Anlage 14
        Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2004 11839
        (A) )
        (B) )
        sammlung der OSZE Faizabad konnte nicht hinreichend begründet werden.
        ** für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver-
        Die Notwendigkeit einer militärischen Präsenz in
        Anlage 1
        Liste der entschuldigten Abgeordneten
        * für die Teilnahme an der 111. Jahreskonferenz der Interparlamenta-
        rischen Union
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        Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich
        Barnett, Doris SPD 30.09.2004**
        Dr. Böhmer, Maria CDU/CSU 30.09.2004
        Fuchtel, Hans-Joachim CDU/CSU 30.09.2004*
        Grill, Kurt-Dieter CDU/CSU 30.09.2004**
        Hilbrecht, Gisela SPD 30.09.2004
        Kauder (Bad Dürrheim),
        Siegfried
        CDU/CSU 30.09.2004
        Kramer, Rolf SPD 30.09.2004**
        Krüger-Leißner,
        Angelika
        SPD 30.09.2004*
        Parr, Detlef FDP 30.09.2004
        Piltz, Gisela FDP 30.09.2004
        Raidel, Hans CDU/CSU 30.09.2004**
        Rauber, Helmut CDU/CSU 30.09.2004**
        Ronsöhr, Heinrich-
        Wilhelm
        CDU/CSU 30.09.2004
        Rühe, Volker CDU/CSU 30.09.2004
        Scharping, Rudolf SPD 30.09.2004
        Schauerte, Hartmut CDU/CSU 30.09.2004
        Schily, Otto SPD 30.09.2004
        Schöler, Walter SPD 30.09.2004
        Straubinger, Max CDU/CSU 30.09.2004
        Welt, Jochen SPD 30.09.2004
        Winkler, Josef Philip BÜNDNIS 90/
        DIE GRÜNEN
        30.09.2004*
        Dr. Winterstein, Claudia FDP 30.09.2004
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        Anlagen zum Stenografischen Bericht
        nlage 2
        Erklärung nach § 31 GO
        der Abgeordneten Dr. Gerd Müller, Kurt J.
        Rosmanith, Ilse Aigner, Artur Auernhammer,
        Marion Selb, Dr. Klaus Rose, Melanie Oßwald,
        Dr. Wolfgang Götzer, Johannes Singhammer,
        Marlene Mortler, Matthäus Strebl, Barbara
        Lanzinger, Doris Meyer (Tapfheim), Dr. Georg
        Nüßlein, Norbert Geis, Ernst Hinsken, Franz
        Obermeier, Eduard Lintner, Hans Michelbach,
        Gerhard Wächter, Wilhelm Josef Sebastian,
        Georg Girisch, Hannelore Roedel, Leo
        Dautzenberg, Heinz Seiffert, Georg
        Fahrenschon, Beatrix Philipp, Alexander
        Dobrindt, Henry Nitzsche, Dr. Peter Jahr,
        Bernward Müller (Gera), Werner Lensing,
        Andreas Scheuer, Norbert Barthle, Axel E.
        Fischer (Karlsruhe-Land), Klaus-Peter Willsch,
        Rudolf Kraus, und Ernst-Reinhard Beck (Reut-
        lingen), (alle CDU/CSU) zur namentlichen Ab-
        stimmung über den Antrag der Bundesregie-
        rung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter
        deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer In-
        ternationalen Sicherheitsunterstützungstruppe
        in Afghanistan unter Führung der NATO auf
        Grundlage der Resolutionen 1386 (2001) vom
        20. Dezember 2001, 1413 (2002) vom 23. Mai
        2002, 1444 (2002) vom 27. November 2002, 1510
        (2003) vom 13. Oktober 2003 und 1563 (2004)
        vom 17. September 2004 des Sicherheitsrats der
        Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 5 a)
        Wir stimmen der Fortführung der deutschen Beteili-
        ung am Einsatz einer internationalen Sicherheitsunter-
        tützungstruppe in Afghanistan „ISAF“ zu. Die Stabili-
        ierung Afghanistans, die Durchführung von Wahlen
        nd die Fortsetzung des verfassungsmäßigen Prozesses
        iegen im Sicherheitsinteresse der internationalen Ge-
        einschaft und Deutschlands. Die durch den verbunde-
        en Beschluss vorgenommene Erweiterung des Einsat-
        es auf die Region Faizabad lehnen wir ab. Eine Vielzahl
        on Fragen und Bedenken gegen die Erweiterung des
        insatzes über Kabul hinaus konnten nicht hinreichend
        usgeräumt werden:
        Die Erweiterung des Auftrages der Bundeswehr auf
        ie Region Faizabad lässt sich weder durch ein nachhal-
        iges politisches noch ein in sich schlüssiges militäri-
        ches Konzept begründen. Zu den nicht ausgeräumten
        ritikpunkten und Bedenken zählen insbesondere die
        mmer instabilere Sicherheitslage, die sich rapide aus-
        eitende Rauschgiftproduktion, die nur schleppend ver-
        aufende Demobilisierung und Entwaffnung der Milizen
        owie die fehlende Akzeptanz unter den Bündnispart-
        ern hinsichtlich eines flächendeckenden Einsatzes der
        egionalen Wiederaufbauteams, PRT.
        11840 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2004
        (A) )
        (B) )
        Anzahl, personelle Zusammensetzung und die materielle
        Ausstattung unserer Soldaten in Faizabad bleiben hinter
        den notwendigen Anforderungen zurück. Insbesondere
        fehlen die infrastrukturellen Rahmenbedingungen eines
        Feldlagers, das aufgrund finanzieller Mittelkürzung des
        BMVg erst im Herbst 2005 fertig gestellt ist. Die bei
        Auslandseinsätzen üblichen Standards für medizinische
        und Notfallevakuierungen sind in Faizabad nicht erfüllt.
        Die dargelegte Evakuierungsstrategie offenbart begrün-
        dete Zweifel am Sicherheitskonzept.
        Namhafte zivile Organisationen, NGOs, lehnen eine
        Unterstützung der zivilen Aufbauarbeit in Afghanistan
        durch die Bundeswehr weiterhin ab. Die Koordinierung
        und die Kooperation der am Wiederaufbau Afghanistans
        beteiligten Ressorts der Bundesregierung, insbesondere
        der Entwicklungshilfeministerin, mit der Bundeswehr
        sind mangelhaft.
        Anlage 3
        Erklärung nach § 31 GO
        der Abgeordneten Daniel Bahr (Münster),
        Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst
        Burgbacher, Helga Daub, Jörg van Essen,
        Ulrike Flach, Otto Fricke, Horst Friedrich
        (Bayreuth), Rainer Funke, Dr. Wolfgang
        Gerhardt, Hans-Michael Goldmann, Joachim
        Günther (Flauen), Dr. Karlheinz Guttmacher,
        Dr. Christel Happach-Kasan, Christoph
        Hartmann (Homburg), Klaus Haupt, Birgit
        Homburger, Dr. Werner Hoyer, Michael Kauch,
        Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb,
        Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Ina Lenke,
        Dirk Niebel, Günther Friedrich Nolting, Hans-
        Joachim Otto (Frankfurt), Eberhard Otto (Go-
        dern), Cornelia Pieper, Gisela Piltz, Dr. Andreas
        Pinkwart, Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Max
        Stadler, Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele,
        Dr. Dieter Thomae, Jürgen Türk, Dr. Guido
        Westerwelle, Dr. Claudia Winterstein und
        Dr. Volker Wissing (alle FDP) zur namentlichen
        Abstimmung über den Antrag der Bundesregie-
        rung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter
        deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer In-
        ternationalen Sicherheitsunterstützungstruppe
        in Afghanistan unter Führung der NATO auf
        Grundlage der Resolutionen 1386 (2001) vom
        20. Dezember 2001, 1413 (2002) vom 23. Mai
        2002, 1444 (2002) vom 27. November 2002, 1510
        (2003) vom 13. Oktober 2003 und 1563 (2004)
        vom 17. September 2004 des Sicherheitsrats der
        Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 5 a)
        Der Deutsche Bundestag stimmte am 24. Oktober 2003
        mehrheitlich dem Antrag der Bundesregierung zur Fort-
        setzung und Erweiterung der Beteiligung bewaffneter
        deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer internationa-
        len Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan
        (ISAF) auf (Drucksache 15/1700) zu. Die Mitglieder der
        FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag, die den Antrag
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        er Bundesregierung mit einer Ausnahme ablehnten,
        aren nicht gegen den zur Verlängerung anstehenden
        insatz der Bundeswehr in Kabul und Umgebung, son-
        ern sie lehnten ausdrücklich nur die Erweiterung des
        andats um den neuen Einsatz als Provincial Re-
        onstruction Team – PRT – in der Region Kunduz ab.
        ufgrund der Zusammenfassung zweier unterschiedli-
        her Einsätze in nur einem Antrag waren sie jedoch ge-
        wungen, auch den von ihnen für sinnvoll und notwen-
        ig erachteten Einsatz in und um Kabul abzulehnen.
        hne Befassung des Deutschen Bundestages richtete die
        undesregierung zwischenzeitlich ein zweites PRT in
        aizabad ein, das am 1. September 2004 offiziell die Ar-
        eit aufnahm.
        Im jetzt zur Abstimmung vorliegenden Antrag der
        undesregierung auf Drucksache 15/3712 ist wieder
        ine Zusammenfassung aller Bundeswehreinsätze im
        ahmen der ISAF vorgenommen worden, obwohl die
        DP-Fraktion eine Trennung angeregt hatte. Die FDP-
        raktion unterstützt ausdrücklich den Bundeswehrein-
        atz zur Stärkung der Zentralregierung Afghanistans in
        abul. Sie spricht sich darüber hinaus ebenso ausdrück-
        ich für die Stabilisierung und den Wiederaufbau des
        anzen Landes aus. Hierfür muss jedoch vorher ein trag-
        ähiges und von der Staatengemeinschaft tatkräftig un-
        erstütztes Gesamtkonzept erarbeitet werden, auf dessen
        rundlage eine massive Bekämpfung des Drogenanbaus
        benso geleistet werden kann wie eine sinnvolle Ent-
        icklungshilfe und ein umfassender Wiederaufbau.
        nlage 4
        Erklärung nach § 31 GO
        der Abgeordneten Harald Leibrecht und
        Markus Löning (beide FDP) zur namentlichen
        Abstimmung über den Antrag der Bundesregie-
        rung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter
        deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer In-
        ternationalen Sicherheitsunterstützungstruppe
        in Afghanistan unter Führung der NATO auf
        Grundlage der Resolutionen 1386 (2001) vom
        20. Dezember 2001, 1413 (2002) vom 23. Mai
        2002, 1444 (2002) vom 27. November 2002, 1510
        (2003) vom 13. Oktober 2003 und 1563 (2004)
        vom 17. September 2004 des Sicherheitsrats der
        Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 5 a)
        Wir teilen die Bedenken der Mehrheit der FDP-Frak-
        ion, was die mangelnde internationale Unterstützung für
        ie Fortsetzung des Einsatzes in Kunduz und Faizabad
        ngeht. Dies betrifft insbesondere die fehlende Bereit-
        chaft weiterer NATO-Partner, neue PRTs in Afghanis-
        an zu errichten.
        Dennoch ist unverkennbar, dass ein Abzug der Trup-
        en jetzt, unmittelbar vor den Präsidentschaftswahlen,
        ie Situation destabilisieren und ein falsches politisches
        ignal setzen würde.
        Wir halten den Bundeswehreinsatz in Kabul zur Stär-
        ung der Zentralregierung Afghanistans für sinnvoll und
        Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2004 11841
        (A) )
        (B) )
        sehen in ihm einen wichtigen Beitrag für die Stabilisie-
        rung und den Wiederaufbau des Landes.
        Unter Abwägung aller Aspekte stimmen wir dem An-
        trag der Bundesregierung zu.
        Anlage 5
        Erklärung nach § 31 GO
        der Abgeordneten Veronika Bellmann (CDU/
        CSU) zur namentlichen Abstimmung über den
        Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der
        Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte
        an dem Einsatz einer Internationalen Sicher-
        heitsunterstützungstruppe in Afghanistan unter
        Führung der NATO auf Grundlage der Resolu-
        tionen 1386 (2001) vom 20. Dezember 2001,
        1413 (2002) vom 23. Mai 2002, 1444 (2002) vom
        27. November 2002, 1510 (2003) vom 13. Okto-
        ber 2003 und 1563 (2004) vom 17. September
        2004 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen
        (Tagesordnungspunkt 5 a)
        Ich stimme der Fortsetzung des ISAF-Afghanistan-
        Mandates der Bundeswehr nur unter allerhöchsten Be-
        denken zu. Die Sicherheit der Soldaten sei gewährleistet,
        so der Bundesverteidigungsminister und seine Generali-
        täten. Für Kabul mag das zutreffen, für Kunduz schon
        weniger. Für Faizabad und andere geplante afghanische
        Einsatzorte für die Bundeswehr halte ich diese Aussage
        für kaum zutreffend. Das beweist unter anderem der ges-
        trige Anschlag auf den Stützpunkt der Bundeswehr in
        Kunduz.
        Der Einsatz der Bundeswehr im Rahmen von ISAF ist
        wichtig für die Stabilisierung der Region, insbesondere
        im Hinblick auf die bevorstehenden Wahlen in Afgha-
        nistan. Allerdings muss das Konzept dringend überdacht
        werden, insbesondere unter Berücksichtigung der aktu-
        ellen Sicherheitslage. Kritikpunkte sind hierbei unter an-
        derem die nicht flächendeckende Struktur der regionalen
        Wiederaufbauteams (PRT), die meines Erachtens nicht
        der krisenhaften Situation angepasste Ausrüstung und
        Ausbildung der Bundeswehrsoldaten, die Korruption in-
        folge der quasi kaum stattfindenden internationalen Dro-
        genbekämpfungspolitik sowie die außerordentlich
        mangelhafte Abstimmung und Effizienz deutscher Ver-
        teidigungspolitik mit der deutschen Außen- und insbe-
        sondere der deutschen Entwicklungshilfepolitik. Ohne
        eine zukünftige Beseitigung dieser Mängel werden wei-
        tere einfache Mandatsverlängerungen zu einer Farce
        bzw. zu einem Sicherheitsrisiko für die dort eingesetzten
        Soldaten.
        Anlage 6
        Erklärung nach § 31 GO
        des Abgeordneten Wolfgang Börnsen
        (Bönstrup) (CDU/CSU) zur namentlichen Ab-
        stimmung über den Antrag der Bundesregie-
        rung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter
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        deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer In-
        ternationalen Sicherheitsunterstützungstruppe
        in Afghanistan unter Führung der NATO auf
        Grundlage der Resolutionen 1386 (2001) vom
        20. Dezember 2001, 1413 (2002) vom 23. Mai
        2002, 1444 (2002) vom 27. November 2002, 1510
        (2003) vom 13. Oktober 2003 und 1563 (2004)
        vom 17. September 2004 des Sicherheitsrats der
        Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 5 a)
        Ich stimme gegen die Fortsetzung der Beteiligung be-
        affneter deutscher Soldaten in Afghanistan. Ich halte
        as von der Bundesregierung vorgelegte Konzept für
        ragwürdig, falsch und zu gefährlich für die Soldaten un-
        eres Landes.
        Kunduz ist und bleibt eine Krisenregion. Taliban-
        ämpfer, kriminelle Banden, Privatarmeen der hier herr-
        chenden Drogenbarone verschärfen ebenso die Risiko-
        age wie die Milizionäre des ehemaligen Ministerpräsi-
        enten Hekmatyar, der vehement die Zentralregierung in
        abul bekämpft.
        Es ist fragwürdig, falsch und fahrlässig, deutsche Sol-
        aten weiterhin hier zu stationieren. Durch die anstehen-
        en Präsidentschaftswahlen werden die Anschläge zu-
        ehmen. Die geäußerten Drohungen der Taliban können
        chon bald Realität sein. Mehr als 100 Soldaten der Ver-
        ündeten sind allein in den vergangenen drei Jahren in
        abul im Hauptstadteinsatz getötet bzw. schwer verletzt
        orden. Auch Landsleute von uns gehören zu den bekla-
        enswerten Opfern.
        Kunduz, dort wo die Bundeswehr befrieden soll, ist
        ine der Hochburgen des Opiumanbaus. Gut 30 Prozent
        er Bevölkerung sehen in der Drogenbewirtschaftung
        hre Existenzgrundlage. Da es, wie der zuständige kana-
        ische ISAF-Kommandeur erklärte, nicht Aufgabe der
        ATO ist, Mohnfelder niederzubrennen, ist die paradoxe
        ituation entstanden, dass durch den Schutz Tausender
        lliierter Soldaten der Anbau, Handel und Schmuggel
        it Drogen besser blüht als je zuvor. Welch ein Wider-
        inn! In unserem eigenen Land finanzieren wir für circa
        00 000 Abhängige kostenaufwendige Anti-Drogen-
        ampagnen und gleichzeitig sorgen die Sicherheitsmaß-
        ahmen deutscher Soldaten in Kunduz für mehr Opium-
        nbau-Möglichkeiten. Wer um die Not und das Elend
        on Drogenabhängigen weiß, muss diesen Zustand als
        kandal empfinden. Die Engländer, die ihre regionale
        iederaufbauarbeit durch ein Drogenbekämpfungspro-
        ramm optimieren wollten, haben bei dieser Lage kapi-
        uliert.
        Zu einer Verringerung des Schlafmohnanbaus ist es
        uch nicht gekommen, als die UN 2002 den Versuch un-
        ernahm, die Verarbeitung der Mohnsamen zu Heroin
        urch Aufkaufen der Mohnernte bei den Bauern zu ver-
        indern. Das Gegenteil ist eingetreten. Die Bauern fühl-
        en sich ermutigt, 2003 noch mehr Mohn anzubauen.
        ach Angaben des Büros der UN für Drogen und Ver-
        rechen hat der Mohnanbau auf 28 der 32 afghanischen
        rovinzen übergegriffen. Im Jahr 2001 waren es noch
        4 Provinzen. Experten schätzen den Einkommensanteil
        ür die Erzeuger 2003 auf gut l Milliarde Dollar.
        11842 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2004
        (A) )
        (B) )
        Es ist durch militärische Gewalt gelungen, den inter-
        nationalen Terror, der aus Afghanistan kam, zu zerschla-
        gen; aber nur durch den Dauereinsatz der US-Armee gibt
        derzeit weniger Konflikte.
        Die provisorische Zentralregierung kann sich nur mit-
        hilfe der ausländischen Streitkräfte im Amt halten. Doch
        um die Lage in diesem Land auch für die Soldaten siche-
        rer zu machen, müsste man nach einem Bericht des
        Henry L. Stimson Center die Anzahl der Truppen außer-
        halb Kabuls auf rund 18 000 verdreifachen. Dafür fehlt
        es an Geld, und so bleibt es bei halbherzigen Entschei-
        dungen. Auch die NATO-Konferenz in der Türkei hat
        nichts daran geändert. Im Gegenteil: Das reduzierte En-
        gagement verschärft die Krise. Auch gibt es keine klare
        Rechtslage für die Drogenbekämpfung und Beschnei-
        dung der Macht der Regionalfürsten. Zudem sind die
        Verbündeten sich nicht einig in ihrem Vorgehen, trotz
        der Einrichtung einer Lenkungsgruppe für den Wieder-
        aufbau (ARSG) unter Leitung der USA, Japans und
        Saudi-Arabiens. Einen Zeitplan zum Ausstieg gibt es
        nicht. Experten sehen noch in zehn Jahren Soldaten der
        NATO in Afghanistan.
        Unabhängig davon dürfen wir in unserem Land nicht
        der Frage nach den deutschen Interessen in Afghanistan
        ausweichen. Das gilt besonders für die Bundesregierung
        und alle Fraktionen im Bundestag. Es fehlt seit Jahren an
        einer Grundsatzdebatte zu diesem Sachverhalt.
        Welche nationalen Überlegungen rechtfertigen es,
        dass Regierung und Parlament Soldaten der Bundeswehr
        zumuten, ihr Leben in einem fremden Land zu wagen, zu
        verlieren, zu opfern? Kann dem Terrorismus nur so und
        nicht anders begegnet werden? Nein, militärische
        Gewalt als einziges Instrument ist eine Absage an politi-
        sches Handeln. Abzug, bevor ein neues Unglück ge-
        schieht, das Gebot der Stunde. Es darf nicht weiter im
        Hindukusch gestorben werden.
        Anlage 7
        Erklärung nach § 31 GO
        des Abgeordneten Ulrich Heinrich (FDP) zur
        namentlichen Abstimmung über den Antrag
        der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteili-
        gung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem
        Einsatz einer Internationalen Sicherheitsunter-
        stützungstruppe in Afghanistan unter Führung
        der NATO auf Grundlage der Resolutionen
        1386 (2001) vom 20. Dezember 2001, 1413
        (2002) vom 23. Mai 2002, 1444 (2002) vom
        27. November 2002, 1510 (2003) vom 13. Okto-
        ber 2003 und 1563 (2004) vom 17. September
        2004 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen
        (Tagesordnungspunkt 5 a)
        Ich gehe davon aus, dass die vergangenen drei Afgha-
        nistan-Konferenzen die Grundlage und den Rahmen bil-
        den für den Einsatz der deutschen Streitkräfte, sodass
        ich, obwohl die europäischen Partner sich noch nicht in
        ausreichendem Maße an dem PRT-Netz beteiligen, ein
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        ichtverlängern des Einsatzes der Bundeswehr für au-
        enpolitisch verheerend halte; das ist dem afghanischen
        olk nicht zuzumuten. Deshalb stimme ich dem Antrag
        er Bundesregierung zu.
        Als Entwicklungspolitiker möchte ich auch klar und
        eutlich die Erfolge in den von uns betreuten Gebieten
        eststellen. Neben einem Ernährungssicherungspro-
        ramm seit Ende 2002 sind in der Region Kunduz ab
        ovember 2003 über die entwicklungsorientierte Not-
        ilfe etliche Projekte für die soziale und wirtschaftliche
        ehabilitation und Entwicklung entstanden: Schulen,
        asisgesundheitseinrichtungen, Finanzierung von Klein-
        aßnahmen lokaler Initiativen mit Fokus auf Bildung,
        esundheit, Beschäftigungsförderung und Einkom-
        ensgenerierung sowie Unterstützung regionaler Frau-
        ninitiativen und zahlreiche Schulungen für Frauen und
        ädchen. Seit 2001 sind mehr als 3,6 Millionen Binnen-
        ertriebene und Flüchtlinge zurückgekehrt. Die Siche-
        ung der Wahlen ist nur möglich, wenn die internationale
        taatengemeinschaft ihre Versprechen in Afghanistan
        ält.
        nlage 8
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung der Unterrichtung: Tätigkeitsbe-
        richt 2001 und 2002 des Bundesbeauftragten
        für den Datenschutz – 19. Tätigkeitsbericht –
        (Tagesordnungspunkt 11)
        Barbara Wittig (SPD): Der inzwischen 19. Tätig-
        eitsbericht des Bundesbeauftragten für den Datenschutz
        iegt vor, die Bundesregierung hat dazu Stellung genom-
        en, und wir, die Abgeordneten im federführenden In-
        enausschuss, werden uns in den nächsten Wochen in-
        ensiv mit dem Bericht befassen.
        Das ist keine einfache Aufgabe, beträgt der Berichts-
        eitraum zwei Jahre – nämlich 2001 und 2002 – und wer
        as Inhaltsverzeichnis auch nur überfliegt, kann feststel-
        en, dass neben den datenschutzrechtlichen Kontrollen
        ie Beratung der öffentlichen Stellen des Bundes, aber
        uch der Bundesregierung und des Bundestages in Fra-
        en des Datenschutzes einen großen Raum einnehmen.
        Dafür sei an dieser Stelle Dank gesagt. An erster
        telle möchte ich Herrn Dr. Jacob nennen, der in seiner
        ehnjährigen Amtszeit als oberster Datenschützer im-
        erhin fünf Berichte vorgelegt hat. Der Dank gilt aber
        uch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Hause
        es Bundesbeauftragten und allen mit dem Datenschutz
        n den Ministerien befassten Beamten und Angestellten.
        s war stets ein konstruktives Miteinander.
        Auch für Herrn Schaar, der Anfang des Jahres in die
        ußstapfen von Herrn Dr. Jacob getreten ist, steht kon-
        truktives Herangehen an die Fragen des Datenschutzes
        anz oben an. Und das ist auch gut so, ist doch der Da-
        enschutz eine Querschnittsaufgabe mit Ausstrahlung in
        lle gesellschaftlichen Bereiche.
        Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2004 11843
        (A) )
        (B) )
        Aus dem Bericht habe ich herausgelesen, dass im
        Berichtszeitraum wiederum vieles erreicht werden
        konnte hinsichtlich der Stärkung des Grundrechtes auf in-
        formationelle Selbstbestimmung. Ich bin auch froh da-
        rüber, dass die Grundprinzipien des Datenschutzes wie
        Datensparsamkeit, Datensicherheit, Transparenz, strikte
        Zweckbindung, Erforderlichkeit und Verhältnismäßig-
        keit nicht nur auf dem Papier stehen, sondern in der Pra-
        xis Beachtung finden.
        Schließlich geht es darum, das Persönlichkeitsrecht
        und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der
        Bürgerinnen und Bürger immer von Neuem zu sichern
        und weiterzuentwickeln, ohne zum Beispiel effizientes
        Verwaltungshandeln, die Sicherheit der Bürgerinnen und
        Bürger und damit unseres Landes sowie die freie Entfal-
        tung der wirtschaftlichen Kräfte und Möglichkeiten zu
        behindern – und das bei ständig sich verschärfenden
        neuen Herausforderungen. Der 11. September und die
        Bekämpfung des Terrorismus sind dafür die wesentli-
        chen Belege.
        Folgerichtig ist dem 11. September 2001 und seinen
        datenschutzrechtlichen Auswirkungen ein eigenes Kapi-
        tel im Bericht gewidmet, in dem der Bundesbeauftragte
        fragt, ob die Balance zwischen öffentlicher Sicherheit
        und Datenschutz bei den Sicherheitspaketen gestört sei,
        die von uns sofort auf den Weg gebracht wurden. Ich
        sage: Nein. Die Balance ist nicht gestört.
        Natürlich bin ich mir im Klaren darüber, dass es sich
        dabei immer um ein Spannungsfeld zwischen den
        Sicherheitsinteressen des Staates für seine Bürgerinnen
        und Bürger und den schutzwürdigen Freiheitsrechten des
        Einzelnen handelt. Die Maßnahmen zur Bekämpfung
        des internationalen Terrorismus waren aber unabweisbar.
