Anlage 28
Anlage 29
FDP gegen die Stimmen der CDU/CSU angenommen.
Die Kolleginnen Lösekrug-Möller, Dött und
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10817
(A) )
(B) )
ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und JugendRegierungsentwurf 2005 7,5 Millionen Euro
Darüber hinaus sind im Einzelplan 17 des Bundes-
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
Anlage 2
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Dr. Ditmar Staffelt auf die Frage
des Abgeordneten Hans Michelbach (CDU/CSU)
(115. Sitzung, Drucksache 15/3425, Frage 30):
Wie entwickelte sich das Förderprogramm des Bundes
„Die Verpflichtungsermächtigungen der Gemeinschaftsauf-
gabe zur Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ für
den Freistaat Bayern, die so genannte GA-Förderung (West),
seit dem Jahr 2000, und welche Entwicklung wird sie bis in
das Jahr 2007 nehmen?
Im Rahmen der Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe
„Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (GA)
hat der Bund für Bayern Verpflichtungsermächtigungen
in folgender Höhe bereitgestellt bzw. vorgesehen:
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Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich
Bertl, Hans-Werner SPD 01.07.2004
Hohmann, Martin fraktionslos 01.07.2004
Janssen, Jann-Peter SPD 01.07.2004
Lengsfeld, Vera CDU/CSU 01.07.2004
Parr, Detlef FDP 01.07.2004
Dr. Rexrodt, Günter FDP 01.07.2004
Dr. Rossmann,
Ernst Dieter SPD 01.07.2004
Strässer, Christoph SPD 01.07.2004
Dr. Struck, Peter SPD 01.07.2004
Dr. Thomae, Dieter FDP 01.07.2004
Wolf (Frankfurt),
Margareta
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
01.07.2004
Haushaltsjahr 2000 10,0 Millionen Euro
Haushaltsjahr 2001 10,2 Millionen Euro
Haushaltsjahr 2002 10,2 Millionen Euro
Haushaltsjahr 2003 10,2 Millionen Euro
Haushaltsjahr 2004
(BMWA-Zuweisung) 7,0 Millionen Euro
(C
(D
Anlagen zum Stenografischen Bericht
Die Finanzplanung sieht eine Fortsetzung der GA-
örderung für die Jahre 2006 bis 2008 auf dem Niveau
es Etatentwurfs 2005 vor. Zur Höhe der Verpflichtungs-
rmächtigungen ab 2006 kann derzeit keine Aussage ge-
roffen werden, weil diese erst in den Haushaltsjahren
006 ff. in den jeweiligen Bundeshaushalten veran-
chlagt werden. Bayern erhält aufgrund der GA-Förder-
ebietsabgrenzung 2000 bis 2006 eine anteilige Quote
on 7,69 Prozent der GA-Bundesmittel für die westdeut-
chen Länder (ohne Berlin). Für die Zeit nach 2006 sind
erzeit noch keine Aussagen hinsichtlich der Verteilung
uf die Länder möglich. Die Mittelvertetung ab 2007 ist
urch einen neuen Beschluss des Bund-Länder-Pla-
ungsausschusses der Gemeinschaftsaufgabe festzuset-
en.
nlage 3
Antwort
es Parl. Staatssekretärs Dr. Ditmar Staffelt auf die Frage
es Abgeordneten Dietrich Austermann (CDU/CSU)
115. Sitzung, Drucksache 15/3425, Frage 31):
Mit welchen Zahlungen bzw. Zahlungsverpflichtungen ist
nach dem Haushaltsentwurf für 2005 bei Bund, Bundesagen-
tur für Arbeit und Kommunen im Zusammenhang mit der Zu-
sammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zu rech-
nen?
Die Ausgaben des Bundes für die Leistungen der
rundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten
uch Sozialgesetzbuch (SGB II) für das Haushaltsjahr
005 sind im Wesentlichen im Entwurf zum
inzelplan 09 des Bundesministeriums für Wirtschaft
nd Arbeit veranschlagt. Danach ergeben sich die nach-
olgenden Haushaltsansätze:
Kap. 0912 Tgr. 01 – Leistun-
gen der Grundsicherung für
Arbeitsuchende 24,45 Milliarden Euro
davon:
Beteiligung des Bundes an
den Leistungen für Unter-
kunft und Heizung 1,8 Milliarden Euro
Verwaltungskosten für die
Durchführung der Grund-
sicherung
für Arbeitsuchende 3,3 Milliarden Euro
Arbeitslosengeld II 13,0 Milliarden Euro
Leistungen zur Eingliede-
rung in Arbeit 6,35 Milliarden Euro
10818 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004
(A) )
(B) )
in Kap. 1710 Tgr. 01 die Ausgaben für den Kinderzu-
schlag für Anspruchsberechtigte nach § 6 a Bundeskin-
dergeldgesetz veranschlagt und zwar in Höhe von
0,217 Milliarden.
Der Haushalt der Bundesagentur für Arbeit (BA) für
das Jahr 2005 wird im kommenden Herbst durch die
Selbstverwaltungsorgane der BA aufgestellt. Dabei ist
infolge der Einführung der Grundsicherung für Arbeitsu-
chende erstmals der von der BA an den Bund zu zah-
lende Aussteuerungsbetrag nach § 46 SGB II zu etatisie-
ren. Im Rahmen der Aufstellung des Bundeshaushalts
2005 ist hierzu eine Einnahme im Einzelplan 09
Kap. 0912 veranschlagt in Höhe von 6,717 Milliarden
Euro. Die Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und
Sozialhilfe für Erwerbsfähige soll die kommunalen
Haushalte um 2,5 Milliarden Euro entlasten. Um diese
Entlastung 201 erreichen, wird sich der Bund an den
Kosten für Unterkunft und Heizung beteiligen. Eine ge-
setzliche Revisionsklausel gewährleistet den Kommunen
Planungssicherheit.
Anlage 4
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Claudia Roth (Augsburg),
Josef Philip Winkler, Jutta Dümpe-Krüger,
Michaele Hustedt, Thilo Hoppe, Winfried
Nachtwei, Dr. Ludger Volmer, Cornelia Behm,
Irmingard Schewe-Gerigk, Werner Schulz
(Berlin), Friedrich Ostendorff, Kerstin
Andreae, Markus Kurth, Franziska Eichstädt-
Bohlig und Marianne Tritz (alle BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Vermittlungsauschusses
zu dem Gesetz zur Steuerung und Begrenzung
der Zuwanderung und zur Regelung des Auf-
enthalts und der Integration von Unionsbür-
gern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz)
(Zusatztagesordnungspunkt 2
Mit dem Zuwanderungskompromiss leiten wir in
Deutschland einen gesellschaftspolitischen Paradigmen-
wechsel ein. Jetzt geht es nicht mehr darum, ob Deutsch-
land ein Einwanderungsland ist oder nicht. Künftig wird
nur noch gefragt: Welche Partei hat die besten Konzepte,
Einwanderung weltoffen, integrativ und human zu ge-
stalten? Aus diesem Grunde stimmen wir auch für dieses
Gesetz. Die Art des Zustandekommens dieses Kompro-
misses und insbesondere das Verfahren in der letzten
Phase verdienen aus unserer Sicht erhebliche Kritik.
Dennoch: Zahlreiche Anliegen nicht nur unserer Par-
tei, sondern auch der deutschen Wirtschaft, von Kirchen
und Menschenrechtsorganisationen – aber auch der
Süssmuth-Kommission – finden sich in diesem Gesetz
leider nicht wieder.
So scheiterte aufgrund des erbitterten Widerstandes
der Union die Einführung der demographischen Zuwan-
derung – und dies obwohl nicht nur die Süssmuth-Kom-
mission und die Rürup-Kommission, sondern selbst die
Herzog-Kommission und sogar die Zuwanderungskom-
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ission von Peter Müller festgestellt hatten, dass demo-
raphische Zuwanderung einen wichtigen Beitrag dar-
tellt, um die Sozialsysteme in Deutschland langfristig
u sichern. Die wirtschaftliche und demographische Ent-
icklung der nächsten Jahre wird hier eine Weiterent-
icklung notwendig machen. Wir werden uns deshalb
afür einsetzen, dass die Einführung des Punkteverfah-
ens und die weitere Lockerung und Aufhebung des An-
erbestopps wieder auf die politische Tagesordnung
ommen.
Auch von seinem ursprünglichen Integrationsmodell
usste Rot-Grün auf Druck der Union in einem Maße
bstriche machen, das den Kernbereich dieses Modells
erührt: Zwar erhalten formal künftig alle, die nach
eutschland einwandern, einen Rechtsanspruch auf In-
egrationskurse, um dort die für ihre Aufenthaltsverfesti-
ung erforderlichen ausreichenden Deutschkenntnisse
u erwerben. Faktischen Zugang erhalten diese Men-
chen – ebenso wie bereits hier lebende Ausländerinnen
nd Ausländer – aber nur, wenn sie hierzu von den Aus-
änderbehörden verpflichtet werden. Jetzt steht Rot-
rün in der Verantwortung: Da sich die Länder auf
ruck der Union aus der Finanzierung dieser Integra-
ionskurse vollständig zurückgezogen haben, obliegt es
un Rot-Grün sicherzustellen, dass der Integrations-
ursanspruch nicht – wie von der Union vorgeschlagen –
u einer Integrationsförderung nach Kassenlage ver-
ommt. Zudem werden wir in der nun anstehenden
echtsverordnung klarstellen, dass die Ausländerinnen
nd Ausländer zum Beispiel hinsichtlich ihres Kosten-
eitrags zu den Sprachkursen nicht überfordert werden
nd dass so genannte Bestandausländerinnen und -aus-
änder dann nicht zu Integrationskursen verpflichtet wer-
en, wenn sie bereits Deutsch sprechen,
Im Bereich des Flüchtlingsschutzes haben wir mit der
nerkennung nichtstaatlicher bzw. geschlechtsspezifi-
cher Verfolgung eine erhebliche Verbesserung in der
sylanerkennungspraxis dieses Landes erreicht.
Inwiefern aber der neue Status des humanitären
chatzes § 25 Abs. 3 und 5 AufenthG zu dem Erfolg
ird, den sich die rot-grüne Koalition hiervon ver-
pricht, wird erst die Zukunft zeigen. Wir gehen davon
us, dass die Verwaltungsvorschriften hier so formuliert
erden, dass die Zusage des Bundesministeriums des In-
ern auch eingehalten wird, dass ein Großteil der bislang
n Deutschland geduldeten Menschen auch tatsächlich
ine Aufenthaltserlaubnis erhalten wird. In diesem Zu-
ammenhang möchten wir daran erinnern, dass bereits
ie Begründung zum jetzigen § 25 Abs. 5 darauf abhebt,
ass
bei der Frage, ob eine Ausreisemöglichkeit besteht,
auch die subjektive Möglichkeit – und damit impli-
zit auch die Zumutbarkeit – der Ausreise zu prüfen
ist.
Dies müsste aus unserer Sicht zwingend dazu führen,
ass zum Beispiel Minderheitsangehörigen aus dem Ko-
ovo und Flüchtlingen aus Afghanistan eine Aufenthalts-
rlaubnis erteilt werden muss. Auch sieht die Gesetzes-
egründung insbesondere für minderjährige Geduldete
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10819
(A) )
(B) )
ausdrücklich eine positive Ermessensanwendung vor,
damit Kinder und Jugendliche einen einfacheren Zugang
zu einer rechtmäßigen Aufenthaltserlaubnis und damit
zu Arbeits- bzw. Ausbildungsplätzen erhalten.
Im Hinblick darauf, dass für Personen, die einen Sta-
tus des humanitären Schutzes nach dem jetzigen § 25
Abs. 4 oder 5 AufenthG erhalten, der Familiennachzug
komplett ausgeschlossen worden ist, bekräftigen wir un-
sere diesbezüglichen verfassungs- und menschenrechtli-
chen Bedenken: Wer erkennbar längerfristig bei uns le-
ben wird, der oder dem darf man das Grundrecht auf
Familieneinheit nicht auf Dauer vorenthalten.
Wir Grünen haben im Zuwanderungsgesetz die Vor-
schläge der Union zur Verschärfung des Asylbewerber-
leistungsgesetzes abgewehrt. Hier werden wir kein
Nachkarten zulassen – auch nicht über den Umweg des
Bundesrates.
Hinsichtlich der Härtefallregelung mussten wir der
Union entgegengekommen. Insbesondere auf Druck
Bayerns wurden fakultative Ausschlussklauseln – insbe-
sondere die Möglichkeit von „besonderen Anforderun-
gen“ an so genannte Verpflichtungserklärungen – einge-
führt. Das darf aber nicht zu einer Privatisierung von
Härtefällen führen.
Erheblich erschwert wurden die Verhandlungen durch
die Forderungen der Union im Sicherheitsbereich. Wir
haben uns immer und zu jeder Zeit auf vernünftige Re-
gelungen zum Schutz vor Terrorismus eingesetzt. Die
Union jedoch hat aus ideologischen Gründen die Aus-
weisungsvorschriften drastisch noch weiter verschärfen
wollen. Mit dem Kompromiss sind wir gerade hier an
die Grenzen des Vertretbaren gegangen. Wir haben eine
Reihe von signifikanten Verschärfungen des bisherigen
Ausländerrechts akzeptieren müssen. Wir denken insbe-
sondere an den Systembruch in Fällen zwingender Aus-
weisungen. Wir haben die Ausweisung nicht nur von
Personen erleichtert, die aufgrund einer tatsachenge-
stützten Gefahrenprognose der Unterstützung des Terro-
rismus verdächtigt werden, sondern auch von so genann-
ten Extremisten.
Wir möchten an dieser Stelle erklären, dass dies kein
Freibrief für eine Gesinnungsjustiz im Ausweisungs-
recht darstellt. Der freie Austausch auch kontroverser
Meinungen ist – solange er die Grenze des strafrechtlich
Sanktionierten nicht überschreitet – nicht nur für die De-
mokratie in unserem Land essenziell; er ist auch für die
geistige Bekämpfung des Terrorismus erforderlich. Eine
dem entgegenstehende Auslegung der Ausweisungsbe-
stimmungen des Zuwanderungsgesetzes würde Nach-
besserungen zugunsten der Meinungsfreiheit erforder-
lich machen.
Die Verabschiedung des Zuwanderungsgesetzes ver-
stehen wir als Chance, nun für Mehrheiten im Sinne wei-
terer Reformen in diesem Bereich zu streiten. Die Ver-
kürzung der Integration auf die Verordnung von
Sprachkursen, die fehlende Antwort des Gesetzes auf die
demographische Entwicklung der deutschen Gesell-
schaft und Fehljustierungen bei Details im Auswei-
sungsrecht sind Anlass, um mit Flüchtlingsinitiativen
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nd Migrantenorganisationen, Kirchen, Gewerkschaften
nd Arbeitgebern über die weiteren Perspektiven zu dis-
utieren.
Trotz des großen Engagements der Kirchen, der
ohlfahrtsverbände, von Pro Asyl und vielen Prominen-
en konnten wir innerhalb des Zuwanderungsgesetzes
och keine Bleiberechts- oder Altfallregelung für die be-
eits langjährig in Deutschland lebenden geduldeten
enschen erzielen. Wir sind überzeugt, dass diese Lö-
ung auch im wohlverstandenen Interesse der Verwal-
ungen der Bundesländer liegen würde. Deshalb werden
ir in der Koalition noch im Herbst die Initiative ergrei-
en, um über eine Lösung dieser Frage nach der Verab-
chiedung des Zuwanderungsgesetzes zu reden und ent-
prechende Regelungen möglichst auf den Weg zu
ringen.
Wir werden auch nicht umhin kommen, uns um Fra-
en zu kümmern, die im Rahmen dieses Verhandlungs-
arathons nicht angesprochen werden konnten. Dabei
enken wir nicht nur an die oben erwähnte Bleiberechts-
egelung für hier bereits langjährig lebende geduldete
enschen, sondern auch an die Rücknahme der deut-
chen ausländerrechtlichen Vorbehalte gegen die Kin-
erkonvention der Vereinten Nationen sowie an humani-
äre Regelungen zugunsten der Menschen, die ohne
ufenthaltstitel unter uns leben. Wir stehen weiterhin für
ine weltoffene, moderne, humanitären Grundsätzen
erpflichtete Migrations- und Flüchtlingspolitik. Dieses
ompromissgesetz ist der Anfang, nicht das Ende auf
em Weg in die Einwanderungsgesellschaft.
nlage 5
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen)
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstim-
mung über die Beschlussempfehlung des
Vermittlungsauschusses zu dem Gesetz zur
Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung
und zur Regelung des Aufenthalts und der Inte-
gration von Unionsbürgern und Ausländern
(Zuwanderungsgesetz) (Zusatztagesordnungs-
punkt 2)
Das heute zur Verabschiedung vorliegende Zuwande-
ungsgesetz hat während der langwierigen Verhandlun-
en zu meinem Bedauern viel von seinem ursprüngli-
hen Geist eingebüßt.
Der gefundene Kompromiss bleibt hinter den Vor-
chlägen der Süssmuth- und der Müller-Kommision, der
irchen, der Unternehmerverbände, der Wissenschaft,
er Gewerkschaften, der Nichtregierungsorganisationen
nd auch der Regierungskoalition zurück.
Der Zugang in die Arbeitsmigration ist geradezu
ngstlich begrenzt gehalten worden und wird den unab-
eisbaren Herausforderungen unserer alternden Gesell-
chaft nicht gerecht. Allerdings kann man gewiss sein,
ass sich die Realität in Zukunft ihren Weg bahnen wird.
10820 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004
(A) )
(B) )
Dennoch bietet das Gesetz Chancen, mit der Realität
„Deutschland als Einwanderungsland“ umzugehen und
die politisch und gesellschaftlich notwendigen Verände-
rungen endlich einzuleiten.
Ein großer Schritt nach vorn ist es, dass nunmehr mit
diesem Gesetz die Anerkennung geschlechtsspezifischer
und nichtstaatlicher Verfolgung erfolgen soll.
Die integrationspolitisch äußerst problematische Pra-
xis der so genannten Kettenduldungen soll nach dem er-
klärten Willen des Gesetzgebers deutlich eingeschränkt
werden. Hier wird den vollziehenden Ausländerämtern
künftig eine sehr große Verantwortung zugewiesen. Es
ist davon auszugehen, dass erst die Praxis der kommen-
den Jahre zeigen wird, ob die deutsche Gesellschaft be-
reit ist, Schutzsuchenden hier im Lande eine Perspektive
zu eröffnen.
Ungeklärt ist allerdings das Schicksal der etwa
230 000 derzeit geduldeten Menschen in Deutschland.
Zu einer Bleiberechtsregelung für diese Menschen hat
man sich zu meinem großen Bedauern im Gesetzge-
bungsverfahren nicht durchringen können. Jetzt obliegt
es den Innenministern des Bundes und der Länder, hier
zu einer humanitären, von Barmherzigkeit geleiteten Lö-
sung zu gelangen.
Ich begrüße zudem die Erkenntnis, dass zur Einwan-
derungspolitik untrennbar auch Integrationsangebote ge-
hören. Doch Integrationspolitik bedeutet viel mehr als
Sprachkursangebote.
Nicht nur die Einwandernden müssen bereit sein, sich
auf die Werte und Gesetze des Einwanderungslandes
einzulassen. Auch die aufnehmende Gesellschaft muss
bereit sein, ihre Institutionen so zu öffnen, dass Einwan-
derer Zugang und eine Chance auf Teilhabe bekommen.
Das bedeutet: Zugang zu frühkindlicher Förderung, Un-
terstützung in der Bildung, Zugang zu Ausbildung und
Qualifizierung. Nicht die Sanktion darf handlungsleitend
sein, sondern die Gewährung von Chancen und das An-
gebot, dazuzugehören.
Dieses Gesetz öffnet in vielen Bereichen große Er-
messensspielräume. Es ist zu hoffen, dass die Ausübung
des Ermessens im Geiste einer liberalen und weltoffenen
Gesellschaft erfolgt.
Anlage 6
Erklärung nach § 31 GO
des Abgeordneten Jochen-Konrad Fromme
(CDU/CSU) zur Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Vermittlungsausschus-
ses zu dem Gesetz zur Steuerung und Begren-
zung der Zuwanderung und zur Regelung des
Aufenthalts und der Integration von Unions-
bürgern und Ausländern (Zuwanderungs-
gesetz) (Zusatztagesordnungspunkt 2)
Ich kann dem Ergebnis nicht zustimmen, weil die im
Bereich der Veränderungen bei den Spätaussiedlern an-
gestrebten Ziele auf dem im Gesetz vorgesehenen Weg
nicht erreicht werden können. Er bringt nur unnötige Er-
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chwernisse für die Einreise der Familie, ohne inhaltlich
twas zu erreichen. Wer von den Angehörigen zukünftig
inen Sprachtest verlangt, sorgt dafür, dass diese in ein
ystem ausweichen, das weniger Integrationsmöglich-
eiten bietet als der systemimmanente Ansatz.
Im Bundesvertriebenengesetz in der geänderten Fas-
ung ist auch für Angehörige zur Förderung der Integra-
ion ein Sprachpaket vorgesehen. Dies ist richtig und der
inzig gangbare Weg. Der Integrationsdruck muss erhöht
erden.
Wer jetzt allerdings als Bedingung für die Einbezie-
ung in den Aufnahmebescheid einen Sprachtest vor-
chreibt, sorgt dafür, dass diese Bestimmung umgangen
ird. Familienangehörige werden künftig nicht mehr
en Weg über die Einbeziehung in den Aufnahmebe-
cheid gehen, sondern als Angehörige unter dem Schutz
es Grundgesetzes – Art. 6, Ehe und Familie – und den
ntsprechenden ausländerrechtlichen Bestimmungen in
as Gebiet der Bundesrepublik Deutschland kommen.
ls Familienangehörige eines Deutschen – Spätaussied-
er sind Deutsche – haben sie ohne Beschränkungen ein
esichertes Aufenthaltsrecht und können auch unter pri-
ilegierten Bedingungen die Staatsbürgerschaft erwer-
en. Dass sie nicht sofort mit dem Aufnahmebescheid
eutsche Staatsbürger werden, werden sie billigend in
auf nehmen, um den Sprachtest zu umgehen. Hier wer-
en sich ähnliche Ausweichreaktionen zeigen wie bisher
chon, indem sich Familienverbände denjenigen heraus-
uchen, der am besten Deutsch kann; der absolviert den
prachtest und die anderen wählen die Einbeziehung. In-
ofern ist die Statistik erheblich verzerrt.
Auch werden nach dieser Konzeption Deutsche und
hre Angehörigen erheblich schlechter behandelt als
ichtdeutsche Migrationswillige. Nichtdeutsche Migra-
ionswillige und deren Angehörige können, ohne
rgendeine Voraussetzung zu erfüllen, nach den entspre-
henden Vorschriften des Ausländerrechts in Deutsch-
and einen Aufenthaltsstatus erlangen, während die
ngehörigen der Spätaussiedler einen Sprachtest absol-
ieren müssen. Im Übrigen ist es viel leichter, Integra-
ionsvoraussetzungen erst im Inland zu schaffen, weil
ier eine andere Infrastruktur und ein anderes Klima vor-
anden ist, während es für die Angehörigen in der ehema-
igen Sowjetunion erheblich schwerer ist, Deutschkennt-
isse unter den dortigen Umständen zu erlangen.
nlage 7
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Kerstin Müller (Köln)
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstim-
mung über die Beschlussempfehlung des Ver-
mittlungsausschusses zu dem Gesetz zur Steue-
rung und Begrenzung der Zuwanderung und
zur Regelung des Aufenthalts und der Integra-
tion von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwan-
derungsgesetz) (Zusatztagesordnungspunkt 2)
Mit dem Zuwanderungskompromiss leiten wir in
eutschland einen gesellschaftspolitischen Paradigmen-
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10821
(A) )
(B) )
wechsel ein. Jetzt geht es nicht mehr darum, ob Deutsch-
land ein Einwanderungsland ist oder nicht. Künftig wird
nur noch gefragt: Welche Partei hat die besten Konzepte,
Einwanderung weltoffen, integrativ und human zu ge-
stalten? Aus diesem Grunde stimme ich auch für dieses
Gesetz. Allerdings verdient die Art des Zustandekom-
mens dieses Kompromisses und insbesondere das Ver-
fahren in der letzten Phase aus meiner Sicht erhebliche
Kritik.
Das Gesetz ist der längst überfällige Einstieg in die
Gestaltung der Zuwanderung. Es öffnet Türen. Jedoch
haben zahlreiche Anliegen nicht nur unserer Partei,
sondern auch der deutschen Wirtschaft, von Kirchen
und Menschenrechtsorganisationen – aber auch der
Süssmuth-Kommission – keinen Eingang in das Gesetz
gefunden, weil die Union nicht bereit war, eine weiter
gehende Gestaltung der Zuwanderung mitzutragen.
So scheiterte aufgrund des erbitterten Widerstandes
der Union die Einführung der demographischen Zuwan-
derung – und dies obwohl nicht nur die Süssmuth-Kom-
mission und die Rürup-Kommission, sondern selbst die
Herzog-Kommission und sogar die Zuwanderungskom-
mission von Peter Müller festgestellt hatten, dass demo-
graphische Zuwanderung einen wichtigen Beitrag dar-
stellt, um die Sozialsysteme in Deutschland langfristig
zu sichern. Die wirtschaftliche und demographische Ent-
wicklung der nächsten Jahre wird hier eine Weiterent-
wicklung notwendig machen. Ich werde mich deshalb
dafür einsetzen, dass die Einführung des Punktever-
fahrens und die weitere Lockerung und Aufhebung des
Anwerbestopps wieder auf die politische Tagesordnung
kommen.
Auch zu der notwendigen konsequenten Integrations-
politik war die Union nicht bereit.
Zwar erhalten künftig alle, die nach Deutschland ein-
wandern, einen Rechtsanspruch auf Integration. Da sich
jedoch die Länder auf Druck der Union aus der Finanzie-
rung der Integrationskurse vollständig zurückgezogen
haben, müssen wir darauf achten, dass wir nun keine
Integration nach Kassenlage bekommen.
Im Bereich des Flüchtlingsschutzes haben wir mit der
Anerkennung nichtstaatlicher bzw. geschlechtsspezifi-
scher Verfolgung eine erhebliche Verbesserung in der
Asylanerkennungspraxis dieses Landes erreicht. Das ist
ein großer Erfolg.
Im Hinblick darauf, dass für Personen, die einen Sta-
tus des humanitären Schutzes nach dem jetzigen § 25
Abs. 4 oder 5 AufenthG erhalten, der Familiennachzug
komplett ausgeschlossen worden ist, bekräftige ich
meine diesbezüglichen menschenrechtlichen Bedenken:
Wer erkennbar längerfristig bei uns leben wird, der oder
dem darf man das Grundrecht auf Familieneinheit nicht
auf Dauer vorenthalten.
Erheblich erschwert wurden die Verhandlungen durch
die Forderungen der Union im Sicherheitsbereich. Wo
Sicherheitslücken bestehen, haben wir uns immer und zu
jeder Zeit für vernünftige Regelungen zum Schutz vor
Terrorismus eingesetzt. Allerdings gibt es absolute Si-
cherheit in einer offenen Gesellschaft nicht. Offene Ge-
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ellschaften sind immer auch verwundbare Gesellschaf-
n. Daher müssen wir darauf achten, dass sich
icherheitspolitische Maßnahmen einerseits und die
ahrung des Rechtsstaates und der Bürgerrechte ande-
erseits die Balance halten. Der Preis für Freiheit und
echtsstaatlichkeit muss sorgsam abgewogen werden
it dem tatsächlichen Gewinn an Sicherheit für die Bür-
erinnen und Bürger.
Mit dem Kompromiss sind wir gerade hier an die
renzen des Vertretbaren gegangen. Wir haben eine
eihe von signifikanten Verschärfungen des bisherigen
usländerrechts akzeptiert. Ich denke insbesondere an
en Systembruch in Fällen zwingender Ausweisungen.
ir haben die Ausweisung nicht nur von Personen
rleichtert, die aufgrund einer tatsachengestützten Ge-
ahrenprognose der Unterstützung des Terrorismus ver-
ächtigt werden, sondern auch von so genannten Extre-
isten.
Das darf nicht zu einer Gesinnungsjustiz im Auswei-
ungsrecht führen. Der freie Austausch auch kontrover-
er Meinungen ist – solange er die Grenze des strafrecht-
ch Sanktionierten nicht überschreitet – nicht nur für die
emokratie in unserem Land essentiell; er ist auch für
ie geistige Bekämpfung des Terrorismus erforderlich.
ine dem entgegenstehende Auslegung der Auswei-
ungsbestimmungen des Zuwanderungsgesetzes würde
achbesserungen zugunsten der Meinungsfreiheit erfor-
erlich machen.
Die Verabschiedung des Zuwanderungsgesetzes ver-
tehe ich als Chance, nun für Mehrheiten im Sinne wei-
rer Reformen in diesem Bereich zu streiten. Die Ver-
ürzung der Integration auf die Verordnung von
prachkursen, die fehlende Antwort des Gesetzes auf die
emographische Entwicklung der deutschen Gesell-
chaft und Fehljustierungen bei Details im Auswei-
ungsrecht sind Anlass, um mit Flüchtlingsinitiativen
nd Migrantenorganisationen, Kirchen, Gewerkschaften
nd Arbeitgebern über die weiteren Perspektiven zu dis-
utieren.
Trotz des großen Engagements der Kirchen, der
ohlfahrtsverbände, von Pro Asyl und vielen Prominen-
n konnten wir innerhalb des Zuwanderungsgesetzes
och keine Bleiberechts- oder Altfallregelung für die be-
eits langjährig in Deutschland lebenden geduldeten
enschen erzielen. Ich bin überzeugt, dass diese Lösung
uch im wohlverstandenen Interesse der Bundesländer
egen würde. Deshalb werden wir in der Koalition noch
Herbst die Initiative ergreifen, um über eine Lösung
ieser Frage nach der Verabschiedung des Zuwande-
ungsgesetzes zu reden und entsprechende Regelungen
öglichst bald auf den Weg zu bringen.
Auch weitere humanitäre Fragen werden im Zuwan-
erungsgesetz nicht angesprochen. Dabei denke ich
icht nur an die oben erwähnte Bleiberechtsregelung für
ier bereits langjährig lebende geduldete Menschen,
ondern auch an die Rücknahme der deutschen auslän-
errechtlichen Vorbehalte gegen die Kinderkonvention
er Vereinten Nationen sowie an humanitäre Regelungen
ugunsten der Menschen, die ohne Aufenthaltstitel unter
ns leben.
10822 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004
(A) )
(B) )
Bündnis 90/Die Grünen stehen weiterhin für eine
weltoffene moderne, humanitären Grundsätzen ver-
pflichtete Migrations- und Flüchtlingspolitik. Das heute
verabschiedete Gesetz ist der Anfang, nicht das Ende der
Gestaltung des Einwanderungslandes Deutschland.
Anlage 8
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Christa Nickels (BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über
die Beschlussempfehlung des Vermittlungs-
ausschusses zu dem Gesetz zur Steuerung und
Begrenzung der Zuwanderung und zur Rege-
lung des Aufenthalts und der Integration von
Unionsbürgern und Ausländern (Zuwande-
rungsgesetz) (Zusatztagesordnungspunkt 2)
Ich schließe mich in allen Punkten der Erklärung nach
§ 31 GO BT meiner Kollegen Claudia Roth, Josef
Winkler und anderer an, bin aber der Meinung, dass die
Bundesregierung nunmehr einen nach wie vor ungere-
gelten Bereich zügig angehen muss.
Das gerade zustande gekommene Gesetz zur Steue-
rung und Regelung der Zuwanderung lässt den humani-
tären Bereich der illegalen Zuwanderung und des illega-
len Aufenthalts weiterhin ungeregelt. Dieser Bereich ist
in diesem Gesetz kein Thema – und dies, obwohl auch
nach der „aufenthaltsrechtlichen Legalisierung“ vieler
Tausender Menschen durch den EU-Beitritt der zehn ost-
und mitteleuropäischen Länder schätzungsweise immer
noch zwischen 500 000 und l Million Menschen in
Deutschland in diesem rechtlosen Zustand leben müs-
sen.
Probleme werden nicht gelöst, indem man sie ver-
schweigt oder ausklammert. Umgehend müssen fol-
gende Punkte angegangen werden:
§ 92 a AuslG (§ 96 AufenthGE): Es muss klargestellt
werden, dass humanitär motivierte Hilfe nicht unter den
Straftatbestand der Beihilfe zu unerlaubtem Aufenthalt
fällt. Haupt- und Ehrenamtliche, die hier für Staat und
Gesellschaft wertvolle subsidiäre Arbeit leisten, dürfen
nicht kriminalisiert werden. Hierzu besteht Gelegenheit
im Rahmen der EU-Richtlinie 2002/90/EG, wo es in
Art. l Abs. 2 heißt:
Jeder Mitgliedstaat kann beschließen, wegen der in
Absatz 1 Buchstabe a) beschriebenen Handlungen
in Anwendung seiner innerstaatlichen Rechtsvor-
schriften und Rechtspraktiken keine Sanktionen zu
verhängen, wenn das Ziel der Handlungen die hu-
manitäre Unterstützung der betroffenen Person ist.
§ 76 AuslG (§ 87 AufenthGE): Es muss klargestellt
werden, dass außer dem Sozialamt niemand zur Er- und
Übermittlung aufenthaltsrelevanter Daten an die Auslän-
derbehörde verpflichtet ist. Ärzte, Pädagogen, Sozialar-
beiter, Richter usw. haben klare berufsspezifische Auf-
gaben. Diese dürfen nicht zur Migrationskontrolle und
Denunziation instrumentalisiert werden.
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Alle Menschen haben eine Würde. Diese zu schützen,
st eine grundlegende Aufgabe und Verpflichtung des
taates, die nicht hinter dem Recht des Staates auf die
icherstellung der Regelung der Zuwanderung zurück-
tehen darf.
nlage 9
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Katherina Reiche, Thomas
Reichel, Dr. Maria Böhmer, Dr. Christoph
Bergner, Helge Braun, Vera Dominke, Axel E.
Fischer (Karlsruhe-Land), Michael Kretschmer,
Helmut Lamp, Werner Lensing, Dr. Martin
Mayer (Siegertsbrunn), Bernward Müller
(Gera), Uwe Schummer, Marion Seib und
Dr. Norbert Lammert (alle CDU/CSU,) zur Ab-
stimmung über den Entwurf eines … Gesetzes
zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes
(… HRGÄndG) (Tagesordnungspunkt 11)
Die Reform der Studienplatzvergabe, die es den
ochschulen zukünftig erlauben wird, 60 Prozent ihrer
tudierenden in den bundesweit zulassungsbeschränkten
ächern selbst auszuwählen, ist ein begrüßenswerter
chritt in die richtige Richtung. Deshalb stimme ich der
eschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, For-
chung und Technikfolgenabschätzung zu der vom Bun-
esrat eingebrachten 7. Änderungsnovelle des Hoch-
chulrahmengesetzes zu.
Unser Ziel bleibt aber die komplette Abschaffung ei-
er Quotierung und des ZVS-Verfahrens in der derzeiti-
en Form. Dies ist zielführender auf dem Weg zu einem
nternational wettbewerbsfähigen und effizienten Hoch-
chulsystem. Zudem kann die Neuordnung des Hoch-
chulzugangs alleine eine umfassende Reform des Hoch-
chulrahmengesetzes nicht ersetzen. Diese bleibt
eiterhin notwendig.
nlage 10
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Albert Schmidt (Ingolstadt),
Hans-Josef Fell und Chistine Scheel (alle
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung
über den Entwurf eines Fünften Gesetzes zur
Änderung des Fernstraßenausbaugesetzes (Ta-
gesordnungspunkt 12 c)
Wir stimmen dem Gesamtpaket Bundesverkehrswe-
eplan zu, da es gegenüber dem alten Bundesverkehrs-
egeplan eine Reihe von wesentlichen Verbesserungen
nthält. Dazu zählen insbesondere der Vorrang von Be-
tandserneuerung vor Neu- und Ausbau bei Straßen,
chienen und Wasserstraßen, die Einführung der Son-
erkategorie „mit besonderem naturschutzfachlichen
lanungsauftrag“ für besonders umweltkritische Stra-
enbauprojekte und die Gleichstellung von Schiene und
traße in der Gesamtheit der Investitionen des Bundes.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10823
(A) )
(B) )
Gleichwohl gibt es eine Reihe von Straßenbauvorha-
ben, die im neuen Bundesverkehrswegeplan als vor-
dringlich eingestuft sind, die wir auch weiterhin sehr kri-
tisch sehen. Dazu gehört insbesondere die B 26 n
– Westumgehung Würzburg – in Unterfranken. Dieses
Projekt halten wir aus verkehrlichen und ökologischen
Gründen für hoch bedenklich und daher für nicht vertret-
bar.
Angesichts knapper Mittel gehen wir trotz der Einstu-
fung des nördlichen Teilstücks der B 26 n in den vor-
dringlichen Bedarf nicht davon aus, dass das Projekt in
der Laufzeit des Bundesverkehrswegeplans gebaut wird,
da es andere Projekte mit einem längeren Planungsvor-
lauf und einer höheren Priorität gibt, die alle verfügbaren
Geldmittel binden werden.
Anlage 11
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Ingrid Arndt-Brauer (SPD)
zur Abstimmung über den Entwurf eines Fünf-
ten Gesetzes zur Änderung des Fernstraßenaus-
baugesetzes (Tagesordnungspunkt 12 c)
Die vorliegende Endfassung des Fünften Gesetzes zur
Änderung des Fernstraßenausbaugesetzes beinhaltet im
Zusammenspiel mit dem Ersten Gesetz zur Änderung
des Bundesschienenwegeausbaugesetzes eine möglichst
optimale Vernetzung der Verkehrsträger Schiene und
Straße. Nur die Integration der Verkehrsträger kann
mögliche Effizienzverluste verringern und ihre Leis-
tungsfähigkeit erhöhen. Diesem integrativen Ansatz
wird die heute beschlossene Gesetzesfassung gerecht.
Das vorliegende Fernstraßenausbaugesetz ist auch ge-
eignet, die zu erwartenden Zuwachsraten im europäi-
schen Haupttransitland Deutschland mit einem leis-
tungsfähigen Verkehrswegenetz zu bewältigen. Dies
setzt allerdings auch voraus, dass wir die Voraussetzun-
gen für eine dauerhafte und solide Finanzierungsbasis
schaffen. Dazu wird die Anfang des Jahres 2005 star-
tende LKW-Maut einen wichtigen Beitrag leisten. Die
Zwischenergebnisse der Erprobung dieser neuen und in-
novativen Technik sind jedenfalls positiv.
Als Abgeordnete bedauere ich aber, dass es entgegen
der ursprünglichen Absicht in der ersten Entwurfsfas-
sung nicht gelungen ist, die Ortsumgehung Heek der
B 70 in den vordringlichen Bedarf einzustufen. Die
OU Heek ist das letzte noch fehlende Teilstück der B 70
zur Bundesautobahn A 31. Das bedeutet, dass die An-
wohner auch in näherer Zukunft den Belastungen des
(Schwerlast-)Verkehrs zur A 31 ausgesetzt sein werden.
Mein Bedauern ist umso größer, da es an annehmbaren
und praktikablen Lösungsvorschlägen, die OU Heek
doch noch vom weiteren in den vordringlichen Bedarf zu
heben, nicht gefehlt hatte.
Trotz meines Einwandes stimme ich dem jetzt vorlie-
genden Gesetz zu, da es insgesamt gelungen ist, den
besonderen verkehrlichen Anforderungen und den Inte-
ressen der Bürgerinnen und Bürger in den unterschiedli-
chen Regionen Deutschlands gerecht zu werden.
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nlage 12
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Dr. Maria Flachsbarth (CDU/
CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines
Fünften Gesetzes zur Änderung des Fernstra-
ßenausbaugesetzes (Tagesordnungspunkt 12 c)
Der Bundesverkehrswegeplan und die darauf aufbau-
nden Gesetzentwürfe zum Ausbau von Bundesfernstra-
en und Bundesschienenwegen werden dem dringenden
nvestitionsbedarf nicht gerecht. Insbesondere wurde mit
em vorliegenden Gesetzentwurf die Chance verpasst,
ie Verkehrsinfrastruktur in Deutschland an dem durch
ie EU-Osterweiterung gestiegenen Verkehrsaufkom-
en auszurichten. Allein zu den Ausschussberatungen
atte die CDU/CSU-Bundestagsfraktion knapp 500 Än-
erungsanträge zur Verbesserung der Verkehrssituation
estellt, konnte sich aber in weiten Bereichen nicht ge-
en die Mehrheit von SPD und Bündnis 90/Die Grünen
urchsetzen.
Gegenüber dem Referentenentwurf des Bundesver-
ehrswegeplans hat es im zurückliegenden Verfahren
sbesondere durch die erfolgreichen Verhandlungen der
undesländer sowie der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
inzelne Verbesserungen gegeben. So konnte mit Unter-
tützung der niedersächsischen Landesregierung die
ufnahme der Ortsumgehungen Westerfeld (B 3) und
rnum (B 3) sowie der Ortsumgehung Hameln (B 1) in
en vordringlichen Bedarf erreicht werden. Diese Maß-
ahmen begrüße ich ausdrücklich. Aufgrund der schwe-
en fachpolitischen Mängel lehne ich den Gesetzentwurf
edoch insgesamt ab.
nlage 13
Erklärung nach § 31 GO
des Abgeordneten Dr. Hans-Ulrich Krüger
(SPD) zur Abstimmung über den Entwurf eines
Fünften Gesetzes zur Änderung des Fernstra-
ßenausbaugesetzes (Tagesordnungspunkt 12 c)
Die Mehrheit des Hohen Hauses hat sich für die An-
ahme des Gesetzentwurfes in der Ausschussfassung
Drucksache 15/3412 – ausgesprochen. Auch ich ak-
eptiere und unterstütze den Gesetzentwurf und stimme
hm zu.
