Anlage 8
ung
), das endgültige Ergeb-
ebene Stimmen: 585; da-
Die Reden der Kollegen Detlef Dzembritzki, SPD- zusammenarbeit einbeziehen
steuropa
, 15/3333 –
von und zu Guttenberg
Ausschuss für Verbrauchersch
Landwirtschaft
Ausschuss für Umwelt, Naturs
b) Beratung des Antrags
Weiß (Emmendingen)
Dr. Ralf Brauksiepe, we
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2004 10469
(A) )
(B) )
das Gesetz zur Sicherung der nachhaltigen Fi- von Wehrdienst und Zivildienst maßgebend waren,
weisung des Einspruchs des Bundesrates gegen
Die Gründe, die für eine unterschiedliche Dauer
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
* für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver-
sammlung der NATO
Anlage 2
Erklärung
des Abgeordneten Reinhard Schultz (Everswin-
kel) (SPD) zur Abstimmung über die Zurück-
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Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich
Grotthaus, Wolfgang SPD 17.06.2004
Hagemann, Klaus SPD 17.06.2004
Hintze, Peter CDU/CSU 17.06.2004
Kopp, Gudrun FDP 17.06.2004
Dr. Küster, Uwe SPD 17.06.2004
Dr. Lamers (Heidelberg),
Karl A.
CDU/CSU 17.06.2004*
Leutheusser-
Schnarrenberger,
Sabine
FDP 17.06.2004
Link (Diepholz), Walter CDU/CSU 17.06.2004
Lips, Patricia CDU/CSU 17.06.2004
Matschie, Christoph SPD 17.06.2004
Nickels, Christa BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
17.06.2004
Raidel, Hans CDU/CSU 17.06.2004*
Dr. Rexrodt, Günter FDP 17.06.2004
Schröder, Gerhard SPD 17.06.2004
Seiffert, Heinz CDU/CSU 17.06.2004
Strothmann, Lena CDU/CSU 17.06.2004
Dr. Struck, Peter SPD 17.06.2004
Dr. Thomae, Dieter FDP 17.06.2004
Wistuba, Engelbert SPD 17.06.2004
(C
(D
Anlagen zum Stenografischen Bericht
nanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Ren-
tenversicherung
(113. Sitzung, Zusatztagesordnungspunkt 22)
In der Ergebnisliste ist mein Name nicht aufgeführt.
ein Votum lautet „Ja“.
nlage 3
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung:
– Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Ände-
rung des Zivilgesetzes in anderen Vorschrif-
ten
– Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Ände-
rung des Zivilgesetzes
(Tagesordnungspunkt 16 a und b)
Andreas Weigel (SPD): Im Grundgesetz heißt es:
Die Dauer des Ersatzdienstes darf die Dauer des
Wehrdienstes nicht übersteigen.
ber die Auslegung dieses Grundsatzes ist viel gestritten
orden. Lange Zeit ging es aber nicht einmal darum, ob
er Zivildienst länger dauern sollte; da war sich die
ehrheit einig. Es ging nur darum, wie viele Monate der
ivildienst länger dauern sollte. Schließlich galt es in
en Augen vieler, eine scheinbare Mehrbelastung des
ehrdienstes auszugleichen. Das hatte damals auch et-
as mit mangelnder Anerkennung des Zivildienstes zu
un. Immer klang hier und da mit, Zivis machten es sich
infacher, sie mogelten sich am Wehrdienst vorbei. Die
ivildienstleistenden mussten sich ihre Anerkennung
art erkämpfen oder besser gesagt: hart erarbeiten und
as haben sie geschafft.
Zivildienstleistende stehen heute mitten in unserer
esellschaft. Seit Einführung des Ersatzdienstes haben
und 2,5 Millionen Kriegsdienstverweigerer gezeigt,
ass sie sehr wohl bereit sind, sich für unsere Gesell-
chaft einzusetzen. Die Leistung der Zivis wird heute zu
echt von allen Seiten anerkannt. Sie haben durch ihr
ngagement ganze Überzeugungsarbeit geleistet. Dafür
erdienen die Zivildienstleistenden unseren Respekt.
Als im Jahre 1995 im Deutschen Bundestag über ei-
en Gesetzesentwurf zur Änderung wehrrechtlicher Vor-
chriften gestritten wurde, vorgelegt von der damals
chwarz-gelben Bundesregierung, forderte die SPD-
raktion eine Angleichung der Dauer des Zivildienstes
n den Grundwehrdienst, und das nicht zum ersten Mal.
ie Argumentation des entsprechenden Antrages war
amals schon schlüssig und ist es heute umso mehr. Ich
itiere:
10470 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2004
(A) )
(B) )
sind entfallen. Die Tatsache, dass der Ersatzdienst
von den Ersatzdienstleistenden großen Einsatz er-
fordert, beweist zur Genüge die Ernsthaftigkeit der
Gewissenentscheidung. Der Gesetzgeber kann da-
her zu einer gleichen zeitlichen Dauer von Grund-
wehrdienst und Ersatzdienst zurückkehren, wie sie
mit dem Wortlaut von Art. 12 a des Grundgesetzes
zu vereinbaren ist.
Schon damals hat sich die SPD-Fraktion auf die Vor-
gabe des Grundgesetzes berufen und sie tut es heute ge-
nauso, mit dem schönen Unterschied, dass heute eine
Mehrheit in diesem Hause unseren Standpunkt vertritt.
Zudem liefert auch ein Vergleich der Belastungssituation
von Wehr- und Zivildienstleistenden so gut wie keine
Argumente mehr für eine längere Zivildienstdauer.
Über die Jahre hat sogar die FDP die Seiten gewech-
selt, wie sie das immer mal wieder gerne zu tun pflegt,
und fordert heute in einem, wie sie es nennen, Gesetzes-
entwurf die Angleichung der Dienstdauer von Wehr- und
Zivildienst. Herzlich willkommen, werte Kollegen! Ihr
Gesetzentwurf, den wir hier mit beraten, verzichtet aller-
dings auf die Regelungen, die eine Reihe weiterer Vor-
teile für die Zivildienstleistenden bringen; Frau Parla-
mentarische Staatssekretärin Riemann-Hanewinkel hat
diese Neuerungen gerade vorgestellt. Ich finde es bedau-
erlich, dass Sie diese Bestimmungen nicht im Zivil-
dienstgesetz haben wollen. Sie sind nicht nur vorteilhaft
für die jungen Leute, sondern sie schaffen auch Klarheit
über eine Reihe von Regelungen, die bisher nur adminis-
trativ umgesetzt worden sind. Man sollte den Gesetzent-
wurf auch in dieser Hinsicht nicht unterschätzen.
Ich möchte noch einen Aspekt erwähnen, der zu Un-
recht von mancher Seite kritisiert wurde: die Integration
der bisherigen Bildungsseminare in die Einführungslehr-
gänge. Damit bekommen wir es endlich hin, dass alle Zi-
vildienstleistenden auch wirklich an einem Lehrgang
teilnehmen können, dass ihre Arbeit pädagogisch-theo-
retisch begleitet wird, dass Möglichkeiten der Reflexion
geschaffen werden. Wer dann sagt, mit dem Wegfall der
Bildungsseminare geschehe genau das Gegenteil, dem
sage ich: Erstens haben diese Seminare nur 5 Prozent der
Zivildienstleistenden in Anspruch genommen und zwei-
tens besteht weiterhin die Möglichkeit, an Begleitsemi-
naren teilzunehmen, und zwar bei anderen Trägern. Viel-
leicht wird das Angebot dadurch sogar attraktiver und
mehr Zivildienstleistende entscheiden sich für die Teil-
nahme an Begleitseminaren. Ohnehin wird über eine Er-
weiterung des Bildungsangebotes nachgedacht. Der An-
satz heißt: Sozialer Dienst/Dienst an der Gesellschaft als
Lerndienst.
Es darf nicht nur eine schöne Behauptung sein, dass
der Erwerb sozialer Kompetenzen, dass freiwilliges En-
gagement in sozialen Diensten, ein sinnvoller Baustein
für ein späteres Berufsleben sein kann. Die theoretisch
pädagogische Einrahmung dieser Dienste ist dafür
grundlegend.
Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme den Ent-
wurf des 2. Zivildienständerungsgesetzes abgelehnt, und
zwar, weil mit der Verkürzung des Zivildienstes zu-
nächst zwangsläufig eine Kürzung des Zuschusses für
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ie Träger des Freiwilligen Sozialen Jahres einhergeht.
as ist in der Tat bedauerlich, aber in dieser direkten
onsequenz eben nicht zu vermeiden. – Ich spreche hier
atürlich nur von solchen Fällen, in denen nach § 14 c
es Zivildienstgesetzes ein Freiwilliges Soziales Jahr als
rsatz für einen Zivildienst abgeleistet wird. – Deshalb
ann man nicht das ganze Gesetz verwerfen. Ganz im
egenteil: Es gilt hier anzuknüpfen und weiter zu den-
en; denn es ist durchaus denkbar, diese Einbußen durch
ine Stärkung von Freiwilligendiensten an anderer Stelle
ehr als wettzumachen.
Wie der Bundesrat möchte auch ich anregen, frei wer-
ende Finanzmittel aus dem Zivildienst für die Förde-
ung und den Ausbau von Freiwilligendiensten zur Ver-
ügung zu stellen. Wir müssen die Zukunftsfähigkeit des
ozialen Sektors gewährleisten. In der Tat gilt es diesbe-
üglich, die Empfehlungen der Kommission „Impulse
ür die Zivilgesellschaft“ zu berücksichtigen. Wir brau-
hen eine breitere gesellschaftliche Anerkennung von
reiwilligendiensten. Dazu bedarf es nicht zuletzt auch
iner großzügigeren finanziellen Förderung.
Wir wissen aber auch, dass Zivildienst und Freiwilli-
endienste kein Ersatz für neu entstehende Arbeitsplätze
m sozialen Bereich sein können. Die Herausforderun-
en des demographischen Wandels sind auch den Trä-
ern der sozialen Dienste bewusst. Hier sucht man nach
nderen, nach neuen Lösungen, wie etwa im Bereich der
inijobs. Die Verkürzung des Zivildienstes jedenfalls
rifft die freien Träger nicht unvorbereitet.
Der vorliegendes Gesetzentwurf ist vernünftig. Der
ivieldienst wird dem Wehrdienst angemessen ange-
asst. Grundlegende oder ernsthafte Einwände gegen
ieses Gesetz gibt es nicht. Bringen wir es schnell auf
en Weg! Die Zivildienstleistenden haben einen An-
pruch darauf.
Andreas Scheuer (CDU/CSU): 1998 konnte man
eim Regierungsantritt von Rot-Grün erahnen, dass die
ehrpflicht unter dieser Regierung wohl keine gute Zu-
unft hat. Anlass zur Hoffnung bestand 2003, als die
undesregierung offiziell verlautbaren ließ: Derzeit sind
eder Dienstzeitverkürzungen noch Änderungen der
auglichkeitskriterien geplant. Doch auch diesmal heißt
s: Zu früh gefreut! Wieder versucht Rot-Grün mit der
ltbekannten Salamitaktik, den Zivildienst bis zur Un-
enntlichkeit auszuhöhlen. Die Verkürzung um einen
eiteren Monat und die Herabsetzung der Altersober-
renze für die Einberufung um ganze zwei Jahre bedeu-
et nichts anderes als die scheibchenweise Demontage
iner tragenden Säule des Sozialstaats. Mein Kollege
illi Zylajew ist darauf schon sehr genau eingegangen.
Nach der eher ergebnisoffenen Diskussion zur Dienst-
flicht vor einigen Wochen hat sich an der Grundkon-
tellation nichts Wesentliches geändert. Wir haben zwei
inister, die, wie wir es bei Rot-Grün ja in anderen Fra-
en gewohnt sind, widersprüchlich vorgehen: eine Fami-
ienministerin, die ganz aktiv die Abschaffung der Wehr-
flicht betreibt und durch ihren Bereich Zivildienst
gleichsam über die Hintertür – versucht, den Verteidi-
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2004 10471
(A) )
(B) )
gungsminister vom Kurs des Beibehalts der Wehrpflicht
abzubringen.
Die Lage ist aber wesentlich angespannter, als die
Freude von Rot-Grün am Im-Kreis-Diskutieren vermu-
ten lässt: Schon 2003 stellte die Regierung fest, dass die
Zahl der Zivildienstleistenden bereits jetzt nicht aus-
reicht, um die notwendigen Leistungen im Sozial- und
Pflegebereich zu erbringen. Eine Vielzahl von Stellen
bleibt schon bei der derzeitigen Gesetzeslage unbesetzt.
Wie soll das erst aussehen, wenn sich noch weniger
junge Männer und dazu noch kürzer hier engagieren?
Zudem rekrutieren die Träger und Wohlfahrtsverbände
in hoher Zahl aus dem Zivildienst heraus die später
wichtigen ehrenamtlich Tätigen. Angesichts dieser
Funktion des Zivildienstes kann man also nicht nur ein-
fach innerhalb der neun oder zehn relevanten Monate
denken; es geht auch um den Fortbestand des Engage-
ments der Bürger im Ehrenamt.
Ich möchte hier zu bedenken geben: Bei all den Dis-
kussionen müssen wir uns schon im Klaren sein, dass
gerade die jungen Menschen zur Mitverantwortung in
unserer Gesellschaft animiert werden sollen. Das muss
der kleinste gemeinsame Nenner sein. Ein Engagement
für Staat und Gesellschaft ist der zentrale Punkt, um
Strukturen in unserem Land zu erhalten und zu fördern.
Das heißt aber auch, dass der Zivildienst eine starke und
leistungsfähige Alternative bleiben muss, damit die jun-
gen Menschen in unserem Land etwas Positives für ihre
Lebensgestaltung mitnehmen.
Die schönen Sonntagsreden zum Ehrenamt nutzen da
wenig, meine Damen und Herren von Rot-Grün. Sie
müssen sich mit den Verbänden unterhalten, dann erfah-
ren Sie auch mal etwas von der Praxis. Da gibt es blanke
Angst um die Strukturen vor Ort. Uns von der Union ist
klar, dass die Bundesregierung Strukturen in unserem
Land zerstören will, die sich bewährt haben. Eines näm-
lich sollten wir auf lange Sicht nicht aus den Augen ver-
lieren, wenn wir über diesen Gesetzesentwurf abstim-
men: Wird der Zivildienst weiter gekürzt, eingeschränkt,
in kleinen Schritten geschwächt, dann sind wir bald bei
der zentralen Frage angelangt, nämlich bei der Abschaf-
fung der Wehrpflicht. Und das will Rot-Grün.
Meine Damen und Herren von Rot-Grün, wenn wir
dann in der Bredouille sind, für unser Sozialsystem ei-
nen Ersatz des Zivildienstes zu finden und diesen zu fi-
nanzieren, bin ich auf Ihre Vorschläge und Konzepte
sehr gespannt. Legen Sie also die Karten auf den Tisch
und führen Sie keine Schattendebatten, die in der Konse-
quenz nur auf das eine hinauslaufen: die Abschaffung
der Wehrpflicht!
Willi Zylajew (CDU/CSU): Der uns zur Beratung
vorliegende Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Ände-
rung des Zivildienstgesetzes müsste eigentlich einen an-
deren Namen tragen. Es müsste „Gesetz zur Aushöhlung
des Zivildienstes“ heißen. Denn um nichts anderes geht
es in diesem Gesetzentwurf.
Im Januar 2003 haben Sie von Rot-Grün mit dem Ers-
ten Zivildienstgesetzänderungsgesetz den Bundeszu-
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chuss pro Zivildienstleistenden von 70 auf 50 Prozent
usammengestrichen. Dies hat den zivilen Ersatzdienst
eine tragende Säule unserer sozialen Dienste – erheb-
ich geschwächt. Unter dem Druck der Wohlfahrtsver-
ände haben Sie diese Kürzung auf ein Jahr begrenzt.
Damals habe ich mich gefragt, was Rot-Grün wohl
och einfallen wird, um den Zivildienst weiter auszu-
öhlen und ihn langsam aber sicher abzuschaffen. Nun
eiß ich es. Diesmal geht es nicht ans Geld, sondern an
ie Dauer des zivilen Ersatzdienstes und an die Befrei-
ngstatbestände. Das höhlt den Zivildienst mindestens
benso nachhaltig aus wie die Kürzung des Bundeszu-
chusses.
Mit dem vorliegenden Gesetz soll die Dauer des Zi-
ildienstes von zehn auf neun Monate verkürzt werden.
ies macht eine sinnvolle Gestaltung des Zivildienstes
ahezu unmöglich. Vor allem ältere Menschen oder
chwerstbehinderte, die individuell betreut werden müs-
en, werden darunter zu leiden haben.
Der Zeitraum, in dem ein Zivildienstleistender wirk-
ich seinen Dienst an der Gesellschaft leistet, wird im-
er kürzer. De facto bliebe bei einem 9-monatigen Zi-
ildienst nur noch ein gutes halbes Jahr für die
atsächliche Arbeit in den Einrichtungen. Eine Woche
immt der staatspolitische Einführungslehrgang in An-
pruch, zwei Wochen sind für die fachlichen Einfüh-
ungslehrgänge anzusetzen. Hinzu kommt eine mindes-
ens zweiwöchige, bei Pflege- und Betreuungsdiensten
ierwöchige Einweisung in der Einrichtung hinzu. Na-
ürlich muss auch noch der rund dreiwöchige Urlaub ab-
ezogen werden. Von Krankheitstagen und vorzeitiger
eendigung des Zivildienstes will ich gar nicht erst spre-
hen.
Dieser kurze Zeitraum schadet allen Beteiligten: den
u Betreuenden, die sich in immer kürzeren Abständen
uf neue Menschen einstellen müssen, den Zivildienst-
eistenden, die immer weniger anspruchsvolle und ver-
ntwortungsvolle Tätigkeiten ausüben können. Damit,
eine Damen und Herren von Rot-Grün, widersprechen
ie sich selber. Angesichts dieser Kürzung kann man von
inem „sozialen Lerndienst“, den sie immer wieder for-
ern, gar nicht mehr sprechen. Schließlich wird der fi-
anzielle und organisatorische Aufwand für die Zivil-
ienststräger immer größer.
Ich glaube, es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis die
pitzen der Wohlfahrtsverbände angesichts dieser erneu-
en Kürzung, die bestimmt nicht die letzte ist, ihren Aus-
tieg aus dem Zivildienst verkünden. Aber vielleicht
offt die Bundesregierung ja gerade darauf. Vielleicht ist
s die Taktik von Rot-Grün, den Zivildienst solange aus-
uhöhlen, bis die Zivildienstträger abspringen und die
undesregierung bei dieser sozialen Demontage ihre
ände in Unschuld waschen kann. Danach werden sie
ann vermutlich auch noch behaupten, sie hätten den Zi-
ildienst ja erhalten wollen, nur die bösen Verbände
ben nicht.
Vielleicht geht es der Bundesregierung aber auch nur
arum, die nicht vorhandene Wehrgerechtigkeit „schön-
urechnen“. Die Wehrungerechtigkeit wird aber keinen
10472 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2004
(A) )
(B) )
Deut besser, wenn die Heranziehungsgrenze vom 25. auf
das 23. Lebensjahr herabgesetzt wird und zum Beispiel
verheiratete Wehrpflichtige befreit werden oder Wehr-
pflichtige zurückgestellt werden, die im Beamtenver-
hältnis ausgebildet werden. Ganz im Gegenteil!
Selten bedacht wird vor allem die Signalwirkung die-
ser Politik auf junge Menschen. Angesichts der Willkür,
mit der im Zivildienst herumgefuhrwerkt wird, ist es
doch kein Wunder, dass junge Menschen immer weniger
einen Sinn im Zivildienst sehen und ihren Dienst ohne
Freude ableisten!
Das Aushöhlen der Wehrpflicht und des zivilen Er-
satzdienstes durch die Bundesregierung muss ein Ende
haben. Legen Sie endlich ein mittel- und langfristig trag-
fähiges Konzept für den Zivildienst vor!
Jutta Dümpe-Krüger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Mit dem Entwurf eines zweiten Gesetzes zur Än-
derung des Zivildienstgesetzes machen wir endlich
Schluss mit einer großen Ungleichbehandlung. Denn
wichtigster Bestandteil dieses Gesetzes ist, dass der Zi-
vildienst auf neun Monate verkürzt und damit dem
Wehrdienst angeglichen wird. Grüne haben lange dafür
gestritten, dass diejenigen, die ihren Dienst aus Gewis-
sensgründen nicht mit Waffen leisten, nicht schlechter
gestellt sein dürfen als diejenigen, die das tun. Deshalb
sage ich: Der Tag der Einbringung dieses Gesetzes ist
ein guter Tag für Rot-Grün. Und es ist auch ein guter Tag
für alle Zivildienstleistenden.
Mit diesem wichtigen Schritt in die richtige Richtung
wird übrigens auch ein Vorschlag der Kommission „Im-
pulse für die Zivilgesellschaft“ umgesetzt – im Konsens
und sehr zeitnah. Das erscheint mir besonders wichtig,
weil wir in der Debatte um die Zukunft von Wehr- und
Zivildienst natürlich ganz viele Menschen „mitnehmen“
müssen, auch solche, die sich heute immer noch nicht
vorstellen können, dass beides Auslaufmodelle sind.
Eines sage ich an dieser Stelle ganz deutlich: Es wird
keinen Sinn machen, die Dauer von Wehr- und Zivil-
dienst noch weiter abzusenken. Wir sind an dem Punkt
angekommen, uns mit der Abschaffung aller Zwangs-
dienste auseinander setzen zu müssen. Die Zukunft ge-
hört den Freiwilligendiensten!
Mit dem Zivildienständerungsgesetz wird die Lebens-
planung für junge Männer wesentlich vereinfacht. Sie
müssen nicht mehr bis zum 25. Lebensjahr damit rech-
nen, eingezogen zu werden. Denn künftig gilt: Zivil-
dienstpflichtige werden nur noch bis zur Vollendung
des 23. Lebensjahres einberufen. Ich halte das für einen
ganz wichtigen Aspekt. Denn in einer Zeit, in der von
jungen Menschen verlangt wird, flexibel zu sein und ihre
Schul-, Bildungs- und Ausbildungszeiten immer zügiger
zu durchlaufen, kann über ihren Köpfen nicht länger als
unbedingt nötig das Damoklesschwert „Zwangsdienst“
schweben. In Zeiten, wo jeder junge Mensch froh ist,
einen Job bekommen zu haben, ist es außerdem überaus
positiv, dass ein weiterer Rückstellungsgrund geschaffen
wurde: Wer die allgemeine Hochschul- oder Fachhoch-
schulreife in der Tasche hat, als Kriegsdienstverweigerer
anerkannt wird und eine betriebliche Ausbildung macht,
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er kann ebenfalls vom Zivildienst zurückgestellt wer-
en.
Im vorliegenden Gesetz sind weitere Tatbestände zur
efreiung vom Zivildienst erheblich ausgeweitet wor-
en: Befreit werden können Verheiratete oder eingetra-
ene Lebenspartner. Befreit werden kann auch, wer al-
ein erziehend oder gemeinsam für ein Kind als
orgeberechtigter verantwortlich ist. Ein Zurückstel-
ungsgrund ist jetzt auch die Anerkennung zum Erhalt
nd zur Fortführung eines eigenen oder elterlichen Be-
riebes. Bisher war das nur auf den Bereich von land-
irtschaftlichen oder gewerblichen Betrieben be-
chränkt.
Auch die so genannte „Dritte-Söhne-Regelung“ ist er-
eitert worden. Sie gilt demnächst auch für Wehrpflich-
ige, deren zwei ältere Brüder Dienst im Zivil- oder
atastrophenschutz, im Entwicklungsdienst, einem „an-
eren Dienst im Ausland“ nach § 14 b oder einen Frei-
illigendienst nach § 14 c geleistet haben. Bisher galt
as nur für den Bereich des Wehr- und Zivildienstes. Po-
itiv ist auch die Neuregelung für das freiwillige Jahr
ach § 14 c, die Urlaubsregelung anzupassen und statt
4 Tage 26 Tage im Jahr Urlaub zu gewähren.
Insgesamt bleibt festzustellen, dass der Gesetzentwurf
in guter Schritt in die richtige Richtung ist.
Christel Riemann-Hanewinckel, Parl. Staatssekre-
ärin bei der Bundesministerin für Familie, Senioren,
rauen und Jugend: Die Kommission „Impulse für die
ivilgesellschaft – Perspektiven für Freiwilligendienste
nd Zivildienste in Deutschland“ wurde im Mai vergan-
enen Jahres von Frau Bundesministerin Renate
chmidt eingesetzt und hat am 15. Januar 2004 Empfeh-
ungen vorgelegt. Diese Empfehlungen wurden unter
eteiligung der Länder Hessen und Rheinland-Pfalz, der
ommunalen Spitzenverbände und der Wohlfahrtsver-
ände im Konsens getroffen. Eine der Empfehlungen
ar, die Dauer des Zivildienstes an die des Grundwehr-
ienstes anzupassen. Dies wurde auch von der parlamen-
arischen Begleitgruppe der Impulse-Kommission mehr-
eitlich gefordert. Es entspricht ebenso einer Forderung
es Bundesrates, „dass die Dauer des Zivildienstes die
auer des Grundwehrdienstes nicht überschreiten darf.“
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf verkürzen wir
en Zivildienst von zehn auf neun Monate. Die Bundes-
egierung folgt mit dem Entwurf für ein Zweites Zivil-
ienständerungsgesetz den Vorschlägen vieler gesell-
chaftlicher Gruppen. Der Gesetzentwurf weist eine
eihe weiterer Veränderungen und Verbesserungen für
ie betroffenen jungen Grundwehrdienstpflichtigen und
ivildienstpflichtigen auf:
Wir senken die Regelaltersgrenze für die Einberufung
ur Bundeswehr und die Heranziehung zum Zivildienst
m zwei Jahre auf 23 Jahre; Wehrdienstpflichtige und
ivildienstpflichtige werden in Zukunft in der Regel nur
och bis zur Vollendung des 23. Lebensjahres einberu-
en. Das bedeutet: Sicherheit für die persönliche Lebens-
nd Berufsplanung der jungen Leute. Von vielen Arbeit-
eberinnen und Arbeitgebern wird bei der Einstellung
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2004 10473
(A) )
(B) )
die Ableistung des Wehrdienstes oder des Zivildienstes
vorausgesetzt. Dem tragen wir Rechnung. Die Wehr-
pflichtigen werden also in Zukunft ab dem 23. Lebens-
jahr ihre Ausbildung ohne Ungewissheiten über den He-
ranziehungszeitpunkt planen können bzw. sie stehen ab
dem 23. Lebensjahr dem Arbeitsmarkt uneingeschränkt
zur Verfügung.
Nach § 11 Abs. 4 Nr. 3 wird nach geltendem Recht
auf Antrag zurückgestellt, wer einen Ausbildungsab-
schnitt „bereits weitgehend“ absolviert hat. In Recht-
sprechung und Praxis steht seit langem fest, dass dies
nach einem Drittel der Ausbildung der Fall ist. Dies soll
jetzt der Klarheit halber ins Gesetz hineingeschrieben
werden.
Die Dritte-Söhne-Regelung wird ergänzt. Bisher war
es Aufgabe dieser Regelung zu verhindern, dass eine Fa-
milie durch die Wehrpflicht im besonderen Maße belas-
tet wurde. Deshalb sollten dritte Brüder, deren zwei Ge-
schwister Wehrdienst oder Zivildienst geleistet hatten,
nicht mehr herangezogen werden. In Zukunft gilt dies
auch für ältere Brüder, die Dienst im Zivilschutz oder
Katastrophenschutz, einen anderen Dienst im Ausland
oder ein freiwilliges Jahr nach § 14 c des Zivildienstge-
setzes absolviert haben.