        Die Bürgerinnen und Bürger erwarten zu Recht, dass al-
        les getan wird, sie selbst und unser Land zu schützen.
        Werfen wir noch einen Blick auf die Beanstandungen
        des Bundesbeauftragten, die er nach dem § 25 BDSG
        vorgenommen hat. In 22 Fällen beanstandet der Bundes-
        beauftragte Verstöße gegen datenschutzrechtliche Vor-
        schriften in der Bundesverwaltung sowie bei der Deut-
        schen Post AG. Wenn auch die Zahl der Beanstandungen
        gegenüber dem Durchschnitt der letzten Berichte gering-
        fügig gestiegen ist – 18. Tätigkeitsbericht: 14 Beanstan-
        dungen, 17. Tätigkeitsbericht: 21 Beanstandungen,
        16. Tätigkeitsbericht: 7 Beanstandungen und 15. Tätig-
        keitsbericht: 22 Beanstandungen –, sind die beanstande-
        ten Verstöße doch weder einzeln noch in ihrer Gesamtheit
        als gravierend einzustufen. Das zeugt nicht nur von ver-
        antwortungsbewusster Wahrnehmung der Tätigkeit des
        Bundesbeauftragten sondern auch der Bundesverwaltung
        und der öffentlichen Stellen des Bundes hinsichtlich des
        Umgangs mit dem Datenschutz.
        In diesem Sinne: Unsere Berichterstattergespräche
        sind terminiert, werden zügig verlaufen und weitere Fra-
        gestellungen des Datenschutzes im Spannungsfeld zwi-
        schen Freiheit und Sicherheit beleuchten. Eines ist aber
        auch klar: Datenschutz ist für uns unverzichtbar.
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        Beatrix Philipp (CDU/CSU): Es geht zwar heute nur
        m eine erste grundsätzliche Wertung des 19. Daten-
        chutzberichtes. Fraktionsübergreifend haben wir eine
        ntensive Beratung des Berichts vereinbart. Ich möchte
        edoch nicht verhehlen, dass wir einige, allerdings erheb-
        iche Probleme haben, die mit der grundsätzlichen Ein-
        tellung des neuen Datenschutzbeauftragten, Herrn
        chaar, zusammenhängen. Wir haben diese Bedenken
        rühzeitig und offen ausgesprochen und mussten, da sie
        icht ausgeräumt wurden, auch von der „guten Übung“
        bweichen, über alle Fraktionsgrenzen hinweg den Da-
        enschutzbeauftragten mitzuwählen. Das ist natürlich
        nabhängig vom Umgang untereinander zu sehen, der
        ffen und fair ist, darf aber nicht dazu führen, dass unter-
        chiedliche Auffassungen nicht ebenso offen und fair be-
        annt und auch diskutiert werden. Und an diesem Punkt
        ind wir jetzt.
        Der 19. Datenschutzbericht bezieht sich zwar noch
        uf die Amtszeit des von allen geschätzten Amtsvorgän-
        ers Herrn Dr. Jacob, aber „der Neue“ – Herr Schaar –
        egt ihn vor. Ich gehe also davon aus, dass er sich mit
        ext und Inhalt identifiziert und hinter diesem Bericht
        teht. Und so muss ich feststellen, dass sich die Unter-
        chiede in unseren Auffassungen, die sich seit seiner
        mtsübernahme bereits in konkreten Fragen zeigten,
        uch in diesem Bericht zu finden sind.
        Wenn ich von unterschiedlichen Auffassungen spre-
        he, dann nenne ich nur als Beispiel seine völllig überzo-
        enen und den Fakten unangemessenen datenschutz-
        echtlichen Bedenken zum Thema Fluggastdaten. Nicht
        inmal die sonst sehr „biegsame“ SPD-Fraktion konnte
        em von den Grünen durchgedrückten Datenschutzbe-
        uftragten und seiner Argumentation folgen – ein in die-
        em Hause doch recht seltener Vorgang der Uneinigkeit
        nter den Regierungskoalitionen. Aber in letzter Zeit
        äufen sich diese „Risse“, wenn ich nur an die gestrige
        iskussion zu den „Schilyministeriellen außereuropäi-
        chen Auffanglagern für Asylbewerber“ denke.
        Wer den Datenschutzbericht studiert, wird sehr
        chnell darauf stoßen, dass eine der sicherheitspoliti-
        chen Lage angemessene Reaktion des Datenschutzes
        ehlt. Im Gegenteil: Die bisherigen Verlautbarungen von
        errn Schaar seit seiner Amtsübernahme im Dezember
        003 deuten eher darauf hin, dass ohnehin problemati-
        che Positionen des Datenschutzbeauftragten eher weiter
        n Richtung eines Fundamentalismus deuten. Ich will es
        inmal so ausdrücken: Es verstärkt sich der Eindruck,
        ass Herr Schaar sich weniger als unabhängiger – über-
        arteilicher – Datenschutzbeauftragter empfindet, son-
        ern eher als grüner Datenschutzpolitiker.
        Ich nenne Ihnen ein paar Beispiele aus dem vorlie-
        enden Bericht: Herr Schaar hat bei vielen umstrittenen
        icherheitsrelevanten Themen des 19. Datenschutzbe-
        ichtes noch einen draufgesattelt. Ich habe den Eindruck,
        ass er an der Spitze derjenigen zu finden ist, die bei ak-
        uellen Problemen wie dem Schengen-lnformationsys-
        em II (SIS II) und dem europäischen Visa-Informations-
        ystem (VIS) eine koordinierte Arbeit der europäischen
        icherheitsbehörden möglichst erschweren wollen.
        ollte mein Eindruck falsch sein, finden Sie, meine
        11844 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2004
        (A) )
        (B) )
        Damen und Herren der Regierungsfraktionen, sicher
        eine Möglichkeit, mich vom Gegenteil zu überzeugen.
        Ich will hierzu einige exemplarische Problempunkte
        aus dem Bericht aufgreifen: Erstens. Schon im Daten-
        schutzbericht finden wir eine sehr kritische Haltung zur
        DNA-Analyse im Strafverfahren. In Teilbereichen wer-
        den formale Hürden aufgebaut, die völlig praxisfern sind
        und von der ganz überwiegenden Rechtsprechung nicht
        geteilt werden. Ich nenne als Beispiel die Forderung
        nach einer richterlichen Anordnung, selbst wenn eine
        wirksame Einwilligung des Untersuchten vorliegt. Um
        es für alle verständlich zu machen: Wir reden hier vom
        so genannten genetischen Fingerabdruck. Darunter ver-
        steht man die Untersuchung aller organischen Spuren,
        die ein Täter am Tatort hinterlässt. Dazu zählen Haare,
        Hautreste, Speichel, zum Beispiel an einem Zigaretten-
        stummel, gegebenenfalls Blut und Spermaspuren, wenn
        es sich um eine Sexualstraftat handelt. Werden diese
        Spuren gefunden, können sie im Labor ausgewertet und
        mit sehr hoher wissenschaftlicher Wahrscheinlichkeit für
        die endgültige Identifikation von Tatverdächtigen ver-
        wendet werden.
        Was meiner Ansicht nach mindestens ebenso wichtig
        ist: Durch die DNA-Analyse können sehr schnell, etwa
        bei Sexualdelikten, zu Unrecht verdächtigte Personen
        eindeutig entlastet werden. So kommt auch der Daten-
        schutzbericht nicht umhin, dieses Verfahren entspre-
        chend zu würdigen. Ich zitiere:
        Die DNA-Analyse hat sich binnen weniger Jahre zu
        einem außerordentlich effektiven kriminalistischen
        Instrument entwickelt und ist geradezu ein Symbol
        der Revolution in der Kriminaltechnik geworden.
        Sehr wahr, kann ich da nur sagen.
        Aber der Datenschutzbeauftragte Herr Schaar äußert
        zu diesem Thema ein Misstrauen, das in dieser Form
        schon fast als Beleidigung der Beamten der Staatsan-
        waltschaften und der Polizei gewertet werden muss. Ich
        zitiere aus einem veröffentlichten Vortrag des Herrn
        Schaar vom 3. Juni in Wiesbaden:
        Auch birgt das Verfahren der DNA-Analyse ein un-
        gleich höheres Gefährdungspotenzial in sich als das
        der Abnahme eines Fingerabdrucks.
        Und weiter:
        Gelangt das Material in die mit der Untersuchung
        beauftragten Labors, besteht die Gefahr, dass dort
        missbräuchlich auch die codierenden Teile der in
        den Zellen enthaltenen DNA untersucht werden
        und somit Rückschlüsse auf Persönlichkeitsmerk-
        male wie Eigenschaften und Aussehen gezogen
        werden.
        Solche Aussagen werfen ein ganz eigenartiges Licht auf
        Herrn Schaar und sein Verhältnis zu unserem Rechts-
        staat.
        Die Regeln zur DNA-Analyse im Bereich des Straf-
        rechts sind klar und eindeutig. Es werden ausschließlich
        die nicht codierenden Merkmale untersucht, und zwar
        ausschließlich zur Identitätsfeststellung. Die Beamten,
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        ie diese Untersuchungen veranlassen, haben einen Eid
        uf unsere Verfassung abgelegt und die Bundesrepublik
        ann stolz auf diese wichtige Säule des Gemeinwesens
        ein. Einen institutionalisierten Rechtsbruch, wie ihn
        err Schaar zu befürchten scheint, halte ich für undenk-
        ar. Durch die Gewaltenteilung ist überdies eine gericht-
        iche Kontrolle gewährleistet.
        Es ist unbestritten, dass die DNA-Analyse ein verläss-
        iches, effektives und unverzichtbares Mittel zur Aufklä-
        ung und Verhinderung von Straftaten ist. Die Befürch-
        ungen des Herrn Schaar sind in diesem Zusammenhang
        icht nachvollziehbar und stehen im krassen Gegensatz
        u der Auffassung namhafter Verfassungsrechtler.
        ürde man Herrn Schaar folgen und die positiven poli-
        eilichen Erfahrungen mit der DNA-Analyse im In- und
        usland negieren, brächten wir uns um ein äußerst wirk-
        ames Mittel der Verbrechensbekämpfung und -aufklä-
        ung.
        Die Union hat aufgrund dieser positiven Erfahrungen
        en Antrag „Verbrechen wirksam bekämpfen – Geneti-
        chen Fingerabdruck konsequent nutzen“ eingebracht.
        uch wenn die Bundesregierung hinsichtlich unseres
        ntrages nicht mitziehen möchte, hält sie die Beschrän-
        ung des Anlasstatenkataloges für die Anordnung von
        NA-Untersuchungen auf Straftaten von erheblicher
        edeutung für zu eng; nachzulesen in ihrer Stellung-
        ahme zum Datenschutzbericht auf Seite 21. Und damit
        at sie Recht.
        Innenminister Schily hatte laut Zeitung „Die Welt“
        om 8. Juli 2004 sogar gefordert:
        Der genetische Fingerabdruck soll als normales
        Mittel des polizeilichen Erkennungsdienstes die Er-
        mittlung von Straftätern erleichtern. Detailfragen
        sollen noch geklärt werden.
        ir könnte man ja vor allem mal erklären, warum bei
        ieser Einschätzung unserem Antrag nicht zugestimmt
        urde.
        Zweites Beispiel: Es besteht große Einigkeit darüber,
        ass neue Pässe und Visa biometrische Merkmale ent-
        alten sollen, um Fälschungssicherheit zu gewährleisten
        nd Missbrauch vorzubeugen. Die gängigsten biometri-
        chen Merkmale sind Fingerabdruck, Gesichtserken-
        ung – spezielles Passbild – und Iriserkennung. Diese
        erkmale können dann auf einem kleinen Chip im Pass
        espeichert werden und machen eine Fälschung sehr
        chwierig, wenn nicht sogar unmöglich.
        Schon der Datenschutzbericht enthält hierzu jedoch
        ine sehr problematische Fundamentalposition in Bezug
        uf die Ablehnung jeder Form einer Zentraldatei für bio-
        etrische Daten. Zur Begründung heißt es unter der
        berschrift „Keine Zentraldatei mit biometrischen Da-
        en“ – ich zitiere auf Seite 27 des 19. Datenschutzbe-
        ichts –:
        Nach meinen Erfahrungen birgt eine solche Daten-
        sammlung immer die Gefahr, dass sie nicht allein
        zu dem ursprünglich gedachten Zweck, hier zur
        Identifikation von Personen, genutzt, sondern nach-
        Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2004 11845
        (A) )
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        folgend auch von Polizei, Geheimdiensten oder gar
        zu kommerziellen Zwecken ausgewertet wird.
        Schon diese These halte ich für etwas gewagt.
        Herr Schaar „topt“ diese These – ich zitiere aus seiner
        eigenen Pressemitteilung vom 25. August 2004 –:
        Gegen jede zentrale Speicherung der Passdaten
        wehrt Schaar sich, weil das Missbrauchspotenzial
        zentraler Dateien naturgemäß besonders hoch ist
        und den möglichen Vorteil eines schnellen Daten-
        abgleichs bei weitem überwiegt.
        Ohne eine zentrale Passdatei wird der größte Vorteil
        biometrischer Ausweispapiere gleich wieder negiert.
        Anhand der Biometrie könnte endlich auch bei angeb-
        lichem Verlust der Papiere mithilfe der Zentraldatei
        festgestellt werden, ob es sich tatsächlich um die be-
        treffende Person handelt. Bei derzeit bundesweit circa
        20 000 Ausweisdokumenten, die nicht zugeordnet wer-
        den können, scheint eine automatisierte Identitätsaufklä-
        rung anhand biometrischer Merkmale dringend geboten.
        Auch der Chef des Bundes Deutscher Kriminalbeam-
        ter forderte schon im Dezember 2003:
        Auch beim Thema Biometrie zeigt sich, dass unser
        Staat nicht angemessen auf die Bedrohungslage re-
        agiert. Die Kontrolle von fälschungssicheren Aus-
        weisen soll in Form der Einzelfallprüfung an einem
        Gerät erfolgen. Solange jedoch keine eigene On-
        line-Datenbank aufgebaut werden darf, mit deren
        Hilfe man beispielsweise abklären könnte, ob es
        sich bei dem Pass um eine Dublette handelt, bleibt
        das Flickwerk.
        Dem habe ich nichts hinzuzufügen. Ich kann nur hoffen,
        dass am Ende die Vernunft und die Sorge um die Men-
        schen in unserem Land, die einen Anspruch auf jede Art
        des Schutzes vor Verbrechen haben, siegen werden.
        Drittes Beispiel: Die Telefonüberwachung ist unstrei-
        tig ein wesentlicher Bestandteil der Kriminalitätsbe-
        kämpfung. Allerdings scheinen Datenschützer damit ein
        grundsätzliches Problem zu haben. Schon der Daten-
        schutzbericht forderte angesichts gestiegener Überwa-
        chungszahlen einen Forschungsbericht, insbesondere
        unter dem Aspekt, inwieweit Telefonüberwachungsmaß-
        nahmen wirklich zum Erfolg staatlicher Strafverfolgung
        geführt haben. Dieser Forschungsbericht ist da.
        Das zu dieser Frage erstellte, am 15. Mai 2003 der
        Öffentlichkeit vorgestellte Gutachten des Max-Planck-
        Institutes kommt zu dem eindeutigen Ergebnis, dass die
        Telekommunikationsüberwachung ein unverzichtbares
        und effizientes Mittel zur Strafverfolgung ist, das von
        den Ermittlungsbehörden sensibel und unter Wahrung
        des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes eingesetzt wird.
        Herr Schaar, davon unbeirrt, fordert in seiner Pressemit-
        teilung vom 29. Juni 2004 aber, den Umfang des für die
        Telefonüberwachung vorgesehenen Straftatenkataloges
        zu reduzieren. Ich habe manchmal den Eindruck, man-
        cher möchte unsere Polizei am liebsten mit Trillerpfeife,
        Bleistift, Fahrrad und mechanischer Schreibmaschine
        ausrüsten. Wie damit jedoch der Kampf gegen die mo-
        derne und organisierte Kriminalität des 21. Jahrhunderts
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        ewonnen werden soll, das bleibt ein (Datenschutz-)Ge-
        eimnis.
        Dagegen hat die Bundesregierung in ihrer Stellung-
        ahme zum Datenschutzbericht richtigerweise festge-
        tellt, dass die Steigerung der Überwachungsanordnun-
        en lediglich im Bereich der Mobiltelefone und
        roportional zur gestiegenen Nutzung dieses Mediums
        rfolgt ist.
        Ich halte es für eine Selbstverständlichkeit, dass poli-
        eiliche Maßnahmen den technischen und gesellschaftli-
        hen Entwicklungen angepasst werden. Vielleicht hätte
        ie Regierungskoalition doch besser einen Datenschutz-
        eauftragten des 21. Jahrhunderts gewählt und nicht je-
        anden, der Thesen vertritt, wie ich sie noch aus der
        eit meines Studiums in den 68er-Jahren in Frankfurt
        enne.
        Viertes Beispiel: Beim Thema „akustische Wohn-
        aumüberwachung zur Bekämpfung organisierter und
        esonders schwerer Kriminalität“, vom Volksmund
        älschlicherweise als „großer Lauschangriff“ bezeichnet,
        ache ich dieselbe Beobachtung. Der Datenschutzbe-
        icht fordert eine Reduzierung der für die Anordnung der
        berwachung vorgesehenen Anlasstaten. Herr Schaar
        riumphiert in seiner Pressemitteilung vom 16. März
        004 über das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes
        ur akustischen Wohnraumüberwachung vom 3. März
        004 und fordert, nun auch andere Eingriffsbefugnisse
        ie die Telefonüberwachung auf den Prüfstand zu stel-
        en. In diesem Eifer hat er offenbar völlig übersehen,
        ass in dem Urteil zum einen die grundsätzliche Verfas-
        ungsmäßigkeit des so genannten großen Lauschangriffs
        estgestellt wurde und zum anderen eine Bewertung der
        raxis ergab, dass 90 Prozent der Abhörfälle bei schwe-
        en Straftaten erfolgten, deren Einbeziehung das Gericht
        uch weiterhin als verfassungsmäßig erachtet.
        Selbst die Bundesjustizministerin Zypries über-
        chreibt ihre Pressemitteilung vom 15. Mai 2003 mit
        Telefonüberwachung wirksam und maßvoll“ und führt
        ann unter anderem aus: – ich zitiere –:
        Wie effektiv die TKÜ ist, zeigt sich nicht zuletzt
        daran, dass die Anklagequote bei Verfahren, in de-
        nen Telefonüberwachung eingesetzt wurde, mit
        58 Prozent etwa doppelt so hoch liegt wie im sons-
        tigen Durchschnitt.
        er Bund Deutscher Kriminalbeamten hat schon im Juli
        003 auf die positive Bilanz dieses Verfahrens hingewie-
        en und die Beibehaltung angemahnt. Auch die Erfolgs-
        uote ist beachtlich: In 42 Prozent der Verfahren führten
        ie Abhörmaßnahmen zu Beweismitteln, die auf andere
        eise nicht hätten erlangt werden können.
        Ich kann die Regierungskoalition daher nur ausdrück-
        ich dazu auffordern, bei der Umsetzung des Verfas-
        ungsgerichtsurteils nicht über das Ziel hinauszuschie-
        en und die Abhörung auch bei schwerster Kriminalität
        icht praktisch undurchführbar zu machen. Der aktuelle
        esetzentwurf vom 22. September 2004 lässt allerdings
        chlimmes befürchten. Offenbar konnten sich die Minis-
        er Zypries und Schily, die in dieser Frage eigentlich
        den Hut aufhaben, wieder einmal nicht gegen die
        11846 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2004
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        Grünen durchsetzen. Der Rückzug des ersten Gesetzent-
        wurfes vom 23. Juni 2004, für den Herr Schily noch im
        Juli 2004 seine Unterstützung kundtat, spricht für sich.
        Das Kernproblem scheint mir bei all diesen Fragen zu
        sein, dass vonseiten des neuen Bundesbeauftragten für
        den Datenschutz das Recht auf informationelle Selbstbe-
        stimmung häufig isoliert – gleichsam als Selbstzweck –
        betrachtet wird. Dieses Grundrecht steht aber in einem
        sensiblen Gefüge zu anderen Grundrechten und Ver-
        pflichtungen für die Bürgerinnen und Bürger, die der
        Gesetzgeber zu berücksichtigen hat. Dazu gehört nicht
        zuletzt der Schutz unserer Bürger vor terroristischen An-
        schlägen und Schwerstkriminalität. Ich sage das hier ein-
        mal ganz platt: Wer Opfer eines Terroranschlags wurde,
        hat nur noch wenig von seinem Recht auf informatio-
        nelle Selbstbestimmung. Viele fast mühsame Debatten
        würden sich erübrigen, wenn vonseiten des Datenschüt-
        zers Verständnis für praktische Erfordernisse gezeigt
        würde, anstatt, wie ausgeführt, ständig in der fundamen-
        talen Opposition und Obstruktion von Sicherheitsvorha-
        ben zu verharren.
        Neben den von mir soeben angesprochenen Beispie-
        len für meines Erachtens falsch verstandenen Daten-
        schutz – um es vorsichtig auszudrücken – gibt es
        natürlich auch wichtige Vorhaben im Bereich des Daten-
        schutzes, die gemeinsam vorangebracht werden können
        und müssen. Ich will hier nur exemplarisch einiges nen-
        nen, was bei den geplanten, eingehenden Beratungen si-
        cher vertieft werden wird: erstens die zweite Stufe der
        Reform des Datenschutzrechtes – hier muss dringend
        „entrümpelt“ werden –, zweitens die Harmonisierung
        der Handhabung datenschutzrechtlicher Bestimmungen
        durch die Datenschutzbeauftragten der Länder, drittens
        das elektronische Gesundheitswesen – Stichwort: Ge-
        sundheitskarte –, viertens die Schaffung eines Gen-
        diagnostikgesetzes für die Handhabung der DNA-Ana-
        lyse in den nicht sicherheitsbezogenen Bereichen, zum
        Beispiel bei Einstellungsverfahren, Versicherungsver-
        tragsabschlüssen und sonstigen Bereichen, in denen die
        DNA-Analyse nichts zu suchen hat.
        Ich sehe den Beratungsgesprächen zum 19. Daten-
        schutzbericht im Ausschuss wie immer erwartungsvoll
        und kooperationsbereit entgegen.
        Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/DIE
        GRÜNEN): Der 19. Tätigkeitsbericht des Bundesdaten-
        schutzbeauftragten ist ein wichtiges bürgerrechtliches
        Dokument. Er wurde noch vom Vorgänger des amtieren-
        den Beauftragten vorgelegt. Ich danke Herrn Dr. Jacob
        von dieser Stelle aus herzlich für diesen Bericht. Ihm sei
        auch nochmals für seine verdienstvolle Arbeit gedankt.
        Nach dem Bundesdatenschutzgesetz legt der Bundes-
        beauftragte alle zwei Jahre dem Parlament einen Bericht
        vor. Der Bericht schildert wie die anderen zuvor in zahl-
        reichen Einzelfällen den Stand des Datenschutzes im
        Geltungsbereich des Bundesgesetzes. Hier gibt es Licht
        und Schatten. Ich hoffe sehr, dass die Mängel unterhalb
        der gesetzlichen Ebene zügig und bürgerfreundlich be-
        hoben werden.
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        Ich möchte mich aber vor allem mit den rechtspoliti-
        chen Überlegungen des Bundesdatenschutzbeauftragten
        efassen, also mit den Hausaufgaben an uns, den Gesetz-
        eber. Ich bin für die zahlreichen Anregungen im Be-
        icht dankbar. Es wird Sie nicht verwundern, dass wir
        on Bündnis 90/Die Grünen aus unserem Verständnis als
        ürgerrechtspartei von der Erforderlichkeit der vorge-
        chlagenen Projekte nicht erst überzeugt werden müs-
        en. Unserem Bundesparteitag am kommenden Wochen-
        nde liegt ein Leitantrag „Moderner Datenschutz für die
        nformationsgesellschaft – Bürgerrecht auf Daten-
        chutz“ vor. Ich bin mir sicher, dass von diesem Votum
        in wichtiger Impuls für den Datenschutz ausgehen
        ird.
        In der modernen Informationsgesellschaft wächst die
        edeutung der rechtlichen und technischen Vorkehrun-
        en des Bürgerrechts auf Datenschutz. Gerade auch in
        eiten einer schwieriger gewordenen Sicherheitslage
        üssen sich die Grundrechte bewähren.
        Wer Datenschutz als Täterschutz diffamiert, will in
        ahrheit die Persönlichkeitsrechte des Grundgesetzes
        ls Steinbruch missbrauchen. Solche Sprüche offenbaren
        in zutiefst vordemokratisches Denken: Der Bürger
        uss nach dieser Ideologie beweisen, dass den Staat
        eine individuellen und unveräußerlichen Rechte nicht
        tören. Der Rechtsträger wird so zum Bittsteller herab-
        ewürdigt – das Subjekt Bürger wird zum Objekt staatli-
        her Belange. Das werden wir nicht mitmachen.
        Wir freuen uns deshalb, dass wir die wichtigen Ent-
        cheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum großen
        auschangriff und zu den Abhörbefugnissen des Zollkri-
        inalamts umsetzen können. Das gilt auch für die Re-
        orm der Strafprozessordnung und der Begrenzung der
        pidemisch um sich greifenden Telefonüberwachung.
        ot-Grün bewahrt die Balance zwischen Sicherheit für
        en Bürger durch den Staat und der Sicherheit der Bür-
        er vor dem Staat.
        Der Bundesbeauftragte fordert den Bundestag auf,
        eiter an der Novellierung des Bundesdatenschutzgeset-
        es zu arbeiten und sich nicht mit der Reform der ver-
        angenen Wahlperiode zufrieden zu geben. Ich unter-
        tütze diese Auffassung mit großem Nachdruck. Wir
        aben das auch so im Koalitionsvertrag vereinbart. Das
        undesdeutsche Datenschutzrecht muss dringend verein-
        acht und für die Anwender transparenter gemacht wer-
        en. Auch Bürgerrechte müssen in ihrer rechtlichen
        usformung bürgerfreundlich sein.
        Ich bedaure sehr, dass die Signale aus den Ländern
        ür eine umfassende Reform nicht ermutigend sind. An-
        esichts der Zustimmungsbedürftigkeit können wir hier
        ur gemeinsam mit den Ländern zu Ergebnissen kom-
        en.
