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ID1511700200

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    Plenarprotokoll 15/117 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 117. Sitzung zugleich 801. Sitzung des Bundesrates Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 I n h a l t : Eidesleistung des Bundespräsidenten gemäß Art. 56 Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ansprache des Präsidenten des Deutschen Bundestages Wolfgang Thierse . . . . . . . . . . Eidesleistung des Bundespräsidenten Professor Dr. Horst Köhler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ansprache des Bundespräsidenten Professor Dr. Horst Köhler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10695 C 10689 A 10695 C 10695 C Ansprache des Präsidenten des Bundesrates Dieter Althaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ansprache des scheidenden Bundespräsiden- ten Dr. h. c. Johannes Rau . . . . . . . . . . . . . . A L 10691 D 10694 A nlage iste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 10703 A Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10689 (A) ) (B) ) 117. Sitz zugleich 801. Sitzung Berlin, Donnerstag, Beginn: 9.0
  • folderAnlagen
    Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10703 (A) (C)Anlage zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich Bertl, Hans-Werner SPD 01.07.2004 Hohmann, Martin fraktionslos 01.07.2004 Janssen, Jann-Peter SPD 01.07.2004 Lengsfeld, Vera CDU/CSU 01.07.2004 Parr, Detlef FDP 01.07.2004 Dr. Rexrodt, Günter FDP 01.07.2004 Strässer, Christoph SPD 01.07.2004 Dr. Struck, Peter SPD 01.07.2004 Dr. Thomae, Dieter FDP 01.07.2004 Wolf (Frankfurt), Margareta BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 01.07.2004 (B) (D) 117. Sitzung zugleich 801. Sitzung des Bundesrates Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 Inhalt: Redetext Anlage zum Stenografischen Bericht Anlage 1
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. h.c. Wolfgang Thierse


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)


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    (A) )


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Rede von Dr. h.c. Wolfgang Thierse
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

Herr Präsident Rau, in Respekt vor Ihrer Leistung ha-

ben sich die Mitglieder des Bundestages und des Bun-
desrates erhoben, um im Namen des deutschen Volkes
vor der Öffentlichkeit zu bekunden: Johannes Rau hat
sich um das Vaterland verdient gemacht.


(Beifall)

Meine Damen und Herren, am 23. Mai dieses Jahres

hat die Bundesversammlung Herrn Professor Dr. Horst
Köhler zum Bundespräsidenten der Bundesrepublik
Deutschland gewählt. Herr Professor Dr. Horst Köhler
hat vor der Bundesversammlung die Wahl angenommen
und mit dem heutigen Tage das Amt des Bundespräsi-
denten angetreten.

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(C (D Nach Art. 56 des Grundgesetzes leistet der Bundesräsident bei seinem Amtsantritt vor den versammelten itgliedern des Bundestages und des Bundesrates den orgeschriebenen Eid. Ich bitte Sie, Herr Bundespräsient, zu mir zu kommen, um den Eid zu leisten. Dazu itte ich auch den Herrn Präsidenten des Bundesrates. Herr Bundespräsident, ich halte die Urschrift des rundgesetzes und bitte Sie, den nach Art. 56 vorgechriebenen Eid zu leisten. Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des eutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaen von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze es Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten geissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann ben werde. So wahr mir Gott helfe. Herr Bundespräsident, Sie haben den vorgeschriebe en Eid geleistet. Ich gratuliere Ihnen und wünsche Ihen alles Gute und Gottes Segen für Sie und unser Vaterand. Das Wort hat der Herr Bundespräsident. Herr Präsident des Deutschen Bundestages! Herr Prä ident des Bundesrates! Herr Bundespräsident Rau! Sehr erehrte Frau Rau! Herr Bundeskanzler! Herr Präsident es Bundesverfassungsgerichts! Meine Damen und Heren! Ich danke ganz herzlich für die freundlichen Worte nd guten Wünsche. Darüber freue ich mich. Sie sind ir Ansporn und Ermutigung für mein Amt. Ihnen, sehr verehrter Herr Bundespräsident Rau, ist edankt und Sie sind gewürdigt worden. Ich erinnere ich gern an unsere Diskussion über die Globalisierung. ir waren uns einig, dass die Globalisierung Chancen ietet, dass sie aber auch der politischen Gestaltung bearf. Für Sie, lieber Herr Rau, ist es immer der einzelne ensch in seiner unverwechselbaren Würde, der im entrum Ihres Denkens und Handelns steht. Und es ist hr christlicher Glaube, der Ihr Menschenbild prägt. So aben Sie das Vertrauen der Menschen gewonnen. So aren Sie im besten Sinne ein Bürgerpräsident. So bleien Sie uns Vorbild. Lieber Herr Rau, wir danken Ihnen eute dafür. Wir danken Ihnen für Ihren großen Dienst n unserem Land. Sie sagten einmal: „Ohne meine Frau hätte ich dieses mt nicht ausfüllen können.“ Ich bin überzeugt: Auch ir wird es nicht anders gehen. mso mehr, liebe Frau Rau, gebühren auch Ihnen heute espekt und Anerkennung. Mit Ihrem zupackenden Einatz vor allem für Kinder in Not und dabei besonders für Bundespräsident Professor Dr. Horst Köhler Straßenkinder haben Sie Herzen geöffnet und gewonnen. Sie haben gezeigt: Not und Bedürftigkeit sind nicht anonym. Dahinter stehen Namen, Namen von Menschen, mit deren Schicksal man sich nicht abfinden darf. Sie haben viel Gutes getan, liebe Frau Rau. Danke dafür! Meine Damen und Herren, ich will Ihnen zunächst von etwas berichten, was mich in dieser Form schon etwas verwundert hat. Seit dem 23. Mai, dem Tag der Bundesversammlung, werde ich immer wieder gefragt: „Was genau lieben Sie an Deutschland?“ oder „Warum lieben Sie denn Deutschland?“ Wenn ich dann auf die Landschaften, die Dialekte, die Literatur, die Musik verweise, sagen die Leute: „Na ja, das ist sicher richtig.“ Aber sie sagen auch: „Das allein kann es ja wohl nicht sein.“ Und tatsächlich: Landschaft, Sprache, Musik – ist das wirklich alles? Zumal in einer Zeit, in der nicht wenige Menschen in Deutschland große Sorgen haben, in der unser Land unübersehbar in wirtschaftlichen Schwierigkeiten ist, in der sich neue Spaltungstendenzen in unserer Gesellschaft bemerkbar machen. Spaltungen, wie sie es in dieser Form vor zwei oder drei Jahrzehnten noch nicht gab. Damit meine ich nicht allein Unterschiede zwischen Westund Ostdeutschland. Ich meine die Unterschiede, die mitten durch unsere Gemeinschaft gehen: Menschen, die Arbeit haben, und diejenigen, die ohne Aussicht auf Arbeit leben; Gutverdienende ohne Kinder und Familien mit Kindern oder Alleinerziehende ohne geregeltes Einkommen und Perspektive. Ich meine die dramatische Alterung der Bevölkerung mit drohenden Konflikten zwischen Alt und Jung. Und ich meine auch die Gefahr der Entwicklung von Parallelgesellschaften in unseren Städten, ausgelöst dadurch, dass die Integration von Menschen unterschiedlicher Herkunft und Religion nicht klappt. Meine Damen und Herren, wahr ist aber auch: Die Schönheit unseres Landes, die Geschichte unseres Landes, die Probleme unseres Landes – das alles ist und bleibt Deutschland. Das ist unser Land – wir haben kein anderes Land –, das ist unsere Heimat. Und wahr bleibt auch: Trotz aller Schwierigkeiten, Probleme und Krisen, die unser Land zurzeit durchläuft, geht es uns Deutschen weit besser als drei Vierteln der Menschheit. Wissen wir eigentlich, was es heißt, von weniger als 2 Euro am Tag leben zu müssen – wie über 3 Milliarden Menschen auf diesem Planeten? Doch ich will diesem Argument auch keinen falschen