung wieder vom Staat abwenden und der alte Konflikt wird neu aufflammen. Die Integration muss gelingen; denn nur so kann die Drogenmafia geschwächt und letztlich erfolgreich bekämpft werden. Es wäre für die Zukunft Kolumbiens fatal, wenn die Waffen an der Vordertür abgegeben werden und diese mangels erfolg- reicher Integration wieder an der Hintertür abgeholt wer- den. Dies wäre das Scheitern des Fiedensprozesses dort. Die Annäherung zwischen der Regierung und der Pa- ramilitärgruppe AUC gibt Anlass zur Hoffnung. Nun macht sich vielleicht bezahlt, dass die Regierung und die AUC schon länger in Verbindung stehen. Die Demobili- sierung der AUC gestaltet sich dadurch etwas leichter, wenn auch langwierig. Der Friedensprozess mit der linksgerichteten Guerillagruppe FARC wird wesentlich mühsamer sein. An deren Bereitschaft, einen aktiven B b U B P R v R l d w z w f t P i v n g a g i d d d N l e t w w L g s s C A w z r d g n d E f (C (D eitrag zum Frieden in Kolumbien zu leisten, besteht egründeter Zweifel. Es ist bedauerlich, dass Präsident ribe keine Friedensverhandlungen mit der FARC in etracht zieht, sondern ausschließlich auf seinen „Plan atriota“ setzt. Seine militärische Offensive gegen die ebellen zeigt bisher kaum Erfolg. Für uns, für die FDP-Bundestagsfraktion, ist nach wie or der rein militärische Einsatz, den die kolumbianische egierung als ausschließliches Mittel gegen die Parami- itärs fährt, nicht der richtige Ansatz. Darum sind wir mit en Antragstellern nicht einer Meinung. Sicherlich, es urden einige Erfolge im Kampf gegen die Rebellen er- ielt. Doch der Preis für diese Erfolge ist viel zu hoch, ie die Opferzahlen auf beiden Seiten zeigen. Eine zu- rieden stellende Lösung des kolumbianischen Konflik- es kann nur in einem Prozess entstehen, der sowohl die aramilitärs als auch die Guerilla umfasst. Dies scheint nzwischen auch Präsident Uribe zu verstehen; denn er erhandelt, entgegen seiner bisherigen Vorgehensweise, un mit den Rebellen über einen Austausch von Gefan- enen. Jetzt ist der Ball bei den Rebellen. Sie sind gefordert, uf die kolumbianische Regierung zuzugehen. Nur dann ibt es eine echte Chance für einen dauerhaften Frieden n Kolumbien. Aus eigener Kraft wird es Kolumbien nicht schaffen, en Friedensprozess voranzutreiben. Hier sind die Bun- esregierung und die Europäische Union gefordert, auf ie notwendigen Reformen in Kolumbien zu dringen. ur wenn die notwendigen Reformen greifen, kann Ko- umbien langfristig einen vergleichbaren Weg wie Chile inschlagen. Wer hätte gedacht, dass sich Chile, gebeu- elt von der Diktatur und nach schwierigem Neuanfang, irtschaftlich und gesellschaftspolitisch so positiv ent- ickelt. Heute steht Chile im Vergleich zu den anderen ändern Lateinamerikas gut und durchaus stabil da. We- en dieser positiven Entwicklung und Stabilität unter- tützen wir, die FDP-Bundestagsfraktion, auch das As- oziationsabkommen der Europäischen Union mit Chile. hile muss ein positives Beispiel für Kolumbien sein. nlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zum internationalen Familienrecht (Zusatztagesord- nungspunkt 7) Christine Lambrecht (SPD): Der Regierungsent- urf des internationalen Familienrechtsverfahrensgeset- es ordnet die innerstaatlichen Vorschriften zur Ausfüh- ung von bestimmten Übereinkommen auf dem Gebiet es internationalen Familienrechts neu und enthält zu-leich die notwendigen Durchführungsvorschriften zur euen „Brüssel-II-a-Verordnung“. Die neue Verordnung über die internationale Zustän- igkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von ntscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betref- end die elterliche Verantwortung gilt ab dem 1. März Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 12775 (A) ) (B) ) 2005 in allen Mitgliedstaaten, mit Ausnahme von Däne- mark, unmittelbar. Sie ersetzt damit die bisher geltende „Brüssel-II-Verordnung“, deren Anwendungsbereich sich im Hinblick auf die gesellschaftliche Realität in den EU-Staaten als zu eng erwiesen hat. Die neue „Brüssel-II-a-Verordnung“ erfasst nunmehr im Gegensatz zur bisherigen „Brüssel-II-Verordnung“ auch diejenigen Verfahren zur elterlichen Verantwor- tung, die nicht im Zusammenhang mit einer Ehesache stehen. Sie gilt zudem nicht nur für die gemeinsamen Kinder von Ehegatten, sondern für alle Kinder. Eine weitere grundlegende und praktisch wichtige Neuerung stellt die Möglichkeit der Vollstreckung von Entscheidungen über das Umgangsrecht und über die Anordnung der Rückgabe eines Kindes in anderen Mit- gliedstaaten ohne vorherige Vollstreckbarkeitserklärung dar, im Einklang mit den Schlussfolgerungen des Euro- päischen Rates von Tampere. Dafür sind verfahrens- rechtliche Mindeststandards vorgesehen durch die Aus- stellung bestimmter Bescheinigungen durch die Gerichte der Ursprungsmitgliedstaaten. Für die Fälle grenzüber- schreitender Kindesentführungen enthält die Verordnung außerdem Regelungen zur schnelleren und effektiveren Ausgestaltung des Verfahrens nach dem Haager Kindes- entführungsübereinkommen. Der Regierungsentwurf zum internationalen Fami- lienrecht ermöglicht die nahtlose Einfügung in das in- nerstaatliche Prozessrecht, soweit die Verordnung den Mitgliedstaaten Spielraum zur Anpassung lässt. Mit An- lehnung an die Grundkonzeption des Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetzes in Zivil- und Handelssachen – AVAG, Gesetz zur Ausführung zwi- schenstaatlicher Verträge und zur Durchführung von Verordnungen der Europäischen Gemeinschaft auf dem Gebiet der Anerkennung und Vollstreckung in Zivil- und Handelssachen – stellt der Regierungsentwurf der fami- lienrechtlichen Praxis ein eigenständiges, umfassendes und vereinfachtes Aus- und Durchführungsgesetz zur Verfügung. Die Ausführungsvorschriften zum interna- tionalen Familienrecht werden damit in einem einzigen Gesetz zusammengefasst und insgesamt neu strukturiert. Diese Entscheidung ist zu begrüßen. Die zunehmende Zahl familienrechtlicher Besonderheiten und die Integra- tionstiefe der neuen Regelungen spricht eindeutig gegen die Aufnahme der Durchführungsvorschriften in das AVAG, wo bislang im Besonderen Teil die Durchfüh- rungsvorschriften der „Brüssel-II-Verordnung“ geregelt sind, die nunmehr aufzuheben sind. Zudem wäre auch eine Einstellung in das neue Buch Elf der Zivilprozess- ordnung über die justizielle