        Wir benötigen weiterhin dringend ein Auditierungs-
        esetz, mit dem die Zertifizierung datenschutzfreundli-
        her Programme auf eine gesetzliche Grundlage gestellt
        ird. Mit Recht wartet hier die Fachöffentlichkeit auf
        ns. Die Grundlagen sind im Bundesdatenschutzgesetz
        elegt. Das Ausführungsgesetz muss jetzt kommen.
        Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2004 11847
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        Ernst Burgbacher (FDP): Wie bislang üblich,
        zeichnet auch den 19. Tätigkeitsbericht des Bundesbe-
        auftragten für Datenschutz aus, dass er nicht nur einen
        reinen Tätigkeitsbericht liefert, sondern schonungslos
        aufzeigt, wo weiterhin Handlungsbedarf in punkto Da-
        tenschutz besteht.
        Ich will an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich die
        hervorragende Arbeit des ehemaligen Bundesdaten-
        schutzbeauftragten Herrn Dr. Jacob würdigen, der noch
        für diesen Tätigkeitsbericht verantwortlich ist. In dem
        19. Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für Daten-
        schutz steht vielfach die Frage, ob denn staatliche wie
        private Stellen „alles sehen müssen“.
        Und genau darum geht es. Eine genaue Überprüfung
        des Umganges mit persönlichen Daten der Bürgerinnen
        und Bürger ist vonnöten und damit auch eine Überprü-
        fung der personengebundenen datenschutzrechtlichen
        Bestimmungen insgesamt. Für eine solche grundlegende
        Überprüfung setzt sich die FDP-Fraktion im Deutschen
        Bundestag ein. Die Antwort der Bundesregierung auf
        eine Große Anfrage der FDP zu eben diesem Thema
        wird hoffentlich Klarheit über die Position der Bundes-
        regierung bringen.
        Auch wenn der 19. Tätigkeitsbericht die Jahre 2001
        und 2002 erfasst, und nun schon eineinhalb Jahre vor-
        liegt, geben gerade die Ereignisse der letzten Zeit An-
        lass, die momentane datenschutzrechtliche Entwicklung
        zu betrachten.
        Die Ereignisse des 11. September 2001 brachten, so
        wie dies auch von Herrn Dr. Jacob im Bericht festgestellt
        wurde, eine Zäsur für den Datenschutz. Die öffentliche
        Sicherheit und der Datenschutz scheinen in einem unauf-
        löslichen Spannungsverhältnis zu stehen, welches immer
        stärker zulasten des Datenschutzes aufgelöst wird. Da-
        tenschutz erscheint insbesondere Herrn Bundesinnen-
        minister Schily immer mehr nur als lästige Pflicht. Die
        leichtfertige Zustimmung zur Übermittlung personenbe-
        zogener Passagierdaten im Luftverkehr an die US-Be-
        hörden lassen einen allzu sorglosen Umgang mit dem
        Datenschutz durch die Bundesregierung erkennen.
        Gerade auch die Grünen, die sich an anderer Stelle
        gerne als oberste Datenschützer aufspielen, sind bei der
        Abstimmung über die Weitergabe von Passagierdaten
        wieder einmal eingeknickt und haben ihre rechtsstaatli-
        chen Prinzipien verkauft. Wie Frau Kollegin Silke
        Stokar von Neuforn in der Plenardebatte am
        27. Mai 2004 äußerte, unterstützte sie ausdrücklich die
        Bestrebungen der Liberalen, das Abkommen zwischen
        der EU und den USA über die Weitergabe von Passa-
        gierdaten gerichtlich überprüfen zu lassen. Die Grünen
        haben dann allerdings der Weitergabe der Passagierdaten
        ohne Einschränkungen zugestimmt. Das ist grüne Poli-
        tik: Schön reden und das Gegenteil beschließen.
        Die Bekämpfung des internationalen Terrorismus
        macht selbstverständlich den Austausch von Daten not-
        wendig, um potenzielle Attentäter möglichst frühzeitig
        daran hindern zu können, ihre terroristischen Vorhaben
        auszuführen. Allerdings sind wir als FDP-Fraktion der
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        esten Überzeugung, dass rechtsstaatliche Grundprinzi-
        ien strikt beachtet werden müssen.
        Und dem Datenschutz drohen neue Gefahren. Auf
        em EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs am
        5. März 2004 wurde der Rat beauftragt, bis Juni 2005
        aßnahmen für die Erarbeitung von Rechtsvorschriften
        ür die Vorratsspeicherung von Telekommunikationsver-
        ehrsdaten zu prüfen. Ungewöhnlich schnell, bereits am
        8. April 2004, haben Frankreich, Irland, Schweden und
        roßbritannien einen gemeinsamen Entwurf für einen
        ahmenbeschluss des EU-Rates über die Vorratsdaten-
        peicherung vorgelegt. Der Entwurf schlägt die Einfüh-
        ung von europaweit harmonisierten Regeln zur Vorrats-
        peicherung von Daten für mindestens zwölf bis
        6 Monate vor. Gesammelt werden soll alles, was keine
        einen Inhaltsdaten sind. Was im gerade erst verabschie-
        eten Telekommunikationsgesetz noch verhindert wer-
        en konnte, soll nun Wirklichkeit werden. Ergebnis wird
        ine Datensammlung bisher unbekannten Ausmaßes
        ein. Mit dem Grundsatz der Datensparsamkeit ist dies
        ängst nicht mehr zu vereinbaren. Die Datenmassen wer-
        en auch für die Sicherheitsbehörden kaum noch zu be-
        ältigen sein. Gerade weil so viele Daten gesammelt
        erden, wird der Informationsmehrwert äußerst gering
        ein. Hier führt sich ein System selbst ad absurdum.
        anz zu schweigen von den erheblichen Mehrkosten bei
        en Telekommunikationsunternehmen, die diese an den
        erbraucher weitergeben werden, der dann die Zeche
        ahlt.
        Dem Datenschutz als Schutz der Bürgerinnen und
        ürger vor einem „schleichenden Überwachungsstaat“
        ommt eine besondere Bedeutung zu. Die FDP-Bundes-
        agsfraktion wird auch künftig Anwalt und Wächter für
        ie Einhaltung des Datenschutzes und den Schutz der
        ürgerinnen und Bürger gegen einen allzu „neugieri-
        en“ Staat sein.
        Petra Pau (fraktionslos): Erstens. Wir diskutieren ei-
        en Datenschutzbericht vom 7. Mai 2003. Er umfasst
        en Zeitraum 2001 bis 2002. Wer meint, hier wird
        chnee von gestern aufgewirbelt, liegt nicht ganz falsch.
        er allerdings glaubt, es gehe um alte Hüte, irrt. Allein
        ie Tatsache, dass der Bericht anderthalb Jahre schlum-
        ern musste, lässt aufmerken. Noch deutlicher wird das
        roblem, sobald man den alten Bericht liest. Er mag ver-
        taubt sein, veraltet ist er nicht – im Gegenteil.
        Zweitens. Im Bericht wurde eine „zwiespältige
        ilanz“ gezogen. Zu den Kritikpunkten gehörte, dass die
        undesregierung „noch immer kein Arbeitnehmer-Da-
        enschutz-Gesetz“ vorgelegt hat und dass die Telefon-
        berwachung weiter gestiegen ist. Das, so schrieb der
        undesbeauftragte für Datenschutz schon damals, er-
        ülle ihn „unverändert mit großer Sorge“. Er ist nicht
        ehr im Amt, aber die Sorge ist geblieben. Denn seine
        ritik wurde seitdem nicht entkräftet, sie wurde weiter
        enährt. Die von der SPD und von den Grünen verspro-
        henen Gesetze gibt es immer noch nicht, und die staat-
        iche Überwachung hat zugenommen. Diese Ignoranz
        nd dieser Trend müssen endlich geändert werden.
        11848 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2004
        (A) )
        (B) )
        Drittens. Nach den Terroranschlägen in den USA am
        11. September 2001 wurden auch hierzulande weitge-
        hende Sicherheitsgesetze beschlossen. Sie greifen tief in
        Grundrechte, auch in den Datenschutz ein. Der damalige
        Datenschutzbeauftragte, Herr Jacob, glaubte der Bun-
        desregierung und an einen Erfolg, weil diese Gesetze
        nach zwei oder drei Jahren einer „Erfolgskontrolle“ un-
        terzogen werden sollten. Er irrte, leider. Rot-Grün denkt
        nicht daran, die so genannten Otto-Pakete zu überprüfen.
        Otto Schily selbst kündigt weitere Verschärfungen an.
        Die CDU/CSU grübelt, ob sie gegen oder besser mit
        dem SPD-Innenminister Wahlkampf macht. Auf der
        Strecke bleibt der Datenschutz, ein Grundrecht, das 1983
        vom Bundesverfassungsgericht ausdrücklich und grund-
        sätzlich gestärkt wurde.
        Viertens. Das ist Geschichte. Und auch das: Zu Recht
        wurde der Datendurst des MfS der DDR kritisiert. Er
        trug zum Untergang der DDR bei. Aber wer allein die
        technischen Möglichkeiten des MfS mit denen der Neu-
        zeit vergleicht, muss ins Grübeln kommen. Umso mehr
        muss der Datenschutz geschützt werden. Praktisch und
        politisch geschieht das Gegenteil. Immer mehr persönli-
        che Daten werden gesammelt und gehandelt, geordert
        und gefordert. Auch Hartz IV erzwingt eine unglaubli-
        che Datei über Millionen Menschen und ihre Angehöri-
        gen.
        Fünftens. Meine These ist: Wird der Datenschutz
        nicht unverzüglich und umfassend gestärkt, dann geht
        ein Grundrecht irreversibel verloren. Das wäre ein ver-
        heerender Demokratieverlust. Deshalb wird sich die
        PDS an diesem Wochenende in Berlin genau diesem
        Thema widmen, auf einer Konferenz im „Haus der De-
        mokratie“. Ich lade Sie alle dazu dringend ein.
        Fritz Rudolf Körper (Parl. Staatssekretär beim
        Bundesminister des Innern): Mit seinem 19. Tätigkeits-
        bericht legt der Bundesbeauftragte für den Datenschutz
        in beeindruckendem Umfang Rechenschaft über seine
        Tätigkeiten in den Jahren 2001 und 2002 ab.
        So imposant der Umfang des Berichts ist, zeigt doch
        bereits seine erste Durchsicht, dass die Zahl der vom
        Bundesbeauftragten für den Datenschutz ausgesproche-
        nen Beanstandungen auf einem konstant niedrigen
        Niveau geblieben ist. Und selbst wenn der BfD einzelne
        Datenverarbeitungen beanstandet hat, konnte dieser Kri-
        tik in der Regel schnell abgeholfen werden. Dies ist
        sicherlich ein erfreuliches Ergebnis.
        Der Datenschutz ist, das macht auch dieser Tätig-
        keitsbericht wieder deutlich, eine zentrale Querschnitt-
        aufgabe und zugleich ein wichtiges Element der Arbeit
        der Bundesregierung. Ohne die notwendigen daten-
        schutzrechtlichen Vorkehrungen wären viele ehrgeizige
        Projekte der Bundesregierung von vornherein zum
        Scheitern verurteilt.
        Denn der Siegeszug der Informationstechnologie
        macht auch vor der Verwaltung nicht Halt. Die Bundes-
        regierung hat es sich zum Ziel gesetzt, bis zum Ende des
        Jahres 2005 alle internetfähigen Dienstleistungen online
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        ur Verfügung zu stellen. E-Government ist nicht nur ein
        chlagwort, sondern mittlerweile gelebte Realität.
        Für die Akzeptanz und den Erfolg dieser Angebote ist
        s aber notwendig, dass die Bürgerinnen und Bürger sich
        icher sein können, dass ihre Daten gut gegen Miss-
        rauch geschützt werden. Diesen Schutz garantieren die
        echtlichen Rahmenbedingungen, aus denen klar hervor-
        eht, zu welchen Verwaltungszwecken die Daten verar-
        eitet und genutzt werden dürfen – und vor allem für
        elche nicht.
        Das zweite wichtige Standbein in diesem Zusammen-
        ang ist die technische Datensicherheit. Denn leider gibt
        s nun einmal Zeitgenossen, die ein gesetzliches Verbot
        icht davon abhält, Daten auszuspähen. Der Schutz der
        atenbestände vor derartigen Angriffen ist daher unab-
        ingbar.
        Gerade im Bereich der Datensicherheit kommt
        eutschland, nicht zuletzt auch dank der Arbeit des
        undesamtes für die Sicherheit in der Informationstech-
        ik, in Europa und auch weltweit eine Vorreiterrolle zu.
        Als ein aktuelles Beispiel für die Projekte der Bun-
        esregierung mit wichtigen datenschutzrechtlichen Be-
        ügen möchte ich die Einführung der Gesundheitskarte
        ennen. Diese Initiative zeigt die Notwendigkeit daten-
        chutzrechtlicher Vorkehrungen deutlich auf: Die unbe-
        treitbaren Vorteile der Karte für die Patienten und ihre
        ehandelnden Ärzte können nur realisiert werden, wenn
        usgeschlossen ist, dass mit den äußerst sensiblen Ge-
        undheitsdaten der Patienten Missbrauch getrieben wer-
        en kann. Daher muss und wird der Schutz der Patien-
        endaten eines der Leitmotive bei der Entwicklung des
        onzepts der Gesundheitskarte sein.
        Der vorliegende 19. Tätigkeitsbericht des Bundesbe-
        uftragten für den Datenschutz ist zugleich auch der
        etzte des ehemaligen Amtsinhabers Dr. Joachim Jacob,
        er diese Funktion die letzten zehn Jahre innehatte. Herr
        r. Jacob hat die Arbeit der Bundesregierung stets mit
        ugenmaß, kritisch und konstruktiv begleitet. Dabei hat
        r, und das hat ihn ausgezeichnet, den tatsächlichen Er-
        olg für die Belange des Datenschutzes in den Vorder-
        rund seiner Bemühungen gestellt und nicht etwa die
        ersönliche Profilierung als oberster Datenschützer.
        Anfang dieses Jahres hat Herr Peter Schaar das wich-
        ige Amt des Bundesdatenschutzbeauftragten übernom-
        en. Mit der Übernahme des Vorsitzes der so genannten
        rtikel-29-Gruppe, des Gremiums aller europäischen
        atenschutzbeauftragten, hat Herr Schaar gleich zu Be-
        inn seiner Arbeit eigene, neue Akzente gesetzt. Trotz
        ller Neuerungen, die ein Wechsel des Amtsinhabers mit
        ich bringt, sehe ich doch in einem wesentlichen Punkt
        ine Kontinuität: nämlich in dem Bestreben, um kon-
        truktive Lösungen für die vielfältigen datenschutzrecht-
        ichen Herausforderungen unserer Zeit zu ringen.
        Vor diesem Hintergrund sollte auch der 19. Tätig-
        eitsbericht wieder mit der ihm gebührenden Sorgfalt
        om Bundestag und seinen Ausschüssen gelesen und
        usgewertet werden.
        Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2004 11849
        (A) )
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        Anlage 9
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung der Großen Anfrage: Tourismus in
        Entwicklungsländern (Tagesordnungspunkt 12)
        Dagmar Schmidt (Meschede) (SPD): Zunächst
        möchte ich den Abgeordneten der CDU/CSU-Fraktion
        meinen Dank aussprechen, nämlich dafür, dass Sie uns
        mit ihrer Großen Anfrage zu einem ausgezeichneten
        Überblick über die Erfolge der Bundesregierung auf dem
        Gebiet der Förderung eines nachhaltigen Tourismus zum
        Wohl der Menschen in den Partnerländern verholfen ha-
        ben. Meine Freude schwindet jedoch, wenn ich sehe, mit
        welchen Fragen Sie Kapazitäten der Bundesregierung
        und unserer Auslandsvertretungen gebunden haben.
        Durch die Recherche für diesen Katalog von Antworten
        waren ganze Abteilungen für zielgerichtete Arbeit blo-
        ckiert.
        Gerade vonseiten der Opposition, die doch immer mit
        Vehemenz den schlanken und effizienten Staat fordert,
        die doch ständig nach Bürokratieabbau ruft, hätte ich
        hier etwas mehr Zurückhaltung erwartet. Dies umso
        mehr, da der Studienkreis für Tourismus und Entwick-
        lung mit Unterstützung des Bundesministeriums für
        wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung erst
        im Jahr 2000 eine umfangreiche Studie zu diesem
        Thema vorgelegt hat. Eine Fortschreibung dieser Studie
        wäre sicherlich sinnvoller als die Blockierung ganzer
        Verwaltungen durch solche parlamentarische Anfragen.
        Doch nun zu Struktur und Inhalt der Anfrage: Norma-
        lerweise soll eine Große Anfrage Defizite und Hand-
        lungsbedarf der Regierung aufdecken. Sie ist deshalb ein
        sinnvolles parlamentarisches Instrument. Aber, meine
        Damen und Herren von der Opposition, Ihre Große An-
        frage wird zum sinnlosen, zweckverfehlten Flop, zumin-
        dest für Sie, für die Opposition!
        Ich will das mit der Vorbemerkung der Fragesteller
        für die Große Anfrage belegen. Vorbemerkungen erläu-
        tern ja bekanntlich den Sinn und Zweck einer Anfrage.
        Da heißt es, die Bundesregierung habe offensichtlich
        das wirtschaftliche und entwicklungspolitische Potenzial
        des Tourismus unterschätzt oder nicht zur Kenntnis ge-
        nommen. Des Weiteren wird zur Unterstützung einer
        wirtschaftlich, sozial und ökologisch positiven Entwick-
        lung ein verstärktes Engagement der Bundesregierung in
        der entwicklungspolitischen Tourismusförderung gefor-
        dert. Mit dieser vollmundigen Einleitung wird sugge-
        riert, Sie, die Fragesteller, hätten eine klare Vorstellung
        davon, wie die bestehende Förderung eines nachhaltigen
        Tourismus in der deutschen Entwicklungszusammenar-
        beit verbessert werden könnte. Ja, man könnte fast glau-
        ben, die Union wolle ein umfassendes entwicklungspoli-
        tisches Konzept für den Tourismusbereich vorlegen.
        Doch weit gefehlt: Bereits im Fragenkatalog können Sie
        sich nicht zwischen einer entwicklungspolitischen, einer
        tourismuspolitischen, einer gesundheitspolitischen, einer
        jugendpolitischen oder einer sicherheitspolitischen Aus-
        richtung Ihrer Aufrage entscheiden. Ich nenne das
        Bauchladenmentalität!
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        Ebenso bleibt unklar, ob es Ihnen primär um die Aus-
        irkungen des Tourismus auf die Partnerländer geht,
        ie der Titel Ihrer Anfrage vermuten lässt, also um Ar-
        utsbekämpfung durch Tourismus. Öder sind Sie vor-
        angig an den Auswirkungen des Ferntourismus auf
        eutschland – zum Beispiel im Bereich der Gesund-
        eitsvorsorge – interessiert? Nichts gegen Kohärenz und
        ernetztes Denken, aber omnipotente Phantasterei sollte
        icht mit Entwicklungspolitik als Querschnittsaufgabe
        erwechselt werden.
        Meine Damen und Herren von der Opposition, Ihr
        ragenkatalog ist ein Sammelsurium von Fragen aus den
        erschiedensten Politikfeldern. Eine klare Linie – ge-
        chweige denn eine klare Zielrichtung – ist nicht erkenn-
        ar. Dieser Eindruck wird noch dadurch verstärkt, dass
        ie bis heute die Chance verstreichen lassen, in einem
        ntrag – oder besser: mehreren gezielten Anträgen – Ihr
        mfassendes Alternativkonzept für eine Förderung des
        achhaltigen Tourismus im Rahmen der Entwicklungs-
        olitik vorzustellen. Wenn es Anträge für dieses Politik-
        eld gab, dann kamen Sie von uns! Wie sieht es da mit
        hrer Zustimmung aus? Dürfen wir bei Ihnen Doppel-
        üngigkeit registrieren?
        Worum muss es uns über alle Fraktionsgrenzen hin-
        eg gehen? Auch ohne Anfrage und ohne statistisch
        undierte Antworten ist doch klar, dass nicht nur Waren-
        tröme um den Globus fließen, sondern dass immer
        ehr Menschen immer mobiler werden. Immer mehr
        enschen wollen neue Plätze entdecken, neue Erfahrun-
        en machen, andere Kulturen kennen lernen. In dieser
        obilitätserweiterung liegen Chancen und Risiken, lie-
        en Fluch und Segen. Das ist uns allen klar. Wenn also
        ourismus mehr Segen als Fluch in die Partnerländer
        ringen soll, muss die Chance eines umwelt- und sozial-
        erträglichen Tourismus genutzt und gefördert werden.
        Tourismus als bedeutender Wirtschaftszweig kann in
        iesen Ländern neue Arbeitsplätze und Verdienstmög-
        ichkeiten schaffen und damit einen Beitrag zur Be-
        ämpfung der Armut leisten.
        Ich sage: Es kann so sein. Denn das schlichte Okku-
        ieren schöner Landstriche ist abzulehnen, wenn es nicht
        amit einhergeht, die Menschen vor Ort in die Planung
        nd Mitsprache und vor allem Nutznießung einzubin-
        en. Aufklärung über die Risiken, die möglichen Verän-
        erungen gehören dazu. Hier hat unsere Entwicklungs-
        olitik vor allem zwei Aufgaben. Und die nimmt sie sehr
        rnst, wie sie an den Antworten gesehen haben. Diese
        wei Aufgaben sind zum einen die Förderung eines
        achhaltigen Tourismus in den Partnerländern und zum
        nderen die Bewusstseinsbildung bei uns.
        Zum Ersten: Wir müssen die Partnerländer dabei un-
        erstützen, ihre touristischen Potenziale zu erkennen und
        utzbar zu machen, ohne die Fehler eines ungezügelten
        nd selbstzerstörerischen Massentourismus zu wieder-
        olen, wie sie in Europa seit den 70er-Jahren gemacht
        orden sind. Dabei muss sich die Entwicklung des Tou-
        ismus am Leitbild der Nachhaltigkeit orientieren.
        Zweitens: Wir müssen im Rahmen unserer Öffent-
        chkeitsarbeit bei Touristen und Reiseveranstaltern das
        11850 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2004
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        Bewusstsein stärken, dass die Entwicklung eines nach-
        haltigen Tourismus in den Partnerländern in ihrem und
        unserem Interesse liegt.
        In beiden Bereichen hat sich die deutsche Entwick-
        lungszusammenarbeit seit Beginn der 1970er-Jahre er-
        folgreich betätigt. Seit 30 Jahren gibt es die „Sympathie-
        Hefte“. Das erste erschien übrigens 1974 zum Thema
        „Kenia verstehen“.
        Die Grundlagen der entwicklungspolitischen Ausei-
        nandersetzung mit den sozialen, wirtschaftlichen und
        kulturellen Folgen des Tourismus auf die Partnerländer
        sind also bereits unter der Führung des damaligen Bun-
        desministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit Erhard
        Eppler gelegt worden. Ihm und unserer Einstellung als
        Sozialdemokraten haben wir es also zu verdanken, dass
        unsere entwicklungspolitische Öffentlichkeitsarbeit im-
        mer auch die Zivilgesellschaft und deren Wissen einge-
        bunden hat und diese Öffentlichkeitsarbeit auch auf den
        Tourismussektor ausgedehnt hat. Wenn wir also heute
        eine erfreulich gewachsene Sensibilisierung von Urlau-
        bern und Reiseveranstaltern für die Auswirkungen des
        Ferntourismus auf die bereisten Länder feststellen kön-
        nen, so ist dieser Erfolg nicht zuletzt unseren frühen,
        jetzt 30 Jahre alten Weichenstellungen zu verdanken.
        Auch die aktuelle Bilanz der rot-grünen Bundesregie-
        rung im Bereich der Tourismusförderung kann sich auf
        bi- und multilateraler Ebene sehen lassen. Die Förderung
        des Tourismus orientiert sich an den allgemeinen Grund-
        sätzen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit: Ar-
        mut mindern, Frieden sichern und Globalisierung ge-
        recht gestalten. Damit leistet die Bundesregierung einen
        wichtigen Beitrag zur Erreichung der Millenniums-Ent-
        wicklungsziele vom September 2000 und insbesondere
        zur Halbierung der extremen Armut bis 2015. Das ge-
        samte entwicklungspolitische Handeln der rotgrünen
        Bundesregierung orientiert sich an dieser Leitlinie – und
        somit auch im Bereich der Tourismusförderung.
        Im Rahmen der bilateralen technischen Zusammenar-
        beit werden zurzeit etwa 80 Vorhaben über die GTZ
        durchgeführt, in denen der Tourismus teilweise oder vor-
        rangig gefördert wird. Insgesamt entfällt in diesem Be-
        reich ein Anteil von 20 Millionen Euro auf den Touris-
        mussektor. Hinzu kommen tourismusrelevante Projekte
        der finanziellen Zusammenarbeit: im Rahmen der Kre-
        ditanstalt für Wiederaufbau in Höhe von 203,5 Millionen
        Euro, bei Investitionen der Deutschen Investitions- und
        Entwicklungsgesellschaft in Höhe von 56,7 Millionen
        Euro und durch den Einsatz von Entwicklungshelferin-
        nen und Entwicklungshelfern des DED im Bereich des
        Tourismus mit einem Mittelvolumen von 1,6 Millionen
        Euro im Jahr 2003.
        Darüber hinaus trägt die Bundesregierung sowohl auf
        europäischer als auch auf internationaler Ebene maßgeb-
        lich zur Förderung des Tourismus in den Entwicklungs-
        ländern bei: Zwischen 1991 und 2003 wurden zum
        Beispiel tourismusrelevante Vorhaben in Höhe von
        112,9 Millionen Euro aus dem Europäischen Entwick-
        lungsfonds gefördert. Auf internationaler Ebene hat die
        zur Weltbankgruppe gehörende International Finance
        Cooperation im Jahr 2003 Tourismusprojekte in Ent-
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        icklungsländern mit einem Wert von 500 Millionen
        S-Dollar unterstützt.
        Darüber hinaus unterstützt die Bundesregierung den
        ährlich durchgeführten Wettbewerb „TO DO“ des Stu-
        ienkreises für Tourismus und Entwicklung e.V. für ei-
        en sozialverträglichen Tourismus. Sie fördert die Aus-
        nd Fortbildung im Bereich der Tourismusbranche so-
        ohl bei den Reiseveranstaltern als auch in den Partner-
        ändern und engagiert sich über den Studienkreis für
        ourismus und Entwicklung durch Publikationen, Stu-
        ien, Dokumentationen und Schulungen in der Aufklä-
        ungsarbeit von Reiseanbietern, Reiseleitern und von
        eisenden in Entwicklungsländer.