Zungenschlag geben. Dass es anderen in der Welt schlechter geht, ist sicherlich kein Trost für diejenigen bei uns, die ihren Cent dreimal umdrehen müssen. Dennoch: Unser Land sollte uns etwas wert sein. Trotz aller aktuellen Schwierigkeiten stehen das Grundgesetz und die soziale Marktwirtschaft für eine besonders glückliche und friedliche Phase unseres Landes; Bundespräsident Rau hat darauf hingewiesen. Ich selber b d h W s s m U L w M m u s 8 b n p d P a v i u w k r e s k P m F s G t T i d H l a B e Z u d s r l (C (D in Teil einer Generation, die die Geschichte der Bunesrepublik als einzigartige Erfolgsgeschichte miterlebt at, von der Aussöhnung mit unseren Nachbarn über das irtschaftswunder bis zur Wiedervereinigung. All dies ind große historische Leistungen und gute Gründe, uns elbst zu vertrauen, uns etwas zuzutrauen. Es sind für ich gute Gründe, unser Land, unsere Heimat, zu lieben. nd deshalb frage ich: Kann es uns egal sein, ob unser and wächst und gedeiht oder im globalen Wettbewerb eiter zurückfällt? Kann es uns egal sein, ob einer der otoren Europas immer mehr ins Stottern gerät, wie anche sagen? Ich denke, nicht. Warum? Erstens, weil nsere Partner in Europa und in der Welt auf uns chauen und zu Recht viel von uns erwarten. Wir sind 0 Millionen Menschen im Herzen Europas und wir haen gar keine andere Wahl, als Verantwortung zu überehmen. Deutschland muss ein Land sein, das Ideen zur olitischen Gestaltung hat und zum Ausgleich fähig ist, as souverän ist und gleichzeitig weiß, dass es seine artner diesund jenseits des Atlantik braucht. Vor wenigen Wochen wurden wir daran erinnert, dass ndere Völker – im Besonderen die Vereinigten Staaten on Amerika – dafür gekämpft haben, dass wir Deutsche n Freiheit leben können. Das sollten wir nie vergessen. Für mich ist Freiheit der wichtigste Wert, der Europa nd Amerika dauerhaft verbindet, und ich sehe Amerika eiterhin als Hort der Freiheit. Es ist wahr: Die Amerianer haben ihre Fehler gemacht, wir Europäer die unsigen. Klar ist für mich aber auch: Niemandem kann an inem Zerrbild Amerikas in der Welt gelegen sein. Das chadet allen, die auf dieser Welt für Freiheit und Demoratie eintreten. Wir Deutsche sollten uns um eine gute artnerschaft und einen neuen Dialog mit Amerika beühen – selbstbewusst und auch fähig zur Kritik unter reunden, mit denen uns gemeinsame Werte und Interesen verbinden. emeinsame Werte und gemeinsame Interessen – das rägt mehr und weiter als nur Dankbarkeit. Viele Menschen unseres Landes leisten bereits jeden ag in vorbildlicher Weise ihren Beitrag für Freiheit und nternationale Stabilität. Ich möchte unseren Soldaten, er Polizei, dem Bundesgrenzschutz, dem Technischen ilfswerk, den karitativen Organisationen und den vieen Nichtregierungsorganisationen danken. Sie leisten in ller Welt einen großartigen Dienst und sind exzellente otschafter für Deutschland. Meine Damen und Herren, Deutschlands Schicksal ntscheidet sich vor allem in Europa. Versöhnung und usammenarbeit in Europa haben uns Freiheit, Frieden nd Wohlstand gesichert. Wer hätte vor 50 Jahren all ies zu glauben gewagt? Die Erweiterung der Europäichen Union und die Einigung der Staatsund Regieungschefs auf den Verfassungsvertrag sind weitere Meiensteine auf dem Weg zu einem vereinten Europa, einer Bundespräsident Professor Dr. Horst Köhler Wertegemeinschaft. Deutschland sollte diesen Weg weiter mit Festigkeit und auch Geduld gehen. Aber es muss uns nachdenklich stimmen, dass kaum mehr als vier von zehn Deutschen bei der diesjährigen Europawahl wählen gingen. Zu viele Bürger verstehen Europa offensichtlich nicht. Lassen Sie uns gemeinsam Europa besser erklären. Ich möchte als Bundespräsident dazu beitragen, das Gefühl der europäischen Identität zu stärken. Sie verdrängt die nationale Identität ja nicht. Transparenz, demokratische