Wer verheiratet ist, eine eingetragene Lebenspartner-
schaft eingegangen ist oder die elterliche Sorge gemein-
sam oder als Alleinerziehende ausübt, wird in Zukunft
ebenfalls auf Antrag befreit. Denn wer vor Vollendung
des 23. Lebensjahres – also bis zum Erreichen der
Regelaltersgrenze – eine solch weit reichende persönli-
che Bindung eingeht, soll nicht durch Wehrdienst oder
Zivildienst zusätzlichen Belastungen ausgesetzt werden
und Gefahr laufen, dass er an diesen Aufgaben scheitert.
In Zukunft werden die bisherigen Seminare nach
§ 36 a Zivildienstgesetz in die Lehrgänge nach § 25 a Zi-
vildienstgesetz integriert. Diese Lehrgänge werden so
strukturiert, dass sie die Einführung aller Zivildienstleis-
tenden ermöglichen. Das hat zur Folge, dass sämtliche
Zivildienstleistende eine Woche in politischer Bildung
unterwiesen werden. Trotzdem müssen Zivildienstleis-
tende nicht auf den Besuch von Seminaren verzichten,
die den Anforderungen nach § 36 a ZDG entsprechen.
Von Verbänden angebotene Seminare können weiterhin
besucht werden.
Im Bereich des § 14 c des Zivildienstgesetzes wird
der Urlaubsanspruch von 24 Tagen auf 26 Tage herauf-
gesetzt. Dies entspricht dem Urlaubsanspruch der Teil-
nehmerinnen und Teilnehmer am FSJ/FÖJ bzw. der
Wehrdienst- oder Zivildienstpflichtigen. Da sich die
Kosten für eine Zivildienstleistung aufgrund der einmo-
natigen Zivildienstverkürzung verringern, wird der der-
zeitige Zuschuss vom Bund an die Träger von FSJ/FÖJ
von höchstens 421,50 Euro je Monat auf 363,80 Euro
pro Monat abgesenkt. Hier gibt es Übergangsregelun-
gen.
Der vorliegende Gesetzentwurf gestaltet den gesell-
schaftlichen Wandel mit. Wir schreiben die Entschei-
dung fort, dass den Trägern ein Zuschuss gewährt wird,
wenn ein anerkannter Kriegsdienstverweigerer ein frei-
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illiges Jahr statt des Zivildienstes ableistet. Über
000 Freiwillige leisten allein in diesem Jahr ihren
ienst in den anerkannten Einrichtungen. Das macht das
nteresse der jungen Menschen und damit den Bedarf an
eiteren Plätzen in FSJ und FÖJ deutlich. Wir werden
aher die freiwilligen Jahre weiterhin sehr stark fördern.
as Zweite Zivildienständerungsgesetz enthält dazu
ichtige Bausteine. Ich bitte Sie daher um Ihre Unter-
tützung in der parlamentarischen Beratung.
nlage 4
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Sicherheit vor der
deutschen Küste verbessern – Küstenwache op-
timieren (Tagesordnungspunkt 18)
Annette Faße (SPD): Ein Öltanker wird von Terro-
isten mit Sprengstoff beladen und treibt auf Wilhelms-
aven oder eine andere deutsche Hafenstadt zu – so oder
o ähnlich könnte man sich einen Terroranschlag zu See
orstellen. Wir lernen heutzutage den Terrorismus als
ine neue Form der Gefahr kennen. Neue Erkenntnisse
nd neue Lösungen sind dringend notwendig, um dieser
efahr zu begegnen. Hierin sind wir uns sicher alle ei-
ig.
Seit dem 1. Januar 2003 haben wir in Cuxhaven das
avariekommando aufgebaut. Ein wichtiger und richti-
er Schritt zur Abwehr einer großen Schadenslage. In
eispielhafter Kooperation zwischen dem Bund und al-
en fünf Küstenländern haben wir in anderthalb Jahren
ine Einrichtung geschaffen, die ein einheitliches und
amit effektives Unfallmanagement bei schweren Hava-
ien gewährleistet und beispielhaft in Europa ist, und
war unter Ausschöpfung des rechtlichen Spielraumes,
hne Änderung der grundgesetzlich garantierten Aufga-
enverteilung zwischen Bund und Küstenländern. Jeder
ann sich vor Ort über die geleistete Arbeit informieren;
ptimieren wird man sie weiterhin, zum Beispiel nach
leinen und großen Übungen.
Es besteht keine Notwendigkeit, das Grundgesetz zu
ndern: weder für das Havariekommando noch für die
üstenwache, für Havarien weder noch für denkbare ter-
oristische Angriffe auf oder von See. Eine Rechtsper-
önlichkeit ist nicht notwendig.
Teilweise müssen sehr unterschiedliche Aufgaben mit
och spezialisierten Schiffen und Personal erledigt wer-
en. Denken Sie dabei nur an die Wartung der See-
eichen – eine Routineaufgabe der Wasser- und
chifffahrtsverwaltung. Oder an die grenzpolizeiliche
icherung – eine originäre Aufgabe des Bundesgrenz-
chutzes. Oder an die Kontrollen zur Einhaltung der Be-
ischungsraten – eine der Hauptaufgaben der Fischerei-
chutzboote.
Eine neue nationale Behörde – wie von Ihnen gefor-
ert – würde hier mehr neue Probleme schaffen, als be-
tehende Probleme lösen: Die Einrichtung einer Bundes-
üstenwache nach Ihren Vorstellungen würde bewährte
10474 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2004
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Strukturen und Ressorts aufbrechen – und das nur, damit
neue Strukturen und Ressorts mit denselben Aufgaben
und denselben Zuständigkeiten wieder aufgebaut wer-
den. Der heutige Koordinierungsverbund Küstenwache,
auf den Sie, meine Damen und Herren der Opposition,
zu Ihrer Regierungszeit sehr stolz waren, hat sich im
Kern bewährt. Die Zusammenarbeit zwischen dem Ko-
ordinierungsverbund Küstenwache und dem Havarie-
kommando funktioniert.
Dennoch gilt es, neuen Anforderungen gerecht zu
werden. Wir wollen eine Küstenwache. Wir wollen
Havariekommando, Küstenwache und Point of Contact
unter einem Dach. Die Minister haben sich für den
Standort Cuxhaven entschieden, was ich persönlich na-
türlich sehr begrüße. Es gilt, bestehende Strukturen zu
überprüfen und Synergieeffekte zu nutzen: Wasser-
schutzpolizeien und andere Landesbehörden werden
weiterhin in einem neuen Küstenwachezentrum betei-
ligten. Wir werden behördenübergreifende Organisa-
tions- und Weisungsstrukturen, insbesondere für den
Ernstfall, schaffen. Die Zusammenarbeit der verschiede-
nen Bundes- und Landesbehörden muss einheitlich koor-
diniert werden. Es wird ein rasch einsatzfähiges Lage-
und Einsatzzentrum für Nord- und Ostsee unter einem
Dach geschaffen.
Dabei ist eins klar: Den von der CDU/CSU heraufbe-
schworenen Kompetenzwirrwarr im Falle einer terroris-
tischen Bedrohung wird es in der Realität nicht geben.
Ein solcher Ernstfall, von dem wir natürlich hoffen, dass
er niemals eintreten wird, löst eine polizeiliche Sonder-
lage mit entsprechend klaren Strukturen und Zuständig-
keiten aus. Jedes zuständige Ressort erhält umfassende
Kompetenzen und Weisungsbefugnisse. Auf dem Land
sprechen Sie auch nicht von Kompetenzwirrwarr. – Hier
gibt es ebenfalls je nach Gefahrenlage und Situation un-
terschiedliche Zuständigkeiten. Der Bundesgrenzschutz
kooperiert mit der Polizei der verschiedenen Bundeslän-
der und dem Zoll – und keiner würde ernsthaft behaup-
ten, dass es dort Unklarheiten über die Aufgabenvertei-
lung gibt.
Der Föderalismus, meine Damen und Herren, hat sich
im Bereich der Gefahrenabwehr bewährt. Er ist fester
Bestandteil unseres Grundgesetzes und unserer Gesell-
schaft. Er verhindert durch die örtliche Verteilung und
die Verschränkung von Kompetenzen auf verschiedene
Institutionen und Personen, dass sich zu viel Macht in ei-
ner Hand zusammenfindet. Aus diesem Grund ist unser
Ziel: die optimale Koordinierung der vorhandenen
Strukturen in Abstimmung mit den Bundesländern, im
Alltagsbetrieb und im Ernstfall – und nicht die Zentrali-
sierung von Kompetenzbereichen.
Meine verehrten Damen und Herren, nun gilt es, die
vorhandenen Kräfte zu bündeln. Lassen Sie uns Bewähr-
tes optimieren, damit die neue Küstenwache, eine
schlagkräftige Antwort auf mögliche neue Gefahren
wird.
Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Grund-
sätzlich begrüßen wir Ihr Bemühen um mehr Sicherheit
vor der deutschen Küste; das ist keine Frage. Keine
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rage ist auch, dass das Havariekommando eine wich-
ige Teilfunktionalität der Maritimen Notfallvorsorge
arstellt.
Ob das allerdings ausreicht, um im Ernstfall wirklich
mfassend zu reagieren, scheint die Regierungskoalition
n ihrem Antrag selbst anzuzweifeln. Nur so ist die For-
erung nach einer schnelleren, effektiveren und kosten-
ünstigeren Zusammenarbeit in dem vorliegenden An-
rag zu erklären.
Ihre Zweifel sind berechtigt. Durch die derzeitige
truktur der maritimen Überwachungs- und Vollzugs-
ufgaben ist auch das Havariekommando nur bedingt
insatzfähig. Deutlich wurde dies im Dezember letzten
ahres, als der Frachter „Andinet“ drei Container und
3 Fässer mit hochgiftigem Holzschutzmittel vor der
iederländischen Küste verlor. Als die Fässer an den ost-
riesischen Inseln zu stranden drohten, fühlte sich das
avariekommando – so der damaligen Berichterstattung
u entnehmen – zunächst nicht zuständig. Eine katastro-
hale Informationspolitik hat die Bevölkerung vor Ort
usätzlich beunruhigt. Die notwendige Zusammenarbeit
wischen den regionaler Behörden und dem Havarie-
ommando hat es anscheinend nicht gegeben. Die Fässer
reiben noch immer im Meer; die Suche wurde abgebro-
hen. Damit ist die erste Bewährungsprobe für das Ha-
ariekommando beinahe selbst zur Havarie geworden.
Die anhaltende Abwehrhaltung gegenüber einer ein-
eitlichen Küstenwache ist für uns nicht nachvollzieh-
ar. Denn im Ziel sind wir uns einig: Wir brauchen einen
mfassenden Seesicherheits-, nicht nur einen Küsten-
chutz, professionell und kostengünstig. Dafür müssen
ie rechtlichen Voraussetzungen jetzt geschaffen wer-
en. Alle im Koalitionsantrag aufgeführten – richtigen –
orderungen lassen sich durch die Schaffung einer natio-
alen Küstenwache auf Anhieb verwirklichen. Doch ist
er Antrag lediglich ein weiterer Schritt zur „Koordinie-
ung der Koordination“, anstatt endlich einem ganzheit-
ichen Lösungsansatz zu folgen und die Kräfte in einer
and, mit einheitlicher nationalen Küstenwache nach
em möglichen Beispiel der US Coast Guard, zu bün-
eln. Durch den Antrag wird das Hauptproblem, nämlich
as Nebeneinander von vier verschiedenen Bundesres-
orts und 16 Dienststellen auf dem Wasser, nicht beho-
en. Es wird lediglich Flickschusterei betrieben.
Auch nach einer Optimierung der bestehenden Struk-
uren des Koordinierungsverbundes Küstenwache bleibt
mmer noch erheblicher Abstimmungsbedarf. Der von
ns geforderte Einsatz der Bundesmarine gegen terroris-
ische Angriffe wird immer wieder mit dem Verweis auf
ie Amtshilfe bzw. das Seerechtsübereinkommen abge-
iesen. Der Abstimmungsbedarf im Notfall nimmt da-
urch allerdings nicht ab, sondern zu.
Der Einsatz der Bundesmarine muss auf eine eindeu-
ige und gesicherte Rechtsgrundlage gestellt werden,
enn im Ernstfall können BGS und Bundesmarine nicht
irekt angefordert werden. Die Ankündigung von Bun-
esverkehrsminister Peter Struck in den „Lübecker
achrichten“, der offensichtlich unseren Antrag sorgfäl-
ig gelesen und verstanden hat, die Bundeswehr jetzt
uch zur Bekämpfung von Terrorgefahren auf See ein-
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2004 10475
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setzen zu wollen, begrüßen wir; denn damit erfüllt die
Bundesregierung ein seit langem gefordertes Anliegen
der Unionsparteien. Um diese Entscheidung auf eine ge-
sicherte Rechtsgrundlage zu stellen, muss die Bundesre-
gierung jetzt wie bei der Luftsicherheit für eine Ände-
rung des Grundgesetzes sorgen. Ein Staatsvertrag ist nur
die zweitbeste Lösung. Er ermöglicht einen Interpreta-
tionsspielraum und damit neue Irritationen. Das in der
Vereinbarung fehlende Durchgriffsrecht ist ein Beispiel
dafür.
Schon jetzt sind die zahlreichen Verträge und Verein-
barungen zwischen dem Koordinierungsverbund Küs-
tenwache und dem Havariekommando selbst für Fach-
leute kaum durchschaubar. Dies führt zwangsläufig zu
erheblichen Koordinierungs- und Effizienzverlusten, ab-
gesehen davon, dass in der Sicherheitspraxis alle alten
Mängel bleiben. Die kompetenten Kräfte vor Ort benöti-
gen eine einheitliche Grundlage für das gefahrvolle Han-
deln.
Der Antrag der Regierungsfraktionen wird hier leider
keine wesentliche Abhilfe schaffen. Fakt ist: Es besteht
ein Behördendurcheinander und das wird auch durch
weitere Optimierungsversuche nicht wesentlich besser.
Unsere Forderung lautet deshalb nach wie vor: Wir
brauchen eine nationale Küstenwache mit monokrati-
scher Führungsstruktur, in der alle schwimmenden Ein-
heiten von Bund und Ländern straff zusammengefasst
sind. Wir sind uns in dieser Frage nicht nur mit der
CDU-Landtagsfraktion in Kiel einig, sondern mit allen
Fraktionen des Landtages Schleswig-Holstein und
Mecklenburg-Vorpommern.
Für eine deutsche Küstenwache zu sein ist kein tages-
politischer Populismus, sondern eine Forderung, die wir
seit fünf Jahren erheben und die sich auch aus Erfahrun-
gen der Havarien der „Pallas“ und einiger Beinahe-Ha-
varien der Vergangenheit ergibt, eine Forderung, wie sie
sehr sachkundig und verdienstvoll auch von Hans von
Wecheln von der Schutzgemeinschaft Deutsche Nord-
seeküste vertreten wird.
Wir begrüßen die Schaffung eines Küstenwach-
zentrums für Nord- und Ostsee. Das ist die Grundlage
für eine deutsche Küstenwache. Allerdings bedauern wir
die einseitige und unabgestimmte Vorankündigung des
Bundesinnenministers und des Bundesverkehrsminis-
ters, Cuxhaven zum Standort des neuen Zentrums zu be-
nennen. Die voreilige Festlegung nimmt keine Rücksicht
auf die vorherrschende gute Infrastruktur am Standort
Neustadt. Hier darf das letzte Wort noch nicht gespro-
chen sein.
Was bei dem bisherigen Konzept auch fehlt, ist eine
Zuordnung der Seesicherheitskräfte der Küstenländer.
Sie haben bisher einen verantwortungsbewussten Dienst
erwiesen und dürfen jetzt nicht in die Ecke gestellt wer-
den. Das gilt auch für den BGS.
Nach wie vor sind wir von der CDU/CSU-Bundes-
tagsfraktion der Auffassung, dass wir eine nationale
Küstenwache brauchen, weil nur dann im Notfall Ver-
antwortung und Führung in einer Hand liegen und ein
Einsatz reibungslos erfolgen kann, weil nur so Material
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nd Ausbildung gemeinsam bereitgestellt und durch Sy-
ergieeffekte Kosten eingespart werden können, weil
ur so hohe einheitliche Standards in der Qualität der
ollzugskräfte gewährleistet werden können, weil nur
ann Doppelarbeit sowohl im Vollzug als auch im admi-
istrativen Bereich vermieden werden kann und weil nur
ine bundesweite Finanzierung eine gerechte Lastenver-
eilung gewährleistet.
Ein zweiter Schritt – nach der Schaffung eines Küs-
nwachenzentrums – ist, das Nebeneinander von vier
erschiedenen Bundesressorts endlich zu beenden. Alle
undesvollzugsaufgaben auf See müssen in einem eige-
en Amt oder dem kompetentesten Ministerium zusam-
engefasst werden. Ein letzter Schritt ist die Übertra-
ung aller Landeskompetenzen auf See auf den Bund bei
erücksichtigung der gewachsenen Länderstrukturen.
afür ist eine Änderung des Grundgesetzes notwendig.
Auch auf europäischer Ebene wird das Thema einer
uropäischen Küstenwache weiter auf der Tagesordnung
tehen. Deutschland muss sich jetzt zügig darauf vorbe-
eiten. Brüssel muss wissen, ob und wann es mit einem
inheitlichen Konzept der deutschen Seite rechnen kann.
ie EU erwartet einen Ansprechpartner.
Die ständigen Optimierungsversuche sind langfristig
eine Lösung. Um eine nationale deutsche Küstenwache
erden wir langfristig nicht herumkommen. Für die Si-
herheit der Menschen auf See und an der Küste und
um Schutz der einzigartigen Ökosysteme in Nord- und
stsee benötigen wir jetzt eine nationale Küstenwache.
Dr. Ole Schröder (CDU/CSU): Sechs Monate nach
em Antrag der CDU/CSU-Fraktion zur Schaffung einer
ationalen Küstenwache debattieren wir heute über den
ntrag von SPD und Grünen zur Optimierung der Küs-
enwache – sechs Monate wertvolle Zeit, die wir im
inne des gemeinsamen Wunsches nach mehr Sicherheit
uf deutschen Meeren besser hätten nutzen können,
echs Monate, in denen wir den Antrag der CDU/CSU
eraten und umsetzen hätten können.
Doch besser spät als nie – aus diesem Grund begrüße
ch den Antrag von der SPD und von den Grünen aus-
rücklich. Er zeigt, dass sich inzwischen auch bei Ihnen
umindest ein Problembewusstsein entwickelt hat.
Wo liegen die Gemeinsamkeiten des vorliegenden
ntrages mit dem der CDU/CSU? Zu begrüßen ist, dass
ir uns darüber einig sind, dass für eine größtmögliche
icherheit auf Nord- und Ostsee ein schnelles einsatzfä-
iges Management für alle Gefahrenlagen erforderlich
st, dass die aktuellen Strukturen aus Effizienzgesichts-
unkten nicht optimal sind, und dass es daher einer
euen, effektiven Küstenwache mit einem zentralen Ein-
atzzentrum bedarf.
Ich halte fest: Wir wünschen uns alle mehr Sicherheit
uf See und erkennen, dass die gegebenen Strukturen
icht optimal sind. Wo liegen die Defizite der bisherigen
trukturen? Wir kennen alle die absurde Anzahl beteilig-
er Bundes- und Landesministerien und Behörden bei der
ewährleistung der Sicherheit auf See. Seit den 50er-
ahren wird nunmehr versucht, diese unterschiedlichen
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Kompetenzen durch immer weitere Kooperationsverein-
barungen zu koordinieren. Mittlerweile gibt es 25 Ver-
träge! Das Ergebnis ist ein Nebeneinander von Einheiten
und Zuständigkeiten, das mittlerweile selbst von Exper-
ten kaum noch überblickt werden kann.
Genau diese ineffizienten Strukturen planen die Kol-
legen von der SPD und den Grünen jetzt fortzuschrei-
ben. Ihr Antrag sieht keinerlei wesentliche strukturellen
Änderungen vor. Im Gegenteil, sie planen ein weiteres
Kapitel der unendlichen Koordinierungsgeschichte, sie
planen die Fortsetzung des institutionellen Chaos.
In welchen Bereichen leidet die Sicherheit auf unse-
ren Meeren unter der fehlerhaften Organisationsstruk-
tur? Betrachten wir zunächst die Abwehr von Gefahren
durch Terror und organisierte Kriminalität. Hier ist oft-
mals Zeit ein besonders kritischer Faktor; es zählen mit-
unter Stunden oder sogar Minuten. Für diese Aufgabe
verfügen BGS und die WSP über bestens ausgebildetes
Personal. Dazu existieren gut ausgestattete Boote. Auch
auf die Marine können wir im Bereich der Terrorismus-
abwehr nicht verzichten. Doch für einen effizienten und
schnellen Einsatz von Mann und Material benötigen wir
klare Befehlsstrukturen mit eindeutigen Handlungsbe-
fugnissen. Genau diese sind jedoch nicht vorhanden.
Zeit raubende Koordinierung unterschiedlicher Behör-
den kann hier über Erfolg und Misserfolg entscheiden.
Wie ist es um die Abwehr von Gefahren durch Hava-
rien bestellt? Hier sind wir besser aufgestellt. 2003 ist
mit dem Havariekommando eine Organisationsstruktur
bei komplexen Schadenslagen geschaffen worden, die
gegenüber der vorherigen Situation eine eindeutige Ver-
besserung darstellt. Es muss jedoch auch klar gesagt
werden: Die gute Arbeit verdanken wir dem motivierten
und engagierten Leiter des Havariekommandos sowie
dem gesamten Personal. Die gute Arbeit wird hier nicht
aufgrund, sondern trotz der bestehenden Organisations-
struktur erbracht: Klare Befehlsstrukturen existieren
auch hier nicht; auch im so genannten komplexen Scha-
densfall fehlen dem Leiter des Havariekommandos die
notwendigen Kompetenzen.
So sehen keine Strukturen aus, die innerhalb der Eu-
ropäischen Union vorbildlich sein sollen. Sie halten ei-
nem Vergleich mit den Küstenwachen Englands, Schwe-
dens oder der Niederlande nicht stand. Vielmehr wird
am Beispiel des deutschen Havariekommandos deutlich,
wie aufgrund der föderalen Aufgabenerfüllung notwen-
dige Reformen nicht am Erforderlichen, sondern am ak-
tuell Möglichen ausgerichtet werden.
Wie sieht es neben den geschilderten Extremsituatio-
nen mit dem Alltagsbetrieb aus? Schon aus Kostenge-
sichtspunkten ist es erforderlich, alle Patrouillefahrten
aufeinander abzustimmen, nicht nur zwischen den Boo-
ten, die für den Bund unterwegs sind, sondern auch zwi-
schen den Booten des Bundes und denen der Wasser-
schutzpolizeien der Länder. Hierauf hat bereits der
Rechnungshofbericht hingewiesen. Es muss möglich
sein, dass unterschiedliche Experten auf einem Schiff
fahren. Wenn ein Schiff auf hoher See kontrolliert wird,
können sowohl Grenzdelikte als auch Zolldelikte oder
Umweltdelikte auftreten.
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Sie von den Grünen und der SPD planen nach dem
otto „Wir stecken alle Verantwortungsträger in einen
roßen Raum und hoffen auf gute Zusammenarbeit“!
ieses Vorgehen – ohne gleichzeitig klare Organisa-
ionsstrukturen zu schaffen – kann klappen, wenn sich
lle Beteiligten gut verstehen und gut zusammen arbei-
en; es muss jedoch nicht klappen.
Lassen Sie uns bei der Sicherheit auf deutschen Mee-
en kein unnötiges Risiko eingehen! Beenden wir ge-
einsam die gescheiterten Koordinationsversuche! Or-
anisieren wir die Strukturen zur Gefahrenabwehr auf
ee nicht weiter entsprechend Ministerien und föderalen
trukturen, sondern nach der Aufgabe, der Gefahrenab-
ehr! Wir benötigen eine einheitliche nationale Küsten-
ache, die alle bestehenden Aufgaben, auch präventive,
ahrnimmt. Nur so kann das notwendige Zusammen-
piel aller Einsatzkräfte perfekt funktionieren, werden
lare Weisungsstränge für alle zur Selbstverständlichkeit
nd wird ein höchstmögliches Maß an Professionalität
nd Schlagkraft sichergestellt.
An die Kollegen, speziell der SPD-Fraktion, die Bitte:
agen wir gemeinsam einen wirklichen Schritt nach
orn! Legen Sie Ihren Antrag zu den Akten und stimmen
ie unserem Antrag zu!
Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
EN): Letzten Montag haben meine Kollegin Silke
tokar und ich ein Fachgespräch zu Küstenschutz und
üstenwache veranstaltet. Die an diesem Fachgespräch
eteiligten wie zum Beispiel das Bundesinnenministe-
ium, die Innenministerien Schleswig-Holsteins und
iedersachsens und die Schutzgemeinschaft Deutsche
ordseeküste waren einer Meinung: Wir brauchen eine
ffektivere und effizientere Aufgabenerledigung beim
üstenschutz! Einig waren wir uns auch darin, dass das
um 1. Januar 2003 eingerichtete gemeinsame Havarie-
ommando als zentrale Führungseinheit bei komplexen
chadenslagen einen wichtigen Schritt zur Bewältigung
on Havarien darstellt. Aber dieser Schritt reicht nicht
us. Denn nach wie vor besteht – auf der Ebene der fünf
üstenländer sowie auf der Ebene des Bundes – ein Ne-
eneinander von vielfältigen Kompetenzen bei der See-
icherheit, der Überwachung, dem Zoll, dem BGS, der
ischereiaufsicht sowie dem Seenot- und Rettungs-
ienst. Wir haben also auch weiterhin eine Behörden-
ielfalt bei weitgehend deckungsgleicher Aufgabenstel-
ung. Diese Behörden müssen im Alltagsbetrieb und
esonders in einer Sonderlage schneller, effektiver und
ostengünstiger zusammenarbeiten. Hierzu braucht das
avariekommando zunächst einen Unterbau, um im All-
agsgeschäft die Überwachung auf See organisieren zu
önnen.
Zudem müssen wir alle Kräfte dauerhaft in einer ein-
eitlichen Struktur bündeln. Eine räumliche Zusammen-
egung des Havariekommandos und des Küstenwach-
entrums oder eine Leitstelle der Wasserschutzpolizei
it Einbindung der „Vollzugsbehörden des Bundes“
eichten nicht aus. Deswegen fordern wir mit unserem
ntrag die Bundesregierung dazu auf, den 1994 einge-
ichteten Koordinierungsverbund Deutsche Küstenwa-
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2004 10477
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che zu einer neuen, effektiven Küstenwache auszubauen.
Wir wollen eine klare Führungs- und Leitungsstruktur
herstellen. Alle maritimen Vollzugsaufgaben müssen in
einer ganzheitlich zuständigen und eigenverantwortli-
chen Behörde gebündelt werden. Auch die Wasser-
schutzpolizeien der Länder müssen darin einbezogen
werden.
Die Vorteile dieser nationalen Küstenwache liegen
auf der Hand: eine zentrale nationale und internationale
Ansprech- und Meldestelle für die Schifffahrt und die
Behörden, eine effiziente und schlanke Verwaltung, Ein-
sparmöglichkeiten bei Technik und Logistik, einfache
und klare Führungsstrukturen und damit Handlungsfä-
higkeit, bessere Bewältigung maritimer Schadenslagen.