        Soweit zur positiven Bilanz unserer Regierung, de-
        ailliert nachzulesen in dem vorliegenden dicken Ant-
        ortpaket.
        Aber auch wir als Parlamentarierinnen und Parlamen-
        arier der Koalition haben durch unsere Anträge die Be-
        eutung eines nachhaltigen Tourismus in den Partnerlän-
        ern aufgegriffen und unterstrichen. Drei Anträge
        öchte ich in diesem Zusammenhang besonders hervor-
        eben:
        Erstens. Wir setzen mit unserem Antrag „Internatio-
        ale Richtlinien für biologische Vielfalt und Tourismus-
        ntwicklung zügig umsetzen“ ein Zeichen: Es gilt, den
        eschlüssen zum nachhaltigen Tourismus auf der 7. Ver-
        ragsstaatenkonferenz der UN-Konvention über die bio-
        ogische Vielfalt deren rasche Umsetzung folgen zu las-
        en. Dafür setzen wir uns ein.
        Zweitens. Wir bekräftigen mit unserem Antrag „Kin-
        er und Jugendliche wirksam vor sexueller Gewalt und
        usbeutung schützen“ den Willen, den Aktionsplan der
        undesregierung zum Schutz von Kindern und Jugendli-
        hen vor sexueller Gewalt stetig weiterzuentwickeln.
        mmer wieder fordern wir von der Tourismusbranche,
        hren Verhaltenskodex zum Schutz der Kinder und Ju-
        endlichen vor sexueller Ausbeutung konsequenter um-
        usetzen.
        Drittens. Wir unterstreichen mit dem Antrag „Ent-
        icklungspartnerschaften mit der Wirtschaft weiterent-
        ickeln – gemeinsam Armut bekämpfen“ nochmals die
        edeutung der Partnerschaft mit der Wirtschaft zur Er-
        eichung der Millenniums-Entwicklungsziele. Gleich-
        eitig fordern wir die sozial- und umweltpolitische Ver-
        ntwortung der Unternehmen auf nationaler und
        nternationaler Ebene ein. Gerade im Tourismussektor
        ieten Entwicklungspartnerschaften zahlreiche Ansatz-
        unkte für innovative Einzelprojekte und strategische
        llianzen, die einen wichtigen Beitrag zur strukturellen
        rmutsminderung leisten können.
        Diese Zahlen und Aktivitäten zeigen, dass die rot-
        rüne Bundesregierung und die Fraktionen der Koalition
        as wirtschaftliche und entwicklungspolitische Potenzial
        er Förderung eines nachhaltigen Tourismus in den Part-
        erländern sehr wohl erkannt haben. Wir als Entwick-
        ungs- und Tourismuspolitikerinnen und -politiker der
        oalition richten unsere Anstrengungen dabei konse-
        uent an folgenden Leitlinien aus: Unsere Förderung des
        ourismus in den Partnerländern dient in erster Linie
        Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2004 11851
        (A) )
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        dem Ziel der Armutsbekämpfung. Das heißt, die lokale
        Bevölkerung muss frühzeitig und aktiv bei der Planung
        von Tourismusprojekten beteiligt werden und sie muss
        in angemessener Weise von den Gewinnen profitieren.
        Unsere Förderung des Tourismus in den Partnerländern
        orientiert sich am Leitbild der Nachhaltigkeit. Das heißt,
        sie muss langfristig sozial- und umweltverträglich sein,
        sie muss kulturell angepasst und wirtschaftlich sinnvoll
        und ergiebig sein.
        Diese Leitziele werden wir nur erreichen können,
        wenn wir die Tourismuswirtschaft und die Verbrauche-
        rinnen und Verbraucher für die Risiken sensibilisieren
        und an deren eigene Verantwortung appellieren können.
        Unser staatliches Handeln, unsere politische Maxime ist
        klar: Nachhaltiger Tourismus hilft die Millenniumsziele
        zu erreichen.
        Wir haben eine stetig steigende Mobilität, eine steti-
        ges Anwachsen des Ferntourismus. Wir wissen seit
        Erhard Eppler um die Auswirkung dieser Fakten auf die
        wirtschaftliche Entwicklung unserer Partnerländer. Und
        wir sind der Garant dafür, dass auf der Grundlage dieser
        weitsichtigen, verantwortungsbewussten Leitlinie auch
        künftig Entwicklungspolitik gemacht wird.
        Wir haben die Bedeutung des Tourismus für eine be-
        wusstseinsbildende Sympathieentwicklung und die Be-
        kämpfung der Armut in den Partnerländern erkannt, und
        wir haben klare Konzepte, an denen wir unser Engage-
        ment verlässlich und stetig orientieren.
        Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis, meine Damen und
        Herren von der Opposition. Und registrieren Sie den um-
        fangreichen Antwort- und Aufklärungskatalog auf Ihre
        Große Anfrage als weiteres Heft der Sympathie.
        Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/DIE
        GRÜNEN): Zunächst möchte ich mich bei der Bundesre-
        gierung für die sehr umfangreiche und sehr gründliche
        Antwort bedanken, über die wir heute debattieren. Die
        aufwendig zusammengestellten Daten liefern allen Tou-
        rismus- und Entwicklungspolitikern ein ausgezeichnetes
        Bild über die vielfältigen Aktivitäten, die vonseiten der
        Bundesregierung entfaltet bzw. angestoßen oder unter-
        stützt wurden. Damit liegt uns eine umfassende Zusam-
        menfassung über dieses Themenfeld vor, die aufzeigt,
        wie stark sich Deutschland auch international tourismus-
        politisch engagiert.
        Es ist in der wenigen mir zur Verfügung stehenden
        Zeit nicht möglich, auch nur annähernd die wichtigsten
        tourismusrelevanten Aspekte der Entwicklungszusam-
        menarbeit anzusprechen. Ich verweise deshalb auch auf
        den heute beschlossenen Koalitionsantrag zum Urwald-
        schutz sowie auf den vor der Sommerpause beschlosse-
        nen Koalitionsantrag zu den CBD-Richtlinien „Biologi-
        sche Vielfalt und Tourismusentwicklung“, in denen
        unsere grundsätzliche Haltung zur Entwicklungszusam-
        menarbeit anhand konkreter Herausforderungen darge-
        legt ist.
        Richtiges Reisen bildet. Es erweitert im wahrsten
        Sinne des Wortes den Horizont. Es weckt Verständnis für
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        ndere Kulturen und kann völkerverbindend Freund-
        chaften schaffen.
        Leider ist die Realität häufig anders, weit weniger
        rosaisch. Denn Verständnis erfordert weit mehr als nur
        en flüchtigen Blick in flüchtiger Begegnung. Kulturelle
        rfahrungen sammeln kann nur der, der es nicht allein
        uf Erholung, Sonne und Strand abgesehen hat. Es reicht
        icht allein, zu den Stätten der Kultur zu reisen. Es geht
        uch um die Kultur des Reisens selbst.
        Die Menschen in den bereisten Ländern profitieren
        äufig am wenigsten von unserem Urlaub. In kaum
        inem Wirtschaftsbereich gibt es ähnlich starke Globali-
        ierungs- und Konzentrationstendenzen. Oft bleibt nur
        in Bruchteil der Einnahmen in den bereisten Ländern,
        er Rest geht an internationale Reiseanbieter und Hotel-
        etten. Im nepalesischen Annapurna-Gebiet zum Bei-
        piel, das vor allem von Trekking-Urlaubern und Berg-
        teigern besucht wird, kommen nur etwa sieben Prozent
        es von Touristen ausgegebenen Geldes bei der lokalen
        evölkerung an.
        Die negativen ökologischen und sozialen Folgen von
        ourismus vor allem in den Entwicklungsländern sind
        ns allen bekannt. Stichwort Ressourcenverbrauch: Im
        asserarmen Tunesien werden beispielsweise 3,6 Mil-
        ionen Liter Wasser für die Pflege eines Golfplatzes ver-
        raucht. Für viele Menschen gerade im trockenen Süden
        es Landes stehen hingegen nur 25 Liter am Tag zur Ver-
        ügung!
        Stichwort Biodiversität: Wir verzeichnen eine Ab-
        ahme der Artenvielfalt durch Zerstörung natürlicher
        ebensräume von seltenen Tieren und Pflanzen.
        Stichwort Kultur: Traditionelle Lebensweisen und
        andestypische Kultur verändern sich in den bereisten
        ändern. So werden zunehmend religiös oder kulturell
        edeutsame Prozessionen, Tänze und Feste in vielen
        ändern vor allem für Touristen aufgeführt und dadurch
        hres Sinnes beraubt.
        Deshalb brauchen wir eine Kultur des Reisens, die
        ert legt auf ökologische, ökonomische, soziale und
        ulturelle Nachhaltigkeit. In Deutschland ist vor allem
        er Verein forum anders reisen, der sich für einen sol-
        hen nachhaltigen Tourismus engagiert. Anbieter des far
        erzichten zum Beispiel auf Reisen in ökologisch belas-
        ete Gebiete. Die Reisen vor Ort werden von Einheimi-
        chen begleitet. Es werden faire langfristige Geschäfts-
        artnerschaften angestrebt und es wird auf angemessene
        ezahlung, geregelte Arbeitszeiten und die Einhaltung
        er arbeitsrechtlichen Mindestnorm geachtet.
        In den Zielgebieten sollte ein Teil der Einnahmen des
        eiseveranstalters in soziale Projekte und Einrichtun-
        en, zum Beispiel Schule, Medizinische Versorgung,
        eiterbildung usw., fließen.
        Es ist beeindruckend, mit welchem großen Engage-
        ent hier kleine und mittelständische Unternehmen sich
        ür einen umfassend nachhaltigen Tourismus engagieren.
        avon auch an dieser Stelle einen herzlichen Dank.
        In der deutschen Entwicklungszusammenarbeit bildet
        ie Kooperation bei der nachhaltigen Bewirtschaftung
        11852 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2004
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        von grenzüberschreitenden Naturräumen einen wichti-
        gen Schwerpunkt. Hier liegt ein beträchtliches touristi-
        sches Potenzial.
        Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit verfügt
        über vielfältige Erfahrungen dabei, den Naturschutz mit
        einem nachhaltigen und sanften Tourismus zu verknüp-
        fen. Insbesondere denke ich dabei an transnationale Na-
        turschutzgebiete, Trans-Frontier-Conservation-Area. Zum
        Beispiel unterstützt Deutschland den Limpopo National
        Park im Grenzgebiet von Mosambik zu Südafrika, der
        mit dem Krüger-Nationalpark verbunden werden soll.
        Hierfür haben wir bisher insgesamt fast zwölf Millionen
        Euro bereitgestellt.
        Studien zufolge könnten die 22 transnationalen Natur-
        schutzgebiete im südlichen Afrika etwa acht Millionen
        Besucher anziehen, was bis zu einer Million neuer Ar-
        beitsplätze nach sich ziehen könnte.
        Mit solchen Ansätzen zur Förderung von grenzüber-
        schreitenden Naturparks kann es gelingen, die wirt-
        schaftliche Entwicklung in den Regionen zu befördern.
        Ich möchte dabei nicht unerwähnt lassen, dass
        Deutschland sich auch darum bemüht, deutsche Unter-
        nehmer und Unternehmer der Entwicklungsländer zu-
        sammenzubringen. Mithilfe von Public Private Partner-
        ships soll die Privatwirtschaft noch stärker in die
        Entwicklungsprozesse mit einbezogen werden. Im Rah-
        men dieser Entwicklungspartnerschaften mit der Wirt-
        schaft fördert Deutschland allein in Afrika südlich der
        Sahara rund 300 solcher Initiativen für Investitionen.
        Ich bin daher zuversichtlich, dass sich ein Weg in
        Richtung nachhaltige Entwicklung finden lässt, bei der
        auch ein ökologischer, Biodiversität bewahrender Tou-
        rismus eine wichtige Rolle einnehmen wird und kann.
        Ernst Burgbacher (FDP): Endlich Urlaub! Der
        Wunsch vieler Reisender lautet: Raus aus dem Alltag
        möglichst weit weg, hin zu exotischen Zielen. Badeur-
        laub am Roten Meer, eine Studienreise in Südostasien,
        ein Abenteuerurlaub im südamerikanischen Urwald oder
        auf Fotosafari durch Afrika. Immer mehr Deutsche
        reisen immer weiter; immer häufiger sind Entwick-
        lungsländer das Reiseziel. Während es 1995 über
        100 000 Deutsche beispielsweise nach Brasilien zog,
        hatte sich 2001 die Zahl der Ankünfte deutscher Urlau-
        ber mehr als verdreifacht: 320 000 Deutsche reisten in
        Richtung Zuckerhut.
        Die Große Anfrage der CDU/CSU zielt maßgeblich
        auf Zahlenmaterial und Statistiken ab. Die politischen
        Aspekte kommen dabei allerdings meines Erachtens zu
        kurz.
        Unbestritten ist, dass der Tourismus einen wesentli-
        chen Beitrag für die wirtschaftliche und auch soziale
        Entwicklung der ärmeren Länder leistet. Häufig ist der
        Tourismus für die Entwicklungsländer ein überaus wich-
        tiger, mitunter auch der wichtigste Devisenbringer über-
        haupt. Im Rahmen der deutschen Entwicklungszusam-
        menarbeit werden daher auch gezielt Projekte mit
        Tourismusbezug gefördert. Der deutsche Outgoing-Tou-
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        ismus kommt nicht nur unseren heimischen Reiseveran-
        taltern zugute, sondern schafft auch Arbeitsplätze vor
        rt in den Zielgebieten.
        Insbesondere für rohstoffarme und industriell wenig
        ntwickelte Länder bietet die Dienstleistungsbranche
        ourismus große Chancen. Allerdings birgt die Abhän-
        igkeit von ausländischen Touristen auch Gefahren,
        enn diese in großer Zahl ausbleiben, wie es bei kriege-
        ischen Auseinandersetzungen oder nach den Terroran-
        chlägen zum Beispiel auf Bali oder Djerba oder durch
        en Ausbruch von SARS der Fall war.
        Natürlich besteht die Gefahr, dass unbedachter und
        nverantwortlicher Tourismus Umwelt und Natur ge-
        ährdet, der Tourist mithin zerstört, was er sucht – das
        ngetrübte Naturerlebnis. Daher muss gelten, dass Tou-
        ismus und Umweltschutz zwei Seiten einer Medaille
        ind. Gerade in sich entwickelnden Ländern sollten die
        ehler, die anderswo bereits gemacht wurden, vermie-
        en werden. Wir sollten aber vielmehr die Chancen, die
        er Tourismus gerade auch für die Umwelt hat, sehen.
        ie gehen aus der Antwort der Bundesregierung eben-
        alls deutlich hervor. Tourismus kann dazu beitragen,
        mpfindliche Ökosysteme in Entwicklungsländern zu
        chützen und deren oft einzigartige Naturpotenziale zu
        rhalten. Tourismus fuhrt zu Identifikation mit den Na-
        urschutzzielen, zusätzlichen Einkommensquellen oder
        uch Einkommensalternativen zu schädlichen Praktiken
        ie Wilderei und illegaler Holzeinschlag und Infrastruk-
        urausbau in abgelegenen Regionen.
        Bernhard Grzimek, den meisten von uns sicher be-
        annt durch den Film „Serengeti darf nicht sterben“, hat
        inmal gesagt, dass seine Erfolge zum Schutz der Tier-
        elt in der Serengeti nicht zuletzt auf eine verantwor-
        ungsvolle Ausweitung des Tourismus zurückzufuhren
        eien. Denn erst durch das Geld, das die Urlauber brach-
        en, konnten die Schutzmaßnahmen ausgeweitet werden.
        ieses Beispiel steht stellvertretend für viele.
        Hier sollte von Anfang an die Tourismuswirtschaft
        it eingebunden werden. Wir brauchen nicht staatliche
        enkungsinstrumente, sondern das vorausschauende
        konomische Verhalten der Tourismuswirtschaft. Die
        rünen jedoch wollen dies offenbar nicht verstehen. Sie
        erteufeln Fernreisen und Billigflüge, doch selbst reisen
        ie auch ganz gern. Anderen hingegen wollen sie dies
        erwehren durch eine erhebliche Verteuerung und Be-
        teuerung der Reisen. Die Grünen predigen – hier wie in
        nderen Fällen – Wasser und trinken Wein. Sie machen
        ine Politik für die, die genug verdienen; der „normale“
        ürger soll schön zu Hause bleiben!
        Ein weiterer – allerdings sehr bedauerlicher – Aspekt,
        enn von Tourismus in Entwicklungsländern die Rede
        st, ist der Sextourismus, insbesondere der Kindersextou-
        ismus. Hier sind wir gefordert, uns nachdrücklich für
        en Schutz der Kinder und Frauen, die zur Prostitution
        ezwungen werden, einzusetzen. Sextourismus ist eine
        cheußliche Begleiterscheinung des weltweiten Touris-
        us, die – soweit es irgend geht – verhindert werden
        uss. Wir müssen alle Anstrengungen unternehmen, der
        wangsprostitution und den so genannten Sextouristen
        Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2004 11853
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        Einhalt zu gebieten. Hier sind Staat wie Tourismusindus-
        trie eindringlich zum Handeln aufgefordert.
        Die dem Tourismus oftmals vorhergesagten Wachs-
        tumsraten sind von bestimmten Rahmenbedingungen ab-
        hängig, insbesondere einer florierenden Weltwirtschaft,
        niedrigen Energiepreisen und einer Abnahme der militä-
        rischen Konflikte weltweit. Uns allen ist bewusst, dass
        es hier noch viel zu tun gibt. Wenn es jedoch gelingt,
        diese Rahmenbedingungen zu verbessern, ist dies eine
        Chance gerade auch für die Länder der Dritten Welt.
        Anlage 10
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
        Regelung der Versorgung bei besonderen Aus-
        landsverwendungen (Einsatzversorgungsgesetz –
        EinsatzVG) (Tagesordnungspunkt 14)
        Hans-Peter Kemper (SPD): Ich bin sehr froh, dass
        wir heute und dann auch noch in großer Übereinstim-
        mung ein Gesetzesvorhaben auf den Weg bringen kön-
        nen, das längst überfällig und im Interesse unserer Sol-
        daten, unserer Polizeibeamten und der im Ausland
        eingesetzten Personen dringend erforderlich war und
        letztendlich erhebliche Verbesserungen bei Auslandsein-
        sätzen ermöglicht.
        Die Bundesrepublik Deutschland hat sich entschieden
        im internationalen Rahmen durch Auslandseinsätze von
        Beamtinnen und Beamten sowie Soldatinnen und Solda-
        ten ein erhöhtes Maß an Verantwortung zu übernehmen.
        Das hat zur Folge, dass die genannten Personengruppen,
        die für uns Auslandseinsätze in mitunter sehr gefährli-
        chen Regionen wahrnehmen, erheblichen Gefährdungen
        für Leib und Leben ausgesetzt sind.
        Tragische Unfälle in der Vergangenheit in Kabul, im
        Irak und anderswo haben uns die Notwendigkeit einer
        besonderen Einsatzversorgung im Ausland drastisch vor
        Augen geführt.
        Wir hatten bei den letzten Änderungen der Beamten-
        gesetze die besondere Unfallfürsorge, für den qualifi-
        zierten Dienstunfall, ohnehin verändert und verbessert.
        Damals haben wir allerdings noch nicht die gestiegenen
        Anforderungen und Gefährdungen bei Auslandseinsät-
        zen vor Augen gehabt.
        Deswegen ist es gut, dass wir heute gemeinsam diese
        Verbesserungen beschließen. Ich will nicht in allen Ein-
        zelheiten auf diese Verbesserungen eingehen, sondern
        nur Schwerpunkte beleuchten.
        Für im Ausland eingesetzte Personen, gleich ob Sol-
        daten oder Beamte, die im Dienst getötet, verletzt oder
        andere Gesundheitsbeschädigungen erleiden, soll das In-
        stitut des Einsatzunfalls zur Anwendung kommen.
        Dies bedeutet stets eine Gewährung der erhöhten, so
        genannten qualifizierten, Unfallversorgung mit ruhege-
        haltsfähigen Dienstbezügen aus der Endstufe der über-
        nächsten Besoldungsgruppe.
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        Zum anderen sollen die Einmalzahlungen, zum Bei-
        piel an Witwen und versorgungsberechtigte Kinder, im
        odesfall von jetzt 38 350 Euro auf 60 000 Euro herauf-
        esetzt werden.
        Ich glaube, an den beiden genannten Schwerpunkten
        ird deutlich, dass die vorgenommenen Änderungen
        ehr gut sind, aber auch dringend erforderlich waren.
        Lassen Sie mich noch kurz ein paar Worte zu den Ver-
        nderungen sagen, die wir im Laufe des Gesetzgebungs-
        erfahrens vorgenommen haben. Das Gesetz sollte ur-
        prünglich rückwirkend zum 1. Juni 2003 in Kraft treten.
        iermit wäre sichergestellt gewesen, dass die Opfer des
        prengstoffanschlages vom 7. Juni 2003 in Kabul, nicht
        ber die Opfer des Hubschrauberabsturzes vom 21. De-
        ember 2002 in Kabul erfasst worden wären.
        Aus diesem Grunde ist mit großer Übereinstimmung
        er Termin des In-Kraft-Tretens dieses Gesetzes auf den
        . Dezember 2002 zurückverlegt worden.
        Bei den Opfern des Hubschrauberabsturzes in Kabul
        ar bei allen der qualifizierte Dienstunfall problemlos
        nerkannt worden. Nunmehr ist es rückwirkend aber
        uch möglich, den Hinterbliebenen die erhöhte Einmal-
        ahlung zu gewähren.
        In einem weiteren Änderungsantrag, der ebenfalls mit
        roßer Mehrheit verabschiedet worden ist, haben wir
        em Umstand Rechnung getragen, dass im Rahmen der
        uslandeinsätze durch die Bundeswehr, Polizei und
        HW vermehrt Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in
        esonders gefährliche Regionen entsandt werden.
        Bei diesen Auslandseinsätzen sind die Arbeitnehme-
        innen und Arbeitnehmer in gleicher Weise wie Soldaten
        nd Beamte einer erhöhten Gefährdung ausgesetzt. Des-
        alb war es nur recht und billig, diese Personengruppe
        en Beamten und Soldaten gleichzusetzen, was mit die-
        em Gesetz geschehen ist.
        Letztendlich will ich noch auf einen Punkt aufmerk-
        am machen, bei dem es auch ein hohes Maß an Über-
        instimmung gibt, auch wenn er im Gesetzgebungsver-
        ahren keinen Niederschlag gefunden hat.
        Es ist der erklärte Wille aller an diesem Gesetzesvor-
        aben beteiligten Fraktionen, Soldaten und Beamten, die
        ei Auslandseinsätzen verletzt werden, eine Weiterver-
        endung im öffentlichen Dienst zu ermöglichen. Wir
        ind der Meinung, dass sich dieses aus der besonderen
        ürsorgepflicht des Staates gegenüber seinen Soldaten
        nd Beamten ohnehin ergibt. Dennoch will ich gerade
        iese Problematik hier noch mal in besonderer Weise an-
        prechen.
        Im Ziel stimmen wir überein. Es gibt jedoch eine
        enge insbesondere verfassungsrechtlicher Fragen, wie
        ie der Gleichbehandlung oder die Konkurrenz zum
        chwerbehindertenrecht sowie weitere mögliche versor-
        ungsrechtliche Folgerungen und dienstrechtliche Fra-
        en, die bisher nicht abschließend geklärt werden konn-
        en.
        11854 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2004
        (A) )
        (B) )
        Im BMVg wird bereits seit geraumer Zeit die Ver-
        pflichtung zur Weiterverwendung verletzter Soldaten im
        öffentlichen Dienst geprüft.
        Die Zielrichtung ist klar und wir sind uns auch einig.
        Wir haben allerdings, um das laufende Gesetzgebungs-
        verfahren und den zügigen Fortgang der Einsatzversor-
        gung nicht zu gefährden, darauf verzichtet, diesen Punkt
        mit ins Gesetz zu schreiben. Gleichwohl sind sich alle
        Fraktionen darin einig, dass an der Umsetzung dieses
        Ziels weiterhin gearbeitet werden muss und wir über den
        Fortgang dieser Problematik unterrichtet werden wollen.
        Ich will mich bei allen, die an dem Zustandekommen
        dieses Gesetzes mitgewirkt haben, ganz herzlich bedan-
        ken. Wir sind damit den Notwendigkeiten bei der Ver-
        sorgung, aber auch den berechtigten Wünschen der Be-
        rufsverbände und der Soldaten und Beamten
        nachgekommen. Der Staat darf sich gerade gegenüber
        denen, die ihre Gesundheit und ihr Leben für den Frie-
        den und für die Umsetzung unserer gesellschaftlichen
        und demokratischen Ziele einsetzen, nicht kleinlich und
        knauserig zeigen.
        Von daher ist heute ein guter Tag für die, die in der
        Vergangenheit, aber auch künftig in Auslandseinsätze
        gehen müssen, wobei unser größtes Anliegen ist, mög-
        lichst bald eine Situation zu erreichen, die Auslandsein-
        sätze völlig überflüssig macht.
        Petra Heß (SPD): Für unsere Soldatinnen und Solda-
        ten ist der heutige Tag ein guter Tag, auf den sie zugege-
        benermaßen lange warten mussten. Das sage ich sehr
        wohl mit Selbstkritik in die eigene Richtung. Doch nicht
        fehlendes Engagement, sondern die Komplexität der
        Materie ist Ursache für die Dauer des Gesetzgebungs-
        verfahrens. Unser Anspruch war und ist es, ein gutes
        Einsatzversorgungsgesetz für unsere Soldatinnen und
        Soldaten auf den Weg zu bringen, das den Besonderhei-
        ten dieses Dienstes fern der Heimat gerecht wird. Die-
        sem Anspruch würden wir nicht genügen, wenn wir das
        Gesetz mit heißer Nadel gestrickt hätten. Ich bin deshalb
        froh, dass wir heute gemeinsam das Einsatzversorgungs-
        gesetz verabschieden und damit das Versorgungsrecht
        unserer Soldatinnen und Soldaten in Auslandseinsätzen
        den aktuellen Anforderungen anpassen.