Entscheidungsprozesse und eine klare Zuordnung der Kompetenzen – das wird den Menschen das Gefühl nehmen, einer anonymen Bürokratie in Europa ausgeliefert zu sein, und daran wird die neue Verfassungswirklichkeit gemessen werden. Die deutsch-französische Freundschaft ist in über vier Jahrzehnten von einer Vision zu gelebter Wirklichkeit geworden. Sie war entscheidend für die Einigung Europas. Eine neue historische Phase für Europa hat mit der Erweiterung der Europäischen Union am 1. Mai 2004 begonnen. Ich empfinde diese Phase gerade angesichts meiner eigenen Biografie als Auftrag und Verpflichtung. Deshalb werde ich mich für persönliche Begegnungen Deutscher mit den Menschen in den neuen Mitgliedsländern einsetzen, insbesondere für Begegnungen zwischen jungen Menschen. Und deshalb wird mich meine erste Auslandsreise nach Polen und nach Frankreich führen. Ich wünsche mir allerdings auch ein Europa, das die Entwicklungsziele der Vereinten Nationen nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten vorbildlich unterstützt, konkret durch weitere Öffnung der Märkte für die armen Länder und auch durch mehr öffentliche Entwicklungshilfe. Bei meiner Arbeit für den Weltwährungsfonds habe ich Hunger und unermessliche Not gesehen, vor allem bei Frauen und Kindern. Doch ich habe auch gesehen, dass gezielte Entwicklungszusammenarbeit viel Gutes tun kann. Für mich entscheidet sich die Menschlichkeit unserer Welt am Schicksal Afrikas. Ist es nicht eine Frage der Selbstachtung Europas, sich mit Blick auf unsere eigenen Fundamente, unsere Werte und Geschichte in Afrika ehrlich und großzügig zu engagieren? Meine Damen und Herren, es gibt einen zweiten, noch wichtigeren Grund, warum wir uns nicht einfach mit dem derzeitigen Zustand unseres Landes abfinden sollten: Wir haben die Verantwortung, die schöpferischen Kräfte der Menschen zu wecken und zur Entfaltung kommen zu lassen. Aus ureigenem Interesse braucht Deutschland einen neuen Aufbruch. Wir müssen d w b w S r d b r m n s h W W p v E g i W b D M l D W v b t W v r s d r p z B (C (D ie Spaltungen in unserer Gesellschaft überwinden. Das erden wir aber nur schaffen, wenn wir ihre Ursachen ekämpfen und nicht nur Symptome beschreiben und enn wir unser Land so sehen, wie es ist. Wir haben tärken, aber wir haben auch Schwächen. Es kommt daauf an, die Stärken zu bewahren und auszubauen. Aus en Schwächen gilt es zu lernen. Ich bin sicher, wir haen alle notwendigen Talente. Was uns fehlt, sind die ichtigen Rahmenbedingungen, das richtige Klima, dait sich diese Talente entfalten können. Wir sollten uns icht selber einreden, wir könnten das nicht packen. Bundespräsident Roman Herzog hat schon 1997 ge agt: „Durch Deutschland muss ein Ruck gehen.“ Er atte Recht. Nur haben wir seitdem viel Zeit verloren. arum bekommen wir den Ruck noch immer nicht hin? eil wir alle immer noch zu sehr darauf warten, dass er assiert. Was braucht man für einen Ruck? Nun, man braucht or allen Dingen Ideen, die verwirklicht werden. Jeder inzelne hat Ideen, Sie und ich. Aber wir kämpfen nicht enug um ihre Verwirklichung. Wir alle warten. Das gilt auch für die Parteien. Die Agenda 2010 weist n die richtige Richtung. as wir jetzt brauchen, ist Konsequenz und Stetigkeit ei der Fortsetzung dieses Weges. eshalb sage ich der Mehrheit im Bundestag und der ehrheit im Bundesrat: Wir können uns trotz aller Wah en kein einziges verlorenes Jahr für die Erneuerung eutschlands mehr leisten. ir brauchen den Mut der Bundesregierung zu Initiatien, die den Weg der Erneuerung konsequent fortschreien, und wir brauchen den Mut der Opposition, ihre Alernativen umfassend und vollständig klar zu machen. ir brauchen noch etwas: die Fähigkeit zu konstruktien Kompromissen. Die Einigung über das Zuwandeungsgesetz und das Ergebnis des Vermittlungsausschuses zur Reform der Arbeitslosenund