Die Bündelung der maritimen Vollzugszuständigkei-
ten ist zwar ein wichtiger, aber nicht der einzige Schritt,
um Nord- und Ostsee besser vor Umweltkatastrophen zu
schützen. Denn nicht nur die großen Schiffsunglücke der
letzten Jahre waren der Grund für massive Verschmut-
zungen der See. Auch die alltägliche Schadstoffbelas-
tung, beispielsweise durch illegale Schiffstankreinigun-
gen, muss verringert werden. Dies beweisen die immer
wieder im Wattenmeer zu findenden verölten Vögel.
Auch hier müssen dauerhafte Strukturen geschaffen wer-
den, um diese Belastungen deutlich zu verringern.
Die derzeitigen Verhandlungen in der Föderalismus-
kommission bieten vermutlich auf Jahre hinaus die letzte
Chance, um zu einer echten Küstenwache auch unter
Einbeziehung der Wasserschutzpolizeien der Länder zu
kommen. Auch aus finanziellen Gründen wäre es
schade, wenn ein solcher Durchbruch jetzt nicht gelänge,
da ja aus der Grobecker-Kommission bekannt ist, dass
mit deutlich weniger Personal- und Schiffseinsatz mehr
Effektivität für die Schiffssicherheit vor unseren Küsten
zu erreichen ist. Das sollte zumindest die Finanzpolitiker
zum Nachdenken veranlassen.
Wir alle sollten den Mut haben, jetzt durchgreifende
Veränderungen durchzuführen, um nicht durch eine er-
neute Katastrophe dazu gezwungen zu werden.
Hans-Michael Goldmann (FDP): Es ist erfreulich,
dass jetzt auch die Regierungskoalition einen Antrag in
das Verfahren eingebracht hat. Jetzt steht einer gemein-
samen Beratung aller drei Anträge in den Ausschüssen ja
nichts mehr im Wege.
In den letzten elf Jahren gab es nicht nur das Pallas-
Unglück mit den daraus resultierenden 24 Empfehlun-
gen der Grobecker-Kommission, die unter anderem die
Einrichtung einer nationalen Seewache forderte, sondern
auch die Landtage von Schleswig-Holstein und Meck-
lenburg-Vorpommern haben sich für die Einrichtung
einer solchen Küstenwache ausgesprochen und ihre
Bereitschaft signalisiert, Länderkompetenzen für eine
solche Küstenwache an den Bund abzugeben.
Der heute vorliegende Antrag bleibt leider weit hinter
der einstimmig im schleswig-holsteinischen Landtag
verabschiedeten Entschließung zurück.
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Bereits zum Jahreswechsel 1992/93 gab es eine inter-
raktionelle Initiative im Deutschen Bundestag mit dem
iel, eine nationale Küstenwache zu schaffen. FDP und
DU/CSU haben bereits entsprechende Anträge einge-
racht, Rot-Grün hat leider nicht entsprechend nachge-
ogen. Die FDP ist für gründliche Reformschritte und
ir fordern Rot-Grün auf, Schritt zu halten.
Zur Verbesserung der jetzigen Situation sind Ihre For-
erungen durchaus geeignet, aber Ihrem Antrag fehlt
ede Vision und Perspektive für die Zukunft. Es ist an
er Zeit, die notwendigen Schritte zu mehr maritimer Si-
herheit zu gehen. Die Einrichtung des Haveriekomman-
os war richtig und wichtig und inzwischen sind auch
eitere Verbesserungen bei der maritimen Sicherheit er-
eicht worden, aber das bisher Erreichte reicht eben noch
icht. Auch die Bemühungen, über einen Koordinie-
ungsverbund die Einsätze der auf See zuständigen Ab-
eilungen der unterschiedlichen Bundesministerien und
er Wasserschutzpolizeien besser zu verknüpfen, sind
islang nicht überzeugend.
Wir brauchen einen ganzheitlichen Lösungsansatz für
ie Safety- und Security-Probleme der Schifffahrt. Dabei
uss auch die Leichtigkeit des Schiffsverkehrs gewähr-
eistet sein.
Eine nationale Küstenwache bietet die Chance eines
ffizienteren Küstenschutzes, bei dem es im Fall von
nfällen nicht erst lange Koordinierungsschwierigkeiten
ibt und ein Kompetenzwirrwarr entstehen kann. Eine
ffiziente Personalverwaltung kann auf diesem Weg
benso erreicht werden wie ein effizientes Beschaf-
ungswesen; Doppelarbeit wird vermieden.
Unter Einbeziehung bisheriger Aufgaben der Länder
ichert eine Küstenwache einheitliche Standards für die
chifffahrt und eine faire Lastenteilung, denn von siche-
en Zufahrtswegen zu See profitieren nicht nur die Küs-
enländer, sondern alle Länder der Bundesrepublik.
Doch eine Küstenwache ist leichter gefordert als um-
esetzt. Es ist bedauerlich, dass der Antrag der Koali-
onsfraktionen zum Beispiel keine Aussage darüber trifft,
nwieweit es sinnvoll wäre, zumindest in einem ersten
chritt die Bundeskompetenzen zu bündeln.
Wenn Rot-Grün Zweifel an der Effizienz einer natio-
alen Küstenwache hat, sollten wir gutachterlich unter-
uchen lassen, mit welchen Schritten wir zu gutem und
ffizientem Küstenschutz und zu sicherem Schiffsver-
ehr kommen. Vielleicht können wir uns im Rahmen der
eiteren Beratung einig werden, eine solche Studie in
uftrag zu geben.
Angelika Mertens, Parl. Staatssekretärin beim Bun-
esminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen:
eute vor genau 60 Jahren ist Island zur unabhängigen
epublik geworden. Isländer verstehen viel von der See-
ahrt und sie verstehen viel von Philosophie. Halldor
axness zum Beispiel hat einmal gesagt:
„Was die Menschen trennt, ist gering, gemessen an
dem, was sie einen könnte.“
10478 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2004
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Das zeigen die Anträge, die heute eingebracht werden
wieder einmal sehr deutlich. Fangen wir mal mit dem
Gemeinsamen an; das ist atmosphärisch einfach ange-
nehmer.
Die deutschen Küstengewässer sind sicher. Das soll
auch so bleiben. Mit dem 11. September 2001 ergab sich
die Notwendigkeit, auch den Seeverkehr dem gestiege-
nen Sicherheitsbedürfnis anzupassen. Das setzt noch ef-
fektivere Kontrollinstrumente voraus. Der vorliegende
Antrag der Koalition weist einen guten Weg: Er bündelt
im Einsatzfall alle Kräfte des Bundes und der Länder. Er
stellt sie unter eine klare Führung mit kurzen Entschei-
dungswegen. Das ist der Kern unseres Anliegens.
Wir können uns im Einsatzfall keine langen Kom-
petenzgerangel und Abstimmungsrunden leisten.
Genausowenig können wir uns jahrelange Diskussionen
um eine Verfassungsänderung leisten. Es geht um eine
Modernisierung, es geht um eine Optimierung der
Küstenwache. Aber wir müssen das Rad nicht neu erfin-
den. Deswegen ist der Antrag der Koalition doppelt
wertvoll. Er weist einen Weg, die Küstenwache inner-
halb der bestehenden Strukturen zu stärken. „Innerhalb
der bestehenden Strukturen“ bedeutet vor allem, dass
wir es uns ersparen, vorher langwierige Verfassungsfra-
gen zu klären. Ganz einfach deshalb, weil es nicht sein
muss. Das sollte eigentlich auch von der Opposition be-
grüßt werden.
Allerdings scheiden sich an dieser Frage in der CDU
immer noch die Geister: Während die Bundestagsfrak-
tion eine Grundgesetzänderung fordert, lehnt die Lan-
desregierung in Niedersachsen sie strikt ab. Auf genau
solche Diskussionen müssen wir uns nicht einlassen. Wir
kommen auf der Basis des geltenden Rechts zu ebenso
wirkungsvollen Ergebnissen. Alle notwendigen Maß-
nahmen lassen sich im Rahmen der bestehenden Zustän-
digkeiten regeln. Mit dem Koordinierungsverbund Küs-
tenwache und dem Havariekommando haben wir bereits
erfolgreiche Einrichtungen, auf denen wir aufbauen kön-
nen. Das wird Ihnen jeder, der sich das in Cuxhaven ein-
mal angesehen hat, gerne bestätigen. Es ist das erklärte
Ziel der Bundesregierung, alle relevanten Einrichtungen
unter einem Dach zusammenzubringen und sie in die
Lage zu versetzen, im Alltagsbetrieb noch enger zusam-
menzuarbeiten.
Jede Sonderlage erfordert eine schlagkräftige Organi-
sation und unmissverständliche Führungs- und Entschei-
dungsstrukturen. Im Ernstfall muss das jeweils zuständige
Ressort umfassende Kompetenzen und Weisungsbefug-
nisse haben. Bei einer Havarie führt der Leiter des Hava-
riekommandos, im Falle einer terroristischen Bedrohung
hat die Polizei das Sagen.
Das Kernstück der gemeinsamen Einrichtung wird
das gemeinsame Führungs- und Lagezentrum. Als ein-
heitliche Informationsplattform gewährleistet es eine
schnelle und angemessene Einsatzabwicklung. Die De-
tails werden derzeit von den beteiligten Ressorts erarbei-
tet. Die Bundesregierung ist bereits mit den Ländern im
Gespräch, um sie für eine Zusammenarbeit mit der Küs-
tenwache unter einem Dach zu gewinnen. Da können
wir ganz optimistisch sein, denn die Küstenländer ver-
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olgen mit ihren Wasserschutzpolizeien die gleiche Ziel-
ichtung.
Ich will das noch einmal ausdrücklich betonen: Die
ehörden der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung, des
undesgrenzschutzes, des Zolls und des Fischereischut-
es arbeiten bereits heute mit großer Kompetenz. Die
ualität dieser Arbeit wird auch von der Schifffahrt voll
nerkannt.
Die Behörden werden unterschiedlichsten Aufgaben
nd Anforderungen gerecht. Dafür verdienen sie unseren
espekt und unsere Anerkennung. Natürlich kann man
elbst Gutes noch verbessern. Deshalb wird derzeit auch
eprüft, ob und wie die gut funktionierende Zusammen-
rbeit zwischen dem Koordinierungsverbund Küstenwa-
he und dem Havariekommando weiter optimiert wer-
en kann. Wir sollten aber darauf achten, dass wir die
ewährten bestehenden Strukturen nicht zerschlagen,
ur weil unbedingt etwas verändert werden soll.
Dazu ist das Thema zu wichtig. Es geht um die Si-
herheit der deutschen Küstengewässer. Die müssen wir
auerhaft gewährleisten. Lassen Sie uns das machen, in-
em wir die erforderlichen Einsatzstrukturen für den
otfall schaffen, ohne den Alltagsbetrieb auf den Kopf
u stellen.
nlage 5
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Anträge:
– Wirtschaftliche und organisatorische Struk-
turen der Deutschen Flugsicherung dauer-
haft verbessern
– Erträge der Deutschen Flugsicherung (DFS)
durch das QTE-Lease (US-Cross Border
Leasing Transaction) vollständig bei der
DFS als Eigenkapital belasten
(Tagesordnungspunkt 19a und b)
Hans-Günter Bruckmann (SPD): Der Luftverkehr
ar und ist eine Wachstumsbranche. Aber – und das ha-
en der 11. September 2001 und die Krankheit SARS
ezeigt – auch in Wachstumsbranchen gibt es nicht nur
ontinuierliche Zuwächse, sondern auch starke Schwan-
ungen, auf die die Beteiligten im Bereich der Luftver-
ehrswirtschaft angemessen reagieren können müssen.
ie wirtschaftlichen und organisatorischen Strukturen
er Deutschen Flugsicherung dauerhaft zu verbessern
nd sie an die starken Veränderungen im Luftverkehr an-
upassen ist die gemeinsame Zielsetzung des interfrakt-
onellen Antrags.
Veränderungen sind für die DFS nichts Neues: Die
eschichte der DFS ist eine Erfolgsstory des dauerhaf-
en Wandels. Das zeigt die Organisationsprivatisierung
er Bundesanstalt für Flugsicherung zur Deutschen
lugsicherung GmbH – DFS – zum 1. Januar 1993. Mit
er zivil-militärischen Integration, 1994, der Beteiligung
n europäischen Projekten, ab 1996, dem DFS-Betriebs-
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2004 10479
(A) )
(B) )
stättenkonzept, 1997, dem Beitritt der DFS zur „Single
Sky Group“, 2001, der Einführung der prozessorientier-
ten „DFS-Zielorganisation“, 2001, der Entwicklung ei-
nes internationalen FS-Procurementsystems, 2002, und
der internationalen Auszeichnung „Eagle Award“ der
IATA – um nur einige Beispiele für einen erfolgreichen
Wandel zu nennen – zeigt sich die Zukunftsfähigkeit der
DFS.
Diese Strukturanpassungen müssen weitergehen. Dies
betrifft vor allem den Rahmen, in dem die DFS wirt-
schaftlich tätig sein kann und darf. Als der Bund 1992
die Deutsche Flugsicherung GmbH gründete, stattete er
sie mit einem Eigenkapital von 154,3 Millionen Euro
aus. Damaliges Ziel war es, mittelfristig eine Eigenkapi-
talquote von 20 Prozent zu erreichen. Wir alle wissen,
dass es dabei ein Hindernis gibt: Dieses Hindernis ist das
derzeitige Flugsicherungsgebührensystem, das auf Voll-
kostendeckung ohne Gewinnerzielung ausgerichtet ist.
In guten Zeiten funktioniert das hervorragend und wenn
alle Prognosen sogar übererfüllt worden sind – und die
Kassen geklingelt haben –, war die Lastenverteilung ge-
recht und wurde vom Markt akzeptiert.
In schlechten Zeiten aber – und das haben die Folgen
des 11. September 2001 und SARS gezeigt – stößt das
bisherige System an seine Grenzen: Die durch den Rück-
gang der Flugbewegungen ausgelöste Unterdeckung
hätte es eigentlich erforderlich gemacht, diese Unterde-
ckung in die Gebühren des Folgejahres einfließen zu las-
sen. Bei gleichbleibend schlechter Konjunktur, insbe-
sondere in der Luftfahrt, ist es aber schlicht nicht
möglich, diese zwangsläufig höheren Gebühren am
Markt durchzusetzen. Es bleibt: Ein Defizit in der Kasse
der DFS.
Fakt ist: Nach wirtschaftlich erfolgreichen Jahren war
das Eigenkapital der DFS bis zum Jahr 2000 zunächst
auf 210,4 Millionen Euro angewachsen. Durch die kon-
junkturelle Entwicklung und die Ereignisse des 11. Sep-
tember 2001 aber hat die DFS im Wirtschaftsjahr 2001
erstmalig mit einem handelsrechtlichen Verlust in Höhe
von 33,4 Millionen Euro abgeschlossen. Diese Entwick-
lung hat sich im Jahr 2002 fortgesetzt und wäre ebenso
für 2003 zu erwarten gewesen, wenn nicht außerordent-
liche Erträge durch das im Antrag angesprochene QTE-
Leasing erzielt worden wären.
Insgesamt wäre es also besser gewesen, das Gebüh-
rensystem so zu gestalten, dass derartige Schwankungen
besser verkraftbar sind und das Eigenkapital der DFS ge-
stärkt wird, getreu einem anderen, ebenso wahren
Sprichwort: „Spare in der Zeit – dann hast Du in der
Not“. Das ist zum einen der Grund dafür, warum das bis-
herige Gebührensystem der DFS einer Reform bedarf
aber gleichzeitig auch Begründung dafür, dass wir das
Eigenkapital der DFS dadurch stärken wollen, dass wir
einen durch Abschluss des QTE-Leasingvertrages erziel-
ten einmaligen und außerordentlichen Ertrag in der DFS
als Eigenkapital belassen.
Aber nicht nur das Gebührensystem, sondern auch an-
dere Rahmenbedingungen für die DFS bedürfen einer
Weiterentwicklung: Bislang sind auch die Möglichkeiten
der DFS, durch Beteiligungen in anderen Geschäftsfel-
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ern außerordentliche Erträge zu erwirtschaften, sehr be-
chränkt.
Zwar hat der Deutsche Bundestag mit der 11. Novelle
um Luftverkehrsgesetz der DFS die Möglichkeit einge-
äumt, sich zusätzliche Geschäftsfelder zu erschließen,
ach § 65 Bundeshaushaltsordnung dürfen aber Beteili-
ungen von mehr als 25 Prozent nur im Einvernehmen
it dem Bundesministerium der Finanzen eingegangen
erden. Hier benötigen wir größere Flexibilität, um wei-
ere Beteiligungen der DFS in anderen Geschäftsfeldern
öglich zu machen und zusätzlich die DFS für andere
esellschafter zu öffnen.
Der bestehende Ordnungsrahmen für die DFS muss
aher verfassungskonform weiterentwickelt werden,
hne jemals die Hauptaufgabe der DFS, die Sicherung
es Luftraums in Deutschland, infrage zu stellen.
Die Öffnung der DFS für andere Gesellschafter bietet
ber die Chance, sowohl das Eigenkapital der DFS zu
erstärken als auch zusätzlichen unternehmerischen
achverstand für das Unternehmen zu gewinnen.
Aber nicht alle Änderungen, die noch erforderlich
ind, können von der DFS alleine vorgenommen werden.
ier ist die Politik gefordert. Wir wollen uns dieser be-
echtigten Forderung nicht verweigern und haben – nach
ahlreichen und langen Verhandlungen – gemeinsam
inen Antrag eingebracht, um die nötigen Veränderun-
en zu ermöglichen, die die DFS zukunftsfähig machen
ollen.
Dieser gemeinsame Antrag aller Fraktionen auf der
rucksache 15/2393 ist vom Ausschuss für Verkehr, Bau-
nd Wohnungswesen in seiner Sitzung vom 11. Februar
004 einstimmig angenommen worden. Der ursprünglich
on der CDU/CSU-Fraktion zu diesem Thema einge-
rachte Antrag auf der Drucksache Nr. 15/1322 wurde für
rledigt erklärt. So weit, so gut.
Im Film lächeln immer alle an dieser Stelle und der
bspann beginnt, außer man gerät in einen französi-
chen Film, da beginnt das Drama dann meist erst. Im
eben ist das gelegentlich anders, da trübt dann schon
al ein Wermutstropfen die Freude über die erreichten
emeinsamkeiten.
Hier trägt dieser Wermutstropfen die Drucksachen-
ummer 15/2828 und ist der Antrag der Opposition, die
rträge der Deutschen Flugsicherung durch das QTE-
easing vollständig bei der DFS als Eigenkapital zu be-
assen. Und da fühle ich mich dann plötzlich in einen
ranzösischen Film versetzt, zielt doch dieser Antrag
arauf, den zweiten Spiegelstrich im Forderungsteil des
emeinsamen Antrags zu ersetzen. Dort lautet die For-
ulierung:
… einen durch Abschluss des QTE-Leasingvertra-
ges erzielten einmaligen und außerordentlichen Er-
trag in der DFS als Eigenkapital zu belassen.
Hintergrund dieser Formulierung war und ist die In-
ention, den Ertrag aus dem QTE-Leasing zu einem Drit-
el dem allgemeinen Haushalt, zu einem Drittel dem Ver-
ehrsetat und zu einem Drittel der DFS zukommen zu
assen. Diese Aufteilung ist jetzt weder neu noch
10480 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2004
(A) )
(B) )
ungewöhnlich und war und ist auch kein Geheimnis. Im
Gegenteil: Alle – das wiederhole ich an dieser Stelle –
alle, die an der Schaffung des gemeinsamen Antrags be-
teiligt waren, wussten, dass genau diese Aufteilung und
nur diese Aufteilung der notwendige Kompromiss war!
Wenn man dann aber nach langem Ringen und Ver-
handeln – in diesem Fall wurde nun wirklich außerge-
wöhnlich lange verhandelt – zu einem Kompromiss ge-
kommen ist, dann sollte man auch zu diesem
Kompromiss stehen.
Aus diesem Grund kann ich den neuerlichen Zusatz-
antrag wirklich nicht nachvollziehen: Er stellt einen der
Eckpfeiler des gemeinsam zwischen allen Beteiligten
ausgehandelten Kompromisses infrage. Das wissen na-
türlich auch die Antragsteller.
Ich rate den lieben Kolleginnen und Kollegen der Op-
position zur vorsichtigen Annäherung an die Realität
und an die Erkenntnis, dass nur der gemeinsame Antrag
aller Fraktionen die Unterstützung aller Beteiligten fin-
den konnte und finden kann und dass der neue Zusatzan-
trag vor diesem Hintergrund nicht besonders sinnvoll
und schon gar nicht zielführend ist. Er kann daher auch
nur abgelehnt werden!
Dennoch möchte ich mich noch einmal bei denjenigen
Kolleginnen und Kollegen – aller Fraktionen – bedanken,
die an der langwierigen Schaffung des gemeinsamen An-
trags mitgewirkt haben, zur Weiterentwicklung der DFS
und des Luftfahrtstandorts Deutschland.
Norbert Königshofen (CDU/CSU): 1992 hat der
Bundestag mit der 10. Novelle zum Luftverkehrsgesetz
die Organisationsprivatisierung der Flugsicherung in
Deutschland durchgesetzt. Daraufhin gründete der Bund
die DFS Deutsche Flugsicherung GmbH. Wegen ihrer
Kernaufgabe der Luftverkehrskontrolle muss sie sich aus
verfassungsrechtlichen Gründen mehrheitlich in Bun-
deseigentum befinden. Tatsächlich gehört die DFS bis
heute noch zu 100 Prozent dem Bund.
Das Eigenkapital der DFS betrug bei Gründung
154,3 Millionen Euro und sollte durch handelsrechtliche
Gewinne aufgestockt werden. Im Jahr 2000 war das Ei-
genkapital dann auf 210,4 Millionen Euro angewachsen.
Die Entwicklung der DFS war anfangs eine Erfolgsstory.
Im Jahr 2000 wurde ihr vom internationalen Verband der
Fluggesellschaften, IATA der „Eagle Award“ als bester
Flugsicherungsdienstleister der Welt verliehen. Der Ver-
band würdigte so die Leistungen der DFS bei Sicherheit,
Pünktlichkeit und Kostenbewusstsein.
Der terroristische Anschlag auf das World Trade Cen-
ter am 11. September 2001 sowie die allgemeine kon-
junkturelle Entwicklung haben den internationalen Luft-
verkehr schwer beeinträchtigt. In der Folge schloss die
DFS das Wirtschaftsjahr 2001 mit einem handelsrechtli-
chen Verlust in Höhe von 33,4 Millionen Euro ab. Auch
2002 betrug der Verlust rund 30 Millionen Euro. Die
Folge war, dass das Eigenkapital auf rund 141 Millionen
Euro zurückging. Gleichzeitig wuchs die Verschuldung
der DFS bis Ende 2002 auf rund 600 Millionen Euro.
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Die Entwicklung zeigt, dass das bisherige Flugsiche-
ungsgebührensystem die wirtschaftliche und finanzielle
asis der DFS nur unzureichend sichert. Es ist ein
chönwettersystem, das der DFS in wirtschaftlich
chlechten Zeiten zu wenig Handlungsspielraum lässt.
ach dem Luftverkehrsgesetz hat sich die DFS kosten-
eckend über Flugsicherungsgebühren zu finanzieren.
ie werden jährlich für ein Jahr im Voraus festgesetzt.
ommt wegen Planungs- bzw. Prognoseabweichungen
ine Über- oder Unterdeckung zustande, sind diese im
bernächsten Gebührenjahr wieder auszugleichen.
Wie wir 2002 erfahren mussten, ist eine Anhebung
er Gebührensätze in wirtschaftlich schlechten Zeiten
ber nur bedingt möglich. Auch 2003 wäre ein Verlust
u erwarten gewesen, wenn nicht Erträge durch das US-
ross Border Leasing erzielt worden wären.
Daher begrüßt die Union den gemeinsamen Antrag
ller Fraktionen zur Verbesserung der wirtschaftlichen
nd organisatorischen Strukturen der Deutschen Flugsi-
herung.
Erstens. So soll ein neues Flugsicherungsgebühren-
ystem erarbeitet werden, welches die DFS von externen
inflüssen unabhängiger macht. Es soll DFS ermögli-
hen, ein angemessenes Eigenkapital zu erreichen.
Zweitens. Weiterhin soll der Ordnungsrahmen für die
FS so weiterentwickelt werden, dass weitere Beteilun-
en an anderen Unternehmen möglich werden. Bisher ist
ie DFS an der European Satellite Services Provider/Eu-
opean Economic Interest Group, ESSP/EEIG, beteiligt,
elche die Möglichkeiten des amerikanischen Satelli-
ensystems GPS in der Zivilluftfahrt nutzen will. Die
FS will sich darüber hinaus an der „Flight Calibration
ervices GmbH“ beteiligen, die Navigationsanlagen
lugvermisst. An ihr sind bereits die österreichische
lugsicherung Austro Control und die schweizerische
lugsicherung Skyguide beteiligt.
Ferner strebt die DFS eine echte Beteiligung an der
Group EAD Europe SL“, GEAD, mit Sitz in Madrid an.
ie GEAD wird im Auftrag Eurocontrols im Raum
rankfurt und in Madrid den Betrieb einer europäischen
atenbank zur Bereitstellung von Daten für die Flugvor-
ereitung der Luftraumnutzer aufnehmen. Die DFS hat
ies mitentwickelt und aufgebaut. Ihre Anteile werden
isher treuhänderisch von anderen Gesellschaftern ge-
alten.
Drittens. Die Weiterentwicklung des Ordnungsrah-
ens soll auch eine Kapitalprivatisierung ermöglichen.
ie DFS muss zwar wegen des sonderpolizeilichen Cha-
akters der Flugsicherung mehrheitlich in Bundeseigen-
um bleiben, eine Minderheitenbeteiligung privater Ge-
ellschafter ist aber ohne weiteres möglich und aus Sicht
er Union auch sinnvoll.
Viertens. Schließlich soll der durch den Abschluss des
TE-Leasingvertrages erzielte einmalige außerordentli-
he Ertrag in Höhe von rund 78 Millionen Euro der DFS
ls Eigenkapital belassen werden.
Es ist in den ersten Gesprächen über den gemeinsa-
en Antrag deutlich geworden, dass die Regierung der
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2004 10481
(A) )
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DFS nur einen Teil des Ertrages zugestehen wollte. Al-
lerdings waren wir von der Union der Auffassung, dass
sich dies durch Zeitablauf erledigt hatte. So ist eine erste
Tranche in Höhe von circa 9,1 Millionen Euro bereits im
Jahr 2002 in die Bilanz eingestellt worden. Auch die
zweite Tranche in Höhe von circa 68,9 Millionen Euro
ist in die Bilanz eingestellt worden, und zwar im Jahr
2003.
Daher geht es also nur um die Frage, ob der Bund als
Gesellschafter einen Teil des 2003 erzielten Bilanzge-
winns an sich abführen lassen will. Das gilt auch für die
folgenden Jahre, allerdings unter der Voraussetzung,
dass Gewinne erzielt werden. Die Union ist der Auffas-
sung, dass der Bilanzgewinn von 2003 und eventuell er-
zielte zukünftige Bilanzgewinne in voller Höhe im Un-
ternehmen verbleiben sollen. Diese Maßnahmen
erhöhen die Eigenkapitalquote der DFS. Und nur so
kann die wirtschaftliche Struktur der DFS stabilisiert
werden. Im Übrigen werden die Gewinne durch die ge-
samte Geschäftstätigkeit erwirtschaftet.