        Unsere Soldatinnen und Soldaten tragen in Bosnien,
        im Kosovo, am Horn von Afrika oder in Afghanistan
        dazu bei, für die leidgeprüften Menschen dieser Regio-
        nen Sicherheit, Frieden, demokratische und menschen-
        würdige Verhältnisse zu schaffen und zu bewahren. Wir
        alle danken bei verschiedenen Anlässen den Soldaten für
        ihre Bereitschaft, sich in den Dienst für die Sicherheit
        unseres Landes und die Verteidigung Deutschlands zu
        stellen, für Freiheit und Demokratie in den Einsatzlän-
        dern einzutreten und – was immer wichtiger wird – sich
        für die Bekämpfung des wachsenden Terrorismus zur
        Verfügung zu stellen.
        Dank allein aber genügt nicht. Die Soldaten brauchen
        den Rückhalt der Gesellschaft und sie müssen sich der
        Unterstützung der großen Mehrheit des Parlaments si-
        cher sein können, denn sie verrichten den Dienst für uns
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        lle unter schwierigen und teilweise gefährlichen Bedin-
        ungen. Wir alle erinnern uns noch an den grausamen
        usanschlag und den tragischen Hubschrauberabsturz in
        abul und ganz aktuell an den terroristischen Angriff
        estern Abend auf das PRT-Team in Kunduz, bei dem
        wei Deutsche und zwei Schweizer Soldaten verletzt
        urden. Diese Geschehnisse fuhren uns eindringlich vor
        ugen, dass die Auslandseinsätze nicht ohne Risiko, ja
        usgesprochen gefährlich sind. Um so höher ist deshalb
        as Engagement unserer Soldatinnen und Soldaten zu
        ewerten, den Menschen in den Krisenregionen zu hel-
        en und sie vor Unterdrückung und Verfolgung zu be-
        ahren. Sie tun dies ausdrücklich auch im Namen des
        eutschen Parlaments. Der Schutz von Frieden, Freiheit,
        emokratie und Menschenwürde ist herausragendes
        ennzeichen unserer Verfassung, aber gleichzeitig auch
        as Markenzeichen der eigenständigen Tradition der
        undeswehr. Sie sind Orientierung für den täglichen
        ienst und Maßstab für jeden militärischen Einsatz in
        er Landes- und Bündnisverteidigung.
        Für diese schützenswerten Vorgaben unseres Grund-
        esetzes stehen unsere Soldaten ein. Deshalb müssen sie
        ich darauf verlassen können, dass unsere Gesellschaft,
        ie – das wird bisweilen vergessen – denselben Werten
        erpflichtet ist, hinter ihnen steht. Unsere Soldatinnen
        nd Soldaten sind es, die unsere sicherheitspolitischen
        nteressen im Sinne von Erhaltung des Friedens, Siche-
        ung der Freiheit und Einhaltung der Menschenrechte in
        etzter Konsequenz durch ihren persönlichen Einsatz un-
        erstützen.
        Deshalb kann es nicht beim Dank allein bleiben, son-
        ern es müssen Rahmenbedingungen geschaffen wer-
        en, die den im Einsatz befindlichen Soldatinnen und
        oldaten die Sorge um die Zukunft ihrer Angehörigen
        ehmen und ihnen Sicherheit geben, im schlimmsten
        all angemessen versorgt zu sein. Das heute zu verab-
        chiedende Einsatzversorgungsgesetz trägt dieser Forde-
        ung Rechnung. Das Versorgungsrecht ist damit den ver-
        nderten Anforderungen angepasst und entsprechend
        erbessert.
        Zwingend notwendig war aus Sicht des gesamten
        erteidigungsausschusses die ausreichende Rückwir-
        ung des Gesetzes, um auch die Opfer des Hubschrauber-
        bsturzes im Dezember 2002 einbeziehen zu können.
        eit Beginn der Auslandseinsätze sind sechs deutsche
        oldaten durch Anschläge und 51 Soldaten zum Beispiel
        urch Unfälle ums Leben gekommen und eine nicht un-
        rhebliche Anzahl wurde verletzt. Ihnen und ihren An-
        ehörigen gilt unser tiefes Mitgefühl. Die Zahl der zu
        eklagenden Opfer unterstreicht die Notwendigkeit die-
        es Gesetzes mehr denn je, auch wenn uns jedes einzelne
        chicksal bewegt.
        Abschließend möchte es nicht versäumen, all denen
        ank zu sagen, die am Zustandekommen des Gesetzes
        eteiligt waren, insbesondere den Kolleginnen und Kol-
        egen im Verteidigungs- und Innenausschuss, den Ver-
        änden und im besonderen Maße dem Verteidigungs-
        inisterium.
        Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2004 11855
        (A) )
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        Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen) (CDU/CSU):
        Auslandseinsätze sind zur Hauptaufgabe der Einsatzar-
        mee Bundeswehr geworden. Das heißt, wir schicken un-
        sere Soldaten in Krisen- oder Kriegsgebiete. Persönliche
        Unversehrtheit können wir aber nicht garantieren. Von
        den betroffenen Soldaten ist daher immer wieder die so-
        ziale Absicherung im Fall von Unfällen oder Anschlägen
        als unzureichend kritisiert worden. Wenn unsere zukünf-
        tige Sicherheitspolitik Einsätze der Bundeswehr rund um
        die Welt vorsieht, dann müssen unsere Soldaten neben
        einer adäquaten Ausrüstung insbesondere die Gewissheit
        haben, dass sie oder ihre Angehörige im Unglücksfall
        bestens abgesichert sind. Sonst verbietet es sich, unsere
        Soldaten auf gut Glück in gefährliche Einsätze zu
        schicken.
        Mehr als 7 000 Soldatinnen und Soldaten sind zurzeit
        im Auslandeinsatz. Ihre Aufträge wurden in den vergan-
        genen Jahren nicht nur zahlreicher, sondern auch gefähr-
        licher. Mehr als 50 Soldaten überlebten ihren Auslands-
        einsatz nicht. Fast doppelt so viele wurden verletzt.
        Diese Opfer von Anschlägen oder Unfällen im Aus-
        landseinsatz sollen künftig mehr Rechtssicherheit bezüg-
        lich ihrer Absicherung erhalten. Der Granatangriff auf
        das PRT in Kunduz gestern Abend mit mehreren ver-
        wundeten Soldaten, darunter einem Schwerverletzten,
        hat uns diese dringende Notwendigkeit grausam vor Au-
        gen geführt.
        Das leider erst jetzt auf den Weg gebrachte Einsatz-
        versorgungsgesetz füllt diese Lücke.
        Die Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion haben diesen
        Gesetzentwurf schon im Januar vergangenen Jahres ein-
        stimmig im Verteidigungsausschuss angenommen. Al-
        lerdings wurde in den Beratungen darauf hingewiesen,
        dass der Entwurf noch einige Schwachstellen enthält.
        Leider sind diese Schwachstellen nicht ausgeräumt
        worden. Ich habe noch des Staatssekretärs Worte im
        Ohr: „Es wird auch beim Status – Zeitsoldaten, Berufs-
        soldaten oder freiwillig Wehrdienstleistende – keinen
        Unterschied mehr geben; wird werden gleich entschädi-
        gen.“ Sehr geehrter Herr Staatssekretär, da scheint doch
        noch eine gewaltige Lücke zwischen ihren Wünschen
        und dem vorliegenden Gesetzentwurf zu klaffen. Nach
        dem heute zu verabschiedenden Text wird bei der Ent-
        schädigung ein beträchtlicher Unterschied in den Status-
        gruppen gemacht.
        Klar ist, jeder Soldat erhält im Schadensfalle einen
        Sockelbeitrag von 15 000 Euro. Danach erhält jeder Sol-
        dat auf Zeit pro zurückgelegtem Dienstjahr einen Betrag
        von 3 000 Euro, pro Dienstmonat im Unfalljahr
        250 Euro. Freiwillig Wehrdienstleistende und damit
        auch Reservisten erhalten zum Sockelbeitrag pro vollen-
        detem Dienstmonat 250 Euro. Dies ist unbefriedigend.
        Ich bitte Sie daher dringend, – vor allem angesichts
        stetig ansteigender Zahlen von freiwillig länger Dienen-
        den und Reservisten in Auslandseinsätzen –, hier eine
        Angleichung zu schaffen. Schließlich ist es bei einem
        Unglücksfall einerlei, wie lange der Betroffene schon
        bei der Bundeswehr war. Hier darf nur die ausreichende
        Entschädigung aller Soldaten Maßstab der Entscheidung
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        ein. Hier muss der Grundsatz gelten: Gleiche Gefahr,
        leiche Absicherung.
        Ein weiterer Hauptkritikpunkt ist der Ausschluss der
        insatzversorgung bei „grober Fahrlässigkeit“. Fahrläs-
        ig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt
        ußer acht lässt: § 276 Abs. 1 Satz 2 BGB. Grobe Fahr-
        ssigkeit liegt im Unterschied zu leichter Fahrlässigkeit
        ann vor, wenn die verkehrserforderliche Sorgfalt in be-
        onders schwerem Maße verletzt wird, wenn der Han-
        elnde das, was im gegebenen Fall jedermann einleuch-
        n muss, nicht beachtet. Ist diese Rechtsauffassung in
        xtremsituationen anwendbar? Ich meine nicht.
        Hier geht es nicht um unbeaufsichtigte Kerzen in den
        igenen vier Wänden oder das Aufbewahren einer Hand-
        asche unter dem Autositz.
        Niemand kann die Augen davor verschließen, dass
        die Auslandseinsätze alles andere als Routine sind –
        auch wenn es in der Öffentlichkeit mittlerweile
        vielleicht so wahrgenommen wird. Auslandsein-
        sätze sind vielmehr Extremsituationen für die Sol-
        datinnen und Soldaten.
        o Minister Struck bei einer Gelöbnisrede in Vöhl am
        7. Mai 2004. Hier gebe ich Ihnen, Herr Minister Struck,
        ollkommen Recht.
        Gerade in Auslandseinsätzen steht der einzelne Soldat
        nter einer extremen Stressbelastung, muss zum Teil in
        ekundenbruchteilen Entscheidungen treffen. Entschei-
        ungen, in denen er sich vielleicht auch vorsätzlich oder
        rob fahrlässig einer Gefährdung aussetzt. Hier die glei-
        hen Maßstäbe anzulegen wie in einem zivilen Umfeld,
        t in meinen Augen überzogen. Ich bin überzeugt, dass
        einer unserer Soldaten im Einsatz sich grob fahrlässig
        iner Gefährdung aussetzt. Daher sollte dieser Passus
        estrichen werden. Hier sollte mit viel Augenmaß und
        ingerspitzengefühl die jeweilige Situation beurteilt und
        ann entschieden werden.
        Ein für mich ebenfalls wichtiger Punkt im Hinblick
        uf die Einsatzversorgung ist die Frage der beruflichen
        ukunft von Schwerstverletzten und Versehrten. In der
        iskussion über Auslandseinsätze werden mögliche Ver-
        tzungen von Soldaten meist schamhaft ausgeklammert.
        usklammern können wir diese traurigen aber wahren
        atsachen nicht. Beim Anschlag auf unsere Soldaten in
        abul gab es neben vier Toten 28 Verwundete. Von die-
        en 28 Verwundeten erlitten fünf Soldaten schwere
        ugenverletzungen bzw. Gliedmaßenamputationen. Wie
        edenkt der Staat mit diesen Versehrten umzugehen?
        Ich bin davon überzeugt, für unsere im Einsatz auf
        auer geschädigten Soldaten hat der Staat nicht nur eine
        erpflichtung in Form von Geldzuwendungen. Hier
        uss der Staat für die berufliche Zukunft der Betroffe-
        en eine annehmbare Perspektive schaffen. Ich meine
        ier einen Rechtsanspruch auf eine staatliche Beschäfti-
        ung. Die Beschäftigung von Versehrten durch den Staat
        st in fast allen anderen Armeen der Welt bereits heute
        ealität. Wir sollten diesen Vorbildern folgen. Leere
        assen und Stellenabbau im öffentlichen Dienst dürfen
        ier nicht das Kriterium sein, sondern allein die Fürsor-
        epflicht des Staates für seine Soldaten.
        11856 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2004
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        Trotz der genannten Schwachstellen ist der Gesetz-
        entwurf ein Fortschritt für unsere Soldaten im Einsatz.
        Wir stimmen dem Gesetz zu.
        Clemens Binninger (CDU/CSU): Wenn wir heute
        in 2. und 3. Lesung das Einsatzversorgungsgesetz be-
        schließen, haben wir durch die Ereignisse am gestrigen
        Tag auch schon leider die bittere Bestätigung dafür er-
        halten, dass dieses Gesetz dringend notwendig ist.
        Der in den letzten Jahren stetig zunehmende Einsatz
        von Soldatinnen und Soldaten, Beamtinnen und Beam-
        ten sowie anderen Angehörigen des öffentlichen Diens-
        tes an den Krisenherden der Welt, sei es in Afghanistan
        oder auf dem Balkan, um nur zwei Beispiele zu nennen,
        macht deutlich, dass wir hier für diese Menschen auch
        besondere Regelungen für den Fall brauchen, dass sie
        bei diesen Einsätzen verletzt oder im schlimmsten Fall
        sogar getötet werden.
        Im Wesentlichen geht es dabei um die stetige Gewäh-
        rung der erhöhten Unfallversorgung für Beamte und für
        Berufssoldaten, um Ausgleichzahlungen nach dem Solda-
        tenversorgungsgesetz an Angehörige anderer Statusgrup-
        pen, um die Anhebung der Beiträge für die einmalige Ent-
        schädigung sowie die Vereinfachung der Regelungen
        zum vermögensrechtlichen Schadenausgleich.
        Der Gesetzentwurf sieht das Inkrafttreten zum 1. De-
        zember 2002 vor, um auch noch den Fall des Hubschrau-
        berabsturzes am 21. Dezember 2002 in Kabul mit zu er-
        fassen. Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt es sehr, dass
        sich die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktio-
        nen unsere Position zu Eigen gemacht hat, hatten wir
        doch von Anfang an eine Datierung des Gesetzes auf
        dieses Datum gefordert, während die Bundesregierung
        zunächst am Datum 1. Juni 2003 festhalten wollte.
        Da aber auch die in Kabul betroffenen Soldaten bzw.
        deren Hinterbliebene die gesteigerten Versorgungsleis-
        tungen nachträglich erhalten sollen, ohne dabei in einen
        Zustand einer gewissen Rechtsunsicherheit belassen zu
        werden, ist die Vordatierung nur konsequent und richtig.
        Bislang unberücksichtigt ist im Gesetzentwurf der
        Bundesregierung der Grundsatz, einsatzbedingt ver-
        sehrte Beamte und Soldaten möglichst bei ihrem bisheri-
        gen Dienstherrn weiter einzusetzen. Finanzielle Hilfen,
        wie wir sie jetzt mit diesem Gesetzentwurf gewähren,
        sind ohne Frage unverzichtbar, aber für viele einsatzbe-
        dingt versehrte Beamte und Soldaten ist es genauso
        wichtig, hinterher, zwar in anderer Funktion, aber doch
        noch vom gleichen Dienstherrn weiter eingesetzt werden
        zu können.
        Nachdem wir dies im Ausschuss thematisiert hatten,
        habe ich es als positiv empfunden, dass Kollege Kemper
        von der SPD, aber auch die Vertreter der Bundesregie-
        rung dieses Problem als zutreffend erkannt haben, und
        hier eine Lösung gefunden werden muss. Da hiermit
        aber schwierige rechtliche Fragen verbunden sind, die
        zuvor geprüft werden müssen, vertraue ich auf die Zusa-
        gen der Vertreter der SPD-Fraktion und der Vertreter der
        Bundesregierung im Innenausschuss, dieses Thema an-
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        ugehen und in absehbarer Zeit einen Lösungsvorschlag
        u präsentieren.
        Gestatten Sie mir zum Abschluss noch zwei Worte
        es Dankes: zum einen an all die Menschen, die in unse-
        em Auftrag an den Krisenherden dieser Welt im Einsatz
        ind und mit ihrem Einsatz und zwar mit ihrem ganz per-
        önlichen Einsatz, dazu beitragen, dass die Welt ein
        tück weit friedlicher und demokratischer wird, und
        um anderen an die Angehörigen dieser Menschen, die
        hepartner, die Geschwister, die Eltern, Großeltern, Kin-
        er oder Freunde, für die der Einsatz genauso eine be-
        ondere Belastung darstellt. Beide Gruppen dürfen wir,
        ie die politischen Beschlüsse fassen, aus denen sich die
        insätze ergeben, nicht alleine lassen.
        Das Einsatzversorgungsgesetz ist ein parteiübergrei-
        ender Beitrag hierzu, den die CDU/CSU-Fraktion auch
        usdrücklich mitträgt. Und ich glaube, ich spreche in Ih-
        er aller Namen, dass wir froh sind, wenn wir dieses Ge-
        etz so selten wie möglich anwenden müssen.
        Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/DIE
        RÜNEN): Ich freue mich, dass ich hier auch einmal zu
        inem Thema sprechen kann, bei dem große Einigkeit
        errscht.
        Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf reagieren wir
        uf die neuen Herausforderungen, die sich aus unseren
        ermehrten internationalen humanitären und unterstüt-
        enden Verpflichtungen ergeben.
        Die Soldatinnen und Soldaten, Beamtinnen und Be-
        mten, die im Ausland ihren Dienst tun, leisten hervorra-
        ende Arbeit und tragen dazu bei, problematische Re-
        ionen sicherer zu machen. An dieser Stelle möchte ich
        ich bei ihnen allen im Namen meiner Fraktion hierfür
        edanken. Diese wichtige Arbeit ist leider oft mit einer
        rhöhten Gefahr verbunden, denen die Beamten und Sol-
        aten ausgesetzt sind. Das wird uns gerade wieder am
        eutigen Tage vor Augen geführt mit dem Angriff der
        adikalislamischen Taliban auf das Bundeswehrcamp im
        ordafghanischen Kunduz, bei dem fünf Deutsche ver-
        etzt wurden. Aber auch beim Hubschrauberabsturz in
        abul im vergangenen Dezember oder beim tragischen
        od der zwei GSG-9-Beamten wurde dies offensichtlich.
        Die bisherigen versorgungsrechtlichen Regelungen
        aren nicht auf derartige Gefahrenlagen zugeschnitten.
        Mit der jetzigen Regelung wollen wir das Versor-
        ungsrecht bei Auslandseinsätzen eben diesen veränder-
        en Anforderungen mit folgenden Neuregelungen anpas-
        en:
        Ab jetzt gibt es eine „Einsatzversorgung“, die ge-
        ährt wird, wenn sich ein „Einsatzunfall“ ereignet hat.
        Ein Einsatzunfall liegt zum Beispiel dann vor, wenn
        oldaten oder Beamte während einer besonders gefährli-
        hen Verwendung im Ausland, zum Beispiel bei huma-
        itären und unterstützenden Einsätzen im Ausland, einen
        nfall oder eine Erkrankung erleiden, die eine Gesund-
        eitsschädigung verursacht.
        Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2004 11857
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        Die Einsatzversorgung umfasst grundsätzlich alle Leis-
        tungen der Dienstunfallfürsorge. Allerdings geht sie da-
        rüber hinaus: So wird stets die qualifizierte Unfallversor-
        gung von 80 Prozent der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge
        aus der Endstufe der übernächsten Besoldungsgruppe ge-
        währt. Zweitens wird die einmalige Entschädigung für
        hinterbliebene Ehegatten und Kinder für Inlands- und
        Auslandsunfälle wird im Falle des Todes von
        38 350 Euro auf 60 000 Euro aufgestockt. Schließlich
        werden die Leistungsregelungen zum vermögensrechtli-
        chen Schadenausgleich in besonderen Fällen verein-
        facht.
        Das zeigt: Wir wollen sowohl für die unmittelbar Be-
        troffenen aber auch deren Familie die Folgen der erhöh-
        ten Gefahren wenigstens versorgungsrechtlich und damit
        finanziell abmildern.
        Mit dem Vorziehen des In-Kraft-Tretens soll auch der
        Fall der abgestürzten Hubschrauber vom 21. Dezember
        2002 erfasst werden.
        Lassen Sie mich zum Schluss noch die auch im In-
        nenausschuss diskutierte Frage des Anspruchs auf Wei-
        terverwendung für im Ausland verletzte Soldaten und
        Beamte ansprechen. Sie, meine Kolleginnen und Kolle-
        gen von der Union, hatten hierzu ja auch ursprünglich im
        Innenausschuss einen Änderungsantrag vorgelegt. Auch
        wir haben natürlich dieses Problem gesehen und es be-
        steht auch hier Einigkeit, dass wir diesbezüglich etwas
        tun müssen. Allerdings sind an diese Regelung kom-
        plexe dienstrechtliche und verfassungsrechtliche Frage-
        stellungen geknüpft, die noch einer vertieften Auseinan-
        dersetzung bedürfen. Da wir die eben erläuterten
        Regelungen nun aber schnell auf den Weg bringen wol-
        len, werden diese Fragen im laufenden Verfahren zu-
        nächst nicht behandelt. Auch hierüber bestand ja gestern
        im Innenausschuss Einigkeit.
        Günther Friedrich Nolting (FDP): Mit dem Ein-
        satzversorgungsgesetz setzt die Bundesregierung einen
        Beschluss des Verteidigungsausschusses vom 15. Januar
        2003 um, das Versorgungsrecht bei Auslandseinsätzen
        an die veränderten Anforderungen anzupassen und dem-
        entsprechend auszubauen und zu verbessern.
        Die FDP unterstützt den Gesetzentwurf. Er ist die lo-
        gische Konsequenz aus der vor dem Hintergrund der
        besonderen geschichtlichen Erfahrung und vor dem Hin-
        tergrund der Ereignisse vom 11. September 2001 getrof-
        fenen Grundentscheidung der Bundesrepublik Deutsch-
        land, international mehr Verantwortung zu übernehmen.
        Das geschieht seitdem auf vielfältige Weise, zum Bei-
        spiel durch internationale Friedenseinsätze, die auch
        durch militärisches Engagement unterstützt werden. Wer
        im Außenverhältnis mehr Verantwortung übernimmt,
        muss dies auch im Innenverhältnis tun und die Beamten,
        Soldaten und sonstigen Angehörigen des öffentlichen
        Dienstes entsprechend absichern. Machen wir uns nichts
        vor, derartige Einsätze sind immer mit einer besonderen
        Gefahr für Leib und Leben verbunden und mit Inlandstä-
        tigkeiten oder anderen Auslandstätigkeiten nicht zu ver-
        gleichen. Hierfür gibt es Beispiele. Lassen Sie mich an
        dieser Stelle nur das Sprengstoffattentat auf Angehörige
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        es deutschen ISAF-Kontingents im Sommer 2003 in
        abul erwähnen, bei dem vier Soldaten getötet und
        9 Soldaten verletzt wurden, oder den Anschlag vom
        estrigen Abend in Kunduz, bei dem es drei Verletzte
        egeben hat.
        Der Gesetzentwurf sieht einen Ausbau und eine Ver-
        esserung des Versorgungsrechts vor. Darüber hinaus
        erden die Voraussetzungen für die einzelnen Versor-
        ungsleistungen vereinheitlicht, um größere Rechtssicher-
        eit zu erreichen und Versorgungsunterschiede zwischen
        en einzelnen Statusgruppen zu beseitigen. Hiermit ist
        ie FDP ausdrücklich einverstanden.
        Ganz besonders freue ich mich, dass ein breiter Kon-
        ens hergestellt werden konnte und alle Fraktionen dem
        ekenntnis zu gesteigerter Außenverantwortung ein Be-
        enntnis zu einer entsprechenden Innenverantwortung
        aben folgen lassen. Das gilt auch für die Einigung, das
        esetz rückwirkend zum 1. Dezember 2002 statt wie ur-
        prünglich vorgesehen zum 1. Juni 2003 in Kraft treten
        u lassen. Hierfür hat sich die FDP frühzeitig eingesetzt.
        ie Änderung war erforderlich, um den Hubschrauber-
        bsturz vom 21. Dezember 2002 in Kabul bereits dem
        euen, deutlich verbesserten Recht zu unterstellen.
        Es bleibt zu hoffen, dass das Gesetz nicht allzu häufig
        ur Anwendung gelangen muss. Es bleibt zu hoffen, dass
        en Menschen, die für Deutschland und für den Weltfrie-
        en international Verantwortung übernehmen, Schick-
        alsschläge wie zum Beispiel in Kabul und Kunduz er-
        part bleiben.
        nlage 11
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung der Beschlussempfehlung und des
        Berichts zu der Unterrichtung: Vorschlag für
        einen Rahmenbeschluss des Rates über die
        Europäische Beweisanordnung zur Erlangung
        von Sachen, Schriftstücken und Daten zur
        Verwendung in Strafverfahren (Tagesordnungs-
        punkt 15)
        Axel Schäfer (Bochum) (SPD): Eine Entschließung
        ie heute zum Vorschlag für einen Rahmenbeschluss
        es EU-Ministerrates über die Europäische Beweisan-
        rdnung zur Erlangung von Sachen, Schriftstücken und
        aten zur Verwendung in Strafverfahren ist im Bereich
        er Politikgestaltung für den Deutschen Bundestag im-
        er noch Neuland.
        Was machen wir und wie machen wir es? Gemäß
        rt. 23 Abs. 3 Satz 1 GG nehmen wir Stellung gegen-
        ber der Bundesregierung vor oder auch während deren
        itwirkung an Rechtsetzungsakten der EU. Die Bundes-
        egierung berücksichtigt unsere Position in Brüssel – da-
        on können wir selbstverständlich ausgehen.
        Dieses 1992 eingeführte Recht ist bisher – und das
        üssen wir selbstkritisch feststellen – von uns nicht um-
        assend genutzt worden. Gerade im Hinblick auf die
        ünftige EU-Verfassung gewinnt unsere Beteiligung
        usätzliche Bedeutung: Die Rechte der nationalen
        11858 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2004
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        Parlamente werden im Allgemeinen gestärkt, speziell
        wird ein Frühwarnsystem eingeführt – Stichwort: Subsi-
        diarität –, womit wir die Gewichte innerhalb der Ge-
        meinschaft ein Stück weit neu justieren. Jetzt begeben
        wir uns von der Höhe des Verfassungsrechts quasi in die
        Niederungen des politischen Alltags.
        Dabei müssen wir über das Grundverständnis Eini-
        gung erzielen: Mit diesem Verfahren wollen wir so viel
        parlamentarischen Einfluss des Bundestages wie mög-
        lich und zugleich so viel Handlungs- und Verhandlungs-
        spielraum der Bundesregierung wie nötig.
        Als Abgeordnete stehen wir dabei vor einer doppelten
        Aufgabe: Erstens unsere Exekutive, die im Gesetzge-
        bungsdreieck der EU die deutschen Interessen vertritt,
        beeinflussend zu prägen und zweitens das Europäische
        Parlament auf Fach- wie auf Fraktionsebene meinungs-
        bildend zu kontaktieren.