Sozialhilfe zeigen, ass Deutschland in Bewegung kommt. Ich begrüße das. Auch die überparteiliche Diskussion zur Modernisie ung der bundesstaatlichen Ordnung – Herr Bundesratsräsident Althaus hat darauf hingewiesen – macht mich uversichtlich. Derzeit erfordern zu viele Gesetze des undestages die Zustimmung des Bundesrates. Bundespräsident Professor Dr. Horst Köhler Das Ergebnis sind Kompromisse, hinter denen die Menschen nicht mehr erkennen können, wer wofür verantwortlich ist. Ich wünsche mir, dass die Politik die Kraft findet, ihre Zuständigkeiten in Bund, Ländern und Gemeinden klar zu trennen und zu ordnen und Wettbewerb für die bessere Politik zu ermöglichen. Nicht zuletzt wünsche ich mir mehr politischen Spielraum für die Verwirklichung von Ideen auf kommunaler Ebene; denn dort droht uns einiges wegzubrechen. Wenn wir in diesen Fragen weiterkommen, ist für die Reformfähigkeit unseres Landes viel gewonnen. Meine Damen und Herren, wenn wir wissen, wo wir hinwollen, ist auch ein mühsamer Weg erträglich. Überall wird gesagt, dass wir Reformen brauchen. Ich selbst habe das auch gesagt. Viele Menschen können das Wort Reform aber schon nicht mehr hören. Es ist uns offensichtlich nicht gelungen, das Ziel der Reformen zu erklären. Dieses Ziel zu erklären ist unsere Verpflichtung. Was ist denn unser Ziel? Nun, ich sage es ganz ein fach: Wir wollen aus Deutschland wieder ein erfolgreiches Land machen, ein Land, in dem Menschen gerne leben, vor allen Dingen ein Land, in dem Menschen Arbeit finden und ihre Ideen entfalten können, ein zuversichtliches Land, ein zupackendes Land, ein Land der Ideen. Das sollten wir erreichen und das können wir erreichen. Unsere deutsche Geschichte ist gespickt mit ideenrei chen Köpfen. Genau heute, am 1. Juli, vor 358 Jahren wurde Gottfried Wilhelm Leibniz geboren. Dieser Universalgelehrte dachte nicht nur über die mittlerweile sprichwörtliche „beste aller Welten“ nach, sondern hatte dafür auch ganz praktische Ideen, zum Beispiel die Nutzung des Windes zur Grubenentwässerung im Harzbergbau. Das ist Ihnen nicht zukunftsträchtig genug? Leibniz hat auch, unabhängig von Newton, die Differenzialrechnung erfunden und das binäre Zahlensystem mit den Ziffern 1 und 0 eingeführt, auf dem die moderne Computertechnik fußt – vor über 300 Jahren. Ideen müssen aber zu Taten werden. Sie müssen es werden können. Warum sind wir dennoch in den letzten Jahrzehnten bei Ideen und Innovationen zurückgefallen? Es gibt unzählige Beispiele dafür, wo Ideen in Deutschland entstanden sind, die Arbeitsplätze aber anderswo, zum Beispiel die braunsche Röhre, Konrad Zuses erster C e D u a Ä g w t e a e i k r g D z h s r „ n s v G g h D o n n I v F A d c b B k B b G z (C (D omputer oder – ganz aktuell – die MP3-Technik. Ich rkläre jedem nach der Sitzung, was MP3-Technik ist. as ist etwas ganz Modernes. – Diese Dinge wurden bei ns erfunden. Aber weiterentwickelt und wirtschaftlich usgewertet wurden sie vor allen Dingen anderswo. hnliches droht derzeit bei der Nanound Biotechnoloie zu passieren. Hier müssen wir etwas ändern, damit ir nicht zum Brachland der Ideen werden. Von der Globalisierung hat Deutschland als Exportna ion gerade in den letzten 50 Jahren profitiert wie kaum in anderes Land der Welt. Wahr ist aber auch, dass uns ktuell immer mehr Länder überholen. Heute heißt es ben in der ganzen Welt mit Respekt zunehmend „Made n China“ oder „Made in Malaysia“. Unsere Antwort ann nicht Abschottung sein, sondern nur die kreativeen Ideen „Made in Germany“. An diesem Punkt gibt es für uns Deutsche sogar eine ute Nachricht von der Fußballeuropameisterschaft. er offizielle Ball der EM wird zwar in Asien produiert. Sein aufwendiges Know-how, also der darin entaltene Wissensanteil, stammt aber aus Deutschland und ichert bei uns Arbeitsplätze. Anders als sein bleischwees, vom Regen