Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004 8153
(A) )
(B) )
Kunstbetriebs in Deutschland, noch werden Perspekti- in Größenordnungen zu tun haben, geworfen, zugleich
und soziale Situation der künstlerischen Berufe und des K
ommunen, die mit Abwanderung und „Schrumpfung“
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
* für die Teilnahme an den Sitzungen der Westeuropäischen Union
Anlage 2
Zu Protokoll gegebene Rede
zur Beratung der Großen Anfrage: Wirtschaft-
liche und soziale Entwicklung der künstleri-
schen Berufe und des Kunstbetriebs in Deutsch-
land (Tagesordnungspunkt 6)
Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos): Der Deutsche
Kulturrat ist enttäuscht über die Antwort der Bundesre-
gierung zur Großen Anfrage. Die Reaktion des Kultur-
rats ist nur zu verständlich – gibt die Antwort doch weder
einen umfassenden Überblick über die wirtschaftliche
v
d
d
n
K
T
t
P
n
–
u
g
s
t
c
g
z
r
M
s
G
k
p
f
v
O
w
r
u
V
A
t
t
A
b
m
b
f
E
u
g
z
K
z
V
z
u
d
„
s
Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich
Bosbach, Wolfgang CDU/CSU 12.02.2004
Fischer (Frankfurt),
Joseph
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
12.02.2004
Dr. Gehb, Jürgen CDU/CSU 12.02.2004
Hartnagel, Anke SPD 12.02.2004
Hermenau, Antje BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
12.02.2004
Hintze, Peter CDU/CSU 12.02.2004
Hoffmann (Chemnitz),
Jelena
SPD 12.02.2004
Leibrecht, Harald FDP 12.02.2004
Link (Diepholz), Walter CDU/CSU 12.02.2004
Otto (Godern), Eberhard FDP 12.02.2004
Rauber, Helmut CDU/CSU 12.02.2004*
Schlauch, Rezzo BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
12.02.2004
Weisskirchen
(Wiesloche), Gert
SPD 12.02.2004
Wellenreuther, Ingo CDU/CSU 12.02.2004
Wimmer (Neuss), Willy CDU/CSU 12.02.2004
(C
(D
Anlagen zum Stenografischen Bericht
en deutlich, wie die Bundesregierung zur Verbesserung
er sozialen Lage von Künstlern und zur Bewältigung
er kulturellen Probleme in den Ländern und Kommu-
en beitragen kann.
Wie die derzeit zur Verfügung stehenden Daten der
ünstlersozialkasse belegen, befindet sich ein großer
eil der in der Bundesrepublik Deutschland freiberuflich
ätigen Künstlerinnen und Künstler, Publizistinnen und
ublizisten in einer prekären sozialen Situation. Mit ei-
em Durchschnittseinkommen von 11 144 Euro pro Jahr
Frauen 9 355, Männer 12 503 Euro – liegen sie weit
nter dem durchschnittlichen Arbeitsentgelt der in der
esetzlichen Rentenversicherung Versicherten. Im Osten
ind die Einkommen noch geringer. Im Jahre 2001 be-
rug das Durchschnittseinkommen der in der KSK Versi-
herten in den neuen Bundesländern 17 439 DM im Ver-
leich zu 22 164 DM im Bundesdurchschnitt. Das ist
um Leben zu wenig. Es ist auch zu wenig, um eine aus-
eichende Altersversicherung zu erreichen. So wird die
ehrzahl der freiberuflichen Künstler im Alter nur eine
ehr geringe Rente erhalten. Viele werden auf die soziale
rundsicherung angewiesen sein.
Es ist anzunehmen, dass sich die Situation in den
ommenden Jahren – nicht zuletzt aufgrund der Spar-
olitik in den Ländern und Kommunen – noch verschär-
en wird. Die Zahl der Freiberufler dürfte sich infolge
on Personalabbau im öffentlichen Kulturbereich und
utsourcing von vormals in Unternehmen der Kultur-
irtschaft angesiedelten Arbeiten eher erhöhen als ver-
ingern. Es besteht deshalb aus Sicht der Kulturverbände
nd unserer Auffassung nach weiterer Reformbedarf zur
erbesserung der Einkommenssituation und sozialen
bsicherung freiberuflich tätiger Künstler und Publizis-
en.
Die Bundesjustizministerin allein wird es nicht rich-
en können – so wichtig die von der Bundesregierung in
ussicht gestellten Veränderungen im Bereich des Urhe-
er- und Leistungsschutzrechtes sind. Hinzukommen
üssen weitere Verbesserungen in der Sozialgesetzge-
ung.
Das Künstlersozialversicherungsgesetz gehört zwei-
ellos zu den wichtigsten kultur- und sozialpolitischen
rrungenschaften der Bundesrepublik, die es zu sichern
nd weiter auszubauen gilt. Bei der Fortentwicklung
eht es aus Sicht der PDS vor allem darum, alle Lücken
u schließen, durch die nach wie vor freischaffende
ünstlerinnen und Künstler, Publizistinnen und Publi-
isten aus der Sozialversicherung herausfallen, einen
ersicherungsschutz für Zeiten ohne Einkommen sicher-
ustellen, eine Arbeitslosenversicherung einzuführen
nd eine angemessene Rentenregelung zu erreichen.
Was die Situation in Ostdeutschland betrifft, so hat
ie jüngst erschienene Studie der Bundeskulturstiftung
Labor Ostdeutschland“ ein Schlaglicht auf die spezifi-
chen Problemlagen in den östlichen Bundesländern und
8154 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004
(A) )
(B) )
aber auch verdeutlicht, welche Chancen in der Entwick-
lung der kulturellen Infrastruktur und der Kulturwirt-
schaft liegen – gerade auch in solchen Problemregionen.
Wir meinen: Kultur ist eine besondere Stärke des Os-
tens und eine Zukunftschance für diese Region. Wir set-
zen uns deshalb nachdrücklich für den Erhalt der öffent-
lichen Infrastruktur und die Sicherung der so genannten
„freien Szene“ in ihrer Vielgestaltigkeit ein und fordern
hier auch das Engagement des Bundes zum Erhalt der
kulturellen Substanz in Ostdeutschland ein. Die Stär-
kung der Finanzkraft der Kommunen und ein prinzipiel-
les Umsteuern in Bezug auf die Wirtschafts- und Be-
schäftigungspolitik in den neuen Ländern sehen wir als
Voraussetzung dafür, das kreative Potenzial zu sichern.
Anlage 3
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Entwürfe eines Gesetzes zur
Modernisierung des Kostenrechts (KostRMoG)
(Tagesordnungspunkt 10)
Christoph Strässer (SPD): Was lange währt, wird
endlich gut. Zehn Jahre sind vergangen – zehn Jahre, in
denen die Gerichts- und Anwaltsgebühren, die Entschä-
digungen für Sachverständige, Dolmetscherinnen und
Dolmetscher, Übersetzerinnen und Übersetzer, ehren-
amtliche Richterinnen und Richter, aber auch Zeuginnen
und Zeugen nicht mit der wirtschaftlichen Entwicklung
Schritt gehalten haben.
Um die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege in Zu-
kunft weiter sichern zu können, ist die Reform des Kos-
ten- und Gebührenrechts daher notwendig.
Eine echte Reform bedeutet aber mehr als eine bloße
lineare Anhebung von Gebührensätzen. Eine Reform ist
eine Neugestaltung, eine Umgestaltung, eine Anpassung
an veränderte Rahmenbedingungen und Voraussetzun-
gen. Und genau das ist unsere Gesetzesnovelle. Wir ha-
ben die Chance genutzt, eine Strukturreform auf den
Weg zu bringen. Die Novelle des Kostenrechtsmoderni-
sierungsgesetzes – die wir heute beschließen werden –
ist modern, weil zeitgemäß. Sie fördert moderne Formen
der Konfliktlösung. Sie honoriert die außergerichtliche
Erledigung von Streitfällen und entlastet – ebenso wie
das Justizmodernisierungsgesetz, das ich an dieser Stelle
ausdrücklich erwähnen möchte – die Gerichte. Sie ist ein
Stück weit dienstleistungsorientierter, wettbewerbs-
orientierter, europafester und reagiert gleichzeitig so-
wohl auf den Kostendruck der Länder als auch der an
den Rechtsstreitigkeiten beteiligten Personen.
Das Reformpaket ist – so denke ich – insgesamt sehr
ausgewogen, nicht zuletzt deshalb, weil alle relevanten
Gruppen an den Verhandlungen beteiligt waren. Ihnen
allen sei gedankt für die teilweise überstrapazierte Ge-
duld anlässlich der Dauer des Gesetzgebungsverfahrens!
Es ist erfreulich, dass die Ergebnisse der Reform im
Großen und Ganzen von allen Beteiligten – sei es der
Anwaltschaft, der Richterschaft oder anderen – begrüßt
werden.
S
v
s
V
n
w
d
l
s
r
a
n
E
M
e
s
R
D
H
f
s
l
d
g
s
d
G
s
l
t
s
S
a
g
„
n
d
r
Z
D
i
A
l
n
d
R
e
g
e
c
u
(C
(D
Natürlich hätte jeder gerne an der einen oder anderen
telle noch Veränderungen gesehen – zu seinen Gunsten,
ersteht sich.
Aber es war und ist gerade unsere Aufgabe, dafür zu
orgen, dass das Reformpaket, so wie wir es in langen
erhandlungen mit allen Beteiligten geschnürt haben,
icht kleingeredet, zerredet oder wieder aufgeschnürt
ird. Die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses,
ie wir jetzt beraten, beherzigt genau dies. In der Stel-
ungnahme des Bundesrates gab es 50 Änderungswün-
che. Allein 42 Punkte betrafen Änderungen des Ge-
ichtskostengesetzes. Sie bezogen sich zum größten Teil
uf die Erhöhung einzelner Gebühren. Die vorgeschlage-
en Änderungen hätten ein Volumen von 120 Millionen
uro gehabt.
Nun, es ist zwar verständlich, dass die zu erwartenden
ehrausgaben der Länder durch entsprechende Mehr-
innahmen an Gerichtsgebühren ausgeglichen werden
ollen. Auch entsprechende Risikofaktoren bei der
ückflussquote sollten nicht zulasten der Länder gehen.
ie Länder stehen ohnehin schon vor einer schwierigen
aushaltslage.
Aber wir können es nicht verantworten, dass die Re-
orm des Kostenrechts die Länderhaushalte sanieren
oll. Da müssten wir alle übereinstimmen. Denn die Ver-
ierer wären die Rechtsuchenden. In der Gegenäußerung
er Bundesregierung heißt es daher zu Recht: „Der Zu-
ang zum Recht ist ein hohes Gut eines jeden Rechts-
taates und darf nicht über das unabdingbare Notwen-
ige hinaus mit Kostenbelastungen erschwert werden.“
enau so ist es.
Das Rechtssystem muss für die Rechtsuchenden da
ein – nicht umgekehrt: Die Justiz ist keine Unterabtei-
ung der Finanzminister! Daher haben wir darauf zu ach-
en, dass dem moderaten Anstieg der Honorare und Ent-
chädigungen für Anwälte, Dolmetscher, Übersetzer,
achverständige, ehrenamtliche Richter und Zeugen
uch ein nur moderater Anstieg der Gerichtsgebühren
egenübersteht. Am Ende soll für die Länder eine
schwarze Null“ stehen, nicht mehr und auch nicht we-
iger.
Wir haben uns daher im Wesentlichen auf drei Verän-
erungen im Vergleich zur ersten Lesung verständigt:
Erstens. Wir haben uns darauf verständigt, die Gebüh-
en des einstweiligen Rechtsschutzes in erstinstanzlichen
ivilverfahren von 1,0 auf 1,5 Gebühren zu erhöhen.
as macht Sinn, denn der Arbeitsaufwand der Gerichte
st in diesem Bereich erheblich. Im Übrigen stellt die
nhebung eine Angleichung der verschiedenen gericht-
ichen Verfahren dar. Insgesamt bedeutet diese Maß-
ahme Mehreinnahmen von circa 17 Millionen Euro für
ie Länder. Um den Bedenken der Bundesregierung
echnung zu tragen, soll ein Ermäßigungstatbestand
ingefügt werden.
Zweitens. Die Wegstreckenentschädigung für Zeu-
en wird von 0,21 Euro auf 0,25 Euro erhöht. Das ist
ine Erhöhung von 19 Prozent und, wie ich finde, ausrei-
hend, aber auch angemessen. Damit bleibt es bei einer
nterschiedlich hohen Entschädigung für Zeugen und
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004 8155
(A) )
(B) )
die anderen am Verfahren Beteiligten, die mit 0,30 Euro
entschädigt werden. Das neue Leitbild geht ja gerade
von in der Regel hauptberuflich für die Gerichte tätigen
Sachverständigen, Dolmetschern und Übersetzern aus.
Die unterschiedliche Häufigkeit der Heranziehung recht-
fertigt eine sachliche Differenzierung. Im Vergleich zum
Vorentwurf des Gesetzes bedeutet dies Minderausgaben
von etwa 6 Millionen Euro.
Drittens. Um schließlich die Kosten der Gerichte im
Mahnverfahren zu decken, sollen die Mindestgebühren
bei Verfahren über den Antrag auf Erlass eines Mahnbe-
scheides von jeweils 18 Euro auf 23 Euro und von
15 Euro auf 18 Euro in der Arbeitsgerichtsbarkeit ange-
hoben werden. Hier geht man von Mehreinnahmen von
in etwa 25 Millionen Euro aus. Um derzeit aber weitere
Mehrbelastungen der Rechtsuchenden zu vermeiden,
soll diese Änderung erst zum l. Juli 2006 in Kraft treten.
Ich gehe davon aus, dass dem nun vorliegendem Ent-
wurf der Bundesrat zustimmen wird. Ja, ich gehe sogar
so weit, zu behaupten, dass er seine Zustimmung geben
müsste.
Damit wäre dann eine notwendige Reform auf den
Weg gebracht, eine Reform, auf die alle zu Recht gewar-
tet haben. Und wenn auch der eine oder andere Verhand-
lungspartner für seine Seite gerne noch etwas mehr raus-
geholt hätte: Das Gesamtpaket ist ausgewogen. Ich bin
froh, dass eine Baustelle abgeräumt werden kann und
das erstellte Gebäude allen nutzt.
Ich danke nochmals allen Beteiligten, insbesondere
auch unserer Justizministerin, für die konstruktive Zu-
sammenarbeit der letzten Monate, die zu einem sehens-
werten Ergebnis geführt hat.
Andreas Schmidt (Mülheim) (CDU/CSU): Zur De-
batte und zur Abstimmung in zweiter und dritter Lesung
steht heute das Kostenrechtsmodernisierungsgesetz. Es
kommt in diesem Hause nicht sehr häufig vor, dass Ge-
setzentwürfe von allen Fraktionen gemeinsam einge-
bracht werden. Dass dies hier der Fall ist, zeigt, dass es
offensichtlich für keinen politischen Standpunkt länger
hinnehmbar ist, dass sich die Stagnation der Rechtsan-
waltsvergütung auch weiterhin in die Zukunft fortsetzt.
Dieser Gesetzentwurf ist kein Traumergebnis. Er ist
ein Kompromiss, aber er ist ein wichtiger Schritt in die
richtige Richtung, der längst überfällig ist.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat bei diesem
Gesetzgebungsverfahren in enger Abstimmung mit
BRAK und DAV den Konsens mit der Bundesregierung
und den Regierungsfraktionen gesucht –, nicht, weil uns
kein eigener Gesetzentwurf eingefallen wäre, nein, nur
ein Konsens in diesem Parlament konnte den notwendi-
gen Druck auf die Bundesregierung erzeugen, um zu
verhindern, dass es – wie in der letzten Legislaturperio-
de – nur bei Versprechungen und Ankündigungen einer
Gesetzesnovelle bleibt.
Das Plädoyer für die Reform der Rechtsanwaltsvergü-
tung ist kein dumpfer Lobbyismus für die Anwaltschaft
in Deutschland. Die Rechtsanwältinnen und Rechtsan-
w
i
e
w
a
s
a
E
u
w
s
c
Ü
M
z
d
i
ü
s
R
r
L
M
t
1
t
D
d
d
D
l
n
u
T
T
f
g
a
n
1
S
a
d
n
s
f
a
f
B
W
i
r
j
V
s
r
g
V
(C
(D
älte sind ein wesentlicher Bestandteil der Rechtspflege
n unserem demokratischen Rechtsstaat. Da wir bewusst
inen Gebührenrahmen für freiberuflich tätige Rechtsan-
ältinnen und Rechtsanwälte vorgeben wollen, sind wir
ls Gesetzgeber aber auch in der Pflicht, dem Berufs-
tand der Rechtsanwälte die Chance auf finanzielle Un-
bhängigkeit für ihre berufliche Tätigkeit einzuräumen.
s ist völlig inakzeptabel, dass die Rechtsanwältinnen
nd Rechtsanwälte seit nunmehr zehn Jahren von der
irtschaftlichen Entwicklung vollständig abgekoppelt
ind. Seit zehn Jahren stagnieren die Vergütungsansprü-
he für Anwälte, Sachverständige, Dolmetscher und
bersetzer. In diesen zehn Jahren sind die Lohnkosten,
ieten und Sachkosten drastisch gestiegen. In dieser
ehnjährigen Vergütungsstagnationsphase verzeichnete
ie gewerbliche Wirtschaft einen Einkommenszuwachs
n Höhe von 26 Prozent.
Ich finde: Mit diesem gemeinsamen Gesetzentwurf
bernehmen wir auch die Verantwortung dafür, dass es
ich nicht wiederholt, dass die Rechtsanwältinnen und
echtsanwälte in Deutschland über einen so langen Zeit-
aum von der wirtschaftlichen Entwicklung in unserem
and vollständig ausgeschlossen werden. Nach seriösen
odellrechnungen wird die Reform der Anwaltsvergü-
ung der Anwaltschaft Mehreinnahmen in Höhe von
4 Prozent erbringen. Diese Steigerung ist vor dem Hin-
ergrund der zehnjährigen Nullrunde mehr als moderat.
iese Mehreinnahmen werden nicht in erster Linie
urch eine lineare Erhöhung der Gebühren, sondern
urch eine Strukturreform des Gebührenrechts erreicht.
er anwaltliche Einsatz für außergerichtliche Streitbei-
egungen wird durch das neue Gesetz künftig besser ho-
oriert.
Diese Strukturreform wird dem Rechtsfrieden dienen
nd die Gerichte entlasten. Dieser Ansatz trägt auch der
atsache Rechnung, dass bereits heute die anwaltliche
ätigkeit zu 70 Prozent außerhalb der Gerichtssäle statt-
indet. Der aufgrund des Einigungsvertrages bis heute
ültige Gebührenabschlag Ost in Höhe von 10 Prozent
uf Anwaltsgebühren und Entschädigungssätze in den
euen Bundesländern wird durch diese Reform ab dem
. Juni 2004 entfallen. Wir gehen damit einen weiteren
chritt zur Angleichung der Lebensverhältnisse in den
lten und neuen Bundesländern und setzen gleichzeitig
as Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 28. Ja-
uar 2003 um.
Es ist ein Gebot der Ehrlichkeit, zuzugeben, dass die
trukturellen Änderungen im Vergütungssystem dazu
ühren werden, dass die Rechtsanwältinnen und Rechts-
nwälte je nach Tätigkeitsschwerpunkten von der Re-
orm unterschiedlich profitieren werden. Insbesondere
aurechtler und Familienrechtler werden durch den
egfall der Beweisgebühr negativ betroffen sein, denn
n diesen Rechtsgebieten wird bei gerichtlichen Verfah-
en fast immer Beweis erhoben. Diese Einbußen können
edoch teilweise dadurch kompensiert werden, dass die
orschrift über Ausgleich und Verrechnung der ver-
chiedenen Gebühren im vorgerichtlichen und im ge-
ichtlichen Verfahren geändert werden. Zu berücksichti-
en ist auch, dass künftig bei jedem gerichtlichen
erfahren, in dem es eine mündliche Verhandlung
8156 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004
(A) )
(B) )
gegeben hat, immer 2,5 Gebühren anfallen werden. Die
Gerichtskosten, die aus verständlichen Gründen für je-
den Landesjustizminister einen Interessensschwerpunkt
darstellen, werden ebenfalls nur moderat erhöht. Diese
Zurückhaltung bei der Erhöhung der Gerichtskosten ist
von entscheidender Bedeutung. In einem Rechtsstaat
darf die Durchsetzung des Rechtes durch ein gericht-
liches Verfahren nicht durch eine zu hohe Kosten-
schwelle erschwert oder unmöglich gemacht werden.
Ich begrüße es sehr, dass die Spitzenvertreter der
Standesorganisationen der Anwaltschaft in Deutschland
diesen gemeinsamen Gesetzentwurf als wichtigen
Schritt in die richtige Richtung begrüßt haben. Mit der
Unterstützung dieses Gesetzentwurfes sprechen wir uns
alle, die Standesorganisationen der Anwaltschaft und
alle Fraktionen dafür aus, dass auch in Zukunft klare ge-
setzlich festgelegte Gebührenstrukturen für freiberuflich
tätige Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte gelten sol-
len. Dies ist ein wichtiges Signal an die Europäische
Kommission in Brüssel, insbesondere an den Wettbe-
werbskommissar Mario Monti.
Ich sage dies vor einem aktuellen Hintergrund: Am
letzten Montag, also vor nur vier Tagen, hat die Europäi-
sche Kommission auf Initiative des Herrn Monti einen
Bericht verabschiedet, in dem auch Deutschland aufge-
fordert wird, die bei uns gesetzlich geregelten Gebühren-
vorschriften für Freiberufler, insbesondere für Rechtsan-
wälte, abzubauen und ganz abzuschaffen. Ich bin zwar
überzeugter Europäer, aber diese Position des Wettbe-
werbskommissars ist im Hinblick auf die Bedeutung der
freien Berufe für unser Land und unsere Wirtschafts-
struktur nicht akzeptabel. Die Besonderheit und das
Ethos der freien Berufe gründen in dem vom Staat über-
tragenen Aufgaben.
Das gesetzlich geregelte Gebührenrecht für die freien
Berufe, dient nicht – wie es Herr Monti unterstellt – der
Marktabschottung, sondern der Sicherung geordneter
Verfahren, der Qualitätssicherung und damit den Ver-
braucherinteressen. Ein zentrales Element des deutschen
Rechtssystems ist die Kostenerstattung durch die unter-
legene Partei und die Prozesskostenhilfe für wirtschaft-
lich Schwächere. Bei einer vollständigen Liberalisierung
des Gebührenrechts wären diese Grundelemente unseres
Rechtssystems nicht haltbar. Da die Bundesregierung
diesen Gesetzentwurf aus Überzeugung mitträgt, gehe
ich davon aus, dass die zuständigen Minister dieser Bun-
desregierung Herrn Monti in diesem Punkt klar und
deutlich widersprechen werden.
Hans-Chistian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Das Gesetz zur Modernisierung des Kostenrechts
im Justizbereich war fürwahr eine „schwierige Geburt“.
Bereits in der letzten Legislaturperiode hatten wir uns
viel Mühe jahrelang damit gegeben. Wir hatten es fast
verabschiedet, aber dann ging es unter im Dickicht der
Bedenken und Bedenkenträger aus Parteien, Bundeslän-
dern und Interessengruppen. Wir machen einen neuen
Anlauf.
Fast alle sind sich einig und können mit dem Ergebnis
leben. Die vielen Menschen, die beruflich – oder auch
p
R
Z
r
d
z
n
u
A
w
t
u
v
G
t
s
t
a
a
a
a
B
m
n
D
i
u
e
E
v
z
n
h
B
p
B
D
K
z
n
m
f
m
d
z
r
s
H
d
(C
(D
rivat als Rechtsuchende – mit Justiz zu haben. Die
echtsuchenden, ihre Anwälte, die Rechtsberater, die
eugen, die Sachverständigen, die Schöffen und Laien-
ichter, die Justiz. Und sogar die Bundesländer, die auf
ie enge Finanzlage vor allem ihrer Haushalte Rücksicht
u nehmen haben. Sie haben darauf bestanden, dass sie
icht drauflegen müssen. Wie trotzdem die Honorare
nd Entgelte erhöht werden können, das war die große
ufgabe.
Seit zehn Jahren gab es keine Anpassungen mehr, ob-
ohl Kosten und Gehälter sich erheblich verändert hat-
en. Rechtsanwaltskollegen haben mich angesprochen
nd erklärt: Wir übernehmen keine Mandate als Pflicht-
erteidiger in Strafverfahren mehr. Wir können von den
ebühren unsere Büros nicht mehr bezahlen.
Wir legen ein Gesetzesgesamtwerk vor, das das Kos-
en- und Vergütungsrecht einfacher und transparenter ge-
taltet, die Gerichte entlastet und die am Verfahren Be-
eiligten zeitgemäß vergütet. Bürgerinnen sollen zu
ußergerichtlichen, Geld sparenden Streitbeilegungen
nimiert werden; Rechtsanwälte sollen durch Gebühren-
nreize motiviert werden, dies zu unterstützen.
Nicht zuletzt der bisherige 10-prozentige Ostabschlag
uf die Gebühren und Entschädigungssätze in den neuen
undesländern wird endlich abgeschafft. Wir leisten da-
it einen Beitrag zur Angleichung der Lebensverhält-
isse in Ost- und Westdeutschland.
Die Vergütungen für Rechtsanwälte, Sachverständige,
olmetscher und Übersetzer werden maßvoll angehoben
n Höhe der Kostensteigerungen seither etwa für Mieten
nd Gehälter mit jährlich circa 1,4 Prozent. Damit liegen
twa Honorare für Rechtsanwälte deutlich hinter dem
inkommenszuwachs in der gewerblichen Wirtschaft
on durchschnittlich 2,6 Prozent jährlich im Vergleichs-
eitraum. Gleichzeitig vermeidet der Gesetzentwurf fi-
anzielle Mehrbelastungen der Bundesländer.
Das Gesetz ist das fragile Ergebnis jahrelanger Ver-
andlungen von Bund und Ländern und den betroffenen
erufsverbänden und Standesorganisationen, ein Kom-
romiss eben.
Viele haben mich in den letzten Monaten gedrängelt:
itte keine weitere Verzögerung bei der Verabschiedung.
as In-Kraft-Treten zum 1. Juli ist schon viel zu spät.
önnt ihr nicht Teile des Gesetzes früher in Kraft set-
en? Sie hatten Recht. Weiteres Hinausschieben war
icht zu verantworten. Deshalb waren Änderungen nicht
ehr drin. Sie hätte zu einer erneuten Verzögerung ge-
ührt. Eine unerträgliche Vorstellung.
Die vielen Wünsche nach weiteren Verbesserungen
üssen jedenfalls im Moment leider zurückstehen, um
as vorrangige Ziel der schnellen Verabschiedung nicht
u gefährden. Wir haben zahlreiche Briefe mit Ände-
ungsvorstellungen erhalten. Viele sind vernünftig, tat-
ächlich wünschenswert oder jedenfalls überlegenswert.
Nur einige Beispiele: Der Deutsche Industrie- und
andelskammertag möchte zum Beispiel die Vergütung
er gerichtlichen Sachverständigen noch flexibler nach
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004 8157
(A) )
(B) )
fortschreitenden Marktpreisen gestalten statt durch stati-
sche Zuordnung von Sachgebieten zu bestimmten Hono-
rargruppen.
Ein Berliner Rentenberater beklagt gegenüber dem
Petitionsausschuss ein Sonderopfer seines Berufsstandes
durch einen drohenden Gebührenrückgang um 20 Pro-
zent infolge der Neuregelung.
Ein Berliner Fachanwalt für Sozialrecht weist mich
auf ein drohendes „Unrecht“ hin, wenn dort sowie im
verwaltungsrechtlichen Verfahren die Vorverfahrens- auf
die Gebühr im Klageverfahren angerechnet wird, statt
die Gebühren insgesamt anzuheben.
Ein Hannoveraner Fachbuchautor regt an, die An-
rechnungsregeln anwaltlicher Verfahrens- und Ge-
schäftsgebühren je nach erteiltem Auftrag sowie unter-
schiedliche Gebührenerhöhungen bei mehreren
Auftraggebern zu harmonisieren.
Der Notarausschuss im Deutschen Anwaltverein
wendet sich gegen Fest- und Höchstgebühren und regt
andere Wertbemessungen unter anderem bei der Bear-
beitung von Eheverträgen an.
Die AG Ausländer- und Asylrecht im DAV hält die
Streitwertbestimmung im Asylverfahren für unzurei-
chend.
Die Bundespsychotherapeutenkammer fordert
Gleichstellung ihrer Mitglieder mit ärztlichen Sachver-
ständigen bei den Vergütungen und Auslagen für ge-
richtliche Gutachten.
Eine überörtliche Anwaltssozietät wendet sich gegen
die geplante Abschaffung der anwaltlichen Beweisge-
bühr, was sich besonders einkommensmindernd in Arzt-
haftungs-, Ehescheidungs- und Bauprozessen auswirken
werde.
Ein Kommentator zum Zeugenentschädigungsrecht
fordert höhere Reisekosten- und Auslagenerstattung in
diesem Bereich.
Der Präsident des Deutschen Anwaltvereins hat da-
rauf hingewiesen, dass die „Gebührenordnung als Gan-
zes in Frage gestellt werden“ könnte und der erzielte
„Kompromiß scheitern“ könnte, wollte man jetzt ein-
zelne „Übelstände“ noch begradigen.
Er hat Recht, wir haben in mehreren abschließenden
Runden versucht, das eine oder andere doch noch aufzu-
greifen und anders zu regeln. Es stellte sich schnell he-
raus: Jede Fraktion hat andere Prioritäten. Die eine will
für die Asylverfahren Veränderungen, die andere bei der
Beweisgebühr eine Ergänzung usw. Änderungen wären
mit Kosten verbunden, die Länder sind misstrauisch, der
Kompromiss würde aufgeschnürt, es gäbe vielleicht eine
neue Anhörung und schon wäre der Terminplan nicht
mehr zu halten.
Deshalb bleibt nur: Nicht mehr dran rühren, bloß
nicht das Konsenspaket wieder öffnen.
Meine Fraktion ist auch künftig weiter offen für alle
zusätzlichen Verbesserungen, möglichst kostensparende
und gerechte Ausgestaltung des Kostenrechts. Solche
V
f
f
R
s
s
r
I
l
r
r
g
g
m
g
k
a
t
L
t
w
e
b
d
a
G
g
v
d
L
f
K
m
N
w
n
s
a
s
B
s
n
f
f
r
S
i
v
p
z
n
n
Z
b
(C
(D
orschläge sollten wir, auch im Lichte erster Praxiser-
ahrungen mit der jetzigen Reform, sukzessive aufgrei-
en, wo immer dafür Raum ist.
Wir tun das Notwendige für das Funktionieren des
echtsstaates. Verabschiedet wird jetzt und in Kraft ge-
etzt zum l. Juli 2004. Dann sehen wir weiter: Wie hat
ich was bewährt und was nicht?
Rainer Funke (FDP): Das Kostenrechtsmodernisie-
ungsgesetz kommt spät, aber hoffentlich nicht zu spät.
ch erinnere in diesem Zusammenhang daran, dass die
etzte strukturelle Veränderung des anwaltlichen Kosten-
echts 1986 und die letzte lineare Anpassung der Gebüh-
en 1994 erfolgt ist.
Die Bundesregierung hatte bereits in der letzten Le-
islaturperiode angekündigt, dass ein Rechtsanwaltsver-
ütungsgesetz vorgelegt werde und die damalige Justiz-
inisterin hatte den Anwälten entsprechende Zusagen
emacht. Zu diesem Zweck war eine Sachverständigen-
ommission eingesetzt worden, um nicht nur eine line-
re Erhöhung der Anwaltsgebühren, sondern auch struk-
urelle Veränderungen vorzusehen. Als in der letzten
egislaturperiode erkennbar wurde, dass die Bundesjus-
izministerin ihre Versprechungen gegenüber der An-
altschaft nicht einhalten wollte, hat die FDP-Fraktion
inen eigenen Gesetzentwurf in den Bundestag einge-
racht, der sich in wesentlichen Zügen auf das Ergebnis
er Sachverständigenkommission bezog. Die FDP hatte
uch in dieser Legislaturperiode angekündigt, diesen
esetzentwurf erneut einzubringen, wenn die Bundesre-
ierung erneut das Kostenrechtsmodernisierungsgesetz
erzögern würde. Ich danke der Bundesjustizministerin
afür, dass sie im Konsens mit den Verbänden und den
ändern, aber auch im Konsens mit allen Bundestags-
raktionen einen verabschiedungsreifen Entwurf einer
ostenrechtsmodernisierung vorgelegt hat.
Kompromisse haben die Eigenschaft, dass man nicht
it allem zufrieden sein kann und gegebenenfalls auch
achbesserungen notwendig sind. Mir ist jedoch be-
usst, dass ein Aufschnüren des Gesamtpaketes auch
egative Folgen für positiv erkannte Regelungen mit
ich bringen könnte. Deswegen hat die FDP-Fraktion
uch in den Vorberatungen dieser Paketlösung zuge-
timmt.
Dabei sind wir davon ausgegangen, dass auch der
undesrat dieser Lösung zustimmen wird. Die Länder
ind hinsichtlich der Gerichtskosten um rund 50 Millio-
en günstiger gestellt worden, als von uns ursprünglich
ür angemessen und richtig gehalten wurde. Wir waren
ür eine Kompensation der Belastungen durch den höhe-
en Anfall der Prozesskostenhilfe und der Zeugen- und
achverständigenentschädigung ausgegangen. Jetzt ist
n diesem Paket eine Überkompensation für die Länder
orgesehen, der wir unter dem Gesichtspunkt der Kom-
romisslösungen aber, wenn auch schweren Herzens,
ustimmen. Diese kritische Anmerkung machen wir
icht etwa um die Länder zu ärgern, sondern weil in ei-
em funktionierenden Rechtsstaat für jeden Bürger der
ugang zu den Gerichten ohne zu hohe Gerichtskosten-
elastung möglich sein muss.
8158 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004
(A) )
(B) )
Hinsichtlich der Rechtsanwaltsvergütung begrüßen
wir die strukturellen Veränderungen. Wir wissen, dass
einige Anwälte hiervon auch negativ betroffen sind. Wir
werden dies genau beobachten und, falls dies zu nicht
mehr vertretbaren Belastungen führt, Änderungsvor-
schläge einbringen. Alles in allem halten wir dieses Kos-
tenrechtsmodernisierungsgesetz für gelungen und stim-
men diesem Gesetz zu.
Brigitte Zypries, Bundesministerin der Justiz: Heute
ist ein guter Tag für alle, die die nötigen Reformen in un-
serem Land auch für machbar halten. Gerade einmal drei
Monate nach der ersten Lesung verabschiedet der Bun-
destag heute den umfangreichen und sensiblen Gesetz-
entwurf eines Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes.
Wie bei allen großen Reformen liegen auch beim
Kostenrechtsmodernisierungsgesetz intensive Diskus-
sionen hinter uns. Ich nenne die Stichworte Rechts-
anwaltsvergütung und künftige Bemessung der Gerichts-
gebühren. In beiden Fällen haben wir mit den Ländern
sowie den verschiedenen Verbänden und Interessengrup-
pen intensiv um eine faire Lösung gerungen.
Wir haben die verschiedenen Interessen ausbalanciert
in einem Regierungsentwurf und einem wortgleich von
allen Fraktionen des Deutschen Bundestages einge-
brachten Entwurf. Die hierbei erzielte breite Überein-
stimmung hat die zügige Beratung erst möglich ge-
macht.
Ich möchte an dieser Stelle allen Berichterstattern für
die gute und wirklich konstruktive Zusammenarbeit
ganz herzlich danken. Ich möchte auch meinen Dank an
die Vertreter der im Rahmen der Erarbeitung des Gesetz-
entwurfs angehörten Verbände für die konstruktive Mit-
arbeit wiederholen. Gleiches gilt für die engagierte Mit-
arbeit der Landesjustizverwaltungen.
Das Ergebnis unserer Mühe und konzentrierten An-
strengung kann sich sehen lassen: Wir machen das Kos-
ten- und Vergütungsrecht einfacher und transparenter,
entlasten die Gerichte und vergüten die am Verfahren
Beteiligten zeitgemäß.
Mit dem Gesetz werden zum 1. Juli 2004 die Rege-
lungen für die Gerichtskosten ebenso wie die Vergütung
der Sachverständigen, die Entschädigung für Zeugen
und ehrenamtliche Richter grundlegend neu gestaltet.
Von der altehrwürdigen Bundesgebührenordnung für
Rechtsanwälte werden wir Abschied nehmen. Sie wird
durch ein neues, modernes Rechtsanwaltsvergütungsge-
setz ersetzt. Der Ostabschlag in Höhe von derzeit
10 Prozent auf die Gebühren und Entschädigungssätze
in den neuen Bundesländern wird – ebenfalls ab 1. Juli
2004 – der Vergangenheit angehören.
Lassen Sie mich noch einmal die Schwerpunkte des
Gesetzentwurfs zusammenfassen. Im Bereich der Ge-
richtskosten sind dies: Das 1994 für bestimmte Zivilpro-
zessverfahren bei den Gerichtskosten eingeführte Pau-
schalgebührensystem wird auf alle Rechtszüge und auf
die Verfahren aller Zweige der Gerichtsbarkeit ausge-
dehnt. Die bisher zum Teil im Arbeitsgerichtsgesetz ge-
r
t
w
m
m
g
d
l
s
w
u
G
t
M
s
A
i
d
B
e
S
f
R
u
g
s
r
v
s
h
t
t
M
g
d
c
k
d
e
N
g
g
b
e
m
u
v
(C
(D
egelten Gerichtsgebühren werden in das Gerichtskos-
engesetz übernommen. Im Rahmen des Vertretbaren
ird von Wert- auf Festgebühren umgestellt werden; da-
it entfallen Schwierigkeiten bei der Streitwertbestim-
ung.