        Dabei kommt es auf unser Engagement, auf unsere.
        Kompetenz, aber auch auf unsere personellen Möglich-
        keiten an. Geklärt werden muss: Wie konzentrieren wir
        uns als Legislative auf die entscheidenden Rechtsthe-
        men, ohne dass wir eine „Dritte Kammer“ der nationalen
        Parlamente im europäischen Gesetzgebungsverfahren
        anstreben. Um es zu wiederholen: Unser Adressat ist die
        Bundesregierung als Vertreter Deutschlands in der EU.
        Unser Partner ist zugleich das Europäische Parlament,
        über dessen Arbeit wir häufig zu wenig wissen und mit
        dem wir zu selten intensive Beziehungen pflegen.
        Die Beteiligung als deutsche Abgeordnete an der EU-
        Rechtssetzung hat eine horizontale und eine vertikale
        Dimension. Horizontal heißt: Wir müssen dazu beitra-
        gen, in den politischen Parteifamilien mehr an europäi-
        scher Identität zu entwickeln. Das gilt für die Sozial-
        demokraten sicher genauso wie für Christdemokraten
        bzw. Konservative, Grüne und Liberale. Vertikal heißt:
        Wir müssen dazu beitragen, den Standpunkt unseres
        Landes in Europa zur Geltung zu bringen.
        Gerade bei wichtigen EU-Debatten hat sich bisher
        nämlich gezeigt, wie groß die Gemeinsamkeiten zwi-
        schen SPD, CDU/CSU, Grünen und FDP sind. Ich erin-
        nere dabei an Themen wie Tabakwerbeverbot, Ge-
        brauchsmusterschutz und Abgeordnetenstatut. Das gilt
        auch – wenn ich es recht sehe – bei der heutigen Thema-
        tik im Hinblick auf die Vorlagen der Regierungsfraktio-
        nen einerseits und der Opposition andererseits zur EU-
        Beweisanordnung.
        Wir fordern die Bundesregierung auf, sich für fol-
        gende Verhandlungsziele einzusetzen: Erstens Kompati-
        bilität dieses Rahmenbeschlusses mit bisherigen Rechts-
        akten und Präzisierung vorgesehener Deliktgruppen;
        zweitens Sicherung von Verweigerungsgründen, wenn
        Maßnahmen gegen gemeinsame Grundsätze und Grund-
        rechte speziell die Mindestgarantien der Europäischen
        Menschenrechtskonvention verstoßen; drittens Ergän-
        zung des Rahmenbeschlusses im Hinblick auf ein faires
        Verfahren und Berücksichtigung der Belange des Daten-
        schutzes sowie viertens gemeinsame Mindestanforde-
        rungen im Hinblick auf Erhebung und Verwertung von
        Beweisen.
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        Insbesondere wird auf eine entsprechende Resolution
        es Europäischen Parlaments vom 31. März 2004 ver-
        iesen, die sehr detailliert auf die Notwendigkeiten aus
        egislativer Sicht eingeht.
        Keine Einigkeit besteht darin, inwieweit wir von
        ornherein unsere Zustimmung zur EU-Beweisanord-
        ung von der Erfüllung bestimmter Forderungen abhän-
        ig machen: Die Koalition gibt der Regierung den erfor-
        erlichen Spielraum und beschreibt die Chancen
        uropäischer Politik, während die Opposition eher rest-
        iktiv vorgehen will und mehr die Risiken bei einem
        ünftigen europäischen Rahmenbeschluss thematisiert.
        eide ziehen auch Konsequenzen aus einem früheren,
        ichtigen Rahmenbeschluss; ich denke dabei an die Pro-
        leme beim Europäischen Haftbefehl. Erst in der Praxis
        ird sich Schritt für Schritt zeigen, ob unsere jetzige
        orgehensweise funktioniert bzw. was wir verbessern
        der verändern müssen.
        Unbestritten ist: Das partielle Demokratiedefizit in-
        erhalb der EU und zwischen den Mitgliedstaaten bei
        estimmten europäischen Angelegenheiten muss besei-
        igt werden! Die entscheidende Frage lautet: Wie kom-
        en wir in der EU, die eine Gemeinschaft sui generis,
        in Verbund von Rechtsstaaten ist, auch im Bereich des
        trafrechts weiter? Hier geht es in erster Linie um die
        erbesserung der Zusammenarbeit, um grenzüberschrei-
        ende Maßnahmen und erst in der weiteren Perspektive
        m Integration. Das ist – salopp formuliert – im Bereich
        nnen und Justiz schon etwas anderes als bei Vollendung
        es Binnenmarktes.
        Unser Beschluss ist sowohl eine wichtige Aufforde-
        ung an die Bundesregierung als auch eine bedeutsame
        nforderung an uns selbst. Wir leisten exemplarisch
        orreiterdienste bei der Europäisierung von innerstaatli-
        her Politik. Der Rechtsausschuss hat sich durch seinen
        nterausschuss Europarecht in den vergangenen zwei
        ahren mit einer Ausweitung des Tagungsrhythmus, ei-
        er Aktualisierung der Beratung und einer Intensivie-
        ung der Diskussion sowohl in Berlin als auch in Brüssel
        uf den Weg gemacht.
        Mit der heutigen Entschließung nehmen wir, anders
        ls bisher, unsere Regierung in die Pflicht und verpflich-
        en uns selbst zur Kontrolle und zur Mitgestaltung bei
        er Durchsetzung deutscher Interessen. Diese basiert auf
        nserem Verständnis von Politik, unserer Rechtskultur
        es Grundgesetzes und auf der Achtung von parlamenta-
        ischer Demokratie und den rechtsstaatlichen Traditio-
        en in den anderen Mitgliedstaaten. Weil wir uns in
        5 Staaten der EU gegenseitig respektieren, wollen wir
        estehende Regelungen gegenseitig anerkennen, sie zu-
        leich im Sinne von Europatauglichkeit verbessern und
        as gemeinsame Europa auch als Rechtsraum voranbrin-
        en.
        Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Das Europa-
        echt ist zu einer der wichtigsten Rechtsquellen in
        eutschland geworden: Beinahe jedes zweite Gesetz hat
        einen Ursprung in Brüssel, wobei sich etwa 70 Prozent
        er Gesetze, die dort beschlossen werden, direkt auf das
        ersönliche Leben der Bürgerinnen und Bürger auswir-
        Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2004 11859
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        ken. Europäische Rechtssetzungsakte sind also für unser
        Land sehr bedeutsam. Wir Parlamentarier haben deshalb
        die Aufgabe, sorgfältig und aufmerksam zu überwachen,
        was da von Brüssel kommt und wie mit diesen Initiati-
        ven umgegangen wird.
        Art. 23 Abs. 3 GG in Verbindung mit dem Gesetz
        über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und
        Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union
        regelt, dass der Deutsche Bundestag in Angelegenheiten
        der Europäischen Union „mitwirkt“, also nicht allein die
        Regierung das Europarecht beeinflussen kann. Der
        Deutsche Bundestag nimmt diese in der Verfassung vor-
        gesehene europapolitische Mitwirkungs- und Kontroll-
        funktion meiner Ansicht nach bislang nur mangelhaft
        wahr. Aufgrund von Informations- und Koordinations-
        defiziten findet eine inhaltliche Auseinandersetzung mit
        der Flut von EU-Vorlagen oft gar nicht oder nur begrenzt
        statt. So wurden in der 14. Wahlperiode von insgesamt
        3 137 EU-Vorlagen nur 116, also lediglich 3,7 Prozent
        der Beschlussempfehlungen im Plenum des Bundestags
        behandelt.
        Es ist höchste Zeit, diesen Zustand zu beenden. Na-
        türlich muss nicht über jede Vorlage debattiert werden.
        Wir werden uns auf die bedeutsamen Rechtsakte kon-
        zentrieren müssen. Eine Erhöhung der oben genannten
        Zahlen ist aber unabdingbar. Dabei geht es letztlich auch
        um die bisher fehlende öffentliche Diskussion über euro-
        parechtspolitische Entscheidungen und die dadurch auch
        fehlende ausreichende Information der Bürgerinnen und
        Bürger.
        Die CDU/CSU hat dieses Manko erkannt und arbeitet
        an den notwendigen Verbesserungen. Und die anderen
        Fraktionen dieses Hauses sind meiner Kenntnis nach
        auch dabei, den allgemein erkannten Missstand zu behe-
        ben. Wir sind deshalb auf dem richtigen Weg. Der Unter-
        ausschuss Europarecht hat die Zahl seiner Sitzungen im
        Vergleich zu früher deutlich erhöht und eine Kommis-
        sion arbeitet notwendige Änderungen aus.
        Das heute zu debattierende Thema der Europäischen
        Beweisanordnung zeigt den Fortschritt übrigens auch.
        Der Deutsche Bundestag macht heute seine verfassungs-
        mäßigen Rechte aus Art. 23 GG frühzeitig geltend und
        gleicht dadurch ein Demokratiedefizit aus, das mit Rah-
        menbeschlüssen des Europäischen Rates verbunden ist.
        Bei diesen Beschlüssen ist das Europäische Parlament
        lediglich angehört worden und hat selbst nicht entschie-
        den. Die Nationalstaaten haben dann nur noch umzuset-
        zen, ohne Einfluss auf die Grundsatzentscheidung.
        Deshalb ist es von hoher Bedeutung, dass das deut-
        sche Parlament hier eine Stellungnahme abgibt. Diese
        hat zwar keine bindende Wirkung für die Regierung,
        aber im Antrag von CDU/CSU und FDP wird die Bun-
        desregierung jedenfalls aufgefordert, die Bedenken des
        Deutschen Bundestages zu beachten und den Beschluss
        gegebenenfalls abzulehnen. Dieser etwas andere Akzent
        zum Antrag der Koalitionsparteien ist wohl auch der
        Hauptgrund, warum keine fraktionsübergreifende Stel-
        lungnahme erfolgt ist, obwohl die Kritikpunkte an dem
        Rahmenbeschluss des Rates von allen Fraktionen wei-
        testgehend geteilt werden. Nach Ansicht meiner Frak-
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        ion macht eine Einflussnahme des Parlamentes nach
        rt. 23 GG nur dann Sinn, wenn der Regierung ein kla-
        er Auftrag erteilt und nicht eine freundliche Aufforde-
        ung mit auf den Weg gegeben wird. Wir sind uns alle
        inig, dass wir Verbesserungen der strafrechtlichen Zu-
        ammenarbeit in Europa dringend brauchen. Gerade im
        ereich der Kriminalitätsbekämpfung ist es äußerst
        ichtig, endlich Grundlagen für ein wirksames gemein-
        ames Handeln zu schaffen, denn die Ländergrenzen
        tellen für Straftäter bei der Begehung schwerster De-
        ikte schon lange kein Hindernis mehr dar.
        In den letzten Jahren wurden im Bereich der polizeili-
        hen und justiziellen Zusammenarbeit auf europäischer
        bene zwar schon erhebliche Fortschritte erzielt, aber im
        ereich des Straf- und Strafprozessrechts gibt es immer
        och Nachholbedarf. Seit vielen Jahren reden die Mit-
        liedstaaten der Europäischen Union darüber, dass end-
        ich eine Angleichung der Rechtssysteme erfolgen
        üsse. Auf der Tagung des Europäischen Rates in Tam-
        ere wurde vereinbart, dass der Grundsatz der gegensei-
        igen Anerkennung zum Eckstein der justiziellen Zusam-
        enarbeit sowohl in Zivil- als auch in Strafsachen
        erden soll. Davor und danach sind zahlreiche Rechts-
        kte ergangen, wie beispielsweise das Schengen-Über-
        inkommen von 1990, das EU-Übereinkommen vom
        ai 2000 über die Rechtshilfe in Strafsachen sowie des-
        en Protokoll von 2001. Letztere sind jedoch noch nicht
        n Kraft getreten.
        Wir haben dennoch ein Bündel von Abkommen und
        rotzdem erfolgt die Zusammenarbeit im Bereich der Be-
        eiserhebung noch immer im Wege der herkömmlichen
        echtshilfeverfahren. Trotz dieser Vereinbarungen kann
        lso ein Richter, der Beweise für eine Straftat benötigt,
        ie in einem anderen Land vorliegen, diese Beweismittel
        icht einfach anfordern. Er muss sich stattdessen einem
        omplizierten Verfahren unterwerfen, worauf der Deut-
        che Richterbund in seiner Stellungnahme zur Europäi-
        chen Beweisanordnung hingewiesen hat. Dadurch lei-
        et die notwendige Effizienz und Schnelligkeit solcher
        erfahren.
        Mit der Europäischen Beweisanordnung soll es den
        rmittlungsbehörden der EU-Mitgliedstaaten ermöglicht
        erden, auf vereinfachtem Rechtshilfewege Sachen,
        chriftstücke und Daten in anderen Mitgliedstaaten be-
        chlagnahmen zu lassen und deren Übermittlung zu ver-
        angen. Damit wird es in Zukunft möglich sein, Beweis-
        ittel auf einfache, schnelle und effektive Weise zu
        rlangen und dem ersuchenden Staat zu übergeben.
        Der Vorschlag für eine Europäische Beweisanord-
        ung ist meiner Ansicht nach ein erster wichtiger Schritt,
        m die zahlreichen internationalen und europäischen
        bkommen über die grenzüberschreitende Erhebung
        on Beweismitteln durch einen einzigen EU-Rechtsakt
        u ersetzen. So weit, so gut.
        Jedoch enthält der Vorschlag der Europäischen Kom-
        ission auch einige Mängel, die ausdrücklich genannt
        erden müssen. So wird mit dem vorliegenden Vor-
        chlag für eine Europäische Beweisanordnung artver-
        andt zum Europäischen Haftbefehl wiederum nur
        unktuell ein strafrechtlicher Teilbereich in Europa
        11860 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2004
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        geregelt. Der große Wurf, ein erkennbares Gesamtsys-
        tem fehlt. Eine einheitliche Grundlage in der Europäi-
        schen Union wäre meines Erachtens aber der sinnvolle
        und notwendige Ausgangspunkt sämtlicher weiterer
        Schritte im Straf- und Strafprozessrecht. Mit dem bishe-
        rigen Vorgehen zäumt man das Pferd quasi von hinten
        auf und läuft Gefahr, das die einzelnen Teilbereiche spä-
        ter nicht mehr zusammenpassen. Es droht also eine
        Rechtszersplitterung mit allen negativen Folgen für eine
        strafrechtliche Zusammenarbeit in Europa.
        Deshalb muss schon jetzt dafür gesorgt werden, dass
        der Rahmenbeschluss über die Europäische Beweisan-
        ordnung unter zeitlicher Zusammenführung aller anhän-
        gigen Rahmenbeschlüsse im Bereich des Straf- und
        Strafprozessrechts umgesetzt wird. Und die Bundesre-
        gierung muss dafür eintreten, dass sämtliche Rechtsakte
        auf diesem Gebiet kompatibel sind.
        Ein weiteres Problem stellen die unterschiedlichen
        Mindeststandards im Bereich der Strafverfahren in den
        einzelnen Mitgliedstaaten dar. Deshalb sollte in den Ver-
        handlungen festgestellt werden, welche Defizite in die-
        sem Bereich bestehen und beseitigt werden müssen.
        Der heute debattierte Rahmenbeschluss enthält
        schließlich in Art. 16 Abs. 2 eine Liste von Deliktgrup-
        pen – zum Beispiel Terrorismus, Korruption und Sabo-
        tage –, mit der ein Katalog von Straftaten beschrieben
        wird, bei denen die beiderseitige Strafbarkeit nicht mehr
        nachgeprüft werden soll. Damit wird ein bisher elemen-
        tares Prinzip für bestimmte Delikte in Europa aufgeho-
        ben. Hier ist angesichts fehlender Rechtsangleichung in
        den Mitgliedstaaten zu hinterfragen, ob tatsächlich mit
        Blick auf die Beschuldigtenrechte bei massiven Grund-
        rechtseingriffen auf den Grundsatz der beiderseitigen
        Strafbarkeit verzichtet werden kann. Jedenfalls ist aber
        auf die Bestimmtheit der Straftatbestände zu achten. Die
        Bundesregierung ist aufgefordert, bei den Verhandlun-
        gen dafür zu sorgen, dass diese Deliktgruppen aus Art.
        16 des Beschlusses noch präziser gefasst und näher defi-
        niert werden.
        Im vorliegenden Beschlussvorschlag vermisse ich
        auch noch einige andere wichtige Faktoren. Beispiels-
        weise fehlt eine Regelung dazu, wann und unter welchen
        Umständen die Justiz im ersuchten Staat die begehrte
        Maßnahme verweigern kann. Das dürfte bei Verstößen
        gegen Grundrechte oder Grundsätze der EMK angezeigt
        sein. Zudem muss sichergestellt sein, dass grundlegende
        Verfahrensprinzipien des Vollstreckungsstaates und ein
        faires Verfahren für den Angeklagten nicht beeinträch-
        tigt werden. Dies gilt gerade für Fragen des Rechtsschut-
        zes, wenn im Mitgliedstaat und in Deutschland unter-
        schiedliche Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen gelten.
        Die CDU/CSU unterstützt alle Bemühungen, die zu
        einer Verbesserung des europäischen Rechtsraumes und
        der dadurch notwendigen Kooperation in Europa führen.
        Das Strafrecht ist allerdings ein sensibles Feld der euro-
        päischen Zusammenarbeit. Die Europäische Beweisan-
        ordnung stellt sich wiederum nur als ein Teil eines Jus-
        tizpuzzles in Europa dar. Es ist aber zwingend, ein
        Gesamtbild zu haben und es auch zusammenzufügen.
        Daran muss die Bundesregierung arbeiten und der Deut-
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        che Bundestag muss sich dabei beteiligen und mitarbei-
        en – so wie wir es heute getan haben und in Zukunft
        och häufiger tun müssen.
        Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die
        uropäische Union soll ein einheitlicher Raum der Frei-
        eit, der Sicherheit und des Rechts werden. In 25 Staa-
        en, von Malta bis Schweden und von Polen bis Portugal
        ollen die Bürgerinnen und Bürger Europas unter einem
        inheitlichen Recht leben und das gleiche Maß an Frei-
        eit genießen. Besonders sensibel ist dieser Prozess der
        ereinheitlichung im Bereich der Strafverfolgung und
        es Strafverfahrens.
        Die Harmonisierung von materiellen Strafnormen
        chreitet voran. Von Geldwäsche bis zum Menschenhan-
        el reicht die Palette. Bei der Umsetzung in deutsches
        echt ergeben sich vielschichtige Probleme, die eine ei-
        ene vertiefte Debatte verdienten. Heute geht es um die
        ntwicklung eines einheitlichen Strafprozesses in der
        uropäischen Union, und zwar sowohl im Stadium des
        rmittlungsverfahrens als auch in der Verhandlung vor
        ericht.
        Es gibt einen breiten Konsens darüber, dass der Weg
        u einem Europäischen Strafprozess über das Instrument
        er gegenseitigen Anerkennung und Vollstreckung na-
        ionalstaatlicher Beschlüsse und Urteile gehen wird. In
        er Diskussion sind zum Beispiel die Anerkennung von
        icherstellungen von Vermögensgegenständen, die Voll-
        treckung und Einziehung von Geldstrafen und Geldbu-
        en. Genau in diesem Zusammenhang steht der heutige
        egenstand der Beratung: der Vorschlag zur gegenseiti-
        en Anerkennung von nationalen Beschlüssen über die
        rlangung von Sachen, Schriftstücken und Daten: die
        uropäische Beweisanordnung.
        Einen ersten Akt der gegenseitigen Anerkennung und
        ollstreckung von Beschlüssen im Strafverfahren haben
        ir bereits in deutsches Recht umgesetzt – angesichts
        er allseits festgestellten erheblichen rechtsstaatlichen
        robleme sage ich, umsetzen müssen –: den Europäi-
        chen Haftbefehl. Es hat eine sehr kontroverse und hef-
        ige Debatte ausgelöst, dass die Europäische Union mit
        em schwerwiegendsten Eingriff in bürgerliche Frei-
        eitsrechte, dem Haftbefehl begonnen hat, während zum
        eispiel bezüglich der gegenseitigen Anerkennung von
        berwachungsmaßnamen ohne Freiheitsentzug erst ein
        rünbuch, also ein Diskussionspapier vorgelegt worden
        t.
        Der Weg zu einem von den Bürgerinnen und Bürgern
        uropas akzeptierten einheitlichen Raum der Freiheit
        nd des Rechts, der Weg über die gegenseitige Anerken-
        ung nationaler Entscheidungen kann nur weiter gegan-
        en werden, wenn er auf ein Vertrauen der Bürgerinnen
        nd Bürger in die Rechtsstaatlichkeit der Strafgerichts-
        arkeit der Mitgliedstaaten aufbaut. Ich darf zur Ver-
        eutlichung aus dem Grünbuch der Kommission zur ge-
        enseitigen Anerkennung strafrechtlicher Sanktionen
        om 30. April 2004 zitieren:
        Dieses Vertrauen beruht auf dem gemeinsamen So-
        ckel von Überzeugungen, der durch das Eintreten
        Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2004 11861
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        der Mitgliedstaaten für die Grundsätze der Freiheit,
        der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte
        und Grundfreiheiten und der Rechtsstaatlichkeit ge-
        bildet wird.
        Damit wird deutlich, welch eine zentrale Bedeutung
        dieses Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger Europas in
        die Rechtsstaatlichkeit der Mitgliedstaaten für die Ver-
        wirklichung eines einheitlichen Raums der Freiheit und
        des Rechts hat. Ich füge aber hinzu: dieses Vertrauen ist
        nicht einfach da, es muss erzeugt und verdient werden.
        Das ist die zentrale Aufgabe einer guten Gesetzgebung
        des sich bildenden europäischen Strafprozessrechts.
        Als wichtige, vielleicht die wichtigste vertrauensbil-
        dende Maßnahme kommt es darauf an, dass sich die Mit-
        gliedstaaten auf gemeinsame Mindeststandards für Ver-
        fahrensgarantien in Strafverfahren einigen. Dies ist nicht
        nur meine und, wie ich hoffe, unsere Auffassung im
        Deutschen Bundestag. Es ist auch die Überzeugung der
        Kommission, die sich genau darauf im Grünbuch über
        Verfahrensgarantien in Strafverfahren vom 19. Februar
        2003 festgelegt hat. Zu diesen Mindestgarantien gehören
        unter anderem: das Recht der Unschuldsvermutung, das
        Recht auf Aussageverweigerung, das Recht auf rechtli-
        chen Beistand, das Recht auf faire Erhebung und Ver-
        wertung von Beweisen, das Recht auf Einlegung von
        Rechtsmitteln und der Grundsatz ne bis in idem.
        Keine dieser Mindestgarantien ist bisher im Recht der
        Europäischen Union verankert. Nur zu ganz wenigen
        gibt es über den Stand von Grünbüchern hinausgehende
        Arbeiten der Kommission. Erst seit dem 28. April 2004
        gibt es einen ersten Vorschlag über einen Rahmenbe-
        schluss zu einigen wenigen dieser notwendigen Verfah-
        rensgarantien. Wir sind also noch ganz am Anfang der
        Ausbildung des doch als so notwendig erkannten Ver-
        trauens der Bürgerinnen und Bürger in die Richtigkeit
        und Rechtsstaatlichkeit des eingeschlagenen Wegs der
        gegenseitigen Anerkennung nationaler Entscheidungen
        in Strafverfahren. Hier liegt, auf den Punkt gebracht, das
        Problem, über das wir heute endlich im Deutschen Bun-
        destag reden.
        Wir erhalten von der Kommission einen Vorschlag für
        einen Rahmenbeschluss über eine Europäische Beweis-
        anordnung, während es zur Fairness bei der Erhebung
        und Verwertung von Beweisen noch nicht einmal ein
        Grünbuch gibt.
        Ich darf dazu die Kommission aus dem angesproche-
        nen Grünbuch zu Verfahrensgarantien in Strafverfahren
        zitieren:
        Das Recht auf Fairness bei der Beweiserhebung
        und Verwertung ist zu komplex, um es im Rahmen
        eines Grünbuchs, welches sich mit einer ganzen
        Reihe von Rechten auseinander setzt, zu behandeln.
        Die Kommission hat deshalb beschlossen, diesem
        Thema mehr Zeit zu widmen und eine Studie dazu
        in Auftrag zu geben. Dabei wird zu untersuchen
        sein das Recht zu Schweigen, das Recht auf Zeu-
        genvernehmung, das Problem anonymer Aussagen,
        das Recht auf Offenlegung entlastender Beweise,
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        die Auslegung der Unschuldsvermutung und zahl-
        reiche weitere Aspekte des Beweisrechts.
        Wir sind in Sorge, dass die Disparität der schnellen
        ntwicklung der exekutiven Anteile in Strafverfahren ei-
        erseits und die zögerliche Entwicklung einheitlicher
        indestgarantien eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens
        n der Europäischen Union andererseits das Vertrauen
        er Bürgerinnen und Bürger Europas in diesen Prozess
        icht befördern, sondern beschädigen kann. Deshalb ha-
        en wir uns entschlossen, von unserem Recht nach
        rt. 23 GG Gebrauch zu machen und in Richtung der
        undesregierung, noch mehr aber in Richtung der Kom-
        ission klar zu formulieren, wie wir uns den weiteren
        eg der Verwirklichung des einheitlichen Raums von
        reiheit, Sicherheit und Recht in der Europäischen
        nion vorstellen: nicht nur als Raum einer europäischen
        olizei, einer europäischen Staatsanwaltschaft, mitei-
        ander effektiv und effizient zusammenarbeitender Ge-
        ichte der Mitgliedstaaten, sondern auch und vor allen
        ingen als einen Raum mit Verfahrensgarantien für die
        etroffenen und Beschuldigten und damit grundsätzlich
        ür alle Bürgerinnen und Bürger Europas.
        Professor Peter-Alexis Albrecht hat in der „Zeitschrift
        ür Rechtpolitik“ im Februar dieses Jahres die derzeitige
        ntwicklung zu einem europäischen Strafrechtsraum als
        inen Albtraum bezeichnet. Ich teile seine Empörung
        icht, auch wenn ich sie verstehen kann. Es ist kein guter
        eg, dass erst die Europäischen Haftbefehle in der Eu-
        opäischen Union kommen und später erst die Verfas-
        ungsgarantien. Es ist kein guter Weg, dass jetzt mit der
        uropäischen Beweisanordnung an die Beschlagnahme
        on Abhörprotokollen von Telefonüberwachungen ge-
        acht wird, aber nicht an rechtsstaatliche Mindeststan-
        ards ihrer Anordnung und Kontrolle.