Bezüglich der Nr. 1630 – NW, B 8, Wesel–Friedrichs-
eld – und der Nr. 1631 – NW, B 8, Friedrichsfeld–Dins-
ken – (Drucksache 15/3412, Seite 185) ist jedoch Fol-
endes anzumerken:
Die im angeführten Gesetzesentwurf enthaltene Ein-
tufung der Bundesstraße 8 Wesel–Friedrichsfeld und
riedrichsfeld–Dinslaken in den „weiteren Bedarf“ spie-
elt vor dem Hintergrund der bislang unzureichenden
lanungen des Landesbetriebes Straßenbau die Unan-
ehmbarkeit der bislang vorgestellten Trassierungsüber-
gungen wider. Entgegen der Ansicht der Behörde be-
inträchtigen sämtliche Planungsüberlegungen zu der
islang im „vordringlichen Bedarf“ eingestuften B 8 das
kologische und städtebauliche Gleichgewicht der Stadt
10824 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004
(A) )
(B) )
Voerde in hohem Maße. Vor diesem Hintergrund sind die
aktuellen negativen Beurteilungen dieser Planung durch
den Ausschuss bzw. Rat der Stadt Voerde in vollem Um-
fange nachvollziehbar und zu begrüßen.
Angesichts der infolge des Bundesverkehrswegepla-
nes zu Recht erfolgten Einstufung diverser Straßenbau-
vorhaben im Stadtgebiet der Stadt Wesel wird jedoch die
Planung der B 8 n notwendiger sein denn je. Es wird da-
her erwartet, dass – im Einklang mit den mit einem jeden
Bundesverkehrswegeplan einhergehenden Einzelfall-
regelungen – die Planung der B 8 ungeachtet ihrer Ein-
stufung in den „weiteren Bedarf“ unverzüglich und spä-
testens dann durch qualifizierte Vorlage von Unterlagen
durch den Planungsträger – Landesbetrieb Straßenbau –
fortgesetzt wird, wenn diesbezügliche Maßnahmen ent-
weder auf dem Gebiet der Stadt Wesel oder dem auf der
Stadt Dinslaken zu erwarten sind.
Anlage 14
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Maria Michalk (CDU/CSU)
zur Abstimmung über den Entwurf eines Fünf-
ten Gesetzes zur Änderung des Fernstraßenaus-
baugesetzes (Tagesordnungspunkt 12 c)
Zur Abstimmung über das Fernstraßenausbaugesetz,
in dem die Planungen zum Bundesverkehrswegeplan
enthalten sind, gebe ich folgende Erklärung ab:
Das Fernstraßenausbaugesetz ist weder aktuell bedarfs-
gerecht, noch wird es den Anforderungen an die Zukunft
gerecht. Dies betrifft auch die Planungen in der Oberlau-
sitz. Im Rahmen der EU-Osterweiterung sind leistungsfä-
hige Straßenverbindungen nach Tschechien und Polen un-
abdingbare Voraussetzung für die Stärkung der
wirtschaftlichen Entwicklung der gesamten Region im
Dreiländereck Tschechien, Polen und Deutschland. Darin
sind sich alle Fraktionen einig. Wenn es konkret wird, ist
die rot-grüne Mehrheit unkalkulierbar. Das zeigt sich im
Vorgehen zur Westtangente Bautzen, Bundesstraße 96.
Im Ausgangsentwurf des Bundesverkehrswegeplanes
war zunächst die Einstufung in den vordringlichen Bedarf
vorgenommen worden, weil sie eine leistungsfähige Ver-
kehrsverbindung in die Tschechische Republik, insbeson-
dere für den Schwerlastverkehr, schafft. Aber auch für
viele verarbeitende Betriebe im Lausitzer Oberland sollte
diese Verbindung die Zulieferung erleichtern. Die vorbe-
reitenden Planungsarbeiten wurden in den zurückliegen-
den Monaten von der Bundesregierung positiv begleitet.
Kurz vor Abschluss der Ausschussberatungen hat die
rot-grüne Mehrheit das Vorhaben „Westtangente Baut-
zen“ überraschend vom vordringlichen in den weiteren
Bedarf mit Planungsrecht zurückgestuft. Dies bedeutet
einen schweren Schlag für die Stadt Bautzen und die
Oberlausitz.
Dieser strukturschwache Raum braucht dringend eine
Verbesserung der Infrastruktur. Die Tatsache, dass be-
reits 1,8 Millionen Euro für Planungsarbeiten an der
Westtangente Bautzen verausgabt wurden, die nunmehr
verloren sind, dokumentiert die Sprunghaftigkeit rot-
grüner Entscheidungen.
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Als Wahlkreisabgeordnete sind mir viele Protestbriefe
u diesem Verfahren zugeleitet worden. Ich teile die
uffassung in den Briefen, dass die Kluft zwischen Wort
nd Tat der eigentliche Kern für das Scheitern einer ver-
ässlichen Wirtschaftspolitik dieser Bundesregierung mit
hrer Koalitionsmehrheit ist. Durch die heutige Entschei-
ung ist die Entwicklung der Oberlausitz um viele Jahre
urückgeworfen.
Obwohl weitere begrüßenswerte Verkehrsvorhaben
eines Wahlkreises im Fernstraßenausbaugesetz enthal-
en sind, lehne ich das Gesetz insgesamt wegen seiner
nausgewogenheit ab.
nlage 15
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Marianne Tritz (BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über
den Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Ände-
rung des Fernstraßenausbaugesetzes (Tagesord-
nungspunkt 12 c)
Ich stimme dem Gesamtpaket Bundesverkehrswege-
lan zu, da es gegenüber dem alten Bundesverkehrswe-
eplan eine Reihe von wesentlichen Verbesserungen ent-
ält. Dazu zählen insbesondere der Vorrang der
estandserneuerung vor dem Neu- und Ausbau bei Stra-
en, Schienen und Wasserstraßen, die Einführung der
onderkategorie „mit besonderem naturschutzfachlichen
lanungsauftrag“ für besonders umweltkritische Stra-
enbauprojekte und die Gleichstellung von Schiene und
traße in der Gesamtheit der Investitionen des Bundes.
Gleichwohl gibt es eine Reihe von Straßenbauvorha-
en, die im neuen Bundesverkehrswegeplan als vor-
ringlich eingestuft sind, die ich auch weiterhin sehr kri-
isch sehe. Dazu gehört insbesondere die A 39 von
olfsburg nach Lüneburg in Niedersachsen. Dieses Pro-
ekt halte ich aus verkehrlichen und ökologischen Grün-
en für hochbedenklich und daher für nicht vertretbar.
Angesichts knapper Mittel gehe ich trotz der Einstu-
ung der A 39 in den vordringlichen Bedarf nicht davon
us, dass das Projekt in der Laufzeit des Bundesver-
ehrswegeplans gebaut wird, da es andere Projekte mit
inem längeren Planungsvorlauf und einer höheren Prio-
ität gibt, die alle verfügbaren Geldmittel binden werden.
nlage 16
Erklärung nach § 31 GO
Der Abgeordneten Lilo Friedrich (Mettmann)
und Hans-Werner Bertl (beide SPD) zur Ab-
stimmung über die Entwürfe eines Fünften Ge-
setzes zur Änderung des Fernstraßenausbauge-
setzes und eines Ersten Gesetzes zur Änderung
des Bundesschienenwegeausbaugesetzes (Tages-
ordnungspunkt 12 c und d)
Wir stimmen den Gesetzentwürfen zu.
Mit der Verabschiedung beider Gesetze erhalten
ichtige Straßen- und Schienenbauprojekte, die in allen
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10825
(A) )
(B) )
16 Bundesländern im „vordringlichen“ Bedarf stehen,
einen uneingeschränkten Planungsauftrag. Wir möchten
die weitere Umsetzung des vorliegenden Pakets an Maß-
nahmen in der folgenden Planung nicht durch eine
Stimmenthaltung bzw. -verweigerung unsererseits ver-
zögern.
Eine gut ausgebaute Verkehrsinfrastruktur ist die Vo-
raussetzung für eine hohe Wohn- und Lebensqualität so-
wie für wettbewerbsfähige Standortbedingungen für In-
dustrie und Handel.
Umso unverständlicher ist aus unserer Sicht die
Rückstufung des Weiterbaus der B 229 n zwischen dem
Autobahnkreuz Langenfeld (A 3/A 542) und Landwehr
(B 229) vom „vordringlichen“ in den „weiteren“ Bedarf.
Wir protestieren mittels Abgabe dieser Erklärung gegen
die Entscheidung.
Die Planungen zur B 229 n überzeugten durch ein
überaus günstiges Kosten-Nutzen-Verhältnis und durch
positive fachliche Stellungnahmen. Die Solinger und
Langenfelder Bevölkerung erhoffte sich von dem Aus-
bau der Bundesstraße neue Impulse für die heimische
Wirtschaft und für die Attraktivität ihrer Städte.
Wir haben uns auf vielfältige Weise mit den örtlichen
IHKn, den Wirtschaftsverbänden und Räten für den Wei-
terbau der B 229 n eingesetzt. Leider haben all unsere
Bemühungen kein Umdenken bewirkt. Wir sind zu dem
Schluss gekommen, dass auf landespolitischer Ebene
nicht sachliche Überlegungen zu der Entscheidung der
Landesregierung NRW, die Ortsumgehung Langenfeld
B 229 in den „weiteren“ Bedarf zu setzen, geführt haben
können.
Anlage 17
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Bernd Scheelen und
Siegmund Ehrmann (beide SPD) zur Abstim-
mung über den Entwurf eines Ersten Gesetzes
zur Änderung des Bundesschienenwegeausbau-
gesetzes (Tagesordnungspunkt 12 d)
Im vorliegenden Gesetzentwurf wird unter dem Punkt
„internationale Projekte“ der so genannte Eiserne Rhein
benannt. Der Ausbau des Eisernen Rhein wird damit
nicht beschlossen. Das Gesetz sieht lediglich vor, dass
die Wirtschaftlichkeit der Strecke und eine Vereinbarung
mit den Niederlanden geprüft werden soll.
Anstelle dieser Prüfung wäre es unseres Erachtens
sinnvoller, wie vom Rat der Stadt Krefeld vorgeschla-
gen, eine Alternativstrecke parallel zur A 40 in Planung
zu nehmen. Eine Reaktivierung der historischen Trasse
des Eisernen Rheins ohne umfassenden Lärmschutz leh-
nen wir hingegen ab. Jeglicher Ausbau der Bahnwege
um Krefeld muss von der Berücksichtigung höchster
Lärmschutzauflagen abhängig gemacht werden.
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nlage 18
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Gerald Weiß (Groß-Gerau),
Andreas Storm, Patricia Lips und Dr. Michael
Meister (alle CDU/CSU) sowie Dr. Heinrich L.
Kolb (FDP) zur Abstimmung über den Entwurf
eines Ersten Gesetzes zur Änderung des
Bundesschienenwegeausbaugesetzes (Tagesord-
nungspunkt 12 d)
Wir lehnen den Entwurf der Bundesregierung eines
rsten Gesetzes zur Änderung des Bundesschienenwe-
eausbaugesetzes ab. In den vergangenen Monaten ist in
ahlreichen Sitzungen des Verkehrsausschusses des
eutschen Bundestages klar geworden, dass die Ver-
ehrswegeplanung der Bundesregierung in vielerlei Hin-
icht unzureichend ist. Durch die Festlegung eines zu
ngen Finanzrahmens wird der Bundesverkehrswege-
lan seiner eigentlichen Aufgabe – der Feststellung des
erkehrsfachlich begründeten Ausbaubedarfs für die
erkehrsinfrastruktur – nicht mehr gerecht.
Nach Ansicht der Unterzeichner ist es jedoch für die
egion Starkenburg entscheidend, dass der Halt des ICE
m Darmstädter Hauptbahnhof als Fußnote in den Geset-
esentwurf aufgenommen wurde. Aus diesem Grunde
aben die Mitglieder der Unionsfraktion im Verkehrs-
usschuss des Deutschen Bundestages den von der
oalition in letzter Minute erstellten Änderungsantrag
um Bundesschienenwegeausbaugesetz unterstützt.
Die Unterzeichner sind jedoch der Auffassung, dass
ur mit einer Formulierung „Einbindung in die vorhan-
ene NBS Mannheim-Stuttgart ausschließlich über den
auptbahnhof Mannheim und Anbindung des Bahnhofs
armstadt an die NBS“ klargestellt worden wäre, dass
ie ICE-Neubaustrecke auch über den Hauptbahnhof
armstadt zu führen ist. Die Formulierung „Schienen-
ersonenfernverkehr“ im Antrag von SPD und Bünd-
is 90/Die Grünen stellt dies gerade nicht sicher.
Vielmehr kann die Deutsche Bahn dieser Forderung
ämlich bereits dadurch entsprechen, dass Inter- oder
urocityzüge im Bahnhof Darmstadt halten, während
ie ICE-Züge an der Stadt vorbeifahren.
nlage 19
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Ulrike Höfken (BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über
den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der
Vorschriften über Fernabsatzverträge bei
Finanzdienstleistungen (Zusatztagesordnungs-
punkt 5 a)
Der vorliegende Gesetzentwurf ist von großer ver-
raucherpolitischer Bedeutung und hätte daher eine aus-
ührliche Erörterung im Parlament verdient gehabt. Ver-
raucher sollen bei Geschäften via Internet und Telefon
ünftig besser geschützt werden. Die bislang noch
estehenden rechtlichen Lücken beim Fernabsatz von
10826 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004
(A) )
(B) )
Finanzdienstleitungsverträgen werden durch das vorlie-
gende Gesetz weitgehend geschlossen. Dem Verbrau-
cher werden hilfreiche Widerrufs- und Informations-
rechte eingeräumt. Die Rolle des Verbrauchers als
Marktteilnehmer und sein Vertrauen in neue Märkte
sollen gestärkt werden. Wie im Aktionsplan Verbrau-
cherschutz der Bundesregierung vorgegeben, sollen ver-
braucherpolitische Positionen als Querschnittsaufgabe
systematisch in alle Lebensbereiche eingehen.
Das vorliegende Gesetz bleibt in der jetzt eingebrach-
ten und zur Abstimmung vorliegenden Form allerdings
in einem wesentlichen Punkt hinter dem ursprüngli-
chen Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Druck-
sache 15/2946 zurück. In verbraucherpolitischer Hinsicht
besonders hervorzuheben war eine neue Bestimmung,
dass der Versicherungsnehmer die für das erste Versiche-
rungsjahr gezahlten Prämien im Falle der Kündigung zu-
rückerhält, sofern er über sein Widerrufsrecht nicht vor
Abgabe seiner Vertragserklärung ordnungsgemäß belehrt
wurde. Hierdurch sollte eine wirksame und abschre-
ckende Sanktion geschaffen werden, damit die Versiche-
rer sich an die neuen Vorschriften halten.
Nunmehr ist in den interfraktionellen parlamentari-
schen Beratungen das zeitliche Moment ür die Wider-
rufspflicht entfallen und die vorgesehene Sanktion somit
entkräftet worden. Für eine fristgerechte Umsetzung der
EU-Richtlinie 2002/65/EG über den Fernabsatz von Fi-
nanzdienstleistungen mag die hier vorliegende Regelung
einstweilen genügen. Der vorliegende Gesetzentwurf
löst damit jedoch die bestehenden verbraucherrechtli-
chen Probleme beim Abschluss von Versicherungsver-
trägen nicht grundsätzlich. Der rechtzeitige Zeitpunkt
der Widerrufsbelehrung und der Informationserteilung
bei Versicherungsverträgen ist daher bei der demnächst
anstehenden umfassenden Versicherungsvertrags-No-
velle ausführlich zu prüfen.
Gegen die das Gesetzesvorhaben begleitende Ent-
schließung des Rechtsausschusses, den Verbrauchern für
den Fall des Wiederrufs regelmäßig die Rücksendekos-
ten vertraglich aufzuerlegen – § 357 Abs. 2 Satz 3
BGB – habe ich erhebliche Bedenken. Eine grundsätzli-
che Änderung erscheint angesichts der bisherigen Erfah-
rungen mit der Umsetzung der Fernsabsatz-Richtlinie
97/7/EG nicht geboten. Insofern ein Missbrauch des Wi-
derrufsrechtes bei Rücksendung von Waren im Fernhan-
del behauptet wird, bleibt einzuwenden, dass die Wahr-
nehmung eines Rechtes nicht missbräuchlich sein kann.
Ausufernde und nicht ernsthafte Bestellungen können
Fernabsatzunternehmen bereits durch Abbruch der Ge-
schätsbeziehungen oder mit einer Vorkasse-Vereinba-
rung regulieren. Verschärfende rechtliche Regelungen,
die ungezielt auch andere Vertragsgeschäfte, für die ein
gesetzliches Widerrufsrecht besteht, oder ehrliche Ver-
braucher, die zum Beispiel die bestellte Ware bereits be-
zahlt haben, treffen, sind abzulehnen.
Vor dem Hintergrund dieser Erklärung stimme ich
dem Gesetz zur Änderung der Vorschriften über Fernab-
satzverträge bei Finanzdienstleistungen zu.
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nlage 20
Zu Protokoll gegebene Rede
zur Beratung
– des Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisie-
rung der Justiz (Justizmodernisierungsge-
setz – JuMoG)
– des Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Be-
schleunigung von Verfahren der Justiz
(1. Justizbeschleunigungsgesetz)
– des Entwurfs eines … Gesetzes zur Be-
schleunigung von Verfahren der Justiz
(… Justizbeschleunigungsgesetz)
– der Beschlussempfehlung und des Berichts
zu dem Antrag: Fehler beim neuen Revisi-
onsrecht korrigieren – Entscheidungsfähig-
keit des Bundesgerichtshofes sicherstellen
(Tagesordnungspunkt 13)
Petra Pau (fraktionslos): Die Bundesregierung ruft
urzeit so viele Reformen wie noch nie aus. Während
an aber unter der Überschrift „notwendige Reformen“
ief in die Sozialsysteme eingreift und den Reformbe-
riff umwidmet, wird im reformbedürftigen Justizwesen
n einer Weise herumgedoktert, die wohl vor allem nie-
andem wehtun soll.
Von Modernisierung der Justiz ist hier die Rede. Mo-
ernisierung klingt chic. Wer möchte nicht modern
ein?! Aber wie weit kommt man mit einer Modernisie-
ung, wenn diese nur noch bedingt Effekte erzielen kann,
eil eigentlich eine grundlegende Reform erforderlich
st, aber nur repariert wird?
Kurzum: Anstelle des gefährlichen Unfugs der Bun-
esregierung bei ihren so genannten Sozialreformen
ürde ich mir mehr Mut und Entschlossenheit bei der
ustizreform wünschen. Ich sage nur: Einführung der
reistufigkeit der Justiz. Die Justizministerin Däubler-
melin hatte sie zumindest noch als Ziel vor Augen.
rau Ministerin Zypries hingegen, konstatierte unlängst
ie Frankfurter Allgemeine, „kümmert sich nun um eine
orsichtige Justizmodernisierung“.
Das Justizmodernisierungsgesetz lässt einen übergrei-
enden Reformansatz nicht erkennen, wie auch der Bun-
esrat zu Recht kritisiert. Bei vielen Vorschlägen hat
an den Eindruck: Es geht vorrangig ums Sparen. Dabei
üsste nicht zuletzt dringend in die Ausstattung der Jus-
iz investiert werden, damit sie effektiver arbeiten kann.
n manch schönem alten Justizgebäude hat man den Ein-
ruck, dass zum Teil noch mit der Erstausstattung gear-
eitet wird. Modernes Arbeiten setzt aber modernes
andwerkszeug voraus.
So mutet es gewiss vielen Mitarbeitern der Justiz ko-
isch an, wenn die Rechtsgrundlagen der gerichtlichen
erfahren modernisiert werden, doch die technische
usstattung und die Ausstattung mit Fachliteratur und
er Zugang zu elektronischen Urteilssammlungen mehr
ls zu wünschen übrig lässt. Zugespitzt kommt mir das
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10827
(A) )
(B) )
vor, als würde man einen Oldtimer auf neu gebaute Stra-
ßen setzen und dann erwarten, dass er schneller fährt.
In Anbetracht des umfänglichen Kleinklein der Mo-
dernisierungsvorschläge bleibt mir nur die Möglichkeit,
mich punktuell zu äußern.
Zunächst: Zu den Änderungsvorschlägen für die Zi-
viljustiz ist grundsätzlich zu bemerken, dass die bereits
vom Bundesjustizministerium veranlasste Evaluierung
abgewartet werden sollte, bevor Einzeländerungen an
der Zivilprozessordnung vorgenommen werden, bei de-
nen es sich zum Teil immerhin um Systemänderungen
handelt. Hier sollte man sich doch besser bis zum Vorlie-
gen gesicherter rechtstatsächlicher Erkenntnisse und ent-
sprechender Empfehlungen auf die absolut unumgängli-
chen Korrekturen beschränken.
Insofern sind natürlich auch heute schon einzelne Än-
derungen durchaus sinnvoll. Hier beziehe ich mich ins-
besondere auf die Stellungnahme der Rechtsanwalts-
kammer. Doch insgesamt ist das keine Lösung.
Bei Ansicht der Modernisierungsvorschläge für den
Strafprozess drängt sich mir – wie auch Sachverständi-
gen in der Anhörung – die Frage auf, welche Vorstellun-
gen die Bundesregierung vom Strafprozess hat. Wo ist
der konzeptionelle Ansatz? Und wo wird das Bemühen
erkennbar, nicht nur die Symptome zu bekämpfen, son-
dern – soweit es mittels des Rechts möglich ist – Ein-
fluss auf die Ursachen zu nehmen und damit letztlich
Strafprozesse und Freiheitsstrafen zu vermeiden?
So fällt auch die Stellungnahme des Deutschen An-
waltvereins zum strafprozessualen Teil vernichtend aus:
Für alle drei Entwürfe gilt, dass sie kein schlüssiges
Reformkonzept erkennen lassen und an den Ergeb-
nissen der einschlägigen Rechtstatsachenforschung,
die vom Bundesministerium der Justiz in der letzten
Legislaturperiode in Auftrag gegeben wurden, vor-
beigehen.
Die Justizministerin hat bei verschiedenen Gelegen-
heiten ihre Justizmodernisierung verteidigt. Sie wendet
sich vor allem gegen Tendenzen, die eine Justizmoderni-
sierung in einem Atemzug mit Qualitätsverlust nennen
und sie deshalb in Bausch und Bogen verurteilen wür-
den. Modernisierung werde oft gleichgesetzt mit bloßem
Einsparen ohne Ansehen der Folgen und mit einem Ver-
lust an Justizgewährung.
Diese Befürchtungen sind meines Erachtens in der
Tat nicht unbegründet. Doch was mir mehr Sorge berei-
tet, ist die Konzeptionslosigkeit der Bundesregierung in
der Justizpolitik. Justiz darf nicht nur aus sich heraus,
gewissermaßen immanent, modernisiert bzw. reformiert
werden. Vielmehr muss die Justiz auch auf gesellschaft-
liche Anforderungen reagieren und sozialen Zielen fol-
gen. Wo also ist – außer dem Spar- und Beschleuni-
gungsgedanken – der justizpolitische Ansatz?
Der vielfach beschworene Verweis auf den abstrak-
ten, verfassungsrechtlich verbrieften Justizgewährungs-
anspruch der Bürgerinnen und Bürger überzeugt jeden-
falls nicht. Aber vielleicht tue ich der Bundesregierung
auch Unrecht. Vielleicht gibt es ihn tatsächlich, den
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berzeugenden justizpolitischen Ansatz, und die Regie-
ung hat auch auf diesem Reformfeld „nur“ ein Vermitt-
ungsproblem?
nlage 21
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Bergschäden regu-
lieren – kohlepolitische Weichenstellung vor-
nehmen (Tagesordnungspunkt 18)
Dieter Grasedieck (SPD): Die FDP will den Berg-
au möglichst schnell abschaffen. Dazu sagen wir Nein:
eil erstens Millionen von Menschen ihren Arbeitsplatz
erlieren und zweitens die Energie der Schlüssel zur
irtschaftlichen Entwicklung in der Welt ist. Deshalb
uss Deutschland seine eigenen Ressourcen nutzen.
Die langfristige Rahmenplanung für unsere Kohle ist
eute erforderlicher denn je. Steigende Preise und leere
okslager prägen das Bild in Europa. Im Jahr 2000, also
or vier Jahren, kostete eine Tonne Koks auf dem Spot-
arkt umgerechnet 70 Euro, heute 600 Euro. In vier
ahren stieg der Kokspreis fast um das Zehnfache. Die
Frankfurter Rundschau“ wählte am 28. Juni 2004 die
berschrift: „Koks ist zurzeit so wertvoll wie Gold-
taub.“ Aber auch der Kohlepreis für Koks hat sich in ei-
em Jahr verdoppelt: 50 Euro vor einem Jahr, heute über
00 Euro.
Weltweit wird mehr und mehr Energie verbraucht.
ie Aufholjagd nach Wohlstand hat in Asien längst be-
onnen. So führt vor allem der riesige Energieverbrauch
er Entwicklungsländer zur Verdoppelung des Energie-
edarfs. Größter Koksproduzent ist China mit 150 Mil-
ionen Tonnen Koks. Schon heute benötigen China, In-
ien, Brasilien und Pakistan über ein Viertel des Welten-
rgiebedarfs in einem Jahr. Die 2,5 Milliarden Menschen
n China und Indien wollen heute mehr Wohlstand.
hina braucht Kohle und Koks für die Stahlproduktion.
hina braucht Kohle und Koks für die Autoproduktion.
hina braucht Kohle und Koks für die Kraftwerke.
Deshalb steigt der Kokspreis von Monat zu Monat.
iese Preisentwicklung kann in der kommenden Zeit
eitergehen. 84 Prozent der Weltproduktion werden in
örderländern wie zum Beispiel in China, in den USA,
n Südafrika verbraucht. Das Welthandelsvolumen von
8 Millionen Tonnen verringert sich dadurch drama-
isch. Geringeres Handelsvolumen und höhere Fracht-
osten verstärken aber die Abhängigkeiten und schaffen
isiken. China zum Beispiel reduzierte die Kohleaus-
uhr in diesem Jahr auf 8 Millionen Tonnen und plant,
m nächsten Jahr die gesamte chinesische Kohle selbst
u verbrauchen.
Deshalb brauchen wir eine sichere deutsche Energie-
ersorgung durch einen Energiemix aus Braunkohle,
teinkohle, Gas und regenerativer Energie. Die SPD sagt
ein zu der FDP-Forderung, die Steinkohleförderung
üsse schnellstens ein Ende haben. Die Bundesregie-
ung hat vielmehr die Weichen für unsere Kohle im Mai
estellt. Gerhard Schröder und Wolfgang Clement waren
10828 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004
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die Garanten für diese Politik. Die Beihilfen sind bis
2012 festgelegt. Unser Bergbau kann langfristig planen.
Der FDP-Antrag gefährdet Millionen von Arbeits-
plätzen; nicht nur im Bergbau und in den Kokereien. Sie
gefährden auch Arbeitsplätze in Kraftwerken, im Ma-
schinenbau und in der Forschung.
Unsere Politik trägt zur Sicherung bei: 20 000 Ar-
beitsplätze im Jahr 2012 werden auf fünf Bergwerke er-
halten. Die Bergbautechnik ist eine Jobmaschine.
30 Prozent der Bergmaschinen der Welt werden in
Deutschland gefertigt. Der deutsche Kraftwerksbau ist
ein Exportschlager. Der Wirkungsgrad unserer Kraft-
werke liegt bei 40 Prozent, in China bei 20 Prozent. Mit
Unterstützung des Landes NRW ist eine Studie für
600 MW-Kohle-Kraftwerke mit einem Wirkungsgrad
von 48 Prozent entwickelt worden. Wir brauchen Kohle-
kraftwerke ohne CO2-Ausstoß. Erste Forschungsergeb-nisse liegen bereits vor.
Diese Innovationen für unsere Zukunft dürfen nicht
durch Ihren FDP-Antrag gebremst werden. Die FDP for-
dert in ihrem Antrag Bergschadensregulierung. Ich
wohne in einem Abbaugebiet und weiß genau, wie ver-
antwortlich der Bergbau bei Schadensregulierungen am
Haus vorgeht. Der Abbau unter Wohngebieten wird
mehr und mehr reduziert. Bruchkanten in Wohngebieten
werden vermieden. Abbaugebiete wirken sich als groß-
flächige Senkung aus. Die Schäden an Gebäuden werden
minimiert. Bei Senkungen in Wald- und Wiesengebieten
werden ökologische Planungen und viele naturerhal-
tende Maßnahmen vorgenommen. Neue Erholungsge-
biete sind entstanden. Die Haldenbegrünung und -be-
pflanzung wird von allen Menschen im Revier
anerkannt. Der Bergbau steht zu seiner Verantwortung.
Laut Emnid-Institut unterstützen 61 Prozent der Deut-
schen die Kohlebeihilfe, nur 19 Prozent sind dagegen.
Der neue BDI-Präsident fordert mehr Koks für unsere
deutsche Stahlproduktion.
Der niedersächsische FDP-Minister Sander und der
ehemalige FDP-Vorsitzende Achim Rohde fordern: „Wir
müssen auf unsere Kohle zurückgreifen.“ Recht haben
Ihre FDP-Kollegen. Lassen Sie sich von Ihren Kollegen
überzeugen!
Die deutsche Bergbautechnologie ist weltweit füh-
rend. 2002 exportierten deutsche Unternehmer Bergma-
schinen weit über 30 Prozent der Weltproduktion. Diese
wirtschaftlichen Erfolge und die erfolgreiche innovative
Forschung fördern wir Sozialdemokraten auch in der Zu-
kunft. Deshalb lehnen wir Ihren Antrag ab.
Der Bergbau trifft zukunftsweisende Beschlüsse:
Kohlesockel 2012 mit 20 000 Bergleuten. Die Beihilfe-
regelung wird von 2,7 Milliarden Euro im Jahr 2005 auf
1,83 Milliarden Euro im Jahr 2012 zurückgehen. Das ist
ein Rückgang um 32 Prozent.
Die Beihilfen sind zuvor bereits zwischen 1997 und
2005 fast halbiert worden. So werden die Schachtanlage
Luisenthal/Saar 2006, Lohberg 2006, Walsum 2009 und
Lippe/Gelsenkirchen 2010 stillgelegt.
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Dr. Sascha Raabe (SPD): Zwei Milliarden Men-
chen haben keinen Zugang zu Elektrizität und rund
,4 Milliarden Menschen sind für die Deckung ihrer
ringlichsten Energiebedürfnisse auf nicht nachhaltige
iomasse angewiesen.
Was zunächst in Zahlen so abstrakt klingt, kann man
ich auch konkret versinnbildlichen. Das junge Mädchen
n Kolumbien kann abends nur mit den größten Anstren-
ungen ein Buch bei schwachem Kerzenlicht lesen. Der
olitisch interessierte Nigerianer kann keine Nachrichten
ber Radio, Fernsehen oder einen Internetanschluss
mpfangen. Und die dreifache Mutter in Vietnam ver-
ringt täglich mehrere Stunden mit der Holzsuche, um
hren Kindern eine warme Mahlzeit zubereiten zu kön-
en.
Anhand dieser Lebensschicksale wird die Dramatik
er Energiefrage fühlbar. Der mangelnde Zugang zu
nergie ist ein großes Entwicklungshemmnis nicht nur
ür den einzelnen Menschen, sondern insgesamt für das
irtschaftswachstum der Schwellen- und Entwicklungs-
änder. Während die Hauptursache für den wachsenden
nergiebedarf neben der Industrieproduktion der stei-
ende Lebensstandard ist, so ist umgekehrt der Energie-
ugang für den menschlichen Wohlstand unbedingte
oraussetzung.
Der enorme Energieverbrauch in den Industrieländern
at in der Vergangenheit große Schäden in der Natur an-
erichtet und trägt auch heute noch zu großen Umwelt-
chäden wie beispielsweise der Klimaerwärmung bei.
eshalb stehen viele Menschen dem mit steigender Ent-
icklung einhergehenden wachsendem Energiebedarf
er Entwicklungsländer skeptisch gegenüber.
Entwicklung und Umwelt sind aber keine Gegen-
ätze. Sie gehen Hand in Hand, mal zieht die eine Hand
räftiger, mal die andere. Spätestens seit der Weltkonfe-
enz über Umwelt und Entwicklung, UNCED, im Jahr
992 in Rio de Janeiro ist der Begriff der nachhaltigen
ntwicklung – Sustainable Development – eine feste
röße in der internationalen Umwelt- und Entwick-
ungspolitik. Wer von den ärmsten Ländern dieser Erde
ine nachhaltige Entwicklung durch erneuerbare Ener-
ien fordert, muss auch bereit sein, hierfür Unterstüt-
ung bei der Finanzierung zu gewähren.
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage: Was
ann die Weltbank dazu beitragen, den ärmsten Men-
chen den Energiezugang zu erleichtern? Welche Rolle
ommt der Weltbank im Energiesektor – sei es im Roh-
toffbereich oder im Bereich erneuerbarer Energien –
u? Wie kann man der Kolumbianerin, dem Nigerianer
nd der Vietnamesin helfen, ohne dabei der Umweltzer-
törung Vorschub zu leisten? Wo ist das Gleichgewicht
wischen Armutsbekämpfung und Umwelt? Und wie
önnen wir dieses Gleichgewicht erreichen?
Die Weltbank ist eine internationale Organisation mit
em vorrangigen Ziel, Armut zu bekämpfen. Der Anteil
er erneuerbaren Energien am Energieportfolio der
eltbank beträgt weniger als 10 Prozent. Die Auswir-
ungen von Rohstoffprojekten, beispielsweise im Ölsek-
or, haben in der Vergangenheit immer wieder zu Kritik
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10829
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(B) )
von Umweltschützern und der betroffenen lokalen Be-
völkerung geführt.
Deshalb hat Weltbank-Präsident James Wolfensohn
den ehemaligen indonesischen Umweltminister Emil
Salim damit beauftragt, eine Studie über die Rolle der
Weltbank im Rohstoffsektor unter Berücksichtigung der
ökologischen und sozialen Auswirkungen zu erarbeiten.
Vor diesem Hintergrund haben wir als Regierungsfrak-
tion einen Antrag eingebracht, der sich mit den Empfeh-
lungen der Salim-Studie beschäftigt. Dieser Antrag lobt
an erster Stelle das Zustandekommen der Salim-Studie.
Durch diesen Bericht hat ein Sensibilisierungsprozess
innerhalb der Weltbank begonnen, der fortgesetzt wer-
den muss. Eines hat der Bericht bereits erreicht: Er hat
die Diskussion angeregt und zu einer grundsätzlich posi-
tiven Reaktion in der Weltbank geführt, was der erste
Antwortentwurf zeigt. Innerhalb der nächsten 30 Tage
sind die Betroffenen – sowohl Vertreter der Entwick-
lungs- und Industrieländer als auch die engagierte Zivil-
gesellschaft – aufgefordert, mit weiter führenden Anre-
gungen, konstruktiver Kritik sowie Ideen einen Beitrag
zu leisten. Unser Antrag und die Debatte heute Abend
sind Beiträge der deutschen Parlamentarier zu diesem
Prozess.
Ich möchte hier einige Forderungen aus unserem An-
trag nennen, die für die Identitätsfindung und den Rol-
lenwechsel der Weltbank als Leitlinien dienen sollen:
Die Weltbank soll Energie- und Rohstoffprojekte nur
dann fördern, wenn dadurch positive Effekte zur Ar-
mutsverminderung ausgehen, Sozial- und Umweltstan-
dards und die Menschenrechte eingehalten werden und
somit eine „gute Regierungsführung“ – Good Gover-
nance – gegeben ist. Das Portfolio der Weltbank für die
Förderung erneuerbarer Energien und die Energieeffi-
zienz soll mit substanziellen jährlichen Steigerungsraten
konsequent ausgeweitet werden. Wir fordern die Welt-
bank auf, dass sie bei Energieprojekten die lokale Bevöl-
kerung früh in die Planung mit einbezieht. Dadurch wird
eine größere Akzeptanz geschaffen, um so möglichst
eine umfassende Zustimmung zu erreichen.
Um die in der Vergangenheit immer wieder aufgetre-
tenen Fälle von Korruption zu verhindern, fordern wir
mehr Transparenz bei den Vereinbarungen der Privat-
wirtschaft mit den jeweiligen Regierungen. Die Welt-
bank soll sich dabei auf Vorschläge von Transparency
International und der Extractive Industries Transparency
Initiative der britischen Regierung stützen.
Die Bundesrepublik Deutschland ist der drittgrößte
Beitragszahler in der Weltbank. Deshalb werden unsere
Vorschläge in der Weltbank sicherlich auf fruchtbaren
Boden fallen.
An dieser Stelle möchte ich der Bundesregierung und
vor allem unserer Bundesministerin Heidemarie
Wieczorek-Zeul ein großes Lob aussprechen, dass sie
sich in den vergangenen Monaten so vehement für eine
stärkere Förderung der erneuerbaren Energien nicht nur
innerhalb der Weltbank eingesetzt hat. Als Gastgeber
und Initiator der Erneuerbare-Energien-Konferenz in
Bonn vor einigen Wochen hat sich der deutsche Einsatz
erfolgreich bestätigt. Die Weltkonferenz hat für die glo-
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ale Energiefrage neue Akzente gesetzt. Auf dieser Kon-
erenz hat der geschäftsführende Direktor der Weltbank,
eter Woicke, bereits angekündigt, das Portfolio für er-
euerbare Energien über die nächsten fünf Jahre um
ährlich 20 Prozent steigern zu wollen. Das ist ein deutli-
hes Zeichen für den Willen der Weltbank, ihre Energie-
olitik nachhaltig zu verändern, aber auch ein Zeichen
afür, dass sich der hartnäckige Einsatz der Bundesre-
ierung im Management der Weltbank gelohnt hat.
Unser Antrag zeigt, dass Armutsbekämpfung und
mweltschutz sich ergänzen und nicht ausschließen.
ir wollen weltweit die Abhängigkeit von Rohstoffen
ie Öl überwinden und erneuerbare Energien verstärkt
ördern. Sonne, Wind und Wasser stehen allen Ländern
ur Verfügung, Öl hingegen nur wenigen. Unser Antrag
oll helfen, dass das kolumbianische Mädchen beim Ein-
ruch der Dunkelheit das Licht anknipsen und sich für
ie Zukunft fortbilden kann, ohne dabei ihre Umwelt zu
efährden. In diesem Sinne hoffe ich, dass auch der Op-
osition ein Licht aufgeht und wir gemeinsam diesen
ntrag beschließen.
Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): Eine wettbe-
erbsfähige und sichere Energieversorgung ist Grund-
oraussetzung für die Leistungsfähigkeit unserer Wirt-
chaft und den Wohlstand in unserer Gesellschaft.
eshalb setzt sich die Union für eine Energiepolitik ein,
ie auf vier Säulen beruht: Wirtschaftlichkeit, Versor-
ungssicherheit, Umwelt- und Klimaverträglichkeit und
ozialverträglichkeit.
Entlang diesen Leitlinien stellt sich für uns die Frage:
rauchen wir dafür mittel- bis langfristig die deutsche
teinkohle? Unbestritten ist, dass sie in der Vergangen-
eit von herausragender nationaler und strategischer Be-
eutung war als wesentlichen Beitrag zur Strom- und
ärmeversorgung von Wirtschaft und Haushalten, als
arant einer hohen Versorgungssicherheit und als Siche-
ung der Unabhängigkeit vom Ausland. Vor allen Din-
en war sie ein dominanter Wirtschafts- und Beschäfti-
ungsfaktor.
Doch ihre Rolle im Energiemix und ihre wirtschaftli-
he Bedeutung haben sich in den letzten Jahrzehnten
eutlich verändert. Zahlen und Fakten sprechen eine
eutliche Sprache: Um 1960 gab es in Deutschland noch
irekt 600 000 Beschäftigte im Steinkohlenbergbau.
50 Bergwerke deutschlandweit förderten 150 Millionen
onnen. Damals wurde noch rund ein Viertel der Pro-
uktion exportiert. 1980 war die Zahl der Beschäftigten
chon auf rund 190 000 geschrumpft und heute sind es
ur noch knapp 40 000. Die Förderung sank im gleichen
eitraum von 87 Millionen Tonnen auf heute rund
6 Millionen Tonnen. Die Zahl der Zechen ging von
9 auf heute neun zurück.
Heute dagegen kommt ein Großteil der in Deutsch-
and verbrauchten Steinkohle aus dem Ausland. Der An-
eil der Importkohle nährt sich bereits der 60-Prozent-
arke des deutschen Steinkohleverbrauchs von jährlich
4 Millionen Tonnen. Wie wir alle wissen, ist die Beibe-
altung der heimischen Steinkohlenutzung teuer erkauft:
eit Beginn der Kohlesubventionierung sind dem
10830 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004
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Bergbau etwa 120 Millarden Euro zugeflossen. Dennoch
konnte bis heute keine Wettbewerbsfähigkeit hergestellt
werden. Auch für die Zukunft ist dies auf keinen Fall zu
erwarten. Die durchschnittlichen Produktionskosten
deutscher Steinkohle liegen gegenwärtig um das Drei-
bis Vierfache über dem Weltmarktpreis. Schlicht und
ergreifend ist es um ein Vielfaches teurer, die Kohle bei
uns aus der Erde zu holen, als aus den Überseegruben
einzuführen.
Auch wenn der Weltmarktpreis derzeit schwankt und
nach oben steigt, da China gerade dabei ist, die Rohstoff-
weltmärkte leer zu kaufen, ist an eine wettbewerbsfähige
Annährung der Preise nicht zu denken.