Das neue Justizvergütungs- und -entschädigungs-
esetz löst das Entschädigungsprinzip bei Sachverstän-
igen, Dolmetschern und Übersetzern durch ein neues
eistungsgerechtes Vergütungsmodell ab.
Das neue Rechtsanwaltsvergütungsrecht sieht insbe-
ondere vor: Es gibt Vereinfachung, weil erstens die Be-
eisgebühr bei gleichzeitiger Erhöhung der Verfahrens-
nd der Terminsgebühr wegfällt und wir zweitens die
ebühren- und Auslagentatbestände in einem Vergü-
ungsverzeichnis zusammenstellen.
Erstmalig sind wichtige anwaltliche Tätigkeiten wie
ediation, Hilfeleistung in Steuersachen und Zeugenbei-
tand erfasst! Wir kommen zu einer leistungsorientierten
usgestaltung, zum Beispiel für die Anwaltstätigkeiten
m Rahmen des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens,
es Bußgeldverfahrens und der Pflichtverteidigung.
Wir fördern die außergerichtliche Erledigung, zum
eispiel durch Umgestaltung der Vergleichsgebühr zu
iner Einigungsgebühr für jede Form der vertraglichen
treitbeilegung und durch Verbesserung der Vergütung
ür außergerichtliche Tätigkeiten. Damit werden die
echtsanwälte noch mehr motiviert, die Bürgerinnen
nd Bürger im Bestreben, sich außergerichtlich zu eini-
en, zu unterstützen. Die Förderung des „Schlichten,
tatt richten“ wird auch die Gerichte entlasten.
Wir fördern den Abschluss von Gebührenvereinba-
ungen durch Verzicht auf eine gesetzliche Festlegung
on Gebühren für die Beratungstätigkeit ab 1. Juli 2006.
Es kommen Gebührenregelungen für den Zeugenbei-
tand und die Schaffung einer Terminsgebühr für Ver-
andlungen im Rahmen des Täter-Opfer-Ausgleichs.
Die rund zehn Jahre unverändert gebliebenen Vergü-
ungen für Rechtsanwälte passen wir der seither einge-
retenen wirtschaftlichen Entwicklung an. Dabei sind
ehreinnahmen der Rechtsanwälte aufgrund der gestie-
enen Streitwerte bereits berücksichtigt.
Auch die Erhöhung der Vergütung für Sachverstän-
ige, Dolmetscher und Übersetzer trägt der wirtschaftli-
hen Entwicklung Rechnung. Im Vergleich zum Ein-
ommenszuwachs in der gewerblichen Wirtschaft ist
abei der im Entwurf vorgesehene Einkommenszuwachs
her moderat.
Die Justizhaushalte der Länder werden durch die
euregelungen nicht belastet, stehen doch den Mehraus-
aben für Rechtsanwalts- und Sachverständigenver-
ütungen deutliche Mehreinnahmen im Gerichtskosten-
ereich gegenüber. Wir kommen damit einem
indringlichen Wunsch der Länder nach, ohne unsere ge-
einsame Verantwortung für einen für die Bürgerinnen
nd Bürger bezahlbaren Rechtsschutz aus den Augen zu
erlieren.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004 8159
(A) )
(B) )
Anlage 4
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfes eines Gesetzes zur
Umsetzung der Richtlinie 2002/47/EG vom
6. Juni 2002 über Finanzsicherheiten und zur
Anderung des Hypothekenbankgesetzes und
anderer Gesetze (Tagesordnungspunkt 11)
Bernhard Brinkmann (Hildesheim) (SPD): Mit der
Umsetzung der EG-Richtlinie 2002/47/EG vom 6. Juni
2002 und der Verabschiedung des hierfür erforderlichen
Gesetzentwurfs wird der Finanzplatz Deutschland ge-
stärkt, sodass unser Land im europäischen Markt wettbe-
werbsfähig ist und dass die Derivate und Ähnliches auch
in Frankfurt handelbar sind und die Banken nicht auf
Plätze wie Luxemburg und London ausweichen müssen.
Der Gesetzentwurf verfolgt im Wesentlichen zwei
Anliegen. Zum einen wird die genannte Richtlinie über
Finanzsicherheiten in das deutsche Recht überführt, zum
anderen soll das Hypothekenbankgesetz vor allem in sei-
nen insolvenzrechtlichen Regelungen präzisiert werden.
Die Finanzsicherheitenrichtlinie zielt darauf ab, den
freien Dienstleistungs- und Kapitalverkehr im Finanz-
binnenmarkt zu fördern und zur Stabilität des Finanzsys-
tems in der Gemeinschaft und zur höheren Kostenwirk-
samkeit des Finanzmarktes beizutragen. Damit die
Geschäfte gemeinschaftsweit möglichst störungsfrei ab-
gewickelt werden können, bestimmt die Richtlinie, Fi-
nanzsicherheiten von bestimmten Vorschriften des natio-
nalen Insolvenzrechts auszunehmen, soweit sie die
effektive Verwertung einer Sicherheit behindern oder im
Bankenverkehr häufig praktizierte Verfahren, wie etwa die
Verrechnung gegenseitiger Positionen, infrage stellen. Im
Bereich des Insolvenzrechts sieht der Gesetzentwurf
deshalb vor, dass die Verwertung von Finanzsicherheiten
nicht durch die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen
im Eröffnungsverfahren oder durch die Eröffnung des
Insolvenzverfahrens beeinträchtigt werden darf.
Weiter werden Erleichterungen bei der Pfandverwer-
tung vorgesehen. So soll etwa der freihändige Verkauf
erleichtert und auch eine Verwertung im Wege der An-
eignung zugelassen werden.
Hierzu noch folgende Feststellung:
Finanzsicherheiten im Sinne des Gesetzes sind Bar-
guthaben, Wertpapiere, Geldmarktinstrumente so-
wie sonstige Schuldscheindarlehen einschließlich
jeglicher damit im Zusammenhang stehender
Rechte oder Ansprüche.
Die komplette Formulierung ist im gemeinsamen Än-
derungsantrag aller Fraktionen des Deutschen Bundesta-
ges vom 11. Februar 2004 festgehalten. Die Änderungen
des Hypothekenbankgesetzes zielen darauf ab, den inter-
nationalen Kapitalmarkt auch weiterhin von der hohen
Sicherheit und Qualität des deutschen Pfandbriefrechts
zu überzeugen. Der Gesetzentwurf sieht hierfür Rege-
lungen vor, die eine zeitgerechte Bedienung der Pfand-
briefe auch in der Krise der Hypothekenbank gewähr-
leisten sollen.
d
b
f
b
d
m
F
e
f
e
s
G
u
K
s
f
R
d
g
b
d
F
z
n
R
G
B
d
a
U
s
e
c
G
w
d
z
d
n
f
l
D
s
r
H
w
i
o
t
G
b
v
(C
(D
Die Zusammenarbeit aller Fraktionen mit dem Bun-
esjustizministerium und die äußerst sachbezogene De-
atte in den Berichterstattergesprächen hat auch dazu ge-
ührt, dass kleine und mittelständische Betriebe nicht
enachteiligt werden. Das war ein besonderes Anliegen
er Koalition.
Ich möchte mich bei den Verantwortlichen des Justiz-
inisteriums, bei den Berichterstatterkollegen aller
raktionen und bei den Sachverständigen bedanken. Die
rforderlichen Gespräche haben zu dem Ergebnis ge-
ührt, dass dieser für den Finanzplatz Deutschland ganz
ntscheidende Gesetzentwurf durch das Hohe Haus ein-
timmig verabschiedet werden kann.
Marco Wanderwitz (CDU/CSU): Nach intensiven
esprächen – auch mit Sachverständigen – konnten wir
ns im federführenden Rechtsausschuss gestern im
reise der Berichterstatter auf Veränderungen zum ur-
prünglichen Regierungsvorschlag einigen. Der inter-
raktionelle Änderungsantrag hat die Umsetzung der
ichtlinie in nicht unwesentlichen Teilen deutlich verän-
ert.
Meine Fraktion hat von Beginn der Berichterstatter-
espräche an klargemacht, dass wir nicht bereit sind, die
erechtigten Einwände des Bundesrates, insbesondere
ie eigentliche Umsetzung der Richtlinie im Bereich
inanzsicherheiten betreffend, mit einem Federstrich ab-
utun, wie dies die Bundesregierung in ihrer Stellung-
ahme getan hat. Nach und nach wurde die Kritik am
egierungsentwurf lauter: BGA, BDI, CDH, DIHK,
DV und die Insolvenzverwalter auf der einen Seite, die
anken, namentlich der BdB, auf der anderen Seite. Für
ie CDU/CSU-Bundestagsfraktion stand von Beginn an
ußer Frage, dass der Finanzplatz Deutschland durch die
msetzung der Richtlinie keine Nachteile im europäi-
chen Wettbewerb erleiden darf. Andererseits aber gilt
s, den Wirtschaftsplatz Deutschland nicht zu schwä-
hen.
Das deutsche Insolvenzrecht ist von zwei zentralen
edanken getragen, die sich in § l der Insolvenzordnung
iederfinden. Erstens: „Das Insolvenzverfahren dient
azu, die Gläubiger eines Schuldners gemeinschaftlich
u befriedigen“. Zweitens. Dies soll insbesondere durch
en Erhalt des Unternehmens geschehen. Entzieht man
un der Masse frühzeitig weitere Teile, so steht zu be-
ürchten, dass zukünftig weniger saniert und mehr zer-
egt wird, und dass verstärkt in eine Richtung abfließt.
as führt aber nahezu zwangsläufig zu einer Schlechter-
tellung der ungesicherten Gläubiger, gerade der kleine-
en Gläubiger. Die Auswirkungen auf Arbeitsplätze in
andwerk und Mittelstand sind leicht vorstellbar.
Eine Aussage eines sachverständigen Insolvenzver-
alters blieb mir besonders im Gedächtnis: „Man kann
m Falle der Insolvenz keinem Gläubiger etwas geben,
hne einem anderen etwas wegzunehmen.“ Einleuch-
end, da die Masse begrenzt ist. Den dahinter stehenden
edanken halte ich allerdings für entscheidend: Sind wir
ereit die Stellung der Banken als Gläubiger im Insol-
enzfall durch die Umsetzung der Richtlinie weiter zu
8160 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004
(A) )
(B) )
stärken, gegebenfalls zulasten der kleinen Gläubiger,
zum Beispiel der Lieferanten?
Die Antwort der CDU/CSU lautet: Soweit es nötig ist
ja – die zwingende Richtlinienumsetzung im Interban-
kenverkehr hat derartige Auswirkungen auch nicht. Be-
reits heute verfügen Kreditinstitute im Insolvenzfall ob
der meist umfangreichen bestellten Sicherheiten als Aus-
und Absonderungsberechtigte über eine starke Position,
und das ist durchaus gewollt. Das gewachsene deutsche
Insolvenzrecht hat aber immer vermieden, diese Position
zu einseitig überzubetonen; daran wollen wir festhalten.
Zunächst war es wichtig, den Begriff der Finanzsi-
cherheit klarzustellen. Zur Rechtsklarheit darf gern ein-
mal ein Satz mehr Gesetzestext sein, hier mit Sicherheit
an der richtigen Stelle. Der gefundene Konsens des
„Teil-Opt-Out“, des teilweisen Abweichens von der
Richtlinie bei deren Umsetzung, der im Übrigen auch im
ersten Entwurf des BMJ in ähnlicher Form enthalten
war, ist tragfähig und berücksichtigt die verschiedenen
Interessen. Die Umsetzung der Maximalforderungen,
auf denen leider hier und da bis zuletzt beharrt wurde,
wäre ohne Zweifel volkswirtschaftlich schädlich gewe-
sen. Die ins Feld geführten Behauptungen zur angebli-
chen Schwächung des Finanzplatzes Deutschland bei
Ausübung des „Opt-Out“ waren wenig überzeugend vor-
getragen. Gerade die Tatsache, dass andererseits einige
Mitgliedstaaten sogar über die Richtlinie hinausgehen,
führt das enge Umsetzungsargument ad absurdum.
Ich freue mich, dass die Koalition, insbesondere
durch die objektive Befassung des Kollegen Montag,
wie man so schön sagt, noch die Kurve gekriegt hat. Die
im Ausschuss getätigten Aussagen hinsichtlich der Bun-
desratsstellungnahme, insbesondere der Einlassungen
des Freistaates Bayern im Verfahren, weise ich aller-
dings auf das Schärfste zurück. Wenn man beispiels-
weise die Presseerklärung der Bayerischen Staatsminis-
terin der Justiz Frau Dr. Merk vom 8. Dezember 2003
liest, findet sich eine objektive Darstellung. Nachdem
sich die Fraktionen nun in diese Richtung geeinigt ha-
ben, stellt sich mir schon die Frage, weshalb gerade die
SPD nun ausdrücklich betont, ich zitiere aus dem Be-
richterstatterbericht – dafür sollten wir wohl noch einen
anderen Terminus finden –: Es sei ein besonderes Anlie-
gen der Koalition gewesen, die tragende Säule der deut-
schen Wirtschaft, nämlich Handwerk und Mittelstand,
nicht – wie es die Banken gefordert hätten – in die fal-
sche Richtung zu leiten.
Der Bundesrat hatte in seiner Stellungnahme vom
17. Oktober 2003 dazu ausgeführt, ich zitiere: „... die
Richtlinie bewirkt die Privilegierung einer bestimmten
Gruppe von Sicherungsgebern ... Die Begünstigung der ...
Kreditwirtschaft geht jedoch notwendig zulasten anderer
Wirtschaftszweige bzw. Gläubiger – etwa einfachen
Handwerksbetrieben.“ Die Bundesregierung ihrerseits
führt noch in ihrer Gegenäußerung darauf aus, ich
zitiere: „In den Prüfbitten ... moniert der Bundesrat eine
Privilegierung der Kreditwirtschaft... Die Bundesregie-
rung teilt nicht die Einschätzung der Prüfbitte.“ „Heute
hü, morgen hott“ könnte man sagen. Am Ende hat die
Koalition ja noch den besten Weg gefunden. Das darf
m
W
f
u
Ä
i
b
S
P
t
B
b
v
4
P
M
e
t
h
r
M
t
t
W
k
t
2
m
w
v
A
z
L
d
s
I
T
l
h
Z
t
S
g
s
w
c
S
h
ü
d
l
f
(C
(D
an auch sagen, unredlich ist allerdings die Art und
eise, wie sie ihn gefunden hat.
Leo Dautzenberg (CDU/CSU): Auch wenn die öf-
entliche Debatte zum vorliegenden Gesetzentwurf sich
nter dem Stichwort „Bankenprivileg“ vor allem auf die
nderungen im Insolvenzrecht konzentriert hat, möchte
ch einiges zu den Änderungen im Bereich des Pfand-
riefrechts sagen.
Ziel dieser Änderungen war es, die herausragende
tellung des Finanzplatzes Deutschland im Bereich der
fandbriefe gegen die zunehmend erstarkende interna-
ionale Konkurrenz zu verteidigen und auszubauen. Die
edeutung der Pfandbriefe zeigt sich sofort, wenn man
edenkt, dass vom Gesamtumlauf inländischer Schuld-
erschreibungen am deutschen Kapitalmarkt rund
0 Prozent auf dieses Kapitalmarktinstrument entfallen.
fandbriefe sind damit sowohl aufgrund der hohen
arktliquidität als auch wegen ihrer hohen Sicherheit
in herausragendes Merkmal des deutschen Finanzmark-
es und bilden gerade für internationale Investoren eine
ohe Attraktivität.
Um diese Stellung zu verteidigen, war es nötig, die
echtlichen Regelungen für Pfandbriefe anzupassen. Im
ittelpunkt standen die folgenden Fragen: Wer verwal-
et die im Hypothekenregister eingetragenen Werte? Wer
rägt die Kosten der Verwaltung der Deckungsmasse?
ie können Deckungswerte und Pfandbriefverbindlich-
eiten auf andere, solvente Pfandbriefemittenten über-
ragen werden?
Mit der verpflichtend eingeführten Überdeckung von
Prozent, mit der Installation eines Sachverwalters und
it den Neuregelungen zur Übertragung von Deckungs-
erten und Pfandbriefverbindlichkeiten durch den Sach-
erwalter im Insolvenzfall wurden diese Fragen meiner
nsicht nach gut und sachgerecht gelöst. Die zweipro-
entige Überdeckung dient einerseits dem Ausgleich von
iquiditätsschwankungen, andererseits werden mit ihr
ie im Insolvenzfall entstehenden Kosten gedeckt.
Die neu geschaffene Position des Sachverwalters
tärkt die Position der Pfandbriefgläubiger im Falle der
nsolvenz des Emittenten. Da die Pfandbriefmasse nicht
eil der Insolvenzmasse ist – was übrigens in der gesetz-
ichen Neufassung noch einmal deutlicher hervorge-
oben wird – ist es wichtig, dass sie nicht in die
uständigkeit des Insolvenzverwalters fällt, da sonst In-
eressenkonflikte vorprogrammiert sind. Hier stellt der
achverwalter eine sehr gute Lösung dar, da er unabhän-
ig für eine schnelle Abwicklung der Deckungsmasse
orgen kann. Zu diesem Zweck werden dem Sachver-
alter im Insolvenzfall schnellere Möglichkeiten, De-
kungswerte und Pfandbriefverbindlichkeiten auf andere
pezialinstitute zu übertragen, gegeben. Der Ansatz,
ierzu die Regelungen des Umwandlungsgesetzes zu
bernehmen, sie aber an die Besonderheiten des Anwen-
ungsbereiches anzupassen, scheint mir hier sehr gut ge-
ungen.
Besonders betont werden sollte, dass es in guter inter-
raktioneller Zusammenarbeit gelungen ist, die Regelun-
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004 8161
(A) )
(B) )
gen, die im ursprünglichen Gesetzentwurf nur für das
Hypothekenbankengesetz geplant waren, auch auf das
ÖPG und das Schiffsbankgesetz sinngemäß zu übertra-
gen. Damit ist sichergestellt, dass im Insolvenzfall für
alle Arten von Pfandbriefen dieselben rechtlichen Bedin-
gungen gelten. Eine rechtliche Spaltung des Pfandbrief-
marktes konnte so vermieden werden. Dies wird die in-
ternationale Akzeptanz von Pfandbriefen sicherlich noch
weiter steigern. In diesem Zusammenhang gilt es auch,
die weitere Entwicklung im Rating der Emittenten öf-
fentlicher Pfandbriefe im Auge zu behalten, wenn im
Jahre 2005 Anstaltslast und Gewährträgerhaftung entfal-
len.
Mit Blick auf die zukünftige Entwicklung möchte ich
abschließend doch noch einmal auf den Kompromiss zu-
rückkommen, der fraktionsübergreifend im Bereich der
Finanzsicherheiten gefunden wurde. Kern des Problems
waren die divergierenden Interessen der Banken und der
anderen Unternehmen hinsichtlich der Frage, welche
Vermögensbestandteile Gegenstand des Insolvenzver-
fahrens sein und welche den Banken zur Sicherung ihrer
Forderungen vorbehalten sein sollten. Ich bin der Auf-
fassung, dass die gefundene Lösung ein zwar tragfähi-
ger, aber doch stark theoretisch geprägter Kompromiss
ist. Wir sollten uns ausgehend von dieser Regelung nach
etwas Zeitablauf genau ansehen, wie sie sich einerseits
auf den Finanzplatz Deutschland und andererseits auf
die Situation der Unternehmen ausgewirkt hat. Völlig er-
gebnisoffen sollten wir dann gegebenenfalls bereit sein,
das Gesetz in die eine oder in die andere Richtung zu
überarbeiten.
Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ziel
der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Ra-
tes über Finanzsicherheiten vom 6. Juni 2002 ist die Si-
cherung des europäischen Finanzmarkts im weltweiten
Wettbewerb. Dies soll unter anderem erreicht werden
durch rasche und unbürokratische Verwertungsverfah-
ren, um die finanzielle Stabilität der europäischen
Finanzmärkte zu sichern und Dominoeffekte bei Insol-
venzen im Bereich der Interbanken- und Wertpapierhan-
delshäuser zu verhindern. Finanzsicherheiten der Fi-
nanzinstitute sollen danach einen Schutz genießen, der
sie international wettbewerbsfähig hält. Im Wesentlichen
– aber genau hier liegt das Problem – berührt dieser
Schutz nur den so genannten Interbankenverkehr. Mit
den geschützten Finanzsicherheiten sollen eigentlich nur
Bargeldbeträge auf Bankkonten, Aktien und ihnen gleich
zu stellende Wertpapiere umfasst werden.
Bei der nationalen Umsetzung der Richtlinie stand
und steht im Mittelpunkt der fachöffentlichen Debatte,
dass unter Durchbrechung des Grundsatzes des deut-
schen Insolvenzrechts, wonach Gläubiger mit gleichen
Rechten anteilig gleich zu behandeln sind, Finanzinsti-
tute bezüglich von ihnen gehaltener Finanzsicherheiten
bevorzugt werden. Die Besserstellung liegt konkret da-
rin, dass diese Gläubiger ihre Sicherheiten ohne Einfluss
des Insolvenzverwalters und ohne Rücksicht auf andere
Gläubiger und die Insolvenzmasse verwerten können,
um nicht von Insolvenzen ihrer Schuldner tangiert zu
werden; jedenfalls insoweit nicht tangiert zu werden,
w
c
n
u
r
A
i
t
t
s
a
g
v
s
M
n
p
u
i
d
d
d
W
u
D
B
s
–
k
i
u
A
s
B
d
s
§
P
A
n
c
w
m
U
l
d
g
m
g
e
d
w
i
s
(C
(D
ie die von ihnen gehaltenen Finanzsicherheiten rei-
hen. Soweit sich die Ausnahmen von der Insolvenzord-
ung auf den Verkehr der Banken und Wertpapierhäuser
ntereinander beschränken, sind sie in jedem Fall ge-
echtfertigt und haben keine unmittelbaren negativen
uswirkungen auf die Sicherung von Unternehmen auch
n der Insolvenz und auf Insolvenzverfahren, die berech-
igte Forderungen der mittelständischen Wirtschaft un-
ereinander gerecht schützen sollen.
Die Richtlinie sieht jedoch in Art. 1 Abs. 2 Buch-
tabe e die Möglichkeit vor, ihren Geltungsbereich auch
uf natürliche Personen, Einzelkaufleute und Personen-
esellschaften zu erstrecken, sofern sie Vertragsparteien
on Banken oder Wertpapierhäusern sind. Es war im Ge-
etzgebungsverfahren sehr umstritten, ob von dieser
öglichkeit Gebrauch gemacht werden sollte. Im Ergeb-
is haben wir uns dafür entschieden, weil alle finanz-
latzstarken Länder der EU dies ebenfalls so machen
nd wir eine Benachteiligung deutscher Finanzinstitute
m internationalen Ranking vermeiden wollten.
Aus schlichtem Unverständnis und teilweise aus
urchsichtigen politischen Gründen ist diese Entschei-
ung dazu benutzt worden, der Bundesregierung und
en Regierungsfraktionen vorzuwerfen, „die Axt an die
urzeln erfolgreicher Sanierungsverfahren“ zu legen
nd die gerechte Behandlung aller Gläubiger „dem
ruck der Kreditwirtschaft zu opfern“. Besonders die
ayerische Staatsregierung hat sich hier der Falschdar-
tellung in der Öffentlichkeit schuldig gemacht. Den
wenn auch diskreten – Druck aus dem Lager der Ban-
en konnte man tatsächlich spüren; die Koalition hat
hm aber widerstanden.
Gespräche der Berichterstatter mit Sachverständigen
nd untereinander haben dazu geführt, dass in § 1
bs. 17 Satz 2 und 3 KWG in Bezug auf natürliche Per-
onen, Einzelkaufleute und Personengesellschaften der
egriff der Finanzsicherheiten so exakt gefasst wurde,
ass Durchgriffe der Gläubiger auf Warenlager und Ma-
chinenparks in der Insolvenz ausgeschlossen sind. In
1 Abs. 17 Satz 4 KWG sind in Bezug auf natürliche
ersonen, Einzelkaufleute und Personengesellschaften
nteile des Sicherungsgebers und Anteile an verbunde-
en Unternehmen ausdrücklich als nicht zu Finanzsi-
herheiten gehörend ausgeschieden worden. Schließlich
urde eine ebenfalls einengende und klarstellende For-
ulierung in § 130 Abs. Satz 2 InsO aufgenommen.
Damit konnten wir erreichen, dass das Gesetz zur
msetzung der Finanzrichtlinie der EU nunmehr von al-
en Fraktionen dieses Hauses getragen wird. Ich werte
ies als Zeichen, dass es im vorliegenden Gesetz gelun-
en ist, die Interessen aller Wirtschaftsgruppen ange-
essen zur Geltung zu bringen.
Rainer Funke (FDP): Was lange währt, wird endlich
ut! Das jetzt gefundene Ergebnis ist gut. Doch es war
in langer, nach meinem Geschmack zu langer Weg
orthin. Denn bereits der ursprüngliche Regierungsent-
urf hatte die Vorgaben der Finanzsicherheitenrichtlinie
n zutreffender Weise umgesetzt. Es waren weniger
ubstanzielle Einwendungen, sondern vielmehr
8162 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004
(A) )
(B) )
Missverständnisse, die in vier Berichterstattergesprächen
in mühevoller Kleinarbeit ausgeräumt werden mussten.
Das, was von interessierter Seite, von Insolvenzver-
waltern und Industrie, gegen die Umsetzung der Finanz-
sicherheitenrichtlinie angeführt wurde, war in ihr, war in
dem überzeugenden Regierungsentwurf, für den ich dem
Bundesministerium der Justiz danke, gar nicht angelegt:
eine Ungleichbehandlung von Gläubigern – anders for-
muliert – eine Privilegierung von Banken bei Unterneh-
mensinsolvenzen. Die Kritiker beriefen sich auf den
Grundsatz der Gleichbehandlung aller Gläubiger. Einen
solchen Grundsatz gibt es nicht. Ihn gab es auch nie.
Einen Anspruch auf Gleichbehandlung haben nur die
Insolvenzgläubiger. Hiervon zu unterscheiden sind die
Sicherungsgläubiger. Diese haben bereits nach gelten-
dem Insolvenzrecht ein Absonderungsrecht. Einschrän-
kungen des Absonderungsrechts ergeben sich nur für
Mobiliarsicherungsgläubiger. Hierdurch soll ein Heraus-
lösen der Sicherungsgegenstände zur Unzeit verhindert
werden, um Sanierungschancen nicht zu gefährden. Die-
ser Gedanke kommt jedoch bei Finanzsicherheiten ge-
rade nicht zum Tragen, denn diese sind entweder ver-
pfändet oder im Wege der Vollübereignung bestellt. In
der ganzen Diskussion konnte kein Fall glaubhaft ge-
schildert werden, bei dem auch bei Finanzsicherheiten
ein Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters zum Tra-
gen gekommen wäre. Die ins Felde geführten Beispiele
betrafen ganz andere Fälle. Das gilt auch für den Fall des
Insolvenzverwalters eines Großhandelsunternehmens für
Anglerbedarf, der seinen dramatischen Auftritt in der
ZDF-Sendung „Frontal 21“ am 18. November 2003
hatte und, zwischen Angeln und Ködern stehend, die
Auffassung vertrat, wäre die Finanzsicherheitenrichtlinie
schon umgesetzt worden, hätte die Bank den Betrieb
ausgeplündert und die Arbeitsplätze wären nicht mehr zu
retten gewesen.
Nein, das normale Kreditgeschäft fiel von Anfang an
nicht in den Anwendungsbereich der Finanzsicherhei-
tenrichtlinie.
Da jedoch viele Stellen – die Bayerische Staatsregie-
rung eingeschlossen – sich, um im Bild zu bleiben, vom
Insolvenzverwalter ködern ließen und ihm an die Angel
gingen, war viel Überzeugungsarbeit notwendig, um bei
der Umsetzung der Finanzsicherheitenrichtlinie Fehler
zu vermeiden, die zu einer entscheidenden Schwächung
des Finanzplatzes Frankfurt geführt und das scheue Reh
Kapital nach London oder Luxemburg vertrieben hätten.
In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinwei-
sen, dass die Umsetzung der Finanzsicherheitenrichtlinie
nicht der geeignete Ort ist, Änderungen im Regelinsol-
venzverfahren zu erreichen, wie sie die Insolvenzver-
walter wünschen. Vorrangige Ziele der Finanzsicherhei-
tenrichtlinie sind und bleiben die Stärkung des
Finanzplatzes, die Integration des Finanzmarktes und die
Stabilisierung des Finanzsystems.
Leider drohten diese Ziele bei der weiteren Diskus-
sion zumindest kurzfristig aus dem Blick zu geraten.
Umso erfreulicher ist es, dass nunmehr eine Lösung ge-
funden werden konnte, die die durch Missverständnisse
h
m
D
t
g
l
s
t
G
s
w
A
G
d
n
g
B
s
w
s
n
E
g
s
D
s
p
w
h
g
v
f
V
e
t
v
d
s
z
n
a
g
e
S
n
b
s
a
m
S
d
a
w
d
(C
(D
ervorgerufenen Bedenken durch Klarstellungen ausräu-
en, ohne die Richtlinie in ihrer Substanz zu verändern.
adurch ist es in letzter Minute gelungen, einen gerech-
en und von allen Parteien getragenen Interessenaus-
leich zu finden. Dies stärkt den Finanzplatz Deutsch-
and, ohne den Unternehmensstandort Deutschland zu
chwächen. In diesem Sinne wird auch die FDP-Bundes-
agsfraktion dem vorliegenden Gesetz zustimmen.
Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass das
esetz nicht nur den europäischen Finanzplatz stärken,
ondern auch das Rating von Pfandbriefen verbessern
ird. Hinsichtlich der offen gebliebenen insolvenzfesten
usgestaltung des Anspruchs auf Übertragung des
rundpfandrechts im Falle einer Treuhand werden wir
ie Bundesregierung beim Wort nehmen und zu gegebe-
er Zeit an ihre Zusage, hier für eine überzeugende Re-
elung zu sorgen, erinnern.
Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der
undesministerin der Justiz: Mit dem vorliegenden Ge-
etzentwurf stärken wir den Finanzplatz Deutschland
eiter. Wir setzen zum einen die Richtlinie über Finanz-
icherheiten vom 6. Juni 2002 um und leisten damit ei-
en wichtigen Beitrag zum Finanzbinnenmarkt in der
U. Zum anderen verbessern wir im Hypothekenbank-
esetz die Absicherung der Pfandbriefgläubiger bei In-
olvenz der Hypothekenbank.
Lassen Sie mich zunächst auf die Richtlinie eingehen.
urch die Finanzsicherheitenrichtlinie soll eine gemein-
chaftsweite Regelung für die Bereitstellung von Wert-
apieren und Kontoguthaben als Sicherheit geschaffen
erden, um dadurch zu einer weiteren Integration und
öheren Kostenwirksamkeit des Finanzmarkts beizutra-
en. Dies soll den freien Dienstleistungs- und Kapital-
erkehr im Finanzbinnenmarkt fördern. Dafür ist es er-
orderlich, dass wir die Finanzsicherheiten von solchen
orschriften des Insolvenzrechts ausnehmen, die ihrer
ffektiven Verwertung im Wege stehen. Diese Sicherhei-
en sollen vielmehr möglichst rasch und unbürokratisch
erwertet werden können.Dabei mussten wir sorgfältig
arauf achten, die bewährte Architektur des Gläubiger-
chutzes in unserer Insolvenzordnung zu bewahren.
Wir durften und wollten uns die Arbeit an den Umset-
ungsvorschriften nicht leicht machen und haben es auch
icht getan. Dabei war die in einzelnen Punkten durch-
us konträre Diskussion stets fair und von dem Wunsch
etragen, im Interesse des Finanzplatzes Deutschland
ine Regelung zu finden, die den Finanzmärkten genug
pielraum gibt, um für die Zukunft offen für neue Fi-
anzprodukte zu sein. Wir wollen keine Anreize bieten,
estimmte Geschäfte ins Ausland zu verlagern. Anderer-
eits mussten wir stets im Blick behalten, dass das wohl-
ustarierte Gefüge der Insolvenzordnung nicht durch
assive Eingriffe aus dem Gleichgewicht gerät. Lassen
ie mich die Gelegenheit nutzen, meinen Kollegen für
ie überaus sachliche Atmosphäre im Ringen um eine
usgewogene Lösung zu danken.
Leider bestanden in der Öffentlichkeit zunächst ge-
isse Fehlvorstellungen über den Regelungsgegenstand
er Richtlinie. Deshalb sollte – entgegen mancher anders
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004 8163
(A) )
(B) )
lautender Kommentare in der Presse – Klarheit darüber
bestehen, dass es bei der Umsetzung der Richtlinie wirk-
lich nur um Finanzsicherheiten geht. Wir reden also von
Wertpapieren und Kontoguthaben und nicht auch von
Maschinen oder Forderungen. Wertpapiere und Konto-
guthaben werden nur bei ganz bestimmten Transaktio-
nen als Sicherheiten eingesetzt, etwa bei Wertpapierdar-
lehens- oder Wertpapierpensionsgeschäften. Solche
Transaktionen werden von einem Großteil der Unterneh-
men überhaupt nicht getätigt. Befindet sich ein Unter-
nehmen in wirtschaftlichen Schwierigkeiten, so werden
Wertpapiere und Kontoguthaben wohl als Erstes einge-
setzt, um neue Liquidität zu schaffen. Ich gehe deshalb
davon aus, dass im Normalfall der Insolvenz der Insol-
venzverwalter überhaupt nicht mit Finanzsicherheiten
konfrontiert wird.
Die geplante Änderung von § 166 InsO, die eine
schnelle und unbürokratische Realisierung der Finanzsi-
cherheiten gewährleistet, wird deshalb im Normalfall
der Insolvenzabwicklung wohl keine praktischen Aus-
wirkungen haben. Ein Verwertungsrecht des Insolvenz-
verwalters ist bereits nach geltendem Recht nur gegeben,
wenn der Verwalter sich im Besitz des Sicherungsgegen-
standes befindet. Da in Deutschland jedoch bei Wertpa-
pieren meistens der Weg über eine Verpfändung oder
eine Übereignung und Lieferung der Wertpapiere ge-
wählt wird, besteht bereits jetzt regelmäßig kein Verwer-
tungsrecht des Verwalters. Insofern konnten wir auch
mit der Mehrzahl der anderen Mitgliedstaaten die Richt-
linie gemäß ihrer Grundkonzeption umsetzen und muss-
ten nicht von der so genannten Opt out-Lösung Ge-
brauch machen. Opt-out hätte bedeutet, alle nicht dem
Finanzsektor zugehörige Unternehmen von der Umset-
zung der Richtlinie auszuschließen.
Allerdings haben wir im Gesetzestext alles getan, um
das normale Kreditgeschäft der Banken gegenüber den
übrigen Unternehmen außerhalb des Normbereichs der
Umsetzungsvorschriften zu halten. Die Banken als Gläu-
biger sollen auch in Zukunft nicht über das durch die
Richtlinie zwingend vorgegebene Maß hinaus gegenüber
anderen Gläubigern bevorzugt werden. Sollten doch
einmal Konstellationen auftreten, in denen das Verwer-
tungsrecht des Verwalters berührt ist, so sind diese
maßvollen Einschränkungen des Grundsatzes der Gläu-
bigergleichbehandlung im Interesse des Finanzplatzes
Deutschland hinzunehmen. Anderenfalls hätte die Ge-
fahr bestanden, dass bestimmte Geschäfte künftig nur
noch auf ausländischen Finanzplätzen getätigt werden.
Damit hätte der deutsche Finanzplatz Schaden genom-
men, ohne dass dies potenziellen Insolvenzgläubigern
zum Vorteil gereicht hätte.
Ich komme zum zweiten großen Komplex: Die Ände-
rungen im Hypothekenbankgesetz sollen das Vertrauen
in unser bewährtes Pfandbriefsystem weiter festigen.
Die Position der Pfandbriefgläubiger in der Insolvenz
der Hypothekenbank wird durch Regelung einiger offe-
ner Fragen noch einmal deutlich gestärkt: Bereits jetzt
gilt, dass die so genannte Deckungsmasse, die der Siche-
rung der von der Hypothekenbank ausgegebenen Pfand-
briefe dient, im Fall der Insolvenz einer Hypotheken-
bank nicht in die Insolvenzmasse fällt. Offen sind aber
i
i
w
D
b
d
g
t
d
t
z
t
g
T
g
a
t
d
d
Ä
Ö
R
s
A
v
f
e
n
n
K
a
g
B
w
t
V
z
h
s
3
d
H
d
d
(C
(D
nsbesondere die Folgefragen, wer die Deckungsmasse
m Fall der Insolvenz verwaltet, wer die Kosten der Ver-
altung bezahlt und wie eine rasche Übertragung der
eckungswerte auf eine übernahmebereite Hypotheken-
ank gewährleistet werden kann. Diese Fragen werden
urch den Gesetzentwurf beantwortet. So wird nun klar-
estellt, dass die Deckungsmasse durch einen Sachwal-
er verwaltet wird, der für die geordnete Befriedigung
er Pfandbriefgläubiger sorgt. Die Kosten der Verwal-
ung werden durch eine sichernde Überdeckung finan-
iert.
Als weitere Änderung ist vorgesehen, die im Hypo-
hekenregister eingetragenen Werte zusammen mit den
edeckten Pfandbriefverbindlichkeiten im Wege einer
eilvermögensübertragung, die der Vermögensübertra-
ung nach dem Umwandlungsgesetz nachgebildet ist,
uf eine andere Hypothekenbank zu übertragen.