        Deshalb ist unsere Entschließung so richtig und not-
        endig. Wir wollen damit der Bundesregierung den
        ücken stärken, unsere Vorstellung von einer rechts-
        taatlichen Entwicklung eines Raums der Freiheit, der
        icherheit und des Rechts in der Europäischen Union zu
        ertreten und durchzusetzen.
        Rainer Funke (FDP): Ich hoffe, Sie sind sich alle
        er Bedeutung der heutigen Debatte bewusst. Zum ers-
        en Mal macht der Deutsche Bundestag von seinem
        echt gemäß Art. 23 Abs. 3 GG im Bereich der Rechts-
        olitik Gebrauch und legt eine Stellungnahme zum Vor-
        chlag eines EU-Rahmenbeschlusses vor. Ich hätte mich
        aher sehr gefreut, wenn es gelungen wäre, gemeinsam
        it allen Fraktionen eine Stellungnahme zu verabschie-
        en. Letztlich sind wir uns in der Bewertung des Sach-
        erhaltes einig.
        Mit dem Vorschlag des Europäischen Rates soll die
        trafrechtliche Beweisaufnahme innerhalb der EU grenz-
        berschreitend erleichtert werden. So sollen die Strafver-
        olgungsbehörden künftig die Beschlagnahme von
        chriftstücken und Daten europaweit anordnen können.
        amit wird, nach Einführung des Europäischen Haftbe-
        ehls, erneut eine gegenseitige Anerkennung justizieller
        ntscheidungen begründet, ohne dass das Strafrecht und
        trafprozessrecht europaweit harmonisiert ist. Dadurch
        11862 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2004
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        besteht die Gefahr einer Rechtszersplitterung. Der Rah-
        menbeschluss führt nicht zu einer Harmonisierung der
        nationalen Vorschriften, sondern lässt sie unverändert
        nebeneinander bestehen. Dadurch wären unüberschau-
        bare Strafverfahren geschaffen, die für den einzelnen
        Beschuldigten je nach Rechtslage und jeweiligem Mit-
        gliedsland zu unterschiedlicher Behandlung führen.
        Bedenklich sind abermals die in dem Vorschlag vor-
        gesehenen Deliktgruppen. Diese sind allesamt nicht hin-
        reichend bestimmt und werden ebenfalls zu großer
        Rechtsunsicherheit führen. Bereits bei der Einführung
        des Europäischen Haftbefehls hat die FDP hierzu erheb-
        liche Bedenken vorgetragen.
        Es ist daher sehr bedauerlich, dass die Koalitionsfrak-
        tionen aufgrund des massiven Drucks aus dem Bundes-
        justizministerium nur zu einer Stellungnahme mit eher
        weich gespülten Formulierungen bereit waren. Der von
        den Koalitionsfraktionen ursprünglich vor der Sommer-
        pause vorgelegte Entwurf war aus Sicht der FDP zustim-
        mungsfähig. Darin wurde die Bundesregierung aufgefor-
        dert, dem Entwurf des Rahmenbeschlusses in der
        jetzigen Fassung nicht zuzustimmen. Gerade die Erfah-
        rungen, die wir kürzlich mit dem europäischen Haftbe-
        fehlsgesetz gemacht haben, machen deutlich, wie wich-
        tig es ist, dass der Bundestag frühzeitig seine Bedenken
        unmissverständlich vorträgt und der Bundesregierung
        klare Handlungsoptionen aufzeigt. Dazu gehört auch,
        der Bundesregierung die Grenzen ihrer Zustimmungsfä-
        higkeit aus Sicht des deutschen Gesetzgebers deutlich zu
        machen. Bei der Umsetzung des EU-Rahmenbeschlus-
        ses zur Einführung des Europäischen Haftbefehls wurde
        der Bundestag erst mit der Verabschiedung des Umset-
        zungsgesetzes einbezogen. Einfluss auf den Rahmenbe-
        schluss hatte der Bundestag nicht.
        Ich rufe in Erinnerung, dass das Europäische Parla-
        ment bei der Beratung von Rahmenbeschlüssen lediglich
        angehört wird und sich die nationalen Parlamente der
        Mitgliedstaaten nur mit den Gesetzen zur Umsetzung
        des Rahmenbeschlusses befassen. Dies bedeutet, dass
        der Deutsche Bundestag keinen unmittelbaren Einfluss
        auf die Grundsatzentscheidung hat. Um dieses Demo-
        kratiedefizit auszugleichen, ist es unabdingbar, dass der
        Deutsche Bundestag zum frühstmöglichen Zeitpunkt
        seine Forderungen artikuliert. Es muss der Gefahr vorge-
        beugt werden, dass mit der Einräumung eines weiten
        Handlungsspielraums für die Bundesregierung mit die-
        ser Stellungnahme ein Präjudiz für weitere Verfahren ge-
        schaffen wird.
        Wir werden uns schon bald mit weiteren europäischen
        Rechtsakten zur Rechtspolitik zu befassen haben, so
        zum Beispiel bei der Stärkung von Opferrechten, beim
        Europäischen Mahnverfahren und bei der Harmonisie-
        rung der Verfahrensrechte in Strafverfahren. Damit wird
        unser nationales Rechtssystem durch die europäischen
        Vorgaben erheblich beeinflusst. Es ist daher dringend ge-
        boten, dass wir als Gesetzgeber, getragen von unseren
        eigenen Rechtstraditionen, eine klare Position vertreten.
        Die Fraktionen von FDP und CDU/CSU haben daher
        in ihrem Entschließungsantrag an die Bundesregierung
        die Forderung erhoben, ihre Zustimmung zu dem Rah-
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        enbeschluss von der angemessenen Durchsetzung der
        ben genannten Forderungen abhängig zu machen.
        Dessen ungeachtet danke ich allen Berichterstattern
        er Fraktionen für die guten Beratungen. Die sachliche
        tmosphäre abseits allen Parteienstreits lässt mich hof-
        en, dass es uns künftig gelingen wird, eine gemeinsame
        osition des Bundestages zu Fragen der europäischen
        echtspolitik zu finden.
        nlage 12
        Zu Protokoll gegebene Rede
        zur Beratung der Anträge:
        – Belarus vor den Parlamentswahlen und dem
        Referendum
        – Belarus vor den Parlamentswahlen 2004
        (Tagesordnungspunkt 16)
        Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
        n der östlichen Grenze der Europäischen Union liegt
        in Staat, dessen innerer Zustand immer mehr an die
        erhältnisse zu Zeiten der Sowjetunion erinnert: Bela-
        us. Unser Nachbarland ist eine Diktatur. Eine sich frei
        ntfaltende Zivilgesellschaft gibt es nicht, ebenso wenig
        nabhängige Medien. Eine demokratische Opposition
        xistiert kaum noch. Ihre Vertreter wurden verhaftet, ins
        xil getrieben oder anders zum Schweigen gebracht.
        rst vor wenigen Tagen verhängte die Europäische
        nion Sanktionen gegen eine Reihe führender belarussi-
        cher Beamter. Darunter ist auch der amtierende Gene-
        alstaatsanwalt. Sie werden verdächtigt, an der Ermor-
        ung mehrerer Oppositioneller beteiligt gewesen zu
        ein. Eine unabhängige Untersuchung der Fälle lehnt die
        egierung in Minsk ab, gerichtliche Untersuchungen
        erden behindert. Die Parlamentarische Versammlung
        es Europarates hat ihre Beziehungen zu Belarus deswe-
        en schon im April dieses Jahres völlig abgebrochen.
        Die OSZE, die einzige europäische und transatlanti-
        che Organisation, in der Belarus Mitglied ist, hatte der
        egierung im Juli einen Vertrauensvorschuss gegeben.
        ie verzichtete auf eine Resolution zu den bevorstehen-
        en Wahlen. Die belarussische Delegation hatte schrift-
        ich erklärt, diese würden frei und fair verlaufen. Nach
        en Erfahrungen mit der Politik Lukaschenkas bedürfte
        s allerdings ziemlicher Anstrengungen, westliche
        eobachter davon zu überzeugen. Die letzten Parla-
        entswahlen waren nach Einschätzung von OSZE,
        uroparat und Europäischem Parlament alles andere als
        emokratisch. Es gab zahllose Wahlverstöße. Uner-
        ünschte Kandidaten wurden nicht zugelassen, der Rest
        assiv behindert. Zugang zu den Medien gab es kaum
        ür sie. Diese Umstände hatten alle westlichen Institu-
        ionen bewogen, auf eine formale Wahlbeobachtung zu
        erzichten. Dem offensichtlichen Täuschungsmanöver
        ukaschenkas sollte keine Legitimation verliehen wer-
        en, indem man es ernst nahm. Das Ergebnis ist entspre-
        hend: Ganze sechs oppositionelle Abgeordnete gibt es
        m Parlament, das 110 Sitze hat. Und sie sitzen auch nur
        Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2004 11863
        (A) )
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        deshalb dort, weil sie Lukaschenkos Kandidaten unter-
        stützt hatten. Wes Geistes Kind die meisten Abgeordne-
        ten sind, zeigt eine Erklärung des Parlaments vom Juni
        dieses Jahres. Darin solidarisiert es sich mit dem frühe-
        ren jugoslawischen Präsidenten Milosevic und seiner
        Politik und fordert seine Freilassung.
        Nun stehen wieder Parlamentswahlen an. Nach der
        Erklärung im Juli hat die OSZE diesmal eine Wahl-
        beobachtungsdelegation entsandt. Sie wird nicht nur die
        Wahl selbst, sondern die letzten Wochen ihrer Vorberei-
        tung beurteilen können. Eine Delegation des Europara-
        tes, die Anfang August in Belarus war, kam allerdings zu
        einer deprimierenden Einschätzung der Voraussetzungen
        für freie und faire Wahlen. Auch andere Berichte laufen
        darauf hinaus: Es ist wie bisher.
        Wichtiger noch als die Parlamentswahlen ist das
        gleichzeitig angesetzte Referendum. Nun ist gegen ein
        Referendum zunächst nichts einzuwenden. Vorausset-
        zung allerdings sind demokratische Grundlagen und
        Transparenz. Diese Voraussetzungen fehlen in Belarus
        ganz offensichtlich. Das macht schon den Vorgang un-
        glaubwürdig. Vor allem aber geht es um das Ziel des Re-
        ferendums. Denn die Verfassung soll geändert werden,
        um Lukaschenka zum Präsidenten auf Lebenszeit wer-
        den zu lassen. Zwar geht das aus der Frage, über die ent-
        schieden werden soll, nicht direkt hervor. Aber die Ana-
        lyse des zu ändernden Artikels läuft darauf hinaus: Die
        Beschränkung auf zwei Amtszeiten für den Präsidenten
        wird ersatzlos aufgehoben.
        Lukaschenko hat viel versprochen, um sich beliebt zu
        machen. Das hat er laut einiger Umfragen auch nötig:
        Danach erklären sich nur 25 Prozent der Wählerinnen
        und Wähler für ihn. Das ist zwar kein Maßstab für bela-
        russische Wahlergebnisse, die immer satte Mehrheiten
        für ihn ergeben. Aber es nötigt ihn zu populistischen
        Maßnahmen. So will er zum Beispiel die Durchschnitts-
        einkommen verdoppeln. Selbst wenn es stimmen würde,
        dass die Wirtschaft um 10 Prozent wächst, wie er be-
        hauptet: Eine solche Einkommenssteigerung wäre nur
        mithilfe von Gelddruckmaschinen möglich.
        Wenn das noch skurril zu nennen wäre – der Umgang
        mit Nichtregierungsorganisationen zum Beispiel ist an-
        ders zu bewerten. Viele werden nicht registriert oder ih-
        nen wird die Registrierung entzogen. Damit sind sie für
        illegal erklärt. Der Zugang zu westlichen Spendenmit-
        teln und Zuschüssen, auf die die meisten von ihnen an-
        gewiesen sind, wird massiv beschnitten. Internetseiten
        und der E-Mail-Verkehr werden überwacht. Es ist kein
        Zufall, dass vor allem Menschenrechtsorganisationen
        betroffen sind.
        Zeichen für den Willen zur Demokratie sind das
        nicht, ganz im Gegenteil. Und es ist auch kein Zeichen
        für demokratische Entwicklung, wenn die letzte vom
        Staat unabhängige Universität, die europäische Grund-
        werte vermittelte, durch blanke Willkür geschlossen
        wurde. Das Fehlen jeder inhaltlichen Begründung dafür
        zeigt den Grund: Es ist schiere Angst vor westlichen
        Gastprofessoren und vor demokratisch denkenden Stu-
        denten.
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        Belarus unter Lukaschenko ist nicht nur weit entfernt
        om Ziel der Demokratie. Es ist vom Weg abgekommen.
        er Verlauf der Wahlen ist immer noch eine Chance.
        ir können nur hoffen, sie wird genutzt.
        nlage 13
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
        Umsetzung der EG-Richtlinie über die Bewer-
        tung und Bekämpfung von Umgebungslärm
        (Tagesordnungspunkt 18)
        Petra Bierwirth (SPD): Lärm führt mittlerweile zu
        en gravierendsten Umwelt- und Gesundheitsproblemen
        n unserem dicht besiedelten, hoch industrialisierten und
        erkehrsreichen Land. Der Lärm nimmt nach wie vor
        her zu als ab. In Deutschland fühlen sich zwei Drittel
        er Bevölkerung von Straßenlärm, fühlt sich mehr als
        in Drittel von Fluglärm, circa ein Fünftel von Schienen-
        erkehrslärm sowie ein Viertel von Industrie- und Ge-
        erbelärm belästigt. Lärm ist aber weit mehr als nur ein
        eines Ärgernis. Er mindert die Lebensqualität und be-
        inträchtigt unsere Gesundheit. Der Schutz von Wohnge-
        ieten gegen Lärm ist ein wichtiges Ziel der Umwelt-
        nd Städtebaupolitik in Deutschland und Europa.
        Die rot-grüne Bundesregierung hat sowohl in der
        oalitionsvereinbarung von 1998 als auch in der von
        002 die nachhaltige Minderung der Lärmbelastung als
        iel festgeschrieben. In der 14. Legislaturperiode wur-
        en unter anderem 1999 von der Regierung 100 Millio-
        en DM für die Lärmsanierung an Schienenstrecken be-
        eitgestellt. Der heute vorliegende Entwurf eines
        esetzes zur Umsetzung der EG-Richtlinie 2002/49/EG
        ber die Bewertung von Umgebungslärm macht einmal
        ehr deutlich, dass die Gewährleistung eines hohen Ge-
        undheits- und Umweltniveaus ein wesentlicher Be-
        tandteil unserer Umweltpolitik ist. Inhalt der Umge-ungslärmrichtlinie ist einerseits die Ermittlung der
        elastung der Bevölkerung durch Umgebungslärm und
        ndererseits das Erstellen von Aktionsplänen zur Ver-
        eidung und Verminderung von Lärm. Dieser Gesetz-
        ntwurf greift erstmals das Ziel auf, Umgebungslärm zu
        ermeiden, ihm vorzubeugen oder ihn zu verhindern.
        Um dieses Ziel zu erreichen, sieht der Entwurf Rege-
        ungen zur Umsetzung vor. Es sind unter anderem Rege-
        ungen für die Aufstellung und Inhalte von strategischen
        ärmkarten, Regelungen für die Aufstellung und die
        nhalte von Aktionsplänen, Regelungen von Vollzugs-
        risten für die Aufstellung und die Aktualisierung von
        trategischen Lärmkarten und Aktionsplänen sowie Re-
        elungen für eine aktive Öffentlichkeitsbeteiligung. Ich
        egrüße ausdrücklich, dass mit diesem Gesetz eine stra-
        egische Lärmkartierung und Lärmminderungsplanung,
        LMP, eingeführt werden soll. Die SLMP gewährleistet,
        ass zukünftig für alle Hauptverkehrsstraßen, Hauptei-
        enbahnstrecken und Hauptverkehrsflughäfen sowie in
        allungszentren auch für sonstige Hauptlärmquellen
        ärmkarten erstellt werden müssen. Weiterhin werden
        ie Bürgerinnen und Bürger über die Lärmbelastung
        11864 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2004
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        informiert und sie können aktiv bei der Erstellung der
        Lärmminderungspläne mitwirken. Das vorliegende Ge-
        setz wird in das BlmSchG integriert. Das Bundes-lmmis-
        sionsschutzgesetz enthält bis dato lediglich eine Vor-
        schrift zur örtlichen Lärmminderungsplanung. Aber
        durch den Gesetzentwurf wird es als zentrales Gesetz für
        die SLMP ausgestaltet. Die Empfehlungen des Bundes-
        rates zu dem Entwurf werden wir im Umweltausschuss
        prüfen und beraten. Der Lärm von Kraftfahrzeugen,
        Flugzeugen, Zügen, Gewerbe und Industrie tritt in der
        Realität nicht isoliert voneinander, sondern gemeinsam
        auf. Angesichts dessen und der Millionenzahl von Lärm
        betroffener Personen geht kein Weg an einer dauerhaften
        Lärmminderung und -sanierung vorbei. Natürlich verur-
        sacht so eine Verbesserung auch Kosten, über die ge-
        sprochen werden muss. Aber wir wissen alle, dass die
        Kosten für eine Vorsorge geringer sind als die Kosten für
        eine Nachsorge. Lärmschutz ist Umwelt- und Gesund-
        heitsschutz.
        Franz Obermeier (CDU/CSU): „Was lange währt,
        wird endlich gut,“ sagt der Volksmund. Ich aber sage es
        hier mit einem ganz, ganz dicken Fragezeichen dahinter.
        Richtig ist, dass es wieder einmal sehr lange, um nicht
        zu sagen: viel zu lange, gedauert hat, bis unser Bun-
        desumweltminister zur Tat geschritten ist. Sozusagen
        erst kurz nach dem Verfallsdatum – die von der EU ge-
        setzte Umsetzungsfrist ist am 18. Juli 2004 abgelaufen –
        wird endlich ein Gesetzentwurf vorgelegt. Die Umset-
        zung der EU-Umgebungslärm-Richtlinie in nationales
        Recht ist ein weiterer Mosaikstein zum Schutz der Bür-
        ger vor Lärmbelästigungen. Sie steht in engem Zusam-
        menhang mit der Novellierung des Fluglärmgesetzes.
        Denn unter anderem sollen die zuständigen Behörden
        strategische Lärmkarten für Hauptverkehrsflughäfen,
        Hauptverkehrsstraßen, Eisenbahnstrecken sowie Indus-
        trie- und Gewerbeanlagen aufstellen und dazu Gegen-
        maßnahmen festlegen.
        Aber das zögerliche Vorgehen passt ins Gesamtbild:
        allergrößte Betroffenheit und dann folgt lange nichts. Im
        Jahr 1998 wurde uns von Herrn Bundesminister Trittin
        und Kollegen vollmundig die Novellierung des Flug-
        lärmgesetzes versprochen. Seit Mai 2000 kann man auf
        der Internetseite des Bundesumweltministeriums ein
        paar Eckpunkte als Ankündigungsbaustelle anschauen.
        Nun hat unser Kollege Winfried Hermann von Bündnis 90/
        Die Grünen am vergangenen Donnerstag in der Debatte
        zum Luftverkehrsstandort Deutschland versucht, uns
        noch etwas Hoffnung und Zuversicht mit auf den Weg
        zu geben. Man werde nun voraussichtlich noch in die-
        sem Jahr einen Entwurf einbringen können. So vage und
        verzagt klang es nicht nur in meinen Ohren.
        Im Klartext heißt das: Nach sage und schreibe sechs
        Jahren gibt es nicht einmal einen abgestimmten Referen-
        tenentwurf. Stattdessen gilt noch immer das Fluglärmge-
        setz von 1971 mit völlig überholten Werten, mit Werten,
        die weder das heutige Verkehrsaufkommen noch die
        technischen Möglichkeiten oder gesundheitliche As-
        pekte von Lärmbelastungen nach modernem Erkenntnis-
        stand berücksichtigen. Auch um eine grundsätzliche Ab-
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        ägung zwischen internationaler Wettbewerbsfähigkeit,
        limaschutz, Anwohnern, Wohlstand und Arbeitsplät-
        en können wir uns nicht länger herumdrücken. Der jet-
        ige Schwebezustand dient niemandem. Er dient nicht
        en Anwohnern und verhindert Planungssicherheit bei
        nvestoren. Das können wir uns einfach nicht leisten.
        50 000 Arbeitsplätze sind direkt oder indirekt vom
        uftverkehr abhängig. Wir brauchen endlich Entschei-
        ungen.
        Ich warne davor, dass unsere Regierung bei der jetzt
        nstehenden Umsetzung der EU-Umgebungslärm-Richt-
        inie einen Nebenschauplatz zur Hauptbühne macht.
        enn wie schon oft finden sich im deutschen Gesetzent-
        urf auf einmal Regelungen, die die europäischen Vor-
        aben bei weitem übertreffen. Auf der rot-grünen Um-
        elt-Überholspur fahren wir mit unseren nationalen
        erschärfungen vor die Wand. Es wird noch komplizier-
        er, es dauert alles noch länger und kosten tut es ohnehin
        ehr, als wir uns noch leisten können.
        Im Bundesrat hat es für den Gesetzentwurf eine schal-
        nde Ohrfeige gegeben. Nach Auffassung des Bundes-
        ates kann dem Gesetzentwurf in der vorliegenden Fas-
        ung nicht zugestimmt werden. Die Empfehlungen der
        eteiligten Ausschüsse umfassen nicht weniger als
        1 Kritikpunkte. Folgerichtig wird denn auch eine kon-
        eptionelle Neuausrichtung gefordert.
        Als Erstes ist der Entwurf ein hohler Luftballon. Wo
        ie verschiedenen Behörden – Landesluftfahrtbehörden,
        emeinden, Landesstraßenbaubehörden, Eisenbahnbun-
        esamt und Behörden für Industrie- und Gewerbeanla-
        en – materielle Bestimmungen erwarten, an denen sich
        lle einheitlich orientieren können, Fehlanzeige. Es gibt
        ie nicht. Das soll erst später durch den Erlass von
        echtsverordnungen nachgeholt werden. Dabei leuchtet
        dem ein, dass die im Gesetz verwendeten Fachbegriffe
        lar definiert sein müssen. Es müssen die technischen
        etails der Kartierung genannt werden. Welcher Art sol-
        n die zu erhebenden Daten sein? Welche Formate sol-
        n sie haben? Es muss ein praktikabler Datenaustausch
        ewährleistet sein, die Daten müssen vergleichbar sein
        nd eine Mindestqualität haben.
        Und vor allem aber brauchen wir eine Antwort auf die
        rage: An welchen Zielen und Zielwerten sollen sich die
        ehörden bei der Bekämpfung des Umgebungslärm orien-
        eren? Oder ganz einfach ausgedrückt: Was ist laut und
        ann muss ich was dagegen unternehmen? Das alles ist
        ffen gelassen.
        Ich greife weitere Punkte heraus: Für die Länder und
        emeinden stellt sich die weitere Frage, welche Kosten
        ntstehen werden und wer sie tragen soll. Auch diese
        pannende Frage ist völlig offen. Die Regelungen zur
        eteiligung der Öffentlichkeit gehen weit über die An-
        orderungen der Richtlinie hinaus. Sie sind zu kompli-
        iert. Sie entsprechen weitgehend den Vorschriften zu
        auplanungsverfahren. Das ist für einen Lärmminde-
        ungsplan, ein Verwaltungsinternum, nicht erforderlich.
        ier wird ein neues, völlig unnötiges Verfahren entwi-
        kelt. Es wird mal wieder ein Bürokratiesaurier geboren.
        Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2004 11865
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        Die von der Bundesregierung vorgesehene Einbezie-
        hung der BlmSchG-Anlagen ist in der EU-Richtlinie so
        nicht vorgesehen. Eine 1:1-Umsetzung ist völlig ausrei-
        chend. Die vorgesehene strategische Umweltprüfunq für
        die Lärmminderungsplanung ist ebenfalls eine nationale
        Verschärfung. Bei der gleichzeitigen Novellierung des
        UVPG – Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer
        Strategischen Umweltprüfung und zur Umsetzung der
        Richtlinie 2001/2 42/EG – Bundesratsdrucksache 588/04 –
        wird der Lärmschutz nicht als Umweltbereich genannt.
        Da die Lärmminderungsplanung in aller Regel keine ne-
        gativen Auswirkungen auf die Umwelt hat, sondern die
        Umweltqualität positiv verändern soll, ist die Strategi-
        sche Umweltprüfung wirklich entbehrlich.
        Kurzum, auch hier wird eine völlig entbehrliche Ver-
        fahrensverdoppelung in die Welt gesetzt. Das ist
        schlichtweg das Gegenteil von Deregulierung und Ent-
        bürokratisierung, der Krankheit, an der unser Land zu er-
        sticken droht.
        Ich sage zum Schluss: Nachsitzen ist angesagt. Der
        Gesetzentwurf muss noch mal von Grund auf neu über-
        legt werden. Überflüssiges muss raus und die Lücken
        müssen hinreichend ausgestaltet werden.
        Michael Kauch (FDP): Mit der Umsetzung der EU-
        Umgebungslärm-Richtlinie wird erstmalig die Aufstel-
        lung von strategischen Lärmkarten und Lärmminde-
        rungsplänen verbindlich geregelt. Damit wird ein wichti-
        ger Schritt zur Lärmbekämpfung gemacht. Die FDP
        unterstützt dieses Vorhaben in der Sache, weil damit
        endlich eine Erfassung und die Gleichbehandlung aller
        Lärmquellen erfolgt.
        Doch wieder einmal hinkt Deutschland mit der Um-
        setzung einer Richtlinie hinterher und versäumt die vor-
        gegebene Frist. Denn bereits zum 18. Juli dieses Jahres
        hätte die Umgebungslärm-Richtlinie in nationales Recht
        umgesetzt werden müssen.
        Auch inhaltlich ist der Gesetzentwurf kritisch zu be-
        urteilen. Der Entwurf weist an einigen Stellen Mängel
        auf. Gesetzesformulierung und -systematik sind nur zum
        Teil gelungen. Bedenklich sind auch die vielen offenen
        und ungeklärten Ausführungs- und Begriffsbestimmun-
        gen, die erst durch Rechtsverordnungen konkretisiert
        werden sollen. Es ist nicht nachvollziehbar, warum nicht
        schon das Gesetz zum Beispiel Kriterien für die
        Erforderlichkeit, Zielwerte und Ziele für Lärmminde-
        rungspläne festlegt. Schließlich sind die europäischen
        Vorgaben der Umgebungslärm-Richtlinie durch Be-
        griffsbestimmungen und Definitionen vielfach klar und
        lassen keinen Interpretationsspielraum mehr für den na-
        tionalen Gesetzgeber.