voll gesogenes Vorgängermodell beim Wunder von Bern“ 1954 hat der EM-Ball 2004 eine ahtlose Oberfläche; das ist eine Spitzenleistung deutcher Materialforschung. Das zeigt: Vor allem mit Innovationen und Wissens orsprung können wir einen Weg finden, auch in der lobalisierung Arbeitsplätze bei uns zu sichern. Dazu ehört noch mehr, aber das ist ein wichtiger Teil. Es gibt eute noch unternehmerische Erfolgsgeschichten in eutschland, zum Beispiel bei der Softwareentwicklung der im Maschinenbau. Hier gibt es auch deutsche Techologieund Weltmarktführer. Aber wir haben zu weige solcher Unternehmen. Wir brauchen mehr davon. Auch im sozialen Bereich brauchen wir noch mehr deen, Ideen wie die der Berliner Stadtmission. Diese hat or fünf Jahren gemeinsam mit privaten Spendern und irmen das „Zentrum Lehrter Straße“ gegründet. Eine nlaufstation für Wohnungslose und Strafgefangene ist ort entstanden, ein Jugendgästehaus und gesellschaftlihes Forum zugleich. Ohne auf den Staat zu warten, haen sich hier Bürger zusammengeschlossen, um anderen ürgern in Not tatkräftig zu helfen. Sie waren mutig, reativ, risikobereit. Sie haben nicht gewartet. Solche eispiele gibt es noch mehr in Deutschland und wir rauchen auch noch mehr. Auch das sind Ideen „Made in ermany“; auch das lässt mich hoffen und macht mich uversichtlich. Bundespräsident Professor Dr. Horst Köhler Warum tun wir uns aber momentan noch so schwer mit der Erneuerung? Von all den vielen möglichen Antworten möchte ich zwei herausgreifen: Zum einen klammern wir uns schlicht zu sehr an dem fest, was wir haben. Zum anderen leben wir zu sehr in der Angst zu scheitern. Der Sozialstaat ist für mich eine zivilisatorische Errungenschaft, auf die wir stolz sein können. Aber der Sozialstaat heutiger Prägung in Deutschland hat sich übernommen. Das ist bitter, aber wahr. Wir haben es vor allen Dingen nicht geschafft, den Sozialstaat rechtzeitig auf die Bedingungen einer alternden Gesellschaft und einer veränderten Arbeitswelt einzustellen. Weitere Staatsverschuldung ist auch kein Ausweg, weil die hohen Schulden schon jetzt die Zukunft unserer Kinder belasten. Wir brauchen einen Mentalitätswandel in unserem Land, eine neue Balance von Eigenverantwortung und kollektiver Absicherung. Wir müssen auch die Sozialpolitik nach dem Prinzip der Nachhaltigkeit gestalten, also bei allen Entscheidungen, allen Gesetzesvorhaben immer auch die Auswirkungen auf zukünftige Generationen, unsere Kinder, berücksichtigen. Das haben wir zu lange vernachlässigt. Uns allen muss dabei bewusst sein: Der Umbau des Sozialstaates verlangt schon jetzt vielen Menschen in Deutschland vieles ab. Es gibt soziale Härten, weil Einschnitte Menschen treffen, die ohnehin nicht viel haben. Ich weiß das und wir alle sollten das wissen. Niemand kann seriös bereits nach kurzer Zeit neue Verteilungsspielräume versprechen. Umso mehr müssen wir darauf achten, dass alle Verantwortung tragen und Opfer bringen, und zwar entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit. Wir brauchen eine „Entwicklungspolitik für ein entwickeltes Land“, wie es die deutschen katholischen Bischöfe formuliert haben. Wohlweislich: Entwicklung, nicht Abriss oder Abbau; Entwicklung als Umbau. Dazu brauchen wir auch die Kraft, Lagerdenken in unserer Gesellschaft zu überwinden. Arbeitnehmer und Arbeitgeber, Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft – wir sitzen alle in einem Boot. Jeder kann Verantwortung für das Wohl des Landes übernehmen. Jeder kann Vorbild sein, zum Beispiel der Krankenpfleger, die Lehrerin, der Jugendtrainer im Sportverein, die Journalistin, der Unternehmer. Die meisten Unternehmer in Deutschland leisten Vorbildliches in schwieriger Zeit. Diesen Unternehmern ist klar, dass gerade in der Wissensgesellschaft motivierte und leistungsbereite Mitarbeiter das größte K F s a