Eine vergleichbare Interessenlage wie bei den Hypo-
hekenbanken besteht bei den öffentlich-rechtlichen Kre-
itanstalten, die ebenfalls Pfandbriefe begeben, und bei
en Schiffsbanken. Insofern ist es konsequent, wenn die
nderungen des Hypothekenbankgesetzes auch in das
PG und das Schiffsbankgesetz übernommen werden.
Ich bin zuversichtlich, dass wir mit den genannten
egelungen zu einer weiteren Verbesserung des Wirt-
chaftsstandortes Deutschland beitragen können.
nlage 5
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung der Vorschriften über die Anfech-
tung der Vaterschaft und das Umgangsrecht
von Bezugspersonen des Kindes (Tagesord-
nungspunkt 12)
Christine Lambrecht (SPD): In seinem Beschluss
om 9. April 2003 hat das Bundesverfassungsgericht
olgende Vorschriften teilweise für verfassungswidrig
rklärt: § 1600 BGB sei insoweit mit Art. 6 Abs. 2 GG
icht vereinbar, als dass der leibliche, aber rechtlich
icht anerkannte – also der biologische –, Vater eines
indes ausnahmslos von der Anfechtung der Vaterschaft
usgeschlossen ist. Das in § 1685 BGB geregelte Um-
angsrecht ist nach der genannten Entscheidung des
undesverfassungsgerichts mit Art. 6 Abs. 1 GG inso-
eit unvereinbar, als dass der Kreis der Umgangsberech-
igten den leiblichen aber rechtlich nicht anerkannten
ater eines Kindes auch dann nicht mit einbezieht, wenn
wischen ihm und dem Kind eine sozial-familiäre Bezie-
ung besteht oder bestanden hat. Das Bundesverfas-
ungsgericht hat den Gesetzgeber aufgefordert, bis zum
0. April 2004 Abhilfe zu schaffen.
Dieser Aufforderung wird durch den heute vorliegen-
en Gesetzentwurf Rechnung getragen. Der vor diesem
intergrund entstandene Gesetzentwurf, bei dem sowohl
er Beschluss des Bundesverfassungsgerichts als auch
ie Rechtssystematik und die Wertentscheidungen des
8164 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004
(A) )
(B) )
Kindschaftsrechts, also das Wohl des Kindes, zu beach-
ten war, sieht im Kern folgende Änderungen vor:
Änderung des § 1600 BGB. Nach gültiger Rechtslage
steht das Anfechtungsrecht nur dem Kind, der Mutter
und dem rechtlichen Vater zu. Der rechtliche Vater eines
Kindes ist nach § 1592 BGB der Mann, der zum Zeit-
punkt der Geburt mit der Mutter des Kindes ver-
heiratet ist, oder die Vaterschaft anerkannt hat, oder des-
sen Vaterschaft gerichtlich festgestellt worden ist.
Durch die Änderung des § 1600 BGB wird nunmehr
auch dem leiblichen Vater die Möglichkeit eingeräumt,
die Vaterschaft eines nach dem geltenden Abstam-
mungsrecht legitimierten Mannes anzufechten. Zu Recht
wird die Stellung von biologischen Vätern gestärkt. Vo-
raussetzung für die Anfechtung des leiblichen Vaters ist,
dass zwischen dem rechtlichen Vater und dem Kind
keine sozial-familiäre Bindung besteht oder bestanden
hat. Sofern eine solche Beziehung positiv festgestellt
wird, ist die Anfechtung durch den leiblichen Vater aus-
geschlossen. Die vom Bundesverfassungsgericht neu
eingeführte Begriffskategorie „sozial-familiäre Bindung“
wird von dem Gesetzentwurf aufgegriffen. Konkret heißt
es da im neuen § 1685 Abs. 2 BGB, dass dann eine so-
zial-familiäre Beziehung besteht, wenn der Vater für das
Kind tatsächliche Verantwortung trägt oder getragen hat.
Weitere Voraussetzung für die Anfechtung ist, dass
der anfechtende Mann an Eides statt versichert, der Mut-
ter des Kindes während der Empfängniszeit beigewohnt
zu haben. So soll auf der materiellrechtlichen Ebene eine
Anfechtung des leiblichen Vaters „ins Blaue hinein“ ver-
hindert werden. Dadurch wird neben der Prozesshäufung
insbesondere vermieden, dass eine Frage des materiellen
Rechts mit der Zulässigkeitsprüfung „vermengt“ wird.
Dadurch, dass sich die eidesstattliche Versicherung auf
die Tatsache der „Beiwohnung“ erstreckt, wird zugleich
verhindert, dass ein samenspendender Dritter als „biolo-
gischer“ Vater sein Anfechtungsrecht erhält.
Ein weiterer wichtiger Aspekt des vorliegenden Ge-
setzentwurf ist die Änderung des § 1685 BGB. Nach
gültiger Rechtslage sind die umgangsberechtigten Perso-
nen in § 1685 BGB einzeln aufgelistet. Der Kreis der
Umgangsberechtigten bezieht derzeit den leiblichen aber
rechtlich nicht anerkannten Vater eines Kindes auch
dann nicht mit ein, wenn zwischen ihm und dem Kind
eine sozial-familiäre Beziehung besteht oder bestanden
hat.
Im Umgangsrecht wird nun eine Ausdehnung auf Be-
zugspersonen des Kindes mit sozial-familiärer Bezie-
hung vorgesehen, die auch im Hinblick auf die europäi-
sche Rechtsentwicklung geboten ist. Durch diese
Regelung wird es auch nicht zu einem „Umgangstouris-
mus“ kommen, weil über allem das Wohl des Kindes
steht und auch stehen muss. Es macht aber keinen Sinn,
jetzt wieder eine Aufzählung der Personen vorzuneh-
men, die vielleicht in der Realität den jeweiligen Fami-
lienmodellen nicht entspricht und damit auch nicht dem
Wohl des Kindes genügen kann. Was passiert, wenn die
Bezugsperson, die mit dem Kind in einer sozial-familiä-
ren Beziehung gelebt hat, in der Liste nicht genannt ist?
Es würde dem Wohl des Kindes wohl eher schaden,
w
V
F
V
s
g
l
d
e
p
K
B
g
f
a
R
k
v
E
g
d
r
s
d
R
c
b
d
b
w
n
c
r
d
r
t
l
v
v
R
t
z
G
d
s
w
Z
z
v
(C
(D
enn zu einer Bezugsperson, die dauerhaft für das Kind
erantwortung übernommen hat, – das steht hinter der
ormulierung „sozial-familiäre Beziehung“, aus einer
erantwortungsbeziehung kein Umgangsrecht erwach-
en könnte, nur weil diese Bezugsperson nicht in ir-
endeiner Liste erscheint. Hier ist es sinnvoller der Rea-
ität ins Auge zu schauen und zu akzeptieren, dass es
ie unterschiedlichsten Familienmodelle gibt. Bei jeder
inzelnen Umgangsrechtentscheidung muss deshalb ge-
rüft werden, ob der beantragte Umgang dem Wohl des
indes dient, das alleine ist entscheidend.
Es war auch erforderlich, diese Neuerung im § 1685
GB zu regeln. Der § 1626 BGB ist hier nicht einschlä-
ig. Die Vorschrift ordnet selbst keine konkreten Rechts-
olgen an. Weder ergibt sich daraus ein Recht des Kindes
uf Umgang noch begründet die Vorschrift ein solches
echt für die Eltern bzw. andere Bezugspersonen. Die
onkreten Umgangsrechte und -pflichten ergeben sich
ielmehr aus §§ 1684 ff.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird der
ntscheidung des Bundesverfassungsgerichts Genüge
etan, aber was viel wichtiger ist, die Gesetzeslage wird
en Realitäten angepasst, was zu einer wichtigen Be-
ücksichtigung der berechtigten Interessen vieler Men-
chen führt.
Ute Granold (CDU/CSU): Einmal mehr hat das Bun-
esverfassungsgericht den Gesetzgeber aufgefordert, die
echtslage mit der Verfassung in Einklang zu bringen.
Heute Nachmittag haben wir uns mit der nachträgli-
hen Sicherungsverwahrung von Schwerstkriminellen
efasst. Jetzt geht es um Väter, genauer gesagt darum,
ie Rechte biologischer oder leiblicher Väter zu stärken
zw. überhaupt zu regeln.
Hierzu hat die Bundesregierung einen Gesetzesent-
urf vorgelegt, der – und das ist mittlerweile leider
ichts Außergewöhnliches mehr – nicht nur handwerkli-
he, sondern auch inhaltliche Mängel aufweist.
Nach einer umfassenden Stellungnahme des Bundes-
ates zu diesem Gesetzentwurf hat die Bundesregierung
em Rechtsausschuss eine überarbeitete Fassung zur Be-
atung vorgelegt. Ein Teil der vorgenommenen Korrek-
uren haben auch unsere Zustimmung gefunden. Aber
eider hat die Bundesregierung daneben Kompromiss-
orschläge unterbreitet, die wir nicht mittragen können.
Nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes
om April letzten Jahres ist dem leiblichen Vater das
echt einzuräumen, die rechtliche Vaterschaft anzufech-
en, wenn die rechtlichen Eltern mit dem Kind keine so-
iale Familie bilden, die es nach Artikel 6 Abs. 1 des
rundgesetzes zu schützen gilt.
Der Bundesrat hat der Regierung den richtigen Weg
ahin aufgezeigt: Der leibliche Vater erklärt an Eides
tatt, der Mutter während der Empfängniszeit beige-
ohnt zu haben. Das Gericht hat dabei im Rahmen der
ulässigkeit der Klage die eidesstattliche Versicherung
u prüfen, um so auch Anfechtungen ins Blaue hinein zu
ermeiden. Ob der Kläger dann tatsächlich auch der
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004 8165
(A) )
(B) )
leibliche Vater ist, entscheidet sich durch ein Gutachten
bei der Begründetheitsprüfung.
Der Entwurf der Regierung vermischt beides, ist dog-
matisch systemwidrig. Dies hat aber in der Praxis nur
geringe Bedeutung. Deshalb können wir darüber noch
hinwegsehen. Allerdings ist die beabsichtigte Erweite-
rung des umgangsberechtigten Personenkreises derart
gravierend, dass diese von uns nicht mehr mitgetragen
werden kann. Die Bundesregierung hat zwar auf Drän-
gen des Bundesrates auf eine Ausweitung des Umgang-
rechts auf alle Verwandten dritten Grades – § 1685
Abs. 1 BGB – verzichtet, jedoch in § 1685 Abs. 2 BGB
den Kreis der umgangsberechtigen Personen auf sämtli-
che Bezugspersonen des Kindes erstreckt, die zu ihm in
einer sozial-familiären Beziehung stehen. Das geht zu
weit und führt quasi zu einem Umgangstourismus. Ent-
sprechend dem Auftrag des Bundesverfassungsgerichtes
soll neben den bereits in § 1685 Abs. 2 BGB Benannten
lediglich noch dem leiblichen Vater ein solches Um-
gangsrecht zustehen. Dem stimmen wir auch ausdrück-
lich zu. Alles, was darüber hinausgeht, ist nicht nur über-
flüssig, sondern auch schädlich für das Kind.
Mit der Kindschaftsrechtsreform 1998 wurde ein
wichtiger und richtiger Schritt vollzogen: Die Rechtstel-
lung des Kindes wurde deutlich verbessert. Das Kind
und mit ihm das Kindeswohl steht fortan im Mittelpunkt.
Das Umgangsrecht ist als subjektives Recht des Kindes
ausgestaltet. Diesbezügliche Rechte Dritter sind nicht
nur eng ausgestaltet, sondern auch nachrangig.
So wurde für Großeltern und Geschwister ein Um-
gangsrecht eingeführt, wenn es dem Wohl des Kindes
dient. Gleiches gilt für Ehegatten und frühere Ehegatten,
Lebenspartner und frühere Lebenspartner eines Eltern-
teils, sofern eine häusliche Gemeinschaft mit dem Kind
bestand und auch für Pflegefamilien. Anderen Personen
sollte ein Recht auf Umgang ausdrücklich nicht einge-
räumt werden. Diesen Personen, zum Beispiel Tanten,
Onkeln, Nachbarn, Lehrern, kann allerdings auch schon
heute Umgang über §§ 1666, 1626 III 2 BGB gewährt
werden. Diese Begrenzung von Umgangsrechten Dritter
hielt man bei der Reform vor sechs Jahren auch mit
Blick auf das Kindeswohl für angemessen und gerecht-
fertigt. Bis heute hat sich daran nichts geändert. Dies
bestätigen im Übrigen nicht nur die Ergebnisse der Be-
gleitforschung zur Umsetzung des Kindschaftsrechtsre-
formgesetzes, sondern auch Experten, die wir in der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion hierzu im vergangenen
Jahr angehört haben.
Bei der Ausweitung des Umgangsrechts in einem
Umfang, wie es jetzt beschlossen werden soll, steht zu
befürchten, dass dem Kind zu wenig Zeit für sich und
seine Interessen bleibt. Dieser Gefahr kann auch durch
das Tatbestandsmerkmal des Kindeswohles nicht hinrei-
chend Rechnung getragen werden. Nach den Erkenntnis-
sen der Praxis ist bereits jetzt die Aufteilung der Zeit mit
dem Kind zur Gewährung des Umgangsrechts ein
schwieriger Balanceakt. Ob und wieweit dem Kindes-
wohl dabei Rechnung getragen wird, lässt sich vielfach
erst mittels aufwendiger Anhörungen vor dem Familien-
gericht überprüfen, die ihrerseits nicht selten mit erhebli-
c
k
V
u
g
g
R
t
U
h
k
I
s
E
k
f
f
s
w
s
m
w
g
t
s
A
B
s
2
b
u
m
g
v
s
s
d
r
B
D
s
N
t
w
e
g
P
r
s
a
v
s
s
d
(C
(D
hen Belastungen für das Kind verbunden sind. Hinzu
ommt, dass in derartigen Verfahren Streitigkeiten unter
erwandten auf dem Umweg über das Umgangsrecht
nd letztendlich auf dem Rücken des Kindes ausgetra-
en werden.
Aus diesen Gründen sollte der Personenkreis der Um-
angsberechtigten – ausgestattet mit einem subjektiven
echt auf Umgang – eng gefasst sein. Auch die interna-
ionale Entwicklung gibt keinen Anlass, den Kreis der
mgangsberechtigten auszudehnen. Die Vertragsstaaten
aben einen Ermessenspielraum, welchen Personen-
reis sie als solchen mit familiären Bindungen ansehen.
m Übrigen wird kein subjektives Recht für Personen
tatuiert, die zu dem Kind familiäre Beziehungen haben.
s wird lediglich geregelt, dass Umgang stattfinden
ann, soweit es dem Kindeswohl dient. Die von uns be-
ürworteten Regelungen entsprechen dem in vollem Um-
ang.
Mit der von der Regierung jetzt vorgeschlagenen,
ehr umfassenden Gewährung von Umgangsrechten
ird den Kindern ein Bärendienst erwiesen. Ohnehin
chon durch die Trennung der Eltern belastet, sollen sie
ehr denn je verplant und zum Spielball von Interessen
erden, die nicht immer ihre eigenen sind. Der Gesetz-
eber sollte sich in der Regelung dieses doch sehr priva-
en Lebensbereiches Zurückhaltung auferlegen.
Michaela Noll (CDU/CSU): Der hier zur Diskussion
tehende Gesetzentwurf der Bundesregierung über die
nfechtung der Vaterschaft und das Umgangsrecht von
ezugspersonen des Kindes soll der Umsetzung des Be-
chlusses des Bundesverfassungsgerichtes vom 9. April
003 dienen. Wir alle wissen: Scheiden tut weh – zurück
leiben allein erziehende Mütter, traumatisierte Männer
nd die Opfer der Scheidungsdramen sind die Kinder. Es
uss uns allen daher daran gelegen sein, ein befriedi-
endes Ergebnis zu erzielen. Das wird uns aber mit der
orliegenden Fassung nicht gelingen. Bei der Vater-
chaftsanfechtung und dem Umgangsrecht des biologi-
chen Vaters gibt es in der Tat dringenden Handlungsbe-
arf. Dem stimmen wir zu.
Die Frage des Anfechtungsrechts und des Umgangs-
echts für den biologischen Vater ist nach dem Urteil des
undesverfassungsgerichts nicht ausreichend geregelt.
ies war jedoch der Gesetzesauftrag aus Karlsruhe. In-
oweit sind die Vorgaben nicht eingehalten worden.
ach dem Gesetzentwurf soll das Umgangsrecht erwei-
ert werden. Doch die Bundesregierung ist in ihrem Ent-
urf deutlich über die vom Bundesverfassungsgericht
ntschiedene Fallgruppe der biologischen Väter hinaus-
egangen. Dies ist abzulehnen. Meines Erachtens hat das
ersönlichkeitsrecht des Kindes in den Augen der Regie-
ung nicht die gebotene Rolle gespielt. Wo ist das eigen-
tändige Besuchsrecht des Kindes? Man weiß, dass fast
lle Menschen, die Besuchsrechtsprozesse anstreben,
on unterschiedlichen Motiven geprägt sind.
Kinder sind keine Gegenstände. Kinder sind Men-
chen mit eigenen Grundrechten. Das muss in dem Ge-
etz zum Ausdruck kommen. § 1685 BGB verleiht den
ort genannten Personen ein eigenes subjektives Recht.
8166 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004
(A) )
(B) )
Ein eigenes Recht des Kindes fehlt aber. Das wollen wir
nicht. Wir wollen nicht weitere Besuchsberechtigte,
denn diese haben kein Recht am Kind, sondern das Kind
hat ein Recht auf sie.
Der Alltag der Kinder ist schon voll gepackt mit Ter-
minen. Während der Woche sind die Kinder in ihren
schulischen Verpflichtungen eingebunden und am Wo-
chenende, wenn Zeit für Freizeit bleibt, sollten die Kin-
der dann den Umgangswünschen des weiten Personen-
kreises genügen. Wo bleibt da die Zeit für die Interessen
der Kinder?
Die Erwachsenen verfügen und ordnen an, aber auf
die Bedürfnisse der Sprösslinge achtet niemand. Wenn
nun gefordert wird, das Umgangsrecht auch für sonstige
Bezugspersonen des Kindes auszudehnen, stellt sich
wirklich die Frage, wessen Bedürfnisse werden da ei-
gentlich befriedigt. Geht es hier nicht viel mehr um das
Anspruchsdenken der Erwachsenen, um ihre eigenen
Bedürfnisse. Haben Sie überhaupt eine Vorstellung da-
von, wie häufig die Besuchsregelungen nach den Wün-
schen der Erwachsenen geregelt sind? Die Bedürfnisse
und die Wünsche der Kinder werden oftmals nicht er-
fragt oder in Betracht gezogen. Es ist auch für mich im-
mer wieder erschreckend festzustellen, wie in unserem
Land nach diesem Muster verfahren wird. In der Regel
werden die Kinder erst gar nicht aufgefordert, sich zu
der Besuchsregel zu äußern, die doch für viele sehr radi-
kal in ihr Leben eingreift. Wo bleiben da die Kinder?
Wenn Sie das Kindeswohl ernst nehmen, dann lassen
Sie den Kindern das Recht, mitzubestimmen, mit wem
sie ihre Freizeit verbringen wollen.
Warum können die Erwachsenen nicht mehr Sensibi-
lität für Kinder entwickeln, anstatt ihnen permanent ihre
eigenen Vorstellungen aufzuzwingen.
Jeder, dem das Kindeswohl am Herzen liegt, sollte die
Langzeitstudie von Judith Wallerstein über Scheidungs-
folgen lesen. Danach tragen die Kinder die Last, vor al-
lem auch durch ein gerichtlich festgelegtes Besuchs-
schema.
Wenn das Umgangsrecht in der Form, wie in dem
vorliegenden Gesetzentwurf vorgesehen, erweitert wird,
wird es wieder Sache der Gerichte sein, im Rahmen der
Kindeswohlprüfung besondere Sorgfalt an den Tag zu
legen, bei den zu erwartenden Konflikten zwischen leib-
lichem Vater, Ehemann, Mutter und Kind und anderen
Bezugspersonen. Man stelle sich nur einmal vor, dass
alle gerade genannten Personen ihr Umgangsrecht ein-
klagen würden. Auch der vom Bundesverfassungsge-
richt etablierte Begriff der sozialfamiliären Beziehung
erscheint noch ausfüllungsbedürftig und dürfte auch er-
heblichen Streitstoff in sich bergen. Und wer wird das
zum großen Teil ausbaden? Wieder die Kinder.
Einzelne Punkte des Entwurfes bedürfen daher der
Überprüfung; dennoch sollten wir das Vorhaben zügig
anpacken, aber ohne Schnellschüsse – zum Wohle der
Kinder.
G
s
U
z
p
s
G
d
b
s
d
e
b
s
t
s
e
n
l
z
m
v
I
z
d
s
v
d
e
b
s
d
G
d
n
b
t
d
d
l
g
l
R
g
z
p
B
A
d
m
n
d
k
a
D
k
n
(C
(D
Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE
RÜNEN): Der ausnahmslose Ausschluss des biologi-
chen Vaters von der Vaterschaftsanfechtung und vom
mgangsrecht ist verfassungswidrig, sofern er eine so-
iale Beziehungen zu seinem Kind aufgebaut und ge-
flegt hat. Das stellte das Bundesverfassungsgericht in
einem Urteil vom 9. April 2003 fest. Der vorliegende
esetzentwurf dient der Umsetzung dieses Beschlusses
es Bundesverfassungsgerichts zur Rechtsstellung des
iologischen Vaters.
Wir stärken damit die rechtliche Position des biologi-
chen Vaters, ohne den Schutz für die soziale Familie, in
er das Kind aufwächst, aufzugeben. Die Einführung
iner Anfechtungsmöglichkeit für den leiblichen Vater
edeutet aber auch einen Eingriff in die Persönlichkeits-
phäre von Mutter und Kind sowie des rechtlichen Va-
ers. Aus diesem Grunde wurde das Recht auf Vater-
chaftsanfechtung durch den biologischen Vater mit
iner Hürde versehen. Vaterschaftsanfechtungen werden
unmehr dann möglich sein, wenn zwischen dem recht-
ichen Vater des Kindes und dem Kind selbst keine so-
ial-familiäre Beziehung besteht oder bestanden hat. So-
it wird klargestellt, dass dem biologischen Vater nicht
orrangig die Vaterschaft eingeräumt wird, sondern die
nteressen aller Beteiligten sorgfältig gegeneinander ab-
uwägen sind. Zudem wurde die Position der Länder bei
er Ausgestaltung der Anfechtungsberechtigung berück-
ichtigt, indem der anfechtende Mann „an Eides statt“
ersichern muss, dass er der Mutter des Kindes während
er Empfängniszeit beigewohnt hat. Mit dem Bezug der
idesstattlichen Erklärung zur tatsächlichen Beiwohnung
leibt auch weiterhin ausgeschlossen, dass ein samen-
pendender Dritter ein Anfechtungsrecht erhält. Durch
iese Regelung werden zum einen Anfechtungen aufs
eratewohl vermieden und zum anderen der Rechtsfrie-
en mit Blick auf das Kindeswohl erhalten.
Gleichzeitig beinhaltet die Neuregelung im Falle ei-
er erfolgreichen Anfechtung der Vaterschaft durch den
iologischen Vater die Feststellung seiner leiblichen Va-
erschaft. Das ist insofern von großer Bedeutung, als
ass das Kind im Falle einer erfolgreichen Anfechtung
er Vaterschaft durch den biologischen Vater nicht vater-
os dastehen soll. Auch diesem Umstand trägt der vorlie-
ende Gesetzentwurf durch eine automatische Feststel-
ungswirkung des erfolgreichen Anfechtungsurteils
echnung.
Darüber hinaus ist es mit dem vorliegenden Entwurf
elungen, das Umgangsrecht im Sinne des Kindeswohls
u erweitern. Künftig sollen weitere, „sonstige“ Bezugs-
ersonen des Kindes kraft bestehender sozial-familiärer
eziehung ein Recht auf Umgang erhalten. Eine solche
usdehnung des Umgangsrechts entspricht zum einen
em Übereinkommen des Europarates über den Umgang
it Kindern, das ein Umgangsrecht für Personen, die
icht Eltern des Kindes sind, allein an die Kindeswohl-
ienlichkeit und das Bestehen familiärer Bindungen
nüpft. Zum anderen berücksichtigt der Entwurf damit
uch die veränderten Lebensbedingungen der Familien.
er Begriff der sozial-familiären Bindung schafft eine
lare Regelung, denn er knüpft an die tatsächliche Über-
ahme von Verantwortung, beruhend auf dem Bestehen
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004 8167
(A) )
(B) )
einer häuslichen Gemeinschaft mit dem Kind an. Das
schließt sowohl den biologischen Vater als auch ehema-
lige Lebensgefährten der Mutter und Stiefgeschwister
ein, zu denen das Kind eine Bindung aufgebaut hat. Ein
„Umgangstourismus“, den argwöhnische Stimmen bei
einer Erweiterung des Umgangsrechts befürchteten,
wird sich damit für die Kinder nicht ergeben.
Wir brauchen ein klares gesellschaftliches Bewusst-
sein dafür, dass Kinder keine Objekte sind, über die Er-
wachsene beliebig verfügen können. Wir tragen die Ver-
antwortung dafür, dass wir in einer Gesellschaft leben,
die Kindern Rechte zugesteht, die ihre Würde respektiert
und Gewalt gegen Kinder verhindert. So ist es selbstver-
ständlich, dass wir in unseren zukünftigen Bemühungen,
gerade im Kindschaftsrecht, den Blickwinkel des Kindes
deutlich berücksichtigen. Die im Entwurf verankerten
Rechte auf Umgang mit dem Kind sind ein Schritt in die
richtige Richtung. Im Sinne des Kindeswohls sollten wir
jedoch darüber hinaus diskutieren, inwiefern Verwand-
ten dritten Grades ein Recht auf Umgang eingeräumt
werden kann. Dies würde dem Sachverhalt Rechnung
tragen, dass auch Tanten und Cousins, die eben nicht in
häuslicher Gemeinschaft mit dem Kind gelebt haben,
wichtige Bezugspersonen des Kindes sein können und
die sozialen Beziehungen auch nach der Trennung im In-
teresse des Kindes erhalten bleiben könnten.
Sibylle Laurischk (FDP): Pater semper incertus –
dies gilt heute so nicht mehr, eine eindeutige biologische
Zuordnung ist heutzutage zwar möglich, macht die Sa-
che aber auch nicht einfacher, wie die vorliegende The-
matik zeigt.
Mit diesem Gesetzentwurf wird die sich ändernde fa-
milienrechtliche Realität nachvollzogen, nicht auf Initia-
tive der Bundesregierung, wie die Überschrift glauben
machen möchte, sondern auf Initiative des Bundesver-
fassungsgerichts, das in seinem Urteil vom 9. April 2003
die Rechte der leiblichen Väter gestärkt hat. Das BVerfG
wägt das Verhältnis zwischen biologischer Vaterschaft
und der gelebten sozial-familiären Bindung ab und
räumt der gelebten sozial-familiären Bindung eine zen-
trale Bedeutung ein. Damit wird auch das Verhältnis von
der Mutter zum biologischen Vater neu geordnet, was si-
cher in der Praxis beobachtet werden muss, immer vor
dem Hintergrund des Kindeswohles.
Zum einen wird leiblichen Vätern die Möglichkeit er-
öffnet, die Vaterschaft anzufechten und für sich selbst zu
reklamieren auch gegen den Willen der Mutter, wenn
zwischen dem rechtlichen Vater und dem Kind keine so-
zial-familiäre Bindung besteht oder bestanden hat. Ein
Einbrechen in intakte Familiensituationen ist daher we-
der möglich noch gewollt, mit dem Erfordernis der
Glaubhaftmachung der Vaterschaft in § 1600 Abs. 1
Nr. 2 BGB neue Fassung, das auch durch die Abgabe ei-
ner strafbewehrten eidesstattlichen Versicherung erfüllt
ist, ist ein unqualifiziertes Berühmen der Vaterstellung
nicht zu befürchten. Außerdem dient eine Befristung der
Berechtigung zur Antragstellung auf zwei Jahre der
Rechtssicherheit in dieser sensiblen abstammungsrecht-
lichen Frage. Der biologische Vater hat jetzt die Mög-
li
g
V
W
z
r
u
f
§
t
U
f
h
d
V
e
e
t
d
e
D
d
Z
r
E
w
f
F
n
R
i
o
d
l
k
t
l
s
F
s
b
ü
w
w
z
B
e
W
b
M
s
J
r
g
(C
(D
chkeit, in die Stellung des rechtlichen Vaters zu gelan-
en, wenn der rechtliche Vater nicht die sozial-familiäre
erantwortung übernimmt, er selbst aber dazu bereit ist.
ie dies allerdings im Alltag umgesetzt wird, ist kritisch
u beleuchten; es ist wesentlich von der Kooperationsbe-
eitschaft der Eltern zum Wohle des Kindes abhängig
nd daran fehlt es in vielen Fällen, wie ich aus meiner
amilienrechtlichen Praxis als Anwältin weiß.
Die Änderung der Umgangsberechtigung in
1685 BGB stellt ebenfalls das Kindeswohl in den Mit-
elpunkt der Entscheidung darüber, wer mit dem Kind
mgang pflegen darf. Kriterium ist auch hier die sozial-
amiliäre Beziehung, die in der Vergangenheit bestanden
aben oder andauern muss, soll der Umgang dem Kin-
eswohl dienen. Die Bedürfnisse oder Verdienste von
erwandten oder anderen Bezugspersonen sind nicht
ntscheidend. Die weite Fassung und der Verzicht auf
ine enummerative Einschränkung der Umgangsberech-
igten ist aus unserer Sicht richtig, da der Maßstab für
ie Umgangsbewilligung immer das Kindeswohl ist, und
in Umgangstourismus daher nicht zu befürchten ist.
em Wohl des Kindes beim Aufwachsen in unvollstän-
igen oder Patchworkfamilien wird Rechnung getragen.
entrale Entscheidungsträger hinsichtlich des Umgangs-
echts für die Kinder bleiben aber die sorgeberechtigten
ltern oder Elternteile, die umgangsbegehrende Ver-
andtschaft oder andere Personen aus dem sozialen Um-
eld müssen zur Einräumung des Umgangs durch das
amiliengericht die Bedeutung für das Kindeswohl
achweisen.
Diese Gesetzesänderung ist nur ein Steinchen bei der
enovierung des Gebäudes Familienrecht, so findet sich
n dem Verfassungsgerichtsurteil ein richtungsweisendes
biter dictum auf ein weiteres Erstarken der Väterrechte,
as im Zusammenhang mit den gendiagnostischen Mög-
ichkeiten zu ungeahnten Konfliktsituationen führen
ann, ich erinnere an die Möglichkeiten der so genann-
en heimlichen Gendiagnostik zur Vaterschaftsfeststel-
ung, worauf der Gesetzgeber zu reagieren haben wird.
Vor dem Hintergrund, dass die demographische Kata-
trophe, auf die wir uns zu bewegen, nicht allein von den
rauen, die nicht mehr Mutter werden, sondern in noch
tärkerem Maße von Männern verursacht wird, die nicht
ereit sind, Vater zu werden und Elternverantwortung zu
bernehmen, ist die Stärkung der Väter, die zur Verant-
ortungsübernahme bereit sind, zu begrüßen, vielleicht
eist dies einen Weg aus der vaterlosen Gesellschaft
um Wohle unserer Kinder.
Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der
undesministerin der Justiz: Auch das Familienrecht ist
iner permanenten Reformdiskussion unterworfen. Der
andel der Werte und Lebensentwürfe findet hier ganz
esonders seinen Niederschlag.
Mit dem vorliegenden Gesetz setzen wir ein weiteres
al einen Gesetzgebungsauftrag des Bundesverfas-
ungsgerichts um. Nachdem zum 31. Dezember letzten
ahres fristgerecht eine Übergangsregelung zum Sorge-
echt für nicht miteinander verheiratete Eltern in Kraft
etreten ist, geht es jetzt darum, die Rechtsstellung des
8168 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004
(A) )
(B) )
so genannten „biologischen“ Vaters zu verbessern. Als
„biologischen“ oder lediglich leiblichen Vater bezeich-
nen wir den Mann, der weder aufgrund bestehender Ehe,
kraft eigener Anerkennung noch mittels Vaterschafts-
feststellungsklage als rechtlicher Kindesvater legitimiert
ist. Im Bürgerlichen Gesetzbuch werden diesem ledig-
lich „biologischen“ Vater seit dem Jahre 1900 bis heute
keine Rechte und Pflichten gegenüber dem Kind zuer-
kannt.
Bereits die begriffliche Differenzierung zwischen
rechtlichem, nur „biologischem“ sowie – als wäre das
nicht schon kompliziert genug – auch „sozialem“ Vater
verdeutlicht den Wandel gesellschaftlicher Strukturen.
Die Fülle der Begrifflichkeiten führt uns die Palette fa-
milienpolitischer Themen vor Augen, denen wir uns
stellen müssen.
Die Stärkung der Rechtsposition des leiblichen Vaters
hat das Bundesverfassungsgericht im April 2003 dem
Gesetzgeber aufgetragen. Das Gericht hat sowohl die
Regelungen zum Umgangsrecht gemäß § 1685 des Bür-
gerlichen Gesetzbuchs als auch zur Vaterschaftsanfech-
tung nach § 1600 BGB insoweit für verfassungswidrig
erklärt, als der „biologische“ Vater ausnahmslos von bei-
den Rechten ausgeschlossen ist. Diese Ausnahmslosig-
keit verstößt gegen den in Art. 6 GG verankerten Schutz
der Familie und des Elternrechts. Der Gesetzgeber muss
bis zum 30. April 2004 Abhilfe schaffen.
Der Entwurf der Bundesregierung, über den heute be-
schlossen wird, enthält einen Vorschlag zur Beseitigung
dieser Verfassungswidrigkeit. Zusammen mit den Ände-
rungsvorschlägen des Rechtsausschusses haben wir eine
gute Grundlage, um auch mit den Ländern zu einem
Konsens zu kommen.
Im Einzelnen: Nach der geplanten Gesetzesänderung
kann der leibliche Vater eines Kindes die Vaterschaft
eines nach geltendem Abstammungsrecht als Vater legi-
timierten Mannes, also des „rechtlichen“ Vaters, unter
einer Voraussetzung anfechten: Zwischen dem rechtli-
chen Vater und dem Kind bestand oder besteht keine
sozial-familiäre Beziehung. Das Verhältnis zwischen
den beiden besteht im wahrsten Sinne des Wortes nur auf
dem Papier. Das rechtskräftige Anfechtungsurteil stellt
die leibliche Vaterschaft des Anfechtenden fest und der
leibliche Vater rückt kraft Gesetzes in die rechtliche Va-
terposition ein.
Zudem sollen Personen, insbesondere der leibliche
Vater, zu denen das Kind eine sozial-familiäre Bezie-
hung hat oder gehabt hat, ein Recht auf Umgang mit
dem Kind erhalten, wenn das dem Wohl des Kindes
dient. Das Kindeswohl bleibt also weiterhin oberste
Richtschnur für Entscheidungen des Familiengerichts.
Mit der Ausdehnung des Umgangsrechts auf „Be-
zugspersonen“ des Kindes – ohne abschließende Auflis-
tung dieser Personen – tragen wir nicht nur den Bedürf-
nissen der Kinder Rechnung, sondern berücksichtigen
auch die europäische Rechtsentwicklung: In der Recht-
sprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschen
rechte und in dem zur Zeichnung aufgelegten Europa-
ratsübereinkommen über den Umgang mit Kindern
z
a
g
B
t
a
m
s
f
A
2
s
A
F
a
t
t
M
n
s
s
R
m
t
Z
F
b
t
f
d
d
i
w
i
s
g
f
g
z
b
z
W
l
s
t
k
(C
(D
eichnet sich die Stärkung der Rolle der Bezugspersonen
b. Weiteren, bereits jetzt absehbaren Änderungen des
eltenden Umgangsrechts beugen wir damit vor.
Die vom Bundesverfassungsgericht neu eingeführte
egriffskategorie „sozial-familiäre Beziehung“ interpre-
ieren wir mit dem Gesetzentwurf als tatsächliche Ver-
ntwortungsübernahme für das Kind und unterfüttern sie
it Regelbeispielen für die Rechtspraxis. Sie ist gleich-
am Sinnbild für die eingangs erwähnte Fortentwicklung
amiliärer Strukturen.
nlage 6
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichtes: Mögliche Interessenüberschneidun-
gen bei der Vergabe öffentlicher Mittel über die
Bundesanstalt für Arbeit auf allen Ebenen
nachhaltig vermeiden (Tagesordnungspunkt 13)
Hans-Werner Bertl (SPD): Irgendwann vor dem
. April 2003 geschrieben, dann weggelegt und verges-
en, am 11. Dezember 2003, 11. Februar 2004 und heute
bend zum dritten Mal der untaugliche Versuch der
DP, die Mitglieder der Selbstverwaltung der Bundes-
gentur für Arbeit mit durch nichts bewiesenen Behaup-
ungen zu verdächtigen, zu diskreditieren, sie der Vor-
eilsnahme zu bezichtigen. Und gleichzeitig werden die
itarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundesagentur ge-
erell als Verweigerer der notwendigen und von uns be-
chlossenen Reformen beschrieben.
Es ist schon tragisch, mit welch verzweifelter Verbis-
enheit die FDP und ihr Arbeitsmarktexperte den
eformprozess der wichtigsten Sozial- und Arbeits-
arktinstitution „Bundesagentur für Arbeit“ diskredi-
iert und skandalisiert.
