Anlage 7
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Oktober 2004 12131
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arbeit für ausländische Staaten gezwungen wurden. Es Emotionen er hier bedient. Er sollte sich an dem
Deutsche, die nach dem Zweiten Weltkrieg zur Zwangs-
Kollege Marschewski sollte sich bewusst sein, welche
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
* für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union
Anlage 2
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts: Entschädigung deutscher Zwangs-
arbeiter (Tagesordnungspunkt 14)
Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Die Union verlangt eine Entschädigung für
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Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich
Carstens (Emstek),
Manfred
CDU/CSU 21.10.2004
Heynemann, Bernd CDU/CSU 21.10.2004
Ibrügger, Lothar SPD 21.10.2004
Kumpf, Ute SPD 21.10.2004
Lamp, Helmut CDU/CSU 21.10.2004
Letzgus, Peter CDU/CSU 21.10.2004*
Dr. Lucyga, Christine SPD 21.10.2004*
Merkel, Petra-Evelyne SPD 21.10.2004
Neumann (Bremen),
Bernd
CDU/CSU 21.10.2004
Rauber, Helmut CDU/CSU 21.10.2004
Reichard (Dresden),
Christa
CDU/CSU 21.10.2004
Ronsöhr, Heinrich-
Wilhelm
CDU/CSU 21.10.2004
Scharping, Rudolf SPD 21.10.2004
Schauerte, Hartmut CDU/CSU 21.10.2004
Schönfeld, Karsten SPD 21.10.2004
Schwanitz, Rolf SPD 21.10.2004
Stübgen, Michael CDU/CSU 21.10.2004
Wellenreuther, Ingo CDU/CSU 21.10.2004
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Anlagen zum Stenografischen Bericht
st unstrittig, dass die Nazizeit auch zu Opfern in der
eutschen Zivilbevölkerung geführt hat. Es muss aber
mmer wieder deutlich gemacht werden: Auch die deut-
chen Opfer sind Opfer des verbrecherischen Nazire-
imes; ohne den deutschen Faschismus hätte es diese
pfer nicht gegeben.
Wenn wir beispielsweise das Schicksal der Zivilde-
ortierten betrachten, so wissen wir, was diese Men-
chen durchgemacht haben. Die Union muss sich aller-
ings fragen lassen, warum sie gerade für diese
etroffenen in ihrer Regierungszeit nichts getan hat. Als
ie Verantwortung trug, hat sie das Schicksal der Zivil-
eportierten ignoriert und diese Menschen geradezu
chäbig behandelt. Erst Rot-Grün hat die Mittel der Stif-
ung für ehemalige politische Häftlinge aufgestockt und
en Zugang zu Leistungen auch für Zivildeportierte ge-
ffnet. Wir haben es daher gar nicht nötig, uns hier Untä-
igkeit vorwerfen zu lassen.
Durch den Antrag der Union wird deutlich: Es geht
er Union nicht um die Menschen, sondern um Ideolo-
ie. Sie will historisch aufrechnen. Der Antrag vermischt
n unzulässiger Weise die Arbeit der Stiftung „Erinne-
ung, Verantwortung und Zukunft“ mit dem Schicksal
on Deutschen am Ende des Zweiten Weltkriegs und in
er Zeit danach. Der Kollege Stadler hat in seiner Rede
nlässlich der Einbringung des Antrags zu Recht heraus-
earbeitet, dass die CDU/CSU-Fraktion selbst in der Be-
ründung ihres Antrages nicht davon ausgeht, dass es
pportun sei, an andere Staaten wegen derartiger Ent-
chädigungsleistungen heranzutreten. In der Tat läuft der
ntrag der Union darauf hinaus, dass es Sache der Bun-
esrepublik Deutschland selbst wäre, eine finanzielle
eistung als Geste für den betroffenen Personenkreis zur
erfügung zu stellen. Das bedeutet aber zweierlei: Zum
inen legen wir ein neues Leistungsgesetz mit einer Prä-
udizwirkung auch für andere Opfergruppen auf. Zum
nderen belasten wir die internationalen Beziehungen
nseres Landes vor allem mit unseren osteuropäischen
achbar erheblich. Das passt genau in die Reparations-
chiene der Vertriebenenverbände mit der in Polen mehr
ls berüchtigten Kollegin Steinbach als Frontfrau. Mit
ieser Politik eines Teils der Vertriebenenverbände, von
enen sich die Union nur halbherzig abgrenzt, belastet
ie in unerträglicher Weise die deutsch-polnischen Be-
iehungen und nimmt dies auch billigend in Kauf.
Aus welcher geistigen Ecke das Ansinnen kommt,
acht ein Blick auf den früheren Unionsabgeordneten
ohmann deutlich: Er war noch als Mitglied seiner alten
raktion einer der Betreiber des Gedankens, dass deut-
ches Geld erst einmal deutschen Opfern zugute kom-
en soll. In populistischer Manier setzt die Union
lammheimlich alle Opfer von Unrecht gleich und rela-
iviert so historische deutsche Verantwortung. Die ge-
einsame Presseerklärung von Hohmann und
arschewski vom 8. Mai 2003 ist weiterhin im Internet
brufbar.
12132 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Oktober 2004
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Lernprozess seiner Partei- und Fraktionsvorsitzenden
beteiligen, die nach der Ankündigung ihrer Anti-Türkei-
Abstimmung gemerkt hat, wohin solche rechtspopulisti-
schen Aktionen führen. Mit solchen Anträgen verhilft er
der NPD zu weiteren Wahlerfolgen. Den Antrag der
Union lehnen wir ab.
Max Stadler (FDP): Die FDP unterstützt das Anlie-
gen, für Deutsche, die aufgrund der verbrecherischen
Politik des NS-Regimes Zwangsarbeit leisten mussten,
eine symbolische finanzielle Entschädigung herbeizu-
führen.
Der Deutsche Bundestag hat im Jahre 2000 – viel zu
spät, aber immerhin – endlich das Stiftungsgesetz zur
Entschädigung der ausländischen NS-Zwangsarbeiter
verabschiedet. Von einer echten Entschädigung kann da-
bei nicht gesprochen werden. Die finanziellen Leistun-
gen wurden aber von den Opfern als Anerkennung des
erlittenen schweren Unrechts empfunden.
Für die FDP war seinerzeit klar, dass die damalige, in
schwierigen internationalen Verhandlungen erzielte Lö-
sung nicht mit der Frage einer Entschädigung deutscher
Zwangsarbeiter befrachtet werden durfte. Dies wäre aus
vielerlei Gründen nicht angemessen gewesen und hätte
zu einer schiefen Optik geführt. Dennoch ist es verständ-
lich, dass die damalige Diskussion zu neuen Fragen
geführt hat, denn alle Fraktionen haben bei Erlass des
Stiftungsgesetzes die Auffassung vertreten, dass
Zwangsarbeit ein besonderes Unrecht darstellt, das über
ein allgemeines Kriegsfolgenschicksal hinausgeht.
Wenn dem so ist, trifft aber die frühere Meinung,
Zwangsarbeit sei durch die bis dahin ergangenen Kriegs-
folgengesetze abgegolten, auch für deutsche Zwangsar-
beiter nicht mehr zu. Daher ist dies ein ungelöstes
Thema. Es ist auch keine unzulässige Vermischung von
Täter- und Opferrolle, wenn man feststellt, dass aus
menschenrechtlicher Sicht Zwangsarbeit für jeden ein-
zelnen Betroffenen ein Sonderopfer darstellt.
Dieses Unrecht hat das Dritte Reich verursacht. Mit
ihrer verbrecherischen Kriegspolitik tragen die Nazis die
Schuld am Zweiten Weltkrieg und damit an der Zwangs-
arbeit von Deutschen. Die Bundesrepublik Deutschland
ist Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reichs. Es steht
ihr daher gut an, auch diese Hypothek abzutragen. Das
Naziregime hat den Zwangsarbeitern Lebenszeit genom-
men und individuelle Lebenschancen zerstört. Dies an-
zuerkennen ist Ziel des CDU/CSU-Antrags, dem die
FDP zustimmt.
Anlage 3
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Fünften Geset-
zes zur Änderung des Sechsten Buches Sozial-
gesetzbuch (Tagesordnungspunkt 15)
Erika Lotz (SPD): Heute Abend bringen wir eine Re-
gelung auf den Weg, die zu unserer großen Handwerks-
ordnungsnovelle gehört. Mit dem „Fünften Gesetz zur
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nderung des Sechsten Sozialgesetzbuchs“ wollen wir,
as die Rentenversicherungspflicht von selbstständigen
andwerkern angeht, den Stand der Dinge, wie sie bis
nde 2003 galten, wieder herstellen.
Mit der Novelle haben wir das sogenannte Inhaber-
rinzip aufgegeben. Bis dahin mussten die Inhaber von
andwerksbetrieben Meister sein und waren rentenver-
icherungspflichtig. In Personengesellschaften musste
in Gesellschafter Meister sein und war rentenversiche-
ungspflichtig.
Von dieser Rentenversicherungspflicht konnten sie
ich – und können sie sich auch jetzt wieder – nur be-
reien lassen, wenn sie 18 Jahre Pflichtbeiträge in die ge-
etzliche Rentenversicherung eingezahlt haben.
Hintergrund dieser Regelung, die Ende der 50er-Jahre
etroffen wurde, war es, Menschen abzusichern, die
uch mit selbstständiger Arbeit nur durchschnittliche
inkommen erwirtschaften.
Diese Politik haben wir auch in den vergangenen Jah-
en weiter fortgesetzt. Ich möchte da an die Einbezie-
ung arbeitnehmerähnlicher Selbstständiger in die ge-
etzliche Rentenversicherung erinnern, die Rot-Grün
chon kurz nach dem Regierungswechsel 1998 beschlos-
en hat.
Diesen Stand – dass nur derjenige rentenversiche-
ungspflichtig ist, der auch die entsprechenden Qualifi-
ationsanforderungen mitbringt – stellen wir mit dem
Fünften Gesetz zur Änderung des Sechsten Sozialge-
etzbuchs“ wieder her.
Damit schließen wir bewusst die reinen Kapitalgeber
us. Daneben gilt: Wer bis zum 31. Dezember 2003 ren-
enversicherungspflichtig war, bleibt es auch weiterhin.
Eine Änderung im Sechsten Sozialgesetzbuch müssen
ir heute vornehmen, weil mit der Handwerksordnungs-
ovelle auch Inhaber ohne die nötigen Qualifikationsan-
orderungen versicherungspflichtig geworden wären.
Damit wäre auch ein Ungleichgewicht zu den Selbst-
tändigen in handwerksähnlichen Gewerben entstanden.
iese sind nicht rentenversicherungspflichtig und waren
s auch nie. Gegen dieses Ungleichgewicht gäbe es im
brigen auch verfassungsrechtliche Bedenken.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Opposi-
ion, dass das Handwerksrecht novelliert werden musste,
ar uns allen schon seit einigen Jahren bewusst. Es war
rotzdem nicht einfach, eine gemeinsame Lösung zu fin-
en. Wir haben uns schließlich im Vermittlungsaus-
chuss geeinigt.
Dass die Handwerksordnungsnovelle, die am 1. Ja-
uar dieses Jahres in Kraft getreten ist, richtig war, zeigt
ich inzwischen. Bei den Branchen, die wir aus der An-
age A der Handwerksordnung herausgenommen haben
das sind die Handwerke, die nicht gefahrgeneigt sind
nd für die deshalb heute kein Meisterbrief mehr für Be-
riebsgründung benötigt wird –, gab es schon im ersten
albjahr 17 Prozent mehr Selbstständige.
Auch von den Neugründungen der Betriebe nach der
nlage A sind zwei Drittel nach der neu eingeführten
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Oktober 2004 12133
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Altgesellenregel vorgenommen worden. Darüber hinaus
hat sich die Handwerksordnungsnovelle auch positiv auf
die Ausbildungsbereitschaft ausgewirkt.
Sie sehen also, dass wir mit dieser Novelle wirklich
das geschaffen haben, was wir damit beabsichtigt haben:
mehr Chancen für das Handwerk.
Wir wollten und wollen den großen Befähigungs-
nachweis zukunftssicher und europafest machen, die
wirtschaftliche Entwicklung des Handwerks stärken,
Existenzgründungen erleichtern, Arbeitsplätze sichern
und Impulse für neue Arbeitsplätze und Ausbildungs-
plätze geben.
Zu dieser Novelle gehört auch die Regelung, die wir
heute verabschieden werden. Wir werden – und das be-
tone ich besonders gern – auch diese Regelung gemein-
sam mit der Opposition beschließen. Es gibt also auch
Gesetze, die ganz ohne strittige Diskussionen einver-
nehmlich von allen getragen werden.
Hildegard Müller (CDU/CSU): Leider muss ich es
bereits zu Beginn erwähnen: Rot-Grün hätte uns die heu-
tige Debatte wirklich ersparen können, wenn die Bun-
desregierung im vergangenen Jahr bei der Novellierung
der Handwerksordnung sauber und ordentlich gearbeitet
hätte. Rot-Grün hätte vor allem vielen Handwerkern
Chaos und Durcheinander ersparen können, wenn – ganz
im Arbeitsethos der Betroffenen – handwerklich gut ge-
arbeitet worden wäre. Dies ist leider nicht der Fall gewe-
sen. Folglich müssen wir heute für die damaligen rot-
grünen Fehler nachsitzen. Rot-Grün hat damals auf die-
sem Feld unsaubere Arbeit abgeliefert.
Böse Absicht will ich gar nicht unterstellen. Bundes-
regierung und Koalition können hier aber heute nicht be-
haupten, dass sie nicht gewarnt worden wären. So wurde
in der damaligen Anhörung im Wirtschaftsausschuss zur
Novelle der Handwerksordnung auf das heute zu debat-
tierende Problem hingewiesen. Wer möchte, mag sich
die damaligen Ausschussdrucksachen getrost nochmal
anschauen. Damals hat der „Interessenverband freier
und unabhängiger Handwerkerinnen und Handwerker“
vor dem heute beklagten Missstand gewarnt.
Dass diese Mahnung ungehört verhallt ist, überrascht
mich aber eigentlich nicht: Was Rot-Grün von Experten-
meinungen in Anhörungen hält, haben wir in den ver-
gangenen Wochen und Monaten mitbekommen. Mir fal-
len im Bereich der Sozialpolitik noch eine Menge von
Gesetzesvorhaben ein, bei denen dies leider genauso war
oder so sein wird. Man darf zum Beispiel gespannt sein,
ob Rot-Grün bei den Änderungen in der Pflegeversiche-
rung wenigstens auf den Rat der Rentenversicherer hört.
Die warnen aktuell vor Rentenbescheiden, die erst aus-
gestellt und anschließend widerrufen werden müssen –
mit erheblichem organisatorischem Aufwand und hoher
Verunsicherungsgefahr. Mit etwas Ähnlichem haben wir
uns heute in unserer rot-grünen Nachhilfestunde auch zu
beschäftigen.
Ich möchte noch einmal ganz deutlich machen, um
was es hier geht: Zu Beginn diesen Jahres trat die große
Handwerksnovelle in Kraft. Mit ihr wurde – eben mehr
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der weniger unbewusst – die Rentenversicherungs-
flicht der selbstständigen Handwerker ausgeweitet. Der
ktuelle Gesetzentwurf korrigiert die maßgebliche Norm
un. Er stellt damit rückwirkend die alte Regelung wie-
er her. Damals wurde unter anderem der § 2 Satz l Nr. 8
es SGB VI geändert, und zwar mit der folgenden Be-
ründung:
„Die Änderung stellt eine Folgeänderung zur Ände-
rung der Handwerksordnung dar. Mit ihr wird der
‚Status quo‘ der derzeitigen Rentenversicherungs-
pflicht selbstständiger Handwerker aufrechterhal-
ten. Aufgrund der Neustrukturierung der Anlagen
A und B zur Handwerksordnung werden zahlreiche
Handwerke zulassungsfrei. Um den Kreis der versi-
cherungspflichtigen Handwerker unverändert zu
lassen, muss daher die entsprechende, bisher nur
auf die in der Handwerksrolle eingetragenen Hand-
werker Bezug nehmende Vorschrift im Sechsten
Buch Sozialgesetzbuch um die Handwerker, die
künftig ein zulassungsfreies Handwerksgewerbe
ausüben, erweitert werden.“
Nach der Kritik in der bereits erwähnten Anhörung
at wenig später auch der Zentralverband des Deutschen
andwerks darauf hingewiesen, dass mit der neuen For-
ulierung eine Ausweitung der Versicherungspflicht-
atbestände in der Rentenversicherung eingetreten ist.
iese kann ein vernünftiger Mensch nicht wirklich ge-
ollt haben. Auf jeden Fall wurde auf diesem Weg für
rhebliche Irritationen im Handwerk gesorgt. Zu Recht
at der ZDH deshalb die Bundesregierung aufgefordert,
ie neue Regelung rückwirkend wieder aufzuheben.
Ich möchte nochmals ganz deutlich machen, worum
s hierbei genau geht. Nur so wird der Widersinn und
as eigentliche rot-grüne Versagen an dieser Stelle deut-
ich. Im Wesentlichen geht es um zwei Änderungen:
Zum einen ist für die Führung von 53 Handwerksge-
erben, beispielsweise für Uhrmacher, Schneider oder
aumausstatter, die Erfordernis des Nachweises der
eisterprüfung aufgegeben worden. Inhaber solcher Be-
riebe sind demzufolge nicht mehr in die Handwerksrolle
ingetragen, sondern in das neue Verzeichnis der zulas-
ungsfreien Handwerksgewerbe. Daneben bestehen wei-
erhin die handwerksähnlichen Gewerbe.
Zum anderen wurde mit der großen Handwerksno-
elle das bisher gültige Inhaberprinzip aufgegeben, wo-
ach der Inhaber eines Handwerksbetriebes auch die
rforderlichen handwerksrechtlichen Qualifikationen er-
üllen musste. Nunmehr kann ein zulassungspflichtiges
andwerksgewerbe auch dann geführt werden, wenn
war nicht der Inhaber, aber ein im Betrieb beschäftigter
eiter die erforderliche Qualifikation besitzt.