In Zeiten knapper öffentlicher Kassen muss schon
hinterfragt werden: Welchen Sinn macht die Förderung?
Sind die Argumente, die für die Förderung eines Sockel-
bergbaus aufgeführt werden, stichhaltig?
Ich will aus Sicht der Union gerne einige wichtige Ar-
gumente aufgreifen und deren Stichhaltigkeit prüfen:
Senkung der Importabhängigkeit – Sicherung der natio-
nalen Versorgungssicherheit: Deutschland ist ein res-
sourcenarmes Land und bleibt auf Dauer von den Welte-
nergiemärkten abhängig. Noch vor dem Jahr 2010 wird
Deutschland zu etwa 70 Prozent von Importenergie ab-
hängig sein. Die Vorstellung einer möglichst geringen
Importquote ist im Zeitalter der Globalisierung und Öff-
nung der Weltmärkte Selbstbetrug.
Dass dieser Umstand im Energiebereich natürlich
nicht unproblematisch ist, zeigt das Beispiel Erdöl. Doch
können die Bedingungen eins zu eins auf die Steinkohle
übertragen werden? Ich denke nicht, denn die maßgebli-
chen Krisenszenarien – Erschöpfbarkeit der Energieres-
source, Kartellbildung, temporäre Lieferunterbrechung
oder gar ein Totalembargo – treffen auf die Steinkohle
nicht zu.
Der Weltkohlemarkt zeichnet sich durch ein reichli-
ches sowie geopolitisch sehr vielfältiges Angebot aus: In
zahlreichen Staaten kann dauerhaft günstiger produziert
werden als in Deutschland. Auch ein Zusammenschluss
von Steinkohleproduzenten ist nicht zu erwarten, eine
Preispolitik nach OPEC-Muster wird sich also nicht
durchsetzen. Zudem zählt der Großteil der Exporteure zu
den krisenpolitisch unbedenklichen Kandidaten wie
etwa die USA oder Australien. Es besteht also mittel-
und wohl auch langfristig nicht die Gefahr, dass der
Importpreis der Steinkohle die Förderkosten der heimi-
schen Kohle übersteigt. Der schlimmste Fall sollte natür-
lich niemals ausgeschlossen werden. Doch selbst bei ei-
ner zeitlichen Lieferunterbrechung ist die Lagerung
einer strategischen Reserve die günstigere Alternative
als die Aufrechterhaltung des deutschen Steinkohleberg-
baus. Denn jede Tonne inländische Kohle wird mit
100 Euro subventioniert. Doch die Kosten der Lagerung
liegen gerade mal bei rund einem Zehntel des Betrags.
Die derzeitige Koksknappheit dient vielen als Beleg
für ein Festhalten an dem Modell des Sockelbergbaus.
Doch trotz Subventionen in Milliardenhöhe gelingt es
nicht, den Engpass bei der Kokskohle aufzuheben und
ein Ansteigen des Stahlpreises zu verhindern.
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Daneben lässt sich bereits ein Ende der Boomphase
uf den internationalen Stahlmärkten absehen. Kurzfris-
ige Marktschwankungen gehören zu einer gesunden
arktwirtschaft dazu. Der Staat sollte erst eingreifen,
enn substanzielle Gefahr besteht. Davon kann derzeitig
nd auch zukünftig selbst in der Koksversorgung nicht
ie Rede sein.
Deutsche Steinkohle als wesentlicher Beitrag im na-
ionalen Energiemix? – Herr Müller, Vorstandsvorsitzen-
er der RAG, schreibt: „Der bewährte deutsche Energie-
ix muss zukunftssicher gestaltet werden“. Dem
chließt sich die Union gerne an, zieht nur etwas andere
chlussfolgerungen daraus: Die Zeit der Kohle ist selbst-
erständlich längst noch nicht abgelaufen, auch wenn ir-
endwann die letzte deutsche Zeche schließen sollte.
ur ein Mix aus möglichst vielen Energieträgern ge-
ährleistet die Sicherheit der Versorgung in Deutsch-
nd.
Trotz aller Bemühungen, die im Grundsatz von unse-
er Partei geteilt werden, die Entwicklung alternativer
nergieformen voranzutreiben, bleibt die Energieversor-
ung in den kommenden Jahrzehnten auf die fossilen
nergieträger angewiesen. Deren Bedeutung steigt umso
ehr, wenn man bedenkt, dass innerhalb der nächsten
5 Jahre gut die Hälfte der fossil befeuerten Kraftwerke
rsetzt werden muss. Ob nach 2006 neben diesen rund
0 000 MW fossiler Kraftwerksleistung noch weitere
2 000 MW Kernkraftwerksleistung hinzukommen, lässt
ich heute noch nicht endgültig beantworten.
Brauchen wir dafür aber die deutsche Steinkohle? Wir
enken, aus schon erwähnten Gründen nicht. Die Welt-
eserven von 750 Milliarden Tonnen lassen für die
ächsten 200 Jahre keine Versorgungsengpässe befürch-
en! Die weitere Förderung der deutschen Steinkohle
teht in keinem vernünftigen Kosten-Nutzen-Verhältnis.
in zügiger Abbau der Steinkohleförderung ist deshalb
eboten.
Auch der Sachverständigenrat stellt in seinem Jahres-
utachten aus dem Jahr 2003 fest: „Durch die Einstel-
ng der Steinkohleförderung in Deutschland würde die
icherheit der Energieversorgung nicht gefährdet.“ Das
eißt, ohne deutsche Steinkohle gehen in Deutschland
lso nicht die Lichter.
Laut derzeitigem Plan wird sich die deutsche Stein-
ohle schon in naher Zukunft der Bedeutungslosigkeit in
er Energieversorgung nähern. Bis 2010 sinkt der Anteil
m Primärenergieverbrauch auf rund 3 Prozent und am
tromverbrauch auf 9 Prozent, die Steinkohle insgesamt
erbleibt aber bei 22 Prozent.
Für uns als Union stellten sich daher folgende Fragen:
st daher die Ausgestaltung der Anschlussfinanzierung,
ie sie die Bundesregierung vereinbart hat, ausrei-
hend? Muss die Steinkohleförderung in 2012 noch bei
6 Millionen Tonnen liegen? Ist das nicht der falsche
eg in einen hoch subventionierten „Sockelbergbau“?
Im Jahr 2007 ist auf Grundlage des Ende 2006 vorlie-
enden Monitoringberichts der EU-Kommission zu ent-
cheiden, ob und in welchem Umfang die Beihilfen nach
010 gewährt bzw. zu welchem Zeitpunkt sie endgültig
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10831
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eingestellt werden. Wir sehen derzeit den Korridor für
das Ende der Beihilfen zwischen 2010 und 2015. Über
diesen Zeitpunkt hinaus ist mit uns keine weitere Sub-
ventionierung der Steinkohleförderung in Deutschland
zu machen.
Natürlich muss dieser Abbau sozialverträglich gestal-
tet werden. Denn hinter jedem Arbeitsplatz im Bergbau
steckt ein Gesicht, ein Mensch, meist sogar eine ganze
Familie.
Ganze Regionen in Deutschland sind vom Bergbau
geprägt. Doch auch Regionen mit anderer Altindustrie
haben den Strukturwandel bewältigt, und das oft erfolg-
reicher ohne milliardenschwere Subventionen. Für uns
geht es aber eben nicht nur um die Zukunft der Berg-
leute, sondern vor allen Dingen um die Zukunft ihrer
Kinder, für die wir neue Arbeitsplätze brauchen und
schaffen müssen. Diese werden in der Mehrzahl nicht
mehr im Bergbau liegen.
Eine offene Politik, vor allen Dingen gegenüber den
Menschen in den betroffenen Regionen, ist allemal ehrli-
cher als das Aufrechterhalten einer jahrzehntealten Illu-
sion, dass die Steinkohleförderung in Deutschland eine
Zukunft hat. So fordern wir auch RAG und DSK auf,
Fehleinstellungen zu vermeiden und ihre Personalpla-
nung sorgfältig auf die Degression rechtzeitig einzustel-
len. Unsere Zukunft liegt eben nicht im Abbau unserer
knappen Bodenschätze, sondern in der Investition in
Forschung und Bildung und damit in internationale wett-
bewerbsfähige Technologieentwicklung, die gleichzei-
tig hilft, ambitionierte Klima- und Umweltschutzziele zu
erreichen.
Der finanzielle Spielraum für Bund und Länder, der
durch die Rückführung der Beihilfen geschaffen wird,
sollte unserer Meinung nach dafür genutzt werden,
Zukunftsbranchen und den Strukturwandel zu fördern.
Heute fördern wir mit 2 Milliarden Subventionen ein
Exportvolumen von gerade mal 1 Milliarde Euro in der
Branche. Ist da nicht mehr drin und kann dies nicht sinn-
voller gestaltet werden?
Insbesondere die Entwicklung hoch effektiver und
umweltverträglicher Kraftwerke – Stichwort Clean-
Coal-Technologie – kann mit den frei werdenden Mil-
liarden forschungsmäßig unterstützt werden. Dies sind
sinnvolle Investitionen in eine aussichtsreiche Zukunft,
für den deutschen Export und auch für den Klimaschutz,
ohne dabei Versorgungssicherheit in Deutschland zu ge-
fährden.
Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ich weiß nicht, woher Ihr Verlangen kommt, sich immer
mit den Themen von gestern zu beschäftigen. Die kohle-
politischen Weichenstellungen sind bereits gestellt. Die
Koalitionsfraktionen haben sich vor kurzem auf die
Finanzierung der Steinkohle bis 2012 geeinigt. Die Rah-
menbedingungen bis 2010 wurden bereits nach Brüssel
gemeldet.
Da wir uns heute dennoch mit dem Thema befassen
müssen, will ich Ihnen gerne die einzelnen Punkte des
Kompromisspapiers noch einmal erläutern: Bislang hat
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ich die Politik zumindest offiziell nicht in die Entschei-
ungen des Unternehmens über die Standortschließun-
en- und -weiterführungen eingemischt. Angesichts der
ich dauerhaft abzeichnenden Folgekosten sollten wir
ualitative Kriterien bei der Novellierung des Steinkoh-
ebeihilfengesetzes einführen. Ziel dabei sollte sein, die
tandorte (Zechen) mit den größten Folgekosten zuerst
u schließen.
Zu den Nachhaltigkeitskriterien gehören: mögliche
olgeschäden durch Hochwasser oder ansteigendes
rundwasser und die damit verbundenen Auswirkungen
uf die Bevölkerung, der Energiebedarf der Zeche auch
m Folgezeitraum, zum Beispiel für Pumpen über die
ächsten Jahrzehnte bzw. Jahrhunderte, Trinkwasserver-
chwendung, die Gefahr der Absenkung und der damit
erbundenen Betroffenheit der Bevölkerung.
Auch die unterschiedlichen Folgekosten der verschie-
enen Zechen, die durch mögliche Ausbaustufen noch
unehmen werden, müssen in die Überlegungen einbe-
ogen werden. Das Unternehmen sollte verpflichtet wer-
en, hier für jede Zeche vergleichbare Kennzahlen bzw.
ilanzen vorzulegen.
Nach unseren vorläufigen Einschätzungen sind fol-
ende Abschaltungsprioritäten sinnvoll: 1. Priorität:
arndt/Luisental (Saar) und Walsum (Duisburg, NRW);
. Priorität: West (Kamp-Lintfort, NRW), Prosper-
aniel (Bottrop, NRW) und Ensdorf (Saar).
Die Zeche Ensdorf im Saarland ist die – relativ zu den
ndern – wirtschaftlich effizienteste. Allerdings bergen
ie weiteren Ausbaustufen sehr große Gefahren für die
mwelt mit starken Auswirkungen für Anwohner.
urch eine Schließung von Ensdorf würde das Saarland
und damit das vorletzte Bundesland – die Steinkohle-
örderung einstellen.
Einer der herausragenden Punkte bei der Einigung
ar für uns die vorzeitige Stilllegung der Zeche Walsum.
igentlich hatte dieses Bergwerk eine wasserrechtliche
enehmigung bis 2012, der Rahmenbetriebsplanung
ing sogar bis 2019. Eine so lange Laufzeit hätte zu
nkalkulierbaren Risiken geführt. Um die Folgeschäden
nd auch die Hochwassergefahr in der Region deutlich
u reduzieren, haben wir darauf bestanden, dass der
ergbau unter dem Rhein nun spätestens Ende 2008 be-
ndet wird.
Das gleicht einer kleinen Revolution;, denn erstmals
erden damit auch ökologische und volkswirtschaftliche
riterien sowie die Verantwortung gegenüber zukünfti-
en Generationen bei einer Zechenschließung berück-
ichtigt. Mit Walsum wird das Bergwerk mit den größten
olgekosten vorrangig geschlossen – ein wichtiger Er-
olg, wie ich finde, vor allem für die Menschen, die dort
eben. Denn sie bekommen einen klaren Zeithorizont
ufgezeigt, an dem das Schrecken ein Ende hat.
Das ist aber kein Erfolg, auf dem wir uns ausruhen
ollen. Neben Warndt/Luisental in 2006, Lohberg/
sterfeld in 2007, Walsum in 2008 und Bergwerk Lippe
n 2010 wird bis 2012 noch ein weiteres Bergwerk ge-
chlossen. Hier müssen die gleichen Kriterien angelegt
10832 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004
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werden wie bei Walsum: die ökologisch und volkswirt-
schaftlich schädlichsten Zechen zuerst!
Auch bei der zukünftigen Ausgestaltung der Subven-
tionen haben wir einiges erreicht. Sie wurden weiter de-
gressiv gestaltet: Die Bugwelle wird sofort ausgezahlt.
Hätte man die Rückzahlung bis 2020 gestreckt, wären
Zinsen in dreistelliger Millionenhöhe hinzugekommen.
Die Subventionen werden statt monatlich nun zu Beginn
des Folgejahres ausgezahlt. Damit spart der Bund circa
360 Millionen Euro. Bei der Berechnung der Subven-
tionsbeträge werden die Weltmarktpreise nun stärker
und zeitnäher einbezogen. Vorausgesetzt, der Weltmarkt-
preis für Kohle bleibt hoch, werden damit mittelfristig
Einsparpotenziale von mehreren Hundert Millionen
Euro ermöglicht.
Trotz der Planung, bis 2012 fünf Zechen stillzulegen,
werden keine betriebsbedingten Kündigungen ausge-
sprochen. Das ist auch gut so. Gleichzeitig haben wir uns
aber geeinigt, bestimmte Privilegien im Bergbau abzu-
bauen. Dazu gehören das Übergangsgeld und die Früh-
verrentung. Es kann nicht sein, dass Büroangestellten im
Bergbau mit 55 Jahren ein Ruhestand fast ohne finan-
zielle Verluste staatlich subventioniert wird, während
dem Rest der deutschen Arbeitnehmerschaft harte Ein-
schnitte in allen Bereichen zugemutet werden müssen.
Deswegen werden wir die entsprechenden Richtlinien
anpassen.
Sie sehen, die wesentlichen Punkte sind geklärt. Es
wäre sinniger, Sie würden Ihren Antrag zurückziehen.
Wir haben aktuell wichtigere Fragen zu klären, als dass
wir uns mit den Themen beschäftigen könnten, die
längst entscheiden sind.
Bevor ich es vergesse: Natürlich erwarten wir auch
vom Saarland, dass es seinen Anteil am Bergbau finan-
ziert. Mit welcher Begründung sollte dieses Bundesland
einen gewissen Eigenanteil verwehren, den NRW unter
einer schwierigeren Ausgangsituation aufbringt? Ein
klares Signal zum Ausstieg aus der Steinkohleförderung
habe ich aus Saarbrücken noch nicht vernommen.
Dieses klare Signal vermisse ich im Übrigen auch bei
Ihnen von der FDP. Zwar wollen Sie uns hier glauben
machen, sie seien als tadelloser Ritter des Bundeshaus-
haltes für ein sofortiges Ende staatlicher Subventions-
leistungen an den deutschen Steinkohlebergbau. Aber
immer wenn Ihre Kollegen in Düsseldorf mit der SPD
flirten, ist es vorbei mit dem Idealismus; dann hört man
wieder Formulierungen wie „langfristigen Museums-
bergbau fördern“ – was auch immer Sie darunter verste-
hen.
Den besten Husarenritt hat jedoch Ihr Kollege Sander
aus Niedersachsen hingelegt:
Der Nutzung des in Deutschland insbesondere ver-
fügbaren fossilen Energieträgers Kohle kommt un-
ter dem Aspekt Versorgungssicherheit weiterhin
eine entscheidende Rolle zu.
Dem hätten Sie in seinem Amt als Umweltminister
vorher mal eine Kopie Ihres Antrags zuschicken sollen.
So bekam er wohl nachträglich den Aufruf, zurückzuru-
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ern. Schließen Sie doch einmal die Debatte in der eige-
en Partei ab, bevor Sie sich hier wieder vergebens ab-
ühen!
Christoph Hartmann (Homburg) (FDP): In den Ge-
ieten, in denen Steinkohle in Deutschland unter be-
ohntem Gebiet abgebaut wird, werden die Oberflächen-
igentümer immer ungehaltener. Sie können nicht länger
kzeptieren, dass jeder Arbeitsplatz im Bergbau jährlich
it 82 000 Euro subventioniert wird und gleichzeitig
urch diese staatlich subventionierten Arbeitnehmer ihr
igentum zerstört wird.
Gerade weil der Bergbau staatlich subventioniert ist,
uss er verantwortungsbewusst mit dem Eigentum an-
erer Menschen umgehen. Gerade dieser verantwor-
ungsvolle Umgang findet aber nicht statt. Das zeigt sich
um Beispiel darin, dass statt dem so genannten Versatz-
au seit einigen Jahren der kostengünstigere Bruchver-
atz betrieben wird, der aber gleichzeitig die Häuser-
chäden verdoppelt.
Das wollen wir stoppen. Wir Liberale wollen den
enschen an Ruhr und Saar helfen. Wir wollen ihr Ei-
entum sichern. Die staatlich subventionierte Zerstörung
on Eigentum muss aufhören.
Ich will Ihnen dazu einige Beispiele geben. Allein die
ährlichen Aufwendungen für Prophylaxe und Schadens-
egulierungen im Völklinger Ortsteil Fürstenhausen mit
twas über 700 Häusern belaufen sich auf über 30 Mil-
ionen Euro bei einem Marktwert der hier pro Jahr geför-
erten Steinkohle von circa 80 Millionen Euro. Wenn
an sich Fürstenhausen näher ansieht, so erschreckt
an unwillkürlich. Lassen Sie uns gemeinsam durch
ürstenhausen gehen.
Im ersten Haus steht eine Gaswarnanlage im Keller.
ie Bewohner leben in ständiger Angst, dass es durch
isse zu Gasaustritt und damit zu einer Katastrophe
ommen könnte. 80 Prozent der Häuser sind mit solch
iner Gas Warnanlage ausgestattet.
Das zweite Haus ist seit einem Jahr eine Großbau-
telle. Unter das Haus werden Platten geschoben, unter
ie so genannte Federbeine montiert werden, die durch
ydraulik derart bewegt werden können, dass das Haus
n der Waagerechten gehalten werden kann, auch wenn
er Untergrund sich verschiebt. Die Bewohner des Hau-
es wurden für die Zeit der Reparaturen umgesiedelt.
Das dritte Haus wurde vom Bergbaubetreiber aufge-
auft und steht leer, weil es ein Totalschaden ist. In Fürs-
enhausen betrifft das circa 50 von 700 Häusern.
All das ist trauriger Alltag in Fürstenhausen. Können
ie sich vorstellen, was das, was ich hier geschildert
abe, für ein soziales Leben vor Ort bedeutet, was es für
ie Menschen heißt, in ständiger Angst zu leben, zu se-
en, wie ihre Heimat zu einem Geisterort wird, wie
reunde und Verwandte wegziehen?
Das betrifft nicht nur Fürstenhausen, sondern viele
rte im Saarland und in Nordrhein-Westfalen, wo Zehn-
ausende Menschen unter dem Bergbau unter bewohn-
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10833
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tem Gebiet zu leiden haben. Es ist Zeit, hier einzuschrei-
ten. Wir wollen es tun.
Die FDP-Fraktion will den Menschen helfen, weil sie
machtlos sind: machtlos gegenüber dem Bergbauunter-
nehmen, machtlos aber auch gegenüber der rot-grünen
Bundesregierung und im Saarland gegenüber der CDU-
Landesregierung.
Peter Müller, Ministerpräsident des Saarlandes, hat
gesagt:
Sozialverträglichkeit heißt auch, dass die legitimen
Interessen der Bergbaubetroffenen auf Schutz ihres
Eigentums und ihrer Gesundheit beachtet werden.
Er lässt diesen Worten keine Taten folgen. Rot,
Schwarz und Grün lassen die Bergbaubetroffenen im
Stich. Vor der Wahl sagen sie das eine, nach der Wahl
tun sie etwas anderes.
Nicht so die FDP: Wir halten unser Wort. Wir haben
eine Vielzahl von Initiativen in den Deutschen Bundes-
tag eingebracht, in denen wir die Belange der Bergbau-
betroffenen ernst nehmen. Um nur einige zu nennen: Wir
haben in der letzten Haushaltsberatung die Streichung
von Steinkohlesubventionen gefordert, was von Rot-
Grün abgelehnt wurde. Auf unsere Initiative geht ein
Vor-Ort-Termin des Petitionsausschusses zurück, der
sich so ein Bild von den Schäden in Fürstenhausen ma-
chen konnte.
Und wir kämpfen mit diesem Antrag weiter für die
Belange der Bergbaubetroffenen. Mit unserem Antrag
wollen wir die Unausgewogenheit zwischen Bergbaube-
troffenen und dem Unternehmen wenigstens in Teilen
ausgleichen helfen, insbesondere die Rechte der Berg-
baugeschädigten stärken.
Für uns gilt eben: vor der Wahl sagen wir das, was wir
nach der Wahl auch halten. Deswegen halten wir Wort
und stehen dazu, den Bergbau unter bewohntem Gebiet
stoppen zu wollen. Wir werden die anderen Parteien
nicht an ihren Ankündigungen auf Wahlplakaten mes-
sen, sondern an ihrem Abstimmungsverhalten in diesem
Haus.
Anlage 22
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung:
– Große Anfrage: Situation des ökologischen
Landbaus in Deutschland
– Gesetzentwurf: Änderung des Gesetzes zur
Durchführung der Rechtsakte der Europäi-
schen Gemeinschaft auf dem Gebiet des öko-
logischen Landbaus (Öko-Landbaugesetz –
ÖLG)
(Tagesordnungspunkt 20 a und b)
Gustav Herzog (SPD): Wir beraten heute über den
ökologischen Landbau, seine Situation und seine Zu-
kunft. Wir reden über einen der kräftigsten Wachstums-
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ärkte, die wir haben, auf der Welt, in Europa und in
eutschland.
Wir reden auch über eine Branche, die in den Reihen
er CDU/CSU und bei den Damen und Herren der FDP
inen Beißreflex auslöst. Erklären kann ich mir diese
rrationale Haltung nicht, stets wird über fehlendes Wirt-
chaftswachstum geschimpft und nun haben wir einen
berproportional expandierenden Sektor und schon wird
ersucht, ihn in Grund und Boden zu reden.
Meine Damen und Herren, stabile Flächenzuwächse
on über 5 Prozent im Jahr 2003 und ein Plus von 4 Pro-
ent auf 3,1 Milliarden Euro im Lebensmittelmarkt sind
eugen für die richtige Richtung.
Nicht grundlos kaufen sich die internationalen Nah-
ungsmittelgiganten in den Bio-Markt ein: Coca-Cola,
ie Danone-Gruppe, Kellogg’s, Kraft und selbst aus eher
nderen Bereichen bekannte Unternehmen wie etwa No-
artis oder auch Aldi, sie alle wollen direkt oder indirekt
ber Tochterunternehmen an diesem lukrativen Markt
artizipieren. Ich sehe in dieser Entwicklung nicht allein
ur Chancen und werde aufmerksam beobachten, wie
ich der Markt auf der Erzeuger- und Handelsseite ent-
ickelt.
Meine Damen und Herren von der Opposition, Ihr
roblem ist, dass Sie diesen fahrenden Zug aufzuhalten
ersuchen und nach wie vor polarisieren. Spricht jemand
für den Ökolandbau“, hören Sie „gegen den konven-
ionellen Landbau“ heraus. Das ist meines Erachtens
ollkommen unnötig und selbst der Bauernverband hat
ittlerweile akzeptiert, dass der Ökolandbau seinen fes-
en Platz einnimmt, und dies zu Recht.
Öko ist nicht zwangsläufig besser. Auch hier können
ir es mit schwarzen Schafen zu tun bekommen. Unbe-
tritten ist aber wohl, dass der Umwelt grundsätzlich
grarchemikalien erspart bleiben. Öko ist nicht erwiese-
ermaßen gesünder, doch die geringere durchschnittli-
he Schad- und Zusatzstoffaufnahme legt es doch wohl
ahe.
Öko ist teurer – oberflächlich betrachtet vielleicht
a –, doch was bitte schön ist mit den externen Kosten,
ie durch die konventionelle Landwirtschaft entstehen,
och den Endprodukten nicht angelastet werden? Wer
ahlt die aufwendige und teure Wasseraufbereitung, die
eseitigung von Umweltschäden, die Kosten des zusätz-
ichen Energie-Inputs? Der Endverbraucherpreis kon-
entionell erzeugter Lebensmittel ist ein bereinigter
reis und somit nicht mit Ökolebensmitteln zu verglei-
hen, die wesentlich an den externen Kosten beteiligt
ind.
Ökologisches Wirtschaften bedeutet auch Problembe-
usstsein. Wer den Schritt macht, den eigenen Betrieb
uf ökologische Wirtschaftsweise umzustellen, hat die
robleme erkannt und logische Handlungsfähigkeit be-
iesen.
Die anhaltend attraktiven Wachstumsraten des Öko-
arktes von derzeit global 15 bis 20 Prozent pro Jahr im
ergleich zu 4 bis 5 Prozent im Gesamtlebensmittel-
arkt beweisen ein enormes Marktpotenzial, das er-
chlossen werden muss.
10834 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004
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Wir können nicht zulassen, dass Sie, meine Damen
und Herren von der Opposition, dieses erfolgreiche
Marktsegment zerreden und ihm Schaden zufügen.
Ich darf zitieren:
Das Nitrofen-Problem im ökologischen Landbau
zeigt auf, dass die im Öko-Landbaugesetz veran-
kerten Meldepflichten nicht ausreichend sind.
Bereits der erste Satz im Gesetzentwurf des Bundes-
rates ist irreführend und Kanzlerkandidat Stoiber strickt
gleich einen Ökoskandal aus einer konventionellen
Schlamperei. Hier wurden Opfer zu Tätern gemacht und
nur die strengen Kontrollen der ökologischen Lebens-
mittelwirtschaft haben den Skandal aufgedeckt und so
ermöglicht, die Waren aus dem Verkehr zu nehmen. Die
Stunden waren zu zählen und schon posaunte die Oppo-
sition in Bund und Land im Chor gegen die Agrarwende
und den Ökolandbau.
Nitrofen war auch ohne ihre Angriffe ein schwerer
Rückschlag für den Ökolandbau. Ich höre noch die Her-
ren Ronsöhr, Carstensen und Lippold feixend die Agrar-
wende infrage stellen und die Ministerin zum Rücktritt
auffordern, lange bevor bekannt war, wo die Wirkstoffe
herkamen. Meine Herren, das war weder witzig noch
konstruktiv!
Zurück zum Gesetzentwurf des Bundesrates. Die in-
haltliche Verknüpfung des Nitrofen-Skandals mit einer
Änderung des Öko-Landbaugesetzes wäre falsch und zu-
dem wenig zielführend. Die vorgesehenen Änderungen
hätten keinen Nitrofen-Skandal vermieden. Auch hatten
wir zum damaligen Zeitpunkt eine unzureichende Ge-
meinschaftsrechtslage, die sich nun geändert hat und
jetzt eine ausreichende Basis für eine Novellierung des
Gesetzes bietet.
Wir werden die Zusammenarbeit der Kontrollstellen
mit den zuständigen Behörden verbessern, die Möglich-
keiten eröffnen, Informationen im Verdachtsfall zu ver-
dichten, die Kontrollen weiter ausdehnen und die Buß-
geldvorschriften anpassen. Diese Überarbeitung ist
wichtig und ein weiterer, richtiger Schritt, den Ökoland-
bau national zu entwickeln.
Die intensive Aufklärung und die Heranführung der
Verbraucher an die Landwirtschaft im Allgemeinen und
an den Ökolandbau im Speziellen sind Maßnahmen, die
ganz vorne stehen und die Nachfrage ankurbeln sollen.
Hand in Hand gehen diese Informationsprogramme
mit systembereinigenden Schritten im Bereich der Verar-
beitungs- und Absatzstrukturen, wie sie ebenfalls im Eu-
ropäischen Aktionsplan für ökologische Landwirtschaft
wiederzufinden sind, der jüngst vorgelegt wurde.
21 konkrete Maßnahmen sind hier zu finden, die den
ökologischen Landbau in Europa weiter entwickeln sol-
len: Abbau der Hindernisse, wie der mutmaßlich hohe
Preis, unzureichende Kenntnisse über die Vorteile des
Bioanbaus und zudem unterschiedliche Normen, die den
Verbraucher verunsichern.
Ferner müssen die Bereiche der Absatzentwicklung,
Markttransparenz durch Kennzeichnung und die Weiter-
entwicklung der geltenden Standards in Sachen Sicher-
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eit, weiterer Produktbereiche wie Wein und in der Kon-
rolle beschleunigt werden.
Der ökologische Landbau ist nicht zu reduzieren auf
en Verzicht von chemisch-synthetischen Pflanzen-
chutzmitteln und leicht löslichen Mineraldüngern. Der
kologische Landbau ist ein Stück Agrarkultur, sie be-
innt im innovativen Gedanken des Landwirts und endet
n der Küche des Verbrauchers.
Der Ökolandbau hat auch nicht die Aufgabe eines
tellvertreters für die Ökologisierung der Landwirt-
chaft, sondern er ist vielmehr Vorreiter und Leitbild.
Insgesamt muss die Landwirtschaft ökologischer wer-
en und hier setzen Strategien, wie das nationale
flanzenschutzmittelreduktionsprogramm, die Novellie-
ung der Düngeverordnung oder Cross Compliants, an.
Hans-Michael Goldmann (FDP): Die FDP-Bun-
estagsfraktion und ich persönlich stehen jeder Form un-
ernehmerischer Landwirtschaft, die sich an einem fairen
nd freien Markt orientiert, außerordentlich positiv ge-
enüber. Für uns sind Prinzipien des nachhaltigen Wirt-
chaftens, also des Zueinanderbringens von ökonomi-
chen, ökologischen und sozialen Anforderungen,
esonders wichtig.
Eine fundierte, eine begründete Verbraucherschutz-,
rnährungs- und agrarpolitische Position kann nie eine
chwarz-Weiß-Position sein. Deshalb ist die ideologisch
eprägte, aus dem Hause Künast kommende Agrarpoli-
ik ein so großes Unheil für unser Land. Sie schiebt ge-
en besseres Wissen bestimmte Produktionsformen in
en Markt hinein, diskriminiert andere wertvolle agrari-
che Produktion und drängt diese aus dem Markt. Das
at den Verlust von Investitionen und Arbeitsplätzen in
iner erschreckenden Größenordnung zur Folge.
Gerade in der letzten Zeit hat Frau Ministerin Künast
ieder diese Schwarz-Weiß-Politik an vielen Stellen
eutlich werden lassen. Da soll mit Verboten gearbeitet
erden, da werden Lebensmittel in „gut“ und
schlecht“, „gesund“ und „ungesund“ eingestuft. Ohne
achliche Grundlage werden die an den Pranger gestell-
en Lebensmittel oder deren Hersteller mit Verboten und
uflagen überzogen.
Eine solche Politik kann nicht erfolgreich sein. Die
irtschaftsergebnisse der deutschen Agrarwirtschaft
nd der Ernährungswirtschaft zeigen: Eine solche Politik
st auch nicht erfolgreich – ganz im Gegenteil, sie führt
azu, dass immer mehr verantwortungsbewusste „grüne
nternehmen“ unserem Land, ja und auch unseren Ver-
rauchern, den Rücken kehren.
Lassen Sie mich zu den Fakten kommen: Heute wer-
en in Deutschland 4,3 Prozent der gesamten landwirt-
chaftlichen Fläche ökologisch bewirtschaftet. Damit
ird deutlich, wie unrealistisch die Zielvorgabe von Mi-
isterin Künast von 20 Prozent Ökolandbau bis 2010 ist.
kologisch wirtschaftende Landwirte haben in der Ver-
angenheit bewiesen, dass sie marktwirtschaftlich den-
en und handeln. In den vergangenen Jahren ist ihnen al-
erdings die Einkommensbasis nach und nach entzogen
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10835
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worden. Auch ökologisch wirtschaftende Betriebe müs-
sen drastische Einkommenseinbußen hinnehmen. Eine
entscheidende Ursache für diese Fehlentwicklung ist die
so genannte Agrarwende. Ministerin Künast hat damit
nicht nur für die konventionellen, sondern auch für die
ökologisch wirtschaftenden Bedingungen die Rahmen-
bedingungen falsch gesetzt. Insbesondere folgende
Punkte haben zu dieser negativen Entwicklung geführt:
Erstens. Subventionen für den ökologischen Landbau
haben zu einer Produktionsausweitung geführt, der keine
ausreichende Nachfrage gegenübersteht. Aus Sicht der
FDP zeigt sich hier der Kardinalfehler der so genannten
Agrarwende: Auch der ökologische Landbau kann und
sollte nicht vom Staat mit Steuergeldern gegen den
Markt durchgepeitscht werden.
Zweitens. Zusätzlich hat sich das Biosiegel als ein
„Herzstück der Agrarwende“ als eine enorme Belastung
für den ökologischen Landbau in Deutschland heraus-
kristallisiert. Die FDP hat von Anfang an Ministerin
Künast davor gewarnt, die für deutsche Ökobauern tradi-
tionell strengen Anbaurichtlinien mit dem Biosiegel zu
unterlaufen.
Drittens. Zudem wurde unter Mitwirkung des Bun-
desverbraucherministeriums in einer Studie festgestellt,
dass Lebensmittel aus ökologischem Anbau generell
nicht gesünder als konventionell hergestellte Nahrungs-
mittel sind. Deshalb ist eine öffentliche Förderung des
ökologischen Landbaus allenfalls dort gerechtfertigt, wo
dies eindeutige Vorteile für Umwelt und Tierschutz er-
bringt.
Ministerin Künast hat in den vergangenen Jahren und
wird auch im Haushalt 2005 dramatische Einschnitte im
Bereich der konventionellen Landwirtschaft vornehmen.
Gerechtfertigt und notwendig ist es, dass auch im Be-
reich vieler Prestigeprojekte um den ökologischen Land-
bau gekürzt wird. Auch das gehört zu einer glaubwürdi-
gen Haushaltspolitik.
Anlage 23
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts zu den Anträgen
– Der 60. Jahrestag des Kriegsendes im Jahre
2005
– Gedenken an die Opfer des Bombenkriegs
im Zweiten Weltkrieg
(Tagesordnungspunkt 21)
Angelika Krüger-Leißner (SPD): Der 60. Jahrestag
des Endes des Zweiten Weltkrieges am 8. Mai 2005 ist
ein bedeutendes Datum, das wir in angemessener Weise
begehen müssen. Schon die Gedenkfeiern, die im Bun-
destag in der Vergangenheit anlässlich des 8. Mai gehal-
ten wurden, zeigen, welche zentrale Bedeutung dieses
Datum für die deutsche Geschichte und für uns heute
hat.
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Es ist fast zwingend, in diesem Zusammenhang die
ede zu erwähnen, die Richard von Weizsäcker als Bun-
espräsident am 8. Mai 1985 im Deutschen Bundestag
ehalten hat. Besonders seine Feststellung, dass dieser
ahrestag in erster Linie und bei allem Leid ein Tag der
efreiung war, hat heute noch ihre Wahrhaftigkeit und
edeutung behalten. Diese Aussage war besonders im
usland von enormer Wirkung. Von Weizsäcker gebührt
afür heute noch unser aller Dank.
Der ehemalige Bundespräsident hatte aber auch fest-
estellt, dass der 8. Mai für uns Deutsche aus vielen
ründen kein Tag der Freude ist – nicht nur wegen der
erstörten Städte und der Vertreibung, sondern schon
urch die Tatsache, dass sich dieses Datum nicht ohne
en 30. Januar 1933 denken lässt. Dessen müssen wir
ns bei allen Diskussionen bewusst sein. In keiner Hin-
icht dürfen wir die Erinnerung aus ihrem historischen
usammenhang reißen.
Auch zehn Jahre später, in der Gedenkfeier am
8. April 1995, wurde dieser „Tag der Befreiung“ in an-
emessener Weise begangen. Der damalige Bundesrats-
räsident Johannes Rau stellte für uns Deutsche fest,
ass wir „gebrannte Kinder“ sind.
Darum muss – so Rau – bei uns die Schwelle höher
liegen als in jedem anderen Land. Darum haben wir
eine besondere Verantwortung dafür, nie zu verges-
sen und nie zu verdrängen, was geschieht, wenn die
Demokratie stirbt …
Diese Gedenkstunde hatte auch deswegen eine beson-
ere Bedeutung, weil der damalige polnische Außenmi-
ister Bartoszewski zu den Rednern gehörte, ein Mann,
er Auschwitz überlebt hat und auch unter dem kommu-
istischen Regime für Freiheit und Wahrheit eingetreten
st. Das war ein wichtiges Zeichen der Versöhnung an
as wiedervereinigte Deutschland.
Doch Versöhnung ist nicht möglich ohne Erinnerung.
as Gedenken an das Kriegsende – und damit an den
rieg selber – ist für uns heute noch von zentraler Wich-
igkeit. Denn es zeigt uns immer wieder, dass unsere
eutige Demokratie etwas ist, das wir immer wieder ver-
eidigen müssen. Das Gedenken an die Opfer hilft uns,
ie richtigen Entscheidungen für die Zukunft zu treffen.
eswegen gilt es auch, angesichts des vor uns liegenden
0. Jahrestages, erneut die Erinnerung in angemessener
eise zu begehen und Chancen der Aufarbeitung zu nut-
en.
Jahrestage des Kriegsendes finden aber nicht nur in
edenkfeiern des Bundestages oder des Bundesrates
tatt. Sie werden auf verschiedensten Ebenen begangen
nd durch die Forschung und die Gesellschaft flankiert.
as bedeutet auch, dass sich die Form des Gedenkens
andelt. Die weltpolitische Lage ändert sich, immer we-
iger Zeitzeugen leben noch, immer mehr Ergebnisse
er historischen Forschung werden veröffentlicht, das
riegsende rückt immer mehr von der Erfahrung in die
eschichte. Dieser Prozess ist nicht aufzuhalten.
Der Forschung kommt dabei eine zentrale und oft
ontroverse Rolle zu. Diskussionen wie der Historiker-
treit, die Goldhagen-Debatte oder die Bewertung der
10836 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004
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Wehrmachtsausstellung haben immer unser Gedenken
beeinflusst.
Zurzeit ist es wieder so, dass politische und histori-
sche Perspektiven unser Gedenken beeinflussen. Nennen
möchte ich hier nur zwei Dinge: erstens die in den letz-
ten Jahren – auch angesichts der EU-Osterweiterung –
wieder aufgeflammte Diskussion um die Bedeutung von
Flucht und Vertreibung, die – besonders was das euro-
päische „Zentrum gegen Vertreibungen“ angeht – zu teil-
weise erheblichen internationalen Irritationen geführt
hat; zweitens die Reaktionen auf das Buch „Der Brand“,
das den Bombenkrieg der Alliierten gegen Deutschland
behandelt. In beiden Fällen handelt es sich um ge-
schichtliche Betrachtungen, in denen die Deutschen pri-
mär als Opfer vorkommen.
Um es gleich vorwegzuschicken: Diese Tatsache be-
deutet natürlich nicht, dass dies nicht möglich sein darf.
Auch das gehört zur Erinnerung. Aber es darf nicht dazu
kommen, dass wir so tun, als wäre diese Form des Ge-
denkens völlig neu. In den ersten Nachkriegsjahren war
es sogar das vorherrschende Gedenken. Erst in den letz-
ten Jahrzehnten sind die deutschen Opfer angesichts der
Auseinandersetzung mit dem Holocaust in den Hinter-
grund gerückt.
Es darf auf keinen Fall dazu kommen, dass in der Öf-
fentlichkeit der Eindruck entsteht, wir würden diese
Teile der deutschen Geschichte isoliert betrachten kön-
nen. Flucht und Vertreibung sind ohne den nationalso-
zialistischen Vernichtungskrieg ebenso wenig denkbar,
wie Hamburg und Dresden es ohne Coventry und Rotter-
dam sind. Dies müssen wir uns bei allen Diskussionen
vor Augen halten.
Deswegen halten wir die Form, die die CDU/CSU,
was das Gedenken angeht, in letzter Zeit vorschlägt, für
falsch.
Schon die Gedenkstättenkonzeption, die Sie fordern,
birgt die Gefahr in sich, Opfergruppen gegeneinander
auszuspielen und dem Gedenken der deutschen Opfer ei-
nen isolierten Raum zukommen zu lassen. Die Reaktio-
nen waren entsprechend. Ich hoffe sehr, dass Sie insge-
samt von dieser neuen Geschichtsbetrachtung abrücken
und mit uns wieder auf Grundlage der Gedenkstätten-
konzeption des Bundes diskutieren.
Ebenso wenig ist es sinnvoll, dass wir Anträge zum
Gedenken an die Bombenopfer beschließen, die nicht im
Zusammenhang mit den Ursachen des Krieges selber
stehen. So etwas muss ja nicht apologetisch gemeint
sein. Die Gefahr, dass es so verstanden wird, besteht
aber durchaus.