Unerträglich ist auch, dass die FDP diesem Parlament
eit stiehlt und die einhellige Ablehnung aller anderen
raktionen gestern im Ausschuss für Wirtschaft und Ar-
eit zeigt, dass Sie ganz einsam und allein mit ihrer abs-
rusen Forderung steht. Mal ist es die Auflösung, die Sie
ordern, dann soll es die Abberufung eines Mitgliedes
es Verwaltungsrates sein, dann fabulieren Sie über eine
eutsche Arbeitslosenindustrie, die sich wie eine Krake
n die Bundesagentur eingenistet haben soll, und dann
ieder ist es die Intrige, die von wem und wann auch
mmer gegen wen auch immer ihren Antrag legitimieren
oll. Tragisch ist die pathologische Verbissenheit, die Sie
egen jedes bessere Wissen zu solchen Anträgen ver-
uhrt. Die im Vermittlungsverfahren beschlossenen Er-
ebnisse – wie die Arbeit der Bundesagentur für Arbeit
ukünftig strukturiert sein soll, wie sie in Zusammenar-
eit mit den örtlichen Trägern der Sozialhilfe aktiv und
ielgerichtet Hilfe aus einer Hand geben soll, wie sie den
eg in Ausbildung und Arbeit, in Fortbildung und Qua-
ifikation für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ge-
taltet, wie sie das Problem der beruflichen Rehabilita-
ion für die Betroffenen regelt und wie sie als
ompetente Partnerin für die Unternehmen arbeitet,
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004 8169
(A) )
(B) )
zeigen, dass wir auf dem richtigen Weg sind und aus ei-
nem undurchsichtigen Gewirr sozialer Dienstleistungen
ein durchschaubares und transparentes System für Wirt-
schafts- und Arbeitsmarktpolitik gestaltet haben.
Es ist ja noch nachvollziehbar, dass eine kleine Oppo-
sitionsfraktion nach Aufmerksamkeit, nach Profilierung
sucht. Aber machen Sie das doch so, dass man Sie we-
nigstens ein kleines bisschen ernst nehmen kann.
Sie hätten doch in den letzten Wochen des Jahres
2003 lernen können, dass es in parlamentarischen Ver-
fahren auch für die Opposition eine reale Möglichkeit
der Mitwirkung, ja Mitgestaltung gibt. Und genau das
macht doch Parlamentarismus aus.
Mitverantwortung, Mitgestaltung, selbst Konzepte
einbringen, das alles anstelle von abstrusen Verdächti-
gungen, das wäre für die FDP ein Sprung aus politischer
Bedeutungslosigkeit gewesen und hätte aus ihrem Spre-
cher vielleicht einen ernst zu nehmenden Arbeitsmarkt-
experten machen können.
Und sie waren doch dabei, als wir die Struktur der
Selbstverwaltungsorgane neu definiert haben. Die Ver-
antwortlichkeiten und Einwirkungsmöglichkeiten des
Verwaltungsrates sind klar und eindeutig geregelt, und
das Verhalten seiner Mitglieder auf allen drei Seiten, Ar-
beitgeber, Arbeitnehmer und öffentliche Hand, gibt nicht
den geringsten Verdacht der Vorteilsnahme oder Befan-
genheit her, der ihren Antrag zu einem Gegenstand
ernsthafter Betrachtung machen könnte.
Kolleginnen und Kollegen der FDP, lassen Sie die
Mitarbeiter der Bundesagentur für Arbeit ihre Arbeit
machen, fördern Sie den notwendigen Umbau und ich
verspreche Ihnen, wenn Sie sich produktiv und kreativ in
diesen Prozess einbringen wollen, werden Ihnen die Mit-
glieder des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit mit
Sicherheit zuhören und das nicht als gestohlene Zeit
werten, was wir hier heute allerdings tun müssen. Wir
hoffen jetzt, mit der Ablehnung Ihres Antrages zukünftig
Zeit für die wirklich wichtigen Reformprozesse zu ha-
ben.
Dr. Hermann Kues (CDU/CSU): Eigentlich hatte
ich erwartet, dass der Antrag, über den wir hier debattie-
ren, zurückgezogen wird. Nach den sehr ausführlichen
Diskussionen im Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit zu
den Vorgängen um die Auftragsvergaben in der Bun-
desagentur ist mittlerweile nun allen klar, worauf es an-
kommt.
Wir sollten, und da sind wir uns wohl weitgehend ei-
nig, die Bundesagentur unter der neuen Führung von
Herrn Weise in Ruhe die Fehler der Vergangenheit aufar-
beiten lassen. Es stehen vor ihm wahrlich anspruchsvolle
Aufgaben. Eine davon betrifft auch das Thema der Auf-
tragsvergabe. In diesem Falle geht es aber nicht um die
Auftragsvergabe an PR-Unternehmen, sondern die auf
dem Weiterbildungssektor. Hier gibt es nämlich große
Probleme.
Der Antrag der FDP hat einen ganz bestimmten Hin-
tergrund: Es wird in ihm unterstellt, bestimmte große
B
E
s
w
e
G
g
t
e
i
T
z
m
n
k
s
D
z
s
A
s
r
c
P
d
v
b
d
t
t
s
t
v
M
a
m
z
f
a
w
d
e
d
z
g
H
d
e
s
D
b
d
d
W
e
(C
(D
ildungsträger nähmen über den Verwaltungsrat der BA
influss auf die Mittelvergabe für den Weiterbildungs-
ektor, den die Bundesagentur verantwortet, und dabei
äre eine Person besonders aktiv. Die FDP konstatiert
ine unzulässige Interessenüberschneidung aus drei
ründen: Erstens wird mit Mitgliedsgeldern umgegan-
en, also mit Zwangsbeiträgen der Versicherten, zwei-
ens stehen große Summen zur Debatte und drittens sind
inzelne Vertreter des Verwaltungsrates in Personalunion
n überregionalen Bildungsträgern tätig.
Darüber muss man reden. Was notwendig ist, das ist
ransparenz. Was notwendig ist, das ist auch Fingerspit-
engefühl. Dort, wo es Interessenüberschneidungen gibt,
uss man sich zurückzunehmen. Das gilt allerdings
icht nur für die Bundesagentur für Arbeit. Darauf
ommt es an. Eine „Lex XY“ als Parlament zu verab-
chieden, das kann nicht die Lösung des Problems sein.
er Antrag bildet allenfalls einen Randaspekt der gan-
en Problematik ab.
Meine Fraktion wird deshalb dem Antrag nicht zu-
timmen. Den Antrag könnten wir also getrost zu den
kten legen, wenn er nicht – und das war ursprünglich
icher auch gar nicht so beabsichtigt – indirekt die Unge-
eimtheiten und Probleme auf dem Sektor der berufli-
hen Weiterbildung in den Vordergrund geschoben hätte,
robleme, die durch die Art und Weise der Umsetzung
er Hartz-Gesetze durch die jetzige Bundesagentur sehr
irulent geworden sind.
In der ersten Lesung zu diesem Antrag am 11. Dezem-
er wurde meines Erachtens klar, dass es unabhängig von
en im FDP-Antrag angesprochenen Interessenkonflik-
en große Probleme auf dem Sektor der beruflichen Wei-
erbildung gibt. Die müssen angesprochen werden. Das
ind, wenn man die gegenwärtige Situation auf dem Wei-
erbildungsmarkt sieht, gravierendere Probleme, als die
ermeintliche Interessensüberschneidung bei einzelnen
itgliedern des Verwaltungsrates.
Mein Kollege Straubinger hat im Dezember Beispiele
ngeführt, bei denen einem die Haare zu Berge stehen
üssen. Da wurde offensichtlich tatsächlich das Geld
um Fenster rausgeworfen, Geld, das an anderer Stelle
ehlt. Es gibt ganz offenkundig Wildwuchs, vielleicht
uch Seilschaften in der Branche. Aber mir scheint doch
ichtig, festzustellen, dass die ganz überwiegende Zahl
er Träger von beruflicher Weiterbildung solide, effizi-
nt und ergebnisorientiert ihre Arbeit macht. Ich kenne
ie Weiterbildungslandschaft in meinem Wahlkreis
iemlich genau. Es bestätigt meinen Eindruck, dass sie
egenwärtig schwere Zeiten durchmacht, da mit den
artz-Gesetzen und deren Umsetzung durch die Bun-
esagentur über Nacht ganz neue Rahmenbedingungen
ntstanden sind, denen sie teilweise nicht gewachsen
ind, auch nicht gewachsen sein können. Ich möchte die
ebatte zu diesem Antrag deshalb nutzen, diese Pro-
leme anzusprechen.
Es ist wohl hier im Hause politischer Konsens, dass
ie berufliche Weiterbildung ein wichtiger Aspekt bei
er Eindämmung der Massenarbeitslosigkeit ist. Alle
elt weiß es, wir haben auf dem Arbeitsmarkt nicht nur
in Struktur-, sondern auch ein Bildungsproblem. Wir
8170 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004
(A) )
(B) )
haben Lehrstellenbewerber, die nur rudimentär deutsch
können, Schulabgänger, die kaum das kleine Einmaleins
beherrschen, Arbeitslose, die nicht das geforderte Quali-
fikationsniveau in ihrem Beruf oder Arbeitslose, die
keine marktgerechte Ausbildung haben. Dazu kommen
dann noch die Menschen, die behindert sind oder andere
von ihnen nicht zu vertretende Einschränkungen haben,
die also einer besonderen beruflichen Förderung bedür-
fen. Der Anteil ungelernter Arbeitsloser ist signifikant
höher als der von Facharbeitern. Bei den Langzeitar-
beitslosen stellt sich das noch gravierender dar.
Allen diesen Menschen kann der Einstieg oder auch
Verbleib im Arbeitsmarkt erleichtert werden, wenn eine
passgenaue Bildungsmaßnahme zur Verfügung stünde.
Ich argumentiere seit Jahren mit dem „Maßanzug“, den
der Arbeitslose in vielen Fällen braucht, um wieder Fuß
zu fassen. Dabei habe ich natürlich in erster Linie den
Langzeitarbeitslosen im Auge, der ja das eigentliche
Problem für den Arbeitsmarkt darstellt. Ich denke aber,
das gilt auch generell. Es stellt sich die Frage: Wer kann
diesen Maßanzug liefern? Und ich antworte darauf: Der
„regionale Schneider“, der die Verhältnisse vor Ort bes-
tens kennt.
Es gab und gibt viele Projekte in unserem Land, die
diesen Grundsatz umsetzen und danach handeln. Die Er-
folge sprechen für sich. Als emsländischer Abgeordneter
kann ich auf meine Region in dieser Beziehung durchaus
stolz sein. Das setzt allerdings voraus, dass es eine örtli-
che Bildungslandschaft gibt, die einen starken regiona-
len Bezug hat. Die gab es bisher. Aber gerade diese ist
es, der durch die neue Ausschreibepraxis der Bundes-
agentur der Boden unter den Füßen weggezogen wird.
Das sind meist kleinere qualifizierte Bildungsträger mit
einer langen Tradition.
Die neue Praxis sieht jetzt so aus: Von den Agenturen
vor Ort wird der konkrete Bedarf, ausgerichtet an den re-
gionalen Bedürfnissen, entwickelt. Ausgeschrieben aber
wird nur in großen Losen überregional. Konkret für mei-
nen Wahlkreis im Emsland sieht das dann so aus, dass
beispielsweise im IT Bereich der Bedarf für einen be-
stimmten Ausbildungsgang festgestellt wird, der aber an
Bildungsträger nach NRW oder in die neuen Bundeslän-
der vergeben wird, nur weil sie ein paar Cent billiger an-
bieten können als heimische Bildungsträger. Hinzu kom-
men Modalitäten der Ausschreibung, die es nur großen
Trägern ermöglicht, daran teilzunehmen. Kennzeichen
dieser Ausschreibungen sind: Potenzielle Bewerber ha-
ben nur wenig Zeit, Angebote zu entwickeln. Die Leis-
tungsbeschreibungen umfassen zum Teil über 100 Seiten
mit detaillierten Vorgaben für Werkstätten. Die Leis-
tungsbeschreibungen werden während der Ausschrei-
bung ständig aktualisiert (definiert) und erklärt. Bei der
Regionaldirektion Niedersachsen/Bremen beispiels-
weise beläuft sich das bereits auf 66 Internetseiten.
Kenner der Weiterbildungsszene weisen darauf hin,
dass insbesondere gewerkschaftliche Weiterbildungsträ-
ger von diesen Bedingungen profitieren. Diese Praxis
führt letztlich zur Zerschlagung der regionalen Träger-
struktur. Insbesondere kleine und vor Ort tätige Bil-
dungseinrichtungen können bei dieser Art Ausschrei-
b
s
m
h
h
M
l
d
W
a
s
s
n
d
e
f
b
r
b
d
p
d
3
n
t
m
t
w
s
d
l
7
s
A
M
ü
d
v
t
a
D
t
d
W
S
s
e
b
D
l
t
r
(C
(D
ung, bei der offensichtlich nur noch der Preis eine Rolle
pielt und Qualität und Kenntnisse des lokalen Arbeits-
arktes keine Bedeutung mehr haben, nicht mehr beste-
en. Aber gerade diese Träger haben in der Vergangen-
eit auf der Basis der Erfahrungen der laufenden
aßnahmen diese weiterentwickelt und an den (regiona-
en) Arbeitsmarkt angepasst. Dieser Innovationsprozess
roht verloren zu gehen.
Niemand wird bestreiten wollen, dass auch auf dem
eiterbildungssektor Wettbewerb nicht schadet. Es gibt
uch sicher den einen oder anderen Bildungsträger, des-
en Maßnahmen ineffizient, also im Klartext überflüssig
ind. Wettbewerb muss aber alle einschließen und darf
icht von vornherein eine ganze Gruppe von Anbietern
urch eine gezielte Ausschreibepraxis ausschließen bzw.
ine andere bevorzugen.
Nicht nur die zentralistische Ausschreibepraxis ist
ragwürdig, auch inhaltlich verzichtet man auf Vorga-
en, die an anderer Stelle zum Beispiel für die Zertifizie-
ung von Trägern verlangt werden. Es fehlen Zielvorga-
en für die Vermittlung, Anforderungen an die Qualität
es Personals, Verpflichtung zur Sozialversicherungs-
flichtigen Beschäftigung.
Unter der Hand werden von dubiosen Anbietern Stun-
ensätze pro Teilnehmer von 98 Cent in den alten und
5 Cent in den neuen Bundesländern bei Trainingsmaß-
ahmen als „Angebot“ gehandelt. Der Selbstkostensatz
raditioneller Träger liegt bei 3 Euro. Für solche Sum-
en können sie höchstens auf der grünen Wiese vermit-
eln und trainieren, nicht aber in geheizten Räumen mit
enigstens einem Computer. Diese Träger konzentrieren
ich vor allem auf Teilnehmer, von denen sie annehmen,
ass sie leichter integrierbar sind und mit denen sie
eichter die verlangte Verbleibsquote von mindestens
0 Prozent erreichen.
Dies lässt sich an der Weiterbildungsstruktur inzwi-
chen ablesen. Im Vergleich zum Vorjahr hat in 2003 der
nteil von Langzeitarbeitslosen, Schwerbehinderten,
enschen ohne vorherige Berufsausbildung und Älteren
ber 50 Jahre deutlich abgenommen.
Letztlich ist diese Regel auch frauenfeindlich; denn
ie Verbleibsquote von Frauen liegt signifikant unter der
on Männern. Es wird einer Selektion der Boden berei-
et, die sich noch verschärfen wird, wenn die Bundes-
gentur die Verbleibsquote auf 80 Prozent anheben wird.
as wurde zwar inzwischen dementiert, jeder Beobach-
er der Szene weiß aber, dass diese Anhebung bereits in
er Schublade liegt.
Die jetzige durchschnittliche Verbleibsquote liegt im
esten bei 61,5 Prozent, im Osten nur bei 52,9 Prozent.
ie lässt sich nach meiner Überzeugung nur deutlich
teigern, wenn passgenauer qualifiziert wird. Ich habe
ingangs schon etwas dazu gesagt. Dies schaffen am
esten im regionalen Arbeitsmarkt verwurzelte Anbieter.
ie Hartz-Gesetze verschieben die Priorität in der beruf-
ichen Weiterbildung von langfristig angelegter Kompe-
enzentwicklung hin zu kurzfristigen Wiedereingliede-
ungseffekten.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004 8171
(A) )
(B) )
Zentrale Instrumente der Hartz-Vorschläge auf dem
Feld der beruflichen Weiterbildung sind Bildungsgut-
schein und Verbleibsquote. Alle Evaluationsstudien be-
legen, dass der Eingliederungserfolg im Wesentlichen
abhängig ist vom regionalen Arbeitsmarkt, von der an-
gestrebten und verwirklichten Qualifikation, von der
Teilnehmerzusammensetzung.
Die inzwischen eingeführten Bildungsgutscheine ent-
falten diesbezüglich leider nur eine zweifelhafte Wir-
kung. Die, die der Weiterbildung am dringendsten be-
dürfen, sind mit der neuen „Wahlfreiheit“ häufig
überfordert. Sie können ja auch nur zwischen Trägern
wählen, nicht zu den Inhalten. Statt der erhofften Trans-
parenz entsteht für sie eine neue Unübersichtlichkeit.
Häufig befinden sich auch infrage kommende Träger
nicht in der Region. Mit dem Wegfall des Unterhaltsgel-
des wird es äußerst problematisch, einen zusätzlichen
Nebenwohnsitz zu finanzieren. Für die Anbieter entsteht
eine Unplanbarkeit. Und auch für den Arbeitslosen, denn
er weiß praktisch bis zum Beginn der Maßnahme nicht,
ob sie überhaupt zustande kommt.
Die hohe Zahl an verfallenen Bildungsgutscheinen
belegt diese Schwierigkeiten: Von den zwischen 1. März
und 30. September 2003 bundesweit ausgegebenen
147 400 Bildungsgutscheinen sind 21 400 nach abgelau-
fener Gültigkeit storniert worden.
Was bedeutet das alles? Es wird nur mehr unterschie-
den danach, was der Einzelne weiterbildungsmäßig kos-
tet, und nicht, ob durch eine aufwendigere Maßnahme
erfolgreich vermittelt werden könnte. Kurzfristig spart
das natürlich Geld, langfristig wird es bestimmt nicht
billiger.
Die berufliche Weiterbildung genießt zu Recht einen
hohen Stellenwert. „Wissensgesellschaft“, „lebenslanges
Lernen“ sind Stichworte für die wohl von allen Seiten
des Hauses anerkannte Bedeutung der beruflichen Wei-
terbildung. Dies muss sich auch am Arbeitsmarkt ange-
messen widerspiegeln. Es ist klar, dass die berufliche
Weiterbildung zu allererst dazu dienen muss, eine Ver-
mittlung oder den Verbleib im ersten Arbeitsmarkt zu
ermöglichen. Weiterbildung heißt aber auch Kompetenz-
entwicklung und Kompetenzentwicklung heißt wie-
derum, dass dies gegebenenfalls in Abschnitten erfolgen
muss.
Die Entwicklung im vergangenen Jahr lässt aber auf-
horchen: Die Zahl der Neueintritte in nach dem Dritten
Buch Sozialgesetzbuch geförderte berufliche Weiterbil-
dungsmaßnahmen hat sich von 456 301 im Jahre 2002
auf nur noch 246 245 im Jahr 2003 fast halbiert. Und
dieser Prozess setzt sich fort.
Im Bereich der Agentur Nordhorn – der umfasst das
südliche und mittlere Emsland und die Grafschaft
Bentheim – ist die Zahl der Weiterbildungsmaßnahmen
2003 um 35 Prozent zurückgegangen, in erster Linie zu-
lasten der Problemgruppen des Arbeitsmarktes. Die Zahl
der Jugendlichen ohne Ausbildungsplatz beträgt 3 184.
Das sind Menschen, denen mit beruflichen Bildungsan-
geboten geholfen werden könnte, den Einstieg noch zu
schaffen. Wollen wir die mit Bildungsgutscheinen ab-
s
t
a
l
w
M
r
H
l
n
l
w
l
p
w
e
F
i
ü
Ä
l
t
d
n
t
f
s
s
s
t
I
w
z
d
d
v
l
t
d
a
a
d
d
h
d
g
t
n
d
a
I
b
E
B
(C
(D
peisen? Der Personalabbau bei den Bildungsträgern be-
rägt teilweise bis zu 50 Prozent. Einzelne haben bereits
ufgegeben, die Existenz einer ganzen Branche ist letzt-
ich bedroht. Wir müssen uns fragen, was wir politisch
ollen.
Betrachten wir die berufliche Weiterbildung nur als
ittel, vordergründig die Arbeitslosenzahlen zu reduzie-
en, oder wollen wir dieses Instrument auch nutzen als
ilfe für ein gelingendes Leben? Jugendliche, die jahre-
ang keine Struktur in ihrem Tagesablauf hatten, werden
ur sehr schwer zurückfinden in ein geregeltes Arbeits-
eben. Schreiben wir diese Menschen ab? Oder sollten
ir nicht versuchen, sie über Bildungsangebote reifen zu
assen? Ich weiß, das ist in Zeiten knapper Kassen eine
rovozierende Frage. Uns wird sie aber einholen, wenn
ir heute darauf keine Antwort finden.
Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Um
s noch einmal vorauszuschicken: Der Antrag der FDP-
raktion ist inhaltlich völlig überholt; dies ist ja gestern
m Ausschuss noch einmal deutlich geworden. Er ist
berholt, weil seit dem 1. Januar dieses Jahres mit den
nderungen des Dritten Gesetzes für moderne Dienst-
eistungen am Arbeitsmarkt die Aufgaben des Verwal-
ungsrates innerhalb der Bundesagentur für Arbeit neu
efiniert worden sind: Der Verwaltungsrat der BA hat
un keinerlei Aufgaben in der Ausgestaltung des opera-
iven Geschäfts mehr und ist auf eine reine Kontroll-
unktion gegenüber dem Vorstand beschränkt. Damit
ind die von der FDP-Fraktion angesprochenen Interes-
enkonflikte zwischen der Gestaltung des operativen Ge-
chäfts des Vorstands und den Interessen der Verwal-
ungsratsmitglieder in Zukunft ausgeschlossen.
Des Weiteren sehe ich den von Ihnen angesprochenen
nteressenkonflikt auf Gewerkschaftsseite nicht und
erte den hier vorgelegten Antrag vielmehr als einen un-
ulässigen Versuch, in die Selbstverwaltung der Bun-
esagentur einzugreifen. Die Absetzung eines Mitglieds
es BA-Vorstandes ist nur im Falle einer groben Amts-
erletzung nach § 377 Abs. 3 SGB III möglich. Diese
iegt hier aber nicht vor. Frau Engelen-Kefer ist die legi-
ime Vertreterin der Arbeitnehmerseite und wurde durch
en vorschlagsberechtigten DGB benannt. Dies sollte
uch die FDP-Fraktion im Bundestag respektieren.
Ich meine, mit diesen Ausführungen ist nun wirklich
lles zum Antrag der FDP gesagt und wir sollten nun
azu übergehen, uns um die wirklichen Probleme mit
er aktiven Arbeitsmarktpolitik zu kümmern. Der Haus-
alt der BA für das Jahr 2004 sieht eine gravierende Re-
uzierung des Eingliederungstitels um 18 Prozent
egenüber dem Jahr 2003 vor. Bei genauerer Betrach-
ung fällt zwar auf, dass es auch zu Verschiebungen in-
erhalb der einzelnen Haushaltstitel gekommen ist, die
iese absolute Kürzung teilweise kompensieren, sodass
m Ende ein Minus von 12 Prozent zu Buche schlägt.
nsgesamt stehen jedoch für Maßnahmen der aktiven Ar-
eitsmarktpolitik im kommenden Jahr 1,4 Milliarden
uro weniger zur Verfügung.
Ich möchte an dieser Stelle deutlich machen, dass
ündnis 90/Die Grünen diese Schwerpunktsetzung der
8172 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004
(A) )
(B) )
BA skeptisch betrachten. Gerade die geplanten Kürzun-
gen von Leistungen für Berufsrückkehrerinnen und äl-
tere Arbeitnehmer sowie ein Zusammenstreichen des
JUMP-Programms werfen Fragen auf. An die Stelle des
Zusammenstreichens von Haushaltstiteln setzten wir
eine Geschäftspolitik, die sinnvolle Strukturen effi-
zienter und gerne auch schlanker macht, aber in ihrer
Substanz erhält.
Als behindertenpolitischer Sprecher meiner Fraktion
beobachte ich besonders aufmerksam, wie die Ge-
schäftspolitik der Bundesagentur für Menschen mit Be-
hinderungen in den letzten Monaten geändert wurde. Ich
möchte hier nur ein paar Beispiele nennen: In einem
Weisungspapier der BA an die Landesarbeitsämter wur-
den diese angewiesen, durch eine ganze Reihe von Maß-
nahmen die Ausgaben für Berufsbildungswerke zu drü-
cken. Da sollen nun alle Berufsbildungswerke auf einen
Durchschnittskostenwert gedrückt werden, ungeachtet
ihrer spezifischen Ausstattung, ihrer individuellen Ange-
botsstruktur und ihrer Leistungsfähigkeit. Diese Anwei-
sung verkennt, dass Berufsbildungswerken eine ent-
scheidende Rolle bei der Eingliederung benachteiligter
Jugendlicher in das Erwerbsleben zukommt. Für viele
Jugendliche ist eine individuelle Förderung in diesen
Einrichtungen die einzige Möglichkeit, den Einstieg in
den ersten Arbeitsmarkt und den dauerhaften Ausstieg
aus der Sozialhilfe zu schaffen.
Hinzu kommt die neue Ausschreibungspraxis: Seit
Sommer 2003 werden Leistungen der aktiven Arbeits-
marktpolitik von der Bundesanstalt für Arbeit zentral in
ihren Leistungsmerkmalen definiert und zur Aus-
schreibung freigegeben. Dazu gehören im Moment Trai-
ningsmaßnahmen, Vermittlungsleistungen nach § 37 a
SGB III und berufsvorbereitende Maßnahmen. In den
nächsten Ausschreibungsrunden sollen alle weiteren In-
strumente zu diesem Katalog hinzukommen. Langfristig
ist vorgesehen, dass 75 Prozent aller Maßnahmen in ih-
ren Leistungscharakteristika von der Zentrale vorgege-
ben werden und dann auf Ebene der Landesarbeitsämter
bzw. der neuen Regionaldirektionen ausgeschrieben
werden. Nur noch 25 Prozent der Leistungen sollen auch
in ihrem spezifischen Zuschnitt in der Verantwortung der
örtlichen Arbeitsagenturen bleiben.
Diese Praxis verkennt völlig die Bedeutung gewach-
sener Strukturen: Gerade für die Integration von schwer
vermittelbaren Menschen mit Behinderungen ist das Zu-
sammenwirken der Akteure vor Ort unerlässlich, um
erfolgreich zu sein. In der Vergangenheit konnten be-
hinderte Jugendliche nur deswegen in den ersten Ar-
beitsmarkt integriert werden, weil engagierte Mitarbeiter
der Berufsförderungswerke vor Ort langjährige Verbin-
dungen mit den lokalen Betrieben und Handwerkskam-
mern aufgebaut haben und sich persönlich für die Ein-
stellung ihrer Absolventen eingesetzt haben.
Es ist überhaupt nicht verständlich, dass nun solche
berufsvorbereitenden Maßnahmen nach den Grundsät-
zen des deutschen Vergaberechts bundesweit ausge-
schrieben werden sollen und dass sich die Vergabe nur
noch nach dem günstigsten Angebot richten soll. Hier
werden funktionierende Strukturen dem kurzfristigen
K
f
b
J
d
A
G
M
u
c
e
b
h
d
t
u
T
K
n
e
W
a
S
l
s
A
m
e
s
d
t
l
w
l
n
d
m
A
v
d
z
j
g
v
d
r
s
s
n
–
d
n
r
S
(C
(D
ostendiktat geopfert, und zwar mit gravierenden lang-
ristigen Folgen, deren Kosten zurzeit überhaupt nicht
eachtet werden. Davon betroffen sind behinderte
ugendliche mit Lern- oder Körperbehinderungen, für
ie ohnehin kaum Chancen auf dem Ausbildungs- und
rbeitsmarkt bestehen. Wir können eine solche
eschäftspolitik nicht mittragen, mit der diese jungen
enschen von der Schulbank in die Perspektivlosigkeit
nd in den Sozialhilfebezug entlassen werden. Erfolgrei-
hes, ganzheitliches Profiling, Fallmanagement und eine
rfolgreiche Vermittlung brauchen örtliche Bezüge, ins-
esondere bei Arbeitslosen mit multiplen Vermittlungs-
emmnissen.
Diese Ausschreibungspraxis der BA widerspricht klar
em durch die rot-grüne Koalition im SGB II formulier-
en Anliegen, die vorhandenen Strukturen zu erhalten
nd im Interesse der Arbeitslosen zu nutzen. Es sind die
räger vor Ort, die das größte Know-how und die besten
ontakte haben, gerade weil sie lokal arbeiten und regio-
al vernetzt sind. Wir haben uns von Anfang an dafür
ingesetzt, bestehende Strukturen nicht zu zerschlagen.
ir brauchen deren Erfahrung, um die neuen Jobcenter
ufbauen und erfolgreich betreiben zu können. Hätten
ie, Herr Niebel, einen ernst zu nehmenden Antrag stel-
en wollen, hätten Sie diese Probleme aufgegriffen, an-
tatt einem kläglichen Populismus mit Schlagworten wie
rbeitslosenindustrie zu frönen.
Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
inister für Wirtschaft und Arbeit: Wir beraten hier über
inen Antrag der FDP-Fraktion, der im Dezember 2003
ehr kurzfristig in die Tagesordnung aufgenommen wor-
en war. Dieser Antrag stammt, wie Sie alle der Bundes-
agsdrucksache entnehmen können, vom 2. April des
etzten Jahres.
Der Zeitpunkt der Wiederbelebung dieses Antrags
ar übrigens nicht zufällig. Im Dezember war der dama-
ige Vorstandsvorsitzende der Bundesanstalt wegen ei-
es Beratervertrages mit der Firma WMP im Zentrum
er öffentlichen Kritik. Die FDP nahm dies als willkom-
enen Anlass, sich mit der Auferweckung dieses Uralt-
ntrages sozusagen in den Windschatten zu setzen und
ersucht von da aus einmal mehr, Sand in das Getriebe
er Reformbemühungen der Bundesagentur für Arbeit
u streuen. Das ist ja nichts Neues.
Dieses Mal hat sie die Selbstverwaltung als Zielob-
ekt entdeckt und versucht, völlig grundlos Misstrauen
egen das seit Jahrzehnten bewährte System der Selbst-
erwaltung aufzubauen. Und da der FDP die Vertreter
er Gewerkschaften schon immer ein Dorn im Auge wa-
en, will sie Frau Engelen-Kefer gleichsam im Hand-
treich als Mitglied der Selbstverwaltung abberufen wis-
en. Das ist einfach lächerlich und das nimmt hier auch
iemand ernst.
Aber wenigstens scheint die FDP von ihrer bisherigen
meines Erachtens im Übrigen absurden – Forderung,
ie Bundesanstalt für Arbeit aufzulösen, Abstand ge-
ommen zu haben. Anders kann ich es mir nicht erklä-
en, dass sie zukünftig eine grundlegende Reform der
elbstverwaltungsstrukturen in Angriff nehmen will.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004 8173
(A) )
(B) )
Mit diesem Antrag hat sich die FDP selbst ein Ar-
mutszeugnis ausgestellt. Die einzig richtige Handlung
wäre gewesen, diesen Antrag zurückzuziehen oder ihn
dort zu belassen, wo er sich anscheinend vorher befun-
den hat, nämlich in der Versenkung.
Ich will nur kurz auf die bestehenden Forderungen
eingehen.
Die von Ihnen angesprochene Vorschrift § 16 Zehntes
Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ist in ihrer jetzigen
Form ausreichend. Diese Regelung schließt ausdrücklich
und ausnahmslos Personen vom Tätigwerden in einem
Verwaltungsverfahren aus, bei dem die Beteiligten
– zum Beispiel ein Antragsteller oder ein Geforderter –
gegen Entgelt beschäftigt sind oder bei ihm als Mitglied
des Vorstands, Aufsichtsrats oder eines gleichartigen Or-
gans tätig sind.
Bereits im März 2002 hat die Bundesanstalt einen
entsprechenden Runderlass zum Abstimmungsverhalten
von Mitgliedern der Selbstverwaltung herausgegeben,
um dort ein besonderes Bewusstsein für dieses wichtige
Thema zu schaffen. Doch dabei ist die Bundesanstalt
nicht stehen geblieben. Der Bundesanstalt war bewusst,
dass auch schon im Rahmen von Beratungen und Ge-
sprächen ein Interessenkonflikt entstehen oder auch nur
der Anschein eines solchen Konflikts erweckt werden
kann, was sich wiederum negativ auf das Ansehen der
Bundesanstalt auswirken könnte. Um in diesem sensi-
blen Bereich das Ansehen der Bundesanstalt und der
Mitglieder der Selbstverwaltung zu stärken, hat der
Verwaltungsrat Ende Juni dieses Jahres eine Art „Ehren-
kodex“ beschlossen. Darin wird den Selbstverwaltungs-
mitgliedern nahe gelegt, die Gefahr möglicher Interes-
senkonflikte und die möglichen Ansehensverluste der
Bundesanstalt – wie sie insbesondere durch die parallele
Mitgliedschaft in der Selbstverwaltung und in externen
Gremien entstehen können – stärker als bisher zu ge-
wichten. Nach individueller Prüfling des Einzelfalls ist
auch die Beendigung der Mitarbeit in einem externen
Gremium in Betracht zu ziehen. Eine Verpflichtung zur
Beendigung der Mitarbeit in entsprechenden Gremien ist
allerdings aus dem Grund nicht ausgesprochen worden,
da die strikte Beachtung des § 16 SGB X grundsätzlich
für ausreichend erachtet wurde.
Den Verwaltungsausschüssen der damaligen Landes-
arbeitsämter und Arbeitsämter hat der Verwaltungsrat im
Übrigen empfohlen, entsprechende Beschlüsse zu fas-
sen.
So viel zu den im Antrag aufgestellten Forderungen.
Sie entbehren also jeglicher Grundlage.
Aber das ist noch nicht alles. Besonders beschämend
ist, dass die Mitglieder der FDP überhaupt nicht am Re-
formprozess der Bundesagentur interessiert sind. Wäre
dies anders, wäre ihnen nämlich aufgefallen, dass bereits
im letzten Jahr die Aufgaben des Verwaltungsrates auf
reine Kontrollaufgaben ausgerichtet worden sind. Auch
und schon aus diesem Grund geht der Antrag ins Leere.
Die ihm eingeräumte Kontrolltätigkeit nimmt der
Verwaltungsrat auch aktiv wahr. Das konnten wir gerade
bei den Ereignissen in den letzten Tagen und Wochen
s
d
m
d
B
d
a
d
S
ü
b
d
t
l
r
u
s
m
B
k
g
A
i
s
L
B
w
m
a
A
M
m
m
T
s
k
h
R
F
e
(C
(D
ehr gut beobachten. Die Selbstverwaltung bei der Bun-
esagentur für Arbeit hat sich dabei in sicherlich proble-
atischen Situationen bewährt und ist ihrer neuen Rolle
urchaus gerecht geworden.
Ebenfalls entgangen ist der FDP-Fraktion, dass die
undesregierung die neue Rolle der Selbstverwaltung
urch das Dritte Gesetz für moderne Dienstleistungen
m Arbeitsmarkt fortgeschrieben hat. Die auf der Ebene
es Verwaltungsrates begonnene Neustrukturierung der
elbstverwaltung ist konsequent auf die untere Ebene
bertragen worden. Die örtlichen Verwaltungsausschüsse
ei den Agenturen für Arbeit können nicht mehr – wie
as früher der Fall war – über Mittel des Eingliederungs-
itels oder der freien Förderung entscheiden. Sie kontrol-
ieren nur noch die Entscheidungen der Geschäftsfüh-
ung. Und dazu sind sie auch mit stärkeren Informations-
nd Beratungsrechten ausgestattet worden.
Damit existieren die von Ihnen so überzogen darge-
tellten Interessenüberschneidungen überhaupt nicht
ehr.
Meine Rede beenden möchte ich mit einem kleinen
eispiel aus der Praxis: Seit Anfang dieses Jahres ist be-
anntlich der Verwaltungsrat für die Berufung der Mit-
lieder der örtlichen Verwaltungsausschüsse zuständig.
uf der Sitzung des Verwaltungsrates am letzten Freitag
st die Berufung einer Person in einen Verwaltungsaus-
chuss abgelehnt worden. Der Grund: Diese Person war
eiter eines örtlichen Bildungsträgers. An diesem
eispiel wird einmal mehr deutlich, dass die Selbstver-
altung ihrer neuen Rolle gerecht wird und dass die Ver-
eidung von Interessenkonflikten innerhalb der Bundes-
gentur ernst genommen wird.
nlage 7
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Anträge:
– Früherkennung, Behandlung und Pflege bei
Demenz verbessern
– Demenz früh erkennen und behandeln – für
eine Vernetzung von Strukturen, die Intensi-
vierung von Forschung und Unterstützung
von Projekten
(Tagesordnungspunkt 14 a und b)
Verena Butalikakis (CDU/CSU): 1,2 Millionen
enschen mit einer demenziellen Erkrankung und die
itbetroffenen Familien erwarten zu Recht Hilfe. Umso
ehr bedaure ich, dass ich angesichts dieser ernsthaften
hematik zunächst gezwungen bin, gleich zu Beginn fal-
che Behauptungen, die von der rot-grünen Regierungs-
oalition hinsichtlich des Zeitablaufs in Bezug auf die
eute zu behandelnden Anträge immer wieder in den
aum gestellt werden, zu widerlegen.