Welche Konsequenzen ergaben sich daraus für die
entenversicherung? In den zulassungspflichtigen
andwerken unterliegen die Gewerbetreibenden der
entenversicherungspflicht. Dies gilt nun unabhängig
avon, ob sie selbst die Voraussetzungen erfüllen oder
inen Meister eingestellt haben. Handelt es sich um Per-
onengesellschaften, besteht wie bisher die Rentenversi-
herungspflicht nur für diejenigen Gesellschafter, die
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über die handwerksrechtliche Qualifikation verfügen.
Auch bei den zulassungsfreien Handwerksgewerben un-
terliegt seither der Inhaber der Rentenversicherungs-
pflicht. Jedoch ist anders als bei den Zulassungspflichti-
gen Handwerken bei Personengesellschaften jeder
Gesellschafter – unabhängig von seiner Qualifikation –
rentenversicherungspflichtig.
Dadurch besteht auch für Personen, die einen zulas-
sungspflichtigen oder freien Betrieb nur vorübergehend
weiterführen, zum Beispiel für Witwen, Witwer, Erben
oder Nachlassverwalter, eine Rentenversicherungs-
pflicht. Außerdem ist die Ungleichbehandlung von
Selbstständigen, die ein zulassungsfreies Handwerksge-
werbe ausüben und von Selbstständigen, die ein hand-
werksähnliches Gewerbe betreiben, als problematisch zu
betrachten. Zudem fehlte im alten Gesetz auch noch jede
Übergangsregelung. Personen, die bereits privat fürs Al-
ter vorgesorgt hatten, wurden so weitere Ausgaben auf-
erlegt.
Es stellt sich auch die Frage, ob es aufgrund der No-
vellierung der Handwerksordnung überhaupt noch eine
Legitimation für die Versicherungspflicht für Handwer-
ker gibt.
Es ist gut, dass der ganze Unsinn jetzt wieder korri-
giert wird. Vielleicht gelingt es uns so auch, reichlich
zerbrochenes Porzellan wieder zu kitten.
Ich möchte zum Abschluss noch auf etwas hinweisen:
Im Vergleich zu den großen „Reform-Baustellen“ in un-
serem Sozialversicherungswesen mag die heutige Kor-
rektur als kleiner Fisch erscheinen. Es ist aber dennoch
wichtig, dass wir Signale für ein mittelstandsfreundli-
ches Klima geben. Mit dem handwerklichen Schlendrian
hat Rot-Grün dies nicht getan. Vielmehr hat Rot-Grün
nur deutlich gemacht, dass Warnungen – selbst wenn sie
in Anhörungen vorgetragen wurden – nicht wirklich
ernst genommen werden. Wenn die Politik so verantwor-
tungslos handelt, darf sie sich nicht wundern, wenn Ver-
trauen verloren geht. Es geht um das Vertrauen, das Mit-
telständler – dazu zähle ich auch das Handwerk –
brauchen, um zu investieren und damit dringend benö-
tigte Arbeitsplätze zu schaffen.
Es kann in diesem Haus nicht oft genug gesagt wer-
den: Die Lage des Mittelstandes war noch nie so kata-
strophal wie zurzeit. Allein in den vergangenen zwei
Jahren gab es rund 80 000 Insolvenzen. Jeden Tag kom-
men weitere 100 hinzu. Das sind dreimal so viele Kon-
kurse wie vor zehn Jahren und fünfmal so viele wie vor
25 Jahren. In diesem Bereich gibt es Kämpfe um Ar-
beitsplätze, die nicht in der „Tagesschau“ gezeigt wer-
den. Deshalb ist es das Wichtigste, dass wir den Mittel-
stand wieder stärken. Dies ist das A und O. Durch die
Stärkung des Mittelstandes werden Wachstum und Be-
schäftigung gefördert. Dafür müssen jedoch vorab ver-
nünftige Rahmenbedingungen geschaffen werden.
Wir brauchen mehr Freiraum für Selbstständigkeit.
Der Selbstständigenanteil liegt bei uns in Deutschland
leider nur noch bei etwa 10 Prozent. In der EU sind es
noch immerhin 16 Prozent. Dieser Trend zu einem im-
mer geringeren Anteil muss endlich umgekehrt werden.
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ies wird uns aber nur gelingen, wenn wir Mittelständ-
er mit solchem Murks, den es heute zu reparieren galt,
ünftig verschonen.
Ich hoffe, Rot-Grün wird aus dem heutigen Schaden
lug. Allzu oft sollte sich die Politik ein Nachsitzen
icht leisten müssen.
Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Am
. Januar 2004 ist die große Handwerksnovelle in Kraft
etreten. Im Zuge dessen war die Rentenversicherungs-
flicht selbstständiger Handwerker neu zu regeln. Zwei
ründe waren dafür ausschlaggebend:
Erstens. In einer Reihe von Gewerken ist die Meister-
rüfung keine Voraussetzung zur Führung eines Betriebes
ehr. Die neuen zulassungsfreien Handwerksgewerbe
ind rechtlich im Ergebnis den handwerksähnlichen Ge-
erben gleichgestellt worden. Dort bestand noch nie
ersicherungspflicht.
Zweitens. Das so genannte Inhaberprinzip wurde auf-
egeben. Inhaber eines Betriebes müssen nicht mehr in
igener Person die handwerksrechtlichen Qualifikatio-
en erfüllen. Es reicht, wenn etwa ein Betriebsleiter die
rforderlichen Qualifikationen besitzt. Die seinerzeit ge-
roffenen Regelungen haben zu einer Ausweitung der
ersicherungsspflicht geführt. Das war nicht beabsich-
igt. Mit dem nun vorliegenden Gesetz wird erreicht,
ass auch in Zukunft nur jene Handwerker in die Ren-
enversicherung einbezogen werden, die auch vor der
andwerksnovelle in die Versicherungspflicht einbezo-
en waren.
Versicherungspflicht wird für jene Handwerker beste-
en, die Inhaber von zulassungspflichtigen Handwerks-
etrieben sind und selbst die erforderlichen Qualifikatio-
en erfüllen. Selbstständige, die ein zulassungsfreies
ewerbe betreiben, werden nun genauso behandelt wie
andwerker, die ein handwerksähnliches Gewerbe be-
reiben. Die Regelung wird rückwirkend zum 1. Januar
004 in Kraft gesetzt. Handwerker, die am 31. Dezember
003 in die Versicherungspflicht einbezogen waren,
leiben weiterhin versicherungspflichtig.
Die Diskussion um die Reform der Handwerksno-
elle und im Nachgang um die Versicherungspflicht von
elbstständigen Handwerkern hat wieder einmal deutlich
ezeigt, dass die Regeln zur Versicherungspflicht über-
olt sind: Die Abgrenzungen sind nicht über jeden Zwei-
el erhaben.
Der vorliegende Entwurf fügt sich in die bestehende
radition zur Versicherung von Handwerkern. Das ist
ngemessen. Wenn die Regeln zur Versicherungspflicht
erändert werden, dann sollte dies auf Grundlage einer
ffentlichen und offenen Debatte erfolgen. Damit ist die
ebatte zur Versicherungspflicht in den Sozialversiche-
ungen nicht vom Tisch.
Meine Fraktion hat wiederholt vorgeschlagen, die So-
ialversicherungen zu Bürgerversicherungen weiterzu-
ntwickeln. Alle Bürgerinnen und Bürger sollten nach
nserer Auffassung die gleichen Rechte und die gleichen
flichten haben.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Oktober 2004 12135
(A) )
(B) )
Für den sozialen Schutz der Bevölkerung und die
Mitgliedschaft in den Sozialversicherungen sollte es in
Zukunft nicht mehr wichtig sein, ob jemand abhängig
beschäftigt oder selbstständig ist. Es darf auch keine
Rolle mehr spielen, ob jemand ledig, geschieden oder
verheiratet ist. Wer eine verpflichtende Anzahl von Jah-
ren in die Versicherung eingezahlt hat, sollte ein eigen-
ständiges Recht auf sozialen Schutz vor Armut im Alter
erhalten, unabhängig vom Familienstand, von der Stel-
lung im Erwerbsleben und vom Verdienst. Jeder sollte
die Pflicht haben, solche Bürgerversicherung entspre-
chend seiner Leistungsfähigkeit zu finanzieren.
Allerdings kann eine Bürgerversicherung nicht von
heute auf morgen umgesetzt werden. Es bedarf einer lan-
gen und gut durchdachten Vorbereitung, um die damit
im Zusammenhang stehenden verfassungsrechtlichen
und fiskalischen Probleme zu lösen. En passant lassen
sich all diese Fragen nicht klären.
Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Der heute zur Beratung
stehende Gesetzentwurf zielt darauf ab, die bis 2003 be-
stehende Rechtslage hinsichtlich der Versicherungs-
pflicht von selbstständigen Handwerkern wieder herzu-
stellen. Diese Rechtslage war von der rot-grünen
Regierung mit ihrer Handwerksnovelle hinsichtlich der
Versicherungspflichttatbestände auch auf Personen aus-
geweitet worden, die überhaupt nicht die Voraussetzun-
gen hinsichtlich der Definition eines selbstständigen
Handwerkers erfüllen. So war zum Beispiel ein Kom-
manditist in einer Raumausstatter-KG seit Anfang 2004
rentenversicherungspflichtig. Dies ist eine unverständli-
che und nicht nachvollziehbare Ausweitung der ohnehin
auf dem Prüfstand stehenden Pflichtversicherung von
Handwerkern.
Die FDP begrüßt daher die Einsicht der Koalition. Es
gilt das alte Sprichwort: „Besser spät als nie.“ Sie haben
zum Glück ihren Fehler eingesehen und sind bereit, ihn
mit dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf zu korrigie-
ren. Dadurch werden Handwerker in zulassungsfreien
Gewerken und alle Personengesellschafter, die selbst
nicht Handwerker sind, wieder von der Versicherungs-
pflicht befreit. Für den betroffenen Personenkreis be-
wirkt das Einsparungen von bis zu 395 Euro in den
neuen Ländern und bis zu 470 Euro in den alten Bundes-
ländern, und zwar pro Monat! Wer die Lage im Hand-
werk kennt, weiß, was das bedeutet. Wir unterstützen
den Gesetzentwurf auch deshalb, weil er mehr Men-
schen in die Lage versetzt, eine private kapitalgedeckte
Altersvorsorge aufzubauen. Die FDP hat die Notwendig-
keit einer Ausweitung der privaten Altersvorsorge mit
mehreren Anträgen im Deutschen Bundestag seit langem
eingefordert.
Es ist zu begrüßen, dass eine einvernehmliche Lösung
in Zusammenarbeit mit dem Zentralverband des Deut-
schen Handwerks gefunden wurde. Das ist bei der rot-
grünen Bundesregierung durchaus keine gängige Praxis:
Sie hat bei der zugrunde liegenden Handwerksnovelle
dies nicht getan, sondern sie hat in Konfrontation mit
den Betroffenen gehandelt.
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Unzweifelhaft sind über die heutige Korrektur hinaus
eitere Schritte nötig. Es ist historisch bedingt und aus
eutiger Sicht nicht mehr zwingend, sondern eher gro-
esk, dass selbszständige Handwerker im SGB VI neben
üstenfischern, Seelotsen und Entbindungspflegern als
ersicherungspflichtig eingestuft werden. Ziel sollte es
ein, die Rentenversicherungspflicht für Handwerker
omplett abzuschaffen, denn sie ist für viele Handwerks-
nternehmer schlichtweg ein Ärgernis. Handwerker soll-
en – wie andere Selbstständige auch – ihre Altervor-
orge frei gestalten und zwischen freiwilliger
ersicherung in der GKV und privater Vorsorge wählen
önnen. Es ist jedenfalls nicht länger hinzunehmen, dass
andwerker eine GmbH gründen müssen, um sich der
ersicherungspflicht zu entledigen. Hier treibt der So-
ialstaat seltsame Blüten. Die FDP wird in Kürze ent-
prechende Anträge in den Deutschen Bundestag ein-
ringen. Wir sind uns dabei der Unterstützung durch die
andwerksverbände sicher. Wir würden uns freuen,
enn diese Anträge dann mit einer ähnlich breiten
ehrheit im Deutschen Bundestag beschlossen würden,
ie es heute geschieht.
nlage 4
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Flugverkehrskon-
zept für den Großraum Berlin überprüfen –
Flughafen Berlin-Tempelhof offen halten (Ta-
gesordnungspunkt 16)
Siegfried Scheffler (SPD): Ich hätte nicht gedacht,
ass ich noch einmal die Möglichkeit bekomme, mich
or diesem Hohen Haus zum Betrieb des Flughafens
empelhof zu äußern. Schließlich wurde bereits 1996
it dem so genannten Konsensbeschluss zwischen dem
und und den Ländern Berlin und Brandenburg verein-
art, den Flughafen Tempelhof zu schließen, sobald der
lanfeststellungsbeschluss für den Flughafen Schönefeld
estandskräftig wird. Dieser Beschluss wurde im Übri-
en auch nach dem Wechsel der Regierungen auf
undes- und Landesebene zu keinem Zeitpunkt infrage
estellt. Am 13. August dieses Jahres ist nun der Plan-
eststellungsbeschluss erlassen worden; Ende 2005/An-
ang 2006 wird er voraussichtlich Rechtskraft erlangen.
ch habe zunächst einmal keinen Anlass – trotz der ein-
ereichten Klagen –, an diesem Datum zu zweifeln. In
einen Augen gibt es daher auch keinen Anlass, den er-
eichten Konsens infrage zu stellen oder aufzuweichen.
ies gilt meines Erachtens übrigens für alle Beteiligten.
Fest steht: Der Flughafen Tempelhof ist unökono-
isch und produziert Jahr für Jahr steigende Verluste,
ie das Land Berlin tragen muss. Ich denke, ich muss Sie
icht daran erinnern, dass sich Berlin in einer desolaten
inanzsituation befindet und derzeit gegen die Bundes-
epublik Deutschland wegen seiner Haushaltsnotlage
lagt. Wie verhält sich der Beklagte? Er verabschiedet
inen Antrag, der das – dank der Bemühungen der SPD-
eführten Landesregierung – ganz langsam auf die Beine
ommende Berlin veranlassen soll, gegen jede wirt-
chaftliche Vernunft ein als Verlustbringer erkanntes
12136 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Oktober 2004
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Objekt weiter zu betreiben? Ich denke nicht, dass der
Deutsche Bundestag solche Zeichen setzen sollte. Berlin
darf und muss vielmehr im Rahmen der geschlossenen
Verträge und Vereinbarungen alle Maßnahmen ergreifen,
um seine desolate Finanzsituation zu entschärfen. § 31
Abs. 2 LuftVG besagt ausdrücklich, dass die Länder in
eigener Verantwortung über Bau, Ausbau und auch
Schließung von Flughafenstandorten entscheiden. Vor
diesem Hintergrund möchte ich Sie daher bitten, den
vorliegenden Antrag abzulehnen. Die von den Antrag-
stellern dargestellten Gründe, die für einen Weiterbetrieb
von Tempelhof sprechen sollen, Angebote privater Be-
treiber, Tempelhof in Eigenregie weiterzuführen, und
das kürzlich vorgestellte Konzept, Tempelhof als City-
terminal mit eigener Trassenanbindung für BBI auszu-
bauen, sind entweder nicht seriös, da die Privaten zum
Beispiel nicht die Gebäude, die die hauptsächlichen
Kosten verursachen, übernehmen wollen, bzw. kommen
schlichtweg zu spät, da ein Cityterminal am Standort
Tempelhof erhebliche Verzögerungen für den Ausbau
von Schönefeld nach sich ziehen würde. Dies ist weder
im Interesse des Bundes noch im Interesse Berlins.
Keine Frage: Tempelhof ist ein Stück Berlin, Tempel-
hof ist ein Stück der Geschichte auch meiner Stadt und
es ist schwer, sich davon zu verabschieden. Viele Berli-
nerinnen und Berliner verbinden mit diesem Flughafen
viele sehr persönliche Erinnerungen, zum Beispiel an die
Luftbrücke, die ihnen das Überleben während der Blo-
ckade sicherte. Sie denken an Freunde, die sie in Tem-
pelhof begrüßen konnten oder von denen sie in Mauer-
zeiten Abschied nehmen mussten, und sie erinnern sich
an viele eigene Flüge. Aber die Zeiten haben sich geän-
dert. Westberlin ist nicht mehr eingemauert und das ver-
einigte Berlin muss in der gegenwärtigen schwierigen
wirtschaftlichen Lage besonders genau rechnen. Tempel-
hof ist schon lange ein Verlustbringer. Das kann sich die
Stadt auf Dauer nicht mehr leisten.
Von 1991 bis 2003 haben sich Verluste in Höhe von
139 Millionen Euro angesammelt. Die jährlichen Ver-
luste lagen zwischen 7 Millionen und 17 Millionen Euro.
Allein im vergangenen Jahr waren es laut Jahresab-
schluss 2003 der FBS, der vom Wirtschaftsprüfer testiert
ist, 15,3 Millionen Euro. Für 2004 wird von der FBS ein
Verlust von 15,2 Millionen Euro erwartet. Und wenn der
Flugbetrieb aufrechterhalten würde, kämen nach Be-
rechnungen der FBS von 2005 bis 2010 noch einmal
120 Millionen Euro dazu.
Auch die Entwicklung des Verkehrsaufkommens
spricht eine klare Sprache: Im Jahre 1993 hatte der Flug-
hafen Tempelhof seinen Höhepunkt mit rund 68 000
Flugbewegungen und 1,1 Millionen Passagieren. Seit-
dem geht die Entwicklung kontinuierlich bis auf eine
„kleine Erholung“ in den Jahren 1997 und 1998 nach un-
ten. 2003 gab es noch rund 37 000 Flugbewegungen und
rund 450 000 Fluggäste. Ich halte es für absolut falsch,
für eine kleine Klientel von Geschäftsleuten und Bun-
destagsabgeordneten, die einen möglichst kurzen Weg
zur Arbeit und zu Terminen haben wollen, ein so über-
flüssiges, teures und die Menschen belastendes Fossil
wie den Flughafen Tempelhof weiter zu betreiben.