Die Union stimmt dem gemeinsamen Antrag aller
Fraktionen zu. Gleichzeitig bitten wir die Koalitions-
fraktionen nachdrücklich, dem Klarstellungsantrag von
Union und FDP zur Verwendung der QTE-Erlöse zuzu-
stimmen. Dies wäre nicht nur im Interesse der Deut-
schen Flugsicherung. Die gesamte deutsche Luftver-
kehrswirtschaft würde davon profitieren.
Eduard Oswald (CDU/CSU): In vielen Fragen der
Verkehrspolitik, die uns im Augenblick bewegen, sind
wir mit Rot-Grün durchaus nicht einer Meinung. Umso
erfreulicher ist es, dass wir uns in einem sehr wichtigen
Sektor des Luftverkehrs mit der FDP und der Regie-
rungskoalition auf gemeinsame Ziele verständigt haben.
Es geht um die Flugsicherung! Nach der Organisations-
privatisierung von 1993 wollen wir, dass die Eigenver-
antwortung der Gesellschaft gestärkt wird. Die Bundes-
regierung muss hierzu die entsprechenden Weichen
stellen.
Wenn wir in unserem gemeinsamen Antrag fordern,
ein neues Flugsicherungsgebührensystem zu erarbeiten,
so geschieht das, weil das bestehende System nicht ge-
eignet ist, im europäischen Wettbewerb zu bestehen. Das
gilt zum einen für die Nutzer von Flugsicherungsdienst-
leistungen wie die Fluggesellschaften, die mit unflexi-
blen Gebührenmodellen konfrontiert werden. Das gilt
erst recht für unsere Deutsche Flugsicherung, die in ei-
nem europäischen Markt, der dank Single European Sky
im Entstehen ist, in ihrer Situation nur unzureichend
„Preispolitik“ betreiben kann und damit einen Wettbe-
werbsnachteil hat und behielte.
Das bestehende Gebührensystem beruht auf einer Be-
rechnung der Kosten der Deutschen Flugsicherung unter
Zugrundelegung des zu erwartenden Verkehrsaufkom-
mens. Die Gebührenhöhe deckt damit im Idealfall sämt-
liche Kosten; allein die für ein privatwirtschaftlich orga-
nisiertes Unternehmen notwendige Eigenkapitalquote
kann damit aber nicht auf ein notwendiges Maß erhöht
werden – geschweige denn, dass die Bildung von Reser-
ven für schwerere Zeiten möglich wäre.
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Die Schwäche des bestehenden Systems hat sich be-
eits nach den furchtbaren Ereignissen des 11. Septem-
er 2001 und den darauf folgenden schweren Jahren für
ie Luftfahrt mit Irakkrieg, SARS und der allgemeinen
onjunkturschwäche gezeigt. Die prognostizierten Ver-
ehrszahlen für die Jahre 2001 und 2002 lagen dermaßen
ber dem tatsächlichen Aufkommen, dass die festgesetz-
en Gebühren bei weitem nicht ausreichten, um die Kos-
en zu decken. Die Deutsche Flugsicherung war gezwun-
en, die Verluste zunächst aus dem Eigenkapital
uszugleichen. Eine Gebührenerhöhung war unaus-
eichlich; sie hat die Fluggesellschaften dann aber
erade zu einer Zeit getroffen, in der sie durch eigene
assivste Einnahmeausfälle eigentlich zum Kostenspa-
en gezwungen waren.
Wir brauchen daher dringend ein neues Flugsiche-
ungsgebührensystem, das diese Unwägbarkeiten ab-
ängt. Dabei darf die Eigenkapitalgrundlage nicht weiter
ezimiert werden. Im Gegenteil: Die Deutsche Flug-
icherung muss endlich die Quote von mindestens
0 Prozent erreichen. Vergleichbare Unternehmen besit-
en eine Eigenkapitalquote zwischen 20 und 40 Prozent.
ur Aufstockung ihres Eigenkapitals braucht die Deut-
che Flugsicherung einen größeren Handlungsspielraum.
ies war bei der Organisationsprivatisierung im Jahre
993 auch als notwendiges und legitimes Mittel von al-
en beteiligten politischen Kräften anerkannt worden.
Eine Maßnahme in diesem Sinne ist das Cross-Bor-
er-Leasing-Geschäft (QTE-Leasing) der Deutschen
lugsicherung aus dem Jahre 2002/2003, das über posi-
ive Steuereffekte bei Investoren in den USA unmittel-
are Mittelzuflüsse an das Unternehmen zur Folge hatte.
mso weniger ist verständlich, warum die rot-grüne
undesregierung die Formulierung „einen durch Ab-
chluss des QTE-Leasingvertrages erzielten einmaligen
nd außerordentlichen Ertrag in der Deutschen Flugsi-
herung als Eigenkapital zu belassen“ offenbar aus-
chließlich in ihrem Sinne interpretiert. Es war niemals
ie Rede davon, dass „interne Absprachen“ oder „Res-
ortvereinbarungen“ der betroffenen Ministerien diesen
atz quasi unerkannt limitieren könnten.
Wenn sich die Regierungskoalition nun darauf zu-
ückzieht, es bestehe eine Vereinbarung, die Erlöse aus
em QTE nur zu einem Drittel bei der Deutschen Flug-
icherung zu belassen und ansonsten jeweils zu einem
rittel an die Bundesministerien der Finanzen und für
erkehr, Bau- und Wohnungswesen auszuschütten, so ist
as abenteuerlich. Der Finanzminister will sich offenbar
ine neue Geldquelle erschließen. Nicht nur der Straßen-
erkehr soll also dazu herhalten, den maroden Haushalt
ufzubessern – Minister Eichel hat nun auch die Flug-
icherung entdeckt.
Von welchen Zahlen sprechen wir? Die in der Luftver-
ehrswirtschaft verheerenden Jahre 2001 und 2002 ha-
en bei der Deutschen Flugsicherung Verluste in Höhe
on circa 55 Millionen Euro verursacht, die unmittelbar
ur durch die Erlöse aus dem QTE-Geschäft in Höhe von
etto 78 Millionen Euro kompensiert werden konnten.
hne den QTE-Erlös verbliebe die Eigenkapitalquote bei
10482 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2004
(A) )
(B) )
geschätzten 11,5 statt bislang noch 18,5 Prozent für das
Jahr 2004.
Die Bundesregierung hat sich bereit erklärt, sich mit
der Industrie an der Initiative „Luftverkehr für Deutsch-
land“ zu beteiligen. Gemeinsames Ziel ist eine Kosten-
senkung im Gesamtsystem, die durch Steigerung der
Effizienz, Straffung von Prozessen und Beseitigung
bürokratischer Hemmnisse erreicht werden soll. Ein Teil
dieses Gesamtsystems macht dabei auch die Flugsiche-
rung aus, deren Organisations- und Gebührenstruktur da-
bei zukunftsfest gemacht werden soll. Die Bundesregie-
rung muss sich die Frage gefallen lassen, warum sie die
Initiative „Luftverkehr für Deutschland“ unterstützt, sich
aber nicht an die Ziele gebunden fühlt.
Es reicht nicht mehr länger aus, nur ein nationales
Süppchen zu kochen, insbesondere dann nicht, wenn es
uns mittelfristig von den internationalen Mitbewerbern
versalzen werden könnte. Wenn wir über den Suppentel-
lerrand hinausschauen, können wir etwa in Kanada und
Neuseeland sehen, wie ehemalige Behörden für Flug-
sicherung sicher, effizient, profitabel und auf wirtschaft-
lich sicherem Grund hochprofessionell agieren.
Unsere Deutsche Flugsicherung ist im Jahre 2001 zur
besten Flugsicherung der Welt gekürt worden. Es wird
Zeit, dass wir als Parlament die Voraussetzungen schaf-
fen, dass sie es spätestens in den Jahren 2006, 2007,
2008 wieder wird. Alle Beteiligten im Luftverkehr müs-
sen für den internationalen Wettbewerb bestmöglich ge-
rüstet sein. Es gilt, die Chancen des Luftverkehrsstand-
ortes Deutschland zu stärken. Wie aber soll das gehen,
wenn dringend benötigtes Geld aus dem Wirtschafts-
kreislauf der Deutschen Flugsicherung fast vollständig
abgeschöpft werden soll?
Um das zu verhindern, haben wir zusammen mit der
FDP-Fraktion einen zusätzlichen Antrag eingebracht.
Wir stellen damit klar, dass wir im Gegensatz zur rot-
grünen Regierung keine kurzfristige Interventionspolitik
betreiben, sondern nachhaltige Verkehrspolitik: Der
QTE-Barwertvorteil ermöglicht es der Deutschen Flug-
sicherung, erstens schneller die Verluste aus den Vorjah-
ren auszugleichen und zweitens, den darüber hinaus er-
zielten Jahresüberschuss zur Stärkung des Eigenkapitals
zu verwenden. Das kommt auch den Fluggesellschaften
mittelbar zugute, weil die Deutsche Flugsicherung damit
eine solidere Finanzstruktur hat, als es ohne QTE-Erlös
der Fall gewesen wäre.
Wir müssen die Initiative ergreifen und der Bundesre-
gierung klarmachen, dass wir uns die Butter nicht vom
Brot nehmen lassen. Der Wille des Parlaments darf nicht
nachträglich verfälscht werden, nur weil es offenbar Ab-
sprachen in den Regierungsressorts gegeben hat. Wir ha-
ben eine ganz klare und übereinstimmende Meinung ver-
treten: Der durch das QTE-Cross-Border-Leasing-
Geschäft erzielte Jahresüberschuss muss in Gänze bei
der Deutschen Flugsicherung verbleiben.
Außerdem haben wir mit dem fraktionsübergreifen-
den Antrag die Weiterentwicklung des Ordnungsrah-
mens für die Deutsche Flugsicherung gefordert. Es ist
bereits fünf Jahre her, dass wir das 11. Änderungsgesetz
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um Luftverkehrsgesetz auf den Weg gebracht haben.
arum, frage ich mich, fällt es den befassten Ministe-
ien immer noch so schwer, dem Gesetz Geltung zu
erschaffen? Wozu haben wir es der Deutschen Flugsi-
herung durch die 11. Novelle denn ermöglicht, Beteili-
ungen einzugehen, um außerhalb des Gebührenkreis-
aufs Erträge zu erwirtschaften, wenn beantragte
enehmigungen für Beteiligungen nicht erteilt werden?
ie Deutsche Flugsicherung ist zum Beispiel mittelbar
n einer internationalen Gesellschaft beteiligt, die als
entrale Referenzdatenbank Luftfahrtinformationen in
uropa über Eurocontrol bereitstellt. Einer von der
eutschen Flugsicherung beantragten Umwandlung der
ittelbaren in eine direkte Beteiligung hat das Bundes-
inisterium der Finanzen bisher nicht entsprochen.
chon an dem Unternehmenszweck der in Rede stehen-
en Beteiligung ist unschwer ablesbar, dass sie unmittel-
ar mit dem Kerngeschäft der Deutschen Flugsicherung
erknüpft und daher schon aus diesem Grunde völlig
nbedenklich ist. Darüber hinaus ist die Deutsche Flug-
icherung nur Konsortialpartner in einem Verbund euro-
äischer Flugsicherungsdienstleister, der bereits eben-
alls direkte Beteiligungen hält.
Unabhängig davon muss die Flugsicherung flexibel
nd handlungsfähig gemacht werden, wenn zukünftig
trategische Entscheidungen zum Erwerb von weiteren
eteiligungen anstehen. Natürlich darf kein zusätzliches
aushaltsrisiko für den Bund entstehen. Aber befürchtet
er Finanzminister denn wirklich, die Fluglotsenorgani-
ation wollte Würstchenbuden betreiben oder Kernkraft-
erke bauen?
Wir haben erlebt, dass Kapitalprivatisierungen ehe-
als staatlicher Unternehmen positive Effekte haben
önnen. Ich glaube, dass dies auch für den Bereich der
lugsicherung gilt. Das muss bedacht und überlegt ange-
angen werden nach der Devise: So viel Privatisierung
ie nötig bei so viel Sicherheit wie möglich. Davon
üssen sich die Entscheidungsträger leiten lassen. Ich
in der festen Meinung, dass an diesem mittelfristigen
iel kein Weg vorbeiführt, wenn wir eine schlagkräftige,
eaktions- und wettbewerbsfähige Flugsicherung haben
ollen. Dies käme auch den Fluggesellschaften zugute,
enn sie sich entscheiden sollten – etwa als weitere Ge-
ellschafter – ein Mitspracherecht bei der Deutschen
lugsicherung zu erwerben.
Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass die
undesregierung Ihren Verpflichtungen nachkommt und
ügig die notwendigen Maßnahmen ergreift, um die
eutsche Flugsicherung weiterhin – auch international –
ls Vorzeigeunternehmen zu erhalten!
Albert Schmidt (Ingolstadt) (BÜNDNIS 90/DIE
RÜNEN): Während der landgebundene Verkehr sta-
niert oder rückläufig ist, wie im Falle des motorisierten
ndividualverkehrs, nimmt der Luftverkehr deutlich zu.
llein im ersten Quartal 2004 nahm die Zahl der inner-
eutschen Flüge um 2,1 Prozent auf 5,3 Millionen Flug-
äste zu. Im internationalen Flugverkehr schnellten die
ahlen sogar um 12,3 Prozent auf 11,1 Millionen Passa-
iere.
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Diese Flugbewegungen von und nach Deutschland
und über dem deutschen Luftraum sicher abzuwickeln,
ist Aufgabe der Deutsche Flugsicherung GmbH. Allein
im Jahr 2003 kontrollierte die DFS rund 2,5 Millionen
Flüge im deutschen Luftraum.
Bei der Umwandlung der Bundesanstalt für Flugsi-
cherung in die Deutsche Flugsicherung GmbH als bun-
deseigenes, aber privatrechtlich organisiertes Unterneh-
men zum 1. Januar 1993 stand der Gedanke Pate, dass
die hoheitliche Aufgabe der Flugsicherung zwar eigentü-
merisch weiterhin im Besitz des Bundes bleiben soll,
dass aber gleichzeitig unternehmerisch in einem sich li-
beralisierenden europäischen Luftraum agiert werden
soll. Diese Liberalisierung ging nicht nur nicht auf Kos-
ten der Sicherheit, im Gegenteil: Die Zahl der gefährli-
chen Flugzeugannäherungen geht kontinuierlich zurück.
Als sich das tragische Unglück des Zusammenstoßes ei-
ner russischen Passagiermaschine mit einer Frachtma-
schine in Überlingen am Bodensee ereignete, war die
schweizerische Flugsicherung zuständig.
Die DFS hat die Chance der privatrechtlichen Organi-
sation ergriffen und genutzt. Das langjährige Know-how
ist mittlerweile in mehreren strategischen Geschäftsbe-
reichen zusammengeführt. Dazu gehören zum Beispiel
Bereiche wie die Flugvermessung oder das Consulting-
Geschäft. Mit diesen und weiteren Dienstleistungen
kann die DFS am Markt erfolgreich sein, wenn man
– und das ist in diesem Fall der Eigentümer Bund – sie
lässt.
Voraussetzung für den weiteren wirtschaftlichen Er-
folg der DFS ist daher zum einen die Bildung einer an-
gemessenen Eigenkapitalquote, die unabhängig von ex-
ternen Einflüssen ist, sowie zum anderen ein neuer
Ordnungsrahmen, der der DFS die Beteiligung an ande-
ren Gesellschaften erlaubt oder eine Beteiligung anderer
Gesellschafter an der DFS. Dies kommt, in dem gemein-
samen Entschließungantrag aller Fraktionen zum Aus-
druck den unsere Fraktion ausdrücklich unterstützt.
Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP): Es ist gute Tradi-
tion, dass sich der Deutsche Bundestag, insbesondere der
Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestages, intensiv
mit dem Wohl und Wehe der Deutschen Flugsicherung
befasst, denn es ist ein Kind des Bundestages als leuch-
tendes Beispiel einer gelungenen Organisationsprivati-
sierung. Leider wird der Vollzug bestimmter Gesetze, so
zum Beispiel der Luftfahrtnovelle aus dem Jahr 1998,
nach wie vor vom Finanzministerium nicht in der Weise
umgesetzt, wie es der Gesetzgeber vorgesehen hat. Ne-
ben diesem eigentlichen Ärgernis wurde und wird die Si-
tuation der Deutschen Flugsicherung durch aus Sicht der
Liberalen falsche Entscheidungen des Finanzministeri-
ums, aber auch durch schwerwiegende Aussagen des
Bundeskanzlers vor dem Hintergrund der Ereignisse des
11. September 2001 nicht sachgerecht genug weiterge-
führt.
Der gemeinsam von allen Fraktionen erarbeitete An-
trag mit dem Titel „Wirtschaftliche und organisatorische
Strukturen der Deutschen Flugsicherung dauerhaft ver-
bessern“ versucht nochmals aufzuzeigen, dass es insbe-
sondere darauf ankommt, die Eigenkapitalbasis der
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eutschen Flugsicherung zu erhalten, zu stärken und auf
ie Ebene anzuheben, die im Gründungsgesetz vorgese-
en war. Es ist ausgesprochen kontraproduktiv, wenn der
undeskanzler der Lufthansa gegenüber erklärt, nach
em 11. September 2001 könne man nicht die Flugsiche-
ungsgebühren erhöhen, ohne umgekehrt in gleicher
onsequenz der Deutschen Flugsicherung dann entwe-
er die Vorschrift der kostendeckenden Gebühren zu
ehmen oder aber zumindest bei der Abführung an den
inanzminister ebenfalls Gutschriften vorzunehmen.
anz besonders dramatisch wird es, wenn die Geschäfts-
ührung der Deutschen Flugsicherung in einem Verfah-
en aufzeigt, dass es möglich ist, selbst zur Eigenkapital-
asis beizutragen und dieses zusätzliche Kapital dann
icht der Flugsicherung verbleibt, sondern ebenfalls
eim Finanzminister abzugeben ist.
Es kommt darauf an, zunächst die Anregungen der
1. Luftfahrtnovelle aus 1998 umzusetzen und der Deut-
chen Flugsicherung zu ermöglichen, geschäftsrele-
ante zusätzliche Aufgaben zu übernehmen und damit
hre Ertragssituation zu verbessern. Es kommt zweitens
arauf an, für eine ausgewogenere Kostenstruktur zu
orgen und der Flugsicherung zu ermöglichen, in guten
eiten Rückstellungen zu bilden, damit nicht in schlech-
eren Zeiten für die Luftfahrt sofort Kostenstrukturen
erändert werden müssen. Und es kommt vor allen Din-
en drittens darauf an, dass die Verwaltung endlich die
orschriften umsetzt, die der Gesetzgeber erlässt. Das ist
nsbesondere deswegen wichtig, weil sich auch in der
lugsicherung der Wettbewerb verstärkt und wir der
berzeugung sind, dass die Deutsche Flugsicherung mit
en vom Gesetzgeber vorgegebenen Möglichkeiten
urchaus in der Lage ist, im europäischen Wettbewerb
u bestehen und sich dort entsprechend zu positionieren.
Wir werden als Parlament zügig die Umsetzung der
esetzlichen Vorschriften überprüfen und uns nicht
cheuen, den Finger erneut in die Wunde zu legen und
as Thema öffentlich zu debattieren.
Iris Gleicke, Parlamentarische Staatssekretärin beim
undesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen:
s ist dieses Haus, dem die DFS Deutsche Flugsiche-
ung GmbH ihre Existenz zu verdanken hat. Damals,
nfang der 90er-Jahre, gab es zwei wesentliche Gründe
ür die „Geburt“ der DFS: Die Flugsicherung in
eutschland sollte mit der Organisationsprivatisierung
on drei Beschränkungen befreit werden, die die opti-
ale Leistungsfähigkeit behinderten: den Beschränkun-
en des Beamtenrechts und den Beschränkungen des
undeshaushaltes, um damit das Personal der Aufgaben-
tellung entsprechend bezahlen zu können, um das Per-
onal unabhängig vom Laufbahnsystem des öffentlichen
ienstes einstellen zu können und um erforderliche In-
estitionen zum Ausbau der Flugsicherungssysteme un-
er wirtschaftlichen Bedingungen tätigen zu können.
Die von der Bundesregierung betriebene Organisa-
onsprivatisierung der Flugsicherung entwickelte sich zu
inem vollen Erfolg; die „neue“ Flugsicherung, die DFS,
ielt, was man von ihr erwartet hatte. Als äußerlich am
esten sichtbares Zeichen konnten – nicht zuletzt natür-
ich aufgrund günstiger äußerer Bedingungen – die Flug-
icherungsgebühren in den 90er-Jahren mehrfach in der
10484 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2004
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Folge gesenkt werden. Günstige äußere Bedingungen
– dazu gehört eine gesunde Luftverkehrsbranche insge-
samt, bei der die Kunden der DFS in ausreichendem
Umfang ihre Dienste in Anspruch nehmen und für diese
Dienste bezahlen.
Leider haben uns diese günstigen Bedingungen im
Jahr 2001 vorübergehend verlassen. Die Luftverkehrsbe-
wegungen entwickelten sich entgegen den Prognosen
rückläufig und machten damit eine Schwäche des Ge-
bührensystems in der Form, wie es heute international
festgelegt ist, erstmals ausgerechnet in einer Phase der
Schwäche der Luftfahrtbranche sehr deutlich sichtbar:
Rückläufige Verkehrszahlen bedeuteten verminderte
Einnahmen der DFS, das heißt Unterdeckung des Bud-
gets. Um diese Unterdeckung im Rahmen der bestehen-
den Finanzierungsregeln auszugleichen, mussten die Ge-
bühren erhöht werden, mit zusätzlicher Belastung für die
kränkelnde Luftverkehrsbranche. Hier konnte eine Ab-
milderung dieses Effektes nur durch ausnahmsweise und
frühest möglich wieder zu kompensierende Inanspruch-
nahme der DFS-Eigenkapitalquote erreicht werden, so-
dass die Gebühren nur um einen entsprechend reduzier-
ten Anteil erhöht werden mussten. Erfreulich ist, dass
sich die Verluste der DFS auf die Jahre 2001 und 2002
beschränken.
Unabhängig von diesen wieder sehr viel positiveren
Rahmenbedingungen sind wir heute hier im Bundestag
mit der Frage der gesunden Eigenkapitalquote der DFS
und insgesamt einer dauerhaften Verbesserung der wirt-
schaftlichen und organisatorischen Bedingungen der
DFS befasst, um künftig besser gegen Schwächeperio-
den gewappnet zu sein, aber auch um die DFS fit zu ma-
chen für Veränderungen im europäischen Umfeld.
Punkt l, europäisches Umfeld und organisatorische
Strukturen: Die EG-Verordnungen zur Schaffung eines
Einheitlichen Europäischen Luftraumes verlangen künf-
tig eine Zertifizierung der Flugsicherungsdienste, die un-
ter anderem eine ausreichende finanzielle Kraft der Un-
ternehmen voraussetzen. Nach aller Voraussicht wird es
zu Kooperationen und Zusammenschlüssen von europäi-
schen Flugsicherungsunternehmen kommen. Es werden
sich mittelfristig nur einige wenige behaupten können,
wobei auch strategische Beteiligungen an branchenrele-
vanten anderen Unternehmen zur notwendigen starken
Position beitragen.
Punkt 2, die DFS selbst, unter Verantwortung dieses
Hauses entstanden, möchte sich zur Erfüllung ihrer Auf-
gaben an anderen Unternehmen beteiligen können und
neben ihren Kernaufgaben auch andere Geschäftsfelder
betreiben – Nebengeschäfte –, um eine starke Position in
Europa abzusichern. Das BMF fordert mit Verweis auf
die Privatisierungspolitik der Bundesregierung als Vo-
raussetzung für solche Unternehmensbeteiligungen eine
möglichst weit gehende Kapitalprivatisierung der DFS,
bevor es solchen Beteiligungen zustimmt. Ein entspre-
chendes ressortübergreifendes Projekt zur Kapitalpriva-
tisierung hat inzwischen seine Arbeit aufgenommen.
Punkt 3, die Eigenkapitalquote der DFS: Die eben
von mir bereits angesprochenen positiven Veränderun-
gen in der Luftverkehrsentwicklung und Effizienzsteige-
rungsmaßnahmen in der DFS haben dazu geführt, dass
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ie Eigenkapitalquote der DFS wieder verbessert werden
onnte, auch ohne dass die QTE-Erträge aus dem US-
ross-Border-Leasing-Geschäft im Unternehmen belas-
en werden müssen. Dennoch ist die Bundesregierung
Ressortabsprache von BMVBW und BMF – bereit, ein
rittel der Erträge im Unternehmen zu belassen. Die an-
eren zwei Drittel sollen dem Verkehrshaushalt bzw.
em allgemeinen Haushalt als Einnahmen zufließen. Da-
eben erarbeitet die Europäische Kommission derzeit im
ahmen der Initiative zum Einheitlichen Europäischen
uftraum einen Verordnungsentwurf mit Grundsätzen
ur Erhebung von Flugsicherungsgebühren. Die Bundes-
egierung setzt sich dafür ein, hierbei nach Möglichkei-
en zu suchen zur Entkopplung von Schwächeperioden
n der Luftverkehrsentwicklung von der Gebührenhöhe
der zumindest einer weitestmöglichen Abmilderung der
ffekte. Und sie ist um Spielräume bemüht, über mögli-
he Gewinne die Eigenkapitalquote der DFS erhöhen zu
önnen.
Vor dem dargestellten Hintergrund kann ich es ab-
chließend kurz machen. Ich bitte um Zustimmung zur
eschlussempfehlung auf Drucksache 15/2634, das
eißt Annahme des Antrags der Fraktionen von SPD,
DU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP ge-
äß Drucksache 15/2393 „Wirtschaftliche und organisa-
orische Strukturen der Deutschen Flugsicherung dauer-
aft verbessern“ und Erledigterklärung des Antrags von
bgeordneten der CDU/CSU-Fraktion gemäß Drucksa-
he 15/1322 mit dem gleichen Titel. Den Antrag der
raktionen der CDU/CSU und der FDP gemäß Drucksa-
he 15/2827 „Erträge der Deutschen Flugsicherung,
FS, durch das QTE-Lease, US-Cross Border Leasing
ransaction, vollständig bei der DFS als Eigenkapital
elassen“ bitte ich abzulehnen, weil das Ziel, die Eigen-
apitalquote der DFS zu verbessern, inzwischen wie
argelegt auf andere Weise erreicht wird und die Bun-
esregierung nicht zuletzt mit dem Projekt zur Kapital-
rivatisierung der DFS intensiv an der Verbesserung der
ahmenbedingungen für den Luftverkehr in Deutsch-
and arbeitet.
nlage 6
zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Beschlussempfehlungen und
Berichte:
– Chancen und Potenziale des Deutschland-
tourismus in der erweiterten Europäischen
Union konsequent nutzen
– Den Tourismus stärken – Chancen der EU-
Erweiterung nutzen
– Unterstützung grenzübergreifender kom-
munaler Zusammenarbeit im Rahmen der
EU-Osterweiterung
(Tagesordnungspunkt 20 a und b)
Brunhilde Irber (SPD): Am 1. Mai 2004 sind acht
ittel- und osteuropäische Staaten sowie Malta und Zy-
ern der Europäischen Union beigetreten. Dies war und
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2004 10485
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wird weiterhin ein historisches Datum für Europa sein.