Zusammenarbeit in der EU nicht zweckmäßig, da die vorgesehenen Regelungen auf dem Gebiet der freiwilligen Gerichtsbarkeit hier schlecht hineinpassen und der Entwurf im Einklang mit der ge- setzgeberischen Tendenz steht, farnilienrechtliche Vor- schriften aus der Zivilprozessordnung herauszuhalten. Durch den Regierungsentwurf wird zudem eine Rechtszersplitterung vermieden: Aufgrund des Sachzu- sammenhangs übernimmt der Entwurf die bisherigen Ausführungsvorschriften des Haager Kindesentfüh- rungsübereinkommens unverändert. Ebenso nimmt der E S E f w ü b d e t t t t H E V k r m a „ l v l V n d g m d b e m z d O R r s B w s Z l Z l ü w T u j r (C (D ntwurf die Ausführungsvorschriften des Europäischen orgerechtsübereinkommens auf und gleicht sie mit der instellung dem Anerkennungs- und Vollstreckungsver- ahren der neuen EG-Verordnung „Brüssel II a“ so weit ie möglich an, wohingegen das bisherige Sorgerechts- bereinkommens-Ausführungsgesetz zugleich aufgeho- en wird. Die Neuregelung der Ausführungsvorschriften auf em Gebiet des internationalen Familienrechts in einem inheitlichen Gesetz ermöglicht auch die zukünftige In- egration weiterer Vorschriften zur Ausführung interna- ionaler Regelungen des Familienrechts, was einen wei- eren wichtigen Vorteil bietet. Darüber hinaus stellt der Regierungsentwurf die prak- ische Wirksamkeit der „Brüssel-II-a-Verordnung“, des aager Kindesentführungsübereinkommens und des uropäischen Sorgerechtsübereinkommens sicher durch erbesserung der grenzüberschreitenden Durchsetzbar- eit familiengerichtlicher Entscheidungen. Insbesondere hinsichtlich des Haager Kindesentfüh- ungsübereinkommens hat sich die in diesem Zusam- enhang einschlägige Regelung des § 33 FGG als nicht usreichend erwiesen, die insgesamt auch als ein stumpfes Schwert“ bezeichnet wird in der Kommentar- iteratur zum Familienrecht. Die nun mit dem Entwurf orgesehene Einführung von Ordnungsmitteln ermög- icht im Gegensatz zur jetzigen Praxis auch dann deren erhängung, wenn im Einzelfall der konkrete Erfolg icht mehr zu erreichen ist, zum Beispiel, wenn durch as Ferienende – wegen Zeitablaufs – der gerichtlich an- eordnete Umgang nicht mehr realisiert werden kann it Zwangsmitteln. Da erst recht in vielen grenzüberschreitenden Fällen en gerichtlich angeordneten Umgangs- und Herausga- eentscheidungen nicht Folge geleistet wird, erscheint in Wechsel zu repressiven Zwangsvollstreckungs- echanismen geboten, auch im Hinblick auf mögliche ukünftige Zuwiderhandlungen. Insbesondere enthält er Entwurf eine Regelung, nach der die Androhung des rdnungsmittels auch nicht isoliert anfechtbar ist. Die egelung stärkt damit insgesamt die Autorität der Ge- ichte bei der Durchsetzung familiengerichtlicher Ent- cheidungen in grenzüberschreitenden Fällen. Der Entwurf weist zudem die Aufgaben der Zentralen ehörde nach der Verordnung dem Generalbundesan- alt beim Bundesgerichtshof zu. Die Zentralen Behörden stellen zum einen unter Inan- pruchnahme des Europäischen Justiziellen Netzes für ivil- und Handelssachen Informationen über innerstaat- iche Rechtsvorschriften und Verfahren zur Verfügung. um anderen arbeiten sie in bestimmten Fällen der elter- ichen Verantwortung zusammen. Sie fördern die grenz- berschreitende Zusammenarbeit der Gerichte und Ver- altungsbehörden und informieren und unterstützen die räger elterlicher Verantwortung, die die Anerkennung nd Vollstreckung von Entscheidungen erwirken wollen. Der Generalbundesanwalt verfügt bereits über lang- ährige Erfahrung als zentrale Behörde nach dem Sorge- echtsübereinkommens-Ausführungsgesetz. Bestehende 12776 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 (A) ) (B) ) Strukturen, Erfahrungen und Kontakte beim General- bundesanwalt können somit genutzt werden. Ute Granold (CDU/CSU): Der Rat der Europäischen Union hat im November 2003 die Verordnung zur Zu- ständigkeit sowie zur Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren be- treffend die elterliche Verantwortung verabschiedet, die ab dem 1. März 2005 in den Mitgliedstaaten der Euro- päischen Union, mit Ausnahme Dänemarks, gelten wird. Wir befassen uns heute mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung, der der Durchführung dieser Verord- nung, der so genannten „Brüssel-II-a-Verordnung“, dient und darüber hinaus der familienrechtlichen Praxis ein ei- genständiges und umfassendes Ausführungsgesetz zu den bestehenden europäischen und internationalen, Rechtsgrundlagen zur Verfügung stellt. Während die bisherige „Brüssel-II-Verordnung“, die durch die neue „Brüssel-II-a-Verordnung“ außer Kraft gesetzt wird, lediglich für Sorgerechtsstreitigkeiten an- wendbar war, in denen die Eltern des Kindes miteinan- der verheiratet sind, gilt die neue Verordnung fortan auch für Kinder, deren Eltern nicht miteinander verheira- tet oder bereits geschieden sind. Die steigende Zahl von Scheidungen und aller damit zusammenhängenden Probleme machen vor nationalen Grenzen nicht halt. Elterliche Konflikte zum Sorge- und Umgangsrecht bis hin zu teilweise dramatischen Fällen von grenzüberschreitenden Kindesentführungen zeigten in der Vergangenheit bereits Handlungsbedarf für eine europäische Rechtsvereinheitlichung. Der vorliegende Entwurf behandelt im Detail um- fänglich praktische Fragen des familiengerichtlichen Verfahrens, fasst diese klar strukturiert zusammen und stellt nun in einem Gesetz alle Regelungen in einer ein- heitlichen und vereinfachten Form zur Verfügung. Einer Rechtszersplitterung wird damit entgegengewirkt. Zu begrüßen sind die besondere Beachtung des Rechts zum persönlichen Umgang und auch die Be- schleunigung der Verfahren und die verbesserte Durch- setzung gerichtlicher Anordnungen bei grenzüberschrei- tenden Familienkonflikten. Bei der Berücksichtigung und notfalls auch Durchsetzung des Rechts zum persön- lichen Umgang muss das Wohl des Kindes im Mittel- punkt stehen. Jedes Kind hat ein Recht auf seinen Vater und seine Mutter, die es beide braucht. Dies wurde bereits bei der Kindschaftsrechtsreform 1998 in unser Gesetz geschrie- ben. Damit wurde deutlich gemacht, dass der Umgang nicht ausschließlich ein Recht – und eine Pflicht – der Eltern ist, sondern ein Recht des Kindes auf Wahrung und Förderung seiner Entwicklungschancen darstellt. So ist auch die mit Blick auf das Wohl des Kindes nun festgeschriebene Verfahrensbeschleunigung