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Um die Stadt von dem Geldvernichter Tempelhof zu
efreien und um die anderen mit dem Weiterbetrieb von
empelhof verbundenen Probleme einer Lösung zuzu-
ühren, hatte die Berliner Flughafengesellschaft in Ab-
timmung mit den drei Gesellschaftern einen Antrag zur
chließung des Flughafens Tempelhof gestellt. Das
berverwaltungsgericht hat diesen Antrag nach der
lage einiger weniger Airlines mangels rechtlicher
rundlage jedoch abgewiesen. Dieser Enscheidung
uss sich der Berliner Senat fügen, auch wenn es nach-
ollziehbare Begehrlichkeiten gibt, den Flughafenbe-
rieb möglichst bald zu beenden. Ein Weiterbetrieb von
empelhof würde mittel- und langfristig zu einer unkal-
ulierbaren Schuldenlast führen und den Weg zu einer
auberen und soliden Finanzierung des Single Airports
chönefeld permanent blockieren. Dies hat sich bei Ge-
prächen der Flughafengesellschaft mit möglichen Kre-
itgebern als wichtiger Punkt herausgestellt.
Die Verlagerung des Flugverkehrs von den beiden in-
erstädtischen Flughäfen Tegel und Tempelhof nach
chönefeld bietet große wirtschaftliche Chancen für
erlin und Brandenburg. Der wichtigste Grund für eine
öglichst zügige Schließung des Flughafens sind jedoch
ie Menschen in Tempelhof und Neukölln; diese leiden
nter dem Fluglärm genauso, wie die Menschen in Rei-
ickendorf, Tegel und Spandau unter dem Betrieb des
lughafens Tegel leiden. Sie müssen mit einem Unfall-
isiko leben, das mit der Verlagerung des Flugverkehrs
ach Schönefeld erheblich verringert werden wird. In
iner dicht besiedelten Region wie dem Ballungsraum
erlin wird man das Risiko nicht auf Null verringern
önnen und ich weiß aus eigener Betroffenheit, da mein
ahlkreis im Einzugsgebiet des neuen Großflughafens
n Schönefeld liegt, dass die Verlagerung auch wieder
eue Belastungen für Bevölkerungsgruppen bringen
ird, die bisher weniger betroffen waren. Dennoch
enke ich, dass wir, egal wie man zur Standortentschei-
ung für Schönefeld steht, im Interesse der Stadt den
usbau Schönefelds zügig voranbringen müssen.
Die Schließung von Tempelhof erschließt riesige Flä-
henpotenziale für eine neue Nutzung. Die Aufgabe des
etriebes in Tempelhof bedeutet, dass Berlin ein riesiges
lächenpotenzial von 357 Hektar in Innenstadtlage für
eue Nutzungen gewinnt. Dafür gibt es viele denkbare
arianten. Nutzungsüberlegungen anzustellen ist jetzt
chon gut und sinnvoll. Zu einer tatsächlichen Umset-
ung solcher Überlegungen kann und wird es aber erst
ommen, wenn der Flughafen entwidmet ist. Bis dahin
erden noch viele Überlegungen angestellt werden.
Wichtig ist jedenfalls, dass ein großer Teil des Tem-
elhofer Feldes als „Grüne Lunge“, als Naherholungsge-
iet für die Berlinerinnen und Berliner, erhalten bleibt.
n dem Konzept „Park der Luftbrücke“, das vor einigen
ahren erstellt wurde, sind daher allein 210 Hektar als
rünfläche eingeplant.
Für die Stadtentwicklung ist entscheidend: Ein so rie-
iges Areal wie der Flughafen Tempelhof eröffnet die
hance, die Inanspruchnahme von Flächen außerhalb
es Siedlungskörpers zu reduzieren. Das bedeutet nicht
ur ein Stück mehr nachhaltige Entwicklung und weni-
er Zersiedlung. Es bedeutet auch, dass mittelfristig
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Oktober 2004 12137
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(B) )
weniger Folgekosten für die infrastrukturelle Erschlie-
ßung entstehen. Die Flächenpotenziale des Flughafens
Tempelhof sind ein Riesenpfund der Stadt. In anderen
Ballungsräumen wie in Stuttgart oder München gibt es
eine erhebliche Knappheit an verfügbaren Flächen. Ber-
lin verfügt dagegen mit den vorhandenen und zukünfti-
gen Potenzialen über einen ganz harten Standortvorteil.
Das dämpft die Boden- bzw. Mietpreise und ermöglicht
eine flexible und nachfrageorientierte Entwicklung von
Standorten für Wohnen und Wirtschaft.
Das Tempelhofer Feld zu gestalten ist eine riesige
städtebauliche Herausforderung. Es besteht jedoch kein
Anlass, sofort mit der Umgestaltung zu beginnen. In ei-
ner Zeit, in der noch sehr viele Flächen auch in anderen
Innenstadtlagen frei sind, ist viel Platz für Phantasie.
Vorstellbar ist zum Beispiel, das heutige Flugfeld als
einen neu gewonnenen Freiraum zu entwickeln, der für
Erholung, Sport, Kultur, Naturerlebnis und viele andere
Aktivitäten genutzt werden kann.
Dieselbe Offenheit besteht auch im Hinblick auf die
künftige Nutzung des Flughafengebäudes. Auch das bie-
tet ein einzigartiges Flächenpotenzial mitten in Berlin.
Das Land Berlin, zu 17 Prozent Eigentümer der Immo-
bilie, und der Bund, der zu 83 Prozent Eigentümer ist,
beraten gemeinsam über denkbare Optionen für die
künftige Nutzung des Gebäudes. Die Frage ist zum Bei-
spiel, ob und gegebenenfalls welche Bundeseinrichtun-
gen eine Unterbringung im Flughafengebäude infrage
kommt.
Berlin braucht nicht drei Flughäfen und auch nicht
zwei Flughäfen, sondern muss die ganze Kraft darauf
konzentrieren, Schönefeld als den einen Flughafen der
Region Berlin-Brandenburg zu entwickeln. Es geht eben
nicht um einen einzelnen Flughafen, sondern um das
große Infrastrukturprojekt, mit dem wir der Region
einen Schub geben können. Jeder zusätzliche Flughafen
im Einzugsbereich von BBI schwächt die Position von
BBI, ob das Neuhardenberg ist, Stendal oder Tempelhof.
Es wäre doch absurd, wenn wir vor dem Start von BBI
auch noch für Konkurrenz im eigenen Umfeld sorgen
würden, indem wir – auch einer privat organisierten –
Weiterführung von Tempelhof zustimmen würden. BBI
wird nur dann zu einem Erfolg, wenn er wirklich ein
Single Airport in der Region ist.
Ich bin sicher, dass all die Verbände und Unterneh-
men, die jetzt noch an Tempelhof festhalten, sehr bald
die Vorteile von BBI in Schönefeld erkennen und die
Chancen für sich nutzen werden.
Ich denke, dass es gerade in der jetzigen Phase darauf
ankommt, keine falschen Signale auszusenden. Die un-
nötige und hauptsächlich Partikularinteressen dienende
Beibehaltung des Flughafenstandorts Tempelhof wäre
ein solches falsches Signal.
Franziska Eichstädt-Bohlig (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Es mag vielleicht subjektiv nachvollziehbar
sein, dass sich einige Bundestagsabgeordnete für diesen
Gruppenantrag ausgesprochen haben. Manche nutzen
den Flughafen im Zentrum von Berlin auch als schnelle
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erkehrsanbindung, um am Ende einer Sitzungswoche
n ihre Wahlkreise zurückkehren zu können. Dadurch
ird der Bund aber nicht zur zuständigen Genehmi-
ungsbehörde in dieser Frage.
Der Flughafenbetrieb liegt in Deutschland überwie-
end in regionaler Verantwortung. Die Länder sind als
enehmigungsbehörde für die Flughafenentwicklung
uständig, der Bund koordiniert die Planung aus über-
egionaler Sicht und sorgt für die erforderlichen Fernver-
ehrsanbindungen. Der Appell an den Bund, sich für die
ffenhaltung von Tempelhof stark zu machen, kann sich
lso nur an den Bund in seiner Eigenschaft als Gesell-
chafter der FBS, der Flughafen Berlin Schönefeld
mbH, richten. Der Bund hält 26 Prozent dieser Gesell-
chaft.
Objektiv betrachtet kann aber sowohl aus ökonomi-
chen als auch aus ökologischen Gründen niemand die
eiterführung des Flugbetriebs in Tempelhof ernsthaft
efürworten. Der Bund und die Länder Brandenburg und
erlin haben sich 1996 gegen die unwirtschaftliche Auf-
eilung des Flugverkehrs in Berlin auf drei Flughäfen
usgesprochen. Der Konsensbeschluss, der von der da-
aligen Bundesregierung aus CDU und FDP ebenso wie
on der CDU-geführten Berliner Landesregierung ge-
asst wurde, sieht die Errichtung des Flughafens Berlin-
randenburg-International, BBI, in Schönefeld als
ingle-Airport für die Region vor.
Grundlage für die damalige Entscheidung war vor al-
em der defizitäre Flugbetrieb in Berlin, Daran hat sich
is heute nichts geändert. In 2003 betrug das Defizit des
lughafens Tempelhof über 15 Millionen Euro. Je länger
ieser Flughafen geöffnet bleibt, umso schlechter wird
ie Ertragssituation der Flughafengesellschaft und umso
öher werden die notwendigen Mittel sein, die der Bund
nd die Länder Brandenburg und Berlin aufbringen müs-
en. Vor dem Hintergrund der angespannten Haushalts-
age von Bund und Ländern ist das Bemühen der Ber-
iner Landesregierung, den Flughafen Tempelhof so
chnell als möglich zu schließen, zu begrüßen, auch weil
ie planungsrechtliche Begründung im Wesentlichen auf
ie Konzentration des Flugverkehrs in Schönefeld ab-
ielt.
Auch für die Anwohnerinnen und Anwohner ist die
chließung des Flugbetriebs in Tempelhof ein Schritt in
ie richtige Richtung. Sie sind nicht länger einem
icherheitsrisiko mit unzumutbarer hoher Lärmbelästi-
ung und Gesundheitsgefährung ausgesetzt. In den Jahr-
ehnten der Teilung der Stadt mussten diese Risiken ge-
ragen werden, die heute nicht mehr zu verantworten
ind. Ein Flughafen mitten in einem Wohngebiet ist
icht länger tragbar. Deshalb muss gehandelt werden,
evor ein Unglück geschieht. Dies gilt auch für den
weiten innerstädtischen Flughafen in Berlin-Tegel, der
it der Inbetriebnahme des neuen Flughafens in Schöne-
eld hoffentlich in 2010 geschlossen wird.
Die Aufregung, Schönefeld läge zu weit außerhalb
on Berlin, ist nicht nachvollziehbar. Im Gegenteil ist
er Standort in Schönefeld stadtnah. Die Flughäfen zum
eispiel in London, Frankfurt, München und Stuttgart
iegen zum Teil weiter vom Stadtzentrum entfernt.
12138 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Oktober 2004
(A) )
(B) )
Dazu gehört auch eine gute Infrastruktur, vor allem
eine schnelle Schienenanbindung. Hier ist der Bund zu-
ständig und hier sollten wir schnell gemeinsam handeln.
Wie sehen die nächsten Schritte aus? Bund und Län-
der müssen jetzt ihre Hausaufgaben machen: Nachdem
die Errichtung des Flughafens Schönefeld im Privatisie-
rungsverfahren gescheitert ist, muss die öffentliche Hand
den Single-Airport jetzt selbst errichten. Für den Ausbau
zum Flughafen Berlin-Brandenburg-International, BBI,
muss jetzt schnell ein stringenter Finanzierungs- und
Zeitplan vorgelegt werden. Für die Liegenschaft in Tem-
pelhof muss ein Nutzungskonzept erarbeitet werden, da-
mit zukünftig nicht weiter Steuermittel in Millionenhöhe
für die Unterhaltung des Gebäudekomplexes anfallen.
Anlage 5
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung:
– Antrag: Die Ukraine nach der EU-Osterwei-
terung und vor den Präsidentschaftswahlen
am 31. Oktober 2004
– Beschlussempfehlung: Für eine demokrati-
sche und freien Präsidentenwahl 2004 in der
Ukraine
(Zusatztagesordnungspunkt 8 a und b)
Manfred Grund (CDU/CSU): Es dürfte nahezu ein-
malig in der deutschen Parlamentsgeschichte sein, dass
der Deutsche Bundestag in zwei aufeinander folgenden
Sitzungswochen zum gleichen außenpolitischen Thema,
nämlich der Entwicklung der Ukraine, debattiert. Ich be-
grüße es ausdrücklich, dass die Ukraine so viel parla-
mentarische Aufmerksamkeit und Wertschätzung er-
fährt, und werbe dafür, dass auch die deutsche
Öffentlichkeit die Ukraine und ihre Entwicklung besser
wahrnimmt. Denn es gibt die Ukraine betreffend durch-
aus ein Wahrnehmungsproblem.
Wenn wir nach Osten schauen, sehen wir Polen und
das große Russland. Das mag vielerlei Ursachen haben:
geschichtliche Ursachen, wirtschaftliche Gründe und
auch energiepolitische Gründe. Dass aber zwischen die-
sen beiden Ländern die Ukraine liegt, einer der flächen-
mäßig größten Staaten Europas mit 48 Millionen Ein-
wohnern und mit einer bemerkenswerten Geschichte, ist
hierzulande weithin unbekannt.
Das Magdeburger Stadtrecht war im Mittelalter in den
ukrainischen Städten die Kommunalverfassung. Das
ukrainische Herrscherhaus war mit fast allen europäi-
schen Herrscherfamilien verbunden und verheiratet.
Nach der Eroberung Konstantinopels durch die Türken
1453 war der Schwerpunkt der christlichen Orthodoxie
die Ukraine.
Mit drei Sätzen ist die politische Verfasstheit der heu-
tigen Ukraine umschrieben: Erstens. Die Ukraine ist ein
europäisches Land. Zweitens. Die Ukraine ist eine junge
Demokratie. Drittens. Die Ukraine ist nicht nur Nachbar
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usslands, die Ukraine befindet sich in großer wirt-
chaftlicher und politischer Abhängigkeit von Russland.
ie Ukraine ist ein europäisches Land und seit der Grün-
ung der Ukraine 1991 hat sie vorsichtig an die Tür der
uropäischen Union geklopft. Die offizielle ukrainische
ußenpolitik war und ist in Bezug auf die EU und
uropa nicht konsistent, sondern wankelhaft. Doch die
krainische Gesellschaft, große Teile der ukrainischen
ndustrie und auch Polen als europäischer Nachbar ha-
en Erwartungen in Richtung einer Integration der
kraine in die EU.
Nun mag die EU gute Gründe haben, darauf zu ver-
eisen, dass die Ukraine die für einen Beitritt notwen-
ige politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche
eife nicht vorweisen kann. Und in der Tat gibt es er-
ebliche Defizite: Defizite bei der Entwicklung von De-
okratie und Rechtsstaatlichkeit, Defizite bei der Ent-
icklung einer Bürgergesellschaft und Defizite, die
ressefreiheit betreffend. Doch die Ukraine ist eine
unge Demokratie und neben den Demokratiedefiziten
uss auch auf die positiven Unterschiede zur Entwick-
ung in Belarus oder auch Russland verwiesen werden.
Wir sollten die Ukraine, da wo es notwendig ist, kon-
truktiv kritisieren, aber auch ermutigen. Denn ich bin
berzeugt, eine fortschreitende Integration der Ukraine
n europäische Strukturen wäre ein beiderseitiger Ge-
inn und insbesondere im deutschen Interesse.
Wir haben ein – nach meiner Meinung zu wenig defi-
iertes – nationales Interesse, aus der wachsenden und
rdrückenden Abhängigkeit von russischen Energieliefe-
ungen herauszukommen. Dazu bräuchte es zum Bei-
piel die Möglichkeit, via Odessa Öl und Gas aus den
ördergebieten am Kaspischen Meer, also aus Kasach-
tan, nach Europa zu verladen. Stattdessen wird wohl
ussisches Öl aus Sibirien nach Odessa gepumpt.
Ich befürchte, die Abhängigkeit Deutschlands von
nergielieferungen aus Russland verstellt der deutschen
ußenpolitik in Bezug auf die Menschenrechtssituation
nd den Staatsdirigismus einen freien Blick auf Russ-
and.
So ist es eben nicht nur die Ukraine, die, wie oben un-
er drittens angeführt, sich in Abhängigkeit zu Russland
efindet, eine Abhängigkeit, die durch fortschreitende
ntegration der Ukraine in einen einheitlichen Wirt-
chaftsraum mit Belarus, Kasachstan und Russland noch
unehmen wird.
Abschließend die Frage: Was können wir tun, die
kraine zu ermutigen und unsere Wahrnehmung zu ver-
essern?
Die Ukraine hat so bedeutendes wirtschaftliches und
echnologisches Potenzial, um mit einer hochrangigen
elegation aus Regierung und Wirtschaft – ähnlich den
hinareisen des Bundeskanzlers – offensiv wirtschaftli-
he Kontakte voranzubringen. Dies geht natürlich nur,
enn der zukünftige Präsident aus freien, demokrati-
chen und fairen Wahlen hervorgeht.
Ein so gewählter Präsident und Gesprächspartner
raucht jede wissenschaftlich fundierte Hilfe zum
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Oktober 2004 12139
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Umbau der ukrainischen Ökonomie, Verwaltung und des
Finanzsektors. Ich bedauere in diesem Zusammenhang,
dass das Transform-Programm bis auf wenige Reste zum
Jahresende ausläuft und die Tätigkeit der deutschen Be-
ratergruppe Wirtschaft bei der ukrainischen Regierung
zum Jahresende eingestellt wird.
Dies ist deshalb schade, weil für den neuen Präsiden-
ten und die kommende Regierung unabhängige und
kompetente Beratung von großem Nutzen wäre.
Ich bedaure, dass die Regierungskoalition in den Aus-
schussberatungen den Ukraine-Antrag von der CDU/
CSU abgelehnt hat. Ich bedaure, dass der Antrag der Re-
gierungskoalition über Allgemeinplätze und wohlfeile
Appelle nicht hinauskommt.
Ich bedaure, dass wir den in uns gesetzten Hoffnun-
gen kaum gerecht werden, insbesondere den Hoffnungen
der sich herausbildenden Zivilgesellschaft.
Ich bedaure, dass wir zu keinem konkreten Handeln
und Helfen finden, dass wir aus den erschreckenden Er-
eignissen in Belarus keine Konsequenzen ziehen.