Die Beitrittsstaaten und die bisherigen Mitgliedstaaten
haben mit aller Kraft jahrelang darauf hingearbeitet. Mit
der Erweiterung wurde fast 15 Jahre nach dem Ende des
Ost-West-Konfliktes die Spaltung des europäischen
Kontinentes überwunden. Die Erweiterung schafft nicht
nur Stabilität für Frieden und Freiheit, sondern auch Si-
cherheit und Wohlstand für ganz Europa. Hierzu werden
nicht nur die neuen wirtschaftlichen Beziehungen beitra-
gen, sondern auch in ganz entscheidender Form der Tou-
rismus. Neben vielen anderen Maßnahmen trägt das ge-
genseitige Kennenlernen, mithin der Tourismus, zum
Verstehen und Akzeptieren anderer Nationen und Kul-
turkreise bei und sichert somit eine friedliche und si-
chere Zukunft in Europa.
In unserem Antrag legen wir die Chancen und Poten-
ziale, die sich durch die EU-Erweiterung ergeben, für
den Tourismus dar. Bereits im Jahr 2003 verzeichneten
die mittel- und osteuropäischen Staaten ein Gesamtvolu-
men von 39,7 Millionen Auslandsreisen. Davon entfie-
len alleine auf Deutschland 6,1 Millionen Reisen. Das
bedeutet für den Incomingtourismus in Deutschland ei-
nen Gesamtumsatz von 2,7 Milliarden Euro. Die drei für
Deutschland wichtigsten osteuropäischen Quellmärkte
unter den Beitrittsstaaten sind heute Polen mit
2,8 Millionen, die Tschechische Republik mit
1,1 Millionen und Ungarn mit etwa 408 000 Reisen. In
Polen ist Deutschland mit einem Marktanteil von
35 Prozent Reiseziel Nummer eins. In den anderen
Märkten hat Deutschland mit einem Marktanteil von
10 bis 20 Prozent sehr positive Wachstumsprognosen.
Bereits für 2005 rechnet die Deutsche Zentrale für Tou-
rismus – DZT – mit einem Anstieg der Reisen aus den
acht osteuropäischen Beitrittsländern um 700 000 auf
5,6 Millionen Reisen. Die finanzielle Ausstattung der
DZT durch den Bund – von 1998 bis 2003 Steigerung
um über 25 Prozent –, ermöglicht es der DZT, diese
Märkte gut zu erschließen. Die DZT unternimmt derzeit
eine Vielzahl von Aktivitäten, um den Quellmarkt der
Beitrittsländer erfolgreich zu bearbeiten. Bereits seit
Mitte der 90er-Jahre ist die DZT mit Vertriebsagenturen
in Budapest, Prag und Warschau präsent. In den vergan-
genen zwei Jahren wurde mit der Marktbearbeitung in
der Slowakei und in Slowenien begonnen. Das DZT-
Büro in Kopenhagen ist zudem seit 1999 auch in den
baltischen Staaten aktiv. Die DZT stärkt mit dieser Ar-
beit ganz entscheidend die heimische Tourismuswirt-
schaft.
Mit steigendem Wohlstand in den Beitrittsländern
wird sich auch der Urlaubstourismus positiv entwickeln.
Große Chancen ergeben sich insbesondere für die ehe-
maligen Grenzregionen. Diese werden aus der Randlage
herauswachsen und sich zu prosperierenden Knoten-
punkten entwickeln. Die Perspektiven für diese deut-
schen Tourismusgebiete werden sich vor allem dann er-
schließen, wenn man auf eine gemeinsame Erschließung
und Vermarktung von grenzüberschreitenden Natur- und
Kulturregionen setzt.
Da die Opposition sich in den Forderungen Ihrer An-
träge meist immer nur auf eine Aufstockung der Förder-
mittel fokusiert, hier nun einige Zahlen, passen Sie gut
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uf: Zur Realisierung bedeutender grenzüberschreiten-
er Verkehrsprojekte hat der Bund für den Zeitraum von
999 bis 2007 über 4,7 Milliarden Euro an Investitions-
itteln bereitgestellt. In den Jahren 2000 bis 2006 kön-
en die Grenzregionen an den Fördermitteln der Struk-
urfonds sowie anderer EU-Förderprogramme in Höhe
on insgesamt 16,3 Milliarden Euro partizipieren. Dazu
ommen Anteile aus der „Gemeinschaftsaktion für
renzregionen“, für die zusätzliche Finanzmittel in
öhe von rund 265 Millionen Euro von der EU vorgese-
en sind.
Die Bewältigung des Strukturwandels in den vier
renzbundesländern wird insbesondere mit der Bund-
änder-Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regio-
alen Wirtschaftsstruktur“ unterstützt. Hierfür wurden al-
ein im Jahre 2002 rund 1 034 Millionen Euro vom Bund
nd von den Ländern bereitgestellt. Darüber hinaus erhal-
en gewerbliche Unternehmen für Investitionen in den
stdeutschen Grenzregionen eine erhöhte steuerliche
örderung nach dem Investitionszulagengesetz.
Die europäischen Maßnahmen gewährleisten im Zu-
ammenwirken mit den nationalen Fördermöglichkeiten
ine erfolgreiche Flankierung der EU-Erweiterung in
eutschland und vor allem in den deutschen Grenzregio-
en. Dies bietet hervorragende Ausgangsbedingungen
ür grenzübergreifende Tourismuskooperationsprojekte.
m im Wettbewerb der touristischen Regionen zu beste-
en, müssen die Anbieter ihren Blick auf die eigene
eistungsfähigkeit richten. Deutsche Destinationen müs-
en ihr eigenes authentisches Profil stärken, spezielle
ngebotsvorteile vermarkten und neue Trends zielge-
ichtet besetzen.
Mit unserem Antrag unterstützen wir die Tourismus-
irtschaft in Deutschland. Die Bundesregierung wird
eiterhin mit geeigneten Maßnahmen die sich bietenden
hancen durch die EU-Erweiterung für den Tourismus
n Deutschland effektiv unterstützen.
Es wird sichergestellt werden, dass die Deutsche Zen-
rale für Tourismus ihre Arbeit in den ost- und mittel-
uropäischen Beitrittsländern fortsetzen und intensivie-
en kann.
Den ost- und mitteleuropäischen Staaten wird Hilfe
nd Unterstützung bei der natur- und umweltfreundlichen
ntwicklung des Tourismus gegeben werden. Hierbei
ird auf unsere Erfahrung mit der Umweltweltdach-
arke „Viabono“ zurückgegriffen werden. Mit finanziel-
er Unterstützung des BMU werden bereits in diesem
erbst Informationsworkshops in Estland, Lettland, Po-
en, Ungarn und in der Slowakei durchgeführt.
Gegenüber den Ländern regen wir an, die Unterstüt-
ung grenzübergreifender Tourismusprojekte zu intensi-
ieren.
Es müssen die medizinischen und technischen Stan-
ards im Kurwesen auf europäischer Ebene angeglichen
erden.
Wir wollen die umweltfreundliche Schienenverbin-
ungen zu den ost- und mitteleuropäischen Staaten zügig
usbauen.
10486 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2004
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Kommen wir nun kurz – denn länger lohnt nicht – zu
den Anträgen der CDU/CSU: Diese Anträge sind ein
Trauerspiel. Neues steht in beiden Anträgen nicht, ob-
wohl der eine sehr druckfrisch ist.
Nehmen wir doch nur Ihren inhaltlich total veralteten
Antrag vom November 2003: Man könnte meinen, sie
haben aus einer 15 Jahre alten Vorlage abgeschrieben.
Alle dort enthaltenen Gedanken und Forderungen sind
bereits seit Jahren umgesetzt und bewähren sich in der
Praxis. Was die Bundesregierung und die Europäische
Union alles für die kommunale grenzüberschreitende
Zusammenarbeit getan haben und wie gut diese Bemü-
hungen angenommen und umgesetzt wurden und wer-
den, können Sie meiner Rede, festgehalten im Plenarpro-
tokoll vom 7. November vergangenen Jahres nachlesen –
viel Spaß bei der Lektüre. Nur ein Sache möchte ich
gerne wiederholen, sie werden sie ja doch nicht nachle-
sen: Alleine für das EU-Bildungsprogramm „Leonardo
da Vinci“ stehen für 2000 bis 2006 1,15 Milliarden Euro
zur Verfügung. Darüber hinaus unterstützt die Bundesre-
gierung mit zahlreichen Programmen die grenzüber-
schreitende Aus- und Weiterbildung.
Ihr druckfrischer Antrag enthält auch für die bundes-
politische Ebene nichts, was von uns nicht schon bear-
beitet wird. Ihr neuestes Werk spiegelt das generelle Ver-
halten ihrer Partei wider, und dies ist wie immer sehr
bedauerlich: Sie schüren Angst und Verunsicherung!
Gleich im ersten Absatz ist die Rede von einer „ambiva-
lenten Bewertung der EU-Erweiterung“ und von einer
„nur schwer überschaubaren Gemengelage von Befürch-
tungen“. Wem Sie damit das Wort reden und sich gleich-
stellen sind die ewig Gestrigen! Wir hingegen betrachten
die EU-Erweiterung als Chance für die heimische Tou-
rismuswirtschaft. Sie werden sehen, dass die bewegli-
chen und innovativen Köpfe in der Tourismuswirtschaft,
ganz gleich welchen Teil der touristischen Dienstleis-
tungskette sie bearbeiten, einen enormen Wachstums-
schub durch die EU-Erweiterung erhalten werden.
Die EU-Erweiterung bietet die Chance zu einem gro-
ßen Brückenschlag, nicht nur für die Tourismuswirt-
schaft, sondern zuallererst für die Menschen, die sich in
Ost und West fremd geworden sind. Es gibt viel zu ent-
decken an gemeinsamer europäischer Kultur und Ge-
schichte. Wir alle werden durch die Vielfalt der europäi-
schen Kulturen und Traditionen bereichert. Mit unserem
Antrag begrüßen wir ausdrücklich die Erweiterung der
Europäischen Union und bekräftigen hiermit nochmals
unsere positive Einstellung hierzu!
Ernst Hinsken (CDU/CSU): Die Feierlichkeiten
zum 1. Mai sind verklungen, das Feuerwerk ist schon
lange abgebrannt, aber die wirtschaftlichen, politischen
und sozialen Auswirkungen, die die EU-Erweiterung auf
Deutschland haben wird, insbesondere auf die Regionen
entlang der EU-Außengrenze, liegen noch im Nebel.
Ganz besonders für die Dienstleistungsbranche mit dem
Schwerpunkt Tourismus hat die EU-Erweiterung zwei
Gesichter: Chancen und Risiken. Zur Minimierung die-
ser Risiken muss alles, was möglich ist, getan werden.
Hierzu hat die CDU/CSU-Fraktion einen umfassenden
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orderungskatalog vorgelegt und diese Bundesregierung
äte gut daran, diesen aufmerksam Zeile für Zeile zu le-
en. Denn keinesfalls ist die Unterstützung der Touris-
uswirtschaft durch Rot-Grün so umfassend, wie be-
auptet wird. Aber Papier ist ja bekanntlich geduldig.
Es ist nicht alles Gold, was glänzt. Deshalb legen wir
en Finger in die offene Wunde. Wir sagen, dass die
eutsche Tourismuswirtschaft im Vergleich zu den Kon-
urrenten aus den Beitrittsländern in zahlreichen Berei-
hen ungleich schlechtere Rahmenbedingungen hat, zum
eispiel im Steuerrecht. Dies lässt sich anhand eines
ergleichs der Mehrwertsteuersätze der verschiedenen
änder eindrucksvoll verdeutlichen. Im Beherbergungs-
ewerbe haben sieben von zehn Beitrittsländern niedri-
ere Mehrwertsteuersätze vorzuweisen: Zum Beispiel
rheben Polen 7 und Ungarn 12 Prozent Mehrwertsteuer.
n vier von zehn Beitrittsländern ist dies bei Restaurants
er Fall und in sechs von zehn Beitrittsländern bei Frei-
eitparks. Polen erhebt bei Freizeitparks sogar überhaupt
eine Mehrwertsteuer. Finanzminister Eichel darf die
ugen davor nicht länger verschließen.
Aber das ist es nicht allein. Deutschland fällt im Steu-
rwettlauf bei den Unternehmensteuern allgemein zu-
ück. Kein Land in Europa besteuert die Gewinne von
apitalgesellschaften so stark wie Deutschland.
Mit der EU-Erweiterung haben die deutschen Unter-
ehmen ein Niedrigsteuergebiet direkt vor der Haustür.
ie haben nun die Möglichkeit, sich direkt hinter der
renze niederzulassen, um dadurch gleichzeitig von der
eutschen Infrastruktur und von beispielsweise niedri-
en polnischen Steuersätzen zu profitieren. Die öster-
eichische Regierung reagierte bereits und hat für das
ommende Jahr die Senkung der Körperschaftsteuern
on 34 auf 25 Prozent angekündigt. Deutschland täte
uch gut daran, dies zu tun, da die Differenz zwischen
ns und den östlichen Beitrittsländern besonders hoch
usfällt. Während für Unternehmen in Deutschland die
ominale Steuerbelastung bei rund 39 Prozent liegt,
üssen polnische oder slowakische Unternehmen nur
9 Prozent, ungarische sogar nur 18 Prozent dem Fiskus
bliefern.
Auch das Busgewerbe in den Grenzregionen hat Sor-
en. Kein Wort davon im Antrag der Koalition. Der un-
ingeschränkte Zugang von Busunternehmen aus Polen
nd Tschechien bedeutet, dass unsere vielen, meist fami-
iengeführten, kleinen und mittleren Busunternehmen ei-
em scharfen Wettbewerb ausgesetzt sind. Denn die Ver-
ehrsunternehmen aus den östlichen Nachbarstaaten
anken weitaus günstiger und können im Vergleich zu
eutschland mit Niedrigstlöhnen kalkulieren. Die durch-
chnittlichen Stundenlöhne betragen in Polen 4,50 Euro
nd in Tschechien gerade mal 3,90 Euro gegenüber
6,50 Euro hier bei uns. Wenn man sieht, dass die Perso-
alkosten in Verkehrsbetrieben zwischen 50 und 60 Pro-
ent der Gesamtkosten ausmachen, dann weiß man, dass
iese Unterschiede kaum durch Fleiß und Innovation
der Flexibilität ausgeglichen werden können. Über
0 000 Arbeitsplätze stehen auf dem Spiel.
Damit die osteuropäischen Busse den mittelständi-
chen brandenburgischen und bayerischen Verkehrs-
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2004 10487
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markt nicht im wahrsten Sinne des Wortes „überrollen“,
muss eine Änderung des Personenbeförderungsgesetzes
her, die ausdrücklich festlegt, dass Genehmigungen nach
dem Personenbeförderungsgesetz nur an Unternehmen
mit inländischem Betriebssitz oder einer inländischen
Niederlassung erteilt werden dürfen. Einen von Bayern
initiierten Gesetzentwurf des Bundesrates werden wir
nach Kräften unterstützen.
Geflissentlich übersieht die Koalition in ihrem Antrag
auch, dass endlich die einheitliche Besteuerung von Bus-
reisen umgesetzt werden muss, um die Durchführung
grenzüberschreitender Busreisen zu erleichtern. Sie wis-
sen ja, dass in den meisten EU-Staaten die Mehrwert-
steuer auf Beförderungsleistungen bei erdgebundenen
Reisen unterschiedlich geregelt ist.
Ich habe gerade vom billigen Sprit gesprochen. Das
führt zum Problem des Tanktourismus. Grenznahe Tank-
stellen erlitten Umsatzeinbrüche von bis zu 80 Prozent.
Über 300 Stationen mussten schließen. Die Ausfälle an
Mineralölsteuer liegen bei weit über 1 Milliarde Euro
pro Jahr. Aber statt ein Konzept zur Hilfe vorzulegen,
wie die mittelständischen Mineralölverbände, verweist
die Bundesregierung nur auf eine Harmonisierung der
EU-Steuersätze. Jeder weiß, dass dies in absehbarer Zeit
nicht zu erwarten ist.
Auf der anderen Seite kann die Tourismusbranche in
Deutschland langfristig voraussichtlich von einer zusätz-
lichen touristischen Nachfrage profitieren. Die niedrigen
Steuern in den Beitrittsländern werden dort zu Wohl-
stand führen. Bereits heute wird für das Deutschland-In-
coming aus ganz Osteuropa ein Gesamtumsatz von
2,7 Milliarden Euro erzielt Die DZT sagt für den Zeit-
raum 2003 bis 2005 ein Kernpotenzial von rund 5,6 Mil-
lionen Reisen aus den Beitrittsländern voraus.
Nach einer Expertenbefragung der Fachhochschule
München werden die erwarteten Touristenströme jedoch
recht unterschiedlich beurteilt. Die größten Gewinn-
chancen werden für München und Berlin gesehen. Für
die Grenzregionen werden sowohl Verluste als auch Ge-
winne erwartet. Daher ist es umso wichtiger, dass sich
die Tourismusverantwortlichen in diesen Regionen et-
was einfallen lassen, damit die erwarteten EU-Bürger
auch in der Grenzregion bleiben und nicht nur durchrei-
sen. Neue Ideen sind gefragt. Mir gefällt eine solche aus
Österreich sehr gut. Bis zum Ende der Hauptreisezeit ge-
währen die Österreicher den neuen EU-Bürgern freien
Eintritt bei ausgesuchten Sehenswürdigkeiten.
Die Untersuchung der FH München machte auch
deutlich, dass viele unserer Kurorte und Heilbäder vor
neue Herausforderungen gestellt werden. Ungarn zum
Beispiel verfügt über ein sehr ausgiebiges und vielfälti-
ges Angebot im Kur- und Heilbäderbereich. 10 Prozent
der ausländischen Touristen kommen nur, um zu kuren.
Darüber hinaus haben die Ungarn für die Jahre 2003 bis
2005 ein nationales Programm aufgelegt und investieren
510 Millionen Euro in die Sanierung ihrer Kurbäder.
Ein anderes Beispiel: In der Slowakei kostet ein
durchschnittlicher Kurtag 75 bis 80 Euro, gegenüber
100 bis 105 Euro in Deutschland. Die Ausstattung der
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inrichtungen sowie der bauliche Zustand entsprechen
war nicht dem deutschen Standard, sind aber zufrieden-
tellend. Das Lohnniveau in der Slowakei liegt bei
Euro gegenüber rund 26 Euro in Deutschland. Das
eißt, es fällt ein saftiger Gewinn an, der in einigen Jah-
en in den Bau neuer Kurbetriebe investiert wird.
Daher ist es für die Zukunft umso wichtiger, dass die
eutschen Kurorte sich auf ihre Stärken konzentrieren.
ie müssen ihren spezifischen Charakter und ihre At-
raktionen herausstellen, um so an Profil zu gewinnen
nd Nischen zu besetzen. Dabei dürfen unsere Kurorte
nd Heilbäder von der Bundesregierung aber nicht allein
elassen werden. Es reicht nicht, nur auf den Europäi-
chen Heilbäderverband zu verweisen. Die linke Seite
es Hauses macht es sich mal wieder leicht. Nein, die
undesregierung ist aufgefordert, ihren Einfluss in Eu-
opa zu nutzen, um europaweit faire Wettbewerbsbedin-
ungen für den Kur- und Heilbäderbereich durchzuset-
en.
Bei all den hier diskutierten Problemen ist jedoch
estzustellen, dass der Tourismus immer mit der Begeg-
ung von Menschen und der engen Verbindung von wirt-
chaftlichen, sozialen und kulturellen Leistungen zu tun
at. Beim Reisen und bei der Zusammenarbeit mit den
eitrittsstaaten stellt die sprachliche Verständigung kein
rößeres Problem dar. Deutsch lernen Schüler in Slowe-
ien zu 83 Prozent, in der Slowakei zu 79 Prozent, in
schechien zu 76 Prozent und in Polen zu 62 Prozent.
in verstärkter Jugendaustausch, wie im Antrag gefor-
ert, wird hier auf fruchtbaren Boden fallen. Aber auch
mmerhin 17 Prozent der Erwachsenen in den Beitritts-
taaten beherrschen unsere Sprache so gut, dass sie sich
usreichend in Deutsch unterhalten können. Deutsch ist
n den Beitrittsländern nach Englisch und Russisch die
eistgesprochene Sprache. Kein anderer Wirtschafts-
weig weist einen derartigen Querschnittscharakter auf
nd ist als Motor für die Integrationsprozesse so gut ge-
ignet.
Ein wichtiger Faktor für das Zusammenwachsen in
uropa ist der Städte- und Jugendaustausch. Mit Frank-
eich gibt es 2 075 Städtepartnerschaften, mit den Bei-
rittsländern insgesamt nur 1 411. Die Städtepartner-
chaften mit osteuropäischen Kommunen sind daher
ntensiver als bisher zu fördern.
Jürgen Klimke (CDU/CSU): Es kann gar nicht ge-
ug betont werden: Wir diskutieren heute, am
1. Jahrestag des Volksaufstandes in der DDR gegen die
ommunistische Herrschaft, einen Antrag zur EU-Ost-
rweiterung. An dem Jahrestag, der an den Protest gegen
in System erinnert, das ganz Osteuropa beherrschte, ein
ystem, das Europa durch einen Eisernen Vorhang teilte,
in System, das jede Opposition brutal erstickte, disku-
ieren wir, wie wir mit unseren neuen EU-Partnern im
sten Europas das Zusammenleben organisieren wollen.
as ist ein bewegender, ein historischer Moment.
Aber zur Sache: Gestern im Ausschuss haben wir eine
ehr intensive Debatte zu diesem Thema geführt. Leider
at die Kollegin Irber ihren Argumenten von gestern
ichts Neues hinzuzufügen. Sie erklärt, der Antrag der
10488 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2004
(A) )
(B) )
Union betone nur die negativen Seiten der Erweiterung,
er mache den Menschen Angst.
Wenn sie – und nicht nur ihr Referent – den Antrag
richtig gelesen hätte, wäre ihr sicher aufgefallen, dass
wir die Erweiterung positiv darstellen und begrüßen, als
Chance für die deutsche Tourismuswirtschaft begreifen
und den Jugendaustausch und die Städtepartnerschaften
mit unseren neuen Weggefährten im vereinten Europa
forcieren wollen. Erstaunlicherweise war unsere grüne
Kollegin Kurth gestern auch der Meinung.
Das einzig Negative für Sie ist doch nur die Tatsache,
dass diese Anstöße von uns, der Opposition, kommen
und nicht von Ihnen, dass wir Ihnen, nicht nur bei die-
sem Thema, immer einen Schritt voraus sind. Ihr Antrag
beschreibt zwar die Chancen der EU-Erweiterung für die
Tourismuswirtschaft treffend und auch im Forderungs-
teil finden sich unterstützenswerte Punkte wie die Um-
weltdachmarke Viabono, die fehlende umfassende
Dienstleistungsfreiheit bei Reiseleitern und die anzustre-
benden einheitlichen Standards im Heilbäderbereich,
aber die Unterstützung der Tourismuswirtschaft durch
die Bundesregierung ist eben nicht so umfassend, wie
Sie es darstellen. Viele der wirklichen Probleme der
Branche sowohl in Deutschland als auch in den Beitritts-
ländern werden im Antrag weder erwähnt noch berück-
sichtigt. Und das genau ist der Unterschied bei unseren
Anträgen: Sie schreiben sich eine Realität herbei, wäh-
rend wir die Realität beschreiben. Auf einige Punkte wie
eine einheitliche Besteuerung oder faire Wettbewerbsbe-
dingungen für Kur- und Heilbäder hat Kollege Hinsken
ja schon hingewiesen. Ich will meine Finger in andere
Wunden legen.
Glauben Sie wirklich, die Mittelausstattung der für
Auslandswerbung zuständigen Deutschen Zentrale für
Tourismus, DZT, sei ausreichend? Für eine effektive
Marktbearbeitung in den neuen EU-Ländern fehlt ihr
doch das Geld. Und das brauchen Sie nicht im Keller zu
drucken, sondern finden es im Haushalt – durch Um-
schichtung. Vorschläge dazu finden Sie ja im Antrag.
Ein anderer Punkt ist der Ausbau des deutschen Rad-
fernwegenetzes in Kooperation mit den europäischen
Nachbarn.
Grenzübergreifende Ausbildungsprojekte zwischen
Deutschland und den EU-Beitrittstaaten wie das der Ho-
telfachschule Pirna müssen die Regel werden und dürfen
keine Ausnahme sein.
Und – das ist wirklich ein negativer Aspekt der Er-
weiterung –: Wir müssen den Sextourismus und die Kin-
derprostitution im tschechischen Grenzgebiet eindäm-
men.
Da wir von der Union ja so pragmatisch sind, liefern
wir Ihnen für diese Probleme auch gleich die Lösung
mit: Wenn es auf den Tourismus bezogene bilaterale Ge-
sprächskreise auf Regierungsebene mit den neuen EU-
Staaten gäbe, würden wir heute über die Punkte gar nicht
debattieren; denn dann hätten wir ein Gremium, um
diese Probleme auf dem kleinen Dienstweg zu bespre-
chen.
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Anlässlich der Debatte um unseren Antrag zur Unter-
tützung der grenznahen kommunalen Zusammenarbeit
m November letzten Jahres hatte ich auf Chancen hin-
ewiesen, die uns Städtepartnerschaften bieten. Und da-
auf will ich wieder hinweisen: Die Städtepartnerschaf-
en im westlichen Europa haben Vorbildcharakter für
olche im Osten. Die Fakten sprechen doch für sich:
294 Partnerschaften bestehen zu westeuropäischen
tädten. Allein 2075 entfallen auf französische Kommu-
en. Die Zahl der Partnerschaften zu Städten in den EU-
eitrittstaaten dagegen nimmt sich bescheiden aus: Hier
ind es nur 1 411. Da haben wir einen großen Nachhol-
edarf.
Dies darf doch kein strittiger Punkt zwischen uns
ein: Nachdem wir den politischen, also rationalen, Ver-
inigungsprozess vollzogen haben, müssen wir doch al-
es tun, damit Europa mit dem Herzen zusammenwächst.
ugendaustausch, Aupairs, gemeinsame Ausbildungs-
entren in den Grenzregionen – das sind doch überwie-
end Projekte und Forderungen, die einfach nur einen
olitischen Anschub benötigen. Was ist daran negativ?
as ist weder Schwarzmalerei noch kostet es zusätzli-
hes Geld.
Wenn ich mir hingegen Ihren Antrag durchlese, er-
ebe ich eine einzige Huldigungsadresse an die Bundes-
egierung. Aber die löst keine Probleme – weder die be-
tehenden noch die künftigen.
Wir – die Union als Europapartei – werden diese Ent-
icklung weiter begleiten und Sie an Ihre Nachlässigkeit
rinnern, an die verpasste Chance, einen historischen
rozess aktiv mitzugestalten.
Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/DIE
RÜNEN): Die EU-Osterweiterung war – das ist unum-
chränkt positiv zu bewerten – allen Fraktionen dieses
auses eine intensive Befassung wert. Wir alle wissen,
ass die EU-Erweiterung in wirtschaftlicher Hinsicht für
lle Bereiche, auch für den Tourismus, wichtige Impulse
ibt. Die europäische Erweiterung wird die Beliebtheit
uropas als Urlaubsziel weltweit erhöhen und ich bin si-
her, dass alle 25 Mitgliedstaaten davon profitieren wer-
en.
Sehr wohl müssen sich die verschiedenen Destinatio-
en und die unterschiedlichen Tourismussegmente da-
auf einstellen, dass ab Mai Europa „größer“ und das
eisen noch einfacher wird. Die Entscheidung für einen
euen Zielort wird enorm erleichtert. Für uns war es im
inblick auf den Deutschlandtourismus aber immer
ichtig, nicht bei der Betrachtung möglicher Wettbe-
erbsvorteile der neuen EU-Länder zu verweilen. Eine
olche Haltung führt nicht weiter.