Die Wahrheit ist, dass die SPD-Fraktion den von der
DP eingebrachten Antrag mit dem Schwerpunkt „Früh-
rkennung und Behandlung“ bei der 1. Beratung im
8174 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004
(A) )
(B) )
Februar 2003 abgelehnt hat. Bündnis 90/Die Grünen ha-
ben Beratungsbedarf angekündigt und die CDU/CSU hat
bei grundsätzlicher Zustimmung Änderungen und Er-
gänzungen angemeldet.
Zur abschließenden Beratung im Ausschuss für Ge-
sundheit und soziale Sicherung – nach der Anhörung im
Mai am 4. Juni 2003 – legte die CDU/CSU-Fraktion den
angekündigten fundierten Änderungsantrag vor. Jetzt
wäre eine interfraktionelle Einigung möglich gewesen.
Aber die rot-grüne Regierungskoalition erklärte deut-
lich, dass sie bei einer Abstimmung auch den verbesser-
ten Antrag ablehnen werde und schlug vor, den Entwurf
für einen interfraktionellen Antrag zu erarbeiten. Die
Abstimmung wurde daraufhin ausgesetzt.
Nach 5 Monaten, am 5. November 2003, und nach
mehreren Nachfragen vonseiten der Opposition, ging
dann der Antragsentwurf per E-Mail ein. In der CDU/
CSU-Arbeitsgruppe Gesundheit und Soziales wurde der
Antrag sofort in den nächsten beiden Sitzungen am
11. November und abschließend am 25. November be-
handelt. Seit Anfang Dezember war der rot-grünen Re-
gierungskoalition bekannt, dass wir – wie im Übrigen
auch die FDP-Fraktion – den Antrag angesichts grundle-
gender Unterschiede in entscheidenden Fragen die rot-
grüne Vorlage ablehnen und einen eigenen Antrag zur
Verdeutlichung der Unterschiede einbringen werden.
Das ist dann auch auf dem normalen parlamentarischen
Weg geschehen.
Die von mir dargestellten Zeitabläufe – auch die fünf
Monate Verzögerung durch die Regierungskoalition –
sind belegbar, weiteres Lügen in diesem Zusammenhang
somit obsolet. Die betroffenen Menschen interessiert
dieses von rot-grün angezettelte Ablenkungsmanöver
natürlich überhaupt nicht, denn für sie kommt es auf
schnelles Handeln und vor allem auf die Inhalte an.
Die heute zur Beratung anstehenden Anträge greifen
auf den ersten Blick gleichartige Punkte auf. Der Kol-
lege Parr hatte ja schon darauf hingewiesen, dass sie
weit über den Schwerpunkt im FDP-Antrag hinausge-
hen.
Diese Gleichartigkeit der Punkte ist nicht überra-
schend, denn die Anregungen und Forderungen von
Experten verschiedener Disziplinen und von Betroffe-
nenvertretern sind nicht neu. Spätestens als die Sachver-
ständigenkommission im April 2002 ihren 4. Alten-
bericht zum Thema „Risiken, Lebensqualität und
Versorgung Hochaltriger – unter besonderer Berücksich-
tigung demenzieller Erkrankungen“ vorlegte, waren alle
Mängel bei der Erkennung und Versorgung von De-
menzkrankheiten zusammengefasst dokumentiert und
alle Handlungserfordernisse konkret benannt.
Auf den zweiten Blick wird somit offenbar, dass der
Antrag der rot-grünen Regierungskoalition eine schal-
lende Ohrfeige für die rot-grüne Bundesregierung, ins-
besondere für die zuständige Ministerin, ist, denn er do-
kumentiert bei der Feststellung der Ist-Situation, dass in
den letzten zwei Jahren offensichtlich nichts passiert ist.
Das beklagen wir als Opposition seit langem. Das kriti-
sieren Ärzte, Selbsthilfegruppen, Pflegekräfte und Ex-
p
h
e
P
d
g
u
w
d
P
B
U
d
s
E
s
3
t
d
U
v
K
m
F
v
l
n
d
d
b
r
S
M
s
D
g
w
m
a
d
n
f
s
F
b
k
i
–
T
S
h
s
F
l
m
l
(C
(D
erten. Für die Betroffenen ist die durch Handlungsunfä-
igkeit verlorene Zeit eine Katastrophe.
Wie richtig es war, dass die CDU/CSU-Fraktion ihren
igenen Antrag „Früherkennung, Behandlung und
flege bei Demenz verbessern“ eingebracht hat, wird auf
en dritten Blick – bei differenzierter Betrachtung – end-
ültig deutlich, wenn es um die Art und Weise geht, wer
nd wie konkret zum Handeln aufgefordert wird. Hier
ill ich zunächst drei thematische Schwerpunkte beson-
ers herausgreifen:
Erstens. Die Erweiterung des verrichtungsbezogenen
flegebegriffs um den Hilfebedarf für die allgemeine
eaufsichtigung und Betreuung in zeitlich begrenztem
mfang. Bundesministerin Ulla Schmidt hatte – wie von
er durch die Regierung eingesetzten Rürup-Kommis-
ion gefordert – in den im Oktober 2003 vorgestellten
ckpunkten zur Reform der Pflegeversicherung für die-
en Hilfebedarf einen pauschalen Zeitzuschlag von
0 Minuten geplant. In der von der CDU/CSU beantrag-
en Aktuellen Stunde am vorletzten Freitag „Zur Zukunft
er Pflegeversicherung“ versicherten sowohl Ministerin
lla Schmidt wie mehrere Abgeordnete der SPD und
on Bündnis 90/Die Grünen, dass trotz Machtwort des
anzlers noch in diesem Jahr Verbesserungen für De-
enzerkrankte kommen werden. Meine Frage, wie die
inanzierung bei der desolaten Kassenlage der Pflege-
ersicherung ohne grundlegende Reform, die der Kanz-
er ja verboten hatte, gesichert werden soll, wurde aber
icht beantwortet. In dem heute zu beratenden Antrag
er Regierungskoalition vom 16. Januar 2004 – also vor
em „Kanzlermachtwort“ – heißt es: „bedarf der Pflege-
egriff … mittelfristig einer Überarbeitung und Erweite-
ung.“ Das Chaos dieser Aussagen bestätigt aus meiner
icht die Unredlichkeit.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hatte bereits im
ärz 2001 mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Verbes-
erung der Leistungen in der Pflege die Versorgung von
emenzkranken durch zusätzliche 30 Minuten beim all-
emeinen Hilfe- und Betreuungsaufwand verbessern
ollen. Die rot-grüne Regierungskoalition hatte dies da-
als mit Hinweis auf den fehlenden Finanzspielraum
bgelehnt. Heute fordern wir in unserem Antrag wie-
erum diese Leistungsverbesserung für Demenzkranke,
icht „mittelfristig“ sondern unmittelbar; und genauso
ordern wir auch die notwendige Reform der Pflegever-
icherung ein.
Zweitens. Die Früherkennung und Behandlung im
rühstadium von Demenz. Demenzerkrankungen sind
isher zwar noch nicht heilbar, aber der Verlauf der Er-
rankung kann – wie Studien belegen – bei Erkennung
m frühen Stadium durch eine gezielte medikamentöse
so genannte Antidementiva – und nichtmedikamentöse
herapie – aktivierende Hilfe – verzögert werden. Die
achverständigenkommission zum 4. Altenbericht stellt
ierzu fest, dass es gerade gegenüber der Grundlagenfor-
chung erhebliche Defizite in der anwendungsbezogenen
orschung gibt. Ebenso müssen Erkenntnisse der Grund-
agenforschung stärker in praxisbezogene Behandlungs-
aßnahmen umgesetzt werden. Der dringende Hand-
ungsbedarf in diesem Bereich wird durch zwei
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004 8175
(A) )
(B) )
statistische Zahlen belegt: Erkannt werden nach Exper-
tenschätzungen derzeit nur circa 50 Prozent der De-
menzerkrankungen in einem frühen Stadium, beim Ein-
setzen einer effizienten Medikation im Frühstadium wird
der Krankheitsverlauf um etwa ein Jahr verzögert.
Entsprechend der dargelegten Handlungsnotwendig-
keit fordern wir in unserem Antrag, verstärkt For-
schungsvorhaben zu initiieren und Früherkennungs- und
Frühbehandlungskonzepte zu entwickeln und zu fördern.
Im Antrag der rot-grünen Regierungskoalition findet
sich zu der gesamten Thematik dagegen der lapidare
Satz: „Die bereits ergriffenen Initiativen … sind zügig
weiterzuführen.“ Eine konkrete Aufforderung direkt an
die Bundesregierung zum Handeln findet sich dagegen
in diesem Antrag nur an einer Stelle – und damit sind wir
beim dritten thematischen Schwerpunkt, den ich geson-
dert herausstellen möchte.
Drittens. Die wohnortnahen Beratungs- und Versor-
gungsangebote.
Die Wichtigkeit einer vielfältigen Struktur dieser
Hilfeangebote vor Ort sowohl für die Erkrankten als
auch besonders für die pflegenden Angehörigen ist un-
umstritten. Im rot-grünen Antrag wird die Bundesregie-
rung aufgefordert, darauf hinzuwirken, dass Länder und
Kommunen ihrer Verantwortung nachkommen und die
Angebote ausbauen. Den schwarzen Peter direkt den
Ländern und Kommunen zuzuschieben, bringt uns ange-
sichts ihrer bekanntermaßen kastastrophalen Finanzlage
keinen Schritt weiter.
Der Hinweis auf das Pflegeleistungs-Ergänzungsge-
setz, durch das die Kommunen finanziell stärker unter-
stützt werden sollen, unterstreicht die Unredlichkeit der
Regierungskoalition an diesem Punkt. „20 Millionen
Euro stehen ab 1. Januar 2002 für die Weiterentwicklung
der Versorgungsstrukturen und Versorgungskonzepte zu-
sätzlich zur Verfügung, lautete damals die Ankündigung.
Die Wirklichkeit sieht anders aus.
Während die Länder und Kommunen aus ihren leeren
Kassen zusätzlich 10 Millionen Euro bereitstellen sollen,
damit im Rahmen der paritätischen Finanzierung die
10 Millionen Euro der Pflegekassen eingebracht werden,
strich das zuständige Ministerium genau in diesem Be-
reich in den Haushaltsjahren 2002 bis 2004 insgesamt
9 Millionen Euro, wie ein Blick in den Bundeshaushalts-
plan bei Kapitel 15 02, Titel 684 11 und 893 11 beweist.
Das ist rot-grüne Politik: Der Bund stiehlt sich aus der
Verantwortung und spart; die Länder und Kommunen
sollen zahlen. Für die CDU/CSU-Fraktion ist der weitere
Ausbau der wohnortnahen Angebotsstruktur verbunden
mit der Forderung nach einer fairen Finanzierung unter
Beteiligung des Bundes. So steht es in unserem Antrag.
Mit unserem Antrag fordern wir die Bundesregierung
auf, endlich umgehend Maßnahmen zu ergreifen, um die
Früherkennung, Forschung, Prävention und Pflege im
Bereich der Demenzerkrankungen voranzutreiben; denn
für die im Antrag der Fraktionen von SPD und Grünen
vorgebrachten Lobeshymnen auf die bereits erfolgten so
g
r
M
f
u
r
d
s
o
t
s
g
s
w
T
a
l
s
o
A
i
b
S
s
k
l
s
g
I
d
k
k
g
b
v
s
8
d
g
r
u
w
D
d
H
z
z
l
n
d
e
(C
(D
enannten Anstrengungen und Initiativen der Regie-
ungskoalition ist wirklich keine Zeit mehr.
Hilde Mattheis (SPD): Niemand bezweifelt, dass
enschen, die an Demenz erkrankt sind, besonderer Hil-
en bedürfen. Niemand bezweifelt, dass die Betreuung
nd Versorgung eine besondere gesellschaftliche He-
ausforderung ist. Und niemand bezweifelt, dass wir uns
ieser Herausforderung in Zukunft verstärkt stellen müs-
en.
Jeder von uns, der in seiner Familie, im Freundes-
der Bekanntenkreis Menschen begleitet hat oder beglei-
et, die sich immer weiter von der Person entfernen, die
ie einmal waren, kann dies in besonderer Weise bestäti-
en. Der gesamte Tag wird bestimmt von den Bedürfnis-
en dieser Pflegebedürftigen, der Tag läuft nicht so ab,
ie wir, die wir nicht an Demenz erkrankt sind, uns den
ag einteilen.
Der Prozess ist oft schleichend. Was für Angehörige
nfangs aussehen mag wie eine leichte Altersvergess-
ichkeit kann sich rasant verschlimmern. Demente unter-
cheiden dann oft nicht zwischen Tag und Nacht, haben
ft einen starken Bewegungsdrang, kennen die nächsten
ngehörigen nicht mehr, wollen nach Hause, obwohl sie
n der Wohnung sind, in der sie seit 30 oder 40 Jahren le-
en. Beim Anziehen „vergessen“ sie, was sie mit dem
trumpf, der in ihrer Hand ist, tun wollten. Selbstver-
tändlichkeiten werden zu unüberbrückbaren Schwierig-
eiten – eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung ist erforder-
ich.
Demente können nicht mehr selbstständig am gesell-
chaftlichen Leben teilnehmen. Auch ihre Angehörigen
eraten durch den ständigen Betreuungsbedarf in soziale
solation. Oft ist die extreme Belastung so groß, dass nur
ie stationäre Betreuung übrigbleibt, und oft gibt es gar
eine nahen Angehörigen, die die Pflege übernehmen
önnten.
Unser medizinischer Fortschritt macht ein immer län-
eres Leben möglich. Lag vor hundert Jahren die Le-
enserwartung bei nur 46 Jahren, werden wir heute sehr
iel älter. 2050 wird die Lebenserwartung um weitere
ieben Jahre steigen, das heißt Frauen werden im Schnitt
7 Jahre, Männer 82 Jahre alt.
Mit der steigende Zahl der Hochbetagten steigt auch
ie Zahl der Demenzerkrankten. Bei den über 80-Jähri-
en ist heute jeder fünfte betroffen, bei den über 90-Jäh-
igen jeder dritte. Bis zum Jahr 2020 wird ihre Zahl von
nter 1 Million auf über 1,2 Millionen Menschen an-
achsen, die an Demenz leiden. Sie werden zu zwei
ritteln von ihren Angehörigen versorgt. Sie leben aller-
ings mit zunehmendem Alter häufig allein in ihrem
aushalt. Von den 70- bis 75-Jährigen sind es 31,8 Pro-
ent, von den 75- bis 80-Jährigen sind es bereits 46 Pro-
ent. Und 60,1 Prozent der über 80-Jährigen wohnen al-
ein, meist unter ungünstigen Wohnbedingungen, die
icht flexibel genug sind, um dem Hilfe- und Pflegebe-
arf entsprechend umgestaltet zu werden.
Diese demografische Entwicklung beinhaltet also
ine große gesellschaftliche Herausforderung. Wir
8176 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004
(A) )
(B) )
müssen entscheiden, wie wir mit den älteren und hoch-
betagten Menschen in unserer Gesellschaft umgehen,
welche Unterstützung, Beratung und Angebote wir bie-
ten, um das Leben in der dritten Lebensphase so zu ge-
stalten, dass ein selbstbestimmtes, menschenwürdiges
Leben innerhalb und nicht nur am Rand der Gesellschaft
möglich ist.
Die Herausforderungen sind nicht nur erkannt, es sind
bereits wichtige Schritte unternommen worden. Ich
nenne zum Beispiel das Pflegeleistungs-Ergänzungsge-
setz und das Gesetz über die Berufe in der Altenpflege,
die unter der Regierung von Rot-Grün auf den Weg ge-
bracht wurden.
Trotzdem besteht weiterer Verbesserungsbedarf.
Diese Einsicht besteht parteiübergreifend. Denn, das
sollte damit auch klar sein, das Thema eignet sich nicht
für parteipolitische Spielchen. Dafür ist die Situation der
Menschen, die von Demenz betroffen sind, zu ernst.
Wem es bei dem Thema allein auf eine Schlagzeile an-
kommt oder wer durch Tricksereien den Eindruck ver-
mitteln möchte, allein nur die Problematik zu sehen,
handelt unseriös. Vor ungefähr einem Jahr gab es bereits
eine Debatte zu diesem Thema in diesem Hohen Haus.
Dabei wurde von allen Parteien die Wichtigkeit des
Themas bekundet. Es wurde vereinbart, interfraktionell
an dem Thema weiter zu arbeiten. Wir, SPD und Bünd-
nis 90/Die Grünen, sollten einen ersten Antragsentwurf
vorlegen. Das haben wir gemacht. Schon im letzten Jahr
lag der Entwurf vor. Die FDP hat sich sofort ausgeklinkt,
die Berichterstatterin der CDU signalisierte zunächst
ihre Bereitschaft, Änderungsvorschläge zu unterbreiten.
Dann entschloss sich die CDU, einen eigenen Antrag
vorzulegen. Wenn jetzt platt behauptet wird, wir hätten
den Antrag von der CDU „abgeschrieben“, entspricht
das weder dem tatsächlichen Ablauf, noch ist eine solche
Behauptung der Ernsthaftigkeit der Sache angemessen.
Ich halte fest: Der Entwurf der Regierungskoalition war
der Opposition lange bekannt.
Welches sind jetzt die zentralen Forderungen unseres
Antrags, des Koalitionsantrags, und welche Forderungen
erhebt die CDU?
Im Großen und Ganzen schließt sich die CDU dem
an, was meine Kollegin von Bündnis 90/Die Grünen und
ich vorgearbeitet hatten: Wir sind uns einig: In Sachen
Forschung, Prävention und Unterstützung der Angehöri-
gen brauchen wir Verbesserungen. In diesen Bereichen
muss mehr getan werden. Wir sind uns einig, dass die
bereits ergriffenen Initiativen zur Verbesserung der
Früherkennung und Therapie von Demenzerkrankungen
zügig weiterzuführen sind. In die Aus-, Fort- und Wei-
terbildung der Ärztinnen und Ärzte, Therapeutinnen und
Therapeuten und Pflegekräfte sollten demenzbezogene
Pflichtbausteine aufgenommen werden. Wir sind uns ei-
nig, dass kostenträgerübergreifende finanzielle Anreiz-
strukturen geschaffen werden, um Prävention und Reha-
bilitation zu fördern. Die Bevölkerung muss mithilfe von
Aufklärungskampagnen mehr Informationen über das
Krankheitsbild erhalten. Neben der Aufklärung muss die
Enttabuisierung der Demenzkrankheiten im Mittelpunkt
stehen. Wir sind uns einig, dass für pflegende Angehö-
r
s
W
h
u
e
K
c
g
s
c
b
W
B
A
m
g
E
t
M
t
d
z
e
d
b
l
u
A
b
c
b
t
g
w
e
d
c
g
d
p
b
M
d
D
f
D
t
c
m
c
t
b
d
(C
(D
ige demenzkranker Menschen Informations-, Supervi-
ions- und Ausbildungsangebote bereitstehen müssen.
ir sind uns einig, dass Familien und pflegende Ange-
örige eines Netzes abgestufter, bedürfnisorientierter
nd gemeindenaher Hilfen und Versorgungsangebote
inschließlich niedrigschwelliger Angebote bedürfen.
Sie brauchen Tages- und Nachtpflegeeinrichtungen,
urzzeitpflegeangebote und unterstützende ehrenamtli-
he Hilfe. Selbsthilfeorganisationen müssen vor Ort ein-
erichtet und bekannt gemacht werden.
Als Alternative zum traditionellen Wohnen im Heim
ind in der Pflegeversicherung und in den heimrechtli-
hen Vorschriften – hier insbesondere der Heimmindest-
auverordnung – neue Wohnformen wie zum Beispiel
ohn- oder Hausgemeinschaften zu fördern.
Wir wissen, Länder und Kommunen müssen mit ins
oot, müssen ihrer Verantwortung nachkommen und die
ngebote, die den Verbleib im häuslichen Umfeld er-
öglichen, ausbauen. Das geht nicht ohne Geld, das
eht nicht von heute auf morgen, aber alle politischen
benen müssen auch wissen: Stationäre Angebote sind
eurer und für die Menschen immer nur die zweitbeste
öglichkeit.
Wir fordern darüber hinaus – und sind bei den Punk-
en, die ich schon genannt habe, auch präziser –, die von
en einzelnen Bundesministerien geplanten Maßnahmen
ur Verbesserung der Versorgungssituation demenziell
rkrankter Menschen aufeinander abzustimmen und mit
en Bundesländern eine Querschnittsarbeitsgruppe zu
ilden. Die Förderung einer vergleichenden internationa-
en Zusammenarbeit soll die Erstellung von Evaluations-
nd Wirksamkeitsstudien erleichtern und verbessern.
ls Basis für ein qualitätsgesichertes Versorgungsange-
ot müssen bundeseinheitliche Pflegeleitlinien entwi-
kelt werden.
Eine weitere zentrale Forderung ist, dass der Pflege-
egriff in der Pflegeversicherung mittelfristig überarbei-
et und erweitert wird. Das wird im CDU-Antrag auch
efordert. Wir sind darüber hinaus wieder viel genauer,
enn es um weitere Schritte geht. Wir fordern, im Zuge
ines ausführlichen, qualitätsgesicherten Assessments
ie Pflegebedürftigkeit festzustellen und einen verbindli-
hen Hilfe- bzw. Maßnahmenplan festzulegen. Das Be-
utachtungsverfahren muss so weiterentwickelt werden,
ass auch präventive, rehabilitative und aktivierende As-
ekte stärker berücksichtigt werden. Pflegebedürftige
rauchen einen individuell zugeschnittenen Hilfe- bzw.
aßnahmenplan, da sie keine einheitliche Gruppe, son-
ern Individuen mit unterschiedlichen Kompetenzen und
efiziten sind. Daraus ergeben sich unterschiedliche An-
orderungen an Betreuung, Pflege und Therapie. In der
emenzdiagnostik und -behandlung sowie bei der Be-
reuung Demenzkranker ist eine Qualitätskontrolle si-
herzustellen. Die Ergebnisse dieser Qualitätskontrolle
üssen der Öffentlichkeit in leicht verständlicher Spra-
he zugänglich gemacht werden. Die bewertende Institu-
ion sollte auch Beratungsfunktion vor Ort haben. Sofern
estehende Institutionen dies nicht leisten können, ist
er Aufbau neuer Strukturen erforderlich.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004 8177
(A) )
(B) )
Wir wollen auf die Situation der jeweiligen Einrich-
tung und ihrer Bewohner bezogene Instrumente zur Per-
sonalbemessung flexibel gestalten. Außerdem sind wir
uns einig, dass die Gesetze zur Reform der Alten- und
Krankenpflegeausbildung so umgesetzt werden müssen,
dass die besonderen Belange Demenzkranker in der
Aus- und Weiterbildung berücksichtigt werden. Kennt-
nisse, Zusatzqualifikationen oder Spezialisierungen in
den Bereichen Prävention, Rehabilitation und Palliativ-
pflege sind notwendig. In Aus- und Weiterbildung sollen
insbesondere solche Pflegekonzepte vermittelt werden,
die die Möglichkeit der aktiven Teilhabe am täglichen
Leben eröffnen.
In diesen Dingen sind wir uns also größtenteils einig.
Warum, fragt sich also der vernunftbegabte Mensch, wa-
rum nur macht die CDU einen eigenen Antrag? Wenn
das Thema nicht so bitterernst wäre, könnte man hier sa-
gen, dass der CDU-Antrag zur Förderung der Demenz-
kranken eine Betroffeneninitiative ist. Die CDU zeigt
nämlich erstaunliche Gedächtnislücken, was ihre frühere
Haltung zu Initiativen zur Verbesserung der Lebenssitua-
tion von Demenzkranken betrifft. Auf alle Fälle ist die-
ser Antrag der Opposition überflüssig und rein taktisch
motiviert. Wie eingangs erwähnt, ist nach anfänglicher
konstruktiver Mitarbeit die Opposition Ende letzten Jah-
res aus dem Projekt ausgestiegen.
Was unterscheidet nun also die beiden Anträge?
Außer, dass im Antrag sehr unfachlich Demenz mit Alz-
heimer gleichgesetzt wird, geht es auch um medikamen-
töse Behandlungsmaßnahmen. Was sich hinter der gefor-
derten optimalen medikamentösen Behandlung von
Alzheimer im Frühstadium verbirgt, ist dasselbe, was die
FDP forderte, als sie im letzten Jahr die Aufhebung der
Deckelung der Behandlung von Demenzkranken ver-
langt hat: Wertschöpfung auf Kosten der schwächsten
Mitglieder unserer Gesellschaft! Niemand wird generell
gegen die Verabreichung von Medikamenten sein, wenn
sie den Patienten helfen. Das ist selbstverständlich.
Wenn wir hier aber von Cholinesterasehemmern und
Actylcholinesterasehemmern reden, empfehle ich, ein
solches Präparat zu beschaffen und sich den Beipackzet-
tel durchzulesen: Abdominale Beschwerden, Verwirrt-
heit, verstärkter Bewegungsdrang und Gedächtnis-
störungen. Das liest sich, als wollten FDP und CDU vor
allem bei Alzheimerpatienten den Teufel mit dem Belze-
bub austreiben.
Und dabei wissen sie es eigentlich besser: In ihrer
Antwort auf die Große Anfrage der SPD zum Thema
„Lage der Demenzkranken in Deutschland“ hatte die
schwarz-gelbe Bundesregierung 1996 auf die Frage nach
medikamentösen Behandlungsmöglichkeiten Cholin-
esterasehemmer ausdrücklich abgelehnt. Begründung:
„Von einem Teil der Patienten wird das Präparat wegen
Übelkeit und Erbrechen nicht vertragen. Es kann abdo-
minale Beschwerden, Appetitverlust und gelegentliche
vorübergehende Verwirrtheitszustände auslösen. Aus
den bisherigen Untersuchungen geht zudem hervor, dass
es zu Leberfunktionsstörungen führen kann.“ Der thera-
peutische Nutzen für eine kleine Gruppe von Patienten
wird in dieser Antwort nicht bestritten – das tun wir auch
nicht. Wir müssen aber sehr darauf Acht geben, dass De-
m
e
D
T
A
P
V
r
m
m
D
g
t
L
i
i
w
r
B
Z
l
H
r
S
v
A
w
b
w
g
B
l
t
r
A
U
u
u
s
z
k
g
t
A
b
r
g
D
g
a
l
w
v
r
(C
(D
enzkranke nicht zum Spielball einer einseitigen inter-
ssensgeleiteten Politik werden.
Natürlich wollen und werden wir die Situation der
emenzkranken verbessern, wir werden alle Hilfs-, und
herapiemöglichkeiten vorurteilsfrei prüfen. Aber eine
ufhebung der Deckelung ist ein Signal, das kreative
otenziale untergräbt. Wir brauchen eine stärkere
ernetzung der Hilfsangebote, eine Förderung des eh-
enamtlichen Engagements, die Verknüpfung von nicht
edikamentösen und medikamentösen Behandlungsfor-
en, aber wir brauchen keine einseitige Aufhebung der
eckelung, die nur signalisiert, dass hemmungslos zuge-
riffen werden kann.
Demenzkranke brauchen insbesondere soziale Be-
reuung und Ansprache, Annahme in ihrer besonderen
ebenssituation, die nicht durch Sturzhelme, wie auch
m CDU-Antrag gefordert, „aufgefangen“ wird, sondern
nsbesondere durch menschliche Zuwendung geleistet
erden kann. Das ist die gesellschaftliche Herausforde-
ung, vor der wir stehen.
Petra Selg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die
undesregierung weiß, dass angesichts der erwarteten
unahme demenzieller Erkrankungen großer Hand-
ungsbedarf besteht, um unsere Gesellschaft auf diese
erausforderung vorzubereiten. Deshalb ist die Bundes-
egierung bereits heute auf vielen Gebieten aktiv, um die
ituation demenzkranker Menschen in Deutschland zu
erbessern. So beschreibt der 2002 erschienene Vierte
ltenbericht der Bundesregierung die Probleme, denen
ir in Zukunft gegenüberstehen werden bzw. zum Teil
ereits gegenüberstehen. Außerdem zeigt er Wege auf,
ie wir als Gesellschaft mit dieser Herausforderung um-
ehen können.
Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse arbeitet das
MGS an Verbesserungen hinsichtlich der Frühbehand-
ung und Früherkennung von Demenz. In einem ak-
uellen Forschungsprojekt des BMGS wird eine „Ge-
ontopsychiatrische Handreichung für Hausärzte und
llgemeinmediziner“ erarbeitet. Sie soll die Ärzte beim
mgang mit demenzkranken Menschen unterstützen
nd vorhandenes Wissen besser vermitteln.
Weiterhin fördert das Bundesministerium für Bildung
nd Forschung das „Kompetenznetz Demenzen“, in dem
ich 13 universitäre, vor allem psychiatrische Zentren
usammengeschlossen haben. Beteiligt sind auch Kran-
enhäuser, niedergelassene Ärzte, insbesondere All-
emeinmediziner, Industrieunternehmen und Patien-
enorganisationen wie beispielsweise die Deutsche
lzheimer Gesellschaft. Dieses Kompetenznetzwerk ar-
eitet gegenwärtig an Leitlinien für Diagnostik und The-
apie demenzieller Erkrankungen. Ziel ist, die Versor-
ungsqualität bei Demenz deutlich zu verbessern.
iesem Ziel, nämlich der Verbesserung der Versor-
ungsqualität unter anderem bei Demenzkranken, dient
uch die Neuregelung der Altenpflegeausbildung, die
etztes Jahr in Kraft trat.
Für die betroffenen demenzkranken Menschen haben
ir hinsichtlich ihrer Leistungsansprüche in der Pflege-
ersicherung bereits einen ersten Schritt zur Verbesse-
ung der Lage getan. Am 1. Januar 2002 trat das
8178 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004
(A) )
(B) )
Pflegeleistungsergänzungsgesetz in Kraft. Seitdem ste-
hen rund 550 000 Pflegebedürftigen mit erheblichem all-
gemeinen Betreuungsbedarf zusätzlich 225 Millionen
Euro zur Verfügung. Die Neuregelung ermöglicht erst-
mals die finanzielle Förderung zusätzlicher Versorgungs-
angebote und Hilfen für demenzkranke Pflegebedürftige
aus Mitteln der Pflegeversicherung.
Diese Beispiele zeigen, dass wir den Handlungsbe-
darf bei demenziellen Erkrankungen erkannt haben und
bereits heute daran arbeiten, die Situation zu verbessern.
Das kann und darf natürlich nicht heißen, dass wir bei
dem bisher Erreichten stehen bleiben. Im Gegenteil: Wir
werden diese Anstrengungen noch weiter vorantreiben;
denn wir wissen, dass Demenz eine der großen Heraus-
forderungen der Zukunft für unser Gesundheitswesen
sein wird.
Deshalb haben wir hier heute diesen Antrag vorge-
legt. Er beschreibt die Ziele, welche die Bundesregie-
rung beim Umgang mit dem Thema Demenz verfolgt.
Außerdem skizziert der Antrag die Maßnahmen, die wir
Schritt für Schritt ergreifen werden, um der gesellschaft-
lichen Herausforderung durch Demenzerkrankungen ge-
recht zu werden.
Ein zentrales Ziel rot-grüner Politik ist es, die Präven-
tion und Rehabilitation von Pflegebedürftigkeit zu
fördern. Bezogen auf die Demenzerkrankungen heißt
das: Die Krankheit muss möglichst früh erkannt und be-
handelt werden. Außerdem müssen die betroffenen Men-
schen möglichst stark aktiviert werden, um das Fort-
schreiten der Krankheit zu verhindern. Dazu gehört, dass
sie in einem Umfeld wohnen und leben können, in dem
sie ihre verbliebenen Potentziale voll ausschöpfen kön-
nen. In diesem Zusammenhang existieren mittlerweile
zahlreiche viel versprechende Projekte zu neuen Wohn-
formen, die auch von der Bundesregierung gefördert
werden. Jetzt kommt es darauf an, diese Angebote in der
Breite zu entwickeln. Dabei wollen wir den ambulanten
Bereich stärken. Niedrigschwellige Angebote und die
Einbindung von Selbsthilfegruppen sind aus unserer
Sicht unerlässlich, wenn die Versorgungsqualität verbes-
sert werden soll.
Darüber hinaus ist es uns ein großes Anliegen, Ange-
hörige von demenzkranken Menschen zu unterstützen.
Sie werden durch Pflege und Betreuung oft bis an die
Grenzen ihrer physischen und psychischen Belastbarkeit
gefordert. Deshalb ist es wichtig, dass entlastende Ver-
sorgungsangebote wie zum Beispiel Tages- oder Nacht-
pflegeeinrichtungen flächendeckend verfügbar gemacht
werden. Außerdem brauchen wir gerade im Pflegebe-
reich bessere Informations- und Beratungsangebote. Bei
diesen Fragen kann die Bundesregierung jedoch allen-
falls günstige Rahmenbedingungen setzen. Für die kon-
krete Umsetzung sind die Länder bzw. die Kommunen
verantwortlich.
Wichtig ist darüber hinaus, dass der Pflegebegriff in
der Pflegeversicherung erweitert wird. Bisher konzen-
triert sich die Pflegeversicherung auf die Unterstützung
bei körperlichen Verrichtungen, also auf den Ausgleich
von körperlichen Defiziten. Menschen, die nur kontinu-
ierliche Aufsicht oder Anleitung brauchen, werden von
d
b
M
s
te
f
g
L
e
s
c
g
b
r
a
E
s
k
P
d
R
m
d
w
V
d
R
e
w
h
n
P
r
B
d
a
n
s
m
1
u
n
z
d
t
K
e
i
m
A
s
u
g
(C
(D
er Pflegeversicherung nicht ausreichend erfasst. Die
esonderen Bedürfnisse zum Beispiel demenzkranker
enschen werden folglich nicht ausreichend berück-
ichtigt. Das wollen wir ändern.
Deshalb ruhen wir uns nicht auf dem bisher Erreich-
n aus. Bei der bevorstehenden Pflegeversicherungsre-
orm werden wir weitere Schritte unternehmen, um die
enannten Ziele zu erreichen. Wir werden zusätzliche
eistungen unter anderem für Menschen mit Demenz
inführen. Das wird dazu führen, dass circa 60 000 Men-
chen erstmals Leistungen aus der sozialen Pflegeversi-
herung erhalten. Zahlreiche andere werden höher ein-
estuft werden als bisher. Dabei soll es jedoch nicht
leiben. Mittelfristig wollen wir das Einstufungsverfah-
en so verändern, dass der gesamte Unterstützungsbedarf
bgebildet wird. Grundlage eines solchen ganzheitlichen
instufungsverfahrens soll ein erweiterter Pflegebegriff
ein.
Außerdem wollen wir den ambulanten Bereich stär-
en, indem wir die ambulanten Leistungssätze in der
flegeversicherung spürbar anheben. Parallel dazu wer-
en wir überprüfen, inwieweit bestehende gesetzliche
egelungen die Entstehung neuer, innovativer Wohnfor-
en gerade auch für demenzkranke Menschen behin-
ern. Sollte es hier rechtliche Hindernisse geben, dann
erden wir diese beseitigen.
Sie sehen also: Wir arbeiten konsequent weiter an der
erbesserung der Situation demenzkranker Menschen in
iesem Land. Von einem Ende der Reformen kann keine
ede sein. Die Pflegeversicherungsreform wird auch
ine Reform für demenzkranke Menschen sein und sie
ird definitiv in dieser Legislaturperiode kommen. Da-
er appelliere ich an die Opposition: Verweigern Sie sich
icht! Die Menschen in diesem Land brauchen keinen
arteienstreit beim Thema Pflege. Für taktische Spiele-
eien taugt dieses Thema nicht.
Detlef Parr (FDP): Vor über einem Jahr hat die FDP-
undestagsfraktion einen Antrag zum Thema Demenz in
en Bundestag eingebracht. Jetzt endlich haben auch die
nderen Fraktionen erkannt, dass im Sinne der betroffe-
en Erkrankten und Angehörigen dringend eine Verbes-
erung von Früherkennung und Behandlung von De-
enz erreicht werden muss. Besser spät als nie.
In Deutschland leiden schätzungsweise mehr als
,2 Millionen Menschen unter der Alzheimer Krankheit
nd anderen Demenzkrankheiten. Mit steigendem Alter
immt das Erkrankungsrisiko zu. Weltweit sind 5 Pro-
ent der Männer und 6 Prozent der Frauen über 60 davon
irekt betroffen. Über 20 Prozent der Menschen, die äl-
er als 80 Jahre sind, sind allein von der Alzheimer
rankheit betroffen. Die Last für unser Pflegesystem ist
norm. Die Behandlung eines Patienten, der nicht mehr
n der Lage ist, die Alltagsaufgaben zu bewältigen, ist
it großem Aufwand und hohen Kosten verbunden. Die
uswirkungen der Krankheit spüren nicht nur das Ge-
undheitssystem, sondern vor allem auch die Familien
nd Freunde der Betroffenen. Es ist absehbar, dass auf-
rund der bekannten demographischen Entwicklung in
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004 8179
(A) )
(B) )
unserem Land diese Krankheiten eine zunehmende Rolle
in unserer Gesellschaft spielen werden.