Mehr wäre möglich, mehr wäre notwendig, auch in
einem wohlverstandenen nationalen Interesse Deutsch-
lands.
Claudia Nolte (CDU/CSU): Über alle Fraktionsgren-
zen hinweg besteht Einigkeit darüber, dass wir den Prä-
sidentschaftswahlen am 31. Oktober dieses Jahres in der
Ukraine eine große Bedeutung beimessen. Vor allem
glauben wir alle, dass demokratische, faire und freie
Wahlen für dieses europäische Land von grundlegender
Bedeutung für seine Entwicklung sind. Ich füge hinzu:
Dies ist nicht nur für die Ukraine, sondern für die ge-
samte Region und auch für die EU wichtig. Ein starkes
demokratisches Land hat nämlich auch Ausstrahlung auf
die Nachbarstaaten, gerade ein Land wie die Ukraine mit
seiner Größe und seinen Potenzialen. Ein schwaches und
undemokratisches Land hat entsprechend ebenfalls einen
Einfluss auf die Umgebung.
Da die Ukraine ein direkter Nachbar der EU ist, haben
wir Europäer selbstverständlich ein großes Interesse an
einer demokratischen Entwicklung in diesem Land. Das
ist nicht nur um unser selbst Willen so, sondern natürlich
auch wegen der Menschen dort, die es verdient haben,
dass sie in einem freien Land an einer guten Entwick-
lung mitwirken können.
Wenn nun zwei Anträge eingebracht wurden, die sich
mit den bevorstehenden Wahlen in der Ukraine ausei-
nandersetzen, dann ist das nicht ohne Grund geschehen.
Was sich dort in den letzten Wochen ereignet, macht uns
sehr besorgt. Zu viel deutet darauf hin, dass von admi-
nistrativer Seite Einfluss auf die Wahlen genommen
wird, dass man nicht von Fairness sprechen kann. Nach
Aussage von Mykola Kateryntschuk, Abgeordneter der
Fraktion „Nascha Ukraina“ und Leiter des juristischen
Dienstes des Wahlstabs von Viktor Juschtschenko, sind
ihm bereits mehr als 2000 Verstöße gegen das Wahlge-
setz gemeldet worden. In mehr als 150 Fällen urteilten
die Gerichte bereits zugunsten der Kläger. Diese Be-
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chlüsse und die damit verbundenen Zahlen zeigen: Un-
ere Kritik ist selbst nach ukrainischem Recht gerecht-
ertigt.
Die Unabhängigkeit der Medien muss stark in Zwei-
el gezogen werden: Die Aktionen von „Nascha Ukra-
na“ und politische Erklärungen der oppositionellen
olitiker finden in den durch den Staat oder durch Oli-
archen kontrollierten Medien, die nahezu geschlossen
remierminister Janukowitsch unterstützen, einfach
icht statt. Wenn überhaupt, dann sieht man im Fernse-
en nur kritische oder sogar stark manipulierte Beiträge
ber Juschtschenko und seine Anhänger, die ihn in ei-
em negativen Licht erscheinen lassen. Die großforma-
ige Berichterstattung über Janukowitsch wird dagegen
mmer in positiven Tönen gehalten und mit seinen Leis-
ungen im Amt des Ministerpräsidenten in Verbindung
ebracht.
Auch bei der Anbringung der Wahlplakate kann von
iner Chancengleichheit der Kandidaten keine Rede
ein. In seinem letzten Bericht stellt das Wählerkomitee
inen massiven Einsatz der staatlichen Stellen bei der
erbung für den amtierenden Ministerpräsidenten fest.
nsbesondere die staatlichen Eisenbahnen und der Ren-
enfonds würden offen für Janukowitsch Wahlwerbung
etreiben. Vor diesem Hintergrund möchten wir – ich
enke, da spreche ich nicht nur für meine Fraktion –
ringend die Verantwortlichen in der Ukraine aufrufen,
lles zu tun, um solche Vorfälle auszuräumen, den Kan-
idaten gleiche Chancen einzuräumen und vor allem al-
es dafür zu tun, dass die Wahlen selbst frei von jeglicher
anipulation sind. Das heißt, es muss sichergestellt wer-
en, dass die Wahlkommissionen demokratisch und un-
bhängig zusammengesetzt sind und dass die Stimmen-
uszählung genau kontrolliert werden kann. Da wohl
avon ausgegangen werden kann, dass Stichwahlen
tattfinden werden, besteht auch jetzt noch für die
kraine die Chance zu beweisen, dass sie es ernst meint
it dem Bekenntnis zu einem freiheitlichen und demo-
ratischen Staat.
Der Antrag meiner Fraktion konzentriert sich absicht-
ich auf die Präsidentschaftswahlen. Diese Wahlen stel-
en die Weichen für den Weg, den die Ukraine in den
ächsten Jahren gehen wird. Das bedeutet, diese Wahlen
erden in gewisser Weise auch darüber entscheiden, wie
ich die Beziehungen zwischen unseren Ländern, aber
uch zwischen der Ukraine und der EU gestalten wer-
en. Vor diesem Hintergrund schien es uns angemessen,
ür weiter gehende Überlegungen und Maßnahmen den
blauf und Ausgang der Wahlen abzuwarten. Vielleicht
üssen wir viel grundlegender über unsere Beziehungen
nd über weitere Schritte nachdenken. Diese Schritte
ind sowohl in die eine als auch in die andere Richtung
enkbar.
Der Koalitionsantrag ist aus unserer Sicht recht un-
räzise und lässt wesentliche Aspekte außen vor. Der
rste und wichtigste Punkt ist doch die Frage: Wie halten
ir es mit der Annäherung der Ukraine an die EU und
it der Perspektive einer EU-Mitgliedschaft der
kraine? In der letzten Debatte zu diesem Thema am
0. September dieses Jahres hatte ich diesen Punkt
12140 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Oktober 2004
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ausdrücklich angesprochen, weil ich es falsch finde, dass
wir uns um dieses Thema herummogeln. Wenn wir im-
mer wieder sagen, erstmal müsse sich die Ukraine erklä-
ren und ihren Willen zeigen, dass sie überhaupt diese
Annäherung wolle, dann hat das oft den Unterton: „Bitte
erklärt dies nicht zu schnell und nicht zu deutlich!“
Auch im Nachbarschaftskonzept der EU ist impli-
ziert, dass wir gegenüber den Nachbarstaaten einen Sta-
tus errichten, der eine entsprechende Distanz sicherstellt.
Es wird nicht unterschieden, ob es sich um Länder han-
delt, für die eine Mitgliedschaft in der EU von vornhe-
rein nicht in Frage kommt, oder ob es sich um Länder
handelt, bei denen dies prinzipiell denkbar ist. Ich
glaube, allen ist dabei klar, dass das keine Frage für
heute oder morgen ist. Die Frage ist nur, ob es richtig ist,
generell zu signalisieren: „Für euch gibt es diese Per-
spektive nicht!“
Der Koalitionsantrag macht es sich dementsprechend
einfach, indem er gar nichts zu diesem Thema sagt. Aber
nichts sagen sagt auch etwas! Der Antrag ist auch hinrei-
chend unscharf bei der Nennung konkreter Maßnahmen.
Es ist unseres Erachtens zu früh, um sich zu diesem Zeit-
punkt auf bestimmte Einzelheiten festzulegen. Aber
wenn schon Dinge wie das Transformprogramm ange-
sprochen werden, dann sollte man schon konkreter wer-
den, in welcher Weise man sich den Anschluss vorstellt,
wenn das Programm 2005 ausläuft.
Nach meiner Einschätzung war das Programm erfolg-
reich. Deshalb macht es Sinn, sich darum zu bemühen,
dass eine Fortführung, gegebenenfalls mit Anpassungen,
sichergestellt wird. In diesem Punkt sollten Sie meines
Erachtens fordernder sein. Ob der Aktionsplan oder das
Kooperationsabkommen der richtige Ort ist oder nicht
doch besser ein eigenes Programm angemessener wäre,
finde ich diskussionswürdig.
Für einen guten Ansatz hielte ich es, wenn wir ge-
meinsam mit unseren polnischen Nachbarn überlegen,
wie sich das Verhältnis zur Ukraine entwickeln soll. Die
Bundesregierung ist diesbezüglich mit der polnischen
Regierung im Gespräch. Ich frage mich allerdings, wa-
rum dies nicht auch Erwähnung im Antrag der Koalition
findet.
In meiner Rede zur Einbringung unseres Antrages
hatte ich angeregt, dass wir einen gemeinsamen Antrag
verabschieden sollten. Die Reaktion auf der Seite der
Koalition war so, dass ich recht optimistisch war, das
hinzubekommen, gerade wegen der Bedeutung und we-
gen unserer Einigkeit in der Sache. Von daher finde ich
es schade, dass keiner von der Koalition auf uns zuge-
kommen ist. Deswegen werden wir selbstverständlich
unserem Antrag zustimmen und den Koalitionsantrag
aus den genannten Gründen ablehnen.
Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Wir sehen den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen
in der Ukraine am 31. Oktober bzw. 21. November mit
großer Sorge entgegen. Präsidentschaftskandidat Wiktor
Juschtschenko musste seinen Wahlkampf aufgrund einer
rätselhaften Erkrankung vom 10. September bis zum
10. Oktober unterbrechen, um in Wien behandelt zu wer-
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en. Auslöser seiner Gesundheitsprobleme ist angeblich
nd möglicherweise ein Vergiftungsversuch. Die Ärzte
n Wien konnten den Vorwurf einer Vergiftung weder be-
tätigen noch ausschließen. Nach seiner Entlassung aus
em Krankenhaus sah Juschtschenko laut Associated
ress „um Jahre gealtert aus. Er war abgemagert und
eilweise gelähmt, das Gesicht war rot und geschwol-
en.“
Juschtschenkos Kontrahent, der amtierende Premier-
inister Wiktor Janukowitsch ist am 24. September
angeblich von einem politischen Gegner – durch ein
urfgeschoss verletzt worden.
Am 17. Oktober hatte die Polizei an den Straßen, die
ns Zentrum der Hauptstadt Kiew führen, Sperren und
ontrollpunkte errichtet, um die Teilnahme von Studen-
en an einer Wahlkampfveranstaltung für Juschtschenko
u behindern. Einige Studenten sagten laut Associated
ress, sie seien von Polizisten geschlagen worden, an-
ere berichteten von massivem Druck seitens der Uni-
ersitätsverwaltungen, nicht an der Demonstration teil-
unehmen. Ein Student sagte, er sei wegen seiner
olitischen Überzeugung von der Universität verwiesen
orden.
Am 19. Oktober, also vorgestern, kam es zu einem
prengstoffanschlag auf ein Büro einer Wiktor
uschtschenko nahe stehenden Organisation in Lwiw.
All diese Einzelereignisse zusammengenommen zeu-
en von einer äußerst angespannten Situation in der
kraine, Mit zusätzlicher Sorge erfüllt uns die einseitige
erichterstattung in den elektronischen Medien, die ein-
eutig für den amtierenden Premierminister Einfluss auf
ie Wahlen nehmen. Wir rufen daher alle am ukraini-
chen Präsidentschaftswahlkampf beteiligten Seiten
ringend auf, ihre Wahlkampagnen im Interesse des
igenen Landes demokratisch, fair und gewaltlos zu füh-
en.
Die Erfahrungen der vergangenen ukrainischen Präsi-
entschafts- und Parlamentswahlen lassen erhebliche
ahlfälschungen befürchten. Wir rufen die ukrainische
egierung und staatliche Strukturen auf, auf Wahlemp-
ehlungen zu verzichten und appellieren an die staatliche
ahlkommission sowie internationale Beobachter, alle
öglichen Maßnahmen zu ergreifen, um Wahlen nach
emokratischen Standards zu ermöglichen.
Es muss allen für die Wahl Verantwortlichen klar
ein, dass nicht nur das Wahlergebnis, sondern auch die
rt und Weise, wie es zustande kommt, für das Image
er Ukraine in Europa, für das Vertrauen zur Ukraine
nd für die Enge zukünftiger Beziehungen zur Ukraine
on entscheidender Bedeutung ist.
In diesen Tagen ist die erschreckende Entwicklung im
krainischen Nachbarstaat Belarus aufgrund der repres-
iven Maßnahmen des autoritären Lukaschenko-Re-
imes gegenüber oppositionellen Demonstranten erneut
n den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt. Das Bei-
piel Belarus zeigt, wozu das Ignorieren demokratischer
tandards im Extremfall führen kann: zu einem Regime,
as Freiheit und Menschenrechte mit Füßen tritt, und das
in Land in die komplette außen- und handelspolitische
solation führt.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Oktober 2004 12141
(A) )
(B) )
Darüber hinaus liegt es auch in unserem und im ge-
samteuropäischen Interesse, eine demokratische, poli-
tisch eigenständige und wirtschaftlich starke Ukraine als
engen Partner und guten Nachbarn an unserer östlichen
EU-Grenze zu haben. Das ermöglicht mehr Zusammen-
arbeit und eine weitere Intensivierung der staatlichen
und der zivilgesellschaftlichen Beziehungen.
Harald Leibrecht (FDP): Vergangenes Wochenende
konnten wir im Nachbarstaat der Ukraine, in Weißruss-
land, eine absolute Wahlfarce erleben: Wahlbeobachter
wurden von der örtlichen Polizei aus den Wahllokalen
geworfen. Wahlzettel wurden Presseberichten zufolge
schon im Vorfeld mit Ja ausgefüllt. Wählerregistrierun-
gen sind in den Lokalen nicht erfolgt, sodass leicht zu-
sätzliche Stimmzettel hinzugefügt werden konnten. Aus
Sicht russischer Wahlbeobachter wurde jedoch nichts
Undemokratisches entdeckt. Diese Einschätzung zeigt,
dass Russland im Gegensatz zu uns andere Maßstäbe an
ein demokratisches Verfahren setzt. Solche Maßstäbe
dürfen nicht auf die Ukraine übertragen werden. Die
Bundesregierung muss in den verbleibenden Tagen bis
zur Präsidentschaftswahl in der Ukraine all ihren Ein-
fluss geltend machen, dass die Wahlen in der Ukraine
fair und frei ablaufen. Ukraine darf nicht zu einem zwei-
ten Weißrussland werden.
Dies beziehe ich nicht nur auf die bevorstehende
Wahl, sondern auch auf das allgemeine politische und
gesellschaftliche Klima in der Ukraine. Von meiner letz-
ten Reise in die Ukraine vor wenigen Wochen konnte ich
als Ergebnis mitnehmen, dass die Ukraine trotz Schwä-
chen, zum Beispiel was die Medienfreiheit, den Umgang
mit der Opposition und die Bekämpfung der Korruption
anbetrifft, auf dem richtigen Wege ist. Um von diesem
Weg nicht abzukommen, ist es wichtig, dass die Ukraine
stärker an die Europäische Union gebunden wird. Der
EU-Aktionsplan mit der Ukraine kann ein erster Meilen-
stein in diese Richtung werden. Dadurch könnte die
Ukraine zu einem verlässlichen Partner für Europa wer-
den.
Die FDP-Fraktion bedauert, dass es vom Deutschen
Bundestag kein eindeutiges und vor allem geschlossenes
Signal an die Ukraine zur Wahl geben wird. Ähnlich wie
vor den Parlamentswahlen in Weißrussland konnten sich
die Regierungskoalition und die Union nicht auf einen
gemeinsamen Antrag einigen. Aus unserer Sicht wäre
ein interfraktioneller Antrag gut gewesen, weil ein sol-
cher der Ukraine gezeigt hätte, wie wir zu diesem Land
stehen.
Die FDP stimmt mit der Zielrichtung des vorliegen-
den Antrages von SPD und den Grünen überein. Jedoch
ist es bis zur Präsidentschaftswahl in einer Woche ziem-
lich knapp, die Forderungen umzusetzen. Ich denke hier
weniger an die Bundesregierung, sondern mehr an die
Ukrainer. Aus diesem Grund verstehen wir den Antrag
von Rot-Grün als Signal nach dem Motto: Nach der
Wahl ist vor der Wahl. Die dann neu gewählte Führung
sollte das Signal des Westens verstehen und vertrauens-
bildende Maßnahmen schaffen, wenn sie an einer ernst-
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aften Kooperation mit der Europäischen Union interes-
iert ist.
nlage 6
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Neuregelung der präventiven Telekommunika-
tions- und Postüberwachung durch das Zollkri-
minalamt (NTPG) (Tagesordnungspunkt 17)
Joachim Stünker (SPD): Der vorliegende Entwurf
st bereits das zweite Vorhaben am heutigen Tage, das
ich mit der Telekommunikationsüberwachung beschäf-
igt. Im vorliegenden Fall hat uns das Bundesverfas-
ungsgericht aufgegeben, einige Vorschriften im
ußenwirtschaftsgesetz wegen verfassungsrechtlicher
robleme neu zu fassen. Wie ich schon in meiner Rede
ur Verlängerung der §§ 100 g und 100 h der Strafpro-
essordnung erwähnte, planen wir seit einiger Zeit eine
esamtreform der Vorschriften über die Telefonüberwa-
hung. Im letzten Jahr wurde dazu ein Gutachten des
ax-Planck-lnstituts vorgelegt. Das Gutachten enthält
ine rechtstatsächliche Untersuchung über die Anwen-
ung der entsprechenden Vorschriften der StPO. Nach-
em das Gutachten nun ausgewertet werden konnte,
ommen wir einer umfassenden Reform näher, da wir
etailliertere Maßgaben haben, wo in der Praxis Pro-
leme liegen bzw. was verbessert werden kann und soll.
ie Vorschriften der §§ 100 ff. sind in sich nicht stim-
ig. Aus diesem Grund ist es notwendig, das Gesamt-
ystem der Telefonüberwachung wie aber auch der
ohnraumüberwachung zu überdenken und einander
nzupassen. Die Gesamtreform wird also in naher Zu-
unft anstehen.