Bezogen auf den von der Opposition immer wieder be-
lagten Wettbewerbsdruck lässt sich feststellen, dass es
einen wesentlichen Anpassungsdruck für die deutsche
ourismuswirtschaft geben wird, der sich allein aus der
rweiterung der Europäischen Union ergibt. Bestehende
nterschiede im Besteuerungsniveau bedeuten nicht
utomatisch nennenswerte Wettbewerbsverzerrungen.
ie auch umgekehrt Erfahrungen aus der Anwendung
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2004 10489
(A) )
(B) )
ermäßigter Mehrwertsteuersätze in der Europäischen
Union auf bestimmte arbeitsintensive Dienstleistungen
zeigen, dass diese nicht automatisch den Lehren des
Kathederliberalismus folgen und zur Schaffung neuer
Arbeitsplätze führen. Berichte der Europäischen Kom-
mission aus dem Jahre 2003 belegen, dass es keine nach-
weisbare Wirkung der Mehrwertsteuerermäßigung auf
die Beschäftigungsquote gab.
Aus unserer Sicht ist es vielmehr richtig und wichtig,
zu betonen, dass die deutsche Tourismuswirtschaft ihren
Blick auf die eigene Leistungsfähigkeit und einzigartige
Besonderheiten richten und ihr Profil schärfen muss.
Alleinstellungsmerkmale müssen vermarktet und Ver-
besserungen hinsichtlich Service und Barrierefreiheit er-
zielt werden. Dann kann der Deutschlandtourismus alle
Herausforderungen meistern.
Die zunehmende wirtschaftliche Integration zwischen
West- und Osteuropa wird zunächst vor allem den Ge-
schäftsreisetourismus beleben. Mit deutlich anwachsen-
der Kaufkraft in den neuen EU-Ländern dürfte sich aber
auch der Urlaubstourismus aus diesen Ländern heraus
positiv entwickeln.
Die osteuropäischen Beitrittsländer sind bereits jetzt
mit 2,4 Millionen Deutschlandreisen ein bedeutender
Quellmarkt für den Deutschlandtourismus. Die Deutsche
Zentrale für Tourismus hat Osteuropa schon frühzeitig in
ihre Marketingaktivitäten eingebunden. Sie rechnet für
2005 bereits mit 5,6 Millionen Deutschlandreisen. Sie
soll – dafür setzt sich unser Antrag ein – ihre erfolgrei-
che Arbeit fortsetzen.
Mit der Umsetzung der EU-Richtlinie zum transeuro-
päischen Hochgeschwindigkeitsbahnsystem und dem
Ausbau der Schienenverkehrsinfrastrukturverbindungen
wird sich der Urlaubsreiseverkehr in die EU-Beitrittslän-
der, aber auch von dort in andere EU-Länder intensivie-
ren. Wir sprechen uns dafür aus, dass dieser Ausbau zü-
gig erfolgt. Die EU-Erweiterung wird eine intensivere
regionale, grenzüberschreitende Zusammenarbeit im
Tourismus und im Naturschutz ermöglichen, aber auch
notwendig machen. Hierauf wendet unser Antrag den
Blick. Aber auch der Antrag der CDU/CSU setzt hier
richtige Akzente.
Auf europäischer Ebene sollen die erfolgreichen An-
sätze, nachhaltige Rahmenbedingungen für die Expan-
sion der Tourismuswirtschaft zu schaffen, fortgeführt
und weiterentwickelt werden. Der Tourismus ist nun ein-
mal ein Bereich mit zum Teil gravierenden Auswirkun-
gen auf Umwelt, Natur und Klima. Diese zu minimieren
und zu vermeiden muss unser gemeinsames Anliegen
sein – sowohl in Deutschland als auch in der gesamten
EU.
Europa ist die am meisten besuchte Tourismusregion
der Welt und hat die größte Tourismusdichte. Für uns
Grüne bleibt es deshalb eine zentrale Herausforderung
für alle touristischen Entwicklungen, dass Natur und
Landschaft, von deren Attraktivität Tourismus wesent-
lich lebt, bewahrt werden. Gerade auch in den osteuropäi-
schen Ländern mit ihrem reichhaltigen Naturerbe brau-
chen wir keine Entwicklung mit Enzensberger-Effekt,
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er besagt, dass Touristen von etwas angezogen werden,
as verschwindet, wenn sie dort ankommen. Da gerade
ie Beitrittsländer noch große Potenziale an unberührter
nd intakter Natur haben, sollten bei gemeinsamen,
renzüberschreitenden Tourismusprojekten die Richtli-
ien des Übereinkommens über die biologische Vielfalt,
BD, „Biodiversität und Tourismusentwicklung“, in
iesen Prozessen Anwendung finden. Gerade hinsicht-
ich einer natur- und umweltfreundlichen Entwicklung
es Tourismus in Osteuropa bietet Deutschland Hilfe
nd Unterstützung an. Die Umweltdachmarke „Via-
ono“ könnte mit jeweiligen Modifizierungen Grund-
age für die Entwicklung naturverträglicher touristischer
ngebote sein.
Es freut uns, dass die vom Bundesumweltministerium
orcierte und finanzierte Einführung der Umweltdach-
arke „Viabono“ inzwischen von allen Fraktionen die-
es Hauses anerkannt und unterstützt wird. Ich bin si-
her, dass es mit dieser breiten Unterstützung eines
obenswerten Ansatzes gelingen wird, Viabono in
eutschland und in der EU zum Erfolg zu führen.
Große Chancen tun sich durch die EU-Osterweite-
ung vor allem für die dann ehemaligen Grenzregionen
uf. Diese können aus der Randlage herauswachsen und
ich zu prosperierenden Knotenpunkten in Mitteleuropa
ntwickeln. Vor allem für die kleinen und mittelständi-
chen Unternehmen der Tourismuswirtschaft wird es da-
ei wichtig sein, Kooperationspartner zu finden und
llianzen zu schmieden. Hier kann zielgerichtete Förde-
ung schnell zu positiven Effekten für Wirtschaft und
rbeitsmarkt führen. Ein sich so entwickelnder Touris-
us wird zum Motor des Integrationsprozesses werden –
uch in ideeller Hinsicht. Denn er trägt zur Verständi-
ung zwischen den Ländern und Regionen bei.
Unser vorliegender Antrag sichert die notwendigen
ktivitäten des Bundes ab. Wenn auch die Länder und
ommunen jeweils ihren Beitrag leisten – davon gehen
ir aus –, kann der Deutschlandtourismus der Zukunft
uversichtlich entgegensehen.
Ernst Burgbacher (FDP): Seit eineinhalb Monaten
esteht die Europäische Union aus 25 Mitgliedstaaten.
um 1. Mai sind 10 neue Staaten der EU beigetreten,
iele davon im Osten Europas. Allerdings ist es keine
eine EU-Osterweiterung, wie ein Blick auf die Land-
arte zeigt. Die Erweiterung der Europäischen Union
irgt für alle Beteiligten große Chancen in den unter-
chiedlichen Bereichen des politischen, wirtschaftlichen
nd kulturellen Wirkens und auch des persönlichen Zu-
ammenlebens.
Europa rückt zusammen und Deutschland rückt durch
ie Erweiterung stärker in die Mitte Europas. Dass die
rweiterung einen Einfluss auf den Tourismus haben
ird, ist unzweifelhaft. Der Deutschlandtourismus wird
nsbesondere von der unmittelbaren Nähe zu den neuen
U-Mitgliedstaaten Polen und Tschechien profitieren
önnen. Aber auch für den Incomingtourismus der Bei-
rittsländer wird die Mitgliedschaft in der EU eine große
hance werden. Es kommt darauf an, dieses vielverspre-
hende Potenzial zu nutzen.
10490 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2004
(A) )
(B) )
Der Antrag von SPD und Grünen geht grundsätzlich
in die richtige Richtung. Die FDP-Bundestagsfraktion
unterstützt auch selbstverständlich die Zielsetzung,
günstige Rahmenbedingungen für eine positive Entwick-
lung des Tourismus zu schaffen. Allerdings sind damit
im vorliegenden Antrag Forderungen verbunden, die wir
für nicht akzeptabel halten. So fordert Rot-Grün – zu
Recht –, dass die Deutsche Zentrale für Tourismus
(DZT) ihre Arbeit in den ost- und mitteleuropäischen
Beitrittsländern intensivieren solle. Gleichzeitig plant
die Bundesregierung jedoch, den Haushaltstitel für die
DZT zu kürzen. Dies passt nicht zusammen.
In Punkt 2 ihres Antrages fordern die Koalitionsfrak-
tionen die Bundesregierung auf, sich dafür einzusetzen,
dass die EU mit geeigneten Maßnahmen die Rahmenbe-
dingungen für das Wachstum des europäischen Touris-
mus in Richtung Nachhaltigkeit gestaltet. Hierzu ist aus
unserer Sicht anzumerken, dass es nicht Aufgabe der EU
ist, Rahmenbedingungen für den Tourismus zu setzen.
Es gilt das Subsidiaritätsprinzip.
Naturgemäß legt Rot-Grün einen Schwerpunkt auf die
Förderung eines natur- und umweltfreundlichen Touris-
mus. Die FDP ist allerdings der Auffassung, dass es al-
lein Sache der einzelnen Mitgliedstaaten ist, in welcher
Form sie den Tourismus in ihren Ländern fördern wol-
len. Belehrungen seitens der Koalition über Natur- und
Umweltschutz im Tourismus sollten daher unterbleiben.
Aus diesen und anderen Gründen lehnt die FDP-Bundes-
tagsfraktion den Antrag von SPD und Grünen ab.
Den beiden von der CDU/CSU-Fraktion vorgelegten
Anträgen stimmen wir dagegen zu, da wir die Zielrich-
tung sowohl von verbesserten grenzübergreifenden Koo-
perationen in Form von Städtepartnerschaften als auch
die Stärkung des Tourismus in der erweiterten EU unter-
stützen.
Generell gilt – dies richtet sich an die Adresse der
Bundesregierung –: Die EU-Erweiterung bietet der deut-
schen Tourismuswirtschaft eine Reihe von Chancen, die
sie ergreifen und nutzen muss. Entscheidend hierfür ist,
dass die Politik unsere heimischen Unternehmen in die
Lage versetzt, sich im stärkeren Wettbewerb behaupten
zu können. Die Bundesregierung bleibt nach wie vor
aufgefordert, die entsprechenden Rahmenbedingungen
unter marktwirtschaftlichen Aspekten zu verbessern. Ich
nenne die Steuer- und Arbeitsmarktpolitik, Deregulie-
rung und Bürokratieabbau. Die „Chance Europa“ darf
nicht verspielt, sie muss ergriffen werden.
Anlage 7
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung:
– Bericht der Bundesregierung über die Er-
gebnisse ihrer Bemühungen um die Weiter-
entwicklung der politischen und ökonomi-
schen Gesamtstrategie für die Balkanstaaten
und ganz Südosteuropa für das Jahr 2003
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– Beschlussempfehlung und Bericht: Grund-
sätzliche Neuausrichtung der EU-Hilfsmaß-
nahmen für Südosteuropa
(Tagesordnungspunkt 12 a und b)
Detlef Dzembritzki (SPD): In diesem Jahr jährt sich
um fünften Mal der Beschluss zur Einrichtung des Sta-
ilitätspaktes für Südosteuropa. In dieser Zeit sind große
ortschritte bei der Stabilisierung der Region und dem
ufbau von Staatswesen und Zivilgesellschaft in den
ändern des Westbalkans erzielt worden.
Gleichzeitig haben uns die gewalttätigen Ausschrei-
ungen im Kosovo vom März dieses Jahres drastisch vor
ugen geführt, wie zerbrechlich die Lage in der Region
eilweise immer noch ist. Umso wichtiger ist die jährli-
he Berichterstattung der Bundesregierung über ihre Be-
ühungen zur Weiterentwicklung der politischen und
konomischen Gesamtstrategie für Südosteuropa.
Natürlich gehört diese Region zu Europa. Sie ist um-
eben von Staaten der Europäischen Union. Ihre Stabili-
ierung ist ein zentrales Erfordernis für unsere eigene Si-
herheit und jeder Anstrengung wert. Dieser Prozess
etzt ein langanhaltendes Engagement voraus und muss
ine klare Zielstellung enthalten.
Daher ist gerade angesichts der beachtlichen Trans-
ormation, die die aktuelle Erweiterung der Europäi-
chen Union darstellt, die Versicherung der EU-Beitritts-
erspektive für alle Länder der Region von besonderer
edeutung. Denn diese Perspektive ist zum wichtigsten
otor für die Reformen in Südosteuropa geworden.
enn der aktuelle Bericht der Bundesregierung bei-
pielsweise feststellt, dass der im März 2003 erfolgte
ntrag Kroatiens auf EU-Mitgliedschaft stimulierend
uf die Investoren gewirkt hat, so wirkt diese Tatsache
icht minder stimulierend auf den Reformwillen der
achbarländer.
Der Balkangipfel der EU in Thessaloniki am 21. Juni
ergangenen Jahres hat hier einen deutlichen Impuls ge-
eben, als einerseits die Beitrittsperspektive bekräftigt
nd andererseits deutlich gemacht wurde, dass jedes der
änder nur an seinen eigenen Leistungen gemessen
ürde. Die strikte Konditionalität für den jeweiligen
tabilisierungs- und Assoziierungsprozess gibt den Län-
ern einen Katalog von Aufgaben an die Hand, die sie in
igenverantwortung erfüllen müssen. Ich begrüße be-
onders, dass die Länder durch regionale Kooperationen
n den verschiedensten Sektoren eine gemeinsame Stra-
egie für Europa zu entwickeln versuchen, um so als Ge-
amtregion ihre Chancen auf einen Beitritt zu verbes-
ern.
Die in den vergangen Jahren erbrachten Leistungen
ind bemerkenswert. Die Demokratisierung der Länder
st klar erkennbar. Wiederholt haben demokratische
ahlen stattgefunden, Regierungswechsel haben sich in
ewaltloser und rechtsstaatlicher Weise vollzogen. Be-
onders die Entwicklung in Kroatien und Mazedonien ist
rfreulich. Die regionale Kooperation verbessert sich zu-
ehends, nicht zuletzt dank der Initiative des Regionalen
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2004 10491
(A) )
(B) )
Tisches des Stabilitätspaktes und ihres Sonderkoordina-
tors, Herrn Busek.
Auch die Menschenrechtslage hat sich in den letzten
Jahren in einer Weise verbessert, dass die Menschen-
rechtskommission der Vereinten Nationen 2003 erstmals
auf eine Resolution zur Menschenrechtslage im ehemali-
gen Jugoslawien verzichtet hat. Dennoch gibt es noch ei-
niges zu tun, wobei ich persönlich auch ausdrücklich die
Bemühungen unseres ehemaligen Kollegen, Herrn
Dr. Schwarz-Schilling, als internationaler Streitschlich-
ter anerkennen möchte.
In vielen Punkten herrscht jedoch noch Handlungsbe-
darf. So muss in der gesamten Region mit hoher Priorität
und über die Landesgrenzen hinweg die Bekämpfung
der organisierten Kriminalität und Korruption vorange-
bracht werden. Die Verlässlichkeit und die Transparenz
staatlichen Handelns und ein funktionierendes Rechts-
system mit unabhängigen Gerichten müssen in allen
Ländern gewährleistet sein. Hier leisten die Europäische
Union und auch die Bundesrepublik Deutschland einen
wichtigen Beitrag.
Wenn nun die öffentliche Aufmerksamkeit sich stär-
ker anderen Krisenherden zugewandt hat, so darf das
auch als Zeichen einer gewissen Normalisierung der Re-
gion verstanden werden. Das darf uns jedoch keinesfalls
verleiten, die Risiken und Aufgaben aus den Augen zu
verlieren.
Die Entwicklung, die Serbien zum Beispiel seit der
Ermordung von Zoran Djindjic genommen hat, ist wenig
ermutigend. Das Erstarken der radikalen Kräfte und die
Zerrissenheit der demokratischen Parteien sind Besorg-
nis erregend. Ich freue mich, dass bei der Präsident-
schaftswahl am vergangenen Sonntag mit Boris Tadic
ein Vertreter der demokratischen Kräfte ein gutes Ergeb-
nis erreicht hat. Für seinen möglichen Erfolg in der be-
vorstehenden Stichwahl hoffen wir jedoch auf die sich
abzeichnende Unterstützung aller anderen demokrati-
schen und europaorientierten Parteien Serbiens. Eine
Radikalisierung Serbiens wäre nicht nur für das Land
selbst verheerend, sondern auch für unsere Stabilisie-
rungsbemühungen im Kosovo. Lassen Sie mich bei die-
ser Gelegenheit dem designierten neuen Chef der UN-
MIK, Herrn Jessen-Petersen, eine glückliche Hand bei
seiner schwierigen Mission im Kosovo wünschen.
Als Länderbeauftragter des Bundestages möchte ich
einige Bemerkungen zu Bosnien und Herzegowina ma-
chen. Zweifellos vereinigt dieses Land, das am stärksten
unter den Gewaltexzessen der 90er-Jahre zu leiden hatte,
in exemplarischer Weise sämtliche Probleme der Region
und auch die Licht- und Schattenseiten unserer Bemü-
hungen. Auch neun Jahre nach dem Ende der Kriegs-
handlungen sind die individuellen wie die kollektiven
Wunden und Traumata noch so frisch, dass man sich auf
unserer Seite immer wieder davor hüten sollte, ange-
sichts mangelnder Fortschritte in manchen Bereichen in
Ungeduld zu verfallen. Dennoch müssen wir den Blick
nach vorn richten und beispielsweise über die Hemm-
nisse diskutieren, die der Entwicklung durch das Ab-
kommen von Dayton auferlegt werden. Zweifellos müs-
sen die zentralstaatlichen Institutionen gestärkt werden.
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s kann auf Dauer nicht sein, dass ein Land mit knapp
ier Millionen Menschen von über 150 Ministerinnen
nd Ministern regiert wird.
Auch werden wir uns mit den weit reichenden Kom-
etenzen des Hohen Repräsentanten auseinander setzen
üssen. Wenn dieser beispielsweise per Dekret die Re-
orm der Kommunalverwaltung in Mostar durchsetzen
usste, so lag das an der kompromisslosen Haltung der
okalen Akteure. Andererseits können gerade diese es
ich leisten, auf Maximalpositionen zu beharren und die
erantwortung für notwendige – und in der eigenen
ählerschaft unpopuläre – Entscheidungen auf den Ho-
en Repräsentanten und seine „Bonn-Powers“ zu verla-
ern. Auf Dauer ist dies mit demokratischen Strukturen
icht vereinbar und verbaut den Weg für die örtlichen
ntscheidungsträger, miteinander zu Kompromissen
ommen zu müssen. Die Übergabe der vollen Verant-
ortung ist unser Ziel, sie muss jedoch gut vorbereitet
ein, um nicht destabilisierend zu wirken.
Denn wir können die Region – und damit meine ich
lle Länder des Stabilitätspaktes – nicht auf Dauer in
bhängigkeit von der internationalen Gemeinschaft las-
en. Wenn wir die Länder zu verstärkten eigenen An-
trengungen auffordern, muss dies auch mit verstärkter
igenverantwortung für ihr Gemeinwesen einhergehen.
Aller Widrigkeiten zum Trotz: die Länder des Stabili-
ätspaktes für Südosteuropa haben in nur fünf Jahren be-
chtliche Fortschritte gemacht.
Es ist nicht zuletzt das fortgesetzte und entschlossene
ngagement der Bundesregierung und des Deutschen
undestages – und das erfreulicherweise oftmals in gro-
er Geschlossenheit über Parteigrenzen hinweg –, das
iese Entwicklung ermöglicht hat.
Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg
CDU/CSU): Es grenzt an einen Allgemeinplatz, den
alkan und Südosteuropa in ihrer historischen und aktu-
llen Entwicklung als eine höchst heterogene Region zu
ezeichnen. Allerdings ist es bereits deshalb problema-
isch, pauschal eine „Gesamtstrategie“ für die Region
ufzulegen oder zu fordern.
So sind etwa Kroatien und Slowenien nicht nur kul-
urpolitisch Bestandteile Mitteleuropas und in ihrer de-
okratischen und wirtschaftlichen Entwicklung ihren
stlichen Nachbarn weit voraus. Kroatien hat den für
ine funktionierende parlamentarische Demokratie not-
endigen Systemwandel weitgehend abgeschlossen, die
irtschaftliche Entwicklung stabilisiert sich auf insge-
amt beachtenswertem Niveau. Wir unterstützen auch
aher die Entscheidung der EU, mit Kroatien ab Anfang
005 Beitrittsverhandlungen aufzunehmen.
In Mazedonien und Albanien vermag man trotz aller
robleme den Silberstreif eines grundsätzlich positiven
ntwicklungspotenzials zu erkennen.
Bei anderen lässt sich jedoch ein gewisses Stagnati-
nsmoment, ein Verharren in der Entwicklungsperspek-
ive nicht verleugnen. Die politische Lage in Bosnien-
erzegowina bleibt instabil und die Aufbauleistungen
10492 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2004
(A) )
(B) )
hinsichtlich eines sich selbst tragenden Staates unbefrie-
digend. Im Kosovo haben wir in jüngster Zeit bitter er-
fahren müssen, wie wenig Fortschritt es im politischen
Prozess in den vergangenen fünf Jahren gegeben hat.
Gerade für diese beiden Fälle ist nach den zugrunde lie-
genden politischen Konzepten zu fragen – im weiteren
Sinne auch, um den deutschen Soldaten vor Ort eine Per-
spektive für ihren Einsatz zu geben. Letzteren sei an die-
ser Stelle ausdrücklich für ihr Engagement gedankt.
Die Entwicklung in Serbien-Montenegro gestattet we-
der in politischer noch in wirtschaftlicher Hinsicht bis-
lang euphorische Reaktionen. Allerdings gibt der Wahl-
gang vom vergangenen Wochenende in Serbien – neben
weiterhin höchst beunruhigender radikalnationalistischer
Tendenzen – im Hinblick auf das Ergebnis von Tadic
auch Anlass zu Hoffnung. Es ist Ausdruck eines gele-
gentlich allzu unsichtbar gehaltenen, aber ermutigenden
Potenzials von Menschen, die tatsächlich tief greifende
Reformen wünschen und den nicht nur Sonntagsreden
vorbehaltenen Anschluss an den Westen suchen. Diesen
Prozess müssen wir nach Kräften unterstützen. Hier ist
der Westen, insbesondere auch die Bundesrepublik ge-
fordert, jenen „kairos“, einen der selten gewordenen
rechten Augenblicke, zu begreifen, ja ihn zu ergreifen
und mit Entwicklungsanstößen zu unterfüttern. Stim-
mungen, die den Weg nach Europa in sich tragen, sollten
in verantwortliche Stimmen münden, in der Umkehrung
aber auch bis dahin angesichts des unsteten Charakters
von Stimmungen die europäische Stimme vernehmen
dürfen.
Zugegeben: Insgesamt dürfen und sollten wir in der
Region nachhaltige Verbesserungen bei der Stabilisie-
rung, Demokratisierung, wirtschaftlichen Entwicklung
und regionalen Zusammenarbeit nicht verschweigen.
Gleichzeitig sind aber noch entscheidende politische
Statusfragen ungelöst und erhebliche ethnische Konflikt-
potenziale alles andere denn tatsächlich entschärft.
Zudem seien lediglich in Schlagworten erwähnt: unzu-
reichende Strukturreformen, unterentwickelte marktwirt-
schaftliche Institutionen, mangelhafte Rechtssicherheit,
organisierte Kriminalität, Menschenhandel und Korrup-
tion. Zur Bekämpfung dieser Missstände erscheint eine
Annäherung der Länder des westlichen Balkans an west-
liche und europäische Strukturen weiterhin wünschens-
wert, kann aber nur unter Beachtung eindeutiger und
strikt einzuhaltender Kriterien erfolgen.
Dem Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess der
EU kommt eine zentrale Bedeutung für die politische
und wirtschaftliche Entwicklung der vor der EU-Haustür
gelegenen Westbalkan-Region zu und hat im Fall Kroa-
tien bereits eindeutige Erfolge gezeitigt. Daneben ist die
komplementäre Rolle des Stabilitätspaktes für Südosteu-
ropa auch weiterhin für eine hilfreiche und abgestimmte
Einbindung der USA entscheidend. Darüber hinaus ist
dem von Schwarz-Schilling entwickelten Ansatz einer
integrativen Streitbeilegung in Südosteuropa, die auf lo-
kaler Ebene ansetzt, ein beachtenswerter Stellenwert ein-
zuräumen. Die Defizite des Stabilitätspaktes müssen
zweifellos behoben werden, die Forderung der FDP nach
einer Auflösung der drei Arbeitstische geht jedoch zu
weit, da eine derartige Maßnahme für die Bemühungen
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er insgesamt 40 Teilnehmerstaaten des Paktes nicht för-
erlich wäre.
Wir begrüßen die zunehmend führende Rolle der EU
ür Sicherheit vor Ort, die sich nicht zuletzt durch das
ngagement der EUFOR in Bosnien ab Ende des Jahres
eigen wird, sollte doch die EU auch sicherheitspolitisch
n absehbarer Zeit – unter Rückgriff auf NATO-Fähig-
eiten – für die Region Zuständigkeiten beanspruchen
önnen.
Bosnien bleibt aber auch Ausdruck potenzieller Span-
ungsfelder innerhalb der westlichen Gemeinschaft. Es
ei an dieser Stelle nur an die Notwendigkeit eines dau-
rhaft komplementären Wechselspiels zwischen NATO
nd ESVP erinnert. Der gefundene Konsens zur weitge-
enden Übernahme der SFOR-Mission durch die EU ist
in ermutigendes Zeichen. Gleichzeitig erwächst hieraus
icht lediglich eine Verpflichtung zur Stärkung etwaiger
uropäischer Pfeiler, sondern zur parallelen Zukunftssi-
herung und Stabilisierung der NATO insgesamt. Gerade
uch im Hinblick auf den kommenden Gipfel in Istan-
ul, wo bekanntlich auch über einen möglichen Beitritt
osniens zum NATO-Bündnis Partnership for Peace ent-
chieden werden soll.
Zu Letzterem sollte nicht unerwähnt bleiben, dass
radmesser für Bosniens NATO-Tauglichkeit unter an-
erem seine Bereitschaft, insbesondere diejenige beson-
erer Gruppen, zur Vergangenheitsbewältigung ist. Das
n einem Untersuchungsbericht einer bosnisch-serbi-
chen Kommission erstmals bestätigte Eingeständnis der
chuld an dem grauenvollen Massaker von Srebrenica
ollte als ein Schritt in die richtige Richtung gewertet
erden. Mit dem Bosnien-Sonderbeauftragten Ashdown
st allerdings bewusst der Konjunktiv zu wählen, wenn
an davon spricht, dass der Bericht und die Äußerungen
osnisch-serbischer Politiker deren Willen zum Aus-
ruck bringen könnte, Verantwortung gegenüber Srebre-
ica wahrzunehmen und den Opfern Gerechtigkeit zuteil
erden zu lassen. Ihre Ernsthaftigkeit hat die Führung in
anja Luka nach neun Jahren der beinahe vollständigen
assivität in diesen Belangen erst noch zu beweisen.
ierunter ist auch die Verhaftung und Auslieferung ge-
uchter Kriegsverbrecher an Den Haag, allen voran von
adovan Karadzic, zu verstehen.