Dabei ist man schon heute mit einfach handhabbaren
und für den Patienten nicht belastenden diagnostischen
Werkzeugen in der Lage, normale Leistungseinbußen
des Gehirns von krankhaften Störungen zu unterschei-
den. Insbesondere ist die Früherkennung der Alzheimer
Krankheit heute ambulant mit einer Trefferquote von
über 90 Prozent möglich. Dabei spielen als erste Anlauf-
stelle für Patienten häufig die Hausärzte eine wichtige
Rolle. Sie sind am ehesten in der Lage, bei langjährigen
Patienten auch kleinere Veränderungen wahrzunehmen,
die dann von hierauf spezialisierten Fachärzten auf ihre
Ursachen hin untersucht werden müssen. Diese Früher-
kennung ermöglicht individuell zugeschnittene Maßnah-
men, die für den Patienten einen spürbaren Behand-
lungserfolg bewirken können. In der Frühphase und der
mittleren Phase kann eine kombinierte Behandlung mit
Antidementiva und aktivierenden Maßnahmen im Hin-
blick auf die Hirnleistung, also eine Kombination von
medikamentöser und nicht medikamentöser Behand-
lung, das weitere Fortschreiten der Krankheit deutlich
hinauszögern. Dass dies möglichst gut gelingt, ist nicht
nur für die Familie wichtig, sondern könnte auch unser
Pflegesystem entlasten.
Aber in Deutschland ist in naher Zukunft ein flächen-
deckender Pflegepersonalmangel zu erwarten. Die pfle-
gerische Versorgung der Bürger und Bürgerinnen ist ge-
fährlich infrage gestellt. Personelle Engpässe, steigende
Arbeitsbelastung und abnehmende Eignung der Bewer-
ber werden vorausgesagt.
Die Früherkennung und Frühbehandlung von De-
menzkrankheiten kann helfen, diese Probleme zu ver-
mindern. Wenn die Betroffenen länger in ihren Familien
oder auch allein leben können, ist das mit einem deutli-
chen Zuwachs an Lebensqualität bei gleichzeitiger Re-
duzierung von Pflegekosten verbunden.
Die Demenzfrüherkennung muss optimiert werden,
um den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes die
Möglichkeit zu geben, selbst etwas für ihre Gesunder-
haltung zu tun, über eine frühzeitige Behandlung mög-
lichst lange ein eigenständiges Leben zu führen und die
eigene Lebensqualität zu verbessern.
Die Forderungen der FDP sind klar, präzise und im
Sinne der Demenzkranken und derjenigen, die diese
Krankheit in Zukunft erleiden müssen: Wir brauchen
eine Intensivierung der Versorgungs- und Ursachenfor-
schung auf dem Gebiet der Demenzerkrankung. Bereits
vorhandene Behandlungsansätze müssen weiter unter-
sucht und die Entwicklung von Methoden zur Verhinde-
rung bzw. zum Hinauszögern von Demenzerkrankungen
gefördert werden.
Ein flächendeckendes und qualitätsgesichertes Früh-
erkennungsprogramm muss aufgebaut, etabliert und fi-
nanziert werden. Validierte Früherkennungsuntersu-
chungen vermeiden spätere hohe Kosten. Es ist sinnvoll
für die Kassen, rechtzeitig zu investieren. Wir brauchen
eine Unterstützung und Förderung nicht medikamentö-
ser Behandlungsmaßnahmen für Demenzerkrankte auch
i
m
H
S
W
B
r
u
tr
F
D
ä
K
c
D
D
d
f
b
r
h
w
e
m
d
r
m
R
d
d
s
g
V
k
A
w
t
g
B
l
j
r
r
v
V
l
b
(C
(D
m Frühstadium. Die Rehabilitation für Demenzkranke
it dem Ziel einer Verbesserung des selbstständigen
andelns muss weiterentwickelt werden. Größtmögliche
elbstbestimmung ist ein Kernziel unserer Bemühungen.
ir müssen einen Konsens über einen evidenzbasierten
ehandlungskorridor für eine Diagnosekette zur Siche-
ung einer qualitätsgesicherten Demenzfrüherkennung
nd -behandlung finden.
Eine Verbesserung der Ausbildung im gerontopsychia-
ischen Bereich und die Entwicklung entsprechender
ort- und Weiterbildungsangebote für Hausärzte und auf
emenzdiagnose und -behandlung spezialisierte Fach-
rzte ist dringend geboten. Eine enge Verzahnung und
ooperation zwischen den einzelnen Versorgungsberei-
hen einschließlich der Pflegeeinrichtungen, in denen
emenzkranke behandelt werden, muss geschaffen werden.
ie Finanzierung der ärztlichen Leistungen außerhalb
er gedeckelten Gesamtvergütung und Herausnahme der
ür Vorsorge und Therapie von Demenzerkrankungen
enötigten Arzneimittel aus den Richtgrößenvereinba-
ungen muss sichergestellt werden.
Dass diese Forderungen berechtigt sind, hat die An-
örung im letzten Jahr bestätigt. Der SPD-Antrag be-
eist, dass die Regierungspartei zwar die Notwendigkeit
rkennt, dass wir uns um die Demenzkranken kümmern
üssen, sie aber die Frage der Finanzierung der notwen-
igen medikamentösen und nicht medikamentösen The-
apie nicht löst. Mehr Kontrolle, Qualitätszirkel, Assess-
ents sind ihre Forderungen. Kurz: Wieder einmal mehr
egulierung und Bürokratie sind ihre für mich unbefrie-
igenden Antworten.
Die Anhörung und die Debatten im Ausschuss wer-
en zeigen, wie unsere jeweiligen Anträge zu werten
ind und wie wir im Sinne der Patienten und Angehöri-
en zu einem Abschluss kommen, der tatsächlich eine
erbesserung der Situation der Demenzkranken bewir-
en kann.
nlage 8
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Konsequenzen aus
Dresdener Bombenfund ziehen (Tagesord-
nungspunkt 15)
Frank Hofmann (Volkach) (SPD): Ich frage mich,
ieso man diesen Antrag überhaupt im Plenum debat-
iert. Da werden Forderungen an die Bundesregierung
erichtet, über die ich nur den Kopf schütteln kann: zum
eispiel eine spezifizierte Gefährdungsanalyse zu erstel-
en. Diese Arbeit ist das tägliche Brot jeder Polizei auf
eder Ebene. Zu der Aufforderung an die Bundesregie-
ung, für eine umfassende Aufklärung und Sensibilisie-
ung zu sorgen, die Mitarbeit der Bevölkerung zu akti-
ieren: Das gehört zum täglichen Brot von Polizei, von
erantwortlichen in der Bundespolitik, in der Landespo-
itik, in der Kommunalpolitik.
Am 6. Juni 2003 wurde auf dem Dresdner Haupt-
ahnhof eine Kofferbombe aufgefunden und entschärft.
8180 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004
(A) )
(B) )
Am 24. Juni 2003 stellt die CDU diesen Antrag und
bringt ihn in Zusammenhang damit, dass Deutschland
offensichtlich Zielland von Terroristen sei. Das einzige,
was zu diesem Zeitpunkt feststand, war, dass ein terro-
ristischer Hintergrund nicht auszuschließen ist. Im
September wurde als Täter für diese Kofferbombe ein
62-jähriger Finanz- und Immobilienmakler aus dem
Vogtland verhaftet. Der Tat lag ein Erpressungsversuch
gegen die Deutsche Bank zugrunde.
Das alles interessiert die CDU/CSU-Fraktion aber
nicht. Ihr geht es darum: Angst schüren, die Bevölke-
rung verunsichern, die Bundesregierung verunglimpfen
und absolute Sicherheit fordern. So tönt es aus ihren Rei-
hen.
Wir sagen: Abklären, analysieren, das Richtige tun.
Das haben wir gemacht, das hat die Bundesregierung ge-
macht. Das ist ihr täglich Brot.
Der Bundesgrenzschutz hat gemäß § 27 Bundes-
grenzschutzgesetz die rechtliche Möglichkeit, selbst-
tätige Bildaufnahme- und Bildaufzeichnungsgeräte auf
Bahnhöfen und Flughäfen einzusetzen, um Gefahren
von Benutzern der Anlagen oder Einrichtungen der Ei-
senbahnen des Bundes abzuwehren. Diese Möglichkeit
nutzt der Bundesgrenzschutz zum Beispiel in enger Zu-
sammenarbeit mit der Deutschen Bahn AG. Auf nahezu
allen großen Bahnhöfen befinden sich erkennbar instal-
lierte Kameras. Nach dem Auffinden des Sprengsatzes
auf dem Hauptbahnhof Dresden wurde die Überwa-
chung der einzelnen Bahnhöfe nochmals intensiviert.
Auch in Zukunft wird der Bundesgrenzschutz selbst-
tätige Bildaufnahmegeräte einsetzen und die Aufnah-
men, soweit zur Gefahrenabwehr oder Strafverfolgung
notwendig und erforderlich, auch aufzeichnen.
Der Bundesgrenzschutz leistet hier gute und professi-
onelle Arbeit. Ihre Forderung an die Bundesregierung ist
eine verklausulierte Kritik am Bundesgrenzschutz, die
jeder Grundlage entbehrt und die ich zurückweise. Die
Forderung der Union an die Bundesregierung, Gefähr-
dungsanalysen zu erstellen, bei risikosensiblen Orten,
wie Bahnhöfen, Flughäfen und Seehäfen, Videoauf-
zeichnungen zur Gefahrenabwehr und Strafverfolgung
rund um die Uhr zu betreiben und für einen Datenaus-
tausch zu sorgen, geht ins Leere.
Ihr Antrag ist lediglich geeignet gewesen, um Presse-
erklärungen absetzen zu können, aber völlig ungeeignet
für Aktivitäten des Deutschen Bundestages und der Bun-
desregierung. Ziehen Sie Ihren Antrag zurück!
Günter Baumann (CDU/CSU): Am Freitag vor
Pfingsten vergangenen Jahres sind Hunderte von Men-
schen im Dresdener Hauptbahnhof knapp einer Katastro-
phe entgangen. Auf einem Bahnsteig war ein herrenloser
Koffer aufgefallen. Wie sich später herausstellte, enthielt
er eine Kofferbombe mit TNT-Sprengstoff. Wäre er ge-
zündet worden, hätte es ein furchtbares Blutbad gege-
ben. Nur die Wachsamkeit eines Bahnangestellten und
der professionelle Einsatz des Bundesgrenzschutzes hat
uns davor bewahrt.
g
r
s
n
s
n
K
m
u
z
u
w
V
w
V
l
D
s
d
f
d
a
c
s
k
i
s
d
h
a
A
w
c
s
g
b
j
h
i
F
d
i
I
t
Ü
4
d
e
a
f
B
d
p
z
Ü
(C
(D
Der Bombenfund von Dresden hat uns allen deutlich
emacht: Deutschland ist nicht länger nur Zuschauer ter-
oristischer Greueltaten in aller Welt. Deutschland ist
elbst ein Ziel terroristischer Aktivitäten. Wir sind hier
icht eine Insel der Seligen, nicht abseits vom Weltge-
chehen, sondern mittendrin. Dieser Einsicht in die
euen Risiken müssen aber auch sicherheitspolitische
onsequenzen folgen.
Die CDU/CSU-Fraktion hat bereits im Juni 2003, un-
ittelbar nach dem Dresdener Bombenfund, reagiert
nd den heute zu beratenden Antrag eingebracht. Unsere
entrale Forderung lautet, dass an allen risikosensiblen
nd gefährdeten Orten mit erhöhtem Publikumsverkehr
ie Flughäfen, Bahnhöfen und Seehäfen unverzüglich
ideoanlagen mit Tag- und Nachtbetrieb eingerichtet
erden. Die Aufzeichnungen sollen der Aufklärung und
erhinderung von Straftaten dienen. Sie sind unverzüg-
ich zu löschen, sobald sie nicht mehr benötigt werden.
abei ist der Austausch der Daten mit Bundesgrenz-
chutz und Landespolizeien zu gewährleisten. Außer-
em fordern wir die Bundesregierung auf, über eine um-
assende Aufklärung und Sensibilisierung die Mitarbeit
er Bevölkerung zu aktivieren und eine Gefährdungs-
nalyse vorzulegen.
Im Zentrum unserer Forderungen steht die flächende-
kende und permanente Videoüberwachung an an-
chlagsrelevanten Orten. Sie hat zwei Vorteile. Erstens
önnte der BGS bei Verdacht die Bänder anfordern und
nnerhalb kürzester Zeit den Täter ermitteln. Wie Sie
ich erinnern, nahm die Ermittlung des Täters von Dres-
en damals über zwei Wochen in Anspruch. Zweitens
ätte die Installierung von Videokameras aber auch eine
bschreckende Wirkung – nicht nur für terroristische
ktivitäten, sondern auch für kriminelle Aktivitäten jed-
eder Art. Die sächsische Polizei hat mit der Überwa-
hung des Bahnhofsvorplatzes in Leipzig dort inzwi-
chen auch die Klein- und Drogenkriminalität völlig
ebannt.
Zweifellos ist dabei das Bundesdatenschutzgesetz zu
eachten. Es sind allerdings in der Zwischenzeit all die-
enigen Lügen gestraft worden, die von Anfang an be-
aupteten, unser Antrag sei mit dem Datenschutz nicht
n Übereinstimmung zu bringen. Das Gegenteil ist der
all: Der Dresdener Bahnhof wird bereits seit kurzem vi-
eoüberwacht. Am vergangenen Freitag hat der Bundes-
nnenminister Schily gemeinsam mit dem sächsischen
nnenminister Rasch die Anlage inspiziert. Beide bekräf-
igten, dass eine permanente Bildaufzeichnung mit
berschreibung der Bilder in einem Zeitraum von
8 Stunden rechtlich zulässig und sicherheitspolitisch
ringend geboten ist. Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt
s, daß gerade in Dresden eben jene Sicherheitsstandards
uf den Weg gebracht worden sind, die wir seit langem
ordern. Und dennoch fragen wir uns – und mit uns die
ürger in unserem Land –, warum es ein Dreivierteljahr
auert, bis die Politik endlich Maßnahmen ergreift.
Möglicherweise liegt das auch an den rechtlich kom-
lizierten Befugnissen von Landespolizei, Bundespoli-
ei und Bahn AG. Die Landespolizeien haben nur die
berwachungskompetenz für die Bahnhofsvorplätze.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004 8181
(A) )
(B) )
Der BGS dagegen hat Kontrollbefugnisse in den Bahn-
hofsgebäuden. Punktuell, etwa bei Bahnreisen gewaltbe-
reiter Fußballfans, übt der BGS diese Befugnis schon
seit langem auch mit Videokameras aus. Der Bund kann
aber nicht die Installierung permanenter Videoüberwa-
chungsanlagen im Bahnhofsgebäude verordnen. Denn
im Gebäude gilt das Hausrecht der Deutschen Bahn AG.
Wir müssen daher heute fragen, wie kooperativ sich
die Deutsche Bahn AG in den vergangenen Monaten
verhalten hat. Die Antwort lautet, daß die Bahn AG
lange Zeit als Bremser aufgetreten ist und kategorisch
die Videoüberwachung aus Datenschutzgründen abge-
lehnt hat. Erst in jüngerer Zeit gibt sie zu, dass die si-
cherheitspolitische Notwendigkeit der Videoüberwa-
chung auch mit den Erfordernissen des Datenschutzes
vereinbart werden kann.
Es liegt mir aber fern, der Deutschen Bahn, die das
Hausrecht in den Bahnhöfen ausübt, allein den schwar-
zen Peter zuzuschieben. Schließlich ist der Bund Mehr-
heitsaktionär der Deutschen Bahn. Mir scheint, dass er
seinen Einfluss alles andere als optimal ausgenutzt hat.
Sicherheitspolitisch haben wir wieder viel Zeit verloren.
Es ist zudem äußerst unbefriedigend, wenn Innenmi-
nister Schily neun Monate nach dem Dresdener Bom-
benfund in einer Pressemitteilung verkündet „Videoauf-
zeichnung verbessert Sicherheit auf Bahnhöfen“, er aber
keinerlei Auskunft darüber gibt, ob an den großen Bahn-
höfen in Deutschland von dieser Möglichkeit bereits flä-
chendeckend Gebrauch gemacht wird. Dies ist ganz of-
fensichtlich nicht der Fall. Bei Dresden dürfte es sich
vielmehr um ein Pilotprojekt handeln.
Aus diesem Grund fordert die CDU/CSU einen Be-
richt über die Gefährdungslage und eine systematische
Auflistung aller bereits eingeleiteten und noch einzulei-
tenden Maßnahmen. In diesem Zusammenhang muß der
Bundesinnenminister das Parlament auch über die
Gründe der Verzögerung aufklären. Rechtlicher Art
dürften diese Gründe nicht sein: Der Deutschen Bahn ist
die die permanente Videoüberwachung ebenso erlaubt
wie jeder Tankstelle.
Die CDU/CSU-Fraktion fordert daher den Bundesin-
nenminister auf, in Kooperation mit der Bahn das recht-
lich Mögliche umzusetzen. Sollte sich dabei herausstel-
len, daß die Verhandlungen am Unwillen der Deutschen
Bahn scheitern, bliebe dem Bund nur eine Alternative:
Dann müsste das Bundesgrenzschutzgesetz den Risiken
unserer Zeit angepasst und der Bund zu den erforderli-
chen Maßnahmen ermächtigt werden. Sollte der Innen-
minister an einem besseren Bevölkerungsschutz wirklich
interessiert sein, wird sich die Union ihrer staatspoliti-
scher Verantwortung nicht verschließen und ihm volle
Rückendeckung geben. Die Union ist die Partei des
Rechtsstaates und der inneren Sicherheit. Dazu gehört
für uns das Grundrecht der Bürger auf Sicherheit und
Schutz vor Kriminalität und Terrorismus in allen Er-
scheinungsformen.
G
h
D
w
s
m
d
f
s
n
M
S
l
g
d
t
c
u
l
w
d
g
f
w
l
a
l
d
c
ö
o
f
s
ü
t
m
w
m
B
g
v
f
g
u
i
r
S
B
T
O
(C
(D
Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/DIE
RÜNEN): Der Bombenfund auf dem Dresdener Bahn-
of hat uns vor Augen geführt: Wir sind auch in
eutschland vor Anschlägen nicht sicher. Deutlich ge-
orden ist allerdings auch, Videokameras verhindern
olche Anschläge nicht. Es waren die wachsamen
enschlichen Augen, die den verdächtigen Koffer ent-
eckten.
Die CDU kommt heute mit einem Antrag, der Dinge
ordert, die längst gemacht werden oder die sich zwar
chön anhören, aber nicht mehr Sicherheit bringen. Ih-
en ist offensichtlich jedes Ereignis recht, schärfere
aßnahmen zu fordern. Mit Ihren Anträgen produzieren
ie hier am laufenden Band Scheinsicherheit. In Wirk-
ichkeit geht es Ihnen um nichts anderes als um die ei-
ene Profilierung.
Nehmen Sie einmal zur Kenntnis, was bereits Stan-
ard ist: Es gibt bereits eine ständige Bewertung der ak-
uellen Gefährdungssituation mit allen beteiligten Si-
herheitsbehörden. Die technischen Voraussetzungen,
m die Bilddaten aller Kameras an den gesetzlich er-
aubten Orten aufzuzeichnen, sind bereits geschaffen
orden. Diese Bilddaten werden bereits anlassbezogen
en Länderpolizeien zur Strafverfolgung zur Verfügung
estellt.
Wenn Sie sich einmal die Mühe machten, sich zu in-
ormieren, dann könnten Sie vielleicht einsehen, dass
ir solche Anträge der Union nicht brauchen. Sie steh-
en uns die Zeit und sie halten uns von sinnvoller Arbeit
b.
Ich komme jetzt noch einmal zu Ihrem Lieb-
ingsthema, die Videoüberwachung. In Bund und Län-
ern boomt derzeit die Ausdehnung der Videoüberwa-
hung. An allen möglichen und unmöglichen Orten im
ffentlichen Raum werden Kameras installiert – meist
hne Sinn und Verstand, meist ohne Konzept.
Auf der ersten internationalen Konferenz des Center
or Criminological Research in Sheffield im Januar die-
es Jahres wurden die Forschungsergebnisse zur Video-
berwachung in England vorgestellt. Sie sind ernüch-
ernd und ich wünsche mir auch hier in Deutschland
ehr wissenschaftliche Untersuchungen zur Videoüber-
achung.
Die Forschung kommt zu dem Ergebnis: Eine Kamera
acht nur Sinn, wenn hinter ihr auch ein sachkundiger
eamter sitzt, der angemessen und situationsgerecht rea-
ieren kann. Kameras machen nur an ganz bestimmten,
orsichtig ausgewählten Orten Sinn, wenn sie in ein um-
assendes Sicherheitskonzept integriert sind. „Technolo-
ie als Lösung“ heißt in vielen Fällen: Viel Geld wird
nsinnig ausgegeben, der Zweck wird nicht erfüllt.
Über das Thema Sicherheit in Seehäfen werden wir
ntensiv zu reden haben. Es ist viel komplexer als in Ih-
em Antrag angesprochen. Hier ist es nicht mit ein paar
piegelstrichen getan. Ich kann Ihnen versichern, die
undesregierung arbeitet auch intensiv an diesem
hema. Wir brauchen auch hier keine Nachhilfe von der
pposition.
8182 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004
(A) )
(B) )
Dr. Max Stadler (FDP): Der heute zu beratende An-
trag der CDU/CSU befasst sich mit dem Bombenfund im
Dresdener Hauptbahnhof an Pfingsten 2002. Es wird ge-
fordert, die Sicherheit auf Bahnhöfen zu verbessern und
insgesamt die Videoüberwachung gefährdeter öffentli-
cher Plätze auszuweiten. Glücklicherweise wurde der
Koffer mit Sprengstoff in Dresden noch rechtzeitig ge-
funden, bevor eine Katastrophe eingetreten ist. Es stellt
sich allerdings die Frage, ob mit einer besseren Video-
überwachung dieser Vorfall tatsächlich hätte verhindert
werden können. Dies müsste erst einmal näher unter-
sucht werden.
Unabhängig davon hat die FDP-Bundestagsfraktion
zur Videoüberwachung öffentlicher Plätze stets nicht
etwa eine grundsätzlich ablehnende Position vertreten,
sondern schon immer eine differenzierte Meinung ge-
habt. Bahnhöfe wie der Dresdener Hauptbahnhof gehö-
ren ohne Zweifel zu den besonders gefährdeten Objek-
ten. Dies gilt sowohl in Bezug auf Anschläge als auch
hinsichtlich sonstiger Kriminalität wie zum Beispiel Ta-
schendiebstähle. Deshalb ist die Videoüberwachung sol-
cher Bahnhöfe längst Alltagspraxis. Das Bundesdaten-
schutzgesetz regelt in ausreichender Weise Zulässigkeit
und Modalitäten. Eine Gesetzesänderung ist nicht erfor-
derlich. Ebenso ist beispielsweise die Überwachung von
U-Bahnhöfen längst eine Routinemaßnahme und trägt
zur Erhöhung des subjektiven Sicherheitsgefühls der
Bürgerinnen und Bürger und der objektiven Sicherheit
bei.
Umgekehrt muss aber wesentlich sensibler, als dies
im Antrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zum Aus-
druck kommt, auch über die Grenzen von Videoüberwa-
chungen in einem Rechtsstaat nachgedacht werden. Die
FDP hat daher stets eine flächendeckende Videoüberwa-
chung abgelehnt. Ein übertriebener Einsatz dieser Tech-
nik ist für uns in einem freiheitlichen Rechtsstaat nicht
vorstellbar.
Zudem stellen sich auch praktische Probleme. In einer
Anhörung des Innenausschusses aus der letzten Legisla-
turperiode hat sich eindeutig gezeigt, dass als Ergebnis
von Videoüberwachungen häufig nur die Verlagerung
von Kriminalität auf andere Tatorte stattfindet. Gerade
ein Modellversuch in Bayern, dessen CSU-geführte
Staatsregierung sehr auf die Ausdehnung der Videoüber-
wachung setzt, hat in Regensburg keine besonders guten
praktischen Erfahrungen gebracht.
Deshalb ist es der richtige Weg, diejenigen öffentli-
chen Plätze, bei denen wegen einer besonderen Gefähr-
dungslage oder wegen einer besonderen Häufung von
Straftaten eine Videoüberwachung in Betracht kommt,
sehr sorgfältig auszuwählen. Selbstverständlich sind hin-
sichtlich der Datenspeicherung und Datenverwertung die
hohen Schutzstandards des deutschen Datenschutzrech-
tes zu beachten.
Insgesamt gilt aber: Die Videoüberwachung ist in
manchen Fällen eine nützliche ergänzende polizeiliche
Maßnahme. Noch besser als der Einsatz von Technik ist
aber die persönliche Präsenz von Polizeibeamten an Ge-
fährdungs- und Kriminalitätsschwerpunkten.
d
i
f
m
n
h
u
h
d
c
f
k
S
p
z
v
u
d
S
a
D
n
L
v
z
H
s
u
s
d
w
S
f
g
m
a
w
B
B
g
f
s
e
v
m
V
d
h
B
h
d
(C
(D
Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär beim Bun-
esminister des Innern: Die Sicherheit der Bevölkerung,
nsbesondere an exponierten Orten wie Bahnhöfen, ist
ür die Bundesregierung von hoher Bedeutung. Im Rah-
en der bundespolizeilichen Zuständigkeit haben wir
icht erst seit dem Fund der Bombe auf dem Hauptbahn-
of Dresden vielfältige Anstrengungen unternommen,
m mögliche Gefahren abzuwehren oder zu verhindern.
Noch vor dem Fund der Bombe auf dem Hauptbahn-
of Dresden hat der Bundesgrenzschutz gemeinsam mit
er Konzernsicherheit der DB AG ein Verfahren entwi-
kelt, das zusätzlich auch die Angestellten der DB AG
ür dieses Thema sensibilisiert und ein gemeinsames und
lar strukturiertes Verfahren zur Behandlung derartiger
ituationen vorgibt.
Der Videoüberwachung kommt im Rahmen der bahn-
olizeilichen Arbeit des BGS eine besondere Bedeutung
u. Sie ist ein wichtiges Unterstützungsinstrument prä-
entiver und ermittlungstaktischer Arbeit. Beamtinnen
nd Beamte des BGS sind bereits seit 1998 im Rahmen
es Sicherheitskonzepts „Sauberkeit – Sicherheit –
ervice“ der DB AG in den so genannten 3-S-Zentralen
n Großbahnhöfen zur Videoüberwachung eingesetzt.
Nach dem Fund der Bombe auf dem Hauptbahnhof
resden im Juni 2003 hat der BGS verschiedene Maß-
ahmen in enger Abstimmung mit den Polizeien der
änder sowie der DB AG intensiviert. Dazu gehören
erbesserte Verfahrensabsprachen mit den Landespoli-
eien, vor allem aber der Einsatz moderner Technik.
ierdurch können mögliche Gefahren, zum Beispiel bei
prengstoffverdächtigen Gegenständen, eher erkannt und
mgehend abgewehrt werden. Dazu gehört auch eine
tändige Bewertung der aktuellen Gefährdungssituation
urch alle beteiligten Sicherheitsbehörden.
Die Kamerabilder, die in den 3-S-Zentralen auflaufen,
erden rund um die Uhr für den BGS aufgezeichnet.
elbstverständlich werden diese Bilder, sofern sie nicht
ür polizeiliche Ermittlungen benötigt werden, wieder
elöscht. Die Aufzeichnungen helfen dem BGS, ver-
eintliche oder tatsächliche Gefahrensituationen, aber
uch Straftaten schnellstmöglich aufzuklären. Mittler-
eile kann der BGS nicht nur auf nahezu allen großen
ahnhöfen, sondern auch auf zahlreichen kleineren
ahnhöfen und Haltepunkten auf solche Aufzeichnun-
en zurückgreifen. Auch dies ist ein weiteres Beispiel
ür die gute und partnerschaftliche Zusammenarbeit zwi-
chen der DB AG und dem BGS.
Der Landespolizei wird darüber hinaus anlassbezogen
ntsprechendes Datenmaterial, insbesondere zur Straf-
erfolgung, zur Verfügung gestellt.
Herr Minister Schily hat sich am 6. Februar 2004 ge-
einsam mit seinem Amtskollegen aus Sachsen und
ertretern der DB AG vor Ort in Dresden ein Bild von
er Leistungsfähigkeit der Videoüberwachung auf Bahn-
öfen machen können. Sie können sicher sein, dass der
GS mit diesem technischen Hilfsmittel einen sehr ho-
en Sicherheitsstandard setzt.
Die in dem Antrag der CDU/CSU aufgestellten For-
erungen gehen ins Leere. Auf den Verkehrsflughäfen
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004 8183
(A) )
(B) )
findet Videoüberwachung in den Bereichen, für die das
Bundesministerium des Innern im Rahmen der Luftsi-
cherheit Verantwortung trägt, schon lange statt. Auch die
Forderungen zur Erstellung von Gefährdungsanalysen,
der Gewährleistung eines Datenaustausches und einer
regelmäßigen Information der Bevölkerung über aktu-
elle Erkenntnisse sind überholt. Für die Forderung nach
Videoüberwachung in den Seehäfen ist die Bundesregie-
rung hingegen der falsche Adressat.
Sie können versichert sein, dass sowohl der Bundes-
innenminister selbst als auch die Sicherheitsbehörden
des Bundes alle Anstrengungen unternehmen, um unse-
rer Bevölkerung den größtmöglichen Schutz zu gewäh-
ren.
Anlage 9
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Deutsch-Polnische
Wirtschaftsförderungsgesellschaft AG erhalten
(Tagesordnungspunkt 16)
Jürgen Türk (FDP): Aus Sicht der Wirtschaft, bei-
spielsweise eines bedeutenden Arbeitgebers in Branden-
burg, der Raffinerie in Schwedt, ist es ein völlig falsches
Signal zum falschen Zeitpunkt, die Deutsch-polnische
Wirtschaftsförderungsgesellschaft AG, kurz TWG, Ende
dieses Jahres zu liquidieren. Der Geschäftsführer der
Raffinerie hat dies dem brandenburgischen Wirtschafts-
minister auch schwarz auf weiß mitgeteilt. Ergebnis:
Keine Reaktion.
Die TWG, die von den Ländern Brandenburg, Berlin,
Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern sowie der Bun-
desregierung und Polen finanziert wird, hat seit ihrer
Gründung 1994 rund 9 400 mittelständische Unterneh-
men in ihren grenzüberschreitenden Vorhaben unter-
stützt. Sie hat zahlreiche Ex- und Importgeschäfte,
gewerbliche Kooperationen sowie Joint Ventures vermit-
telt, ferner hunderte Kooperationsreisen, Unternehmer-
reisen und Informationsveranstaltungen durchgeführt.
Sie betreibt zudem ein viel genutztes Internetportal für
deutsche Unternehmer über den Wirtschaftsstandort Po-
len.
Jetzt meinen einige Kritiker, die vor allem in den no-
torisch klammen und wirtschaftlich nicht eben erfolg-
reich agierenden Ländern Brandenburg und Berlin
sitzen, dass dies alles nicht mehr nötig sei, weil Polen
bald Teil der EU sei, weil in letzter Zeit nicht mehr ganz
so viele Joint Ventures zustande gekommen seien wie in
den Anfangsjahren der TWG und weil sich neue Institu-
tionen der deutsch-polnischen Wirtschaftsförderung in
Brandenburg und Berlin etabliert haben.
Dass im Vorfeld der Osterweiterung die Zahl der Rat
und Hilfe suchenden Firmen bei der TWG beständig ge-
stiegen ist – statt durchschnittlich 100 Unternehmen pro
Monat melden sich derzeit rund 140 Unternehmen –,
ignorieren sie. Ebenso können oder wollen sie nicht zur
Kenntnis nehmen, dass die Ursache für die geringere
Zahl an zustande gekommenen Joint Ventures in der re-
z
D
g
r
s
g
t
H
l
w
s
b
s
z
M
d
B
z
b
s
d
d
d
z
3
d
m
d
t
s
w
w
r
h
d
s
E
h
l
u
6
a
s
n
t
E
r
l
U
A
a
(C
(D
essiven wirtschaftlichen Entwicklung in Polen und
eutschland liegt.
Was die ins Feld geführten neuen Institutionen an-
eht, so sind sie noch nicht einmal ansatzweise so erfah-
en und schlagkräftig wie die TWG und greifen häufig
ogar auf deren Unterstützung zurück.
Weder honoriert noch anerkannt wird zudem das An-
ebot der TWG, künftig einen erheblichen Teil ihrer Mit-
el selbst zu erwirtschaften und dadurch ab 2005 mit der
älfte der bisherigen Fördermittel auskommen zu wol-
en.
Während Brandenburg und Berlin einerseits für frag-
ürdige Investitionen viele Millionen Euro in den Sand
etzen, stellen sie sich andererseits bei vergleichsweise
escheidenen 70 000 Euro pro Jahr, die nachweislich für
ie einen Mehrwert bringen, quer. Das ist nicht nachvoll-
iehbar.
Ich halte es für sehr bedauerlich, dass sich die Länder
ecklenburg-Vorpommern und Sachsen sowie die Bun-
esregierung aufgrund der Verweigerungshaltung von
randenburg und Berlin ebenfalls aus der Finanzierung
urückziehen wollen, womit das Ende der Gesellschaft
esiegelt sein dürfte – wenn nicht noch ein Wunder ge-
chieht, auf das, wie mir bekannt ist, auch Kollegen bei
er SPD hoffen.
Das Wunder könnte zum Beispiel darin bestehen,
ass Brandenburg und Berlin doch noch einlenken, oder
arin, dass sich die Bundesregierung nicht hinter den
ahlungsunwilligen Ländern versteckt und die
07 000 Euro, die sie für die TWG ohnehin bereits für
ie Haushalte 2005 und 2006 eingeplant hat, locker-
acht. Auf diese Weise würde sie auch verhindern, dass
ie polnische Regierung, die die einzige binational be-
riebene und unterhaltene Wirtschaftsförderungsgesell-
chaft gern fortgeführt sähe, vor den Kopf gestoßen
ird. Und das dürfte im Zeichen der Erweiterung nun
ahrlich kein gutes Signal sein.
Aus allen diesen Gründen bitte ich Sie darum, unse-
em Antrag zuzustimmen.
Christian Müller (Zittau) (SPD): Jenseits der Be-
andlung des vorliegenden Antrags steht außer Zweifel,
ass die TWG in den zurückliegenden zehn Jahren, also
eit ihrer Gründung, sehr erfolgreich war. Dies wird im
ingangsteil des Antrags zu Recht gewürdigt. Darüber
inausreichende positive Referenzen seitens der regiona-
en Kammern und einzelner Unternehmer sind bekannt
nd sollen hiermit erwähnt werden. Derzeit nehmen mit
8 Prozent des gesamten Aufkommens die Anfragen aus
nderen, also den Nicht-Aktionärsländern der Gesell-
chaft zu, während die aus den ostdeutschen Ländern
icht abnehmen. Darin spiegelt sich das zunehmende In-
eresse am polnischen Markt und an der bevorstehenden
rweiterung der EU wider. Dabei erstrecken sich die Be-
atungsleistungen der TWG nicht nur auf das wirtschaft-
iche Umfeld, sondern auch auf zu beachtende kulturelle
nterschiede, die für ein erfolgreiches geschäftliches
gieren nicht unwesentlich sind. Also gäbe es, gerade
uch wegen der EU-Erweiterung, genügend gute
8184 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004
(A) )
(B) )
Gründe, dieses mittelstandsfreundliche und vergleichs-
weise billige Instrument einer gezielten Beratung für ei-
nen interessanten Markt beizubehalten.
Dies setzt allerdings voraus, dass die Anteilseigner
dazu auch bereit sind. Auf polnischer Seite scheint dies
grundsätzlich der Fall zu sein. Der polnische Staat hält
50 Prozent der Anteile an der Gesellschaft und hat wohl
angeboten, seinen Anteil an der Finanzierung auch über
das Jahr 2004 hinaus beizubringen. Demgegenüber stellt
sich die Situation auf der deutschen Seite, schon wegen
der Zusammensetzung der Anteilseigner und der Finan-
zierungsstruktur, anders dar. Anteilseigner sind die Bun-
desländer Brandenburg mit 24,69 Prozent, Berlin mit
24,69 Prozent, Mecklenburg-Vorpommern mit 0,31 Pro-
zent und Sachsen mit 0,31 Prozent. Der Bund hatte, ob-
wohl er nicht an der Gesellschaft beteiligt ist, bei deren
Gründung im Sinne einer Vorbeitrittshilfe bis 2004 eine
degressive und befristete Mitfinanzierung zur Verfügung
gestellt – 32 Prozent, 2003 und 2004 je 307 000 Euro –
und war prinzipiell offen für eine Fortsetzung.
Leider sind die Anteilseigner, offenbar aufgrund ver-
änderter eigener Prioritäten, zu der Auffassung gelangt,
Ende 2004 ihrerseits die Finanzierung der Gesellschaft
einzustellen. Bereits am 9. Januar haben sie im Auf-
sichtsrat der TWG einen Kompromissvorschlag zur Re-
duzierung der Länderanteile auf jeweils 70 000 Euro bei
Verlängerung des Zuwendungszeitraumes um zwei Jahre
abgelehnt und dies am 5. Februar nochmals bekräftigt.
Nach den Vorstellungen der Anteilseigner soll die TWG
künftig bei Ausschreibungen für Projekte berücksichtigt
werden. Damit solle insgesamt eine Umstellung der
TWG auf Projektfinanzierung erfolgen.
Der vorliegende FDP-Antrag fordert demgegenüber,
der Bund möge ab 2005 den gesamten deutschen Anteil
an der Finanzierung der Gesellschaft in Höhe von
950 000 Euro übernehmen und die Finanzierung der
TWG bis 2010 bei Erhöhung der eigenen Einnahmen auf
20 Prozent des Gesamtfinanzierungsbedarfs sichern.
Dies ist angesichts der klaren, allerdings bedauerli-
chen Position der deutschen Anteilseigner nicht mög-
lich. Der Bund hatte immer zu Recht darauf hingewie-
sen, dass er bei einem Ausstieg der Länder aus der
Finanzierung der TWG nicht an deren Stelle treten
würde.