Wichtig für die anstehende Reform sind auch ver-
chiedene Urteile des Bundesverfassungsgerichts, die
ns ebenfalls wichtige Hinweise für die Ausgestaltung
inzelner Vorschriften liefern. Im vorliegenden Fall hat
as Bundesverfassungsgericht die Geltungsdauer der
orschriften im Außenwirtschaftsgesetz bis zum 31. De-
ember dieses Jahres als hinnehmbar bezeichnet. Diese
rist hat der Gesetzgeber selbst vorgegeben. Wir sind
tzt dazu angehalten, bis zum Ende des Jahres verfas-
ungskonforme Vorschriften vorzulegen und in Kraft zu
etzen, damit uns dieses Ermittlungsinstrumentarium
uch weiterhin zur Verfügung steht. Wir können also
wie auch bei den Vorschriften der §§ 100 g und 100 h
tPO – nicht auf die Reform des Gesamtsystems warten.
n den beiden genannten Einzelfällen ist nunmehr ra-
ches Handeln angesagt.
Die bemängelten Vorschriften des Außenwirtschafts-
esetzes betreffen die Telefonüberwachung durch das
ollkriminalamt. Dieses soll die Möglichkeit haben, zur
erhütung von Straftaten nach dem Außenwirtschaftsge-
etz und dem Kriegswaffenkontrollgesetz den Postver-
ehr und die Telekommunikation zu überwachen. Die
traftaten befinden sich also in diesen Fällen noch in der
lanung, es geht um Vorbereitungshandlungen der Ver-
ächtigen. Das Problem liegt insbesondere darin, dass
12142 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Oktober 2004
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das Abhören der Telekommunikation an ein Verhalten
anknüpfen könnte, das sich im Nachhinein als nicht
strafbar herausstellt. Es sind also – wie bei der Strafver-
folgung – auch bei der Straftatenverhütung die gleichen
rechtsstaatlichen Erfordernisse an eine Eingriffsnorm zu
stellen. Es ist jedoch sehr wichtig, auch im Vorfeld von
Straftaten eine solche Ermittlungsmöglichkeit zu haben.
Das Bundesverfassungsgericht widerspricht dieser An-
nahme nicht. Es ist der Entscheidung zu entnehmen, dass
das Gericht eine solche präventive Überwachungsmög-
lichkeit als grundsätzlich zulässig erachtet.
Mit dem vorliegenden Entwurf wird den Einwendun-
gen des Bundesverfassungsgerichts Rechnung getragen.
Die bemängelten, teilweise unverständlichen Verweisun-
gen der geltenden Vorschriften werden zukünftig ver-
mieden. Die Vorschriften werden eindeutiger und umfas-
sender geregelt. Die Vorschriften umschreiben nun auch
– wie gefordert und bisher nicht eindeutig geregelt – die
möglichen konkreten Hinweise auf die Vorbereitung von
Straftaten. Erwähnt sei hier einmal exemplarisch das
Führen von Verhandlungen über die Lieferung von Gü-
tern oder das Anwerben von Tatteilnehmern. Vor allem
auch die durch das Gericht bemängelten Maßgaben zur
Übermittlung der erhaltenen Daten werden nach den
Vorgaben konkretisiert. Es wird auch eine Protokollie-
rungspflicht für die Übermittlungen geben. Die Ermäch-
tigungsgrundlage selbst wird außerdem direkt in das
Zollfahndungsdienstgesetz eingefügt. Dieses Gesetz ist
erst 2002 in Kraft getreten und erlaubt nunmehr eine
Standortänderung.
Wir schaffen mit diesem Entwurf neue, verfassungs-
konforme Vorschriften und kommen so den Vorgaben
des Bundesverfassungsgerichtes nach. Ich möchte je-
doch noch einmal ausdrücklich betonen, für wie wichtig
ich es erachte, dass wir uns mit dem gesamten System
der Telefonüberwachung wie auch der Wohnraumüber-
wachung in allen Bereichen dezidiert auseinandersetzen.
Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU): Die Anfor-
derungen an eine wirksame und nachhaltige Kriminali-
tätsbekämpfung durch den Zollfahndungsdienst haben
sich aufgrund der Verwirklichung des Binnenmarktes
und der immer häufiger anzutreffenden Erscheinungs-
formen der organisierten Kriminalität grundlegend geän-
dert. Diesen neuen Herausforderungen muss Rechnung
getragen werden.
Mit dem nun vorliegenden Gesetzentwurf zur Neure-
gelung der präventiven Telekommunikations- und Post-
überwachung durch das Zollkriminalamt werden die
Konsequenzen aus der Entscheidung des Bundesverfas-
sungsgerichts vom 3. März 2004 gezogen, in der das Ge-
richt die §§ 39 und 41 des Außenwirtschaftsgesetzes
(AWG) wegen eines Verstoßes gegen das Gebot der Nor-
menbestimmtheit und -klarheit für unvereinbar mit dem
grundrechtlichen Fernmeldegeheimnis aus Art. 10 GG
erklärt hatte.
Die Bundesregierung wurde darin aufgefordert, bis
zum 31. Dezember 2004 die Vorschriften durch verfas-
sungskonforme Bestimmungen zu ersetzen. Mit dem
NTPG ist nun ein Artikelgesetz vorgesehen, das die
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euregelung der präventiven Telekommunikations- und
ostüberwachung aus dem AWG herauslösen und statt-
essen in einem gesonderten Abschnitt des Zollfahn-
ungsdienstgesetzes als die dortigen §§ 23 a bis 23 f ver-
nkern will.
In der Telekommunikations-Überwachungsverord-
ung sollen dementsprechend die Verweise auf das
WG durch Verweise auf das ZFdG ersetzt werden. Ma-
eriell-rechtlich soll insbesondere der Begriff der Pla-
ung einer Straftat durch den gebräuchlicheren Begriff
er Vorbereitungshandlung ersetzt werden. Außerdem
ollen die Überwachungsbefugnisse nicht mehr an den
nbestimmten Rechtsbegriff der „Straftaten von erhebli-
her Bedeutung“ anknüpfen; stattdessen ist eine enume-
ative Aufzählung der relevanten Straftatbestände vorge-
ehen.
Des Weiteren werden die Vorgaben, die das Zollkri-
inalamt bei der Übermittlung personenbezogener Da-
en, die durch die Überwachungsmaßnahmen erlangt
urden, an andere öffentliche Stellen beachten muss,
onkretisiert, wobei namentlich eine Kennzeichnungs-
flicht vorgesehen wurde, um auch bei der späteren Ver-
rbeitung die Einhaltung des besonderen Schutzniveaus
es Fernmeldegeheimnisses zu ermöglichen.
Zugleich soll durch das NTPG für die präventive
berwachung durch den Zoll, aber auch für die repres-
ive Telekommunikationsüberwachung nach den §§ 100 a,
00 b der Strafprozessordnung (Art. 4 NTPG) normiert
erden, dass in einer Überwachungsanordnung statt der
ufnummer oder einer anderen Kennung des Telekom-
unikationsanschlusses auch die Kennung des Endgerä-
es angegeben werden kann – gemeint ist damit in erster
inie die elektronische Gerätekennung von Mobiltelefo-
en.
Hier befindet sich auch die erste Schwachstelle des
esetzes. Aus technischer Sicht sind die Gerätekennun-
en der Mobilfunkendgeräte nicht für Überwachungs-
aßnahmen geeignet. Für eine solche Maßnahme ist
ine eindeutige Kennung, zum Beispiel eine Rufnum-
er, erforderlich. Da zwei Anschlüsse nicht mit dersel-
en Rufnummer belegt werden können, lässt sich an-
and einer Rufnummer die Kommunikation nur eines
enau definierten Telefonanschlusses überwachen.
In der Praxis ist die Identifizierung von IMEI-Num-
ern, also von elektronischen Gerätekennungen der Mo-
ilfunkgeräte, nicht zielführend, da dieselbe IMEI viel-
ach vorkommen und vom Nutzer verändert werden
ann. Das liegt zum einen daran, dass schon die Geräte-
ersteller dieselbe Nummer mehreren Geräten zuweisen.
um anderen ist eine IMEI elektronisch veränderbar und
icht physisch fest mit dem Gerät verbunden. Mittels im
nternet frei verfügbarer Programme ist es sogar dem
aien ohne weiteres möglich, die IMEI des Gerätes
achträglich zu verändern.
Darüber hinaus ist es bei Mobiltelefonen auch mög-
ich, die Endgeräte ohne SIM-Karte, also unter Wechsel
er Rufnummer, privat zu veräußern, wobei die IMEI-
ennung grundsätzlich nach wie vor unverändert beste-
en bleiben kann. Würde nun eine Überwachung auf
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Oktober 2004 12143
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Basis der IMEI erfolgen, so könnte im Falle eines Eigen-
tümerwechsels ein unbescholtener Bürger grundlos und
damit rechtswidrig überwacht werden.
Aber selbst wenn man die Überwachung an der Ruf-
nummer ausrichtet, dann können im Mobilfunkbereich
dennoch Probleme auftreten. Zwar ist bei Kartenverträ-
gen eine Rufnummer eindeutig einer bestimmten Person
zugeordnet, doch was ist mit so genannten Prepaid-Kar-
tenhandys? Hier kann theoretisch ohne Probleme eine
Rufnummer mit dem Mobiltelefon mitverkauft werden.
In diesem Fall wäre also sogar bei einer Anknüpfung der
Überwachung an die Rufnummer Eindeutigkeit nicht
mehr gegeben.
Solange also keine eindeutige Identifizierung möglich
ist, würden bei einer darauf bezogenen Überwachung
entsprechend viele Nutzer ohne Rechtsgrund abgehört.
Dies widerspricht in eklatanter Weise unserem Rechts-
verständnis und wäre mit dem Urteil des Bundesverfas-
sungsgerichts nicht vereinbar. Der Gesetzentwurf
schlägt also eine unpraktikable und sinnlose Maßnahme
vor. Dabei kann es beim besten Willen nicht bleiben.
Deshalb ist es unumgänglich, die entsprechenden
Vorschriften, mit denen eine Überwachung anhand einer
Gerätenummer eingeführt werden soll, zu streichen. Das
betrifft in Art. 2 des Entwurfes den § 23 b Abs. 4 Satz 2
Zollfahndungsdienstgesetz und in Art. 4 den § 100 b
StPO. Soll dennoch eine Post- und Kommunikations-
überwachung zur Kriminalitätsprävention unter Beach-
tung der Grundrechte der Betroffenen erfolgen, so muss
hier eine andere, verfassungskonforme Überwachungs-
methode herangezogen werden.
Verbesserungsbedürftig ist auch die Entschädigungs-
regelung in Art. 2 des Gesetzentwurfes, der eine mini-
male Entschädigung nach dem Justizvergütungs- und
Entschädigungsgesetz vorsieht, die die hohen Kosten,
die den Telekommunikationsunternehmen durch dieses
Gesetz zusätzlich hoheitlich aufgebürdet werden, bei
weitem nicht ausgleicht. Anstatt die Wirtschaft mit wei-
teren Zusatzkosten zu belasten, die die internationale
Konkurrenzfähigkeit deutscher Telekommunikationsun-
ternehmen massiv negativ beeinträchtigen, sollten wir
die heimische Wirtschaft durch Entlastungen fördern. Zu
beachten ist bei der Entschädigungsregelung daher die
bereits bei den Verhandlungen zum Telekommunika-
tionsüberwachungsgesetz getroffene Vereinbarung, die
Telekommunikationsunternehmen angemessen zu ent-
schädigen. Wir sollten uns hier nicht in Widerspruch zu
den bereits erfolgten Einigungen setzen und uns am
Telekommunikationsüberwachungsgesetz orientieren.
Zusätzliche übermäßige Kosten müssen entschieden ver-
mieden werden.
Die vorgeschlagene Entschädigungsregel stellt also zu-
treffend fest, dass geschäftsmäßige Anbieter von Post-
und Telekommunikationsdiensten für ihre Mitwirkung an
der Überwachung zu entschädigen sind. Mit marginalen
Veränderungen schreibt das JVEG die Entschädigungs-
sätze des Zeugen- und Sachverständigenentschädigungs-
gesetzes fort. Die darin festgehaltenen Entschädigungs-
bestimmungen sind jedoch bereits bei der Novellierung
des TKG für den Bereich der Telekommunikationsüber-
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achung als nicht ausreichend anerkannt worden. Das
eue Telekommunikationsgesetz (TKG) bestimmt daher
§ 110 Abs. 9, dass generell eine angemessene Ent-
chädigung der verpflichteten Unternehmen in einer ge-
onderten Verordnung geregelt werden müsse. Dieser
iderspruch muss beseitigt werden. Wir können es uns
icht – auch nicht im Namen der Sicherheit – leisten, die
osten der Aufgaben, für die die öffentliche Hand origi-
är zuständig ist, auf die Privatwirtschaft abzuwälzen.
Ich glaube, dass alle Telekommunikationsunterneh-
en willens sind, an der Umsetzung des Urteils mitzu-
irken und alles Erforderliche und in ihrer Macht ste-
ende zu unternehmen, um die Arbeit des
ollkriminalamtes zu unterstützen. Diese Bereitschaft
ollten wir nutzen, um gemeinsam den effizientesten
eg bei der Erfüllung dieser Aufgabe zu gehen.
Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
EN): Kaum einer weiß es: Nicht nur die Polizei und die
eutschen Geheimdienste sondern auch der Zoll – ge-
auer: das Zollkriminalamt – dürfen in Deutschland Te-
efone der Bürgerinnen und Bürger abhören und die Ge-
präche aufzeichnen sowie die Post öffnen und
ontrollieren.
Allerdings muss ich betonen, entgegen landläufiger
uffassung sind es keineswegs die Geheimdienste und
st es schon gar nicht das Zollkriminalamt, die diese
öglichkeit ausufernd nutzen, sondern die Strafermitt-
ungsbehörden. Hier steigen die Zahlen immer höher.
weistellige Zuwachsraten jährlich sind zu verzeichnen.
as Zollkriminalamt macht nur in sehr bescheidenem
aße von seinen Befugnissen Gebrauch. In dem Jahr-
ehnt von 1992 bis heute waren es nur 41 Maßnahmen.
Heute geht es um diese Befugnisse des Zollkriminal-
mtes zur Überwachung des Post- und Fernmeldever-
ehrs. Das Amt durfte und darf abhören, um Verstöße
egen das Außenwirtschaftsgesetz aufzuklären. Es geht
m illegale Ausfuhr von Kriegswaffen, um Güter unter
nderem zur Herstellung von chemischen, biologischen
der Atomwaffen und um so genannte Dual-Use-Güter,
as heißt um solche, die verschiedenen Zwecken dienen
önnen, aber auch im Zusammenhang mit solchen Waf-
en Verwendung finden.
Bisher war die Überwachung der Post und des Tele-
ons von juristischen und natürlichen Personen in solchen
ällen auf die §§ 39 ff. des Außenwirtschaftsgesetzes ge-
tützt. Das Bundesverfassungsgericht hatte wesentliche
eile dieser Vorschriften aber im März diesen Jahres für
erfassungswidrig erklärt. Ab Ende des Jahres darf sie
icht mehr angewandt werden. Deshalb sollen die neuen
esetzlichen Vorschriften rasch verabschiedet werden.
ie stehen jetzt in einem anderen Gesetz: als §§ 23 a bis
3 f im Zollfahndungsdienstgesetz.
Der Gesetzentwurf versucht, den Vorgaben des Ver-
assungsgerichts Rechnung zu tragen. Dieses hatte unter
nderem gefordert: Hinreichender Rechtsschutz für
ämtliche Betroffenen ist sicherzustellen. Anlass, Zweck
nd Grenzen des Eingriffs müssen in der Ermächtigung
ereichsspezifisch, präzise und normenklar festgelegt
12144 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Oktober 2004
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werden. Die Ermächtigung muss erkennen lassen, bei
welchen Anlässen und unter welchen Voraussetzungen
ein Verhalten zu einer Überwachung führen kann. Die
Regelung darf anders als bisher nicht unbestimmt und
unklar werden, durch ein Zusammenwirken verschiede-
ner Tatbestandsmerkmale sowie einer große Zahl von
Verweisungen auf andere Normen. Diesen Anforderun-
gen wird der Regierungsentwurf weitgehend gerecht.
Aber im Gesetzgebungsverfahren sollten noch einige
Ergänzungen zugefügt werden, denn auch andere Ent-
scheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum Über-
wachen von Telefonen und Wohnungen aus der letzten
Zeit, wie etwa die zum Großen Lauschangriff, und Be-
denken des Datenschutzbeauftragten sind noch zu be-
rücksichtigen.
So müssten Äußerungen aus dem Bereich der ganz
privaten Lebensgestaltung von der Aufzeichnung und
Nutzung ausgenommen werden.
Auch muss der Schutz der so genannten Berufsge-
heimnisträger gewahrt werden. Das Vertrauensverhältnis
von Ärzten, Verteidigern, Geistlichen und Journalisten,
also der Personen die nach § 53 StPO ein Zeugnisver-
weigerungsrecht haben, muss geschützt bleiben, wenn
sie nicht selbst zu den Tatverdächtigen gehören. Auch ist
nicht einzusehen, warum zwar die Post von Abgeordne-
ten nicht geöffnet, aber ihr Telefon abgehört und die Ge-
spräche mitgeschnitten werden dürfen.
Auch ist sicherzustellen, dass Erkenntnisse aus der
Überwachung an andere Stellen nur weitergegeben wer-
den dürfen, wenn sichergestellt ist, dass diese nicht x-be-
liebig genutzt werden, sondern nur für Zwecke, für die
sie auch vom Zollkriminalamt erhoben werden durften.
Gerade bei ausländischen Empfängern solcher Erkennt-
nisse ist Vorsicht geboten und sind Sicherungen einzu-
bauen.
Auch ist abzugleichen, dass andere Normen zur Tele-
fonüberwachung, also die, die für die Polizei und die Ge-
heimdienste gelten und die derzeit beraten werden oder
zur Beratung anstehen, zu den Befugnisnormen für das
Zollkriminalamt passen und nicht im Widerspruch dazu
stehen. Darüber wird in den Beratungen noch zu reden
sein. Nur weil wenig Zeit bleibt bis zum Jahresende,
wenn die bisherigen Vorschriften des AWG nicht mehr
angewandt werden dürfen, konnte der Gesetzentwurf
schon jetzt ins Gesetzgebungsverfahren eingebracht
werden. Es bleibt also noch einiges zu tun.