Das gilt besonders dann, wenn dieses Gedenken eine
Monumentalisierung mit Mahnmalen und Ähnlichem
beinhaltet. So etwas ist immer problematisch und sugge-
riert, dass es um mehr gehen könnte als um das Geden-
ken an die Opfer.
Daher möchten wir einen anderen Weg vorschlagen,
wie wir ihn in unserem Antrag beschrieben haben. Wir
wollen alle Ebenen – die Bundesregierung, die Regie-
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ungen der deutschen Länder und die Bürgerinnen und
ürger – zu einem angemessenen Gedenken auffordern.
Opfer unter der deutschen Zivilbevölkerung sind für
ns dabei freilich mit eingeschlossen, denn auch sie ha-
en unter dem nationalsozialistischen Terror gelitten. Es
eht uns dabei nicht darum, Opfergruppen gleichzustel-
en. Die Handlungsmöglichkeiten von Juden und ande-
en Verfolgten waren erheblich geringer als bei dem
eutschen Normalbürger. Das Gedenken muss vollstän-
ig sein, will es versuchen, dem Ausmaß des Grauens
ahe zu kommen.
Wir wollen die Chancen nutzen, die der 60. Jahrestag
edeutet. Noch gibt es Zeitzeugen, die wir befragen kön-
en – nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa.
ies muss in diesem Zusammenhang geschehen, um Ge-
chichte verständlich zu machen.
Gerne wären wir diesen Weg interfraktionell gegan-
en. Auch wenn die Union versucht, dies anders darzu-
tellen: Versuche dazu hat es gegeben. Aber CDU und
SU wollten nicht von der exponierten Stellung der
eutschen Opfer und der Konzeptionierung durch die
undesregierung abrücken. Entsprechend vorgeschla-
ene Formulierungen wie: „Wer nicht die eigenen Toten
u betrauern vermag, dem glaubt niemand die Trauer um
ie anderen“ führen in dieselbe Richtung wie andere An-
räge der Union. Denn Trauer um die Toten hat es immer
egeben und wird es weiter geben. Zu suggerieren, sie
ären vergessen worden, ist schlichtweg falsch.
Noch problematischer ist der Hang, das Wort
Deutschland“ durch „das Dritte Reich“ oder „die Natio-
alsozialisten“ zu ersetzen. Das ist eine an Apologie
renzende Verwischung der deutschen Verantwortung.
uf diese Weise begrenzen Sie das Unrecht auf einige
enige Täter. Das ist historisch falsch.
Die FDP möchte ich dabei ausdrücklich ausnehmen.
ir haben Änderungsanträge der Freidemokraten über-
ommen und konnten nur bei einem konkreten Vor-
chlag zum Gedenken an die Bombenopfer nicht mitge-
en. Allerdings möchte ich betonen, dass dieser
orschlag eines internationalen Gedenkens durchaus
ute Ansätze hat, die bei der Ausgestaltung des Geden-
ens an den 60. Jahrestag in Teilen durchaus Eingang
inden können.
Es ist unser Ziel, den Zweiten Weltkrieg als zentralen
omplex des europäischen Geschichtsbewusstseins zu
egreifen. Wir müssen die Chancen des zusammenwach-
enden Europas nutzen, unser Verständnis für den Krieg,
eine Ursachen und seine Folgen erneut zu schärfen. Das
erständnis für die europäische Bedeutung und den eu-
opäischen Kontext ist von besonderer Relevanz.
In diesem Zusammenhang ist es eine große Geste,
ass der französische Staatspräsident den deutschen
undeskanzler zu den Feiern zum 60. Jahrestag des
-Day in die Normandie eingeladen hat. Das Verständ-
is, das dem zugrunde liegt, bedeutet aus meiner Sicht,
ass man uns zutraut, das Gedenken auch in Zukunft zu
rhalten. Die Feststellung des Bundeskanzlers, dass der
-Day ein Sieg für Deutschland war, bleibt auch ange-
ichts der deutschen Opfer richtig.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10837
(A) )
(B) )
Deutschland hat eine wachsende Bedeutung auf inter-
nationaler Ebene. Wir sind zu einer anerkannten Demo-
kratie geworden. Viele der Länder, die jetzt der EU bei-
getreten sind, haben unter dem nationalsozialistischen
Deutschland unendlich gelitten. Daher ist die Freund-
schaft, die uns verbindet, eine, die wir besonders pflegen
müssen. Ein angemessenes Gedenken an unsere Vergan-
genheit schafft hier Vertrauen nach außen und Wachsam-
keit bei uns selber, was die Bedeutung unserer Demokra-
tie angeht.
Unser Antrag berücksichtigt diese internationale Seite
ausdrücklich. Wir müssen diese Möglichkeit nutzen,
dass Europa näher aneinanderrückt und immer noch
Menschen da sind, die sich an den Zweiten Weltkrieg er-
innern. Auf diese Weise tragen wir von politischer Seite
dazu bei, dass sich Gedenken würdig und sinnvoll entwi-
ckelt. Das sollte unser aller Ziel sein.
Dr. Peter Gauweiler (CDU/CSU): Vor einem Jahr,
am 5. Juni 2003, fand die erste Lesung unseres Antrages
„Gedenken an die Opfer des Bombenkriegs im Zweiten
Weltkrieg“ statt. SPD und Grüne haben seitdem wenig
unversucht gelassen, eine gemeinsame Entschließung
des Bundestages zu diesem ernsten und wichtigen
Thema zu verhindern. In der Sitzung des Bundestagsaus-
schusses für Kultur und Medien vom 16. Juni 2004 ha-
ben wir die Stationen dieser unguten Verweigerung do-
kumentiert. An SPD und Grüne: Diese Verweigerung
war einer vor unserem Volk verantwortbaren Erinne-
rungskultur der Bundesrepublik Deutschland nicht ange-
messen.
Selbst zu Ihrem eigenen Antrag, den Sie nach Mona-
ten des Hin und Her und dann des völligen Verstummens
endlich zu Papier brachten, haben wir eine Einigung mit
folgenden Ergänzungen angeboten:
Das Land ist sich aber auch schuldig, der eigenen
Opfer zu gedenken. Sie müssen Bestandteil der ge-
meinsamen Erinnerung sein. Wer nicht die eigenen
Toten zu betrauern vermag, dem glaubt niemand die
Trauer um die anderen. Der Deutsche Bundestag
wird sich zu diesem Gedenken am 13. Februar 2005
in der Dresdner Frauenkirche versammeln.
Obwohl der Vorschlag eines Gedenkens des Bundes-
tages am 13. Februar 2005 in Dresden aus Ihrer Mitte
kam, haben Sie auch den diesbezüglichen Teil des An-
trages gleich wieder abgelehnt. Selbst das ging Ihnen zu
weit. Hier taucht wieder die Weltanschauung der natio-
nalen Selbstverachtung auf, wie wir sie von den 68ern
zur Genüge kannten und von der wir annahmen, Sie hät-
ten sich davon befreit. Diese Sicht der Dinge ist so arm-
selig. Wir sind über die Gefühllosigkeit von Rot und
Grün hinsichtlich der Opfer des Bombenkrieges fas-
sungslos. Die Verweigerung eines angemessenen Geden-
kens durch die Mehrheit des Deutschen Bundestages ist
unerhört.
Vielleicht sollten Sie sich mit einer dieser Tage publi-
zierten Veröffentlichung des Deutschen Ärzteblattes
(2. Juli 2004) unter dem Titel „Kriegskinder im Alter –
Die psychosozialen Folgen einer Kindheit im Zweiten
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eltkrieg wurden lange Zeit nicht wahrgenommen oder
abuisiert“ befassen. Dort heißt es, dass als passiv Betei-
gte – bei Kriegsende unter 18-jährig – heute noch
,9 Millionen Männer und 8,73 Millionen Frauen am
eben sind.
Nicht dass SPD und Grüne generell von der Erinne-
ungskultur und vom Leid der Opfer nichts wissen woll-
n: Am gleichen Tag, dem 16. Juni 2004, da Sie den
eutschen selbst das kleinste Gedenken des Bundesta-
es an die Opfer des Bombenkrieges verweigerten,
rachten Sie ein umfängliches Antragswerk ins Parla-
ent ein, mit dem Titel „ Zum Gedenken an die Opfer
es Kolonialkrieges im damaligen Deutsch-Südwest-
frika“. Damit wollten Sie – schrieben Sie den Mitglie-
ern des Hohen Hauses – „den Opfern (der Völker der
erero und der Nama) ihre Würde und Ehre wiederge-
en“.
Begreifen Sie wirklich nicht, dass solche ethischen
ostulate durch Ihre heutige Verweigerungshaltung
wangsläufig ins Peinliche abgleiten? Wer die ganze
elt umarmen will, aber die eigenen Leute vergisst, der
andelt inhuman, selbst wenn er das Gegenteil behaup-
et.
Waren wir uns nicht einig, dass Erinnerung nichts
uslassen darf und dass es eine halbe Erinnerung nicht
ibt? Wir dachten, es sei Gemeingut einer von der Wah-
ung der unveräußerlichen Menschenrechte bestimmten
rinnerungskultur, dass auch gegen die Bevölkerung ei-
es moralisch unterlegenen Unrechtsregimes nicht alles
rlaubt ist, auch wenn diese Bevölkerung deutscher Na-
on ist.
Vom Bombenkrieg waren 30 Millionen deutsche
tadtbewohner betroffen. Die daher rührenden Traumata
ind bis heute akut. Dabei wurden 160 Städte und an die
000 Ortschaften bombardiert. Diese Bombardierun-
en, die nach heutiger Rechtslage und auch nach dem
orkriegsverständnis der zivilisierten Welt ein schweres
riegsverbrechen waren, führten zum Verlust des histo-
ischen Antlitzes der deutschen Stadt. Die Zerstörung
er deutschen Innenstädte betrug in der Regel zwischen
0 und 90 Prozent. Dabei wurden über eine halbe
illion Zivilpersonen getötet – verbrannt, erstickt, zer-
tückelt – über 70 000 Kinder, übrigens auch über
0 000 Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene.
Unser Volk befasst sich zu Recht mit der deutschen
erantwortung um die Furcht und das Elend, welches
om Dritten Reich ausging. Jeder Deutsche ist darüber
einem Teil seines Herzens traurig bis er stirbt. Aber
ir verbitten uns in aller Form, die Erwähnung der grau-
amen Vorgänge des Bombenkrieges auch der Alliierten
nd der Opfer dieser Kriege in einen zwanghaften Zu-
ammenhang mit einer revisionistischen Geschichtsauf-
assung zu bringen.
Frau Kollegin Erika Steinbach, der ich heute für ihr
rinnerungskulturelles Engagement für die Millionen
pfer von Flucht und Vertreibung danke, hat mich dieser
age auf einen Text von Carl Zuckmayer aufmerksam
emacht:
10838 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004
(A) )
(B) )
Deutschland ist schuldig geworden vor der Welt.
Wir aber, die wir es nicht verhindern konnten, ge-
hören in diesem Weltprozess nicht unter seine Rich-
ter. Zu seinen Anwälten wird man uns nicht zulas-
sen. So ist denn unser Platz auf der Zeugenbank,
auf der wir Seite an Seite mit unseren Toten sitzen,
und bei aller Unversöhnlichkeit gegen die Peiniger
und Henker werden wir Wort und Stimme immer
für das deutsche Volk erheben.
Zugelassene, berufene und vor allem gewählte An-
wälte des deutschen Volkes sind heute wir, die Mitglie-
der des Deutschen Bundestages. Unser politisches Man-
dat gilt niemand anderem als diesem einen deutschen
Volk.
Mit einem anderen „deutsch geborenen Geist“
– Thomas Mann in seiner Selbstbeschreibung in
„Deutschland und die Deutschen“ – halten wir fest,
dass es nicht zwei Deutschland gibt, ein böses und
ein gutes, sondern nur eines, dem sein Bestes durch
Teufelslist zum Bösen ausschlug.
Darum ist es für einen deutsch geborenenen Geist
auch so unmöglich, das böse, das schuldbeladene
Deutschland ganz zu verleugnen und zu erklären:
Ich bin das gute, das edle, das gerechte Deutschland
im weißen Kleid, das böse überlasse ich euch zur
Ausrottung. Nichts von dem, was ich Ihnen über
Deutschland zu sagen oder flüchtig anzudeuten ver-
suchte, kam aus fremdem, kühlem, unbeteiligtem
Wissen; ich habe es auch in mir, ich habe es alles an
eigenem Leibe erfahren.
Unser heutiges weißes Kleid, das wir mit so viel Stolz
in aller Welt herumzeigen, rechtfertigt nicht, den Toten
die Erinnerung und damit die Ehre zu nehmen. Hören
Sie endlich auf, ständig Ethik und Heuchelei zu ver-
wechseln!
Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Heute ist ein Abend gegen das Vergessen. Denn
Vergessen tötet. Heute ist ein Abend gegen das Verdrän-
gen. Denn was wir verdrängen, kommt zurück.
Der 8. Mai 2005 ist der 60. Jahrestag des Kriegsendes
in Deutschland, des Endpunktes des Zweiten Weltkrie-
ges hier in Europa. Der vorliegende Antrag dient der
Vorbereitung auf den bevorstehenden Gedenktag. Dieser
kann und soll Anlass sein, insbesondere in der jüngeren
Generation das Bewusstsein über die Ursachen, die Ge-
schichte und die Folgen des Zweiten Weltkrieges wach
zu halten, so wie es der scheidende Bundespräsident
Johannes Rau in seiner heutigen Rede angemahnt hat.
Wenn ich allerdings die öffentlichen Debatten in den
letzten Wochen und Monaten – beispielsweise zum Ge-
denkstättenkonzept der Union oder zu Martin Hohmann –
Revue passieren lasse, dann muss ich sagen: Auch ein
Teil der älteren Generationen hat eine solche Auseinan-
dersetzung mit dem 8. Mai – trotz der Weizsäcker-Rede
von 1985 – immer noch oder schon wieder nötig.
Der 8. Mai ist für mich zuallererst ein Tag der Befrei-
ung: ein Tag der Befreiung der Menschen in Deutsch-
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and und in der Welt vom verbrecherischsten Regime der
enschheitsgeschichte.
Der 8. Mai ist für mich ein Tag der Erinnerung und
er Trauer: der Erinnerung an und der Trauer um unsäg-
iches Leid, die Ermordung der europäischen Juden, das
eid der Menschen in den besetzten oder ausgebombten
uropäischen Städten, die insgesamt 50 Millionen Toten.
Der 8. Mai ist für mich ein Tag des Rückblicks: eines
ückblicks auf die deutsche Nachkriegsgeschichte, die
ange – viel zu lange – die Zeit von 1933 bis 1945 ver-
rängte. Der Antrag ist deshalb auch ein Signal gegen
as Verdrängen und Vergessen.
Der 8. Mai ist für mich auch ein Tag des Ausblicks.
er 8. Mai 1945 ist nicht vom 1. Mai 2004 zu trennen.
as eine Datum gäbe es nicht ohne das andere. Der
. Mai 2004 – der Beitritt von zehn Staaten zur EU – sig-
alisiert: Die Teilung Europas, die aus der Konsequenz
es Zweiten Weltkrieges entstanden ist, wurde überwun-
en. Der Eiserne Vorhang wurde endgültig abgehängt
nd er ist in der Rumpelkammer der Geschichte ver-
chwunden.
Von Beginn an waren SPD und Bündnis 90/Die Grü-
en bereit, einen gemeinsamen Antrag mit der Oppo-
ition zu formulieren. Änderungsvorschläge von der
DP sind dabei in der Diskussion im Ausschuss in den
ntrag eingegangen. Die Union hingegen beharrte fast
usschließlich auf einem herausgehobenen Gedenken an
ie deutschen Opfer im Bombenkrieg und bei Flucht und
ertreibung. Sie betreibt damit den Versuch eines Para-
igmenwechsels im Umgang mit der deutschen Ge-
chichte. Diese Geschichtspolitik ist mit SPD und Bünd-
is 90/Die Grünen nicht machbar – nicht an dieser Stelle
nd auch an keiner anderen.
In dem ebenfalls vorliegenden Antrag fordert die
nion die Bundesregierung auf, ein Konzept vorzule-
en, wie der Opfer des Bombenkriegs angemessen ge-
acht werden soll. Ich bin erstaunt über den Antrag. Oft
eruft sich gerade die Union auf die Kulturhoheit der
änder. Gerade in diesem Fall existiert in den Ländern,
n den Städten ein großer Reichtum an Erinnerungskul-
ur. Vor Ort erinnern sich die Bürgerinnen und Bürger an
ie Opfer in der Zivilbevölkerung, an die Zerstörung his-
orischer Altstädte. Dafür braucht es wahrlich kein büro-
ratisches Regierungskonzept.
Die Damen und Herren von der Union wollen doch
igentlich auch etwas ganz anderes. Unter dem Oberbe-
riff des Opfergedenkens wollen sie alle zu Opfern und
eidtragenden erklären, die historische Verantwortung
eutschlands entsorgen, Geschichte einseitig verkürzen
nd aufhören zu differenzieren. Natürlich macht eine
istorische Differenzierung auf der Ebene der Leidens-
eschichte des Einzelnen keinen Sinn – auf der Ebene
er historischen Gesellschaftsverbrechen aber schon.
Deutlich zeigt der Antrag der Union diesen Mangel
n Differenzierung von Ursache und Wirkung, indem er
hne Verweis auf die Kriegsverbrechen des Nationalso-
ialismus, auf den Vernichtungskrieg im Osten oder auf
ie vorangegangenen Bombardierungen polnischer, hol-
ändischer oder englischer Städte auskommt. Wer Ge-
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10839
(A) )
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schichte nicht mehr einbettet, wer Geschichte nicht mehr
differenziert betrachtet, wer stattdessen einseitig ver-
kürzt, der muss sich vorwerfen lassen, dass er historische
Verantwortung nur noch entsorgen will.
Auf den Weg ins Plenum komme ich, kommen sie,
kommen wir alle an den Graffiti der russischen Soldaten
vorbei, die diese vor 59 Jahren als Botschaft des Überle-
bens, des Sieges und der Freude hinterlassen haben.
Heute, aus Anlass dieser Debatte, habe ich mir die
Graffiti erneut bewusst angeschaut, die Augen geschlos-
sen und mir vorgestellt, wie es hier vor 59 Jahren ausge-
sehen haben mag. Ich war und ich bin berührt über diese
Vorstellung und vor allem darüber, was heute aus diesem
Ort geworden ist: ein transparentes Signal für unsere De-
mokratie, ein Ort des streitbaren Diskurses und von de-
mokratischen Entscheidungen. Darüber bin ich, sind Sie,
sind wir sicher bei allen Differenzen gemeinsam froh.
Die Graffiti bleiben gleichzeitig eine Mahnung, aus der
Geschichte zu lernen und Verantwortung für die Vergan-
genheit anzuerkennen, um damit die Zukunft zu gestal-
ten.
Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP): Es ist Teil
der deutschen Befindlichkeit, dass der Bundestag nicht
die Kraft oder zumindest die Zeit hat, die parlamentari-
sche Debatte und Entscheidung über Inhalt und Form ei-
nes würdigen Gedenkens zum 60. Jahrestag des Kriegs-
endes bzw. der Opfer des Bombenkrieges anders als auf
eine halbe Stunde am späten Abend zu terminieren, so-
dass alle Redner veranlasst sind, ihre Reden zu Protokoll
zu geben. Ich bin sicher, in jedem anderen Parlament
würde dieser Thematik ein würdigerer Rahmen verlie-
hen.
Ich möchte also auf diesem Wege die Voten der FDP-
Fraktion zu den beiden Anträgen und unserem Ände-
rungsantrag begründen:
Der Unionsantrag hat sich durch Zeitablauf bedauerli-
cherweise erledigt. Aber auch wegen der Exklusivität
des Gedenkens an deutsche Bombenopfer kann die FDP-
Fraktion diesem Antrag nicht die Zustimmung erteilen,
sondern enthält sich der Stimme.
Der Antrag von Rot-Grün („Der 60. Jahrestag des
Kriegsendes im Jahre 2005“) ist nach den von der FDP-
Fraktion initiierten Änderungen bei der Ausschussbera-
tung akzeptabel in dem, was er enthält. Er wird aber in-
akzeptabel in dem, was er auslässt.
Bereits bei den Beratungen im Ausschuss hatte die
FDP-Fraktion einen Ergänzungsantrag gestellt, wonach
auch der Millionen von Opfern insbesondere unter der
Zivilbevölkerung in Form von gemeinsamen Gedenk-
veranstaltungen mit unseren europäischen Nachbarn ge-
dacht werden solle. Diesen Ergänzungsantrag, den wir
heute erneut zur Abstimmung stellen, haben SPD und
Grüne abgelehnt – schlimmer noch: Sie sind hierfür jede
nachvollziehbare Begründung schuldig geblieben. Es ist
ganz offenbar die von deutschen Intellektuellen 68er
Provenienz hochgehaltene These, deutsche Opfer seien
selbst schuld, schließlich hätten sie Hitler an die Macht
gebracht.
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Besonders deutlich zum Ausdruck kam diese Haltung
rst kürzlich wieder in einer Stellungnahme der Leiter
er KZ-Gedenkstätten. Hierin wird der Wunsch nach ei-
em Gedenken an die zivilen Bombenopfer als „Wieder-
elebung des deutschen Opfermythos“ bezeichnet, der
n „überwunden geglaubte (west-)deutsche Schuldent-
astungsmechanismen“ anknüpfe. Die Reduktion der Er-
nnerung auf ein würdiges Gedenken aller Opfer bereite
revisionistischen Geschichtsbildern“ den Weg.
In aller Deutlichkeit: Ich halte dies für ideologisch
erbrämte Gefühlskälte, zudem zynisch und selbstge-
echt. Ich frage mich: Wie würden sich diese Männer ei-
entlich verhalten, wenn ihre eigenen Frauen oder Kin-
er im Bombenhagel verbrannt wären? Wollen wir
irklich Opfer nach ihrer Nationalität sortieren? Wollen
ir wirklich jedem Opfer, auch Kleinkindern und Babys,
orhalten, sie seien schuld an Hitler, wofür der Tod die
erechte Strafe sei?
Unsere liberale Antwort ist eine andere: Lassen Sie
ns gemeinsam mit unseren europäischen Nachbarn und
rüheren Kriegsgegnern aller zivilen Opfer des Zweiten
eltkrieges gedenken. Das könnte zum Beispiel in Form
on europäischen Gedenkveranstaltungen in der Frauen-
irche in Dresden und anderen Stätten der Zerstörung
ie zum Beispiel in Coventry, Rotterdam und Warschau
eschehen.
Kein Demokrat leugnet die Schuld Deutschlands am
usbruch des Zweiten Weltkrieges und am unermessli-
hen Leid Millionen Unschuldiger. Dies enthebt uns
ber keineswegs unserer politischen und menschlichen
erantwortung, aller Opfer dieses Weltkrieges gleich
elcher Nationalität in würdiger Form zu gedenken.
iesen demokratischen Grundkonsens müssen wir 60
ahre nach dem Kriegsende in Deutschland endlich her-
tellen.
Ich erinnere Sie an Günter Grass, der es sich selbst als
bodenloses Versäumnis“ vorgeworfen hat, zu den Qua-
en der Zivilbevölkerung zu lange geschwiegen zu ha-
en, aber auch an das Eingeständnis von Antje Vollmer,
s sei „kein Ruhmesblatt“ gewesen, wie sie und ihres-
leichen sich bei der Aufarbeitung historischer Wahrhei-
en geirrt haben.
Es wäre beschämend, ein Armutszeugnis für dieses
aus, wenn wir über Inhalt und Form eines angemesse-
en Gedenkens an den 60. Jahrestag des Kriegsendes
eine Übereinstimmung herstellen könnten.
Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos): Der Regierungs-
ntrag mit dem Titel: „Der 60. Jahrestag des Kriegsendes
m Jahr 2005“ sollte eigentlich am 8. Mai dieses Jahres,
m Tag der Befreiung, behandelt werden, doch leider
urde er von den Fraktionen von der Tagesordnung ge-
ommen, was auch eine politische Aussage ist.
Ich freue mich trotzdem, dass die Regierungsfraktio-
en einen Antrag zur Vorbereitung des 60. Jahrestages
er Befreiung Deutschlands vom Hitlerfaschismus in
en Bundestag eingebracht haben. Ihr Antrag hebt sich
rfreulich vom Antrag der CDU ab.
10840 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004
(A) )
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Der CDU-Antrag ist überschrieben: „Gedenken an
die Opfer des Bombenkrieges im Zweiten Weltkrieg“.
Allerdings finde ich es schon verwunderlich, dass die
CDU ein Konzept der Bundesregierung zur Erforschung
des Bombenkrieges erwartet und sich dabei nur auf die
Zerstörung deutscher Städte bezieht. Warum wollen Sie
nicht auch das Schicksal der Menschen erforschen, die
durch deutsche Bomber in den Städten der Sowjetunion,
Polens und Großbritanniens Opfer geworden sind?
Die CDU hat bereits in anderen Anträgen bewiesen,
dass sie die deutsche Geschichte neu schreiben möchte.
Die CDU-Anträge zeigen auch an der CDU-Basis Wir-
kungen. Ein Beispiel: Der Chef der CDU-Fraktion im
Kreistag von Spree-Neiße, Herr Egon Wochatz, besuchte
am D-Day die alten Kameraden der SS-Division
„Frundsberg“, die in der Normandie gegen die Alliierten
gekämpft hatten.
Meine Damen und Herren von der CDU, ich weiß,
dass Sie versuchen, den rechten Rand der Gesellschaft in
das demokratische Spektrum einzubinden – aber bitte
doch nicht dadurch, dass Sie diesen Menschen nach dem
Munde reden! Sie müssen hier offensichtlich noch viel
Bildungsarbeit leisten. Bei Leuten wie Wochatz hilft
wohl auch die beste Bildungsarbeit nichts, von diesen
Leuten muss sich die CDU einfach trennen.
In diesem Zusammenhang ist die Feststellung im An-
trag von SPD und Grünen besonders wichtig, dass
im Zentrum der Auseinandersetzung mit dem Ende
des Zweiten Weltkrieges … dabei die Tatsache ste-
hen (muss), dass der von Deutschland begonnene
Eroberungs- und Vernichtungskrieg in der national-
sozialistischen Diktatur begründet war und die Be-
freiung von dieser Diktatur erst durch die deutsche
Kriegsniederlage möglich wurde. Der Nationalsozi-
alismus war damit auch Voraussetzung für die euro-
päische und deutsche Teilung nach 1945 …“
Ich stimme auch mit der Feststellung überein, dass es
nicht zugelassen werden darf, dass Ursachen und Wir-
kungen vertauscht und
die ganz unterschiedlichen Gründe, aus denen Men-
schen zu Opfern wurden, … verwischt werden.
Eine Tendenz, die sich leider auch in dem Antrag der
Regierungsfraktionen findet, ist, die brutalste und men-
schenverachtendste Diktatur in der Geschichte der
Menschheit immer wieder mit der DDR ins Verhältnis zu
setzen.
Die Aufgabe aller demokratischen Kräfte ist es, den
60. Jahrestag der Befreiung so vorzubereiten, dass da-
raus ein besseres historisches Verständnis und vor allem
mehr Zivilcourage erwächst.
Abschließend will ich darauf verweisen, dass die
PDS-Fraktion im Bundestag in der letzten Legislaturpe-
riode einen Gesetzentwurf mit dem Ziel eingebracht hat,
den 8. Mai zum Tag des Gedenkens an die Befreiung
vom Nationalsozialismus zu erklären. Der Antrag wurde
damals abgelehnt. Wir werden uns damit nicht abfinden
und immer wieder diesen Gedenktag einfordern.
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nlage 24
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Für eine schnelle
Überwindung der politischen, wirtschaftlichen
und sozialen Krise in Venezuela (Tagesord-
nungspunkt 23)
Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Es ist gut,
ass sich der Deutsche Bundestag heute erneut mit der
ituation in Venezuela befasst. Ich habe es an dieser
telle in den zurückliegenden Venezuela-Debatten im-
er wieder gesagt: Wenn es etwas gibt, was auf Chavez
berhaupt noch Eindruck macht, so ist das internationa-
er Druck und internationale Aufmerksamkeit. In diesem
inne danke ich Ihnen allen, dass wir trotz der späten
tunde diese Debatte heute auch tatsächlich führen und
amit zum Ausdruck bringen, dass wir als Deutscher
undestag ein wachsames Auge auf die Entwicklung in
enezuela haben.
Ich teile Ihre Freude und Erleichterung darüber, dass
as Reparo störungsfrei ablief und sein Ergebnis von al-
en Seiten anerkannt wurde. Ich halte es für eine große
hance für Venezuela, die inzwischen seit Jahren anhal-
ende tief greifende Spaltung des Landes zu überwinden
nd den Konflikt mit demokratischen Verfahrensweisen
u lösen. Es ist gut, dass sich die Oberste Wahlbehörde
en fortgesetzten Einflussversuchen des „officialismo“
idersetzt und ihre Unabhängigkeit verteidigt hat. Das
eferendum gibt dem venezolanischen Volk die Chance,
elbst darüber zu entscheiden, auf welchem Weg sein
and in die Zukunft gehen soll. Schon der Erfolg des
eparo ist deshalb ein echter Sieg für die Demokratie in
enzuela.
Ich will aber auch klar sagen: Ohne die strenge Auf-
icht von OAS und Carter-Zentrum, ohne die allzeit ge-
ahrte internationale Öffentlichkeit hätte die Chavez-
egierung sich dem Willen der Bevölkerung sicher nicht
o leicht unterworfen. Ohnehin ist unter demokratischen
esichtspunkten schon wieder recht fragwürdig, mit
elcher Propaganda und mit welchen Methoden das Re-
ime das Referendum vorbereitet. Die internationale
ahlbeobachtung wird von der Regierung diskreditiert.
ie oberste Wahlbehörde hat den Beobachtern untersagt,
ich zum Ablauf des Referendums zu äußern. Gleichzei-
ig mobilisiert Chavez alle staatlichen Institutionen und
rganisationen und spannt sie ein für seine Kampagne.
ie Medien im Land müssen weiterhin per Zwangs-
chaltung Wahlwerbung für Chavez verbreiten. Opposi-
ionspolitiker werden weiterhin juristisch verfolgt, mit
eleidigungen und Polemik überzogen. Auch der Streit
m den Zeitpunkt des Referendums lässt befürchten,
ass Chavez wohl noch weitere Winkelzüge aus der
rickkiste ziehen wird, um das Referendum bei Bedarf
u torpedieren. Ich hätte mir gewünscht, dass Ihr Antrag
icht einfach über gerade diesen Punkt hinweggeht, der
a immerhin geeignet ist, das Referendum insgesamt ins
eere laufen zu lassen.
All das zeigt, dass die Einhaltung der demokratischen
pielregeln in Venezuela keineswegs eine Selbstver-
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10841
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ständlichkeit ist und dass die größten Hürden auf dem
Weg zu einer neuen politischen Normalität und zu einem
neuen „consenso pais“, wie ihn die demokratische Op-
position anstrebt, noch bevorstehen.
Ich werde zum Zeitpunkt des Referendums in Vene-
zuela sein und die Lage beobachten. Ich bin froh darü-
ber, dass die Europäische Union eine eigene Wahlbeob-
achtermission erwägt und diese derzeit auch mit der
Unterstützung der Bundesregierung vorbereitet. Die in-
ternationale Beobachtung wird einmal mehr der Schlüs-
selfaktor für den geordneten Ablauf des Referendums
sein.
Klaus-Jürgen Hedrich (CDU/CSU): Wir werden
dem heute zu behandelnden Antrag der Regierungskoali-
tion nicht zustimmen, und zwar aus folgenden Gründen:
Der einleitende Text des Antrages führt zwar einige rich-
tige Tatsachen auf, ist aber insgesamt zu undifferenziert,
zu einseitig zulasten der Opposition, was die Verant-
wortlichkeit für die Polarisierung im Lande angeht, und
geradezu verharmlosend, was die Verantwortlichkeit von
Hugo Chavez für die schleichende Abschaffung der De-
mokratie und der Menschenrechte belangt. Der prinzipi-
ell richtige Forderungskatalog vermag diesen Antrag lei-
der nicht zu retten.
Im Punkt 1 Ihrer Begründung haben Sie versäumt, auf
die besondere Verantwortung von Präsident Chavez
selbst für die Verschärfung sowohl von Ton als auch von
Inhalt der Auseinandersetzung hinzuweisen. Chavez
selbst hat in einer Regierungserklärung vor dem Parla-
ment ausgeführt, dass es ihm gerade um den System-
wandel bei Wirtschaft und Justiz geht.
Zu Recht führen Sie aus, dass die strukturellen Ursa-
chen der politischen Krise in den Legitimitätseinbußen
der traditionellen Parteien begründet liegen. Hier sollte
man durchaus erwähnen, dass dies AD, COPEI und
MAS sind.
Geradezu beiläufig erwähnen Sie in Ihrem Antrag den
Putsch des Hugo Chavez, der, daran sei erinnert, über
100 Menschen das Leben kostete. Auch im weiteren
Verlauf wird Chavez einseitig beleuchtet. Sie lassen es
einfach unerwähnt, dass der Verfassungsentwurf, den er
präsentierte, nicht nur das von Ihnen erwähnte „Feigen-
blatt“ der Stärkung von Beteiligungs- und Schutzrechten
für die indigenen Bevölkerungsgruppen enthielt, son-
dern insbesondere auch einschneidende Änderungen be-
sonders zu Fragen des Militärs, als da wären: Der Präsi-
dent ist alleiniger Oberbefehlshaber der Streitkräfte, dem
Militär obliegt die Verantwortung für die integrale Ent-
wicklung des Landes, Ausschluss des Parlaments in Fra-
gen der Beförderungen ab Oberst, Verminderung parla-
mentarischer Möglichkeiten durch Einführung eines
Einkammersystems, der „Rat der Bundesstaaten“ ist al-
lein abhängig vorn Präsidenten. Es ist nur eine Kleinig-
keit, aber sie passt ins Bild: Auch die geringe Wahlbetei-
ligung, die die von Ihnen erwähnten 60 Prozent bei der
Chavez-Wahl im Juli 2000 ermöglichte, verschweigen
Sie. Im Übrigen: Gerade als deutsche Parlamentarier
sollten Sie endlich zur Kenntnis nehmen, dass eine de-
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okratische Wahl kein alles legitimierender Deckmantel
ür das Verhalten danach ist.
Nicht der Reformeifer der Regierung Chavez, son-
ern die unverhohlene und offene Propagierung und
urchsetzung der „Bolivianischen Revolution“ im Sinne
ines Systemwechsels durch Präsident Chavez sorgte für
ie Verschärfung der innenpolitischen Spannungen.
uch hinsichtlich der Opposition gehen Sie zu undiffe-
enziert zu Werke. Sie reden pauschal von „der Opposi-
on“, wo Sie doch genau wissen, dass es die demokrati-
che Opposition gibt – die große Mehrheit – und eine
um Teil gewaltbereite Opposition – die große Minder-
eit –, die zum Beispiel den Putsch vom 11. April 2002
itiierte.
Der „dickste Hund“ allerdings ist, dass Sie doch allen
rnstes der „Revolutionsmär“ aufsitzen, der Putsch sei
adurch beendet worden, dass Hunderttausende von
enschen Regierungssitz und Parlament, die Kasernen
nd wichtigsten Sendeanstalten umstellt und so die Wie-
ereinsetzung des verhafteten Chavez erzwungen hätten.
as ist wirklich schon geradezu naiv. Entscheidend war
och vielmehr die Haltung der Streitkräfte, die Waffen
ur Verfügung hatten und die unter Führung von General
aduell die Rückkehr von Chavez verhandelten, wobei
ie Militärs, die sich offen zum Ungehorsam bekannten,
ls Chavez den „Plan Avila“ – einen Notstandsplan, der
ewaltsames Vorgehen gegen friedliche Demonstratio-
en vorsah – aktivieren wollte, den Gehorsam verwei-
erten. Das Oberste Gericht – in einer Zusammenset-
ung bestimmt nach der „Constituyente“ von der
indeutigen Chavezmehrheit – hat im August 2002 er-
annt, dass seinerzeit ein „vacio del poder“, ein Macht-
akuum, bestand und deshalb gegen die Generäle nicht
orgegangen werden dürfe.
Sie hätten sich als deutsche sozialdemokratische Par-
mentarier auch einmal anschauen sollen, was für Ge-
etze es waren, die von der demokratischen Opposition,
ie von Ihnen vorwurfsvoll erwähnt, blockiert wurden.
s waren dies ausnahmslos Gesetze, die eine eindeutige
eränderung des Rechtsstaates sowie der Parlamentsge-
chäftsordnung bedeutet hätten, wobei „klassische“ Mit-
irkungsrechte des Parlaments und vor allem der zu
der Demokratie gehörende „Minderheitenschutz“ in-
rage gestellt wurden. Gerade im Hinblick auf das vom
eutschen Bundestag betriebene Programm „Parlamen-
rier helfen Parlamentariern“ wäre es gut, wenn Sie sich
ber diese Versuche der fundamentalen Beschneidung
on Parlamentarierrechten einmal klar würden und diese
uch verurteilten.
Immerhin sind Sie bereit, zuzugeben, dass „auch“
„gerade“ wäre die richtige Formulierung – Präsident
havez die Polarisierung vorantreibt; gleichwohl greifen
hre Bewertungen ein ums andere Mal zu kurz. Chavez’
iskurs richtet sich nicht gegen den „konservativen“
eil des katholischen Klerus, sondern gegen die ge-
ählte Bischofskonferenz, gegen katholische gesell-
chaftliche Gruppen, Medien und Vereine. Grund hierfür
t, dass die katholische Kirche wegen ihrer Unabhän-
igkeit den Wunsch von Chavez Anfang 1999 zurückge-
iesen hatte, mit vier Ministern in sein Kabinett und mit
10842 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004
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Delegierten in die „Constituyente“ einzutreten. In ein-
stimmigen Beschlüssen, also auch der Teile der Bi-
schofskonferenz, die Sympathie für Chavez haben, hat
die Bischofskonferenz zudem den ständigen Versuch zu-
rückgewiesen, Gott und Christus für die Revolution zu
vereinnahmen. Der Ton des Präsidenten ist der Bischofs-
konferenz gegenüber nicht angebracht. Über den Vorsit-
zenden Bischof Porras sagte er: „Unter seiner Soutane
guckt der Teufelsfuß hervor.“ oder Porras wird in SS-
Uniform und mit übergroßem Hakenkreuz statt Bi-
schofskreuz vor der Brust und dem Titel „Lügner Por-
ras“ dargestellt. Schließlich muß man deutlich sagen,
dass die Feststellung, dass das Referendum stattfinden
wird, nur unter offenem Druck von Ex-Präsident Carter
und OAS-Generalsekretär Gaviria getroffen wurde, die
Carter-Zentrum und OAS vorliegenden tatsächlichen Er-
gebnisse zu veröffentlichen, wenn der Wahlrat Manipu-
lationen oder Verzögerungen vornimmt.
Chavez’ Wahlkampfmaschinerie beginnt jetzt zu lau-
fen: Jüngste Entwicklungen wie die unbegründete, poli-
tisch motivierte Inhaftierung des Bürgermeisters Hen-
rique Capriles, die paranoide Aufbauschung eines
vermeintlichen Kampfes Chavez gegen Bush, die tägli-
chen Zwangsschaltungen des Fernsehens, die massive
Kampagne zur Ausstellung von Personalausweisen
– Voraussetzung für die Teilnahme am Referendum – für
die Nutznießer von Chavez’ Sozialprogrammen, die ju-
ristische Verfolgung von Oppositionsführern, die Positi-
onierung gegen OAS und Carter-Zentrum und Verschär-
fung der Regeln für Wahlbeobachter, Verhaftungen im
Fall der angeblichen kolumbianischen Paramilitärs ge-
ben Anlass zu großer Sorge. Die geplante Verwendung
von Wahlmaschinen einer Firma, die zum Teil in vene-
zolanischem Besitz ist, eröffnet die Möglichkeit der Ma-
nipulation und zeitlichen Verzögerung. So zeigen sich
auch Human Rights Watch und andere internationale
Menschenrechtsorganisationen alarmiert über den ra-
schen Verfall des Rechtsstaates.
Ihren Forderungskatalog halte ich für richtig, insbe-
sondere die Entsendung von geschulten Wahlbeobach-
tern, die den ordnungsgemäßen Ablauf des Referendums
bestätigen können. Andernfalls ist zu befürchten, dass
der Wählerwille gebeugt und betrogen wird.
Lothar Mark (SPD): In Venezuela ist seit vielen Jah-
ren ein rapider Verfallsprozess in Politik, Wirtschaft und
Gesellschaft zu beobachten. Die Ursachen dafür – darü-
ber sind sich alle Fachleute einig – liegen weit vor 1998,
dem Amtsantritt von Präsident Hugo Chavez. Das der-
zeitige politische Tauziehen zwischen der Regierung und
der Oppositionsbewegung allerdings hat das Land in un-
geahntem Ausmaß polarisiert und das staatliche und
wirtschaftliche Gefüge bedrohlich ausgehöhlt.
In den zurückliegenden Debatten um den CDU/CSU-
Antrag zu Venezuela vom Februar bzw. März dieses Jah-
res hatten wir bereits Gelegenheit, die verschiedenen Po-
sitionen auszutauschen. Ich möchte daher an dieser
Stelle nicht mehr auf die einzelnen Argumente bei der
Beurteilung von Regierung und Opposition bzw. den
Verlauf des Konflikts eingehen. Bei allen Differenzen
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int uns die Sorge um einen möglichen nicht demokrati-
chen oder gar gewaltsamen Verlauf des Konflikts. Uns
llen ist klar, dass ein solcher nicht nur die gesamte Re-
ion weiter erschüttern, sondern auch die regionalen In-
egrationsprozesse um Jahre zurückwerfen würde.