Angesichts der mittelständischen Interessen hinsicht-
lich des polnischen Marktes ist die entstandene Situation
tatsächlich zu bedauern, aber eindeutig auf die nicht vor-
handene Bereitschaft zur Finanzierung – 70 000 Euro –
sollten auch bei einem engen Landeshaushalt für den ei-
genen Mittelstand ausgegeben werden können – der vier
deutschen Gesellschafter der TWG zurückzuführen. In-
sofern kann der Antrag der FDP-Fraktion nur abgelehnt
werden.
Gewarnt seien diejenigen in der Opposition, die ange-
sichts dieses Sachverhalts in die Versuchung geraten
könnten, ein „Versagen der Bundesregierung“ zu kon-
struieren und eine Belastung des deutsch-polnischen
Verhältnisses herbeizureden. Dies wäre unverantwort-
lich. Der Wirtschaftsminister hat den Sachverhalt in ei-
n
i
h
7
b
i
F
A
I
r
d
n
w
G
a
h
L
s
F
w
g
B
b
w
g
s
b
m
m
T
s
A
D
v
m
B
s
O
g
m
k
H
W
i
b
m
s
V
b
d
d
M
c
O
(C
(D
em Antwortschreiben an seinen zuständigen Kollegen
n Warschau erläutert. Damit ist die nötige Klarheit vor-
anden.
Klaus Hofbauer (CDU/CSU): Heute sind es noch
8 Tage bis zur Osterweiterung der Europäischen Union
zw. Einigung Europas. Für Deutschland und für Europa
st dies ein historischer Schritt, der zur Sicherung von
rieden und Freiheit beiträgt. Die EU-Erweiterung hat
uswirkungen auf alle Bereiche unserer Gesellschaft.
nsbesondere der Wirtschaft bietet dieser Prozess zahl-
eiche Chancen. Neue Märkte können erschlossen wer-
en, Kooperations- und Handelspartner sind zu gewin-
en und Joint Ventures sollen verstärkt abgeschlossen
erden. Die EU-Erweiterung birgt aber auch Risiken.
erade kleine und mittelständische Unternehmen, vor
llem in den Grenzregionen zu den Beitrittsländern, ste-
en vor großen Herausforderungen. Das anhaltende
ohn- und Wohlstandsgefälle zu den neuen Mitglied-
taaten schafft einen erheblichen Konkurrenzdruck. Das
ördergefalle von Ost nach West wird die schwierige
irtschaftliche Situation verschärfen.
In den brisanten Bereichen der Arbeitnehmerfreizü-
igkeit und der Dienstleistungsfreiheit wurden mit den
eitrittsstaaten Übergangsfristen vereinbart. Sie können
is zu sieben Jahren gelten. Ob diese voll ausgeschöpft
erden, ist heute noch nicht abzusehen. Solche Regelun-
en dürfen jedoch nicht zur Folge haben, dass ein Zu-
ammenführen der Arbeitsmärkte behindert oder sogar
lockiert wird. Die jetzt vereinbarten Übergangsfristen
üssen genutzt werden, das Verbinden der Arbeits-
ärkte zu gestalten. Wir alle kennen den Druck aus
schechien und Polen, aber auch aus der Wirtschaft, die
olche Regelungen nicht wünscht.
Das Lohn- und Wohlstandsgefälle wird auch nach
blauf der Fristen nicht vollständig überwunden sein.
ie Unternehmen müssen sich auf die EU-Erweiterung
orbereiten, soweit dies bis jetzt nicht geschehen ist. Die
ittelständischen Unternehmen, vorwiegend aus dem
ereich des Handwerks in den Grenzregionen, sind be-
onders gefordert. Die Markterschließung in Richtung
sten stellt viele Betriebe vor enorme Herausforderun-
en. Neue Vertriebswege, andere gesetzliche Bestim-
ungen und vor allem die Sprachbarriere sind gerade für
leine und mittelständische Unternehmen erhebliche
indernisse. Einrichtungen wie die Deutsch-Polnische
irtschaftsförderungsgesellschaft geben den Betrieben
n diesem Prozess entscheidende Hilfestellungen.
Diese Gesellschaft kann in den letzten Jahren auf eine
eachtliche Erfolgsbilanz verweisen. 9 300 Unterneh-
en, Institutionen und Kommunen haben bei der Gesell-
chaft Rat und Unterstützung gefunden. Sie hat 180 Joint
entures befördert und war an 170 Kooperationsverein-
arungen beteiligt. Mehr als 1 000 Arbeitsplätze konnten
adurch geschaffen bzw. gesichert werden.
Das Leistungsangebot der Gesellschaft ist auf die Be-
ürfnisse der Unternehmen zugeschnitten, um ihnen den
arkteinstieg im Nachbarland zu erleichtern: Zweispra-
hige, branchenspezialisierte Mitarbeiter sind direkt vor
rt. Die Mitarbeiter sind mit den polnischen Standorten,
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004 8185
(A) )
(B) )
Marktbedingungen und den polnischen Gesetzen bestens
vertraut. Die Gesellschaft verfügt über bewährte Kon-
takte zu den polnischen Behörden und Einrichtungen.
Nicht zuletzt kennt die Gesellschaft auch die Marketing-
konzepte, die in Polen am besten greifen. Sie hilft beson-
ders kleinen und mittleren Unternehmen, den Marktein-
stieg im jeweiligen Nachbarland zu bewältigen. Die
Gesellschaft betreut ihre Kunden individuell, erarbeitet
für jeden einen konkreten Maßnahmeplan und hilft bei
dessen Umsetzung. Die wichtige Aufgabe ist mit dem
l. Mai 2004 nicht beendet, sondern muss sogar verstärkt
fortgesetzt werden.
Einrichtungen wie die Deutsch-Polnische Wirt-
schaftsförderungsgesellschaft sind auch aus einem ande-
ren Grund dringend notwendig. Ich habe vor einigen
Monaten in meinem Wahlkreis in Ostbayern eine Um-
frage zur EU-Erweiterung durchgeführt. Über 1 300 Per-
sonen haben sich daran beteiligt. 57 Prozent der Be-
fragten stehen der Osterweiterung eher pessimistisch
gegenüber. 60 Prozent sehen sie eher als Risiko und die
Mehrzahl der Befragten sieht beim Arbeitsmarkt und bei
der Wirtschaft den größten Handlungsbedarf. Besonde-
res Augenmerk verdient, dass 72 Prozent aller Befrag-
ten, die Informationen über die EU-Osterweiterung als
nicht ausreichend empfinden. Diese Ängste müssen
durch gezielte Informationskampagnen abgebaut wer-
den.
Die Deutsch-Polnische Wirtschaftsförderungsgesell-
schaft ist eine Einrichtung, die aktiv zum Erfolg der
Osterweiterung beiträgt. Das Zusammenwachsen der
Wirtschaft und der Arbeitsmärkte, gerade in den Grenz-
regionen, kann durch sie entscheidend gefördert werden.
Die CDU/CSU-Fraktion sieht in dem vorliegenden An-
trag eine wichtige Initiative, die in der Ausschussbera-
tung näher erörtert werden sollte.
Die Gesellschaft unterstützt vorwiegend mittelständi-
sche Unternehmen, die Herausforderungen und Chancen
der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit von Unter-
nehmen zu bewältigen. Dies ist ein wichtiger Beitrag,
die Erweiterung mit Leben zu erfüllen. Die Aufgaben-
stellung endet nicht zum 1. Mai 2004. Ihre Arbeit muss
sogar verstärkt fortgesetzt werden. Dazu müssen wir die
Voraussetzungen schaffen.
Deshalb unterstützt die CDU/CSU-Fraktion den An-
trag der FDP.
Werner Schulz (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Uns allen ist bewusst, dass ein wichtiger Bereich
in der Entwicklung der deutsch-polnischen Kontakte die
grenzüberschreitende wirtschaftliche Kooperation ist.
Mit der Schaffung der Deutsch-Polnischen Wirtschafts-
förderungsgesellschaft AG (TWG) vor ziemlich genau
zehn Jahren wurde ein wichtiger Schritt in diese Rich-
tung getan. Aktionäre der Gesellschaft auf deutscher
Seite sind die Bundesländer Berlin, Brandenburg, Meck-
lenburg-Vorpommern und Sachsen. Der Bund ist nicht
Gesellschafter; dies ist bei der Gründung bewusst festge-
legt worden. Trotzdem hat er sich finanziell mit rund ei-
nem Drittel der Mittel an der TWG beteiligt.
m
A
u
s
W
T
u
k
n
B
w
f
z
c
J
B
e
h
v
A
A
j
a
G
I
r
a
a
F
S
t
s
n
s
e
p
d
s
n
W
i
d
b
g
d
T
d
g
B
V
l
w
(C
(D
Die TWG hat in den vergangenen Jahren Unterneh-
en informiert und beraten, Kontakte vermittelt sowie
ktivitäten begleitet. Darüber hinaus hat sie sich etwa
m potenzielle Investoren bemüht, Ausstellungen, Mes-
en, Schulungen und Konferenzen veranstaltet sowie in
irtschaftsförderungsinstitutionen mitgewirkt. Die
WG hat somit sicher auch einen Beitrag dafür geleistet,
m den Beitritt Polens zur EU vorzubereiten.
Spätestens seit Frühjahr 2002 ist allen Beteiligten
lar, dass mit dem Beitritt Polens zur EU die institutio-
elle Förderung der Gesellschaft durch die beteiligten
undesländer und den Bund enden wird. Schon damals
urde der Vorstand aufgefordert, Alternativen zur Fort-
ührung der TWG auch ohne institutionelle Förderung
u entwickeln. Die Länder haben mehrfach unterstri-
hen, dass sie ihre bisherige Förderung mit Ablauf des
ahres 2004 einstellen werden. Erst daraufhin hat der
und entschieden, seinerseits die Finanzierung ebenfalls
inzustellen.
Seitens des Bundes hat es bereits in der Vergangen-
eit neben der institutionellen Förderung die Förderung
on Projekten gegeben. Dies soll fortgesetzt werden.
uch die Länder haben angeboten, die TWG bei der
usschreibung von Projekten zu beteiligen. Diese Pro-
ektfördermaßnahmen dienen auch dem Wettbewerb mit
nderen privaten Dienstleistern. Schon allein aus diesem
runde ist der Antrag der FDP so nicht nachvollziehbar.
m Übrigen sei daran erinnert, dass die Wirtschaftsförde-
ung vorrangig Sache der Länder ist. Dies ist natürlich
uch der FDP bekannt. Wir jedenfalls sehen keine Ver-
nlassung, diesem Antrag zuzustimmen.
Trotzdem hoffen wir, dass auch ohne institutionelle
örderung eine Weiterexistenz der TWG möglich ist.
eitens des deutschen Vorstandsvertreters wird dies un-
er bestimmten Umständen jedenfalls nicht ausgeschlos-
en. Wir würden es begrüßen, wenn sich dafür in den
ächsten Wochen und Monaten eine konsensuale Lö-
ung finden würde. Hierfür könnte sicher auch die FDP
inen Beitrag leisten, indem sie ihre Kontakte nutzt, um
rivates Kapital zu mobilisieren und damit den Anteil
er Eigeneinnahmen der TWG auf eine solide Basis zu
tellen.
Ditmar Staffelt, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi-
ister für Wirtschaft und Arbeit: „Die Deutsch-Polnische
irtschaftsförderungsgesellschaft AG, TWG, leistet seit
hrer Gründung im Jahr 1994 einen wichtigen Beitrag für
ie grenzüberschreitende wirtschaftliche Zusammenar-
eit und damit für die EU-Osterweiterung.“
Dieser zusammenfassenden Feststellung im vorlie-
enden Antrag der FDP-Fraktion kann ich für die Bun-
esregierung durchaus zustimmen. Die Ergebnisse der
WG rechtfertigen die finanziellen Mittel, die die Bun-
esregierung seit 1994 für diese Arbeit zur Verfügung
estellt hat. Mit dieser finanziellen Unterstützung hat die
undesregierung ihren Beitrag dazu geleistet, dass in der
orbeitrittsphase diese insbesondere für kleine und mitt-
ere Unternehmen wichtige Arbeit überhaupt geleistet
erden konnte.
8186 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004
(A) )
(B) )
Die Frage ist also nicht, ob die Bundesregierung hier
eine sinnvolle Finanzierungshilfe geleistet hat. Hier sind
wir uns ja einig. Zu erörtern haben wir heute, ob es – wie
im Antrag der FDP gefordert –, Aufgabe der Bundesre-
gierung ist, bis 2010 den gesamten deutschen Anteil für
eine weitere institutioneile Finanzierung dieser Einrich-
tung zu übernehmen. Über dieses Ansinnen der FDP-
Fraktion kann ich mich nur wundern.
Ich darf Sie erinnern: Die TWG wurde 1994 als Ge-
meinschaftsunternehmen zur Wirtschaftsförderung mit
dem regionalen Schwerpunkt in der deutsch-polnischen
Grenzregion gegründet. Gründungsgesellschafter waren
der polnische Staat und die Bundesländer Berlin, Bran-
denburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen. Der
Bund ist bewusst nicht Mitgesellschafter geworden, hat
aber dieses Projekt der regionalen Wirtschaftsförderung
der Länder mit einer Anschubfinanzierung unterstützt.
Von Anfang an bestand zwischen allen Beteiligten
Einvernehmen, dass eine institutioneile Finanzierung
nur befristet möglich ist. Die deutsche und polnische
Seite haben im Jahr 2001 in einem Notenwechsel festge-
legt, dass sie sechs Monate vor dem EU-Beitritt Polens
eine Vereinbarung über die Art und Weise der Beendi-
gung oder Umwandlung der TWG schließen werden.
Im Frühjahr 2002 hat der Aufsichtsrat eingehend die
Zukunft der TWG erörtert. Seitdem ist allen Beteiligten
bewusst, dass mit dem Beitritt Polens zur EU die institu-
tionelle Förderung der Gesellschaft durch die vier betei-
ligten Bundesländer und den Bund enden wird. Nach-
dem sich die Bundesländer entschieden haben, ihre
Finanzierung Ende 2004 zu beenden, wird der Bund sei-
nerseits die weitere anteilige Finanzierung einstellen.
Eine Übernahme des Finanzierungsanteils der Länder
durch den Bund scheidet aus. Ich sehe keinen Grund, der
dies rechtfertigen würde.
Kooperationswillige Unternehmen finden heute ein
breites, oftmals mit EU- und Landesmitteln gefördertes
Beratungsnetz in den Grenzregionen. Industrie- und
Handelskammern, Handwerkskammern, Euro-Info-Cen-
tren, die vier Euroregionen an der deutsch-polnischen
Grenze und eine Vielzahl anderer regionaler Institutio-
nen, aber auch private Beratungsunternehmen sind zu-
nehmend auf dem Gebiet der grenzübergreifenden Wirt-
schaftskooperation mit Polen tätig. Dabei setzen die
Grenzländer mehr und mehr auf die bilaterale Zusam-
menarbeit mit den benachbarten polnischen Regionen:
In Brandenburg wird unter der Dachmarke „2win-eine
Region, doppelter Vorteil“ das Konzept der länderüber-
greifenden Wirtschaftskooperation durch eine eigens da-
für eingerichtete Koordinierungsstelle bei der Zukunfts-
agentur BB in Frankfurt an der Oder vermarktet;
Mecklenburg-Vorpommern fördert das Haus der Wirt-
schaft in Stettin; Sachsen hat zur Stärkung der unterneh-
merischen Tätigkeit in den Grenzgebieten die „Stiftung
für Innovation und Arbeit Sachsen“ gegründet und in
Berlin bietet die BAO Berlin International GmbH ko-
operationswilligen Unternehmen ein umfassendes Ser-
viceangebot.
Um das noch einmal zu unterstreichen: Der Rückzug
von Ländern und Bund aus der institutionellen Finanzie-
r
d
c
W
t
s
g
F
t
b
t
r
v
d
d
A
b
m
s
K
n
d
d
h
D
E
E
w
w
r
b
g
r
F
K
r
2
(C
(D
ung der TWG bedeutet nicht automatisch das Aus für
ie Gesellschaft. Es ist in dieser Situation vielmehr Sa-
he des Vorstands und Aufsichtsrates, ein Konzept zur
eiterfuhrung der TWG ab 2005 ohne deutsche institu-
ionelle Förderung zu verabschieden.
Die betroffenen deutschen Bundesländer als Mitge-
ellschafter haben ihre Bereitschaft geäußert, an einer
esellschaftsrechtlichen Lösung mitzuwirken, die eine
ortsetzung der Tätigkeit der TWG ermöglicht. Sie bie-
en an, die TWG bei Ausschreibungen von Projekten zu
erücksichtigen und damit ihren Beitrag zu einem Wei-
erbestand der Gesellschaft zu leisten. Der Bund hat be-
eits in der Vergangenheit Projektaufträge an die TWG
ergeben.
Ich bin zuversichtlich, dass wir in den Beratungen mit
er polnischen Seite eine einvernehmliche Lösung fin-
en, die die Interessen aller Beteiligten berücksichtigt.
nlage 10
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Den Fahrradtouris-
mus in Deutschland umfassend fördern (Tages-
ordnungspunkt 17)
Jürgen Klimke (CDU/CSU):
Oh wie liebe ich mein Fahrrad
Warum, das weiß ich nicht genau
Meinem Fahrrad werd’ ich treu sein
Im Gegensatz zu meiner Frau
Niemals werd’ ich es verlassen
Niemals werd’ ich von ihm geh’n
Denn wir fliegen wie auf Wolken
Weil wir uns so gut versteh’n
Ganz so extrem wie die Popgruppe „Die Prinzen“ ha-
en wir von der Union es nicht mit dem Fahrrad. Und
it der Untreue schon gar nicht. Aber wir schenken die-
em Verkehrsmittel deutlich mehr Zuneigung als die
ollegen und Kolleginnen von SPD und sogar die Grü-
en. Und das basiert nicht auf einer kurzfristigen Lei-
enschaft, sondern einer Vielzahl von Gründen: Wer mit
em Fahrrad unterwegs ist, tut etwas für seine Gesund-
eit. Er baut zudem eine enge Beziehung zur Natur auf.
as führt Mensch und Natur zusammen und stärkt die
insicht, dass Umweltschutz notwendig und lohnend ist.
in weiterer wichtiger Punkt ist die Förderung des Rad-
anderns. Diese Form des Tourismus ist nicht nur um-
eltfreundlich, sondern stellt zugleich einen wichtigen
egionalen Wirtschaftsfaktor dar, der erhalten und ausge-
aut werden muss.
Kurz auf den Punkt gebracht lauten unsere Beweg-
ründe also: Rad fahren dient der Gesundheit, Rad fah-
en nützt der Umwelt, Rad fahren und insbesondere
ahrradtourismus bringen die deutsche Wirtschaft voran.
Und extra für Sie, liebe rot-grünen Kolleginnen und
ollegen, damit Sie sehen, dass in Deutschland trotz Ih-
er Politik noch was wächst, ein paar Zahlen: Im Jahr
002 haben mehr als zwei Millionen Menschen Urlaub
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004 8187
(A) )
(B) )
mit dem Rad gemacht, was ein Plus von 12 Prozent ge-
genüber dem Vorjahr bedeutet. Damit ist der Fahrradtou-
rismus nicht nur ein wichtiger, sondern auch ein wach-
sender Wirtschaftsbereich in Deutschland mit großem
Wachstumspotenzial.
Angesichts der Perspektiven und Chancen, die sich
der deutschen Wirtschaft durch das Ausschöpfen des Po-
tenzials des Fahrradtourismus eröffnen, muss Deutsch-
land noch fahrradfreundlicher werden.
Nun höre ich geistig schon den Widerspruch der Re-
gierungskoalition: Ja, wir stärken doch den Fahrradtou-
rismus, wo wir nur können – schauen Sie sich doch nur
unseren schönen „nationalen Radverkehrsplan“ an! Ja,
liebe Kollegen, aber das war’s auch schon. Eine Recher-
che bringt es an den Tag: In den letzen Jahren war das
Ihre einzige Initiative in Sachen Rad. Wir sehen: Fahr-
radpolitisch ist bei Ihnen schon lange die Kette abgelau-
fen!
Um den Fahrradtourismus in Deutschland zu fördern,
müssen wir das Rad nicht neu erfinden. Deutlich verbes-
sern müssen wir aber die Rahmenbedingungen. Dazu
gehören: Erstens. Verlässliche Angaben. Zweitens. Aus-
gebaute Verkehrswege. Drittens. Innovative Verkehrs-
sicherheit. Viertens. Kooperation mit der Deutschen
Bahn AG.
Aber schon beim ersten Punkt hapert es. So verfügt
die Bundesregierung weder über Erkenntnisse über den
prozentualen Anteil des Fahrradtourismus am gesamten
deutschen Tourismus, noch kann sie Zahlen über die An-
zahl der Übernachtungen von Radtouristen in Deutsch-
land vorlegen. Bei solchen Defiziten im Forschungs-
und Statistikbereich kann der Fahrradtourismus in
Deutschland gar nicht zielgerichtet gefördert werden.
Diese Lücken müssen in Zusammenarbeit mit der Tou-
rismuswirtschaft, wie beispielsweise der Forschungsge-
meinschaft Urlaub und Reisen oder dem Tourismusbaro-
meter des Ostdeutschen Sparkassen- und Giroverbandes,
geschlossen werden, damit wir gezielter und effektiver
fördern können. Schließlich fährt Jan Ulrich die Tour de
France auch nicht mit verbundenen Augen.
Bei den Verkehrswegen müssen vor allem der zusam-
menhängende Ausbau überregionaler Radwege und die
Wegweisung der Routen vorangebracht werden. Dabei
ist die Anbindung an die europäischen Routen – ich erin-
nere nur an das EuroVeloNetz – zu berücksichtigen. So-
lange aber der Verkehrsminister über die Maut stolpert,
ist hier wohl nichts zu machen, befürchte ich.
Wenn wir schon bei den Problemzonen der Regierung
sind: Verbesserungsbedarf besteht auch bei der Fahrrad-
mitnahme durch die Deutsche Bahn AG. Denn trotz
wachsendem Fahrradtourismus ist die Fahrradmitnahme
im Fernverkehr der DB AG zwischen 1998 und 2002 um
über 40 Prozent zurückgegangen. Wir müssen mit der
DB zusammen Lösungsvorschläge erarbeiten, wie der
Rückgang bei der Fahrradbeförderung gestoppt werden
kann. Hier muss endlich Schluss sein mit selbstherrli-
chen und vor allem falschen Entscheidungen gegenüber
dem Kunden. Die Regierung als Hauptaktionär ist gera-
dezu verpflichtet, ihren Einfluss bei Herr Mehdorn gel-
t
e
d
u
v
K
C
A
d
F
A
B
B
z
r
d
u
d
n
d
F
w
F
F
w
R
b
e
c
u
n
l
g
w
F
h
D
t
e
s
F
a
M
e
z
u
h
V
s
r
E
N
s
(C
(D
end zu machen. Und wenn wir schon dabei sind, noch
in paar zusätzliche Überlegungen: Setzen Sie sich bei
er Bahn für eine Fahrradmitnahme in ICE-Zügen ein,
m die Erreichbarkeit deutscher Ferienregionen im Fern-
erkehr für Radtouristen deutlich zu verbessern.
Wer kritisiert, der muss auch mal loben: Das gute
onzept der 2002 in drei deutschen Städten eingeführten
allbikes der DB AG sollten wir unterstützen und die
usbreitung dieses Konzepts in weiteren Städten för-
ern.
Zur Entwicklung eines umfassenden Angebotes für
ahrradtouristen zählt auch das bequeme und sichere
bstellen der Fahrräder. Dadurch leisten wir auch einen
eitrag zur Eindämmung des Fahrraddiebstahls.
Bauliche Maßnahmen an Fahrradabstellplätzen wie
oxen eignen sich hier ebenso wie eine bessere Kenn-
eichnung der Fahrräder beispielsweise durch Codie-
ung. Dies hätte auch den zusätzlichen Effekt, dass hier-
urch der Kauf und Gebrauch hochwertiger Fahrräder
nterstützt würden, da die Codierung die Identifizierung
er Fahrrad-Eigentümer erleichtert. Endlich mal eine In-
ovation, die kein Luftschloss ist.
Mein Damen und Herren, alle drei Jahre kaufen sich
ie Deutschen – rein statistisch – ein Auto. Aber ein
ahrrad muss ein Leben lang halten. Das ist schon ein
enig schizophren, oder?
Denn auch im wirtschaftlichen Bereich bietet das
ahrrad erhebliche Arbeitsmarktpotenziale, nicht nur bei
ahrradproduktion und -handel und im Reparaturge-
erbe, sondern auch bei Folgeprodukten wie spezieller
adfahrerkleidung bis hin zu völlig neuen Serviceange-
oten. Neue Arbeitsplätze können im Servicebereich
ntstehen, zum Beispiel bei Fahrradstationen mit Bewa-
hung, Vermietung, Kleinreparaturen, Zubehörhandel
nd Information. Das Fahrrad ist nicht, wie häufig ange-
ommen, ein „Low-Tech-Produkt“, sondern muss erheb-
ichen Anforderungen bei möglichst geringem Gewicht
erecht werden: Das bedeutet, dass die technische Ent-
icklung des Fahrrades – unter anderem bei innovativen
ederungs-, Licht- und Bremssystemen, aber auch schon
insichtlich des Designs – längst nicht abgeschlossen ist.
er Gesamtumsatz des deutschen Fahrradhandels be-
rägt gegenwärtig rund acht Milliarden DM pro Jahr und
s gibt 6 800 Fachhandelsbetriebe mit rund 50 000 Be-
chäftigten sowie mehr als 4 000 Ausbildungsplätzen.
ahrradförderung ist angesichts dieser Zahlen immer
uch vor allem eine aktive Mittelstandsförderung.
Neben diesen doch recht einfach zu realisierenden
aßnahmen ist es in meinen Augen weitaus schwieriger,
in fahrradfreundlicheres Klima im Verkehrsgeschehen
u schaffen, das ein Miteinander der Verkehrsteilnehmer
nd die gegenseitige Rücksichtnahme erleichtert. Leider
aben wir es in diesem Bereich mit einer schleichenden
errohung zu tun. Kein Tag ohne Horrormeldung. Ein
innvoller Ansatz wäre die Ausgestaltung eines Rechts-
ahmens, der regelkonformes Verhalten fördert. Positive
rfahrungen mit der Verkehrssicherheitsphilosophie von
achbarländern – zum Beispiel Niederlande, Dänemark –
ollten hier einfließen.
8188 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004
(A) )
(B) )
Deutschland ist fahrradtouristisch ein interessantes
Ziel für Gäste aus dem Ausland. In den Nachbarländern
wie zum Beispiel den Niederlanden und Dänemark be-
steht ein großes Interesse, Deutschland mit dem Fahrrad
zu erkunden. Sogar die Nachfrage aus Übersee steigt
Jahr für Jahr. Mit attraktiven Angeboten gewinnen wir
ein interessiertes, junges, ausländisches Publikum für
den Urlaub in Deutschland. Mit unserem Antrag wollen
wir diese Entwicklung fördern. Übrigens liegen wir mit
unserer Forderung, den Fahrradtourismus zu fördern, gar
nicht so weit auseinander, wenn ich Ihren Antrag „Fahr-
Rad – für ein fahrradfreundliches Deutschland“ aus 2001
mit unserer Initiative vergleiche.
Daher bitte ich Sie um Unterstützung für unseren An-
trag. Bei einer Ablehnung ist es doch ziemlich offen-
sichtlich, dass es Ihnen nicht um die Sache, sondern ein-
fach nur um die Ablehnung eines Oppositionsantrages
geht. Deshalb noch einmal mein Appell an Sie: Unter-
stützen Sie unseren Antrag, damit der Fahrradtourismus
in Deutschland nicht auf dem Schlauch steht.
Annette Faße (SPD): Ich freue mich, dass die Da-
men und Herren von der Opposition jetzt endlich auch
den Fahrradtourismus entdeckt haben! Hätten sie aller-
dings die Antwort der Bundesregierung auf ihre Anfrage
vom Oktober vergangenen Jahres auch gelesen, hätten
sie dem Bundestag diesen Antrag ersparen können. Hier
wird lediglich Bekanntes wiederholt und bereits Umge-
setzes gefordert! Offensichtlich wollten Sie auch einmal
etwas für Ihre umweltbewussten Wähler tun!
Seit Jahren ist es Ziel der SPD-Fraktion, Deutschland
fahrradfreundlicher zu gestalten. Bereits vor zwei Jahren
hat die Bundesregierung den Nationalen Radverkehrs-
plan 2002 bis 2012 herausgegeben, um die Chancen des
Fahrradverkehrs im Rahmen einer integrierten Verkehrs-
politik auszubauen. Es ist sowohl der SPD-Fraktion als
auch der Bundesregierung bekannt, dass sich der
Fahrradtourismus in Deutschland bereits seit Beginn der
80er-Jahre in ländlichen Regionen zu einem wichtigen
Wirtschaftszweig mit einem jährlichen Umsatz von
5 Milliarden Euro entwickelt hat. Nach dem Ergebnis
der Reiseanalyse von 2003 haben im Jahr 2002 mehr als
2 Millionen Menschen Urlaub mit dem Rad gemacht.
Das ist gegenüber dem Vorjahr eine Steigerung von über
12 Prozent! Knapp die Hälfte der Fahrradtouristen ver-
brachte ihren Urlaub in Deutschland. Bekannt ist eben-
falls, dass es hier noch ein ausbaufähiges Potenzial gibt.
Was sagen Sie uns also Neues? Erstens, dass Radfah-
ren gesund ist – wie auch eine aktuelle Studie des
Robert Koch-Instituts beweist – vielen Dank für diese
beachtenswerte Information! –, und zweitens, dass das
Fahrrad das umweltfreundlichste Verkehrsmittel ist.
Auch das wussten wir doch wohl schon!
Wenn man Ihren Antrag liest, kommt einem schon der
Verdacht, dass alle bisherigen Maßnahmen zur Förde-
rung des Fahrradtourismus an der Opposition vorbeige-
gangen sind. Zumindest stellen Sie ja fest, dass es „eine
erfreuliche Entwicklung der letzten Jahre“ gibt und dass
die Antwort der Bundesregierung auf Ihre Anfrage die
„
h
E
b
f
e
a
d
t
d
f
f
W
b
f
g
D
r
s
r
i
z
s
B
V
g
M
B
ß
R
d
u
B
f
U
d
B
h
e
g
a
m
g
te
t
m
z
z
o
H
(C
(D
Bundeskompetenz in diesem Bereich unterstrichen“
at. Immerhin!
Sehen wir uns jetzt einen Teil Ihrer Forderungen im
inzelnen an:
Der Fahrradtourismus soll in bestehenden Umfragen
erücksichtigt werden: das geschieht bereits durch Um-
ragen des Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen
. V. Die Voraussagen für die nächsten drei Jahre weisen
uf eine Steigerung von 42,3 Prozent hin!
Sie fordern, Erhebungen zu den von Radtouristen auf
em Weg zu ihrem Urlaubsziel genutzten Verkehrsmit-
eln durchzuführen. Befragungsergebnisse hierzu gibt es
urchaus, diese können allerdings aufgrund von Mehr-
achnennungen und unterschiedlichen Verkehrsträgern
ür Hin- und Rückreisen nur bedingt aussagekräftig sein.
as sollen Aussagen hierzu auch an weiterer Erkenntnis
ringen? Das erklären Sie uns leider nicht. Gleiches gilt
ür Ihre Forderung nach Erhebungsparametern, die zei-
en sollen, wie hoch der Anteil des Fahrradtourismus am
eutschlandtourismus ist. Für die Steigerung des Fahr-
adtourismus in Deutschland ist nicht die Datenlage ent-
cheidend!
Der Ausbau des Bundesradroutennetzes geschieht be-
eits und wird seit 2002 mit jährlich 100 Millionen Euro
n einem gesondert eingerichteten Haushaltstitel finan-
iert. Weitere 10 Millionen Euro jährlich sind zweckbe-
timmt für den Bau von Radwegen auf Betriebswegen an
undeswasserstraßen.
Der Nationale Radverkehrsplan NRVP enthält eine
ielzahl von Maßnahmen und Handlungsempfehlungen,
egliedert nach Handlungsfeld, Maßnahme, Akteure und
engengerüst. Im Rahmen des föderativen Aufbaus der
undesrepublik Deutschland und der verfassungsgemä-
en Rechtsordnung liegt die Hauptverantwortung des
adverkehrs bei Ländern und Kommunen. Eine Reihe
er Forderungen aus Ihrem Antrag sind somit schlicht
nd einfach überflüssig, weil sich die Mitglieder des
und-Länder-Arbeitskreises „Fahrradverkehr“ bereits in
ünf Unterarbeitskreisen intensiv um die Begleitung und
msetzung des NRVP kümmern.
Die Fahrradmitnahme in ICE-Zügen ist ein Thema,
as die SPD-Fraktion in zahlreichen Gesprächen mit der
ahn angesprochen hat. Letztendlich handelt die DB AG
ier aber als privatrechtlich organisiertes Unternehmen
igenverantwortlich. Die DB AG bietet aber in allen Zü-
en des Fernverkehrs eine Mitnahme von Fahrrädern an,
ußerdem Verschickung von Fahrrädern und Fahrradver-
ietung sowie Call-Bikes. Sie sehen, hier ist schon eine
anze Menge erreicht worden! Und wir stehen hier wei-
rhin in intensiven Gesprächen.
Lassen Sie mich zum Schluss noch weitere bereits ge-
roffene Maßnahmen zur Förderung des Fahrradtouris-
us erwähnen:
Im Haushaltsplan für dieses Jahr sind für Maßnahmen
ur Umsetzung des Nationalen Radverkehrsplanes, wie
um Beispiel die Durchführung von Fachkonferenzen
der gezielte Öffentlichkeitsarbeit Mittel bis zu einer
öhe von 2 Millionen Euro eingestellt.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004 8189
(A) )
(B) )
Im Jahr 2002 wurden für die Durchführung des
bundesweiten Fahrradwettbewerbs „Best for bike“
30 000 Euro bereitgestellt, ab 2003 werden jährlich
50 000 Euro dafür zur Verfügung stehen.
Das zuständige Referat des Bundesverkehrsministeri-
ums wurde ab diesem Frühjahr mit einer Mitarbeiterin
verstärkt, die sich schwerpunktmäßig mit der Koordinie-
rung der Umsetzung des NRVP befasst. Das begrüßen
wir ausdrücklich!
Für die Umsetzung des NRVP soll ein Fahrradportal
als Teil der Öffentlichkeitsarbeit des Bundesverkehrs-
ministeriums eingerichtet werden. Das Fahrradportal in-
formiert über Planungs- und Rechtsvorschriften, For-
schungsergebnisse, Fachliteratur, gute Beispiele und
Ähnliches und dient als Arbeitsplattform für den Bund-
Länder-Arbeitskreis „Fahrradverkehr“ und seine Unter-
arbeitskreise sowie für die Fahrradbeauftragten auf Län-
derebene und kommunaler Ebene. Die Installation kann
nach Freigabe der Haushaltsmittel durch das Parlament
erfolgen.
Die Damen und Herren von der Opposition wollen
den Fahrradtourismus in Deutschland umfassend fördern
und haben leider nicht erkannt, dass das bereits ge-
schieht! Ein überflüssiger Antrag mehr!
Heidi Wright (SPD): Der vorliegende Antrag, der
heute beraten und dann an den Fachausschuss überwie-
sen wird, zielt darauf ab, dass Deutschland noch fahrrad-
freundlicher werden soll. Die umwelt-, verkehrs-, ge-
sundheits- und tourismuspolitische Bedeutung des
Fahrrads soll noch stärker hervorgehoben werden. Ganz
grundsätzlich stimme ich hier natürlich zu.
Doch bei näherem Blick auf den 16 Punkte umfassen-
den Forderungskatalog wird schnell deutlich, dass der
größte Teil der Forderungen längst Gegenstand der rot-
grünen Radverkehrspolitik ist. Einige Maßnahmen sind
von der Bundesregierung, von den Ländern oder Kom-
munen teilweise bereits realisiert, einige befinden sich in
der aktiven Planungsphase.
Lassen Sie mich zunächst einmal feststellen: Es gibt
keineswegs einen Stillstand bei der Umsetzung des Nati-
onalen Radverkehrsplans 2002 bis 2012 (NRVP) – ganz
im Gegenteil: Die rot-grüne Verkehrspolitik hat einiges
auf die Beine gestellt und kann handfeste Erfolge benen-
nen.
Von zentraler Bedeutung ist zunächst die Tatsache,
dass seit 2002 ein gesondert eingerichteter Haushaltstitel
mit 100 Millionen Euro pro Jahr – vorher waren es nur
50 Millionen Euro gewesen – zur Finanzierung von Rad-
wegen an Bundesstraßen zur Verfügung steht. Weitere
10 Millionen Euro pro Jahr sind zweckbestimmt für den
Bau von Radwegen auf Betriebswegen an Bundeswas-
serstraßen.
Ein weiterer Erfolg ist, dass es uns trotz angespannter
Haushaltslage gelungen ist, für den Haushalt 2004 Fi-
nanzmittel in Höhe von 2 Millionen Euro aus dem Rad-
wegebautitel für nicht investive Maßnahmen zur Umset-
zung des NRVP zur Verfügung zu stellen. Darüber freue
i
M
t
g
Ü
k
z
g
v
v
E
m
n
1
h
R
G
v
Z
s
d
d
D
t
z
z
F
d
e
s
t
k
d
v
z
v
n
a
a
h
S
(
k
f
h
s
Z
v
m
d
d
k
t
(C
(D
ch mich besonders, denn mit diesen nicht investiven
itteln leistet die Bundesregierung einen weiteren Bei-
rag für eine effiziente Umsetzung des NRVP.