Rainer Funke (FDP): Zu Beginn dieses Jahres hat
das Bundesverfassungsgericht in seiner aufsehen-
erregenden Entscheidung zur akustischen Wohnraum-
überwachung die Anordnungsvoraussetzungen in der
Strafprozeßordnung weit gehend für verfassungswidrig
erklärt, weil sie in unzulässiger weise in den Kernbe-
reich der Menschenwürde eingreifen. Wenig später
folgte ein weiteres Urteil, das sich mit dem Abhören von
Telefonaten durch das Zollkriminalamt beschäftigte. Mit
Bezug auf das vorangegangene Urteil hat das Bundes-
verfassungsgericht auch hier die Regelungen des Außen-
wirtschaftsgesetzes für verfassungswidrig erklärt, nach
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enen Zollfahnder zur Verhütung von Straftaten umfas-
end die Telekommunikation überwachen und Post öff-
en dürfen.
Mit dem Gesetzentwurf, den wir heute beraten, ver-
ucht die Bundesregierung, die Maßgaben des Bundes-
erfassungsgerichts aus dem Urteil zum Abhören von
elefonen durch das Zollkriminalamt umzusetzen. Bei
er akustischen Wohnraumüberwachung ist der Bundes-
egierung bereits ein erster Versuch zur Umsetzung des
rteils schwer missglückt. Erst im zweiten Anlauf ist es
elungen, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die Vor-
aben aus Karlsruhe tatsächlich berücksichtigt. Der
eute vorliegende Gesetzentwurf scheint ein ähnliches
chicksal zu nehmen.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil
usgeführt, dass die angegriffenen Ermächtigungsgrund-
agen gegen das Bestimmtheitsgebot verstoßen. Auf-
rund der Intensität des Grundrechtseingriffs müsse ein
ugrunde liegendes Gesetz präzise und verständliche
renzen ziehen, so das Gericht in seinem Urteil. Wenn
ch mir nun den vorliegenden Gesetzentwurf anschaue,
abe ich Bedenken, ob die Regelungen, die die Bundes-
egierung vorsieht, den Anforderungen an die Normen-
estimmtheit und Normenklarheit tatsächlich gerecht
erden. Ich nenne in diesem Zusammenhang nur die
orschrift des § 23 a des Gesetzentwurfs, der auf eine
ielzahl von Vorschriften verweist, die jederzeit geän-
ert werden können. Darüber hinaus bestehen aus Sicht
er FDP Bedenken gegen die Einführung einer IMEI-
berwachung. Der Entwurf übernimmt die IMEI-Gerä-
ekennung eines Mobilfunktelefons bedenkenlos auch
ür die Überwachung eines mobilen Telefons. Dabei
ird verkannt, dass nicht ausgeschlossen werden kann,
ass eine IMEI mehrfach vergeben wird mit der Folge,
ass keine eindeutige Kennung erfolgen kann und somit
ahlreiche unverdächtige Nutzer ohne Rechtsgrund ab-
ehört werden. Problematisch ist auch die Entschädi-
ungsregelung für die Anbieter von Post- und Telekom-
unikationsdiensten. Die FDP-Bundestagsfraktion war
mmer der Auffassung, dass der Staat private Unterneh-
er angemessen zu entschädigen hat und die Kosten
ollständig zu tragen hat, wenn er von diesen die Über-
ahme staatlicher Aufgaben übernimmt. Dieses ist im
orliegenden Gesetzentwurf nur unzureichend geregelt.
Im Ergebnis stelle ich fest, dass der Gesetzentwurf die
orgaben des Bundesverfassungsgerichts nicht in ange-
essener Weise umsetzt. Die Bundesregierung wird da-
er nicht umhinkommen, die Schwachstellen des Ent-
urfs zügig auszubessern.
Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatsekretärin beim
undesminister der Finanzen: In der aktiven Umsetzung
er auch von Deutschland eingegangenen internationa-
en Verpflichtungen zur Nichtverbreitung insbesondere
on Massenvernichtungswaffen ist eine Ergänzung der
epressiven Strafverfolgungsinstrumente durch Präven-
ivmaßnahmen unverzichtbar. Nur durch die Nutzung
ntsprechender Instrumente im Präventivbereich ist es
öglich, die unzulässige Ausfuhr sensibler Waren tat-
ächlich zu verhindern.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Oktober 2004 12145
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Mit den heute geltenden Regelungen zur präventiven
Telekommunikations- und Postüberwachung durch das
Zollkriminalamt in den §§ 39 ff. des Außenwirtschafts-
gesetzes sind derartige Möglichkeiten geschaffen wor-
den. Jedoch hat das Bundesverfassungsgericht mit sei-
nem Beschluss vom 3. März 2004 Teile dieser 1992
eingeführten Regelungen für verfassungswidrig erklärt.
Die Fortführung der aktiven Verhinderung solcher Aus-
fuhren auch nach dem Beschluss des Bundesverfas-
sungsgerichts muss jedoch weiterhin gewährleistet sein.
Daher brauchen wir das vorliegende Gesetz.
Ausgelöst durch die damaligen Zulieferungen deut-
scher Firmen zur libyschen Giftgasanlage in Rabta
wurde erkannt, dass es nicht ausreicht, die Täter nur
nach erfolgter illegaler Ausfuhr zu bestrafen, also erst
dann zu reagieren, wenn das Kind bereits in den Brun-
nen gefallen ist. Denn dann ist der außenpolitische Scha-
den für die Bundesrepublik bereits irreparabel eingetre-
ten. Vielmehr ist es erforderlich, bereits die Lieferungen
solch hochsensibler Waren zu verhindern. Vor diesem
Hintergrund hat der Gesetzgeber die Möglichkeit einer
präventiven Telekommunikations- und Postüberwa-
chung in diesem Bereich eröffnet. Diese Befugnis wurde
allein dem Zollkriminalamt übertragen.
Bereits 1992, unmittelbar nach In-Kraft-Treten der
Regelungen, hatte sich das Land Rheinland-Pfalz mit ei-
nem Normenkontrollantrag gegen die Regelungen aus-
gesprochen. Mit seinem Beschluss vom 3. März 2004
hat das Bundesverfassungsgericht dem Antrag teilweise
stattgegeben. Es beanstandet insbesondere die man-
gelnde Normenklarheit und Normenbestimmtheit der be-
troffenen Regelungen. Die Ermächtigung müsse erken-
nen lassen, bei welchen Anlässen und unter welchen
Voraussetzungen es zu Überwachungsmaßnahmen füh-
ren könne. Ferner wird eine Verletzung des Bestimmt-
heitsgebotes gerügt; es fehle an einer ausdrücklichen
bzw. hinreichend sicheren Kennzeichnung der Emp-
fangsbehörden und der Konzentrierung auf die jeweili-
gen Aufgabenbereiche. Das Instrumentarium der prä-
ventiven Überwachungsmaßnahmen selbst wird jedoch
nicht infrage gestellt.
Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass die
Gründe, die 1992 zur Einführung der Befugnisregelun-
gen geführt haben, heute mehr denn je gelten. Deshalb
ist die Beibehaltung der präventiven Überwachungsmaß-
nahmen zur Verhinderung illegaler Ausfuhren hochsen-
sibler Waren unverzichtbar. Der vorliegende Gesetzent-
wurf dient ausschließlich der Umsetzung der Vorgaben
des Bundesverfassungsgerichts.
Die Kernpunkte der Neuregelungen sind: erstens Ein-
schränkung des Anwendungsbereichs auf wenige enu-
merativ aufgeführte Straftatbestände – diese Straftatbe-
stände betreffen insbesondere die Herstellung und
Entwicklung von Massenvernichtungswaffen sowie die
ungenehmigte Lieferung von Gütern zur Entwicklung
und Herstellung von Lang- und Mittelstreckenraketen –,
zweitens Ersetzen des Begriffs „Planung“ durch den in
der Rechtssprache gebräuchlichen Begriff „Vorberei-
tungshandlung“, drittens normenklare Festlegung der
Eingriffsvoraussetzungen, viertens Konkretisierung der
Übermittlungsregelungen einschließlich der Vorgabe
von Protokollierungs-, Kennzeichnungs- und Lö-
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chungspflichten und fünftens Regelung einer Benach-
ichtigungspflicht aller von der Maßnahme Betroffenen.
Durch diese Regelungen wird den Geboten der Nor-
enbestimmtheit und Normenklarheit, wie vom Bun-
esverfassungsgericht gefordert, vor allem auch durch
ie Reduzierung von Verweisungsketten auf das unver-
eidbare Maß, Rechnung getragen. Gleichzeitig wird
er Standort der Regelungen vom Außenwirtschaftsge-
etz in das Zollfahndungsdienstgesetz verlagert, da die
efugnis zur präventiven Telekommunikations- und
ostüberwachung auch künftig nur dem Zollkriminalamt
ustehen soll. Dessen Aufgaben und sonstigen Befug-
isse sind detailliert in dem erst 2002 in Kraft getretenen
ollfahndungsdienstgesetz geregelt.
Nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts
ind bei der gesetzlichen Neuregelung auch die Grund-
ätze aus seinen Urteilen zum G-10-Gesetz sowie zur
kustischen Wohnraumüberwachung zu berücksichtigen.
ur akustischen Wohnraumüberwachung erarbeitet die
undesregierung momentan ebenfalls einen Gesetzent-
urf. Wegen der besonderen Eilbedürftigkeit des vorlie-
enden Gesetzentwurfs – das Bundesverfassungsgericht
ieht die derzeitige Regelung nur noch bis Ende dieses
ahres als hinnehmbar an – wurden bestimmte Grund-
ätze – bezogen auf den Eingriff in das jeweilige Grund-
echt –, die für beide Gesetze Gültigkeit erhalten sollen,
edoch zunächst zurückgestellt.
nlage 7
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung:
– Unterrichtung: Bericht der Bundesregie-
rung zur Situation des deutschen Güter-
kraftverkehrsgewerbes im europäischen
Wettbewerb
– Beschlussempfehlung: Vorschlag für eine
Richtlinie des Europäischen Parlaments und
des Rates über Mindestbedingungen für die
Durchführung der Richtlinie 2002/15/EG so-
wie der Verordnung (EWG) Nr. 3820/85 und
(EWG) Nr. 3821/85 des Rates über Sozial-
vorschriften für Tätigkeiten im Kraftver-
kehr
(Tagesordnungspunkte 18 a und b)
Uwe Beckmeyer (SPD): Europa bricht auf. In den
960er-Jahren galten die USA als die neue Welt. Heute
chauen Deutsche und Franzosen, Niederländer und
panier nach Osteuropa. Zum 1. Mai ist die EU um zehn
taaten gewachsen – eine größere Erweiterung hat die
emeinschaft nie gewagt.
Aufgrund seiner Lage im Zentrum Europas ist
eutschland in besonderem Maße vom wachsenden
renzüberschreitenden und vom Transitverkehr berührt.
ür die Transport- und Logistikbranche in Deutschland
st der Beitritt der zehn neuen Staaten ein zweischneidi-
es Schwert:
12146 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Oktober 2004
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Europa bietet Chancen. Insbesondere für Deutschland
wird ein kräftiges Wachstum des Straßengüterverkehrs
prognostiziert. Mit der Erweiterung der EU erschließt
sich dem deutschen Transportgewerbe daher ein vergrö-
ßerter Markt. Und der Transportbedarf nimmt zu, weil
die osteuropäischen Länder sich entwickeln. Schon die
Deregulierung der nationalen und europäischen Märkte
hat in den vergangenen fünf Jahren zu einem umfassen-
den Anpassungsprozess des Güterverkehrsgewerbes ge-
führt, zu einem verbesserten Angebot, mehr Qualität,
mehr Produktivität und sinkenden Transportkosten.
Europa bietet Risiken. Durch die Öffnung der euro-
päischen Märkte sind die deutschen Transportbetriebe
mit steigendem Wettbewerbs- und Preisdruck durch
Konkurrenten aus Mittel- und Osteuropa konfrontiert,
die im Straßentransport ohnehin schon beträchtliche
Marktanteile gewonnen haben. Die Fahrer, die vor allem
aus Osteuropa stammen, erhalten Billiglöhne ohne jede
soziale Sicherung. So sparen die Betriebe erheblich an
Personalkosten und können den Verladern Dumping-An-
gebote vorlegen. Unternehmen in Deutschland sind von
diesem Lohnkostengefälle am stärksten betroffen.
Doch viele Probleme, vor denen das deutsche Trans-
portgewerbe heute steht, sind hausgemacht: In den spä-
ten 1980er- und 1990er-Jahren hat es die damalige
Regierung verschlafen, ausreichende Maßnahmen zur
Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen im Ver-
kehrsbereich zu ergreifen. Das Transportgewerbe wurde
ins kalte Wasser geworfen.
Heute, da die Öffnung der Verkehrsmärkte vollzogen
ist, sind die Harmonisierungsmaßnahmen auf europäi-
scher Ebene sehr viel schwerer durchsetzbar als noch vor
der Liberalisierung. Nationale Bemühungen sind hier
häufig durch EG-Recht untersagt und Harmonisierungs-
fortschritte auf dem Gebiet der Steuern wegen der wei-
terhin erforderlichen Einstimmigkeit innerhalb der EU
schwierig.
Trotzdem kann die Bundesregierung beachtliche Er-
folge vorweisen: im fiskalischen Bereich und bei der
Durchsetzung der Sozialvorschriften.
Mit der Energiesteuer-Richtlinie, die zum 1. Januar
2004 in Kraft getreten ist, wurde erstmals seit mehr als
zehn Jahren europaweit eine Erhöhung der Mindest-
steuersätze auf Kraftstoffe durchgesetzt. Das ist ein
umso größerer Fortschritt, als auch die Neumitglieder
diese erhöhten Mindeststeuersätze übernehmen müssen.
Für Frankreich und Italien, die bisher mit einer Rück-
erstattung der Mineralölsteuer die Bemühungen zur Har-
monisierung der Wettbewerbsbedingungen untergraben
haben, läuft die Frist zum Jahresende ab. In diesem Zeit-
raum müssen beide Länder zudem den Umfang ihrer Er-
stattungen um nahezu die Hälfte reduzieren.
Mit der LKW-Maut sorgt die rot-grüne Koalition da-
für, dass die Wettbewerbsverzerrungen zulasten deut-
scher Betriebe ausgeglichen werden. Bisher mussten
deutsche Transporteure zum Teil erhebliche Gebühren
für die Benutzung ausländischer Straßen zahlen, wäh-
rend ausländische Unternehmen in Deutschland nur eine
vergleichsweise geringe Gebühr in Form einer Euro-
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ignette entrichteten. Mit der Einführung der strecken-
ezogenen Maut für LKW ab 12 Tonnen zulässigem
esamtgewicht werden sie nun zu einem gerechteren
egekostenbeitrag herangezogen.
Damit verbunden ist – nach einer positiven Prüfung
urch die EU-Kommission – die gesetzliche Zusage ei-
es Harmonisierungsbeitrages in Höhe von 600 Millio-
en Euro.
Nicht zu vergessen: die Entlastung des Mittelstandes
urch die Steuerreform der Bundesregierung. Die
teuer- und Abgabenbelastung der deutschen Transport-
nternehmen wird durch diese von der rot-grünen Koali-
ion eingeleiteten Maßnahmen spürbar sinken.
Beim größten Kostenblock für deutsche Unterneh-
en, den Personalkosten, wird der Wettbewerbsvorteil
er osteuropäischen Anbieter auch in den kommenden
ahren bestehen bleiben, wenngleich sich die Löhne
chrittweise dem Westniveau annähern dürften. Denn die
iedrigere Produktivität in den osteuropäischen Staaten
rückt sich eben auch in niedrigeren Löhnen für die Fah-
er aus.
Um gegen schwarze Schafe der Branche vorzugehen,
ie ihre Fahrer aus Wettbewerbsgründen unter schlech-
en Arbeitsbedingungen einsetzen, hat die Bundesregie-
ung 2001 das Gesetz zur Verhinderung illegaler Be-
chäftigung von Fahrern auf den Weg gebracht. Jedes
nternehmen mit Sitz in einem EU-Staat darf nur Fahrer
insetzen, die im Staat des Firmensitzes eine Arbeitsge-
ehmigung besitzen. Und auch die von der Europäischen
ommission vorgeschlagene Richtlinie des Rates über
ozialvorschriften für Tätigkeiten im Kraftverkehr setzt
ier an. Denn bei Straßenkontrollen fallen immer wieder
ie gleichen Verstöße gegen die Fahrpersonalvorschrif-
en auf: Überschreitung der Lenkzeiten und Nichtein-
altung der Ruhezeiten. Die Kommission plant, die
ontrollintensität europaweit von derzeit mindestens
Prozent der Fahrtage auf 3 Prozent in allen Mitglied-
taaten zu erhöhen; mindestens 30 Prozent aller Kontrol-
en sollen auf der Straße sowie mindestens 50 Prozent
er Kontrollen in den Betrieben durchgeführt werden.
udem werden den Mitgliedstaaten koordinierende Kon-
rollorgane vorgeschlagen. Wir begrüßen diese Initiative
er Kommission zur Durchsetzung der Sozialvorschrif-
en ausdrücklich.
Europa – was bringst du uns? Mit der EU-Osterweite-
ung wachsen sehr heterogene Verkehrsmärkte zusam-
en. Daher bedarf es eines effektiven ordnungspoliti-
chen Rahmens. Wir verfolgen eine Politik, die auf hohe
icherheitsstandards und gleiche Wettbewerbsbedingun-
en setzt. Denn nur wenn die Angleichung der Verkehrs-
ärkte in West und Ost einheitlich und fair gestaltet
ird, kann das deutsche Transportgewerbe von der Er-
eiterung der EU profitieren.
Klaus Hofbauer (CDU/CSU): Der Transport von
ütern mit dem LKW ist ein wesentlicher Bestandteil
es Wirtschaftsstandortes Deutschland. Der Umsatz im
ewerblichen Güterkraftverkehr beträgt pro Jahr circa
4 Milliarden Euro. Die Bedeutung des Straßengüterver-
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Oktober 2004 12147
(A) )
(B) )
kehrs wird noch deutlicher, wenn man die Zahlen der be-
förderten Tonnage mit denen bei der Bahn vergleicht.
Von 3,5 Milliarden Tonnen Gesamttransport in ganz
Deutschland, befördern die Unternehmen des Güter-
kraftverkehrs 72 Prozent. Die Bahn liegt lediglich bei
16 Prozent. Die Bedeutung dieser Wirtschaftsleistung
für den Arbeitsmarkt ist erheblich. Im vergangenen Jahr
beschäftigten über 42 600 Unternehmen des gewerbli-
chen Güterkraftverkehres mehr als 400 000 Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer.