        Dieser Tagesordnungspunkt wäre ein guter Anlass ge-
        wesen, auch über ein anderes Gesetz zu reden, das sich
        dem Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor Ver-
        kehrslärm widmet. Wir hätten hier und heute über den
        Antrag der FDP-Fraktion zur Novellierung des Flug-
        lärmgesetzes debattieren können. Das wäre auch sinn-
        voll gewesen, denn der Gesetzentwurf zum Umgebungs-
        lärm bezieht sich in einem Paragraphen auf die noch
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        icht eingebrachte Novelle des Fluglärmgesetzes. Doch
        ie Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün haben das
        erhindert.
        Warum verweigern Sie die Debatte zur Novellierung
        es Fluglärmgesetzes? Liegt der Grund darin, dass Sie
        eit zwei Legislaturperioden eine Modernisierung des
        eltenden Fluglärmgesetzes ankündigen, aber bis heute
        ichts passiert ist? Oder liegt es daran, dass der jetzige
        eferentenentwurf des Umweltministeriums eine Ent-
        äuschung für alle Betroffenen ist? Vielleicht liegt es
        ber auch daran, dass Sie über den Entwurf heillos zer-
        tritten sind!
        Wir haben mit unserem Antrag „Lärmschutz ist Ge-
        undheitsschutz – Fluglärmgesetz jetzt modernisieren“
        ie Bundesregierung aufgefordert, uns endlich einen Ge-
        etzentwurf zur Novellierung des Fluglärmgesetzes vor-
        ulegen. Doch auch der aktuelle Anlauf von Trittin ist im
        nteressengestrüpp der Regierung hängengeblieben.
        Die FDP steht für einen fairen und angemessenen
        usgleich zwischen den betroffenen Anwohnern, den
        utzern des Flugverkehrs sowie den Luftfahrtgesell-
        chaften und Flughafenbetreibern. Denn Lärmschutz ist
        esundheitsschutz.
        Jürgen Trittin, Bundesminister für Umwelt, Natur-
        chutz und Reaktorsicherheit: Umweltlärm mindert die
        ebensqualität vieler Menschen erheblich. Jeder Zweite
        n Deutschland ist durch Lärm betroffen. Lärm macht
        rank. Wissenschaftliche Studien belegen, dass das Ri-
        iko, krank zu werden, bei andauernd hohen Lärmbelas-
        ungen wächst.
        Hauptquelle des Umgebungslärms ist heute der Ver-
        ehr: Straßenverkehr, Schienenverkehr und Luftverkehr.
        m Verkehrslärm zu reduzieren, gibt es weder einfache
        och schnell zu realisierende Lösungen. Zurzeit haben
        ir ein zersplittertes und sektorales Lärmschutzrecht. Es
        st geprägt von Kompromissen und spiegelt die Interes-
        enskonflikte: auf der einen Seite der Wunsch nach ver-
        tärktem Lärmschutz, auf der anderen die wirtschaftli-
        hen Interessen von Unternehmen und die technischen
        öglichkeiten. Die Folge sind unterschiedliche Maß-
        täbe und Schutzniveaus. Im Ergebnis ist der jetzige
        ärmschutz wenig effektiv.
        Für die Bürger – und das Gesundheitssystem – ist das
        ein Dauerzustand. Wir müssen eine systematische und
        er Lebenswirklichkeit entsprechende Gesamtlärmbe-
        ertung erreichen.
        Der Gesetzentwurf der Bundesregierung legt dafür
        en Grundstein: Er ist sektorübergreifend. Er stärkt das
        ärmschutzrecht insgesamt. Die Umgebungslärmrichtli-
        ie bezieht alle Hauptlärmquellen ein: Straße, Schiene,
        lughäfen, Industrie- und Gewerbe. Das Ziel ist ein ge-
        einsames Konzept zur Bewertung und Bekämpfung
        on Umgebungslärm. Dazu gehören auch vorbeugende
        aßnahmen. In den nächsten Jahren werden für alle
        auptverkehrsstraßen, Haupteisenbahnstrecken, große
        lughäfen und Ballungsräume strategische Lärmkarten
        nd Aktionspläne zur Lärmminderung erstellt. Dafür
        ibt es verbindliche Terminpläne. Die Bevölkerung soll
        11866 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2004
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        umfassend über die vorhandene Belastung unterrichtet
        werden. Wir stellen sicher, dass sich die Bürgerinnen
        und Bürger effektiv an der Aufstellung von Lärmminde-
        rungsplänen beteiligen können. Die Umweltminister-
        konferenz hat im Mai 2003 die Bedeutung dieses Geset-
        zes betont. Die Länder unterstützen im Grundsatz das
        Ziel, dieses Gesetz zur Minderung des Umgebungslärms
        einheitlich für alle Verkehrsbereiche zu gestalten und es
        im Bundes-Immissionsschutzgesetz zu verankern.
        Die Zahl der Menschen wächst, für die Ruhe einen
        hohen ideellen und materiellen Wert darstellt. Sie erwar-
        ten von uns durchgreifende, effektive Maßnahmen.
        Lärmschutz kostet zwar, aber er lohnt sich – in vielfälti-
        ger Hinsicht: Ausgeruhte Schüler und Arbeitnehmer
        leisten mehr als unausgeschlafen-gereizte. Sie tragen zu
        einem angenehmen Arbeitsklima bei. Sie fehlen weni-
        ger. Sie werden weniger krank. In Lärmschutz zu inves-
        tieren, heißt schlechten Arbeitsergebnissen, Fehlzeiten
        und Krankheiten vorbeugen. Lärmschutz macht Straßen
        wieder zu Kommunikationsräumen. Lärmschutz macht
        Städte lebenswerter und beugt damit auch der Zersiede-
        lung der Landschaft vor. Lärmschutz ist ein Gebot der
        Nachhaltigkeit.
        Anlage 14
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Antrags: Für eine demokra-
        tische und freie Präsidentenwahl 2004 in der
        Ukraine (Zusatztagesordnungspunkt 5)
        Jelena Hoffmann (Chemnitz) (SPD): Zunächst ein-
        mal möchte ich als Vorsitzende der Deutsch-Ukraini-
        schen Parlamentariergruppe des Deutschen Bundestages
        meine Freude darüber zum Ausdruck bringen, dass wir
        heute über das wunderschöne Land, die Ukraine, unse-
        ren neuen EU-Nachbarn, diskutieren. Ich hoffe sehr,
        dass unsere Debatte das Bewusstsein fördert, dass wir
        seit dem 1. Mai, nach der Osterweiterung der Europäi-
        schen Union, in Europa veränderte Verhältnisse haben,
        die nicht nur uns selbst betreffen, sondern auch unsere
        neuen Nachbarn. Ich hoffe weiter, dass die Debatte dazu
        beiträgt, die neue Nachbarschaft besser kennen zu ler-
        nen. Ich selbst bin jedenfalls der festen Überzeugung,
        dass wir alle in Bezug auf die Ukraine, die gar nicht so
        weit von uns entfernt ist, noch einiges dazulernen kön-
        nen, was wir bei der Reise unserer Deutsch-Ukraini-
        schen Parlamentariergruppe vor zwei Wochen auch ge-
        tan haben.
        Dazulernen heißt im Verhältnis zur Ukraine aber im-
        mer auch, zu berücksichtigen, dass wir es mit einem jun-
        gen Staat zu tun haben, der erst 1991 seine Unabhängig-
        keit erlangte. Wir haben es zu tun mit einem Staat, in
        welchem die Menschen seit Jahrhunderten unter Dikta-
        turen gelebt haben und erst nach ihrer Unabhängigkeit,
        seit 14 Jahren, die ersten Erfahrungen mit der Demokra-
        tie machen konnten.
        Ich denke, dass wir verstehen müssen, dass eine junge
        Demokratie noch Zeit benötigt und auch Rückschläge
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        rleben kann, bevor sie unserem westlichen Demokratie-
        erständnis entspricht. Unser Beitrag dabei muss es sein,
        ie Demokratieentwicklung in der Ukraine zu fördern –
        nd ich denke, da spreche ich im Sinne aller, die sich in
        iesem Hohen Hause mit der Entwicklung der Ukraine
        efassen.
        Den vorliegenden Antrag der Opposition bewerte ich
        rundsätzlich auch als eine kritische Begleitung des poli-
        ischen Transformationsprozesses in der Ukraine. Gegen
        ine kritische Begleitung dieses Prozesses spricht zu-
        ächst einmal gar nichts. Wir selbst aus den Reihen der
        egierungsfraktionen werden die Präsidentschaftswah-
        en in der Ukraine ebenfalls mit einem Antrag kritisch
        egleiten.
        Als ich 1994 in den Deutschen Bundestag gewählt
        urde, trat ich neben dem Wirtschaftsausschuss als stell-
        ertretendes Mitglied dem Auswärtigen Ausschuss bei.
        as Erste, was ich dort in der Opposition lernte, war,
        ass die auswärtigen Beziehungen eine Politik aus „einer
        and“ verlangen, damit die internationale Repräsentanz
        er Bundesrepublik Deutschland nicht dem – ansonsten
        emokratisch notwendigen – Parteienstreit unterworfen
        ird.
        Wir können und sollen auch in Fragen der auswärti-
        en Politik kontroverse Debatten führen und um unsere
        ositionen ringen. Doch ich wiederhole, nach außen
        und hier im Parlament diskutieren wir nach außen –
        oll deutsche Außenpolitik Gegenstand der Debatte sein
        nd nicht Oppositions- oder Koalitionspolitik. Deshalb,
        ehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Union, wäre
        s nicht falsch gewesen, wenn Sie, als Sie von unserem
        ntrag vor eineinhalb Wochen erfahren haben, einen
        ersuch unternommen hätten, mit uns eine gemeinsame
        otschaft in Richtung der Ukraine zu erarbeiten. Dann
        ätten Sie es sich ersparen können nach dem Motto „Wer
        uerst kommt, mahlt zuerst und die Qualität kann war-
        en“, Ihren vorgelegten Antrag mit der heißen Nadel zu
        tricken.
        Nun noch ein paar Worte zur „Qualität“ Ihres Antra-
        es:
        Erstens. Für die Einhaltung der OSZE-Standards ist
        ohl jeder Demokrat und vernünftige Mensch hier. Das-
        elbe gilt für die Forderung 3, in der Sie die unter Demo-
        raten unumstrittene Forderung nach Einhaltung interna-
        ionaler Vereinbarungen und transparenten und fairen
        ahlen stellen.
        Zweitens. Bei Ihrer zweiten Forderung habe ich aller-
        ings Zweifel, dass Druck auf die ukrainische Regierung
        er richtige Weg ist, der Forderung nach der Reform des
        ahlgesetzes Nachdruck zu verleihen. Sie scheinen mir
        n der Stelle auch nicht besonders gut über den Weg der
        esetzgebung nachgedacht zu haben.
        Seitens der Bundesregierung werden Forderungen
        ach freien, gleichen Wahlen und ungehinderter Bericht-
        rstattung selbstverständlich auf verschiedenen Ebenen
        orgebracht. Die höchste Ebene ist die der Regierungs-
        onsultationen. Seit 1998 finden deutsch-ukrainische
        egierungskonsultationen unter der Leitung von Bun-
        eskanzler Schröder und Präsident Kutschma statt. Der
        Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2004 11867
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        Status der Regierungskonsultationen, die nur mit sehr
        wenigen Staaten abgehalten werden, zeigt an, welche
        Bedeutung Deutschland dem Verhältnis zur Ukraine bei-
        misst. Ich halte diese hohe Bedeutung aus mehreren
        Gründen für angemessen:
        Zunächst ist die Ukraine ein neuer Nachbar der Euro-
        päischen Union. Wir Deutsche müssen an den gutnach-
        barschaftlichen Beziehungen als zentral gelegener und
        größter Mitgliedsstaat ein ureigenes Interesse haben.
        Die EU hat durch mehrere Maßnahmen in ihrer neuen
        Nachbarschaftspolitik die „Leitplanken“ für ihre Bezie-
        hungen zur Ukraine vorgegeben: Das Partnerschafts-
        und Kooperationsabkommen sowie den am 8. Septem-
        ber fertig gestellten länderspezifischen Aktionsplan. Der
        Aktionsplan wird drei Jahre lang dazu beitragen, dass
        die Versprechungen des Partnerschafts- und Koopera-
        tionsabkommens, die ukrainischen Wirtschafts- und
        Sozialstrukturen an die EU anzunähern, in die Praxis
        umgesetzt werden. So wird er die Ukraine in ihrem Be-
        streben, der WTO beizutreten, unterstützen. Der EU-
        Ukraine-Handel wird gefördert.
        Die Verbesserung des Lebensstandards und der Situa-
        tion im Umweltschutz orientieren sich am langfristigen
        Ziel nachhaltiger Entwicklung. Oberste Priorität hat
        auch im Aktionsplan die weitere Stärkung der Stabilität
        und Effektivität von Institutionen in der Ukraine, die De-
        mokratie und Rechtsstaatlichkeit garantieren. Die
        Ukraine mit einer Bevölkerung von mehr als 48 Millio-
        nen Menschen, einer entwickelten Industrie und einem
        gut ausgebauten Bildungs- und Wissenschaftssystem ist
        ein interessanter Wirtschaftspartner und Absatzmarkt.
        Dem wird durch den Aktionsplan Rechnung getragen.
        Die Ukraine ist derzeit auf einem wirtschaftlichen
        Wachstumskurs. Das Deutsche Institut für Wirschafts-
        forschung hat die Situation Ende letzten Jahres in einer
        Studie mit der Überschrift „Ukraine: Starkes Wirt-
        schaftswachstum, aber dringender Reformbedarf“ über-
        schrieben. Das private Haushaltseinkommen in der
        Ukraine hat im vergangenen Jahr um 28 Prozent zuge-
        nommen, und zwar nicht nur bei einigen wenigen Rei-
        chen, sondern flächendeckend in der Ukraine – auch bei
        den kleinen Leuten. Diese Entwicklung müssen wir auch
        wahrnehmen.
        Deutschland ist der zweitwichtigste Handelspartner
        der Ukraine. Deutsche Exporte belaufen sich auf über
        2,5 Milliarden Euro. Im wirtschaftlichen Bereich – und
        besonders bei den Direktinvestitionen – gibt es aber
        noch einen großen Spielraum und damit großes Zu-
        kunftspotenzial. Die Nutzung dieses Potenzials hängt
        nicht zuletzt davon ab, ob die Ukraine in der Lage ist,
        beständige Investitionsbedingungen und Rechtssicher-
        heit für deutsche Unternehmen zu schaffen.
        Eine verantwortungsvolle Politik mit der Ukraine
        muss nach meiner Auffassung neben der Beobachtung
        innerstaatlicher Entwicklungen und der Wirtschaftsbe-
        ziehungen auch eine sicherheitspolitisch-strategische-
        Perspektive haben. Die Ukraine war und ist zweifels-
        ohne ein wichtiger Stabilitätsfaktor für die Region rund
        um das Schwarze Meer. Das sollten wir bei aller Kritik,
        die wir an den innenpolitischen Verhältnissen in der
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        kraine immer wieder üben und üben sollen, nicht ver-
        essen. Wir sollten außerdem die Ukraine in ihrer regio-
        alen Stabilitätspolitik bestärken. Diese findet in einem
        icht einfachen regionalen Umfeld zwischen dem zuvor
        n diesem Hause behandelten Weißrussland und der
        chwarzmeer- und Kaukasusregion statt. Das sollten wir
        ns vor Augen halten.
        Und ganz zum Schluss, meine Damen und Herren von
        er Union, möchte ich Ihnen noch klar sagen, weshalb
        ch keine Möglichkeit sehe, dass Ihr Antrag in der vor-
        iegenden Form von uns mitgetragen wird. Wenn Sie die
        undesregierung mit Forderungen belegen, welche zur
        erbesserung der demokratischen Praxis vor den ukrai-
        ischen Präsidentschaftswahlen beitragen sollen, dann
        ollten diese Forderungen auch an die richtigen Adres-
        en gehen. Dem wird Ihr Antrag nicht gerecht. Deshalb
        st er auch nicht zustimmungsfähig. Ich kann Sie nur ein-
        aden, sich unserem Antrag anzuschließen, damit es we-
        igstens im Fall der Ukraine zu einer Außenpolitik „aus
        iner Hand“ kommt.
        Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
        EN): In diesen Wochen neigt sich die zehnjährige
        mtszeit von Präsident Leonid Kutschma dem Ende zu.
        s waren schwierige Jahre für die Ukraine, Jahre der Su-
        he nach der eigenen Rolle in Europa, Jahre des Lavie-
        ens zwischen Russland und der EU. Nach einer bei-
        piellosen ökonomischen Talfahrt in den 90er-Jahren ist
        ür die letzten zwei Jahre wieder ein beachtliches wirt-
        chaftliches Wachstum in der Ukraine zu verzeichnen
        ewesen, doch es sei dahingestellt, ob es dazu dank Prä-
        ident Kutschma oder trotz Präsident Kutschma gekom-
        en ist. In jedem Fall muss festgestellt werden, dass die
        kraine in dieser Zeit politisch weitgehend stagniert hat.
        ie unter anderem die Evaluierungen des Europarats
        ezeigt haben, sind demokratische Rechte systematisch
        urückgedrängt worden, die Lage der Menschenrechte
        at sich nicht verbessert, die Freiheit der Medien ist in
        inem Besorgnis erregenden Maße eingeschränkt wor-
        en und die Korruption ist bis heute nicht erfolgreich
        ingedämmt worden.
        Vor diesem Hintergrund stehen in der Ukraine in ei-
        em Monat richtungsentscheidende Wahlen bevor. Die
        7 Millionen Wahlberechtigten haben die Wahl zwi-
        chen Kandidaten, die den politischen und ökonomi-
        chen Status quo eher erhalten wollen, und Herausforde-
        ern, die die Ukraine politisch und ökonomisch stärker
        n europäischen Werten und Normen orientieren wollen.
        Obwohl EU, OSZE und Europarat sich frühzeitig be-
        üht haben, auf die Ukraine dahin gehend einzuwirken,
        oraussetzungen für freie und faire Präsidentschafts-
        ahlen zu schaffen, sieht die Realität anders aus. Die Art
        nd Weise, in der in diesen Wochen in der Ukraine Präsi-
        entschaftswahlkampf geführt wird, erfüllt uns mit tiefer
        orge. Es gibt eine Fülle von Anzeichen dafür, dass die
        mtierende ukrainische Regierung – ähnlich wie bei den
        ergangenen Präsidentschaftswahlen von 1999 – Res-
        ourcen einsetzt, um den von ihr favorisierten Kan-
        idaten Vorteile zu verschaffen und andere Kandidaten
        u behindern. Dies betrifft vor allem den nicht
        11868 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 129. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2004
        (A) (C)
        (B) )
        gleichberechtigten Zugang zu den elektronischen Me-
        dien. Solche Mittel verurteilen wir, da sie dem Prinzip
        fairer Wahlen eindeutig widersprechen. Darüber hinaus
        Auffallend ist auch die Zusammensetzung des natio-
        nalen Parlamentes, der Werchowna Rada. Diese besteht
        größtenteils aus reichen Geschäftsleuten und so genann-
        ten Oligarchen. Im Volksmund wird das Parlament der
        gibt es Befürchtungen und konkrete Hinweise darauf,
        dass auch der Wahlprozess selbst in nicht ausreichend
        demokratischer und freier Weise vollzogen werden wird.
        Deshalb bestärken wir die Bundesregierung in ihren Be-
        mühungen, die ukrainische Regierung darauf hinzuwei-
        sen, dass nicht nur das Resultat der Wahlen, sondern
        auch die Art ihrer Durchführung für die Zukunft des Ver-
        hältnisses Deutschlands und der Europäischen Union ge-
        genüber der Ukraine von größter Bedeutung ist. Wir un-
        terstützen die Arbeit der Wahlbeobachtermission aus
        Vertretern der OSZE/ODIHR und der Parlamentarischen
        Versammlung des Europarates und werden ihrem Be-
        richt größte Aufmerksamkeit zukommen lassen.
        Die Ukraine liegt im geographischen Mittelpunkt des
        europäischen Kontinents und an unserer östlichen EU-
        Grenze. Sie ist der flächenmäßig größte rein europäische
        Staat. Sie ist ein Land mit reichem kulturellen Erbe und
        hohem wirtschaftlichen Potenzial. Es liegt in unserem
        politischen und ökonomischen gesamteuropäischen Inte-
        resse, eine wirtschaftlich starke, politisch eigenständige
        und demokratische Ukraine als engen Partner und guten
        Nachbarn an unserer östlichen EU-Grenze zu haben.
        Harald Leibrecht (FDP): Die Ukraine tut sich
        schwer. Seit sich das Land von den Fesseln des Kommu-
        nismus befreit hat, geht es einen steinigen Weg hin zu
        mehr Freiheit und Demokratie. Mit dem Beitritt Polens
        in die EU ist die Ukraine unser direkter Nachbar und es
        liegt in unserem Interesse, dass sich dieses Land positiv
        entwickelt.
        Doch die Ukraine ist hin- und hergerissen, sowohl
        geopolitisch als auch gesellschaftspolitisch. Die östliche
        Ukraine steht für eine vertiefte Beziehung mit Russland,
        während im Westen die Bürger nach der Europäischen
        Union streben. Diese tiefe Spaltung spiegelt sich auch in
        den Zielen der aussichtsreichen Kandidaten für die an-
        stehende Präsidentschaftswahl wider. Der Oppositions-
        führer Juschtschenko will eine wohlhabende, westlich
        orientierte Zivilgesellschaft. Währenddessen versucht
        der Kutschma-Kandidat, Premierminister Janukowitsch,
        mit einer Verfassungsreform eine starke Autokratie in
        der Ukraine einzuführen. Da wird schon mal mit harten
        Bandagen gekämpft und der Begriff „Wahlkampf“ wird
        allzu wörtlich genommen. Darum begrüße ich auch, dass
        die OSZE und einzelne Nationen Wahlbeobachter ins
        Land schicken, um eventuelle Verstöße aufzudecken.
        Solch eine Wahlbeobachtung darf sich jedoch nicht al-
        leine nur auf den Wahltag beschränken, sondern muss
        auch wachsam auf den Wahlkampf achten. Als direkter
        Eingriff in den Wahlkampf sollte die zunehmende Ein-
        schränkung der Medien, insbesondere des Fernsehens,
        gewertet werden. Dort findet fast ausschließlich der
        Kutschma-Kandidat Janukowitsch statt. Diese Entwick-
        lung wird auch vom Europarat scharf kritisiert.
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        Klub der Millionäre“ genannt. Das ukrainische Volk ist
        icht repräsentativ im Parlament vertreten.
        Auch auf regionaler politischer Ebene gibt es einiges
        u verbessern: Die Gouverneure sollten frei gewählt
        erden und nicht vom Präsidenten ernannt werden. Nur
        o fühlen sich die Bürger politisch vertreten. Der Ge-
        ietsrat, also das Regionalparlament, von Lemberg tagte
        egen ungeklärten Formalitäten monatelang nicht und
        ar de facto ausgeschaltet. Hier zeigt sich, dass sich die
        emokratie dort noch weiter entwickeln muss, da sonst
        etternwirtschaft, Korruption und einseitiger politischer
        influssnahme auf die Medien Tür und Tor geöffnet
        ind.
        Häufig findet die international organisierte Kriminali-
        ät in der Ukraine ihren Ursprung. Waffenschmuggel und
        enschenhandel werden immer wieder mit der Ukraine
        n Verbindung gebracht. In der erfolgreichen Bekämp-
        ung der organisierten Kriminalität liegt der Schlüssel zu
        ehr Prosperität des Landes. Es liegt in den Händen der
        krainischen Politiker und den ausführenden Behörden,
        ier aktiv zu werden und für ein besseres Bild der
        kraine in der Welt zu sorgen.
        Ein besseres Image und höheres Vertrauen in das
        and ist auch die Basis für höhere ausländische Investi-
        ionen im Land. Die Ukraine wird für Deutschland ein
        unehmend wichtiger Handelspartner. Mit einem zwei-
        telligen Wirtschaftswachstum sicherlich von einem
        iedrigen Niveau kommend, aber immerhin – kann sich
        as Land sehen lassen. Doch gibt es auch Probleme, die
        nvestoren zurückhalten. So bleibt weiterhin das Pro-
        lem mit der Mehrwertsteuer-Rückerstattung bestehen.
        anach erhalten Betriebe nicht die ihnen zustehende
        ehrwertsteuer zurück, sondern lediglich Coupons, die
        ie dann in ferner Zukunft einlösen können.
        Eine vernünftige und vor allem eine verlässliche
        inanz- und Wirtschaftspolitik muss diese Probleme
        chnell in den Griff bekommen. Nur so wird es die
        kraine in absehbarer Zeit schaffen, ein besseres Ran-
        ing für Hermesbürgschaften zu bekommen oder der
        TO beizutreten. Wir dürfen der Ukraine keine falschen
        offnungen machen, was eine baldige EU-Mitglied-
        chaft betrifft.
        Bei allen Schwierigkeiten, die bestehen, sehe ich das
        and auf dem richtigen Weg. Die Ukraine löst sich von
        hrer Vergangenheit und emanzipiert sich. Geostrate-
        isch spielt die Ukraine für uns eine wichtige Rolle. Als
        U-Nachbar und Mitglied des „Ring befreundeter Staa-
        en“ wird die Ukraine in den Genuss vieler Vorteile kom-
        en. Wir möchten die Ukraine nicht ausgrenzen, son-
        ern, ganz im Gegenteil, sie näher an die EU binden.
        Ein gutes Verhältnis zur Ukraine ist auch im Sinne der
        ort lebenden Deutschen. Nur wenn sich die Lebensum-
        tände in den deutschen Dörfern in der Ukraine weiter
        erbessern, bleiben die Menschen auch wirklich dort.
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        129. Sitzung
        Berlin, Donnerstag, den 30. September 2004
        Inhalt:
        Redetext
        Anlagen zum Stenografischen Bericht
        Anlage 1
        Anlage 2
        Anlage 3
        Anlage 4
        Anlage 5
        Anlage 6
        Anlage 7
        Anlage 8
        Anlage 9
        Anlage 10
        Anlage 11
        Anlage 12
        Anlage 13
        Anlage 14