d e m s u z F I w i A L c w i s k d u b s n d a d v e u d D Ü m k D i a M h p m r u u K (C (D apital eines Unternehmens sind. Ich wünsche mir, dass ührungspersönlichkeiten der Wirtschaft gerade in dieer schwierigen Zeit in Deutschland eine Kultur der Verntwortung und der Mäßigung vorleben. Ein zweiter Grund, warum wir uns in Deutschland mit er Erneuerung so schwer tun, ist – ich habe das bereits rwähnt – die Angst zu scheitern. Rückschläge und Irrtüer sind aber Teil des menschlichen Tuns. Wichtig ist, ich nicht aufzugeben, immer wieder Neues anzufangen nd sich nicht hängen zu lassen. Denken Sie an die Leipiger Olympiabewerbung! Ich möchte die Probleme und ehler Einzelner dabei nicht herunterspielen. Dennoch: n Leipzig wurde Neues, Großartiges angepackt. Leipzig agte es, mit Städten wie New York, London oder Paris n Wettbewerb zu treten. Es hat am Ende nicht gereicht. ber ich bin mir ganz sicher: Die Erfahrung wird die eipziger und übrigens auch die Rostocker stärker mahen. Menschen mit Mut, Ideen und Verantwortungsbeusstsein fallen nicht vom Himmel. Sie werden geprägt: n der Familie, in der Schule, im Wohnviertel. Deshalb ind Bildung und Erziehung der Schlüssel für die Zuunftsfähigkeit Deutschlands. Bildung und Erziehung – as bedeutet, Kreativität zu fördern, Ideen zu wecken nd Werte zu vermitteln. Das gelingt nur denen, die Vorilder schaffen und Ideale selbst vorleben und an denen ich junge Menschen orientieren oder auch reiben könen. Hier haben wir aus meiner Sicht möglicherweise en größten Handlungsbedarf. Bildung heißt, in Herzen, ber auch in Köpfe zu investieren. Wir brauchen ein Bilungswesen, das Leistung fördert, Freude am Lernen ermittelt und selbst als lernendes System kreativ und ntwicklungsfähig ist. Meine Damen und Herren, ich habe das Gefühl, in nserer Gesellschaft entwickelt sich eine Renaissance er Familie. Das spüre ich und das gibt mir Zuversicht. iese Entwicklung muss gestärkt und gefördert werden. ber Familie und Kinder habe ich vor kurzem einen beerkenswerten Satz gelesen: Kinder sind die einzig unündbare Beziehung. eshalb kommt es darauf an, dass sich die Eltern wieder hres Erziehungsauftrags bewusst werden. Das heißt vor llem: Sie müssen Vorbild sein. Wir wissen: Vater und utter zu sein ist einer der schwierigsten Berufe, zumal eute, in einer Zeit, in der junge Menschen um Arbeitslätze und soziale Anerkennung ganz anders kämpfen üssen als meine Generation: Sie haben es heute schweer. Bildung und Familie müssen auch deshalb zusammen nd neu gedacht werden, weil uns die rapide Alterung nserer Gesellschaft vor gewaltige Probleme stellt. Ohne inder hat unser Land keine Zukunft. Daher ist es so Bundespräsident Professor Dr. Horst Köhler wichtig, dass Deutschland als Land der Ideen vor allem ein Land für Kinder wird. Deutschland muss zu einem Land werden, in dem wir es nicht zulassen, dass Kinder verwahrlosen können, in dem es kein Schild mit der Aufschrift „Spielen verboten“ mehr gibt und in dem Kinderlärm kein Grund für Gerichtsurteile ist. Dabei sollte klar sein: Kinder sind nicht allein Frauensache, sondern Elternsache. Die Mehrheit der jungen Menschen wünscht sich die Vereinbarkeit von Kind und Beruf. Aber da ist noch ein weiterer, sehr wichtiger Punkt: Wir müssen zu einem Land werden, in dem die Gleichberechtigung von Frau und Mann selbstverständlich ist. Und das gilt nicht zuletzt für Führungspositionen von Frauen in Wirtschaft und Gesellschaft. Deutschland gehört hier zu den Entwicklungsländern. Das kann ich Ihnen aufgrund meiner internationalen Erfahrung berichten. Wir Männer müssen uns klar machen: Es geht dabei nicht einmal so sehr um das Thema Kinder und Familien. Es geht vielmehr um die Kreativität und die Kompetenz der Frauen. Wir brauchen sie dringend. Wir müssen die Kraft haben, Familiengründungen auch parallel zu Ausbildung, Berufstätigkeit