Die Zahlen dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäu-
schen, in welch kritischer Lage sich das deutsche Trans-
portgewerbe befindet. Viele Unternehmen leben schon
seit Jahren mit ernsthaften Existenzängsten. Die Insol-
venzzahlen bei den Spediteuren haben sich seit 1999 fast
verdoppelt. Auf einen 40-Tonnen-LKW der Schadstoff-
klasse 2 entfallen in Deutschland über 23 000 Euro Ab-
gaben im Jahr. Das ist Spitzenklasse in Europa. Das
deutsche Güterkraftverkehrsgewerbe wird durch die fal-
schen nationalen Entscheidungen der rot-grünen Bun-
desregierung im europäischen Wettbewerb benachteiligt.
Für die schwierige Lage dieser Branche trägt diese Bun-
desregierung daher erhebliche Mitverantwortung.
Insbesondere für die kleinen und mittelständischen
Unternehmen ist die EU-Osterweiterung die zentrale He-
rausforderung. Zu Recht betont die Bundesregierung in
ihrem Bericht, dass die EU-Osterweiterung dem Güter-
kraftverkehrsgewerbe neue Chancen eröffnet und einen
größeren Markt erschließt. Jedoch können die Unterneh-
men diese Chancen nur nutzen, wenn sie faire Wettbe-
werbsbedingungen vorfinden. Und genau daran mangelt
es. Die Öffnung der osteuropäischen Märkte hat den
Wettbewerbsdruck auf die deutschen Speditionen deut-
lich erhöht. Das ist Tatsache.
Nach Zahlen der Bundesregierung wird der grenz-
überschreitende Güterverkehr mit den mittel- und ost-
europäischen Ländern bis 2015 um 190 Prozent zuneh-
men. Leider wird dieses Transportwachstum fast ohne
deutsche Beteiligung stattfinden. Der Marktanteil deut-
scher Speditionen ist in den letzten Jahren bereits unter
10 Prozent gefallen. Maßgeblich dafür sind die beste-
henden Wettbewerbsverzerrungen und Wettbewerbsdif-
ferenzen zwischen Deutschland und den Beitrittslän-
dern. Ich möchte hier nur die Unterschiede bei der
Dieselsteuer sowie bei den Lohn- und Sozialkosten nen-
nen. Leider hat die Bundesregierung bisher kein schlüs-
siges Konzept vorgelegt, wie sie das deutsche Güter-
kraftverkehrsgewerbe in diesem Prozess unterstützen
will.
Entscheidender Wettbewerbsnachteil ist die hohe Die-
selsteuer in Deutschland. Die Bundesrepublik hat nach
Großbritannien die zweithöchste Dieselsteuer in ganz
Europa. Ein Ergebnis davon ist der Tanktourismus,
durch den im Jahr circa 2 Milliarden Euro Steuerausfälle
verursacht werden. Die Bundesregierung scheint diesen
Missstand tatenlos hinnehmen zu wollen. Im vorliegen-
den Bericht findet man außer einer schwachen Absichts-
erklärung zur Harmonisierung der Mineralölsteuer nicht
einen einzigen Lösungsansatz für dieses Problem.
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Rot-Grün sieht auch in anderen Bereichen an den
irklichen Problemen vorbei. Liest man das Kapitel zur
U-Osterweiterung im vorliegenden Bericht, dann fin-
et man dort nur den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur
n den Beitrittsländern. Vom Ausbau der grenznahen und
renzüberschreitenden Straßen in den deutschen Grenz-
egionen steht dort kein Wort. Unsere grenznahe Ver-
ehrsinfrastruktur ist auf die überproportionale Steige-
ung des Güterverkehrs nicht vorbereitet. Die Projekte
EU-Osterweiterung“ im Bundesverkehrswegeplan ha-
en bis heute keine besondere Priorität. Rot-Grün hat es
erpasst, den deutschen Grenzraum umfassend auf die
U-Osterweiterung vorzubereiten.
Vor besonderen Herausforderungen steht daher das
ransportgewerbe in den Grenzregionen. Viele Unter-
ehmen werden nur überleben können, wenn sie mit
ostengünstigeren Tochterfirmen oder Kooperations-
artnern in den Beitrittsländern kalkulieren oder selbst
tandorte in den Beitrittsländern gründen. Die Bundes-
egierung muss daher gerade in den Grenzregionen die
bergangsfristen bei der Dienstleistungsfreiheit und bei
abotage wirksam kontrollieren und sanktionieren, um
ie dortigen Unternehmen zu unterstützen.
Nicht zuletzt möchte ich die Bundesregierung hier
uch an ihre Versprechungen hinsichtlich umfangreicher
usgleichsleistungen für das deutsche Transportge-
erbe aufgrund der Mauteinführung erinnern. Davon ist
is heute noch nichts realisiert. 600 Millionen Euro
teuerrückvergütung wurden der Branche zugesagt. Die
undesregierung muss auf EU-Ebene endlich mit Nach-
ruck handeln, um die dort bestehenden Probleme aus
em Weg zu räumen.
Die Bundesregierung steht gegenüber den Unterneh-
en des deutschen Güterkraftverkehrs in der Pflicht, auf
ine wirkliche Harmonisierung der Wettbewerbsbedin-
ungen hinzuwirken. Dazu gehört die Dieselsteuer, die
nterstützung der grenzüberschreitenden Zusammen-
rbeit und nicht zuletzt die wirksame Kontrolle und
anktion der Übergangsregelungen bei Kabotage und
ienstleistungsfreiheit. Vor allem aber muss die Bundes-
egierung ihre Versprechungen von Ausgleichsleistun-
en für das Transportgewerbe im Zuge der Mauteinfüh-
ung endlich umsetzen.
Wilhelm Josef Sebastian (CDU/CSU): Im Jahre
001 haben wir, der Deutsche Bundestag, die Bundesre-
ierung aufgefordert, einen Bericht vorzulegen, aus dem
rstens die Wettbewerbsverzerrungen im europäischen
üterkraftverkehrsgewerbe bei Steuer- sowie bei Sozial-
nd Umweltstandards hervorgehen, zweitens hervor-
eht, welche Schritte die Bundesregierung in den letzten
wei Jahren bereits unternommen hat, um die Harmoni-
ierungsdefizite zu verringern, und in dem drittens da-
über informiert wird, wo die Widerstände gegen eine
armonisierung der Wettbewerbsbedingungen in erster
inie zu suchen sind.
Es liegt uns nun der Bericht vor und es wird sehr um-
angreich die Situation des Güterkraftverkehrsgewerbes
eschrieben. Es wird, was uns aber aus vielen Gesprä-
hen und Diskussion nicht unbekannt ist, dargelegt, dass
12148 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Oktober 2004
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die Situation des Gewerbes von vielen Unsicherheiten
geprägt ist und in vielen Bereichen erhebliche Nachteile
für unsere deutschen Betriebe bestehen. Der Bericht sagt
sehr deutlich, dass die Rahmenbedingungen in einem
größer gewordenen Europa nicht einfacher, sondern sehr
viel schwieriger geworden sind.
Der Einsicht darin konnte sich auch diese Bundesre-
gierung nach langen Jahren des Zögerns nicht verschlie-
ßen. Nicht zuletzt beim Mautkompromiss war es ja ein
wichtiger, von der Union durchgesetzter Bestandteil, für
das deutsche Gewerbe eine Harmonisierungsentlastung
von 600 Millionen Euro zu erreichen.
Allein die Wege, die die Bundesregierung in Brüssel
einschlagen will, um dieses Volumen zu erreichen, zei-
gen, wo der Schuh besonders drückt: Die deutsche Mi-
neralölsteuerbelastung ist die zweithöchste in der EU;
die deutsche Kfz-Steuer für LKW liegt weit über der von
der EU festgestellten Mindestgrenze.
Die Gesamtbelastung aus Mineralöl- und Kfz-
Steuer für einen durchschnittlichen deutschen 40-Ton-
ner lag in Deutschland im Jahr 2004 bei jährlich
23 112 Euro, in Ländern wie Italien, Frankreich und den
Niederlanden bewegte sich dies zwischen 17 000 und
18 000 Euro, in den drei baltischen Staaten liegt das
Niveau am unteren Ende bei 11 000 bis 12 000 Euro. Die
Schere hat sich damit in den letzten Jahren leider nicht
geschlossen und der Blick auf die Schuldigen für diese
Misere kann nicht immer direkt ins Ausland gerichtet
werden.
So kann beim besten Willen die Schuld für die deut-
sche Ökosteuer nicht nach Brüssel oder andere europäi-
sche Staaten geschoben werden. Diese rot-grüne Lieb-
lingssteuer ist es ja maßgeblich, die den Unterschied
macht.
Die Prüfung durch die EU-Kommission zum Harmo-
nisierungsvolumen im Zusammenhang mit der Einfüh-
rung der Maut wird zeigen, welche Maßnahmen
Deutschland ergreifen darf, um die Harmonisierung zu
erreichen. Am Ende muss jedenfalls eine deutliche Ent-
lastung der deutschen Spediteure stehen, um in Europa
weiter bestehen zu können.
Trotz gemeinsamem Binnenmarkt sind auch zuneh-
mend nationale Alleingänge der EU-Mitgliedstaaten im
Bereich des Güterkraftverkehrs zu beobachten, die im-
mer groteskere Formen annehmen und die Synergieef-
fekte des gerade erst erweiterten Binnenmarktes infrage
stellen.
So ist der Verkehr mit Großbritannien ein risikobehaf-
tetes Geschäft geworden. Die britischen Einwanderungs-
behörden erheben zum Beispiel noch immer hohe
Bußgelder von ausländischen Fahrern und Transportun-
ternehmen bei Verstößen gegen die Einwanderungsge-
setze, wenn sich Asylanten aus aller Welt unbemerkt Zu-
gang zu den Ladeflächen der einreisenden LKW
verschaffen.
In Italien wird der Binnenverkehr ausländischer Kon-
kurrenten – Kabotage – immer mehr durch zeitliche und
bürokratische Vorgaben eingeengt, dass das heimische
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ransportgewerbe bevorteilt wird. So hat das Transport-
inisterium in Rom, per Dekret, Kabotagefahrten auf
ünf aufeinander folgende Tage bzw. höchstens 15 Tage
m Monat eingeschränkt. Die davon betroffenen auslän-
ischen Transportunternehmen müssen außerdem ein
ahrtenbuch führen, in das sie Angaben über den Auf-
raggeber, die Art der Ladung und die Beförderungsstre-
ke einzutragen haben. Dieses Fahrtenbuch ist beim
ransportministerium in Rom zu beantragen.
Ein unrühmliches „Aushängeschild“ für Verkehrsbe-
inderungen und Diskriminierung des internationalen
erkehrs bietet vor allem die Republik Österreich. Ein
efundener Kompromiss über eine Ökopunktenachfol-
eregelung im Transitverkehr wurde nicht umgesetzt,
tattdessen streiten die EU-Kommission und Österreich
or dem Europäischen Gerichtshof.
Die im Alpentransit tätigen Transportunternehmen se-
en sich zudem durch die Taktik unangemessener Nadel-
tiche einer Situation ohne Rechtsschutz ausgesetzt.
abei geht es einzig um die Verringerung des Verkehrs-
ufkommens, aber nicht um Problemlösungen. Beson-
ers während der Hauptreisezeit sowie vor und nach Fei-
rtagen rufen die Schweizer Verkehrsbehörden, zum
eispiel auf der Autobahn A 2, Basel–Chiasso, die
Phase rot“ aus und zwingen Fahrer im Straßengüterver-
ehr, unter menschenunwürdigen Bedingungen zu tage-
angen Zwangspausen auf Parkflächen entlang dieser
oute.
Einschränkungen muss der Straßengüterverkehr auch
ei Benutzung der Verkehrsinfrastruktur insbesondere in
en neuen EU-Beitrittsländern hinnehmen.
Kollegen aus den EU-Mitgliedstaaten verzeichnen
eiterhin erhebliche Probleme im Verkehr mit Drittstaa-
en. So bereitet ihnen die Russische Föderation zum Bei-
piel durch ständige Änderungen der Zollvorschriften
roßes Kopfzerbrechen. Die Pflicht, eine Kfz-Haft-
flichtversicherung an der russischen Staatsgrenze abzu-
chließen, stößt auf Unverständnis der davon betroffenen
ransportunternehmer. Die international geltende grüne
ersicherungskarte wird von der Russischen Förderation
ach wie vor nicht anerkannt.
In jüngster Zeit sind Fahrten durch Weißrussland zu
inem „Vabanquespiel“ für ausländische Transportunter-
ehmen geworden, da die Zollbehörden dieses Landes in
estimmten Fällen LKW und Ladung, wegen angebli-
her Verletzung der Vorschriften, willkürlich beschlag-
ahmen. Die Ukraine hat ihrerseits Sonderregelungen
ei der Durchführung internationaler Transporte unter
ollverschluss, Carnet TIR, durchgesetzt, die es den
andesbehörden erlauben, TIR-Transporte mit einem
bgabenwert von mehr als 50 000 US-Dollar unter kos-
enaufwendiger Zolleskorte zu stellen.
Die EU-Beitrittskandidaten Rumänien und Bulgarien
eichneten sich in den vergangenen Jahren durch überra-
chende Aktionen wie zum Beispiel Änderungen der
öchstzulässigen LKW-Maße und -Gewichte, Achslas-
enverwiegungen auf den Haupttransitstrecken oder un-
erechtfertigte Gebühren aus.
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Diese Beispiele zeigen, wie weitreichend die Unter-
schiede in den Rahmenbedingungen in Europa noch sind
und wie wichtig es ist, dass die Bundesregierung auf al-
len diesen Handlungsfeldern Entschlossenheit zeigt.
Die Umsetzung der neuen EU-Kontrollrichtlinie zur
Einhaltung der Sozialvorschriften ist ein weiterer wichti-
ger Schritt hin zur Anpassung der Wettbewerbsbedin-
gungen. Hierbei sollen künftig mindestens 3 Prozent
statt bisher l Prozent aller geleisteten Fahrtage kontrol-
liert werden. Während Deutschland schon heute eine
Kontrollquote von 3,45 Prozent aufweist, liegen alle an-
deren EU-Staaten heute noch weit zurück.
Es muss darauf hingewirkt werden, dass die übrigen
europäischen Länder ihrer verstärkten Kontrollpflicht
nachkommen. Es kann nicht sein, dass die deutschen
Brummis einer hohen Kontrollquote unterliegen und die
europäischen Nachbarn durch unzureichende Kontrollen
dem Missbrauch Tür und Tor öffnen. Illegale Beschäfti-
gung, die Überschreitung von Lenkzeiten sowie die
Nichteinhaltung von Ruhezeiten sind Phänomene, die es
auf europäischer Ebene zu bekämpfen gilt.
Abschließend muss an dieser Stelle festgestellt wer-
den, dass es auch heute noch gravierende Wettbewerbs-
nachteile für das deutsche Güterkraftgewerbe in Europa
gibt, die bisherigen Bemühungen der Bundesregierung
zur Angleichung der Wettbewerbsbedingungen offenbar
nur unzureichenden Erfolg hatten, der vorgelegte Bericht
noch zu wenige konkrete Ansätze bietet, um in Zukunft
dabei erfolgreicher zu sein, und wir als CDU/CSU im
Deutschen Bundestag erwarten, dass seitens der Bundes-
regierung bei der EU und bei den europäischen Partnern
energischer Partei für das deutsche Güterkraftgewerbe
ergriffen wird!
Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Bündnis 90/Die Grünen standen schon immer dem Wett-
bewerbsgedanken offen gegenüber. Daher begrüßen wir
auch ausdrücklich die Vorlage des Berichts der Bundes-
regierung zur Situation des deutschen Güterkraftver-
kehrsgewerbes im europäischen Wettbewerb. Ich möchte
mich beim Bundesministerium für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen für die gute Arbeit bedanken. Es hat
die Situation umfassend beschrieben und akribisch und
dennoch übersichtlich viele Fakten zum Thema Güter-
kraftverkehr zusammengestellt.
Trotz aller hier geäußerten Unkenrufe und trotz vorei-
ligen Beileidsbekundungen an die Adresse des Güter-
kraftverkehrsgewerbes kann ich das oft beschriebene
Untergangsszenario für diese Branche weit und breit
nicht erkennen. Wir können nämlich feststellen: Die Si-
tuation ist besser als die Stimmung. Das kommt den Kol-
leginnen und Kollegen von der Opposition zwar nicht
entgegen, denn bei Ihnen ist die Lust am Leiden und
Jammern noch stark ausgeprägt. Aber es dürfte wohl
auch nicht anders sein, schließlich ist Rot-Grün an der
Regierung und da gehört das zum guten Ton der Opposi-
tion.
Nehme ich das Kompendium „Verkehr in Zahlen“ zur
Hand, so stelle ich fest, dass sich die Verkehrsleistungen
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n Milliarden Tonnenkilometern auf einem kontinuier-
ich hohen Niveau bewegen. Für dieses Jahr prognosti-
iert der Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und
ntsorgung (BGL) sogar ein Wachstum von 2,5 Prozent.
uch wenn deutsche Unternehmen nur mit 1,6 Prozent
avon profitieren, kann man damit leben.
Die Wachstumspotenziale der Branche sind nach wie
or gut. Der vergrößerte EU-Markt eröffnet gerade den
eutschen Spediteuren neue Märkte und Entwicklungs-
öglichkeiten. Da die Entwicklung der Güterarten wei-
er in Richtung kleinerer, hochwertigerer Sendungsgrö-
en geht, die ein hochqualifiziertes Management und gut
ufgestellte Firmenstrukturen erfordern, kommen diese
ohen Qualitätsanforderungen dem deutschen Güter-
raftverkehrsgewerbe besonders entgegen. Bei diesem
unkt wird natürlich sofort eingewendet, dass gebiets-
remde Transporteure ihren Anteil in diesem Jahr auf
1 Prozent erhöhen werden. Dazu kann ich aber nur fest-
tellen: Wir können nicht das eine – nämlich einen grö-
eren Markt – wollen und das andere – nämlich die Kon-
urrenz – außen vor lassen. Ich bin der Meinung, dass
ie deutsche Branche durch den langjährigen Wettbe-
erbsdruck gut aufgestellt und wettbewerbsfähig ist.