Insofern ist allein schon die Tatsache, dass nun
chließlich am 15. August eine Volksbefragung über den
erbleib von Präsident Chavez im Amt stattfinden wird,
ine erfreuliche Nachricht. Vorausgegangen war ein mo-
atelanges Gezerre um die personelle Besetzung der
bersten Wahlbehörde, die Durchführung der für das Re-
erendum nötigen Unterschriftensammlung und deren
nerkennung.
Wie auch immer dieses Referendum ausgehen mag:
n seiner gewaltfreien und verfassungskonformen
urchführung und späteren Umsetzung des Ergebnisses
ird sich die demokratische Zukunft Venezuelas ent-
cheiden. Diese kann – im optimistischen Fall – die
rundlage für eine Rekonsolidierung des Staates bilden
nd ein erster Schritt in Richtung einer dauerhaften de-
okratischen Konsensfindung zwischen den beteiligten
onfliktparteien sein. Es gibt allerdings einige Anzei-
hen, die darauf hindeuten, dass das politische Klima
och heißer zu werden droht, je näher der 15. August
ückt.
Die rot-grüne Regierungskoalition hat daher ange-
ichts der Bedeutung des Referendums für eine demo-
ratische Zukunft Venezuelas einen Antrag, Drucksache
5/3453, vorgelegt, für den ich um Ihre Zustimmung
itte. Ich halte diesen für ausgewogener und weitbli-
kender als den von der CDU/CSU-Fraktion vorgeleg-
en, Drucksache 15/3438.
Mit unserem Antrag wollen wir allen Venezolanern
ignalisieren, dass der Deutsche Bundestag die Entwick-
ungen in ihrem Land sehr aufmerksam und mit großer
orge verfolgt. Allen beteiligten Parteien wird durch
iese Initiative unmissverständlich klar gemacht, dass
ir einzig in einer gewaltfreien Lösung der Krise einen
angbaren und akzeptablen Weg für die Zukunft des
andes sehen.
Im Gegensatz zum Antrag der CDU/CSU-Fraktion
licken wir zudem über den Tag des Referendums
inaus. Unser Antrag wird der Tatsache gerecht, dass ein
rdnungsgemäßer Ablauf des Referendums eben nur
otwendige, nicht aber hinreichende Bedingung für eine
anach zwingend erforderliche Festigung des demokrati-
chen Grundkonsenses in Venezuela ist. Gerade vor dem
intergrund allgemeiner Destabilisierungstendenzen in
er Andenregion – ich denke zum Beispiel an Kolum-
ien, Ecuador, Peru und Bolivien – ist eine dauerhafte
ekonsolidierung der venezolanischen Demokratie von
minenter Wichtigkeit.
In diesem Zusammenhang macht der Antrag unmiss-
erständlich deutlich, dass Regierung und Opposition
ie Verantwortung dafür tragen, dass die Venezolanerin-
en und Venezolaner wieder Vertrauen in ihre demokra-
ischen Institutionen und die Verfahrensweisen fassen
önnen. Dies bedeutet insbesondere auch die Einhaltung
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10843
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der rechtsstaatlichen Ordnung mit richterlicher Unab-
hängigkeit und die Anerkennung der Verfassung.
Anders als der CDU/CSU-Antrag benennen wir die
Verantwortung beider Seiten für die desolate Lage Vene-
zuelas, auch wenn sie vielleicht graduell unterschiedlich
beurteilt werden kann. Wir vermeiden aber jegliche Par-
teinahme zugunsten einer Seite und ergreifen damit
umso mehr glaubwürdig Partei ausschließlich für den
demokratischen Prozess. Insofern sprechen wir uns für
eine echte, unabdingbar notwendige Versöhnung inner-
halb der venezolanischen Gesellschaft aus und nicht für
eine „Überwindung der Ära Chavez“ per se. Auch wir
erkennen deutlich die Gefahren, welche die Einführung
eines automatisierten Abstimmungsverfahrens birgt.
Derzeit werden viele Befürchtungen in Venezuela laut:
Die Regierung könne darauf setzen, dass sich durch ver-
meintliche technische Schwierigkeiten der ordnungsge-
mäße Ablauf über den magischen 19. August hinaus ver-
zögere. Ebenso sei das neue System anfälliger
gegenüber Manipulationen.
Ich bin dennoch vorsichtig optimistisch: Angesichts
des massiven Drucks durch die Aufmerksamkeit der in-
ternationalen Gemeinschaft wird sich Präsident Chavez
sehr sorgfältig überlegen müssen, ob er seinen letzten
Kredit verspielt.
Unser Antrag trägt seinen Teil dazu bei, diesen Druck
nachhaltig zu erhöhen. So ist eine zentrale Forderung die
nach einem aktiveren politischen Krisenmanagement der
EU in Koordination mit der OAS und dem Carter-Cen-
ter. Dementsprechend begrüßen wir ausdrücklich die
Tatsache, dass sich zurzeit eine vorbereitende Mission
der EU in Venezuela befindet, um die Bedingungen für
die Entsendung europäischer Wahlbeobachter zu prüfen.
Wir messen einer solchen höchste Bedeutung zu, da wir
wissen, dass Europa in Venezuela als „ehrlicher Makler“
gesehen wird. Aufgrund der großen Glaubwürdigkeit,
die uns dort entgegengebracht wird, könnten wir Euro-
päer unseren Teil zum Gelingen des Referendums beitra-
gen. Aus Quellen der vorbereitenden EU-Mission wird
allerdings aktuell die Sorge bezüglich zu sehr einengen-
der Regelungen des obersten Wahlrats laut. Daher for-
dern wir die Bundesregierung auf, den obersten Wahlrat
auf die international üblichen und auch von der EU zu-
grunde gelegten qualitativen und quantitativen Standards
für Wahlbeobachtung zu verpflichten.
Aber damit ist es unserer Auffassung nach allein nicht
getan. Deshalb setzen wir uns im Antrag nicht zuletzt
auch dafür ein, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um
die bilateralen Beziehungen im wirtschaftlich-techni-
schen und kulturellen Bereich wieder zu beleben.
Insgesamt gesehen, müssen große Anstrengungen un-
ternommen werden, damit Venezuela wiederum zu
einem wichtigen, demokratischen Glied in unserer
Wertegemeinschaft wird.
Harald Leibrecht (FDP): Venezuela galt bis vor ei-
nigen Jahren als eines der politisch stabilsten Länder La-
teinamerikas. Die Wirtschaft entwickelte sich gut und
die Zukunft sah nicht schlecht aus. Leider hat sich unter
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räsident Chavez die politische, wirtschaftliche und so-
iale Lage nach anfänglichen Erfolgen deutlich ver-
chlechtert. Mit seinen Gesetzen zur Agrarreform, zur
egulierung der Gas- und Ölvorkommen sowie der
ischerei hat er sein Land in eine prekäre Lage versetzt.
nstatt die Ursachen des politischen und wirtschaftli-
hen Niedergangs Venezuelas bei sich und seiner Regie-
ung zu suchen, macht es sich Chavez einfach und
chiebt diese der Mittel- und Oberschicht zu und macht
iese für die Probleme verantwortlich.
Zu Recht gehen jetzt die Bürgerinnen und Bürger Ve-
ezuelas auf die Straße und bekunden ihren Unwillen
egenüber dieser unredlichen Politik von Präsident
havez.
Für mich ist es im Übrigen völlig unverständlich, wie
erade die Grünen während der letzten Venezuela-De-
atte die Proteste vonseiten der Bürger, der Gewerk-
chaften, der Arbeitgeberverbände und der Studenten als
Diskredition zur Regierungsübernahme“ abgetan ha-
en.
Es ist jetzt wichtig, dass das anberaumte Referendum
air und ohne Beanstandungen abläuft. Wir Freidemo-
raten begrüßen die Entscheidung von Präsident
havez, sich endlich dem Votum seiner Bürger zu stel-
en. Er hätte die berechtigten Belange seines Volkes frü-
er ernst nehmen müssen – er hätte erkennen müssen,
ass seine Politik in die falsche Richtung geht –, dann
äre seinem Land auch viel erspart geblieben. Vielleicht
äre dann auch der internationale Druck auf ihn nicht
ötig gewesen.
Laut Umfragen sieht es derzeit so aus, dass die Mehr-
eit der Wahlberechtigten gegen Chavez stimmen wird.
ie auch immer das Ergebnis des Referendums sein
ird, es muss von allen Seiten, also auch von der unter-
egenen, anerkannt werden. Die internationale Staaten-
emeinschaft muss deshalb wachsam sein und darauf
chten, dass nicht eine Seite plötzlich zu undemokrati-
chen Mittel greift, um das Bürgervotum zu unterlaufen,
m ihre Interessen durchzusetzen.
Venezuela darf nicht weiter polarisiert werden, son-
ern die tiefen Gräben zwischen den verschiedenen poli-
ischen Gruppen müssen überwunden werden. Das Land
arf nicht vom Regen in die Traufe kommen. Ein Regie-
ungswechsel durch die Opposition ist leider auch kein
arant für eine Verbesserung der Situation in Venezuela.
owohl die Regierung Chavez wie auch die Opposition
üssen endlich kompromissbereiter werden und auf-
inander zugehen.
Venezuela darf nicht zu einem neuen Nicaragua wer-
en.
Meine Damen und Herren von Rot-Grün, ihr vorlie-
ender Antrag ist uns zu einseitig – zu Chavez-freund-
ich. Wir sollten uns jetzt – vor dem Referendum – nicht
uf eine Seite stellen, sondern es den Venezuelanern sel-
er überlassen, die politischen Weichen neu zu stellen.
enn die Menschen in Venezuela unsere Hilfe benöti-
en, zum Beispiel in Form von Wahlbeobachtern, sollten
ir ihnen diese nicht verweigern. Ich glaube, es wäre
ut, wenn die internationale Staatengemeinschaft, also
10844 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004
(A) )
(B) )
auch wir Europäer, ein waches Auge auf den Ablauf des
Referendums halten. Ich denke, diesen Beitrag können
und müssen wir leisten.
Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Eine wichtige Forderung zur Entwicklung in Ve-
nezuela, über die wir hier im Bundestag mehrfach disku-
tiert haben, ist erfüllt: Es gibt ein Referendum und einen
festen Termin für die Durchführung des Referendums
zur Abwahl des Präsidenten Chavez und neun Abgeord-
neter, am 15. August. Das ist erfreulich und gut, das trägt
zur Entspannung des Konflikts bei. Präsident Chavez
will sich dem Votum fügen – allen Unkenrufen und
Schmähungen zum Trotz. Das verdient Respekt.
Die Opposition unterstellt dem Präsidenten, er werde
technische Probleme bei der Durchführung des Referen-
dums nutzen, um so den Termin des Referendums über
den Stichtag 19. August hinauszuzögern. Dann müssten
keine Neuwahlen stattfinden. Nach der Verfassung
könnte dann sein Stellvertreter die Geschäfte bis zum
nächsten regulären Wahltermin fortsetzen. Die Regie-
rungstreuen unterstellen, die Opposition wolle ein klares
Wahlergebnis verhindern, weil sie keine konstruktive
und personalisierte Alternative sei, und die Institutionen
Venezuelas in den Augen der Weltöffentlichkeit diskre-
ditieren, um eine Intervention von außen möglich zu ma-
chen.
Es ist nicht einfach vom fernen Europa her zutreffend
zu beurteilen, was Desinformation und Propaganda ist,
die offenbar von beiden Seiten, von Opposition und Re-
gierung, betrieben werden und was die politische Reali-
tät und Wahrheit ist.
Ich selber hatte bisher nicht die Gelegenheit, Vene-
zuela zu besuchen, um eigene Eindrücke von der Situa-
tion zu bekommen. Ich bemühe mich aber, alle Informa-
tionsmöglichkeiten zu nutzen, um eine umfassendes und
differenziertes Bild jenseits der Propaganda aller Seiten
von der Situation in Venezuela zu erhalten.
Danach halte ich fest:
Erstens. Chavez wurde zum Präsidenten in freier
Wahl gewählt, weil große Teile der heutigen Opposition
in Korruption und Vetternwirtschaft verwickelt waren.
Die abgelöste Regierung hatte eines der wohlhabendsten
Länder Lateinamerikas in Misswirtschaft und große
Teile der Bevölkerung in Armut geführt. Gerade unter
Armen im Land ist daher die Unterstützung des Präsi-
denten groß, wie Umfragen und große Demonstrationen
mit vielen Hunderttausenden Teilnehmern zu entnehmen
ist.
Zweitens. Eine Opposition die – im Jahr 2002 nach
einem Putsch an die Macht gekommen – zunächst alle
parlamentarischen Institutionen einschließlich des Parla-
ments auflöst, gebührt wenig parlamentarische Glaub-
würdigkeit und zwar unabhängig davon, wie es zu dem
Putsch gekommen ist und wer in dessen Verlauf welche
Rolle im Einzelnen gespielt hat.
Drittens. Die Verfassung, die Präsident Chavez hat er-
arbeiten und dem Volk von Venezuela zur Abstimmung
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orlegen lassen, gehört zu den fortschrittlichsten und de-
okratischsten in Lateinamerika. Sie erkennt nicht nur
ndlich auch die Rechte indigener Völker an, sondern
ührt auch die Möglichkeit eines Referendums zur Ab-
ahl des Präsidenten erstmals ein. Die Verfassung
urde mit großer Mehrheit in einer Volksabstimmung
ngenommen. Die frühere Opposition hatte immer wie-
er eine Verfassungsgebung ankündigt, dies aber nie
ahr gemacht.
Viertens. Die jüngsten Beschwerden über die geplan-
en Einschränkungen von Rechten der Abgeordneten der
pposition habe ich überprüft, soweit es mir anhand der
exte der Änderungen der Geschäftsordnung, die be-
chafft werden konnten, möglich war. Die Möglichkeit,
as Parlament auf Beschluss des Präsidiums außerhalb
eines Sitzes im Parlamentsgebäude, etwa in einem Bar-
io, tagen zu lassen, ist tatsächlich sehr problematisch.
ie meisten anderen Änderungen bewegen sich aber
urchaus in dem Rahmen, der in anderen Parlamenten
tandard ist, so etwa das Recht jedes Abgeordneten im
arlament zu reden, sowohl was die Länge der Reden als
uch deren Häufigkeit anbetrifft, oder Abstimmungen
berprüfen zu lassen.
Fünftens. Vorwürfe der Gleichschaltung und Unter-
rückung der Medien sind zumindest in ihrer Pauschali-
ät schwer nachvollziehbar. Das staatliche Fernsehen
ird vom Präsidenten offensichtlich extensiv zur Propa-
anda für seine Politik genutzt. Dies gilt gerade auch für
eine in jeder Woche stundenlang zelebrierten Reden
nd Talkshows.
Aber im Übrigen sind die Medien ganz überwiegend
n der Hand der Chavez-Kritiker. Dies gilt für die Presse,
ber auch für das halbe Dutzend an Privatsendern. Auch
olche, die früher seine Politik unterstützt haben, sind
eute auf einem harten Anti-Chavez-Kurs. Die Kritik am
räsidenten wird drastisch fast überall publiziert und
icht selten in einer Härte und Konsequenz, wie sie etwa
ach deutschem Presserecht nicht zulässig wäre. So lief
üngst in einem der venezolanischen TV-Kanäle über
ine Woche lang ein Spot, in dem zuerst Saddam
ussein gezeigt wurde sowie der Aufmarsch der US-
merikaner im Irakkrieg, anschließend verwandelte sich
as Gesicht von Saddam Hussein in das von Hugo
havez und quer über das Bild erschien der Spruch
Chavez, wir holen Dich!“ Ein solcher Spot würde in der
undesrepublik wohl sofort an rechtliche Grenzen sto-
en. Eine solche Kritik an einem Diktator wäre in einer
iktatur nicht vorstellbar. Der mit diesem Spot ausge-
rückte Wunsch nach einer Intervention von außen
ürde als Hochverrat mit härtesten strafrechtlichen
anktionen verfolgt. Dieser Wunsch trifft wohl auch in
enezuela und anderen Ländern auf große Ablehnung
er Menschen.
In meiner Einschätzung fühle ich mich bestätigt durch
ie Stellungnahme der Vereinigung amerikanischer Ju-
isten, AAJ. Diese weist in einer Stellungnahme darauf
in, dass es in Venezuela einen Rechtsstaat gibt, der das
unktionieren der verfassungsmäßigen Freiheiten garan-
ert. Sie betonen, dass dies nicht nur dadurch belegt
ird, dass die Opposition ein Referendum gegen den
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10845
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Präsidenten durchführen kann, obwohl sie vor nicht
allzu langer Zeit einen Putsch unternommen hat, der
scheiterte, und erst vor kurzem einen Generalstreik ini-
tiiert hat, der erheblichen wirtschaftlichen Schaden für
das Land zur Folge hatte.
Aber ich will deutlich sagen, um Missverständnisse
nicht aufkommen zu lassen: Diese Feststellungen sollen
eine Reaktion und eine Antwort sein auf die zum Teil
maßlos übertriebenen Darstellungen der Missstände in
Venezuela und auf undifferenzierte Kritik, die aus den
Reihen der hiesigen Opposition in der Vergangenheit
vorgetragen wurde. Übrigens ergab auch ein Gespräch
mit Abgeordneten der venezolanischen Opposition ein
weitaus differenzierteres Bild. Keinesfalls will ich Präsi-
dent Chavez generell verteidigen und all sein Tun recht-
fertigen; dies ist nicht meine Intention. Vielmehr habe
ich selbstverständlich auch die Vorwürfe, die gegen die
Regierung Chavez, seine Polizei, seine Armee und vor
allem seine bewaffneten Hilfstruppen erhoben werden,
zur Kenntnis genommen. Ich nehme sie ernst. Allen Vor-
würfen der Begehung von Menschenrechtsverletzungen
muss rückhaltlos nachgegangen werden. Folter an Geg-
nern von Chavez oder gar die Tötung von Demonstran-
ten, Journalisten und Politikern müssen ohne Ansehen
der Person strafrechtlich verfolgt werden.
Aber jetzt geht es erst mal darum: Das Referendum
muss ordnungsgemäß durchgeführt werden. Seine Er-
gebnisse müssen verfassungskonform umgesetzt wer-
den.
Die Regierung und die Opposition in Venezuela kann
ich nur weiterhin auffordern, die Lage durch Repression
und Desinformation nicht weiter zu verschärfen.
Wenn der Antrag zu einer differenzierten Beurteilung
und Beruhigung der Lage beitragen kann, hat er seinen
Zweck erfüllt.
Anlage 25
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Für eine nachhaltige
Rohstoff- und Energiepolitik der Weltbank (Ta-
gesordnungspunkt 8)
Dr. Sascha Raabe (SPD): Zwei Milliarden Men-
schen haben keinen Zugang zu Elektrizität und rund
2,4 Milliarden Menschen sind für die Deckung ihrer
dringlichsten Energiebedürfnisse auf nicht nachhaltige
Biomasse angewiesen. Was zunächst in Zahlen so abs-
trakt klingt, kann man sich auch konkret versinnbildli-
chen: Das junge Mädchen in Kolumbien kann abends
nur mit den größten Anstrengungen ein Buch bei schwa-
chem Kerzenlicht lesen. Der politisch interessierte Nige-
rianer kann keine Nachrichten über Radio, Fernsehen
oder einen Internetanschluss empfangen. Die dreifache
Mutter in Vietnam verbringt täglich mehrere Stunden
mit der Holzsuche, um ihren Kindern eine warme Mahl-
zeit zubereiten zu können.
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Anhand dieser Lebensschicksale wird die Dramatik
er Energiefrage fühlbar. Der mangelnde Zugang zu
nergie ist ein großes Entwicklungshemmnis nicht nur
ür den einzelnen Menschen, sondern insgesamt für das
irtschaftswachstum der Schwellen- und Entwicklungs-
änder. Während die Hauptursache für den wachsenden
nergiebedarf neben der Industrieproduktion der stei-
ende Lebensstandard ist, so ist umgekehrt der Energie-
ugang für den menschlichen Wohlstand unbedingte Vo-
aussetzung.
Der enorme Energieverbrauch in den Industrieländern
at in der Vergangenheit große Schäden in der Natur an-
erichtet und trägt auch heute noch zu großen Umwelt-
chäden wie beispielsweise zur Klimaerwärmung bei.
eshalb stehen viele Menschen dem mit steigender Ent-
icklung einhergehenden wachsenden Energiebedarf
er Entwicklungsländer skeptisch gegenüber.
Entwicklung und Umwelt sind aber keine Gegen-
ätze. Sie gehen Hand in Hand. Mal zieht die eine Hand
räftiger, mal die andere.
Spätestens seit der Weltkonferenz über Umwelt und
ntwicklung – UNCED – im Jahr 1992 in Rio de Janeiro
st der Begriff der nachhaltigen Entwicklung – „sustai-
able development“ – eine feste Größe in der internatio-
alen Umwelt- und Entwicklungspolitik.
Wer von den ärmsten Ländern dieser Erde eine nach-
altige Entwicklung durch erneuerbare Energien fordert,
uss auch bereit sein, hierfür Unterstützung bei der Fi-
anzierung zu gewähren. Vor diesem Hintergrund stellt
ich die Frage: Was kann die Weltbank dazu beitragen,
en ärmsten Menschen den Energiezugang zu erleich-
ern? Welche Rolle kommt der Weltbank im Energiesek-
or – sei es im Rohstoffbereich oder im Bereich erneuer-
arer Energien – zu? Wie kann man der Kolumbianerin,
em Nigerianer und der Vietnamesin helfen, ohne dabei
er Umweltzerstörung Vorschub zu leisten? Wo ist das
leichgewicht zwischen Armutsbekämpfung und Um-
elt? Und wie können wir dieses Gleichgewicht errei-
hen?
Die Weltbank ist eine internationale Organisation mit
em vorrangigen Ziel, Armut zu bekämpfen. Der Anteil
er erneuerbaren Energien am Energieportfolio der
eltbank beträgt weniger als 10 Prozent. Die Auswir-
ungen von Rohstoff-Projekten beispielsweise im Öl-
ektor haben in der Vergangenheit immer wieder zu Kri-
ik von Umweltschützern und der betroffenen lokalen
evölkerung geführt. Deshalb hat Weltbank-Präsident
ames Wolfensohn den ehemaligen indonesischen Um-
eltminister Emil Salim damit beauftragt, eine Studie
ber die Rolle der Weltbank im Rohstoff-Sektor unter
erücksichtigung der ökologischen und sozialen Aus-
irkungen zu erarbeiten.
Vor diesem Hintergrund haben wir als Regierungs-
raktion einen Antrag eingebracht, der sich mit den
mpfehlungen der Salim-Studie beschäftigt. Dieser An-
rag lobt an erster Stelle das Zustandekommen der
alim-Studie. Durch diesen Bericht hat ein Sensibilisie-
ungsprozess innerhalb der Weltbank begonnen, der
ortgesetzt werden muss. Eines hat der Bericht bereits
10846 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004
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erreicht: Er hat die Diskussion angeregt und zu einer
grundsätzlich positiven Reaktion in der Weltbank ge-
führt, was der erste Antwortentwurf zeigt. Innerhalb der
nächsten 30 Tage sind die Betroffenen – sowohl Vertre-
ter der Entwicklungs- und Industrieländer als auch die
engagierte Zivilgesellschaft – aufgefordert, mit weiter-
führenden Anregungen, konstruktiver Kritik sowie Ideen
einen Beitrag zu leisten. Unser Antrag und die Debatte
heute Abend sind Beiträge der deutschen Parlamentarier
zu diesem Prozess.
Ich möchte hier einige Forderungen aus unserem An-
trag nennen, die für die Identitätsfindung und den Rol-
lenwechsel der Weltbank als Leitlinien dienen sollen:
Die Weltbank soll Energie- und Rohstoff-Projekte nur
dann fördern, wenn dadurch positive Effekte zur Ar-
mutsverminderung ausgehen, Sozial- und Umweltstan-
dards und die Menschenrechte eingehalten werden und
somit eine gute Regierungsführung – good governance –
gegeben ist. Das Portfolio der Weltbank für die Förde-
rung erneuerbarer Energien und die Energieeffizienz soll
mit substanziellen jährlichen Steigerungsraten konse-
quent ausgeweitet werden.
Wir fordern die Weltbank auf, dass sie bei Energie-
Projekten die lokale Bevölkerung früh in die Planung
mit einbezieht. Dadurch wird eine größere Akzeptanz
geschaffen, umso möglichst eine umfassende Zustim-
mung zu erreichen.
Um die in der Vergangenheit immer wieder aufgetre-
tenen Fälle von Korruption zu verhindern, fordern wir
mehr Transparenz bei den Vereinbarungen der Privat-
wirtschaft mit den jeweiligen Regierungen. Die Welt-
bank soll sich dabei auf Vorschläge von „Transparency
International“ und der „Extractive Industries Trans-
parency Initiative“ der britischen Regierung stützen.
Die Bundesrepublik Deutschland ist der drittgrößte
Beitragszahler in der Weltbank. Deshalb werden unsere
Vorschläge in der Weltbank sicherlich auf fruchtbaren
Boden fallen.
An dieser Stelle möchte ich der Bundesregierung und
vor allem unserer Bundesministerin Heidemarie
Wieczorek-Zeul ein großes Lob aussprechen, dass sie
sich in den vergangenen Monaten so vehement für eine
stärkere Förderung der erneuerbaren Energien – nicht
nur innerhalb der Weltbank – eingesetzt hat. Als Gastge-
ber und Initiator der Erneuerbare-Energien-Konferenz in
Bonn vor einigen Wochen hat sich der deutsche Einsatz
erfolgreich bestätigt. Die Weltkonferenz hat für die glo-
bale Energiefrage neue Akzente gesetzt.
Auf dieser Konferenz hat der geschäftsführende Di-
rektor der Weltbank, Peter Woicke, bereits angekündigt,
das Portfolio für erneuerbare Energien über die nächsten
fünf Jahre um jährlich 20 Prozent steigern zu wollen.
Das ist ein deutliches Zeichen für den Willen der Welt-
bank, ihre Energiepolitik nachhaltig zu verändern. Aber
auch ein Zeichen dafür, dass sich der hartnäckige Einsatz
der Bundesregierung im Management der Weltbank ge-
lohnt hat.
Unser Antrag zeigt, dass Armutsbekämpfung und
Umweltschutz sich ergänzen und nicht ausschließen.
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ir wollen weltweit die Abhängigkeit von Rohstoffen
ie Öl überwinden und erneuerbare Energien verstärkt
ördern. Sonne, Wind und Wasser stehen allen Ländern
ur Verfügung, Öl hingegen nur wenigen.
Unser Antrag soll helfen, dass das kolumbianische
ädchen beim Einbruch der Dunkelheit das Licht an-
nipsen und sich für die Zukunft fortbilden kann, ohne
abei ihre Umwelt zu gefährden. In diesem Sinne hoffe
ch, dass auch der Opposition ein Licht aufgeht und wir
emeinsam diesen Antrag beschließen.
Dr. Conny Mayer (CDU/CSU): Seit zwei Wochen
iegt uns nun die Antwort des Weltbankmanagements
uf den Salim-Bericht vor. Ich begrüße die konstruktive
useinandersetzung der Weltbank mit den Empfehlun-
en des ehemaligen indonesischen Umweltministers,
r. Salim. Als unabhängiger Experte untersuchten er
nd seine Mitarbeiter zwei Jahre lang folgende Frage:
ann die Weltbank ihre Projekte in der Rohstoffwirt-
chaft mit dem globalen Ziel der Armutsbekämpfung
ereinen? Oder anders gefragt: Wie effizient waren die
nvestitionen der Weltbank bei der Bekämpfung der
eltweiten Armut durch ihr Engagement im Bereich
ohstoffe und Energien?
Hierzu liegt ein Antrag der Koalitionsfraktionen vor.
iesen habe ich leider gestern zum ersten Mal gesehen.
ine inhaltliche Auseinandersetzung mit diesem Antrag
st dadurch schwer möglich. Das finde ich persönlich
ehr schade, denn es geht hierbei ja um die zentrale
rage der Armutsbekämpfung.
Lassen Sie mich zuerst kurz auf die Situation bei den
hemen Armutsbekämpfung und Energieversorgung ein-
ehen. Wo stehen wir bei diesen beiden Themen heute?
Auf dem Millenniumsgipfel in New York im Jahr
000 hatten sich die Staats- und Regierungschefs von
89 Ländern auf die Beseitigung extremer Armut als
berstes Ziel geeinigt. Vier Jahre später steht die Erfül-
ung dieses Ziels leider immer noch in weiter Ferne. UN-
eneralsekretär Kofi Annan wies in seiner letzten Neu-
ahrsbotschaft darauf hin, dass die internationale Staa-
engemeinschaft im Jahr 2003 den Versprechungen des
illenniumsgipfels nicht näher gekommen sei. Konkret
eißt das: Wir sind leider noch nicht weit gekommen bei
er Halbierung der Zahl der Hungernden und der Redu-
ierung der Zahl der Menschen, die täglich weniger als
inen Dollar zur Verfügung haben.
Wie sieht nun die weltweite Energieversorgung aus?
erzeit haben rund 2,3 Milliarden Menschen keinen Zu-
ang zu Elektrizität. Durch schnelles Bevölkerungs-
achstum und die fortschreitende Technologisierung
gerade in Entwicklungsländern – wird die Nachfrage
ach Energie in Zukunft stark wachsen, und das beson-
ers drastisch in Entwicklungsländern. Laut einer ak-
uellen Studie der Europäischen Kommission wird sich
er weltweite Energieverbrauch bis 2030 verdoppelt ha-
en. Im Jahr 2030 werden die Entwicklungsländer zwi-
chen 40 und 50 Prozent der weltweiten Energie ver-
rauchen.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10847
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Das Thema Energie gewinnt in Zukunft für viele Ent-
wicklungsländer an Bedeutung. Für deren wirtschaftli-
che und soziale Entwicklung – und damit schließt sich
auch der Kreis zur Armutsbekämpfung – ist daher eine
stabile Energie- und Rohstoffpolitik zwingend erforder-
lich.
Damit kommt natürlich die Frage nach der richtigen
Energieform auf. Ich halte nicht viel davon, die fossilen
Energiearten generell abzulehnen; denn meiner Meinung
nach können wir Entwicklungsländern, die einen kosten-
günstigen Zugang zu fossilen Energieträgern haben,
nicht ernsthaft empfehlen, auf die Nutzung dieser Ener-
gieträger völlig zu verzichten. Für die Entwicklungs-
länder ist ein auf ihre Verhältnisse zugeschnittener
Energiemix entscheidend. Er muss ökologische Belange
berücksichtigen, darf aber auch ökonomische Zwänge
nicht aus den Augen verlieren.
Die effizientere Nutzung von Energie und der Rück-
gang der Importabhängigkeit, insbesondere vom Öl, sind
die parallel zu verfolgenden Ziele. Jene Entwicklungs-
länder, bei denen sich ein Einsatz der Energieträger
Wasser, Sonne und Biomasse anbietet, bedürfen der stär-
keren Unterstützung. Dazu gehört eine intensive Zusam-
menarbeit bei der Erforschung regenerativer Energie-
quellen. Diese kann Entwicklungsländern helfen, ihre
Energieversorgung zu verbessern. Die Zusammenarbeit
ist auch im Interesse Europas, um zum Export wettbe-
werbsfähiger regenerativer Energien beizusteuern. Die-
ser kann dazu beitragen, die Abhängigkeit von konven-
tionellen Energieträgern auch hierzulande zu verringern.
Gerade die Energieforschung wurde jedoch von der rot-
grünen Bundesregierung vernachlässigt und weist größte
Lücken auf.
Kommen wir zurück zur Weltbank und deren Roh-
stoff- und Energiepolitik. Mit 2 Prozent des gesamten
Portfolios nehmen die Aktivitäten der Weltbank im Be-
reich Energierohstoffe, also Öl, Gas und Bergbau, nur
einen geringen Anteil ein. Doch gerade dieser Bereich
stand in den letzten Jahren häufig in der öffentlichen
Kritik. Die Weltbank hat deshalb diese extraktiven In-
dustrien und deren Vereinbarkeit mit dem Ziel der Ar-
mutsbekämpfung von einem unabhängigen Gutachter
kritisch hinterfragen lassen.
Nach zwei Jahren intensiver Untersuchungen kommt
Dr. Salim zu folgendem Ergebnis: Ja. Die Aktivitäten
der Weltbank in der Rohstoff- und Energiewirtschaft
können kompatibel sein mit dem Ziel der Armutsbe-
kämpfung. Drei Voraussetzungen müssen dabei jedoch
zwingend erfüllt sein: erstens die verstärkte Ausrichtung
der Projekte auf die Verringerung der Armut durch nach-
haltige Entwicklung, zweitens bessere soziale und um-
weltfreundliche Richtlinien und drittens die Achtung der
Menschenrechte.
Diese Voraussetzungen wurden bei vergangenen Pro-
jekten der Weltbank häufig nicht berücksichtigt. Um sie
künftig besser umsetzen zu können, fordert Dr. Salim
grundlegende Reformen zu Verfahren und Regelungen
innerhalb der Weltbank. Er fordert ein verstärktes
Engagement der Weltbank beim Aufbau von funktionie-
renden staatlichen Strukturen in Entwicklungsländern.
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arüber hinaus fordert Salim von der Weltbank größere
nstrengungen beim Kampf gegen Korruption und für
öhere Transparenz.
Wie können wir nun aber unsere Positionen bei der
eltbank hörbar machen? Welche Einflussmöglichkei-
en hat Deutschland? Ich sehe da zwei Möglichkeiten:
rstens über eine aktive Personalpolitik und zweitens
ber inhaltliche Vorbildwirkungen. Beide wurden bisher
on der Bundesregierung nicht genutzt.
Ich teile jedenfalls nicht die optimistische, ja fast
aive Sichtweise der Ministerin auf den deutschen Ein-
luss bei Entscheidungen der Weltbank, die sie gestern in
er Ausschusssitzung vorgetragen hat, denn weder die
eltbank und ihre internen Prozesse haben einen hohen
tellenwert im Ministerium, noch gibt es genügend deut-
che Mitarbeiter bei der Weltbank, die Entscheidungs-
rozesse frühzeitig mitgestalten könnten. Genau das sind
rundsätzliche Probleme, die uns immer wieder begeg-
en; denn in den meisten internationalen Organisationen
st Deutschland, gemessen an seinen finanziellen Beiträ-
en, nicht angemessen repräsentiert. In der Weltbank
ind wir im Moment bei einem Personalanteil von nur
,9 Prozent, und das bei einem Beitragsaufkommen von
,5 Prozent. Klar ist natürlich auch, dass eine bloße Mit-
liedschaft in den Führungsebenen internationaler Orga-
isationen wie der Weltbank allein nicht ausreicht, um
olitikentscheidungen aktiv mitzugestalten. Wir brau-
hen kooperationsbereite Ansprechpartner, wenn wir als
ation bei der Weltbank mit entscheiden wollen.
Dazu ist erstens ein verlässliches Netzwerk von deut-
chen Mitarbeitern in internationalen Organisationen
otwendig. Zweitens brauchen wir einen Pool von deut-
chen Experten, die in internationalen Organisationen tä-
ig sind. Beides ist bisher nicht der Fall. Offensichtlich
at die Bundesregierung die Erhöhung der Anzahl von
eutschen in internationalen Organisationen bisher eher
eaktiv betrieben. Fazit ist für mich daher, dass es
öchste Zeit ist, diese Defizite in der deutschen Perso-
alpolitik auszuräumen, um tatsächlich auf Entschei-
ungsprozesse Einfluss nehmen zu können.
Können wir unseren Einfluss bei der Weltbank dann
her über positive Erfahrungen in der Armutsbekämp-
ung geltend machen? Die Politik der Bundesregierung
ur Bekämpfung der weltweiten Armut hat die in sie ge-
etzten Erwartungen bislang nicht erfüllt. So warten wir
is heute auf den Umsetzungsplan des nationalen Ak-
ionsprogramms 2015. Wir blicken sowohl auf eine man-
elhafte finanzielle und personelle Ausstattung der deut-
chen Entwicklungszusammenarbeit als auch auf falsche
egionale und sektorale Schwerpunktsetzungen in der
ilateralen Entwicklungszusammenarbeit. Ein großes
roblem sehe ich insbesondere in dem Kohärenzdefizit
m Handeln der Bundesregierung. Das heißt, auch bei
er Armutsbekämpfung kann die Bundesregierung nicht
itreden und Einfluss auf Entscheidungen der Weltbank
ehmen.
Zurück zur Weltbank. Das Management und die Gou-
erneure müssen nun beweisen, dass sie zu einer selbst-
ritischen Überprüfung von internen Regelungen und
erfahren fähig sind, Verfahren übrigens, die schon
10848 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004
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lange hätten kritisch hinterfragt und verändert werden
müssen, auch von den Mitgliedsländern und damit auch
von der deutschen Ministerin. Die Weltbank muss in der
Praxis, also in den Entwicklungsländern, zeigen, dass ihr
Engagement in der Rohstoffwirtschaft eine wirkliche
Veränderung zur Erreichung unseres globalen Ziels, der
Armutsbekämpfung und nachhaltigen Entwicklung, her-
beiführen kann.
Ich appelliere daher an die Bundesregierung und ins-
besondere an Sie, Frau Ministerin, als deutsche Welt-
bankgouverneurin: Setzen Sie sich stärker als bisher für
Reformen innerhalb der Weltbank ein! Setzen Sie sich
mit einer aktiven Personalpolitik für tatsächlichen Ein-
fluss der deutschen Positionen bei Entscheidungen der
Weltbank ein! Und setzen Sie sich dafür ein, dass die
Weltbank ihre Aktivitäten im Bereich der Rohstoffwirt-
schaft auf unser gemeinsames Ziel der Armutsbekämp-
fung ausrichtet und auch praktisch umsetzt! Auch Sie,
Frau Ministerin, tragen Verantwortung für das Gelingen
oder Scheitern dieses Prozesses.
Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die
Rohstoff- und Energiepolitik der Weltbank muss mehr
als in der Vergangenheit zur Armutsbekämpfung und
zum Erhalt der natürlichen Umwelt beitragen. Das ist die
zentrale Forderung dieses Antrages und zugleich Emp-
fehlung des so genannten Salim-Berichtes zur Rohstoff-
und Energiepolitik der Weltbank.
Die Weltbank hat in der zweiten Hälfte der 90er-Jahre
schon einiges geleistet. Sie hat angefangen, neue ökolo-
gische und soziale Standards und neue Prüfverfahren
einzuführen. Diese Politik soll Umwelt und Menschen
vor zerstörerischen Auswirkungen von Projekten schüt-
zen. Im Laufe der 80er-Jahre haben fehlgeschlagene
Großprojekte immer mehr Kritik hervorgerufen und die
Weltbank von allen Seiten unter Druck gesetzt.
Ich möchte die Bereitschaft der Weltbank, auf diese
Kritik einzugehen, hier ausdrücklich würdigen. Ich
möchte auch sagen, dass die Weltbank wegen ihrer her-
vorragenden Stellung als Entwicklungsbank enormen
internationalen Einfluss auf die Entwicklung und Einhal-
tung von Schutzmechanismen für Menschen und Um-
welt, für indigene Völker und Primärwälder hat.
Auch private Investoren und Exporteure müssen sich
an den von der Weltbank gesetzten Standards messen.
Sie haben bei schwierigen Projekten in Entwicklungs-
ländern gerne die Weltbank dabei, damit sie ihnen ein
ökologisches und soziales Siegel auf das Projekt setzt.
Wir führen diese Debatte auch im Zusammenhang von
Hermes-Bürgschaften und sehen Weltbankstandards und
Prüfverfahren als wichtige Referenzen, die es mindes-
tens zu erreichen gilt.
Ich möchte ausdrücklich sagen, dass ich es sehr be-
grüße, dass Weltbankpräsident Wolfensohn mit der Be-
auftragung des Extractive Industries Review die Debatte
um eine nachhaltige Rohstoff- und Energiepolitik der
Weltbank angestoßen hat. Anzuerkennen ist auch die
grundsätzliche Bereitschaft, an der internationalen Ener-
giewende mitzuwirken, wie sie von der Weltbank in
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onn bei der Renewables 2004 und auch in dem vor kur-
en vorgelegten Managemehtantwort-Entwurf zum
alim-Bericht zum Ausdruck gebracht wird. Das ist eine
ntwicklung, auf die die Bundesregierung maßgeblich
nd erfolgreich gedrängt hat.
Nun aber genug des Lobes für die Weltbank. Es bleibt
och eine ganze Menge zu tun, damit dieser enorm
ichtige Player sein Gewicht für eine internationale
nergiewende und für eine neue Rohstoffpolitik in die
aagschale wirft.
Mit unserem Antrag wollen wir der Weltbank Beine
achen, wollen sie antreiben, schneller und entschiede-
er in die Richtung zu schreiten, die sie aus meiner Sicht
u zaghaft eingeschlagen hat
Die Weltbank hat angekündigt, im Energieportfolio
hrlich um 20 Prozent im Bereich erneuerbarer Ener-
ien zuzulegen. Das klingt besser, als es bei genauerer
etrachtung ist. Da der aktuelle Anteil der erneuerbaren
nergien im Energieportfolio gerade einmal 6 Prozent
usmacht, kann man schnell ausrechnen, dass im ersten
ahr nur bescheidene 1,2 Prozent hinzukommen. Das ist
ns zu wenig. Wir wollen, dass die erneuerbaren Ener-
ien zügig zur primär von der Weltbank geförderten
nergiequelle werden, und wir wollen, dass dies zulas-
n der fossilen Energieträger geht. Vor allem die Förde-
ung von Ölprojekten muss genauso entschieden sinken,
ie die erneuerbaren Energien ausgebaut werden. Dann
önnen wir uns hoffentlich bald über den Zeitpunkt ver-
tändigen, an dem die Weltbank ganz aus der Förderung
er fossilen Energien aussteigt. Mittelfristig muss sie das
n, im Interesse von Mensch und Umwelt. Nicht auszu-
alen, was sonst in den nächsten 30 Jahren passieren
ird, wenn der Weltenergieverbrauch um zwei Drittel
teigt und dabei wiederum zwei Drittel des Wachstums
uf die Entwicklungsländer entfallen, wie mehrere Stu-
ien belegen.