zu begrü- ßen. Künftig darf das vollstreckende Gericht nicht mehr prüfen, ob die Entscheidungen ausländischer Stellen im eigenen Land Bestand haben sollen. Die Zwangsvoll- streckung ist vielmehr sofort einzuleiten. Damit fallen z d g d F W O z g w g A d n s n s a b Z a d h s d E m s a K u A a p H d t B w N f z P i f b A g b r n D (C (D eitraubende und kostenpflichtige Zwischenschritte bei er Anerkennung und Vollstreckung dieser Entscheidun- en weg. Mit dieser Verfahrensstraffung wird die Zeit er Ungewissheit und ungeklärten Verhältnisse in den amilien erheblich verkürzt, was letztendlich auch dem ohl der Kinder zugute kommt. Im Rahmen der Vollstreckung können Geldbußen und rdnungshaft verhängt werden, auch dann noch, wenn um Beispiel der Zeitraum für die Gewährung des Um- angsrechts bereits abgelaufen ist. Es ist für die Praxis ichtig, über effektive Sanktionsmechanismen zu verfü- en, wenn – was leider nicht selten ist – ein Elternteil die nordnungen des Gerichts missachtet. Zuständig für die Verfahren nach dieser Verordnung ist ie Zentrale Behörde, das heißt für Deutschland der Ge- eralbundesanwalt beim Bundesgerichtshof, der inzwi- chen eine langjährige Erfahrung als Zentrale Behörde ach dem Sorgerechtsübereinkommens-Ausführungsge- etz hat. Die Zentrale Behörde verkehrt unmittelbar mit llen zuständigen Stellen im In- und Ausland und fertigt ei Bedarf auch notwendige Übersetzungen. Nimmt die entrale Behörde einen Antrag nicht an oder lehnt sie es b, tätig zu werden, so kann die unanfechtbare Entschei- ung des Oberlandesgerichts im Bezirk der Zentralen Be- örde beantragt werden. Das heutige Gesetz, das der Durchführung der „Brüs- el-II-a-Verordnung“ dient, ist ein weiterer Schritt für ie Bürgerinnen und Bürger in den Mitgliedstaaten der uropäischen Union hin zur Schaffung echten gemeinsa- en europäischen Rechtsraums. Weitere Schritte müs- en folgen. Sie stehen auch schon zur weiteren Beratung n. Zu nennen ist hier die internationale Abwicklung der indesunterstützung und anderer Formen des Familien- nterhalts. Die Europäische Kommission hat in Erfüllung ihrer ufgabe aus dem Europavertrag unabhängig von ihren utoritären Mitgliedstaaten das Grünbuch „Unterhalts- flichten“ endgültig verordnet, das den Inhalt der neuen aager Konvention für das internationale Privatrecht ab- eckt. Es bleibt zu hoffen, dass auch die weiteren Bera- ungen hin zu einem vereinten Europa im Interesse der ürgerinnen und Bürger konstruktiv vonstatten gehen erden. Irmgard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- EN): Das Wohl des Kindes steht im Mittelpunkt aller amilienrechtlichen Entscheidungen, bei denen Kinder u berücksichtigen sind. Es ist zentraler Anker grüner olitik. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zum nternationalen Familienrecht sind sowohl anwender- reundliche als auch die Belange von Eltern und Kindern erücksichtigende Regelungen in grenzüberschreitenden useinandersetzungen geschaffen worden. Es gibt immer mehr Kinder, deren Eltern nicht die leiche Staatsangehörigkeit haben. Diese Kinder leiden esonders unter möglicherweise eintretenden Sorge- echts- und Umgangstreitigkeiten, weil Verfahren hier och länger dauern. Auch in der Bundesrepublik eutschland werden in Zukunft immer mehr Fälle von Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 12777 (A) ) (B) ) den zuständigen Familiengerichten zu bearbeiten sein, in denen es zum Beispiel um die Anerkennung ausländi- scher Entscheidungen zu Sorge und Umgangsrechts oder darum geht, durch Entführung der Kinder unterbrochene Sorgerechtsverhältnisse wiederherzustellen. Es hat sich gezeigt, dass die bestehenden Instrumenta- rien nicht ausreichen, um grenzüberschreitend eine effektive Durchsetzung gerichtlicher Entscheidungen zu gewährleisten. Deutschland war aus diesem Grunde im- mer wieder internationaler Kritik ausgesetzt. Die Bun- desregierung hat mit dem vorliegenden Gesetzentwurf auf diese Kritik und die veränderte Lebenswirklichkeit von Familien reagiert. Es kann kein Zweifel daran beste- hen, dass die insoweit vorhandenen Erkenntnisse und Erfahrungen im internationalen Kontext gerade im Inte- resse der betroffenen Kinder genutzt werden müssen. Der Gesetzentwurf führt mit seinem § 44 das Instrument des Ordnungsmittels und damit die Möglichkeit der Verhän- gung der Ordnungshaft ein. Bisher war dies im Rahmen der freiwilligen Gerichtsbarkeit nicht möglich. Ein Pro- blem liegt darin, dass das deutsche Recht bisher nur das durch einen Beugecharakter gekennzeichnete Zwangs- vollstreckungssystem anbietet, um mit der Situation um- zugehen, dass sich die verpflichtete Person der angeord- neten Rückgabe des Kindes oder der Gewährung des Umgangs verweigert. Der Sanktionscharakter wird durch dieses Instrument gegenüber dem Erzwingungscharakter in den Vorder- grund gestellt. Maßnahmen mit Sanktionscharakter wir- ken in höherem Maße präventiv, zum Vorteil für die be- teiligten Kinder. Ich begrüße diese für das deutsche Recht insoweit neuen Regelungen ausdrücklich. Selbst- verständlich ist bei der Anwendung aller Regelungen das Wohl des Kindes in den Mittelpunkt zu stellen. Zudem begrüße ich die Benennung des Generalbun- desanwalts beim Bundesgerichtshof als zentrale Behörde im Sinne der genannten Übereinkommen. Dieser war be- reits bisher in entsprechender Funktion im Bereich des Sorgerechtsübereinkommens sowie nach dem Adop- tionsübereinkommens-Ausführungsgesetz und dem Aus- landsunterhaltsgesetz tätig. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der Ge- setzentwurf im Wesentlichen der Umsetzung verbindli- chen EU-Rechts dient und im Übrigen vornehmlich be- reits vorhandene gesetzliche Regelungen zusammenfasst und übersichtlicher gestaltet. Die darüber hinausgehen- den Anliegen der Verfahrensbeschleunigung und Effek- tivierung sind unbedingt unterstützenswert. Mit den Änderungen werden einheitliche innerstaatliche Verfah- rensvorschriften zur Ausführung von verschiedenen Übereinkommen auf dem Gebiet des internationalen Fa- milienrechts geschaffen. Dies erleichtert die Rechtsan- wendung. Ein umfassendes Durchführungsgesetz wird die Bearbeitung grenzüberschreitender familienrechtli- cher Sachen für die Praxis aufgrund einer höheren Über- sichtlichkeit der Rechtsgrundlagen erleichtern. Den zu- ständigen Gerichten wird ermöglicht, auf grundlegende innerstaatlich geltende Verfahrensbestimmungen zurück- zugreifen, soweit die Verfahren auf den genannten inter- nationalen Abkommen beruhen. m Z d m v d m e w E b t K t w i u r U z w l i s d g K g D t s d i n m f n e d g k z d d b s l n Z f l A (C (D Jenseits der bereits beschlossenen Neuregelungen uss auch klar sein, dass das internationale gemeinsame usammenwirken von Gerichten, Jugendämtern sowie em internationalen Sozialdienst als helfendem Instru- ent der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit intensi- iert und ausgebaut werden muss. Sibylle Laurischk (FDP): Es ist bemerkenswert, ass das Familienrecht hier im Hause eine solche Auf- erksamkeit genießt, dass selbst unumstrittene Gesetz- ntwürfe, mit denen EU-Recht innerstaatlich umgesetzt erden soll, einer Beratung zugänglich gemacht werden. s ist nicht die Einmütigkeit, die den zu regelnden Le- enssachverhalten eigen ist; diese sind an Konfliktträch- igkeit und menschlichem Drama kaum zu überbieten. reidekreisentscheidungen sind heutzutage selten anzu- reffen. Es wird mit allen Finessen um Kinder gekämpft, obei oft vergessen wird, dass es gerade dieser Kampf st, der die Kinder so kränkt, verunsichert und verstört nd eine unbeschwerte Kindheit vereitelt, oft mit gravie- enden Folgen für ihr ganzes Leben. Die Fälle der Auseinandersetzungen über Sorge- und mgangsrecht aus binationalen Beziehungen nehmen u, da mit Wachstum der EU häufiger über Grenzen hin- eg Verbindungen entstehen und mit wachsender Mobi- ität der EU-Bürger ein Zuwachs an Fällen zu erwarten st. Die Ablehnung eines Kommissionsmitgliedes wegen eines unzeitgemäßen Familien- und Menschenbildes urch das EU-Parlament zeigt, dass die EU in diesem esellschaftspolitisch zentralen Bereich einen wachen urs steuert. Mit dem vorliegenden Gesetz kann dem in der Ver- angenheit oft erhobenen Vorwurf begegnet werden, eutschland halte sich in Kindschaftssachen nicht an in- ernationale Vereinbarungen, es herrsche hier „das Ge- etz des Dschungels“ – so der französische Staatspräsi- ent Chirac, zitiert nach einem Bericht des „Spiegels“ m Jahr 2000. Begrüßenswert ist die handliche Über- ahme der Vorschriften des Sorgerechtsübereinkom- ensrechtes unter dem Dach des vorliegenden Entwur- es, die dem sachlichen Zusammenhang entspricht. Zu begrüßen ist auch die vorgesehene Beschleu- igung der Verfahren; denn Zeit ist in der Entwicklung ines Kindes der Faktor, der Fakten schafft. Ein Kind, as rechtswidrig über Monate von einem Elternteil fest- ehalten wird, hat sich dann womöglich eingelebt und ann bei richtig verstandenem Kindeswohl kaum mehr urückgegeben werden. Die Konzentration der Zustän- igkeit auf wenige, sachlich kompetente Gerichte und ie Einrichtung der Zentralen Behörde beim General- undesanwalt in Karlsruhe wird zu einer weiteren Be- chleunigung führen. Am umstrittensten erschien auch aufgrund der Stel- ungnahmen der Verbände die Einführung von Ord- ungsgeld und Ordnungshaft als Ultima Ratio der wangsvollstreckung. Eine Kriminalisierung der Betrof- enen ist damit keineswegs gewollt, vielmehr geht es al- ein um die Durchsetzung gerichtlicher Maßnahmen und nordnungen zum Wohle der Kinder. Auch im 12778 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 (A) ) (B) ) nationalen Bereich ist die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen der konfliktträchtigste Teil des elterli- chen Sorgerechts. Aus der Sicht eines Kindes wird es allerdings sehr befremdlich sein, zu erleben, dass ein El- ternteil in Haft genommen wird, weil es sich beispiels- weise einer gerichtlichen Anordnung nicht beugt und ein in seiner Obhut befindliches Kind nicht herausgibt. Die damit verbundene Verschärfung der Betreuungssituation des Kindes ist ein weiteres Problem. Ordnungsgeld und insbesondere Ordnungshaft müssen deswegen Ultima Ratio bleiben, wobei in vereinzelten Fällen mit grenz- überschreitender intensiver Auseinandersetzung um Kinder Eltern nur durch ebendiese Ordnungsmittel da- von abzuhalten sind, das Kindeswohl durch ihr Verhal- ten zu gefährden bzw. ihm zuwiderzuhandeln. Wir setzen auf die generalpräventive Wirkung dieser Vorschrift. Der Sanktionscharakter soll hier auch hin- sichtlich der Durchsetzung von zukünftigen Anordnun- gen gleichsam erzieherisch wirken. Der Grund für die- sen Wechsel zu repressiven Zwangsmaßnahmen ist in der Erfahrung der bisherigen Durchsetzungsschwäche von gerichtlichen Entscheidungen über Umgang oder Aufenthaltsrechten von Kindern zu sehen. Natürlich hängt die Praktikabilität des Gesetzes nicht zuletzt auch von den flankierenden Maßnahmen der Jugendämter, Sozialdienste und Erziehungsberatungsstellen ab. Das absolute Gewaltanwendungsverbot gegen Kinder zur Durchsetzung des Umgangsrechts ist selbstverständlich. Dies muss auch bei einer Regelung im internationalen Rahmen Maßstab für uns alle bleiben. Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz: Die Bundesregierung hat im Sommer dieses Jahres einen Gesetzentwurf in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht, der der innerstaat- lichen Durchführung der sogenannten Brüssel-II-a-Ver- ordnung dient. Die Brüssel-II-a-Verordnung wird in ih- ren wesentlichen Teilen ab dem 1. März 2005 in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union mit Ausnahme Dänemarks gelten. Zur Erörterung des Gesetzentwurfs ist es daher erforderlich, die Brüssel-II-a-Verordnung kurz zu skizzieren. Die neue EG-Verordnung enthält verfahrensrechtliche Regelungen in grenzüberschreitenden Ehesachen und in- ternationalen Streitigkeiten über das Sorge- und Um- gangsrecht. Sie ersetzt die geltende so genannte Brüssel- II-Verordnung und erweitert ihren Anwendungsbereich. Während die bislang geltende Brüssel-II-Verordnung le- diglich auf Sorgerechtsstreitigkeiten in solchen Fällen anwendbar ist, in denen die Eltern des Kindes miteinan- der verheiratet sind, gilt die neue Verordnung fortan für Kinder, deren Eltern nicht miteinander verheiratet sind, und in Fällen, in denen die Ehe der Eltern bereits ge- schieden ist. Im Einzelnen regelt die Verordnung, welche Gerichte für Ehesachen und Verfahren betreffend das Sorge- und Umgangsrecht international zuständig sind. Darüber hinaus schreibt die Verordnung vor, unter welchen Vorrausetzungen Entscheidungen aus einem Mitgliedstaat der Verordnung in den anderen Mitglied- staaten gültig sind und dort vollstreckt werden