Durch die Einführung der LKW-Maut werden gerade
ür deutsche Speditionsunternehmen die Wettbewerbs-
edingungen gegenüber gebietsfremden Transporteuren
erbessert. Ich kann nur mit dem Kopf schütteln, wenn
ch die Klagen der Branche höre, die erneut vor einem
tart der LKW-Maut zum 1. Januar 2005 warnt und eine
ängere Probephase fordert. Das ist doch geradezu schi-
ophren, denn solange wir die LKW-Maut nicht erheben,
ahren doch gerade die gebietsfremden Unternehmen
eiterhin kostenlos auf unseren Autobahnen. Wenn das
ystem funktioniert – davon können wir derzeit wohl ru-
igen Gewissens ausgehen –, wird sich im nächsten Jahr
anz schnell und ganz deutlich herausstellen, dass sich
ie Einführung der LKW-Maut gerade für die hiesigen
nternehmen als eine deutliche Verbesserung im inter-
ationalen Wettbewerb herausstellen wird.
Ich möchte also an dieser Stelle nochmals die Bran-
henvertreter aufrufen: Sorgen Sie dafür, dass möglichst
iele On-Board-Units bis zum 1. Januar 2005 eingebaut
ind, ansonsten werden Sie im Januar 2005 mit langen
artezeiten bestrafft.
Ein spannendes – weil kontroverses – Thema sind im-
er wieder die Debatten um Wettbewerbsverzerrungen,
ie sich aus den unterschiedlichen Mineralölpreisen er-
eben. Der Bericht der Bundesregierung gibt hier einen
ehr guten und objektiven Überblick über die Situation
ieder. Die nationale Steuerhoheit muss schließlich ge-
ahrt bleiben. Da die Staaten mit ihren unterschiedli-
hen Steuersystemen auch den unterschiedlichen Le-
ensgewohnheiten und Traditionen ihrer Bürgerinnen
nd Bürger Rechnung tragen, macht es keinen Sinn, hier
mmerfort Vergleiche anzustellen. Ja wir haben eine
ohe Mineralölsteuer! In Großbritannien und in der
chweiz liegt sie aber noch höher und dennoch geht
uch dort die Welt nicht unter.
Haben Sie sich übrigens einmal überlegt, was der An-
tieg des Dieselpreises von umgerechnet 60 auf 75 Cent
12150 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Oktober 2004
(A) )
(B) )
pro Liter binnen drei Monaten für einen estnischen Spe-
diteur bedeutet, von den Privatleuten ganz zu schwei-
gen? Bei der derzeitigen Kaufkraft in diesem Land ent-
spricht dieser Preis einem Literpreis von 2 bis 2,50 Euro
pro Liter in Deutschland.
Eines aber sollten und dürfen wir alle erfreut zur
Kenntnis nehmen: Die Bemühungen der Bundesregie-
rung, den Subventionsverlauf und die wettbewerbsver-
zerrenden Mineralölsteuererstattungen zugunsten des
Güterkraftverkehrsgewerbes in Frankreich und in Italien
zu beenden, werden – aufgrund der deutschen Zustim-
mungspflichtigkeit – mit dem Auslaufen der jetzigen Re-
gelung am Ende dieses Jahres mit Erfolg gekrönt wer-
den.
Eine weiter gehende Harmonisierung bei den Steuer-
sätzen wird auch mittelfristig nur schwer zu erreichen
sein, aber Geduld ist eine Tugend. Die Beharrlichkeit der
rot-grünen Bundesregierung wird auch hier ihre Erfolge
zeigen.
Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP): Die Bundes-
regierung hat für den vorliegenden Bericht über die Situ-
ation des deutschen Güterkraftverkehrsgewerbes im eu-
ropäischen Wettbewerb dreieinhalb Jahre gebraucht.
Allerdings widersprechen die Angaben der Realität und
es steht auch nichts Neues darin. Eigentlich hätten Sie
sich einen solchen Bericht sparen können. Daher werde
ich auch nicht müde, Sie auf die vorherrschenden Tat-
sachen im Güterkraftverkehrsgewerbe hinzuweisen.
Falls Sie Zahlen oder Details wünschen, brauchen Sie
bloß in unseren Antrag von vor einem Jahr zu schauen,
in dem wir einen fairen Wettbewerb für das deutsche
Güterkraftverkehrsgewerbe in Europa fordern.
Das Dauerthema Maut ist noch lange nicht „abge-
hakt“, sondern nur etwas in den Hintergrund gerückt.
Nach meinen in der letzten Woche gemachten Erfahrun-
gen in einer Spedition, bei denen ganz klar wurde, dass
die alten Probleme mit der Software wieder auftreten,
würde ich nicht auf einen Erfolg Anfang 2005 wetten.
Wahrscheinlich würde dies keiner hier.
Neben den technischen Pannen gab und gibt es einen
weiteren Skandal um die LKW-Maut, der schon fast
wieder in Vergessenheit geraten ist. Die rot-grüne
Bundesregierung hat die geplanten Mauteinnahmen
nicht zu dringend notwendigen Aufstockungen der bis-
herigen Investitionsansätze verwendet. Sie hat vielmehr,
wie die im Sommer vorgelegte mittelfristige Finanzpla-
nung zeigt, im gleichen bzw. in noch größerem Umfang
die bisherigen steuerfinanzierten Investitionsansätze für
den Straßenbau gesenkt. Das ist ein klarer Verstoß gegen
den „Mautkompromiss“, der im Frühjahr 2003 mit dem
Bundesrat ausgehandelt wurde. Ich darf daran erinnern,
dass damals einzig und allein die FDP-Bundestagsfrak-
tion dem „Mautkompromiss“ nicht zugestimmt hat mit
der Begründung, die Bundesregierung werde sich er-
kennbar an ihre Versprechungen nicht halten.
Die Kürzung der Investitionsmittel steht in krassem
Gegensatz zur gestiegenen Steuerbelastung für den Stra-
ßenverkehr, unter dem ganz besonders das Transportge-
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erbe leidet. Leider ist im April die Ökosteuerklage des
GL vom Bundesverfassungsgericht abgewiesen wor-
en. Eine formalistische Betrachtungsweise hat dazu ge-
ührt, dass die existenzbedrohende Belastungswirkung
er Ökosteuer für die deutschen Transportunternehmen
erfassungsrechtlich nicht berücksichtigt wurde.
Das Gericht hat aber klargestellt, dass die Wettbe-
erbsbelastung für das deutsche Transportgewerbe of-
enkundig ist. Es ist Sache der Bundesregierung und des
esetzgebers, an der Beseitigung dieser Wettbewerbs-
achteile zu arbeiten. Leider sind nach wie vor keine
rnsthaften Bemühungen der Bundesregierung in diese
ichtungen zu erkennen. Tatsache ist, dass die Bundes-
egierung in wenigen Monaten, sofern die LKW-Maut
u Jahresbeginn startet, ihr altes Versprechen brechen
ird, zeitgleich mit der Mauteinführung einen bedeuten-
en Harmonisierungsschritt zu realisieren. Das vom
GL vorgeschlagene Mineralölsteueranrechnungsver-
ahren in Brüssel wurde vom juristischen Dienst der EU-
ommission abgeschmettert. Ein endgültiger Beschluss
teht zum Glück noch aus. Dies ist nicht zuletzt darauf
urückzuführen, dass die Bundesregierung nicht mit
em erforderlichen Nachdruck dieses Thema verfolgt
at. Wie dringlich Harmonisierungsschritte sind, zeigt
ie hohe Zahl der Insolvenzen im Transportgewerbe, die
ich leider in diesem Jahr auf Rekordniveau stabilisiert
aben.
In dem vorliegenden Bericht von 15 Seiten, für den
ie Bundesregierung sich fast vier Jahre Zeit genommen
at, ist anscheinend von einem anderen Land die Rede.
ie Situation wird mit einer teilweise angespannten
arktsituation im Güterkraftverkehrsgewerbe beschrie-
en. Es lägen auch keine Daten darüber vor, wie hoch
ie Zahl der ins Ausland verlagerten Arbeitsplätze sei.
ie vorliegenden Daten würden auch nicht aussagen,
ass „eine krisenhafte Marktstörung vorliege“, sie deute-
en lediglich auf „wirtschaftliche Schwierigkeiten in Tei-
en des Straßengüterverkehrsgewerbes hin“. Nationale
teuerhoheit geht laut dem Bericht vor Steuerharmoni-
ierung, die Ausrichtung auf Infrastrukturfinanzierung
rfordere „weiteres Umdenken“.
Mit einer derartigen Haltung stoppen Sie weder den
raurigen Insolvenzrekord in der Transportbranche noch
elfen Sie den Unternehmen, ihre Mitarbeiter zu halten.
enn Sie es schon in Deutschland nicht schaffen, den
nternehmern im Güterkraftverkehrsgewerbe eindeutig
ur Seite zu stehen, wie wollen Sie das in Brüssel schaf-
en?
Ähnlich phlegmatisch verhält sich die Bundesregie-
ung bezüglich der Sozialvorschriften für Tätigkeiten im
raftverkehr. Der vorliegenden Beschlussempfehlung
es Ausschusses bezüglich des Vorschlags des Europäi-
chen Parlaments hat die FDP-Bundestagsfraktion zwar
ugestimmt. Aber wir haben die Bundesregierung auch
arauf hingewiesen, dass es sinnvoller ist, unsere euro-
äischen Nachbarn von einer höheren Kontrollquote zur
urchsetzung der Sozialvorschriften zu überzeugen, die
n Deutschland schon längst erreicht wurde. Stattdessen
ird tatsächlich über die Einführung neuer Behörden
achgedacht.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Oktober 2004 12151
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(B) )
Angelika Mertens, Parl. Staatssekretärin beim Bun-
desminister für Verkehr-, Bau und Wohnungswesen: Die
Bundesregierung kommt hiermit einer Aufforderung des
Deutschen Bundestagses nach, einen Bericht über die Si-
tuation des deutschen Güterkraftverkehrsgewerbes vor-
zulegen. Ich will Ihnen heute nur die bedeutsamsten In-
halte mitteilen.
Das Transportgewerbe befindet sich aufgrund der
Liberalisierung des europäischen Verkehrsmarktes seit
Anfang der 90er-Jahre vor großen Herausforderungen.
Es muss sich wie weite Teile des produzierenden Gewer-
bes veränderten Rahmenbedingungen anpassen. Dabei
muss man wissen, dass die Liberalisierung seinerzeit
ohne ausreichende Harmonisierung wesentlicher Wett-
bewerbsparameter vollzogen wurde, die heute in einer
erweiterten EU immer schwieriger nachzuholen ist.
Außerdem hat die Öffnung der osteuropäischen Märkte
zu einem stetig wachsenden Wettbewerbs- und Preis-
druck geführt. Mit der EU-Erweiterung am l. Mai 2004
sind neue, größere und damit attraktivere Märkte ent-
standen, die nicht nur, aber insbesondere für unser
Transportgewerbe Chancen und Risiken beinhalten.
Das Verkehrswachstum findet nach wie vor zum
größten Teil auf der Straße statt. Gründe dafür sind ein
rückläufiges Aufkommen von Massengütern und die Zu-
nahme des Transportes von höherwertigen Gütern. Diese
Entwicklung eröffnet aber dem Gewerbe auch neue
Chancen: Der Transport kleinerer Sendungsgrößen wird
ebenso zunehmen wie die zeitgerechtere und kurzfristi-
gere Anlieferung von Gütern, also die Just-in-time-Ab-
wicklung. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung so-
wie durch den Wettbewerbs- und Preisdruck ist eine
Situation entstanden, in der die Unternehmen des Ge-
werbes unter anderem die Auslastungsgrade ihrer Fahr-
zeugflotten verbessert und den Ablauf und die Zusam-
menstellung von Touren optimiert haben. Auch erfolgen
Spezialisierungen für wachsende Marktsegmente mit der
Folge, kostengünstiger anbieten zu können. Nicht zu
vergessen ist: Die verladende Wirtschaft profitiert von
dieser Kostenentlastung.
Nun komme ich zum Kernpunkt, zu den Problemen.
Erstens: Personalkosten. Hinsichtlich des für deutsche
Unternehmen größten Kostenblocks der Personalkosten
– er macht rund 30 Prozent der Gesamtkosten aus – ist
im Zusammenhang mit der Konkurrenz aus den MOE-
Staaten festzustellen, dass die niedrigere Produktivität in
diesen Staaten ihren Ausdruck auch in niedrigeren Löh-
nen für die Fahrer findet und somit zu niedrigeren Trans-
portkosten führt. Dadurch wandern lohnintensive
Dienstleistungen geringer Qualifikation nach den Geset-
zen der Wirtschaft in weniger entwickelte Länder ab.
Das betrifft auch den grenzüberschreitenden Straßen-
gütertransport. Es ist somit durchaus nachvollziehbar,
dass das nationale Verkehrsgewerbe erneut und aufgrund
der niedrigen Lohnkosten in den neuen Mitgliedstaaten
verstärkt fürchtet, dass es einem harten Wettbewerb aus-
gesetzt wird. Deswegen hat sich die Bundesregierung in
den Beitrittsverhandlungen – was Kabotage anbelangt –
erfolgreich für einen sozialverträglichen Übergang ein-
gesetzt.
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Zweitens: Harmonisierung der Mineralöl- und Kraft-
ahrzeugsteuer. Angesichts bestehender Kostennachteile
eutscher Fuhrunternehmen im europäischen Straßen-
erkehr wird insbesondere vom Straßengüterverkehrsge-
erbe eine verstärkte Harmonisierung im Bereich der
ineralöl- und Kraftfahrzeugsteuer gefordert. Wir – die
undesregierung – stimmen diesem Ansatz grundsätz-
ch zu. Wir müssen jedoch darauf hinweisen, dass der
unsch nach Steuerharmonisierung mit dem Bestreben
ollidiert, die nationale Steuerhoheit zu wahren. Außer-
em zeigt die Erfahrung, dass die Staaten mit ihren
teuersystemen auch unterschiedlichen Lebensgewohn-
eiten und Mentalitäten ihrer Einwohner Rechnung tra-
en. Auch bei uns wird zum Beispiel die Neuausrichtung
er Infrastrukturfinanzierung noch weiteres Umdenken
rfordern.
Um diesen Problemen zu begegnen, ergreift die Bun-
esregierung folgende Maßnahmen:
Erstens: Subventionswettläufe beenden. Ziel der Bun-
esregierung ist es zunächst, den Subventionswettlauf zu
eenden, das heißt, die wettbewerbsverzerrenden Mine-
alölsteuererstattungen zugunsten des Güterkraftver-
ehrsgewerbes in Frankreich und Italien spätestens zum
nde dieses Jahres endgültig auslaufen zu lassen. Ohne
nsere Zustimmung ist eine weitere Verlängerung nicht
öglich. Solange aber auf dem Gebiet der Steuern für
eschlüsse des Rates nach wie vor Einstimmigkeit not-
endig ist, dürften aufgrund der divergierenden Haltung
er Mitgliedstaaten der EU Fortschritte bei einer Harmo-
isierung auf höherem Niveau – das darf nicht vergessen
erden – auch mittelfristig nur schwer zu erreichen sein.
Zweitens: Einführung der LKW-Maut. Mit der LKW-
aut erwarten wir für unsere Transportunternehmen
ine Verringerung bestehender Nachteile, da in Zukunft
uch ausländische Nutzer bzw. Billiganbieter auf deut-
chen Autobahnen zu einem verursachergerechteren We-
ekostenbeitrag herangezogen werden. Wir gehen mit
er LKW-Maut auch einen weiteren Schritt in Richtung
hancengleichheit zwischen den verschiedenen Ver-
ehrsträgern.
Schließlich bedeutet die Maut auch den Einstieg in
inen Systemwechsel von der Haushaltsfinanzierung zur
rgänzenden Nutzerfinanzierung.
Insbesondere verfolgen wir entsprechend den Be-
chlüssen des Deutschen Bundestages und Bundesrates
m Hinblick auf die Wettbewerbsbedingungen im euro-
äischen Güterkraftverkehr Harmonisierungsmaß-
ahmen in Höhe von jährlich 600 Millionen Euro zu
ewähren. Vorrangige Harmonisierungsmaßnahme ist
as Mautermäßigungsverfahren, das heißt, die teilweise
ndirekte Anrechnung von in Deutschland gezahlter
ineralölsteuer in Form von Mautgutschriften. Wir ha-
en das Vorhaben gegenüber der EU-Kommission notifi-
iert. Die Kommission hat hierzu ein beihilferechtliches
auptprüfungsverfahren eröffnet.
Die Bundesregierung hat das Konzept intensiv mit
en deutschen Verbänden abgestimmt und in zahlreichen
esprächen auf allen Ebenen gegenüber der Kom-
ission vertreten. Sollte die Kommission in diesem
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Prüfverfahren zu dem Ergebnis kommen, dass mit dem
Mautermäßigungsverfahren das Harmonisierungsvolu-
men von 600 Millionen Euro nicht bzw. nicht in vollem
Umfang umgesetzt werden darf, werden wir uns für die
beihilferechtliche Genehmigung anderer Harmonisie-
rungsmaßnahmen einsetzen. Hierzu gehört insbeson-
dere die Absenkung der Kraftfahrzeugsteuer für schwere
Nutzfahrzeuge oder die Gewährung einer Investitionszu-
lage für die vorzeitige Anschaffung von besonders emis-
sionsarmen LKW durch ein Innovationsprogramm für
das Transportgewerbe.
Schließlich ist nicht zu vergessen: Im nichtfiskali-
schen Bereich sind vor allem Anstrengungen gegen ille-
gale und graue Kabotage zu unternehmen. Damit ver-
bunden ist die gezielte Kontrolle der Einhaltung der
einschlägigen Vorschriften einschließlich der wirksamen
Sanktionierung von Regelverstößen. Die Bundesregie-
rung hat gerade im nichtfiskalischen Bereich mit dem
von ihr initiierten und inzwischen in Kraft getretenen
Gesetz zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung im
gewerblichen Güterkraftverkehr eine wichtige Harmoni-
sierungsmaßnahme realisiert.
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132. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 21. Oktober 2004
Inhalt:
Redetext
Anlagen zum Stenografischen Bericht
Anlage 1
Anlage 2
Anlage 3
Anlage 4
Anlage 5
Anlage 6
Anlage 7