Die Weltbankpolitik soll ihre knappen Ressourcen
ielgerichtet für eine Energiewende im Dienste von
achhaltigkeit, Klimaschutz und Armutsbekämpfung
insetzen. Dies ist aus meiner Sicht parallel durch zwei
inge möglich: durch Energieeffizienzmaßnahmen und
en Ausbau der erneuerbaren Energien. Um diese Ener-
iewende auch intern in der Weltbankgruppe zu veran-
ern, plädieren wir für den Aufbau einer speziellen Or-
anisationseinneit für erneuerbare Energien und
nergieeffizienz.
Wo wollen wir die Weltbank noch antreiben? Wir
öchten, dass sie die soziale Akzeptanz von Projekten da-
urch absichert, dass die betroffene Bevölkerung frühzei-
g in die Projektplanung einbezogen wird, um so deren
ustimmung zu erreichen. Darüber hinaus sollen für den
esamten Projektzyklus effektive Mechanismen für die
eilegung von Streit und Beschwerden eingerichtet wer-
en. Kurz gesagt: Die Beteiligungsrechte der Betroffenen
üssen entschieden gestärkt werden. Die Weltbank bietet
ier nur die Information – und Konsultation – der Bevöl-
erung an. Dies ist uns entschieden zu wenig.
Ich nehme zustimmend zur Kenntnis, dass der Ent-
urf der Managementantwort auf den Salim-Report be-
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reits eine Reihe von Anregungen konstruktiv aufgreift.
Dies sind zum Beispiel die Achtung von ökologisch be-
sonders artenreichen Gebieten, in der die Weltbank
grundsätzlich nicht tätig sein wird, den so genannten No-
Go-Zones. Auch die Aussagen zu mehr Transparenz im
Umgang mit Projektinformationen und ein besseres Be-
richtswesen sind ein Fortschritt. Darüber hinaus soll sys-
tematisch auf die Verwendung der Mittel zur Bekämp-
fung der Armut geachtet werden und sichergestellt sein,
dass auch die lokal betroffenen Gebiete von den Projek-
ten profitieren. Wenn dies gelänge, wären wir wirklich
einen wichtigen Schritt weiter. Nicht zuletzt will die
Bank die Korruption im Zusammenhang mit Projekten
im Rohstoffbereich stärker bekämpfen. Die Entwicklung
klarer Indikatoren und Instrumente dafür und deren
Überwachung gilt es als Herausforderung anzunehmen.
Die Bundesregierung hat durch die Ausrichtung der
Renewables 2004 dazu beigetragen, dem Wort Ener-
giewende weltweit einen guten Klang zu geben. Die Re-
qierung wird in den nächsten fünf Jahren weitere
500 Millionen Euro zu Förderung von erneuerbaren
Energien und Energieeffizienz anbieten. Von deutscher
Seite daran mitzuwirken, die Weltbank schrittweise zu
einer Förderbank für Energieeffizienz und erneuerbare
Energien umzubauen, ist die logische Konsequenz einer
kohärenten Energiepolitik, die wir seit sechs Jahren im
eigenen Land durchführen. Dies macht uns auch interna-
tional glaubwürdig.
Markus Löning (FDP): Die FDP begrüßt die Initia-
tive von James Wolfensohn, das Thema Rohstoff- und
Energiegewinnung im Kontext der Bekämpfung der
weltweiten Armut auf die Tagesordnung der Weltbank
zu setzen. Der Bericht von Dr. Emil Salim geht in der
Tendenz in eine begrüßenswerte Richtung. Die Weltbank
spielt bei der Umsetzung der Millenium Development
Goals eine gewichtige Rolle.
Aber, bei der ganzen Diskussion um Armutsbekämp-
fung und dem Entgegenwirken von Umweltzerstörung,
darf das eigentliche Ziel – den Menschen in den Ent-
wicklungsländern ein Leben in Würde und Eigenverant-
wortung zu ermöglichen – nicht aus dem Auge verloren
werden.
Die Menschen wollen hier, wie überall, in erster Linie
finanzierbare Energie, die ihnen permanent zur Verfü-
gung steht. Gerade in Schwellenländern muss aber auch
der Nachfrage wachsender Ökonomien Rechnung getra-
gen werden.
In diesem Kontext muss die Weltbank operieren und
vor diesem Hintergrund sind viele Forderungen des An-
trages überhaupt nicht nachvollziehbar. Sie sind viel-
leicht rot-grüne Seelenmassage, dem großen Ziel der Ar-
mutsbekämpfung und des Umweltschutzes laufen sie
sogar entgegen. Hätten sich die Antragsteller die Mühe
gemacht, bis zur Stellungnahme der Weltbank zum Be-
richt von Dr. Salim vom 4. Juni zu warten, hätten mögli-
cherweise einige Forderungen nicht den Weg in diesen
Antrag gefunden.
So fordern die Antragsteller auf der einen Seite zu
Recht mehr Eigenanstrengungen der Entwicklungslän-
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er bei der Umsetzung der MDGs, aber gerade in vielen
ieser Ländern spielen die fossilen Brennstoffe eine
norm wichtige Rolle beim Aufbau der Wirtschaft und
er Versorgung mit Energie! So wird den Entwicklungs-
ändern die Basis entzogen, ihren eigenen Anteil bei der
msetzung der MDGs zu erfüllen – und wenn hier dann
och gefordert wird, zum Beispiel in Punkt 4, die Förde-
ung von Ölprojekten stufenweise auslaufen zu lassen,
ann müssen die Antragsteller auch Antwort geben, wie
ie 1,6 Milliarden Menschen, die keinen Zugang zu per-
anenter Stromversorgung haben, und die 2,3 Milliar-
en Menschen, die von traditionellen Energieträgern ab-
ängig sind, mit regenerativen Energien versorgt werden
ollen, denn man muss kein Techniker sein, um sich vor-
tellen zu können, dass allein mit Solar und Windkraft
iese Entwicklungsziele nicht erreicht werden können.
Bei allen guten und wünschenswerten Zielen der An-
ragsteller muss die Umsetzung auf einem realistischen
nd pragmatischen Weg erreicht werden. Es ist wichtig,
erade auch unter dem Umweltaspekt – Verwüstung
urch Brennstoff für Kochstellen etc. –, dass die Welt-
ank die Entwicklungsländer dabei unterstützt, eine Ba-
is für eine Grundversorgung mit Energie zu schaffen –
ine Basis bei der alle Energiegewinnungsformen eine
olle spielen, angepasst an die Bedürfnisse der Men-
chen.
Wie das erreicht werden kann, zeigen die vielen Pro-
ekte zur Energieeffizienzsteigerung, vor allem in China,
OE. Um so unverständlicher ist es in diesem Zusam-
enhang, warum die Bundesregierung nicht mehr in
iesem Bereich unternimmt, hier hat Deutschland die
rfahrung und das Know-how.
nlage 26
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Ungerechtfertigtes
Steuerprivileg für schwere Geländewagen ab-
schaffen (Zusatztagesordnungspunkt 7)
Heidi Wright (SPD): Schwere Geländewagen und
port Utility Vehicles – SUV – sind tolle Autos und eig-
en sich für Wald und Wiese, also fürs Gelände, wie der
ame schon sagt. Sie sind jedoch auch populär fernab
den Geländes, auf Deutschlands Straßen in Stadt und
and. Die Neuzulassungszahlen für Geländewagen in
eutschland sind traumhaft und steigen überproportio-
al an. Sie verzeichneten im Jahr 2003 einen Zuwachs
on 22,8 Prozent.
Irgendwann kam jemand auf die clevere Idee, die Ta-
ifgrenze von 2,8 Tonnen zulässigem Gesamtgewicht im
fz-Steuerrecht zu nutzen und schwere Geländewagen
n diese Gewichtsklasse zu bringen. So gibt es regel-
echte Auflastungsaktionen, um diese Gewichtsgrenze,
ie Einstufung als Nutzfahrzeug und somit einen günsti-
en Steuertarif zu erreichen. Die äußerst schweren und
tensiv kraftstoffverbrauchenden Fahrzeuge werden je-
och meist als PKW und nicht als Nutzfahrzeuge einge-
etzt und dienen als zeitgeistorientiertes Prestigesymbol.
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Dieser Tatsache wird bisher steuerlich nicht ausrei-
chend Rechnung getragen, da schwere Geländewagen
von über 2,8 Tonnen nicht emissionsbezogen und nach
Hubraum versteuert, sondern nach zulässigem Gesamt-
gewicht als „leichte“ Nutzfahrzeuge klassifiziert und be-
steuert werden können, wodurch die Steuerlast auf weni-
ger als 25 Prozent gesenkt werden kann.
Um nicht einen Generalverdacht über alle Gelände-
wagen zu verhängen, will ich festhalten, dass die Steuer-
begünstigung längst nicht alle Geländewagen betrifft, ja
sogar die Mehrzahl der Geländewagen unprivilegiert ist
und richtig besteuert wird. Rund ein Viertel der schwe-
ren Geländewagen genießt jedoch ein ungerechtfertigtes
Steuerprivileg, das es abzuschaffen gilt.
Doch, wie bereits ausgeführt, ist der Einsatz meist
nicht im Nutzbereich, sondern vorwiegend völlig zweck-
entfremdet in den Städten. Schauen Sie sich einmal in
Berlin um, wie viele dieser schweren Fahrzeuge hier auf
asphaltierten und ausgebauten Straßen in der Innenstadt
herumfahren! Auf Geländetauglichkeit kommt es hierbei
wirklich nicht an.
Lassen Sie mich zu Ihrer Information dabei festhal-
ten, welche Auswirkungen das freizeitmotivierte Fahren
dieser kleinen „Geländepanzer“ in unseren Städten hat.
Über 20 Liter verbrauchen einige der Geländewagen
im Stadtverkehr. Das ist nicht vereinbar mit unseren kli-
mapolitischen Grundsätzen. Dieses teure Tankvergnügen
müssen wir nicht unbedingt durch günstige Steuerprivi-
legien kompensieren.
Mit ihrem als Kuhfänger bekannten absolut überflüs-
sigen Rammschutz stellten sie in der Vergangenheit
selbst bei Unfällen mit niedrigster Geschwindigkeit eine
Gefahr für Fußgänger und insbesondere Kinder dar. Dies
konnten wir inzwischen abschaffen.
„On top of the list“: Darüber hinaus konnten, wie aus-
geführt, durch geschickte Anmeldeverfahren und durch
so genannte Auflastung günstige Einstufungen des Kfz-
Steuertarifs erreicht werden.
Es ist somit aus Gründen der Steuergerechtigkeit,
nicht zuletzt aber auch unter ökologischen Aspekten und
aus Gründen der Verkehrssicherheit mehr als geboten,
unberechtigte Steuervorteile für diese Prestigesymbole
abzuschaffen.
Um eines klarzustellen: Wer ein solches Auto, das gut
und teuer ist, fahren will, soll das tun. Er soll und muss
es jedoch dann als PKW anmelden und als solches emis-
sionsbezogen nach Hubraum versteuern. Es geht uns
nicht um die höhere Besteuerung von Nutzfahrzeugen,
die klar definiert und nachweisbar als Nutzfahrzeuge
eingesetzt werden. Unser Ziel ist es, die Spreu vom Wei-
zen zu trennen. Es geht uns darum, ungerechtfertigte
Steuerschlupflöcher zu schließen.
Dies erreichen wir mit dem vorliegenden Antrag. Ge-
rade im Hinblick auf die Verringerung der Emissionen
im Verkehrsbereich sowie die Schonung unserer Res-
sourcen ist eine Berücksichtigung der ökologischen Kos-
ten der schweren Geländewagen und SUV auch im Be-
reich der Kfz-Steuer sicherzustellen.
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Auch unsere europäischen Nachbarn haben das Pro-
lem erkannt und sind dabei, Maßnahmen zu ergreifen:
rankreich plant, ab 2005 den Kauf der SUV mit einer
onderabgabe zu verteuern. Denn „den Parisern
tinkt’s“, wie ein Pressebericht – „Spiegel online“ – ti-
elt. Auch in London formiert sich der Widerstand gegen
ie tonnenschweren Geländewagen.
Unser Antrag passt. Er kommt dem Klimaschutz, den
chwächeren Verkehrsteilnehmern wie Fußgängern und
indern sowie schlicht und ergreifend der Steuergerech-
igkeit in unserem Lande zugute. Wir wissen uns hier
uch einig mit den Finanzministern und Umweltminis-
ern der Länder. Somit dürfte einer raschen Lösung
ichts im Wege stehen. Deshalb wollen wir über den An-
rag hier und heute direkt – ohne Überweisung und Be-
andlung im Fachausschuss – abstimmen.
Ich bitte Sie alle um Ihre Zustimmung.
Heinz Seiffert (CDU/CSU): Das Verfahren um den
eutigen Antrag zur Abschaffung des Steuerprivilegs für
chwere Geländewagen ist wieder einmal ein Paradebei-
piel rot-grüner Regierungspolitik. Am Dienstagnach-
ittag dieser Woche lag Ihr Antrag auf dem Tisch des
auses. Heute soll er – wenn es nach Ihrem Willen
eht – ohne Debatte und ohne Überweisung an die zu-
tändigen Ausschüsse verabschiedet werden. Dieses
auruckverfahren ist der Sache nicht angemessen und
ollkommen inakzeptabel. So lassen wir als Parlamenta-
ier nicht mit uns umspringen!
Über den Inhalt Ihres Antrags kann man sicher reden.
ür die Abschaffung einer ungerechtfertigten Steuersub-
ention finden Sie bei uns grundsätzlich offene Ohren,
uch wenn es im Detail noch erheblichen Klärungsbe-
arf gibt. Die von Ihnen geplante Vorgehensweise ist je-
och unmöglich. Man hat den Eindruck, hier soll
lammheimlich etwas beschlossen werden – ohne Auf-
ehen und ohne großen Wirbel. Die betroffenen Auto-
äufer und -hersteller werden’s dann schon merken.
Warum leiten Sie nicht ein ordentliches parlamentari-
ches Verfahren ein? Warum lassen Sie uns den Antrag
icht in den zuständigen Ausschüssen beraten? Und wa-
um legen Sie jetzt einen Antrag und stattdessen nicht
leich einen Gesetzentwurf vor?
Der Herr Bundeskanzler, der sich so gerne als Auto-
anzler präsentiert, schädigt mit diesem Antrag ohne
orherige Absprache die Autoindustrie. Ob nun der An-
rag mit oder ohne ordentliches Verfahren verabschiedet
ird: Merken werden es die Konzerne aus Wolfsburg,
ünchen und Stuttgart trotzdem. Was ist damit also ge-
onnen?
Wir von der Unionsfraktion sind gerne bereit, mit Ih-
en über den Inhalt des Antrags und den eventuell da-
aus hervorgehenden Gesetzentwurf konstruktiv zu dis-
utieren. Zu diesem Zeitpunkt und wegen dieses Nacht-
nd-Nebel-Verfahrens lehnen wir den Antrag heute aber
it Bestimmtheit ab. Legen Sie einen Gesetzentwurf
or, den wir in einem ordentlichen parlamentarischen
erfahren in den Ausschüssen debattieren können! Dann
erden wir uns mit Ihnen auch über die Sachargumente
über das Für und Wider dieser neuen Steuererhöhung –
nterhalten!
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10851
(A) )
(B) )
Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Es gehört zu den Vorzügen unserer Zeit, dass unsere
Straßen immer besser werden und wir hier nicht mehr
mit klapprigen Pferdekutschen über staubige Wege rat-
tern wie im Wilden Westen. Aber es gehört zu den Per-
versionen unserer Zeit, dass Fahrzeuge boomen, die eher
für steinige Pisten im Mittleren Westen der USA ge-
macht zu sein scheinen.
Manchen Autofreunden reichen Luxuswagen nicht
mehr aus; sie brauchen Sport Utility Vehicles – SUV.
„Geländewagen“ ist eine eher verharmlosende Bezeich-
nung. „Erlebnisfahrzeuge“ ist besser: mit Allradantrieb,
Bodenfreiheit, strotzend vor Kraft und mit stets mehr als
sechs Zylindern unter der Haube schnell, stark, massiv
und unübersehbar. Den guten Blick über das Verkehrsge-
schehen von da oben könnte man noch als Sicherheits-
vorzug dieser Wagen ansehen.
Hoch zu Ross also kreuzt der zumeist eher wohlha-
bende Mensch der Moderne nicht mehr sandige Pisten,
sondern die meist sechsspurigen Autobahnen Deutsch-
lands und fühlt sich trotzdem wie John Wayne. Ist es
Lifestyle? Es ist Lifestyle!
Dies ist freilich ein wenig überzeichnet, augenzwin-
kernd gemeint. Ich möchte hier nicht pauschal das indi-
viduelle Glück von Autoliebhabern verteufeln. Aber es
kann nicht angehen, dass wir dieses Glück versilbern
und die SUVs mit Steuererleichterungen subventionie-
ren. Deshalb haben wir diesen Antrag eingebracht.
Was ist das Problem? Aufgrund einer Gesetzeslücke
können Fahrzeuge mit mehr als 2,8 Tonnen Gesamtge-
wicht als leichte Nutzfahrzeuge zugelassen werden. Ein
Mercedes-M-Klasse-Wagen rangiert also in der gleichen
Klasse wie ein Lieferwagen. Fahrzeuge, die als PKW
aufgrund ihres hohen Schadstoffausstoßes nicht mehr
zugelassen werden können, weil sie die PKW-Norm
Euro 3 nicht erfüllen, schaffen dies nur als Nutzfahr-
zeuge. Obendrein sparen die Besitzer Kfz-Steuern, weil
die Steuer für die gewerblich genutzten Lieferfahrzeuge
bewusst niedriger ist als für gleich große PKW.
Beim Ausnutzen des Steuerschlupflochs waren ver-
schiedene Seiten trickreich: Autohersteller, Gutachter,
Werkstätten. Auch die Zulassungsstellen unterstützen
die verbreitete Praxis der „Auflastung“. Wenn noch zu
leicht für das 2,8-Tonnen-Kriterium, werden die Autos
mit eher marginalen Umrüstungen schwerer gemacht.
Gutachter, Umrüster, Werkstätten haben daran mitgetan,
alles im Grunde ganz legal. Gegen eine geringe Gebühr
– oft nach Vorlage eines nicht kostspieligen Gutach-
tens – wird dann von der Zulassungsstelle das zulässige
Gesamtgewicht im Fahrzeugbrief auf 2,8 Tonnen erhöht.
Was der Bundesfinanzhof in seinem Urteil 1998 ent-
schieden hatte – Fahrzeuge, die sowohl für Güter- als
auch für die Personenbeförderung eingerichtet sind, eine
umlegbare Rückbank haben und die über 2,8 Tonnen
wiegen, nicht wie PKW mit emissionsbezogener Hub-
raumbesteuerung, sondern wie Nutzfahrzeuge zu besteu-
ern –, galt wohl eher als Erleichterung für Handel und
Gewerbetreibende, für KMU.
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Doch nicht jeder Selbstständige braucht einen Allrad-
ntrieb, eher noch auf dem Land, wenn er über den
cker fahren muss, aber nicht in der Stadt. Für Winzer,
auern, Förster und Handwerker – eben Gewerbetrei-
ende – war die Steuerminderung für Nutzfahrzeuge
ielleicht einmal gerechtfertigt – obwohl wir Grüne klar
agen: Wir müssen ökologisch schädliche Subventionen
bbauen, und dies auch im Verkehrsbereich.
Wir sollten nicht – wie von Bundesverkehrsminister
tolpe angekündigt – neue Subventionstatbestände
urch großzügige Ausnahmen für viele Berufsgruppen
chaffen, sondern eher Anreize setzen, damit auch diese
erufsgruppen auf verbrauchsarme und emissionsarme
ahrzeuge setzen. Die SUV-Fahrzeuge aber dienen doch
anz offensichtlich nicht dem Betreiben von Gewerben,
ondern dem Freizeitvergnügen. Die Besteuerung von
eländewagen als PKW ist also längst überfällig und
uss schnellstmöglich umgesetzt werden.
Die bisherige Privilegierung ist sozial höchst unge-
echt. Es handelt sich um Modelle, die in der Anschaf-
ung 50 000 Euro und mehr kosten. Wer sich solche Au-
os leistet, kann dafür auch die angemessenen Steuern
ahlen. Zwischen 500 und 700 Euro sparen die SUV-Be-
itzer im Jahr. Wem will man dies vermitteln, angesichts
er breiten Debatte um das, was wir unseren Bürgern
eim Umbau des Sozialstaats abverlangen? Die schät-
ungsweise 40 Millionen Euro Steuerausfälle im Jahr
erden an anderer Stelle dringend gebraucht.
Gar nicht nachvollziehbar ist, dass wir mit einem
teuerprivileg Fahrzeuge fördern, die aus ökologischen
ründen höchst problematisch sind. Sie haben einen
normen Spritverbrauch. Viele Modelle verbrauchen
5 bis 20 Liter Sprit auf 100 Liter. Die letzten 20 Jahre
ahrzeugtechnologieentwicklung hatten unter anderem
ie Reduktion von Verbrauch und Schadstoffen im Zen-
rum. Es gibt viele gute Gründe, Sprit zu sparen: ökolo-
ische, politische und ökonomische. Dramatisch ist die
limaschädigende Wirkung durch den hohen Treibstoff-
erbrauch.
Die Selbstverpflichtung des Europäischen Verbandes
er Automobilhersteller besagt, bis 2008 den durch-
chnittlichen CO2-Ausstoß ihrer Neuwagen auf40 Gramm pro Kilometer absenken zu wollen. Aber der
W Touareg emittiert zum Beispiel im Durchschnitt
29 Gramm pro Kilometer. Andere Modelle liegen noch
öher. Wenn die Neuzulassungszahlen der SUV-Fahr-
euge weiter zunehmen, wird dieses Ziel wohl verwäs-
ert. Damit rückt das Erreichen der Selbstverpflichtung
er Industrie einmal mehr in die Nähe des Unwahr-
cheinlichen.
Für SUV, die wie Nutzfahrzeuge besteuert werden,
elten wesentlich großzügigere Vorschriften für die
chadstoffemissionen. Die Fahrzeuge dürfen somit mehr
chadstoffe ausstoßen als vergleichbare PKW. Auch im
inne des Gesundheitsschutzes ist es nicht verantwort-
ar, diese Fahrzeuge zu privilegieren.
Wir brauchen für die Reduktion der Emissionen im
erkehrsbereich dringend eine angemessene Berück-
ichtigung der ökologischen und sozialen Kosten des
10852 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004
(A) )
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Straßenverkehrs. Alle sehen es ein. Alle sind sich einig:
die Finanzminister der Länder, die Umweltminister der
Länder, der Bundesumweltminister, der Bundesver-
kehrsminister. Also sollte es doch gelingen, dieses Privi-
leg endlich abzuschaffen.
Jenseits des Schließens von Steuerschlupflöchern ist
Phantasie gefragt, um zumindest die wildesten Aus-
wüchse unserer automobilverliebten Gesellschaft zu zü-
geln. Vor wenigen Tagen erreichte uns die Nachricht,
dass die Pariser mit radikalen Maßnahmen gegen die
wachsende Zahl von Geländewagen vorgehen wollen,
weil sie ihre schöne Stadt verpesten, die Fußwege ver-
parken und mit „Kuhfängern“ die Fußgänger gefährden.
Von einer Ökoabgabe bis zu 3 200 Euro ist die Rede.
Sie soll nach den Kriterien Benzinverbrauch und Schad-
stoffausstoß festgesetzt werden. Der Pariser Stadtrat ord-
nete mit rot-grüner Mehrheit Maßnahmen an, um die
Nutzung von Geländewagen möglichst schnell einzu-
schränken.
Bald werden derlei Maßnahmen auch in deutschen
Ballungsräumen diskutiert werden müssen, wenn ab
1. Januar 2005 die schärferen Grenzwerte der EU-Luft-
reinhalte-Richtlinie gelten. Dann werden sowohl schad-
stoffmindernde Eingriffe an Fahrzeugen nötig – wie
etwa der Einbau von Rußpartikelfiltern und Nachrüstun-
gen – als auch verkehrsbezogene Maßnahmen.
City-Maut, Straßensperrungen für bestimmte Fahr-
zeuge – vieles ist denkbar und zum Schutz der Bevölke-
rung und der Umwelt nötig. Mit der Abschaffung des
Steuerprivilegs für SUV-Fahrzeuge tun wir einen Schritt
von vielen.
Wir wollen keine Straßensperrungen, sondern um-
weltfreundliche Fahrzeuge. Schließlich stellt sich auch
die Frage, wie viele Sheriffs wir bräuchten, um die Cow-
boys in ihren SUVs beim Überschreiten der Luftschad-
stofflimits aus den Städten zu verbannen.
Dr. Hermann Otto Solms (FDP): Unabhängig von
der Thematik des Antrages möchte ich zunächst einmal
die Methode kritisieren, mit der Sie diesen Antrag hier
durchpeitschen wollen. Es ist dem Ansehen des Parla-
mentes nicht förderlich, wenn Sie dieses für die Betrof-
fenen wichtige Thema in einer Nacht-und-Nebel-Aktion
abhandeln. Es ist einfach unangemessen, wenn der An-
trag, den wir hier debattieren wollen, erst am Tag vor der
Debatte überhaupt vorliegt.
Inhaltlich stimme ich Ihrem Antrag, der ja auf eine
Initiative der Finanzminister der Länder zurückgeht, zu.
Das deutsche Steuerrecht leidet unter seiner Kompli-
ziertheit. Dies betrifft nicht nur die Kompliziertheit ein-
zelner Steuergesetze, sondern auch die Vielzahl der in
Deutschland erhobenen Steuern. Ein erster wichtiger
Schritt zur Steuervereinfachung ist deshalb, Ausnahme-
regelungen konsequent zu beseitigen. Wir müssen weg-
kommen von einer immer differenzierteren Ausgestal-
tung der Steuergesetze. Es ist ein Irrglaube, dass es zu
mehr Steuergerechtigkeit kommt, wenn jeder Einzelfall
eine genaue Abbildung in einem Steuergesetz finden
muss.
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Das Gegenteil ist der Fall. Jeder gut begründeten Aus-
ahme wird eine weitere, sicher ebenso gut begründete
usnahme folgen. Dies führt im Ergebnis zu Steuerge-
etzen, die weder von der Verwaltung noch vom Bürger
u verstehen und damit anzuwenden sind. Trotzdem
ühlt sich die Mehrzahl der Steuerbürger ungerecht be-
andelt, weil der Nachbar ja möglicherweise noch an-
ere steuerliche Ausnahmen kennt und nutzt, und sei es
ur, weil er besser beraten ist.
Dieses kollektive Ungerechtigkeitsgefühl führt dazu,
ass das Unrechtsbewusstsein für Steuerverkürzung oder
hinterziehung in der Bevölkerung in nicht hinzuneh-
endem Maße ausgehöhlt wird. Immer mehr Bürger
lauben, es sei ein Kavaliersdelikt, Steuern nicht zu zah-
en. Immer weitere Teile der Gesellschaft entziehen sich
hrer Steuerpflicht: der kleine Mann durch Schwarzar-
eit, Unternehmen durch Investitionsverlagerung, der
parer durch Kapitalflucht. Die Steuerbasis in Deutsch-
nd wird brüchig.
Es muss deshalb oberstes Ziel des Steuergesetzgebers
n Deutschland sein, die bestehenden Steuergesetze wie-
er auf ihren eigentlichen Zweck zurückzuführen. Die
teuerlichen Tatbestände müssen klar definiert sein und
eine Ausweichmöglichkeiten zulassen. Dies gilt natür-
ich auch für die Kraftfahrzeugsteuer. Trotz der jetzt ge-
lanten Abschaffung des ungerechtfertigten Steuerprivilegs
ür schwere Geländewagen bleibt die Kraftfahrzeugsteuer
ber kompliziert. Einen Regelsteuersatz gibt es nicht.
kologische Zielsetzungen verkomplizieren die Berech-
ung der Kraftfahrzeugsteuer zusätzlich. Statt dieser un-
ötigen Reglementierung und Bürokratisierung könnten
kologische Ziele viel einfacher erreicht werden.
Die FDP fordert die aufkommensneutrale Umlegung
er Kfz-Steuer auf die Mineralölsteuer. Ein solches Vor-
ehen hat zweierlei Vorteile. Durch die Abschaffung ei-
er ganzen Steuerart wird ein nicht zu unterschätzender
eitrag zur Steuervereinfachung in Deutschland geleis-
et. Gleichzeitig ist gewährleistet, dass nicht mehr der ru-
ende Verkehr besteuert wird, sondern die gefahrenen
ilometer. Durch die Besteuerung nach den tatsächli-
hen Emissionen werden Kfz mit höherem Verbrauch
tärker belastet als diejenigen mit niedrigem Verbrauch.
ine solche Regelung ist ökologisch sinnvoll. Die circa
000 Finanzbeamten, die mit der Bearbeitung der Kfz-
teuer beschäftigt sind, könnten nutzbringender einge-
etzt werden. Für parteiübergreifende Konsensgespräche
it diesem Ziel steht die FDP zur Verfügung.
Iris Gleicke, Parl. Staatssekrtärin beim Bundes-
inister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen: Be-
anntlich fallen weder die Steuergesetzgebung noch ihr
ollzug in den Geschäftsbereich meines Ministeriums.
uf den ersten Blick mag es deshalb verwundern, dass
ch als Vertreterin des Bundesministeriums für Verkehr,
au- und Wohnungswesen das Wort ergreife zum Antrag
er Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen mit
er Zielsetzung, das „ungerechtfertigte Steuerprivileg
ür schwere Geländewagen abzuschaffen“.
Es geht dabei um Fahrzeuge, die wahlweise zur Per-
onenbeförderung oder zur Güterbeförderung benutzt
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10853
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werden können, wie vor allem schwere Geländewagen
oder so genannte SUV – Sport Utility Vehicles. Solche
Fahrzeuge können ab einer bestimmten Gewichtsklasse
von den Finanzbehörden der Länder steuerrechtlich als
LKW eingestuft werden und werden dann entsprechend
günstig, nämlich nur nach Gewicht besteuert. Ursache
hierfür ist eine Bestimmung in der Straßenverkehrs-Zu-
lassungs-Ordnung (StVZO).
Es handelt sich um den § 23 Abs. 6 a StVZO, der be-
sagt:
Als Personenkraftwagen sind auch Kraftfahrzeuge
mit einem zulässigen Gesamtgewicht von nicht
mehr als 2,8 t zu bezeichnen, die nach ihrer Bauart
und Einrichtung geeignet und bestimmt sind, wahl-
weise vorwiegend der Beförderung von Personen
oder vorwiegend der Beförderung von Gütern zu
dienen, und die außer dem Führersitz, Plätze für
nicht mehr als acht Personen haben.
Diese Bestimmung wurde 1969 zur verkehrsrechtli-
chen Klarstellung eingeführt, damit Kombinationskraft-
wagen bis einschließlich 2,8 Tonnen bei Überholverboten
mit dem Zusatz „ausgenommen Personenkraftwagen“
ohne weiteren Zusatz mit ausgenommen waren.
Die Steuerverwaltung der Länder und auch die
höchstrichterliche Rechtsprechung der Finanzgerichte
hat aus dieser verkehrsrechtlichen Bestimmung im Um-
kehrschluss gefolgert, dass Fahrzeuge dieses Typs, wenn
ihr zulässiges Gesamtgewicht 2,8 Tonnen überschreitet,
steuerrechtlich LKWs sind. Sie werden deshalb – wie
bereits dargelegt – lediglich nach Gewicht und nicht
hubraum- und emissionsbezogen besteuert.
Das Kraftfahrzeugsteuergesetz, für das der Bund die
Gesetzgebungskompetenz hat, sagt hierzu selbst nichts
aus. § 23 Abs. 6 a StVZO ist somit sozusagen Steigbü-
gelhalter für eine Steuerrechtspraxis, die die Halter der-
artiger – wie wir alle wissen – nicht ganz billiger Fahr-
zeuge kraftfahrzeugsteuerlich privilegiert.
Verkehrsrechtlich ist diese Bestimmung seit langem
überflüssig, weil daran zumindest im Straßenverkehrs-
recht keine Rechtsfolgen mehr geknüpft sind. Außerdem
steht diese Bestimmung nicht mehr im Einklang mit dem
Recht der Europäischen Gemeinschaften.
Auch deshalb begrüße ich als Vertreterin der Bundes-
regierung den gestern eingereichten Antrag der Fraktio-
nen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Es macht
Sinn, diese Vorschrift des Straßenverkehrsrechts ersatz-
los aufzuheben.
Nun ist das mit Privilegien ja bekanntlich so eine Sa-
che. Sobald in unserem Lande an irgendeinem Privileg
gerüttelt wird, machen zumindest einige der Privilegier-
ten mehr oder weniger überzeugende Argumente für die
Beibehaltung des Privilegs geltend. Wir kennen das alle
auch aus anderen Zusammenhängen. Aber wir haben
alle Einwände und Bedenken selbstverständlich sorgfäl-
tig geprüft. Im Ergebnis bleiben wir bei unserer mit dem
Bundesministerium der Finanzen und dem Bundesminis-
terium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
abgestimmten Absicht, den § 23 Abs. 6 a StVZO aufzu-
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eben, und der rot-grüne Antrag gibt uns dafür den poli-
ischen Flankenschutz.
Die entsprechende Verordnung zur Änderung der
tVZO kann damit endgültig auf den Weg gebracht wer-
en. Sie soll so rasch wie möglich dem Bundesrat mit
er Bitte um Zustimmung zugeleitet werden.
Die seinerzeit bei der Änderung der StVZO überhaupt
icht beabsichtigte steuerliche Privilegierung schwerer
eländewagen ist mit dem Gedanken der Steuergerech-
igkeit nur schwer in Einklang zu bringen. Auch im Hin-
lick auf den hohen Kraftstoffverbrauch und die im all-
emeinen auch höheren Schadstoffemissionen ist diese
rivilegierung erfehlt.
Nach der Änderung bzw. Aufhebung des § 23 Abs. 6
tVZO ist es Sache der Länder, die steuerrechtlichen
onsequenzen zu ziehen und diese in den Fahrzeugpa-
ieren als „Personenkraftwagen“ bezeichneten Kraft-
ahrzeuge so zu besteuern, wie es ihrem Verwendungs-
weck und ihrer technischen Beschaffenheit entspricht.
Ob hierzu eine Änderung des Kraftfahrzeugsteuerge-
etzes erforderlich ist, wird vom zuständigen Bundes-
inisterium der Finanzen zusammen mit den Ländern
eprüft werden müssen. Dabei ist auch zu berücksichti-
en, dass Fahrzeuge, die Gegenstand des Antrages sind,
eilweise auch gewerblich als Nutzfahrzeuge eingesetzt
erden, zum Beispiel in der Land- und Forstwirtschaft,
on Winzern und auch von Handwerkern. Damit wäre
uch die Frage zu prüfen, ob eine kraftahrzeugsteuerli-
he Differenzierung zwischen schweren Geländwagen,
ie außschließlich oder ganz überwiegend zu privaten
wecken genutzt werden, und solchen, die gewerblich
ls Nutzfahrzeuge verwendet werden, geboten ist.
Das Anliegen des rot-grünen Antrags ist jedenfalls
erechtigt. Mit unserem Vorhaben, den § 23 Abs. 6 a
tVZO ersatzlos aufzuheben, sind wir als Bundesregie-
ung auf dem richtigen Weg. Ich bitte Sie, dem Antrag
uzustimmen.
nlage 27
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Für eine qualifi-
zierte Mitbestimmung bei grenzüberschreiten-
den Fusionen (Zusatztagesordnungspunkt 8)
Doris Barnett (SPD): Das Zusammenwachsen von
uropa erfasst auch den Bereich der Unternehmen. So
st es im Jahre 2001, nach über 20-jähriger Verhandlung
elungen, eine Regelung zur Europäischen Aktiengesell-
chaft zu finden, der alle Partnerländer zugestimmt ha-
en.
Besonders wichtig für uns hier in Deutschland ist,
ass wir die Mitbestimmung sichern konnten. Die Rege-
ung dazu ist eine Kombination von Verhandlungen zwi-
chen Unternehmens- und Arbeitnehmerseite, die aller-
ings für den Fall, dass man sich nicht einigt, auch eine
uffanglinie hat. Diese Lösung könnte auch für andere
10854 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004
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gesellschaftsrechtliche Vorhaben nach Meinung der
Kommission Vorbild sein.
In Europa haben wir verschiedene Traditionen, was
die Beteiligung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
mer am Wirtschaftsleben angeht. Unser Verständnis von
Mitbestimmung gründet sich auf dem Gedanken der
Wirtschaftsdemokratie. Die Beteiligungsrechte sind in
den anderen europäischen Ländern unterschiedlich aus-
geprägt. Aber eines sollte uns allen wichtig sein: Wir
brauchen nicht nur ein wirtschaftlich starkes Europa, es
muss auch ein soziales Europa sein. Die Mitbestim-
mung, die Beteiligung der Belegschaft, gehört zu den
unabdingbaren sozialen Aspekten.
Nun arbeitet die EU-Kommission aber auch schon
seit vielen Jahren an einem Entwurf einer Richtlinie zur
Verschmelzung von Kapitalgesellschaften, der Fusions-
richtlinie. Ähnlich wie bei der Richtlinie zur Europäi-
schen Aktiengesellschaft scheiterte die Fusionsrichtlinie
bisher an der schwierigen Frage, wie die Beteiligung der
Arbeitnehmer zu regeln ist.
Ursprünglich sollte ja die Regelung der Europäischen
Aktiengesellschaft auch auf Unternehmen, die grenz-
überschreitend fusionieren, Anwendung finden. Dies
würde bedeuten, dass die Regelung der Beteiligung der
Arbeitnehmer in der durch Fusion entstandenen Gesell-
schaft vorrangig zwischen Arbeitgeber und Arbeitneh-
mer zu verhandeln ist. Wenn mindestens 25 Prozent der
Arbeitnehmer der an der Gründung beteiligten Gesell-
schaft einer Mitbestimmungsregelung unterliegen, wäre
im Falle des Scheiterns der Verhandlungen zwingend
vorzusehen, dass auch in der neuen Gesellschaft eine
Mitbestimmung auf dem höchsten bisher vorhandenen
Niveau einzuführen wäre.
Der nun vorgelegte Vorschlag einer Fusionsrichtlinie
der EU-Kommission weicht aber davon ab. Im Gegen-
teil, jetzt soll sich die Mitbestimmung nach dem System
des Landes richten, in dem die fusionierte Gesellschaft
ihren Sitz hat. Nur wenn die fusionierte Gesellschaft sich
in einem Mitgliedsland befindet, das kein Mitbestim-
mungssystem hat – wie zum Beispiel Spanien –, sollen
die Regelungen entsprechend der Richtlinie über die Eu-
ropäische Aktiengesellschaft gelten.
Fusionieren also zwei Aktiengesellschaften und wäh-
len ihren Sitz in einem Land mit ganz niedrigschwelliger
Mitbestimmung, dann gilt automatisch dieses nationale
Mitbestimmungssystem. Verhandlungen über ein Mehr
an Beteiligung der Arbeitnehmer finden erst gar nicht
statt. Somit geht dann auch immer das höhere Mitbe-
stimmungsniveau verloren. Durch die Wahl des Sitzstaa-
tes hätte die Unternehmensseite es folglich in der Hand,
die Mitbestimmungsstandards zu verringern.
Diese von der Kommission vorgelegte Regelung
kommt einer Flucht aus der Mitbestimmung gleich, die
wir nicht hinnehmen werden.
Nachdem sich die Bundesregierung in den Verhand-
lungen und bei dem Abschluss zur Europäischen Aktien-
gesellschaft erfolgreich dafür eingesetzt hat, dass die be-
troffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihre
Beteiligungsrechte behalten können, unterstützen wir sie
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arin, auch bei den jetzt anstehenden Verhandlungen zur
usionsrichtlinie darauf hinzuwirken, dass diese Rechte
n gleichem Umfange erhalten bleiben.
In einem sozialen Europa müssen wir auf fairen Wett-
ewerb achten. Dazu zählt, dass wir nicht ohne Not be-
ährte Strukturen zerschlagen. Gerade unser Mitbestim-
ungssystem hat dazu geführt, Firmen und ihre
elegschaft in Krisenzeiten wieder fit für den Wettbe-
erb zu machen. Statt Firmenzusammenbrüchen mit
ielen Arbeitslosen konnten mit Unterstützung kreativer
nd engagierter Betriebsräte Unternehmen saniert wer-
en, sich regenerieren und wieder zu starken Marktteil-
ehmern werden.
Die Verlockung, durch Verschmelzung mit Firmen-
öchtern bzw. Niederlassungen in europäischen Ländern
it niedriger bzw. ohne Mitbestimmungsregelung Kos-
en zu sparen, Entscheidungen einfacher zu machen,
ber die Belegschaft ganz alleine zu bestimmen, ist für
anches Unternehmen groß. Aber – das belegen ja die
ielen einschlägigen Untersuchungen, die nicht von Ge-
erkschaften finanziert wurden – die deutsche Mitbe-
timmung ist kein Wettbewerbs- oder Standortnachteil,
ondern hat sich schon oft segensreich ausgewirkt.