können. I V g d s E h s r s s s k a m V r B k E a n s f V r r E u a t d R n e g s m t k r w g a s k w a V l s m m K v d g g (C (D n diesem Zusammenhang beschleunigt die neue EG- erordnung die Durchsetzung bestimmter Entscheidun- en über das Umgangsrecht sowie über die Rückgabe es Kindes. Das Gericht im Vollstreckungsstaat darf in- oweit zukünftig nicht mehr prüfen, ob die getroffene ntscheidung auch wirklich im eigenen Land Bestand aben soll. Stattdessen kann dort gleich die Zwangsvoll- treckung eingeleitet werden. Der Wegfall dieses zeit- aubenden und kostenpflichtigen Zwischenschrittes chafft bislang bestehende Hürden bei der grenzüber- chreitenden Anerkennung und Vollstreckung von Ent- cheidungen ab. Wer eine Entscheidung erstritten hat, ommt damit zukünftig nicht nur schneller, sondern uch kostengünstiger zu seinem Recht. Der Entwurf eines Gesetzes zum internationalen Fa- ilienrecht enthält die zur Umsetzung der neuen EG- erordnung in Deutschland notwendigen Durchfüh- ungsvorschriften, damit diese für die Bürgerinnen und ürger optimale Wirkung entfaltet. Durch die unbüro- ratische Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher ntscheidungen mit grenzüberschreitender Bedeutung in llen Mitgliedstaaten der Europäischen Union außer Dä- emark werden die Vorteile eines gemeinsamen europäi- chen Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ür die Bürgerinnen und Bürger spürbar. Gleichzeitig nimmt der Gesetzentwurf die geltenden orschriften zur Ausführung des Haager Kindesentfüh- ungübereinkommens und des Europäischen Sorge- echtsübereinkommens auf und passt sie den heutigen rfordernissen an. Damit wird der Praxis ein kompaktes nd übersichtliches Gesetz zur Verfügung gestellt, das lle ergänzenden nationalen Vorschriften zu den interna- ionalen Rechtsinstrumenten insbesondere im Bereich es Sorge- und Umgansrechts enthält. Richter und echtanwälte können die notwendigen Informationen unmehr einem einzigen anwenderfreundlichen Gesetz ntnehmen. Darüber hinaus werden im Anwendungsbereich der enannten internationalen Rechtsinstrumente die Voll- treckungsregelungen effektiver ausgestaltet. Ordnungs- ittel in Form von Ordnungsgeld und Ordnungshaft tre- en an die Stelle von Zwangsgeld und Zwangshaft. So ann anders als bisher eine Geldbuße wegen Nichtgewäh- ung eines Umgangsrechts auch dann noch festgesetzt erden, wenn der Zeitraum für die Gewährung des Um- angsrechts – zum Beispiel die Osterferien 2005 – bereits bgelaufen ist. Die Gerichte haben damit – selbstver- tändlich unter Berücksichtigung des Verhältnismäßig- eitsgrundsatzes – effektivere Sanktionsmöglichkeiten, enn ein Elternteil die Anordnungen des Gesichts miss- chtet. Dies ist dringend erforderlich, da nicht nur ein erstoß gegen die Rechte des Elternteils vorliegt, dem aut Beschluss des Gerichts ein Umgangsrecht zusteht, ondern auch gegen das Recht des Kindes auf Umgang it seinem ihn nicht betreuenden Elternteil. Gerade der öglicherweise endgültige Abbruch der Beziehung des indes zum anderen Elternteil aufgrund der Umgangs- erweigerung durch den betreuenden Elternteil kann für as Kind extrem schädlich sein. Hinzu tritt, dass eine Fol- enlosigkeit der Nichtbeachtung richterlicher Anordnun- en anderen Personen in ähnlichen Konflikten noch ver- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 12779 (A) ) (B) ) borgen bleibt und zur Nachahmung verleitet. Schließlich ist Rechtsdurchsetzung eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass Kinder und Eltern darauf vertrauen können, dass die Gerichte im Streitfall den Umgang zwischen Kind und nicht betreuendem Elternteil garantieren, und es nicht zu Selbsthilfemaßnahmen von Eltern kommt, die trotz Gerichtsurteil ihre Kinder nicht sehen können. Die Brüssel-II-a-Verordnung gilt in ihren wesentli- chen Teilen ab dem 1. März 2005. Es ist daher zu hoffen, dass die weiteren Beratungen des Gesetzentwurfs kon- struktiv und zügig geführt werden, damit das Gesetz zum internationalen Familienrecht ebenfalls zu diesem Datum in Kraft treten kann. Der federführende Rechts- ausschuss und der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend haben in ihren gestrigen Sitzungen dem Gesetzentwurf einstimmig zugestimmt. Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ehe- und Lebenspartnerschafts- namensrechts (Zusatztagesordnungspunkt 8) Christine Lambrecht (SPD): Nach § 1355 Abs. 2 BGB kann ein durch frühere Eheschließung erworbener Familienname nicht zum Ehenamen bestimmt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Bestimmung mit Urteil vom 18. Februar 2004 für verfassungswidrig erklärt. Die dem Urteil vom 18. Februar zugrunde liegende Verfassungsbeschwerde betraf die Frage, ob es verfas- sungsrechtlich zulässig ist, dass als Ehename nur der Ge- burtsname der Frau oder des Mannes, nicht jedoch ein durch frühere Eheschließung erworbener Familien- name, den einer der Ehegatten zum Zeitpunkt der Eheschließung führt, gewählt werden kann. Die Be- schwerdeführerin berief sich vor allem auf ihr Persön- lichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 2 GG sowie Art. 6 und Art. 3 Abs. 1 GG. Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass § 1355 Abs. 2 BGB mit Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG nicht vereinbar ist, soweit er aus- schließt, dass Ehegatten zum Ehenamen einen durch frü- here Eheschließung erworbenen und geführten Namen bestimmen können. Auch der durch Eheschließung er- worbene Familienname erfährt den vollen Schutz aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG. Dieses schützt auch den gewählten Ehenamen als Ausdruck der Identität und Individualität des Namensträgers über die Ehezeit hinaus. An dem erheirateten Namen erwerbe ein Ehegatte nicht nur ein Nutzungsrecht für die Dauer der Ehe. Dieser Name stehe ihm vielmehr als eigenes Recht zu und sei durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht ge- schützt, das verletzt werde, wenn der Name nicht zum Ehenamen bestimmt werden dürfe. Die Beschränkung der Ehenamenswahl sei auch unvereinbar mit dem be- sonderen Schutz für Ehe und Familie in Art. 6 Abs. 1 GG, der den Ehegatten die Freiheit gebe, ihren Ehena- m s d m n u g b d g a Ü d h s b s d m n E n m B l e g d m u t 2 s d n d n g V N I d g N m m m w n N d (C (D en selbst zu bestimmen. Das Gleichbehandlungsgebot ei zudem verletzt, da der erheiratete Name zwar an Kin- er weitergegeben werden könne, die nicht aus der Ehe it dem Namensgeber stammten, nicht dagegen an den euen Ehegatten. Außerdem dürfe nicht zwischen Ehen nter Deutschen und solchen mit ausländischer Beteili- ung differenziert werden. Art. 10 Abs. 2 Satz 1 EGBGB evorzugt insofern bei der Ehenamenswahl Deutsche, ie einen ausländischen Staatsangehörigen heiraten, ge- enüber Ehen allein deutscher Nationalität. Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber ufgegeben, bis zum 31. März 2005 auch für Alt- und bergangsfälle Abhilfe zu schaffen. Der Gesetzentwurf ient der Umsetzung der Aufforderung unter Einbezie- ung von Regelungen zur Wahl des Lebenspartner- chaftsnamens. Er sieht als Kernpunkt Änderungen der eanstandeten Norm des § 1355 BGB vor. Die Regelung oll entsprechend den Vorgaben des Gerichts im Sinne er Erweiterung der Wahlmöglichkeiten für den Ehena- en ergänzt werden, einen aus Ehenamen und Begleit- amen zusammengesetzten Namen eines Ehegatten als henamen zu bestimmen. Eine befristete Übergangsregelung ermöglicht die achträgliche Änderung des bereits bestimmten Ehena- ens, der nicht Geburtsname eines der Ehegatten ist. innen eines Jahres nach In-Kraft-Treten der Neurege- ung kann die bislang nicht mögliche Bestimmung des rheirateten Namens zum Ehenamen nachgeholt werden. Für eingetragene Partnerschaften gilt Entsprechendes emäß § 3 LPartG ohne Begründung der Zuständigkeit es Standesbeamten. Ute Granold (CDU/CSU): Wir befassen uns heute it dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Ehe- nd Lebenspartnerschaftsnamensrechts, mit dem ein Ur- eil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Februar 004 umgesetzt werden soll. Das Bundesverfassungsgericht hatte über die Verfas- ungsbeschwerde eines Ehepaares zu entscheiden, das en von der Ehefrau geführten früheren Ehenamen in der euen Ehe als Ehenamen beibehalten wollte. Dies hatte er Standesbeamte unter dem Hinweis, nur der Geburts- ame dürfe zum Ehenamen bestimmt werden, abgelehnt. Das Bundesverfassungsgericht sah den hier einschlä- igen § 1355 Abs. 2 BGB als mit Art. 2 Abs. l GG in erbindung mit Art. l Abs. l GG nicht vereinbar, die den amensschutz eines Menschen als Ausdruck seiner dentität und Individualität ohne zeitliche Befristung auf ie Ehe gewährleisten. § 1355 Abs. 2 BGB greift in das verfassungsrechtlich eschützte Namensrecht des Trägers dieses erworbenen amens ein und behandelt damit den erworbenen Na- en gegenüber dem Geburtsnamen als geführten Namen inderer Qualität; denn der Träger des erworbenen Na- ens wird gezwungen, bei gemeinsamer Ehenamens- ahl erneut seinen geführten Namen aufzugeben und ei- en neuen anzunehmen. Dem steht ein Entzug des amensrechts gleich, was angesichts des hohen Wertes es Namensrechts nicht ohne gewichtige Gründe 12780 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 (A) ) (B) ) geschehen und nur unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erfolgen darf. Allerdings rechtfer- tigt weder die Rücksicht auf die Gefühle des Ehegatten aus dem früheren Familienverband, der es als belastend und kränkend empfinden könnte, wenn sein Name zum Ehenamen einer neuen Ehe seines geschiedenen Ehegat- ten bestimmt und so an den neuen Ehepartner weiterge- geben wird, noch die drohende Missbrauchsgefahr, die mit der Möglichkeit, den in früherer Ehe erworbenen Namen zum neuen Ehenamen zu wählen, verbunden ist, den Eingriff in das verfassungsrechtlich geschützte Na- mensrecht. Aufgrund der Verfassungswidrigkeit von § 1355 Abs. 2 BGB hat das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzge- ber aufgegeben, die Rechtslage bis zum 31. März 2005 mit dem Grundgesetz in Einklang zu bringen und auch eine Übergangsregelung zu schaffen. Der Regelungsgehalt dieser Vorschrift – so zeigt es uns die Geschichte des bürgerlichen Ehenamensrechts – unterlag stets einem Wandel, der immer Ausdruck sich verändernder gesellschaftspolitischer Bedingungen war und leider zu oft erst nach Aufforderung durch das Bun- desverfassungsgericht vom Gesetzgeber vollzogen wurde. In seiner ursprünglichen Fassung von 1896 bestimmte § 1355 BGB, dass die Frau mit der Eheschließung den Familiennamen des Ehemannes annehmen musste. Erst 60 Jahre später erhielt sie als Folge des Gleichberechti- gungsgesetzes die Möglichkeit, ihren Geburtsnamen hinzuzufügen. Mit dem ersten Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts vom 14. Juni 1976 wurde § 1355 BGB dahin gehend geändert, dass die Ehegatten nunmehr als gemeinsamen Ehenamen auch den Geburts- namen der Frau wählen konnten, wobei bei Nichteini- gung der Geburtsname des Mannes Vorrang genießen sollte. Dabei beschränkte der Gesetzgeber die Namens- wahl bewusst auf den Geburtsnamen, da er Namensüber- tragungen ausschließen wollte. Zugleich sollte es dem Ehemann untersagt sein, seiner geschiedenen Ehefrau die Fortführung des durch die Eheschließung erworbe- nen Namens zu untersagen. 1991 machte das Bundesver- fassungsgericht eine weitere Reform des Ehenamens- rechts erforderlich. Mit Beschluss vom 5. März erklärte es § 1355 BGB insofern für verfassungswidrig, als Abs. 2 Satz 2 den Vorrang des Mannesnamens bei Nicht- einigung vorschrieb. In dem folgenden Gesetzgebungs- verfahren sah der ursprüngliche Regierungsentwurf zunächst vor, dass die Ehegatten neben ihrem Geburts- namen auch ihren zum Zeitpunkt der Eheschließung geführten Namen zum Ehenamen bestimmen können sollten. Dieser Vorschlag stieß jedoch in der sich an- schließenden parlamentarischen Beratung auf Wider- spruch. Insbesondere die Adelsverbände protestierten unter Verweis auf die von ihnen befürchtete „Titelinfla- tion“ gegen die erweiterte Wahlmöglichkeit. In der Folge erhielt § 1355 Abs. 2 BGB die jetzt geltende Beschrän- kung der Namenswahl auf den Geburtsnamen. Der heute zur Beratung stehende Gesetzentwurf sieht als Kernpunkt eine Modifizierung der vom Bundesver- fassungsgericht beanstandeten Vorschrift vor. § 1355 A e G d f s g b K a h g g g d z g s d i M v G E g R I w G g c t s e n d s z 2 s g d n E k u ß g L W G t (C (D bs. 2 BGB soll hinsichtlich seiner Wahlmöglichkeiten rweitert werden. Künftig können Ehegatten neben dem eburtsnamen auch den von einem Ehegatten zur Zeit er Erklärung über die Bestimmung des Ehenamens ge- ührten, in einer früheren Ehe erworbenen Namen be- timmen. Ehegatten, die vor In-Kraft-Treten der Neure- elung die Ehe geschlossen und bereits einen Ehenamen estimmt haben, können binnen eines Jahres nach In- raft-Treten dieses Gesetzes einen vom Geburtsnamen bweichenden Namen als Ehenamen bestimmen. Weiter- in muss diese Neuregelung konsequenterweise auf ein- etragene Lebenspartnerschaften entsprechend übertra- en werden. Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme eine Er- änzung vorgeschlagen, mit der klargestellt werden soll, ass es Ehepaaren auch erlaubt ist, nur einen Namen des urzeit der Eheschließung geführten Doppelnamens zum emeinsamen Ehenamen zu bestimmen, auch wenn die- er nicht Geburtsname ist. Der Bundesregierung ist allerdings zuzustimmen, ass eine dahin gehende Ergänzung nicht erforderlich st, da auch das geltende Recht bereits ausreichende öglichkeiten bereithält, um den mit der Empfehlung erfolgten Zweck zu erreichen. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass uns als esetzgeber durch das Bundesverfassungsgericht die ntscheidung weitestgehend vorgegeben ist. Der vorlie- ende Gesetzentwurf stellt den einzigen Weg dar, die echtslage mit der Verfassung in Einklang zu bringen. ch denke daher, dass wir dem vorliegenden Gesetzent- urf zustimmen sollten. Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE RÜNEN): Heute steht ein Gesetzentwurf auf der Ta- esordnung, bei dem wenig Unstimmigkeiten auftau- hen sollten, da es sich um die Umsetzung eines eindeu- igen Bundesverfassungsgerichtsurteils handelt. Inhaltlich geht es um Folgendes: Das Bundesverfas- ungsgericht hat in seinem Urteil am 18. Februar 2004 indeutig festgestellt, dass das Recht zur Wahl des Ehe- amens mit dem Grundgesetz insoweit unvereinbar ist, a bisher ausgeschlossen ist, einen durch frühere Ehe- chließung erworbenen Familiennamen zum Ehenamen u bestimmen. Mit einer kurzen Frist bis zum 31. März 005 ist der Gesetzgeber aufgefordert, dies Urteil umzu- etzen und ebenso eine Regelung für die Alt- und Über- angsfälle zu schaffen. Genau dieser Pflicht kommt die Bundesregierung mit em vorliegenden Gesetzentwurf nach. Zukünftig gilt un auch für einen in einer früheren Ehe erworbenen henamen in vollem Umfang der grundgesetzlich veran- erte Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Dies mfasst auch das Recht, bei einer erneuten Eheschlie- ung einen Doppelnamen festlegen zu können. Gleiches ilt – und das ist für die weitere Gleichstellung in diesem and ebenso wichtig – selbstverständlich auch für die ahl des Lebenspartnerschaftsnamens. Denn die ründe des Urteils des Bundesverfassungsgerichts be- reffen Lebenspartnerschaften in gleicher Weise. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 12781 (A) ) (B) ) Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entschei- dung klar festgestellt, dass sowohl Vor- als auch Familien- name Ausdruck der Identität und Individualität eines Menschen sind, die durch die Art. 1 und 2 unserer Ver- fassung geschützt werden. Dies gilt unabhängig davon, ob der Familienname Geburtsname ist oder durch Ehe- namenswahl erworben wurde. Im geltenden Recht wird bisher, so hat das Bundes- verfassungsgericht festgestellt, der erworbene Ehename im Vergleich zum Geburtsnamen als Name „zweiter Klasse“ behandelt. Da dies nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist, wird das von nun an aufgehoben sein. Wenn wir uns anschauen, wer von der bisherigen Re- gelung profitiert, wird deutlich warum wir diese gesetz- liche Anpassung benötigen. Mit der bisherigen Regelung wurde vor allem das Recht desjenigen Ehegatten ge- schützt, der seinen Geburtsnamen auch als Ehenamen behalten konnte. Das sind nach wie vor zu über 95 Pro- zent die Ehemänner. Erst durch die Reformen des Na- mensrechts 1976 und schlussendlich 1991 gilt das mit dem Gleichberechtigungsgrundsatz unvereinbare Vor- recht des Mannesnamens nicht mehr. Wir wissen, dass gesellschaftlich die traditionelle Re- gelung immer noch fortwirkt. Auch heute noch sind es in der überwiegenden Mehrzahl Frauen, die auf ihren Ge- burtsnamen bei der Festlegung des Familiennamens ver- zichten. Sie waren nach dem geltenden Recht gezwun- gen, gegebenenfalls ihren Namen ein zweites Mal abgeben zu müssen. So verständlich der Wunsch des geschiedenen Ehe- gatten ist, dass der „eigene“ Name nicht auch der Name des neuen Partners wird, so hat das Bundesverfassungs- gericht doch in seinem Urteil klargestellt, dass dieses Recht zum grundgesetzlich verankerten Namensschutz nachrangig ist. Ein Festhalten an einer Regelung – so die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts –, die denjenigen schützt, der seinen Geburtsnamen als Ehenamen behält, würde eine traditionelle Vorstellung verfestigen, die mit einem an den Gleichheitsgrundsätzen orientierten Namensrecht nicht zu vereinbaren ist. Eigentlich – so sollte man meinen – ist doch bei ei- nem so eindeutigen Urteil und einer so konkreten Um- setzung alles klar. Dem war aber nicht ganz so. Denn im Bundesrat haben die sehr geehrten Damen und Herren von der Opposition doch noch einmal die Zustimmungs- pflicht angemahnt. Das hat die Bundesregierung bereits zurückgewiesen. Sibylle Laurischk (FDP): Dieses Gesetz ist durch die beharrliche Initiative einer Privatperson entstanden, derjenigen nämlich, die sich bis zum Bundesverfas- sungsgericht durchgeklagt hat, um ihr Recht durchzuset- zen, den angenommenen Ehenamen nach Scheidung der Ehe als eigenen Namen auch als Familiennamen einem neuen Ehegatten weitergeben zu können. Die Bundesre- gierung vollzieht hier nur eine Entscheidung des Bun- desverfassungsgerichts, vertrat auch in dem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht noch eine andere A s d s k i u r c I t m l d m U A s d m a a Z f s s h s m f t d e g n n m N F s r s g n m m h T R m W B 1 g (C (D uffassung und musste sich eines Besseren belehren las- en. Das Namensrecht ist von hoher, auch emotionaler Be- eutung für jeden Einzelnen. Aus der Vielfalt der Zu- chriften mit den unterschiedlichsten Personenstands- onstellationen und Lebensläufen ist abzulesen, welche dentitätsstiftende Funktion der Name für den Einzelnen nd auch für einen Familienverband hat. Das Namens- echt verfolgt mehrere, zum Teil einander widerspre- hende Zwecke. Die vorrangige Funktion ist die der ndividualisierung des Namensträgers. Diese Identifika- ionskraft des Namens ist abhängig auch