Insgesamt darf eine „Gesamtstrategie“ – deren Be-
rifflichkeit ich für falsch halte – für die Region nicht
erkennen, dass die internationale Gemeinschaft ihre
rogramme individuell auf konkrete Länder anwenden
nd zuschneiden muss – eingedenk der Tatsache, dass
ehlentwicklungen und Instabilität eines Landes die ge-
amte Region erschüttern können, wobei freilich Vernet-
ungslinien unterschiedlichster Art nicht außer Acht ge-
assen werden dürfen. Sollte etwa Bosnien-Herzegowina
en Anschluss an die umliegenden Staaten verpassen
nd sich zu einem von Nationalismus und organisierter
riminalität beherrschten „Schwarzen Loch“ mit ent-
prechender Sogwirkung auf dem Balkan entwickeln
nd zum Sammelgebiet für islamischen Fundamentalis-
us in Europa werden, so würde dies Bemühungen um
ine Stärkung der regionalen Zusammenarbeit und die
tabilität der gesamten Region generell untergraben.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2004 10493
(A) )
(B) )
Deutschland kommt in der Region eine besondere
Verantwortung zu. Wir sind für die meisten Balkanstaa-
ten das wichtigste bilaterale europäische Partnerland,
zählen zu den prominentesten Geberländern und fast
3 800 deutsche Soldaten flankieren in Bosnien und im
Kosovo die politischen Entwicklungsprozesse. Die Bun-
desregierung muss sich daher besonders bei der Unter-
stützung, Weiterführung, Gestaltung und Optimierung
der politischen Prozesse der internationalen Gemein-
schaft einbringen. Die Bundesregierung präzisiert bis-
lang nicht ihre eigenen konzeptionellen Vorstellungen
für die politischen Entwicklungsprozesse für die Region
und die einzelnen Länder. Welche Vorstellungen hat die
Bundesregierung hier in den verschiedenen Gremien der
internationalen Gemeinschaft eingebracht, um die politi-
schen Prozesse in diesen Ländern dynamischer in eine
stabilisierende Richtung zu lenken?
An der Bundesregierung ist es auch, sich verstärkt um
die Abstimmung bzw. Komplementarität der verschiede-
nen Programme der internationalen Gemeinschaft zu
kümmern, die aufgrund der stockenden politischen und
wirtschaftlichen Reformprozesse möglicherweise ver-
besserungswürdig ist. Parallelstrukturen müssen abge-
baut und zwischen den einzelnen Wiederaufbaustruktu-
ren deutlich mehr Kohärenz geschaffen werden.
Die Stabilisierung der Region des Balkans bleibt es-
senzielle europäische Aufgabe und trifft damit unser al-
ler Verantwortung.
Michael Stübgen (CDU/CSU): Dass die Situation in
Südosteuropa so ist, wie sie sich gegenwärtig darstellt,
ist eine Folge der insgesamt erfolgreichen Politik der in-
ternationalen Gemeinschaft, der Europäischen Union
und auch der Bundesrepublik Deutschland. Sie ist aber
auch – und darauf sei an dieser Stelle hingewiesen – der
Erfolg von vielen tausend Menschen, die mit hohem En-
gagement, persönlichen Entbehrungen, teilweise auch
unter Einsatz ihres Lebens in diesen Ländern seit vielen
Jahren zur Friedenssicherung und für den Wiederaufbau
arbeiten. Diesen Menschen möchte ich an dieser Stelle
ausdrücklich Dank sagen. So unbefriedigend die gegen-
wärtige Situation auch ist, so hat sich doch die Balkan-
strategie der internationalen Gemeinschaft und der Euro-
päischen Union bis jetzt insofern bewährt, als es keinen
Krieg mehr auf dem Balkan gibt und ethnische Ausei-
nandersetzungen zurückgedrängt werden konnten.
Wenn wir uns allerdings an dieser Stelle über die ak-
tuelle Situation in Südosteuropa unterhalten, müssen wir
auch die Defizite analysieren und notwendige Verände-
rungen unserer Politik diskutieren. Die Situation der ein-
zelnen Länder in Südosteuropa ist extrem differenziert.
Sie teilen sich aber in zwei Entwicklungsstufen: Zum
einen sind das die Länder mit einem gefestigten Staats-
gebiet, mit einer kontinuierlichen Entwicklung, bis hin
zu einer sich klar abzeichnenden Beitrittsperspektive zur
Europäischen Union. Dies sind Bulgarien, Rumänien,
Kroatien und auch bedingt Mazedonien. In diesen Län-
dern hat sich die Politik der EU, durch die Vermittlung
einer klaren Beitrittsperspektive, verbunden mit der Auf-
nahme von Beitrittsverhandlungen, diese wirtschaftli-
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he, politische und soziale Entwicklung dieser Länder zu
ntwickeln, vollständig bewährt.
Bulgarien zum Beispiel hat vorgestern die Beitrittsver-
andlungen zur Europäischen Union erfolgreich abschlie-
en können. Somit ist der Beitrittswunsch Bulgariens für
007 realistisch. Rumänien ist mit den Verhandlungen
och nicht so weit, aber der Entwicklungstrend ist ein-
eutig. Für Kroatien und Mazedonien ist die EU-Perspek-
ive zumindest greifbar.
Zum anderen sind es im Wesentlichen die westlichen
alkanländer mit einem enormen Entwicklungsrück-
tand. Sie erwirtschaften nach Einschätzung einer Studie
er Stiftung für Wissenschaft und Politik gerade einmal
Prozent des durchschnittlichen europäischen Bruttoso-
ialproduktes. Darüber hinaus ist die Staatlichkeit einiger
ieser Länder zumindest fragwürdig. Für diese Länder ist
ie EU-Mitgliedschaft auf lange Sicht noch nicht mög-
ich.
Der Gipfel der Staats- und Regierungschefs von Euro-
äischer Union und den westlichen Balkanländern vor
inem Jahr in Thessaloniki hat aber auch für diese Län-
er außer einer leichten Erhöhung der Stabilitätspaktmit-
el ausschließlich die Beitrittsperspektive formuliert.
ies ist für diese Länder aber noch keine ausreichende
trategie. Denn mit der Beitrittsperspektive allein kann
iesen Ländern kein ausreichender Anreiz für eine sta-
ile Entwicklung geboten werden. Hier muss die Euro-
äische Union beginnen umzusteuern. Dafür drei Emp-
ehlungen:
Erstens. Der Stabilitätspakt Südosteuropa hat sich ins-
esamt als ein sehr erfolgreiches Instrument erwiesen,
iesen Ländern schnellstmöglich Wiederaufbauhilfe zu
ewähren. Die Tatsache, dass in der mittelfristigen Fi-
anzplanung des Bundes die Mittel für den Stabilitäts-
akt bis 2006 auslaufen, trägt nicht zu einer Investitions-
icherung bei. Für den Einsatz der finanziellen Mittel
aben sich aber auch Probleme durch die äußerst kom-
lexe Struktur des Stabilitätspaktes ergeben. Wichtig ist
etzt, dass spätestens für die Finanzperiode ab 2007 die
ilfsmaßnahmen der Europäischen Union und der EU-
itgliedstaaten – die bisher im Rahmen des Stabilitäts-
aktes erfolgt sind – vollständig in die Struktur der EU
ntegriert und die Aufgaben einer Agentur übertragen
erden. Hierfür muss auch – und zwar für die gesamte
inanzperiode bis 2013 – eine eindeutige Finanzierungs-
icherheit geschaffen werden. Damit verbunden werden
ollten aber auch einheitliche Kriterien für die Vergabe
er Förderung. Ich denke, dass in diesem Zusammen-
ang eine Initiative der Bundesregierung erforderlich
äre.
Zweitens. Der Motor für eine stabile Entwicklung hin
u Rechtsstaatlichkeit, wirtschaftlicher Entwicklung und
ozialem Wohlstand kann aber nur in diesen Ländern ak-
iviert werden. Und dies geht – wie es alle mittel- und
steuropäischen Länder gezeigt haben – nur, wenn in der
olitischen Klasse und in der Bevölkerung die Überzeu-
ung wächst, dass sie am wirtschaftlichen Fortschritt der
uropäischen Union einschließlich einem entstehenden
ettbewerb um die schnellstmögliche Integration teilha-
en können. Die Europäische Union muss für diese
10494 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2004
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(B) )
Länder aber eine klare Zwischenperspektive vor einer
vollständigen Mitgliedschaft bieten, die auch für diese
Länder erkennbare Erfolgserlebnisse produziert. Diese
Strategie muss die Europäische Union jetzt definieren.
Drittens. Die künftige Förderung in den südosteuro-
päischen Ländern sollte sich stärker an der regionalen
Kooperation zwischen diesen kleinen und kleinsten Län-
dern orientieren; denn ohne ein Wachsen dieser Koope-
ration ist eine langfristige friedliche Entwicklung dieser
Region nicht vorstellbar.
Es liegt in unserem zwingenden Interesse, dass die
südosteuropäischen Länder möglichst rasch Perspekti-
ven für die Teilhabe am wirtschaftlichen Fortschritt in
Europa erkennen können. Dazu müssen wir uns darauf
einstellen, dass wir noch für eine lange Zeit erheblichen
finanziellen und technischen Aufwand für die wirt-
schaftlichen Aufbaumaßnahmen betreiben müssen. Dies
gilt ebenso für den militärischen und polizeilichen Ein-
satz. Korrekturen der jetzigen Strategie, um sie auch
langfristig stabil zu gestalten, sind allerdings jetzt not-
wendig.
Dr. Rainer Stinner (FDP): Wenn man den Bericht
der Bundesregierung über die Ergebnisse ihrer Bemü-
hungen liest, könnte man der Meinung sein, die Welt auf
dem Balkan sei doch in Ordnung, alles sei auf das Beste
geordnet.
Jeder, der die genauen Verhältnisse kennt, weiß, dass
das nicht der Wahrheit entspricht. Trotz vieler Anstren-
gungen, trotz großer Geldleistungen, trotz vieler Pro-
gramme sind die Dinge auf dem Balkan nicht geordnet,
gibt es nicht die Fortschritte, die wir alle erwartet haben
und die dringend notwendig sind.
Schon die Überschrift des Berichtes der Bundesregie-
rung ist inkorrekt. Es wird suggeriert, es gäbe eine politi-
sche und ökonomische Gesamtstrategie für die Region.
Eine solche Gesamtstrategie gibt es aber nicht.
Es gibt einzelne Instrumente, die zumeist gut gemeint
sind, die aber dringend der Überarbeitung bedürfen. Es
gibt aber keine Abstimmung aller Instrumente zur För-
derung der Region. Es gibt kein Controlling und kein
Monitoring. Es gibt keine Beurteilung der Effektivität
und der Effizienz der Instrumente. Das gilt insbesondere
für den so hoch gelobten Stabilitätspakt. Auf meine
schriftliche Frage vom November 2003 nach der Höhe
der Zahlungen der Geberländer des Stabilitätspaktes ant-
wortete die Bundesregierung wörtlich: „Eine kontinuier-
liche Erhebung der Geberleistungen für Projekte im
Rahmen des Stabilitätspaktes existiert nach Kenntnis der
Bundesregierung nur im Infrastrukturbereich.“ Deutsch-
land hat seit 2000 über 1 Milliarde Euro für Projekte
ausgegeben und weiß nicht, ob andere Geber vielleicht
die gleichen Projekte finanziert haben. Kein Wunder,
dass der Fortschritt auf dem Balkan ausbleibt.
Heute und morgen findet ein großes Balkan-Forum
unter dem Motto: „Rethinking the Balkans“ statt. Ein
solches Rethinking ist dringend geboten. Da darf die
Bundesregierung auch ruhig mitdenken. Aber da kommt
zu wenig. Wir haben einen ganz konkreten Vorschlag zur
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esentlichen Verbesserung der Durchführung der um-
angreichen europäischen Hilfe eingebracht. Grundge-
anke ist, dass wir ein wesentlich besseres Monitoring,
ine wesentlich bessere Koordination brauchen. Es gibt
ine Organisation, die in der Region bewiesen hat, dass
ie das sehr gut kann, die EAR in Thessaloniki.
Die Kolleginnen und Kollegen von der Regierungs-
oalition lehnen diesen Vorschlag stereotyp ab. Sie wei-
ern sich, neue Wege zu denken. Das bringt uns aber
icht weiter, das bringt die Menschen auf dem Balkan
icht weiter, das ist auch auf die Dauer unseren Wählern
icht zu verkaufen.
Wir haben mit Thessaloniki ein starkes politisches
ommitment für die Staaten der Region abgegeben; das
st richtig. Dieses Commitment muss aber mit Leben ge-
üllt werden. Wir müssen neue Wege gehen, wir müssen
eu nachdenken. Fangen Sie endlich an, mitzudenken.
Kerstin Müller, Staatsministerin im Auswärtigen
mt: Ziel der Südosteuropapolitik der Bundesregierung
st die langfristige und nachhaltige Stabilisierung der
esamtregion. Dies setzt ein massives und andauerndes
ngagement voraus. Die Bundesregierung setzt dabei
uf den Prozess der Europäisierung, zu dem es keine Al-
ernative gibt. Zur Sicherung der erreichten Fortschritte
nd Verhinderung neuer Gewaltausbrüche ist vorerst
uch noch der Einsatz militärischer und polizeilicher
ittel notwendig. Dies haben uns die März-Ereignisse
m Kosovo erneut deutlich vor Augen geführt.
Trotz des Rückschlags im Kosovo fällt die Gesamtbi-
anz für die Region positiv aus. Demokratische Instituti-
nen und Verfahren sind inzwischen liberal verankert.
ie Sicherheitslage hat sich weiter gebessert, sodass bei-
pielsweise die Militärpräsenz in Mazedonien beendet
erden konnte. Die Besonnenheit, mit der in der Nach-
arschaft des Kosovo auf die März-Unruhen reagiert
urde, ist ein Zeichen zunehmender regionaler Stabilität.
Oder denken wir an Bosnien und Herzegowina: Lord
shdown, der Hohe Repräsentant der internationalen
emeinschaft in Bosnien und Herzegowina, hat kürzlich
nlässlich eines Deutschlandbesuchs darauf hingewie-
en, dass auch Bosnien und Herzegowina ein Beispiel
rfolgreicher europäischer Friedens- und Sicherheitspo-
itik sind, an der auch Deutschland einen großen Anteil
at.
Aber der Übergang zu stabilen politischen und wirt-
chaftlichen Verhältnissen ist keineswegs überall ge-
ichert. Es geht jetzt um die Verstetigung der Reform-
rozesse; es geht darum, Demokratie und Rechtsstaat in
en Ländern fest zu verankern und funktionsfähige staat-
iche Strukturen und Institutionen zu schaffen, und es
eht insbesondere auch darum, auf die wirtschaftlich-
ozialen Probleme eine Antwort zu finden und die orga-
isierte Kriminalität entschlossen zu bekämpfen.
Der Wunsch, möglichst bald der EU beizutreten, hat
ich für südosteuropäische Staaten als der entscheidende
otor für Reformen erwiesen. Das Tempo der Annähe-
ung an die EU ist unterschiedlich, das Ziel aber unbe-
tritten. Die EU steht zu der Beitrittsperspektive, die sie
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2004 10495
(A) )
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den Ländern des westlichen Balkans zugesagt hat. Das
Tempo der Annäherung an die EU bestimmen diese Län-
der aber selbst. Von ihren Eigenanstrengungen hängt es
ab, wie bald sie der EU beitreten können.
Das Beispiel Kroatiens zeigt, welche Fortschritte mög-
lich sind, wenn demokratische und marktwirtschaftliche
Reformen konsequent umgesetzt werden. Kroatien macht
sich deswegen zu Recht Hoffnungen, auf dem bevorste-
henden ER als Beitrittskandidat anerkannt zu werden.
Aber das unterschiedliche Reformtempo führt auch
zu rasch wachsenden Unterschieden innerhalb der Re-
gion. Um zu vermeiden, dass neue Grenzen auf dem Bal-
kan entstehen, muss vor allem die regionale Kooperation
intensiviert werden. Sie ist unter dem Dach des Stabili-
tätspaktes für Südosteuropa bereits von Jahr zu Jahr
dichter geworden und zunehmend in die Hände der Län-
der der Region übergegangen.
Das Wirtschaftswachstum in der Region hat sich seit
2001 zwar verstetigt, in einigen Ländern des westlichen
Balkans ist es aber bei weitem nicht ausreichend. Zur
Finanzierung der erforderlichen Umstrukturierungsmaß-
nahmen sind internationale Kapitalzuflüsse unverzicht-
bar. Hier steht die internationale Gemeinschaft auch
künftig in der Verantwortung. Gleichzeitig müssen aber
die betroffenen Länder auch selbst die hausgemachten
Hindernisse erkennen und entschlossen abbauen. Wich-
tig sind vor allem die Herstellung von Rechtssicherheit
und der Abbau der Korruption sowie die Schaffung eines
gemeinsamen Marktes.
Eine militärische oder polizeiliche Präsenz der inter-
nationalen Gemeinschaft ist in einigen Teilen des westli-
chen Balkans bis auf weiteres unverzichtbar. Solange
fragile Verfassungsstrukturen und rechtsstaatliche Defi-
zite das Funktionieren des Staates behindern und ethni-
sche Kategorien das politische Handeln mitbestimmen,
würden militante Extremisten es leicht haben, das politi-
sche Vakuum zu nutzen, um ihre Ziele gewaltsam durch-
zusetzen. Dies dürfen wir nicht zulassen.
Die Stabilisierung Südosteuropas bleibt politische
Priorität; wir werden deshalb unser Engagement in Süd-
osteuropa mit unverändertem Nachdruck fortsetzen.
Anlage 8
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Anträge:
– Entwicklungspartnerschaften mit der Wirt-
schaft weiterentwickeln – gemeinsam Armut
bekämpfen
– Menschen mit Behinderung in Entwick-
lungszusammenarbeit einbeziehen
(Tagesordnungspunkt 21 a und b)
Dagmar Schmidt (Meschede) (SPD):
„Die Bilanz der ersten Jahre der PPP-Fazilität ist
(…) durchaus positiv und wird von der großen
Mehrheit der Beteiligten als Erfolg gewertet.“
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Dieser Satz stammt nicht etwa aus einer Informati-
nsbroschüre des Bundesministeriums für wirtschaftli-
he Zusammenarbeit und Entwicklung, sondern von
r. Michael Blank, dem Leiter des Referats Entwick-
ungspolitik des Deutschen Industrie- und Handelskam-
ertages, veröffentlicht in der Zeitschrift „E+Z“ im Juni
003.
Wer hätte eine solche Aussage noch vor einem Jahr-
ehnt für möglich gehalten? Entwicklungspolitik und
irtschaft galten sowohl aufseiten der Unternehmen als
uch bei der Mehrzahl der Aktiven im Bereich der Ent-
icklungszusammenarbeit als unvereinbar. Hier die ver-
eintlich „weichen“ Themen menschliche Entwicklung,
achhaltigkeit und Gerechtigkeit – dort die raue Welt
es marktwirtschaftlichen Wettbewerbs. Wo sollte da die
chnittmenge gemeinsamer Interessen liegen?
Im fünften Jahr nach der Einführung der PPP-Fazilität
es Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammen-
rbeit und Entwicklung stellen wir nicht ohne Stolz fest:
s gibt eine Schnittmenge. Sie ist gar nicht so unschein-
ar und unsere Entwicklungspolitik hat sie aktiviert.
Wie konnte dies angesichts der Vorbehalte auf beiden
eiten gelingen? Die Lösung ist einfach. Die Ängste und
efürchtungen, im globalen Geschehen nicht bestehen
u können, wenn man die Grundsätze der Armutsbe-
ämpfung nicht beachtet, sind bei vielen Beteiligten an-
esichts der veränderten weltwirtschaftlichen Rahmen-
edingungen gewachsen.
Um die Herausforderungen der Globalisierung zu
eistern und ihre Chancen zu nutzen, haben wir mit der
illenniums-Deklaration, dem Monterrey-Konsensus
ur Entwicklungsfinanzierung und dem Johannesburg-
ktionsplan die Grundlagen für eine globale Partner-
chaft zwischen Nord und Süd zur Bekämpfung der Ar-
ut geschaffen.
Die Verwirklichung dieses ehrgeizigen Programms
rfordert von allen Akteuren – staatlichen, aber auch pri-
aten – erhebliche Anstrengungen. Nach Berechnungen
er UN benötigen die Entwicklungsländer bei guter Re-
ierungsführung allein für die Verwirklichung der Mil-
enniums-Entwicklungsziele zusätzliche Mittel im Rah-
en der Entwicklungszusammenarbeit in Höhe von
0 Milliarden US-Dollar pro Jahr.
Die Entwicklungs- und Industrieländer haben sich auf
er Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung in Monter-
ey im März 2002 auf einen gemeinsamen Ansatz zur
obilisierung von Finanzmitteln für die Entwicklungs-
olitik geeinigt.
Die Entwicklungsländer bekräftigten ihre Eigenver-
ntwortung in den Bereichen guter Regierungsführung
nd entwicklungsfördernder interner Rahmenbedingun-
en wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Korruptionsbe-
ämpfung und Beteiligung der Zivilgesellschaft. Im Ge-
enzug haben sich die Industrieländer verpflichtet, ihre
DA-Quote bis zum Jahr 2006 zu erhöhen, was nach
erechnungen der OECD zusätzliche Mittelzusagen in
öhe von 16 Milliarden US-Dollar zur Folge hat.
10496 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2004
(A) )
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Trotz dieser bemerkenswerten Verhandlungserfolge
sind die Ziele der Millenniums-Deklaration und des Jo-
hannesburg-Aktionsplans nicht alleine mit öffentlichen
Mitteln erreichbar. Es gilt, privatwirtschaftliche Res-
sourcen zu mobilisieren und die gesellschaftspolitische
und soziale Verantwortung der Unternehmen für eine ge-
rechte Ausgestaltung der Globalisierung einzufordern.
Die Global-Compact-lnitiative von UN-Generalsekre-
tär Kofi Annan fordert den Privatsektor auf neun zentrale
Werte in den Bereichen Arbeitsnormen, Menschenrechte
und Umwelt zu unterstützen und durchzusetzen. Sowohl
der Monterrey-Konsensus als auch die Abschlusserklä-
rung von Johannesburg betonen die Notwendigkeit, Ent-
wicklungspartnerschaften mit der Wirtschaft einzugehen,
um die angestrebten Entwicklungsziele zu erreichen.
So muss die Zusammenarbeit von staatlicher Ent-
wicklungspolitik und Privatwirtschaft bei solchen Vor-
haben ausgebaut werden, die einen entwicklungspoliti-
schen Nutzen erbringen und gleichzeitig im Interesse der
beteiligten Unternehmen liegen. Damit wurde ein grund-
sätzlicher Paradigmenwechsel in der Entwicklungszu-
sammenarbeit eingeleitet und ein neues, innovatives
Feld der Zusammenarbeit eröffnet, dessen Bedeutung in
den kommenden Jahren noch zunehmen wird.
Die Bundesrepublik Deutschland nimmt bei der För-
derung der Entwicklungspartnerschaften mit der Wirt-
schaft international eine Spitzenposition ein. Im Rahmen
der so genannten PPP-Fazilität fördern wir seit 1999
Entwicklungspartnerschaften mit der Wirtschaft. Unter-
stützt werden Unternehmensprojekte, die zusätzliches
privates Kapital für die soziale und wirtschaftliche Ent-
wicklung der Partnerländer mobilisieren.
In den ersten drei Jahren standen dafür Mittel des
Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenar-
beit und Entwicklung in Höhe von 56,4 Millionen Euro
bereit. Für die zweite dreijährige Phase ab 2002 sind
weitere 50 Millionen Euro eingeplant.
In vier Jahren konnten so im Rahmen der Fazilität
rund 600 innovative Einzelprojekte und langfristige stra-
tegische Allianzen mit einem Mittelvolumen von mehr
als 200 Millionen Euro schnell und unbürokratisch reali-
siert werden.
Berücksichtigt man die Investitionsförderung von
DEG, KfW und InWEnt, so sind in vier Jahren in
70 Ländern auf vier Kontinenten mehr als l 000 Öffent-
lich-Private-Partnerschaften mit einem Mittelvolumen
von über 4,7 Milliarden Euro realisiert worden. Mit öf-
fentlichen Mitteln in Höhe von 1,8 Milliarden Euro
konnten private Investitionen von knapp 3 Milliarden
Euro angestoßen werden.
Von A wie Aids-Bekämpfung bis Z wie Zertifizierung
wurden in unterschiedlichsten Feldern innovative Ein-
zelprojekte realisiert. Ohne die Unterstützung des BMZ
wären sie ausgeblieben oder ohne entwicklungspoliti-
schen Mehrwert realisiert worden.
So baut ein deutsch-belgisches pharmazeutisches Fa-
milienunternehmen in Bukavu in der Demokratischen
Republik Kongo im Rahmen eines PPP-Projektes der
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TZ unter schwierigsten äußeren Bedingungen die Pro-
uktion und Ausgabe preiswerter Aids-Medikamente auf
nd engagiert sich bei der Versorgung und der Betreuung
er Infizierten. Der öffentliche Beitrag zu diesem Pro-
ekt beläuft sich auf rund 200 000 Euro aus der PPP-Fa-
ilität und geschätzte 100 000 Euro für fachliche Bera-
ung und Unterstützung durch ein von der GTZ
urchgeführtes Aids-Projekt im Zeitraum 2003 bis 2006.
er Beitrag des Unternehmens beträgt 380 000 Euro für
en Aufbau des Produktions- und Diagnosezentrums.
Einige Kolleginnen und Kollegen konnten sich auf
iner Ausschussreise im April einen persönlichen Ein-
ruck von dem Projekt machen. Meine Kollegin Brigitte
immer bat gerade gestern in der Sitzung des Aus-
chusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
icklung im Rahmen der aktuellen Unterrichtung
Kongo“ um Informationen über den aktuellen Stand des
rojektes. Wir alle müssen mit ihr hoffen, dass es fortbe-
teht.
Denn unternehmerischer Einsatz hält sich in Krisen-
egionen in Grenzen.
Ein weiteres Beispiel bietet ein großes deutsches
chuhhaus, das sich im Rahmen eines PPP-Projektes da-
ür einsetzt, bei den asiatischen Zulieferbetrieben die Ar-
eitsbedingungen durch die Einführung von Sozial- und
mweltstandards nachhaltig zu verbessern.
Gerade dieses Beispiel zeigt: Ohne PPP liefe die
urchsetzung sozialer und ökologischer Mindeststan-
ards noch langsamer oder gar nicht an. Aber durch die
rfahrung von veränderten Arbeitsbedingungen wird ein
ominoeffekt entstehen, der die öffentlichen Mittel zur
urchsetzung bald überflüssig macht.
Besonders hervorheben möchte ich in diesem Zusam-
enhang, dass rund 70 Prozent der Projekte im Rahmen
er PPP-Fazilität von kleinen und mittleren Unterneh-
en verwirklicht werden. Sie bieten mit kostengünsti-
en und technologisch angepassten Lösungsansätzen
esonders günstige Voraussetzungen für eine durchgrei-
ende Bekämpfung von Armut in den Partnerländern.
Denn gerade die kleinen und mittleren Unternehmen
aben eine wichtige Multiplikatorenfunktion. Sie wer-
en durch PPP-Projekte für die Probleme der Entwick-
ungszusammenarbeit sensibilisiert und tragen ihre Er-
ahrungen in weite Teile der Wirtschaft hinein.