Deshalb können wir die Bundesregierung nur auffor-
ern, sich dafür einzusetzen, dass die Mitbestimmungs-
egelungen der Europäischen Aktiengesellschaft als Mi-
imum auch für grenzüberschreitende fusionierte
esellschaften gelten. Mit unserem vorliegenden Antrag
nterstützen wir die Bundesregierung in ihrem Bemü-
en, ein entsprechendes Verhandlungsergebnis zu erzie-
en.
Dass auch andere Mitgliedstaaten wie Frankreich und
elgien die Auffassung der Bundesregierung unterstüt-
en, zeigt, dass wir mit unserer Forderung nach entspre-
hender Verankerung der Mitbestimmung im ganzen
nternehmens- und Gesellschaftsrecht nicht alleine da-
tehen. Auch Großbritannien hat Unterstützung in dieser
ngelegenheit signalisiert. Wir sind also mit unserem
nliegen in bester Gesellschaft.
Zum Schluss möchte ich noch auf eines hinweisen:
enn bisher Unternehmen andere Unternehmen in Eu-
opa gekauft haben, hat sich für das erworbene Unter-
ehmen und seine Mitarbeiter – wenn zum Beispiel ein
ranzösisches Unternehmen ein deutsches kauft – hin-
ichtlich der Mitbestimmung nichts geändert. Genauso
erhält es sich, wenn ein italienisches Unternehmen eine
iederlassung in Deutschland einrichtet. In diesem Falle
ilt auch deutsches – nationales – Recht.
Bei Fusionen sieht das aber ganz anders aus: Es ent-
teht eine neue, eine einzige Gesellschaft. Eine solche
erschmelzung hat – das wissen wir nicht zuletzt auch
us einheimischen Erfahrungen mit Fusionen – aber er-
ebliche Auswirkungen auf die Arbeitnehmerschaft.
enn diese keinerlei Möglichkeit hat, sich zu informie-
en und auch Einfluss zu nehmen, zum Beispiel was
eschäftigungsverhältnisse angeht, dann werden grenz-
berschreitende Fusionen eher als Gefahr wahrgenom-
en – auf keinen Fall als Chance.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10855
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Deshalb kann ich die anderen Fraktionen dieses Hau-
ses nur dazu einladen, unseren Antrag zu unterstützen
und damit einem Europa der Arbeitnehmer auch bei
Fusionen den Weg zu bereiten.
Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): Es ist offensicht-
lich, von welcher Motivation der Antrag getragen ist,
über den wir heute sprechen. Vor allem die Damen und
Herren Kollegen von der SPD versuchen verzweifelt, ihr
Verhältnis zu den Gewerkschaften zu verbessern, das
man inzwischen wohl nur noch als zerrüttet bezeichnen
kann. Weil der Erhalt des deutschen Mitbestimmungs-
rechts zu den zentralen Anliegen der Gewerkschaften
gehört und in den Diskussionen um die Entwicklung des
europäischen Gesellschaftsrechts immer häufiger thema-
tisiert wird, stricken sie schnell und mit heißer Nadel
einen Antrag, um den Gewerkschaften zu zeigen, dass
sie doch noch in Treue fest auf deren Seite stehen.
Dass sie für dieses Signal an die Gewerkschaften so-
gar in Kauf nehmen, in einem Antrag ein Misstrauensvo-
tum gegenüber ihrer eigenen Regierung auszusprechen,
weil sie offensichtlich befürchten, diese werde sich bei
den Verhandlungen über die europäische Fusionsrichtli-
nie im Ministerrat nicht hinlänglich für die Interessen
der Gewerkschaften und für das deutsche Mitbestim-
mungsrecht einsetzen, ist immerhin positiv zu vermer-
ken. Wir erleben es schließlich nicht allzu oft im Bun-
destag, dass die Fraktionen von SPD und Grünen sich
kritisch mit der Arbeit der Bundesregierung auseinander
setzen.
Das ist allerdings auch das einzig Positive, das zu die-
sem Antrag zu sagen ist. Ansonsten zeigt er, dass Sie
ebenso wie die Gewerkschaften, deren Sprachduktus
auch in anderen aktuellen politischen Diskussionen sehr
an die 70er-Jahre erinnert, eines nicht erkannt oder für
die Anbiederung an die Gewerkschaften verdrängt ha-
ben: Die Zeiten haben sich verändert. Der Wirtschafts-
wettbewerb ist internationaler geworden, die Harmoni-
sierung des Wirtschaftsrechts in Europa schreitet
unaufhörlich voran.
Der internationale Wirtschaftswettbewerb ist auch ein
Wettbewerb der Rechtsordnungen. Diesem Wettbewerb
müssen wir uns stellen und überprüfen, ob unser Recht
noch zeitgemäß und damit wettbewerbsfähig ist. Denn
nur so können wir unserem Recht auch international
langfristig Geltung verschaffen.
Das funktioniert jedoch nur, wenn wir nicht nur als
starre Bewahrer unserer Traditionen auftreten. Natürlich
hatte unser Mitbestimmungsrecht seine Berechtigung,
als es 1976 in Kraft trat. Natürlich müssen wir die positi-
ven Aspekte dieses Rechts, die übrigens nicht nur die
Gewerkschaften betonen, sondern auch in der Wirtschaft
gesehen werden, bewahren und verteidigen. Aber wir
müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass unser Mitbe-
stimmungsrecht international nicht verstanden und sogar
als Bedrohung empfunden wird, was sich letztendlich als
Nachteil für deutsche Unternehmen und damit auch für
die Arbeitnehmer erweist, wenn internationale Investo-
ren deshalb einen Bogen um Deutschland machen. Das
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arf nicht überbewertet, aber auch nicht ignoriert wer-
en.
Das deutsche Mitbestimmungsrecht ist seit einiger
eit im Fokus der Diskussionen über die Entwicklung
es europäischen Gesellschaftsrechts. Das liegt nicht nur
n der Europäischen Aktiengesellschaft und der geplan-
en Fusionsrichtlinie, sondern auch an den Urteilen des
uropäischen Gerichtshofs – Daily Mail, Centros, Über-
eering und zuletzt Inspire Art –, die sich mit der Verein-
arkeit deutscher gesellschaftsrechtlicher Bestimmun-
en mit dem europäischen Recht beschäftigten.
Zwar ging es in diesen Entscheidungen nie explizit
m das deutsche Mitbestimmungsgesetz, doch die mög-
ichen Konsequenzen dieser Rechtsprechung gerade auf
ie Mitbestimmung in Unternehmen werden längst nicht
ehr nur in juristischen Fachzirkeln diskutiert, sondern
aben die wirtschaftliche Realität längst erreicht. Die
öglichkeit, eine Dachgesellschaft mit Sitz in Deutsch-
and unter ausländischer Rechtsform zu gründen und die
nteile deutscher Gesellschaften auf diese Holding zu
bertragen, ist nicht nur theoretische Spekulation, son-
ern ein realistisches Szenario, und zwar deshalb, weil
ich dadurch möglicherweise – jedenfalls in großen
onzernen – das deutsche Mitbestimmungsrecht umge-
en lässt.
Der Befund, den Sie in Ihrem Antrag formulieren, ist
war richtig: Es gibt hinsichtlich des Mitbestimmungs-
echts tatsächlich eine Unwucht zwischen der geplanten
usionsrichtlinie und den Bestimmungen zur Europäi-
chen Aktiengesellschaft. Doch die Schlussfolgerung,
ie Sie in Ihrem Antrag daraus ziehen, zeigt, dass Sie
ich mit der Problematik nicht auseinander gesetzt ha-
en. Das aber müssen wir tun – gründlich, in parlamen-
arischen Beratungen und mit der Hilfe externen Sach-
erstands.
Bevor Sie fordern, die Fusionsrichtlinie an die Rege-
ung zur Europäischen Aktiengesellschaft anzugleichen,
ollten Sie sich mit der Diskussion um die Europäische
ktiengesellschaft beschäftigen. Denn in dieser Diskus-
ion ist immer wieder zu vernehmen, dass die Europäi-
che Aktiengesellschaft für deutsche Unternehmen je-
enfalls dann nicht in Frage kommt, wenn ausländische
nternehmen beteiligt sind, weil sich diese nicht das
eutsche Mitbestimmungsregime aufoktroyieren lassen
ollen.
Wenn sich also abzeichnet, dass unser Recht im inter-
ationalen Wirtschaftsleben gemieden wird und eine im-
er kleinere Rolle spielt, dann müssen wir darüber
achdenken, wie wir unsere Rechtsordnung international
esser verkaufen können, ohne sie aufzugeben. Denn
as spricht dagegen, dass auch ausländische Unterneh-
en deutsches Gesellschaftsrecht favorisieren, wenn sie
s verstehen und die Vorteile sehen? Wettbewerb muss
chließlich nicht bedeuten, dass wir uns und unser Recht
erstecken, nur weil es anders ist – das ergibt sich schon
us den grundsätzlich unterschiedlichen Rechtstraditio-
en – und im Ausland nicht auf Anhieb verstanden wird.
Sie aber wollen offenbar in eine andere Richtung
ehen. Sie fordern die Bundesregierung auf, darauf
10856 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004
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hinzuwirken, dass europäische Regelungen die Mitglied-
staaten nicht zu einem Wettbewerb um möglichst nied-
rige Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer einladen, damit sie als Sitzstaat für die
durch die grenzüberschreitende Fusion entstehende Ge-
sellschaft in Betracht kommen. Die Bundesregierung
solle verhindern, dass die „Flucht aus der deutschen Mit-
bestimmung“ ermöglicht wird.
Aber könnte nicht genau das die Konsequenz sein,
wenn Sie europaweit eine Regelung fordern, die nach
Meinung vieler dazu führt, dass deutsche Unternehmen
isoliert werden, weil sie für ausländische Investoren we-
niger interessant sind – was sich im Ergebnis auf deren
Zukunft und die Zukunft der Arbeitsplätze auswirken
kann?
Der internationale Wirtschaftswettbewerb und der
Wettbewerb der Rechtsordnungen ist ein Standortwett-
bewerb. Darüber haben Sie offensichtlich nicht nachge-
dacht. Darüber müssen wir aber nachdenken, bevor sol-
che Schnellschüsse wie dieser Antrag in die Welt gesetzt
werden, damit das beabsichtigte positive Signal für die
Gesellschaften international nicht als negatives Signal
aufgefasst wird.
Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das
deutsche Mitbestimmungssystem ist im Großen und
Ganzen ein Erfolg. Unser Modell der Sozialpartner-
schaft trägt zu einem beachtlichen Maß an sozialem
Frieden in unserem Land bei.
Tatsächlich ist das Tarifsystem auch viel flexibler als
sein Ruf. In 35 Prozent der Betriebe und 22 Prozent der
Dienststellen werden tarifliche Öffnungsklauseln ange-
wandt. Die Betriebs- und Personalräte zeigen sich ver-
antwortlich. Wer sich vom deutschen Modell der Sozial-
partnerschaft verabschiedet, wird kämpferische und
politische Auseinandersetzungen in die Betriebe tragen
wie zum Beispiel in Frankreich. Dort ist der Organisa-
tionsgrad der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer we-
sentlich geringer, dafür die Auseinandersetzung härter,
und der Staat erledigt letztlich den Job, den hier die Ta-
rifparteien machen.
Die Mitbestimmung ist eine Stärke, keine Schwäche
des Standorts Deutschlands; sie ist mitverantwortlich für
die international vergleichsweise geringe Streikhäufig-
keit in den Betrieben.
Deswegen brauchen wir klare Regelungen, um die
Mitbestimmung in den Gesellschafter- und Aufsichts-
gremien auch in internationalisierten Märkten zu erhal-
ten. Wenn ein Unternehmen sich umstrukturiert, dürfen
darunter nicht die bestehenden Mitbestimmungsmög-
lichkeiten leiden. Rollback in der Mitbestimmung durch
Zusammenschluss oder Verlagerung ins Ausland darf es
nicht geben.
Deswegen wollen wir die Verhandlungslösung der
Europäischen Gesellschaft – SE – auch in der Fusions-
richtlinie der EU und wie dort bei Scheitern der Ver-
handlungen diejenige Mitbestimmungslösung als Auf-
fangregel, die die Vertretung der beteiligten
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am besten sichert.
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er Kompromiss zur Europäischen Aktiengesellschaft
st gut. Er wird von allen EU-Mitgliedern getragen. Er
uss auch für alle Unternehmen, die sich in der EU
renzüberschreitend durch Zusammenschluss konstituie-
en, gelten. Ansonsten würden wir eine Möglichkeit
chaffen, die deutschen Mitbestimmungsstrukturen
urch die Hintertür auszuhebeln.
Auf europäischer Ebene sollten wir weder den Wett-
ewerb um die günstigsten Steuersätze noch um die
xistenz von bzw. die niedrigsten Mitbestimmungsstan-
ards führen. Ein solcher Kampf um die Mitbestimmung
eht zulasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
it Regelungen, die leicht unterlaufen werden können,
ässt sich das nicht stemmen. Wir brauchen Bedingun-
en, die für alle gelten. Wir wollen ein soziales Europa,
as zugleich im Wettbewerb bestehen kann.
Die Regeln zur Mitbestimmung bilden zusammen mit
er Betriebsverfassung und der Tarifautonomie das Drei-
estirn der Arbeitnehmerbeteiligung. Es muss oft als
rügelknabe herhalten. Ihm werden alle Probleme des
rbeitsmarktes und die Wachstumsschwäche angelastet.
atsächlich ist das Gegenteil der Fall. Gerade die Mitbe-
timmung trägt durch Co-Management und die erfolgrei-
he Vermittlung von Entscheidungen des Managements
n die Belegschaften hinein dazu bei, dass sich Unter-
ehmen modernisieren und an globalisierte Märkte an-
assen können.
Entgegen den Behauptungen der Spitzenverbände
nd der Union wissen die Unternehmensleitungen selbst
ehr wohl, was sie an der Mitbestimmung haben. 1998
urden Führungskräfte von DAX-Unternehmen in einer
nternehmensbefragung gefragt, ob sie für oder gegen
ie Aufsichtsratmitbestimmung seien. 53 Prozent spra-
hen sich tendenziell und 18 Prozent ohne Einschrän-
ung gegen die Abschaffung der Mitbestimmung aus.
ur 23 Prozent votierten für die Abschaffung.
In Deutschland haben wir in der letzten Legislaturpe-
iode das Betriebsverfassungsgesetz modernisiert. Das
ieß nicht nur, die Wahl der Betriebsräte zu vereinfa-
hen, um die tarifpolitisch weißen Flecken zu verklei-
ern. Grüne haben mit Erfolg durchgesetzt, dass auch
inderheitenpositionen in den Leitungsgremien der Be-
riebsräte vertreten sind. Ebenfalls war es ein grüner Er-
olg, auch ökologische, antirassistische und gleichstel-
ungspolitische Belange zum Thema für die Betriebsräte
u machen.
So starr, wie die Arbeitgeber behaupten, ist das Tarif-
ystem nicht; das zeigen die Öffnungsklauseln in einem
rittel der Betriebe. Die Gewerkschaften haben viele
orderungen aus dem Bündnis für Arbeit umgesetzt. Die
rbeitgeber müssen auch klare Angebote machen. Sen-
ung von Standards ist nicht alles.
Flexibilisierung der Mitbestimmung ist für Grüne
ann ein gangbarer Weg, wenn sie auf eine Modernisie-
ung und damit Stärkung hinausläuft. Eine Flexibilisie-
ung, die nur ein anderes Wort für den Abbau von Ar-
eitnehmerrechten ist, lehnen wir ab. Eine moderne
itbestimmung sichert Stakeholder-lnteressen, statt nur
urzatmige Shareholder-Interessen zu bedienen. Sie ist
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10857
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eine treibende Kraft für entscheidende Zukunftsfragen in
den Unternehmen, wie zum Beispiel Arbeitszeitgestal-
tung, Gesundheitsschutz und nachhaltige betriebliche
Personalpolitik, aber auch soziale Belange und Fragen
der Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Gleichzeitig ist bei internationalen Unternehmen auch
die Herstellung von Öffentlichkeit wichtig, um die be-
trieblichen Standards zu verbessern. Wir unterstützen
Kampagnen gegen solche Missstände. Europa muss hier
an einem Strang ziehen und Standards setzen.
Die Europäische Union braucht eine gemeinsame So-
zialethik. Das heißt nicht, starre Regelungen umzuset-
zen, sondern faire Spielregeln. Auf nationaler Ebene
werden soziale Auseinandersetzungen immer leichter
durch Produktionsverlagerungen unterlaufen. Wir müs-
sen diesen Prozess auf europäischer Ebene einholen. Da-
bei ist das deutsche Modell der Selbstregulation durch
die Sozialpartner bürokratischen Direktiven vorzuzie-
hen.
Gleichzeitig gehört zur Sozial- eine Umweltethik. Je
besser der soziale Standard, desto leichter auch die
Durchsetzung von Umweltstandards. Dumping führt
beide Bereiche nach unten, faire Spielregeln sind für bei-
des gut. Für uns Grüne gehen sozialer und ökologischer
Fortschritt Hand in Hand.
Rainer Brüderle (FDP): Die Regierungsfraktionen
versündigen sich mit ihrer protektionistischen Haltung
bei der Mitbestimmung am Wirtschaftsstandort Deutsch-
land. Unternehmenszusammenschlüsse mit deutscher
Beteiligung werden verhindert und als Holdingstandort
wird Deutschland noch unattraktiver. Am deutschen
Mitbestimmungswesen wird die Welt sicherlich nicht
genesen.
Statt notwendige Entwicklungen in Europa zu verhin-
dern, sollte Grün-Rot endlich die deutsche Konzernmit-
bestimmung modernisieren. Eine Rückkehr zur Drittel-
parität wäre da ein erster Schritt Die paritätische
Mitbestimmung schwächt den Standort Deutschland.
Empirische Studien belegen den negativen Einfluss der
Mitbestimmung auf die Unternehmensrenditen. Auslän-
dischen Investoren ist oftmals kaum zu vermitteln, dass
das Entscheidungsrecht der Anteilseigner durch die pari-
tätische Mitbestimmung hierzulande stark eingeschränkt
ist. Die paritätische Mitbestimmung hat auch dazu bei-
getragen, dass deutsche Aufsichtsräte mit häufig 20 Mit-
gliedern sehr groß sind. Das erschwert offene Diskussio-
nen und zügige Entscheidungen. Es ist bedauerlich, aber
auch bezeichnend, dass die Regierungskommission, die
den Corporate Governance Kodex entwickelt hat, zu
Fragen der paritätischen Mitbestimmung „in Abstim-
mung mit dem Kanzleramt“ – Kommissionsbericht –
keinerlei Empfehlungen abgegeben hat.
Fast alle wichtigen Vorstandsentscheidungen müssen
heute im Konsens mit den Gewerkschaftsvertretern im
Aufsichtsrat gefällt werden. Die Konstellation birgt sys-
tematisch die Gefahr in sich, dass die langfristigen Un-
ternehmensziele den kurzfristigen Gewerkschaftsinteres-
sen zu stark untergeordnet werden. Langfristig sichere
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rbeitsplätze werden so einer nur kurzfristigen Siche-
ung von Lohnniveaus geopfert.
Ein Beispiel der Auswüchse paritätischer Mitbestim-
ung lieferte Verdi-Chef Bsirske, der als Arbeitnehmer-
ertreter im Lufthansa-Aufsichtsrat sitzt und gleichzeitig
ls Gewerkschafter beschäftigungsfeindliche Lohnerhö-
ungen gefordert und teilweise durchgesetzt hat. Diese
onstellation, dass Mitspieler wieder einmal gleichzei-
ig Schiedsrichter sind, lahmt das Wachstumstempo
eutschlands und hebelt den Wettbewerb aus. Der Auf-
ichtsrat als Kontrollorgan muss deshalb gestärkt wer-
en. Statt Konsenssuche mit den Gewerkschaften sind
ffenere Diskussionen und schnellere Entscheidungen
urch kompetentere Aufsichtsräte notwendig.
Die Rückkehr zur Drittelbeteiligung der Arbeitneh-
er in Aufsichtsräten von Kapitalgesellschaften mit
ehr als 2 000 Mitarbeitern ist deshalb geboten. Außer-
em sollte meiner Meinung nach sichergestellt werden,
ass unternehmensfremde Gewerkschaftsfunktionäre
icht als Arbeitnehmervertreter auftreten.
nlage 28
Zu Protokoll gegebene Rede
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Einführung einer Strategischen Umweltprüfung
und zur Umsetzung der Richtlinie 2001/42/EG
(SUPG) (Tagesordnungspunkt 26)
Gerd Friedrich Bollmann (SPD): Wir beraten heute
n erster Lesung das Gesetz zur Einführung der Strategi-
chen Umweltprüfung und damit die Umsetzung der
U-Richtlinie zum „Übereinkommen über die Umwelt-
erträglichkeitsprüfung im grenzüberschreitenden Rah-
en“, die so genannte Strategische-Umweltprüfungs-
ichtlinie.
Den größten Schritt zur Umsetzung dieser Richtlinie
aben wir aber schon gemeinsam getan, und zwar in
orbildlicher Weise: Denn schon beim Europarechtsan-
assungsgesetz Bau ging es – neben vielen anderen He-
ausforderungen – darum, die Prüfung der Umweltaus-
irkungen bestimmter Pläne und Programme in unser
ationales Recht aufzunehmen. Das bald europaweit ein-
eführte Instrument der Umweltprüfung ist nun Bestand-
eil des Bauleitplanverfahrens und wird in die bestehen-
en Verfahrensschritte integriert. Zur Erleichterung der
ommunalen Planungspraxis ist die Umweltprüfung im
ahmen des Baugesetzbuchs jetzt ein so genanntes „Trä-
erverfahren“. Das heißt, die bislang nebeneinander
tehenden planungsrechtlichen Umweltverfahren, die
mweltverträglichkeitsprüfung, die Verträglichkeitsprü-
ung nach der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie und die
aturschutzrechtliche Eingriffsregelung sind in der Um-
eltprüfung sinnvoll zusammengefasst worden. So ist
as Prüfverfahren jetzt umfassender, unbürokratischer,
indeutiger und praktikabler als in der Vergangenheit.
Wir sind bei der Novellierung des Baugesetzbuches in
airer und lösungsorientierter Diskussion zu einer
chnellen und alle zufrieden stellenden Einigung gekom-
10858 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004
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men, obwohl wir dort noch viel einschneidendere Verän-
derungen vorgenommen haben: Außer der Einführung
der Strategischen Umweltprüfung haben wir zum
Beispiel eine Vereinfachung des Planungsrechts vorge-
nommen, städtebauliche Fragen aufgegriffen und einer
Lösung zugeführt. Ferner haben wir neue Regelungen,
insbesondere zu Biomasseanlagen, eingeführt, bei denen
ein angemessener Ausgleich zwischen dem Anliegen der
Förderung der Landwirtschaft und der erneuerbaren
Energien einerseits und dem Schutz des Außenbereichs
und der Sicherung einer geordneten städtebaulichen Ent-
wicklung andererseits vorliegt.
Wir haben mit dem Europaanpassungsgesetz Bau ge-
zeigt, dass wir gemeinsam und ohne viel Gezeter dazu in
der Lage sind, unser Recht überzeugend dem europäi-
schen anzupassen.
Nach dem Bundestag hat nun auch der Bundesrat der
Novellierung des Baugesetzbuchs zugestimmt.
Ein zweiter, kleinerer Schritt zur Umsetzung der
SUP-Richtlinie liegt jetzt vor uns: das Gesetz der Um-
weltverträglichkeitsprüfung zu einem Gesetz der Strate-
gischen Umweltprüfung zu machen. Dies sollten wir
ebenso vernünftig handhaben wie beim Baugesetzbuch.
Das Baugesetzbuch spezifiziert konsequent die allge-
meinen Regelungen des Gesetzentwurfes zur Einführung
der Strategischen Umweltprüfung. Das SUP-Gesetz ist
quasi die Basis, das so genannte „Stammgesetz“ zu allen
ergänzenden oder speziellen SUP-Bestimmungen im
Fachrecht. Das betrifft neben dem Baugesetzbuch auch
noch das Wasserhaushaltsgesetz, für das die fachrechtli-
chen Anforderungen der Strategischen Umweltprüfung
außerdem durch den vorliegenden Entwurf geregelt wer-
den. Im SUP-Gesetz sollen die Durchführung der Um-
weltprüfung bei der Ausarbeitung, Annahme oder Ände-
rung bestimmter Pläne und Programme und die
wesentlichen Verfahrenselemente, wie zum Beispiel die
Ausgestaltung des Umweltberichts oder die der Öffent-
lichkeitsbeteiligung, festgelegt werden.
Es können in diesem Gesetz nur allgemeine und
grundsätzliche Regelungselemente verankert werden.
Und die sind von Europa vorgegeben. Der Entwurf hält
sich sehr eng an die europäische Richtlinie und ich bin
überzeugt, dass wir es auch hier wieder schaffen, die
Strategische Umweltprüfung als eine Chance für unsere
Umwelt sinnvoll und unbürokratisch umzusetzen.
Im Sinne dieser gemeinsamen Aufgabe bitte ich Sie,
meine Damen und Herren, um eine sachliche und lö-
sungsorientierte Diskussion und eine uneitle Zusammen-
arbeit.
Gabriele Lösekrug-Möller (SPD): Zu später Stunde
beraten wir heute in erster Lesung den Entwurf eines Ge-
setzes zur Einführung der Strategischen Umweltprüfung
und zur Umsetzung der SUP-Richtlinie (SUPG).
Wären noch Besucher auf den Zuhörertribünen wür-
den sie – wie sicher auch mancher Kollege – zu Recht
denken: SUP – wieder ein neues Richtlinenkürzel aus
dem wir das SUPG, ein neues Gesetzeskürzel, machen
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ollen. Da ist sicher etwas dran und doch ist es auch in
iesem Fall spannend zu schauen, was sich denn dahin-
er verbirgt.
Zunächst gilt es festzustellen, dass es sich bei dem
esetzgebungsverfahren um eine typische Überführung
iner EU-Richtlinie in nationales Gesetz handelt. Wir
ind dazu verpflichtet, diese Richtlinie umzusetzen und
ies auch in festgelegtem Rahmen. Kurz gesagt: die Zeit
rängt.
Der Gesetzesentwurf des BMU, der die EU-Vorlage
ur Umsetzung in nationales Recht zur Grundlage hat,
st umfangreich und ambitioniert. Er zielt auf Umset-
ung des „Übereinkommens über die Umweltverträg-
ichkeitsprüfung im grenzüberschreitenden Rahmen –
spoo-Konvention“ und einzelner Elemente der Aarhus-
onvention wie die Öffentlichkeitsbeteiligung und den
ugang zu Gerichten. Kurz, es geht um eine EU-Harmo-
isierung und Modernisierung der Umweltverträglich-
eitsprüfung, UVP.
Unsere Aufgabe als Parlamentarier ist es, den Ent-
urf zu prüfen, ihn in seinen Auswirkungen auf die
undesrepublik – auf Bund, Länder und Gemeinden –
u betrachten und zügig sowie in bestmöglicher Form in
ationales Gesetz umzusetzen.
In der heutigen ersten Lesung möchte ich einige Aus-
irkungen skizzieren:
Erstens. Mit dem SUPG wird das UVPG an die neue
U-Richtlinie angepasst. Das bedeutet, dass das UVPG
icht mehr nur die Umweltverträglichkeitprüfung regelt,
ondern auch die strategische Umweltprüfung, die be-
agt, dass UV-Prüfungen schon im Stadium der Plan-
nd Programmphase durchgeführt werden müssen.
Zweitens. In ähnlicher Form hat das zu schaffende
UPG auch wesentlichen Einfluss auf das Wasserhaus-
altsgesetz – WHG –, welches ebenfalls durch frühzei-
ige strategische Umweltprüfungen in der Planphase mo-
ernisiert wird.
Drittens. Aufgrund der früheren Intervention des SUP
ereits in der Planungsphase von Programmen ergeben
ich zusätzliche Verfahrensanforderungen wie die Erstel-
ung eines Umweltberichtes oder der früheren Öffent-
ichkeitsbeteiligung sowie der dazugehörenden Überwa-
hung.
Viertens. Die gerade dargestellte frühere Intervention
etrifft die ganze Bandbreite von umweltauswirkenden
lanungen und Projekten, wie zum Beispiel Lärmminde-
ungs- und Luftreinhaltepläne, alle Bereiche des Hoch-
asserschutzes, die Abfallwirtschaft, die Verkehrswege-
lanung, forstliche Rahmenplanungen, Landschaftspläne
owie FFH-Verträglichkeitsprüfungen.
Fünftens. Ein letzter Bereich der Auswirkungen des
UPG, nämlich die Bereiche Raum- und Bauordnung,
ind bereits vorbildhaft durch die Formulierungen im
AG Bau umgesetzt.
Das zu schaffende SUPG hat erhebliche Veränderun-
en in der Umsetzung von umweltauswirkenden Vorha-
en zur Folge. Es wird aber notwendig, weil sich gezeigt
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10859
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hat, dass unser bisheriges Handwerkszeug, das UV-Prüf-
verfahren, oft zu spät kam, um unliebsame Folgen für
die Umwelt und unseren Lebensraum auszuschließen. Es
wird nötig, weil es gerade im Umweltbereich zur Akku-
mulation von negativen Auswirkungen in den Folgejah-
ren kommt, die mit dem bisherigen UV-Prüfverfahren
nicht berücksichtigt werden konnten. Andererseits sind
die Auswirkungen auf die deutsche Gesetzgebung gerin-
ger, weil wir mit dem Instrument des UVP schon den
Vorläufer gesetzlich verankert haben.
Ein wesentlicheres Ziel als die EU-weite Rechtshar-
monisierung durch Umsetzung in nationales Recht ist,
dass viele Länder durch die SUP-Richtlinie erstmalig ein
Gesetz erhalten, das Umweltprüfverfahren zwingend
vorschreibt.
Ich schlage vor, dass wir in ähnlicher Form wie in der
oben genannten EAG-Bau-Gesetzgebung vorgehen, um
eine zügige Umsetzung der SUP EU-Richtlinie zu errei-
chen. Das Verfahren war geprägt durch konstruktive Zu-
sammenarbeit zwischen Regierungskoalition und Oppo-
sition sowie zielführende Gesprächskultur.
Ich bin der Überzeugung, das gelingt uns wieder.
Meinen Teil trage ich gerne dazu bei. Die von uns Be-
richterstattern auf den 29. September 2004 festgesetzte
Anhörung wird uns vermutlich eine Reihe von Anregun-
gen geben, die wir in die parlamentarische Arbeit auf-
nehmen werden.
Marie-Luise Dött (CDU/CSU): Am Dienstag war es
auf Seite 4 des „Tagesspiegels“ zu lesen: „Die Bundesre-
gierung nimmt einen neuen Anlauf zum Bürokratieab-
bau“. Im Bundeskabinett gibt es aber eine Person, die
permanent in entgegengesetzter Richtung tätig wird:
Bundesumweltminister Jürgen Trittin.
Neuester Beweis ist das Gesetz über die Strategische
Umweltprüfung. Kein geringerer als der deutsche Um-
weltminister hat das Thema der strategischen Umwelt-
prüfung in den Verhandlungen im Rat 1999 forciert. Zu-
vor war das SUP-Projekt von den jeweiligen
Präsidentschaften nicht mit Priorität verfolgt worden.
Nun muss die aus diesen Bemühungen entstandene
Richtlinie in deutsches Recht umgesetzt werden.
Insgesamt ist dies ein voller Erfolg für den Bun-
desumweltminister. Nur leider sind die schönen neuen
Regelungen in Deutschland überflüssig. Das geltende
deutsche Umweltrecht stellt auch ohne Einführung einer
strategischen Umweltprüfung sicher, dass Umweltbe-
lange vollständig und umfassend bei der Entscheidung
über einen Plan oder ein Programm berücksichtigt wer-
den. Es handelt sich daher bei der Umsetzung der EU-
Richtlinie um die Integration überflüssiger Vorschriften,
also um die Erledigung einer formalen Pflicht ohne er-
kennbaren materiellen Ertrag. Das Thema der unnötigen
Bürokratie zieht sich wie ein roter Faden nicht nur durch
die Vita des Herrn Trittin, sondern auch durch das ge-
samte SUP-Gesetz. Zum einen wird die Richtlinie nicht
1:1 umgesetzt. Wie schon bei der Umweltverträglich-
keitsprüfung ist auch hier wieder die Beschreitung eines
deutschen Sonderweges zu beobachten. Bundesdeut-
sches Recht wird stärker einschränkend umgesetzt, als es
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ie europäischen Richtlinien vorsehen. Insbesondere die
aragraphen 14 b), f), g), und i) gehen weit über den
ichtlinientext hinaus.
Ich möchte die Kurzsichtigkeit dieses Vorgehens kurz
m Beispiel des Umweltberichtes erläutern. Die Erstel-
ung des Umweltberichtes durch die zuständige Behörde
st ein wesentlicher Verfahrensschritt der strategischen
mweltprüfung. Für die Bewertung des Umweltberich-
es wird auf den autonomen Bewertungsmaßstab der
mweltverträglichkeitsprüfung verwiesen. Mit diesem
ewertungsmaßstab haben die zuständigen Behörden
ereits Erfahrungen gesammelt, die gezeigt haben, dass
ieser Ansatz nur bedingt praxistauglich ist. Die verunsi-
herten Behörden verlangen von den Planungsträgern
um Teil Untersuchungen, die für die Planungsentschei-
ung letztlich nicht relevant sind. Es werden also völlig
berflüssige Anforderungen gestellt, die keinerlei
weck erfüllen. Das bedeutet nicht nur zusätzliche Kos-
en für den Vorhabenträger, sondern auch einen Kosten-
prung für die öffentliche Verwaltung!
Des Weiteren sollte die strategische Umweltprüfung
it der Umweltverträglichkeitsprüfung ausreichend ge-
oppelt werden. Die Abgrenzung der beiden Instrumente
ällt selbst Fachleuten schwer. Auch sind die Anforde-
ungen weitgehend deckungsgleich. Allein in der Phase
er Anwendung besteht der entscheidende Unterschied.
eswegen ist eine Substituierung der Anforderungen bei
leichzeitiger Erfüllung des anderen Instrumentes die lo-
ische Schlussfolgerung. Doppelregelungen und Dop-
elbelastungen können dadurch vermieden werden.
Es muss das Ziel sein, die Umsetzung des EU-Rechts
o zu erfüllen, dass staatliche Planung weiterhin in ver-
retbaren Zeiträumen und mit vertretbarem Aufwand zu
ichtigen Entscheidungen kommen kann.
In Deutschland brauchen Planungsverfahren mitunter
inige Jahre. In Anbetracht der Fülle der Regelungen,
ie bei einem solchen Vorhaben einzuhalten sind, sollte
ich der Gesetzgeber mit weiteren Normierungen zu-
ückhalten, jedenfalls dann, wenn sie – so wie hier – kei-
en zusätzlichen Nutzen haben.
Die Gelegenheit war günstig. Im Zuge der Integration
er strategischen Umweltprüfung hätten auch die
chwachstellen des Stammgesetzes, des UVP-Gesetzes,
ehoben werden können. Das geltende Recht hätte ver-
infacht und korrigiert werden können. Aber anstatt aus
en bereits begangenen Fehlern zu lernen, werden diese
m Falle der strategischen Umweltprüfung wiederholt.
nstelle einer schlanken, bürokratiearmen Umsetzung,
rleben wir die Perpetuierung des Bürokratismus.
Franz Obermeier (CDU/CSU): Fast schon gewohn-
eitsmäßig wird auch diese EU-Richtlinie wieder einmal
n letzter Minute umgesetzt. Heute die erste Lesung, soll
ie bis zum 21. Juli schon in nationales Recht umgesetzt
orden sein. Für eine intensive sachliche Auseinander-
etzung fehlt eigentlich die Zeit.
Grundsätzlich zu begrüßen ist der Gedanke, dass eine
mweltprüfung nunmehr bereits ganz am Anfang von
lanungen stehen soll. Das betrifft unter anderem Pläne
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im Abfallrecht, Immissionsschutzrecht, Wasserrecht, im
Baurecht bzw. Raumordnungsrecht. Es wird also nicht
erst am Ende, erst bei der Zulassung von Einzelprojek-
ten, eine systematische Umweltprüfung durchgeführt.
Das bedeutet im Prinzip eine Stärkung der Positionen
des Umweltschutzes, wenn es richtig gemacht wird.
Herausgreifen möchte ich den Bundesverkehrswege-
plan. In der Vergangenheit hat man sich in der Regel erst
bei der Linienbestimmung nach dem Fernstraßengesetz
intensiv auch mit den Umweltaspekten befasst. Resultat
war, dass diese angesichts der Festschreibungen im Bun-
desverkehrswegeplan kaum mehr Eingang gefunden ha-
ben. Das könnte jetzt besser werden.
Ich sage ausdrücklich: könnte. Denn ich möchte aus
gegebenem Anlass davor warnen, dieses neuerliche Prü-
fungsverfahren mit allzuviel Regelungen zu überfrach-
ten. Die vorgeschriebenen Umweltprüfungen, wie die
neue Strategische, die Umweltverträglichkeitsprüfung
und die Verträglichkeitsprüfung nach FFH müssen mög-
lichst parallel und in Abschichtung durchgeführt wer-
den. Da auch landesrechtliche Pläne und Programme be-
troffen sind, auch solche unterschiedlicher Ressorts,
müssen neue Regelungen getroffen werden. Wir brau-
chen schlanke, unbürokratische Gesetze auch auf Lan-
desebene. Es ist schon schade genug, dass der deutsche
Einfluss von Bund und Ländern nicht gereicht hat, die
EU-Richtlinie verfahrensmäßig gehörig abzuspecken.
Aber immerhin konnte das Schlimmste verhindert wer-
den.
Ich appelliere an alle Beteiligten im künftigen Gesetz-
gebungsverfahren auf Bundes und Landesebene: Tun sie
alles, um Überregulierungen abzuwehren und zu vermei-
den!
Die Hauptlast bei der Umsetzung werden die Länder
zu schultern haben. Die notwendigen Ergänzungen der
Landesplanungsgesetze müssen mit Augenmaß vorge-
nommen werden. So müssen beispielsweise im Raum-
ordnungsrecht die Träger der Landes- und Regionalpla-
nung erst noch Erfahrungen sammeln, wie die Richtlinie
in der planerischen Praxis adäquat umgesetzt werden
kann. Hier brauchen wir realistische Vorgaben, die von
den Trägern auch leistbar sind. Kontraproduktiv ist hier
eine zu große Einengung der Länder bei der Ausgestal-
tung der Verfahrensvorschriften. Die Bundesregierung
sollte sich speziell beim UVPG-Entwurf noch einmal ge-
nauer mit dem Begriff „materieller Standard“ in § 140
Abs. 2 befassen. Man könnte zu der Auslegung gelan-
gen, dass er sich unter anderem auf die detaillierten Re-
gelungen der §§ 14 ff. UVPUG-E bezieht. Das aber wäre
das Aus für den Landesgesetzgeber. Denn damit hätte
der Bund bereits eine Vollregelung getroffen. Spielraum
für die Länder gäbe es dann keinen mehr. Also fordere
ich hier mindestens eine Klarstellung. Im Ergebnis muss
den Ländern genügend gesetzgeberischer Handlungs-
spielraum zugestanden werden. Denn nur so können die
zusätzlichen Belastungen durch die SUP – das sind ein
hoher Verwaltungs- und Vollzugsaufwand und natürlich
auch entsprechend höhere Kosten – noch am besten auf-
gefangen werden. Am Ende sind es die Kommunen, bei
denen noch mehr Kosten entstehen, denn sie sind es, die
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ür die Ausarbeitung, Annahme und Änderung von Ab-
allwirtschaftsplänen, Lärmminderungs- und Luftrein-
alteplänen zuständig sind.
Gelebte Subsidiarität als Ausdruck von Kostenbe-
usstsein. Lassen Sie die Länder selbst bestimmen wie
ie die Strategische Umweltprüfung am besten und kos-
engünstigsten einbauen. Das wäre auch ein wichtiger
eitrag zum sparsamen Umgang mit Steuermitteln.
Zu diesem Thema passt, dass die Bundesregierung
en Behörden im SUPG auch gleich die Möglichkeit
inräumen will, externe Sachverständige und Dritte zu
eauftragen (geregelt in § 14 f. Abs. 4, Satz 3 SUPG).
as geht eindeutig über den Richtlinientext hinaus. Ich
enke, man sollte den Behördenmitarbeitern ruhig etwas
utrauen und nicht gleich Beraterverträge wie einen Au-
omatismus einbauen. Der Bürger hat dafür sicher kaum
erständnis. Also weg damit.
Ich fordere Sie auf: Setzen Sie das Europarecht mit
lugheit und Umsicht um! Wählen Sie integrative An-
ätze und nutzen Sie Synergien im Verhältnis zu bereits
estehenden Vorschriften.
Bei uns in Bayern gilt dazu der Grundsatz der Eins-
u-eins-Umsetzung von Europarecht. Das möchte ich
uch allen anderen Ländern und besonders der Bundes-
egierung ans Herz legen. Wir haben bei uns bereits hohe
mweltstandards. Bei allem Bemühen dürfen wir nicht
ber das Ziel hinauszuschießen und unsere Nachbarn
mweltpolitisch links auf der Raserspur überholen.
Wir müssen auch an unseren Wirtschaftsstandort
eutschland denken und dürfen uns nicht noch selbst zu-
ätzliche Fesseln anlegen, die wir nicht mehr abstreifen
önnen.
Birgit Homburger (FDP): Das SUP-Gesetz dient
er Umsetzung der Richtlinie über die Prüfung der Um-
eltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme
om 27. Juni 2001. Die Richtlinie muss bis zum 20. Juli
004 in nationales Recht umgesetzt werden. Diesen Ter-
in werden wir – wieder einmal – nicht einhalten kön-
en, da Bundesumweltminister Trittin sich wieder ein-
al nicht rechtzeitig um eine Umsetzung gekümmert
at. Daher kann der Gesetzentwurf erst heute in erster
esung debattiert werden.