und Aufbau einer Existenz möglich zu machen. Ich appelliere an Politik und Wirtschaft, an Verbände und Verwaltung, vor allen Dingen an die Selbstverwaltungseinrichtungen: Schaffen Sie schneller bessere Bedingungen! Helfen Sie mit, dass Frauen und Männer die Entscheidung für eine berufliche Karriere frei treffen können, ohne sich deshalb gegen Kinder entscheiden zu müssen! Wir brauchen mehr Kindertagesstätten und bessere Arbeitszeitmodelle, die es möglich machen, Beruf und Zuhause zu verbinden. Gleichzeitig ist es mir ganz wichtig, zu sagen: Auch die Mütter, die sich zu Hause für ihre Familien engagieren wollen, sollten in unserer Gesellschaft stärker Anerkennung finden, sichtbar und handfest. M i D d s m d d m m I D J s u b n e z F s A d h s l D g ä W h g e d h g d w d l E d g (C (D Einen besonderen Appell möchte ich an die jungen enschen in Deutschland richten. Das 21. Jahrhundert st euer, ist Ihr Jahrhundert! Bei der Erneuerung eutschlands geht es vor allem um Ihre Zukunft, um die er jungen Menschen. Es geht um Ihre Ideen, Ihren Einatz. Sie haben so viel Freiheit, so viele Chancen! Nehen Sie das 21. Jahrhundert in die Hand! Und – auch as ist ganz wichtig – verwerfen Sie nicht die Erfahrung er Alten. Sie ist wertvoll und hilfreich. Natürlich, eine Damen und Herren: Unsere Gesellschaft wird imer älter. Aber auch hier gibt es eine gute Nachricht: Für deen und Engagement ist man nie zu alt. as ist mein Appell an die Älteren: Gehen Sie auf die ungen zu! Sie werden gebraucht! Die neue Gemeinchaft zwischen Alt und Jung ist eine große Chance für ns und unser Land der Ideen im 21. Jahrhundert. Ja, meine Damen und Herren, wir müssen diesen Um ruch bei uns und in der Welt als Chance begreifen und utzen. Wir haben in der Vergangenheit in Deutschland rfahren, dass die Kraft der streitigen Debatte, die Kraft ur Überwindung von Gegensätzen und die Kraft der reiheit zu Gutem geführt haben: Westbindung, Wirtchaftswunder, auch die 68er mit ihren Impulsen und uswüchsen, ie deutsche Einheit, die europäische Einigung. Trotz vieler, oftmals bitterer Auseinandersetzungen aben wir Brücken gebaut, Gegensätze überwunden, Löungen gefunden. Mut zur Zukunft sollte uns nicht zuetzt die Erinnerung daran machen, was vor 15 Jahren in eutschland geschah: Den Menschen in Ostdeutschland elang eine friedliche Revolution. Ihr Mut und ihre Vernderungserfahrung sind wertvoll für uns alle. ir sind jetzt als ein Volk gefordert. Meine Damen und Herren, ich weiß, dass ich hier und eute nicht alles und alle Gruppen in unserem Land anesprochen habe. Ich mache mir keine Illusionen, dass inige, die sich nicht wiederfinden, enttäuscht sein weren. Besonders denen möchte ich sagen, aber nicht droen: Mit der heutigen Rede ist ja nicht das letzte Wort esprochen. Dabei will ich zugleich einräumen: Niemand hat auf ie vielen offenen Fragen in dieser Zeit bereits alle Antorten. Wir müssen mit Offenheit leben. Wichtig ist, ass wir als Individuen und als Gesellschaft dialogund ernfähig bleiben. Meinen Amtseid verstehe ich als Verpflichtung, zur rneuerung Deutschlands beizutragen. Als Bundespräsient werde ich hinschauen, nachfragen, auch hinterfraen. Persönlicher Kompass ist mir dabei mein christli Bundespräsident Professor Dr. Horst Köhler ches Menschenbild und das Bewusstsein, dass menschliches Tun am Ende immer vorläufiges Tun ist. Ich bin Optimist. Von Goethe stammt der Satz: Niemand weiß, wie weit seine Kräfte gehen, bis er sie versucht hat. Lassen Sie uns unsere Ideen und unsere Kräfte versuchen! Wir können in Deutschland vieles möglich machen. Dazu brauchen wir zugleich mehr Freiheit und mehr Gemeinschaft. Ich bin sicher: Wir werden es schaffen. Ich glaube an dieses Land, weil ich an seine Menschen glaube. Vielen Dank. (Anhaltender Beifall – Die Anwesenden erheben sich)


(Die Anwesenden erheben sich)