Bevor ich auf einzelne Forderungen des Antrages ein-
ehe, will ich nochmals konkretisieren, an welchen
berlegungen und Fragen wir uns als rot-grüne Ver-
ehrspolitiker bei der Umsetzung des NRVP vorrangig
u orientieren haben. Diese sind: Werden mit der jeweili-
en Maßnahme die Rahmenbedingungen für den Rad-
erkehr und den Radtourismus insgesamt und umfassend
erbessert? Werden die Chancen und damit auch die
ntwicklungspotenziale, die der Fahrradverkehr im Rah-
en einer integrierten Verkehrspolitik bietet, optimal ge-
utzt?
Vor diesem Hintergrund möchte ich zunächst aus dem
6 Punkte umfassenden Forderungskatalog einen Punkt
erausgreifen, der mir schon lange am Herzen liegt: die
admitnahme im DB-Fernverkehr. Dies aus zweierlei
ründen: Einerseits halte ich die Radmitnahme im Fern-
erkehr für eine wichtige Voraussetzung dafür, dass alle
ielgebiete in Deutschland, insbesondere auch touristi-
che, von Radtouristen erreicht werden können. Ohne
ieses Angebot ist der Radtourismus gefährdet. Zum an-
eren sehe ich gerade bei der Frage Radmitnahme im
B-Fernverkehr Klärungsbedarf zwischen den beteilig-
en Akteuren und erheblichen Handlungsbedarf.
Das Gute vorab: Wie aktuell von der DB Rent GmbH
u hören ist, hat der Vorstand der DB AG auf seiner Sit-
ung im Dezember 2003 die Entwicklung eines neuen
ahrradkonzeptes beschlossen; die Einzelheiten sind in
er Abstimmung und interessieren uns brennend.
Die Argumentationsweise der DB AG entspricht der
ines privatrechtlich organisierten Unternehmens, das
ich von (betriebs-)wirtschaftlichen Gesichtspunkten lei-
en lässt: Die Fahrradmitnahme im Hochgeschwindig-
eitsverkehr lasse sich nicht wirtschaftlich realisieren,
a Umsteigezeiten verlängert würden und das Vorhalten
on Fahrradabstellplätzen Kapazitäten binde, die dann
ulasten der Fahrgastbeförderung gingen. Das Bundes-
erkehrsministerium als Dialogpartner führt an, es könne
icht in Planung und Durchführung der Leistungs-
ngebote eingreifen und demzufolge auf die DB AG
uch nicht Einfluss nehmen.
Dem halte ich Zahlen entgegen, die die Bahn selbst
at erheben lassen – und ich beziehe mich hier auf ein
chreiben des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs
ADFC) vom 20. August 2003: Diese Zahlen weisen
lar aus, dass in der Vergangenheit die Bahn davon pro-
itiert hat, dass gerade der Fahrradtourismus anhaltend
öhere Wachstumsraten aufweist als alle anderen Reise-
parten; in 2002 erneut ein Plus von 12,7 Prozent. Die
ahlen weisen aus, dass Fahrrad fahrende Bahnkunden
iel öfter den Zug benutzen als andere Personen und da-
it zu den besonders treuen Kunden gehören.
Es braucht eine baldige und eine kluge Entscheidung
er DB AG, die den Fahrradtourismus stärkt. Ich werde
eshalb die weitere Entwicklung forcieren und den Ab-
lärungsprozess zwischen den beteiligten Akteuren kri-
isch begleiten.
8190 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004
(A) )
(B) )
Noch ein paar Anmerkungen zu den Forderungen 13 und
14 des Antrages: Die Straßenverkehrs-Ordnung (StVO)
und die Verwaltungsvorschriften der StVO sollen zu-
gunsten eines noch sichereren und attraktiveren Fahrrad-
verkehrs überarbeitet werden; ein entsprechender Refe-
rentenentwurf des Bundesverkehrsministeriums ist
erarbeitet. Der Bund-Länder-Arbeitskreis Fahrradver-
kehr wird Anfang dieses Jahres in die Beratungen
miteinbezogen werden, nachdem der zuständige Bund-
Länder-Fachausschuss für den Straßenverkehr und die
Verkehrspolizei der Länder sich auf voraussichtlich im
Bundesrat mehrheitsfähige Vorschläge zu einigen sehr
streitig diskutierten Detailregelungen verständigt haben.
Gut, dass wir jetzt die Koordinierungsstelle im Bundes-
ministerium haben – also, los jetzt. Auch diese Sache
darf nicht weiter verschleppt werden.
Ein Wort noch zu einer erfreulichen Entwicklung
beim Versicherungsschutz der Radfahrerinnen und Rad-
fahrer: Die fünfte Autoversicherungs-Direktive der EU
zur Haftpflichtversicherung sieht vor, dass künftig Ver-
letzungen von Radfahrern bei Unfällen mit Kraftfahr-
zeugen grundsätzlich von der Haftpflichtversicherung
der Autofahrer abgesichert werden, und zwar unabhän-
gig von der Schuldfrage.
Diese Regelung bringt mehr Rechtssicherheit für die
Radfahrer, sie wird die Schadensregulierung vereinfa-
chen und das allgemeine Gesundheits- und Sozialversi-
cherungssystem entlasten. Der Bundesverkehrsminister
ist nun gefordert, die Umsetzung der Regelung in
Deutschland vorzunehmen – und somit eine weitere For-
derung aus dem NRVP zu erfüllen.
Klaus Brähmig (CDU/CSU): Dass die CDU/CSU-
Bundestagsfraktion heute einen Antrag mit dem Titel
„Den Fahrradtourismus in Deutschland umfassend för-
dern“ in den Deutschen Bundestag einbringt, zeigt eines
sehr deutlich: Die rot-grüne Bundesregierung versäumt
es nach wie vor, zentrale Probleme des Fahrradtourismus
in Deutschland endlich tatkräftig anzupacken.
Mit dem Nationalen Radverkehrswegeplan aus dem
Jahr 2002 wollte die Regierung zwar Handlungskompe-
tenz beweisen, scheitert aber eklatant bei der praktischen
Umsetzung. Sie verfügt weder über strategische Planun-
gen noch kann sie konkrete Arbeitspläne präsentieren.
Weiterhin ist es völlig inakzeptabel, dass wesentliche
Fragen der Verantwortung und Finanzierung den Län-
dern und Kommunen zugewiesen werden. Der Bund
muss hier seiner Aufgabe gerecht werden, den Ausbau
des Bundesradroutennetzes voranzutreiben und regio-
nale und touristische Belange zu koordinieren. Insbeson-
dere bei der Aufgabe der Beschilderung versagt der
Bund; denn er stellt hierfür keine Finanzmittel zur Verfü-
gung. Auch hier gilt das bewährte rot-grüne Motto: Die
vollmundigen Versprechungen übernimmt der Bund, die
Länder und Kommunen dürfen die Finanzierung sicher-
stellen.
Neben dem Ausbau des Radwegenetzes ist es die tou-
ristische Vermarktung des Projektes „Fahrradtourismus
in Deutschland“, die einen wichtigen Ansatzpunkt für
ein fahrradfreundliches Land darstellt. Die Bundesregie-
r
s
d
e
d
G
F
D
te
z
s
n
o
r
f
r
d
G
T
A
a
S
a
d
d
v
K
F
m
A
B
c
O
a
A
n
w
p
d
p
u
n
r
a
li
z
s
k
li
e
g
n
Z
d
s
(C
(D
ung preist hier zu Recht den Angebotskatalog der Deut-
chen Zentrale für Tourismus „Deutschland per Rad ent-
ecken“ und lobt die weltweite Verbreitung mittels einer
nglischsprachigen Fassung. Dabei verschweigt sie aber,
ass die DZT die finanzielle Unterstützung für dieses
emeinschaftsprojekt mit dem Allgemeinen Deutschen
ahrrad-Club im Jahr 2004 um 10 Prozent kürzen will.
ie Fortführung des gesamten Projektes ist damit exis-
nziell gefährdet.
Es ist die Aufgabe der Bundesregierung, diesen finan-
iellen Engpass schnell zu beheben. Wir werden bei die-
er Forderung nicht locker lassen, denn am Geld liegt es
icht. Es wäre genug Geld für die DZT und das Stand-
rtmarketing vorhanden. Leider setzt die Bundesregie-
ung das Geld allerdings falsch ein. Anstatt teilweise
ragwürdige Beraterverträge abzuschließen und mit teu-
en Werbekampagnen die Korrektur der selbstverschul-
eten Imageschäden zu betreiben, sollten durch die
enerierung zusätzlicher Kaufkraft Arbeitsplätze im
ourismus gesichert bzw. neu geschaffen werden. Die
kquisition von kaufkräftigen Touristen muss endlich
ls aktive Wirtschaftsförderung verstanden werden.
chon Henry Ford hat gewusst: Enten legen ihre Eier in
ller Stille. Hühner gackern dabei wie verrückt. Was ist
ie Folge? Alle Welt isst Hühnereier. Voraussetzung für
en Erfolg des Fahrradtourismus ist also neben einer
ernünftigen Infrastruktur die Anfangsinvestition, um
unden auf das Produkt aufmerksam zu machen.
Ein Beispiel aus dem Freistaat Sachsen zeigt, dass der
ahrradtourismus ein hohes Potenzial für die Gastrono-
ie- und Beherbergungsunternehmen entwickeln kann.
llein im sächsischen Teil des Elberadweges, zwischen
ad Schandau in meinem Wahlkreis und Torgau, setzten
irca 70 000 Radtouristen in der Zeit zwischen April und
ktober 2003 rund 28 Millionen Euro um.
An diesen Zahlen kann man erkennen, dass ein gut
ufbereitetes Branchennetzwerk zum Erfolg beiträgt.
uf dem Elberadweg werden neben Hotel- und Gastro-
omie auch Fahrradhersteller, Händler und Reparatur-
erkstätten in die Vermarktungsstrategie integriert. Der
otenzielle Besucher erhält auf einen Blick alle notwen-
igen Informationen für seinen Fahrradurlaub. Diesem
ositiven Beispiel sollten auch andere Regionen folgen,
m dieses attraktive Segment des Deutschlandtourismus
och weiter zu stärken.
Gerade wegen der bevorstehenden EU-Osterweite-
ung ist es auch notwendig, dass die Bundesregierung
uf die EU-Kommission einwirkt, Finanzmittel zur Rea-
sierung eines europäischen Radfernwegenetzes bereit-
ustellen. Die transeuropäischen Verkehrsnetze dürfen
ich nicht allein auf den Ausbau von Straße und Schiene
onzentrieren, sondern müssen auch das umweltfreund-
che und gesundheitsfördernde Verkehrsmittel Fahrrad
inbeziehen.
Analog zum Verkehrswegeplanungsbeschleunigungs-
esetz sollten wir ernsthaft darüber nachdenken, ob wir
icht ein Fahrradwegebeschleunigungsgesetz brauchen.
urzeit ist es nämlich vielfach ein Problem, die vorhan-
enen Finanzmittel schnell in konkrete Baupläne umzu-
etzen. Beispielsweise hapert es aufgrund der finanziel-
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004 8191
(A) )
(B) )
len Situation einiger Kommunen daran, bestehende
Lücken im nationalen Radwegenetz schließen zu kön-
nen.
Ich hoffe, dass wir in den vor uns liegenden Aus-
schussberatungen gemeinsam für die Förderung des
Fahrradtourismus in Deutschland und Europa in die Pe-
dale treten. Ideologische Auseinandersetzungen sind an
dieser Stelle nicht angebracht.
Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Wenn vor 20 Jahren ein Antrag gestellt worden wäre,
über Fahrradtourismus in Deutschland im Deutschen
Bundestag zu debattieren, dann hätte wohl die Mehrheit
in und außerhalb des Hohen Hauses gesagt: „Jetzt spin-
nen sie, diese Grünen-Ökos!“
Heute kommt ein solcher Antrag von der CDU/CSU.
Mein augenzwinkerndes Kompliment an die Antragstel-
lerinnen und Antragsteller, denn Sie haben endlich – we-
nigstens verbal und vielleicht auch nur kurz – das Steuer
weggelegt und den Fahrradlenker entdeckt. Jetzt freuen
sich endlich auch mal alle Fraktionen über die beeindru-
ckende Erfolgsgeschichte des Radtourismus in den letz-
ten Jahren.
Die Zeiten haben sich verändert: Radfahren und Rad-
tourismus sind keine Exotenthemen mehr, sondern das
Rad ist quasi ein boomender „Volkssport“ geworden.
Die Reiseanalyse des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-
Clubs (ADFC) für das Jahr 2002 belegt diesen Wachs-
tumstrend in Zahlen. Bei den Radreisen in Deutschland
verbrachten mehr als 2 Millionen Menschen ihren Ur-
laub auf dem Fahrradsattel – das ist eine zweistellige Zu-
wachsrate von knapp 13 Prozent im Vergleich zum Vor-
jahr. Für jeden zweiten Urlauber gehört das Radfahren
zur Urlaubsaktivität dazu. Die Zukunftsaussichten sind
gut, denn Radurlaub wächst kontinuierlich weiter. Über
11 Prozent der Bürgerinnen und Bürger planen nach
ADFC-Angaben in nächster Zeit „ziemlich sicher“ eine
Radreise.
Damit zeigt sich, dass mit dem Fahrradtourismus ein
stabiles Marktsegment entstanden ist. Die Zuwachsraten
für die Beherbergungsbetriebe mit dem bekannten Na-
men „Bett & Bike“ sind enorm. Längst setzen kleine
Gasthöfe und Hotels auf Einzelradler, Familienurlaub
oder auch auf die organisierte Radlergruppe. Von 1995
bis zum Jahr 2003 hat sich die Zahl der fahrradfreundli-
chen Beherbergungsbetriebe mehr als verfünfzehnfacht!
Es ist beeindruckend, dass die Radlerinnen und Radler
nicht nur Deutschland entdecken, sondern dass umge-
kehrt auch gilt: Deutschland entdeckt die Radfahrerin-
nen und Radfahrer.
Die Bundesregierung bestätigt diese positive Ent-
wicklung in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der
CDU/CSU, und auch die heutigen Antragsteller verwei-
sen auf die vom ADFC vorgelegten Umfragen. Diese Er-
folgsgeschichte ist maßgeblich mitgestaltet worden
durch einen verstärkten Ausbau der Radinfrastruktur in
Deutschland in letzter Zeit. Wir haben im Jahr 2002 die
Mittel für den Radwegebau an Bundesstraßen auf
100 Millionen Euro verdoppelt. Weitere 10 Millionen
E
v
a
b
D
e
D
k
s
l
b
g
d
l
b
i
a
v
N
ü
d
m
n
L
w
L
s
e
z
d
m
p
c
m
B
u
d
W
t
w
E
s
e
g
d
e
N
E
w
g
e
n
g
z
L
(C
(D
uro sind für den Radwegebau an Bundeswasserstraßen
orgesehen. Wir haben dieses hohe Niveau übrigens
uch in der jetzigen Phase knapper finanzieller Mittel
eibehalten.
Wir wollen als Regierungskoalition da weitermachen.
enn wir wissen, dass Radverkehr und Radtourismus
ine deutschlandweit bessere Radinfrastruktur brauchen.
azu haben wir im Jahr 2002 den Nationalen Radver-
ehrsplan erarbeitet, mit dem wir uns auch selbst politi-
che Vorgaben bis zum Jahr 2012 für ein fahrradfreund-
iches Deutschland machen. Denn Fahrradtourismus
oomt besonders dort, wo es durchgängige Verbindun-
en zum Beispiel entlang größerer Flüsse gibt. Es darf in
er Frage eines überregionalen Radverkehrsnetzes nicht
änger eine kleinkarierte und unkoordinierte Politik ge-
en. Für diesen übergreifenden Teil der Verkehrspolitik
st daher auch der Bund in der Pflicht, es müssen aber
uch andere staatliche Ebenen mitziehen. So sollten sich
iele Bundesländer an der guten Radverkehrspolitik in
ordrhein-Westfalen ein Beispiel nehmen.
Wir müssen Klarheit bekommen über den Ausbau des
berregionalen Fahrradnetzes. Ich halte dies auch vor
em Hintergrund des touristischen Zusammenwachsens
it unseren Nachbarländern für unverzichtbar. So kön-
en auch Randregionen attraktiver werden. In unserem
and müssen die auf regionaler Ebene bestehenden Rad-
ege besser vernetzt werden, und es müssen ärgerliche
ücken endlich geschlossen werden. Vielfach ist die Be-
childerung nach wie vor verbesserungsbedürftig. Es ist
in offenes Geheimnis, dass wir mit der ständigen Redu-
ierung der Radmitnahmemöglichkeiten im Fernverkehr
er Deutschen Bahn nicht einverstanden sind. Die Rad-
itnahme im IC-Zug ist zwar erlaubt, aber ziemlich un-
raktisch. Die Interregio-Züge sind weitgehend gestri-
hen worden. Im ICE ist leider keine Radmitnahme
öglich. Die Unternehmensvorstände der Deutschen
ahn müssen endlich verstehen, dass Radfahrerinnen
nd Radfahrer nicht nur am Urlaubsort treue Bahnkun-
en sein wollen, sondern auch bei An- und Abreise.
enn die Deutsche Bahn in dieser Frage an ihrer restrik-
iven Politik festhält, wird sie nicht nur für sich selbst ein
ichtiges Kundenpotenzial vergraulen, sondern auch die
ntwicklung des Radtourismus in Deutschland insge-
amt beeinträchtigen.
Der Radtourismus ist unter ökologischen Aspekten
ine vernünftige Form des Tourismus. Er ist auch wichti-
er Teil eines nachhaltigen Tourismus. Es freut mich,
ass immer mehr Menschen sagen können: Er ist auch
in gutes Geschäft geworden. Denn damit ist auch ein
achweis erbracht, dass die belächelten, ehemaligen
xoten von einst heute als seriöse Experten anerkannt
erden können. In diesem Sinne verstehe ich den vorlie-
enden Antrag als Ermunterung und Unterstützung, den
rfolgreichen Weg der letzten Jahre fortzusetzen.
Ernst Burgbacher (FDP): Die Ausgangslage für ei-
en erfolgreichen Fahrradtourismus in unserem Land ist
ut. Deutschland bietet geeignete klimatische Vorausset-
ungen für den Fahrradtourismus. Welcher Radler hätte
ust und Laune, unter sengender Sonne und in brütender
8192 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004
(A) )
(B) )
Hitze etliche Kilometer abzustrampeln? – Ich nicht! Hier
ist Deutschland mit seinen eher gemäßigten Temperatu-
ren begünstigt. Hinzu kommt das reizvolle landschaftli-
che und kulturelle Angebot, das sich dem Radtouristen,
aber nicht nur diesem, erschließt. Ich jedenfalls genieße
Radtouren durch verschiedene deutsche Regionen im-
mer ganz besonders.
Der Radtourismus trägt insbesondere in ländlichen
und strukturschwachen Gebieten zu einer Verbesserung
der Infrastruktur bei und kommt diesen Regionen wirt-
schaftlich zugute. Radler, egal ob auf Tagestouren oder
auf mehrtägigen oder gar mehrwöchigen Touren, kehren
in einem Gasthaus oder Restaurant ein, brauchen Über-
nachtungsmöglichkeiten und kaufen Dinge des täglichen
Bedarfs. Mehr als 2 Millionen Menschen haben im Jahr
2002 Urlaub mit dem Rad gemacht, knapp die Hälfte da-
von in Deutschland. Ein ausbaufähiges Potenzial ist vor-
handen. Für die nächsten Jahre werden weitere deutliche
Zuwachsraten prognostiziert.
Daher ist es wichtig, den Fahrradtourismus in
Deutschland zu fördern. Allerdings warne ich davor,
dort regulieren zu wollen, wo die Verantwortung bei den
Ländern und Kommunen liegt. Ich trete in und außerhalb
der Föderalismuskommission von Bundestag und Bun-
desrat, deren Mitglied ich bin, für eine klare Kompetenz-
trennung zwischen Bund und Ländern und die strikte
Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips ein.
Deshalb halte ich den Punkt vier des Unionsantrags,
den Ausbau des Bundesradroutennetzes voranzutreiben
und hier regionale und touristische Belange zu koordi-
nieren, für ungeeignet. Dies gehört – bis auf Radwege an
Bundesstraßen – nicht in Bundeskompetenz. Tourismus
allgemein und die Förderung des Radverkehrs im Beson-
deren sind Sache der Länder und Kommunen. Was die
Beschilderung von Radwegen angeht, so verweise ich
auf die Ergebnisse der von der FDP-Fraktion beantrag-
ten Anhörung im Tourismusausschuss zur touristischen
Beschilderung. Wir müssen ein System für die touristi-
sche Beschilderung entwickeln, in das auch die Beschil-
derung von Radwegen einbezogen wird.
Zu den anderen Punkten des Antrags: Die FDP-Bun-
destagsfraktion unterstützt die Forderung nach einer
stärkeren Berücksichtigung des Segments Radtourismus
bei Umfragen und statistischen Erhebungen, um auf
diese Weise mehr und verlässliches Zahlenmaterial über
Umfang und Bedeutung des Fahrradtourismus zu gewin-
nen. Wichtig ist auch, dass von den zuständigen Touris-
musorganisationen stimmige Angebotspakete für Rad-
touristen geschnürt und professionell vermarktet
werden. Denn obwohl noch immer die Mehrzahl der
Radtouristen ihre Touren selbst organisiert, wächst die
Nachfrage nach „maßgeschneiderten Pauschalangebo-
ten“. Hier bieten sich Chancen, dieser Nachfrage zu ent-
sprechen und neue Kunden zu gewinnen.
Die Vernetzung der Verkehrsträger halte ich ebenfalls
für wichtig. Wir alle kennen die berechtigten Klagen
über die Probleme bei der Fahrradmitnahme im ICE.
Hier muss sich die Bahn bewegen. Es müsste meines Er-
achtens im Interesse der DB liegen, Kunden zu gewin-
n
s
r
g
g
s
w
n
d
h
e
A
r
j
p
K
e
t
D
A
„
s
p
d
E
n
n
d
t
r
e
p
u
g
D
S
d
M
S
–
w
g
(C
(D
en, nicht noch weitere zu verlieren. Ferienregionen
ollten gerade auch per Bahn erreichbar sein.
Bei Punkt 13, in dem es um die Schaffung eines fahr-
adfreundlichen Klimas im Verkehrsgeschehen und die
egenseitige Rücksichtnahme der Verkehrsteilnehmer
eht – ohne Zweifel ein sehr wichtiger Aspekt ange-
ichts der Verkehrsunfallstatistiken –, interessiert mich,
ie die Union sich dies konkret vorstellt. Welche Maß-
ahmen sollen hier ergriffen werden?
Was die Forderung nach einer Codierung aller Fahrrä-
er und die Unterstützung des Kaufs und Gebrauchs
ochwertiger Fahrräder angeht, um den Raddiebstahl
inzudämmen, so sage ich hier ganz klar: Das ist nicht
ufgabe der Politik und das soll es auch nicht sein. Fahr-
adkauf und -nutzung sind eine Sache des Marktes. Ob
emand ein hochwertiges codiertes Fahrrad oder ein
reisgünstigeres, nicht codiertes Rad kauft, sollte jedem
äufer selbst überlassen bleiben.
Von diesen Einzelpunkten einmal abgesehen gilt, wie
ingangs bereits gesagt, dass die FDP-Bundestagsfrak-
ion den Antrag zur Förderung des Fahrradtourismus in
eutschland im Grundsatz begrüßt und unterstützt.
nlage 11
Zu Protokoll gegebene Rede
zur Beratung des Antrags: „Demokratie und
Rechtsstaatlichkeit in Venezuela unterstützen –
Freiheit der Medien und wirtschaftliche Pros-
perität wiederherstellen“ (Tagesordnungs-
punkt 18)
Lothar Mark (SPD): Der hier zu beratende Antrag
Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Venezuela unter-
tützen – Freiheit der Medien und wirtschaftliche Pros-
erität wiederherstellen“ findet nicht die Zustimmung
er SPD-Bundestagsfraktion.
Dies hat folgende Gründe: Der Antrag weist unseres
rachtens erhebliche Mängel auf, denn er lässt von sei-
em Grundtenor her wesentliche Aspekte der venezola-
ischen Krise außer Acht. In seiner Konzentration auf
ie Freiheit der Medien und die wirtschaftliche Prosperi-
ät Venezuelas greift er unserer Ansicht nach zu kurz.
Entsprechend eindimensional sind die daraus resultie-
enden Schlussfolgerungen. Sie zeugen zudem von einer
inseitigen Haltung zugunsten der venezolanischen Op-
osition. Damit beteiligen Sie sich, liebe Kolleginnen
nd Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion, kräftig am
leichen Spiel, das Venezuela seit Monaten paralysiert.
urch ein solches parteiisches Verhalten unterstützen
ie die dort herrschende Polarisierung noch. Sie nehmen
abei in Kauf, dass Deutschland seine Rolle als ehrlicher
akler und damit seine Einflussmöglichkeiten aufs
piel setzt.
Die Krise in Venezuela hat nicht erst 1998 mit der
demokratischen – Wahl von Hugo Chávez begonnen,
ie der Antrag richtig bemerkt. Als allgemein anerkannt
ilt, dass das Scheitern der paktierten Elitendemokratie
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004 8193
(A) )
(B) )
zu Beginn der 90er-Jahre die tiefer liegende Ursache der
heutigen Krise ist, die sich in einem hohen Maß an poli-
tischer und sozialer Gewalt und dem Glaubwürdigkeits-
verlust der tragenden politischen Institutionen, vor allem
der Parteien und dem Parlament manifestiert.
Das derzeitige politische Tauziehen zwischen der Re-
gierung und der Oppositionsbewegung hat das Land po-
larisiert und das staatliche und wirtschaftliche Gefüge
ausgehöhlt. Ein Plebiszit kann in dieser Situation zwar
die Mehrheitsverhältnisse ändern, nicht aber die Patt-
situation zwischen beiden Kräften aufheben. Die Grund-
lage für eine Rekonsolidierung des Staates liegt daher
unserer Auffassung nach in einer dauerhaften demokrati-
schen Konsensfindung, was mit der ebenso heterogenen
wie konzeptionslosen venezolanischen Opposition nicht
ohne weiteres ersichtlich ist.
Führen wir uns einmal vor Augen, um welche politi-
schen Kräfte es sich hier handelt und welche zweifelhaf-
ten Meriten sie sich bislang im Dienste einer konstrukti-
ven Lösungsfindung erworben haben. Einziger
gemeinsamer Nenner dieser ein breites politisches Spek-
trum abdeckenden Bewegung ist die Absetzung der
rechtmäßig gewählten Regierung bzw. des Präsidenten.
Der Staatsstreich vom April 2002, der antidemokratische
Bruch der verfassungsmäßigen Ordnung, sowie das un-
verantwortliche Vorgehen bei der Ausrufung des Gene-
ralstreiks im Dezember 2002 zeugen nicht gerade von
dem verantwortungsvollen Handeln einer demokratisch
gesinnten Opposition, so wie es der vorliegende Antrag
annimmt.
Zur Beurteilung der Situation der Medienfreiheit in
Venezuela muss man dies und noch einige weitere Fakten
im Hinterkopf behalten, die im Antrag nicht genannt wer-
den: Die venezolanischen Massenmedien haben sich
längst zu einem entscheidenden Macht- und Mobilisie-
rungsfaktor mit enormem Einfluss auf die öffentliche
Meinung entwickelt. Sie sind in einem Ausmaß selbst
zum politischen Akteur geworden, das für unsere Verhält-
nisse schwer vorstellbar ist. Vier der fünf landesweit aus-
strahlenden TV-Sender sind privat und de facto von der
Opposition dominiert. Sie sind damit ebenso sehr „Agita-
tionsinstrument“, wie dies zweifellos der staatliche Kanal
für die Regierung ist. Bei meiner letzten Reise nach Ve-
nezuela konnte ich mich selbst vom weitreichenden Ein-
fluss der privaten Sender überzeugen, als mir deren Di-
rektoren unverblümt sagten, dass die privaten Medien
einen Gegenkandidaten für mögliche Präsidentschafts-
wahlen aufbauen würden, wenn die Opposition dazu wei-
terhin nicht im Stande sei. Ähnlich sehe man es mit dem
Wahlprogramm der Opposition.
Die Medien bieten also ein genaues Abbild der ex-
trem gespaltenen venezolanischen Gesellschaft. Sie sind
einer der wichtigsten Austragungsorte, an dem sich die
Auseinandersetzung zwischen Chavisten und der Oppo-
sition abspielt. Beide Seiten kämpfen offensichtlich mit
harten Bandagen; dies ist nicht schön zu reden, aber
eben auch nicht einseitig der Regierung anzulasten.
Im Antrag wird weiterhin zu Recht die wirtschaftlich
desolate Situation Venezuelas aufgezeigt. In der Tat hat
die venezolanische Wirtschaft nicht erst durch den Ge-
n
s
l
V
O
r
A
s
t
r
f
a
A
c
n
k
d
z
A
d
s
Ä
d
k
k
d
m
w
is
o
n
s
g
n
M
g
e
s
z
f
r
w
w
w
f
V
b
e
e
w
g
s
d
i
g
(C
(D
eralstreik im Dezember 2002, aber durch diesen we-
entlich beschleunigt, eine besorgniserregende Entwick-
ung genommen. Insofern muss auch hier wieder die
erantwortung beider Seiten benannt werden, denn die
pposition hat diese wirtschaftlichen Schäden durch ih-
en Streikaufruf billigend in Kauf genommen. Die im
ntrag kritisierten Maßnahmen zur Kontrolle des Devi-
enabflusses, die Präsident Chávez nach dem zweimona-
igen Streik der Opposition verordnet hat, sollen im Üb-
igen offiziellen Angaben zu Folge gelockert werden.
Es ist richtig, dass an Präsident Chávez’ Regierungs-
ührung in vielen Punkten Kritik zu üben ist. Anstatt
ber ausschließlich mit objektiv belegbaren Daten und
rgumenten zu arbeiten, spielt der Antrag mit ungesi-
herten Erkenntnissen und beteiligt sich an Spekulatio-
en, wie zum Beispiel über die spionageverdächtigen
ubanischen Ärzte. Diese wurden im Rahmen eines von
er Regierung ins Leben gerufenen Sozialprogramms
ur Verbesserung der medizinischen Versorgung in den
rmenvierteln eingesetzt. In die Kritik gekommen ist
as Programm in Venezuela vor allem durch die Be-
chäftigung kubanischer und nicht venezolanischer
rzte. Für den Verdacht, es handele sich um Geheim-
ienstmitarbeiter, der aus venezolanischen Oppositions-
reisen lanciert wurde, gibt es meines Wissens bisher
einerlei Beweise.
Vielmehr scheint es, als solle hier mit dem Schüren
er Angst vor dem Abgleiten Venezuelas in den Sozialis-
us/Kommunismus die Regierung Chávez diskreditiert
erden, was ebenso unberechtigt wie unverantwortlich
t.
Erlauben Sie mir in diesem Zusammenhang eine Be-
bachtung im internationalen Kontext: Das Schüren ei-
er Eskalation der Auseinandersetzungen bzw. die De-
tabilisierung Venezuelas aus wirtschaftlichen und
eopolitischen Gesichtspunkten scheint im Interesse ei-
iger Länder zu liegen, die sich nicht im zu erwartenden
aß für eine konstruktive Lösung des Konflikts enga-
ieren. Wie sonst wäre zum Beispiel die vorschnelle An-
rkennung der nach dem Putsch gegen Chávez einge-
etzten Carmona-Regierung durch die USA und Spanien
u erklären?
Trotz kritischer Haltung zum „Bolivarianischen Re-
ormprojekt“ Chávez’, das in der Tat bislang eine ge-
inge Ergebnisorientierung in Bezug auf die drängenden
irtschaftlichen und sozialen Probleme Venezuelas auf-
eist, scheint es mir vorrangig, einen rechtmäßig ge-
ählten Präsidenten anzuerkennen. Ebenso hat die neue,
ünfte venezolanische Verfassung – bei aller Kritik an
erfahrensfehlern und Verweisen auf die geringe Wahl-
eteiligung – im Megawahljahr 2000 die Zustimmung
iner Mehrheit der Bevölkerung erhalten. Diese Wahl-
ntscheidungen müssen von allen Parteien akzeptiert
erden und jeglichem Lösungsansatz des Konflikts zu-
runde liegen.
Insofern sollte das Hinwirken auf einen demokrati-
chen Minimalkonsens alle politischen Kräfte des Lan-
es einschließen und von einem echten, glaubwürdigen
nternationalen Engagement zur Einbindung Venezuelas
etragen werden. Die Forderung des Antrags nach einem
8194 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004
(A) (C)
(B) )
aktiveren politischen Krisenmanagement in Koordina-
tion mit der OAS und dem Carter-Center ist somit sehr
zu begrüßen.
Den sozio-ökonomischen Ursachen des Konfliktes
und seinen das gesamtgesellschaftliche Gefüge betref-
fenden Auswirkungen sollte dabei aber stärker Rech-
nung getragen werden, als im Antrag formuliert.
Für die SPD-Fraktion ergeben sich folgende Schwer-
punkte: Einer sowohl politischen wie auch wirtschaftli-
chen Isolierung Venezuelas muss unbedingt entgegenge-
wirkt werden. Bestehende Initiativen zur Einbindung
von Venezuela in das internationale System begrüßen
wir. Insbesondere die wirtschaftliche Einbindung des
Landes in die existierenden südamerikanischen Integra-
tionssysteme halten wir für wichtig. Wir begrüßen – wie
zurzeit beantragt – eine Aufnahme Venezuelas als asso-
ziiertes Mitglied in einem von neuer Dynamik gekenn-
zeichneten Mercosur. Hervorzuheben ist auch eine stär-
kere Zusammenarbeit mit dem großen Nachbarn im
Süden, Brasilien, wie sie im jüngsten Abkommen von
Wandel der politischen Kultur abzielen können. Die po-
litischen Stiftungen leisten hier schon sehr gute Arbeit,
die noch ausgebaut werden könnte. Ob allerdings die
einseitige Einmischung der KAS in Caracas dienlich ist,
bleibt mehr als fragwürdig.
Wir müssen ein großes Interesse daran haben, dass
dem Legitimationsverlust des politischen Systems in der
Bevölkerung entgegengewirkt wird. Das Beispiel Vene-
zuelas hat aufgrund seiner als Maßstab für andere Län-
der der Region geltenden demokratischen Tradition und
Stabilität eine große Ausstrahlung in den Andenraum hi-
nein und auf Gesamtlateinamerika.
Das schwierige Verhältnis zu Kolumbien aufgrund
des oft geäußerten Vorwurfs der fehlenden Unterstüt-
zung beim Anti-Terrorkampf bzw. der Unterstützung
von Guerillatruppen auf venezolanischem Gebiet zeigt
die regionale Dimension der Problematik. Wer die geo-
graphische Situation dort kennt, weiß allerdings auch,
dass diese Grenzen nicht 100 Prozent kontrollierbar
sind.
Recife zwischen beiden Staaten für den Erdölsektor ver-
einbart wurde. Diese Initiativen zeigen, dass Venezuela
handlungsfähig ist, sich stärker in den südamerikani-
schen Markt einbringen wird und wecken die Hoffnung
auf – zumindest mittel- bis langfristig – stabilisierende
Wirkung.
Von deutscher bzw. europäischer Seite aus sollten die
Bemühungen um eine Wiederbelebung der wirtschaftli-
chen Beziehungen im Vordergrund stehen. Deutsche Un-
ternehmen haben sich in Reaktion auf die Entwicklun-
gen in Venezuela vergleichsweise zurückhaltend
verhalten. Einige Schlaglichter, wie beispielsweise das
Engagement von Siemens im Nahverkehrsbereich in
Maracaibo, hellen das Dunkel etwas auf, müssten aber
weitere Aktivitäten auch von KMU nach sich ziehen.
Ein weiterer Schwerpunkt sollte bei der Zusammenar-
beit im Bereich der Heranbildung von Humankapital so-
wie der Vorstellung von wirtschafts- und sozialpoliti-
schen Initiativen liegen, die bei der Entwicklung von
eigenen Erfahrungen in Venezuela nützen und auf einen
z
t
m
n
s
a
r
n
z
f
b
s
n
v
r
L
u
s
sellschaft mbH, Amsterdamer Str. 19
(D
Abschließend würde ich mir insgesamt eine differen-
iertere Herangehensweise an die Diskussion um die ak-
uellen Entwicklungen in Venezuela wünschen. Wir
üssen uns mit der Tatsache auseinandersetzen, dass
eopopulistische Politikprofile in Lateinamerika insge-
amt an Bedeutung gewinnen, was unter anderem auch
n bestimmten historischen und gesellschaftlichen Vo-
aussetzungen in der Region liegt. Wir sollten uns zu-
ächst fragen, welche internen und externen Faktoren
ur Erosion traditioneller repräsentativer Politiksysteme
ühren, bevor wir versuchen, einfache Antworten zu ge-
en.
Im Fall Venezuelas scheint es besonders schwer, zwi-
chen Schwarz und Weiß auch noch Grautöne wahrzu-
ehmen. Aber gerade hier ist es besonders wichtig. Der
orliegende Antrag versucht nicht, sich diesen Schattie-
ungen anzunähern und kann daher keine differenzierten
ösungsansätze entwickeln. Aus diesem Grund ist er für
ns eine nicht akzeptable Betrachtung der venezolani-
chen Realität.
91, 1
2, 50735 Köln, Telefon (02 21) 97 66 340, Telefax (02 21) 97 66 344
91. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004
Inhalt:
Redetext
Anlagen zum Stenografischen Bericht
Anlage 1
Anlage 2
Anlage 3
Anlage 4
Anlage 5
Anlage 6
Anlage 7
Anlage 8
Anlage 9
Anlage 10
Anlage 11