Ziel der Regelungen ist es dazu beizutragen, dass
mwelterwägungen bei der Ausarbeitung und Annahme
on Plänen und Programmen einbezogen werden. Es soll
afür gesorgt werden, dass bestimmte Pläne und Pro-
ramme, die voraussichtlich erhebliche Umweltauswir-
ungen haben, einer strategischen Umweltprüfung ent-
prechend der Richtlinie unterzogen werden. Diese
mweltauswirkungen können und sollen frühzeitig be-
eits auf der Ebene der Planung und nicht erst im Zulas-
ungsverfahren erkannt werden.
Die FDP unterstützt das Ziel der frühzeitigen Berück-
ichtigung der Umweltbelange, denn damit wird verhin-
ert, dass ökologische Fragen übersehen werden und
ehler passieren, die sich im Zulassungsverfahren nicht
ehr korrigieren lassen. Auch für die Wirtschaft ist dies
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10861
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von Vorteil, denn damit kann frühzeitig Klarheit und
Planungssicherheit geschaffen werden.
Aus Sicht der FDP muss bei der Umsetzung der
Richtlinie auf praktikable, unbürokratische Regelungen
geachtet werden. Überflüssige deutsche Sonderwege
lehnt die FDP ab. Laut Antwort der Bundesregierung auf
eine Kleine Anfrage der FDP setzt das SUPG die Richt-
linie „europarechtssicher“ um. Damit wird umschrieben,
dass wieder einmal eine EG-Richtlinie nicht eins zu eins
umgesetzt werden soll. In der Tat scheint es wenig
plausibel, wenn selbst Pläne, die aus spezifischen Um-
weltschutzgründen aufgestellt werden, selbst in den Gel-
tungsbereich des Gesetzes einbezogen und auf Umwelt-
auswirkungen geprüft werden sollen.
Zweifellos wird die strategische Umweltprüfung auf-
grund der neuen Prüfpflichten mit weiterem Zeitauf-
wand und Kosten verbunden sein. Die Kosten sind
derzeit laut Gesetzesbegründung noch nicht einmal ab-
schätzbar. Der Gewinn für die Umwelt muss aber den
Aufwand rechtfertigen und darf nicht nur marginal aus-
fallen. Überflüssige Prüfpflichten und Prüfverfahren
lehnt die FDP ab. Sie verursachen nämlich nicht nur un-
nötige Kosten, sondern binden auch Personal, das an an-
derer Stelle zum Beispiel auch für Umweltschutzaufga-
ben nicht eingesetzt werden kann. Sie sind damit unter
ökologischen und ökonomischen Gesichtspunkten kon-
traproduktiv.
Die FDP wird sich konstruktiv an den weiteren Bera-
tungen beteiligen, in der Hoffnung auf eine vernünftige
Umsetzung der Richtlinie. Voraussetzung dafür ist, dass
Rot-Grün endlich einmal eine gründliche politische Aus-
einandersetzung im Umweltausschuss zulässt.
Jürgen Trittin, Bundesminister für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit: Das Gesetz zur Einfüh-
rung einer Strategischen Umweltprüfung passt das deut-
sche Planungsrecht an die europäische Richtlinie zur
Strategischen Umweltprüfung an. Bei umweltbedeutsa-
men Planungsverfahren sollen künftig die Folgen für die
Umwelt systematisch geprüft werden – also zum Bei-
spiel bei der Bundesverkehrswegeplanung, der Abfall-
wirtschaftsplanung und bei Plänen zur Luftreinhaltung
und zum Lärmschutz.
Das Gesetz ist in mehrfacher Hinsicht eine deutliche
Verbesserung: Es verhindert Fehlplanungen. Es verbes-
sert die Beteiligung der Bürger. Es schließt europa-
rechtskonform die Lücke zur Umweltverträglichkeits-
prüfung.
Planerische Entscheidungen darüber, wo Industriean-
lagen errichtet oder Hauptverkehrsstraßen gebaut wer-
den, sollen künftig erst getroffen werden, nachdem zu-
vor systematisch Umweltauswirkungen geprüft und
bewertet wurden. Das nützt der Umwelt und verhindert
teure Fehlplanungen.
Die bisherige Umweltverträglichkeitsprüfung setzt
erst im Genehmigungsverfahren an. Sie kann Umwelt-
defizite früherer Planungsverfahren nicht erfassen. Des-
halb brauchen wir auf der Planungsebene eigenständige
Strategische Umweltprüfungen. Die Strategische Um-
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eltprüfung schafft Klarheit und Transparenz. Die Be-
örden müssen künftig neben dem Planentwurf einen
mweltbericht ausarbeiten. Darin müssen sowohl alle
elevanten Umweltauswirkungen des Plans aufgeführt
nd bewertet werden als auch Planungsalternativen. Das
esetz gibt dafür ein Prüfraster und Bewertungsmaß-
täbe vor. Damit wird sichergestellt, dass Behörden und
arlamente eine belastbare Daten- und Entscheidungs-
rundlage bekommen.
Die Öffentlichkeit muss von Anfang an am Planungs-
rozess beteiligt werden. Das schafft mehr und breitere
nformationen und zugleich mehr Akzeptanz. Der Plan-
ntwurf und der Umweltbericht müssen öffentlich aus-
elegt werden, damit Bürger und Verbände ihre Vorstel-
ungen einbringen können. Die Behörde darf diese
ußerungen nicht ungeprüft zur Seite legen, sondern sie
uss sich mit ihnen auseinander setzen und anschlie-
end erklären, wie sie die Stellungnahmen berücksich-
igt hat. Die Beteiligung steht also nicht nur „auf dem
apier“, sondern sie muss wirksam und nachprüfbar
raktiziert werden.
Der Gesetzentwurf setzt die Richtlinie zur Strategi-
chen Umweltprüfung europarechtssicher um. Sie ken-
en das leidige Problem der UVP-Gesetze früherer Re-
ierungen, die dem Europäischen Gerichtshof nicht
tandhielten. Das wird es bei der Strategischen Umwelt-
rüfung nicht mehr geben.
Das Gesetz zur Strategischen Umweltprüfung setzt
ohe Prüfanforderungen einfach und effizient um. Die
orge, hier kämen neue bürokratische Erschwernisse auf
ie Behörden zu, ist unbegründet. Der Gesetzentwurf
nthält klare Regelungen, um Mehrfachprüfungen und
berflüssigen Aufwand zu verhindern. Vor allem können
ie Ergebnisse der Strategischen Umweltprüfung auch
ür andere Planungs- und Zulassungsverfahren genutzt
erden. Das erspart Arbeit. Die Strategische Umwelt-
rüfung kann auch mit anderen Prüfverfahren – zum
eispiel einer FFH-Verträglichkeitsprüfung – verbunden
erden.
Die Verwaltungen sollten diese Möglichkeiten nut-
en. Tun sie es nicht, müssen sie sich im Falle vermeid-
arer Mehrarbeit an die eigene Nase fassen.
Das Gesetz bringt ein deutliches Plus für die Umwelt
nd mehr Planungssicherheit. Davon profitieren Bund,
änder, Kommunen, Unternehmen und die Umwelt glei-
hermaßen.
nlage 29
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Verbesserung des unfallversicherungsrechtli-
chen Schutzes bürgerschaftlich Engagierter
und weiterer Personen (Tagesordnungs-
punkt 30)
Peter Dreßen (SPD): „Bürgerschaftliches Engage-
ent ist eine unverzichtbare Bedingung für den
usammenhalt unserer Gesellschaft“. Mit dieser
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Grundüberzeugung hat der Deutsche Bundestag in der
vergangenen Legislaturperiode die Enquete-Kommis-
sion „Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements“
eingesetzt. Nach ihrer zweijährigen Arbeit hat die Kom-
mission den politischen Entscheidungsträgern Hand-
lungsempfehlungen gegeben, wie wir die Rahmenbe-
dingungen für bürgerschaftlich Engagierte verbessern
können. Ein zentrales Anliegen der Kommission war die
Gewährleistung eines angemessenen Unfallversiche-
rungsschutzes.
Ehrenamtlich engagierte Personen leisten einen wich-
tigen Beitrag für unser Gemeinwesen. Deshalb sollte die
Solidargemeinschaft diesen Personenkreis gegen Unfall-
risiken absichern. Diese Ansicht teilen wir und deshalb
setzen wir nun die Empfehlung der Kommission um.
Mehr als 2 Millionen bürgerschaftlich Engagierte wer-
den künftig von einem verbesserten Unfallschutz profi-
tieren.
Wichtig ist es mir, an dieser Stelle zu bemerken, dass
wir mit dem vorliegenden Gesetz keinen umfassenden
Versicherungsschutz für Tätigkeiten jedweder Art bieten
können, nicht nur angesichts der leeren öffentlichen
Kassen, sondern auch aufgrund der Tatsache, dass Frei-
willigenarbeit sich eben genau dadurch auszeichnet, dass
kein Gegenwert – beispielsweise durch eine Berücksich-
tung bei der Rente – erwartet wird. Deswegen geht es
uns bei dem vorliegenden Gesetz vor allem darum, be-
stehende Sicherheitslücken zu schließen.
Künftig gilt: Wer im öffentlichen Interesse ehrenamt-
lich tätig wird, ist versichert. Das kann in Hilfsorganisa-
tionen, in Gewerkschaften, in Arbeitgeberverbänden
oder in Kommunen sein. Bei der ehrenamtlichen Tätig-
keit in der Kommune wird es von nun an nicht einmal
mehr eine Rolle spielen, ob der Engagierte direkt für die
Kommune oder mittelbar als Vereinsmitglied aktiv ist.
Konkret heißt das: Wenn, wie in meinem Wahlkreis
Emmendingen-Lahr, Freibäder durch Bürgerinitiativen
betrieben werden, so sind die dort Engagierten künftig
unfallversichert. Ebenso werden im Sportverein von nun
an nicht mehr nur der Übungsleiter, sondern auch der
Vereinsvorsitzende und der Sportwart unfallversichert
sein. Auch Personen, die für Gewerkschaften oder Ar-
beitgeberverbände in Tarifkommissionen tätig sind, wer-
den künftig vom Schutz der gesetzlichen Unfallversiche-
rung profitieren. Dasselbe gilt ebenso für kommunale
Mandatsträger, Schöffen bei Gericht oder Schülerlotsen.
Ehrenamtliche beim Roten Kreuz, beim Technischen
Hilfswerk oder bei einer anderen Hilfsorganisation be-
kommen künftig Sachschäden ersetzt. Das kann das
Handy sein, das bei der Rettung von Ertrinkenden verlo-
ren oder die Uhr und die Brille, die beim Einsatz zu
Bruch geht. Damit werden auch diese ehrenamtlich En-
gagierten durch unser Gesetz besser gestellt.
Kirchen und gemeinnützige Organisationen, wie zum
Beispiel Sportvereine, können ihre Ehrenamtsträger mit
dem vorliegenden Gesetz künftig freiwillig versichern.
Auch wird der Schutz auf Beschäftigte ausgeweitet, die
zeitweise für internationale Organisationen arbeiten und
sich bislang privat unfallversichern mussten.
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Mit diesen Neuregelungen verbessern wir die Rah-
enbedingungen für ehrenamtlich Engagierte und damit
st dieses Gesetz ein weiterer richtiger Schritt bei der
örderung und Anerkennung von bürgerschaftlichem
ngagement.
Gerald Weiß (CDU/CSU): Im Grundsatz begrüßt die
DU/CSU-Bundestagsfraktion den vorliegenden Ge-
etzentwurf. Allerdings sehen wir im Detail Nachbesse-
ungsbedarf.
Mit der Verabschiedung dieses Gesetzes wird der
eutsche Bundestag noch bestehende Lücken im Versi-
herungsschutz der Ehrenamtlichen in privatrechtlichen
rganisationen schließen.
Zu den aus unserer Sicht noch offenen Detailfragen:
Der Gesetzentwurf sieht eine Neufassung des § 2
bs. 1 Nr. 10 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch vor.
er § 2 SGB VII definiert den Kreis der kraft Gesetzes
ersicherten. Im Gesetzentwurf findet sich in der Nr. 10
etzt eine Untergliederung in die Buchstaben a bis c. Da-
it wird der Kreis der Versicherten sinnvoll erweitert.
Die Erfahrung zeigt, dass Gebietskörperschaften Auf-
aben, die sie bislang selbst wahrgenommen haben, ver-
ehrt durch bürgerschaftlich Engagierte unentgeltlich
rfüllen lassen. Deshalb erfolgt die Neufassung des § 2
bs. 1 Nr. 10 a.
Der geltende § 2 Abs. 2 SGB VII besagt, dass Perso-
en, die wie Beschäftigte tätig werden, wie diese kraft
esetzes versichert sind. Die angesprochenen bürger-
chaftlich Engagierten fallen jedoch nicht unter diese
estimmung, weil sie nicht als Einzelpersonen, sondern
ür ihre privatrechtliche Organisation – zum Beispiel ih-
en Verein – auftreten. Deshalb besteht nach der gelten-
en Rechtslage bislang kein Versicherungsschutz.
Mit dem vorliegenden Gesetz soll erreicht werden,
ass der Versicherungsschutz besteht, wenn die Gebiets-
örperschaft zur Durchführung eines konkreten Vorha-
ens einen Auftrag erteilt oder ihre Zustimmung erklärt
at. Notfalls genügt eine nachträgliche Einverständniser-
lärung. Die Zuständigkeit für den Versicherungsschutz
iegt – so die Begründung des Gesetzentwurfes – bei den
nfallversicherungsträgern der öffentlichen Hand. Wenn
iese Zuordnung auch nach den parlamentarischen Bera-
ungen bestehen bleiben sollte, sollte dies zur Klarstel-
ung auch im Gesetzestext verankert werden.
Eine Ausweitung religionsgemeinschaftlicher Aufga-
en findet auch im kirchlichen Bereich statt. Auch hier
bernimmt zumeist eine privatrechtliche Organisation
en Auftrag oder erhält die Zustimmung einer Kirche.
ierfür wird die gleiche Lösung gefunden wie beim En-
agement für die Gebietskörperschaften. Die Mehrkos-
en für diesen Versicherungsschutz tragen die öffentlich-
echtlichen Religionsgemeinschaften. Der Gesetzent-
urf schätzt diese Mehrkosten auf etwa 4 Millionen
uro.
Der Gesetzentwurf sieht vor, diese beiden Gruppen
hrenamtlicher durch die Unfallversicherungsträger der
ffentlich-rechtlichen Körperschaften versichern zu las-
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10863
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sen. Dies bedeutet in der Zuordnung einen systemati-
schen Bruch im SGB VII. Denn bislang entscheidet sich
die Zuständigkeit des Unfallversicherungsträgers immer
nach dem Arbeitgeber bzw. der Organisation, für die die
jeweils Tätigen aktiv werden. Es richtet sich nicht nach
dem Auftraggeber. Ein Bauarbeiter ist bei seiner Bau-
BG versichert und nicht bei der Metall-BG des Stahl-
werks, für die er ein neues Gebäude hochzieht.
Der Gesetzentwurf orientiert sich bei der Versiche-
rung der Ehrenamtlichen am Auftraggeber, also der öf-
fentlichen Hand oder einer Kirche. Setzt man die beste-
hende Systematik fort, müssten die Ehrenamtlichen über
ihre privatrechtliche Organisation grundsätzlich bei ei-
ner gewerblichen Berufsgenossenschaft versichert sein.
Es spricht viel dafür, die bestehende Systematik fortzu-
setzen. Allerdings müsste man in der Ausschussberatung
ein möglichst einfaches Verfahren erarbeiten.
Bleibt man bei der Zuordnung zu den Unfallversiche-
rungsträgern der öffentlich-rechtlichen Körperschaften,
dann liegt es nahe, zwischen den in den Nr. 10 a und b
genannten Körperschaften und den in deren Auftrag oder
mit deren Zustimmung ehrenamtlich für eine privat-
rechtliche Organisation Tätigen eine „die Versicherung
begründende Beziehung“ anzunehmen. Vereinfacht ge-
sagt, es wird so getan, als wenn Herr Müller, der Mit-
glied eines Bürgervereins ist und ehrenamtlich für seine
Gemeinde arbeitet, mit seiner Gemeinde ein „Arbeits-
verhältnis“ hätte. Der Bürgerverein stünde in der rechtli-
chen Betrachtung nicht zwischen der Gemeinde und
Herrn Müller. Es gäbe ein direktes Verhältnis zwischen
Herrn Müller und seiner Gemeinde. Rechtstechnisch
könnte dies zum Beispiel durch die Ergänzung des § 136
Abs. 3 SGB VII um eine fünfte Ziffer sichergestellt wer-
den.
Diese würde dann lauten: Unternehmer ist,
„5. … in den Fällen des § 2 Abs. 1 Nr. 10 a und b
der Rechtsträger, in dessen Auftrag oder mit dessen
Zustimmung ehrenamtliche Tätigkeiten oder hierauf
gerichtete Ausbildungsveranstaltungen im Rahmen
privatrechtlicher Organisationen erfolgen.“
Ehrenamtliche in Arbeitgeberorganisationen oder Ge-
werkschaften erhalten künftig ebenfalls den umfassen-
den gesetzlichen Unfallversicherungsschutz. Damit wird
eine Gleichstellung mit ehrenamtlich Tätigen in den
Handwerkskammern und in den Industrie- und Handels-
kammern hergestellt. Als Mitglieder in öffentlich-recht-
lichen Körperschaften genießen sie bereits nach bisheri-
ger Rechtslage Versicherungsschutz. Selbstverständlich
ist diese wünschenswerte Ausweitung des Versicherten-
schutzes allerdings nicht. Sie kann deshalb erfolgen,
weil Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände wie auch
Gewerkschaften Träger der verfassungsrechtlich ge-
währleisteten Koalitionsfreiheit sind. Deshalb erscheint
auch uns die Erweiterung trotz des privatrechtlichen
Charakters dieser Organisationen gerechtfertigt.
Außerdem erscheint es sinnvoll, das Verhältnis zwi-
schen dem bislang kraft Gesetzes bestehenden Versiche-
rungsschutz für ehrenamtlich Tätige und der Möglich-
keit der freiwilligen Versicherung eindeutiger zu regeln.
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Weitere Details sollten den Ausschussberatungen vor-
ehalten bleiben.
Der Gesetzentwurf ist ein begrüßenswerter Schritt in
ie richtige Richtung und wir hoffen auf konstruktive
eratungen im Ausschuss.
Gerlinde Kaupa (CDU/CSU): Über 21 Millionen
enschen sind in Deutschland ehrenamtlich engagiert.
hne bürgerschaftliches Engagement geht in vielen ge-
ellschaftlichen Bereichen in unserem Land gar nichts:
icht im sozialen, nicht im kirchlichen, nicht im kulturel-
en Bereich, nicht im Sport, nicht in der Rechtspflege,
icht beim Gesundheitsdienst, nicht beim Katastrophen-
chutz und nicht im Rettungswesen.
Überall setzen sich die Menschen freiwillig, uneigen-
ützig und unentgeltlich für einen gemeinnützigen
weck ein. Man kann also mit Fug und Recht sagen: Die
hrenamtlichen halten unsere Gesellschaft zusammen.
Wer sich engagiert, läuft natürlich auch Gefahr, in
usübung seiner ehrenamtlichen Tätigkeit an Leib, Le-
en und Gesundheit Schaden zu nehmen. Das damit ver-
undene finanzielle Risiko wird er aber nicht tragen kön-
en und wollen. Da er sich für das Gemeinwesen
insetzt, ist es nur gerecht, dass der ehrenamtlich Tätige
uch den solidarischen Schutz der Gemeinschaft bean-
prucht, wenn es einmal notwendig werden sollte.
Der Gefahr von möglichen Schadensereignissen und
en daraus resultierenden finanziellen Folgen sind sich
ie ehrenamtlichen Helfer, aber auch die Vereine nicht
mmer hinreichend bewusst. Der Versicherungsschutz ist
ftmals lückenhaft. Deshalb tut eine Verbesserung des
esetzlichen Versicherungsschutzes für bürgerschaftlich
ngagierte Not.
Das unionsregierte Hessen und Niedersachsen haben
wischenzeitlich für ihren Bereich gehandelt. Sie haben
ls Auffangregelung Rahmenverträge für einen Unfall-
nd sogar einen Haftpflichtversicherungsschutz abge-
chlossen. Damit sind die dort lebenden Bürger während
er Ausübung ihres Ehrenamtes unfallversichert. Die
rbeit der verantwortlich Tätigen im Vorstand genießt
ostenlosen Haftpflichtschutz, Selbstbehalt.
Wir begrüßen, dass jetzt auch die Regierungskoalition
ür den Zuständigkeitsbereich des Bundes die bestehen-
en Lücken beim Unfallversicherungsschutz schließen
ill. Der Gesetzentwurf war allerdings auch überfällig,
achdem Sie Zeit haben verstreichen lassen, weil sie
ich offenbar geziert haben, mit uns gemeinsam einen
ntwurf hier im Bundestag einzubringen. Es ist ohnehin
enig genug, was die Bundesregierung für das Ehren-
mt tut. Die Enquete-Kommission „Zukunft des Bürger-
chaftlichen Engagements“ hatte in der vergangenen Le-
islaturperiode in ihren Handlungsempfehlungen eine
eihe von Forderungen aufgestellt, denen die Regie-
ungskoalition bis heute nicht nachkommt. Im Unteraus-
chuss „Bürgerschaftliches Ehrenamt“ drücken Sie sich
ach wie vor um entsprechende Anträge der Union, mit
enen die Handlungsempfehlungen der Enquete-Kom-
ission aufgegriffen werden.
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Die mit dem vorgelegten Gesetzentwurf verbundenen
finanziellen Belastungen für den Bund sind absolut zu
vernachlässigen. Vielleicht ist es diesem Umstand zu
verdanken, dass zugunsten des Ehrenamtes wenigstens
der Versicherungsschutz für Ehrenamtliche behandelt
wird. Für die Kommunen mit 150 000 Euro Kostenbe-
lastung und die öffentlich-rechtlichen Religionsgemein-
schaften mit 4 Millionen Euro sind da die erheblich grö-
ßeren Belastungen zu schultern. Aber sei es drum: Die
Gesetzesvorlage entspricht in ihrer Zielsetzung der For-
derung der Enquete-Kommission, das ehrenamtliche
Engagement nachhaltig zu fördern. Der Gesetzentwurf
erweitert den Personenkreis, für den ein gesetzlicher Un-
fallversicherungsschutz besteht. Er trägt der Entwick-
lung Rechnung, dass der Kreis privatrechtlicher Organi-
sationen, die mit der Wahrnehmung ehrenamtlicher
Tätigkeiten betraut sind, im Bereich öffentlicher Aufga-
benerfüllung und religionsgemeinschaftlichen Wirkens
ständig ausgeweitet wird und er sorgt mit seiner einheit-
lichen Regelung für mehr Transparenz und Vereinfa-
chung. Das ist gut so.
Ich möchte zwei Beispiele nennen. Erstens:
Schwimmbad. Wenn Bürger den Betrieb eines
Schwimmbades von der Kommune übernehmen, dann
macht es nach bisher gültiger Rechtslage einen Unter-
schied, ob sich die Bürger zu diesem Zweck als Verein
haben eintragen lassen oder nicht. Vereinsmitglieder ha-
ben bisher keinen gesetzlichen Unfallversicherungs-
schutz; eine nicht so organisierte Vereinigung kann ihn
dagegen in Anspruch nehmen. Nach dem neuen Recht
wird diese verwirrende Handhabung beendet. Gesetzli-
cher Versicherungsschutz würde in diesem Fall jetzt un-
abhängig von der Organisationsform der Ehrenamtlichen
gewährt.
Zweitens: Sportverein. Hier erscheint mir die Rege-
lung sehr wichtig, die den gewählten Ehrenamtsträgern
jetzt wenigstens die Möglichkeit einräumt, sich freiwil-
lig zu versichern. Das heißt, der Verband versichert sei-
nen Vorsitzenden freiwillig auf Kosten des Verbandes.
Es war bisher auch gar nicht einzusehen, dass ausgerech-
net die Vorstandsmitglieder eines Vereins, die in dieser
Funktion in besonderer Weise Verantwortung tragen,
weder einen gesetzlichen noch einen freiwillig erzielba-
ren Versicherungsschutz genießen sollten.
Einen Haken hat die Sache allerdings für die nicht
rechtsfähigen Vereine wenn es dabei zugegebenermaßen
auch nur um den kleinsten Teil der Vereine geht: Sie
bleiben von der Regelung ausgeklammert. Nur die als
gemeinnützig anerkannten Vereine, also die eingetrage-
nen Vereine – e. V. –, werden von der Regelung einbezo-
gen. Hier sind ergänzende Regelungen wünschenswert.
Alles in allem ist der Gesetzentwurf eine lang erwar-
tete Maßnahme, die dem Anspruch gerecht wird, den eh-
renamtlich tätigen Bürgern Anerkennung zu zollen und
die Förderung des Gemeinsinns in unser aller Interesse
voranzutreiben.
Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der
verbesserte Unfallversicherungsschutz für ehrenamtliche
Arbeit und bürgerschaftliches Engagement ist ein wich-
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iger Schritt zur Würdigung und Unterstützung dieser
nbezahlten Leistung – sicherlich ein eher kleiner, aber
m konkreten Einzelfall – wenn es zu einem Unfall kom-
en sollte – ein sehr bedeutender Schritt.
Bürgerschaftliches Engagement findet an vielen Or-
en statt: in Vereinen, Organisationen, aber auch spontan
m Zusammenschluss für ein bestimmtes Vorhaben.
rüne Wurzeln liegen eher in den sich spontan gründen-
en Bündnissen, aber viele unserer Mitglieder sind auch
n traditionellen Organisationen wie Sportvereinen oder
irchengemeinden verankert.
Die Erweiterung der Pflichtversicherung auf weitere
ereiche des bürgerschaftlichen Engagements kommt
ehr als 1,5 Millionen Frauen und Männern zugute.
iese engagieren sich in Kommunen, Kirchen, Gewerk-
chaften und Arbeitgeberorganisationen oder sind im
uftrag von Kirchen und Kommunen tätige Freiwillige
nd Ehrenamtliche aus Vereinen oder Verbänden.
Auf das Engagement von mehr als 5 Millionen
rauen und Männern in diesen Bereichen können und
ollen wir nicht verzichten. Dadurch, dass zukünftig
irchen und Kommunen die Beiträge für die Unfallver-
icherung aufbringen, machen sie deutlich, dass sie die
rbeit dieser Menschen wertschätzen und nicht als
elbstverständlich wahrnehmen. Das ist wichtig, denn
nsere Gesellschaft braucht neben der bezahlten Fach-
ichkeit den tätigen Bürger und die tätige Bürgerin.
Es sind etwa die Mitglieder eines Vereins, die Zeit
nd Energie für die Gestaltung und die Instandsetzung
ines Kinderspielplatzes einbringen. Oder ein Verein
bernimmt den Betrieb des kommunalen Schwimmba-
es und seine Mitglieder leisten die gesamte Organisa-
ion und den Bademeisterdienst. Aber auch das Engage-
ent Jugendlicher, die Woche für Woche für ihre
indergruppe verantwortlich sind, zeigt, dass Verant-
ortung und Selbstverwirklichung zusammengehören.
Sportvereine und gemeinnützige Organisationen kön-
en zukünftig ihre gewählten Ehrenamtsmitglieder frei-
illig in der gesetzlichen Unfallversicherung versichern.
ies ist sicherlich günstiger als der Abschluss einer pri-
aten Versicherung. Hier wird eine Möglichkeit geschaf-
en, die von einer hoffentlich großen Zahl von Vereinen
nd Verbänden genutzt wird. Perspektivisch sollte unser
iel sein, eine Versicherung aller dort freiwillig Enga-
ierten zu ermöglichen.
Für einige der im Ausland für zwischen- oder über-
taatliche Organisationen tätige Deutschen und bei deut-
chen staatlichen Einrichtungen Beschäftigten wird der
nfallschutz ebenfalls verbessert. Im Laufe des Gesetz-
ebungsverfahren sollten wir überprüfen, ob durch die
orgesehenen Regelungen auch ehrenamtliche Wahl-
eobachterinnen und -beobachter versichert sind oder
ie diese noch einbezogen werden können. Diese ehren-
mtlichen Wahlbeobachterinnen und -beobachter sind
eltweit über das Zentrum für internationale Frie-
enseinsätze zu fünftägigen Kurzeinsätzen unterwegs zu
ahlen, die von der OSZE überwacht werden.
Vielfältiges Engagement im neuen und alten Ehren-
mt wird durch diesen vorliegenden Gesetzentwurf un-
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terstützt. Das entspricht auch den Forderungen der En-
quete-Kommission „Bürgerschaftliches Engagement“
aus der letzten Legislaturperiode. Es ist gut, wenn diese
Arbeit nicht folgenlos bleibt.
Ina Lenke (FDP): Für Liberale ist die Bürgergesell-
schaft Leitbild und Bezugsrahmen. Wir verstehen hie-
runter ein Gemeinwesen, in dem sich die Bürgerinnen
und Bürger im Rahmen der Demokratie selbst organisie-
ren und auf die Geschicke des Gemeinwesens einwirken.
Gerade dieses Engagement, welches zumeist in der Frei-
zeit ehrenamtlich und somit unentgeltlich für die Gesell-
schaft erbracht wird, genießt unsere größte Wertschät-
zung.
Die Tätigkeit Ehrenamtlicher ist allerdings mit Risi-
ken verbunden, die der Einzelne im Rahmen seines En-
gagements selten bedenkt oder die ihm nicht bewusst
sind. Gerade vor dem Hintergrund, dass Ehrenamtliche
ihre anerkennenswerte Leistung unentgeltlich für die
Gesellschaft zur Verfügung stellen, sollten sie weitestge-
hend vor Risiken geschützt und davon entlastet werden.
Die rechtlichen Rahmenbedingungen für bürgerschaft-
lich Engagierte müssen so ausgelegt sein, dass Bürgerin-
nen und Bürger nicht dadurch besondere Nachteile erlei-
den, wenn sie im Zusammenhang mit der Ausübung
ihres bürgerschaftlichen Engagements geschädigt wur-
den.
Die FDP spricht sich dafür aus, den versicherungs-
rechtlichen Schutz bürgerschaftlich Engagierter breiter
in der Öffentlichkeit zu thematisieren, um das notwen-
dige Problembewusstsein zu schaffen.
Es war ein besonderes und zentrales Anliegen der En-
quetekommission „Bürgerschaftliches Engagement“ aus
der letzten Legislaturperiode, dass bürgerschaftlich En-
gagierte sowohl im haftungsrechtlichen Bereich als auch
im Bereich der Unfallversicherung geschützt und abgesi-
chert werden. Bereits heute sind Teilbereiche des bürger-
schaftlichen Engagements durch die Einbeziehung in die
gesetzliche Unfallversicherung abgesichert. Wir begrü-
ßen daher das Anliegen des Gesetzentwurfes, für weitere
Teile der ehrenamtlich Engagierten Rechtssicherheit im
Bereich der Unfallversicherung zu schaffen.
Die Enquete-Kommission hat hierzu festgestellt:
Als weiterer staatlicher Beitrag wird zur Vermin-
derung der Haftpflichtrisiken eine sukzessive Aus-
weitung der gesetzlichen Unfallversicherung auf
weitere Felder bürgerschaftlichen Engagements
empfohlen, wenn und soweit auf andere Art und
Weise eine zufrieden stellende Lösung des Pro-
blems nicht erreicht wird.
Hier stellt sich die Frage, ob die im Gesetzentwurf
festgelegte Lösung vielleicht noch verfeinert werden
könnte.
Dies gilt auch insbesondere für den weiteren Perso-
nenkreis, der von diesem Gesetzentwurf erfasst wird. Es
muss zum Beispiel noch einmal genau hinterfragt wer-
den, ob die Änderungen in § 3 Abs. 1 SGB VII tatsäch-
lich nur dann greifen sollen, wenn die Personen nicht
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ach dem Recht des ausländischen Beschäftigungsstaa-
es unfallversichert sind. Ich denke, hier sind Konstella-
ionen vorstellbar, die es sinnvoll erscheinen lassen, dass
er Umfang der Absicherung nach deutschem Recht ge-
egelt wird. Eine Anhörung wird hierbei die Meinungs-
indung unterstützen können.
Franz Thönnes, Parl. Staatssekretär bei der Bun-
esministerin für Gesundheit und Soziale Sicherung:
Willst Du froh und glücklich leben,
Lass kein Ehrenamt dir geben!
Wie viel Mühen, Sorgen, Plagen
Wie viel Ärger musst du tragen,
Gibst viel Geld aus, opferst Zeit –
Und der Lohn? – Undankbarkeit!
Diesem Rat von Wilhelm Busch wollen wir mit dem
esetz zur Verbesserung des unfallversicherungsrechtli-
hen Schutzes bürgerschaftlich Engagierter und weiterer
ersonen heute ein Stück Dankbarkeit entgegenstellen.
Ohne Ehrenamt würde es in unserer Gesellschaft we-
entlich weniger Zusammenhalt geben. Gerade in Zeiten
er Veränderung und des Wandels ist die ehrenamtliche
rbeit unentbehrliches Bindeglied für unsere Gemein-
chaft.
22 Millionen Menschen in Deutschland engagieren
ich ehrenamtlich und bürgerschaftlich mit im Durch-
chnitt 174 Stunden im Jahr. Für sie steht die Aufgabe
m Vordergrund, nicht eine Bezahlung. Dies sollte uns
eranlassen, diesen Menschen nicht nur die verdiente so-
iale Anerkennung zu geben, sondern auch den notwen-
igen sozialen Schutz.
Die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen
aben deshalb einen Gesetzentwurf zum Unfallschutz
ei bürgerschaftlichem Engagement eingebracht. Einen
leichlautenden Entwurf hat die Bundesregierung am
ittwoch im Bundeskabinett beschlossen. Ziel unserer
nitiative ist es, mehr ehrenamtlich Engagierten als bis-
er den Schutz der Unfallversicherung zu ermöglichen.
Wir greifen damit die Empfehlungen der Enquete-
ommission „Zukunft des bürgerschaftlichen Engage-
ents“ auf. Diese hat sich für eine schrittweise Auswei-
ung der gesetzlichen Unfallversicherung auf weitere
elder der ehrenamtlichen Arbeit ausgesprochen. Dies
etzen wir nun um.
Schon in der Vergangenheit ist zugunsten der bürger-
chaftlich Engagierten viel erreicht worden. Unter-
chiedlichste Personengruppen, die sich im Interesse der
llgemeinheit engagieren, sind gegen Unfallrisiken ge-
chützt. Für sie tritt die Unfallversicherung bereits heute
it Heilbehandlung, Rehabilitation und Unfallrenten
in.
Das gilt insbesondere für das Ehrenamt in Wohl-
ahrtsverbänden wie der Caritas oder der Diakonie, aber
uch für neue Formen des Engagements, zum Beispiel in
er Aids-Hilfe oder in der Hospizbewegung. Im Gesund-
eitsdienst und in der Wohlfahrtspflege besteht schon
ach geltendem Recht ein vergleichsweise umfassender
nfallschutz.
10866 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004
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Auch bei den Kirchen haben wir bereits ein festes
Fundament geschaffen. Wer sich als Mitglied im Kir-
chenvorstand oder als Ministrant engagiert, steht unter
dem Schutz der Unfallversicherung. Insgesamt sind dies
immerhin 1,6 Millionen kirchliche Ehrenamtsträger, die
heute schon bei der Berufsgenossenschaft gemeldet sind.
Allerdings gibt es auch Kritik an der bestehenden Be-
Der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages
hat die Bundesregierung darum gebeten, künftig auch
den Freiwilligen in den Rettungsorganisationen einen
Sachschaden-Ersatzanspruch zu geben. Anlass war der
Schaden einer DLRG-Rettungsschwimmerin, die beim
Rettungseinsatz Brille und Uhr verloren hatte. Wir haben
das Votum des Petitionsausschusses aufgegriffen. Derar-
grenzung: So ist der Messdiener im Jugendgottesdienst
unfallversichert, der Leiter eines kirchlichen Jugendla-
gers aber nicht. Das wollen wir ändern. Das wird jetzt
besser.
2,7 Millionen ehrenamtlich Aktive haben wir im
Sport. Sie leisten in den entsprechenden Vereinen und
Verbänden über 500 Millionen Stunden engagierte Ar-
beit. Hier sind die im Verein ehrenamtlich tätigen
Übungsleiter bereits in die gesetzliche Unfallversiche-
rung einbezogen. Sportwarte, Abteilungsleiter oder Ver-
einsvorsitzende sind dagegen von dieser Sicherungsleis-
tung ausgeschlossen. Das soll anders werden. Das wird
jetzt besser. Sie können wie künftig auch andere ge-
wählte ehrenamtlich Aktive in gemeinnützigen Vereinen
und Organisationen in der Unfallversicherung versichert
werden.
Auch im kommunalen Bereich sind schon jetzt
1,7 Millionen Ehrenamtliche versichert: Von den Schöf-
fen bei Gericht über den Kommunalpolitiker bis hin zum
Schülerlotsen. Viel ist hier bereits erreicht. Doch wir
wollen und wir müssen den Schutz für die Menschen
ausweiten. Deshalb wird er jetzt besser werden.
Dafür gibt es auch gute Gründe: Es haben sich neue
Formen des bürgerschaftlichen Engagements herausge-
bildet. Verstärkt sind die Kommunen in den letzten Jah-
ren dazu übergegangen, Eigenleistungen ihrer Bürgerin-
nen und Bürger einzufordern und Projekte in solcher
Eigenleistung durchführen zu lassen.
So werden bereits einige städtische Freibäder von
Fördervereinen bewirtschaftet und organisiert. Bürger-
häuser werden durch örtliche Betreibergemeinschaften
geführt. Schulvereine übernehmen die Renovierung von
Klassenzimmern. Anwohner bauen eigenständig einen
Kinderspielplatz.
Hier wollen wir den Versicherungsschutz ermögli-
chen, wenn das Vorhaben im Auftrag oder mit Zustim-
mung der Kommune durchgeführt wird.
Bereits unfallversichert sind schließlich auch die Ak-
tiven in den verschiedenen Rettungsorganisationen: in
der Freiwilligen Feuerwehr, dem THW, dem DRK, dem
ASB, dem Malteser-Hilfsdienst, den Johannitern, beim
Roten Kreuz, der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesell-
schaft und anderen. Hier geht es nicht darum, den Kreis
der Versicherten zu erweitern, sondern eine ergänzende
Leistung vorzusehen.
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ige Sachschäden unterliegen künftig auch dem Versi-
herungsschutz.
Ein ganz anderer, aber ebenso wichtiger Aspekt unse-
es Vorhabens ist der Schutz von Beschäftigten, deren
rbeitsverhältnis hierzulande ruht, weil sie im interna-
ionalen Bereich tätig werden.
Unsere Welt vernetzt sich zusehends. Deshalb ist es
m Interesse unseres Landes, wenn sich zum Beispiel
eutsche Pädagogen vom Auswärtigen Amt an Schulen
n anderen Teilen der Welt vermitteln lassen, oder dass
eschäftigte des öffentlichen Dienstes zwischenzeitlich
u überstaatlichen Organisationen wechseln.
Auch hier verbessern wir den sozialen Schutz. Die
etroffenen sollen künftig gegen Unfallrisiken gesetz-
ich versichert sein. Damit leisten wir einen wichtigen
eitrag, noch mehr Menschen für solche Aufgaben zu
ewinnen.
Wer Leistungen vorsieht, muss deren Finanzierung si-
hern. Versicherungsschutz zum Nulltarif kann es natür-
ich nicht geben. Menschen, die im Interesse der Allge-
einheit tätig werden und sich dabei zeitlich und
ersönlich einsetzen, dürfen nicht noch finanziell belas-
et werden; denn der Staat spart durch die Arbeit Freiwil-
iger nicht nur viel Geld, sondern er ist auch auf der Ge-
innerseite. Wenn bürgerschaftlich Engagierte etwa im
ommunalen Bereich Bauleistungen erbringen, erhalten
ie Kommunen auch einen Vermögenszuwachs im Wert
er errichteten Baulichkeiten.
Die notwendigen Finanzmittel sind daher von denje-
igen aufzubringen, die auch etwas von der Arbeit bür-
erschaftlich Engagierter haben. Auch für die gemein-
ützigen Vereine und Organisationen, die ihre
hrenamtler versichern wollen, wird der finanzielle Auf-
and für die Unfallversicherung vertretbar sein. Die
roße Zustimmung der Verbände, die hierzu an vorberei-
enden Gesprächen teilgenommen haben, zeigt uns dies.
In diesem gemeinsamen Interesse sollten wir das Ge-
etzgebungsverfahren noch in 2004 zum Abschluss brin-
en. Dann können die Verbesserungen mit Beginn des
ommenden Jahres greifen. Wir hätten etwas Gutes dazu
eigetragen, dass Bürgersinn und Verantwortungsgefühl
n unserer Gesellschaft gestärkt und besser gegen Risi-
en versichert sind.
118. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004
Inhalt:
Redetext
Anlagen zum Stenografischen Bericht
Anlage 1
Anlage 2
Anlage 3
Anlage 4
Anlage 5
Anlage 6
Anlage 7
Anlage 8
Anlage 9
Anlage 10
Anlage 11
Anlage 12
Anlage 13
Anlage 14
Anlage 15
Anlage 16
Anlage 17
Anlage 18
Anlage 19
Anlage 20
Anlage 21
Anlage 22
Anlage 23
Anlage 24
Anlage 25
Anlage 26
Anlage 27
Anlage 28
Anlage 29