Der Erfolg zeigt sich darin, dass bei den mit der
urchführung der Entwicklungspartnerschaften betrau-
en Organisationen inzwischen weit mehr Projektanträge
estellt werden, als mit den vorhandenen Mitteln umge-
etzt werden können.
Dennoch: Neue Maßnahmen werden von uns genau
uf deren Wirkung hin beobachtet, beurteilt und im wei-
eren Verfahren optimiert. Deshalb gab es bereits im frü-
en Stadium eine Evaluierung der PPP-Fazilität. Rot-
rün hat die Empfehlungen dieser ersten Evaluierung
ur Grundlage einer Weiterentwicklung der Partner-
chaft mit der Wirtschaft gemacht.
Erstens. Die innovativen kleinteiligen Projekte der
azilität werden durch strategische Allianzen ergänzt,
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2004 10497
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um so die strukturbildenden Effekte der Entwicklungs-
partnerschaften zu erhöhen. Erste erfolgreiche Beispiele
für derartige Allianzen sind die Zusammenarbeit mit
dem Deutschen Kaffee-Verband und der Außenhandels-
vereinigung des deutschen Einzelhandels zur Erarbei-
tung und Einführung von Umwelt- und Sozialstandards
für Kaffeefirmen und Zulieferbetriebe in der Beklei-
dungsindustrie.
Zweitens. Die Entwicklungspartnerschaften werden
in stärkerem Maße in die bilaterale Entwicklungszusam-
menarbeit mit den Partnerländern eingebunden. Dadurch
ist es möglich, die Signifikanz des Instruments zu erhö-
hen und die Synergieeffekte zwischen staatlicher Ent-
wicklungszusammenarbeit und privatwirtschaftlichem
Engagement im Rahmen von Entwicklungspartnerschaf-
ten zu verstärken. Im Jahr 2003 ist erstmals mehr priva-
tes Kapital durch PPP-Projekte im Rahmen der bilatera-
len Entwicklungszusammenarbeit eingeworben worden
als im Rahmen der Fazilität.
Drittens. Wir werden dafür Sorge tragen, dass in der
Praxis der Entwicklungspartnerschaften ein besonderes
Gewicht auf die Förderung von Maßnahmen gelegt wird,
die der strukturellen Armutsminderung, zum Beispiel
durch Bildungs- und Qualifizierungsprojekte, dienen.
Bei all diesen positiven Entwicklungen möchte ich an
dieser Stelle nicht verschweigen, dass es insbesondere
vonseiten der Nichtregierungsorganisationen, aber auch
vonseiten der Wirtschaft vereinzelt Kritik am Konzept
der Entwicklungspartnerschaften gibt. Die Nichtregie-
rungsorganisationen befürchten, die Zusammenarbeit mit
den Unternehmen werde die Entwicklungspolitik lang-
fristig zu einer neuen Form der Außenwirtschaftsförde-
rung degradieren. Die Wirtschaft hingegen ist an einer
weiteren Lockerung der Kriterien und einer noch unbüro-
kratischeren Abwicklung der Genehmigungsverfahren
für Entwicklungspartnerschaften interessiert.
Dieser Kritik möchte ich entgegenhalten: Die Ab-
grenzung zwischen den Entwicklungspartnerschaften
und der Außenwirtschaftsförderung ist durch die strikte
Orientierung an den entwicklungspolitischen Zielvorga-
ben der Bundesregierung bisher und in Zukunft gewähr-
leistet.
Die Grundlage der Entwicklungspartnerschaften ist
und bleibt die Mobilisierung eines Beitrags zur sozialen
und wirtschaftlichen Entwicklung der Partnerländer. Die
Grundlage ist nicht der Förderbedarf deutscher oder
europäischer Unternehmen.
Wir wollen die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft,
aber als Entwicklungspolitikerinnen und Entwicklungs-
politiker bestimmen wir die Rahmenbedingungen für die
Zusammenarbeit und setzen Grenzen.
Wir wollen, dass auch in Zukunft Entwicklungspart-
nerschaften mit der Wirtschaft fünf Auswahlkriterien er-
füllen:
Erstens. Sie müssen mit den entwicklungspolitischen
Zielvorgaben der Bundesregierung sowie den Länder-
und Sektorenkonzepten des Bundesministeriums für
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irtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung kom-
atibel sein.
Zweitens. Beide Seiten müssen durch den komple-
entären Einsatz öffentlicher und privater Mittel ihre je-
eiligen Ziele kostengünstiger, wirksamer und schneller
rreichen.
Drittens. Es dürfen nur Maßnahmen gefördert wer-
en, die ohne öffentlichen Beitrag nicht oder mit gerin-
erer entwicklungspolitischer Wirkung von einem Un-
ernehmen erbracht würden.
Viertens. PPP-Vorhaben müssen allen Unternehmen
ffen stehen.
Fünftens. Die Unternehmen müssen einen substan-
iellen Eigenbeitrag, der in der Regel mindestens
0 Prozent des Gesamtaufwandes betragen sollte, selbst
inanzieren.
Diese Auswahlkriterien sollten nicht als Hindernis
erstanden werden, sondern als Beispiele dafür, wie pri-
atwirtschaftliches Gewinnstreben und eine nachhaltige,
oziale und wirtschaftliche Entwicklung in Einklang ge-
racht werden können. Die Zusammenarbeit zwischen
irtschaft und Politik im Rahmen der Entwicklungs-
artnerschaften hat somit Laborcharakter. Sie öffnet den
lick der Wirtschaft für deren globale Verantwortung in
er gemeinsamen Bekämpfung der Armut. Sie öffnet
en Horizont für eine gerechte Gestaltung der Globali-
ierung.
Es ist nicht notwendig, die Kriterien für die Entwick-
ungspartnerschaften aufzuweichen, sondern humani-
äre, ökologische und soziale Standards nach und nach
ür den ganzen Bereich der Außenwirtschaft unwiderruf-
ich zu selbstverständlichen Grundsätzen zu machen.
enn wenn wir die Herausforderungen der Zukunft
eistern wollen, ist es unabdingbar, die gesellschaftspo-
itische und soziale Verantwortung der Unternehmen für
ine gerechte Ausgestaltung der Globalisierung einzu-
ordern.
Die Entwicklungspartnerschaften mit der Wirtschaft
ind hier ein wichtiger Hebel, gerade wenn sie mit der
lobal-Compact-Initiative von UN-Generalsekretär
ofi Annan verknüpft werden. Wenn alle gesellschaftli-
hen Kräfte in diesem Sinne sensibilisiert und mobili-
iert werden, besteht die Aussicht auf eine gerechtere
elt. Wirtschaft und Unternehmen müssen ihren Image-
ewinn aus entwicklungspartnerschaftlichem Handeln
rkennen und ausbauen.
Für die Zivilgesellschaft gilt: Verbraucherinnen und
erbraucher müssen ihre Macht einsetzen und mehr und
ehr Transparenz im ökonomischen Geschehen einfor-
ern. Parlamente überall auf der Welt müssen für die po-
itischen Rahmenbedingungen sorgen. So können wir
ehlentwicklungen frühzeitig verhindern und die Poten-
iale der Entwicklungspartnerschaften für die globale
ekämpfung der Armut optimal nutzen.
Gerade in diesem Zusammenhang finde ich es sehr
edauerlich, dass die Opposition, die sich doch gerade
egen ihrer besonderen Nähe zur Wirtschaft immer
erne selbst auf die Schulter klopft, auch heute wieder
10498 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2004
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zur Frage der Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und
Entwicklungszusammenarbeit nichts Konstruktives bei-
zusteuern weiß.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,
ihre Rat- und Tatenlosigkeit bei der Auseinandersetzung
mit innovativen Ansätzen im Bereich der Entwicklungs-
zusammenarbeit macht wieder einmal deutlich, dass Sie
die Zeichen der Zeit nicht erkannt haben. Sie versuchen
immer noch, mit den entwicklungspolitischen Konzep-
ten von vorgestern die Probleme von übermorgen zu lö-
sen. Dennoch hoffe ich, dass sie sich im Rahmen der
Ausschussberatungen zum vorliegenden Antrag einer
konstruktiven Zusammenarbeit nicht verschließen wer-
den.
Wir werden auf jeden Fall den erfolgreichen Weg, den
wir bei den Entwicklungspartnerschaften mit der Wirt-
schaft eingeschlagen haben, fortsetzen und gemeinsam
mit der Wirtschaft zur weltweiten Bekämpfung der Ar-
mut beitragen.
Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Wir spre-
chen heute über zwei neue Tendenzen in der Entwick-
lungszusammenarbeit. Beide beruhen auf Erkenntnissen,
die sich in der deutschen entwicklungspolitischen Dis-
kussion erst noch richtig durchsetzen müssen. Im Be-
reich der Entwicklungspartnerschaften mit der Wirt-
schaft stehen wir erst am Anfang der Möglichkeiten;
ebenso wie wir erst begonnen haben, die Behindertenar-
beit als Aufgabe der Entwicklungszusammenarbeit zu
begreifen. Zur Begründung unseres Antrags komme ich
später.
Doch zunächst einige Anmerkungen zum Antrag der
Koalitionsfraktionen: Gemeinsam mit der Bundesregie-
rung werben sie aktiv für den Ausbau von Entwicklungs-
partnerschaften mit der Wirtschaft. Die Förderung
von Private Public Partnership sei eine wichtige sektor-
übergreifende Schwerpunktaufgabe. Die Bündelung
deutscher Entwicklungszusammenarbeit mit den Ent-
wicklungsbeiträgen von international operierenden Un-
ternehmen sei von großer Bedeutung.
Ich darf feststellen, dass wir den verstärkten Einsatz
von PPP grundsätzlich begrüßen. PPP ist sicher ein sinn-
volles Instrument, um Unternehmen als kompetente
Partner zur Lösung komplexer Probleme zu gewinnen.
Wir stimmen Ihnen in der Auffassung zu, dass es sehr
viele interessante Ansätze für Entwicklungsallianzen mit
der Wirtschaft gibt. Die Spielräume dafür sind längst
noch nicht ausgeschöpft, ja noch nicht einmal vollstän-
dig ausgelotet.
Ein paar kritische Anmerkungen zu diesem Bereich
kann ich Ihnen aber nicht ersparen. Betrachtet man sich
den Entwicklungshaushalt der vergangenen Jahre, lässt
Ihre Begeisterung für PPP einen schlimmen Verdacht
aufkommen: Es könnte sich der Eindruck aufdrängen,
dass die Beschwörung der Entwicklungspartnerschaft
mit der Wirtschaft Ausdruck einer Strategie ist, sinkende
öffentliche Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit
durch privates Kapital ausgleichen zu wollen. Ange-
sichts der haushälterischen Not, in die Sie sich haben
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ringen lassen, ist dieser Gedanke ja auch nur allzu ver-
ockend. Ich bitte Sie aber, in Erinnerung zu behalten,
ass wirtschaftliche Aktivität Entwicklungspolitik nicht
rsetzen kann. Unter anderem zielt Entwicklungspolitik
ämlich auch auf die Schaffung öffentlicher Güter, etwa
emokratische Institutionen, effektive Rechtsordnung,
ie für unternehmerische Betätigung zwar zentrale Vor-
ussetzung sind, davon aber nicht hergestellt werden
önnen.
Die Unternehmen, die sich im Rahmen der PPP enga-
ieren, verfolgen das für Unternehmen einzige – und le-
itime – Ziel: Sie wollen und müssen Gewinne machen.
s ist naiv zu glauben, sie auf Dauer auf karitative Zwe-
ke verpflichten zu können. Deshalb gehört es zu den
wingenden Voraussetzungen einer erfolgreichen PPP,
ass Unternehmen in den Entwicklungsländern gute und
tabile Rahmenbedingungen vorfinden. Hier liegen noch
iele ungelöste Probleme, die auch weiter mit klassi-
chem entwicklungspolitischem Instrumentarium bear-
eitet werden müssen. Die großen Mängel, die es in vie-
en unserer Partnerländer zum Beispiel bei Steuern,
echtssicherheit und Korruptionsproblematik nach wie
or gibt, sind mit privatem Kapital nicht zu lösen.
Wir sollten uns in diesem Zusammenhang auch ein
aar Gedanken machen, wie wir uns stärker den kleinen
nternehmen im informellen Sektor zuwenden können.
ier muss dem Instrument der Mikrofinanzierung we-
entlich mehr Bedeutung zukommen als bisher. Die Ver-
inten Nationen haben 2005 zum Jahr der Mitfinanzie-
ung ausgerufen. Das ist ein guter Ansatzpunkt, um auf
iesem Gebiet Fortschritte zu erzielen, um Hemmnisse
ür Mikrofinanzierungsprogramme abzubauen.
Entwicklungspartnerschaft heißt, die globalen Ent-
icklungsprobleme durch komplementäre Anstrengung
on Wirtschaft und Politik anzugehen. Deshalb meine
ahnung: Es ist der falsche Weg, die Wirtschaft in die
flicht zu rufen, nur um die Entwicklungspolitik allmäh-
ich aus dem Spiel nehmen zu können. Wenn Sie das be-
erzigen, sind wir gerne zur Zusammenarbeit in diesem
ereich bereit.
Zu dieser Zusammenarbeit lade ich Sie auch ein,
enn es darum geht, die sozialen und ökonomischen
eilhabechancen behinderter Menschen in den Entwick-
ungsländern zu fördern. Hier müssen wir umdenken. In
er Ausschusssitzung am 28. Januar haben wir dazu ja
inige Anregungen präsentiert bekommen. Wir müssen
rkennen, dass Behinderung in den armen Ländern der
rde einerseits eine Erscheinungsform von Armut und
nterentwicklung ist, andererseits aber auch selbst zum
rmutsrisiko und zum Hemmnis für Entwicklung wer-
en kann. Armut kann Ursache und Folge von Behinde-
ung sein. Bisher haben wir die Behindertenarbeit in den
ntwicklungsländern hauptsächlich immer nur unter ka-
itativen Aspekten oder als Menschenrechtsfrage gese-
en. Mit dieser Zugangsweise allein ist dem enormen
roblem aber nicht beizukommen.
Ein Blick auf die Statistik spricht eine eindeutige
prache: 80 Prozent der Menschen mit Behinderungen
eben in Entwicklungsländern – mit stark steigender
endenz. Jede vierte in Armut lebende Familie hat ein
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2004 10499
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Familienmitglied mit einer Behinderung. Die Ursachen
dieser Behinderungen wären vielfach vermeidbar und
entstehen durch Armutsfaktoren. Behinderung führt in
Entwicklungsländern allzu oft nicht nur zu sozialer Aus-
grenzung, Diskriminierung und zur materiellen Verelen-
dung der einzelnen unmittelbar von Behinderung betrof-
fenen Menschen. Tatsächlich ist die Problematik von
solchem Ausmaß, dass die volkswirtschaftlichen Folge-
kosten von Behinderung eine erhebliche Belastung für
die jeweilige nationale Wirtschaft sind. Zwischen Ar-
mut, Unterentwicklung und Behinderung besteht ein un-
bestreitbarer struktureller Zusammenhang.
Mit unserem Antrag fordern wir, die Behindertenar-
beit als eine Querschnittsaufgabe der Entwicklungszu-
sammenarbeit zu begreifen. Es muss uns bewusst wer-
den, dass wir mit der Berücksichtigung der Belange
behinderter Menschen auch an den Kernfragen von Ar-
mutsbekämpfung und Entwicklung ansetzen. Ich bitte
Sie dafür um Ihre Mithilfe. Es wäre ein schönes Zeichen,
wenn Sie sich dazu im Interesse der Sache unserem An-
trag anschließen würden.
Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir ha-
ben im Bundestag in den entwicklungspolitischen De-
batten in jüngster Zeit über die Bedeutung der Entwick-
lungsziele der Vereinten Nationen – Millennium
Development Goals – debattiert. Dabei ist vielfach un-
terstrichen worden, dass neben einem substanziellen
Beitrag der öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit,
einer vorteilhafteren Integration in die Weltwirtschaft
und der Überwindung von internen Entwicklungshemm-
nissen auch die Rolle privater Unternehmen relevant für
eine nachhaltige Entwicklung in Entwicklungs- und
Schwellenländern ist.
Dabei gerät oft und berechtigt das Verhalten transna-
tionaler Unternehmen in den Fokus der Debatte. Sie
können ganz erheblich zur Förderung sozialer und öko-
logischer Standards beitragen. Zu meinem Bedauern
existiert bislang noch kein verbindlicher Rahmen bzw.
keine Konvention zur Durchsetzung sozialer und ökolo-
gischer Standards. In Abwesenheit verbindlicher Regeln
unterstützen wir die Förderung freiwilliger Vereinbarun-
gen, Verhaltenskodizes, die OECD-Richtlinien für trans-
nationale Unternehmen. Vor allem unterstützen wir auch
den Global Compact, den der Generalsekretär der Ver-
einten Nationen, Kofi Annan, ins Leben gerufen hat und
bei dem sich Unternehmen zur Einhaltung und Förde-
rung von Menschenrechts-, Umwelt- und Sozialstan-
dards selbst verpflichten. Die Zahl der Unternehmen, die
sich dem Global Compact angeschlossen haben, ist stark
gestiegen. Gleichwohl ist die Zahl der deutschen Unter-
nehmen noch relativ klein.
Wir Grünen würden sehr begrüßen, wenn mehr deut-
sche Unternehmen, die international tätig sind, sich die-
ser Initiative anschließen würden. Das beinhaltet auch,
dass transparent nachvollziehbar wird, wie durch eine
vorbildliche Geschäftspolitik ökonomische Interessen
mit sozialen und ökologischen Interessen verbunden
werden können. Ich bin im Übrigen davon überzeugt,
dass Unternehmen besonders dann eine langfristige Per-
spektive haben, wenn sie nicht nur die kurzfristige Bi-
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anz im Auge haben, sondern im Sinne einer auch sozia-
en und ökologischen Selbstverantwortung – Corporate
ocial Responsibility – in anderen Ländern tätig werden.
ehr und mehr aufgeklärte Konsumenten und Konsu-
entinnen, Umwelt- und Entwicklungsorganisationen
aben in der Vergangenheit durch ihr Verhalten bzw.
urch weltweit wirksame Kampagnen bewiesen, dass es
hnen nicht nur auf die Produkte ankommt, sondern auch
uf die Art und Weise ihrer Produktion.
In dem Antrag „Entwicklungspartnerschaften mit der
irtschaft weiterentwickeln – gemeinsam Armut be-
ämpfen“, den wir heute diskutieren, geht es besonders
m ein Programm der Bundesregierung zur Förderung öf-
entlich-privater Partnerschaften in der Entwicklungszu-
ammenarbeit, Public Private Partnership. Wir diskutie-
en also weniger über die gesamte Breite wirtschaftlicher
ooperation mit Entwicklungs- und Schwellenländern,
um Beispiel durch die KFW oder die Deutsche Investi-
ions- und Entwicklungsgesellschaft, sondern über die
edeutung der Entwicklungspartnerschaft mit der Privat-
irtschaft, die im Wesentlichen durch die PPP-Fazilität
efördert wird.
Um es vorweg zu sagen: Ich halte diese Form der Ko-
peration mit der Wirtschaft für sinnvoll, wenn sie zwei
inge erreicht. Es sollte erstens erreicht werden, dass in-
ovative Einzelprojekte gefördert werden können – und
ies nicht nur in unseren Schwerpunktpartnerländern,
ondern auch in anderen Ländern. Zweitens sollte er-
eicht werden, dass in bestimmten Sektoren Partner-
chaften, die im Entwicklungsjargon so genannten stra-
egischen Allianzen, gebildet werden können. Wir sagen
ber genauso deutlich: Wir müssen bei den Programmen
icherstellen, dass keine „Mitnahmeeffekte“ entstehen,
ie nicht als klassische Außenwirtschaftsforderung zu
erstehen sind. Unsere Zielrichtung liegt darin, einen
ntwicklungspolitischen Mehrwert durch die Mobilisie-
ung von zusätzlichen privaten Mitteln für sinnvolle Pro-
ekte zu erzielen.
Es liegt ebenso darin, Projekte zu fördern, die ohne
ie Zusammenarbeit mit einer staatlichen Durchfüh-
ungsorganisation nicht zustande kämen, Projekte, die
innvoll für die Verbreitung angepasster Technologien
ind, wie in Nicaragua, wo Solartechnologie, ökologisch
rientierter Tourismus und die Ausbildung von Techni-
ern in einem Projekt gemeinsam mit der Landkoopera-
ive Miraflor und anderen Partnern umgesetzt werden, in
enia beim Aufbau einer Biogasanlage oder aber der
inführung der Solarenergie auf dem Lande in marokka-
ischen Dörfern, sinnvoll für die Bekämpfung der Ar-
ut oder die Verbesserung der medizinischen Grundver-
orgung. Dies geschieht in verschiedenen afrikanischen
taaten durch den Aufbau von Gesundheitsstationen und
ine verbesserte Versorgung mit Medikamenten, durch
PP-Kooperation.
Im Einzelfall sind selbst unter schwierigen Bedingun-
en PPP-Projekte möglich. So wird in der Provinz Bu-
avu in der Demokratischen Republik Kongo mit der
irma Pharmakina PPP ein Gesundheitszentrum aufge-
aut, das antiretrovirale Medikamente für an HIV/Aids
rkrankte Menschen selbst herstellt und vertreibt. Damit
erden Arbeitsplätze geschaffen und den Ärmsten in der
10500 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 114. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2004
(A) (C)
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Demokratischen Republik Kongo lebenden Aidspatien-
ten eine Medikamententherapie ermöglicht. In diesem
Fall wirkt ein solches Projekt auch als stabilisierender
Faktor in einer Krisenregion.
Wenn sich dabei zeigt, dass gerade kleine und mittel-
ständische Unternehmen auf hohem Niveau – circa
70 Prozent – von dieser Möglichkeit der Zusammenar-
beit Gebrauch machen, ist dies ein begrüßenswerter
bale Kaffeewirtschaft haben könnte und seine Anwen-
dung in Asien, Afrika und Lateinamerika finden soll.
Das Interesse anderer Staaten, solch eine neuartige Ko-
operation zu organisieren, zeigt, dass wir diesen Ansatz
weiterverfolgen sollten.
Ein weiterer viel versprechender Ansatz ist die im
Jahr 2002 initiierte langfristig angelegte strategische Al-
lianz der GTZ mit der Außenhandelsvereinigung des
Nebeneffekt. Denn dadurch werden Unternehmen beim
Engagement in Entwicklungsländern unterstützt, die
vielleicht wirtschaftliches Neuland betreten und auf ei-
nen erfahrenen Partner wie die GTZ angewiesen sind.
Nach den Erfahrungen mit dem noch jungen Pro-
gramm scheint sich zu zeigen, dass das Potenzial von
PPP noch nicht ausgeschöpft ist. So können nicht alle
Projekte, die als machbar und sinnvoll erachtet werden,
auch entsprechend gefördert werden. Hier sollte geprüft
werden, ob man gegebenenfalls mehr Ressourcen für
diese Form der Kooperation einsetzen will, wiewohl mir
bewusst ist, dass diese Frage aufgrund der engen Spiel-
räume im Etat nicht leicht zu beantworten ist.
Lassen Sie mich auf eine Kritik zu sprechen kommen,
die beispielsweise von Nichtregierungsorganisationen
erhoben wird. Neben dem erwähnten Mitnahmeeffekt
stellen diese den Ansatz auch infrage, weil mit ihm bes-
tenfalls „Insellösungen“ erreicht werden können. Das
kann im Einzelfall ein Problem sein und doch denke ich,
dass aus den ersten Erfahrungen heraus gelernt worden
ist, vor allem indem versucht wird, PPP-Projekte stärker
in die allgemeine technische Zusammenarbeit zu inte-
grieren.
Trotzdem wird man im Einzelfall in Kauf nehmen
müssen, dass es auch Projekte gibt, die über ihren Rah-
men hinaus keine große Strahlkraft entwickeln. Aber
auch das Gegenteil kann der Fall sein, wenn nämlich aus
zeitlich, räumlich und finanziell sehr begrenzten Einzel-
projekten neue überregionale strukturverändernde Pro-
gramme entwickelt werden. Dies ist zum Beispiel bei
der HIV-/Aidsbekämpfung in Südafrika der Fall.
Ich möchte noch einmal auf die strategischen Allian-
zen zu sprechen kommen. Diese sind aus meiner Sicht
ein viel versprechender Ansatz. Beispiel strategische Al-
lianz im Kaffeesektor: Die seit Jahren fallenden Kaffee-
preise sind für die Erzeuger eine Katastrophe. Wenn wir
nun versuchen, mit den wichtigsten Kaffeeunternehmen,
dem Deutschen Kaffee-Verband, den Produzenten, Be-
schäftigten und entwicklungspolitischen Akteuren fai-
rere Bedingungen zu vereinbaren – wir sind ein gutes
Stück vorangekommen auf diesem Weg –, wäre dies ein
wirklich gutes Ergebnis. Ziel ist dabei, einen Verhaltens-
kodex zu entwickeln, der Modellcharakter für die glo-
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eutschen Einzelhandels, AVE. Im Mittelpunkt steht
ierbei die Verbesserung der Umwelt- und Sozialstan-
ards in Zulieferbetrieben der Textilindustrie in Ent-
icklungs- und Schwellenländern.
Markus Löning (FDP): Es gibt in diesem Antrag et-
as, was mich massiv stört: Einerseits wird eine Partner-
chaft mit der Wirtschaft angestrebt, andererseits werden
ieder die alten Klischees und Vorurteile vom Gegensatz
wischen Wirtschaft und Armutsbekämpfung bedient.
ie soll denn eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit
er Wirtschaft entstehen, wenn die Zusammenarbeit ein-
efordert wird, aber gleichzeitig Misstrauen gesät wird?
Was noch viel wichtiger ist: Wann verstehen die Kol-
egen von der Koalition endlich, dass es die Wirtschaft
st, die durch Investitionen Arbeitsplätze schafft, und
ass das beste Armutsbekämpfungsprogramm die Schaf-
ung von möglichst vielen Arbeitsplätzen ist?
Es gibt einen weiteren Punkt, den ich in diesem An-
rag für falsch halte: die Bezugnahme auf den Global
ompact. Sie vergessen, den richtigen Kontext herzu-
tellen: Es ist nicht in erster Linie Verantwortung der
nternehmen, für die Einhaltung von Menschenrechts-
tandards zu sorgen. Dies ist in erster Linie Aufgabe der
eweiligen Staaten. Wir dürfen sie nicht aus ihrer Ver-
flichtung und ihrer Verantwortung gegenüber ihren
ürgern entlassen. Dabei will ich die Initiativen der
irtschaft in diesem Bereich keineswegs schmälern. Im
egenteil: Da ist viel erreicht worden. Aber nicht funkti-
nierende Staaten können nicht durch unternehmeri-
ches Handeln ersetzt werden.
Zu guter Letzt möchte ich deutlich machen, dass we-
entliche Punkte in diesem Antrag fehlen. Nur wenn es
elingt, funktionierende Marktwirtschaften aufzubauen
das impliziert immer funktionierende Verwaltung und
erichtswesen –, wird es gelingen, Armut zu bekämp-
en. Auch nur dann werden Unternehmen in größerem
mfang investieren und damit Arbeitsplätze schaffen.
Das halten wir Freien Demokraten nach wie vor für
en Königsweg bei der Armutsbekämpfung: wenn die
enschen der Dritten Welt die Chance haben, aus eige-
er Kraft ihren Lebensunterhalt zu verdienen.
114. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2004
Inhalt:
Redetext
Anlagen zum Stenografischen Bericht
Anlage 1
Anlage 2
Anlage 3
Anlage 4
Anlage 5
Anlage 6
Anlage 7
Anlage 8