von der Na- enskontinuität, die auch nach der bisherigen Rechts- age durch die Namenswahl von Eltern für ihre Kinder urchbrochen ist. Allerdings macht die Vielfalt der Na- enswahlmöglichkeiten das praktische Leben gerade im mgang mit Familien, unübersichtlich und verlangt den ußenstehenden eine größere Merkfähigkeit und Unter- cheidungsfähigkeit ab. Da das Gesetz verschiedene Wahlmöglichkeiten bei er Änderung des Personenstandes vorsieht, machen im- er mehr Menschen von der Möglichkeit, eine privat- utonome Entscheidung über ihren Namen und damit uch über die Dokumentation ihrer Vergangenheit bzw. ukunft zu treffen, Gebrauch. Dabei tritt die Ordnungs- unktion des Namensrechts, die auch nach außen die Ab- tammung und familiäre Zuordnung sichtbar machen ollte, in den Hintergrund. Insofern bildet auch schon eute das Namensrecht die sich ändernden und wech- elnden Lebens- und Familienformen ab. Der Fall, der it dem vorliegenden Entwurf geregelt werden soll, olgt hinsichtlich des Individuums der Namenskontinui- ät, die hier aber durchaus im Spannungsverhältnis zu er Ordnungsfunktion steht. Es zeigt, dass ein Ehename ben kein Leihname ist, sondern Bestandteil der ihn tra- enden Person wird, auch über den Bestand der Ehe hi- aus. Ein Familienname muss heute einen Menschen nicht otwendig sein Leben lang begleiten, und umgekehrt uss auch eine Personenstandsänderung nicht unbedingt iederschlag im Namen finden, wovon zunehmend rauen bei einer Eheschließung Gebrauch machen, be- onders dann, wenn sie unter ihrem eigenen Namen be- uflich Geltung erlangt haben. Die Vielzahl von Zuschriften, die sicher nicht nur un- ere Fraktion erreicht hat mit der Schilderung jeweils ei- ener, höchst nachvollziehbarer Konstellationen, in de- en nach dem Dafürhalten der Petenten der Name nicht it dem übereinstimmt, was er nach außen hin doku- entiert und dargestellt wissen möchte, deutet darauf in, dass dies nicht der letzte Gesetzentwurf zu diesem hema sein wird. Namen sind eben nicht Schall und auch, sondern stellen die Verbindung des Einzelnen it seiner Umwelt, die Geltung des Menschen in der elt dar. Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der undesministerin der Justiz: Mit seinem Urteil vom 8. Februar 2004 hat das Bundesverfassungsgesetz fest- estellt, dass das geltende Ehenamensrecht nicht mit 12782 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 (A) (C) (B) (D) dem Grundgesetz vereinbar ist. Das geltende Recht ver- bietet Eheleuten, einen Namen zum gemeinsamen Ehe- namen zu wählen, wenn dieser Name nicht der Geburts- name eines Ehegatten, sondern ein aus einer Vorehe erworbener, also „erheirateter“ Name ist. Das Bundes- verfassungsgericht hat ausgeführt, der Gesetzgeber sei gehalten, die derzeitige Rechtslage bis zum 31. März 2005 mit dem Grundgesetz in Einklang zu bringen. Der heute zur Beratung anstehende Gesetzentwurf setzt diese Aufforderung des Bundesverfassungsge- richts um. Nach der vorgeschlagenen Neufassung kön- nen die Ehegatten den Geburtsnamen oder den geführten Namen der Frau oder des Mannes zum Ehenamen be- stimmen. Damit wird dem Anliegen des Bundesverfas- sungsgerichts Rechnung getragen: Ein zur Zeit der Na- mensbestimmung von einem Ehegatten geführter Name darf zum gemeinsamen Namen bestimmt werden. Dabei unterscheidet der Entwurf nicht zwischen einem ein- gliedrigen Namen und einem Ehenamen mit Begleitna- men. Auch ein solcher Doppelname kann neuer Ehe- name werden. Ein Ehegatte, der möglicherweise Jahrzehnte mit seinem Ehenamen mit Begleitnamen ge- lebt hat, kann diesen zusammengesetzten Namen als Ganzes in die Ehe einbringen. Weiterhin enthält der Entwurf die vom Bundesverfas- sungsgericht gleichfalls angemahnten Übergangsrege- lungen. Waren Eheleute wegen der bisherigen grundge- setzwidrigen Gesetzeslage gehindert, den von ihnen gewünschten Ehenamen zu wählen, so können sie dies binnen Jahresfrist nachholen. Diese Frist erscheint völlig ausreichend, um den Interessierten die Namensänderung zu ermöglichen. Das Bundesverfassungsgericht hatte in seinem Urteil keine Veranlassung, sich zu den Namenswahlbeschrän- kungen bei eingetragenen Lebenspartnern im Sinne des Lebenspartnerschaftsgesetzes zu äußern. Bei diesen stel- len sich jedoch genau die gleichen Probleme. Deshalb ist es unerlässlich, dass der Gesetzentwurf zur Regelung des Ehenamens entsprechende Regelungen für den Le- benspartnerschaftsnamen vorsieht. Das Gesetz ist entgegen der Auffassung der Mehrheit des Bundesrates nicht zustimmungsbedürftig. Es enthält insbesondere keine Änderung einer verfahrensrechtli- chen Regelung im Sinne des Art. 84 Abs. 1 des Grund- gesetzes. Änderungen des Personenstandsgesetzes sind nicht erforderlich. Die dort bereits vorhandenen Verfah- rensregelungen ermöglichen es den zuständigen Stan- desbeamtinnen und Standesbeamten, die neuen Vor- schriften ohne Änderung anzuwenden. Der Entwurf erweitert lediglich die materiellen Rechte des Bürgers und ist deshalb zustimmungsfrei. Es freut mich, dass der Entwurf in den Ausschüssen des Bundestages einstimmig angenommen wurde. Ich bitte deshalb um breite Zustimmung auch hier. 138. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 11. November 2004 Inhalt: Redetext Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Nachtrag zum Stenografischen Bericht Anlage 2 Anlage 3 Anlage 4 Anlage 5 Anlage 6 Anlage 7 Anlage 8 Anlage 9 Anlage 10 Anlage 11 Anlage 12 Anlage 13 Anlage 14
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. h.c. Susanne Kastner


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)


    Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

    Kollegen Vaatz?


Rede von Peter Hettlich
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Gerne.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Arnold Vaatz


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)


    Herr Kollege Hettlich, Sie haben jetzt eine Reihe von

    Forderungen vorgetragen,

    (Peter Hettlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN]: Vorschläge!)

    die ich vorhin in meiner Rede auch genannt habe. Nach-
    dem Sie denselben Mangel festgestellt haben, möchte
    ich Sie Folgendes fragen: Können Sie mir erklären, wa-
    rum der Bericht zur deutschen Einheit, über den wir ja
    bei diesem Tagesordnungspunkt debattieren, auf diese
    Fragen keine Antworten enthält?